i " RC .. . 2 EEE SEEN RL FIERE ar LE ER LEEELTETEN . re ee ee ERS pe N . « ” vr, & ul » Dir ne h h, Pin : Ar a a RyE E . N . br \ x ung N “> Se E - + ut et ne ya R“ ee - N ne u in ee ‚irre ie ae x e; a ha Y u Die, 2 en U - . - - u en a ne Su a ne Pneu ER Bene BER Fo - AA ER SIITN 3 Lt =.“ GEIST IE? t, gen or haf .w \ t ./ = 7 / f ht Ic igs ® Pi Y / IR i che Cl G.K r h n Ge ® ISC n se SE an ri i 28 es für va ellsce ur ten und Veränderun schaft eht über die Arbe der = ei “N . } r hhandlung. | hr e 1884 ii u | ei ı, ® ue derhol2’ B £ ese i Bresla im Heinrich Robert Goeppert. Lichtäruck ron Römmler & Jonas in Dresden. Ziseiundsechzigster Jahres-Bericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Gultur. Bien ask den Generalbericht über die Arbeiten und Veränderungen der Gesellschaft im Jahre 1SSH#. near > Breslau. G. P. Aderholz’ Buchhandlung. 1885. Inhalt des 62. Jahres-Berichtes. Seite Allgemeiner Bericht über die Wirksamkeit und die Verhältnisse der Gesellschaft im Jahre 1884, abgestattet vom General-Secretair, Staats- suwrall vw, ‚Veeheliziers sa N Sa EN BEN I iestdle nam. Gedächtnissrede auf H. R. Göppert.................... II Blerzdiratand Oohın®k dessleichen..-- .............zunuesseeneenuiuuee. Xu Bericht des Conservators der naturhistorischen Sammlungen ............. XXXV Beriehtsüper" die Bibliotheken der Gesellschaft ......................0.. XXXVI Bericht des Schatzmeisters über den Kassenabschluss pro 1884........... XLI Bericht über die Thätigkeit der einzelnen Sectionen. I. Medicinische Section. Alexander: Ueber das Antipyrin und seine Wirkung bei fieberhaften Iranlicheten Ende De al URBDRNENDSSERNI DD, DD LEN 89 Bieneier Zur Symptomatologie der Tabesdorsalis.\...............2......: 70 — Ueber die ätiologischen Beziehungen zwischen Syphilis und Tabes... 138 Born: Ueber den Einfluss der Schwere auf das Froschei ...... BA. AAN 75 — Ueber die inneren Vorgänge bei der Bastardbefruchtung der Frosch- EI. U AELNISLIAN. TAN. ENLBTEBIELEN. BORD. ORISSRITDENS END, 121 Drelenzanld, Weber Kefyr: .:.!..:.:2:.:2.2:5222.-2 0. BOMMIBEINSL. BDIDELRDN, 157 ‚Cohn: Ueber kleine Erleichterungen bei der Brillen-Vorprobe ........... 140° Fränkel: Ueber Cocain als Mittel zur Localanästhesie der Schleimhäute... 142 HbretsenllebernNeurerabes peripheriea ln. nadaenld.n . old. lan: 108 Jany: Wahl einer Commission zur Aufstellung eines Regulativs für Ver- halten der Hebammen bei Blennorrhoea neonatorum ................ 64 Kroner: Zur Therapie der puerperalen Uterusruptur.................... 67 Landmann: Ueber die Anwendung des Cocain in der Augenheilkunde... 148 Leppmann: Demonstration eines Falles von Heilung einer Psychose durch Kopfverletzung....... RER a RN al san 157 Inhalts-Verzeichniss. Seite Magnus: Ueber die Verhütung der Blennorrhoea neonatorum und der sich darans entwickelnden Blindheit.........-..... en 50 Neisser: Ueber den Bärenmenschen .....---....-.-.........2.. zurceene 66 Ponfick: Ueber Actinomycose ohne Actinomyces.........e.rrerreeee- un 104 —. Gedächtnissrede auf Julius Cohnhemmr. 7 72 Zen er 128 Demonstration einer Mikrocephalin, des Mädchens mit dem Vogel- kopfe a ee ee RE en E20: 154 Rieener: Ueber doppelseitiges Aneurysma der Carotis communis, durch Unterbindung beider Carotiden geheilt...............-eereeeccuneo. 85 Soltmann: Zur Aetiologie der Actinomycose ............-csemeoeeenen- 127. Voltolini: Ueber Tuberculose des Gaumensegels und des Kehlkopfes; mit Demonstration vou Tuberkel-Bacillen - ...... 2.2.2 2er mern 1 Wolff: Zur Diagnostik der Nierenkrankheiten.. .............. .......... 108 — Deber einen Fall von Actinomyeose 7. 2...... 2.2.2 2 reger 113 Wollner: Ueber Diabetes mellitus und seine Cur in Carlsbad........ 21. :=88 II. Section für öffentliche Gesundheitspflege. Biermer: Ueber die Entstehung, Verbreitung und Abwehr der asiatischen Cholera... !2 832... 224: 22er haste ee ae ee 184 Cohn: Ueber die Geschichte einer wörtlich abgeschriebenen Hygiene des AUEreB ee ee ee a Fe Lee er 173 - Ueber künstliche Beleuchtung in den Schulzimmern................. 179 — Untersuchungen über den Beleuchtungswerth der Lampenglocken .... 203 Förster: Ueber die Grundbedingungen für gute Tagesbeleuchtung in den Schulzimmern : „usb Rasa chat alterakacdı: an 169 (GHöppert: ‚Ueber den Hausschwamm und seine Bekämpfung......... 161. 172 Hirt: Ueber die diesjährige Hygiene-Ausstellung in London ............. 202 Schmeidler: Ueber Resultate der Breslauer medicinischen Statistik aus den letzten Decennien, nebst Demonstration von Karten des hiesigen statistischen Bureaus........»..... 0 Taf ae af rt 204 Weber: Demonstration eines Apparates zur Messung der Helligkeit des allfusen TLageslichtes sun ec aaa an ee Fre SE 1743: 241 III. Naturwissenschaftliche Section. Arzruni: Demonstration schlesischer (Tarnowizit, Anatas) und amerika- nischer Mineralien. sic. .uunlisiuienh ar öl Na 220 Demonstration einer Suite amerikanischer Mineralieu.... -.......... 228 Gürich: Ueber weitere Saurierfunde aus dem Muschelkalk Oberschlesiens. 218 Veber Tiefbohrungen bei Breslau: null een 234 Quartärfauns von Schlesien ul. uni iterlenenst ra 261 Kosmann: Ueber die Verwerthung der Rio-Tinto-Kiese................. 227 Inhalts-Verzeichniss. Kosmann: Ueber eisenhaltige Mineralien der Steinkohlenflötze Ober- san EEE. 205 a RE OR EL RR ARRURREERLEEERERR 1:31 KIE0 WA — Ueber Russel’s verbessertes Verfahren zur Auslaugung von Silbererzen Kunisch: Vorlegung eines Fragments eines Meteoriten (Chondriten) ..... — Ueber die neueste Tiefbohrung im Weichbilde von Breslau.......... Langenhan: Ueber Foraminiferen aus dem Lias des grossen Seeberges Bee oihas le. eslreluise). Dans oa a EDLER. „1010 Meyer: Demonstration einiger neuen Apparate des physikalischen Cabinets (Galvanometer von Desprez d’Arsonval — Plante’sche Secundär- Batterie — elektrische Lampe von Kleinert in Breslau) ............. Poleck: Vorlegung einer Suite interessanter Cyanverbindungen .......... — Ueber Carvol und Carvacrol...... NIE EISEN AIR DEAN IN — Vorlesung von Magnesium-Metall in grossen Stücken und geraspelt undsonkalyeeryılmitrat,Nitroglyeerin. 12.1.0. 20080. al. Römer: Geologische und paläontologische Mittheilungen .......... . 223. — Ueber das Vorkommen einer eigenthümlichen gangartigen Kluft im Kolllenpebirsge4@®berschlesienssl.i.n». 2). Dana lin Dan. alslliaoiL. — Vorlegung eines im Schieferthon der zwischen Königshütte und Laura- hütte gelegenen Alfredgrube, 10 m im Liegenden des Carolinenflötzes Sseumdenen Insectenlusels®. PAARISBRINN NER N. sense neeneenee. — Ueber eine Sammlung von Kreide-Versteinerungen aus Texas........ — Ueber das Verhalten von Terebratula caiqua d’Arch. et Vern. und erebratularamyedala Goldi................ la lasasl. sera. . — Ueber das Vorkommen von Hindia fibrosa bei Sadewitz unweit Del... rec anelyarrh srl Ask userenläned hl - — Ueber einen bei Steinau a. O. gefundenen Knochen des Mammuth ... — Mittheilung über russische Phosphorite.......... Jasslor): ade anti. Thümmel: Vorlegung der durch Einwirkung von Selen und Tellur auf Siiberatiratzerhaltenen Verbindungen. .............noan.sooouneean: Zacharias: Ergebnisse einer zoologischen Erforschung des grossen und BeunEneleichess im Riesengebirge, .... 2... nu... 00. onen cette on. IV. Botanische Section. Cohn: Ueber eine im Lebamoore als Wasserblüthe auftretende Rivularie.. — LEAD, ENLONAEe RL R - 32 00lchieumwautunmale‘var vernum'.. . in. NEE. IE URELZ — u Botanischer,Garten sin’ hüttieh 1... ..........%..: BRUNS AREA AMIONL, — Elodea canadensis. Gallen an den Becherhüllen von Eicheln........ — Die Arbeiten der Commission für Erforschung der schlesischen Moore im Jahre 1884 Goppert:: Ueber ‘botanischer Maseen "1... 2 DPI INN SIR IPET 2 ..— 1 0 1 1 RTL Tr Tr Tr Tr Te Inhalts -Verzeichniss. Seite | Hieronymus: Demonstration einiger in der Republik Argentina gesammelten Gallen... NEE ra er N 271 =. „Die, Bromeliaceen:.der. Republik Argentinasnzar.]ı.7. 22.2.2 282 — Die klimatischen Verhältnisse der südlichen Theile von Süd-Amerika und ihre Flörai. eu. 22 lH aa er eit aae Be R. 306 Limpricht: Ueber Tüpfelbildung;bei Laubmoosen».2..,%. „u... 27 zuzir 289 Schröter: Bemerkungen über Keller- und Grubenpilze I. IV. Ueber das Wachsthum der Pilze im Dunkeln, speciell in Kellern und. Grüben!!Tf. . »... . laras 2. real Re. 290 V. Die Pilzvegetation in der Hoymgrube bei Czernitz ........... 294 VI... Agaricusfacheruntius nur aserer. er ee 300 — Excursion zur Untersuchung der Torfmoore bei Tillowitz OS. ....... 305 Stenzel: Abnorme Blüthenformen von Linaria vulgaris ................. 287 — Bildungsabweichungen an der Frucht und im Samen der Eichel ..... 302 v. VUechtritz: Einwirkung des ungewöhnlich milden Winters 1833/84 auf die Entwickelung der Vegetation ............. ee er: 285 — Resultate der Durchforschung der schlesischen Phanerogamenflora im Jahre 1884.22, 2a Bibernestebit rer ERBE - 309 V. Entomologische Section. Letzner: Massenauftreten des Othius punctipennis Lac. (laeviusculus Steph.) 342 — ')Melolontha. vulgarıs E34 Var nieraeeem) Ur EN BE 344 — — Letzneria lineata Letzn. .».......rn 2-22... KISTEN BuEBUeNe 344 — i/Farbenvarietäten des Oxymirus’icursor Ii7. . HARLERENT Fer ee 346 — Mittheilungen aus der Provinz.......... Eee... 347 — Ueber einen Campylus rubens Piller mit monströsen Fühlern........ 348 — Status der Coleopteren-Arten Schlesiens am Ende des Jahres 1884... 349 — HVeberi'einiee Cieaden 9. AH ERE BD, I8). DERRREIETT EEE 35l VI. Historische Section. Caro: Ueber den Krakauer Tumult von 1461 und seine Folgen.......... 368 Grünhagen: Ueber die politischen Ereignisse in Schlesien unter der Re- gierung. des Königs Ludwie? (15161526) . ._WEL....... 2. nn... 392 — Ueber Schlesien in der letzten Zeit Kaiser Ferdinands 1. ............ 368 Markgraf: Zur Krankheits- und Gesundheitsgeschichte von Breslau...... 368 Reimann: Der orientalische Plan der Kaiserin Katharina U. von Russ- JOD. van kn nie a re 352 — Die Irrungen Josephs II. mit Holland und sein Plan, Bayern gegen diewNiederlande einzutauschen ...:: a8 5 285er re a er. 368 — Ueber die Gründung des Fürstenbundes (1735) -.:::.:. 2ER Sa se: 380 Röpell: Ueber die Eröffnung der Bundesversammlung (1816). ........».. 368 Inhalts-Verzeichniss. Scehimmelpfennig: Die Altranstädter Convention und ihre Durchführung in Wären Da ee EEE TER Schück: Beiträge zur Lebens- und Familiengeschichte Georg Forster’s ... VII. Geographische Section. Galle: Allgemeine Uebersicht der meteorologischen Beobachtungen auf der Königlichen Universitäts-Sternwarte zu Breslau im Jahre 1884 ....... Partsch: Ueber den Stand der Kartographie in den Alpenländern........ Weber: Ueber die Arbeiten des österreichischen militair-geographischen sing) 20 Aa ee 1 RR Schimmelpfennig: Nekrologe der im Jahre 1384 verstorbenen Mitglieder der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur .............. Seite 392 369 Allgemeiner Bericht über die Wirksamkeit und die Verhältnisse der Gesellschaft im Jahre 188, abgestattet von Staatsanwalt von Vechtritz, z. Z. General-Secretair. Am 7. December 1883 hat die ordentliche General - Versammlung der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur stattgefunden. In derselben sind für die Etatszeit 1884/85 nachstehende Herren zu Mit- gliedern des Präsidii gewählt worden: Geh. Medieinal - Rath Professor Dr. Göppert, Geh. Medieinal-Rath Professor Dr. Biermer, Staatsanwalt v. Ueehtritz, Dr. Moritz Traube, Stadtrath Bülow, Landgerichts- Director Witte, Professor Dr. Ferdinand Cohn, Professor Dr. Richard Förster, Archivrath Professor Dr. Grünhagen, Stadtrath Heinrich v. Korn, Geh. Regierungs - Rath Professor Dr. Löwig, Direetor Dr. Luchs, Stadtrath Kaufmann E. H. Müller, Professor Dr. Poleck, Generalmajor z. D. Weber. In der demnächst am 21. December v. J. stattgehabten Präsidial- Sitzung constituirte sich das Präsidium, indem es wiederum zu seinem Präses den um die Gesellschaft so hochverdienten Herrn Geh. Medieinal- Rath Professor Dr. Göppert, zum Vice-Präses den Herrn Geh. Medi- einal-Rath Professor Dr. Biermer, zum ersten General - Secretair den Staatsanwalt v. Uechtritz, zum zweiten General-Secretair den Herrn Landgerichts-Direetor Witte und zum Kassenführer den Herrn Stadtrath Bülow erwählte, | Mit der Hoffnung auf die fernere Leitung durch den hochverehrten Herrn Präses trat die Gesellschaft in die neue Etatsperiode. Bald aber traf sie der schmerzlichste Verlust, — der Verlust des Mannes, der sie über ein Menschenalter geleitet, dessen treuer Fürsorge und aufopfernder Thätigkeit sie ihren Aufschwung verdankt. Am 18. Mai 1884 starb, nach kurzem Krankenlager, der Präses der Gesellschaft, Geh. Medieinal- Rath Professor Dr. Heinrich Robert Göppert. 1884. ii II Jahres-Bericht Die Trauer, welche die Mitglieder der Gesellschaft erfüllte, ge: stattete in diesem Jahre nicht, den Stiftungstag festlich zu begehen. Statt dieses Festtages, der die Mitglieder so manches Jahr auf den Ruf des Verstorbenen zu heiterer Feier vereinte, beging die Schlesische Ge- sellschaft für vaterländische Cultur am 14. December 1884 in der grossen Aula der Universität die ernste Feier des Andenkens an ihren verewigten Präses, zu welcher seitens des Präsidii Einladungen ergangen waren an die Spitzen der königlichen und städtischen Behörden, die Mitglieder der Universität und der Vereine in der heimathlichen Provinz, welche mit der Gesellschaft in Verbindung stehen. Nach Vortrag eines von dem Herrn Secretair der Musikalischen Section vierstimmig gesetzten Chorals gedachte der nunmehrige Präses der Gesellschaft, Herr Geh. Medicinal-Rath Professor Dr. Heidenhain, der hohen Verdienste, die der Verewigte sich um die Gesellschaft er- worben, mit nachstehenden Worten: Hochgeehrte Versammlung! Das Maass eines Mannes, der im öffentlichen Leben steht, ist die Ausdehnung und die Tiefe des Einflusses, welchen er innerhalb seines Wirkungskreises gewonnen. Des Gelehrten Thätigkeit beschränkt sich häufig genug auf den Wissenschaftszweig, dem sein Leben angehört. In der Concentration seiner Kräfte auf Forschung und Lehre findet er sein Genüge, in der Er- weiterung des Wissens die Befriedigung eines berechtigten Ehrgeizes, in der Heranbildung von Schülern die Sicherheit für die dauernde Er- haltung und Fortsetzung seiner geistigen Strebungen. | Aber es giebt reichere Naturen, welche über den Kreis ihrer engen Arbeitsstätte hinauszutreten ein inneres Bedürfniss treibt. Des Wissens Pflege und Förderung ist ihnen nur ein Theil ihrer mit Liebe erfassten Lebensaufgabe; seine Verwerthung im bürgerlichen Leben zum Besten des Gesellschaftskreises, in den sie gestellt sind, ein zweites nicht minder wichtiges Ziel. Wo solchem Streben menschliche Eigenschaften zur Seite stehen, welche das Wirken mit Anderen und für Andere begünstigen, wo es getragen wird von wohlwollender Opferfähigkeit für das öffent- liche Beste, von jener wahren Humanität, deren Walten durch seine Reinheit und Selbstlosigkeit sympathische Neigungen in weitem Kreise erweckt und dadurch für gemeinschaftliches Handeln zu gewinnen weiss, da treten jene seltenen Männer in die Erscheinung, die durch ihres Geistes und ihres Herzens Fülle zu Förderern wahren Segens für das Gemeinwohl werden. Ihr Name bleibt nicht allein in den Annalen der Wissenschaft verzeichnet; er findet auch in dem dankbaren Herzen ihrer Mitbürger eine dauernde Stätte. