# nd “ q “ “ i / Y . Ä / D r y ’ . er y z * „ \ t 2 _ _ « “ ! ji # D a e ® , Ä ” ri, 3 ı ” ‘ R \ E E \ s l \ J a D + r . “ * = _ . / ’ et « . f R\ - ; y2 fie v \ > \ hair z. ERr; - N A % \ ’ rn Ken en menen, wen, Sie Digitized by the Internet Archive in 2011 with funding from California Academy of Sciences Library http://www.archive.org/details/jahrbuchderka661916unse JAHRBUCH DER KAISERLICH-KÖNIGLICHEN bEULÜGISCHEN REICHSANSTALT e u) El, yEr Din — en [ÄIEVS VNATID ec 82 D re Sir LXVI. BAND 1916. Mit 12 Tafeln. wien, 1917. Verlag der k. k. Geologischen Reichsanstalt. In Kommission bei R. Lechner (Wilh. Müller), k. u. k. Hofbuchhandlung, I. Graben 31. & Y we RER subzssi: er Inhalt. Personalstand der k. k. geologischen Reichsanstalt (1. Dezember 1917) . 1. Heft. F. Wähner: Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. Mit 8 Tafeln (Nr. I-VII) und einer Textabbildung . . ....... €. F. Eichleiter und O0. Hackl: Chemische Untersuchung der Schwefelquelle in Lubstschowitz:. ya 4h: N A re RL EN : 6. Scehlesinger (Wien): Meine Antwort in der Planifronsfrage. II Die nieder- österreichischen Planifronsmolaren. Mit 14 Abbildungen im Texte . 0. Ampferer: Ueber Kantengeschiebe unter den exotischen Geröllen der Gosauschichten. Mit einer Lichtdrucktafel (Nr. IX) C. F. Eichleiter und ©. Hackl: Chemische Analyse der Heiligenstädter Mineralquelle 2. Heft. Dr. Fritz v. Kerner: Quellengeologie von Mitteldalmatien. Mit zwei Tafeln (Nr. X und XI) J. V. Zelizko: Beitrag zur Kenntnis der Gervillien der böhmischen Ober- kreide. Mit einer Tafel (Nr. XII... . EA N EN final. Ottilie Saxl: Ueber ein Juravorkommen bei Skutari in Albanien. Mit RE BSNAImDEeR Im Ten a en 3. und 4. Heft. Dr. A. Aigner: Geomorphologische Studien über die Alpen am Rande der Benehle/dorzGeolopiei nn. u. DT en Seite 137 139 145 277 281 293 IV Verzeichnis der Tafeln. Tafel I-VII: Seite zu: F. Wähner: Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Falten- gebirges . 1.4 2.0. 10 oe re Ra | Tafel IX: zu: O0. Ampferer: Ueber Kantengeschiebe unter den exotischen Geröllen der Gosauschiehten ;. 2...) 8 TR an Na ee u Tafel X und XI: zu: Dr. Fritz v. Kerner: Quellengeologie von Mitteldalmatien. ...... 145 Tafel XII: zu: J. V. Zelizko: Beitrag zur Kenntnis der Gervilien der böhmischen Ober- kreide".r...... mw en. ER ER E 2 be Personalstand der k. k. geologischen Reichsanstalt. (1. Dezember 1917.) Direktor: Tietze Emil, Phil. Dr., Ritter des Leopold-Ordens und des österr. kaiserl. Ordens der Eisernen Krone Ill. Kl., Besitzer der Ehren- medaille für 40 jähr. Dienste, k. k. Hofrat, Ehrenpräsident und Inhaber der Hauermedaille der k. k. Geographischen Gesellschaft in Wien, III. Hauptstraße Nr. 6. Vizedirektor: Vacek Michael, Besitzer der Ehrenmedaille für 40jähr. Dienste, k. k. Hofrat, III. Erdbergerlände Nr. 4. Chefgeologen: Geyer Georg, Ritter des kais. österr. Franz Josef-Ordens, k. k. Re- gierungsrat, korr. Mitglied der kaiserl. Akademie der Wissen- schaften, III. Hörnesgasse Nr. 9. Bukowski Gejza v. Stolzenburg, k. k. Oberbergrat, III. Hansal- gasse Nr. 3. Rosiwal August, a. 0. Professor an der k. k. Technischen Hochschule, III. Kolonitzplatz Nr. 8. Dreger Julius, Phil. Dr., k. k. Bergrat, Mitglied der Kommission für die Abhaltung der ersten Staatsprüfung für das landwirtschaft- liche, forstwirtschaftliche und kulturtechnische Studium an der k. k. Hochschule für Bodenkultur ete., Präsident der Geologischen Gesellschaft in Wien, Ehrenbürger der Stadt Leipnik und der Gemeinde Mösel, III. Ungargasse Nr. 71. Ober-Bibliothekar: Matosch Anton, Phil. Dr., k. k. Regierungsrat, Besitzer der kais. ottomanischen Medaille für Kunst und Gewerbe, III. Geusau- gasse Nr. 35. VI Vorstand des chemischen Laboratoriums: Eichleiter Friedrich, kais. Rat, III. Kollergasse Nr. 18. Geologen: Kerner von Marilaun Fritz; Med. U. Dr., k. k. Bergrat, korr. Mitglied der kaiserl. Akademie, der Wissenschaften, Mitglied der Kommission. für die Abhaltung der ersten. Staatsprüfung an der Hochschule für Bodenkultur, III. Keilgasse Nr. 15. Hinterlechner Karl, Phil. Dr., k. k. Bergrat, XVIII. Kloster- gasse Nr. 37. Hammer Wilhelm, Phil. Dr.. XIII. Waidhausenstraße Nr. 16. Waagen Lukas, Phil. Dr., Besitzer des Goldenen Verdienstkreuzes‘ mit der Krone, III. Sophienbrückengasse Nr. 10. Adjunkten: Ampferer Otto, Phil. Dr., II. Schüttelstraße Nr. 77. Petrascheck Wilhelm, Phil. Dr., XVII. Scherffenbergstraße 3. Ohnesorge Theodor, Phil. Dr., k. k. Landsturmleutnant, Besitzer des Signum laudis (derzeit eingerückt zur militärischen Dienst- leistung). III. Hörnesgasse Nr. 24. Beck Heinrich, Phil. Dr., k. k. Landsturmingenieur (z. M. eingerückt), III. Erdbergstraße Nr. 35. , Vetters Hermann, Phil. Dr., Privatdozent an der k. k. montanistischen Hochschule in Leoben, k. k. Landsturmingenieur - Oberleutnant (z. M., eingerückt), V. Stollberggasse Nr. 11. | Assistenten: Hackl Oskar, Techn. Dr., IV. Schelleingasse 8. Götzinger Gustav, Phil. Dr., Preßbaum bei Wien. Sander Bruno, Phil. Dr., Privatdozent an der k. k. Universität in Wien, k. k. Landsturmingenieur-Leutnant (z. M. eingerückt). Praktikanten: Spitz Albrecht, Phil. Dr. (z. M. eingerückt). Spengler Frich, Phil. Dr., Privatdozent an der k. k. Universität in Graz, III. Marxergasse 39. | Für das Museum: Zeltizko Johann, Amtsassistent, 1II. Löwengasse Nr. 37. vu Für die Kartensammlung: Zeichner: Lauf Oskar, I. Johannesgasse 8. Skala Guido, III. Hauptstraße Nr. 81. Huber Franz (z. M. eingerückt), VIII. Hamerlingplatz 3. Für die Kanzlei: Gaina Johann, Rechnungsrevident im k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht. Kanzleioffiziantin: Girardi Margarete, III. Geologengasse Nr. 1. Diener: Amtsdiener: Palme Franz, Besitzer der Ehrenmedaille für 40 jähr, Dienste III. Rasumofskygasse Nr. 23, Ulbing Johann, Besitzer des silbernen Verdienstkreuzes und der Ehrenmedaille für 40 jähr. Dienste III. Rasumofskygasse Nr. 23, Wallner Matthias, k. k. Offiziersstellvertreter, Besitzer der ihm zweimal verliehenen kleinen Silbernen Tapferkeitsmedaille (z. M. eingerückt), III. Rasumofskygasse Nr. 25. Präparator: Spatny Franz, III. Rasumofskygasse Nr. 25. Laborant: Felix Johann, III. Lechnerstraße 13. Amtsdienergehilfe für das Museum: Kreye6a Alois, III. Erd- bergstraße 33. Amtsdienergehilfe für das Laboratorium: Bartl Anton (z. M. eingerückt). nt BEE a > u, Bot ERYd.aN at Penn Kr, re | z£ osturntindot..Y ‚url | unsre ‚LIE obiuDe, wre Yrutnlalfräggn ie rar Er E za ort. We Ma nich, NiesHinde na bs HA RTRET. hl RULEN Es I ME 2 re = Ver er I; KuRER, Er.S ip; Rt ei _. ‚ns Syrdkag: | Bu rg r AR ul ar EURERE r a. 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Zu den Lichtseiten, die Prag als Hochschulstadt besitzt, gehört der Umstand, daß das Stadtgebiet und seine nahe wie weite Um- gebung vortreffliche Gelegenheit zu geologischer Schulung bietet, wie sie wenige andere größere Städte aufzuweisen haben dürften. Die sogenannte Silurmulde — um vieles andere unberührt zu lassen — ist nicht nur ein seit langem rühmlich bekanntes und dennoch nicht ausgeschöpftes paläontologisches und stratigraphisches Arbeitsgebiet, sondern sie ist zugleich ein besonders geeigneter Boden für tektonische Studien. Auf einem mühelosen Spaziergange kann man bereits einen lehrreichen Einblick in den Bau des älteren Paläozoikums erhalten und eine Reihe von Musterbeispielen verschiedener Störungen kennen lernen. Dies ist u. a. den überaus zahlreichen künstlichen Aufschlüssen zu danken, die durch Straßen- und Eisenbahnbau und durch eine mannigfaltige, ausgebreitete Steinbruchindustrie geschaffen wurden. Gar manches wichtige Vorkommen ist zwar durch diesen Betrieb zer- stört und für immer der Beobachtung entzogen worden, stets aber werden dadurch viele andere bloßgelegt und der Beobachtung zu- gänglich gemacht. Man wird verstehen, daß es mir seit dem Beginne meiner Prager Lehrtätigkeit nahe lag, jene Gelegenheit auch für den theo- retischen und praktischen Unterricht in der Tektonik auszunützen. Während meiner zehnjährigen Wirksamkeit an der deutschen tech- nischen Hochschule konnte ich das erwähnte Uebungsfeld besonders für die Unterweisung der zahlreichen Hörer der Bauingenieurschule verwerten; bietet doch die richtige Beurteilung der Lagerungsverhält- nisse eine der wichtigsten Grundlagen für die Ausführung von Ein- griffen in den Boden wie für fast alle Arten von technisch-geologi- schen Untersuchungen. In den letzten Jahren war ich an der deutschen Universität außerdem in der Lage, einige meiner Schüler in jenem Gebiete in selbständige tektonische Untersuchungen einzuführen. Ich selbst habe im mittelböhmischen Faltengebirge ein ausgezeichnetes Vergleichsgebiet für meine tektonischen Arbeiten in den Alpen ge- wonnen, das sich insbesondere für gewisse allgemeine Fragen des Gebirgsbaues als fruchtbringend erwiesen hat. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (F. Wähner.) j! 9 F. Wähner. [2] Meine Beobachtungen im Verein mit den zahlreichen älteren Untersuchungsergebnissen führten mich gegenüber der geltenden An- schauung bald zu einer veränderten Auffassung des Baues des tief abgetragenen alten Gebirges, die auch bei der schulmäßigen Dar- stellung vorzubringen nicht vermieden werden konnte. Seit einer Reihe von Jahren hat sich die Teilnahme jüngerer Prager Forscher beider Nationen der Tektonik des altpaläozoischen Gebietes zuge- wandt, es ist bereits eine Reihe tüchtiger Arbeiten erschienen, die ähnliche Ergebnisse gebracht haben, und weitere Arbeiten stehen in Aussicht. So mag es an der Zeit sein, jene Auffassung den Fach- genossen in Kürze darzulegen. Es dürfte von Vorteil sein, die sich ergebenden Gelegenheiten zu benützen, um die hier mitgeteilten Be- obachtungen zu vervollständigen und Tatsachen, die für oder gegen die erörterte Auffassung des Gesamtbaues sprechen, zu ermitteln und bekanntzugeben. Zudem sollen mir die folgenden Zeilen die Mög- lichkeit bieten, bei beabsichtigten anderweitigen Auseinandersetzungen auf in dem genannten Gebiete gewonnene Erfahrungen hinzuweisen. 1. Geschichtliches über die Längsbrüche Eine tekto- nische Regel. Obgleich die neue Auffassung zunächst auf dem Boden der Be- obachtung erwachsen ist, ist es doch nötig und lehrreich, an die älteren Arbeiten und die dort vertretenen Anschauungen anzuknüpfen; es ist dies um so notwendiger, als sich hierbei zeigen wird, daß die vorzulegende Auffassung, die übrigens aus den in den letzten Jahren erschienenen Arbeiten bereits hervortritt, gar nicht so neu ist, sondern in gewisser Beziehung eine Rückkehr zu älteren Auffassungen darstellt. Man weiß seit langem, daß die mittelböhmische „Silurmulde“ keine einfache Synklinale, sondern eine mehrfach, ja vielfach gefal- tete Formationsgruppe darstellt. Schon die Verbreitung der einzelnen Schichtengruppen, wie sie die geologische Karte zeigt, widerspricht der Annahme eines so einfachen Lagerungsverhältnisses. Selbst die jüngste der Schichtengruppen, die Barrande’sche Stufe 7, die dem oberen Mitteldevon entspricht und in den Querschnitten am selten- sten auftritt, bildet keineswegs nur den Kern einer Mulde, sondern kommt in zwei im Streichen des Gebirges liegenden Hauptverbreitungs- gebieten vor, von denen das nördliche nach dem Orte Hostim, das südliche nach dem Orte Srbsko bezeichnet werden kann. Die Beobachtungen über tektonische Störungen gehen weit zu- rück; es genügt jedoch, von den an den Namen Krejci anknüpfen- den größeren Arbeiten auszugehen, der zuerst systematische Zusammen- stellungen der als Brüche zu bezeichnenden Störungen veröffent- licht hat. a) J. Krej£ti. Von größter Bedeutung für den Bau des ganzen Gebietes sind die Längsbrüche, das „Kluftsystem mit nordöstlichem Streichen“ Krejlis. Suchen wir zunächst, wie billig, einen Ueberblick über die 4 [3] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 3 Anschauungen zu gewinnen, die hierüber in den beiden wichtigsten Abhandlungen des genannten verdienten Forschers ausgesprochen sind), ?).. Auf die darin niedergelegten zahlreichen Beobachtungen wird man noch lange bei allen tektonischen Arbeiten über Mittel- böhmen zurückgehen müssen. Die Feststellung der im Streichen liegenden Störungen beruht darauf, daß — abweichend von der dem bekannten, oft wiederholten idealen Profil Barrandes entsprechenden einfachen synklinalen Lagerungsfolge — im Hangenden irgendeiner jüngeren Schichten- gruppe irgendeine ältere Schichtengruppe auftritt, mit der für eine gewisse Strecke wieder eine regelrechte Lagerungsfolge (jüngere Schichten über älteren) beginnt. Für Krejci sind diese Brüche im Zusammenhange mit der Gebirgsbildung entstanden durch dieselben Bewegungen, aus denen die Faltung der Gesteinsschichten hervorgegangen ist. Es ist darum nicht zufällig, daß er von Hebungen spricht, die entlang den Bruchlinien eingetreten sind, und es wäre unberechtigt, diese Vor- stellung etwa damit abzutun, daß man sie auf ältere Gebirgsbildungs- theorien zurückführt. Hiegegen sprechen am deutlichsten Stellen, an denen ausdrücklich auf einen „lateralen Druck“ hingewiesen wird, durch den die Brüche entstanden sein sollen. Um die Auffassung Krejtis besser erkennbar zu machen, sind im folgenden einige seiner Aeußerungen im Wortlaut angeführt, wo- bei einzelne Ausdrücke hier durch den Druck hervorgehoben werden. In den Erläuterungen (S. 6) ist in der Einleitung von „gebirgs- bildenden Zusammenschiebungen“ der ältesten silurischen Gesteinsschichten?) die Rede, „welche sich durch Faltungen und Schichtenstörungen als Folge von Dislokationen zu erkennen geben...“ ®). In der Uebersicht finden wir in dem Abschnitte, der „das Gebiet der Primordialfauna“, mithin kambrische Schichten behan- delt, folgenden Satz (S. 11): „Die ursprünglich horizon- talen Konglomeratschichten wurden durch Bruchlinien, die pa- rallel zum nordöstlichen Streichen des Silursystems und senkrecht darauf verlaufen, zersprengt und längs dieser nordöstlichen Bruch- linien reihenweise aufgerichtet, so daß sich die Konglomerat- schichten in einzelne einseitig gehobene und gegen NW einfallende Streifen verteilten. :.“ Aehnlich wird (S. 15) in dem Unterabschnitt über das Trzemoschnagebirge die Entstehung von fünf parallelen, nach NO streichenden Bergrücken, die aus jenen Konglomeraten bestehen, !) Krejei und Helmhacker, Erläuterungen z. geol. Karte d. Umgebungen von Prag. (Archiv d. natw. Ldsdurchf. v. Böhm., IV, 2. Prag 1879.) ?) Krejdi und Feistmantel, Orogr.-geotekton. Uebersicht des silur. Ge- bietes im mitt). Böhmen. (Dasselbe Archiv, V, 5. Prag 1885.) 3) Darunter sind alle älteren paläozoischen Bildungen im Gegensatze zum Karbon zu verstehen; gemeint ist: die ältesten, d. i. silurischen Schichten. 4) Der Satz erscheint ein wenig schwerfällig, da wir unter Schichtenstörun- gen und Dislokationen dasselbe zu verstehen pflegen. Aus den späteren An- führungen ist klarer ersichtlich, daß sowohl die Faltungen wie die Verwerfungen (diese letzten sind hier unter „Schichtenstörungen“ verstanden) als durch die gebirgs- bildenden Bewegungen hervorgerufene Lagerungsstörungen aufgefaßt werden. 1 * » 4 F. Wähner. [4] erklärt und an anderer Stelle (S. 95) wird als „die Hauptwirkung“ der „Bruchlinie der Pribramer Lettenkluft“ „die Hebung des Tre- mosnagebirges und des ganzen Brdawaldes“* hingestellt, „dessen süd- liche steile Lehnen, welche hoch über die untergelagerten azoischen Schiefer emporgehoben sind, dieser Bruchlinie parallel sind“. In dem Abschnitt über die Verbreitung der obersilurischen Stufen (Obersilur + Devon) wird (S. 78) darauf hingewiesen, daß man in den Tälern auch „die Bruchlinien verfolgen kann, nach denen sie“ (die Stufen) „durch gegenseitigen Druck zu antiklinalen und synklinalen Schichtenwellen aufgestaut und durch Verschiebungen gegeneinander verworfen sind.“ Der Beschreibung der Bruchlinien gehen allgemeine Bemerkungen über das „Kluftsystem mit nordöst- lichem Streichen“ voran (S. 92): „Dieses System herrscht... am meisten vor und veranlaßt nicht bloß Schichtenbrüche und Ver- werfungen, welche nordöstlich, also parallel zur Schichtenablage- rung’), streichen, sondern auch die wellenförmigen synklinalen und antiklinalen Faltungen der Schichtenzonen, wie sie in den Durch- schnitten der Silurmulde sich darstellen. Es®) ist offenbar durch einen lateralen Druck entstanden, dem nach Schluß der Silurperiode ihre mehr oder weniger horizontalen oder flach mulden- förmigen Schichtenablagerungen unterworfen waren“ 7), Die Längsbrüche sind in den zahlreichen Profilen Krejcis als steil zur Tiefe setzende, zumeist lotrechte Verwerfungen ge- zeichnet oder sie durchqueren, wenn das nicht der Fall ist, die Schichten zu beiden Seiten oder doch auf einer Seite des Bruches. Nach der graphischen Darstellung unterscheiden sie sich demnach nicht von „echten* Verwerfungen, d.i. von Senkungsbrüchen, obgleich sie, wie gesagt, theoretisch als Brüche aufgefaßt wurden, an denen Aufwärtsbewegungen von größeren Gebirgsteilen stattgefunden haben. b) J. Krejei und E. Suess. Auf die in den Erläuterungen (1879) beschriebenen streichen- den Sprünge der Gegend zwischen Beraun und Prag beruft sich E. Suess zur Begründung einer neuen Vorstellung über den Bau des mittelböhmischen Gebietes: „Diese Sprünge liegen im Streichen der böhmischen Silurmulde, welche nach diesen Erfahrungen anstatt des früher gebotenen Bildes einer einfachen Synklinale mehr und mehr das Bild einer sehr breiten und verwickelten Grabensenkung annimmt“ 8). Diese Anschauung ist, obgleich sie auf einem seltsamen, 5) Augenscheinlich eine Konzession an Barrande, entsprechend der vorher (S. 91) erwähnten „ursprünglich mullenförmig konzentrischen Lagerung“ der Schichten. Im nächstfolgenden Satze wird bereits eine der horizontalen recht nahe kommende ursprüngliche Lagerung der Schichten angenommen. Auch sonst ist von ursprünglich horizontaler Lagerung die Rede. (Vgl. den oben S. 3 von 8. 11 der „Übersicht“ angeführten Satz.) 6%) Das Kluftsystem ! ”) Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß Krejli dem Auftreten von Eruptiv- gesteinen eine Mitwirkung an den tektonischen Veränderungen zuschreibt. ®) E. Suess, Das Antlitz der Erde, I, 1885, S. 168. Die in demselben Jahre erschienene „Uebersicht“ Krej@is und Feistmantels lag Suess bei der Ab- [5] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 5 leicht erkennbaren Irrtum beruht, herrschend geworden und hat die auf überaus zahlreichen guten Beobachtungen fußenden Veröffent- lichungen Krej6is und seiner Mitarbeiter verdunkelt. Die von Suess eingeführte Vorstellung scheint nicht aus einer eingehenden Beurteilung des damals bekannten Baues des mittel- böhmischen Gebietes hervorgegangen zu sein, sondern sie ordnet sich ein in eine Betrachtung des Baues der böhmischen Masse. Die von Krejdi aus den beobachteten Lagerungsverhältnissen erschlossenen Längsbrüche sind nach Suess (a. a. O.) „nur ein Teil jenes großen Systems von Sprüngen, von welchem die böhmische Masse durchsetzt ist...* „Heute läßt sich schon erkennen, daß ein sehr großer Teil Böhmens... der Schauplatz ausgedehnter Senkungen gewesen ist, welche sich auf weichender Unterlage auf zahlreichen Sprungflächen vollzogen haben.“ Es ist hier nicht der Ort, den Bau jenes ausgedehnteren Ge- bietes ausführlicher zu berücksichtigen, wobei nicht geleugnet werden soll, daß anderwärts Senkungen nachgewiesen sind. Man könnte sogar ergänzend auf die seither von Hibsch aus den Lagerungsverhält- nissen der oberen Kreide festgestellten Senkungen von sehr beträcht- lichem Ausmaße hinweisen, die das Gebiet des böhmischen Mittel- gebirges betroffen haben und kaum anders als durch zentripetale Bewegungen erklärt werden können). In allen zur Vergleichnng heranzuziehenden Fällen handelt es sich, wie hier nur nebenbei und vorgreifend bemerkt wird, um Bewegungen weit jüngeren Alters. Selbst wenn jedoch gezeigt werden könnte, daß die in der böhmi- schen Masse erkannten Störungen demselben geologischen Zeitab- schnitt angehören, würde uns das nicht von der Aufgabe entheben, für das durch seinen Bau verschiedene mittelböhmische Gebiet zu prüfen, ob die ermittelten Störungen mit der Voraussetzung einer Grabensenkung in Einklang stehen. Aus den kurzen Aeußerungen Suess’ im Antlitz ist nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob derselbe die Senkungsbrüche ein altes Faltenland ergreifen läßt oder ob die heutigen Lagerungsverhältnisse durch jene Brüche hervorgebracht sein sollen. Aus dem oben ange- führten Satze, der die neue Anschauung eingeführt hat, ließe sich eher auf das letztere schließen. Die Vorstellung liegt ja nahe, daß selbst eine noch annähernd horizontal lagernde Formationsgruppe, die von zwei Seiten gegen das Innere des Gebietes treppenförmig absinkt, nachher aus Staffeln besteht, deren Schichten gegen das Innere des Senkungsgebietes geneigt sind. Vor allem würde durch diese tektoni- schen Vorgänge erklärt werden, daß in den äußeren Teilen des Ge- bietes die ältesten und älteren, im Innern die Jüngeren und Jüng- fassung des I. Bandes seines Werkes noch nicht vor. Er verweist jedoch auf eine ihm von Prof. Krej&i mitgeteilte vorläufige Skizze; dieser entspricht wohl die der Uebersicht (1885) als besondere Karte beigegebene „Skizze einer geologischen Karte des mittelböhmischen Silurgebietes“ 1:298.000, in welcher die von Krej£6i unterschiedenen Bruchlinien verzeichnet sind. ®) Diese sehr zuverlässigen Nachweise sollten auch von geographischer Seite bei der heute üblichen Annahme geologisch junger Hebungen wohl beachtet werden. 6 F. Wähner. [6] sten Schichtengruppen an der jetzigen Oberfläche erhalten sind. Wir wissen jedoch, und aus Krejöis Profilen in den Erläuterungen (1879) ist es bereits klar ersichtlich, daß die sog. Silurmulde den Rest eines viel verwickelter gebauten Faltengebirges bildet. Anderseits muß zu- gegeben werden, daß auch ein derartiges Faltengebirge nach seiner Bildung entlang von Brüchen zur Tiefe sinken kann, die ähnliche Lagerungsverhältnisse hervorrufen könnten. Es fragt sich nun, ob die heutigen Lagerungsverhältnisse wirklich solche sind, die jener Vor- stellung entsprechen. Schon aus den Erläuterungen ist hinsichtlich der Längsbrüche ein für das dort behandelte Gebiet giltiges tektonisches Gesetz zu erkennen, das aus der Uebersicht (1885) für das ganze Gebiet Be- stätigung findet und darum noch deutlicher und mit voller Bestimmt- heit hervortritt: Von zwei Gebirgszonen, die durch einen der weithin verfolgten Längsbrüche getrennt werden, erscheint im sogenannten Nordflügel (genauer NW- oder NNW-Flügel) der ehedem voraus- gesetzten Mulde, in dem das vorherrschende Schichtenfallen gegen S (SO, SSO) gerichtet ist, die südliche Zone gehoben, bzw. die nörd- liche Zone gesenkt; dagegen erscheint im südlichen Teil des Ge- bietes, in dem das entgegengesetzte Schichtenfallen herrscht, von zwei durch einen Längsbruch geschiedenen Gebirgszonen die nörd- liche Zone gehoben, bzw. die südliche Zone gesenkt. Kürzer ausge- drückt lautet das ermittelte Gesetz: Von den durch einen Längsbruch getrennten Gebirgszonen erscheint die innere gehoben, bzw. die äußere gesenkt. Wer sich der geringen Mühe unterzieht, diese Angabe an den Krejti’schen Profilen, von denen viele seither mehrfach wieder- gegeben wurden, zu prüfen, wird sich von ihrer Richtigkeit unschwer überzeugen. Hier müssen wir uns auf die Betrachtung von Beispielen beschränken. Bleiben wir zunächst bei den „Erläuterungen“ und halten uns an das in dem Maßstabe der alten Spezialkarte 1:144.000 gezeich- nete Uebersichtskärtchen (S. 83), in dem zwei Längsbrüche kräftig hervortreten. Der nördliche ist die Hyskov-Prager Bruchlinie (später von Krej£i als Prager Bruchlinie bezeichnet), die im soge- nannten Nordflügel zwei Züge von untersilurischen Gesteinen (D) trennt. Von N nach S fortschreitend, gelangen wir in der nach S (SO) fallenden Schichtenreihe aus den tieferen Untersilurstufen allmählig in die höheren, worauf jenseits der Bruchlinie die tiefste Untersilur- stufe (d,) erscheint, die wieder regelrecht von den höheren Stufen überlagert wird. Man vergleiche insbesondere Fig. 5 der großen Profiltafel („Tab. I*) der Erläuterungen. Das Profil enthält im Nord- flügel die beiden sehr vollständigen Untersilurzüge, zuerst, links im N beginnend, die Schichtenfolge d,—d,, den Liegendzug, hierauf, weiter südlich, den Hangendzug, ebenfalls von d,—-d,, noch weiter südlich von obersilurischen Gesteinen usw. überlagert. (Das sehr lange Profil reicht bis in die untersilurische Stufe d, des Südflügels.) In der die Erläuterungen begleitenden geologischen Karte der Umgebun- gen von Prag 1:86.400 sind die beiden Untersilurzüge leichter zu [7] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges, f verfolgen, wenn man sich durch das helle Band der Quarzitstufe (d,) leiten läßt !9). In dem unten (Abb. 1) folgenden Querschnitt ist die durch eine Störung bewirkte einmalige Wiederholung einer einseitig geneigten Schichtenfolge allgemein dargestellt. Fr ist auch zur Erläuterung für die eben erwähnten, im mittelböhmischen Untersilur des „Nordflügels“ festgestellten Lagerungsverhältnisse verwendbar, wobei die Schichten- gruppe b mit Rücksicht auf die dem dickbankigen harten Gestein entsprechenden steileren Böschungen die Quarzitstufe d, vertreten kann. Wenn wir uns die beiden Gebirgszonen durch eine lotrechte Verwerfung getrennt denken, so ist klar, daß daslinks (nördlich) be- findliche (äußere) Gebirgsstück gesenkt, bzw. der in seinem Hangen- den auftretende, rechts (südlich) liegende (innere) Gebirgsteil gehoben erscheint. Die’ zweite Störung, die in dem Kärtchen (S. 83 der Erläute- rungen) kräftig hervortritt, bietet ein Beispiel aus dem Südflügel, u. zw. aus dem obersilurisch-devonischen Kalkgebiet; sie wurde als die Koda-Lochkover Bruchlinie bezeichnet !). Es genügt vor- läufig, auf die Gegend von Srbsko und Koda zu beiden Seiten des Berauntales hinzuweisen und das für unsere Betrachtung Wesentliche aus den verwickelten Lagerungsverhältnissen zu erwähnen, wie es in Krejtis Profiltafel in Fig. 1 und 2 dargestellt ist. Im S, bzw. SO sehen wir die jüngeren devonischen Stufen g,, 9, 9; und H regel- recht in annähernd nördlichen Richtungen fallen, worauf im Hangen- den der Tonschieferstufe 7 wieder die Kuollenkalke g, auftreten. Nimmt man zur Erklärung dieser Lagerungsverhältnisse im Hangenden von H eine Verwerfung an, so erscheint der südlich liegende (äußere) Gebirgsteil gesunken, bzw. der nördliche (innere) gehoben. 10) In der Gegend NO und O von Prag sind mindestens drei gut unterscheid- bare untersilurische Gesteinszüge vorhanden, die im wesentlichen die gleichen Lagerungsverhältnisse zeigen. — In der Uebersicht (1885) sind viele Untersilurdurch- schnitte dem Text eingeschaltet. Von ihnen wären rücksichtlich der beiden weithin verfolgten Züge besonders Fig. 28, 29, 31, 32 (S. 40—43) einzusehen. 11) Noch eine dritte „Hauptbruchlinie“, die Bruchspalte des Brdarückens ge- nannt, ist in dem Kärtchen verzeichnet; sie tritt aus dem weiter südwestlich ge- legenen Gebiet in das der Prager Umgebungskarte und verläuft hier (im SO) an der Grenze der azoischen Schiefer und des Untersilurs unter eigenartigen Lage- rungsverhältnissen, die später zu erwähnen sein werden. 8 F. Wähner. [8] In der Uebersicht (1885, 8. 92—98) unterscheidet Krejti sieben weithin verfolgbare Bruchlinien mit nordöstlichem Streichen, die hier nicht näher besprochen werden sollen. Auch soll hier eben- sowenig wie früher auf die Veränderungen hingewiesen werden, welche die Ergebnisse neuerer Arbeiten gebracht haben. Zu den Bruchlinien, die hauptsächlich in den inneren Teilen des Gebietes und in den jüngeren, dem eigentlichen Silur und dem Devon ent- sprechenden Schichtengruppen bekannt wurden, kommen andere, die den äußeren Gebietsteilen und den älteren, kambrischen und vor- kambrischen Gesteinen angehören. Eine der wichtigsten ist die süd- lichst gelegene, die Bruchlinie der Przibramer Lettenkluft, von der vermutet wird, daß sie sich weit nach NO fortsetzt und sich dort mit den Fortsetzungen zweier nördlich der Lettenkluft gelegenen Bruchlinien vereinigt. In dieser Vereinigung wird sie bis in die Gegend südlich von Prag verfolgt, wo sie an der Grenze der “zoischen Schiefer und des Untersilurs verläuft 1). Bei Przibram ist die Störung schon lange durch den Bergbau genau festgestellt. Es handelt sich hier im wesentlichen um die Wiederholung einer aus zwei Gliedern bestehenden, vorherrschend nach NW fallenden Schichtenfolge, der vorkambrischen Przibramer Schiefer und der diskordant darüber- liegenden, wahrscheinlich unterkambrischen Grauwacken und Konglo- merate. Das Lagerungsverhältnis ist zumeist so aufgefaßt worden, daß die im NW der Bruchlinie gelegene Gebirgszone gehoben, d. !. auf der gegen NW geneigten Verwerfungsfläche über die im SO liegende Gebirgszone hinaufgeschoben ist. E. Suess (Antlitz I, S. 168) sieht selbst hier eine Senkung, u. zw. eine solche des südöstlichen Teiles 12). Für unsere Betrachtung genügt es zunächst, hervorzuheben, daß bei Annahme von Senkung der äußere Gebirgsteil gesunken erscheint. Auch im NW wird eine im älteren Gebirge verlaufende wichtige Störung unterschieden: die Bruchlinie von Skrej. Die nörd- lichen (weit außerhalb des eigentlichen Silurgebietes gelegenen) Vor- kommnisse des Kambriums von Skrej (und Tejrzowitz) liegen diskor- dant auf azoischen Schiefern, zeigen nordöstliches Streichen und fallen „südöstlich gegen eine Bruchlinie ein, ... an der Aphanite und Por- phyre das azoische Schiefergebiet durchsetzen und sich hoch über die Zone der Primordialfauna erheben“. (Übersicht, S. 98, Profil Fig. 9 auf S. 21.) Der letzterwähnte orographische Gesichtspunkt spielt bei Krejöi auch hinsichtlich anderer Bruchlinien eine Rolle. Man wird ihm heute darin nicht folgen, da das orographische Hervor- treten bei so stark abgetragenen alten Gebirgen auf dem größeren Widerstande beruht, den die betreffenden Gesteine den Abtragungs- vorgängen entgegensetzen 13). Aber im SO des mächtigen, annähernd im Streichen liegenden Porphyrzuges von Pürglitz- Rokytzan folgen Für denjenigen, der weiß, wie sehr Suess jeder Hebung abhold war, und wie er nur mit dem größten Widerstreben sich dazu herbeiließ, aus der Faltung hervorgehende Aufwärtsbewegung gelten zu lassen, ist das nicht weiter erstaunlich. Die Annahme von Senkungen gehört in den Rahmen der übrigen Dar- stellung. (Vgl. oben S. 5.) .“°) Dies gilt auch für die aus kambrischen Konglomeraten wie für die aus untersilurischen Quarziten ‚bestehenden Bergzüge. (Vgl. oben $. 3—4.) 22) [9] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. ) abermals vorkambrische Schiefer, die wieder vorherrschend gegen SO fallen, in der Fallrichtung auf weite Erstreckung anhalten und so- dann unmittelbar von untersilurischen Gesteinen überlagert werden. (Vgl. das Profil Fig, 39 auf S. 47 der Übersicht 1%). Diese azoischen Schiefer liegen wie die genannten Eruptivgesteine im Hangenden des Kambriums von Skrej und sind von ihm außer durch die Pürglitzer Eruptivzone zweifellos durch eine tektonische Störung (oder durch eine Reihe von Störungen) getrennt. Wird diese Störung als eine steil niedersitzende Verwerfung aufgefaßt, so erscheint der 15 km lange Zug des Kambriums von Skrej, demnach wieder die äußere Gebirgszone, gesenkt, bzw. das im SO folgende vorkambrische Schiefergebiet gehoben, ein Schluß, der mit der oben erwähnten An- schauung Krejcis übereinstimmt. Auch entlang den anderen von Krejti unterschiedenen strei- chenden Bruchlinien finden wir ähnliche Lagerungsverhältnisse, so daß die oben aufgestellte Regel für das ganze Gebiet bestätigt wird. Betrachten wir diese Störungen als Senkungsbrüche, so erscheint stets die äußere Gebirgszone gesunken. Die Regel gilt ferner nicht nur für die großen, weit verfolgten Bruchlinien, sondern auch für die weit überwiegende Mehrzahl der in den zahlreichen Querschnitten Krejcis dargestellten kleineren (oder bisher nicht weit verfolgten) Längsbrüche. Besonders auffallend tritt uns die Regel bei Einsichtnahme in Profile entgegen, in denen mehrere nur aus einigen wenigen (oft aus zwei oder drei) Schichtengruppen bestehende Gebirgsstücke nach- einander auftreten, die — bei Annahme von Senkungen — als regel- mäßig aufeinanderfolgende Staffeln betrachtet werden können. Hier- her gehören Fig. 5 (S. 15 der Uebersicht mit fünf durch Längs- brüche getrennten Gebirgszonen im Südflügel); Fig. 11 (S. 29, vier Staffeln im NW, eine im SO, die gegen eine viel breitere mittlere Gebirgszone abgesunken erscheinen); Fig. 27 (S. 40 mit vier Staffeln im Nordflügel) ; Fig. 38 und 39 (S. 47 mit je vier Staffeln im Nordflügel). Krej&is Querschnitte erstrecken sich ziemlich gleichmäßig über das ganze Gebiet. Daß er bei der Wiedergabe derselben völlig unbefangen vorging, steht außer allem Zweifel. Das aus ihnen zu entnehmende tektonische Gesetz ist ihm übrigens, wie es scheint, unbekannt geblieben. Unter der Voraussetzung, daß an den das mittelböhmische Faltengebirge durchziehenden Längsbrüchen Senkungen eingetreten sind, ergibt sich demnach, daß zu beideu Seiten einer mittleren Ge- birgszone, der der größere (nördliche) Teil des obersilurisch-devoni- schen Kalkgebietes angehört, sowohl die im NW als die im SO fol- senden Gebirgszonen treppenförmig gesunken sind. Ist die Voraus- setzung richtig, dann ist das Gebiet tektonisch nicht nach der von Suess eingeführten Vorstellung als ein Graben, sondern im Gegen- teil als ein Horst anzusehen. 14) Von neueren Arbeiten wäre hervorzuheben: Jahn, Ueb. d. geol. Verhält- nisse des Kambrium v. Tejfovie u. Skrej. Jahrb. d. k. k. geol. Reichsanst. 1895, Bd. 45, S. 641-791. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, !. Heft. (F. Wähner,) 2 10 F. Wähner. [10] Dieses auffallende Ergebnis kann nicht aufrechterhalten werden. Das vorgestellte tektonische Gebilde wäre ein recht sonderbarer Horst. Daß im ganzen Gebiete das vorherrschende Schichtenfallen gegen innen (einerseits gegen SO, anderseits gegen NW) gerichtet ist, mag noch hingehen und könnte aus einer älteren muldenförmigen Anlage erklärt werden. Daß aber in den inneren, tektonisch zu höchst liegenden Gebirgsteilen die jüngeren Schichtengruppen erhalten blieben, wogegen diese in den äußeren Gebirgsteilen abgetragen sind, diese Tatsache steht zur Vorstellung eines Horstes (in dem das Gegenteil zu erwarten wäre) in Widerspruch. Suess hat auch nach dem Erscheinen der „Uebersicht“ Krej£is (1885) an seiner Auffassung festgehalten. Dies geht aus einem kurzen Hinweise in Antlitz II (1888), S. 145 hervor, in dem „die langen Bruchlinien des böhmischen Grabens, welche uns Krejci kennen lehrte“, erwähnt werden. Es wäre müßig, Vermutungen über den Weg auszusprechen, der zu jenem Irrtume geführt hat. Man wird einem Gelehrten, der es unternommen hat, den Bau der Festlandsmassen der Erde zu über- blicken und zu diesem Zweck eine ungeheure Literatur zu beherr- schen, zubilligen müssen, daß es ihm nicht gegönnt war, in jedes Teilgebiet und in die Ergebnisse jeder Einzeluntersuchung mit gleicher Gründlichkeit einzudringen. Merkwürdiger ist, daß diejenigen, die seither die Gebiete Böhmens und der böhmischen Masse zusammenfassend dargestellt und sich hierbei, wie verständlich, auf die Schilderung und die Durch- schnitte Krejtis gestützt haben, des besprochenen Irrtums nicht gewahr wurden und das Schema der Grabensenkung unbesehen annahmen. Eine graphische Darstellung zur Erläuterung dieser Auf- fassung oder eine anderweitige Begründung der Voraussetzung hat bisher niemand zu geben vermocht. e) F. Katzer. Katzer drückt sich in seinem sehr verbreiteten Buche 15) über die Frage so aus (S. 962f.): „Der in Mittelböhmen erhaltene Rest dieser Ablagerungen für sich betrachtet, bietet das Bild einer ver- wickelten Grabensenkung im Sinne des Meisters der Geotektonik Ed. Suess, das heißt das Bild eines von zwei ziemlich parallelen Bruchflächen eingeschlossenen, bei dem großen, längst begonnenen und noch immer währenden Schauspiele des Zusammenbruches der Erdrinde hinabgesunkenen Teiles derselben. Die eine dieser beiden Hauptbruchlinien dürfte der nordwestlichen Grenze des mittelböhmi- schen Granitgebirges entsprechen, die andere durch die Westgrenze des Pürglitz - Rokytzaner Porphyrmassives angedeutet sein und etwa von Kladno über Radnitz bis Chudenitz verlaufen.“ Es ist bezeichnend für die Sachlage, daß die Grundlagen für die tektonische Vorstellung erst gesucht werden müssen. Zunächst handelt es sich darum, die SO- und die NW-Grenze der vorgestellten ') Katzer, Geologie von Böhmen. Prag 1892. —- Zweite (unveränderte) Ausgabe 1902. [11] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 11 Grabensenkung ausfindig zu machen. Von dem erwähnten Nordrande des großen mittelböhmischen Granitgebietes hat bereits Suess (Antlitz I, 168) wegen seines fast geradlinigen Verlaufes gegen NO vermutet, daß er einem Bruche entspricht, und diesen der Lettenkluft und den von Krejöi (in den Erläuterungen) aufgestellten Bruch- linien angereiht. Der Verlauf dieser Linie ist zwar recht weit ent- fernt davon, geradlinig zu sein, dennoch ist im großen ihr Parallelis- mus mit jenen Störungslinien unverkennbar. Der Granit ist jedoch hier keineswegs passiv von einer Störung betroffen worden, sondern wahrscheinlich an einer entsprechenden Störungsfläche emporgedrun- sen. Wir besitzen an der Granitgrenze gegen die azoischen Schiefer keinen Anhaltspunkt, um über die Art der Bewegung, die sich hier abgespielt hat, etwas auszusagen. Dasselbe gilt für einen weiter im NO gelegenen Punkt (bei Tehov), wo die Granitgrenze durch im Kon- takt veränderte untersilurische Gesteine gebildet wird, die hier ab- seits von dem zusammenhängenden altpaläozoischen Gebiete zwischen Granit und azoischen Schiefern auftreten und gegen den Granit ein- fallen 16), Nicht anders steht es mit dem Versuche, die NW-Seite des Pürglitzer Porphyrzuges als die andere (nördliche) Grenze der voraus- . gesetzten Grabensenkung zu verwerten. An der zwischen dem kam- brischen Gesteinszuge von Skrej - Tejrzowitz im NW und dem süd- lich angrenzenden Zuge von Eruptivgesteinen verlaufenden „Bruch- linie von Skrej“ ist nicht zu erkennen, in welchem Sinne die angrenzenden Gesteinszüge bewegt worden sind. Wir mußten oben das im SO des Porphyrzuges folgende neuerliche Auftreten der azoi- schen Schiefer berücksichtigen, um zu schließen, daß der kambrische Gesteinszug gegenüber dem südöstlichen vorkambrischen Gebiete ge- sunken ist. Das ist also die entgegengesetzte Bewegung gegenüber derjenigen, die die Voraussetzung der Grabensenkung erfordert. Um die Darstellung Katzers vollständiger wiederzugeben, sind noch einige Anführungen erforderlich. „Das zwischen den beiden Bruchflächen ... hinabgesunkene Terrain wird selbst wieder von einer Unzahl von Verwerfungsklüften durchsetzt, durch welche Dis- iokationen hervorgebracht sind, welche den Bau des Gebirges sehr komplizieren“ (S. 965). „Dem System“ (der großen streichenden Bruchlinien) „gehören zunächst die beiden erwähnten Senkungslinien an; ferner die Sprünge, welche inmitten der großen Grabensenkung eine neue Senkung bewirkten und durch die Diabasmassen an der Grenze des Unter- und Obersilurs, sowie die vielfachen Einkeilungen obersilurischer Gesteine in untersilurische Schichten gekennzeichnet sind; weiter die Przibramer Lettenkluft und zahlreiche Verwerfungs- spalten, welche im Wald- und Kalksteingebirge nachgewiesen sind“ (S. 964). In Uebereinstimmung mit Katzer wird man an der Grenze von Unter- und Obersilur eine Störungszone annehmen müssen, auch 16) Krejöi, Erläuterungen, S. 52 und Profil Fig. 21; Uebersicht, S. 48 und Profil Fig. 40..Katzer, Geologie, S. 994—-997, Profil Fig. 472. Katzer hat selbst einen Beitrag zur Kenntnis der Kontakterscheinungen geliefert; Jahrb. Geol. Reichs- anstalt, XXXVII, 1888, S. 355 —416. 94* 12 F. Wähner. [12] wenn man über die Natur dieser Störungen anderer Ansicht ist. Katzer sucht Barrandes Kolonien — diese sind unter den „Ein- keilungen* zu verstehen — durch Senkungen an steil niedersitzenden Verwerfungenp zu erklären; in seinen Profilen bezeichnet er die Ko- lonien als Verwerfungen, er macht aus der „Kolonie Haidinger“ Barrandes eine „Verwerfung Haidinger“ usw. Halten wir diesen Standpunkt fest, so ergibt sich für derartige Wiederholungen von Schichtengruppen (oberste Stufe [d,] des Untersilurs, darüber ober- silurische Graptolithenschiefer [e,], [Verwerfung|, im Hangenden aber- mals d, usw.), im südlichen Teile des Gebietes (bei Nordfallen): daß die südlich der Verwerfung gelegene Gebirgszone gesunken ist, — im nördlichen Teile des Gebietes (bei Südfallen): daß die nördliche Gebirgszone gesunken ist —, mithin eine Bestätigung der Regel von der Senkung der äußeren Gebirgsteille.e Katzers Profile zeigen dies deutlich: Fig. 347, S. 923 für die Kolonie Haidinger im so- genannten Südflügel; Fig. 356, S. 926 für den Nordflügel. Betrachtet man aber eine Kolonie als eine durch zwei Verwerfungen hervor- gebrachte Einsenkung !”) von Graptolithenschiefer (e,) in eine Schichten- folge der Stufe d, nach Art eines örtlich beschränkten Grabenbruches, wie dies Katzer z. B. für die Kolonie Krejti (in dem eben ange- führten Profil Fig. 347) anzunehmen scheint, so ist dadurch über. das tektonische Verhältnis der im Liegenden der Kolonie auftreten- den untersilurischen Gesteine zu den in ihrem Hangenden auftreten- den nichts ausgesagt. Bei anderen Längsbrüchen hat Katzer über den Sinn der Be- wegung richtig geurteilt, wobei er dort, wo Krejc@i und andere ältere Beobachter von Hebung sprachen oder gesprochen hätten, der von ihm vertretenen Suess’schen Auffassung entsprechend, Senkung des anderen Gebirgsteiles voraussetzt. In solchen Fällen erscheint dann auch nach Katzer die äußere Gebirgszone gesunken und es er- gibt sich daher für den aufmerksamen Leser ein Widerspruch zu der Auffassung des Gebietes als Grabensenkung. So heißt es S. 831, daß längs der Lettenkluft die Absenkung der Przibramer Partie (d. i. also des südöstlichen Gebirgsteiles) gegen das Trzemoschnagebirge stattfand. Von den im NW der Lettenkluft gelegenen Längsbrüchen, die in dem Profile Fig. 184, S. 831 verzeichnet sind, wird S. 832 vermutet, „daß auch hier stets der südliche Flügel gegen den nördlichen abgesunken sein dürfte“ 18). Von der großen Prager Bruch- linie, durch welche das Untersilur des nördlichen Teiles des Gebietes in zwei selbständige lange Züge zerfällt (vgl. oben S. 6), wird S. 836 erklärt, daß der nördliche Zug abgesunken ist. Auch hinsichtlich der das obersilurisch-devonische Kalkgebiet durchsetzenden wichtigen Bruchlinie von Koda (vgl. oben S. 7) er- kennt Katzer (S. 968 und 1069), daß der südliche Gebirgsteil gegen den nördlichen abgesunken ist. Er legt sich jedoch dieses Verhältnis durch den Hinweis zurecht, daß der genannte Sprung „gewissermaßen ") Nur auf ein derartiges Lagerungsverhältnis könnte der Ausdruck „Ein- keilung“ angewandt werden. '*) Nach den im Profile dargestellten Lagerungsverhältnissen ist dieser Schluß nur mit der Einschränkung auf die im SO von Straschitz gelegenen Brüche richtig. [13] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 13 die Mitte der Grabensenkung andeutet“. Es bedarf keiner Erläute- rung, daß die Mitte einer regelrechten (annähernd symmetrischen) Grabensenkung, wie man sie sich vorstellt, nicht von einem Bruche, sondern von einer Gebirgszone gebildet wird, die tiefer gesunken ist als die beiderseits angrenzenden und die weiterhin folgenden Ge- birgszonen. Der im SO des Bruches Koda - Srbsko gelegene Gebirgs- teil bildet nach der älteren Anschauung nicht die Mitte des Ge- bietes, er gehört noch dem sogenannten Südflügel, d. i. dem südlichen Teile des Gebirges an, der durch vorherrschendes NW-Fallen gekenn- zeichnet ist. Er ist aber auch nicht der tektonisch zutiefst liegende Teil, obgleich er gegenüber der nördlich folgenden Gebirgszone ge- sunken erscheint; denn südlich folgen noch tiefer liegende Teile. Namentlich im südwestlichen Abschnitte des Gebietes sind jene Bruch- linien festgestellt, denen entlang — immer bei Annahme von Sen- kungen — die jeweils südlich folgende Gebirgszone gesunken ist. Der Mitte des ganzen Gebietes entspricht jedenfalls viel besser das im N des Bruches Koda-Srbsko liegende Kalkgebiet mit der länger im Streichen zu verfolgenden Mulde von Hostim-Hluboczep, in deren Kern die jüngsten Gesteine des Faltengebirges, die dem oberen Mitteldevon entsprechenden Tonschiefer (Stufe Z) erhalten sind. Diese ist denn auch nach der alten Vorstellung der synklinalen Lagerung, die auch heute nicht leichterhand über Bord zu werfen ist, da sie Ja auf den im großen zu beobachtenden Lagerungsverhältnissen beruht, als die Mitte jener idealen Mulde angesehen worden. Daß auch diese breitere Zone des Kalkgebietes nicht als der tektonisch zutiefst liegende Teil eines Senkungsgebietes betrachtet werden kann, ist klar. Sie liegt nicht nur höher als der südliche Teil des Kalkgebietes, sondern auch höher als die weiter im N folgenden Gebirgszonen, die, entlang von streichenden Bruchlinien abgetrennt, je weiter nördlich, desto tiefer liegen. Dagegen würde dieser nördliche Teil des Kalkgebietes ver- möge seiner tektonisch hohen Lage dem mittleren, am höchsten liegenden Teile eines Horstes entsprechen, falls die beobachteten Lageruugsverhältnisse auf Senkungsbrüchen beruhen. (Vgl. oben S. 9 f.) Wie immer wir also versuchen, die Vorstellung der Grabensenkung anzuwenden, stets versagt solches Bemühen. Daß die zahlreichen in der Geologie von Böhmen zumeist nach Krejöi widergegebenen Durchschnitte in ihrer übergroßen Mehrzahl gegen die von Katzer vertretene Anschauung sprechen, bedarf nach dem vorangegangenen kaum eines Hinweises.. Katzer hat das be- kannte Barrande’sche Idealprofl durch ein neues Idealprofil (Fig. 180, S. 829 und Fig. 612, S. 1070) ersetzt, dem noch einige Worte zu widmen sind. In dasselbe sind vier Längsbrüche aufge- nommen. Im äußersten NW sieht man die „Phyllite des Urschiefer- gebirges‘ (die vorkambrischen Schiefer) und das Kambrium (von Skrej) gegen den Pürglitz - Rokytzaner Porphyrzug, bzw. gegen die im S desselben abermals auftretenden alten Schiefer abgesunken. An der Grenze des Untersilurs gegen das Obersilur ist (zur Erklärung der Kolonien) im NW wie im SO je eine Verwerfung eingezeichnet, durch die die Einschaltung der obersilurischen Graptolithenschiefer e, in die untersilurische Stufe d, hervorgebracht wird; in beiden Fällen 14 F. Wähner. [14] erscheint wieder die äußere Gebirgszone gesunken. Der vierte Bruch (von Koda) scheidet den südöstlichen Teil des Kalkgebirges, in dem Nordwestfallen herrscht, von seinem nordwestlichen Teil; der erstere erscheint gesunken. Die vier Längsbrüche trennen demnach fünf (in ihrer Zusammensetzung und Begrenzung ziemlich ungleich- artige) Gebirgszonen: eine mittlere, zwei nördlich und zwei südlich gelegene !?). Die beiden äußeren Zonen liegen am tiefsten, jede von ihnen ist gegen die nach innen folgende gesunken; diese nach innen folgenden Gebirgszonen erscheinen wieder gegen die mittlere gesenkt, der die höchste Lage zukommt. d) F. E. Suess. Die Stellung, die F. E. Suess in seinem sehr lesenswerten Buche 2°) in der erörterten Frage einnimmt, ist nicht ganz leicht zu erkennen. Die Voraussetzung der Grabensenkung steht auch hier im Vordergrunde und taucht aus der sonst gegenständlichen Schilderung immer wieder auf. Eine Veränderung oder wenigstens Klärung der Auffassung liegt darin, daß der Verfasser das Gebiet für ein altes Faltengebirge erklärt, das nach seiner Bildung von großen Ver- werfungen zerstückelt worden ist. Diese würden daher gegenüber der Faltung eine jüngere geologische Erscheinung darstellen. „Das ganze Gebiet alter Sedimente Mittelböhmens stellt sich vielmehr dar als ein durch nordoststreichende Brüche zertrümmertes und abgesunkenes Stück eines gefalteten Gebirges“ (S. 11021). Dieses Urteil wird in der den Schluß des Abschnittes bildenden Uebersicht eingeschränkt durch die Bemerkung: „Das Gebiet war ohne Zweifel schon vor der Zerstückelung in die langen leistenförmigen Schollen in nordöstliche °2) Falten gelegt; ein Teil der steilen Schichtenstellung, der steilen Schleppung und Schichtknickung und Faltung muß aber der Reibung und dem Drucke beim Niedergange der einzelnen Schollen zuge- schrieben werden“ (S. 155 °3). 19) Diese hier der einfacheren Beschreibung wegen vorgenommene Gruppie- rung bringt keine Symmetrie im Aufbau zum Ausdrucke; nur in der Fallrichtung der Schichten zeigt sich Symmetrie im großen. 20) Franz E. Suess, Bau und Bild der Böhmischen Masse. Wien und Leip- zig 1903. 21) Wenn der Verfasser sich hierbei auf die im vorangehenden Satze er- wähnten Aufnahmen der geologischen Reichsanstalt und ‚insbesondere Krejtis sorgfältige Studien zu berufen scheint, so kann in Uebereinstimmung mit früheren Erörterungen nur gesagt werden, daß die Ergebnisse jener Untersuchungen zur Annahme einer Senkung des ganzen Gebietes oder von ausgedehnten inneren Teilen desselben nicht berechtigen. Eine Berufung auf den wirklichen Urheber dieser tektonischen Vorstellung ist weder hier noch später erfolgt. 2) Gemeint sind nordöstlich streichende Falten. ”») Der Gedanke findet sich auch bei Katzer, nach dem sich die Druck- wirkungen „in Zusammenfaltungen, Brüchen und Verwerfungen äußerten“, und der weiter erklärt: „Da das Gebiet von einer Reihe mehr minder paralleler Bruch- flächen durchzogen wird, so hat sich entlang derselben die Absenkung als soge- nannte Staffelgleitung vollzogen und ist stellenweise die Abgleitung mit einer Schleppung der Schichten verbunden gewesen“ (Geologie v. B., S. 965). Ein Hinweis auf bestimmte Vorkommnisse wird weder hier noch dort gegeben. Die Vorstellung [15] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 15 Eine weitere Veränderung ergibt sich daraus, daß F. E. Suess augenscheinlich einen Anschluß an die auf den beobachteten Tat- sachen beruhende ältere Vorstellung von der synklinalen Lagerung zu gewinnen sucht. So ist S. 117 von dem „langgezogenen Ellipsoid des altpaläozoischen Senkungsgebietes“, das vom Untersilur um- schlossen wird, die Rede, worunter demnach nur das innen gelegene obersilurisch-devonische Gebiet verstanden wird. In viel umfassen- derem Sinne wird 8. 130 und 131 in den Bezeichnungen von Durch- schnitten von der „muldenförmigen Grabensenkung“ und dem „mulden- förmigen Graben“ gesprochen. In der Uebersicht wird S. 154 gegen- über der (schon lange aufgegebenen) Anschauung von einer „Bildung (der altpaläozoischen Sedimente) in einem geschlossenen Becken“ und von der „Ablagerung in einer Mulde“ erklärt: „Vielmehr stellt das Gebiet eine komplizierte konzentrische Grabensenkung an vorherr- schend nordöstlichen Brüchen dar. In den am tiefsten gesenkten Teilen, in der Mitte sind die jüngsten Glieder der ganzen Schichtserie, die Kalke und Schiefer des Mitteldevon erhalten geblieben.“ Es ist kaum nötig, hier abermals darauf hinzuweisen, daB diese Vorstellung im Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen steht, da die von den jüngsten Gesteinen eingenommene Mitte des Gebietes gerade die tektoniscb am höchsten liegenden Teile darstellt. Auch bei F. E. Suess finden wir in bezug auf einige Längs- brüche richtige Urteile über den Sinn der Bewegung. So heißt es S. 118, daß die kambrischen Sedimente von Skrej—Tejrzowitz an einer Bruchlinie entlang des Pürglitzer Porphyrstockes abgesunken sind. Wenn man auch nicht zugeben kann, daß entlang dem Porphyrzuge eine derartige Bewegung zu erkennen ist, so liegt doch tatsächlich die im NW desselben befindliche, mithin die äußere Gebirgszone tektonisch tiefer als die nach innen folgenden Gebirgsteile. (Vgl. oben S. --.) 8. 122 wird Näheres über die Przibramer Lettenkluft mit- geteilt, an der die (im NW liegenden) „azoischen Schiefer auf die kambrischen Grauwacken hinaufgeschoben scheinen“. (Die inneren Gebirgsteile erscheinen daher gehoben.) Die Annahme einer Auf- schiebung an der gegen NW geneigten Bruchfläche bildet eine Rückkehr zu einer den Beobachtungen besser entsprechenden Be- trachtungsweise. Auch die Bewegungen an den im NW der Lettenkluft von Krejei aufgestellten Längsbrüchen, die das große Gebiet der kambrischen Grauwacken und Konglomerate durchsetzen, scheinen nicht im Sinne der Grabensenkung aufgefaßt zu werden; denn S. 150 wird über- raschenderweise von dem durch jene Brüche erzeugten „kambri- schen Grauwackenhorst des Zdar- und des Trhonberges“ ge- sprochen, „der nordöstlich unter die Stufe d, allmählich hinabtaucht“. Unter Voraussetzung senkender Bewegungen erscheinen wirklich die geht auf Krejli zurück, der mehrfach bemerkt hat, daß die Schichtenstörungen (Faltungen usw.) in der Nähe einer seiner Bruchlinien heftiger werden, und der die Faltungen in ihrer Gesamtheit auf die Bruchbildung zurückführt. (Vgl. oben S. 3f.) Das Tatsächliche kann ich auf Grund eigener Beobachtung nur bestätigen. Es wird nötig sein, auf die Erscheinung und ihre Erklärung zurückzukommen, (Vgl. darüber auch 8. 18 f. und Fußnote 27.) 16 F. Wähner. [16] südöstlich liegenden Schollen immer tiefer gesunken, so daß hier mindestens ein halber Horst angenommen werden kann °®). Hiernach wird man weniger erstaunt sein über den folgenden Satz: „Die Profile nach Krejti und Feistmantel mögen einen Begriff geben von den Unregelmäßigkeiten, durch welche das allge- meine Schema der konzentrischen Senkung des mittelböhmischen Paläozoikums gestört wird.“ Der Verfasser verweist damit auf fünf Profile durch den südwestlichen Teil der Silurmulde (Fig. 20—24, S. 129), die wie die übrigen von ihm wiedergegebenen Querschnitte nicht nur „Unregelmäßigkeiten“, sondern zumeist in voller Deutlichkeit die oft erwähnte gegenteilige Regel erkennen lassen und daher gegen jenes Schema in offenem Widerspruch stehen. Gleich das erste der angeführten Profile (Fig. 20), das durch azoische Gesteine und tiefere untersilurische' Stufen geführt ist, stellt einen ausgesprochenen Horst dar, indem gegen den breiten mittleren, im großen muldenförmig gebauten Teil im NW (außen) vier gegen SO fallende schmale Gebirgszonen regelmäßig treppenförmig abgesunken erscheinen, während im SO (außen) ein gegen NW fallendes Gebirgsstück ebenfalls gegenüber der Mitte gesenkt ist. Im ganzen gibt F. E. Suess neun Querschnitte nach Krejei wieder, in denen 22 Längsbrüche dargestellt sind; von diesen zeigen 16 Brüche deutlich die Senkung des jeweils nach außen folgenden Gebirgsstückes, wogegen nur an einem Bruche ebenso deutlich das entgegengesetzte Verhalten zu erkennen ist. Rechnet man die Brüche, an denen der Sinn der Bewegung aus der Zeichnung nicht so klar hervortritt, hinzu, so finden wir 19 Brüche, welche unserer Regel folgen, gegenüber dreien, bei denen dies nicht der Fall ist). — So erscheinen F. Katzer und F. E. Suess als gewiß unbe- einflußte Gewährsmänner gegen die von ihnen vertretene Auffassung. 2. Vorläufiges zur Beurteilung der Längsbrüche. Die im Streichen liegenden Störungen, die uns beschäftigen, sind aus den Lagerungsverhältnissen erschlossen worden und, wie das bei Verwerfungen größeren Ausmaßes zumeist der Fall ist, als solche ?t, Diese Auffassung steht im Einklange mit dem von Krej£i (Uebersicht, S. 15, Fig. 5) gegebenen langen Querschnitte, zum größten Teile auch mit dem schon (S. 12) erwähnten Profile Katzers (Geologie v. B., S. 831, Fig. 184), das nur in dem am weitesten gegen NW gelegenen, dem Zdarberge entsprechenden Teile insofern abweicht, als dieser nach den gezeichneten Lagerungsverhältnissen gegen den südöstlich liegenden Teil wieder ein wenig gesunken erscheint, wogegen allerdings (S. 832, mit Bezug auf das gauze Gebiet und das Profil) allgemein gesagt wird, daß „stets der südliche Flügel gegen den nördlichen abgesuuken sein dürfte. 5) Daß „die Zone H bei Srbsko (an einer Verwerfung) abgesunken ist“, hat F. E. Suess (S. 148) gleichfalls erkannt. (Vgl. oben 8. 7.) Schließlich (S. 148) spricht er sogar von „kleinen Ueberschiebungen* der Gegend von Konjeprus, wo die devonischen Kalke /, von obersilurischen Kalken e, und diese von Graptolithen- schiefern e, überlagert sind. (Von dieser wichtigen Störung, die J. Jahn in dem- selben Jahre [1903] bekannt gemacht und in ein schon 1891 angefertigtes Profil aufgenommen hat, soll später die Rede sein.) AM) . Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 17 nicht sichtbar; die Störungsflächen selbst sind im allgemeinen der Beobachtung nicht zugänglich. Im Untersilur verlaufen sie in Ton- schieferzonen, in denen es an Aufschlüssen mangelt, und selbst die das Kalkgebirge durchsetzende wichtige Bruchlinie von Koda-Srbsko verläuft in Längstälern, die in den mitteldevonischen Tonschiefern der Stufe 7 ausgewaschen sind. Wenn wir in dem bei Radotin ins Berauntal mündenden Quertale aufwärts nach NW wandern, verqueren wir — wir befinden uns im sogenannten Südflügel und bewegen uns aus dem Liegenden ins Hangende — nach der Reihe die oberste Stufe des Untersilurs d,, die verschiedenen Stufen des Obersilurs und die devonischen Knollenkalke g,, die hierauf durch eine als die Fort- setzung des Bruches von Koda betrachtete Längsstörung abgeschnitten sind. Auf die steil aufgerichteten Knollenkalke g,, die nahe der Bruchlinie stellenweise starke Störungen des regelmäßigen gleich- gerichteten Einfallens (untergeordnete Faltungen usw.) erkennen lassen, folgt hier wieder das Obersilur (e, und &) in zumeist flacherer Lagerung, und dennoch ist auch hier die Grenze selbst nicht aufge- schlossen, auch dort nicht, wo die Orthocerenkalke e, nahe an die 9,-Kalke herantreten. Wieder verläuft die Störung durch kleine Längstäler, die durch die Graptolithenschiefer, vielleicht auch durch eine die Verwerfung begleitende Zertrümmerungszone bedingt sind. Zu welchen Widersprüchen wir gelangen, wenn wir die großen Längsbrüche mit Krejöi und mit E. Suess als steil niedersetzende, die Schichten verquerende Verwerfungen betrachten, ist oben gezeigt worden. Wenn man ähnlichen, durch streichende Störungen hervor- gerufenen Wiederholungen von Schichtenfolgen in den Alpen oder einem anderen Faltengebirge begegnet, so zweifelt heute wohl nicht leicht ein Beobachter, der mit derartigem Gebirgsbau vertraut ist, daran, daß man es mit Brüchen, die aus dem Faltungsvorgang hervor- gehen, mit Faltungsüberschiebungen, mithin im großen mit Schuppenbau zu tun hat. Auch in anderen Gebieten sind jene Störungen gewöhnlich nicht aufgeschlossen ; wir sehen zwar die jüngeren Schichten- gruppen gegen die älteren, oder, wie wir vielfach zu sagen pflegen, unter die älteren Schichten einfallen, aber wir können nicht mit Sicherheit ermitteln, ob sich die jüngeren Schichten in der Tiefe wirklich unter die älteren fortsetzen, ob die älteren Schichten die jüngeren tatsächlich überlagern. (Vgl. den Querschnitt Abb. 1.) Die Fälle, die aus den Westalpen oder in den ÖOstalpen aus dem Sonnwendgebirge beschrieben wurden, in denen wir bei verhältnismäßig flacher Lagerung die älteren Gesteine unmittelbar auf den jüngeren liegen sehen und die Hand auf die Grenze legen können, sind nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Und dennoch ziehen wir beispielsweise in den sog. Österreichischen Vor- alpen und an vielen anderen Orten unbedenklich den Schluß, daß auf dem Faltenbau beruhende Ueberschiebungen jene Lagerungsverhältnisse hervorrufen. Es ergibt sich die Frage: Dürfen wir die tektonischen Er- fahrungen und Anschauungen, die in den Alpen und ähnlich gebauten Gebirgen gewonnen wurden, ohne weiteres auf ein Gebiet der böhmischen Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (F. Wähner.) 3 18 F. Wähner. [18] Masse übertragen und auf ein geologisch älteres Gebirge anwenden ? Die Faltungen, die das mittelböhmische ältere Paläozoikum kennzeichnen, greifen nicht auf das flach gelagerte Oberkarbon über, das in den anschließenden Gegenden zumeist auf vorkambrischen Gesteinen liegt, in einigen Vorkommnissen aber auch über untersilurischen Schichten erhalten blieb. Das mittelböhmische Faltengebirge muß demnach in dem das Oberdevon und das Unterkarbon umfassenden Zeitraume entstanden, über den Meeresspiegel erhoben, bzw. Festland geworden und weithin wieder abgetragen worden sein, so daß die festländischen Bildungen des Oberkarbons auf den genannten älteren Gesteinen abgelagert werden konnten. Wenn von irgendwelchen, so muß nämlich gerade von den jüngeren, den devonischen Schichten- gruppen, unter denen sich pelagische und Tiefseeablagerungen befinden, angenommen werden, daß dieselben ehedem eine weitaus größere Verbreitung besessen haben, als ihnen heute zukommt. Wir könnten uns darauf berufen, daß Ueberschiebungen auch in weit älteren Gebirgen festgestellt worden sind. Wenn wir aber nicht leichthin urteilen, sondern sorgfältig prüfen wollen — das scheint gerade im vorliegenden Falle, in dem der Gebirgsbau bis vor kurzem anders aufgefaßt wurde, geboten zu sein —, so werden wir uns diesen Bau zunächst etwas näher besehen, Schichtenstörungen, besonders Brüche genauer kennen zu lernen suchen. An Gelegenheit hierzu fehlt es nicht. „Die Verwerfungsklüfte im böhmischen Silur sind unzählbar, sie be- gleiten den Beobachter auf allen Wegen‘, sagt Krejcti (Erläuterungen, S. 82) mit voller Berechtigung. Wer es nicht verschmäht, ins kleine und einzelne zu dringen, wird manches ermitteln können, das auch auf den Gebirgsbau im großen ein Licht wirft. Daß die in Mittelböhmen auftretenden altpaläozoischen Schichten- gruppen eine kräftige, stellenweise sogar eine hochgradige Faltung erfahren haben, darüber kann schon lange kein Zweifel mehr bestehen. Es ist unmittelbar aus der Beobachtung zu entnehmen und eine in vielen Querschnitten festgelegte Erfahrung. Derartiges mit den an Verwerfungen zu beobachtenden Schleppungserscheinungen zu ver- gleichen, geht schon darum nicht an, weil jene Faltungen von Schlep- pung zu verschieden sind. Eine Schleppung ist überdies immer eine örtlich beschränkte Schichtenstörung, und nur, wo die Verwerfungen sich häufen und nahe aneinander treten, häufen sich unter Umständen auch die Schleppungserscheinungen, die aber auch dann von regel- mäßiger Faltung leicht zu unterscheiden sind. Man sieht die Schlep- pung auch in diesem Falle an die Verwerfung gebunden ®%). Eine in regelmäßige Falten gelegte Schichtengruppe können wir rücksichtlich der Ausbildung der Falten und aller tektonischen Er- nn nn ”*) Es wird sich Gelegenheit ergeben, einen Fall von gehäuften und heftigen Schleppungserscheinungen aus einem weithin durch sehr ruhigen Bau ausgezeich- neten Gebiete der Salzburger Alpen zu beschreiben. (Vorläufig wäre zu verweisen auf F. Wähner, Einiges über Gebirgsbau und Gebirgsbewegungen; Schriften Ver. z. Verbr. natw. Kenntn. in Wien, LVI., 1916, Taf. 1 und zugehörige Erklärungen (S. 230). Auch bier sind diese Störungen getrennt durch kleine urd große, von Störungen unberührte Strecken, iu denen die Schichten horizontale oder sehr flache laagerung zeigen. [19] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 19 scheinungen auf das genaueste beschreiben, im allgemeinen aber können wir darüber, auf welche Ursache immer wir die Faltung zurück- führen mögen — Volumvergrößerung der Gesteine ausgenommen — nicht viel anderes aussagen, als daß die Schichtengruppe augenschein- lich seitlich (tangential) zusammengeschoben und dadurch gefaltet worden ist ?”). Die starke seitliche Zusammenschiebung der Schichtengruppen, die mit kräftiger Faltung verknüpft ist, pflegt sich auch in anderen tangentialen Bewegungen zu äußern. Im folgenden sollen Beobach- tungen mitgeteilt werden, welche zeigen, daß Anzeichen lateraler Bewegung im mittelböhmischen Faltengebirge in der Tat in großer Zahl vorhanden sind. Aus ihnen kann selbstverständlich nicht sofort mit Sicherheit auf die Natur der großen Längsbrüche geschlossen werden. Sie beweisen schließlich nichts anderes als der Faltungsvorgang selbst, der ebenfalls Bewegung in tangentialem Sinne darstellt. Aber sie tragen mit dazu bei, ein kräftig bewegtes Faltengebirge erkennen zu lassen, dem man wohl auch zutrauen darf, daß bei seiner Bildung jener Grad des Seitenschubes und der Schichtenstauung erreicht wurde, der sich in den Faltungsüberschiebungen kundgibt. 3. Weitere Kennzeichen tangentialer Gebirgsbewegung. a) Bewegungsspuren an Schichtflächen. Eine ungemein häufige Erscheinung, die in den meisten Schichten- gruppen des älteren Paläozoikums Mittelböhmens zu beobachten ist, ist das Auftreten von Glättung oder von Rutschstreifen auf Schicht- flächen; nicht selten sind diese in ausgesprochene Rutschflächen ver- wandelt. Am leichtesten erkennt man solche Zeichen von Bewegung in den deutlich geschichteten kalkigen Bildungen, in den obersiluri- schen Stufen e, und f, und in den devonischen Knollenkalken g, und 93. In den dunkel gefärbten Kalken (e, ß usw.) und in Kalken mit dunklen Zwischenlagen sieht man sehr oft spiegelnde Harnische an Stelle der Schichtflächen. Bekannt sind diese in den /,-Kalken; auch in g, sind sie recht häufig. Im Untersilur sind die Anzeichen von Bewegung an Schichtflächen vielleicht nur deshalb leichter an den harte Gesteine enthaltenden Stufen festzustellen, weil diese häufiger aufgeschlossen sind. In untersilurischen Quarziten sind Rutsch- flächen nicht selten entlang den dickeren, aus Tonschiefer bestehen- den Zwischenlagen der Sandsteinbänke zu sehen, nicht so leicht hin- 2”) Es scheint allerdings ein ursächlicher Zusammenhang zwischen manchen Vorkommnissen kleiner enger Falten und den großen Längsbrüchen zu bestehen. (Vgl. oben S. 14 und Note 23.) Aber für den Standpunkt, der diese Brüche aus der Faltung hervorgehen läßt, ist jener Zusammenhang ein anderer als der, den man früher vermutet hat. An jenen Stellen, an denen die seitliche Zusammen- schiebung ein hohes Maß erreichte, konnten einerseits die Schichten in besonders enge Falten gelegt werden, konnte es anderseits zur Trennung der Gesteine an Ueberschiebungen kommen. 3* 20 F. Wähner. [20] gegen an den nur mit papierdünnen Zwischenmitteln bekleideten Schichtflächen der dieken Bänke. Es ist verständlich, daß an den ersteren Bewegung leichter und daher häufiger eintritt. Die erst- erwähnten Rutschflächen sind in den im Betriebe stehenden Stein- brüchen sehr vergänglich, da die mürben Zwischenlagen von den harten Gesteinsbänken leicht abbröckeln. Eine leicht zugängliche Stelle, an der die Erscheinung gut zu beobachten ist, befindet sich an dem gegen die Moldau gerichteten Vorsprunge des Wyschehrader Felsens in Prag, der vor einigen Jahren mit einem Straßentunnel durchbrochen worden ist. Steil aufgerichtete, wellig gebogene Sandsteinbänke der Grauwackenschiefer d, des Unter- silurs fallen hier (im Nordflügel) „widersinnig* gegen NW. Einige Schichtflächen, die dem von N kommenden zugewendet sind, sind mit schwach ausgeprägten, aber deutlichen Rutschstreifen bedeckt, die auf den steilen Fächen ungefähr in der Richtung des Fallens ver- laufen. Zumeist sind hier die Streifen als Abformung auf einem Quarz- häutchen zu sehen, das die Schichtflächen überzieht, und gerade der letzterwähnte Umstand bewirkt wohl, daß die verhältnismäßig zarten Streifen an der Oberfläche sich so lange erhalten. Man sieht sie am besten, wenn man unmittelbar vor dem gegen Prag gerich- teten Tunneleingang auf der hochgelegenen Straße einige Schritte nach rechts gegen die Moldau zu geht und von diesem nach der Flußseite abgeschlossenen Punkte die gegen den Beschauer fallenden Schichtflächen betrachtet. Die Streifen sind auch im photographischen Bilde erkennbar. Oberbalb Hluboczep sind hart an dem höheren Teil der Strecke Smichow—-Hostiwitz der Buschtiehrader Bahn steil aufgerichtete dicke Bänke der g,-Knollenkalke des Südflügels aufgeschlossen, wobei aus- gedehntere Teile der hangenden Schichtflächen entblößt sind. Vier oder fünf (nahe übereinander folgende) der sonst so unebenen Schichtflächen dieser Knollenkalke sind durch die Gebirgsbewegung auffallend eben geworden, sie haben ihre knollige Beschaffenheit in- soweit eingebüßt, als die emporstehenden Teile der Knollen abge- schliffen sind, und nur an den zwischen den Knollen liegenden, teil- weise erhaltenen Vertiefungen ist die knollige Beschaffenheit noch erkennbar. Die Rutschstreifen sind besonders dort noch gut sichtbar, wo ein auf der Rutschfläche ausgeschiedenes Kalkspathäutchen sich erhalten hat; sie verlaufen auch hier in der Fallrichtung der Bänke. Man muß sich hüten, den in Rutschflächen verwandelten Schicht- flächen allzu große tektonische Bedeutung beizumessen. Besonders wenn solche innerhalb einer engeren Schichtengruppe auftreten, sind sie keineswegs als Bewegungsflächen höherer Ordnung, als mit Schichtflächen zusammenfallende Längsbrüche anzusehen. Ein Teil der Bewegungsspuren auf Schichtflächen entsteht wohl in engster Verbindung mit dem Faltungsvorgange. Bei der Faltung verschieben sich die festen Gesteinsbänke um geringe Beträge entlang den Schicht- flächen, d. i. entlang den weicheren Zwischenlagen und den dünnen Zwischenmitteln quer zu den Achsen der Falten. Die Zwischenlagen und Zwischenmittel erleichtern und begünstigen dadurch das Zu- [21] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. PAl standekommen der Faltung in hohem Grade ?®®). An heftig gefalteten dünnplattigen Kalken ist in frischen Aufschlüssen stets Glättung der Schichtflächen zu beobachten. Ein gutes Beispiel bietet der bekannte Barrandefelsen bei Prag °°), b) Ablösung von Schiehtengruppen. Der eben erwähnte Barrandefelsen, links der Moldau zwischen Slichow und Kuchelbad gelegen, bietet einen in mehrfacher Hinsicht bemerkens- werten Bau. Die zahlreichen engen Falten, in die hier dünnplattige obersi- lurische Kalke (vielleicht noch zum Teile zu e, gehörig, besonders aber die jetzt als oberstes Silur angesehenen f,-Kalke) zusammengeschoben sind, greifen nicht auf den darunterliegenden hellen (sicheren) Orthocerenkalk e, und ebensowenig auf die im Hangenden folgenden devonischen Kalke über. Namentlich die durch Steinbrüche gut aufgeschlossenen Knollen- kalke 9, lassen auf weite Erstreckung (im Streichen sowohl wie in der Fallrichtung) nur auffallend ebene Schichtflächen erkennen. Wir befinden uns hier im Südflügel der großen Mulde von Hluboczep (und im sog. Südflügel des ganzen Gebietes), alle Schichtengruppen sind ziemlich steil aufgerichtet und fallen gleichmäßig in annähernd nordwestlicher Richtung. Diese konkordante Lagerung der Schichten- gruppen beruht auf einer Faltung, die sich unter großen räum- lichen Verhältnissen abgespielt hat und durch die u. a. die ausge- dehnte Mulde entstanden ist, in deren Kern im Tale von Hluboczep die jüngste Schichtengruppe des Faltengebirges (Stufe H) auftritt. Eine Abweichung von dieser im großen zu beobachtenden Lage- rung zeigen die erwähnten dünnbankigen Kalke des Barrandefelsens, die in so weitgehender Art in enge Falten gelegt sind °°) (Taf. I [1], Abb. 1). Die Bildung dieser kleinen Falten war nur möglich, wenn sich die Schichtengruppe hierbei sowohl von ihrem Liegenden als vom Han- genden entlang Schichtflächen abgelöst hat. Die der Beobachtung zugänglichen Bewegungsspuren stehen mit diesem Schlusse in Überein- stimmung. Die innerhalb der Gruppe der stark gefalteten Kalke er- kennbare Glättung der Schichtflächen, die vornehmlich die dunklen Zwischenlagen zeigen, ist wohl auf eben diese hochgradige Faltung zurückzuführen. In größtem Ausmaß aber finden sich Rutschspiegel nächst der Hangendgrenze der f,-Kalke, wo eine mit Spöröfer inchoans 2) Hierüber wie über weitere einschlägige Vorgänge Auesführlicheres an users zielle. Vorläufig wolle der oben angeführte Vortrag ?®) verglichen werden (8. 222 ff.). 22) Pocta hat gezeigt, daß die an dieser Oertlichkeit aufgeschlossene prächtige Faltung unter Bruch erfolgt ist, und weitgehende Gesteinszertrümmerung (bis zur Mikrobreccienbildung) von den Biegungsstellen der Falten beschrieben. Prof. Phil. Po&ta, Ueber Büge in den Schichten des Barrandeschen Felsen. 1 Taf. (Sitzungs- berichte d. kgl. böhm. Ges. d. Wiss. Prag 1908, S. 1—19.) s0) Daß am Barrandefelsen „die gefalteten Schichten zwischen anderen Kalk- schichten liegen, die ebene Flächen haben“, ist vor mehreren Jahrzehnten Krejöi (Uebersicht, 8. 93) aufgefallen, der tektonische Unregelmäßigkeiten stets beachtet zu haben scheint und zur Erklärung der hier auftretenden Faltung eine besondere Ursache heranzuziehen sucht. Er meint, daß diese merkwürdigen Faltungen sich „leichter durch eine Infiltration und Imprägnierung ehedem tonschieferiger Ge- steine durch Kalk und die daraus sich ergebende Anschwellung und Fältelung der Schichten erklären“ lasse, „als durch den Druck der nachbarlichen Diabase“. 39 F. Wähner. [22] Barr. erfüllte dunkle Kalkbank und die ihr benachbarten Bänke nicht bloß an den Schichtflächen Harnische zeigen, sondern wo dichte dunkle Gesteinslagen auch im Innern von zahlreichen glänzenden Rutschspiegeln durchzogen sind. Musterbeispiele von Harnischen sind von hier in Sammlungen gewandert, die Spiriferenbank hat ihres In- haltes wegen ebenfalls zur Ausbeutung gereizt, und so bildet das jetzt an der erwähnten Hangendgrenze sichtbare Vorkommen nur einen Rest des noch vor einem Jahrzehnt sehr schönen und lehrreichen Aufschlusses. In diesen obersten Schichten der Stufe f, vollzieht sich der tektonische Uebergang zwischen der überaus heftigen Faltung der obersilurischen Kalke und der ruhigen Lagerung der ebenfalls steil aufgerichteten devonischen Kalkschichten. Die wenigen dicken Bänke sehr harten hellen gelblichen bis blaßrötlichen Crinoidenkalkes, die als eine Vertretung der Stufe /, betrachtet werden, sind von jener Faltung bereits unberührt, und in den darüber folgenden Knollen- kalken g, zeigt sich in der Richtung gegen das Hangende erst in sroßer Entfernung auf ganz kurze Erstreckung wieder eine mehr ins Kleine gehende wellige Faltung einiger Bänke dieser hier sehr mäch- tigen Schichtengruppe. Bezeichnenderweise wird durch die am Barrande- felsen aufgeschlossene kräftige Faltung eines kleinen Teiles der ober- silurisch-devonischen Schichtenreihe an der im großen deutlich ausge- prägten konkordanten Folge dieser Gesteine nichts geändert, so weit- gehend auch die Abweichung in den Lagerungsverhältnissen jenes Teiles erscheint. Die stark gefalteten obersilurischen Kalke des Barrandefelsens kann man nach S an der Straße, die hier beinahe im Streichen ver- läuft, bis in einen schräg in das Gehänge eingreifenden Steinbruch verfolgen, und hierbei istzu beobachten, daß dieselben Gesteinsbänke im SW bei steilem nordwestlichem Fallen auf weite Erstreckung voll- kommen ebene Schichtflächen darbieten. Die Verbiegung und Zer- knitterung zu kleineren und größeren Falten stellt sich gegen NO an der Straße an einer bestimmten Stelle ein, indem die Schichten sich zunächst plötzlich kräftig nach abwärts biegen. Im Steinbruche sind diese (hier nicht kleingefalteten) Schichten von einer mächtigen Bank hellen Orthocerenkalkes unterlagert, in dessen Liegendem die Uebergangsschichten e,ß aufgeschlossen sind ®!). Alle diese tieferen Schichten sind an der am Barrandefelsen erkennbaren Faltung nicht beteiligt. Da sie aber im unmittelbaren Liegenden der Falten (am Fuße des Barrandefelsens) nicht aufgeschlossen sind, so könnte es sein, daß sie dort mit den jüngeren Schichten gefaltet sind. Zweifellos, da deutlich zu beobachten, ist jedoch die oben be- schriebene Ueberlagerung der stark gefaiteten obersilurischen Ge- steine durch jüngere, nicht ins Kleine gefaltete Schichten. Derartige Abweichungen in den Lagerungsverhältnissen kommen im mittelböhmischen Faltengebirge nicht selten vor. E. Kayser hat einen Fall vor einigen Jahren aus der Gegend von Hostim erwähnt 1) Ueber Versteinerungen derselben vgl. J. J. Jahn, Geolog. Exkursionen im ält. Paläozoikum Mittelböhmens. Internat. Geol.-Kongr. Wien 1903, 8. 9. [23] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 23 und mit einem von Holzapfel aufgenommenen Lichtbilde erläutert 32). Man sieht hier innerhalb der engeren Schichtengruppe g, in zahl- reiche kleine Falten gelegte dünnschichtige „Mergelkalke“ getrennt durch einige viel schwächer gefaltete dicke Kalkbänke, die auf eine größere Strecke ganz ebenflächig begrenzt sind. Ob man nun dem Unterschied in der Gesteinsbeschaffenheit (er ist geringfügig) oder der Gliederung in dünne Schichten den größeren Einfluß auf die Art der Faltung zuzuschreiben geneigt ist — die Schichtung beruht auf dem Vorhandensein von tonhaltigen Zwischenmitteln (die in den dünn- plattigen Knollenkalken reichlicher auftreten), mithin ebenfalls auf der Gesteinsbeschaffenheit —, sicher ist, daß beide Umstände bei der Faltung der bergfeuchten Gesteine wirksam sind und daß die dickbankigen Kalke sowohl von den liegenden wie von den hangenden dünnschichtigen Knollenkalken sich abgelöst haben mußten, damit jeder der drei Teile der Schichtengruppe für sich gefaltet werden konnte. Die obersilurische Stufe e,ß, die Uebergangsschichten zwischen den Graptolithenschiefern e,% und den Kalken e,, die im wesentlichen aus Schiefern und Kalkbänken in vielfacher Wechsellagerung bestehen, ist infolge dieses Aufbaues zur Ausbildung kräftiger Faltung sehr ge- eignet. Ein oft erwähnter und viel besuchter Aufschluß in diesen Schichten ist der Südabhang des Jaworkaberges gegen die Beraun bei Karlstein, der von Jahn eingehend beschrieben worden ist. Die genannten Gesteine sind hier in enge geneigte Falten von ungleich- mäßigem Bau zusammengeschoben, der darauf beruht, daß die dünnen dunklen Schichten stellenweise noch heftiger und mehr ins Kleine gefaltet sind als eine in sie eingeschaltete, bis zu 1m mächtige helle Crinoidenkalkbank °°). Wer einmal seine Aufmerksamkeit auf derartige Vorkommnisse gelenkt hat, erkennt sie auch an minder günstigen Aufschlüssen. So, wenn über kräftig gefalteten und steil aufgerichteten viel flacher ge- lagerte Schichten derselben ‘Stufe aus dem Gehänge heraustreten. Danach scheint es sich um eine im Gebiete recht verbreitete Er- scheinung zu handeln. Unter kleineren Verhältnissen tritt uns diese entgegen, wenn innerhalb einer steil aufgerichteten Schichtengruppe eine kleine Folge von dünnen Bänken wellig gebogen erscheint, wo- gegen die sie einschließenden dicken Bänke ebenflächig begrenzt sind. In den guten Aufschlüssen der untersilurischen Stufe d, ist dies an Sandsteinbänken gut zu sehen, obgleich derartige Vorkommnisse nicht so auffällig sind als die früher erwähnten, in denen kräftige Faltung einen viel stärkeren Gegensatz hervorruft. ») E. Kayser, Lehrb. d. allgem. Geol., 4. Aufl., Stuttgart 1912, S. 192 und Fig. 132, S. 191. 3) J.J. Jahn, Beitr. z. Stratigr. u. Tekt. der mittelböhm. Silurform. (Jahrb. d. k. k. geol. Reichsanst. 1892, S. 413, Fig. 5.) Die Ungleichmäßigkeit der Faltung, dazu Verschiebungen und Zerreißungen treten in der Natur noch stärker hervor als in der angeführten, sonst sehr genauen Zeichnung, die die beobachteten Verwick- lungen in ein einfacheres System zu bringen sucht. — In einem der bekannten, von dem Prager Photographen Eckert aufgenommenen großen geologischen Licht- bilder, die in viele Institute gelangt sind, ist ein bezeichnender Teil des Auf- schlusses in großem Maßstabe wiedergegeben. 24 F. Wähner. [24] In besonders (fast mikroskopisch) kleinem Maßstabe kann eine im wesentlichen gleichartige Erscheinung an in Steinbrüchen aufge- lesenen Gesteinsstücken, u. zw. an Tonschiefern, festgestellt werden, die als verhältnismäßig dünne Zwischenlagen untersilurische Sandsteinbänke trennen. An solchen Zwischenlagen wurden gut aus- geprägte (kräftig gestriemte) ebene Rutschflächen, die mit den Sand- steinbänken parallel verlaufen, und an manchen den Rutschflächen benachbarten Schieferblättern derselben Zwischenlage eine überaus zarte Fältelung beobachtet, die die Richtung der Rutschstreifen unter verschiedenen Winkeln kreuzt, mit scharfer Lupe gut sichtbar ist und mit ähnlicher feiner Fältelung verglichen werden kann, wie sie auf ebenen Schichtflächen von Phylliten häufig vorkommt. Es ist klar, daß jene Fältelung durch die schichtenparallele Bewegung, die zwischen den Sandsteinbänken sich abspielte, hervorgerufen worden ist; wir erkennen demnach einerseits kräftige Bewegung (Gleitung), die durch die weiche tonige Zwischenlage erleichtert wurde, den primären Vor- gang, anderseits leichte Stauung in benachbarten Teilen der Zwischen- lage. In diesem Falle läßt die schichtenparallele Rutschfläche die Verknüpfung der Faltungserscheinung (Fältelung) mit der „Ablösung* einer Schichtengruppe deutlich hervortreten. Es ist verständlich, daß Ablösungen von Schichtenreihen sich noch leichter vollziehen, wenn eine ganze ziemlich mächtige Schichten- gruppe von weichen oder dünnplattigen (leichter beweglichen) .Ge- steinen Folgen von festen oder härteren oder aus mächtigen Bänken bestehenden (schwerer beweglichen) Gesteinen zwischengelagert ist. Es kann dann zur Ausbildung selbständigen Baues der einzelnen Ge- steinsfolgen kommen, sei es, daß dieser Bau im wesentlichen durch Faltung oder durch Bruch hervorgerufen wird. Zur Entstehung solch selbständigen Baues einer Schichtengruppe gehört, daß dieselbe so- wohl von der überlagernden (falls eine solche vorhanden) wie von der unterlagernden Schichtenreihe sich ablöst. Für den alpinen Ge- birgsbau sind solche Vorgänge von großer Bedeutung, wie an anderer Stelle gezeigt werden soll ®*). Im mittelböhmischen Faltengebirge dürfte der vergleichsweise selbständige Bau, der einzelnen Stufen des Unter- silurs zukommt, auf solche Art zu erklären sein. Soist an der Stufe d, nicht selten zu erkennen oder es ist doch mit Wahrscheinlichkeit zu schließen, daß sie für sich (ohne daß andere Stufen an diesem Bau teilnehmen) in Falten gelegt und durch Brüche verschiedener Art zerstückelt worden ist 35). Oft beruht auf solchem Bau eine außerordentlich große ®) Die für diese Erscheinung angewandten Bezeichungen „unharmonische‘“, „diskordante Faltung“, „Abscherungsfalten“ (Buxtorf, Wilekens, Tornquist) deuten an, daß man sie für verhältnismäßig selten hält; sie zeigt jedoch in Wirk- lichkeit weite Verbreitung. »5) Ein leicht erreichbarer schöner Aufschluß in zumeist steil aufgerichteten d,-Schichten, der solchen, hauptsächlich durch größere und kleine Falten ge- kennzeichneten Bau erkennen läßt, befindet sich am rechten Gehänge des Moldau- tales zwischen Komorzan und Zavist bei Königsaal, das durch die in geringer Höhe über dem Flusse verlaufende Eisenbahnstrecke angeschnitten ist. Man sieht das Wesentliche schon im Vorüberfahren mit dem Dampfer bei Nachmittags- beleuchtung. Manche der hier zu beobachtenden Faltungen und Brüche pflege ich [25] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 2 scheinbare Mächtigkeit der betreffenden Schichtengruppe. Krejti hat solche übergroße Mächtigkeiten einzelner Stufen bereits auf Stö- rungen zurückgeführt. Gegenüber dem Schlusse, daß solche und andere Vorkommnisse auf einen verhältnismäßig selbständigen Bau der betreffenden Silur- stufe hinweisen, läßt sich einwenden, daß die Höhe der Aufschlüsse stets sehr beschränkt ist und daß uns darin ohne Zweifel nur ein geringfügiger Teil der mächtigen Gebirgsmassen erhalten ist, die sich einst darüber erhoben und seither abgetragen wurden. Man könne daher nicht wissen, ob nicht früher in größerer Höhe jüngere Ge- steine mit eingefaltet und so an jenem Gebirgsbau beteiligt gewesen sind. Wie aber in dem erwähnten Beispiele (und auch sonst auf weite Erstreckungen) die Stufe d, für sich eine breite Gebirgszone zusam- mensetzt, wobei keineswegs eine einfache und einheitliche Schichten- folge, sondern diese in vielfachen tektonischen Wiederholungen vor- liegt, so sehen wir anderwärts eine ebenfalls breite Gebirgszone aus einer anderen Schichtengruppe, z. B. aus der Stufe d, aufgebaut, die wieder in sich gefaltet und an Brüchen verschoben erscheint, wobei abermals kein anderes Gebirgsglied an diesem Bau beteiligt ist. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß in einer solchen Gebirgszone nicht nur die Gesteine der jüngeren, sondern auch die der älteren Stufen fehlen, deren Vorhandensein doch wohl zu erwarten wäre, wenn nicht wirklich ein selbständiger Bau vorläge, der nur unter Ablösung der Schichtengruppe von ihrem Liegenden und Hangenden entstanden sein kann °®), ec) Beobachtungen an Querbrüchen. Querbrüche (und Diagonalbrüche) sind schon seit langem durch den Eisenerzbergbau sowohl des Nord- als des Südflügels bekannt geworden. (Lipold, Helmhacker, Vala, Feistmantel.) Sie in Lichtbildern als Beispiele bei der Behandlung der Lagerungslehre zu verwenden. Soweit ich nach meinen Aufnahmen und nach der Erinnerung es beurteilen kann, hat R. Kettner in einem Profile (B. z. K. d. geol. Verh. d. Umgeb. v. Königsaal, Verh. Geol. Reichsanst. 1914, S. 885, Fig. 1) eine recht genaue Darstellung jener Faltungen gegeben, die sich sehr zu ihrem Vorteile von den älteren, auch den in großem Maßstabe gehaltenen, zu stark schematisierten Querschnitten unterscheidet. — Derartige Vorkommnisse führen zur Vermutung, daß eine aus einer einzelnen Stufe bestehende Gebirgszone auch dort, wo sie bei großer Mächtigkeit eine iso- klinale, scheinbar einheitliche Schichtenfolge darstellt, in Wirklichkeit mehrfach in sich gefaltet ist. 3) Ob die einzelnen Stufen des Untersilurs wirklich so scharf voneinander geschieden sind, wie es vielfach den Anschein hat, darf bezweifelt werden. Ge- naueste Durchforschung günstiger Aufschlüsse wird vielleicht lehren, daß diese Zonen an ihrer stratigraphischen Grenze tektonisch ineinandergreifen. Solche Funde würden nicht gegen die Annahme vergleichsweise selbständigen Baues der betreffenden Schichtengruppen sprechen. Das „sandig-tonige“ Untersilur in seiner Gesamtheit und die Gesamtheit der überwiegend kalkigen obersilurisch- devonischen Stufen sind in ihrem Auftreten im allgemeinen ebeufalls recht selb- ständig. Dennoch ist gerade hier tektonisches Ineinandergreifen der beiden Grenz- stufen d, und e, in nicht wenigen Fällen, nicht nur in der weitaus vorherrschenden Zahl der Barrande’schen Kolonien, festgestellt. Mit diesen wie mit einem lange bekannten Vorkommen von Untersilur inmitten des Kalkgebietes werden wir uns uoch zu beschäftigen haben. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (F. Wähner.) 4 96 F. Wähner. Bel haben die Erzlager auf kleinere oder größere Strecken ins Liegende, bzw. ins Hangende verworfen, dürften mithin, da die Schichten in der Regel ziemlich steil aufgerichtet sind und das Maß der horizontalen Verschiebung oft beträchtlich ist, mehr oder minder ausgesprochene Blattverschiebungen darstellen. Beobachtungen über das Auftreten von Rutschstreifen auf den Bruchflächen und ihr Ver- halten werden nicht mitgeteilt, es fehlen daher genauere Aufschlüsse über die Richtung der Bewegungen. Krejäis Bemerkungen über das „Kluftsystem mit nordwest- lichem Streichen“ haben wenig Anklang gefunden, wohl aus dem Grunde, weil er von der Ansicht ausging, daß die Täler Gebirgs- spalten entsprechen. (Uebersicht, S. 99.) Es kann vorweg gesagt werden, daß Querbrüche in so großer Zahl vorkommen, daß jedes Quertal nicht nur mit einem, sondern mit mehreren, manche mit vielen Querbrüchen zusammenfallen, daß mithin bei der doch recht verschiedenen Richtung der Täler auf nähere ursächliche Beziehungen zwischen diesen Erosionsformen und den Brüchen nicht geschlossen werden kann. Mit Recht haben neue verdienstliche Arbeiten dem Auftreten von Querbrüchen weit größere Beachtung geschenkt, als dies vordem der Fall war ®”-#0), Wenn ihnen auch geringere tektonische Bedeutung zukommt als den großen Längsstörungen, die Wiederholungen umfang- reicher Schichtenreihen hervorrufen, so braucht man doch nur eine der Karten zu vergleichen, die den angeführten Veröffentlichungen beigegeben sind, namentlich die in größerem Maßstabe gehaltenen, wie Kettners Karte des Motoltales 1:30.000, um zu erkennen, welch großen Einfluß diese Brüche dadurch, daß sie die Schichten- gruppen an so vielen Stellen um ansehnliche Beträge quer auf das Streichen verschieben, auf das Kartenbild ausüben. Zugleich zeigt sich, daß erst durch solche kartographischen Darstellungen für unser Gebiet der Standpunkt der Uebersichtsaufnahmen völlig überwunden ist. Erlauben uns diese Verschiebungen von Schichtengruppen auf das Vorhandensein von Querbrüchen zu schließen, so ermöglichen die zahlreichen künstlichen Aufschlüsse im mittelböhmischen Faltengebirge, die Querbrüche selbst zu sehen, an den bloßgelegten Bruchflächen genauere Beobachtungen über die relative Richtung, in der sich die durch sie zerschnittenen Gebirgsstücke bewegt haben, vorzunehmen und sie in den verschiedensten Schichtengruppen in außerordentlich großer Zahl auch dort festzustellen, wo die durch sie hervorgerufenen Verschiebungen zu geringfügig sind, um daran die Brüche zu erkennen. Dazu kommt, daß die Aufschlüsse uns mit einer Art von Querbrüchen °') Jos. Woldfich, Die geolog. Verhältnisse der Gegeud zwischen Litten- Hintertfebäh und Pouönik bei Budnan. (Sitzgsber. d. kgl. böhm. Ges. d. Wiss. in Prag 1914.) | ®) J. Cermäk, R. Kettner a J. Woldrich, Prüvodce ku geol. a morf. Exkursi 6esk. pfirodozpyteü a lekarü v Praze 1914 do üdoli motolskeho a Säreck&ho u Prahy. (Sbornik klubu pfirodov. v Praze 1913, I.) V Praze 1914. ») R. Kettner, Zprava o geol. studiich v okoli Dobrite a Noveho Knina. (Sbornik Cesk& spolecnosti zemövedne, XXI, 3—4, 1915.) #) R. Kettner, O slepenecich Ziteckfch, nejspodn&j$im horizontu deskeho kambria. (Rozpravy Cesk6 Akad. XXIV, tr. II, cis. 34.) V Praze 1915. [27] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 9 bekannt machen, die überhaupt keine Verschiebung von Gebirgsstücken aus der Streichriehtung bewirken. Dieselben scheinen bisher trotz ihrem ungemein häufigen Vorkommen wenig Aufmerksamkeit erregt zu haben. Sie verdienen eine eingehendere Besprechung. An diesen eigenartigen Querbrüchen verlaufen die Rutschstreifen parallel zu den Schichtfugen und Schichtflächen oder sie weichen von dieser Richtung nur stellenweise und ganz geringfügig ab. Von vorn- herein möchte man erwarten, daß an Verwerfungsflächen alle mög- lichen Bewegungsrichtungen zu ermitteln sind, daß außer vertikal und horizontal gestreiften Rutschflächen auch alle Zwischenrichtungen an- nähernd gleichmäßig vertreten sind. Wenn nun, wie es der Fall ist, schichtenparallel verlaufende Rutschstreifen außerordentlich häufig auftreten und — wenigstens in manchen Schichtengruppen — gegenüber sonstigen Bewegungsrichtungen überwiegen, so muß dieser Tatsache eine bestimmte Ursache zugrunde liegen, es muß sich um eine gesetz- mäßige Erscheinung handeln. Die Ursache ist leicht zu erkennen. Da die Schichten und Schichtenreihen der Sedimentgesteine entlang den weicheren (dünnen) Zwischenmitteln und (dicken) Zwischen- lagen der festen Gesteinsbänke und entlang den den großen Schichten- folgen zwischengelagerten Schichtengruppen weicherer Gesteine verhältnismäßig leicht trennbar sind, werden sich an ihnen verhältnis- mäßig oft Ablösungen und Verschiebungen der Schichtengruppen ein- stellen. Wenn nun ein Gebirgsstück an zwei Querbrüchen von seiner Umgebung sich abgetrennt, zugleich entlang Schichtflächen von seinem Liegenden (und etwa auch vom Hangenden) sich abgelöst hat und die Bewegung in der Richtung der Abtrennung und Ablösung eine - kurze Strecke unter allseitigem Gebirgsdruck fortsetzt, so wird die Bewegung parallel zur unteren Schichtenablösungsfläche erfolgen, auf der das Gebirgsstück gewissermaßen gleitet, und dieses wird einerseits auf Schichtflächen Bewegungsspuren zurücklassen, anderseits an den beiden Querbruchflächen schichtenparallele Streifung hervorrufen. Dem häufigen Auftreten von Glättung und Rutschstreifen auf Schichtflächen entspricht daher das häufige Vorkommen von Querbrüchen mit schichten- paralleler Bewegung und umgekehrt; die eine Erscheinung setzt die andere voraus. Die Art von Bewegung, die sich an solchen Quer- brüchen abgespielt hat, können wir als schichtenparallele Querverschiebung bezeichnen. Es hängt mit der häufigeren Anlage und der längeren Erhaltung guter Aufschlüsse in festen Gesteinen zusammen, daß sich in allen so beschaffenen Schichtengruppen des älteren Paläozoikums und in den vorkambrischen Gesteinen Querbrüche mit schichtenparallelen Rutschstreifen leicht auffinden lassen. So finden sie sich oft in der Quarzitstufe d, und in den Sandsteinen der „Grauwackenschiefer“ d, des Untersilurss und in allen kalkigen Stufen des Obersilurs und Devons. In besonders großer Zahl aber treten sie in den dünnplattigen Kalken dieser Stufen, in kambrischen Grauwacken und in den vor- kambrischen Gesteinen des Gebietes auf. Wo keine entsprechenden Aufschlüsse vorhanden sind, kann man die Erscheinung wenigstens an einzelnen Gesteinsstücken nachweisen, die dem Gehängeschutt oder dem Waldboden entnommen sind und an die Schichtfläche ver- 4* 28 F. Wähner. [23] querender Bruchfläche mit der ersten parallele Rutschstreifen erkennen lassen. An solchen läßt sich freilich nicht feststellen, ob wir es mit einem Querbruch oder etwa einem Diagonalbruch zu tun haben. Querbrüche mit schichtenparallelen Rutschstreifen scheinen (mindestens zum Teil) mit der aus dem Seitenschub hervorgehenden Faltung in noch engerer ursächlicher Beziehung zu stehen als die schon lange bekannten Querbrüche (die gewöhnlichen Blattver- schiebungen), die Verschiebungen von Schichtengruppen aus dem Streichen bewirken. Man betrachte Taf. II [2], die ein bezeichnendes Beispiel eines derartigen Querbruches wiedergibt. Das örtlich be- schränkte Vorkommen ist in einem Einschnitte bloßgelest, mit dem die Strecke Smichow — Hostiwitz der Buschtiehrader Bahn oberhalb Slichow den aus einem kleinen Gewölbe von Knollenkalken der devonischen Stufe 9, bestehenden Hügel Schwagerka durchsetzt. Die Rutschfläche streicht N—S; da sie sich im Streichen biegt, weicht sie von dieser Richtung streckenweise, besonders rechts oben, ab.Auch von der lot- rechten Stellung weicht sie ein wenig ab, indem sie gegen den Beschauer (gegen W) schwach überhängt. Die hell beleuchteten Flächen rechts sind Schichtflächen, die von anderen Brüchen durchsetzt und durch den während des Bahnbaues vorgenommenen Abbau des Gesteins teilweise verletzt sind. Unmittelbar beim Querbruch ist die eine dieser Schicht- flächen, an der stellenweise stark verwitterte in der Fallrichtung ver- laufende Rutschstreifen zu sehen sind, unter einem Winkel von 50° gegen NNW geneigt; an anderen Stellen, rechts vorne und besonders oben, ist die Neigung der Schichten geringer und gegen N 30—35° W gerichtet. Die Schichten fallen nicht ebenflächig ein, sondern sind deutlich (zum Teile unter Vermittlung von Brüchen) gebogen. Diese Biegung der Schichten machen die Rutschstreifen der Querbruch- fläche genau mit, so daß man den Eindruck erhält, daß die Schichten- biegung und die Bewegung, welche die Striemung der Bruchfläche her- vorgebracht hat, einem und demselben tektonischen Vorgang entspricht. Bemerkenswert ist ferner, daß die Bruchfläche in diesem Falle sich nicht gegen die Tiefe, in die liegenden Schichten fortsetzt, sondern gegen die bloßgelegte Schichtfläche ziemlich stark einwärts biegt (gegen O umbiegt), wodurch eine Art Uebergang von der Bruch- fläche zur Schichtfläche hergestellt wird. Die Schichtfläche abc war zugleich die Gleitfläche, auf der sich das hangende Gebirgsstück (sei es auf- oder abwärts) bewegt hat. Links unten ist ein kleiner Rest einer Reibungsbreccie erhalten, die sich in die an der Schichtfläche berg- seits sich hineinziehende Kluft fortsetzt. An der Querbruchfläche ist vielfach das Gestein weitgehend zertrümmert, aber durch Kalkspat, der auch die Rutschfläche überzieht, wieder verkittet. Im Hinter- grunde links ist eine zweite, stark verwitterte Bruchfläche entblößt, deren Rutschstreifen vom Standpunkte der Aufnahme nur sehr un- deutlich erkennbar sind, nicht schichtenparallel verlaufen, sondern eine ganz andere Richtung besitzen. Sie entspricht einem Diagonalbruch, streicht annähernd WNW--OSO und die Rutschstreifen sind zu- meist ausgesprochen nach OSO (nach rechts) geneigt; außerdem sind daran flachere und horizontale und schwach nach WNW geneigte Rutschstreifen zu beobachten. — [29] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 29 Eine vorzügliche Gelegenheit, die einschlägigen Erscheinungen zu untersuchen, bietet der große Steinbruch der Podoler Zementfabrik in Dworetz, rechts der Moldau, südlich von Prag. Obersilurische und devonische Gesteine von den Graptolitenschiefern e,“ bis zu den Knollenkalken g, bilden hier eine regelrechte flache Mulde, die von überaus zahlreichen Quer- und Diagonalbrüchen (auch von Längs- brüchen) durchsetzt ist. Manche dieser Brüche bewirken auch Ver- schiebungen im vertikalen Sinn, wie an den hellen Orthocerenkalken €, die von dünnplattigen dunklen Kalken (e,ß und /,) unter- und über- lagert werden, deutlich zu bemerken ist. Daß es sich aber wesentlich um seitliche Verschiebungen handelt, zeigen die Rutschstreifen (manchmal als kräftige „Hohlkehlen* entwickelt) an den bloßgelegten Bruchflächen, die zumeist schichtenparallel verlaufen. Der lebhafte Betrieb des Steinbruches bringt es mit sich, daß die Rutschflächen immer wieder zerstört und daß an ihrer Stelle neue (und Fortsetz- ungen der alten) aufgedeckt werden. Es würde sich lohnen, hier all- jährlich neue photographische Aufnahmen zu machen, um an einer zusammenhängenden Reihe der nahe aufeinanderfolgenden jeweiligen Zustände vergleichende Beobachtungen vornehmen zu können. Taf. III [3], Abb. 1 gibt eine photographische Aufnahme des Stein- bruches mit Fern-Objektiv aus dem Jahre 1911 wieder, die von Herrn Prof. Ausserwinkler in Prag freundlichst zur Verfügung gestellt wurde. Der Standpunkt der Aufnahme liegt in einer Entfernung von 1 km in westsüdwestlicher Richtung vom Steinbruche am westlichen Gehänge des Moldautales an dem hochgelegenen Teile der Strecke Smichow— Hostiwitz der Buschtiehrader Bahn nahe dem Wächterhause. An dem hellen Bande der ÖOrthocerenkalke tritt die muldenförmige Lagerung deutlich hervor, ebenso einige kleine Verwerfungen. An den die hellen Kalke überlagernden dunklen f,-Kalken läßt sich besonders eine Querbruchfläche an den stark erhabenen schichtenparallelen Wülsten und entsprechenden Vertiefungen (Hohlkehlen) erkennen. Der Aufschluß liegt annähernd in der Richtung N—S, die Achse der Mulde verläuft ungefähr W—O. Im Südflügel der Mulde ist das Fallen bei einem Neigungswinkel von 20° gegen N 15° O, im Nord- flügel ungefähr gegen SSW gerichtet. Die Abweichung in der Lagerung von dem normalen Schichtenstreichen (NO und ONO) und -Fallen ist also beträchtlich. Im südlichen Teile desselben tiefgelegenen großen Steinbruches ist jedoch in den das Liegende des Orthocerenkalkes bildenden dunklen Uebergangsschichten e,ß moldauwärts ein deut- liches Hinabbiegen in nordwestlicher Richtung zu beobachten. Dieses Einfallen gegen NW würde den normalen Lagerungsverhältnissen entsprechen. Von den Querbrüchen verlaufen die nahe südlich der Muldenmitte gelegenen zumeist in der Richtung NNO, die Rutschstreifen sind auf ihnen wie die unter dem Orthocerenkalk liegenden dünnen Schichten zumeist nach dieser Richtung geneigt. Außer der NNO-Richtung konnte ich an Querbrüchen kürzlich noch die Richtungen N 15° 0, N 250 O und N 30° O feststellen. Ein Diagonalbruch streicht O 30°N, ein Längsbruch 0 10°S. Durch Krümmungen im Streichen der Brüche ergeben sich viele Abweichungen. Die Stellung der Bruch- 30 F. Wähner. [30] tlächen ist zumeist vertikal, durch Biegungen (um horizontale Achsen) vollziehen sich gleichfalls ansehnliche Abweichungen, so daß Neigungen nach verschiedenen Richtungen vorkommen. Die Rutschstreifen ver- laufen auf allen Brüchen zumeist schichtenparallel‘!?). Eine Querbruchfläche mit kräftig ausgebildeten Hohlkehlen zeigt Taf. III [3], Abb. 2 nach einer Nahaufnahme vom 4. Mai 1912 des damaligen Hörers J. John, der leider nicht mehr unter den Lebenden weilt. Die stark erhabenen Wülste und kräftigeren Rutsch- streifen sind stellenweise gekrümmt, verlaufen aber im allgemeinen wie die feinen Rutschstreifen parallel zu den nahe der Muldenmitte gelegenen f,-Kalken des Südflügels, wie an der gegen S ansteigenden Grenzlinie des unterlagernden hellen Orthocerenkalkes zu sehen ist. Hinter dieser Rutschfläche ist eine zweite viel weniger unebene Quer- bruchfläche sichtbar, deren Rutschstreifen infolge der perspektivi- schen Verzerrung stärker geneigt zu sein scheinen, als es in Wirk lichkeit der Fall war. | Die einzelnen Querbrüche sind gewöhnlich nur wenige Meter von- einander entfernt, können einander abernoch viel näher rücken. Das sind die im großen leicht erkennbaren Brüche von augenscheinlich großer flächenhafterAusdehnung. Die zwischen diesen Brüchen liegenden Gebirgs- stücke sind aber noch von zahllosen mehr verborgenen Rissen durchsetzt, nach denen die Schichten in größere und kleinere parallelepipedische Stücke zerfallen, und an denen ebenfalls typische kräftige Rutschstreifen zu erkennen sind, die wieder zumeist schichtenparallel verlaufen. Die aus den obersilurischen dünnbankigen dunklen Kalken gewonnenen Platten werden, bevor sie in die Oefen wandern, im Steinbruche in umfangreichen Haufen aufgeschichtet, wobei sie mit den Schichtflächen übereinandergelegt werden. Man kann daher, indem man an den Seitenwänden dieser großen Anhäufungen vorübergeht, auf einfache Weise an den dem Beschauer zugekehrten Flächen erkennen, daß eine recht große Zahl derselben natürliche Bruchflächen sind, und an vielen von ihnen kräftig ausgebildete schichtenparallele Rutschstreifen wahrnehmen, — ein handgreifliches, rasch belehrendes Anschauungsmittel. Nicht selten findet man parallelepipedisch geformte Gesteinsstücke, die von einem Paare durch die Gebirgsbewegung ge- glätteter Schichtflächen und zwei Paaren von schichtenparallel #12) An dem oben erwähnten Längsbruch, auch an manchen Querbrüchen ver- laufen die Rutschstreifen horizontal. An einem nahe der Muldenmitte untersuchten, nach NNO streichenden Querbruch ist ein breiter Teil der Bruchfläche mit Rutsch- streifen versehen, die senkrecht auf den anderen vorhandenen Streifen stehen, also fast vertikal verlaufen. Auf derselben Fläche finden sich auch Rutschstreifen, die in Zwischenrichtungen verlaufen. Wie an so vielen Rutschflächen zeigt sich auch hier, daß an einem und demselben Bruche wiederholt Bewegungen ein- getreten sind, und daß diese Bewegungen nicht immer in derselben Richtung vor sich gingen. So finden sich auch an einem gegen N 30°O streichenden Querbruch, der sich von der Muldenmitte schon dem Nordflügel nähert, wobei der Orthocerenkalk noch horizontal liegt, gegen S geneigte, an anderen Punkten gegen N geneigte Rutschstreifen (die Neigung ist meist gering), auch horizontale Streifen kommen vor. In manchen Fällen lassen sich — es ist dies ebenfalls eine auch anderwärts nicht selten zu beobachtende Erscheinung — Rutschstreifen verschiedener Richtung an demselben Punkte derselben Rutschfläche übereinander feststellen, wobei oft die älteren Rutschstreifen durch neue teilweise verwischt, undeutlich gemacht werden [31] Zur Beurteilung des Baues des mittelböühmischen Faltengebirges. 31 gestreiften Bruchflächen begrenzt sind. Auf den geglätteten Schicht- flächen sind Rutschstreifen, falls sie überhaupt zu erkennen sind, weitaus zarter ausgebildet als auf den Bruchflächen. Aeußerst selten stehen die die Schichten verquerenden Rutschflächenpaare senkrecht aufeinander, sie bilden fast immer schiefe Winkel von verschiedener Größe, ein Zeichen, daß hier neben den Querbrüchen nicht Längs- brüchen, sondern Diagonalbrüchen verschiedener Richtung größere Bedeutung zukommt. Man kann dieselben Erscheinungen auch an kleinen Gesteins- stücken feststellen und oft mit dem Hammer noch weitere Trennungen nach den die Schichten quer durchsetzenden Rutschflächen vornehmen, die manchmal nur wenige Zentimeter von einander abstehen. Die betreffenden Schichten sind demnach in außerordentlich weitgehender Weise durch Brüche zerteilt, eine der tektonischen Erfahrungen, die immer wieder das Erstaunen darüber hervorrufen, daß unter solchen Umständen der Schichtenverband aufrechterhalten werden konnte, und zu dem Schlusse führen, daß solche Bewegungen unter allseitigem Druck sich abgespielt haben. An den zahlreichen hier gesammelten Stücken konnten manche Einzelheiten beobachtet werden, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Wichtiger wäre die Verknüpfung, die sich hie und da zwischen Quer-, bzw. Diagonalbrüchen und den Bewegungsflächen erkennen läßt, die aus Schichtflächen hervorgegangen sind. Anderseits ist es leicht erklärlich, daß an manchen Stücken die Rutschstreifen in ihrer Richtung geringfügig von der der benachbarten Schichtflächen abweichen. Da nicht sämt- liche Schichtflächen miteinander genau parallel sind, kommt es auf die Lage derjenigen Schichtfläche an, längs der das betreffende Ge- birgsstück sich bewegt hat. Aehnliche Beobachtungen können noch an manchen anderen Punkten, besonders in dünnplattigen dunklen Kalken (e, ß, f,, 91) und in Kalken mit dunklen Zwischenlagen (f,, 9.) angestellt werden. In großer Menge trifft man Querbrüche mit schichtenparallelen Rutsch- streifen ferner in den kambrischen und vorkambrischen Gesteinen Mittelböhmens. Wir begnügen uns, ein Vorkommen in unterkambrischen Grauwacken kennen zu lernen, das in einem nahe der Przibramer Schmelzhütte gelegenen alten Steinbruche aufgeschlossen und durch auffallende Regelmäßigkeit der Ausbildung ausgezeichnet ist. Wir haben es hier mit einem für das mittelböhmische Falten- gebirge ungewöhnlichen und von dem normalen stark abweichenden Streichen und Fallen zu tun. Die im Steinbruche aufgeschlossenen kambrischen Sandsteinbänke fallen unter Winkeln von 20 und 30° gegen WSW. Das ist auch die Hauptrichtung der zahlreichen Quer- brüche, die parallel zueinander in geringer Entfernung die Schichten durchsetzen. In Taf. IV [4] ist in der Hauptsache nur eine Querbruch- fläche dargestellt, aber in der Fortsetzung der nämlichen, gegen S gerichteten Steinbruchwand nach links (in westlicher Richtung) sieht man eine ganze Reihe derartiger Querbruchflächen hintereinander. In dem in Lichtdruck wiedergegebenen photographischen Bilde ist an manchen Stellen ein Teil des sonst zusammenhängenden Felsens ab- gebrochen, und dann erkennt man dahinter eine kleine Fläche gleicher 39 F. Wähner. [32] Beschaffenheit, so links oben von der Mitte des Bildes bei der be- schatteten Stelle. Die durch den Steinbruchbetrieb bloßgelegten Ver- schiebungsflächen sind mit einer Art Schmiere überzogen, die wohl durch die Gebirgsbewegung aus der Zerreibung des angrenzenden Gesteins entstanden ist. Daher sieht man im allgemeinen keine Schichtfugen, und nur dort, wo der das eigentliche Gestein ver- hüllende Ueberzug entfernt ist, konnte die Verwitterung eingreifen, so daß auf gewissen Strecken infolge des Auswitterns oder Heraus- fallens der weicheren Zwischenmittel engere oder weitere Schichtfugen sich gebildet haben. Im übrigen sieht man auf den Verschiebungs- flächen höhere und breitere Erhabenheiten und entsprechende Vertie- fungen (Hohlkehlen) und auf ihnen schwächere Rutschstreifen, alle diese Skulpturelemente meist ziemlich genau parallel zu den Schichtflächen verlaufend. Rechts oben im Bilde sieht man ein Bündel von kleinen Längsbrüchen, die die Stelle eines Längsbruches vertreten, die Schichten schräg durchqueren. Damit steht eine kleine Knickung der Schichten in Verbindung. Die Hohlkehlen und Rutschstreifen machen diese Schichtenverbiegung mit. — Auch das zwischen den großen, weithin verfolgbaren Rutschflächen liegende Gestein ist noch vielfach von Bewegungsflächen mit gleichgerichteten feineren Rutschstreifen durch- zogen, so auch rechts im Vordergrunde des Bildes, in dem sie undeut- lich wahrnehmbar sind. Auf der Südseite des Steinbruches sind eben- falls Querbruchflächen mit schichtenparallelen Hohlkehlen und Rutsch- streifen von gleichartiger Beschaffenheit entblößt. In demselben Steinbruche sind auch einige wenige Diagonal- brüche zu beobachten, die nicht deutlich hervortreten und nur auf kurze Erstreckung zu verfolgen sind; sie sind ebenfalls mit schichten- parallelen Rutschstreifen versehen. Fine Bruchfläche verläuft senk- recht auf die Fallrichtung, genau im Streichen; dieser Längsbruch zeigt keine Rutschstreifen. Andere von dieser Richtung nur schwach ab- weichende Bruchflächen sind dagegen wieder deutliche Rutschflächen mit schichtenparallelen Streifen. Zahlreiche im Steinbruche gesammelte Gesteinsstücke zeigen die beschriebenen Erscheinungen im kleinen. Querbrüche mit schichtenparallelen Rutschstreifen von sehr ähn- licher Beschaffenheit sind in den vorkambrischen Schiefern und Grau- wacken vielfach zu beobachten. Zu erwähnen wäre das ausgedehnte Gebiet zu beiden Seiten des Moldautales südlich von Königsaal und ein kleines Vorkommen in der Modrzaner Schlucht. Bei vielen vor- kambrischen Vorkommnissen wie bei dem besprochenen unterkambri- schen könnte das eigenartige Aussehen der Bruchflächen zur Vermutung verleiten, daß wir es nicht mit Bewegungsflächen, sondern mit an Gebirgsspalten (feinen Rissen) auftretenden Verwitterungserscheinun- gen zu tun haben. Es läßt sich bei vorkambrischen Gesteinen, die auf den ersten Blick sehr dicht und gleichmäßig ausgebildet zu sein scheinen, in manchen Fällen zeigen, daß sie aus quarzreicheren und quarzärmeren Lagen bestehen. Da läge es nahe vorauszusetzen, daB die härteren und chemisch widerstandsfähigeren Lagen es sind, die gegenüber den minder widerstandsfähigen an jenen Flächen hervor- treten. Die Brüche bilden jedoch nicht offene Klüfte, sondern die zu beiden Seiten der Bruchfläche anstehenden Gesteine schließen un- [33] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 33 mittelbar aneinander — man kann sich auch noch an Gesteinsstücken, die man längs solcher Flächen zerteilt, hiervon überzeugen —, es entspricht daher jeder Erhöhung auf der einen Seite eine Vertiefung auf der anderen Seite des Bruches. Schon hierdurch verbietet sich ein allfälliger derartiger Erklärungsversuch. Wir finden ferner — das ist bei dem aus der Gegend von Przibram beschriebenen Vorkommen der Fall — außer den großen, oft weithin verfolgbaren Bruchflächen in den dazwischenliegenden Gesteinen auch andere kleinere, eben- falls mit schichtenparallelen Streifen versehene Flächen, die das Aus- sehen von typischen Rutschflächen besitzen; sie sind mit den anders- artigen durch Uebergänge verbunden. Es scheint, daß einerseits die Gesteinsbeschaffenheit, anderseits die Art der Bewegung die Unter- schiede in der Ausbildung der Rutschflächen bedingt. Ueberraschend ist das wenn auch seltene Auftreten von Längs- brüchen (bzw. von Diagonalbrüchen, deren Richtung jener von Längs- brüchen sehr nahe kommt,) mit gleichfalls schichtenparallelen Rutsch- streifen, die demnach auf Bewegungen in der Streichrichtung des betreffenden Gebirgsstückes (oder einer dieser sehr nahe kom- menden Richtung) hinweisen. Auch dieser Umstand könnte zu Zweifeln über die Natur jener Flächen Veranlassung geben. Es ist darum nicht überflüssig, auf einen im Kalkgebirge vorkommenden derartigen Bruch aufmerksam zu machen, der geradezu als ein Schulbeispiel einer gut ausgeprägten Rutschfläche gelten kann. Er liegt in den g3-Knollenkalken von Hluboczep, die hier im allgemeinen steil auf- gerichtet sind und anscheinend ein einheitlich gebautes Glied des Südflügels einer ausgedehnten regelmäßigen Mulde bilden. In einem beschränkten Teile des Gebietes aber sehen wir diegenannte Schichten- gruppe für sich in eine kräftig bewegte Falte gelegt, wogegen in den weiter westlich gelegenen großen Aufschlüssen die Stufe 9, nur eine untergeordnete Knickung erkennen läßt, die vielleicht mit jener Falte in Zusammenhang steht. In einem Steinbruche ist das Gewölbe der Falte aufgeschlossen, so daß die Bänke auf der südlichen Seite des Bruches gegen S, auf der nördlichen Seite gegen N fallen; auch die Gewölbebiegung ist sichtbar. An der Südseite desselben Stein- bruches findet sich der erwähnte Längsbruch (Taf. V [5], Abb. 1). Das Fallen der Kalkbänke ist unter einem Winkel von unge- fähr 40° gegen SSW gerichtet. Die durch einen großen Teil des Bıldes ziehende, durch den Steinbruchbetrieb bloßgelegte Verschie- bungsfläche streicht ungefähr O—W, könnte daher auch als ein der Streichrichtung der Schichten sehr nahe kommender Diagonalbruch bezeichnet werden; sie ist keine ebene, sondern eine mehrfach ge- krümmte Fläche und mit zahlreichen den Schichtflächen parallelen Rutschstreifen bedeckt. Das Photogramm ist aus der Richtung N 30° W, schräg auf das Streichen der Rutschfläche, aufgenommen; diese er- scheint daher im Bilde in ihrer Streichrichtung verkürzt. Die Rutsch- streifen sind sehr kräftig und regelrecht ausgebildet; ihr Aussehen im Bilde beruht auf der starken Verkleinerung. (In dieser Hinsicht wäre der als Maßstab aufgestellte, 461/,cm lange, infolge der Repro- duktionsart schwer erkennbare "Hammer nahe der rechten unteren Bildecke zu beachten.) Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (F. Wähner.) 5 54 F. Wähner. | os Die vielfach aus- und einspringende Felskante rechts begrenzt die Ansicht gegen eine (nicht sichtbare) Steinbruchwand, in der die Schichten in der Fallrichtung aufgeschlossen sind. Links von dieser Kante verläuft eine schmale Fläche in einer Mittelrichtung zwischen der Streich- und der Fallrichtung der Schichten. Im tieferen Teile dieser Fläche sind, besonders in der Nähe des Hammers, Rutsch- streifen zu sehen, die gleichfalls schichtenparallel verlaufen und teil- weise die deutliche Fortsetzung von Streifen der großen Rutschfläche bilden. Die große O—W streichende Verschiebungsfläiche verdeckt die Schichten; das eigentliche Gestein ist durch eine mehrere Zenti- meter dicke Ausscheidung von Kalkspat verhüllt. Der größte Teil der sichtbaren Rutschstreifen ist daher eine Abformung jener Rutsch- streifen, die sich an der südlichen Begrenzungsfläche des durch den Steinbruchbetrieb entfernten Gebirgsstückes befanden. In ihrem weiteren Verlauf nach O (links) verschwindet die Rutschfläche für den Beschauer, sie dringt dort in den Felsen ein und trennt sodann die zur Linken aufgeschlossenen (nach rechts und vorn geneigten), vom Steinbruchbetrieb noch verschonten Bänke von den im S der Rutschfläche (vor dem Beschauer) gelegenen Schichten. Taf. V [5], Abb. 2, gibt eine Nahaufnahme eines Teiles derselben Rutschfläche wieder, in der die Rutschstreifen in größerem Maßstabe (vgl. deräHammer) dargestellt sind. Nächst dem rechten Rande des Bildes liegt ein Gesteinsstückchen in einer kleinen Hohlkehle. Es wäre falsch, aus dem Auftreten derartiger Längsverschiebungen den Schluß zu ziehen, daß diese in einem anderen Zeitabschnitt ent- standen sind als die übrigen Brüche, mit denen sie auf das engste verknüpft sind. Jene zeigen vielmehr, daß aus der gleichen Gebirgs- bewegung auch Verschiebungen hervorgehen, die nicht in der all- gemeinen Schubrichtung liegen, sogar solche, die annähernd senkrecht hierauf gerichtet sind. Das Gebirge ist durch zahlreiche Quer-, Dia- gonal- und Längsbrüche und überdies durch Schichtenablösungsflächen in eine Unzahl großer und kleiner Schollen zerlegt. An allen diese Schollen begrenzenden Flächen gingen Bewegungen vor sich und die Gebirgsschollen mögen zu Zeiten in ähnlicher Weise bewegt worden sein wie ein im Hochwasser des Flusses abgehender Eisstoß, der gegen eine hohe Mauer gepreßt wird, so daß alle Schollen steil aufgerichtet und parallel gestellt werden, wobei es nun — darin liegt die Ver- gleichung — manchen Schollen gelingt, annähernd senkrecht zur Schubrichtung auszuweichen. So mag auch manche Gebirgsscholle einem Längsbruch entlang durch den allgemeinen Schub bewegt werden, sei es, daß der Längsbruch schon früher entstanden war, sei es, daß er durch eben jenen Schub, aus dem Bewegungen nach ver- schiedenen Richtungen hervorgehen, erst gebildet wurde. Blattverschiebungen sind ausgesprochene Kennzeichen von seit- lichen Gebirgsbewegungen. Man bringt sie mit Recht mit der Falten- bildung, bzw. mit dem Zusammenschub der Gesteinsschichten, der sich in der Faltenbildung äußert, in Verbindung. Bei den Verschiebungen, [35] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 35 die parallel zur Schichtung erfolgen, wird man an einen besonders engen Zusammenhang ihrer Entstehung mit der der Falten denken können, wenn män sich an die entlang den Schichtflächen vor sich gehenden Verschiebungen erinnert, die bei der Biegung der Gesteins- platten eintreten. Querbrüche mit schichtenparallelen Rutschstreifen, über die hier berichtet wurde, scheinen weite Verbreitung zu be- sitzen; sie kommen auch in verschiedenen Schichtengruppen der Ost- alpen vor. Gegenüber diesen wird man als gesteigerte tangentiale Bewe- gungen ansehen müssen die gewöhnlichen Blattverschiebungen, die seitliche Verschiebungen von Stücken von Schichtengruppen gegen- über benachbarten Stücken quer auf das Streichen bewirken. Hierher gehören die Querbrüche, die im mittelböhmischen Silur durch den Bergbau bekannt geworden sind, und diejenigen, die durch die oben erwähnten neuen Untersuchungen aus der Verbreitung der Ab- lagerungen erschlossen wurden. Sie scheinen hier hauptsächlich bei steilerer Schichtenstellung vorzukommen. Auf der Nordseite des Prokopitals reiht sich auf eine Länge von etwa 11/, km im Streichen Steinbruch an Steinbruch. Die künst- lichen Aufschlüsse bewegen sich im Nordflügel der großen Mulde von Hluboczep in den Kuollenkalken teils von g9,, teils von 9, und sind besonders in der jüngeren Stufe allein bei annähernd vertikaler Schichtenstellung beinahe ohne Unterbrechung 1 km weit zu verfolgen Diese ausgezeichnet entblößten g,-Kalke bieten die beste Gelegen- heit, Musterbeispiele von Blattverschiebungen vorzuführen, da man sowohl die Bruchflächen sehen und untersuchen, wie an den durch- schnittenen Schichtengruppen das Maß der Querverschiebungen fest- stellen kann. Einer unserer jüngeren Kräfte wird es voraussichtlich in naher Zeit möglich sein, eine eingehende Darstellung dieser Vor- kommnisse zu liefern. Um dieser nicht vorzugreifen, sollen hier nur einige Bemerkungen folgen. Die Feststellung der Verschiebungen wird erleichtert durch die verhältnismäßig geringe Mächtigkeit der Stufe g,, durch ihre Unter- und Ueberlagerung durch recht verschieden aussehende Gesteine und dadurch, daß in g, selbst unschwer mehrere Unterabteilungen unter- schieden werden können. Man kann zweckmäßig drei solche Unter- abteilungen aufstellen und diese, um an der gut eingebürgerten Barrandeschen Stufenbezeichnung festzuhalten und sie weiter aus- zubilden, in der bei anderen Abteilungen bereits üblichen Weise durch Hinzufügung griechischer Buchstaben bezeichnen. Der stra- tigraphisch tiefste Teil (93%) besteht aus dünnschichtigen, zumeist roten Knollenhalken (Barrandes Couches bigarrees *!P), die in ihrer Fazies vollkommen mit den selteneren triasischen und den weit ver- breiteten liasischen und oberjurasischen roten Cephalopodenknollen- kalken übereinstimmen. In ihrem unteren Teile vollzieht sich der be- kannte Uebergang von den Tentaculitenschiefern 9, zu den Knollen- kalken g, durch fortschreitende Kalkknollenbildung und durch Wechsellagerung. (Barrande stellt diese Schichten zu seiner 4b) Barrande, Defense des colonies, III, 1865, pag. 9 fi., 333 f, 5* 36 F. Wähner. [36] bande g,.) Als 938 kann man die eigentlichen grauen Knollen- kalke g, ansehen, die als Felsen hervortreten und. durch den Stein- bruchbetrieb abgebaut werden, in ihrem unteren Teile noch dünnbankig sind, während sie im oberen aus weit dickeren und weniger gut ge- schiedenen Bänken bestehen. Die dritte Unterabteilung bilden die dünnschichtigen Kalke, die nach oben durch Wechsellagerung den Uebergang zwischen g3 und den dunklen Tonschiefern 7 vermitteln. Sie sind viel stärker der Faltung unterworfen als die übrigen Teile von 93 und häufig auffallend wellig gebogen. Auch diese Schichten- gruppe muß sich von ihrer Nachbarschaft, u. zw. von den ver- hältnismäßig starren liegenden Knollenkalken abgelöst haben. Wie stark sie innerlich bewegt ist, erkennt man in guten Aufschlüssen, wie oberhalb Hluboczep, daran, daß sämtliche Schichtflächen glän- zende Rutschspiegel geworden sind und daß dieser Glanz auch an allen kleinen Stücken zu sehen ist, zu denen hier an einem Punkte diese Gesteine zu Schotterzwecken verarbeitet werden. Wichtig ist ferner, daß in g3y nicht selten Radiolarien-Hornsteine auftreten, die allerdings zumeist abgetragen sind, so daß man sie dann nur im Ver- witterungsboden feststellen kann; das ist wohl die Ursache, daß sie so lange unbeachtet blieben. Manchmal treten solche Hornsteine noch im tiefsten Teile der Z-Schiefer auf, die dann jenen Teil von 93’ ver- treten mögen. Jedenfalls bezeichnen die Radiolarien-Hornsteine die Grenze zwischen g; und HM und es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man die Uebergangsschichten schon zur Stufe H rechnet. Diese Vorkommnisse haben nichts zu tun mit den Linsen und Knollen von Hornstein, die in anderen kalkigen Schichtengruppen, besonders häufig in g,, auftreten. Die Flächen, an denen sich in der beschriebenen Schichtenreihe die Querverschiebungen vollzogen haben, zeigen horizontale, nahezu horizontale und von dieser Richtung nicht stark abweichende Rutsch- streifen. Es sind demnach recht flache Blattverschiebungen. Im Ge- gensatze zu den durch schichtenparallele Rutschstreifen ausgezeich- neten Querbrüchen verqueren hier die Rutschstreifen die steil auf- gerichteten) Schichten in ausgesprochener Weise, sie stehen nicht selten senkrecht oder fast senkrecht auf diesen. Taf. VI [6] läßt einen dieser Querbrüche deutlich erkennen. Die Hauptmasse der grauen 95-Knollenkalke ist abgebaut. Stehengeblieben sind der liegende Teil 9,“ und der hangende 9,7 nebst den an diese Unterabteilungen angrenzenden Kalkbänken von g,ß, die jene leichter beweglichen Gesteine vor Abrutschungen schützen. Die beschatteten, gegen den Hohlraum überhängenden Bänke links im Vorder- und Mittelgrunde sind solche Schutzbänke für g3y und zeigen durch ihre auffallende Unterbrechung eine Querverschiebung an, entlang der das im Mittelgrunde liegende Gebirgsstück um etwa 18m nach links (südlich) gegen den im Vordergrunde links liegenden Teil verschoben erscheint. Diesem Bruche gehört die im Mittelgrunde (Mitte und rechts) befind- liche Rutschfläche an, — genau genommen sind es mehrere einander sehr naheliegende Rutschflächen, deren Reste erhalten sind, — deren Streifen teils horizontal verlaufen, teils von dieser Richtung nicht stark abweichen. Diese Rutschfläche begrenzt, soweit sie er- [37] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 37 halten ist, gegen O die hoch emporstehenden Schichten (hauptsächlich 93%), deren Ansicht den Hauptteil des Bildes ausmacht und in denen die oben (S. 33) erwähnte (noch weithin nach W zu verfolgende) untergeordnete Knickung zu sehen ist. Die Rutschfläche gibt uns ebenfalls ein Maß für die Querverschiebung. Die am rechten Rande des Bildes unter der Mitte, über und rechts von der nahen Schutt- halde befindlichen steilen Schichtflächen entsprechen stratigraphisch den obersten Bänken des durch die Rutschflächenreste nach O be- grenzten Gebirgsstückes; sie bilden den untersten Teil von 9,ß. In der Fortsetzung der Rutschfläche nach links (gegen S) liegt eine vom Beschauer abgewandte und daher nicht sichtbare stark verwitterte Rutschfläche, die das im Vordergrunde links liegende, mit den be- schatteten Schichtflächen beginnende Gebirgsstück (hauptsächlich 93 7) gegen W begrenzt. An ihr ist viel Reibungsbreccie erhalten. Trotz der starken Verwitterung erkennt man an vielen Stellen ausgesprochen horizontal verlaufende Rutschstreifen. Die Verschiebungen, die sich an diesen Querbrüchen vollzogen haben, sind offenbar erst erfolgt, als die Faltung bereits die steile Aufrichtung der Schichten bewirkt hatte. Der Seitenschub, aus dem die Faltung hervorging, muß noch fortgedauert haben, als die Schichten bereits entsprechend stark zusammengeschoben waren, es kam zur Trennung und Bewegung an neu entstehenden Quersprüngen oder zu neuen Bewegungen entlang den schon während des Faltungsvorganges entstandenen Quersprüngen, wobei die einzelnen Gebirgsstücke je- weils nach den Richtungen des geringsten Widerstandes verschoben wurden. Der Umstand, daß die erwähnte Knickung der steil aufgerich- teten Kalkbänke sehr weit zu verfolgen ist, obgleich diese Bänke von überaus zahlreichen Querbrüchen durchsetzt und verworfen sind, spricht ebenfalls dafür, daß diese Querbrüche jünger sind als die Faltung *%). Es gibt auch in diesen steilgestellten Schichten Querbrüche, die andere Verschiebungsrichtungen aufweisen, darunter solche mit schichtenparallelen Rutschstreifen. Hätte die den letzteren entspre- chende Bewegung zu einer Zeit stattgefunden, als die Schichten be- reits steil aufgestellt waren, so müßte sie steil nach abwärts oder aufwärts gerichtet gewesen sein. Es ist aber wahrscheinlich, daß die schichtenparallelen Bewegungen früher, zur Zeit, als die Schichten noch flacher gelagert und in Faltung begriffen waren, eingetreten sind. Jedenfalls sind die Rutschstreifen kein Nachweis für absolute Bewegungsrichtungen (in bezug auf den Erdkörper), sondern nur für Richtungen im Verhältnisse zu den Gesteinskörpern, an denen sie haften und mit denen sie alle seit ihrer Bildung vollführten Bewe- #28) In Alb. Heim, Das Säntisgebirge (Beitr. z. geol. K. d. Schweiz, N. F, XVI, Bern 1905) ist ein eigener, von Marie Jerosch hearbeiteter umfangreicher Abschnitt den Querstörungen des mittleren Teiles jenes Gebietes gewidmet. Auch hier ein Gebirge, dessen Schichten durch hochgradige Faltung größtenteils sehr steil aufgerichtet sind. Die Entstehung der Querbrüche (zumeist Horizontalver- schiebungen) wird zum Teile in eine jüngere Phase desselben Faltungsvorganges verlegt, ein sehr großer anderer Teil wird als jünger denn die letzte Phase der Faltung angesehen. Unser Gebiet, das in dem Zeitraum Oberdevon- Unterkarbon gefaltet wurde, stellt ein bemerkenswertes Seitenstück zu jenem weit jüngeren Gebirge dar. 38 F. Wähner. [38] gungen mitgemacht haben. Tatsächlich findet man in dem besproche- nen Gebiete Querbrüche mit Rutschstreifen verschiedenen Alters — die Altersunterschiede mögen geologisch sehr gering sein — mit ein- ander kreuzenden Richtungen, und ich glaube auch schichtenparallele Rutschstreifen gesehen zu haben, die durch flacher verlaufende jün- gere Streifen teilweise verwischt sind. Letzteres wäre nachzuprüfen. Daß die eigentlichen Blattverschiebungen die Längsbrüche ver- werfen und daher auch jünger sind als diese *?P), geht aus den neuen Untersuchungen J. Woldrichs?”, 3) und R. Kettners°3-2°) her- vor. Dies wirftzugleich ein bezeichnendesLicht auf das Alter und die Natur der Längsbrüche. Es kann sich nicht um ein altes Faltenland handeln, das in weit jüngerer Zeit von Längsver- werfungen betroffen worden ist, sondern jene Längsbrüche müssen in dem Zeitraum entstanden sein, in dem die älteren paläozoischen Schichten- gruppen gefaltet wurden. Denn jene Querverschiebungen sind zwar verhält- nismäßig jung, gehören aber noch der Zeit des Faltungsvorganges (im weiteren Sinne) an, sie müssen sich in der Zeit des seitlichen Zu- sammenschubes, wenn auch in dem letzten Abschnitte desselben, er- eignet haben. Sie durchsetzen denn auch jene Längsbrüche, die wie die große Bruchlinie der Przibramer Lettenkluft heute — auch von den genannten Forschern — als Ueberschiebungen angesehen werden. d) Isoklinale Lagerung. Bildete die altpaläozoische Schichtenreihe eine einheitliche Synklinale, so wäre die zumeist gleichsinnige Lagerung, die wir einerseits im nordwestlichen, anderseits im südöstlichen Teile des Gebietes an- treffen, eben durch diesen synklinalen Bau erklärt. Daß wir mit dieser einfachen Vorstellung nicht ausreichen, ist schon lange ersichtlich. Wenn wir von den zahlreichen Falten kleinen Ausmaßes absehen, die in so vielen Schichtengruppen beobachtet und, wie es scheint, jeweils auf eine einzelne derselben oder einen kleinen Teil der Gesamtheit beschränkt sind, so zeigen schon die großen Falten der obersilurisch- devonischen Schichtenfolge, die in der Mitte des Gebietes erkannt sind, daß wir es mit einem großen Stück eines ehedem viel umfang- reicheren echten Faltengebirges zu tun haben. Die Wiederholungen kleinerer und größerer Schichtenreihen, die sowohl im sogenannten Nordflügel wie im sogenannten Südflügel festgestellt sind, haben ferner in jedem der beiden Teilgebiete das Vorhandensein kleinerer und größerer Längsstörungen erkennen lassen, und somit sind wir mit Rücksicht auf den Faltenbau und mit Rücksicht auf die vorhandenen Längsbrüche nicht mehr in der Lage, den isoklinalen Bau, der einer- seits im N, anderseits im S zu beobachten ist, auf eine einheitliche Mulde zurückzuführen. Es sind andere Ursachen dafür zu suchen. Der isoklinale Bau drückt sich für jedes der beiden Teilgebiete nicht nur darin aus, daß das vorherrschende Fallen der Gesteine gegen das Innere des ganzen Gebietes gerichtet ist, sondern er wird dadurch noch augenfälliger und bezeichnender, daß die Längsbrüche darin keine Aenderung hervorrufen. Die Anführung zweier Beispiele, 2b) Auch im Säntisgebirge ist dies meistens der Fall. [39] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 39 die schon aus der älteren, von uns viel benützten Literatur ersichtlich sind, wird vorläufig genügen. In einem südwestlichen Teile des Gebietes, das aus vorkambri- schen Schiefern (und Grauwacken) und kambrischen Grauwacken und Konglomeraten zusammengesetzt ist, finden wir eine mehrfache Wieder- holung der beiden Schichtengruppen bei vorwiegend nordwestlichem Einfallen, oder es halten die Konglomerate in der Fallrichtung so lange an, daß Krejöi schon hieraus, um nicht eine ungeheure Mächtigkeit dieser Schichtengruppe annehmen zu müssen, auf das Durchstreichen von Längsbrüchen zu schließen sich genötigt sah. Die zwei langen und mächtigen selbständigen Züge von unter- silurischen Gesteinen, die im nördlichen Teile des Gebietes festgestellt sind, zeigen beide vorherrschend gleichsinniges Einfallen nach SO. Neuere und neueste Arbeiten bestätigen trotz vielen Abweichungen im einzelnen das Erwähnte im wesentlichen. Auch dort, wo eine untersilurische Stufe quer auf das Streichen auf weite Erstreckung anhält, können wir in beiden Teilgebieten nicht selten wahrnehmen, daß trotz vielen durch Kleinfaltung und durch Brüche herbeigeführten Störungen und sonstigen Unregelmäßigkeiten der Lagerung immer wieder die das betreffende Gebiet kennzeichnende Schichtenstellung sich einstellt und herrschend wird. Solche allgemeinere Erfahrungen sind selbstverständlich nicht be- weisend für den Bau der einzelnen Gebietsteile, sie deuten aber im Zusammenhang mit den in anderen Faltengebirgen gewonnenen Be- obachtungsergebnissen an, daß geneigte Falten und daraus hervor- gehende Ueberschiebungen für die Herausbildung des vorliegenden Gebirgsbaues von Bedeutung sein könnten. Das Auftreten geneigter Falten stellt schon einen höheren Grad der Faltung und ein höheres Maß seitlichen Zusammenschubes dar als das Vorkommen gewöhnlicher Falten. Bei den geneigten Falten ist jeder zweite Schenkel überkippt und von ihnen ist nur ein Schritt zur Entwicklung jener hochgradigen Faltung, jener weitgehenden Schichtenstauung, die in den Faltungs- überschiebungen vorliegt. Schon vor mehr als fünf Jahrzehnten hat Lipold in seiner bekannten, zu wenig gewürdigten Schrift gegen Barrandes Kolonien dem Auftreten liegender Falten große Bedeutung für den Gebirgsbau zugeschrieben, und neuere Arbeiten zeigen immer deutlicher, daß ein auf gleichsinnig geneigten Falten beruhender Gebirgsbau tatsächlich vorhanden ist. Es wird sich Gelegenheit bieten, auf einige Ergebnisse dieser Arbeiten einzugehen. 4. UVeberschiebungen. In einzelnen Schichtengruppen des Untersilurs sind dort, wo eine solche in scheinbar überaus großer Mächtigkeit eine selbständig gebaute Gebirgszone für sich zusammensetzt, zahlreiche Brüche zu beobachten. Unter ihnen befinden sich viele die Schichten verquerende, diese oft schräg durchsetzende Läfßgsbrüche, die unter irgendeinem Winkel gegen den Horizont geneigt sind. Wenn die an den Bruch anstoßenden Schichtenenden keine Schleppungserscheinungen erkennen 40 F. Wähner. [40] lassen, dann können wir nicht beurteilen, ob wir es mit einem Sen- kungsbruch oder einer Ueberschiebung (Aufschiebung) zu tun haben. Diese Brüche sind noch wenig untersucht. Es kommen aber Ueber- schiebungen unter ihnen vor. Ob dieselben aus geneigten Falten hervorgegangen sind, oder ob sie unmittelbar durch den Seitenschub gebildet wurden, ist nicht von wesentlicher Bedeutung. In jedem Falle tragen sie mit dazu bei, erkennen zu lassen, daß die Schichtengruppen durch die Gebirgsbewegung gestaut, auf einen kleineren Raum zu- sammengeschoben wurden. Solche Brüche finden sich auch in der obersilurisch-devonischen Schichtenreihe und könnten uns, wenn sie genauer bekannt wären, manchen Fingerzeig bieten. Je mehr sich ein innerhalb einer Schichtengruppe auftretender Längsbruch in seiner Neigung der der Schichten nähert, einen je spitzeren Winkel er demnach mit den Schichten bildet, desto leichter wird er übersehen, besonders wenn die Gesteinslagen mehr oder weniger stark zerbrochen sind und zum Zerfalle neigen. Fällt die Bruchfläche auf kürzere oder längere Erstreckung — zumeist handelt es sich schon wegen der Beschränktheit der Aufschlüsse um das erstere — mit einer Schichtfläche zusammen, so kann sie in ihrer Natur nur erkannt werden, wenn die Schichten, die ja auf einer Seite des Bruches mit diesem parallel liegen, auf der anderen Seite eine andere Lagerung besitzen, d.i. an ihm unter irgendeinem Winkel abstoßen. Südlich der Schwagerka bei Slichow sind an dem unteren Teile der widerholt erwähnten Eisenbahnstrecke Smichow—Hostiwitz die Uebergangsschichten g,— 9; (von den Tentaculitenschiefern zu den höheren Knollenkalken) und die roten dünnschichtigen Knollenkalke 9, gut entblößt. Unter den die Uebergangsschichten durchsetzenden Brüchen befindet sich einer, der ein gutes Beispiel für den eben erwähnten Fall bietet (Taf. VII [7]). Die Schichten fallen unter- und oberhalb des Bruches in annähernd südlicher Richtung, wobei die hangenden Schichten um etwa 20° stärker geneigt sind als die liegenden. Die hangenden Schichten biegen sich kaum merklich in der Nähe der Bruchfläche in der Weise, daß sie sich dieser anzuschmiegen suchen. (Schleppung.) Weiter nach links unten werden sie parallel mit den liegenden Schichten, so daß hier (auf kurze Erstreckung) von einer Störung nichts zu bemerken wäre. Der Bruch kann noch dadurch festgestellt werden, daß man von dem zerstückelten Gestein einige Teile abräumt und so ein Kalkspatblatt bloßlegt, das deutliche Rutsch- streifen zeigt; die letzteren verlaufen flach, sie sind in derselben Richtung wie die unterlagernden Schichten geneigt. In diesem Falle besteht kein Zweifel, daB das hangende Gebirgsstück nach rechts oben, mithin in annähernd nördlicher Richtung aufwärts geschoben ist. Von den Längsbrüchen, die an der Grenze von Schichtengruppen verschiedenen Alters verlaufen und an denen ältere Gesteine über Jüngere bewegt worden sind, sind heute einige mit Sicherheit erkannt. Sehen wir hierbei vorläufig ab von der Przibramer Lettenkluft, die schon lange als Ueberschiebung aufgefaßt wird, und von der gegen die Kolonien gerichteten Schrift Lipolds, so wäre von Neueren zunächst Jahn zu nennen, der gelegentlich seiner erfolgreichen stratigraphi- schen Untersuchungen u. a. die an der Nordseite der Konjepruser [41] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 41 Devonscholle durchstreichende Ueberschiebung festgestellt hat #°). Mit guter Kenntnis der Art des alpinen Gebirgsbaues hat sodann der trefflliche Seemann, der seither den Heldentod in dem furchtbarsten aller Kriege gefunden hat, die weitere Umgebung von Konjeprus durchforscht *%). Schon eine Betrachtung der unten angeführten Profil- tafel ist für den vorliegenden Zweck belehrend. Wir besehen zuerst einige kleine Brüche am rechten Gehänge des Berauntales nördlich von Srbsko, östlich von Tetin, Profil 1 und (in größerem Maßstabe) Profil 3. Zweimal ist — wir befinden uns im „Südflügel — /,-Kalk (mit aufgelagertem g,) nach SSO über g, -Knollenkalk geschoben, so daß auf tektonischem Wege wiederholte Wechsellagerung der beiden gegen N oder NNW geneigten Schichtengruppen hervorgebracht wird. (S. 83 und 90.) Sodann sind hier (ein wenig weiter nördlich) ober- silurische Kalke (e) über den devonischen fs-Kalk geschoben, ein Bruch, der nach Seemann aus der weiter westlich, am Berge Damil zu beobachtenden regelmäßigen flachen Mulde hervorgeht, deren (an der Beraun) überkippter Nordflügel über den Südflügel geschoben ist. Unter weit größeren räumlichen Verhältnissen sehen wir in dieser Gegend (Prof. 1, weiter südlich) ein aus e, und f, bestehendes Ge- wölbe flach nach SSO übergelegt und in dieser Richtung über g, ge- schoben, das (nächst dem Bruche von Koda) aus zahlreichen kleineren (größtenteils nach SSO übergelegten) Falten besteht. Am SO-Gehänge des Kodaer Berges (388 m) haben ‚wir also den überstürzten Schenkel einer liegenden Falte vor uns, der aus e, (oben), / und g, besteht. Wenn wir hier nicht mit Seemann von einer Ueberschiebung sprechen wollten, so müßte mindestens zugegeben werden, daß die in zahlreiche kleine Falten gelegten g,-Kalke sich von dem flach darüber liegenden hellen dickbankigen oder massigen Konjepruser Kalk /, abgelöst haben müssen. An dieser Stelle zieht Seemann einen Bruch hindurch, an dem nach seiner Anschauung g, von den darüberliegenden Stufen gegen SSO überschoben worden ist; er meint, daß „möglicherweise auch das Obersilur (e;) noch etwas über /, hinweggeglitten ist.“ Diesen Schlußfolgerungen möchte ich beipflichten. Danach haben wir es nicht mit einer ausgesprochenen Faltenüberschiebung, aber mit einem Lagerungsverhältnis zu tun, aus dem solche Ueberschiebungen hervor- zugehen pflegen, und dem man im mittelböhmischen Faltengebirge öfter begegnet ®). Ein weiteres Beispiel hierfür bildet der schon kurz erwähnte Bruch, der die Konjepruser Devonscholle im N und NO begrenzt. #) Jahn, Geol. Exkursionen, 1903 3), S. 25 und Profil (aufgenommen}1891), 8. 21. 4) Fritz Seemann, Das mittelböhmische Obersilur- und Devongebiet süd- westlich der Beraun. (Beitr. z. Pal. Oest.-Ung., XX, 1907, S. 69—114; geol. Karte, Profiltafel.) — Seemann ist ohne Zweifel unbeeinflußt gewesen; die Anschau- ungen, die von mir zu Lehrzwecken über den mittelböhmischen Gebirgsbau aus- gesprochen wurden, waren ihm unbekannt. #5) Dagegen ist nach meinem Dafürhalten der ‚ganze Bruch von Koda, über den noch einiges zu sagen ist (S. 46), als eine Faltenüberschiebung anzusehen, die — wie gewöhnlich — in eine größere Zahl von Teilverschiebungen zerfällt. Zu diesen gehören die von Seemann beschriebenen Ueberschiebungsflächen. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (F. Wähner.) 6 49 F. Wähner. [42] Jahn hat bereits gezeigt, daß hier im Hangenden von /, die e-Kalke und darüber die Uebergangsschichten e,ß und die Graptolithenschiefer e,“ folgen *?), mithin das Obersilur diskordant und in verkehrter Schichtenfolge auf dem Devon lagert. Seemann (S. 89 und 90) hat diesem wichtigen Lagerungsverhältnisse mehrere Querschnitte (Profil 6—9) gewidmet und bringt dasselbe in Verbindung mit dem weiter nörd- lich auftretenden Obersilur (Profil 8), das normal liegt, indem hier e, über e, folgt. Danach bildet das Obersilur ein schiefes Gewölbe, dessen überstürzter Schenkel auf dem Devonkalk liegt und diesen nach SSW überschiebt. (Das Streichen der Konjepruser Scholle [WNW] weicht von dem in der weiteren Umgebung zu beobachtenden Streichen sehr weit ab.) Wir übergehen andere von Seemann festgestellte Ueber- schiebungen und lassen namentlich die Frage unerörtert, ob nicht manche der übrigen von dem Genannten beschriebenen Brüche gleich- falls als Ueberschiebungen aufzufassen wären. Es genügt, auf die bisher betrachteten Vorkommnisse neuerdings aufmerksam gemacht zu haben, bei denen die Ueberlagerung jüngerer Schichtengruppen durch ältere tatsächlich zu beobachten ist. Seemann, der keine unmittelbare Veranlassung hatte, den Bau des Ganzen zu überprüfen, lag es fern, eine grundsätzliche Aenderung der von E. Suess eingeführten An- schauung über den Bau des mittelböhmischen Paläozoikums vornehmen zu wollen; er stand vielmehr auf dem Boden dieser Anschauung (S. 90). Um so größeres Vertrauen verdienen seine hier berührten Feststel- lungen. Den Bruch von Koda hielt er für einen „echten Senkungs- bruch“, und er glaubte nicht, „daß der Kontakt der Stufe Z mit den jüngeren Stufen einer Ueberschiebungsfläche entspricht“. (S. 81 #6). Die Unregelmäßigkeit der Lagerung, auf die sich Seemann hierbei beruft, läßt sich unter Annahme einer Ueberschiebung recht gut er- klären. Daß westlich von Koda g, und das f, des überstürzten Schenkels des vonSeemann beschriebenen liegenden Gewölbes fehlen und die Stufe 7 unmittelbar mit & (weiter in SW sogar mit /, des Hangendschenkels) in Berührung tritt, zeigt nach solcher Auffassung, daß die liegende Falte, in die man auch das an H anstoßende g, einbeziehen müßte, nach jener Richtung durch Unterdrückung des überstürzten Schenkels in eine regelrechte Faltenüberschiebung übergeht. Der Arbeit Seemanns schließen sich neue Untersuchungen an, auf deren Ergebnisse hier nicht eingegangen werden soll; sie sind kürzlich von E. Nowak zusammengestellt worden ?”). Der isoklinale Faltenbau, aus dem auch Ueberschiebungen hervorgehen, tritt uns *#) Man ersieht daraus, wie ein von einer Autorität herrührender, in der Literatur überdies fest verankerter Ausspruch das Urteil selbst eines so unbefan- genen Beobachters und selbständigen Arbeiters insoweit zu trüben vermag, daß er einen örtlich und sachlich so nahe liegenden Gedanken, der nur einen letzten Schritt zu einer naturgemäßen Auffassung des Gesamtbaues dargestellt hätte, zwar erörtert, aber von sich weist. *) Zentralbl. f. Min., 1915, S. 306—320. — Daß die Auffassung des Genannten sich nicht in allen Einzelheiten mit der meinen deckt, ist für die Hauptfrage nicht von Belang. [43] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges, 43 besonders deutlich in den von Liebus gegebenen Querschnitten, namentlich Fig. 2 und 3, entgegen *). Es handelt sich hier um wieder- holte Aufeinanderfolge von älteren kambrischen Konglomeraten und mittelkambrischem Paradoxidesschiefer, die (im „Südflügel“) gleich- sinnig gegen NW geneigt sind. Es ist abzuwarten, welche Ab- änderungen in der tektonischen Auffassung sich hierbei durch die weitere Verfolgung der von R. Kettner unterschiedenen Konglomerat- horizonte ergeben werden ®°), Wichtig bleibt noch immer, in möglichst vielen Fällen die un- mittelbare Ueberlagerung jüngerer Schichtengruppen durch ältere zu beobachten. Es möge darum noch auf ein nächst Prag gelegenes kleines Vorkommen aufmerksam gemacht werden, dessen Lagerungs- verhältnisse, obgleich das Auftreten der betreffenden Gesteine lange bekannt ist, meines Wissens bisher nicht erwähnt worden sind. Der Hügel, der das Kirchlein und den Friedhof von Slichow trägt, besteht aus devonischen Kalken der Stufen /, und 9, u. zw. ist der mehr oder minder massig ausgebildete /,-Kalk von g,-Knollenkalk nicht überlagert, sondern von solchem unterlagert. Man sieht dies ganz deutlich auf der Ostseite des Hügels, und zwar besser vom rechten als vom linken Moldauufer aus, da durch den Damm der böhmischen Westbahn der tiefste Teil des Felsens verdeckt wird. Vom Bahndamm, wo man für eine gute bildmäßige Darstellung dem Vorkommen zu nahe ist, erhält man die in Taf. VIII (8), Abb. 1 wiedergegebene An- sicht, die aus zwei aneinanderschließenden photographischen Aufnahmen herges‘ellt ist. Darin ist nur ein kleiner südlicher Teil des viel aus- gedehnteren und mächtigeren Vorkommens von fs-Kalk sichtbar. Der- selbe ist stark zerrüttet, Schichtung ist nicht sicher erkennbar. (Die dünnen dunklen Linien, die auf den hellen Felsen erscheinen und Streifung vortäuschen, rühren von Telegraphendrähten her.) Die sehr unregelmäßige Auflagerung auf dem dünngebankten, in kleine Falten gelegten g,-Kalk ist gut zu sehen. Der letztere zeigt sehr wechselnde Lagerungsverhältnisse von streckenweise rein horizontaler Lage bis zu streckenweise rein vertikaler Stellung, bei der W—O-Streichen herrscht. An der Grenze der beiden Gesteine verläuft eine Reihe seichter Höhlungen, die von der Auswitterung des durch die Gebirgs- bewegung entlang der Ueberschiebungsfläche zertrümmerten Gesteins herrühren dürften. Von der Auflagerungsfläche greifen mehrere kurze, steiler und flacher gegen NO geneigte Brüche in den hangenden fs- Kalk ein, durch die das ganze Gesteinsvorkommen in kleine Schuppen zerteilt wird. In entsprechender Weise scheint sich die Schubfläche in mehrere Bewegungsflächen zu teilen. Weiter nördlich (außerhalb der im Bilde dargestellten Felsen) durchsetzen noch mehrere Brüche den hier allein sichtbaren /,-Kalk. Man könnte glauben, daß der /-Kalk entlang den erwähnten Brüchen aus nordöstlicher oder ostnordöstlicher Richtung auf den g,-Kalk geschoben ist. Allein dieser zeigt gerade bei steiler Schichtenstellung an der Grenze gegen den überlagernden f.-Kalk Schleppungserscheinungen, wobei die Sehichten sich in unge- fähr nördlicher Richtung umbiegen und so an die Auflagerungsfläche 8) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1913, Bd. 63, S. 770 und 772. 6* 44 F. Wähner. [44] anschmiegen; dadurch wird es wahrscheinlich, daß der hangende fs-Kalk in annähernd nördlicher Richtung bewegt worden ist. Es dürfte wenige Gebiete von ähnlicher Beschaffenheit geben, in denen die Art der verschiedenen Gebirgsbewegungen verhältnis- mäßig so genau ermittelt werden kann wie im mittelböhmischen Faltengebirge. Es ist dies hauptsächlich den zahlreichen künstlichen Aufschlüssen zu danken, in denen wir nicht nur die Lagerungsverhält- nisse, sondern an vergleichsweise frischem Gestein auch die vor- handenen Bewegungsspuren gut untersuchen können. Nach den vorher- sehenden Erörterungen sind wir wohl berechtigt, auch zur Erklärung der großen streichenden Brüche, deren Bewegungsflächen wir nicht beobachten können, auf deren Vorhandensein aber aus den Lagerungs- verhältnissen zu schließen ist, wie in anderen ähnlich gebauten Ge- birgen, Ueberschiebungen, die aus dem Faltungsvorgang, bzw. aus dem lateralen Schub hervorgehen, anzunehmen. Trotzdem werden wir — schon mit Rücksicht auf die bisher geltende andersartige Anschauung und mit Rücksicht auf die allgemeinere Bedeutung der daraus abzuleitenden Ergebnisse — gut tun, auch diese Frage unter sorgfältiger Beurteilung zu behandeln. Versuchen wir dies, so zeigt sich sehr bald, daß fortgesetzte genaueste Untersuchung der ein- schlägigen Lagerungsverhältnisse, Feststellung aller Vorkommnisse, die jener Beurteilung förderlich sein können, auch weiterhin recht erwünscht sind. Nur wenige Beispiele sollen hervorgehoben werden. Am längsten und besten bekannt ist die oben wiederholt erwähnte, unfern dem Südrande des Gebietes gelegene Bruchlinie der Przibramer Letten- kluft. (S. 8.) Besonders wertvoll erscheint, daß in diesem Falle durch den Bergbau die Verwerfungsfläche selbst aufgeschlossen und ihrer Lage und Gestalt nach festgelegt ist. Sie ist keine Ebene, sondern sowohl im Streichen wie im Fallen weilig gebogen. Das Ein- fallen erfolgt steil, mit 70°, gegen die Tiefe zu mit 65° gegen NW. Wenn man das bekannte Lagerungsverhältnis trotzdem, wie es ge- schehen ist, mit einem Senkungsbruche erklären will, so muß man annehmen, daß der im SO liegende Gebirgsteil sich unter dem unge- heuren Druck des hangenden Gebirgsteilles unter diesen abwärts und nach NW bewegt hat*%). Daß die Bewegung wirklich unter ge- waltigem Druck vor sich gegangen ist, ist aus der weitgehenden Zertrümmerung des anschließenden Gebirges zu erkennen; dasselbe hat die großen Mengen von Reibungsbreccie geliefert, die entlang der Verwerfung bis zu einer Mächtigkeit von 6 m angehäuft ist 0), Bei flüchtigen Besuchen des Bergwerkes habe ich an der Letten- kluft nur scharfkantige flache Scherben auflesen können, ausgesprochene „Quetschlinge“, die auf den größeren Flächen spiegelnden Glanz zeigen. Es sind aber auch stark abgerundete große und kleine Gesteinsstücke *) Ob Ueberschiebung oder Unterschiebung — das liefe auf dasselbe hinaus; wir können stets nur die relative Bewegungsrichtung feststellen. 5) J. Schmid, Montan-geo|. Beschreibung des Przibramer Bergbauterrains. Wien 1892, S. 14. [45] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 45 in diesen Anhäufungen gefunden worden, die '„Lettenkluftgerölle*, wie sie genannt worden sind. Eine Reihe von solchen, zumeist recht großen Stücken, die in der Sammlung der Markscheiderei in der Bergdirektion in Przibram aufbewahrt werden und vom Seföiner Gang an der Letten- kluft stammen, habe ich durch das freundliche Entgegenkommen des Herrn Oberbergrates Steinmetzer genau zu besehen Gelegenheit gehabt. Einige von diesen aus Grauwacke bestehenden „Geröllen“ sind gut gerundet, andere zeigen andere, auch scharfkantige Formen; sie sind mit Rutschstreifen bedeckt und teilweise durch die Be- wegung geglättet. Die älteren kambrischen Grauwacken, die im SO der Letten- kluft liegen, bilden eine Mulde, deren nordwestlicher, an die Letten- kluft grenzender Flügel steiler aufgerichtet ist als der südöstliche. PoSepny — auch nach seiner Anschauung sind die im NW des Längs- bruches folgenden vorkambrischen Schiefer auf die jüngeren Grau- wacken aufgeschoben — hält jene muldenartige Biegung, die er als „Knickung“ bezeichnet, wie aus seinen Vergleichen hervorgeht, für eine Schleppungserscheinung !). Es ist kein Widerspruch gegen eine derartige Erklärung, wenn man an der Auffassung der muldenförmigen Lagerung festhält und aus dieser auf eine Faltungsüberschiebung schließt. Der steil aufgerichtete (bzw. überstürzte) Flügel der Mulde entspräche danach dem Mittelschenkel einer Falte, dessen ehemalige Fortsetzung in dem im NW der Lettenkluft, im Hangenden der über- schiebenden vorkambrischen Schiefer neuerdings folgenden kambrischen Grauwacken zu finden wäre; diese hinwieder gehörten dem Hangend- schenkel derselben Falte an, aus der sich die Ueberschiebung ent- wickelt hat. Es besteht kein Zweifel, daß sorgältige planmäßige Untersuchung der durch den tief und weit eingreifenden Bergbau gebotenen zahlreichen Aufschlüsse in dieser Frage reiche Belehrung ergeben würde. In den schönen Kartenskizzen, die die oben °°, 0%) angeführten neuen Arbeiten Kettners begleiten, sehen wir die Bruchlinie der Lettenkluft gleichfalls als eine Ueberschiebung verzeichnet. Sie wird hier von zahlreichen Querbrüchen durchsetzt, an der sie quer auf ihr Streichen verschoben erscheint. Weiter in SO, näher der Granitgrenze, ist eine zweite Ueberschiebung verzeichnet, die ebenfalls an der Grenze von Kambrium (SO) und Algonkium (NW) verläuft und von mehreren derselben Querbrüche in gleicher Art betroffen erscheint. (Ueber die Altersbeziehungen zwischen den Querbrüchen und den Ueberschiebungen vgl. oben S. 38.) Sehr genau ist durch die Untersuchungen Kettners im Motol- tale bei Prag ein Teil der Prager Bruchlinie bekannt geworden, 51) F. PoSepny, Ueber Dislocationen im Pribramer Erzrevier. (Jahrb. d. k. k, geol. Reichsanst. XXII, 1872, S. 229—234.) Noch viel deutlicher als aus den von P. gegebenen Profilen erhält man den Eindruck einer aus dem verquetschten Schenkel einer Mulde hervorgehenden Schleppung aus dem Originaldurchschnitte J. Grimms (Die Erzniederlage bei Pfibram in Böhm., Prag 1855, S. 29, Fig. 2), der sehr genau nach den in der Grube beobachteten Verhältnissen gezeichnet zu sein scheint. 46 P. Wähner. [46] die die beiden Untersilurzüge des nördlichen Teilgebietes scheidet 52). Danach bilden im allgemeinen zwei im S der Bruchlinie liegende Züge der Quarzitstufe d, ein gegen S geneigtes Gewölbe, in dessen Kern die dunklen Schiefer d,y auftreten. Der nördliche Quarzitzug, der daher überstürzt ist, stößt bei der Pernikarka unmittelbar mit den stark gestörten, verwirrt gelagerten d,-Schichten des nördlichen selb- ständigen Untersilurzuges zusammen. Zwischen den zuletzt erwähnten Schichtengruppen d, und d, würde nach dieser Auffassung die Prager Bruchlinie hindurchstreichen. Hier hätten wir demnach eine Falten- überschiebung vor uns, bei der ein Teil des überstürzten Schenkels erhalten ist, ein Seitenstück zu den von Jahn und Seemann aus dem südlichen Teile des Kalkgebietes beschriebenen Vorkommnissen. (Vgl. oben S.41 f.) Die Gesteine des nördlichen Quarzitzuges, die früher für d, angesehen und daher als die südlichst gelegene Stufe des nördlichen Untersilurzuges betrachtet wurden, zeigen bei der Perni- käfka und weiter westlich eigenartige Ausbildung, die mit jener der typischen d,-Quarzite nicht vollkommen übereinstimmt; es wäre des- halb erwünscht, größere Sicherheit über das Alter dieser Gesteine und damit über die Anwendbarkeit der erwähnten tektonischen Erklärung zu erhalten. Von der für den Bau des Kalkgebietes wichtigen Bruchlinie von Koda-Srbsko, die Seemann noch für einen Senkungsbruch hielt, wurde zuletzt S. 41 u. 42 gesprochen. Sie ist meines Erachtens ebenfalls als Ueberschiebung aufzufassen. Vor einigen Jahren konnte ich in einem Bauernhofe des Dorfes Srbsko, der knapp am Fuße des ziemlich steilen nordwestlichen Gehänges des hier ins Berauntal ein- mündenden Nebentales liegt, das Anstehen von durch die Gesteins- beschaffenheit und durch Pflanzenreste gut gekennzeichnetem Ton- schiefer der Stufe H feststellen. Der tiefste Teil des Gehänges ist hier augenscheinlich künstlich angeschnitten, dadurch ist der Schiefer, der sonst auf weite Erstreckung nicht sichtbar ist, entblößt worden. Die höheren Teile desselben Gehänges werden von den bereits im NW der Bruchlinie gelegenen Knollenkalken g, gebildet. Man kann also mit derselben Berechtigung wie in zahllosen anderen Fällen sagen, daß an dieser Stelle die älteren Kalke g, die jüngeren Schiefer H überlagern. Wer eine noch genauere Feststellung verlangt, hätte hier gute Gelegenheit, durch eine verhältnismäßig seichte Bohrung nachzuweisen, ob die beiden Schichtengruppen auch in vertikaler Richtung übereinander liegen. Eine derartige Probe scheint auf Grund folgender Erwägung überflüssig zu sein. Das Längstal von Srbsko besitzt hier nahe seinem Ausgange ins Berauntal eine ziemlich breite Sohle. Das Tal ist durch Seiten- erosion und Abtragung im Laufe der Zeit erweitert worden, das jetzige nordwestliche Gehänge muß entsprechend zurückgetreten sein. Die Kalkfelsen, die den größten Teil des Gehänges bilden, sind auch der mechanischen Verwitterung ausgesetzt, müssen früher weiter gegen »2) R. Kettner, Ueb. d. neue Vork. der untersil. Bryozoen ... in der Ziegelei Pernikäfka bei Kosife (Resum€ des böhm. Textes). Bull. intern. de l’Ac. des Sc. de Boh@me 1913. Ferner der o. angef. Exkursionsführer ®) mit Karte und zahlr, Querschn. [47] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 47 die Mitte des Tales zu angestanden sein und daher das jetzt sicht- bare Vorkommen von H-Schiefern auch im strengsten Wortsinne überlagert haben. Es dürfte wichtiger sein, die hier wahrgenommene Art der Ueberlagerung auch an anderen Punkten der Bruchlinie nachzuweisen und entsprechende Beobachtungen an anderen Längs- brüchen des mittelböhmischen Faltengebirges zu gewinnen. — Auf einen Längsbruch wäre bei dieser Gelegenheit neuerdings die Aufmerksamkeit zu lenken, den Krejöi zuerst (Erläuterungen, S. 89) — wohl mit Rücksicht auf den Umstand, daß er im Streichen nicht weiter zu verfolgen ist — für eine unbedeutende Spalte er- klärte, während er ihn später (Uebersicht, S. 97) vermutungsweise mit der Bruchlinie von Koda in Verbindung brachte. Bei Branik am rechten Moldauufer, südlich von Prag, fallen die devonischen g,- Knollenkalke des „Südflügels“ regelrecht nach NW, sind aber hier nicht, wie in der Gegend von Hluboczep westlich der Moldau von jüngeren Gesteinen überlagert, sondern in ihrem Hangenden treten die untersilurischen Schiefer d, auf, die hier mitten im Kalkgebiet zum Vorschein kommen. Freilich befinden wir uns da nahe dem nordöstlichen Ende des Auftretens der obersilurisch-devonischen Kalke, in deren Fortsetzung, wenn wir von dem weitentfernten Eisengebirge absehen, nur untersilurische Gesteine bekannt sind. Der Braniker Bruch entspricht sogar einer sehr ansehnlichen Sprunghöhe, die sich stratigraphisch annähernd durch die Mächtigkeit der untersilurischen Stufe d,, der obersilurischen Stufen e,, e, f, und der devonischen Stufe f, ausdrücken läßt. Sieht man ihn als einen Senkungsbruch an, so erscheint auch bier das (im SO gelegene) äußere Gebirgsstück (g,) gesenkt. Die Grenze zwischen g, und d, ist, wie zu erwarten, nicht aufgeschlossen. Die eigentlichen, stärker emporragenden Braniker Felsen, die aus hellgrauen Knollenkalken bestehen, werden seit langem in einem großen Steinbruche abgebaut. Sie sind von mancherlei Brüchen durchsetzt, u. a. von Querbrüchen mit schichtenparallelen Rutsch- streifen. Vor einigen Jahren hat man begonnen, auch die im Hangenden der hellgrauen auftretenden dunkelgrauen (bis schwarzen) Knollenkalke, die derselben Stufe g, angehören und im N des großen Steinbruches ein zu den weichen Formen der untersilurischen Schiefer hinüber- führendes niedriges Gehänge bilden, zu entfernen. Diese Arbeiten verdienen fortgesetzte Beachtung von geologischer Seite, da es möglich ist, daß in ihrem Verlaufe die Grenze 9,—d, und damit auch der hier durchstreichende Bruch bloßgelegt wird. Bisher hat sich gezeigt, daß mit der Annäherung an jene Grenze die dunklen Kalke stärkere Störungen annehmen. Wo Schichtflächen entblößt werden, sieht man sie in Rutschflächen verwandelt, die häufig spiegelnden Glanz aufweisen. Im Querbruche der Bänke erkennt man zahlreiche weiße Kalkspatadern in dem dunklen Gestein, die sich, wo sie in besonders großer Menge auftreten, zu die Bänke verquerenden Zonen anordnen; eine Zerknitterung, die nicht zu einem einheitlichen flächenhaften Bruche geführt hat. Während die hoch emporragenden hellen Kalkbänke im großen Steinbruche — abgesehen von der typi- schen knolligen Beschaffenheit — auffallend ebene Schichtflächen darbieten, die nur im großen, aus südlicher Richtung gesehen, eine 48 F. Wähner. [48] einmalige schwache Biegung erkennen lassen, sind die steiler aufge- richteten hangenden dunklen Kalke unter viel kleineren Verhältnissen mehrfach wellig gebogen. Ueberdies zeigte sich in ihnen im Oktober 1911 eine größere Störung, die in Taf. I (1), Abb. 2 wiedergegeben ist: in ziemlich dicken Bänken eine Falte, deren Muldenbiegung in einen Bruch übergeht, der sich nach unten in eine Schichtfläche fort- setzt. Gegen N (nach links) schließt sich daran eine viel schwächer ausgebildete Falte, die mit einer ähnlichen Störung in Verbindung zu stehen scheint ®). 2 Ob die zwischen g, und d, verlaufende Störung, falls die Grenze aufgedeckt werden sollte, klar zu sehen sein wird, ist allerdings recht unsicher. Es mag sein, daß die Zerrüttung immer größer wird, und daß schließlich die Grenze von einer Zone zertrümmerten Gesteins gebildet wird. Immerhin bleibt das Vorkommen beachtenswert. In anderen Gebieten würde der Bruch heute unbedenklich als eine Ueberschiebung aufgefaßt werden, längs der die ebenfalls nach NW einfallenden d,-Schiefer auf die jüngeren Knollenkalke aufgeschoben sind. Es ist auffallend, daß eine so ausgesprochene Störung sich nicht nach SW über die Moldau fortzusetzen scheint. Dennoch wird man diese Möglichkeit im Auge behalten müssen. In der Fortsetzung der Braniker Knollenkalke liegen im N des Barrandefelsens die dort eben- falls sehr gut aufgeschlossenen Knollenkalke gleichen Alters. Sie werden von der Straße sehr schräg auf das Streichen geschnitten, so daß dieselbe manchmal nahezu im Streichen verläuft. Dadurch wird für minder achtsame Beobachtung eine übergroße Mächtigkeit vor- getäuscht. Trotzdem läßt sich erkennen, daß die Mächtigkeit der Stufe g, links der Moldau weit größer ist als bei Branik. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser Umstand auf einer oder mehreren Längs- störungen beruht, die genau im Streichen verlaufen und darum nicht hervortreten. Nur eine sehr genaue Kenntnis der Gliederung der 9,- Kalke, die, wie ich einer freundlichen Mitteilung Herrn Dr. Kettners entnehme, in die Wege geleitet ist, und eine ebenso eingehende Untersuchung könnte Aufschluß geben, ob wir es links der Moldau mit einer ursprünglichen, einheitlichen Schichtenfolge der Stufe g, zu tun haben. 5. Kolonien. Die an diese Bezeichnung anknüpfende, wiederholt eingehend erörterte Frage soll hier nur insoweit berührt werden, als es zur Besprechung der Art der Lagerungsstörungen, auf die die weitaus überwiegende Zahl der Kolonien zurückzuführen ist, nötig erscheint. Es handelt sich hierbei um die Einschaltung ganzer Züge von ober- silurischen Graptolithenschiefern (e, «) in die jüngste Stufe (d,) des °®) Mit dem Fortschreiten des Abbaues verschwanden diese Störungen wieder, es stellten sich aber in späteren Jahren undeutliche Anklänge an die beobachteten Kleinfaltungen und Verschiebungen ein. Manche Veränderungen dürfte ich nicht gesehen haben. Es ist wohl nicht überflüssig, eine der Beobachtungen durch die hier gebene Abbildung festzuhalten. Das Vorkommen schließt sich zugleich den vielen Hin- weisen darauf an, daß eine scheinbar einheitliche, gleichsinnig geneigte Schichten- folge in Wirklichkeit verwickelter gebaut sein kann. [49] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 49 Untersilurs. Seitdem Marr?‘) und Tullberg5!’) nachgewiesen haben, daß in diesen Zügen dieselben Graptolithenzonen in derselben Reihenfolge auftreten wie in den stratigraphisch regelrecht die unterste Abteilung des Öbersilurs bildenden Graptolithenschiefern, ist für die erwähnten Vorkommnisse die Anwendung der Barrande’schen Er- klärung ausgeschlossen. Daß diese „Kolonien“ den untersilurischen Gesteinszügen wirklich zwischengelagert sind, geht schon aus der älteren Literatur deutlich genug hervor. Außer Barrande wären in dieser Hinsicht die bekannte Schrift Lipolds5#°) und die Profiltafel in Krejctis Erläuterungen !) (besonders Fig. 6 für die Kolonien Haidinger und Krejöi südlich von Großkuchel und Fig. 4 für die mehrfachen Einlagerungen der Gegend von Treban) einzusehen. Diese Art der Lagerung ist geradezu kenn- zeichnend für die Kolonien und war einer der Gründe, die Barrande zur Aufstellung und Festhaltung seiner Hypothese bewogen. Es können daher keine „grabenartigen Versenkungen“ vorliegen, wie Katzer und mit ihm unsere jetzigen Lehrbücher wollen. . Lipold hat mit Recht die Diskordanzen hervorgehoben, die zwischen den Graptolithenschiefern der Kolonien und den sie über- lagernden d,-Schichten zu beobachten sind, und sich hierauf zur Be- gründung der von Krejti und ihm damals vertretenen Anschauung berufen. Diese Abweichungen von der gleichsinnigen Lagerung sind nicht groß, und heute wird man, da es sich darum handelt, die Art der Lagerungsstörungen zu erkennen, davon sprechen können und darin keinen Widerspruch gegen jene Beobachtungen und Erwägungen erblicken dürfen, daß die Lagerung im großen und ganzen konkordant ist. Die unmittelbare Auflagerung von e, auf d, ist an den Kolonien nicht selten zu beobachten; es kann sich hierbei um ursprüngliche Auflagerung handeln. Auch die Ueberlagerung von e, durch d, ist wiederholt wahrzunehmen. Eine leicht erreichbare Kolonie, die meines Wissens in der älteren Literatur nicht erwähnt wird — vermutlich ist der Aufschluß verhältnismäßig neu —, liegt an dem Gehänge, das hinter dem Bahnhof von Kuchelbad angeschnitten ist. Hier sind un- mittelbar über einem Zug von Graptolithenschiefern, in dem wohl- erhaltene Graptolithen in Menge zu sammeln sind, die d,-Schichten mit ungefähr gleichem Einfallen zu sehen. | Die Schichten verquerende Verwerfungen, Senkungsbrüche, die solche Lagerungsverhältnisse hervorrufen würden, sind nicht beobachtet. Vermutlich fallen die Störungsflächen mit Schichtflächen zusammen oder weichen von ihnen nur wenig ab, so daß sie schwer festgestellt werden können. Wir haben die Wahl, eine Kolonie auf regelmäßige Einfaltung oder auf eine Faltenüberschiebung zurückzuführen. Läßt sich in einer Einlagerung eine Folge von Graptolithenzonen erkennen, So gibt uns dies einen guten Anhaltspunkt. Erkennen wir darin einen 51a) Marr, On the predevonian rocks of Bohemia. (Quart. journ. Geol. Soc. London, XXXVI, 1880.) 5b) Tullberg, Ueb. d. Schichtenfolge d. Silurs in Schonen, nebst einem Vergl. m. anderen gleichalt. Bildungen. (Z. D. geol. Ges. XXXV, 1883, S. 223—269.) 54e) Lipold, Ueb. Barrande’s „Colonien“. (Jahrb, d. k. k. geol. Reichs- anst. XII, 1861 u. 1862, S. 1—66, 2 Taf. Karten u. Querschnitte.) Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (F. Wähner.) 7 50 F. Wähner. | [50] symmetrischen Bau mit einer Jüngeren Zone im Innern, so liegt eine isoklinale Mulde vor. Finden wir im Liegenden von d, nur eine ein- malige obersilurische Schichtenfolge, so muß das Untersilur über- schoben sein. Die von Marr erkannte Zonenfolge, die diesen bereits zum Nachweise tektonischer Störungen an einigen Kolonien geführt hatte, hat kürzlich in vereinfachter Form E. Nowak benützt und durch seine Untersuchungen an der Grenze von Unter- und Obersilur in der Gegend von Trzeban an der Beraun isoklinalen Faltenbau und daraus hervorgehende Ueberschiebungen nachgewiesen, durch die im wesentlichen die Anschauungen Lipolds über die tektonische Natur der Kolonien dieses Gebietes bestätigt werden °?). Gleich- zeitig und unabhängig hiervon hat J. Woldrich einen Teil des- selben Gebietes untersucht und ist erfreulicherweise zu wesentlich übereinstimmenden und weiteren wichtigen Ergebnissen gelangt ?”). Ein recht anschauliches Bild des durch Faltung und Bruch bewirkten vielfältigen Ineinandergreifens von d, und e, gibt der von Woldiich entworfene (nach unten und oben ergänzte) Querschnitt (a. a. O., S. 18, Fig. 4). Man wird solcher Darstellung um so lieber folgen, wenn man die ähnlichen, noch verwickelteren Lagerungsstörungen betrachtet, die in jeder der beiden Schichtengruppen für sich an der böhmischen Westbahn aufgeschlossen (daselbst S. 6, Fig. 1. für d, und bes. S. 11, Fig. 2 für e,) und in den erwähnten Querschnitt mit aufgenommen sind. Wenn wir die kolonialen Einlagerungen teils auf Einfaltungen von e, in d,, teils auf Faltungsüberschiebungen der d,-Schichten über e, zurückführen, — es scheint, daß dort, wo die Kolonien nicht so gehäuft. auftreten wie in der eben erwähnten Gegend, Ueberschiebungen eine besonders häufige Ursache dieser Lagerungsstörungen sind, — so steht dieses Urteil in guter Uebereinstimmung mit der Anschauung, zu der wir über die Natur der Längsbrüche des mittelböhmischen Faltengebirges gelangt sind; ja, mehr als dies: sofern durch exakte Untersuchungen, wie die berührten, die Art der Störungen festgestellt werden kann, bilden diese Ergebnisse eine Bekräftigung jener Anschauung. Die guten Aufschlüsse, durch welche wir die Kolonien kennen gelernt haben, bieten eben die Möglichkeit, die Ueberlagerung jüngerer Gesteine durch ältere zu sehen, eine Möglichkeit, die bei den auf weit größere Entfernungen verfolgten streichenden Brüchen in der Regel nicht geboten ist. Daß an der stratigraphischen Grenze von Unter- und Öbersilur in so vielen Fällen ein tektonisches Ineinandergreifen der beiden Schichtengruppen stattfindet, daß kräftige Lagerungsstörungen hier eine gewöhnliche Erscheinung sind, beruht wohl auf dem weitgehenden Unterschied in der'Gesteinsbeschaffenheit und in der Art der Schichten- bildung der Gesamtheit des („sandig-tonigen“) Untersilurs einerseits und der Gesamtheit der (vorwiegend kalkigen) obersilurisch-devonischen ®) E. Nowak, Geol. Untersuchungen im Südfügel des mittelböhm. “Silur (Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1914, bes. S. 242—252); ferner der schon erwähnte Literaturbericht *"). [51] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 51 Stufen anderseits. Dazu kommt das Vorhandensein der weichen Schiefer, welche die jüngste Schichtengruppe des Untersilurs bilden, und die dünnblätterige Beschaffenheit der meist ziemlich mächtigen, an der Basis des Obersilurs auftretenden Graptolithenschiefer, zwei Umstände, die dazu beigetragen haben mögen, daß es an dieser stratigraphischen Grenze verhältnismäßig leicht zur Ablösung der genannten beiden umfangreichen Schichtenreihen von einander und zur Entstehung von — wenigstens streckenweise — an die Schicht- flächen sich haltenden Längsstörungen kommen konnte. (Vgl. oben $. 25 und Fußnote 3®,) 6. Diabas-Lagergänge. Es wäre verlockend, die Beziehungen zwischen den tektonischen Vorgängen und den mannigfaltigen Erstarrungsgesteinen zu erörtern, die in den älteren paläozoischen und den vorkambrischen Ablagerungen Mittelböhmens auftreten. Nicht wenigen von diesen Vorkommnissen sind bereits eingehende Untersuchungen und Beschreibungen gewidmet worden. Wenn gegenüber der Gesamtheit der auftauchenden Fragen noch Zurückhaltung geboten ist, so können wir doch an einer derselben nicht stillschweigend vorübergehen: an der Frage der Beziehungen zu den zahlreichen Diabasergüssen des Faltengebirges. Es sind hauptsächlich zwei Schichtengruppen durch das häufige Auftreten dieser Eruptivgesteine ausgezeichnet: die älteste Stufe d, des Untersilurs und die älteste Stufe e, des Obersilurs. In d, ist es die Unterabteilung d, #, die manchmal vorwiegend aus Diabasen zu- sammengesetzt ist. Sehr bekannt ist das Auftreten der Diabase im e,, wo sie mit den Graptolithenschiefern (e, x) auf das engste vergesell- schaftet sind, so daß sie für die Stufe e, als kennzeichnend angesehen wurden. Da sie überaus häufig lagerartig den Sedimenten eingeschaltet sind, wurden sie wie diese von den älteren Geologen zn dem ur- sprünglichen und wesentlichen Bestande der Stufe e, gerechnet, und derselbe Vorgang wurde auch in bezug auf die kolonialen Einlagerungen von Diabasen eingehalten, da diese fast stets mit den Graptolithen- schiefern in d, erscheinen. Das war insofern berechtigt, als neben den lagerartigen Ergußgesteinen manchmal auch ihre Tuffe in den genannten Schichtengruppen auftreten. In d,ß spielen Diabastuffe sogar eine noch größere Rolle als die Diabase. Auch organische Reste finden sich in den Tuffen nicht selten, so daß über das Alter der zugehörigen Ströme oder Decken kein Zweifel bestehen kann 56). Seitdem man begonnen hat, die Kontakterscheinungen zu beachten, sind zahlreiche derartige Vorkommnisse an der Grenze der Graptolithen- schiefer gegen die Diabase in Mittelböhmen festgestellt worden. Wo es nicht zur Ausbildung besonderer Kontaktgesteine kam, erscheinen die Graptolithenschiefer durch die Diabase wenigstens gehärtet und sie verlieren dabei zugleich ihre dünnblättrige Beschaffenheit, bzw. 56) Diabastuffe treten auch in e, auf, dazu andere Sedimente, die zum Teil aus eruptiven, zum Teil aus organogenen kalkigen Bestandteilen und wohlerhaltenen Versteinerungen bestehen und daher zwischen Kalksteinen und Tuffen vermitteln. 7* 59 F. Wähner. [52] - ihre Spaltbarkeit. So stellt sich immer deutlicher heraus, daß die Mehrzahl jener lagerartigen Einschaltungen Lagergänge dar- stellen, wie denn auch Quergänge und stockförmige Körper von Diabas, die die Ablagerungen durchbrechen, lange bekannt sind. Dabei fehlen Ströme, Decken von Diabas in e, keineswegs’). Anderseits sind auch aus jüngeren Schichten bis in die devonische Stufe 9 Ergüsse von Diabas bekannt?’®). Seemann erwähnt den im SO des Berges Damil gelegenen Diabasschlot, der die Stufe /, durchbrochen und mächtige Tuffe gefördert hat, die oft große Stücke von fs-Kalk enthalten. Daß viele in e, vorkommende Diabasergüsse jünger sind als die Graptolithenschiefer, geht auch daraus hervor, daß sie oft zahlreiche gehärtete Stücke und kleine Schichtenpakete dieser Ge- steine enthalten 5°). Das häufige Auftreten von Diabaslagergängen erstreckt sich auch auf den oberen Teil: der Stufe d,, deren Sandsteinbänke sie im Kontakt verändert haben (Nowak°°), Woldrich?”). Die Diabas- lagergänge kennzeichnen .daher die sehr bewegliche Gesteinszone, die zu beiden Seiten der stratigraphischen Grenze zwischen Unter- und Obersilur verläuft. Damit hängt ihr Vorkommen in den Kolonien zusammen, die, wie erwähnt, fast stets von Diabaslagergängen be- gleitet sind. Das genaue Alter dieser Lagergänge läßt sich kaum mit Sicher- heit ermitteln. Es mag sein, daß ihnen ebenfalls verschiedenes Alter zukommt. Wenn wir aber berücksichtigen, daß ihr häufiges Vorkommen sich an die große Schichtenablösungsfläche zwischen Unter- und ÖObersilur und an die von ihr abhängigen Längsbrüche hält, auf die auch die Kolonien zurückzuführen sind, so dürfte die Vermutung nicht leichthin abzuweisen sein, daß dies auf einer ursächlichen Ver- knüpfung beruht. Hat noch Krejöi (und nach ihm Katzer) in den Diabaseruptionen die Ursache der Lagerungsstörungen (mit Einschluß der Faltung) vorausgesetzt, so können wir in den aus der Faltung hervorgehenden größeren Störungen die Ursache des Auftretens der Diabaslagergänge erblicken. Die nahe der Unter-Öbersilurgrenze ver- laufenden Längsbrüche brauchen deshalb nicht bis in bedeutende Tiefen zu reichen, aber sie müssen nach dieser Vorstellung mit tief- gehenden Störungen in Verbindung stehen. Die ganze silurisch-devonische Schichtenfolge ist in einem ein- heitlichen marinen Ablagerungsgebiete 5°) entstanden, das eine weitaus 572) Nach Seemann *‘) kommen solche in dem von ihm aufgenommenen Gebiete sogar häufiger vor als Lagergänge. In anderen Teilen des Faltengebirges dürfte das umgekehrte Verhältnis obwalten. Nowak°5) und Woldrich”) erklären die weitaus meisten Diabaslager der Kolonien der Gegend von Trzeban für intrusiv. ’?’»b) Krejti, Erläuterungen !), S. 65—66; Uebersicht ?), S. 74. »®) Kin von Prag leicht erreichbarer Punkt, an dem dies zu sehen, liegt in einem nördlichen (von Butowitz her kommenden) Seitentale des Prokopitales an dem nach S gegen das Dörfchen Neudorf (Nova ves) der Sp.-K. abfallenden steilen Diabasgehänge. °°) Den unzweckmäßigen Ausdruck Geosynklinale, der im ursprünglichen Dana schen Sinne nicht tektonisch zu verstehen ist, aus dessen Wortsinn jedoch tektonische Vorstellungen hervorgegangen sind, wird man in diesem Falle um so sorgfältiger zu vermeiden haben, als die ganz unzulässige Beziehung zur „Silur- mulde“ allzu nahe liegt. [53] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 53 größere Ausdehnung besessen hat, als der von der Abtragung noch verschonte Rest des alten Faltengebirges. Wir erkennen einen strati- graphischen Zyklus, der absteigend von den Flachseebildungen des Untersilurs bis zu den devonischen Radiolariengesteinen der Grenz- zone 9;—H reicht. Von dem aufsteigenden Aste des Zyklus sind nur die Tonschiefer H erhalten, deren Zusammensetzung bereits auf Festlandsnähe hinweist 60%). Die Faltung dürfte sehr bald eine weit- gehende Ablösung der gesamten jüngeren Schichtenreihe vom Unter- silur bewirkt haben. (Vgl. oben S. 50 f.) So konnte es geschehen, daß, als an viel tiefer greifenden, das Untersilur und dessen Unterlage durch- setzenden Brüchen Eruptivgesteine empordrangen, diese auch in den Raum jener Ablösungsfläche sich verbreiteten, hier vielleicht in größerer Menge (als Lakkolithen) sich anhäuften und auch in die an jener stratigraphischen Grenze entstehenden Brüche eindrangen. Die Zeit des Eindringens in jene Längsbruchspalten würde sich danach ein wenig genauer durch die Zeit des Faltungsvorganges be- stimmen lassen, für den wir den Zeitraum Oberdevon-Unterkarbon zur Verfügung haben. Die mit den Pflanzenresten von Ah, zusammen vorkommenden marinen Tierreste weisen auf unteres Mitteldevon hin 6°), Es könnte sein, daß in den höheren Teilen von H, die bisher keine organischen Reste geliefert haben, neben Ablagerungen des oberen Mitteldevon noch oberdevonische Bildungen enthalten sind. Auch wäre es möglich, daß im mittelböhmischen Ablagerungsgebiete in ober- devonischer Zeit noch Absätze entstanden sind, die als jüngste Bildungen schon während des Faltungsvorganges, beim ersten Auf- steigen aus dem Meere der Brandung oder früher subaerischer Ab- tragung zum Opfer gefallen sind. Es ist anderseits zu bedenken, daß die Faltung schon längere Zeit vor Abschluß der Sedimentbildung begonnen haben kann. Jedenfalls sehen wir in dieser Frage zu un- sicher, um die Zeit der Faltung mit größerer Genauigkeit festzulegen. Der im Vorstehenden entwickelten Vorstellung steht eine andere Anschauung gegenüber, zu der sich jedoch eine Vermittlung gewinnen lassen dürfte: Die Diabaslager sind in die noch horizontal liegenden Graptolithenschiefer eingedrungen und mit diesen der Faltung und Bruch- bildung unterworfen worden. Diese Anschauung wird neuerlich von J. Woldiich (S. 21”) vertreten, der in den Diabasen „vielfach die in- direkte Hauptursache der tektonischen Bildungsweise der Kolonien“ sieht. „Die mächtigeren Diabaskörper lagen wie feste, harte Platten zwischen den weichen Schiefern e, und leisteten der Faltung oft bedeuten- deren Widerstand als letztere, so daß es in ihrer Nähe zu Faltenzer- reißungen, zur Entstehung von Ueberschiebungen und Verwerfungen kam, durch welche wir heute die sog. Kolonien erklären.“ Hierin liegt 6°) Immerhin zeigt der Erhaltungszustand der die untere Abteilung der Stufe H kennzeichnenden Landpflanzenreste, wie ich einer freundlichen mündlichen Mit- teilung des Herrn Prof. Krasser entnehme, daß dieselben einen langen Transport durchgemacht haben. Dies steht in Uebereinstimmung mit dem reichlichen Vor- kommen, von Goniatiten und gewissen Bivalven in denselben Schichten, das nicht für eine Flachseeablagerung spricht. Erst das Auftreten von Sandsteinbänken in h, zeigt wieder größere Landnähe an. 6) Jahn nach Holzapfel, Verh. d. k. k. geol. Reichsanst., 1903, S. 79. 54 F. Wähner. [54] meines Erachtens ein sehr gesundes tektonisches Urteil, das durch die Erfahrung bestätigt wird. Es steht in voller Uebereinstimmung mit den oben niedergelegten Erörterungen. Ohne Zweifel müssen mächtige lagerartige Gesteinskörper von fester und harter Beschaffenheit sich dem Seitenschub gegenüber anders verhalten als die dünnblättrigen Graptolithenschiefer, die der Kleinfaltung sehr zugänglich sind, wogegen jene mehr geneigt sein werden, sich entlang von Brüchen zu verschieben. Daß es Diabaslagergänge gibt, die mit den Graptolithenschiefern, in die sie eindrangen, gefaltet worden sind, zeigen Woldrfichs Be- obachtungen (S. 11, 12, Fig. 2, 3). An einer Stelle bilden im Hangenden und Liegenden des kräftig gefalteten Diabaslagerganges die Graptolithen- schiefer weit steilere Falten als der Gang. Danach mögen manche Lagergänge frühzeitig, vor oder bald nach Beginn des Faltungs- vorganges in die Graptolithenschiefer eingedrungen sein. Im allgemeinen finden wir jedoch in den Kolonien kein solches verschiedenes tektonisches Verhalten der beiden Gesteine, wie es uns sonst bei verschieden ausgebildeten Sedimentgesteinen häufig entgegentritt. (Vgl. oben S. 21 ff.) Die Arbeit Woldrichs bringt uns hierfür ebenfalls gute Beispiele. Sein Profil Fig. 2 auf S. 11 gibt außer den heftigen Faltungen — weiter in NW bei ruhiger Lagerung „kleinere Ueberschiebungen“ wieder, „welche hauptsächlich an die Nähe von Diabaslagergängen gebunden zu sein scheinen.“ Die beiden am weitesten gegen SO gelegenen Ueberschiebungen, bei denen unmittelbar an der Ueberschiebung und parallel zu ihr ein Lagergang auftritt, dem jeweils Graptolithenschiefer konkordant aufgelagert sind, scheinen mir die Regel darzustellen. Man müßte sonach annehmen, daß die ganze Vergesellschaftung der beiden Gesteine, wie sie in den Kolonien vorliegt, den Gebirgs- bewegungen gegenüber sich anders verhalten hat als die sonstigen Ablagerungen. Vielleicht kommen wir der Wahrheit am nächsten, wenn wir uns vorstellen, daß, wie teilweise die Tatsachen lehren, Eruptionen von Diabas wiederholt: vor, zu Beginn und während des Verlaufes der Gebirgsbildung sich ereigneten, daß aber ihr Eindringen in der Form von mächtigen Lagergängen insbesondere während der Bruchbildung, während der Ausbildung der Ueberschiebungen statt- gefunden hat. Durch die Annahme, daß viele Diabasvorkommen während des Faltungsvorganges emporgedrungen sind, ließen sich manche Erschei- nungen leichter erklären. Es kommt vor, daß die kleinen Schichten- pakete von Graptolithenschiefer, die in den Diabasen eingeschlossen sind, heftig gefaltet sind. Soll man dem Empordringen heißflüssiger Gesteine außer einer zertrümmernden auch eine faltende Einwirkung auf die Absatzgesteine zuschreiben ? 2). Eine sehr enge Wechselbeziehung zwischen der Faltung von Graptolithenschiefern und dem Auftreten von Diabas ließe sich aus einem kleinen Gesteinsvorkommen entnehmen, das vermutlich nur einen Rest eines durch Steinbruchbetrieb oder Straßenbau stark mit- genommenen größeren Vorkommens darstellt und wegen seiner Ver- 62) Noch neuestens tut letzteres E. Nowak (S. 237, 251°). [55] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 55 gänglichkeit hier festgehalten werden soll. 'Es liegt im Tale von Großkuchel, am Ausgange des ersten nördlichen Seitentales, in dem an beiden Gehängen die. Uebergangsschichten e,ß in Steinbrüchen aufgeschlossen sind 6°). Eine kleine Mulde von durch den Kontakt ge- härteten Graptolithenschiefern, deren südlicher Flügel steil aufgerichtet ist, ist von Diabas unterlagert und von zwei Seiten umschlossen. In beiden in Taf. VIII (8), Abb. 2 und 3 wiedergegebenen Bildern, die einander ergänzen, ist die Schmalseite des Aufschlusses, die annähernd dem Querschnitte der kleinen Mulde entspricht, und zwar Abb. 2 (links) ungefähr von W, Abb. 3 (rechts) ungefähr von WSW aufgenommen, wobei zugleich in starker Verkürzung in Abb. 2 die linke (nördliche) Seite, in Abb. 3 die rechte Seite des Aufschlusses zu sehen ist, jene Seiten, die im Streichen der kleinen Mulde liegen. (Der Hammer befand sich bei beiden Aufnahmen in gleicher Lage an derselben Stelle.) Die beiden Gesteine scheinen aneinander .vorüberbewest zu sein; die teilweise aufgeschlossene Grenzfläche der linken Seite, von der in Abb. 2 einiges wenige zu sehen ist, macht den Eindruck einer im Streichen aufgeschlossenen Schleppung. Die Grenzfläche, an der, soweit sie aufgeschlossen ist, der Diabas nur mehr in Spuren haftet, besitzt die Färbung des Diabases. Dadurch wird an diesen Stellen die lineare Grenze zwischen den beiden Gesteinen undeut- licher. Um die letztere in den Bildern besser kenntlich zu machen, ist sie an vielen Punkten durch den Buchstaben 5 bezeichnet, der stets so angebracht ist, daß er nahe der Grenze, aber noch ganz im Diabas (an manchen Stellen in dem den Diabas verdeckenden Schutt) liegt; auf diese Art bleibt die Grenzlinie selbst unverletzt. Daß der Graptolithenschiefer nicht etwa einfach in einen Diabaslagergang: ein- gefaltet ist, läßt sich deutlich erkennen. Auf beiden Längsseiten schneidet der Diabas die Lagen des Graptolithenschiefers schräg ab, . so daß tiefere und höhere Lagen desselben mit dem Diabas unmittel- bar in Berührung treten. Beide Gesteine sind von vielen Rutsch- streifen durchzogen, die nach verschiedenen Richtungen, aber immer flach, öfter schichtenparallel verlaufen, letzteres dort, wo auch die Schichten flach gelagert sind. Auf beiden Längsseiten finden sich in größerer Höhe — hiervon ist in den Aufnahmen nichts zu sehen — im Diabas noch kleine Schichtenpakete von Graptolithenschiefer, die nicht mit dem großen Vorkommen in Verbindung stehen.. Auch dringt der Diabas an manchen Stellen in das zusammenhängende Vorkommen von Graptolithenschiefern ein. Oberhalb und bergseits des Vorkommens verläuft ein Fahrweg, der aus dem Großkuchler Tal in das nördliche Seitental hinaufführt. Auf der anderen Seite des Fahrweges läßt sich die Fortsetzung des 63) In dem auf der rechten (westlichen) Seite des Nebentales liegenden, noch im Betriebe befindlichen Steinbruch habe ich wiederholt schöne Rutschspiegel auf den Schichtflächen der sehr regelmäßig mit Schiefer wechsellagernden obersilarischen Kalkbänke beobachtet. Außerdem lassen sich auf die Schichten verquerenden Brüchen schichtenparallele Rutschstreifen feststellen. In demselben Steinbruch habe ich vor Jahren ein Orthoceras erworben, das dadurch bemerkenswert ist, daß es trotz sehr raschem Dickenwachstum über 1 m lang: ist; es ist in der geolog. Sammlung der deutsch. techn. Hochschule aufgestellt. 56 F. Wähner. [56] beschriebenen Vorkommens im höheren Gehänge erkennen, indem hier Graptolithenschiefer, die teilweise gehärtet sind, mit Diabas wechsel- lagern bei sehr steiler Stellung der Schiefer. Hiernach scheint es sich bei dem abgebildeten Vorkommen nicht um ein großes, muldenförmig gebogenes Schichtenpaket von Graptolithenschiefer in Diabas, sondern um ein Auftreten des erstgenannten Gesteins zu handeln, das mit den nahe gelegenen ausgedehnten Vorkommnissen der Stufe X in engerem Verbande steht. Hierfür spricht auch, daß die Faltung des Graptolithen- schiefers in der regelrechten Faltungsrichtung (SSO—NNW) erfolgt ist. Der Diabas, der den Graptolithenschiefer gehärtet und des größten Teils seiner Spaltbarkeit beraubt hat, ist jünger als der letztere. Anderseits ist entlang den Grenzflächen der beiden Gesteine Bewegung unter Druck vor sich gegangen, wie sie sich sonst an Rutschflächen fester Gesteine abspielt. Ein eruptives und ein tektonisches Ereignis haben eingewirkt. Ob zwischen beiden Vorgängen ein sehr langer Zeitraum liegt oder nur ein solcher, der genügt hat, das Eruptivgestein zum Erstarren zu bringen, läßt sich aus dem einzelnen Vorkommen selbstverständlich nicht entnehmen. Aber dieses wie manche andere ordnen sich ein in die Vorstellung, daß die Faltung und die daraus hervorgehende Bruchbildung einerseits, die Diabasergüsse anderseits während eines längeren Zeitraumes Hand in Hand gingen, daß die entstehenden Brüche die Verbindung mit Tiefengebieten herstellten, in denen heißflüssige Gesteine vorhanden waren, wodurch diesen der Weg in die höher liegenden Gebiete eröffnet wurde. Die in der Stufe d, vorkommenden Diabase sind bisher weniger bekannt geworden. Auch sie treten zum Teile als Lagergänge auf (Nowak, S. 236, 25655). Sollten sich solche hier ebenfalls in großer Zahl nachweisen lassen, so wäre ihr Vorkommen nahe der Basis des Untersilurs tektonisch leicht erklärlich, da schichtenparallele Verschiebungen an dieser stratigraphischen Grenze von gleich großer Bedeutung sind. Es ist oben vorausgesetzt worden,‘ daß die Diabasergüsse auch das Liegende des Silurs durchbrochen haben. Tatsächlich kennt man Diabasgänge aus dem Kambrium und in großer Zahl aus den vorkam- brischen Gesteinen. Kettner hat in einer geologischen Karte des südlichen Moldaugebietes 6) nur die wichtigsten von ihm beobachteten Diabasgänge verzeichnet, die in der Regel die Richtung NNO—SSW einhalten. Ihm ist die Beobachtung zu danken, daß in der Gegend von Davle die Porphyrlagergänge- von Diabas durchbrochen werden. Die von Kettner im Präkambrium des genannten Gebietes fest- gestellten Porphyrlagergänge, die eine ansehnliche Länge und Mächtig- keit erreichen, bieten ein schönes Seitenstück zu den an der Unter- Öbersilur-Grenze auftretenden Diabaslagergängen. Gegen die Deutung der Porphyrlagergänge als lakkolithenartige Ergüsse ist nichts einzu- ®) R. Kettner, Ueb. lakkolithenartige Iutrusionen der Porphyre zw. Mnisek und der Moldau. (Resume des böhm. Textes.) Bull. intern. Ac. d. Sc. de Boheme, XIX, 1914, S. 1--26. [57] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 57 wenden. Ueber ihr Alter urteilt der Verfasser vorsichtig. Nach der zweiten von ihm aufgestellten „Möglichkeit“, die er für wahrschein- lich hält, wäre ihre Intrusion „die Einleitung zu dem ungeheuren und lange andauernden paläozoischen Faltungs- und Eruptionsprozesse“ (S. 25). Wenn nun K. (S. 19) für diesen Fall ihr Eindringen an das Ende des Mitteldevons oder den Beginn des Oberdevons stellt, so ist dabei zu beachten, daß es auch zweifellos ältere, nämlich silurische Diabasergüsse gibt. Sollte sich durch fortgesetzte Beobachtungen her- ausstellen, daß die Porphyre allgemein älter sind als die Diabase, so würde dadurch die oben entwickelte Vorstellung von dem ver- hältnismäßig jugendlichen Alter der Diabaslagergänge bekräftigt werden ®). 7. Symmetrischer Bau. Das mittelböhmische Faltengebirge — so können wir die so- genannte Silurmulde, diesen Rest eines ehemals viel ausgedehnteren echten Faltengebirges mit Recht nennen — zeigt einen ausgesprochen symmetrischen Bau. Wenn die im Vorstehenden entwickelte Anschauung richtig ist, dann sind in jedem der beiden Teilgebiete neben auf- rechten zahlreiche geneigte und liegende Falten vorhanden, aus denen Ueberschiebungen hervorgehen, und von den großen streichenden Brüchen, die für den Bau des ganzen Gebietes von besonderer Be- deutung sind, sind mindestens die wichtigsten ebenfalls als Faltungs- überschiebungen anzusehen. In dem nördlichen (nordwestlichen) Teilgebiete, in dem das Schichtenfallen vorwiegend in südlichen Richtungen (SO, SSO) erfolgt, sind die geneigten Falten gegen S (SO) geneigt, die überstürzten Schenkel derselben sind nach N (NW) überstürzt und die überschiebenden Bewegungen sind nach N (NW) gerichtet. Umgekehrt sind in dem südlichen (südöstlichen) Teil- gebiete, das durch vorherrschendes Nordfallen (NW, NNW) gekenn- zeichnet ist, die schiefen Falten gegen N (NW) geneigt, die über- stürzten Schenkel nach S (SO) überstürzt und die Ueberschiebungen nach S (SO) gerichtet. Aus dem nördlichen Teilgebiete wäre von wichtigeren Ueber- schiebungen die oft erwähnte Prager Bruchlinie, die die beiden großen Untersilurzüge scheidet, neuerdings hervorzuheben, Ferner gehören hierher die im Untersilur verlaufenden Ueberschiebungen, die J. Woldrich3®8) im Gebiete des Scharkatales nahe der Grenze gegen die vorkambrischen Gesteine erkannt hat. Auch die Bruch- linie von Skrej, die im NW, außerhalb des eigentlichen Silur- gebietes die südöstliche Grenze der bekannten Zone von kambrischen Gesteinen bildet, gehört wohl trotz dagegenstehenden Meinungen in 5) Auch den großen und mächtigen Pürglitz-Rokytzaner Porphyrzug, der sich mit seinem nordöstlichen Streichen in den Bau des mittelböhmischen Falten- gebirges einreiht, pflegt man für verhältnismäßig jung anzusehen. Das gleiche gilt bekanntlich für die mittelböhmische Granitmasse, Von neueren Arbeiten über diesen Gegenstand wären u. a. jene von H. L. Barvif, J. J. Jahn'%), A. Rosi- wal und F. Slavik zu vergleichen. Zuletzt hat sich über die letzterwähnte Frage R. Kettner (S. 18 ff) ausgesprochen, der a. a. O. auch Anschauungen K. Hinter- lechners hierüber mitgeteilt hat. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (F. Wähner.) 8 58 F. Wähner. [58] die Reihe der aus der Faltung hervorgehenden Störungen. Bei allen ist die Bewegung ungefähr gegen NW gerichtet. Aus dem südlichen Teilgebiete ist zunächst die im Kalkgebirge verlaufende Bruchlinie von Koda-Srbsko zu nennen, weiter im NO der ebenfalls wichtige, wenngleich kurze Braniker Bruch. Im vorwiegend untersilurischen Gebirge verlaufen die von E. Nowak aus dem Brdywald beschriebenen Ueberschiebungen ®). Die alt- bekannte Bruchlinie der Przibramer Lettenkluft ist nur ein Beispiel für eine Reihe mit dieser ungefähr parallel verlaufender Ueberschiebungen. Bei allen diesen ist die Bewegung annähernd gegen SO gerichtet. Die dem Kalkgebiete angehörige Längsstörung, welche die Konjepruser Devonscholle im N und NO begrenzt, ist gleichfalls aus der Faltung hervorgegangen. Sie weicht in ihrem dem Bau jenes verhältnismäßig kleinen Gebietsteiles entsprechenden Streichen, das vorwiegend in nordwestlicher Richtung verläuft, weit ab von den übrigen Längsbrüchen; die Bewegung ist auch hier annähernd süd- wärts, vorherrschend gegen SW gerichtet. Ausnahmen von der oben ausgesprochenen Regel fehlen nicht. Am Barrandefelsen, der dem südlichen Teilgebiete angehört und dessen obersilurische Schichten in zahlreiche enge Falten gelegt sind, sind in den einzelnen Gewölben die nördlichen Schenkel steiler auf- gerichtet als die südlichen und in seltenen Fällen führt diese Steil- stellung sogar zur Ueberstürzung in nördlicher Richtung (Taf. I [1], Abb. 1). Dieser Bau beruht auf der Zusammenschiebung, die eine ver- hältnismäßig geringmächtige Obersilurzone zwischen ruhiger gelagerten Schichtengruppen für sich betroffen hat. (S. 21 £.) Die Ueberschiebung, die oben vom Slichower Hügel beschrieben wurde und zum nördlichen Teilgebiete gehört, könnte nach der Neigung der Bruch- und Auf- lagerungsflächen, besonders wenn die Schleppungserscheinungen nicht beachtet werden, als gegen SW gerichtet angesehen werden. (S. 45, Taf. VIII [8], Abb. 1.) Beide Unregelmäßigkeiten liegen nahe der Mitte des ganzen Gebietes und ändern nichts an dem im Großen er- kennbaren Baue. An dem Ergebnis wäre nichts Auffallendes, wenn es nicht der vielfach als giltig angesehenen Lehre vom einseitigen Bau der Ketten- gebirge widerspräche. E. Suess ist bekanntlich so weit gegangen, dieser Lehrmeinung zuliebe den Hauptteil der Südalpen von den Alpen abzutrennen, mit den dinarischen Gebirgszügen zu den „Dinariden“ zu vereinigen und diesen „asiatische Abkunft“ zuzuschreiben %2). Wer sich durch mystische Ausdrucksweise nicht gefangen nehmen läßt, wird sich hierunter nichts anderes vorstellen, als daß nach jener An- schauung in Asien südwärts, in Europa nordwärts gerichtete Bewegung die Regel ist, daß sonach einige Gebietsteile Südeuropas nach asiatischer Regel gebaut sind»). Wie es sich mit diesem Baue bei unbefangener t6a) „Asien dringt aber nicht nur in Gestalt großer Faltenzüge nach Europa. Manche Gründe sprechen dafür, daß auch gewisse lange, gegen WNW bis NW streichende Bruchlinien (Karpinsky’sche Linien) asiatischer Abkunft seier.* (E. Suess, Antlitz III, 2, 1909, S. 7.) 66b) Daß Suess selbst mehr als dies im Sinne gehabt hat, dürfe aus einer, wenn auch negativen Bemerkung hervorgehen, die sich auf die das nordöstliche [59] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 59 Betrachtung verhält, wie der Zusammenhang der dinarischen Gebirgs- züge mit den Südalpen und der Alpenbau in jener Hinsicht zu be- urteilen sind, haben neuerlich die im besten Sinne gegenständlichen Ausführungen Kossmats erkennen lassen 7), Für unsere Erörterungen sind u. a. die Hinweise auf den Bau zweier Gebirgsgruppen der Südalpen, der Steiner und der Julischen Alpen wichtig, in denen nach den gleich wertvollen Untersuchungen Tellers und Kossmats auf der Südabdachung südwärts, auf der Nordabdachung nordwärts gerichtete. Bewegungen festgestellt sind. Gegenüber der Anschauung der Deckentheoretiker, die darin zwei ursächlich und zeitlich verschiedene Bewegungen erblicken wollen, deren eine dem fast allgemein vorausgesetzten Nordschub der Alpen entspricht, während die andere auf ein nachträgliches Zurückgleiten der „Dinariden* zurückgeführt wird, weist Kossmat nach, daß die beiden Bewegungsarten sich in keiner Weise sondern lassen. Die enge „tektonische Verwandtschaft“ derselben ist aus dem Bau der Julischen Alpen deutlich zu erkennen ). Die Nordüberschiebungen sind für bestimmte Zonen kennzeichnend, nicht für eine bestimmte Zeit und haben sich noch in den jüngsten Abschnitten der Gebirgs- bildung wiederholt 6°). f Kossmatist geneigt, den Bau der östlichen Südalpen, in denen „den großen Ueberschiebungen gegen die Außenzonen andere gegen- überstehen, welche gegen die Innenregion der Alpen gerichtet sind“, mit dem Fächerbau zu vergleichen — dies geschieht meines Er- achtens in bezug auf die wesentliche tektonische Erscheinung mit voller Berechtigung —, erklärt aber diese Bezeichnung als nicht ganz zutreffend, weil sich der Uebergang beider Bewegungsrichtungen nicht in einer steil gestellten mittleren Zone, sondern im flach ge- lagerten, von Schuppen und Brüchen durchschnittenen Kalkplateau vollzieht, das teilweise muldenähnliche Anlage zeigt. (S. 126, 152.) Der Bau des mittelböhmischen Faltengebirges, in dessen Innern die Randgebirge Böhmens begleitenden Brüche bezieht: „Sie können nicht irgend einer plötzlich von Asien kommenden Einwirkung zugeschrieben werden, denn sie sind von verschiedenem Alter“. (Antlitz III, 2, S. 39.) Auch hier hätte es sich darum gehandelt, südwärts gerichtete Bewegung auf eine weit außsrhalb Europas liegende Ursache zuürckzuführen, 0), F. Kossmat, Die adriatische Umrandung in der alpinen Faltenregion. Mittlgn. Geol. Ges. Wien, VI, 1913, S. 61—165. °8) „Wenn wir die tektonische Grenzfläche der Trentagruppe aus der Belipotok- Ueberschiebung ohne jede Zersplitterung oder Ueberkreuzung in die Mojstraka- Blattfäche und aus der letzteren wieder in die südgerichtete große Krn-Ueber- schiebung verfolgen können, wenn wir an den Triglavseen in einem geschlossenen Bogen aus der südlich einfallenden Schubfläche in eine östlich und schließlich nördlich fallende gelangen, dann gehören diese Linien strukturell zusammen.“ (A. a. O., S. 113.) 6) Nach den Untersachungen Teller’s ist in der Koschutazone „dort, wo das Neogen noch in den Bau eintritt, uämlich in ihrer Fortsetzung gegen den Wotsch, noch das Sarmatische gefaltet und fällt an seiner Südgrenze in einer langen Linie verkehrt unter die Leithakalke ein, während in den südlich folgenden Falten des Savesystems das entgegengesetzte Verhalten herrscht. Man sieht also, daß auch zur Zeit der jüngeren Bewegungen Nord- und Südfaltungen in den öst- lichen Südalpen nebeneinander existierten, wobei die ersteren charakteristisch für die inneren Zonen sind... .“ 8*+ 60 F. Wähner. [60] Schichten durch die Faltung ebenfalls aufgerichtet sind, hier nicht selten (Prokopital) sogar besonders steile Stellungen annehmen, wird dadurch dem Fächerbau ähnlicher. Wenn wir aber, wie in Mittel- böhmen, so in jenen alpinen Gebirgsgruppen von einem symmetri- schen Bau sprechen, so gebrauchen wir zwar einen in einem großen Kreise verpönten Ausdruck, der zufällig auch den in den theoretischen Anschauungen bestehenden Gegensatz hervorhebt, der aber kaum durch einen anderen ebenso bezeichnenden und sachgemäßen zu ersetzen ist. Wir sind daher nur ehrlich, indem wir das Kind beim rechten Namen nennen. Kossmat verfolgt die Baulinien der Südalpen auch in die Zentral- alpen ’0), erkennt, daß die „gegen die Poebene und Adria gerichteten Faltenbewegungen nicht haltmachen an der sogenannten Dinariden- grenze, sondern daß sie auch sicher alpine Zonen noch in großem Stil betroffen haben“, und wirft schließlich die Frage auf, ob nicht die nördlichen Kalkalpen und die Grauwackenzone Aehnliches wie die Südalpen zeigen, „ob sich nicht tektonische Annäherungen nord- und zentralalpiner Faziesentwicklungen durch südgerichtete Ueberschieb- ungen nachweisen lassen. Die Strukturtypen der nordalpinen Kalk- plateaus unterscheiden sich in nichts von jenen der Julischen und Steiner Alpen, die Ueberschiebungen an ihrem südlichen Schichten- kopf gleichen ganz merkwürdig jenen an den Nordabdachungen der letztgenannten Gebirge“. (S. 152.) In der Tat ist der Bau eines nicht unansehnlichen Teiles der nördlichen Kalkzone der Ostalpen, namentlich jener der Salzburger Kalkstöcke durch herrschendes Nordfallen und südlich gerichtete Be- wegungen gekennzeichnet. Solchen Bau sieht heute, so klar er (wenigstens zum Teile) schon lange zutagetritt, allerdings nur der- jenige, der sich für alpine Dinge einen wirklich unbefangenen Blick bewahrt hat, und der, dem es gelungen ist, sich von den einander so vielfach widerstreitenden Ergebnissen älterer, neuerer und neuester Deckenkonstruktionen zu befreien. Dem zuerst am Südrande des Tennengebirges von Bittner erkannten Schuppen- bau, der auf mehrfacher Wiederholung einer Reihe älterer Trias- glieder durch südlich gerichtete Ueberschiebungen beruht, gesellen sich entsprechende Beobachtungen an anderen Orten. Hahn, dem wir im übrigen hier nicht folgen wollen, hat diese Erfahrungen zu- sammengestellt und weitere mitgeteilt”!). Im Norden des Tennen- gebirges finden wir, wie gleichfalls Bittner gezeigt hat, ältere Trias, u. zw. Guttensteiner Kalk, im Hangenden des nach NNO ein- fallenden und zunächst von Lias überlagerten Dachsteinkalkes, ein Vorkommen, das wieder auf südgerichtete Ueberschiebung hinweist, und auch die in der Gegend von Golling weiter folgenden schmalen Gebirgsstreifen, von denen jeder aus einer anderen Schichtengruppe ”%) A. a. OÖ. 1V. Periadriatische Konturen in den östlichen Zentralalpen. S. 133—153. ”') F. Felix Hahn, Grundzüge des Baues der nördl. Kalkalpen zw. Inn und Era I. u. II. Mttlgn. Geo]. Ges. Wien, VI, 1913 (S. 238—357, 374—501), bes. „ 285—317. - [61] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 61 besteht, wird man am sichersten als durch steile Ueberschiebungs- flächen getrennte Schuppen deuten. Nordwärts gerichtete Bewegungen sollen nach der erwähnten Lehrmeinung den Bau nicht nur der geologisch jungen, sondern auch der alten Gebirge unseres Erdteils kennzeichnen. Da ist es nun wohl nicht bedeutungslos, daB „im Herzen Europas“ ein Teil eines unterkarbonischen (oder vielleicht schon oberdevonischen) Faltengebirges erhalten ist, der ausgesprochen zwei- seitigsymmetrischen Bau aufweist, dessen Schichten- gruppen einerseits nach NW, anderseits gegen SO bewegt sind, in dem also auch südwärts gerichteter Schub festgestellt ist. Und dieses Gebirge ist, wenn wir von der vorkambrischen Schichtenreihe absehen, die schon eine noch ältere Gebirgsbewegung durchgemacht hat, sowohl stratigraphisch als tektonisch völlig einheitlich aufgebaut. Die sehr erheblichen Faziesverschiedenheiten fallen im allgemeinen mit Altersunterschieden zusammen, sie ergeben in der Hauptsache ein Nacheinander, kein Nebeneinander. Sie entsprechen einer im Laufe der geologischen Zeiträume (mithin allmählig) im ganzen Gebiete eingetretenen Aenderung der Absatzbedingungen. Es ist schon (S. 53) darauf hingewiesen worden, daß wir von den Flachseebildungen des Untersilurs bis zu den küstenfernen Tiefseeablagerungen des Mittel- devons einen stratigraphischen Zyklus feststellen können 72). Wir haben es mit einem durchaus einheitlichen Ablagerungsgebiete zu tun. "2) Hiezu noch einige flüchtige Bemerkungen. Die durch eine überaus reiche Fanna ausgezeichneten obersilurischen e,-Kalke mit ihren dickschaligen Cephalo- poden und sonstigen Mollusken sind noch als Ablagerungen verhältnismäßig geringer Tiefe anzusehen. Aber schon die noch zum Obersilur gerechneten dunklen f,-Kalke (Tentaculiten, Spongien) bilden einen faziellen Uebergang zu den pelagischen und in tieferem Wasser abgesetzten Devonkalken. Die typischen ungeschichteten oder undeutlich in mächtige Bänke gegliederten weißen f,-Kalke von Konjeprus sind zwar eine Ablagerung geringer Tiefen, aber von einer Reinheit des Sediments, die sie zu verschiedener technischer Verwendung geeignet macht und auf dem völligen Mangel terrigener Beimengungen beruht. Mit dieser ausgesprochen pelagischen Bil- dung wechsellagern die dünnschichtigen rötlichen und roten Kalke von Mjenjan, die wie die roten Ausbildungsweisen der Stufe @ mit den entsprechenden auf mittlere, d. i. beträchtliche Meerestiefen weisenden mesozoischen Faziesbildungen der Alpen und anderer südlich gelegenen jungen Kettengebirge auf das engste verwandt sind. Selbst die tonige Einschaltung der Tentaculitenschiefer 9, ist, wie schon das häufige Vor- kommen von Tiefseekorallen lehrt, keine Seichtwasserablagerung. Dagegen scheinen in den hellgrauen Knollenkalken Schwankungen vorgekommen zu sein; die auf- fallendste ist durch das Auftreten von Riffkorallen in einem Teile von g, gekenn- zeichnet. Der Uebergang der Goniatiten-Knollenkalke g, durch Radiolariengesteine in die unterste Abteilung der Stufe H ist oben (8. 36) erwähnt worden. Gegen- über dem langen absteigenden Aste ist der aufsteigende Ast des Zyklus im Hangen- den der abyssischen Ablagerung der Radiolariengesteine nur zu einem kleinen Teile durch die Stufe H mit ihren teriigenen Sedimenten vertreten, deren untere Ab- teilung (A,) noch in tieferem Meere und einiger Entfernung von der Küste (Mün- dungsgebiet eines Stromes) abgesetzt zu sein scheint. (S. 53 und °°). Wie in den Ostalpen die aus den Radiolariengesteinen des mittleren Jura erkennbare größte Meerestiefe zeitlich zusammeufällt mit der in anderen Gegenden nachgewiesenen mitteljurasischen Trausgression, so entspricht auch das Auftreten der (bier nur geringmächtigen) Radiolariengesteine Mittelböhmens der in weit ent- fernten Gebieten festgestellten mitteldevonischen Transgression. Daraus ist ersicht- 62 F. Wähner. [62] Ebenso einheitlich erscheint der tektonische Bau. Es ist nicht der geringste Anhaltspunkt gegeben, um für das nördliche Teil- gebiet einen anderen gebirgsbildenden Vorgang anzunehmen als für das südliche und die Entstehung der in entgegengesetzten Richtungen bewegten Gebirgsteile in verschiedene Zeitabschnitte zu verlegen. Alles spricht dafür, nichts dagegen, daß die beiden Gebirgsteile, die voneinander keineswegs scharf abgegrenzt sind, einem und demselben großen Faltungsvorgang, einem und demselben gebirgsbildenden Zu- sammenschub der Schichtengruppen, aus denen sie aufgebaut sind, ihr Dasein verdanken. Ein Blick auf die Karte Seemanns“%) be- lehrt uns, daß am südwestlichen Ende des obersilurisch-devonischen Kalkgebietes die jüngste untersilurische Zone d,, die jenes rings um- grenzt, einen Muldenschluß bildet, wobei das im NW herrschende SO- Fallen ganz allmählig durch die Fallrichtungen O, NO, NNO, N und NNW in das NW-Fallen der SO-Seite des Gebietes übergeht. (S. 75 a. a. O.73), Schwieriger ist der Zusammenhang der tieferen Unter- silurstufen des nödlichen und des südlichen Teilgebietes noch weiter in SW zu überblicken, aber er ist vorhanden und die Art des Zu- sammenhanges ist augenscheinlich durch die Längsbrüche stark be- einflußt. Niemand hat bisher an solchem Zusammenhang gezweifelt, und man hätte wohl. nicht so lange und bis in neue Zeit an dem Schema der „Silurmulde“ festgehalten, wenn nicht aus dem Ganzen ein einheitlicher Bauplan deutlich hervorträte. Daß jüngere Gebirgsbewegungen in der böhmischen Masse in südlichen Richtungen vor sich gegangen sind, ist lange bekannt. Nicht nur am Elbbruch (der Lausitzer Verwerfung), weithin an der Süd- westseite des nordöstlichen Randgebirges sind nach SW gerichtete überfaltende und überschiebende Bewegungen vor sich gegangen. Wenn E. Suess diese Erscheinungen zuerst auf „Rückfaltung“ zurückführt, während er sich später mit dem Ausdruck „Ueberfaltung“ begnügt ’*), so wird derjenige, der sehen will, sich hierdurch nicht beirren lassen; ein Name ändert, wenn er auch zur Aufstellung und Hervorhebung einer besonderen Ursache dient, nichts an der Tatsache, lich, daß diese Veränderungen nicht bewirkt wurden durch örtlich beschränkte Ereignisse; jene müssen vielmehr, mögen sie nun auf Bodensenkungen oder auf ein von anderen Ursachen abhängiges Ansteigen des Meeresspiegels zurückzuführen sein, gleichmäßig auf ausgedehnte Gebiete sich erstreckt haben. ”) Daß d, außerdem infolge von Faltung und Ueberschiebung in langen Zungen in das Obersilur eingreift, zeigt, daß trotzdem ein verwickelterer Bau vorliegt. ”4) E. Suess, Antlitz I, 1885, S. 181. „Wird ein gefaltetes Gebirge von einem Längsbruch durchschnitten und sinkt an demselben der innere Flügel zur Tiefe, so zeigt sich nicht selten in dem Gebirge das Bestreben, in einer der normalen Faltung ganz entgegengesetzten Richtung den Bruch zu über- falten, wodurch an demselben nieht nur Aufrichtung, sondern auch Einklemmung und Ueberstürzung der Schichten entstehen mag. Diese Erscheinung nennen wir Rückfaltung.“ — Antlitz III, 2, 1909, S. 37, Elbbruch: „Die verkehrte Folge; Kreide, Jura, Granit zeigt in der Tat Ueberfaltung gegen SW an. Der Ausdruck Rückfaltung wurde hier für diese Dislokation gebraucht... Er entspricht nicht der Sachlage und ist der Gegenwirkung von Vorfaltung (z. B. im Innern der asiatischen Scheitel) vorzubehalten.“ Daselbst, 8. 717: „Rückfaltung hat sich in dem asiatischen Bau als ein Ueberschuß an Volum in den oberen Zonen der Erde er- geben.“ Vgl. auch die S. 58 in der Fußnote“) angef. Stelle. [63] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 63 daß sich hier (wie auch anderwärts in dem genannten Gebiete) für den Gebirgsbau maßgebende Bewegungen in südlichen Richtungen ab- gespielt haben. Die Frage nach der Richtung der gebirgsbildenden Bewegungen gehört meines Erachtens zu jenen, denen man zu große Bedeutung beigemessen hat. Ausschlaggebende Bedeutung besitzt sie nur für Anhänger der Lehre vom einseitigen Bau der Kettengebirge. Immer deutlicher erweist sich gerade aus der fortschreitenden Kenntnis des Alpenbaues, daß faltende und überschiebende Bewegungen nicht nur in der quer auf das Hauptstreichen des Gebirges verlaufenden und in der entgegengesetzten Richtung, sondern auch in von jenen stark abweichenden Richtungen bis zu einer mit dem Hauptstreichen zu- sammenfallenden Richtung vorkommen und für den Gebirgsbau von Bedeutung sind 5). Daß steil aufgerichtete Falten bei fortdauerndem Zusammen- schub der tieferen Gebirgsteile schließlich nach jener Seite sich über- legen werden, auf der der geringere Widerstand vorhanden ist, ist schon wiederholt gesagt worden 76). Für unbedingte Anhänger der Lehre vom einseitigen Schub bildet der Fächerbau wie der symmetrische Bau im allgemeinen kein Hindernis, die Anschauung festzuhalten. Man beruft sich jetzt gern auf einen schönen und lehrreichen Querschnitt, den Kilian aus den Westalpen gegeben hat”), und erklärt den „Faltenfächer“ ähnlich, wie das auch rücksichtlich des eigentlichen Fächerbaues zu geschehen pflegt, indem man sagt, das Gebirge sei 75) Man pflegt die im Streichen des Gebirges erfolgenden Bewegungen als Quer- oder Transversalbewegungen schlechthin zu bezeichnen und gibt damit für der Sache fernerstehende Veranlassung zu Mißverständnissen, da ınan in sonstigen tektonischen Bezeichnungen das Wort quer auf das Streichen der Schichten und Falten bezieht. In diesem Sinne sind die gewöhnlichen Bewegungen Quer- bewegungen, wie man ja auch von Querbrüchen usw. spricht. Vielleicht würde man besser tun, in diesem Falle auf eine kurze Bezeichnung zu verzichten und von Bewegungen im Hauptstreichen u. dgl. zu sprechen. 6) Nicht immer dürfte diese Vorstellung der Wirklichkeit entsprechen. In Gebieten mit vorherrschend flacher Lagerung scheint es zumeist gar nicht zu steiler Aufrichtung des ganzen Faltenkörpers gekommen zu sein; es bildeten sich liegende Falten durch Aufrichtung eines (des später überkippten) Schenkels, wobei dieser häufig sehr kurz blieb, so daß Faltungsüberschiebungen hier sich aus verhältnis- mäßig kleinen Knickungen der Schichtengruppen zu entwickeln pflegen. Man sollte darum nicht allgemein vom „Ueberlegen“ oder „Ueberschlagen“ der Falten sprechen oder bei dem Gebrauch dieser allerdings sehr bequemen Bezeichnungen sich bewußt bleiben, daß dies eine figürliche Ausdrucksweise ist, da die Schiefstellung der „übergelegten“ Falten nicht auf einer sekundären Erscheinung zu beruhen braucht, die die bereits fertigen aufrechten Falten betroffen hat, sondern unmittelbar aus der ursprünglichen Anlage der Falten hervorgehen kann. Nur der überstürzte Schenkel solcher Falten muß, so kurz er sein und so rasch diese Bewegung sich vollzogen haben mag, eine Aufrichtung aus flacher Lagerung erfahren haben und durch die Vertikalstellung bis zur Ueberkippung hindurchgegangen sein. Nur bei dem überstürzten Schenkel ist der Ausdruck daher unter allen Umständen zu- treffend, wenn wir sagen, er sei nach einer bestimmten Richtung „übergelegt.* [Einschlägiges in dem in Note 26 angef. Vortrage, S. 222 und Fußnote 2.] — Ein Lehrbuch sollte nicht den sprachlich unrichtigen Ausdruck „überlegt“ statt „über- gelegt“ gebrauchen. ”) W. Kilian, Apenga sommaire de la g£eol.... des Alpes dauphinoises. Der Querschnitt ist wiedergegeben in O. Wilckens, Grundzüge der tekton. Geo]., Jena 1912, S. 14 und in A. Tornquist, Geologie I, Leipzig 1916, S. 283. 64 F. Wähner. [64] in der Tiefe noch stärker zusammengeschoben worden und die empor- steigenden Falten haben sich oben nach beiden Seiten übergelegt. Man kann aber in vielen anderen Fällen und selbst bei unsymmetrischem Bau die Falten in Luftsätteln nach oben ergänzen und schließen, daß in der Tiefe der Zusammenschub viel weiter gegangen ist, oder daß — bei unsymmetrischem Bau --- in der Tiefe einseitiger Schub das Gebirge in entgegengesetzter Richtung bewegt hat (entgegen jener Richtung, in der die Falten oben übergelegt sind). Hinsichtlich der obigen Erklärung wollen wir davon absehen, daß die Gewölbe, die heute zu unserer Beobachtung gelangen, beim Aufsteigen nicht frei emporragen konnten. Die gegen die Tiefe kon- vergierenden Linien, die wir bei symmetrischem Bau in Querschnitten entlang den Falten und Ueberschiebungen ziehen können, entsprechen wirklichen Bewegungsflächen. An ihnen haben sich Gebirgsstücke nach aufwärts und zugleich nach auswärts (vom Innern des Gebirges gegen außen) bewegt. Das gehört zu den wenigen wirklichen Erkenntnissen, die wir über den Gegenstand besitzen. Vergessen wir nicht, daß alles Weitere zumeist schon Theorie ist. Schon wenn wir statt von Vor- gängen von einer gebirgsbildenden Kraft sprechen, ist das eine Ab- straktion, die schon manches Unheil angerichtet hat. Gewiß: wir dürfen mit Recht schließen, daß jene mehr oder minder steilen Bewegungsflächen aus seitlichem Zusammenschub her- vorgegangen sind. Wir können den Zusammenschub in größere Tiefe verlegen und uns vorstellen, daß an jenen Bewegungsflächen die Ge- steine dem in der Tiefe vor sich gehenden annähernd horizontalen Zusammenschub nach auf- und auswärts ausgewichen sind. Schon die Faltenbildung können wir als ein solches Ausweichen auffassen. Je steiler die Schichten eines Gewölbes aufgerichtet sind, je stärker es in der Tiefe zusammengepreßt erscheint, desto klarer mag uns jene Anschauung werden. Tatsächlich gehen ja entlang den Schichtflächen der Falten quer zu den Faltenachsen Bewegungen vor sich. (Vgl. oben S. 20). In zahllosen Gebirgsquerschnitten, die nur aufrechte Falten zeigen, vermögen wir zwar eine Richtung des Zusammenschubes, z. B. eine meridionale Richtung zu erkennen; wir sind aber nicht in der Lage zu beurteilen, ob es ein einseitiger oder zweiseitiger Schub war und noch viel weniger, ob — die Einseitigkeit des Schubes vorausgesetzt — dieser in nördlicher oder in südlicher Richtung vor sich gegangen ist. Erst wenn ein Schenkel einer Falte überstürzt ist, oder wenn sich aus einer derartigen Falte eine Ueberschiebung entwickelt hat, vermögen wir einseitig bestimmt gerichtete Bewegung zu erkennen ”®), ”®) Auch hier handelt es sich um relative Bewegungsrichtungen. Wenn wir sagen, eine Falte sei nach einer Richtung übergelegt, — u. zw. gerade in dem Sinne, der eine nachträgliche Umlegung einer steilen aufrechten Falte voraussetzt —, so könnte es auch sein, daß ihr tieferer Teil (bei Zurückbleiben des höheren) sich nach entgegengesetzter Richtung bewegt hat. Wenn wir an einer ausgesprochenen Bewegungsfläche (Rutschfläche), z. B. an einer Ueberschiebungsfläche einseitig be- stimmt gerichtete Bewegung des angrenzenden Gesteins festzustellen in der Lage sind, so kann der auf der anderen Seite der Bewegungsfläche liegende Gesteins- körper sich ebensogut in entgegengesetzter Richtung bewegt haben oder es können Bewegungen nach beiden Richtungen vorgekommen sein. Ueberschiebung und Unter- schiebung sind für unser Erkennen dasselbe. [65] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 65 Aber der Schluß gilt nur für durch derartige tektonischeErscheinungen von einseitig bestimmter Richtung gekennzeichnete Gebiete. Nichts berechtigt uns vor allem, ihn auf Bewegungen in unbekannten Tiefen zu beziehen. So kann nun ein hartnäckiger Vertreter der Lehre vom ein- seitigen Schub erklären: Im mittelböhmischen Faltengebirge mögen Bewegungen nach beiden Richtungen vorgekommen sein. Trotzdem ist es durch einseitigen, nordwestlich gerichteten Schub entstanden. Das Gebirge ist zwar bis zu großer Tiefe abgetragen; die Falten sind aber in noch größerer Tiefe noch stärker zusammengeschoben und haben sich oben nach verschiedenen Richtungen übergelegt. Dabei wäre nur ein wesentlicher Umstand übersehen: daß weder hier noch anderwärts Tatsachen ermittelt sind, aus denen wir allgemein zur Erklärung solcher Gebirgsbildung auf einseitigen Schub zu schließen berechtigt sind. Es bliebe das Festhalten an einem Glaubenssatz. Bescheiden wir uns und suchen wir weiterhin die Richtungen der gebirgsbildenden Bewegungen zu ermitteln, soweit dies möglich ist. Wir belügen uns selbst, wenn wir meinen damit mehr fesstellen zu können, als aus der Beobachtung hervorgeht. Eine eigenartige Ausnahmsstellung unter den Längsstörungen des mittelböhmischen Faltengebirges scheint der Südostgrenze des Unter- silurs gegen die vorkambrischen Gesteine in dem an das rechte .Ufer der Moldau anschließenden Gebiete zuzukommen. Krejti hat sich wiederholt mit dieser wichtigen Bruchlinie befaßt. In den „Erläute- rungen* (S. 84) wird sie in die „Bruchspalte des Brdyrückens“ („Brdabruchlinie“) einbezogen und gesagt, sie bedinge eine der be- deutendsten Dislokationen in den Umgebungen von Prag. In der „Uebersicht* (S. 93—95), in der später die Störungen des ganzen Silurgebietes dargestellt wurden, wird jene Strecke als die nordöst- liche Fortsetzung der Bruchlinie der Przibramer Lettenkluft angesehen. Zwei im N der letztgenannten liegende Längsstörungen: die „Bruch- linie zwischen dem Tremosna- und dem Slonovecrücken® und die „Jinecer Bruchlinie* (mit der nun die Brdabruchlinie vereinigt wird), werden weiter im NO mit jener Fortsetzung der Lettenkluft in Ver- bindung gebracht. In dem die „Uebersicht“ begleitenden Kärtchen ist dieses Verhältnis zur Anschauung gebracht. Von Bedeutung ist u. a., daß in der Fortsetzung der Lettenkluft im NO von Mnischek, außerhalb des großen südwestlichen Gebietes der kambrischen Kon- glomerate mit der Annäherung an die Moldau die tieferen unter- silurischen Zonen nacheinander auskeilen, bis rechts der Moldau in der Gegend von Königsaal die Zone d, mit den azoischen Schiefern in Berührung tritt, wogegen noch weiter in NO die tieferen Zonen wieder erscheinen. Krejöi hat wiederholt darauf hingewiesen, daß bei Königsaal „die mannigfach geknickten und gefalteten Grauwacken- schiefer d, an einer Dislokationskluft widersinnig“ (während sie sonst zumeist nach NW geneigt sind) „unter die azoischen Schiefer ein- fallen“. (Uebersicht S. 64; auch S. 38 und 939). ”°) In den Erläuterungen (S. 43) war hierbei von überkippter Lage, die noch weiter nach NO anhalten sollte, die Rede; in der zugehörigen Profiltafel, Fig. 3, ist Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (F. Wähner.) 9 66 F. Wähner. [66] Mit dieser Störung haben sich in neuer ZeitLiebus, E.Nowak°) und besonders Kettner befaßt. Liebus schilderte die Verhältnisse in der Modraner Schlucht und betrachtete die Störung als eine Ueber- schiebung, durch die die alten Schiefer über die tieferen Untersilur- zonen und bis an die Stufe d, bewegt worden sind). Kettner hat eine umfassende Darstellung der einschlägigen Verhältnisse gegeben und drei neue Querschnitte entworfen. (S. 185, 18735). Gemeinsam ist allen drei Punkten (1. bei Zavist, 2. an der neuen Straße nach Toöna, 3. in der Modraner Schlucht), daß die vorkambrischen Gesteine von der Störung weg (nach südlichen bis östlichen Richtungen) fallen. Dieselben sind in 2 nahe der Störung in steile bis geneigte Falten gelegt und von kleinen, mit der Hauptstörung annähernd parallelen Brüchen (Ueberschiebungen) durchsetzt. Leider sind gerade an der Störung nach meinem Dafürhalten die erwähnten (von mir wiederholt besuchten) Aufschlüsse wie gewöhnlich recht mangelhaft 3). Im Ganzen zweifle ich nicht, daß in der besprochenen Gegend die vorkambrischen Gesteine aus etwa südöstlicher Richtung steil über das Untersilur geschoben sind, während sonst im südlichen Teilgebiete entgegen- gesetzt gerichtete Bewegung zu erkennen ist. E. Nowak’) erklärt, diese Ueberschiebung sei keine Faltungsüberschiebung, sondern eine Schollenüberschiebung, eine Auffassung, der ich mich nicht anschließen kann. Die Störung trennt zwei Gebietsteile, deren altersverschiedene Gesteine beiderseits in enge Falten gelegt sind, die, nach den Auf- unmittelbar an der Störung die Lagerung verwirrt dargesteilt, eine überkippte Stellung ist daraus nicht mit Sicherheit zu erkennen. Diese Auffassung scheint später aufgegeben, da sie weder in der Beschreibung noch in der graphischen Darstellung wiederkehrt. (Fig. 23, S. 38 der Uebersicht.) Krej&i dürfte hierbei die Verhältnisse in der Modraner Schlucht im Sinne gehabt haben, wo nach Erläute- rungen 8. 27 die schwarzen Schiefer d, „in gestörter Lagerung in der Bruchlinie liegen“ ; in Fig. 2, S. 18 daselbst ist d, an der Störung von angeblichen Diorittuffen (wohl infolge eines Druckfehlers hier mit d,t bezeichnet) überlagert, die zu den azoischen Gesteinen (damals für kurze Zeit zur Stufe C gestellt) gehören. °) A. Liebus, Geol. Wanderungen in der Umgeb. von Prag, Lotos 1907, 1908, 1909. Zusammengefaßt und erweitert in: Sammlg. gemeinnütz. Vorträge, Ver. z. Verbr. gemeinnütz. Kenntn. Prag, Nr. 393—395, 1911, S. 132—134. (Die hier noch als kambrisch angesehenen Gesteine sind vorkambrisch.) »1) So läßt sich südlich von Zavist die Aufbiegung der d,-Schichten gegen die Störung (Fig. 1 bei Kettner) nicht feststellen. Kettner scheint damit seine aus- gedehnteren Erfahrungen zusammengefaßt zu haben. An der Straße nach Toöna ist an der Störung tatsächlich eine Zertrümmerungszone mit großen geglätteten und gestriemten, aber stark verwitterten Blöcken zu beobachten. Die Gesteine scheinen stark verändert zu sein, die Lagerung ist sehr stark gestört, nicht so regelmäßig, wie es in Fig. 2 schematisch wiedergegeben ist. Ob hier wirklich ein Rest von d, vorhanden ist, bliebe mir zweifelhaft, wenn nicht unfern, etwa W von der an der Straße aufgeschlossenen Ruschelzone, im Walde im Frühsommer 1916 neue kleine künstliche Aufschlüsse zu sehen gewesen wären, die zeigen, daß hier unzweifelhafte d,-Quarzite, stark gestört, von Rutschflächen durchsetzt, mit, wie teilweise erkennbar, sehr steiler Schichtenstellung in ziemlich großer Ausdehnung anstehen. — Während das Vorstehende im Druck war, erfreute mich Herr Dr. Kettner auf eine von mir gestellte Anfrage durch eine Reihe von Mitteilungen, die zeigen, daß dem Genannten eingehende Beobachtungen an einer großen Zahl von Punkten jener Störungslinie zur Verfügung stehen. Er sieht die a. a. O. gege- bene Darstellung als eine vorläufige Mitteilung an; der in Aussicht gestellten aus- führlichen Veröffentlichung vorzugreifen, fühle ich mich nicht berechtigt. 167] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges, 67 schlüssen an der Straße nach Toöna zu urteilen (Fig. 2 bei Kettner), sogar sehr ähnlich gebaut sind. Aber auch, wenn das sonst nicht der Fall sein sollte: mit Faltenbau haben wir es beiderseits zu tun. Wenn es auch nicht weiter von Bedeutung ist, so wäre es doch willkürlich, eine derartige Ueberschiebung nicht aus dem Faltungsvorgang, sondern unmittelbar aus dem den letzteren bewirkenden Seitenschub abzu- leiten. Noch viel weniger liegt Veranlassung vor, irgendeinen noch unbekannten Seitenschub, der mit der im ganzen Gebiete weit ver- breiteten und in allen Schichtengruppen festgestellten Faltung nichts zu tun hätte, zur Erklärung heranzuziehen. Sollten wir in die Lage kommen, streng nachzuweisen, daß die hier betrachtete Störung wirklich, wie Krej©i vermutet hat, die Fort- setzung der Bruchlinie der Przibramer Lettenkluft bildet), dann würde sich herausstellen, daß an derselben Störungsfläche im SW, wo sie nach NW geneigt ist, Bewegung gegen SO, dagegen im NO, wo sie nach SO geneigt ist, Bewegung gegen NW, demnach dort in einer „südlichen“, hier in einer „nördlichen* Richtung stattgefunden hat), — ein Ergebnis, das nur neuerdings zeigen würde, daß in steil gestellten Schichtengruppen, in stark zusammengeschobenen, geneigten Falten, es oft nur von örtlicher Bedeutung ist, ob diese nach der einen oder anderen Richtung „übergelegt“, bzw. ob die sich hieraus entwickelnden Ueberschiebungsflächen nach der einen oder anderen Richtung geneigt sind. 8. Senkungsbrüche. Da in der böhmischen Masse jüngere Senkungsbrüche, darunter solche von beträchtlicher Sprunghöhe, eine große Rolle spielen, ist von vornherein zu erwarten, daß gewöhnliche Verwerfungen auch im mittelböhmischen Faltengebirge vorhanden sind. Wir brauchen nur an das Nächstliegende zu denken, an die zahlreichen Verwerfungen, die durch den Steinkohlenbergbau im Oberkarbon nachgewiesen sind und durch dieses hindurch in den „silurischen* Untergrund reichen, um zu erkennen, daß auch die altpaläozoischen und vorkambrischen Schichten von derartigen Brüchen durchsetzt sind. Da ist es nun merkwürdig und vielleicht bezeichnend, daß in diesen gerade Senkungs- brüche bisher am seltensten nachgewiesen sind, wobei wir zunächst abzusehen haben von jenen Längsstörungen, deren wahre Natur noch nicht ermittelt ist. Es mag sein, daß man jenen bisher zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt hat. #2) Es liegt noch heute sehr nahe dies anzunehmen. Vgl. darüber auch Kettner°) S. 184, der zur Erforschung der einander mindestens räumlich vertre- tenden Störungen wertvolle Beiträge geliefert hat°®, *°), ®) Damit wäre keine vollkommen neue Feststellung erzielt. Vorläufig mag es genügen, auf einen Hinweis Kossmats°”) aufmerksam zu machen, der gezeigt hat, daß in der Grenzregion zwischen Zentral- und Südalpen die Gegend von Sillian „einen Wendepunkt in der Tektionik des südalpinen Innenrandes“ bedeutet. „Im Osten wenden sich die Ueberkippungen gegen die Zentralzone, im Westen gegen die adriatische Mulde.* Der Uebergang von der einen Bauart zur anderen erfolgt in diesem Falle ganz allmählig. (S. 135.) 9* 68 F. Wähner. [68] Von dem Vorhandensein von Brüchen, an denen Gebirgsstücke absitzen, kann man sich unschwer überzeugen. Gute Beispiele trifft man am Westgehänge des Moldautales bei Prag. Nahe der Grenze des Untersilurs gegen das Kalkgebiet befinden sich in diesem nördlich von Slichow aufgelassene Steinbrüche, von denen einer in der Sp.-K. NO unterhalb des Punktes 284 verzeichnet ist. In diesem stehen unter den dünnschichtigen g,-Knollenkalken, durch die oben der hochgelegene Teil der Buschtiehrader Bahnstrecke Smichow-Hostiwitz verläuft, undeutlich geschichtete />-Kalke an, die von mehreren kleinen Ver- werfungen durchsetzt sind, wobei, wie an den überlagernden Knollen- kalken zu sehen ist, die gegen die Moldau folgenden Teile immer tiefer gesunken sind. Eine andere Verwerfung liegt weiter südlich an der eben erwähnten hochgelegenen Bahnstrecke, nächst dem Wächter- hause. Sie ist in einem der Lichtbilder H. Eckerts in Prag (124 der Sammlung: „Schichtenkopf am Zdirad bei Slichow“) wahrzunehmen, das aus ungefähr südlicher Richtung aufgenommen ist. Die Ver- werfung streicht annähernd parallel zum Moldautal und ist gegen dieses geneigt; zu beiden Seiten, besonders rechts von der Ver- werfung, sieht man schöne kurze Schleppungserscheinungen in den hier ziemlich dicken Knollenkalkbänken g,. Es ist zu beachten, daß das unmittelbar rechts vom sichtbaren Bruche liegende Gebirgsstück entfernt ist; der Felsen, der im Bilde hier zu liegen scheint, liegt in Wirklichkeit weiter zurück (in größerer Entfernung vom Beschauer). Die rechts liegenden Teile sind gesenkt. Manche werden geneigt sein, diese kleinen Brüche mit Krejtis nordsüdlich verlaufender „Bruch- linie des Moldautales“ in Verbindung zu bringen; es kann sich hier aber um recht junge Senkungen handeln, die mit der Talbildung zu- sammenhängen. Es gibt Querbrüche (Blattverschiebungen), an denen nicht annähernd horizontale, sondern schräg, u. zw. steil nach abwärts (oder aufwärts) gerichtete Bewegungen stattgefunden haben. J.Woldrich°) beschreibt ein bezeichnendes Beispiel aus der Gegend von Trzeban (S. 17 fi). An dem etwa gegen NNW streichenden Vockover Quer- bruche erscheint der Ostflügel nicht nur ein Stück gegen S verschoben, sondern zugleich der Westflügel gegen den ÖOstflügel gesenkt. Der Verf. macht auf die Verschiedenheiten aufmerksam, welche die d;- und e,-Schichten und die Diabasvorkommnisse zu beiden Seiten der Verwerfung zeigen, und hebt hervor, daß ein ziemlich mächtiger Streifen von. Untersilur (d,), der im OÖ ein gleichsinnig gegen NW ge- neigtes, in den obersilurischen Graptolithenschiefer eingeschaltetes Gewölbe bildet, im W der Verwerfung nicht vorhanden, sondern von Graptolithenschiefer vertreten wird. Mit Recht schließt Woldrich, daß der Westflügel gesunken erscheint und daher hier das d,-Gewölbe noch von e, überlagert ist, während in dem tektonisch höher liegenden ÖOst- flügel e, bereits abgetragen und daher d, bloßzelegt ist. Man darf hierbei nur nicht übersehen, daß dieselbe Wirkung durch die mit der seitlichen Verschiebung verbundene Hebung des Ostflügels erzielt würde. R. Kettner (S. 18355) hat zwischen Jarov und Kuchelbad eine nordsüdlich verlaufende „Moldauverwerfung“ aufgestellt und schließt aus der Unterbrechung der Porphyrlagergänge und der oben (S. 65 ff.) [69] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 69 besprochenen Längsstörung, daß die rechts der Moldau gelegenen Schichten an dieser Verwerfung abgesunken und wahrscheinlich zu- gleich ein wenig gegen N verschoben sind. Auch in einer anderen Veröffentlichung 9) scheint Kettner den Anzeichen senkender Be- wegungen nachgegangen zu sein und solche sowohl entlang von Quer- brüchen wie an Längsbrüchen festgestellt zu haben ®%). Hinsichtlich der Querbrüche ist, wie schon bemerkt, zu beachten, daß wir es, falls an ihnen neben Senkungen auch seitliche Ver- schiebungen zu beobachten sind, wahrscheinlich mit schräg nach ab- wärts (oder aufwärts) vor sich gehenden Verschiebungen zu tun haben. Wenn diese Blattverschiebungen auch (mindestens zum Teil) in einen späten Abschnitt der Gebirgsbildung zu setzen sind (vgl. oben S. 37), so gehen sie doch aus demselben Zusammenschub hervor, der sich auch in der Faltung äußert, und an einen je engeren Zusammenhang mit der’ Faltung wir denken, desto eher wird man schräg nach auf- wärts gerichtete Bewegung annehmen dürfen. Auch wenn die er- wähnten Verschiebungen nach abwärts gerichtet gewesen sein sollten, lägen in ihnen keine reinen Senkungen vor. Anderseits ist noch ein weiterer Gesichtspunkt zu berück- sichtigen. Es ist recht gut möglich, daß jüngere Senkungen, die sich hier vermutlich ebenso wie in dem weiteren Gebiete der böhmischen Masse ereignet haben, vielfach alte, teilweise noch klaffende oder durch Verkeilung und Mineralabsätze nicht vollkommen verfestigte Brüche, besonders die steiler zur Tiefe setzenden, benützt haben. Es können daher sowohl an Längsbrüchen wie an Quer- und Diagonalbrüchen bis in sehr junge Zeit Bewegungen in einem ganz anderen Sinne ein- getreten sein als in dem der ursprünglichen Bewegung zur Zeit ihrer Entstehung. So können mithin auch die Bahnen von flachen Blatt- verschiebungen, z. B. in dem von J. Woldrich beschriebenen Falle, lange nach ihrer Entstehung zu senkenden Bewegungen benützt worden sein, die mit der ursprünglichen tangentialen Verschiebung ursächlich sonst nichts zu tun haben. Sollten sich derartige junge Bewegungen an alten Brüchen häufig ereignet haben, dann hätte dies vielleicht sogar dazu beigetragen, daß wir bisher so selten imstande waren, senkende Bewegungen an Brüchen des mittelböhmischen Faltengebirges mit Sicherheit zu ermitteln. 8) Von der wichtigen Arbeit Kettners ist kürzlich während des Druckes der vorliegenden Schrift auch eine deutsche Ausgabe erschienen: Ueber Zitecer Konglomerate — den untersten Horizont des böhm. Kambriums. (Bull. internat. Ac. d. Sc. de Boh&me XX, 1915.) Aus den Lagerungsverhältnissen schließt der Verf. auf Senkungserscheinungen an einem Längsbruch und zahlreichen Querstörungen. Da derselbe seine Untersuchungen in der Gegend von Przibram fortsetzt, sind wohl noch weitere Aurklärungen über diesen Gegenstand zu erwarten. 70 F. Wähner. [70] Zusätze. Zu 8. 6 unten: Eine Uebersicht kleineren Maßstabes des Gesamtgebietes bietet Po&tas Geol. Karte der weiteren Umgebung von Prag 1:200.000 (Geol. Karte von Böhmen, Sekt. V; Archiv Natw. Ldsdurchf. von Böhmen, XII, 6). Zu 8.7, Fußnote 10: Vgl. die geol. Karte von Prag in Poüta, Der Boden der Stadt Prag. (Sitzber. d. kgl. böhm. Ges. d. Wiss. 1904, Prag 1905.) Zu 8. 27—33: Einer freundlichen Mitteilung Herrn Dr. Kettners ver- danke ich die Kenntnis einiger Arbeiten, die mich in die Lage bringt, vor Ab- schluß des Druckes ein Versehen gut zu machen. Brüche mit schichtenparallelen Rutschstreifeu sind bereits aus kambrischen Konglomeraten des südwestlichen Teiles des mittelböhmischen Faltengebirges beschrieben und abgebildet worden: Cyrill Rit. v. Purkyn&, Die Steinkohlenbecken bei Miröschau und Skofic und ihre nächste Umgeb. II. Ein Beitr. z. Morph. des Brdygebirges, S. 4, 5, Fig. 2. (Bull. internat. Ac. d. Sc. de Boh&me X, 1905.) Derselbe Verf., Tekton. Skizze des Tfemo:nägebirges zw. StraSic u. Rokycan, 8.2, 11. (Dasselbe Bull. XX, 1915.) Es scheint sich zumeist, wie in dem abgebildeten Falle, um Querbrüche zu handeln, Als bezeichnend wäre aus der ersterwähnten Schrift anzuführen: „Nur in einem der beobachteten Fälle.. fand ich die Richtung der Friktionsstreifen parallel mit dem Fallen der Paraklase, als Zeichen einer Verwerfung; bei allen übrigen be- ı chteten Paraklasen ist die Richtung der Friktionsstreifen . . parallel mit den Projektionen der Schichtflächen ... .“ Herrn Prof. v. Purkyn& gebührt mithin die Priorität für die Entdeckung jener schichtenparallelen Verschiebungen; die obigen Ausführungen aber erhalten dadurch eine mir sehr willkommene Be- stätigung. Zu 8. 32 f.: Das bekannte, in den vorkambrischen Gesteinen der Modrzaner Schlucht auftretende Konglomerat wird von einem auffallend ebenflächigen Querbruch durchsetzt, der die Gerölle glatt durchschneidet, in der Fallrichtung der Bänke gegen SO streicht und sehr steil, etwa 80°, gegen SW geneigt ist. Die bloßgelegte Bruchfläche ist mit einer stellenweise sehr dicken Quarzaus- scheidung überzogen, auf der die im Sinne des Fallens der Bänke ungefähr 30° gegen SO geneigten Rutschstreifen gut zu sehen sind. An einer beschränkten Stelle sind horizontale Rutschstreifen zu beobachten, ein Zeichen, daß — wie so oft — die Richtung der Bewegungen gewechselt hat. (Auch an einem vor Jahren hier abgetrennten Stück der Quarzausfüllung erkennt man Rutschstreifen von zweierlei Richtung.) Das eigenartige Aussehen der anderwärts in den vorkambrischen Gesteinen wahrgenommenen Quer- und Diagonalbrüche mit schichtenparallelen Rutsch- streifen beruht hauptsächlich darauf, daß die Bruchflächen durch das Auftreten kleiner Hohlkehlen mit verhältnismäßig hohen und oft ziemlich scharfen Kämmen und entsprechenden Vertiefungen sehr uneben erscheinen. Die von dem Verhalten gewöhnlicher Rutschflächen am meisten abweichende Ausbildung habe ich in einem alten kleinen Steinbruche W des Dorfes Okrouhlo im südöstlichen Moldaugebiet getroffen, wo die azoischen Schiefer auf kleinem Raume von überaus zahlreichen einander in verschiedenen Richtungen kreuzenden Brüchen durchsetzt sind. An den weitaus meisten Verschiebungsflächen sieht man auch hier schichtenparallele [71] Zur Beurteilung des Baues des mittelböhmischen Faltengebirges. 71 Rutschstreifen, es fehlen aber nicht Brüche, deren Ruütschstreifen von der Schich- tung stark abweichen. Die letzteren besitzen die genau gleiche Ausbildungsweise und zeigen damit ebenfalls, daß von einer Deutung als Verwitterungserscheinung nicht die Rede sein kann. Zu 8. 44: Kettner°) hat in der Fortsetzung der Pızibramer Letten- kluft NW von Dobfi$ eine ungefähr 100 m mächtige Ruschelzone aufgefunden, in der die vorkambrischen Gesteine stark zerdrückt und zerstückelt sind. (8. 19 und Fig. 4 auf S. 20) Bemerkungen zu den Tafeln. Die Photogramme sind auf Platten 13.18 cm aufgenommen, daher in der Wiedergabe zumeist entsprechend verkleinert. Nur das von Stud. J. John + herrührende Original von Taf. III, Abb. 2, ist 9.12 cm groß. Drei von den Zinkätzungen sind bereits anderweitig verwendet. Die Leitung des Vereins z. Verbr. natw. Kenntnisse in Wien hat die Wiederbenützung der Stöcke zu Taf. V, Akt, 1 und 2, bereitwilligst gestattet. Die Zinkätzung zu Taf. I, Abb. 1 wurde zuerst für die vom Ortsrate Prag des Deutsch. Volksrates f. Böhmen herausgeg. Schrift „Prag als deutsche Hochschulstadt“ verwendet und von der Firma Koppe-Bellmann, Akt.-Ges. in Smichow, zur Verfügung gestellt. Die sachlichen Erläuterungen zu den Tafeln sind im Text gegeben. Taf. I, Abb. 1 gibt als Nahaufnahme nur einen kleinen, aber bezeichnenden Teil der Faltungserscheinungen des Barrandefelsens wieder. Taf. VIII, Abb. 1 beruht auf zwei aneinanderschließenden Nahaufnahmen, die von demselben Punkte aus mit Zeiss’ Protarsatz Ser. VII, Kombination 4-2 (f=35 und 22 cm) hergestellt wurden. Dieses Objektiv entspricht einer Brenn- weite von 155 cm und gibt auf Platte 13.18 cm einen ausgenützten Bildwinkel von 71°. Beide Aufnahmen zusammen umfassen demnach einen Raum, der nicht weit unter einem Bildwinkel von 140° bleibt. Die nach verschiedenen Richtungen aufgenommenen Ansichten besitzen verschiedene Perspektive, in der gewöhn- lichen Art zusammengestellt ergeben sie daher kein einheitliches Bild, sondern wirken etwa wie zwei verschiedene Wände, die in einem stumpfen Winkel zu- einander stehen. Dies zeigt sich besonders deutlich an den annähernd gerade verlaufenden Linien wie dem oberen Rande der Friedhofmauer und den Eisenbahn- schienen, aber auch an den kurzen Brüchen, die alle an der Grenze der beiden aneinandergefügten Originalaufnahmen in gebrochenen Linien zusammenstoßen. Solchen Uebelständen hilft das von Max Jaff& erdachte Verfahren der Weit- raumphotographie ab. Dasselbe besteht im wesentlichen darin, daß nach den Originalaufnahmen neue Negative in der Weise angefertigt werden, daß die ersteren nicht senkrecht, sondern schief zur Objektivachse gestellt werden. Eine genaue Beschreibung des Verfahrens enthält die Oest. Photographenzeitung 1904, Heft 1, eine allgemein gehaltene die Monatsschrift der Wr. Bauhütte 1907, H. 9. Das Verfahren scheint hier das erstemal für geologische Zwecke, denen es in vielen Fällen dienlich sein dürfte, angewendet zu sein. Die S. 43 f. berührten Schleppungserscheinungen sind vom Standpunkte der Aufnahme nicht deutlich erkennbar. Die $. 43 erwähnten, von Telegraphen- drähten herrührenden Streifen erscheinen nicht in der Abbildung. 73 F. Wähner. => 1=$ X [an Si Inhaltsverzeichnis. . Geschiehtliches über die Längsbrüche. Eine tektonische Regel. . . DS Krejenee 81.3.1 Krejöi,und.E. Swessı.n.hls ee ee a Katzer near te A) SB BUO88, anna rt . Vorläufiges zur Beurteilung der Längsbrüche. . .... 2. .2.. Weitere Kennzeichen tangentialer Gebirgsbewegung- . ...... a) Bewegungsspuren an Schichtflächen . . . ».. 2. 222.22 20. b) Ablösung von Sehiehtengruppen.. „W.T SE c) Beobachtungen’an’Querbrüchen „N -; : WE EI ER. d) Isoklinale’Eagerung” „rn. TI RER a a Veberschiebungen „0... un. 0 een ee No . Kolonien. ...... ee ie ee ee me N NEN . Diabas-Lagergange. ,„ . .. .ue.e 0 ee ee ee . Symmetrischer Bau. ... . cs... 0.0 Men Tue PeuME LEGE „Benküungsbrüche .. ..- Ka. u een Meilre, SoHRsracn LEERE BE ZUSEDE. 040 00 ee gern el er a le re [72] Chemische Untersuchung der Schwefelquelle in Luhatschowitz. Von C. F. Eichleiter und ©. Hackl. Auf Ersuchen der Badedirektion Luhatschowitz wurde eine Analyse der dortigen Schwefelquelle durchgeführt. Zur Probenahme begab sich Hackl im Juni 1913 an Ort und Stelle. Die Quelle, eine Vereinigung von vier kleineren Quellen, ist zirka 300 m vom Kurplatz entfernt und war schon längere Zeit bekannt. Nach Mitteilung der Badedirektion wurde sie vor 30—40 Jahren zum erstenmal in 3 m Tiefe mit Steinen gefaßt. Im Jahre 1912 erfolgte eine Neufassung, welche die Ergiebigkeit bedeutend erhöhte. Der Schacht ist jetzt 10 m tief, die oberen 5 m sind mit Beton eingefaßt, die unteren mit gebrannten Ziegeln. Bei normalem Wasserstand steigen keine Gasblasen auf, sondern erst bei bedeutender Senkung des Wasserspiegels durch starkes, rasches Auspumpen. Die Temperatur des Wassers betrug am 10. Juni 1913 Nachmittag 9°2°C, am 11. Juni 1913 um 11 Uhr Vormittag bei 17:8°C Lufttemperatur im Schatten und 7342 mm Barometerstand gleichfalls 92°C. Nach Angabe der Badedirektion ist dieselbe sehr konstant, die Ergiebigkeit jedoch variabel, und zwar durchschnittlich 0:57 2 pro Sekunde (= 492°5 hl in 24 Stunden). Drei frühere Analysen von Stränsky (Brünn) stammen aus den Jahren 1911 und 1913 und wird über dieselben weiter unten berichtet. Das frische Wasser zeigt sehr geringe weißliche Trübung und riecht sehr deutlich nach Schwefel- wasserstoffl. In einem verstopften Kolben trat mit ammoniakalischem Bleiazetatpapier erst nach einer Viertelstunde schwache H,S-Reaktion ein, nach dem Ansäuern des Wassers mit HCl aber binnen wenigen Sekunden ziemlich stark. Was die Vorbereitungen zur Analyse betrifft, so ist zu erwähnen, daß am 10. Juni 1913 außer der großen Wasserprobe in Mineralwasser- flaschen (zur Probenahme mit der Fresenius’schen Füllvorrichtung versehen) und einem großen Glasballon auch die notwendigen kleineren Proben genommen wurden; und zwar zur Bestimmung der Gesamt- kohlensäure drei Kolben, in welchen sich kohlensäurefreies Calcium- hydroxyd und Chlorcalecium befand, mittels der Fresenius’schen Vorrichtung mit Wasser gefüllt und hierauf mit Kautschukstopfen und Bindfaden verschlossen wurden; zur Gesamt-AH,S- und genauen Schwefelsäurebestimmung zwei Kolben, in welchen sich Cadmiumchlorid befand, wie vorher mit Wasser gefüllt und verschlossen wurden; und Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., !. Hft. (Eichleiter u. Hackl.) 10 74 C. F. Eichleiter und O. Hackl. [2] ferner zur Bestimmung von Thiosulfat ein Kolben, in dem sich Cadmium- nitrat befand (um bei der Fällung mit Silbernitrat möglichst wenig Ag Cl zu bekommen), ebenso gefüllt und verschlossen wurde. Alle Kolben wurden knapp vor der Füllung samt Reagenzien und Kautschuk- stopfen gewogen und knapp nach der Füllung (ohne Bindfaden) wieder. Am 11. Juni wurde die Probenahme frei entströmender Gase versucht, doch auch nach lange fortgesetztem intensivem Pumpen und sehr bedeutender Erniedrigung des Wasserspiegels stiegen die Blasen nur sehr vereinzelt und an sehr verschiedenen Stellen auf, so daß auch mit Hilfe einer Leiter die nötige Menge nicht zu bekommen war. Hierbei hat sich übrigens auch das verwendete Bunsen’sche Gas- sammelröhrchen mit Auffangtrichter sehr wenig bewährt, denn wenn, wie es leider gewöhnlich der Fall ist, das Gas im Trichter oder in der Verengerung der Röhre zurückgehalten wird, dann hilft auch meistens das empfohlene Klopfen auf eine harte Unterlage sehr wenig oder gar nicht. Hackl hat deshalb eine neue Vorrichtung konstruiert, die sich bereits bestens bewährt hat und bei Gelegenheit publiziert werden soll. Die Bestimmungen von Cl —+-Br--J, Si0,, Al, Ca Sr 4 Ba, Mg, K, Na, P,O, und NH, stammen von Eichleiter, alles Uebrige wie auch Ausarbeitung und kritische Stellungnahme wurde von Hackl durchgeführt. Und nun zu den angewendeten Analysenverfahren: Die Gesamt-Kohlensäure bestimmung wurde an der Quelle vorbereitet und mit einem etwas modifizierten Fresenius-Classen- Apparat ausgeführt, durch Austreiben und Absorption des CO, in Natronkalk nach vorheriger Bindung des H,S an Kupfervitriol- Bimsstein. Der Gesamt-Schwefelwasserstoff wurde durch Filtrieren des an der Quelle gefällten Schwefelcadmiums, Oxydation mit Brom- salzsäure, Abdampfen und Fällung mit Chlorbaryum in schwach salz- saurer Lösung bestimint. Auf Thiosulfat wurde im Filtrat vom CdS durch Fällung mit Silbernitrat und Lösen des Chlorsilbers in Ammoniak geprüft. SO, konnte, da Thiosulfat nur in Spuren vorhanden war, nach dem Filtrieren des Cd S im Filtrat, ohne Kochen mit CI im CO,-Strom, nach dem Ansäuern mit Salzsäure durch Fällung mit Chlorbaryum bestimmt werden. Ol-- Br—.J wurde nach Fresenius, Quant. Analyse, 6. Aufl., 2. Band, pag. 207, bestimmt. Si0,, Al, Ca+S8r—+ Ba und Mg wurden nach dem gewöhnlichen Verfahren in einer Portion bestimmt, jedoch jede Fällung zweimal nacheinander ausgeführt; Al wurde von Fe durch Kalilauge getrennt. K und Na wurden durch Abscheidung der Schwefelsäure mittelst Chlorbaryum, Trennung von den anderen Basen mittelst Baryumhydroxyd und Abscheidung des Ba durch Ammonkarbonat als Chloride bestimmt und mittelst Platinchlorid getrennt. Auf P,O, wurde nach Fresenius, Quant. Analyse, 2. Band, pag. 218, geprüft. NH, ist nach Fresenius, pag. 219, 1. Verfahren, bestimmt worden. [3] Chemische Untersuchung der Schwefelquelle in Luhatschowitz, 75 Auf Arsen wurde durch Eindampfen von 1!/, ! unter Sodazusatz, Filtrieren und Ausführen der Bettendorf’schen Reaktion mit dem Filtrat geprüft; dieselbe fiel negativ aus. Einleiten von H,S in die schwach salzsaure Lösung gab nicht die geringste Fällung. Eine Parallelprobe mit 1 mg As0, in gleicher Flüssigkeitsmenge ergab jedoch sehr deutliche Fällung. Eventuell vorhandenes As mußte deshalb weit unter dieser Menge sein, weshalb darauf auch noch in einer sehr großen Wassermenge geprüft wurde, siehe weiter unten. Auf Blei wurde nach dem Verfahren von Frerichs (Lunge- Berl, chem.-techn. Untersuchungsmethoden, 6. Aufl., 2. Band, pag. 275) mit Hilfe von Watte geprüft. In 1 ! war keine Spur nachweisbar. Zum Eisennachweis wurden 100 cm? Wasser aus frisch ge- öffneter, vollgefüllter Flasche mit einigen Tropfen Ammoniak und frischem H,S-Wasser versetzt; es entstand deutliche Bräunung, welche durch Essigsäurezusatz völlig verschwand, also nicht von Pb oder Cu herrührte. Die Bestimmung erfolgte in Anbetracht der geringen Menge durch kolorimetrische Titration: 500 g Wasser wurden in einem hohen Becherglas auf Filtrierpapierunterlage mit 5 cm® H,S-Wasser und zwei Tropfen Ammoniak versetzt. In einem zweiten gleichen Becherglas wurde in 500 g destilliertes Wasser, ebenfalls mit 5 cm? H,S-Wasser und 2 Tropfen Ammoniak versetzt, aus einer Bürette tropfenweise eine Lösung von 0°0700 g Mohr’schem Salz in 100 cm? Wasser (mit 1 Tropfen Schwefelsäure und etwas H,S-Wasser versetzt; 1 cm®—=0'lmg Fe) bis zum gleichen Farbton zugegeben. Mangan wurde durch Verdampfen von 100 cm? Wasser mit Salpetersäure, Abdampfen mit HNO,, Aufnehmen mit verdünnter Salpetersäure und Kochen mit Bleisuperoxyd nachgewiesen. Die Be- stimmung erfolgte kolorimetrisch durch Eindampfen von 500 4 Wasser mit Salpetersäure, zweimaliges Abdampfen mit HNO,, Lösen in Salpetersäure, Kochen mit Bleisuperoxyd und Filtrieren durch Asbest; in ein gleiches Volumen verdünnter Salpetersäure wurde aus einer Bürette tropfenweise eine Lösung von 0'0288 g KMnO, in 100 cm? II,O (1 cem®=0'1 mg Mn) gegeben, bis der gleiche Farbton erreicht war. Auf Salpetersäure wurde mit Brucin und Schwefelsäure geprüft; ergab nur Spuren. Auf salpetrige Säure wurde ebenfalls mit Brucin und Schwefelsäure geprüft; da keine Reaktion eintrat, wurde nach Ab- scheidung des Eisens mit Jodkalium und Stärke geprüft, und weil auch hierbei keine Reaktion erhalten wurde, auch noch mit Metaphenylen- diamin, wodurch die Abwesenheit von NO, sichergestellt wurde. Die organischen Substanzen wurden nach Kubel durch Oxydation in saurer Lösung bestimmt. Fluor, Lithium, Cäsium, Rubidium und Thallium wurden in 20 ! bestimmt, beziehungsweise nachgewiesen. Diese Menge wurde auf zirka 300 cm? eingedampft (Sodazusatz war nicht notwendig, weil alkalische Reaktion vorhanden war und bestehen blieb), dann wurde, um alles Fluor in den Niederschlag zu bekommen, nach Casares Chlorcaleium zugesetzt und gekocht, hierauf filtriert und mit Wasser gewaschen. Das so erhaltene Filtrat diente zur Lithium- bestimmung. Der alles Fluor enthaltende Niederschlag wurde mit 10* 76 C. F. Eichleiter und O. Hackl. [4] verdünnter Essigsäure behandelt, zur Trockne abgedampft, mit Wasser aufgenommen, filtriert und gewaschen. Der verbliebene Rückstand wurde verascht, mit Kalium-Natrium-Karbonat verrieben und bei niedriger Temperatur im Platintiegel aufgeschlossen, die Schmelze mit Wasser ausgelaugt, filtriert, die Lösung auf dem Wasserbad mit Ammonkarbonat erwärmt, filtriert, zur Trockne verdampft und mit Wasser aufgenommen; hierauf etwas Natriumkarbonat und eine Lösung von Zinkoxyd in Ammonchlorid und Ammoniak hinzugefügt und verdampft bis zum Verschwinden des Ammoniakgeruchs, filtriert, das Filtrat mit Chlorcaleium gekocht, filtriert, mit heißem Wasser ge- waschen, den Niederschlag im Platintiegel geglüht, mit verdünnter Essigsäure ausgezogen, den Rückstand mit Wasser gewaschen, geglüht und das Caleiumfluorid gewogen und mikrochemisch identifiziert. Zur Lithiumbestimmung wurde das entsprechende Filtrat samt Waschwasser zur Trockne verdampft, mit Wasser aufgenommen, filtriert, das Filtrat mit Salzsäure schwach angesäuert, stark konzentriert und mit Platinchlorid und Alkohol gefälit, wobei durch mikrochemische Verfolgung der Ausfällung der Alkohol- und Wasserzusatz geregelt wurde; hierauf mit verdünntem Alkohol gewaschen und den Nieder- schlag zur Prüfung auf Cäsium, Rubidium und Thallium verwendet, siehe unten, Aus der das Lithium enthaltenden Lösung wurde der Alkohol verjagt und dann das Platin durch Einleiten von Wasserstoff auf dem Wasserbad ausgefällt; das Filtrat wurde mit Barytwasser gekocht und eingeengt, nach dem Filtrieren die Lösung mit Ammoniak und Ammonkarbonat erwärmt, hierauf wieder filtriert, Filtrat und Waschwasser in einer Platinschale verdampft und die Ammonsalze abgeraucht. Der Rückstand wurde wiederholt mit Ather-Alkohol aus- gezogen, die Lösung im Wasserbad verdampft, mit Wasser aufgenommen, mit Ammoniak und Ammonkarbonat erwärmt, die erhaltene minimale Fällung abfiltriert, das Filtrat eingedampft, mit Salzsäure abgedampft und schwach erhitzt. Der erhaltene Rückstand wurde nochmals mit Aether-Alkohol extrahiert, filtriert, die Lösung verdampft, in etwas Wasser gelöst; mit wenig Schwefelsäure versetzt, eingedampft, der Schwefelsäureüberschuß abgeraucht, schwach geglüht und das Li als Li,SO, gewogen und mikrochemisch identifiziert. Zur Prüfung auf Cs, Rb, TI wurde der oben erhaltene Kalium- platinchlorid-Niederschlag wiederholt mit kleinen Mengen Wasser ausgekocht, der Rückstand schwach geglüht, mit Wasser aufgenommen und das Platin abfiltriert; das eingeengte Filtrat ergab bei mikro- chemischer Prüfung deutliche Spuren von Thallium, Cäsium und Rubidium. Arsen, Bor, Brom, Jod; Baryum, Strontium, Titan, Uran), Beryllium?!) und seltene Erden!). Zur Bestimmung, beziehungsweise Nachweisung dieser Bestandteile wurden 50 Z unter Sodazusatz auf zirka 1/, ! eingedampft, worauf der Niederschlag filtriert und gewaschen wurde. In der Lösung (a) war As, B, Br und J zu bestimmen, beziehungsweise nachzuweisen, im Rückstand (b) As, Ba, ... 1) Die Prüfung auf diese Bestandteile wurde deshalb vorgenommen, weil die beiden früheren Analysen von Stränsky Be und seltene Erden angegeben haben. [5] Chemische Untersuchung der Schwefelquelle in Luhatschowitz. 77 Sr usw. Lösung a wurde auf 1 / aufgefüllt und in zwei gleiche Teile, entsprechend je 25 ! Wasser, geteilt; in der einen Hälfte (k) war As und B zu bestimmen, in der anderen (!) Br und J. Lösung %k wurde konzentriert, mit HC1 angesäuert und daranf in der Wärme gereinigter H,S eingeleitet, um As usw. zu fällen, es entstand jedoch keine Spur eines Niederschlages. Die hieran anzu- schließende Bestimmung der Borsäure mußte unterbleiben, da sowohl in der Lösung ! (siehe unten) als auch bei direkter Prüfung auf B durch Eindampfen von 2! Mineralwasser, Auskochen mit Wasser, Fil- trieren, Konzentrieren der Lösung, Ansäuern mit Salzsäure und Prüfung mit Kurkumapapier nur eine Spur Borsäure gefunden wurde. Lösung ! wurde unter Sodazusatz zur Trockne verdampft, der Rückstand zerrieben, mit heißem Alkohol ausgezogen und der Auszug nach Zusatz eines Tropfens Natronlauge zur Trockne verdampft, mit Wasser aufgenommen, filtriert und gewaschen, das Filtrat auf 100 cm3 aufgefüllt und halbiert, um in der einen Hälfte (entsprechend 12:5 I Wasser) Jod mit Palladiumchlorür zu fällen, in der anderen Br-J mit Chlorwasser zu titrieren. Es wurde deshalb die eine Hälfte mit Salzsäure schwach angesäuert, mit Palladiumchlorür versetzt und in der Wärme 24 Stunden stehen gelassen. Da keine Fällung erhalten wurde, so wurden von der zweiten Hälfte zu 50 cm? 10 cm? (entsprechend 25 I) zur qualitativen Prüfung verwendet, stark konzentriert, mit Schwefelsäure angesäuert, mit Schwefelkohlenstoff und Kaliumnitrit auf Jod, und darauf durch Zusatz von Chlorwasser auf Brom geprüft; dies ergab Jod und Brom, beide in sehr geringen Spuren. Der Rest der zweiten Hälfte, 40 cm? (entsprechend 10 /) wurde so stark als möglich konzentriert, mit Salzsäure angesäuert und mit Kurkumapapier auf Bor geprüft, wovon eine Spur gefunden wurde.. Durch Zusatz von Stärke und Kaliumchloratlösung wurde mikrochemisch die Brom- und Jod-Prüfung kontrolliert und es ergaben sich wieder Spuren dieser beiden Bestandteile. Rückstand 5b wurde zur Untersuchung auf As, Ba, Sr usw. in Salzsäure gelöst, unter Zusatz einiger Tropfen Schwefelsäure zur Trockne verdampft, mit Salzsäure und Wasser aufgenommen, filtriert und gewaschen. Rückstand ce auf Ba und Sr, Filtrat d auf As usw. zu prüfen. Rückstand ce wurde verascht und geglüht, dann mit Schwefel- säure und Flußsäure die Kieselsäure entfernt und die Schwefelsäure abgeraucht, hierauf mit Kaliumpyrosulfat aufgeschlossen, die Schmelze mit kaltem Wasser ausgelaugt und filtiert; das Filtrat gab mit Schwefel- säure und Wasserstoffsuperoxyd geprüft eine sehr geringe Spur Titan zu erkennen. Der verbliebene Rückstand wurde mit Soda geschmolzen, mit Wasser ausgelaugt und ausgewaschen, der Rückstand in wenig Salzsäure gelöst und Ba durch einige Tropfen verdünnter Schwefel- säure gefällt. Nach dem Absetzen wurde filtriert und ausgewaschen; Niederschlag M, Filtrat N. Letzteres wurde mit Alkohol versetzt und längere Zeit stehen gelassen, hierauf filtriert, der Niederschlag verascht, mit Soda aufgeschlossen, mit Wasser ausgelaugt und der Rückstand in Salpetersäure gelöst (Lösung 2). Niederschlag M in Anbetracht der geringen Menge im verschlossenen Trichter mit Ammonkarbonat über- 78 C. F. Eichleiter und O. Hackl. [6] gossen und 12 Stunden stehen gelassen, nach dem Abfließen der Flüssigkeit mit verdünnter Salpetersäure behandelt und ausgewaschen; Lösung y, Niederschlag nach dem Veraschen als BaSO, gewogen. Filtrat d wurde bei 70° mit gereinigtem Schwefelwasserstoff behandelt, dann filtriert und gewaschen; Niederschlag e, Filtrat f. e wurde zur Prüfung auf As auf dem Filter mit einem warmen Gemisch von Am- moniak und Wasserstoffsuperoxyd behandelt, das Filtrat verdampft, mit Salpetersäure abgedampft, in verdünnter Salpetersäure gelöst, ammoniakaiisch gemacht und mit Magnesiamixtur versetzt 24 Stunden lang stehen gelassen ; ergab keine Arsensäure. Filtrat / wurde durch Erwärmen vom Schwefelwasserstoff befreit, nach dem Filtrieren mit Wasserstoffsuperoxyd oxydiert, dessen Ueberschuß durch Kochen zer- stört und hierauf die Fällung von Fe, Al usw. durch Ammoniak vor- genommen. Nach dem Filtrieren und oberflächlichem Auswaschen wurde der Niederschlag in Salzsäure gelöst, die Ammoniakfällung wiederholt, filtriert und ausgewaschen; Filtrat vereinigt mit dem Filtrat von der ersten Fällung — Lösung g, Niederschlag . g mit Salzsäure angesäuert, konzentriert, ammoniakalisch gemacht, mit Schwefelammonium gefällt und nach längerem Stehen filtriert. Der Niederschlag war in verdünnter Salzsäure vollständig löslich, also kein Kobalt und Nickel vorhanden. Das Filtrat wurde konzentriert, mit Salzsäure versetzt, weiter konzentriert, filtriert und das Filtrat in der Wärme mit Ammoniak und Ammonkarbonat versetzt, der Niederschlag dekantiert und ausgewaschen und in verdünnter Salpeter- säure gelöst, Lösung y und z (siehe oben) zugegeben, verdampft, im Luftbad getrocknet, mit Aether-Alkohol behandelt, der Rückstand in Wasser gelöst, Strontium mit Schwefelsäure und Alkohol gefällt und als Sr SO, gewogen. Niederschlag h war auf De, Ur und seltene Erden zu prüfen. Er wurde mit Ammonkarbonat und etwas Schwefelammon behandelt und filtriert; Filtrat «, Niederschlag ß. «, enthaltend eventuell vorhandenes Be!) und Ur, wurde eingedampft und mit Salzsäure zersetzt, abgedampft, mit verdünnter Salzsäure aufgenommen, filtriert, Filtrat mit Natriumhydroxyd im Ueberschuß versetzt und filtriert. Der erhaltene Niederschlag war auf Ur zu prüfen. Das Filtrat wurde mit Salzsäure angesäuert, um Be mit Ammoniak zu fällen, es trat jedoch keine Fällung ein. Der auf Ur zu prüfende Nieder- schlag, welcher anscheinend Eisen enthielt, wurde deshalb nochmals mit Ammonkarbonat und Schwefelammon extrahiert, filtriert, das Filtrat eingedampft, mit Salzsäure zersetzt, abgedampft, mit ver- dünnter Salzsäure aufgenommen, filtriert und mit Natriumhydroxyd versetzt. Der entstandene geringe Niederschlag wurde nach dem Filtrieren und Waschen in Salzsäure gelöst; eine Probe davon gab mit gelbem Blutlaugensalz blaue Fällung, eine andere nach dem Abdampfen der Säure und Aufnehmen mit wenig Wasser keine Fällung mit Wasserstoffsuperoxyd; also ist etwas Eisen durchgegangen und die Trennung durch Ammonkarbonat und Schwefelammon nicht vollständig und Uran nicht vorhanden. Niederschlag ß wurde zwecks Prüfung auf ‘) Berylliumhydroxyd ist in Ammonkarbonat löslich und wird daraus durch Schwefelammon nicht gefällt. [7] Chemische Untersuchung der Schwefelquelle in Luhatschowitz. 19 seltene Erden in Salzsäure gelöst, abgedampft, mit möglichst wenig Salzsäure und Wasser aufgenommen und die Lösung mit Oxalsäure und Ammonoxalat versetzt; es wurde keine Fällung von seltenen Erden erhalten. Da im klaren Wasser kein Arsen gefunden werden konnte, so wurde noch der Bodensatz von acht großen Mineralwasserflaschen darauf geprüft; und zwar durch Filtrieren, Waschen, Oxydation mit Salpetersäure, Verdampfen, Aufnehmen mit verdünnter Salpetersäure, Einleiten von Schwefelwasserstoff in der Wärme, Filtrieren, Oxydation der Fällung auf dem Filter mit warmem ammoniakalischen Wasserstoff- superoxyd, Verdampfen der Lösung, nochmalige Oxydation und Ver- dampfung mit Salpetersäure, Aufnehmen mit verdünnter Salpetersäure und Versetzen mit Ammoniak und Magnesiamixtur. Es wurde dadurch auch nach 24 Stunden keine Arsensäurefällung erhalten. Quantitative Resultate. Gesamt-Kohlensäure: Wasser CO, co, 30487 9 . . . 0'1238 g, entsprechend 04061 g pro 1 kg Wasser. 28752 9g . . . 0'1157 g, entsprechend 04024 4 pro 1 kg Wasser. 30021 y . . „ 0:1215 g, entsprechend 04047 g pro 1 kg Wasser. | Durchsehnittswert:- 0:4044 g CO, pro 1 kg!) Wasser. 0:4046 g CO, pro 1 1!) Wasser. Gesamt-Schwefelwasserstoff: Wasser BaSO, | BaS0, H,S 28727 9... 0:0019 g; 1 %kg Wasser... 0'006614 9... . 0:0009654 g 30160 9 ..... 0:0020 g; 1 kg Wasser... 0:006631 9... . 0:0009679 g Durchschnittswert: 0:0009666 g H,S pro 1 kg. 0:0009671 g H,S5 pro 111. Thiosulfat: Spur. Schwefelsäure: 300:05 g Wasser... . 001619 BaSO,; 1 kg... . 0:05366 9 BaS0O,. 30160 g Wasser... .. 0:0164g BaSO,; 1 kg... 005438 g BaS(,. Durchnittswert: 005402 g BaSO, . .... 0:01852 g SO; . . . 0:02222 g SO, pro 1 kg. 0:01853 9 SO, . . . 0:02224 g SO, pro LI. Chlor: 2 kg Wasser... 00730 9. AgCl?)... „001804 g Cl. 0:00902 g Cl pro 1 kg; 0:00903 g Cl pro 11. 1!) Bestimmung des spezifischen Gewichtes siehe weiter unten. ?) Br und J sind nur in Spuren vorhanden. 80 C. F. Eichleiter und O. Hackl. [8] Kieselsäure: 5 kg Wasser... .. 00440 g SiO,. 1%g .. . 0.008877 8105277 0:01145%9 178:0;: 12....20:00880417 87057... 0.011936 77715220, Eisen: 5 kg Wasser . .. 0'0040 g F&0;. 1 kg... „000089 26&,0,% >. 0.000727 #207, 000056 g72R: Aluminium: 5 kg Wasser... 0.0020 g Al,O;. 1 kg Wasser 0:0004 g AlO; . . . 00002121 g Al. Calcium: 5 kg Wasser . ... 0:6647 g CaO. 1 kg Wasser... 0:13294 9 CaO ..... 0'09504 g Ca. 12 Wasser... 01530 9 CaO'. .. . 0:09509 9.02: Magnesium: 5 kg Wasser... .. 0'5233 9 Mg,PaO.. 1 kg Wasser ... 0:10466 9 Mg, P,07 ...0:037935 g MgO...... 0:02290 g Mg. 1 ! Wasser ... 0:03795 9 MgO ..... 0'02291 g Mg. Alkalien: 5 kg Wasser. . . 04375 g KÜl --- NaCl + LiCl; 02710 9 K,PtCl,. 1 kg Wasser... . 0:0875 g KCI + NaCl + LiCl; 0:0542 9 K,PtCl, = — 001665 g KON . . 001052 9 0. . . 0:008736 9 X pres 001053 9 K,0 . . . 0:008740 g K pro 11. 0:07085 g NaCl —+ LiCl — 0:00008 g Li0l}) 0:07077 g Na0l... 0.037569 NO... 002788 g Na pro 1 kg. 0:03758 9 Na0. .. 002790 dg Na pro 1. Ammonium: 2 kg Wasser... . 0:0095 g Pt Gegenversuch . .. — 0:0035 g Pt 0:0000 g Pt 1 kg... 0'0050 g Pt... 0 0005255;9 NZ... . 000055667 DEE 1 2 ee 0:0005257 9 NH; .. . 0'0005568 g NH,. Phosphorsäure: In 5 kg Wasser nur unbestimmbare Spur gefunden. Arsen: In 50 ! nicht nachweisbar. Blei: In 1 ! nicht nachweisbar. Eisen, kolorimetrisch bestimmt: Für 500 g Wasser 2:7 cm? der Lösung von Mohr’schem Salz (l cm®...O'1 mg Fe) verbraucht; 500 g Wasser enthalten also 0:27 mg Fe. 1 kg Wasser... .. 0:00054 9 Fe... . 0:00069 g FeO. 12 Wasser... .. 000054 g Fe... 0.000695 9 Fe. !) Die Lithium Bestimmung siehe weiter unten. [9] Chemische Untersuchung der Schwefelquelle in Luhatschowitz. 81 Mangan, kolorimetrisch bestimmt: Für 500 9 Wasser 0:7 cm? KMnO,-Lösung (l cm? ... 0'1 mg Mn) verbraucht; 500 g Wasser enthalten also 0'07 mg Mn. 1 kg... 000014 g’ Mn . .. 0:00018 g MnO. Salpetersäure: Spur. Salpetrige Säure: Nicht vorhanden. Organische Substanz: 100 y isn nach Kubel in saurer Lösung oxydiert durch Titration mit Oxalsäure-Lösung und 7 R 3 ’ 3 75 KMnO,-Lösung; 10°0 cm O6 Oxalsäure-Lösung . .. 10°7 cm e Lösung; Gesamt-Permanganatverbrauch 113 cm?, Verbrauch an Rn 10°0 cm?. Zur Oxydation wurden also 11:3—10'7 = 0'6 cm? ca. m KMnO,-Lösung verbraucht. 0:00316 n 3 Au 2 . l cm? ca. 100 K MnO,-Lösung . .. . 107 9 KMnO, 0:0008 0'00316 1077 9.0; für 1 kg Wasser‘... 10.06 ——— 107 9 KMnO, 10.06 i nn 9 © verbraucht —= 0'00177 g KMnO, ... 0000449 g O. Unter der Annahme von Wood und Kubel, daß 1 Teil KMnO, 5 Teilen organischer Substanz entspricht, ergibt dies 0:00885 y organische Substaz pro 1 kg. Eluor: 20.2 ,.. . 001819 Caf,. ...... 0008815% F. 11... 00004407 gF, 1%kg ». . 0'0004405 g F.. Lithium: 201... 0.0021 g Li,SO,. 12... 0:00002866 g Li,O ... . 000001340 g Li. 1 kg... . 000002865 g Li,O .. . . 000001340 g Li. Cäsium, Rubidium und Thallium: Spuren. Bor, Brom, Jod, Titan: Spuren. Baryum: 501... 00401 g Ba SO,. 1,1%g... 0000527 y BaO .. . 0:000472 g Ba. Strontium: 50 2... 00010 g SrSQ,. 11, 1%g... 000001128 g SrO... . 000000954 y Sr. Uran, Beryllium und seltene Erden: In 50 ! nicht nach- weisbar. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 1. ft. (Eichleiter u. Hackl.) 11 82 F. Eichleiter und O. Hackl. 110] Spezifisches Gewicht: Pyknometer leer . Wr 22.1691 g Pyknometer mit dest. Wasser von 172° C gefüllt 59.4575 „ Pyknometer mit Mineralwasser von 172° C gefüllt 59-4756 „ 37-3065 372884 Temperatur. Abdampfrückstand bei 130° C in der Platinschale getrocknet: 04028 g pro 1 kg. — 10005 bei 172% C, bezogen auf Wasser gleicher Resultate, berechnet und zusammengestellt nach dem Vorgang des Deutschen Bäderbuches !). Analytiker: Eichleiter und Hackl (Chem, Lab. d. k. k. geol. Reichsanstalt) 1913/14. Spezifisches Gewicht: 1'0005 (bei 172° C, bezogen auf Wasser von 172° C). Temperatur: 9-20 C (bei 17'8° C Lufttemperatur am 11. Juni 1913 um 11 Uhr Vormittag). Ergiebigkeit: 492°5 hl in 24 Stunden ?). In 1 kg Wasser sind enthalten: Kationen Gramm Mill-Mol en Acuuivalent Ammonium-Ion (NH,') 0:0005566 003080 0.053080 0:38 Lithium-Ion (Li)... . 0:0000134 0:001906 0:001906 0:02 Kalium-Ion (X) . ... 0:008736 02231 02231 2:74 Natrium-Ion (Na‘) ... 0:02788 1'2095 12095 14'87 Calcium-Ion (Ca)... 009504 2368 4'736 58-21 Strontium-Ion (Sr *') . 0:00000954 0000109 0000218 0.003 Baryum-Ion (Da). . 0:000472 0:003434 0006868 0:08 Magnesium-Ion (Mg) 0:02290 09401 18802 2311 Ferro-Ion (Fe'')... .. 0:000540 0:009663 0019326 0:24 Mangano-Ion (Mn *') . 0:000140 0:002545 0005090 0:06 Aluminium-Ion (Al'::) 0:0002121 0007826 0.023478 0:29 8:136 10000 !) Wir bemerken hierzu, daß wir mit den theoretischen Anschauungen, auf welchen diese Darstellungsweise beruht, nicht einverstanden sind; doch haben wir sie aus praktischen Gründen gewählt, besonders auch zwecks leichteren Ver- gleiches mit anderen Mineralwasseranalysen, welche ja nun — was Deutschland und Oesterreich betrifft — sämtlich in gleicher Weise im Deutschen und im Oesterreichischen Bäderbuch dargestellt sind. Wer sich für die theoretische Kon- troverse interessiert, sei auf folgende Arbeiten von Hackl verwiesen: „Ueber die Anwendung der Ionentheorie in der analytischen Chemie“, Jahrbuch d. k. k. geol. R.-A. 1912, pag. 613--648 und „Analysenberechnung und chemische Beur- teilung von Mineralwässern“, Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1915, pag. 123—129. Zur leichteren Orientierung über den chemischen Charakter des Wassers wurde die Tabelle der relativen Aequivalentprozente hinzugefügt. ?) Berechnet aus der durchschnittlichen Ergiebigkeit 0:57 2/1 Sek. [11] Chemische Untersuchung der Schwefelquelle in Luhatschowitz. 83 In 1 kg Wasser sind enthalten: Relative Anionen Gramm Mill-Mol Felle er So ooleerni Hydrosulfid-Ion (H8°) 0:0005080 0'015 0:015 0:18 Fluor-Ion (F') .... 0:0004405 0:02312 0:02313 028 Chlor-Ion (01) .. . . 0:00902 02544 02544 3:13 Sulfat-Ion (SO,‘“). . . 002222 02313 04626 969 Hydrokarbonat - Ion (HCO;')..... . 0:4503 7381 7381 90:72 0.6390 12:70 8:136 10000 Kieselsäure (meta 2,80), 2 0:01145 0:1457 0.6504 1285 Organische Substanz 000885 0:6593 Freier Schwefelwasser- stoff (4,8) . . . . 0'0004430 0:013 Freies Kohlendioxyd OR TED 0:07964 1'810 0:7394 14:67 Ferner Spuren von Nitrat-, Brom-, Jod-, Thiosulfat-, Hydro- phosphat-Ionen, Borsäure, Titansäure und mikrochemisch festgestellte Spuren von Cäsium-, Rubidium- und Thallium-Ionen. Die Zusammensetzung dieses Wassers entspricht einer Lösung, welche in 1 kg enthält: Gramm Ammoniumchlorid (NH, Ol) . 0:001649 Lithiumchlorid (LiC)).. 0:00008097 Kaliumchlorid (KCl) 0:01654 Kaliumsulfat (K,SO,)) . . 0:0001247 Natriumhydrosulfid (NaHs) 0:0008621 Natriumfluorid (Na#') 0:0009735 Natriumsulfat (Na,S0,) . 003111 Natriumhydrokarbonat (NaH00,). 0:06163 Caleiumhydrokarbonat [Ca(HCO;),] . 03840 Strontiumhydrokarbonat [Sr(HCO,),] . 0:0000228 Baryumhydrokarbonat [ba(H00,),] . . 00008911 Magnesiumhydrokarbonat [Mg(HCO;),| . 0'1376 Ferrohydrokarbonat [Fe(HCO,),] . 0001719 Manganohydrokarbonat [Wn(HCO,),] . 00004505 Aluminiumsulfat [Al,(SO,); ] . 0.001340 0:6390 Kieselsäure (meta) (H,8i0,) 0:01145 2 06504 Organische Substanz . . 0:00885 0:6593 Lr*® 34 C. F. Eichleiter und O. Hackl. [12] h Gramm Freier Schwefelwasserstoff (4,8). . . 0'0004430 1) Freies Kohlendioxyd (CO,). . . . . 007964) 07394 Die Summe der gelösten festen Bestandteile beträgt ca. 0'66 g, wobei Hydrokarbonat- und Calcium-Ionen überwiegen; der Gehalt an freiem Schwefelwasserstoff beträgt 0'44 mg. Dieses Wasser ist dem- nach als schwach erdalkalische Schwefelwasserstoff- quelle zu bezeichnen. Im folgenden geben wir noch die vor unserer Analyse durch- geführten Untersuchungen dieser Mineralquelle wieder); sie stammen sämtlich von Stränsky (Brünn). I. Analyse, 1911. 1 ! enthält: Gramm H5S-.Irel. oe De. ee = SR NIE Cl gebunden = =... ee a) L) |Se) Schwefelsäure sebiinnen u RUEN 2 7002ER Kohlensäure gebunden - ..:.. 1. 2: wan01027 0, DARBBsweRıE 1.51 Male, OO Gele Hal mals, BUND EIER Macesiun: 41a ZH, MEERE DU Eisen + Aluminium . . . . „2 2.2..2.0:0032 Alkalien (Natron). . . . 0:0138 Abdampfrückstand (bei 1100 At rokHei .. 0'3620 Ammoniak, Salpetersäure und salpetrige Säure nicht vorhanden, Spuren von organischer Substanz. Auffallend ist hier der kolossale Gehalt an Schwefelwasserstoff; dies wäre also die Analyse einer außergewöhnlich starken Schwefel- wasserstoffquelle, Ferner ist auffallend die quantitative Angabe von Eisen — Aluminium, welche, falls sie nicht getrennt wurden, doch nur als Oxyde zusammen gewogen und angegeben werden konnten, nicht aber in elementarer Form, aus welcher Wägung aber auch keine Be- rechnung der Summe beider Elemente möglich ist; und schließlich die quantitative Angabe „Alkalien (Natron)“, da doch nur die Summe der Alkalichloride gewogen wird und daraus, wenn keine Trennung durchgeführt wurde — die ja anzuführen gewesen wäre —, eine Be- rechnung auf Oxyde ausgeschlossen ist. 1) 0:30 cm? bei 92° C und 760 mm. 2) 41:65 cm? bei 9°2° C und 760 mm. ») Nach der Uebersetzung der Badedirektion. Chemische Untersuchung der Schewefelquelle in Luhatschowitz. 35 ll. Analyse, März 1913. 1 ! enthält: Gramm Freies 00, 0:12425 35% ! 0:00955 O, N und andere Case SEE ra DDUREN Na,C0O; . 0'00206 NaCl 0:01304 Na, 5, 03 0:02493 Na, SiO; nr 707:,,0:00538 Borsäure 2 Per Spur Na; AsO, ik 0:03383 NaNO,; 0:00039 K,PO, 0:00992 Li, 00; . 0:00220 CaCO; 0:15755 - CaSO, 0:00218 DER 2. Spur MgC0, . 0 07620 MgS0O, 0:03379 Fe,(COs3)3 0:04654 Al,(SO,)s 000201 MnCO; ar ass, 000160 Beryliiumkarbonat 00007 Seltene Erden . . . . 0:00030 Summe . . 0'41262 Abdampfrückstand (bei 1800 geträcknel),........ -- 0'41268 deutsche Härte . 10:74 Härtegrade Radio-Aktivität . . . . 04256 | pinhaien . Spezifisches Gewicht . . 10005 Me). Na or! Ce;. Mg. Fe. Mn Dieselbe Analyse, zum Vergleich umgerechnet !). 1 ! enthält: Gramm 0:00548 002666 . 0000418 . . 006380 0.028834 0:01783 0°0007655 1) Mit Hilfe eines Rechenschiebers; die vierte Ziffernstelle ist deshalb nicht ganz genau, zum Vergleich jedoch genügend, 86 C. F. Eichleiter und ©. Hackl. 4 . . . Seltene Erden . CO, gebunden . H,SiO, Gramm 0:0003181 0:0000922 0:00028 0:00790 0:01767 0°03019 0:02276 0 00449 0:00030 01721 000345 114] Auffallend ist hier der hohe Gehalt an Thiosulfat, Eisen und besonders Arsen; es wäre dies die Analyse einer starken Arsen-Eisen- Schwefelquelle. Sehr merkwürdig berührt den Anorganiker die Angabe von Ferrikarbonat (noch dazu in einer reduzierenden Schwefelquelle!), die übrigens in Mineralwasser- Analvsen öfter vorkommt als man glauben würde und überraschende Aufklärungen über die Kenntnisse mancher Mineralquellen - Analytiker gibt. chemischen Monstrosität wurde die Formel F&(CO;); benützt. CO, frei H,S frei cl br' Te SQ; u SO; u HPO,". HPO, III. Analyse), Mai 1913. Spezifisches Gewicht Radio-Aktivität 1'0006 150 Mache-Einheiten. 1 ! enthält: Abdampfrückstand er 180° C ge- trocknet) . ERTER OÖ, N und andere ( Gase N, 0;' u Salpetersäure R “ Salpetrige Säure . H CN Blausäure H0O; TENEXONG: HOrO," HAs0,“ ‘) Die Millimol- und Milligrammäquivalent-Tabelle wurde weggelassen. ee ei BE nl nn nn —_—— Gramm 04360 0:055634 0:00120 Spuren 0:0320000 Spuren 0:0246680 Spuren 0:0006400 nicht vorhanden 0:1472500 0:006806 0:011120 Zur Umrechnung dieser [15] Chemische Untersuchung der Schwefelquelle in Luhatschowitz. 87 Gramm la er, ur ONZIDON in ehhter ar. U OLORION nn: VOSOASHN en aka, „I DDALBEN N a. — Ba ea ee... 00032184 a an. .4.,0°1086400 a en. Spur a. u4.4.,0°0045792 ae 3... 0025182 ee Nee an 7 0-0OOLOHUO Zei 0, 0000TH9O De En ae a 7 5000003150 Zn, Sn, Cu, Pb, Hg . — DE a u a ka a 2 00013377 EC a Ra ins. NOLZAOUO Seltene; Brdems au... +... 2... 00011000 Verbrauch an Sauerstoff zur Oxy- dation der org. Substanz. . . 000912 Deutsche Härtegrade. . . . . 18440 Es wäre dies die Analyse einer Arsen-Schwefelquelle. Die beiden Salztabellen — eine für das Wasser, die andere für den Abdampf- rückstand — seien hier gar nicht wiedergegeben, nur einige „Glanz- punkte* daraus werden weiter unten angeführt. Merkwürdig ist in dieser Ionen-Grammtabelle die Angabe von „HAPO,;'“ neben HPO,"; das soll wohl phosphorige Säure bedeuten, stimmt aber mit den Valenz-Verhältnissen derselben (H,PO,) ebenso- wenig wie mit meta-Phosphorsäure (HPO,), und ist um so sonderbarer als für beide zusammen eine einzige Zahl gegeben wird; und dann auch noch Blausäure, Chromsäure, Quecksilber — allerdings ohne Zahlenangaben — und wieder Beryllium und seltene Erden angeführt werden. Geradezu entsetzlich sind die Ionen-Formeln !) N,0,‘ für Salpetersäure und N,0,‘ für salpetrige Säure, anstatt entweder N,O, und N,0, für die Anhydride oder NO,‘ und NO,‘ für die Ionen. Und wie hier zuviel an Ionen-Zeichen getan wurde, so beim Hydrokarbonat- Rest HCO, zu wenig, nämlich gar keines. Thiosulfat wird auf ein- mal ganz abwechselnd weder als Ion noch auch als Anhydrid oder Säure-Rest, sondern als freie Säure angegeben und Chromsäure als HCrO,', was zu einer Chromsäure von der Formel H,;CrO, führt. Eisen ist als dreiwertig angegeben, während die Zahl der mg-Aequi- valente aus den Milli-Mol durch Multiplikation mit 2 gewonnen wurde; Beryllium ist interessanterweise auch als dreiwertig angeführt und — hier wenigstens Konsequenz in der Unkenntnis verratend — die ent- sprechende mg-Aequivalent-Zahl aus den Milli-Mol durch Multi- plizieren mit 3 berechnet worden. !) Daß mit den Strichen Ionen gemeint sind und nicht bloß Wertigkeits- Zeichen, geht aus der Ueberschrift dieser Tabelle hervor, welche ausdrücklich Ionen heißt („Jontü“). 88 C. F. Eichleiter und O. Hackl. [16] Für Titansäure wird die Formel HTiO, gegeben anstatt H, TiO, oder ein in diesem Fall sehr gewagtes Ionen-Zeichen beizufügen. Gar nicht erfreulich sind auch die vielen angehängten Nullen, welche eine fabelhafte Genauigkeit vortäuschen, wie denn auch fast stets 5 Ziffern, in den Millimol- und mg-Aequivalent-Tabellen sogar 7, berechnet wurden. Die beiden Salz-Tabellen enthalten ebenfalls prächtige chemische Ausstellungsobjekte, besonders wenn man bedenkt, daß es sich um ein Mineralwasser, resp. dessen Abdampfrückstand handelt. Da gibt es ausdrücklich Magnesiumsulfid MgyS, ein Magnesiumarsenat mit der Formel Mg,(AsO,); anstatt — wenn schon dem schon — Mg;(AsO,), wieder das ominöse Ferrikarbonat Fe,(CO;);, ebenso Berylliumkarbonat mit der Formel Bbe,(CO,),. Für Caleciumhydrophosphat ist die Formel Ca(H,PO,), gegeben und überdies findet sich auch noch ein schönes neues Caleiumphosphat Ca; PO, vor, also ein sechswertiger Phosphat-Rest. Die vorausgegangene Tabelle unserer Analysen-Resultate bezieht sich zwar auf 1 kg Wasser, kann aber trotzdem ohne weiteres mit denjenigen von Stränsky, welche sich sämtlich auf 1 ! beziehen, ver- glichen werden, weil bei dem verhältnismäßig geringen spezifischen Gewicht die Zahlen für den Gehalt pro 1! erst in der vierten Ziftern- stelle nur unerheblich von denjenigen, welche sich auf 1 kg beziehen abweichen, was ja auch aus den Angaben über unsere quantitativen Resultate direkt ersichtlich ist. Zwischen Analyse I und II wurde die Neufassung der Quelle vorgenommen, was manche Differenz zwischen diesen beiden Analysen erklären würde. Nicht vertrauenerweckend ist aber der Umstand, daß bei Analyse II wie auch III der Abdampfrückstand bei 180° C getrocknet merkwürdig genau mit der Summe der Einzelposten der Salztabelle übereinstimmt; nämlich bei II 041268 g Abdampfrück- stand, Summe der Salztabelle 0-41262 9 pro 1 und bei III 0:43600 g Abdampfrückstand, Summe der Salztabelle für den Abdampfrückstand 0:45524 9 pro 11; was um so interessanter ist, als sich in der Salz- tabelle, wie oben gezeigt wurde, manche sehr sonderbare Verbindungen vorfinden. Dieser ungünstige Eindruck wird dadurch verstärkt, daß die ganze Analyse III, wie aus den diesbezüglichen Original-Angaben ersichtlich war, in 12 Tagen fertig war (15. V.—27. V. 1913). Und vieles läßt sich deshalb überhaupt nicht beurteilen, weil die Analysen- Verfahren nicht angegeben wurden. Vergleich der Resultate. Ammonium ist nach allen drei Analysen nicht vorhanden, wir haben es jedoch qualitativ und quantitativ unzweifelhaft festgestellt. Lithium wird von I nicht angeführt, II gibt O4 mg an, II 3 mg; wir konnten nur 0'01 mg finden. Ueber Kalium schweigt I, II gibt 55 mg an, III 4°8 mg; wir fanden 87 mg. | Natrium ist in I als „Alkalien (Natron)“ mit 14 mg angegeben, in II zu 26°7 mg und III zu 304 mg, im wesentlichen übereinstimmend mit unseren 27:9 mg. [17] Chemische Untersuchung der Schwefelquelle in Luthatschowitz. 89 Calcium ist nach I in der Menge von 132 mg, II 64 mg und IIl 1086 mg vorhanden; unser Resultat ist 95 mg. Baryum wurde bei I und II anscheinend nicht bestimmt, III gibt eine Spur davon an; wir fanden 047 mg. Strontium wird bei I nicht erwähnt, II führt eine Spur an, III 4°6 mg; unser Resultat ist 0'01 mg. Von Magnesium sind nach I 30:1 mg, II 28:8 mg, III 12:5 my vorhanden; unsere Zahl, 22'9 mg, liegt auch hier wie bei Calcium dazwischen. Eisen ist bei I nur als Fe-- Al angegeben, zu 3'2 mg, bei II mit 17'8 mg Fe, III 1'05 mg; unser kolorimetrisch erhaltenes Resultat, das mit dem gewichtsanalytischen sehr gut übereinstimmt, ist 0'54 mg. Il wäre die Analyse einer Eisenquelle. Aluminium ist in Inur als Fe-+-Al mit 32 mg angegeben, in II mit 03 mg Al und in III mit 0-16 mg; unser Resultat von 0'2 mg ist damit gut übereinstimmend. Mangan ist in I nicht angeführt, II gibt 0:77 mg an, III 0:32 mg; unsere Zahl nach kolorimetrischer Bestimmung ist 0'14 ıng. Schwefelwasserstoff ist in I zu 100°8 mg und als frei an- gegeben, in II mit 9:55 mg, in III mit 15°7 mg HS’ und 1'2 mg freien H,S; unsere Bestimmungen ergaben in sehr guter Uebereinstimmung untereinander 0:97 mg Gesamt-A,S und durch Berechnung nach den Formeln des Deutschen Bäderbuches 0'44 mg H,S frei und 0'51 ng HS gebunden. Fluor fehlt in allen drei früheren Analysen und dürfte — falls überhaupt darauf geprüft wurde — wenn das Wasser nicht mit Chlor- caleium gekocht wurde, was ja wahrscheinlich ist, in Lösung ver- blieben und dadurch übersehen worden sein. Von Chlor waren nach I 15°8 mg, nach II 7’9 mg und nach IIl 32:0 mg vorhanden; wir haben 9-0 mg gefunden. Von SO, gibt I 24°6 mg an, II 302 mg und III 247 mg; unser Resultat, nach vorheriger Abscheidung des gesamten H,S ist gut übereinstimmend 22°2 mg. Kohlensäure führt I nur gebunden zu 1027 mg an, fraglich, ob CO,, CO, oder HCO, gemeint ist; die Gesamt-ÜO,-Bestimmung ist wahrscheinlich nicht durchgeführt worden. In II sind 12425 mg CO, frei angegeben und aus der Salztabelle normaler Karbonate ergeben sich durch Berechnung 1721 mg CO, gebunden. III gibt 55°6 mg CO, frei und 14725 mg HCO, gebunden an. Unsere untereinander übereinstimmenden Resultate führen zu 04044 g Gesamt-CO,, was mit den anderen Daten und den Formeln des Deutschen Bäderbuches 79:6 mg CO, frei und 4503 mg HCO, gebunden ergibt. Die so kolossal abweichende Angabe von III über den Gehalt an HCO, ist keinesfalls auch nur annähernd richtig und hat auch damals nicht der Zusammensetzung des Wassers entsprochen. Das geht schon aus der Analyse selbst hervor, welche in der Ionentabelle Jahrbuch d.k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 1. Hft. (Eichleiter u. Hackl.) 12 90 ©. F. Eichleiter und ©. Hackl. [18] 0:10864 g Ca und 014725 g HÜO; angibt, in der Salztabelle für das Wasser aber 043612 9 Ca(HCO,),, eine Zahl, die bedeutend größer ist als die Summe der beiden ersten Posten, und die auch nicht an- nähernd erreicht wird, wenn man den Hydrokarbonatwert auf Ca(HCO,), umrechnet. Wenn man den angegebenen Calciumwert auf Ca(HCO,), umrechnet, so kommt man wohl auf dasselbe hinaus, aber dazu braucht man dann viel mehr Hydrokarbonat, als angegeben ist. Be- rechnet man durch Multiplikation des Ca(HCO,)s-Wertes mit 07525 die entsprechende HCO,-Menge, so erhält man 0'43612.0:7525 = 03282 g HCO,, also weit mehr, als angegeben ist. Und subtrahiert man dies vom Oalciumhydrokarbonat, so erhält man 01079 g als entsprechenden Caleiumwert. Dazu kommt noch, daß die in den entsprechenden Tabellen für HCO, angegebenen Millimol (1206967) und mg-Aequi- valente (2413934) nicht gleich groß sind, sondern die letzteren aus den Millimol durch Multiplikation mit 2 gebildet wurden, wobei nicht nur dies falsch ist, sondern auch schon die Millimolzahl allein, da diese schon 2'414 betragen würde. Ferner sind die Summen der mg- Aequivalente der Kationen nnd Anionen nicht angegeben. Zählt man die Posten zusammen, so beträgt die Summe für die Kationen 80714 und für die Anionen 37914, anstatt der Annahme der Aequivalenz entsprechend völlig gleiche Summen zu ergeben! Die Differenz beträgt hier 4°2800 und zählt man diese vollständig zu dem für HCO, ange- gebenen mg-Aequivalentwert hinzu, so ergibt sich 6°6939, was wenigstens annähernd unserer Zahl entsprechen würde. Bezeichnend ist auch, daß die Summe der Posten der lIonentabelle fehlt; sie beträgt 040964 g, was nicht nur mit dem Abdampfrückstand (0'4360 g) gar nicht stimmt, sondern sonderbarerweise bedeutend niedriger ist; und was noch wichtiger und ärger ist, auch gar nicht mit der Summe der Wasser-Salztabelle (0'61212 g) stimmt. Das steht in sehr verdächtigem Kontrast zu der bedenklich glänzenden Uebereinstimmung zwischen Abdampfrückstand und Summe der Salztabelle des Abdampfrückstands, die schon deshalb falsch ist, weil die seltenen Erden darin überhaupt nicht verrechnet sind. Schließlich fehlt auch jede Angabe über die Bestimmung. der Gesamtkohlensäure, so daß jede direkte Kontrolle ausgeschlossen ist. All dies macht es zur Sicherheit, daB bei der Berechnung des HCO, Kapitalfehler begangen wurden. = Kieselsäure gibt I in der Menge von 84 mg Si0, an, aus II ergeben sich 3:45 mgH,SiO, in HI sind 21 mg SO, angegeben; wir erhielten (in der Platinschale) 1145 mg H3Si0;. Ölrganische Substanzen sind in I als Spuren, in II über- haupt nicht, in III mit 9:12 mg Sauerstoffverbrauch zur Oxydation angegeben; unser Sauerstoffverbrauch betrug 045 mg. Salpetersäure ist nach I und III nicht vorhanden, nach II in. der Menge von 0'28 mg NO,; wir haben Spuren gefunden. Salpetrige Säure ist nach I und III nicht vorhanden, II führt sie nicht an; unsere Prüfungen sind gleichfalls negativ aus- gefallen. Brom und Jod werden von I und II nicht erwähnt, III gibt Spuren davon an, übereinstimmend mit unserem Resultat. [19] Chemische Untersuchung der Schwefeläuelle in Luhatschowitz. 91 Thiosulfat wird von I nicht angeführt, aus II ergeben sich 1TT mg 50;, 1lI gibt übereinstimmend mit unserer Untersuchung Spuren davon an. Phosphorsäure wird von I nicht erwähnt, aus II ergeben sich 4bmg HPO,, III gibt HPO,“ und »HPO,‘« (was weder auf Metaphos- phorsäure noch auch auf phosphorige Säure stimmt) zusammen mit 0:64 mg an; wir haben nur unbestimmbare Spuren gefunden. Borsäure .wird von II als in Spuren vorhanden angegeben, von III mit 6°'8 mg HBO,; wir fanden Spuren. Titansäure wird nur von III angeführt, und zwar zu 1’2 mg „HTiO,‘;, wir fanden mit Wasserstoffsuperoxyd nur Spuren. Beryllium ergibt sich aus II zu O'1 mg Be, III gibt 1'3 mg an; unsere Untersuchung ergab hiervon nichts. Seltene Erden sind in II mit 0'3 mg, in III 11 mg angeführt; wir haben davon nichts gefunden. Arsen ist in I nicht angegeben, aus II ergeben sich 22:76 mg HAsO,, II führt 1112 mg HAsO, an. Unsere Untersuchung wurde speziell in dieser Richtung mit besonderer Sorgfalt geführt, doch konnte bei der Prüfung auf verschiedene Arten, sowohl in 50 ! Wasser als auch in dem Absatz kein Arsen festgestellt werden. Das spezifische Gewicht wird von II zu 1'0005, in III zu 1:0006 angegeben; unser Resultat ist 10005. Der Abdampfrückstand beträgt nach I bei 110° C getrocknet 03620 g, nach II bei 180° C getrocknet 04127 g, nach III bei der- selben Trockentemperatur 0'4360 9; unser Resultat ist 0'4028 4 bei 130° C getrocknet. Zusammenfassend ist hervorzuheben, daß wesentliche Abweichungen wichtigster Bestandteile den Gehalt an Schwefelwasserstoff betreffen, welcher in der Neuanalyse bedeutend geringer gefunden wurde; ferner den Eisengehalt, welcher besonders gegenüber Analyse II viel geringer ist, und den Gehalt an gebundener Kohlensäure, der sich uns viel höher ergeben hat; schließlich auch Arsen, welches in den beiden vorhergegangenen Analysen in ziemlich großer Menge angeführt wird, bei unserer Analyse jedoch nicht vorhanden war. Im übrigen dürfte der Hauptcharakter der Quelle ziemlich konstant geblieben sein, wie aus den spezifischen Gewichten, welche sehr gut übereinstimmen, und den unwesentlichen Schwankungen des Abdampfrückstandes wahrscheinlich gemacht wird. Von den Schwefelwasserstofiquellen Oesterreichs ist diesem Wasser am ähnlichsten zusammengesetzt diejenige von Groß-Latein in Mähren (Analyse von Faktora 1896, Oest. Bäderbuch). Zum Vergleich seien hier die wichtigsten Zahlen, bezogen auf 1 ky Wasser, neben- einandergesetzt. 12* 99 C. F. Eichleiter und O. Hackl. [20] Luhatschowitz Gr.-Latein Gramm mg-Aequiv. Gramm mg-Aequiv. Na 2 2 BIER 1:2095 009080 3'939 Ca. „si BR 4736 0:09767 4'868 Mg! HE ZZE 18802 0:03280 2.694 Ol; 1:28 (Kre RERSDE 02544 01410 3:979 SO, ch FRE 04626 0 03787 07886 HS: »3 72 #2 0280900508307 70055 0:001356 0041 HC, RER 7381 04217 6914 B,S frei . . . 00004430 . 00003748 CO5 Srein 7 ra FRI er BE Summe der festen Bestandteile . 06593 . . .....08524 Summe der mg- Aequivalente Ip: E 22 27 88136 9% 7 Pig Daraus zeigt sich als einziger belangreicherer Unterschied, daß die Quelle von Gr.-Latein mehr Na und Cl enthält, also mehr zu den schwach muriatisch - erdalkalischen Schwefelwasserstoff- Quellen hinneigt, während die Luhatischowitzer Quelle als schwach erdalkalische Schwefelwasserstoff-Quelle zu bezeichnen ist. Meine Antwort in der Planifronsfrage. ll. Die niederösterreiehisehen Planifronsmolaren. Von @. Schlesinger, Wien. Mit 14 Abbildungen im Texte. Einleitung. Im II. Bande der „Paläontologischen Zeitschrift“ hat W.Soergel!) einen weitläufigen, seiner Meinung nach rechtskräftigen Beweis angetreten, um die Irrigkeit meiner Bestimmung der beiden, seinen Ansichten über die Abstammung des Klephas antiquus Fale. abträglichen Planifrons-Molaren aus Niederösterreich darzutun. Es widerstrebt meinem Gefühle, in Fragen der Wissenschaft persönlich zu werden und ist sonst nicht meine Gewohnheit. Wenn ich im vorliegenden Falle trotzdem von diesem Grundsatz gelegent- lich abweichen mußte, lag dies in der Notwendigkeit begründet, die Waffen, mit welchen Soergel kämpft, unverhüllt zu beleuchten. Das Interesse der wissenschaftlichen Objektivität verlangt es, daß die Atmosphäre der Tagesliteratur der Behandlung solcher Fragen fern- bleibe. Damit betrachte ich Soergels einleitende Zeilen bis auf eine nähere Erläuterung als erledigt. ı) W. Soergel, Das vermeintliche Vorkommen von E. planifrons Falc. in Niederösterreich. Paläont. Zeitschrift, II. Bd., H. 1. Berlin 1915. Die Widerlegung einer zweiten Streitschrift W. Soergels (Die Stammesgeschichte der Elefanten in Zentralbl. f. Min. Geol. u. Pal. Jgg. 1915, Nr. 6, 7, 8 u. 9, Stuttgart) siehe in ebendem Zentralblatt, Jgg. 1916, Nr. 2 u. 3, Stuttgart. Weitere Bemerkungen des gleichen Autors in einer Arbeit über „die diluvialen Säugetiere Badens“ (Mitt. Großhzgl. geol. Landesanst. IX., 1. Heft, Heidelbg. 1914) sind Wiederholungen und bedürfen keiner Erörterung. Ein kurzer Abriß dieser Arbeit ist in der Paläontolog. Zeitschrift (II. Bd., 2. Heft, Berlin 1916) unter dem Titel „Die Planifronsmolaren von Dobermannsdorf und Laaerberg in Niederösterreich“ erschienen. Es war ursprünglich natürlich meine Absicht, diese sachlich sorgfältig durch- gearbeitete Entgegnung als einzige in der Pal. Zeitschr. erscheinen zu lassen. Auf die Einsendung meines Manuskriptes teilte mir der Schriftleiter, Herr Prof. Dr. O. Jaekel, leider mit, daß einer Detailfrage nicht soviel Raum gegeben werden könne, ferner der II. Band voll besetzt sei und die Pal. Zeitschr. grund- sätzlich nur Mitgliedern für größere Publikationen offen stehe. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (Schlesinger.) 94 G. Schlesinger. [2] Letztere betrifft den Abbruch des Briefwechsels zwischen ihm und mir: Soergel schreibt: „Nachdem Schlesinger meinen Versuch, ihn über seine irrtümlichen Ansichten von der Wurzel des Elefanten- zahnes aufzuklären!) auf eine in wissenschaftlichen Diskussionen immerhin ungewöhnliche Weise beantwortet hatte, brach ich den Briefwechsel aus leicht begreiflichen Gründen ab.“ Nun! ganz so war die Sache allerdings nicht! In dem letzten Brief, den ich an Soergel gerichtet hatte, dessen Kopie vor mir liegt, teilte ich ihm mit, daß ich keine Hoffnung hege, auf diesem Wege zu einem gedeihlichen Ende zu kommen und fuhr fort: „Das will mir einreden, daß wir eben nie zu einer Einigung kommen werden. Es wird nichts übrig bleiben, als daß Sie Ihre Argumente drucklich niederlegen und ich die meinen und wir der Mit- und Nachwelt es überlassen, den rechten Weg zu finden.“ Es schien mir nicht unwesentlich, diese Angelegenheit, die Soergel in geheimnisvoller stilistischer Verkleidung aufführt, allge- mein zugänglich zu machen. Was das Sachliche anlangt, folge ich begreiflicherweise im großen und ganzen seiner Einteilung und behandle wie er: 1. Die Altersstellung der Terrassen von Dobermannsdorf und Laaerbereg. 2. Die Artzugehörigkeit der Zahnfragmente und ihre paläonto- logischen Grundlagen. I. Die Altersstellung der Terrassen von Dobermannsdorf und Laaerberg. Allem zuvor mußte naturgemäß W. Soergel das Be pliozäne Alter der beiden Terrassen, in welchen die Zahnreste gefunden worden waren, unbequem sein. Er ist daher bemüht, die Möglichkeit eines jüngeren Alters der Schotter glaubhaft zu machen. Inzwischen haben sich Tatsachen ergeben, welche wenigstens die eine der beiden Terrassen als ganz unzweifelhaft mittelpliozän festlegen. Die Art, wie Soergel die Dobermannsdorfer Schotter „nach oben rückt“, läßt seine Arbeitsmethode als ungewissenhaft er- scheinen: Zunächst setzt er sich über die Feststellung bedeutender Roll- spuren und die dadurch bedingte Annahme einer sekundären Lagerung einfach damit hinweg, daß er die Momente, welche ich für eine sekundäre Lagerung der Reste aufgeführt habe, als „absolut nicht beweisend“ erklärt, ohne sich mit ihnen weiter zu beschäftigen. „Eine eingehende Erörterung der diesbezüglichen Ausführungen Schlesingers auf S. 91 seiner Arbeit I. erübrigt sich“. (Soergel, 1.66:954.) !) Bezüglich des Sachlichen aus der Wurzelfrage verweise ich auf S. 120 bis 127 dieser Arbeit. [3] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 9 Daß an dem Scapularest, wie ich (siehe Studien, 1. e. 8. 91, Fig. 1)!) eingehend dargelegt und mittels Abbildung erhärtet habe, ein im petrifizierten Zustand abgetrennter schmaler, plattiger Knochen- teil die abgerollte Bruchfläche des größeren Teiles um ein mächtiges Stück überragt und dadurch eine sekundäre Lagerung unwiderleglich beweist, davon erwähnt er nichts. „Füge ich hinzu“, fährt Soergel (l. ec. S. 5) dann fort, „daß Freudenberg, der die Schotterablagerungen der Gegend aus Autopsie kennt, die Schotter von Dobermannsdorf für altquartär erklärt hat, so wird man zugeben, daß bei der Bestimmung des gefundenen Zahn- restes ein bestimmtes geologisches Alter zugunsten dieser oder jener Altersbestimmung nicht in die Wagschale geworfen werden kann“. Auch hier berührt es Soergel nicht, daß W. Freuden- berg in einer wirklich nicht leicht zu übersehenden Arbeit?) seine damals in einer Besprechung meiner Arbeit gemachten Aeußerungen vollauf widerrufen hat: „Als ältesten Vorfahren der hier in Betracht kommenden Elefanten stellte G. Schlesinger‘®) den #. planifrons Fale. fest in mittel- pliozänen Schottern des Wiener Beckens.“ Dazu Fußnote ®): „Der Fundort bei Dobermannsdorf liegt in einer höheren und älteren Terrasse wie das Vorkommen bei Dürn- krut a, d. March, von wo wir einen Hippopotamus-Rest erwähnen.“ In ähnlich oberflächlicher Weise erörtert Soergel das Alter der Laaerberg-Terrasse. Ich kann es mir ersparen, seine Be- hauptungen, wie z. B. die von der „weiten Verbreitung der Dis- kordanz“ zwischen den Kongeriensanden und den Schottern (l. ce, S. 5) in ähnlicher Art wie oben zu charakterisieren. Er wird es wohl dem ortskundigen Geologen überlassen müssen, über Lagerungs- verhältnisse ein stichhältiges Urteil abzugeben. Auch die Sache mit dem „Mastodonmolaren‘, über den Soergel so leichtfüßig hinweggeht, ist Be anders, als es nach seiner Darlegung scheint. Als ich den Fund von #, planifrons aus dem Laaerbergschotter veröffentlichte, stand ich mitten in der Materialbearbeitung der über- reichen Mastodonreste der Wiener Sammlungen. Damals hatte ich bloß die Molarenteile des Fundes aus der Laaerbergterrasse zur Alters- bestimmung herangezogen. Heute ist die sehr umfängliche Arbeit, welcher ein a von vier mehr oder weniger vollständigen Schädeln, zahlreiche voll- kommene Ober- und Unterkiefer, wie auch Stoßzähne und eine sehr große Zahl von Molaren der verschiedensten Spezies zu- grunde lagen, zu Ende gediehen ). 117, Schlesinger, Studien über die Stammesgeschichte der Froboscidier. Jahrb. d. k. k. geol. R.-A., Bd. 62, H. 1, S. 87. Wien 1912. 2) W. Freudenberg, Die Säugetiere des älteren Quartärs von Mittel- europa etc. Geol. u. Pal. Abhdlgn. N. F. Bd. XII. I. 4,5, S. 34 u. Fußnote 6. 5) @. Schlesinger, Die Mastodonten des k. k. naturhistorischen Hof- museums. (Morphologisch-phylogenetische Untersuchungen.) Mit 36 Tafeln. Denk- schriften des k. k, naturhist. Hofmuseums. I. Band. Geologisch - patäontologische Reihe. 1. Wien 1917. 96 G. Schlesinger, [4] Bei einer solchen Ueberfülle des Materials, welches ich noch durch eine Bearbeitung!) der reichen Bestände der Budapester Sammlungen, die viele Reste von M, Borsoni beherbergen, erweitern konnte, wird man mir wohl ein bindendes -Urteil über Mastodonten zugestehen müssen. Die Bestimmung ist aber in unserem Falle um so zuverlässiger zu treffen, als zwei sehr schöne obere Stoßzähne mit den Molarenresten gefunden worden waren. Wir wissen, daß M. tapiroides nach aufwärts gekrümmte Stoß- zähne mit einem an der konvexen Seite hinziehenden breiten Schmelzband, M. Borsoni dagegen völlig gestreckte, schmelz- bandlose Inzisoren trug. Die Zähne vom Laaerberg nehmen zwischen diesen beiden Arten, welche nach den Molaren allein als möglich in Betracht kommen, infolge ihrer Schmelzbandlosigkeit einer- ihrer noch deutlich feststell- baren Krümmung anderseits, eine ausgesprochene Mittel- stellung ein. Dazu kommen noch die unverkennbaren Uebergangsmerkmale an den Molaren, welche ich in meiner Arbeit (Ein neuerlicher usw. l. e, 8. 715 ff.)?) wohl zur Genüge beleuchtet habe. Ich kann begreiflicherweise hier nicht all das wiederholen, was ich in meiner Hauptarbeit über die „Mastodonten desk.k. naturh. Hofmuseums“ gesagt habe und verweise auf meine Ausführungen und Abbildungen in diesem Werk. Doch hoffe ich hinlänglich deutlich die Momente, auf welche es ankommt, skizziert zu haben. Die Art ist als ar tapiroides Cuv.°) Mastodon - Bolaonkı Hase d.i. als Uebergangsform zwischen beiden Spezies zu bezeichnen. ») @. Schlesinger, Die Mastodonten der Budapester Sammlangen. (Eine morphologisch-phylogenetische Studie. (Geologica Hungarica, Bd. II, Budapest 1917. (Im Erscheinen begriffen.) 2) G. Schlesinger, Ein neuerlicher Fund von E. planifrons in N.-Oest. Jahrb. d. k. k. geol. R.-A., Bd. 63, H.4. Wien 1914. ») Ich bezeichne Uebergangsformen mit einem Bruch, in welchem die Aus- gangsform im Zähler, die Endform im Nenner steht. Dabei bin ich mir dessen bewußt, daß die Bruchform seinerzeit für die Bezeichnung von Hybriden mit in Vorschlag gebracht, nie aber gebraucht worden war. Die in diesem Falle naturgemäßere Multiplikationsform (z. B. Tetrao wrogallus X T. tetrix hat sich für die Hybridenkennzeichnung eingebürgert. Ich hoffe im Sinne vieler zu handeln, wenn ich mit der vorgeschlagenen Schreibweise endlich eine urzweideutige Ausdrucksform für Zwischen- typen einführe. Die Bruchform dürfte sich noch besonders dadurch für diesen Zweck eignen, daß in ihr auch die größere Anlehnung an die Ursprungs-, bzw. Endart durch Sperrdruck des Zählers oder Nenners wiedergegeben werden kann. Die Uebergänge von E. meridionalis Nesti zu E. trogontherii Pohliy 7, B. können, falls nötig, folgendermaßen dargestellt werden: 1. Elephas meridionalis Nesti, meridionalis Nesti = meridionalis Nesti 2. Elephas trogontherii Pohlig. 4. Elephas ee | rogontherii Pohlig. meridionalis Ni sti 3. Elephas — PING SER trogontheris Pohliy. I 5. Elephas trogontherii Pohlig. [5] Meine Antwort in der Planisonsfrage. 97 Derartige Uebergangstypen finden sich, wie ich gleichfalls in meiner Mastodontenarbeit eingehend nachgewiesen habe, lediglich im Unter- und untersten Mittelpliozän. Nun begegnen wir, wie die Publikationen zahlreicher Autoren erhärtet haben, M. Borsoni Hays in seiner typischen Ausbildung bereits im TA Me are Die Art hält nach den Forschungen S. Atha- nasius®) in Rumänien noch in den unteren Abschnitten des Ober- plio Pins an, wurde aber niemals mit E. merödionalis, der bekannt- lich in Rumänien häufig ist, zusammen gefunden. Der Süd- elefant nimmt einen höheren Horizont ein. Auch ich fand diese Feststellung Athanasius an meinem ungarischen Materiale aus- nahmslos bestätigt. Wenn nun die Art M. Borsoni Hays im Mittelpliozän bereits in ihrer typischen Ausbildung vorhanden ist, ist es klar, daß wir der Uebergangsform im äußersten Falle in diesem Horizont begegnen können. Wenn ich mich seinerzeit vorsichtig ausdrückte und die erensch zwischen unterem Mittelpliozän und basalem Oberpliozän offen ließ, obwohl die Belege für die nächstjüngere Arsenalter- rasse, welche Soergel, wie so vieles, gleichfalls übergeht, das oberpliozäne Alter der Laaerbergterrasse mehr als un- wahrscheinlich machten, so war dies lediglich ein Akt wissenschaft- licher Gewissenhaftigkeit, den Soergel offenbar nicht zu werten verstand. ‘ Ich wollte erst meine eingehenden Untersuchungen über die Inzisiven von M. tapöroides und M. Borsoni und den Uebergangsformen abwarten, bevor ich mein für mich schon damals feststehendes Urteil hinausgab. Daß ich den Zahn von E. planifrons, dessen Bestimmung heute, wie ich im folgenden zeigen werde, noch viel gefestigter zurecht- besteht als seinerzeit, mit zur Horizontierung des Schotters heranzog, wird jeder von unseren österreichischen Tertiärgeologen begreiflich finden, da er eben weiß, wie sehr man bei uns auf einen Beleg für das Alter der Flußterrassen von Wien durch sichergestellte Funde wartete. Heute kann ich auf diesen Hilfsbeleg verzichten. Das mittelpliozäne Alter der Laaerbergterrasse und damit das oberpliozäne der ihr konkordant fol- senden Arsenalterrasse steht außer allem Zweifel, 2. Die Artzugehörigkeit der Zahnfeagmente von Dobermanns- dorf und Laaerberg und ihre paläontolologischen Grundlagen. Soergel beginnt den zweiten Teil seines Widerlegungsversuches mit folgenden Worten (l. c. S. 7): „Da mir augenblicklich ein größeres Material von Zähnen des El. meridionalis zu speziellen Messungen nicht zur Verfügung steht, meine Notizen sowie entsprechende Literatur mir aber nicht zur Hand !) S. Athanasiu, Tertiäre Säugetiere Rumäniens, I. An. Inst. geol, Rom. I. Bd., S. 187, Taf. I--XII. Bukarest 1908... Jahrbuch d. K. K. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (Schlesinger.) 13 98 G. Schlesinger. [6] sind, so habe ich im folgenden meine allgemeinen Ausführungen über den Bau des Elefantenzahnes und die Bedeutung der einzelnen Merk- male vorwiegend mit Zahlen von den Zähnen des El. trogontherii von Süßenborn belegt.“ In diesem Ausgangspunkt liegt die Quelle all der Fehler be- gründet, welche Soergel neben den gelegentlichen Ungenauigkeiten zur Bestimmung der beiden Zahnfragmente als E. meridionalis Nesti führten. Begreiflich ist dieser Mißgriff aus der Erwägung, daß er überwiegend mit Materialien jüngerer Elefantenarten arbeitete und von den daraus gewonnenen Gesichtspunkten stets beeinflußt ist; verzeihlich ist er dagegen deshalb nicht, weil ein Autor, welcher in einer so wesentlichen Frage, noch dazu zu einer Widerlegung, das Wort ergreift, die Pflicht hat, auf der Basis des Materials Schlüsse zu ziehen, welches eben für die Beurteilung dieser Frage allein maßgebend sein kann: und dieses schließt mit der Spezies E. meridionalis nach oben ab. Steht aber einem solchen Autor nicht das genügende Material zur Verfügung, so muß doch zum mindesten die Literatur als ent- sprechende Korrektur herangezogen werden, was Soergel, wie er selbst zugibt, eben nicht getan hat. Soergel beliebt von seinen großartigenMaterialstudien und seinen reichen Zahnserien gern zu sprechen und dem- gegenüber meine Arbeiten als „Literaturstudien“ hinzustellen. Glaubt er denn wirklich, daß ich deshalb, weil ich in meiner kritischen Studie nicht ein Dutzend Zähne in Tabellenform oder in Abbildungen publiziert habe, Meridionalismolaren nur aus den Büchern kenne? Vielleicht werden ihn meine späteren Publikationen an Hand des Wiener und Budapester Elefantenmaterials, von welchen ins- besondere letzteres reich an Archidiskodonten ist, eines Besseren belehren! Im übrigen sei betont, daß meine Untersuchungen auf etwas anderes als Augenblickserfolge abzielen. Ich habe seinerzeit meine kritischen Literaturstudien durchgeführt, um mich zunächst mit der gesamten Frage der Proboscidierstammesgeschichte auseinanderzusetzen und war mir dessen bewußt, daß möglicherweise die eine oder andere Lösung nur vor- läufigen Charakter tragen könne. Ich bin auch gern bereit, dort nachzugeben, wo ich zufolge stichhältiger Beweise einen Irrtum meinerseits erkennen sollte. Daß es mir eine gewisse Befriedigung bereitet, in dem über- wiegend größten Teile der Fragen schon damals richtig gesehen zu haben, wie mir neuerdings meine Mastodonstudien bewiesen haben, ist selbstverständlich, auch bin ich keineswegs gesonnen, derartigen Gründen, wie sie Soergel aufführt, die Ergebnisse ehrlicher Forschung zu opfern. [7] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 99 Auf der eingangs erwähnten falschen Basis des Trogontherienzahnes und unter Einfügung weiterer noch zu erörternder Fehlerquellen, kommt Soergel schließ- lich zu dem Ende, daß zwei von diesen Charakteren, nämlich: „il. die Zahnhöhe, 2. die Lamellenzahl (soweit man ihr in diesem Falle überhaupt Beweiskraft zuerkennen kann“ (l. ec. S. 64) gegen eine Bestimmung als E. planifrons und für eine solche als E. meridionalis sprechen, daß dagegen die übrigen „für beide Arten in gleichem Maße beweisend, bei einer notwendigen Entscheidung für eine der beiden Arten daher ohne Bedeutung sind“. Da Soergel die zwei punktweise angeführten Merkmale als allein beweiskräftig bezeichnet, ziehe ich sie bei der Erörterung natürlich vor und folge nicht ganz seiner Einteilung. I. Zahnhöhe. Soergel geht von den Verhältnissen an dem bedeutend vorgeschrittenen M7z von E. trogontherii aus und findet, daß an einem Zahn mit x 16 x und einem zweiten mit x 19 x Jochen die Höhe der einzelnen Lamellen bis ungefähr zur x 9.1) von hinten zu-, dann wieder abnimmt. Die Höhenzunahme beträgt nach den Zahlen, welche er (l. c. S. 8) angibt, insbesondere hinsichtlich des Ver- hältnisses zwischen höchstem und letztem Joch (nicht Talon!) ziemlich bedeutende Werte (158 mm :76 mm). Nun mißt Soergel die Kronenhöhe eines Elefantenmolaren an der höchsten Lamelle in unangekautem Zustand. In den seltensten Fällen ist aber die x 9. Lamelle (bzw. eine noch weiter vorn liegende) unangekaut erhalten. Er sieht sich daher genötigt, die ursprüngliche Höhe zu rekonstruieren. Dazu verhilft ihm folgender Weg: Er rechnet das Verhältnis der höchsten Lamelle zur letzten (die am längsten unangekaut bleibt) aus und ist natürlich imstande, auf dem Wege einer einfachen Multiplikation aus der letzten Lamelle (wenn diese unangekaut vorhanden ist) die absolute höchste Höhe innerhalb einer gewissen Schwankung zwischen Maximum und Minimum zu errechnen. Nun findet er „auf Grund zahlreicher Messungen“, daß dieses Verhältnis für E. trogontheris 1°/;—2!/, beträgt. Der Vorgang dürfte für diese Art tatsächlich einwandfrei zu Recht bestehen. Ganz anders steht es mit der Art, wie Soergel diese Ver- hältniswerte für £. meridionalis gewinnt, von der Methode, sie für E. planifrons „festzustellen“ gar nicht zu reden. „Bei primitiveren Elefanten“, schreibt Soergel, nachdem er das oben angeführte Verhältnis für E. trogontherii gefunden hat, „ist der Unterschied nicht so bedeutend, die Höhenabnahme von den vor- !) Die x 9. Lamelle von hinten ist bei Einrechnung des Talons (x) die 10. 13* 100 G. Schlesinger. [8] deren nach den hinteren Lamellen allmählicher; doch beträgt bei El. meridionalis (Val d’Arno) die Höhe der höchsten Lamellen noch immer das 1?/;- bis 2fache von der Höhe der letzten Lamelle.“ Diese Angabe wird durch keinerlei Belege gestützt und ist gemäß der einleitenden Bemerkung des Autors, die ich an der Spitze des 2. Abschnittes dieser Arbeit wörtlich zitiert habe, offenbar bloß angenommen.. Denn wie kann ein Autor, der eben erklärt hat, es stehe ihm augenblicklich kein größeres Material des E. meridionalis zur Verfügung und seine Notizen wie auch entsprechende Literatur seien ihm nicht zur Hand, ohne weiteres ein für die ganze Frage so wesentliches Verhältnis mit der größten Bestimmtheit feststellen. Eine Ueberprüfung dieser Zahlen an publiziertem und originalem Material erweist in der Tat ihre völlige Unrichtigkeit. H. Falconer hat uns — man kann im Interesse der wissen- schaftlichen Wahrheit nun wohl sagen glücklicherweise — in seiner Faunaantiqua Sivalensis (F. A. S., III, Pl. 14 B, Fig. 17 u.17a, 18 u. 13a) zwei Meridionalismolaren überliefert, welche die Höhenverhältnisse der Krone des E. meridionalis sehr unzwei- deutig erkennen lassen. Von den Molaren ist der eine in Seitenansicht und Daraufsicht, der andere bloß von oben auch in den Palaeonto- logical Memoirs (Pal. Mem. Vol. JI, Pl. 8, Fig. 1, 2 u.5) noch- mals abgebildet. Ich reproduziere auf Seite 102 und 103 die vier Bilder in den beigefügten Textfiguren 1a u. db und 2a u. b. Von den beiden Zähnen, von welchen der eine aus dem Val d’Arno, der andere aus dem Norwich Crag stammt, über deren Zugehörigkeit zu E. meridionalis!) die beigegebenen Abbildungen jedermann Aufschluß geben, ist der eine (Taf. 14 B, Fig 18 u. 18a) außerordentlich wenig abgekaut. Ich zitiere, um Mißdeutungen hintan- zuhalten, den Wortlaut Falconers (Pal. Mem., Vol. I., pag. 448), es heißt dort von dem Molaren: „It is represented one third of the natural size by the figs 18 and 18a of Pl. XIV B, under the misnomer already explained of Elephas antiquus, in the ‚Fauna Antiqua Sivalensis‘. It is the last true molar, lower jaw, right side, showing eleven principal ridges, and anterior talon, and a back talon limited to a single thick digitation. The first five ridges are slightly worn, the rest being intact.* Es sind also an dem Zahn die vorderen 5xJoche wenig angekaut, die hinteren x6 dagegen völlig unangekaut. Nehmen wir nun von dem Zahn nach der Abbildung die Maße ab ?); sie betragen in !/, natürlicher Größe vom hinteren Talon an- gefangen: 25, 32, 36, 38, 40, 41, 40:5, 39-5, 38, 37, 33, ?°. !) Inder F. A. S. sind die Zähne irrtümlich unter der Tafelbezeiehnung E. antiquus aufgeführt, der Fehler ist in den Pal. Mem. berichtigt. ?) Daß es für unseren Fall gleichgültig ist, ob ich alle Maße in natürlicher Größe oder in '/, natürlicher Größe gebe, ist wohl leicht einzusehen. Auch die [9] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 101 Wir ersehen daraus, daß 1. die höchste Lamellenhöhe dieses Zahnes in der Gegend der x 5. Lamelle von rückwärts gelegen ist, 2. die Schwankungen der Höhenwerte mit Ausnahme des Talons sehr mäßig sind und 3. das Verhältnis zwischen höchster und letzter Lamelle 41:32—=1'3 beträgt. Wir müssen also diesen Wert und nicht, wie Soergel angibt, 1%/, = 16 als unterste Grenze für E. meridionalis an- nehmen. Der ’zwene Zahn (Er Ar DPI 14 B, Fig. 17, 17a und Pal. Mem. Vol. II, Pl. 8., Fig. 2, pag. 3), ein M5 aus dem Val d’Arno ist gleichfalls nur wenig angekaut. Nutzspuren zeigen sich an den vordersten 6x Jochen, die hinteren x 5 sind völlig intakt. | Nehmen wir auch hier wieder die Maße der einzelnen Höhen in 1/, natürlicher Größe ab, so finden wir von hinten nach vorn: 27, 92,08, 31, 38,40, 30,37, 32, 25, 20, 14,2. Die höchste Höhe treffen wir wieder am x 5. Joch von hinten. Daß das x 6. Joch gleichhoch war ist möglich, aber nicht wahrschein- lich, da die Usur an diesem, wie die Abbildung (s. Textfigur, 2b) zeigt, so minimal ist, daß sie_ wohl kaum 3 mm Schmelz entfernt haben dürfte. Wir sehen also wieder, daß: 1. die größte Höhe ungefähr in der Zahnmitte liegt, 2. die Schwankungen der Höhenwerte sehr gering sind und 3. das gesuchte Verhältnis zwischen höchster und letzter Lamelle 40:32 —=1'3 beträgt. Nehmen wir nun noch einen Molaren des Weithofer’schen E. lyrodon!) mit x 14x Jochen vor. Er stellt dieoberste Grenze der für E. meridionalis möglichen Lamellenformel dar. Der Molar, welcher aus Montecarlo stammt, ist an den vorderen 8 x Jochen angekaut; ein Blick auf die Abbildung lehrt, daß die 8. Lamelle gerade noch von der Usur berührt ist. Die Maße betragen in ?|; natürlicher Größe von hinten nach vorne: 15, 25, 29, 32, 38, 39, 40:5, 40, 38:5, 37, 35, 32, 29, 26, 20, 10. Nun folge ich — um die höchste Höhe dieses Zahnes zu er- halten -—— mit Rücksicht auf seine bedeutende Spezialisation und um nur ja nicht zu meinen Gunsten einen Wert anzunehmen, völlig dem, was Soergel selbst (l. c. S. 8) an einem Trogon- Tatsache, daß sich ein Lamellenhöhenwert in dem Maße ändert, als der Zahn mehr oder weniger parallel zu seiner Sagittalebene aufgenommen wird, bleibt für unseren Fall gegenstandslos, da ja die Verkürzung bzw. Verlängerung in gleicher Weise alle Joche betrifft. Das Bild ersetzt demnach für den vor- liegenden Fall vollaufdas Original. ı) K. A. Weithofer, Foss. Proboseidier d. Arnotales. Beitr. z. Geol. u. Pal. Oest.-Ung, Bd. VIII, Taf. XI, Fig. 1, 1a, S. 188, Wien 1890. 102 G. Schlesinger. [10] Figur 1a. Textfigur 1. Elephas (Archidiscodon) meridionalis Nesti. M7 dext. (Vgl. dazu den Text auf Seite 100). Fig. 1a. Ansicht von der Seite, um die Nachprüfung der angegebenen Maße zu ermöglichen. — Fig. 15. Ansicht von der Kaufläche. Fundort: Norwich Crag (England). — Horizont: Oberpliozän. Wiedergabe: !), natürlicher Größe. Die beiden Bilder sind Kopien nach H. Falconer: F. A. S., Pl. XIV B, Fig. 18 und 18a und zeigen die verhältnismäßig geringen Unterschiede in der Höhe der Lamellen. therienmolaren gefunden hat und sehe über die höhere Speziali- sation dieses — x 16x Joche! — hinweg. Soergel kommt (l. c. S. 8 u. 9) nach seiner Messung zu dem Schluß, daß die höchste Höhe für E. trogontheris mit x 16 x Jochen an der x 9. Lamelle von hinten gelegen ist. Uebertragen wir nun dieses Ergebnis — trotz der größeren Jochzalıl des Trogontherienzahnes -- um weitest entgegenzukommen, auf den Zahn von Montecarlo mit x 14 x Jochen: An diesem Molaren ist die x 6. Lamelle von hinten noch unangekaut. [11] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 103 Figur 2a. ” Per N Textfigur 2. Elephas (Archidiscodon) meridionalis Nesti. M7 dext. (Vgl. dazu den Text auf Seite 101). Fig. 2a. Ansicht von der Seite. — Fig. 25. Ansicht von der Kaufläche. Fundort: Val d’Arno (Oberitalien).. — Horizont: Oberpliozän. Wiedergabe: !/, natürlicher Größe. Beide Bilder sind Kopien nach H. Falconer: F. A. S., Pl. XIV B, Fig. 17 und 17a und zeigen die verhältuismäßig geringen Unterschiede in der Ilöhe der Lamellen. Der Höhenunterschied zwischen der x 6. und x 9., also höchsten, Lamelle am Trogontherienzahn mit x 16x (l. c.S. 8) beträgt nach Soergel im Quotienten 158 :149 — 1:06. Mithin wäre die höchste Höhe des Meridionalismolaren in ?/, natürlicher Größe — unter der Voraussetzung, daß für ihn die hochspezialisierten Verhältnisse des E. frogontheriü gelten — 05.1006 42 93-493. Der Verhältniswert zwischen höchster und letzter Lamelle be- trüge also: 43:25 5 > 104 G. Schlesinger. [12] Dieser Maximalwert — als solcher hat er bei x 14x Jochen zu gelten — stimmt nun recht gut mit dem Wert überein, welchen W. Soergel (l. c, S. 9) als tiefste Zahl für E. trogontherä er- halten hat, nämlich 13/, = 175. Es ist ja auch vonvornherein ganzklar, daß E. meridionalis als oberste Grenze den Wert einhalten muß, der das Minimum für E. trogontheriü, seinen unmittelbaren Abkömmling, bildet. Daß dieser Wert praktisch infolge der Hilfsannahme vom Trogon- therienmolaren her zu hoch gegriffen ist, erweist die Messung an einem Originalmolaren von E. meridionalis im Budapester National- museum. Es ist ein M5 von Aszod (Inv. Nr. 50) mit x 14x Jochen, von denen erst die vordersten drei angekaut sind. Die Lamellenhöhen betragen von hinten nach vorne: 34, 78, 92, 1018102.211421177322, 323, 122, 120, 1480097 100, 93, 60. Der Molar beweist: 1. daß die höchste Höhe selbst bei diesem vorgeschrittenen M7z in der Gegend des x 8. Joches, also nur wenig vor der Zahn- mitte gelegen ist, 2. daß das Verhältnis zwischen höchster und letzter Lamelle 123 :78 = 1:98 1-6 memast, Die tatsächlichen Messungen erweisen nach alle- dem, daß Soergel das Verhältnis von 13/, (= 1'6)—2 gänz- lich willkürlich angenommen hat. Die höchste Lamelle des E. meridionais ist in Wahr- heit 13—1'6, maximal 130—1'75 mal höher als die letzte. Nun zu E. planifrons! Soergel schreibt (l. c. S. 9): „Bei E. planifrons dürfte dieses Verhältnis noch ein wenig zurückgehen, aber mindestens 1?/,-——13/, betragen.“ Da ihm nun keine Anhaltspunkte für diese Art zur Verfügung stehen, rechnet er den unteren Grenzwert mit Hilfe eines Mz von Stegodon airawana Mart. und meint, da E. planifrons in allen Merkmalen der Dentition fortgeschrittener sei als selbst die höchst- stehenden Stegodonten, müsse dies einen sicheren Aufschluß ergeben. Dabei sind ihm zweı grobe Irrtümer unterlaufen: l. Da ihm ein Mz augenblicklich nicht zur Verfügung steht, nimmt er einen Obkerkiefermolaren, was beiidem ganz be- deutend stärker gekrümmten Kreisbogen, mit welchem letzte obere Molaren den unteren gegenüber aus dem Kiefer rücken, natürlich völlig irreführend ist. 2. Zudem übersieht er folgende zwei Momente: a) Der herangezogene Mz, den er in einer anderen Arbeit?) abbildet, trägt, wie auch aus der Zusammenstellung der Jochhöhen- zahlen in der in Rede stehenden Studie (l. ec. 8. 10) ersichtlich ') W. Soergel, Stegodonten a. d. Kendengschichten auf Java. Paläontogr. Suppl. IV., IV. Abt., 1. Liefg., Taf. I, Fig. 2a, d. Stuttgart 1914. [13] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 105 ist, x11x Lamellen, erreicht also in diesem Merkmal bereits die für E. planifrons oberste Grenze. Er kann daher ansich nicht für die Feststellung eines untersten Grenzwertes in Verwendung gelangen. b) Die Molaren der Gattung Stegodon sind durch niedrige Lamellen ausgezeichnet, deren Schenkel (im sagittalen Durchschnitt gedacht) ganz bedeutend schrägergegendieBasishinein- fallen, mit anderen Worten, deren vordere und hintere Begrenzungs- flächen nach unten vielmehr divergierenalses bei. E. planifrons der Fall ist. Dadurch wird naturgemäß die Basis der ganzen Zahnkrone einem III. Molaren von E. planifrons mit der gleichen Jochzahl gegenüber erheblich verlängert. Es ist ohne weiteres klar, daß ein Molar, welcher x 11x Joche trägt, deren Schenkel nach unten hin stark auseinandertreten, gegenüber einem Zahn mit gleicher Jochzahl, aber steileren Schenkeln, in viel stärkerer Krümmung aus dem Kiefer herausrücken, also bedeutendere Höhenunterschiede der Joche aufweisen muß. In der Tat beweisen die von Soergel (Kendengschichten 1. ce. S. 7) selbst angegebenen Maße, wie außer- ordentlich die Krümmung ist. Während die Länge von Talon zu Talon (in der Luftlinie) gemessen 287 mm beträgt, ergab die Messung mit dem Bandmaß (also in der Krümmung) 330 mm. Wir ersehen daraus, daß Steg. airawana in zweifacher Hin- sicht in der Dentition ganz erheblich — allerdings in anderer Richtung als die jüngeren Elefanten — über E. planifrons hinaus spezialisiert ist. Während bei dieser Art die Schmelzbüchsenan Zahl zunehmen (x10x— x1il1x) und gleichzeitig gemäß der allgemeinenEntwieklungstendenzder echtenElefanten verengert und erhöht werden, geht bei den Stegodonten die Lamellenzunahme Hand in Hand mit einem fastvölligen Still- stand der Verengerung wie auch der Erhöhung der Joche vor sich. Das sind zwei so grundverschiedene Vorgänge, daß es selbstverständlich ausgeschlossenist, einen der- artigenStegodonzahn zurErrechnung einesVerhältnis- wertes für E. planifrons heranzuziehen, um so mehr, als ersterer dem Planifronsmolaren gegenüber in zwei- facher Hinsicht spezialisiert ist. Ein Molar von Stegodon könnte nur dann einer solchen Berech- nung zugrunde gelegt werden, wenn erwiesen wäre, daß die betreffende Art entweder der unmittelbare Ahne des E. planifrons ist oder daß sie wenigstens sicher in seiner direkten Ahnen- reihe gelegen ist. Nur nebenbei sei bemerkt, daß dieser Nachweis bis heute zuverlässig noch für keine einzige Stegodontenart erbracht, beziehungsweise überprüft ist. Das von Soergel für E. planifrons angegebene Ver- hältnis zwischen höchster .und letzter Lamelle ist Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (Schlesinger.) 14 106 G. Schlesinger. [14] also gänzlich falsch und, wie die eben gemachten Er- örterungen erwiesen haben, viel zu hoch. Leider sind in der F. A. S. keine Mz von E. planifrons abge- bildet, welche über diese Frage sicheren Aufschluß zu geben ver- möchten. Es ist dies für unseren Fall zwar kein großer Mangel, da wir jain dem unteren Wert für E. meridionalis zugleich den obersten für E. planifrons vor uns haben. Doch wäre es mir deshalb erwünscht gewesen, weil Soergel daraus hätte lernen können, daß die Höhen- zunahme der Krone des E. planifrons von hinten nach vorn eine derart geringe ist, daß sie bei einer Durchschnittsbe- wertung der Kronenhöhe — und mit einer solchen haben bis auf „Soergel vom Jahre 1915“ alle Autoren gerechnet, welche Archidiskodontenmolaren verglichen haben, — kaum eine Rolle spielt. Uebrigens verweise ich ihn auf die Abbildung Figur 12, 12a der PL.XH. (FA) Bevor wir nun mit diesem Rüstzeug an die Höhenbestim- mung der beiden niederösterreichischen Molaren schreiten, wollen wir doch noch einige Streiflichter auf die Art, wie Soergel mit seinen Werten die Höhenergänzung durchführt, werfen. Nach Wiederholung (l. ec. S. 11) der von ihm angenommenen Werte (13/,—2 für E. meridionalis und 1?/;—1°/, für E. planifrons) fährt er fort: „Wir wollen ein übriges tun und beide Werte zusammenziehen zu 12/,—2.* En erweckt er für den flüchtigen Leser den Anschein, als wollte er meinem Standpunkt entgegenkommen. In der Tat ist diese Zusammenziehung eine neuerliche Fehlerquelle, da ja die Höhe im Falle der Möglichkeit einer Bestimmung als E. planifrons viel zu bedeutend ausfallen muß. Wie irreführend diese Zusammenziehung ist, erhellt insbesondere daraus, daß Soergel aubeiden Höhen- zahlendasMittel zieht, was natürlich den Wert für E. planifrons erheblich steigern muß. Wir wollen also lieber „kein übriges tun* und mit den Werten ehrlich rechnen. Mit Soergels Zahlen erhielten wir dann für den Dober- mannsdorfer Zahn: 1. Für den Fall, als es E. meridionalis wäre, 70.16— 112 mm als Minimum und 70.2=140 mm als Maximum. 2. Für den Fall, daß es E. planifrons ist, 70.14 — 98 mm als Minimum und 70.1:6—=112 mm als Maximum. Während es nun Soergel bei E. meridionalis recht gut ver- standen hat, korrigierte Höhenwerte in Vergleich zu ziehen und darauf Rücksicht zu nehmen, ob die Molaren angekaut sind oder nicht, sieht er über diese Momente bei E. planifrons hinweg und bemüht sich nicht, die Originalwerte der F. A. S., beziehungsweise der Pal. Mem. heranzuziehen, sondern nimmt die von mir in meiner ersten Arbeit angeführten Maße als Vergleichsbasis. Das erscheint mir denn doch als eine etwas zu ungenaue Methode; wir wollen uns daher zunächst die Höhenwerte von den in der F. A. S. publizierten MF des E. planifrons auf eine richtige [15] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 107 Vergleichsbasis bringen, das heißt dort, wo es sich um angekaute Molaren handelt, die Höhe nach ebendem Schlüssel errechnen, nach dem Soergel den Dobermannsdorfer Zahn errechnet hat. Dabei mache ich ausdrücklich aufmerksam, daß dies nicht die tatsächlichen Höhenwerte sind, weil ja Soergels Verhältnis- zahlen falsch sind. Es handelt sich jetzt nur um die Beleuch- tung seiner Methode: Der schon einmal erwähnte MF (F. A. S., Pl. XII, Figur 12, 12a) ist von Falconer (Pal. Mem. Vol. I, S. 433) gemessen angegeben. Nach ihm beträgt die Höhe des 7. Joches „4 inches“, das ist 1016 mm. Schon diese „Originalhöhe“, welche an einem ziemlich weit rückliegenden und noch dazu etwas abgekauten Joch abgenommen ist, bleibt hinter dem Soergelschen Maximnm nur um 104 mm zurück. Führen wir nun die Ergänzung durch: Die letzte Lamelle dieses Zahnes mißt in !/, natürlicher Größe (s. Pl. XII, Figur 12) 27 mm, im Original also 27.3—=81 mm. Der Maximalwert nachSoergel wäre mithin 81.16 — 1296, das Minimum 81.14 = 1134 mm. Das Maximum des Dobermannsdorfer Zahnes bliebe also hinter dem Maximum des sewalischen um 176 mm, hinter dem Minimum des sewalischen um 14mm zurück. Das Minimum desDobermannsdorfer Zahnes bliebe sogar hinter dem am Original meßbaren Wert noch um 36 mm zurück. Man ersieht daraus, daß derartige Betrachtungen recht lehrreich sind! Noch viel auffälliger wird der Erfolg, wenn wir den von Falconer (F. A. S., Pl. U, Figur 55 und Pal. Mem. Vol. I, p. 423) abgebildeten und beschriebenen Mz in Erwägung ziehen, an dem die Maße infolge der Tatsache, daß er im Längsschnitt dargestellt ist, besonders klar abzunehmen sind. DaB die hinterste Lamelle dieses Zahnes tat- sächlich die letzte ist, geht aus der im folgenden zitierten Cha- rakteristik Falconers (Pal. Mem. Vol. I, p. 423) hervor: „Fig. 56. — Elephas planifrons. Vertical section of portion of last molar of lower jaw, with nine ridges, and presenting the same general characters as fig. 5a. The lower tooth, however, had been longer in use, and all the ridges are more or less worn, except the two last.“ Uebrigens läßt auch der Höhenwert keinen Zweifel. Die letzte Lamelle mißt in !/, natürlicher Größe 44:8 mm, mithin in natürlicher Größe 896 mm. Der Maximalwert dieses Zahnes nach Soergel betrüge also 89:6.1'6 — 143:36 — 1434 mm, der Minimalwert 896.14 — 12544 mm. Es fiele also selbst Soergels Berechnung für E. meridionalis (Max. 140 mm, Minim. 112) noch unter das Maximum dieses Molaren. 108 G. Schlesinger. [16] Nach diesem Exkurse wollen wir die tatsächlich möglichen Höhen mittels der von uns gewonnenen Zahlen errechnen: Dabei betone ich, daß ich wieder, um den ungünstigsten Fall für meine Anschauung anzunehmen, für &. planifrons nur mit dem Maximum, welches zugleich das Minimum für E. meridionalis ist, rechne. Der Zahn von Dobermannsdorf maß unangekaut: 1. Im Falle der Zugehörigkeit zu E. planifrons maximal: 70.1.3=91 mm. 2. Im Falle der Zugehörigkeit zu E. meridionalis maximal: 70.172—=120'4 mm, minimal: 91 mm. Der Zahn vom Laaerberg maß: 1. Im Falle der Zugehörigkeit” zu E. planifrons maximal: 93.1.3—=1209—= 121 mm. 2. Im Falle der Zugehörigkeit zu E. meridionalis maximal: 93.1:72= 15996 —= 160 mm; minimal: 121 mm. Demgegenüber betragen die errechenbaren wirklichen Maxi- malwerte der beiden schon früher herangezogenen Molaren der Fı: Ars: 1. Für den Zahn auf Pl. XII, Figur 12, 12«::81. 13 = 1053 mm. 2. Für den Zahn auf Pl. II, Figur 5b: 896.13 —= 11648 — 1165 mm. Der Dobermannsdorfer Zahn kommt nun selbst mit seiner Maximalberechnung als E. meridionalis (1204 mm) um einen so geringen Wert (3:9 mm) über 116°5 mm zu stehen, daß wohl jede weitere Diskussion über ihn um so mehr ausscheidet, als sein Maximum als E. planifrons um 15:5 mm hinter dem für diese Art bekannten Maximum zurückbleibt. Der Laaerberger Zahn ist mit seinem Maximum als E. planifrons (121 mm) bei dem bloß 45 mm betragenden Unterschied von 1165 mm wohl um so eher mit dieser Art zu vereinigen, als wir ein Minimum von ihm nicht angenommen haben. Sein Maximalwert als E. meridionalis (160 mm) aber erschien schon Soergel indiskutabel. Er glaubte mit 130—145 mm rechnen zu können und sah ein, daß bei so weiten Grenzen die Methode gänzlich unsicher werde (l. c. S. 12). Er nimmt daher seine Zuflucht zu einem anderen Mittel und meint, daB sich eine Höhe von 140 mm aus der Kurve wahrscheinlich machen lasse, welche die Spitzen des letzten und vorletzten Joches verbindet. Gegen diese Methode wäre an sich bloß einzuwenden, daß die Verbindung der Spitzen der beiden letzten Joche infolge des raschen Anstieges vom letzten zum vorletzten gegenüber dem von diesem zum drittletzten die tatsächliche Höhe etwas übertreiben muß; doch würde es sich um höchstens 10 mm handeln. Leider aber hat Soergel die Kurve falsch gezogen und am letzten Joch die Spitze — wohl bloß irrtümlicherweise — viel tiefer angenommen als sie in Wirklichkeit liegt. [17] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 109 Wie meine Abbildung (Ein neuerlicher Fund usw. 1. c. Tafel II) zeigt und übrigens auch die weniger gute Reproduktion Soergels (l. e. S. 35, Figur 7) erkennen läßt, ist die letzte Lamelle nach obenhin vor ihrer Kulmination durch eine sie etwas überlagernde Zementhaut verdeckt, kommt aber an der Spitze als schwarzer Fleck wieder zum Vorschein. Dieses neuerliche Hervortreten ist auch an der Reproduktion Soergels ganz klar und deutlich erkennbar. Es wäre ja auch, wollte man die Spitze des Joches schon unter dem basalwärts ge- legenen Rande der Zementhaut suchen, sehr merk- würdig, daß eine so mächtige Zementschicht über dem Joche lagern sollte. Wieviel dieser von Soergel „abgezwickte“ Spitzenteil ausmacht ist durch eine einfache Rechnung zu erkunden. Die Höhe der von ihm (l. ec. S. 37, Figur 8) gezeichneten x 1. Lamelle von hinten beträgt von dem kleinen nach oben ein- springenden Knick der Kronenbasis (s. umstehende Textfigur 3, MeB- punkt a) bis zur Lamellenspitze (Meßpunkt b) genau 378 mm. Am Original gemessen beträgt die gleiche Strecke 95 mm. Die x 2. Lamelle mißt (von c bis d) in der Zeichnung 43 mm, im Original 98 mm. Um die Messung vollständig einwandfrei durchführen zu können, wurde von mir folgender Weg eingeschlagen: Der Zahn wurde in einen Kasten mit genau gleichhohen Seiten- wänden derart gelegt, daß die Normale von der Spitze der x 1. La- melle von hinten zu deren Basis, also ihre genaue Höhe, zur Liege- fläche des Molaren parallel lag. Ueber die Seitenwände wurde ein System von parallel geschliffenen Spiegelglasplatten als Gleitfläche für die Schublehre derart gelegt, daß es die Zahnkrone zum Messen völlig frei ließ. Nun wurde eine Schublehre mit oben längerem Greifarm bei entsprechender Vermehrung oder Verminderung der Glasplatten derart aufgelegt, daß sie mit dem oberen Arm die Lamellenspitze, mit dem unteren die Basis faßte. Durch das Glasplattensystem war es möglich, die Verschiebung der Schublehre nach linhs und rechts bei der Höhenabnahme der weiteren Lamellen stets in der Ebene durchzuführen, in welcher die Höhe der x 1. Lamelle abgenommen worden war. Dieser Apparat wurde bei allen weiteren erwähnten Messungen angewendet. Er ist deshalb nötig, weil eine geringe Verschiebung der Höhenebene der Lamellen ganz andere Werte ergibt. Die oben herangezogenen Werte von 93 mm und 98 mm werden bei einer geringen Neigung zu 91 mm und 96 mm. Wird nun die Messung aus freier Hand vorgenommen, dann kann es leicht vorkom- men, daß bei geringer Abweichung, die glatt übersehen wird, Werte von 93 und 96 oder 91 und 98 vereinigt werden. Nun läßt sich eine sehr einfache Proportion aufstellen. Mag Soergels Abbildung, in welcher Verkleinerung immer gehalten sein, die von ihm zu zeichnende Höhe der x letzten Lamelle muß sich zur G. Schlesinger. [18] 110 N R AUT ER HARTMANN Um \ | UNI Km " : LET ER £ di & \ / Ä x Ir x N x \ % x 1 N CN N ; 1 ] 1 ı [19] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 1193 Erklärung zu nebenstehender Textfigur 3. Soergels Rekonstruktion des M% sin vom Laaerberg (Niederösterreich) nach Richtigstellung der fälschlich erniedrigten letzten T,amelle. a—b — die von Soergel angenommene falsche Höhe der letzten Lamelle (= 37'8 mm). a—b, — die richtige Höhe (= 408 mm). c—d =: die Höhe der vorletzten Lamelle (etwas abgekaut) im Verhältnis 1: 2:28 natürlicher Größe. c—d = die von Soergel angenommene ergänzte Höhe. Die Gerade d,—d, zeigt, um welchen bedeutenden Wert (13:5 mm bei 1:2'28 natürlicher Größe) die Zahnhöhe infolge der Richtigstellung des Fehlers erniedrigt wird. Die unterbrochene Linie stellt die ausgezogene obere Begrenzung dar. In eine vom Verlage Bornträger freundlichst zur Verfügung gestellte Kopie der Soergelschen Textfigur 8 (l. c. S. 37) gezeichnet. Verkleinerung: 1:2'28. wahren Höhe ebenso verhalten wie die gezeichnete Höhe der x vor- letzten zu ihrer wahren: x:93 43:98. ze 393.43 — 40°8 mm. 98 In dieser Höhe von 40°8 mm (und ‚nicht mit 378 mm) hätte Soergel wahrheitsgemäß die letzte Lamelle zeichnen müssen. [2] Dieser Unterschied von 5 mm in der Zeichnung entspricht in Wirklichkeit — infolge der von ihm angewendeten Verkleinerung von 1:(98:43)—=1:2'28 — einem Wert von 3.228 — 6'834 mm, der bei einer Spitzenentfernung der beiden Jochenden von bloß 2°5 cm auf die Steigung der Verbindungskurve natürlich von enormem Einfluß ist. Dies läßt sich an der Soergelschen Zeichnung (s. Textfigur 3) recht sinnfällig machen: Setzen wir an die Linie b die fehlenden 3 mm an und ver- längern die Verbindungslinie zwischen diesem neugewonnenen rich- tigen Kulminationspunkt b’ mit der Spitze d’ der von Soergel ergänzten vorletzten Lamelle als Gerade nach vorn, so wird die Höhe der höchsten Lamelle in seiner Rekonstruktion — d.i. diex 8.— um 13°5 mm verringert. Diese 13°5 mm entsprechen in Wirklichkeit (gemäß der oben festgestellten Verkleinerung) 13:5. 2:28 — 3078 — 31 mm. Die angenommene Höhe von 140 mm erniedrigt sich also bloß durch die Korrektur dieses Fehlers auf 109 mm. Dieser Wert ändert sich insofern etwas zugunsten Soergels,. als durch die richtige Linienführung nun nicht die x 8., sondern schon die x 7. Lamelle die höchste wird. Der von ihr abgetrennte — den 13:5 mm an der x 8. entsprechende — Teil mißt in seiner Zeich- 112 G. Schlesinger. [20] Zeichnung (s. Textfigur 3) 11l’4 mm, mithin in natürlicher Größe 11’4 .2:28 — 25:992 — 26 mm. Mithin beträgt die Höhe, wenn wir davon absehen, daß die x 7. Lamelle nicht voll 140 mm mißt, 140 — 26 — 114 mm. Soergel hätte also bei gewissenhafter Rekonstruk- tion selbst zudem Werte kommen müssen, der beileibe nicht die höchste errechenbare Höhe für E. planifrons darstellt, sondern sogar noch hinter dem tatsächlichen Textfigur 4. Elephas (Archidiscodon) planifrons Fale. Drittletztes Joch des MF° vom Laaerberge mit Plastelinergänzung der abgekauten Teile. Die geritzten Striche im Plastelin entsprechen den Fortsetzungen der Haupt- trennungsspalten zwischen den Außenpfeilern und dem Mittelpfeiler. Fundort: Laaerberg (Wien X). Ziegelei Löwy. Horizont: Laaerbergschotter. Mittelpliozän. Wiedergabe: Natürliche Größe. (Originalaufnahme.) (aus Zähnen der F. A. S. erkundbaren) Höhenwert von 1165 mm um 2:5 mm zurückbleibt. Um nun hinsichtlich der Höhenrekonstruktion ganz sicher zu gehen, habe ich an dem Original das x vorletzte und x drittletzte Joch in Plastelin ergänzt. Der Abkauungsgrad der beiden Lamellen ist ein derartiger, daß an beiden Seiten die Neigung der Joche völlig klar die Stärke ihrer Konvergenz nach oben erkennen läßt. Dadurch war es möglich, die Ergänzung zuverlässig durchzuführen. Die Leser mögen an der beigegebenen Textfigur 4, welche die Plastelinergän- zung des drittletzten Joches zeigt, den Grad dieser Zuverlässigkeit selbst beurteilen. [21] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 113 Bemerkt sei noch, daß die Ergänzung der Form nach aufGrund der Krümmungsverhältnisse durchgeführt wurde, wie sie. die beiden von Soergel (Ueb. E. trogonth. und E. ant. usw. Paläontogr. Bd. LX, S. 10 und 11, Figur 7 und 8, Stuttgart 1912) abgebildeten Meridionalis- Lamellen zeigen, soweit nicht der Verlauf der Seitenwände gering- fügige Abweichungen forderte. Textfigur 5. Elephas (Archidiscodon) planifrons Fale. M7 sin. vom Laaerberge mit Plastelinergänzung der abgekauten Teile des dritt- letzten und vorletzten Joches. Fundort und Horizont wie bei Textfigur 4. Wiedergabe: genau '/, natürlicher Größe. (Originalaufnahme. Ueber die Art der Aufnahme vgl. S. 113/114.) Um nun die Höhe völlig einwandfrei erkunden zu können, ließ ich den Zahn mit den beiden rekonstruierten Lamellen (s. Text- figur 5) genau in !/, natürlicher Größe aufnehmen. Die Aufnahme, welche begreiflicherweise bedeutende Schwierig- keiten bereitete, ist bis auf den einen kleinen Fehler geglückt, daß die Ebene, welche normal auf die Zahnkronenbasis durch die Höhe der x letzten Lamelle zu denken ist, um ein Geringes von der Bild- ebene nach oben divergierte. Dadurch erscheinen die Höhen der drei letzten Lamellen und des Talons um je 2 mm im Bilde verkürzt. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (Schlesinger.) 15 114 . G. Schlesinger. [22] Während sie nach der früher geschilderten peinlich genauen Messung am Original von hinten an: 72, 93, 105, 105 betragen, sind ihre Maße (s. die Meßpunkte in Textfigur 5) in 1/, natürlicher Größe 35,.40:5, 80:8, .2l°D, was einer natürlichen Größe von 10, 91, 101,7103 entspräche. Bei der großen Mühe, welche eine derartige Aufnahme macht, wird man es mir vergeben, wenn ich das Bild trotzdem verwende. Ein Irrtum ist nach Klarlegung des Fehlers nicht möglich. Es ist einfach zu jeder am Bilde gemessenen vertikalen Strecke nach erfolgter Multiplikation mit 2 noch ein Wert von 2 mm zu- zuzählen. Wenn wir nun eine Höhenrekonstruktion durchführen, werden wir bei der Tatsache, daß die Höhenunterschiede der hintersten Lamellen bedeutender sind als die der weiter vorn gelegenen, natürlich richtiger die Verbindungslinie zwischen vor- letztem und drittletztem als die zwischen letztem und vor- letztem Joch ziehen. Die Tatsächlichkeit dieses Steigungsunterschiedes ist, ganz ab- gesehen von den Planifrons- und Meridionalismolaren, sogar an den beiden von Soergel (Il. c. S. 8) gemessenen Trogon- therienmolaren nachweisbar. Am ersten Zahn, mit x 16 x, beträgt der Unterschied zwischen: der letzten und 2. Lamelle. . . 105 — 76 = 29 mm 4 . ... 119 — 105 = 14 mm R re 182 — 119 1a m 0... 143 — 132 = 11 mm 5 ...7149— 143 = 6 mm \ .. . 155-149 bmm usw. 3 N > a: Korg 5 uuusN) Ss Am zweiten Zahn, mit x 19x, beträgt er zwischen: der letzten und 2. Lamelle . .. 9 — 70 =19 mm " 2. 50% 5 „2... 1018 — 89), = 2802 e 3. > 3 2354109; .— 1015 = Dre 5 4. TE 5 nm 114 — 109 ee usw. Eine geradlinige Verbindung von zwei Jochspitzen kommt also der wirklichen Kronenhöhe um so näher, je weiter vorn sie gelegen ist. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, daß untere My vor der größten Höhe auch im unangekauten Zustand an der Kronen- basis, wie an der Kaufläche nach aufwärts geschwungen sind, weiter vorn liegende Spitzen also diesen Teil bei geradliniger Verbindung mehr oder weniger schneiden müssen. [23] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 115 Grundsätzlich ist dies deshalb weniger von Bedeutung, da der Schwung nach oben naturgemäß — infolge der aufsteigenden Basal- kurve der Krone — eben stets vor der höchsten Höhe liegt. Ziehen wir nun in unserer Textfigur 5 die Verbindung zwischen den beiden ergänzten Spitzen und verlängern geradlinig nach vorn, so erhalten wir folgende Höhenwerte !): in !Y/, nat. Größe in nat. Größe 4. Lamele . . 52 mm (52X2)- 2 = 106 mm Den. 92x, 113 = 108, a 2253-12 106, a BEL x) 2 —- 104, Dan ex 2a 96” Wir müssen also mit einem maximalen Höhenwert von 106 mn an dem Mz vom Laaerberg rechnen. Diese Zahl fällt so vollständig in die Höhenwerte, welche wir aus der F. A. S. kennen und früher erörtert haben, und bleibt so vollständig hinter den untersten möglichen Grenzen für E. meridionalis zurück, daß schon aus diesem Merkmal allein die Spezieszuteilungsicher durchführbar wäre. Bevor ich zur Lamellenformel und Rekonstruktion des Zahnes übergehe, noch ein Wort über die mit vieler Hitze und Empörung vorgetragene Bemerkung W. Soergels (l. c. S. 14), ich hätte die Höhe des letzten unangekauten Joches für die höchste Höhe des Zahnes überhaupt gehalten. Wie ich schon früher betonte, haben bis auf „Soergel vom Jahre 1915“ alle Autoren mit durchschnittlichen Höhenwerten ge- rechnet. Daß diese Art Höhe, bei Archidiskodonten mit weniger Um- ständen abzunehmen ist, als bei höheren Elefanten, hätte Herrn Kollegen Soergel klar sein können, da er doch „reiche Zahnserien von E. meridionalis des Val d’Arno“ zur Verfügung hatte. Ist nun der geringe Unterschied der Lamellenhöhe schon bei ursprünglichen Mz von E. meridionalis kenntlich, so hätte ein Studium der F. A. S. ihn darüber vollends belehren können, wie wenig diese Unterschiede bei E. planifrons ins Gewicht fallen. Ich verweise übrigens diesbezüglich bloß auf die von mir in dieser Arbeit zitierten Molaren des E. planifrons und auch E. meri- dionalis aus der F. A. S. ') Die 4., 5. und 6. Lamelle springen nach unten mit Schmelzzipfeln vor. Es ist klar, daB diese Bildungen nicht bei der Höhenfeststellung eingerechnet werden können, Uebrigens bleibt auch ihr Wert innerhalb der Grenzen für E. planifrons. Unter Einrechnung dieser Zipfel betrügen die Abstände: in '/, nat. Größe in nat. Größe 4. Lamelle °. '. . . .„. 565mm (565X2)+-2= 115 mm tee id! AB URN N ZT ee Fe Br NEE Sn (Br) erez |, 15° 116 G. Schlesinger. [24] Ich habe mit vollem Bewußtsein der geringen Wert- unterschiede — da ja nur &. planifrons oder ein sehr ursprüng- licher E. meridionalis in Frage kam — eine Höhenrekonstruktion unterlassen und die tatsächlichen Messungen den gleichfalls tatsächlichen Messungen verschiedenster Molaren beider Formen gegenübergestellt. Ich hoffe, daß sich die Aufregung des Herrn Kollegen Soergel über diese meine Unterlassung um so rascher legen wird, als er ja nun Gelegenheit hat, seine von der intensiven Beschäftigung mit den höheren Elefanten her stark aus dem objektiven Gleichgewicht ge- brachten Anschauungen über die Zahnverhältnisse der Archidiskodonten wieder in Ordnung zu bringen. 2. Die Lamellenformel und ihre Ergänzung. Soergel sind bei seiner Art die Höhen der beiden in Rede stehenden Molaren zu erkunden, eine Zahl von sehr wesentlichen Fehlern unterlaufen: 1. Die Verhältniszahl zwischen höchster und letzter Lamelle für E. meridionalis beträgt nicht 1'6—2, sondern 1’3—1°6. 2. Das Minimum dieses Wertes für E. planifrons ist aus einem M2 von Steg. airawana errechnet und daher falsch. 3. Dies erhellt aus der Tatsache, daß letzte obere Molaren einen größeren Krümmungsbogen, daher naturgemäß größere Unter- schiede der Jochhöhen aufweisen als untere. 4. Es geht ferner aus dem Umstande hervor, daB Steg. dirawana in zweifacher Hinsicht über #. planifrons spezialisiert ist: a) durch seine hohe Lamellenzahl, die mitx 11x das Maximum für E. planifrons bedeutet; b) durch die von E. planifrons gänzlich verschiedene Weiter- bildung seiner Joche, welche den im Punkte 3 namhaft gemachten Fehler noch vergrößert. 5. Zudem hat Soergel die rekonstruierten Höhen mit unrekonstruierten der F.A.S. verglichen. 6. Schließlich hat er bei der Höhenbestimmung des Laaerberger Zahnes durch die den Tatsachen widersprechende Ver- kürzung der letzten Lamelle um 6'834 mm das Maximalmaß von 114 mm auf 140 mm erhöht. Diesen bei einem Widerlegungsversuch und in einer wissen- schaftlichen Streitfrage um so schwerer einzuschätzenden Irr- tümern gegenüber hat unsere auf Grund einwandfreier Plaste- linrekonstruktion der zwei vorletzten Lamellen aufge- baute Höhenbestimmung den maximalen Höhenwert weiter auf 106 mm erniedrigt. Beide Zahlen (114 und 106 mm) fallen vollauf unter das mögliche Minimum für E. meridionalis. Wir werden also von vornherein keine höhere Lamellenformel als x 11 x erwarten dürfen. Dies bestätigt sich selbst unter der Annahme, daß Soergels Weg zur Rekonstruktion des Stückes — bis auf die oben beleuchtete [25] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 117 Erniedrigung der Spitze der letzten Lamelle um 684 mm — richtig gewesen wäre. Wie die Textfigur 3 (s. S. 110) durch den eingezeichneten Ver- lauf der korrigierten Höhenlinie zeigt, werden infolge der notwendigen Korrektur von 140 mm auf 114 mm glatt 2 Lamellen des Vor- derendes des Zahnes abgeschnitten. Die Bedingtheit dieses Verlustes ergibt übrigens auch die bloße Erwägung der Tatsache, daß die höchste Höhe von der x 8. auf die x 7. Lamelle infolge der Fehlerkorrektur zurückgerückt werden mußte, eine Entfernung, welche die Breite der beiden vordersten Joche samt Zementintervallen noch übertrifft. Damit aber sinkt der Zahn — ganz abgesehen von der nötig werdenden Längenreduktion — auf eine Lamellenformel vonx1ll oder praktisch x 10x Jochen herab. Wir sehen also wieder, daß Soergel bei gewissenhafter Arbeit selbst auf die Unmöglichkeit seiner Resultate hätte kommen müssen. Seine Lamellenrekonstruktion mußte schon umso unrichtiger aus- fallen, als auch seine Annahme, die größte Höhe des Mz von E. meri- dionalis liege im vordersten Zahndrittel, nicht den Tatsachen entspricht, ja nicht einmal seine eigenen Erfahrungen am Tro- gsontherienmaterial zu ihr berechtigen. Bei dem ersten von ihm herangezogenen Trogontherien- molaren (l. ec. S. 8) mit x 16x Jochen liegt die höchste Höhe an der x 9. Lamelle von hinten, vor ihr liegen 7 x Lamellen. Bei dem zweiten Zahn mit x 19 x liest sie an der x 11. Lamelle von hinten, vor ihr sind also 8 x Joche. Wäre die höchste Höhe wirklich im vorderen Drittel, so müßte sie am ersten Zahn wenigstens in der Gegend der x 12. Lamelle von hinten, am zweiten in der Gegend der x 14. zu finden sein. Diese drei Joche samt drei Zementintervallen sind schon am Trogontheriimolaren, für den wir einen Durchschnitts-L. L. Q. von 17:5 (Soergel, ]l. ec. S. 36) annehmen müssen, ein nicht zu unter- schätzender Wert von 175.3 —=52°5 nm. Es ist klar, daß die bloße Uebertragung dieses Fehlers auf E. meridionalis bei dem viel größeren L. L. Q. dieser Art stark irreführend ist. Nun verschiebt sich aber, je weiter wir in der Ahnen- reihe der Elefanten zurückgehen die Lage der höchsten Lamelle immer weiter nach rückwärts. Wie wir an den beiden Meridionalis- molaren der F. A. S. (s. S, 101) ersehen konnten, liegt bei dieser Form der höchste Punkt ungefähr in der Mitte des Zahnes. Eine zuverlässige Rekonstruktion wird sich demgegenüber vor allem aufbauen müssen: 1. Auf der unter Zugrundelegung der Verbindungslinie zwischen x vor- und x drittletztem Joch erschlossenen tatsächlichen Höhe von 106 mm. 2. Auf der Erfahrung, daß die höchste Kronenhöhe bei Archidis- kodonten ungefähr in der Mitte, eher noch weiter rückwärts (s. die Zahlen der beiden Meridionalismolaren auf S. 100/101) ge- legen ist. | 118 G. Schlesinger. [26] Mit Hilfe dieser zwei Prämissen sind wir in der Lage, die Länge des intakten Zahnes festzulegen: : Seine höchste Höhe von 106 mm betrifft 3 Joche, das x4., xD. und x6. Vor ihnen tragen die ersten beiden stärkere Basal- zacken (s. Textfigur 5) und sind absolut genommen die höchsten. Nun sehen wir, um nicht pro domo zu handeln, davon ab, daß die höchste Höhe am x 4. Joch gemessen wurde und nehmen das Maß der halben Länge vom hinteren Talonende bis zum Beginn _ der Hinterwand der x 5. Lamelle, statt wie es richtig wäre, den vorderen Meßpunkt in den Zementzwischenraum zwischen x 4. und x 5. Joch anzunehmen: wir erhaltensoalshalbe Länge 140 mm. Mithin hatte der Zahn vollständig 280 mm gemessen. Ich hatte mich also bei meiner ersten Publikation in der mut- maßlichen Längenbestimmung um ganze 10 mm geirrt! Die Länge des erhaltenen Restes beträgt 233 mm, mithin sind 280 — 233 — 47 mm zu ergänzen. Wieviel Lamellen verteilen sich auf diese 47 mm? Soergel hat (l. c. S. 24—29) des längeren auseinandergesetzt, daß der L. L. Q. in dem Maße wachse, als der Zahn in der Ab- kauung fortschreitet. Ich komme noch auf diese Frage zurück. Für unseren Fall wollen wir vorläufig, um Soergel weitest ent- gegenzukommen, mit dem von ihm errechneten L. L. Q. von 23°0 für die vorn fehlenden Joche die Verteilung vornehmen: Mit der Annahme von zwei Lamellen haben wir bereits unseren Zahlenvorrat erschöpft (2.23 = 46 mm) und es bleibt uns nur 1 mm übrig. Wir sind also selbst bei der Voraussetzung, daß die Werte von Joch-Zementintervallnach vorn etwas abnehmen, nicht imstande, einen vorderen Talon im Rekonstruktionsbild zu rechtfertigen: die Lamellen- formel bleibt nach wie vor x 10. So stellt sich die Frage der Lamellenergänzung wahrheits- gemäß dar. Freilich! wenn man auf Grund von mehr als sechs falschen Vor- aussetzungen einen Zahn ergänzt, dann kann man immerhin auch zu einer Länge von 326 mm und einer Formel von x 12x gelangen. Mit der Festlegung der Höhe von 106 mm Maximum (unange- kaut) und der Formel von x 10 bei einer Länge von 280 mm ist die Bestimmung des Zahnes als E. planifrons außer allem Zweifel. Bevor ich weitergehe, um noch einige Soergelsche Argumen- tationen, die allerdings für die Bestimmung nichts mehr entscheiden, zu beleuchten und durch ihre Widerlegung Streiflichter auf die Richtig- keit meiner Bestimmung rückfallen zu lassen, will ich mit einigen Bemerkungen die in Textfigur 6 und 7 (s. S. 119) dargestellte Rekonstruktion in Gips und Plastelin erläutern. Auf Grundlage der gewonnenen, eben geschilderten Ergebnisse hinsichtlich Höhe, Länge und Lamellenzahl wurden zunächst die Lamellen, soweit in Resten vorhanden, über einem Gipsabguß [27] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 119 Textligur 6. Elephas (Archidiscodon) planifrons Fale. M7 sin. vom Laaerberg in Gips rekonstruiert, von innen gesehen. Fundort und Horizont: wie bei Textfigur 4. Wiedergabe: '/, natürlicher Größe. (Originalaufnahme.) Das Original ist an dem dunkleren Ton kenntlich. (Vgl. dazu den Text auf S, 118.) Textfigur 7. Elephas (Archidiscodon) planifrons Fale. Die in Textfigur 6 dargestellte Rekonstruktion von oben gesehen. Fundort, Horizont und Wiedergabe wie bei Textfigur 6. Man beachte die schmale Form der Kaufläche. 120 G.. Schlesinger. [28] in Plastelin ergänzt, dann wurden die Zementzwischenräume mit Gips ausgegossen und vorn an den Zahn in der erschlossenen Länge die beiden fehlenden Joche samt Intervallen anmodelliert. Der Schwung der Kaufläche ist durch den Verlauf der Spitzen- kurve der hinteren vier Joche gegeben und wurde nach dem Vorbild von zwei Meridionalis-Molaren aus dem Budapester Museum, für deren Uebersendung ich Herrn Kollegen Dr. Th. Kormos zu beson- derem herzlichem Dank verpflichtet bin, durchgearbeitet. Die genau, mit Hilfe des auf S. 109 geschilderten Apparates gemessenen Jochhöhen der Rekonstruktion betragen von hinten an: 12, 93, 103, 105, 1061), 1061), 106%), 1055, 102, 89, 72 Bezüglich der Wurzelergänzung verweise ich auf den nächsten Abschnitt, 3. Die Zahnwurzeln. Mit den vorerwähnten Ausführungen erscheinen die Argumente Soergels ebenso gründlich als erschöpfend erledigt. Den übrigen Merkmalen “erkennt er keine Beweiskraft für die Artbestimmung zu. Trotzdem ist es interessant und lehrreich, sie einzeln durchzugehen. An Hand der Abbildungen von drei Primigeniusmolaren — Soergel zieht immer bei kritischen Fragen über Archidiskodonten hochspezialisierte Elefanten heran — erläutert er die Art, wie nach seiner Meinung die Wurzelbildung bei Elefanten vor sich geht. Er schreibt (l. ec. S. 16—18): b „Wie oben schon gesagt, beginnen die letzten Molaren mit fort- schreitender Abkauung die einzelnen Wurzeläste, die infolge der Vorwärtsbewegung des Zahnes sich immer stärker nach hinten biegen und dem Zahn anschmiegen, zu einem wandartigen Gebilde zu ver- schmelzen. Im ersten Stadium — beiMammutzähnen nach Abkauung von 4—6 Lamellen — bildet sich auf beiden Seiten an der Zahnunterseite eine relativ dünne Wand, die in der Mitte die Zahnkronenbasis ein- schließt, im hintersten Zahnteil aber häufig schon zu einer kompakteren Masse verwachsen ist... Die Höhe einer solchen Dentinwand ent- spricht in dem ersten Stadium ungefähr derjenigen der Wurzeläste. Bei fortschreitender Abkauung wird der Wurzelpartie mehr und mehr Dentin zugeführt, die einzelnen Wurzeläste treten allmählich als Komponenten der Dentinwand zurück ... und letztere wächst bei fortdauernder Dentinzufuhr zu sehr beträchtlichen Höhen... Indem an der Zahnkronenbasis sowohl als an der Dentinwand innen fort- während Dentin abgesetzt wird, rückt die Zahnkronenbasis einmal immer tiefer hinunter und wird anderseits sehr stark eingeengt. Sie bildet schließlich nur noch eine sehr schmale Fläche, die häufig all- seitig von Dentin eingeschlossen ist.“ Soergel erörtert dann, daß sich der letzte Molar, wenn er bis zu einem gewissen Grade abgekaut ist, nicht mehr vorwärts, ‘) Die Höhen dieser Joche von der Spitze der Basalzacken an betragen: 115, 114, 112 mm. [29] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 121 sondern nur mehr aufwärts schiebt und fährt fort (l. ec. 8. 18): „Im gleichen Tempo“ — nämlich des Hochschiebens — „wird aber unten Dentin abgesetzt“. Es erschien mir von vornherein unwahrscheinlich, daß sich die Verhältnisse tatsächlich in dieser Weise abwickeln. Die Elefanten würden dann eine Zahnung aufweisen, die ganz grundsätzlich von allen übrigen Säugetieren verschieden wäre, da von keinem Säugetier bisher ein effektiv sekundäres Wurzel- wachstum — und ein solches nimmt Soergel (s. 8. 18 letzte Zeilen) an — bekannt geworden ist. Es wäre doch zu erwarten, daß sich bei anderen hypsodonten Formen, z. B. Pferd, Nager, An- klänge fänden. Noch unzuverlässiger erschien mir die Darstellung Soergels, als ich die zur Erläuterung herangezogenen Abbildungen überprüfte: Figur 1 auf S. 15 (l. c.) zeigt einen Primigeniusmolaren in einem ziemlich frühen Stadium der Abkauung mit großer Lamel- lenzahl. Im vorderen Abschnitt sind charakteristische Zapfenwurzeln mit besonders an der ersten von ihnen deutlichem Pulparkanal sichtbar, hinten die von Soergel als „Dentinwand“ angesprochene Wurzelpartie, in Bildung begriffen. An Figur 2 (l. c. S. 16) konstatiert Soergel die Vergrößerung der „Dentinwand“ und das „Zurücktreten der Wurzeläste als Kom- ponenten“ dieser. In der Tat hat aber dieser Zahn nur mehr zirka 13 Joche, entspricht also ungefähr der hinteren Hälfte des in Figur 1 abgebildeten Zahnes. Figur 2 stellt also bloß den rückwärtigen Ab- schnitt der Krone eines M3 von E. primigenius dar, welcher schon von Anfang an mit jenem Wurzelgebilde versehen war, das Soergel als „sekundäre Dentinwand“ betrachtet. Warum dieses Gebilde an dem wenig abgekauten Zahn noch mäßig entfaltet war, hat wesentlich andere Gründe als er meint, die wir bald werden kennen lernen. Figur 3 endlich (l.c. S. 16) zeigt diesen Wurzelteil zwar nach untenhin ausgewachsen, aber infolge der fortschreitenden Ab- kauung und der Alveolenobliteration nicht mehr voll- ständig. Vorn sind erhebliche Teile weggebrochen. Hätte sich Soergel die Mühe genommen, die leicht zugängliche Dentition des Pferdes, welche hinsichtlich der bedeutenden Kronenhöhe ähnliche Verhältnisse bietet, durchzunehmen, so wäre ihm wahrscheinlich die Sache so klar geworden, wie sie wirklich ist. Infolge der Liebenswürdigkeit des Vorstandes der anatomischen Lehrkanzel an der Wiener tierärztlichen Hochschule, Herrn Prof. Dr. K. Skoda, dem ich zu großem Danke verbunden bleibe, war es mir möglich, in die Zahnung des Pferdes an der Hand von entsprechendem Schädelmaterial vollen Einblick zu gewinnen. Beim Pferd geht das Molarenwachstum folgendermaßen vor sich: Schon beim zweijährigen Fohlen sind die Molaren und mo- larisierten Prämolaren im Kronenteil vollkommen ausgebildet, die Wurzeln sind vollständig angelegt, doch sind die Pulparkanäle noch über das Normallumen weit geöffnet. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (Schlesinger.) 16 122 G, Schlesinger. [30] Bis zum 6. Lebensjahre sind die Kanäle bis auf dieses Lumen geschlossen, das Wurzelwachstum ist beendigt, die Wurzelhöhe hat sich gegenüber der am zweijährigen Fohlen kaum merklich vergrößert. Schon beim zweijährigen ist die Krone in ihrer ganzen für alle späteren Jahre beständigen Länge angelegt, steckt aber zu gut ?