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 171 Als am 18. Mai des verflossenen Frühlings Heinrich Robert Göppert sein inhaltsreiches und wirkungsvolles Leben beschlossen, da durehdrang die Empfindung, dass ein selten ausgezeichneter Mann von hinnen geschieden, alle die mannigfachen Lebenskreise, welchen der Ver- blichene während seiner langen Laufbahn angehört. Es betrauerten die Uni- versität den altberühmtesten ihrer Lehrer und Forscher, die Stadt ihren hervorragendsten Ehrenbürger, die zahlreichen Verbände, denen er sich angeschlossen, ihr einsichtsvollstes und thätigstes Mitglied, die Provinz ihren hingebungsvollsten und anhänglichsten Sohn, welcher in der ge- sammten wissenschaftlichen Welt als einer ihrer gefeiertsten Namen galt. Unter allen Kreisen aber, deren Interessen Göppert zu den seinigen gemacht, wurde durch seinen Heimgang keiner härter betroffen, als sein von ihm vor Allen bevorzugter Pflegling, als die Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur. War doch schon oft genug, als in den letzten Jahren wiederholte Erkrankungen den hochbetagten, aber immerhin noch wunderbar rüstigen Greis erschütterten, der besorgte Zweifel aufgetaucht, ob der Fortbestand jener Vereinigung, deren Prä- sidium der Verstorbene seit dem Jahre 1846 geführt, ohne die Umsicht und Thatkraft seiner erprobten Leitung überhaupt noch denkbar sei. Und als das mit banger Sorge befürchtete Schicksal sich unerwartet er- füllte, da erwachte mit verstärktem Gewichte jene Unsicherheit, der wir auch heute noch fragend gegenüberstehen. In diesen Tagen sind einundachtzig Jahre entschwunden, seit eine kleine Anzahl patriotischer Männer den ersten Grund zur. Schlesischen Gesellschaft legte. Sonst pflegte ein heiteres Fest das Andenken an jene erste Stiftung zu feiern. Das jetzige Jahr der Trauer giebt dem Frohsinne keinen Raum. Nur zu ernstem Gedenktage fühlen die Mit- glieder der Schlesischen Gesellschaft sich gestimmt, um sich in dankbare Erinnerung zurückzurufen, was ihr heimgegangener Präses für sie selbst in ihrem engeren Wirkungskreise und was er dem weiteren Kreise des Lebens und der Wissenschaft gewesen. Göppert’s äusserer Lebensgang war ein durchaus einfacher. Am 25. Juli 1800 zu Sprottau geboren, bestimmte er sich nach absolvirtem Gymnasio ursprünglich für die Pharmacie. Das Apothekergewerbe mit seinen mannichfaltigen Beziehungen zur Naturwissenschaft ist schon für gar manchen begabten Geist der Ausgangspunkt glänzender wissen- schaftlicher Entwickelung geworden. Glückliche äussere Verhältnisse stellten Göppert so unabhängig, dass er die begonnene gewerbliche Laufbahn bald verlassen durfte, um der auf ihr erwachten wissenschaftlichen Neigung zu folgen. Im Herbste 1521 trat er zum medieinischen Studium über, zuerst in Breslau, dann in Berlin. Fünf Jahre später kehrte er nach Breslau zurück, um die Hauptstadt der heimathlichen Provinz nicht wieder zu verlassen. Hier ar IV Jahres-Bericht trat er sofort in Beziehung zur Universität. Doch scheint es nicht, dass seine Habilitation als Privatdocent bei der medicinischen Facultät im Herbste 1827 besondere Aufmerksamkeit erregt habe, denn der Bericht des Facultätsalbums enthält nur die trockene Bemerkung, dass er eine Dissertation über die Wirkung der Blausäure auf die Pflanzen verfasst und eine Antrittsvorlesung über die Reizbarkeit der Vegetabilien gehalten habe. Offenbar stand schon damals seine Neigung zur Botanik im Vorder- srunde, der zufolge er auch in die Stellung eines Conservators am bota- nischen Garten eintrat. Bald sollte der junge Docent sich auf ärztlichem Gebiete bewähren. Am Anfange der dreissiger Jahre erschien als unheimlicher Feind in Europa die asiatische Cholera. Alles rüstete zum Kampfe. Unter den Streitern hier in Breslau stand Göppert in erster Reihe. Er stritt mit dem Worte und mit der That, denn als Mitglied des ärztlichen Comites für Schlesien betheiligte er sich an der Herausgabe einer Cholera-Zeitung und veröffentlichte in derselben mehrfache Abhandlungen, namentlich über die Statistik der Seuche; als ausübender Arzt übernahm er mit Dr. Seidel die Leitung eines Cholera-Hospitals. Inzwischen hatten mehr- fache wissenschaftliche Untersuchungen die Aufmerksamkeit erregt, so dass er im Jahre 1831 zum ausserordentlichen Professor befördert wurde. Das Facultäts - Album bezeugt: Scribendo et docendo magnam sibi paravit laudem. Schnell stieg von jetzt ab sein Ansehen in der gelehrten Welt. Im Jahre 1841 erfolgte seine Ernennung zur ordentlichen Professur, im Jahre 1851 entschloss er sich zum Uebertritte von der medieinischen zur philosophischen Facultät, um das Ordinariat für Botanik und die Direetion des botanischen Gartens zu übernehmen. Proh dolor! klagt das Album, collegam aestumatissimum, virum illustrissimum Göppert amisimus, qui de ordine nostro inde ab annis viginti quingue optime meritus est. In jener Stellung war ihm eine Wirksamkeit von 33 Jahren beschieden, erfüllt bis zum letzten Athemzuge von unermüdlicher und rücksichtsloser Hingabe an Lehre und Forschung. Deine rastlose Schaffensfreudigkeit wurde durch eine körperliche Constitution unterstützt, die ihn viele Jahre hindurch ein ungewöhnliches Maass von Arbeit mit Leichtigkeit überwinden liess. Schon das Lehramt stellte weitgehende Ansprüche, wenn das Be- dürfniss des Medieiners, des Pharmaceuten, des künftigen Schullehrers berücksichtigt werden sollte; er ist ihnen allen gerecht geworden durch die Vielseitigkeit seiner Vorlesungen, welche die gesammte allgemeine und systematische Botanik nicht blos, sondern auch die fossile Pflanzen- welt umfassten. Seiner besonderen Fürsorge war lange Jahre hindurch das pharmaceutische Studium anvertraut, dessen speeielle Leitung ihm als Direetor oblag, bis die Studirenden der Pharmaeie gleich den übrigen der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. V auf eigene Füsse gestellt wurden. Generationen von Schülern, welche er erzog, fesselte die freundliche Liebenswürdigkeit seines Wesens, die treue Hingabe an ihre Interessen mit dauernder Dankbarkeit zeitlebens an ihren Lehrer; ein jeder Gedenktag auf seiner langen Laufbahn ver- sammelte sie um ihn, ihm den Ausdruck pietätvoller Anhänglichkeit in der Ueberreichung von Erinnerungszeichen darzubringen. Zwei bei Ge- legenheit seines 50 jährigen Doetor-Jubiläums gestiftete Stipendia werden sein Andenken späteren Geschlechtern in segensreicher Weise über- liefern. Neben dem Lehramte erforderte die Organisation und Verwaltung des botanischen Gartens und botanischen Museums einen nicht geringen Aufwand von Zeit und Arbeitskraft. Es gehörte die ganze Vielseitig- keit seines auf eigene Erfahrung gegründeten Wissens dazu, um den Garten mit einer Fülle seltener Einrichtungen zu versehen, die ihn zum dauernden Anziehungspunkte sowohl für die Studirenden als für das weitere Publikum der Stadt und der Provinz gemacht haben. Die Gruppirung der Pflanzenwelt nicht blos nach systematischem Gesichtspunkte, der für die meisten botanischen Gärten der allein mass- gebende ist, sondern hier Zusammenordnung der medicinisch wichtigen Pflanzen mit ihren pharmaceutisch interessanten Producten, dort die Auf- stellung von Collectionen typischer Vegetationsformen in pflanzen - geo- sraphischem Interesse, an anderer Stelle die Erschliessung der inneren Structur der Bäume durch Blosslegung zahlreicher Stammquerschnitte, die Erläuterung der Braunkohlenbildung und Steinkohlenlagerung durch Auf- bauen geeigneter Oonstruction, — diese ganze Mannigfaltiskeit fein er- sonnener und planvoll ausgeführter Lehrhilfsmittel, vereinigt in einer Anordnung von hervorragender landschaftlicher Schönheit, — durch das Alles erhob Göppert seinen botanischen Garten zu einem Institute ersten Ranges, dessen Genuss und wissenschaftliche Benutzung Jedermann zu- gänglich zu machen er nie ermüdete. Nicht blos, dass ein in vielen Auflagen von ihm herausgegebener Führer den Besuch des Gartens auch für den Laien erspriesslich machte, nicht blos, ‚dass er persönlich oft genug Vereinen und Gesellschaften als Demonstrator seiner Schätze diente, versäumte er es auch nie, so oft sich in dem Garten Gelegenheit bot, Neues von Interesse kennen zu lernen, durch die öffentlichen Blätter darauf aufmerksam zu machen: nach Tausenden zählende Wallfahrten der Bewohner unserer Stadt pflegten die von ihm gern gesehene Folge solcher Ankündigungen zu sein, Aber nicht blos auf dem Gebiete seiner Wissenschaft stellte er sich in den Dienst des öffentliehen Nutzens. Ueberall, wo er mit seiner Person und seinem Einflusse dem Gemeinwohle in Stadt und Provinz zu dienen vermochte, war er zu thatkräftigem Handeln bereit, und so ist Jahrzehnte hindurch kaum eine gemeinnützige Unternehmung ins Leben VI Jahres - Bericht getreten, ohne dass sein Rath und sein Beistand erfordert und von ihm mit eingehendster Theilnahme gewährt wurde. Dass eine so vielseitige, ihrer Begabung, ihrem Streben an ihrem Charakter nach hervorragende Natur anf jeden Kreis, mit welchem sie in Berührung trat, einen bestimmenden Einfluss ausüben musste, war wohl unausweichlich. Nirgends aber hat sich diese Einwirkung tiefer und nachhaltiger Geltung verschafft, als innerhalb der Schlesischen Ge- sellschaft für vaterländische Cultur, deren Zwecke und Ziele Niemand vollständiger erfasst, Niemand entschiedener zum Ausdruck gebracht, Niemand ausdauernder verfolgt hat, als ihr langjähriger Präses, Eine volle Würdigung seiner Verdienste auf diesem Gebiete setzt Vertrautheit mit den Aufgaben voraus, die seit ihrem Bestehen unsere Gesellschaft zu lösen erstrebt hat. Am Anfange unseres Jahrhunderts, zu einer Zeit, wo der Bürger noch alle Anregung zu öffentlicher Thätigkeit von der Regierung zu empfangen gewohnt war, wo eine freie Vereinigung von Staatsunter- thanen zu gemeinnützigen Zwecken noch ganz und gar ausserhalb des gewohnten Weges lag, trat auf Anregung des Regimentsquartiermeisters, späteren Münzdirectors Müller eine Anzahl von Männern aus allen Ständen zusammen, um behufs Hebung der Industrie in unserer Provinz naturwissenschaftliche Kenntnisse zu sammeln und zu verbreiten. Aus- schliesslich praktischen Zwecken und provinziellen Interessen galt das geplante Unternehmen. „Nicht eine Nachahmung gelehrter Gesellschaften und Akademien im Kleinen soll unsere Vereinigung sein“, so betont Müller auf das Schärfste in ausführlicher Rede. „Wir wollen nicht die Natur und die von ihr abhängigen Kräfte im Allgemeinen, sondern immer in Bezug auf unser Vaterland und dessen Cultur studiren.‘“ Die Begründung einer Bibliothek, naturwissenschaftlicher und technologischer Sammlungen, die Abhaltung regelmässiger Versammlungen zum Zwecke mündlicher Vorträge, die Anknüpfung von Correspondenzen mit Inter- essenten in der Provinz, wie mit Landwirthen, Industriellen, Forstleuten, Bergmännern, Aerzten u. s. f. bildeten zunächst die Mittel zur Erreichung des angestrebten Zweckes, welcher in der Bevölkerung lebhafte Theil- nahme und Unterstützung fand. Aber die unglücklichen Ereignisse des ‘Jahres 1506 lähmten sehr bald die Thätigkeit des neuen Vereins. Er erstarkte erst wieder zu frischem Leben, als er im Jahre 1809 auf An- regung eines seiner Mitbegründer, des Professor Reiche, den Kreis seiner Aufgaben wie die Form seiner Organisation erweiterte, ersteres durch Herbeiziehung der Jurisprudenz, der Geschichte, der Pädagogik zu den bisher allein gepflegten naturwissenschaftlichen Diseiplinen, letzteres durch Begründung von Sectionen für die einzelnen Specialwissenschaften, welche den Boden für rein wissenschaftliche Thätigkeit neben den ursprünglichen praktischen Bestrebungen bildeten. Als vollends im Jahre 1811 die Ver- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. VII einigung der Frankfurter Universität mit der altersschwachen Leopoldina zu der neuen Breslauer Hochschule erfolgte und zahlreiche Mitglieder derselben sich der Schlesischen Gesellschaft anschlossen, gewann diese eine weitreichende Bedeutung für das öffentliche Leben in der Stadt und in der Provinz. Gerade der Umstand, dass sie die doppelte Aufgabe wissenschaftlicher Förderung sowohl als praktisch-gemeinnütziger Thätig- keit verfolgte, führte ihr Mitglieder aller Stände und Berufsarten zu. Bis zum Jahre 1820 entstanden eine medicinische, naturwissenschaftliche, ökonomische, historisch-geographische, pädagogische und artistisch-archäo- logische Section, denen sich wenige Jahre später eine entomologische, botanische und technische Section anreihten. Unter den Schritten, welche für die Oeffentlichkeit von Interesse wurden, war der folgen- reichste die Veranstaltung der ersten hiesigen Kunstausstellung im Jahre 1818 durch die Section für Kunst und Alterthum, an welche sich seit- dem in regelmässigen Perioden Ausstellungen anschlossen, bis zum Jahre 1852 durch die Schlesische Gesellschaft allein, dann bis 1846 in Ver- bindung mit dem Kunstverein unternommen, dem sie später allein über- lassen wurden. In die Periode fröhlichsten Gedeihens der Gesellschaft fiel der Ein- tritt Göppert’s im Jahre 1826. Er schloss sich der naturwissenschaft- lichen Section an und trat 1830 an ihre Spitze als Secretair. Seine wissenschaftliche Thätigkeit galt aber auch der medieinischen und vor Allem der botanischen Section mit solchem Eifer und solcher Hingabe, dass er bald der Mittelpunkt des wissenschaftlichen Lebens auf natur- wissenschaftlichem Gebiete wurde. Allein die rege Arbeit innerhalb einzelner Sectionen konnte es nicht verhüten, dass in der allgemeinen öffentlichen Wirksamkeit der Gesell- schaft mit der Zeit ein Rückgang sich geltend machte. Ihre Stifter schieden nach und nach aus oder zollten doch dem vorrückenden Alter ihren Tribut. Das Präsidium lag in Händen von Männern, die bei allem Interesse für die Zwecke der Gesellschaft neue Impulse zu geben nicht vermochten, und so trat, wie die Jahresberichte um die Mitte der vierziger Jahre beklagen, eine bedenkliche und bedrohliche Stockung in der Fortentwickelung der Gesellschaft ein, bis im Jahre 1846 Göppert als Nachfolger des Generals v. Staff das Präsidium übernahm. — In der Blüthe der Mannesjahre, erfüllt von dem Enthusiasmus, welchen jede reiche geistige Productivität erzeugt, durchdrungen von tiefstem Interesse für alle Verhältnisse der heimathlichen Provinz, opferbereit, wo immer das öffentliche Wohl in Frage kam, war er der rechte Mann, um in der Gesellschaft neue Kräfte zu wecken, neue Gesichtspunkte und Ziele zur Geltung zu bringen. Mit welchem Erfolge, darüber äussert sich schon am Schluss seines ersten Verwaltungsjahres der Jahresbericht in enthusiastischer Weise. „Nach einer langen Zeit der Stagnation‘ — Me ee an 1 heisst es daselbst — „‚hat die Gesellschaft in diesem Jahre einen neuen Aufschwung genommen, ihren fortdauernden Beruf für unsere bedeutungs- volle Zeit klar erfasst, sich mit verjüngter Kraft sowohl nach Innen als nach Aussen umfassender als je bethätigt und so die öffentliche Be- achtung nnd Theilnahme wieder errungen, wie sie sich deren lange nicht zu erfreuen gehabt hat. Dass diese glückliche Wiedergeburt vorzüglich den ausgezeichneten gewinnenden Eigenschaften, der Hingebung und der unermüdlich anregenden, einsichtigen und umfassenden Thätigkeit des- jenigen zu danken ist, welcher vor Jahresfrist das Amt des Präses über- nommen, ist allbekannt und es ist nur der Ausdruck der ungetheiltesten Gesinnung der Gesellschaft, wenn hier den Gefühlen dankbarer An- erkennung des verehrten Mannes Rechnung getragen wird.“ Für die Gesellschaft wurde schon der Umstand von Bedeutung, dass mit Göppert zum ersten Male ein Name von weithin bekanntem Klange an ihre Spitze trat, der sie in einem neuen wissenschaftlichen Lichte erscheinen liess. Vermöge seiner reichen gelehrten Beziehungen er- weiterte Göppert den bis dahin wenig ausgedehnten literarischen Ver- kehr der Gesellschaft in umfangreichster Weise. Seinem unermüdlichen Eifer in der Anknüpfung neuer Verbindungen für die Gesellschaft ist es zn danken, dass Breslau heute in unserer Bibliothek eine durch Aus- tausch erworbene Sammlung der Schriften von nicht weniger als gegen 300 Akademien und sonstigen gelehrten und gemeinnützigen Corporationen besitzt, die sich über die ganze Welt von Helsingfors bis Melbourne und von Paris bis Philadelphia und Caleutta vertheilen. Jener äussere Verkehr entwickelte sich unter Göppert’s steter Für- sorge natürlich nur allmählich bis zu seiner vollen Ausdehnung. Die nächste und unmittelbarste Sorge galt den inneren Verhältnissen der Gesellschaft. Göppert’s Streben, durch neue Impulse ihre Thätigkeit wieder lebensvoller zu gestalten, wurde freilich zunächst durch die äusseren Verhältnisse in hohem Masse gehemmt. Zwar entstanden bereits im ersten Jahre seiner Amtsführung drei neue Seetionen, für Statistik und Nationalökonomie, für Philologie und für Gartenbau und Obstzucht. Aber das Jahr 1848 mit seinen politischen Stürmen lenkte die Aufmerk- samkeit von geräuschloser gemeinnütziger und wissenschaftlicher Thätig- "keit ab. Alles wandte sich dem Tagesinteresse zu. In dem Maasse, als die politischen Versammlungen sich füllten, entleerten sich die Zusammen- künfte der Gesellschaft; ihre Jahresberichte sind erfüllt von Klagen über das Sinken der Theilnahme. Unter diesen Umständen war es ein kluger Schritt, dass Göppert an einen Namen anknüpfte, dessen Klang auch in jener stürmischen Periode jedes deutsche Herz bewegte, um den Be- wohnern der Stadt die Schlesische Gesellschaft in eindringlicher Weise wieder näher zu rücken. Im Jahre 1849 veranstaltete er durch die Gesellschaft eine öffentliche Feier des hundertjährigen Geburtstages VIII Jahres-Bericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. IX Goethe’s hier an dieser Stätte, in der Aula der Universität, welche ein Auditorium von nahezu 800 Personen vereinigte. Als dann die öffent- lichen Zustände wieder in ein ruhigeres Geleise einlenkten, durfte von der Gesellschaft aus der Versuch gemacht werden, das Interesse für wissenschaftliche Fragen in weiteren Kreisen des Publikums anzuregen. Zuerst im Winter 1849/50 veranlasste Göppert die Abhaltung populär- wissenschaftlicher Vorträge, nicht in Form von Einzelvorlesungen, son- dern von Vorlesungscylen, die sich über umfangreichere Wissensgebiete verbreiteten. Den Beginn machte Duflos mit Vorträgen über Chemie, Diese mit grosser Theilnahme aufgenommene Einrichtung hat mehrere Jahrzehnte fortbestanden, bis zahlreiche inzwischen neu entstandene Ver- eine die Sorge für populäre Belehrung in ausreichender Weise über- nahmen, Zu den weiteren Massnahmen Göppert’s gehörte die Stellung von Preisaufgaben durch die Schlesische Gesellschaft für die öffentliche Coneurrenz. Die Themata trugen zumeist provinziellen Bedürfnissen Rechnung: es wurde eine Beschreibung der schlesischen Mineralquellen, eine geschichtliche Darstellung des schlesischen Handels von 1740 