/; in der mächtigen und tiefen Alveole, welche dem Kronen- querschnitt genau angepaßt ist. Vom Zeitpunkt der ersten Abkauung an rückt nun bei gleich- bleibender Wurzelhöhe die Krone in dem Maße aus der Alveole, als Material oben abgerieben wird. Dieses Herausrücken geht, wie bei allen Säugern Hand in Hand mit der fortschreitenden Oblite- ration der Alveole und ihrer Anfüllung mit Knochenspongiosa von unten nach oben. Der Zahn wird also gewissermaßen aus der Alveole heraus- gedrückt. Dabei verändert sich die Wurzel nicht im geringsten — abgesehen von der Schließung der Kanäle — und bei alten „Mummel- greisen“ wird nach völliger Abnützung der Kronenteile die Wurzel weiter abgekaut, welche nunmehr in einer ihrer schon am zweijährigen Pferde vorhandenen Größe entsprechenden Alveole sitzt. Es ist kein Grund vorhanden, die Prinzipien des Zahnwachs- tums für den Elefanten anders anzunehmen. Wohl aber erfährt dieses durch das eigenartige Herausrücken insofern eine Modifikation, als der Ablauf der einzelnen Bildungs- prozesse nicht gleichzeitig, sondern hintereinander von- statten geht. Dieses zeitliche Hintereinander muß um so vorgeschrittener sein, d. b. die Endstadien müssen um So später erreicht werden, je höher wir in der Stammes- geschichte der Elefanten emporsteigen und erreicht naturgemäß sein Maximum mit E. primigenius. Die Auflösung in ein Hintereinander wird aber um so geringer sein, je ursprünglichere Vertreter des Stammes wir in Betracht ziehen. Gehen wir nun, um in der Frage ganz klar zu sehen die Proboseidier durch. Die ursprünglichsten Vertreter, bei welchen bereits deutliche Anzeichen eines bogenförmigenHerausrückensderMolaren nachweisbar sind, aber noch vertikaler Zahnersatz allgemein statthat, sind die Mastodonten. Die Wurzelpartie eines M3 von Mastodon setzt sich im einfachsten Fall (siehe Textfigur 8 und 9) aus zwei Teilen zusammen: Eine vordere Pfahlwurzel trägt stets das erste Joch; hinter ihr trägt alleübrigen Joche eine mächtige, als plumper Zapfen mit gewaltiger basaler Breite nach unten ragende Wurze#. Diese Verhältnisse können insofern eine Erweiterung erfahren, als normal auf die vordere Pfahlwurzel, also längsgestellt, eine weitere ähnliche, aber flachere Wurzel hinzu- treten kann. Stets aber kehrt der mächtige die hinteren drei bis vier Joche tragende Zapfen wieder. Dieser Bau, welcher alle ursprünglicheren Mastodonzähne einschließlich M. longirostre!) kennzeichnet, erfährt gewisse Differen- !) Die nächstverwandte Form zu M. latidens, dem Elefantenahnen, [31] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 123 zierungen bei M. americanum, die uns als Parallelerscheinung recht gut die Entstehung der Wurzeln der Molaren höherer Elefanten er- klärlich machen. Die vordere Pfahlwurzel (s. Textfigur 10) kann sich teilen, bisweilen sogar in mehrere Aeste. Doch bleibt der große hintere Zapfen stets intakt. Daß diese mächtige hintere Wurzel auch bei den zu den Elefanten überleitenden Arten (M. latidens) angehalten hat, beweist der Längsschnitt in der F. A. S. (Pl. II, Fig. 8). Ein nebenstehender Schnitt durch einen Americanum-Zahn |]. c. Pl. III, Fig. 9) ermöglicht sehr schön die Homologisierung, zumal bei beiden Zähnen die Pulparräume recht gut abgegrenzt erscheinen. Doch auch ein E. planifrons-Molar selbst ist uns von Falconer F.A.S. Pl. XVII, Fig. 2, 2a) überliefert und der Autor fühlte sich sogar veranlaßt (Pal. Mem. Vol. I, p. 450) den „great fang in front“ besonders hervorzuheben. Ich gebe in Textfigur 11 (s. S. 124) der Wichtigkeit wegen eine Reproduktion. Recht lehrreich ist es, mit diesen vieren nochals fünften den in Textfigur 12 dargestellten Primigenius- molaren zu vergleichen. Ich glaube, es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß der mächtige — von Soergel als „sekundäre Dentin- wand“ angesprochene — hintere Wurzelzapfen bei E. primi- genius, E. planifrons wie auch E. meridionalis (s. Textfigur 2b) und M. latidens ein reines Homologon zu dem entsprechenden Gebilde bei allen Mastodonten darstellt. Daß Soergel diese Homologisierung übersah und von einer sekundären Bildung sprach, ist wohl nur als Folge einer durch die rege Beschäftigung mit höheren Elefantenmolaren erworbenen Kurz- sichtigkeit begreiflich. Die vordere Wurzel des Mastodontenzahnes dagegen, welche über E. planifrons noch bis zu E. meridionalis (s. Textfigur 2b) hinauf anhält, ist den zahlreichen Pfahlwurzeln des höheren Elefanten- zahnes homolog. Nach dieser grundlegenden Feststellung klärt sich die höchst merkwürdige Annahme Soergels, daB eine Wurzel „mit Hilfe sekundärer Dentinablagerungen* weiterwächst, der Molar also ge- wissermaßen ein Wachstum nach unten erfährt, sehr einfach: Während bei ursprünglichen Arten der Gattung Elephas (z. B. E. planifrons) infolge des auf einen weniger langen Zeitraum ver- teilten Herausrückens des Zahnes die Bildung seiner Krone und seiner Wurzeln rascher beendigt ist, die Pulparkanäle also in kürzerer Zeit auf das Normallumen gebracht werden, erscheint dieser Vorgang bei höheren Elefanten, insbesondere bei E. primigenius, zeitlich enorm gedehnt. Das Schließen der Pulparkanäle der einzelnen Wurzeläste auf das Normallumen erfolgt nach und nach, u. zw. von vorn nach rückwärts. Am längsten und weitesten offen bleibt der große hinterste Wurzelast — Soergels irrtüm- licherweise konstatierte Dentinwand. 16° 124 G. Schlesinger. [32] Textfigur 9. Textfigur 11. [33] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 125 Textfigur 12. Erklärung zu den Textfiguren 8—12. Letzte untere Molaren (M 3) verschiedener Mastodonten und Elefanten, um die Homologie der Wurzeln, insbesondere der mächtigen hinteren Zapfenwurzel, die Soergel fälschlich als „sekundäre Dentinwand“ angesprochen hat, zu veran- schaulichen. Textfigur 8. Mastodon (Zygolophodon) tapiroides Cuv. MF dext. (von innen). Fundort: Klein-Hadersdorf bei Poysdorf (N.-Ö.). — Horizont: Oberes Helvetien (Grunder Schichten). (Die Kauflächenansicht dieses Zahnes siehe in” meiner S. 95, Fußnote 3 zitierten Arbeit, Taf. XXI, Abb. 8.) Textfigur 9. Mastodon (Bunolophodon) “"4s!idens_Cuv. longirostre Kaup. MF dext. (von innen). Fundort: Poysdorf (N.-Ö). — Horizont: Unteres Pliozän. (Die Kauflächenansicht siehe in meiner S. 95, Fußnote 3 zitierten Arbeit Taf. IX, Abb. 1.) Textfigur 10. Mastodon (Mammut) americanum Cuv. M7F sin. (von außen). Fundort: Missouri (U. St. A.) — Horizont: Quartär. Textfigur 11. Elephas (Archidiscodon) planifrons Fale. M7F sin. Fundort: Sewalik Hills (Ostindien). — Horizont: Mittelpliozän. (Das Bild ist eine Kopie nach Falconer [F. A. S. Pl. XVIII, Fig. 2] und ist zum Zweck des besseren Vergleiches „seitenverkehrt“* zur Darstellung gebracht.) Textfigur 12. Elephas (Ewelephas) primigenius Blb. M7 sin. (von außen). Fundort: Krems a.d.D. (N.-Ö.).— Horizont: Quartär. - Wiedergabe sämtlicher Bilder: !/, natürlicher Größe. Sammlung: Mit Ausnahme von Textfigur 11 sind sämtliche Bilder Original- aufnahmen nach Stücken der Sammlung der Geologisch-paläontologischen Abteilung des k. k. Naturhistorischen Hofmuseums in Wien. 126 G. Schlesinger. [34] Textligur 13. Elephas (Euelephas) primigenius Bib. Letzter oberer Molar (M3) von der Wurzelbasis gesehen, um den zeitlich ver- schiedenen Abschluß der Pulparkanäle auf das Normallumen zu zeigen. (Die vordersten Wurzelzapfen sind bereits völlig geschlossen, weiter rückliegende lassen noch das Normallumen erkennen, die hinterste Zapfenwurzel ist weit geöffnet.) Fundort: Oberweiden. (N.-Ö.) — Horizont: Quartär (Löß). Wiedergabe: !/, natürlicher Größe. Sammlung: Niederösterreichisches Landesmuseum in Wien. Ein Blick auf die Textfigur 13, welche einen letzten Primi- geniusmolaren mit sehr schön erhaltenen Wurzeln darstellt, bringt die endgültige Lösung: An den vorderen Wurzeln, welche ganz niedergekaute, nicht mehr wachstumsfähige Lamellen tragen, sind die Pulparkanäle bereits geschlossen. Je weiter wir nach rückwärts‘gehen, desto offener sind [35] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 127 sie. Die hinterste und größte Wurzel ist basal sehr weit geöffnet. Diese wächst also bis zu einem verhältnismäßig hohen Alter beim Mammut, doch natürlich auch nicht länger als bis sie mit der Verengerung aufihrNormallumen ihr individu- elles Wachstum abgeschlossen hat; sekundäre Er- scheinungen sindalso nicht im Spiel; das lange Weiter- wachsen ist durchaus eine Erscheinung primärer Natur. Ist das Wachstum abgeschlossen, dann beginnt beim Elefanten genau so das Herausschieben des Zahnes durch Öbliteration der Alveole wie beim Pferd. Daß ich auf diesem Gebiete Herrn Kollegen Soergel ein Privatissimum lesen mußte, ist um so bedauerlicher, als ihm ein sehr umfangreiches Material gerade von höheren Elefanten zur Ver- fügung stand. Das hinderte ihn aber nicht, in der Zahnwurzelfrage seine „eigenen“ Wege zu gehen und mit großer Entrüstung von „meinem Mangel an Kenntnissen über die Anatomie des Elefanten- zahnes* zu sprechen. Der Grund, weshalb sich Soergel in die vorerörterten Spekula- tionen über das Wurzelwachstum des Elefantenzahnes einließ, war die Absicht, das von mir für die Bestimmung von Archidiskodonten- molaren herangezogene Verhältnis zwischen Wurzel- und Kronen- höhe als hinfällig zu erweisen. Daß für die hochstehenden Elefanten das vorerwähnte Kronen- Wurzel-Verhältnis praktisch in den seltensten Fällen wird heran- gezogen werden können, geht aus meinen Erörterungen über die Zahnbildung dieser Formen ohne weiteres hervor. Es ist mir auch nie eingefallen, dieses Bestimmungsmoment für E. primigenius u. ä. als wichtig zu behaupten. Dagegen bleibt es nach wie vor für die Trennung ursprünglicher Arten, insbesondere E. planifrons und E. meridionalis aufrecht und ich hoffe es bei meiner bevorstehenden Bearbeitung der Budapester Archidiskodonten recht ausgiebig gebrauchen zu können. Daß nach Kenntnis dieses wahren Sachverhaltes eine Schlußbemerkung, wie die Soergels auf S. 21 (l.c.) „das Haupt- argument Schlesingers - für die Bestimmung des Dobermannsdorfer und damit auch des Laaerberger Zahnes als El. planifrons Falc. hat sich also als eine starke Irrung erwiesen“, ihre „besondere“ Wirkung aufmich nichtverfehlen konnte, darf iich wohl versichern. 4. Die Form der Kaufläche. Soergel bespricht des längeren die Möglichkeit, daß recht- eckige und ovale Kauflächen an einer Spezies vorkommen können und erörtert die fast mangelnde Beweiskraft dieses Merkmals. Ich bin diesbezüglich zu ganz ähnlichen Schlüssen gekommen und habe dies in einer anderen Arbeit (Meine Antwort in der Planifronsfrage 1. Die Herkunft des E. antiquus. Zentralbl. f. Min. Jahrg. 1916, Nr. 2 u. 3) zum Ausdruck gebracht. Für die Bestimmung der beiden nieder- österreichischen Zähne wurde das Merkmal von mir nicht verwendet. 128 G. Schlesinger. [36] 5. Der Längenlamellenquotient. Etwas anders steht es mit dem Längenlamellenquotient; auch er wurde zwar von mir als „direktes Bestimmungsmoment“* nicht heran- gezogen (vgl. auch Soergel, l. e. S. 27), doch möchte ich zu einigen Ausführungen Soergels, bezüglich deren ich anderer Ansicht bin, Stellung nehmen. Vor allem ist ein Mangel der gesamten Erörterung, daß er wieder alles aus der Perspektive seines „Normalelefanten* (E. trogontherii) beurteilt. So ohne alle Belege — außer den hochkronigen Trogontherien- elefanten — zu behaupten, daß die letzten Unterkiefermolaren aller Elefanten einen Längenlamellenquotient aufweisen, welcher mit „dem der nächstälteren Art übereinstimmt“, nenne ich zumindest wenig objektiv. Uebrigens hat meine Zusammenstellung der Längen- lamellenquotienten von Molaren des E. planifrons und E. meridionalıs (Ein neuerlicher Fund |. e. S. 728/729) schon gezeigt, daß untere letzte Molaren einen größeren Quotienten haben als obere. Die Größe des Unterschiedes scheint aber nur recht gering zu sein; um Genaues darüber zu erfahren, müßten sicher einem Schädel zugehörige Molaren gemessen und berechnet werden. Derartige Momente mögen bei höheren Elefanten, wo durch die große Lamellenzahl geringe Unterschiede maßgebend werden können, praktischen Wert haben, für Archidiskodonten sind sie jedenfalls sehr theoretisch. Ganz ähnlich ist die „radiale Anordnung“ der Schmelz- büchsen gegen die Zahnkrone hin aufzufassen. Bei diesem Charakter, der ja gleichfalls für E. trogontheris und Formen seiner Spezialisations- höhe von Wesen ist, kommt noch hinzu, daß sich die Kauebene bei Archidiskodonten um so mehr der Parallelen zur Zahnkronen- basis nähert, je tiefer wir im Stammbaum nach abwärts steigen. Damit werden die Joche immer weniger schräg geschnitten, der Unterschied des Längenlamellenquotienten wird kaum nennenswert. Daß ein Vergleich des Dobermannsdorfer Restes in diesem Sinne mit einem Trogontheri-Rest von 4 x einfach nicht durchzu- führen ist, außer man nimmt von vornherein eine Artidentität an, ist mehr als klar: — 4 x Joche eines Mz von E. trogontherii mit x 16 x Jochen sind ja nicht gleichwertig mit x 5 — eines Zahnes mit höchstens x 11 x. Nun noch einige Worte zu den Einwendungen Soergels gegen den von mir berechneten Längenlamellenquotienten. Bekanntlich habe ich den Quotienten desLaaerberger Zahnes mit einer Korrektur von 4 15 mm, d.i. die tatsächliche Länge eines Zementintervalles aus der Gesamtlänge von 233 mm berechnet und erhielt 233415 — 248:9—=27'6. Demgegenüber meint Soergel (l. c. S. 28): „So klar, wie Schlesinger behauptet, ist die Korrekturbedürftigkeit des ersten Wertes nun durchaus nicht. Schlesinger hat übersehen, daß bei jedem Zahn die Zahl der Joche um 1 größer ist als die der Zement- intervalle — — —.“ Leider hat Soergel im Eifer gänzlich übersehen, daß ich — und übrigens tat auch er es — bei Berechnung des Längenlamellen- [37] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 129 quotienten sets die beiden Talone (x—x) als 1 Lamelle an- genommen habe (s. meine Tabellen Il. c. S. 728—731), bei der schwachen Ausbildung der Talone jedenfalls ein einwandfreier Weg. Damit gleicht sich aber die Anzahl der Joche und die der Intervalle auf 1:1 vollständig aus. Ein weniger übereilt blickendes Auge wäre also auch hier für Herrn Kollegen Soergel am Platze gewesen. Schließlich dürfte ihm sein Weg mit der Ignorierung meiner Korrektur doch nicht sehr richtig erschienen sein, sonst hätte er nicht wieder „ein übriges getan“ und „ein halbes Zementintervall zuzuzählen“ für nötig befunden. Damit gelangt er zu,einem Längenlamellenquotienten von 267 gegen- über 27:6! Nach seiner Berechnung ist also der Längenlamellen- quotient um ganze — oder besser eben nicht ganze — 0'9 mm kleiner. Als Bestimmungsmoment habe ich den Längenlamellenquotienten nicht herangezogen. Es ist aber immerhin interessant, zu sehen (vgl. meine Tabellen 1. c. S. 728—731), daß der Mz des E. meridionalis durchwegs hinter dem Wert von 25 zurückbleibt, dagegen die MZ von E. planifrons stets über ihn hinausgehen. 6. Der Verschmelzungstyp. Ueberraschenderweise wird der Verschmelzungstypus, den Soergel in seiner Arbeit über E. trogontheriö und E. antiguus als sehr wichtiges Moment gewertet hatte, von ihm nunmehr unbarm- herzig degradiert. Der Grund ist offenbar der, daß ihm die lat. an. med. lam. Verschmelzung am Laaerberger Zahn für eine Be- stimmung als E. meridionalis höchst unbequem kam. Ich habe diesem Merkmal in meiner im Zentralbl. f. Min. (Jahrg. 1916, Nr. 2 u. 5) erschienenen Erwiderung auf die zweite Streitschrift Soergels recht eingehende Betrachtungen gewidmet und kann mich hier kurz fassen. Soergel stellt drei Grundtypen der Lamellenzusammensetzung auf, welche den Verschmelzungstypus bedingen. Fallen die Haupttrennungsspalten der Seitenpfeiler und des Mittel- pfeilers konvergierend nach unten ein (l. c. S. 41, Figur 9a), so ent- steht eine Fusion von lat. lam. med. an., fallen sie parallel ein (l. c. 8. 31, Figur 95), so ist die Verschmelzung lat. und med. lam., divergieren sie (l. c. Fig. 9c), so entsteht der Typus lat. anmed.lam. Dies ist nur unter der Annahme richtig, daß der Mittelpfeiler im ersten Falle schwach, im letzten stark genug ist, damit nicht. die Auflösung der inkompletten Figur nach der gegenteiligen Fusion erfolgt. Gerade den Fall haben wir beim Laaerberger Zahn. Trotz- dem die Hauptspalten konvergieren, ist. die Verschmelzung ausge- sprochen lat. an. med. lam., d.h.der Mittelpfeiler überwiegt durchgehends an Stärke derart, daß die Hauptspalten gar nicht so tief reichen können, um eine andere als eben diese Fusion her- vorzurufen. An der von mir gegebenen Kauflächenansicht (Ein neuerlicher Fund |. c. Taf. XXVII) sind an der drittletzten Lamelle sehr schön die Hauptspalten ersichtlich, welche je einen einfachen Neben- Jahrbuch d. k. k, geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (Schlesinger.) 17 130 G. Schlesinger. | [38] pfeiler von dem fünfgliedrigen Hauptpfeiler trennen. Ich habe diese Spalten in Textfigur 4 im Plastelin durch Kratzer gekenn- zeichnet. Soergel zog es vor, zu „vermuten“, daß der Hauptpfeiler nach hinten zu schwächer wird. Das ist nun nicht der Fall; vielmehr mißt er am vorletzten inkompletten Joch 40 mm an Breite gegenüber 364 mm am letzten inkompletten, also vor jenem befindlichen und behält den Wert von 40 mm auch an der x 1. Lamelle von hinten bei. Der Typus lat. an. med. lam. ist also nicht zu umgehen. Soergel schreibt (l. c. S. 42) weiters: „Schwache Medianpfeiler und starke Lateralpfeiler sind das Primitivstadium, das E. planifrons, meridionalis, zum Teil hysudricus besitzen.“ Nun habe ich in meiner schon öfters erwähnten Entgegnung im Zentralbl. für Min. (Jgg. 1916, Nr. 2 und 3) sehr eingehend die Fusionsverhältnisse der Planifronsmolaren der F. A. S. vor- genommen und bin zu gleichen Schlüssen gekommen, wie ich sie schon früher (Ein neuerlicher Fund |]. ce. S. 737) veröffentlicht hatte. Die Richtigkeit dieser Ueberprüfung hatte auch Soergel zugeben müssen (l. c. S. 42); allerdings meint er, es seien mir einige Zähne ent- gangen. Vor allem sei dies Figur 7, Pl. XI. (F. A. S.); er betont zwar, daß die Verhältnisse außerordentlich unklar sind, bestimmt ihn aber doch als lat. lam. med. an. Ich konnte und kann mich nicht entschließen, von einem Zahn, der nur am letzten Joch ganz verwischt und höchst unsicher Spuren einer inkompletten Figur zeigt, einen Fusionstyp abzulesen. Der von mir übergangene Zahn (Fig. 8, Pl. XIV, F. A. S.) mit nach Soergel typisch lat. Jam. med. an. Verschmelzung ist in meiner Arbeit von 1914 (l. ec. S. 735, Abb. 651!) wiedergegeben. Aus dieser Abbildung mögen die Leser selbst erschließen, ob man eine Ver- schmelzung, vor welcher eine inkomplette Figur mit nur 2 Teilen sitzt, als typisch bezeichnen kann, Zwei weitere Zähne werden auch von Soergel als unklar angegeben; übrigens ist einer gleichfalls von mir abgebildet (l. c. 1914, S. 735, Abb. 6a). Ich habe alle Molaren einer nochmaligen Prüfung unterzogen und in der öfters erwähnten Arbeit (Zentralbl. für Min. Jgg. 1916, Nr. 2 und 3) in Tabellenform zusammengestellt. Ich verweise hin- sichtlich Einzelheiten auf diese Tabelle und wiederhole hier lediglich die Ergebnisse: „Bezüglich des Verschmelzungstyps sind also 2 Fälle ausge- sprochen lat. an. med. lam.; 5 Molaren streben diesem Typus deutlich zu; 1 ist intermediär; ein weiterer, in der letzten inkompletten Figur lat. und med. lam., in der vorhergehenden dagegen lat. Jam. med. an; 2 Zähne sind auf den Typus lat. lam. med. an. zu beziehen; ein Fall ist zwar deutlich lat. Jam. med. an., am Joch dahinter aber lat. an. med. lam., noch weiter rückwärts wieder lat. Jam. med. an., daher atypisch. An den übrigen 12 Molaren ist der Typus nicht feststellbar.“ | *) Die Zitate der F. A. S. sind durch Verwechslung von a und b durch den Setzer vertauscht! [39] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 137 Es ist höchst bemerkenswert, daß in 12 einwandfrei konstatier- baren Fällen 7 Zähne mehr oder weniger, davon 2 ganz typisch der lat. an. med. lam. Fusion zuzuteilen sind, während sich nur 4 Fälle auf den Typus lat. lam. med. an. „beziehen“ lassen, wobei ich den atypischen Fall mit wechselnder Verschmelzung an jedem Joch in diese Gruppe ziehe. Von diesen ist der eine von mir mit dem Vermerk „vielleicht“ konstatiert; es ist.der eben erwähnte Zahn (Pl. XI, Fig. 7), Ein zweiter ist atypisch (Pl. XII, Fig. 13a). Der dritte bloß an der vorletzten inkompletten-Figur vorhanden, die letzte ist inter- mediär (Pl. XII, Fig. 12a.) Der vierte ist zwar typisch, steht aber in einem Kiefer, dessen linker Molar ausgesprochen lat. an. med. lam. ist. (Pl. XI, Fig. 1). Dazu fügt Soergel noch einen (Pl. XIV, Fig. 8), den ich nicht als feststellbar erklären kann. Ich kann mir weitere Schlußfolgerungen wohl ersparen. Daß E. planifrons als ursprüngliche Form nicht die hochspezialisierten schwachen Lateralpfeiler eines k. antiquus haben kann, ist natürlich und bedarf wohl keiner Worte. Was veranlaßt nun Soergel, einen schwachen Medianpfeiler für ursprünglich, einen starken für fortgeschritten zu halten ? Der Umstand, daß zwei diluviale Stegodonten, St. airawana und St. trigonocephalus, eine derartige Dreipfeiler- teilung mit schwachem Mittelpfeiler aufweisen! (."e.:8. 42), ' Wie ich schon im Abschnitt über die Zahnhöhe nachgewiesen habe, sind die javanischen quartären Stegodonten in eigenartiger Richtung weit über E. planifrons spezialisiert. Der Dreipfeilerbau der Joche hat sich bei ihnen offenbar ganz selbständig und unab- hängig von den Verhältnissen bei E. planifrons entwickelt, für welch letzteren wir nun wohl die lat. an. med. lam. Ver- schmelzung, allerdings nicht in der ausgesprochenen Form wie bei E. antiquus, als ursprünglich annehmen müssen. Auf die Artzugehörigkeit des Laaerberger Zahnes wirft sein Verschmelzungstyp, der begreiflicherweise „einen unteren Grad“ der lat. an. med. lam. Fusion (Soergel, l. c. S. 45) darstellt, ein recht bezeichnendes Licht. 7. Eigenschaften des Schmelzes. Zu. diesem Abschnitt halte ich es für unnötig, Stellung zu nehmen. 8. Die Schmelzfiguren. Nach weitläufiger Erörterung verschiedenster Momente behauptet Soergel (l. c. S. 55), die Schmelzfiguren hätten für mich „ein wichtiges Bestimmungsmoment“ gebildet. Wer meine Arbeiten wirklich studiert hat, wird diese „Beschuldigung“ nicht zu tragisch nehmen. Ich habe bei der Bestimmung des Dobermannsdorfer Zahnes die Form der Schmelzfiguren erörtert und mit E. planifrons und E. meridionalis in Vergleich gesetzt; beim Laaerberger 17* 132 G. Schlesinger. [40] Molaren nicht einmal das getan, sondern lediglich mehrere Abbil- dungen zur Charakteristik der Uebereinstimmungen auch dieses Merkmales gegeben. Da ich es durchaus nicht nötig habe, auf dieses Merkmal als Bestimmungsmoment Gewicht zu legen, übergehe ich es ebenso wie die in diesem Abschnitt besonders reichlichen persönlichen Ausfälle Soergels gegen mich. Hinsichtlich der Schwankungsbreite des E. planifrons verweise ich auf meine Arbeit im Zentralbl. f. Min. Soergel dürfte durch sie vielleicht doch einmal einem eingehenden Studium der F. A. S. zugeführt werden. Nur nebenbei erwähne ich das Auftreten effektiv antiguus-, ja sogar africanus-artiger Kauflächen- formen an einzelnen sewalischen Planifronszähnen. 9. Der Winkel zwischen Kaufläche und Kronenbasis. Was ich bezüglich der Verwendbarkeit des Verhältnisses zwischen Krone und Wurzel früher gesagt habe, gilt auch für dieses von mir neu eingeführteHilfsmoment für die Bestimmung von Elefanten- molaren. Sein praktischer Wert kann möglicherweise für höhere Formen gering sein, für Archidiskodonten ist er oft recht nützlich. Dabei habe ich den Hilfscharakter schon seinerzeit ausdrücklich betont. Soergel macht gegen diesen Winkel drei Einwände: l. Der erste, nach dem er von dem Winkel beeinflußt werden soll, in dem die Kaufläche die Lamellen schneidet, ist kaum stichhältig. Daß die Lage der Kaufläche zu den Lamellen innerhalb ein und derselben Art und natürlich bei dem jeweils gleichen Zahn, z. B. M7z größeren Schwankungen unterworfen sein sollte als jedesandere Merkmal, ist nicht einzusehen. Meint aber Soergel diese Schwan- kungen, dann wäre auf Grund keines einzigen Merkmales eine Bestimmung möglich. 2. Ganz das Gleiche gilt von dem zweiten Einwand. Bei diesem kommt noch hinzu, daß die radiale Divergenz der Lamellen bei Archidiskodonten recht mäßig ist. Es könnte sich nur um Wert- schwankungen von wenigen Graden handeln — und eine solche Varia- tionsbreite muß wohl jedem Merkmal zugebilligt werden. Daß der Winkel ein „Bestimmungsautomat“ ist, habe ich ja nie behauptet. 3. Aus der Abbildung (l. c. S. 62, Figur 12) zu diesem Einwand ersehe ich, wie falsch Soergel den Winkel abnimmt. Ich glaube hinlänglich dargetan zu haben, daß ich als einen Schenkel dieses Winkels die Kauflächenebene, als zweiten die Ebene der Kronenbasis beide als je ein Ganzes annehme und letztere nur bei deutlicher Krümmung, in zwei Einheiten — ein Maximum und ein Minimum — auflöse. Wenn man die Kaufläche in zahllose kleine Streckchen zerlegt, wie es Soergel in seiner Textfigur 12 (l. ce. S. 62) tut, kommt freilich jedesmal ein anderer Wert heraus. Sucht man dagegen den Winkel aus höchstens zwei — Maximum und Minimum — Kronenbasisschenkeln und dem immer gleich- [41] Meine Antwort in der Planifronsfrage. 133 bleibenden Kauflächenschenkel, dann ist es, wie Textfigur 14 sehr klar zeigt, nicht einzusehen, warum die Ergebnisse bei geringerer oder größerer Höhe des letzten unangekauten Joches verschieden sein sollen, da sie doch aus Gegenwinkeln bei par- allelen Geschnittenen genommen werden. Textfigur 14. Schema zur Darstellung der Konstanz des Winkels zwischen Kaufläche und Kronen- basis und seiner Unabhängigkeit von der Höhe der letzten Lamelle. Nun ist aber der Verlauf der Kronenbasis bei ursprünglichen Elefantenarten sets derart, daB der schwache Bogen die Feststellung eines solchen Maximal-, beziehungsweise Minimalschenkels leicht ermöglicht. Zusammenfassung. Ich fasse zum Schluß den Stand der ganzen Frage nochmals zusammen: Von den Einwänden, welche Soergel gegen meine Bestimmung gemacht hat, erkennt er zweien Beweiskraft in dem Sinne zu, daß sie für eine Bestimmung als E,. meridionalis und gegen eine solche als E. planifrons sprächen : 1. der Zahnhöhe, 2. der Lamellenformel. Von diesen beiden „Beweisen“ muß der erste aus folgenden Gründen als widerlegt und völlig mißglückt gelten: l. Die Verhältniszahlen, welche Soergel für den Quotienten zwischen höchster und letzter Lamelle des E. meridionalis annimmt, entbehren jeglichen Rückhaltes und vermochten einer Nach- prüfung nicht entfernt standzuhalten. Auf Grund genauer Messungen betragen die bezüglichen Grenzwerte nicht 1'6— 2, wie Soergel angab, sondern 13 — 16. 2. Das gleiche Verhältnis für E. planifrons wurde ebenfalls völlig willkürlich von ihm mit Hilfe eines Oberkiefermolaren von Sieg. airawana errechnet. 3. Dabei vergaß er: a) daß Oberkieferzähne stets in einem größeren Krümmungs- bogen aus dem Kiefer herausrücken als untere, daß daher die Höhen- unterschiede ihrer Joche bedeutender sind; 134 G. Schlesinger. [42] b) daß Steg. airawana durch seine an diesem Zahn vorhandene Lamellenformel von x 11 x bereits. das Maximum der Spezialisation für E. pianifrons bedeutet, daher für die Errechnung eines Minimal- wertes auch bei sonstiger Eignung unbrauchbar wäre; c) daß durch das starke Divergieren der vorderen und hinteren jegrenzungsflächen der niedrigen Joche dieses Sfeyodon nach unten bei einer Lamellenzahl von x 11 x die Kronenbasis viel mehr aus- einandergezogen werden muß als bei #. planifrons, dessen weit höhere Joche steil abfallende Wände aufweisen; d) daB daher der Krümmungsradius bei dieser Form über- haupt bedeutend kleiner, der Höhenunterschied der Joche also erheb- licher sein muß als bei E. planifrons. 4. Bei dem Dobermannsdorfer Zahn hat Soergel die mit Hilfe dieses errechneten falschen Verhältniswertes erschlossene rekonstruierte Höhe mit tatsächlichen (unrekonstruierten) Ilöhen der F. A. S. verglichen und zudem sich nicht einmal die Mühe genommen, in dieser Hinsicht die Publikationen Falconers genau durchzugehen. In letzterem Falle hätte er finden müssen: a) daß die höchste von Falconer angegebene Höhe nicht 97 mm, sondern 101°6 mm = 4 inches) beträgt; - d) daB an zwei MF der F.A.S. die letzten Joche völlig zu- verlässig abzumessen, daher die Werte der höchsten Lamellen glatt zu errechnen sind. Danach stellt sich die höchste Höhe eines sewalischen Mz von E. planifrons auf 1165 mm. Der Dobermannsdorfer Zahn fällt auf Grund rechnerischer Beweise mit allen Werten unter diese Zahl. 5. Den Laaerberger Zahn setzt Soergel nicht in Vergleich, sondern schlägt zur Erkundung der Höhe — da ihm der erhaltene Maximalwert selbst zu hoch erschien — den Weg ein, daß er die Verbindungslinie zwischen dem letzten und dem auf 105, bzw. 108 mm willkürlich ergänzten vorletzten Joch nach vorn verlängert. Dabei ist ihm der mehr als bedauerliche Fehler unter- laufen, daß er die Spitze des letzten Joches um 6'84 mm .kürzte, wodurch der Verlauf der Verbindungslinie zwischen dieser und der nur 25 cm vor ihr gelegenen Lamelle begreiflicherweise um ein enormes Stück nach vorn hin zu hoch anstieg. Eine genaue Berechnung dieses Unterschiedes ergab die höchst überraschende Tatsache, daß sich der Wert der Zahn- höhe- von 140 mm, welche Zahl Soergel gefunden zu haben glaubte, bloß durch die Aufdeckung dieses Fehlers auf 114 mm erniedrigte. Dieser Wert fällt aber bereits unter die oberste tatsächliche Höhengrenze, welche auf Grund des Materiales’ der F. A. S. für Mz von E. planifrons erschließbar ist, nämlich 1165 mm; ST 6. Um die richtige Höhe zu erkunden, wurden nunmehr die vorletzte und drittletzte Lamelle in Plastelin (unter Beigabe einer Abbildung, welche die Zuverlässigkeit dieser Rekonstruktion erhärtet) genauestens ergänzt. Aus der Verbindungslinie dieser. beiden Lamellenspitzen, welche eine sicherere Höhenbestimmung: verbürgen [43] Meine Antwort in der Planifro nsfrage. 135 als die beiden letzten Joche, wurde nun die tatsächliche höchste Höhe, unabhängig von allen rechnerischen Beweisen, erschlossen: sie beträgt 106 mm und fällt in die Gegend des x 4, und x 5. Joches von hinten. Die Höhe steht mithin weit unter dem Maximalwert des sewalischen MzZ von E&. planifrons. Der zweite Beweisversuch, die Lamellenformel, ist durch folgendes widerlegt: 1. Schon durch die Aufdeckung der schweren Fehlerquelle, welche Soergel durch Entfernen von 6'834 mm von der Spitze der letzten Lamelle in seine Schlußfolgerung eingeführt hatte, und ihre Korrektur wurde die Höhe von 140 mm auf 114 mm herabgedrückt. Wird nun die obere Kontur des Zahnes in dieser Höhe ausgezogen, so fallen ohne weiteres zwei Lamellen von den von Soergel fälschlich erschlossenen x 12 x Jochen hinweg. Die Formel sinkt somit auf x1ll,oder praktisch auf x10 x herab. 2. Trotz dieser glatten Widerlegung wurde die Formel unab- hängig davon folgendermaßen erschlossen: a) Ursprüngliche letzte untere Archidiskodontenmolaren tragen, wie im besonderen Teil eingehend erwiesen wurde, ihre höchste Höhe ungefähr in der Zahnmiitte. b) Die höchste Höhe des Laaerberger Zahnes liegt zwischen x 4. uud x 5. Joch. c) Die Entfernung vom Zahnhinterende bis zur x 5. Lamelle — eine Strecke ist dabei noch zugegeben — mißt 140 mm; die ganze Länge des intakten Molaren betrug also 280 mm. Daher maß das fehlende Stück 280—233 — 47 mm. 'd) Nehmen wir für die Lamellenverteilung selbst den von Soergel geforderten niedrigen L. L. Q. von 23 für die vor- dersten Joche, so kommen wir mit bestem Willen nur auf eineFormel von x 10 Jochen, ohne 'vorderen Talon. Durch die beiden Momente:1.Höhenwert derKrone — 106 mm, und 2. Lamellenformel = x10 fällt der Zahn vollauf in die Spezies E. planifrons; eine Vereinigung mit E. meridionalis ist gänzlich ausgeschlossen. Die folgenden Punkte stehen mit der Bestimmungsfrage der beiden Molaren nicht in unmittelbarem Zusammenhang. Trotz alledem ist ihre Diskussion, zur Beleuchtung der Arbeits- methode Soergels und ihrer Resultate von Wesenheit. Ich wiederhole daher die Ergebnisse einzelner meiner speziellen Erörterungen: l. In der Frage der Zahnwurzeln, worin mir Soergel gänzliche Unerfahrenheit vorwirft und ein „sekundäres“ Wachstum der Wurzel durch Bildung einer „Dentinwand“ behauptet, konnte ich den Nachweis erbringen, daß Soergels sogenannte „Dentinwand* ein Homologon der schon bei Masto- donten an Mzin gleicher Stärke auftretenden, hinteren mächtigen Zapfenwurzel darstellt. 136 G. Schlesinger. [44] Diese Wurzel kehrt bei K&. planifrons noch in fast unveränderter Form wie bei Mastodonten wieder und hält bis in die Ent- wicklungshöhe des E. primigenius nur wenig verändert an. Der Unterschied ist lediglich der, daß die Bildung der Wurzeln um so mehr in ein zeitlliches Hintereinander aufgelöst wird, je höher die betreffende Flefantenart spezialisiert ist. Bei E. primigenius schließen die vordersten Pfahlwurzeln zuerst ihre Pulparkanäle auf das Normallumen, beendigen daher ihr Wachs- tum zu einer Zeit, wo die mittleren noch offen sind. Die hinterste Wurzel wächst und ist noch offen, wenn schon alle anderen ihr Wachstum abgeschlossen haben. Sie erreicht ihre endgültige Größe zu einer Zeit, wo nur mehr verhältnismäßig wenige Lamellen in Kaufunktion sind. Diese Auflösung des durchaus primären Wachstums- prozesses in ein zeitliches Nacheinander hat Soergel irrigerweise als „Bildung einer sekundären Dentinwand* gedeutet. 2. Bezüglich des Verschmelzungstyps sei im Gegensatz zu der Hoffnung, die Soergel gehegt hat, daß am Laaerberger Zahn der Hauptpfeiler nach hinten schwächer wird, betont, daß das Gegenteil der Fall ist und sich die Fusion nach wie vor als ausgesprochen lat. an. med. lam. darstellt. Hinsichtlich dieses Merkmals konnte ferner festgestellt werden, daß LE. planifrons vornehmlich dem eben genannten Typus zuneigt, welcher wohl als der ursprüngliche gelten muß. Die Annahme Soergels, daß der ursprüngliche Typus lat. lam. med. an. ist, beruht auf der Feststellung eines schwachen Median- pfeilers bei quartären Stegodonten. Ihre eigenartige hohe Spezialisation über FE. planifrons, welche nachgewiesen wurde, läßt diese Annahme als haltlos erscheinen. Zum Schlusse sei noch hervorgehoben, daß Soergel bei Er- örterung des Alters der Dobermannsdorfer Schotter den vollen Widerruf W. Freudenbergs unerwähnt gelassen hat. Die Laaerbergterrasse konnte durch neuerliche Be- lege als mittelpliozän festgelegt werden. Soergels Widerlegungsversuch meiner Bestimmungen der beiden Mz von E. planifrons aus Niederösterreich entbehrt, wie wir gesehen haben, nicht nur der bescheidensten Anforderungen, die man an einen derartigen Versuch stellen muß, er hat auch eine Summe von Tatsachen aufgedeckt, welche für die Sachlichkeit des Autors nicht gerade einnehmen. Der Schluß, in den er seine Betrachtungen ausklingen läßt, ist zwar recht witzig, vermag aber an der Tatsächlichkeit meiner Be- stimmung nichts zu rütteln. Mit Witzen widerlegt man in wissenschaftlichen Fragen ebenso- wenig, als man mit abgezwickten letzten Jochen zu richtigen Höhen- rekonstruktionen von Elefantenzähnen gelangt. Wien, im Juli 1915. Ueber Kantengeschiebe unter den exotischen Geröllen der niederösterreichischen Gosau- schichten. Von O. Ampferer. Mit einer Lichtdrucktafel (Nr. IX). Da meines Wissens aus den Gosauschichten der Nordalpen bisher keine Kantengeschiebe beschrieben worden sind, möchte ich hier auf das Vorkommen derselben in den Gosaukonglomeraten von Niederösterreich aufmerksam machen. Ich habe solche Geschiebe in einiger Häufigkeit vor allem in den roten Konglomeraten mit zahlreichen exotischen Geröllen am Großen Sattel bei Gießhübl sowie in denen der Gosau von Einöd bei Pfaffstätten gelegentlich meiner Geröllaufsammlungen im Frühjahr 1915 gefunden. Es sind solche Geschiebe aber auch an anderen Gosaufundorten, z. B. beim Vierbrüderbaum bei Enzesfeld, in der Neuen Welt bei Dreistätten sowie im Brandenbergertal in KNordtirol vorhanden. Wahrscheinlich werden sie sich bei genauerem Zusehen als ziemlich verbreitet erkennen lassen. Im allgemeinen sind die Kantengeschiebe auf die exotischen Gerölle beschränkt und unter diesen meist auf sehr feste gleich- mäßige Quarzite oder auf dichte Felsophyre. Es kommen aber auch aus Kalken bestehende Kanter vor. Die Gosaugerölle des Höllenstein- zuges liegen ebenso wie jene von Einöd in einem rotzementierten, nicht besonders fest verkitteten Konglomerat. Sie besitzen, sofern sie nicht gerade stark von der Verwitterung betroffen waren, meist glän- zende, glatt polierte, manchmal metallisch angelaufene Oberflächen. Die Kanter zeigen jedoch nicht mehr die scharfschneidigen Kanten des reinen unversehrten Windschliffs, sondern etwas abge- stumpfte, die wohl durch eine nachherige Abrollung durch Wasser- transport zu erklären sind. Der mittlere Durchmesser der Kantengeschiebe schwankt von etwa 2—20 cm. Am häufigsten sind wohl Geschiebe einer mittleren Größenlage. Tetraeder sind ziemlich selten. Am häufigsten sind 3 oder 4 Flächen zu einer Ecke zusammengeschliffen. Oft ist die ursprüng- liche ovale Gestalt der Gerölle noch gut zu erkennen, da neben den angeschliffenen ebenen Flächen noch Stücke der alten Rundung er- halten sind. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft, (0. Ampferer.) 18 138 O. Ampferer. [2] Häufig liegt so ein mehr oder weniger großer Teil der alten Rundung noch vor und die Gerölle erscheinen dann förmlich wie einseitig zugespitzt. Je nach der mehr gedrungenen oder schlankeren Form der Gerölle sowie der Zahl der angeschliffenen Flächen ent- stehen dann bleistift- oder keilartige Zuschärfungen derselben. Neben den ebenen Schliffflächen kommen, allerdings viel seltener, auch konkav gebogene Flächen vor. Ich habe jedoch nur seltener mehrere solche Flächen an einem Gerölle gesehen. Die Gerölle in den hier betrachteten Gosaukonglomeraten sind später im Verbande der Konglomerate heftigen Pressungen ausgesetzt gewesen. Wir finden daher gar nicht selten zerbrochene und einge- drückte Gerölle und Kanter. Diese Verschiebungen und Zerreißungen durchsetzen auch häufig die geglätteten Flächen der Kanter und beweisen, daß diese Flächen vor der Einbettung in die Konglomeratmassen entstanden sind. Auch Eindrücke von angepreßten Nachbargeröllen sind manchmal in diese Flächen eingesenkt. Bei der Zuschleifung von Windkantern spielt neben dem Vorhandensein von kahlen Wüstenflächen vor allem das Zusammenvorkommen von Gesteinstrümmern oder Geröllen mit Sand eine wichtige Rolle Mit Recht hat L. v. Löczy in seinem sroßen Werk über die geologischen Formationen der Balatongegend (Budapest 1916) die Bedeutung des Zusammenvorkommens von Sand und Geschieben für die Ausbildung der Windkanter betont. Wüsten mit reinen Kies- oder Schotterböden eignen sich keineswegs für eine reichere Entwicklung von Kantengeschieben. Die Gosaukanter liegen heute in einem zumeist aus Kalkgeröllen bestehenden Konglomerat, dessen kalkiges Bindemittel zu großem Teil mit rotem schlammigem Verwitterungslehm vermengt ist. Diese Masse hätte nicht das Material für den Schliff der vielen harten Quarzite und Felsophyre zu liefern vermocht. Vielmehr weist dieser Umstand neben der Abrindahe‘ der Kanter daraufhin, daß sich die Windkanter hier auf zweiter Lager- stätte befinden und von ihrem Entstehungsort erst später a schwemmt wurden. Das Zusammenvorkommen der Windkanter mit großen Mengen von roten Verwitterungsprodukten legt aber die Annahme nahe, daß zwischen der der Ablagerung der Gosauschichten vorausgegangenen langen Verwitterungs- und Abtragungszeit und dem Auftreten der Windkanter ein Zusammenhang besteht. Das Vorkommen der Wind- kanter bildet für diese langdauernde Landperiode mit ihren Ab- tragungen eine gewiß recht wahrscheivliche Bestätigung und Illustration. Chemische Analyse der Heiligenstädter Mineralquelle. Von C. F. Eichleiter und O. Hackl. In dem Haus der Frau Marie KrZiZek, Wien XIX. Heiligen- städterstraße 117, wurde bei den Vorarbeiten zum Bau einer Garage- Halle eine Quelle entdeckt, deren Ursprung ungefähr 1 m unterhalb des Fußboden-Niveaus der Halle liest. Am 23. Dezember 1913 wurde von Eichleiter eine größere Probe des klaren und geruchlosen Wassers zwecks Durchführung einer Analyse entnommen, wobei auch gleichzeitig die Bestimmung der Gesamtkohlensäure begonnen wurde. Die qualitative Analyse ergab folgende Resultate: Ammonium, Kalium, Natrium, Calcium, Magnesium, Eisen, Aluminium, Nitrat, Chlorid, Sulfat, Hydrokarbonat, Kieselsäure, ferner Spuren von Baryum, Strontium, Mangan, Phosphat und organischen Substanzen. Von den quantitativen Bestimmungen hat Eichleiter diejenigen von Gesamt-CO,, Alkalien, NH,, F&0, + 4Al,O;, Ca, Mg, Ol, SO,, P30;, 80, und Abdampfrückstand, Hackl die übrigen ausgeführt. Was die hiebei verwendeten Analysen-Verfahren betrifft, so wurden im allgemeinen dieselben benützt, wie bei unserer Analyse der Luhat- schowitzerSchwefelquelle!). An Abweichungen hievon ist nur die Prüfung auf Ba, Sr, Br, J, und Li zu erwähnen. Zu dieser Prüfung wurden 4 2 Wasser unter Soda-Zusatz auf ein kleines Volumen eingedampft, filtriert und mit Wasser ausgewaschen; Rückstand o, Lösung ß. « wurde in Salzsäure gelöst, einige Tropfen Schwefelsäure zugegeben, zur Trockne verdampft, mit verdünnter- Salzsäure auf- genommen und filtriert; Rückstand a, Lösung b. «a wurde verascht, die SiO, mit Fluß-Schwefelsäure verjagt, mit Natriumpyrosulfat auf- geschlossen, in Wasser gelöst und filtriert; das Filtrat mit Wasser- stoffsuperoxyd in schwefelsaurer Lösung geprüft ergab keine Reaktion. Der Rückstand wurde mit Kaliumkarbonat aufgeschlossen, die Schmelze in Wasser gelöst, filtriert, gewaschen und das Filter, die Karbonate von Ba und Sr enthaltend, aufbewahrt. Lösung b wurde mit Chlorammon, Ammoniak und Schwefel- ammon versetzt und gefällt, hierauf filtriert, das Filtrat mit Salz- säure angesäuert, eingedampft, der ausgeschiedene Schwefel abfıltriert, das Filtrat zur Fällung von Mangan-Spuren mit Bromwasser und ') Jahrb. 1916, 1. Heft, pag. 73. Jahrbuch d, k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 1. Hft. (Eichleiter u. Hackl.) 18* 140 C. F. Eichleiter und O. Hackl. [2] Ammoniak behandelt, das Filtrat hievon mit Ammonkarbonat gefällt, filtriert, gewaschen und den so erhaltenen Karbonat- Niederschlag samt dem oben verbliebenen Filter verascht, Ba und Sr nach dem Engelbach’schen Verfahren durch Glühen auf dem Gebläse und Auskochen mit wenig Wasser angereichert, filtriert, mit Essigsäure angesäuert und konzentriert. Die mikrochemische Prüfung nach Schoorl ergab Spuren von Baryum und Strontium. ß wurde zur Trockne verdampft, der größere Teil nach Fresenius auf Br und J geprüft, der kleinere Teil auf Li; keiner dieser drei Bestandteile war in nachweisbaren Mengen vorhanden. Quantitative Resultate. Gesamt-Kohlensäure: 5571 g Wasser... 0:1785 g CO,; 1 kg Wasser .. . 03204 g OO,. 585.35 g Wasser... 01845 9 CO,; 1 kg Wasser... . 0.3152 g 00,. Durchschnitt: 03178 g Gesamt-CO, in 1 kg Wasser. ww — Sioes Ammoniak: 2. ko WaSserl 2 «0:00 Gegenversuch . . — 0.0020 g Pt 0:0020 g Pt 1 ky Wasser ..... 00010 9 Pt... 0:0001855 g NH,. Kieselsäure: 1. 2kg Wasser. . 00205 g SiO, 2. 2kg Wasser. . 00210 9 50,. Durchschnitt: 0:02075 g SiO, in 2%kg ... 0'01350 g H,SiO, in 1 kg Wasser. Eisen und Aluminium: 2 kg Wasser... 00075 g F&,0,; + Al,O,;; 1 kg Wasser... 0:00375 gg FO; + Al, 0;'). Kolorimetrische Eisen-Bestimmung: 250 g Wasser verbrauchten 23 cm? Mohr’scher Vergleichs-Lösung, entsprechend 023 mg Fe; 1 kg Wasser... 0:00092 g Fe... 0.001315 g F& 0; 000375 g F&,O; — Al,O; — 0001315 9 FO; 0:002435 g Al, Oz... . 0'001291 g Al in 1 kg Wasser. Calcium: 2 ky Wasser... .. 0'4335 9 CaO; 1 kg Wasser ... 0:1549g Ca. Magnesium: 2 kg Wasser... 0°9050 g Mg, P;,0,; 1 kg Wasser... . 0:09899 g Mg. ') Phosphorsäure war nur in Spuren vorhanden, siehe weiter unten, [3] Chemische Analyse der Heiligenstädter Mineralquelle., 141 Alkalien: 2 kg Wasser... 012709 KOl -- NaCl, 0.0220 y K,Ptl,. KCI-—+ NaCl K,PtCl, Kcl K ERg...2.0:06359,..0 01104, .. 0008378 4... 0001773 g. — 0:0034 9 KÜl 0:0601 g NaCl . . . 0'02368 4 Na. Chlor: 1 kg Wasser . . . 0'09525 9 Ag0l.. . 0:02355 g Cl. Schwefelsäure: 1 kg Wasser ..... 1'2732 g BaS0, ... . 05238 4 SO,. Phosphorsäure: 5 kg Wasser... .. Spur. Salpetersäure, kolorimetrisch mit Brucin und Kaliumnitrat- Lösung bestimmt, ergab für 1 kg Wasser... 20 mg N,0,.. . 0'02296 9 NO,. Salpetrige Säure ist nicht vorhanden. Mangan, Baryum, Strontium und organische Substanzen sind in Spuren vorhanden, Lithium, Brom, Jod und Titan sind nicht nach- weisbar. Abdampf-Rückstand (bei 110° C getrocknet): 0:5 kg Wasser... 054059; 1kg ... 10810 g. Spezifisches Gewicht: 1'00114 bei 164° C bezogen auf Wasser von 168° C. Temperatur: 96° C am 3. Dezember 1913 bei 95° C Luft- Temperatur. Ergiebigkeit: 120 hl in 24 Stunden. Im folgenden sind die Resultate in derselben Weise berechnet und zusammengestellt, wie dies im deutschen und österreichischen Bäderbuch geschehen ist. Zur leichteren Orientierung über den chemischen Charakter dieses Mineralwassers haben wir überdies noch als vierte Kolonne die relativen Aequivalent-Prozente angegeben. In 1 kg Wasser sind enthalten: Kationen Gramm Milli-Mol Be ce Acuuivalent Ammonium-Ion (NH,') 0:0001855 0'01027 0 01027 0:06 Kalium-Ion (X)... 0:001773 0:04529 0:04529 0:26 Natrium-Ion (Na’) ... 0:02368 1:027 1'027 6:00 Caleium-Ion (Ca °').. . 0'1549 3'861 1.722 4513 Magnesium-Ion (Mg) 0:09899 4064 8128 47:50 Ferro-Ion (Fe:')... . 0:00092 0:01646 0:03292 0:19 Aluminium-Ion (Al) 0:001291 0:04765 0:14295 0:83 111 100-0 149 | 'C. F. Eichleiter und O. Hackl. [4] In 1 iq Wasser sind enthalten: | Sn Relative Anionen Gramm Milli-Mol Men alent: Asquivalent- Nitrat-Ion (NO, ‘). . .. 0:02296 0.3701 03701 2:16 Chlor-Ion (Cl‘) . . .. . 0:02355 06643 06643 388 Sulfat-Ion (SO,“). . . 0:5238 - 5'453 10'906 6374 Hydrokarbonat -Ion (H00;‘). ER ‚.0:3151 5'165 5'165 30:19 11672 20:72 1711 100-0 Kieselsäure (meta) (2,80) 0:01350 0-1718 11807 2090 Freies Kohlendioxyd (CO,) nenn 0:0906 20597 12713 ‚22:95 Ferner Spuren. von Baryum, Strontium, Phosphat: und organischen Substanzen. gar Die nach neuerer Berechnungsart Ancehsetanrie Zusdaeh stellung zu Salzen ergibt folgende Tabelle: Granim Amon ek (NH, Cat. 3°: u. 00005494. Kaliumnitrat (KNO3)- .,.. 2% 2°... .: -0:004583 ' Natriumnitrat (NaNO;):!..“.ır. 3 23.::002764; : Natriumchlorid (NaCl) . . . 2 .....0'03826 Natriumsulfat (Na,80,) =... 22 22: 0.00345£ "Caleiumsulfat (CaSO,)) - 2.2.2... 0:5257 Magnesiumsulfat (MgSO,) . » - ... 01808 ° Magnesiumhydrokarbonat [Mg(HCO,;);| .. 0:3756 Ferrohydrokarbonat [Fe(HCO,),]. . . 0002929 Aluminiumsulfat [ALSO] . - . . 0008155 1:1672 Kieselsäure (meta) (H,Si0,) Eh 001350" x | "11800 > Freies Kohlendioxyd (CO). ... . . 009069) 1) 4744 cm? bei 96° C und 760 mm. [5] Chemische Analyse der Heiligenstädter Mineralquelle. 143 Die Summe der gelösten festen: Bestandteile beträgt 1:1807 g, wobei Sulfat-. und: Hydrokarbonat-, Calecium- und Magnesium - Ionen vorwalten. | Dieses Wasser ist demnach als erdalkalisch-sulfatische Bitterquelle zu bezeichnen. Bemerkenswert ist der hohe Gehalt an Nitrat-Ion (23 mg). Das Heiligenstädter Mineralwasser ist in seiner chemischen Zusammensetzung der erdalkalisch-sulfatischen Quelle von Alt-Prags (Bezirk Bruneck, Tirol) am ähnlichsten; auch die Temperatur dieser beiden Quellen ist nur wenig verschieden (Heiligenstadt 9:6° C, Alt- Prags 94° C), während die „Heilbrunn“-Quelle von Mitterndorf (Bezirk Gröbming, Steiermark), deren Zusammensetzung dem Heiligenstädter Wasser ebenfalls nahe kommt, eine Therme von 234° © ist. Vergleichende Tabelle der chemischen Zusammensetzung dieser drei Quellen. In 1 kg Wasser sind enthalten: Heiligenstadt Alt-Prags Mitterndorf Milligramm- Milligramm- Milligramm- Aequivalente 'Aequivalente Aequivalente der Haupt- der Haupt- der Haupt- bestandteile bestandteile bestandteile Gramm “ Gramm Gramm NH, .. 00001855 Spur Spur Br 2000773 0:01445 0:001353 Na ....:0:'02368 0:02079 0.008983 DO N 0022 - VITIE 8997 91674 i 8342 Mg ... 009899 ... 8123 0:06675 ... 5'480 005478 ... 4496 #e. . .. 0:00092 0-000311 0:0001399 Al. >... 0:001291 0:0001061 0:0007427 NO;... 0:02296 Spur Spur BR 20, 002355 0.0022 001137 80, . . . 05238 = 10'906 70:50992 7. 310:616 0:478 . 9'952 HERO, .». ', Spur 0:0006761 Spur HCO, . .. 0:3151 5165 02831 ... 4640 01881 . 3'084 11672 10700 0911 H,SiO, . 0:01350 0:006103 0:01106 Org. Sub. Spur Spur 0:00890 1:1807 1:0760 0'931 CO, frei 0'0906 0.003029 0.0283 .1'2718 1:079 »-0:959,: 144 Ü. F. Eichleiter und O. Hackl. [6] Hauptbestandteile der Salztabelle in Gramm pro 1 kg: Heiligenstadt Alt-Prags Mitterndorf Cas0, .» : . 05257 05825 05682 MgS0O, . » . 01808 005132 00853 Mg(HCO,), . 03756 0.3388 0:2253 Das Heiligenstädter Wasser ist also relativ und absolut etwas reicher an Magnesium, Hydrokarbonat und Sulfat als die beiden anderen Wässer und steht dadurch zwischen den erdalkalisch-sulfa- tischen Quellen und erdalkalischen Bitterquellen den letzteren etwas näher als die Alt-Pragser und Mitterndorfer Quelle. Gesellschafts-Buchdruckerei Brüder Hollinek, Wien III. Steingasse 25. Tafel IX. OÖ. Ampferer: Gosau— Windkanter. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. 19 Erklärung zur Tafel IX. Fig. 1. Rötlicher fluidal struierter Felsophyr mit einzelnen dunkleren Lagen. Die Kanten zwischen den 3 wohlansgebildeten Flächen sind ziemlich gut erhalten. In den polierten Flächen zeigen sich die Feldspäte als kleine Narben, eine EKr- scheinung, die bei allen übrigen Felsophyren auch auftritt. Einöd bei Pfaffstätten. Fig.2. Bläulichgrauer Felsophyr mit braunen Einschlüssen. Es sind 2 Ecken, eine schärfere und eine stumpfere aus 4 Flächen gebildet. Einöd. Fig. 3. Apfelgrüner, oolithischer Quarzit. Die Unterseite bildet eine ziemlich ebene Fläche. An der Oberseite verschneiden sich zwei flachgewölbte Flächen zu einer geraden Kante. Dieses Geschiebe ist durch den späteren Transport nur wenig abgestumpft worden. Großer Sattel bei Gießhübel. Fig. 4. Rötlicher Kalk, der in schwarzen übergeht. Hier sind als Seltenheit 3 konkave Flächen ausgeschliffen, die sich in einer Ecke vereinen. Die Rückseite ist abgerundet. Einöd. Fi.g 5. Rötlicher Felsophyr. Dieses Geschiebe hat eine gewölbte Grundfläche, welcher eine flache Pyramide mit 2 gleichen größeren Flächen aufgesetzt ist. Das Geschiebe ist nachträglich seitlich verdrückt. Einöd. Fig. 6. Schwärzlicher Felsophyr. 3 ungefähr gleiche und 1 kleinere Fläche schneiden sich in meist schmalen Kanten. Einöd. Fig. 7. Grünlicher Felsophyr mit schwarzen Einschlüssen. Dieses Geschiebe zeigt ein keilförmiges Ende, in dem sich 4 gut ausgebildete Flächen treffen. Eine der Flächen ist mit einem Hohldruck veıziert. Kinöd. Fig. 8. Weißlichgrüner Felsophyr mit schwarzen Einschlüssen. Dieses Ge- schiebe bildete ein sehr regelmäßiges Tetraeder, dessen Kanten aber teils abge- rollt, teils durch Frost abgesprengt sind. Starke Verwitterungsrisse. Großer Sattel. Fig. 9. Blaßrötlicher, weiß und grün gefleckter Felsophyr. Die eine Seite dieses Gerölles ist wie ein Bleistift durch 4 glatte Flächen auffallend zugeschärft. Auch dieses Gerölle zeigt eine starke Eindrückung. Einöd. Fig. 10. Schwärzlichroter Felsophyr. Ein Tetraeder mit 2 etwas konkaven Flächen. Ziemlich stark gerundete Kanten. Einöd. Sämtliche Geschiebe sind in ca. °/, Größe abgebildet. F. Wähner, Mittelböhm. Faltengeb. (Taf. 1.) Taf. 1. Abb. 2. Abb. 1. Kleinfaltung in obersilur. Kalken. Barrandefelsen. S. 21 und 58. Abb. 2. Störungen in g,. Braniker Felsen N. S. 48. Jahrbuch der k. k. Geologischen Reichsanstalt, Bd. LXVI, 1916. Verlag der k. k. Geologischen Reichsanstalt, Wien III. Rasumofskygasse 23. “ x e = Der - = . 1 — f ’ r =‘ in . » a7 & .. y 7 "sn E „ Di - # F um 5 = 2 K ” .. i 5 F e - 4 - ie 2 r a I. “ . De ' r D = . £ “ 3 2 ’. F. Wähner, Mittelböhm. Faltengeb. (Taf. 2.) Taf. 11. Schichtenparallele Querverschiebung in g,- Schwagerka bei Slichow. S. 28. Jahrbuch der k. k. Geologischen Reichsanstalt, Bd. LXVI, 1916. Verlag der k. k. Geologischen Reichsaustalt, Wien III. Rasumofskygasse 23. F. Wähner, Mittelböhm. Faltengeb. (Taf. 3.) Tal: LI > a. x Ben Diie L " vi Pe. ner: niet | a =“ } . N Abb 2 Abb. I. Mulde von Dworetz. Steinbruch der Podoler Zementfabrik. S. 29. Abb. 2. Schichtenparallele Querverschiebungen. Ebenda. S. 30. Jahrbuch der k. k. Geologischen Reichsanstalt, Bd. LXVI, 1916. Verlag der k. k. Geologischen Reichsanstalt, Wien III. Rasumofskygasse 23. ‘zZ 9sseFäysjoumsey “I ‘usım MersuesydIoy uUay9sı80]098 2 ‘2 I9P SELOA ‘9161 'IAXT 'Pg ‘HeIsuesysiay uayosıBojoaß 4 "4 Op yonquyer "Jg 'S 'wesgizig UoA aynyzyawyss A9p Ioq yanıquıa)s uaım ‘el "w YOnıpıyaıı uaula}JspueS usyJsuqweyAaajun ur Sungaiy9sIo9Aland S[pJferedusJystyas ‚0 } N [14 N ae 4 wyo 7 v F I er FET- DD LEER ER = n RO: gryıw “ouygM "A F. Wähner, Mittelböhm. Faltengeb. (Taf. 5.) TIZN. Abb. 2. Abb. 1. Schichtenparallele Längsverschiebung in g,. Hiuboczep. S. 33. Abb. 2. Nahaufnahme desselben Längsbruches. S. 34. Jahrbuch der k. k. Geologischen Reichsanstalt, Bd LXVI, 1916. Verlag der k. k. Geologischen Reichsanstalt, Wien IlI. Rasumofskygasse 23. F, Wähner. Mittelböhm. Faltengeb. (Taf. 6.) Pat: VI, Querbruch (Horizontalverschiebung) in g9,. Hluboczep. S. 36. Jahrbuch der k. k, Geologischen Reichsanstalt, Bd. LXVI, 1916. Verlag der k. k. Geologischen Reichsanstalt, Wien III. Rasumofskygasse 23. '87 OsswäAysjouinsey 'JJ] uory ‘EISUBSyDTOYy uayostdojoan 'q 'q A9p Supla‘ 'II6L 'TAXT 'Ppg ersuesyary uayosısojoon 'y "N ap yanqıyef OP 'S mogaıg Ioq »°6 un (Bungaigssisgan) yanıqsony'] 7” Ir N OR r u Sarg 2, N R j E zu Er NUSCH ER RN IRRSEN, | Fa EIER. Rs "IA YeL (, *L) SI1qaSusyeg soyastmygasyyım TauyeM "A F. Wähner, Mittelböhmisches Faltengebirge. (Taf. 8.) Taf. VI. Abb. 2. Abb. 3. Abb. 1. Ueberschiebung von f, auf g,. Slichow. S. 43. Abb. 2 und 3. Gefalteter und gehärteter Graptolithenschiefer e,« in Diabas. Tal von Großkuchel. S. 55. Jahrbuch der k. k. Geologischen Reichsanstalt, Bd. LXVI, 1916. Verlag der k. k. Geologischen: Reichsanstalt, Wien III. Rasumofskygasse 23. O0. Ampferer: Gosau Windkanter. Taf. IX. Phot. u. Lichtdr. v. Max Jaife, Wien. Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt, Bd. LXVI. 1916. Verlag der k. k. geologischen Reichsanstalt, Wien, IIl., Rasumofskygasse 3. an Pr tat „ht “ € NE ragt Bra ı A san I) Kt 5 EEE ee 5 u halt . De a} N EN Re . . 0. Ampferer: Gebe Kantengeschiebe kiater gen exotischen Gerölle Gosauschichten. Mit einer Lichtdrucktafel. (Nr. IX) € x €. F, Eichleiter und 0. Hackl: Chemische . Au der Hei nst ne a a N N “ x NB. Die Autoren ‚allein Er für. den Inhalt u | ihrer Aufsätze verantwortlich. Ausgegeben Ende Mai 1917. | JanrBuch : . DER 122.0, 0 KAISERLICH-KÖNIGLICHEN CROLDGISCHEN REICHSANSTALT Kr E: a Be; - 9 ri & F Be u x Bar 2 hai u, LXVI. BAND. e| Me 1 f y) } 2. Heft. 2 R TERN 74 AR (i . D ö Y En = Wien, 1917. ee a8 k. K Geologischen Reichsanstalt. ER; I einien bei R. Lobkher (Wilh Müller); £ 1 &} Hofbucbhandlung I. Graben 31. Fa NER, EN KR h E Quellengeologie von Mitteldalmatien. Von Dr. Fritz v. Kerner. Mit zwei Tafeln (Nr. X und XI). Die geologischen Bedingungen für das Erscheinen von Süßwasser- quellen gestalten sich in Mitteldalmatien wechselvoll. Die Böden und Gesteine des Gebietes verhalten sich betreffs der Wasserführung sehr verschieden und der eigenartige Gebirgsbau bringt es mit sich, daß die in der Schichtfolge begründeten Berührungen durchlässiger und undurchlässiger Gesteine unter mannigfachen Lagerungsformen auftreten und man auch durch abnormen Schichtverband bedingte quellbildende Gesteinskontakte trifft. Manche der so zustande kommenden Quellen sind allerdings nur schwach und unbeständig; doch hat es Interesse, für ein Land, das, wie Dalmatien, großenteils als wasserarm zu be- zeichnen ist, alle gegebenen Möglichkeiten des Austrittes von in den Boden eingedrungenen Niederschlägen festzustellen. Die folgenden Ausführungen betreffen vorzugsweise die geologische Seite des Quellenphänomens. Es ist dies in dem Umstande begründet, daß sie das Ergebnis aufnahmsgeologischer Studien sind. Es ist zwar auch der Aufnahmsgeologe sehr bestrebt, die in seine weitere Interessen- sphäre fallenden veränderlichen hydrologischen Erscheinungen unter möglichst verschiedenen Verhältnissen in Augenschein zu nehmen, so insbesondere Quellen in Gegenden mit deutlich ausgeprägter jähr- licher Niederschlagsperiode in der nassen und trockenen Jahreszeit zu besuchen, eventuell auch den EinfluB von kurzen Regen- und Trockenperioden auf Quellen kennen zu lernen; die diesbezüglichen Bestrebungen stoßen aber nur zu oft auf Hindernisse und es fehlt an der Gelegenheit, jene Summe von Daten zu gewinnen, die einen vollen Ueberblick der periodischen und unperiodischen Variationen einer Quelle bieten kann. Das, was sich auf Grund von bei geologischen Aufnahmen gesammelten Erfahrungen über die veränderlichen Eigen- schaften der Quellen feststellen läßt, bleibt unter diesen Umständen bestenfalls nur Stückwerk. Was die Temperatur der Quellen anbelangt, so wurde keine Geleßenkeit verabsäumt, sie zu messen, es konnte dies aber auch nur für das Studium ur: Cenlogie der Quellen inso- fern dienlich sein, als größere Temperaturdifferenzen m... genetischen Verschiedenheiten Hand in Hand gehen, so daß ein von den Quellen der Umgebung stärker abweichendes thermisches Verhalten einer Quelle darauf hinweist, daß dieselbe von anderer Entstehungsart sei oder einer diesbezüglich aus dem geologischen Befunde geschöpften Vermutung zur Bestätigung verhelfen kann. Zu einer Feststellung der Jahrbuch d. k &k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 2. Heft. (F. v. Kerner.) 20 146 Dr. Fritz v. Kerner. [2] Temperaturverhältnisse der Quellen erschienen diese Messungen jedoch noch unzureichend, da selbst die angenäherte Bestimmung des zu- nächst hier in Betracht zu ziehenden Wertes, d. i. des Jahresmittels — sofern sie auf sehr wenige Messungen gestützt wird — vVor- aussetzt, daß diese Messungen zu besonderen Terminen stattfinden und gerade dieser Bedingung bei geologischen Aufnahmen nur schwer entsprochen werden kann. Uebersieht der Quellformen. Verhalten der Gesteine und Böden zum Wasser. A. Tonschiefer, Mergel und undurchlässige Böden. Tonhältige Gesteine von sehr verschiedener Beschaffenheit treten in Mitteldalmatien in zahlreichen geologischen Horizonten auf. Sie nehmen an der Zusammensetzung derselben entweder einen wesentlichen An- teil oder spielen nur die Rolle von Einlagerungen in durchlässigen Schichten. Es sind hier folgende Tongesteine zu erwähnen: 1. Dünnblättrige Tonschiefer von dunkelroter, graugrüner oder grauvioletter Farbe in den unteren Werfener Schichten. Sie bilden neben glimmerreichen Sandsteinschiefern den Hauptbestandteil dieses untersten Gliedes der Trias am Südfuße der Svilaja. 2. Blättriger grünlichgrauer Schieferton in den oberen Werfener Schichten der Svilaja. Er spielt unter den Gesteinsvarietäten dieses Horizontes eine untergeordnete Rolle. 3. Fein zerblätternde rotbraune, dunkelgrüne und violette Schiefer- tone im oberen Muschelkalke. Durchzogen von dünnen Lagen eines roten Knollenmergels bilden sie die Hauptmasse der Schichten, "welche im Suvajatale zwischen dem Han Bulogh-Kalke und einem dunklen Hornsteinkalke liegen, der den Buchensteiner Horizont vertreten dürfte. 4. Ein scharfkantig zersplitterndes hartes bräunliches Tuffgestein in dem eben erwähnten mutmaßlichen Aequivalente der unteren ladinischen Stufe. 5. Ein zu mörtelähnlichem Schutte zerfallendes weißliches Ton- gestein in den Wengener Schichten. Es setzt in Verbindung mit split- trigen grauen und grünen Tuffen und Kieselschiefern die tuffigen Ablagerungen der mittleren ladinischen Stufe zusammen. Solche Ab- lagerungen erscheinen im Suvajatale in zwei Niveaus; in einem tieferen, ohne sichtbaren Zusammenhang mit Eruptivgesteinen und in einem höheren im unmittelbaren Hangenden eines Deckenergusses von Augit- porphyrit. 6. Knolliger lichtgelblicher Kalkmergel in der Küstenfazies des Mitteleocäns. Er bildet in einem Teile der Verbreitungsregion dieser Fazies eine ziemlich mächtige Schichtmasse im Hangenden des Haupt- nummulitenkalkes. 7. Muschlig brechende gelbliche und lichtgraue Mergel im Flysch und in den Prominaschichten. In der Flyschformation nahmen sie RN. [3] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 147 einen ziemlich großen Anteil am Aufbaue der mergeligen Schicht- folgen; in den fluviatilen Prominaschichten erscheinen sie in unserem Gebiete nur als geringfügige Einschaltungen. 8. Engklüftiger grünlichgrauer Mergel in den beiden eben ge- nannten Fazies des höheren Eocäns. Er bildet in oftmaligem Wechsel mit dünnen Bänkchen von gelblichbraunem Kalksandstein einen Haupt- bestandteil der Flyschformation. In den Prominaschichten spielt er aber auch nur die Rolle eines untergeordneten Gesteinsgliedes. 9. Rötlich, gelb und bläulichgrau gebänderter Kalkmergel mit lagenweise eingeschalteten Ockerknollen in der unteren Abteilung des Neogens bei Sinj. Durchzogen von vielen Bänken eines sandigen gelblichgrauen Mergels bildet er einen Hauptbestandteil dieses noch der sarmatischen Stufe zuzurechnenden Horizontes des dalmatischen Jungtertiärs, Ihm ähnlich ist ein bläulicher Kalkmergel mit Ocker- knollen, welcher im Sutinatale in einem Niveau der mittleren Neogen- partien auftritt. 10. Grobmuschlig brechende, scherbig zerfallende hellgraue Mergelkalke der Congerienstufe. Sie setzen für sich allein ohne Wechsellagerung mit anders gearteten Schichten je einen Teil des mittleren Neogens im Sutinatale und am Nordrande des Sinjsko polje und die Hauptmasse des Neogens am Südrande dieser Karstebene zusammen. Als untergeordneter Bestandteil der höheren jungtertiären Schichten im Sutinatale und bei Sinj treten auch dunkelgraue Mergel auf. 1l. Terra rossa. In den von roter Erde ausgefüllten kleinen Poljen zeigt sich zwar nicht jene Neigung zur Versumpfung, welche man im Innern jener Poljen wahrnimmt, deren Untergrund durch tertiäre Mergel gebildet wird, so daß es scheint, als ob die Terra rossa minder undurchlässig wäre als von Mergeln stammender Ver- witterungslehm. Doch finden sich in ihrem Bereiche ständige Wasser- tümpel (Lokven) auch über zerklüftetem Kalkboden, woselbst dann nur die rote Erde die Zurückhaltung des Wassers bedingen kann. Auch zeigen räumlich ausgedehnte Anhäufungen von Terra rossa die Reliefformen undurchlässigen Geländes. Die gebräuchliche Ueber- setzung des Wortes nicht mit „Karsterde“, sondern mit „Karstlehm“ weist gleichfalls auf die Eigenschaft der Undurchlässigkeit hin. Für die Quellbildung kommt die Terra rossa als Wasser zurückhaltende Unterlage aus dem Grunde kaum in Frage, weil sie, wo sie in größeren Massen auftritt, meist die oberste Bodenschichte bildet und nur aus- nahmsweise und auch dann nur lokal noch von einer durchlässigen jüngeren Schichte, etwa von rezentem Gebirgsschutte überlagert wird. Dagegen spielt die Terra rossa bei der Quellbildung eine Rolle, wenn sie zerklüftete Kalkschichten durch vollständige Verstopfung aller Klüfte undurchlässig macht. 12. Lehme in den älteren quartären und in den rezenten Fluß- anschwemmungen. B. Dolomite. Die mesozoischen Dolomite von Dalmatien nehmen in hydrologischer Beziehung eine Sonderstellung ein. Sie erweisen sich als minder durchlässig als die Kalke, vermögen aber das Wasser weit 20% 148 Dr. Fritz v. Kerner. [4] weniger zurückzuhalten als Tonschiefer und Mergel. Hiebei erfährt die Stellung des Dolomites in der Gesteinsreihe, deren Endglieder durch den Kalk und Schieferton gebildet werden, mit der Aenderung der Niederschlagsmengen eine große Verschiebung. Geringe Wasser- mengen vermögen in den Dolomit einzudringen, er spielt dann die Rolle einer durchlässigen Gesteinsart und tritt in Gemeinschaft mit dem Kalke in Gegensatz zu den tonigen Gesteinen, in deren Bereich selbst kleinen Wassermengen ein Eindringen verwehrt und ein ober- lächlicher Abflußweg gewiesen wird. Für die gewaltigen Wasser- massen heftiger Regengüsse ist die Aufnahmsfähigkeit des Dolomites aber nicht ausreichend. Der größte Teil des Wassers fließt dann oberflächlich ab, der Dolomit erscheint als ein undurchlässiges Gestein und tritt im Vereine mit den Tonschiefern und Mergeln in Gegensatz zum Kalke, in dessen oft einem Sieb verglichenen Gelände selbst große Wassermassen an Ort und Stelle verschluckt werden und ein oberflächliches Abfließen sogar bei Wolkenbrüchen nur vorübergehend vorkommt. So erklärt es sich, daß der Dolomit die für undurchlässiges Terrain bezeichnenden zertalten Landschaftsformen zeigen kann und dennoch dort, wo er von durchlässigem Boden überlagert wird, oft keine Quellbildung bedingt. Um eine solche zu veranlassen, müßten auch die Sicker- wässer, welche an die obere Grenzfläche einer Dolomitschichte ge- langen, an dieser zurückgehalten werden, für die allmähliche Heraus- bildung einer zertalten Landschaftsform genügt es, wenn bei heftigen Regengüssen auch nur ein Teil der Wassermassen zu oberflächlichem Abflusse gezwungen ist. Die Zertalung der Dolomitgelände ist übrigens viel weniger weitgehend als jene der Tonschiefer- und Mergelregionen. Jene durch vielverzweigte Wasserrinnen zerschnittenen Gehänge, die mit ihrem Gewirre von tiefen Furchen und steilen Graten an die stark überhöhten künstlichen Hochgebirgsreliefs erinnern und in Dal- matien im Gebiet der unteren Werfener Schiefer und der neogenen Mergel angetroffen werden und die typische Oberflächenform des ent- blößten undurchlässigen Bodens darstellen, sucht man in den Dolomit- regionen dieses Landes wohl vergebens. Dagegen tritt die Neigung zur Zertalung in denselben klar hervor, wenn man sie mit den Karst- reliefs der Kalkgebiete vergleicht. Es muß jedoch bemerkt werden, daß auch die für den Karst bezeichnenden Reliefformen im Dolomite auftreten können; so sind die Dolomitzonen zwischen Ugljane und Budimir (südöstl. vom Sinjsko Polje) reich an Dolinen, auch Höhlen kommen im Dolomite vor. (Höhle im Graben zwischen Dolnji Korito und Strazbenica staje öst- lich vom Sinjsko Polje.) Auch hinsichtlich der Oberflächenform im Kleinen, hinsichtlich des Felsreliefs läßt sich behaupten, daß der Dolomit in Dalmatien Beziehungen zum Karstkalke zeigt. Die eigentümlichen Felsgebilde, welche man nicht selten in Dolomitgebieten antrifft, erscheinen wie eine Milderung und Abschwächung der scharf gezeichneten Felsformen in den Karrenfeldern. Als Ursache der im Vergleiche zum Kalk geringeren Aufnahms- fähigkeit des Dolomites für Regenwasser sind verschiedene Möglich- [5] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 149 keiten erwogen worden. Zunächst ein Ausbleiben der im Kalke statt- findenden Erweiterung der Klüfte, dann eine teilweise Verlegung derselben durch den bei der Verwitterung sich bildenden Dolomit- grus. In neuerer Zeit wurde auch angenommen, daß der Dolomit in frischem Zustande überhaupt fast gar nicht zerklüftet sei und nur in seinen oberflächlichen Verwitterungsschichten genügend viele Lücken und Hohlräume besitze, um Wasser in mäßiger Menge in sich auf- zunehmen. Ihrem Alter nach gehören der Dolomit und die dolomitischen Kalke des hier besprochenen Gebietes teils der Trias, teils dem Lias und Jura, teils der Kreide an. Der Triasdolomit zeigt eine größere Neigung zu oberflächlicher Zerklüftung als jener der Jura- und Kreide- formation und kann so wohl etwas mehr Regenwasser verschlucken. Die Neigung zu zertalten Landschaftsformen kommt ihm aber in höherem Grade zu. Daß sich demnach bei ihm bei größerer Durch- lässigkeit zugleich eine Eigenschaft des undurchlässigen Bodens in stärkerem Maße ausprägt, beinhaltet nach dem vorhin Gesagten keinen Widerspruch. Mit der intensiveren Zerklüftung geht eine stärkere Lockerung der oberflächlichen Gesteinsschichten Hand in Hand und diese wird einer Steigerung der Erosionswirkungen von Regenfluten günstig sein. Ein deutliches Beispiel dafür, daß starke Zertalung mit großer Durchlässigkeit verknüpft sein kann, liefern in Dalmatien die LemeS- schichten. Die breite Zone von Tithon auf der Südseite der Svilaja hebt sich durch stark entwickelte Ravinenbildung scharf gegen die umgebenden verkarsteten Regionen ab. Die Duboka- und Turska Draga gehen aus einem reich verästelten System von Erosionsfurchen hervor. Diese Furchen führen aber nirgends dünne Wasserfäden, wie man sie in jenen Rinnen antrifft, die in mit Schutt und Humus über- deckte Werfener Schiefer, Flyschmergel und Kongerienmergel ein- geschnitten sind. Die Lemesschichten verhalten sich als Hornstein führende klüftige Plattenkalke wie durchlässiges Terrain. Die ‚starke Zertalung ist in ihrem Bereiche ausschließlich die Wirkung heftiger Gußregen auf ein sehr leicht zerbröckelndes Gestein. Am Monte Lemes selbst tritt allerdings in den nach ihm benannten Schichten die schöne Quelle Zdain zutage. Für diese ist jedoch eine besondere Entstehungsweise anzunehmen. Die Erosionsfurchen am Lemesberge sınd auch alle ohne Wasserfäden. ©. Kalke. Die Rolle, welche der Kalk ziemlich unabhängig von seinen petrographischen und geologischen Merkmalen in der Hydro- logie des Karstes spielt und die ihm so in jedem einzelnen , Gebiete . zukommt, gleichviel von welcher geologischen Beschaffenheit dasselbe auch sein mag, wurde schon so oft und gründlich abgehandelt, daß darüber in einer Spezialarbeit kein Wort mehr zu verlieren ist. Um so mehr ist aber des Vorkommens von Fällen zu gedenken, in welchen er jene wohlbekannte Rolle nicht spielt. Solche Fälle als „Ausnahmen“ zu bezeichnen, sei jenen überlassen, welche sich zu didaktischen Zwecken bemüßigt sehen, alle Erscheinungen in der Natur in Regeln und Gesetze einzuzwängen. Betreffs der geo- und hydrophysikalischen 150 Dr. Fritz v. Kerner. | [6] und meteorologischen Gesetze ist kein Zweifel möglich, daß sie auch ohne Dazwischentreten menschlicher Gehirne genau ebenso bestünden, wie wir sie ergründen und erkennen. Auf den übrigen erdkundlichen Gebieten erscheint es aber für den, den nicht Zwecke der vorhin erwähnten Art zum Schematisieren drängen, besser, sich jeder gesetz- geberischen Tätigkeit zu enthalten. Er läuft sonst allzusehr Gefahr, in die unerfreuliche Lage Desjenigen zu kommen, der Verordnungen erläßt, ohne die Macht dazu zu haben, ihre Befolgung zu erzwingen !). Obschon die Durchsetzung des Kalkes mit mehr oder weniger wegsamen Klüften eine allgemeine Erscheinung ist, muß dennoch daran festgehalten werden, daß es sich hiebei um eine betreffs ihrer Entwicklungsart von Zufälligkeiten abhängige sekundäre Gesteins- veränderung handelt, und daß die Möglichkeit vorliegt, daß stellen- weise das Gestein von Klüften frei bleibt, eventuell auch die vor- handenen Klüfte nicht wegsam sind. In der Tat stößt man in dal- matinischen Karstgebieten zuweilen auf ziemlich ausgedehnte, viele Meter im Gevierte messende Felsschichtflächen, welche von keiner einzigen Kluft durchsetzt sind, so daß die im Bereiche einer solchen Fläche auffallenden Niederschläge gerade so oberflächlich abfließen müssen wie auf Tonschieferboden. Diese Vorkommnisse sind aller- dings zu selten und räumlich zu beschränkt, als daß durch sie in Hinsicht auf Quellbildung die bekannte Rolle des Kalkes in Frage gestellt würde. Man muß aber die Möglichkeit ins Auge fassen, daß gelegentlich, unter besonderen Bedingungen ein solches Fortbestehen der dem Kalke ursprünglich zukommenden Eigenschaft der Undurch- lässigkeit doch auch für die Quellbildung von merklichem Einflusse werden kann. In der Tat trifft man in einem Teile unseres Gebietes Vorkommnisse, welche auf ein Merkbarwerden eines solchen Ein- flusses hinweisen. Sie werden später genau beschrieben werden. Das Vorkommen von Fällen, in welchen der Kalk streckenweise nicht zerklüftet ist, spricht gegen einen allgemeinen Zusammenhang der Kluftnetze. Wasseradern im Karstkalke können aber auch schon beim Vorhandensein von Klüften durch deren völlige Verstopfung mit Höhlen- lehm ihren Zusammenhang verlieren. Den Kalken völlig analog verhalten sich in hydrologischer Be- ziehung die festgefügten Kalkbreccien und Kalkkonglomerate, welche auch ein scharf ausgeprägtes Karstrelief zeigen. Die eckigen oder abgerundeten Fragmente dieser klastischen Gesteine sind fest an- einander gepreßt oder durch steinharte Zwischenmittel fest verkittet, so daß hier eine Fortleitung des Wassers längs der Grenzen der Bruchstücke völlig ausgeschlossen ist und sich das Gestein wie ein homogener Kalk verhält, d. h. an sich ganz undurchlässig ist und erst sekundär infolge von Zerklüftung diese Eigenschaft verliert. !) Sollte es unter diesem Gesichtswinkel vielleicht statthaft sein, die Frage aufzuwerfen, ob es mehr als bloßer Zufall sei, daß von zwei großen Geologen, bei denen man in Sachen der Karsthydrographie eine völlige Unbefangenheit des Urteils voraussetzen darf, derjenige, welcher sich an die akademische Jugend wendet (Kayser, Lehrbuch der Geologie) die Anschauungen A. Grunds vertritt und der- jenige, welcher sich an Hydrotechniker wendet (Keilhack, Grundwasser und Quellen- kunde) den Darlegungen F. Katzers folgt? [7] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 151 Den reinen Kalken ähnlich verhalten sich hinsichtlich ihres Ein- flusses auf die Quellbildung auch die einen sehr geringen Tongehalt aufweisenden Kalksteine. Hieher gehören manche Faziesentwicklungen der Cosinaschichten und des oberen Foraminiferen- (Milioliden-) Kalkes, ein großer Teil der nicht konglomeratischen Prominaschichten und die ungefähr gleich- altrigen Gesteine auf der Südseite des Opor, sodann die Liegend- schichten der Flyschmergel am Südabhang des Mosor, endlich die mittleren und oberen Partien des Neogens im Cetinagebiete, soweit dieselben nicht in Mergelfazies entwickelt sind. Die meisten dieser Gesteine zeigen eine mehr oder minder vollkommene Absonderung in Platten und dieser Umstand weist auf eine starke polygonale Gesteinszerklüftung hin. Erscheint es auch verständlich, daß da ein Eindringen der atmosphärischen Wässer leicht erfolgt, so könnte man doch glauben, daß diese Form der Zerklüftung gegen die Tiefe zu abnehme, auch sollte man vermuten, daß der etwas tonige Kalkstaub, der sich bei der Verwitterung hier bildet, dazu beitrage, die Klüfte unwegsam zu machen. Trotzdem besitzen diese plattigen Kalksteine keine nennenswerte Fähigkeit, das Wasser in seinem Laufe zur Tiefe aufzuhalten. Wenn im Bereiche solcher Kalke eine Quellbildung erfolgt, ist sie an das Vorhandensein einer tonigen Zwischenschicht geknüpft und wo derartige Kalke an reine Kalke grenzen, kommt der Berührungsfläche beider nicht die hydro- logische Bedeutung eines Kontaktes von schwer- und leichtdurch- lässigem Gesteine zu. Betrefis der Landschaftsformen nehmen die in Rede stehenden Gesteine eher eine Mittelstellung zwischen reinem Kalk und Mergel ein. Das aus ihnen bestehende Terrain hat keinen Karstcharakter, es fehlt ihm aber auch die reichliche Durchfurchung der Abhänge, welche für das undurchlässige Gelände so bezeichnend ist. D. Durchlässige Bodenarten. Hieher gehören die meisten Ablagerungen der letzten geologischen Vergangenheit und Gegenwart. Gehängeschutt, dessen ältere Partien zum Teil zu Breccien verfestigt sind, Trümmermassen von Bergstürzen, umgelagerte und umge- schwemmte quartäre Schuttanhäufungen (sofern sie nicht mit Lehmen stärker vermengt sind), altquartäre Sandablagerungen, ferner die zum Teil zu lockeren Konglomeraten zusammengebackenen Schotterdecken der postneogenen Flüsse und die Schotter und Sande in den An- schwemmungen der fließenden Gewässer der Jetztzeit sowie endlich die Geröllansammlungen am Meeresstrand. Entstehungsformen der Quellen. A.Karstquellen. Sie überragen wie in anderen Karstgebieten auch in Mitteldalmatien alle übrigen Quellbildungen weitaus an Wich- tigkeit. Alle durch Stärke und Größe besonders ausgezeichneten Quellstränge unseres Gebietes gehören dieser Kategorie von Quellen an. In dieser Darstellung, welche die Mannigfaltigkeit der lithologischen und tektonischen Verhältnisse der Quellen zu beschreiben sucht, können die Karstquellen aber nicht in einem ihrer überragenden 152 Dr. Fritz v. Kerner. [8] Bedeutung entsprechenden Maße den absolut und relativ größten Raum einnehmen. Sie bilden als Spaltquellen im Kalkgebirge nur ein Glied in der Fülle der quellengeologischen Erscheinungen und auch ihre Beziehungen zur Tektonik liefern für eine vergleichende Ge- samtdarstellung weniger Stoff als jene der übrigen Felsquellen. Sie bieten mehr für morphologische als für geologische Forschungen ein interessantes Ziel und es gestaltet sich darum ihr Studium bei An- wendung morphologischer Untersuchungsmethoden, besonders mit Hilfe der Höhlenforschung weit erfolgreicher als durch geologische Begehungen. Aus diesem Grunde soll hier auch davon Abstand ge- nommen werden, das vielumstrittene!) Thema der Karsthydrologie in seiner Gesamtheit zu erörtern. Dem Vorwurf, mit einer solchen Er- örterung etwas Ueberflüssiges zu leisten, wird derzeit nur Derjenige entgehen können, der betrefis aller hier in Betracht kommenden Fragen neues Beobachtungsmaterial beibringen kann. Für eine sehr wichtige Gruppe von karsthydrologischen Phänomenen, für die Wechselbeziehungen zwischen Ponoren, Karstquellen und Poljenüber- schwemmungen läßt sich nun aber innerhalb des hier besprochenen Gebietes kein vollständiges Bild gewinnen, da das Sinjsko polje oberflächlich entwässert wird und das Mucko polje keine Karstquellen hat. Die zu den Karstquellen des Sinjsko polje gehörigen Ponore liegen aber weit außerhalb der Grenzen unseres Gebietes. Der karst- hydrologische Erfahrungsschatz, welcher sich in diesem Gebiete bei Gelegenheit geologischer Aufnahmen sammeln läßt, betrifft haupt- sächlich die horizontale und vertikale Verbreitung der Karstquellen. Was die erstere betrifft, so zeigt sich dort, wo sie in reiner Abhängigkeit von der Verteilung der unterirdischen Wasserwege zu beobachten ist, eine Art Mittelzustand zwischen jenen zwei Grenz- fällen, welche den beiden einander gegenüberstehenden Anschauungen über jene Wasserwege entsprechen würden. Es treten dort auf ein- zelnen Teilstrecken des Gebirgsrandes Quellenreihen zutage; es ist aber weder eine Beschränkung der Wasseraustritte auf einzelne Stellen, noch auch eine annähernd gleichmäßige Verteilung derselben über die ganze Erstreckung des Gebirgsrandes zu sehen. Dieser Umstand spricht dafür, daß auch die hydrologischen Verhältnisse an solchen Gebirgsrändern, welche von undurchlässigen alt- oder jung- tertiären Schichten besäumt sind, eine zwischen extremen Annahmen stehende Auffassung erheischen. Man wird bei dem Hervorbrechen großer Karstquellen in den Lücken der Flysch- und Neogenvorlagen diese Lücken nicht als das primäre ansehen dürfen; es wäre aber wohl auch zu weit gegangen, diesen Vorlagen jede Stauwirkung abzu- sprechen. Vermutlich entsprechen die Durchbrüche durch diese Vor- lagen solchen Stellen, wo besonders große Kluftwasserstränge den Gebirgsrand erreichen und treten dort auch noch Wasseradern aus- welche seitlich von jenen Strängen auf die Rückwand der Gebirgs- !) Die unliebsamen Eindrücke, welche man bei der Lektüre der bekannten Polemiken über die Karsthydrographie empfindet, werden erfreulicherweise aufge- wogen durch den drolligen Eindruck, den es macht, hier Gelehrte, von denen keiner ein Physiker ist, sich gegenseitig Unkenntnis hydrophysikalischer Grund- lehren vorwerfen zu sehen. [9] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 153 vorlage stoßen und hinter derselben zu den Ausfallspforten der Hauptstränge hin abgelenkt werden. Die durch je eine dieser Pforten sich entwässernden Adergeflechte stehen aber wohl nicht miteinander im Zusammenhange. Von mir erhobene thermometrische Befunde weisen mit Bestimmtheit darauf hin, daß auch im Innern von Kalk- gebirgen, in denen keine unterirdischen Scheiderücken von Dolomit oder Schiefer anzunehmen sind, eine Trennung benachbarter Kluft- wassernetze Platz greifen kann. Als zusammenwirkende Ursachen einer solchen Trennung wären in Betracht zu ziehen: die schon erwähnte, innerhalb gewisser räum- licher Grenzen gelegentlich vorkommende Kluftlosigkeit des Kalkes, dann eine völlige Verstopfung vorhandener enger Spalten mit Höhlen- lehm und besonders der von Stille geltend gemachte Umstand, daß auch zerklüftete und mit Wasser durchtränkte Gesteinspartien die Rolle eines vollkommen undurchlässigen Gesteines übernehmen können, wenn ein sehr hoher Reibungswiderstand die Bewegung des Wassers in denselben aufhebt. Was die vertikale Verteilung der Karstquellen betrifft, so zeigt sich in unserem Gebiete eine sehr ausgesprochene Neigung dieser Quellen am Fuße der Gebirge auszubrechen. Sie entspringen aber nicht immer an den jeweilig tiefsten Stellen der Tal- und Poljen- ränder. Zuweilen ist zwischen benachbarten Quellen ein nicht unbe- deutender Höhenunterschied vorhanden; und in seltenen Fällen kommt es vor, daß — was gleichfalls sehr gegen einen Zusammenhang be- nachbarter Kluftnetze spricht — die höher gelegene Quelle noch fließt, wenn die am Gebirgsfuße austretende schon versiegt ist. Solche Befunde als „Ausnahmen“ von der Regel zu bezeichnen, wäre völlig unstatthaft. Sie bilden für die Umstände, unter denen sie auftreten, gewiß das streng gesetzmäßige und normale. Aber auch die vergleichsweise höchstgelegenen Karstquellen befinden sich noch in der Nähe der Talsohlen oder Küsten und diese Lage weist darauf hin, daß dort die Abwärtsbewegung der einge- drungenen Niederschläge rasch sehr erschwert wird. Nichts spricht in unserem Gebiete zugunsten der Annahme, daß von den Hoch- flächen der Planinen bis hinab zu den zum Teil tief unter dem Meeresspiegel gelegenen Schieferunterlagen des tiefen Karstes gleich- artige Zirkulationsbedingungen herrschen. Man gewinnt vielmehr den Eindruck, daß die Kluftnetze der Karstberge bis zu einem zeitlich und örtlich schwankenden, sich aber in der Nähe eines benachbarten Meeres- oder Flußspiegels haltenden Niveau hinab nur zum Teil und zeitweise ein relativ rasch und vorzugsweise nach der Tiefe wan- derndes Wasser führen, von dort abwärts aber durchwegs und dauernd mit relativ langsam und nach verschiedenen Richtungen (auch nach aufwärts) sich bewegendem Wasser erfüllt sind. B. Schichtquellen. Die Formationsentwicklung in Dalmatien bedingt eine große Anzahl von Kontakten verschieden durchlässiger Gesteine. Es handelt sich hier entweder um das Aneinandergrenzen zweier petrographisch abweichender geologischer Horizonte oder um Einlagerung von Kalkzügen in vorwiegend undurchlässigen Schichten Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1. Heft. (F. v. Kerner). 21 154 Dr. Fritz v. Kerner. [10] oder um Einschaltung von undurchlässigen Zwischenlagen in vor- wiegend kalkigen Horizonten. Dementsprechend liegt entweder eine einmalige Berührung ungleich durchlässiger Gesteine oder eine mehr- malige Wiederholung derselben Art von Gesteinskontakt vor. Die Gesamtmenge der Quellwässer wird unter sonst gleichen Umständen im zweiten der vorgenannten drei Fälle viel kleiner als im dritten Falle sein. Der Unterschied in der hydrologischen Beschaffenheit zweier aufeinander folgender Schichten kann sehr verschieden groß sein. Zwischen Fällen, in denen man kurzweg vom Kontakte eines Wasser durchlassenden mit einem undurchlässigen Gesteine sprechen kann und solchen Fällen, wo nur ein geringes Mehr oder Weniger an Durchlässigkeit vorliegt, gibt es viele Uebergänge. Der Wasser- reichtum einer Quelle ist aber unter sonst ähnlichen Verhältnissen der Größe des eben genannten Unterschiedes nicht proportional. Manchmal tritt eine Quelle, die man für eine Schichtquelle halten möchte, an einem Orte aus, wo sich die Liegend- und Hangendschichten in petrographischer Beziehung anscheinend nur wenig unterscheiden ; anderseits kann man sich an der Grenze eines stark zerklüfteten und eines sehr undurchlässigen Gesteines, obschon auch die Lagerungs- verhältnisse einer Quellbildung günstig wären, in Erwartung eines reichlichen Wasserausflusses getäuscht sehen. Es gibt dies einen Fingerzeig dafür, wie wenig zutreffend es wäre, sich über die Bildung von Schichtquellen ailzu schematische Vorstellungen zu machen. Die Berührung von Gesteinsschichten verschiedener Durchlässigkeit schafft zunächst nur günstige Vorbedingungen für das Auftreten von Quellen. Als unmittelbaren Anlaß für die Quellbildung wird man stets einen Ueberschuß der unterirdischen Wasserzufuhr über die unterirdische Wasserabfuhr ansehen müssen. Gleichwie Schichtquellen in der trockenen Jahreszeit versiegen, weil nun die unterirdischen Abzugs- wege für die Aufnahme der verminderten Zusickerungen ausreichen, kann es auch sein, daß an einer Grenze zwischen Kalk- und Ton- oder Mergelschiefer überhaupt keine Quellbildung eintritt. Ander- seits können bei großem Mißverhältnisse zwischen den unterirdischen Abflußmöglichkeiten und der Menge der Zuflüsse auch jm Hangenden teilweise durchlässiger Schichten Wasseraustritte erfolgen. Von in der Formationsentwicklung begründeten Kontakten durch- lässiger und undurchlässiger, beziehungsweise schwer durchlässiger Gesteine kommen in Mitteldalmatien folgende in Betracht: a) Schichtgrenzen. 1. Auflagerung der kalkigen oberen Werfener Schichten auf den Tonschiefern der unteren Werfener Schichten. 2. Auflagerung der kalkigen oberen Duvinaschichten auf den Schiefertonen der unteren Duvinaschichten. 3. Auflagerung der klüftigen Mergelkalke eines Teiles der höheren Neogenhorizonte auf den Mergelkalken der mittleren Hori- zonte dieser Formation. 4. Auflagerung der jung- oder postpliocänen Schotter auf den Kongerienschichten. [11] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 155 b) Durcehlässige Zwischenlagen in undurchlässigen Schichten. 1. Einschaltung von Kalk- und Sandsteinbänken in den Ton- schiefern der unteren Werfener Schichten. 2, Einschaltung von Bänken von Knollenkalk in den Schiefer- tonen der unteren Duvinaschichten. 3. Einschaltung von Breccienkalken, Kalksandsteinen und Platten- kalken in den Mergeln der Flyschformation. c) Undurchlässige Zwischenlagen in durchlässigen Schichten. 1. Einschaltung von Schiefertonlagen in den kalkigen oberen Werfener Schichten. 2. Einschaltung von Mergellagen in den Konglomeraten und Breccien der Prominaschichten. 4. Einschaltung von Mergellagen in den postpliocänen Konglo- meraten und Schottern. Von den unter a) aufgezählten vier Schichtgrenzen ist nur die letztgenannte unter Mitwirkung günstiger tektonischer Bedingungen ein wichtiger Quellenhorizont. Die Grenze zwischen den unteren und oberen Werfener Schichten hat für die Quellbildung eine viel ge- ringere Bedeutung als man erwarten könnte. Es kommt dies daher, daß wegen wiederholter Einschaltung von Schiefertonlagen in den oberen kalkigen Schiefern nur die unterste Zone dieser letzteren als Sammelgebiet für an der Oberkante der unteren Schiefer austretende Wässer in Betracht kommt. Die Grenze zwischen den unteren und oberen Duvinaschichten ist wegen der morphologischen Verhältnisse, unter denen ihre Ausstriche erfolgen, zur Erzeugung bemerkenswerter Quellen nicht geeignet. Bei «) 3 handelt es sich um die Berührung zweier hydrologisch wenig verschieden zu bewertender Gesteine. Die durchlässigen Einlagen in den Triasschiefern haben wegen ihrer ge- ringen Mächtigkeit für die Quellbildung nur untergeordnete Bedeu- tung. Die Kalkzüge im Flysch sind dagegen in dieser Hinsicht von größerer Wichtigkeit. Von den sub c) genannten Fällen spielen be- sonders die zwei erstgenannten als Erzeuger von bemerkenswerten Quellen eine Rolle. Die Schichtgrenzen zwischen den triadischen, jurassischen und kretazischen Dolomiten und den sie überlagernden Kalken sind da- gegen auch unter günstigen morphologischen und tektonischen Bedin- gungen keine Quellenhorizonte. Es weist dies darauf hin, daß den Grenzflächen zwischen Kalk und Dolomiten nicht jene hydrologische Bedeutung zukommt wie den Kontakten zwischen Kalk und Ton- schiefer und zwischen Kalk und Mergel. ©. Isolithische Quellen. Für die unter diesem Namen zu- sammengefaßten Quellen ergeben sich Vergleichspunkte mit den Karst- und Schichtquellen und mit den noch zu erwähnenden Schutt- quellen; es sind aber doch der Unterschiede genug, um ihre Ab- 22° 156 Dr. Fritz v. Kerner. [12] trennung von den genannten Kategorien von Quellen gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Es handelt sich hier zunächst um die Quellen in Dolomitgebieten, welche der Auflagerung von durch mechanische Verwitterung verändertem Gestein auf frischem Dolomit anscheinend ihre Bildung verdanken und um die seltenen Fälle, in welchen es an Schichtfugen in Kalkgebieten zum Austritt schwacher Quellen kommt, wenn einzelne Gesteinslagen in größerem Ausmaße eines wegsamen Kluftnetzes entbehren. Mit den Karstquellen haben diese letzteren Vorkommen die Eigenschaft gemein, daß sie innerhalb desselben Ge- steines zur Entwicklung kommen und nicht wie die Schichtquellen den Kontakt zweier verschiedener Gesteine zur Voraussetzung haben. Mit den Schichtquellen zeigen sie aber insofern Verwandtschaft, als sie in ihrem Auftreten an Schichtflächen geknüpft sind, während die Karstquellen aus Klüften kommen, die mehr oder weniger unabhängig von der Lagerungsform das Kalkgebirge durchsetzen. Die Dolomit- quellen erweisen sich, da die Grenzfläche zwischen mechanisch ver- wittertem und frischem Gestein einen der Geländeoberfläche ähn- lichen Verlauf hat, nur dann als solche den Schichtquellen analoge Bildungen, wenn die Geländeformen eine ungefähre Wiederholung der tektonischen Formelemente sind. Sonst stellen sie von der Schichtung unabhängige Erscheinungen dar, ähnlich jenen Quellen, die in Massen- und Eruptivgesteinen durch Umhüllung frischer Kerne mit Verwit- terungsmänteln zur Entwicklung kommen. Falls die Durchsetzung der Dolomitfelsen mit Sprüngen und Rissen zu einer Lockerung und Zertrümmerung des Gesteines führt, leiten die Dolomitquellen zu solchen Schuttgrundquellen über, welche unter eluvialem Schutte entstehen. Wenn sich der Uebergang des frischen in den mechanisch verwitterten Dolomit nicht rasch, sondern allmälich vollzieht, so schränkt dies die Vergleichbarkeit der Dolomit- quellen. mit Quellen unter Eluvialschutt — und im früher erwähnten Falle auch mit Schichtquellen — nur wenig ein, da ja der Uebergang von Gestein in eluvialen Schutt auch oft nur schrittweise erfolgt und Schichtquellen auch dann entstehen können, wenn in einer Schicht- masse die Durchlässigkeit nach oben hin nur allmälich zunimmt. Die Deutung der sehr seltenen an Schichtfugen schwach ge- neigter Kalke und Kalkbreccien austretenden Quellwässer als Quellen von ähnlicher Entstehungsart wie die Schichtquellen stützt sich auf das schon erwähnte gelegentliche Vorkommen größerer kluftloser Felsschichtflächen in verkarsteten Geländen. Damit es hier zu einer wenn auch nur schwachen Quellbildung komme, ist das Zusammen- treffen besonders günstiger Umstände erforderlich. Die unzerklüfteten Gesteinspartien müssen möglichst umfangreich sein und sie müssen, da diesbezüglich die Grenzen doch ziemlich eng gesteckt sein dürften, derart verteilt sein, daß sich die Wirkung mehrerer derselben summieren kann. Letzteres wäre in vollkommenster Weise dann erreicht, wenn bei sanfter Schichtneigung vom Gebirge weg die nach oben folgenden Gesteinsbänke sukzessive weiter im Berginnern einen unzerklüftetne Teil aufweisen würden. In diesem Falle wäre dann das Ergebnis in Hinsicht der Quellbildung so, als wenn sich ein Streifen undurch- lässigen Grundes soweit in den Berg hinein erstrecken würde, als [13] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 157 der unzerklüftete Teil der obersten Gesteinsbank vom Ausgehen- den der untersten entfernt ist. Wenn dagegen über einer am Aus- gehenden kluftlosen Kalkbank, auf deren Oberfläche der Ausfluß einer Quelle statthaben könnte, noch mehrere auch erst weiter im Berginnern von Klüften durchsetzte Bänke folgen, so wird ein Teil der ein- gedrungenen Wässer schon an höher gelegenen Stellen des Abhanges zutage treten und es wird sich die Wassermenge, die in ihrer Gesamtheit ein schwaches Quellchen speisen könnte, in Rieselwässer zersplittern, wie man sie an Hängen, wo schwach geneigte Kalke frei ausstreichen, nach Regenwetter trifft. Damit sich die für eine kleine Quelle erforderliche Wassermenge sammeln kann, wird aber die obige Art der Summation von Sickerwässern mehrfach und von verschiedenen Seiten her erfolgen müssen, was schwach muldenförmige Schichtlagen voraussetzt. Es ist klar, daß die hier angeführten Be- dingungen nur sehr selten erfüllt sein werden, daher die große Seltenheit solcher Quellchen. D. Verwerfungsquellen. Es ist kaum zu zweifeln, daß der Verlauf und die Verteilung der Klüfte in den Kalkgebirgen oft mit Störungen in Beziehung stehen, daß viele Klüfte kleinen Längs- und Querverwerfungen folgen und daß Bruch- und Verschiebungszonen sowie Mulden- und Sattelkerne stärker zerklüftet sind als regelmäßig gelagerte Kalkschichten. In manchen Fällen lassen sich solche Be- ziehungen klar erkennen, so zeigen im obersten Cetinatale die Um- gebungen der mittleren Vukovid-Quelle und der Radoninoquelle, beides Kreidekalkgebiete, eine Zerstückelung in kleine Schollen. Gewöhnlich ist es aber trotz weitgehender Aufgeschlossenheit schwer, im Bereiche mesozoischer Karstkalke Verwerfungen festzustellen. Ihre Erkennung auf petrographischer oder paläontologischer Grundlage schließt sich meist aus und ihr Nachweis aus dem Wechsel der Fallrichtungen und Winkel ist oft durch Mangel an deutlicher Schichtung und durch Unkenntlichwerden derselben infolge starker Zerschrattung sehr behindert. Daß aber auch die eintönigen Rudistenkalkgebiete von vielen kleinen Verwerfungen durchsetzt sein mögen, darf man daraus schließen, daß derartige Störungen in solchen Schichten öfter an- getroffen werden, in deren Bereich der Erkennung von tektonischen Unregelmäßigkeiten keine Hemmnisse entgegenstehen. Die bloße Ver- mutung einer tektonischen Anlage der in ihrer heutigen Gestalt zu- nächst als Ergebnisse der chemischen Gesteinsauflösung erscheinenden Kluftwasserwege berechtigt aber wohl noch nicht, die Karstquellen kurzerhand als Verwerfungsquellen zu bezeichnen. Es verbleiben dann in der Gruppe dieser letzteren nur jene Spaltquellen, welche an einen tektonischen Kontakt verschiedener Gesteine geknüpft sind und die Karstquellen verhalten sich dann — insoweit sie tektonische Spaltquellen innerhalb desselben Gesteines sind — zu den Ver- werfungsquellen wie die Quellen aus Schichtfugen im Kalkgebirge zu den Schichtquellen. Es versteht sich aber von selbst, daß auch die Adern dieser letzten beiden Arten von Quellen zu mehr oder minder großem Teile nicht in Schichtfugengerinnen, sondern in Kluftgerinnen verlaufen. 158 Dr. Fritz v. Kerner. [14] Während stratigraphische Kontakte verschieden durchlässiger Gesteine häufig sind, ist die Zahl der zu Quellbildung führenden tektonischen Gesteinskontakte eine verhältnismäßig geringe. Es kommen hier in Betracht: 1. Durch Verwerfung bedingter Kontakt von unterem Werfener Schiefer mit Triasdolomit. 2. Durch steile Aufschiebung bedingter Kontakt von unterem Werfener Schiefer mit Rudistenkalk und mit eocänen Kalkbreccien. 3. Durch Verwerfung bedingter Kontakt von Kreidedolomit mit Rudistenkalk. 4. Durch mehr oder minder flache Ueberschiebung bedingter Kontakt von eocänen Knollenmergeln und Flyschmergeln mit Rudisten- kalk und eocänen Kalken. 5. Durch diskordante Auflagerung, zum Teil auch durch Ver- werfungen bedingter Kontakt von neogenen Schichten mit mesozoischen Kalken. Da die Mehrzahl der hier aufgeführten Arten von Störungen nur wenig verbreitet sind und die am häufigsten vorkommende, die Ueberschiebung von Kreidekalk auf eocäne Mergel nur höchst selten zur Quellbildung führt, stehen die an Störungen geknüpften Quellen in unserem Gebiete auch hinsichtlich ihrer Anzahl den Schichtquellen sehr nach. Es befinden sich unter ihnen aber einige von bemerkens- werter Stärke. E. Schuttquellen. Eine scharfe Trennung zwischen Quellen, welche der Auflagerung von ursprünglichem und von umgeschwemmtem Schutte auf undurchlässigem Grunde ihre Entstehung verdanken, läßt sich nieht durchführen, da ja diese beiden Arten von Schutt selbst nicht streng auseinanderzuhalten sind. Denn auch die Gesteinsstücke einer Schutthalde sind oft nicht mehr an jener Stelle, wohin sie bei dem Abbruche von der die Halde überragenden Felswand fielen und schon durch Wasserwirkung in ein tieferes Niveau gebracht. Als Gebirgsschutt liefernde Gesteine kommen in Dalmatien hauptsächlich Kalk und Dolomit in Betracht. Bei der großen Durchlässigkeit des Schuttes dieser Gesteine kommt es dort, wo er undurchlässigen Boden bedeckt, vorwiegend zur Entstehung von Schuttgrundquellen. Die um- geschwemmten Schuttmassen enthalten auch viele lehmige Bei- mengungen und hier treten auch reine Schuttquellen auf. Unter sonst gleichen Umständen sind die Wasseraustritte aus solchem umgelagerten Schutte schwächer, aber nachhaltiger als jene aus Schutthalden, da- durch mitveranlaßt, daß die in den aufgezählten Fällen den Unter- grund des Schuttes bildenden verschiedenen Schichten zum Teil von etwas durchlässigen Zwischenlagen durchzogen und öfter steil gestellt sind. Es muß dies Wasserverluste nach der Tiefe zu bedingen. Der Austritt von Quellwässern aus umgelagertem Schutte findet auch unter verschiedenen geologischen Verhältnissen statt. Er geschieht zunächst dort, wo neogene Kalkmergel von quartären Schutt- und Blockmassen überdeckt sind und durch nachträgliche Erosion in eine solche Schichtfolge kleine Täler eingeschnitten wurden. Hier bilden [15] (uellengeologie von Mitteldalmatien. 159 die als Wassersammler wirkenden Schuttmassen nicht wie in den vorigen Fällen, einen Saum unter einer das Gehänge krönenden Fels- wand, sondern selbst die höchsten Teile des Gehänges. Gelegenheit zur Auflagerung von Gehängeschutt auf undurchlässigem Boden ist besonders da gegeben, wo ein aus Tonschiefer oder Mergel beste- hendes Gelände von Steilhängen klüftigen Kalkes überragt wird. Diese Lagebeziehung tritt in folgenden Fällen auf: 1. Bei steilen Anschiebungen von unteren Werfener Schiefern an Rudistenkalk und eocäne Kalkbreccien. 2. Bei Ueberschiebungen von Rudistenkalk über eocäne Mergel, besonders über Flyschmergel. 3. Bei Anpressungen eocäner Mergel an steile Faltensättel aus Rudistenkalk und aus eocänen Breccienkalken. 4. Bei diskordanter Anlagerung neogener Mergelkalke an Rudistenkalk. Die meist nur schwachen Quellchen treten in den eben auf- gezählten Fällen nicht am Fuße der Schutthänge, sondern in engen in dieselben bis nahe auf die Schuttunterlage eingefurchten Runsten aus. Die Spärlichkeit der Wasserführung ist wohl durch die meist nicht große Mächtigkeit der als Wassersammler wirkenden Schuttlagen bedingt. Im Cetinagebiete liegt über untertriadischem Grundgebirge eine ungeschichtete altquartäre Schuttablagerung, welche die Hohl- formen des Gebirgsreliefs ausfüllt und selbst: von vielen tiefen Erosions- schluchten zerschnitten ist, so daß triadische Gesteine sowohl oben auf der Decke als auch unten in den Schluchten manchenorts zutage kommen. Hier trifft man, wo Tonschiefer der Werfener Schichten die Basis der Schuttmassen bilden, im Grunde der erwähnten Schluchten schwache Quellchen. Manche der im Werfener Schiefer vorhandenen Einrisse sind aber für gewöhnlich trocken, weil dort der Schiefer bis an den Ursprung der Wasserrisse hinaufreicht. Außerdem gibt es Schuttquellen, welche in der Mitte oder im unteren Teile flacher sich nach einer Seite öffnender Talmulden aus- treten. Den Untergrund dieser Mulden bilden undurchlässige Schichten. Die Umrahmung besteht zum Teil aus Kalken oder sich diesen ähn- lich verhaltenden Kalkmergeln. Die Ausfüllung der Mulden ist ein Gemenge von Verwitterungslehm des Grundes mit von den Rändern her eingeschwemmtem Schutte. F. Grundwasserquellen. Sie sind zum Teil an die Alluvien der Flußläufe des Landinnern und der kleinen Küstenflüsse geknüpft, zum Teil an das Vorkommen von Strandgeröllen gebunden. Viele der den angeführten Gruppen zugehörigen Quellen sind nur schwach und nur in der nassen Jahreszeit fließend. Es läge aber kein Grund vor, sie hier von der Erörterung, auszuschließen. In geologischer Hinsicht hat es Interesse, alle in einem Gebiete vorkommenden Fälle von Quellbildung festzustellen und zu beschreiben. Was aber die praktische Bedeutung der Quellen betrifft, so wäre es wohl zu weit gegangen, dieselbe erst mit der Verwertbarkeit zur Wasserversorgung einer Siedlung beginnen zu lassen. Die Fassung eines Quellchens als Tränk- 160 Dr. Fritz v. Kerner. [16] oder Wegbrünnlein kann auch schon als Nutzbarmachung gelten, und wo die Inanspruchnahme eines solchen Brünnleins eine geringe ist, aber auch großer Wassermangel herrscht, wie dies gerade in spärlich bewohnten Karstgegenden zusammentrifft, kann auch ein schwaches Quellchen dem weiteren Begriffe eines praktisch bedeutsamen gerecht werden. Daß diesbezüglich in Karstgebieten eine bescheidene Be- urteilung in der Tat Platz greift, zeigt sich daran, daß hier des öfteren auch schwache Austritte von Quellwasser, an denen man anderwärts achtungslos vorüberginge, in roh gemauerte Brunnstübchen gefaßt und mit besonderen Namen belegt sind. Strukturformen der Quellen. Für die Quellen, bei deren Bildung Unterschiede in der Durch- lässigkeit der Böden und Gesteine eine wichtige Rolle spielen, ergibt sich eine Einteilung nach der Lage und Gestalt der Grenzfläche zwischen den verschiedenen Durchlässigkeitsgraden. Eine solche Ein- teilung ist umfassender als die tektonische Gruppierung der Schicht- quellen, denn das bei jener Gruppierung zum Beispiel für eine ab- steigende Schichtquelle Bezeichnende, eine Neigung der undurch- lässigen Unterlage gegen außen hin, kann auch bei einer an eine Schubfläche geknüpften Quelle, bei einer Quelle aus verwittertem über frischem Gestein und bei einer Schuttgrundquelle vorhanden sein. Allerdings handelt es sich in den eben aufgezählten Fällen um sehr verschieden zu bewertende Arten der Auflagerung durch- lässiger auf undurchlässige Bodenschichten und insofern wird die obige Einteilung eine künstliche; sie ermöglicht es aber, alle Quellen mit Ausnahme der Karstquellen unter einem formalen Gesichts- punkte vergleichend zu betrachten. Die Mannigfaltigkeit der tektonischen Erscheinungen in unserem Gebiete und die Klarheit, mit welcher sie bei weitgehender Aufgeschlossenheit oft zu erkennen sind, bringt es mit sich, daß eine Betrachtung der Quellen in bezug auf die Grund- züge ihrer Bauart eine große Fülle von Quellformen ergibt. A. Absteigende Quellen. Absteigende Schichtquellen spielen keine große Rolle. Das Vorherrschen von Falten und Schuppen im Gebirgsbaue in Verbindung mit dem Vorwiegen sanfterer Gelände- formen bringt es mit sich, daß ein freier Ausstrich exokliner Schichten verhältnismäßig selten vorkommt. Treppenförmige Gehänge sind zwar keine Seltenheit, doch werden diese öfter aus sanft bergwärts fallen- den Bänken aufgebaut. Die Neogenschichten erscheinen wohl oft flach talwärts geneigt, doch sind in ihnen die Durchlässigkeitsverhältnisse zur Bildung von Schichtquellen wenig günstig. Wo sie von postplio- cänen Schottern überdeckt sind, entwickeln sich Schichtquellen mit nahezu söhliger Lage des Wasserträgers. Im Bereiche des gefalteten Gebirges kommt es nur auf der Nordostseite des Mosor zu regionalem Auftreten von exokliner Lagerung und zur Bildung kleiner Quellen über abschüssigen Schichtflächen. Im Bereiche der aus Kalk- und Mergellagen aufgebauten stark gefalteten eocänen Schichtfolgen zeigen sich als seltene Erscheinungen absteigende Quellen, bei denen der [17] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 161 Wasserträger eine mit ihrer Achse schwach geneigte Synklinale formt. Auch hemizentroklinale Lagerung kann derselbe zeigen. An Störungen gebundene absteigende Quellen können in einer Schuppenregion, wo die Abtragung nirgends zur Herausarbeitung von Ueberschiebungszeugen geführt hat, nur dort auftreten, wo Schub- tlächen von geringer Neigung in Fenstern bloßgelegt sind. Es kommt in unserem Gebiete ein solcher Fall bei einer Ueberschiebung von Rudistenkalk auf Flyschmergel zur Beobachtung. Von den Schutt- grundquellen ist wohl der größte Teil zu den absteigenden Quellen gehörig. B. Ueberfallquellen. Ueberfallende Schichtquellen finden sich in größerer Zahl vor. Sie erscheinen teils an den Stirnrändern von Ueberschiebungen, teils an den Flanken von Schichtmulden. Die Ueberfallquellen in Gebieten mit Schuppenbau treten entweder im hangenden oder im liegenden Flügel der Ueberschiebung aus. Der erstere Fall kommt im triadischen Hangendflügel der Muter Störung zur Entwicklung, wo im Bereich der oberen Werfener Schiefer typische Ueberfallquellen entspringen. Der letztere Fall zeigt sich durch Quellbildungen vertreten, die in den von Kreidekalken überschobenen Flyschschichten der Küstenzone entspringen. An Muldenrändern zu- tage tretende Quellen kommen im Gebiete der Flyschformation und der Prominaschichten vor, wo der reiche Faltenwurf der aus Kalk- und Mergellagen sich aufbauenden Gesteinsfolgen günstige Bedingungen für die Bildung solcher Quellen schafft. In der Mehrzahl der Fälle ruht hier die wasserführende Schicht einer schiefen Ebene auf und ist das Sammelgebiet der Quelle nicht näher zu umgrenzen. Es kommen aber auch überfallende Schichtquellen mit hemizentroklinaler Lagerung des Woasserträgers vor, bei denen das Sammelgebiet seitlich begrenzbar ist und nur hinsichtlich seiner Erstreckung nach rückwärts mehr oder minder unbestimmt bleibt. In unserem Gebiete ist diese seltenere Quellform durch zwei bemerkens- werte Quellen vertreten. Die eine entspringt am Scheitel einer Knickung der Schichtmassen im Streichen; das Wasser fließt hier wie über die Spitze des Schnabels einer Kanne aus. Die andere tritt am schwächer geneigten Flügel einer sich schließenden asymmetrischen Mulde hervor; hier ist es, wie wenn Wasser über den Rand einer nach der Seite geneigten ovalen Schüssel überfließt. Die Bedingungen für das Auftreten von an Störungen geknüpften Ueberfallquellen erscheinen wiederholt gegeben, da Ueberschiebungen von Kalk auf Mergel mit frei ausstreichenden Schubflächen in der Tektonik unseres Gebietes eine wichtige Rolle spielen. Die Schnittlinien dieser Flächen mit den Gehängen sind aber weder bei den Ueber- schiebungen des kretazischen Hornsteinkalkes und Rudistenkalkes auf Knollenmergel noch bei jenen der oberen Kreidekalke auf Flyschmergel ein Quellenhorizont. Nur ein Quellchen tritt am Ausstriche einer solchen Schubfläche hervor, aber gerade dort handelt es sich um einen besonderen tektonischen Fall, insofern die Mergellage nicht dem Unter- flügel einer größeren Ueberschiebung, sondern einem zwischen Kreide- schichten eingeklemmten Schubfetzen entspricht. Nicht selten sind die Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 1 Heft. (F. v. Kerner.) 22 162 Dr. Fritz v. Kerner. [18] Ausstriche der genannten Schubflächen mit Schutt- und Trümmerhalden überdeckt, die von den schroffen Felsstirnen des aufgeschobenen Kreidekalkes stammen. Bei den am Fuße solcher Halden austretenden schwachen Wässern lassen sich zuweilen merkliche Unterschiede in der Temperatur und Nachhaltigkeit erkennen. Es wäre möglich, daß da eine geringere Schwankung der Quellentemperatur und Wasserführung auf einen Zufluß aus den Klüften des hinter der eocänen Mergelbarre gelegenen Kreidekalkes hinweist und daß eine größere Veränderlichkeit in bezug auf Wärme und Wassermenge ein Quellchen als Schutt- srundquelle erkennen läßt. Eine größere Rolle könnte man dem Wasserzufluß über die schuttverhüllte Oberkante der Mergel aber keinesfalls zusprechen, da auch dort, wo die Ueberschiebungslinien entblößt sind, an denselben keine Quellen entspringen. Nach der Karstwasserhypothese müßte man da wie in allen jenen Fällen, in welchen man dort, wo man Wasser erwarten würde, und keines findet, annehmen, daß der Karstwasserspiegel dauernd tiefer als der Ausstrich der Schubfläche liege. Von den Schuttquellen sind vielleicht manche derjenigen, welche am Ausgehenden von Geländemulden entspringen, zu den Ueberfall- quellen zu zählen; öfter mögen solche Quellen nur durch Querschnitts- verengerung der quartären Ausfüllung solcher Mulden bedingt sein. ©. Stauquellen. Das im geologischen Baue des hier zu be- schreibenden Gebietes begründete häufige Vorkommen von Gesteins- zonen mit steil gestellten Schichten bedingt eine zahlreiche Vertretung solcher Quellen, die durch Wasserstau an Schichtflächen entstehen. Wieder sind es die Flysch- und die Prominafazies des höheren Eocäns, in welchen solche Quellen mehrorts angetroffen werden. Aber auch in jenen Triasstufen, wo sich Kalkeinschaltungen in Schieferzonen oder Einlagerungen von Tonschiefern in vorwiegend kalkigen Schicht- massen zeigen, sind Quellen dieser Art zu finden. Je nachdem es sich da nur um Wassersammlung in klüftigen Zwischenlagen undurch- lässiger Schichten oder um Stauung von größeren Kluftwassermengen an undurchlässigen Scheidewänden handelt, können diese Quellen von sehr verschiedener mittlerer Stärke sein. Die an Störungen gebundenen Quellen mit starker Neigung der den Wasserstau bedingenden Fläche sind entweder an steile Ueber- schiebungen oder an Verwerfungen geknüpft. Im ersteren Falle können die Gesteinsschichten fast so steil wie die Staufläche geneigt sein, in letzterem Falle können sie — abgesehen von an der Störung ge- schleppten Schichtfetzen — eine bedeutend geringere Neigung zeigen. Steilstellung der Schubfläche kommt in unserem Gebiete bei den Aufschiebungen der unteren Werfener Schiefer auf kretazische Kalke und eocäne Breccienkalke vor; die auf eocäne Knollenmergel und Flyschmergel aufgeschobenen Schuppen von Kreidekalk sind zumeist nur mäßig oder nur schwach geneigt, doch wäre es möglich, daß sich manche dieser Schiebungen nach der Tiefe zu steiler stellen. Verwerfungsquellen treten in den früher erwähnten Fällen von Kontakt verschieden durchlässiger Schichtglieder nur in beschränkter Zahl auf, doch finden sich unter ihnen einige von bemerkenswerter 19] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 163 Stärke. Es handelt sich hier teils um Verwerfungen innerhalb des meso- zoischen und alttertiären Grundgerüstes des Gebirges, teils um solche an den Rändern der jungtertiären Auflagerung auf dasselbe. Die Unterscheidung von Stauquellen erscheint insofern passend, als sich sonst zwischen zwei so verschiedenen Quellformen, wie es die Ueberfall- und Rückstauquellen sind, nur eine künstliche Grenze ziehen läßt. In Faltengebieten von der Art Dalmatiens nimmt die tektonische Bedeutung einer Winkeldifferenz im Verflächen mit zu- nehmender Schichtneigung stetig ab. Während bei einer mittleren Neigung von 15° die zu beobachtenden Grenzwerte der Einfallswinkel kaum um mehr als 5° von diesem Werte beiderseits abweichen, Kann man, sobald die Minima der Fallwinkel 60° übersteigen, oft auch Seigerstellungen und selbst Ueberkippungen wahrnehmen. Die Vertikal- stellung erscheint so — obschon sie in geometrischer Hinsicht ein sehr wichtiger Grenzwert ist — im Schichtenbaue nur als ein Spezialfall in der Bänkelagerung steil aufgerichteter Schichten. Wenn man ihn zur Unterscheidung von Ueberfall- und Rückstauquellen benützt, so kann es sein, daß man von zwei ganz analog gebauten Quellen die eine der ersteren, die andere der letzteren Quellform zuzählen muß und daß so die Einreihung einer Naturerscheinung in die eine oder andere zweier ganz verschiedener Formengruppen von einem neben- sächlichen Umstande abhängig gemacht wird. Auch bei an steile Verwerfungen geknüpften Quellen könnte der Umstand, ob die Ver- werfungskluft im einen oder anderen Sinne um ein geringes von der Vertikalen abweicht, keine Zuteilung der betreffenden Quelle zu zwei verschiedenen Formengruppen begründen. Es empfiehlt sich, den betreffs der Lage der Staufläche zum wasserführenden Gesteine gegebenen Gegensatz zwischen den genannten zwei Quellformen, den Gegensatz zwischen den Lagebeziehungen des „unter“ und „über“ durch die Lagebeziehung des „neben“ zu über- brücken. Gegenüber den Vorteilen, welche dieser Vorgang bietet, tritt der Nachteil, nun die Mittelglieder einer Formenreihe gegen deren beiderseitige Endglieder abgrenzen zu müssen, sehr zurück, da es sich hier nicht um eine künstliche Grenzziehung zwischen Gegensätzen, sonderii um eine solche zwischen graduellen Unterschieden handelt. D. Rückstauquellen. Sofern man die Wasseraustritte infolge von Stauung an steil bergwärts fallenden Flächen von den Ueberfall- quellen trennt, wird man auch nur die hinter einem mäßig oder schwach geneigten undurchlässigen Gesteinsdache hervorkommenden Wässer zu den Rückstauquellen zählen. In diesem Falle ist die Zahl der innerhalb normaler Schichtfolgen auftretenden Quellen dieser Art im Kartenblatte Sinj-Spalato keine große. Innerhalb der Tirias- formation am Südrande des Svilajagebirges erscheinen die Bedingungen für das Entstehen von Rückstauquellen insofern gegeben, als es durch das Einschneiden seichter Längstäler in die zum Gebirge hin ver- flächenden Schichtmassen doch auch zum Ausstreichen : von gleich- sinnig mit dem Gehänge (aber steiler als dieses) geneigten Schichten kommt. Es kann so in den oberen Werfener Schiefern, in den unteren 22* 164 Dr. Fritz v. Kerner. [20] Duvinaschiefern und in den Wengener Schichten zu Wasserrückstau kommen. In den Eocängebieten zeigt sich zwar nicht selten ein Wasserstau hinter überkippten Mergelbänken, aber selten ein solcher hinter schwach geneigten, einer übergelegten Falte oder dem Flügel einer aufrechten Mulde angehörigen Mergelschichten. An abnormalen Schichtverband geknüpfte Rückstauquellen treten an der Basis transgredierender Flyschschichten und an der Basis der Neogenformation auf. Die Flyschmergel und die zwar kalkreichen, aber zum Teil doch ziemlich undurchlässigen jungtertiären Mergel- kalke transgredieren mehrorts schwach bis mäßig steil taiwärts fallend über mesozoischen Kalken. Die Austrittsorte der sich in den Kluft- netzen dieser Kalke anstauenden Wässer können an einer durch Denudation geschaffenen Grenze oder nahe dem ursprünglichen Rande der Basalbildung des Flysch oder des Neogens liegen. E. Kombinierte Quellformen. Manche Quellen sind als Kombinationen zweier oder mehrerer der hier aufgezählten Quellarten und Quellformen anzusehen. Bei einem Teile dieser Vorkommnisse ist die Kombination verschiedener Quellformen im Gebirgsbaue be- gründet. In einem Falle tritt zum Beispiel das Wasser an einer schräg über einen Hang hinabziehenden Grenze zwischen neogenen Trümmerbreceien und Bändermergeln aus. Es dürfte hier durch eine Querstörung an seinem weiteren Absinken auf der Berührungsfläche der genannten Schichten. aufgehalten und zum Ausflusse in der Richtung des Schichtstreichens gezwungen sein. In.einem anderen Falle scheint das Wasser über einen von Kreidekalk überlagerten Dolomitsattel überzufließen, an dessen Flanke abzurinnen und dann an einer die Kalkhülle abschneidenden Verwerfung am Dolomit an- gestaut zu werden. In einem dritten Falle quillt das Wasser an der einem Gebirgs- hange zugekehrten Seite eines demselben vorgelagerten Rückens aus; der Berghang und der Rücken bestehen aus Kalk, die Senke zwischen ihnen ist mit Neogenschichten erfüllt und an die vom Berghange ab- gewendete Rückenflanke lehnen sich Dolomite. Hier erscheint die Quellbildung durch Anstauung des Wassers an der Dolomitbarre und Rückstauung unter der flachmuldig eingebogenen Mergeldecke bedingt. Nicht selten kommt es vor, daß ein Quellgebilde durch Schutt- vorlagen des Gebirges mannigfaltiger gestaltet wird. Dann handelt es sich aber weniger um eine Kombination als um eine räumliche An- einanderreihung zweier einfacher Typen. Falls einer über einer tonigen Unterlage sich erhebenden exoklinen Kalkmasse Schutthalden vorliegen, wird eine Verbindung einer absteigenden Schichtquelle mit einer absteigenden Schuttgrundquelle und somit eine Verbindung zweier Quellen von verschiedener Art aber gleicher Grundform entstehen können. Ein Fall, wo sich eine absteigende Schichtquelle mit mulden- förmiger Lagerung des Wasserträgers in eine flach abfallende Schutt- grundquelle fortsetzt, kommt im Gebiete der Prominaschichten zur Beobachtung. Häufiger geschieht es, daß einem aus bergwärts fallenden Schiefern oder Mergeln aufgebauten Hange, der von Kalkfelsen überragt wird, [21] (uellengeologie von Mitteldalmatien. 165 von diesen stammendes Trümmerwerk aufruht. Bei dieser Sachlage können Kombinationen von Ueberfall- oder Stauquellen mit absteigen- den Schuttgrundquellen entstehen, und zwar kommt diese Verbindung sowohl bei an normale Schichtfolgen gebundenen Ueberfallquellen als auch bei Verwerfungsquellen vor. Auch die der obigen formellen Ein- teilung der Quellen sich nicht einfügenden Karstquellen treten manclı- mal aus Schuttvorlagen des Gebirges aus. Man wird von einer Kombination von Fels- und Schuttquelle nur dann sprechen, wenn nicht bloß eine Bestreuung des Quellortes mit Trümmern, sondern eine völlige Verdeckung desselben mit Schutt- massen vorhanden ist. Die Entscheidung, ob ein Wasseraustritt aus Gebirgsschutt, der einem Felsterrain vorliegt, aus dem zufolge seiner geologischen Beschaffenheit Quellen kommen könnten, eine maskierte Felsquelle oder überhaupt nur eine Schuttquelle sei, ist zunächst auf Grund der mittleren Wassermenge zu fällen. Bei Karstquellen wird hier schon von vornherein jeder Zweifel ausgeschlossen sein. Auch in manchen, reichere Schicht- und Störungsquellen betreffenden Fällen zeigt es sich klar, daß das dem Gebirge vorliegende Schuttgelände für sich allein die ihm jeweilig entquellende Wassermenge keinesfalls liefern könnte. In zweifelhaften Fällen kann eine größere Nachhaltig- keit und kleinere Wärmeschwankung eines Wasseraustrittes einen Fingerzeig dafür abgeben, daß man es nicht mit einer Quelle zu tun habe, deren Sammelgebiet auf die Schuttvorlage beschränkt ist. F, Struktur der Quellen. Die gebräuchliche formelle Ein- teilung der Quellen, welcher auch hier gefolgt worden ist, betrifft nur die Lage und Form des Rahmens, innerhalb dessen sich die unter- irdischen Wanderungen jener Wässer vollziehen, die in den Quellen zutage treten. Die Gestaltung der Wege, auf welchen jene Wande- rungen vor sich gehen, die Struktur der Quellen, bleibt bei einer vergleichenden Betrachtung der Formverhältnisse jenes Rahmens noch ganz aus dem Spiele und erheischt ihre besondere Untersuchung und Erörterung. Die Verschiedenheiten, welche sich betreffs der Quellen- strukturen ergeben, erscheinen im wesentlichen als ein Ausdruck der Mannigfaltigkeit der Klüftungsformen der Gesteine und der Lücken- gestaltung in den durchlässigen Bodenarten. Es wäre vielleicht ein schönes Zeichen von Selbsterkenntnis, wenn sich die Karstforscher eingestehen wollten, daß die zum Uberdrusse oft hervorgehobene Regellosigkeit der Klüfteverteilung in den massigen und dickbankigen Kalken nichts weiter als ein Verlegenheitsausdruck zur Verschleierung des Umstandes ist, daß ihnen die Momente, von welchen jene Ver- teilung abhängt, nicht bekannt sind. Man ist doch sonst so geneigt, überall in der Natur das Walten von Gesetzen herauszulesen, warum sollte gerade betreffs der Verteilung der Klüfte und Spalteu im Karstkalke Gesetzlosigkeit herrschen! Man wird nicht fehlgehen, wenn man sich bei jenen der im vorigen unterschiedenen Quellformen, bei welchen mesozoische und alttertiäre Kalke und Kalkbreccien von dicker Bankung oder undeutlicher Schichtung das wasserführende Gestein sind, die Gesamtheit der unterirdischen Wasserwege in der gewohnten Weise als ein vielverzweigtes Geflecht von in Form, Weite 166 Dr. Fritz v. Kerner. [22] und Richtung sehr wechselnden Spalträumen vorstellt. Ueber die spezielle Gestaltung des Geflechtes bleibt man aber ganz im ungewissen. Bezüglich der Struktur solcher Schichtquellen und Verwerfungsquellen, bei welchen das wasserführende Gestein dünnschichtig ist, wie zum Beispiel die Kalkschiefer der oberen Werfener Schichten und die Kalksandsteine des Flysch, kann man dagegen zu bestimmteren Annahmen gelangen. Es wäre zwar nicht zutreffend, sich hier die Gesamtheit der Wasserwege als ein ziemlich regelmäßiges engmaschiges Netz zu denken, dessen mittlere Maschengröße den durchschnittlichen Dimen- sionen der Platten des oberflächlichen Gesteinszerfalles entspräche ; man wird aber doch annehmen dürfen, daß hier auch in der Tiefe die Wasserbewegung vorzugsweise in Schichtfugen und in zu diesen senkrecht stehenden Quersprüngen erfolgt. Durch Einschaltung schwer durchlässiger, aber stellenweise zerstückter Zwischenlagen mag es hier manchmal auch zu einer Art Kammerung und Stockwerkbildung inner- halb des ganzen Spaltensystems kommen. Zwischen den hier kurz gezeichneten Strukturen der Quellen aus dünnschichtigen und sich aus Lagen von verschiedener Durchlässigkeit aufbauenden Gesteinen und den Strukturen der Quellen aus massigen und dickbankigen Kalken sind Uebergänge möglich, die bei Quellen aus solchen Ge- steinen zu erwarten sind, die sich durch ihre lithologischen Eigen- schaften als Verbindungsglieder zwischen den genannten beiden Gesteinsgruppen erweisen. Beziehungen der Quellen zu den Geländeformen. Eine Einteilung der Quellen nach ihrer Lagebeziehung zum Gelände verlohnt sich, wenn man hierbei das Verhältnis dieses letzteren zum Gebirgsbaue in Betracht zieht und so die Einteilung mit der Quellentektonik in Beziehung bringt. Austritte an Gehängen und am Fuße von Abhängen und Geländestufen kommen bei Quellen aller Formen, besonders bei Ueberfall- und Stauquellen vor. Die verhältnismäßig seltenen Wasseraustritte an konvexen Geländeflächen sind durch Fälle vertreten, in denen Quellen mit synklinaler Lagerung des Wasserträgers an der Schmalseite von Hügelzügen mit Muldenbau oder am Fuße der Schmalseite eines solchen Hügel- rückens ausbrechen, ferner durch eine der früher erwähnten Ueber- fallquellen mit hemizentroklinal gelagertem Wasserträger, welche auf einem Geländesporn entspringt. In der Gruppe der Wasser- austritte aus konkaven Geländeflächen ist zwischen solchen Quellen, bei denen die Hohlform, in welcher sie entspringen, als ihr eigenes Erosionsprodukt erscheint, und zwischen solchen, wo sie im Gebirgs- baue vorgezeichnet ist, zu unterscheiden. Unter letzteren bilden einige isolithische Schichtquellen, die im Hintergrunde synklinaler Tälchen austreten, gleichsam das morphologische Gegenstück zu der vorhin genannten Quelle, die am Fuße der Schmalseite eines synklinalen Rückens entspringt. Von den Stauquellen unseres Gebietes brechen manche am Grunde isoklinaler oder homoklinaler Täler auf. Ein Austritt in anaklinalen Gräben und Gehängenischen kommt mehr- fach bei Ueberfallquellen, ein solcher in kataklinalen Einschnitten [23] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 167 bei Rückstauquellen vor. In den beiden letzteren Fällen können die Quellen auch nur teilweise als Schöpfer der von ihnen belebten Erosionsgebilde angesehen werden, denn insoweit hier das Hervortreten von Wasser durch Höhenunterschiede der Ausstrichlinie bestimmter Schichtflächen bedingt ist, erscheint ja das Vorhandensein von Gelände- einschnitten als Ursache der Quellbildung. Dagegen sind die Fels- nischen, aus welchen manche der großen Karstquellen hervorbrechen, wohl von ihnen selbst geschaffen worden. Ein Ursprung in Gräben und Geländemulden tritt auch bei Schuttquellen öfter in Erscheinung. Formverhältnisse der Quellaustritte. Betreffs der Gestalt der Austrittsorte der Karstquellen herrscht auch im mittleren Dalmatien große Mannigfaltigkeit. Die obertägigen Mündungen zweier mächtiger Höhlenflüsse des Cetinagebietes stellen sich als in tiefen Felsnischen gelegene Quelltöpfe dar, an deren Oberfläche man ein in kurzen Zwischenräumen und oft an wechselnder Stelle sich wiederholendes Aufwallen des aus der Tiefe empordringenden Wassers sieht. Manche der großen Kluftwasserstränge treten dagegen in horizontaler Richtung und mit ruhigem und glattem Spiegel aus Spalten und kleinen Höhlungen im Hintergrunde von Felsnischen aus. Bei Quellen dieser und der vorigen Art können sich selbst große Schwan- kungen des Wasserstandes nur in Höhenänderungen des Quellspiegels äußern. Einige der großen Karstquellen unseres Gebietes brechen aus Block- und Trümmerwerk hervor, und zwar entweder aus Blockhalden, die dem Fuße von Felshängen vorgebaut sind, oder aus den trümmer- erfüllten Sohlen von schluchtartigen Einbuchtungen des Gebirges. Der Wasseraustritt ist hier oft auf eine Strecke hin verteilt, der Quellbach nimmt von seinem Ursprungsorte weg noch an Stärke zu. Solche Quellen zeigen im Gegensatze zu den früher genannten bei Schwankungen des Wasserstandes je nach dem Gefälle des Bachbettes eine mehr oder minder große Horizontalverschiebung in demselben. Die Höhe, bis zu welcher der Spiegel einer Felsnischenquelle zur Zeit des Höchststandes des Kluftwassers hinanreicht und die Stelle, bis zu welcher sich eine aus trümmererfülltem Talgrund kommende Quelle zur Zeit des höchsten Wasserstandes zurückzieht, ist stets an der Grenze der Schlammresiduen und vertrockneten Moospolster leicht kenntlich. Typische Höhlenquellen kommen im Kartenblatte Sinj-Spalato nicht zur Beobachtung, wohl aber im nord- wärts benachbarten Gebiete, wo zwei von den’ zahlreichen Quell- bächen der Cetina aus Höhlen hervorbrechen. Von den Schichtquellen und den an Störungen gebundenen Quellen treten die meisten einheitlich und geschlossen an den Tag. Nur wenige von ihnen zeigen eine größere Erstreckung in die Breite. Auch in den Fällen, in denen die Beschränkung des Wasseraustrittes auf eine eng umgrenzte Stelle in den Strukturverhältnissen nicht vor- gezeichnet ist, sieht man weit eher ein Hervorkommen von einigen in größeren Abständen liegenden, in sich geschlossenen Quellen als wie eine Kette von gegen einander nicht scharf abgrenzbaren Aus- 168 Dr. Fritz v. Kerner. [24] tritten von Quellwasser. Dagegen beobachtet man bei Schuttquellen häufig, daß sich der Wasseraustritt in der Abflußrichtung auf eine längere Strecke hin verteilt. Am auffälligsten ist diese Erscheinung in den Einrissen der Deckschichten des Flysch- und Neogengeländes, wo man beim Aufstiege fast niemals zu Quellen kommt und die manchmal stark murmelnden Bächlein aus ganz unscheinbaren An- fängen wie nassen Flecken und kleinen Wasserlachen sich allmählich entwickeln sieht. Eine flächenhafte Ausbreitung ist bei Quellen aus schutterfüllten Mulden und bei Grundwasserquellen in alluvialen Tal- sohlen anzutreffen. Die hier abfließenden Bächlein entwickeln sich aus mehr oder minder ausgedehnten sumpfigen Wiesenstellen. Die Schicht- und Verwerfungsquellen sieht man manchmal un- mittelbar aus Fugen und Spalten des entblößten Felsens hervor- sprudeln, öfter jedoch aus Verwitterungsschichten des anstehenden Gesteines kommen. In nicht wenigen Fällen ist durch primitive Fassung in roh gemauerten Steintrögen das ursprüngliche Bild verwischt. Beschreibung der quellenführenden Gebiete. Innerhalb des Kartenblattes Sinj-Spalato sind zwei durch einen breiten Karstgürtel getrennte Hauptzonen mit Quellenführung zu unter- scheiden, die Küstenzone und die Region der innerdalmatischen Auf- bruchstäler. Letztere gehört — soweit sie in das Spalatiner Blatt fällt — teils dem Flußgebiet der Kerka, teils dem der Cetina, teils einem zwischen beiden liegenden Gebiete ohne oberirdischen Abfluß an. Eine hydrographische Verbindung zwischen beiden Zonen wird durch den Mittellauf der Cetina hergestellt, doch liegt der von dem Unterlaufe dieses Flusses durchschnittene Teil der Küstenzone schon außerhalb des hier besprochenen Blattes. Die Quellen der Küstenzone sind teils große Karstquellen, teils Schicht- und Schuttquellen im Flysch. Die Flußläufe des Jadro und Stobrec scheiden diese Zone in drei Teile: die Gehänge von Castelli und Clissa, das Gelände von Mravince und Spalato und die Vorketten des Mosor. Ganz isoliert ist das gleichfalls durch ein Auftreten von Flysch bedingte Quellgebiet von Dolac auf der Landseite des Mosor. Die Quellen in der Zone der Aufbruchstäler sind zum Teile auch Karstquellen, zum Teile sind sie als Gesteins- und Schuttquellen an das Vorkommen von Triasschiefern und Neogenschichten gebunden. Es sind in dieser Zone folgende Regionen unterscheidbar: Das Tal der Vrba, welche als Seitenbach der Cikola dem Kerkaflusse tributär ist, das kleine Becken von Ramljane, das l’olje von Mu mit den ihm zugehörigen Tälchen der Radaca, Suova und Milina, das Tal der Sutina, eines rechtsseitigen Zuflusses der Cetina, das Sinjsko Polje, dessen westliche und östliche Umrandung im Norden durch das Hügelland von Sinj, im Süden durch jenes von Trilj geschieden werden und die Mulde von Gliev und das schon großenteils jenseits des Kartenrandes liegende Hochtal von Korito. Diese letztgenannten zwei Regionen, welche ihre Quellenführung dem Auftreten von Prominaschichten [25] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 169 danken, fallen orographisch dem 'Cetinatale zu, erscheinen aber hydro- graphisch insofern selbständig, als ihre Verbindungen mit dem Sinjsko polje, die Gala- und Korito Draga, Trockentäler sind. Im folgenden sind die Quellen der Aufbruchstäler vor jenen der Küstenzone abgehandelt, was einem Vorschreiten der Beschreibung von Nord gegen Süd entspricht. Innerhalb beider Zonen geschieht die Aufzählung der Quellen möglichst in ihrer Reihenfolge von West gegen Ost. Es entspricht dies in der Mehrzahl der von Flußläufen durchzogenen Teilgebiete einem Vordringen in der Richtung talauf- wärts. Die Bezeichnungsweise der Quellen und des Geländes geschah in enger Anlehnung an die Namengebung auf den Originalsektionen der Spezialkarte. Erkundung weiterer Benennungen erfolgte nur in seltenen Fällen; meist wurde es versucht, die auf der Karte ohne Namen gelassenen Quellen, Gräben, Kuppen usw. durch Angabe ihrer Lage- beziehung zu benachbarten auf der Karte benannten Oertlichkeiten zu bezeichnen. Die Quellen des Vrbatales. Das Tal der Vrba liegt in der südöstlichen Verlängerung der von dem Oberlauf der Cikola durchflossenen Talsohle. Es gliedert sich in drei Abschnitte, deren oberer noch eine Trennung in drei Teilstücke erheischt. Der untere Abschnitt des genannten Tales bildet eine südöstliche Aussackung der kleinen Ebene, an deren Ostrand der Quellteich der Cikola gelegen ist. Dieser Talabschnitt wird rechts vom Karstplateau von Crivac, links von einer Vorhöhe des Moset, der Klinteva glavica, begrenzt. Er reicht bis zur Felsbarre von Jelic, die den Vrbabach zur Bildung eines Wasserfalles zwingt. Der mittlere Teil des Vrbatales hat in seiner unteren Hälfte — gleich dem Endstücke des Tales — eine schmale Sohle und weitet sich dann zu einer kleinen Ebene aus. Sein schmaler unterer Teil liegt zwischen der Terrasse von Crivac und dem dem Mose vor- gelagerten Rücken Mackolor. Sein oberer erweiterter Abschnitt ist zwischen das südlich von Crivac liegende Plateau und das dolinen- reiche östliche Vorland des Mosecgipfels Kragljevac eingesenkt. Er reicht bis an den Nordabfall des großen Ramljaner Hügels, welcher die soeben genannte Senkung ihrer ganzen Breite nach aus- füllt und die Talrinne der Vrba an den Abfall des erwähnten Plateaus hindrängt. Im oberen Abschnitte des Vrbatales sind zu unterscheiden: Die auf die eben angeführte Art zustande kommende Talenge, die sich darauf einstellende Erweiterung des Tales infolge der östlichen Endigung des genannten Hügels und das Anfangsstück des Vrbatales, welches sich längs des in der südöstlichen Verlängerung des Ramljaner Hügels sich erhebenden Rückens Gradina hinzieht. Dieser scheidet die Talfurche der Vrba von dem südwärts neben ihr verlaufenden Polje von Mu. Von dem in ihrer östlichen Verlängerung gelegenen Suvajatale wird sie durch eine flache Bodenwelle getrennt. Auch in geologischer Beziehung gliedert sich das Vrbatal in mehrere verschiedene Abschnitte. Im Bereiche seines unteren Teiles tauchen die triadischen Schichten der dem Südwestfuße der Svilaja Jahrbuch d. k.Kk. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 2. Heft. (F. v. Kerner.) 23 170 Dr. Fritz v. Kerner. [26] folgenden großen Aufbruchsspalte unter. Während die Vorkommen von Rauhwacke schon an der Mündung des Vrbatales enden, lassen sich triadische Riffkalke auf der Westseite des Tales noch bis zur Kuppe Mackolor verfolgen. Der mittlere Abschnitt des Vrbatales ent- spricht jenem Teilstücke der Spalte, in welchem diese nur morpho- logisch angezeigt, tektonisch aber geschlossen ist, insofern dort — wie dies auch im mittleren Teile des Spaltentales der oberen Cetina der Fall ist — keine tieferen als kretazische Schichten bloß- liegen. Der Oberlauf der Vrba ist dann wieder in ältere Schichten eingeschnitten, und zwar die Talenge bis Bakovic in jurassische Kalke, das oberste Stück des Vrbabaches in die Grenzschichten zwischen der mittleren und unteren Trias. Das Vrbatal ist gleich der Mehrzahl der innerdalmatischen Spaltentäler ein Gebiet, in das die Binnenseen der Neogenzeit ein- gedrungen waren. Im unteren Talabschnitte und in der unteren Hälfte der mittleren Talstrecke sind jungtertiäre Schichten beiderseits des Bachbettes in großer Ausdehnung vorhanden, streckenweise weit an den Talflanken hinanreichend. Weiter talaufwärts haben sich aber nur geringe Reste solcher Schichten am West- und Ostrande der Ram- ljaner Hügelmasse erhalten. Die Quellen des Vrbatales sind so teils an das Auftreten von Neogenschichten, teils an das Erscheinen von triadischen Schichten geknüpft. In der zu einer kleinen Ebene aus- geweiteten Talstrecke sind wohl auch die Bedingungen für das Vor- kommen von Wiesenquellen im alluvialen Schwemmlande gegeben. Karstquellen treten in der durch zerklüftetes Kalkgebirge tretenden Enge des Vrbatales nicht auf. Der Unterlauf und die Nordhälfte des Mittellaufes der Vrba fallen noch außerhalb des Blattes Sinj-Spalato; ersterer in die Süd- ostecke des Blattes Kistanje-Dernis, letztere in die Südwestecke des Blattes Gubin — Verlicca. Um die Darstellung nicht zu zerreißen, mögen aber auch die dort vorhandenen Quellen erwähnt sein. Es kann dies aber in aller Kürze geschehen, da diese Quellen weder durch Wasserreichtum, noch durch ihre geologische Bauart sehr bemerkenswert erscheinen. Die Mehrzahl derselben ist auf der linken Talseite gelegen. Gleich unterhalb des St. Eliaskirchleins wird von der Straße von Dernis nach Sinj das Abwasser einer Quelle überquert, welche noch im Bereiche der obereocänen Mergel- schiefer, denen das bekannte Kohlenflöz von Kljake eingeschaltet ist, an den Tag tritt. Die anderen Quellen entspringen im Gebiete der neogenen Schichten. Ein kleines Wässerchen entquillt dem Mundloche des teilweise verschütteten Schurfstollens, welcher in die von Lignitbäudern durchzogenen, steil gegen das Vrbatal ver- flächenden Kalkmergel vorgetrieben ist, die in jenem Einrisse auf- geschlossen sind, der einige hundert Meter südostwärts vom vorgenannten Kirchlein oberhalb der Straße liegt. Die dort entblößten Schichten sind weißliche, zerblätternde kalkreiche Mergel, welche Fossarulus tricarinatus führen und ungefähr den Kohlenbänderschichten von Lucane entsprechen (Zone III der Neogenentwicklung westlich von Sinj). Zwei kleine, auch auf der Spezialkarte eingetragene Quellchen entspringen unterhalb des Sattels zwischen der Klinteva glavica und [27] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 171 dem Ma£kolor; das eine nordwärts von Pernjak in einer mit Gebüsch bewachsenen Gehängenische westlich von der Straße, das andere südostwärts von jenem Dorfe, dort, wo ein von demselben herab- kommender Pfad die Straße trifft, am Abhange gleich unterhalb der Straßenböschung. Diese Quellchen treten aus dem die neogenen Schichten überdeckenden Schutte aus. In der Umgebung der ersteren Stelle sind unregelmäßig zerklüftete sandige Mergelkalke mit Cerato- phyllum sinjanum aufgeschlossen. In den Einrissen am Hange unterhalb der Straße sieht man bläulichgraue Lehme und Tone mit Lagen von Sphärolimonit entblößt. Sie enthalten neben verdrückten Melanopsiden auch das eben genannte Leitfossil der tieferen Horizonte des Sinjaner Neogens. Eine hübsche klare Quelle findet sich dann noch auf der rechten Talseite in dem großen Einrisse ober Jelic, welcher die höheren Schichten des Neogens bloßlegt. Es sind dies muschlig brechende graue und blaßgelbliche Kalkmergel mit Kongerien und klüftige gelbliche Süßwasserkalke mit Fossarulus Stachei. (Ungefähr den Zonen V—VII des Neogens von Ludane entsprechend.) In dem oberhalb der Barre von Jeliö folgenden Stücke des Vrbatales verzeichnet die Spezialkarte zwei schwache Quellen am Fuße der südwestlichen Tallehne. Sie treten aus dem die neogenen Schichten überdeckenden Schutte aus. Das unterhalb der Straßenschenke gegenüber den Crivacke staje dicht an der Straße liegende Quellchen ist in roher Ummauerung gefaßt. Im übrigen trifft man hier in den sehr wenig durchlässigen Neogenablagerungen nur Runste für oberflächliche Entwässerung. Von den Rändern der kleinen Talebene von Quartiri laufen der Vrba mehrere Rinnsale zu. Eines derselben hat am Fuße des aus tieferem Kreidekalk bestehenden Hanges nördlich von Quartiri seinen Aus- gangspunkt; ein zweites kommt südostwärts von jener Hüttengruppe aus dem Dolomit der Unterkreide. Ein drittes nimmt gegenüber jenen Hütten am Westrande der Ebene, wo Kalke und Dolomite der Ober- kreide anstehen, seinen Ursprung. Außer der Verstärkung, welche die Vrba durch Zuflüsse von den eben genannten Orten her er- hält, empfängt sie bei ihrem Laufe durch die kleine Ebene wohl auch noch Zuströmungen von Grundwasser aus den Alluvien der- selben. Die Talmulde von Bakovic ist der Ursprungsort von mehreren Quellen. Eine derselben entspringt gegenüber vom Wirtshause, eine zweite östlich von der vorigen neben der Straße nach Ogorje. Ihr Abwasser versiegt in einem Rinnsale, welches kurz vor der Brücke über die Vrba in dieses Bächlein mündet. Etwas weiter südwärts liegt die Quelle Stuba. Diese Quelle ist gleich wie die vorige als Grundwasserquelle in der Schuttausfüllung der Talmulde zu betrachten, wogegen bei der Quelle Marcinkovac auch Stauwirkungen der benach- barten Werfener Schiefer eine Rolle spielen dürften. Letztere Quelle liegt gleich neben dem flachen Sattel, welcher vom Polje von Ram- Jjane in das Vrbatal hinüberführt. Vor der etwa 1 km taleinwärts von hier gelegenen Stelle, wo die Vrba durch eine Felsmasse von triadischem Riffkalk bricht, sind drei Quellen zu sehen, Eine tritt am Fuße des Nordhanges aus Schutt aus und ist noch im Frühsommer ziemlich reich. Eine zweite entspringt 23* 172 Dr. Fritz v. Kerner. [28] südwärts von dem Hügel, welcher durch die linkerseits vom Durch- bruche der Vrba stehende Riffkalkmasse aufgebaut wird, am Nordost- fuße des hohen Felskammes der Gradina. Auch sie ist unter mittleren Verhältnissen ziemlich reich. Das Wasser quillt hier aus einer von Felstrümmern umgebenen Vertiefung im Erdreiche und fließt durch ein binsenbesäumtes Rinnsal in den nahen Bach. Die Felsunterlage des Schuttes wird hier durch von Werfener Schiefer unterteufte Duvinaschichten gebildet. Eine dritte, aber nur schwache Quelle geht in der Wiese nördlich von der Mühle auf, welche an der Mündung der kleinen Talenge steht. Im obersten Abschnitte des Vrbatales bedingt das Durchstreichen eines Zuges von Duvinaschichten zwischen den triadischen Dolomiten und Riffkalken der rechten Talseite und die linksseitige Flankierung der Talfurche durch obere Werfener Schichten das Auftreten schwacher Quellchen, welche im Vereine mit dem in der Talrinne selbst sich sammelnden Sickerwasser den Ursprung der Vrba bilden. Von den rechterseits gelegenen Quellchen kommen einige aus dem schmalen Streifen steil gestellter Schiefertone, welcher die gegen N einfallenden Hornsteinkalke unterteuft. Hier handelt es sich teils um Wassersammlung in dem Schutte über den Schiefern, teils um Stauwirkung derselben auf das in die Hornsteinkalke eindringende Wasser. Ein schwaches Quellchen tritt aber schon an der Oberkante dieser Kalke aus, um dann quer durch die Zone derselben abzufließen. Hier scheint ein kalkfreies, tuffartiges Gestein, welches sich hier wie im mittleren Suvajatale stellenweise den obersten Partien der Duvina- schichten eingeschaltet zeigt, auf die in den benachbarten Dolomit einsickernden Wässer eine stauende Wirkung auszuüben. Die Vrba zeigt, wie alle fließenden Gewässer unseres Gebietes, eine große Jahresschwankung ihrer Wassermenge und kann in längeren Trockenperioden ganz versiegen. Unter mittleren Verhäitnissen ist sie bis zum Eintritte in das Prikopolje nur ein kleiner Bach; erst hier wird sie durch Zuflüsse von Grundwasser soweit verstärkt, daß man sie je nach der wechselnden Tiefe ihres Bettes nur auf Stegen oder auf — gleich winzigen Brückenpfeilern — in ihr Bett gesetzten Quadersteinen trocken überschreiten kann. Aehnlich verhält es sich mit ihr auch noch in ihrem Unterlaufe. Sie sticht so scharf von der Cikola ab, welche — ausgenommen die regenarmen Monate — gleich in der Stärke eines kleinen Flusses aus dem Gebirge quillt. Es zeigt sich hier der große Unterschied, welcher zwischen den aus Schicht- und Schuttquellen entstehenden Bächlein und den großen Karstquell- bächen besteht. Bei der Bedeutung, welche die hydrographischen Verhältnisse für die Gesamtbeurteilung eines Talzuges haben, begründet es der eben genannte.Unterschied, daß man das Vrbatal vom oberen Cikola- tale scharf trennt, obschon es dessen unmittelbare orographische und tektonische Fortsetzung ist. In einem unverkarsteten Gebiete würde es unter sonst ähnlichen Umständen ungewöhnlich sein, von zwei verschiedenen Tälern zu sprechen. [29] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 173 Die Quellen im Polje von Ramljane und im Polje von Mut. Das kleine Polje von Ramljane ist zwischen den Höhenzug; des Mose und die allseits frei aufragende Hügelmasse, auf welcher die Hütten von Ranljane stehen, eingesenkt, Diese Hügelmasse bildet eine hohe und breite Scheide gegen den engen Teil des Vrbatales unterhalb des Felsspornes von Sajmuste. Die beiden Endpunkte des Poljes neben dem West- und Ostrande der Hügelmasse sind aber nur durch schmale niedrige Barren vom Vrbatale getrennt, Die nordwestliche Poljenecke scheidet ein verkarsteter Geländestreifen vom breiten Talboden bei Quartiri, das Ostende des Poljes wird durch die von der Straße nach Dernis überquerte Bodenwelle vom kleinen Talbecken von Bakovid getrennt. In geognostischer Beziehung ist das kleine Polje von Ramljane die westliche Fortsetzung des Poljes von Muc und stellt so ein zweites Beispiel für jene Art von Ueberschiebungspoljen dar, bei welchen die vom oberen Ueberschiebungsflügel aufgebaute nördliche Poljenwand aus Schiefern, die vom unteren Flügel der Ueberschiebung gebildete Bodenfläche und Südwand des Poljes aber aus klüftigem Kalk bestehen. Letzterer ist hier am südlichen Poljenrande ausschließlich Rudistenkalk, doch streicht die Eocänmulde des en Kragljevac sehr nahe an diesem Rande vorbei. Im mittleren Poljenteile zeigt sich Rudistenkalk auch auf der Nordseite der eluvialen Ausfüllung des Poljes gleichwie bei Muc kleine Partien von Nummulitenkalk und eocänen Breccien am Fuße des nordseitigen Gehänges liegen. Anderseits .erscheinen wie im öst- lichen Teile des Mucer Beckens auch bei Ramljane am nördlichen Poljenrande kleine Aufschlüsse von Rauhwacken an der Basis der steil aufgeschobenen Trias. An der nördlichen Poijenwand streichen untere und obere Werfener Schichten hin, jedoch in weit geringerer Mächtigkeit als bei Mu‘. Ueber ihnen folgen Oltarnik-Schichten und dann Triasdolomit, welcher die oberen Gehängeteile formt. Es sind so hier die Vorbedingungen für zwei Arten des Wasser- austrittes gegeben: für Quellen, welche das sich hinter der Ton- schieferbarre in den Kalkschiefern und Dolomiten stauende Wasser an den Tag bringen und für Sickerwässer, welche auf der Oberfläche der Tonschiefer unter dem dieselben deckenden Kalk- und Dolomit- schutte entstehen. Ein Vorkommnis der ersteren Art ist die schöne und reiche Quelle Vodica, welche den Bewohnern von Ramljane das Trinkwasser liefert. Von oberflächlichen Schuttquellen sind wohl die meisten der in den Einrissen am Südhange der Ramljaner Hügelmasse rieselnden Wässerchen abzuleiten. Das Polje von Mu& stellt eine in W—O-Richtung gestreckte, zwischen den Flußtälern der Cetina und Kerka liegende “Wanne ohne - oberflächlichen Abfluß dar. Im Norden ist es von einem Längstale begleitet, welches sich ostwärts ebensoweit wie das Polje erstreckt, und durch ein in die Westhälfte des Poljes mündendes Quertal mit demselben in Verbindung steht. Das Tal der in die Cetina fließenden Sutina liegt in der östlichen Verlängerung des Poljes von Mue. Das Tal des in die Cikola mündenden und so dem Flußgebiete. der Kerka 174 Dr. Fritz v. Kerner. [30] zugehörigen Vrbabaches liegt dagegen in der westlichen Fortsetzung des Längstales im Norden des Mucer Poljes und streicht so dem westlichen Teile desselben parallel. Die Wasserscheide gegen die Cetina verläuft somit quer, jene gegen die Kerka aber parallel zur Poljenachse. Das Mucer Polje folgt der großen steilen Ueberschiebung der Trias am Südfuße der Svilaja auf den aus steilen Kreidesätteln und engen Eocänmulden bestehenden Höhenzug des Mose‘. Die nördliche Wand des Poljes baut sich aus in dessen Längsrichtung streichenden Werfener Schichten auf und gliedert sich entsprechend der deutlichen Scheidung dieser Schichten in eine Unter- und Obergruppe in zwei auch hydrologisch scharf getrennte Zonen. Die unteren Werfener Schichten stellen als Tonschiefermasse mit eingelagerten Kalk- und Sandsteinbänken ein vorwiegend undurchlässiges und nur längs jener Zwischenlagen in spärlichem Maße Wasser führendes Gebirge dar. Sie können so nur schwache Gesteinsquellen erzeugen und auch nur unbedeutende Schuttquellen liefern, da ihr Verwitterungsprodukt ein für Wasser wenig aufnahmsfähiges Gemenge von Lehm mit Kalk- und Sandsteintrümmern ist. Die ob ihres Reichtumes an Cephalopoden bekannten oberen Werfener Schichten von Mu sind dagegen als eine von schmalen Lagen von Schieferton durchzogene, plattig-kalkige Schichtmasse zur Aufnahme größerer Wassermengen wohl geeignet und Schichtquellen führend. Schuttquellen können sich in ihnen aber trotz der Aufnahmsfähigkeit kalkigen Gebirgsschuttes für Wasser wegen der Beschaffenheit des Untergrundes nicht leicht bilden. Die unteren Werfener Schichten auf der Nordseite des Poljes von Muc sind steil an die den Boden dieser Wanne bildenden kreta- zischen und eocänen Kalke angepreßt. In der Berührungszone treten zahlreiche Verbiegungen und Knickungen der Schichten auf und der häufige Wechsel ungleich plastischer Gesteinslagen fördert die Zer- reißung solcher kleiner Falten. Es kann so selbst dort, wo sich mächtigere Sandsteinlagen den Tonschiefern einschalten, kaum zur Bildung größerer zusammenhängender Netze von Quelladern kommen. Die oberen Mucer Schichten stellen dagegen eine großenteils sehr regelmäßig, mittelsteil gegen den Berg zu fallende Schichtmasse dar. Die wiederholte Einschaltung von schmalen tonigen Zwischenlagen führt zur Aufspeicherung des Wassers in mehreren Stockwerken und — soweit jene Tonlagen durch Auskeilung oder kleine Verwürfe Unterbrechungen erleiden — mag es auch zur Vereinigung von in _ benachbarten Etagen sich sammelnden Wässern kommen. Das von den Werfener Schichten aufgebaute Talgehänge, welches sich nordwärts vom Polje von Mu emporzieht und die Südflanke der südlichsten Vorkette der Svilaja bildet, weist eine reiche Gliederung auf. In seinen aus den Kalkschiefern bestehenden höheren Teilen entwickeln sich zahlreiche Gräben, aus deren Vereinigung kleine Talschluchten hervorgehen, die die Zone der Tonschiefer quer durch- brechen und in dieser letzteren nehmen auch noch kleine Gehänge- nischen ihren Ursprung. Unter den schon in den Ceratitenschichten zur Entwicklung kommenden reichverzweigten Gräben sind jene des Radacabaches, des Zmievacbaches und des Baches von Kilic die [31] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 175 bedeutendsten. In ihrem Östabschnitte geht die MuGer Ueberschiebung in eine Aufbruchsfalte über. Es treten dort an der Grenze der unteren Werfener Schiefer gegen das überschobene Tertiär wieder obere Werfener Schiefer auf und die Zone der ersteren erfährt eine bedeu- tende Verbreiterung. Während sie in der Mucer Gegend nur den Fußteil des nördlichen Talgehänges bildet, weitet sie sich ober Neori« zu einem von dem ar röigten Talsystem der Milina durchschnittenen Gelände aus. Westwärts vom Durchbruche des Suvajabaches trifft man im Bereich der unteren Werfener Schiefer eine Quelle in dem Graben zwischen Postinje gornje und dem Hügel Leskovac. Ihr Wasser fließt durch ein Geröllbett dem soeben erwähnten Bache zu. Im Durch- bruchstale dieses letzteren ist dort, wo es die Grenzzone der oberen und unteren Schiefer quert, ein Quellchen zu bemerken. Ziemlich reich an Quellen ist dann der Radacagraben, welcher, ehe er die unteren steil gestellten Schiefer schluchtartig durchbricht, eine längere Strecke nahe der Grenze zwischen den unteren und oberen Werfener Schichten hinstreicht. Am Wege von Mu@ nach Topiö trifft man dort, wo er den eben genannten Graben quert, zwei roh ummauerte Quellchen, die in einer Störungszone mit örtlich wechselndem Schicht- fallen liegen. Am östlich folgenden Pfade entspringt gleich neben dem Bache eine ebenfalls primitiv gefaßte Quelle aus steil gegen N ein- fallendem Schieferkalk, dem eine Tonschieferschichte vorliegt, ganz nahe oberhalb der Stelle, wo das Bachrinnsal zum erstenmal (in der Richtung talab) von den unteren Werfener Schichten tangiert wird. Das obere der zwei erstgenannten Quellchen zeigte bei einer Messung im April 778, im Juni 1480; das untere 11°30 u. 13°00°, die Quelle am Bache 10:30 und 11°45°. Die letzteren zwei Quellen konnten so als Stauquellen erkannt werden, die erstere ergab sich als eine ober- flächliche Schuttquelle zu erkennen. Höher oben treten nahe dem Ende und im Innern eines links- seitigen Zweiges des Radacagrabens kleine Ueberfallquellen aus den oberen Werfener Schichten aus. Den Ursprung des Radacabaches bildet eine Quelle, welche mittels einer vor ungefähr zehn Jahren gebauten Leitung zur Trinkwasserversorgung von Muc dolnje heran- gezogen wurde. Sie ist in der Frühlings- und Herbstregenzeit stark, im Sommer aber kaum imstande, den ganzen Wasserbedarf des Dorfes zu befriedigen. Diese Quelle entspringt schon nahe der Grenze der oberen Werfener Schiefer gegen die Oltarnik-Schichten und es mag sich so ihr Wurzelgeflecht wohl noch in.den Bereich dieser letzteren erstrecken. 'An dem aus unteren Werfenier Schiefern aufgebauten Südhange des Rückens, welcher den Radacagraben vom Mucko polje trennt, entwickeln sich spärliche Sickerwässer; ein unter einer Mauer aus- tretendes Quellchen, das den Wasserfaden in der Gehängenische westlich. von der Muter Kirche speist, weist durch seine Temperatur auf einen tieferen Ursprung hin. Im Graben östlich vom Radacabache trifft man eine hübsche Quelle, deren Wasser in einen Holztrog geleitet ist. (Temp: um Ende Juni :12:82°.) Das in der Spezialkarte vermerkte Quellzeichen. bei Orlovi@ ‘bezieht sich auf.ein kleines, roh 176 Dr. Fritz v. Kerner, [32] ausgemauertes, wassererfülltes Becken am Fuße einer steilen Böschung, die durch die Schichtköpfe einer mittelsteil gegen N einschießenden Kalksteinbank gebildet wird. Die zwischen den Kuppen Oltarnik und Visovac gelegene Gehänge- strecke, woselbst die oberen Werfener Schiefer ihre größte Mächtig- keit erlangen, ist das Entwicklungsgebiet mehrerer kleiner Ueberfall- quellen. Sie entspringen in verschiedenen Höhenlagen der hier weithin sehr gleichmäßig bergwärts fallenden Schichtmasse. Aus der Vereinigung ihrer über zahlreiche Schichtkopfstufen in kleinen Kaskaden zur Tiefe eilenden Abwässer gehen der Zmijevac potok und der Mühlen treibende Bach bei Kili€ hervor. Zwischen beiden Bächen tritt schon nahe der Basis der oberen Werfener Schiefer die Cesmaquelle aus mittelsteil gegen N einfallenden dünnplattigen Kalkschiefern aus. Das Talsystem der Milina im östlich verbreiterten ‘Abschnitte des Aufbruches der Untertrias ist gleichfalls ziemlich wasserreich. In den Felseinschnitt, in welchem der Torrente Milina die aus eocänen Breccien gebildete Barre zwischen seinem eigenen Talboden und dem Mu 1'0 kamen dagegen nur in 3% der Fälle vor. Die 72 gleichsinnigen Abweichungen waren in folgender Weise auf die verschiedenen Monate verteilt: J A. |M.|J 3,1, ER SE -] | | 2a ZEIEZE s|5 6 | | Die größere Häufigkeit der Uebereinstimmung in den extremen Jahreszeiten könnte dahin gedeutet werden, daß die in denselben sich öfter einstellenden Ursachen größerer thermischer Anomalien: lang- dauernde Ausstrahlung und Besonnung, auch die Wassertemperaturen entsprechend stark beeinflussen, während die in den Uebergangsjahres- zeiten als Ursachen größerer Abweichungen der Luftwärme mehr in Betracht kommenden Winde auf die Flußtemperaturen eine geringere Wirkung ausüben. Allerdings sollte dann gerade im mittleren Winter- monate die Uebereinstimmung eine große sein. Die beobachteten Flußtemperaturen lassen sich betreffs ihrer Abweichungen vom Mittel nicht genau vergleichen, da bei manchen Witterungstypen für verschiedene Tagesstunden eine Tendenz zu Abweichungen nach verschiedener Richtung hin besteht. Beim durch- schnittlichen täglichen Bewölkungsgange der wärmeren Jahreshälfte neigen allerdings sowohl die Morgen- als auch die Mittags- und Nach- mittagstemperaturen des Flußwassers — erstere wegen unbehinderter Ausstrahlung, letztere wegen verminderter Besonnung — zu einer Depression unter das Gesamtmittel. Die Zahl der Monate, in welchen innerhalb acht Jahren zu Han und Trilj die Flußtemperaturen im selben Sinne abwichen, war 71, die Zahl der Fälle, in welchen die. [1 19] Quellengeologie von Mitteldalmatiien. 263 ad Abweichungen der Monatsmittel an beiden Orten kleiner oder größer als 1'0 waren, betrug 36. Die jährliche Verteilung der gleichsinnigen Abweichungen war eine ziemlich gleichmäßige, wie sich aus folgendem ergibt: | | Guy a | 6 | 6 BR Ueber die tägliche Temperaturschwankung der Cetina bei Trilj habe ich zwei Messungsreihen gewonnen. Leider waren die mir hierfür zur Verfügung gestandenen Tage, die beiden Pfingstfeiertage des Frühlings 1905, in welchem ich mich zwecks der geologischen Detailaufnahme der südlichen Umrandung des Sinjsko polje in Trilj aufhielt, ziemlich trüb, so daß sehr abgeflachte Temperaturwellen zur Beobachtung gelangten. In erster Linie ist es aber bei der Tages- schwankung der Flußwasserwärme von Interesse, ihr Höchstmaß bei ganz unbehinderter Besonnung zu ermitteln; erst bei Gelegenheit zu längerer Fortsetzung der Messungen wird man auch das Minimum der Amplituden und den Durchschnittswert derselben festzustellen suchen. Die abgelesenen Thermometerstände waren: N ea | an] so. 6 | [er 11. Juni 1905 12. Juni 1905 4h 30am 1266 4h am 12:38 | 5h 30am 12:62 6h sm 12°36 6h 30am 12:62 8h am 1242 7h 30am 1256 10b am 12:88 8h 30am 12:58 12 h am 13:60 10h 30 am 12:80 %h pm 14'06 12h 30 pm 13°10 4h pm 14:58 33h 30pm 13:38 6h pm 14'62 3h 30pm 13:50 sh pm 14'28 4h 30 pm 13:60 10h pm 13:80 5h 30pm 13°66 — — 6h 30 pm 13-60 _ —_ 8h 30pm 13°40 —_ — Die Amplitude betrug am ersten Messungstage, an welchem es nachmittags sogar zum Regnen kam, nur 1'10°%, am zweiten nur 226°, Es ist nicht zu zweifeln, daß bei ungestörter Insolation im Monate des höchsten Sonnenstandes die Tagesschwankungen der Flußwasser- wärme 4° übersteigen. Auch in den Wintermonaten mögen sie bei unbehinderter nächtlicher Ausstrahlung nicht unbedeutend sein. Be- merkenswert erscheint es, daß, während sich das Morgenminimum gegen das der Luftwärme nur wenig verspätet zeigte, das Maximum erst in den ersten Abendstunden eintrat, so daß die um Mittag erreichte Temperatur erst spät abends wieder unterschritten wurde. Bei 264 Dr. Fritz v Kerner. [120] größeren Alpenbächen habe ich bei klarem Wetter als durchschnittliche Eintrittszeit des Scheitels der täglichen Wärmekurve 4 Uhr bis 1,5 Uhr nachmittags gefunden. Die hier angeführten Messungen ermöglichten es natürlich noch in keiner Weise, die fortlaufenden, täglich einmaligen Beobachtungen der Flußtemperatur auf eine und dieselbe Tagesstunde zu reduzieren. Ueber die tägliche Temperaturbewegung im Jadro habe ich am 23. Juni 1905 eine Untersuchung angestellt. Es wurden an vier Stellen des Flußlaufes die Wassertemperaturen vom Morgen bis zum Abend zweistündlich abgelesen und so eine thermoplethische Darstellung gewonnen, welche einerseits die örtliche Aenderung des täglichen Wärmeganges, anderseits den täglichen Gang der örtlichen Tem- peraturänderung zu erkennen gestattete. Die Insolation kam selbigen Tages gänzlich ungestört zur Geltung; die beobachteten Werte bezeichnen so im Hinblick auf den Zeitpunkt der Messungen das Höchstmaß von Insolationswirkung auf das Flußwasser. Die vier zur Messung ausgewählten Stellen waren die Brücke zwischen den oberen und unteren Jadromühlen (II), die kleine Brücke beim Cafe Diokletian in Salona (III), die Brücke der Straße nach Spalato (IV) und die Eisenbahnbrücke, welche den Jadro gerade an dessen Mündung über- quert (V). Dazu kam noch der Flußursprung (I), dessen Temperatur als nahezu konstant betrachtet werden durfte und nur einmal des Morgens gemessen wurde (11'08°). Die durch graphische Interpolation aus den übrigen Messungen erhaltenen, auf gleiche Zeiten reduzierten Thermometerstände waren: | |5am| 7 ol ulımla|s|r E} "Aoe- An: Be: I 2.222200 22 13:00 [13-28 | 13-72 |14-14 |14-36 | 14:28 | 13-94 | 13:50 I ©. 11300 | 13-32 | 14-14 |15:08 | 15:57 | 15:54 |14-90 | 14:08 | I 13-02 |13°32 | 14:14 | 1520 |15'88 | 16:00::| 1540 | 14'32 V 16:53 | 1684 | 16:34 | 15-16 ‚2.111340 | 13-48 | 14-26 | 15:40 | | Für die Wärmemaxima ergibt die Extrapolation nachstehende Temperaturwerte und Termine: II N... 146: 3BFt ER 40m II... 1564 Ih 55pm IV 00.2 1603028 26m V .222.016'84- 2b. 50m Es zeigte sich demnach eine örtliche Aenderung der täglichen Temperaturbewegung in der Weise, daß flußabwärts das Wärme- maximum rasch zunahm und dessen Eintrittszeit sich sukzessive mehr verspätete. Während die Zunahme eine ziemlich gleichmäßige war, erfolgte die Verspätung über die einzelnen Teilstrecken des Flußlaufes ungleichmäßig. Für die Minima ließ sich keine graphische Ergänzung durch- führen, da die Nachtstücke der Wärmekurven fehlen. Entsprechend [121] Qnellengeologie von Mitteldalmatien. 265 der flußabwärts sich vollziehenden starken Zunahme der täglichen Wärmeschwankung zeigte die örtliche Aenderung der Flußtemperatur eine sehr ausgesprochene tägliche Periode. Die Temperaturzunahme vom Ursprunge bis zur Mündung des Jadro betrug: 5 am | 7 | NER ER. | Ipm | 38 5 7 u 1:18 | 2:32 | 346 —_ v0 0:40 Die flußabwärts stattfindende Temperaturzunahme zeigte eine örtliche Aenderung, welche einer täglichen Periode unterliegt. Vor- mittags war die Zunahme im Oberlaufe, am späteren Nachmittage und abends im Unterlaufe rascher. Den Uebergang zwischen diesen einander entgegengesetzten Bewegungsformen vermittelte ein Stadium ziemlich gleichmäßiger Zunahme zu Beginn des Nachmittags. Diese tägliche Periode resultierte aus der früher erwähnten Verspätung im Eintritte des Maximums. Ueber die tägliche Periode der Temperaturschichtung an der Mündung des Jadro wurde von mir im Jahre 1906 eine Untersuchung vorgenommen. Es fanden während eines Tages von 4* bis 8’ stündliche Ablesungen der Wassertemperatur an der Oberfläche und in vier verschiedenen Tiefen der Flußmündung statt, und zwar in Y/,, 1 und 2 m Tiefe und am Grunde, welcher unter der Eisenbahnbrücke in 37 m Tiefe gelotet wurde. Wie im vorigen Falle sollte wieder das Höchstmaß der Insolationswirkung zur Zeit des höchsten Sonnenstandes festgestellt werden. Leider blieb diesmal der zur Vornahme der Messungen gewählte Tag, der 25. Juni, nicht klar, es kam wiederholt zu einer Verschleierung der Sonne, doch dürfte das Resultat hierdurch nicht stark beeinflußt worden sein. Die durch Ausgleichung nach der Formel b = (a--25 —-c):4 für die geraden Tagesstunden erhaltenen Wassertemperaturen waren: 4 6 8 om) 6 | 8 | w |hew|am Oberfläche . (148) | 150 | 157 | 163 | 169 | 178 | 17°6 | 166 | (157) 1/, Meter. . (151) 152 | ı58 | 165 | 171 | 178 | 177 | 169 | (16°0) 1 Meter . .||(231) | 229 | 227 | 228 | 231 | 225 | 24:6 | 254 | (25°6) 2 Meter . . |(22:2) | 224 | 223 | 22:3 | 224 | 223 | 242 | 255 | (25°6) Grund. ....1(21.8) | 2178 | 21:7 | 21.6 1.220 | 224) 297°) 229 (25°) Das Süßwasser des Jadro, die zunächst darunterliegende Brack- wasserschicht und das Wasser am Grunde zeigten einen ganz Ver- schiedenen täglichen Wärmegang. An der Oberfläche begann die Temperatur bald nach Sonnenaufgang anzusteigen und erreichte um 3 pm ihren höchsten Wert. (17'9°%) Der Temperaturgang in -!/, m Tiefe stimmte mit jenem an der Oberfläche völlig überein. Im scharfen Gegensatz hierzu blieb in 1m Tiefe die Temperatur$vom Morgen bis Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916,766. Band, 2. Heft. (F. v. Kerner.) 35 966 Dr. Fritz v. Kerner. [122] 3 pm ungefähr auf gleicher Höhe, um dann am späten Nachmittag rasch emporzusteigen und während des Abends in der nun gewonnenen Höhe zu verharren. Der Temperaturgang in 2 m Tiefe verhielt sich jenem in 1 m Tiefe ähnlich. Die Wassertemperatur am Grunde ließ ein sehr schwaches Sinken bis 10° und dann ein langsames Ansteigen bis in die späten Abendstunden hinein erkennen. Der Wärmegang am Grunde erscheint wie eine in den Phasen sehr verspätete und in der Amplitude sehr abgeschwächte Wiederholung des Wärmeganges an der Oberfläche. Die oberflächlichen Wasser- schichten im Salonitaner Golfe mögen eine nicht ganz unbedeutende tägliche Temperaturschwankung bei starker Phasenverspätung zeigen und ihr Auftreten in der Jadromündung dürfte auf eine durch die Jadroströmung bedingte Gegenströmung unter derselben zurückzuführen sein. In der oberen Schicht des Brackwassers scheint ein Temperatur- anstieg durch das Fehlen einer solchen Strömung zunächst hintange- halten und dann infolge einsetzender Flutbewegung nachgeholt zu werden. Die Verschiedenheit der Wärmekurven des Jadrowassers, der oberen Brackwasserschicht und des Wassers am Grunde bedingte eine stark ausgeprägte tägliche Periode der vertikalen Temperaturänderung. Die auf Grund der ausgeglichenen Werte sich für die geraden Tagesstunden ergebenden Wärmedifferenzen sind: Eu 6 | 110 12m | 20m 4 u 8 | RZ. L k | | RE En i 9 75 | 6:55 76:0, 01247 70 | 88 | (99) 1 | 1 | HäRMetens ou "as 12 110,120, | 10n as es Der Wärmeunterschied zwischen dem Süßwasser des Jadro und dem darunterliegenden Brackwasser erreichte um 2’ sein Minimum. Die Temperaturdifferenz zwischen der oberen Brackwasserschicht und dem Wasser am Grunde blieb bis Mittags fast konstant und erreichte dann nach vorübergehendem Abfall bis fast auf Null um 5? ihren höchsten Wert. (2:7°.) Quellenergiebigkeiten und Quellentemperaturen. Uber die sekundliche Abflußmenge der großen Karstquellen unseres Gebietes liegen nur die schon erwähnten Angaben des hydro- graphischen Zentralbüros vor. Die Ergiebigkeit der kleineren Quellen scheint — obwohl sie sich bei den in Brunnstuben mit Auslaufrohren gefaßten leicht ermitteln ließe — noch nicht Messungsgegenstand gewesen zu sein. Über die Quellentemperaturen habe ich zahlreiche Beobach- tungen angestellt. Sie waren aber — wie schon eingangs gesagt wurde — nur dazu genügend, in verschiedenen Fällen die geologische Erkenntnis des Quellenphänomens zu fördern, aber völlig unzureichend, durch ihre Zusammenfassung ein Bild der von Seehöhe und Expo- sition abhängigen Verschiedenheiten des Jahresmittels und der Jahres- [123] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 267 schwankung der Quellenwärme zu liefern. Nur für das Gebiet der Prominaschichten im Bereich des Prolog konnte ich es versuchen, die Abnahme der mittleren Jahrestemperatur der Quellen für eine mittlere Exposition durch eine Gleichung darzustellen. Sie lautet: t—= 130 — 011 h — 0:03 Rh? und besagt, daß innerhalb des ihrer Ableitung zugrunde liegenden Höhenintervalles die Abnahme der Quellenwärme eine Beschleunigung erfährt, ein Verhalten, das dem vorhandenen Gebirgsrelief entspricht. Die durch Auflösung dieser Gleichung nach £ und h sich ergebenden Werte sind (h in Hektometern): h t t h ( 2:50) (12'55) 12:0 4:20 5:00 11:70 110 6:55 os, 1050 10:0 830 10:09 890 9:0 9:85 12:50 6:95 30 11:20 Die Wasserversorgung im Gebiete des Kartenblattes Sinj—Spalato. Es sollen hier anhangsweise zunächst die jetzigen, zum Teil unzureichenden Verhältnisse der Wasserversorgung besprochen und dann die für ihre Besserung sich darbietenden Möglichkeiten kurz erörtert werden. Das Trinkwasser für Spalato wird von der Jadro- quelle geliefert. Die schon vor langer Zeit erbaute Leitung folgt zunächst der Südflanke des Jadrotales, um dann die Bodenwellen der Halbinsel von Spalato in schiefer Richtung zu durchqueren. Die Anlage hat bei sonst durchaus befriedigender Erfüllung ihres Zweckes den Nachteil, daß sie nach starken Regengüssen getrübtes Wasser liefert. Es kommt dies daher, daß die Wege, welche das an den ver- karsteten und kahlen Hängen oberhalb der Jadroquelle einsinkende Regenwasser bis zu seinem Wiederaustritte zurücklegt, zu kurz sind, als daß sich auf ihnen eine Klärung durch Absatz der mitgerissenen Erdpartikelchen vollziehen könnte. Keinesfalls steht diese Trübung mit einer eventuellen unterirdischen Verbindung des Jadro mit der Cetina im Zusammenhange. Anläßlich von Erwägungen, ob dem besagten Uebelstande durch eine mechanische Klärungsanlage abgeholfen werden könnte, ist aber trotzdem auch die Frage aufgeworfen worden, ob das Jadrowasser vielleicht einer Durchleitung durch ein Bakterienfilter bedürftig sei. Wie diese Angelegenheit vom geologischen Standpunkte aus zu beurteilen ist, wurde schon an früherer Stelle, bei Gelegenheit der . Beschreibung ‚der Jadroquelle auseinandergesetzt, und es wurden dort auch die Mittel angegeben, welche zu einer Entscheidung der Frage, ob dem Jadro Cetinawasser beigemischt sei, führen könnten. 35* 968 Dr, Fritz v. Kerner, [124] Von nicht geologischen Gesichtspunkten, welche bei der angeregten Frage in Betracht kommen, sei hier hervorgehoben, daß das Wasser der Jadroquelle seit Bestand der jetzigen Leitung von Einheimischen und Fremden in Spalato ohne irgendwelchen Schaden für ihre Gesund- heit getrunken wurde und noch wird und daß das Cetinawasser in sesundheitlicher Hinsicht eine wesentlich günstigere Beurteilung zu- läßt als Flußwasser im allgemeinen. Die einzigen beiden im oberen Cetinatale gelegenen Ortschaften, Verlicca und Sin) liegen weit von der Cetina abseits und sind durch ziemlich undurchlässige, rein lehmige oder mit Lehm vermischte Alluvien von ihr getrennt, so daß die Abwässer dieser Orte, ehe sie schließlich ihren seitlichen Eintritt in das Bett der Cetina vollziehen mögen, jedenfalls einer völligen Rei- nigung unterliegen. So droht dem Cetinawasser auf der über sieben deutsche Meilen langen Strecke oberhalb jener Stelle, wo es zu kleinem Teile zum Jadro abschwenken könnte, nur von wenigen Weilern und Einzelgehöften und von einigen Mühlen her eine Ver- unreinigung. Anderseits erfolgt die Verstärkung der Wassermenge des Quellteiches der Cetina größtenteils wieder durch nahe dem Flusse entspringende Quellen und nur zum geringen Teil durch Seitenflüsse. Besonders nach dem bald nacheinander stattfindenden Einflusse zahlreicher mächtiger Karstquellen zwischen Ribarit und Panj muB das Flußwasser der Cetina seiner Qualität nach wieder einem Quellwasser ähnlich sein. Die Selbstreinigung mag sich so bei der Cetina weit durchgreifender und gründlicher vollziehen als durch- schnittlich bei einem Fluße in bewohnten Gegenden, ‘da in ihr von vornherein nur sehr wenig zu reinigen ist. Wenn bei Trilj ein Konzentrations- oder Gefangenenlager errichtet würde und in dem- selben eine Cholera- oder Abdominaltyphusepidemie ausbräche, wäre es aber der Vorsicht wegen jedenfalls geboten, das Wasser der Jadroquelle in bezug auf seine Keimführung sogleich zu untersuchen. Zur Versorgung von Sinj mit Trinkwasser ist in jüngster Zeit die Quelle des Kozinac bei Han herangezogen worden, nachdem die Quellen der Umgebung des Ortes den steigenden Bedarf nicht mehr zu decken vermochten. Es handelt sich hier um eine Röhrenleitung, die nach Querung der Cetina dem Östrücken des Susnevac folgt und dann von NO her den Ort erreicht. Eine kleine Wasserleitung wurde vor einer Reihe von Jahren für Mu@ hergestellt. Sie führt diesem Orte das Wasser jener reichen Ueberfallquelle zu, welche nahe der oberen Grenze der oberen Werfener Schichten im Graben westlich vom Oltarnik entspringt. Mit den genannten drei Anlagen ist die Zahl der im Gebiete des Kartenblattes Sinj-Spalato für Ortschaften erbauten Trinkwasserleitungen erschöpft. Zur Wasserversorgung der Dörfer im Cetinagebiete und in der Küstenzone dienen vorzugsweise Fassungen nahe gelegener Quellen in wohlummauerten Brunnstuben mit steinernen Auslaufrinnen oder metallenen Auslaufröhren. In dieser Art sind beispielsweise die Bukvaquelle, die Quellen bei Poljak, die Quelle von Caporice sowie mehrere Quellen in der Gegend von Clissa, Mravince und Zernovnica gefaßt. Im Sommer, wenn der Bedarf groß, die Wassermenge aber [125] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 269 gering ist, sind diese Dorfbrunnen oft von Wasserholenden umlagert und es entwickelt sich dann dort manch’ hübsche malerische Brunnen- szene. Obwohl der öfter durch Tragtiere, manchmal jedoch auch durch Personen besorgte Wassertransport in hölzernen Eimern bei etwas größerer Entfernung eines Hauses vom Dorfbrunnen viele Mühe macht, wird man hier doch noch von für dalmatinische Verhältnisse entsprechenden Wasserversorgungsanlagen reden können, da ja der in den Alpenländern oft vorhandene Idealzustand, daß in zerstreuten Siedlungen jeder Bauernhof seinen eigenen fließenden Hausbrunnen hat und auch in eng geschlossenen Dörfern auf höchstens je einige benachbarte Häuser je ein nahe gelegener Brunnen entfällt, in den Mittelmeerländern meistens nicht erreichbar ist. Was dagegen den Wasserbezug aus in ganz roh ummauerte offene Becken gefaßte Quellen anbelangt, so wird man diesen als einen unvollkommenen bezeichnen müssen. Wenn die Austrittsstellen des Quellwassers unmittelbar zugänglich sind, ist hier allerdings auch eine völlig einwandfreie Wasserentnahme möglich. Wenn aber, wie dies häufiger der Fall, das Wasser seitlich oder vom Grunde her in ein solches Quellbecken einsickert und am oberen Rande desselben überrieselt, kann man nicht mehr von einer einwandfreien Wasser- bezugsart sprechen. Allerdings liegt es im Interesse der auf eine solch’ primitive Brunnenanlage Angewiesenen, dieselbe möglichst klar zu halten und durch die stetige Wassererneuerung erscheint die Reinerhaltung ja einigermaßen gewährleistet; man trifft aber doch so manche derartige Anlage, die durch das Vorkommen von ‚Algen und allerlei Getier einen sehr unerfreulichen Eindruck macht. Solche primi- tive Quellenfassungen trifft man im Vrba- und Suvajatale und im Gebiete von Mu, dann auch im Osten des Sinjsko polje und im Vorlande des Mosor. In Gegenden, wo es infolge des Vorhandenseins durchlässiger Quartärgebilde zur Ansammlung von Grundwasser kommt, so im Bereich der Flußanschwemmungen und der Anhäufungen von Strand- geröll, gibt es auch Schachtbrunnen mit durch die jährliche Regen- periode bedingten mehr oder minder großen Schwankungen des Wasserspiegels. Die Brunnen an der Küste zeigen manchmal auch Spiegelschwankungen infolge des Wechsels ablandiger und das Meer- wasser gegen die Küste drängender Winde, vielleicht auch kleine Öszillationen infolge des Gezeitenwechsels, sowie auch Aenderungen in der Beschaffenheit des Wassers, indem es bei hohem Stande süß, bei tiefem Stande brackisch schmeckt. In ähnlicher Weise wie in den quellenführenden Gebieten steht auch in den quellenlosen‘ Karstregionen die Wasserversorgung auf sehr verschieden hoher, bzw. tiefer Stufe. Für einige Ortschaften sind Dorfzisternen mit umfangreicher®Auffangflächen und großem Fassungs- raume erbaut worden. Ziemlich zahlreich sind kleine Hauszisternen; die Pfarrhöfe, Gendarmerie- und Finanzwachposten, manche Wirts- und Privathäuser sind mit solchen ausgestattet. Wo in weitem Umkreise kein Quellwasser zu haben ist und auch die Wasserschätze der Tiefe unerreichbar scheinen, wird man die Wasserversorgung durch Zisternen als eine: ganz zweckentsprechende -bezeichnen können. . Auf Grund 270 Dr. Fritz v. Kerner. [126] vieler Erfahrungen kann ich von guter Qualität des Wassers in solchen Fällen, wo die Zisternen reinlich gehalten werden, berichten. Manchmal freilich deutet häufiges Vorkommen von Cyklops auf mangelnde Obhut hin. Des Genusses eines ausgezeichneten, mit dem Wasser von Gebirgsquellen wetteifernden Zisternenwassers erfreute ich mich während meines einwöchentlichen Aufenthaltes auf der hoch oben am Svilajakamme einsam stehenden Forsthütte. In den mehr abgelegenen Gegenden, so am Mose« und in der Zagorje, auf den Vorhöhen des Prolog und am Mosor trifft man primitive Zisternen, bei deren Anlage natürliche Felsschlote benützt wurden. Versperrbare Holzdeckel bieten auch hier eine gewisse Gewähr dafür, daß Verunreinigungen hintangehalten werden und auch bezüglich des aus solchen Zisternen geschöpften Wassers kann ich sagen, daß es von mir manchmal sehr gut befunden wurde. Naturgemäß ist der Fassungsraum solcher Wasserbehälter zuweilen ein geringer. Tiefen Eindruck machte es mir, als ich einmal auf der Radinje sah, wie schon im Juni eine Hirtin eine Schnur von ihrem Gewande löste, um das Seil des Schöpfkübels soweit zu verlängern, daß dieser bis zum Wasserspiegel der Zisterne hinabgelassen werden konnte. Wie schlimm mag es dort damals mit der Wasserversorgung gegen Ende der sommerlichen Trockenzeit bestellt gewesen sein! Manchmal wird das Trinkwasser nur aus Bunaren, roh ummauerten, runden offenen Schächten entnommen, und diese Art des Wasserbezuges muß als eine sehr unpassende bezeichnet werden. Wenn es sich auch hier nicht,ausschließlich um Ansammlungen von Regenwasser handelt und Zusickerungen aus dem Erdreiche der Umgebung stattfinden, so ist doch in diesen Schächten die Inhaltserneuerung äußerst ungleich- mäßig und das Wasser der Gefahr starker Verunreinigung ausgesetzt. Im Gegensatze zu den Quellbunaren mit ihrem klaren Wasser enthalten diese Wasserschächte trübes, den bescheidensten gesund- heitlichen Anforderungen nicht entsprechendes Wasser. Besonders bei abnehmender Füllung nimmt der Inhalt solcher Bunare eine Abscheu erregende Beschaffenheit an. Man sieht da manchmal nur eine rotgelbe Tunke über die Steine am Schachtgrunde ausgebreitet. Womöglich noch schlimmer ist es, wenn — wie man dies allerdings nur ausnahms- weise zu sehen bekommt — das Wasser aus Lokven, den durch lehmigen Untergrund sich haltenden Tümpeln, entnommen wird, da diese einer starken Verunreinigung durch das Weidevieh unmittelbar ausgesetzt sind. Manchmal wundert man sich, daß zu solchen höchst beklagenswerten Formen des Wasserbezuges auch gegriffen wird, wenn Quellwasser — allerdings nur in geringer Menge — in verhältnismäßig nicht zu großer Entfernung erreichbar wäre. Es weist dies auf eine betrübende Unterschätzung des gesundheitlichen Wertes guten Trink- wassers hin, der allerdings auch Fälle, in denen zur Erlangung solchen Wassers weite Wege nicht gescheut werden, gegenüberstehen. Die Verbesserungen, welche die jetzige Wasserversorgung im mittleren Dalmatien erfahren könnte, beträfen eine Vermehrung rein gehaltener Zisternen, eine erhöhte Ausnützung der im Gebiete vor- handenen Quellen, besonders der großen Karstquellen und die Auf- schließung von Wasseradern, insonderheit eine Hebung der großen Wasser- [127] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 971 vorräte der Tiefen. Die Anlage von Zisternen wird in einem Lande wie Dalmatien stets als eines der Mittel der Wasserversorgung in Betracht kommen. Die Möglichkeit, den Wasserbezugsort ganz beliebig zu wählen und stets bei entsprechender Voraussicht die erforderliche Wassermenge zu erhalten, endlich die genaue Vorausbestimmbarkeit der Kosten beinhalten gegenüber anderen Methoden des Wasserbezuges, bei denen entweder die Zuleitung des Wassers schwierig oder die zuleitbare Wassermenge bei Steigerung des Bedarfes unzureichend werden kann oder — sofern das benötigte Wasser erst aufgeschlossen werden soll — die Kosten nicht näher vorausbestimmt werden können, gewisse Vorteile, durch die die Nachteile der Wasserversorgung mit Zisternenwasser gegenüber jener mit Quell- oder Grundwasser mehr oder minder kompensiert werden können. Es ist in letzterer Zeit für die Anlage größerer Dorfzisternen manches geschehen und es ist auch die Zahl der Hauszisternen größer geworden; es gibt aber in den verkarsteten quellenlosen Teilen des Gebietes noch immer viele Siedlungen, welche des Besitzes einer guten Zisternenanlage entbehren. Was die Heranziehung der Karstquellen Mitteldalmatiens zu Zwecken der Wasserversorgung anbelangt, so könnten sich da große Zukunftsbilder entrollen. Die vielen mächtigen und prachtvollen Quellen, welche die Cetina vor ihrem Eintritte in das Sinjsko polje linkerseits empfängt, liefern selbst noch im Sommer eine stattliche Wassermenge, die bei vollster Ausnützung imstande wäre, einem großen Bedarfe zu genügen. Sollte es einmal zur Entwicklung einer mitteldalmatischen Riviera kommen, so würde die Frage der Wasserversorgung des Kastellaner Küstenstriches brennend. Die Quellen von Castel vecchio vermöchten nur ihre nähere Umgebung mit Trinkwasser zu versorgen. Das Flyschgelände zwischen diesem Orte und der Gegend von Salona käme bei seiner teils ganz ober- flächlichen Entwässerung, teils sehr spärlichen Schuttquellenführung als Spender größerer Quellwassermengen gar nicht in Betracht. Die Möglichkeit, durch Anbohrung des Kalkgebirges hinter der Flysch- zone gewaltige Wassermengen zu erschließen, wird man zwar als segeben ansehen dürfen; es wäre aber auch mit der Eventualität zu rechnen, daß ein Versuch, die unterirdischen Wasserschätze des Koziak und Golo Brdo künstlich in ähnlicher Weise anzuzapfen, wie die Wasserschätze des Mosor durch den Jadro und Stobree potok natürlich angezapft sind, fehlschlüge. Die Gewähr einer ausgiebigen Wasserversorgung des ganzen Küstenstriches der Kastelle wäre aber gegeben, wenn man die mächtigen Cetinaquellen zwischen Zasiok und Karakasica zu diesem Zwecke heranzöge. Die Möglichkeit, in tiefer Lage entspringendes Quellwasser auf ein Karstplateau hinaufzupumpen und über dieses bis zur Küste hinzuleiten, ist durch die Wasserversorgungsanlage von Sebenico erwiesen. Diese Anlage entnimmt das Wasser einer beim untersten Kerkafalle wenig über dem Meeresspiegel entsprin- genden großen Quelle und führt es mittels einer in etwa 80 m Seehöhe großenteils unter Tag verlaufenden Leitung von ungefähr 10 km Länge seinem Bestimmungsorte zu. Die erwähnten Üetina- quellen entspringen in etwa 320 m Höhe, wogegen das Plateau 979 Dr. Fritz v. Kerner. [128] zwischen dem Sinjsko polje und der Küstenzone durchschnittlich 360 m Höhe aufweist. Die gedachte Leitung hätte zunächst die Siüdhänge des Berges Drven bei Potravlje zu nehmen und würde dann über die Vorhöhen der PliSsevica und nach Querung der Sutina über die Vorstufen der Visoka zu führen sein, um dann im großen und ganzen der Bahntrasse von Sin) nach Clissa zu folgen. Ihre Länge betrüge so etwa 25 Am. Die Leitung könnte in jener Höhe, in welcher sie den Karstplateaurand hinter Olissa erreichte, an den Südflanken der Marcesina greda, des Golo brdo und Koziak weitergeführt werden und so zur Bewässerung des Kastellaner Küstenstriches ‘in seiner ganzen Längserstreckung und Breitenausdehnung dienen. Dieses Gelände ließe sich so bei seiner großen, durch Wärmereflex gesteigerten klimatischen Begünstigung und seinem guten Boden in ein herrliches Gartenland verwandeln und es könnten noch das Polje von Dicmo, die Gegend Kusak und das Dugo polje des Vorteiles reichlicher Bewässerung teilhaftig werden. Bei einer Wassergewinnung mittels erfolgreicher Durchbohrung der Flyschvorlage des Koziak würde sich dagegen — da der Stollen in möglichst geringer Höhe über dem Meeresspiegel vorzutreiben wäre — die Wasserversorgung der höheren Geländeteile umständlich gestalten und den Gebieten zwischen Sinj und Clissa käme kein Nutzen zu. Um auch im Sommer nicht nur genügend Trinkwasser, sondern auch ausreichendes Nutzwasser zu erhalten, müßte man entsprechend große Reservoire anlegen. Den Einwand, daß das hier entwickelte Projekt zu amerikanisch anmute, wird nur Derjenige erheben, der in der Anschauung, Dalmatien sei in volkswirtschaftlicher Beziehung für allezeit zur Schlichtheit und Bescheidenheit verurteilt, derart festgewurzelt ist, daß er sich überhaupt nicht zur Vorstellung aufraffen kann, daß in diesem Lande jemals etwas walırhaft Großzügiges geschaffen würde. Selbstverständlich würde man das eben angedeutete Projekt nur in Erwägung ziehen, wenn das Ufergelände der Kastelle in eine Riviera vom Style der französischen verwandelt würde, eine Umgestaltung, die man sich nur mit gleichzeitigem Emporblühen Spalatos zu einem erstklassigen Mittelmeerhafen denken könnte. Wenn die geplante Schöpfung einer mitteldalmatischen Riviera nur darin bestünde, daß an den Ufern des Golfes der sieben Kastelle zwei oder drei Hotels vom Range der jetzt in Spalato vorhandenen erstehen würden und sonst alles beim alten bliebe, könnte sich der Bau einer großartigen Wasserleitung allerdings nicht lohnen. Inwieweit der Wegnahme eines Teiles der Cetina schwere wasserrechtliche Hemmnisse entgegenstünden und in- wieweit dieselben überwindbar wären, ist hier nicht der Platz zu untersuchen. Es konnte hier nur auf den Bestand der geographischen Vorbedingungen für eine großzügige Wasserversorgungsanlage und auf deren technische Ausführbarkeit hingewiesen werden. Eine Be- trachtung des Projektes von der juridischen und finanziellen Seite sei Anderen überlassen. Von den Karstquellen des Küstengebietes schiene die bei der Trogirska mulina entspringende dazu berufen, der Stadt Traü dienstbar gemacht zu werden. Der Trinkwasserbedarf dieser kleinen Stadt wird derzeit durch den Dobri@öbrunnen befriedigt, welcher an der (129] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 273 Festlandsküste gegenüber von Trau gelegen ist und an der Grenze der quartären Schuttbedeckung gegen das unterlagernde Tertiär sich sammelndes Wasser liefert. Die Gewinnung desselben erfolgt durch eine Pumpenanlage mit Handbetrieb und das Wasser muß in die allerdings ganz nahe Stadt getragen werden. Die Quelle von Trogirska mulina ist aber nicht dazu geeignet, diese zwar ausreichende, aber nicht ideale Art der Wasserversorgung durch eine solche mittels fließender Stadtbrunnen zu ersetzen, weil ihr Wasser in der wärmeren Jahreszeit salzig schmeckt. Zur Zeit seines reichlichsten Fließens nach den Frühlings- und Herbstregen läßt dieses Wasser allerdings nur jene Spur von brackischem Geschmack erkennen, welche auch der Dobricbrunnen und fast alle Schöpfbrunnen in Küstennähe aufweisen. Es ist aber als wahrscheinlich anzusehen, daß die Beimischung von Brackwasser zum Süßwasser erst nahe den Austrittsstellen der Teil- stränge der besagten Quelle erfolgt, so daß die Möglichkeit gegeben wäre, diese Stränge in noch unversalzenem Zustande zu erschließen. Man müßte zu diesem Zwecke durch den Mergelsaum am Südfuße des St. Eustachiushügels einen Stollen vortreiben und im nicht unwahr- scheinlichen Falle, daß man hierbei noch kein Wasser träfe, einen der Grenzfläche zwischen Kalk und Mergel folgenden Schacht abteufen, bis man auf eine größere Wasserader käme. Mit zunehmender Ent- fernung von der Quelle würde die Wahrscheinlichkeit, eine große Wasserader bald zu erreichen, geringer werden, die Wahrscheinlichkeit der Erschrotung süßen Wassers aber wachsen. Die dritte große Quelle der Küstenzone, die Quelle des Stobrec potok käme für die Versorgung des Fischerdörfehens Stobrece mit Quellwasser in Betracht, doch würde bei der Kleiuheit dieser Siedlung der erforderliche Aufwand viel zu groß erscheinen. Eher könnte daran gedacht werden, durch Einrichtung eines entsprechenden Transport- dienstes mit Tankdampfern mittels der Stobrecquelle die an der Nordküste der Insel Brazza gelegenen Ortschaften St. Johann und St. Peter mit Quellwasser zu versorgen. Mit Zisternenwasser werden dieselben bereits ausreichend versehen. Von den Schichtquellen und Verwerfungsquellen kommen die größten auch für Zwecke der Wasserversorgung in Betracht. Es wurde schon erwähnt, daß die Ortschaft Mu& von einer Ueberfallquelle aus den oberen Werfener Schiefern das Trinkwasser zugeleitet erhält. Im Gebiete des von mir in den neunziger Jahren des vorigen Jahr- hunderis aufgenommenen Kartenblattes Kistanje-Dernis sind sogar zur Trinkwasserversorgung größerer Orte, der zwei Hauptorte des Gebietes, Dernis und Skardona, Schichtquellen aus den Prominaschichten mit Erfolg herangezogen worden. Daß da im Spätsommer die sorg- fältigste Ausnützung der dann spärlich werdenden Wassermengen nötig wird, versteht sich wohl von selbst. Auch im Bereich des Kartenblattes Sinj Spalato sind große Schicht- und Verwerfungsquellen vorhanden. An ihre Verwertung wird aber — insolange sich die Vor- züge einer guten Wasserversorgung nicht hoher Einschätzung erfreuen — kaum geschritten werden, da die Herstellungskosten von Leitungen im Verhältnis zum erzielbaren Erfolge als zu groß erscheinen könnten. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 2. Heft. (F. v. Kerner.) 36 274 Dr. Fritz v. Kerner. [130] So würde man wohl kaum darangehen, die schöne Verwer- fungsquelle in der Schlucht der Sutina zur Wasserversorgung der Hütten von Ludane heranzuziehen oder das Wasser der Ljubac- quelle nach Politine und Dubrava zu leiten, zumal in der Nähe dieser Orte ein wenn auch bescheidener Bezug von Quellwasser möglich ist. Aber auch die Herstellung einer Leitung, durch welche die Quellen im obersten Koritotale für die Wasserversorgung der in quellenloser Gegend liegenden Hütten von Dolnje Korito nutzbar gemacht würden, wird man kaum in Aussicht nehmen. Die Quellen am Golo Brdo bei Trilj sollen den Wasserbedarf der Station Ugljane an der geplanten Eisenbahn nach Arzano decken. Was die Erschließung neuer Wasseradern anbelangt, so ist zwischen einer solchen durch Stollen an Gebirgshängen und einer solehen durch Schächte in flachem Karstgelände zu unterscheiden. Bei ersterer würde es sich vorzugsweise um eine Gewinnung von hinter Mergelvorlagen im Kalkgebirge angesammelten Wasservorräten handeln. Es wurde schon an früherer Stelle erwähnt, daß an den Ueber- schiebungen der Kreidekalke auf eocäne Mergel fast niemals Ueberfall- quellen entspringen. Dieser Umstand spricht aber keinesfalls dagegen, daß in den kalkigen Hangendflügeln dieser Ueberschiebungen Wasser- vorräte vorhanden sind. Das Maß der Zuversicht, diese Vorräte gewinnen zu können, hängt von der Stellungnahme zur Karstwasser- hypothese ab, wobei man annehmen darf, daß diese Stellungnahme jeweils durch eigene Erfahrungen auf karsthydrologischem Gebiete bestimmt wird. Ein rückhaltloser Anhänger jener Hypothese wird eines positiven Erfolges sicher sein und wähnen, daß die Durchstoßung der Mergelvorlage eines Kalkgebirges an beliebiger Stelle unterhalb des Karstwasserspiegels einen ähnlichen Effekt wie die Anbohrung einer mit Wasser gefüllten Kiste haben müsse. Wer der Annahme eines zusammenhängenden Karstwassers ablehnend gegenübersteht, wird weniger zuversichtlich sein und seine Erwartungen nach den jeweils gegebenen Verhältnissen abstufen. Wo, wie dies beispielsweise am Gebirgsrande östlich von Traü der Fall ist, genau am Ausstriche einer Kalkmergelgrenze eine mächtige Quelle entspringt, dünkt es einigermaßen wahrscheinlich, daß diese Grenze schon vorher eine längere Strecke weit den Verlauf einer Wasserader bezeichnet. Man könnte so dort bei in entsprechend tiefer Lage vorgenommener Durchbohrung der Flyschschichten im Graben westlich vom Eustachiushügel noch auf den Anschnitt einer Kluftwasserader hoffen. Ebenso wäre bei Durchstoßung der Neogen- gebilde auf der Ostseite des Sinjsko poljes in der Nähe ihrer natür- lichen Durchbrüche mit der Bloßlegung von Wasseradern zu rechnen. Wo hingegen weithin kein bestimmtes Anzeichen einer Wasserbewegung längs einer Grenzfläche zwischen Kalk und Mergel vorliegt, wie dies im Hinterlande der Kastelle der Fall ist, wäre die Erbohrung eines mächtigen Kluftwasserstranges mehr oder minder Zufallssache. Falls die Vortreibung eines Stollens quer durch die Flyschvorlage bis in den Rudistenkalk gewagt würde und kein befriedigendes Ergebnis hätte, könnte man noch versuchen, durch sehr ausgedehnte Sprengungen [131] Quellengeologie von Mitteldalmatien. 275 innerhalb des Kalkgebirges eine Aufreißung von wasserführenden Spalten zu erzielen. Mit mehr Aussicht auf Erfolg könnte die Aufschließung von Wasser in solchen Gesteinsschichten versucht werden, wo die Ver- teilung der Wassermenge nicht so ungleichmäßig sein mag wie in den Karstkalken, so zum Beispiel in den oberen Werfener Schichten und in den Prominaschichten. Auch ein Versuch, bei Mu‘ die in den tieferen Lagen der oberen Werfener Schichten sich bewegenden Wassermengen mittels Durchbohrung der sie steil unterteufenden unteren Werfener Schichten zu erschließen, könnte in Betracht gezogen werden. Die Deutlichkeit, mit welcher sich in Dalmatien bei der weitgehenden Bloßlegung des Untergrundes die geologischen Bedin- gungen der Quellbildung oft erkennen lassen, gestattet es in manchen Fällen, auch die Möglichkeiten einer Aufschließung von Wasser klarer zu beurteilen, als dies in Gegenden mit mächtig entwickelten Deck- schichten der Fall ist. Bei Versuchen, die in den Tiefen des Karstes verborgenen Wasserschätze zu heben, würden geologische Untersuchungen zwar auch von Bedeutung sein, in erster Linie aber die Mittel der Höhlen- forschung und die Methoden der Auffindung unterirdischer Wasser- adern — soweit diese Methoden kraft der ihnen zugrunde liegenden physikalischen Erkenntnisse und der angewendeten Instrumente streng wissenschaftliche sind — eine Rolle zu spielen haben. Der Gedanke, die in den Tiefen des Karstes sich bewegenden Kluftwasserstränge durch Bohrungen und Schachtabteufungen nutzbar zu machen, ist erst in jüngster Zeit in den Vordergrund getreten. Von seiten ein- heimischer Forscher ist geplant, systematische Untersuchungen über die unterirdische Hydrographie Dalmatiens in großem Style vorzunehmen und es wurde hierfür eine Unterstützung seitens aller zur Förderung solcher Arbeiten berufenen staatlichen Faktoren in Aussicht gestellt. Möchte diese Unternehmung von großem Erfolge gekrönt sein. 36* Dr. Fritz v. Kerner. [132] Inhaltsverzeichnis. Einleitung. Seite Vehersicht der Quellformenll! A... =. u ER EEE 146 [2] Verhalten der Gesteine und Böden zum Wasser. . . . 2. 22.. 146 [2] Entstehungsformen (der @uellen 1.1... ni. men 1. nl. mn. 151° +.7] Strukturformen der Mauelien u 2. 2 me ..160... [16] Beziehungen der Quellen zu den Geländeformen . . . 2... 166 [22] Formverhältnisse,der Quellaustratte .*.... 0. mW. ee 167 [23] Beschreibung der quellenführenden Gebiete . . .. 2.2.2... 168 [24] Die: Quellen des N rbatalesı WE ee 169 [25] Die Quellen im Polje von Ramljane und im Polje von Mu€ 173 [29] Die 'Quellen'des Suyajaalesd2 7 1.4.2777 I, WEM EEE ARE 178 [34] Die ‘Quellen (des /Sutinatalese.hy, V.07%. u) ange ige DR. Masten 181 [37] Die Quellen in der Ebene der Karakasica. . .»... 2 2 2 2... 187 [43] Die Quellen auf der Westseite des Sinjsko polje .. ......; 193 [49] Die Quellen in der Mulde von Gljev und in der oberen Korito Draga 200 [56] Die Quellen am Ostrande des Sinjsko polje. . . . 22.2... .205 [61] Die: ;Quellen des ‘mittleren Cetinatales: 1.1, 424.2. I.#17.. Sep 211 [67] Die Quellen im Karstgebiete zwischen dem Mose@ und Mosor . 216 [72] Die Quellen in den Mulden von Dolac und Srijani. . ...... 222 [78] Die Quellen in der Umgebung des Golfes von Castelli . .227 183] Die :Quellen’an der Küste von 'Spalato .' , WHITE 233 [89] Die Quellen des! Stobrectales; '. 1.1 ..Jlah ar. Kı MeE Ana 238 [94] Die Quellen des untersten Cetinatales . .. 2.2: 2 2 2 20. 244 [100] Hydrologische Verhältnisse . . . 2: 2 2 nn een 249 [105] Niederschläge; .. „Ss TE Mn... 2.0 2 ee 249 [105] Wasserstände und Abflußmengen. . . .. 2... 2. ze 255 [111] Flußtemperaturen . "2 „men, 20 De ee Nor Ne 260 [116] Quellenergiebigkeiten und Quellentemperaturen . . . . 22 2.. 266 [122] Die Wasserversorgung im Gebiete des Kartenblattes Sinj—Spalato . 267 [123] Beitrag zur Kenntnis der Gervillien der böhmischen Oberkreide. Von J. V. Zelizko. Mit einer Tafel (Nr. XII). Die im Jahre 1902 im Zentralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie veröffentlichte Mitteilung Frechs „Ueber Gervillia“ 1) erinnerte mich an eine neue, von mir seinerzeit in der Oberkreide der Gegend von Ji@in gefundene Form?) dieser bisher wenig beachteten Bivalvengruppe, deren Hauptverbreitung sich von der Trias- bis in die Kreideformation verfolgen läßt. Inzwischen sandte mir auch Herr F. Ferina, Schulleiter in Morasic bei Leitomischl, eine Suite aus der dortigen Umgebung stammenden Gervillien, unter denen ich gleichfalls einige vollkommen neue Arten bestimmte. Diese oberwähnten, für die Paläontologie der böhmischen Kreide bedeutsamen Funde haben mich zur näheren Beschreibung einzelner Arten angeregt, wie folgt: Gervillia bohemica n. sp. Taf. XII, Fig. 1. Das vorhandene Stück unterscheidet sich schon auf den ersten Blick von allen bekannten Gervillien durch eine ungemein kurze und breite, sichelartig ausgeschweifte linke Schale, deren Rand vorn gleich- mäßig abgerundet ist. Dieselbe ist ziemlich stark gewölbt, wie die tief eingeschnittene, 4 mm breite, längs des Oberrandes fast bis zur Spitze sich ziehende saumähnliche Furche verrät. Die Länge der Schale beträgt 52 mm und die größte Breite 25 mm. Das vordere Ohr ist auf der abgerundeten Schalenseite nicht angedeutet und das hintere zeigt nur teilweise die ursprünglich lappen- artige Form, da die Schloßrandpartie abgebrochen ist. Feine konzentrische Streifen sind nur auf der unteren Schalen- partie sichtbar. ı) Pag. 609—620. 2) J.V. Zelizko: Pfispövky z kfidoveho ütvaru okoliZeleznice u Jitina. Sitzungsber. der königl. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften, Prag. 1902. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 2. Heft. (J. V. Zelizko.) 278 J. V. Zelizko. [2] Die bei der Spitze in der Länge von 8 mm hervortretende Partie ist wahrscheinlich ein Rest der ineinander gepreßten rechten Schale. Das Fossil stammt aus dem festen, dunkelgrauen, eine Menge von Austern- und Gastropodenschalen enthaltenden turonen Kalke von KniZnic in der Nähe von Eisenstadt] (Zeleznice) bei Jicin. Nach Fric?!) gehören die dortigen Schichten der Trigonienzone oder dem oberen Horizonte der Iserschichten, wogegen Zahälka°) dieselben in die Zone IXc (= Priesener Schichten) einreiht. Auf der geologischen Karte von Fri@ und Laube?) ist die Umgebung von KnizZnic als Weißenberger und Malnitzer Schichten und auf der alten Karte der ‘k. k. geolog. Reichsanstalt als „Oberer Pläner“ (= Teplitzer- und Priesener Schichten), dessen Liegende der „Mittel- quader und Pläner* (= Weißenberger-, Malnitzer- und Iserschichten) bildet, gezeichnet. In dem mir von Herrn Schulleiter Ferina zur Verfügung ste- henden Material fand ich einen leider unvollständig erhaltenen Stein- kern einer unserer Gervillia bohemica ähnlichen Art, die gleichfalls durch eine jäh ausgeschweifte und kurze Schale charakterisiert ist. Dieselbe stammt aus dem lichtgrauen Kalke des beim Wäldchen „Doubrava* befindlichen „Lustyk’schen Felsen“ (Lustykova skäla) bei MorasSic. Fricö hat die betreffenden Schichten zur Trigonienzone gerechnet. Wie aus den Forschungen Jahns bekannt ist, stellen die Iserschichten in Ostböhmen bloß eine Faziesbildung der Teplitzer Stufe vor®). Eine andere ähnliche, aber noch kürzere und länglichovale Form, Gervillia ovalis, deren Schloß mit wenig Zähnen versehen ist, erwähnt Friö aus den Chlomeker Schichten von Chlomek und Tannenberg). Gervillia aurita n. Sp. Taf. XII, Fig. 2. Es liegt eine linke Schale einer gleichfalls eigenartigen, von allen anderen Gervilliaarten sich leicht unterscheidenden Art vor. Dieselbe ist ungleich gewölbt, in der vorderen Hälfte durch Schichtendruck teilweise gepreßt und auf einer Stelle in der Mitte abgelöst. Sonst ist die ursprüngliche Form vorzüglich erhalten. Die Schale ist mäßiger ausgeschweift und länger als bei der vorhergehenden Art, ist ziemlich breit, vorn verengt und abgerundet. Beide Ohren sind in zwei ungleiche abgerundete Flügel ausgezogen, !) Studien im Gebiete der böhmischen Kreideformation. Il. Die Iserschichten. Archiv der naturwissensch. Landesdurchforsch. von Böhmen. Bd. V. Nr. 2, pag. 44. Prag. °) Pfisp&övek k poznäni kfidoveho ütvaru u Jitjna. Sitzungsber. der königl. Gesellschaft der Wissenschaften. Prag 1895. . ....) Geologische Karte von Böhmen. Umgebung von Eisenbro Jiöin bis Braunau und Nachod. Archiv der naturwissensch. Landesdurch- forsch. von Böhmen. Bd. IX. Nr. 6. Prag 1895. *) Einige Beiträge zur Kenntnis der böhmischen Kreidefor- mation. Jahrb. d. k.k. geolog. R.-A. Bd. 45, 1895. 5) Studien im Gebiete der böhmischen Kreideformation. VI. Die Chlomeker Schichten. Ibid. Bd. X. Nr. 4, pag. 66. Prag 1897. [3] Beitrag zur Kenntnis der Gervillien der böhmischen Oberkreide, 979 besonders das hintere Ohr ist auffällig ausgeprägt. Die Schloßzähne sind sehr schwach entwickelt. Die Schalenlänge von dem vorderen Ohr bis zur Spitze mißt 76 mm, die Höhe vom Unterrand bis zu dem hinteren Ohr 50 mm und die Breite in der Mitte 29:5 mm. Die ursprüngliche Epidermis ist nur bei der Spitze und bei dem teilweise abgebrochenen Schloßligament erhalten. Trotzdem aber sind die konzentrischen, schon von dem Rande des hinteren Ohres begin- nenden Streifen mit einzelnen kräftigeren Rippen auf dem übrigen, vollkommen erhaltenen Steinkern sehr gut sichtbar. Ob es sich vielleicht auch um eine gewisse Uebergangsform einer verwandten Gruppe handelt, können nur weitere erforderliche Funde bestätigen, welche möglicherweise auch zur Präzisierung eines in Frage stehenden Horizontes behilflich werden können. Das mir vorliegende, dem Herrn Schulleiter Ferina gehörende Exemplar stammt gleichfalls aus dem lichtgrauen Kalke des „Lustyk- schen Felsen“ bei MoraSic. Gervillia ef. aurita. Taf. XII, Fig. 3. Ein teilweise deformierter Steinkern der rechten, sichelartig ausgeschweiften Schale. Die Spitze sowie die obere Partie sind leider abgebrochen. Die Schale war kürzer und auffallend breiter, der Oberrand mehr aus- geschnitten als bei der vorherigen Form. Die Spuren der Epidermis sind spärlich erhalten, und die in der vorderen Schalenhälfte sicht- baren konzentrischen Streifen sind schwach angedeutet. Das nur teilweise erhaltene verkürzte Hinterohr war gleichfalls flügelartig ausgezogen wie bei Gervillia aurita. Die hier beschriebene Versteinerung wurde auch bei MoraSic gefunden. Gervillia gibbera n. sp. Taf. XII, Fig. 4. Ein der schmalen Form nach einigermaßen an Gervillia solenoides erinnernder Steinkern. Der schlechte Erhaltungszustand der vorderen Partie desselben ist auf das stark verwitterte Gestein zurückzuführen. Die kurze und schmale Schale deutet auf eine mäßige Wölbung hin, der Oberrand weist eine wellenförmige Krümmung auf und die verschmälerte Spitze ist abgerundet. Der längste erhaltene Schalenteil mißt 58 mm, die größte Breite 21 mm. Der Zwischenraum zwischen dem Byssusausschnitt und der Stelle, wo das hintere Ohr beginnt, ist auffallend verengt. Wie weit die beiden Ohren flügelartig ausgezogen waren, läßt sich nach dem unvollständig erhaltenen Schloßrand nicht erkennen. Die aus schwachen Streifen und einigen kräftigeren Rippen be- stehende Schalenskulptur ist beim Susan und bei der Spitze teil- weise bemerkbar. 280 . V. Zelizko. [4] Das Fossil fand Herr Schulleiter Ferina in demselben Stein- bruche bei MoraSic, wie die vorher beschriebene Art. Gervillia sp. Taf. XII, Fig. 5. In dem aus derselben Lokalität von MoraSic herrührenden Material des Herrn Ferina befindet sich schließlich ein größtenteils in Kalzit verwandelter, bei der Spitze uud in der oberen Partie ab- gebrochener Steinkern einer noch kürzeren und breiteren Form, als die vorhergehende Art aufweist. Die Schale war ziemlich hoch gewölbt, der Oberrand geradlinig wie bei @. solenoides und das teilweise angedeutete hintere Ohr war flügelartig. Die Schalenskulptur ist undeutlich. Stratigraphische Verbreitung der Gervillien in der böhmischen Kreideformation. Die Gattung Gervillia läßt sich nach Frit fast von der untersten cenomanen Stufe bis in den obersten senonen Horizont, das heißt von den Korycaner bis in die Chlomeker Schichten verfolgen )). Als verbreitetste, in allen Horizonten (Perucer Schichten ausge- nommen) vorkommende Art ist nach dem genannten Autor Gervillia solenoides. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich unter diesem Namen verschiedene Spezies verbergen, deren Revision wünschenswert wäre, worauf übrigens schon Holzapfel hingewiesen hat?). Aus der böhmischen Kreideformation führt Fri@ noch folgende Gervilliaarten an: Gervillia Kozakoviensis Fr. — Korycaner Schichten. Fundort: Vesec unterhalb des Kozäkovberges bei Turnau. (Studien im Gebiete der böhmischen Kreideformation. Ergänzung zu Band I. Archiv für die naturwiss. Landesdurchforsch. von Böhmen. Band XV, Nr. 1, pag. 41. Prag 1911.) Gervillia Holzapfeli Fr. — Chlomeker Schichten. Fundort: Tannen- berg. Exemplare mit wohlerhaltenem Schloßabdruck sind ähnlich der Gervillia solenoides, aber das Schloßligament trägt 6—8 schmale, durch breite Zwischenräume getrennte Zähne. Der das Schloß tragende Flügel ist nicht dreieckig wie bei @. solenoides, sondern gleich breit. (Studien etc. VI. Die Chlomeker Schichten. Archiv, Band X, Nr. 4, pag. 65. 1897.) Gervillia ovalis Fr. — Chlomekerschichten. Fundort: Chlomek und Tannenberg. (Studien etc. VI. Die Chlomeker Schichten. Archiv, Band X, Nr. 4, pag. 66.) ‘) Ibid. Tabellarische Uebersicht, pag. 32. ?) Die Mollusken der Aachener Kreide. Palaeontographica. Bd. 35, pag. 224. Stuttgart 1888/89. Ueber ein Juravorkommen bei Skutari in Albanien. Von Ottilie Saxl. Mit 8 Abbildungen im Text. Die von Herrn Dr. F. Baron Nopesa im Vilajet Skutari auf- gesammelten Fossilien wurden mir zur Bestimmung übergeben und ich habe dieselbe, soweit es der arg verwitterte Zustand der meisten Stücke erlaubte, durchgeführt. Ungenauigkeiten, die sich etwa ergeben könnten, sind auch darauf zurückzuführen, daß die Vignetten mit den Ortsnamen vertauscht wurden und Herr Dr. Nopcsa dann nicht mehr genau die betreffenden Fundstellen fixieren konnte. Bis zur Auffindung der Fossilien durch Herrn Dr. Nopcesa war in Nord-Albanien kein durch Fossilien genau bestimmter Lias oder Dogger bekannt. Das fossilführende Gestein ist ein roter, mergeliger Kalk, abwechselnd mit rötlichgelbem bis gelbem Kalk. Diese etwas voneinander abweichende Ausbildungsweisen sind aber für die Horizontierung nicht bestimmend, da die roten Kalke von Manatia und Pedhana Fossilien aus denselben Altersstufen führen, wie die gelben Kalke von Lisna und Mlagaj. Sie umfassen mittleren Lias, oberen Lias sowie unteren Dogger. Bevor ich näher auf diese Lias-Doggervorkommen sowie auf Vergleiche mit anderen Fundorten eingehe, will ich die betreffenden Fossillisten anführen: In Lisna ergab die Bestimmung der in rötlichgelben Kalken aufgefundenen Exemplare eine Reihe, die vom mittleren Lias bis zum unteren Dogger reicht: Lytoceras fimbriatum Sow. Mittlerer Lias 2 Harpoceras Bertrandi Kilian. Phylloceras cf. heterophyllum. Harpoceras crassifalcatus Kilian. Hildoceras bifrons Brug. Harpoceras complanatus Brug. Hildoceras Commensis v. Buch. Hildoceras Levisoni Simpson. Phylloceras Nilssoni Hebert. Oberer Lias Unterer Dogger {| Coeloceras modestum Vacek nov. mut. compr. Jahrbuch d. k. k. geol. Reiclısanstalt, 1916, 66. Band, 2. Heft. (O. Saxl.) 57 982 Ottilie Saxl. [2] Außerdem habe ich noch einen Arieticeras spec. sowie einige nicht näher bestimmbare Lytoceren und Harpoceren anzureihen. In Manatia, wo rote, tonige Kalke vorherrschen ist Mittlerer Lias mit ! Lytoceras cf. Dorcadis Harpoceras briordensis Dum. Pylloceras Nilssoni Heb. Phylloceras cf. Frechi Prinz. Unterer Dogger mit * Phylloceras cf. Zignodianum d’Orbigny. | Harpoceras opalinum Rein. { Oberer Lias mit | bestimmt. In Pedhana, wo ebenfalls die roten Kalke auftreten, wurde ein mittlerer Lias mit Seguenziceras Algovianum Oppel aufgefunden. Die aus Mlagaj und Malci stammenden Ammoniten, die rötlich- gelben Kalken angehören, konnte ich nur mit den Bezeichnungen Phyll. spec. und Lytoceras spec. ohne nähere Bestimmung den bereits erwähnten Vorkommen anreihen. Die Basis dieser Stufen wird von einem hellen, festen, grauen Kalkstein gebildet, in dem ein unbestimmbares Orthoceras aufgefunden wurde. Wie Dr. Nopesa!) in seiner diese Gegend bezüglichen Arbeit - bemerkt, sind die Lagerungsverhältnisse im allgemeinen stark gestört; die Kalke von Kroni Madh lagern diskordant auf Triaskalk und auch bei Manatia und Pedhana sind diese fossilführenden Kalke in einem unklaren Verhältnis zu ihrer Unterlage. Bei Brzola z. B. liegen diese Kalke auf Cukalikalk, der nach einem Vergleiche mit bosnischen Vorkommen auch Jura sein dürfte, und der wieder auf Triaskalk liegt. Bei Lisna gehen eben diese Kalke, die Ammoniten führen, sich rasch verfestigend in den grauen, gebankten Kalk über, aus dem der Orthoceras stammt und der jedenfalls auch Trias sein dürfte. Der eocäne Flysch nun (aus dem die 2 Problematika stammen) unterteuft diese ganze Serie und dieses Verhältnis zeugt von den starken, noch eocänen Störungen, die es auch erschweren, das Verhältnis von Trias zum Jura zu deuten. Ahnliche Verhältnisse wie in diesem Gebiete finden wir vor allem in Südalbanien, Griechenland und den umliegenden Inseln. Wie Renz?) in den diese Gegenden betreffenden Arbeiten erwähnt, ist die Oberliasfauna im griechischen Mesozoikum sowohl in gelblichen, knolligen als auch in roten, tonigen Kalken vorhanden und es bilden letztere ein typisches Merkmal des griechischen Oberlias. Es reichen aber diese roten Kalke bis in den unteren Dogger hinauf und da ist es, wie bei dem vorliegenden albanischen Vorkommen, nur möglich, die Grenzen zwischen diesen beiden Altersstufen durch Fossilien zu ermitteln. In der Angolis (Apando Phanari) kommt Hildoceras bifrons Brug. ebenfalls gemeinschaftlich mit Phylloc. Nilssoni Heb. und Hildo- ceras Levisoni Simpson vor, wie es in Lisna der Fall ist. Hildoceras ‘) Zur Stratigraphie und Tektonik des Vilajets Skutari in Nordalbanien von Dr. F. Baron Nopcsa. Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1911. ?) Renz, Strat. Unters. im Griech. Mesozoicam. Jahrb. d. k. k. geol. R.-A, 1910. [3] Ueber ein Juravorkommen bei Skutari in Albanien. 283 Oommensis v. Buch fehlt hier. Letzterer wurde aber beim Cap Scala in mergeligen Kalken gemeinschaftlich mit Harpoceras complanatus Brug. sowie Hildoceras Mercati Hauer etc. aufgefunden. In Bosnien scheint die Grenze der mediterranen Juraausbildung der Bosna entlang, gegen Cattaro zu verlaufen. Es sind hierfür zwar nur die Orte Gacko und Vares anzugeben, wo man sicheren, durch Fossilien bestimmten Jura antraf. So fand Wähner!) bei Gacko in hellgrauen Kalkmergeln zwei Exemplare von Hildoceras bifrons und Bittner?) etliche Liasammoniten noch im Bereiche des Triaszuges. Dr. H. Beck?) machte einen glücklichen Fund von ebensolchen bei Varles, und zwar in Mergelschiefern, konnte die Exemplare aber wegen des schlechten Erhaltungszustandes nicht genauer einreihen. Den nordwestlichen Teil Bosniens hat Wähner, als bereits litorale Entwicklung zeigend, beschrieben und hat ihn den verwandten Vor- kommen von Fünfkirchen und dem Banat gleichgestellt. Es kann demnach das Vorgreifen des Lias nach VareS als eine Einbuchtung des Landkomplexes gedeutet werden. Diese enger zusammen gehörigen Juraablagerungen von Griechen- land, Albanien und Bosnien, weisen in allererster Linie auf die Oolithe von San Vigilio hin; sie zeigen eine große faunistische Ver- wandtschaft in den einzelnen Stufen und entsprechen, wie die Oolithe ihrem lithologischen Habitus nach einer größeren Meerestiefe. Vom Cap San Vigilio aus kann man die pelagische Entwicklung des Jura den Alpenrand entlang verfolgen, Auch hier trifft man, wie z. B. Raßmußt) beschreibt, meistens die roten, tonreichen Mergel mit Ammonitensteinkernen an und es geht der Oberlias, wie in Griechen- land und Albanien, ohne erkennbare Grenzen in den Dogger über. Weiter nordwestlich, in den Bergamasker Alpen beschreibt Varisco?°) auch rote Kalke mit der typischen Oberliasfauna, doch transgrediert dann bereits das Tithon, wie es auch bei Brescia der Fall ist. Diese Transgression des Tithon kann man auch in den Zentralapenninen ®) verfolgen und erst in Sizilien tritt wieder die konkordante Folge ein. Nach obigen Ausführungen kann man die genannten Juragebiete in eine Gruppe stellen und auch folgende Gebiete, die nicht zur Landumrahmung der Adria gehören: In der nördl. Arva die Klippe von Podbiel und den Bakony. C. M. Paul beschreibt von der Klippe von Podbiel stammende rote Schiefer und Kalke mit Amm. bifrons und Amm. cornucopiae Joung, doch kommt hier der obere Lias unter dem unteren Lias zu liegen. Im Bakony’) ist der Lias und Dogger sehr schön mediterran entwickelt und ist jedenfalls das am engsten anzureihende Vorkommen. 1) Wähner, Annalen des. k. k. Naturhistor. Hofmuseums (89). ?) Bittner, Verh. der k. k. geol. R.-A. 1885, S. 141. 3, Dr. H. Beck, Jahrb. der k. k. geol. R.-A. 1903 (Lias bei Vares ir Bosnien). *) Raßmuß, Beiträge zur Stratigr. und Tekt. der südöstlichen Alta Brianza S. 68. — (Koken, Paläontolog. Abh. X. 1911— 1912.) 5) Varisco, Note illustrative della carta geologica della provincia di Ber- gamo 1881. 6) Vacek, Oolithe von San Vigilio. S. 205. °) C. M. Paul, Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. XV III, S. 226. 37* 984 Ottilie Saxl. [4] Die Klippe von Podbiel erwähne ich hauptsächlich wegen der Merk- würdigkeit der so entfernt liegenden, aber so ähnlichen Bildungen. Ich will da die Frage berühren, ob diese Klippe nicht südlichen Ur- sprunges ist und tektonisch in die Gegend von Arva gelangte. An- derseits könnten auch die Lebensbedingungen des Jurameeres nördlich ähnliche gewesen sein und eine der mediterranen sehr ähn- liche Fauna geliefert haben. Nach dem sonstigen Auftreten des Hildo- ceras bifrons, das immer wärmere Klimate annehmen läßt, könnte man auch eine warme Strömung vermuten, die diese Begünstigung ergeben hat. Ueber den roten Schiefern und Kalken tritt bei der Klippe von Podbiel Fleckenmergel auf und dies zeigt den Uebergang in die nördlichere Entwicklung an, aber auch möglicherweise eine Klimaschwankung oder ein Abbrechen der erwähnten wärmeren Meeresströmung. Anschließend an diese Bemerkungen will ich das Vorkommen von 2 Problematikas betonen, die Ausgüsse von Medusen sein sollen und ganz ähnlich wie diese zwei Stücke aus dem ebenfalls eocänen Flysch der Karpathen beschrieben werden. Das Gebiet der Arva liest in nächster Nähe des Flyschzuges und die Kenner dieser Gebiete könnten da eventuell sehr wichtige Parallelisierungen mit dem albanischen Gebiet vornehmen. Ich habe diesen zwei Medusen- ausgüssen in dem folgenden speziellen Teil eine Beschreibung ge- widmet. Spezieller Teil. Hildoceras Levisoni Simpson. ÜBie.t} Amm. bifrons Brug.: Meneghini: Lias sup. in Stoppani. Pal&ont. Lomb. Ser. IV (1867—1881). Taf. II, Fig. 1—4. Hild. Levisoni Simpson: Prinz: Die Fauna der älteren Jurabildungen im nord- östlichen Bakony. Mitt. aus dem Jahrb. d. kgl. ung. geol. Anst. Bd. 15 (1904). S., 127. Hild. Levisoni Simpson: Renz: Der Nachweis von Lias in der Argolis. Zeitschr. d. deutsch. geol. Ges. Bd. 61 (1909). S. 126. Taf. IV, Fig. 3. Amm. Levisoni Simpson: Dumortier: Dep. Jur. Lias sup. S. 49. Taf. IX, Fundort: Lisna. Dieser Hildoceras Levisoni Simpson, der der Gruppe des Hildo- ceras bifrons angehört, zeigt in der Skulptur schon deutlich den Uebergang von Harpoceras zu Arietites. Er zählt auf dem letzten Umgang ungefähr 39 Rippen, ist ziemlich fach und besitzt einen von zwei Furchen begleiteten Kiel. Die Rippen sind sichelförmig und werden gegen die Naht zu undeutlicher. Gegen die inneren Win- dungen zu werden die Rippen schärfer ausgeprägt, sind aber auf der letzten Windung wieder schwächer entwickelt. Die Anfangsblase ist ausgebrochen. Die einzelnen Umgänge setzen mit einer Kante gegen- einander ab, so daß die äußeren Umgänge gegen die inneren sich stufenartig erheben. [5] Ueber das Juravorkommen bei Skutari in Albanien. 285 Die Lobenlinie zeigt einen breiten Externsattel, der durch einen seichten Lobus in zwei Teile geteilt ist; dann kommt ein schlanker, Fig. 1. Hildoceras Levisoni Simpson. kleinerer Lateralsattel und weiter bis zur Naht zwei Hilfssättel. Der Externlobus ist beinahe in derselben Größe als der Laterallobus. Hildoceras bifrons Brug. Eig.72. Prinz: Fauna der älteren Juraabbildungen im nordöstlichen Bakony, ]. c. S. 124, Taf. VI, Fig. 2, 4 u. 7 und Taf. XXXVIJ, Fig. 14. Renz: Der Nachweis von Lias in der Arsolis, l. c. 8. 213, Taf. IV, Fig. 1 u. 5. Haug: Beiträge zu einer Monographie der Ammoniten-Gattung Harpoceras. Neues Jahrb. f. Mineralogie. 1885. Beil.-Bd. Ill. Fundort: Lisna. Dieses Exemplar ist mit ziemlich dichtstehenden, sichelförmigen Rippen verziert, die sich bis beinahe zur Anfangsblase erkennen lassen. Die Rippen verschwinden auf dem letzten Drittel des Umganges gegen die Naht zu. Die einzelnen Umgänge fallen mit sanft gerundeten Kanten, stufenförmig gegeneinander ab. Das Abbrechen der Rippen erfolgt in einer schönen Linie und man kann hier keinesfalls von einer begleitenden Furche sprechen. Der Rücken ist flach und die Flanken gehen mit einer Kante in denselben über. Der Kiel verläuft von zwei seichten Furchen begleitet. Ich stelle dieses Exemplar trotz Fehlens einer ausgesprochenen Furche zu Harpoceras bifrons Brug., 286 Ottilie Saxl. [6] da es sonst alle charakteristischen Merkmale dieser Form aufweist, Das Fehlen der Furche und eher Vorhandensein einer kleinen Erhöhung Hildoceras bifrons Brug. des unskulpturierten Teiles führe ich nach Haug auf ein höheres Altersstadium zurück. Seguenziceras (Arieticeras) Algovianum Opp. Fig. 3. P. Rosenberg: Die liasische Cephalopodenfauna der Kratzalpe im Hagengebirge. Beitr. z. Pal. u. Geol. Öst.-Ung. u. d. Orients. Bd. 22 (1909). S. 289, Taf. XV, Fig. 18a —c, 19 und 20. Geyer: Mittelliasische Cephalopoden des Schafberges. Abhandl. d. k. k. geol. R.-A. Wien, Bd. 15 (1893). S. 5, Taf. 7 und 8, Fucini: Fauna del Lias medio del Monte Calvi. Palaeontogr. Ital. Bd. 2 (1896). 3.175, Taf: VI: Big. 1. Fnndort: Lisna. Das vorliegende Bruchstück zeigt deutlich die scharf ausgeprägten Rippen, die in regelmäßigen Abständen an der Naht ansetzen. Sie werden gegen den Rücken zu so aufgebläht, daß es beinahe den [7] Ueber das Juravorkommen bei Skutari in Albanien, 287 Eindruck von Knoten machte. Sie sind schwach sichelförmig gebogen und erst gegen den Rücken zu, etwas in die Richtung der Mündung vorgebogen. Der aufgesetze Kiel wird von zwei scharfen Furchen begleitet. Die Flanken bilden mit dem Rücken einen beinahe rechten Winkel, wodurch der Umriß des länglichen Umganges einem Rechtecke gleicht. Die Umgänge fallen in Steilkanten zur Naht ab und es zeigt auch der innere Umgang eine deutliche Skulptur. Die Lobenlinie Seguenziceras (Arieticeras) Algovianum Opp. besteht aus einem zweispitzigen Sıphonallobus, einem sekundär ge- teilten, sehr breiten Externsattel, einem sehr großen Laterallobus, dem ein sehr kleiner II. Laterallobus folgt und einem Lateralsattel, der nur ein Drittel der Größe des Externsattels erreicht. Der vorliegende Seg. (Arietites) Algovianum Opp. ist als eine Uebergangsform zu Artetites Bertrandi Kilian zu betrachten. Bei Ar. Algovianum Opp. findet man sonst die seitlichen Kielfurchen nicht so stark entwickelt, es ist dies meistens bei Ar. Bertrandi Kil. anzutreffen, wohingegen der Quer- schnitt, der Größenverhältnisse halber, auf Ar. Algovianum Opp. hin- I8R Ottilie Saxl. [8] deutet. Rosenberg hat in seiner bezüglichen Arbeit ewähnt, daß er das Auftreten von Kielbändern auf ein Jugendstadium bezieht; in dem vorliegenden Falle wird es wohl besser sein, diese Form, wie schon erwähnt, als Uebergangsform aufzufassen. Harpoc. cf. erassifalcatum Dumortier. Fig. 4. Dumortier: Terrains jur. Lias sup. S. 257, Taf. LII, Fig. 1—2. Fundort: Lisna. Das Bruchstück läßt nach seiner Form auf einen engen Nabel schließen. Die Rippen laufen von der Nabelkante regelmäßig ansteigend gegen die Mündung zu; auf ungefähr der Hälfte der Flanke biegen sie plötzlich ab, laufen nach rückwärts, um dann auf dem letzten Viertel, äußerst kräftig ausgebildet, wieder mit einer plötzlichen Biegung die Richtung gegen die Mündung zu nehmen. Auf den auf dem Bruchstück ersichtlichen Schalenresten kann man die gleiche Ausbildung beobachten. Die eine Hälfte des Bruchstückes, die den Harpoc. erassifalcatum Dumortier. Steinkern bildet, erscheint abgerundet und kiellos; wo aber die Schalenreste sind, scheint sich eine Rückenkante mit Furchen aus- zubilden und es kann deshalb eventuell ein scharf aufgesetzter Kieb vorhanden gewesen sein. Die Nabelkante fällt steil scharfkantig al und die Windung erreicht die größte Stärke gegen den Nabel zu. Da der bei Dumortier angeführte Kiel nicht als unbedingt vorhanden anzunehmen ist, die Skulptur aber sehr schön mit der Abbildung übereinstimmt, bezeichne ich das Stück mit Amm. cf. erassifal- catus. [9] Ueber ein Juravorkommen bei Skutari in Albanien. 289 Phylloceras Nilssoni Hebert. Fig. 5. Prinz: Fauna der älteren Jurabildungen im nordöstlichen Bakony, ]. c. Meneghini: Lias superieur, ]. ce. Renz: Nachweis von Lias in der Argolis, 1. c. Ds gOalithe vom Cap San Vigilio. Abhandl. d. k. k. geol. R,-A. Wien 1886, Fundort: Manatia. Vorliegendes Exemplar ist ein kleiner Phyllocerate mit 6 deut- lichen Furchen, die eine sanfte Umbiegung gegen die Mündung auf- weisen. Er ist ziemlich flach, hochmündig und sehr eng genabelt. Der Querschnitt ist oval. Die Lobenlinie ist nicht sehr deutlich, doch ist das charakteristische Merkmal — die Entwicklung der Auxiliarloben bis zur Mitte des Umganges — gut ersichtlich, ebenso die Einblättrig- Phylloceras Nilssoni Hebert. keit der letzten Auxiliarsattel. Dieser so häufig gefundene Phyllocerate zeigt zwar in den verschiedenen Beschreibungen größere Abweichungen bezüglich der Größenverhältnisse, aber sein äußerer Habitus: der Verlauf der Furchen, das rasche Wachstum, der oval-eiförmige Quer- schnitt erlauben meiner Anschauung nach die Einreihung dieser Exemplare. Phylloceras cf. Zignodianum d’Orb. Fig. 6. Vacek: Oolithe vom Cap San Vigilio, 1. c. S. 66, Taf. IV, Fig. 8—11. Fundort: Manatia. Auf dem vorliegenden Stücke sind noch große Schalenreste erhalten. Die Skulptur besteht aus einer feinen Streifung, die durch stärkere Linien unterbrochen wird. Die letzteren gehen bogenförmig gegen die Mündung vorgezogen in Wülste über, die aber nur auf dem äußersten Rande und auf dem Rücken sichtbar sind. Auf dem Rücken zeigen die feinen Linien ebenfalls einen Schwung gegen die Jahrbuch d.k.,K. geol. Reichsanstalt, 1916, 66, Band, 2. Heft. (O. Saxl.) 38 290 Ottilie Saxl. [10] Mündung zu, auch ist die Entfernung der einzelnen gegen die Mündung zu eine größere. Auf den Flanken sind die Linien kaum zu bemerken und werden erst auf dem letzten Drittel deutlicher. Die Seiten gehen anfänglich flach gegen den kleinen Nabel zu, bilden aber dann eine " S Phylloceras cf. Zignodianum d’Orb. Fig. 6. steile Kante. Der Querschnitt ist rechteckig und die Wülste machen auf dem vorliegenden Stücke den Eindruck von schuppenartigem Uebergreifen. Ich hahe das Stück dem von Vacek beschriebenen gleichgestellt und fürhre als variierende Merkmale an: etwas engere Streifung und etwas involuter. Harpoceras cf. opalinum Rein. Ep, 7: Vacek: Oolithe vom Cap San Vigilio, ]. c. S. 71. Dumortier: Lias sup. Fundort: Manatia. Die Skulptur besteht aus undeutlich sichtbaren, sichelförmigen Rippen. Es ist nur der Rest eines erhabenen Kieles vorhanden, der aber, wie das Bild deutlich zeigt, sehr scharf aufgesetzt ist und des- halb zum größten Teile abgebrochen wurde. Die Umgänge verlaufen zur Naht scharfkantig, sie fallen in einem rechten Winkel zu derselben ab. Der Ammonit ist ziemlich flach, zeigt die stärkste Aufblähung gegen die Naht zu und es erfolgt dann das bereits erwähnte, steile Abfallen gegen dieselbe. Der letzte Umgang umschließt zirka ?/, des vorhergehenden. Die Lobenlinie ist sehr undeutlich, doch sieht man, daß der Externsattel durch einen Sekundärlobus in zwei unsymmetrische Hälften geteilt ist. Es herrscht Uebereinstimmung mit den von Vacek beschriebenen Exemplaren in ähnlichen Größenverhältnissen. [11] Ueber ein Juravorkommen bei Skutari in Albanien. 291 Fig. 7. Harpoceras cf. opalinum Rein. Atollites cf. carpathicus Zub. Fig. 8. Fundort: Lisna? Unter den zu bearbeitenden Fossilien aus Nordalbanien befinden sich auch noch zwei Problematika, die aus dem eocänen Flysch stammen, der den Jura unterteuft. Bei dem einen (I) Stücke erkennt man den typischen Flysch, es ist ein feinkörniger, stark glimmer- Fig. 8. (D) (ID Atollites cf. carpathicus Zub. hältiger Sandstein; das andere (II) Stück ist stark kalkhältig, dunkel und von feinen Kalkspatadern durchzogen. Bei I erkennt man auch noch andere Wülste, die den typischen Flyschcharakter vervollständigen. Von Dr. Maas!) wurden bereits ähnliche Gebilde aus den Wernsdorfer ı) 0. Maas, Über Medusen aus dem Solenh.-Sellf. und der unteren Kreide der Karpathen. Palaeontographica. Bd. 48. Stuttgart 1901—1902. | 38* 92992 Ottilie Saxl. [12] Schichten beschrieben, als Ausgüsse von Medusen aufgefaßt und als neuer Genus mit dem Namen Atollites bezeichnet. Dr. Zuber!) beschrieb einen ähnlichen Fund aus den ostgalizischen Karpathen (Jaremeze am Prut) und W. Kuzniar?) einen solchen aus dem Flysch südlich von Krakau. Der Fund aus Albanien zeigt die meiste Aehnlichkeit mit den von Zuber und Kuzniar beschriebenen und ich bezeichne die vorliegenden 2 Exemplare mit Atollites cf. carpa- thicus Zub. die große Aehnlichkeit betonend. Eine neue Unterteilung scheint mir auf das Problematische der Sache hinweisend nicht ratsam. Bei I befinden sich neben anderen Flyschwülsten die regelmäßig angeordneten Wülste des Atollite. Die Anordnung bewegt sich in elliptischer Bahn und die einzelnen Wülste sind keilförmig ausgebildet. Bei II ist die Anordnung kreisförmig, die Wülste sind ebenfalls keilförmig, aber es ist der Innenraum konkaver und die Wülste sehen dadurch viel erhabener aus. Den Anordnungen der Wülste, in kreisrunder oder elliptischer Bahn glaube ich aber nicht viel Bedeutung angedeihen lassen zu müssen, da dieselben jedenfalls auf die momentane Stellung der toten Meduse zurückzuführen sind. Dies ist auch ein Grund, warum ich beide Exemplare zu Atoll. carp. stelle. Jedenfalls wird es interessant sein, bei weiteren solchen Funden vielleicht auf sichere Annahmen zu kommen. Größentabelle: Kleinster Durch- Größter | Kleinster Größter Durch- | Durch- Durch- ! | Rear me Breite | Höhe der der der messer | messer messer messer der Wülste | Wülste | Wülste außen außen innen innen wü ülste | zum mm mm mm | mm mm 'IIl 36 34 15!/, 14 101 36 29 20 17 | ‘) Zuber, Eine foss. Med. a. d. Kreideflysch d. ostgalz. Karpathen. Verh. d. k. k. geol. R.-A. 1910, S. 57. Gesellschafts-Buchdruckerei Brüder Hollinek, Wien III. Steingasse 25. Tafel X (I). Dr. Fritz v. Kerner: Quellengeologie von Mitteldalmatien. Erklärung zur Tafel X (D. Fig. 1—8. Quellformen bei konkordanter und diskordanter Lagerung. Fig. 1. Absteigende Quelle an der Auflagerungsgrenze jungpliocäner Schotter auf Congerienschichten. (@olo brdo bei Trilj ) Fig. 2. Absteigendes Quellchen an einer Ueberschiebung von Rudistenkalk über Flyschmergel; in einem Fenster bloßgelegt. (Berg Struzevice bei Srijani.) Fig. 3. Ueberfallquelle infolge der Einschaltung von Schieferton in endo- klin gelagerten Ceratitenkalk. (Nordhang des Mutko polje ) Fig. 4. Ueberfallendes Quellchen an einer Aufschiebung von Rudistenkalk auf mitteleocänen Knollenmergel. (Mittleres Koritotal.) Fig. 5. Stauquelle infolge der Einschaltung von Mergellagen in steil gestellte Prominakonglomerate. (Hochtal von Catrnja am Prolog.) Fig. 6. Stauquelle ‘an einer Verwerfung zwischen Myacitenschiefer und Rudistenkalk. (Oberes Sutinatal.) Fig. 7. Rückstauquelle an der Grenze von tonigen Schichten gegen Horn- steinkalk im Hangenden des ladinischen Augitporphyrites. (Oberes Suvajatal.) Fig. 8. Rückstauquelle an der Transgressionsgrenze von Neogen auf Kreidekalk. (Westrand der Talmulde von Ervace.) Fig. 9—16. Beispiele von absteigenden Quellen. Fig. 9. Quellchen aus exoklinem Rudistenkalk infolge der Zwischenschal- tung unzerklüfteter oder unwegsame Klüfte führender Gesteinsbänke. (Nordhang des Westmosor.) Fig. 10. Quellchen aus Rudistenkalkbreccien, von analoger Entstehung wie das vorige. (Nordosthang des Ostmosor.) Fig. 11. Quellchen an der Auflagerungsgrenze von Nummulitenbreccienkalk auf synklinal gestellten Flyschmergel. (Monte Marjan.) Fig. 12. Quelle an der Auflagerungsgrenze von Prominakonglomeraten auf synklinal gestellten flyschähnlichen Mergel. (Oberes Koritotal.) Fig. 13. Quelle an der Auflagerungsgrenze jungpliocäner Schotter auf flachmuldenförmig gelagerte Congerienschichten. (Golo brdo bei Tri]j.) Fig. 14. Quellchen an der Grenze verwitterter gegen frische Schichten von hemizentroklinal gelagertem cenomanem Dolomit. (Hochtal von Zagradje am Mosor.) Fig. 15. Schuttgrundquelle über unteren Duvinaschichten. (Mittleres Suvaja- tal.) — Schraffiert: Schieferton; geringelt: Knollenkalk;; gefeldert: Hornsteinkalk } Fig. 16. Schuttgrundquelle über neogenem Mergelkalk. (Nordrand des Sinjsko polje.) F. v. Kerner: Quellengeologie von Mitteldalmatien. Tan 2) Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt, Bd. LXVI. 1916. Verlag der k. k. geologischen Reichsanstalt, Wien, Ill., Rasumofskygasse 23 Lichtdruck v. Max Jaffe, Wien ur Tafel XI (II). Dr. Fritz v. Kerner: Quellengeologie von Mitteldalmatien. Erklärung zur Tafel XI (II). Fig. 17—28. Beispiele von Stau- und Spaltquellen. Fig. 17. Quelle aus endoklinen, von einer Mergellage unterteuften Pro- minakonglomeraten. (Oberes Koritotal.) Fig. 18. Quelle aus endoklinen Neogenschichten. (Ostrücken des Sus- nevac.) — Punktiert: sandige Ceratophyllummergel; schraffiert: Bändermergel; unterbrochen schraffiert: Kalkmergel. Fig. 19. Quelle an der Spitze einer Knickung im Schichtstreichen an der Grenze endokliner oberer und unterer Werfener Schichten. (Nordhang des Milina- tales.) Fig. 20. Quelle an der Flanke einer von Nummulitenkalkbreccien über- lagerten Hemizentroklinale von Flyschmergel. (Westliches Dolac am Nordostfuße des Mosor.) Fig. 21. Quelle aus Hornstein führenden Schichten über Augitporphyrit. (Oberes Suvajatal.) ö Fig. 22. Quelle aus steil gestelltem Sandstein an der Grenze zwischen oberen und unteren Werfener Schichten. (Radacagraben ober Muc.) Fig. 23. Quelle aus einer Zone von Knollenkalk zwischen Schiefertonen der unteren Duvinaschichten. (Oberstes Suvajatal.) Fig. 24. Quelle aus steil gestelltem Flyschsandstein zwischen Flysch- mergeln. (Oberes Smovotal.) Fig. 25. Quelle an einer Verwerfung zwischen Werfener Schichten und Triasdolomit. (Oberes Sutinatal.) Fig. 26. Quelle an einer Verwerfung zwischen Rudistenkalk und ceno- manem Dolomit. (Mulde von Ljubac am Mosor.) Fig 27. Quelle an der Transgressionsgrenze neogener Mergelkalke auf steil gestellte Eocän- und Kreideschichten. (Tal des Ovarlj potok.) — Eng schraffiert: Kreidedolomit; weit schraffiert: Chamidenkalk; punktiert: Ruda- schichten; polygonal gefeldert: eocäne Breccien. Fig. 28. Quelle an einer Verwerfung zwischen lignitführenden Congerien- schichten und Liaskalk. (Westrand des Beckens von Lu£ane.) Fig. 29—32. Karstquellen. Fig. 29. Karstquelle aus isoklinal gelagertem Chamidenkalk. (Rumin- schlucht.) Fig. 30. Karstquelle aus heteroklinal gelagertem Chamidenkalk. Die Quelle bricht in der Verwerfungsspalte auf. (Talkessel von Ruda.) Fig. 31. Karstquelle aus Chamidenkalk, durch eine alttertiäre Mergel- schiefervorlage brechend. (Talkessel von Ruda.) Fig. 32. Karstquelle aus Rudistenkalk, nach ihrem Austritte durch vor- gelagerte Neogenschichten brechend. (Schlucht des Kozinac.) F. v. Kerner; Quellengeologie von Mitteldalmatien. Tat, XI. (II.) Fr R SEHR) EA 27 Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt, Bd. LXVI, 1916. Verlag der k. k. geologischen Reichsanstalt, Wien, Ill, Rasumofskygasse 23 Lichtdruck v. Max Jaffe, Wien Tafel XlIl. J. V. Zelizko: Beitrag zur Kenntnis der Gervillien der böhmischen Oberkreide. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Band, 2. Heft. 39 Erklärung zur Tafel XII. + Fig. 1. G@ervillia bohemica n. sp. — KniZnic bei Eisenstadtl. Fig. 2. @ervillia aurita n. sp. — Moraßic bei Leitomischl. Fig. 3. Gervillia cf. aurita. — Mora$ic bei Leitomischl. Fig. 4. Gervi’lia gibbera n. sp. — Moraßic bei Leitomischl. Fig. 5. Gervillia sp. — Moraßic bei Leitomischl. Original Fig. 1 stammt aus den Sammlungen der k. k. geolog. Reichsanstalt, die Fig. 2—5 aus der Sammlung des Schulleiters Ferina. Alle Figuren sind fast in der natürlichen Größe. J- V. Zelizko: Neue Gervillien. Taf. XII. Phot. u. Lichtdr. v. Max Jaffe, Wien, Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt, Bd. LXVI. 1916. Verlag der k. k. geologischen Reichsanstalt, Wien, IIl., Rasumofskygasse 23 Be 2 Ausgegeben im Dezember 1917. JAHRBUCH DER KAISERLICH-KÖNIGLICHEN GROLCISHEN RICHSANSTA Be JAHRGANG 1916, LAY BAND. 3. und 4; Heft. ; A BE i ST Ki ee Wien, 1917. . Verlag der K. k, ae Reichsanstalt. In Kommission bei R. Lechner win. Müller), k. u. k. Hofbuchhandlung m x I, Graben 31. T RR) | j x MAD En 107} e \ r vr \ Geomorphologische Studien über die Alpen am Rande der Grazer Bucht. Von Dr. A. Aigner. Einleitung. Es ist heute nicht mehr möglich, das Problem der Alpenbildung nur vom rein geologischen Standpunkte zu behandeln. Die Frage, wie sich die Oberfläche des Gebirges entwickelt hat, nimmt immer mehr das Interesse aller Alpenforscher in Anspruch. Im allgemeinen sind die glazialen Formen so verbreitet, daß durch sie die frühere Gestaltung des Gebirges wenigstens bis zu einem gewissen Grade ver- wischt wurde. Wie schwer es ist, sich ein Urteil über das präglaziale Relief zu bilden, geht schon daraus hervor, daß die Meinungen über das Ausmaß der Glazialerosion keineswegs geklärt sind. Da muß es in einem Gebiete, das nicht oder nur wenig vergletschert war, leicher möglich sein, sich mit der Vergangenheit des Gebirges vertraut zu machen. Dies ist vor allem am Ostrand der Alpen der Fall. Hier kommt noch dazu, daß in den westlichen Verzweigungen des großen pannoni- schen Beckens, im inneralpinen Wiener Becken, in der Bucht von Landsee und in der Grazer Bucht miozäne und pliozäne Schichten in reicher Entwicklung liegen, so daß es hier naheliegt, Beziehungen zu suchen zwischen der Formenentwicklung des Gebirges und den ein- zelnen Umbildungsepochen dieser Buchten. Mit der Lösung dieser Probleme in der Grazer Bucht habe ich mich durch eine Reihe von Jahren beschäftigt. Die Anregungen zu diesen Studien und mannigfache Förderungen danke ich meinen ver- ehrten verstorbenen Lehrern, den Herren Hofrat Eduard Richter und Rudolf Hörnes, und Herrn Geheimrat Albrecht Penck. Ueber den gleichen Gegenstand hat Herr Dr. Sölch aufdem Geographentage zu Innsbruck im Mai 1912 einen Vortrag gehalten (Lit. Nr. 1). — Es sollen nun hier die wichtigsten Ergebnisse meiner Studien zu- sammengefaßt werden. Von zwei Tatsachengruppen mußte ich ausgehen, erstens von den miozänen und pliozänen Schichten der Grazer Bucht und zweitens von den Oberflächenformen des Tertiärhügellandes der Bucht und jenen der angrenzenden Teile der Alpen. Die Folge der miozäuen und plio- zänen Schichten der Bucht ist durch zahlreiche Studien ausgezeich- neter Geologen im wesentlichen bekannt; aber über ausgedehnte Ge- biete (so über den Bereich der Spezialkartenblätter Fürstenfeld, Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstilt, 1916, 66. Bd., 3. u.4. Heft. (A. Aigner.) 40 994 Dr. A. Aigner. [2] Gleichenberg mit Ausnahme des vulkanischen Gebiets, des östlichen Teiles des Blattes Wildon, über den größten Teil der Windischen Bühel) lagen keine neueren Detailstudien vor; es mußten daher in diesen Gegenden wiederholt im einzelnen sehr zeitraubende Unter- suchungen angestellt werden. Die Arbeiten von Winkler sind erst nach Vollendung dieser Studien erschienen. Die Hauptaufgabe aber war, in kritischer Weise die Entwicklung der Formenwelt des Gebirges kennen zu lernen; dann erst konnten die Beziehungen zwischen der Öberflächenentwicklung des Gebirges und den einzelnen Phasen in der Geschichte der Grazer Bucht auf- gesucht werden. I. Die miozänen und pliozänen Schichten der Grazer Bucht. Um die geologische Erforschung der Grazer Bucht haben sich in älterer Zeit vor allem Rolle und Stur, später dann in erster Linie Hörnes und Hilber große Verdienste erworben. In neuerer Zeit haben Dreger, dann besonders Winkler über die Tertiär- schichten der Grazer Bucht eingehende Untersuchungen gepflogen. Winkler verspricht, seine Arbeiten auch über die jüngsten Schichten dieses Gebietes auszudehnen. Dann erst werden diese neueren Studien zu einem Abschluß gekommen sein. Ich folge hier im wesentlichen den Auffassungen von Hörnes und Hilber. Die tertiäre Ausfüllung der Bucht beginnt mit den lakustren, Braunkohlen führenden Schichten, die Hilber ins Untermiozän stellt (Lit. Nr. 2). Sie liegen fast durchwegs am Rande des Gebirges und erfüllen einige in das Gebirge eingreifende Buchten. Die nächstjün- gere Gruppe gehört dem Grunder Horizont und der II. Mediterranstufe (Leithakalkschichten) an. Diese Schichten liegen mit Ausnahme des Vorkommens am Aframberg bei Wildon nur westlich der Kainach und Mur. Sie bauen dann im wesentlichen den westlichen Teil der Win- dischen Büheln auf und finden sich erst weiter südlich an der Drau in deren östlichem Teile. Außerdem ist noch im Nordosten. der Grazer Bucht bei Pinkafeld ein Leithakalkvorkommen bekannt geworden (Lit. Nr. 3). Der übrige Raum der Grazer Bucht, also vor allem die Oststeiermark, wird von jüngeren Sedimenten erfüllt. Unter diesen herrschen jene Tone, Tegel, Lehme, Sande und Schotter vor, die bis- her für pontisch gehalten wurden; nach den paläontologischen Unter- suchungen von Bach (Lit. Nr. 4) muß man freilich annehmen, daß wenigstens ein Teil davon jünger, nämlich levantinisch ist. Unter diesen pliozänen Schichten — die pontischen sollen hier zum Pliozän gerechnet werden — liegen, östlich der Linie Mureck—Wildon— Doblbad, sarmatische Schichten. Am meisten treten sie zwischen den gegen Osten gerichteten Talstrecken der Raab und Mur zutage. Sölch versucht nun die Schotter im Gratweiner Becken und westlich des Plawutschzuges in mehrere Stufen zu zerlegen, indem er von den sogenannten Belvedereschottern, die er als Höhenschotter bezeichnet, zwei ältere Gruppen abtrennt. Als älteste Gruppe be- [3] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht, 295 trachtet er die von Hilber mehrfach besprochenen Blöcke, die bei Gratwein unter den Belvedereschottern liegen (Lit. Nr. 5). Er faßt sie im Gegensatz zu Hilber, der früher für sie die Beförderung durch Gletscher für möglich hielt, sie aber jetzt auf einen verhüllten archäischen Grundgebirgsrücken zurückführt, als Zeugen einer Schutt- verfrachtung auf, wie sie Penck für die Zeit der Erhebung der Alpen zu Beginn der Miozänzeit annimmt (Lit. Nr. 6, S. 1138). Als nächstjüngere Gruppe faßt er einige Schottervorkommen, vor allem in der Mantscha (Graz, SW) zusammen, die er der Leithastufe zu- rechnet und auch nach dem Vorgange von Stur (Lit. Nr. 7) als Leitha- schotter bezeichnet. Damals hätte die Mur in einer Höhe von 500 m in die Bucht gemündet, und zwar habe sie ihren Lauf im Gegensatz zu heute westlich vom Plawutschzug genommen und dann im Kaiser- wald, dessen Schotter von Penck (Lit .Nr. 6) für diluvial gehalten wurden, einen Schuttkegel aufgebaut. Ich kann dieser von Sölch vertretenen Meinung keineswegs beistimmen. Von den Biöcken bei Gratwein ist nur eines mit Sicher- heit zu sagen, nämlich daß sie unter den Bevledereschottern liegen. Es ist aber bisher nicht gelungen, einwandfrei zu zeigen, daß beide Ablagerungen verschiedenen Alters sind, ebensowenig wie sich mit Sicherheit beweisen läßt, daß die Blöcke nur eine andere Fazies der Schotter seien. Es sind daher meines Erachtens beide Meinungen nur gleichberechtigte Vermutungen. Ich halte es für möglich, daß die Blöcke aus einer Zeit sehr lebhafter Erosion, und zwar der vorpon- tischen Erosion stammen. Vielleicht gelingt es mir, später darzutun, daß man auch für diese Zeit eine Schuttverfrachtung annehmen kann, wie sie Penck für den Beginn des Miozäns annimmt. Auch die Abtrennung der sogenannten Leithaschotter halte ich nicht für berechtigt. Sölch stützt sich dabei auf mehrere Beobach- tungen, die er in Uebereinstimmung mit Stur an den Schottern in der Mantscha gemacht hat. Diese Schotter sollen nämlich durch die Verschiedenartigkeit des Materials, die Größe der Gerölle und den Grad der Verwitterung von den übrigen Schottern abweichen. Diese Eigenschaften, von denen Sölch bemerkt, daß sie außer in der Mantscha, wo sie besonders charakteristisch ausgebildet sind, auch sonst häufig in der Gegend beobachtet werden können, sind meiner Ansicht nicht in dem Maße entwickelt, daß man deshalb eine solche Abtrennung vornehmen müßte. In den Schottern der Grazer Bucht finden sich öfters lokale Verschiedenheiten, ohne daß man diesen deshalb eine besondere Bedeutung in der ganzen Schichtreihe bei- messen dürfte. Im Gegenteil, die Schotter machen den Eindruck einer einheitlichen Masse, so daß bisher kein Forscher zu einer solchen Trennung gelangt ist. Auch Stur nimmt keine Scheidung der tieferen Schotter von den höheren vor, sondern stellt überhaupt die Schotter westlich der Mur jenen östlich von ihr gegenüber. Er tut dies aber ohne wirkliche Begründung, nur um die Tatsache zu erklären, dab die marinen Bildungen der Leithastufe nicht bis an den Gebirgsrand reichen. Diese Meinung Sturs wurde aber später durch die Auffindung sarmatischer Schichten in Thal (Graz, W) unhaltbar (Lit. Nr. 8). Wenn auch nicht gesagt werden soll, daß eine solche Abtrennung, ä 40% 296 Dr. A. Aigner. [4] wie sie Sölch vornimmt, ganz und gar ausgeschlossen ist, so muB doch, so lange nicht das Gegenteil bewiesen ist, an der Einheitlichkeit der gesamten Schottermasse festgehalten werden. Noch eines möchte ich dazu zu bedenken geben. Sölch bemerkt, daß die Schotter der Mantscha tiefer als die sarmatischen Kalke von Thal liegen. Ich habe aber südwestlich von Thal, bei der Forstwiese, unter den Schottern Tegel mit sarmatischen Fossilien gefunden; diese Schichten liegen aber nicht höher als die Schotter der Mantscha. Die Lagerung der sarmatischen Schichten ist also derart, daß an keiner Stelle eine Ueberlagerung der Schotter durch sarmatische Schichten angenommen werden kann; im Gegenteil, die sarmatischen Schichten sind zum Teil sicher von den Schottern überlagert oder die Schotter erscheinen an jene angelagert. Es sind also bis jetzt keine Erscheinungen beobachtet worden, die die Abtrennung eines selbständigen Komplexes von Leithaschotterp rechtfertigen würde ; damit ist natürlich die Behauptung, daß die Mur in mediterraner Zeit westlich des Plawutsch floß nur eine Vermutung. Die Meinung, daß die Mur einmal diesen Weg genommen, entspringt aus der Ansicht, daß sich die Schotter aus dem Gratweiner Becken geschlossen über St. Oswald gegen das Kainachtal fortsetzen, eine Ansicht, die nicht genügend begründet ist, denn am rechten Gehänge des Schirdingtales, also nördlich von St. Oswald, ragen aus den Schottern an mehreren Stellen paläozoische Gesteine heraus, so daß hier der Zusammenhang der Schotter in der Tiefe nicht mit Sicherheit behauptet werden kann. Sehr unbegründet ist endlich die Bemerkung Sölchs, daß die Mur in sarmatischer Zeit wahrscheinlich aus dem Gratweiner Becken gegen Osten durch die Niederung nördlich der Kanzel überfloß. Dann müßten die Schotter, die nördlich von St. Veit liegen, auch der Leithastufe angehören oder wenigstens sarmatisch sein. Da für die Schotter östlich der Mur an vielen Stellen das pontische Alter zu erweisen ist, so ist wohl auch für diese hier das pontische Alter wahrscheinlicher als irgendein anderes. Sölch hält auch wie Stur die Schotter des Kaiserwaldes für Leithaschotter. Er sagt, daß sie den Schottern bei der Mantschamühle gleichen. Ich habe zwar die Kaiserwaldschotter nicht gerade mit jenen von der Mantschamühle verglichen, aber ich habe wiederholt den Eindruck gewonnen, daß sich die Kaiserwaldschotter von den Schottern des nördlich anstoßenden Hügellandes, so des Haseldorfbergs, Pfalzbergs usw. wesentlich unterscheiden, und mir ist die Aehnlichkeit der Kaiserwaldschotter mit dem übrigen diluvialen Schotter des Murtales aufgefallen. Ich habe zwar in meinen Studien über die eiszeitliche Vergletscherung des Murgebietes (Lit. Nr. 9) die Kaiserwaldschotter nicht behandelt, muß sie aber jetzt in Uebereinstimmung mit Penck für Deckenschotter halten. In dieser Ueberzeugung wird man dadurch bestärkt, daß sie eine ausgesprochene, mit Lehm bedeckte Terrasse bilden, die dann auch noch weiter flußabwärts auftritt. Ihre Fortsetzung sehe ich nämlich am linken Murufer in der großen lehmbedeckten Terrasse, die sich südlich der Linie Ragnitz (Leibnitz, NO) — Wolfsberg ausdehnt und dann weiter östlich in den Terrassen des Schweinsbach-, des Weinburger- und Glauningwaldes. Hier war es mir an einigen [5] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 297 Aufschlüssen möglich, zu finden, daß die Schotter dieser höheren Terrassen die gleiche Gesteinszusammensetzung besitzen wie die der niedrigeren, deren diluviales Alter nicht bestritten werden kann; der einzige Unterschied besteht im Grad der Verwitterung der Geschiebe. Auch hier ist die Verschiedenheit dieser ältesten diluvialen Schotter von den nördlich anstoßenden tertiären nach Winkler sarmatischen (bei St. Peter a. O.) in die Augen springend. Die Abtrennung mediterraner Schotter erscheint also nicht hin- reichend begründet. Dagegen dürften einzelne Schotterpartien, die mit den untermiozänen Schichten in Verbindung auftreten, untermiozänen Alters sein. So spricht Petrascheck (Lit. Nr. 38) von Konglomeraten im Köflacher Becken, die über den kohlenführenden Schichten liegen, aber noch von den gleichen Störungen betroffen wurden, wie jene. Die Hauptmasse der Schotter und Sande wird man aber als eine einheit- liche Ablagerung pliozänen Alters auffassen müssen. An dieser Meinung muß ich um so mehr festhalten, als östlich der Mur, wie schon erwähnt, auch für die tiefsten Lagen der Schotter das pontische Alter paläon- tologisch erwiesen ist (Lit. Nr. 10). Auch halte ich es für unannehmbar, östlich der Mur die höheren Schotter als eine selbständige Bildung den tieferen gegenüberzu- stellen, etwa so, daß jene über pontischen Schichten als Schuttkegel ausgebreitet worden wären. Der einzige Anhaltspunkt dafür wäre, daß in den Schottern des Laßnitztunnels (Graz, SO) ein Zahn von Mastodon arvernensis gefunden wurde, was, wie Bach zeigt (Lit. Nr. 4), darauf hinweist, daß die höheren Schotter levantinisch sind. Da bisher sonst von keiner Stelle für die levantinische Stufe bezeichnende Fossilien gefunden wurden, so wäre es ja denkbar, daß gerade die Schotter des Laßnitztunnels eine jüngere Einschaltung sind, vielleicht abge- lagert in einem in die pontischen Schichten eingeschnittenen Tale. Sonst sind keine Anzeichen zu finden, die es gestatten würden, die höheren Schotter als eine spätere Auflagerung über die pontischen zu betrachten; im Gegenteil, man bemerkt wiederholt eine Wechsel- lagerung der Schotter mit den Sanden und Tegeln (vgl. dazu auch Lit. Nr. 10) und muß so die Gesamtheit aller dieser Schichten als einen einheitlichen Komplex betrachten. Wenn die Schotter des Laßnitztunnels nicht eine lokal begrenzte jüngere Einschaltung sind, würde eben eine aus der pontischen bis in die levantinische Stufe hinaufreichende Ablagerung vorliegen. Die Auffassung, daß alle diese Schichten Ablagerungen einer ein- zigen Bildungsepoche der Grazer Bucht sind, wurde auch von Hörnes (Lit. Nr. 11) vertreten. Er sagt, daß sich hier Ablagerungen aus fließendem und stehendem Wasser vertreten. Hilber hat zuerst (Lit. Nr. 10) die Schotter als thrakische Bildungen von den übrigen pontischen getrennt, dann aber (Lit. Nr. 3) diese Meinung aufgegeben und wenigstens für das Gebiet von Hartberg und Pinkafeld erklärt, daß von einer Trennung der Schotter von den Tegeln nicht gesprochen werden kann. Freilich können innerhalb dieser Schichtserie im kleinen manche Diskordanzen bestehen und besonders sind solche zwischen den Schottern und Sanden zu bemerken; sie sind durchaus nur von lokaler Bedeutung und stören so das Gesamtbild nicht. Es 298 Dr. A. Aigner. [6] traten eben während der Ablagerung Veränderungen ein, so daß ein Gebiet vorübergehend Stromland war und dann vielleicht wieder von stehendem Wasser bedeckt wurde. Im allgemeinen überwiegen die Sande und ich möchte schon deshalb die Ablagerungen aus fließendem Wasser nicht durchaus kurzerhand als Schuttkegel bezeichnen. Westlich der Mur haben die Ablagerungen ja in mancher Hin- sieht einen etwas abweichenden Charakter, aber die Verschiedenheiten sind keineswegs so bedeutend, daß man für dieses Gebiet eine ab- weichende Entwicklung annehmen müßte. Hier im Westen fehlen die Tegel, dafür treten häufig Lehme auf. Bezüglich der in der Literatur öfter genannten, „mit Lehm gemischten Schotter“ möchte ich bemerken, daß da sehr leicht eine Täuschung unterlaufen kann, indem meist nur die an den Gehängen verrutschten Schotter diesen Eindruck machen. Sehr stark sind Sande vertreten; auch noch weit im Westen, nördlich von Voitsberg, kann man einen wiederholten Wechsel zwischen Sand und Schotter bemerken. Ich halte alle Schotter, Sande, Tegel und Lehme westlich und östlich der Mur, soweit sie nicht als sicher untermiozän oder sar- matisch erkannt wurden, für zusammengehörige Bildungen. Ihrer Ab- lagerung ging jedenfalls eine Zeit der Erosion, die vorpontische Erosion, voraus. Die Spuren dieser vorpontischen Erosion wurden von Hörnes weithin verfolgt (Lit. Nr. 12). In unserem Gebiet spricht für sie, wie schon Hilber auseinandergesetzt hat (Lit. Nr. 10), vor allem die Art des Auftretens der sarmatischen Schichten unter den überlagernden pontischen. Ferner weist er darauf hin, daß die pontischen Schotter nörd- lich der Kanzel und auch nördlich von St. Stephan a. G. in der Tiefe in einer engen Rinne, also in einer Erosionsfurche zu liegen scheinen. Ich habe auch schon früher das Vorkommen von Blöcken mit dieser vorpontischen Erosion in Zusammenhang gebracht, freilich ohne dafür einen besseren Anhaltspunkt finden zu können als den, daß die Blöcke eben unmittelbar unter den Schottern liegen. Die Frage, ob eine einzige Aufschüttung aus der pontischen bis in die levantinische Stufe fortgedauert hat oder ob die Schotter mit Mastodon arvernensis nur eine spätere Einschaltung sind, die vielleicht auch noch an anderen Stellen vorhanden sein könnten, läßt sich schwer entscheiden ; vielleicht bringen spätere Untersuchungen sichere Aufklärungen in dieser Hinsicht. II. Die Umbildungsepochen der Grazer Bucht und die pliozäne Landoberfläche. Sollen nun die Ergebnisse der geologischen Erforschung der Grazer Bucht für die morphologische Betrachtung des Gebirges ver- wertet werden, also eine zeitliche Einordnung des Ablaufs der Formen- entwicklung in die durch die Schichtfolge gegebenen Umbildungs- epochen der Bucht gefunden werden, so handelt es sich darum, die Lagen des Meeresspiegels, beziehungsweise wenn die Bucht nicht von Wasser bedeckt war, der Landoberfläche, d. h. also für den Ge- Ka Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 299 birgsrand die jeweiligen Lagen der Frosionsbasis oder allgemeiner des unteren Denudationsniveaus zu suchen. Für die Miozänzeit wird man in dieser Hinsicht in der Grazer Bucht kaum zu einem befriedigenden Ergebnisse gelangen können. Ist es vielleicht verlockend, aus der Höhe manches Leithakalkstockes der Grazer Bucht, so des Buchkogels bei Wildon, Schlüsse zu ziehen auf die Höhe des Meeresspiegels, so steht dem die Tatsache gegen- über, daß in der Grazer Bucht in nachmediterraner Zeit sicher noch bedeutende Niveauänderungen, Hebungen und Senkungen, stattgefunden haben. Es soll hier nur darauf hingewiesen werden, daß die mediter- ranen Schichten nicht an den Gebirgsrand herantreten, ein Umstand, der Stur (Lit. Nr. 7) zur Aufstellung der Hypothese von der Hebung der Zentralalpen veranlaßt hat und daß sich bei Graz zwischen die Mediterranschichten und den Gebirgsrand sarmatische Schichten in hypsometrisch tiefer Lage einschieben; Hörnes hat diesen Erschei- nungen eine eingehendere Darstellung gewidmet (Lit. Nr. 11). Zunächst hat A. Winkler (Lit. Nr. 23) gezeigt, daß in der Grazer Bucht noch erhebliche nachmediterrane Störungen eingetreten sind. Auch bei der sarmatischen Stufe ist es nicht möglich, mit einiger Sicherheit die einstige Spiegelhöhe zu finden, denn einerseits wurden die sarmatischen Schichten stark abgetragen und anderseits erfuhren auch sie jedenfalls noch eine beträchtliche Störung (vgl. dazu Winkler). Anders liegen die Verhältnisse bei den Schichten der nächst- jüngeren Entwicklungsepoche der Grazer Bucht. Pontische Schotter und Sande liegen in Buchten des Gebirges und es sind keine An- zeichen zu finden, die die Meinung stützen würden, daß das Rand- gebirge und wenigstens die randlichen Teile der Bucht seit der pon- tischen Zeit tektonisch verschiedene Wege gegangen wären; im Gegen- teil man gewinnt den Eindruck, daß diese Gebiete seither tektonisch die gleichen Schicksale erlebt haben. Wie hoch nun die pliozäne Aufschüttungsfläche in der Grazer Bucht und damit für das benachbarte Gebirge das untere Denudations- niveau lag, das läßt sich freilich nicht ohne weiteres entscheiden. Denn ich möchte nicht die auf den paläozoischen Höhen der Um- gebung von Graz isoliert liegenden und auch sonst am Gebirgsrande in ähnlicher Lage öfter vorkommenden Schotter von vornherein für pliozän halten. Hält man diese Schotter für pliozän, dann nimmt man an, daß die pliozäne Aufschüttung bis zu diesen bedeutenden Höhen emporgereicht hat. Aus einer solchen Annahme ergeben sich aber so weitgehende Folgerungen, daß man die Frage nach dem Alter jener Schotter nur auf Grund einer eingehenden Untersuchung erledigen kann. Auf keinen Fall aber kann man aus den Höhen der aus Schotter gebildeten Hügelkämme der Grazer Bucht einen Schluß ziehen auf die Höhe der pliozänen Aufschüttungsfläche. Die morphologische Betrach- tung der mittelsteirischen Hügel lehrt unzweifelhaft, daß hier eine starke Abtragung stattgefunden hat. Den Ausdruck „intakte Riedel- fläche“ möchte ich auf keinen Fall so anwenden, wie dies Sölch tut. Mir ist mit Ausnahme einiger ausgedehnterer Ebenheiten nördlich von Fürstenfeld und mit Ausnahme der zahlreichen diluvialen Terrassen im ganzen mittelsteirischen Hügelland kaum eine Stelle bekannt, die 300 Dr. A. Aigner. [8] diese Bezeichnung zulassen würde. Im Gegenteil, die Kämme der Hügelzüge sind zum Teil recht schmal und wo Verbreiterungen auf- treten, haben wir Rücken vor uns, deren flache Formen einem spä- teren pliozänen Entwicklungsstadium der Landschaft mit höherem unterem Denudationsniveau als das heutige entsprechen. Es ist ja viel- leicht verlockend, aus den Höhen der Hügelkämme die alte Aufschüt- tungsfläche zu rekonstruieren und Reste von ihr allenfalls in den aus- gedehnten Flächen zwischen Raab und Zala im westlichen Ungarn zu sehen. Man bekäme so die Oberfläche eines großen Schuttkegels. Sprechen meiner Ansicht schon die geologischen Verhältnisse nicht dafür, so noch viel weniger die morphologischen. Das ganze mittelsteirische Hügelland zeichnet sich im großen und ganzen durch eine morphologische Gleichartigkeit aus; vor allem ist da die Anordnung des Flußnetzes in die Augen springend. Dessen wesentlichste Eigentümlichkeiten bestehen in einer weit- gehenden Asymmetrie und in stets wiederkehrenden bestimmten Lauf- richtungen der Gewässer. Schon Rolle (Lit. Nr. 13) hat auf diese Er- scheinungen hingewiesen und Hilber hat über die Asymmetrie ge- handelt (Lit. Nr. 14). Dies spricht dafür, daß das ganze Hügelland bis südlich zur Drau aus einer großen Ausgangsform herausgearbeitet worden ist. Diese Ausgangsform kann nur die pliozäne Aufschüttungs- fläche gewesen sein, die jedenfalls auch in jenen Teilen der Grazer Bucht bestanden haben muß, in denen heute pontische Schichten fehlen, nämlich westlich der Linie Mur—Kainach und in den Win- dischen Büheln. Auf keinen Fall darf man aber Formen des heutigen Hügellandes mit vorpontischen Zuständen in einen Zusammenhang bringen wie Sölch, der es bemerkenswert findet, daß die Zertalung der Landschaft im Westen der Bucht nicht weiter vorgeschritten ist als im Osten. Die pliozäne Aufschüttung war eben ein Prozeß, der die Spuren der früheren Entwicklung vernichtet und dann die Grundlage für eine neue Entwicklung geschaffen hat. Aus dem Hügellande ragen aber zwei Gebiete hervor, die Hügel- kämme ziemlich an Höhe übertreffend, die aus paläozoischen Gesteinen aufgebaute Berggruppe des Sausal und das Gleichenberger Eruptiv- gebiet. Im Sausal ist an keiner Stelle eine ausgesprochene Ver- ebnungsfläche zu erkennen, die sich zwischen die Kammhöhen dieses Gebiets und jene des Hügellands einschieben würde. Den morpholo- gischen Auseinandersetzungen von Terzaghi und Leitmeier (Lit. Nr. 15) kann ich ganz und gar nicht beipflichten; die von ihnen be- schriebenen Formen können bei einer strengen morphologischen Be- urteilung nicht als Verebnungen angesprochen werden. (Die von Leitmeier in seiner Karte angegebenen Flußgerölle kommen nicht in Betracht, denn sie liegen nicht höher als sonst die pliozänen Schotter.) Bemerkenswert sind aber die schon von Rolle als epi- genetisch erkannten Flußdurchbrüche des Sulm. Aus diesen geht die Existenz einer ziemlich hoch gelegenen Talebene hervor, auf der die Sulm ihren Lauf gegen Osten genommen hat. Noch merkwürdiger ist aber eine andere, auch schon von Rolle hervorgehobene Tat- sache. Die Anordnung des Talnetzes ist nämlich im Sausal ganz die gleiche wie im benachbarten viel niedrigeren Hügellande. Auch hier [9] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 301 finden wir ausschließlich die meridionalen Täler und die asymmetrische Lage der Wasserscheide. So unterscheidet sich dieses Bergland nur durch steilere Formen, die auf die größere Widerstandsfähigkeit der Gesteine zurückzuführen sind, vom Hügellande. Diese morphologische Harmonie legt den Gedanken nahe, daß der Entwicklung beider die gleiche Ausgangsform zugrunde lag. Während also im Sausal keine Verebnungsfläche über der Höhe der benachbarten Tertiärhügel festzustellen ist, finden wir eine solche im Gleichenberger Eruptivgebiet bei Hochstraden in einer Höhe von 568 m. Es ist ein deutlich ausgeprägtes und ziemlich ausgedehntes Plateau und im Basalt ausgebildet. Da der Basalt pontischen Alters ist, muß diese Fläche entweder spätpontisch oder wahrscheinlich noch Jünger sein. Winkler beobachtet gleichfalls diese Form (Lit. Nr. 34) und bewertet ihre morphologische Bedeutung. Die runde Kuppe des Stradnerkogels hält er für einen Teil eines über jenes Niveau sich erhebenden Hügellandes. Als weitere Zeugen der einstigen Land- oberfläche betrachtet er Terrassen im benachbarten Trachytgebiet von Gleichenberg in einer Höhe von 520 m. Diese Formen sind aber bei weitem nicht so schön ausgeprägt wie die genannte Ebenheit von Hochstraden. Winkler hält alle diese Formen für mittelpliozän und meint, daß sich damals eine stark abgetragene Basaltlandschaft abgesenkt habe, allmählich übergehend in die von pliozänen Sedimenten aufgebaute Ebene, sich erstreckend bis an die näheren oder ferneren Ufer des pontischen Sees. Die Formen des Stradnerkogels zeigen, daß zur Zeit, als die Täler im Niveau von Hochstraden lagen, die Besaltberge schon eine beträchtliche Abtragung erfahren haben müssen. Es erscheint sonach sicher, daß zwischen die Zeit der Ba- salteruptionen und die Zeit der Ausbildung des Niveaus von Hochstraden ziemlich viel Zeit verstrichen sein muß. Die Frage, ob dieses Niveau in die Zeit der höchsten Lage des pontischen Sees fällt, läßt sich geologisch nicht entscheiden. Mir scheint es aber aus morphologischen Gründen sehr wahrscheinlich zu sein, daß das Niveau von Hochstraden einem späteren, also mittelplio- zänen Stadium der Entwicklung der Landoberfläche entspricht. Ich halte es also für wahrscheinlich, daß auch hier die pontische Ausgangsform höher lag. Denn wie im Sausal bemerken wir auch im Gleichen- berger Eruptivgebiet, daß die Anlage der Täler fast ganz unabhängig ist von der Ausdehnung der vulkanischen Gesteine. Auch hier finden wir Durchbrüche, die man wohl nur epigenetisch erklären kann und auch hier liegt die Wasserscheide wie westlich davon im niedrigeren Hügel- lande asymmetrisch, So erscheint es naheliegend, anzunehmen, daß die pliozäne Auf- schüttungsfläche der Grazer Bucht höher lag als die höchsten Erhebungen des Sausals und des Gleichenberger Gebiets; sie wäre also westlich der Mur rund 700 m gelegen gewesen und im Osten immer noch wesentlich über 600 m. Man wird dem vielleicht entgegenhalten, daß diese morphologische Uebereinstimmung so verschieden hoher Gebiete auch bei ganz verschiedenen Ausgangsformen entstanden sein könnte, wenn nur die Kräfte, die für die Anlagen des Flußsystems maßgebend waren, in beiden Fällen dieselben waren. Man wird aber bei ein- Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Hft. (A. Aigner.) 41 309 Dr. A. Aigner. [10] sehender Ueberlegung kaum solche Kräfte finden können, die die Entwicklung aus verschieden alten Ausgangsformen zu dem gleichen Ergebnisse erklären könnten. In diesem Zusammenhange möchte ich noch auf eine auffällige Erscheinung hinweisen. Etwas östlich des Gleichenberger Gebietes geht das Hügelland allmählich in die aus- sedehnten Riedelflächen zwischen Raab und Zäla über; diese sind nach einer freundlichen Mitteilung des Herrn Prof. Loczy von Schottern bedeckt. Hier ist die Anordnung des Flußnetzes eine ganz andere als im benachbarten steirischen Hügellande und ich denke mir, daß hier eine jüngere pliozäne Aufschüttungsfläche vorliegt, auf der dann Täler von ganz abweichenden Richtungen angelegt wurden. Das Material zu dieser jüngeren pliozänen Aufschüttung wäre von der Raab und ihren Nebenflüssen den älterpliozänen Schottern Mittel- steiermarks entnommen worden. Diese zum zweitenmal abgelagerten Schotter wären ungefähr ein Aequivalent der jüngsten pliozänen Donauschotter bei Wien, So ist es vor allem auf Grund morphologischer Betrachtungen möglich, über die pliozänen Zustände der Grazer Bucht Vorstellungen zu gewinnen. Nach der vorpontischen Erosionsepoche setzt eine be- deutende Aufschüttung ein, deren Produkt eine weit über den Kämmen des Tertiärhügellandes gelegene Fläche — jedenfalls von Gestalt mehrerer nebeneinander liegender Schwemmkegel — ist. Diese Auf- schüttung ist der letzte wichtige Abschnitt der Entwicklung der Grazer Bucht vor der Eintiefung der heutigen Täler. Deren Bildung ging auch nicht ohne Unterbrechungen vor sich; auf diese hat Sölch hinge- wiesen und Hilber hat ihnen für die Umgebung von Graz eine eingehende Darstellung gewidmet (Lit. Nr. 16). So zahlreich auch die Spuren von späteren Stillständen der Erosion sind, so kann doch kein einziger für die Ausgestaltung des Randgebirges nur annähernd eine solche Bedeutung gewonnen haben wie die Zeit der großen pliozänen Aufschüttung. Die während dieser Zeit der ständigen Hebung des unteren Denudationsniveaus im Gebirge entstandenen flacheren Ober- flächenformen mußten dann bis zu einem gewissen Grade die Aus- gangsformen für die weitere Iintwicklung und damit jedenfalls auch für das heutige Relief werden. III. Die Oberflächengestaltung des Gebirgsrandes. Schon bei oberflächlicher Betrachtung des Randgebirges der Grazer Bucht fallen die oft sehr breiten Kämme auf, deren Firstlinien vielfach auf längere Erstreckung hin ungefähr die gleiche Höhe bei- behalten. Zu ihnen gesellen sich dann in der Höhe flache Gehänge und manchmal Formen die sich auf den ersten Blick auf alle Tal- böden zurückführen lassen. Es treten also in der Höhe Formen auf, die in entschiedenem Gegensatze stehen zu den steileren Formen der tieferen Tallandschaften. — Sölch hat jüngere und ältere Formen voneinander unterschieden. Ohne darauf näher einzugehen, nimmt er von den älteren an, daß sie vor dem Einbruch der Grazer Bucht ent- [11] Geomorphologische Studieu über die Alpen der Grazer Bucht. 303 standen seien. Auch Winkler (Lit. Nr. 35) hält es für möglich, daß die im Bereiche der Umrandung der Grazer Bucht und im Bachern mit großer Deutlichkeit zu erkennenden „Terrassen“ alttertiär, wahr- scheinlich oligozän seien. An mehreren Stellen finden sich mit den alten Formen in Verbindung hochgelegene Schotter, die der morpho- logischen Betrachtung natürlich sehr wichtige Anhaltspunkte bieten und so das Bild des alten Reliefs entschleiern helfen. Bei der Durch- führung einer Formenanalyse des Gebirgsrandes stellte sich aber die Notwendigkeit heraus, dafür eine sichere theoretische Grundlage zu gewinnen. Im Laufe meiner Untersuchungen habe ich mich von fol- gendem Gedankengange leiten lassen. Die meisten der in die Grazer Bucht mündenden Täler haben V-förmigen Querschnitt, es sind Täler, in denen die Erosion noch mehr oder weniger lebhaft an der Vertiefung arbeitet. In diesen Tälern ist die Gestaltung der Gehänge abhängig von der Erosion. Wo Sohlentäler auftreten, ist der Prozeß der Talbildung infolge von lokalen Verhältnissen — geringere Widerstandsfähigkeit des Gesteins oder größere Wassermengen — schon weiter vorgeschritten; die Gehänge sind da freilich schon mehr in Ruhe, zeigen aber vielfach die Spuren gegenwärtiger oder noch nicht lange vergangener Unter- grabungen. Die Gestalt der Kämme endlich ist wieder abhängig von dem Zustande der Gehänge; wo diese sich noch nicht im Gleich- gewichtszustande befinden, haben die Kämmme Gratformen, wäh- rend sie bei im wesentlichen ruhenden Gehängen schon mehr oder weniger gerundet erscheinen, also Rückenformen besitzen. Die Formen aller dieser Täler, der Kerb- und Sohlentäler, ihre Gehänge und die dazugehörenden Kämme sind danach als die Formen eines einzigen Prozesses zu betrachten; sie sind gleichalt, wenn sie auch im ein- zelnen betrachtet verschieden aussehen, also einen verschiedenen Reifegrad besitzen mögen. Daneben treten aber Formen auf, die sich nicht allein auf das heute wirkende Kräftesystem zurückführen lassen. Ihre Erscheinung steht in einem Mißverhältnis zu den jetzt wirken- den Faktoren. In ihnen sind noch ältere Formen als Ausgangsformen zu erkennen, sie sind nicht ausschließlich von den vor unseren Augen wirkenden Kräften geschaffen worden, sondern man erkennt vielmehr, daß diese Kräfte an der Vernichtung einer alten Form arbeiten, daß es ihnen aber noch nicht gelungen, diese ganz auszutilgen und ganz ihrem System zu unterwerfen. Diese Formen müssen als die Ruinen eines alten Reliefs von den übrigen getrennt werden. Diese Scheidung ist nur möglich unter Berücksichtigung aller örtlich wirkenden Faktoren; sie soll aber nicht darauf hinauslaufen, alle Erscheinungen nach einer bestimmten Terminologie in ein festes System zu bringen. Bei der Mannigfaltigkeit und der tausendfältigen Abstufung der an der Ober- flächengestaltung wirkenden Faktoren müssen die Erscheinungen auch überaus verschieden sein und so glaube ich, daß ein Verzicht auf eine bestimmte, sehr ins Einzelne gehende Terminologie, was vielleicht als ein Mangel erscheinen mag, der Formenanalyse nur zum Vorteil gereicht, indem dadurch die Untersuchung an Vorurteilslosiekeit gewinnt. Mit diesen Gesichtspunkten, von denen ich mich schon seit Jahren leiten ließ. ohne. diesen Standpunkt öffentlich zu vertreten, 41* 304 Dr. A. Aigner. | [12] glaube ich mich in Uebereinstimmung zu befinden mit S. Passarge, der in seiner Physiologischen Morphologie Kap. V (siehe Lit. Nr. 17) ähnliche Gedanken äußert. Ich wende deshalb jetzt die von ihm ge- prägten Ausdrücke „harmonisch“ und „disharmonisch“ für die beiden Formengruppen an und nenne weiterhin, wie er alle Erscheinungen, die durch die heutigen abtragenden und aufschiebenden Faktoren er- klärt werden können, harmonisch, dagegen disharmonisch alle die- jenigen Erscheinungen, die durch die heutigen Kräfte nicht erklärt werden können. Aus den disharmonischen Formen werden die Ausgangsformen, also Teile des einstigen Reliefs rekonstruiert. Wo aber die Wirkungen der heutigen Kräfte sehr gering sind oder ganz fehlen, liegen über- haupt Stücke des früheren Reliefs vor; dabei bleibt meist noch die Frage zu lösen übrig, welchem einstigen unteren Denudationsniveau diese Formen entsprechen. Wie notwendig eine solche theoretische Ueberlegung als Grund- lage für die morphologischen Untersuchungen ist, ist schon daraus zu erkennen, daß man in der Literatur oft ungeklärten Ansichten über die Bedeutung einzelner Formenelemente begegnet und daß besonders häufig Formen als Reste alter Talböden bezeichnet werden, wo eine solche Auffassung dann bei eingehender kritischer Untersuchung keines- wegs aufrecht bleiben kann. Ich möchte für unser Gebiet nur darauf hinweisen, daß von Sölch der Ausdruck „intakte Riedelfläche“ sehr mit Unrecht angewendet wird, daß Leitmeier und besonders Terzaghi (Lit. Nr. 15) Formen als Stufen bezeichnen, wo dies ohne näheren Beweis keineswegs berechtigt ist. Auch Hilber (Lit. Nr. 16) scheidet manche Formen, für die man zu einer solchen Erklärung wohl nicht zu greifen braucht als selbständige Stufen aus. Wie schon erwähnt, finden sich auf den Höhen um die Grazer Bucht an mehreren Stellen in großer Höhe, von den Tertiärschichten mehr oder weniger getrennt, Schotter. Zum Teil sind sie in der Literatur schon besprochen, so vor allem die Schotter, die nördlich von Graz auf den Abhängen des Schöckelstockes bei Kalkleiten, Zösenberg usw. oder etwas weiter westlich davon in der Gemeinde Schattleiten vor- kommen. Sie wurden zuerst von Peters, dann von Hilber und Hörnes behandelt (Lit. Nr. 18, 10, 11). Westlich der Mur hat Hilber auf dem Straßenglerberg Schotter gefunden und W. Schmidt spricht von solchen, die nördlichvon Voitsberg auf den Höhen von Hoch- tregist und nordöstlich vom Hochkogel bei Punkt 633 gefunden wurden (Lit. Nr. 19). Auch aus dem Gebiete östlich der Mur sind Schotter bekannt, so vor allem bei Pöllau, wo sie von Hilber (Lit. Nr. 3) und Eigel (Lit. Nr. 20) nachgewiesen wurden und bei Vorau, die ebenfalls Hilber erwähnt. Zum Teil sind diese Schottervorkommen schon in der Karte von Stur eingetragen. Hörnes und Hilber, und ihnen folgt auch Sölch, stellen diese Schotter aus verschiedenen Gründen, die vorläufig nicht erörtert werden sollen, zu den pontischen Schottern; Hilber betont aber, daß man sie ebensogut auch für älter halten könne. Es soll hier auf diese Altersfrage noch nicht eingegangen werden, sondern diese Schotter sollen uns nur als Ausgangspunkte für die morphologische Betrachtung dienen. [13] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 305 Wir wollen die Betrachtung in der Gegend von Voitsberg und Köflach beginnen. Hier erreichen die zusammenhängenden Schotter Höhen von über 600 m. Von ihnen isoliert liegen einige Schotter, die diese Höhen nicht erreichen. Von ihnen rechne ich die Schotter, die ich nördlich des Zigöller (Köflach, Nord) fand, wegen der Aehn- lichkeit mit den übrigen, zu den pliozänen Schottern. Dagegen muß ich die spärlichen Schotter auf dem Rücken zwischen Kainach und Gößnitz und auf einer Terrasse des Gößnitztales (bei Puchbach) aus morphologischen Gründen für jünger halten; sie wurden abgelagert, als die große pliozäne Aufschüttungsfläche zertalt wurde. Im Gegensatz zu diesen liegen weiter südlich bei St. Martin Schotter in 700 m Höhe, also höher als die zusammenhängenden pliocänen Schotter. Sie liegen auf Rücken, deren Riedelformen zum Teil noch gut zu erkennen sind. Es war also in dieser Höhe ein Talniveau. Bedeutend höher liegen aber die Schotter nördlich von Voitsberg, auf den beiden Rücken von Hochtregist; auf dem Hochkogel erreichen sie die Höhe von 792 m. Die Rücken zeigen durchaus eine starke Abtragung. Wie hoch die Schotterfläche lag, läßt sich also nicht genau feststellen; 800 m ist ein Minimum. Der östlich benachbarte Rücken zwischen Söding- und Liebochgraben ist, wie eine morphologische Untersuchung ergibt, auf eine Ausgangsform zurückzuführen, die mit dem einstigen Talniveau von Hochtregist übereinstimmen dürfte. Interessant ist, daß sich aus den morphologischen Verhältnissen des Teigitschgebietes (Köflach-Voitsberg, S) auch ein Schluß auf die Existenz einer einstigen, über 800 m hoch gelagerten Flußebene ergibt. Es weist darauf hin, daß die Höhenentwicklung des Rückens, der von Edelschrott links der Teigitsch gegen Ost zieht, in auffälligem Gegen- satz steht zu den Gefällsverhältnissen der Teigitsch selbst. Die Kräfte, die heute an der Umgestaltung der Formen arbeiten, haben die Höhen- entwicklung dieses Rückens nicht bedingt. Es liegen also in ihm Er- scheinungen vor, die gegenüber den heutigen Faktoren als dis- harmonisch zu bezeichnen sind. In dieser Auffassung wird man durch folgende weitere Ueberlegung bestärkt. Die Teigitsch wendet sich bei Edelschrott gegen SO, obwohl man nach dem Abfall des Gebirges gegen die nördliche Tertiärmulde von Köflach einen Lauf gegen diese, also nach N erwarten müßte. Die Meinung, daß der Fluß vorher diese Richtung genommen, später aber vielleicht durch Anzapfung davon gegen SO abgelenkt worden wäre, ist hinfällig. Das Teigitschtal hat hier in seinem östlichen Teil durchaus den Charakter eines jugend- lichen Erosionstales, zum Teil ist es eine wilde Klamm. Es steht so im Gegensatz zu dem Tale, das von der Gößnitz (östlich von Puch- bach) und der untersten Teigitsch durchflossen wird. Dieser Gegensatz ist aber nicht bedingt durch ein geringeres Alter des besprochenen Talstückes der Teigitsch, sondern einzig und allein durch ungünstigere Erosionsbedingungen, indem hier widerstandsfähigere Gneise anstehen, während jenes andere Tal in Glimmerschiefer eingetieft ist. Da also hier ungünstigere Bedingungen für die Erosion herrschen, so ist eine Anzapfung von dieser Seite gänzlich ausgeschlossen, im Gegenteil, die Erosion ist hier zurückgeblieben. Die Anlage kann nur erklärt werden durch die Annahme einer im allgemeinen gegen Osten geneigten 306 Dr. A. Aigner. [14] Fläche, auf die die Teigitsch bei Edelschrott traf. Aus dieser Fläche wären dann auch die Rücken links der Teigitsch (von Edelschrott östlich) herausgebildet worden. Als Reste einer solchen Fläche möchte ich noch den Rücken des Wartenstein (Ligist, NW) rechts der untersten Teigitsch betrachten. Diese beiden letztgenannten Rücken bilden eine Vorstufe des Gebirges, die zu den Gefällsverhältnissen der Täler in keiner Beziehung steht und so leicht als disharmonische Form erkannt wird. Diese Fläche muß etwas über S00 m gelegen gewesen sein. (Oestlich von Edelschrott hat der Rücken noch Höhen von 830 m, am Jurikogel 843 m; weiter östlich dann aber Höhen unter 800 m.) Ich möchte sie in Beziehung bringen zu der durch die Schotter des Hochkogels angedeuteten Talfläche. Zu bemerken ist, daß die Ober- flächenformen der Rücken, die westlich von Köflach und Lankowitz gegen die Stubalpe hinanziehen und vielfach auch die der Rücken und höheren Gehänge im Sallagebiet disharmonisch sind und auf ein unteres Denudationsniveau in einer Höhe über 800 m hinweisen. Mit der östlich von Edelschrott zu rekonstruierenden hohen Tal- ebene stimmen auch die Oberflächenformen im Gebiete der oberen Teigitsch, des Packbaches und des Mödriachbaches (also südlich und westlich von Edelschrott) überein. Hier finden wir überall ziemlich flache Gehänge und breite Rücken, zum Teil sehr stark mit Verwitte- rungsschutt bedeckt. Alle diese Formen sehen alt aus und sind von den heute wirkenden Kräften wenig berührt. Die Erosionsleistungen dieser genannten Bäche sind hier sehr gering; die jungen Formen treten stark zurück hinter den alten. Es ist hier fast die ganze Land- schaft disharmonisch. Sie ist ein Ueberbleibsel aus jener Zeit, in der das Haupttalniveau selbst noch über 800 m hoch gelegen war. Die Erhaltung dieser alten Zustände ist zu erklären aus der Behinderung der Erosion, die die Teigitsch in dem Talstücke östlich von Edel- schrott erfahren hat. Gegenüber diesen Erscheinungen muß ich die Schotter und Formen bei St. Martin wie auf dem Rücken zwischen Gößnitz und Kainach für jünger halten. Man könnte sonst nur denken, daß sie die Basis einer Schotterauffüllung wären, die bis zu einer Höhe von über S00 m emporgereicht hätte; die morphologischen Verhältnisse sprechen aber dafür, sie als Schotter zu betrachten, die in jüngeren Tälern bei der Zerschneidung der alten hohen Landoberfiäche ab- gelagert wurden. Verfolgt man den Gebirgsrand von hier gegen Süden bis in die Gegend von Eibiswald, so fallen in den von der Koralpe gegen Ost herabziehenden Rücken an mehreren Stellen Verbreiterungen auf. Ihre Gehänge sind oben flach und schneiden scharf ab gegen die un- teren steilen Erosionsgehänge der schluchtartigen Kerbtäler. Reste von Talböden finden sich zwar nicht, wenn auch an einzelnen Stellen, so nördlich von Schwanberg und bei St. Oswald ob Eibiswald Schotter auftreten, die man für junge Auflagerungen halten muß. Es sind also hier die heutigen Kerbtäler eingeschnitten worden in eine Landschaft mit weniger scharf ausgeprägtem Relief. Eine andere Gruppe von morphologischen Erscheinungen knüpft sich an die oben erwähnten Schotter, die auf den Höhen in der Um- 115] | Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. ” 307 gebung von Graz und dann die Mur aufwärts bei Peggau zu finden sind. Die Schotter erreichen bei Graz Höhen von 700 m. Die morpho- logische Untersuchung ergibt, daß diese Höhen aber ein Minimum für die Lage der einstigen Aufschüttungsfläche sind. In der Gemeinde Schattleiten (nördlich von St. Veit) liegen grobe Schotter westlich und südlich des Maxenkogels, und zwar südlich auf einem ziemlich schmalen Rücken, der also schon eine starke Abtragung erfahren hat. Die sanften Geländeformen, die sich vom Maxenkogel westlich und dann „am Krail* ausdehnen und die gegenüber den steilen Gehängen der heutigen Täler deutlich disharmonisch erscheinen, sind daher auch jünger als die einstige zerstörte Aufschüttungsfläche. Aehnlichen Ver- hältnissen begegnet man beim Kalkleitenmöstl, dann weiter östlich bei Rinnegg und Weinberg, wo die Schotter am oberen Rande von sanft geneigten Flächen liegen, so daß diese also aus der Aufschüt- tungsfläche herausgearbeitet sein müssen. Man wird also auch hier annehmen müssen, daß die Aufschüttungsfläche wesentlich höher lag; aus ihr wurde dann natürlich auch der Rücken des Linnekberges (694 m) und die Platte herausgeschnitten. Die Schotter, die von Hilber auf dem Straßenglerberg gefunden wurden, bedeuten auch keineswegs ein Maximum in der Höhe der Aufschüttung. Ich fand _ westlich davon auf dem Abhange des Kirchbergkogels im Gehänge- schutt in einer Höhe von 700 »n einzelne Gerölle; sie sind schon um- gelagert, lagen also früher noch höher. Bestand hier eine Aufschüttungsfläche in einer Höhe über 700 m, so sind jedenfalls mehrere Berge zu beiden Seiten des Murtales ober- halb der Ausmündung in die Grazer Bucht aus ihr herausgebildet worden. Am besten lassen sich so die Höhenverhältnisse und Formen des Hienning (Wasserscheide zwischen Murtal und Rötschgraben) er- klären. Für die Beurteilung der Formen des Beckens von Semriach kommen vor allem die Schotter in Betracht, die im Gebiet der Tann- eben, nordnordöstlich von Peggau liegen (am Blodererkogel bis 800 m hoch). Damit übereinstimmend findet sich in der Gegend von Semriach bei Neudorf eine deutliche, nahezu 800 m hoch gelegene Verebnungsfläche, die zum Teil im Kalk und zum Teil im Semriacher Schiefer ausgebildet ist; in sie ist hier auch eine ansehnliche Doline eingetieft. Ich muß danach annehmen, daß die Rücken und flachen Gehänge der Umgebung von Semriach, die hier mit geringer Neigung bis zu Höhen von ungefähr 780 m ansteigen, aus dem Niveau der Fläche von Neudorf als Ausgangsform herausmodelliert wurde. Nach der Verteilung der Höhen glaube ich, daß die Mulde von Semriach gegen den Rötschgraben hin entwässert wurde, wenn nicht schon sehr früh hier eine unterirdische Entwässerung zur Geltung kam. Dieser ist es zweifellos zuzuschreiben, daß hier die alten Formen weniger zerstört wurden als sonst in der Umgebung. Die früher besprochenen Rücken vom Maxenkogel südlich, dann der von Zösenberg und die weiter östlich bis Rinnegg bilden mit den durch den Annagraben .abgetrennten Höhen des Linneckberges und der Platte eine dem 'Schöckelstock südlich vorgelagerte Stufe, Sie setzt sich weiter nach Osten hin fort bis Weiz; die Raab zerschneidet sie vor ihrer ‚Ausmündung ins Tertiärhügelland. Die morphologische Ausgestaltung 308 Dr. A. Aigner. 16] dieser ausgedehnten Vorstufe ist überaus mannigfaltig. Tief eingeris- senen Kerbtälern mit steilen Flanken stehen flache Muldentälchen gegenüber, in die die Erosion noch nicht weit genug zurückgegriffen hat und in denen so noch alte Landschaftsformen erhalten geblieben sind; die Rücken sind stellenweise sehr breit und senken sich nur ganz allmählich und gehen zuerst in ganz flache Gehänge über, die erst weiter in der Tiefe von steilen Lehnen abgelöst werden; wiederholt trifft man auch alte sanfte Gehänge; kurz, es treten eine Fülle von disharmonischen Formen auf. Sehr schwierig ist es auf den ersten Blick, alle diese Formen in ein System zu bringen. Es fehlen hier die Schotter, die auf die Höhe einer einstigen Ausgangsfläche einen Schluß gestatten würden. Da aber bei Graz durch die Schottervor- kommen die Existenz einer hochgelegenen Aufschüttungsfläche nach- gewiesen ist, so muß eine solche östlich davon über dem heutigen Hügelland auch bestanden haben. Da nun hier in dem erörterten Gebiete selbst keine Schotter vorkommen, so denke ich mir, daß sich zwischen den Schöckelstock und die Aufschüttungsfläche ein krystal- linisches Berg- und Hügelland einschob, dessen Höhe natürlich gegen die Ebene abnahm. Bei der Eintiefung der heutigen Täler könnten sehr gut daraus jene Formen entstanden sein, die wir jetzt vor uns haben. Es ist dazu zu bemerken, daß diese hier besprochenen Formen scheinbar in einem Gegensatz stehen zu den Formen des Schöckelzuges. Dieser Gegen- satz ist aber nur dadurch hervorgerufen, daß der Schöckelzug meist aus Kalk (Schöckelkalk) aufgebaut ist, während die südliche Vorstufe aus krystallinischem Gestein (Schiefer und Gneis) besteht. Wo aber die krystallinischen Gesteine bis zum Hauptkamm hinauf reichen (nord- östlich vom Schöckelkopf), da beobachtet man ein allmähliches Ueber- gehen der Formen der Vorstufe in die des Hauptkammes. Wie schon erwähnt, wird diese Vorstufe im Osten von der Raab zerschnitten. Die Raab kommt aus dem Passailerbecken und durch- schneidet den Schöckelkalkzug zwischen Kalkriegel (Punkt 1135 m) und dem Sattelberg; daun wird ihr Tal von bedeutend niedrigeren Rücken eingeschlossen. Rechts der Raab sinkt ein Rücken von Punkt 770 m herab und links erhebt sich ein Rücken bis 650 m; kurz vor ihrem Austritt ins Hügelland durchfließt sie nochmals eine Schlucht zwischen dem Steinberg (/\ 632) und Hohenkogel (etwas über 600 m). Sieht man von der Raabschlucht ab, so erscheinen diese krystal- linischen Rücken wie ein einziger Bergzug, der sich von den rück- wärts höher ansteigenden Bergen scharf abhebt und sich gegen Südost zwischen die Tertiärmulde von Kleinsemmering und Leska einschiebt. Läßt schon die morphologische Isolierung dieses Bergzuges auf die Existenz einer höheren Ausgangsfläche schließen, so führt die Anlage des Raabtales, das diesen Bergzug in der Mitte durchschneidet, noch viel deutlicher zu einem solchen Schluß. Sie ist nämlich nur epi- genetisch zu erklären durch die Annahme, daß das tertiäre früher höher aufgeragt hat als die vom Raabtal zerschnittenen krystallinischen Rücken; wäre das nicht der Fall gewesen, hätte die Raab unbedingt einer der beiden tertiären Mulden zufließen müssen, oder es wäre ihr Tal wenigstens von einer dieser Mulden her angezapft worden. EEE [117] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 309 Die genaue Betrachtung dieses Gebietes läßt übrigens keinen Zweifel in dieser Hinsicht aufkommen. Der Mortantschbach, der die tertiäre Mulde von Laska und Mortautsch zertalt, mündet nämlich nach Durchschneidung eines krystal- linischen Rückens in die Raabschlucht, und die Raab schneidet selbst die Mulde von Kleinsemmering an, um dann aber wieder zwischen krystallinischen Bergen weiterzufließen; ja sie nimmt hier auch den Bach auf, der die Mulde von Kleinsemmering entwässert. Freilich, wie hoch die Fläche lag, auf der das heutige Raabtal angelegt wurde, dafür hat man hier selbst keinen Anhaltspunkt, denn einmal fehlen Flußschotter und dann gestatten auch die krystallinischen Rücken der beiden Seiten des Raabtales morphologisch keinen sicheren Schluß. Wie schon erwähnt, durchschneidet die Raab, bevor sie in die eben besprochene epigenetische Talstrecke eintritt, den von Südwest gegen Nordost ziehenden Schöckelkalkzug; nordwestlich von diesem Horst (siehe Heritsch, Lit. Nr. 21) folgt um Passail ein breiter Streifen von Semriacher Schiefer. Dieses Gebiet ist nach Heritsch ein Einbruchsbecken zwischen dem genannten Horst und dem paläo- zoischen Stock der Teichalm. Im Passailer Becken liegen ziemlich ausgedehnte tertiäre Sobtenten! über die nur Andrae (Lit. Nr. 22) etwas eingehender berichtet hat; es kommen hier Konglomerate und Breceien, Sandstein und Tegel mit Braunkohlen vor. Sie wurden von Stur den übrigen Braunkohlen führenden tertiären Schichten gleichgestellt. Daneben habe ich noch südlich von Hochenau bei Punkt 909 Schotter gefunden; diese Schotter stehen, wie es scheint, in keiner Beziehung zu den übrigen tertiären Schichten der Gegend. Die Landschaft hat im Becken von Passail den Charakter eines Hügellandes. Zwischen den einzelnen Quelltälern der Raab liegen meist breite Rücken. Selbstverständlich sind die Formen je nach dem Ge- steine sehr verschieden. Wo weiche tertiäre Gesteine liegen, sind die Formen flach und die Täler breit; das Tertiär wurde schon stark ausgeräumt. Die Formen der Rücken weisen auf verschiedene Aus- sangsformen hin. Sehr häufig findet man bei den aus dem Semriacher Schiefer aufgebauten Rücken Höhen von ungefähr 750 m. Die Formen dieser Berge zeigen aber keine Verebnungen, sondern man erkennt, daß an ihnen die Abtragung ziemlich Beträchtliches geleistet haben muß. Die immer wiederkehrende Höhe weist aber auf eine gemein- same Ausgangsform hin. Als deren Reste betrachte ich jene Flächen, die sich gegen Nordwesten von Passail bei Punkt 783 und 792 und nordöstlich bei 782 finden. Es sind da breite Rückenflächen, zum Teil ausgesprochene Riedel, Formen, die sofort als disharmonisch, gegen- über den ziemlich steilen Talgehängen zu erkennen sind. Ich denke mir, daß hier eine Landschaft bestand mit breiten Talflächen im Niveau von ungefähr 790—800 m; es war wohl eine Abtragfläche mit sehr geringen Höhenunterschieden. Einzelne Formen weisen aber auf tieferliegende Ausgangsformen hin, die eben einem späteren Stadium der Entwicklung entsprechen. Dagegen haben einzelne Rücken das Niveau von rund 800 m stärker überragt, so der Rücken nordöstlich von Passail, wo bei Punkt 909 die schon erwähnten Schotter liegen. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916. 66. Bd., 3. u. 4. Heft (A. Aigner.) 42 310 Dr. A. Aigner. 118) Deuten diese Schotter auch auf eine hochliegende Aufschüttungsfläche hin, so konnte ich diese doch nicht als Ausgangsform für die meisten Rücken des Passailer Beckens betrachten, weil eben zwischen beiden noch die gut erhaltenen Riedelflächen von rund 790 m Höhe liegen, Dieses Niveau von 790—800 m ist in das Tertiär von Passail einge- schnitten, ist also jünger. Für die Schotter von Punkt 909 gibt es keine näheren Anhaltspunkte; sie stehen, soviel ich sah, in keinem Zusammenhang mit dem übrigen Tertiär, und sind wahrscheinlich auch jünger; vielleicht kann man mit der durch sie angedeuteten Auf- schüttungsfläche, die jedenfalls erheblich höher als 900 gelegen war, noch eine Form in Beziehung bringen, die deutlich als Rest einer einstigen Landschaft zu erkennen ist. An der Wasserscheide zwischen dem Passailer Becken und dem Tyrnauer Graben ist bei Vorder- Tyrnau in einer Höhe von 968 m im Kalk deutlich eine große Doline ausgebildet. Sie ist stark ausgefüllt und zeigt einen ziemlich ausge- dehnten, fast ebenen Boden. Daß diese kein Teil eines einstigen Tales ist, erkennt man sofort aus dem Fehlen irgendwelcher Einschwem- mungen aus fließendem Wasser und vor allem daran, daß der Boden überall von Kalk, wenn auch zum Teil nur ganz wenig, überragt wird. Diese Doline liegt, wie gesagt, auf der Wasserscheide; nordwestlich wird ihre Umrandung durch das 354 m hohe rechte Steilgehänge des Tyrnauer Grabens abgeschnitten und ihr südwestlicher Rand wird durch die aus dem Passailer Becken nach rückwärts einschneidenden Bäche zerstört. Es ergeben sich so für das Passailer Becken die Umrisse einer sehr mannigfaltigen Entwicklungsgeschichte. Die Eintiefung der heutigen Täler erfuhr weniger bedeutende Stillstände; ihr ging voraus die Ausbildung einer ausgedehnten Abtragfläche von 790—800 m Höhe. Weiter zurück liegt die Zeit, aus der die über 900 m hoch liegenden Schotter nordöstlich von Passail und die Doline von Vorder-Tyrnau stammen; dem ging wahrscheinlich das Stadium voraus, in dem die ausgedehnten Tertiärschichten des Beckens gebildet wurden. Danach ist es wohl klar, daß man die beiden Täler der Raab und des Weiz- baches nicht ohne weiteres als primäre Ueberflußdurchbrüche bezeichnen kann, wie dies Heritsch tut. Die Anlage der beiden Täler geht wohl sehr weit zurück und es scheint mir so zunächst nicht möglich, sich darüber ein abschließendes Urteil zu bilden. Im einzelnen be- kommt man aber den Eindruck, daß der Durchbruch der Raab älter ist. Dafür spricht, daß das Tal des Weizbaches oberhalb des Durchbruches Jugendlichere Formen zeigt, als die Quelltäler der Raab im gleichen Gesteine. Uebrigens finden sich auch Spuren von Anzapfungen, die vom Tal des Weizbaches gegen das Raabgebiet gerichtet sind. Zwischen dem Weiztal und dem Feistritztal finden sich auch mehrfache Spuren höherer Landoberflächen. So liegt nördlich von Weiz bei Landscha in einer Höhe von über 600 m eine ausgedehnte Vereb- nung. Oestlich davon treten südlich des Raasberges in Höhen über 600 m Formen auf, die als die Reste einer einstigen Karstlandschaft zu betrachten sind, Zwei große Dolinen mit ebenen Böden sind deutlich zu erkennen. Sehr zahlreich sind die disharmonischen Formen im Feistritztal. Die Rücken am rechten Gehänge des Feistritztales südlich von Anger [19] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 311 weisen entschieden auf eine höhere Fläche als Ausgangsform hin. Nördlich von Anger finden sich auf den schmalen Rücken und Gehängen rechts des Tales an verschiedenen Stellen Schotter und einzelne Ge- rölle in Höhen bis zu ungefähr 640 m; doch gestatten die Formen hier keine weiteren Schlüsse. Sehr interessant sind die Verhältnisse in der weiteren Umgebung von Birkfeld. Schon eine oberflächliche Betrachtung läßt hier eine Disharmonie der Formen erkennen. Scharf heben sich die breiten Rücken von den übrigen Bergen ab und stehen wieder in auffallendem Gegensatz zu den scharf eingeschnittenen, schluchtartigen Tälern. Eine genaue Untersuchung ergibt, daß hier die Reste von zwei Stadien der Formentwicklung vorliegen. Der Rücken von Piregg (zwischen Gasen und Weißenbach) gehört oberhalb Birkfeld einer höheren Stufe an. Ihre einstige Höhe ist angezeigt durch ein nicht unbeträchtliches Schottervorkommen, das sich vom Grubbauer (ö 770) gegen Nordwest hin erstreckt; Reste davon finden sich auch in kleinen Partien noch südöstlich davon. (Unter dem Schotter wurde auch Braunkohle erschürft.) Dieser breite Rücken wurde also aus einer Aufschüttungsfläche herausgebildet, die mindestens 820 m hoch lag. Sie erhielt ihre heutige Gestalt im wesentlichen während des nächstfolgenden Stadiums, dessen Reste gleich östlich davon in dem Rücken zwischen Weißenbach und Feistritz zu erkennen sind, wo auch (beim W. H. Gallbrunner und bei ö 748) Schotter liegen. Außerdem finden sich noch an vielen anderen Stellen Formen, die einer der beiden Stufen entsprechen. Vor allem sind die Formen häufig, die dem ersten Stadium zuzurechnen sind. So sind die Mulden von Miesenbach (Birkfeld, ONO) und von Strallegg (Birkfeld, NO) Reste der Landschaft des ersten Stadiums. Sind auch Stücke des alten Talbodens kaum mehr erhalten, so sind dafür fast alle Gehänge der Berge der alten Landschaft angehörend und von der heutigen Erosion ganz unberührt geblieben. Hier überwiegen ganz ähnlich wie im Gebiete der oberen Teigitsch (Köflach, S) die alten Formen weit über die rezenten. Die natürliche Ausmündung des Feistritztales in die Grazer Bucht ist westlich des Kulm (A 976 m). Hier wurde pliozäner Schotter über pliozänem Tegel und sarmatischen Bildungen aufgeschüttet; sie reichen südlich von Anger bei Hartberg nahezu bis 600 m Höhe hinauf. Die Feistritz nimmt aber heute einen anderen Weg. Sie wendet sich nach Osten, schneidet zuerst vom Stock des Rabenwaldes den Berg von St. Ulrich (+ 556) ab — dieser Durchbruch ist natürlich ohne weiteres epigenetisch zu erklären — und fließt dann zwischen dem Kulm und dem Rabenwald (Freienbergklamm) weiter. Für die Entstehung dieses letzteren Durchbruches kann ich keine Erklärung geben. Da die plio- zänen Schotter westlich von Kulm liegen und in der Umgebung der Freienbergklamm, soviel ich gesehen habe, keine Schotter zu finden sind, so ist anzunehmen, daß dieser Durchbruch erst nach der plio- zänen Aufschüttung geschah. Die epigenetische Entstehung ist wohl ausgeschlossen, denn da müßte man annehmen, daß die Aufschüttung bis nahezu 1000 m emporgereicht hätte, oder daß nachträglich hier bedeutende Hebungen stattgefunden hätten. Denkbar wäre es, dab zur Zeit der pliozänen Aufschüttung zwischen dem Rabenwald und 42* 312 Dr. A. Aigner. [20] dem Kulm schon ein niedriger Sattel bestand; dann könnte der Durehbruch entweder durch seitliches Ueberfließen entstanden sein, oder es wäre vielleicht der niedrige Riegel durch rückschreitende Erosion überwunden worden und so die Feistritz in diese Richtung gelenkt worden. Vielleicht geben andere Untersuchungen darüber sicheren Aufschluß, — Südlich von Stubenberg fließt die Feistritz nochmals durch ein Durchbruchstal (Herbersteinklamm) und trennt so den 531 m hohen Buchberg vom Kulmstock ab; dieser letzte Durch- bruch kann ung ezwungen epigenetisch erklärt werden. Oestlich der Ausmündung des Feistritztales greift bei Pöllau das Tertiär ziemlich tief in das Gebirge zwischen Rabenwald und Miesenbach ein. Der Tertiär dieser Bucht ist besprochen von Hilber (Lit. Nr. 3). Im Tertiär spielen hier die Schotter die Hauptrolle. Sie finden sich auch an verschiedenen Stellen als Auflagerung auf den krystallinischen Höhen (vgl. Eigel, Lit. Nr. 20). Nordwestlich von Pöllau reichen sie so bis zu einer Höhe etwas über 600 m empor. Rings um das Tertiär finden sich Spuren von disharmonischen Er- scheinungen; vor allem sind die Formen der östlichen Abdachung des Rabenwaldes alt. Aber es ist doch sehr schwer, deutliche Niveaus zu erkennen, Ich habe den Eindruck, daß hier in verschiedenen Höhen Stufen bestanden, daß aber ihre Formen stark ineinander übergehen und so eine Rekonstruktion des alten Reliefs schwer möglich ist. Doch scheinen die Formen auch hier auf ein Relief hinzuweisen, dessen Talniveau ungefähr 700 m hoch lag. Oestlich des Masenberg-Ringkogelstockes liegt an der Lafnitz und Pinka eine breite Tertiärbucht. Ueber sarmatischem Gestein und lakustren pontischen Schichten liegen hier Schotter, die, wie Hilber bemerkt, in einem innigen Zusammenhang stehen mit den übrigen pontischen Schichten. Diese Schotter lassen sich an einigen Stellen ins Gebirge hinein verfolgen. So sieht man westlich von Dechants- kirchen über krystallinischem Gestein die gleichen Schotter, die weiter draußen liegen. Man findet sie noch südlich und südwestlich von St. Lorenzen am Wechsel. Sie liegen hier auf Rücken, die ihre Riedelform noch fast ganz erhalten haben. Die Schotter treten dann auch weiter südwestlich bis gegen Vorau auf (hier sind sie schon auf der Stur’schen Karte eingezeichnet; sie wurden auch von Hilber besprochen). Beim Stift Vorau ist das ursprüngliche Niveau mit 00 m Höhe noch erhalten. Dagegen zeigen die weiteren nordöstlich benachbarten breiten Rücken schon eine stärkere Abtragung: hier ist der Schotter zum Teil auch mit eckigen Trümmern des darunter- liegenden Gesteines gemischt; die Ablagerung ist eben keine ur- sprüngliche, sondern ist Verwitterungsschutt. Das diesen Schottern entsprechende Tal hatte also bei Vorau eine Höhe von 700 m, bei seiner Ausmündung in die Bucht von vielleicht 650—60 m. Nur an wenigen Stellen der Umrandung der Grazer Bucht sind alte Talböden so schön erhalten. Auch die Gehänge rings um die ausgedehnte Mulde von Vorau stehen in schöner Uebereinstimmung mit diesem Talniveau. Auch an der oberen Lafnitz sind disharmonische Erscheinungen sehr häufig; vor allem stehen die Gehänge der Berge in der’ Umgebung von Wenigzell in keiner Beziehung zu der heutigen Talbildung. Das [21] Geomorphologische Studien über die Alpen: der Grazer Bucht. 313 Merkwürdige ist nur, daß man hier bei der Untersuchung der Formen zur Annahme eines unteren Denudationsniveaus in fast 800 m Höhe kommt. Es drängt sich so die Frage auf, ob der gefundene Formen- komplex bei Vorau mit dem in der Umgebung von Wenigzell ver- glichen werden kann. Man könnte auch zu der Meinung kommen, daß die alten Formen bei Wenigzell einem früheren Stadium der Tal- bildung entsprechen und weiters, daß zur Zeit dieses alten Stadiums das Haupttal aus der Gegend von Wenigzell über Vorau ins Vorland hinauszog. Eine eingehende morphologische Untersuchung zeigt aber, daß eine sölche Annahme unhaltbar ist. Erstens läßt sich in den Ge- hängen rings um die Mulde von Vorau keinerlei Anhaltspunkt für diese Auffassung finden, sondern die Gehänge stehen überall in auf- fälliger Uebereinstimmung mit dem Talboden von Vorau. Bei Wenig- zell treten keine Talbodenreste auf, sondern, wo alte Formen noch ganz erhalten sind, sind es immer Stücke flacher Gehänge; es bestand also wohl hier kein breiter Talboden, sondern es war hier ein weites Muldental. Die große Höhe des unteren Denudationsniveaus ist aus lokalen Verhältnissen zu erklären. Einmal ist die Mulde von Wenig- zell von der Mündung des Tales in die Bucht viel weiter entfernt als die Mulde von Vorau und dann ist das Lafnitztal in ein härteres Gestein eingeschnitten, nämlich in Gneis, während in der Umgebung von Vorau ein sehr leicht verwitternder Glimmerschiefer ansteht. Uebrigens ist auch heute die Eintiefung des Lafnitztales gegenüber der des Vorautales weit zurückgeblieben, wie ein Blick auf die Spezialkarte lehrt. Ich halte daher alle hier auftretenden disharmoni- schen Erscheinungen für gleich alt. Schwieriger sind die Verhältnisse weiter im Osten, nördlich und östlich von Friedberg zu deuten. Hier treten Tertiärschichten, vor allem Schotter und Konglomerate an verschiedenen Stellen auf, so einmal bei Pinggau, dann bei Lafnitzdorf und Sinnersdorf und nörd- lich von Pinkafeld; dann weiter im Gebirge östlich von Mönich- kirchen, bei Lebenbrunn, Ungerbach und Schönau im Gebirge. Auf den ersten Blick möchte man den Konglomeraten von Sinnersdorf, die dort an die sicher pliozänen Schotter westlich des Pinkatales herantreten, eine ähnliche Stellung zuerkennen, wie den Schottern, die in der Gegend von Graz bei St. Veit aus dem Gebirge heraus- treten. Hilber hat sie (a. a. O.) in Uebereinstimmung. mit. Hof- mann für untermiozän gehalten und Mohr (Lit. Nr. 36), der von einem Tertiärstreifen aus der Gegend von Aspang bis gegen Pinka- feld spricht, nimmt ein untermiozänes oder mittelmiozänes Alter für sie an. Es entzieht sich meiner Beurteilung, ob alle diese genannten Vorkommen zusammengehörige Bildungen sind. Die krystallinischen Berge zeigen auch hier meist disharmonische Formen, die sich zum Teil auf ein unteres Denudationsniveau von un- gefähr 700 m Höhe zurückführen lassen dürften. Doch müßten die morphologischen Probleme der Krumbacher Berge und der südöstlich anstoßenden Günser Berge Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein. Sie müßte vor allem ausgehen von der Betrachtung des Tertiärs der Bucht von Landsee und weiters anknüpfen an das Wiener Becken. 314 Dr. A. Aigner. [22] Ueber das Gebiet der Krumbacher Berge möchte ich nur be- merken, daß man hier zu unterscheiden hat zwischen den hochliegen- den Resten einer alten Abtraglandschaft, aus der die zum Teil über- aus breiten Rücken herausgeschnitten sind, und den tieferliegenden (600—700 m) Talbodenresten. In welcher Beziehung die früher er- wähnten tertiären Vorkommen zu diesem Talboden, beziehungsweise zur alten Abtragfläche stehen, habe ich nicht untersucht. Auf keinen Fall aber kann ich Schaffer (Lit. Nr. 23 und 37) beistimmen, der die Meinung vertritt, daß ein aus dem Längstal der Mur und der Mürz kommender Fluß, der norische Fluß, beim Semmering das Ge- birge verließ und hier gegen Osten ein Delta aufgeschüttet habe. Er kommt zu dieser Meinung auf Grund vereinzelter, weit auseinander- liegender Schottervorkommen; so stützt er sich auf Schotter und Sande, die östlich des Rosaliengebirges auftreten. Er läßt aber da- bei ganz außer acht, daß gerade das Rosaliengebirge (also der nörd- liche Teil der Krumbacher Berge) morphologisch keinen Anhaltspunkt für eine solche Ansicht bietet. Eine genaue, in die Einzelheiten ein- gehende morphologische Untersuchung dieses Gebietes würde jeden- falls die Unhaltbarkeit dieser auf Grund eines ganz unzulänglichen Materials aufgebauten Hypothese dartun. IV. Das geologische Alter der disharmonischen Ober- flächenformen. In dieser Weise wurde die Umrandung der Grazer Bucht einer kritischen Untersuchung unterzogen. Das Wesentliche der Unter- suchung war die Trennung der den heute wirkenden Kräften harmo- nischen Formen von den disharmonischen. Gewöhnlich hat die Unter- suchung eines Gebietes gleich für eine große Zahl von Erscheinungen zu dem gleichen Ergebnis geführt; es ergaben sich ganze disharmo- nische Formenkomplexe und es war so möglich geworden, größere Teile alter Landschaften zu rekonstruieren. Es gilt nun die einzelnen Formenkomplexe miteinander zu vergleichen und zu untersuchen, ob sie parallele Erscheinungen sind oder nicht. Diese Untersuchung stößt vor allem auf die Schwierigkeit, daß die den einzelnen alten Formen- komplexen entsprechenden unteren Denudationsniveaus nur mit einiger Annäherung angegeben werden können. Zu dieser Aufgabe tritt dann die Lösung der Frage nach dem geologischen Alter der einzelnen alten Landschaften. Liebe sich diese Frage für jeden einzelnen Fall sicher lösen, so wäre damit auch die Frage nach den Beziehungen der einzelnen Formenkomplexe zueinander gelöst. In den meisten Fällen waren hochliegende Schotter die Aus- gangspunkte für die Auffindung alter Oberflächenformen. Mit der Altersfrage der Schotter würde auch die der alten Landschaften gelöst sein. Wie schon erwähnt, haben Hörnes und Hilber die Schotter der Umgebung von Graz zu den sogenannten Belvedereschottern gerechnet; Hilber hat dann dasselbe getan mit den Schottern bei Pöllau und Vorau. Er hat aber dann auch ausdrücklich bemerkt, daß [23] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 315 diese Zuweisung keineswegs die einzig mögliche Deutung sei. Der Hauptgrund für diese Altersbestimmung war wohl der, daß die Schotter auf den Höhen bei Graz (Schattleiten, Kalkleiten usw.) den tieferliegenden Belvedereschottern petrographisch gleichen. An manchen Stellen, so bei Schattleiten, Pöllau und Vorau, sind die dem Grundgebirge aufliegenden Schotter mit den im Tertiärhügelland lie- genden, durch einzelne kleine Schotterpartien in ungezwungener Weise in Verbindung zu bringen. So ist es bei den Schottern von Hochtregist, die W. Schmidt auch für jungtertiär hält. Ganz iso- liert sind vor allem die Schotter bei Birkfeld, in der Umgebung von Passail und die auf der Tanneben. Winkler hält für die hoch- liegenden Schotter ein sarmatisches Alter für möglich (Lit. Nr. 33). Die angeführten Gründe für die Annahme des pliozänen Alters können nicht genügend befriedigen, wenn man sich die daraus mit zwingender Notwendigkeit hervorgehenden morphologischen Folge- rungen vor Augen hält. Im letzten Abschnitt wurde dargetan, daß die erwähnten Schotter in innigem Zusammenhang stehen mit den ver- schiedenen hochgelegenen Resten alter Reliefs. Wenn nun die Schotter pliozän sind, so bestand also am Alpenrand im Pliozän eine Landschaft mit einem unteren Denudationsniveau von 700-—-800 m. Dies wäre besonders auffällig für die Gegend bei Graz und westlich bis gegen Voitsberg. Hier ist von dem den Schottern entsprechenden Relief nur sehr wenig mehr erhalten; so mußten die Landschafts- formen, die vorher bestanden, genug ausgetilgt worden sein und die miozänen Schichten, die durchaus in der Tiefe liegen, würden in keinerlei Beziehung gebracht werden können zur heutigen Gestalt des Gebirges. Es wäre dies eine Auffassung, die sich von den sonst meist herrschenden Auffassungen sehr wesentlich unterscheiden würde. Was hier für den Rand der Grazer Bucht gilt, muß natürlich auch wenigstens für die nächstbenachbarten Teile des Gebirgsinneren, so für das Längstal der Mur und Mürz und für das Lavantal gelten und auch hier würde das heutige Relief nicht von dem abgeleitet werden können, wie es z. B. in der Zeit der Bildung der obersteirischen Braunkohlenlager bestand. Für das gesamte Gebirgsrelief hier im Osten würde nur das pliozäne Relief die Ausgangsform sein. Das miozäne Relief einerseits und anderseits das pliozäne mit dem daraus abgeleiteten gegenwärtigen wären zwei voneinander getrennte Gebilde; zwischen beide würde eine ziemlich weitgehende tektonische Umfor- mung des Gebirges hineinfallen. Da eine einwandfreie Altersbestimmung des Schotters geologisch nicht durchführbar ist, sich aber aus der Altersbestimmung weit- gehende morphologische Folgerungen ergeben, so soll die Frage rein morphologisch behandelt werden. Die Untersuchung wird natürlich an jene Gebiete anknüpfen müssen, wo die alten Formen in größerer Ausdehnung vorhanden sind. Hier stehen sich dann zwei Formen- komplexe gegenüber, ein harmonischer und ein disharmonischer. Zu- nächst läßt sich morphologisch nur das feststellen, was schon in diesen Bezeichnungen ausgedrückt ist, eine nähere Altersbestimmung ist nicht möglich. Vielleicht ist aber die Frage zu beantworten, ob die beiden einander gegenüberstehenden Formenkomplexe unmittelbar aufeinander- 216 Dr. A. Aigner. [24] folgende Gebilde sind, oder ob sich zwischen sie eine lange Ent- wicklung einschalten läßt, auf die man vielleicht aus geologischen Gründen schließen müßte. Wie oben auseinandergesetzt wurde, darf man sich die Schick- sale der Bucht während des Miozäns keineswegs sehr einfach vor- stellen. Die marine Bedeckung der Bucht beginnt mit einer aus- gedehnten Transgression (II. Mediterranstufe). Wahrscheinlich ging der sarmatischen Zeit eine Frosionsepoche voraus (vgl. Fuchs, Lit. Nr. 24); sicher wurde sie durch eine Zeit der Erosion, die. so- genannte vorpontische Erosion, abgeschlossen, der dann die bedeutende pontische Aufschüttung folgte. Ist es auch für die einzelnen Phasen dieser Umbildungen nicht möglich, die Lagen der Erosionsbasis fest- zustellen, so erkennt man doch, daß die FErosionsbasis überhaupt er- hebliche Verschiebungen erlitten hat. Ebenso wichtig ist aber auch die schon oben erörterte Tatsache, daß in dieser Zeit beträchtliche Hebungen und Senkungen stattgefundeu haben, die natürlich einen bedeutenden Einfluß auf die Formenentwicklung des Gebirges aus- geübt haben müssen. So kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß zwischen der Existenz des Gebirgsreliefs, das vor dem Einbruch der Bucht bestand, und der Eintiefung der heutigen Täler mannig- fache Veränderungen in der Wirksamkeit der formgebenden Kräfte. eingetreten sind, und es geht daraus mit Klarheit hervor, daß das den heutigen Kräften harmonische Relief nicht unmittelbar aus jenem vor dem Einbruch der Bucht bestehenden hervorgegangen sein kann. Nur für einige Gebiete der Umrandung läßt sich diese Frage aus morphologischen Gründen mit Sicherheit beantworten. Besonders klar ist es im Gebiete der Lafnitz. Hier bei Wenigzell, Vorau oder südlich von St. Lorenzen sind die alten Formen in großer Ausdehnung erhalten und wir sehen in sie nur schmale junge Kerbteile ein- geschnitten, die nur an wenigen Stellen den Charakter von Sohlentälern annehmen. Diese Täler, auf deren Erosion allein die Zerstörung des alten Reliefs beruht, sind so einfache Gebilde, daß sie unmöglich eine längere wechselvolle Entwicklung hinter sich haben können; im Gegenteil, sie sind das Frgebnis eines einzigen, nicht wesentlich unterbrochenen Aktes der Talbildung. Es kann so keinem Zweifel unterliegen, daß die beiden Formenkomplexe unmittelbar aufeinander- folgende Erscheinungen sind. Bei Pöllau können die alten Gehänge auch keineswegs ein höheres Alter besitzen; hier wäre man eher ver- sucht, sie in Zusammenhang zu bringen mit noch jüngeren Phasen der Entwicklung, nämlich mit den niedrigeren in der pliozänen Aus- füllung der Bucht ausgearbeiteten Terrassen. Bei Birkfeld liegen die. Verhältnisse ganz ähnlich wie an der Lafnitz. Es treten hier, wie auseinandergesetzt, nur die Reste von zwei verschiedenen alten Land- oberflächen auf. Aber die Formen der höherliegenden sind die vor- herrschenden und gerade ihre ausgedehnte Erhaltung und zum Teil bedeutende Zerschneidung durch die heutigen Täler zeigt, daß diese beiden Phasen der Öberflächenentwicklung unmittelbar aufeinander- gefolgt sind. Die hier vorhandene tiefere Stufe ist nur eine Unter- brechung der Eintiefung der heutigen Täler, eine Phase, der weiter keine besondere Bedeutung zukommt. In der Talweitung von Birkfeld [25] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 317 scheint die Erosion weniger energisch in die Tiefe gearbeitet zu haben (man beachte auch hier die große Mächtigkeit der alten Schotter) und so ist die Einschaltung einer solchen Zwischenstufe leichter verständlich. Auch für die bei Passail nachgewiesene Tal- ‚fläche in 790—800 m Höhe ist es sicher, daß sie die unmittelbare Ausgangsform für die heutigen Formen ist. Ganz zweifellos ist die unmittelbare Aufeinanderfolge der Formenkomplexe in jenen beiden Fällen, wo aus der Anlage der heutigen Täler auf die Existenz ein- stiger Talebenen geschlossen wurde, auf denen die Flüsse jenen Weg genommen haben, den sie dann in das Gebirge eingeschnitten haben, nämlich bei den Tälern der Raab und Teigitsch. Auch bei den Tälern am Ostabhang der Koralpe erscheint die Annahme der direkten Heraus- entwicklung der rezenten Formen aus den gefundenen älteren am natür- lichsten. In allen diesen Fällen ist der heutige Formenkomplex so ein- fach, daß er unter keinen Umständen zu vereinen ist mit wiederholten Verschiebungen der Erosionsbasis ; die Wirkungen einer wechselvollen Entwicklung hätte unmöglich ganz verschwinden können, um so weni- ger, als es sich ja im allgemeinen nicht um so sehr bedeutende Lei- stungen der Talbildung handelt. So läßt sich für mehrere Teile unseres Randgebirges ganz unab- hängig voneinander zeigen, daß die heutigen Täler unmittelbar in jene gefundene Reliefreste eingetieft sind. Damit ist einerseits die Erkenntnis gewonnen, daß die alten Formen dieser einzelnen Gebiete zeitlich zusammengehören, daß sie also Teile einer einzigen Land- schaft sind, anderseits aber ein fester Standpunkt für die Lösung der Altersfrage gewonnen. Für alle diese Gebiete besteht also ein Gegen- satz zwischen der Mamnigfaltiskeit der geologischen Schicksale, die die Grazer Bucht vom Untermiozän bis zum Pliozän erfuhr, und der Tatsache, daß die beiden zu vergleichenden Formenkomplexe unmittel- bar aufeinanderfolgende Gebilde sind. Es können also in allen diesen Gebieten die alten Formen un- möglich Teile einer untermiozänen oder noch älteren Landschaft sein. Diese alten Formen können aber zeitlich auch nicht zusammenfallen mit der Leithastufe, denn gerade auf diese folgten noch bedeutende Veränderungen der Bucht und damit auch bedeutende Veränderungen in der Lage der Erosionsbasis. Auch sarmatisch können sie nicht sein. Ganz abgesehen von der Tieflage der sarmatischen Schichten, die eine Beziehung zu diesen hochliegenden Formen schon sehr unwahr- scheinlich macht, — die verschiedene Hochlage der sarmatischen Schichten und jener Formen würde, wie auch Winkler sagte, eine bedeutende nachträgliche Hebung des Gebirges voraussetzen — hätte zur vorpontischen Zeit die Bildung der heutigen Täler begonnen, und diese hätten auch die pontische Aufschüttung durchgemacht, ohne davon irgendwelche Spuren zu zeigen. So kommt man auch aus morphologischen Gründen zu der An- nahme des pliozänen Alters unserer Landoberfläche und befindet sich so in Uebereinstimmung mit jenen geologischen Tatsachen, die schon früher dahin geführt haben, die mehrfach erwähnten Schotter für pliozän zu halten. Bezeichnend ist es, daß gerade dort, wo die An- nahme des pliozänen Alters für die Schotter, nämlich bei Vorau und Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (A. Aigner.) 43 auch bei Pöllau am meisten wahrscheinlich ist, auch die mor- phologischen Verhältnisse einzig und allein diese Auffassung zu- lassen. Aber noch eine morphologische Betrachtung soll die hier aus- einandergesetzte Meinung stützen. Die pliozänen Schotter erreichen in zusammenhängenden Massen bei Graz Höhen von nahezu 600 m, bei Voitsberg noch Höhen von rund 620 m. Es müssen also unter allen Umständen die pliozänen Aufschüttungsflächen mindestens so hoch gewesen sein. Daraus ergibt sich für unsere in kristallinische oder paläozoische Gesteine eingeschnittene Durchbruchstäler ganz unzweifel- haft die epigenetische Entstehung. Es soll nur ein Beispiel heraus- gegriffen werden, das von besonderer Wichtigkeit ist. Längs des Kainachtales, südlich von Voitsberg erhebt sich ein im wesentlichen aus kristallinischem Gestein aufgebauter Rücken im Kobererkogel bis zu 606 m Höhe. Er ist die Wasserscheide zwischen dem Kainach- tale und jenem Durchbruchstale, das von der Gößnitz und der untersten Teigitsch (Puchbach und Gaisfeld) durchflossen ist. Wie schon erwähnt, liegen auf seinem Kamm an einzelnen Stellen Schotter und "südlich davon wurden auch bei St. Martin Schotter gefunden. Daß er aber die pliozäne Aufschüttungsfläche nicht überragt haben kann, geht aus der Ueberlegung hervor, daß dieser kristallinische Rücken doch auf keinen Fall stärker abgetragen worden sein kann, als die nördlich benachbarten tertiären, in denen die Schotter eine Höhe von 620 m erreichen. Wenn es überhaupt einem Zweifel unterliegen kann, daß die tertiären Gesteine weniger widerstandsfähig sind, so würden solche Zweifel sofort zerstreut durch die Betrachtung jener kleinen Tälchen, die bei Krems (Voitsberg, Ost) oben im Tertiär und unten im Glimmer- schiefer ausgebildet sind. Hier, wie überall in unserem Gebiet, sind die Formen im Tertiär wesentlich weicher und ausgeglichener als selbst in ganz leicht verwitternden kristallinischen Schiefern. — Dieses Tal Puchbach - Gaisfeld ist also sicher epigenetischer Entstehung und es ist erst; gebildet worden während der Zerschneidung der pliozänen Aufschüttungsfläche. Diese Erosionsleistung ist aber keineswegs weniger groß als zum Beispiel im benachbarten Teigitschtal, als wie im eben- falls als epigenetisch erkannten Raabtal, oder als die Erosionsleistungen der Lafnitz, des Voraubaches oder der Feistritz seit Zerschneidung der dort gefundenen hoch gelegenen Talböden. Ja, im Gegenteil, die Leistung ist hier im Gößnitztal viel bedeutender als in einigen der anderen herangezogenen Fällen. Würde man für die anderen Fälle annehmen, daß hier die Erosion schon seit dem unteren, mittleren oder auch nur oberen Miozän gearbeitet hätte, während sie hier sicher erst mit der Zerstörung der pliozänen Aufschüttungsfläche ein- gesetzt hat, so käme man zu morphologisch ganz unmöglichen An- nahmen. Es würden so ihrer Erscheinung nach nur wenig oder gar nicht voneinander abweichende Formen, die unter ganz ähnlichen lokalen Bedingungen gebildet wurden, ganz ungleich lange Bildungszeiten zu- kommen und sie würden in dem einen Falle eine ziemlich werwickelte Geschichte hinter sich haben, in dem anderen Falle aber nur im wesentlichen einem Akte der Talbildung entsprechen. So stünde also die Annahme eines vorpliozänen Alters der verschiedenen gefundenen [271 Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 319 Oberflächenformen in einem unlöslichen Widerspruche zu unzweifel- haften morphologischen Tatsachen. Es erübrigt nur noch, die Altersfrage für die Gebiete zwischen der Kainach und der Mur zu lösen. Hier liegen die Schotter meist isoliert auf Kämmen zwischen weiten Tallandschaften. Hier ist dıe Ueberlegung nicht möglich, daß die zwischen den alten Formen lie- genden Landschaften nicht eine verwickelte Geschichte hinter sich haben könnten. Es soll aber gleich gesagt werden, daß zunächst im Westen die alten Formen zum Teil in den weicheren Gesteinen der Kainacher-Gosau ausgebildet sind und daß dann weiter östlich (ver- gleiche westlich von Gratwein und nordwestlich von St. Veit) zwischen die paläozoischen Berge tertiäre Schichten weit eingreifen, die natür- lich einer viel stärkeren Zerstörung ausgesetzt waren als die paläo- zoischen oder kristallinischen Gesteine. Auch die mehrfachen Wei- tungen des Murtales sind im Gegensatz zu den engen Talstrecken einzig und allein darauf zurückzuführen, daß hier tertiäres Gestein ausgeräumt wurde. Es läßt sich nun in anderer Weise zeigen, daß die hier gefundenen hochliegenden Schotter und die mit ihnen ver- bundenen alten Oberflächenformen den anderwärts gefundenen paral- lele Erscheinungen sind. Die gesamte Umrandung der Grazer Bucht ist insofern entwicklungsgeschichtlich eine Einheit, als für das ganze Gebiet die gleichen Verschiebungen der Erosionsbasis maßgebend ge- wesen sein müssen. Wenn in der Entwicklung einer Landschaft sich ein Abschnitt von den übrigen durch die Art der damals zur Geltung gekommenen Wirkungen wesentlich unterscheidet, so müssen auch die Formen, die dieser Abschnitt hinterlassen hat, in auffälligem Gegen- satz stehen zu jenen Formen, die den übrigen Abschnitten der Ent- wicklung entsprechen. Wenn nun in Nachbargebieten, welche die gleiche Entwicklung durchgemacht haben müssen, miteinander über- einstimmende Erscheinungen auftreten, die als die Spuren je einer solehen von den übrigen Abschnitten der Entwicklung abweichenden Phase zu betrachten sind, so müssen diese Erscheinungen als para- lele Erscheinungen aufgefaßt werden. Wenn man also an mehreren Stellen der Umrandung der Bucht die Spuren einer Zeit der Verflachung des Reliefs und der Auf- schüttung findet, so muß man unbedingt annehmen, daß die gesamte Umrandung eine solche Epoche erlebt hat; und wenn nun in einem sroßen Gebiete die Spuren einer einzigen solchen Epoche gefunden wurden und in den übrigen Teilen des Randgebirges auch nur einmal solche Spuren zu finden sind, so können diese Erscheinungen nur parallele Erscheinungen sein. Darauf fußend können die Vorkommen in dem noch ausstehen- den Gebiete mit dem übrigen Gebirgsland verglichen werden. Es wurde schon oben die durch die Schotter von Hochtregist und in den östlich benachbarten Rücken angezeigte Talfläche in Beziehung ge- bracht zu der in der Teigitsch gefundenen alten über 860 m hoch gelegenen Ebene und schon darauf hingewiesen, daß die disharmoni- schen Erscheinungen westlich von Köflach gewissermaßen ein Binde- glied zwischen beiden bilden. Die obige theoretische Ueberlegung muB in dieser Meinung bestärken. Ueber diesen beiden Niveaus im Tei- 43* 320 Dr. A. Aigner. [28] gitschtal und von Hochtregist sind keine disharmonischen Erschei- nungen mehr zu finden. Ja an der oberen Teigitsch beherrschen die Formen dieses Niveaus die Landschaft bis zu den Kämmen des Ge- birges. Auch an den Quellen der Kainach, Söding und Lieboch finden sich in größerer Höhe keine disharmonischen Formen mehr, außer solche, die auch wieder auf ein Talniveau von über 800 m Höhe hin- weisen. Steigt man anderseits von den sicher pliozänen Schottern empor zu diesem Niveau, so findet man dazwischen an keiner Stelle ausgedehnte disharmonische Formen. Es sind also tatsächlich nördlich und südlich der Kainach die genannten Formen parallele Erschei- nungen in der Entwicklung der Landschaft. Unter diesem Niveau liegen alle disharmonischen Formen schon tiefer als die Höhe der ge- schlossenen Masse der pliozänen Schotter. Nur zwei Fälle sind Aus- nahmen, nämlich die Schotter und disharmonischen Rücken von Sankt Martin und die Schotter des Bocklochs. Daß der alte Talboden von St. Martin mit 700 m Höhe nicht in Beziehung gebracht werden kann zu dem mindestens 100 »» höher liegenden von Hochtregist liegt auf, der Hand; dieser Talboden entspricht eben einem Stillstand während der Zerschneidung der alten hochgelegenen Aufschüttungsfläche. Die Schotter des Bocklochs entsprechen einem höheren Niveau des Sö- dingtales. Dabei war aber das Talnetz dem heutigen noch nicht gleich; einen Talweg nach Östen, senkrecht zum Söding und Liebochtal möchte ich nicht annehmen. Oben wurden schon die höchstgelegenen Schotter und die mit ihnen verbundenen disharmonischen Formen zu beiden Seiten des Murtales als ein Komplex von zusammengehörigen Erscheinungen betrachtet. Die Schotter bei dem Kalkleitenmöstl, die südlich vom Maxenkogel, endlich die vereinzelten Gerölle, die am Abhange des Kirchbergerkogels gefunden wurden, weisen auf eine über 700 m hoch gelegene Aufschüttungsfläche hin. Die tieferliegenden Formen und einzelne tiefer gelegene Schottervorkommen müssen dann wieder späteren Stadien der Zertalung der alten Aufschüttungsfläche ent- sprechen. Die Zusammenfassung dieser Vorkommen in der Umgebung von Graz mit jenen bei Semriach und der Tanneben zu einem Kom- plex erscheint ganz natürlich und die Verbindung wird hergestellt durch einige disharmonische Formen, vor allem durch den Rücken des Hienning. Daß auch die alten Formen in der Umgebung von Radegund mit dem Aufschüttungsniveau zusammenfallen, wurde oben zu zeigen versucht. Die Parallelisierung dieses ganzen Komplexes von Erscheinungen mit jenem in der nördlichen und südlichen Umgebung von Voitsberg, erscheint in erster Linie durch die obige theoretische Ueberlegung berechtigt. Auch hier bei Graz sind diese Erscheinungen die Denk- mäler einer Zeit der Entwicklung, die wie keine andere von Einfluß auf die weitere Gestaltung des Reliefs war; es war eine Zeit, eben- so wie im Westen charakterisiert durch Aufschüttung und zugleich Verflachung des Reliefs. Was man hier im Murtale noch von alten Talböden und überhaupt alten Formen findet (vgl. Hilber, Taltreppe), tritt gegenüber diesen Erscheinungen weit an Bedeutung und Aus- dehnung zurück und fällt überall meist unter das Niveau der ge-' schlossenen Masse der pliozänen Schotter. [29] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 321 Die verschiedene Höhenlage scheint freilich eine solche Paral- lelisierung nicht zu gestatten. Die Schotter von Hochtregist reichen bis 792 m hinauf und die Teigitsch muß bei Edelschrott bis auf eine fast 850 m hohe Fläche getroffen sein. Dagegen liegen bei Graz die Schotter nur 700 m hoch. Demgegenüber ist zu bemerken, daß diese 700 m nur ein Minimum sind, und daß die Ebene des pliozänen Mur- tales wohl viel höher gewesen sein kann; die Berge, die aus ihr herausgeschnitten sind, zeigen überall schon eine bedeutende Abtra- gung und so dürfte ihre Ausgangsform auch wesentlich höher gelegen sein als ihre heutigen Kämme. Weiters ist zu bedenken, daß die Aufschüttungsfläche aus der Gegend von Graz gegen Voitsberg ja etwas angestiegen sein muß. So besteht meiner Ansicht zwischen den Höhen der Schotter bei Graz und jenen bei Hochtregist keine Unstimmigkeit. Die Hochlage der Teigitschebene bei Edelschrott kann man sich sehr gut durch die Existenz eines Schuttkegels erklären, auf dem sie auch gegen Südost abgelenkt wurde. Diese Ansichten sollen nicht die Richtigkeit der Parallelisierung beweisen, sondern die auf anderem Wege gewonnene Erkenntnis verständlicher machen. Im Durchbruch der Raab konnte kein bestimmtes Niveau ge- funden werden, weil hier Schotter fehlen, die die Aufstellung einer unteren Grenze des alten Talniveaus erlauben würden. Die Rücken, zwischen denen das epigenetische Raabtal liegt, können aus einem Niveau von 650— 700 m Höhe herausgebildet sein; ihre Ausgangsform könnte aber auch viel höher gelegen gewesen sein. Maßgebend für die Vergleichung scheint das Niveau von 800 m Höhe im Passailer Becken, Man findet hier auch öfter alte Gehänge, die ganz den alten Gehängen entsprechen, die wir nordöstlich von Radegund oder bei Semriach gefunden haben. In einer ganz anderen Situation befinden sich die Schotter östlich von Passail (bei Punkt 909 m) und dann die besprochene Doline von Vorder-Tyrnau. Sie entsprechen einem viel höheren unteren Denudationsniveau. Wollte man sie mit den Resten der pliozänen Landoberfläche in Zusammenhang bringen, so müßte man zur Erklärung dieser abweichenden Höhenlage eine Krustenbewegung annehmen, für die sonst keine Anhaltspunkte zu finden wären. Das Passailer Niveau von 800 m Höhe ist also jedenfalls zu parallelisieren mit dem alten Niveau im Murtale. Ob nun an der Mündung der Raab die genannten Rücken aus diesem Niveau heraus- gebildet wurden oder aus einem tieferen, also jüngeren, entzieht sich unserer Beurteilung. Das genannte Niveau von Passail stimmt endlich sehr gut mit dem alten Vorkommen von Anger und damit mit den anderen alten Formen im Feistritztal, bei Pöllau und Vorau überein. So konnte also für das ganze Gebirgsland aus der Gegend von Friedberg bis gegen Eibiswald gezeigt werden, daß hier zur Zeit der großen pliozänen Aufschüttung an den Talmündungen und zum Teil auch weiter innen in den Tälern, Aufschüttungen stattfanden, und dab damals allenthalben das Gebirgsrelief eine Abflachung erfuhr. Die Zu-' sammengehörigkeit aller dieser Formen wurde einesteils dadurch ge- funden, daß für eine Reihe von Erscheinungen nur das gleiche Alter 322 Dr. A. Aigner. [30] anzunehmen möglich ist und dann ergab sie sich in Uebereinstimmung mit geologischen Gründen daraus, daß für benachbarte Gebiete eben nur eine parallele Entwicklung vorausgesetzt werden kann. Wollte man diese nicht voraussetzen, so müßte man sehr bedeutende spätere Niveauänderungen annehmen; man würde so zur Erklärung der Er- scheinung Voraussetzungen machen müssen, die in sonst nichts be- gründet wären. Auf eines möge noch hingewiesen werden. Die Parallelität der Erscheinungen wurde nicht gewonnen durch eine genaue Ueberein- stimmung in der Höhenlage der einzelnen Schottervorkommen und Formen. Dies ist deshalb unmöglich, weil man es in den meisten Fällen nur mit Näherungsworten zu tun hat. Nur wo Formen ganz rein erhalten sind, ist eine genaue Berücksichtigung der Höhenlage möglich und nur da wären auch aus allfälligen Unstimmigkeiten in den Höhen Schlüsse auf spätere Niveauänderungen gestattet. Solche Folgerungen sind hier ausgeschlossen. Mit den Ergebnissen der morphologischen Untersuchung der Um- randung der Grazer Bucht stimmt sehr gut überein, was bei der Be- trachtung des Hügellandes der Bucht gewonnen wurde. Hier ergab sich die Existenz einer Aufschüttungsfläche, die auch in einiger Ent- fernung vom Gebirgsrande über der paläozoischen Schieferinsel des Sausal ungefähr 700 m und weiter östlich über dem Gleichenberger Eruptivgebiet mindestens über 600 m hoch gelegen sein muß. Es ist naheliegend, daß diese Aufschüttungsfläche die Gestalt mehrerer flacher Schwemmkegel besaß. Diese Fläche dehnte sich über einen größeren Raum aus, als das heutige tertiäre Hügelland, denn wir müssen sie uns südlich von Köflach über den kristallinischen Bergen denken, wo die Teigitsch von Edelschrott einen heute in das Grundgebirge ein- gesenkten Lauf nahm, wir müssen sie uns auch nördlich von Voits- berg über den Höhen der Kainacher Gosau denken. Sie lag ferner über den paläozoischen Erhebungen des Plawutsch, Straßenglerberges, Kirchbergkogels usw. und erfüllte auch das Murtal nördlich bis über Peggau. Oestlich der Mur fällt ihre Grenze mehr mit der heutigen Grenze zwischen dem Hügelland und dem Gebirge zusammen. An der Feistritz reichte die Aufschüttung sehr weit ins Gebirgsinnere zurück, ebenso auch bei Vorau. So war am Schlusse dieser bedeutenden Auf- schüttung die Erosion auch im Gebirge überall zum Stillstand ge- kommen und es trat allmählich eine Verflachung der Formen ein. Wie mehrfach erörtert, können wir uns die Gestalt des Gebirges aus einer Reihe von Fällen, wo die alten Landschaften mit ihren mäßig geneigten und meist stark mit Verwitterungsschutt bedeckten Gehängen noch gut erhalten sind, leicht vorstellen. Die hier skizzierte Gestalt der Bucht und des sie umgebenden Gebirges war also erreicht am Schlusse der großen nach der vor- pontischen Erosion beginnenden Aufschüttung. Wie oben erörtert, ist es nach den Funden von Mastoaon arvernensis in den Schottern des Laßnitztunnels möglich, daß diese Aufschüttung fortgedauert bis in die levantinische Zeit. Sollte sich aber durch weitere paläontologische Untersuchungen herausstellen, daß nur ein Teil der Schotter levan- tiuisch ist, dann wäre die Epoche der Aufschüttung mit dem Ende [31] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 323 der pontischen Zeit abgeschlossen gewesen. Die levantinischen Schotter wären dann in Tälern abgelagert worden, die der ersten Phase der Zertalung der Bucht entsprechen würden. Ich möchte dazu bemerken, daß man sich durchaus nicht vorstellen muß, daß das Flußnetz der Bucht, wie es heute vorliegt, gleich auf der pontischen Fläche an- gelegt wurde. Hier dürften nur die Hauptzüge angelegt worden sein. Es haben nämlich manche wasserscheidende Kämme des Hügellandes Formen, aus denen man den Schluß ziehen kann, daß sie nicht direkt aus der hochgelegenen Urform der Bucht heraus entwickelt wurden, sondern aus einer tiefergelegenen Ausgangsform. So ist es sehr gut denkbar, daß im einzelnen das Flußnetz mannigfache Veränderungen erlitt und daß somit auch an der heutigen Hauptwasserscheide der Bucht, zwischen Mur und Raab, beträchtliche Veränderungen vor sich gegangen sind. Die Aufhellung der Formen- entwicklung des Hügellandes ist im einzelnen übrigens sehr schwierig, weil wegen der geringen Beständigkeit des Gesteines sich alte Formen nur selten mit solcher Deutlichkeit erhalten haben, daß man daraus sichere Schlüsse ziehen kann. Mit dem Nachweise, daß die gefundenen alten Formen des Ge- birges pliozän sind, ist unbedingt gezeigt, daß das pliozäne Relief und das daraus hervorgegangene heutige tatsächlich von jedem frü- heren, also auch einem miozänen, vollständig getrennt ist, und daß das Gebirge inzwischen eine nicht unbedeutende Umformung er- fahren hat. Steht man z.B. aufirgendeiner Höhe in der Umgebung von Voits- berg, so sieht man in der Tiefe das lakustre Untermiozän und dar- über die pontischen Schotter. In der Höhe hat man, zum Teil schon von weitem erkennbar, die disharmonischen Formen. Wie schon ge- sagt, drängt sich einem dabei die Auffassung auf, daß diese alten Formen älter sind als das gesamte in der Tiefe liegende Tertiär. Hier ist nur gezeigt worden, daß die Aufschüttung statt bis wenig über 600 m, bis über 800 m Höhe emporgereicht hat. Damit ist aber noch immer der Widerspruch zwischen der Tiefen- lage des Untermiozäns und den hochliegenden viel jüngeren Formen nicht beseitigt. Wo liegen die Formen, die dem lakustren Untermio- zän entsprechen oder die weiteren miozänen Formen des Gebirgs- randes? Das pliozäne Relief hat sich aus dem früheren entwickelt und wo keine Aufschüttungen vorhanden sind, mußten daher natur- gemäß die miozänen Formen über den pliozänen gedacht werden. Ihr Denudationsniveau und also auch die Spiegel der miozänen Meere mußten dann rund 900 m oder noch höher gelegen gewesen sein. Eine solche Höhe steht aber in entschiedenem Widerspruch mit allen geologischen Tatsachen des ganzen pannonischen Beckens und dieser Widerspruch kann so nur durch eine beträchtliche Niveau- veränderung erklärt werden, und zwar jedenfalls durch Hebung des Gebirges. Wir können am Gebirgsrand die Formen mit einiger Sicherheit nur zurückverfolgen bis zu Beginn der vorpontischen Erosion. Wir haben, wie oben ausgeführt, erkannt, daß die pontischen Schotter in der Tiefe in mehr oder weniger engen Furchen liegen und daß erst 394 Dr. A. Aigner, [32] in größerer Höhe die Schotter seitlich ausgreifen und sich sodann zu einer ausgedehnten Aufschüttungsfläche verbinden. Diese Furchen sind naturgemäß die Ergebnisse einer vor der Aufschüttung stattgehabten Erosion. Diese Erosion mag wohl im wesentlichen das frühere Relief zerstört haben und es ist die An- nahme naheliegend, daß die erwähnte Erhebung des Gebirges auch der Anlaß für den Beginn dieser neuen Erosion war; die Erhebung würde zwischen die sarmatische und pontische Epoche fallen. Wenn nun, wie Penck meint, die großen Blöcke im Miozän bei Knittelfeld und die wohl aus miozänen Konglomeraten ausgewitterten Blöcke im Sulmgebiete im Zusammenhang stehen sollen, mit einem ım Miozän durch Erhebung des Gebirges hervorgerufenen stärkeren Schuttrans- port, so ließe sich dasselbe auch für die vorpontische Zeit annehmen und man könnte so die Blöcke bei St. Stefan am Gratkorn als Zeugen einer kräftigen Schuttförderung bei gleichzeitiger lebhafter Erosion im Gebirge betrachten. Man kann aber diese vorpontischen, jetzt von Schottern erfüllten Täler nur am Gebirgsrande selbst finden, weiter im Gebirgsinnern fehlen sie. Da muß ihre Sohle mindestens gleich hoch oder schon höher gelegen sein als die dort gefundenen pliozänen Talböden. Wollte man die Längskurve eines solchen Tales konstruieren, so würde ihr steiler Anstieg nach rückwärts auffallen. Es scheint so, daß auch diese vorpontischen Täler noch eine Störung erfahren haben, daß also die besprochene Störung auch noch in dieser Epoche fort- gewährt hätte. Stellt man sich noch einmal die Kurve eines solchen vorpontischen Tales vor und vergleicht sie mit der Kurve eines Tales am Schluß der pontischen Aufschüttung, so erkennt man, daß sich die beiden Kurven im Oberlauf der Täler schneiden und nach unten stark divergieren. Daraus läßt sich herauslesen, daß, als im Unterlauf schon Aufschüttung herrschte, oben vielleicht noch erodiert wurde. Die Ver- flachung des Reliefs, wie sie z. B. im Teigitschtale bei Semriach, Passail, Birkfeld, Vorau und Wenigzell erkannt wurde, wäre dann vielleicht erst eingetreten, als die Aufschüttung in der Bucht schon weit vorgeschritten oder fast vollendet war. Am Rande der Bucht war die Aufschüttung sehr bedeutend, 300—400 m, — ein Betrag, der im Vergleich mit der Mächtigkeit der Sedimente in mancher heu- tigen Flußebene keineswegs überraschend groß ist —; da griff sie immer weiter seitlich aus, es wurden dabei immer weitere Flächen von ihr überwältigt und so ganze Teile des Grundgebirges überdeckt, also Ueberbauformen im Sinne von Hilber (Lit. Nr: 16) geschaffen. Als dann nach Schluß der Aufschüttung die neue Erosion begann, waren auch ganz neue Bedingungen für die Anlage der Täler gegeben, so daß die aus dem Gebirge austretenden Gewässer ganz andere Wege einschlagen konnten als früher. Diese weite seitliche Ausbreitung der Aufschüttung ist aber auch nur unter einer Voraussetzung denkbar, nämlich unter der, daß hier das Gebirge zum Teil niedrig genug war, um überhaupt von der Aufschüttung überwältigt werden zu können. Dort, wo schon auf- geschüttet wurde, konnte ja keine bedeutende Erniedrigung der Rücken mehr eintreten. Wo also nicht schon vor Beginn der Auf- [33] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 325 schüttung die Rücken nicht mehr hoch waren, war eine solche Aus- breitung der Aufschüttung ausgeschlossen. Es muß also wohl zum Teil schon bei Beginn der Aufschüttung eine Art Vorstufe des Gebirges bestanden haben, wie sie jetzt in den Rücken zwischen Kainach, Sö- ding, Lieboch, in den Erhebungen vom Kirchbergkogel bis zum Fraun- kogel, im Plawutschzuge, dann weiter östlich in der Platte Linneck- berg usw. bis gegen Weiz vor uns liegt. Im einzelnen weisen diese Berge freilich auf die pliozäne Landoberfläche als Ausgangsform hin, aber als Gesamtheit betrachtet, natürlich in wesentlich anderer Ge- stalt, müssen sie schon früher bestanden haben. Es sind also darin wohl Züge eines früheren, vorpontischen Reliefs zu erkennen. An zwei Stellen treten noch Formen auf, die auch als Ueberreste einer vorpliozänen Landoberfläche zu deuten sind, nämlich die Schotter öst- lich von Passail (bei Punkt 909) und die Doline von Vorder-Tyrnau und die weiten Abtragflächen in den Krumbacher Bergen, Mög- licherweise gehören diese Formen einem miozänen Relief an. V. Morphologische Beobachtungen im Längstale der Mur und Mürz und im Lavanttale. Zu ähnlichen Ergebnissen wie im Randgebirge der Grazer Bucht haben morphologische Untersuchungen in den genannten inneralpinen Tälern geführt. Auch hier finden sich in hohen Lagen disharmonische Formen, die sich auf einer Talebene oder auf flache Gehänge als Ausgangsformen zurückführen lassen, manchmal aber sind auch solche Formen selbst noch gut erhalten. Im Mürztale beobachtete ich solche Erscheinungen an dessen rechtem Gehänge nördlich von Kapfenberg zu beiden Seiten des Pöllergrabens in Höhen zwischen 800 und 900 m, zwischen St. Ma- rein und Kindberg in 900 m Höhe, weiter dann nördlich von Mitter- dorf über 1000 m hoch zu beiden Seiten des unteren Veitschgrabens und endlich in der Gegend von Mürzzuschlag. In diesem Zusammen- hange müssen auch die disharmonischen Formen der Rücken der Pretul- und Stangalpe mit dem Teufelstein erwähnt werden. Diese Formen stehen in Beziehung zu den disharmonischen Formen des Fei- stritztales und gehören so wohl dem dort gefundenen pliozänen Relief an. Im Mürztale ist aber die Zertalung viel stärker, so daß hier die alten Formen viel mehr verschwunden sind. Auffällig sind in der Umgebung von Bruck und auch zu beiden Seiten des Breitenauer- srabens mehrere Kämme mit Gratform und sehr steilen Gehängen, aber mit einer Höhenentwicklung, daß man für sie eine besondere Ausgangsform suchen möchte. Deutlicher treten disharmonische Er- scheinungen auf in der Umgebung von Leoben und dann am rechten Gehänge des Murtales zwischen St. Michael und Weißkirchen; teil- weise wurden diese öfters sehr gut erhaltenen Formen schon von K. Oesterreich (Lit. Nr. 25) besprochen. Im Lavanttale sind eben- falls Formen, die aus hochgelegenen Ebenheiten abzuleiten sind, sehr häufig. Am interessantesten sind die Verhältnisse im Gebiete nördlich von Wolfsberg. Hier sind westlich des Lavant zwischen Gräbern und Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Ileft. (A. Aigner.) 44 396 Dr. A. Aigner. [34] Wölch über 9°0 m hoch ausgedehnte disharmonische Formen, breite Rücken und noch vollständig erhaltene Ebenheiten, zum Teil mit Schottern bedeckt, zum Teil auch, so auf der Wölch mit großen Blöcken. Diese Formen entstammen also einem über 900 m hoch- selegenen Talboden. Oestlich davon, in der Gegend von Preitenegg, an den südlichen Abhängen der Hirscheg gger Alpe bis zur Pack treten die gleichen Formen auf, wie sie auf der Ostabdachung dieses Ge- birges im Gebiete der oberen Teigitsch erkannt wurden. Es ist auch hier eine alte Landschaft erhalten, freilich schon tiefer zertalt als auf der Abdachung gegen die Grazer Bucht. So liegen hier sicher paral- lele Erscheinungen vor und so müssen wir auch die im Lavantgebiet gefundene alte Landschaft für pliozän halten. In welchen Beziehungen diese pliozänen Formen hier mit den alten Formen im Murtale von Weißkirchen abwärts stehen, darüber müßten sehr eingehende Unter- suchungen im hochinteressanten Gebiete des Obdachersattels Aufschluß geben. Meines Dafürhaltens sind es auch parallele Erscheinungen und ich halte alle hier genannten disharmonischen Formen des Mur- und Mürztales für pliozän. Für sie alle ergibt sich das gleiche Verhältnis zu den heutigen Tälern, wie wir es für die pliozänen Formen in der Umrandung der Grazer Bucht gefunden haben; anderseits stehen sie aber auch in keinen Beziehungen zu den miozänen Ablagerungen. Eher dürften sich Beziehungen zwischen diesen Formen und ver- schiedenen kleinen Geröllvorkommen ergeben, die sich an mehreren Stellen des Längstales der Mur auf den Höhen finden und die zum Teil auch K. Oesterreich schon erwähnt hat. Bei der Trennung der verschiedenen Tertiärvorkommen hier werden jedenfalls morpho- logische Gesichtspunkte mehr berücksichtigt werden müssen als es bis- her geschehen. Sehr interessant wäre es auch zu untersuchen, in welchen Beziehungen die hier angedeuteten Reste eines alten Reliefs zu den Formen stehen, die auf den Höhen der Kalkplateaus auftreten (vgl. Rotter, Lit. Nr. 26 und Götzinger, Lit. Nr. 27). Man findet so auch hier allenthalben die Spuren eines Reliefs, aus dem das heutige unmittelbar abzuleiten ist; ich halte es für plio- zän. Er ist von dem miozänen Relief, das nach der Hauptfaltung der Alpen entstanden ist, durch eine große Kluft getrennt. Die miozänen Schichten lassen sich nicht in Einklang bringen mit dem pliozänen Relief; es hat also auch hier zwischen Miozän und Pliozän eine bedeutende Umformung des Gebirges stattgefunden, so daß die Züge des miozänen Reliefs nur in sehr allgemeinen Umrissen (Verbreitung des Tertiärs) zu erkennen sind. Meiner Ansicht nach weisen die petro- graphischen Verhältnisse der miozänen Braunkohlen führenden Schichten auf ein viel sanfteres Relief hin als es das heutige ist. Im allgemeinen finden sich erst in den hangenden Teilen des Miozän gröbere Sedimente, was auf eine Veränderung der physiographischen Verhältnisse während des Miozäns hindeutet. Die Störungen des Mio- zäns endlich sind die Zeugen jener großen Umformung, die das mio- zäne Relief zerstört und damit einen neuen Abtragungsprozeß ein- geleitet hat, dessen Ergebnis dann das pliozäne Relief war; die Erosion der heutigen Täler hat dann an die Stelle des plia@NeR Reliefs das heutige gesetzt. [35] (seomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 327 Die geomorphologischen Probleme der nordöstlichen Alpen sind in neuerer Zeit wiederholt Gegenstand von Untersuchungen und Ueberlegungen gewesen; ich verweise nochmals vor allem auf die Arbeiten von K. Oesterreich und Götzinger, dann auf die Studien von F. X. Schaffer über den norischen Fluß und auf die Erörte- rungen von A. Winkler (Lit.Nr. 35, Abschnitt 9). Die in den ver- schiedenen Arbeiten vertretenen Ansichten widersprechen sich noch sehr und ich halte es für ganz unmöglich, diese Fragen zu klären, be- vor nicht der gesamte Formenschatz dieses Teiles der Alpen einer eingehenden Untersuchung unterzogen worden ist. Dann erst können sich sichere Schlüsse ergeben auf die Altersverhältnisse der einzelnen Formengruppen und auf deren Beziehungen einerseits zu den von Hahn (Lit. Nr. 39) nachgewiesenen jugendlichen Gebirgsstörungen, anderseits zu den untermiozänen Schichten. Die unmittelbare Rekon- struktion von Tälern und Wasserscheiden aus den Vorkommen von mio- zänen Schichten erscbeint mir unhaltbar. Vor allem kann ich, ebenso- wenig wie Winkler, den Ansichten Schaffers über den norischen Fluß beistimmen, weil das Material, auf das sich Schaffer stützt, viel zu dürftig und morphologisch zu wenig durchgearbeitet ist, um so weitgehende Schlüsse zu erlauben. Der einzige Zusammenhang zwischen dem heutigen Relief und dem Miozän besteht, wie ich glaube, nur darin, daß die miozänen Schichten als weiche Gesteine leichter ausgeräumt wurden, daß also das Miozän im wesentlichen nur durch die petrographischen Eigen- schaften seiner Gesteine einen Einfluß auf das heutige Relief aus- geübt hat. VI. Schlußbemerkungen, So konnte also am Rande der Grazer Bucht und in den be- sprochenen Längstälern im Inneren der östlichen Alpen das heutige Relief aus einem hochgelegenen pliozänen abgeleitet werden; da- vegen ergab sich, daß der Ausbildung des pliozänen Reliefs eine Um- formung des Gebirges vorausgegangen sein muß, auf die ja auch ver- schiedene Störungen der miozänen Schichten im Innern der Alpen und in der Grazer Bucht hinweisen. Es bleibt aber noch die große absolute Höhe der pliozänen Auf- schüttungsfläche in der Grazer Bucht zu erklären. Die Pliozän- schichten liegen im Gebiet des großen pannonischen Beckens überall tief. Im Wiener Becken hat Hassinger (Lit. Nr. 28) auch schon ab- weichend von den früher herrschenden Ansichten gezeigt, daß die höheren Strandlinien nicht mediterran oder sarmatisch, sondern pon- tisch sind; aber. die höchste von ihm gefundene Strandlinie weist doch nur auf eine Spiegelhöhe von 540 m hin. Wie schon erwähnt, treten westlich vom Bakonyer Wald, zwischen der Raab und der Zala Schotterflächen, zum Teil noch wenig zerschnitten, in Höhen von 270—250 m auf. Diese Schotter können nicht die östliche Fortsetzung der sogenannten Belvedereschotter der Grazer Bucht sein und diese Aufschüttungsflächen können nicht als ein Rest der großen pliozänen 44* 298 Dr. A. Aigner. [36] Aufschüttungsfläche der Grazer Bucht betrachtet werden, falls man nicht eine bedeutende Störung annehmen will, die die Grazer Bucht vom großen pannonischen Becken hier scheiden würde. Ich halte also diese Schotterflächen für jünger und denke mir, daß diese Schotter von späteren pliozänen Flüssen abgelagert wurden, als die viel höher gelegene Aufschüttungsfläche der Grazer Bucht bereits zertalt wurde, und daß die Schotter dort umgelagerte Schotter der Grazer Bucht sind. Wenn nun diese Schotterflächen zwischen Raab und Zala jünger sind als die pliozäne Aufschüttungsfläche der Grazer Bucht, so ist die Annahme naheliegend, daß auch an anderen Stellen des großen pan- nonischen Beckens und seiner Umrandung in größerer Höhe Aequi- valente der hochgelegenen pliozänen Aufschüttungsfläche der Grazer Bucht und der gleichaltrigen Reliefformen des Randgebirges auf- zufinden sein müßten. Sehr interessant sind in dieser Hinsicht die Verhältnisse im Durchbruche der Donau durch das Banater Gebirge. Hier wurden von Gvijiö (Lit. Nr. 29) hochliegende Talböden nachgewiesen. Einen in 400—500 m Höhe hält er für miozän oder noch älter, einen in 260 bis 370 m Höhe für pontisch oder unterpliozän; dieser letztere ist höher gelegen als die im Durchbruche auftretenden mediteranen Schichten: Es geschah also auch hier nach der mediterranen Zeit eine jedenfalls nicht unbedeutende Dislozierung. Zu dieser Meinung gelangt auf Grund einer anderen Ueberlegung auch Toula (Lit. Nr. 30), ja dieser For- scher scheint der Meinung zuzuneigen, daß die Umformungen nach der mediterranen und sarmatischen Zeit recht bedeutende waren. Es ist nun bekannt (vgl. dazuHalavats, Lit.Nr. 31), daß im Alföld die diluvialen Schichten bis in große Tiefen hinabreichen und dann noch tiefer die levantinischen Schichten folgen. Da aber im Donaudurch- bruch ein pliozäner Talboden 260—270 m hoch liegt, so müssen hier noch im Pliozän, und zwar nach der levantinischen Zeit bedeutende Veränderungen stattgefunden haben. Toula vertritt die Meinung, daß es sich dabei nicht so sehr um Verschiebungen des Meeresspiegels handle, sondern vielmehr um Verschiebungen in der Erdkruste. Er denkt sich, daß gleichzeitig ein Emporheben und ein Absinken ein- zelner Festlandmassen geschah, wobei ja das Absinken überwogen haben kann. Auch Cvijit hält es für wahrscheinlich, daß hier He- bungen stattgefunden haben. Auf Grund aller dieser Erfahrungen möchte ich die Hochlage der pliozänen Aufschüttungsfläche in der Grazer Bucht und der gleichaltrigen Formen des Alpenrandes in folgender Weise erklären. Während des Pliozäns (pontische Zeit, vielleicht andauernd bis in die levantinische Zeit) geschah im pannonischen Becken eine bedeutende Aufschüttung und zugleich in den Randgebirgen eine Abflachung des Reliefs — vielleicht ließen sich ähnliche Erscheinungen wie im Ba- nater Gebirge und am Rande der Grazer Bucht auch an anderen Teilen des Randes des pannonischen Beckens nachweisen? —; später folgte dann eine große Erhebung der Randgebirge und zugleich ein Absinken der zentralen Teile des pannonischen Beckens. Von diesen Bewegungen wären nicht alle Teile in gleichem Maße betroffen wor- den, so daß also die Reste des pliozänen Reliefs heute verschieden [37] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 3929 hoch liegen und man auch die pliozäne Aufschüttungsfläche, bezie- hungsweise den pliozänen Seespiegel in verschiedenen Höhen rekon- struieren muß. In Untersteiermark nahm die pliozäne Bewegung noch bedeutende Dimensionen an, so daß hier auch die pontischen Schichten noch sehr gestört sind. Zu vergleichen wären hier die pliozänen Hebungen, die von Penck und Brückner in den Süd- alpen, von Kossmat und Krebs im Triestiner Karst nachgewiesen wurden (vgl. zusammenfassend Krebs, Lit. Nr. 32, S. 41). Danach würden die Alpen, wenigstens an ihrem Ostrande, seit ihrer miozänen Hauptfaltung in der Hauptsache folgende Entwicklungs- phasen durchgemacht haben: 1. mit der miozänen Hauptfaltung beginnend die Ausbildung des miozänen Reliefs, 2. eine spätmiozäne (vorpontische) Hebung und zugleich Zer- störung des miozänen Reliefs (vorpontische Erosion), 3. die pliozäne Aufschüttung am Gebirgsrande und teilweise in die Alpentäler zurückgreifend (vgl. damit das Sattnitzkonglomerat!), gleichzeitig eine allgemeine Verflachung des Gebirgsreliefs und 4, eine spätpliozäne Hebung (jedenfalls mit lokalen Senkungen) und die Erosion der heutigen Täler. Bei tektonischen Betrachtungen des Gebirges wäre also eine Trennung der einzelnen Spuren dieser verschiedenen Krustenbewe- gungen anzustreben; dies ist aber nur möglich durch eine Berück- sichtigung auch der morphologischen Verhältnisse. Nur durch ein Hand- inhandgehen morphologischer und tektonischer Untersuchungen können die so zahlreichen und überaus interessanten Probleme der Talbildung, wie sie sich hier im Osten der Alpen finden, einer Lösung zugeführt werden. Literaturverzeichnis. 1 J. Sölch, Ein Beitrag zur Geomorphologie des steirischen Randgebirges. Vhal. d. 18. D. G.-Tages z. Innsbruck 1912. — Blockbildungen am Saume des steirischen Randgebirges. Vhdl. d. Versamm- lung deutscher Naturf. u. Aerzte. Wien 1913. 2 V. Hilber, Das Alter der steirischen Braunkohlen. M. d. Geol. Ges. Wien ], 1908. 3 — Das Tertiärgebiet um Hartberg in Steiermark und Pinkafeld in Ungarn. db..d. k. Kk. geol. R.-A. 1894 (siehe hier weitere Literaturangaben). 4 Fr. Bach, Das Alter des „Belvedereschotters“. Zentralbl. f. Miner. usw., 1903, 13. — Mastodontenreste aus der Steiermark. Mitt. d. Geol. Ges. Wien II, 1909. — Mastodontenreste aus der Steiermark. Beitr. z. Pal. u. Geol. Oesterr.-Ung. u. d. Orients, Bd. XXIII, 1910. 5 V. 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Mitt. d. Geogr. Ges. Wien. 56, 1913. H. Hassinger, Geomorphologische Untersuchungen aus dem Wiener Becken und seinem Randgebirge. Geogr. Abh. VIII/3 1905. J. Cviji@, Entwicklungsgeschichte des Eisernen Tores. P.-Geogr. Mitt. Ergh. Nr. 160. Fr. Toula, Ueber den Durchbruch der Donau durch das Banater Gebirge. Vortrag d. Ver. z. Verbr. naturw. Kenntn. in Wien. 35. Jg. Heft 9, Wien 1895. TOR [39] Geomorphologische Studien über die Alpen der Grazer Bucht. 331 31 Halaväts, Die geologischen Verhältnisse des Alfölds zwischen Donau und Theiß. Mitt. a. d. Jahrb. d. kgl. ung. Geol. Anst. Bd. XI, 1897. 32 N. Krebs, Länderkunde der Oesterreichischen Alpen, Stuttgart 1913. 33 A. Winkler, Versuch einer tektonischen Analyse des mittelsteirischen Ter- tiärgebietes und dessen Beziehungen zu den benachbarten Neogengebieten. Verh. d. k. k. geol. R.-A. 1918. — Untersuchungen zur Geologie und Paläontologie des steirischen Tertiärs- Studie über Verbreitung und Tektonik des Miozäns von Mittelsteiermark. Jb- d. k. k. geol. R.-A. Wien 1913, Bd. 683. 34 A. Winkler, Das Kruptivgebiet von Gleichenberg in Oststeiermark. Jb. d, k. k geol. R.-A. Wien 1913, Bd. 68. 35 A. Winkler, Ueber jungtertiäre Sedimentation und Tektonik am Ostrande der Zentralalpen. Mitt. d. Geolog. Ges. Wien VII, 1914. 36 H. Mohr, Bericht über die Verfolgung der geologischen Aufschlüsse längs der neuen Wechselbahn, insbesondere im großen Hartbergtunnel. Anzeiger d. kais. Akad. d. Wissensch., 23, 1909. — Versuch einer tektonischen Auflösung des Nordostspornes der Zentralalpen, Denkschr. d. kais. Akad. d. Wissensch. Bd. I, XXXVII. — Geologie der Wechselbahn. Ebenda. Bd. I, XXXIl. 37 F. X. Schaffer, Ueber Miozän im Bereiche der Alpen. Mitt. d. Geolog. Ges. Wien VIII, 1915. 38 Petrascheck, Montanistische Rundschau 1913, Nr. 8. Vortragsbericht. 39 F. F. Hahn, Grundzüge des Baues der nördlichen Kalkalpen. Mitt. d. Geolog. Gesellsch. Wien. VII. Bd. 1913. Inhaltsübersicht. a eıte Rinleitune . m en. ee. I ESERST, EWSÄT, + 4998 I. Die miozänen und pliozänen Schichten der Grazer Bucht ... ... 294 Ueberblick über die Tertiärschichten der Grazer Bucht (294). — Sölchs Ansichten über die Schotter des Gebietes (294). — Die Schotter eine einheitliche Bildung (297). II. Die Umbildungsepochen der Grazer Bucht und die pliozäne Land- DEREN N N EEE RRER 298 Das untere Denudationsniveau im Miozän (298). — Anhaltspunkte für dessen Lage in pontischer Zeit (299). — Das mittelsteirische Hügelland aus einer Ausgangsform abgeleitet (300). — Die paläozoische Berggruppe des Sausal und die Gleichenberger Vulkanberge in ihren Beziehungen zur Ausgangsform des Hügellandes (300). — Die pliozäne (pontische) Auf- schüttung der letzte wichtige Abschnitt in der Entwicklung der Grazer Bucht vor der Eintiefung der heutigen Täler (302). III. Die Oberflächengestaltung des Gebirgsrandes . . . . . WR sie, 302 Hochgelegene flache Formen im Randgebirge der Grazer Bucht (302). Harmonische und disharmonische Formen (303). — Die hochgelegenen Schottervorkommen im Randgebirge (304). — Umgebung von Voits- berg und Köflach (305). — Das Murtal zwischen Peggau und Graz und die Gegend von Radegund (306). — Das Raabtal und das Passailer Becken (308). — Das Feistritzgebiet (310). — Die Bucht von Pöllau (312). — Das Gebiet der Lafnitz (312). Nördliche und östliche Umgebung von Friedberg (813). 339 Dr. A. Aigner. 40] Seite IV. Das geologische Alter der disharmonischen Oberflächenformen . . .314 Ungenügende geologische Anhaltspunkte für die Alterebertr ae Notwendigkeit einer morphologischen Untersuchungsmethode (314). Die heutigen Oberflächenformen nicht unmittelbar ableitbar aus a Landoberfläche vor dem Einbruch der Bucht (316). — Die disharmoni- schen Formen jedenfalls pliozänen Alters (317 ). — Vergleich der Lei- stung der Talbildung in unzweifelhaft pliozänen epigenetischen Tälern mit der in Tälern, die unmittelbar in die alte Landoberfläche eingetieft sind ı318). — Fast alle im Randgebirge gefundenen alten Oberflächen- teile parallele, also zeitlich zusammengehörige Bildungen (319). — Die Reste der alten Landoberfläche und die pontische Aufschüttungsfläche über dem Hügelland (322). — Die Entstehung der pliozänen Landober- flächen. Durch ibre Ausbildung das vorpliozäne Relief bis auf undeutliche Reste ausgetilgt (323). V. Morphologische Beobachtungen im Längstale der Mur und Mürz und im Lavauttale 70 Sa EL NER en... 0 Spuren eines pliozänen Reliefs (325). — Keine Beziehungen zwischen diesem und den untermiozänen Schichten (326). — Bedeutende Umfor- mung des Gebirges zwischen miozänem und pliozänem Relief (326). — Bemerkungen zu den morphologischen Problemen in den nordöstlichen Alpen (327). VI. Schlußbemerkungen ... au. 2 nu... Ve 327 Die absolute Höhe der Plorakeh Aulschüttunesillane (827). — Haupt- phasen der Entwicklung der Alpen an ihrem Ostrande seit der miozänen Hauptfaltung (329). Literaturverzeichnis . . . . 2: 2 2 2. u 00. EN Br 2) Einige Seiten über Eduard Suess. Ein Beitrag zur Geschichte der Geologie. Von Dr. Emil Tietze. Einleitung. Der Geologe, der angefangen hat in den „Erinnerungen“ von Eduard Suess zu blättern, welche dessen Sohn Erhard kürzlich dem Publikum übergeben hat), wird dieses Buch nicht leicht, ohne es fertig gelesen zu haben, wieder aus der Hand legen, obschon diese Schrift, welche in der Hauptsache teils auf das Privatleben und den persönlichen Werdegang, teils auf die Wirksamkeit von Suess für das öffentliche Gemeinwohl sich bezieht, oder dessen Stellung als Politiker illustriert, in geologischer Hinsicht nur an einzelnen Stellen die Aufmerksamkeit des Fachmannes in Anspruch nimmt. Es ist eben Suess, der zu uns auch noch nach seinem Tode spricht und dessen Kraft und Kunst der Darstellung, wie sie der Lebende in Wort und Schrift so oft bekundet hat, den Leser auch diesmal wieder gefangen nimmt. Im Zusammenhange des in dieser Selbstbiographie Erzählten offenbart sich noch einmal die Bedeutung einer starken Persönlich- keit, die lange Zeit und weithin einen bestimmenden Einfluß ausgeübt und sich Geltung verschafft hat, und man versteht vieles, was vielleicht ohne die Kenntnis des Menschen für die Beurteilung des Gelehrten weniger klar erscheinen konnte. Gern möchte man sich ganz und willenlos dem Zauber hin- geben, der von dieser Persönlichkeit ausstrahlte und der auch in diesen Erinnerungen wieder lebendig wird. Eine vorurteilslose Dar- stellung, wie sie einem historischen Ueberblick über die Entwicklung wissenschaftlicher Ideen und Ergebnisse ziemt, darf sich aber wohl nicht ausschließlich von Stimmungen beherrschen lassen. Auch würde man schwerlich im Sinne eines für den Fortschritt der Wissenschaft begeistert gewesenen Gelehrten handeln, der in seinen Arbeiten so vielfach den Anschauungen anderer entgegengetreten ist, wollte man in allen Stücken auf eine Prüfung gerade der Ansichten verzichten, welche in eben jenen Arbeiten ausgesprochen und in blendend geist- voller Weise vertreten wurden, oder wollte man die Methoden, die dabei beobachtet wurden, unberücksichtigt lassen. ı) Verlag von 8. Hirzel, Leipzig 1916. ' Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4, Heft. (E. Tietze) 45 334 Dr. Emil Tietze. [2] Je gewaltiger die Wirkung erscheint, die von einem solchen Gelehrten ausging, desto mehr erwächst überdies denjenigen, die jene Prüfung vorzunehmen in der Lage sind und denen die Sache über der Person steht, die Pflicht, mit einem objektiven Urteil nicht zurück- zuhalten, und vielleicht wird jemandem, der schon ‚bei Lebzeiten des verstorbenen Meisters in verschiedenen Fällen gewisse Bedenken gegen einige von dessen theoretischen Vorstellungen auszusprechen sich nicht gescheut und trotz alledem zu den Bewunderern seines Genius gezählt hat, am ehesten ein Anspruch auf den Versuch zugebilligt werden, jener Pflicht nachzukommen. Dieser Versuch wird übrigens ungeachtet des Umfanges, den er erhalten muß, ein unvollständiger sein und muß sich in mancher Hin- sicht auf die Betonung mehr oder weniger wesentlicher Umstände beschränken. Es hat in den letzten Dezennien wohl nur wenige Forscher ge- geben, die auf ihre Fachgenossen einen so weitgehenden Einfluß aus- geübt haben, wie der nunmehr schon seit einigen Jahren vom Schau- platz des Lebens abgetretene Altmeister Suess, und seit Leopold v. Buch, Elie de Beaumont und Sir Charles Lyell gab es jedenfalls keinen, der die Ideen der Geologen seines Zeitalters so mächtig in seinem Bann zu halten verstanden hätte, wenigstens soweit die große Mehrzahl der zeitgenössischen Fachgenossen in Betracht kommt. Diesen Einfluß nach verschiedenen Richtungen zu schildern, seinen Ursachen jeweilig im einzelnen nachzugehen, die Gedanken des Meisters in ihrem Zusammenhange untereinander wie mit den Zeitströmungen zu untersuchen und schließlich die positiveren Ergeb- nisse der Bemühungen von Suess darzustellen, soweit diese Ergeb- nisse mit Wahrscheinlichkeit als dauernder Besitz der Wissenschaft gelten dürfen, dabei aber auch die unzweifelhaft großen Erfolge zu berücksichtigen, welche die mit seinem Fach zusammenhängende Be- tätigung von Suess für das Öffentliche Wohl erzielt hat, das alles würde für einen Historiker dieses Faches unter Umständen Jahre der emsigsten und umsichtigsten Arbeit erfordern und vielleicht auch einen noch etwas größeren Zeitabstand von der zu schildernden Entwick- lungsperiode der Geologie bedingen als er gegenwärtig erreicht ist. Man bekommt ja häufig erst in einer gewissen Entfernung von dem zu schildernden Gegenstande einen allgemeineren Ueberblick über denselben, und Aehnliches gilt vielleicht auch bei der Bewertung der von einer großen Persönlichkeit ausgegangenen Wirkungen, wenngleich man sich nicht verhehlen darf, daß bei allzu großem Abstande manche für das gesuchte Urteil wichtige Einzelheit undeutlich werden oder der Aufmerksamkeit ganz entgehen kann. Jedenfalls verlangt ein solches Urteil einerseits eine gewisse Unabhängigkeit von den Stimmungen, welche den Geist der in Be- tracht kommenden Zeitepoche beherrschten, Stimmungen, wie sie nicht bloß in der Kunst und der schöngeistigen Literatur bezüglich der je- weiligen Empfänglichkeit des Publikums für diese oder jene Richtung, sondern bisweilen auch in der Wissenschaft sich spiegeln. Aber ander- seits erfordert dieses Urteil auch, daß man von jenen Stimmungen u [3] Einige Seiten über Eduard Suess. 