bis 1840, eine Anweisung zur Obstbaumzucht mit besonderer Berücksichti- sung der örtlichen und klimatischen Verhältnisse Schlesiens u. A. m. gefordert. Endlich verdankt Breslau den ersten Präsidialjahren Göppert’s eine Einrichtung, deren wohlthätige Folgen ihm mehr als alles Andere den dauernden Dank der Bewohner eingetragen haben: die Theilnahme der Schlesischen Gesellschaft an der Verwaltung der öffentlichen Prome- naden. Bereits im ersten Jahre seiner Uebersiedlung nach Breslau hatte Göppert, von dem richtigen Gedanken geleitet, dass in den Promenaden ein treffliches Mittel geboten sei, um den Sinn für Pfilanzenkunde in allen Schichten der Bevölkerung zu wecken, eine Beschreibung ihrer Bäume und Sträuche veröffentlicht und daran Bemerkungen über tech- nische und sonstige Zwecke, denen sie dienen, in belehrender Weise geknüpft. Später plante er die Herausgabe einer eigenen Promenaden- flora, die leider nicht zu Stande gekommen ist. Um nun einen grösseren Einfluss auf die Gestaltung der Promenade zu gewinnen, veranlasste er im Jahre 1849 die Abschliessung eines besonderen Vertrages zwischen der Stadt und der Schlesischen Gesellschaft, nach welchem der Präses der letzteren, der Secretair der Section für Gartenbau und ein von dieser Section gewähltes besonderes Mitglied als ständige Mitglieder in die Promenaden-Deputation eintraten, eine Massregel, welche eine Epoche in der Entwiekelung unserer schönen Anlagen bezeichnet, Gleich im ersten Sommer wurde das vorhandene Arboretum durch 250 neue Bäume und Sträuche vergrössert, der bis dahin wenig beachtete Blumenflor zum Gegenstande besonderer Fürsorge gemacht, an der Ziegelbastion x Jahres - Bericht ein Gärtchen für Blumenzucht angelegt und im folgenden Winter die wissenschaftliche Etikettirung der Gewächse vorgenommen, eine Neue- rung, welche bis heute nicht wenig zur Freude und Belehrung der Be- sucher unserer Promenade beigetragen. Seit jener Zeit bis zum Ende seines Lebens widmete Göppert unseren Anlagen eine unermüdliche Theilnahme, und wenn heute unsere Promenaden und Parks mit Recht einen Stolz Breslaus bilden, wenn sie dem Lustwandler nicht blos er- quickende Luft, sondern auch hohen ästhetischen Genuss und mannig- fache Belehrung bieten, so gebührt ein grosser Theil des Verdienstes dem Manne, der seine reichen Kenntnisse und Erfahrungen hier wie überall in den Dienst der Oeffentlichkeit stellte. Diese stets hingebende Bereitwilliskeit, dem Wohle der Stadt und der Provinz zu dienen, gepaart mit der seltenen Fähigkeit, durch Liebens- würdigkeit im Verkehr Andere für die ins Auge gefassten Pläne zu activer Theilnahme zu gewinnen, verknüpft mit der allgemeinen Ver- ehrung, welche die Selbstlosigkeit des Handelns bei Jedermann erzwinst, getragen von der Autorität eines weithin bekannten wissenschaftlichen Namens, — alle diese hervorragenden Eigenschaften haben dazu geführt, dass, wo immer es einem Öffentlichen Unternehmen von Bedeutung galt, Göppert’s Rath und thätige Mithilfe nicht fehlen durften. Unmöglich, aller jener einzelnen Veranlassungen zu gedenken, die ja z. Th. auch nur vorübergehender Bedeutung gewesen sind. So, als vor einigen Jahren in Liegnitz eine Gartenbau-Ausstellung in grossem Stile ins Werk gesetzt wurde; auf der ersten Seite der Ausstellungs-Zeitung bürgte ihres Ehren- Präsidenten Göppert Bildniss für den Gehalt und wissenschaftlichen Ernst des Unternehmens. Als im vorigen Sommer der Congress der deutschen Anthropologen bei uns zusammentrat, sollte er nach dem Beschlusse seines Comit6s durch das Ehrenpräsidium Göppert’s seine Weihe er- halten; in der Eröffnungssitzung gab Virchow in bewegten Worten der Trauer darüber Ausdruck, dass ein unerwartetes Verhängniss den ver- ehrten Mann vorher hinweegerafft. Alle derartigen Gelegenheiten be- zeugen den Werth, den man stets auf G.'s thätige Theilnahme legte, Vor Allem unvergesslich ist aber sein Name mit der Entstehungs- geschiehte unserer jetzt in gedeihlicher Entwickelung begriffenen Kunst- anstalt, des Provinzialmuseums für bildende Künste, verknüpft. Als zuerst im Jahre 1866 bei einigen unserer Mitbürger der Ge- danke entstand, das Andenken an jene ereignissreiche Zeit mit einer idealen "That für unsere Provinz zu verknüpfen und der geistigen Er- hebung, welche den ersten Schritt zur Herstellung der deutschen Einheit begleitete, in der Begründung eines Kunstmuseums und einer Kunst- akademie einen Ausdruck zu verleihen, suchte und fand man in der Schlesischen Gesellschaft durch ihren Präses Göppert zunächst einen Vereinigungspunkt, um die einleitenden Schritte ins Werk zu setzen. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, XI Auf an ihn gerichtetes Ersuchen berief G. im November 1866 eine General-Versammlung der Gesellschaft, zu welcher ausser ihren Mit- gliedern Notabilitäten der Stadt und Vertreter anderweitiger Cor- porationen, die zu dem ins Auge gefassten Unternehmen in Beziehung standen, Einladungen erhielten. Es wurde unter Göppert’s Führung eine Deputation an Se. Majestät gesandt, welche am 20. November zur Audienz gelangte, jedoch nur einen theilweisen Erfolg hatte. Denn die Regierung stellte zwei Jahre später zwar die Errichtung einer Kunst- schule für Malerei und Sculptur in Aussicht, verwies aber das Museums- project an Stadt und Provinz. Die einstige Deputation trat unter Göppert’s Vorsitz wiederum zusammen und ergriff, zu einem Comite für Gründung des Museums sich erweiternd, die erforderlichen Schritte zur ferneren Verfolgung der so überaus wichtigen Angelegenheit, die dann schliesslich der Provinzial-Landtag zu glücklichem Ende führte. So verknüpft sich in Breslau fast mit jeder öffentlichen Einrichtung von Bedeutung Göppert’s Name. Nicht minder verehrt war er in der rovinz. Zahlreiche naturwissenschaftliche Exeursionen führten ihn in Feld und Wald, auf die Höhen der Gebirge und in den dunklen Schacht der Erde. Ueberall wusste er Interesse und Verständniss für das zu erwecken, was ihn selbst beschäftigte. Die Freude am Beobachten und Erforschen der heimischen Natur wusste er dem Lehrer und dem Land- wirthe, dem Forstmanne nnd dem Bergmanne mitzutheilen, und so hat wohl selten ein Gelehrter in solchem Maasse befruchtend auf weite Kreise seiner Landsleute gewirkt und ist andererseits so allseitig in seinen Bestrebungen durch Mittheilungen und Zuwendungen aller Art von auffallenden Funden und seltenen Vorkommnissen unterstützt worden. Einen in Schlesien populäreren Mann hat unsere Universität niemals besessen. So hat er länger als ein halbes Jahrhundert für unsere Hochschule, für unsere Stadt und Provinz gelebt und gewirkt, allbekannt und all- verehrt. Und als endlich das menschliche Geschick seine Erfüllung forderte, da geleitete den Sarg, der seine Hülle barg, eine Trauer-Ver- sammlung, wie sie selten in unseren Mauern gesehen worden. Kein Stand, kein Lebenskreis der Stadt war unvertreten. Eine nach Tausenden zählende Menge blickte mit der Empfindung voller Trauer, aber auch voller Dankbarkeit auf den Zug von dem Ausgange aus der Stätte seiner langen, segensreichen Wirksamkeit bis zu dem Eingange der Friedens- stätte, an welcher die volle Blüthenpracht eines sonnigen Frühlingstages von Baum und Strauch auf den Dahingeschiedenen sich herabneigte, sein enges Grab freundlich zu umhüllen, wie er ja stets der wärmste Freund der Pflanzenwelt gewesen. | Nicht lange mehr, und ein Denkmal, seinem Andenken gewidmet von der treuen Verehrung seiner Mitbürger, wird an öffentlicher Stätte XII Jahres - Bericht das Bild des hochverehrten Mannes auch den nachwachsenden Generationen Schlesiens sichern, ein Göppert-Hain als neuer Schmuck vor den Thoren der Stadt erstehen. Aber ein grösseres Denkmal, weiter erschaut in der Welt, hat er sich selbst in den Werken seines Geistes geschaffen. Was er der Wissenschaft des Vaterlandes, der Wissenschaft der Welt gewesen, vermag nur ein Kundigerer als ich seinem vollen Werthe nach zu ermessen. In unmittelbarem Anschluss an diese Gedächtnissrede des Herrn Präses feierte Herr Professor Dr. Ferdinand Cohn die wissen- schaftliche Bedeutung des Verstorbenen, namentlich aufdem Gebiete der Naturwissenschaften, in folgender Rede: Mir ist der ehrenvolle Auftrag geworden, durch einen Rückblick auf die wissenschaftliche Bedeutung des Mannes, dessen Gedächtnissfeier wir heut begehen, uns die Schwere des Verlustes zum Bewusstsein zu bringen, den die Wissenschaft durch sein Hinscheiden erlitten hat. Aber wie kann ich hoffen, in dem engen Rahmen der mir hier zugemessenen Zeit ein volles Bild der Thätigkeit zusammenzufassen, mit welcher ein Mann von so hervorragender Begabung, von so rastlosem Streben, von solch aussergewöhnlicher Arbeitskraft, ein Leben von selten langer Dauer fast bis zum letzten Athemzuge ausgefüllt hat. Dazu kommt, dass wir einen Forscher, der mit vielen seiner grundlegenden Arbeiten bereits in einer weit hinter uns liegenden Zeit ans Licht trat, in seiner vollen Be- deutung nur dann zu würdigen vermögen, wenn wir ihn nicht aus- schliesslich nach dem Maassstabe des heutigen Tages beurtheilen, und danach abwägen, wie weit seine Arbeiten in dem oder jenem Punkte hinter dem zurückgeblieben, was wir heut wissen oder zu wissen glauben; wir müssen uns in die Epoche zurückversetzen, in welcher er seine Laufbahn begann, uns der Irrthümer erinnern, in denen seine Zeitgenossen befangen waren, die er zu bekämpfen und zu besiegen hatte; wir müssen die unfertigen Unterbauten wieder aufdecken, die er vorgefunden, und auf denen er nach neuen, von seinem Genie entworfenen Plänen in rast- loser Arbeit das Gebäude seiner Forschungen aufzurichten hatte. Wollen wir hiernach Göppert’s Stellung in der Geschichte der Naturwissenschaft mit wenig Worten bezeichnen, so können wir sagen: Göppert ist einer der ersten Streiter gewesen, welche Deutschland, das bis zum ersten Drittel unseres Jahrhunderts in den Naturwissenschaften hinter den übrigen Culturvölkern zurückgeblieben war, diesen ebenbürtig gemacht, und im Verlaufe des zweiten Drittels der deutschen Wissen- schaft die unbestrittene Hegemonie erkämpft haben. Bekanntlich sind die Naturwissenschaften eine der letzten Schöpfungen, welche aus dem Zeitalter der geistigen Wiedergeburt, wie wir mit Recht die Epoche der Renaissance bezeichnen, hervorgegangen sind. Im Blüthen- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. XIH alter des Cinquecento waren es zuerst nur die Himmelskörper, deren Be- wegungsgesetze mit Hilfe der Mathematik enthüllt wurden; erst allmählich wandte sich der Forschungsdrang auch der Erde zu; in stetiger Fort- entwickelung wurde der ursächliche Zusammenhang in den Erscheinungen der irdischen Körperwelt durch die neuen Methoden der Naturwissen- schaft, durch Beobachtung und durch Experiment, aufgeschlossen. Die Reihe der Naturforscher, welche in der Culturgeschichte der Menschheit Epoche machen, beginnt im 16. und 17. Jahrhundert mit den grossen Astronomen und Physikern von Copernicus bis zu Galilei und Newton; im 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts folgen die grossen Chemiker von Lavoisier bis Berzelius; gleichzeitig wird das Reich der Pflanzen durch die grossen Systematiker von Linn& bis zu Jussieu, sodann das Reich der Thiere von Buffon bis Cuvier für die Wissenschaft erobert, die wunderbare Organisation des Menschenleibes durch die grossen Anatomen von Vesal bis Bichat, und das harmonische Spiel der Lebensfunctionen durch die grossen Physiologen von Harvey bis Bell durchforscht. Aber jene Naturforscher, welche den Gesichtskreis der Mensch- heit nach allen Richtungen erweiterten, gehörten fast ohne Ausnahme England oder Frankreich an; selbst kleinere Länder, Italien und die Niederlande, Schweden und die Schweiz, betheiligten sich rühmlich an der rastlos fortschreitenden Bewegung. Nur Deutschland schien sich nicht von der Stagnation erholen zu können, in die es seit dem unseligen 30jährigen Kriege versunken war; und als endlich im Zeitalter Friedrich des Grossen auch in Deutschland der neue Geistesfrühling anbrach, als die Zeit der grossen Dichter mit Lessing, die der grossen Componisten mit Gluck, die der grossen Philosophen mit Kant herangekommen war, da vermochten doch die Naturwissenschaften lange Zeit dem Aufschwung nicht zu folgen, der die Forscher der Nachbarvölker siegreich von Ent- deekung zu Entdeckung emportrug. Geblendet von dem trügerischen Licht, durch welches die Naturphilosophie das Dunkel der Weltordnung aufzustellen sich vermass, verliessen die deutschen Naturforscher den mühevollen, langsam aber allein sicher zum Ziele führenden Weg der induetiven Methode, und selbst die besonnensten unter ihnen vermochten sich nicht von dem verwirrenden Nebel unklarer, grundloser Hypothesen, willkürlicher spielender Vergleichungen frei zu halten, mit denen sie die Lücken ihrer unzusammenhängenden Beobachtungen, ihrer ungenauen Versuche auszufüllen vermeinten. Am meisten unter allen Naturwissenschaften war in Deutschland die Botanik zurückgeblieben. Die deutschen Systematiker beschränkten sich als Epigonen der Linn&’schen Schule meist auf die dürre Sammlung und Beschreibung der Pflanzenspecies; das morphologische Verständniss ihrer Organisation und den Ausbau des natürlichen Systems überliessen sie XIV Jahres - Bericht den Franzosen und Engländern, den Jussieu, Deeandolle und Robert Brown. Noch trauriger war es mit der Erforschung des Pflanzenlebens bestellt. Bereits im 18. Jahrhundert hatte der Engländer Stephan Hales, die Bewegungen der Säfte in den Pflanzen als Wirkungen physikalischer Saug- und Druckkräfte erkannt, hatten die englischen und französischen Chemiker von Priestley bis auf Theodor de Saussure die wunder- bare Wechselwirkung der chemischen Processe nachgewiesen, in welchen das Licht und die Wärme der Sonne, die Mineralstoffe der Erde, die Gase der Atmosphäre, die Athmung und Stoffbildung der Thiere und der Pflanzen zu einander stehen, durch welche das Gleichgewicht in der Naturordnung erhalten wird. Für die deutschen Botaniker am Anfang dieses Jahrhunderts war die festgeschlossene Kette dieser Entdeckungen nicht vorhanden; sie vermochten in den Lebenserscheinungen der Pflanzen nicht die den allgemeinen Naturgesetzen gehorchenden Arbeitsleistungen physikalischer und chemischer Kräfte, sondern nur die Aeusserungen einer mystischen Lebenskraft zu erkennen, die gesetzlos, nur nach Zwecken schaffe und wissenschaftlicher Forschung unzugänglieh sei. Und doch war auch diese Periode der deutschen Botanik eine Zeit der Sammlung, in welcher die neue Blüthenzeit sich im Stillen vor- bereitete. Obwohl sehon im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts Mal- pighi von Bologna, Grew von London, Leeuwenhoek von Delft mit Hilfe des nicht lange vorher erfundenen Mikroskops die Zusammensetzung der Pflanzen aus Zellen und Gefässen nachgewiesen hatten, so waren die Forschungen dieser Männer ein Jahrhundert später so vollständig verschollen, dass die Göttinger gelehrte Gesellschaft im Jahre 1305 eine Wiederholung und Prüfung ihrer Beobachtungen zum Gegen- stand einer Preisaufgabe stellen musste. Zu den glücklichen Be- arbeitern derselben gehörte ein Bremer Arzt, Ludolf Christian Treviranus, der im Jahre 1815 an die vier Jahre vorher gegründete Uni- versität Breslau als Professor der Botanik und Director des gleichzeitig in einem gesprensten Festungswerk der Dominsel angelegten botani- schen Gartens berufen wurde. Treviranus war einer der ersten deutschen Botaniker, welche die fast verlorene Kunst der mikro- skopischen Untersuchung ins Leben riefen und zu der wenige Jahrzehnte später in Deutschland zu höchster Vollendung fortgebildeten Pflanzenanatomie das Fundament legten. In Breslau wandte sich Treviranus mit Vorliebe der Wiedererweckung der Pflanzenphysio- logie zu; und obwohl auch er nur zu oft durch die Fata morgana der Lebenskraft sich von einem wissenschaftlichen Verständniss der Vorgänge im Pilanzenleben ablenken liess, so war er doch einer der ersten deutschen Botaniker, welche den Weg des physiologischen Experiments wieder betraten; durch sein 1835 erschienenes Lehrbuch der Pflanzenphysiologie, das erste deutsche Werk dieser Art, hat er die neue Epoche dieser der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. XV Wissenschaft in Deutschland eingeleitet. Das nachhaltigste Verdienst aber, das sich Treviranus um die Botanik erworben, bestand darin, dass er der Lehrer unseres Göppert gewesen, dass er diesem begabtesten seiner Schüler die fruchtbringende Anregung, die exacte Methode und die wissenschaftliche Richtung gegeben, auf welcher dieser weit über ein halbes Jahrhundert hinaus mit glänzendem Erfolge fortge- schritten ist. In seinem Buche „Historie des savans et de la science“ hebt Alfons Decandolle durch statistischen Nachweis hervor, eine wie grosse Zahl berühmter Naturforscher Söhne von Apothekern gewesen. Auch Göppert stammte aus einer Apothekerfamilie; wollen wir auch die von Decandolle betonte Erblichkeit der Neigungen ganz ausser Spiel lassen, so konnte doch in einer Zeit, wo die Naturwissenschaften vom Schulunterricht noch völlig ausgeschlossen