335 Kenntnis habe und nicht bloß unter dem möglicherweise stark ver- änderten Gesichtswinkel eines Epigonen Dinge und Personen betrachte. Wer kann heute voraussehen, in welcher Art die großen und er- schütternden Weltereignisse, deren Zeugen wir jetzt sind, mit ihren tief in das Leben der Völker und der einzelnen einschneidenden Wirklichkeiten das Denken und Empfinden der nächsten Generation beeinflussen werden, und inwieweit diese Freignisse beispielsweise das vordem ziemlich verbreitete Bedürfnis nach Sensation abstumpfen oder doch einen ganz anderen Maßstab für das Sensationelle schaffen werden als derjenige war, den man während der letzten Jahrzehnte im Leben, in der Literatur oder auch in der von jenem Bedürfnis nicht unberührt gebliebenen Wissenschaft, an die Dinge anzulegen pflegte. Wer jedoch noch zu den Zeitgenossen des genialen Mannes gehört hat, mit dessen Arbeiten sich die folgenden Seiten beschäf- tigen sollen und wer sich deshalb noch in die Zeit von dessen Auf- treten zurückversetzen kann, wird wenigstens vom Standpunkt eines Augenzeugen der zum Teil durch jene Arbeiten bedingten Entwick- lungsphase der Forschung sowohl, als des damit zusammenhängenden Widerstreits der Meinungen als berufen gelten dürfen, jene Entwick- lung etwas eingehender zu betrachten. Auf alle Fälle kann durch eine derartige Betrachtung heute schon einiges Material beigebracht werden für das Verständnis der Episode, welche in der Geschichte unserer Wissenschaft mit dem Namen Suess verknüpft ist. Möglicher- weise werden aber diese Blätter auch für diejenigen von Nutzen sein, die später in dieser oder jener Richtung ihrer Studien von den Darlegungen des großen Autors auszugehen wünschen, der überall, auch dort, wo er unzweifelhaft geirrt hat, durch seinen Reichtum an Gedanken, wie durch die Zusammenstellung eines großen literarischen Apparats das Studium der wichtigsten Probleme unseres Fachs zu befruchten vermochte. Nach dem eben Gesagten braucht kaum eingehender betont zu werden, daß es sich in den folgenden Seiten nicht um das handelt, was man im landläufigen Sinne einen Nekrolog nennt. Eine Biographie von Suess zu schreiben liegt auch nicht in meiner Absicht. Die am Eingang dieser Zeilen erwähnte Autobiographie von Suess, deren Aufzeichnungen, soweit sie bei diesem Werke benützt wurden, wie wir von dem Herausgeber erfahren, bis zum Jahre 1895 reichen, deren Schluß jedoch noch von dem Achtzigjährigen selbst redigiert wurde, enthebt heute jedermann von einem derartigen Versuche. Nur eine kurze Skizze jenes Gelehrtenlebens und der damit zusammen- hängenden Umstände mag dem Uebrigen hier vorausgeschickt werden. Dazu veranlaßt mich weniger die Voraussetzung, daß es manchem, der die „Erinnerungen“ oder andere hierher gehörige Behelfe nicht gerade zur Hand hat, lieb sein könnte, auch .in dieser Schrift eine solche Skizze zu finden, als vielmehr die Erwägung, daB manche der speziell auf den Werdegang eines Gelehrten und die von diesem erreichte Stellung bezüglichen Tatsachen das Verständnis von dessen Auftreten 45* 396 Dr. Emi! Tietze. [4] und dessen Arbeitsrichtungen unterstützen können. Dies gilt nament- lich bei einem Gelehrten, der nicht bloß stark in den Gang seiner Wissenschaft eingegriffen hat, sondern der dabei auch im öffentlichen Leben eine bedeutsame Rolle gespielt hat, so daß wenigstens für ein- zelne Phasen der wissenschaftlichen Tätigkeit des Forschers mit dessen übrigen Lebensumständen ein bestimmter Zusammenhang bestand. Aber auch sonst fehlt es in dem gegebenen Falle an solchen Zu- sammenhängen nicht. Eduard Suess wurde am 20. August 1831 zu London als der Sohn österreichischer Eltern geboren. Da er seine erste Kindheit in England verbrachte, erwarb er durch die Kenntnis der englischen Sprache von vornherein einen Vorteil, der ihm später bei seiner ausgedehnten Benützung der englischen und amerikanischen Fachschriften ganz wesentlich zu statten kam. Wahrscheinlich hat ihm der Umstand, daß er in dieser Weise von seiner ersten Jugend an, zumal er bald auch in das Französische eingeführt wurde, in mehreren Sprachen denken und sich ausdrücken lernte, abgesehen von einem angeborenen Talent für Sprachen, das spätere Eindringen auch in andere Sprachen sehr erleichtert und ihm dadurch die Beherrschung der geologischen Weltliteratur in einem Grade ermöglicht, der nicht wenig zu der seinen Arbeiten gespendeten Bewunderung beitrug. Einer strengeren grammatikalischen Schulung scheint er indessen abhold gewesen zu sein). Da seine Eltern noch während seiner frühen Knabenzeit nach Oesterreich zurückgekehrt waren, so erhielt Suess auch hier seine eigentliche Schulbildung. Er machte seine Gymnasialstudien in Prag und teilweise auch in Wien, absolvierte indessen nur die sechs unteren Klassen des Gymnasiums einschießlich der damals so genannten zweiten Humanitätsklasse, ohne die beiden obersten Klassen zu be- suchen, die zu jener Zeit in Oestereich eine gewisse Sonderstellung zwischen Gymnasium und Hochchule gehabt zu haben scheinen. So kam er schon als junger Mensch von 16 Jahren an das polytechnische Institut (die heutige technische Hochschule) in Wien, wo er, abge- sehen von einer kurzen, durch den Besuch der Technik in Prag aus- gefüllten Unterbrechung seine Ausbildung bis zum Jahre 1851 fort- setzte. In diese Zeit fällt seine (offenbar ziemlich harmlose) Betei- ligung an den revolutionären Ereignissen des Jahres 1848, die für ihn sogar eine kurze Haft zur Folge hatten und die vielleicht .bei ihm wie bei manchen anderen eine durch die Umstände höchst be- greiflich erscheinende zeitweilige Abschwächung des Interesses für die offiziellen Unterrichtsgegenstände bewirkten. Er selbst teilt uns in den Erinnerungen pag. 22 mit, daß wenigstens der zweite Jahrgang dieses Unterrichtes, für welchen höhere Mathematik, Physik und deskriptive Geometrie vorgeschrieben waren und der in die Zeit vom Herbst 1847 u zum Herbst 1848 fiel, „nicht den vorgeschriebenen Verlauf finden“ onnte. ‘) Vgl. in den „Erinnerungen“ pag. 13 die Stelle, wo er von seinem Unterricht im Französischen spricht. [5] Einige Seiten über Eduard Suess. 337 Anfänglich entsprach übrigens der Uebergang vom Gymnasium zum Polytechnikum, wie Suess (l. c. ibidem pag. 22) ebenfalls selbst hervorhebt, jedenfalls seinen Neigungen. „Die Erfahrung hatte mich,“ so schreibt er, „bereits den außerordentlichen Unterschied zwischen einem Unterrichte gelehrt, der sich nur an das Ohr wendet und jenem, der auch zum Auge spricht.“ Indessen auf die Dauer hat ihn, wie sich aus seinen weiteren Schilderungen ergibt, das technische Studium, wenigstens so, wie es damals betrieben wurde, doch nicht befriedigt. Am 4. Januar 1850 schrieb er!) an einen Onkel in Prag; „Wenn ich in meiner Kindheit schon die Leere des Gymnasiums empfand ?), so fühlte ich dann um so schmerzlicher, daß die Technik bloß praktisches Brotstudium sei und daß selbst die vielgerühmte Mathematik wohl Scharfsinn und Erinnerung schärft, aber alles übrige kalt läßt.“ Er ahnte damals wohl nicht, daß er in späteren Zeiten an die Erörterung von Fragen herantreten würde, welchen die Be- rührung mit mathematischen und physikalischen Vorstellungen nicht fremd bleiben durfte. Wir erfahren aus den „Erinnerungen“, wie Suess während seiner an den technischen Hochschulen zugebrachten Studienzeit mehr und mehr zur Geologie und speziell zur Paläontologie sich hingezogen fühlte und wie insbesondere die Sammlung silurischer Versteine- rungen im böhmischen Museum in Prag ihn lebhaft interessierte. „Der Anblick der Reste einer längst vergangenen Meeresbevölkerung“ schreibt er (l. ec. pag. 71) ergriff seine Phantasie so völlig, daß die Aufmerksamkeit für andere Studien kaum festzuhalten war.“ Während seines Aufenthalts an der Wiener Technik waren es wieder die „kon- chylienreichen Meeresablagerungen“ der Umgebung von Oesterreichs Hauptstadt, die sein Interesse erregten. ‚Suess wurde mit Haidinger bekannt, der ja bekanntlich in der Gesellschaft der Freunde der Naturwissenschaften um jene Zeit einen junge und strebsame Kräfte anziehenden Mittelpunkt für naturwissenschaftliche Bestrebungen geschaffen hatte und der auch an der Spitze der neu gegründeten geologischen Reichsanstalt stand ?). Der junge Techniker beschäftigte sich, angeregt durch solche Bezie- hungen, mehr und mehr mit paläontologischen Studien und fand auch !) Siehe Erinnerungen pag. 43. ?) Freunde des humanistischen Gymnasiums können es bedauerlich finden, daß Suess den Wert dieses Bildungsmittels und dessen Bedeutung für die Schulung des Geistes so wenig anzuerkennen geneigt war. Man braucht ja nicht zu bestreiten, daß auch aus anderen Bıldungsanstalten tüchtige Männer hervor- gegangen sind, und daß. schließlich die persönliche Veranlagung des Einzelnen über die Mängel dieser oder jener Erziehungsmethode zu triumphieren vermag; daß aber selbst manchem hervorragenden Talent jene Disziplienierung des Den- kens törderlich gewesen wäre, welche das Gymnasium anstrebt, dafür würden sich wohl Beispiele beibringen lassen. 3, In dem Schreiben, mit welchem Suess, die ihm zu seinem 80. Geburts- tag übermittelte Glückwunschadresse der Reichsanstalt beantwortete, gedachte er „mit innigstem Danke“ Haidingers und F. v. Hauers, welche ihm, wie er sagte, seine Bahn eröffneten. (Vgl. Verh.d.k. k. geol. R.-A. 1911, pag. 249 —250.) Er betont dort auch, daß er eine Zeit lang als Volontär an den Arbeiten der Anstalt teilnahm. 338 Dr. Emil Tietze. [6] Zutritt in das damalige Hofmineralienkabinett, wo ihm bald die Ordnung der fossilen Brachiopoden übertragen wurde. Er sah ein (Erinnerungen pag. 90), daß an der Technik für ihn „von einem geregelten Studium nicht mehr die Rede sein konnte“. Das Schicksal ermöglichte ihm relativ bald eine, wenn anfäng- lich auch noch bescheidene, offizielle Stellung zu erreichen, indem er 1854 zum Assistenten an dem Hofmineralienkabinett ernannt wurde. Sehwierigkeiten fand dagegen seine Absicht, sich an der Wiener Universität als Dozent zu habilitieren, und zwar weil, wie oben an- gedeutet, sein Bildungsgang ein unregelmäßiger war und den An- forderungen nicht entsprach, welche die Hochschule speziell an die Erlangung einer Dozentur stellt. Geringere Hindernisse formaler Natur standen indessen einer Ernennung des strebsamen jungen Gelehrten zum Professor entgegen, wodurch das Bedenken bei der Habilitation umgangen werden konnte. Dank der Unterstützung, welche Suess in dieser Hinsicht bei dem damaligen Unterrichtsminister, dem Grafen Leo Thun, fand, er- folgte demgemäß bereits im Jahre 1856 seine Ernennung zum außer- ordentlichen Professor der Paläontologie an der Wiener Universität. Paläontologisch waren ja im wesentlichen auch die ersten wichtigeren Arbeiten von Suess')). Eine Lehrkanzel speziell für Geologie bestand zu jener Zeit weder in Wien noch sonst in Oesterreich. Was über Geologie vor- getragen wurde, war mit den Vorlesungen über Mineralogie verbunden. Es gehört daher zu den Verdiensten der leitenden Männer unserer damals selbst noch sehr jungen geologischen Reichsanstalt, die Errichtung einer solchen selbständigen Lehrkanzel für Geologie, wenigstens zunächst in Wien, mehrfach angeregt und befürwortet zu haben. Diese Bestrebungen hatten dann schließlich den Erfolg, daß Suess Ende 1861 auch zum außerordentlichen Professor der Geologie an der Wiener Universität ernannt wurde. Das ÖOrdinariat dieser Lehrkanzel erhielt er am 11. Mai 1867 und diese Stelle hat er dann in ruhmreicher Weise bis zu seinem 1901 erfolgten Rücktritt vom Lehramt bekleidet. In ruhmreicher und für die Ausbreitung seiner Ideen erfolgreichen Weise! Gelegentlich der Vollendung seines 75. Lebensjahres hat einer seiner anhänglichsten ehemaligen Schüler, Professor Th. Fuchs, in der Wiener „Neuen Freien Presse“ vom 19. August 1906 einen Aufsatz zu Ehren seines alten Meisters veröffentlicht, worin er auch die Art der Lehrtätigkeit desselben berührte. Er sagte dort unter anderem ?): „Ebenso eigenartig wie als Forscher war Suess auch als Lehrer. Die landläufige elementare Geologie zu lehren konnte er sich allerdings nie recht entschließen. Er las fast immer über Materien, ') Suess hat in seinen Erinnerungen dem Andenken des Grafen Leo Thun in dankbarer Weise gehuldigt. Als der letztere starb, war Suess gerade Rektor der Universität, zu welcher ihm von dem Verstorbenen der Weg ge- öffnet worden war, und ein eigentümlicher Zufall fügte es, daß gerade er mit der Kette des Rektors geschmückt dem Leichenbegängnisse des ehemaligen Ministers anwohnen konnte. ?) Pag. 15 des Separatabdruckes aus der genannten Zeitung. [7] Einige Seiten über Eduard Suess. 339 die ihn selbst gerade beschäftigten. ..... Es ist zwar wahr, daß bei diesem Vorgehen die Anfänger nicht immer auf ihre Rechnung kamen, aber um so mächtiger war sein Einfluß auf die reiferen und vorge- schritteneren Hörer.“ Und weiter heißt es: „Was Suess in seinen Vorlesungen vorgebracht, war stets juveniles Erzeugnis seines Geistes, von jener Atmosphäre der Frische durchweht, die den Geist in seiner Tiefe belebt, wie ozonreiche Luft. Dies war auch die Quelle jenes eigentümlichen Zaubers, den seine Vorlesungen auf alle Hörer aus- übten, eines Zaubers, dem sich auch seine Gegner und Widersacher niemals entziehen konnten.“ Schon 1860 wurde Suess zum korrespondierenden Mitgliede der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien erwählt und 1867 wurde er unter die wirklichen Mitglieder dieser Körperschaft aufge- nommen. 1885 erfolgte seine Wahl zum Sekretär der mathematisch- naturwissenschaftlichen Klasse, 1890 zum Generalsekretärstellvertreter, 1891 zum Generalsekretär der Akademie, deren Vizepräsident er 1893 und deren Präsident er 1894 wurde. Letztere einflußreiche Stelle hat er dann bis vor wenigen Jahren bekleidet. In seiner Hand be- deutete der Vorsitz in der inzwischen durch Stiftungen reicher ge- wordenen Akademie nicht bloß eine Würde, sondern eine Macht und er war sich dessen auch bewußt. Mit Dankbarkeit gedenken die Mitglieder dieser hohen Körper- schaft seines Wirkens in derselben und für dieselbe. Vielfach wird dabei auch seine intensive Beteiligung an dem Zustandekommen eines Weltkartells der Akademien hervorgehoben, wie das auch in der Rede geschah, die Herr v. Böhm Bawerk gelegentlich der zu Ehren unseres verstorbenen Altmeisters von der Wiener geologischen Gesellschaft veranstalteten Gedächtnisfeier !) gehalten hat. „Ein besonderes Ruhmes- blatt auf dem Gebiet wissenschaftlicher Organisation“, sagt dieser Redner, „füllt die Tätigkeit, die Eduard Suess für die Verwirk- lichung des schönen Gedankens eines internationalen Zusammen- schlusses der wissenschaftlichen Bestrebungen der ganzen Kulturwelt entwickelte“. Dieser Gedanke sei zuerst in einem engeren Kreise durch das Kartell der deutschen Akademien verwirklicht worden und habe dann die „Krönung durch den Weltbund der internationalen Assoziation der Akademien“ erhalten. Es sei „ein schöner Tag der Erfüllung und zugleich ein Bild von symbolischer Bedeutung gewesen, als die junge Assoziation ihre erste Tagung in Wien abhielt“, wobei Suess den Vorsitz über einen Areopag der größten Gelehrten des ganzen Erdballs geführt habe. Es besteht gewiß kein Zweifel, daß die wissenschaftliche Arbeit internationaler ist und auch sein kann, als irgendwelche andere Be- strebungen, die nie einen gewissen Zusammenhang mit den jeweiligen Interessen einzelner Länder oder mit sonstigen bestimmten Gruppen von Interessenten verleugnen können, und ebenso zweifellos ist, daß das Zusammenwirken wissenschaftlicher Körperschaften für gewisse 1) Vgl. den Bericht über die Gedenkfeier in den Mitt. der genannten Ges, VII. Bd. 1913, pag. 4—8. (Der genannte Redner war der Nachfolger von Suess in der Präsidentschaft der Akademie.) 340 Dr. Emil Tietze. [8] Fälle außerordentlich nutzbringend zu werden vermag. Ob dazu jedoch ein dauernder Verband in der Form eines Kartells gehört, bleibt wohl eine offene Frage. Keinesfalls sind die Gefahren zu unterschätzen, welche solche Kartelle für die freie Entwicklung der Forschung ebenso mit sich bringen können, wie die Trustverbände, Kartelle und sogenannten Ringe in der Großindustrie für die Freiheit der industriellen und kommerziellen Bewegung. Gelehrte sind keine übernatürlichen Wesen ohne Ehrgeiz oder Selbstliebe und deshalb auch nicht immer frei von dem Bedürfnis, die ihren Meinungen entgegengesetzten Ansichten als eine Art von Häresie zu betrachten. Enthalten nun jene Meinungen zufällig Irr- tümer, was ja niemals ausgeschlossen ist, und bleiben derartige Irrtümer der Verantwortung und Vertretung der einzelnen oder selbst einzelner Körperschaften überlassen, so läßt sich das meistens ertragen, weil es dann immer verschiedene Stellen geben wird, an denen ein unabhängiges Urteil zum Ausdruck gelangen kann. Steht aber hinter diesen Meinungen die Autorität und die Macht eines solchen Areopags, wie er durch die genannte Assoziation vorgestellt wird, so kann man gewisse Befürchtungen nicht ganz unterdrücken. Kartellierte Irrtümer sind besonders bedenklich. Es ist das Schicksal wohl der meisten menschlichen Bestrebungen, daß sie verschieden beurteilt werden, weil sie von verschiedenen Seiten betrachtet werden können. Jedenfalls ist aber das Ziel, welches speziell Suess in dem gegebenen Falle verfolgte, ein ideales gewesen. Wie sich später diese oder jene menschliche Einrichtung auswächst, hängt ° von allerlei Umständen ab, die sich nicht sämtlich voraussehen lassen. Im gegenwärtigen Augenblick hat der Weltkrieg allerdings die Kultur- gemeinschaft der zivilisierten Nationen gestört. Da aber an der Hoffnung festgehalten werden muß, daß wenigstens die Jünger der Wissenschaft nach dem Frieden (unbeschadet der Verpflichtungen, die sie ihrem jeweiligen Vaterlande gegenüber haben) wieder zu einer gegenseitigen Annäherung gelangen, so werden ja wohl früher oder später manche jetzt zerrissene Fäden wieder zusammengeknüpft werden, sei es in der Form solcher Assoziationen, wie sie eben erwähnt wurden, sei es in der Form internationaler Fachkongresse, wie sie schon seit geraumer Zeit den direkten Verkehr der Gelehrten untereinander ermöglichten, und zwar, um ein heute im politischen Leben beliebtes Schlagwort anzuwenden, auf einer mehr demokratischen Grundlage als das Kartell der Akademien !). !) Die Organisation der Akademien bringt es mit sich, daß jeder daselbst zugelassene Wissenschaftszweig nur durch sehr wenige, allerdings erlesene Fach- leute vertreten wird, auf deren Urteil bei der Stellungnahme zu irgendwelchen mit jenen Wissenschaftszweigen zusammenhängenden fachlichen oder persönlichen Fragen die große Mehrzahl der übrigen Mitglieder angewiesen ist. Bei manchen Veranlassungen kann dann in einem Kartell solcher Köperschaften, die sich sonst unabhängig voneinander verhalten hätten, das Vorgehen einer derselben für alle übrigen maßgebend sein. Daß die Präponderanz des Einflusses einzelner Gelehrter (wie sie in dieser Weise noch mehr als es bisher möglich war, gefördert werden kann) mitunter ein Hindernis für das Durchdringen selbständiger Meinungen zu werden vermag und daß dies selbst in bezug auf Gelehrte gesagt werden darf, die sicher einen P2 [9] Einige Seiten über Eduard Suess. 341 Wir wollon indessen den Erfolg nicht schmälern, den Suess durch das Zustandebringen dieser Einrichtung gehabt hat, und hoffen, daß die letztere in einer Zukunft, die glücklicher ist als die Gegen- wart, noch Großes vollbringen wird. Jedenfalls gehört dieser Erfolg zu den Beweisen, daß unser Altmeister es verstand, auf Menschen und Dinge einen sehr wirksamen Einfluß auszuüben. Auch im breiteren öffentlichen Leben und als Politiker hat Suess bekanntlich längere Zeit eine große Rolle gespielt. Das Ansehen, welches er auch außerhalb der Fachkreise genoß, hing vielfach mit diesem Umstande zusammen, der seinen Namen in den weitesten Kreisen des Publikums bekannt machte und ihm die wertvollen Sympathien der gelesensten Organe der Presse verschaffte. In dieser Beziehung besteht eine gewisse Parallele zwischen ihm und Rudolf Virchov. Bei beiden hervorragenden Gelehrten hat ihr wissenschaftlicher Ruf deren politische Bedeutung gefördert und umgekehrt ist jener Ruf auch den der Wissenschaft ferner Stehenden durch ihr Hervortreten als Politiker in wirksamster Weise zum Bewußtsein gekommen. Die große Rednergabe, welche beide auszeichnete und welche namentlich den von Eduard Suess ge- haltenen Reden bei Hörern und Lesern Geltung verschaffte, hat übrigens wesentlich zu den betreffenden Erfolgen beigetragen. Man hörte Suess immer gern zu, gleichviel, ob man mit seinem Stand- punkte einverstanden war oder nicht, und so erklärt es sich, daß er zu den Führern seiner Partei (der liberalen) gehörte, zumal er durch Uebernahme wichtiger Referate nicht bloß sein Rednertalent, sondern auch seine Arbeitskraft der Partei zur Verfügung stellte. legitimen Anspruch auf Bedeutung hatten, dafür gibt es ja Beispiele, wobei man nur Namen wie Cuvier und Beaumont zu nennen braucht. Das hat aber unter anderen seinerzeit auch Suess als Uebelstand empfunden, der es noch in seinen letzten Verlautbarungen wiederholt beklagt hat, daß der einst namentlich unter den deutschen Geologen dominierende Einfluß Leopold v. Buchs lange Zeit die Geltung der Schrumpfungstheorie hintangehalteu hat, so daß die Unter- drückung der betreffenden Ansichten erst mit dem Tode von Buch geendigt habe. (Vgl. hierzu die später noch näher zu erwähnende Abschiedsvorlesung von Suess, 1901, pag. 3 und dessen Aufsatz über die gebirgsbildende Kraft in den Mitt. der Wiener geol. Ges. 1913, pag. 14.) Ich kann mir nicht vorstellen, daß den Bestrebungen einzelner von Selbst- bewußtsein erfüllter Gelehrten, sofern sie über ein natürliches Maß hinausgehen (bedeutenden Männern wird ja stets ein Vorrang eingeräumt werden), in anderer Weise ein Damm entgegengesetzt werden kann als durch das Bestehen von ein- ander tunlichst unabhängigen Körperschaften und Institute. Dadurch wird we- nigstens die freie Konkurrenz der wissenschaftlichen Arbeit am besten gesichert, während die Alleinherrschaft einzelner Körperschaften leicht sozusagen zu schutz- zöllnerischen Regungen führt. Für diesen Gedanken, der mir durch manche Erfahrungen nahegelegt wurde, bin ich wiederholt eingetreten, und deshalb habe ich auch die vor einigen Jahren von dem Deutschen Kaiser vertretene Idee der Errichtung selbständiger, vom Universitätsbetriebe getrennter Forschungs- institute mit besonderer Freude begrüßt. Die Gesichtspunkte, die mir dabei be- herzigenswert schienen, habe ich mir erlaubt in einer besonderen Auseinander- setzung zu besprechen, welche dem Schlusse meines Jahresberichtes für 1911 angefügt ist. (Siehe Verhandl.d.k.k. geol. R.-A. 1912, pag. 60--74) und auf die näher zurückzukommen uns hier zu weit führen würde. In jedem Falle schien mir der „Großbetrieb der Wissenschaft“, welches Schlagwort man ja neuerdings bisweilen zu hören bekommt, zu viel Fabriksmäßiges an sich zu haben. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 46 349 Dr. Emil Tietze. [10] In seinen Erinnerungen (pag. 274) erzählt er uns von einem Gespräch mit dem Kaiser Don Pedro von Brasilien, der vorüber- gehend im Jahre 1874 sich in Wien aufhielt und damals auch ver- schiedenen wissenschaftlichen Instituten seinen Besuch abstattete. Der Kaiser machte ihm Vorwürfe darüber, daß er sich mit Politik be- schäftige. Als Gelehrter könne man für die Menschheit und für sein Land nützlicher wirken als durch politische Bestrebungen. Suess erwiderte, die Politik habe ihn erst den ganzen Wert der Wissen- schaft als eines Asyls kennen gelehrt. Er sei übrigens durch äußere Umstände in das öffentliche Leben gezogen worden. Er hätte auch sagen können, daß er durch seine Veranlagung zum Hervortreten in der Oeffentlichkeit bestimmt war. Man kann einem durch seinen hohen Flug weithin sichtbaren Falken nicht zureden, sich in einen Maul- wurf zu verwandeln, der sein Wesen im Verborgenen treibt. Jeden- falls können die älteren Zeitgenossen von Suess in dem geistigen Bilde, welches sie von dessen Tätigkeit und von dessen Erfolgen bewahrt haben, den Gelehrten nicht leicht vom Politiker trennen. Der Umstand, daß ein großer Teil der „Erinnerungen“ der Dar- stellung der politischen Vorgänge gewidmet ist, an denen Suess direkt oder indirekt beteiligt war, beweist übrigens deutlich, daß er selbst noch in seinem Alter auf die Bedeutung dieser Beteiligung Wert gelegt hat. Wir dürfen hier übrigens einen wichtigen Punkt nicht übersehen. Suess war als Politiker nicht bloß Parteimann und er redete auch nicht bloß in der Oeffentlichkeit, sondern er handelte auch für dieselbe. Er mag nicht unempfänglich gewesen sein für das Ansehen, welches ihm seine Position in den öffentlichen Vertretungskörpern verschaffte, wenn er es auch für gut fand, staatliche Auszeichnungen abzulehnen, aber er zeigte auch nach Maßgabe seiner Ueberzeugungen ein echtes Interesse für das Öffentliche Wohl und er mag sich dadurch sehr von solchen Politikern unterschieden haben, welche bisweilen ihren Einfluß zur Erreichung persönlicher Vorteile benützen oder über den Parteimann den Menschen vergessen. In dieser Beziehung scheint er sogar von andern Politikern nicht immer die beste Meinung gehabt zu haben. Ich kann mir nicht versagen, hier eine Stelle aus den Erin- nerungen anzuführen, die vielleicht geeignet ist, das Verhältnis von Suess zur Polittk, so wie er selbst es in bezug auf seine Eigenschaft als Geologe sich gedacht hat, zu kennzeichnen. Er schreibt (l. e. pag. 125): „Der Aufschwung der Geologie seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist nicht nur durch die fesselnde Größe ihrer Aufgaben und nicht nur in ihrer praktischen Nützlichkeit begründet. Die un- mittelbare Berührung mit der. offenen Natur kommt sicher auch in Betracht. Sie zieht den Schüler an. Weite Wanderungen und man- cherlei Entbehrung stählen ihn physisch. Je genauer er dabei sein Vaterland betrachtet und je tiefer er auf abgelegenen Wegen auch die entfernteren Schichten seiner Nation kennen lernt, um so inniger liebt er beide: Wenn es ihm aber vergönnt ist, auch in das Seelen- leben einer anderen Nation hinabzublicken, wenn er dort die gleichen Regungen, dieselben Quellen von Schmerz und Freude, die gleiche Wertschätzung des Edlen und die gleiche Meidung des Niedrigen [11] Einige Seiten über Eduard Suess. 343 antrifft, dann erwacht in ihm neben dem Patriotismus die gleiche Liebe zur Menschheit, die dem Berufspolitiker ein Greuel ist, aber im Grunde jeder gesunden Menschenseele und trotz des Sträubens des Politikers auch in der seinigen keimt oder doch zu keimen vermöchte.“ Dieser Sinn für das öffentliche Wohl, der, wie man sieht, zu- gleich einen kosmopolitischen Zug hatte, ist es auch gewesen, der Suess den Eingang in das politische Leben eröffnet hat. Die einst recht ungünstigen Gesundheitsverhältnisse von Wien veranlaßten ihn, sein Wissen und Können als Geologe in den Dienst der Bestrebungen zu stellen, welche auf eine Besserung dieser Verhältnisse abzielten. Er befaßte sich deshalb mit dem Boden von Wien und die Agitation, die er im Anschluß an diese Studien betrieb, machte ihn in der Oeffentlichkeit bekannt. So verdankt man seiner Initiative den Bau der ersten Wiener Hochquellenleitung, etwas später die Regulierung des Donaustromes bei Wien, und so kam es, daß er zunächst in den Wiener Gemeinderat, später auch in andere Vertretungskörper gewwählt wurde. Dem Gemeinilerat der Stadt Wien gehörte Suess zuerst vom Jahre 1862 bis zum Jahre 1873 (in welchem die Hochquellenleitung vollendet wurde) aı, dann noch einmal in der Zeit von 1882 bis 1886. Seine fruchtbringer de Tätigkeit in dieser Körperschaft, welche zu seiner schon im .ahre 1874 (namentlich im Hinblick auf die ‚Schöpfung der Wasserleitung) erfolgten Ernennung zum Ehrenbürger Wiens Veranlassung bot, bereitete in der öffentlichen Meinung zunächst seine 1865 erfolgte Wahl in den Landtag und sodann auch seine Wahl in das Parlament vor, in welches er 1873 als Abgeordneter seines Wohnbezirkes eintrat. Dort hat er eine Reihe von Jahren hindurch als einflußreiches Mitglied der liberalen Partei gewirkt, zu deren besten Rednern er gehörte. Durch diese Wirksamkeit, zu der unter anderem sein Eingreifen in Schulfragen gehörte, hat er sich bei einem großen Teil der Oeffentlichkeit, wie wir früher schon an- gedeutet, besonders aber bei der Presse, durch längere Zeit weitere Beliebtheit erworben, bis veränderte politische Strömungen ihn bewogen, diese Stellung aufzugeben und sich einer Neuwahl für das Abgeord- netenhaus nicht mehr zu unterziehen. Hie und da hat er dann wohl noch seinen politischen Ueber- zeugungen gelegentlich Ausdruck gegeben, aber er war nicht mehr zu bewegen, aktiv in das betreffende Getriebe einzugreifen und- zog sich mehr und mehr auf das Feld der Wissenschaft zurück, wo er sich einer treuen Anhängerschaft und unverminderter Anerkennung bei einer großen Zahl der Fachgenossen und sonstiger Gelehrter sicher fühlte und wo er auf die ungeschwächte Fortdauer seines Einflusses rechnen konnte. Vielleicht verdankt man es gerade jenem Rückzuge vom breiteren öffentlichen Leben, daß Suess sein groß angelegtes Hauptwerk über das Antlitz der Erde noch vor seinem Ableben vollenden konnte. Er starb zu Wien am 26. April 1914 und seine Leiche wurde auf dem Friedhofe von Marz (Marcz Falva) in Ungarn bestattet. 46* 344 Dr. Emil Tietze. [12] Er hatte in dem genannten Dorfe eine Besitzung, auf die er sich gern mit seinen Familienangehörigen zurückzog, um ländliche Stille zu genießen. Hier wünschte er auch seine Ruhe nach dem Tode zu finden. Es ist vielleicht angezeigt, dies anzumerken, denn derartig entlegene Grabstätten berühmter Forscher geraten leicht in Ver- gessenheit. So ruht Suess jetzt in ungarischer Erde am östlichen Abhange des Rosaliengebirges, während auf der entgegengesetzten niederösterreichischen Seite dieses Gebirges, auf dem Friedhofe von Lanzenkirchen bei Frohsdorf sich das Grab des ihm im Tode lange vorangegangenen Barrande!) befindet, des ersten Gegners, der, wie wir sogleich sehen werden, seinen wissenschaftlichen Aufstieg kreuzte. Die ersten Publikationen und die paläontologischen Studien von Suess. Wie aus den einleitenden Worten dieser Schrift entnommen werden kann, handelt es sich hier um mehr als ein bloßes Epitaph, wie man es vielleicht unmittelbar nach jemandes Tode auf dessen Grabstein anbringt. Die Besprechung der wissenschaftlichen Tätigkeit des großen Autors, bei der wir nun angelangt sind, erfordert nichtsdestoweniger, daß wir uns, wie ebenfalls schon angedeutet wurde, manche Ein- schränkungen auferlegen und nicht alles gleich eingehend behandeln, denn die Arbeitsleistung, welche mit jener Tätigkeit verbunden ge- wesen ist, war nicht nur eine überaus große, sondern auch eine sehr mannigfaltige und bekanntlich keineswegs auf die tektonischen Stu- dien beschränkt, wie sie den Autor des „Antlitz“ in der späteren Zeit seines Lebens so lebhaft beschäftigten. Von seiner Wirksamkeit als Lehrer, die hauptsächlich für vor- geschrittenere Schüler berechnet war und welche unter diesem Ge- sichtspunkt allseitig als eine glänzende gerühmt wird, ist oben (pag. 6 der jetzigen Darstellung) schon kurz gesprochen worden, Selbstver- ständlich bleiben auch die Reden politischen Inhalts, durch welche der seinerzeit berühmte Parlamentarier die Zuhörer wie die Zeitungs- leser zu fesseln verstand, hier außer Betracht. Wir begrenzen unsere Besprechung vornehmlich auf die fachlichen Veröffentlichungen des Meisters. Dieselben erstrecken sich fast über alle Gebiete der Geologie und ihrer Hilfswissenschaften, wenn wir von speziell mineralogischen oder petrographischen Studien absehen wollen. In der ersten Zeit waren es vornehmlich paläontologische Untersuchungen, die Suess unternahm, wie das seinem Entwicklungsgange, dem Interesse, wel- !) Die großeu Verdienste, welche sich Barrande um die Kenntnis des Silurs in Böhmen durch seine monumentalen Werke über diese Formation er- worben hat, sind zwar durch eine Gedenktafel an einem Felsen in Prag aner- kannt worden. Seine letzte Ruhestätte dürfte indessen heute nur mehr wenigen bekannt und selbst bei einem Teil der böhmischen Gelehrten in Vergessenheit geraten sein. [13] Einige Seiten über Eduard Suess. 3415 ches er in seinen Jugendjahren den Versteinerungen entgegengebracht hatte und auch seinen ersten amtlichen Verpflichtungen entsprach; daran knüpften sich bald Arbeiten stratigraphischer Art und im Zu- sammenhange mit diesen standen Studien, die der angewandten Wissenschaft galten. Daneben begann frühzeitig, wie wir sehen wer- den, die Beschäftigung mit allgemeineren Fragen, die schließlich zur Behandlung der kühnsten Probleme führen sollte, unter denen die- jenigen der Tektonik den ersten Platz einnehmen. Suess hatte als Lehrer die Neigung, seine Schüler zu früh- zeitigen Publikationen zu ermuntern. Das mag manches für und manches gegen sich gehabt haben. Jedenfalls ist er damit dem Beispiel seiner eigenen Vergangenheit treu geblieben. Wie er mir gelegentlich seines 80. Geburtstages schrieb !), erschien seine erste Veröffentlichung etwa im Jahre 1850°). Sie erschien anonym, war als Beitrag für einen Fremdenführer für Karlsbader Kurgäste bestimmt und hat mit diesem mehrere Auflagen erlebt. Suess spricht davon auch in seinen Erinnerungen (l. ce. pag. 74) und erwähnt, daß er gelegentlich eines Aufenthaltes in Karlsbad, in dessen Umgebung er emsig Exkursionen machte, von einer dortigen Buchhandlung aufgefordert wurde, den geognostischen Abschnitt für das betreffende Büchlein zu verfassen. Ein kleinerer Aufsatz, welcher in den von Haidinger heraus- gegebenen Mitteilungen der „Freunde der Naturwissenschaften“ er- schien (Wien 1851, 7. Bd., pag. 124—125), zeigt meines Wissens zum ersten Mal den Namen Suess als den eines Autors. Er bezieht sich auf die im Folgenden genannte größere Publikation. Diese Publikation war jedenfalls eine paläontologische. Im 4. Bande der Abhandlungen des eben genannten Vereines (1851) erschien dieselbe und behandelte die böhmischen Graptolithen. Sie brachte den damals 20 jährigen Autor in den oben angedeuteten Konflikt mit Joachim Barrande. Während seines Aufenthaltes in Prag hatte sich Suess nicht nur den früher (pag. 5 dieser Darstellung) erwähnten Musealstudien hingegeben, sondern auch sich selbständig vielfach mit dem Sammeln von Versteinerungen in der Umgebung dieser Stadt beschäftigt, wo der französische Gelehrte, der mit dem bourbonischen Kronprätendenten, Grafen Chambord, nach Oesterreich gekommen war, sein Haupt- quartier aufgeschlagen hatte und seine klassisch gewordenen Arbeiten über das systeme silurien du centre de la Boh@me schrieb. „In meiner jugendlichen Naivetät,“ sagt Suess in den Erinnerungen (pag. 74— 75), „hatte ich mir nicht träumen lassen, daß es ein Ersitzen von Rechten auf die Erforschung eines Gebietes geben könne“, und so brachte er denn die obgenannte Arbeit zur Veröffentlichung, nachdem er übrigens (auf den betreffenden Sachverhalt aufmerksam gemacht) mitBarrande korrespondiert und noch in den Korrekturbögen die Barrande’schen Bezeichnungen der Graptolithen in seine Schrift aufgenommen hatte. Damit glaubte er auch die Prioritätsansprüche des älteren Forschers anerkannt zu haben. !ı) Vgl. Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1911, pag. 249. 2?) Er hat in den ‚Erinnerungen“ den Winter 1850/51 als die Zeit des Er- scheinens dieser Schrift angegeben. 246 Dr. Emil Tietze. [14] Das ersparte ihm aber nicht eine scharfe und sehr abfällige Kritik von seiten des Prager Gelehrten und so „vollzog sich“, wie er in den Erinnerungen schreibt, sein „Eintritt in die wissenschaftliche Lite- ratur bei schlechtem Wetter“. Der Schlußabsatz dieser in unserem Jahrbuch 1852 (pag. 139 bis 155) abgedruckten Kritik?) lautet: „Wenn Herr Suess es be- dauern sollte, durch eine inhaltslose Arbeit sein erstes Auftreten in der Wissenschaft bezeichnet zu haben, statt eine bessere Inaugural- thesis zu liefern, wie ich ihm gewünscht hätte, so würde ich mich herzlich gern so lobenswerten Gefühlen anschließen. Ich bin über- zeugt, daß dieser junge Paläontologe, welcher durch das hohe und sehr ehrenvolle Vertrauen des Herrn Haidinger berufen wurde, einen ebenso gewichtigen als schwierigen Anteil an den Arbeiten der kaiserlichen geologischen Reichsanstalt zu nehmen mir (ich will nicht sagen in kurzer Zeit) Gelegenheit geben wird, die ich sehr gern ergreifen will, ihm meine Achtung zu bezeigen für seinen Eifer in der Wissenschaft, sein beharrliches Forschen und wie ich hoffe für die wichtigen Entdeckungen, welche die Früchte seiner Beobachtungen und Studien sein werden.“ Das klingt heute allerdings seltsam. Mancher schwächere Charakter hätte sich übrigens durch eine derartige, von damals hoch autoritativer Seite ausgehende Kritik von der Fortsetzung seiner Bestrebungen abschrecken lassen. Es zeigte sich aber, daß Suess voll Vertrauen in seine Zukunft war und daß er zu denen gehörte, welche sich gegen die Autorität anderer durch- zusetzen wissen, weil sie selbst in sich die Fähigkeit fühlen, Autorität und Geltung zu erlangen. Jedenfalls hat indessen auch Haidinger, dessen großes Verdienst es war, alle aufstrebenden Talente in seiner Umgebung zu fördern, der Entmutigung seines Schützlings vorge- beugt °). Wenige Jahre später finden wir Suess bereits in einem anderen Verhältnis zu Barrande?°). Es war die Zeit, in welcher die Frage der sogenannten Kolonien im böhmischen Silur im Vordergrunde des Interesses stand und in welcher Barrande den von ihm als Kolo- nien bezeichneten Schichtkomplexen Namen gab, die teilweise an Personen erinnern sollten, die sich seinen Anschauungen gegenüber ablehnend oder zweifelnd verhalten hatten, weshalb man diese Ko- ') Barrande begnügte sich übrigens nicht mit diesem Aufsatz, sondern veröffentlichte daneben noch einen längeren Artikel im neuen Jahrbuch für Mineralogie (1852, pag. 399-419), welcher gleichfalls seine Prioritätsrechte gegen Suess zu wahren bestimmt war. Vgl. zu dieser Polemik auch Jahrb. d. k. k., geol. R.-A. 1851, pag. 164 sowie 1852, pag. 195 u. 198. ..) Schon aus einer Anmerkung zu der Barrande’schen Kritik, welche Haidinger dem betreffenden Aufsatz anfügte, geht hervor, daß der letztere mit der Schärfe jener Kritik nicht einverstanden war. i °») Vgl. Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1859, pag. 479 und 481, sowie den Sitzungsbericht in demselben Jahrbuchsbande, pag. 175 u. 176, endlich auch den Vortrag von Suess über den Stand der Tätigkeit im Gebiete der Paläontologie in Oesterreich in den Schriften d. Vereins zur Verbr. naturw. Kenntnisse, Wien, 2. Bd. 1863, pag. XXXVI, wo Barrandes Kolonien anerkannt werden. [15] Einige Seiten über Eduard Suess, 347 lonien damals scherzweise in geologischen Kreisen auch als Straf- kolonien bezeichnete. Der Widerspruch Krejtis gab speziell in dem hier berührten Falle für Barrande Veranlassung, sich in einem geharnischten Schreiben an Haidinger für seine Kolonientheorie einzusetzen sowie für Suess Gelegenheit, sich in bestimmtester Weise an die Barrande’sche Auffassung anzuschließen und auszusprechen, dab von einer Erklärung der als das Wiederauftreten von Faunen gedeuteten Erscheinung durch Schichtenstörungen nicht die Rede sein könne, daß vielmehr die Auffindung der Kolonien als eine der merk- würdigsten Entdeckungen zu bezeichnen sei. Die spätere Entwicklung der Wissenschaft hat allerdings, wie bekannt, der Theorie von den Kolonien wenigstens für das böhmische Silur nicht recht gegeben !). „ie tektonische Auffassung, der sich Suess hier angeschlossen hatte, konnte sich ebensowenig durchsetzen, wie in einem etwas analogen Fall später die Vorstellung von einer mehrfachen Wiederholung an- geblich altersverschiedener Werfener Schichten, wovon noch die Rede sein wird. Immerhin jedoch mag man zugestehen, dab Suess, der die Frage auch von einem allgemeineren Gesichtspunkt aus betrachtete, rein prinzipiell gesprochen, nicht unrecht hatte, wenn er für den Vergleich pelagischer, subpelagischer und littoraler Bildungen empfahl, die Möglichkeit ernsthaft im Auge zu behalten, daß in der Aufein- anderfolge von Schichten ein Wiederauftreten gewisser Bildungen von gleicher Fazies, wie wir heute sagen würden, Erscheinungen vom Wesen der Kolonien sehr wohl bedingen könnte. Die vorerwähnte Studie über Graptolithen war übrigens nur der Vorläufer einer Reihe von paläontologischen Arbeiten, durch welche Suess bald darauf die Literatur bereicherte. So wie das in seinen äußeren Verhältnissen zum Ausdruck kam, insofern er zuerst Professor der Paläontologie war, ehe eine Lehrkanzel der Geologie für ihn errichtet wurde, so lag auch der Schwerpunkt seiner Tätig- keit anfänglich auf der paläontologischen Seite. Es wurde weiter oben erwähnt, dab Suess in der Zeit, als er als junger Volontär des Hofmineralienkabinetts tätig war, die Ordnung der dortigen Brachiopodensammlung zugewiesen erhielt; damit hing jedenfalls zusammen, daß es bei seinen nächsten Veröffentlichungen insbesondere gerade die Brachiopoden waren, welche er seiner Auf- merksamkeit würdigte. So entstanden die teils größeren, teils klei- neren Schriften über die Brachiopoden der Kössener Schichten, die Brachiopoden der Hallstätter Schichten, die Brachiopoden der Gosau- bildungen, die Brachiopoden der Hierlatzschichten, die sekundären Brachiopoden Portugals, über Brachiopoden vom Pitulat im DBanat, über Terebratula diphya, über die Brachialvorrichtung bei den Theci- deen, über die neue Gattung Merista und über die ebenfalls neue Gattung Meganteris, über Thecideen des österreichischen Lias und über die Wohnsitze der Brachiopoden, welche Schriften oder Mit- teilungen teils in den Denkschriften und Sitzungsberichten der kaiserlichen Wiener Akademie der Wissenschaften, teils in den ı) Vgl. z. B. die diesen Fall geschichtlich zusammenfassenden Bemerkungen von Nowak im Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1914, pag. 242. 348 Dr. Emil Tietze. [16] Jahrbüchern der geologischen Reichsanstalt zum Abdruck gelangt sind). En bulletin de la societe Linneenne de Normandie (Caen 1856) erschien eine Notiz „sur un nouveau genre de Brachiopodes (Megan- teris Archiari), in Piectets Melanges paleontologiques de Geneve (1861), eine „Note sur les gisements des Terebratules du groupe de la Diphya, in der Stoppani’schen Paleontologie lombards ein Auf- satz über Waldheimia Stoppanii (aus den Esinoschichten) in den Ver- handlungen des zoologisch-botanischen Vereins (1853), eine Notiz über Ströngocephalus Burtini, im geologischen Teil des Novara-Werkes eine Mitteilung über fossile Brachiopoden aus Neuseeland und in Franz v. Hauers Beiträgen zur Paläontologie von Oesterreich (Wien 1859) eine Arbeit über die Brachiopoden der Stramberger Schichten. Im Zusammenhange mit diesen zahlreichen Studien stand auch die von Suess unternommene Bearbeitung einer deutschen Ausgabe von Davidsons Klassifikation der Brachiopoden, in welche manche eigene Beobachtungen und Bemerkungen des Bearbeiters mitauf- genommen wurden ?). Von anderen hier zu nennenden paläontologischen Studien seien diejenigen über die großen Raubtiere der österreichischen Tertiär- ablagerungen ?) genannt oder der Aufsatz über Reste von Squalodon aus Linz *), und eine Reihe von sonstigen Notizen über fossile Wirbeltiere 5). Besondere Bedeutung (namentlich für ihre Zeit) beanspruchten noch mancherlei Mitteilungen über Cephalopoden, welche im Verein mit den vorgenannten Arbeiten von Suess die Vielseitigkeit dieses Forschers auf dem Gebiet der Versteinerungskunde erwiesen. In einem Aufsatz über die Cephalopodensippe Acanthoteuthis ®) beschrieb Suess Reste aus den Schichten von Raibl, die Bronn mit dem Namen Belemnoteuthis bisinuata belegt hatte und stellte interessante Vergleiche dieser Reste mit den Belemniten an. Ins- besondere aber seien hier die wichtigen in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie 1865 und 1870 erschienenen Untersuchungen über Ammoniten, ihre Organisation und Schalenstruktur hervorgehoben, !) Ein anscheinend ziemlich vollständiges Verzeichnis der Suess’schen Publi- kationen hat Prof. Diener gegeben am Schlusse seines Nachrufs auf E. Suess. (Mitt. der geol Ges. in Wien, 1914, pag 26-32.) Eine solche Vollständigkeit in der Aufzählung der betreffenden Schriften liegt nicht in der Absicht der gegen- wärtigen Zeilen, obschon im Laufe des Textes dieser Abhandlung jedenfalls die meisten jener Publikationen zur Erwähnung gelangen werden. °) Vgl. Jahrb. d. k. k. geol. R. A. 1856, pag. 386-387. °) Sitzungsber. d Akad. d. Wiss. 53. Bd., Wien 1861, pag. 217 etc. *; Jahrb d. k. k. geol. R.-A. 1868, pag. 287. °) Vgl. Jahrb. d. k. k. geol. R. A. 1858, Verhandl. pag. 87, 88, 121, 147, 158 und Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1859, Verhandl. pag. 19, 51, dann Jahrb. 1861 bis 1862. Verhandl. pag. 286, wo von Resten aus Pikermi, Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1863, pag. 13, wo von solchen aus der Braunkohle von Hart bei Gloggnitz und von Lukawitz in Böhmen die Rede ist. °) Sitzungsber. d. Akad d. Wiss 51. Bd., Wien 1865. Abel in seiner Paläo- biologie d. Cephalopoden, pag 149, Jänner 1916, hält allerdings die Zuteilung der betreffenden Keste zu Acanthoteuthis für verfehlt und beklagt die von verschiedenen Autoren in dieser Richtung verursachte „Verwirrung“. Doch dürften die von Suess in seinem Aufsatze mitgeteilten Beobachtungen an und für sich trotzdem noch immer von Wert sein. [17] Einige Seiten über Eduard Suess. 349 In der ersten Abteilung dieser Untersuchungen !) wurde die Be- deutung des Mundsaumes und der Beschaffenheit der Wohnkammer für die Klassifikation jener Reste hervorgehoben und bei dieser Ge- legenheit wurden einige der alten Gruppen, in welche man die Am- moniten eingeteilt hatte, mit neuen Namen belegt und zu Gattungen erhoben. So wurden die Gattungen Phylloceras, Lytoceras und Arcestes in die Paläontologie eingeführt, ein Vorgang, der bald durch Hyatt Nachahmung fand und welchem dann (etwa mit Ausnahme Quen- stedts) fast alle Ammonitenforscher, wie insbesondere Mojsiso- vics, Waagen und Neumayr folgten, so daß heute die Systematik der Ammoniten eine stattliche Anzahl von Gattungsnamen aufweist. Der große Formenreichtum dieser Gruppe schien in der Tat eine solche Teilung der alten Gattung Ammonites zum Bedürfnis zu machen und überdies hatte ja für die Nautilen bereits Barrande einen diesem Bedürfnis entsprechenden ähnlichen Weg eingeschlagen. Von großem Interesse ist auch der zweite Teil der Suess- schen Ammonitenstudien, der über die Zusammensetzung der spiralen Schale dieser Cephalopoden handelt. Hier entwickelte der Autor den Gedanken, daß eine große mit T’rachyceras beginnende und, wie er an- nahm, bis in die Gegenwart reichende Gruppe von Ammoniten für ihn die Familie der Argonautiden bilde, welche heute durch die Gattung Argonauta vertreten sei und daß sich überhaupt Entwicklungsreihen der Cephalopoden nachweisen ließen, wenn auch diese Reihen nicht stammbaummäßig aufgestellt wurden ?). Wir sehen, es ist eine stattliche Anzahl von Untersuchungen, welche hier genannt werden konnten. Wir haben dieselben zum Teil nur ganz summarisch angeführt, denn der Schwerpunkt der Bedeu- tung unseres großen Autors liegt eben nicht hier, aber übersehen darf die Arbeit, welche durch jene Untersuchungen geleistet wurde, nicht werden. In jedem Falle darf man sogar behaupten, daß Suess einen sehr geachteten Platz in der Geschichte der Naturwissenschaften einge- nommen hätte, auch wenn er auf seine späteren tektonischen Studien verzichtet und mit dem Eifer, mit dem er anfänglich das paläonto- logische Arbeitsfeld vorwiegend pflegte, in dieser Richtung weiter- gearbeitet hätte. Uebrigens sind auch bereits in dem angegebenen Umfange die von ihm erzielten Ergebnisse von besonderem Werte. Das Verhältnis von Suess zur Deszendenzlehre. Es wäre natürlich müßig, darüber nachzudenken, welchen Gegen- ständen sich Suess bei intensiverer Fortsetzung seiner paläontologi- schen Studien zugewendet hätte. Als er diese Studien begann, durfte man die Hauptaufgabe der Paläontologie neben der Einreihung ihrer Objekte in die zoologische oder botanische Systematik, in der ') Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. 52 Bd., Wien 1868. ?) Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. 61. Bd., 1. Abt., Wien 1870. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3, u. 4. Heft, (E. Tietze.) 47 350 Dr. Emil Tietze. [18] Unterstützung erblicken, welche dieselbe der Geologie oder speziell der Stratigraphie zu gewähren hatte. Diese Aufgabe ist ja auch heute noch eine wichtige, und wenn vielleicht mancher moderne Paläontologe die darauf abzielende Arbeit etwas über die Achsel an- sieht, so beruht das auf der auch sonst bei Forschern wie anderwärts beobachtbaren Neigung vieler Menschen, im Vergleich mit anderen Bestrebungen gerade die jeweilige Richtung ihrer eigenen Tätigkeit für besonders bedeutsam zu halten. Jedenfalls hat auch Suess durch die meisten der soeben erwähnten Arbeiten vor allem den Bedürfnissen zu entsprechen getrachtet, welche teils durch die Klassi- fikation der Objekte, teils durch die Beziehungen derselben zur Formationskunde bedingt waren. Wir kommen auf diesen zweiten Punkt übrigens später noch zurück. Als gewiß aber können wir an- nehmen, daß der Sinn für allgemeine Fragen, der bei ihm mehr und mehr zum Durchbruch gelangte, sich auch bei der eventuellen Fort- setzung seiner paläontologischen Studien in steigendem Verhältnis bekundet hätte. In der Antrittsvorlesung, die er am 9. Oktober 1857 als neu ernannter außerordentlicher Professor für Paläontologie „über das Wesen und den Nutzen paläontologischer Studien“ hielt!), bezeichnete er den Zweck dieses Wissenschaftszweiges als einen doppelten. Als beschreibende Wissenschaft sei die Paläontologie „in hohem Grade von der Zoologie, der vergleichenden Anatomie und der Botanik abhängig* (l. e. pag. 3), als historische Wissenschaft diene sie dem Geologen zur Altersbestimmung der Flötzgebirge und habe außerdem die Auf- gabe einer „Geschichte der organischen Welt“ (l. c. pag. 9), „das ist eine Geschichte, in der keine guten und keine bösen Taten geschehen“ - und in der sich „kein nachahmenswertes Vorbild aus einer handelnden Menge“ hervorhebt (l. c. pag. 10), die aber den Geist zu großartigen Anschauungen erhebt durch die Betrachtung der vielen und viel- gestaltigen Faunen und Floren, die aufeinander folgten bis zur jetzigen Epoche. Suess nennt diese die Epoche des Menschen, „jenes wunder- baren Wesens, dem es gegeben ist, so unermeßlich weit in die Ver- gangenheit und doch keine Spanne weit in die Zukunft zu schauen“ (6. pas... 12), Man konnte die Aufgaben der Paläontologie in ihrer Vielseitig- keit nicht richtiger erfassen, als dies hier geschehen ist, namentlich, wenn man berücksichtigt, daß Suess bezüglich des Zusammenhanges der Paläontologie mit der Zoologie und Botanik besonderen Wert auf das Cuvier’sche „Prinzip der Existenzbedingungen“ legte (I. c. pag. 3—5), wonach zum Beispiel die Organe jedes Tieres zusammen ein harmonisches Ganzes bilden müssen, wobei aber -- wie Suess noch besonders betonte — dieser Organismus auch „den äußeren Umständen entsprechen“ muß, unter denen er zu leben bestimmt ist. „In einem Tier von anderen Sitten und anderer Lebensweise ist nicht etwa nur ein einziger Teil dementsprechend abgeändert, sondern es wirkt, diese Abänderung auf alle Teile ein.“ So komme es, daß es möglich sei, aus einzelnen Teilen eines Wesens (also aus unvollkommen ') Gedruckt im Verlage von E. Hölzel, Wien und Olmütz 1857, [19] Einige Seiten über Eduard Suess. 351 erhaltenen Resten) auf andere zu schließen, da eben die verschiedenen Teile untereinander und mit der Außenwelt im Einklang stehen müßten. Handelte es sich bei solchen Schlußfolgerungen im Cuvier’schen Sinne zunächst auch nur um die Rekonstruktion fossiler Geschöpfe, die uns nicht vollständig erhalten blieben, so ergaben sich aus den einschlägigen Studien doch bereits Probleme der Paläobiologie, und diese Probleme erhielten bald nach dem ersten Auftreten von Suess einen mächtigen Anstoß: Die erste englische Ausgabe der „Entstehung der Arten“ von Charles Darwin erschien bekanntlich im Jahre 1859. Leben ist Bewegung!) und Bewegung bedeutet von vornherein Veränderung. Das dürfte das allgemeinste und in jedem Fall gültige Grundgesetz der Biologie sein. Ob nun die Bewegung, welche mit dem Leben verknüpft ist, von Anfang an einer bestimmten Richtung zu- strebt oder nicht, ist Sache einer mehr philosophischen als natur- wissenschaftlichen Erörterung. Da aber das Leben nicht isoliert zu denken ist, sondern sich in einer Umgebung vollzieht, deren Einflüssen es sich anpassen muß, gleichviel, ob diese Einflüsse von rein physi- kalischer Art sind oder von der belebten Natur selbst ausgehen, so werden auch die Veränderungen, die dem Lebensvorgang entsprechen, wenigstens teilweise von jenen Einflüssen abhängig sein, was sowohl für das einzelne Individuum in seinen verschiedenen Lebensphasen als für Arten und Geschlechter gilt. Die Frage nach solchen Veränderungen von Arten und Ge- schlechtern oder anders ausgedrückt, über die Veränderlichkeit der Art, war ja schon seit einiger Zeit aufgeworfen worden, wobei wir von Kaspar Friedrich Wolf ganz absehen, der als erster Vor- läufer Darwins (bezüglich Lamarcks) schon im Jahre 1759 seine Theoria generationis veröffentlicht hat. Die Annahme von der absoluten Konstanz der Arteu konnte also auf die Dauer nicht aufrechterhalten werden; der Schritt von Cuvier zu Lamarck war eine wissenschaftliche Notwendigkeit und lag eigentlich schon in der Konsequenz der Cuvier’schen Anschauung selbst. Aber die Idee von allerhand Katastrophen und beständigen, den jeweilig neuen Zuständen angepaßten Neuschöpfungen stand der Ausbreitung der Lamarck’schen Gedanken entgegen. So bleibt es denn Tatsache, daß erst die Intervention Darwins die Wirkung hatte, ein lebhafteres In- teresse für jene Frage nach der Veränderlichkeit der Arten, bezüglich nach der Entstehung neuer Formen im Wege der Deszendenz auszulösen. Im Jahre 1809 erschien die „philosophie zoologique* von Lamarck. Sein Zeitgenosse war Cuvier, der den „discours. sur les revolutions de la surface du globe et sur les changements, qu’elles out prodouit dans le reögne animal“ geschrieben hat und dessen allerdings durch große Verdienste gestütztes Ansehen die Vorstellung von einer Umformung der Arten nicht aufkommen ließ. Der Zeit- : genosse Darwins war Sir Charles Lyell, dessen „principies of geology“ zuerst im Anfang der dreißiger Jahre des vorigen Jahr- hunderts erschienen, und der den Theorien von Revolutionen und !) Selbstverständlich gilt dieser Satz im Hinblick auf die mit der Lebens- tätigkeit verbundene Säftezirkulation auch für Pflanzen und festgewachsene Tiere. 47* 352 Dr. Emil Tietze. [20] Katastrophen, wie sie erst in neuerer Zeit, und zwar nicht ohne den Einfluß von Suess wieder mehr Geltung erlangt haben, den Boden zu entziehen suchte und für längere Zeit auch tatsächlich entzogen hat. Dadurch war der Weg für die Transmutations- und Deszendenz- lehre wesentlich geebnet, und wie sich vielleicht zeigen wird, ist es für die gegenwärtige Darstellung nicht ganz überflüssig schon hier an den Parallelismus von Lyell und Darwin zu erinnern. Allenthalben wurde durch das Auftreten Darwins die Prüfung biologischer Zusammenhänge angeregt und trotz der sogenannten Unvollständigkeit der paläontologische Ueberlieferung erwuchs aus der Bewegung, welche von dem englischen Forscher ausging, auch für die Paläontologie die unabweisbare Notwendigkeit, jenen Zusammenhängen auch in der Vorzeit nachzuspüren. Die Frage, wie sich Suess zu dieser Bewegung stellte, liegt nahe und darf an dieser Stelle umso mehr erörtert werden, als sie vor einigen Jahren Gegenstand einer öffentlichen Diskussion gewesen ist und weil überdies die Ansichten des großen Autors über das Problem der Abstammungslehre nicht ganz ohne Zusammenhang mit einigen der Vorstellungen waren, die derselbe bei seinen später so ‘ berühmt gewordenen Studien über die Entwicklungsgeschichte der Erdoberfläche zum Ausdruck gebracht hat. Jedenfalls ist sicher, daß Suess jener Bewegung ziemlich bald seine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Im Hinblick auf die oben er- wähnte Arbeit über Argonuuta und die dabei geäußerten Ansichten über die Abstammungsreihen gewisser Cephalopoden könnte jemand, der die Arbeiten unseres Meisters nicht näher zu verfolgen Ver- anlassung hatte, sogar vermuten, daß sich Suess der Gefolgschaft des englischen Forschers ohne Rückhalt angeschlossen hätte. Vielleicht hat auch mancher in dem Titel des später so bekannt gewordenen Buches von Suess über die Entstehung der Alpen einen wenigstens für den deutschen Leser auffallenden phonetischen Anklang an den Titel der Darwin’schen Schrift über die Entstehung der Arten gesehen und darin eine Huldigung des Wiener Professors für den Privatgelehrten von Beckenham gefunden. Einen zuverlässigen Schluß auf die Stellungnahme von Suess dem Darwinismus gegenüber dürfte man indessen aus derartigen Be- trachtungen nicht ziehen. Beachtung bedeutet nämlich noch nicht unbedingte Zustimmung zu allem, was andere über einen beachtens- werten Gegenstand sagen, und daß Suess von Anfang an den Aus- führungen zugestimmt hätte, welche speziell Darwin mit seiner Selektionstheorie dem gelehrten Publikum vorlegte, läßt sich nicht ohne weiteres und keinesfalls ohne Einschränkung behaupten. Theodor Fuchs, der ja hier als eingeweiht gelten konnte, hat gelegentlich einer später noch in anderer Beziehung zu erwähnen- den Besprechung des Suess’schen Hauptwerkes über das „Antlitz der Erde“ !) auch über das Schlußkapitel dieses Werkes sich geäußert. ') Vgl dessen Aufsätze in der Wiener „Neuen lreien Presse“ vom 4. und 11. November 1909 und auch dessen späteren „Suess und die Abstammungslehre*“ betitelten Artikel in derselben Zeitung vom 27. Jänner 1910. 4 ee [21] Einige Seiten über- Eduard Suess. 353 welches die Ueberschrift „Das Leben“ trägt und er hat dabei ganz kategorisch Suess als einen Gegner der Darwin’schen Lehre hin- gestellt, welche mehr und mehr als „der große Irrtum eines großen Geistes* erkannt werden würde, während die Impulse die Suess der Wissenschaft gegeben habe „bis in fernste Zeiten“ fortwirken würden. Jene Lehre habe nur eine „Flut von Schlagworten“ hervor- gerufen. „Was heute ein bloßes Wort war, wurde morgen schon als Erklärung betrachtet um übermorgen zu einem Naturgesetz erhoben ‚zu werden und so entstand jene Flut von sogenannten Naturgesetzen, die angetan mit dem Nimbus ernster Naturforschung auch in das Ge- biet der Geisteswissenschaften eindrangen und in den gelösten Welt- rätseln in der Aufstellung einer neuen geistlosen Religion ihren Höhe- punkt und traurigen Abschluß fanden.“ Das sei kein Feld gewesen für einen Geist wie Suess und so erscheine das Schlußwort des großen Werkes von Suess, in welchem trotz der durch das Thema gebotenen Gelegenheit kein näherer Bezug auf die Selektionstheorie und den Kampf ums Dasein genommen wurde, „wie ein stummer, unausge- sprochener Protest gegen die verworrenen Irrgänge des modernen Darwinismus“. Diese Bemerkungen riefen den Widerspruch unseres trefflichen Wiener Botanikers und Biologen v. Wettstein hervor!), der sich nicht zu denken vermochte, daß „ein Naturforscher von weitesten Blick* wie Suess gewissermaßen als Endergebnis eines an wissen- schaftlicher Arbeit und Erkenntnis überreichen Lebens zu solchen Anschauungen gelangt sein konnte und der deshalb meinte, Professor Fuchs habe in den betreffenden Referat wohl nur seinen eigenen Meinungen Ausdruck gegeben. Das dies letztere wenigstens hinsichtlich der Bestimmtheit der betrefienden Ausdrucksweise der Fall war, ist zweifellos richtig, denn schon vor Jahren hatte, wie den älteren Geologen noch gut erinnerlich ist, Th. Fuchs in nachdrücklicher Weise, und zwar, zunächst vom paläontologischen Standpunkte aus seine Bedenken gegen die Theorie Darwins geäußert?), so daß R. Hörnes?) damals direkt von einem Feldzuge sprach, den Fuchs gegen die Deszendenzlehre eingeleitet habe. Andrerseits jedoch berief sich der letztere in seiner Antwort an Wettstein auf seine langjährige nähere Bekanntschaft mit Suess, die ihm hinreichend Gelegenheit geboten habe, dessen Ansichten und zugleich dessen Ablehnung der Meinungen Darwins kennen zu lernen. In einigen Vorträgen über die Eutwicklung des Tierreiches nach Bronn, für den Suess die größte Verehrung gehegt habe, habe letz- terer das Darwin’sche Buch über die Entstehung der Arten sehr kühl und zurückhaltend besprochen und namentlich die Idee von der natür- lichen Zuchtwahl direkt abgewiesen. In einem anderen, in demselben Jahre wie jene Vorträge erschienenen Aufsatz über die Einheit des 1) Siehe „Neue Freie Presse“ vom 13. Jänner 1910. ?) Verhandl. d.k. k. geol. R.-A. 1879, pag. 355; ibidem 1880, pag.39 u. 61. Vergl. dazu noch seinen späteren Ausfall gegen den Darwinismus im Jahrb. d. k.k. geol. R.-A. 1885, pag. 129. _ 3) Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1880, pag. 17 in dem Artikel betitelt: Die Unvollständigkeit der paläontologischen Überlieferung“. 954 Dr. Emil Tietze. [22] Tierreiches') werde aber nicht einmal der Name Darwins genannt. Das erscheine bezeichnend für die Auffassung, welche der Verfasser des „Antlitz“ in dieser Frage gehabt habe, bezüglich noch habe. So lernte unsere größere Oeffentlichkeit durch das Zeugnis eines seiner Schüler Suess als einen direkten Gegner Darwins kennen, ähnlich wie es ihn aus demselben Referat von Prof. Fuchs in der „Neuen Freien Presse“ auch als einen Gegner der Ansichten Lyells kennen lernte, des großen englischen Forschers, den man lange Zeit sozusagen als den Vater der modernen Geologie betrachtet hatte. Man kann es dahingestellt sein lassen, ob Fuchs seinem Meister durch die Offenbarung jener Gegensätze in der von ihm gewählten Form einen besonderen Dienst erwiesen hat. Gleichviel, ob man der Selektionstheorie als solcher zustimmt oder nicht; das, was die Leser der Schriften Darwins fast alle anerkennen, ist außer dessen übrigens auch von Fuchs hervorgehobenen Beschei- denheit die überaus sorgfältige, durch die geduldigste und mühsamste Einzelbeobachtung unterstützte Vorbereitung seiner Schlußfolgerungen (wie das nebenbei bemerkt auch bei Lyell gilt). Man kann daher den Geist des Darwinismus nicht als den einer bloß mit „Schlag- worten“ herumwerfenden Lehre bezeichnen und man sollte sich hüten, in diesem Punkte Vergleiche herauszufordsrn. Es gibt Schlagworte in der Wissenschaft wie in dem politischen Leben, die auf weniger sorgsamer Geistesarbeit beruhen und deren Bedeutung überdies viel weniger präzis oder klar erfaßt werden kann als das Wort vom Kampf ums Dasein oder das von der Selektion. Seien wir offen. Auch die tektonische Geologie ist von Schlag! worten nicht frei geblieben und wir werden später Veranlassung haben, uns mit einigen derselben zu beschäftigen. Wenn aber Suess von der „Einheit“ des Tierreiches sprach oder von der „Solidarität des Lebens“, wie im Schlußkapitel des „Antlitz“, so wird mancher in solchen Wendungen doch auch nur den Versuch sehen, gewisse Be- griffe in der Art zusammenzufassen, wie man sie eben in einem sogenannten Schlagwort zusammenfaßt und wenn derselbe im Anschluß an die Ideen Bronns auf die terripetale Richtung in der Entwick- lung des organischen Lebens hinweisen zu müssen glaubte, was Fuchs besonders und nicht ohne Grund betonte, so beweist dies vielleicht, daß in den Anschauungen von Suess oder doch in dessen Unterbewußtsein das teleologische Prinzip eine gewisse Rolle spielte, aber gleichviel, ob diese Vermutung richtig ist oder nicht, schließlich hahen wir es da auch nur mit einem Schlagwort zu tun, von dem es überdies fraglich bleibt, ob es ausreicht, die ganze } Mannigfaltigkeit der in Betracht kommenden Vorgänge zu bezeichnen. Um betreffs der von Herrn Fuchs aufgestellten Behaupfise klarer zu sehen, ist es indessen wohl wünschenswert, auf die Aus- führungen selbst zurückzugehen, welche Suess in den von dem Erstgenannten erwähnten Darlegungen über die Ansichten Bronns?) !) In der österreichischen Wochenschrift. ?) Hofrat Bronnse Ansichten von der Entwicklung des Tierreichs, Schriften des Vereins zur Verbr. naturw. Kenntnisse in Wien, 1. Bd., Jahrg. 1860 "as 1861, Wien 1862, pag. 113— 148. [23] Einige Seiten über Eduard Suess. 355 verlautbarte. Es heißt dort (l. c. pag. 119) gelegentlich der Erwäh- nung von Darwins Buch über die Entstehung der Arten: „Es wäre wohl zu viel gesagt, wenn man behaupten wollte, daß dieses merk- würdige Buch die Frage, welche es von neuem aufgeworfen, auch zugleich endgültig entschieden habe, und daß alle die Erfahrungen der neueren Naturforschung bereits hinlänglich abgewogen seien, um uns zu einer rückhaltlosen Annahme der Darwin’schen Anschauung zu veranlassen. Es läßt sich im Gegenteil behaupten, daß der direkte Beweis. durch Züchtung, den Herr Darwin für seine Ansicht zu geben versucht hat, sehr mangelhaft sei. Aber es läßt sich auch nicht leugnen, daß eine große Anzahl von Tatsachen, welche sich zum Beispiel auf den Charakter der Insel- bevölkerungen, auf das Vorkommen rudimentärer Organe und insbe- sondere auf die Vergangenheit des Tierreichs beziehen, vom Cuvier- schen Standpunkte aus ganz. und gar unerklärlich bleibt, während sie hier eine ziemlich einfache Deutung findet.“ Das klingt zwar keineswegs zustimmend, aber doch auch nicht so absolut ablehnend, als Fuchs uns glauben machen wollte. Wie sich übrigens Suess selbst die Ursache bei den im Laufe der Zeit statt- gehabten Umwandlungen des Tier- und Pflanzenreichs gedacht hat, ergibt sich wenigstens teilweise schon aus einem Satze in seiner Schrift über die Entstehung der Alpen. Er schreibt dort (pag. 100): „Viele Erfahrungen deuten darauf hin, daß die wesentlichsten Veränderungen des organischen Lebens durch Veränderungen der äußeren Lebensverhältnisse herbeigeführt worden sind. Dies zeigt sich am deutlichsten dadurch, daß die größeren Veränderungen der Bevölkerung des trockenen Landes keineswegs immer zusammen- fallen mit den Veränderungen der Meeresbevölkerung“ !). Das entspricht so ziemlich dem Ideengange Lamarcks. Wir müssen aber noch für einen Augenblick auf die Vorträge über Bronn zurückkommen. Der Gedanke Bronns, daß „in der Natur das Streben vor- handen sei, das Festland im Gegensatz zum Meer allmählich auszu- bilden und an die Stelle der anfangs vorherrschenden Bewohner des hohen Meeres allmählich immer mehr Küsten-Strand- und Inselbewohner und zuletzt solche hoher und ausgedehnter Kontinente zu setzen“ (siehe 1. ec. pag. 121), welches terripetale Streben abhängig sei von dem Gesetze der Anpassung der Organismen an die jederzeitigen Existenzbedingungen, fand im allgemeinen, das heißt prinzipiell die Billigung von Suess. Nur meinte er (l. c. pag. 142), man „könne auf einem ganz anderen Wege als dem von Bronn betretenen, auch in der Gegenwart die Spuren terripetalen Strebens wiederfinden. Nicht so sehr die Verbreitung als die Organisation der Tiere führt dahin.“ 1) Wie weit die an sich jedenfalls zutreffende Betonung der Differenz in der Entwicklung der Land- und Meeresbevölkerung in völlige Harmonie gebracht werden kann mit dem etwas weiter unten zu erwähnenden Ausspruche von Suess im „Antlitz der Erde“, wonach man auf die Vorstellung von ruckweisen, fast katastrophalen Veränderungen schließen darf, welche die verschiedenen Formationen oder Formationsabteilungen. faunıstisch und 'floristisch vonein- ander trennen sollen, bleibe hier unerörtert. 356 Dr. Emil Tietze. [24] In dieser Beziehung legte er vor allem Wert auf die Entwicklung der Atmungswerkzeuge, kam aber schließlich (l. ec. pag. 147) zu der Annahme, daß man in der Natur außer dem terripetalen Streben auch eine Weiterbildung der Organismen im Meere selbst nachweisen könne, da in dem Maße, als darin „die Außenverhältnisse mannigfaltiger wurden, auch mannigfaltiger und höher organisierte Formen entstehen“ mußten. Der Umstand, daß die heutige Tier- und Pflanzenwelt viel mannigfaltiger ist als die früherer Zeiten, daß aber gleichzeitig auch die äußeren Lebensverhältnisse der Organismen mannigfaltiger seien als früher, deute bestimmt darauf hin, daß die Entwicklung der Lebe- wesen mit diesen äußeren Verhältnissen zusammenhängen müsse und auf diese letzteren hätten jedenfalls geologische Phänomene einen beträchtlichen Einfluß gehabt, die somit auch für die Veränderungen in der organischen Welt von Bedeutung gewesen seien. Diese Aus- führung schließt (pag. 148) mit folgendem Satze: „Das Maß und die Art der Abhängigkeit näher zu bestimmen, in welcher die Geschichte des Lebens auf unserem Planeten mit der Geschichte dieses Planeten selbst steht, das ist eine jener großen Aufgaben, vor denen wir heute zagend stehen, deren Lösung uns aber ohne allen Zweifel die ver- einten Anstrengungen der nächsten’Jahrzehnte näher führen werden.“ Dieser Satz hat den Stempel eines Programms und gibt uns ungefähr die Antwort auf die vorhin angedeutete Frage, in welchen Bahnen sich wohl die Tätigkeit von Suess bewegt hätte, wenn der- selbe seiner ursprünglichen Vorliebe für paläontologische Studien treu geblieben wäre. Er zeigt uns aber andrerseits auch deutlich, daß derjenige, der ihn niederschrieb, eine erweiterte und vertiefte Kenntnis der geologischen Vorgänge der Vergangenheit als notwendige Voraus- setzung der entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen auf dem Gebiete des organischen Lebens ansah. So erkennen wir vielleicht einen der psychologischen Zusammenhänge zwischen den früheren und den späteren Bestrebungen des alten Meisters, dem augenscheinlich die bisher für die Lösung des Deszendenzproblems angewandten Methoden nicht genügten und der neben anderen Triebfedern auch in diesem Umstande einen Ansporn zu seinen Versuchen gefunden haben mag, den Rätseln nachzugehen, die mit der Bildung der Gebirge und der Kon- tinente oder mit dem Wechsel von Meeresbedeckungen verbunden sind. Wir sehen aber aus jenen Zitaten noch eines, nämlich, daß Fuchs allerdings insofern recht hatte, als er Suess und Darwin in einen gewissen Gegensatz brachte, der wenigstens zu der Zeit, als der Aufsatz über Bronns Ansichten verfaßt wurde, bestanden haben muß. Andrerseits aber ergibt sich, daß wenn auch die im engeren Sinn so genannte Darwin’sche Theorie damals nicht ganz nach dem Ge- schmacke von Suess gewesen sein mag, derselbe trotzdem weit davon entfernt war, die Entstehung neuer Arten jedesmal auf selb- ständige neue Schöpfungsakte zurückzuführen, wie sie in älterer Zeit noch vielfach angenommen wurden. Sprach er doch übrigens auch noch später im ersten Bande des „Antlitz“ (pag. 12 u. 13) von „Ab- stammungslinien“ gewisser Gruppen von Säugetieren und gedachte dabei sogar ausdrücklich Darwins, wenn auch wieder mit einiger Zurückhaltung und redete er doch („Antlitz* 3/2 pag. 747) mit Ent- en ” [25] Einige Seiten über Eduard Suess. 357 schiedenheit von Neubildungen durch Anpassung. Das zu beachten ist wichtig. In den weiteren Kreisen des Publikums, vor denen der oben- erwähnte Gegensatz betont wurde, konnte ja leicht das Mißverständnis Platz greifen, als ob Suess ein prinzipieller Gegner der Abstammungs- lehre überhaupt gewesen wäre, denn wenn auch Fuchs wahrheits- gemäß selbst berichtete, daß Suess öfters von der Veränderlichkeit der Arten, von Filiation und von Anpassung gesprochen habe, so wird doch in jenen weiteren Kreisen die Abstammungslehre zumeist mit der durch Darwin vorgetragenen speziellen Form derselben für gleichbedeutend genommen. Abgesehen von diesem Gesichtspunkt, dessen Bedeutung man beliebig einschätzen mag, läßt sich freilich auch sagen, daß Suess und mitihm Fuchs sich schon seit langem auf einem nach heutigen Begriffen nicht ganz unbeliebten Standpunkt befanden, insofern neuer- dings gar mancher, der sonst nicht gerade der Abstammungslehre feindselig gegenübersteht, speziell gegen die vom Darwinismus ver- tretene Modifikation derselben oder doch gegen einzelne der betref- fenden Ideen Stellung genommen hat. Ich brauche hier beispielsweise nur an die Verlautbarungen von Karl Diener und Lukas Waagen zu erinnern, über welche ich in den Verhandlungen der geologischen Reichsanstalt (Wien 1909, pag. 144—156) mich ausführlich geäußert habe, oder an das Zeugnis der Versteinerungen gegen den Darwinismus von A. Schmitt, worüber L. Waagen in derselben Nummer unserer Verhandlungen berichtete (l. ce. pag. 156 u. 157). Ueberdies wissen wir, abgesehen von dem größeren Kreise des Publikums, ja alle, daß man heute nicht so viel von Lamarckismus und Neo-Lamarckismus sprechen würde, wenn der eigentliche Darwinismus ausschließlich das Feld der Deszendenz- lehre beherrschen würde, wobei man ja nicht bloß an dessen Variante, den Haeckelismus zu denken braucht, auf den Fuchs besonders scharf zu sprechen ist. Ob nun aber die Unterschiede der verschiedenen Richtungen, die hier in Betracht kommen, in jeder Beziehung tiefer greifende Gegen- sätze bedingen, ob zum Beispiel die Anpassung an wechselnde Lebens- verhältnisse, welche ähnlich wie für einige andere Deszendenztheoretiker gerade für Suess einen wichtigen Gesichtspunkt abgab, der Idee vom Kampf ums Dasein und damit der Selektionstheorie so stark wider- spricht, ob ferner das teleologische Prinzip bei der Evolution besondere Geltung verdient oder endlich, ob die Polyphyletiker gegenüber den Monophyletikern im Rechte sind, haben wir hier nicht zu erörtern. Wir reden ja von Suess und da scheint es denn doch,-daß derselbe am Schlusse seiner Forschertätigkeit gegenüber Darwin eine etwas weniger zurückhaltende Stellung eingenommen hat als Fuchs glaubte und als dies aus den früher erwähnten Vorträgen über Bronn ge- folgert werden könnte. Wenn der Autor des „Antlitz“ im letzten Bande dieses Werkes dort, wo er die „Solidarität alles Lebens“ betont (pag. 739), ausdrücklich bemerkt, daß uns der Weg zu dieser Auf- fassung durch Lamarck und Darwin erschlossen wurde, so beweist das wohl, daß er wenigstens manchen der Unterschiede, welche bei Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd,, 3. u, 4. Heft. (E, Tietze.) 48 358 Dr. Emil Tietze. [26] der Behandlung des Abstammungsproblems auftauchten, nicht mehr die Bedeutung beimaß, welche ihnen von Solchen beigemessen wird, welche die betreffenden Meinungen mit einer gewissen Exklusivität vertreten. Sonst hätte er Darwin und Lamarck nicht in einem Atem genannt und darauf hat auch Wettstein in seiner Polemik gegen Fuchs hingewiesen. Aber auch auf eine andere Verlautbarung, die sogar noch vor dem Schlußbande des „Antlitz“ erschien, hätte 'sich Wettstein berufen können, nämlich auf die ersten Seiten der Abschiedsvorlesung von Suess!). Dort heißt es: „Nachdem Darwins Buch erschienen war, erfolgte ein großer und allgemeiner Umschwung auf dem ganzen Gebiete der Biologie. In der Tat läßt sich außer den großen Ent- deckungen von Kopernikus und Galilei kein zweites Beispiel, eines so tiefen Einflusses auf die allgemeinen Anschauungen des Natur- forschers anführen. Er ist nicht der erste gewesen, der die Ein- heit des Lebens begriff und aussprach, daß er aber im Stande war, strengere Beweise zu bringen und die Wendung der Geister zu erzielen, bildet seinen unsterblichen Ruhm.“ An einer anderen Stelle derselben Vorlesung heißt es, es „zeigen die zahlreichen phylogene- tischen Fäden, welche die meisten der großen Gruppen fossiler Tiere verbinden, oder die Einheit in der Entwicklungsart einzelner Organe, wie der Extremitäten, oder die allgemeine Aufeinanderfolge von Kiemen und Lunge, dann die Reihe auffallender Uebereinstim- mungen, welche zwischen der Entwicklung gewisser Tiergruppen und der Entwicklung des einzelnen Individuums dieser Gruppe erkennbar sind, in unzweifelhafter Weise die Richtigkeit des Darwin’schen Grundgedankens, nämlich die Einheit des Lebens“. Wir müssen dieser Auseinandersetzung zunächst noch hinzufügen, daB sich Suess schließlich veranlaßt sah, ganz direkt seine Stellung gegenüber den „Mißverständnissen“ zu klären, welche betreffs seiner Ansichten über Deszendenz aufgetaucht waren und wie er sich ausdrückte, chronisch zu werden drohten. Er tat dies in einem Briefe?) an Professor V. Uhlig, welcher ihn im Namen der damals erst kurz bestehenden Wiener geologischen Gesellschaft zum Abschluß des „Antlitz* beglückwünscht hatte. Er bestritt bei dieser Ge- legenheit keineswegs, daß er schon bald nach dem Erscheinen des Darwın’schen Buches über den Ursprung der Arten im Anschluß an Lamarck vor allem die hohe Bedeutung der äußeren Lebensver- hältnisse betont habe, „aber keineswegs unter dem Widerspruche Darwins“. Der von ihm vertretene Standpunkt stelle sich daher nicht als „Entgegnung“, sondern als eine „Ausgestaltung der Darwin’schen Lehre“ dar. Durch diese Erklärung schrumpfte der Gegensatz zwischen Suess und Darwin, wie man ihn hatte konstruieren wollen, bedeutend zu- sammen, zumal ja eigentlich von vornherein, wie schon weiter oben ') Separatabdruck aus den Beiträgen zur Paläonto'ogie und Geologie Oester- reich-Ungarns und des Orients aus Band 14 dieser Beiträge. Die Vorlesung selbst wurde am 13. Juli 1901 gehalten. °) Mitteil, der geol. Ges. in Wien, 2, Band 19: 9, pag. 369-371. [27] Einige Seiten über Eduard Suess. 359 bemerkt wurde, die Lehre vom Kampf ums Dasein die Berücksichti- gung der „äußeren Lebensverhältnisse“ und ihres Einflusses auf diesen Kampf schon a priori nicht ausschließen konnte. Wohl aber gibt es trotz des in der von Suess angegebenen Weise mehrfach betonten schließlichen Einverständnisses mit gewissen Grund- anschauungen der Darwin’schen Lehre einen Punkt, in welchem die Vorstellungsweise der beiden Forscher tatsächlich nicht allzusehr übereinstimmte, obschon sich gerade in diesem Fall Suess speziell auf den Namen Darwins berufen hat, und diese Differenz hängt mit der bei Suess auch sonst mehrfach hervortretenden Neigung zusammen, die geologische Entwicklung sich mit größeren allgemeinen Revolutionen in Verbindung zu denken, einer Neigung, die man bei einem Autor, der andrerseits bezüglich vulkanischer Hebungen und dergleichen so ausgesprochen gegen die früheren Umwälzungshypothesen Stellung nahm, als eine Art von ganz speziellem Atavismus bezeichnen könnte, wenn nicht tatsächlich auch sonst bei neueren Autoren ähn- liche Tendenzen zum Ausdruck gekommen wären. Im Sinne Darwins entstehen bedeutende Abweichungen eines Typs, der sich aus einem anderen entwickelt, durch die Summierung kleiner Veränderungen. Im Gegensatze dazu scheint sich Suess die Entwicklung der organischen Welt als eine oft stürmische und stoß- weise gedacht zu haben. Er gibt zu, daß auch aus den paläonto- logischen Studien der Zusammenhang alles Lebens von Tag zu Tag deutlicher hervortrete !). Aber er fügt hinzu: „Daneben bleibt nichts- destoweniger die Tatsache aufrecht, daß wir nicht innerhalb der ein- zelnen Familien oder Gattungen die Arten allmählich und zu ver- schiedenen Zeiten sich ändern sehen, sondern daß es ganze Gesell- schaften, ganze Bevölkerungen und Floren oder, wenn ich mich so ausdrücken darf, ganze ökonomische Einheiten der Natur sind, welche gemeinschaftlich auftreten und wieder gemeinschaftlich verschwinden.“ Insofern nun Darwin an einer Stelle von großen Cyklen des Wechsels in der Erdgeschichte spricht, meinte Suess (l. c.), daß der Autor der Selektionstheorie zwar eine ununterbrochene, aber doch keine gleichmäßige Entwicklung der organischen Welt im Auge gehabt habe. Nun braucht man sich aber die großen Oyklen des Wechsels in der Erdgeschichte nicht a priori als durch scharfe Schnitte voneinander getrennt vorzustellen, und wenn die Zweifler an Darwins Anschauung der Meinung gewesen wären, daß dieser in der Tat eine stark ruckweise Aenderung der Formen oder Arten habe befürworten wollen, so würden sie nicht gerade den oben ange- führten Satz von Suess für ihre Argumentation hervorgesucht haben, wie das erst kürzlich in den oben erwähnten Schriften von Diener und Waagen geschehen ist. In der Sache selbst (abgesehen von jener Berufung auf Darwin) war der Standpunkt von Suess allerdings kein vereinzelter. Wir brauchen uns bloß an solche Forscher wie Richard Owen zu er- innern, die schon vor längerer Zeit für die Annahme einer sprung- weisen Umbildung der Arten sich ausgesprochen haben und wir 1, „Antlitz“ 1. Band, pag. 13 48* 360 Dr. Emil Tietze [28] könnten auch Heer, Zittel, Waither, Jaeckel hier nennen, von denen jeder in seiner Art einem ähnlichem Gedanken Ausdruck ge- geben hat oder endlich Diener und Lukas Waagen. Man kann es beklagen, daß der, wie ich mich einmal ausdrückte ?), „von Freund und Feind zu wenig beachtete konservative oder doch antirevolutionäre Zug der Darwin’schen Theorie“, der „in der Idee einer stetigeu und langsamen, nicht aber gewaltsamen Entwicklung liegt“ so viele Gegner gefunden hat; aber da sich auch neuere Autoren unter diesen Gegnern oder Zweiflern befinden, so darf man die Stellungnahme von Suess gerade in dieser Frage nicht einmal unmodern finden. Aber sehr bemerkenswert, weil nicht allein für die paläontolo- gische sondern auch für die geologische Auffassungsweise von Suess bezeichnend bleibt in dem vorher angeführten Satze doch in jedem Fall die Wendung, welche sich auf das angeblich plötzliche Erscheinen und Verschwinden ganzer Faunen und Floren bezieht, also auf die ruck- weise Umprägung nicht allein der einzelnen Formen, sondern ganzer Gemeinschaften. Diese Wendung schmeckt doch einigermaßen nach der alten Katastrophentheorie, derzufolge die verschiedenen Epochen der Natur (um diesen Buffon’schen Ausdruck für die Aufeinanderfolge der Formationen zu gebrauchen) sich folgten wie eine Art von Neu- schöpfungen, die durch gewaltsame Handlungen unterbrochen schienen. Insofern wir nun Lyell die Ueberwindung jener Katastrophen- theorie verdanken oder doch während einer gewissen Zeit zu ver- danken glaubten, hatte Fuchs, wie man schon an diesem Beispiel sieht, nicht ganz unrecht in seinem oben zitierten Aufsatz Suess als einen Widersacher nicht bloß Darwins, sondern auch Lyells auszugeben. Die Lehren der beiden letztgenannten Forscher ergänzen sich ja gegenseitig gewissermaßen zur Bekräftigung des alten Satzes Natura non facit saltum und ein Anhänger Lyells wird auch den srößten gewaltsamen Naturereignissen, von denen wir uns nach Maßb- gabe der in geschichtlicher Zeit beobachteten Vorgänge eine Vor- stellung machen können, nur eine mehr oder weniger lokale Bedeu- tung beimessen und nicht glauben, daß der stetige und meist lang- same Gang der Entwicklung im großen und ganzen durch solche gewaltsame Ereignisse übermäßig beeinflußt wurde, oder annehmen, daß die Fäden, welche von einer Entwicklung auf die nächste hinüberführen, jemals auch nur in ihrer Mehrzahl abgerissen wurden. Wir werden aber später bei der Diskussion der tektonischen Vorstellungen von Suess erkennen, daß dieser in manchen Punkten die Deutung der betreffenden Verhältnisse in der Tat nicht ganz auf dem von Lyell uns vorgezeichneten Wege vornahm, wie er denn beispielsweise bei der Entstehung der Alpen die erdgeschichtliche Entwicklung des von diesem Gebirge eingenommenen Raumes nicht sehr berücksichtigt hat. In dem gegebenen Falle jedoch spielt vielleicht noch ein beson- derer Umstand mit, der im Gedankenkreise des Meisters einen ') Vgl. das Referat über Diener in Verh. der k. k. geol. R.-A, Wien 1904, pag. 150. [29] Kinige Seiten über Eduard Suess. 361 nicht unbedeutenden Platz einnahm. Suess war augenscheinlich bestrebt, eine natürliche Einteilung der Formationen zu finden oder doch eine solche Einteilung durch gewisse Llinweise vorzubereiten. Die Ansichten, die er über die Bedeutung der großen Transgressionen entwickelte, stehen damit im Zusammenhange, ebenso wie der Versuch planetarische Vorgänge allgemeiner Art (wie den Wechsel in der Rotationsgeschwindigkeit der Erde) zur Erklärung des Wechsels heranzuziehen, der uns in der Aufeinanderfolge der verschiedenen Bildungen entgegentritt, eines Wechsels, der ja nicht bloß in den Gesteinen und deren Verbreitung, sondern auch in den organischen Resten bemerkbar ist. Das angebliche jeweilige Verschwinden von Faunen und Floren oder jener ganzen ökonomischen Einheiten, von denen er sprach, konnte mit dem Wechsel jener anderen Vorgänge in Beziehung gedacht werden und durch Verfolgung solcher Bezie- hungen waren dann natürliche Formationsabschnitte zu ermitteln. Freilich kann uns eine einfache Ueberlegung lehren, daß selbst unter der Voraussetzung solcher allgemein wirkenden Ursachen der Umschwung in den verschiedenen hier in Betracht kommenden phy- sischen und biologischen Verhältnissen kein plötzlicher zu sein braucht. Zu den durch die Allgemeinheit der Verbreitung auffälligsten und deshalb am schwersten durch den Wechsel rein lokaler Umstände zu erklärenden Erscheinungen gehört ja beispielsweise das Auftreten der Eiszeit, bezüglich der verschiedenen Eiszeiten. Daß dieses Auf- treten aber jeweilig mit einem Schlage eingesetzt habe und daß die Vereisung dann ebenso unvermittelt wieder verschwunden sei, wird man doch nicht behaupten wollen, und wenn es (um damit wieder direkt auf Suess’sche Vermutungen zurückzukommen) einen Wechsel in der Rotationsgeschwindigkeit des Erdballs gegeben hätte, durch welchen die Verteilung der Meeresbedeckung beeinflußt worden wäre, so würde dieser Wechsel gewiß auch nicht mit einem Ruck erfolgt sein. Eine Veranlassung, die bewährten Grundsätze Lyells aufzugeben, würde also auch dann nicht vorliegen, wenn man die Dinge unter dem Gesichtswinkel betrachten wollte, der sich aus den soeben be- sprochenen Vermutungen von Suess ergibt. Leider ist es Suess nicht beschieden gewesen oder hat er es absichtlich unterlassen, seine mit den jetzt angeregten geologisch- biologischen Fragen zusammenhängenden Ideen näher auszuführen. Uebersehen wollen wir freilich nicht, daß Suess in seiner bereits erwähnten Abschiedsvorlesung noch einmal auf die ökono- mischen Einheiten zu sprechen kam und hierbei wenigstens in einer Beziehung uns eine Andeutung gab über die Art, wie er sich zu- nächst betreffs der Landfaunen den Zusammenhang der Glieder dieser Einheiten und eine der Ursachen ihres Verschwindens dachte. Zur Ernährung einer gewissen Zahl von Fleischfressern gehören, wie er dort sehr zutreffend ausführt, soundsoviel Pflanzenfresser. Diese benötigen eine Reihe von Futterpflanzen. Letztere bedürfen zu ihrer Fortpflanzung oft der Intervention von Insekten, die andernteils wieder Vögeln zur Nahrung dienen, „und die Störung eines Gliedes dieser Einheit kann möglicherweise das Gleichgewicht der Gesamt- heit stören“. Aber abgesehen davon, daß solche Störungen, wie sie 362 Dr. Emil Tietze, [30] bei vielleicht relativ isolierten Landfaunen leichter vorkommen können, nicht ohne weiteres in ähnlicher (bezüglich graduell gleicher) Weise für die durch das Weltmeer und dessen Verzweigungen miteinander kommunizierenden marinen Faunen in Betracht gezogen werden können, wird uns auch auf diesem Wege das plötzliche allge- meine Verschwinden und Neuauftauchen jener ökonomischen Ge- meinschaften nicht völlig erklärt und wir tappen deshalb betreffs der Art, wie Suess die verschiedenen von ihm gleichsam blitzlichtartig hingeworfenen Ideen untereinander in einen systematischen Einklang gebracht haben würde, einigermaßen im Dunkeln. Auch der so anregend geschriebene Aufsatz über „das Leben“, mit welchem sein Hauptwerk schließt (vgl. oben), bietet uns gerade für diese Kategorie von Fragen nur unzureichende Aufschlüsse, zumal die organische Welt unseres Planeten darin etwas einseitig, nämlich auch nur vom Standpunkt der Landbevölkerung aus behandelt wird. (Suess begründet das auf pag. 742 des Schlußbandes mit der Bemerkung, daß die Kenntnis von den Lebensumständen der Seetiere und deren Verbreitung noch zu gering sei.) Die sogenannten „Asyle“, von denen dort in dem Sinne die Rede ist, daß sie für die Tier- und Pflanzenwelt ‚bei dem Wechsel der erdgeschichtlichen Ereignisse die Möglichkeit der Weiterexistenz geboten haben, sind festländische Massen (Kontinente und Inseln), also Plätze, welche (in gewissem Sinne abgesehen von den Süßwasserbe- wohnern) von denjenigen Lebewesen bevölkert wurden oder werden, bei welchen das früher erwähnte „terripetale* Streben der Organismen schon zu einem Erfolg geführt hat. Die große Menge der zur Tierwelt gehörigen Organismen, die im Meere lebt oder lebte und welche für das Studium der Vorzeit wenigstens vom geologischen Standpunkte aus hauptsächlich in Betracht kommt, hätte also bei den stattgehabten Umwälzungen eines Zufluchtsortes entbehrt. Soll man nun wirklich glauben, daß diese Umwälzungen so allgemeiner Natur waren, um je- weilig sofort ganze „ökonomische Einheiten“ zu beseitigen oder doch in Gefahr zu bringen? Gleichviel nämlich, wie man sich die räum- liche Ausdehnung des Meeres in seinem Verhältnisse zum Festlande für verschiedene Phasen der Erdgeschichte im Lichte der später zu besprechenden Suess’schen Ideen über Zusammenbvrüche, Trans- gressionen, jJuvenilen Ursprung des ozeanischen Wassers und der- gleichen denken will und gleichviel, ob man bei der Abwägung dieser Ideen gegeneinander eine schließliche Zu- oder Abnahme der Meeres- ausbreitung auf der Erdoberfläche herausrechnet; so viel wird doch wohl allgemein zugestanden, daß diese Ausbreitung seit den ältesten Zeiten, in denen es marine Organismen gab, stets eine große gewesen sein muß. Das aber dürfte oder müßte vielmehr konsequentermaßen auch der Autor angenommen haben, der im Anschluß an Bronn die Vor- stellung von der terripetalen Entwicklung vertrat und an dieser Vor- stellung bis zum Abschluß seiner Arbeiten festhielt?). !) Vgl. den Schlußband des „Antlitz“ pag. 744. [31] Einige Seiten über Eduard Suess. 363 Die — wie er anführt — von Wallace vertretene Ansicht von der Permanenz der ozeanischen Becken hat Suess allerdings abge- lehnt!). Nur dem Paecifik hat er, wie später noch einmal erwähnt werden muß, ein höheres Alter zuerkannt. Aber er spricht doch davon, daß „ursprünglich eine Panthalassa den Planeten bedeckte* (l. c.pag.776). „So war“ — wie er fortfährt — „damals alles Gewinn an Festland 2). Dann, bei fortschreitender Ausbildung der Meere hat sich die Sachlage so sehr geändert, daß heute nur mehr 0'283 Teile der Oberfläche des Planeten trocken liegen. Jeder weitere Verlust an Asylen ist wert- voller Verlust und die Beschaffenheit der gewonnenen Flächen hat durchaus nicht immer jenen der verlorenen erreicht. In großer Summe war aber auch der Verlust an Fläche überwiegend. Das zeigt die Geringfügigkeit des heutigen Restes.* Man kann diese Worte wohl nicht anders auslegen, als daß man annimmt, Suess habe sich vorgestellt, daß nach der allgemeinen Meeresbedeckung eine Epoche größerer Ausbreitung des Festlandes eintrat, welches letztere sodann einer steten Flächenverminderung unterworfen war, eine Annahme, die mit der später noch zu erwäh- nenden Meinung über das jüngere Alter des Indischen und des Atlan- tischen Ozeans zusammenhängt, deren Einbrüche durch das Ein- schrumpfen der sogenannten Thetys, wie es scheint, nicht ausgeglichen wurden, Aber gleichviel, wie wir uns die hier von dem großen Autor angedeuteten Vorgänge ausmalen und wie wir uns zum Beispiel den Sprung von der Panthalassa zu dem Auftreten großer festländischer Massen vorstellen wollen °), soviel geht doch aus dessen Ausführungen über die Asyle hervor, daß er bezüglich der Meeresbewohner die Notwendigkeit, nach solchen Zufluchtstellen bei katastrophalen Ver- änderungen der Erdoberfläche auszuspähen, nicht empfunden hat. Diese Organismen dürften stets ein Ruheplätzchen in der Erschei- nungen Flucht gefunden haben, Transgressionen und Gebirgsbildungen, wie sie nach Suess (l. c. pag. 762) die Festländer mit Ausnahme der Asyle so oft beunruhigt haben, konnten in den weiten, vom Meere jederzeit bedeckten Gebieten auf die ruhige Entwicklung der daselbst lebenden Wesen wohl keinen Einfluß nehmen. Was aber die festländischen Massen und ihre Bewohner betrifft, so dürfen wir uns daran erinnern, daß Suess als Asyle, von denen aus „sich nach großer Beirrung neue Besiedlung über die Lande !) L. ec. in dem Abschnitt über das Leben, pag. 741. Vgl. dazu auch den Aufsatz, den Suess in der Monats-Revue „Natural Science,* London. Nummer vom 13. März 1893 veröffentlichte unter dem Titel Are great Ocean depths per- manent ? ?) Es mag nicht unangebracht sein, bei dieser Gelegenheit nebenbei darauf hinzuweisen, daß Neumayr in seiner Erdgeschichte (1. Auflage, 1. Band, pag. 367—368) sehr überzeugend darlegt, daß im Hinblick auf die Beschaffenheit der betreffenden „mechanischen Sedimente“ nicht bloß in der altpaläozoischen, son- dern auch schon in der archäischen Periode Festländer existiert haben müssen. 3) Wir haben es in diesem Falle mit einem Beispiel für das zu tun, was manche Beurteiler als „unbeendigte Erörterungen“ bezeichnet und als für die Darstellungsweise von Suess eigentümlich hingestellt haben, worüber später noch die Rede sein muß. 964 Dr. Emil Tietze, [32] breiten“ konnte, speziell solche Gebiete bezeichnet, die, abgesehen vielleicht von klimatischen Veränderungen, seit langer Zeit vor großen Störungen gesichert waren (l. e. pag. 762 und 763). Laurentia, Angara- Land, Goudwann-Land und die Antarktis mit Australien und Patagonien wurden uns als derartige Gebiete bezeichnet. Wenn wir auch den landläufigen Begriff von Asylen fallen lassen, unter denen man sich doch in der Regel relativ beschränkte Ubikationen vorstellt, so möchte man doch glauben, daß zu jeder Zeit außer den genannten, nicht allzu unbedeutenden Regionen auch noch beträchtliche andere Landstriche den terrestrischen Organismen bald hier, bald dort zur Verfügung standen, bezüglich, daß in keinem Falle das betreffende Leben auf jene Asyle beschränkt blieb, so daß auch von diesem Gesichtspunkt das „Verschwinden“ von Faunen und Floren infolge irdischer Kata- strophen nicht ganz leicht zu begründen ist. Wer aber wollte angesichts so heikler Fragen einen Vorwurf erheben, weil es unserem großen Autor nicht völlig gelungen ist, uns seinen Standpunkt durchwegs zugänglich zu machen ? Arbeiten im Interesse der Formationslehre. Wir wenden uns jetzt einer anderen Seite der Suess’schen Wirksamkeit zu, wobei wir zunächst noch in gewissem Sinne an dessen paläontologische Arbeiten anknüpfen können. In den Jahren, in welchen die Mehrzahl dieser Arbeiten zur Veröffentlichung gelangten, war es natürlich, daß besonders ein in Oesterreich lebender Forscher die Paläontologie nicht nur als Selbst- zweck oder als Hilfswissenschaft der Zoologie (eventuell der Botanik) betrachtete, sondern daß er die betreffenden Studien wenigstens teil- weise auch in den Dienst der Stratigraphie, bezüglich der Formations- lehre stellte, wie das ja im Sinne der weiter oben schon über die Aufgaben der Paläontologen gemachten Bemerkungen auch heute noch zuweilen nötig ist, und schließlich auch im Interesse der — um das so auszudrücken — reinen Paläontologie liegt, die ja ohne strati- graphische Grundlagen ihren Aufgaben nicht genügen kann. Gerade in Oesterreich handelte es sich jedoch damals sowohl für Geologen als Paläontologen, besonders hinsichtlich der alpinen und karpathischen Bildungen noch in erster Linie um die genauere Feststellung des Alters und der Aufeinanderfolge verschiedener Ablagerungen, die vielfach sogar erst voneinander getrennt werden mußten, weil — wie sich herausstellte — auch manche einander petrographisch oder sonst ähnliche Schichten nicht altersgleich waren. Die großartigen Erfolge auf diesem bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts sehr dunklen Gebiete, welche sich vornehmlich an die Namen Franz v. Hauers und seiner älteren Mitarbeiter an der geologischen Reichsanstalt knüpften !), ließen immerhin auch jüngeren ‘) Für diese Beziehungen und auch für die zunächst folgenden Ausfüh- rungen kann meine Abhandlung über Franz v. Hauer im Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1899 verglichen werden, in welcher das Wesentliche über die Geschichte jener Erfolge besprochen wurde. [33] Einige Seiten über Eduard Suess. 365 Talenten noch Raum zur Betätigung bei dem Ausbau des in seinen Grundmauern von jenen Forschern in relativ kurzer Zeit aufgerichteten Gebäudes, in welchem sich dann noch etwas später die Epigonen recht wohnlich einrichten konnten. Insofern mit den Bemühungen um die Entzifferung der Alters- verhältnisse der alpinen Schichtenkomplexe paläontologische Arbeiten “Hand in Hand gehen mußten, hatte man bald daran gedacht, die in jenen Schichtenkomplexen auftretenden Versteinerungen zu beschreiben und für die geologische Betrachtung zu verwerten. Auch hierbei hatte Franz v. Hauer die Führung übernommen und durch eine Reihe wichtiger und grundlegender Abhandlungen die Kenntnis von jenen Versteinerungen gefördert. Dadurch bekam die Formationslehre der Ost- und Südalpen erst gesicherte Anhaltspunkte, was namentlich für die Kenntnis der mesozoischen Bildungen erwünscht war. Aber auch ein Teil der oben erwähnten paläontologischen Arbeiten von Suess muß mit Anerkennung genannt werden, wenn man der Mit- wirkung verschiedener Forscher an den Bestrebungen um die alpine Stratigraphie gedenkt. Vornehmlich gehören hierher einige derjenigen Arbeiten, welche auf die alpinen Brachiopodenfaunen Bezug hatten. So hat Suess insbesondere durch diese Brachiopodenstudien eine zuerst von Lipold (1850) ausgesprochene Ansicht bestätigt und mit Sicherheit bewiesen, indem er die Stellung der ostalpinen Gervillienschichten als an der Basis des Lias befindlich hinstellte. Daß diese Schichten (die dann unter dem Namen Kössener Schichten be- kannter wurden) später in die rhätische Formation eingereiht wurden, hat an dem Verdienst der Erkennung ihrer relativen Lage nichts geändert. Wichtig für die Kenntnis dieser Bildungen war auch deren Vergleich mit dem Bonebed in Schwaben. Ebenfalls anläßlich seiner paläontologischen Untersuchungen hat Suess auch die Frage der Trennung des Grestener Kalks von den Kössener Schichten angeregt, indem er auf die faunistischen Verschie- denheiten der beiden Bildungen hinwies. Die „Grestener Schichten‘, wie sie von Suess genannt wurden, hat er sodann (teilweise ge- stützt auf Beobachtungen CzZizeks als ein Glied des Lias erkannt. Freilich wurden dieselben anfänglich noch mit den triadischen Lunzer Schichten zusammengeworfen, bis Lipold (1863) die letzteren davon abtrennte. Immerhin jedoch war durch Suess schon ein wichtiger Schritt zur Entwirrung der hierbei aufgetauchten Schwierigkeiten gemacht worden. Auf Grund ihm zur Bestimmung vorgelegten Versteinerungen äußerte sich Suess auch über den braunen Jura in Siebenbürgen !). Suess ist es auch gewesen, der in der Hallstätter Gegend zuerst die Hierlatsschichten aufstellte und zu einer genaueren Hori- zontierung der Klausschichten beitrug ?). !) Verhandl. der k.k. geol. R.-A. Wien 1867, pag. 28. ?, Darüber und über die Mitwirkung von Suess bei der Horizontierung der Kössener wie der Grestener Schichten vgl. auch meinen Hauer -Nekrolog pag. [70]-—-|72] dieser Schrift, resp. pag. 748-750 des Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. Wien für 1899. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd, 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 49 366 Dr. Emil Tietze. [34] Gleich im Anschluß an die vorstehenden Angaben sei hier noch bemerkt, daß Suess (im Verein mit F. v. Hauer selbst) auch dessen ältere Ansicht über den Dachsteinkalk zugunsten der dagegen von Stur und Lipold geltend gemachten Bedenken berichtigte und die höhere Stellung dieses Kalkes (als ungefähres Aequivalent der Kössener Schichten) erkannte !). Damit sind wir schon zu der Erwähnung der direkt geologischen Untersuchungen übergegangen, welche Suess im Bereich der alpinen Gebiete anstelle. Wenn dieselben bezüglich der Klärung strati- graphischer Verhältnisse nicht durchwegs zu so glücklichen Ergeb- nissen führten wie seine mit paläontologischen Studien verbundenen Untersuchungen, so dürfen wir das nicht ausschließlich von unserem heutigen Standpunkt beurteilen. wo uns gewisse Zusammenhänge, die damals noch dunkel waren, klar vor Augen liegen. Suess hat einmal in vielleicht allzu. bescheidener Wertung der Forschertätigkeit im allgemeinen und auch der eigenen Arbeit die Bestrebungen der Gelehrten nach Erkenntnis mit einem Klettern von Irrtum zu Irrtum verglichen. Der Ausdruck war etwas hart, aber er enthielt insofern, wie wir alle zugeben müssen, ein Korn von Wahr- heit, als ja der Beste und Größte nicht immer und nicht überall das Richtige treffen kann. So läßt sich nicht leugnen, daß namentlich in einem Punkte die Intervention von Suess für die Bemühungen um die alpine Stratigraphie nicht so erfolgreich gewesen ist, wie in den vorangehend erwähnten Fällen. Es betrifft dies die wichtige Frage der Stellung der Werfener Schichten, welche F. v. Hauer bereits in dem heute all- gemein anerkannten Sinne gelöst hatte, als Suess im Jahre 1856 diese Lösung anzweifelte und die Möglichkeit andeutete, daß jene Schichten nicht sowohl dem Buntsandstein als vielmehr dem Keuper gleichzustellen wären. Noch im Jahre 1866 hat er dann im Verein mit Mojsisovics seine Bedenken wiederholt ?), aber dahin verändert, daß er nunmehr vermutete, die Werfener Schichten gehörten verschiedenen Altersstufen an, welchen Gedanken bekanntlich Mojsisovics dahin ausgestaltete, daB er nicht weniger als vier verschiedene Horizonte von Werfener Schichten nebst Gips- und Steinsalzvorkommen in den Östalpen annahm. Daß dadurch in unsere alpine Geologie und speziell in die Geologie der alpinen Salzlagerstätten einige Verwirrung gebracht wurde, ist ebenfalls bekannt. Dies war, wenn man den Dingen auf den Grund sehen will, sogar einer der ersten Ausgangs- punkte für die.Kontroversen in der Geologie der alpinen Trias über- haupt, welche später einen so bedenklichen Umfang erreichten. Wie schon weiter oben bei einer früheren Gelegenheit bemerkt werden konnte, handelte es sich hier um ein ähnliches tektonisches Mißverständnis wie bei der Beurteilung der Barrande’schen Kolonien und es erscheint als ein eigentümliches Geschick, daß gerade dem ’) Vgl. z.B. Jahrb. d. k.k. geol. R.-A. Wien 1855, pag. 724, ., ) Ueber diese die Werfener Schichten betreffende Frage vgl. meine vorher erwähnte Abhandlung über F, v. Hauer pag. 718 [40] etc. a) [35] Einige Seiten über Eduard Suess. 367 später durch seine tektonischen Studien so berühmt gewordenen Autor derartige Mißverständnisse nicht erspart blieben. Wenig Bestätigung haben auch zum Teil die Ansichten gefunden, welche Suess in seinem Aufsatze über die Aequivalente des Rot- liegenden in den Südalpen zum Ausdruck brachte. Wenn ich ganz absehe von den Beobachtungen, welche ich seinerzeit schon in meinen Beiträgen zur Kenntnis der älteren Schichtgebilde Kärntens jenen An- sichten entgegenstellte !), so haben doch die späteren, anfänglich an diese Beiträge anknüpfenden sehr eingehenden Untersuchungen von Stache und Teller namentlich im Hinblick auf paläontologische Funde unzweifelhaft gezeigt, daß die Deutung der dabei in Betracht kommenden Verhältnisse durch Suess vielfach irrig gewesen ist. Im Zusammenhange mit jenen Darlegungen über die Aequivalente des Rotliegenden mögen hier noch kurz die anspruchsloseren Mit- teilungen von Suess über das Schiefergebirge von Tergowe (Ver- handlungen 1868, pag. 169) und über das Rotliegende von Val Trompia genannt sein. Sehr beachtenswert dagegen erscheint die Arbeit, welche der Meister über die Triasbildungen von Raibl in Kärnten ?) veröffentlichte und welche einen wesentlichen Fortschritt der auf jene Bildungen bezüglichen Kenntnis ermöglichte. Die Differenzen, welche betreffs der tieferen Schichtenkomplexe von Raibl aus diesem Anlaß zwischen Suess und Stur zum Ausdruck kamen und von denen Bittner?) sagt, daß zufolge der späteren Arbeit Dieners über Raibl die Meinung Sturs im Vorteil geblieben sei, sind jedenfalls von geringerer Bedeutung im Vergleich zu dem Verdienst, das jener Arbeit im ganzen zugesprochen werden darf. Von besonderem Interesse ist auch die nicht gerade umfang- reiche, aber doch inhaltsvolle Abhandlung über die Gebirgsgruppe des Osterherns, welche im Verein mit Mojsisoviecs veröffentlicht wurde). Der Wert derselben liegt in der Fülle von sorgsamen Einzel- beobachtungen die hier mitgeteilt wurden. Wenn später, als sich Suess vorwiegend der Behandlung großer Fragen zugewendet hatte, sar manche unter dem Einfluß seines Beispiels glaubten, mit einer gewissen Geringschätzung auf solche Einzeluntersuchungen und nament- lich auf deren genauere Mitteilung herabsehen zu dürfen, so ver- gessen sie wohl, daß der von ihnen gefeierte Meister selbst es nicht immer verschmäht hat mit Veröffentlichungen hervorzutreten, welche mehr ein reiches, in den Einzelheiten oft unscheinbares Tatsachen- material als weit ausgreifende Ansichten betrafen,-was teilweise auch von einigen anderen Arbeiten gilt, die im Verlauf der diesmaligen ı) Jahrb. d. k.k. geol. R.-A. Wien 1870, pag. 259—274. Ich habe den Ein- druck, daß diese Veröffentlichung meinem persönlichen Verhältnis zu Suess, das sich erst später trotz mancher anderer Meinungsverschiedenheit freundlicher gestaltete, nicht förderlich gewesen ist, gebe aber zu, daß ich damals als An- fänger bei der Vertretung der aus meinen Beobachtungen allerdings zu folgernden Ansichten mich einer weniger entschiedenen Ausdrucksweise hätte bedienen sollen. 2) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. Wien 1867, pag. 553— 582. 3) Jahrb. d. k. k. geol. R. A. Wien. 1894, pag. 273. *#, Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. Wien 1868, pag. 167 etc. 49* ‘ 368 Dr. Emil Tietze. [36] Auseinandersetzungen erwähnt wurden oder erwähnt werden sollen. Ich denke hier beispielsweise an die Arbeit über Raibl oder (einem späteren Kapitel vorgreifend) an die Menge von Beobachtungen, welche Suess im „Boden von Wien“ und für seine der Wiener Wasserleitung gewidmeten Studien zusammengetragen hat, eine Zu- sammentragung, die jedenfalls nicht der summarischen Art der Mit- teilung gleicht, die manche Autoren bei der Begründung ihrer Schluß- folgerungen für ausreichend halten. Nicht unbeachtet möchte ich bei dieser Gelegenheit lassen, daß Suess in der oben erwähnten vornehmlich die Gliederung der Trias betreffenden Abhandlung im Hinblicke auf einen Vorschlag Sturs direkt Stellung nahm gegen den Mißbrauch, der mit der Auf- stellung neuer Namen ohne besondere Nötigung getrieben werde). „Bei der betrübenden Reichhaltigkeit unserer Synonymik der Schichten* sollte man, wie er sagte, „doch lieber vorhandene und gute Namen brauchen, um die Dinge zu bezeichnen, für welche sie geschaffen wurden, anstatt wieder neue ins Leben zu rufen“. Gegen diesen Rat ist später allerdings gerade in der alpinen Triasgeologie viel gesündigt worden, zwar nicht von Stur, sondern von’ einer anderen Seite, die Suess näher stand und der durch ihre Mitarbeiterschaft gerade in dem gegebenen Falle Gelegenheit geboten war, die Ansichten des Meisters kennen zu lernen. Schließlich sei hier noch kurz der Aufsatz erwähnt, welcher „das Dachsteingebirge vom Hallstädter Salzberge bis Schladming im Enns- tale“ behandelte und der in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie im Jahre 1857 abgedruckt ist. Die Beiträge, welche Suess zum Ausbau der Kenntnis der Stratigraphie der Alpen in bezug auf mesozoische und paläozoische Bildungen in seinen älteren Arbeiten geliefert hat, dürften somit in den vorangängigen Seiten der Hauptsache nach ersichtlich gemacht wor- den sein. Das Ergebnis derselben ist trotz einzelner Irrtümer, die bei diesen Arbeiten entschuldbarer Weise mit unterliefen, wertvoll genug, um ebenso, wie das für die paläontologischen Studien des großen Autors gilt, die dankbarste Anerkennung zu begründen. | Geologische Schriften vermischten Inhalts. Etwas abseits von dem Kreise, dem jene Arbeiten angehören, befinden sich einige andere Schriften geologischen Inhalts, die jedoch ungefähr noch aus derselben Periode der Tätigkeit von Suess stammen und die hier der Vollständigkeit wegen und um die Viel- seitigkeit des Autors zu illustrieren, noch gleichsam anhangsweise erwähnt werden sollen. Es sind zunächst die Mitteilungen über erratische Vorkommnisse vom östlichen Abhange des Rosaliengebirges (Verhandl.d.k.k.geol. R.-A. 1858, pag. 101) und über eine Schichtenstörung in der Ziegelgrube ') Vgl. I. ce. pag. 192, die Anmerkung. [37] Einige Seiten über Eduard Suess. 369 von. Nußdorf (Verhandl. d. k, k. geol. R.-A. 1860, pag. 84) sowie die Schriften über die Kruptivgesteine des Smrekouzgebirges in Steiermark (Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1868, pag. 32) und über das geologische Profil der Eisenbahnstrecke von Bozen bis Inns- bruck (Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1867, pag. 188). In der. letzterwähnten Mitteilung machte Suess darauf aufmerk- sam, wie wichtig es für die geologische Erkenntnis sein würde, wenn allenthalben bei großen Bauten, besonders Bahnbauten, ein Studium der dabei gewonnenen Aufschlüsse durchgeführt und von seiten der Bauleitungen auch ermöglicht würde. Man darf sich hierbei an das Verdienst erinnern, welches sich Suess später als Präsident unserer Akademie der Wissenschaften durch die Anregung erwarb, bei dem Bau der neuen Alpenbahnen durch ein Zusammenwirken der Akademie mit der geologischen Reichsanstalt die Festlegung der insbesondere bei den betreffenden Tunnelbauten zu gewinnenden Erfahrungen. zu ermöglichen. Wir wissen ja, daß dies, soweit Mitglieder der Reichs- anstalt bei diesen Untersuchungen beteiligt waren!), auch zur Gewin- nung und Veröffentlichung wichtiger Ergebnisse geführt hat, wobei ich nur an die betreffenden schönen Arbeiten von Geyer, Teller und Kossmat zu erinnern brauche, Arbeiten, die während ihrer Durch- führung überdies auch von praktischem Nutzen für die bei dem betreffenden Bahnbau beschäftigten Techniker gewesen sind. Auch in diesem Falle lag aber dem Vorschlage von Suess vor Allem die Absicht zu Grunde, die Fülle von Beobachtungen . nicht verloren gehen zu lassen, welche bei solchen Gelegenheiten nach Fertig- stellung der Bauten nicht mehr nachzuholen sind. Von ganz anderer Art als die vorerwähnten, im wesentlichen mehr pragmatischen Mitteilungen war eine kleine Arbeit, die Suess schon 1860 in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie 2) veröf- fentlicht hatte und welche den Titel führte: „Ueber die Spuren eigentümlicher Eruptionserscheinungen auf dem Dachstein.“ Hier be- segnen wir einem der Gedankenblitze, wie sie seiner impulsiven Art ent- sprangen und der denn auch das Schicksal der meisten dieser Ein- gebungen geteilt hat. Schon im Jahre 1851 hatte Simony die sogenannten Augensteine des Dachsteins als Ablagerungen alter zentralalpiner Flüsse erkannt und zwischen den höher gelegenen, aus Quarz und krystallinischen Ele- menten bestehenden Schottern und den tiefer gelegenen diluvialen Schottern einen Unterschied gefunden. Suess gab diesen Gebilden nun die sensationelle Deutung, daß sie Produkte seinerzeit aus Spalten aufgestiegener heißer Quellen seien, welche letztere Fragmente ‘von Quarz und Schiefergesteinen aus großen Tiefen (4000 Fuß unter dem Meere) in die Höhe gebracht und dabei abgerundet hätten. Solche „Augensteine“ sind später noch von verschiedenen Be- obachtern gesehen worden. U.Schlönbach fand dergleichen im Banat, !, Es handelt sich hier um die damals besonders am Wocheiner Tunnel, am Karawankentunnel und am Bosruck-Tunnel gemachten Erhebungen. 2) Math.-naturw. Kl. 40. Bd., pag. 428 etc. Vgl. dazu die Suess’sche Mit- teilung über Quellenbildungen in ‚den Hochalpen (Nsrhangdk d..k. k. geol. R.-A, 1854; Jahrb. pag. 439). m Dee [38] Mojsisovies an einigen Stellen der südlichen Alpen, Geyer und Wähner haben sie aufs neue am Dachstein gefunden, Abel und Geyer am Toten Gebirge und Götzinger auf anderen Plateau- flächen des Hochgebirges, wie am Schneeberg, auf der Rax, am Hoch- schwab und am Untersberg, aber keiner dieser Beobachter hat sich der Suess’schen Ansicht angeschlossen. Nur Schlönbach!) spricht von Quellenbildungen, ohne dabei Suess zu erwähnen und in der Deutung so weit zu gehen wie dieser. E.v. Mojsisovics dagegen, der doch im übrigen gewiß nicht zu den Gegnern von Suess gehörte, verhielt sich von Anfang an gegenüber der Deutung der „kleinen polierten Ge- schiebe“ ziemlich zurückhaltend und betonte zunächst, daß die Augen- steine. verschiedener Lokalitäten nicht gleichzeitig abgelagert sein dürften 2). Durch das Vorhandensein krystallinischer Gesteinsarten unter den Augensteinen wurde er dann zu der Ansicht geführt ?), daß dieselben aus den Zentralalpen gekommen sein müßten, welcher Auf- fassung sich im Prinzip auch Wähner‘) anschloß. Der letztere denkt an Ablagerungen aus alten Quertälern, wobei er den Längstälern der Alpen ein jüngeres Alter zusprechen möchte. Besonders hervorzuheben sind aber hier die neueren Untersuchungen von Götzinger?°), der die Beziehungen des Vorkommens der Augensteine zu den morphologi- schen Verhältnissen der Kalkhochalpen und speziell zu den deutlich entwickelten fluviatilen Verebnungsflächen daselbst erörtert. Für die fluviatile Bildung der Augensteine und deshalb ebenfalls für einen direkten oder indirekten Zusammenhang der betreffenden durch das Vorkommen dieser Steine ausgezeichneten Ablagerungen mit fluviatilen Vorgängen sprechen endlich auch die Forschungen von Bock®) in den Höhlen des Dachsteins, wo die Augensteine massenhaft gefunden wurden. An eruptive Vorgänge haben alle diese Autoren nicht gedacht, und Götzinger vermutet, daß Suess selbst an seiner Hypothese nicht mehr festgehalten hat, da dieselbe „sonst auf alle Hochflächen, wo sich Augensteine finden, Anwendung finden müßte“, was diesem Autor offenbar so wenig zulässig erscheint., daß er Suess eine solche Vorstellung nicht zumutete. Was er gegen jene Hypothese vorge- !) Ueber Spaltenbildungen in den Kalken am Rande der Predetter Hoch- ebene, nördlich von Steierdorf im Banat. Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1869, pag. 269 (vgl. besonders pag. 271). ?) Verhandl. d. k.k. geol. R.-A. 1870, pag. 159. Wenn derselbe Autor dann etwas später (Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1879, pag. 256) von dem Auftreten solcher Augensteine in den Spalten bosnischer Kalkgebirge spricht, wo er sie mit Bohnerzen zusammen fand und die Nähe eines Trachytganges neben der Fundstelle erwähnt, so liegt darin noch keine Zustimmung zu der erwähnten Hypothese. °) Erläuterungen zur geol. Karte Ischl - Hallstatt, Wien 1905, pag. 5l etc. Hier empfahl Mojsisovics das in Rede stehende Problem einer eingehenden Aufmerksamkeit. *) Geol. Bilder von der Salzach. Zur phys. Geschichte eines Alpenflusses. Schriften d. Vereins zur Verbr. naturw. Kenntnisse, Wien, Jahrgang 1893 —1894, pag. 510 ete. °) Zur Frage des Alters der Oberflächenformen der östlichen Kalkhochalpen. Mitt. es Wiener geogr. Ges. 1913, pag. 39 und Verh. d k. k. geol. R.-A. 1915, pag. 275. °, Bock, Lehner und Gaunersdorfer, Höhlen im Dachstein. Verlag d. Ver, für Höhlenkunde in Oesterreich 1918. [139] Einige Seiten über Eduard Suess. 371 bracht . hat, spricht umgekehrt natürlich für die Theorie vom fluviatilen Ursprung der Augensteine, die, wie man sieht, im Sinne Simonys wieder zu Ehren gekommen ist. Von wiederum ganz anderer Art als die bisher in diesem Abschnitt erwähnten Mitteilungen ist der Aufsatz, den Suess in den Schriften des Vereins zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kentnisse (Wien, 4. Bd. 1865) „Ueber den Staub von Wien und den sogenannten Wiener Sandstein“ veröffentlichte, eine Darlegung, die mit dem In- teresse zusammenhing, welches er den Gesundheitsverhältnissen der österreichischen Hauptstadt entgegenbrachte. In dem oben genannten Verein hielt er auch einen Vortrag über den Löß (Siehe dieselbe Zeitschr., 6. Bd. 1867). Richthofens Werk über China war damals noch nicht erschienen, und so ist es begreiflich, daß in diesem Vortrag die älteren Anschauungen über das genannte Gebilde zur Geltung kamen. h: Eine sehr wichtige und hoch angesehene Arbeit von Suess ist aber diejenige über die Gliederung des vicentinischen Tertiärgebirges, in welcher derselbe nicht nur eine genaue Aufzählung und Beschreibung jener älteren Tertiärschichten und der mit ihnen verbundenen Eruptiv- bildungen mitgeteilt, sondern auch den tektonischen Verhältnissen der betreffenden Region eine eingehende Aufmerksamkeit gewidmet hat). Im Anschluß hieran darf auch die interessante Studie über den Vulkan Venda bei Padua erwähnt werden, weil dieselbe in einem ge- wissen Zusammenhang mit den vorerwähnten Untersuchungen über die Eruptivbildungen des Vicentinischen gebracht werden kann. Andrer- seits gehört dieselbe auch schon zu den Arbeiten, welche zu den tektonischen Studien des Meisters hinüberleiten. Sie erschien ?) kurze Zeit vor der „Entstehung der Alpen“, und im „Antlitz der Erde“ kommt Suess an einigen Stellen auf diese Darstellung zurück ?). Dieselbe befaßt sich mit der Ruine eines erloschenen Vulkanes, also mit einem Gegenstande, der zu jener Zeit um so mehr Interesse erregen konnte, als mehr oder weniger analoge Untersuchungen auch von anderer Seite unternommen wurden und Beachtung fanden. Archi- bald Geikie, der später (1897) die geologische Literatur mit seinem klassischen zweibändigen Werke „The ancient volcanos of Great Britain“ bereicherte, hatte seine hierher gehörigen Arbeiten bereits seit einiger Zeit begonnen *) und auch der erst kürzlich verstorbene J. W. Judd hatte durch seine Untersuchungen auf den Hebriden einen Beitrag zur Beurteilung der Fragen geliefert, die sich an die Beobachtung von Vulkanruinen knüpfen lassen 5). Die Beschäftigung mit derartigen 1) 48. Bd. d. Sitzber. d. Akad. d. Wiss., I. Abt, Wien 1868. 2) Sitzber. d. Akad. d. Wiss. Wien Jännerheft 1875. 3) Z. B. Bd. 1 im Abschnitt über Vulkane u. Bd 2, pag. 184. *) Vgl. z.B. den Aufsatz on the tert. vole. rocks of the brit. islands journ. of the geolog. soc. 1871, pag. 294. 5) On the ancient volcanos of the Hebrides and the relations of their products to the mesoz. strata, Quaterly joumal of the geol. soc. 1874, pag. 220. Etwas später hat Judd, wie vielleicht noch erinnerlich sein wird, auch eine sehr. be- merkenswerte Arbeit über den alten Vulkan von Schemnitz in Ungarn veröffent- licht (Quaterly journ. of the geol. soz. 1876, vol. XXXII, pag. 212) worin auch 372 Dr. Emil Tietze, [40] Fragen lag also damals sozusagen in der Luft und mußte einem leb- haften, für neue Anregungen so empfänglichen Geist wie dem unseres großen Autors besonders anziehend erscheinen. Suess konnte nun nachweisen, daß die trachytischen Ausbrüche der Euganeen im wesentlichen von einem Einzelvulkane herrühren, welcher vermutlich dem Aetna an Größe nicht nachstand. Von Be- deutung war unter anderem auch die Darlegung einer strahlenförmigen Anordnung der Gänge im Gerüste dieses Vulkanes, ein ‘Verhältnis zu welchem bekanntlich bald nach dem Erscheinen der Suess’schen Abhandlung ein auffallendes Analogon von Doelter in dessen Be- schreibung der pontinischen Inseln bekannt gemacht wurde. ‘Gleichfalls,‘ wenn auch in anderer Weise als die vorher be- sprochene Arbeit, berühren die „Bemerkungen über die Lage des Salzgebirges von Wieliczka“, welche schon im Jahre 1868 ebenfalls in den Schriften der Wiener Akademie der Wissenschaften zum Abdruck gelangten‘), bereits das spätere tektonische Arbeitsfeld Non: SUESSHH:H: RR Im sogenannten Kloski-Schlage war infolge von Arbeiten, durch welche man das Hangende des Salzgebirges von Wieliczka zu unter- suchen gedachte, im November des genannten Jahres ein- Wasser- einbruch- erfolgt, welcher in der Oeffentliehkeit ziemliches Aufsehen erregte. Es erhoben sich Stimmen, welche den beteiligten bergmän- nischen Organen Mangel an Umsicht und Voraussicht zur Last legten, und auch Suess schloß sich in gewissem Sinne diesen Urteilen an. In zwei Vorträgen, die er in der geologischen Reichsanstalt ‚hielt >), verlangte er eine Reform des bergmännischen Unterrichts unter Be- rücksichtigung einer besseren geologischen Vorbildung des betreffenden Personals, ein Gesichtspunkt, dem man allerdings an und für sich einige Berechtigung nicht absprechen konnte. Gleichzeitig schrieb er zur Erläuterung der Lagerungsverhältnisse jenes Salzgebirges den obgenannten Aufsatz. R Er suchte zu zeigen, daß in diesem Salzgebirge die Fortsetzung jener tektonischen Störungen zu suchen sei, welche die Schweizer Geologen als Antiklinale der Molasse bezeichneten, die im. Westen am Mont Saleve bei Genf in die dortigen mesozoischen Schichten hineinstreiche, sich in Bayern wieder erkennen lasse und der auch die Klippenreihe der mährischen Inselberge (Staats etc.) angehören sollten. Ob die Bergleute in Wieliczka, wenn sie von diesen .Dingen Kenntnis gehabt hätten, die bewußte Katastrophe hätten vermeiden können, bleibe freilich dahingestellt. Tatsache ist jedenfalls, daß am Rande der Alpen und Karpathen Störungen zu beobachten sind, an denen in der Nähe dieser Ketten auch das Tertiär teilnimmt und das ist es jedenfalls, worauf Suess die Aufmerksamkeit zu lenken wünschte. Viel mehr wollte er wohl nicht sagen. Im Uebrigen ist die Tektonik bei Wieliczka eine ziemlich verwickelte und hat später die näheren gegenseitigen Beziehungen der zu besagter Vulkanruine gehörigen, teils einen älteren, teils einen jüngeren Habitus tragenden Eruptivbildungen be- handelt werden. Judd war eine Zeit lang Hörer von Suess. !):Sitzungsber. 58. Bd., I. Abt., pag. 541—547. ?) Verhandl. der k. k. geol. R.-A. 1868, pag. 428 und 1869, pag. 23. [41] Einige Seiten über Eduard Suess. 373 bekanntlich zu lebhaften Kontroversen Veranlassung gegeben, an denen ich selbst beteiligt war. Ich gewann die Vorstellung, daß man mit der Anwendung jenes Vergleichs der dortigen Lagerungsverhält- nisse mit der Schweizer Antiklinale nicht das Auslangen findet, und daß man unter allen Umständen die Tektonik des Salzgebirges im Zusammenhang mit den Störungen der benachbarteu älteren karpa- thischen Bildungen zu beurteilen hat !). Anhangsweise sei am Schluß dieses Kapitels noch erwähnt, daß in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie (1865) auch. ein Aufsatz erschien „Ueber die Nachweisungen zahleicher Niederlassungen einer vorchristlichen Völkerschaft in Niederösterreich‘. Erinnert man sich, daB Suess außerdem in den Schriften des Vereines zur Ver- breitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse (5. Bd. 1866) über die Grenze zwischen Geologie und Geschichte seine Ansichten entwickelt hat, so erhält man aufs neue den Eindruck von der Mannigfaltigkeit seiner geistigen Interessen, welche allenthalben über die engeren Schranken seines Faches hinauswuchsen. . Geologie des Tertiärs. Die oben genannte Arbeit über das vicentinische Tertiär er- innert uns daran, daß die Studien von Suess sich in speziell geologischer Beziehung nicht auf die mittleren und älteren Formationsabteilungen beschränkten, wie er denn auch in paläontologischer Hinsicht z. B. durch die früher schon erwähnten Mitteilungen über tertiäre Wirbel- tiere und dergleichen bekundet hatte, daß er seine Aufmerksamkeit auch den jüngeren Bildungen zuzuwenden nicht unterließ. Das führt uns im Gange der diesmaligen Darstellung, die sich natürlich nicht absolut an die chronologische Folge der betreffenden Publikationen anschließen kann, zu einer bisher noch nicht berührten Gruppe von Veröffentlichungen, welche zwar nicht zahlreich aber doch von besonderer Bedeutung für die geologische Literatur gewesen sind. Jedenfalls ist der Einfluß, den Suess auf die Entwicklung der Geologie der jüngeren tertiären Schichten Oesterreichs und damit !) Daß ich in jene Kontroversen, die sich ursprünglich auf Meinungs- verschiedenheiten zwischen Paul und Niedzwiedzki beschränkten, durch die Umstände nachträglich hineingezogen wurde, habe ich in einem der Erinnerung an Paul gewidmeten Nachruf angedeutet (Jahrb. d. k. k. geol. R,-A. 1900, pag. 545), der als ein klelner Beitrag zur Geschichte der Anfünge der karpa- thischen Flyschgeologie betrachtet werden kann. Dort wird in einer Anmerkung auch ein großer Teil der relativ recht umfangreichen Literatur über die be- treffende Streitfrage erwähnt. Aus der Durchsicht derselben kann übrigens her- vorgehen, daß den älteren Montanisten in Wieliezka gewisse Begriffe über die Tektonik des Salzgebirges nicht gänzlich gefehlt haben. Wie immer man zum Bei- spiel über die schon 1842 erschienene Arbeit des Markscheiders Hrdina denken möge, zu dessen Zeit man allerdings noch keine bis zum Mont Salve reichenden Vergleiche anstellte, so viel ist doch sicher, daß man die Lagerung des Salz- gebirges nicht für eine ungestörte hielt. Man mag hierzu noch vergleichen, was Suess später im „Antlitz“ über Wieliczka sagt, wo er in Rücksicht auf den nördlichen Schub (l. c. pag. 286) sich auf Paul beruft, und (l. c. pag. 454, An- merkung 76) sich auf Niedzwiedzki bezieht. Jahrbuch d. k. k. geol, Reichsanstalt, 1916, 66. Bd,, 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 50 EU Dr, Emil Tietze. [42] indirekt der Tertiärgeologie überhaupt, genommen hat, ein großer gewesen, ein Einfluß, der allerdings nicht ausschließlich auf die be- treffenden Veröffentlichungen, sondern auch auf die Lehrtätigkeit des Autors zurückzuführen ist, was in diesem Falle vielleicht mehr als in anderen bemerkbar gewesen ist. Wie das einigen Forschern vielleicht noch bekannt ist, wurden die Grundzüge der Einteilung des Wiener Tertiärs (und der damit verwandten Schichten Oesterreichs überhaupt) bereits in den Jahren 1845 und 1848 festgestellt und zwar durch F. v. Hauer und Moritz Hörnes, welcher letztere dann später, wie jedenfalls allgemeiner bekannt, das paläontologische Material aus jenen Schichten in grund- legender Weise beschrieb !). Ich habe mich darüber bereits in meiner historischen Studie über die wissenschaftliche Tätigkeit Franz v. Hauers?) geäußert und dort auch darauf hingewiesen, dab die Auf- stellung der heute für die Glieder des Wiener Tertiärs üblichen Namen mit der Priorität bezüglich dieser Gliederung selbst nichts zu tun hat. Es war ein ganz natürlicher Vorgang, daß man sich mit dem Ausbau der hier erwähnten Grundlagen der erwähnten Gliederung zu befassen suchte und. daß man die einzelnen Lokalitäten, an denen sich die betreffenden Schichten teilweise in verschiedener Ausbildung vorfanden, miteinander, namentlich auch in Bezug auf ihre Altersfolge verglich. Eine der wichtigeren und eingehenderen Arbeiten in dieser Richtung war diejenige von Rolle, der im Jahr 1859 in den Sitzungs- berichten der Wiener Akademie „über die geologische Stellung der Horner Schichten in Niederösterreich“ schrieb und auf Grund paläon- tologischer Vergleiche diese Schichten für die ältesten des Wiener Beckens erklärte. Diese Arbeit war es, an welche die Intervention von Suess in der Frage der Gliederung des österreichischen Miocäns zuerst anknüpfte und zwar geschah dies zunächst in polemischer Weise ge- legentlich der Veröffentlichung einer seiner früher genannten paläon- tologischen Schriften, nämlich in seiner Studie über die Wohnsitze der Brachiopoden, welche im Jahre 1860 veröffentlicht wurde. Hier sprach sich Suess mit Entschiedenheit gegen die erwähnte Ansicht Rolles aus. Er sagte dabei, daß eine mehrjährige detaillierte Vergleichung der Versteinerungen jener Bildungen ihn nicht daran zweifeln lasse, daß alle verschiedenen Lagen der Wiener Tertiärschichten ‚gleichzeitige Ablagerungen desselben Meeres seien und daß ihre Verschiedenheiten keine anderen seien, als solche, die man heute in verschiedenen Tiefenzonen z. B. des Mittel- meeres trifft“. Dieser gewiß sehr glückliche Hinweis auf die Bedeutung fazieller Verschiedenheiten die nicht notwendig zur Aufstellung einer Gliederung nach altersverschiedenen Horizonten führen, ent- spricht prinzipiell demselben Gedanken, den Suess bald darauf (1862) in seinem, weiter unten nochmals zu nennenden Werke über ') Die erste Abteilung dieser mönumentalen Arbeit erschien 1856. ’) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1899, 59. Bd., pag. 734 [56]--736 [58]. [43] Einige Seiten über Eduard Suess. 375 den Boden von Wien (pag. 50) weiter ausführte. Auch noch im Jahre 1863 hielt der berühmte Autor seine Opposition gegen Rolle aufrecht, denn in seiner Arbeit „Ueber die Verschiedenheit und die Aufeinanderfolge der tertiären Landfaunen in der Niederung von Wien !)* sagte er ausdrücklich, „daß man unrecht getan habe“, die Horner Schichten von den übrigen Bildungen des Wiener Beckens zu trennen. Er versprach anderswo das „Irrtümliche dieser Anschauung‘ nachzuweisen. Drei Jahre später erfolgte jedoch in dieser Frage eine auffällige Frontveränderung von seiten unseres großen Autors. Es erschien nämlich sein Aufsatz über die Gliederung der tertiären Bildungen zwischen dem Mannhart, der Donau und dem äußeren Saume des Hochgebirges?) worin Suess im wesentlichen die von ihm früher so schroff abgelehnten Ansichten Rolles sich selbst zu eigen machte und durch eine genauere Gliederung der betreffenden Schichten jene Ansichten weiter ausbaute. Diese Gliederung aber liegt seither der üblich gewordenen Einteilung des marinen Neogens in zwei „Mediterranstufen“ zugrunde, ohne daß übrigens Suess selbst in der erwähnten Arbeit einen Schnitt zwischen den beiden Stufen gemacht oder überhaupt die Lehre von den beiden Stufen näher begründet hätte. Diese Lehre scheint vielmehr, so wie Hilber einmal vermutete, in den Vorlesungen von Suess nur mündlich vor den Schülern entwickelt worden zu sein, die dann ihre eigenen späteren Arbeiten danach einrichteten und trotz der von einigen Seiten dagegen geübten Kritik daran festhielten, bis sie durch Gewöhnung eingebürgert wurde. Als dann die beiden Stufen (allerdings ohne feste De- finition oder nähere Kennzeichnung) aufgestellt waren, kam die Theorie hinzu, daß der im „Boden von Wien“ (pag. 17—20) ge- schilderte Einbruch des inneralpinen Wiener Beckens in der Zeit zwischen der ersten und zweiten Mediterranstufe erfolgt sei, eine Vorstellung, die entweder jenen Einbruch als einen Akt von kata- strophaler Plötzlichkeit hinstellen muß, oder die für die Zeit des Absinkens der allmählich zur Tiefe gehenden Massen die Ablage- rung von Zwischenbildungen zwischen der ersten und zweiten Mediterranstufe in verschiedenen Gebieten hätte in Betracht ziehen müssen. Die Existenz derartiger Zwischenbildungen, als deren Ver- treter lange Zeit die sogenannten Grunder Schichten und eventuell auch der sogenannte Schlier galten, ist aber speziell im Hinblick auf die eben betonte Frage meines Wissens nie diskutiert worden und überdies ist die Stellung der betreffenden Bildungen selbst in ihren Beziehungen zu dem anderen Inhalt der beiden Stufen vielfach zweifelhaft geblieben. Gewisse Bedenken gegen die erwähnte Stufentheorie stiegen mir zuerst anläßlich von Untersuchungen auf, die ich in Galizien ausführte. Ich habe dieselben in meiner Arbeit über die geogno- 1) Sitzber. d. Akad. d. Wiss. Wien, 47. Bd., 1. Abt., pag. 368. 2) Sitzber. d. Akad. 18366. du* 976 Dr. Emil Tietze, [44] stischen Verhältnisse der Gegend von Lemberg !) zum Ausdruck gebracht. Sie wurden von Franz von Hauer geteilt, dagegen in schrofister Weise von Rudolf Hörnes und Theodor Fuchs be- kämpft, welche sich offenbar veranlaßt fühlten, mit Zuhilfenahme des Ansehens, welches sie auf Grund ausgebreiteter Studien über das Tertiär genossen, alle etwaigen Zweifel an der Suess’schen Gliederung im Keime zu ersticken. Da mir Unkenntnis der einschlägigen Literatur vorgeworfen wurde, sah ich mich genötigt in zwei längeren Aufsätzen, die in der Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft?) erschienen, eine eingehende Kritik dieser Literatur zu geben, die sich übrigens nicht bloß mit den österreichischen, sondern auch vielfach mit den französischen und italienischen Verhältnissen befaßte, welche von meinen damaligen Gegnern zur Erläuterung und Bekräftigung ihrer Anschauungen herangezogen worden waren. Ich glaube in jenen Aufsätzen mit Evidenz nachgewiesen zu haben, daß diese Literatur die auffallendsten Unstimmigkeiten aufwies, daß sich die Anhänger der bewußten Stufentheorie in die gröbsten Wider- sprüche verstrickten, daß ein strikter Nachweis der Gesetzmäßig- keit jener von Suess und seinen Anhängern behaupteten Aufein- anderfolge nirgends gelungen war, wie sich namentlich aus dem Vergleich der Verhältnisse verschiedener Gegenden ergab, und daß die tatsächliche Lagerung der jeweilig für die eine oder andere der beiden Stufen reklamierten Bildungen in nicht wenigen Fällen die umgekehrte war, als sie der Theorie nach hätte sein sollen. Ich habe ferner gezeigt, daß die paläontologischen Merkmale für die Unterscheidung der beiden Stufen gänzlich versagten und konnte mit einiger Genugtuung feststellen, daB dies sogar aus den Argumenten meiner damaligen Gegner hervorging, sowie daß Suess selbst (der allerdings nicht unmittelbar an der Diskussion teilnahm) der Paläontologie für die Erkenntnis der wichtigsten Phasen in der Geschichte des Mittelmeeres nur eine sekundäre Rolle zuzuweisen genötigt war?) insofern derselbe das Studium der Artenverzeichnisse als leicht in Irrtum führend bezeichnete und dafür von der Gesamtheit der physischen Merkmale sprach, die zu erfassen sei, um jene Phasen feststellen zu können‘). Endlich machte ich auch auf gewisse Unzukömmlichkeiten aufmerksam, !) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1882, pag. 72—96, speziell pag. 74. ’) Berlin 1884, pag. 68—121 und 1886 pag. 26—138. °) Vgl. Antlitz der Erde I. Bd., pag. 361 den Anfang des Abschnitts über das Mittelmeer, ferner ibidem pag. 454, die Anmerkung 73 und meinen Artikel des Jahres 1886 in Zeitschr. d. deutsch. geol. Ges., pag. 69 und 77. *) Dies (siehe Antlitz ibidem pag. 454) bezog sich allerdings vorzugsweise auf den gleich speziell zu erwähnenden Schlier, hatte indessen zweifellos einen allgemeineren, das Einteilungsprinzip der Miocänschichten betreffenden Sinn. i Das Betonen der „Gesamtheit der physischen Merkmale“ hätte übrigens in diesem Falle mehr Bedeutung gehabt, wenn das betreffende Wort durch eine genauere Schilderung und Zusammenfassung dieser Merkmale für die zu unter- scheidenden Schichtabteilungen unterstützt worden wäre. Es lag aber eine Art Schleier über den Grundsätzen, nach welchen die Unterscheidung der bewußten Stufen und Zwischenstufen vorgenommen wurde. 145] Einige Seiten über Eduard. Suess. 377 welche sich in paläogeographischer Hinsicht aus der, wie mir schien, mit mehr Heftigkeit als Geschick verteidigten Lehre ergaben, den gegenüber ich das Unrecht begangen hatte den ursprünglich von - Suess selbst eingenommenen Standpunkt zu vertreten oder doch als beachtenswert hinzustellen. Beispielsweise schien es ja doch geradezu auf der Hand zu liegen, daß das inneralpine Wiener Becken mit seinem typisch marinem Inhalt keinen vom offenen Meere gänzlich abgeschnittene Binnensee gebildet haben konnte. Hierbei hatte ich wenigstens insofern Erfolg, als R. Hörnes!) zugestand, daß die Frage der Verbindung des Wiener Beckens mit den übrigen Meeren leichter gelöst werden könnte, wenn man den Schlier nicht mehr in die erste Mediterranstufe einbeziehe. Natürlich schloß aber diese Auseinandersetzung von Hörnes mit der Versicherung, daß durch dieses Zugeständnis die Aufrecht- erhaltung der Trennung der ersten und zweiten Mediterranstufe kaum alteriert werde. Mit ähnlichen autoritativen, den verschiedenen Einwänden gegen die Stufentheorie entgegengestellten Versicherungen hat man sich denn auch zumeist zufrieden gegeben. Nicht unerwähnt soll jedoch bleiben, daß auch Bittner?) den Zweifel an der Berechtigung einer Trennung der zu beiden Mediterranstufen gerechneten Bildungen geteilt hat. _Derselbe verhielt sich zwar nicht prinzipiell ablehnend, aber stellte sich im wesentlichen auf den Standpunkt, daß durch das, was man zugunsten dieser Trennung vorgebracht hatte, die letztere nicht erwiesen worden sei. Man hat später vorgezogen, die Polemik gegen unsere Einwürfe nicht fortzusetzen, sondern über dieselben mit Stillschweigen hinweg- zugehen. Das war auch vom Standpunkt einer geschickten Taktik für den Erfolg der betreffenden Theorie das Beste. Es gibt in der Tat wenig Beispiele aus der Geschichte der modernen Geologie, an denen so schlagend gezeigt werden kann, was die Autorität einer Persön- lichkeit vermag, wie an diesem Beispiele der Gefolgschaft, die eine Lehre fand, deren Begründung, wenigstens soweit es sich um Ver- allgemeinerungen handelte, so voll innerer Wiederspüche gewesen ist, wie die oben berührte, und welche obendrein im Gegensatz zu den ursprünglichen Ansichten ihres Urhebers aufgestellt war. Es gibt eben auch in der Entwicklung der Wissenschaft so etwas wie die Wir-- kungen einer Art von Hypnose, ganz abgesehen davon, daß es in der Regel bequemer erscheint, mit dem Strom als gegen denselben zu schwimmen. Im übrigen darf nicht übersehen werden, daß Suess später im ersten Bande seines „Antlitz der Erde“ die Zahl der Mediterran- stufen auf fünf festzusetzen versuchte), indem er den beiden früher aufgestellten Stufen als dritte und vierte Stufe „die gesamte Reihe ı) Verh. d. k. k. geol. R.-A. 1884, pag. 306. 2) Zur Literatur der österreichischen Tertiärbildungen. Jahrb. d. k.k. geol. R.-A. 1884. ®) L. c. pag. 364. 378 Dr. Emil Tietze. [46] der älteren und jüngeren Pliocänablagerungen“ und als fünfte Stufe „das heutige Mittelmeer mit Inbegriff der neuesten Randbildungen‘“ zugesellte.e Da der hier in Betracht kommende zweite Teil jenes ersten „Antlitz*-Bandes 1885 erschien, so fiel dieses Erscheinen in die Zeit, in welcher die Diskussion über die Stufen I und II am lebhaftesten war und da Suess auch noch später an der hier mitgeteilten Numerierung der Mediterranstufen festgehalten hat !), so ergibt sich, daß er gegenüber den KEinwänden, die seiner Stufentheorie gemacht wurden, sich tatsächlich gänzlich abweisend verhielt, was allerdings aus der Haltung seiner engeren Gefolg- schaft von vornherein hervorging. Wenn er selbst es auch unterließ, direkt gegen jene Einwände zu polemisieren und die durch dieselben aufgeworfenen speziellen Fragen zu erörtern, was vielleicht mit seiner Abneigung gegen wissenschaftliche Polemiken überhaupt zusammen- hing?), so hat er doch durch jene Erweiterung der Stufenzahl den- jenigen, die für ihn die Vertretung der Stufentheorie übernommen hatten, ein deutliches Zeichen seiner Stellungnahme gegeben. Er tat sogar etwas mehr als das, denn es ist nicht zu leugnen, daß durch die Numerierung der 5 Stufen den Nummern 1 und 2 eine größere Garantie des Bestandes verschafft werden konnte. Der öftere Gebrauch der folgenden Nummern in dem vorgeschlagenen Sinne, der sich allerdings wie es scheint, nicht einbürgern konnte, würde ja doch jeweilig die bewußte oder unbewußte Zustimmung zu der Unter- scheidung bedeutet haben, welche für die beiden vorangehenden Nummern verlangt wurde. Im Vergleich mit der Leichtigkeit, welche es Suess erlaubt hatte, seine erste Stellungnahme gegen Rolle in der Frage der Gliederung des österreichischen jüngeren Tertiärs aufzugeben, ist sein späteres hartnäckiges Festhalten an den im Anschluß an die An- schauungen Rolles entwickelten Ansichten immerhin bemerkenswert. Diese Hartnäckigkeit machte sich sogar in gewissen Einzelheiten geltend, bei denen man in Anbetracht aller sonstigen Umstände am ehesten auf eine etwas größere Elastizität der Meinung hätte gefaßt sein dürfen. Die Stellung des Schlier als eines Zwischengliedes zwischen den Schichten von Eggenburg und den „höheren marinen Bildungen“, aus welchen letzteren zuerst in den Vorlesungen von Suess und . dann in der Literatur die II. Mediterranstufe wurde, hatte dieser Autor schon in seinen „Untersuchungen“ des Jahres 1866 hervorheben zu sollen geglaubt. Er hat an dieser Vorstellung im ersten Bande ‘) Vgl. zum Beispiel II. Band, pag. 384, wo die wechselnden Phasen in der Ausdehnung des Mittelmeers besprochen werden. °) In der Politik hat sich Suess von Meinungskämpfen allerdings nicht fern gehalten. In der Wissenschaft mag eine solche Zurückhaltung für denjenigen leichter sein, dessen Ansichten von Freunden und Anhängern mit Eifer verfochten werden. Auch ist das Bestreben, die bloße Streitsucht unter den Gelehrten nicht aufkommen zu lassen, gewiß ein voll berechtigtes, sofern man nicht die kritische Beleuchtung von Meinungen überhaupt auszuschalten wünscht. Andernteils haben polemische Erörterungen mitunter doch den Vorteil, daß diejenigen, die sich daran beteiligen, genötigt werden können, mit der Durchführung vorher vielleicht noch nicht völlig abgeschlossener Gedankenreihen bis an's Ende zu gehen. [47] Einige Seiten über Eduard Suess. 379 des „Antlitz“ festgehalten und nennt dort (l. e. pag. 399) den Schlier ein „selbständiges fremdartiges, einförmiges Schichtgebilde“, welches zwischen die I. und Il. Mediterranstufe eingeschaltet sei, und noch in dem 1888 erschienenen zweiten „Antlitz“-Band (l. ce. pag. 383) wird von der Zeit des Schlier gesprochen als derjenigen, in welcher sich die Ablagerungen eines „ersterbenden Meeres“ am Schluß der durch die I. Mediterranstufe bezeichneten Epoche bildeten. (Vgl. speziell dazu auch Bd. I, pag. 406.) Das geschah, trotzdem gerade in dieser Frage selbst die intimsten Anhänger des Meisters Ansichten entwickelt hatten, die wesentlich von den seinigen abwichen. So hatte Rudolf Hörnes!) mit Be- stimmtheit ausgesprochen, daß der Name Schlier als Etagenbezeich- nung aufzugeben sei, daß speziell der oberösterreichische Schlier, der doch als der Typus dieser Bildung gilt, nicht der ersten, sondern der zweiten Mediterranstufe angehört und daß er (Hörnes) früher mit der ‘ Zuweisung dieser Schichten zum oberen Teil der ersten Stufe, wie dies der Suess’schen Gliederung entsprechen würde, einen Fehler begangen habe. So hatte besonders auch Theodor Fuchs den Schlier als eine eigentümliche Fazies aufgefaßt, welche in verschie- denen Horizonten des Neogens vorkommen könne, wie denn zum Beispiel die Pteropodenmergel des Vatikan als pliocäner Schlier gelten, mit denen Fuchs auch den Schlier bei Bologna verglich, der, wie er sagte, über Ablagerungen mit „ganz gewöhnlichen, weit verbreiteten Pliocänarten“ liegt?). Im Jahre 1885, gelegentlich einer gegen mich gerichteten Streitschrift (in der Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft, pag. 171) sprach der Genannte sogar direkt aus, daß man den Schlier „überhaupt nicht gut zum Repräsentanten einer ge- wissen Altersstufe wählen könne“, was ganz mit der soeben erwähnten Ansicht von Hörnes zusammenfiel. Es lag ja auch in der Tat nahe, einer Ablagerung wie dem Schlier, dem Suess bekanntlich auch die Salzlagerstätten der Kar- pathen zurechnete, nur den Charakter einer Fazies beizumessen, welche unter gewissen physikalischen Bedingungen sich in verschie- denen Zeiten in der Reihenfolge der Absätze wiederholen kann, die aber, mag auch ihre Verbreitung zeitweilig von größerem Umfange sein, nie den Typus für einen besonderen marinen Horizont abzugeben vermöchte. Dennoch hat Suess selbst in diesem Punkte seine aller- erste Ansicht von der Faziesnatur der verschiedenen Ablagerungen. uuseres marinen Neogens nicht wieder aufgenommen, wenn auch der Begriff eines „ersterbenden Meeres“, welches selbstverständlich gleich- zeitig mit anderen offenen Meeren existiert hat, schon an und für sich dazu einladen durfte, den im Vergleich zu den allgemeinen Verhält- nissen doch nur lokalen Charakter der betreffenden Absätze im Auge zu behalten. Zudem darf hervorgehoben werden, daß von manchen Anhängern der Suess’schen Lehre (ohne daß dem von Suess widersprochen wurde) der Schlier nebst den ihm von Suess zugewiesenen Aequi- 1) Verhandl. der k. k. geol. R.-A. 1884, pag. 305—306. 2) Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. Wien, 77 Bd, 1878. 380 Dr. Emil Tietze. [48] valenten vielfach als Vertreter der ganzen sogenannten ersten Medi- terranstufe betrachtet wurde und teilweise wohl auch heute noch wird, wie das vornehmlich für die galizische Salzformation gilt, die. sich im Anschluß an die karpathischen Bildungen abgesetzt hat und unter welcher man vergeblich die anderen von Suess aufgezählten Glieder der ersten Stufe suchen würde. Wir dürfen ja nicht vergessen, daß überhaupt die angeblichen Zwischenbildungen zwischen erster und zweiter Stufe bei der Diskussion dieser Stufenfrage vielfach nach Bedarf für die Stufen selbst eintreten mußten. Darin lag doch schon an und für sich die Aufhebung der besonderen Stellung, welche Suess für den Schlier als für einen bestimmten Horizont in Anspruch genommen hatte. Ich kann mir aber, da gerade von der miocänen Salzformation die Rede ist, nicht versagen, am Schluß dieser im Vergleich zu meinen früheren Darlegungen allerdings nur kurzen Auseinander- setzung über die Stufentheorie noch an einem speziellen Beispiel zu zeigen, wie es bei der hier mehrfach erwähnten Diskussion dieser Theorie in den achtziger Jahren herging. In seinem Beitrag zur Kenntnis der Salzformation von Wieliczka und Bochnia !) hatte Niedz- wiedzki die Verhältnisse der Molluskenfauna von Wieliczka er- örtert, wobei sich herausstellte, daß von den 30 Molluskenarten, die der Genannte aus jener Salzablagerung anführte, nach seinen eigenen Angaben 29 in der sogenannten oberen (zweiten) Mediterranstufe vor- kommen, die dreißigste aber aus der noch jüngeren sarmatischen Stufe bekannt war. Daß nun aus solchem Tatbestande von dem Autor der „Wahrscheinlichkeitsschluß* gezogen wurde, die bewußte Salzablagerung gehöre der ersten Mediterranstufe an und daß Fuchs sich bei seiner Vertretung der Suess’schen Ansichten auf diese Schlußfolgerung be- rief), zeigt wohl deutlich, daß man in der Auswahl der Argumente bei jener Vertretung nicht eben spröde gewesen ist. Geholfen hat es trotzdem, denn die Stufentheorie hat sich erhalten. Einen weniger andauernden Erfolg, als er der Lehre von den zwei marinen Stufen des Miocäns beschieden war, hatte allerdings die Auseinandersetzung, welche Suess über diejenigen Schichten des Wiener Beckens gab, welche man bis dahin als Cerithienschichten oder brackische Stufe des Wiener Miocäns bezeichnet hatte und die man sich seither nach dem Vorgang des Meisters gewöhnt hat, die sarmatische Stufe zu nennen °). Nicht als ob nicht die dabei gegebenen Darlegungen in vielfacher Hinsicht für die Kenntnis dieser Bildungen und ihrer Verbreitung von Wichtigkeit gewesen wären, aber die Vorstellung, als ob hier eine besondere, auf eine Einwanderung aus borealen Gegenden zurückzuführende Fauna, gewissermaßen eine neue Aera für dieses Miocän inauguriert habe, erwies sich nicht: als haltbar, wie besonders Bittner dargetan hatt). Der Nachweis, ı) 2. Teil, Lemberg 1884. °) Vgl. dazu meinen Artikel aus dem Jahre 1886, pag. 73. °) Ueber die Bedeutung der sogenannten brackischen Stufe oder der Ceri- thienschichten, Sitzungsber. d, Akad. d. Wiss. Wien, 54. Bd. 1866, pag. 218-259. *) Ueber den Charakter der sarmatischen Fauna des Wiener Beckens. Jahrbuch d. k.k.geol. R.-A. 1833, pag. 131 etc. Vgl. auch Bittners Artikel im Jahrb. 1884, pag. 137. [49] Einige Seiten über Eduard Suess. 381 den der Letztgenannte führte, daß die Elemente der sogenannten sarmatischen Fauna schon vor der Hauptentwicklung der Cerithien- schichten vorhanden waren und daß diese Fauna nichts als eine ver- armte Fauna des marinen Miocäns sei, ist auch in der späteren Literatur nicht mehr übersehen worden. Uebrigens ist die betreffende Auffassung von Suess, insbesondere was den angeblich borealen Charakter der sarmatischen Fauna anlangt, schon vor der Intervention Bittners auch von solchen Autoren ab- gelehnt worden, welche sonst zur treuesten Gefolgschaft des Meisters gehörten, wie Theodor Fuchs und Rudolf Hörnes!). In einem besonderen sehr bemerkenswerten Auffsatz „über die Natur der sarmatischen Stufe* hat Fuchs auseinandergesetzt 2), daß schon in früheren Perioden der Erdgeschichte, wie dies z. B. manche Ablagerungen der Trias zeigen, Faunen auftreten, deren Zusammen- setzung aus relativ wenigen, aber gesellig auftretenden Formen eine gewisse Analogie mit der sarmatischen aufweisen, daß ferner die wirklich boreale Fauna mit der der sarmatischen Schichten kaum ver- gleichbar ist und daß dagegen in den Bitterseen der Landenge von Suez eine artenarme Fauna lebt, die, was die Zusammensetzung und Vergesellschaftung der Formen betrifft, eine ganz auffällige Aehnlich- keit mit der sarmatischen zeigt, so daß man dieselbe als pseudo- sarmatisch bezeichnen kann. Die Fauna der Bitterseen aber, deren Becken vor dem Durchstich des Kanals von Suez trocken waren, ist, wie Fuchs hervorhob, aus dem Roten Meere eingewandert. Von borealen Einflüssen kann also da nicht die Rede sein. Auch R. Hörnes, der sich hierbei speziell auf Fuchs bezog, hat den betreffenden Gedanken mit gleicher Entschiedenheit zurückgewiesen °). Allerdings hat Th. Fuchs später *) die vorher erwähnten Aus- führungen Bittners auf das heftigste bekämpft. Es bezog sich dies aber nicht auf die Frage, ob man bei der sarmatischen Fauna an boreale Einflüsse zu denken habe, sondern auf die Annahme Bittners, daß diese Fauna überhaupt nicht von irgendwoher in die Gebiete des Miocänmeeres eingewandert, sondern durch das Zurücktreten einer sroßen Zahl von Arten aus der mediterranen-marinen Fauna hervor- gegangen sei. Doch konnte diese Polemik, die im wesentlichen sich nur auf die Behauptung stützte, daß die von Bittner angeführten Artennamen sich auf zweifelhafte Bestimmungen der Literatur bezögen, keinen be- sonderen Eindruck machen, da man doch nicht ohne weiteres fast die ganze paläontologische Tertiärliteratur, soweit sie hier in Betracht kam, als mehr oder weniger wertlos erklären konnte. Insofern nun aber !) Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. in Wien, math.-naturw. Kl. 75. Bd., Abt. I. 1377, pag. 321. 2) Sitzber. d. Akad. d. Wiss. in Wien, math. naturwiss., Kl. 75. Bd. Abt. I, 1877, pag. 321. 3) Ueber die sarmatischen Ablagerungen der Umgebung von Graz, Mitt. d. naturhist. Vereins für Steiermark, Jahrg. 1878. ) In dem Aufsatz „Zur neueren Tertiärliteratur“ Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1885, pag. 123 etc, und schon vorher in einem Referate im neuen Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1883, 2. Bd., pag. 391. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66, Bd, 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 51 389 Dr. Emil Tietze, [50] schließlch Suess selbst zugestand, daß ein großer Teil der sarmatischen Fauna aus Formen besteht, die schon früher im mediterranen Miocän existierten !), so war das verspätete Eintreten von Fuchs für Suess?) (nachdem ersterer ohnehin in der Hauptsache die Ansichten des letzteren schon früher fallen gelassen, bezüglich sogar widerlegt hatte), ziemlich gegenstandslos. Suess bezog sich in dem betreffenden Abschnitt des „Antlitz“ sogar ausdrücklich auf Bittner, ohne dessen Vorstellungen abzulehnen. Vom borealen Charakter der sarmatischen Fauna spricht er dort nicht mehr. Er erwähnt nur, daß ihm im Jahre 1866 Barbot de Marny (mit dem er vor der in diesem Jahre er- folgten Publikation seiner Arbeit korrespondiert hatte) „mit freund- lichem Rate zur Seite gestanden“ sei. Alles in allem genommen lag zur Erklärung der Eigentümlich- keiten der sarmatischen Fauna nunmehr der Schluß nahe, daß die Ver- armung dieser Fauna gegenüber der reichen Entwicklung in den echt marinen Schichten zusammenhing mit der Empfindlichkeit der meisten Arten einerseits und mit der relativen Unempfindlichkeit gewisser Formen andrerseits gegen die Veränderlichkeit des Salzgehaltes der betreffenden Gewässer. Das Uebrigbleiben dieser letzteren Formen in solchen Gewässern, während die übrige mehr dem normalen Salz- gehalt des Meeres angepaßte Fauna zugrunde geht, wenn dieser Gehalt sich wesentlich vermindert oder sich wesentlich steigert (wie bei den ägyptischen Bitterseen, wo die weniger anpassungsfähigen Formen von der Einwanderung abgehalten wurden) ist schließlich ein ganz einfach zu erklärender Vorgang, zu dessen Erläuterung man keiner besonderen Hypothesen bedarf. Damit hängt auch zusammen, daß eine den Cerithienschichten mehr oder weniger entsprechende Fauna sich in Ablagerungen finden kann, welche den marinen Miocän- schichten gleichaltrig sind ®), insofern z. B. Aussüßungen des Wassers am Rande eines marinen Beckens (wie durch einmündende Flüsse) jene Verarmung der marinen Fauna bedingen konnten, welche Bittner für die von Suess mit dem Namen sarmatisch belegten Absätze als bezeichnend erklärte. Ueber diesen Punkt dürfte heute eine Meinungs- verschiedenheit nicht mehr bestehen, und unter diesem Gesichts- punkt hat eigentlich auch das Wort sarmatisch, welches man als einen hübschen Euphonialnamen gern beibehält, seine ursprüngliche nach dem Norden oder Nordosten Europas weisende Bedeutung ') Antlitz der Erde, 1. Bd., pag. 414—421. °) Dieses Eintreten war allerdings kein direktes, sondern richtete sich gegen einen Gegner der Suess schen Anschauungen. konnten aber kaum anders auf- _ gefaßt werden als ein Einspringen in die Bresche, welche für diese Anschauungen durch die gegnerischen Bedenken entstanden war, zumal Fuchs gleichzeitig auch betreffs der Frage der beiden Mediterranstufen sich gegen Bittner wendete. A ”) Man kann sich hier vielleicht an das durch das häufige Auftreten von Cerithien ausgezeichnete marine Miocän von Abtsdorf erinnern, oder an die eben- falls dem böhmisch-mährischen Grenzgebirge angehörige Fauna von Rudelsdorf bei Landskron, deren Eigentümlichkeiten schon Reuss dem Einfluß eines in das marine Becken einmündenden Flusses zuschrieb (vgl. dazu meine Arbeit über die Gegend von Landskron und Gewitsch im Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1901, pag. 530 und 596). De BR [51] Einige Seiten über Eduard Suess. 383 heute verloren). Doch ist dies nebensächlich; der Name ist ja bequem. Jedenfalls hat die Polemik, die in dieser Frage entstand, in mehrfacher Hinsicht aufklärend gewirkt und Gesichtspunkte zum Vorschein gebracht, die ohne die von Suess hingeworfenen Gedanken vielleicht nicht sobald zur Erörterung wären gebracht worden. Angewandte Geologie. Wir wenden uns jetzt einer Gruppe von Arbeiten zu, in welchen Suess sein geologisches Wissen in den Dienst der Oeffentlichkeit gestellt hat, womit nicht gesagt sein soll, daß diesen Arbeiten nicht auch vom rein wissenschaftlichen Standtpunkt ein besonderer Wert zuerkannt werden muß. Wie schon aus einigen der vorausgehenden Hinweise hervor- gehen kann, steht mit den Studien des berühmten Autors über die jüngeren Bildungen Oesterreichs wie insbesondere über das Miocän der Umgebung von Wien seine Schrift über den Boden von Wien ?) in einem gewissen Zusammenhang. Doch beschränkt sich der Inhalt dieses Buches nicht auf geologische Ausführungen, sondern umfaßt auch Nachweise über die Wasserverhältnisse der Oberfläche wie des Untergrundes der Stadt und bespricht die sanitären Zustände der letzteren in Verbindung mit diesen Wasserverhältnissen, so daß diese Studie die Einleitung der Aktion vorstellt, welche zu der ersten Hochquellenleitung für Wien seführt hat und welche gleichzeitig mit dem Eintritt von Suess in das politische Leben verbunden war. Bereits im Jahre 1853 hielt derselbe einige öffentliche Vor- träge ?), welche im Verein mit einigen 1561 auf Anregung der Ge- sellschaft der ‘Aerzte gehaltenen Vorlesungen die Grundzüge der im „Boden von Wien“ gegebenen Darlegungen zur Kenntnis eines größeren Publikums brachten. Jedenfalls hat aber das genannte Werk, als es dann erschien, nicht bloß auf die gebildeten Kreise des größeren Publikums die von Suess gewünschte Wirkung ausgeübt sondern auch bei den Fach- genossen ?) lebhaften Beifall gefunden, und dieser Beifall war ein wohl- verdienter, sowohl in geologischer wie in den anderen Beziehungen, !) Allerdings wäre auch die Bezeichnung brackisch prinzipiell nicht immer zutreffend im Hinblick auf den Typus, den die oben erwähnte Fauna der Bitter- seen vorstellt. 2) Der Boden von Wien, nach seiner Bildungsweise, Beschaffenheit und seinen Beziehungen zum bürgerlichen Leben. Wien, bei Braumüller 1862. 8) Ueber die Anlage artesischer Brunnen in Wien, abgedruckt in der Wiener Zeitung vom 24. und 25. Dezember 1888; vgl. dazu die Bemerkung im Boden von Wien, pag. 13 und 14. 4) Man kann hier z. B. daran erinnern, daß Haidinger dieses Werk mit einer besonderen Druckschrift begrüßte, in welcher das Verdienst des Autors aus- führlich erläutert wurde. Jahrb. d. k. k. geolog. R-A., 12. Bd., Verh., pag. 747. Diese Druckschrift erschien als selbständiger Artikel, nicht etwa bloß als ein- faches Referat. 51* 384 Dr. Emil Tietze. [52] um die es sich bei jenen Darlegungen handelte. In geologischer Hin- sicht lieferte das Werk eine in allen wesentlichen Zügen sichere Grundlage für die Beurteilung des Untergrundes eines Stadtgebiets, welches durch vielfache Verbauung dem betreffenden Studium selbst- verständlich große Hindernisse entgegenstellte.e Mögen auch durch spätere höchst dankenswerte Beiträge, wie sie von Wolf, Fuchs und Karrer oder durch die neueren Arbeiten von F.X. Schaffer gelie- fert wurden, unsere Kenntnisse von jenem Untergrunde vielfach ergänzt und erweitert worden sein, so ist Suess doch der erste gewesen, der durch die glückliche Verknüpfung äußerst sorgsamer und fleißiger Lokalfeststellungen ein zutreffendes Bild von der Beschaffenheit der Stelle gegeben hat, auf welcher die Kaiserstadt steht. Darin liegt, abgesehen von der Wichtigkeit des behandelten Themas bezüglich ver- schiedener praktischer Zwecke, die Bedeutung dieser Synthese, welche sich auf alle dem Autor zugänglich gewesenen oft mühsam zusammen- gebrachten einschlägigen Tatsachen stützt, ohne in der Richtung der Spekulation weiter zu gehen, als für das angestrebte Ziel nötig schien. Manches, was Suess geschrieben hat, ist berühmter geworden, aber es gibt unter den Kundigen nicht wenige, welche den „Boden von Wien“ für eine seiner besten Leistungen halten, sofern der Wert solcher Leistungen nach positiven Ergebnissen beurteilt wird. Seine im Jahre 1863 erfolgte Wahl in den Gemeinderat der Stadt Wien gab Suess die Möglichkeit, der in dem vorher bespro- chenen Werke aufgeworfenen Frage der Wasserversorgung dieser Stadt auch praktisch näher zu treten und die maßgebenden Kreise für eine rationelle Lösung des Problems zu interessieren. Mit dem Studium des letzteren betraut, erstattete er in der Sitzung jener Körperschaft am 10. Juni 1864 das ausgezeichnete Referat, welches zur Errichtung der ersten Wiener Hochquellen- leitung führte, die dann im Jahre 1873 eröffnet wurde. Durch die ‚Anregung und Vorbereitung dieses großartigen Werkes hat sich Eduard Suess ein außerordentliches Verdienst erworben, dessen Bedeutung nicht geschmälert wird durch die seither nötig gewordenen, zuerst im kleineren Maßstabe bewirkten Ergänzungsarbeiten für die Wiener Wasserversorgung und auch nicht durch die später geschaffene zweite Hochquellenleitung, die gewiß ebenfalls ein hochverdienstliches Werk ist, deren Urheber aber stets anerkannt haben, daß die Arbeit von Suess für sie vorbildlich gewesen ist und daß große Segnungen für die Bevölkerung Wiens, namentlich in gesundheitlicher Hinsicht aus derselben hervorgegangen sind. Jenes Referat aber!), in welchem auch wichtige geologische Studienergebnisse niedergelegt sind, erscheint ebenso wie der „Boden von Wien“ als ein Denkmal exaktester Forschertätigkeit. Der andere große, die weitere Oeffentlichkeit betreffende Erfoig, den Suess in ungefähr derselben Zeit anbahnte und errang, nämlich ‘) Vgl. außer dem offiziellen Bericht über diesen Gegenstand (Bericht über die Arbeiten der Wasserversorgungs-Kommission, erstattet am 31. Juli 1863 in der 210. Sitzung des Gemeinderats von Wien) auch noch Jahrb. d. k. k. geol. R-A. 1864, pag. 417-485. [53] Einige Seiten über Eduard Suess. 385 das Werk der Donauregulierung, hat den Geologen in ihm allerdings weniger in Anspruch genommen als den mit volkswirtschaftlichen Fragen beschäftigten Politiker. Immerhin verdanken wir dem Meister auch im Zusammenhange mit dieser Tätigkeit einige nicht uninteres- sante gelehrte Studien „über den Lauf der Donau“ und „über das Grundwasser der Donau“ !). In den „Erinnerungen“ (vgl. z. B. pag. 191 etc. und pag. 265) hat Suess noch manches Interessante über seine Beteiligung an dem großen Werke mitgeteilt und wir sehen dort, wie er sogar seinen Besuch in Aegypten gelegentlich der Eröffnung des Suezkanals zu Untersuchungen ausnützte, welche den Vorbereitungen für die Aushebung des neuen Donaubettes bei Wien zugute kamen. Dort wurde, wie er sich (pag. 208) ausdrückt, die Donaustadt, das ist der neue an dem nunmehrigen Flußbette der Donau gelegene Stadt- teil von Wien, geboren. Das Bestreben, die Wissenschaft in Berührung mit dem öffent- lichen Leben zu erhalten, wie es in all diesen Arbeiten zum Ausdruck kam, ist übrigens von Suess auch in seiner späteren Zeit nicht auf- gegeben worden, wenn es auch vielfach durch eine intensivere Tätigkeit auf dem Gebiete der theoretischen Geologie zurückgedrängt wurde. Um hierbei zunächst an einige Einzelheiten zu erinnern, mag der Vortrag über schlagende Wetter erwähnt werden, in welchem Suess sewisse vom Direktor Walcher im Karwiner Revier unternommene Versuche über den Einfluß des Barometerstandes auf die Wetter- führung in Bergwerken besprach, um daran einige weitere Ausfüh- rungen zu knüpfen und die allgemeinere Aufmerksamkeit auf diese für die Sicherheit der Bergleute gewiß wichtige Frage zu lenken ?). Es mag ferner auf die Unterstützung hingewiesen werden, die er dem seither verstorbenen Professor Makowsky in der Brünner Friedhofs- frage gewährte). Auch fühle ich mich verpflichtet, seine Mitwirkung bei der Lösung des Problems einer Trinkwasserleitung für Brünn her- vorzuheben, wobei er den Standpunkt, den die von mir in dieser Frage ausgeführten geologischen Vorarbeiten eingenommen hatten, im wesent- lichen teilte und durch seine Autorität unterstützte. Auch er empfahl nämlich die Benützung von Quellen aus dem Gebiet der kretazischen Ablagerungen der Gegend oberhalb Brüsau, auf welches Gebiet übrigens zuerst Makowsky und der Ingenieur (und spätere Professor Friedrich) hingewiesen hatten, deren an- fänglich in bescheidenen Grenzen gehaltenes Projekt indessen eine Zeitlang zugunsten eines Vorschlages, das Trinkwasser für Brünn aus 1) Oesterreichische Revue 1863, pag. I—14, Neues Jahrb. 1864, pag. 372 und Oesterreichische Revue 1865, pag. 128-4314. Der Vortrag, den Suess viel später in der Festversammlung d. k. Akad. d. Wissensch. in Wien am 9. März 1911 über die Donau hielt, darf vielleicht als ein Nachklang aus jener Zeit aufgefaßt werden, in welcher die Fragen, die sich um den großen Strom drehten, die Ge- müter intensiver beschäftigten und zu allerhand, seither freilich nur teilweise er- füllten Hoffnungen anregten. 2) Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1885, Nr. 13. 3) Durch einen Brief vom 10. November 1877 den Makowsky in einem in der Brünner Geweibekammer gehaltenen Vortrage vorlas und der dann in einer Brünner Tageszeitung abgedruckt wurde. 386 Dr. Emil Tietze. [54] der Gegend von Lettowitz zu beziehen, zurückgestellt und erst auf Grund meiner Anregungen in erweiterter Form wieder aufgenommen worden war. Als dann gegen die betreffenden Vorschläge sich Widerstände zeigten und Gegenprojekte hervortraten, die zum Teil durch eine lebhafte Agitation in der Oeffentlichkeit unterstützt wurden, wurde ich veranlaßt, gelegentlich einer im österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verein stattgehabten Diskussion gewisse in schroffer Weise dem von der Stadt Brünn angenommenen Projekt entgegengestellte Einwände vom geologischen Standpunkte zu wider- legen. Dieser Widerlegung schloß sich damals Suess durch erfolg- reiche Beteiligung an jener Diskussion an, nachdem er schon vorher über Einladung der Stadt Brünn das Brüsauer Projekt begutachtet und sich für dieses Projekt ausgesprochen hatte !). Diese letzterwähnten Beispiele illustrieren übrigens das Ein- greifen von Suess in praktische Fragen nur in bezug auf vereinzelte Fälle, die sich bei zufälligen Gelegenheiten seiner Beurteilung dar- boten. Für die Bewertung seiner Tätigkeit auf dem Gebiet der ange- wandten Geologie ist es wichtiger, hier an seine Stellungnahme über die Frage der besten Art der Metallwährung zu erinnern. Bei der in dieser Richtung von ihm aufgewendeten Mühe handelte es sich nicht mehr bloß um die Wohlfahrt einzelner, wenn auch noch so bedeuten- der Gemeinden, sondern entsprechend der Großzügigkeit, welche seine geologisch-theoretische Tätigkeit mit der Zeit angenommen hatte, um eine Wohlfahrtsfrage von ganz universeller Bedeutung. Zugleich konnte bei Besprechung einer solchen volks- und weltwirtschaftlichen Ange- legenheit neben dem Geologen auch der Politiker zum Worte gelangen, denn als Suess mit den betreffenden Studien begann, stand er mitten im öffentlichen Leben und es war damals nicht abzusehen, wohin ihn sein Stern in dieser Richtung noch führen konnte. Daß er aber später für einen Gegenstand, der ihn einmal intensiver beschäftigt hatte, noch ein lebhafteres Interesse bewahrte, ist leicht verständlich. „Die ab- wechselnde Beschäftigung mit geologischen und ökonomischen Auf- gaben“, schreibt Suess selbst in seinen Erinnerungen ?), mußte ihn „zu einer Frage hinführen, die an der Grenze beider Gebiete lag“. Es ist sehr lesenswert, was er dort über die näheren Beweggründe seines Versuches sagt, die öffentliche Meinung im Sinne einer bime- tallistischen Einrichtung des Münzwesens zu beeinflussen, Beweg- gründe, die teilweise auf die Zustände des österreichischen Geld- wesens zurückgingen, teilweise aber auch auf die Berücksichtigung der „dauernden und allgemeinen Interessen der Menschheit, die zu vertreten doch der Naturforscher berufen ist“. Unter diesem Gesichts- !) Vgl. zu dieser Intervention von Suess den Abdruck des stenographischen Protokolls der Diskussion über den von Franz Lang in der Fachgruppe für Ge- sundheitstechnik des Oesterr. Ingenieur- und Architekten-Vereins am 9. März 1904 abgehaltenen Vortrag über die vauklusischen Quellen mit Berücksichtigung der Wasserversorgung der Stadt Brünn, gedruckt bei Woniker in Brünn. Meine Aus- führungen siehe dort pag. 7—16. Den Beitrag von Suess sıehe pag. 25—31 des Protokolls. Er enthält, abgesehen von dem Eintreten des Redners für das Brü- sauer Projekt mehrere sehr interessante Bemerkungen über die Wasserversorgung verschiedener Städte. 2) L. c. pag. 271-273. [55] Einige Seiten über Eduard Suess. 387 punkte darf man also und soll man auch nach dem Wunsche ihres Verfassers die beiden Bücher beurteilen, welche in den Jahren 1874 und 1892 im Verlage von Braumüller in Wien erschienen, und von denen das ältere „die Zukunft des Goldes*, das spätere „die Zukunft des Silbers“ behandelt. Die Tendenz dieser Schriften, in welchen Suess sich gegen die Verwendung des Goldes als des alleinigen Währungsmetalls aussprach, wurde nach deren Veröffentlichung allerdings von den zünftigen volkswirtschaftlichen Kreisen vielfach bekämpft. Ueberdies schien die Annahme, daß die Quantitäten des vorhandenen und noch zu fördernden Goldes für die allgemeine Einführung der Goldwährung nicht ausreichen würden, relativ bald nach dem Erscheinen jener Werke eine tatsächliche Widerlegung zu erfahren sowohl durch den Aufschwung der südafrikanischen Goldproduktion als durch die Entdeckung der Goldfelder von Alaska. Doch muß ausdrücklich betont werden, daB Suess (Zukunft des Goldes, pag. 339) den Zeitpunkt, in welchem die Goldproduktion der Erde sich so vermindern : wird, daß „dieses Metali bei zunehmender Seltenheit nicht mehr im Stande sein wird, seine bisherige wirtschaftliche Stellung zu behaupten“, nicht als einen unmittelbar bevorstehenden, sondern als erst nach einigen Jahrhunderten zu erwartenden ansah. Wenn dann wieder von anderer Seite gesagt wurde, daß man sich in Währungsangelegen- heiten zunächst für die Gegenwart einrichten müsse, so mögen die betreffenden Finanzkreise von ihrem Standpunkt aus ganz recht gehabt haben, für das Urteil über die Ausführungen von Suess kommt hier jedoch vor allem in Betracht, daß die weit ausblickenden Grundgedanken jener Ausführungen bis jetzt kaum endgültig wider- legt wurden. In jedem Falle wird man auch heute noch die beiden Schriften mit großem Interesse und ebensolchem Nutzen lesen. Das gilt so- wohl für die staatsmännischen Darlegungen, wie sie besonders in der „Zukunft des Silbers“ in größerer Ausführlichkeit gegeben wurden, als für die Schilderungen der in Betracht kommenden Erzlagerstätten und ihrer Schicksale. Die vielseitige Literaturkenntnis des ‚Autors, welche demselben ermöglichte, eine große Zahl von Belegen für seine Angaben vorzubringen, verleihen diesen Büchern überdies den Charakter einer wichtigen Fundgrube für das weitere Studium der berührten, teils ökonomischen, teils geologischen Fragen. Beschäftigung mit allgemeinen Fragen. Beginn der tektonischen Studien. Die eben erwähnten Bücher über das Gold und das Silber zeigen uns bereits Suess als einen Forscher, welcher sich in seinen Studien nicht auf die Beschäftigung mit mehr oder weniger eng lokalisierten Arbeitsgebieten beschränkt. Neben Untersuchungen der letzteren Art, die ihm, wie wir sahen, ja auch nicht fremd blieben, hatten ihn schon frühzeitig Probleme allgemeiner Natur angezogen, 388 Dr. Emil Tietze. [56] wie man das beispielsweise schon aus seinen Vorträgen über die Ansichten von Bronn ersehen konnte, die oben gelegentlich der Dis- kussion über die Stellung von Suess gegenüber dem Darwinismus erwähnt wurden. Das Bestreben, allgemeinere Gesichtspunkte zu er- mitteln, spürt man sogar schon aus einigen seiner paläontologischen Schriften heraus, wobei ich nur an die remarks on the distribution of Brachiopoda, bezüglich an die vorher schon einigemal erwähnte Arbeit über die Wohnsitze der Brachiopoden zu erinnern brauche. Unter seinen geologischen Aufsätzen aus älterer Zeit, welche die obige Bemerkung zu illustrieren geeignet sind, erwähne ich den über die einstige Verbindung Nordafrikas mit Südeuropa!), dann den kurzen in Verbindung mit F. v. Hochstetter verfaßten Artikel über kosmo- gonische Hypothesen ?). Auch solche Vorträge wie über den Begriff Zeit in der Geologie°) oder wie der weiter oben schon erwähnte über die Grenze zwischen Geologie und Geschichte wären hier zu nennen. Doch handelt es sich in allen diesen Fällen nicht um jene Haupt- leistung des Meisters, die darauf abzielte, Gesetzmäßigkeiten oder wenigstens gewisse Zusammenhänge im Aufbau und im Entstehen der Erscheinungen zu finden, welche die verschiedenen Formen der Erd- oberfläche bedingen. Die universelle Bedeutung des Namens Suess so, wie sie sich seinen Zeitgenossen schließlich darstellte, ist jedenfalls in erster Linie verbunden mit den tektonischen Studien, welche den großen Forscher namentlich in den letzten Dezennien seines Lebens vorwiegend be- schäftigt und nach und nach nicht bloß den ganzen Erdball in den Kreis seiner Betrachtung gebracht haben, sondern sogar bis auf die Himmelskörper sich erstreckten. Gleichviel, ob wir, wie das der Meinung vieler entspricht, Suess als den Schöpfer der modernen Tektonik ansehen, oder ob wir diese Meinung im Hinblick auf die Bedeutung mancher anderen Autoren nur im eingeschränkten Sinne gelten lassen, darüber, daß er dem Studium der tektonischen Fragen einen mächtigen Anstoß ge- geben hat, besteht nirgends ein Zweifel und daran wird auch für diejenigen nichts geändert, welche die vielfach zu Tage getretene Begeisterung für die betreffenden Ausführungen nicht ganz zu teilen vermögen oder doch zum mindesten in dem Ergebnis der Suess’schen Bestrebungen kein geschlossenes System erblicken. Er selbst äußert sich über diesen Punkt, bezüglich über seine Einflußnahme auf den Fortschritt der hier in Betracht kommenden Studien in seiner Abschiedsvorlesung *) wie folgt: „Als ich meine Kollegien begann, herrschte namentlich in Deutschland die Meinung, daß die Gebirgsketten symmetrisch gebaut seien, eine Gruppe ältester Gesteine bilde die gehobene oder hebende Achse und zu beiden Seiten seien jüngere Gesteine zu parallelen Zonen geordnet. So finden Sie noch in meiner eigenen Schrift über !) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1863, pag. 26—30. °), Im Berg- und hüttenmännischen Jahrb., Leoben, 14. Bd., 1865, pag. 254. °) Schriften des Vereins zur Verbr. naturw. Kenntnisse, Wien, III. Bd 1862/63. . .°) L. e. pag. 3 in den Beiträgen zur Pal. u. Geol. Oesterr.-Ungarns u. d. Orients. Wien u. Leipzig 1901. [57] Einige Seiten über Eduard Suess. 389 den Boden von Wien vom Jahre 1862 die Alpen als ein symmetri- sches Gebirge geschildert. Freilich blieb diese Meinung nicht ganz ohne Widerspruch; fast auf jeder Versammlung deutscher Natur- forscher erhob sich damals der alte Bergrat Dücker, um Einsprache zu erheben. Man hörte ihn nicht an. Aehnlich erging es Schimper. Die Autorität Leopold v. Buchs, welche sich für den symme- trischen Bau aussprach, blieb unerschüttert. Dann starb Leopold v. Buch). In den maßgebenden Lehrbüchern der damaligen Zeit, wie zum Beispiel in Lyells mit Recht berühmten Prinzipien der Geologie finden Sie über diese Hauptfrage der modernen Geologen über die Frage der Entstehung der Gebirge gar keine Aufklärung.“ Der Redner setzte sodann in kurzer Zusammenfassung die wesent- lichsten jener Gedanken auseinander, zu denen er selbst seither gelangt war und mit welchen wir uns im weiteren Verlauf der dies- maligen Ausführungen zu beschäftigen haben werden. Wenn man von den früher (auf den Seiten |39]—|40]| der heutigen Darstellung) erwähnten Arbeiten über den Vulkan Venda und über Wieliezka absieht, insofern diese Arbeiten noch mehr ein lokales Gepräge hatten, ohne dabei auf allgemeinere Gesetzmäßigkeiten abzu- zielen, so wurden die tektonischen Studien von Suess eingeleitet durch einen Aufsatz über den Bau der italienischen Halbinsel 2), welcher bereits deutlich die Betrachtungsweise erkennen läßt, die später für die betreffenden Darlegungen des Verfassers bezeichnend geworden ist. Dieser Aufsatz kann sogar direkt als ein Vorläufer der „Entstehung der Alpen“ gelten. Hier wurden bereits einige der Gedanken ausgesprochen oder doch angedeutet, die man seither als zu dem ureigensten Wesen der Suess’schen Vorstellungen gehörig angesehen hat. Unter anderem wurde hier schon von Senkungsfeldern und deren Beziehungen zu Vulkanen geredet, wie denn überhaupt die Eindrücke, welche der große Autor bei seinen Reisen in Italien und den darauf bezüglichen Vorstudien erhalten hatte, in mancher Hinsicht die Richtung seiner Gedankenarbeit für längere Zeit bestimmt zu haben schienen ?). Ein Gedanke aber fällt in den ‚betreffenden Aus- führungen, wenn man sie heute durchblättert, besonders auf. Er bezieht sich auf die angeblich geringe Stabilität der Kettengebirge. !) Der Redner spielte hier offenbar auf die mehrfach hervorgetretene Er- fahrung an, daß weniger die bei Lebzeiten großer Autoritäten gegen deren An- sichten versuchte Beweisführung, als der Tod der betreffenden Persönlichkeiten, das heißt das Aufhören ihres direkten persönlichen Einflusses die Bahn für andere Anschauungen frei macht oder eine Korrektur jener Ansichten ermöglicht. Es kennzeichnet nach Suess den Einfluß L. v. Buchs, daß Schimper, der für die Entstehung der Gebirge durch Kontraktion eintrat, seine Stellung in München aufgeben mußte und eine andere Stellung nicht mehr fand {siehe Suess in den Mitt. d. Wiener geol. Ges. 1913, pag. 13 u. 14\. Hier kann verglichen werden, was in der heutigen Darstellung weiter oben (pag. [8] und [9]) und zwar zum Teil auch in der dortigen Anmerkung über die bedenkliche Rinflußnahme mancher Autoritäten gesagt wurde. 2) Sitzber. d. k. Akad. d. Wiss., Wien, 1. Abteil. Märzheft 1872. >) Wie man aus den „Erinnerungen“ ersehen kann, ist Suess mehrfach in Italien gewesen. Eine seiner wichtigeren Reisen dorthin fiel allerdings erst in die Zeit unmittelbar nach dem Erscheinen des hier erwähnten Aufsatzes. Aber schon früher hatte ihn jenes Land wiederholt angezogen. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 52 390 Dr. Emil Tietze. [58] In Anbetracht der Entwicklung, welche die moderne tektonische Geologie genommen hat, ist dieser Gedanke als der Ausgangspunkt weiterer, später zu Bedeutung gelangter Vorstellungen für den Historiker unseres Faches festzuhalten. Ebenfalls zu den die späteren tektonischen Veröffentlichungen von Suess einleitenden Arbeiten darf man die Schriften über die Erdbeben in Nieder-Oesterreich !) und über die Erdbeben des süd- lichen Italien?) rechnen, welche sich vielfachen und in mehrfacher Hinsicht berechtigten Beifalls erfreuten. Sehr bemerkenswert war der hier angebahnte Nachweis, daß ein großer Teil der seismischen Vorgänge einen Zusammenhang mit den tektonischen Störungen der Erdkruste erkennen lassen und dem- zufolge längs der Linien solcher Störungen intensiver wirken, daß ferner die tektonischen oder Dislokations-Beben, wie man sie dann genannt hat, weil sie durch den Gebirgsbau bedingt sind, mit vulka- nischen Erscheinungen nicht notwendig etwas zu tun haben, während allerdings die betreffenden Störungslinien bisweilen das Auf- treten von Thermalquellen begünstigen, wie bei der Thermenlinie des Wiener Beckens, während das Auftreten von Vulkanen an denselben statthaben kann. Ein besonderer Wert wurde übrigens auf den Um- stand gelegt, daß dort, wo seismische Linien aus einem Hochgebirge heraustreten, ihre Wirksamkeit am stärksten ist, wie das für die Kamplinie bei Lengbach, für die peripherische Linie der Liparen und die Erdbebenlinie der Basilikata gilt, wobei das Auftreten des Aetna und des Vultur mit den beiden letztgenannten Linien in Beziehung gebracht wird ?). Nicht wenige Arbeiten verschiedener Forscher haben seitdem ganz oder teilweise an diese Darlegungen angeknüpft. Insbesondere haben dieselben für Rudolf Hörnes, der nicht bloß ein Neffe von Suess, sondern auch einer der unbedingtesten (und wie wir wissen, auch streitbarsten) Anhänger desselben gewesen ist, Anregungen und Eingerzeige bei der Beurteilung der Erdbeben von Belluno®) und Klana°), bei der Abfassung seiner allgemeinen Erdbebenstudien im Jahrbuch unserer geologischen Reichsanstalt 1878 und bei der Heraus- gabe (1895) einer sehr geschätzten Erdbebenkunde geboten, durch welche die betreffenden Ideen und Erfahrungen mehr systematisch zusammengefaßt wurden ®). !) Denkschr. d. k. Akad. d. Wissensch. Wien 1873. ?) Denkschr. d. k. Akad. d. Wissensch. Wien 1874. ®) Vgl. hierzu „Entstehung d. Alpen“, pag. 85. 4) Mitt. d. naturw. Ver. für Steiermark 1877. Dieser Artikel ist im An- schluß au Untersuchungen Bittners abgefaßt und enthält auch eine Polemik gegen die Erdbebentheorie von Falb. 5) Zuerst von Stur beschrieben. °) Daß auch noch anderweitige Mitteilungen und Untersuchungen über Erdbeben unter dem Einfluß der Suess’schen Ideen standen, wie z. B. die schöne Arbeit von F. E. Suess (dem Sohne unseres Meisters) über Laibach (Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1896), ist leicht erklärlich. Doch liegt es nicht in der Absicht der heutigen Darstellung, auf die hier in Betracht kommende Literatur näher einzugehen, [59] Einige Seiten über Eduard Suess, 391 Es sei aber gerade im Hinblick auf die Zustimmung, welche in diesem Fall den Ansichten von Suess zuteil geworden ist, erlaubt, einen Umstand hervorzuheben, der von einem anderen Standpunkt aus beim Vergleich mit den sonstigen Meinungen des Meisters betrefts des Ganges der Erdgeschichte und somit auch der tektonischen Ent- wicklungen nicht übersehen werden sollte. Der Zusammenhang vieler seismischer Vorgänge mit tektonischen Zonen, wie insbesondere mit den Regionen von Brüchen und Absen- kungen, setzt voraus, daß die bewußten Vorgänge, welche im Sinne von Suess eine Fortsetzung der. Gebirgsbildung in der Gegenwart bilden oder doch diese Fortsetzung begleiten, sich wohl auch in der Vergangenheit abgespielt haben. Es liegt nun keinerlei Grund zu der Annahme vor, daß dies nicht in ähnlicher Weise wie heute ge- schehen sein sollte.e Wir wissen aber. daß selbst bei großen, nach menschlichen Begriffen katastrophalen Erdbeben die Veränderungen im Relief der Erdoberfläche zumeist von geringer Bedeutung sind. Nivellements, welche nach dem durch Wähner beschriebenen, 1880 stattgehabten Erdbeben von Agram vorgenommen wurden !), haben beispielsweise doch nur relativ kleine Abweichungen gegenüber dem früheren Zustande ergeben, und das große andalusische Beben (1884 bis 1885) war mit seinen Wiederholungen nicht imstande, bleibende meßbare orographische Veränderungen hervorzurufen ?2). Auch die in anderen Fällen etwa vorgekommenen Senkungen oder Hebungen, welche letzteren übrigens von Suess geläugnet wurden, haben wenig- stens solche Dimensionen, wie sie für eine rasche wesentliche Ver- änderung des Erdreliefs in Betracht kämen, in weiterem Umfange nirgends erreicht. Das führt doch leicht wieder zu der Vorstellung, daß das, was wir als Resultat der fraglichen Vorgänge ansehen sollen und was sich uns beispielsweise als großes Senkungs- oder Einbruchsfeld am Rande dieses oder jenes Gebirges darstellt, in der Regel der Summierung einer langen Reihe kleiner Veränderungen sein Entstehen verdankt. Dieser Schluß ist allerdings kein zwingender, auch von Suess selbst nicht ausgesprochen worden, aber umgekehrt liegt für uns, wenn wir die Suess’schen Anschauungen zunächst nur auf Grund seiner seismischen Studien interpretieren, auch noch kein Grund vor, einen prinzipiellen Gegensatz zwischen den Ansichten von Suess und Lyell herauszufinden, welchen Gegensatz man ja von gewisser Seite stets be- tont und den Suess selbst nicht völlig abgeläugnet hat. Diese Idee von der stellenweise noch gegenwärtigen Fortdauer oder doch wenigstens von der langsamen Wirkung der tektonischen Vorgänge, der wir übrigens bei Suess selbst in anderen Schriften noch mehrfach begegnen 3), paßt so ganz in den Rahmen der Lyell’schen !) Vgl. die hierauf bezüglichen Untersuchungen von Lebel und Weixler in den Mitt. des Wiener k. u. k. militärgeogr. Instituts, 15. Bd., 1896, und Franz Eduard Suess über das Erdbeben von Laibach (l. c. pag. 611 u. 612). 2) Vgl. Barrois, Les tremblements de terre de l’Andalusie, m&moires de la societ6 de l’agriceulture et des arts de Lille 1885, fur. XIV. ®) Z. B. Entstehung der Alpen, pag. 55, wo von einer Andauer der Be- wegungen in verschiedenen Gebirgen bis in eine junge Zeit hinein gesprochen wird. Ich erinnere hier auch an die vorher (pag. |40] dieser Darstellung) in anderem b2* 399 Dr. Emil Tietze. [60] Ideenwelt hinein und macht gewisse Hinneigungen zu den Theorien von allgemeinen Katastrophen so entbehrlich, daß es angemessen sein mag, davon gleich bei der jetzigen Gelegenheit Kenntnis zu nehmen. Die Entstehung der Alpen. „Hat unsere Wissenschaft in den Jahren ihrer Kindheit durch die zu kühne Anwendung von weittragenden Hypothesen, die oft nur auf gar bescheidenes Beobachtungsmaterial sich stützen, einen sehr zweideutigen Ruf erlangt und hat sie durch eine weise Beschränkung in ihren Lehrjahren, durch das Voranstellen wirklich exakter Forschung nunmehr doch wieder ein größeres Vertrauen sich zu erwerben ge- wußt, so mag gegenwärtig ein Meister des Fachs wohl schon berech- tigt erscheinen, die zahlreichen allerorts gesammelten Tatsachen durch mehr theoretische Betrachtungen in Zusammenhang zu bringen und den letzten ihnen zugrunde liegenden Ursachen nachzuspüren.“ Mit diesen Worten leitete Franz v. Hauer!) seine Besprechung des Werkes ein, welches, man kann zwar heute nicht mehr ohne Einschränkung sagen, die Fundamente der Suess’schen Ansichten über den Bau der Erdkruste enthält, denn diese Ansichten sind im Laufe der Zeit mancher Verschiebung unterworfen worden, welches jedoch von den Anhängern, bezüglich auch von den teilweisen Gegnern jener Ansichten als der Ausgangspunkt der neueren Bewegnng auf dem Gebiete der tektonischen Geologie betrachtet wird und welches den Titel führt „Die Entstehung der Alpen“. (Wien 1875.) Dieser Titel war, wie F. v. Hauer in dem soeben erwähnten Referat noch sagte, wohl zu eng gefaßt, denn es handelte sich für den Autor nicht bloß um die Alpen und die mit denselben zunächst zusammenhängenden Gebirge, sondern weit mehr um allgemeine Ideen über Gebirgsbildung, wie sie zum Teil im Anschluß an Arbeiten anderer Forscher, besonders der Amerikaner, entwickelt wurden. Andrerseits aber war dieser Titel auch insofern nicht ganz glücklich gewählt, als er bei manchen die Vorstellung erwecken konnte, als ob in dieser Schrift eine geologische Geschichte der Vorgänge in dem von den Alpen eingenommenen Gebiete dargestellt werden sollte und so- Zusammenhange erwähnte Schrift über Wieliczka. Dort wird (l. c. pag. 542) über Faltungen des jüngeren Gebirges gesprochen, „welche nach Ablagerung der Molasse durch einen längeren und andauernden Druck von den Alpen her erzeugt wurden“. Diese Vorstellung braucht allerdings nicht auf die jüngsten geologischen Zeiten bezogen zu werden, entspricht aber doch der Ansicht, daß die tektonischen Veränderungen des Erdreliefs zumeist keine besonders plötz- lichen gewesen sind. Wenn wir uns also bei der Benützung der Arbeiten von Suess daran gewöhnen müssen, daß zuweilen ein gewisser Zwiespalt in den Anschauungen des Meisters besteht, wie sich weiterhin noch deutlicher zeigen wird, so soll doch übrigens gleich hier betont werden, daß ein Autor, der durch so lange Jahre hin- durch die Literatur durch seine Mittellungen bereichert hat, nicht in jedem Zeit- punkt mit sich selbst in Uebereinstimmung sein mußte. !) Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1875, pag. 181. 161] Einige Seiten über Eduard Suess. 398 gar als ob überhaupt erst hier die Grundlagen für die alpine Geologie festgelegt werden sollten. Von seiten des Autors war dies sicher nicht beabsichtigt. Doch wer hat das Schicksal seiner Darlegungen ganz in der Hand, wenn sie einmal der Oeffentlichkeit übergeben sind’? Es hat zu allen Zeiten einen Heroen-Kultus gegeben, durch welchen ein bedeutender Mann gewissermaßen als Träger der Er- rungenschaften einer ganzen Epoche erscheint, die durch seinen Namen zu symbolisieren gesucht wird. So entsteht ein Mythus, der dann die Vorstellungen der Nachgeborenen beherrscht, aber man erweist bis- weilen dem Namen eines solchen Mannes keinen besonderen Dienst, wenn man voreilig und womöglich noch bei Lebzeiten des Betreffenden mit diesem Namen vor der breiteren Oeffentlichkeit solche Errungen- schaften in Verbindung bringt, welche gerade der Betreffende weder für sich in Anspruch zu nehmen berechtigt war, noch tatsächlich in Anspruch genommen hat. Es ist unter diesem Gesichtspunkte für das Verständnis des großen Einflusses, den das eindrucksvolle Auftreten von Eduard Suess ausgeübt hat (und die Hervorhebung dieses Einflusses gehört zu den Pflichten eines Historikers) nicht gleichgültig zu sehen und festzu- halten, wie bei begeisterten Anhängern des Meisters ohne dessen Da- zutun das Verdienst der „Entstehung der Alpen“ bewertet und auf Ge- biete bezogen wurde, die in jener Schrift kaum berührt worden sind. Man darf sich hierbei vielleicht wieder an jene, anläßlich der Vollendung des großen Schlußwerkes von Suess über das Antlitz der Erde verfaßte Besprechung erinnern, welche Prof. Th. Fuchs im Jahre 1909 in der Wiener „Neuen freien Presse“ veröffentlicht hat!) und auf welche in den gegenwärtigen Seiten schon einmal bei einer anderen Gelegenheit ?2) hingewiesen wurde. In den einleitenden Bemerkungen dieser Besprechung wird auf einige Momente des wissenschaftlichen Entwicklungsganges von Suess, auf dessen mit der Zeit bemerkbar gewordenen Gegensatz zu Lyell und schließlich auf die „Entstehung der Alpen“ hingewiesen, als auf ein Werk, welches die Nebel, welche bis dahin „über der Geologie Oesterreichs und Ungarns gelagert“ waren zu zerstreuen vermochte, so daß nunmehr sich „die Grundzüge des geolo- gischen Aufbaus der Alpen und Karpathen zu enthüllen begannen.“ Was durch diese Auffassung und die daran von Fuchs ge- knüpften, sogleich zu erwähnenden Bemerkungen aber vollkommen verhüllt wird oder wurde, daß sind die Ergebnisse der Arbeiten der geologischen Reichsanstalt, welche zur Zeit als jene Schrift erschien, schon durch ein Vierteljahrhundert hindurch an der Feststellung jener Grundzüge erfolgreich gearbeitet hatte. Zwar erwähnte Fuchs diese Arbeiten ganz im allgemeinen und gab zu (was übrigens Suess selbst wiederholt anerkannt hat), daß dieselben „eine reiche Fülle geologischer Erfahrungen“ geboten hätten, aber er meinte, daß letztere dem vonSuess verfolgten Zwecke nicht genügen konnten, „da diese Untersuchungen von ganz anderem Gesichtspunkte ausgingen und andere Ziele ver- folgten“. Zu diesem von Suess damals verfolgten Zweck rechnet aber !) Nummer vom 4. November 1909. » 2) Vgl. pag. [20] dieser Darstellung. 394 Dr. Emil Tietze. [62] Fuchs die Einreihung der alpinen Sedimente in die normale Schiehtenreihe der außeralpinen Formationen! Suess habe da erst in zehnjähriger Arbeit die Schwierigkeiten beseitigen müssen, welche sich dem Vergleich der alpinen mit den außeralpinen Faunen und Floren in den Weg stellten, wozu noch das ganz fremdartige Gepräge der „gewaltigen Kalk- und Dolomitgebirge“, und nicht minder der Gosaubildungen der Alpen gekommen sei, was den Vergleich mit den anderwärts bekannten Bildungen noch mehr erschwert habe. Dazu sei noch die Sandsteinzone des Flysch mit ihren Rätseln zu berücksich- tigen gewesen. Mit anderen Worten, es sieht nach dieser Darstellung so aus, als ob die ganze Stratigraphie der alpinen Bildungen erst von Suess hätte geschaffen werden müssen, ehe er an seine tektonischen Spekulationen schreiten konnte. Es sieht so aus, als ob die Geologen der Reichs- anstalt selbst bezüglich der Formationslehre jahrelang -höchstens Bau- steine zusammengetragen hätten, die erst später von einem großen Baumeister zu der Errichtung eines grandiosen Gebäudes benutzt wurden, etwa im Sinne des Schiller’schen Spruches „Wenn die Könige bauen, haben die Kärrner zu tun‘. In Wahrheit waren die schwierigsten der stratigraphischen Pro- bleme der Alpen, schon lange vor dem Erscheinen der Entstehung der Alpen durch Franz v. Hauer und seine Mitarbeiter von der Reichs- anstalt gelöst, und schon im Jahre 1571 erschien das letzte Blatt der großen Hauer’schen geologischen Uebersichtskarte der Oesterreichisch Ungarischen Monarchie, deren Entwurf sogar bereits 1864 in einer Sitzung der Reichsanstalt vorgelegt werden konnte, während der Druck der dazu gehörigen Erläuterungen 1873 abgeschlossen wurde, ohne welche grundlegende Arbeit es überhaupt niemandem möglich gewesen wäre, den österreichischen Alpen oder den mit ihnen verbundenen Gebirgs- ketten mit so ausgreifenden tektonischen Theorien näher zu treten, wie sie bei Suess gefunden werden. Inwieweit Suess sich an den Arbeiten beteiligt hat, die zur Begründung der Formationskunde für die alpinen Gebiete Oesterreichs führten, konnte in diesen Seiten weiter oben !) nicht ohne Anerkennung des betreffenden Verdienstes dargelegt werden. Daß aber beispiels- weise nicht er es war, dem man verdankt, daß die Ablagerungen von St. Cassian, die man, wie Fuchs ganz richtig anführt, früher für paläozoisch, jurassisch und selbst für kretazisch gehalten hatte, zur Trias gestellt werden konnten oder daß man die Gosauschichten nicht mehr für tertiär hielt, das ist für jeden klar, der sich die Mühe nimmt, in die geologische Literatur der fünfziger und sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts einen Blick zu werfen?). Ebenso wird man finden, das Suess über den Flysch von dem Fuchs spricht, über- ‘) Vgl. den Abschnitt betreffend die von Suess im Interesse der Forma- tionslehre ausgeführten Arbeiten. i °) Ich glaube in meinem Nachruf an Franz v. Hauer (Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1899, pag. 679—827 und speziell pag. 715—792) unter Anführung der be- treffenden Belege, genügend dargetan zu haben, wem das Hauptverdienst an e 8 der alpino-karpathischen Stratigraphie und Formationslehre zu- ommt, [63] Einige Seiten über Eduard Suess. 395 haupt keine besonderen Studien gemacht hat. Man sollte meinen, der große Meister habe trotz der Bedenken, die gegen einige seiner Ansichten bestehen, so viel eigene Verdienste, daß man nicht nötig hatte, die letzteren durch einen Zuwachs von fremdem Gute zu ver- mehren !). In einem Punkte aber hatte Fuchs bei seiner Darlegung recht. Die vielgerühmte Schrift über die Entstehung der Alpen zeigt deutlich, daß Suess sich von dem Einflusse der Methode Lyells bereits gründ- lich frei gemacht hatte. Den Geiste dieser Methode hätte es entsprochen (und das hätte vielleicht mancher auch nach dem Titel des Werkes erwartet), daß der Autor versucht hätte, ein Bild von der allmählichen Ent- wicklung des alpinen Gebietes zu geben, die verschiedenen Phasen dieser Entwicklung zu beleuchten, mit einem Worte den erdgeschicht- lichen Prozeß zu verfolgen, der schließlich zu der Entstehung des bewußten Gebirges geführt hat, das sich ja kaum mit einem Schlage erhoben hatte, wenn auch der letzte Akt dieser Erhebung sich erst innerhalb der jüngeren geologischen Zeitalter abspielte.e Man konnte z. B. eine Diskussion der im Verlauf der Epochen abwechselnden paläogeographischen Beziehungen erwarten, wie sie sich aus dem Gesteinscharakter und den organischen Resten der mannigfaltigen Bil- !) Man hört bisweilen auch die Meinung, es sei eigentlich für Hauer und die Begründer der alpinen Stratigraphie Oesterreichs ziemlich leicht gewesen, ihre großen Erfolge zu erzielen. Sie hätten eben ein nahezu freies und so gut wie unkultiviertes Arbeitsfeld vor sich gehabt, bei dessen Inangriffnahme ihnen zahlreiche Früchte gleichsam von selbst hätten in den Schoß fallen müssen. Die Schwierigkeit des Eingehens auf eine umfassende Literatur, wie sie heute vor- liegt, sei ihnen überdies erspart geblieben. Daß ein jungfräulicher Boden mehr Früchte tragen kann, als ein solcher, der durch lange Kultur (ohne entsprechende Nachhilfe) gleichsam ausgesogen ist, mag ohne weiteres zugestanden werden, daß jedoch das Urbarmachen dieses Bodens leichter ist als seine spätere Bebauung, wird doch wohl nicht von jeder- mann angenommen werden. In dem gegebenen Falle bleibt es zudem recht fraglich, ob jedem beliebigen Arbeiter die Urbarmachung des genannten Arbeitsfeldes in so überraschender Weise geglückt wäre wie unseren alten Geologen der Ha uer’schen Schule. Wer sich an der Hand der älteren, heute allerdings infolge der oben berührten Mühsal des Literaturstudiums etwas vernachlässigten alpinen Literatur überzeugt hat, in wie kurzer Zeit die alpine Formationslehre auf eine feste Basis gestellt “wurde, deren erste Grundsteine Hauer sogar schon vor dem Beginn der Arbeiten unserer Reichsanstalt im Laufe weniger Jahre gelegt hat, und wer dabei im Auge behält, auf welche Irrwege die allerdings nicht zahlreichen Vorgänger unserer älteren Reichsgeologen teilweise gelangt waren oder wie rat- los sie vielfach den betreffenden Problemen gegenüberstanden, wird denn doch das geistige Verdienst der Männer, die sich diesen Problemen gewachsen zeigten, nicht allzu gering einschätzen. In keinem Fallle ist es Jer modernen tektonischen Geologie trotz eines großen Aufwandes von Geist und Wissen gelungen, mit den Aufgaben, die sie in den Alpen fand, schneller und dabei ebenso zufriedenstellend fertig zu werden als dies den Begründern der alpinen Formationslehre mit den ihrigen gelang. Diese Erkenntnis, welche, soweit sie nicht schon ohnehin für viele zum Durch- bruch gelangt sein sollte, in den gegenwärtigen Seiten eine Ergänzung finden dürfte, sollte wohl dazu beitragen, zu beweisen, daß es auch in der Geologie nicht überall leichter ist, einen Pfad zu finden, als auf einem schon gefundenen zu wandeln. Wer ein anderes Gleichnis vorzjeht, kann hier auch an das Ei des Colum- bus denken, das nicht jeder auf die Spitze stellen konnte, der es versuchte. 396 Dr. Emil Tietze, [64] dungen oder aus Diskordanzen der Lagerung ergaben. Man kannte Bildungen der tieferen und der flacheren See. Richthofen hatte bereits seine später von anderen weiter verfolgten Ansichten über alpine Korallenriffe ausgesprochen. Man hatte den Nachweis des Vor- kommens von Kohlen und Landfloren in sehr verschiedenen Forma- tionsabteilungen geführt. Konglomerate, die ebenfalls nicht auf eine Bildungsepoche beschränkt waren, deuteten ebenso wie jene Land- tloren das Auftreten festländischer Massen zu gewissen Zeiten an, während die Salzlager (triadisch in den Alpen, tertiär in den Kar- pathen) die zeitweise und stellenweise Anwesenheit von nur partiell mit dem offenen Meere verbundenen, küstennahen Buchten verrieten. Die räumliche Verbreitung der verschiedenen Bildungen sowohl im horizontalen als namentlich bei den jüngeren Ablagerungen auch im vertikalen (d. h. deren Höhenlage betreffenden) Sinne konnte ebenfalls zn Schlußfolgerungen benutzt werden, wie nicht minder die faziellen Verschiedenheiten gleichaltriger Faunen. Auch Untersuchungen über das geologische Alter gewisser Täler hätten Anhaltspunkte für die Beurteilung der Vorgänge liefern können, die für die Entstehungs- geschichte des Gebirges in Betracht kommen. Von alledem ist jedoch in der „Entstehung der Alpen“ gar nicht oder doch nicht in dem Zusammenhang einer historischen Darstellung die Rede. Das Gebirge wird, was ja an sich, wenn man nur an das Endresultat der betreffenden Gebirgsbildung denkt, eine gewisse Berechtigung hat, als ein in jüngster Zeit emporgestiegenes betrachtet, ohne daß aber die verschiedenen Phasen der Bewegungen, welche diesem Endresultat seit langer Zeit vorausgingen, in den Kreis der Betrachtung gezogen wurden. Im Hinblick auf die nicht ganz geringe Mannigfaltigkeit von Umständen, welche so eben als für diesen Fall berücksichtigenswert angedeutet wurden, ist die Bezugnahme auf die geologischen Freig- nisse, welche sich in den vortertiären Zeiten im Raume unseres mittel- europäischen Hochgebirges abgespielt haben müssen, in der „Ent- stehung der Alpen“ jedenfalls eine sehr dürftige. Am Beginn des sechsten Abschnitts des Buches redet Suess über die Senkungsgebiete, welche Dana, wie dort hervorgehoben wird, in einer gewissen Uebereinstimmung mit Anschauungen von Herrschel, James Hall und Le Conte besprochen und als Geosynklinalen bezeichnet hat. Man weiß ja, wie im Sinne dieser Anschauungen solche Geosynklinalen für die Entstehung von Gebirgen zur Voraussetzung gehören sollen. Suess gesteht nun, es sei ihm nicht klar, wie durch Senkung und Erweichung einer ausgedehnten Fläche des Meeresbodens Gebirge entstehen können, „welche auch nur einige Aehnlichkeit mit unseren großen, an ihrer Außenseite regelmäßig gestalteten und nach außen überschobenen Ketten hätten.“ Nichts- destoweniger spreche die Art der Entwicklung der mesozoischen Sedi- mente der Alpen in vielen Fällen für die Annahme Herrschels. Unser Autor spricht dann (l. e. pag. 98) von der größeren Vollstän- digkeit der sedimentären Serie in den Alpen gegenüber der „Lücken- haftigkeit“ der Absätze in den dem Gebirge vorgelagerten Regionen und hält es für festgestellt, daß „in den nördlichen Ostalpen die [65] Einige Seiten über Eduard Suess. 397 minder pelagischen Zonen der rhätischen Stufe zu unterst liegen und daß über denselben die Ablagerungen immer tieferen Meeres folgen, so daß „hier ein tatsächlicher Beweis von lange andauernder Senkung innerhalb des Gebiets der heutigen Ostalpen vorliegt.“ Er macht dann eine kurze Bemerkung darüber, daß man in den Kalk- alpen manchmal eine Zunahme der pelagischen Merkmale gegen Süd "wahrnehmen könne und redet von der geringen Vertretung von Schichten mit eingeschwemmten Süßwasserconchylien an der Grenze von Jura und Kreide. Darauf aber, d.h. auf diese wenigen Seiten am Beginn des genannten Kapitels, beschränkt sich so ziemlich das, was er über die geologische Vorgeschichte der Vorgänge sagt, die zur Auftürmung des heutigen Alpengebirges führten. Es soll zwar nicht übersehen werden, daß Suess trotz einer gewissen Hinneigung zur Annahme großer Gewaltakte bei der geolo- gischen Entwicklung sich die Entstehung der Alpen nicht vollständig als mit einem Schlage geschehen vorstellte, da er ja die betreffende Gebirgsbildung noch nicht für abgeschlossen hielt!). Immerhin nahm er, wie zunächst zur Verständigung über den bloßen Tatbestand aufs Neue betont werden muß, auf die älteren tektonischen Vorgänge, die im Raume der Alpen stattgefunden haben, in dem hier besprochenen Buche kaum Rücksicht. | Um einen Vergleich mit der eigentlichen Geschichte heranzu- ziehen, war es so, als ob jemand die Geschichte eines Landes erst seit einem der letzten umwälzenden Ereignisse datieren, und zum Beispiel die Geschichte Frankreichs mit der großen französischen Revolution beginnen, die Zeiten der früheren Bourbonen aber kaum berücksichtigen und ebenso von den Karolingern und Merowingern oder gar von der Zeit des Vercingetorix nichts weiter sagen würde. Insoferne jedoch als eine eingehende erdgeschichtliche Dar- stellung in dem oben angedeuteten Sinne gar nicht in der Absicht von Suess gelegen gewesen ist, kann diesem aus jener Unterlassung sachlich absolut kein Vorwurf gemacht werden, wohl aber scheint es wünschenswert, einmal auf das hinzuweisen, was in seinem Buche eben nicht zu finden war und was trotzdem manchen Zeitgenossen, wenigstens vom formellen Standpunkte aus, nicht als eine Inkongruenz zwischen Inhalt und Titel des Werkes aufgefallen ist, daß heißt, sofern diese Zeitgenossen nicht ebenfalls auf einem den Grundvor- stellungen Lyells so entgegengesetzten Standpunkte sich befanden, wie er beispielsweise von Fuchs, und wie wir sehen werden auch von anderen dem Meister wohl nicht ganz ohne Grund zugeschrieben wurde, oder sofern diese Zeitgenossen in der Begeisterung für die ihnen durch das Werk gebotenen Anregungen eine Inkongruenz in diesem Fall von vornherein für ausgeschlossen hielten. Keinesfalls sollte man übersehen, was Suess selbst von der Tendenz seines in Rede stehenden Buches sagt, wenn er dort (pag. 11) betont, es handle sich darin „um Ermittlung der ersten Ursachen der Entstehung der Gebirge.“ Von einer Absicht, die geologische Geschichte !) Vgl. hier das vorhin bei der Besprechung der Ansichten unsres Autors über Erdbeben Gesagte. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E, Tietze.) 53 398 Dr. Emil Tietze. [66] speziell der Alpen nach ihren Entwicklungsphasen zu behandeln, sagt er nichts und auch später in seinen „Erinnerungen“, wo. er (pag. 267) eine kurze Skizze der damals von ihm behandelten Fragen gibt, stellt er eine derartige erdgeschichtliche Darstellung nicht als beab- sichtigt gewesen hin. Die Hauptsache bei der in Rede stehenden Schrift ist in der Tat der Entwurf einer die Bildung der Kettengebirge betreffenden Theorie und zwar der Theorie vom einseitigen tangentialen Schub, der einerseits mit der Aufstauung der bewegten Gebirgsmassen gegen stabilere alte Festlandsmassen an der sogenannten Außenseite des neu zu bildenden Gebirges verbunden gedacht wird und welchem andrer- seits oft auf der sogenannten Innenseite dieses Gebirges ein Absinken großer Teile desselben in die Tiefe entsprechen soll. Dabei wird spe- ziell mit solchen Senkungsfeldern das Auftreten vulkanischer Erup- tionen in Verbindung gebracht. So erklärt sich nach Suess (und das ist für die späteren Be- trachtungen festzuhalten), der einseitige Bau, den er den meisten Gebirgen zuschreibt, wie er beispielsweise bei den Karpathen ganz augenscheinlich ist, wo ihn schon Franz v. Hauer erkannt hatte, ohne allerdings mit dieser Erkenntnis den Begriff einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit zu verbinden, und wie ihn auch schon Ferdinand v. Hochstetter für den Balkan sowie für den Ural festzustellen versucht hatte. Was das Auftreten von Eruptivbildungen auf der Innenseite der Ketten betrifft, so schienen die Verhältnisse der italienischen Halbinsel, der Karpathen !) und auch die des nördlichen Böhmen, wo sich auf der Abbruchseite des Erzgebirges die bekannten Basalt- und Phonolitberge, sowie eine Region von Thermalquellen befinden 2), die vorgebrachte Anschauung besonders zu unterstützen. Die nach außen konvexen Bogenformen aber, welche so viele Gebirge (und Inselreihen) auf den Landkarten aufweisen, galten dem Autor jeden- falls als ein Wahrzeichen jenes einseitigen Schubes, der auf diese Weise gegen die Bogenmitte kräftiger gewirkt haben mußte als gegen die Bogenenden, was allerdings nicht näher begründet wurde, und worauf bei einer späteren Gelegenheit zurückzukommen ist. Die Veröffentlichung der „Entstehung der Alpen“ wirkte in- sofern revolutionär, als man gerade die Alpen (wie Hauer in dem oben zitierten Referat sich ausdrückt) als das Muster eines zweiseitig gebauten Gebirges betrachtet hatte und als Suess selbst früher, z. B. in der Einleitung zu seinem „Boden von Wien“ der symmetrischen Anordnung der verschiedenen Formationszonen der Alpen Rechnung getragen hatte. Im Sinne der Veröffentlichung von 1875 aber wäre diese Sym- metrie nur eine scheinbare, hervorgerufen durch das Herantreten anderer Ketten an die eigentlichen Alpen, von denen überdies Apen- ninen, dinarisches Gebirge sowie. die ungarischen und kroatischen !) Vgl. z. B. pag. 147 des besprochenen Buches. ’) Betreffs des Krzgebirges siehe pag. 74 des Buches. [67] Einige Seiten über Eduard Suess. 399 Mittelgebirge als dazu gehörige, gleichsam einen Fächer bildende Aus- strahlungen betrachtet wurden. Das Bild dieses nach Osten und Südosten geöffneten Fächers wie es auf den Karten «erkennbar wird, wurde allerdings damals mit den anderen Teilen der Theorie nicht organisch verbunden. Wie sich dieser Fächer zu der Senkung im Süden der Alpen verhält, wie die durch Ungarn ziehenden, bezüglich aus dem ungarischen Flachlande auf- tauchenden Ketten durch die Stauung im Norden der Alpen beein- flußt und dabei aus der großen Senkung ohne ein ihnen direkt vor- liegendes und jenen stauenden Massiven entsprechendes Widerlager emporgepreßt wurden und insbesondere wie wieder die weiter west- lich von Süden her. an die Zentralalpen angepreßten Gebirgsmassen das der Theorie gemäß dort zwischen ihnen und den Zentralalpen befindlich gewesene Senkungsfeld überwältigt haben, das alles wurde damals nicht näher ausgeführt. Ebensowenig wurde auf den schein- baren Widerspruch eingegangen, der zwischen dem Bilde des aus- strahlenden Fächers und der Vorstellung von der Anpressung der Süd- alpen an die Zentralalpen besteht. Die erst später zu großer Ausbildung gelangte Lehre von ge- waltigen Ueberschiebungen hat manche sich an diese Undeutlichkeiten knüpfenden Bedenken für viele wohl als unbedeutend erscheinen lassen, während sich auch die Stellung des dinarischen Gebirgszuges und dessen Bedeutung für den erwähnten Fächer verschob. Gewisse Bedenken aber, welche die Anhänger der alten Lehre von dem sym- metrischen Bau der Alpen gegenüber der neuen Auffassung mit dem beiderseits gebirgswärts gerichteten Einfalles jüngerer Bildungen zu begründen suchten, wurden nicht angenommen, und das betreffende Verhältnis wurde dann überdies durch die sogenannte Rückfaltung er- klärt. Doch darüber kann später noch gesprochen werden. Hier handelt es sich nur um den Inhalt der ursprünglichen Hypothese. Eine bestimmte Gesetzmäßigkeit für die Richtung des ein- seitigen Schubes wurde von Suess nicht behauptet. Für die euro- päischen Gebirge wurde ebenso wie für die nordamerikanischen eine vorherrschend nördliche Richtung des horizontalen Schubes angenommen, während in Zentral-Asien eine vorherrschend südliche Richtung dieses Schubes als geltend gedacht wurde. Daneben mußte natürlich die Existenz meridionaler Gebirge wie des Urals als Besonderheit aner- kannt werden. Ein wichtiger Umstand für .die Beurteilung der von Suess über Gebirgsbildung in der besprochenen Schrift entwickelten Ansichten ist jedenfalls (vgl. z. B. pag. 64), daß die unmittelbare Hebung der Ketten, wie sie älteren Ansichten zufolge statthatte, geläugnet wurde, daB die Aufrichtung dieser Ketten dagegen als eine nur mittel- bar erfolgte hingestellt wurde, wie sie durch den Widerstand der weniger beweglichen Teile der Erdrinde bei der Kontraktion der letzteren bedingt erschien. Die hierbei wirkende Kraft durfte als eine ungefähr in einer horizontalen Richtung zur Geltung gelangte gedacht werden. Das Vorhandensein von deutlichen Horizontalverschiebungen, worauf Suess ausdrücklich hinwies, spricht nach ihm besonders für die Annahme von derartigen Druckwirkungen. Weshalb jene Kraft aber 53* A400 Dr. Emil Tietze. [68] überall einseitig wirksam gewesen sein mußte, wurde kaum näher begründet. Es ist warscheinlich, daß die Betrachtung der oben schon erwähnten Bogenformen gewisser Ketten in Verbindung mit der Berücksichtigung des tatsächlich einseitigen Baues einiger Gebirge zu der Vorstellung des einseitigen Horizontalschubes geführt hat, worüber ebenfalls später noch zu sprechen sein wird, Inwieweit aber der einseitige Bau gewisser Gebirge stets oder ausschließlich durch Absinken einer Hälfte derselben bedingt wurde oder wenigstens teilweise schon in einer ursprünglich mehr oder weniger einseitigen Verbreitung gewisser Gebilde (wie z. B. des Flysch in den Alpen und besonders in den Karpathen) begründet sein konnte, wurde nicht näher erörtert. Freilich war auch eine derartige Erörterung nicht naheliegend für jemand, der die mehr allmähliche und deshalb vor dem Absatz gewisser jüngerer Bildungen bereits begonnene Aufrichtung der Kettengebirge wenig in Betracht zog, durch welche diesen jüngeren, später von der Faltung mitergriffenen Bildungen von vornherein eine Schranke der Verbreitung gesetzt werden konnte. Mit der Hypothese vom einseitigen Schub hing übrigens auch für Suess die Vorstellung zusammen, daß die Gebirgsketten keine zentrale Hebungsachse besitzen, von welcher im Sinne älterer Annahmen ein Druck nach den beiden Außenseiten der Ketten ausgegangen wäre. Daß aber aus der Abläugnung soleber Hebungsachsen nicht notwendig die Annahme der Einseitigkeit der gebirgsbildenden Bewegungen folgt, wurde allerdings auch nicht weiter berücksichtigt. Dem Widerstand, den Suess der Hebungstheorie entgegensetzte, entsprach auch, daß er den Vulkanen eine besondere hebende Kraft nicht zuerkannte, wobei er vielfache Zustimmung fand, wie ich denn auch meinerseits in meiner Schrift über den Demavend mich dieser Auffassung ohne weiteres anschloß, welche letztere allerdings in neuerer Zeit wieder mancher Einschränkung unterworfen zu werden scheint. Ein wesentlicher Punkt in den Ausführungen unseres großen Autors ist auch, daß er unzweideutig Stellung nahm gegen die An- nahme sogenannter sekularer Hebungen, und überdies ist hervorzu- heben, daß Suess hier zuerst seine Ideen über Transgressionen und insbesondere über die Transgression der oberen Kreide entwickelte, welche für die spätere Literatur auf dem einschlägigen Gebiete so einflußreich geworden sind. Man braucht sich nur daran zu. erinnern, daß diese Lehre von den Transgressionen im inneren Zusammenhang steht mit den Ansichten unseres Autors über sekulare Veränderungen des Meeresspiegels. Auf diesen Punkt muß ebenfalls wie auf andere der soeben erwähnten Anschauungen im Verlaufe der weiteren Dar- stellung noch zurückgegriffen werden, da die betreffenden Erörte- rungen nicht gut außer Zusammenhang gebracht werden können mit den Ausführungen über das „Antlitz der Erde‘. Noch wären bei der gegenwärtigen Besprechung verschiedene Einzelheiten zu erwähnen, welche zwar mit den Hauptgedanken des hier in Rede stehenden Buches verglichen, von mehr nebensächlicher Bedeutung, aber doch nicht ganz unwichtig sind. Ich beschränke mich 169] Einige Seiten über Eduard Suess. 401 hier auf einiges, was namentlich für die österreichische Geologie von Interesse ist und worauf später zurückzukommen sich wenig Gelegen- heit bietet. Ich denke dabei vor Allem an das, was Suess im vierten Abschnitt der „Entstehung der Alpen“ über das Verhältnis der böh- mischen Masse zu der von ihm so genannten sudetischen Scholle gesagt hat. Er wies dort darauf hin, daß, während einerseits der stauende Einfluß der den Alpen vorliegenden alten Massen sich be- sonders gegenüber der böhmischen Masse durch eine Ablenkung des allgemeinen Streichens der Alpen und sogar durch eine Ablenkung des Verlaufs der Bruchlinien im Innern des Gebirges bemerkbar mache, andrerseits auch jene vorliegenden älteren Massen selbst von den Vor- gängen bei der Entstehung des Alpensystems nicht unberührt geblieben seien. Um dies zu erläutern, besprach er oder besser gesagt, kon- struierte er!) den Unterschied zwischen den eben genannten beiden Teilen des alpinkarpathischen Vorlandes, welche durch eine eigentüm- liche von Senftenberg in Böhmen bis Krems an der Donau verlaufende Fuge von einander getrennt erscheinen. Diese Fuge, auf welche Suess im „Antlitz“ noch einige Male zurückkam (z. B. Band I, pag. 213), ist kurz gesagt das, was ich später unter mehrfacher Zustimmung der Fachgenossen die Boskowitzer Furche genannt habe?). Es ist eine Grabensenkung, deren Bildung wie ich nachwies, schon in paläozoischer Zeit begonnen und sich dann besonders nach dem Absatz der jüngeren Kreide fortgesetzt hat. Ich habe in meiner auf diese Dinge bezüglichen Auseinander- setzung den Scharfsinn von Suess bewundert, der auf Grund von seinerzeit noch relativ spärlichen Anhaltspunkten die tektonische Bedeutung dieser übrigens durch das geologische Kartenbild einiger- maßen angedeuteten und zuerst von Fötterle hervorgehobenen Fr- scheinung in verschiedenen wesentlichen Zügen erkannt hat. Aber andrerseits konnte ich mich mit einigen der besonderen Gedanken, welche Suess an die Existenz dieser Furche geknüpft hat. nicht recht befreunden. Der Autor nennt (l. ce. pag. 71) diese Fuge oder Furche eine alte und scheint die erste Anlage dieses durch Brüche und Flex uren sekennzeichneten Gebietsstreifens etwa in die Zeit unmittelbar nach dem Perm zu versetzen ?). Er weist derselben Fuge die Rolle zu, die Grenze zu bilden zwischen dem, was er die böhmische Masse und dem, was er die sudetische Scholle nennt. Diese beiden Massen sollen (l. c. pag. 68) „voneinander ganz verschieden“ sein, eine Behauptung, die auch später im „Antlitz der Erde“ wiederholt wurde. Die böhmische Masse bestehe vorwiegend aus altkrystallinen Gesteinen, die sudetische Scholle aus Krystallinen, vielleicht auch silurischen Gesteinen, sowie !) Vgl. pag. 68—71 der „Entstehung der Alpen“. ER ?) Vgl. meine Abhandlung über die Gegend von Laandskron und Gewitsch im Jahrb. d. k: k. geol. R.-A. 1901. Die Boskowitzer Furche ist dort an ver- schiedenen Stellen beschrieben. Vgl. aber besonders die Zusammenfassung auf den Seiten 707—721, bezüglich [391]—[405] des Separatabdruckes. 3) Ich glaube allerdings diese Zeit noch weiter zurück versetzen zu dürfen. Das tut indessen bei der gegenwärtigen Betrachtung nichts zur Sache. 402 Dr, Emil Tietze. [70] aus einer mächtigen Reihe von Devon- und Kulm-Schichten, auf denen bei Ostrau die Kohlenformation liege, und alle diese Schichten würden, wie Suess meint, „einen mächtigen konkordanten Komplex“ bilden. Während nun „die böhmische Scholle ein Hindernis für die Ent- wieklung der Alpen geblieben“ sei, sei die sudetische Scholle, von den Karpathen überwältigt, in die Tiefe gedrückt, „und von ihrer alten Fuge längs der böhmischen Scholle abgelöst worden“ (1. c. pag. 71). Der alte Bruch zwischen beiden Schollen, längs welchem der bekannte Syenit- granit von Brünn als eine Art von Kitt aufgestiegen sei, sei auf diese Weise vergrößert worden und darin liege der Effekt der Vor- gänge bei der Entstehung des Alpensystems für das dem betreffenden Teil der Alpen und Karpathen gegenüber stehende Vorland. Wenn es erlaubt ist, ein volkstümliches Gleichnis zu wählen, so würde der Vorgang beim Niederdrücken und dem dadurch bewirkten Abtrennen der sudetischen Scholle am besten mit dem Abtreten eines langen Gewandes durch den Hintermann des Trägers oder der Trägerin dieses Gewandes vergleichbar sein, wobei der entstehende Riß längs einer vielleicht schlecht vernähten Naht erfolgte. Man braucht gegen diese Idee, welche dem Gewicht der kar- pathischen Massen die Schuld an der Erneuerung des Risses zuschiebt, vielleicht keine Einwendung zu erheben, abgesehen höchstens davon, daß die Entfernung vom Karpathenrande bis zur Boskowitzer Furche denn doch eine etwas große und daß der betreffende Vorgang physi- kalisch überhaupt nicht völlig klar ist !). Aber wenn wir auch eine solche physikalische Erörterung des hier gestellten Problems beiseite lassen, kommen wir schwer über die logische Seite der Frage hinweg, was ein Riß, eine Fuge oder eine Furche, wie immer wir es nennen wollen, mit der angeblichen Verschiedenheit zweier Massen zu tun hat, die doch vor der Entstehung des Risses zusammengehörten. Man kann doch diesem letzteren Vorgange keine rückwirkende Kraft zuschreiben. Die Trennung zweier Absatzgebiete von verschiedener Beschaffenheit durch eine zuvor existierende Erhebung kann man sich jedenfalls leichter vorstellen als die Differenzierung von Gebieten, durch einen Vorgang, der erst nachträglich, das heißt nach der Bildung der betreftenden Absätze eintrat. Dazu kommt, daß die bewußte Fuge oder Furche in der Wirklichkeit, wie meine späteren Untersuchungen ?) zeigten, gar keine so scharfe Scheidezone zwischen den Gebilden der beiden Schollen darstellt, als es Suess ursprünglich glaubte. Die älteren krystallini- schen oder halbkrystallinischen Gesteine treten vielfach auf beiden Seiten der Fuge in gleicher Ausbildung auf, und wenn auch Suess insofern zweifellos recht behält, als Kulm uud Devon ihrer Haupt- verbreitung nach der sudetischen Scholle angehören, so ist doch dieses Verhältnis kein ganz exklusives. Auf der Seite der sogenannten !) Die Alpen, die doch zum Teil (vgl. später) auch auf einem Stück der böhmischen Masse sitzen, scheinen auffallenderweise auf ihr nördliches Vorland keine ähnliche Wirkung ausgeübt zu haben. °) Es kann hier meine Arbeit über die geogn. Verhältnisse der Gegend von Landskron und Gerwitsch verglichen werden. [71] Einige Seiten über Eduard Suess. 403 böhmischen Masse sind diese Bildungen allerdings großenteils durch Denudation !) zerstört, aber es zeigt sich, daß sie dort nicht überall gefehlt haben. Einspruch muß ferner erhoben werden gegen die Vorstellung von der Konkordanz des Devons und Karbons im Bereich der sudeti- schen Scholle. Daß speziell der Kulm sich dem Devon gegenüber diskordant verhält, glaube ich in meiner Beschreibung der Gegend von Olmütz ?) genugsam nachgewiesen und in einigen späteren Arbeiten noch mehr erhärtet zu haben ?). Auch bin ich von der Konkordanz des Kulm und des produktiven Karbons nicht überzeugt und halte die Gründe, die ich in meiner Abhandlung) über die Gegend von Ostrau dagegen angeführt habe, bis jetzt noch nicht für widerlegt. Diese Konkordanz ist allerdings vielfach behauptet worden. Ich habe in jener „zur Geologie der Gegend von Ostrau“ betitelten Arbeit die älteren, darauf bezüglichen und teilweise weit zurückreichenden Aussagen zusammmengestellt und auch erwähnt, daß Suess später im ersten Teil des Antlitz der Erde (vgl. dort pag. 248) dieselbe Meinung wiederholt hat. Ich weiß auch, daß in neuerer Zeit von tüchtigen Fachmännern speziell für die Ostrauer Gegend die betreffende An- nahme abermals verteidigt worden ist. Nichtsdestoweniger scheint mir, daß meine vornehmlich in der eben erwähnten Arbeit dagegen vor- gebrachten Bedenken bis jetzt nicht genügend berücksichtigt worden sind. Insbesondere ist auch der von mir (l. ce. pag. 63 in der An- merkung) erwähnte Umstand unbeachtet geblieben, daß die bei Ostrau an das Kohlengebirge grenzende Kulmgrauwacke mehrfach in Falten gelegt ist und daß unter der Voraussetzung einer wirklichen Konkordanz das produktive Karbon zwischen den Faltenwurf der Grauwacke mehr- fach hätte müssen eingepreßt werden, wodurch bei späteren Abrasions- vorgängen ein Teil der eingeklemmten Massen vor der Zerstörung wohl bewahrt geblieben wäre’). !) Um zu verstehen, wie ausgiebig die Denudationsvorgänge ın allen diesen Gebieten gewesen sind, braucht man sich nur an die Verbreitungserscheinungen des nur mehr in spärlichen Resten vorhandenen Jura in Böhmen und Mähren zu ° erinnern, worauf ich (Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1901, pag. 691) hingewiesen habe unter Betonung des Umstandes, daß Tausch einen einstigen Zusammen- hang des böhmisch-mährischen Jura mit dem sächsischen für wahrscheinlich hielt. ?®) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1893, pag. 399—566, speziell pag. 556 ete. 3) Erläuterungen zum Blatte Freudenthal, Wien 1898, pag. 22 und geogn. Verhältnisse der Gegend von Landskron und Gewitsch, Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1901, pag. 690. Auch für das benachbarte sudetische Niederschlesien, wo ich früher (1870) auf Grund lokaler Beobachtungen Oberdevon und Kulm für konkordant gelagert bielt, hat später Dathe (Jahrb. d. königl. preuß. geol. Landesanstalt für 1900) die betreffende Diskordanz außer Zweifel gestellt. *#) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1893, pag. 29—80, speziell pag. 39-47. 5) Suess hat (Antlitz 1. c.) die Ansicht geäußert, daß das produktive Kohlengebirge einst über den Verbreitungsbezirk der Grauwacke hinüberreichte und später von dort weggewaschen wurde. Eine derartige ausgedehnte Abwaschung wäre aber für eingefaltete Bildungen doch kaum so radikal gewesen, wie bei den Jurabildungen Böhmens und Mährens, wie ich hier nebenbei bemerke, um dem Vorwurf zu begegnen, daß meine Argumentation hier eine sich widersprechende ist. Uebrigens sind ja sogar vom Jura tatsächlich in dem einst von ihm bedeckten Gebiet noch Reste übriggeblieben, vom :produktiven Karbon in dem angeblich einst von ihm eingenommenen Raum aber nichts. 404 Dr. Emil Tietze. [72] Auch wäre zu berücksichtigen, daß in jenen mährischen Gegenden, wo die Kulmgrauwacke an das Rotliegende grenzt, wie in der Um- gebung der Boskowitzer Furche von einer Zwischenschiebung des produktiven Karbons zwischen Kulm und Perm nichts zu sehen ist. Ich habe auf dieses „Fehlen des produktiven Karbons“ daselbst besonders aufmerksam gemacht und dabei bemerkt, daß nicht einmal die relativ junge Kohlenbildung von Rossitz sich dort unter dem eigentlichen Rotliegenden allseitig verbreitet findet !). Ferner darf man nicht abläugnen wollen, daß das durch jene Grauwacke vertretene Unterkarbon dem produktiven Oberkarbon gegenüber sich auch anderwärts nicht überall konkordant verhält, wofür sich in der Literatur verschiedene Belege finden lassen ?), wie denn beispielsweise speziell für Niederschlesien die betreffende Diskordanz durch Dathe nachgewiesen wurde. Aber selbst für die allerdings nicht allseitig sichtbare ältere Umrandung gerade des Kohlenbeckens, zu welchem Ostrau gehört, ist an anderen Stellen, wie in Galizien, wo anstatt der Kulmgrauwacke der Kohlenkalk auftritt, eine konkordante Lagerung des Oberkarbons auf dem Unterkarbon nicht nachweisbar gewesen. Demgegenüber hat es nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung, wenn immer wieder versichert wird, daß bei Ostrau selbst das pro- duktive Karbon konkordant auf der Kulmgrauwacke liegt. Es scheint, daß manche Autoren sich von einer allzu schema- tischen Auffassung des Begriffes Konkordanz nicht befreien können und deshalb voraussetzen, daß, wenn an einer Stelle eines be- stimmten Ablagerungsraumes zwei der Bildungszeit nach aufeinander folgende Ablagerungen gleichsinnig gelagert erscheinen, dies für das ganze Verbreitungsgebiet dieser Ablagerungen in demselben Raume gelten müsse. Mit anderen Worten, diese Autoren scheinen anzunehmen, daß zum mindesten innerhalb eines und desselben Absatzbeckens zwei aufeinander folgende Bildungen stets in dem gleichen Verhältnis zu einander stehen müssen. Die Natur ist aber in der Regel mannigfaltiger, als dies dem Bedürfnis derjenigen entspricht, welche gern die ver- schiedenen Erscheinungen nach bestimmten Rubriken gleichsam ka- talogisieren wollen, und ich habe bereits in jener Arbeit über die Gegend von Östrau (l. e. pag. 63) auf die Möglichkeit hingewiesen, daß „ein Teil des von einer Ablagerung eingenommenen Gebietes (das würde hier das Absatzgebiet des Kulm in seiner Hauptverbreitung sein) von Störungen betroffen wird, während ein anderer Teil dieses Gebietes noch eine Zeitlang (das würde die nächste Umgebung von Östrau betreffen), in ursprünglicher Lage verharrt und von den nächstfolgenden Absätzen (in diesem Fall von Bildungen des produk- tiven Karbons) konkordant bedeckt wird, daß also demzufolge par- tielle Emporhebungen gewisser Schichten mit einer Finengung des betreffenden Absatzgebietes Hand in Hand gehen können, ohne für ') Vgl. hierzu wieder meine Anhandlung über Landskron und Gewitsch. Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1901, pag. 690 [374 des Separatabdruck es]. °) Vgl. hierzu meine vorher zitierte Arbeit über Ostrau, pag. 44 ete. [73] Einige Seiten über Eduard Suess. 405 die eingeengten Teile dieses Beckens die Möglichkeit einer Fort- setzung des Ablagerungsprozesses auszuschließen.“ Das heißt also, daß das jüngere Karbon in diesem Falle sich sehr wohl lokal in konkordanter Lagerung mit der Grauwacke befinden kann, die an dieser Stelle auch an den späteren Störungen des produktiven Karbons teilgenommen haben muß, ohne daß man deshalb im allgemeinen von einer konkordanten Auflagerung des jüngeren auf dem älteren Karbon zu Sprechen berechtigt wäre. Geht man auf diese wohl nicht allzu schwere Vorstellung ein!), so wird die Annahme von Suess, daß das produktive Karbon einst weit über das Gebiet der Grauwacke verbreitet war, vollends unsicher. Ob gewisse Versuche, die man vor einiger Zeit im Grauwacken- gebiet zur Aufsuchung von Kohle gemacht hat, auf irgendeiner mißb- verständlichen Benützung dieser Annahme beruhten, weiß ich nicht genau. Jedenfalls blieben diese Versuche ebenso erfolglos, wie die ähnlichen, bereits zu Beginn der neunziger Jahre im Bereich des mährisch-schlesischen Kulm unternommenen Nachforschungen, welche den ersten Anlaß zu meinen hier einige Male zitierten Aeußerungen über die Gegend von Östrau gegeben hatten. In direktem Zusammenhange mit den Fragen, die sich an die Tektonik der Boskowitzer Furche knüpfen, stehen die Auffassungen, welche dem Auftreten des sogenannten Syenit-Granits von Brünn und Blansko gelten. Suess hat sich nicht nur in der „Entstehung der Alpen“ auf diesen Syenit bei seiner Besprechung der genannten Furche bezogen, sondern ist auch noch später im „Antlitz der Erde“ darauf zurück- sekommen, und da er in diesem Falle nicht ähnlich wie bei anderen später zu erörternden Punkten seine Ansichten geändert hat, so können wir hier seine mehrfachen Auslassungen über die dem bewußten Syenit zuzuweisende Rolle gemeinsam in Betracht ziehen. Suess, der sich in dieser Hinsicht ursprünglich wohl auf Fötterle verlassen haben mag, war der Meinung, dieser Syenit sei jüngeren Alters als die älteren Gebilde, welche die Ränder der Furche oder Fuge zusammensetzen und habe den Riß geschlossen, welcher bei der Abtrennung der sudetischen von der böhmischen !) Aehnliche Vorstellungen über regional ungleichmäßige Fortsetzungen der Dislokationsvorgänge im Hinblick auf die dabei in gewissen Teilgebieten eines Absatzraumes zur Geltung gelangende Fortsetzung von Ablagerungen unter gleichzeitiger Trockenlegung anderer Gebietsteile desselben Raumes sowie über die durch solche Vorgänge bisweilen bedingte Verknüpfung zweier Ablagerungen, die an anderen Stellen oder doch durch ihre Verbreitungserscheinungen eine deutliche Diskordanz zeigen, habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten bezüglich der jüngeren karpathischen Bildungen geäußert. Ich erinnere an meine Notiz über Dragomir in der Marmarosch .(Verh. d. k. k. geol. R.-A. 1878, pag. 523), an meine Arbeit über Lemberg (Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1882, pag 69 des Seperat- abdruckes), besonders aber an das im Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1884, (pag. 172—174) Gesagte sowie an meine Beschreibung der Gegend von Krakau (Jahrb_d. k. k. geol. R.-A. 1887, pag. 664667). Es würde zu weit führen, hier im Einzelnen auf die Beziehungen hinzuweisen, die für diesen Vergleich in Betracht kommen. Wer ein Eingehen auf solche für manche vielleicht etwas abseits des gewöhnlichen Geleises liegende Fragen nicht scheut, wird das tertium comparationis bei diesem Ver- gleich karpathischer und sudetischer Verhältnisse schon herausfinden. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 54 406 Dr. Emil Tietze. [74] Scholle entstand. Der Syenit stelle auf diese Art gleichsam die „Narbe“ vor, die sich nach dem Entstehen jener Wunde im Antlitz der Erde bildete. Ich habe an der Hand einer eingehenden Schilderung meiner Beobachtungen über das Auftreten des Brünner Syenit- Granits und unter Bezugnahme auf frühere Darstellungen von Reichenbach, Wolf, Rzehak, Makowsky und Tausch das Irrige dieser Auf- fassung nachzuweisen versucht, sowie auf Grund von Tatsachen, die Suess unbekannt geblieben waren, in meiner Arheit über Landskron und Gewitsch (vgl. besonders pag. 341 [25]) gezeigt, daß das bewußte Gestein sich, „wie die durch passive Hebung zutage gebrachte ältere Mittelzone einer Aufbruchsfalte verhielt“, an deren Zusammensetzung Gebilde des Unterdevon, des Mitteldevon, des Kulm und des Perm teilnehmen, so daß man das Alter des Syenits als ein vordevoni- sches bestimmen kann, und ich konnte auch darauf hinweisen, daß keiner der früheren Beobachter, mit Ausnahme Fötterles, diesem Syenit ein relativ junges Alter zuerkennt, daß vielmehr Makowsky, Rzehak und Tausch sich direkt in einem anderen Sinne geäußert haben. Ich machte auch darauf aufmerksam, daß nördlich von Schebetau, also in einem großen Teil der Boskowitzer Furche, der Syenit-Granit völlig fehlt!), wonach also ein notwendiger Zusammenhang zwischen dieser Furche und dem die „Narbe“ bildenden Eruptivgestein nicht besteht, und ich zeigte, daß dieses Gestein überhaupt gar nicht in jener Furche, sondern seitlich von derselben auftritt. Auch berief ich mich (l. e. pag. 352) auf die Angaben Helmhackers, der in den Liegend-Konglomeraten der Rossitzer Kohle und in sonstigen permischen Konglomeraten bei Rossitz, also genau in der Gegend der bewußten Furche, Granitgeschiebe gefunden hatte, welche für sich allein die Vermutung nahe legen, daß der in Rede stehende, oft rein granitisch ausgebildete Syenit-Granit ein min- ‘ destens vorpermisches Alter besitzt. So glaube ich berechtigt zu sein, nicht bloß die betreffende Ansicht von Eduard Suess, sondern auch den Versuch von Franz Eduard Suess abzulehnen, der gewisse Kon- takterscheinungen des Syenit mit einem älteren Kalke beschrieben und daraus im Sinne der Theorie seines Vaters auf ein jüngeres Alter des Syenit-Granits geschlossen hatte, und zwar unter der Voraussetzung, daß jene Kontakterscheinungen durch eruptive Vorgänge (also nicht etwa durch nachträglichen Einfluß von Lösungen) bedingt waren und daß der fragliche ältere Kalk zum Devon und nicht etwa zu einer noch älteren Formation gehörte. Sollte nun jemand trotz aller Beweise, die gegen die Annahme jener von Suess vorausgesetzten eruptiven Narbe in dem Riß zwischen der böhmischen und der sudetischen Scholle beigebracht wurden, an dieser Narbentheorie festhalten wollen, so sei daran erinnert, daß, wie ich zeigen konnte und wie das auch von niemandem bestritten wurde, die Vorgänge, denen die Gr "ubensenkung der Boskowitzer Furche ihr Entstehen verdankt, zwar in der Zeit weit zurückreichen, aber doch hauptsächlich erst in der Zeit nach dem Absatz der jüngeren !) Vgl. meine hier wiederholt erwähnte Arbeit, pag. 349 |33]. a a me u a [75] Einige Seiten über Eduard Suess. 407 Kreide statthatten. Wenn man also dem besagten ' Syenit-Granit im Hinblick auf seine Funktion als Narbe durchaus ein jün- geres Alter zuschreiben wollte, so müßte man sein Auftreten in die Tertiärzeit versetzen. Ich weiß nicht, ob das beabsichtigt war. Aus den Aeußerungen von Suess geht wenigstens nirgends direkt hervor, daß er eine derartige Ansicht gehabt hat. Dennoch wäre dies gerade im Sinne der sonstigen Ausführungen von Swess vollkommen logisch. Wenn der Riß, den die sudetische Scholle von der böhmischen Masse definitiv getrennt haben soll, zeit- lieh mit der Entstehung des Alpensystems zusammenhängt und von dem gewissen Fußtritt herrührt, den (um mich. so auszudrücken) die sude- tische Scholle (vgl. oben) von der Ueberschiebung durch die vielfach aus tertiären Bildungen bestehenden Karpathen erhalten hat, so kann doch die Narbe, welche diesen Riß nach Suess geschlossen hat, nicht älter sein als der Riß selbst. Zwei alte Gebirgsschollen, die früher zusammenhingen und deren Verschiedenheit erst durch ein in späterer Zeit erfolgtes Zerreißen, also durch einen Vorgang von rückwirkender Kraft (vgl. oben) bedingt gewesen sein soll und obendrein noch eine diesem seltsamen Riß vorausgehende Narbe wäre ja doch zu viel für eine Hypothese, welche sich mit den Fernwirkungen der Aufrichtung des Alpensystems be- schäftigt. Da läßt man sich lieber einen ganz jungen Syenit oder Granit gefallen, als eine antecedente Narbe. Doch. wir müssen gerecht sein. Suess hat sich, wie aus dem Früheren hervorgeht, über das genauere Alter des Syenit-Granits nicht bestimmt geäußert und man darf annehmen, daß er die Vernarbung des bewußten Risses in die Zeit vor der Entstehung des Alpensystems und nach den ersten Anfängen der Trennung der sudetischen von - der böhmischen Scholle versetzt hat. So hatte ich mir auch in meiner Arbeit über die Gegend von Landskron und Gewitsch seine Anschauung zurechtgelegt. In. diesem Falle jedoch, das heißt, wenn sich das Auftreten der besprochenen Narbe nicht auf den Verschluß des großen Risses beziehen läßt, der erst bei der Ueberschiebung der sudetischen Scholle durch die Karpathen bewirkt wurde, sondern nur auf die relativ schwachen Störungen der paläozoischen Vorzeit, ver- lrert die bewußte Narbentheorie, auch wenn sie durch sonstige Ein- wände nicht bedroht wäre, für die Boskowitzer Furche so ziemlich ihre Bedeutung. Auf keinen Fall hat sie dann mit der Ueberwältigung der Sudeten durch die Karpathen etwas zu tun. Das Antlitz der Erde. (Allgemeine Vorbemerkungen.) Die Richtung, welche Suess in der Entstebung der Alpen ein- geschlagen hatte, führte ihn bald weiter zu Untersuchungen, welche nicht bloß in bezue auf die behandelten Probleme, sondern nament- lich auch hinsichtlich der Verwertung der geologischen Literatur so umfassend waren, wie sie vorher von auRiNe Be unternommen wurden. 54* 108 Dr. Emil Tietze. [76] Er selbst äußert sich in seinen „Erinnerungen“ (pag. 269) dort, wo er die kurze Besprechung der Ergebnisse des Buches über die Alpen abschließt, über den direkten Zusammenhang der betreffenden Studien wie folgt: „Die Sammlung, Sichtung und Reihung der Tausende von Beobachtungen, die in den verschiedensten Sprachen in die Oeffentlichkeit gelangt waren, bildeten eine Aufgabe, deren Umfang kaum zu überschauen war. Ich war bereits 44 Jahre alt; sollte ich das Ende nicht erleben und nicht im Stande sein, von der „Reihung der Tatsachen bis zu ihrer Vergleichung und Fügung vorzudringen, so wären kostbare Lebensjahre vorloren. Ich fand nicht den Mut, aber ich begann immerhin meinen Studien eine entsprechende Richtung zu geben und durch einen ausgebreiteten Briefwechsel (dieselben) zu unterstützen.“ An einer späteren Stelle der „Erinnerungen“ (pag. 323) erzählt uns dann der große Autor, daß er die zu leistende Arbeit unterschätzt hatte, daß er, um sein Ziel sicher im Auge zu behalten, sich mit der Verlagsfirma durch einen Vertrag gebunden habe, daß aus den mit dieser verabredeten drei Bänden vier geworden seien !), und er gibt der begreiflichen Befriedigung darüber Ausdruck, daß es ihm in seinem 79. Lebensjahr vergönnt gewesen sei, den letzten Bogen seines Werkes abzuschließen, nachdem 26 Jahre seit dem Erscheinen der ersten Ab- teilung desselben vergangen waren. Das Wort „Das Antlitz der Erde“, welches mit dem Verleger als Titel des Werkes vereinbart wurde, findet sich bereits in der Ent- stehung der Alpen (pag. 46), woraus vielleicht ebenfalls hervorgeht, daß dem Autor bei Abfassung seiner früheren Schrift schon in ge- wissen Umrissen der Plan vorgeschwebt hat, alles das, was er damals an Gedanken und teilweise noch nicht genauer durchgeführten Auf- fassungen hingeworfen hatte, auf Grund einer weit ausgreifenden Synthese unter Benützung zahlreicher, bisher noch nicht verwerteter Erfahrungen aufs neue darzustellen, dabei jene Gedanken zu vervoll- ständigen und, wie er wohl ursprünglich glaubte, durch weitere Be- lege zu stützen. Diese große Synthese hat darum bei ihrem Erscheinen fast allenthalben, wo Geologie getrieben wurde, hohe Anerkennung aus- gelöst und das Werk ist in verschiedene Sprachen übersetzt worden. Es ist das in gewissem Sinne auch sehr wohl begreiflich, hatte ja doch unsere Fachliteratur bis dahin nichts Aehnliches aufzuweisen. Wohl existierte Alexander v. Humboldts „geognostischer Ver- such über die Lagerung der Gebirgsarten in beiden Erdhälften“ 2), ein Werk, das seinem weit ausgreifenden Titel, wenn auch nicht seinem mäßigen Umfange nach, noch am ehesten mit der Arbeit von Suess zu vergleichen war und dessen Autor auch in der betreffenden Vor- rede sich die Aufgabe gestellt hatte, „gewissermaßen die ganze po- sitive Geognosie“ (der damaligen Zeit natürlich) zu umfassen. Aber ab- gesehen davon, daß das Erscheinen der Humboldt’schen Schrift y Es erklärt sich daraus, daß der 4. Band als zweiter Teil des dritten Bandes erschien und die Bezeichnung IIl/2 führt. ?) Deutsch von Lena) Straßburg 1823. [77] Rinige Seiten über Eduard Suess. 409 doch weit zurück lag, knüpfte dessen Inhalt vorzugsweise nur an die von Humboldt selbst besuchten, zwar ausgedehnten, aber doch keineswegs die gesamte Erde umschließenden Gebiete Europas und des spanischen Amerika an), vermochte auch begreiflicher Weise noch nicht sehr viele literarische Behelfe zu verwerten und beschränkte sich neben einer längeren ziemlich allgemein gehaltenen Einleitung vielfach auf eine sozusagen registrierende Art der Darstellung. Suess hatte also wohl recht, wenn er von diesem von ihm auch nur beiläufig erwähnten Buche sagte, daß dasselbe heute nur mehr „als ein Denkmal der geistigen Größe seines Verfassers“ in Betracht kommen könne °). Demgegenüber trat das Suess’sche Werk als etwas ganz Neuartiges auf. Niemand hatte vorher versucht, eine so überwälti- gende Menge von Beobachtungen, welche die Geologen der ganzen Welt aus allen Gegenden der Erde zusammengetragen hatten, in der Weise, wie es hier geschehen war, zu einem Gesamtbild zu ver- weben und dabei auf Zusammenhänge hinzuweisen, welche auf aller- hand Gesetzmäßigkeiten in jenem Bilde hinzuleiten schienen. Es hatte aber auch niemand vorher durch die umfassende Verwertung der vorhandenen vielfach zeitgenössischen Literatur so zahlreiche Autoren aller Länder in dieser Weise, man könnte sagen, persönlich an der ihnen dargebotenen Darstellung interessiert. Es ist leicht verständlich, daß unter denen, welche auf die Vorzüge und die hohe Bedeutung des großen Werkes aufmerksam machten, sich in erster Linie auch verschiedene Schüler des Meisters befanden. " Schon bald nach dem Erscheinen des zweiten Bandes dieses Werkes sagte beispielsweise Franz No& in einem die Geschichte der Meere betitelten und an den Inhalt der beiden Bände an- knüpfenden Feuilleton in der „Neuen freien Presse“: „Unter jenen Männern, denen das hohe Verdienst zukommt, die Prinzipien der modernen Geologie aufgestellt und wissenschaftlich begründet zu haben, ist in erster Reihe Eduard Suess zu nennen.“ Solche Zeichen der Anerkennung mehrten sich begreiflicher Weise als das Werk weiter wuchs und man bei jedem Bande aufs neue die riesige Arbeitsleistung, sowie den Umfang der von dem Autor behandelten Probleme zu bewundern Gelegenheit hatte. „Das grandiose Werk „Das Antlitz der Erde“, so schrieb Th. Fuchs noch vor Vollendung des letzten Antlitzbandes?°), „in welchem Suess es versucht, eine übersichtliche Zusammenfassung alles dessen zu geben, was wir bisher über den Bau der Kontinente wissen, ist ein Werk, welches sich seiner Conception, Anlage und Ausführung nach nur mit einem Werk der naturwissenschaftlichen Literatur vergleichen läßt, nämlich mit Humboldts Kosmos, ja, !) Die Reise Humboldts nach dem nördlichen Asien erfolgte erst mehrere Jahre nach dem Erscheinen dieses „Versuchs“. ?) Antlitz, I Band, pag. 765. g 3) Wiener „Neue Freie Presse‘ vom 19. August 1906. 410 Dr. Emil Tietze. [78] wenn man mich fragen würde, welches Werk tiefer in den Gang der Wissenschaft eingegriffen hat, Humboldts Komos oder Suess’ Antlitz der Erde, ich würde ohne Zaudern für letzteres stimmen.“ Daß aber jene hohe Anerkennung (namentlich seitens einiger spezieller Freunde des Meisters) zuweilen in eine Art extatischer Uebertreibung ausartete, konnte schon weiter oben an einem Beispiel gezeigt werden, wo davon die Rede war, daß gelegentlich eines Referates über das „Antlitz* dem großen Autor auch das Verdienst der Entwirrung der alpinen Stratigraphie zugeschrieben wurde. Wir erinnern uns hier unter anderem aber auch noch eines anderen Referates, welches nach Vollendung des letzten Bandes in der „Oesterreichischen Rundschau“ !) unter dem Titel „Ein öster- reichisches Meisterwerk“ erschien und ebenfalls einen ehemaligen Schüler und späteren intimen Freund des Autors zum Verfasser hatte, Professor Uhlig. Derselbe schrieb unter anderem (l. ec. pag. 203): „Als .der erste Band (des Antlitz) erschien, befand sich die Geologie ungeachtet aller Fortschritte auf stratigraphischem, paläontologischem und petro- graphischem Gebiet in einem wenig befriedigenden Zustand. Der Lyell’sche Aktualismus, der kein anderes Maß der geologischen Erscheinungen gelten lassen wollte, als die Erfahrungen der Gegen- wart, drohte allmählich zu einem geologischen Quietismus auszuarten. Lyells Lehre hatte die Geologeı einigermaßen von den größeren Aufgaben abgelenkt und sie allmählich unfähig gemacht, zu staunen(!), Rätsel zu sehen und zu werten. Durch eine geistvolle Untersuchung über die Sintflut, dem ersten Bande gleichsam als Motto vorangestellt, zeigte Suess die Geringfügigkeit dieser Katastrophe, die doch seit Menschengedenken die größte war, und er verwies auf deren unermeßlichen Abstand von den großen geologischen Vorgängen der Vergangenheit. Wie ein Leitmotiv zieht sich durch das ganze Werk die Mahnung an die Geologen, nicht mit zu kleinen Gesichtspunkten an die erhabene Größe der Natur heran- zutreten. Noch waren die Vorstellungen der Humboldt-Buch’schen Epoche über die Entstehung der Gebirge durch vulkanische Erhebung nicht ganz verklungen. Andererseits hatte sich die bessere, auf dem Boden der amerikanischen Kontraktionslehre stehende Anschauung Elie de Beaumonts durch die abstrakt-deduktive Behandlung der Gebirge unmöglich gemacht 2). Da griff Suess mit der vergleichend induktiven Betrachtung des Gebirgsbaues ein.“ Uhlig führt dann gegen den Schluß seines Referats noch das, wie er sagt, schönste und erhabenste Wort an, welches über das !) Jahrgang 1909, pag. 103—114. °) In mancher Hinsicht scheint übrigens Suess doch gerade in Beau- mont ein Vorbild gesehen zu haben, den er, wie er in den „Erinnerungen“ (pag. 127) berichtet, „wegen seines tiefen Wissens und seines unablässigen Strebens nach einer erdumfassenden Anschauung nie aufgehört hat zu verehren“ und dem er deshalb auch die „Kinderei“ verzieh, ihn gelegentlich eines Besuches, den er (Suess) noch als jüngerer Mann bei dem damals Gewal- tigen machte, sehr von oben herab behandelt zu haben. „Der französische Gelehrte hatte ihn, wie unser Autor schreibt, „herablassend und mit den Allüren eines ‚etre supr&me‘ empfangen“. [79] Einige Seiten über Eduard Suess. 411 „Antlitz der Erde“ gesprochen wurde, nämlich einen Ausspruch von Marcel Bertrand. Derselbe lautet: „Wenn unsere Nachfolger eines Tages die Geschichte unserer Wissenschaft schreiben werden, so werden sie, ich bin dessen sicher, sagen, daß das Werk von Suess in dieser Geschichte das Ende des ersten Tages bezeichnet, des- jenigen, da das Licht ward.“ Worauf wir schon weiter oben aufmerksam wurden, daß nämlich das Auftreten von Suess in einen Gegensatz zu Lyell gebracht wurde, und zwar von seiten der Intimen des Meisters, die etwas von dessen Denkungsart wissen konnten, sehen wir auch hier bestätigt, eine Annahme, die übrigens schon aus den Auffassungen von Suess selbst sich in mancher Hinsicht ergibt, wenn auch der letztere eine direkte Polemik gegen den großen Geologen vermieden hat, der ähnlich wie Goethe jeder Katastrophentheorie abhold gewesen ist und dessen. Standpunkt vielleicht auch heute noch nicht so ganz überwunden ist, wie manche Eiferer annehmen, Richtig ist, daß dieser Standpunkt, dessen Parallelismus mit den Ansichten Darwins in dieser heutigen Schrift auch schon früher betont werden konnte, zur Zeit des ersten Hervor- tretens von Suess der weitaus herrschende war, und psychologisch verständlich ist es auch, daß wer sich durchsetzen will, dies, wenn er zu den Schwächeren gehört, im engen und unbedingten Anschluß an Starke tut (wofür es naheliegende Beispiele gibt) oder wenn er selbst ein Starker ist, dies im Gegensatz zu den gerade herrschenden Kräften versucht, womit keineswegs gesagt sein soll, daß dies ein Beweggrund für die Gegnerschaft von Suess gegen Lyell (oder gegen Darwin in der ersten Periode der Suess’schen Wirksamkeit, vgl. oben) gewesen ist, denn bei diesem Gegensatz spielt gewiß die grundverschiedene geistige Veranlagung der verglichenen Ge- lehrten die wichtigste Rolle. Aber glücklich kann ich die Bemerkung doch nicht finden, daß nach der Periode des durch Lyells Lehre angeblich großgezogenen Quietismus ein Suess kommen mußte, um den Geologen das Staunen zu lehren. Es mag ja sein, daß manche durch die zuweilen etwas kühnen Ansichten unseres alten österreichischen Meisters oder andere durch dessen allerdings staunenswerten Fleiß und durch sein großes Wissen sozusagen verblüfft wurden, indessen scheint mir, daß die Würdigung der trotz aller sich heute schon herausstellenden Irrungen unläugbar großen Verdienste des berühmten Autors am wenigsten unter diesem Gesichtspunkte hätte stattfinden sollen, namentlich nicht von befreundeter Seite aus. Was übrigens jenen vermeintlichen Quietismus betrifft, der, wie es in dem genannten Referat heißt, die Geologen von größeren Aufgaben abgelenkt hatte, so wurde wohl übersehen, daß Männer wie Thur- mann, Shaler, Mallet, Heim, Le Conte, Judd, Dana, Geikie, Rögers und andere, die teilweise im Laufe der folgenden Auseinandersetzung noch an geeigneter Stelle werden genannt werden müssen oder auf die Suess selbst in seinen Ausführungen sich wiederholt beruft, den Problemen, die der letztere behandelte, auch in der Zeit nach dem Erscheinen der „Prineiples“ nicht aus dem Wege gegangen sind, insofern dieselben entweder ungefähr 412 Dr. Emil Tietze. [80] gleichzeitig, bezüglich sogar schon etwas früher als Suess auf diese Probleme oder doch jeweils auf einen Teil derselben die Auf- merksamkeit lenkten. Man erinnere sich beispielsweise, daß Mallet schon 1874 von tangentialen Kräften und daß Thurmann gelegentlich seiner Untersuchungen über das Juragebirge schon in den fünfziger Jahren von einer Konexität der Ketten und von lateralem Druck gesprochen hat. Die Intervention von Suess hat sicher eine sehr mächtige Bewegung hervorgerufen, welche den bis dahin seit Lyell mehr gleichmäßigen Entwicklungsgang der theoretischen Geologie, um mich so auszudrücken, beschleunigte, aber es war vielleicht nicht ganz gerecht, die betreffende Zeit als eine Periode der Stagnation hinzustellen und den darauf bezüglichen Zustand gewissermaßen mit dem eines Karpfenteiches zu vergleichen, dessen Bewohner eines Elements der Beunruhigung bedurft hätten. Ein altes französisches Sprichwort sagt: Qui dit trop, ne dit rien. \ Einigermaßen dankbar müssen wir jedoch Uhlig dafür sein, daß er uns Aufschluß betreffs der Bedeutung des Kapitels über die Sintflut gegeben hat, mit welchem die Darlegungen des „Antlitz“ er- öffnet wurden. Man hatte diese hoch interessante Studie vorher viel- fach als einigermaßen fremdartig und in den Rahmen jener Dar- legungen nicht ganz passend betrachtet. Wenn wir durch Uhligs Referat nunmehr erfuhren, daß dieselbe bestimmt war, die „Gering- fügigkeit“ selbst der größten Katastrophen zu erläutern, durch welche die Erde seit den frühesten Erinnerungen der Menschheit heimgesucht wurde, so wissen wir jetzt wenigstens, wie diese Darstellung gemeint war. Dennoch wird darin nicht jeder ein Argument gegen die Auffas- sungen gerade Lyells erblicken; man könnte eher im Gegenteil sich bestimmt fühlen, daraus einen für die Katastrophentheoretiker ab- träglichen Schluß zu ziehen. Wichtiger wäre es deshalb im Sinne jenes Referenten gewesen, uns einen „von den großen geologischen Vorgängen der Vergangenheit“ zu nennen, dessen weit über die Grenzen lokaler Beschränkung hinausgehende Wirkungen in dem Werk von Suess eine ebenso befriedigende Erläuterung gefunden hätten, wie jenes von alten Sagen umsponnene Ereignis in Mesopotamien: Volle Zustimmung aber wird Uhlig: überall gefunden haben, wenn er das Werk von Suess ein solches der vergleichenden Be- trachtung nennt. Vergleiche im großen und größten Maßstabe sind es in der Tat, die uns darin geboten werden, und es besteht auch kein Zweifel darüber, daß (zunächst rein prinzipiell gesprochen) eine solche Methode bei einer Wissenschaft wie die Geologie für die Erkenntnis von Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten unentbehrlich ist. Nur bezüglich des Zusatzes, demzufolge jene vergleichende Be- trachtung auf „induktiver“* Grundlage aufgebaut war, könnte wohl eine Einschränkung gemacht werden, worüber ich vielleicht etwas später noch Veranlassung nehmen werde, mich zu äußern. Hier er- innere ich nur an einen Ausspruch von Zittel!), der sich allerdings zunächst auf die „Entstehung der Alpen“ bezieht. welche von diesem ') Geschichte der Geologie und Paläontologie, München und Leipzig 1899, pag. 467. [81] Einige Seiten über Eduard Suess, 413 Autor mit Alb. Heims Monographie der Tödi-Windgällen-Gruppe verglichen werden. Während die Arbeit Heims, die ebenfalls zum Ausgangspunkt einer Gebirgsbildungstheorie gemacht wurde, als auf der subtilen Untersuchung des Details einer verwickelt gebauten Ge- birgsgruppe fussend hingestellt wird, sagt Zittel von Suess aus, daß dieser „mit weitem Blick gleichsam aus der Vogelperspektive auf ver- gleichendem Wege das Problem der Gebirgsbildung behandelt“ habe. Im übrigen wissen wir ja, daß Zittel in seinem hier erwähnten Buche, namentlich dort, wo er von dem „Antlitz der Erde“ spricht, dessen Erscheinen damals allerdings noch nicht abgeschlossen war, den Verdien- sten von Suess die größte Anerkennung gezollt hat. Denn wenn er auch meint (l. c. pag. 475), daß „manche der von Suess ausgesprochenen Ver- mutungen wahrscheinlich der Kritik einer späteren Zeit nicht stand halten“ werden, so betont er doch andrerseits (l. c. pag. 476), daß mit dem „Antlitz“ ein „neuer, vielversprechender Zweig der Erdkunde, die ver- gleichende topographische Geologie“ inauguriert worden sei. „Suess- hat Schule gemacht“, sagt Zittel (l. c. ibidem) !). Das ist ein Zeugnis für den Erfolg, welchen der große Autor errang und gleichzeitig auch eine Erklärung für diesen Erfolg, denn der laute Beifall. den die Schüler ihrem Meister zollten und von welchem in dem Vorstehenden nur einige Beispiele gegeben wurden, hat neben der unbestreitbaren Größe der von dem letzteren vollbrachten Leistung viel beigetragen zu der Ausbreitung der Vorstellungen, welche in den tektonischen Ausführungen desselben vertreten wurden. Dieser Beifall hat vor allem die Kritik jener Ausführungen sehr eingeengt oder sogar übertönt. Daßjedoch Suess selbst jene Unfehlbarkeit für sich in Anspruch genommen hätte, die vielleicht von allzu eifrigen Bekennern seiner Ansichten vorausgesetzt wurde, muß gerechter Weise bestritten werden. Dagegen sprechen gar manche seiner Aeußerungen ganz direkt, und wer den letzten Band des „Antlitz“ mit einiger Aufmerksamkeit liest, wird überdies auf die Spuren mancher Zweifel stoßen, die dem Autor bezüglich seiner früheren Auslassungen nicht fremd blieben. Ueberdies konnte Suess kaum erwarten, daß ein in vieler Hin- sicht revolutionäres Auftreten, wie das seine, durch welches manche hergebrachte Vorstellung in Zweifel gezogen oder angegriffen wurde ?), ganz ohne Kritik würde hingenommen werden, wenn auch diese Kritik in dem einen oder anderen Falle nicht sofort einsetzte °). 1) Dieser Ausspruch bezieht sich natürlich nicht bloß auf die ziemlich große Anzahl der unmittelbaren Hörer des Lehrers, von welchen allerdings mit der Zeit ein Teil zu einer mehr selbständigen oder doch abwartenden Haltung gegen- über den betreffenden Lehrmeiungen gelangte, sondern auch auf die nicht geringe Zahl der Anhänger, welche sich diese Meinungen allenthalben erwarben. 2) Es ist dabei ganz gleichgültig, ob der Angriff verhüllt oder unter Be- zugnahme auf die angegriffenen Autoren direkt erfolgte (Suess, wie schon früher gesagt werden durfte, vermied gern polemische Erörterungen, obschon durch dieselben, wie auch schon betont wurde, die Probleme oft klarer her- vortreten). Getroffen fühlt sich aber der Vertreter der in Zweifel gezogenen oder beiseite geschobenen Ansichten zumeist doch. 3) Vgl. hier wieder die Erinnerungen (pag. 269), wo davon die Rede ist, daß schon in der Entstehung der Alpen die Lehre von den Hebungen als irrig hingestellt wurde, und wo es heißt: „Der erwartete Widerspruch blieb fast ganz aus.“ Und doch hat er gerade in diesem Falle später nicht gefehlt. Jahrbuch d. k. k, geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 55 414 Dr. Emil Tietze. [82] In der Tat sind Widerstände und Einwürfe gegen die neuen Lehren auch nicht ausgeblieben; sie werden gegenüber den betreffenden Ideen und deren Darstellung voraussichtlich auch weiterhin nicht ausbleiben, ohne daß deshalb, weil die Forschung nicht stillsteht, das Verdienst eines Forschers, der Großes erstrebte und den höchsten Zielen sich zuwandte, verkannt zu werden braucht. Insofern nun hier ein Beitrag zur Geschichte der Geologie ge- liefert werden soll, ist es unerläßlich, auf solche Widerstände und Einwürfe gegen die Anschauungen unseres Meisters, ähnlich wie das teilweise schon bisher in diesen Seiten geschehen ist, auch weiterhin hinzuweisen und sich nicht auf die bloße Hervorhebung der wesent- lichsten der von Suess vorgebrachten Gedanken zu beschränken. Der großen Bedeutung, welche diese Gedanken sich verschafft haben, erscheint es vielmehr angemessen, deren Wirkungen auch dort nicht zu übersehen, wo dieselben Bedenken hervorgerufen haben. Es handelt sich ja hier darum, die Darlegungen des Suess’schen Werkes nicht bloß in ihrem inneren Zusammenhange, sondern nicht minder auch im Zusammenhange mit wenigstens einem Teil der darauf be- züglichen Literatur zu überblicken. Freilich kann es nicht die Aufgabe dieser Zeilen sein, sich über den ganzen Komplex der Fragen zu verbreiten, welche durch den Autor dieses in seiner Art einzig dastehenden Werkes aufgerollt oder in neue Beleuchtung gerückt wurden. Wir wollen hier eben vor allem nur versuchen, einen vorurteilslosen Einblick in das Wesen der betreffenden Ausführungen zu erhalten. Wir wollen uns klar machen, inwieweit die Ansichten des Autors sich untereinander und eventuell mit den Vorstellungen anderer zu einem Gesamtbilde wenigstens in den großen Zügen vereinigen lassen. Oder anders aus- gedrückt, wir wollen sehen, ob die große Synthese, um die es sich hier handelt, nur lose Verknüpfungen bietet oder ob sie auch zu einem geschlossenen System ausgebaut wurde, bezüglich ob sie wenigstens fähig ist, dazu ausgebaut zu werden. Dabei sind wir natürlich auch veranlaßt, über die von Suess bei seinen Beweisführungen befolgte Methode und über seine Art der Darstellung zu reden. Aus der späteren Besprechung gewisser Einzelheiten wird sich über diese Methode und diese Form zwar manches von selbst ergeben. Es scheint mir aber angemessen, hier schon an dieser Stelle darüber einige Bemerkungen zu machen, die zugleich den Eindruck erkennen lassen, der bei verschiedenen Beurteilern in der bezeichneten Hin- sicht entstanden ist. Was die Form der Darstellung betrifft, so weiß jedermann, der Suess gelesen oder gehört hat, daß derselbe die Sprache in sel- tenem Grade beherrscht hat. Als glänzender Redner und als form- zewandter Stilist wurde er ja allgemein bewundert. Nicht ohne Grund hat deshalb beispielsweise Franz v. Hauer in seinem dem ersten Bande des „Antlitz“ gewidmeten Referate gesagt, daß der Meister vermöge seiner hervorragenden Gabe eines gewandten Ausdruckes im Stande gewesen sei, den Leser sogar über manche Bedenken physi- kalischer Art hinwegzuschmeicheln, welche sonst bei der Durchsicht seiner Ausführungen sich leicht geltend machen könnten. [83] Einige Seiten über Eduard Suess. 415 Der Amerikaner Hobbs!) findet wiederum, daß es Suess ge- lungen sei, durch eine Schreibweise voll von Einbildungskraft und poetischem Gefühl seine Leser zur Bewunderung zu zwingen, denen sonst die Ueberfülle (overabundance) der in den Arbeiten unseres Meisters gebotenen Einzelheiten das Studium dieser Arbeiten trocken und allzuschwer würde erscheinen lassen. Sir Archibald Geikie aber, der Suess mit einem Seher vergleicht ?), nennt das „Antlitz“ ein erhabenes philosopisches Gedicht (a noble philosophie poem). Wenn also Uhlig (l. c. pag. 104) „den Adel und die Eigenart der Sprache“ bei Suess hervorhebt, so wird ihm gerade in dieser Hinsicht niemand widersprechen. Und dennoch scheint dieser Adel der Sprache, diese glänzende Schreibweise, die so viele hinriß, nicht an jeder Stelle überzeugend gewirkt zu haben. Man liest nicht ohne Interesse in einem der vor- her schon erwähnten, zur Ehre unseres alten Meisters und augen- scheinlich auch zur Abwehr gegen Kritiker geschriebenen Artikel von Fuchs?): „Die Arbeiten Suess’, seine Arbeitsweise, ja seine ganze Persönlichkeit war vielfachen mißgünstigen Anfechtungen ausgesetzt. Man sagte, er sei mehr Journalist als Forscher, seine Arbeiten seien eigentlich nicht wissenschaftliche Arbeiten, sondern Feuilletons, und schließlich entstand das Wort ‚Geo-Poet‘. Alle diese Aussprüche haben in einem gewissen Sinne ihre volle Berechtigung, aber freilich in einem Sinne, der den beabsichtigten Tadel in das höchste Lob ver- wandelt. Suess war es nicht darum zu tun, den toten Ballast der wissenschaftlichen Literatur zu vermehren, sondern er wollte unmittel- bar eingreifen in den lebendigen Strom des wissenschaftlichen gei- stigen Lebens, in diesem Sinne war er Journalist.“ „Die Arbeiten von Suess“, fährt dann Fuchs fort, „sind gefällig geschrieben, in diesem Sinne sind sie wirkliche Feuilletons. Aber fast jedes dieser Feuilletons wirkte bahnbrechend, wurde zum Ausgangspunkt einer neuen For- schungsrichtung. Und nun gar Geopoet. Jawohl, gewiß. Suess ist ein Poet, sogar ein großer Poet, aber ein noch größerer Poet ist die Natur selbst, und wer nicht in seinem Innersten das Gefühl der Poesie trägt, der wird vergeblich sich bemühen, sie zu verstehen.“ Wie kommt es nun, daß trotz jener gefälligen und im besten Sinne journalistischen Schreibweise, von welcher Fuchs sprach und von der wir auch zugeben dürfen, daß sie den jedem guten Journalisten vorschwebenden Zweck, Stimmung zu machen, in hohem Grade erreicht hat, die Leser des „Antlitz“ nicht selten Mühe hatten oder haben, den Gedankengängen des Meisters zu folgen und sich ein klares Bild seiner !) In einem Suess gewidmeten Nachruf im Journal of geology, Chicago 1914, pag. 811 etc. 2) „A seer gifted with rare power of insight into the past.“ (Citat nach Hobbs.) 3) „Neue Freie Presse“ vom 19. August 1906, pag. 12 des Separatabdruckes. Dieser Artikel erschien am Vortage des 75. Geburtstages von Suess. 55* 416 Dr. Emil Tietze. [84] Ansichten zu verschaffen ? Ich meine hier allerdings nicht solche Leser, welche sich mit einem ganz allgemeinen Eindruck begnügen und auch nicht solche, welche vielleicht im Sinne der obigen Andeutungen von Fuchs einzelne Abschnitte und die darin behandelten Fragen zum Ausgangs- punkt weiterer Studien nehmen, sondern solche, welche das Werk mehr oder weniger in seiner Totalität zu erfassen bestrebt sind. Man kann ja ohne Zögern bekennen, daß es verschieden organisierte Naturen, bezüglich voneinander stark abweichende Mentalitäten gibt und daß dieser Umstand das Verhältnis eines Autors zu seinen Lesern beein- flußt. Sollte aber tatsächlich die Schwierigkeit des betreffenden Ver- ständnisses nur durch den Mangel jenes „Gefühls der Poesie* be- gründet sein, welchen Fuchs als ein Hindernis für die richtige Auffassung der Suess’schen Lehren anzusehen scheint ? Bald nach dem Tode von Suess haben das Mitglied der Pariser Akademie L. de Launay!) und Hobbs (vgl. oben pag. 82) kürzere Nekrologe veröffentlicht, in welchen die Schwierigkeiten beim Studium der Suess’schen Gedankenreihen direkt beklagt wurden. Der Leser, sagt de Launay, „der das so berühmte Werk hat preisen hören und der an seine Durchsicht berangetreten ist, anfangs mit Zutrauen, dann mit Interesse, schließlich mit etwas Unruhe und einer Art von Erschlaffung (lassitude), verzichtet nicht selten darauf, dessen unbestimmte Ent- wicklungen zu entwirren, da man ihm sein Vorhaben nicht eben leicht gemacht hat. Es fehlt ihm an kartographischen Behelfen und vor allem ist er genötigt, selbst zu den Schlußfolgerungen sich durchzuringen, für welche der Autor stets das Ergebnis irgendeiner neuen Untersuchung erwartet zu haben scheint.“ De Launay gibt hier einen Eindruck wieder, den, wie wir so- gleich sehen werden, auch einige andere Forscher erhalten haben. Was jenen Mangel an kartographischen Behelfen betrifft, der jedoch wohl mehr dem Verleger als dem Autor zur Last zu legen ist, so sieht auch Hobbs darin einen Grund für die schwere Benütz- barkeit des Werkes. Er glaubt indessen, daß der Autor selbst sich dieses Mangels wohl bewußt war. !) Siehe: La geographie bulletin de la soc. de geogr. Paris 1914, pag. 393 bis 396, Nummer vom 15. Juni. Der inzwischen ausgebrochene Weltkrieg hat uns hier in Wien die fremdländische Literatur, in welcher sich vermutlich noch verschiedene dem Andenken an Suess gewidmete Ausführungen finden, unzu- gänglich gemacht, so daß wohl eine größere Zahl von Urteilen über das Wirken unseres Altmeisters für die gegenwärtigen Seiten nicht in Betracht gezogen werden konnte. Ich bin daher auch nicht in der Lage, zu wissen, ob diese Urteile sich sämtlich in den konventionellen Grenzen halten, deren Beobachtung viele (insbesondere mehr oder weniger unmittelbar nach dem Ableben einer berühmten Persönlichkeit) für angezeigt halten, oder ob sie auf dem Standpunkt stehen, welchen de Launay am Eingang seines Nachrufes mit folgenden Worten kenn- zeichnet: „Depuis trente ans la science geologique a &te, on peut le dire, do- minde par cet ouvrage colossal qu’ Eduard Suess a appel6 „das Antlitz der Erde“, Au moment oü son auteur vient d’achever une noble existence pleine de jours, je voudrais en montrer la grandeur r6elle, sans chercher ä l’amplifier deme- surement et sans tomber dans ces exag6rations de piet& funneraire, qui abou- tissent ä peupler le royaume des ombres d’oeuvres et d’hommes &galement banalises par le m&me air de perfection b6ate, [85] Einige Seiten über Eduard Suess. 417 Hobbs deutet überdies an, daß Suess bei der Verwertung der Literatur zu eklektisch vorgegangen sei und in erster Linie das ihm Passende in den Vordergrund gestellt habe ’).' Außerdem wird von den Beurteilern unseres Altmeisters hervorgehoben, daß der lange Zeitraum, den das „Antlitz“ bis zu seinem Abschluß gebraucht hat, zu Aenderungen in den Auffassungen des Autors geführt hat. Wenn man noch jünger sei, meint de Launay, erhebe man den Anspruch, zu definitiven Vorstellungen zu gelangen und dieselben in einem vollendeten Werke niederzulegen. Später be- merke man, daß das Leben kurz, die Kunst dagegen lang sei und verliere etwas von dem Vertrauen in die Sicherheit menschlicher Schlüsse. Man werde deshalb weniger Dogmatiker und mehr Peri- patetiker und verzichte darauf, mit seinen Schlußfolgerungen „das an- dere Ufer zu erreichen“ 2), Dazu könnte man freilich bemerken, daß die peripatetische Art der Suess’schen Darstellung, die uns oft wie im Fluge aus einer Weltgegend in die andere führt, mit der Absicht des Autors zusammen- hängt, die betreffenden Erscheinungen zu vergleichen; der Kritiker scheint aber der Meinung zu sein, daß solche Vergleiche nicht überall konsequent genug durchgeführt wurden, um ein annehmbares Resultat zu ergeben. De Launay stellt in diesem Sinne auch einen Vergleich auf zwischen der Methode von Suess und der seines Vorgängers Beau- mont, der bei seinem Versuche einer zusammenfassenden Synthese über Gebirgsbildung zwar zu schweren Irrtümern gelangt sei, von welchem Versuch man jedoch sagen dürfe, daß, wenn auch der ganze Bau untergegangen sei, doch die einzelnen Stücke desselben für sich ge- nommen noch Bewunderung verdienten; bei der Methode von Suess dagegen, welche der sonst so scharfsinnige und geistvolle französische Kritiker ganz überflüssiger und wohl auch unzutreffender Weise als eine „germanische* hinstellt?) meint er, es seien die Stücke des Baues, welche nach einander in Ruinen zerfallen, während dieser Bau selbst noch für einige Zeit den Anschein einer gewissen Stabilität bewahre. Ob gerade dieses Gleichnis in jeder Hinsicht zutrifft, mag im Zweifel gelassen werden, aber hervorheben wollen wir doch, daß der- selbe Kritiker schließlich sein Urteil dahin zusammenfaßt, daß unsere !) Der amerikanische Geologe, der bei seinen wiederholten Besuchen in Europa nie versäumte, Suess aufzusuchen, nennt diesen einen geistigen Riesen, der turmhoch in isolierter Größe seine Zeitgenossen überragt habe. Nichtsdesto- weniger meint er, daß eine ehrliche Kritik gewisse ernste Mängel (serious defects) des Suess’schen Meisterwerks nicht übersehen dürfe. Er sagt dabei (l. c. pag. 814): „Its author was almost too clever as advocats and parliamentarian and was norcover not without bias. With a manner altogether masterful he could dismiss as it were with a wave of the hand important evidence which was unfavorable to maintenance of his thesis and with equal ability could magnify the weight of much less valuable or unimportant observations. 2) Eine Anspielung auf die Schlußworte des zweiten Antlitzbandes. \ 3) Im allgemeinen haben ja die Ausführungen von Suess doch gerade bei den Landsleuten de Launays eine-sehr günstige, zum Teil sogar enthusiastische Aufnahme gefunden, während die dagegen geäußerten Bedenken viel öfter von germanischer Seite ausgingen. 418 Dr. Emil Tietze. [86] Vorstellungen sich in bezug auf viele Punkte, welche hier für die Geologie in Frage kommen, ändern dürften, daß aber die hohe Ge- stalt von Eduard Suess noch lange fortfahren wird, den aufmerk- samen Geologen die Wege zu zeigen, die von der Forschung zu betreten sind. Unter den Gründen, welche von den oben genannten Autoren ange- führt wurden, um die Schwierigkeiten beim Studium des Suess’schen Werkes zu erklären, ist jedenfalls der am unmittelbarsten einleuch- tende derjenige, welcher sich auf den Zeitabstand der einzelnen Ver: lautbarungen des großen Autors bezieht. Dieser bezüglich des: Er- scheinens der verschiedenen Teile des Werkes und seiner Vorläufer nicht unbedeutende Zeitabstand hat jedenfalls zum mindesten teilweise die Inkohärenz verschiedener von dem Autor kundgegebenen Vor- stellungen und Meinungen im Gefolge gehabt, welche, wie im Verlauf der weiteren Darstellung sich erweisen wird, es erschweren, ein ge- schlossenes Bild von jenen Vorstellungen zu gewinnen. Der Aufsatz über den Bau der italienischen Halbinsel erschien 1872, die Entstehung der Alpen 1875, die erste Abteilung des ersten Bandes des „Antlitz“ 1883, die zweıte Abteilung desselben Bandes 1885, der zweite Band 1888, der dritte (auch als III/l bezeichnete) Band 1901 und der (offiziell als I11/2 bezeichnete) vierte oder Schlußband 1909. Es ist eigentlich selbstverständlich, daß bei den umfassenden Studien, welche für die Bearbeitung des zu bewältigenden Stoffes nötig waren (eines Stoffes, der überdies während der Arbeit beständig anwuchs, sowie durch die sich jährlich vermehrende Literatur auch zu neuen Gesichtspunkten führen konnte), die Auffassungen des Autors nicht beständig die gleichen bleiben konnten. Man kann eine kleinere Arbeit sozusagen aus einem Guß schaffen, ein Werk, wie es Suess unternahm, niemals. Es mag sein, daß bei den dadurch für den Leser entstandenen Unzukömmlichkeiten noch der Umstand mitspielt, daß Suess die Verschiebungen, denen seine Auffassungen unterworfen waren, nicht immer deutlich genug als solche markierte. Mehr noch hatte es jedenfalls für jene Schwierigkeiten zu bedeuten, daß seine Jünger und begeisterten Anhänger, von dem, was er einmal ausgesprochen, um mich so auszudrücken, nichts missen wöllten und deshalb alle diese Verlautbarungen wie eine Art von Öffenbarungen gleichzeitig aufrechtzuerhalten bemüht waren. Nebenbei bemerkt, zeigte sich aber gerade hierin die Macht einer starken Persönlichkeit, welche ausgestattet mit der Kraft eines Sehers oder Propheten die Begei- sterung, welche sie selbst für die jeweilig von ihr vertretene Sache fühlt, auf einen großen Teil der Zeitgenossen zu übertragen im Stande ist. Jedenfalls erschien vielen gegenüber einer solchen Persönlichkeit eine Kritik oder eine Zergliederung von Einzelheiten fast blasphemisch, weil man sich den Gesamteindruck, den der von dem Meister er- öffnete Ausblick auf große Probleme hervorrief, nicht wollte beein- trächtigen lassen. Sowohl eine derartige in weiten Kreisen verbreitete Stimmung, wie sie mit dem Eifer der Bekenner einer durch einen gewaltigen [87] Einige Seiten über Eduard Suess. 419 Führer eingeschlagenen neuen Richtung nicht selten zusammenhängt, als auch. andere Momente mögen die Wirkung mancher ungehört verhallenden kritischen Einwendung gegen gewisse Auffassungen verwischt und damit die rechtzeitige Verständigung über diese Auf- fassungen erschwert haben. So trat vielleicht mancher unter dem Einfluß jener Stimmung an das Studium des besprochenen Werkes mit ganz anderen Er- wartungen heran, als sie bei der Durchsicht des Gebotenen bestätigt werden konnten, und so erklärt sich, daß das gerade durch den Beifall der bedingungslosen Bewunderer hoch gespannte Interesse solcher Leser schließlich jener Ermüdung (lassitude) Platz machte, von welcher de Launay gesprochen hat. Doch liegen diese Umstände sozusagen außerhalb derdirekten persönlichen Verantwortlichkeit des alten Meisters. Etwas anderes ist es vielleicht, wenn wir uns fragen, ob nicht auch die ganz spezielle Art und Weise der Suess’schen Darstellung selbst zu der, wie wir sahen, von einigen Autoren gemachten Bemerkung Veranlassung gab. daß es dem Leser, wie sich de Launay ausdrückt, nicht leicht gemacht wurde, den Ausführungen des großen Werkes zu folgen, De Launay deutet das ja bereits an, indem er hervorhebt (vgl. oben), Suess scheine für seine Schlußfolgerungen immer noch auf das Er- gebnis irgend einer neuen Untersuchung gewartet zu haben. Damit ist in der Tat sehr treffend ein ganz wesentlicher Umstand hervor- gehoben worden für die Beurteilung der Methode des großen Autors, der es leider oft vermieden hat, für seine Auffassungen eine konse- quente, möglichst lückenlose Beweisführung beizubringen. Die Bewertung dieses Vorgehens ist allerdings verschieden und nicht allseitig so ungünstig wie durch de Launay ausgefallen. Die unbedingten Anhänger von Suess haben sogar gerade dieses Verfahren besonders gerühmt. So schrieb V. Uhlig?): „Mit einem Scharfsinn ohnegleichen weiß Suess aus der ver- wirrenden Fülle der Erscheinungen diejenigen herauszugreifen, die das Problem entscheiden. In Betätigung einer Art von unpersönlicher Beweisführung begnügt er sich mit der knappen und sachlichen An- weisung der Elemente und überläßt es häufig dem Leser, die in ihrer Unabweisbarkeit förmlich selbstverständlichenSchluß- folgerungen zu ziehen.“ Nun ist jenes Herausgreifen von Einzelheiten aus der „Fülle der Erscheinungen“ unter Umständen freilich gleichbedeutend mit dem Weglassen von Dingen, die für die Beweisführung störend sind und daraus erklärt sich jener Vorwurf eines zu eklektischen Vor- gehens, der von Hobbs erhoben wurde. Schwerwiegender aber ist noch der Umstand, daß die bei jener, wie Uhlig es nennt, unpersönlichen Beweisführung benützten Angaben rein für sich genommen oft nicht ausreichen, um jedermann zu „selbstverständlichen“ und „unabweis- baren“ Schlußfolgerungen hinzuleiten. Es bleibt da vielmehr manchem die Vorstellung zurück, daß die Gedanken des großen Autors, der in seinen „Erinnerungen“ der Phantasie, dem Gemüt und der Poesie 1) In der „Österr, Rundschau“, 1. c. pag. 106. 420 Dr. Emil Tietze. [88] eine nicht ganz belanglose Rolle bei den Vorstößen in das Reich des Unbekannten anweist !), von ihm selbst bisweilen nicht ganz zu Ende gedacht wurden. So kann wenigstens nicht immer jener geschlossene Beweis hergestellt werden, den gewisse Interpreten aus den AeußBe- rungen des Meisters herauslesen, sofern dieser Beweis nicht im Sinne der zuletzt erwähnten Aeußerungen von Fuchs durch die Empfäng- lichkeit für poetische Stimmungen ersetzt wird. Nur daraus wird es erklärlich, daß die Ausführungen von Suess trotz der im einzelnen so eleganten und deshalb viel gerühmten Schreibweise derselben sogar auf sonst ziemlich rückhaltlose Bewun- derer des großen Geologen den Eindruck der „Zurückhaltung“ und des „oftmals Ungewissen“ machten, wie das aus der schönen Gedächtnis- rede zu ersehen ist, die L. v. Loczy in der Versammlung der ungarischen geologischen Gesellschaft am 3. Februar 1915 dem An- denken des Meisters zu Ehren gehalten hat. Der Redner meinte, Suess sei „gleichsam bewußt über Zweifelhaftes“ hinweggeglitten und er sprach von „unbeendingten Erörterungen?).“ August v. Böhm aber, der in Petermanns Mitteilungen ®) unserem großen Autor überaus freundliche Worte der Erinnerung gewidmet hat und dort die „durcrgeistigte Technik des Ausdruckes in Wort und Schrift“ rühmt, welche den „Meister der Wissenschaft“, wie er sich ausdrückt, in bezug auf diese Behandlung der Sprache auch als „Künstler“ erscheinen lasse, hat der Besprechung der „gleichmäßig und harmonisch dahinfließenden“ Vortragsweise von Suess folgenden Satz hinzugefügt: „Der einzige oratorische Kunstgriff, den er sich mitunter erlaubte, bestand darin, die letzten Worte eines Satzes nur zu lispeln, das letzte wohl überhaupt zu verschweigen — offenbar um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu steigern und den innigsten geistigen Kontakt zu erzwingen.“ Die Parallele zwischen Sprech- und Schreibweise ergibt sich in diesem Falle von selbst. Wir erkennen jedoch aus den hier angeführten Beispielen, daß der Eindruck der Darstellungsart unseres Autors in bezug auf jene „Zurückhaltung“ des letzten Schlusses seiner Aus- führungen bei Lesern und Hörern mehrfach ein ähnlicher gewesen ist, wenn auch dieser Eindruck nicht völlig übereinstimmende Urteile ausgelöst hat. Wir verstehen aber schon jetzt wenigstens eine der Ursachen, die es erschweren, ein gut umschriebenes Bild von dem zu geben, was man als die Suess’sche Theorie zu bezeichnen hätte, eine Schwierigkeit, mit der die Verfasser der Nekrologe des Meisters besonders zu kämpfen haben. So sagt denn auch Machatschek in seinem für den geographischen Jahresbericht für Oesterreich ?) ge- schriebenen Nachruf: „Was man gewöhnlich unter der Suess’schen Lehre vom Gebirgsbau versteht, ist in seinen Werken selten offen ausgesprochen, mehr nur implieite enthalten.“ Der Deutung und Aus- 1) L. c. pag. 434 ?) „Földtani közlöny“ 1915, 45. Bd, vgl. besonders pag. 15 des Separatabdr. °) 69. Jahrgang 1914, 1. Halbband, pag. 339. *) Wien 1915, pag. XVII. (Vgl. das Citat weiter oben.) [89] Einige Seiten über Eduard Suess. 421 legung der Aussprüche des Meisters ist daher nicht selten ein ziem- licher Spielraum gelassen. ' Es besteht wohl kein Zweifel darüber, daß dies von kühleren Beurteilern als Uebelstand empfunden wird, doch darf auf der anderen Seite nicht vergessen werden, daß vieles, was in Kunst, Literatur und Wissenschaft die Epigonen dem einzelnen als: Fehler anrechnen, bis auf einen gewissen Grad dem ganzen Zeitalter zur Last fällt, in welchem dieser einzelne gelebt hat und unter dessen Einfluß er gestanden ist. Daß ‚aber das jüngstvergangene Zeitalter in seinem Ringen nach neuen Formen auf dem Gebiete von Literatur und Kunst die stren- geren Gebote des Klassizismus nicht selten beiseite geschoben hat, haben die Alteren unter uns ja alle miterlebt. Wenn zum Beispiel ein genialer Bildhauer wie Rodin sich vielfach mit der bloßen An- deutung des von ihm Gewollten begnügte und es dem Beschauer überließ, die unbearbeiteten Partien des Marmors sich in Gedanken weiter auszumeißeln und wenn dieses Verfahren den besonderen Bei- fall des Publikums fand, warum hätte ein genialer Gelehrter bei der Verlautbarung seiner Ideen es nicht ebenfalls dem Publikum über- lassen sollen, diese Ideen nach eigenem Gutdünken und, ich möchte fast sagen, auf eigene Gefahr in Ba Zusammenhang zu bringen. Wenn wir die Suess’sche Darstellungsart von dieser Seite her betrachten, werden wir vielleicht, trotz unvermeidlicher Ein würfe, wenigstens mit manchem Vorwurf zurückhaltender sein und werden auch verstehen, wenn die Behandlung. des von dem Meister zur Unterstützung seiner Vorstellungen aus allen Weltgegenden zusammen- gebrachten Materials bisweilen sogar einen, ich möchte sagen, futu- ristischen Zug aufweist. Man könnte freilich sagen, zwischen der Kunst, die Stimmungen hervorrufen will, und der Wissenschaft, die Klarheit anstrebt, bestehe ein Unterschied und nur die Durchführung einer Gedankenoperation tunlichst bis zum Ende und mit Berücksichtigung ihrer weiteren Konsequenzen verschaffe erst dem Denker selbst. die Gewißheit, daß er sich auf dem richtigen Wege befinde. Aber wenn es sich um Probleme handelt, die sich eben vorläufig in ihrem Umfange noch nicht vollständig übersehen lassen und bei denen es genügen mag, der Gedankenarbeit einen wirksamen Impuls zu geben, dann mag auch manchmal eine teils unvollendete, teils nicht stets unter einheitlichen oder 'sich-gleichbleibenden Gesichtspunkten versuchte Beweisführung ihren Zweck erfüllen, sofern dieser Zweck weniger in der Lösung als in der Beleuchtung der betreffenden Fragen gesucht wird. Gerade diese Art der Darstellung hat sogar neben manchen unzweifelhaften Unbequemlichkeiten den Vorzug, daß sie. für den Leser (d. h. wenigstens für denjenigen Leser, der sich einige Selb- ständigkeit bewahrt) das eigene Urteil nicht ausschließt, was vielleicht manchmal nicht genügend beachtet wurde. | Unter diesem Gesichtspunkte der für den Leser im gegebenen Falle wünschenswerten Selbständigkeit äußert sich einer der hervor- Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 56 ui 422 Dr. Emi! Tietze. [90] ragendsten und scharfsinnigsten Schüler des Meisters, Professor Diener), wie folgt: „Es ist eine der Eigentümlichkeiten von Suess, daß er es dem Leser nicht leicht macht, die Theorie dem Text unmittelbar zu ent- nehmen. Selten spricht er sie offen aus. Indem er vor den Augen des Lesers die Probleme stellt, läßt er ihn an seiner eigenen Geistesarbeit teilnehmen, nötigt ihn aber auch, die letzten Schlußfolgerungen selbst zu ziehen oder zu erraten.“ An einer anderen Stelle seiner hier er- wähnten Rede (l. c. pag. 20) sagt Professor Diener, man könne die Fortschritte, welche Suess in der Erkenntnis der von ihm behan- delten Fragen gemacht habe, am besten aus einem Vergleich seiner früheren und späteren Darstellungen erkennen. Eine neue Idee, die in einer älteren Verlautbarung aufkeimte, habe dreißig Jahre später bisweilen zu Schlußfolgerungen geführt, welche den zuerst vertretenen „geradezu entgegengesetzt“ gewesen seien. Aber derselbe Redner be- zeichnete es auch geradezu als eines der größten Verdienste des Verstorbenen als Forscher, „daß er uns das großzügige Bild von dem Bau unseres Planeten nicht in der Form eines starren Systems ge- geben hat, sondern in der Gestalt eines elastischen Rahmens, in den neue Erfahrungen und Tatsachen sich einfügen lassen, ohne daß die Grundlage des Bildes erschüttert werden muß, daß es uns keine bestimmte Denkrichtung dogmatisch aufzwingt, daß es neue Gesichts- punkte zu assimilieren im Stande ist und den Fortschritten der Wissenschaft entsprechend selbst entwicklungsfähig bleibt.“ .Man kann die Schwierigkeiten für denjenigen, der in dem „Antlitz der Erde“ einen festen Boden für seine Vorstellungen von Tektonik zu gewinnen glaubt und man kann auch zugleich das Verdienst des Meisters nicht besser und feiner zeichnen, als dies hier geschehen ist, und es bleibt nur zu wünschen, daß die Epigonen sich der dabei angedeuteten Nötigung selbständiger und unbefangener Geistesarbeit stets bewußt bleiben. Obwohl er dessen Ansichten nicht billigt, scheint es bisweilen, daß sich Suess die Großzügigkeit in der „erdumfassenden Auffassung“ Elie de Beaumonts?) zum Vorbild genommen hat, denn auch der französische Forscher hat nicht wie später Lyell oder dessen deutscher Vorgänger v. Hoff seine Vorstellungen ohne vorgefaßte Meinung auf einer breiten Basis von Tatsachen gleichsam von selbst aufwachsen lassen, sonden in dem Bestreben, ein System zu schaffen, die Dinge seinen der Entwicklung der Beobachtungen vorgreifenden Ideen anzupassen gesucht. Wenn de Launay in der Parallele, die er zwischen Beaumont und Suess zieht, es als einen Vorzug Beau- ') Siehe dessen Gedenkrede in der zur Ehrung des Verstorbenen am 17. Juni 1914 veranstalteten Gedenkfeier der geologischen Gesellschaft in Wien (Mitteil. dieser Ges., VII. Jahrgang 1914, pag. 18). ....%) Vgl. über die persönliche Begegnung von Suess mit Beaumont die Erinnerungen, pag. 127, wo der Verehrung unseres Autors für den französischen Gelehiten Ausdruck gegeben wird. Siehe übrigens auch die gegenwärtige Dar- stellung, pag. [78] die Anmerkung. [91] Einige Seiten über Eduard Suess. 423 monts hinstellt, daß dieser seine Ideen konsequenter durchgedacht und es dabei schließlich in dem Bestreben, klar zu sein, sogar zu einer geometrischen Auffassung gebracht habe, so mag er von einem formalen Standpunkt aus recht haben, aber es wird manchen geben, der schließ- lich die weniger starre Darstellungsweise von Suess vorzieht, weil sie dem Fortschritt der Erkenntnis nicht auf so lange Zeit, wie es beidem Beaumont’schen System der Fall war, sozusagen die Geleise verlegt), während doch andrerseits eine Fülle von Tatsachen dabei in den Brennpunkt der betreffenden Fragen gerückt wurde. Diese Fülle war jedenfalls groß im Vergleich zu den doch noch recht spärlichen Behelfen, die einem Forscher in der ZeitBeaumonts für die Zwecke geologischer Hypothesen zur Verfügung standen. Je umfangreicher aber ein solches Material ist, desto schwieriger wird es, dasselbe zu sichten und die daraus abzuleitenden Folgerungen gesetzmäßig und ohne innere Widersprüche zusammenzufassen. Suess ist diesem Material gegenüber allerdings von gewissen Voraussetzungen ausgegangen, die er intuitiv und keineswegs immer im Sinne der für die Naturwissenschaften zumeist empfohlenen in- duktiven Methode in die Natur hineintrug. In dieser Beziehung vermag . ich Uhlig (vgl. oben) nicht beizustimmen. Wer die Entwicklung der Suess’schen Ideen verfolgt, wie das zum Teil in dem folgenden versucht werden soll, und: dabei die Verlegenheiten erkennt, welche diesen Ideen oft im Laufe der Zeit durch die zu ihrer Stütze herbei- gezogenen Beobachtungen erwuchsen, wird vielleicht zugeben, daß eher in diesem Fall Fuchs recht behält, wenn er sagt: „In der wissenschaftlichen Tätigkeit Suess’ läßt sich ein starker Zug von Inspiration ?) nicht verkennen.“* Aber immerhin versuchte der große Autor wenigstens nachträglich zu ermitteln, ob die betreffenden Tat- sachen zu jenen, vielleicht manchmal etwas rasch gefaßten Voraus- setzungen paßten, und wenn er auch bald genug zu der Einsicht gelangte, die er schon in der „Entstehung der Alpen“ (pag. 175) offen bekennt, daß die Natur „oft sonderbar unseren Voraussetzungen widerspricht“, so hat er doch durch jene Versuche der Unterordnung einer kolossalen Menge von Tatsachen und Meinungen unter die von ihm aufgestellten Gesichtspunkte gerade für diejenigen, die sich nicht blindlings seiner Führung anvertrauen, eine reiche Quelle der Beleh- rung erschlossen, die nicht so bald wieder versiegen wird. Wenn demnach auch der Geopoet, um diesen Ausdruck (vgl. oben) zu wiederholen, streng genommen, zu keinem konsequent durch- geführten und in seinen Teilen zusammenpassenden System der Geotektonik gelangte und wenn de Launay im Recht sein dürfte, der bei aller Anerkennung, die er der Genialität des Meisters zollt, den Ansichten desselben augenscheinlich nicht durchwegs eine lange !) Oder doch nicht zu verlegen braucht, was allerdings ein wenig auch von der Disposition der Epigonen betrefis eines selbständigen Urteils abhängt. 2) „Neue Freie Presse“ vom 19. August 1906, pag. 11. Man muß es hier freilich der Verehrung des alten Schülers für seinen ehemaligen Lehrer zugute halten, wenn Fuchs der Meinung zu sein scheint, daß diese Inspiration „gleichsam unbewußt und instinktmäßig* stets zu der richti gen Lösung der betreffenden Fragen führte. 56* 194 Dr, Emil Tietze. [92] Lebensdauer verspricht, so wird dennoch der Einfluß eines Gelehrten, ‚der nach Beaumont zum ersten Mal wagte, die ganze Erde in den Kreis seiner tektonischen Betrachtung zu ziehen und der dabei zum allerersten Male versuchte, der ganzen geologischen Weltliteratur gerecht zu werden, ein lange andauernder sein durch die gewaltige Anregung, welche dadurch allen einschlägigen Studien gegeben wurde. Und wenn Professor Diener in seiner Gedächtnisrede (l. c. pag. 19) sagte, „der eigentliche Wert des Monumentalwerkes von Suess“ liege nicht darin, daß die von diesem vertretenen Lehrmeinungen „in größerem oder geringerem Umfang Geltung“ behalten, so wünschte er damit wohl vor allem der Dankbarkeit derjenigen Ausdruck zu geben, denen der große Autor den Weg zu jenen Studien oder doch wenigstens das Gebiet gezeigt hat, welches zu bebauen heute so viele mit Eifer bemüht sind. 2, Diese Anregung wird fortwirken, auch wenn von dem Gebäude, welches Suess aufzurichten versuchte, kein Stein auf dem. anderen bleiben sollte. Wenn dann derartige Betrachtungen größeren Stils, zu denen allerdings nicht jeder berufen ist, den universellen Charakter behalten, den ihnen Suess aufgeprägt hat, so kann das unter -Um- ständen gewiß auch von Vorteil sein, vorausgesetzt, daß der Geschmack ‚an den nun einmal unentbehrlichen, wenn auch nicht immer effekt- vollen Einzelheiten dadurch nicht unterdrückt wird und daß der Sinn für die positive Erweiterung unserer Kenntnis wieder mehr zu Ehren kommt, als dies in letzter Zeit der Fall war. Es :ist aber jedenfalls selbstverständlich, daß die Bedeutung einer Anregung, wenn sie der Wissenschaft Nutzen bringen soll, nicht bloß in einer sklavischen Arbeit des Ausbaues der betreffenden Ideen durch die Epigonen gesucht werden darf. Auch die Kritische Beurteilung dieser Ideen (und darauf wurde schon am Eingang dieser Seiten hingewiesen) muß dabei zu ihrem Recht kommen auf die Gefahr hin, daß manches selbst von dem, was wir bewundern und mit Recht für groß halten, uns bei vorurteilsloser Erwägung als teilweise der Berichtigung bedürftig, oder ganz als Irrtum erscheint. Es wäre eine falsche Auffassung der Pietät, die wir dem Andenken eines hervor- ragenden Geistes schulden, wenn wir die Rücksicht auf wissen- schaftliche Erkenntnis oder auf Ueberzeugungen einer solchen: Pietät opfern wollten, was schließlich einem Almosen gleichen würde, dessen gerade der geistig Reiche und Große am wenigsten bedarf. / Es mag erlaubt sein, hier an den Ausspruch eines älteren ‚Autors zu erinnern, der nicht in: den Verdacht kommen. kann, bezüglich der Bewegungen, welche die Geologie in den letzten Jahr- zehnten durchgemacht hat, als Parteimann zu gelten. Am Schlusse seiner berühmten „Considerations on volcanos“ (1. Aufi, London 1825, pag. 270) schrieb Poulett Scerope gelegent- lich einer ‚betreffis des Vulkanes Jorullo entstandenen Meinungsver- schiedenheit mit A. v. Humboldt die folgenden Worte: „I conceive indeed that no more effectual service can be rendered to science than the destruction of any one of these glaring theories, which apparently based upon a few specious facts and backed by the, authority of some great name are received by the world in general without ex- a . nu '[93] Einige Seiten über Eduard Suess. 495 amination notwithstanding that they contradiet the .ordinary march of nature and consequentiy throw the extremest perplexity-into that of science.“ Nun kann man zwar sicherlich nicht sagen, daß Suess seine ‚theoretischen, ursprünglich ‚allerdings vielfach durch eine, Art von „Intuition gewonnenen Vorstellungen nur durch wenige Fakten zu stützen versuchte, wie das Poulett Scrope in seinem Falle bei jener Polemik gegen A.v. Humboldt diesem zum Vorwurf gemacht hat. Im Gegenteil ist es ja. bei Suess die Menge der von ihm ins Treffen geführten Tatsachen, welche geeignet ist, den Leser zu bestechen, der dieselben auf den ersten Blick oft kaum zu übersehen und. in ihrem Zusammen- ‚hange richtig zu prüfen vermag, indessen bleibt doch manches in dem, angeführten: Ausspruch übrig,‘ was auch in dem vorliegenden “Fall zum Nachdenken anregt. In der Einleitung, die MarcelBertrand der französischen von Margerie besorgten Ausgabe des „Antlitz der Erde“ vorausgehen ‚läßt, heißt es: „In unserer Wissenschaft erscheint uns keute derjenige am weitesten vorgeschritten, der die leitenden Ideen von Suess am „besten verstanden hat“, und Diener hat gefunden (Il. c., pag. 24), daß in diesen Worten ein tiefer Sinn liegt. ‚Abgesehen von. der Bewunderung, die Bertrand für Suess empfand, und die auch hier wieder zum "Ausdruck kommt !), liegt darin etwas von der Vorstellung, daß das Verständnis jener Ideen nicht immer leicht und daß es gewissermaßen nur den Auserwählten zu- gänglich ist. Sollte man deshalb finden, daß die folgenden Bemerkungen diesen Ideen nicht in allen Stücken gerecht werden, so hoffe ich damit . doch wenigstens teilweise dem Bedürfnis derjenigen Leser zu entsprechen, welche bisher vielleicht nur einzelnen Kapiteln des Werkes ihre nähere Aufmerksamkeit geschenkt und daher über die Anwendbarkeit. dieser ‚Ideen in ihrem Zusammenhange sich weniger Rechenschaft gegeben „haben. Dem Urteil dieser Leser soll damit nicht vorgegriffen werden. Ob sie sich nun im Sinne Bertrands für vorgeschritten oder für zurückgeblieben. halten, bleibe ihnen nach Einsichtnahme in diese Seiten zu entscheiden überlassen. Sollten sie dabei finden, daß.in .der gegenwärtigen Besprechung Mißverständnisse nicht vermieden wurden, so gibt es ja für die letzteren eine Korrektur. Irrt sich nämlich in. diesem oder jenem Fall die Kritik, so hat dafür die Exegese von seiten der unbedingten Anhänger aller jener Ideen um desto leichteres Spiel. Es wird ja hier, soweit es sich (neben der Anerkennung eines ‚großen Verdienstes) um die Begründung. von Zweifeln handelt, nur darauf ankommen, die für Manchen bestehenden Schwierigkeiten zu . zeigen, in das Verständnis dieser Ideen voll einzudringen. Um so besser, wenn es später gelingen sollte, solche Unklarheiten zu beheben. Dies alles sei vorausgeschickt, ehe hier die wesentlichen Punkte der Ansichten sowohl wie der Darstellungsweise von Suess im Besonderen berührt werden. !) Vgl. oben pag. [79] der heutigen. Darstellung. 496 Dr. Emil Tietze. [94] Geographische Anschauungen als Ausgangspunkte geologischer Erörterungen. Man hat öfters gesagt, daß der Verfasser des „Antlitz“ zu den Geologen gehöre, welche nicht nur dem eigenen Fach, sondern auch anderen Wissenschaftszweigen, wie insbesondere der Geographie wert- volle und wesentliche Dienste geleistet haben. Ich selbst, als ich im Jahre 1901 in Ausführung eines Auftrages der Wiener geographischen Gesellschaft dem gefeierten Gelehrten die Hauer-Medaille über- reichte, habe damals in meiner Ansprache!) den „eminent geogra_ phischen Zug“ betonen zu sollen geglaubt, der durch die Arbeite,, desselben und besonders durch dessen Hauptwerk hindurchgeht. Ic} hob dabei den Gewinn hervor, der speziell für die Geographen be_ züglich neuer Gesichtspunkte sich aus dem Vergleich der in diesem Werke zusammengestellten Erfahrungen ergeben könnte. Es war dies ein Gedanke, der nicht etwa bloß der Gelegenheit angepaßt war, die mich zum Wortführer einer Körperschaft machte, welche anläßlich des Erscheinens der ersten Abteilung des dritten Antlitzbandes den großen Autor zu ehren wünschte, sondern der sich ganz ungezwungen aus dem Studium dieses Werkes von selbst auf- drängt und den später Krebs in dem schönen Nachruf, den er dem Andenken des Meisters widmete, noch weiter ausgeführt hat ?). Man darf aber wohl noch einen Schritt weiter gehen, wenn man die Beziehungen zwischen den geologischen und geographischen Vor- stellungen bei Suess in ihrer wechselseitigen Bedeutung zutreffend beurteilen will. Man darf nämlich ohne Zögern behaupten, daß in mehr- facher Hinsicht die Geologie gar nicht den alleinigen Ausgangspunkt der Erörterungen bildete, denen wir bei dem Autor des „Antlitz“ begegnen, sondern daß dieselbe in vielen Fällen nur zur Interpretation eines geographischen Bildes herangezogen und in Bezug auf tektonische Vorstellungen sogar teilweise aus diesem Bilde zuerst abgeleitet wurde. Hierin, das heißt in der Erkenntnis der Tatsache, daß einem großen Teil der von Suess vertretenen Anschauungen ursprünglich eine mehr geographische als geologische Betrachtungsweise zu Grunde lag, darf man, wie ich glaube, sogar den Schlüssel für das Ver- ständnis dieser Anschauungen suchen. - Die Topographie der Erdoberfläche, wie sie sich auf den geo- graphischen Karten und namentlich auf einem Globus ausnimmt, gab jedenfalls in Bezug auf jene Anschauungen dem Autor oft den ersten Anstoß zum Nachdenken über die von ihm behandelten Probleme; die Beobachtung oder die sonstige Ermittlung der darauf bezüglichen tektonischen Verhältnisse im Einzelnen trat dann für die weitere Be- trachtung erst hinzu. Es war das eben die (allerdings nicht ganz der von Uhlig betonten induktiven Methode entsprechende) Betrachtungs- weise, welche Zittel (vgl.oben pag. [81] der gegenwärtigen Darstellung) als eine Untersuchung aus der Vogelperspektive bezeichnet und in .. ) Siehe Mitt. d. k. k. geogr. Ges. Wien 1901, pag. 285. Ich war zu jener Zeit Präsident der genannten Gesellschaft. °) Mitt. d. k. k. geogr. Ges. Wien 1914, pag. 296-311. er a [95] Einige Seiten über Eduard Suess. 497 Gegensatz zu den tektonischen Theorien gebracht hat, die sich aus dem Spezialstudium bestimmter Gebirge entwickelten. Gleich die Einleitung des „Antlitz* macht uns, wie wir sogleich sehen werden, mit dieser Betrachtungsweise bekannt!), und im Schlußbande dieses Werkes kommt Suess ausdrücklich auf dieselbe zurück ?). Ihr ist ja auch der Titel des Werkes angepaßt. Daß Geographie und Geologie sich zu ergänzen berufen sind, ist unbestreitbar. Von welcher Basis aus die Forschung bei einer solchen Ergänzung am besten auszugehen hat, wird von der Art der einzelnen Fälle abhängen. Die Ergebnisse der physischen Erdkunde, morphologische Studien und dergleichen werden sicher nicht selten eine solche Basis für den Geologen abgeben. Bei der von unserem Autor befolgten Methode handelte es sich indessen nicht um das, was der Geograph speziell morphologische Studien nennt, sondern, wie schon oben ausgesprochen wurde, vorwiegend um eine rein . topographische Anschauung der wichtigeren Züge des Erdreliefs, welche sodann mit den entsprechenden tektonischen Ideen von Suess verknüpft wurde. „So sehr“ nämlich, schreibt Prof. Machatschek?°) „Suess in seinen Werken auch geographisch dachte und vielfach nach geo- graphischer Methode arbeiten mußte, so gering dachte er von der Geomorphologie‘, von deren Seite aus überdies den Lehren von Suess, wie Machatschek außerdem schreibt, eine Gegnerschaft erwachsen ist. Immerhin kann aber andrerseits für die topographisch-geogra- phische Anschauungsweise unseres großen Geologen eine Er- klärung oder Rechtfertigung in dem Umstande gefunden werden, daß das heutige Aussehen der Erdoberfläche (natürlich abgesehen von den Vegetationsverhältnissen und deren Einfluß auf die Landschaft) viel- fach von der Summe der bisherigen geologischen (wenn auch nicht ausschließlich tektonischen) Vorgänge bestimmt wurde und sogar der letzte Ausdruck dieser Vorgänge ist. Auch soll hier nicht in Abrede gestellt werden, daß auf diesem Wege Erkenntnisse gewonnen oder doch angebahnt werden können, und überdies muß zugestanden werden, daß in manchen Fällen die Kartenbilder dem Beschauer gewisse Probleme direkt vor die Augen stellen. Das gilt insbesondere für die Fragen, die sich auf die Um- risse der Festländer beziehen, welchen denn auch bei den Ausführungen des Meisters ein vorderster Platz eingeräumt wird. „Könnte ein Beobachter“, so lautet der erste Satz der Einleitung des „Antlitz“, „aus den Himmelsräumen unserem Planeten sich nähernd, die rötlich braunen Wolkenzonen unserer Atmosphäre bei Seite !) Der etwas weiter unten angeführte Wortlaut des ersten Satzes dieser Einleitung erklärt auch zum Teil den Zittel’schen Vergleich, 2) Bd. III/2, pag. 724 etc. 3) Geographischer Jahresbericht aus Öst-rreich, Wien 1915, pag. 17, in dem für den Verein der Geographen an der Wiener Universität verfaßten Nachruf für seinen ehemaligen Lehrer. 428 Dr. Emil Tietze. [96] schieben und die Oberfläche des Erdballs überblicken, wie sie unter seinen Augen rotierend, sich im Laufe eines Tages ihm darbietet, so' würde vor allen anderen Zügen der südwärts keilförmig sich ver- engende Umriß der Festländer ihn fesseln.“ In der Tat ist diese Zuspitzung, bezüglich Verschmälerung. mancher kontinentalen Massen nach Süden hin, wofür Südamerika, Afrika, Indien, Australien (mit Transmanien) und Grönland die wich- tigsten Beispiele abgeben, „das auffallendste Merkmal unserer Erd- karte“, wie Suess sagt, und ist deshalb einigen Geographen schon seit langem als bedeutsam erschienen. Wir lesen beispielsweise inPeschels Problemen der vergleichenden Erdkunde), und zwar in dem „geo- graphische Homologien“ überschriebenen Kapitel, daß teilweise schon Lord Bacon auf die betreffenden Verhältnisse aufmerksam . ge- worden war?), und Suess erhebt auch keineswegs den Anspruch der Erste zu sein, der .auf dieselben hinwies; er sagt (l. ec.) ja aus- drücklich, sie seien wohl aufgefallen, seit man die Erdkarte kennt. Daß er ihre Erwähnung aber an die Spitze seiner Ausführungen stellt und daß er dann noch einige Male auf die. betreffende Anschauung zurückkommt), beweist, daß er jenen kontinentalen Verschmälerungen eine besondere Wichtigkeit für seine Betrachtungen beilegte. Er begnügte sich auch nicht mit der erneuten Konstatierung (der, betreffenden Tatsache, sondern versuchte auch deren Deutung, denn er erklärte die keilförmigen Umrisse jener Landgebiete durch das Zusammentreffen von Senkungsfeldern verschiedenen Alters. Augenscheinlich glaubte er bei dieser Betrachtung den Umstand vernachlässigen zu dürfen, daß die Konturen alter. Küsten im Laufe der Zeit durch den Anprall der Wogen teilweise modifiziert worden sind, so daß die heutigen Küstenlinien nicht durchwegs strikt mit einer tektonischen Grenze zwischen Senkungsfeldern und aufragenden Teilen der Erdoberfläche zusammen zu fallen brauchen. Doch mag dieser Um- stand bei einer großzügigen Betrachtung, wie sie uns hier VORIEDERE in: der Tat wenig von Belang sein. Immerhin bleibt ziemlich ungewiß, wie sich die von Ana vorgenommene und sogleich näher zu besprechende Unterscheidung des pacifischen und atlantischen Küstentypus speziell für Südamerika und vielleicht auch für Australien mit der hier erwähnten Auffassung verträgt, insofern unter diesem Gesichtspunkt die beiden Seiten der südamerikanischen Zuspitzung doch kaum als gleichwertig anzusehen wären und auch die pacifischen Küsten Australiens nicht mit den übrigen Küsten dieses Kontinents vergleichbar “erscheinen. Für Süd- amerika wird dieses Bedenken übrigens von Suess selbst anerkannt („Antlitz“ II, pag. 680). Das „verschiedene Alter“ der betreffenden Senkungsfelder hat aber gerade für diese Frage wohl keine besondere Bedeutung. Auffallender noch erscheint es vielleicht, daß in der Darlegung von Suess die Frage ungeklärt bleibt, weshalb jene Zuspitzungen ') Die 1. Auflage dieses Buches erschien 1869. Das hier gegebene Citat bezieht sich auf pag. 66 der 8. Auflage 1878. °) Bacon von Verulam lebte bekanntlich vor mehr als 300 Jahren. °) „Antlitz der Erde“, II. Bd, pag. 680 u. Schlußband III/2, pag. 690. [97] Einige Seiten über Eduard. Suess. 429 gerade gegen Süden gerichtet sind. Es wäre interessant gewesen gerade von einem Meister wie Suess zu erfahren, wie man bei- spielsweise die sogenannte Tetraeder - Hypothese von Green zu beurteilen habe, von welcher Supan in seiner physischen Erdkunde (4. Auflage 1908, pag. 41) sagt, daß sie jene Zuspitzungen bis auf einen gewissen Grad erkläre!). Aber da Suess die Bezugnahme auf geometrische Vorstellungen bei seinen tektonischen Ausführungen über- haupt ablehnt, wie er das bekanntlich in ausgesprochener Weise gegen- über dem Beaumont’schen Pentagonalnetz getan hat, so ist begreif- flich, daß er auch in diesem Falle auf ein Eingehen in derartige Spekulationen verzichtet hat. Wenn uns jedoch dafür gesagt wird („Antlitz“. III/2, pag. 90), daß es auch auf dem Monde Senkungsfelder gibt, welche durch „keil- förmige Horste“ von einander getrennt sind, so ist das allerdings der Hinweis auf eine hoch interessante Analogie, die vielleicht einmal für die Erklärung der irdischen Erscheinungen Bedeutung gewinnen kann, aber vorläufig gibt uns das noch keinen richtigen Aufschluß über die Gründe, weshalb die bewußten Zuspitzungen auf der Erd- oberfläche gerade sämtlich nach der Richtung verlaufen, wie wir sie auf den Karten sehen. | Trotzdem aber, das heißt obgleich hier noch einige Hauptfragen offen geblieben sind, darf man die bewußten Darlegungen von Suess und die von diesem versuchte Deutung der betreffenden Erscheinung doch wohl für mehr als eine bloße, in neuartigen Worten gegebene Umschreibung des betreffenden Tatbestandes ansehen und darin eine wesentliche Förderung der Diskussion des Problems erblicken, welches sich auf jene auffällige Art der Abgrenzung zwischen den über den Meeresspiegel auftauchenden und den unter denselben untergetauchten, nach Suess gesenkten Teilen der festen Erdkruste bezieht. Jene Deutung steht übrigens in einem gewissen Zusammenhang mit einem anderen Gedanken des großen Autors, der sich vielfache Zustimmung erworben hat und gleichfalls einer geographischen Betrach- tungsweise entsprang. Es ist der Gedanke, für die Umrisse der Festländer unter Be- rücksichtigung der dazu gehörigen Inseln zwei verschiedene Typen zu unterscheiden, den atlantischen und denpacifischen. Der vierte Abschnitt des zweiten Antlitzbandes ist der Darlegung dieses Gedankens gewidmet. „Bruchränder von Horsten und Tafel- brüche bilden die mannigfache Umgrenzung des atlantischen Ozeans“ (l.c. pag. 258), während (l. c. pag. 261) fast alle genauer bekannten Umgrenzungen des pacifischen Ozeans durch gefaltete Gebirge“ ge- bildet werden, „deren Faltung gegen den Ozean gerichtet ist, so daß ihre äußeren Faltenzüge entweder die Begrenzung des Festlandes selbst sind, oder vor demselben als Halbinseln und Züge von Inseln liegen“. Als wichtiges Merkmal des pacifischen Typus gilt auch (vgl. !) Supan macht allerdings den begründeten Vorbehalt, daß sich die Ver- teilung von Land und Wasser in den geologischen Zeiten geändert habe, was bei Green nicht berücksichtigt wurde. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 57 430 Dr. Emil Tietze. [98] l. e. pap. 264) „die Vervollständigung der marinen, mesozoischen Schichtenreihen, welche man wahrnimmt, wenn man sich den pacifi- schen Küsten nähert. An den atlantischen Küsten sieht man das nicht“. In seiner Abschiedsvorlesung !), in welcher Suess den Abstand zu zeigen sucht zwischen dem Stande unserer Wissenschaft 'zur Zeit des Beginns seiner Lehrtätigkeit und dem Maß der Erkenntnis, welches dieselbe am Schlusse dieser Tätigkeit aufwies, kommt derselbe auf einige wesentliche Punkte der von ihm vertretenen Anschauungen in summarischer Weise zurück und erwähnt dabei auch wieder den Unter- schied zwischen den genannten beiden Küstentypen, woran er einige weitere Betrachtungen knüpft. Er betont dort unter anderem, man sehe bei Betrachtung einer Weltkarte, dal mit Ausnahme des Hoangho und des Yangtsekiang „kaum noch irgend ein größerer Strom seinen Weg zum pacifischen Ozean nimmt 2)“. „Alle Wässer des Festlandes wenden sich zum atlantischen und zum indischen Ozean.“ Dann hebt er die „bogenförmigen Gebirgs- ketten“ hervor“, welche „alle gegen den pacifiischen Ozean zu bewegt sein scheinen“, während „gefaltete Gebirgsketten“ wie die Antillen zwar „an das atlantische Gebiet herantreten, aber sich zurückkrümmen als würden sie durch irgend eine geheimnisvolle Kraft 3) zurückgehalten“ wobei im übrigen rings um den Atlantischen und Indischen Ozean nur gleichsam „amorphe Küstenlinien“ vorkommen. Aus diesen und einigen etwa sonst noch in Betracht kommenden Verhältnissen entnimmt dann der Autor die Vorstellung, daß der pacifische Ozean „seit außerordentlich langer Zeit“ besteht *), daß der Indische Ozean jünger, der Atlantische noch jünger ist. Ein vierter Ozean, für welchen Suess den Namen Tethys gewählt hat), ist bis auf einen durch unser heutiges Mittelmeer gebildeten Rest ver- schwunden. Sein ganzes Gebiet ist „in Falten gelegt.“ Wenn nun auch Suess es dem eigenen Ermessen der Fach- genossen anheimgestellt hat, dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Seltenheit der Flußläufe, die zum Pacific führen, und dem hohen !) Bereits früher citierte Veröffentlichung in den Beiträgen zur Paläon- tologie u. Geol. Oesterr.-Ungarns u. d. Orients, 14. Band. Vgl. für den jetzigen Fall die pag. 4 u. 5 des Separatabdruckes. 2) Weshalb Ströme wie der Amur und der Mekong, die doch ebenfalls mit dem Pacific verbundenen Meeren zufließen, nicht genannt wurden, oder auf der amerikanischen Seite Colorado, Oregon und Fraser, die doch mehr als bloße Küstenflüsse sind, unberücksichtigt bleiben sollen, ist allerdings nicht ersichtlich. °) Das Zurückkrümmen wird allerdings durch die für den pacifischen Typus als bezeichnend hingestellte Bogenform bedingt. Der Bogen wäre ja sonst kein Bogen. Wenn also hier ein „Geheimnis“ besteht, so liegt es in der für den gege- benen Fall auffälligen und der Theorie nicht entsprechenden Existenz des Antillen- bogens an sich, aber nicht daran, daß der Bogen krumm ist, *) Mit dieser Vorstellung von dem großen Alter des Pacific hängt vielleicht noch zusammen (vgl. „Antlitz“ III/2, pag. 695), daß Suess einer interessanten Vermutung des jüngeren Darwin sympathisch entgegen kommt, der Vermutung nämlich, die Stelle, an welcher sich der Mond seiner Zeit von der Erde los- gelöst hat, sei in der Region des Pacific zu suchen. #) Ueber dieses einstige Meer vgl. verschiedene Stellen des 3. Bandes (z. B. pag. 25, 296, 369) und des Schlußbandes (z. B. pag. 219) des „Antlitz“. [99] Einige Seiten über Eduard Suess. 431 Alter dieses Beckens nachzusinnen !) und wenn er auch, wie später gezeigt werden soll, die Meinung von der Bewegung der gefalteten Ketten gegen den Pacific in ihrer Allgemeinheit keineswegs aufrecht erhalten hat?),, so wird man doch zugeben dürfen, daß er mit dem angegebenen Gedanken einige wichtige Züge im Antlitz unseres Planeten den Beobachtern dieses Antlitzes zum deutlichen Bewußtsein gebracht hat und daß eine Reihe von Erscheinungen dadurch für weitere Vergleiche erst in eine passende Beleuchtung gerückt wurden. Ein absolut für die bezüglichen Erdräume gültiges Gesetz wurde damit allerdings nicht gefunden. Auf gewisse Ausnahmen von der von ihm für die geo- graphische Verbreitung der beiden Küsten-Typen vermuteten Regel hat Suess selbst aufmerksam gemacht, wie denn besonders die so eben kurz erwähnten Antillen und im südlichen Polarmeer die Süd-Sandwich-Inseln solche Ausnahmen vorstellen, insofern sie den pacifischen Typus im Bereich des atlantischen Ozeans vertreten, welcher Typus (wieder nach Suess selbst) auch bei Gibraltar direkt in der Nähe des Atlantischen Ozeans zum Vorschein kommt. Auch bezüglich des Mittelmeers, dieses Epigonen der alten Tethys, die doch nicht zum pacifischen Gebiet gehörte, hat der Meister hervor- gehoben, daß in dessen Umrandung der pacifische Typus überwiegt. Aber vielleicht ändern solche Ausnahmen nicht allzuviel an dem Gewinne, den wir gegebenenfalls aus der vergleichenden Betrachtung ziehen können, von welcher so eben die Rede war. Und wenn, insofern Suess ja nur die heutigen Umrandungen der Ozeane verglich, die Frage einigermaßen offen geblieben ist, wie sich das ältere Gebiet des Pacific in der Vergangenheit verhalten hat, mit anderen Worten, ob dessen Umrandung stets dem pacifischen Typus entsprochen hat, eine Frage, die bei den Altersverhältnissen !) Wenn vielleicht die übrigens im Ganzen ziemlich jugendlichen Ketten- gebirge, welche gegenwärtig auf der amerikanischen Seite den alten pacifischen Ozean einfassen, als Hindernis für eine größere Stromentwicklung aufgefaßt wurden, so mag das verständlich sein. Ein solches Hindernis wird jedoch durch die freien ostasiatischen Inselkränze für die Küsten ihres kontinentalen Hinter- landes nicht gebildet. Betreffs der angeblichen Seltenheit großer Ströme in dieser Gegend im Gegensatz zu der Süßwasserabgabe an andere Küsten, wird aber der gewöhnliche Beschauer einer Weltkarte sich mit der Wahrnehmung beruhigen, daß die an den Atlantischen und Indischen Ozean, sowie an das Eismeer grenzenden Landstriche von sehr viel größerer Ausdehnung sind als die fest- ländischen Umrandungen des Pacific, für den beispielsweise die europäischen und afrikanischen Flüsse bei dieser Betrachtung von vornherein nicht in Frage kommen. Es ist also nicht recht durchsichtig, weshalb Suess die betreffenden Verhältnisse zur Charakterisierung des Unterschieds zwischen dem atlantischen und pacifischen Küstentypus herangezogen hat. Jedenfalls haben wir es hier wieder mit einer jener „unbeendigten Erör- terungen“ zu tun, welche einige Beurteiler, wie früher gezeigt wurde, als be- zeichnend für die Darstellungsweise unseres Autors erkannt haben. 2) Betreffs der südamerikanischen Anden hat Suess zwar ursprünglich jene Meinung vertreten, und z. B. noch im II. Band des „Antlitz“ (pag. 163) aus- gesprochen, daß die tangentiale Bewegung in der ganzen Breite beider ameri- kanischen Kontinente gegen den Pacific gerichtet sei, schließlich aber die umge- kehrte Meinung geäußert, was, da die Anden doch einen beträchtlichen Teil der Umrandung des Pacific bilden, einer wesentlichen Einschränkung des oben eitierten Ausspruchs gleichkommt. 57* 432 Dr. Emil Tietze. [100] der umrandenden Ketten an sich nicht ganz überflüssig ist, so zeigt das nur die nicht ganz einfache Natur und zugleich auch die Be- deutung des von dem Meister aufgestellten Problems. Jedenfalls hat Suess mit den erwähnten Darlegungen, gleich- viel, wie wir uns zu denselben verhalten, ebenso wie mit den vor- genannten Ausführungen über die südlichen Zuspitzungen der Konti- nente versucht, die Auffassung der Tektonik der Erdoberfläche gegenüber der Einzelbeobachtung der Verhältnisse der Gebirgsbildung unter allgemeinere Gesichtspunkte zu bringen, was mit Recht von seinen Beurteilern, insbesondere seinen Anhängern hervorgehoben und als ein wesentliches Moment seiner Anschauungsweise betont wurde. „Man hatte die Kettengebirge bisher als gewissermaßen indivi- dualisierte Objekte betrachtet“, schrieb Theodor Fuchs in der Wiener „Neuen Freien Presse* vom 11. November 1909. Das eigentliche Studienobjekt des Geologen seien aber nach Suess gar nicht die Gebirge, sondern die Kontinente. Das ist nun freilich eine wenigstens nach ihrer negativen Seite hin etwas weitgehende Forderung. Immerhin nämlich wird man sich von der Beschäftigung mit den Gebirgen nicht ganz zurückziehen dürfen, und da dies auch Suess nicht getan hat, wird in den folgenden Seiten wiederholt auch von einzelnen Gebirgen zu sprechen sein. Nicht wenig (wenn auch keineswegs unbedingten) Beifall und sogar mehrfach Nachahmung hat auch der ebenfalls auf einer zunächst rein geographischen Betrachtung fußende Versuch des Meisters gefunden, sogenannte Leitlinien der Gebirgsketten zu konstruieren und danach die Zusammenhänge dieser Ketten und deren Bildungsweise zu be- urteilen. Er wollte!) „auf diesem Wege der Synthese die Faltenzüge zu noch größeren Einheiten naturgemäß“ vereinigen, „einen möglichst sroßen Teil der Erdfaltung in einem einzigen einfachen Ausdruck“ erklären (!) und auf diese Art „den von der Natur auf das Antlitz der Erde geschriebenen Plan“ ermitteln. Ein schwieriger Versuch bei der zum Vollzug gebrachten Methode, die auf weite, mitunter noch wenig bekannte Gebiete anzuwenden war. Vor allem aber kann hier die Bemerkung nicht unterdrückt werden, daß der Sinn der soeben angeführten Worte nicht ganz leicht zu erfassen ist, weil uns mit diesen Worten (überdies in etwas un- deutlichen Umrissen) zwar der Zweck der Leitlinien bezeichnet, aber nicht gesagt wurde, was man eigentlich unter einer Leitlinie zu verstehen habe, denn, wie schon Diener in einem Referat über die erste Hälfte des dritten Antlitzbandes hervorhob 2), hat Suess über- haupt „eine Definition des Begriffes Leitlinie nicht gegeben‘. Man dürfte, sagt Diener weiter, der Meinung von Suess „wohl am nächsten kommen, wenn man die Leitlinie eines Gebirges als den Ausdruck seines mittleren Streichens bezeichnet“. Nun aber 1) „Antlitz“, III. Bd., I. Teil, pag. 6. } 2») Mitt. d. k. k. geogr. Ges. in Wien 1901, pag. 275. [101] Einige Seiten über Eduard Suess. 433 ist das mittlere Streichen eines Gebirges ein sehr dehnbarer Begriff. Was ist z. B. das mittlere Streichen der Karpathen, die von der mährisch-ungarischen Grenze bis in die Bukowina hinein ihr Gebirgs- wie ihr Schichtenstreichen mehrfach ändern? Soll man da die mäh- rischen Karpathen für sich betrachten und dasselbe jeweils mit den westgalizischen und den ostgalizischen Karpathen tun? Oder wie verhält sich jenes mittlere Streichen, wenn man dann noch die transsylvanischen Gebirge, die ihrerseits auch kein einheitliches Streichen besitzen, zu den Karpathen rechnet? Bei der praktischen Anwendung des Begriffes oder vielmehr des Wortes Leitlinie, scheint man sich gern mit kleineren Gebirgsabschnitten zu behelfen. Es bleibt jedoch so ziemlich der Willkür der Autoren überlassen, wie groß oder wie klein sie diese Abschnitte nehmen wollen. Die Klage, daß Suess es bei seinen tektonischen Ausführungen oft an genügend scharfen Definitionen der von ihm als Begriffs- bezeichnungen verwendeten Worte habe fehlen lassen, wie dies in dem jetzt gegebenen Falle von Diener als Uebelstand empfunden wurde, ist ja mehrfach erhoben und einige Male auch öffentlich aus- gesprochen worden. Bittner hat dieser Klage schon vor längerer Zeit sogar in einer besonderen Darlegung!) Ausdruck verliehen, die alle Merkmale des scharfen, kritischen Verstandes an sich trägt, der dem letztgenannten Autor eigen war und die auch heute noch von jedem, der sich über die dort behandelten Fragen ein unbefangenes Urteil zu bilden wünscht, mit Nutzen zu lesen ist?). Die Bittner’sche Besprechung bezog sich beispielsweise auf solche Worte wie Horst, Flexur®) und Scharung, die sich allerdings in der Literatur jetzt so ziemlich eingebürgert haben, wobei sich durch die Art der Anwendung dieser Worte die dazu gehörigen Begriffe mehr und mehr in faßlicher Weise herauszubilden vermochten ®). Auch macht die Benützung dieser Bezeichnungen keine Ungelegenheiten, wenn die betreffenden Autoren sich nicht mit dem knappen Wort kegnügen, sondern sich die Mühe nehmen, die betreffenden Verhältnisse etwas näher zu 1) Ueber einige geotektonische Begriffe und deren Anwendung. Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1887, pag. 397—422. 2) Bittner war, wie ich bei dieser Gelegenheit, wenn auch ohne Bezug auf den vorliegenden Fall zur Kennzeichnung dieses vielfach mißverstandenen Mannes aussagen will, einer der ehrlichsten Kämpfer gegen allen falschen Schein in der Wissenschaft. Wenn es ihm bei der Vertretung seiner Ueberzeugungen nicht immer gelang, eine genügend glatte und gefällige Form des Ausdrucks zu finden, so ist das kein Grund, die stets wertvollen, überdies nur zum Teil poie- misch-kritischen Arbeiten dieses tüchtigen Gelehrten zu übersehen, der einer unserer gewissenhaftesten und kenntnisreichsten Alpengeologen gewesen ist. >) Dieser Ausdruck kommt allerdings schon in der Literatur vor Suess vor, indessen vielleicht nicht stets in dem Sinne, den die neuere von Suess be- einflußte Literatur damit verbindet. 4) Sie konnten teilweise sogar schon durch Definitionen umschrieben werden. Daß indessen ursprünglich diese Anwendung keine feststehende war, hat Bittner in überzeugender, man möchte sogar sagen drastischer Weise gezeigt. Vgl. z. B. dessen Ausführungen über die Scharung (l. c. pag. 417 ete.), durch welche ich, nebenbei bemerkt, mich einer besonderen Besprechung dieses Wortes in der heutigen Darlegung enthoben glaube. Die Vorstellungen über die Scharung spielen ja ebenfalls in das Geographische hinein: Ich könnte aber den Bemerkungen Bittners hier nicht viel Neues hinzufügen. 434 Dr. Emil Tietze. [102] schildern, wodurch dann Mißverständnisse leichter vermieden werden. Bei der Bezeichnung „Leitlinie“ indessen hat sich, wie mir scheint, der dazu gehörige Begriff noch nicht genügend krystallisieren können, und das ist vielleicht ein Grund für die Wahrnehmung Machatscheks!), daß man bisweilen geneigt ist, die Bedeutung der Leitlinien für den geologischen Bau der Erdkruste zu unterschätzen, während man er- kannt habe, daß für das Verständnis der heutigen Oberflächengestaltung mit diesen Linien wenig gewonnen sei. Gute Definitionen gehören freilich zu den schwierigsten Auf- gaben für einen Schriftsteller, und wenn Suess dem Versuch, Defini- tion zu geben, meist ausgewichen ist, obschon ihm sicher die deshalb gegen seine Darstellung erhobenen Bedenken nicht unbekannt blieben, so geschah dies wohl, weil er lieber gar nicht als schlecht definieren wollte. Insofern es sich hier um eine Eigentümlichkeit der Suess’schen Schriften handelt, mit welcher sich der Leser wohl oder übel abfinden muß, will ich bei dieser Gelegenheit hervorheben, was Suess selbst in seinen „Erinnerungen“ (pag. 432) über Definitionen gesagt hat. Er schreibt dort: „Aristoteles wird das Wort zugeschrieben: Ich weiß, was der Raum ist, frägst du mich aber darum, so weiß ich es nicht. Der große Weise wußte keine Definition zu geben und ich fürchte, daß auch seither nur leere Verkettungen von Worten als Definitionen geboten worden sind. Ich kann sagen, was ein Kubikmeter oder was eine Stunde ist, das ist was ein Teil des Raumes oder der Zeit ist; aber wo kein Maß ist, da schließt sich nicht der Begriff.“ Das Urteil über die Definitionen, welches in dieser Aeußerung enthalten ist, erscheint etwas hart, zumal die Verkettungen von Worten nicht stets auf die Versuche beschränkt bleiben,einen Begriff zu um- schreiben, wie denn offen gestanden aus den oben erwähnten Wen- dungen, durch welche zwar keine Definition der Leitlinien gegeben, aber doch deren Zweck bezeichnet werden soll, mancher Leser nicht viel mehr Nutzen ziehen wird als aus jenen Verkettungen von Worten. Auch handelt es sich doch nicht immer um so transzendentale »inge wie in dem Falle des Aristoteles. Ein Geologe, der mit Worten wie Horst, Scharung oder Leitlinien zu operieren hat, sollte denn doch wissen, was mit diesen Worten gemeint ist, und ein Antor, der solche Worte in die Wissenschaft einführt, wird doch im allge- meinen gut tun, die betreffende Begriffsbildung nicht dem Leser allein zu überlassen. Namentlich in dem jetzt besprochenen Falle wäre dies gut ge- wesen, da Ja durch die Leitlinien der Zusammenhang der verschiedenen Gebirgsketten zu enger mit einander verbundenen Gebirgssystemen dargestellt werden sollte, was eine der Hauptaufgaben war, die sich Suess in seinem Werke gestellt hatte. ‚Manche Schwierigkeit, die sich hier aus dem Mangel eines klaren Begriffes ergibt, hätte sich übrigens vermeiden lassen, wenn der Auf- stellung der Leitlinien eine Verständigung über die Grundsätze vor- ') Geogr. Jahresbericht, 1. ce. pag. 17. E [103] Einige Seiten über Eduard Suess. 435 ausgegangen wäre, nach welchen jener Zusammenhang der Ketten zu einem System und verschiedener Systeme untereinander bestimmbar ist. So aber hat, um mit Philippson!) zu reden, „noch niemand genauer definiert“, was man unter einem Gebirgssystem und dem Zu- sammenhang solcher Systeme zu verstehen habe. „Auch Ed. Suess,“ so fährt Philippson fort, „dessen klassisches Werk im wesent- lichen die Darstellung der Gebirgszusammenhänge zum Ziel und Inhalt hat, vermeidet doch völlig irgend eine Definition 2) dieser Begriffe. Was ist entscheidend für den Zusammenhang der Faltengebirge: Die Gesteine und die Geschichte der Ablagerungen? Das Alter der Faltung, die Streichrichtung der Faltung? Der topographische Zusammenhang? So lange man sich darüber nicht klar geworden ist, halte ich es für ziemlich müßig, über die Zusammenfassung oder Trennung der ein- zelnen Gebirgssysteme zu streiten.“ Hält man diese Aeußerung Philippsons für berechtigt, dann. bedeuten die sogenannten Leitlinien tatsächlich nicht mehr als den ungefähren Verlauf der Richtungen der Kettengebirge, wie er sich auf den topographischen Karten zeigt und besonders in den älteren Atlanten durch langgestreckte raupenförmige Zeichnungen schematisiert zur Darstellung gebracht wurde. Diese Linien geben gewissermaßen ein vereinfachtes Bild jenes Verlaufes, was allerdings zur Illustrierung mancher Ausführungen (z. B. über die Bogenformen vieler Gebirge, ziem- lich bequem sein mag, abeı sachlich keinen weiteren Vorteil bietet. Die Freude an einem neuen Schlagwort, welches sich hier eingestellt hat, mag übrigens viel dazu beigetragen haben, die „Leitlinien* in der neueren Literatur trotzdem wenngleich nicht allgemein, so doch bei einer Gruppe von Geologen populär zu machen. Es mag aber angebracht sein, nach dieser mehr allgemeinen Be- trachtung noch auf einige Einzelheiten hinzuweisen, welche mit der Frage der Leitlinien (bezüglich der Grundsätze für die Verwendung dieser Linien) bei der Zusammenfassung von Gebirgen verknüpft sind. Suess selbst konnte nicht umhin zu betonen, daß die durch die Leitlinien zu symbolisierenden Faltungen zu verschiedenen Zeiten stattgefunden haben, was der Ermittlung mancher vermuteter Zu- sammenhänge durch eine vorwiegend topographische Betrachtungs- weise jedenfalls im Wege steht. Gelegentlich dieses von dem Autor des „Antlitz“ allerdings nicht sehr noch bewerteten Bedenkens weist derselbe noch darauf hin, daß die faltende Kraft nicht zu allen Zeiten mit gleicher Intensität ge- wirkt haben könne. Er betont°), daß alle archäischen Felsarten der Erde Faltung erfahren haben, während später die betreffenden Gebiete stellenweise in Ruhe verharrten. Er schließt daraus, daß die faltende Kraft einst über den ganzen Erdball tätig gewesen, heute aber örtlich beschränkt sei, so daß sie an vielen Stellen als „abgestorben“ be- trachtet werden könne. 1) Petermanns Mitteilungen 1914, Il. Halbband), pag. 74. 2) Hier sehen wir gleich ein weiteres Beispiel für die Klagen über Unzu- kömmlichkeiten, die sich aus dem Mangel einer deutlichen Orientierung des Lesers bezüglich des Inhaltes gewisser Worte ergeben. s) „Antlitz“ III. Bd., 1. Teil, pag.7. 436 Dr. Emil Tietze. [104] Ich vermute, daß diese Ausführung den Zweck hatte, die Ausschaltung der durch die archäische Faltung bedingten Verhält- nisse von der Besprechung der Leitlinien zu begründen und damit die betreffende Diskussion von vornherein auf die postarchäischen Faltungen zu beschränken !). Aber auch sonst ergeben sich aus den Altersverhältnissen der verschiedenen Störungen noch immer einige Unzukömmlichkeiten für die gesuchten Zusammenhänge. Bei der Beurteilung des von Suess aufgestellten Gebirgssystems der Altaiden, die nicht bloß in Asien, sondern auch in Europa eine große Rolle spielen und sich sogar nach Nordamerika fortsetzen sollen, wurde als wesentlicher Gesichtspunkt das Alter gewisser Diskordanzen besonders betont. Schon bei den eigentlichen älteren Altaiden ist aber das Alter dieser teils vor das Oberkarbon teils vor das Perm fallenden Diskordanzen nicht überall das gleiche, und die im Schlußbande des Antlitz“ bei den afrikanischen Altaiden abgehandelten Sahariden ”cheinen noch älter zu sein. Insofern nun aber die jungen Alpen Sbezüglich die Alpiden) als posthume Altaiden bezeichnet wurden, müßte Suess jedenfalls ganz heterogene Gesichtspunkte in seiner auf die Zusammenfassung größerer tektonischer Einheiten gerichteten Darstellung miteinander verschmelzen, wenn er diesen gemischten Altersbeziehungen unter dem topographischen Bilde der Leitlinien gerecht werden wollte, Eine nicht ganz geringe, aber doch bei Suess wenig beachtete Schwierigkeit für die Erkenntnis der vermuteten Zusammenhänge von Gebirgen oder Gebirgsteilen bildet auch der schon von A. v. Hum- boldt?) und manchen anderen Autoren hervorgehobene Umstand, daß das Streichen der Schichten und dasjenige der Gebirgskämme nicht überall übereinstimmt, da die Richtung der Kämme zuweilen von Bruchlinien, eventuell auch von Erosionsvorgängen modifiziert sein kann. Ich selbst habe das vor Jahren bereits für das Albursgebirge in Persien zu zeigen versucht und dabei auch andere Beispiele ähnlicher Art hervorgehoben °). Wenn also das nördliche Randgebirge Persiens, so wie es sich auf den gewöhnlichen Landkarten darstellt, einen nach Süd konvexen Bogen bildet, so hatte Suess vielleicht nicht ganz recht, dieses Gebirge als in seinem Sinne gleichwertig mit anderen !) Es ist, nebenbei bemerkt nicht wohl zulässigund auch von Suess kaum be- absichtigt, die Faltung der archäischen Felsarten als gleichzeitig über den ganzen Erdball ausgedehnt anzunehmen. Deshalb ist die Vorstellung von der einst größeren Stärke der fallenden Kräfte keine unbedingt notwendige. Im Hinblick auf die schier unermeßlichen Zeiträume, welche den Krustenbewegungen während der Bildung jener Felsarten zur Verfügung stanlen, war auch die Möglichkeit gegeben, daß nach und nach alle diese Felsarten in den verschiedensten Gegenden ihrer Verbreitung bei der Faltung an die Reihe kamen. Wenn also nicht aus anderen Gründen auf das „Absterben“ der faltenden Kraft geschlossen werden muß, so kann der von Suess hier hervorgehobene Umstand an sich allein für ein solches Absterben keinen Beweis liefern. °) Zentral-Asien, Uebersetzung von Mahlmann, I. Bd., pag. 181. °) Tektonik des Albursgebirges, Jakrb. d. k. k. geol. R.-A. 1877, pag. 394 etc. Dort wurden Mitteilungen von Bouß&, Gaudry und Robert Shaw angeführt, welche verglichen werden können, ebenso wie gewisse Beobachtungen von Paul und mir in den galizischen Karpathen. |105] Einige Seiten über Eduard Suess. 437 bogenförmig verlaufenden Ketten darzustellen, vorausgesetzt, daß in manchen dieser anderen Ketten nicht ebenfalls ähnliche, sagen wir, unregelmäßige Verhältnisse vorkommen. In einigen Fällen!) hat Suess allerdings auf derartige Umstände Rücksicht genommen; im allgemeinen jedoch kommt der bergmännische Kompaß bei den tek- tonischen Betrachtungen des Meisters nicht ganz zu seinem Rechte. Die großzügige Auffassung von den Leitlinien der Gebirge wird bis- weilen etwas zu schematisch, denn den oft recht verwickelten Einzel- heiten des Schichtenbaues kann man doch wohl nicht in jedem Falle eine bloß lokale Bedeutung zuerkennen. Nur wer sich ohne Einschränkung auf den Boden der modernen Theorie von gewaltigen Ueberschiebungen stellt, mag folgerichtiger Weise ein gewisses Recht haben, jene Einzelheiten für unwesentlich zu halten, weil bei Schubmassen der ursprüngliche Charakter der Schichtenordnung vielfach gestört sein kann. Bei dieser Auffassung behielte die Lokal-Tektonik allerdings nur noch für die Beurteilung ganz lokaler Fragen einigen Wert. Immerhin sei darauf aufmerksam gemacht, daß es sich bei solchen Beispielen, wie sie das eben erwähnte Albursgebirge bietet, schon um Lokalgeologie in größerem Stile handelt, denn die Ent- fernungen, bis auf welche hin sich die betreffenden Verhältnisse verfolgen lassen, sind groß. In solchen Fällen muß mit der Verwendung von Leitlinien, sofern man eine solche Verwendung für unbedingt nötig erachtet, doch wohl sehr vorsichtig umgegangen werden. Einer wenigstens ursprünglich in erster Linie geographischen Anschauung entspricht auch das von Suess in die geologische Lite- ratur eingeführte Wort, bezüglich der Begriff Graben, wie er sich in der modernen Tektonik entwickelt hat. Ich sage absichtlich nicht, wie er von Suess definiert wurde, denn eine solche Definition hat derselbe hier ebensowenig wie in anderen analogen Fällen gegeben, und es wird sich weiterhin überdies Gelegenheit finden zu zeigen, daß seine Vorstellungen über die Ent- stehung der Gräben keinem einheitlich geschlossenen Gedanken ent- sprechen. Das eine Mal glaubt er die Bildung dieser Vertiefungen durch Einsenkung, das andere Mal durch Zerrung und Zerreißbung hervorgerufen, ohne daß uns erläutert worden wäre, wie diese beiden Vorgänge zusammenhängen. Doch das tut im gegenwärtigen Augenblicke unserer Betrachtung nicht viel zur Sache. In jedem Falle darf man hier von einer ins Tektonische übersetzten geographischen Anschauung sprechen, denn das Wort „Graben“, mit welchem die Sprache meist die Vorstellung einer von oben her durch die Entfernung von Material hergestellten länger ausgedehnten Vertiefung verbindet, während in dem Sinne, der sich in der geologischen Literatur dafür ausgebildet hat, diese längs- !) Vgl. z.B. „Antlitz“, III/2, pag. 513, wo gesagt wird, daß jn Mazedonien Schicht- und Gebirgsstreichen nicht stets zusammenfallen. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Hft. (E. Tietz .) 58 458 Dr. Emil Tietze. [106] gestreckte Vertiefung durch Einsinken nach unten entstand, ist nicht diesem tektonischen Gesichtspunkte, sondern dem landschaftlichen Bilde angepaßt, wie es sich entweder durch künstliche Erdaushe- bungen oder durch Erosionswirkungen ergibt, und dann durch geogra- phische Karten ebenso vermittelt wird, wie irgend eine andere Vertie- fung auf der Erdoberfläche. Man braucht ja deshalb auch bisweilen das Wort Grabensenke oder Grabenversenkung, um die Vorstellung, welche bei dem Worte Graben sonst leicht erweckt wird, zu korrigieren )). Ob übrigens in allen Fällen, in denen das Wort Graben in dem heute üblichen tektonischen Sinne angewendet wird, der betreffende Graben wirklich eine tektonische Erscheinung und nicht etwa doch eine von oben her ausgefurchte Hohlform ist, bleibt abzuwarten, insofern nicht allzu selten die Annahme, daß man es mit einer Grabensenke zu tun hat, tatsächlich mehr aus der Anschauung der in Betracht gezogenen Reliefformen, als aus geologischen Beobach- tungen gezogen wird, wie sie notwendig wären, um einen sicheren Beweis für das Absinken eines langgestreckten, relativ schmalen Landstreifens inmitten eines von dieser Senkung verschonten @e- bietes herzustellen. Solche Fälle, wie sie sich bei der Boskowitzer Furche oder bei dem Graben von Krzeszowice ?2) im Krakauer Gebiet darbieten, wo die genauere geologische Untersuchung jenen Beweis ermöglicht hat, sind vorläufig nicht allzu häufig. Namentlich für ent- legene, schwer zu bereisende und wenig von eigentlichen Fachleuten besuchte Gegenden ist es schwer, einen solchen Nachweis zu erbringen, so lange man nur auf Reisebeschreibungen oder die von den Reisenden aufgenommenen Rartenskizzen angewiesen bleibt. Da wird die sozusagen intuitive, unter Umständen vielleicht durch Analogieschlüsse unterstützte Interpretation der topographischen Verhältnisse für die mangelnde genauere Kenntnis der in Betracht kommenden Lagerungsverhältnisse Ersatz bieten müssen. Bei derartigen Gelegenheiten sind wir allerdings demjenigen dankbar, der begabt mit einem feinen Sinn für die Besonderheiten des Erdreliefs es versteht, die Aufmerksamkeit auf solche Besonder- heiten zu lenken und die definitive Lösung des betreffenden Problems gleichsam vorahnend vorzudeuten und vorzubereiten, Daß aber Suess jenen feinen Sinn in hervorragendem Maße besaß, wird niemand bestreiten dürfen. Beispielsweise haben das auch die soeben erwähnten Fälle bezüglich der Boskowitzer Furche und des Grabens von Krzeszowice gezeigt, deren Natur von ihm, im allge- meinen wenigstens, ziemlich richtig erkannt wurde, ehe die allerdings \) Ich bitte mich hier nicht mißzuverstehen. Ich habe gegen den ferneren Gebrauch des bewußten Wortes, welches ich selbst schon angewendet habe, keine Einwendung zu machen. Ich wünsche in der Tat nur festzustellen, daß wir es auch in diesem Falle mit einer geographischen Anschauung von Suess zu tun haben, ’) Vgl. meine Arbeit über die geogn. Verhältnisse der Gegend von Krakau in ee d. k. k. geol. R.-A. 1887, pag. 551 [129] und „Antlitz der Erde*, I. Bd., pag. ; [107] Einige Seiten über Eduard Suess. y 439 dort schon vorliegenden geologischen Vorarbeiten durch genauere Studien ergänzt waren'). So werden wir also auch die zur Zeit noch sehr unvollständigen geologischen Voraussetzungen und jedenfalls ganz vorwiegend auf die Betrachtung der Kartenbilder oder einiger geographischen Mittei- lungen aufgebauten Ansichten über die afrikanischen Grabensenken als eine wichtige Bereicherung unserer Vorstellungen auffassen müssen. Zu den Beweisen für jene Ansichten fehlt wohl noch manches, aber wir sind noch nicht zur Kenntnis von entgegen stehenden Be- obachtungen gelangt, und sehr wahrscheinlich wird Suess hier in der Hauptsache Recht behalten. Ob man das Gleiche bezüglich gewisser Gräben in den Anden wird sagen dürfen, von denen später noch gesprochen werden soll, bleibt allerdings fraglich. Immerhin schließt nämlich auch die genialste Inspiration Irrungen nicht aus, wie sich das an deın Beispiel der böhmischen Silur-Mulde zeigt, in welcher Suess?) eine breite und tektonisch verwickelte Grabensenkung vermutet hatte, welcher Ansicht jedoch neuerdings stark widersprochen wurde. Wenigstens hat Wähner?°) in seiner wichtigen und sorgfältigen Abhandlung „zur Beurteilung des Baues der mittelböhmischen Faltengebirge“, worin er für den symmetrischen Bau dieses alten Gebirges eintritt, gegen das Unhaltbare jener An- schauung eine Reihe von Beobachtungen ins Feld geführt. SinngemäßB müßte man in diesem Abschnitt der heutigen Dar- stellung wohl auch Einiges über Gebirgsbögen sprechen. Zu den geographischen Anschauungen, welche für die geologischen Ansichten von Suess eine besondere Rolle spielen, gehört ja bekanntlich auch der Umstand, daß viele Gebirgsketten auf den Landkarten einen bogenförmigen Verlauf zeigen. Ausnahmen von dieser Erscheinung, wie sie die Pyrenäen und das cantabrische Gebirge bilden, sind ja in der Tat selten, und so wird es gerade im Sinne unseres großen Autors verständlich, daß derselbe diesem Verhalten eine große Be- deutung beimaß, insbesondere bezüglich der von ihm vertretenen Theorie von einem einseitigen tangentialen Schub. Nach diesen Bogenformen wird ja, oder wurde wenigstens ursprünglich auch die sogenannte Außen- oder Innenseite der Ketten bestimmt, worauf schon bei Besprechung der „Entstehung der Alpen“ Bezug genommen werden durfte. Insofern wir hier jedoch einen der für das Verständnis der Ausführungen des Meisters wichtigsten Punkte berühren, der nur im Zusammenhange mit anderen Grundanschauungen seiner Ausführungen erörtert werden kann, wollen wir das, was darüber zu sagen ist, einigen Teilen der späteren Darstellung vorbehalten. 1) Von der Meinungsverschiedenheit, die sich betreffs der angeblichen’ Be- ziehungen der Boskowitzer Furche zur Entstehung der Karpathen ergeben kann, wird hier ebenso abgesehen, wie von dem, was Suess über das Verhalten der sudetischen Scholle zur böhmischen Masse gesagt hat. (Vgl. übriges dazu pag. [69]—-[75] der gegenwärtigen Schrift.) 2) „Antlitz“, I. Bd. 1885, pag. 168. 3) Jahrb' d. k. k. geol. R.-A. für 1915, Wien 1916. 58* 440 Dr. Emil Tietze. [108] Solche Begriffe wie Scharung, Kettung und Virgation knüpfen ebenfalls an geographische Anschauungen an. Sie hängen mit den Vorstellungen über die Gebirgsbögen zusammen, brauchen also an dieser Stelle nicht besonders besprochen zu werden, sondern werden, soweit dies nötig sein sollte, bei der Diskussion der Bögen hervor- zuheben sein. Auf geographischer Basis ist endlich auch der Begriff der Vor- tiefen entstanden, denen im Laufe der weiteren Darstellung noch ein besonderer kurzer Abschnitt gewidmet werden soll. Der für diese Darstellung notwendigen Beleuchtung von Einzel- heiten müssen wir aber zünächst einige andere Erörterungen all- semeinerer Art vorausschicken. Die Schrumpfungstheorie und deren Modifikation durch die Lehre vom einseitigen Schub. Suess war ein Anhänger der Schrumpfungstheorie, welche die Mehrzahl der Dislokationen mit der Verkleinerung des Erdvolumens in Verbindung bringt. Diese von Mallet, Dana und anderen ver- tretene Theorie ist bekanntlich nicht neu, und Suess selbst hat in seinem Aufsatz über die Zerlegung der gebirgsbildenden Kraft!) betont, daß E. de Beaumont bereits im Jahre 1829 versuchte, die Bildung der Gebirge mit einer Kontraktion des Erdkörpers in Ver- bindung zu bringen, so wie er überdies bei derselben Gelegenheit die verdienstlichen Bemühungen Schimpers und des Baron Dücker um diese Theorie hervorhob °). Es sind gegen die absolute Gültigkeit der letzteren bekanntlich einige Einwände gemacht worden und unter anderen hat zum Beispiel Supan darauf hingewiesen, daß die auf Schrumpfung zurückgeführte Faltenbildung der Erdrinde doch vorzugsweise nur während gewisser Perioden statthatte, während man sich die Kontraktion durch Wärme- verluste des Erdinnern doch als einen kontinuierlichen Vorgang denken müsse), Auch hat Reyer‘) außer diesem Argument noch eine Reihe anderer Bedenken gegen jene Theorie vorgebracht, welcher er in gewissem Sinne seine Hypothese von der Gleitfaltung?) gegen- überstellte. Insbesondere wies derselbe darauf hin, daß man ja doch für eine Reihe von Fällen die Existenz klaffender Spalten voraus- setzen müsse, was sich mit der Kontraktionstheorie nicht vertrage. Auch müßte man, wenn letztere richtig wäre, in horizontalen Schichten- ') Mitteil. d. k. k, geol. Ges. in Wien, VI. Bd. 1913, pag. 13. °) Vgl. über den bier, von Suess gegebenen Hinweis, daß Schimper in- folge „warmblütiger“ Vertretung seiner Auffassung mit L. v. Buch in Konflikt geriet und dabei in seiner bürgerlichen Existenz Schaden litt, die bereits auf pag. [57] der gegenwärtigen Darstellung gemachte Andeutung. °) Grundzüge der physischen Erkunde, 4. Aufl, pag. 627. *) Geologische Prinzipienfragen, Leipzig 1907, pag. 140 etc. °) Gegen die teilweise Anwendbarkeit dieser die Gravitation als Ursache von Verschiebung und Faltung annehmenden Hypothese hat sich schließlich auch Suess nicht ausgesprochen (vgl. „Antlitz“, Bd. III/2, pag. 605 u. 613). [109] Einige Seiten über Eduard Suess, 441 systemen Faltungen mit senkrechten Achsen antreffen. Erinnern wir uns unter anderem noch daran, daß Franz v. Hauer speziell in einem dem ersten Bande des „Antlitz“ gewidmeten Referat!) darauf aufmerksam gemacht hat, daß man keineswegs alles, was wir an Störungen sehen, mit der Kontraktionstheorie in Beziehung bringen dürfe, da es jedenfalls verschiedene Ursachen für Dislokationen gebe, wie die Volumsveränderung infolge der Erstarrung geschmolzener Massen sowie infolge chemischer Prozesse oder wie die Wirkungen des Drucks mächtiger, zum Absatz gelangender Schichtmassen auf ihre Unterlage, Umstände, die gerade Suess ziemlich unbeachtet gelassen habe. Indessen ist man doch vielerseits darüber einig, daß die meisten Erscheinungen bei der Gebirgsbildung durch die Schrumpfungstheorie noch immer am besten erklärt werden, wie das beispielsweise Brückner?) (der allerdings eine ergänzende Inanspruchnahme von Duttons Gleichgewichts- oder isostatischer Theorie befürwortet) klar ausgesprochen hat. Berücksichtigt man ferner, daß selbst Reyer’) sagt: „Trotz der Einwendungen wird der Kern der Kontraktions- hypothese anerkannt werden müssen“, so läge kein Grund vor, die Stellungnahme von Suess zu Gunsten dieser Theorie ausführlicher zu besprechen, wenn derselbe nicht der letzteren ein besonderes Ge- präge hätte aufdrücken wollen. Bieses Bestreben hat zwar, wie wir alle schon ohne Scheu sagen dürfen, und wie das auch bereits von verschiedenen Seiten ausgesprochen wurde, zu großen Irrungen geführt, aber es hat auch (und das zu betonen wollen wir nicht unterlassen) das Verständnis für die mit der Schrumpfungstheorie zusammenhängenden Probleme vertiefen helfen. Eine Gegend, in der man sich einige Male auf Seitenwegen verlaufen hat, kennt man ja hinterher oft viel besser, als wenn man sich mit der Benützung der gebahnten Hauptwege begnügt hätte. Daß die Schrumpfungsvorgänge für die Erdrinde mit mehr oder weniger horizontalen, bezüglieh tangentialen Druckwirkungen verbun- den sind, galt im Sinne dieser Theorie als selbstverständlich. Die von Suess vertretene Modifikation der letzteren besteht aber, wie bekannt, vornehmlich in der Annahme, daß die Richtung jenes Druckes eine 'einseitige ist, und in der weiteren Annahme, daß auch die durch den einseitigen Druck erzeugten Gebirge selbst stets einen einseitigen Bau haben mußten, auch wenn, wie dies bei den Alpen der Fall war, solche Gebirge bis dahin als Muster symmetrisch angelegter Ketten gegolten hatten. Nach älteren Anschauungen wäre _bei der Erhebung von Ge- birgen, die eine mittlere, aus krystallinen Gesteinen bestehende Achse besitzen, jene Erhebung von der letzteren ausgegangen und damit wäre ein Druck nach den Gegenden beiderseits dieser Achse erfolgt, der die Aufrichtung der seitlichen Nebenketten zur Folge hatte. Da 3. Verh. d. k. k. geol. R.-A. 1883, pag. 181. ?) Die feste Erdrinde und ihre Formen, Wien 1897, pag. 171—173. ®) Prinzipienfragen, 1. c. pag. 191. 442 Dr. Emil Tietze. [110] nun Suess, und zwar wie wir heute wohl sagen dürfen, mit Recht eine solche aktive Rolle der Zentralzonen leugnete, so sträubte er sich auch gegen einen zweiseitigen Druck bei der Aufrichtung der betreffenden Ketten. Er übersah jedoch dabei einen nicht unwesent- lichen Umstand, worauf ich bereits im Jahre 1886 gelegentlich eines teferats über den ersten Band von Neumayrs Erdgeschichte auf- merksam zu machen mir erlaubte). Es kann doch, wie ich hervorhob, wenigstens im Prinzip nicht in Abrede gestellt werden, daß „ein von zwei Seiten durch zwei relativ feste Erdrindenschollen zusammengepreßtes Gebiet geringerer Widerstandsfähigkeit gewiß ebenfalls sich in Falten legen und über das Niveau der Schollen heraufgedrückt werden müßte. Man braucht also, wenn dies zugestanden wird, bei einem zweiseitigen Druck nicht sogleich an einen von der ungefähren Mitte des (durch die aktiv wirkende Erhebung einer Zentralkette) zusammengepreßten Gebiets ausgehenden Druck zu denken.“ Immerhin kann man sich, nebenbei bemerkt, vorstellen, daß die Region einer solchen Zentralkette früher als die der Seitenketten ge- faltet wurde, ohne daß deshalb die Ursache der Faltung in dieser Region selbst gesucht werden müßte. Jener Einwand aber, der übrigens auf einer schon damals keines- wegs neuen, weil sehr natürlichen und sich von selbst aufdrängenden Ansicht beruhte, ist auch noch später gegenüber Suess wiederholt worden, wobei ich nur an die betreffenden Ausführungen F.Löwlsin dessen Geologie?) zu erinnern brauche. Diese Ausführungen schließen mit den Worten: „Läßt man die unhaltbare und obendrein ganz über- flüssige Hypothese des einseitigen Schubes fallen, so erscheinen die Kettengebirge im Lichte der alten einfachen und vollkommen zu- treffenden Auffassung Beaumonts als nachgiebige Rindenstreifen, die durch die Stauung der äußeren Erdkugelschale zwischen weniger nach- giebigen Schollen wie in einem Schraubstocke zusammengedrückt, ver- bogen und aufgestaut wurden.“ Auch Stille hat dieses Gleichnis Beaumonts zutreffend gefunden und scheint wenigstens für die deutschen Gebirge die Vorstellungen, welche Suess über das in Rede stehende Problem geäußert hat, ablehnen zu wollen 3), Insofern die Annahme eines einseitigen Schubs durch die Bogen- form vieler Ketten unterstützt zu werden schien, mag gleich an dieser Stelle auf die Einwürfe hingewiesen werden, welche Löwl (I. e. pag. 171—172) gegen die Zulässigkeit einer solchen Auffassung ge- macht hat. Unter diesen Einwürfen wollen wir hier als einen der anschaulichsten die Besprechung des bogenförmig gekrümmten Jura- gebirges herausgreifen. Löwl schreibt: „Wenn der Jurabogen, der längs dem konvexen Rande 380 km mißt, durch einseitigen Schub aus der 290 km langen Sehne Chambery-Lagern hervorgegangen wäre, » ‘) Verh. d. k. k. geol. R.-A. 1886, pag. 357. Vgl. dazu Bittner, Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1887, pag. 412, die Anmerkung. . ?) Leipzig und Wien 1906, pag. 171—173. °) Tektonische Evolutionen der Erdrinde, Leipzig 1913, pag. 25. [111] Einige Seiten über Eduard Suess. 443 hätte der Jura im Streichen eine Zerrung in dem unmöglichen Ver- hältnisse von 3:4 erleiden müssen. In Wirklichkeit bezeugen die Juraketten durch ihre Mäander eine streichende Stauung und nicht eine Zerrung. Scharf gekrümmte Gebirgsbögen, wie der der Karpathen, liefern noch schlagendere Beispiele.“ In der Tat konnte in meinen Arbeiten über Galizien auf solche Knickungen und Zerknitterungen des Gebirgs- und Schichtenstreichens in den Karpathen mehrfach hingewiesen und dargetan werden, daß sich dieselben sogar in der letzten Außenzone des Gebirges (wie zum Beispiel in der Gegend von Wieliczka) deutlich bemerkbar machen !). Aehnliches konnte ich auch für das persische Alburs- gebirge feststellen. Zieht man aus solchen Tatsachen die notwendige Folgerung, so muß die Bogenform der Gebirge, statt eine Stütze für die Hypothese vom einseitigen Schub abzugeben, im Gegenteil zu den Beweisen gegen diese Hypothese gerechnet werden. „Der Grund der Bogenform“ aber kann jeweilig, wie Löwl weiter sagt, „nur in den ursprünglichen Grenzen der nachgiebigen, zur Faltung neigenden Rindenstücke liegen“. Weshalb diese Rindenstücke gekrümmt sind, ist freilich mit dem Gesagten noch nicht erläutert und eine Frage für sich. Aber auf keinen Fall geht es an, den einseitigen Schub durch die Bögen und die Bögen wieder durch jenen Schub zu erklären. . Nur nebenbei wollen wir uns hier noch daran erinnerns daß Suess gewisse Ausnahmen von Gebirgen zugestanden hat, die nicht einseitig gebaut sind und für welche er demzufolge auch keinen ein- seitigen Schub annehmen kann. Jedenfalls lassen die von ihm so ge- nannten Caledoniden in Schottland deutlich einen Zusammenschub von zwei Seiten her erkennen und Aehnliches ist auch für das alte !) Vgl. z B. Studien in der Sandsteinzone, Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1877, pag. 17, und Geogn.-Verhält. d. Gegend von Krakau, Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1887, pag. 716, wo der rasche Wechsel des Streichens der betreffenden Knickungen bei sich im ganzen gleich bleibendem Streichen der betreffenden (esteinszone beschrieben wird, und Tektonik des Albursgebirges, Jahrb. d. k. k geol. R.-A. 1877, pag. 404 und 405, wo die in dem horizontalen Durchschnitt der Gebirgs- masse sich darbietenden mäandıisch gekrümmten Schlingen der Schichten bei Haimadscha, sowie die ähnlichen Verhältnisse bei Iro und die wellenförmigen Biegungen der Kette bei Amideh erwähnt werden. Auf diese Verhältnisse bin ich dann auch bei der Beschreibung des Vulkans Demavend zurückgekommen (Jahrb. d.k. k. geol. R-A. 1878, pag. 190—191) und habe dieselben schon damals durch einen zur Längsachse des Gebirges senkrechten Seitendruck zu erklären gesucht. Auch in den Alpen hat man bekanntlich seit einiger Zeit die Beobachtung gemacht, daß gewisse Verhältnisse auf einen Druck hinweisen, der senkrecht oder schräg zur Längsachse des Gebirges wirksam gewesen ist. Man erinnere sich hier an die von Rothpletz gemachten Wahrnehmungen über die rhätische Schub- masse oder an die Mitteilungen von Hammer, Ampferer, Spitz und Dyhren- furth über die sogenannten rhätischen Bögen. Die betreffenden Erscheinungen bieten allerdings kein vollständiges Analogon zu den oben erwähnten Knickungen und Biegungen des Streichens, namentlich weil es sich dabei zunächst anscheinend nur um einen einseitig von Osten kommenden Druck handelt und überdies bei den bewußten rhätischen Bögen um einen größeren Maßstab für die Biegungen als in den vorher bezeichneten Fällen. Indessen verdienen solche besondere Erschei- nungen doch, daß man sie im Auge behält, wenn die Frage von Zerknitterungen und Biegungen des Streichens als Folge einer seitlichen Zusammenpressung zur Diskussion kommt. 444 Dr. Emil Tietze. [112] Gebirge Skandinaviens nachgewiesen und anerkannt worden. Ein im Großen bezüglich der Schichtstellung fächerförmiger Bau scheint das natürliche Ergebnis eines solchen Zusammenschubs zu sein, ähnlich wie bei den Alpen, wo man allerdings durch die später noch zu er- wähnende Theorie von der Rückfaltung die Lehre von der Einseitigkeit aufrecht zu erhalten sich bemüht hat, Es ist eigentlich merkwürdig, daß jene alte Idee Beaumonts, die Suess ja ganz gut kannte), auf diesen nicht mehr Eindruck ge- macht hat. Aber noch im Schlußbande des „Antlitz“ ) betont er, daß sich seine Anschauung dazu im „Gegensatz“ befinde. Die Bogenform, die so viele Ketten auszeichnet, sagt Löwl (l. ec.) sowie der Um- stand, daß die Falten vorzugsweise gegen den konvexen Rand der Gebirgsketten überkippt und überschoben sind, führten ihn eben zu seiner Hypothese, die „jahrzehntelang die Lehre von der Gebirgs- bildung beherrschte“. Wenn man übrigens berücksichtigt, was Suess ebenfalls im letzten Antlitzbande über die „Rahmenfaltung“ gesagt hat?), so kommt man zu der Vorstellung, daß unser Autor wenigstens in dem größeren Maßstabe einer ganzen gefalteten Region die Faltung zwischen festeren älteren Schollen als einen natürlichen Vorgang angesehen hat, wenn er auch für die Entstehung der einzelnen zu einer solchen Region gehörigen Ketten die betreffende Annahme ablehnte. * Die gebirgsbildende Kraft. Franz v. Hauer hat es einmal leise angedeutet*) und Löwl hat es dann unumwunden ausgesprochen), daß die Meinungen von Suess bisweilen mit den Gesetzen der Physik nicht zum besten harmonieren. Nun, Suess ist vielleicht nicht de@ einzige Geologe, dem man in dieser Hinsicht gewisse Ausstellungen zu machen hat. !) Vgl. Enstehung der Alpen, pag. 3. ?) Bd. III/2, pag. 717. - ®) Vgl. die betreffenden Bemerkungen im Bd. Ill/2, pag. 7, 335, 720; sowie Bd. II, pag. 153 u. Bd. III, pag. 496, die allerdings ziemlich knapp sind, sowie den dazu gegebenen Kommentar von Uhlig in dessen früher schon genannter Be- sprechung in der „Oesterr. Rundschau“ 1909, pag. 108 u. 109. Es heißt hier, daß in Europa die Faltung auf die gesunkenen Partien zwischen den alten Horstgebirgen beschränkt sei und daß die mit den Alpen zusammenhängenden Alpiden einer solehen Rahmenfaltung angehören, was klar geworden sei, nachdem es gelang, die paläozoisch gefalteten Altaiden im Atlas und der Sahara nachzuweisen „und so den allbekannten Rahmen der Alpiden im Norden durch ein entsprechendes Gegenstück im Süden zu ergänzen“. Der Verlauf der Alpiden wird „von diesem früh erstarrten Rahmen“ als abhängig betrachtet. *) Vgl. oben pag. [82] dieser Abhandlung. °#) Geologie 1. c. pag. 173. Dieser Autor meint, die Lehre vom einseitigen Schub hätte von vornherein abgelehnt werden sollen. „da sie den Anfangsgründen der Mechanik zuwiderläuft*. Wir müssen bier allerdings berücksichtigen, daß die Umstände unserem alten Meister es nicht ermöglichten, in seiner Jugend eine völlig regelmäßige Vorbildung zu erhalten. (Vgl. die gegenwärtige Darstellung pag. [4] unten und pag. [5].) Tout comprendre c’est tout pardonner., en rc k 13] Einige Seiten über Eduard Suess. 