waren, das Interesse für dieselben und insbesondere für die Botanik nicht leicht auderswo geweckt werden, als in einem Apothekerhause, wo die Beschäftigung mit der heimischen Flora zu den alten guten Traditionen gezählt wurde. Vor mir liegt ein gedrucktes Dlatt mit dem Linn&’schen System nach der Willdenow’schen Bearbeitung, welches der junge Göppert als l14jähriger Knabe, damals Quartaner im katholischen Gymnasium zu Breslau, mit Datum und Namensunterschrift gezeichnet, und als erstes Zeugniss seiner botanischen Studien sorgfältig aufbewahrt hatte; schon damals hatte er sich die Erlaubniss erwirkt, den botanischen Garten zu besuchen, „was ich auch fleissig thun will, so lange mich meine Eltern in Breslau lassen“, fügt er in seinem Kindertagebuche hinzu. Damals freilich gewährten sie ihm nur eine kurze Frist; es war ja selbstverständlich, dass der Apotheker- sohn dereinst die väterliche Apotheke übernehmen müsse; als gehor- samer Sohn verliess der junge Göppert 1816 das Gymnasium, in dem er sich so glücklich gefühlt, trat als Lehrling in des Vaters Ofhiein zu Sprottau und absolvirte nach vierjähriger Lehrzeit die Gehilfenprüfung unter Treviranus mit Auszeichnung. Als er aber 1820 in die von seinem Grossvater gegründete Bergapotheke zu Neisse eingetreten, da konnte er der Sehnsucht nach einer tieferen, humanen und naturwissenschaft- lichen Bildung nicht länger widerstehen; von Neisse aus zeigte er dem Vater an, dass er im Apothekerberuf keine Befriedigung finde, er wolle in das Gymnasium zurückkehren und nach erlangter Maturität Mediein studiren. Die väterliche Genehmigung wurde nicht ohne Kampf gegeben, nachdem ein jüngerer Sohn eingetreten und sich für die Uebernahme der väterlichen Apotheke bereit erklärt hatte. Am 21. October 1821 wurde Göppert von Treviranus, damals Decan der medicinischen Faecultät, bei dieser inseribirt. In vierjährigem Studium erwarb sich Göppert hier nicht nur eine tüchtige medieinische, sondern auch eine gründliche und umfassende naturwissenschaftliche Bildung; dass er auch XVviI Jahres - Bericht bei Wachler Geschichte des Mittelalters, bei Schneider Plato, später bei Hegel Geschichte der Philosophie hörte, zeugt von einer bei einem jungen Medieiner ungewöhnlichen Vielseitigkeit. Unter Göppert’s Lehrern machten neben Treviranus auf ihn den tiefsten Eindruck der Anatom Otto und der Kliniker Remer; den warmen Worten, mit denen Göppert in der Vita seiner Doctor-Dissertation des letzteren gedenkt, merkt man es an, dass sie nicht blos von der Dankbarkeit des Schülers, sondern von zarterer Empfindung eingegeben sind; in der That empfing Göppert wenige Jahre später von den Töchtern des Remer’schen Hauses die erste, und nach deren-frühem Tode auch die zweite Gattin, die ihm nach einer überaus glücklichen Ehe erst ein Jahr vor seinem eigenen Heimgang entrissen wurde. Das Studium in Breslau erlitt einen gewaltsamen Abschluss, als Göppert um Weihnacht 1824 mitten im Semester unsere Universität mit dem Consilium abeundi verlassen musste. Göppert war ein echter Sohn unseres Jahrhunderts, mit dessen erstem Jahre er ins Leben trat; die Napoleonischen Kriege und die darauf folgende nationale Erhebung hatten in seinem Kindergemüth den lebhaftesten Eindruck zurückgelassen; als Jüngling trat er der Burschenschaft bei, welche bei der studirenden Jugend die verpönten Ideale deutscher Einheit und Freiheit im Geheimen nährte; dafür musste er mit der Strafe der Relegation büssen; wir können uns denken, mit wie bedrücktem Herzen Göppert in das väter- liche Haus zurückkehrte, ohne das so schwer erkämpfte Ziel seines Studiums erreicht zu haben. Glücklicherweise war das Regiment in jener Zeit nicht unerbittlich; schon im folgenden Jahre durfte Göppert das medieinische Studium auf der Berliner Universität, wenn auch unter polizeilicher Aufsicht, fortsetzen und durch seine vor dem Bo- taniker Link am 11. Januar 1825 erfolgte Promotion als Dr. med. zum Abschluss bringen; seine Opponenten waren der spätere Petersburger Zoologe und Akademiker Brandt und der spätere Professor an der Forst- Akademie zu Eberswalde, Ratzeburg; ein im Sommer 1824 auf der Schneekoppe geschlossener Freundschaftsbund vereinigte die drei Natur- forscher bis an ihr Lebensende. Es ist nicht zu bezweifeln, dass der Aufenthalt in Berlin Göppert’s geistigen Gesichtskreis erweiterte, dass der Verkehr mit den dortigen Botanikern Link, Schlechtendal, Heyne, und insbesondere mit dem als Naturforscher nicht minder wie als Dichter ausgezeichneten Chamisso ihn förderte; auch für seine Liebe zur Musik, die er bis ins späte Alter pflegte, fand Göppertim Mendelssohn’sehen Hause eine hocherfreuliche Anregung, Seine wissenschaftliche Ausprägung jedoch hatte Göppert’s bild- samer Geist schon in Breslau erhalten, vor allem durch Treviranus, der, wie er selbst dankbar in seiner Vita anerkennt, ihn in die Pflanzen- 1 \ VE der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. XVJI physiologie und in die Kryptogamenkunde eingeführt, ihn durch bota-- nische Exeursionen mit der Flora der Heimathprovinz, später durch ge- meinsame Reisen auch mit der der Alpen vertraut gemacht hatte, und ihm auch in seiner weiteren Laufbahn als. väterlicher Freund zur Seite stand. Dies beweist vor allem Göppert’s Doctor-Dissertation, welche von Treviranus angeregt und ihm auch gewidmet ist. Ein Vierteljahr- hundert nach Th. de Saussure, der durch mustergiltige Versuchsreihen die Lehre vom Stoffwechsel in den Pflanzen zum Abschluss gebracht hatte, wagte ein deutscher Naturforscher, Crell, die Behauptung auf- zustellen, dass die Pflanzen den Hauptbestandtheil ihres Körpers, die Kohle, nicht durch chemischen Process aus der Kohlensäure ab- scheiden, sondern dass sie durch die Lebenskraft Kohlenstoff aus Licht und Wasser zu erzeugen vermögen. Göppert wies durch seine Versuche nach, dass in geschlossenem Gefäss, in welchem der Kohlen- säurevorrath sich nicht erneut, Keimpflanzen nur so lange wachsen, als der im Samen enthaltene Kohlenstoff ausreicht; ist dieser erschöpft, so verlieren sie beständig an Kohlenstoff und gehen bald zu Grunde, Also erzeugt nicht das Licht den Kohlenstoff, sondern es wirkt nur bei der Zersetzung der Kohlensäure, von der die Pflanze immer neuer Zu- fuhr bedarf, wenn sie sich dauernden Zuwachses erfreuen soll. So zeigt schon Göppert’s Erstlingsarbeit den exacten Experimentator, den kritischen Beobachter, der, einer verworrenen Zeitströmung gegenüber, das Banner der wahren Naturwissenschaft siegreich vertritt. Wie wir wissen, begann Göppert seine Laufbahn in Breslau als praktischer Arzt; es war sein menschenfreundliches Herz, das in uneigen- nützigem Wohlthun Befriedigung suchte. Jahrelang finden wir ihn als städtischen Armenarzt, von 1826—1849 als Arzt am katholischen Gym- nasium, von 1829 ab als Arzt am Elisabethspital, von 1830—1848 als Arzt am Allerheiligen-Hospital, bei der schweren Cholera-Epidemie von 1831 als dirigenden Arzt des Choleraspitals in Neu-Scheitnig — alles Stellen, die ihm viele Liebe und Dankbarkeit, aber wenig Honorar ein- brachten. Privatpraxis hat er nur im engsten Kreise ausgeübt. Aber von Anfang an wurde sich Göppert klar, dass er vor allem zum Naturforscher, zum akademischen Lehrer geboren sei; sein scharfer Blick, sein besonnenes Urtheil, sein unermüdlicher Fleiss, seine energische Ausdauer befähisten ihn, in die Tiefe der Erscheinungen einzudringen und zu den einmal erwählten Aufgaben immer aufs Neue zurückzukehren, bis ihm deren erschöpfende Lösung gelungen war. Das medieinische Studium sollte Göppert nur als Staffel zum botanischen Lehramt dienen, welches damals, ebenso wie der botanische Garten, der medieinischen Facultät zugetheilt war. Göppert’s Habilitation als Privatdocent im Jahre 1827 gab demselben Anregung, ein neues Gebiet der experimentellen Pflanzenphysiologie in Angriff zu nehmen. Orfila 1834. b XVIll Jahres-Bericht und Magendie hatten durch Versuche an lebenden Thieren die Wir- kungen erforscht, mit denen die verschiedenen Gifte auf die verschie- denen Organensysteme eingreifen. Göppert stellte sich die Frage: wie verhalten sich die Gifte zum Organismus der Pflanzen? Als erster Gegen- stand der experimentellen Toxicologie wird die Blausäure erwählt; es stellt sich heraus, dass auch die Pflanzen von der kleinsten Menge Blau- säure getödtet werden, selbst wenn sie in starker Verdünnung, wie im Bittermandelwasser, eingesaugt oder als Blausäuredampf eingeathmet wird. Doch fast eben so gewaltsam wirken ätherische Oele, gleichviel, ob sie in verdünnter Lösung durch die Wurzeln, oder durch die Schnittfläche des Stengels, oder als blosser Duft durch die Blätter aufgenommen werden; sensible Pflanzen verlieren dadurch sofort ihre Reizbarkeit; Pflanzen werden sogar durch die Oele getödtet, die sie selber er- zeugen; Fenchel durch Fenchelöl, Lavendel und Rosmarin durch ihr eigenes Arom. Auch der Geruch des Kamphers, des Moschus, des Terpentins richtet die Pflanzen zu Grunde. Spätere Untersuchungen stellen fest, dass alle Mineralgifte, Quecksilber und andere Metalle, dass Alkalien und Säuren, Chlor, Jod, Brom selbst in geringen Quantitäten das Pflanzenleben vernichten, während die narkotischen Gifte, die so energisch den Thierorganismus angreifen, auf die Pflanzen, die der Nerven entbehren, wirkungslos bleiben. Gleichzeitig mit seiner Habilitation als Privatdocent wird Göppert als Conservator am botanischen Garten angestellt. Das neue Amt wird sofort benutzt, um ein neues Gebiet der Pflanzenphysiologie exacter Forschung aufzuschliessen. Im Laufe des Sommers 1827 und 1823 wird die Abhängigkeit der Vegetation von der Temperatur an 1400 Pflanzen- arten untersucht, der jährliche Lebenseyelus von 72 Bäumen und Sträuchern ermittelt, und die Gesammtergebnisse dieser umfassenden Beobachtungsreihen in einer Curve dargestellt, welche die Beziehungen der periodischen 'Temperaturschwankungen zur Vegetation mit einem Blick überschauen lässt. Der Winter 1828/29 war einer der strengsten des Jahrhunderts; Göppert nimmt die Gelegenheit wahr, um nun auch das Verhalten der Pflanzen bei sehr niederen Temperaturen, ihr Gefrieren und Erfrieren zum ersten Male wissenschaftlich zu untersuchen. ‘Er weist nach, dass die verschiedenen Arten, Gattungen und Familien der Pflanzen gegen die Kälte sich ganz verschieden verhalten, dass manche tropische Gewächse schon bei Temperaturen über 0 Grad mit allen Anzeichen des Erfrierens zu Grunde gehen, nordische Arten durch den strengsten auf der Erde sich ereignenden Frost nieht getödtet werden, dass ihre Gewebe steif und fest gefrieren und von Eiskrystallen durchsetzt, dass aber niemals Zellen und Gefässe durch das Eis ge- sprengt werden, wie man früher angenommen hatte. Frostharte Ge- wächse sind nach dem Aufthauen lebenskräftig, gleiehviel, ob dieses Di | | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. XIX rasch oder langsam vor sich geht; solche Pflanzen, welche durch Kälte getödtet werden, kommen nicht mehr ins Leben zurück, auch wenn sie noch so sorgsam aufgethaut werden. Dass gewisse Pflanzen in der That schon beim Erfrieren, nicht erst beim Aufthauen sterben, beweisen die weissen Orchideenblüthen, welche sich indigoblau färben, sobald sie dem Froste ausgesetzt sind, ein sicheres Zeichen des eingetretenen Todes. | Stets bemüht, die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung dem Ge- meinwohl zu gute kommen zu lassen, zieht Göppert aus seinen Be- obaehtungen praktisch wichtige Schlussfolgerungen über die Obstsorten, die Stauden und Gehölze, welche unsere schlesischen Winter über- dauern und sich daher zur Anpflanzung empfehlen; in gleicher Weise prüft er die Schutzmittel, welche von den Praktikern gegen Frostschaden empfohlen werden, Aber sollten denn nicht die Pflanzen im Stande sein, sich selbst gegen Kälte zu schützen, indem sie durch den eigenen Lebensprocess Wärme entwickeln? Als Göppert 1830 seine Untersuchungen über das Verhalten der Pflanzen zur Wärme in einem Buche zusammenfasste, welches er dem Minister v. Altenstein widmete, war es ihm nicht ge- lungen, bei den Pflanzen Eigenwärme nachzuweisen; er schloss daraus, dass, falls wirklich lebende Pflanzen Wärme erzeugen, diese beständig durch die Atmosphäre abgeleitet werde und daher sich niemals so weit anhäufen könne, um auf das Thermometer zu wirken. Indess unbefriedist durch diese negativen Ergebnisse, stellte er sich alsbald die Frage, ob nieht, wenn eine grosse Menge von Pflanzen zusammengehäuft werde, die von ihnen entwickelte Wärme sich summiren könne, wie ja auch der Bienenstock erhöhte Temperatur zeigt, nicht aber die einzelne Biene. Göppert stellte nunmehr ein Thermometer in einen grossen Haufen keimender Samen, Erbsen, Roggen, Weizen, Raps, Spörgel, und siehe da — das Quecksilber stieg rasch, je weiter der Keimungsprocess vor- schritt, so dass es schliesslich die Lufttemperatur bis um 15 Grad überstieg; geringere, aber immerhin sehr deutliche Wärmesteigerung zeigte sich, wenn die Versuche mit gehäuften Laubpflanzen, sprossenden Zwiebel- knöllehen u. a. angestellt wurden; endlich gelang ihm der Nachweis, dass in den Blüthenkolben der Drachenwurz das Staubfädenpolster intensive Wärme entwickelt; es fühlt sich bei der Berührung warm an und macht das Thermometer bis zu 18 Grad über die Lufttemperatur steigen. Bei der Naturforscher-Versammlung in Wien im Jahre 1832 konnte Göppert in einem mit lebhaftem Interesse aufgenommenen Vortrage den exacten Nachweis führen, dass die lebenden Pflanzen ebensogut Wärme produeiren, wie die Thiere, Die strengen Winter von 1870/71 veranlassten Göppert, nochmals auf diese Untersuchungen seiner Jugend zurückzukommen; das End- b* ug E Be: RX Jahres-Bericht ergebniss der alten und neuen Forschungen wurde im vorigen Jahre in einem Buche ‚‚Ueber Gefrieren, Erfrieren, Erstarren der Pflanzen und die Schutzmittel dagegen‘ zusammengefasst. Wir müssen darauf verzichten, auf die.zahlreichen Arbeiten weiter einzugehen, durch welche Göppert nicht blos die Physiologie, sondern auch alle übrigen Gebiete der wissenschaftlichen und angewandten Botanik, Anatomie, Systematik und Floristik, die Kenntniss der Krypto- samen, der giftigen, der offieinellen und technischen Pflanzen, ihrer literar- historischen und culturgeschichtlichen Beziehungen gefördert hat. Doch war es vorzugsweise das Leben der Bäume, dem Göppert in späteren Jahren mit warmer Liebe sich zuwandte. Göppert’s Vater war Forst- rath von Sprottau gewesen; seiner Pflege waren die ausgedehnten prachtvollen Waldungen zugetheilt, welche den Wohlstand dieser Stadt begründeten. Wir können annehmen, dass es Eindrücke der Kindheit waren, welche noch dem gereiften Manne den Wald zum Lieblings- gegenstand seiner Forschung machten. Hierbei fand Göppert thatkräftige Unterstützung bei dem Schlesischen Forstverein, zu dessen Gründern er gehört hatte, und der unter der Leitung des unvergesslichen Oberforst- meister v. Pannewitz zu hoher Blüthe gelangte, indem er die Natur- forscher der Universität zu gegenseitig fördernder Theilnahme anzuregen wusste. Bei den Waldexcursionen des Forstvereins sammelte Göppert das Material für den Nachweis der wunderbaren Hilfsgenossenschaften, in welchen alle Bäume des Waldes, die zur nämlichen Art gehören, zusammentreten, indem sie sämmtlich mit ihren Wurzeln untereinander verwachsen; im gemischten Nadelwald des Gebirges verwachsen selbst Fichten und Tannen mit den Wurzeln; wird ein Stamm aus der Mitte gefällt, so versorgen die Nachbarn den hilflosen Stumpf durch die unter- irdische Verbindung so lange mit Nahrungsstoff, bis die Schnittwunde durch Ueberwallung mit frischen Holz- und Rindenschichten verheilt ist. In ähnlicher Weise werden die Spalten überwallt, die im Baumstamm bei heftiger Kälte krachend sich aufthun und bei milderer Witterung sich wieder schliessen; nicht minder überwallen die Wunden, welche das Messer tief in die Rinde der Buchen einritzt, um einen geliebten Namen oder ein merkwürdiges Datum zu verewigen; durch die neuen Jahresschichten, die sich über die Inschrift ablagern, gelangt die- selbe allmählich ins Innere des Holzes und kommt oft erst nach langen Jahren beim Holzspalten unerwartet wieder zum Vorschein. Göppert war auch der Erste, welcher die Vorgänge mikroskopisch studirte, die beim Veredeln der Obstbäume zwei getrennte Wesen, Wildling und Edelreiss, in Eins verwachsen lassen; er ermittelte, dass nur von der Rinde aus die Verbindung durch ein intermediäres Zwischengewebe ein- tritt, während die ursprüngliche Trennung der beiden Holzkörper noch nach Jahrzehnten unverändert bestehen bleibt. Durch unablässige Be- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. XXI lehrung suchte Göppert auf eine rationelle, mit den Lehren der Wissen- schaft in Einklang stehende Pflege der Obst-, Garten- und Forsteultur hinzuwirken; gegen viele bei den Praktikern übliche Operationen erklärte er sich mit solcher Entschiedenheit, als schnitte jedes Baummesser ihm ins eigene Herz; vor Allem warnte er vor leichtsinnigem Zurückschneiden der Aeste und der Wurzeln, denn eine jede gewaltsame Verletzung giebt Anlass zur Fäulniss, die ins Innere des Stammes fortschreitet und diesen krank macht, auch wenn die Schnittfläche äusserlich durch Ueber- wallen allmählich vernarbt; leicht siedeln auf der offenen Wunde Pilze sich an, die als Sporenstaub aus der Luft kerabfallen und nach dem Auskeimen den Holzstamm durchwuchern und auszehren; aussen durch die Rinde zusammengefasst, inwendig kernfaul oder verrottet, mag sich der Baum noch eine zeitlang in scheinbarer Gesundheit aufrecht halten, im nächsten Sturme bricht er zusammen. Alten Bäumen widmete Göppert eine pietätvolle Verehrung; schon 1845 begann er eine Chronik der alten Bäume Schlesiens; bis an sein Ende registrirte er jedes Schicksal der riesigen Patriarchen des Pflanzen- reichs; energisch griff er zur Feder, wenn einem seiner Schützlinge von vandalischer Hand Gefahr drohte. Kein Wunder, wenn Göppert den wenigen Urwäldern, die von Menschenhand unberührt in unzugänglichen Gebirgsschluchten ihr Dasein fristen, eine fast religiöse Ehrfurcht zollte; ihm verdanken wir die lebendige Schilderung des Urwaldrestes auf den Sahlwiesen bei Landeck, Den herrlichen Urforst auf dem Kubany im Böhmerwald, auf den zuerst Hochstetter 1853 die öffentliche Aufmerk- samkeit gerichtet, bereiste Göppert 1865 und veröffentlichte dann eine durch zahlreiche Abbildungen erläuterte wissenschaftliche Be- schreibung von diesem erhabenen Waldmeer, gebildet aus Fichten und Tannen, untermischt mit Buchen und Bergahorn; ihre Stämme stehen wie in Reihen gepflanzt, da die neuen Baumgenerationen durch Samen- anflug auf den modernden Baumleichen der vom Sturm gebrochenen Alten auskeimen; die Riesenstämme erreichen bis zu 30 Fuss Umfang und erheben sich bis 200 Fuss hoch in die Lüfte, während sie erst in 60—100 Fuss Höhe ihre Wipfelkronen ausbreiten — lebende Beispiele für des alten Plinius Schilderung des germanischen Urwaldes: „‚intacia aevis, eb congenita mundo prope immortali sorte miracula escedht.