445 Die Fragen, die mit der Kontraktionstheorie zusammenhängen, können jedoch nicht mit Vernachlässigung gewisser physikalischer Begriffe behandelt werden. Das beweist in dem gegebenen Falle vor allem die eigenartige, aber leider nicht leicht faßbare und überdies sich nicht gleichbleibende Vorstellung, die Suess von der gebirgsbildenden Kraft hatte, die er sich wahrscheinlich von einer der Richtung des einseitigen’ Schubes ungefähr entgegengesetzten Seite wirkend dachte!). Offenbar wurde weiter angenommen, daß der Vorstoß dieser Kraft nicht gleichmäßig, sondern gegen die Mitte der durch ihn hervorzubringenden Bogen- krümmung erfolgte, wobei die Flanken des Bogens rechts und links in weniger vorgeschobener Stellung zurückgelassen wurden und wodurch die Bogengestalt hervorgerufen werden mußte. Der Vorgang hätte sich also bei der Entstehung der Gebirgsbögen etwa so abgespielt, wie wenn jemand mit einem Finger schräg von oben gegen ein faltbares Tuch stößt, wobei keine geradlinige, sondern eine in der Richtung des Stoßes nach vorn gebogene Falte entstehen wird und wobei der dem Finger genäherte Teil des zu faltenden Stoffes sich auch nach derselben Richtung (d. h. nach der konvexen Seite) vor- wärts bewegen wird. Der Finger spielt hier in dem Gleichnis allerdings für die Faltung die Rolle eines deus ex machina und wir wollen deshalb nicht ohne weiters behaupten, daß dieses Gleichnis ganz zutrifft. Wir werden übrigens bald sehen, daß man.sich in der Tat die Vor- stellungsweise von Suess in ähnlicher Art zu deuten versucht hat. Der Schub selbst wurde als horizontaler, bezüglich tangentialer gedacht. Soweit wäre die betreffende Vorstellung noch immer ziemlich einfach und in gewissem Sinne auch anscheinend annehmbar. Die gebirgsbildende Kraft selbst wirkt aber, wie sogleich gezeigt werden soll, nach Suess gar nicht direkt in dieser horizontalen Richtung und gerade deshalb ist es nicht ganz leicht, sich die Rolle dieser Kraft im Sinne der besprochenen Theorie zurecht zu legen. Diese Schwierigkeit ist auch nach der letzten Publikation des Meisters über die Zerlegung der gebirgsbildenden Kraft nicht ganz behoben worden, obschon diese Publikation wahrscheinlich den Zweck verfolgte, in dieser Frage aufklärend zu wirken und gewisse Bedenken gegen jene Theorie zu zerstreuen, sei es nun, daß dem Autor diese Bedenken von selbst kamen oder von anderer Seite nahe gelegt wurden. Vrrgleichen wir nun die verschiedenen Aeußerungen unseres Autors über diesen Punkt: Im ersten Bande des „Antlitz“ (1883, pag. 143) wurde gesagt, daß die aus der Volumsverringerung unseres Planeten her- vorgehenden Spannungen, denen die verschiedenen das Antlitz der Erde beherrschenden Dislokationen ihr Entstehen verdanken, das Be- streben zeigen. sich in tangentiale (das ist schiebende und faltende) und in vertikale (senkende) Bewegungen zu zerlegen. In der zuletzt erwähnten Arbeit über die Zerlegung der gebirgsbildenden Kraft !) Ueber die Möglichkeit einer für den Effekt der betreffenden Kraft gleich- wertigen Variante dieser Vorstellung siehe etwas weiter unten. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 59 446 Dr. Emil Tietze. [114] wird!) unter direkter Bezugnahme auf jene Stelle folgendes ausge- sprochen: „Zu der radialen Kraft fügt sich der Einfluß der Schwere, und aus dieser Vereinigung geht der bezeichnende Zug in diesem Antlitz hervor, nämlich die Lage und die Tiefe der Ozeane“, die, wie hier von dem Autor ausdrücklich bemerkt wird, als „Senkungs- felder“ zu betrachten seien. Eine Seite später (l. c. pag. 19) heißt es: „Die Tiefe der Ozeane im mittleren Ausmaß von etwa 4000 m (ohne die Vortiefen ?) ist daher ein Erzeugnis der radialen Kontraktion, vermehrt durch die Schwere.“ Man ersieht hieraus, daß die radiale Komponente der gebirgs- bildenden Kraft nicht etwa die Schwere selbst ist, sondern die Kon- traktion. Letztere ist jedoch auch nicht die gebirgsbildende Kraft selbst, sondern eben nur eine Komponente derselben, wie für das Ver- ständnis des Folgenden festzuhalten ist. Jedenfalls müßte nach den letzterwähnten Aeußerungen von Suess die fragliche Kraft ursprünglich in einer Richtung wirken, welche in der Diagonale des durch die radiale und die horizontale Richtung be- zeichneten Kräfteparallelogramms gelegen ist, eines Parallelogramms, welches man sich selbstverständlich als Rechteck vorstellen muß, in- sofern die beiden Komponenten nicht gleichwertig zu sein brauchen. Außerdem ist festzustellen, daß, insofern es für jeden Punkt der Oberfläche der Erdkugel unzählige Tangenten gibt, die Stellung jener Diagonale wenigstens a priori und rein theoretisch ge- sprochen unbestimmt bliebe, was natürlich auch für die Richtung des tangentialen Schubs gelten müßte, wenn nicht besondere Bedingungen angegeben werden, welche die Stellung jener Diagonale besser prä- zisieren. Wie sich nun aber Suess unter diesen in seinem Sinne notwendigen Voraussetzungen das Wesen jener sich zerlegenden und sowohl für die Entstehung als für die Richtung der sich bildenden Gebirge maßgebenden Kraft vorgestellt hat, geht aus seinen ver- schiedenen Aeußerungen nicht deutlich genug hervor. Deshalb ver- missen wir nicht bloß die Erklärung, aus welcher Ursache jeweils eine jener unzähligen Tangenten von dem Gebirgsschub bevorzugt wurde, sondern es bleibt im Sinne der Darstellung von Suess auch die Ursache des tangentialen Schubs selbst und somit die Grundlage der ganzen Theorie seinen Lesern unklar, wenigstens soweit hier seine wichtigeren und direkt den tektonischen Erörterungen gewid- meten Veröffentlichungen in Betracht kommen. Nur in einer seiner kleineren und gleichsam seitwärts von seiner Haupttätigkeit entstandenen Schriften finden wir eine auf den vor- liegenden Fall bezügliche Bemerkung. Diese Schrift ist 1879, also nach der „Entstehung der Alpen“ und vor dem ersten Bande des „Antlitz“ veröffentlicht worden und handelt über die Heilquellen Böhmens. Hier sagt Suess, er könne sich die Entstehung eines großen Gebirges nicht besser vergegenwärtigen, als wenn er sich vor- !) Mitt. d. geol. Ges. in Wien 1913, pag. 18. ’) Ueber diese Vortiefen soll bei späterer Gelegenheit noch Einiges ge- sagt werden. [115] Einige Seiten über Eduard Suess. 447 stelle, seine Hand würde durch eine Verletzung aufgeschürft, dabei die Haut auf einer Seite in Falten zusammengeschoben, auf der anderen Seite zerreiße sie, und es dringe etwas Blut hervor. „So sehen wir“, fährt er fort, „ein großes Gebirge immer nach einer Seite zusammengeschoben, in große Falten gelegt und auf der anderen Seite zerreißen sie und wo sie aufgerissen sind, da treten aus dem Innern der Erde Vulkane hervor.“ „Dieses Bild“, schrieb Löwl in seiner Geologie 1), „ist insofern sehr gut gewählt, als man auf den ersten Blick erkennt, daß der Ursprung des einseitigen Schubes ebensowenig in der Erdrinde wie der Anlaß zum Hautschurf in der Haut liegen kann. Nur ein Anstoß ex coelo vermöchte die zum Vorschub der konvexen und zur Zerrung der konkaven Seite erforderlichen Spannungsunterschiede herbeizu- führen.“ Man sieht hier, wohin die Unklarheit, in welcher das Wesen des einseitigen Schubes gelassen wurde, die Interpreten der betref- fenden Ansicht führen mußte, und man darf sich nicht wundern, daß bald darauf noch ein anderer Forscher, Professor Supan, sich dem in jener kritischen Bemerkung ausgedrückten — etwas boshaften — Gedanken anschloß ?). Sachlich absolut berechtigt wäre diese Kritik allerdings nur dann gewesen, wenn sich Suess tatsächlich, so wie das in dem von ihm gewählten und deshalb eben nicht sehr glücklichen Gleichnis geschah, die gebirgsbildende Kraft als aus der Luft oder dem Himmel, das heißt von außerhalb des festen Erdballs kommend vorgestellt hätte. Da er jedoch die Kontraktion der Erde infolge Wärmeverlustes als erste Ursache der Gebirgsbildung ansah und dies (wenn auch — wie sogleich gezeigt werden soll — in einer von seiner späteren Auffassung abweichenden Form) bereits in der „Entstehung der Alpen“ ausgesprochen hatte, so könnte man immerhin glauben, er habe an einen in der Richtung der oben erwähnten Diagonale des Kräfte- parallelogramms wirksamen, vom Erdinnern kommenden Zug gedacht. Ein solcher Zug hätte ja mechanisch dieselbe Bedeutung, wie ein von der entgegengesetzten Seite, aus dem Himmel, aber in der Richtung derselben Diagonale erfolgender Stoß oder Druck. Ein Karren, der von der einen Seite gezogen wird, kann ja nach der- selben Richtung laufen, wie ein solcher, der von der anderrn Seite geschoben wird. So. wenigstens möchte man die betreffende Vor- stellung auslegen, um nicht annehmen zu müssen, daß wir hier einem merkwürdigen Mißverständnis von seiten des großen Autors in einer für seine Darstellungen fundamentalen Frage begegnet sind, wobei wir von der früher erwähnten Schwierigkeit bezüglich der durch die tangentiale Komponente zu bestimmenden, aber im Dunklen gelassenen Stellung jenes Parallelogramms für diesen Fall ganz ab- sehen. Leider hat aber Suess soviel von einseitigem Druck und !) Leipzig und Wien bei Deuticke 1906, pag. 173. 2) Vgl. Physische Erdkunde. Leipzig 1908, 4. Auflage, pag. 626. Man kann hier vergleichen, was einige Zeilen weiter-oben über das Gleichnis von dem auf ein zu faltendes Tuch drückenden Finger gesagt wurde. 59* 448 Dr. Emil Tietze. [116] einseitigem Schub gesprochen, daß die Gangbarkeit des hier an- gedeuteten Auswegs nicht ganz sicher erscheint, Darin liegt aber für uns nicht der einzige Stein des Anstoßes. Jedenfalls treffen wir sofort auf eine andere Schwierigkeit, wenn wir die verschiedenen anderweitigen Auslassungen des Autors über das Wesen seines tangentialen Schubs zusammenreimen wollen. Wir sahen, daß Suess im „Antlitz“ wie in der Schrift über die Zerlegung der gebirgsbildenden Kraft die radiale Komponente seiner gebirgsbildenden Kraft als mit der Kontraktion zusammenfallend angesehen hat. Als er die „Entstehung der Alpen“ schrieb, hat er sich aber das Wesen der Kontraktion anders vorgestellt. Zunächst nahm er an, was hier allerdings weniger ins Gewicht fällt, daß dieselbe eine ungleichförmige !) sei (]. ec. pag. 146). Dabei aber hielt er sie für eine inhorizontaler Richtung wirkende und fand nur fraglich, in welcher Tiefe diese Wirkung stattfinde. Er meinte übrigens, solche horizontale Bewegungen könnten in verschiedenen Tiefen Platz greifen (vgl. 1. c. pag. 152 und 153). Den Einfluß aber einer etwaigen radialen Kontraktion des Erdkörpers vermochte er damals nicht zu erkennen (l. ec. pag. 155)! Das ist (vgl. oben) das direkte Gegenteil der später von dem Autor vertretenen Anschauungsweise, und es ergibt sich über- dies, daß derselbe zu jener Zeit die tangentiale Komponente seiner gebirgsbildenden Kraft im wesentlichen als mit der letzteren identisch aufgefaßt hat. Würde Suess diese letztgenannte Auffassung festgehalten haben, dann hätte er sich später alles, was er über die Zerlegung der gebirgsbildenden Kraft und deren Komponenten sagte, ersparen können. Wenigstens eine Kollision mit den sonst geläufigen Auf- fassungen über das Kräfteparallelogramm wäre dabei vermieden worden. Selbstverständlich ist jedoch hiermit nicht gesagt, daß er dann mehr im Recht geblieben wäre als bei seinen späteren Auslassungen. Auffällig bleibt nämlich die ursprüngliche Ablehnung der An- nahme einer radialen Kontraktion immerhin, insofern doch die Schrumpfungstheorie, da sie mit der Vorstellung von einer Verkür- zung des Erdradius zusammenhängt, geradezu nach dieser radialen ‚Kontraktion zu verlangen scheint. Aber noch sonderbarer ist der Anblick einer Theorie, welche dieselbe bleibt, trotzdem ihre Grund- lagen in so merkwürdiger Weise gewechselt werden, wie das beider Hypothese vom einseitigen tangentialen Schub der Fall gewesen ist. Es darf übrigens gesagt werden, daß sich Suess?) die ersten Wirkungen der horizontalen Kontraktion, wie er sie noch 1875 befürwortete, in der Hervorbringung von Rissen gedacht hat, wie sie etwa beim Erzgebirge oder beim Balkan vorgekommen sein sollen. Wenn in einigen Fällen sich zuerst eine Hauptfalte bildete, so trat ') Diese Annahme hängt vielleicht mit den in der gegenwärtigen Dar- stellung mehrfach erwähnten Vorstellungen unseres Autors über ruckweise Vor- gänge in der Erdgeschichte zusammen. °) „Entstehung der Alpen“, pag. 146—147. [117] Einige Seiten über Eduard Suess. 449 dort doch bald „in der Linie der größten Spannung“ ein Riß auf, Die weitere Gebirgsbildung kam dann hinzu. Auch im Schlußbande des „Antlitz“, wo er über die Kontraktion schon andere Ansichten gewonnen hatte, spricht er noch viel von Disjunktion und dergleichen, obschon Risse mit der vom tangentialen Schub vorausgesetzten Kom- pression in einem gewissen Gegensatz stehen, was, wie wir vorher sahen, zu den Einwänden Reyers gegen die Kontraktionshypothese gehörte und worauf wir sogleich zurückkommen. Wenn wir uns aber zunächst noch ein wenig mit den Ansichten des Autors beschäftigen wollen, welche derselbe schließlich unter der Voraussetzung einer in radialer Richtung wirkenden Kontraktion entwickelte, so fällt vor allem auf, daß Suess eine Zeitlang jene radiale Komponente der gebirgsbildenden Kraft, welche er sich, wie wir sahen, im Verein mit der Schwere wirkend, aber nicht als mit dieser identisch vorstellte, wohl nieht als eine sehr maßgebende gedacht haben kann. Der Meister hat soviel von Senkungsfeldern gesprochen, denen er auch die Ozeane zuzählte, daß man daraus die große Rolle erkennt, die er gerade der Schwere zuwies oder doch folgerichtiger Weise von diesem Standpunkt aus zuweisen mußte, was wenigstens für eine längere Phase im Entwicklungsgange seiner Anschauungen gilt. „Der Erdball sinkt ein, das Meer folgt“, schrieb er!) ausdrück- lich, als er das früher bereits erwähnte Problem der keilförmigen Umrisse von Afrika, Ostindien und Grönland im zweiten Bande des „Antlitz* wieder berührte (l. ec. pag. 680). Gegen das Ende des ersten Bandes liest man indessen auch schon (l. ec. pag. 777), daß „Senkung oder Einsturz“ allenthalben „ihre Spuren zurückgelassen“ haben. „Bald erzeugt sie (die Senkung nämlich) große Gräben in den Tafeln, bald Tafelsenkungen an peripherischen Linien, bald kesselförmigen Einbruch am Innenrande von gefalteten Gebirgen, bald Absinken von Faltengebirgen an streichenden oder querliegenden Brüchen“ und eine Seite weiter (l. c. 778) schließt dieser Band mit dem wohl jedem Geologen bekannt gewordenen Satze: „Der Zusammenbruch des Erd- balls ist es, dem wir beiwohnen.* Einsinken, Einsturz und Zusammenbruch sind jedenfalls nicht identisch mit Kontraktion. Nach unseren gewöhnlichen Vorstellungen setzt der Einsturz eines Gewölbes, einer Decke oder ein dem ähnlicher Vorfall die Schwere als Ursache voraus, so wie andrerseits einen Hohl- raum2), nach welchem hin der Zusammenbruch gerichtet ist. Die Kontraktion des Erdinnern (oder die radiale Komponente der gebirgs- bildenden Kraft) könnte also bei einem derartigen Vorfall höchstens mittelbar beteiligt sein, indem sie vielleicht zwischen der äußeren Erdrinde und dem darunter befindlichen Großteil des Erdinnern Hohl- räume schafft, in welche schließlich ein Einsturz von Rindenteilen erfolgen kann. So ungefähr scheint sich auch in der Tat Suess die Sache vorgestellt zu haben, oder vielmehr so müßte er sie sich vor- gestellt haben, wenn er einen gewissen Zusammenhang seiner An- !) „Antlitz der Erde“, II. Bd., pag. 680. 2) Vgl. hier auch Lapparent, Sur les mouvements de l’&corce terrestre, Paris 1887, Bull. de la soc. geol. pag. 237, Zeile 12. 450 Dr. Emil Tietze. [118] sichten aufrecht erhalten wollte. Wenigstens können wir den Wider- spruch in seiner Darstellung nicht anders auflösen. Dieser Widerspruch ist übrigens von ihm selbst nicht ganz un- bemerkt geblieben und er hat demgemäß auch versucht, die Möglich- keit jener vorausgesetzten Einstürze zu begründen. Er spricht!) nämlich gelegentlich der Erörterung der Verhält- nisse gewisser lakkolithischer Vorkommnisse von der Bildung von Hohlräumen, die zu deren Erklärung nötig seien. Daran anknüpfend meint er, daß bei den tangentialen Bewegungen der Erdrinde manchmal ein „Abheben“ einzelner Teile, namentlich bei ungleich- mäßiger Stauung nicht selten vorgekommen sein mag. Dabei mögen sich „sehr große, mehr oder minder linsenförmige Hohlräume gebildet haben“. Nachdem er auf diese Weise die Existenz von Hohlräumen wahrscheinlich zu machen gesucht hat, schreibt er?), daß die Dis- lokationen der Erde zwar ein Bestreben zur Zerlegung der Span- nungen in tangentiale und radiale Spannungen erkennen lassen, daß jedoch „direkte Folgen der radialen Spannung, gleichsam ein aktives Hinabziehen gegen den Mittelpunkt der Erde kaum nachweisbar seien“, wohl aber ein häufiges passives Hinabsinken großer Schollen. „Dieses passive Hinabsinken (so heißt es weiter) setzt auch große Hohl- räume voraus.“ Wir wollen hier nur im Vorübergehen daran erinnern, daß ein „aktives Hinabziehen“ gegen den Mittelpunkt (um nicht zu sagen Schwerpunkt) des Erdballs nach Suess selbst (vgl. oben) wenigstens teilweise die Aeußerung der Schwere wäre, also derselben Kraft, welche auch das „passive Hinabsinken“ bedingt, und wir sehen, daß Suess mit der radialen, nicht mit der Schwere identischen Kom- ponente seiner besonderen gebirgsbildenden Kraft eigentlich nichts Besoderes anzufangen weiß. Ihre Wirkungen sind ja, wie wir hören, „kaum nachweisbar“, so daß unter diesem Gesichtspunkte die ge- birgsbildende Kraft so gut wie ausschließlich aus deren tangentialer Komponente bestehen würde. Aber wir bleiben jetzt bei den Hohl- räumen und lassen Suess in seiner Auseinandersetzung fortfahren. Er sagt), aus dieser eben erwähnten Auseinandersetzung ergebe sich etwa die folgende Vorstellung: „Die obersten peripherischen Teile des Erdkörpers sind durch tangentiale Spannungen festgehalten, wie ein Gewölbe. Entweder radiale Spannung oder Abstau trennt einen Teil des Erdkörpers gegen innen ab, und es bildet sich eine große, der Erdoberfläche mehr oder minder parallele Ablösung, eine Macula ®), welche sich mit Lava füllt. Findet an der Oberfläche die tangentiale Spannung nach irgend einer Richtung ihre Ablösung, zum Beispiel durch Faltung oder durch Ueberschiebung einer anderen Scholle, so sinkt hinter der Faltung oder Ueberschiebung das Gewölbe in die Macula und auf den Sprüngen oder Finbrüchen quillt Lava empor.“ 1) „Antlitz“, I. Bd., pag. 218. ’) „Antlitz“, ibidem, pag. 220. °) „Antlitz“, ]. c. pag. 220 unten bis 221. *) Dieser Ausdruck bezieht sich wohl auf die Nebenbedeutung des lateini- schen Wortes bezüglich eines in einem Gewebe künstlich erzeugten Lochs (einer Masche), soll hier indessen augenscheinlich einen Hohlraum bezeichnen. [119] Einige Seiten über Eduard Suess. 451 Diese Vorstellung ist allerdings in mancher Hinsicht unklar. Tangentiale Spannungen halten die Decke des Hohlraumes fest und die „radiale Spannung“ tritt nur eventuell für den „Abstau“ ein, aber beim Einbruch des Gewölbes wirkt sie anscheinend doch nicht mit, und so erscheint, wie wir das schon aus den vorher eitierten Aeußerungen folgern durften, diese radiale Komponente eigentlich doch bei den Senkungen so gut wie ausgeschaltet. Dabei ist aber der Hohlraum beim Einbruch merkwürdiger Weise nicht mehr hohl, sondern durch Lava ausgefüllt. Lava ist jedoch nicht Luft und auch nicht Wasser, sondern. trotz ihres Flüssigkeitszustandes von dichterer Beschaffenheit; deshalb liest man auch nichts - von Einbrüchen über Lakkolithen, denen ja sogar hinsichtlich des Verhaltens zu ihrer Decke von Suess selbst eher eine mäßig hebende Kraft zugestanden wird 2). Unter diesen Umständen sind dann die vorher konstruierten Hohlräume für die Einstürze nicht recht zu brauchen. Das ist doch jedenfalls einer der Punkte, für welche der Autor dem Leser mit einer näheren Erklärung hätte zu Hilfe kommen sollen. Uebrigens ergeben sich in diesem Falle auch noch andere Widersprüche in den betreffenden Anschauungen. So hat gerade in bezug auf die soeben aus Suess zitierte Stelle Franz v. Hauer?) darauf aufmerksam gemacht, daß die Bildung großer Hohlräume im Innern der Erde mit der Heim’schen Annahme vom Plastischwerden der Gesteine unter hohem Druck sich kaum verträgt, während Suess doch zufolge einer anderen Stelle seiner Ausführungen des ersten „Antlitz*-Bandes (pag. 148) der letzterwähnten Annahme zuzustimmen scheine. Derartige Einwände sind dann später allerdings überflüssig ge- worden, als Suess?°) die großen Senkungen der Ozeane den radialen Wirkungen der Kontraktion und nicht mehr Einbrüchen zuschrieb. Die Existenz ozeanischer Tiefen und ebenso die Entstehung der später noch etwas eingehender zu besprechenden Vortiefen betrachtete er dabei ausdrücklich als Aeußerungen der Senkung durch Verminderung des planetarischen Volums und „nicht der Senkung in Hohlräume“ ®) ec" e:pac. 070). Das war die offenbare Negation seiner ursprünglichen Annahme von einem Zusammenbruch des Erdballs, an welche Annahme nur mehr die Beibehaltung des Wortes „Senkung“ erinnert. Er sprach jetzt nur mehr von örtlichem Einsturz. So liest man unter Anderem: „Oertlicher Einsturz, ozeanische Senkung und lineare Zerreißung (Disjunktion) sind demnach selbständige und voneinander verschie- dene Erscheinungen.“ 1) „Antlitz“, III/2, pag. 643. 2) Verhandl. d. k.k. geol. R-A. 1883, pag. 185. (Natürlich gilt diese Kritik nur für leere Hohlräume.) ®) Zum Beispiel „Antlitz“, IIl/2, pag. 669 u. 670. *, In einem gewissen Sinne, wenngleich wegen eines anderen Zusammen- hanges nicht vollständig hierher passend, sind auch die Bemerkungea auf den Seiten 708 und 719 des letzten „Antlitz“-Bandes zu vergleichen, wo die Massen- defekte im Erdinnern geläugnet werden. 452 Dr. Emil Tietze. [120] Wenn er dazu noch bemerkt, daß zu wiederholten Malen von ihm gesagt wurde, „daß die Kontraktion der Erde sich in ein radiales (senkendes) und ein tangentiales Element zerlegt“, so liegt in dieser Aeußerung nur ein scheinbares Aufrechterhalten des Zusammenhanges mit seinen früheren Auslassungen. In Wahrheit handelt es sich dabei um eine Verschiebung seiner ursprünglichen Auffassung von der ge- birgsbildenden Kraft, bezüglich um ein Mißverstehen seiner eigenen Ansicht über diese Kraft, was nach dem vorher von mir Gesagten wohl keiner weiteren Erörterung bedarf. Ueber diese Dinge ist sich eben Suess nie ganz klar geworden. Sei dem aber wie ihm wolle, in jedem Falle hatte sich unser Autor sehr weit von dem in der „Entstehung der Alpen“ vertretenen Standpunkt entfernt, wonach ihm radiale Wirkungen der Kontraktion unbekannt waren. Und doch kommt er in einer etwas anderen Richtung wieder auf die Annahme horizontaler Kontraktion zurück, so daß man den Eindruck erhält, er habe sich in dieser Frage, wie das übrigens auch für andere Probleme gezeigt werden kann, zu der Annahme einer größeren Mannigfaltigkeit der Erscheinungen bekannt, als sie mit seiner ursprünglichen Hypothese vereinbar war. Wir wollen nämlich bei dieser Gelegenheit nicht unbeachtet lassen, daß nach den Vorstellungen, welche Suess bei Abfassung seines letzten „Antlitz“-Bandes hatte, .die Kontraktion sich in direkter Weise nicht bloß durch jene radialen Wirkungen geäußert hat. Bei Besprechung des afrikanischen Grabengebietes redet er!) ausdrücklich von einer „Zerreißung durch Kontraktion“ und meint, man sei für jenes weite Gebiet zu der Annahme genötigt, daß dort „Span- nungen in der äußeren Hülle des Erdkörpers senkrecht auf die Richtung der Sprünge sich geäußert haben“. Die Klüfte hätten sich „von oben gegen abwärts geöffnet“. Daß nach Suess die Zerreißungen nichts mit den Vorgängen bei den Senkungen oder Einstürzen zu schaffen haben, ging schon aus einem der kurz vorher gegebenen Zitate hervor. Der Autor des „Antlitz“ zeigt sich aber an einer anderen Stelle seines Werkes?) auclı ganz wohl des Umstandes bewußt, daß „Faltung und Zerrung zwei entgegengesetzte Vorgänge“ sind. Doch beziehen sich die Zerrungen, von denen er dort spricht, nicht auf Gräben wie in dem afrikanischen Beispiel. Uebrigens besteht, wie wir hier anmerken wollen, zwischen der Auffassung, welche die Entstehung der Gräben auf Senkungen zurück- führt, und der Vorstellung, daß die Gräben durch Zerreißung ent- standen sind, keine volle Uebereinstimmung, was Suess allerdings für unwesentlich gehalten zu haben scheint. Wir haben jedenfalls mit der Erwähnung der Zerreißungen ein den Tektonikern zwar nicht unbekanntes Problem berührt, über welches mancher jedoch vielleicht gewünscht hätte, von dem großen Autor Näheres zu erfahren, namentlich betreffs der Art, wie er seine son- ı) „Antlitz“, IIl/2, pag. 316. ?) Vgl. „Antlitz*, 11l/2, die Seiten 664, 670 und 672. [121] Einige Seiten über Eduard Suess. 453 stigen Ansichten (vielleicht nicht blos diejenigen betreffs der Gräben) damit in Verbindung hätte bringen wollen. Wenn die Entstehung der Gebirge oder überhaupt die Runzelung der Erdoberfläche einem "tangentialen Schub (gleichviel ob wir den- selben für diese Betrachtung als einseitig oder nicht auffassen) zu- zuschreiben ist, so steht damit scheinbar die Entstehung großer klaf- fender Spalten in einem gewissen Widerspruch, sofern diese Spalten einer wenigstens teilweise ebenfalls in mehr oder weniger horizon- taler Richtung stattfindenden innerlichen Zusammenziehung der Gebirgs- massen ihren Ursprung verdanken. Solche Spalten müßten ja durch die Zusammenpressung der Erdrinde, die einem kleineren Radius infolge von Schrumpfung sich anpaßt, ausgeglichen werden. Doch mag wohl (im allgemeinen betrachtet) das Nebeneinanderbestehen von sich anscheinend ausschließenden Phänomenen, wie Zusammen- pressung und Auseinanderklaffen in dem Umstande begründet sein, daß durch Zerreißung entstandene Gräben oder sonstige Spalten nicht immer in einer Region mehr oder minder gleichzeitig mit ihnen ent- standener Gebirgsfaltung auftreten und daß verschiedene Teile der Erdrinde sich der Runzelung gegenüber verschieden verhalten. Dabei muß natürlich die mit dieser Runzelung zusammenhängende Ober- flächeneinbuße durch Faltung und Zusammenschiebung größer sein als der durch das Klaffen der Spalten in anderen Gebieten bezeichnete Raum. Schwieriger aber wird das Verständnis für den betreffenden Gegensatz, wenn Gräben im gefalteten und zusammengepreßten Gebirge vorkommen in der Art, wie das in den Anden nach Suess!) der Fall sein soll, wo das Auftreten solcher Gräben mit Vulkanen in Verbindung gebracht wird, deren Reihen den Falten parallel verlaufen. Das ist wieder einer der Punkte, die einer Erläuterung be- durft haben würden. Wenn der Autor einige Seiten früher (ibidem pag. 534) von anderen Gräben spricht, welche die Falten der Anden durchsetzen, so mag oder muß man annehmen, daß es sich hier um Einsenkungen nach vollzogener Faltung handelt und da steht auch die Richtung dieser Einsenkungen nicht im Widerspruch mit der Pressung, deren Ergebnis der Faltenwurf war. Das würde auch dann noch nicht der Fall sein, wenn diese sogenannten Gräben nicht durch Einsenkung, sondern durch Zerreißung und Zerrung entstanden wären. Etwas anderes ist aber das Verhältnis von Gräben, die sich trotz der Pressung senkrecht zur Druckrichtung gebildet haben sollen, nament- lich, wenn gerade diese Gräben als Zerreißungen zu deuten wären. Dabei ist zu bedenken, daß bei dem jugendlichen Alter der Anden die Pressungen, welche zu deren Aufrichtung führten, wohl noch nicht . als abgeschlossen gelten dürfen. Nach dem Gesagten mag es dem Leser dieser Zeilen überlassen bleiben, zu entscheiden, ob er sich für irgend eine Phase der betref- fenden Suess’schen Verlautbarungen ein genaues Bild machen kann von dem, was dieser Autor sich unter der gebirgsbildenden Kraft eigentlich gedacht hat. 1) „Antlitz“, III/2, pag. 539. Jahrbuch d. k. k, geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u, 4, Heft. (E. Tietze.) 60 454 Dr. Emil Tietze. [122] Es ist möglich, daß dieser Leser den voranstehenden Abschnitt etwas unruhig geschrieben findet. Vielleicht aber erkennt derselbe bei einer eventuellen Nachprüfung, daß es sich hier so verhält, wie mit einem Spiegel, der ein ruhiges Bild nicht wiederzugeben vermag, wenn die Gegenstände, ‚ die sich vor ihm befinden, in zitternder Be- wegung sind oder sich gegenseitig beständig verschieben. Wir haben aber jedenfalls gesehen, daß hinsichtlich der Aus- führungen, welche Suess zu verschiedenen Zeiten, bezüglich an ver- schiedenen Stellen seiner Schriften über die Kontraktion und die gebirgsbildende Kraft verlautbarte, dem Leser nicht der Eindruck eines geschlossenen Zusammenhanges der betreffenden Vorstellungen zurückbleiben kann. Dieser sozusagen negative Eindruck wird aber verstärkt werden, wenn wir später auf Einzelheiten eingehen, die speziell mit der Lehre vom einseitigen Schub zusammenhängen. Die Frage der Gleichzeitigkeit der Falten von Ketten- gebirgen. Bevor wir uns aber mit besonderen Einzelheiten beschäftigen, durch welche die Natur der Suess’schen Spekulationen illustriert werden kann, wollen wir noch kurz eine Frage berühren, welche die Bildung der Kettengebirge, bezüglich die mit dieser Bildung so viel- fach zusammenhängende Faltenbildung im allgemeinen betrifft, gleich- viel, ob wir uns die Kraft, welche die Falten erzeugt, als einseitige vorstellen oder nicht. Die Annahme, daß Gebirge mit einem Schlage entstehen, ist wohl für alle diejenigen, denen noch ein Rest der Lyell’schen Grundsätze im Bewußtsein geblieben ist, eine unmögliche. Diese Annahme erscheint gerade so ungeheuerlich, wie die seit Darwins Auftreten überwundene Vorstellung, daß plötzlich auf grünem Anger eine neue Art Säugetier- oder in einem Teich eine neue Fisch- gattung entstehen könnte, was ja heute selbst die Gegner Darwins, soweit sie sich mit Wissenschaft beschäftigt haben, nicht mehr glauben. So gut, wie die pressenden Kräfte, welche in einer Region schwächeren Widerstandes wirksam sind, allmählich wirken, wenn auch in dem einen Fall stärker und rascher als in dem anderen, so wird auch das Resultat dieser Wirksamkeit nicht mit einem Male sichtbar werden. So schreibt ja zum Beispiel auch Supan!): „Faltengebirge entstehen nicht durch einen einheitlichen Akt, sondern nach und nach“. : Nun aber bestehen die größeren Faltengebirge alle aus einer Anzahl von Falten, die mehr oder weniger einander parallel verlaufen, und ebenso wie man bei der einzelnen Falte sich vorstellen darf, daß sie sich aus kleinen Anfängen erhebt, wächst und schließlich eine gewisse Größe erreicht, so liegt es nahe, anzunehmen, daß auch ‘) Grundzüge der physischen Erdkunde, 4. Auflage, Leipzig 1908, pag. 624, [123] Einige Seiten über Eduard Suess. 455 ein System von Falten nicht von vornherein in seiner Totalität an- gelegt wird. Den ersten Falten schließen sich bei der Fortdauer der die Faltung bewirkenden Pressungen andere an. Das ist ein natür- licher Vorgang, der sich nicht bloß experimentell dartun läßt, sondern dem auch die Beobachtungen in den Faltengebirgen entsprechen, bei welchen gegen deren Außenränder hin jüngere Gesteinszonen auf die älteren folgen und bei welchen die jüngeren noch ganz oder teilweise an der Faltung teilnehmen, während sie im Vorlande') des Gebirges eventuell noch mehr oder weniger flach gelagert sind. Den hierauf bezüglichen Verhältnissen in den Karpathen habe ich seit meinen ersten Aufnahmen in Galizien eine besondere Auf- merksamkeit zugewendet und bereits in den ersten „Studien in der Sandsteinzone der Karpathen “°) die durch die während längerer Zeit zum Ausdruck kommende Kontinuität der Gebirgsbildung be- dingten Erscheinungen besprochen. Auch habe ich gelegentlich ?) darauf hingewiesen, daß sogar eine in der Verbreitung gewisser Formationsabteilungen sich ausprägende Diskordanz der letzteren mit einer allmählichen Verknüpfung der Absatzbedingungen derselben ver- einbar ist *). Ich habe auch die Meinung zu begründen versucht, daß die Karpathen, wenn auch als geringere Erhebung bereits bestanden, als die miocäne im wesentlichen auf den Rand des Gebirges in ihrer Verbreitung beschränkte dortige Salzformation sich absetzte, die doch später an den karpathischen Störungen teilgenommen hat). Ich habe ferner betont (vgl. wieder Jahrb. 1877]. c.), daß stellenweise sogar noch jüngere, anderwärts flach gelagerte Bildungen von jenen Störungen betroffen wurden. Da es mir schien, daß meine Auffassungen einigen Mißverständnissen ausgesetzt waren, habe ich in meiner Be- schreibung der Gegend um Krakau diese Auffassungen nochmals zusammengefaßt 6) und bin später im Hinblick auf gewisse hydro- graphische Verhältnisse der karpathischen Erhebung von Maidan bei Rosölna im Zusammenhang mit den von mir über das Wesen der Durchbruchstäler vertretenen Ansichten nochmals kurz darauf zurück- gekommen ’). Ich glaubte in diesen Darlegungen gezeigt zu haben, was ich schon 1877 (l. e.) aussprach, daß die Karpathen für die Annahme einer mehr oder weniger plötzlichen Aufrichtung der Gebirge keine Handhabe bieten. !) Der Ausdruck Vorland wird hier im gewöhnlichen Sinne ohne Bezug auf die Suess’schen Begriffe über Vorland und Rückland angewendet. 2, Jahrbuch d. k. k. geol. R.-A. 1877, pag. 128. 5, Vgl. z. B. Verh. d. k. k. geol. R.-R. 1878, pag 323. 4) Was speziell diesen Punkt anlangt, so bitte ich zu vergleichen, was in der diesmaligen Darstellung weiter oben (pag. [71] -[73]) über das Verhältnis des produktiven Karbons von Ostrau zum mährisch-schlesischen Kulm gesagt werden konnte. 5) Vgl. z.B. meine hierauf bezüglichen Bemerkungen in der Arbeit über die Gegend von Lemberg, Jahrb. 1832, pag. 7l und 91 und die Mitteilungen über den Karpathenrand bei Wieliczka, Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1884, pag, 172 u. 173. °, Jahrb. d, k. k. geol. R.-A. 1387, pag. 663 —637, bezüglich 271—275 des Separatabdruckes (1888). ?) Beiträge zur Geologie von Galizien, 4. Folge, Jahrb. d. k.k. geol. R.-A. 1889, pag. 369 - 370. 60* 456 Dr. Emil Tietze. [124] Die galizischen Karpathen liegen allerdings etwas abseits von dem Interesse der Mehrzahl der Geologen, denen die Beschäftigung mit den Alpen mehr Anregung bietet. Ohne daß man, was die letzteren anlangt, das jugendliche Alter derselben in Abrede zu stellen braucht, so weit die letzte Phase ihrer Entstehung und die dabei gesteigerte Intensität der gebirgs- bildenden Kräfte in Betracht kommt, wird man doch zugestehen, daß die jüngeren Tertiärbildungen, welche die Alpenkette auf beiden Seiten begleiten, diese Kette bei ihrer Ablagerung schon als existie- rend vorgefunden haben. Sonst müßte man ja annehmen, daß die betreffenden Absatzbecken einst über den Raum der Alpen, das heißt über einem durch die älteren alpinen Formationen gebil- deten Untergrunde sich von einer Seite hinüber zur anderen er- streckten, die Absätze selbst aber später im Hochgebirge durch Denudation entfernt worden seien). In neuerer Zeit mehren sich auch wieder die Anhänger der Vorstellung, daß die Alpen schon zur Zeit der oberen Kreide dastanden, während Mojsisovics es einst sogar für ausgeschlossen gehalten hat ?), daß die krystallinische Mittelzone dieses Gebirges von einer zusammenhängenden Decke mesozoischer Bildun- gen überspannt gewesen wäre, die die Verbindung der Nebenketten hergestellt hätte.“ In meinem ersten Aufsatz über die Bildung von Quertälern habe ich mich unter anderem auf diese Aeußerung bezogen?) um darzutun, daB die Alpen wahrscheinlich schon zur Triaszeit wenigstens in der Region der Zentralgesteine eine über das Meeresniveau erhobene Bodenanschwellung gebildet haben ?), daß aber in jedem Falle die Störungen, welche zur Tertiärzeit in der alpinen Region statthatten, nicht die ersten waren, welche zur Entstehung der betreffenden Ketten führten. Das letztere muß man selbst im Sinne der Ueberschiebungs- theorie zugeben, wenn man nicht zu der ganz grotesken Annahme greifen will, daß das jüngere Tertiär einst über das ganze spätere Alpengebiet noch vor der Aufschiebung der älteren Bildungen ver- breitet gewesen sei, daß seine Ablagerungen also nicht die anderen alpinen Gebilde in den randlichen Teilen des Gebirges überdeckten, scndern umgekehrt von den ganzen Alpen überschoben worden seien, so daß man sie beispielsweise unter der Zentralkette antreffen könnte. ‘) Es wird hier selbstverständlich nur an Absätze aus größeren Becken gedacht. Daß Spuren der Ablagerungen alter Flüsse noch heute im Hochgebirge vorkommen können, wie die früher pag. [37] erwähnten Augensteine, ist für die jetzige Auseinandersetzung ohne Belang. °) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1873, pag. 137. Diese Ansicht ist allerdings lange vor dem Auftauchen der Deckentbeorie ausgesprochen worden, durch welche in der Vorstellung vieler das tektonische Bild von der Zentralkette und ihren Nebenketten geändert wurde. Es schadet aber nichts, wenn hier wieder daran erinnert wird. °) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1878, pag. 598. ....,*%) Das würde vor Allem für die Aera der Werfener Schichten und für diejenige des Lunzer Sandsteines zu gelten haben, wenn wir die älteren Anschau- ungen über den Bau unseres mitteleuropäischen Hochgebirges nicht ganz über ward werfen wollen. Dıe genannten Bildungen deuten die Nähe von Land und er an. ur ee Se ee, er. ur fee Heer esse ee u ni [125] Einige Seiten über Eduard Suess. 457 Unter der Herrschaft einer solchen Annahme oder ähnlicher ausschweifenden Ideen wäre es indessen überhaupt ganz überflüssig, noch von Ketten, Bögen und dergleichen zu reden. Da würde alle Tektonik aufhören. Wenn wir aber im Sinne des hier bisher Gesagten an der Idee festhalten wollen, daß unter der Voraussetzung einer gewissen Kon- tinuität der gebirgsbildenden Kräfte ein aus mehrfachen Ketten zu- sammengesetztes Gebirge nicht auf einmal in alle seine verschiedenen Falten gebracht wurde, so befinden wir uns zwar in erfreulicher Uebereinstimmung mit Leconte und Whitney!) sowie auch mit Dana?), der für die so oft als Muster eines Faltengebirges genannten Appalachen, das Hinzufügen neuer Ketten an die früher bestandenen annahm, aber wir stoßen auf den Widerspruch von Suess, Im Anschluß an die Besprechung der Tektonik in der Bretagne protestiert derselbe?) nämlich ganz ausdrücklich gegen „die sehr verbreitete Meinung, als seien die Bögen eines großen Faltensystems in regelmäßiger Reihenfolge hintereinander entstanden und gleichsam aneinander angeschoben worden.“ Hier kommt bei unserem Meister wieder einmal der Katastrophen- Theoretiker zum Vorschein, den er eben nicht immer verläugnen konnte, mochte er auch gegen die Hebung der Gebirge durch Vulkane schreiben und mochte er auch ein anderes Mal auf die später noch zu besprechenden „Parmas“ aufmerksam gemacht haben, die doch einerseits auf ein Vorschreiten und andrerseits auf ein allmäliges Ausklingen der faltenden Bewegung für die betreffenden Gebirge hindeuten, oder mochte er an noch anderen Stellen seiner Schriften die Faltensysteme mit Wellen vergleichen, die doch einer fortschrei- tenden Bewegung entsprechen, sofern dieser Vergleich physikalisch richtig angewendet wird. Eines ist jedenfalls gewiß. Die Theorie von den antecedenten Durchbruchstälern, welche die Angliederung jüngerer Falten an ältere Bodenerhebungen zur Voraussetzung hat, findet in den Suess- schen Anschauungen keinen Boden. Ich betone das nicht aus persön- lichen Gründen, wie man im Hinblick auf meinen Anteil an der Aufstellung dieser Theorie vermuten könnte (die Fragen der Tal- bildung, obschon sie in das tektonische Gebiet hineinspielen, haben den großen Autor auch Andern gegenüber immer ziemlich kalt gelassen, wenn es sich nicht gerade um Grabensenken handelte), aber ich betone das, um an diesem Beispiel zu zeigen, daß in gewissen Punkten zwischen Suess und manchen anderen Forschern ein großer Gegen- satz in den allgemeinen Grundanschauungen bestand, der nicht leicht überbrückt werden konnte und trotz aller Anerkennung der Verdienste des genialen Forschers zu Meinungsverschiedenheiten auch im Ein- zelnen führen mußte. 1) Vgl. hierzu Entstehung der Alpen, pag. 5, wo die betreffenden Annabmen erwähnt sind. 2) Manual of geology, 2. edition, New York 1874, pag. 746; vgl. auch in gewissem Sinne pag. 751. E\. 5) „Antlitz“, III, Bd., 2. Hälfte (Schlußband) pag. 53. Der hier citierte Satz ist bei Suess durch gesperrten Druck hervorgehoben. 458 Dr. Emil Tietze. [126] fs Vielleicht kann man aus früheren Aeußerungen unseres alten Meisters herauslesen, daß derselbe nicht immer auf dem in seiner Art überraschenden Standpunkt gestanden ist, der sich aus dem obigen Citat ergibt. Ich erinnere hier an die Vorstellungen, die er in dem Aufsatz über Wieliezka betreffs der Störungen der Schweizer Molasse kundgetan hat und auf welche in einem anderen Zusammenhange in der gegenwärtigen Darstellung!) bereits hingewiesen werden konnte. Vor allem aber darf man bei dieser Gelegenheit an eine Stelle in der „Entstehung der Alpen“ denken (l. c. pag. 147). Dort heißt es bei Besprechung der Anfänge der Gebirgsbildung, daß der nach vorwärts liegende Teil der Hauptfalte in der Richtung der Kontraktion weiter bewegt wird und vor sich „die Sedimente in weiteren unter- geordneten Falten* auftürmt ?). Aber wir dürfen ja nicht bloß mit solchen älteren Verlautbarungen, sondern müssen auch mit den neueren Ansichten unseres Autors rechnen. Da ist bei dem dadurch gegebenen Fall wohl die Frage erlaubt, wie sich Suess unter der Voraussetzung eines gleichzeitigen Entstehens der verschiedenen Parallelketten eines größeren Gebirges die Ent- wässerungsverhältnisse dieses Gebirges vorgestellt hätte, sofern er derartige Dinge, für die er geringeres Interesse gehabt zu haben scheint, überhaupt hätte einer Betrachtung unterwerfen wollen. Verschiedene Schwierigkeiten bezüglich der Hypothese vom einseitigen Schub. Die Idee des einseitigen Schubes in Verbindung mit den Vor- stellungen über die Bedeutung der Bogenformen der Gebirge sowie in Verbindung mit den Ansichten, welche über die jenem Schub sich entgegenstellenden stauenden Schollen einerseits und die Senkungs- felder andrerseits ausgesprochen worden waren, hat im Laufe der Zeit zu den meisten der Unstimmigkeiten geführt, an denen die von Suess aufgestellte Hypothese der Gebirgsbildung leidet. Es sind Unstimmigkeiten, die so groß sind, daß man heute kaum sagen kann, worin der feste Kern besteht, der von jener Hypo- these noch übrig geblieben ist und dies mag einer der Hauptgründe sein, weshalb — wie wir gesehen haben --- die Ausführungen im „Antlitz der Erde* manchen Lesern schwer verständlich erschienen. Allerdings kann es sich da vornehmlich nur um solche Leser handeln, die ein konsequent nach einem einheitlichen Plan aufgeführtes Gebäude in jenem Werke vor sich zu sehen erwarteten, während es fraglich bleibt, ob Suess, wenn er auch ursprünglich zweifellos an einen solchen Plan dachte, bis ganz zum Schluß an dieser Absicht festgehalten ‘) Pag. [59] und [60), vgl. besonders die Anmerkung 3 auf pag. 59. ?) Zum besseren Verständnis dieses Citats sei daran erinnert, daß Suess sich damals die Kontraktion als in horizontaler Richtung wirkend dachte und nicht als in radialer Richtung tätige, wie das seiner späteren Ansicht entsprach, Der oben erwähnte Satz gilt nach Suess wenigstens für eine Gruppe von ee welche der Autor aber damals als die „häufigere* Gebirgsform ezeichnete, N 0 4 a u Fe el A Me ee ee [127) Einige Seiten über Eduard Suess. 459 hat. Es scheint ja aus verschiedenen Anzeichen hervorzugehen, daß er zwar (um bei dem Vergleich zu bleiben) die Mauern jenes Gebäudes soweit sie schon ausgeführt waren und ihm vielleicht noch einiger- maßen haltbar vorkamen, stehen ließ, daß er zuletzt aber es vorzog, die Bausteine für die Fortsetzung des Werkes zunächst nur auf die Eignung für ihre Zusammenfügung zu prüfen und dadurch seiner Synthese den Charakter einer vorbereitenden Arbeit aufzudrücken. Wer dem Verdienste des großen Autors gerecht werden will, wird dessen Leistung wenigstens teilweise auch unter diesem Gesichts- spunkt betrachten, wie sehr er sich bei dieser Betrachtung auch des Umstandes bewußt bleibt, daß Gerechtigkeit und sachliche Kritik keine Gegensätze sind und daß demzufolge diese Kritik nicht zu verstummen braucht. Das Gleichnis von den Bausteinen hat uns ja Suess selbst in seinen „Erinnerungen“ vorgeführt, dort, wo er (l. ec. pag. 432) von der Größe der Ergebnisse spricht, zu denen die Forschung uns bereits geführt hat. „Man würde sich aber täuschen“, schreibt er, wenn man diese Ergebnisse lediglich als die Frucht der Beobachtung und des Verstandes ansehen wollte. Diese liefern und ordnen nur die Bau- steine. Die großen Synthesen reifen plötzlich und unter dem Ein- greifen einer schöpferischen, jedoch durch die Tatsachen gebundenen und geleiteten Phantasie. Der Maurer überblickt die Bruchsteine. Er erkennt die Anschlußflächen; dann baut er.“ Dieser Ausspruch erklärt viel, wenn er auch eigentümlich gefaßt ist, ‘denn man wird doch gewiß gern annehmen, daß der große Autor in der Wirklichkeit dem Verstande nicht bloß die bescheidene Rolle an der Seite der Beobachtung angewiesen hat, wie sie in dieser Stilisierung bezeichnet wird. Ob jedoch Suess, der in seinem Falle gewiß manche jener Anschlußflächen glücklich erkannt hat, nicht trotzdem mit seinem Bau begonnen hat, ehe er sämtliche zu verwendende Bau- und Bruch- steine auf ihr Zusammenpassen zu prüfen vermochte, ist eine andere Frage !) und, wie das soeben angedeutet wurde, sprechen verschiedene seiner später noch zu erwähnenden Aeußerungen dafür, daß auch ihm in dieser Hinsicht Zweifel nicht fremd waren. Aber man erkennt wenigstens aus obigem Citat, wie er sich seine Aufgabe gedacht und mit welchen Mitteln er sie zu lösen ver- sucht hat. Daß diese Mittel nicht immer diejenigen der von Uhlig?) für seinen ehemaligen Lehrer in Anspruch genommenen induktiven Me- thode gewesen sind, bei welcher die durch Inspiration gewonnenen Vorstellungen nicht der Prüfung der Beobachtungen vorausgehen, ist wohl sicher; daß es Suess auch nicht immer glückte, sofort jene richtigen Anschlußflächen der einzelnen Bausteine zu finden und daß ihm überhaupt die Lösung der bewußten Aufgabe, wenigstens in Bezug auf eine klar begründete Theorie der Gebirgsbildung nicht 1) Es unterliegt ja zum Beispiel heute schon keinem Zweifel mehr, daß das „Antlitz der Erde“ in vielen Stücken an der „Entstehung der Alpen“ laboriert. 2) Vgl. oben pag. [78] dieser Darstellung. 460 Dr. Emil Tietze. [128] völlig gelang !), dafür werden auch in diesem wie in den folgenden Abschnitten wieder Belege zu finden sein. Daß aber andrerseits jene „schöpferische Phantasie* den Autor denn doch immer wieder zu neuen Gesichtspunkten geführt hat, die, an sich betrachtet, jedesmal interessant und für weitere Untersuchungen anregend gewesen sind, das darf auch von der rigorosesten Kritik zugestanden werden, und das tritt zuweilen auch in den Fällen hervor, wo es dem Autor am wenigsten beschieden war, seine Ideen untereinander und mit seiner Theorie in Uebereinstimmung zu bringen. Um die Lehre vom einseitigen Schub und deren Entwicklung bezüglich verschiedener damit zusammenhängender Einzelheiten zu überblicken, dürfen wir wohl noch einmal auf die betreffende Dar- stellung in der „Entstehung der Alpen“ zurückkommen, weil dort, abgesehen von jener in ein Gleichnis gekleideten Ausführung in den „Heilquellen Böhmens“ (vgl. oben), die bewußte Hypothese noch am einfachsten und klarsten ausgesprochen ist. Dort sehen wir, wie sich im Geiste des Autors die Gebirgsbögen an ihrer konvexen Seite an älteren Schollen stauen und wie an der konkaven Innenseite Sen- kungsfelder entstehen, innerhalb welcher (und besonders an deren Rändern) vulkanische Eruptionen hervorbrechen. Wir sehen ebenfalls das Vordringen der meisten Gebirge Europas in nördlicher Richtung. Gewisse Einschränkungen dieser Vorstellungen, die ursprünglich (wenigstens bezüglich der Senkungsfelder) vorzugsweise an den Bau der Karpathen und Apenninen oder teilweise auch des Erzgebirges angeknüpft haben, ergaben sich freilich schon damals. „Wir möchten“, schrieb Suess?) „ein Gesetz des Zuströmens der oberen Erdmassen gegen den Pol entwickeln“, aber, fügte er selbst hinzu, das Auftreten von „Störungen im Meridian“ (Ural) und der Umstand, daß sich „die bewegende Kraft in den mächtigen Hochgebirgen Innerasiens gegen Süd“ wende, widerspreche einer solchen Annahme. Er hätte aber auch noch weiter hinzufügen können, daß die Berufung auf die asiatischen Hochgebirge zugleich für die Ideen über die Rolle, welche Senkungsfelder und stauende Festländer gegenüber den Gebirgsbögen spielen sollen, recht abträglich wurde. Der Himalaya hat an seiner südlichen Außenseite das nordindische Tiefland vor sich und wenn man auch das letztere im Sinne späterer Aus- führungen des Autors als sogenannte Vortiefe und den Rest der vorderindischen Halbinsel als stauendes Festland oder, wie es dann immer bloß hieß, als Vorland hätte auffassen wollen, so war es doch schwer, auf der Innenseite des erwähnten Gebirges in dem Hochland von Thibet ein Senkungsfeld zu erblicken. !) Etwas anderes ist es natürlich bezüglich des Vergleichs der Verhält- nisse verschiedener Gegenden. Diese Vergleiche, welche ja, wie früher schon angeführt, als Begründung einer neuen Disziplin der Geologie gewertet wurden, werden stets ein hohes Interesse beanspruchen. Hier handelt es sıch jedoch nur um die Frage, ob die daraus gezogenen Schlüsse unmittelbar in den festen Besitz unserer Wissenschaft übergehen können, 2) (lc. pag. 146.) . + sn Dinner ac Ach ae ee er ee ee ee en [129] Einige Seiten über Eduard Suess. 461 Solche Schwierigkeiten mehrten sich beim Fortschreiten der ‘im „Antlitz der Erde“ niedergelegten Arbeit, und ich habe schon vor Jahren, bald nach dem Erscheinen des zweiten Teiles des ersten Bandes dieses Werkes nicht umhin können, auf einige derselben hinzuweisen !), Gemäß dem Standpunkt, den der Verfasser dieses Bandes ein- nahm, hätte man in den Anden Südamerikas zwei große Bögen zu sehen gehabt, die in der Gegend von Arica zusammentrafen. Nörd- lich von diesem Punkte wurde der eine Bogen der Cordilleren an- genommen, dessen Ketten gegen Venezuela durch „Virgation“ aus- einander treten, während weit südlich von Arica der andere Bogen endlich im Feuerlande aus der anfänglich mehr geraden meridionalen Richtung nach Osten umschwenkend gedacht wurde. Der Hauptteil des südamerikanischen Kontinents mit der „brasilianischen Masse“ nahm im Sinne dieser Auffassung, wie Suess selbst ausdrücklich sagt), „die Stelle des Rücklandes innerhalb der Bögen“ ein, während „das Vorland unter dem Ozean“ liegen sollte. Auch der Bogen der Antillen, der zwar an der Stelle des inneren Senkungsfeldes, wie die Theorie anfänglich ein solches verlangte, das karaibische Meer umschließt, also auf dieser Seite den verlangten Bedingungen entspricht, hat an seiner Außenseite statt des stauenden Festlandes teils den mexikanischen Golf, der, wie Suess sagte, in das Vorland eingebrochen ist (Il c. pag. 709), teils einen Ozean, den atlantischen. „Die beiden größten Ozeane der Erde“, so schrieb ich (l. ec. pag. 57) in dem so eben erwähnten Re- ferat, „der Pacific für die Anden, der atlantische für die Antillen, würden also im Sinne der früheren Ansichten des Verfassers die Rolle stauender Festländer übernommen haben“, was insofern auf- fallen durfte, als Suess doch wiederholt die Ozeane als Senkungs- felder bezeichnet und damit in einen tektonischen Gegensatz zu den stauenden Festländern gebracht hatte. Andererseits schien derselbe freilich kein Bedenken zu hegen, ein und demselben Erdraum verschiedene tektonische Funktionen zu- zumuten, denn der atlantische Ozean, der für die Antillen das stauende Vorland bedeutete, liegt, wie er damals meinte ?), auf der Rückseite oder Innenseite der Faltenzüge, welche im östlichen Nord- amerika sich von Neuschottland bis nach Alabama erstrecken und bedeutet somit im Sinne der in der Entstehung der Alpen kund- gegebenen Auffassung für diese Faltenzüge *) ein Senkungsfeld. Man darf übrigens nicht glauben, daß Suess selbst über den Widerspruch, welcher in allem dem gegen seine erste Hypothese lag, sich getäuscht habe. Er schrieb beispielsweise bezüglich der Anden (l. e. pag. 690): „Der Gegensatz zwischen den südeuropäischen und 1) Verhandl. d, k. k. geol. R.-A. 1885, pag, 51—58. 2) „Antlitz“, II. Bd., pag. 690. 3) „Antlitz“, II. Bd., pag. 756. *) Inwieweit diese Auffassung mit den Vorstellungen der Amerikaner über das relative Alter der Ketten dieses Faltenzuges heranreichte, tut für die Aus- einandersetzung im gegenwärtigen Abschnitt der heutigen Darstellung nichts zur Sache. | Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd,, 3. u, 4. Heft. (E, Tietze.) 61 462 Dr. Emil Tietze. [130] südamerikanischen Gebirgen ergibt sich aus dem Umstande, daß in den Alpen, Karpathen, Apenninen das Rückland eingebrochen ist und in den Alpen und Karpathen das Vorland sichtbar ist, während in Südamerika die brasilianische Masse die Stelle des Rücklandes inner- halb der Bögen einnimmt und das Vorland unter dem Ozean liegt.“ Bezüglich der Frage, was als Vorland, was als. Rückland eines Gebirges zu gelten habe, ist übrigens der Meister offenbar nie ganz oder nur dadurch ins Reine gekommen, daß er, um mich so aus- zudrücken, den gordischen Knoten, der sich hier durch Verschlin- gungen verschiedener Ansichten gebildet hatte, in resoluter Weise einfach zerhieb, indem er vor allem den landläufigen Gegensatz zwischen See und Festland bei seinen Betrachtungen ausschaltete. So wird vom Pacitic im Jahre 1895 ganz im allgemeinen aus- gesagt, daß die ihn umrandenden Ketten in der Richtung gegen den Ozean zu (and not from the ocean) gefaltet seien und daß dieser Ozean überall den Charakter eines Vorlandes besitzt!). Auch aus einer Stelle des letzten Bandes des „Antlitz“ ?) geht hervor, daß für Suess die Ozeane ohne weiteres als Vorländer gelten können und da er überdies in dem Grund der Ozeane an einer anderen Stelle über- flutete Festländer erblickte, so konnten diese Meere ja unbeschadet ihrer Eigenschaft als Senkungsfelder auch als stauende Festländer hingestellt werden. Als stauende Festländer hat man jedoch früher im Sinne unseres Autors gern die alten Horste betrachtet und diese letzteren in Ge- gensatz zu den Senkungsfeldern gebracht. So schrieb Suess noch in demselben II. „Antlitz“- Bande (pag. 680), in welchem die hier. geschilderte Auffassung über die Rolle des Pacific enthalten ist: „Sobald die Meeresbecken als Senkungsfelder anerkannt sind, erhalten die Festländer die Merkmale von Horsten.“ Es wird sich indessen bei der gegenwärtigen Diskussion mehr und mehr herausstellen, daß es bei konsequenter Durchführung der in Rede stehenden Hypothese auf eine gegenseitige Vertretung der ver- schiedenen hier vorgebrachten Begriffe hinauskommt. Wenn man jedoch die Funktion von Vorländern, Rückländern, Senkungsfeldern und stauenden Festländern in dieser Weise ver- schieben und umtauschen kann, so heißt das, offen gesprochen, nicht mehr und nicht weniger, als mit diesen Begriffen oder sagen wir besser mit diesen Ausdrücken Fangball spielen. Im Uebrigen stimmt der Ausspruch, die Ozeane seien über- fiutete Festländer, doch nicht ganz mit den sonstigen Anschauungen von Suess über die Weltmeere überein. Dieselben sind ja, wie der Autor ?) sagt, infolge von Senkungen (also nicht etwa durch ein bloßes Anwachsen der Fluten) immer tiefer geworden und wenn man auch im Hinblick auf die Unterschiede, die derselbe zwischen der tekto- nischen Bedeutung des atlantischen und des pacifischen Ozeans . ‘) In dem Artikel über die angebliche Permanenz des Ozeans, Natural Science Nr. vom 13. März 1893, pag. 186, vgl. auch pag. 181. Dort heißt es auch, daß die „Bögen“ ihre konvexe Seite durchgängig dem Ozean zukehren. ?) III/2, pag. 581 und III/2, pag. 692. °) „Antlitz“, Ill/2, pag. 776. [131] Einige Seiten über Eduard Suess. 463 hervorhob (vgl. weiter oben), bei dem erstgenannten eine spätere Entstehung annehmen will, so mußte doch (wie das ja übrigens Suess selbst angenommen hat) dem pacifischen Ozean eine längere Existenz und eine gewisse Beständigkeit im Sinne jener Anschauungen zu- gebilligt werden, so daß die Ueberflutung dieses „Festlandes“ schon seit urdenklicher Zeit, um nicht zu sagen, seit allem Anfang!) der Hauptsache nach besteht. Ueberflutet ist der Grund des Pacific aller- dings undjfest ist er auch, aber wenn man sonst von Festländern im Gegensatz zu den Meeren spricht, so meint man damit doch einen Gegensatz, der in jener Suess’schen Aeußerung in eigentümlicher Weise verwischt wird, und unter einem überfluteten Festland stellt man. sich ein Stück Boden vor, der früher über den Seespiegel her- vorgeragt hat. Tatsächlich hat sich Suess auch, wie es scheint, gescheut, jener Aufhebung des Unterschieds zwischen Festland und Ozean konsequent Geltung zu verschaffen, was sich gerade wieder bei seiner Auffassung von Südamerika zeigt, auf die wir noch einmal zurück- kommen müssen. Diese Auffassung wurde nämlich zuletzt einem völligen Wechsel unterworfen. Auf Seite 553 des letzten Antlitzbandes wird zunächst die Scharung der andinischen Bögen bei Arica (vgl. oben) wieder in Zweifel gezogen, und auf Seite 335 erscheint auf einmal Brasilien nicht mehr als Rückland, sondern als Vorland der Anden, welches sich (l. c. pag. 537) auf das argentinische Gebiet forterstreckt, und auch auf Seite 731 desselben Bandes wird Brasilien als Vorland der Anden bezeichnet, deren Faltung, wie es heißt, gegen Ost gerichtet ist und gemäß Seite 732 sogar dieses Vorland selbst ergreift, so daß zum Beispiel der Illimani und auch die argen- tinischen Anden eigentlich zu diesem Vorlande und (streng genommen) nicht mehr zu den Anden selbst gehören. Wir dürfen uns hier wohl auch daran erinnern, daß gemäß den älteren Ansichten unseres Autors die faltende Bewegung in der Um- gebung des Pacific als eine allseitig gegen diesen Ozean gerichtete anzusehen war 2) und daß die südamerikanischen Verhältnisse ausdrück- lich in diese Vorstellung einbezogen wurden. Es ist aber jedenfalls gut, daß die neuere Auffassung der andinen Gebirgsbildung von jener Annahme, welche die Richtung der Faltung gegen West verlangte, befreit wurde. Damit ist wenigstens eine Vorstellung aus der Welt geschafft worden, welche der Anpassungsfähigkeit der Leser etwas zuviel zumutete. Freilich erleidet dabei wieder die Charakterisierung des pacifischen Küstentypus eine gewisse Abschwächung?). Für denjenigen jedoch, der im Sinne der ursprünglichen Hy- pothese des Autors sich aus den Anden ein einseitiges Gebirge mit einem stauenden Festland vorn und einem Senkungsfeld hinten kon- struieren will (wobei er natürlich die in das sonstige Schema nicht 1) Seit der Zeit der alten Panthalassa, von der Suess an anderer Stelle gesprochen hat (vgl. pag. [31] der jetzigen Darstellung). 2) „and not from the ocean“. Vgl.-oben pag. [97] und pag. [130]. s) Vgl. weiter oben wieder pag. [97] der heutigen Darstellung. 61* A464 Dr. Emil Tietze. [132] passenden andinen Vulkane außer Betracht läßt), ist die letztgeschil- derte Auffassung jenes Gebirges jedenfalls die angemessenere. Sie hat allerdings wieder den Nachteil, daß sie mit dem Verhalten der Bögen nicht übereinstimmt, deren konvexe Seite, die der Theorie nach gegen das Vorland gerichtet sein sollte, doch von Suess ausdrücklich als gegen den Pacific gekehrt angesehen worden war. Vielleicht hängt aber der oben erwähnte Zweifel des Autors betrefis der Scharung bei Arica!) sowie die stärkere Betonung des lange Zeit mehr geraden (also nicht ganz bogenartigen) Verlaufes des südlichen Bogens damit zusammen, daß in diesem Falle den Bögen nicht der volle Wert. beigemessen wird. Beiläufig sei bemerkt, daß auch ein anderer Punkt der Theorie, der sich auf die Bedeutung von Vorländern und Rückländern bezieht, im letzten Antlitzbande eine nicht unwesentliche Ergänzung gefunden hat, denn während ursprünglich doch der tangentiale Schub jeweilig von der Seite des Rücklandes her erfolgen sollte, heißt es dort, wo (pag. 589) die Beziehungen der Rocky Mountains und einiger anderen Gebirge zu ihren Vor- und Rückländern erörtert werden. „Das Rück- land ist nicht der Ausgangspunkt einer aktiven faltenbildenden Kraft.* Ob das ganz im Sinne der ursprünglichen Hypothese unseres Autors liegt, kann einigermaßen bezweifelt werden. Unter einem ge- wissen Gesichtspunkt freilich dürfte man sagen, daß jene Hypothese, welche im Bereiche des Rücklandes Einstürze und Hohlräume voraus- setzte, in dieser Region ein treibendes Agens für den einseitigen tangentialen Schub nicht ohne weiteres hätte suchen sollen. Es ist das indessen geschehen, und wir werden vielleicht auf diesen Umstand später noch einmal zurückkommen; doch in dem gegenwärtigen Augen- blick unserer Ausführungen braucht die meritorische Seite dieses Problems nicht erörtert zu werden. Jedenfalls aber darf man fragen, aus welcher Richtung soll denn jener Schub kommen, wenn nicht von hinten, also vom Rücklande her? Er kann doch nicht aus der ent- gegengesetzten Seite, vom Vorland, kommen, auf welches er losgeht. Und doch lesen wir, daß das Rückland nicht der Ausgangspunkt der aktiven faltenbildenden Kraft sei?). Verfolgen wir jedoch die Fragen, welche sich an die Worte Außenseite und Innenseite bei Gebirgen knüpfen, und deren Schwie- rigkeit wir bezüglich Südamerikas kennen lernten, noch an einem anderen Beispiel, dem Kaukasus. ') Wenn der Ausdruck Scharung hier zulässig ist. Das Wort Kettung, welches ja auch dem Suess’schen Wortschatze angehört, wäre vielleicht besser. Doch spricht Suess selbst („Antlitz“, I. Bd., pag. 667 u. 690) von der Scharung bei Arica. Ueber die verschiedenartige Anwendung des Ausdruckes Scharung bei Suess vgl. den Hinweis auf Bittner in der Anmerkung 4 auf pag. [101] der heutigen Darstellung. ?) Auch wenn in dieser sprachlichen Wendung ein Unterschied zwischen einer aktiven und einer nicht aktiven (also nicht in Wirksamkeit tretenden) Kraft hätte angedeutet werden sollen, bleibt die betreffende logische Schwierigkeit bestehen, denn es handelt sich bei dieser Betrachtung nicht um die Art oder Ursache der zur Wirkung gelangenden Kraft, sondern um die Gegend, von welcher aus der dem Schub entsprechende Druck ausgeübt wird. on ec ee Se he en en. Mer en. de er Me eier ee [133] Einige Seiten über Eduard Suess. 465 Gemäß einer Aeubßerung, die wir im I. Band des „Antlitz“ (pag. 180) finden, kann dieses Gebirge gedacht werden als bestehend aus zwei einseitigen Ketten, welche von Südwest her aneinander gerückt sind. Diese Anschauung schien damals im Zusammenhange zu stehen mit dem Versuch, die Stellung großer Vulkane mitten im Gebirge zu erklären, insofern ja eine solche Position nach den ursprünglichen Vorstellungen des Autors über die Rolle vulkanischer Ausbrüche auf der Innenseite der Ketten als eine „ausnahmsweise“ erschien. Vielleicht konnte eine solche Ausnahme ihre Bedeutung verlieren, wenn man die Stellung jener Berge als theoretisch zwischen zwei Ketten gelegen auffassen dürfte. Es/ist übrigens festzustellen, daß hier (auf derselben Seite) aus- drücklich die dem Taurus zugekehrte Flanke des Kaukasus, also dessen Südflanke als Innenseite des Gebirges erwähnt wird. Im weiteren Verlaufe der Untersuchungen des Autors handelte es sich dann aber hauptsächlich darum, das genannte Gebirge nicht mehr bloß an sich, sondern auch in seinen Beziehungen zu anderen Ketten zu betrachten. Den ersten Entwurf für die Erläuterung dieser Beziehungen finden wir bereits im zweiten Teil des ersten Bandes des „Antlitz“, also dort, wo auch die ersten später verbesserten Ansichten über die Anden enthalten waren. Nach der in diesem Abschnitte vertretenen Auffassung !) bildet der Kaukasus ein Bindeglied zwischen dem Paropamisus und den Alpen. Der afghanische Paropamisus würde sich danach quer durch Turkestan, den ostkaspischen Balchan über den Kaukasus nach der Krim, dem Balkan, über das östliche Serbien nach dem Banater Gebirge und von dort durch die Karpathen nach den Alpen fortsetzen. Während aber, so schrieb ich in meinem bereits citierten Referat (l. e. pag. 56) „der Paropamisus, entsprechend den anderen asiatischen Bögen, seine Außenseite im Süden hat, besitzen die europäischen Teile dieses im einzelnen wieder vielfach umgewendeten Bogens (Alpen, Karpathen, Balkan) ihre Außenseite im allgemeinen im Norden, abgesehen von den südwärts gewendeten transsilvanischen Gebirgen, welche aber, wie ein Blick auf die Karte lehrt, die Einheitlichkeit dieser Außenseite nicht beeinträchtigen. Im Kaukasus scheint sich dagegen die Um- stülpung der Außenseite des großen Kettengebirges Alpen-Paropamisus zu vollziehen.“ „Wer also“ (so fuhr ich fort) „etwa dem Manytsch entlang vom kaspischen See nach dem Pontus reist und dabei, wie bekannt, Mühe hat, die Wasserscheide in diesem merkwürdigen Tal- lauf zu fixieren, begibt sich, ohne es zu merken und ohne das Gebirge zu überschreiten, aus dem innern Bezirk eines großen Kettensystems in das jenseitige Vorland dieser Ketten‘! Wer aber noch außerdem festhalten will, daß, wie einige Zeilen weiter oben erwähnt wurde, die Ketten des Kaukasus nach Suess von Südwest her bewegt wurden und daß sie unter diesem Gesichts- punkt nach der ursprünglichen Hypothese ihre Außenseite (bezüglich also ihr Vorland) ausschließlich im Nordosten, das ist auf der Seite des Manytsch haben, kommt aus der Verwicklung von Vor- 1) Siehe I. Band, 8. Abschnitt, pag. 597 etc. 466 Dr. Emil Tietze. [134] stellungen, die sich hier ergibt, wohl schon jetzt nicht ganz leicht heraus. Am Beginn seines dritten Antlitz-Bandes !) sagt indessen Suess, daß bei Abfassung seiner älteren Darstellung die Verhältnisse Asiens noch nicht genügend bekannt gewesen seien, um die richtigen Leitlinien für den Zusammenschluß der betreffenden Bögen mit Sicherheit zu ermitteln, und eine Seite vorher (l. c. pag. 9) spricht er es schlank- weg aus, daß der Kaukasus die Aeste des Tianschan „mit den jüngeren Leitlinien Mitteleuropas verbindet.“ Damit kommt also jedenfalls der (wohl natürlicher mit dem persischen Alburs zu verbindende) Paropa- misus für einen engeren Anschluß an den Kaukasus aus dem Spiel, Im letzten Band?) begegnen wir dann nochmals der Auffassung, daB ein stärkerer Ast des Tianschan, bezüglich der westlichen Altaiden zum Kaukasus zieht?) und es wird gesagt, daß er damit „an die südliche Seite des Asow’schen Horstes“ gelangt. „Von dieser Stelle an“, so heißt es weiter, „wendet sich die Faltung gegen Nord, indem sie die bisherige südliche Faltung der asiatischen Bögen verläßt, und zugleich tritt einer der Randbogen Asiens, die Dinariden, in großer Breite herein, nimmt den Raum bei Cypern, Kreta und dem Adriatischen Meer ein, drängt sich zwischen Alpen und Apennin und behält im Gegensatz zu den Altaiden die asiatische gegen Süd gerichtete Faltung bei“. Es mag hierzu die damit übereinstimmende Aeußerung im „Antlitz“, III/2, pag. 2 verglichen werden. Dort heißt es, die bis dahin gegen Süd gefalteten Ketten der Altaiden seien in der Gegend des Asow’schen Horstes gegen Nord gefaltet, und diese „Wendung“ sei um so auffallender, als die Dinariden im Süden die asiatische Faltung gegen Süden auch in Europa beibehalten. Man ersieht hieraus, daß zwar gegenüber der ursprünglichen Meinung des Autors später eine andere Verbindung der betreffenden Gebirgszüge hergestellt wurde, daß aber die Bedenken, welche man betreffs der merkwürdigen Umstülpung der Faltung, bezüglich betreffs des Wechsels von Innenseite und Außenseite beim Kaukasus hegen konnte, von Suess nicht als genügend schwere gewertet wurden, um über diesen Punkt eine Erläuterung zu geben *). Das Verhalten des Kaukasus !) 11I/1, pag. 10. 2), IIl/2,: pag. 727. °») Wir wollen die Auseinandersetzungen dieses Abschnitts der heutigen -» Darstellung nicht unnötig durch Einschaltungen verlängern, welche uns zwar durch die Erwähnung verschiedener Gebirge hier nahegelegt erscheinen, aber ab- seits vom nächsten Zwecke unserer Ausführungen liegen würden. Sonst ließe sich betreffs der Verknüpfung des Kaukasus mit dem Tianschan und den Altaiden noch manche Frage aufwerfen, für welche sich bei Suess keine ausreichende Antwort findet. Keinesfalls scheint der Tianschan mit den älteren Altaiden voll- kommen vergleichbar zu sein, da sich bei ihm die Gebirgsbildung bis in die Jüngeren, Ja sogar Jüngsten Zeiten hinein fortgesetzt haben soll („Antlitz“, Bd. I, pag. 602). In dieser Beziehung wäre gegen seine Verknüpfung mit dem Kaukasus weniger einzuwenden als gegen eine solche mit den eigentlichen Altaiden, sofern die Kennzeichnung des letzteren als vorpermisches Gebirgssystem eine Berechti- gung hat. . *) Dennoch wäre eine solche Auseinandersetzung schon aus dem Grunde erwünscht gewesen, weil die Ansichten des Autors über die Beziehungen der ee Me [135] Einige Seiten über Eduard Suess. 467 wird nur „auffallend“ gefunden, weil es im Gegensatz zu dem der Dinariden steht und nicht wegen der Umkehrung von Außen- und Innenseite eines Gebirgssystems. Und doch kann man es Mangels einer solchen Erläuterung niemandem verübeln, wenn er sich an- gesichts einer derartigen Frontveränderung immer wieder frägt, welchen Zweck es eigentlich habe, von Außen- oder Innenseite von Gebirgen zu reden, bezüglich von Vorländern und Rückländern, mit welchen ‚Worten namentlich später die den betreffenden Gebieten ent- sprechenden tektonischen Begriffe vielfach bezeichnet wurden. Das heißt, soweit man hier noch von sicheren Begriffen sprechen kann. Wir erfahren ja („Antlitz“, III/2,. pag. 717), daß Vorländer gleichzeitig Rückländer sein können!). Nun sind vorn und hinten allerdings relative Bezeichnungen und ein und dasselbe Gebietsstück, das zwischen zwei Ketten liegt, kann in der Tat für den Wanderer, der diese Ketten durchquert, als vor der einen und hinter der an- deren liegend bezeichnet werden, und wenn dann der Wanderer zurückkommt, wird für ihn vorn, was früher hinten war. Aber im Sinne der ursprünglichen Theorie von Suess darf man nicht ver- gessen, daß den Vorländern und Rückländern verschiedene Funktionen bei der Gebirgsbildung zugedacht waren und daß ein Senkungsfeld, wie es die Theorie für das Rückland bezüglich die Innenseite eines Gebirges verlangt, nicht gleichbedeutend sein kann mit einem alten, stehen gebliebenen Horst, der im Vorlande, bezüglich auf der Außen- seite der Kette eine Rolle zu spielen hat. Wenn es also geschehen kann, daß („Antlitz“, III/2, pag. 158) ein Gebirge, wie das von den ligurischen Alpen gesagt wird, zwischen zwei Senkungsfeldern liegt, so liegt es nach der ursprünglichen Theorie zwischen zwei Rück- ländern und hat ein Vorland nur auf Grund der Nachsicht, welche bei der Anwendung solcher Worte geübt wird. älteren Altaiden zu den als posthume Altaiden gedeuteten Alpen (vgl. oben pag. [104]) manchem in dessen Gedankenwelt weniger eingeweihten Leser nicht ganz klar erscheinen dürften. Es wurde uns allerdings gesagt („Antlitz“, III/2, pag. 720), daß die varis- eischen Leitlinien der mitteleuropäischen älteren Gebirge „nicht gar zu sehr von jenen der Schweizer Alpen abweichen, so daß die Alpen als posthume Altaiden bezeichnet werden durften.“ Aber in dieser etwas verklausulierten und keineswegs mit schlagender Sicherheit gegebenen Bezugnahme wird man den Nachweis einer genetischen Verwandtschaft der beiden Gebirgssysteme doch nur mit Mühe finden. Da nun aber die echten Altaiden nach Süden, die Alpen jedoch nach Norden bewegt sein sollen, was an sich für Suess in anderen Fällen keine tektonische Verwandtschaft bedeutet, so wäre gerade über die Region, wo sich die Wendung der Bewegung vollziehen soll, nämlich über den Kaukasus, mehr zu sagen nötig gewesen als wir bei Suess zu hören bekommen Wenn zwischen den Alpen und den Dinariden ein wesentlicher Unterschied konstruiert und derselbe auf die angeblich entgegengesetzte, hier asiatische, dort europäische Faltung ge- gründet wird, dann besteht doch zwischen den Alpiden und den asiatischen Altaiden zum mindesten ein gleicher Gegensatz und wenn durch die Verhältnisse des Kaukasus dieser Gegensatz für unser Verständnis ausgeglichen werden soll, dann hätten diese Verkältnisse näher beleuchtet werden müssen. !) Von der nordchinesischen Scholle wird dort ausgesagt, daß sie am Hoangho stauendes Vorland, aber zugleich im Osten Rückland für die Faltenzüge von Shansi sei. 468 Dr. Emil Tietze. [136] Den, wie wir es nennen ‚wollen, Undeutlichkeiten gegenüber, welche bei dieser Praxis entstehen, können wir über die „schwebenden“ Vorländer („Antlitz“, IIT/2, pag. 189 und 190) leicht hinweggleiten. Wir müssen nur noch einmal kurz darauf zurückkommen, daß sich auch der Grund der Ozeane als „überflutetes* Vorland verhalten kann. („Antlitz“, III/2, pag. 581 und 692.) Mit einer solchen Annahme lassen sich jedenfalls alle die früher erwähnten Unzukömmlichkeiten be- seitigen, welche aus dem Umstande zu entstehen schienen, daß manche Gebirgsbögen mit ihrer konvexen Außenseite an das Meer grenzen. Insofern nun aber einmal, worüber man schwer hinwegkommt, die Vorländer die alten Horste sein sollen, an denen sich die Gebirgs- faltung staut, möchte man sich an Bittners Auseinandersetzung !) erinnern, wonach bei Suess eigentlich alles, einschließlich der Meeresböden Horst ist und daß deshalb der Begriff Horst unge- nügend definiert sei. Wenn aber ferner (vgl. „Antlitz“, III/2, pag. 670 und 776) die ozeanischen Tiefen (nebst den später noch zu erwähnenden Vortiefen) „Aeußerungen der Senkung“ und wenn die Ozeane infolge solcher Senkung tiefer geworden sind, dann sind eben solche Vorländer (bezüglich Horste) zugleich Senkungsfelder. Wir sehen auch aus den einige Zeilen weiter oben gegebenen Citaten, daß dies nach den späteren Anschauungen von Suess ‚ganz gut möglich ist. Es soll das ja alles zunächst nur gesagt werden, um zu zeigen, wie weit sich in der Sache selbst die Ansichten, die der Meister in späteren Jahren ausgesprochen hat, von dem Standpunkt, der in der Entstehung der Alpen und vielleicht noch einige Zeit nachher ver- treten wurde, entfernt haben. Vielleicht hätte Suess aber nicht bloß die alten Anschauungen, sondern auch die dem früheren Stand- punkte angepaßten Worte und Bezeichnungen fallen lassen sollen, da deren Bedeutung gar zu elastisch geworden ist. Ich meine das nicht gerade unbedingt, weil man ja bei Einzelbeschreibungen diese Worte noch immer verwenden kann, aber im Zusammenhange mit der all- gemeinen Theorie hat der Wert derselben jedenfalls viel eingebüßt. Es stellt sich überdies bei der Durchsicht des „Antlitz“ heraus, daß man bei der Erklärung der Faltenbildung schließlich auch ohne die Existenz fremdartiger Horste auskommt, wie sie die Vogesen, der Schwarzwald oder die böhmische Masse den: Alpen gegenüber darstellen sollten, um hier an einige für die betreffende Vorstellung als typisch geltende Beispiele zu erinnern. Der Autor spricht es Pe ausdrücklich aus, daß manchen Ketten dasıVorland überhaupt ehlt Sehr bezeichnend in dieser Hinsicht ist auch eine schon in der ersten Abteilung des 3. Bandes (pag. 247—248) enthaltene Stelle, wo von innerasiatischen Gebirgsketten die Rede ist. Es heißt dort: „In diesen gedrängten Faltensystemen besitzen auch die einzelnen Ketten nicht jenen Grad von Individualisierung, welchen man bei dem Kaukasus ‘) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A, 1887, pag. 413—417. ?) „Antlitz“, III 2, pag. 250. 1 | i 3 [137] Einige Seiten über Eduard Suess. 469 und ähnlichen Ketten antrifft, und so kommt es, daß wir z. B. im Nan-schan hinter einander Ketten bald von Gneis und bald von sedimentären, z. B. karbonischen Sedimenten treffen, welche man be- greift, sobald sie als zusammengehörige Wellen einer gemeinsamen Bewegung aufgefaßt werden, deren verschiedenartige Zusammensetzung aber unverständlich wird, sobald man sie gesondert betrachten will. Diese Gemeinsamkeit der Bewegung bringt es mit sich, daß innerhalb dieser Ketten der Gegensatz zu einem fremden und anders gebauten Vorlande fehlt, welcher in den Alpen und im Himalaya vorhanden ist. Es ist der Gegensatz zwischen den Wogen der offenen See und der Brandung am Ufer“. Hier gibt es also kein stauendes Hindernis mehr und die Wellen oder Ketten bilden sich doch. Wir müssen aber bei dem gewiß hochpoetischen Vergleich, welchen Suess hier vorgeführt hat, noch einen Augenblick verweilen, denn dieser Vergleich hat eigentümliche Konsequenzen, wenn man sich für die Auftürmung der betreffenden Gebirgsketten im Sinne der ursprünglichen Theorie des Autors nach der Ursache dieses Vorganges frägt. Bei den Wogen der offenen See ist es der Wind, der ihre Auftürmung bewirkt, also ein von außen kommender Impuls. Vielleicht finden wir die Antwort auf die gestellte Frage einige Seiten später (l. c. pag. 250). Dort heißt es: „Um ein annäherndes Bild der Gestaltung zu geben, die sich hier entwickelt, stellen wir uns vor, der ganze im Südwesten vorliegende Teil Asiens sei von Wasser bedeckt. Vom Irtysch her oder vom Tarbagatai erfolge ein Anstoß, und zwar in der Richtung gegen Südwest. Zahlreiche und lange Wellenberge !) entstehen hintereinander; sie sind anfangs mehr oder minder konvex gegen Südwest gerichtet, wie die Aeste des Tianschan es zeigen. Sie breiten sich aus und verlängern sich und entfernen sich von einander, wo sie Raum finden und türmen sich auf, wo der Raum enger wird, wie im Nan-schan. Sie ziehen bald starr und gerade an Hindernissen vorüber wie im Tsin-ling-schan, fortwährend seitliche Verlängerung suchend, oder sie werden durch die Hindernisse gebeugt und abgelenkt. — Diese Falten oder Wellen fassen wir zusammen als die „Altaiden“. Wie man sieht, geht der Anstoß zur Bildung jener denen des freien Ozeans vergleichbaren Wellen (welche nichts weniger sind als die Altaiden, denen bei Suess eine so große und über mehrere Kontinente ausgedehnte Rolle zugedacht wird), so ziemlich von einem Punkte oder einer engbegrenzten Region aus, womit auch die anfäng- liche Konvexität der Wellen in der Richtung des. Anstoßes überein- ') Das Bild von den Wellen ist ein bei Suess sehr beliebtes. Vgl. z. B. Entst. d. Alpen, pag. 45 und 72. Natürlich muß, wer es anwendet, sich bewußt bleiben, daß bei Wellen sich nur die Bewegung fortpflanzt, die Massen jedoch, welche von der Bewegung ergriffen werden, im Wesentlichen den Ort nicht ver- ändern, wie jedes wogende Kornfeld zeigt. Ob jedoch dieser Gesichtspunkt bei der Anwendung der Hypothese vom einseitigen Schub überall berücksichtigt wurde, bleibe dahingestellt. Schon in dem Aufsatz über die italienische Halbinsel ist von der geringen Stabilität der Gebirge die Rede gewesen und seitdem ist noch manches über die Ortsveränderung der Gebirgsmassen behauptet worden. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft, (E. Tietze.) 62 470 Dr. Emil Tietze. [138] stimmt. Die Idee des einseitigen tangentialen Schubs bleibt bei dieser Vorstellung allerdings gewahrt, aber ebensowenig wie ein stauendes Vorland wird uns hier eine sich senkende Scholle bezeichnet !), von der der Stoß ausgegangen wäre und für diesen Stoß selbst wird man einigermaßen doch wieder an jenen von außen her wirkenden Impuls erinnert, den Löwl als ex coelo kommend bezeichnet hat. Diese eigentümliche Vorstellung schimmert bei Suess immer wieder durch. Wenn wir in großem Maßstabe bei den Wellen der Altaiden sehen, daß für die späteren Ansichten von Suess alte Horste und dergleichen als Stauungsursachen für die Faltung nicht mehr erfor- derlich sind, weil eben in diesem Falle ein Impuls von der anderen Seite her genügt haben soll, die Wellen zu erzeugen, so haben wir gemäß den Ausführungen des „Antlitz* auch noch in einem anderen und vielleicht auch etwas anders gearteten Falle Gelegenheit, uns von der Entbehrlichkeit der alten Horste für die Theorie der Gebirgs- faltung zu überzeugen. Dieser Fall betrifft das Auftreten der von Suess sogenannten Parmas. Diese Parmas sind „vorliegende Falten, welche die Abnahme der Faltung gegen die Ebene bezeugen“, als deren Typus die den Ural an dessen westlicher Außenseite begleitenden mit der Ent- fernung vom Hauptgebirge immer schwächer werdenden Falten hin- gestellt wurden. Von ihnen sagte uns Suess?), daß sie „nur vor solchen Gebirgen erscheinen können, denen ein ihnen gleichartiges Land vorliegt. Würde fremdes Tafel land vorliegen, so gäbe es keine Parmas“. Im 3. Bande (vgl. z. B. III/l, pag. 442) wiederholt er dann bei Erwähnung der Parmas, daß trotz einer Stauung bei Ufa kein scharfer Gegensatz des Gebirges gegen das uralische Vorland besteht und fremde Horste dort nicht auftreten, und sowohl im I. Bande (pag. 717) als in der zweiten Abteilung des 3. Bandes (IIl/2, pag. 76) werden auch die Appalachen als Parınas bildend bezeichnet. In dem letzt erwähnten Schlußband (IIl/l, pag. 722) aber heißt es bei der Besprechung der Vortiefen, über die wir weiterhin noch einige Bemer- kungen machen wollen, weil sie eine weitere Komplikation der ursprüng- lichen Theorie hervorrufen: „Nicht alle Faltengebirge besitzen Vor- tiefen, viele flachen aus oder bilden Parmas wie Ural und Appalachen“. Ich war also wohl im Recht, als ich schon in jenem bereits früher einige Mal erwähnten Referat (Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1885, pag. 57) darauf aufmerksam machte, daß die Aufstellung des Begriffes der Parmas eine ganz wesentliche Einschränkung der ur- sprünglichen Gebirgsbildungshypothese des Meisters bedeutete. Eine solche Einschränkung oder doch Modifikation dieser Hypo- these lag auch darin, daß nach der Meinung, die schließlich über die Anden infolge einer Korrektur früherer Vorstellungen aufgestellt wurde °), das argentinische Vorland (s. III/2, pag. 717) von der Anden- ‘) Das ist hier natürlich im Sinne der Suess’schen Hypothese gesagt, denn im übrigen beibt es fraglich (vgl. später), inwieweit sinkende Schollen einen ein- seitigen Schub bewirken können. 2) „Antlitz“, I. Bd, pag. 645. ....,°) Vgl. weiter oben (pag. [131]) die Auseinandersetzung über den Umtausch, der für die Anden mit den Bezeichnungen Vorland und Rückland vorgenommen wurde, [139] Einige Seiten über Eduard Suess. 471 faltung mitergriffen worden sei. Insofern das betreffende argentinische Gebiet in diesem Falle den Anden gegenüber als ein fremdartiges aufgefaßt wurde, bietet dieser Fall allerdings kein vollständiges Ana- logon mit den Parmas, aber er zeigt doch, daß zwischen der Faltung eines Gebirges und der des angeblichen Vorlandes kein prinzipieller Unterschied zu bestehen braucht und daß auf diese Weise die Grenze zwischen Vorland und Faltengebirge verwischt werden kann. Daß wir uns das stauende Vorland nicht überall so vorzustellen haben, wie wir es uns im sozusagen reinen Sinne der ursprüng- lichen Suess’schen Hypothese nach Art der böhmischen Masse oder des französischen Zentralplateaus denken müssen, ergibt sich übrigens auch aus einem Hinweis auf die Verhältnisse der Karpathen, auf die wir zwar früher schon in etwas anderem Zusammenhange hingewiesen haben, auf welche wir jedoch bei dieser Gelegenheit wieder zurück- kommen müssen. Dieses Gebirge ist ja zufolge der von Suess verschiedentlich geäußerten Ansicht!) über die ihm vorgelagerten sudetischen und polnischen Massen auf weite Strecken hinweg bewegt worden. Diese Massen bestehen allerdings aus älteren Ablagerungen. Aber für den mechanischen Vorgang der Stauung handelt es sich nicht sowohl um das Alter dieser Ablagerungen als darum, ob die letzteren eine Art Damm oder stauende Erhebung gebildet haben, welche der faltenden Bewegung der Karpathen an irgend einer Linie Halt zu gebieten oder doch Widerstand zu leisten im Stande war, den die gefalteten oder infolge dieses Widerstandes zur Faltung gezwungenen karpathischen Schichten hätten „überwältigen* müssen, wie der für solche Aktionen angewendete Ausdruck lautet. Dort, wo heute auf der Außenseite der Karpathen die Faltungen enden, welche bis weit in das flachere Vor- land hinein (z. B. bei Kalusz) noch die miocänen Schichten der Salz- formation betroffen haben, scheint ein solches, den karpathischen Bil- dungen fremdes Hindernis im allgemeinen nicht bestanden zu haben. Suess selbst hat schon in der „Entstehung der Alpen“ (pag. 22) die gefalteten Massen der Bieskiden, welche nach seiner Auffassung über das flach unter dieselben hinabtauchende, den sudetischen Ablage- rungen angehörige Steinkohlengebirge hinübergeschoben wurden, mit Wellen verglichen, „welche an einem flachen Strande auflaufen, und er fügte hinzu, denselben Eindruck erhalte man in Galizien bezüglich des Verhältnisses zwischen den Karpathen und den außerkarpathischen Massen, welche dort „nicht wie am Zentralplateau, in den Vogesen oder am Südrande der böhmischen Masse dem Kettengebirge steilere Abhänge zuwenden. Hier nun entfaltet sich der Nordsaum der Kar- pathen ohne ein stauendes Hindernis“. Zusammengehalten mit der bereits früher erwähnten Aeußerung von Suess („Antlitz“, IIl/2, pag. 589), wonach ein Rückland nicht der Ausgangspunkt einer aktiven faltenbildenden Kraft zu sein braucht, werden dadurch allein die Annahmen der in Rede stehenden Hypo- these wenigstens in dem Sinne hinfällig, daß dieselben einer be- ı) Vgl. z. B. „Antlitz“, III/2, pag: 578, wo von Kettung durch Ueberwälti- gung die Rede ist. 62* 472 Dr. Emil Tietze. [140] stimmten Gesetzmäßigkeit nicht entsprechen. Es zeigt sich, daß man sowohl ohne Rückland wie ohne stauendes Vorland auskommt, wenn man die betreffenden Fragen bloß mit den Mitteln behandeln will, welche uns Suess dafür an die Hand gibt. Noch eine andere Bemerkung jedoch kann ich bei dieser Ge- legenheit nicht unterdrücken. Auch die Stauung der Alpen an einem dem alpinen Gebiete fremden Vorland wird zweifelhaft. Wir wissen, und haben uns soeben wieder daran erinnert, daß Suess einen gewissen Unterschied zwischen den Karpathen und den Alpen betreffs des Verhaltens dieser Gebirge gegen ihr Vorland ge- macht hat. Alle seine früheren Aeußerungen ließen auf die Vor- stellung schließen, daß die böhmische Masse etwas dem Gebiete der Alpen völlig Fremdartiges sei, während die Karpathen in größerer oder geringerer Breite auf ihrem Vorland aufruhen sollten. Es ist deshalb vielleicht nicht ganz ohne Interesse, zu erwähnen, daß Suess in seinem Schlußbande des „Antlitz“ (III/2, pag. 228) sogar bezüglich der alten böhmischen Masse eine Fortsetzung der- selben unter den Alpen zugesteht, wie sie zum Teil schon von älteren Autoren (Hochstetter, Hauer) angenommen, aber später, wie es scheint, angezweifelt wurde. Schon die bekannte, vor etlichen Jahren durchgeführte Tief- bohrung bei Wels hatte erwiesen, daß der dortige, in der Nähe des Alpenrandes abgelagerte Schlier auf altkrystallinen Bildungen liegt, welche mit der böhmischen Masse übereinstimmen !). Der eingehenden Auseinandersetzung, welche vor etlichen Jahren G. Geyer „über die Granitklippe mit dem Leopold von Buch-Denkmal im Pechgraben bei Weyer“ gegeben hat?), in welcher auch die Frage nach der Herkunft der sogenannten exotischen Blöcke in den Kar- pathen und Alpen ausführlich behandelt worden ist, gelang es jeden- falls, die betreffende Ansicht von einem Zusammenhange der böhmi- schen Masse mit dem Untergrunde der nordalpinen Bildungeä zur vollen Anerkennung zu bringen 3). Es mag indessen denkbar sein, daß der Fall hier trotzdem etwas anders liegt als bei den Karpathen, wenn man geltend machen will, daß die böhmische Masse dort, wo sie in Böhmen selbst und in den benachbarten außeralpinen Teilen Oesterreichs auftritt, als alter Horst eine deutliche Erhebung den Alpen gegenüber bildet. Durch einen solchen Horst hätte ja im Sinne der ursprünglichen Hypothese von Suess in der Tat eine Stauung der Alpen bewirkt werden können, sofern nicht (worauf wir gleich zu sprechen kommen) durch die zwischen den Alpen und jenem Horst im Sinne der späteren An- ‘) Hierzu vgl. noch „Antlitz“, III/2, pag. 335 u. 717. .. ..) Verhandl. d. k.k. geol. R.-A. Wien 1904, pag. 363—390. Vgl. dazu noch die weiteren Bemerkungen von Toula in denselben Verhandl. 1905, pag. 89 und Geyer ebendaselbst pag. 99. .‘) Daß*altkrystallinische Bildungen unter den Sedimentärgesteinen der nördlichen Ostalpen in der Tiefe vorhanden sein müssen, war ja von vornherein außer Zweifel. Es konnte sich also nur darum handeln, welchem petrogra- _ phischen Typus dieselben (gemäß den an die Oberfläche gelangten Proben dieser Gesteine) angehören. [141] Einige Seiten über Eduard Suess. 473 sichten desselben Autors gelegene Vortiefe eine unmittelbare Berüh- rung der beiden Gebirgssysteme (wenn auch natürlich nicht der be- treffenden Gesteine in den Tiefen) verhindert wurde. Vielleicht hat eine Stauung aber teilweise schon in der Region stattgefunden, welche ungefähr durch das Auftreten der obgenannten Klippe bezeich- net wird. Für diese Region besteht jedenfalls eine gewisse Analogie zu dem Verhältnis, welches von Suess zwischen den Karpathen und der sudetischen Scholle angenommen wurde. Ist die letztere von den Karpathen „überwältigt“ worden, so ist auch die böhmische Masse bezüglich deren südliche unter den Alpen gelegene Fortsetzung von den Alpen überwältigt worden, soweit man eben in beiden Fällen von einer Ueberwältigung sprechen darf. Jedoch, wie immer man dieses Verhältnis auffassen will, so sitzen oder ruhen heute die Ostalpen auch nach dem Zugeständnis von Suess auf einem Teil des zur böhmischen Masse gehörigen Gebietes. Derselbe sagt ja ausdrücklich, daß das vorpermische Vorland, bezüglich die böhmische Masse ange- sichts der Alpen zwar verschwindet, daß es jedoch eine Fortsetzung unter den Alpen findet !\. Deshalb dürfte man es, nebenbei bemerkt, auffallend finden, daß jenes den Karpathen doch weit überlegene Hochgebirge nicht ebensolche Fernwirkungen bei seiner Entstehung ausgeübt hat, wie sie nach Suess bei der Entscehung der Karpathen sich an der Boskowitzer Furche bemerkbar gemacht haben). Von Interesse für das Verständnis der Wandlungen, welche die ursprüngliche Hypothese unseres Altmeisters durchgemacht hat, mag auch sein, was er schließlich über die nordamerikanischen Gebirge ausgesagt hat. Wir erinnern uns, daß die Außenseite der Gebirgsbögen nach welcher die Richtung des einseitigen Schubes gehen sollte, als konvex gedacht wurde. Nun lesen wir in der Abschiedsvorlesung von Suess (l. ec. pag. 6), daß man von den Appalachen in der neueren Zeit gelernt habe, daß sie einen Bogen bilden, „welcher nicht wie die asia- tischen und europäischen Ketten gegen die konvexe, sondern gegen die konkave Seite“ gefaltet ist. Sie sind in der Richtung gegen das als Laurentia bezeichnete archäische Gebiet gefaltet, „welches die Mitte von Canada und einen Teil der Mitte der Vereinigten Staaten einnimmt“. Im Westen von Laurentia herrschen aber ähnliche Ver- hältnisse. „Die große Cordillere, deren Verbindung mit dem nördlichen Asien allerdings noch nicht genau festgestellt ist,“ ist an ihrer Ostseite „gegen Ost, das ist gleichfalls gegen Laurentia gefaltet.“ So wird Nordamerika, wie es weiter heißt, „von beiden Seiten von konkav streichenden Faltenzügen umfangen.“ Im Sinne der ursprünglichen Hypothese würde die alte Laurentia die Rolle des die nach ihr gerichtete Faltung stauenden älteren Festlandes, bezüglich Vorlandes zu ‘spielen haben, aber die Form der Bögen paßt in diesem Falle nicht in die Hypothese hinein. a 0 7 at > !) „Antlitz“, III/2, pag. 228. 2) Vgl. dazu das in der gegenwärtigen Darstellung auf pag. [70] Gesagte, nebst der ersten Anmerkung daselbst. 474 Dr. Emil Tietze. [142] In ähnlicher Weise scheinen aber, wie wir nebenbei anmerken, die oben erwähnten Aussagen unseres Autors auch für eine andere Vorstellung desselben verhängnisvoll werden zu wollen. Der pacifische Küstentypus sollte sich doch, wie es anfänglich hieß, dadurch aus- zeichnen, daß die Faltung in der Umrandung des großen Ozeans allenthalben gegen den letzteren gerichtet wäre. Wir haben indessen weiter oben bereits erwähnen müssen, daß die südamerikanischen Anden nach der späteren Auffassung des Autors von diesem Gesetz eine Ausnahme bilden. Wenn wir dasselbe jetzt für die Cordillere des nordamerikanischen Westens feststellen müßten, deren Faltung an der Ostseite gegen Laurentia gerichtet ist, dann würde nahezu die ganze lange Ostseite des Pacific nicht mehr dem pacifischen Küstentypus zuzurechnen sein, außer wir entschließen uns bei der Kennzeichnung des pacifischen Küstentypus die Bedingung von der ausschließlich gegen den Ozean gerichteten Faltung ganz wegzulassen und uns für jene Kennzeichnung auf die Betonung der Umrandung des betreffenden Meeres durch Kettengebirge zu beschränken !). Um aber noch ein weiteres Beispiel für die wechselnde Auf- fassung anzuführen, welche man in den Darlegungen unseres großen Autors betreffs der Bedeutung von Vorländern und Rückländern findet, so sei daran erinnert, daß Suess die Dinariden den Alpen gegenüber als Rückland bezeichnet hat?). Da nun die Rückländer anfänglich als Senkungsfelder gedacht waren und da es doch andrerseits ziemlich schwer ist, in jener Gebirgserhebung, zu welcher die sogenannten Dolomiten Südtirols von Suess gerechnet wurden, ein Senkungsfeld zu sehen, so kommt man auch bei dieser Betrachtung wieder zu der vorhin schon ausgesprochenen Ueberzeugung, daß sich mit den Worten stauendes Festland, Vorland, Senkungsfeld und Rückland eigentlich keine dem Sinne der ursprünglichen Hypothese von Suess entspre- chenden Begriffe verbinden lassen, namentlich wenn man den heutigen Stand dieser durch die Deckentheorie gewiß nicht vereinfachten An- gelegenheit überblickt. Die Entwicklung derselben zeigt übrigens nur, wie ein Autor, der auf Grund einer anfänglich beschränkten Anzahl von Tatsachen oder Betrachtungen eine Gesetzmäßigkeit zu finden geglaubt hat, durch ein umfassendes weiteres Studium den Rahmen, in welchen er die Dinge bringen wollte, sprengt und zur Anschauung einer überraschen- den Mannigfaltigkeit der Erscheinungen gelangt, die vorher weder ihm noch anderen recht zum Bewußtsein gekommen war. Daher soll es uns fern liegen, aus den Widersprüchen, die sich bei einer solchen Entwicklung zwischen den einzelnen Phasen derselben ergeben, Vor- würfe oder dergleichen abzuleiten. Nur vorübergehen an jenen Wider- ; !) Daß auch der Versuch, das Verhalten der verschiedenen Stromsysteme für die Unterscheidung der verschiedenen Küstentypen zu benützen nicht gauz gelungen ist, wurde auch schon hervorgehoben Vgl. dazu und zu der obigen Bemerkung überhaupt die Seiten [98)— [99] der heutigen Darstellung. ?) Auf das verwickelte Problem des Dinariden soll etwas später noch näher ‚eingegangen werden. Hier sei nur bemerkt, daß nach Suess („Antlitz“, III/2, pag. 229) die Fortsetzung der Alpen unter dem karnischen Gebirge und den Dinariden liegt. [143] Einige Seiten über Eduard Suess. 475 sprüchen dürfen wir nicht, wenn die Arbeit eines genialen Mannes, die nur durch ein kritisches Eingehen auf dieselbe verständlich wird, nicht verloren gehen und uns trotz der begangenen Inkonsequenzen oder vielmehr gerade durch dieselben nützen soll. Dieser Verlust würde uns aber schließlich bevorstehen, wenn man sich gewöhnen würde, die betreffenden tektonischen Schriften bloß im allgemeinen zu bewundern, dieselben aber, weil sie ihrer Unstimmigkeiten wegen und ohne Kommentar vielen nicht ganz ver- ständlich sind, nicht mehr zu lesen, bezüglich ruhig beiseite zu legen, wie das freilich bei manchen zu großer Berühmtheit gelangten Werken (auch der sogenannten schönen Literatur) leider der Fall ist. Die Vortiefen. Noch verwickelter als durch die eigentümliche Handhabung der Worte Vorland, Rückland, stauendes Festland und Senkungsfeld hat sich das Problem der Gebirgsbildung im Sinne der Suess’schen Hypo- these durch den im Schlußband des „Antlitz“ erfolgten Zusatz zu dieser Hypothese gestaltet, welcher an das Wort „Vortiefe* anknüpft. Eine strenge Definition des zu diesem Wort gehörigen Begriffes ist bei Suess allerdings nicht zu finden, was nach dem früher Gesagten (vgl. z. B. oben pag. [101]) nicht überrascht. Doch wird die Bedeutung der Vortiefen an einem Beispiel erklärt, welches sich auf den nördlichen pacifischen Ozean bezieht. Es heißt in dem Schluliband (III/2) auf Seite 581, daß, wenn man die Wasserhedeckung jener Region entfernen könnte, man ein weites Land vor sich hätte, etwa 3000—4000 m unter dem heutigen Meeresspiegel. Vor den gefalteten Bögen der Umgebung aber „würden langgestreckte, allerdings nicht völlig regelmäßige Streifen des Landes liegen, die noch um 2000, 3000 und sogar 5000 m tiefer wären als das weite neuentblößte Land“. Diese Streifen sind offensichtlich die Vortiefen. Das „entblößte Land“, so heißt es bei Suess weiter, „ist das Vorland. Der äußere Rand der Vortiefe ist der bogenförmige Rand einer Senkung der Lithosphäre und der innere Rand der Vortiefe ist der Außenrand des Faltengebirges, welches vom Lande her über diese Tiefe getreten ist“. Wir erfahren überdies, daß die Vortiefen nichts mit tektonischen Synklinalen zu tun haben, aber doch in enger Verbindung mit den Falten stehen (III/2, pag. 721—722). Als Er- gänzung zu diesen Aeußerungen kann man dann noch die Bemerkung auf Seite 335 desselben Bandes heranziehen, wo die Vortiefen als Grenzen Asiens bezeichnet werden und wo gesagt wird, daß die größten Meerestiefen als langgezogene Furchen vor dem Außenrande der pacifischen Bögen sich befinden. Vielleicht wesentlich deutlicher als durch jene Darstellung, welche speziell (laut Inhaltsangabe des betreffenden Kapitels) zur Erläuterung des hier neu eingeführten tektonischen Begriffes bestimmt war, wird die Sache durch einige andere Beispiele. 476 Dr. Emil Tietze, [144] Als das fremde Vorland des Himalaya, der ja gemäß der Auffassung von Suess gegen Süden bewegt ist, gilt die ostindische Halbinsel, an welcher sich der Himalaya gestaut haben soll’). Aber zwischen diesem fremden Vorlande und dem mächtigen Gebirge liegt eine tief eingesenkte, von jungen Bildungen ausgefüllte Niederung, die bengalische Vortiefe. Analog diesem Verhältnis ist dasjenige zwischen den Alpen und deren Vorlande, der böhmischen Masse. Zwischen beiden liegt eine ebenfalls von jüngeren Bildungen ausgefüllte Depression. Auf Alpen und Karpathen wird nun (IIl/2, pag.‘ 335, unten) der Begriff der Vortiefe betreffs der Beziehung dieser Gebirge zu den Vorländern übertragen und wir hätten demnach in dieser Depression eine solche Vortiefe zu erblicken 2). Ein weiteres Beispiel stellen die „in das atlantische Gebiet vor- dringenden Cordilleren der Antillen“ vor. Dieselben haben auf ihrer Außenseite (vgl. „Antlitz“, III/2, pag. 525) eine ganz bedeutende Vor- tiefe, bei der es sich, wie Suess bemerkt, um Tiefen handelt, wie sie sonst im atlantischen Ozean selten sind. Wenn man noch einige weitere Aeußerungen des Autors über das Problem der Vortiefen hervorheben will, so sei zunächst auf Seite 336 des erwähnten Schlußbandes verwiesen, wo es heißt, daß die Tiefen das Absinken des Vorlandes unter die jungen Falten bedeuten, oder es sei auf Seite 670 aufmerksam gemacht. Dort lesen wir (was übrigens früher schon in einem anderen Zusammenhang erwähnt werden durfte), daß ozeanische Tiefen und Vortiefen Aeußerungen der Senkung seien, und zwar der Senkung durch Ver- minderung des planetarischen Volums, nicht in Verbindung mit ein- gebrochenen Hohlräumen. Die tangentiale Kraft jedoch trage ihren „Ueberschuß in bogenförmigen Falten in und über die gesenkte Vortiefe“. Die letzt erwähnte Bemerkung erscheint wichtig, weil sie an- deutet, daß nach der Meinung des Autors das Absinken der Vortiefen vor oder doch keinesfalls nach der faltenden Bewegung erfolgt ist, während die Stylisierung der kurz vorher erwähnten Aeußerung auf Seite 336 das Mißverständnis hervorrufen könnte, als ob das Vor- land nachträglich unter die jungen Falten herabgesunken wäre. Der so eben vertretenen Auffassung widerspricht es auch keines- wegs, wenn wir an einer anderen Stelle („Antlitz“, IIV/2, pag. 692) bei Suess lesen, daß die Vortiefen des pacifischen Gebietes jünger als der Pacific sind, denn bei dem großen Alter, welches diesem Ozean zugeschrieben wird, würde dieser Umstand im Vergleich mit dem Alter der zu den Vortiefen gehörigen Ketten keine Rolle zu spielen brauchen. !) „Antlitz“, III/2, pag. 726. ?) Vgl. den Vortrag von Suess in den Mitt. d. Wiener geol. Ges., 6. Bd., 1913, pag. 53. Wer diesem Vortrag zugehört hat, weiß, daß diese Depression als Vortiefe aufgefaßt wurde. Unter den jungtertiären Schichten derselben wurden bekanntlich bei einer Bohrung erst in etwa 1000 m Tiefe Gesteine der böhmischen Masse gefunden. Vgl. oben pag. [140]. [145] Einige Seiten über Eduard Suess. 477 Wir erkennen also, daß die stauenden Festländer oder die (eventuell ozeanischen) Gebiete, welche im Suess’schen Sinne deren Aufgabe zu übernehmen hatten, schon ursprünglich von den sich faltenden Gebirgszügen getrennt waren. Nur bezüglich der Bedeu- tung jenes „Ueberschusses“ der faltenden Kraft, welche letztere somit in zwei (ihren Funktionen nach verschiedene?) Teile zer- fallend gedacht wird, werden wir wieder im Dunkeln gelassen. Oder sollen wir uns denken, daß die teilweise schon durch die tangentiale Kraft gefalteten Massen bei der Fortdauer der Faltung in die Vor- tiefe hinunter gleiten? In diesem Falle wäre es wenigstens teilweise die Schwerkraft, welche die „in und über die Vortiefe* gleitenden „bogenförmigen Falten“ hervorruft. Das käme auf die Reyer’sche Glutfaltung hinaus. Gleichviel jedoch, ob man den Begriff der Vortiefen für nach jeder Richtung ausreichend definiert hält oder nicht, immerhin liegt in der Betonung des Auftretens solcher Tiefen in den angegebenen Positionen der Ausdruck eines genialen Gedankens vor, der ein neues Element in die tektonischen Betrachtungen bringt. Die Frage läßt sich aber nicht abweisen, in welcher Weise dieser neue Gesichtspunkt sich mit den sonstigen Anschauungen verträgt, denen wir in den Schriften von Suess begegnet sind. Wenn nach der darin aufgestellten Theorie das Rückland der Gebirgsbögen ein Senkungsfeld sein soll und wenn die Vortiefen vor den Bögen ebenfalls Senkungen entsprechen, so stehen die betreffenden Gebirgsketten streng genommen zwischen zwei Senkungsfeldern. Da würde also der Fall, welchen wir schon früher für die ligurischen Alpen einer Aussage von Suess entsprechend hervorgehoben und auffallend gefunden haben, sich öfters wiederholen. Greifen wir auf die ursprüngliche Ansicht von Suess über die Senkungsfelder zurück, wie sie nicht bloß in der „Entstehung der Alpen“, sondern auch noch im ersten Bande des „Antlitz“ zum Aus- druck kam, so würden die Senkungsfelder auf der konkaven Innen- seite der Ketten direkt Einbrüchen entsprechen, während, wie jetzt schon wiederholt gesagt werden mußte, die Falten auf der Außenseite der Gebirge ein stauendes Hindernis in vielen Fällen nicht fanden. Nun konnte sich schon Franz v. Hauer!) kein klares Bild von der Möglichkeit machen, daß der Schub in einem sich faltenden Gebirge auch dann noch andauern soll, „wenn von der Innenseite, von welcher derselbe ausgeht, eine Senkung der Massen in die Tiefe das Wider- lager der Stauung entfernt hat“. Später fand Löwl?) es auffallend, daß die konkave Rückseite der Gebirge nach Suess bei dem von ihr herkommenden Schub durch eine zerrende Kraft zerrissen werden sollte, um dem flüssigen Magma der Vulkane das Hervortreten zu ermöglichen. Er meinte, daß z. B. eine südwärts gezerrte Scholle doch keinesfalls einen nordwärts gerichteten Schub bewirken könne. !) Vgl. das bereits früher mehrmals citierte Referat in den Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1883, pag. 185. 2) Geologie, pag. 173. Dieser Autor scheint hier wieder besonders die von u s i in den „Heilquellen Böhmens“ gegebene Darstellung im Auge gehabt zu naben. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u, 4. Heft (E. Tietze.) 63 478 Dr. Emil Tietze. [146] Ich selbst aber habe schon früher (d. h. noch vor dem Erscheinen des „Antlitz“) diese Einwände noch drastischer ausgedrückt, indem ich (nur auf die „Entstehung der Alpen“ Bezug nehmend) sagte !), es sei schwer, „sich ohne besondere Zutät einen Druck vorzustellen, der gewissermaßen von einem Loch ausgeht und dann auf eine feste unnachgiebige Scholle wirkt in der Art, daß die Massen zwischen dem Loch und der festen Scholle zu Gebirgen aufgetürmt werden“. Wenn man bei diesem Bilde bleiben wollte, so würde sich nun- mehr im Hinblick auf die Vortiefen ergeben, daß die Faltung, die bezüglich des ihr zu Grunde liegenden Druckes von einem Loch aus- ging, sich an einem anderen Loch gestaut hat. Nun aber zeigt sich allerdings, worauf in diesen Seiten schon hin- gewiesen wurde, daß der Gedanke von Zusammenbrüchen im Verlauf der späteren Studien von Suess manche Einschränkung erfahren hat. Beispielsweise hat ja der Autor des Schlußbandes des „Antlitz“ bei Besprechung der Schweremessungen die von Manchen vermutheten unterirdischen Massendefekte in Abrede gestellt und damit auch der Idee von der Macula, die er im ersten Bande (vgl. oben) aussprach, einen Stoß versetzt. Ueberdies wird ja gerade in dem jetzt bespro- chenen Falle die Senkung der Vortiefen nicht einem Einsturz, son- dern der Kontraktion zugeschrieben und ist dann auch genau be- trachtet nicht als wirkliche, sondern nur als scheinbare Senkung auf- zufassen. Deshalb könnte man auch die Senkungen auf der Innenseite der betreffenden Ketten (bei nachträglicher Korrektur der Ansichten des Autors) als eine durch Kontraktion bedingte ansehen. Man könnte sich weiter vorstellen, daß die Vorgänge bei dieser Kontraktion in irgend welcher Art einen Druck auf das inmitten der beiden Pseudo- Senkungen gelegene, zu faltende Gebiet ausübten. Das käme schließ- lich auf etwas ähnliches wie die isostatische Theorie von Dutton hinaus. Der einseitige Schub wäre allerdings dabei ausgeschlossen, aber wenigstens die seltsame Vorstellung von der Zusammenpres- sung einer Gebirgsmasse durch zwei Hohlräume wäre dann vermeidbar. Jene Theorie wird jedoch, wie weiterhin noch kurz besprochen werden soll, von Suess abgelehnt und demnach bleibt im Sinne von dessen Ansichten die Notwendigkeit bestehen, die Hohlformen oder Tiefen, durch welche die sich stauenden Ketten von den stauenden Vorländern getrennt werden, als ein die Faltung bewirkendes Hindernis der Bewegung zu erkennen, zumal wir ja aus einem der etwas weiter oben angeführten Zitate erfahren, daß die tangentiale Kraft ihren Ueberschuß in bogenförmigen Falten in diese Hohlformen hineinträgt. Daraus ginge doch, wie vorher schon angedeutet, hervor, daß die Hohlformen, bezüglich die Vortiefen der einseitigen Faltung gegenüber als präexistierend aufzufassen wären und nicht etwa nach- träglich nach vollbrachter Stauung gebildet sind. Es ergeben sich also hier allerhand Schwierigkeiten. Ich habe indessen gelegentlich der Diskussion mit einem treuen Anhänger der Suess’schen Ideen den Eindruck erhalten, daß sich die Vertreter der, ‘) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1882, pag. 729, in der zweiten Folge meiner Bemerkungen über die Bildung von Querthälern. [147] Einige Seiten über Eduard Suess. 479 um mich so auszudrücken, orthodoxen Exegese jener Ideen nicht so leicht entwafinen lassen. Ich will deshalb mit einigen Worten noch auf einen Gesichtspunkt eingehen, dessen Beleuchtung vielleicht noch eine Ergänzung zu der obigen Betrachtung zu bieten vermag. Wenn nämlich Jemand die Bedenken, welche aus dieser Betrach- tung für die Suess’sche Hypothese erwachsen, dadurch vermindern wollte, daß er die Abgründe, bis zu denen nach der Schilderung von Suess die Vortiefen reichen, als bedeutungslos hinstellen und sagen wollte, daß die Vorgänge bei der Stauung und dem Schub sich in abyssischen Regionen, unter dem Basisniveau der Vortiefen abgespielt haben könnten, so daß die stauenden Festländer trotz der trennenden Vortiefen ihre von der Theorie verlangte Funktion hätten ausüben können, so stünde einem solchen Versuch zunächst eine Meinungs- äußerung von Suess selbst entgegen. In der „Entstehung der Alpen“ (pag. 84) schreibt dieser ausdrücklich, daß „die Stauung der Alpen an und für sich nur eine den oberen Zonen des Erdkörpers angehörige Erscheinung sein kann“. Freilich könnte man wieder sagen, das Wort obere Zone ent- spreche unter Umständen einem sehr weiten Begrifte. Läßt man sich also trotz jener Aeußerung nicht abhalten, den bewußten Stauungsvorgang dennoch in sehr große Tiefen zu verlegen (und auch für diese Auffassung gibt es vielleicht in gewissen Aeuße- rungen bei Suess einen Anhaltspunkt), so entsteht wieder die Frage, wozu man sich mit solchen Oberflächenerscheinungen, wie es zum Beispiel die böhmische Masse oder die vorderindische Halbinsel sind, bei derartigen tektonischen Spekulationen überhaupt noch abgibt. Was sich von diesen Vorlandsmassen über das Basisniveau der Vor- tiefen erhebt, spielt ja dann bei der Stauung kaum noch eine Rolle. Noch weniger bedeuten natürlich die paar hundert Meter Seehöhe, durch welche z. B. die böhmische Masse sich im Relief Mitteleuropas als Horst repräsentiert. Mit den durch sehr bedeutende Vortiefen von den gefalteten Ketten getrennten stauenden Festländern, mit den alten Horsten oder mit den durch den etwas weniger tiefen Ozean überschwemmten Vorländern ließe sich in der Tat dann gar nichts mehr anfangen. Die Idee vom einseitigen tangentialen Schub in Verbindung mit dem dafür in Anspruch genommenen Apparat von Nebenbegriffen, hat, wie man sieht, auch durch die Hinzufügung der Vortiefen zu diesem Apparat an Wahrscheinlichkeit nicht gewonnen. Schließlich sei indessen bemerkt, daß die Vortiefen keinen un- entbehrlichen Bestandteil der Theorie in ihrer späteren Gestalt bilden. Wir erinnern uns an den in einem anderen Zusammenhang schon einmal angeführten Satz: „Nicht alle Faltengebirge“, so heißt es im Schlußband des „Antlitz“ (pag. 722) „besitzen Vortiefen. Viele flachen aus und bilden Parmas“. Von einer bestimmten Gesetzmäßigkeit des Verhaltens der Vor- tiefen kann ohnehin, auch dort, wo sie vorkommen, nicht wohl ge- sprochen werden. Die Anden Südamerikas haben nämlich ihre Vortiefen nicht vorn, sondern hinten, sofern man 63* 480 Dr. Emil Tietze. [148] nicht an die erste, sondern an die spätere Auffassung dieses Gebirges durch Suess denkt, wonach das Vorland der Anden auf der Seite von Brasilien und Argentinien liegt!). Suess selbst hat in aufrichtigster Weise auf diese Tatsache hingewiesen ?), die er den asiatischen, von ihm als Muster für das Auftreten der Vortiefen bezeichneten Verhältnisse „widersprechend‘“ findet. Er schreibt, daß neben einem großen Teile der Westseite Amerikas beträchtliche Tiefen bestehen, „die man für Vortiefen halten möchte, die aber im Gegensatz zu allen asiatischen Vortiefen an der Westseite eines gegen Ost gefalteten Gebirges liegen. Agassiz hat diese Tiefen sehr deutlich dargestellt*. Diese Tiefen zeigen sich bereits „weit im Norden“, zum Beispiel bei Mauzanillo und im Westen von Guatemala, sie wiederholen sich aber im Süden westlich von Callao, Autofagusta, Copiapö und Valparaiso. Auf eine Erklärung dieser Erscheinung wurde verzichtet. Die Dinariden. Einiges über Rückfaltung. Es gibt aber noch einen besonderen, und zwar sehr wichtigen Fall, für welchen gezeigt werden kann, daß jene Idee vom einseitigen Schub zu inneren Widersprüchen bedenklicher Art geführt hat, und dieser Fall betrifft gerade das Gebirge, an dessen Entstehung die weitgreifenden Spekulationen über Gebirgsbildung wenigstens formell zuerst anknüpften, nämlich die Alpen. Wir müssen uns allerdings er- lauben, dieses Wort hier zunächst in dem Sinne anzuwenden, in welchem es uns ursprünglich vorgeführt wurde, das heißt wir müssen, um die historische Entwicklung dieses besonderen Falles besser über- blicken zu können, gewisse an die Hauptkette der Alpen angrenzende Gebirgsmassen wieder einmal zu dem Alpensystem rechnen, wie das Suess noch im Jahre 1875 getan hat. Zu diesen Gebirgsmassen gehörten damals noch die Erhebungen, welche man sich inzwischen in der geologischen Literatur gewöhnt hat Dinariden zu nennen und welche man gemäß den neueren An- sichten von Suess den Alpen als ein fremdartiges?) Element gegen- überstellt. Damit berühren wir jetzt eines der am meisten umstrittenen Kapitel der Theorie unseres großen Autors. Als in der „Entstehung der Alpen“ von der gegen Osten und Süden, bezüglich Südosten gerichteten fächerförmigen Ausstrahlung verschiedener Zweige des Alpensystems gesprochen wurde, wobei der betreffende Fächer natürlich nicht in bezug auf fächerförmige Schichten- stellungen, sondern im Sinne einer geographischen Anordnung der ‘) Vgl. oben pag. [131] der heutigen Darstellung. ?) „Antlitz“, III/2, pag. 560—561. °) Asiatisch und fremdartig nennt Suess die Dinariden. Asiatisch sind aber schließlich auch die Alpen selbst, insofern Suess dieselben als posthume Altaiden bezeichnet hat. Wenn also die Fremdartigkeit der Dinariden nur auf ihr asiatisches Wesen zurückzuführen wäre, so brauchte man sie von dem Alpen- system nicht abzutrennen. [149] Einige Seiten über Eduard Suess. 481 betreffenden Ketten vorgeführt wurde, bildeten die dinarischen Ge- birge einen der Strahlen dieses Fächers, wurden also als im engeren Zusammenhange mit den Alpen stehend gedacht. Diese Vorstellungsweise erscheint im „Antlitz der Erde“ auf- gegeben. Eine andere geographische Anschauung hat sie verdrängt und wir sehen durch die Vermittlung des kleinasiatischen Taurus die Dinariden nunmehr mit den asiatischen Randbögen verknüpft. In der ersten Abteilung des dritten Bandes des „Antlitz“ (pag. 402 etc.) ist ein besonderer Abschnitt den Tauriden und Dina- riden gewidmet, in welchem nicht allein der enge Zusammenhang des Taurus mit den dinarischen Ketten zu begründen versucht wird, sondern auch ein Teil der vorher stets unmittelbar zu den Südalpen gerechneten Erhebungen den nunmehr als asiatisch aufgefaßten Dina- riden zugezählt erscheint. Gemäß dieser Lehrmeinung würde das Gebiet der von unseren Alpinisten als die Dolomiten bezeichneten Gebirgsmasse nicht mehr zu den Alpen gehören und das Pustertal die Grenze der letzteren gegen die Dinariden bilden. Das karnische Ge- birge aber, welches sich an der Südseite des Gailtals hinzieht und welchem variscisches Alter zugesprochen wird, würde weder zu den Alpen noch zu den Dinariden gehören, sondern ein gewisser- maßen selbständiges, zwischen beide eingekeiltes Gebirgsstück bilden !). Die Darstellung der Dinariden und der taurischen Bögen war eine glänzend und bestechend geschriebene, so daß man begreift, daß dieselbe von vielen bewundert oder doch nicht ohne weiteres ab- gelehnt wurde. Sie hat indessen auch Widerspruch gefunden, wobei man beispielsweise an die Arbeiten von Frech?) über den Gebirgs- bau des Taurus und dessen „Bedeutung für die Beziehung der europäischen und asiatischen Gebirge“ erinnern und darauf hinweisen kann, daß Frech den näheren Zusammenhang zwischen Tauriden und Dinariden überhaupt leugnet°). Da es jedoch nicht meine Aufgabe sein kann, alle die Probleme als solche zu erörtern, welche durch die fesselnden Schriften von Suess zur Sprache gebracht wurden, so be- schränke ich mich hier auf eine kurze Beleuchtung derjenigen Punkte, welche den Zusammenhang der Ansichten des großen Autors unter- einander betreffen. In dieser letzteren Beziehung erwähne ich hier auch nur flüchtig, daß Suess eine Zeitlang das taurische Gebirge für „ein Fragment des vom Innenrande her eingesunkenen Kaukasus“ gehalten hat ®), denn das hat mit der Dinaridenfrage weniger zu tun, als mit den, wie wir sahen, schweren Aufgaben, die sich der Meister im Kaukasus !, Vgl. „Antlitz“, Ill. Bd., 1. Teil, pag. 433. 2) Zeitschr. d. Ges. für Erdkunde, Berlin 1911, Sitzber. d. k. preußischen Akademie d. Wissensch., Berlin 1912 und Neues Jahrb. für Mineralogie etc. 1913, Bd. 1, Heft 1. 3) Uebrigens hat auch Suess selbst gesagt, daß diese Gebirgssysteme „eine gewisse Unabhängigkeit voneinander bekunden“ (III/1, pag. 402), was ihn andrerseits nicht hinderte, die Tauriden auch direkt als Dinariden zu bezeichnen, also als Unterabteilung der letzteren hinzustellen. 4) „Antlitz“, I. Bd., pag. 180. 489 Dr. Emil Tietze. [150] gestellt hatte !), und die, wie sich zeigte, auch seinen Lesern einige Arbeit bei der Auflösung von Räthseln zu verschaffen im Stande waren. Einer sehr leichten Aufgabe entspricht es aber auch nicht, wenn man sich die Entwicklung und den Zusammenhang der Anschauung über die Dinariden in ihrem Verhältnisse zu den Alpen vergegen- wärtigen will. Besondere Schwierigkeiten entstehen in diesem Falle namentlich, wenn es gilt, jene an sich so schöne Darstellung der Dinariden und Tauriden mit der Vorstellung von einem einseitigen tangentialen Schub zusammenzureimen. Die Alpen sollten vorwaltend gegen Norden bewegt sein, die Dinariden vorwaltend gegen Süden. Das gäbe allerdings im Sinne der Einseitigkeit des Schubes noch zu keinem Bedenken Veranlassung, wenn man diese Gebirge jedes für sich betrachten und den Dinariden ihren sogenannten asiatischen Charakter ohne Weiteres lassen wollte. In diesem Punkte tritt aber bei unserem Autor zu der geographischen Auffassung, die in der Verbindung der Dinariden mit den taurischen Bögen liegt, noch ein wichtiger tektonischer Gesichtspunkt von allge- meinerer und abweichender Bedeutung hinzu. Trotz jener von Suess ausdrücklich 2) betonten südlichen (eventuell südwestlichen) Bewegungs- richtung der Dinariden, liest man nämlich in der zweiten Abteilung des dritten Bandes (pag. 168), daß die Dinariden gegen Norden vordringen, und Suess stimmt dort der Ansicht Termiers zu, daß die Alpen von den Dinariden überwältigt wurden. Und an einer anderen Stelle desselben Bandes (IIl/2, pag. 224) heißt es ebenfalls, daß Teile der Alpen unter dem karnischen Gebirge und den Dinariden liegen. Auch üben, wie wir lesen, die Dinariden?) in der Richtung der Bozener Porphyre auf diese einen „Druck“ aus, während doch andrerseits *) wieder die nach Süd gerichtete Faltung der sich zwischen die Alpen und Apenninen drängenden Dinariden betont wird. An einer dieser Stellen (l. c. pag. 118) heißt es aber auch, daß die in den Rahmen der Alpiden eingetretenen Dinariden nie zu einem stauenden Vorlande wurden, sondern daß ihnen vielmehr als Rückland (z. B. am Brenner) eine mäßig schiebende Wirkung zu- zukommen scheint. (Das wäre, nebenbei gesagt, und wie schon vorher einmal bemerkt, ein Gebirge als Rückland, bei dem man nicht mehr im Sinne der Theorie an ein Senkungsfeld zu denken brauchte.) Das ist aber noch der geringste Uebelstand, der sich hier für die von dem Meister aufgestellte Hypothese der Gebirgsbildung ergibt. ') Vgl. dazu die Seiten [133—135] der gegenwärtigen Schrift. Es sei hier auch beiläufig darauf aufmerksam gemacht, daß gemäß den späteren Ansichten von Suess der Kaukasus in Gegensatz zu den Tauriden, bezüglich Dinariden zu bringen wäre. Hätten aber Kaukasus und Tauriden doch einmal zusammen gehört, dann könnten andrerseits die Tauriden und Dinariden nicht in Gegen- satz zu den Alpen gebracht werden, da ja der Kaukasus mit den letzteren von Suess, wie wir sahen, enger verbunden wird. ?) „Antlitz“, III. Bd., 1. Teil, pag. 422. °) „Antlitz“, III. Bd., 2. Teil, pag. 584. *) „Antlitz“, 11I/2, pag. 118 u. 727. [151] Einige Seiten über Eduard Suess. 483 Es durfte bereits früher darauf hingewiesen werden, daß gegen den Schluß des letzten Bandes!) Suess noch einmal gegen die Ideen Beaumonts den einseitigen Schub zu verteidigen sucht, und wir erinnern daran, daß er einige Seiten später ?2) meint, der von ihm zuge- standene zweiseitige Bau der Caledoniden bilde eine Ausnahme, die mit anderen Erfahrungen nicht in Uebereinstimmung zu bringen sei. Wer indessen das liest, was er über die Dinariden gesagt hat, muß doch wohl finden, daß er damit die Lehre. vom einseitigen Schub selbst sehr schwer kompromittiert hat. Nach Süden schieben und gleich- zeitig nach der anderen Seite drücken und teilweise sogar im Sinne Termiers ganz gewaltig überschieben, kann doch nicht als die Betätigung einer einseitig tangential wirkenden Kraft gelten. Das wäre eine Einseitigkeit, die zwei Seiten hat, und wenn sich die Dinge so verhielten, wie sie uns hier dargestellt wurden, dann würden die Caledoniden sich in guter Gesellschaft befinden. Das Eigentümliche an dieser Sache ist, daß bei den geschilderten Auffassungen die Deckentheorie ins Spiel kommt, welche man doch gerade von einigen Seiten als eine weitgehende Bestätigung der Lehre _ vom einseitigen Schub betrachtet. Die Widersprüche, welche in der Behandlung der Dinariden durch Suess liegen, deuten offenbar das Schwanken in der Auf- fassung der Tatsachen an, die der Autor in seiner Synthese zu be- rücksichtigen suchte. Die Dinariden sollten asiatische Faltung besitzen. Sie sollten aber auch die Alpen überschieben und doch sollten sie einem einseitigen Schub ihr Entstehen verdanken. Wenn wir aber die verschiedenen Aeußerungen des Autors noch im Hinblick auf die Einzelheiten der Gebirgsbildungshypothese be- trachten, die in der „Entstehung der Alpen“ aufgestellt wurde, so läßt sich an diesem Beispiel vielleicht noch besser, wie schon früher an manchen anderen zeigen, daß diese Hypothese so ziemlich nach allen Richtungen hin ihn nicht mehr ganz befriedigt zu haben scheint. Wenigstens in dem} gegebenen Falle macht er kaum einen ernsten Versuch, die Uebereinstimmung seiner Aeußerungen mit jener Hypo- these herbeizuführen. Die Lehre vom einseitigen Schub hat er aller- ding, wie vorher schon bei Erwähnung der Schraubstocktheorie Beaumonts’ gesagt wurde, nicht offen preisgegeben, sondern formell noch aufrecht zu erhalten versucht. Wir sahen hier aber, daß er sich in Wirklichkeit dieser Lehre nicht mehr angepaßt hat und wir sehen auch sonst, daß er selbst ein Bollwerk nach dem anderen niedergerissen hat von den Befestigungen, welche seine Theorie zu umgeben schienen. Die Tauriden, welche im „Antlitz“ als mit den Dinariden zu- sammengehörig aufgefaßt wurden, kehren ihre Außenseite, auf der sich nach der ursprünglichen Hypothese das stauende Festland be- finden soll, dem mittelländischen Meere zu (wenigstens gilt dies für den lycischen und cilicischen Taurus) und weisen auf ihrer Innen- seite, wo sich der Theorie nach ein Senkungsfeld ausbreiten müßte, !) „Antlitz“, III/2, pag. 717; vgl. oben pag. [112] dieser Darstellung. 2) L. e. pag. 727. 484 Dr. Emil Tietze. [152] das karamanische Hochland auf. Senkungsfelder erscheinen dafür im griechischen Archipel im Bereich der vorausgesetzten Verbindung der taurischen und dinarischen Bögen. Die Dinariden, insoweit man ihre Bewegungstendenz nach Süd oder Südwest gerichtet annimmt, ° haben in dieser Richtung die Adria vor sich und hinter sich teils das einst viel berufene orientalische Festland, teils drängen sie sich an die Alpen heran, hätten also dort das dem theoretischen Erfor- dernis entsprechende Senkungsfeld auf der Innenseite der letzteren überwältigt, wenn man nicht von einem andern Standpunkt aus vor- zieht, die Alpen selbst als ein solches zu betrachten, da sie ja den südwärts bewegten Dinariden gegenüber das Rückland sind. Was die Adria betrifft, so wurde allerdings schon im ersten Bande des „Antlitz“ (pag. 771) gesagt, daß dieselbe auf dem nieder- gebrochenen Westrande des dinarischen Gebirges liege, eine Vor- stellung, die besonders schwer den Erfordernissen der ursprünglichen Theorie des Autors angepaßt werden kann, die jedoch ein Seitenstück findet in dem, wie wir früher sahen, in das Vorland der Antillen eingebrochenen mexikanischen Golf, der ebenfalls aus einem stauenden Festland zum Senkungsfeld geworden ist. Auch an diesem Beispiel zeigt sich also, wie weit sich Suess mit der Zeit von seiner ursprünglichen Betrachtungsweise entfernt hat, und zwar in diesem Falle zu Gunsten einer neuen Auffassung, welche bei dem Versuch, für die Dinariden bald eine Bewegungs- richtung nach Süden festzuhalten, bald eine solche nach der Seite der Alpen hin anzunehmen, zu schon an sich bedenklichen Unstimmig- keiten führen mußte. Ganz eigentümlich erscheint aber das Verhältnis der Dinariden zu den „gegen NO bewegten“ Apenninen. Die ersteren sollen das Vorland des letzteren bilden!). Dann wäre die Adria eine Vortiefe der Apenninen und insofern nach den sonstigen Anschauungen von Suess und seinen Anhängern, wie wir sahen, solche Vortiefen kein Hindernis vorstellen für die Stauung eines Gebirges an seinem Vor- lande, so würden sich die Apenninen an den Dinariden gestaut haben. In diesem Falle wären sie natürlich jünger als die letzteren. Hat Suess beabsichtigt, dies zu behaupten? Eine der wichtigsten Arbeiten, welche in neuester Zeit das Verhältnis zwischen Alpen und Dinariden erörterten, ist bekanntlich der Aufsatz von Kossmat über die adriatische Umrandung der alpinen Faltungen?). Der Hypothese Termiers, nach welcher die Dinariden „die alpinen Falten nach Norden getrieben“ haben und dieselben sogar im weiten Ausmaß von wenigstens 150 Kilometer überdeckten, wird in dieser Studie nicht das Wort geredet. Die herr- schende Faltungstendenz der Dinariden war danach im Gegenteil nach !) „Antlitz“, IIl/2, pag. 719. °) In den Mitteilungen der geologischen Gesellschaft in Wien, 6. Bd. 1913. Es würde zu weit führen, hier diese ausgezeichnete Abhandlung näher zu analy- sieren, durch welche die Tektonik eines in jeder Beziehung interessanten Gebiets auf eine ganz neue Basis gestellt wurde. a u u U m SA in a [153] Einige Seiten über Eduard Suess, 485 Süden gerichtet, und der Hauptunterschied zwischen Dinariden und Alpen, resp. Nordalpen (vgl. 1. c. pag. 161) liegt nach Kossmat darin, daß erstere kein Hindernis an nahen Außenmassiven fanden, sondern sich frei gegen das Innere der adriatischen Mulde entfalten konnten. Es wird gezeigt, wie der Zug gegen Süden die südliche Flanke der Alpen überhaupt vielfach beherrscht und es wird bezweifelt, ob der vorgeschlagene Ausweg aus den daraus für die neueren Auffassungen sich ergebenden Schwierigkeiten noch lange gangbar bleiben werde, der Ausweg nämlich, der in der Annahme besteht, daß die Dinariden die Alpenregion im großen Ausmaße überschoben und „dann fast ebenso weit, vielleicht sogar noch weiter nach Süden zurückgeglitten sind“. Gewisse Strukturverhältnisse aber, die sowohl in den Nordalpen wie in den Südalpen das normale Faltenbild nicht selten verwickelt erscheinen lassen, beruhen vielfach auf transversaler Schuppung innerhalb einer und derselben tektonischen Einheit. Sie treten vor- zugsweise gerade in der Region der alpino-dinarischen Knickung auf, wo es zu einer „förmlichen Ineinanderschachtelung der Falten- .züge“ kommt, wodurch, wie Kossmat sagt, oft Verhältnisse ent- stehen, welche „Deckenreihen vortäuschen können.“ Es läßt sich nun in der Tat kaum denken, daß jene so eben erwähnte Vorstellung von einer weitgehenden Ueberschiebung gegen Norden und einem darauf folgenden Zurückgleiten der Dinariden nach Süden auf die Dauer ein gegen die Vergewaltigung aller physikalischen Gesetze so unempfindliches Publikum finden wird, um endgültig durch- zudringen. Man hört allerdings bisweilen die Meinung, daß physikalische Bedenken gegen gewisse Annahmen als belanglos zu betrachten seien, insofern in erster Linie die wahrgenommenen Tatsachen respektiert werden müßten. Es ist dies ein Satz, mit welchem auf verschiedenen Gebieten (nicht bloß in der Geologie) versucht wird, geheimnisvoll scheinende Vorgänge als möglich und deren Erörterung als zulässig hinzustellen, wobei man von der Voraussetzung ausgeht, daß sich die wissenschaftliche Erklärung dieser Vorgänge hinterher schon noch finden werde. Diese Voraussetzung scheint ja überdies durch manche Er- fahrungen unterstützt zu werden. Im Zeitalter der von französischen Gelehrten und Schriftstellern ausgegangenen Aufklärung gegen das Ende des 18. Jahrhunderts glaubte man alle älteren Berichte über Meteorfälle anzweifeln und in das Gebiet des Aberglaubens verweisen zu müssen. Es gab damals Musealvorstände (zum Beispiel in Bern, Kopenhagen, Dresden und Wien), welche sich des Besitzes von Meteoriten schämten und diese wegwarfen. Erst seit den Fällen von Siena (1794) und Yorkshire (1795) gibt man wieder zu, daß Steine vom Himmel fallen können). Die Untersuchungen, die Baron Reichenbach über das von ihm so- genannte Od anstellte und welche vor 60 Jahren für absolut phan- tastisch gehalten wurden, werden jetzt nicht mehr so belächelt wie !) Vgl. dazu Quenstedt, Handbuch der Mineralogie, 2. Auflage, Tübingen 1863, pag. 583 und 584. Jahrbuch d. k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 64 486 k Dr. Emil Tietze. [154] damals. Was heute mit dem Namen Hypnose bezeichnet wird, wurde noch vor 30 oder 40 Jahren für Schwindel gehalten und sogar über die Eigenschaften der Wünschelrute fängt man neuerdings sogar in manchen der Wissenschaft nahestehenden Kreisen weniger skeptisch zu denken an als früher. Ob aber in allen Fällen, in welehen man von schwer erklärbaren Dingen wie von Tatsachen spricht, nicht Einbildungen für Erfahrungen gehalten oder voreilig gezogene Schlußfolgerungen für Tatsachen ausgegeben werden, bleibt doch die Frage. Unter allen Umständen ist zu unterscheiden zwischen Vorstel- lungen, die sich auf zur Zeit noch nicht genügend aufgeklärte Probleme beziehen und solchen Annahmen, welche direkt anerkannten physikalischen Gesetzen und den einfachsten Grundsätzen der Logik widersprechen. Es gibt ja gewiß — um hier ein beliebtes Wort zu wiederholen — viele Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen sich die Schul- weisheit nichts träumen läßt. Deshalb sind aber noch nicht alle Märchen wahr, welche die Ammen den Kindern erzählen. Das sollten doch auch die Geologen beherzigen. Andernfalls könnte es geschehen, daß wir aus den vielleicht allzu prosaischen Gefilden der Geognosie und dem für den bürgerlichen Geschmack ausreichend interessanten Gebiet der Geologie nicht bloß in den Zaubergarten der Geopoesie, sondern auch in die Nebelregion der Geomystik geraten. Erfreulicherweise ist aber die Welt nicht ausschließlich von Romantikern bewohnt. So hat sich denn eine Reaktion nicht bloß gegen gewisse Ueber- treibungen der Decken- und Charriage-Theorie, sondern speziell auch gegen die bezüglich der Dinariden ausgesprochenen Behauptungen eingestellt, und es ist ein bedeutsames Symptom für diese Reaktion, daß neuerdings Professor Heritsch in seiner Studie!) über „die österreichischen und deutschen Alpen bis zur alpino-dinarischen Grenze“ ausdrücklich und freimütig betont, daß „zwingende Gründe für eine Trennung der Alpen und Dinariden nicht ins Feld geführt werden können“. Damit habe er „die Lehrmeinung vom einseitigen Bau der Alpen aufgegeben und halte, wie viele, vielleicht die Mehr- zahl der ostalpinen Geologen, die Ostalpen für einen Körper, zu welchem als sehr integrierender Bestandteil auch die Südalpen gehören“. Er sei daher „gegen eine Trennung in Alpiden und Dinariden“. Man kann selbstverständlich nicht sagen, daß die Termier’sche Annahme von einem Zurückgleiten der über die Alpen geschobenen Dinariden mit der Suess’schen Vorstellung von der „Rückfaltung“ identisch ist, aber ein gewisser Zusammenhang oder sagen wir eine Art von Verwandtschaft der betreffenden Gedankengänge ist immerhin vorhanden. Deshalb und weil sich ja für die Alpen die Anwendung .....) Im Handbuch der regionalen Geologie von Steinmann und Wilkens, Heidelberg 1915, pag. 1 u. 144, Anmerkung 1, vgl. Geolog. Rundschau V, 1914, [155] Einige Seiten über Eduard Suess. 487 jener Vorstellung auf die Südalpen beziehen muß, mag hier der passendste Ort sein, noch einige Worte über diesen besonderen Gegenstand an das über die Dinariden Geäußerte anzuschließen. Wir gehen dabei wieder einmal auf Bittner zurück. Habent sua fata libelli. Wie viel Mühe hat sich doch Bittner gegeben, um in scharfsinniger und streng logischer Weise die Theorie vom einseitigen Schub zu bekämpfen und dabei darzulegen, daß die Alpen nicht gar so unsymmetrisch gebaut sind, wie behauptet wurde. Ich erinnere hier nur an die teilweise schon im Verlauf der heutigen Auseinandersetzung erwähnten Arbeiten des Genannten in den Ver- \handlungen der k. k. geol. R.-A. 1886, pag. 374, im Jahrbuche der k. k. geol. R.-A. 1887 ‘(pag. 397 — 422) sowie an den Aufsatz in den Verhandlungen der k. k. geol. R.-A. 1885 (pag. 27 etc.). Wie gering war aber sein unmittelbarer Erfolg, trotzdem er schon damals nicht ganz allein stand. Es ist eben eine eigene Sache um die psychologische Disposition des Publikums. Die Erfahrung lehrt uns auf den verschiedensten Gebieten (und wie es scheint, ist das der Wissenschaft hierbei nicht völlig ausgenommen), daß man Stimmungen nicht mit Beweisen bei- kommen kann. Wenn dann solche Stimmungen, welche aus dem Be- dürfnis nach dem Einschlagen neuer Richtungen hervorgehen, zu starken Strömungen werden, so bleibt oft nichts übrig, als diese Strömungen sich auslaufen zu lassen. Dieser Vorgang des Auslaufens wird sich aber naturgemäß um so mehr verzögern, je mehr man von verschiedenen Seiten sich auf die neue Richtung festgelegt hat und auch je verwickelter oder sagen wir unübersichtlicher das betreffende Problem durch neue Wendungen in der Darstellung oder durch Ver- quickung mit anderen Problemen geworden ist. Daß es aber im ge- gebenen Falle weder an solchen neuen Wendungen, noch an solchen Verquickungen gefehlt hat, ist wohl nicht zu bestreiten. In letzterer Hinsicht braucht man sich nur an das Auftreten gerade der Decken- theorie zu erinnern, von der hier nicht etwa gesagt werden soll, daß sie in Jedem Punkte abzulehnen sei, die aber, wenn auch nicht not- wendiger Weise, so doch zweifellos im Sinne vieler ihrer Bekenner einen engen Zusammenhang mit der Hypothese vom einseitigen Schub besitzt, worauf wir etwas später noch kurz zurückkommen. Bittner, der übrigens schon damals sich über „die Ver- änderlichkeit in den leitenden Ideen“ von Suess beklagte, be- kämpfte unter anderem die Art der Begründung des angeblichen Schubes der Alpen nach Norden, wie man sie aus der Bogen- form des Gebirges ableiten wolite. Er erklärte, daß man aus dem Gegensatz einer konkaven und einer konvexen Seite eines bogen- förmig gekrümmten Gebirges überhaupt noch keinen Schluß auf die Richtung einer gebirgsbildenden Bewegung ziehen könne. (Vgl. zum Beispiel Verhandl. 1835, pag. 38). Die Bogenformen bedürften wie das später auch Löwl!) betont hat, einer besonderen Erklärung ?). !) Vgl. oben pag. [111] dieser Darstellung. 2) Dazu möchte ich noch folgende Bemerkung ad usum Delphini machen: Es ist zweifellos richtig, daß man bei dem Experiment, Falten auf einem 64* 488 Dr. Emil Tietze. [156] Vor allem aber konnte Bittner den angeblich durchgreifenden Unterschied nicht anerkennen, den Suess für die Deutung der Be- wegungsrichtung bei Nord- und Südalpen in dem Sinne konstruieren wollte, daß er die Annahme einer Symmetrie der tektonischen Er- scheinungen auf beiden Seiten des Gebirges ablehnte. Daher konnte Bittner auch nicht den von Suess gemachten Versuch gutheißen, die der Faltung der Nordalpen analogen Erscheinungen im Bereich der Südalpen durch den Ausdruck „Rückfaltung* zu erklären oder durch Abtrennung der Dinariden von den Alpen bezüglich durch Zu- rechnung eines Teils der Südalpen zu den südwärts bewegten Dina- riden die Schwierigkeit zu beseitigen, welche der Lehre vom ein- seitigen tangentialen Schub aus den Verhältnissen der Südalpen er- wuchsen. Bittner!) zeigte, daß indirekt Suess selbst zugibt, daß die tektonischen Elemente im Norden und Süden der Zentralkette der Ostalpen dieselben sind. Er fand es deshalb eigentümlich, „daß die nach außen von der Zentralkette gerichtete tangentiale Bewegung und Faltung als etwas ganz Naturgemäßes und Selbstverständliches zu betrachten sei, während der Umstand, daß die Faltenbildung der Südkalkalpen ebenfalls nach außen von der Zentralkette erfolgt, keineswegs als etwas ebenso Natürliches, sondern vielmehr als eine ganz abnorme und wunderbare, zum mindesten gänzlich unerwartete Erscheinung gekennzeichnet werden sollte.“ Schließlich aber (l. e. pag. 422) heißt es bei demselben Autor: „In der Tat ist die Idee von der Entstehung der Gebirge durch ein- seitigen aktiven Horizontalschub nichts als eine theoretische Ver- irrung, im Wesentlichen entstanden dadurch, daß eine Anzahl von Vergleichen und Bildern, die ursprünglich dazu bestimmt waren, ge- wisse Erscheinungsformen der Erdoberfläche anschaulicher machen zu helfen, nach und nach mit immer größerer Bestimmtheit dazu ver- wendet wurden, um das Wesen der Erscheinung zu erklären.“ Ich glaube, daß mit diesen Worten nicht bloß das Werden der Lehre vom einseitigen Schub als solchem, sondern auch der psycho- logische Zusammenhang für die Entwicklung mancher anderen theo- retischen Vorstelluug gut charakterisiert ist. Wenn die damalige Kritik Bittners leider nicht viel mehr er- zielte, als zunächst die Zweifel wach zu erhalten, welche der neuen Lehre gegenüber von Manchem gehegt wurden, so lag das eben, wenigstens teilweise, an jenen Stimmungen und Strömungen, von Tuch mit dem Finger oder der Hand hervorzurufen, eine Bogenform erzielt, bei der die Flanken des Bogens in der Bewegung hinter der von der Hand vorgestoßenen Mitte zurückbleiben. Drückt man jedoch mit zwei Fingern, die in einem gewissen Abstand von einander eingesetzt werden, auf das betreffende Tuch, so bleibt die Mitte des Bogens hinter den Enden zurück und die Konkavität liegt in der Richtung der Bewegung. Ich erwähne das nur im Hinblick auf die weiter oben berührten Vorstellungen, wo von dem Vorgang die Rede war, den Löwl den Stoß ex coelo nannte, und weil manche Anhänger der Lehre vom einseitigen Schub noch heute zu glauben scheinen, daß gerade die Convexität der Bögen einen Beweis für den einseitigen Druck liefere. ') Vgl. dazu besonders Jahrb. 1877 1. c. pag. 409 u. 410. a al a U u [157] Einige Seiten über Eduard .Suess. 489 welchen so eben gesagt wurde, daß sie dem in der Entwicklung der Menschen immer wiederkehrenden Bedürfnis nach Neuem entspringen. Es ist dasselbe Bedürfnis, welches dem Wechsel der Kleidermoden zum Siege verhilft. Ein gewisser, wenn auch unvollkommener Kreislauf der Dinge führt aber oft (obzwar nicht unmittelbar), auf den Ausgangspunkt dieser Dinge, oder doch in dessen Nähe zurück, wie man nicht bloß bei den Moden, sondern schon heute auch in dem gegebenen Falle er- kennen kann. Uebrigens soll nicht unerwähnt bleiben, daß Löwl in seiner Geologie sich ebenfalls bereits mit Bestimmtheit für die Symmetrie im Bau der Alpen ausgesprochen hatte und daß Supan in der vierten Auflage seiner physischen Erdkunde!) die Lehre von der Rückfaltung eine „Hilfshypothese“ nannte, zu welcher die Verfechter des einseitigen Schubes greifen müssen, um die Tatsachen mit dieser vermeintlichen Einseitigkeit in Einklang zu bringen, Wenn uns gesagt wird ?), die Rückfaltung sei hervorgegangen aus einem „Ueberschuß von planetarischer Hülle* und wenn damit ein Gegensatz zu der durch den einseitigen Schub erzeugten Faltung markiert werden soll, so darf man wohl fragen, ob denn nicht die Faltung überhaupt auf jenen Ueberschuß zurückzuführen ist, so daß demgemäß die Trennung der mit der Faltung zusammenhängenden Vorgänge in der hier von Suess vorgeschlagenen Weise keinen zureichenden Grund hat. Wenn sie nicht in Folge einer mit der Kontraktion zusammenhängenden Verringerung der Erdoberfläche sich gebildet hätten, so müßten die durch den einseitigen Stoß erzeugten Falten einer ganz besonderen, noch in Geheimnis gehüllten Ursache ihr Entstehen verdanken. Da wird man wieder an den Ausspruch F. v. Hauers erinnert, daß gewisse Gebirgsbildungshypothesen mit Kräften operieren, die ihrem Wesen nach unverständlich sind. (Verh. d. k.k. geol. R.-A. 1883, pag. 185.) Fragen wir also, warum jene Hilfshypothese von der Rückfal- tung eigentlich aufgestellt wurde, so dürfte die offenherzige Antwort lauten müssen: Die Hypothese vom einseitigen Schub konnte ohne jene Krücke nicht weiter marschieren. Es gibt Forscher, die in tektonischen Fragen ihren eigenen Weg gehen und auf den tangentialen Schub überhaupt Verzicht leisten wie Ampferer in seiner Schrift über das Bewegungsbild im Falten- gebirge®) und Lukas Waagen in den tektonischen Kapiteln seines umfangreichen Werkes) über „unsere Erde“. Wir lassen das auf sich beruhen, weil es nicht unsere Aufgabe sein kann, alle Probleme, die hier gestreift werden müssen, als solche zu erörtern. Wenn jedoch speziell die Lehre vom einseitigen tangentialen Schub in der Form, 1) L. c. Leipzig 1908, pag. 626. Trotzdem ist Supan nicht geneigt, eine unbedingte Symmetrie der Ostalpen anzunehmen (vgl. 1. c. pag. 637). Er bezeichnet die letzteren indessen als den Typus eines „doppelseitig zusammengesetzten Ge- birges“. Auch damit darf man sich zufrieden stellen. 2) „Antlitz“, III/2, pag. 589. 3) Jahrb. d. k.k. geol. R.-A. 1906. *) Dasselbe erschien 1909. 490 Dr. Emil Tietze. [158] wie sie Suess geboten hat, trotz der Komplikationen und Ver- künstelungen, welche sich damit verbunden zeigten, noch jetzt An- hänger findet, so können wir nicht umhin, zu sagen, daß das nur aufGrund der Pietät der Fall sein kann, welche Manche dem Andenken des Schöpfers jener Lehre nur durch ihre Gefolgschaft beweisen zu können glauben. Dieses Andenken können wir in anderer Weise hochhalten, durch die Dankbarkeit nämlich, welche wir für die zahllosen Anre- gungen empfinden, durch die der regsame Geist des großen Forschers die Geologie zu befruchten vermochte. Suess und die Deckentheorie. Die Erinnerung an die Vorstellungen über die Symmetrie der Alpen und besonders auch an die Diskussion, welche sich an die Frage knüpft, welche Stellung man den Dinariden in ihrem Ver- hältnis zu den Alpen zuweisen soll, führt in einer leicht begreiflichen Ideenverbindung auf die Erwähnung der Deckentheorie, welche während der letzten Jahre der Wirksamkeit von Suess in den Vordergrund der tektonischen Betrachtungen gerückt wurde. Wir wissen, daß Sueß nicht der eigentliche Urheber dieser Theorie ist, wie er denn auch im Schlußbande des „Antlitz“ selbst den Namen Marcel Bertrands hervorhebt, der durch seine Unter- suchungen im Süden Frankreichs den Anstoß gab zu jener großen Bewegung, die auf dem Gebiete der tektonischen Geologie einen völligen Umsturz der bis dahin gangbaren Begriffe hervorzurufen schien. Wir. kennen die Vorkämpfer dieser Bewegung, wie Termier, Schardt, Steinmann, Lugeon usw., und wir wissen, daß sich auch ursprüngliche Gegner derselben, wie Uhlig, der dann auch in Oesterreich dafür Schule machte, ihr mit Eifer angeschlossen haben. Der Letztgenannte, der noch gelegentlich des Geologenkongresses in Wien im Jahre 1903 sich mit Heftigkeit gegen die betreffenden Ansichten Lugeons gewendet und der in seiner zusammenfassenden Darstellung der Karpathen eine Reihe von Argumenten gegen jene Hypothese zusammengefaßt hatte!), tat dies allerdings erst, als er sah, daß auch sein früherer Lehrer Suess sich vollständig im Banne der betreffenden Bewegung befand. Zwar hatte der große Autor schon im Jahre 1901, im ersten Teil des dritten Antlitzbandes (III/l, pag. 5) kurz von den Deck- schollen (lambeaux de recouvrement) ‘gesprochen, welche in den Schriften der Franzosen und Schweizer bereits eine gewisse Rolle spielten. Den eigentlichen Anschluß an die bewußte Theorie vollzog Suess aber erst mit einem Aufsatz, betitelt „Sur la nature des charriages“, welcher in den comptes rendus der Pariser Akademie der Wissenschaften 2) im Jahre 1904 veröffentlicht wurde. . '),Bau und Bild der Karpathen. Wien und Leipzig 1903. Vgl. dazu mein Referat in den Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1903, pag. 394—399. ?) 149. Bd., pag. 714 etc. [159] Einige Seiten über Eduard: Suess. 491 Der Autor berief sich am Eingange dieses Aufsatzes auf gewisse Beobachtungen Jensens über die Verhältnisse des Binneneises von Grönland, welches dort zwischen den Felsen, die seiner Bewegung entgegenstehen, sich zuerst gegen die Gletscherbasis eingräbt, dann wieder aufsteigt und dabei Blöcke der Grundmoräne an die Ober- fläche bringt. Diese Blöcke erscheinen, wie Suess sagt, am Tageslicht in Form eines Bogens, den man „are de charriage“ nennen könnte, und an einer Stelle wurden sogar zwei solcher Bögen hintereinander beobachtet, Solche Bögen ließen sich dann mit den Ueberschiebungs- bögen vergleichen, die aus den Alpen beschrieben wurden. Was die sogenannten Wurzeln der betreffenden „Decken“ in den Alpen oder anderen Gebirgen anlangt, so seien dieselben, wie uns ferner versichert wurde, oft nichts anderes als zerstörte Synklinalen. Der Autor bezog sich sodann unter anderem auf gewisse Verhältnisse in Thibet, die ihm in dieser Richtung Analogien mit den Alpen zu bieten schienen!) und warf schließliah die Frage auf, ob nicht die Inselguirlanden des östlichen Asien ebenfalls zu den „arcs de char- riage“ gezählt werden müssen. Man erkennt, nebenbei bemerkt, auch hier wieder das Interesse, welches Suess der Form des Bogens bei seinen Spekulationen über Gebirgsbildung mit Vorliebe entgegengebracht hat. Doch wäre hierzu zu bemerken, daß der Vergleich der Bewe- gung bei der Gebirgsbildung mit derjenigen des Gletschereises wohl nicht in jeder Beziehung zutreffend ist. Das Eis bewegt sich doch analog einem Strom, bei welchem die seitlichen Teile vielfach gegen die Hauptströmung zurückbleiben, wodurch eine Bogenform des trans- portierten und dann zum Absatz gelaugten Materials leicht hervor- gerufen werden kann, während es doch, wie vorher gezeigt wurde, fraglich bleibt, ob die Entstehung der Gebirgsbögen nicht mit anderen Bedingungen zusammenhängt, namentlich wenn dieser Vorgang im Sinne der ursprünglichen Hypothese von Suess nicht etwa der Schwere, sondern einem besonderen Druck zuzuschreiben ist. Die so eben erwähnte, in Paris erschienene Schrift blieb indessen nicht die einzige besondere Kundgebung des großen Autors für die neue Theorie. Trotz seines hohen Alters machte Suess sogar noch eine Ex- kursion nach Tirol im Interesse der bewußten Theorie. Man verdankt dieser Exkursion den Aufsatz über das sogenannte Fenster von Nauders). Wer dann den letzten Band des „Antlitz“ zur Hand nimmt und besonders die beiden Kapitel über die Alpen (III/2, pag. 671 und fol- gende) aufschlägt, wird dort in mehr zusammenhängender Weise die Ansichten unseres Autors über das bewußite Problem dargelegt sehen und auch in einigen anderen Abschnitten dieses Bandes entspre- chende Ausführungen finden. Wenn einst die Geschichte der Decken- !) Betreffs der tibetanischen Decke mögen die späteren Bemerkungen im Schlußbande (III/2) des „Antlitz“, pag. 201, 597 u. 647 verglichen werden. ?) Ueber das Inntal bei Nauders. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wiss. Wien 1905, 114. Bd., pag. 699—735. 492 Dr. Emil Tietze, [160] theorie geschrieben werden sollte, so könnte daher der Name Suess dabei nicht übergangen werden. Die „lepontinische Decke“ wird stets an denselben erinnern. Es ist ein eigenartiges Schicksal für die theoretischen Speku- lationen von Suess über Gebirgsbildung, daß dieselben schließlich in die hier genannte Theorie eingemündet haben. So schreibt!) de Launay in seinem weiter oben citierten Nachruf: „A mesure, que les anndes se sont Ecoulees et que Suess a travaill& avec une perseverance infatigable, ses idees se sont progressivement modifiees, au point, que la derniere partie de son ouvrage s’est trouvee devenir un expose de la theorie toute differente des charriages.“ Und doch war diese Stellungnahme nicht allzu erstaunlich. Der Meister hatte soviel von Verschiebungen und Ueberschiebungen gesprochen, er hatte schon frühzeitig, wie wir das aus seiner Schrift über die italienische Halbinsel kennen gelernt haben, von der Ver- änderlichkeit in der Stellung der Kettengebirge geredet, daß es ihm nicht schwer fallen konnte, auf die Vorstellung eines weiten Trans- portes großer Gebirgsmassen einzugehen. Ueberdies lag in dem Ge- danken vom einseitigen tangentialen Schub so manches, was die Vor- stellung von den Decken herausfordern konnte (die sich, wie das der Meinung vieler Anhänger der neuen Theorie entsprach, nach einer Richtung über einander schieben und bewegen sollten), daß man be- haupten könnte, Suess sei zwar formell gesprochen nicht der Ur- heber der Verfrachtungstheorie, die sich ja auch tatsächlich von seinen ursprünglichen Ansichten unterscheidet, aber er habe den Boden für dieselbe gepflügt und vorbereitet. So brauchte es also nicht zu überraschen, wenn er sich schließlich den betreffenden Ideen anschloß und, wenn ihm auch die Vaterschaft für dieselben nicht zukam, so doch die Pathenschaft dafür übernahm. Von dieser Seite hat auch Uhlig die Sache aufgefaßt, der das Auftreten Marcel Bertrands auf die durch Suess gegebenen Anregungen zurückführt ?) und hinzufügt: „So hat sich der vielbe- strittene einseitige Nordschub der Alpen nicht nur in allen Einzel- heiten bewährt, sondern er hat sich weit großartiger erwiesen, als Suess vordem auszusprechen gewagt hatte.“ Und weiter heißt es sogar bei Uhlig, es sei für Suess ein „unvergleichlicher Triumph* gewesen, im dritten Bande des „Antlitz“ 3) „die Früchte jener An- regungen sammeln zu können. die er im ersten Bande und vorher schon in der Entstehung der Alpen, zum Teil unter lebhaftem Widerspruch ausgestreut hatte“. Ganz zutreffend ist es allerdings nicht, wenn Uhlig voraussetzt, daß die Deckentheorie stets mit dem einseitigen Schub in Parallele !) Bulletin de la societe de geogr. 1. c. pag. 395. ?) In dem Referat über ein österr. Meisterwerk. 1. ce. pag. 107. Vgl. hierzu noch die Schriften Uhlig’s über die Tektonik der Karpathen, Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wiss. Wien 1907, ferner über die Tektonik der Ostalpen, Vortrag in der 81. Versammlung deutscher Naturf. in Salzburg, Sonderabdruck aus der Naturw. Rundschau, Braunschweig 1909 und über den Deckenbau der Ostalpen, Mitt. d. geol. Gesellsch. in Wien 1909. °) Es ist der zweite Teil dieses Bandes (das ist der Schlußband) gemeint. [161] Einige Seiten über Eduard Suess. 493 gebracht werden könne. Man kennt ja doch große Ueberschiebungen auch in Gebieten (wie zum Beispiel in Schottland), für welche diese Einseitigkeit sogar nach den Ansichten von Suess nicht gilt, und es liegt auch streng genommen (das heißt rein prinzipiell gesprochen) gar kein Grund vor, für alle Fälle die Wanderung der Decken immer bloß nach einer Richtung hin als selbstverständlich anzunehmen. In- dessen hat sich Uhlig wohl in erster Linie an die zumeist beliebte Art der praktischen Anwendung der fraglichen Theorie gehalten, und insofern war er zu seiner begeisterten Darstellung der betreffenden Sachlage ja auch berechtigt. Auch dürfte er die richtige Empfindung gehabt haben, wenn er anzunehmen schien, daß mit der eventuellen Beseitigung der Lehre vom einseitigen Schub auch Vieles, was über Decken und große Ueberschiebungen geschrieben wurde, einer strengeren Kritik nicht würde Stand halten können. Wir lassen aber den einseitigen Schub bei dieser Gelegenheit auf sich beruhen. Auch auf das Meritorische der Deckentheorie, die von ihren Anhängern heute in so verschiedener Weise ausgelegt wird, daß sie einigermaßen an Einheitlichkeit verloren hat, braucht hier nicht eingegangen zu werden, da es sich ja nur um eine historische Feststellung der Tatsache handelt, daß Suess sich dieser Theorie angepaßt hat. Für alles, was manche Kritiker als Uebertreibungen derselben bezeichnen, braucht man übrigens den alten Meister nicht verantwort- lich zu machen. Die nachträgliche Berücksichtigung verschiedener für die tektonische Betrachtung wichtiger Umstände. Die Ausführungen des letzten Bandes des „Antlitz“, soweit darin ein Eingehen auf die Vorstellungskreise anderer Arbeiten zu bemerken ist, sind übrigens nicht bloß wegen dieser Anpassung des Autors an die Deckentheorie bemerkenswert, wobei sich das Verhalten desselben in gewissem Sinne als die Folge eines Teils seiner früberen Verlautbarungen ergeben konnte. Suess ist hier auch auf Gesichts- punkte eingegangen, welche er früher mehr oder weniger unberück- sichtigt gelassen hatte, obschon dieselben bei einer Diskussion über die Probleme der Gebirgsbildung und überhaupt der Bewegungen der Erdrinde nicht wohl ganz außer Betracht bleiben dürfen. Wir finden hier ganz besonders und mit aufmerksamem Studium die Fragen be- handelt, die sich auf Lotablenkungen und Schweremessungen beziehen, und wir sehen, daß auch der alten Kompensationstheorie von Pratt Beachtung geschenkt wird. Daß im Zusammenhange damit auch der allerdings erst nach dem Druck der ersten Bände des „Antlitz“ ent- wiekelten Ansichten Duttons über Isostasie gedacht wird, erscheint natürlich. x Suess sieht den Kern der letzterwähnten Theorie in der Auf- fassung, daß das Vorland sinkt und.die Gebirge steigen sowie in der weiteren Annahme „einer besonderen erhebenden Kraft“ für die Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 65 494 Dr. Emil Tietze. [162] Tafelländer!), und es ist begreiflich, daß er einer derartigen Vor- stellung nicht allzuviel Geschmack abgewinnen konnte. Hatte er doch seiner Zeit die Senkungen meist im Rücklande gesucht und war ihm doch andrerseits der Gedanke an Hebungen und Emportreibungen des Landes überhaupt unsympathisch. Er betonte nun vor Allem, daß die Ergebnisse der Schweremessungen ein zu unregelmäßiges Ergebnis geliefert hätten, um in irgend einem Sinne bei der Diskussion der fraglichen Theorie verwendet zu werden. Er berief sich auch (l. ce. Seite 704) auf Gilbert, um zu zeigen, daß die Lithosphäre infolge ihrer „Riegheit“ eine größere Tragfähigkeit besitzt, als ihr die Ver- treter der Isostasie zuschreiben ?). Wie überall, so suchte Suess indessen auch hier die Dinge unter einen weiten Gesichtswinkel zu bringen. Er schreibt: „Neben die Frage der Kompensation der Gebirge stellt sich die weit größere, ob im Sinne Pratts die Festläuder durch schwerere Massen unter den Meeren im Gleichgewichte gehalten sind, daneben auch noch die zweite, ob im Sinne Duttons das Sinken der Meere die Erhebung der Kontinente veranlaßt hat.“ Der große Autor bespricht diese Fragen an Beispielen von Untersuchungen, die sich auf Lotablenkungen, Pendelbeobachtungen und auf die Ansichten von Bailey Willis beziehen, der die isö- statische Lehre auf Ostasien anzuwenden versucht hatte. Gemäß diesen Ansichten von Willis wäre, wie Suess sagt, „Asien durch einen Druck gebildet, der vom indischen und vom pacifischen Ozean kam und gegen den Baikal-Scheitel gerichtet war. Es war eine stetige, aber rhapsodisch sich äußernde unterseeische Ausbreitung, welche die leichteren Gesteine zusammendrängt, und Asien wäre demnach nicht durch Ueberschiebung, ‘sondern durch Unterschiebung gebildet.“ Diese Hypothese hat, wie Suess weiter sagt, „den Vorteil, daß sie Höhlungen nicht voraussetzt“. Man sieht auch hier, daß der- selbe schließlich die Vorstellungen verlassen hatte, denen zufolge die verschiedenen Senkungen und Zusammenbrüche der Erdrinde mit Hohlräumen, bezüglich mit der jeweilig für die Senkungsfelder voraus- gesetzten „macula“ hätten zusammenhängen müssen 3). Im Uebrigen jedoch konnte er sich doch nicht entschließen, dem Gedankengange von Willis zu folgen. Man mag versuchen, sagt er (l, c. pag. 709), dessen Ansichten „auf die überschlagenen äußeren Randfalten anzu- wenden, aber hier schon widerspricht die konvexe Gestalt der Bogen, und es ist kaum zu sehen, wie die anderen Hauptzüge des Baues, die südwärts gerichtete Verfrachtung der thibetanischen Schollen, die Kettungen, die Virgation des Thianschan, das Vortreten der Bonin- Inseln gegen die Mitte des Ozeans mit einer bis zum Baikal reichenden Unterschiebung vereinbar sein könnten.“ !) „Antlitz“, III/2, pag. 701. ?) „Antlitz“, 1II/2, pag. 708. °) Vgl. darüber die Auseinandersetzungen weiter oben auf den Seiten [118] ete. der heutigen Darstellung. [163] Einige Seiten über Eduard .Suess. 495 Schließlich faßt unser Autor, der, wie man sieht, den weit- greifenden Spekulationen Anderer gegenüber sehr vorsichtig war, seine Schlußmeinung über die „Kompensationstheorie“ (l. e. pag. 716) dahin zusammen, daß die dadurch angeregten Untersuchungen zwar manche neue Erfahrung, namentlich über die mutmaßliche Beschaffenheit des Meeresgrundes, „aber vorläufig keine neuen Aufschlüsse über die Ausbildung des Antlitzes der Erde gebracht“ hätten. Und an einer weiteren Stelle (l. ec. pag. 719) heißt es: „Unter den Hochgebirgen liegt bis zu großen Tiefen nicht ein Defizit, wie es die isostatische Kompensation verlangen möchte, sondern die jeweilige überschobene Zone. Gerade die Forschungen über isostatische Kompensation haben zu Ansichten über Riegheit des Erdkörpers geführt, die hier in Be- tracht kommen.“ Unter dem sonst wohl wenig gebrauchten Worte Riegheit ver- steht Suess augenscheinlich einen Erstarrungszustand, der sich nicht gut mit der Nachgiebigkeit der Gebirgs- oder Gesteinsmassen verträgt, wie sie zu den Erfordernissen der Theorien von Pratt und Dutton gehören würde, allerdings auch nicht mit der von A. Heim angenom- menen Plastizität der Gesteine, welche Suess selbst einst zugestanden hatte. Uebrigens bringt Suess (l. c. pag. 720) auch das Verhältnis der gefalteten Regionen zu den seit langer Zeit von Faltung verschont gebliebenen mit der Erstarrung der letzteren in Beziehung, woraus vielleicht zu folgern ist, daß für ihn die speziell gegen Dutton ins Feld geführte „Riegheit“ des Erdkörpers bei den Fragen über. Ge- birgsbildung doch keineswegs als eine absolute gilt. Sonst könnte er wohl gerade in diesem Punkte nicht auf den Gegensatz der betreffeden Regionen verweisen. e Zu den Fragen, welche im Schlußbande des „Antlitz“ besprochen oder gestreift werden!), gehört auch die, ob die Rotation der Erde (etwa im Sinne von Douville) die Anordnung der Gebirge bedingt habe und ob diese Anordnung durch körperliche Gezeiten beeinflußt wurde, wie der jüngere Darwin für denkbar hielt. Suess fand zu- nächst, daß verschiedene Tatsachen diesen Vorstellungen widersprechen und daß besonders der Ural und der birmanische Bogen sich diesen Hypothesen nicht anpassen lassen. Aber trotzdem meint er (l. c.pag. 721), daß eine Einwirkung jener Gezeiten und der Rotation „auf den Plan der Faltenzüge für möglich gelten muß“ ?). Das ist ein großes Zugeständnis von Seiten unseres Autors, welches um so schwerer ins Gewicht fällt, als etwaige Bedenken, welche wieder mit der „Riegheit“ des Erdkörpers zusammenhängen könnten, hier nicht vorgebracht wurden. !) Vgl. hierzu die Seiten 699 und 700 dieses Bandes. 2) Die Frage, ob und in welcher Weise die Rotation der Erde mit den Vorgängen bei der Gebirgsbildung zusammenhängt, ist jedenfalls eine naheliegende. Sie scheint auch nicht sobald von der Tagesordnung verschwinden zu wollen. Vor nicht langer Zeit hat Ampferer in seinem Aufsatz über das Bewegungsbild im Faltengebirge (Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1906, pag. 599) sie ebenfalls gestreift. Suess hatte zwar früher auch schon von der Rotation gesprochen, aber nur be- treffs der Veränderungen des Seespiegels (vgl. später). 65* 496 Dr. Emil Tietze. [164] Zu den hier zu nennenden Untersuchungen, welche im Schluß- bande des „Antlitz“ 1) berücksichtigt wurden, gehören ferner diejenigen von Rothpletz, der, wie Suess sagt, „die einander widerstrei- tenden Ansichten von Dilatation und Kontraktion des Erdkörpers erklären zu können“ glaubte. Die Ausführungen des Genannten wurden einer kurzen Analyse unterzogen, aber in ziemlich ablehnendem Sinne behandelt. Die Reyer’sche Theorie von der Gleitfaltung wurde dagegen bis auf einen gewissen Grad zulässig, wenn auch nicht ausreichend, gefunden ?). Im allgemeinen kann man sagen, daß von dieser nachträglichen Kenntnisnahme betreffs verschiedener für die Vorstellungen über Gebirgsbildung bedeutsamer Umstände und Ansichten eine ausgespro- chene Einflußnahme auf das, was man die Suess’sche Theorie nennt, kaum noch zu erwarten war. Wenn aber auch aus allen diesen Erörterungen keine wesent- liche Modifikation der eigenen Ansichten des Meisters hervorging, soweit dieselben überhaupt noch aufrecht blieben, so zeigt sich doch, dab Suess im Laufe der von ihm unternommenen Arbeit sich mehr und mehr der Kompliziertheit der von ihm behandelten Probleme bewußt geworden ist. So wird es auch verständlich, daß er in seiner letzten Abhandlung ?) den Ansichten, die er bei dem „Versuche, die Gesamt- heit der Erdoberfläche zu überschauen“ entwickelt hatte, nur den Wert einer „Arbeitshypothese“ zuerkennt. Wenn er dort aber sagt, daß er von der Idee ausgegangen sei, die Dislokationen der Erde seien das Ergebnis von Vorgängen, die aus der Verringerung des Volums unseres Planeten hervorgehen, so meint er doch gewiß nicht die Kontraktions- theorie im allgemeinen, die als solche ja viel älter ist, als die Suess’schen Ausführungen, sondern die besondere Gestalt, die er dieser Theorie gegeben hat und welche nach seiner Absicht zu weiterer Forschung anregen sollte. Vulkane. Einige wichtige Punkte der Suess’schen Hypothese konnten in der gegenwärtigen Darstellung bis jetzt noch nicht näher erörtert werden, sondern wurden nur gelegentlich im Vorübergehen gestreift. Obwohl nämlich alle Teile der betreffenden Vorstellungen unseres Autors untereinander in einem inneren Zusammenhange stehen oder doch ursprünglich standen, ist es doch nicht möglich, den verschiedenen Gesichtspunkten, die sich bei der Betrachtung jener Vorstellungen und ihrer gegenseitigen Beziehungen ergeben, gleichzeitig gerecht zu werden. Man tut also gut daran, die in Betracht kommenden Auffas- sungen einzeln zu analysieren, wobei man sich allerdings ihres Zu- 1) „Antlitz“, III/2, pag. 672. ?) Vgl. „Antlitz“, III/2, pag. 605 und 613. °) Ueber die Zerlegung der gebirgsbildenden Kraft. (Mitt. der Wiener geol. Ges. VI. Bd., 1918, pag. 18.) #65] Einige Seiten über Eduard Suess. 497 sammenhanges und Ineinandergreifens bewußt bleiben muß. Das bringt freilich mit sich, daß in dieser Auseinandersetzung stellenweise kurze Wiederholungen des schon Gesagten, bezüglich Hinweise darauf nicht ganz vermeidbar sind. Vielleicht wird das aber mancher Leser be- quemer finden, als wenn durch das Unterlassen solcher Hinweise ihm die Zumutung gestellt wird, die verschiedenen Beziehungen, auf welche es jeweils ankommt, sich stets selbst vor Augen zu halten. Das gilt zwar für den jetzt zu beginnenden Abschnitt unserer Darstellung nicht etwa in viel höherem Grade als für die früheren Kapitel, aber einmal mußte es ausgesprochen werden, um dem Vor- wurf einer unnötigen Breite mancher Ausführungen zu begegnen, ein Vorwurf, der umso näher liegt, je weiter diese Darstellung fort- schreitet und je öfter daher in dem Vorhergegangenen gewisse Dinge schon berührt wurden. Würden die Leser oder sagen wir richtiger die Bewunderer des „Antlitz“ in ihrer Mehrzahl eine Analyse in der Form, wie sie hier neben der historischen Schilderung versucht wird, schon früher selbst vorgenommen haben, dann wäre allerdings sehr vieles, was in diesen Seiten steht, vollkommen überflüssig. Wenn hier nunmehr einige Worte über die Ansichten gesagt werden sollen, die Suess bezüglich des Vulkanismus entwickelt hat, so möchten wir zunächst weniger an die großzügigen Gedanken erinnern, welche im letzten Bande des „Antlitz“ in dem Kapitel über die „Tiefen“ betreffend die Phänomene der eigentlichen vulkanischen Tätigkeit ausgesprochen wurden (dazu wird sich vielleicht später noch Veranlassung finden), als an das, was Suess über die Bedeutung des Vulkanismus im Verhältnis zu den tektonischen Fragen geäußert hat, weil das mit zum Wesen dessen gehört, was man die Suess’sche Theorie genannt hat. Auch in dieser Beziehung läßt sich die Tätigkeit des großen Autors ziemlich weit zurück verfolgen. Die früher bereits kurz besprochene Arbeit über den alten Vulkan Venda bei Padua deutet vielleicht schon die betreffende Studienrichtung an. Weil es sich dort aber mehr um den Aufbau der vulkanischen Massen selbst handelt, ist sie für die genannte Theorie nur nebenher von Bedeutung Wenn wir dagegen die Be- ziehungen des Vulkanismus zur Gebirgsbildung besprechen wollen, wie sich dieselben dem Autor darstellten, so treffen wir in dessen Studien über italienische Erdbeben und über den Bau der italienischen Halbinsel (vgl. weiter oben) schon verschiedene der hier in Betracht kommenden Ideen angedeutet und insbesondere müssen wir uns auch wieder an die betreffenden Ausführungen in der „Entstehung der Alpen“ erinnern, wenn wir einerseits die Entwicklung jener Ideen verfolgen, andrerseits im Anschluß daran die Stellungnahme einiger anderen Autoren zu diesen Ideen berücksichtigen wollen. „Die Vulkane sind Nebenerscheinungen, welche an klaffenden Stellen hervortreten“, schreibt dort (l. c. pag. 51) der Autor, indem er einen unmittelbaren Zusammenhang der Bildung von einseitigen Ge- birgsketten mit dem Absinken der Schollen ins Auge faßt, welches nach seiner bekannten damaligen Auffassung auf der Innenseite der betreffenden Ketten vor sich ging, wobei er diese Senkungen selbst 498 Dr. Emil Tietze. [166] (l. e. ebenfalls pag. 51) auch ihrerseits als Nebenerscheinungen ansah, die nicht als Ursache der Aufrichtung der Ketten zu gelten hätten. Speziell die letztgenannte Behauptung darf man allerdings, neben- bei bemerkt, wohl nicht als einen notwendigen Bestandteil der viel besprochenen Theorie ansehen. Daß diese Auffassung nämlich nicht ganz im Einklang stand mit einem Teil gerade der älteren Vorstellungen des Autors über die Rolle der Senkungsfelder, von deren Seite her der einseitige Druck bei der Gebirgsbildung ausgehen sollte, bedarf nach den früheren Ausführungen der heutigen Schrift wohl kaum einer näheren Erläu- terung. Jedenfalls haben Senkungen und Senkungsfelder, wie wir vorher gesehen haben, bei Suess eine viel größere Bedeutung als die Vulkane. Unser Autor beruft sich dann (z. B. pag. 57) auf die Verhältnisse an der Innenseite der italienischen Halbinsel, wo „heute noch tätige Vulkane“ stehen und findet (l. c. pag. 60) eine Analogie dazu in der „Rolle, welche den Vulkanen der pacifischen Küste an der Innenseite der innersten Kette des westlichen Nordamerika zufällt“. Auch die Stellung des Ararat und der mit diesem verbundenen Vulkanreihe (l. e. pag. 48) am Rande eines Senkungsfeldes wurde hervorgehoben und man weiß, daß auch das Auftreten der ausgedehnten Eruptiv- massen, welche die ungarische Seite der Karpathen begleiten, wie nicht minder die Basalte und Phonolite auf der böhmischen Seite des Erzgebirges als in den Rahmen dieser Betrachtung passend ange- sehen wurden. Man erinnere sich übrigens hier wieder des bereits früher in etwas anderem Zusammenhange von Suess gebrauchten Bildes von der verletzten und durch einseitigen Druck in Falten gelegten Haut und dem mit dem Ausbruch von Vulkanen verglichenen Blut, welches auf der Innenseite jener Hautfalten hervordringt. Auch im ersten Bande des „Antlitz“ wurden noch ähnliche An- sichten vertreten und beispielsweise die „Vulkanbogen als Bruchränder von weiten Senkungsfeldern“ angesehen (l. c. pag. 586), wie wir aus der im Schlußbande (IIl/2, pag. 672) gegebenen Interpretation der betreffenden (nicht durchwegs klaren) Ausführungen ersehen !). Es erscheint aber von vornherein wohl ausgeschlossen, daß Suess durch die Hervorhebung dieser Beziehungen zwischen einseitigen Gebirgen, Senkungsfeldern und Vulkanen ein ganz allgemeines Gesetz aufstellen wollte, wenn er auch ursprünglich vielleicht glaubte, wenigstens einem großen Teil der in Frage kommenden Erschei- nungen durch seine Darstellung beizukommen. Die Basaltausbrüche im Grauwackengebiet bei Freudental und Troppau in Oesterr.-Schlesien oder im Carbon von Ostrau, die Kratere der Eifel und die Vulkane der Auvergne stehen nicht am Rande von Senkungsfeldern, wie sie sich auf der Innenseite von Faltengebirgen befinden sollten. Die letzteren gehören sogar einem Gebiet an, welches von Suess direkt als eines der alten Massive auf der Außenseite der Alpen angesehen wurde. Viele und zudem recht große Vulkane ‘) In der hier zuletzt erwähnten Stelle werden übrigens Zweifel an der früheren Auffassung angedeutet. [167] Einige Seiten über Eduard Suess. 499 stehen überdies direkt innerhalb von Gebirgsketten und sind diesen aufgesetzt. Das alles war ja natürlich dem Autor der „Entstehung der Alpen“ wohlbekannt, wenn er es auch damals unterließ, ausdrücklich auf diese Tatsachen hinzuweisen !). Es entsprach aber vielleicht seiner impulsiven Natur, die Ideen, die er mit einer gewissen Plötzlichkeit gefaßt hatte, durch die Berücksichtigung von Nebenumständen nicht allzu sehr zu belasten oder einzuschränken. Nur in bezug auf die Stellung des Aetna und des Vultur, welche auf der dem Tyrrhenischen Senkungsfeld entgegengesetzten Seite der dieses umrahmenden Gebirge stehen, hat derselbe selbst schon in seiner Abhandlung über die Erdbeben Süd- italiens auf den betreffenden Umstand aufmerksam gemacht, ebenso wie er von den mehr gegen den zentralen Teil jenes Senkungsfeldes gelegenen Liparen eine solche randliche Stellung nicht behauptet hat. Die exzeptionell erscheinende Stellung des Vultur den Apenninen gegenüber erklärte er durch den Hinweis auf eine mit der Tektonik dieses Gebirges zusammenhängende Erdbebenlinie, auf welcher der genannte Vulkan stehe. - Aehnliches betonte er für den Aetna und dessen Verhältnis zum peloritanischen Gebirge. Es kam ihm ganz augenscheinlich nur darauf an, eines der Verhältnisse besonders hervorzuheben, unter denen das Auftreten von Vulkanen stattfinden kann und auf die Beziehung dieses Verhältnisses zur Gebirgsbildung aufmerksam zu machen. Wenn er dabei das Auftreten der Vulkane als eine Begleit- erscheinung der Gebirgsbildung bezeichnete, so konnte er das natür- lich auch nur für solche Gebirge meinen, wo Vulkane vorhanden sind. Daß die Vulkanreihe der Anden in Peru eine große Unterbrechung aufweist, daß dem Himalaja die Vulkane fehlen und daß im Uebrigen in bezug auf letzteres Gebirge nur das ostindische Vorland jüngere Eruptivbildungen aufweist, die dort allerdings mächtige Decken bilden, aber nicht an der von der Hypothese hauptsächlich in Aussicht ge nommenen Stelle auf der Innenseite des Gebirges auftreten, war ihm ja bekannt. Auch kann man sich keinen Augenblick vorstellen, daß ihm diese Tatsachen bei Aufstellung seiner Hypothese nicht gegen- wärtig waren. Er wußte also, daß es sich nicht um eine notwendige Begleiterscheinung der Gebirgsbildung bei den vulkanischen Aktionen handelt, sondern nur um ein Phänomen, welches stellenweise (im Sinne seiner Anschauung) mit der Gebirgsbildung im engeren Zusam- menhange steht. Aber auch diese eingeschränkte Vorstellung ist, wie so manche andere des großen Autors, nicht ohne Widerspruch geblieben. Insbeson- dere hat der Italiener Lorenzo in seiner umfangreichen und mit großer Literaturkenntnis abgefaßten Monographie über den Vultur?) gezeigt, !) Später ist das jedenfalls geschehen. Wenn der Autor auch einmal die Stellung solcher Vulkane wie Kasbek und Demavend inmitten von Gebirgsketten als eine ausnahmsweise Erscheinung behandelte (vgl. oben pag. [133] dieser jetzigen Darstellung), so wird doch an anderen Stellen die ähnliche Stellung der meisten Vulkane der Anden als eine dem Gebirge aufgesetzte gedacht („Antlitz“, III/2, pag. 533, 538 und 547). Vgl. dagegen freilich auch oben pag. [121]. 2) Studio geologico del Monte Vulturo, Napoli 1900. 500 Dr. Emil Tietze. [168] daß die Tektonik der Apenninen bereits einem fertigen Zustand entsprach, als der Vultur und die anderen italienischen Vulkane ent- standen. Lorenzo beruft sich zum Vergleich mit dieser Tatsache unter Anderem auch auf meine schon 1878 erschienene Schrift über den Demavend!), in welcher ich aussprach, daß die Alburskette in Persien schon fertig dastand, ehe dieser große Vulkan entstand und daß sogar die Erosion in dieser Kette, wie aus den Verhältnissen der Terrassen des Herastales zu schließen war, schon vor der eruptiven Aktion daselbst in der Hauptsache ihre heute sichtbare Wirksamkeit zur Geltung ge- bracht hatte. Ganz dasselbe — sagt Lorenzo — treffe beim Vultur zu. Löwl, der in seiner Geologie auch die Gleichzeitigkeit der vulkanischen Ausbrüche auf der Innenseite der Karpathen mit der Entstehung dieser Kette bestreitet, deren wesentlichste Grundzüge bereits vor jenen Ausbrüchen bestanden hätten, hält diese Ausführungen Lorenzos für sehr wichtig. Er schreibt (l.c. pag. 226): „Die Vulkane Italiens haben demnach nichts mit den Störungen, die den Bau der Apenninen bewirkten, zu tun. Es ist das Verdienst Lorenzos, dieser Tatsache gegenüber der Auffassung von Suess zu ihrem Rechte verholfen zu haben. Was von den Apenninen und Karpathen gilt, wird gewiß auch in anderen Gebieten nachzuweisen sein. So ist es, um gleich den bedeutendsten Fall herauszugreifen, von vornherein klar, daß der quartäre Vulkanstrich der Anden nicht mit den alten tektonischen ‚Störungen dieses Gebirges, sondern nur mit dessen jüngster Hebung in Verbindung gebracht werden darf. Wenn man den in Italien festgestellten Altersunterschied der Gebirgsbildung und der Eruptionen außer acht läßt, wird man immer in den Fehler ver- fallen, aus der geographischen Verbreitung der Vulkane falsche geo- logische Schlüsse zu ziehen.“ Löwl fügt in teilweisem Zusammen- hange mit dieser Bemerkung (l. c. pag. 227) hinzu, der pacifische Vulkankranz „liegt auf den Rändern des großen ozeanischen Beckens und wird gar nicht davon berührt, daß in dem älteren Bau dieser gehobenen Ränder auf der amerikanischen Seite Falten und auf der asiatischen Brüche den Ausschlag geben. Ein naiver Kartenbeschauer kann leicht auf den Gedanken kommen, daß die sinkende pacifische Scholle des Magma ringsherum ausquetscht“. Löwl scheint also der Meinung gewesen zu sein, daß die geo- graphische Methode (von welcher in der gegenwärtigen Darstellung weiter oben etwas ausführlicher gesprochen werden mußte), und be- sonders das Anschauen der Karten im gegebenen Falle unseren alten Meister zu einem Irrtum verleitet habe. In gewissen anderen Fällen als bei den hier erwähnten Bei- spielen ist übrigens ein ähnliches Verhältnis zwischen den Vulkanen und den damit verbundenen Gebirgen, wie es so eben für den Vultur und den Demavend hervorgehoben wurde, Suess wohl bekannt ge- wesen oder doch wenigstens ziemlich bald nach der Schrift des Jahres 1875 bekannt geworden. Wir sehen das bei dessen Beschreibung des maälaischen Bogens, wo es bezüglich der Vulkane von Sumatra heißt?): !, Jahrb. d. k.k. geol. R.-A. 1878. ?) „Antlitz“, 1. Bd., pag. 586 und 587. [169] Einige Seiten über Eduard Suess. 501 „Die jungen Vulkane sitzen auf (dem fertigen Faltengebirge und der Fuß ihrer Aschenkegel schmiegt sich in seine ausgewaschenen Täler, ein untrügliches Zeichen der Notwendigkeit, ihr Erscheinen als eine weit spätere, der Faltung des Gebirges nachfolgende er doch nur ihre jüngsten Phasen begleitende Erscheinung aufzu- assen.“ Eine Nutzanwendung dieser ganz richtigen Vorstellung auf die Theorie, wie sie aus den italienischen und karpathischen Verhält- nissen abgeleitet worden war, ist allerdings unterblieben. Nun dürfen wir allerdings den Angriffen Lorenzos und Löwls gegenüber nicht darauf vergessen, daß der wesentliche Unterschied des Alters gewisser Gebirge im Vergleich zu den betreffenden jungen Vulkanausbrüchen Suess nicht blos bezüglich Sumatras bekannt war. So schreibt derselbe beispielsweise („Entst. d. Alpen“, pag. 59) aus- drücklich: „Es ist als gewiß anzunehmen, daß ein großer Teil: des Apennin bestand, bevor zur mittleren Tertiärzeit die Aufrichtung der Molasse am Nordfuß der Alpen erfolgte.