““ Diejenigen Forschungen indess, durch welche Göppert vor allem seinen Namen unter die ersten Naturforscher unserer Zeit eingereiht hat, bewegen sich nicht sowohl unter den jetzt lebenden, als vielmehr unter den ausgestorbenen Pflanzen der Vorwelt. Schon frühe hatten versteinerte Stämme, blattähnliche Zeichnungen auf Steinplatten, die man aus dem Schooss der Erde ausgegraben, die Verwunderung der Laien und Gelehrten angeregt; bereits im Jahre 1720 hatte ein Liegnitzer Arzt, XXI Jahres-Bericht Dr. Volkmann, eine Silesia subterranes herausgegeben, in der eine grosse Anzahl pflanzlicher Versteinerungen, die meisten aus dem heimathlichen Kohlengebirge, abgebildet worden waren. Aber bis zum Anfang dieses Jahrhunderts hatte man dieselben für Reste einheimischer Gewächse oder für tropische gehalten, die zur Zeit der grossen Sünd- fluth aus den Gefilden des Paradieses bis zu uns geschwemmt worden seien. Erst am Beginn unseres Jahrhunderts hatte Blumenbach für die fossilen Thiere, Schlotheim für die fossilen Pflanzen den Satz ausgesprochen, dass dieselben nicht der gegenwärtigen Schöpfung sondern einer Vorwelt angehören, die vor der Schöpfung der Menschen gelebt habe und durch eine grosse Katastrophe vernichtet und begraben worden sei. In den darauf folgenden Jahren hatte George Cuvier durch geniale Anwendung der vergleichenden Anatomie den Nachweis ge- führt, dass die ausgestorbene Thierwelt nicht einer einzigen Schöpfung angehört haben könne, sondern dass eine grosse Anzahl solcher Schöpfungen aufeinander gefolgt seien, deren Ueberreste in den ver- schiedenen Gesteinsformationen der Erdrinde sich erhielten, und ver- schiedenen Perioden der Erdentwickelung entsprechen. Endlich im dritten Decennium unseres Jahrhunderts hatten Caspar Graf Stern- berg in Prag und Adolph Brongniart in Paris eine ähnliche Folge von Floren nachgewiesen, die von der jetzt lebenden um so mehr sich unterscheiden, in je tieferen Schichten sie begraben sind; sie hatten da- durch das Fundament zu einer neuen Wissenschaft, der botanischen Paläontologie gelegt. Im Jahre 1833 forderte Professor Otto, welcher für das unter seiner Leitung entstandene anatomische Museum der Breslauer Uni- versität eine reiche Sammlung der in Schlesien gefundenen fossilen Thier- reste angelegt hatte, unseren Göppert auf, die Bearbeitung der fos- silen Flora unserer Provinz in Angriff zu nehmen. Es wurde ein von beiden Forschern gemeinsam unterzeichneter Aufruf an die schlesischen Landsleute erlassen, dieses Unternehmen durch Einsendung der von ihnen gesammelten Pflanzenversteinerungen zu unterstützen. Der Aufruf hatte glänzenden Erfolg; von allen Seiten strömten die Zusendungen herbei, welche den ungeahnten Reichthum der Provinz an fossilen Pflanzen- schätzen offenbarten; die werthvollsten kamen von dem Apotheker in Charlottenbrunn, Carl Beinert, der seit Jahren die Versteinerungen des Waldenburger Kohlenreviers mit wissenschaftlichem Verständniss erforscht und gesammelt hatte. So gelangte Göppert in den Besitz überaus reich- haltiger Sammlungen fossiler Pflanzen, welche gegenwärtig einen der werthvollsten Bestandtheile des Breslauer mineralogischen Museums aus- machen. Diese Schätze für die Wissenschaft auszubeuten, war eine Auf- gabe, welche Göppert’s ganze Geisteskraft und Energie für die nächsten Jahrzehnte vollauf in Anspruch nahm. Die meisten Pflanzen der Vor- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ROXIIT welt, insbesondere die Farne, sind nur in zarten, fast körperlosen, meist verstümmelten Blatt- oder Stengelabdrücken erhalten, die mit denen der Gegenwart oft nur entfernte Aehnlichkeit haben; um aus ihnen die ganze Gestaltung der Pflanzen zu reconstruiren, denen sie einst angehört, dazu war nicht nur die genaueste Vergleiehung dieser Fragmente unter- einander und mit den Pflanzen der heutigen Flora unentbehrlich, es mussten auch neue, feine Unterscheidungsmerkmale ausfindig gemacht werden, deren der Botaniker bei Bestimmung lebender Pflanzen, von denen er in der Regel mehr oder weniger vollständige Exemplare vor sich hat, nicht bedarf. Göppert erwarb sich in der tactvollen Aus- bildung der vergleichenden Methode in Kurzem solche Meisterschaft, dass er schon 1836 mit einer von 44 Quarttafeln begleiteten „Mono- sraphie der Gattungen der fossilen Farnkräuter‘ hervortreten und schon durch dieses Werk seinen Ruf als erster deutscher Paläontologe be- sründen konnte. Damals und später kam ihm zu gute, dass dieK. C.L. Akademie der Naturforscher, welche ihre Existenz aus dem Schiffbruch des heiligen Römischen Reiches glücklich gerettet hatte, zugleich mit ihrem Präsidenten, dem als Nachfolger von Treviranus berufenen Pro- fessor Nees von Esenbeck im Jahre 1830 nach Breslau übergesiedelt war und ihre Mittel der splendiden Veröffentlichung von Göppert’s kostbaren Tafelwerken zur Verfügung stellte. Von den Bäumen der Urwelt haben sich in der Regel nur ent- rindete, aller Wurzeln, Aeste, Blätter und Blüthen beraubte Stümpfe erhalten, verwandelt die einen in Kohle, andere in Kiesel oder Kalk, in Schwerspath oder Thoneisenstein. Im Jahre 1831 hatte ein Engländer Witham gefunden, dass, wenn man an einem Splitter versteinerten Holzes durch Schleifen eine glatte Fläche herstellt, diese unter dem Mikroskop den anatomischen Bau der Gewebe, der Zellen und Gefässe in ihren feinsten Einzelheiten oft eben so vollkommen erkennen lässt, als sei das Präparat durch einen Schnitt aus lebendem Holze her- sestell. Göppert benutzte diese Methode sofort, um die Herkunft der Stämme auszumitteln, welche in grosser Anzahl im Hangenden unserer Kohlenflötze gefunden werden. Zuvörderst galt es, den ana- tomischen Bau bei den Hölzern der Gegenwart auf das Genaueste zu studiren; nachdem diese Vorarbeit 1841 zunächst für die Nadelhölzer in der Schrift ‚De Coniferarum structura“ gethan war, konnte Göppert mit vollster Gewissheit den Beweis liefern, dass die ältesten Wälder der Urwelt ganz allein aus Nadelholz gebildet waren; in den Stämmen, welche, unter den Hügeln von Radowenz begraben, einen versteinerten Wald in der Nähe der Adersbacher Felsen bilden, erkannte er die nächsten Verwandten der Araucarien, welche in der Gegenwart auf Süd- amerika und einige oceanische Inseln zurückgedrängt sind. Sein Werk „Die fossilen Coniferen, verglichen mit denen der Jetztwelt“, 1850, mit x i ” 4 } XXIV Jahres-Bericht 58 Tafeln, erhielt von der Harlemer Gesellschaft der Wissenschaften einen doppelten Preis. Noch wenige Tage vor seinem Tode war es Göppert vergönnt, eine Monographie der fossilen Araucarien zum Abschluss zu bringen, welche als Vermächtniss des grossen Forschers in einem von 32 Tafeln illustrirten Werke von der Berliner Akademie veröffentlicht werden wird. Nach derselben vergleichend mikroskopischen Methode vermochte Göppert in anderen versteinerten Stämmen Farn- bäume oder Cycadeen, in wenigen Laubhölzer zu erkennen; die meisten zeigten einen von den Hölzern der Jetztwelt so abweichenden Bau, dass sie als Typen ausgestorbener Geschlechter gelten müssen, welche der- einst die Lücken zwischen den Gliedern der heutigen Flora ausgefüllt hatten. Es blieb die wichtige Frage: durch welche Vorgänge ist in den versteinerten Hölzern die ursprüngliche organische Substanz durch Mine- ralstoffe verdrängt worden, ohne dass das mikroskopische Bild der inneren Gewebe dabei verändert wurde? Zur Lösung dieser Frage kam Göppert auf den glücklichen Gedanken, das Experiment zu Hilfe zu rufen. Selbstverständlich standen ihm die ungezählten Jahrtausende nicht zur Verfügung, welche unzweifelhaft bei dem Versteinerungsprocess mit- wirkten. Göppert suchte die Wirkung der Zeit durch concentrirtere Lösungen, durch höhere Temperaturen zu ersetzen, und wirklich ge- lang, es ihm, durch Imprägnirung von Pflanzentheilen mit verschiedenen Mineralstoffen und nachträgliches Glühen künstliche Kiesel-, Kalk-, Eisen-Versteinerungen zu erzeugen, durch mehrere Jahre hindurch fort- gesetztes Kochen in Wasserdampf von hoher Spannung Holz in Braun- kohle, bei Zusatz von etwas Schwefelsäure selbst in schwarze Kohle umzuwandeln. Freilich war dadurch das Räthsel von der Entstehung der mächtigen Steinkohlenflötze noch nicht gelöst, welche den kostbarsten Reichthum der Provinzen bilden, in denen sie sich vor Aeonen abgelagert haben. Als Göppert im Jahre 1844 die Kohlengruben bei Nicolai OS. unter- suchte, entdeckte er zu seiner Ueberraschung, dass jedes beliebige Stein- kohlenstück ein Herbarium der Vorwelt darstelle, da es ganz und gar aus den verkohlten Stengeln, Wurzeln und Blättern vorweltlicher _ Pflanzen, hauptsächlich von Stigmarien, gebildet ist. Da ihm in den | darauf folgeuden Sommern die Bereisung der rheinischen und west- phälischen Kohlengruben (1850) das nämliche Resultat ergeben hatte, so konnte Göppert nunmehr den Nachweis führen, dass alle die un- ermesslichen Steinkohlenlager aus vorweltlichen Mooren hervorgegangen sind, dass sie ganz allein und ausschliesslich aus den Ueberresten einer Vegetation von unbegreiflicher Ueppigkeit, aber von nicht minder wunderbarer Einfachheit bestehen, die nicht im Meere, sondern auf niedrigen, oft überschwemmten Inseln lebte, nieht von weither angeflösst, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. XXV sondern an Ort und Stelle begraben, nicht durch Feuersgewalt verkohlt sondern im Laufe ungezählter Jahrtausende unter dem Druck gewaltiger Wasser- und Gesteinmassen langsam vermodert ist. Die Welt der Blumen war damals noch nicht vorhanden; die Pflanzen der Steinkohlenflora haben ihre Verwandten nur unter den Farnen, Bärlappen, Schachtel- halmen der Gegenwart; die meisten zeigen eine durchaus fremdartige innere und äussere Gestalt; die höchste Entwickelung erreichte der Arau- carienwald, der von keinem Wild, von keinem Vogel, nur von spär- liehen Inseeten und Amphibien belebt war. Von den zahlreichen Abhandlungen, in welchen Göppert die Kennt- niss der Steinkohlenflora förderte, wurden zwei, die eine 1848 in Ge- meinschaft mit seinem Freunde Beinert in Charlottenbrunn verfasst, die andere, von 1850, von holländischen Akademien gekrönt. Mit Hilfe der Photographie, die Göppert zuerst mit besonderem Erfolge zur Wieder- gabe naturwissenschaftlicher Gegenstände verwerthete, erläuterte der- selbe die Structurverhältnisse der Steinkohle durch einen Atlas von 29 Quartblättern für die Pariser Weltausstellung von 1867 und erhielt dafür die silberne Medaille; zehn Jahre vorher hatte Göppert bereits im botanischen Garten ein riesiges Profil zur Darstellung der Steinkohlen- formation aufgebaut, um welches die prächtigsten Stämme jener Urflora, Araucarien, Sigillarien, Calamarien und Lepidodendren sich malerisch gruppiren, gewissermassen ein botanisches Pompeji, wo der Beschauer unmittelbar aus der lebensfrischen Vegetation der Gegenwart in die nebelhafte Flora der Urwelt hineintritt. Nachdem Göppert einmal in den ältesten Formationen der Pflanzen- welt festen Boden gewonnen, schritt er mit rastlosem Fleiss vorwärts durch alle Wandlungen der Flora bis zur Jetztzeit; von den untersten silurischen Schichten, in denen nur undeutliche Algenreste sich erhalten haben, bis zu den Torfmooren, wo nur Pflanzen der Gegenwart begraben sind, freilich oft an Stellen, aus denen sie gegenwärtig in Folge klima- tischer Veränderungen schon seit Jahrhunderten verschwunden sind — giebt es keine geologische Epoche, deren botanische Erforschung er nicht ° wesentlich gefördert hat. Als Annalist der Vorgeschichte des Pflanzenreiches hat Göppert mit besonderer Vorliebe jene Periode be- arbeitet, wo die modernen Gestaltungen ins Dasein traten, die Tertiär- zeit. Göppert lehrte uns, dass einst der Fuss der Trebnitzer und Grünberger Hügel von subtropischem Urwald, von Palmen, Lorbeern, Magnolien, Melonenbäumen umgürtet war, dass dann später in der Nähe des Zobten ein stiller See, der heut mit Thonmergel ausgefüllt ist, von einem Wald umgrünt war, der mit Taxodien und Libocedern, mit Eichen und Buchen, Ahorn- und Nussbäumen, Pappeln und Weiden in mehr als hundert verschiedenen Arten bestanden war, ähnlich den Cypressen- wäldern von Nordamerika; aus einer Braunkohlengrube bei Königszelt XXVI Jahres- Bericht gelang es ihm, einen Coniferenstamm von mehr als 10 m Umfang bloss- zulegen, der, im botanischen Garten aufgestellt, uns vor Augen führt, dass in den schlesischen Braunkohlenwäldern einst Baumriesen sich er- hoben, derengleichen sich heut nur in den Mammuthbäumen der kali- fornischen Sierra Nevada wiederfinden. Während Göppert in den von den Reisenden aus Sibirien, Grönland, den Aleuten ihm zugeschickten tertiären Hölzern die Zeugen einer ehemaligen mächtigen Waldflora in den Polarländern erkannte, gab ihm die Untersuchung der Tertiärflora von Java den Beweis, dass die Vegetation dieser Insel schon damals den tropischen Charakter trug, den sie sich bis auf den heutigen Tag bewahrt hat. Die letzten Jahre seines Lebens verwandte Göppert mit glänzendem Erfolge zur Erforschung der Bernsteinflora; aus der mikroskopischen Vergleichung der spärlichen, in einzelnen Bernsteinstücken einge- schlossenen Holzsplitter konnte er die Stammbäume dieses kostbaren fossilen Harzes ausmitteln als vorweltliche Fichten und Cypressen, in deren Waldschatten eine eigenthümliche, längst ausgestorbene, wenn auch vielfach an die Gegenwart anklingende Flora von Sträuchern und Blumen, selbst von Moosen, Flechten und Pilzen lebte. Leider ist nur der erste Theil von Göppert’s Untersuchungen über die Bernsteinflora im vorigen Jahre mit Unterstützung des westpreussischen Landtages in einem von 16 Tafeln begleiteten Bande zur Veröffentlichung gelangt. Selbst im Diamant hat Göppert zellige Structur gefunden, die ihm dessen Abstammung aus dem Pflanzenreich wahrscheinlich machte; seine Ab- handlung über die Einschlüsse der Diamanten wurde 1861 von der Haarlemer Gesellschaft der Wissenschaften mit dem doppelten Preise gekrönt. Als am 16. Februar 1883 die geologische Gesellschaft in London die goldene Murchison-Medaille Göppert in Anerkennung seiner Ver- dienste um die botanische Paläontologie zuerkannte, da hob der Sprecher der Gesellschaft hervor: „wenn man die hohe Bedeutung und die grosse Zahl der Göppert’schen Schriften ins Auge fasse, von denen der Katalog der Königl. Gesellschaft nicht weniger als 250 aufzählt, so müsse man sich nur darüber wundern, dass Göppert nicht schon vor langen Jahren zum Empfang der höchsten Auszeichnung erwählt worden sei, welche die Gesellschaft verleihen könne.“ Wir können jedoch diese Skizze nicht abschliessen, ohne darauf hinzuweisen, dass wir Göppert’s Verdienste um die Wissenschaft nur zur Hälfte würdigen, wenn wir nur die von ihm selbst veröffentlichten literarischen Arbeiten berücksichtigen; hat er doch die Wissenschaft nicht minder durch sein Wirken als akademischer Lehrer gefördert. Auch vom geistigen Lichte gilt, wie vom materiellen, dass es erleuchte, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, XXVI nicht allein durch die direct von ihm ausgesandten, sondern auch durch die refleetirten Strahlen. In wie hobem Masse Göppert es verstand, seine zahlreichen Schüler mit Liebe für die Wissenschaft zu erfüllen, und sie zu selbstständiger wissenschaftlicher Thätigkeit anzuregen, wie Segensreiches er geleistet durch seine Vorträge, seine Demonstrationen, seine Sammlungen, durch die von ihm gegründeten und geleiteten Lehr- institute, insbesondere aber durch die reformatorischen Ideen, die er in seinem botanischen Garten, in seinem botanischen Museum durchzuführen bestrebt war, vermögen wir hier nur anzudeuten, Von einem griechischen Tragiker ist uns der Spruch überliefert: öv ol deoL pilouaıy drod'vmoxeı veoc. Wen die Götter lieb haben, der stirbt jung. Denn er bleibt nicht nur von den körperlichen Leiden und der Hinfälliskeit des hohen Alters verschont, ihm ist auch das schwerere Leid erspart, sich selbst überlebt zu haben, seine Zeit nicht mehr zu verstehen und von ihr nicht verstanden zu werden. Wenn ein Solcher in vollem Streben aus der Mitte seiner Arbeiten, seiner Entwürfe heraus- gerissen wird, so heftet sich an seine Erinnerung die Trauer um die schönen Hofinungen, die mit ihm zu Grabe getragen werden. Wie zutreffend der griechische Spruch, das hat sich an unserem Göppert bewährt. Wen die Götter lieben, der stirbt jung, und wennerauchlängst die achtzig überschritten. So ist Göppert von uns geschieden als ein Liebling der Götter: im vollen Besitz der reichen Gaben seines Geistes und Gemüthes, ganz erfüllt von grossen, weitaussehenden Zukunftsplänen; abgerufen von seinem Lehramt, das er bis zuletzt mit höchster Auszeichnung verwaltete, aus der Mitte seiner wissenschaftliehen Arbeiten, die ihn fast bis zur letzten Stunde be- schäftigten und deren letzte erst nach seinem Tode ans Licht treten wird; er hat sich bis zu seinem Ende auf der Höhe seiner Wissenschaft gehalten, die ihn unter ihre grössten Meister zählte, er hat auch in Allem, was unsere Zeit bewegt, mitten im Leben der Gegenwart ge- standen, für alle neuen Ideen, die das Wohl der Mitbürger zu fördern versprachen, mit selbstlosem Enthusiasmus eintretend; er hat Freude ge- habt an Allem, was er geschaffen, uud ist von Liebe und Verehrung umgeben geblieben in nahen wie in fernen Kreisen. Sein Name wird fortleben in der Geschichte der Naturwissenschaft; wir aber, denen es vergönnt war, eine lange Strecke mit ihm gemeinsam zu wallen, werden das Bild des edlen Greises mit dem jugendfrischen Geiste und dem jugendfrischen Herzen in treuer Erinnerung bewahren. Die Schlesische Gesellschaft konnte nicht lange des Leiters ent- behren, am 11. Juni 1834 wählte das Präsidium, beziehentlich das Direetorium einstimmig zum Präses der Gesellschaft Herrn Geh. Med.- Rath Professor Dr. Heidenhain, welcher am 3. Juli d. J. zum ersten Male der Präsidialsitzung vorsass, und unter dessen Leitung die Schle- sische Gesellschaft für vaterländische Cultur fernerem Gedeihen mit Zu- versicht entgegensieht. Die Gesellschaft betrauert ferner den im Laufe des Jahres erfolgten Tod ihrer wirklichen Mitglieder: Professor und Stadtrath Dr. Eberty, Professor Dr. Friedberg, Dr. phil. Mosbach, Professor Dr. med. Neumann, Kaufmann Promnitz, Geh. Commerzienrath v. Ruffer, Dr. med. Steinitz, Kaufmann Straka, Geh. Med.-Rath Dr. Wendt, Geh. Justizrath v. Wittken, Stadtrath Zwinger, Graf v. Pfeil auf Wildschütz; und ihrer Ehrenmitglieder: Professor Dr. Cohnheim in Leipzig, Geh. Regierungs-Rath Professor Dr. Droysen in Berlin, In Folge Verzuges von Breslau sind 3 Mitglieder aus der Gesell- schaft ausgeschieden; dagegen sind im Jahre 1884 als Mitglieder neu aufgenommen worden die Herren: Amtsgerichts-Rath Lühe, Apotheker Th. Lebek, Oberforstmeister Hauptmann a. D. Gericke, Professor Dr. Hieronymus, Buchhändler A. Jünger, Dompropst Dr. Kayser, Privatdocent Dr. med. Roux, Rechtsanwalt und Notar Bellier de Launay, Bürgermeister Diekhuth, Professor Dr. Lehmann, Director des botanischen Gartens Professor Dr. Engler, Proreetor Professor Dr. Hartmann - Schmidt, Dr. med. Richard Kohn, Gymnasial- Director Professor Dr. Treu, Realgymnasiallehrer E. Merkel, Freiherr v. Krutschoff, Privatdocent Dr. med. Freund, Dr. med. Kayser, Sanitätsrath Dr. med. Schlockow. xXXVII Jahres-Bericht Das Diplom als correspondirendes Mitglied erhielt der Wirkliche Staatsrath Herr Professor Dr. Hoyer in Warschau. Die Gesellschaft zählt hiernach gegenwärtig 405 wirkliche Mit- glieder, 41 Ehrenmitglieder, 173 correspondirende Mitglieder. Die Section für Obst- und Gartenbau besteht für sich aus 338 Mit- gliedern. Dieser unserer Section für Obst- und Gartenbau ist auch in - diesem Jahre Seitens des Provinzial - Landtages der Provinz Schlesien eine Unterstützung von 1650 Mark gewährt worden, wofür wir auch an dieser Stelle unseren Dank aussprechen. Der Gesellschaft wurde in diesem Jahre die Freude zu Theil, durch ihr Präsidium ihr Ehrenmitglied, den Königlichen General - Lieutenant, Präsidenten des geodätischen Instituts zu Berlin, Herrn Dr. Baeyer, zu seinem 90. Geburtstage, ihr correspondirendes Mitglied, Hofgartendirector der Königl. Preussischen Gärten, Herrn Jühlke zu Poisdam, sowie die wirklichen Mitglieder, Herrn Geh. Reg.-Rath, Direetor der Sternwarte, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. KIEN Professor Dr. Galle, Herrn Rector Letzner zu ihrem 50jährigen Dienstjubiläum, Herrn Professor Dr. Röpell zu seinem 50jährigen Doetorjubiläum die Glückwünsche auszusprechen. Dieselbe hatte ferner die Freude, die mit ihr in wissenschaftlichem Verkehr stehenden Gesell- schaften: die Königl. Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften zu Prag zur Feier ihres 100jährigen Bestehens, die Gesellschaft für Ge- schiehte und Alterthumskunde der ÖOstseeprovinzen Russlands zu Riga und dem Verein für hessische Geschichte und Landeskunde zu Kassel zur Feier ihres 50jährigen Bestehens glückwünschend zu begrüssen. Für das Jahr 1885 hat das Präsidium aus den Mitteln der Gesell- schaft Herrn Dr. Otto Zacharias einen Beitrag zu dem Zwecke der Erforschung der Fauna des grossen und kleinen Teiches im Riesen- gebirge zu gewähren beschlossen. In gleicher Weise beschloss das Präsidium, nachdem hierselbst sich ein Comite behufs Errichtung eines Göppert-Denkmals gebildet, aus den Mitteln der Gesellschaft diesem Comite einen Beitrag zur Errichtung eines Denkmals für unseren verewigten Präses zu überweisen und gleich- zeitig eine Aufiorderung zur Beisteuer an die Gesellschaftsmitglieder zu richten. Im Jahre 1884 ist Seitens der Gesellschaft nur der 61, Jahres- bericht für 1883 veröffentlicht worden. Allgemeine Versammlungen haben im Jahre 1834 drei stattgefunden: am 20, Juni — Vortrag des Herrn Professor Dr. Galle ‚über die Ein- führung einer Universalzeit für den inneren Eisenbahn- und Telegraphen- Verkehr und die Nothwendigkeit der Beibehaltung der gewöhnlichen Ortszeit für das bürgerliche Leben“, am 14. November — Vortrag des Herrn Professor Dr. Gierke „über die Bedeutung der zoologischen Stationen und die zoologische Station in Neapel“, am 29. December — Vortrag des Jahresberichts über das Geschäftsjahr 1884 durch den General-Secretair. Die Vervollständigung und Vermehrung der Gesellschafts-Bibliothek und der naturwissenschaftlichen Sammlungen ergiebt sich aus den Be- richten des Custos dieser Sammlungen, Herrn Professor Dr. Körber, und des Bibliothekars, Herın Pastor em. Dr. Schimmelpfennig. Die Reehnung der Allgemeinen Kasse und die über die besondere Kasse der Section für Obst- und Gartenbau ist für das Jahr 1884 durch den Schatz- meister, Herrn Stadtrath Bülow, gelegt und dem Schatzmeister nach erfolgter Revision Decharge ertheilt worden. Ueber die Thätigkeit der einzelnen Sectionen haben die Herren Sections-Secretaire Folgendes berichtet: XXX Jahres - Bericht Die medicinische Section (Seeretaire: Prof. Berger und Medicinal-Rath Prof. Ponfick) hat im Jahre 1884 16 Sitzungen gehalten und zwar: 1. Sitzung am 11. Januar. Herr Prof. Voltolini: Ueber Tuber- culose des Gaumensegels und des Kehlkopfs, mit Demonstration von Bacillen. 2. Sitzung am 18. Januar. Herr Sanitätsrath Dr. Friedländer: Bericht der Commission für Samımelforschung über Tubereulose. Herr Sanitätsrath Dr. Wollner: Der Diabetes mellitus und seine Kur in Carlsbad. Herr Dr. Süssbach: Miscellen über Hydrotherapie. 3. Sitzung am 1. Februar. Discussion über den Vortrag des Herrn Sanitätsrath Dr. Wollner. A 4. Sitzung am 15. Februar. Herr Prof. Dr. Magnus: Ueber die Verbreitung der eitrigen Augenentzündung der Neugeborenen und die sich daraus entwickelnde Blindheit. Herr Privatdocent Dr. Roux: Vor- läufige Mittheilung über causal-ontogenetische Experimente. | 5. Sitzung am 29. Februar. Herr Prof. Neisser: Demonstration des „Bärenmenschen“. Herr Privatdorent Dr. Kroner: Zur Therapie der puerperalen Uterusruptur. Herr Dr. Jany: Antrag auf Einsetzung einer Commission behufs Bekämpfung der Blennorrhoea neonatorum. 6. Sitzung am 14. März. Herr Medieinalrath Prof. Fritsch: Ueber Totalexstirpation des Uterus. Herr Dr. Krauss: Pathologisch - ana- tomische Demonstrationen (Tuberculose der Prostata, Harnblase und Samenblasen). 7. Sitzung am 21. März. Herr Prof. Berger: Zur Symptomatologie der Tabes dorsalis. 8. Sitzung am 4. April. Herr Prof. Born: Ueber den Einfluss der Schwere auf das Froschei. 9. Sitzung am 29. Mai. Herr Prof. Ponfick: Nachruf auf den am 18. d. M. verstorbenen Präses der Gesellschaft, Herrn Geh. Rath Göppert. Herr Primair-Arzt Dr. Riegner: Doppelseitiges Aneurysma ‚der Arteria carotis communis, durch Unterbindung beider Carotiden ge- heilt (mit Demonstration). Herr Dr. Alexander: Ueber das Antipyrin und seine Wirkung bei fieberhaften Krankheiten. 10. Sitzung am 27. Juni. Herr Prof. Hirt: Ueber die sogenannte Neurotabes peripheriea. Herr Prof. Ponfiek: Ueber Actinomykose ohne Actinomyces, 11. Sitzung am 11. Juli. Herr Dr. Julius Wolff: a. Zur Dia- onostik der Nierenkrankheiten. b. Ueber einen Fall von Actinomykose (mit Demonstration). der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. OO 12. Sitzung am 25. Juli. Herr Prof. Börn: Ueber die inneren Vorgänge bei der Befruchtung der Froscheier, Herr Prof. Soltmann: Zur Aetiologie der Actinomykose, 13. Sitzung am 31. October. Herr Prof. Ponfick: Gedächtniss- rede auf Julius Cohnheim. 14. Sitzung am 7. November. Herr Prof. Berger: Zur Aetiologie der Tabes dorsalis. Herr Prof, Hermann Cohn: Ueber kleine Er- leichterungen bei der Brillen-Vorprobe. 15. Sitzung am 28. November. Herr Dr. Dreser: Histochemisches zur Nierenphysiologie. Herr Privatdocent Dr. E. Fränkel: Ueber Cocain als Mittel zur Localanästhesie der Schleimhäute. Herr Dr. Land- mann: Ueber die Anwendung des Cocain in der Augenheilkunde. 16. Sitzung am 16. December. Herr Prof. Ponfick: Demonstration eines hochgradig micerocephalen Mädchens. Herr Dr. Leppmann: Demonstration eines Falles von Heilung einer Psychose durch Kopf- verletzung. Herr Privatdocent Dr. Buchwald: Ueber Kefyr. Die Section für öffentliche Gesundheitspflege (Seeretaire: Geh. Medicinalrath Professor Dr. Biermer, Professor Dr. Förster und Bezirks-Physieus Dr. Jacobi) hat im Jahre 1884 sechs Sitzungen gehalten. In der ersten Sitzung am 25. Januar sprach Herr Geh. Medicinal- rath Prof. Dr. Göppert ‚über den Häuserschwamm und seine Be- kämpfung im Museum der bildenden Künste“. In der zweiten Sitzung am 8. Februar sprach 1) Herr Professor Dr. Förster ‚über die Grundbedingungen für gute Tagesbeleuchtung in den Schulsälen‘“, 2) Herr Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Göppert: ‚nach- trägliche Bemerkungen zu seinem Vortrage vom 25. Januar über den Häuserschwamm“. In der dritten Sitzung am 22. Februar sprach 1) Herr Professor Dr. H. Cohn „über eine abgeschriebene Hygiene der Augen im Anfange dieses Jahrhunderts“, 2) Herr Prof. Dr. A. Weber: „Demonstration eines Photometers,“ 3) Herr Prof. Dr. H. Cohn ‚über die künstliche Beleuchtung der Schulzimmer“, In der vierten Sitzung am 4. Juni sprach Herr Geh. Medicinal-Rath Prof. Dr. Biermer ‚über Entstehung, Verbreitung und Abwehr der asiatischen Cholera‘. In der fünften Sitzung am 22. November sprach 1) Herr Professor Dr. Hirt „über die diesjährige Hygiene-Ausstellung in London“, 2) Herr Prof. Dr. H. Cohn: „Untersuehungen über den Beleuchtungswerth der Lampenglocken mit Demonstrationen,“ RAIKHI Jahres-Bericht In der sechsten Sitzung am 5. December sprach Herr Dr. Scehmeidler: „Resultate der medicinischen Statistik Breslaus aus den letzten Decennien nebst Demonstration der Karten des hiesigen statisti- schen Bureaus.“ Naturwissenschaftliche Section. (Seeretaire: Geh. Bergrath Prof. Dr. Römer und Prof. Dr. Poleck.) Die Section hat sich im Jahre 1884 sieben Mal versammelt und wurden nachstehende Vorträge gehalten: 1. Sitzung am 23. Januar: Dr. Gürich über eine neue Art der Gattung Plaecodus aus dem Muschelkalk Oberschlesiens; — Professor Dr. Arzruni über neue Erwerbungen des mineralogischen Museums; — Geh. Medieinal-Rath Prof. Dr. Göppert legte ein Stück von Araucarites Saxonieus mit eigenthümlicher Zeichnung vor; — Prof. Dr. Poleck über interessante Cyanverbindungen, den Apparat von Wolff zum Nach- weis minimaler Mengen von Quecksilber auf elektrolytischem Wege und die Hempel’schen Gas-Pipetten. 2. Sitzung am 20. Februar: Geh. Bergrath Prof. Dr. Römer geologische und paläontologische Mittheilungen; — Bergmeister Dr. Kossmann über Verwerthung und Verhüttung der Rio Pinto-Kiese; — Prof, Dr. Arzruni über schlesische Mineralien aus dem Riesengebirge. 3. Sitzung am 2. April: Dr. Gürich über Tiefbohrungen bei Bres- lau; — Bergmeister Dr. Kossmann über eisenhaltige Mineralien der Steinkohlentlötze Oberschlesiens; — Prof. Dr. Arzruni über ameri- kanische Mineralien; — Apotheker Thümmel über neue Selen- und Tellur-Verbindungen mit Silbernitrat. 4. Sitzung am 22. October: Prof. Dr. O. E. Meyer über einige neue Apparate des physikalischen Instituts; — Prof. Dr. L. Weber über Messung von difftusem Licht und sein neues Photometer; — Dr. Kunisch über den Meteoriten von Ober-Peilau bei Gnadenfrei. 5. Sitzung am 5. November: H. A. Langenhan über Foramini- feren aus dem Lias des grossen Seebergs bei Gotha; — Geh. Bergrath Prof. Dr. Römer geologische und paläontologische Mittheilungen; — Bergmeister Dr. Kossmann über Auslaugung von Silbererzen nach dem Verfahren von Russel. 6. Sitzung am 19, November: Dr. Otto Zacharias über die Fauna des grossen und kleinen Teiches im Riesengebirge. 7. Sitzung am 17. December: Prof. Dr. Poleek über Carvol und Carvaerol, über Magnesium und Nitroglycerin; — Dr. Gürich über die schlesische Diluvial-Fauna; — Geh, Bergrath Prof. Dr. Römer über russische Phosphorite. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Qultur. XSEXTR Die botanische Section (Seeretair: Professor Dr. Ferdinand Cohn) hat im Jahre 1884 zehn Sitzungen gehalten; es trugen vor die Herren: Geh. Rath Prof. Dr. Göppert (}) über das von ihm gegründete botanische Museum; — Prof. Dr. Hieronymus über Pflanzengallen aus Argentinien — über die Bromeliaceen von Argentinien — über die klimatologischen und pflanzengeographischen Verhältnisse von Süd- Amerika; — Prof. Dr. Körber über arctische und erratische Flechten ; — Dr. Lakowitz über die Flora des Tatragebirges;, — Realschullehrer Limpricht über neue schlesische Moose — über die Pseudoperianthien der Jungermannia — über Tüpfelbildung bei Laubmoosen ; — Oberstabs- arzt Dr. Schröter über Keller- und Grubenpilze — über die Torfmoore von Tillowitz;, — Privatdocent Dr. Schwarz über den Einfluss der Schwerkraft auf die Bewegung der Schwärmsporen,;, — Kgl. Garten- Inspector B. Stein über blühende Pflanzen des botanischen Gartens — über die von Dr. Schadenberg gesammelten Pflanzen von Mindanao — über neue Lieferungen seiner Flora artefacta; — Herr Prof. Dr. Stenzel über Bildungsabweichungen der Blüthen von Linaria — über abnorme Früchte und Samen der Eiche; — Apotheker Sonntag in Wüste- waltersdorf über Algen der hohen Eule; — R.v. Uechtritz über zwei- mal blühende Pflanzen im Winter 1883/84 —- über neue Funde aus der schlesischen Phanerogamenflora im Jahre 1883 und 1884; der Secretair: Bericht über die Untersuchung schlerischer Torfmoore im Jahre 1884 — verschiedene Demonstrationen und Mittheilungen. Die entomologische Section (Seeretair; Bector emer. K. Letzner) hat sich im abgelaufenen Jahre zu zehn Sitzungen versammelt, welche stets von Gästen zahlreich besucht waren, und in denen Herr Baumeister Fein, Herr Dr. Schneider und der zeitige Secretair der Section Vor- träge gehalten haben. Herr Gutsbesitzer Naacke und Herr Dr. med. Wocke waren leider auch dieses Jahr durch Krankheit von dem Be- suche der Versammlungen abgehalten. Section für Obst- und Gartenbau. (Secretair: Stadtrath E. H. Müller.) Im Jahre 1884 hielt diese Section acht Sitzungen, Vorträge hielten Herr Professor Dr. Ferdinand Cohn über die künstlerische Verwendung von Pflanzen und Blumen und Herr Ober- Stabsarzt Dr. Schröter über essbare Pilze in Japan. Vorgelesen wurden kürzere Berichte, Mittheilungen und längere Ab- handlungen auswärtiger Mitglieder; auch wurde über verschiedenes von 1884. c XXXIV Jahres - Bericht särtnerischem Interesse und über innere Angelegenheiten der Section verhandelt. Der Schriftenaustausch mit fachverwandten Vereinen fand fortgesetzt statt und wurden die in dem Lesezirkel in Umlauf gewesenen Fach- schriften nebst einigen umfangreicheren durch die Section erworbenen Werken der Bibliothek der Schlesischen Gesellschaft überwiesen. Ansehnliche Sortimente von Sämereien empfehlenswerther Gemüse- und Zierpflanzen wurden auch gegen das Frühjahr dieses Jahres un- entgeltlich an Mitglieder zum Versuchsanbau und späteren Bericht- erstattung vertheilt. Hohen Provinzialständen hatte die Section die gleiche Subvention wie in den Vorjahren zur Unterhaltung ihres pomologischen und resp. Obst- Baumschul- und Versuchsgartens zu verdanken; die seit lange be- währte Bewirthschaftung desselben fand fortdauernd statt, es blieben jedoch dessen Erträgnisse gegen die letzten Jahre um etwas zurück, während die Kassenverhältnisse der Section dennoch befriedigende verblieben. Die geographische Section (Secretair: Geh. Reg.