“ Folglich mußte der Autor auch die Präexistenz des Apennin den Vulkanen gegenüber voraus- setzen. Andrerseits jedoch betont er (z. B. l. c. pag. 55) in Bezug auf Alpen, Pyrenäen, Apenninen und Kaukasus, „daß die Bewegungen, welche die Aufrichtung dieser Ketten herbeigeführt haben, bis in eine verhältnismäßig junge Zeit“ fortdauerten. Es ist also immerhin möglich, daß er die Wirkung dieser Bewegungen bezüglich des mit denselben verbundenen Absinkens von Schollen auf der Innenseite der betreffenden Ketten im Hinblick auf das Hervortreten von Vulkanen sich so gedacht hat, daß sie erst in der letzten Phase jener Vorgänge zum Ausdruck kam. Damit würde der Einwand, den die genannten beiden Autoren hier der Auffassung von Suess entgegenstellten, sich . teilweise widerlegen lassen. Anderseits würde freilich auch die Be- deutung des von dem Letzteren vermuteten Zusammenhanges der betreffenden Erscheinungen sehr abgeschwächt werden. Denn, wenn die Gebirgsbildung der Hauptsache nach ohne die Begleiterscheinung der Vulkane selbst in denjenigen Gegenden vor sich gehen konnte, wo Vulkane vorkommen (was, wie wir sagten, nicht überall der Fall ist), dann verliert diese Begleiterscheinung ihren besonderen tekto- nischen Wert. Leider hat sich Suess in dieser Beziehung lange nicht auf- klärend geäußert. Im ersten Bande des „Antlitz“ (pag. 198) hält er jedenfalls noch an der Auffassung fest, daß vulkanische Eruptionen an Senkungen auftreten und auch aus einer Stelle seines 1902 er- schienenen Vortrages über heiße Quellen (pag. 6, oben) läßt sich folgern, daß der „Einfluß dynamischer Vorgänge, wie etwa benach- barter Senkungen“ nach der Auffassung des Vortragenden mit der Entstehung der Vulkane verknüpft ist, allein von einer Beziehung auf das eventuelle zeitliche Zusammentreffen dieser Erscheinungen ist in diesen Fällen nicht die Rede. Erst im Schlußbande des „Antlitz“ (pag. 671), wo von dem Auftreten von Vulkanen auf „disjunktiven Linien“ gesprochen wird, heißt es, daß „ein, wenn auch nur teilweiser Einfluß der Faltung auf Disjunktion nur verständlich ist, wenn die faltende Bewegung gleichzeitig vorhanden ist“. Jahrbuch d. k, k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd,, 3. u. 4. Heft. (E, Tietze.) 66 502 Dr. Emil Tietze. [170] Nach dieser Aeußerung könnte man allerdings schließen, daß hin- sichtlich eines Zusammenhanges zwischen der Tektonik gewisser Ge- birge mit vulkanischen Phänomenen eine Beziehung noch als beste- hend angenommen wurde. Jedoch zeigt sich, daB diese Beziehung nicht mehr allzu stark betont werden sollte!). Wenigstens als eine sozusagen unbedingte Begleiterscheinung der Bildung von Gebirgen schien man die Vulkane nicht mehr betrachten zu wollen. Trotzdem mag es gut sein, wenn wir in der Negation der tekto- nischen Zusammenhänge zwischen Senkungen, Gebirgsbildung und erup- tiver Tätigkeit nicht zu weit gehen. Die Einwände Lorenzos und Löwls führen zwar zu einer wesentlichen Einschränkung, aber nicht notwendig zu einer gänzlichen Beseitigung der betreffenden Ansichten. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei übrigens noch aus- drücklich wieder daran erinnert, daß Suess der vulkanischen Tätigkeit keine hebende Gewalt zuschrieb, so daß er sogar den Lakkolithen nur in sehr begrenztem Maße einen Einfluß auf die Aufwölbung der über ihnen liegenden Bildungen zugestand ?). Nach dieser Richtung hat der große Forscher, der überhaupt von Hebungen nicht viel hören wollte, einen Zusammenhang des Vulkanismus mit der Gebirgsbildung nicht gesucht und ist sich bis zum Ende treu geblieben. Dennoch erlaubt uns in mancher anderer Hinsicht die Durch- sicht des „Antlitz“ einen Einblick in die Fortentwicklung der An- schauungen von Suess über den Vulkanismus und speziell über das Auftreten der vulkanischen Bildungen. Das Kapitel über Vulkane, welches dem ersten Bande des besagten Werkes inverleibt ist (4. Abschnitt), wollen wir hier nur kurz berühren, obschon es gewiß nicht unwichtig ist.“ Es enthält hauptsächlich hoch interessante Ausführungen über die Art des Auf- baues der Vulkane selbst. Es enthält Untersuchungen an zerstörten vulkanischen Bergen, die zur Aufsuchung einer Denudationsreihe, wie der Verfasser das nennt, führen können und die sich deshalb als die Fortsetzung der Arbeit dartun, welche derselbe über den Vulkan Venda (vgl. früher) veröffentlicht hatte oder besser gesagt, als die Fortsetzung der betreffenden Studienrichtung. Die Endstelle der gesuchten Denudationsreihe bilden nach dem Autor bekanntilch die von ihm so genannten „Narben“, für welche der syenitisch- granitische Gesteinszug nördlich von Brünn als Beispiel gilt, in Bezug auf welches aber, wie ebenfalls bekannt, die Meinungen geteilt sind). Allgemeine tektonische Beziehungen, wie sie für die Gebirgs- bildungshypothese des Autors direkt in Betracht kommen könnten, sind in diesem Abschnitt weniger berührt, abgesehen von der Ent- ') Ob die Aeußerungen von Suess, von denen noch in diesem Abschnitt wenige Seiten weiter bei Erwähnung der „Vorfaltung“ die Rede sein wird, nähere Aufschlüsse über die Ansichten des Autors hetreffs der hier berührten Fragen zu geben vermögen, überlasse ich der unbeeinflußten Entscheidung des Lesers. ?) Vgl. „Antlitz“, IIl/2, pag. 43, wo es heißt, daß „ein Lakkolith wohl eine örtliche Aufblähung, aber niemals eine Gebirgskette hervorzubringen vermag.“ °) Vgl. hierzu die gegenwärtige Darstellung pag. [73] —[75]. [171] Einige Seiten über Eduard Suess. 503 wicklung jener Idee von Hohlräumen, die sich mit Lava füllen (vgl. „Antlitz“, I. Bd., pag 220) und bei Auslösung tangentialer Spannungen an der Oberfläche diese Lava aus der „Macula“ hervortreten lassen. Wir konnten auf diese Darlegung schon bei einer früheren Gelegen- heit aufmerksam machen '!). Sie entspricht jedenfalls im Wesen noch ganz gut der Anschauung über die Art des tektonischen Zusammen- hanges zwischen Vulkanismus und Gebirgsbildung, wie sie von Suess in den bisher erwähnten Auslassungen desselben betreffs dieses Punktes wenigstens anfänglich vertreten wurde. Viel mehr neue Gesichtspunkte für die Behandlung der in Rede stehenden Frage hat uns der dritte Band des „Antlitz“ gebracht. Besonders wichtig für die Anschauungen, zu welchen der Autor über das Verhältnis der vulkanischen Erscheinungen zur ‚Oberfläche unseres Planeten schließlich gelangt ist, erscheint hier der Abschnitt über die Verteilung der Vulkane (Bd. IIIl/2, pag. 664 etc.). Hier wird ein Gegensatz zwischen der atlantischen und paci- fischen Erdhälfte konstruiert und so gewissermaßen ein Analogon geschaffen zu dem bereits früher berührten Gedanken betreffend die Verschiedenheit der Umrandungen der Ozeane, nur daß es sich diesmal nicht allein um die Küsten als solche, sondern um die ganzen Land- und Inselgebiete handelt, die als Träger von Vulkanen in Be- tracht kommen. Dieser Darstellung zufolge trifft man in der atlantischen Hälfte „diffuse“ vulkanische Felder, wie sie z. B. in Grönland, Island, den Faröern, Schottland und Irland vorkommen und zu denen auch die Effusivdecken des Dekkan-Trapp gehören. Dann sieht man Vulkane auf „disjunktiven, bezüglich durch Zerrung und Zerreißung entstan- denen Linien“, wie sie besonders in oder neben den afrikanischen Gräben erscheinen. Außerdem gibt es „Gruppenvulkane“, zu denen beispielsweise die Azoren, Canarien und der größte Teil der cap- verdischen Inseln gehören, soweit dort vulkanische Bildungen auf- treten, wobei es wie im Vorübergehen bemerkt werden kann, auffällt, daß nach der Ansicht des Autors ein gewisser Teil der capverdi- schen Ausbrüche in dieser Klassifikation von den übrigen Vulkanen dieser Gegend getrennt wird. (Vgl. III/2, pag. 666.) Im pacifischen Gebiete gibt es dann trotz des vorausgesetzten Gegensatzes zwischen diesem und dem atlantischen Gebiete eigentlich ganz dieselben Kategorien von vulkanischen Erscheinungen. Wir haben hier „diffuse Felder“, wenn auch nur von geringer Bedeutung, und wir haben Vulkane auf „disjunktiven Linien“, denen „in der gesamten Peripherie Asiens wie in dem andinen Bau die Hauptrolle“ zufällt und denen auch die Vulkane der Antillenbögen zugezählt werden. Die letzteren gehören zwar geographisch zum atlantischen Ge- biet, aber wir wissen ja, daß sie bei der Unterscheidung des pacifischen und atlantischen Typus von Anfang an eine zugelassene Ausnahme von der Regel gebildet haben. Dann gibt es auch Gruppenvulkane im 1) Vgl. hier wieder das Referat F.v. Hauers in den Verh. d. k. k. geol. R.-A. 1883, pag. 185 und oben pag. [118] der heutigen Darstellung. 66* 504 Dr. Emil Tietze. : [172] pacifischen Gebiet, nämlich zwischen den Ozeaniden, Hawai und der Westküste Amerikas, denen z. B. die Galapagos zugerechnet werden. Der prinzipielle Unterschied aber in der Verteilung der’ ver- schiedenen Vulkane des pacifischen und des atlantischen Gebiets scheint demnach nur darin zu bestehen, daß bei dem ersteren noch eine vierte Kategorie hinzukommt, von der man also annehmen sollte, daß sie im atlantischen Gebiet fehlt, über welche (l. c. pag. 667) jedoch seltsamer Weise wörtlich Folgendes ausgesagt wird: „Die Vul- kane der Alpiden bilden schon ihrer Entstehung nach eine Abteilung für sich. Hier findet man gemischte Merkmale vereinigt; während der kleine Zug von Andesit im südlichen Steiermark zugleich mit dem großen Tonalitzug der Ostalpen andine Kennzeichen an sich trägt, Können die Liparen als ein Typus von Gruppenvulkanen angesehen werden.“ Wenn es befremdlich erscheinen sollte, daß hier lauter euro- päische, also geographisch dem atlantischen Gebiet zufallende Vnlkan- ausbrüche zum pacifischen Gebiet gerechnet werden und dabei als ein wesentliches, um nicht zu sagen, einziges Unterscheidungsmerk- mal dieses Gebiets gegen das atlantische benützt werden, so ist daran zu erinnern, daß Suess die Untersuchungen Beckes aufgegriffen hat!), wonach man zwei Typen jungvulkanischer Gesteine unter- scheiden kann, nämlich eine tephritisch -atlantische und eine ande- sitisch-pacifische Reihe, welche letztere unter anderem auch in den Karpathen und in der Tonalitzone der Alpen auftritt. Dennoch möchte man glauben, es sei nicht wohlgetan, weil nicht ganz konsequent, zwei heterogene Einteilungsgrundsätze, wie den der räumlichen Verbreitung und Anordnung der eruptiven Massen und den der Zusanımensetzung dieser Massen zu vermischen und in’ die Einteilung der Vulkangebiete in diffuse Gebiete, in Gebiete disjunktiver Linien und in Gruppenvulkane einen im Wesentlichen doch mehr petrographischen Gesichtspunkt hineinzubringen, wie er von Becke besprochen wurde. Derartige Inkonsequenzen tragen vielleicht noch mehr als andere, früher erwähnte Umstände dazu bei, manchem Leser das Verständnis der Ausführungen des Autors zu erschweren. Wenn Becke, worauf sich Suess (l. ce. III/2, pag. 678) beruft, dem Unterschied zwischen tephritisch und atlantisch einerseits und andesitisch, bezüglich pacifisch andrerseits die Bedeutung bei- mißt, daß es sich im ersten Falle um Gebiete des Einbruchs durch radiale Kontraktion, im anderen um Gebiete der Faltung durch tan- gentialen Zusammenschub handle, so deckt sich doch dieser Unter- schied keineswegs völlig mit dem Klassifikationsprinzip, welches Suess im Uebrigen anwandte. Man könnte höchstens sagen, daß dort, wo ein Zusammenschub stattgefunden hat, die Vulkane, die auf disjunktiven Linien auftreten sollen, nicht an ihrem Platze sind. Aber als charakteristisches und unterscheidendes positives Merk- mal für die Vulkane des pacifischen Gebiets bei einer geographischen Einteilung der Vulkane solche Eruptivbildungen anführen, die in Europa auftreten, heißt doch das Entgegenkommen des Lesers etwas stark auf die Probe stellen. ') Vgl. „Antlitz“, IIl/2, pag. 676- 679. [173] Einige Seiten über Eduard Suess. 505 Wenn es sich darum gehandelt hätte zu zeigen, daß dem von Suess gemachten geographischen Unterschiede der beiden Typen ein petrographischer Unterschied gleichsam parallel geht, dann 'hätte die Bezugnahme auf Beckes Untersuchungen eine logische Begründung gehabt, aber gerade in dem, was Suess vorgebracht hat, ist dieser Gesichtspunkt nicht zur Geltung gekommen. Die große Begabung von Suess bekundete sich vornehmlich, wenn nicht in der Lösung, so doch im Erkennen und Erfassen von Problemen, in der Beleuchtung der dabei in Betracht kommenden Beziehungen und in: der Eröffnung neuer Perspektiven für: die Unter- suchung der von ihm besprochenen Fragen sowie vor Allem auch in der Beschaffung eines reichen Tatsachenmaterials, welches mit diesen Perspektiven in Verbindung gebracht werden konnte, aber nach’ der Seite der Systematik lag jene Begabung nicht. Wenn das nach allen bisherigen Erörterungen noch eines Beweises bedurft hätte, so wäre derselbe durch die oben erwähnte Klassifikation der Vulkane.als er- bracht anzusehen. Daraus erklärt sich am besten, daß die große Syn- these mit der wir uns in diesen Seiten beschäftigen, nicht dahin gelangte, einem einigermaßen haltbaren System zu entsprechen. Durch die angegebene Einteilung der Vulkane wird übrigens, wie Suess selbst hervorhebt (l. c. pag. 667), das zu klassifizierende Mate- rial- noch nicht vollständig untergebracht. Es gibt „große und kleine Vorkommnisse, die sich dieser Einteilung nicht fügen“, also: nicht einmal der, wie man meinen sollte, in ihrer Umgrenzung ziemlich elastischen Kategorie der „diffusen“ Vulkangebiete zugezählt werden können. Der Autor führt eine ganze Menge solcher für die Klassi- fikation abseits stehender Vorkommnisse an, von. denen hier als Beispiele vor Allem der Zug, der vom Yellowstone nach der Gegend des Snake River sich erstreckt, dann die Gipfelvulkane des Kaukasus, der Demavend in Persien, die Euganeen, sowie die Vulkane der Auvergne und der Eifel genannt sein. mögen. Auch die Basalte, die vom Vogelsberg nach Böhmen ziehen, „deren jüngste Ausbrüche zwar nahe unter dem Bruche des Erzgebirges: stehen, die aber im Osten auf der Höhe des Riesengebirges wieder erscheinen und. weiter bis Ostrau. verfolgt werden können“, gehören zu diesen. unfügsamen Vorkommnissen. An dem..letzterwähnten Beispiel ersieht man nebenbei, daß der Autor seine Ansichten über die Beziehungen der nordböhmischen Eruptivgesteine zum Südabfall des Erzgebirges nicht mehr in so bestimmter Form festgehalten hat, wie zuvor. Denn die bewußten Basalte, die von Mitteldeutschland nach den Sudeten ziehen, treten längs ihrer Erstreckung mit so verschiedenen tektonischen Verhält- nissen :in. Beziehung, daß ihrem eventuellen Zusammenhange mit den Einbrüchen südlich vom Erzgebirge nicht mehr jene wesentliche Bedeutung zukommen könnte, wie im Falle der Beschränkung des betreffenden Vorkommens auf das nördliche Böhmen, Uebrigens beweist ja auch der Wortlaut der zuletzt angeführten Aeußerung (insbesondere «das Wörtchen: „zwar“), daß das Auftreten der Basalte, „nahe unter dem Bruche des Erzgebirges“ nur mehr als ein zufälliges aufgefaßt wird. 506 Dr. Emil Tietze. [174] Wir verlassen aber jetzt die Besprechung jenes Klassifikations- versuches und der damit zusammenhängenden Ausführungen unseres Autors und greifen aus den Darlegungen des Schlußbandes noch einige andere Punkte heraus, welche für die Kenntnis der Vulkane in Be- tracht kommen können. Von Interesse ist dabei insbesondere was über die Vulkane auf disjunktiven Linien auf Seite 671 dieses Bandes gesagt wird, wo von den Inselkränzen und Vulkanlinien die Rede ist. Es heißt dort: „Es ist unmöglich anzunehmen, daß die Inselkränze ursprünglich von gradlinigen vulkanischen Klüften begleitet waren und daß sie erst durch Faltung bogenförmig geworden sind. Indem die Vulkan- linien stets innerhalb der Vorfaltung erscheinen, befinden sie sich zugleich an der Stelle der größten Inanspruchnahme der gefalteten Serie. Sie werden aber nicht durch die Faltung erzeugt, sie gleichen vielmehr der Auslösung oberflächlicher Spannungen im Asphalt, und ihre autonomen Fortsetzungen verraten ihre Selbständigkeit.“ Dieser Satz gibt in mehr als einer Hinsicht zu denken. Wir wollen aber nur einige Punkte hervorheben. Wir haben früher Gelegenheit gehabt, von der „Rückfaltung* zu sprechen, aber in der heutigen Besprechung das Wort „Vorfaltung“ bisher nicht erwähnt. Was ist Vorfaltung? Suess schreibt darüber?): „Wenn in einem faltenden Gebirge Absenkungen auf im Streichen liegenden Sprüngen in solcher Weise sich ereignen, daß ein nach außen liegender Gebirgsteil gesenkt wird, daß also zum Beispiel in einem nordwärts faltenden Gebirge auf Ostwestsprüngen nordwärts von der Hauptregion der Faltenbildung das Land hinabsinkt, dann erfolgt weit größere Horizontalbewegung, als würde sie befördert durch vorliegende Senkung, das nennen wir Vorfaltung.“ Da demgemäß die Vorfaltung, mit der die Vulkanlinien ver- bunden sind, auf der Außenseite der betreffenden Faltengebirge statt- fand, so erscheint das alte Schema von der bevorzugten Stellung der Vulkane auf der Innenseite der Ketten ganz wesentlich depossediert. Ferner ist es auffallend, daß die Vulkanlinien mit der „größten In- anspruchnahme der gefalteten Serie“ in Verbindung gebracht werden, während doch die Vorfaltung sich außerhalb der Hauptregion der Faltenbildung befindet, wie aus der mitgeteilten Definition des Begriffs Vorfaltung hervorgeht. Ueberdies wird uns gesagt, daß die Vulkan- linien mit der Genesis der Faltung eigentlich nichts zu tun haben. Diese Linien werden nicht durch die Faltung erzeugt und verraten durch autonome Fortsetzungen ihre Selbständigkeit. Das würde also darauf hinauslaufen, daß Löwl und Lorenzo (vgl. oben pag. [167—169]) mit ihren Einwendungen gegen die früheren Ansichten von Suess nicht blos teilweise, sondern absolut im Rechte gewesen wären. Zum Vergleich mit dem Gesagten kann man jedoch heranziehen, was („Antlitz“, III/2, pag. 580 u. 582) über die Vulkanbögen Ostasiens ausgeführt wurde. Dieselben stehen danach auf Sprüngen. In den betreffenden Vortiefen dieser Bögen sind Vulkane nirgends vorhanden, ') „Antlitz“, Bd. I, pag. 184 unten und pag. 185. [175] Einige Seiten über Eduard Suess. 507 „vielmehr gehören die Vulkane, welche die Inselkränze begleiten, ganz der gefalteten Kordillere an“, Das stimmt wieder nicht zu der Auffassung von der Unabhän- gigkeit der Vulkane von der Faltung (was vielleicht umso auffallender erscheint, als wir es hier mit Ausführungen zu tun haben, welche ein und demselben Bande angehören) und das steht im vollsten Gegensatz zu dem angeblich autonomen Verhalten der Vulkanlinien, wenn es anch dafür umso besser zu jener „größten Inanspruchnahme der ge- falteten Serie“ paßt. Ich fürchte, es gibt selbst unter den gläubigsten Anhängern von Suess Niemanden, der im Stande ist, die Widersprüche, in welchem die letzterwähnten Aussprüche zu einander stehen, befriedigend auf- zulösen. Trotzdem verbindet diese Aussprüche ein gemeinsames Band. Das ist der Gegensatz, in welchem sie sich gegen die ursprüngliche Hypothese unseres Autors befinden. Von den Vulkanen auf der Innen- seite der Gebirgsbögen und von den Senkungsfeldern auf dieser Seite ist hier nicht mehr die Rede. Hoch interessant und abgesehen von der Bezugnahme auf tekto- nische Fragen auch an sich sehr belehrend ist endlich, was Suess gleich am Beginn des Abschnitts über Vulkane im Schlußbande des „Antlitz“ (pag. 657 etc.) über das sagt, was er phreatische !) Explosionen nennt. Er beschreibt dort zum Beispiel die wichtigen Untersuchungen Brancas über die schwäbischen Vulkanembryonen und Archibald Geikies über die schottischen Necks (Hälse) im Süden von Dundee ?) und er beschreibt die Diamanten führenden Schlote in Südafrika, die er derselben Kategorie von Erscheinungen beizählt. Bei dieser Gelegenheit nimmt er ausdrücklich seine frühere Ansicht über das kreisförmige Ries bei Nördlingen zurück, wonach diese Bildung ein Einbruchsfeld sein sollte. Weitere Untersuchungen, schreibt er, hätten ihn gelehrt, daß das Ries durch eine phreatische Explosion erzeugt wurde. Daß übrigens auch die anderen phreatischen Vorkommnisse mit Senkungen, bezüglich auch mit Faltungen wenig zu tun haben, ist ziemlich augenscheinlich. So sehen wir, daß sich dem großen Autor beim Verfolg seiner Studien auch bezüglich des Auftretens der Vulkane mehr und mehr die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen und Vorgänge enthüllt hat, durch welche die Natur die Ermittlung einfacher Gesetze für diese Vorgänge so oft erschwert. Aber wer wollte leugnen, daß gerade der tiefere Einblick in diese Mannigfaltigkeit der große Gewinn ist, den wir aus der Entwicklung der Ansichten von Suess zu ziehen im Stande sind ? 1) Die Bezeichnung ist von dem griechischen Worte ro ppeap abgeleitet, offen- bar weil der oberflächliche Umriß der betreffenden Eruptionskanäle auf brunnen- artige Löcher deutet, wobei man allerdings für den Durchmesser der von erup- tivem Material ausgefüllten Löcher zumeist nicht den kleinen Maßstab für gewöhn- liche Ziehbrunnen anzuwenden hat, 2) Von denen man an der Küste einige Kilometer hinter St. Andrews ein sehr schönes Beispiel sehen kann, 508 Dr. Emil Tietze. [176] Sekulare Hebungen und Senkungen in Verbindung mit Schwankungen des Meeresspiegels. Es ist in diesen Seiten wiederholt angedeutet worden, daß die theoretischen Spekulationen von Suess nicht bloß in weiten Kreisen der Fachgenossen großen Anklang gefunden, sondern daß sie (wenigstens für längere Zeit) auch eine Art von Vorherrschaft auf dem Gebiete der modernen Tektonik erlangt haben. Oft genug durfte jedoch auch gezeigt werden, daß es in den meisten Fällen an Einwendungen gegen jene Spekulationen nicht gefehlt hat, wobei noch zu erwähnen ist, daß die gegenwärtige Darstellung nicht den Anspruch erhebt, die betreffenden Meinungsverschiedenheiten vollständig zu berücksichtigen. Wenn diese Einwände oder Bedenken auch nicht überall sich sofort Geltung verschaffen konnten (und wir haben ja gesehen, daß dies sehr oft nicht der Fall war), so haben sie doch den Beweis er- bracht, daß die Zeitgenossen unseres großen Autors nicht sämtlich oder doch nicht immer dauernd unter dem Druck jener Hypnose standen, ‘welche von dessen hochbedeutender Persönlichkeit ausging und bei: vielen Lesern oder Hörern des Meisters ein selbständiges Urteil, sowie das Bedürfnis einer sachlichen Kritik gar nicht auf- kommen ließ. Nicht bloß hat sich von Zeit zu Zeit bald hier, bald dort eine kritische Bemerkung vernehmen lassen, durch welche manche Auffassung des geistvollen Mannes in Zweifel gezogen wurde; es gibt sogar wenig Punkte im Bereich jener Spekulationen, die bisher von solchen Zweifeln unberührt blieben. Das gilt natürlich in erster Linie für diejenigen Fälle, in welchen ältere Lehrmeinungen durch die Er- örterungen des großen Autors erschüttert zu werden schienen. Mehr als Alles jedoch, was Suess über einseitige Faltung und einseitigen Schub, über Stauungen und Zusammenbrüche, über Leit- linien, Gebirgsbögen und was damit zusammenhängt oder schließlich über Vulkane vorgebracht hat, verstieß gegen die zur Zeit seines Auftretens herrschenden Ansichten die Lehrmeinung, welche er über das Problem der sekularen Hebungen und Senkungen aufstellte. Wir können deshalb nicht umhin, auch über diesen Punkt hier zu sprechen, zumal diese Lehrmeinung einen ganz wesentlichen Teil der theore- tischen Anschauungen des berühmten Geologen bildete. Schon im 6. Kapitel der „Entstehung der Alpen“, in welchem in so äußerst lehrreicher Weise die Frage der marinen Transgressionen behandelt wurde, hat Suess (l. c. pag. 104) den Zweifel geäußert, ob die bis dahin geltenden „Voraussetzungen von lokalen Hebungen und Senkungen überhaupt ausreichen, um diese zeitweiligen Ueber- flutungen großer Strecken zu erklären“ und indem er an einer anderen Stelle. (ibidem pag. 117) diesen Zweifel wiederholte, wies er im Be- sonderen auf die Transgression der oberen Kreide hin, welche von fast universeller Ausbreitung gewesen sei. Daran anknüpfend betonte er die Wahrscheinlichkeit, daß eine allgemeinere Ursache der Großartigkeit derartiger Erscheinungen zu Grunde liegen dürfte. „Zeitweilige Er- weiterungen der Meere“, so fährt er (l.. c. pag. 119) fort, „welche [177] Einige Seiten über Eduard Suess. 509 mit allgemeinen Aenderungen des Klimas zusammenfallen“, müßten stattgefunden haben, und es werde notwendig sein, den Ursachen dieser Vorgänge nachzuspüren. Auch die Eiszeiten wurden mit der- artigen Vorgängen in Verbindung gebracht, und unter Bezugnahme auf die Theorien von Adhemar, Croll, Schmick und Anderen angedeutet, dab vielleicht die Bewegungsgesetze des Himmels, also astronomische Erfahrungen mit der Erörterung jener Ursachen in Verbindung gebracht werden könnten. Dieser Abschnitt ist einer der glänzendst geschriebenen des erwähnten Buches. Wenn die Bemerkungen, die darin über erratische Blöcke des Diluviums und über die exotischen Blöcke des Flysch ent- halten sind, den heutigen Vorstellungen über diese Vorkommnisse auch nicht mehr völlig entsprechen, so liegt das zum Teil (wenigstens be- züglich des Erraticums) an den damals darüber noch verbreiteten Meinungen, wie zum Beispiel an der Drifthypothese und ändert viel- leicht auch heute noch wenig an dem Eindruck, den die großzügige Auffassung des Autors auf den Leser macht. Bemerkenswert erscheint übrigens noch eine besondere Frage, die Suess im Verlauf dieser seiner Ausführungen noch aufwirft (l. c. pag. 117), die Frage nämlich, ob nicht dieselbe allgemeine Ursache, welche diese Transgressionen bewirken dürfte, auch der „bald viel engeren, bald viel weiteren Verbreitung einzelner Formationen“ zu Grunde liegen könnte, Hier schimmert wieder das schon weiter oben (vgl. pag. |29]) hervorgehobene Bestreben des Autors durch, eine natürliche und für die ganze Erde durchgreifende Einteilung der For- mationen zu finden, im Gegensatz zu den Abschnitten, welche auf Grund des Studiums einzelner als typisch für gewisse Entwicklungen geltender Gebiete von den Vertretern unserer Wissenschaft bisher bei der Gliederung der Formationsreihe benutzt worden sind. Wenn die erwähnten „zeitweiligen Erweiterungen der Meere“, schreibt Suess (l. c. pag. 119 unten und 120), „abhängig sind von den Bewegungsgesetzen des Himmels, wird man auch, ohne die absolute Zeitdauer der einzelnen Abschnitte zu kennen, einen gewissen Grad von Periodizität annehmen dürfen und folglich in der Vergangenheit des Erdballs eine Anzahl von Abschnitten von wahrscheinlich gleich langer Dauer unterscheiden können. Und selbst wenn eine solche Periodizität nicht zugestanden würde, wäre doch irgend ein natür- licher Anhaltspunkt für die Klassifikation der geschichteten Gebirge gegeben, deren Gruppierung in Formationen jetzt — ge- stehen wir es — den Charakter eines künstlichen Systems an sich trägt und in mancher Beziehung eine andere wäre, wenn die ersten klassifikatorischen Arbeiten nicht im nördlichen, sondern im südlichen Europa ausgeführt worden wären.“ Dieser Ausspruch zeigt wohl deutlich genug, worauf in letzter Linie die weitere Arbeit des Verfassers hinauslaufen sollte, soweit dabei die Verhältnisse der sekularen Niveau-Veränderungen in Be- tracht kamen. (Vgl. auch „Antlitz“, I. Bd., pag. 14—18.) Gleichviel aber, ob wir ein solches Bestreben für aussichtsreich oder überhaupt für notwendig halten, so erkennen wir doch auch im gegebenen Falle den Eifer eines Autors, der sich seine hohen Ziele Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Hft. (E. Tietze.) 67 510 Dr. Emil Tietze. [178] nicht weit genug stecken konnte, was an derartigen Beispielen zu zeigen für das Verständnis der geistigen Zusammenhänge in den Arbeiten von Suess von Wert sein mag. Bezüglich dieses Verständnisses mag aber im Uebrigen wieder daran erinnert werden, daß Suess niemals der Annahme einer gleichmäßigen Entwicklung der erdgeschichtlichen Vorgänge zuge- stimmt hat, wie wir das schon aus der Interpretation seiner Ansichten durch einige seiner anhänglichsten Schüler (zum Beispiel Uhlig und Fuchs) ersehen konnten und wie das unter Anderem auch schon weiter oben in der Darstellung der Beziehungen unseres großen Autors zur Deszendenzlehre gezeigt werden durfte. Suess glaubte an zeit- weise eintretende allgemeine Umwälzungen, die in der Aufeinander- folge der Formationen sich geltend machten). Ziemlich bezeichnend dafür ist aus seiner hier schon mehrfach erwähnten Abschiedsvorlesung eine Stelle?), welche ich schon bei jener Besprechung des Verhältnisses von Suess zu Darwin hätte anführen können, an die zu erinnern mir aber hier noch besser am Platze scheint. Der Redner sagte dort, die Paläontologie lehre, „daß die Terminologie für die einzelnen durch ihre Fossilreste bezeichneten Abteilungen der geschichteten Gebirge Anwendung findet über den ganzen Erdball.e Es müssen daher von Zeit zu Zeit irgendwelche allgemeine, den ganzen Planeten umfassende Verän- derungen der äußeren physischen Verhältnisse eingetreten sein. Man sieht‘ auch nicht eine stetige und ununterbrochene Abänderung der organischen Wesen, wie sie etwa aus einer stetigen Abänderung der Zuchtwahl hervorgehen möchte. Es sind im Gegenteil ganze Gruppen von Tierformen, welche erscheinen und verschwinden °). Darwin suchte diesen Umstand durch Lücken unserer Kenntnis zu erklären, aber heute sieht man deutlich, daß diese angeblichen Lücken eine viel zu große horizontale Erstreckung besitzen.“ Es mag erlaubt sein, hierzu einige Bemerkungen zu machen, bevor wir in Einzelheiten eingehen. Auf die Frage der Formationseinteilung und der Transgressionen angewendet, bedeutet der eben erwähnte Ausspruch jedenfalls, daß beispielsweise die Grenze des Kohlenkalks gegen das produktive Karbon auf der ganzen Erde zeitlich zusammenfällt, oder daß die Aera des Rotliegenden und des bunten Sandsteins allenthalben, wo diese Bildungen auftreten, genau demselben Zeitabschnitt entspricht, und vor Allem heißt das, daß die verschiedenen Transgressionen überall so gut wie gleichzeitig eingesetzt haben. Nun ist die Terminologie der Formationen, auf deren allgemeine Giltigkeit sich Suess beruft, trotzdem er doch augenscheinlich be- strebt war, eine bessere Grundlage für dieselbe zu finden, zunächst doch nur ein Mittel der Verständigung, welches wir mit Recht an- wenden, um die Uebersicht über die Aufeinanderfolge der zahlreichen !) Vgl. oben pag. [29] der gegenwärtigen Schrift. 2) L. c. pag. 2. °) Vgl. dazu das auf pag. [27]—[29] der heutigen Darstellung besprochene Citat aus dem „Antlitz der Erde“. mr [179] Einige Seiten über Eduard Suess, 511 Schichtreihen zu erleichtern. Wir können aber nicht diese Termino- logie, bezüglich die ihr entsprechende Formationseinteilung in dem gegebenen Fall als Beweismittel benützen dafür, daß mit demselben Ausdruck auch genau derselbe geologische Zeitabschnitt gemeint ist, das hieße, eine Behauptung durch sich selbst erweisen wollen. Abgesehen davon, darf man sich auch daran erinnern, daß es schließlich wohl in allen Formationsabteilungen sich vertretende Fazies gibt und daß dadurch schon allein die Vorstellung von einer unbe- schränkten horizontalen Erstreckung jeweilig ein und derselben Bil- dungen als zu weitgehend erscheint, so daß die Gleichzeitigkeit gleich- artiger Bildungen keine durchgreifende sein kann. Ist also bei unserer Terminologie die absolute Gleichzeitigkeit ‚der einander gleichgestellten Ablagerungen verschiedener Gegenden keine notwendige Annahme, so gilt die betreffende Einschränkung auch für die Diskussion der Transgressionen. Es würde uns zu weit von dem Ziele unserer Darstellung ab- lenken, wenn das hier im Einzelnen durchgesprochen werden müßte, Doch sei bemerkt, daß selbst die Transgression der oberen Kreide, die doch eine der äuffallendsten unter den hier in Betracht kom- menden Tatsachen ist, nicht überall zu ganz gleicher Zeit eingetreten ist. Abgesehen davon, daß zwischen Cenoman in dem einen und Cenoman in dem anderen Falle, namentlich bezüglich weit von einander ent- fernter Gegenden ein gewisser, wenn auch nicht bedeutender Unter- schied bestehen mag, braucht man sich nur an das Auftreten der oberen Kreide in Galizien und Podolien oder an das der Gosau- bildungen in den Alpen zu erinnern, um zu erkennen, daß in manchen Gegenden erst die letzte Epoche der jüngeren Kreidezeit ein allge- meineres Vordringen des Meeres gesehen hat. Auch sonst haben neuere Untersuchungen gezeigt, daß an manchen Stellen das trans- sredierende Vordringen der betreffenden Ablagerungen nicht überall zur selben Zeit eingesetzt zu haben scheint. Ein mir gerade zur Hand liegendes Beispiel dafür liefern die Verhältnisse des mährisch- schlesischen Grenzgebirges, über welche ich in meiner Abhandlung über die Gegend von Landskron und Gewitsch unter Anderem gerade auch bezüglich der hier vorliegenden Frage berichtet habe). Dort liegen stellenweise unterturone Absätze direkt auf dem älteren Ge- birge ohne Zwischenschiebung des anderwärts in jenem Gebiet aller- - dings vorhandenen und den Absatz der Kreide einleitenden Cenomans. Zur Erläuterung dessen, was hier gemeint ist, mag es erlaubt sein, noch einige Vergleiche aus einem anderen historischen Gebiet heran- zuziehen und wieder einmal auf die Entwicklungsgeschichte der Menscheit zu verweisen. Denken wir zunächst an die Aera der Eisenbahnen. Dieselbe hat in Europa jedenfalls früher begonnen als in Afrika oder im Innern Brasiliens, und in Thibet hat sie noch gar nicht angefangen. Andrerseits ist es doch sicher, daß die Aera der paläolithischen Stein- zeit mit ihren Merkmalen in manchen Gebieten länger gedauert hat als in den alten Kulturländern. Die größeren oder kleineren Abschnitte, !) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1901, zum Beispiel pag. 665 und 692. 67* 512 Dr. Emil Tietze. [180] welche die Historiker in der Geschichte der Menschheit machen, um eine übersichtliche Gliederung des betreffenden Tatsachenmaterials zu ermöglichen, sind überhaupt, man kann wohl sagen durchgängig, nur auf die Ereignisse gegründet, die sich bei einzelnen Völkergruppen als wichtig erwiesen haben, und wenn man zum Beispiel die Grenze zwischen Mittelalter und Neuzeit mit der Entdeckung Amerikas und der Reformation in Verbindung bringt, so bleiben wir uns doch dessen bewußt, daß diese Ereignisse sich für die Einteilung der Geschichte solcher großer Länder wie Uhina oder Sibirien in besondere Zeit- abschnitte nur wenig eignen. Für Solche aber, die sich große Veränderungen gern an allge- meinere Katastrophen gebunden denken, mag es gut sein, sich daran zu erinnern, daß selbst katastrophale Ereignisse, wie der Untergang des alten römischen Reiches zur Zeit der sogenannten Völker- wanderung, sich nicht ganz plötzlich vollzogen haben und daß nirgends und niemals die Fäden, die von der Vergangenheit in die jeweilige Zukunft hinüberführen konnten, ganz abgerissen worden sind. Die Nutzanwendung dieser Betrachtung auf die erdgeschichtlichen Fragen scheint mir ziemlich einfach, sei es nun, daß man an die mehr oder weniger absolute Gleichzeitigkeit gewisser Ereignisse und Zustände und eine darauf zu gründende Einteilung der Formationen denkt, sei es, daß man den gewaltsamen Charakter einzelner Ereig- nisse und deren plötzliches Eintreten im Hinblick auf deren univer- selle Bedeutung zu überschätzen geneigt ist. Wir wollen übrigens bald bei einem mehr spezialisierten Gegen- stande, nämlich bei der Besprechung der vermuteten Gleichzeitigkeit der norwegischen und patagonischen Küstenterrassen auf analoge Vergleiche zurückkommen, wodurch die betreffenden Fälle vielleicht anschaulicher gemacht werden können als durch sonstige lange Aus- einandersetzungen. Die Bedeutung des Suess’schen Gedankens, um den es sich speziell hier handelt, braucht indessen wegen des soeben Gesagten keineswegs unterschätzt zu werden, wenn man diesen Gedanken so zu sagen in allgemeineren Umrissen auffaßt. Aber bezüglich der ab- soluten Gleichzeitigkeit und auch der relativen Plötzlichkeit, welche — wie wir früher sahen — sich durch eine „große Beirrung“ des organischen Lebens bekundet haben soll !), scheint eine Einschränkung der erwähnten Auffassung angebracht zu sein. Dieser Teil der Suess’schen Ansichten betrifft übrigens nur die Frage der Schwankungen des Seespiegels, welcher sich (III/2, pag. 690) sprungweise ändern soll, und noch nicht unmittelbar die !) Vgl. pag. [31] der heutigen Darstellung. Man mag hier auf der anderen Seite hervorkehren, daß sich in den Schriften von Suess verschiedene Stellen finden (und es sind solche Stellen auch in der jetzigen Darstellung angeführt worden), denen zufolge der Autor langsam und daher allmählich stattfindende Vorgänge anerkennt, wie sie eventuell auch dem von Uhlig getadelten und in Gegensatz zu den Suess’schen Vorstellungen gebrachten Quietismus der Lyell- schen Grundsätze entsprechen würden (s. oben pag. [78]). Es ist indessen aus der gegenwärtigen Besprechung wohl zur Genüge ersichtlich geworden, daß man bei Suess nicht selten mit dem Nebeneinanderbestehen verschiedener Gedankengänge rechnen muß, [181] Einige Seiten über Eduard Suess. 515 damit freilich eng zusammenhängenden Behauptungen, welche betreffs der kontinentalen Hebungen aufgestellt wurden. Die weitere Entwicklung der in der „Entstehung der Alpen“ nur angedeuteten und damals dem Autor vermutlich nur in den allgemeinsten Umrissen vorschwebenden Ideen ging ziemlich rasch von statten, wenig- stens soweit die Verlautbarung des Hauptgedankens des Autors in Betracht kam, Auf den Wunsch von Suess wurde in einer für solche Veranstaltungen sonst nicht in Anspruch genommenen Jahreszeit eine Sitzung der geologischen Reichsanstalt am 2. Juni 1880 anberaumt und hier wurde!) das Ergebnis der inzwischen bezüglich der erwähnten Frage fortgesetzten Studien des Meisters in einem Vortrage „über die vermeintlichen sekularen Schwankungen einzelner Teile der Erdober- fläche“ zum Ausdruck gebracht, wobei der Redner an seine in der „Entstehung der Alpen“ ausgesprochenen Vermutungen anknüpfte. Er sprach hier mit Bestimmtheit den Satz aus, man müsse sich ent- schließen, „auch die letzte Form der Erhebungstheorie, die Doktrin von den sekularen Schwankungen der Kontinente zu verlassen“, nach- dem die Lehre von den Erhebungskratern, wie sie L. v. Buch be- fürwortet hatte, schon lange vorher aufgegeben worden sei. Es handle sich bei den bewußten Erscheinungen um Veränderungen des Meeres- spiegels, nicht um solche des festen Landes. Im zweiten Bande des „Antlitz“, der die Meere der Erde be- handelt, wurde dann dieser Gedanke nebst Allem, was sich darauf, sowie auf die Transgressionslehre und das Verhältnis der Festländer zu den Meeren bezieht, näher ausgeführt. Auch wurde die Bedeutung der Strandlinien in verschiedenen Weltgegenden, sowie der Wert der Tatsachen beleuchtet, welche bezüglich der Verschiebung dieser Strand- linien oder betrefts sonstiger Beweise für oder gegen die ältere Theorie von sekularen Niveauveränderungen dem Autor von Bedeutung schienen. Auf das Erscheinen dieses Bandes, der die Jahreszahl 1888 trägt, wurde wieder durch eine besondere Sitzung der geologischen Reichsanstalt ?) aufmerksam gemacht. Dieselbe fand am 3. Jänner 1888 unter dem Vorsitz des damaligen Direktors Stur statt und Suess hielt dabei einen fast zweistündigen Vortrag über „die Geschichte der Meere*. Einen Bericht über diese Sitzung oder irgend eine andere Notiz über diesen Vortrag sucht man freilich in den Verhandlungen der Anstalt vergebens. Dagegen waren an dem der Sitzung folgenden Tage Referate darüber fast in allen Tagesblättern Wiens zu lesen, welche Stur zum Teil sammeln und in der Bibliothek der Anstalt 1!) Vgl. Verhandl. d. k.k. geol. R.-A. 1880, pag. 171—180. 2) Es war das damals das einzige für den gegebenen Fall zur Verfügung stehende fachmännische Forum, wenn in Anbetracht der Wichtigkeit und relativen Neuheit des zu behandelnden Gegenstandes die Bekanntgabe der betreffenden Ansichten an einem Vortragsabende unserer auf die Popularisierung des Wissens bedachter Vereine vermieden werden und doch ein größeres Publikum heran- gezogen werden sollte. Die Gründung der Wiener geologischen Gesellschaft, durch welche bekanntlich ein besonderer Lieblingswunsch von Suess erfüllt wurde, er- folgte ja erst sehr viel später. a Dani TIeRze [182] aufbewahren ließ. (Es liegen hier solche Referate aus der „Neuen Freien Presse“, der alten „Presse“, dem „Neuen Wiener Tagblatt“ und der „Deutschen Zeitung“ vor.) Wir. erfahren daraus, daß ein den besten Gesellschaftsklassen angehöriges Publikum, unter welchem sich auch Parlamentarier be- fanden, den Saal der Anstalt füllte, so daß die Zuhörer vielfach nur stehend :Raum fanden und daß Viele nur von dem angrenzenden Vor- zimmer aus den Ausführungen des Redners folgen konnten, der am Schluß von dem reichsten Beifall der Versammlung belohnt wurde. Suess erklärte damals, er habe ziemlich lange gezögert, seine hier mitgeteilten Anschauungen zu veröffentlichen, weil sie anerkannten Lehrmeinungen großer Forscher widersprächen. (Er konnte da aller- dings nur die Veröffentlichung der von ihm beizubringenden Beweise meinen, denn die Fundamentalsätze seiner eigenen Theorie hatte er ja schon 1880 kundgegeben.) Er schloß mit den folgenden Worten, welche vielleicht in mancher Beziehung auch heute noch Interesse erwecken können: „In fernen Ländern, welche kaum erst der Kultur sich öffnen, lebt heute schon der Sinn für geologische Studien. So oft ich an ‚einen dieser entfernten Orte eine Anfrage richtete, ist mir jedesmal ohne Ausnahme eine freundliche Antwort und tunlichste Belehrung zuteil geworden. So haben die Ausdehnung und der Inhalt dieses Briefwechsels mich während der Arbeit unausgesetzt erinnert an. das geistige Erwachen der Welt. Man vergleiche die Um- stände, unter welchen Leopold v. Buch und auch noch Charles Lyell gearbeitet haben. Die Rechtfertigung meines Versuches liegt darin, daß manche Fragen, welche hier erörtert sind, damals noch gar nicht gestellt werden konnten.“ ° Die Bedeutung der von dem Redner geleisteten und mit diesem Vortrage der Oeffentlichkeit empfohlenen Arbeit wurde in dieser Weise HapdeBER in das rechte Licht gerückt. Es ist ein Genuß, die Einleitung zu den hier in Betracht kom- menden Ausführungen zu lesen, welche eine bis auf die älteren Zeiten zurückgehende und von eingehendstem Studium Zeugnis ablegende historische Darstellung der Auffassungen vermitteln, welche über die Frage der Strandverschiebungen verlautbart wurden. Daß auch die weiteren Darlegungen des Autors den Beweis liefern für eine der- artige eingehende Arbeitsleistung, ist selbstverständlich. Daß jedoch trotz der ausgedehnten Literaturstudien, welche mit dieser, Arbeit zusammenhingen, bei einem Gegenstand von solchem Umfange, wie ihn die vorliegende Frage bot, leicht ein oder der andere Behelf übersehen, bezüglich ein oder der andere Umstand einseitig gedeutet werden konnte, darf nicht allzusehr auffallen. So mag es kommen, daß der Eindruck eines eklektischen Vorgehens, den, wie wir gesehen haben, einige Kritiker von der Suess’schen Arbeits- methode "erhälten haben, sich auch hier teilweise wiederholen kann. In einigen Fällen ist es sogar augenscheinlich, daß der Autor Tat- sachen, die seiner Auffassung zuwiderliefen, auf Grund einer vorge- faßten Meinung in ihrer Bedeutung nicht anerkennen wollte. 183] Einige Seiten über Eduard Suess, HE: Charakteristisch für die impulsive Art des alten Meisters,’ sich. jeweilig ganz einer Lieblingsidee hinzugeben, ist jedenfalls der ‚Um-, stand, daß derselbe darauf verzichtete, auch nur die Möglichkeit 'zu erwägen oder zuzulassen, daß zweierlei Ursachen, nämlich sowohl Ver- änderungen des Meeresstandes als Bewegungen des Festen an den mit Verschiebungen der Strandlinie zusammenhängenden Erscheinungen‘ Anteil haben könnten. Es erinnert uns deshalb der hier erörterte Fall an die Betrachtung des einseitigen tangentialen Schubes, wo die Mög-, lichkeit der Kompression einer zur Faltung gezwungenen Gebirgsmasse: von zwei Seiten kaum in Erwägung gezogen wurde!). Unser Autor scheint jedoch gerade diese einseitige Betrach tungsweise für natürlich und selbstverständlich gehalten zu haben. An einer Stelle des II. „Antlitz“-Bandes (pag. 27) spricht Suess sogar seine Verwunderung darüber aus, daß Lyell, der doch’ stets: „ein lebhafter Gegner der Erhebung vulkanischer Berge“ gewesen sei, an der Annahme kontinentaler Erhebungen festgehalten habe und.er. findet einen besonderen Widerspruch im Verhalten des. englischen Forschers noch darin, daß derselbe trotzdem die Theorie Grolls als: „die Enthüllung einer bisher vernachlässigten vera causa einer ge- wissen Schwankung der Höhe des Ozeans anerkannte“. Mancher Andere wird dagegen glauben, daß man sich nicht widerspricht, wenn man mit einer gewissen Umsicht den verschiedenen Beziehungen, welche sich bei der Behandlung eines Problems darbieten können, gerecht zu werden sucht und die Vorgänge in der Natur nicht ausschließlich unter einem einseitigen Gesichtspunkte betrachtet. Suess hat das letztere zwar mit Vorliebe getan, aber die Widersprüche zwischen seinen Aeußerungen sind ihm, wie wir gesehen haben, deshalb doch nicht erspart geblieben oder vielleicht gerade dadurch hervorgerufen worden. Es ist leicht möglich, daß das oben erwähnte Bestreben, eine allgemeine einheitliche Ursache für die Transgressionen zu: finden, bei dem Autor den Gedanken an verschiedene, unter Umständen gleichzeitig oder teilweise abwechselnd wirkende Ursachen des von ihm im gegenwärtigen Falle behandelten Phänomens von vornherein zurückgedrängt hat. Auf diesen vorhin schon im Allgemeinen berührten Punkt wollen, wir also vor Allem unter Bezugnahme auf die besonderen von Suess- hier vorgebrachten Ideen mit einigen Worten eingehen. Schon in jener vorläufigen Mitteilung in den Verhandlungen der. Reichsanstalt (l. c. pag. 177) wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht „Schwankungen in der Länge des Tages, bezüglich in der Intensität. der Zentrifugalkraft an dem betreffenden Rhythmus der Meeresbedek- kungen die Schuld tragen könnten, welchem Rhythmus auch eine Menge anderer Erscheinungen, nicht bloß die Transgressionen, sondern auch, gewisse Eigentümlichkeiten in der Verbreitung der organischen Wesen zuzuschreiben seien. 4 Jedenfalls wurde auch im II. Band des „Antlitz der Erde“ an der Gleichzeitigkeit der Meeresverschiebungen gegen beide Pole oder 1) Wenigstens geschah dies, wie wir sahen, erst sehr spät, als die betref-, fende Hypothese schon längst vorgebracht worden war. 516 Dr. Emil Tietze, [184] umgekehrt gegen den Aequator zu festgehalten und damit der an die Verhältnisse der Exzentrizität der Erdbahn anknüpfende Ge- sichtspunkt verlassen, den Adhemar und seine Anhänger als astro- nomischen Grund für eine an beiden Polen wechselnde Zunahme oder Abnahme der Meeresbedeckung in den Vordergrund gerückt hatten !). Fir jene Gleichzeitigkeit berief sich Suess (l. ce. II. Bd. pag. 21) unter Anderem auf die Ansichten Domeykos und eben diese Gleich- zeitigkeit, des Eintretens ähnlicher Meeresspiegelverhältnisse schien ihm besonders gegen die Elevationstheorie zu sprechen, in deren Sinne die Erhebungen einen mehr lokalen Charakter tragen müßten. Es war das ein Argument, dem man die Bedeutung nicht absprechen kann, wenn man nämlich in allen Fällen von einer wirklichen Gleich- zeitigkeit mit Recht sprechen darf, was, wie gezeigt werden soll, nicht sicher feststeht und worauf wir vorhin schon im Allgemeinen hin- gewiesen haben. Auch die Ansichten Bells wurden erwähnt, der von der gleich- zeitigen Bildung der Eiskalotten an den Polen und gleichzeitigen ‚ Meeresschwankungen auf Grund von Aenderungen in der Schiefe der Ekliptik gesprochen hatte (siehe ]. c. II. Bd., pag. 25 u. 26). Besonders aber neigte sich Suess in seinem Wunsche, die Veränderungen der Meeresbedeckung im Sinne eines zeitweiligen Abfließens des Wassers nach beiden Polen und eines ebensolchen Zurückströmens in der Richtung des Aequators zu erklären, dem Gedanken zu, daß eine abwechselnd größere oder geringere Rotations- geschwindigkeit der Erde die Verhältnisse der marinen Terrassen und überhaupt das Phänomen der nach seiner Meinung nur schein- baren Hebungen und Senkungen des festen Landes bedingt haben könne. Eine derartige Aenderung der Rotation könnte jedenfalls Wir- kungen hervorrufen, wie sie in den Kreis der betreffenden Anschauungs- weise hineinpassen würden und in dieser Beziehung wäre gegen den Gedankengang des großen Autors kein Einwand zu erheben. Es scheint nun allerdings eine allgemein zugelassene Annahme der Physiker und Astronomen nicht zu bestehen, wie sie als sichere Grundlage für die Spekulation von Suess in diesem Fall benützt werden könnte. Immerhin sind ähnliche Gedanken bereits der Erör- terung unterworfen worden, so daß jene Spekulation nicht als eine so seltsame beurteilt werden mag, wie sie auf den ersten Blick scheint, insofern ja unter normalen oder besser gesagt unter den uns sicher und genauer bekannten Verhältnissen ein Grund für die periodische Beschleunigung der Rotation nicht ersichtlich ist. Soweit für diese Beziehungen die Frage einer Veränderlichkeit der Erdachse in Betracht käme (ein Umstand, auf welchen auch Brückner in seinem Werke über die feste Erdrinde [pag. 151] hinwies), könnte man an die Diskussion erinnern, welche von Hill ') Vgl. hier auch außer den übrigens auch von Suess diskutierten Ab- handlungen von Adh&mar, Croll und Schmick auch die mehr unbeachtet gebliebenen interessanten „Schriften von Pilar: „Die Exzentrizität der Erdbahn als Ursache der Eiszeit.“ Agram 1872 und „Ein Beitrag zur Frage über die Ur- sachen der Eiszeit“. Agram 1876. [185] Einige Seiten über Eduard Suess. : 517 und Fisher im 5. Band der 2. Serie des „Geological Magazine“ geführt wurde. Auch an die Ausführungen von Newcomb!) könnte man denken, der es für möglich hielt, daß die Achsendrehung Un- gleichheiten von langer Periode und unregelmäßigem Charakter unter- worfen sei und daß unter Umständen auch eine beschleunigte Rota- tion sich einstellen könnte, bei welcher Betrachtung allerdings die Annahme eines flüssigen Erdinnern eine notwendige Voraussetzung bildet. S. Günther, der sich über das betreffende Problem ziemlich ausführlich verbreitet, findet indessen?), daß für eine erhebliche Ab- lenkung der Erdachse von einer früher eingenommenen Lage „nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht“, noch kleiner sei aber die Wahrscheinlichkeit „einer nachweisbaren Veränderung der Rotations- geschwindigkeit“. Er fügt allerdings hinzu : „wenigstens soweit es sich um historische Zeiten handelt.“ Reyer, indem er ähnlich wie Suess, nur vielleicht noch ausgesprochener der Ansicht huldigt, daß revolutionäre Epochen (bei der Gebirgsbildung wie bei Transgressionen und dergleichen) mit ruhigeren Zeiten in der Erdgeschichte gewechselt haben und daß „gewisse Wandlungen gleichzeitig weit entlegene Gebiete“ betrafen, hält jedenfalls Aenderungen der Rotation als Ursache der kritischen Epochen für möglich, ohne sich aber näher über diesen Gegenstand zu äußern, um seine Vermutung zu unterstützen. Seine Meinung ist demgemäß nur ein Rückschluß von einer Voraussetzung auf die andere und überdies gibt Reyer zu, daß dies nicht die einzige Möglichkeit für die Erklärung jener großen Wandlungen sei)” Aber man erkennt hieraus das Bedürfnis mancher Theoretiker, eine vom physikalischen Standpunkt aus zulässige Grundlage für die Annahme von Katastrophen zu schaffen, obschon man sich auch für diesen Fall sagen darf, daß rhythmische Aenderungen der Rotation, wenn sie tatsächlich eintreten, nicht notwendig die für Katastrophen erforderliche Plötzlichkeit aufweisen müßten, Immerhin scheint der Gedanke an die zeitweilige Zunahme der Rotationsgeschwindigkeit für gewisse Köpfe ein naheliegender zu sein, so daß Suess in diesem Punkte keineswegs ganz isoliert dasteht. Der Amerikaner Chamberlin, der übrigens weder andere Forscher noch Suess hierbei citiert, also wahrscheinlich ganz un- abhängig von anderen Autoren zu seiner Vermutung gelangte, spricht ebenfalls in seinem Lehrbuch der Geologie t) von einer Beschleunigung der Rotation, ohne indessen die Möglichkeit eines solchen Vorganges zu begründen. !) On the possible variability of the earths axial rotation, Boston 1874. 2) Vgl. in dessen Geophysik I. Bd., Stuttgart 1884 das Kapitel über Unver- änderlichkeit der Rotationsachse und Rotationsdauer pag. 213 etc., insbesondere pag. 216. 3) Geologische Prinzipienfragen, Leipzig 1907, pag. 183. Reyer bemerkt übrigens, daß der ununterbrochene Zusammenhang des organischen Lebens mit den von ihm angenommenen Revolutionen nicht ganz vereinbar scheine. Was die Ansichten von Suess über diesen Punkt betrifft, vgl. oben das Kapitel über das Verhältnis desselben zur Deszendenzlehre. *) Geology, New York 1904, pag. 549. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66 Bd, 3. u. 4. Heft. (E. Tietze) 68 518 Dr. Emil Tietze. [186] Suess seinerseits war in diesem Falle allerdings nicht so kühn, die Frage ganz ohne Hintermann anzugehen. Er stützte sich!) auf eine Darlegung des Mathematikers Frisi?), der unter Anderem die Meinung aussprach, daß jeder in der Verdichtung begriffene Körper, welcher sich um eine bestimmte Achse dreht, eine Beschleunigung der Rotation erfahre, womit jedenfalls, wenn dies zugestanden wird, eine der Schwierigkeiten für die in Rede stehende Hypothese be- seitigt wäre?). Schließlich aber hat Suess im Schlußbande des „Antlitz“ nur mehr in sehr unbestimmter Weise die betrefiende Idee festgehalten. Dort, wo er die Ansichten des jüngeren Darwin (des Mathematikers) und dessen Ausführungen über Verlangsamung der Rotation sowie die Verlängerung des Tages erwähnt ?), spricht er auch von den Aufgaben, die einerseits dem Mathematiker und andrerseits dem Geologen in diesen Fragen gestellt sind und bezeichnet als eine jener Aufgaben das Suchen nach den Spuren einer schnelleren Rotation. Darin liegt doch schon das Zugeständnis der Unsicherheit für die betreffende Annahme. An einer anderen Stelle aber’) redet er von der Schwie- rigkeit, die Transgressionen zu erklären. Es heißt dort: „Neben der ununterbrochenen positiven Wirksamkeit der zugetragenen Sedimente scheinen sie (nämlich die Transgressionen) bald unter einem kaum. erklärbaren Einfluß der Rotation zu stehen, bald möchte man fragen, ob irgend eine mächtige tektonische Veränderung, sei es die allmähliche Auffaltung eines Gebirges oder eine neue Senkung den Schwerpunkt der Erde beeinflußt hat und infolgedessen Ausglei- chung eingetreten”ist“ durch eine „Veränderung der Gestalt der Hydrosphäre“. Das spricht ebenfalls für Zweifel und Bedenken, welche dem Autor schließlich über diesen Punkt seiner Theorie aufge- stiegen sind. ‚,, Man darf sich übrigens gestehen, daß es eine besonders schwie- rige Aufgabe wäre, gerade vom geologischen Standpunkte die absolute Gleichzeitigkeit der mit den Transgressionen zusammenhängenden Vorgänge, bezüglich auch der marinen Terrassenbildung für beide Halbkugeln der Erde (die nördliche und die südliche) nachzuweisen. Beispielsweise würde ja eine im Sinne der allgemeinen Formations- lehre ungefähre Gleichzeitigkeit für die norwegischen und patagoni- schen Küstenterrassen auch bei Zulassung der Adhemar’schen Hypo- these oder einer dieser ähnlichen Vorstellung bestehen, insofern die Bildung dieser Terrassen, auch wenn ihre Entstehung nicht im engsten Sinne gleichzeitig gewesen sein sollte, doch ein und derselben größeren, durch gemeinsame Merkmale ausgezeichneten Epoche angehört. In beiden Fällen handelt es sich um Vorgänge der älteren Quartärzeit. Dieses Zeitalter ist aber immerhin groß genug, um Spiel- raum für allerhand Kombinationen zu bieten, und wir dürfen uns wohl ‘) Vgl. „Antlitz“, II. Bd., pag. 14 unten und pag. 15 oben. °) De aucta et imminuta.marium altitudine. Mailand 1782. °). Daß übrigens Playfair sich schon im Jahre 1802 gegen Frisi ausge- sprochen hat, hebt Suess selbst hervor. *) „Antlitz“, III/2, pag. 696. °) Ibidem pag. 723 unten und pag. 724. [187] Einige Seiten über Eduard Suess. 519 daran erinnern, daß Suess selbst (II. „Antlitz*-Band, pag. 32) es als eine der gefährlichsten Quellen des Irrtums bezeichnet hat, Strandlinien verschiedenen Alters als zusammengehörig . aufzufassen. Das aber wäre beim Vergleich so weit von einander entfernter Gebiete leicht möglich. Um wieder einen Vergleich mit der der Erdgeschichte so vielfach analogen Menschheitsgeschichte zu ziehen, so faßt man doch zum Beispiel das Zeitalter der punischen Kriege als eine gewisse Einheit zusammen, ohne deshalb etwa Hannibal und Scipio Aemilianus als unmittelbare Zeitgenossen zu betrachten; man spricht von den Zeiten dieser oder jener altägyptischen Dynastie oder man redet von einem Zeitalter der Renaissance und versteht darunter die Aufeinanderfolge von Geschlechtern, deren Kulturzustand gewisse gemeinsame Merkmale aufweist, ohne daß man das Verhältnis der betreffenden Generationen als direkt zeitgenössisch betrachtet. Dabei stehen aber den Kulturhistorikern vielleicht noch mehr Mittel für ihre Unterscheidungen von kleineren Perioden innerhalb jener Zeitalter zur Verfügung als dem Geologen, der sich, sobald es sieh nicht um mehr oder weniger regional eingesehränkte Zeitparalleli- sierungen handelt, mit seinen Zeitbestimmungen in der Regel in einem allgemeinen Rahmen halten muß. Die seitens der Fachgenossen geübte Kritik des hier.besprochenen Teils der Suess’schen Theorie hat sich übrigens -mit den allgemeinen Voraussetzungen derselben, wie sie in diesem speziellen Falle ver- lautbart wurden, bisher wenig abgegeben. Sie setzte, was begreiflich ist, mit der Diskussion der Beobachtungen ein, welche mehr oder weniger direkt für die Beurteilung der sekularen Hebungen und Senkungen in Betracht kommen. Daß diese Vorgänge von Suess geleugnet wurden, sofern solche Bewegungen des Festen nicht auf Einstürze zurück- zuführen seien oder sofern sie nicht indirekt mit der. Gebirgsfaltung zusammenhängen würden, verstieß ja am meisten gegen die herge- brachten Ansichten. Einer der ersten, welche sich gegen die Si uess’schen Vorstellungen erhoben, war kein Geringerer als Herr v. Dechen!),der schon.bald nach der Veröffentlichung jenes 1830 in der Reichsanstalt gehaltenen Vor- trages und ohne die damals in Aussicht gestellten späteren Ausführungen von Suess abzuwarten, seinen Bedenken gegen die. neue Hypothese Ausdruck gab). Vor allem betonte dieser Kritiker, daß man es hier eigentlich gar nicht mit einer neuen Theorie zu tun habe, da Celsius schon im Jahre 1743 ähnliche Ansichten vertreten habe, ebenso wie auch bereits Linne die Sichtbarkeit von Strandlinien über dem’ heutigen Meeresspiegel nicht einer Hebung des Landes, sondern einem Sinken jenes Meeresspiegels zuschrieb. ‘) Wenigstens die älteren der lebenden Geologen werden sich des Ansehens erinnern, welches Dechen seinerzeit besonders in Deutschland genoß. hen e ?®) Ueber die vermeintlichen Schwankungen einzelner Teile der Erdober- fläche. Aus den Sitzungsberichten der niederrheinischen Bellehun für Natur- und Heilkunde. Bonn 1880. 68* 520 Dr. Emil Tietze. [188] Der Vorwurf der Vernachlässigung der älteren Literatur, welcher in diesen Bemerkungen zu liegen schien, erscheint uns heute allerdings ziemlich überflüssig. Dechen durfte jedoch von seinem Standpunkte aus diese Prioritätsfragen aufwerfen, weil er damals nicht ahnen konnte, in wie umfassender Weise später von Suess die geschichtliche Ent- wicklung der Angelegenheit dargelegt werden würde. Dechen berief sich sodann im Besonderen auf die Verhält- nisse in Norwegen, wo zum Beispiel in der Gegend von Hammerfest zwei übereinanderliegende Strandlinien nicht allein je einzeln ungleiche Höhen über dem Seespiegel aufweisen, sondern wo dieselben bei- den Strandlinien auch untereinander nicht parallel sind und beispiels- weise in einer Entfernung von höchstens 4!/, geographischen Meilen, das einemal einen senkrechten Abstand von einander im Betrage von 39 Meter, das andere Mal einen solchen von nur 15 Meter besitzen. Aehnliche Beispiele wurden aus dem Gebiet des Kristianiafjords und des Nordfjords angeführt. Uebrigens habe bereits Naumann in seinem Lehrbuch der Geognosie ausdrücklich auf die sehr verschiedenen Höhen hingewiesen, zu welchen ein und dieselbe Strandlinie ansteige. Die Kritik Dechens war sehr scharf, aber doch, wie gleich hier gesagt werden soll, nicht im Stande, Suess von seinen Vor- stellungen abzubringen, der in den betreffenden Ausführungen seines großen Werkes die skandinavischen Strandlinien besonders eingehend besprach und verschiedene Unstimmigkeiten, welche gegen seine Theorie zu sprechen schienen, dadurch zu beseitigen suchte, daB er zwischen echten und unechten Strandlinien unterschied. Nicht alle Terrassen seien echt marin. Während der Eiszeit seien manche Fjorde durch vorgelagerte Eisströme zeitweilig abgesperrt gewesen. Dadurch hätten sich Seen gebildet, deren Wasserspiegel eigene Höhenlagen besaßen, so daß man nur solche Terrassen miteinander in Zusammenhang bringen dürfe, welche dem offenen Meere zugekehrt seien. Was im Besonderen die Terrassen bei Hammerfest betreffe, so sei durch spätere Beobachtungen deren Parallelismus erwiesen und Bravais, aus dessen Angaben früher das Gegenteil gefolgert wurde, scheine Stücke verschiedener Strandlinien und Terrassen in dieselbe Linie der Messungen gezogen zu haben“ („Antlitz“, II. Bd., pag. 19). Damit schien eine sehr empfindliche Stelle der Theorie gegen weitere Angriffe einigermaßen gesichert zu sein. Der Widerspruch v. Dechens blieb übrigens nicht vereinzelt und selbst unter den Schülern von Suess gab es nicht überall un- bedingte Zustimmung zu dessen Ideen, gleichviel, ob die betreffenden Aeußerungen sich auf Terrassen der Küste oder auf Verhältnisse des Binnenlandes bezogen. Daß wenigstens die Anschauungen Carl Dieners in dessen „Libanon“ (Wien 1886), der sich zwar damals in mancher Hinsicht den Vorstellungen des Meisters anschloß, sich gerade in diesem Punkte nicht ganz in dessen Fahrwasser bewegten, habe ich seiner- zeit schon in einem Referat über das letztgenannte Werk an- see £ Darauf ist auch bald nachher von A. Bittner hingewiesen ) Vera, d. k.k. geol. R.-A. 1886, pag. 359. [189] Kinige Seiten über Eduard Suess. 5921 worden !), der zu der Auffassung gelangte, daß Diener im Grunde genommen den Suess’schen Standpunkt völlig preisgegeben habe. Bittner, der ja auch zu den Schülern von Suess gehörte, nahm sich überhaupt energisch der alten, bis dahin herrschend gewe- senen Meinung in dieser Frage an?). Er betonte, daß bei der Auf- richtung der Gebirge eine vertikal nach aufwärts gerichtete Bewegung zu den wesentlichen Voraussetzungen gehöre und nicht bloß als neben- sächliche Begleiterscheinung aufgefaßt werden dürfe. Suess selbst habe übrigens durch das Zugeständnis, welches er dem Einfluß der Faltung bei der Auftürmung der Gebirge macht, seine Theorie in diesem Punkte mehr abgeschwächt, als seine Anhänger zuzugeben geneigt schienen. Immerhin umfaßte die sonst klare Argumentation Bittners das in Rede stehende Problem nicht in dem Umfange, in dem es Suess gefaßt hatte, denn viele.der Tatsachen, welche man bisher als Ergebnisse sekularer Hebung angesehen hatte, standen ja mit der Faltung der Gebirgsketten nicht in unmittelbar greifbarer Beziehung. Eine sehr entschiedene Ablehnung der von Suess aufgestellten Lehre erfolgte ebenfalls noch vor dem 1888 erfolgten Erscheinen des zweiten „Antlitz“-Bandes von Paris aus, und zwar unter .allgemeineren Gesichtspunkten als sie sich, ähnlich wie bei Dechen, bloß aus der Betrachtung der diluvialen Terrassen oder der noch jüngeren An- zeichen von Strandverschiebung ergaben. Schon in der 2. Auflage seines Traite de geologie (pag. 1442) hatte Lapparent einige kurze Bedenken gegen jene Hypothese veröffentlicht. Da diese Einwände jedoch, wie ihm schien, unbemerkt geblieben waren, so glaubte er dieselben in einem besonderen Aufsatz ausführlicher begründen ?) zu sollen, wobei er sich allerdings nicht streng auf eine Polemik gegen den Gedanken beschränkte, daß die Veränderlichkeit des Meeresspiegels die Ursache der wirklichen oder scheinbaren Veränderungen der Höhenverhältnisse des Festlandes seien, sondern in erster Linie direkt für die Notwendigkeit der Annahme von Erhebungen der Landgebiete eintrat. Insbesondere sprach er sich gegen die Vorstellung aus, daß die von Suess so genannten „Horste“ überall nur stehengebliebene Reste in einer ringsum eingesunkenen Umgebung seien, während sie in etlichen Fällen im Gegenteil einer aufwärts gerichteten Bewegung ihr Ent- stehen verdankten. Das wurde besonders für den durch den Rhein getrennten Horst der Vogesen und des Schwarzwaldes behauptet, welcher entsprechend der alten Idee Elie de Beaumonts als ein in der Mitte aufgebrochenes Gewölbe aufgefaßt werden müßte. !) Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1886 in dem Artikel über die neuesten Wandlungen in den modernen Ansichten über Gebirgsbildung pag. 374 ete., speziell pag. 379. ?) Vgl. hier besonders den ersten Teil des Artikels „Ueber einige geo- tektonische Begriffe und deren Anwendung“ im Jahrb. d. k.k. geol. R.-A. 1887, zum Beispiel pag. 399 und vgl. auch Verhandl. d. k.k. geol. R.-A. 1886, pag. 374. 3) Conference sur le sens des mouvements de l’&corce terrestre, bulletin ‘de la soei6te geologique ıle France, 3. serie t. XV, pag. 215—238. Paris 1887. 522 Dr. Emil Tietze. [190] Lapparent berief sich auch auf die Höhenlage gewisser jüngerer mariner Tertiärbildungen (l. c. pag. 232), wie derjenigen des Zancleen in Kalabrien, die nach Seguenza in einer. Seehöhe von 1200 Meter oder wie diejenigen des Pliocäns im Gebirge von Palmyra, welche nach Diener in 650 Meter Seehöhe angetroffen werden. Auch gedachte er (l. c. pag. 231) der Stellung des vielfach von Meeresablagerungen erfüllten Wiener Beckens und fügte im Hinblick auf die von Suess im Gegensatz zu den sekularen Seespiegelschwankungen betonte Idee von Einstürzen die Bemerkung hinzu: „Singuliers effondrements, en verite, qui, partout oü ils se produisent, ont pour consequence regu- liere l’acroissement' de la terre ferme.“ Vielleicht sind nicht alle Argumente des französichen Gelehrten völlig oder in jeweilig gleicher Weise beweiskräftig gewesen. Wenn wir zum Beispiel beim jüngeren östreichischen Tertiär zunächst nur an das Wiener Becken im engeren Sinne denken und andere sogleich noch zu erwähnende Vorkommnisse unberücksichtigt lassen wollen, so könnte man sehr wohl gerade in diesem Fall von einem Einbruch vor oder noch während des Absatzes des Miocäns sprechen und sich dabei vorstellen, daß etwa durch eine seit dem Absatz des Pliocäns stattgehabte Vertiefung der Ozeane ein Fallen des Meeresspiegels gewisse Gebiete, die das weitere Absinken nicht in entsprechendem Maße mitmachten, trocken gelegt und damit denselben zu einer schein- baren Hebung verholfen hätte !). Eine stärkere Anspannung der Phantasie würde aber dazu ge- hören, wenn man Aehnliches für jene noch höher gelegenen Jüngeren Bildungen bei Palmyra und in Kalabrien behaupten wollte. In jedem Falle jedoch müßte man sich die Konsequenzen klar machen, welche ein ehemaliger so hoher Meeresstand für die anderen festländischen Gebiete in Bezug auf die Ausbreitung gleichzeitiger Ablagerungen hätte haben müssen und sich fragen, ob sich denn darauf bezügliche Erfah- _ rungen beibringen lassen, welche mit der von Suess vorgeschlagenen Theorie in Uebereinstimmung zu bringen wären. In dieser Beziehung deutet der Aufsatz Lapparents, auf dessen nähere Analyse ich hier des beschränkten Raumes wegen verzichten muß, ebenfalls die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten an, und man darf sagen, daß durch diese Darlegung schon allein der älteren, das heißt der vor dem Eingreifen von Suess herrschenden Ansicht, wonach Hebungen auch ohne direkten Zusammenhang mit Gebirgsfaltungen als wahr- scheinlich angenommen wurden, wieder zu ihrem Recht verholfen \ ‘) Natürlich ist es im Vergleich mit dieser Vorstellung etwas Anderes, wenn wir das inneralpine Wiener Becken für eingesunken halten, was ja eine durchaus zulässige Annahme bleibt, aber das gesamte Gebiet desselben samt seiner Umran- dung für später im Ganzen gehoben halten. Daß man übrigens die Verhältnisse dieses Beckens nicht ohne Rücksicht auf die Höhenlagen des Miocäns in anderen Teilen Europas und besonders Oester- reichs beurteilen und die verschiedenen paläographischen Beziehungen, die sich hier ergaben, nicht vernachlässigen darf, darauf habe ich im Anschluß an meine älteren Arbeiten in der gegenwärtigen Schrift bereits hingewiesen (vgl. das Kapitel über Tertiärgeologie pag. [41] und in dieser Hinsicht würden auch die gleich weiterhin folgenden Bemerkungen über das Tertiär in Mähren 'zu ver- gleichen sein. [191] Einige Seiten über Eduard Suess. 593 wurde ‘oder doch hätte verholfen werden können, wenn gegenüber einer .neuen Strömung in der Wissenschaft wie in anderen Dingen Argumente stets unmittelbar wirksam wären. Manche Anhänger der Suess’schen Lehre haben sich übrigens über gewisse Unzukömmlichkeiten derselben dadurch hinweggeholfen, daß sie zur Erklärung von solchen Hebungen, die mit dem eigent- lichen Faltenbau von Gebirgen nicht in direkte Beziehung zu bringen waren, Falten von großer Amplitude annahmen, durch welche die Emportreibung gewisser Gebirgsmassen sozusagen en bloc erfolgt sein könnte !). Durch diese Vorstellung würde ein vermittelnder Ausgleich zwischen den zwei sich hier entgegenstehenden Meinungen geschaffen werden. Freilich wäre dies streng genommen nur scheinbar der Fall, denn die Hebung von Gebirgsmassen im Ganzen, gleichviel, wie wir dieselbe zu erklären versuchen, ist eben im Allgemeinen das, was man sonst als eine sekulare Hebung bezeichnet hat, oder (wenn wir auch an ungefaltete Tafelländer denken wollen) gehört wenigstens dazu. Immerhin konnten sich die Anhänger von Suess zur Annahme solcher Falten von großer Spannweite anfänglich ermutigt fühlen, inso- fern Suess selbst noch in der „Entstehung der Alpen“ :eine solche Auffassung zugelassen hatte. Einer derartigen Ermutigung wurde aber die Stütze entzogen, als der Autor des „Antlitz* im zweiten Bande dieses Werkes (pag. 28) erklärte, sein Versuch, auf die angegebene Weise seine Gedanken über Gebirgsbildung mit den Lehren älterer Meister, denen er vertraut habe, in Einklang zu bringen, sei doch eigentlich „unbefriedigend“ gewesen. Damit war allerdings die Brücke zwischen den besprochenen zwei gegensätzlichen Meinungen abge- brochen. Was die oben erwähnten Verhältnisse des östreichischen jüngeren Tertiärs betrifft, so können wir nicht umhin, darauf zurückzukommen und es mag bei dieser Gelegenheit noch darauf hingewiesen werden, daß die Lage und Verbreitung der marinen Miocänschichten in Oester- reich, wenn eben nicht bloß das eigentliche Wiener Becken in Be- tracht gezogen wird ?), in mehrfacher Hinsicht leichter erklärt werden, sofern man die Annahme kontinentaler Hebungen für gewisse Gebiete zuläßt. Darauf hinauslaufende Ansichten sind auch in der Tat von einigen Beobachtern ausgesprochen worden, die dabei speziell von den betreffenden Verhältnissen in Mähren ausgingen °). !) Auch ohne im Uebrigen der Suess’schen Hypothese zuzustimmen, glauben Forscher wie Supan (Phys. Erdkunde l. c. pag. 389) jdie Annahme von Falten großer Spannweite nicht ausschließen zu dürfen, während bekanntlich Neumayr, der sich ja mehrfach, wenn auch vorsichtig den Suess’schen Auf- fassungen anzupassen suchte, noch vor dem Erscheinen des zweiten Antlitzbandes, also noch vor der schließlich erfolgten Ablehnung der betreffenden Annahme durch Suess, die große Ungleichmäßigkeit des Materials und des Zusammen- hanges in der Erdrinde gegen die Vorstellung einer ausgedehnten flachen Falten- bildung ins Treffen führte. (Erdgeschichte, I. Bd., 1886, pag. 348.) ?2) Vgl. hiezu pag. [42] der heutigen Darstellung und nochmals die Anmer« kung 1 auf der vorigen Seite. 5) Makowsky u. Rzehak in der Schrift über die geol. Verh. d. Umge- bung von Brünn, 1884, pag. 132 und Rzehak, pag. 20 des Separatabdrucks von. Geol. Ergebnisse einiger in Mähren durchgeführter Brunnenbohrungen. Mitteil. d. mähr.-schles, Ges. für Ackerbau, Natur- und Landeskunde 1889. 594 Dr. Emil Tietze. [1 99 Suess selbst hatte sich zwar an einer Stelle seines großen Werkes!) dort, wo er von dem Auftreten der sogenannten Il. Me- diterranstufe in Mähren spricht, mit den stellenweise auffallend hohen Lagen des Miocäns daselbst beschäftigt, indessen weitere Konsequenzen aus dieser Tatsache gerade für seine gegen die Annahme sekularer Hebungen gerichtete Theorie nicht gezogen. Ich meinerseits habe dann bei meinen Arbeiten in Mähren, Schlesien und dem mährisch-böhmischen Grenzgebiet?) nicht allein die Fragen diskutiert, welche sich auf jene Höhenlagen des marinen Miocän beziehen, sondern auch darauf hingewiesen, daß dieses Miocän stellenweise direkt auf der in dem genannten Grenzgebiet verlaufenden europäischen Wasserscheide auftritt und sogar darüber hinaus nach Böhmen in das Stromgebiet der Elbe vordringt, ohne jedoch weiterhin in dem Hauptgebiet von Böhmen eine Fortsetzung zu finden. Ueber- dies konnte ich darauf aufmerksam machen, daß auch noch jüngere Schotterbildungen hoch auf der genannten Wasserscheide angetroffen werden. Es sind das jedenfalls Verhältnisse, welche die Vermutung nahelegen könnten, daß dort in geologisch junger Zeit Erhebungen des Landes stattgefunden haben und ich habe der Zulässigkeit dieser Vermutung auch tatsächlich nicht widersprochen, sondern deren Mög- lichkeit von Anfang an zugestanden. Wenn ich mir trotzdem bei der Diskussion jener Tatsachen gegenüber der Annahme solcher Hebungen Zurückhaltung auferlegte und teilweise auch nach anderen Erklärungsmöglichkeiten suchte, so geschah dies, weil es mir widerstrebte, die Theorie der sekularen Hebungen ohne Weiteres als einen deus ex machina zu benützen, wie das ja vielleicht in manchen Fällen ähnlicher Art von Seiten der Autoren bequem gefunden wurde. Als eine prinzipielle Zustimmung zu der Anschauung von Suess war das nicht aufzufassen. Daß vielmehr zu den Zweiflern, welche sogar bereits vor dem Erscheinen des zweiten „Antlitz“-Bandes ihre Bedenken gegen die hier besprochene Hypothese vorbrachten, auch ich selbst gehörte, geht nach dem oben Gesagten schon aus den Bemerkungen hervor, die ich über Dieners Libanon machte. | Aber auch schon vor dem Erscheinen dieses Referates hatte ich sowohl in einer Arbeit über die geognostischen Verhältnisse der Gegend von Lemberg ?), wie in der zweiten Folge meiner Bemerkungen über die Bildung von Quertälern *) Gelegenheit gehabt, gewisse Unzukömmlich- keiten zu betonen, welche sich aus der Annahme der betreffenden Suess’schen Ansichten ergeben würden. Ich bezog mich damals unter Anderem auf die durch Hartung betonte Tatsache, daß auf Madeira das Miocän ohne Spur von Faltung bis zur Höhe von 1350 Fuß reicht !) „Antlitz“, I. Bd., pag. 410. ?) Die geognostischen Verhältnisse der Gegend von Olmütz. Jahrb. d. k.k. geol. R.-A, 1893, pag. 562, Erläuterungen zur geol. Karte der Gegend von Freudental, Wien 1898, pag. 48 und die geogn. Verhältnisse der Gegend von Landskron und Gewitsch. Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1901, pag. 702-706 (pag, 386—390 d. Separ.-Abdr.). °) Jahrb. d. k.k. geol. R.-A. 1882, pag. 68-71 und pag. 108. *) Jahrb. d. k. k. geol. R.-A. 1832, pay. 730-734. [193] Einige Seiten über Eduard Suess, 525 und daß die mächtigen Schichtenverbände des Colorado-Cafon hori- zontal gelagert, also ohne Vermittlung der eigentlichen Gebirgsbildung bis zur Höhe von wenigstens 5000 Fuß über dem heutigen Seespiegel liegen und ich betonte im Hinblick auf die Verhältnisse des nordischen Erraticums in Osteuropa bei Zugrundelegung der zu jener Zeit sieg- reich gegen die alte Drifthypothese vordringenden Vergletscherungs- theorie, daß die Differenz zwischen der Seehöhe der höchsten nor- dischen Diluvialterrassen und der Seehöhe des nordosteuropäischen Tieflandes viel zu groß sei, um durch ein seinerzeitiges Ansteigen des Meeresspiegels gegen den Pol hin erklärt zu werden, zumal ja doch im Großen betrachtet nach Ausschaltung der Drifthypothese die marinen Diluvialabsätze in jenem Tieflande keine große Rolle mehr spielten. Im Uebrigen machte ich auch darauf aufmerksam, daß Suess auf die verschieden große Massenattraktion der Festlandsmassen und ihrer für die Polargebiete in Betracht kommenden eventuellen Eis- bedeckungen bei seinen Spekulationen gar nicht Bedacht nahm, ein Punkt, der dann allerdings in der Einleitung zum „Antlitz“ (pag. 3) kurz berührt wurde (wenn auch nur um im Allgemeinen die Möglichkeit von Verschiebungen und Ungleichheiten des Seespiegels zu zeigen), dem jedoch später (II. Bd., pag. 32) eine größere Bedeutung über- haupt nicht mehr beigemessen zu werden schien). Besonders hervorheben darf ich jedoch hier, daß meinen Bei- trägen zur Geologie von Lykien?) ein besonderer Abschnitt über die Niveauveränderungen an der Iykischen Küste beigefügt wurde, in welchem verschiedene Umstände zur Sprache gelangten, die mir für die Beurteilung jener Hypothese von einiger Bedeutung schienen. Ich erwähnte die von der See teilweise inundierten Sarkophage, welche gleich zahlreichen ähnlichen über das ganze Land zerstreuten Sarkophagen einst ebenfalls auf trockenem Boden standen. Ich be- schrieb ferner gewisse alte Steinbrüche (bezüglich solchen ähnliche Arbeiten im festen Gestein), welche mit ihrer Basis im Wasser stehen, sowie im festen Fels ausgehauene zur See führende. Stiegen, deren unterste Stufen heute vom Meere bedeckt sind. Ich machte überdies darauf anfmerksam, daß der große Sarkophag in der Bucht von Makri über dem Wasser die Spuren von Bohrmuscheln aufweist und mußte aus diesen Tatsachen auf Verschiebungen der Strandlinie seit histo- rischer Zeit) schließen, und zwar, wie damals im Hinblick auch auf !) Man darf zugeben, daß der Effekt der continentalen Massenanziehung früher oft übertrieben bewertet wurde. Der Ausgleich, der einerseits durch die größere Dichtigkeit des Untergrundes der Meere, andrerseits durch Jie eventuell noch durch Massendefekte verminderte Dichtigkeit der die Festländer bildenden Massen herbeigeführt wird, ist erst durch spätere Untersuchungen besser erkannt worden. Man schätzt neuerdings die durch die betreffenden Verhältnisse bewirkte Abweichung von der Gestalt des Ellipsoids in den äußersten Fällen auf 200 Meter. (Vgl. Supan, Physische Erdkunde, 4. Aufl., 1908, pag. 273 und 274). Immerhin bleibt dies ein Faktor, der bei theoretischen Erörterungen, wie sie der Autor des „Antlitz“ unternahm, nicht auszuschalten ist. Suess liebte es aber nicht, die Entwicklung seiner Gedanken durch solche Complicationen stören zu lassen. 2) Jahrb. d.k. k. geol. R.-A. 1885, pag. 367—384. Vgl. dort auch pag. 294. 3) Nach dem Gutachten unserer Archäologen, deren Expedition nach Klein- asien im Jahre 1882 ich als Geologe begleitete, dürften diese Kulturreste nicht viel älter als 2000 Jahre sein, teilweise vielleicht jünger. Jahrbuch d.k.k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66, Bd, 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 69 526 Dr. Emil Tietze. [194] andere Erscheinungen an der kleinasiatischen Küste näher ausgeführt wurde, auf Verschiebungen im Sinne der älteren Lehre von den seku- laren Hebungen und Senkungen, sowie auch im Sinne von Schwan- kungen des Seespiegels. Da es sich um eine ziemlich ausgedehnte Küste handelte, konnten hierbei auch nicht eng begrenzte Vorgänge lokaler Natur zur Erklärung herangezogen werden, wie sie Suess später (1888) im zweiten Bande seines großen Werkes bei Besprechung des Sera- pistempels von Puzzuoli in den Vordergrund gestellt hat. Auf diese meine Arbeit hat Suess in jenem zweiten Bande aller- dings Bezug genommen, indessen die Beweiskraft der geschilderten Verhältnisse ebenso angezweifelt wie die mancher anderen Beobach- tungen im Gebiet des Mittelmeeres und so gelangte er am Schlusse seiner auf diese Fälle bezüglichen Betrachtung!) zu der Behauptung, daß „im Mittelmeere bis heute kein Nachweis einer sekularen kon- tinentalen Erhebung oder Senkung der Lithosphäre innerhalb histo- rischer Zeit erbracht ist“. Der Einfluß, den seine Autorität ausübte, macht es verständlich, daß diese Behauptung gleich seinen übrigen Darlegungen über die Nicht- existenz sekularer Schwankungen trotz der verschiedenen Einwürfe, die seiner Theorie gemacht worden waren, vielfachen Anklang fand. So hatte auch v. Bukowski in einer 1889 veröffentlichten hoch verdienstlichen Arbeit über den Bau der Lykien gegenüber liegenden Insel Rhodus sich mit der Suess’schen Anschauung abge- funden. Ich kann mir aber nicht versagen, hier eine auf diesen Punkt bezügliche Stelle aus dem Referat wiederzugeben, welches ich über Bukowskis Abhandlung veröffentlichte 2). Sie lautet: „Es ist ja der seltsamste und widerspruchsvollste Zug in den Ausführungen des zweiten Bandes des „Antlitz der Erde“, daß der- selbe Autor, welcher den einem großen Rhythmus folgenden und des- halb im Sinne des Autors auch nie zur Ruhe kommenden Niveau- schwankungen des Meeresspiegels (abgesehen von den Einstürzen festländischer Massen), ganz ausschließlich die Veränderlichkeit der Küstenlinien zuschreibt, gerade die historische Zeit in dieser Hin- sicht für eine so gut wie stabile hält und daß er sich bemüht, fast alle die Zeugnisse, welche für eine Veränderlichkeit der Verhältnisse während dieser Zeit zu sprechen schienen, für falsch oder für falsch interpretiert zu erklären, das heißt, daß er gerade die Kategorie von Beobachtungen bei der weiteren Diskussion dieses Gegenstandes ausschließen möchte, aus denen die sichersten oder doch unmittelbarsten Schlüsse über das Wesen der fraglichen Erscheinungen oder über deren eventuelle Gleichzeitigkeit abgeleitet werden können. Freilich ist dies auch dieselbe Kategorie von Beobachtungen, welche, wenn anerkannt, die subtilsten Behelfe für eine Kritik jener Hypothese liefern können, derzufolge die Verschiebungen zwischen Festland und Meer ohne Intervention verschiedener Bewegungen der !) L. ce, pag. 584. ?) Verhandl. d. k.k. geol. R.-A. 1889, pag. 286 u. 287, [195] Einige Seiten über Eduard Suess. 527 kontinentalen Massen vor sich gegangen sind, und deshalb mag die absolute Beseitigung dieser Kategorie auch eine notwendige Folge der Entwicklung eben jener Hypothese bedeuten.“ Einige Zeilen weiter schrieb ich: „Auf keinen Fall wird man die an den felsigen Küsten Lykiens beobachteten Inundierungen menschlicher Werke in Parallele mit den ähnlichen Erscheinungen flacher Schwemmländer (wie des Gebiets der Pomündung) bringen können, sofern man diese letztgenannten Erscheinungen ausschließlich auf das Gleiten oder das Zusammensitzen loser Massen zurückführt. Wenigstens für die Gegend von Kekowa, wo es keine Spur jüngerer Alluvionen gibt, wo ganz ausschließlich festes Gestein die Küsten wie den Meeresgrund zusammensetzt, ist dies ganz unzulässig, und was den berühmten Sarkophag in der Bucht von Makri anlangt!), so bleibt-es doch wenigstens fraglich, ob derselbe im Falle einer lokalen Gleitbewe- gung der in jener Bucht befindlichen Absätze seine normale aufrechte Lage so unverändert behalten hätte, wie er sie tatsächlich behalten hat.“ . Man kann ja vielleicht, wie ich hier noch hinzufügen will, der Ansicht sein, daß die Verhältnisse speziell an der Iykischen Felsküste (rein für sich genommen) durch leichte ÖOscillationen bloß des Meeres- spiegels erklärbar wären, aber eine solche isolierte Betrachtung ohne unparteiische Berücksichtigung der Umstände, welche sich für die übrige Umrandung des eng geschlossenen mediterranen Beckens er- geben, kann nicht zu einer endgiltigen Auffassung in der hier be- handelten Frage führen. Aber selbst, wenn sich sicher herausgestellt hätte, daß für die historische Zeit nur von Osecillationen des Meeresspiegels gesprochen werden dürfte (und diese müßte man doch jedenfalls zugeben, wenn man nicht an Bewegungen der Landfeste denkt), so würden solche Öseillationen noch immer einer besonderen Erklärung bedürfen, die ihrerseits aber kaum in dem Sinne zu suchen wäre, welchen Suess mit seiner Lehre von den großen, zwischen den Polen und dem Aequator stattfindenden Umsetzungen der Meere verbunden hat. An einer früheren Stelle der gegenwärtigen Schrift?) wurde die Meinung von Hobbs erwähnt, daß Suess in meisterhafter Weise verstanden habe, die ihm nicht passenden Tatsachen, auch wenn sie für das behandelte Problem von Bedeutung waren, gewissermaßen mit einer leichten Handbewegung bei Seite zu schieben. Ich glaube, der hier geschilderte Versuch, die seit historischer Zeit an den Küsten des Mittelmeeres stattgehabten Veränderungen des Verhältnisses von See zu Land bei der Beurteilung der von ihm aufgestellten Hypo- these auszuschalten, ist eine der schlagendsten Bestätigungen für den Ausspruch von Hobbs. | Es ist klar, daß in einem geschlossenen Becken wie das Mittel- meer die Spuren einer Strandverschiebung, sofern dieselbe auf einer Veränderung des Wasserstandes beruht, für dieselbe Zeit überall gleichsinnig sein müßten, und man wird zugeben, daß kaum irgend ein anderes Gebiet als dasjenige des Mittelmeeres so geeignet ist, für die !) Derselbe ist bei Suess abgebildet. 2?) Vgl. oben pag. [85] die Anmerkung 1. 69* 528 Dr. Emil Tietze. [196] betreffende Zeitbestimmung Behelfe zu liefern. Die Gestade dieses Meeres waren ja Zeugen desjenigen Teils der menschlichen Geschichte, über welchen wir, namentlich was das Altertum betrifft, am besten unterrichtet sind. Daß aber jene jeweilige Gleichsinnigkeit der hier in Frage stehenden Veränderungen der Strandlinie bei erneuter un- befangener Prüfung aller zu Gebote stehenden Tatsachen erweisbar wäre, läßt sich bezweifeln. Wenn sich aber eine solche Gleichsinnig- keit der Strandveränderung zu bestimmten Zeiten nicht ergibt, dann bleibt eben kein anderer Schluß übrig, als daß der veränderliche Wasserstand nicht allein oder ausschließlich die Schuld an jenen Verschiebungen trägt, denn ungleichmäßige Veränderungen lassen sich in solchen Fällen nur unter gleichzeitiger Inanspruchnahme von Be- wegungen des Festen erklären. Unter diesem Gesichtspunkt ist es von Interesse, an eine Arbeit Hilbers zu erinnern, welche derselbe mit Unterstützung der Wiener Akademie der Wissenschaften ausführte und unter dem Titel „Geologische Küstenforschungen zwischen Grado und Pola am adria- tischen Meere nebst Mitteilungen über ufernahe Bauwerke“ in den Sitzungsberichten dieser Akademie 1889 (also schon nach dem Er- scheinen des zweiten „Antlitz“*-Bandes) veröffentlicht hat!). Der Ver- fasser dieser Arbeit bemüht sich möglichst unparteiisch den Ansichten von Suess gerecht zu werden. Wenn er ziemlich rezente Ablage- rungen mit Meereskonchylien und menschlichen Artefakten vor sich über dem Meeresspiegel sieht, wirft er die Frage auf, ob diese Ab- sätze nicht durch Hochfluten und besondere Ereignisse erzeugt wurden. Anderseits schreibt er das Versinken römischer Hafenanlagen haupt- sächlich der Zerstörung von Küstenteilen durch das Meer zu. Wenn sich jedoch alte Mosaikböden und die Einfassung von Quellen unver- sehrt unter dem heutigen Wasserspiegel erhalten haben, so kann weder die zerstörende Wirkung des Meeres, noch das etwaige Zu- sammensitzen loser Anschwemmungen an solchen Erscheinungen be- teiligt sein und so begreift man, daß Hilber schließlich zur Ueber- zeugung gelangt, daß sich eine gleichmäßige Veränderung der Strandlinie für die Dauer der historischen Zeit in jenem Gebiet „nicht nachweisen“ lasse. Das aber ist nun gerade, wie ich in dem zitierten Referat sagte, des Pudels Kern. Auch andere Forscher, die damals nicht gerade zu den prin- zipiellen Gegnern der Suess’schen Hypothese gehörten, konnten nicht umhin, gewisse Gesichtspunkte geltend zu machen, deren Be- rücksiehtigung zu einer Einschränkung der betreffenden Annahmen zu führen schien. E. v. Drygalski, der spezieller die hier in Betracht kom- menden Tatsachen im nördlichen Amerika besprach, stellte in einer Schrift „über Bewegungen der Kontinente zur Eiszeit“ ?2) die Meinung e ı) 98. Bd. dieser Berichte, math.-naturw, Classe. Vgl. mein Referat über diese Arbeit in den Verhandl. d. k.k. geol. R-A. 1889, pag. 336— 338. ?) Verhandl. des 8. deutschen Geographentages, Berlin 1889. Mein Referat darüber vgl. in den Verhandl. d. k. k. geol. R.-A. 1889, pag. 338, welchem ich hier in der summarischen Darstellung der von Drygalski damals entwickelten Ansichten mir zu folgen erlaube. [197] Einige Seiten über Eduard Suess. 529 auf, daß Ausdehnung und Zusammenziehung der kontinentalen Massen infolge von Wärmeschwankungen stattfinden konnten, die ihrerseits 'von thermischen Oberflächenbedingungen abhängig waren. So konnte das Hereinbrechen der Gletscher der Eiszeit eine Erkaltung des Bodens bewirken. Damit wäre eine Kontraktion der Landmassen verbunden gewesen, wodurch andrerseits jener relativ höhere Wasser- stand des Meeres in der Umgebung der betreffenden kontinentalen Landesteile bedingt wurde, wie er aus den vorhandenen Beobachtungen gefolgert wurde. Mit dem Schwinden der Gletscher begann eine Hebung der unter dem Inlandeise gesenkten Geoisothermen, eine allgemeine Durchwärmung des Bodens und damit eine Aufwallung des Landes, das ist eine Hebung. Das Prinzip der ungleichen Erwärmung der obersten Erdrinden- teile glaubte der Verfasser überdies noch in anderer Beziehung zur Anwendung bringen zu können. Durch kalte Tiefenströmungen erfolge eine Erkaltung des Meeresbodens vielfach schneller als die der kon- tinentalen Massen. Das würde eine Kontraktion und eine größere Dichte der festen Massen unter dem Meere bedingen, wie sie von Faye und Helmert schon aus der Diskussion der Schweremessungen erschlossen wurde. Das würde ferner einen Grund für die Permanenz der Kontinente abgeben. Endlich könnte sogar die Entstehung der Gebirgsfalten mit den Wärmeschwankungen in der Erdrinde zusammen- hängen, insofern verschiedene Teile der Erdrinde sich in bezug auf den Wärmeverlust verschieden verhalten. Ohne auf das Meritorische dieser Ausführungen einzugehen, er- laubte ich mir damals die Bemerkung, man ersehe jedenfalls aus derartigen Darstellungen, daß das Problem der sekularen Hebungen und Senkungen viel verwickelter sei, als dasselbe Manchem erscheine, der dasselbe mit Außerachtlassung physikalischer Betrachtungen be- handeln zu können glaube. Jedenfalls wurden hier Gesichtspunkte zur Sprache gebracht, welche Suess wenigstens anfänglich bei Aufstellung seiner Hypothese nicht berücksichtigt hatte. Es ist übrigens fraglich, ob die bisher erwähnten Versuche einer Beleuchtung der von Suess über die in Rede stehende Frage ent- wickelten Ideen zur Beseitigung oder Einschränkung der letzteren hingereicht haben würden, wenn nicht von noch anderen Seiten her sich gewichtige Stimmen dagegen erhoben hätten. Nach dem Erscheinen des zweiten Antlitzbandes, in welchem Suess jene Anschauungen, wie schon gesagt, ausführlicher zu be- gründen versucht hatte, wurden nämlich die letzteren wieder mehrfach auf Grund von neuen Untersuchungen in Skandinavien und in der Nachbarschaft dieses Landes bekämpft, also von dem Boden aus, auf welchen bereits Dechen die Diskussion der betreffenden Frage zu stellen versucht hatte, allerdings ohne damals über mehr als über Argumente aus der älteren Literatur zu verfügen. Eine besondere Rolle spielten bei diesen neueren Untersuchungen bekanntlich die von Högbom für den nördlichen Teil des bottnischen Meerbusens und von Ramsay für Lappland und Finnland ergänzten 530 Dr. Emil Tietze. [198] Beobachtungen von de Geer, der die verschiedenen kier in Betracht kommenden Terrassen auf weite Strecken hin verfolgte und dessen Darlegungen zufolge eine schildförmige Auftreibung des Landes in Skandinavien, bezüglich in Finnoskandia in postglazialer Zeit stattfand. Auch die Mitteilungen von Sieger über Seeschwankungen und Strand- verschiebungen in Skandinavien sind hier zu nennen. Da auf alle diese Darlegungen bereits in verschiedenen Lehr- büchern Bezug genommen wurde, kann hier füglich von einer genaueren Wiedergabe derselben abgesehen werden. Hält man sie überdies zu- sammen mit den Angaben von Brückner über das ruhige Verhalten der deutschen Ostseeküste, welches im Gegensatz steht zu den bis in die moderne Zeit fortgesetzten Hebungen an den Küsten Schwedens und Finnlands, so bleibt kein Zweifel, daß man es hier mit Ver- änderungen des festen Landes und nicht des Seespiegels zu tun hat, insofern es sich ja doch um die Umrandung eines und desselben Wasserbeckens handelt. Dann fällt auch jeder Grund fort, die für einzelne Teile jeweilig desselben alten Strandes verschiedenen Höhen- lagen der quartären Küstenlinien auf etwaiges ungleiches Absinken gewisser Gebietsstrecken zurückzuführen, wie das vielleicht der Ansicht von Lukas Waagen!) entsprechen würde, der heute noch geneigt scheint, die sekularen Hebungen zu leugnen, der jedoch nicht bloß sehr ungleiche, sondern vielfach auch ziemlich kolossale Senkungen voraussetzen müßte, um die tatsächlichen Verhältnisse zu erklären und der dabei Schwierigkeiten fände für die Deutung der jeweiligen paläogeographischen Beziehungen, welche im Gefolge jener Senkungen sich ergeben hätten ?). Die Beobachtungen in Skandinavien ergaben übrigens, worauf Brückner hingewiesen hat (l. ce. pag. 251), auch ein direktes Argument gegen die Suess’sche Annahme, daß eine Beschleunigung der Rota- tionsgeschwindigkeit des Erdballs während der Quartärzeit eine Zunahme der Seespiegelhöhe gegen die Pole zu bewirkt haben soll (vgl. oben). Dieser Annahme gegenüber hebt Brückner hervor, daß der Betrag der betreffenden Hebung (um diesen Ausdruck der Kürze wegen zu !) In dem Werke „Unsere Erde“. Das Jahr des Erscheinens dieses Werkes ist auf dem Titelblatt desselben nicht ersichtlich gemacht. Das Buch kam 1909 in München bei der allgemeinen Verlagsgesellschaft heraus. ?) Daß die Idee von der Bedeutung der Senkungen auch sonst nuch Freunde zählt, soll nicht in Abrede gestellt werden. Vielleicht werden sich die- selben auch noch auf die sogenannten Greifswalder Beschlüsse der deutschen geologischen Gesellschaft berufen, welche unter dem Vorsitz des Professors Frech im August 1912 zu Stande kamen. Diese Beschlüsse lauteten dahin, daß die jüngere (saxonische) Gebirgsbildung in Deutschland in mesozoischer und nachmesozoischer Zeit von Senkungen beherrscht wurde, wie sie Suess ange- nommen hatte. Das berührte indessen nicht die prinzipielle Frage, um die es sich hier handelt, sondern einen speziellen Fall. Was diesen Fall selbst betrifft, so hat sich Stille mit Bestimmtheit dahin geäußert, daß in denjenigen Phasen, in denen die Senkungen eingetreten sein sollen, die angeblich gesenkten Schollen nach aufwärts bewegt worden sind. Im Uebrigen protestiert Stille gegen jene Be- schlüsse auch formell, indem er geltend macht, daß in wissenschaftlichen Fragen die Entscheidung nicht von der zufällig zusammengekommenen Majorität einer _ Versammlung abhängig sein darf. (Vgl. hier unter Anderem die Zeitschrift. der deutschen geol. Ges., 68. Bd für 1916, Monatsberichte, pag. 269 und 270). [199] Einige Seiten über Eduard Suess. 531 gebrauchen) „tatsächlich von Ort zu Ort sich ganz unregelmäßig ändert und zum Beispiel für die Postglazialzeit auf den nördlichsten Inseln Norwegens nur 28 Meter beträgt, in der Mitte von Norwegen dagegen über 200 Meter“. „Die Erscheinungen“, so fährt Brückner fort, „sprechen also nicht für die Theorie, abgesehen davon, daß für eine erhebliche Bewegung dieser Art eine sehr merkliche Aenderung der Rotationsgeschwindigkeit angenommen werden müßte.“ Aber auch abgesehen von Skandinavien und den diesem Lande benachbarten Gebieten lassen sich Beispiele von Untersuchungen an- führen, welche im Zusammenhange mit den eben genannten die Unhalt- barkeit der Suess’schen Ansicht darzutun geeignet sind. Man- kann sich hier an den Nachweis . verbogener Uferlinien glazialer Seen in Nordamerika erinnern, den de Geer zu führen versuchte !) oder auch an Gilberts Darlegungen über die Hebung und Ver- biegung postglazialer Uferlinien des ehemaligen Lake Bonneville in Utah?). Diese Uferlinien, die sich doch jeweilig in gleicher Höhe ‚gebildet haben, sind heute vielfach verändert, z. B. beträgt der Höhenunterschied verschiedener Stellen bei der sogenannten Bonne- ville shoreline in der Nähe des großen Salzsees bis zu 150 Fuß. Ein Krummwerfen der Erdrinde (a warping of the earth’s crust) gilt dem amerikanischen Autor als zweifellose Ursache dieser Erscheinung. Wenn es sich in den letztgenannten Fällen nicht um marine Terrassen handelt wie an Norwegens Küsten, so tut das nichts zur Sache. Im Gegenteil ist es für die; Beweisführung von einigem Vor- teil, wenn der Meeresspiegel, dessen Veränderlichkeit von Suess ausschließlich für die mit der Faltung nicht unmittelbar zusammen- hängenden Niveauveränderungen verantwortlich gemacht wurde, bei der Diskussion der Frage nach der Selbständigkeit solcher Veränderungen außer Betracht bleiben kann. Weil aber gerade von amerikanischen Verhältnissen die Rede ist, so sei schließlich auch noch ein Beispiel von einer direkt auf das Verhältnis zwischen dem Meeresspiegel und der daran grenzenden Landerhebung bezüglichen Beobachtungsreihe erwähnt. Es betrifft die Mitteilungen, welche E. Wittich?) über ganz junge Meeres- bildungen gemacht hat, die sich auf der Halbinsel Californien bis zur Höhe von mehr als 1000 Meter über dem Pacific befinden und sogar die Wasserscheide zwischen dem Ozean und dem californischen Golf an einigen Stellen überschreiten. Wittich läßt es zwar unentschieden (vgl. z. B. l. c. pag. 511), ob man es hier mit Schollen- oder Meeres- bewegungen zu tun habe, indessen scheint es doch in Anbetracht aller !) Proceedings Bost. soc. nat. hist. XXV. Bd., 1892, pag. 454. ?) Gilbert, Lake Bonneville 1890, pag. 362, vergleiche ferner den Compte rendu der 5. Session des internationalen Geologenkongresses, Washington 1893, pag. 375. , 3) Ueber Meeresschwankungen an der Küste von Californien, Zeitschr. d. deutschen geol. Ges., 64. Bd., 1912, pag. 505 ete. Dort wird auch auf einige frühere Veröffentlichungen des Verfassers über denselben Gegenstand Bezug genommen. 539 Dr. Emil Tietze. [200] Umstände mehr als zweifelhaft, daß ein solches Vorkommen seine Lage ausschließlich einem Sinken des Meeresspiegels verdankt. Vor allem müßten in denselben geographischen Breiten auf der atlan- tischen Seite Mexikos und Nordamerikas analoge Erscheinungen nach- weisbar sein. Auch ist zu erwägen, daB es sich hier um ein dem Aequator genähertes Gebiet handelt, wo doch nach der Anschauung von Suess im Gegensatz zu den mehr polwärts gelegenen (regenden mit ihren freigelegten marinen Terrassen eine Aufstauung des Ozeans sich geltend machen mußte. Zwar scheinen jene jungen marinen Ab- sätze auf der californischen Halbinsel nicht überall mit Terrassen in Verbindung zu sein. Immerhin aber erwähnt Wittich Inlandsdünen und alte Brandungsformen aus Höhen von mehr als. 400 Meter. Es würde aber zu weit führen, hier auf alle Arbeiten zu ver- weisen, die sich mit dem in Rede stehenden Gegenstande in Bezie- hung bringen lassen. Diese Arbeiten sind ziemlich zahlreich. Für unsere Darstellung mag es genügen, schließlich noch hinzuweisen auf die Meinungen der Verfasser verschiedener in ihrem Wert aner-, kannten Lehrbücher und Compendien, in welchen das Problem der sekularen Hebungen und Senkungen seit der Verlautbarung der Suess’schen Theorie berührt wurde. Daraus wird sich vielleicht am besten ergeben, daß heute wohl ziemlich allgemein die fragliche Annahme als beseitigt be- trachtet wird. Schon im Jahre 1897 schrieb Eduard Brückner!): „So steht es denn fest, daß weder allgemeine noch zonale, noch regionale Be- wegungen des Meeresspiegels alle beobachteten Hebungen und Sen- kungen erklären können. Zwar kommen solche Bewegungen vor, allein sie halten sich nur in engen Grenzen. Alle heute sich voll- ziehenden nicht vulkanischen Strandverschiebungen können sich im Wesentlichen nur auf Bewegungen des Landes zurückführen — sie sind der Ausdruck von Krustenbewegungen.“ Ferdinand Löwl aber in seiner Geologie ?) sagt in seiner unge- zwungenen Ausdrucksweise: „Die Hebungstheorie blieb bis 1880 unange- fochten und kam dann nach einer kurzen Verdunkelung durch Suess’ Erklärungsversuch rasch wieder zur allgemeinen Geltung“, und auch Supan?°) findet nach einer längeren Besprechung des fraglichen Problems „die Schlußfolgerungen, zu denen Suess gelangte, nicht haltbar“. Er fährt fort: „An vielen Orten mag der Meeresspiegel sich auf- und abwärts bewegt haben, wir haben aber auch unzweifelhafte endogene Niveauveränderungen des Landes kennen gelernt, und zwar von verschiedener Art, instantane und sekulare, regionale und lokale.“ Allerdings glaubt derselbe Autor, daß die Bewegung eines Teiles der Erdrinde „ohne Schichtenbiegung oder ohne Randspalten geradezu undenkbar“ sei und daß es sich im ersteren Fall um Faltungen mit '!) Allgemeine Erdkunde, in dem Bande über die feste Erdrinde, pag. 153. °) Leipzig u. Wien bei Deuticke 1906 (XI. Teil des Werkes „Die Erdkunde“ von Klar), pag. 139). °) Grundzüge der physischen Erdkunde, 4. Auflage, Leipzig 1908, pag. 387. nf Le u a [201] Einige Seiten über Eduard, Suess. | 533 sehr großer Spannweite handle (l. c. pag. 389). Damit wäre allerdings eine scheinbare Annäherung an den Standpunkt gegeben, den anfäng- lich einige Verfechter der Suess’schen Ideen eingenommen hatten, daß Hebungen, die mittelbar mit Faltung zusammenhängen, nicht ge- leugnet zu werden brauchen, aber es ist doch augenfällig, daB Suess, abgesehen von seiner oben bereits erwähnten Ablehnung jener Falten von großer Spannweite wenigstens die sekularen Hebungen, die mit Strandverschiebungen zusammenhängen, unter die von ihm als zu- lässig betrachteten Ausnahmen von seiner Zusammenbruchs- und Senkungstheorie nicht gerechnet hat. Der amerikanische Geologe Thomas Chamberlin!) gibt wohl (l.. ce. pag. 514) zu, daß die von Suess in den Vordergrund gerückte Abwärtsbewegung von Teilen der Erdkruste im allgemeinen dem Prinzip der Schrumpfungstheorie entspricht, hält aber nichtsdestoweniger dort, wo er (l. ec. pag. 519) von „Plateau forming movements“ spricht, an der Annahme vertikaler Hebungen fest. Professor A. P. Brigham bezieht sich in seinem Textbook of geology (London 1902) zwar in einer Anmerkung (l. c. pag. 452) auf Suess betreffs der Strandlinien, tritt jedoch im Uebrigen für die Annahme kontinentaler Hebungen und Senkungen im Sinne der früheren Vorstellungen ein (l. c. pag. 167 und 168). Er gibt zu, daß der Meeresspiegel leichten Schwankungen unterworfen ist, deren Ur- sache er jedoch in der veränderlichen Massenanziehung der Festlands- gebiete und Eisbedeckungen erblickt, eventuell auch dem Einfluß der inneren Erdwärme auf das Anschwellen des Landes zuschreibt. H. Credner wiederum hat zwar die von Suess vorgeschla- genen, angeblich neutralen Bezeichnungen 2) für die Veränderung der Strandlinien angenommen, gibt aber in dem betreffenden Kapitel seiner Elemente der Geologie?) der älteren Annahme von Hebungen und Senkungen des festen Landes 'ebenfalls recht, während Emanuel Kayser‘) gleich verschiedenen anderen Autoren auch die erwähnten Bezeichnungen nicht für glücklich hält und seine Besprechung der bewußten Frage mit folgenden Worten schließt: „Es ergibt sich mit Bestimmtheit, daß die durch die Arbeiten von Suess eine Zeitlang erschütterte Theorie der kontinentalen Niveauveränderungen wieder in ihr altes Recht gesetzt werden muß. Daß man dies aussprechen, daß man wieder, wenn auch in einem anderen Sinne als seiner Zeit 1) Geology by Chamberlin and R. Salisbury, New York 1904. ?) Suess (vgl. II. Bd. des „Antlitz“, pag. 29) sagt bekanntlich statt Er- hebung des Landes negative Veränderung der Strandlinie und statt Senkung positive Veränderung der Strandlinie, Die meisten Kritiker haben sıch gegen diese Bezeichnung .als die Vorstellung von den Tatsachen störend und verwirrend ge- wendet. Die früher gewohnte Ausdrucksweise, so wird von diesen Kritikern gesagt, entspreche besser dem natürlichen Begreifen, gleichviel, ob diese Ausdrucksweise den betreffenden Vorgängen physikalisch gerecht werde oder nicht. Man sage auch von der Sonne, sie gehe auf oder unter und wisse doch recht gut, daß dieser Vorgang durch die Bewegung der Erde und nicht der Sonne bewirkt werde. 3) XI, Auflage, Leipzig 1912, pag..57 ete., betrefis der positiven und ne- gativen Veränderungen der Strandlinien siehe dort pag. 59. *) Lehrbuch der allgemeinen Geologie, 4. Auflage, Stuttgart 1912. Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) 70 534 Dr. Emil Tietze. [202] Galilei von der Erde sagen darf e pur sö muove ist ein erfreuliches Ergebnis der Untersuchungen der letzten Jahrzehnte.“ Immerhin aber darf man daran erinnern, daß auch in diesem Falle das Auftreten von Suess nicht ohne Nutzen für die Klärung des behandelten Problems gewesen ist, namentlich in Bezug auf die Kritik gewisser Fehlerquellen bei der Beurteilung und Vergleichung von Strandlinien, was auch einige Gegner von dessen Ansichten, wie z. B. Löwl und Supan ohne Zögern anerkannt haben!). Dieses Zugeständnis wird auch durch die im Vorstehenden wohl bewiesene Tatsache nicht geschmälert, daß unser Autor seinerseits jenen Fehler- quellen auszuweichen nicht immer in der Lage war. Daß übrigens Suess selbst, und zwar jedenfalls zur Zeit der Abfassung des Schlußbandes des „Antlitz“ nicht mehr gar so weit davon entfernt war, Hebungen zuzugestehen, und zwar Hebungen, die man nicht ohne Weiteres mit den durch die Faltung bewirkten ver- gleichen kann, geht aus mehreren Angaben jenes Bandes hervor. Ich weiß nicht, ob ich hier an die eigentümliche Stelle (Seite 721 des letzten „Antlitz“-Bandes) denken darf, wo es heißt, man habe bisher vorausgesetzt, daß die tieferen Zonen der Erde sich kontra- hieren und die höheren vorwärts tragen?), was doch eine Wirkung von unten nach oben bedeutet, wie das auch Suess selbst bestätigt, wenn er hinzufügt, im Falle man der Rotation oder den körperlichen Gezeiten einen Einfluß auf die Gebirgsbildung zugestehe, so würde umgekehrt eine Einwirkung von oben nach unten in Betracht kommen. Aber wir kennen Aeußerungen des großen Autors, aus welchen ganz unzweifelhaft und unmittelbar hervorgeht, daß sich derselbe schlieb- lich mit dem Gedanken an Hebungen abgefunden hat. So lesen wir (III/2, pag. 11), daß im Kaukasus sarmatische Schichten bis zur Höhe von 2200 Meter „emporgetragen“* wurden. Auch die Radiolarienbänke auf Barbadoes (l. c. pag. 527) sind aus der dortigen Vortiefe um einige tausend Meter „emporgetragen* worden und ebenso sind (l. c. pag. 335) junge Korallenriffe der Sundainseln „emporgetragen“ worden. Man kann doch unbefangener Weise nicht in Zweifel ziehen, daß Emportragung und Hebung nur verschiedene Worte für ein und dieselbe Sache sind. Aber auch schon, als der 1. Teil des dritten Bandes des „Antlitz“ erschien, hat der Verfasser sich derselben Wendung bedient, als er (III/1. Bd., 1. ec. pag. 407) davon sprach, daß das Miocän in Lykien bis zu Höhen von mehr als 4000 Fuß emporgetragen wurde. Die Substituierung der Hebungen durch Emportragungen darf, wie es scheint, in eine Art Parallele gebracht werden mit der Verwendung des Wortes Rückfaltung bei der Lehre vom einseitigen Schube. Unzukömmlichkeiten, welche sich aus der konsequenten Durchführung jener Lehren ergaben, wurden auf dialektischem Wege beseitigt. ı) Löwl, l.c. pag. 138, siehe die Anmerkung, und Supan, ]l. c. pag. 387. °) Dieser Ausspruch ist in mehr als einer Hinsicht von Interesse. Man ver- gleiche unter Anderem dazu, was auf pag. [147] der heutigen Darstellung über die Tiefen gesagt wurde, aus welchen nach Suess der Anlaß zur Gebirgsbildung kommt und man erinnere sich, daß -gemäß anderen Aussprüchen von Suess dieser Anlaß keineswegs von abyssischen Regionen ausgeht. SE [203] Einige Seiten über Eduard Suess. 535 Erdinneres und Himmelskörper. Wir würden eine hoch interessante Seite der’ Ideengänge von Suess vernachlässigen, wenn wir nicht endlich noch einen Blick auf diejenigen Ausführungen des großen Autors werfen wollten, die sich teils mit dem Erdinnern, teils in Verbindung damit mit den Bezie- hungen unseres Planeten zu anderen Himmelskörpern oder mit diesen selbst befassen. Schon in der „Entstehung der Alpen“, dort, wo am Schlusse dieses Buches die Erde in ihrer frühesten Vorzeit als „veränderlicher Stern“ geschildert wird, finden wir eine Andeutung davon, daß die Gedanken des Meisters in großzügiger Weise weit hinausgingen über die einfache Betrachtung der Erdoberfläche oder Erdrinde, wie sie das Studienfeld des gewöhnlichen Geolozen ist und daß er aus der Verbindung geologischer Vorstellungen mit gewissen Anschauungen über die Beschaffenheit der Gestirne sich manchen Gewinn versprach. Intensiver scheint er sich jedoch jenen Ideengängen vornehmlich erst in der letzten Zeit seines Lebens hingegeben zu haben. Im Jahre 1907 erschien in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie der Wissenschaften !) ein Aufsatz „über Einzelheiten in der Beschaffenheit einiger Himmelskörper“, worin es hieß, die Geologie sei jetzt so weit fortgeschritten, daß man bereits die ersten Schritte zum Vergleich der irdischen Dinge mit den Verhältnissen anderer Himmelskörper wagen könne. Dafür böten sich drei Möglichkeiten: einmal durch das Studium der Meteoriten, welche greifbar und der unmittelbaren Untersuchung zugänglich seien, dann durch die Unter- suchung des Mondes, dessen Oberflächenbeschaffenheit sich im Fern- rohr zeigt, und drittens in der Sonne und den entfernten Gestirnen, „von welchen das Spektroskop die wichtigsten Nachrichten bringt“. Der erwähnte Aufsatz beschäftigt sich sodann mit einem Ver- gleich der Meteoriten mit den die Erde zusammensetzenden Stoffen, welche letztere sich ihrer Vergesellschaftung nach in wenige große Gruppen bringen lassen, für die der Autor allgemeine, umfassende Ausdrücke für nötig hält. „Wo große Brücken gebaut werden sollen, sucht man“ — wie er sagt — „nach den größeren Steinen“. So schlägt er im Anschluß an amerikanische Forscher für die Mehrzahl der mannigfaltigen Oberflächengesteine, so weit sie vulkanischen Essen entstammen, den Ausdruck Sal (S:—A:) vor. Dann stellt er die Namen Sima (Si—Mg) und Nife (Ni—Fe) auf und bespricht kurz gewisse irdische Vorkommnisse, welche dieser auf chemische Verhältnisse gegründeten Einteilung sich anpassen, sowie die Spektren einiger Himmelskörper, welche sich auf die Stoffe dieser Gruppen und ihres Gefolges beziehen. Er mißt dieser Gliederung Bedeutung für tekto- nische Studien bei, insofern die einzelnen Glieder auf verschiedene Tiefenstufen hinweisen, aus welchen die betreffenden Gesteine stammen. Dieser Gesichtspunkt ist keinesfalls unwichtig. Ob man die Auf- stellung gerade jener neuen Namen für ein Bedürfnis hält oder nicht, !) 96. Bd., Abt. I, zweiter Halbband, pag. 1555 etc. 70* 536 Dr. Emil Tietze. [204] ist nebensächlich. Was den Gegenstand selbst anlangt, so wird man nicht umhin können, die Suess’schen Gedanken, um die es sich hier handelt, auch weiterhin zu beachten. Sie können für fernere Studien in der Tat zu einem bedeutsamen Ausgangspunkt werden !). Im Schlußband des „Antlitz“, und zwar in dem Abschnitt, welcher „Die Tiefen“ betitelt ist, worunter das Erdinnere verstanden wird, kommt der Autor auf dieses Thema zurück. Er knüpft dabei an die Tatsache an, daß es Meteoriten von verschiedener Beschaffenheit gibt. Wir kennen solche, die aus Nickel-Eisen bestehen, andere, die den Uebergang zu den weniger eisenreichen Vorkommnissen mit Magnesium-Silikaten bilden. Dann gibt es feldspatführende Gesteine und auch geschmolzene Gläser (Moldavite, Bilitonite, Tektite etc.), welche, wie der Autor sagt, den sauren Feldspatgesteinen der Erde entsprechen. Endlich sind noch die leichtesten, kohlenstoffhaltigen Meteoriten zu nennen, welche als Tuffe gedeutet werden ?). Wenn nun die Meteoriten als planetarische Bruchstücke ange- sehen werden, so lassen. sie sich mit verschiedenen Zonen des Erd- körpers vergleichen und diese Zonen entsprechen den Gruppen Nife (auch als Barysphäre bezeichnet) Sima und Sal, sowie deren Zwischen- stufen und Abänderungen, für welche auch kombinierte Namen ge- braucht werden können, wie zum Beispiel Crofesima bei Gesteinen, die Chrom enthalten, oder Nifesima für Zwischenbildungen zwischen 1) Daß Suess selbst diesen Ausführungen, sowie überhaupt den darauf und im Zusammenhang damit auf den Vergleich der Erde mit den Himmelskörpern bezüglichen weiteren Auseinandersetzungen einen besonderen Wert beilegte, geht vielleicht auch aus Folgendem hervor. Kurz vor dem Erscheinen des Schlußbandes seines großen Werkes wurde er von der Redaktion der „Neuen Freien Presse“ eingeladen, einen Ausschnitt daraus in dieser Zeitung zu veröffentlichen. Er lehnte ab mit der Begründung, man werde einem Maler nicht zumuten, aus einem größeren Gemälde „so und soviele Quadratzentimeter abzusondern“. Dafür schrieb er für das genannte Blatt (Nummer vom 10. Oktober 1909) ein höchst originelles Feuilleton betitelt „Eine Nacht am Fenster“, in welchem verschiedene der in dem Kapitel über „Die Tiefen‘ erörterten Fragen, anknüpfend an eine nächtliche Störung seiner Arbeit, in anziehender und sehr lehrreicher Weise zur Sprache gebracht wurden. Wir lesen dort unter Anderem und finden besonders hervorgehoben, „daß die Ver- einigung der schweren Metalle des Nife gegen die Mitte des Erdkörpers bereits vor der Ablösung des Mondes „weit vorgeschritten war“. ?) Es ist vielleicht mehrfach bekannt, daß man neuerdings auch von Eis- meteoriten gesprochen hat, insofern Hoerbiger die Hagelfälle hierher zählt. Doch dies sei nur nebenbei erwähnt, da wir uns hier ja nur mit den Ansichten von Suess zu beschäftigen haben. Ohne auf das Für oder Wider dieses Teils der Hoerbiger’schen Hypothese einzugehen, läßt sich doch nicht ohne Weiteres ‚leugnen, daß rein prinzipiell gespro@hen, das Vorkommen von Wasser- bezüg- lich Eisteilchen im Weltraum ebenso denkbar ist, wie das geschmolzener Gläser. Vgl. hierzu Hoerbigers Glacial-Kosmogonie (cine neue Entwicklungsgeschichte des Weltalls, herausgegeben von Ph. Fauth, Kaiserslautern bei H. Kayser 1913). Was die als Meteoriten betrachteten Gläser anlangt, so ist die betreffende zuerst von Franz Eduard Suess (dem Sohne) ausgesprochene Annahme eines außerirdischen Ursprungs neuerdings Gegenstand einer Diskussion geworden, in welcher sich Prof. Berwerth gegen die Vorstellungen des letztgenannten Autors in der Tektitfrage gewendet hat, Uns interessiert hier vor Allem nur die Stellung- nahme von Suess (dem Vater) zu der Deutung des Glas-Meteoriten. Wie sich zeigte, wurde die erwähnte Theorie, die ja sicher viel Ansprechendes hat, von ihm ohne Weiteres aufgegriffen. [205] Einige Seiten über Eduard, Suess. 537 den Typen Ni—Fe und Si— Mg usw. Es wird dann wieder auf die Spektren gewisser Himmelskörper (zum Beispiel Sonne und » Cygni) hingewiesen und untersucht, in welcher Weise das metallische Gefolge jener Zonen daselbst bemerkbar wird oder zurücktritt. Als eine be-. sondere irdische Sphäre kann noch die Stratosphäre genannt werden, das ist die „Jüngere sedimentäre Hülle“, welche fast ganz auf Kosten der salischen Zone gebildet erscheint. Diese Ausführungen schließen mit einem lehrreichen Hinweis auf die nickelführende Lagerstätte von Sudbury in Kanada (auf Grund von Colemans Beschreibung), wo man in relativ geringem Abstande aus salischem Granit bis in eine nifesimische Zone mit Schwermetallen gelangt. Die Erfahrungen stimmen dabei mit jenen überein, „die Vogt in den norwegischen ‘ Niekelgruben sammelte“. Dieses sehr anregende Kapitel, von dem hier natürlich nur eine kurze und unvollständige Zusammenfassung gegeben werden konnte, bildet aber nicht den ausschließlichen Inhalt der den „Tiefen“ ge- widmeten Ausführungen, Wir greifen aus den letzteren hier noch die für die Auffassung des Vulkanismus wichtige Besprechung der „Ent- gasung“ heraus und gelangen damit zu einem Teil der Suess’schen Darstellung, welcher. den Leser ganz besonders zum Nachdenken herausfordert. | Auch diese Ausführungen haben ähnlich wie diejenigen über die Meteoriten einen Vorläufer gehabt. In der Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte zu Karlsbad im Jahre 1902 hielt Suess einen Vortrag über heiße Quellen !), worin der Gedanke ent- wickelt wurde, daß der Wasserdampf der Vulkane, sowie das Wasser vieler heißer Quellen, zu denen beispielsweise die Geysire und die Karlsbader Quellen gerechnet wurden, aus dem Erdinnern stammt, bezüglich aus der Entgasung desselben hervorgeht. Suess nannte diese Wässer juvenil im Gegensatz zu den vadosen Wässern, welche von der Oberfläche der festen Erdkruste aus in die Erde einsickeın dadurch die Mehrzahl der Quellen speisen uud denen die Wasser- mengen der Atmosphäre, sowie der Flüsse, Seen und Meere angehören. Im „Antlitz“ (l. ec. pag. 630) definiert er die juvenilen Wässer als „solche, die entstehen, indem unter sehr hohem Druck und sehr hoher Tempe- ratur aus dem Erdinnern hervordringender Wasserstoff sich mit dem Sauerstoff der Atmosphäre verbindet.“ Er fährt dann fort: „Aus den emporgestoßenen weißen Dampfballen der Vulkane werden Wolken, und vadoser Regen fließt über die Abhänge der Vulkane.“ Daß Wasser- dampf „das treibende Moment bei vulkanischen Ausbrüchen“* bilde, sei übrigens schon lange bekannt gewesen. Wenn man sich auf die Nähe der Meere bezüglich der vulkanischen Herde berufen habe, so sei dies verfehlt gewesen, und in der Tat sind ja auch, wie zuge- standen werden muß, die Entfernungen mancher Vulkane von den nächsten Meeren zu groß, um einen Zusammenhang des Meerwassers mit den vulkanischen Dampfwolken als sicher voraussetzen zu können, ): Sonderabdruck aus den Verhandlungen dieser Versammlung. Leipzig 1902, pag. 1—20. 538 Dr. Emil Tietze. [206] Immerhin verdient gleich hier bemerkt zu werden, daß dieser vulkanische Wasserdampf sich nach der obigen Definition erst bei der Berührung des juvenilen Wasserstoffs mit der Atmosphäre bildet. Der Wasserdampf als solcher kann also wohl nicht ohne Weiteres als das treibende Agens bei der Eruptionstätigkeit betrachtet werden, wenn wir dieser Hypothese auf den Grund gehen. Auch ist nicht zu übersehen, daß, wie wir hörten, das Wasser gewisser Thermen, welches doch eben schon als Wasser an die Erd- oberfläche tritt, gemäß derselben Hypothese gleich dem Wasserdampf der Vulkane für juvenil erklärt, also bezüglich seiner Entstehung dem echt vulkanischen Wasser an die Seite gestellt wird. Bezüglich dieses Thermalwassers könnte aber doch nicht angenommen werden, daß es erst nach der Berührung des aus dem Erdinnern aufsteigenden Wasser- - stoffs mit der Atmosphäre entsteht, wenn man nicht irgend einen Kontakt des Erdinnern mit der Atmosphäre voraussetzt. Enthalten aber die Thermen unmittelbar juveniles Wasser, dann entfällt (immer im Sinne des Wortlautes der fraglichen Hypothese) die Zulässigkeit einer Parallele zwischen dem thermalen und dem vulkanischen Wasser, welches letztere angeblich erst nach dem Hervortreten des Wasser- stoffs aus dem Erdinnern gebildet wird. Was aber jenen Kontakt der Atmosphäre mit dem Erdinnern betriffi«, an den man denken müßte, um die Entstehung des Wasser- dampfs aus dem von dort stammenden Wasserstoff bei Thermen und Vulkanen zu erklären, so liefert uns Suess selbst Argumente gegen eine solche Voraussetzung. In seinem Aufsatz über heiße Quellen (pag. 9) schildert er unter Anderem den Besuch, den er einst einem parasitischen Krater des Vesuv machte und schreibt: „So viel steht fest, daß die Massen von Wasserdampf, welche aus dem Cratere parasitico entwichen, aus einer Temperaturzone stammen mußten, welche dem Schmelzpunkte der meisten Felsarten gleichstand oder ihn übertraf, in welcher daher von porösem oder zerklüftetem Gestein und schon aus diesem Grunde auch von vadoser Infiltration nicht die Rede sein kann.“ Wenn aber das vadose Wasser keinen Zutritt zum Innern der geschmolzenen Massen haben kann, so gilt das wohl auch für die Luft mit ihrem Sauerstoff. Es mag sein, daß im Untergrunde gewisser Thermalquellen Zer- klüftungen tiefer hinabreichen als in den Schlund aktiver Vulkane, so daß in diesem Falle dem atmosphärischen Sauerstoff der Zutritt zu dem juvenilen Wasserstoff schon etwas mehr im Erdinnern ermög- lieht wird, in demselben Fälle jedoch wäre auch der Zutritt vadosen Wassers in jene Tiefen eine zulässige Annahme. ‚Dann könnte man wenigstens hierbei auf den juvenilen Wasserstoff verzichten. Die innige Beziehung, welche für manche Thermen, narnentlich für die Geysire mit dem Vulkanismus besteht, soll übrigens durch das hier Gesagte nicht verwischt werden. Indessen durfte gezeigt werden, . daß hier die Darstellung von Suess einige Lücken aufweist. Wir lassen aber diese Umstände zunächst auf sich berufen und fahren fort, uns betrefts weiterer Einzelheiten die Anschauungen von Suess in der angeregten Frage zu vergegenwärtigen. [207] Einige Seiten über Eduard Suess. 539 Ebenso wie es juvenilen Wasserstoff gibt !), liefern nun nach Suess die Vulkane noch eine ganze Reihe anderer juveniler Stoffe, wie zum Beispiel Ol, Fl, S, As und ©. Besonders hervorgehoben (l. e. pag. 631) werden die Cl-Exhalationen auf Java, die Solfataren und der Umstand, daß „Kohlensäure in Menge an Stellen aus dem Boden tritt, die seit der Tertiärzeit keine vulkanische Eruption erlebt haben.“ Es sind die Nachklänge eruptiver Tätigkeit; die heißen Quellen aber, soweit sie juvenil sind, sind „lediglich eine abgeschwächte Form der Vulkane“. Bei jedem vulkanischen Ausbruch vermehrt sich nach dieser Auffassung „die auf der Erdoberfläche vorhandene Menge vadosen Wassers. Auch die Atmosphäre empfängt fortwährend Bereicherung“. Diese Darlegung gipfelt sodann in folgendem Satze: „Während man in früheren Jahren meinte, daß das Meer durch Infiltration die Vul- kane speise, wird es jetzt zum empfangenden Teil, und die Mengen von Chlor, welche gleichzeitig hervorzutreten pflegen, zeigen gleich- falls an, daß die Wässer der Ozeane?) ein Erzeugnis der Entgasung des Planeten sind.“ Diese sensationelle Ansicht hat, wie die ganzen ihr vorausgängigen auf die Entgasung bezüglichen Ausführungen nicht bloß manches Ver- blüffende ®) (ähnlich wie der Ausspruch vom Zusammenbruch des Erd- balls), sondern auch jedenfalls viel Bestechendes und man begreift, daß ihr anfänglich kaum offen widersprochen wurde. Wer ihr rückhaltlos zustimmt, muß sich aber klar machen, daß folgerichtig das Wasser der Ozeane wie der Atmosphäre seit der Zeit, als eine feste Kruste unseren Planeten umgab, beständig im Zunehmen !) Die Anwendung, des Wortes „juvenil“ ist meines Wissens für die hier in Betracht kommende Bedeutung erst seit Suess üblich und gewiß ist das Wort auch gut gewählt, um den von diesem Autor damit verbundenen Gedanken auszudrücken. Der Gedanke selbst indessen, die Herkunft gewisser Gase und Flüssigkeiten aus der magmatischen Partie das Erinnern abzuleiten, ist allerdings schon in anderen Fällen ausgesprochen worden, wobei man sich (soweit Meinungsdifferenzen in Betracht kommen) vornehmlich an die Vorstellungen über die Entstehung des Petroleums erinnern mag, welche von solchen Chemikern und Physikern vertreten wurden, die gegen die Annahme eines organischen Ursprungs des Petroleums und der Oelgase sich ablehnend verhielten. Noch auf dem im Jahre 1907 in Bukarest abgehaltenen internationalen Petroleum-Kongreß wurde diese Anschauung (allerdings zumeist nicht von Geo- logen) vertreten und von verschiedenen Seiten der Ursprung, bezüglich das Her- vortreten des Erdöls mit dem Vulkanismus in Verbindung gebracht, wobei auch auf die Analogie dieses Vorkommens mit den juvenilen Wässern von Suess hingewiesen wurde. Die Richtigkeit dieser Vorstellung wurde allerdings von mehreren Forschern stark bestritten. Soweit ich selbst Einwände gegen dieselbe vorgebracht habe, kann der erste 1912 in Bukarest erschienene Band des Compte rendu jenes Kongresses (Seite 216--221) verglichen wırden, bezüglich der Ab- schnitt,‘ in welchem der Verlauf der betreffenden Diskussion auf Grund eines stenographischen Protokolls dargestellt wird. ?) Bei Suess ist diese Stelle ebenfalls durch gesperrten Druck hervorge- hoben, was beweist, daß er auf die betreffende Annahme besonderen Wert ge- legt hat. m 3) An Aussprüche, wie der hier erwähnte, dürfte wohl auch Uhlig gedacht haben, als er (vgl. oben pag. [78] und {79]) sagte, die Geologen hätten vor dem Auftreten von Suess unter dem Einfluß der Lyell’schen Ideen das Staunen verlernt. 540 Dr. Emil Tietze. [208] gewesen ist, was mit einer Reihe anderer Vorstellungen, die wir von der geologischen Vergangenheit haben, nicht ganz übereinstimmt. Man nahm ja gern an, daß einst das Meer eine größere Ausdehnung besaß als heute und Suess selbst hat ursprünglich dieser Annahme gehuldigt. Man braucht sich hierbei nur an die Vorstellungen zu er- innern, die derselbe im Anschluß an die Ausführungen Bronns über das terripetale Streben in der organischen Welt vertreten hat!). Auch noch im Schlußkapitel des „Antlitz“ hat er, wie dies schon bei einer früheren Gelegenheit gesagt werden durfte, von einer Panthalassa gesprochen, die ursprünglich die Erde bedeckte ?). Viel- leicht hat derselbe einen wenigstens teilweisen Ausgleich dieses Wider- spruchs in der von ihm vertretenen Vorstellung gefunden, daß die ozeanischen Becken sich durch Einbrüche und dergleichen vertikal vergrößert haben und dadurch zur Aufnahme größerer Wassermengen befähigt wurden, auch wenn sie bezüglich des an der Oberfläche von ihnen eingenommenen Raumes beschränkt wurden. Andrerseits dürfen wir nicht übersehen, daß Suess an einigen Stellen im „Antlitz“ 3) die Meinung äußert, daß die ozeanischen Becken sich erweitern, wie er denn auch bei Besprechung der sogenannten Asyle in dem Abschnitt über das Leben die heutige Oberfläche des festen Landes nur als einen reduzierten „Rest“ derjenigen früherer Perioden ansient. Diese Meinung würde jedenfalls (nur für sich ge- nommen) besser mit der Vorstellung harmonieren, daß wir das Wasser der Ozeane den im Laufe der Zeit stattgehabten Vulkanausbrüchen zu verdanken haben, insofern seine Menge ja durch diese Ereignisse be- ständig vergrößert werden mußte. Aber sie stimmt leider schwer mit der Vorstellung von der einstigen allgemeinen Ausbreitung des Meeres überein, eine Annahme, die nicht eine zunehmende Erweiterung, sondern eine Verengung der ozeanischen Fläche voraussetzt. Daneben gibt es dann noch einige hier konsequenter Weise in Betracht zu ziehende Punkte, über welche sich aber der Meister nicht ausgesprochen hat. Es ist nämlich klar, daß es für gewisse paläoklimatologische Fragen nicht gleichgültig sein kann, ob man an- nimmt, daß eigentlich alles vadose Wasser des Festlandes und der Atmosphäre aus juvenilem Wasser hervorging und daher in älteren Zeiten der Erdgeschichte eine geringere Rolle gespielt hat als später oder ob man sich zu der gegenteiligen Vorstellung hingezogen fühlt. Auch sollte man glauben, daß gemäß der Meinung, der von den Vul- kanen ausgestoßene Wasserstoff habe sich jeweilig mit dem Sauerstoff der Atmosphäre zu dem Wasserdampf verbunden, dessen Niederschlag jetzt die Weltmeere füllt, die Menge des freien Sauerstoffs in unserer Luft ursprünglich eine ungeheure gewesen sein mußte und daß die beständige Abnahme dieser Menge während der Entwicklung des organischen Lebens irgendwie hätte zum Ausdruck kommen müssen. Das ist ja das Eigentümliche gewisser Probleme, daß ihre Viel- seitigkeit deren restlose Lösung selten auf den ersten Wurf ge- ') Vgl. pag. [23] der heutigen Darstellung. °) Vel. oben pag. [31] dieser Darstellung. ; °») 1. Bd., pag. 778 und Schlußband (11/2), pag. 690. [209] Einige Seiten tiber Eduard Suess. 541 lingen läßt, und das zeigt sich in diesem Falle, wie in manchen andern, die in diesen Seiten zur Besprechung gekommen sind. In gewissem Sinne äußert sich das schließlich auch bei den sehr lehrreichen Ausführungen des alten Meisters über den Mond, welche, wie sogleich gezeigt werden soll, gerade mit den eben besprochenen Vorstellungen über den juvenilen Ursprung des Wassers nicht ganz in Uebereinstimmung zu bringen sind. Diesem Abschnitt des „Antlitz“, der ähnlich wie die vorerwähnten Auseinandersetzungen seinen Vorläufer hatte, gingen bereits im Jahre 1895 in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie einige Bemer- kungen über den genannten Himmelskörper voraus!), auf welche hier mehrfach Bezug genommen werden muß, insofern die spätere, im „Antlitz“ gegebene Darlegung in mancher Hinsicht gekürzt, bezüglich summarisch erscheint. Diese Darlegung geht begreiflicher Weise von den Eigentümlich- keiten der Oberfläche des Mondes aus, welche an der Hand der neuen davon gemachten Aufnahmen einer Betrachtung unterzogen wird, die sich um so freier nach der geographischen Methode des Autors bewegen kann, als verschiedene andere Mittel direkter geolo- gischer Beobachtung, die uns für die Geologie der Erdoberfläche zur Verfügung stehen, hier ganz ausgeschaltet sind. Wie das ja im Allgemeinen zumeist auch sonst geschieht, sieht Suess auf dem Monde überall die deutlichsten Beweise vulkanischer Tätigkeit. Er erkennt dabei im Einzelnen die Spuren großer Schmelz- herde, und die sogenannten Meere unseres Trabanten erscheinen ihm in der Hauptsache als erstarrte Lavafelder, bei denen stellenweise auch erkennbar ist, daß sie in benachbarte Tiefen überflossen. Der Gang der Abkühlung war nicht regelmäßig und wurde durch Auf- schmelzungen unterbrochen. Der größte Teil der Kratere wird für unzweifelhaft jünger erklärt als die meisten Mare-Flächen ?). Wall- kreise stellen kleinere Schmelzherde vor. Jedenfalls sind?) zwei Gruppen kreisförmiger Oeffnungen zu unterscheiden, nämlich solche, die durch Aufschmelzung und andere, zumeist kleinere, welche durch Explosion entstanden zu sein scheinen. Ein besonders interessantes Phänomen ist, daß auf den Rändern der größeren Vulkane oft kleinere Kratere sich in reitender Stellung befinden. Man erkennt Verwerfungen. Die sogenannte Mauer im Mond ist eine solche, und es gibt dort auch Kesselbrüche. Island, welches von dem Autor als vulkanischer „Panzerhorst“ bezeichnet wird, „dessen Senkungen wahrscheinlich einem höheren Horizonte des Erdkörpers angehören #), ist berufen, das treueste Bild der Kesselbrüche des Mondes zu liefern“. Auch der Fär- ı) Bd. 104, pag. 21—54. 2) Vgl. den citierten Aufsatz in den Wiener Akademieschriften, pag. 40. ®) Vgl. wieder den Aufsatz in den Wiener Akademieschriften l. c., pag. 5l. *) Wir hören hier von einem Horste, der sich durch Senkungen auszeichnet, was sonst nicht der Natur der Horste entspricht. Gepanzert wird dieser Horst wohl deshalb genannt, weil sich viele und große Lavafelder in Island ausbreiten. Dann würde also Vorderindien mit seinen ausgedehnten Eruptivdecken ebenfalls auf den Titel „Panzerhorst“ Anspruch haben, sofern nicht Senkungen zu den notwendigen Eigenschaften dieser Art Horste gehören. Jahrbuch d. k. k, geol. Reichsanstalt, 1916, 66. Bd., 3. u. 4. Heft. (E. Tietze.) Zu 549 Dr. Emil Tietze. [210] bung gewisser Partien auf dem Monde wird Bedeutung beigemessen. Bei gewissen helleren Flecken wird sich teils auf Aschen, teils auf Alaun schließen lassen. Endlich wird auch die seinerzeitige Abtren- nung des Mondes von der Erde besprochen, ein Vorgang, der vermut- lich in der Region des stillen Ozeans stattgefunden hat. Unter den Schlußfolgerungen, welche aus dieser Diskussion hervorgehen, wollen wir hier die folgende hervorheben: „Der Mond !) mit der Dichte 3°4 ist leichter als alle inneren und schwerer als alle äußeren Planeten. Man wird erinnert an die leichten Peridot- kristalle in dem schweren Bad von Nife, welche einzelne Meteoriten zeigen und an die scharfe Grenze, welche Wichert in etwa 1500 Kilometer zwischen dem schweren metallischen Kern der Erde und der steinigen Hülle der Dichte 3°4 sieht. Aus dieser Hülle dürfte der Mond der Hauptsache nach entstanden sein. Im Hauptkörper muß zur Zeit der Abtrennung des Mondes der metallische Kern zur Hauptsache vereinigt gewesen sein. Beinahe alle simischen Gesteine der Erdoberfläche bleiben allerdings unter 3°4, und die weißen Aschen verraten, daß der Mond bei seiner Abtrennung auch salische Stoffe mitgenommen hat. Da er nicht viel Nife haben kann und eine ausreichende Menge juveniler Gase besaß, möchte man ver- muten, daß auch auf der Erde diese Gase und mit ihnen unsere vulkanischen Eruptionen wohl nicht aus der Tiefe der Nife, sondern aus Sima, das ist aus der unter der salischen Hülle bis 1500 Kilometer reichenden Zone des Erdkörpers kommen mögen.“ In der Anmerkung 54 des betreffenden Kapitels („Antlitz“, III/2, pag. 738) wird noch besonders darauf hingewiesen, daß der Mond bei seiner Trennung „viel juvenile Gase mitgenommen habe“. Suess weist überdies an einer anderen Stelle?) ausdrücklich darauf hin, daß trotz aller sonstigen physischen Verschiedenheiten „der lunare Vulkanismus eine der irdischen sehr ähnliche Entwicklung genommen hat“. Er fährt dort fort: „Helle und dunkle Aschen lassen sich unterscheiden und deuten auf die Abscheidung salischer Gesteine, Das setzt auch eine gewisse Menge von Sauerstoff zur Bildung der Oxyde voraus. Bestätigt sich das Auftreten von Alaun, so ergibt sich eine weitere wesentliche Annäherung an irdische Zustände. Alles bezeugt den einstigen Bestand juveniler Gase.“ Da kommen wir auf den Punkt, wo sich in den geistvollen und gewiß vielfach sehr beachtenswerten Ausführungen des Autors wieder eine eigentümliche Lücke zeigt. Wir haben früher gesehen, daß Suess, und zwar gewiß mit Recht, dem Wasserdampf bei den Eruptionen der Vulkane eine ganz erhebliche Rolle zuschreibt, wobei wir im gegenwärtigen Falle jedoch davon absehen, ob dieser Dampf der Oxydation von Wasserstoff beim Zusammentreffen des letzteren mit der Luft seinen Ursprung ver- dankt®) oder nicht. Es läßt sich ferner zeigen, daß unser Autor auch für die vulkanische Tätigkeit auf dem Monde auf die Mitwirkung !) „Antlitz“, IIl/2, pag. 699. ?) „Antlitz“, I1l/2, pag. 688 u. 689. °») Wie ist übrigens diese Oxydation unter der salischen Hülle möglich? [211] Einige Seiten über Eduard Suess. 543 des Wasserdampfes nicht verzichtet. Die Ausführungen, welche er über die hellen Strahlensysteme, die von gewissen Mondkrateren auslaufen, macht !), kommen (l. c. pag. 33) darauf hinaus, daß diese breiten hellfarbigen Strahlen, „wenn sie durch Dämpfe und Sublima- tionen und die Bleichung der Felsarten erzeugt worden sind, doch so große Dimensionen ohne die Mitwirkung des Wasserdampfes nicht erreichen konnten“. Wir haben aber auch gesehen, daß Suess, der in dem Aus- strömen der heißen Dämpfe „eine Begleiterscheinung der Abkühlung der Himmelskörper“ erblickt ?), diesem vulkanischen Wasserdampf oder doch dem darin enthaltenen Wasserstoff einen juvenilen Ursprung beimißt und daß er schließlich das ganze vadose Wasser der Atmo- sphäre und der Ozeane für ursprünglich juvenil und aus den Eruptionen hervorgegangen erklärt. Also sollte man meinen, daß die großen Eruptionen auf dem Monde eine ganz beträchtliche Menge juvenilen Wassers der Oberfläche dieses Weltkörpers zuführen mußten. Dennoch geht bekanntlich die allgemeine Annahme dahin, daß dem Monde eine Wasserbedeckung fehlt oder daß Wasser daselbst doch nur in so geringer Menge vorhanden ist, daß dasselbe für die Atmosphäre unseres Trabanten kaum in Betracht kommt). Die Ursachen dieses Umstandes sind bekanntlich mehrfach Gegenstand von Vermutungen gewesen. Wenn man annimmt, wie das für die Erde von verschiedenen Autoren (zum Beispiel Breislak, Trautschold) geglaubt wurde, daß die Meere mit der Zeit in den Klüften und Gesteinsporen versinken und verschwinden, so kann man Aehnliches auch beim Monde als geschehen voraussetzen. Tschermak in seiner Schrift über den Vulkanismus als kosmische Erscheinung *) hat ja überdies gemeint, daß die Gase des Mondes durch die hygro- skopischen Exhalationssalze der Vulkane und durch deren eruptiven Detritus gebunden wurden und E. Reyer°) tritt sehr entschieden für die Bedeutung der „Reabsorption“ in dieser Frage ein. Es ist auch ganz zweifellos, daß durch die Vorstellung, das von den Mondvulkanen eventuell produzierte Wasser sei von dem ge- nannten Weltkörper wieder verschluckt worden, eine befriedigende Erklärung für die Abwesenheit einer Wasserdünste enthaltenden Atmosphäre auf dem Monde gewonnen wird. Indessen bezüglich der Beschaffenheit der Mondoberfläche selbst bleibt dann noch immer eine Schwierigkeit zu entziffern, wenn wir den Suess’schen Ansichten ohne Weiteres folgen wollen. Den letzteren steht jedenfalls der Einwand entgegen, daß die betreffende Absorption doch nicht plötz- lich erfolgt sein kann, daß also eine Periode existiert haben müßte, 1) Vgl. wieder den Aufsatz in den Sitzungsberichten der Akademie, pag. 30-33. 2) Sitzungsberichte der Akademie, |. c. pag. 34. 3) Eine Ausnahme bezüglich dieser allgemeinen Annahme bildet allerdings die Meinung Hoerbigers (vgl. dessen etwas weiter oben erwähnte Abhand- lung), der sich den Mond von Eis bedeckt vorstellt. 4) Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften, Wien 1877. 5) Beitrag zur Physik der Eruptionen. Wien, Verlag von Hölder 1877, pag. 62—74. N 544 Dr. Emil Tietze. [212] während welcher Teile der Mondoberfläche von Wasser bedeckt waren sowie daß diese Periode Spuren hinterlassen haben müßte, die sich auf dem Relief des Mondes zu erkennen geben. Derartige Spuren sind aber nicht vorhanden und werden auch von Suess nicht ver- mutet. Weder sieht man Erosionswirkungen noch damit im Zusammen- hange die Anzeichen von Sedimentation. Suess schreibt im Gegenteil!): „Wir sehen nicht nur kein Wasser, sondern auch keine Spur von Sedimenten, wie sie etwa frühere Meere hinterlassen hätten und wie sie als eine ausgebreitete Hülle einen so großen Teil der Kontinente der Erde bedecken; auch sehen wir gar nichts, was an die Formen unserer archäischen Berge, an unsere Faltengebirge oder Horste mahnen würde ?) und unwillkür- lich werden wir daran gemahnt, daß die Faltengebirge der Erde doch gar oberflächliche Erscheinungen sein mögen. Was der Mond zeigt, sind Kreise, große, mittlere und kleine, immer wieder die Kreisforın, höchstens da und dort eine Ellipse oder eine geringe Abweichung vom Kreise 3), das ist die nackte Oberfläche eines erstarrten, einst glühenden Weltkörpers.“ Auch in dem etwas weiter oben (pag. |204] in der Anmerkung 1) erwähnten Aufsatz über „Eine Nacht am Fenster“ sagt Suess bezüg- lich der Oberfläche des Mondes: „Keine Spur von Wasser, noch von Tälern, die das Wasser ausgewaschen hätte, ist kenntlich“. Endlich können wir uns auch noch auf eine weitere Stelle in der vorher bereits besprochenen Abhandlung in den Sitzungsberichten der Akademie beziehen (l. e. pag. 35}, wo Suess die Arbeit Brancas über die schwäbischen Vulkanembryonen erwähnt und dabei die Mei- nung äußert, daß in der betreffenden Gegend Lava in das mit Wasser erfüllte Kluft- und Höhlensystem eines verkarsteten Kalkgebirges eingetreten sei und dadurch binnen wenigen Stunden eine Reihe großer Explosionen erzeugt habe. Dort sagt er ausdrücklich: „Solche Bedin- gungen fehlen dem Monde.“ Suess hat also selbst nicht bloß die Wasserarmut des Mondes deutlich betont, sondern auch auf Verhält- nisse hingewiesen, die einem gewissen Gegensatz zwischen lunarem und irdischem Vulkanismus wenigstens für einen Teil der betreffenden Erscheinungen entsprechen. Es kann sich in dem letzterwähnten, von Branca besprochenen Fall nur um vadoses und nicht um juveniles Wasser als Ursache der Explosionen gehandelt haben. !) Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften, 1. c. pag. 34. ?) Hier wäre allerdings wieder an den Panzerhorst Island zu denken, der doch, wie wir oben sahen, an Mondlandschaften eriunern soll, was so viel be- deutet, daß umgekehrt die letzteren Analogien mit Horsten aufweisen. Einigermaßen auffallen darf es ferner, daß gerade in einem Zusammen- hange, wo von den exogenen Wasserwirkungen gesprochen wird, die auf der Erde vorkommen und auf dem Monde fehlen, die Horste genannt werden, deren Genesis doch nach Suess mit Erosionswirkungen nichts zu tun hatte. Sollten sich vielleicht die Auffassungen des Autors in diesem Punkte zum Schluß geän- dert haben ? °) Es ist übrigens selbstverständlich, daß Erosionserscheinungen sich nicht auf Faltengebirge beschränken, sondern auch bei Ringgebirgen zeigen müßten, wenn es auf dem Monde so etwas wie Erosion im größeren Maßstabe gegeben hätte. ie Se. Zune ee u An [213] Einige Seiten über Eduard Suess. 545 ‚ Ist also am Ende die Analogie des lunaren Vulkanismus und des irdischen nicht so groß, wie angenommen wurde und sind die Eruptionen auf dem Monde sozusagen relativ trockene gewesen? Oder ist der Autor mit seiner Annahme von der juvenilen Herkunft des ganzen ozeanischen Wassers zu weit gegangen und entspricht das heute auf der Erde vorhandene vadose Wasser nicht doch einer weit größeren Menge als sie mit der juvenilen Zufuhr durch Vulkane im Laufe der Zeiten an die Oberfläche gelangte ? Eine Erörterung, welche auf diese Fragen einginge und uns die sich hier aufdrängenden Zweifel lösen könnte, findet sich bei Suess nicht. Auch in diesem Falle hat es der Autor dem Leser überlassen, das Problem bis zu: Ende durchzudenken und sich mit ungelösten Widersprüchen abzufinden. Schlußbemerkungen. Wir stehen am Ende unserer Betrachtung, welche keineswegs erschöpfend genannt werden kann. Immerhin aber konnten wir die vielseitige Tätigkeit des hervorragenden Mannes, von dem diese Seiten handeln, in ihren wesentlichen Zügen uns vergegenwärtigen und teil- weise auch auf eine Reihe von Einzelheiten eingehen, durch welche die Einsicht in jene Tätigkeit erleichtert wird. Auch auf die Wirkung konnte hingewiesen werden, welche sowohl die Persönlichkeit wie die Arbeitsleistung von Suess auf dessen Zeit- und Fachgenossen in diesem oder jenem Sinne ausgeübt hat. In Bezug auf diese Arbeitsleistung mag man, wenn man will, in der hier zum Abschluß kommenden Darstellung einen ausführlichen Epilog erblicken, der in übersichtlicherer Weise, als es vielleicht die oben analysierten Werke selbst gestatten, die Gesichtspunkte zeigt, unter welchen man jene Leistung beurteilen, darf. Es sei hier jedoch wiederholt, was in der Einleitung zu dieser Schrift gesagt wurde, daß die letztere keinen Nekrolog vorstellt, sondern eine kritische und historische Studie. Bezüglich der verschiedenen Phasen des äußeren Werdeganges von Suess schien es deshalb genügend, nur das Notwendigste mitzu- teilen, und zwar insbesondere das, was für das Verständnis des Zu- sammenhanges der persönlichen Verhältnisse mit der Forschertätigkeit des großen Autors und seiner Stellung im wissenschaftlichen Leben hervorzuheben unerläßlich schien. Diesen Zusammenhang nicht ganz zu vernachlässigen war aller- dings bei einem Autor geboten, dessen Arbeitsweise sowohl, wie dessen Einfluß auf Andere so vielfach durch den Verlauf seiner Ent- wicklung und durch allerhand Beziehungen bestimmt worden ist, wie sie nicht jedes Gelehrtenleben aufweist. Bezüglich seiner wissenschaftlichen Arbeiten sahen wir den Meister als Paläontologen und auf dem Felde der stratigraphischen Geologie tätig und durften die nicht unbedeutenden Leistungen wür- digen, welche er auf den betreffenden Arbeitsgebieten vollbracht hat. 546 Dr. Emil Tietze. [214] Wir wiesen besonders auf die überaus wertvollen Ergänzungen hin, durch welche die am Beginn der zweiten Hälfte des vorigen Jahr- hunderts von den älteren Österreichischen Geologen in jener Richtung erzielten Ergebnisse vervollständigt wurden. Selbstverständlich konnten wir uns dabei nicht der Verpflichtung entziehen, auch von solchen Fällen zu sprechen, welche den Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten unter den Fachgenossen gegeben haben, wie das für einige Punkte der alpinen Stratigraphie und für die Geologie der jüngeren Tertiär- bildungen bemerkt zu werden verdiente. Wir erinnerten uns ferner aber auch des Eingreifens von Suess bei der Lösung oder der Erör- terung praktischer Aufgaben und Fragen. Wir erkannten den Eifer, durch welchen er sich auch auf diesem Gebiete auszeichnete und wir anerkannten die großen Erfolge, welche ihm gerade in dieser Richtung beschieden gewesen sind. Wir verfolgten endlich aber auch die Entwicklung seiner tekto- nischen Anschauungen von deren Anfängen bis zu seinem Hauptwerk und wir sahen, daß es dem großen Autor schließlich nicht genügte, die ganze Erde mit seinem Wissen und seinen Gedanken zu um- spannen, sondern daß er, um das so auszudrücken, sogar nach den Sternen zu greifen sich anschickte, um seine Ideen und Erfahrungen auf die bezüglich anderer Weltkörper uns erreichbar gewesenen Er- kenntnisse zu übertragen. Wir wissen Alle, daß gerade diese tektonischen Bestrebungen und die damit verbundene Arbeitsleistung dem Namen des großen For- schers zahlreiche Bewunderer gewonnen haben. In der Größe der hier- bei unternommenen Aufgabe wurde auch der Maßstab für den Mann selbst gesucht und gefunden, der sich diese Aufgabe gestellt hatte. Sicherlich durfte auch, wie wir erkannten, die hervorragende Persönlichkeit des alten Meisters den Anspruch erheben, daß dieser Maßstab bei der Beurteilung seines Wesens und Wirkens zur Gel- tung gelange, gleichviel wie man sich zu den Ansichten stellte, mit welchen der geniale Mann in seinen Werken hervorgetreten ist. Daß nicht alle Fachgenossen in jedem Falle und überall jenen Ansichten zugestimmt haben, durfte in der gegenwärtigen Darstellung allerdings nicht verschwiegen werden. Es wurde gezeigt, daß es sogar immer eine Art von Fronde gegeben hat, welche mit der Kritik der betreffenden Vorstellungen nicht zurückhielt. Nieht minder konnte darauf hingewiesen werden, daß diese Kritik vielleicht um so mehr geübt worden ist, je mehr der Chorus der Anhänger jener Vorstellungen dieselben als Offenbarungen pries und dadurch eine ruhige Diskussion derselben erschwerte. Auch in diesen, in erster Linie einer historischen Schilderung gewidmeten Seiten, konnte die Beleuchtung der Bedenken nicht aus- geschaltet werden, welche sich gegen eine Reihe von Annahmen bei sachlicher und unparteiischer Prüfung des von Suess Gebotenen er- geben müssen. Und nicht bloß diese Annahmen mußten geprüft, auch die Art ihrer Darstellung und die Denkweise des Autors mußten Gegenstand der Besprechung werden, weil dadurch allein ein richtiges Verständnis für die dem Leser der Suess’schen Schriften vorgelegten Ausführungen gewonnen werden konnte. [215] Einige Seiten über Eduard Suess. 547 Wir sahen dabei, daß manche Schwäche dieser Ausführungen auf den Umstand zurückzuführen ist, daß der Autor jeweilig von einer besonderen Lieblingsidee beherrscht wurde, welche ihn ver- hinderte, die von ihm behandelten Probleme nach verschiedenen Rich- tungen hin gleichmäßig zu prüfen. Wir sahen auch, daß er nicht selten den Weg der schon von Lord Bacon der Forschung empfoh- lenen induktiven Methode verließ und einer gleichsam plötzlichen Inspiration folgend, seine Leser auf besonderen Pfaden in ein Ge- strüpp von Widersprüchen führte, um sie dann ihrem Schicksal zu überlassen. Wir beklagten es, daß diese Widersprüche teilweise auch dadurch hervorgerufen wurden, daß der Autor in vielen Fällen es unterlassen hatte, die von ihm verwendeten Begriffe genauer zu de- finieren, so daß diese Begriffe oft schwankend erschienen, und im Zusammenhange mit diesen Eigentümlichkeiten der Darstellung sahen wir vor Allem, daß die Beweisführung für die vorgebrachten Annahmen eine vielfach unvollständige blieb. Die Phantasie, welcher ja, wie wir von ihm selbst hörten, der sroße Autor eine besondere Bedeutung beimaß für das Streben nach den hohen Zielen, die er sich gesteckt hatte, Ziele, wie sie nach seiner Meinung für die bloß auf die Beobachtung und den Verstand des gewöhnlichen Naturforschers gestützte Arbeit unerreichbar schienen !), diese Phantasie eines lebhaften Geistes hatte in leicht begreiflicher Weise bisweilen zu theoretischen Vorstellungen geleitet, die frühzeitig ausgesprochen erst nachträglich bewiesen werden sollten, was nicht in jedem Falle gelang. Wir haben diese Versuche in einer größeren Zahl von Bei- spielen verfolgt. Es wäre jedoch einseitig gedacht und gehandelt, wenn wir unser Urteil über den Mann und sein Werk ausschließlich auf derartige Umstände gründen wollten. Man darf da, um das so auszudrücken, die psychologischen Zu- sammenhänge nicht aus den Augen verlieren, welche für die Bestre- bungen eines genialen Gelehrten von Bedeutung gewesen sind, der sich der jahrelangen Arbeit hingab, die Weltliteratur seines Faches zu be- herrschen und der gleichzeitig seinem nie versiegenden Reichtum an Ideen während dieser Arbeit Ausdruck geben wollte. Es war ein Reichtum, mit welchem zurückzuhalten vielleicht auch manchem An- deren in ähnlicher Lage schwer gefallen wäre, wenn auch eine kühle Ueberlegung, wie sie aber gerade den impulsiven Naturen oft nicht eigen ist, diese Zurückhaltung bisweilen geboten hätte. Der „erste Schritt zur Synthese“, sagte Suess in seiner hier schon mehrfach erwähnten Abschiedsvorlesung (l. c. pag. 8) ist „der entscheidende Schritt in dem Leben des Forschers“. Das mag richtig sein im guten, wie im ungünstigen Sinne. Glück hat derjenige, den dieser erste Schritt gleich auf den richtigen Weg führt, anfänglich vielleicht auch derjenige, dessen Weg von Vielen, die sich ihm anschließen, für richtig gehalten wird. Für den Fall aber, daß der Forscher sich nicht rechtzeitig entschließen kann, diesen Schritt zurück zu tun, sofern der betreffende Weg sich auf !) Vgl. oben pag. [127] dieser jetzigen Schrift. 548 Dr. Emil Tietze. [216] die Länge nicht als gangbar erweist, und wenn Jemand seine Ansichten nach einer bestimmten Richtung hin zu rasch festgelegt hat, dann entstehen nicht selten Verlegenheiten. Diesen Verlegenheiten aber wird der Forscher um so schwerer begegnen können, je weniger leicht er sich von einer Idee völlig zu trennen vermag, der er unter Um- ständen noch immer ein Stück Berechtigung zuerkennt, auch wenn er sich der Ueberzeugung nicht verschließen kann, daß die Dinge ver- wickelter liegen als er ursprünglich annahm, So erklären sich auch die, rein menschlich gesprochen, sehr ent- schuldbaren Bemühungen, gewisse widerspenstige Tatsachen doch noch eine Zeitlang im Lichte der ursprünglichen Theorie sehen zu wollen, durch die man gehofft hatte, Probleme lösen zu können, deren rest- lose Aufklärung Anderen vorher nicht gelungen war und die vielleicht auch in der Zukunft noch nicht sogleich zu bewältigen sein werden. So entstehen dann Ergänzungen und Hilfshypothesen, welche mitunter einer solchen Aufklärung mehr im Wege stehen, als sie jener ur- sprünglichen Theorie auf die Dauer zu nützen im Stande sind. Eine vorurteilslose Betrachtung kann, wie das in diesen Seiten schon mehrfach angedeutet wurde, an diesen Umständen gewiß nicht blind vorübergehen. Sie kann die Dinge nicht mit den Augen von Enthusiasten ansehen. Die Sympathie, welche uns eine autoritätvolle und fascinierende Persönlichkeit einzuflößen vermochte und die sich namentlich bei den Schülern eines Meisters wie Suess leicht zur Begeisterung steigern konnte, muß von dem Urteil getrennt werden, welches selbst gegenüber den großartigsten Erscheinungen auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Literatur ein sachliches zu bleiben hat. Daß dieses Urteil aber selbst angesichts von Irrungen nicht ausarten darf in die Negation eines großen Verdienstes, welches trotz solcher Irrungen mit der gewaltigen Arbeit verknüpft bleibt, : die ein Forscher vom Range eines Suess zu leisten im Stande war, ist doch wohl selbstverständlich und das ist ebenfalls in diesen gegenwärtigen Seiten wiederholt betont worden. Wenn auch die Ziele, die dem großen Autor vorschwebten, oft nicht vollständig erreicht wurden, so ist doch schon das Ringen um den Preis bei solchen Zielen der höchsten Anerkennung würdig. Das gilt besonders in einem Falle, in welchem Viele, um nicht zu sagen die Meisten, sich durch die Schwierigkeit der Aufgabe hätten ab- schrecken lassen, die Wege zur Lösung der behandelten Probleme zu suchen und in welchem unter Umständen gerade solche mutige Naturen, denen für mancherlei Bedenken gleichsam das empfindende Organ fehlt, zu einem Erfolge zu gelangen vermögen. Sind dann die Schwierigkeiten doch größer als der gute Wille, so müssen wir uns nicht ausschließlich an das halten, was erreicht oder nicht erreicht wurde, sondern vornehmlich und gerechter Weise auch die Kraftanstrengung in Rechnung stellen, welche zur Ueber- windung jener Hindernisse aufgewendet wurde. In magnis voluisse sat. Wer beim Sturm auf eine Burg fällt, ist deshalb nicht weniger ein Held als derjenige, dem es gelingt, auf der Zinne jener Burg seine Fahne aufzupflanzen. [217] Einige Seiten über Eduard; Suess. 549 Suess hat im Verlaufe seiner tektonischen Arbeiten allenthalben versucht, Gesetze für den Bau der Erdrinde zu finden und die Pläne zu ermitteln, nach welchen das Antlitz der Erde gestaltet ist. Wenn er solche Gesetze nicht einwandfrei zu begründen vermochte, so lag das, abgesehen von gewissen vorangehend erwähnten Eigentümlichkeiten seiner Darstellung und Denkweise, auch an dem Umfang und der verwickelten Beschaffenheit der behandelten Fragen, die, wie es scheint, mit den uns heute zugänglichen Erfahrungen überhaupt noch nicht vollkommen zu bewältigen sind. So hat unser Autor bei seinem Versuch jedenfalls mehr Hinder- nisse vor sich aufgetürmt gefunden als er wohl anfänglich erwartete. Es galt ja für ihn nicht. bloß den an sich --- wenigstens betreffs der Einzelheiten — bereits großen Umfang unserer positiven Erkenntnis zu überblicken, sondern noch viel größere Lücken dieser Erkenntnis durch Spekulation zu überbrücken. Dem Naturell des Autors gemäß war dies eine Spekulation, die sich ihrerseits teils auf eine halb künstlerische, halb philosophische Betrachtungsweise zu stützen suchte, teils auf den Empfindungen eines Sehers, auf einer Art inneren Er- lebens der gesuchten Zusammenhänge beruhte. Insofern der große Autor aber unter Anwendung des Vergleichs von überall in reicher Fülle hergeholten Tatsachen und Erfahrungen diese Zusammenhänge zu erläutern versuchte, hat er uns sogar die- jenigen Probleme, an deren Lösung er scheiterte, in Bezug auf ihre Vielseitigkeit und Vielfältigkeit deutlicher zum Bewußtsein gebracht, als sie es jemals vorher gewesen sind und wenn wir uns denken wollen, daß sein Werk nicht einen Abschluß bedeutet, sondern gleichsam als die Vorarbeit eines ebenso eifrigen, wie unerschrockenen Pioniers aufgefaßt werden kann, dann werden wir auch den Gewinn, den diese Arbeit der Wissenschaft gebracht hat, als einen nicht unbeträchtlichen einschätzen, Und das ist nur der unmittelbare Gewinn für die weitere Ent- wicklung eines wichtigen Zweiges der menschlichen Erkenntnisse. Viel weitgehender ist der Erfolg, den die große Synthese überdies aufzuweisen hatte durch die Befruchtung aller tektonischen Studien, welche durch die Arbeiten von Suess einen so überaus mächtigen Anstoß erhalten haben. Jedenfalls ist durch die Pioniertätigkeit von Suess nicht allein sozusagen eine große Strecke von Neuland für weitere Arbeit ge- wonnen oder doch gezeigt, sondern auch die Bebauung dieses Neu- landes durch frische Kräfte in wirksamer Weise angeregt worden. Daß bei dieser Bebauung, um bei dem Gleichnis zu bleiben, für den Anfang wenigstens, einige Mißverständnisse oder Fehlgriffe nicht hint- anzuhalten sein werden, scheint freilich ziemlich unvermeidlich, aber wir dürfen hoffen, daß hier in der Zukunft die reiche Ernte auch an guten Früchten nicht ausbleiben wird, welche wir dann noch mittelbar dem eifrigen Bemühen des großen Forschers verdanken werden, Wir dürfen auch nicht glauben, daß Suess je gering von sich gedacht hat. Daß er im Gegenteil das Bewußtsein seines Wertes besaß (und ein solches Bewußtsein muß derjenige besitzen, der Anderen ein Führer sein will), das zeigte sich auf ziemlich ausdrucksvolle Jahrbuch d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1916,i66. Bd,, 3. u.4. Heft. (E. Tietze.) 72 550 Dr. Emil Tietze, | [218] Weise in eben jener, in mehrfacher Hinsicht so interessanten Abschieds- vorlesung dort, wo er in einem Rückblick auf sein Lehramt den Zu- stand der Geologie zur Zeit des Beginnes seiner Wirksamkeit mit der vorgeschrittenen Erkenntnis verglich, welche diese Disziplin zur Zeit des Abschlusses jener Wirksamkeit aufwies!) und das geht auch noch besonders aus den Worten am Schlusse dieser Vorlesung hervor. Er spricht dort von dem Forscher, der zuerst „eine gewisse Strenge gegen sich selbst“ daran gesetzt hat, die Einzelheiten kennen zu lernen und dadurch in die Lage zu kommen, „einen Ueberblick zu gewinnen“. Endlich aber, so fährt er fort, „kommt die Stunde heran, in welcher seine Seele erfüllt wird von der hohen Befriedigung, irgend eine neue Anschauung oder eine neue Tatsache eingefügt zu haben der Summe menschlicher Erkenntnis — eine Empfindung, welcher gegenüber selbstverständlich Alles verschwindet, was die Außenwelt an Anerkennung zu zollen im Stande ist“. Das ist die Empfindung in der Seele eines Menschen, der das Bewußtsein haben durfte, nach Hohem gerungen und reiche Gaben in solchem Streben unablässig verwendet zu haben. Es ist auch die Empfindung Jemandes, der sich sagte, daß er nicht umsonst gelebt habe, daß sein Wirken nicht spurlos vorübergegangen und daß seine Arbeit nicht ohne bedeutsame Folgen geblieben war. Und dennoch hat Suess sich nicht der Täuschung hingegeben, daß jenes Streben ihn stets zu absoluten Wahrheiten geführt habe oder daß Alles, was er erkannt zu haben glaubte, ein wirklich dauernder Besitz der Wissenschaft geworden sei. Am allerwenigsten aber glaubte er, daß die Ziele, die ihm vorschwebten, auch sämtlich von ihm erreicht worden seien. Schon frühzeitig kam er deshalb dahin, die Arbeit des Forschers mit einem „Klettern von Irrtum zu Irrtum“ zu vergleichen ?2), und an einer anderen Stelle®), dort, wo er sich gegen Beaumonts Hypo- these von einer geometrischen Anordnung der Gebirgsketten wendet, lesen wir die bezeichnenden Worte: „Auf eine wie sonderbare Weise doch oft die Natur unseren Voraussetzungen widerspricht.“ Freilich war es, wie wir sahen, gerade die Neigung, zu viel von solchen Voraussetzungen, das heißt von rasch gefaßten Eingebungen und vorgefaßten Meinungen auszugehen, welche unsern Autor beim Verfolg seiner Studien mit jenem von ihm beklagten Widerspruch zwischen der Natur und menschlichen Auffassungen bekannt werden ließ und die ihn auch nicht selten zum Widerspruch mit sich selbst gebracht hat. Es ist zweifellos aus der Empfindung für diesen Zwiespalt zwischen Wollen und Vollbringen zu erklären, daß sich schließlich bei dem großen Forscher sogar jene Resignation einstellte, die sich im vorletzten Abschnitt seines Hauptwerkes*) in den Worten kundgibt: !) Auf diesen Vergleich konnte in der gegenwärtigen Schrift schon bei einer früheren Gelegenheit (pag. [98]) aufmerksam gemacht werden. ”) Bekannter Ausspruch des Meisters, auf welchen auch in der Gedenk- rede Dieners angespielt wurde. °) „Enstehung der Alpen“, pag. 145, *) „Antlitz“, Bd. III/2, pag. 724. 1219) Einige Seiten über Eduard Suoss. 551 „Zahlreiche Zweifel und Fragen hängen von dem Ende dieses unvoll- kommenen Versuches, das Antlitz der Erde zu überschauen, herab wie lose Fäden von einem unfertigen Gewebe.“ Und aus denselben Zweifeln heraus hat er, worauf wir schon früher aufmerksam machten, seine theoretischen Vorstellungen in jener letzten Arbeit über die Zerlegung der gebirgsbildenden Kraft nur mehr als eine Arbeitshypo- these hingestellt, während er ursprünglich doch wohl etwas zuver- sichtlicher über den Wert dieser Hypothese gedacht haben dürfte. Mit anderen Worten Suess hatte sich, um hier wieder au einen früher erwähnten Ausspruch in dem geistvollen von de Launay (vgl. oben pag. [85]) verfaßten Nekrolog anzuknüpfen, mehr und mehr davon überzeugt, daß selbst das längste Leben kurz, die Kunst aber lang ist. Er erkannte die Unmöglichkeit, die Grenzen der menschlichen Erkenntnis ins Ungemessene zu verschieben und er war deshalb Stimmungen unterworfen, unter deren Einfluß er auf die restlose Er- reichung seiner Ziele Verzicht leistete. In hoch poetischer Weise finden wir diese Stimmung ausgedrückt in den Worten, mit welchen der zweite Band des „Antlitz“ schließt: „Wie Rama über das Weltmeer schaut, dessen Umriß am Horizont mit dem Himmel sich mengt und eint und wie er sinnt, ob wohl ein Pfad hinaus zu bauen sei in das schier Unermeßliche, so blicken wir über den Ozean der Zeiten, aber es zeigt sich bis heute nirgends ein Ufer.* Das ist das Bekenntnis des Goethe’schen Faust: der (er- kennend, daß seinem brennenden Verlangen, dem Zusammenhang aller Dinge auf die Spur zu kommen, keine Erhörung winkt) in die Worte ausbricht: „Ich seh’, daß wir nichts wissen können,* oder der an einer anderen Stelle seiner Enttäuschung Ausdruck gibt durch die Betrachtung: „O glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen. Was man nicht weiß, das eben brauchte man, und was man weiß, kann man nicht brauchen.“ Es läßt sich zwar aus verschiedenen Umständen ersehen (und wir kommen am Schlusse auf diesen Punkt noch zurück), daß Suess im Allgemeinen nicht so absolut an dem schließlichen Erfolge ver- zweifelt hat, den der menschliche Geist durch die Enthüllung mancher uns heute noch verschleierten Geheimnisse der Natur zu erzielen hofft. Daß er aber für sich selbst jenes Bekenntnis abgelegt hat, daß .er damit offen bekundete, es sei ihm nicht gelungen, aller Schwierigkeiten auf seinem Wege Herr zu werden, das gereicht ihm sicher zur Ehre. Er hat sich durch dieses allerdings nicht in Bezug auf Einzelheiten, die ihm vielleicht besonders lieb waren, sondern in genereller Weise gemachte Zugeständnis auch hoch gestellt über Solche, die im gege- benen Fall geneigt waren, dort wissenschaftliche Dogmata zu erblicken, wo ihm selbst, wie wir sahen, schließlich nur die Aufstellung einer „Arbeitshypothese“ als ein genügendes Resultat seiner Anstrengungen erschienen ist. Verweilen wir aber noch einen Augenblick bei dem Vergleiche mit Faust. - Ebensowenig wie dieser bis an sein Ende aufhört, sich „strebend zu bemühen“, ebensowenig hat Suess trotz seiner Erkenntnis von 72* 559 Rr Dr. Emil: Tietze. © [220} der: Unzulänglichkeit der menschlichen Kraft aufgehört, sich unermüd- lich bis in sein höchstes Alter hinein zu betätigen. Immer aufs Neue häufte er Tatsachen auf Tatsachen, wie sie sich bei der Durchsicht der täglich mehr anschwellenden Literatur aller Kulturvölker für die Ausgestaltung seiner Ideen als brauchbar zu erweisen schienen, und wir sahen, wie er sogar noch in seinem hohen Greisenalter die Be- schwerden von Exkursionen im Hochgebirge nicht scheute, um seine Erfahrungen zu ergänzen. Dennoch besteht ein Unterschied zwischen den hier verglichenen Naturen, deren Sinn in beiden Fällen auf das Eindringen in das Geheimnis der Schöpfung gerichtet ist und dieser Unterschied liegt in der Entwicklung, welche sie durchmachen. Faust beginnt seine Tätigkeit in der Studierstube, wo er sich mit den größten Problemen beschäftigt und weil er an deren Lösung verzweifelt (der Auffassung des Zeitalters gemäß, in welches der Dichter diese Gestalt versetzt hat), von der Berührung mit übernatür- lichen Gewalten die Aufklärung erhofft, welche ihm auf dem nor- malen Pfade der Wissenschaft versagt bleibt. Er gelangt unter man- cherlei Irrungen mehr und mehr in Berührung mit dem öffentlichen und dem praktischen Leben, wobei er sich auch (am Hofe des Kaisers) durch Eingreifen in verschiedene Staatsangelegenheiten bemerkbar macht. Sein letztes Werk ist ein technisches, die Regulierung eines Küstenstrichs behufs Landgewinns. | | Bei Suess hingegen wird die erste Hälfte seiner Laufbahn durch sein Auftreten als Politiker bezeichnet und in diese frühe Zeit fallen seine Arbeiten für praktische Ziele oder öffentliche Zwecke, sei’ es daß wir hier an die Wasserversorgung von Wien, an die Donauregu- lierung, an seine Beteiligung an der Schulgesetzgebung oder an den Versuch seines Eingreifens in die Währungsfrage denken, während er umgekehrt später sich mehr und mehr in die Studierstube zurück- zieht, wo sein Geist sich immer allgemeineren Problemen der Wissen- schaft zuwendet, wie sie gerade das Studium der theoretischen Geo- logie in Fülle bietet. So kommt es, daB während Faust beim Abschluß seines Daseins bei der Bewältigung einer großen, aber begrenzten Auf- gabe von dem Gefühl vollster Befriedigung erfüllt wird, unserem in das Reich des Unermeßlichen vorstrebenden Meister, wie die vorer- wähnten Aeußerungen beweisen, dieses innerliche Gefühl der unein- geschränkten Genugtuung bezüglich der Lösung der weit ausgreifenden ihm vorschwebenden Fragen versagt blieb, das heißt wenigstens der- jenigen Genugtuung, welche der dauernd gültige absolute Erfolg gibt, der mit dem momentanen Beifall der Menge nicht zu verwechseln ist, denn an dem letzteren hat es für Suess nicht gefehlt. Wenn es trotzdem auch für ihn Augenblicke gegeben hat, in welchen er ohne jede Trübung diesen Beifall für wohl verdient ge- halten haben dürfte, so lagen dieselben in seinem Leben weiter zurück und bezogen sich ähnlich wie bei der von dem Dichter uns vorgeführten Gestalt auf den gelungenen Abschluß großer aber begrenzter tech- nischer Aufgaben, welche durch seine Anregungen und unter seiner eifrigen Mitwirkung zur Lösung gebracht wurden. Es ist wenigstens [221] Einige Seiten tiber Eduard Suess. 553 sehr wahrscheinlich, daß der Tag, an welchem mit der feierlichen Inauguration des Hochstrahlbrunnens am Schwarzenbergplatze die erste Wiener Hochquellenleitung der öffentlichen Benützung übergeben wurde, für Suess einen größeren Triumph bedeutete als der Moment, in welchem der letzte Bogen des „Antlitz“ die Presse verließ. Aber wenn auch unser alter Meister schließlich die Empfindung nicht verleugnen konnte, daß gegenüber unbegrenzten Aufgaben das Verhältnis zwischen Wollen und Vollbringen zumeist nicht das ge- wünschte oder erhoffte ist, so pessimistisch wie Faust hat er über die Aussichten der menschlichen Forschung doch nicht gedacht und brauchte er wohl auch nicht zu denken. Als „endlich die Stunde“ des Abschieds von seinem Lehramt „gekommen“ war (vgl. oben), hat er sich zwar betreffs seiner eigenen Beteiligung an dieser Forschung bescheiden mit dem Bewußtsein begnügt, der Wissenschaft durch einige neue Anschauungen und durch die Einfügung einiger neuer Tatsachen in deren Besitzstand genützt zu haben, aber er sah doch die Möglichkeit einer günstigen Weiter- entwicklung unserer Erkenntnis vor sich, und wie groß oder wie be- grenzt er die Ergebnisse seiner persönlichen Arbeit für diese Ent- wicklung in jener Stunde eingeschätzt haben mag, er hat an dieser seiner Arbeitsleistung erkannt, daß schließlich Erfolge für denjenigen nicht ausbleiben, der mit Ernst und Eifer sich um den Fortschritt des Wissens bemüht hat. Er besaß, mit einem Wort gesagt, den Glauben an die Zukunft. Ihm leuchtete die Hoffnung auf die Erfolge der kommenden Generationen, an deren Vorbereitung für hohe Aufgaben er unablässig gearbeitet hat, gleichviel, ob es sich dabei um diejenigen handelte, die seine unmittelbaren Hörer gewesen waren und an die er aller- dings zunächst dachte oder um den weiteren Kreis seiner Leser und aller derer, welche durch seinen Ideenreichtum zur Betätigung ihres Könnens sich angeregt fühlen konnten. In diesem Sinne dürfen wir wohl die Worte seiner Abschiedsrede deuten, in welchen er an den Ausspruch Lytton Bulwers erinnerte: „Wenn jemand in hohem Alter von Kindern umgeben ist, dann sieht er am Ende seiner Tage nicht einen Schlußpunkt, sondern einen Beistrich.“ Mit diesen Kindern aber seien für den Forscher die Schüler zu vergleichen, die ihn um- geben und denen die Fortsetzung seines Wirkens anheimfalle. So sei denn auch er am Ende seiner Lehrtätigkeit nicht an einem Schluß- punkt, sondern nur an einem Beistrich angelangt. Es wird nun die Aufgabe der heutigen wie der kommenden Generation von Geologen sein, im Sinne der Hoffnungen des alten Meisters fortzuarbeiten an dem Aufbau unserer Wissenschaft, wozu ja Jeder nach Maßgabe seiner Begabung oder Neigung beitragen kann, auch wenn diese Begabung oder Neigung ihn nicht gerade auf die Behandlung der schwierigsten Probleme hinweist. Ob diese Arbeit jedoch überall auf denselben Wegen geschehen muß, welche im un- mittelbaren Anschluß an die Methode von Suess eingeschlagen werden könnten, ob nicht vielmehr in manchen Punkten diese Methode zu 554 Dr. Emil Tietze. [222] ändern und die Art der Darstellung des großen Autors als eine solche aufzufassen wäre, die nicht jeder Individualität entspricht, mag dahin- gestellt bleiben. Wir sollen ja aus der Vergangenheit lernen, und des- halb sollten die vielfachen Erfahrungen, welche die Geschichte der menschlichen Bestrebungen auch auf dem geistigen Gebiet aufweist, nicht ungenützt bleiben. Man darf wohl voraussetzen, daß unter diesem Gesichtspunkte die Wünsche und Hoffnungen, welche Suess bezüglich der Zukunft unserer Wissenschaft hegte, der Erfüllung zugeführt werden. Die Epigonen werden dabei zu beurteilen haben, was sie als dauernde Ergebnisse der reichen Arbeit unseres großen Forschers anerkennen dürfen und an welche der vielfältigen, durch jene Arbeit ihnen ge- botenen Anregungen sie anknüpfen können. Unter allen Umständen aber werden diese Epigonen, sowie das die Zeitgenossen von Suess und wohl auch die Gegner unter den- selben stets getan haben, den eisernen Fleiß, die Arbeitskraft, das reiche Wissen, das große Wollen und die schöpferische Veranlagung einer Persönlichkeit anerkennen, der es gelang, von den Anfängen einer unregelmäßigen Vorbereitung ausgehend, sich in den Augen der Mitwelt einen der vordersten Plätze im Reiche der Geister zu gewinnen, und deren Namen man immer wird nennen müssen, wenn es gilt, die Entwicklung der Geologie zu überblicken. An diesen Namen knüpft sich für alle Zeiten die Erinnerung an eine der interessantesten Epi- soden dieser Entwicklung. Zusätze. Es scheint erwünscht, nachträglich noch auf einige Punkte hin- zuweisen, welche in den vorstehenden Ausführungen in Form von Anmerkungen zum Text hätten erwähnt werden können und die in- sofern nicht ganz belanglos sind, als sie das Verständnis gewisser gegen einen Teil der Vorstellungen von Suess erhobenen Einwände zu fördern geeignet sind. 1. In dem Abschnitt über Vulkane wurde auf Seite [174] der vorangehenden Darlegungen eine Stelle im Schlußbande des „Antlitz“ (siehe dort Seite 671) besprochen und als in mehrfacher Hinsicht zum Nachdenken anregend bezeichnet. Abgesehen von den direkten Bezie- hungen dieser Stelle zur Auffassung des Auftretens der Vulkane wäre hier noch die daselbst ausgesprochene Meinung von Suess hervor- zuheben, es sei unmöglich anzunehmen, daß die Inselbögen erst durch Faltung bogenförmig geworden seien. Diese Meinung bedeutet jedenfalls eine wesentliche Einschrän- kung der ursprünglichen Vorstellung des Autors, wonach die Bogen- form allenthalben als mit der Faltung und speziell mit dem einsei- tigen, die Faltung erzeugenden Schub im Zusammenhang stehend be- trachtet wurde. Wenn sich also Bittner und Löwl gegen diese Vorstellung wendeten und für die Bogenform, durch welche sich viele Gebirge auszeichnen, eine besondere Erklärung als notwendig ansahen ‘ AD [223] Einige Seiten über Eduard Suess. 555 (vgl. hierzu die Seiten [110]—[111] und [155] der obigen Darstellung), so darf man in dem betreffenden Ausspruche von Suess wenigstens bezüglich eines großen und wichtigen Teils der Gebirgsbögen eine Rechtfertigung der hier in Betracht kommenden gegnerischen An- sichten erblicken. 2. Auf Seite [186] der vorangehenden Ausführungen wurde ge- sagt, daß Suess für seine ursprüngliche Annahme einer Veränder- lichkeit des Meeresspiegels in Folge von Aenderungen der Rotations- geschwindigkeit des Erdballs sich vornehmlich auf eine ältere Ver- öffentlichung von Frisi stützt, der behauptet hatte, daß ein in Ver- dichtung befindlicher Körper, der sich um eine bestimmte Achse drehe, eine Beschleunigung der Rotation erfahre. Es wurde ferner gesagt, daß unter einer solchen Voraussetzung wenigstens eine Schwierigkeit für die Suess’sche Hypothese als beseitigt angesehen werden dürfe, insofern gerade die Beschleunigung der Rotation (wie sie nach Suess das Zuströmen des Wassers von den Polen zum Aequator bedingen sollte) zu den nicht ohne Weiteres einleuchtenden Möglichkeiten zu rechnen sei. Insofern nun weiter gezeigt werden konnte, daß Suess selbst schließlich in dieser Hinsicht Zweifel zu haben und sich nicht mehr mit Zuversicht auf die Behauptung Frisis zu stützen schien, und daß sich auch Playfair gegen Frisi ausgesprochen hatte, konnte zwar von einer näheren Erörterung dieses Gegenstandes abgesehen werden, aber es wäre doch nicht unangebracht gewesen, noch auf Folgendes aufmerksam zu machen. Suess brauchte für seine Hypothese einen Rhythmus der Ver- schiebungen des Meeresspiegels mit abwechselndem Zu- und Abfluß des Wassers zwischen den Polen und dem Aequator. Bei der ge- suchten Verbindung dieser Vorgänge mit einer veränderlichen Rota- tionsgeschwindigkeit der Erde wäre die Annahme einer abwechselnd bald zu- bald abnehmenden Energie der Rotation eine Notwendigkeit gewesen. Dafür bietet aber die Annahme Frisis keinen Anhalt. Man müßte sonst glauben, daß die Verdichtung des rotierenden Körpers (in diesem Falle des Erdballs) periodisch in das Gegenteil übergehen könnte. Die Berufung auf diese Annahme war demnach in jedem Falle verfehlt. Berichtigungen. Seite [9] Anmerkung Zeile 14 von unten lies unabhängiger statt unabhängigen. |19] Zeile 6 von unten lies ont produit satt out prodouit. » [20] Zeile 29 von oben lies Argonauta statt Argonouta. „ 122] Zeile 7 von unten lies haben statt hahen. » [B2]J Zeile 4 von oben lies Gondwana statt Goudwann. » [83] Zeile 5 von unten lies vorgelegter statt vorgelegten. „ [88] in der Anmerkung 6 lies Lahner statt Lehner. »„ 189] sn der Anmerkung 5 lies Quarterly statt Quaterly. »„ . [40] Zeile 9 von unten lies sollte statt sollten. „ |45] Zeile 8 von oben lies abgeschnittenen statt abgeschnittene. »„ [48] Zeile 15 von unten ist das Wort „nicht“ unabsichtlich durch ge- sperrten Druck hervorgehoben. » . [9] Zeile 16 von oben lies aufweist statt aufweisenden. [556[ Dr. Emil Tietze. 224 Seite [50] Zeile 2 der Anmerkung 2 lies konnte statt konnten. [53] heißt es in der drittletzten Zeile des dort zu Ende gehenden Ab- schnittes richtig verleiht statt verleihen. [67] Zeile 26 von unten lies Einfallen statt Einfalles. [70] in der Anmerkung 2 lies Gewitsch statt Gerwitsch. „ [74] Zeile 3 von unten lies Grabensenkung statt Grubensenkung. [83] Zeile 8 von oben lies philosophisches statt philosopisches. 185] lies in der Anmerkung 1 in dem englischen Zitat advocate statt advocats und moreover statt narcover. „ [88] Zeile 17 von oben lies unbeendigten statt unbeendingten. „ [104] Zeile 4 der Anmerkung 1 lies faltenden statt fallenden. [109] Zeile 23 von oben lies Dieses statt Bieses. ? [145] Zeile 13 von oben lies Gleitfaltung statt Glutfaltung. „ [148] Zeile 6 von oben lies Verhältnissen statt Verhältnisse. „ [156] Zeile 11 von oben lies Schwierigkeiten statt Schwierigkeit, „ [162] Zeile 5 und 6 von oben lies: daß die Schweremessungen statt daß die Ergebnisse der Schweremessungen. „ [168] Zeile 13 von unten lies das Magma statt des Magma. Inhaltsverzeichnis. =—— Seite Kınleitung „312.0. Prsaın DSF e N RE 2 Die ersten Publikationen und die "paläontologischen Studien von Sues .. [12] Das Verhältnis von Suess zur Deszendenzlehre . ..2..2.2.2..2.2...6f]17 Arbeiten im Interesse der Formationslehre . .. . 2 2... 2 2... 22 Geologische Schriften vermischten Inhalts... . 2.2.2 ..2.2.2.2.20.. 0. [86] Geologie des Tertiäts . u... 02 0.0. 1 20% De Se Angewandte Geologie . . : . 51] Beschäftigung mit "allgemeinen Fı 'agen. Beginn der tektonischen Studien . [55] Die Enstehung der Alp en A Das Antlitz der Erde. als Vorbemerkungen A: [75] Geographische Anschauungen als Ausgangspunkte geologischer Erörterungen [94] Die Schrumpfungstheorie “und deren Modifikation durch die Lehre vom ein- seitigen Schub en . [103] Die gebirgsbildende Kraft n.7% € EN . [112] Die Frage der Gleichzeitigkeit der Falten von Kettengebirgen 0 Verschiedene Schwierigkeiten bezüglich der Hypothese vom einseitigen Schub [126] Die Vortiefen . . . 0 Die Dinariden. Einiges über Rückfaltung em Suess und die Deckentheorie.. . . . . [158] Die nachträgliche Berücksichtigung verschiedener für die tektonische Betrach- tung wichtiger Umstände . ........ 2 Dee . [161] Vulkane .. 2.0020. 2200 een ee .. [164] Sekulare Hebungen und Senkungen in ı Verbindung mit Schwankungen des Meerespiegels ARTE a ee a Erdinneres und Himmelskörper. . . 2... ee ee Schlußbemerkungen ... ., 4... 2 18 Ina haren m a ... . [213] BUBRLZB Er RATE IT TE TE et Re Pe Ta [222] Berichligungen .. . » 2 2... 0 m nun u . Je EB Gesellschafts-Buchdruckerei Brüder Hollinek, Wien 11, Steingasse 25. “ 772 2 ei nn ACSEN jap PT RUE | N DE NB. Die Autoren allein. aa .” CALIF ACAD OF SCIENCES LIBRA NN] bi; | II) wen 3 ul 10006 0198