-Rath Professor Dr. Galle) hat im Jahre 1884 eine Sitzung am 26. November gehalten. In der- selben sprach Herr Prof. Dr. Partsch über den Stand der Kartographie in den Alpenländern. Hieran anschliessend hielt Herr General Weber einen Vortrag über die Arbeiten des österreichischen militär - geo- graphischen Instituts. Den Schluss der Sitzung bildeten Mittheilungen des Becretairs der Section über die in diesem Jahre entdeckten Planeten und Kometen. | Die historische Section (Seeretair: Director Professor Dr. Reimann) hat im Jahre 1884 zehn Sitzungen abgehalten und wurden folgende Vor- träge gehalten: 1) Am 10. Januar vom Seeretair über den orientalischen Plan der Kaiserin Catharina II. 2) Am 24. Januar von Prof. Dr. Grünhagen über die politischeu Ereignisse in Schlesien unter der Regierung des Königs Ludwig 1516 bis 1526. 3) Am 14, Februar von Pastor em. Dr. Schimmelpfennig über die Altranstädter Convention und ihre Ausführung im Fürstenthum Brieg. 4) Am 13. März von Dr. Markgraf zur Krankheits- und Gesund- heitsgeschichte von Breslau. 5) Am 27. März von Prof. Dr. Röpell über die Eröffnung der Bundesversammlung. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. XXXV 6) Am 16. October vom Secretair über Josephs II. Irrungen mit Holland und seinen Plan, Bayern gegen die Niederlande einzutauschen. 7) Am 30. October vom Prof. Dr. Grünhagen: Schlesien in der letzten Zeit Kaiser Ferdinands I. 8) Am 13. November von Prof. Dr. Caro: Der Krakauer Tumult von 1461 und seine Folgen. 9) Am 27. November vom Post-Kassirer Schück: Beiträge zur Familien- und Lebensgeschichte Georg Forster’s. 10) Am 11. December vom Secretair über die Gründung des Fürstenbundes. Die philologische Section (Seeretair: Gymnasial-Oberlehrer Dr. Peiper) versammelte sich im Jahre 1884 ein Mal und zwar am 27. October. Herr Gymnasialleher Dr. Volkmann sprach über die Theologie des Epikurus. Bericht über die naturhistorischen Sammlungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Guitur für das Jahr 1884. Die bisher in drei kleinen Schränken aufbewahrt gewesenen ento- mologische Sammlung musste, da sie schon seit vielen Jahren durch Insectenfrass vollständig zerstört war, endlich cassirt werden. Dadurch wurde es möglich, die grosse in 8 Schränken befindliche orycto- snostische Sammlung nunmehr in einem Zimmer (Zimmer 1) zu ver- einigen. Ebenso wurde es ermöglicht, die bisher in verschiedenen Zimmern untergebrachten botanischen Sammlungen in dem grossen Zimmer des Henschel’schen Herbars (Zimmer 3) jetzt vereinigt zu sehen. Die Katalogisirung der v. Gansauge’schen geognostischen und paläontologischen Sammlung, die sich ebenfalls in Zimmer 3 be- findet, wurde im Laufe des Jahres vollendet und der Katalog der Samm- lung beigelegt. Mit der Revision des Henschel’schen Herbars wurde fortgefahren und dasselbe, soweit es möglich war, von Staub gereinigt. Neue Eingänge zu den Sammlungen sind, abgesehen von den Fort- setzungen der v. Thümen’schen Mycotheca europaea, nicht zu ver- zeichnen, Professor Dr. Körber. XxXXXVI Jahres - Bericht Bericht über die Bibliotheken der Schlesischen Gesellschaft für das Jahr 1884. Das Ausleihegeschäft bewegte sich im Laufe des verflossenen Jahres nahezu in den herkömmlichen Grenzen. Die Zahl der verliehenen Bücher betrug 249 gegen 420 im vorigen Jahre. Ueber die Zahl der in den Amtsstunden vorgelegten und benutzten Bücher wird nicht Register ge- führt. Die Aufnahme der Royal society of Canada in Montreal, des Alterthums-Vereins in Lahnstein, des nordböhmischen Exeursions - Clubs, der Societäa adriatica di scienze naturali in Triest, des Istituto tecnico in Udine, des botanischen Museums der Universität Wien in den Tausch- verband der Schlesischen Gesellschaft stellt unserer sich jedes Jahr er- heblich vermehrenden Bibliothek neue werthvolle Zugänge in Aussicht. Der Zugang während des abgelaufenen Jahres beträgt im Ganzen 16388 Bände, Broschüren und Hefte. Es wurden nämlich: 1." neu "angeschafit , sl LE A AR7 2. antiquarisch der botanische, medieinische und technische Lesezirkel angekauttzg a 7 Br 0 3. von der Obst- und Gartenbau- ln der Bibliothek über- wiesen 53 Bände und 35 kleinere Schriften . . . . . 68 4, im Tauschverbande gingen ein: a. aus dem aussereuropäischen Auslande . . . . 47 b: aus dem 'europäischen Auslande Ur Zr rt ce. aus"dem@Deutschen?Reiche !HE, 1 mrEr I FE d. aus Schlesien von Behörden, Be Ver- einen/und‘ Schulen. mus > 104 1358 5. als Geschenke von Mitgliedern si her n der Bibliothek 195 Summa des Zugangs 1688') Davon wurden 200 Stück in die Schlesische, der Rest, 1488 Stück, in die allgemeine Bibliothek übernommen. Die Herren Professor Albrecht in Brüssel, Superintendent Alt- mann hier, Beutell in Greifswald, Dr. Börner in Berlin, Professor ‘ Ferdinand Cohn und Professor Hermann Cohn hier, Director Dr. Conwentz in Danzig, Professor Gscheidlen hier, Professor Hartig in München, Dr. Heller in Töplitz, Dr. Ihne in Giessen, Geh. Rath Dr. Koch in Berlin, Professor Köbner in Berlin, General Köhler, ') Die Schlesische Gesellschaft steht mit den Universitäten Bonn, Breslau, Erlangen, Freiburg i. Br., Jena, Kiel, Königsberg, Kopenhagen, Marburg, Rostock, Utrecht, Würzburg und Zürich im Schriftentausch. Die Zahl der von ihnen im verilossenen Jahre eingegangenen Promotionsschriften beträgt 692. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, XXXVIU Dr. Kunisch, Kaufmann Langenhan hier, Dr. Marchesetti in Triest, Vorschullehrer Merkel hier, Dr. Müller-Strübing in London, Baron Ferdinand v. Müller in Melbourne, John A. R. Newlands in London, Professor Penzig in Padua, Dr. Severin Robinski in Berlin, Dr. Schneider in Sorobaja, Commerzienrath Schöller hier, Director Struve in Samter, Dr. Zacharias in Hirschberg haben unserer Bibliothek ihre neuesten Arbeiten übereignet und sie dadurch zum wärmsten Danke verpflichtet, Herr Schulinspeetor Fietz in Steinau a. O. ihr eine werth- volle Gabe von 122 Büchern verschiedenen Inhalts, Fräulein Göppert aus dem Nachlasse ihres verewigten Vaters handschriftliche Collectaneen von Hentschel und ein Collegienheft des Geh. Mediecinalrath Remer im Original, Herr Stadtrath Müller wieder eine grosse Zahl, die hiesige Stadtverwaltung betreffende Drucksachen und Schriftstücke und die Buch. handlung Aderholz ihre Bücher-Kataloge und den in ihrem Verlage erscheinenden Kirchenfreund verehrt. Unsere Bibliothek ist in Bezug auf ihre Vermehrung in erster Linie auf Schriftentausch angewiesen; für Neuanschaffungen sind nur sehr be- scheidene Mittel vorhanden; um. so angelegentlicher sei sie dem Wohl- wollen und der Berücksichtigung aller Mitglieder der Schlesischen Ge- sellschaft empfohlen! Im Tauschverbande mit Akademien und gelehrten Gesellschaften singen ein: a. Aus dem aussereuropäischen Auslande und zwar: aus Amerika von der American Academy of Arts and Sciences in Boston 2, von der Society of Natural history daselbst 4, von dem Museum of com- parative Zoology at Harvard College 15, von der Medical-Association in Chicago 2, von der Royal Society of Canada in Montreal 1, vom Comptroller of the currency in Washington 1; aus Asien von der Geological Survey of India in Caleutta 19; aus Australien vom botanischen Garten in Adelaide 1, von der Royal Sociely in Melbourne 1, von der Geological Survey of Victoria 1, zu- sammen 47. b. Aus dem europäischen Auslande und zwar: aus Italien von der Accademia delle scienze in Bologna 4, von der Docielü di leiture in Genua 7, vom Iststuto Lombardo in Mailand 5, von der Socielü crittogamologica daselbst 1, von der zoologischen Station in Neapel 4, von der Socieia di acclimazione in Palermo 3, von der Societü Toscana di scienze naturali in Pisa 2, aus Rom von der Accademia dei Lyncei 16, von der Societü geografica 14, vom Istitulo tecnico in Udine 1, vom Istituto Veneto 9, vom Ateneo Veneto 18, von der Accademia d’agri- coltura, artt e commercio in Verona 1 — 85; aus Frankreich von der Socieie des sciences physicales et naturelles in Bordeaux 2, von der sSocieiE des sciences in Nancy 1, von der geo- XXXVIL Jahres - Bericht logischen Gesellschaft in Paris 5, von der Socieie botanique de France 5 — 13; aus Grossbritannien und Irland von der Royal Society in Dublin 15, von der Microscopical Sociely in London 6, von der British Association 2 — 20: aus Belgien von der Academie royale de medecine 10, der botanischen Gesellschaft 1, dem Observatoire royal, sämmtlich in Brüssel 13, von der geologischen Gesellschaft in Lüttich 1, von der Gesellschaft der Wissenschaften daselbst I = 26; aus Holland von der Kgl. Akademie der Wissenschaften in Amster- dam 5, von der holländischen Gesellschaft der Wissenschaften in Haarlem 3, vom Musee Teyler daselbst 2, von der Maatschappy der Nederlandsche Leiterkunde in Leyden 2, von der Deerkundige Vereniging daselbst 2, von dem Grossherzoglichen Institut in Luxemburg 1, von der Universität Utrecht 41 Promotionsschriften — 61; aus Dänemark von der Academie royale 6, von der Botanischen Gesell- schaft 4, von der Nordiske Oldskrift Selskab 6, von der Universität 27, sämmtlich in Kopenhagen = 43; aus Schweden und Norwegen vom historischen Museum in Stock- holm 1, von der Vitierheis historie och anfiquilets academiens eben- daselbst 2, von der Gesellschaft der Wissenschaften in Upsala 2, von der Gesellschaft der Wissenschaften in Christiania 3, von der dortigen Universität 3 und von der Norske Nordhavs expedition 1 —= 12; aus Russland von der gelehrten esthnischen Gesellschaft in Dorpat 2, von der »Societe des naturalistes in Moskau 6, von der Akademie der Wissenschaften in Petersburg 4, von der archäologischen Commission daselbst 1 und von der geographischen Gesellschaft 8, vom natur- forschenden Verein in Riga 1 und von der Gesellschaft für Gechichte und Alterthumskunde der Ostseeprovinzen ebendaselbst 1 = 23; aus Vesterreich-Ungarn von der Gewerbeschule in Bistriz 1, von der Mährisch-schlesischen Gesellschaft in Brünn 4, vom naturfor- schenden Verein daselbst 2, von der K. ungarischen naturwissen- schaftlichen Gesellschaft in Buda-Pest 7, von der Redaetion der Zeit- schrift „Das Riesengebirge‘“ in Freiheit 5, aus Graz vom deutschen akademischen Leseverein 1, vom historischen Verein 3, vom natur- wissenschaftlichen Verein für Steiermark 2, aus Hermannstadt vom Gymnasium A. C. 2, vom siebenbürgischen Verein für Naturwissen- schaft I, vom Verein für siebenbürgische Landeskunde 11, aus Inns- bruck vom naturwissenschaftlich- medieinischen Verein 1, vom Fer- dinandeum 1 und vom landwirthschaftlichen ‚ Central- Ausschuss Jahr- gang 1584 der Landwirthschaftlichen Blätter, vom Karpathenverein in Kesmark 4, vom naturhistorischen Landesmuseum in Klagenfurt 5, von der ungarischen botanischen Gesellschaft in Klausenburg 1, von der Akademie der Wissenschaften in Krakau 3, vom Verein für Natur- kunde in Linz 1, vom Museum Franeiseo-Carolinum daselbst 2, aus Prag von der Königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften 4, vom Landeseulturrath das Amtsblatt, vom Verein Lotos 1, vom Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen 5, vom nordböhmischen Ex- sursionselub 1, von der Gesellschaft für Landeskunde in Salzburg 1, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. XXXIX aus Triest vom Museo civico di storia naturale 1, von der Societü Adriatica 1, von der Socielüa agraria die Zeitschrift „Amico dei campi“, aus Wien von der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften 48, von der Kaiserl. geologischen Reichsanstalt 6, vom Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse 2, von der österreichischen Gesell- - schaft für Meteorologie Jahrgang 1884 ihrer Zeitschrift, von der Central- anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus 4, von der anthropo- logischen Gesellschaft 4, von der Universität 2, vom botanischen Museum derselben 3, von der zoologisch- botanischen Gesellschaft 2, von der geographischen Gesellschaft 1 — 143; aus der Schweiz von der naturforschenden Gesellschaft in Bern 2, vom historischen Verein daselbst 1, von der naturforschenden Gesell- schaft in Basel 2, von der naturwissenschaftlichen Gesellschaft in St. Gallen 1, vom historischen Verein ebendaselbst 3, von der Thur- sau’schen naturforschenden Gesellschaft in Frauenfeld 1, von der Universität in Zürich Universitätsschriften 52 — 62; Summa Sum- marum 491. c. Aus dem Deutschen Reiche, nämlich: von der naturforschenden Gesellschaft des Osterlandes in Altenburg 2, vom historischen Verein für Unterfranken in Aschaffenburg 6, aus Augsburg vom historischen Verein für Schwaben 2, vom naturhisto- rischen Verein 1, vom Gewerbeverein in Bamberg die Wochenschrift, vom historischen Verein für Oberfranken in Bayreuth 1, aus Berlin von der deutschen geologischen Gesellschaft 3, von der afrikanischen Gesellschaft 2, von der Gesellschaft naturforschender Freunde 1, vom Verein Herold Jahrgang XIV der Zeitschrift, von der medieinischen Gesellschaft 1, von der juristischen Gesellschaft 1, vom Verein für die Geschichte der Stadt Berlin 4, von der Kaiserlichen Admiralität die Annalen der Hydrographie und die Nachrichten für Seefahrer, vom Königlichen geodätischen Institut 5, von der Königl. Akademie der Wissenschaften die Sitzungsberichte und einen Band Abhandlungen, vom Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 1, von der Uni- versität 7, vom botanischen Verein der Provinz Brandenburg 1, vom naturhistorischen Verein in Bonn 2, von der dortigen Universität 57, vom landwirthschaftlichen Centralverein daselbst 1, vom landwirth- schaftlichen Verein in Bremen 1, vom naturwissenschaftlichen Verein daselbst 2, vom Provinzial-Landwirthschaftlichen Verein in Bremervörde die „Landwirthschaftliche Zeitung‘, vom Centralausschuss der Land- wirthschaftlichen Gesellschaft in Celle 5, von der naturforschenden Gesellschaft in Chemnitz 1, vom Verein für Chemnitzer Geschichte 1, von der naturforschenden Gesellschaft in Danzig 1, vom historischen Verein in Darmstadt 2, vom dortigen Verein für Erdkunde 1, aus Dresden von der naturwissenschaftlichen Gesellschaft Isis 2, von der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde 1, vom Königl. statistischen Bureau 2, vom Verein für Erdkunde 1, von der ökonomischen Ge- sellschaft 1, vom naturwissenschaftlichen Verein Pollichia in Dürk- heim 1, vom naturwissenschaftlichen Verein in Elberfeld 1, von der naturforschenden Gesellschaft in Emden 1, von der Universität in Erlangen 53, von der physikalisch-medieinischen Societät daselbst 1, xXT; Jahres - Bericht von der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften in Erfurt 1, aus Frankfurt a. M. von der Senckenberg’schen naturforschenden Gesell- schaft 3, vom physikalischen Verein 1, vom ärztlichen Verein 1, vom Alterthumsverein in Freiberg i. $S. 1, von der Universität in Frei- burg i. Br. 65, von der dortigen naturforschenden Gesellschaft 1, von der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Giessen 1, von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen 1, von der Oberlausitz’schen Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz 2, von der naturforschenden Gesellschaft daselbst 1, vom baltischen land- wirthschaftlichen Centralverein in Greifswald die Vereinsschrift, von der Leopoldina in Halle a. S. 3, vom Verein für Erdkunde daselbst 2, vom naturwissenschaftlichen Verein für Sachsen und Thüringen eben- daselbst 6, vom naturwissenschaftlichen Verein in Hamburg 3, von der Wetterau’schen Gesellschaft für gesammte Naturkunde in Hanau 1, von der technischen Hochschule in Hannover 1, vom naturhistorisch- medieinischen Verein in Heidelberg 1, von der Universität in Jena 60, von der dortigen medicinisch - naturwissenschaftlichen Gesellschaft 4, vom Verein für Thüringen’sche Geschichte daselbst 2, aus Kassel vom Verein für hessische Geschichte und Landeskunde 5, vom Verein für Naturkunde 3, aus Kiel von der Universität 68, von der Gesellschaft für Schleswig-Holstein-Lauenburg’sche Geschichte 2 und vom natur- wissenschaftlichen Verein für Schleswig - Holstein 1, aus Königsberg von der Universität 29, von der physikalisch-ökonomischen Gesell- schaft daselbst 1, vom Alterthumsverein in Lahnstein seine Zeitschrift „Rhenus“, aus Leipzig von der Redaction der Zeitschrift „Der Natur- forscher‘“ und des Aerztlichen Vereinsblatt je 1 Exemplar ihrer Zeit- schrift, von der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 10, von der naturforschenden Gesellschaft 1, von der polytechnischen Ge- sellschaft 1, von der Jablonowski’schen Gesellschaft 1, vom statistischen Bureau der Stadt Leipzig 2, vom naturhistorischen Museum der Stadt Lübeck 1, vom Museumsverein in Lüneburg 1, vom historischen Verein in Marienwerder 4, von der Gesellschaft zur Beförderung der Natur- kunde in Marburg 2, von der dortigen Universität 44, aus München von der Königlichen Akademie der Wissenschaften 9, von der dortigen Sternwarte 2, vom landwirthschaftlichen Verein die Zeitschrift, Jahr- gang 1883, vom historischen Verein für Ober-Bayern 2, vom Verein für Naturkunde in Mannheim 1, vom Westfälischen Verein für Wissen- schaft und Kunst in Münster 1, vom Verein für Geschichte und Alter- thum Westfalens daselbst 1, aus Nürnberg vom Germanischen Museum 2, vom Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg 5, aus Neu-Brandenburg vom Verein der Freunde der Naturgeschichte 1, vom Verein für Naturkunde in Offenbach 2, vom naturwissenschaftlichen Verein in Regensburg 1, von der Universität in Rostock 25, vom Verein für Mecklenburgische Geschichte in Schwerin 1, von der Irmischia in Sondershausen 6, vom Verein zur Beförderung der Land- wirthschaft daselbst 1, von der polytechnischen Gesellschaft in Stettin 1, von der dortigen Gesellschaft für Pommersche Geschiehte und Alter- thumskunde 1, vom statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart 9, vom dortigen Verein für vaterländische Naturkunde 1 und vom Poly- technieum 2, vom Harzverein in Wernigerode 2, vom Nassauischen Verein für Naturkunde in Wiesbaden 1, von der Universität in Würz- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. XLI burg 112, vom polytechnischeu Centralverein daselbst die gemein- nützige Wochenschrift und von der Handels- und Gewerbekammer den Jahresbericht. Zusammen 716. d. Aus Schlesien sind eingegangen: vom Verein für Geschichte und Alterthum Schlesiens 3, vom Museums- verein 1 (Nr. 8—12 des 4. Bandes), von der Universität 58, vom Königlichen Oberbergamt 2, vom hiesigen Magistrat 1, vom Schle- sischen Forst- Verein 1, vom Verein für schlesische Insectenkunde 1, von der Handelskammer 1, vom Kaufmännischen Verein 1, vom Land- wirthschaftlichen Centralverein 1, von Schulen, Anstalten und anderen Vereinen in Breslau Jahresberichte und Programme 13; aus der Pro- vinz von Vereinen und Schulen Jahresberichte und Programme 19, vom Riesengebirgsverein in Hirschberg 5 Nummern des „Wanderer im Riesengebirge“, vom Vorschuss - Verein in Zobten das Genossen- schaftsblatt Jahrgang 13884 — 104 Stück. Dr. Schimmelpfennig. Bericht über den Kassen- Abschluss für das Jahr 1883. Am Ende des Jahres 1882 wurde laut Abschluss der allgemeinen Verwaltung ein Bestand von 199 Mark 18 Pf. baar und 31 600 Mark in Effecten übernommen. Im Laufe des Jahres 1883 beziffern sich die Einnahmen, einschliess- lich eines Kassen - Vorschusses von 319 Mark 65 Pf., zusammen auf 15665 Mark 95 Pf. gegen 9114 Mark 40 Pf. im Vorjahre; die Aus- gaben belaufen sich auf 15 865 Mark 13 Pf. gegen 11441 Mark 56 Pf. im vorigen Jahre. Am Schluss des Jahres 1883 verbleibt somit ein Bestand von 88 600 in Effeeten, und hat sich somit derselbe um 7000 Mark gegen das Vorjahr vergrössert. In Folge testamentarischer Bestimmung des hierselbst verstorbenen Justizrath Teichmann wurde uns von dessen Universal-Erben, Herrn Prof, Teichmann in Basel, am 9. April 1883 ein Betrag von 6000 Mark gezahlt, und ist es uns hierdurch möglich gewesen, unser Kapital er- heblieh zu vergrössern. Die Special-Kasse der Section für Obst- und Gartenbau schloss am 31. December 1882 mit einem Bestande von 178 Mark 36 Pf. baar und 11 800 Mark in Effeeten ab. Die Einnahmen im Laufe des Jahres 1883 betragen zusammen 8146 Mark 30 Pf. und befinden sich in denselben 1650 Mark als Sub- vention des schlesischen Provinzial-Landtages.. Die Ausgaben erreichten d xXILAI Jahres -Bericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. eine Höhe von 7864 Mark 69 Pf., einschliesslich 2157 Mark 65 Pf. für erkaufte 2100 Mark Eiffecten, welche dem Kapital - Vermögen hinzu- treten. Am 31. December 1883 waren vorhanden 459 Mark 97 Pf. in baar und 13 900 Mark in Effecten. Das Gesammt-Vermögen beträgt somit am Ende des Jahres 1883 52500 Mark in Effecten und 459 Mark 97 Pf. baar. Breslau, den 20. Juni 1834. Bülow, z. Z. Schatzmeister. BE IRTEHER BOY Ware " RUN ISERN LRN UE2 us . i nn So R ie ö . = x N 2. in iR nos NR ;$ ' N n ‘on = Hair ; u, 4 sa rohen un aa, a I5o w9* “ aımrtmashine Mmoy Ibe4 ao Vz nn ne N ; ER L N 9 abnale ıyman Hal “rd Kassen-Abschlus Allgemeine Kasse. Einnahme, An Bestand aus dem vorigen Jahre . An Zinsen von Effecten: von 7200 ‚# Niederschl.-Märk. Prior.-Actien 4% . 3000 M Bresl.-Freib. Eisenb.-Prior.-Oblig. 2 N ») 3600 M ») ”) u) vb) „» 2700 M Oberschl. Th -Prior.-Obl. Lit. E. a 9 2700 M vb) 2) vr) 2) 2) Be _ 2% % yb) 9000 M vb) 2%) 9) Jh) „ G. 4lg % 10500 MM Preussische eons, Anleihe 4 % An Beiträgen einheimischer Mitglieder: Pro I. Semester von 299 Mitgliedern & 9 M. ” Ir ”) ” soll 9) a I 2,7 An Beiträgen auswärtiger Mitglieder: Pro I. Semester von 65 Mitgliedern 6 M. ”) U. ” ”) 65 ” a 6 ” Miethsbeitrag vom Schlesischen Gewerbe-Verein. is „ klassischen Musik-Verein a von verschiedenen Vereinen . Jahres-Beitrag vom hiesigen Magistrat . Aussergewöhnliche Einnahmen: Für Gasbenutzung Zinsen von zeitweise angeleeten Golden UNS. We Verkaufte Gegenstände Für verlooste Freiburger 4proc. Eisenbahn-Prioritäts-Obligation . Vorschuss . Erkaufte Effeeten: Preuss. cons,. Aproc. Anleihe . 600 # Preussische Prämien-Anleihe 31, % 300 # Schles. Bankvereins-Anth., Dividende 5!/, % © ©» oO oO on oO Ist eingekoml B alr 161615 39211 600- 331 — für das Jahr 1SS+4. Ist verausgabt Allgemeine Kasse, Effeeten Baar Ausgabe. M ER Bieirschuss aus dem Jahre 1883. . ...... 2.2... 2. 22.2.0 319 | 65 ehe einschliesslich Wassergeld. ... . ...».... 2.2.2.2. 0 18600 Bealenorare und. Remunerationen ..2......:. ze. ne ol 730) — hl dem Castellan. 2... 0... ... un 1200 | — Bein alırsoeschenlefdemselben . . ....... 2... 0 nel |. A9 — 5 is dem Haushälter va, .......% „2 | — .. Keizungs Sour Lumen ee 268 73 „ Beleuchtung . — 228 | 86 ‚„, Unterhaltung der Mobilien und Neuenschulfüägen — 13 | 95 „ Feuerversicherungs - Prämie . = 120° — „ Schreibmaterialien — 63 | 50 „ Zeitungs-Annoncen — 338 | 60 „» Druckkosten . — 2516 | 85 „ Buchbinder-Arbeiten . — 208 | 88 „sborto. — 147 95 „Kleine Aussaben 3 —- 48 | — » Naturwissenschaftliche Section Er Ze „ Entomologische Section — | — ,„ Technische Section . = 212), „ Botanische Section — 106 | 50 | » Medieinische Section _ 78 | 79 = „ Bibliothek . — 820 85 I .„ Unvorhergesehene Anzoaben — 336 50 | u „ Erkaufte Effecten, 1000 Mark se cons. N eoc. Beta | 1034 | 30 Ä „ Zur Baarzahlung STooste Breslau-Schweidnitz-Freiburger Prioritäts- Obligation . KO — 7 — Bestand am Schlusse des Jahres 1884: 10500 M 4% cons. Preuss. Anleihe. 7200 M 4% Niederschl.-Märk. Eisenbahn-Prioritäts-Obligationen. 2400 M 4% Breslau-Schweidn.-Freib. Eisenb.-Prior.-Oblig. 3600 M 41), % „ „ yD) 2700 M 315% Oberschl. Be. -Prioritäts-Oblig. Lit. R. 2700 M 415% „ ) ) „a AR 3000 M 411% ” v) ” ”) Lit. G. 600 A 31,% Prämien-Anleihe. 800 A Schlesische Bankvereins-Antheile. | 2000|. — | — 39600 | 10357 | 58 Bülow, z. Z. Schatzmeister der Gesellschaft. Tz =, « E23 = 2 - “u Zr u % a Tr. Bericht über die Thätiskeit der medieinischen Section. im Jahre 1384, erstattet von den zeitisen Secretairen der Section 0. Berger und Ponfick. Sitzung vom 11. Januar 1832. Herr Voltolini hält einen Vortrag Ueber Tuberculose des Gaumensegels und des Kehlkopfes ; mit Demonstration von Tuberkel-Bacillen. M. H.! Es ist nicht meine Absicht, eine ausführliche Schilderung der Tubereulose des Gaumensegels und des Kehlkopfes zu geben — längst Bekanntes hier vorzuführen würde keinen Zweck haben, ohnehin sind auch über die Miliartubereulose des Pharynx resp. des Gaumensegels in neuester Zeit eine Anzahl trefflicher Abhandlungen erschienen, die den Gegenstand erschöpfend behandeln und auch die Literatur in reichem Maasse aufführen. Diese Schriften sind die von Isambert in Paris (Annales des maladies de l’oreille et du larynx I, p. 77), von Bernhard Fränkel in Berlin (Berliner klin. Wochenschr. Nr. 46, 1376) und von Schnitzler in Wien (Zur Kenntniss der Miliartubereulose des Kehl- kopfes und des Rachens. Wiener med. Presse 1881). Ich werde mich daher nur darauf beschränken, einiges von diesen Krankheiten anzuführen und vielleicht im Stande sein, neue Gesichts- punkte zu eröffnen. Die Tuberculose des Gaumensegels ist eine seltene Krankheit; sie ist so selten, dass sie viele, selbst ältere Aerzte noch niemals . geschen haben. Rokitansky erwähnt sie in seiner patho- logischen Anatomie gar nicht; Virchow nur en passant (Die krank- haften Geschwülste. Bd. I, p. 651); Cohnheim bezeichnet sie als selten 1884. 1 ) Jahres-Bericht („Löcher in den Gaumenbögen, wie sie theils angeboren vorkommen, theils durch syphilitische, seltener tuberculöse Ulecerationsprocesse.‘““ Vor- lesungen über allg. Pathologie. Berlin 1877, Bd. II, 8.13); Türck (Kehl- kopfkrankh. $. 370) sagt: „Ein sehr merkwürdiges Verhalten hinsichtlich der Verbreitung der Geschwüre bei Lungentubereulose stellt der nach- folgende (120.) Fall dar, bei welchem eine die Gaumenbogen, den ganzen weichen Gaumen, den Rachen, Zungengrund einnehmende Infiltration der Schleimhaut mit ausgebreiteter Verschwärung zugegen war, während sich anderseits nur ganz geringe Anschwellung des oberen Kehlkopf- abschnittes mit sehr geringer stellenweiser obiger Geschwürbildung und ein vollkommen normales Verhalten des übrigen Kehlkopfes und der Trachea bis in die Bronchien vorfand. Bei der Section „boten die Lungen eine hochgradige Tuberculose mit grossen Cavernen in den oberen Lappen dar.‘ In der Charite in Berlin kamen unter 10385 Sectionen 150 Fälle von Phthisis oder Tuberculose vor, und unter diesen fand sich nur ein Fall von tuberculösen Geschwüren im Pharynx; ob dabei das Velum ergriffen war, ist nicht einmal gesagt. Bernhard Fränkel in Berlin hat 6 Fälle von Tubereulose des Pharynx beobachtet, unter diesen war aber nur in dreien das Velum ergriffen. Schnitzler scheint nur den einen oben citirten Fall beobachtet zu haben, den er auch abgebildet hat, welche Abbildung ich Ihnen hier vorlege. Ich selbst habe 3 Fälle von Tubereulose des Gaumensegels beobachtet; den letzten dieser Fälle erst vor Kurzem. Es ist eine Patientin des Herrn Physikus Dr. Long, die auch schon in der Behandlung des Herrn Prof. Dr. Sommerbrodt gewesen ist. Die Kranke, 53 Jahre alt, befand sich im letzten Stadium der Kehlkopfschwindsucht, als sie in meine Behandlung kam; ihr Mann ist vor 11 Jahren an der Kehlkopfschwindsucht gestorben, sie selbst stammt aus gesunder Familie; ihr Vater ist einige S0 Jahre alt geworden. Genauere Nachforschungen, die ich bei ihren Angehörigen anstellte, er- gaben, dass sie erst seit 1', Jahren hustete, bis dahin ganz gesund gewesen war. Als ich diese Patientin das erste Mal sah, waren nur linkerseits zwischen Arcus glosso- und pharyngopalatinus fressende Len- tieulärgeschwüre wahrzunehmen mit geringem Belag, ebenso an der linken Seite der Uvula; diese war ein gut Theil zerfressen. Wer jemals . Leichen gesehen hat, die von Mäusen angenagt waren, der hat ein Bild von dem Aussehen dieses Gaumensegels: auf todtembleichem Grunde zerfressene, angenagte Stellen, die Uvula ausserdem etwas ödematös geschwollen, sonst die ganzen Partien fast ohne allen Belag; dagegen war der ganze, sehr weite Pharynx mit eitrigen, schleimigen Massen belegt, im Kehlkopfe (mit Epiglottis) das Bild des letzten Stadium der Schwindsucht, verschwollen, zerfressen, ein Krater, von schmutzigen, eitrigen Massen erfüllt. Die Schmerzhaftigkeit beim Schlingen war sehr sross, jedoch ist es fraglich, wie weit man hierfür auch das kranke Velum der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 3 verantwortlich machen kann. Kehlkopfschwindsüchtige sterben meistens durch Verhungern, weil ihnen das Schlingen wegen der Schwellung und Vereiterung des Kehlkopfes, insbesondere der Aryknorpel, sehr schwer, zuletzt unmöglich wird. Da das Velum beim Schlingacte eine Rolle spielt, so ist, andererseits ja auch erklärlich, dass ein krankes Gaumensegel beim Schlingen schmerzt. Dies beweist auch der Fall von Türck, in welchem die erste Klage des Patienten die über den Schmerz beim Schlingen war, obgleich „der Kehlkopf zwar blass, übrigens normal war.“ Auffallend war bei diesem Befunde an meiner Kranken, dass sie gut hörte, obgleich doch die Muskeln des Gaumensegels auch die der Tuba Eustachii sind, wonach ich also schliessen muss, dass das Unver- mögen zu schlingen, bei ähnlichen und wie es auch bei meiner Kranken der Fall war, nicht in der aufgehobenen Function des Gaumensegels ihren Grund hatte, sonst hätte sie auch schwerhörig sein müssen, da die Paukenhöhle durch die Tuba hindurch nicht mehr hätte ventilirt werden können. DBei den beiden anderen Kranken, die ich beobachtet habe, war bei dem Einen die Larynxtuberculose auch bereits im letzten Sta- dium, im dritten Falle noch nicht so weit vorgeschritten. In dem Falle von Türck war der Kehlkopf normal, die Lungenspitzen aber infiltrirt. In zwei Fällen von B. Fränkel (wie dies auch Isambert erwähnt) war im Beginn der Beobachtung der Kehlkopf noch vollkommen intact; erst im weiteren Verlaufe erkrankte auch dieser. In allen angeführten Fällen waren aber die Lungen krank, so dass also die Tubereulose nicht auf das Gaumensegel oder den Pharynx beschränkt blieb. In meinem vorletzten Falle, einer 3ljährigen Frau, bestand Husten seit längerer Zeit, dann fanden sich Schmerzen im Halse resp. am Gaumensegel ein und ein sehr tüchtiger Arzt fürchtete, es möchte Diphtheritis auftreten, weil er „weisse Bläschen“ am Gaumensegel sah. Als ich die Patientin in Behandlung bekam, befand sie sich bereits im letzten Stadium exquisiter Kehlkopfschwindsucht. Was die Aetiologie des Leidens betrifft, so werde ich zuletzt davon sprechen. Es kommt uns jetzt zunächst auf die differentielle Diagnose der Tubereulose des Gaumensegels an, — über alles Andere verweise ich auf die oben eitirten Abhandlungen von Isambert, B. Fränkel und Schnitzler. Diese Tubereulose kann verwechselt werden mit Lupus, Lepra, Krebs, Syphilis. In Bezug auf Lupus sagt Türck (l. e. 8. 426), welcher 4 Fälle von unzweifelhafter Lupus des Kehlkopfes und Rachens beobachtet hat: ‚In den Nachbartheilen des Larynx, namentlich im Rachen und an den Gaumenbögen an der Uvula und am weichen Gaumen kommen ganz ähnliche Wucherungen über den grössten Theil der Gaumenbögen, des harten und weichen Gaumens verbreitet vor, ähnlich wie im Larynx.“ ]* A Jahres-Bericht Von Lepra sagt er (l. c..8. 429): „Auch bei Lepra kommen bekanntlich, ähnlich wie bei Lupus und Syphilis, ausgebreitete Er- krankungen des Rachens und der Nasenschleimhaut vor.“ Mit Krebs des Gaumensegels — wie ich jetzt eben einen solchen Fall in Behandlung habe — möchte kaum eine Verwechselung möglich sein. Am schwie- rigsten würde immer bleiben die Unterscheidung zwischen Tubereulose und Syphilis des Gaumensegels; dies hebt auch B. Fränkel hervor. Er sagt (l. c.): „Dass aber die Pharynx-Tubereulose leicht mit Syphilis verwechselt wird, geht schon aus dem Umstande hervor, dass alle von mir beobachteten Fälle und auch viele der anderen Autoren nachweis- lich mindestens von einem der in Folge der Unheilbarkeit ihres Leidens zahlreichen Aerzte, die sie um Rath fragten, für syphilitisch gehalten und demgemäss behandelt worden sind.“ Mir selbst erging es ebenfalls so in meinen beiden ersten Fällen. Aber selbst die bisherige mikro- skopische Untersuchung- lässt nicht selten auch im Stick. Cohnheim sagt (l. ec. S. 617) bei den Infeetionsgeschwülsten: ,‚In der Regel ge- lingt es, mit den von der speciellen Pathologie und der pathologischen Anatomie festgestellten Kriterien sowohl am Lebenden, als auch an der Leiche die sichere Differential-Diagnose auf Syphilis, Tubereulose, Rotz, Lupus ete. zu stellen. Aber jeder erfahrene Arzt und ebenso jeder pathologische Anatom hat Fälle gesehen, in denen sie, je sorgfältiger sie untersuchten, um so mehr in ihrem Urtheil schwankten und schliess- lich vom blossen Auge nicht über eine Wahrscheinlichkeits - Diagnose hinauskamen. Wird dann in solchen Fällen die Entscheidung beim Mikroskop gesucht, so lässt auch dieses nicht selten im Stich. Denn mikroskopisch sehen die Lymphkörperehen, die Epitheloiden und die Riesenzellen des Tuberkels genau so aus, wie die des Lupus oder des Gumma ...“ Seit der Entdeckung der Baeillen durch Robert Koch steht nun aber die Sache anders. Welches Aussehen auch das Leiden des Gaumensegels haben möge, ob das von Lupus, Lepra, Krebs oder Syphilis — wir können mit einem Schlage alle Zweifel der Diagnose beseitigen: wir suchen nach Baeillen und zwar an Ort und Stelle, d. h. also am kranken Gaumensegel und zugleich am Sputum. Ich lege hierauf einen Werth, an „Ort und Stelle“ nach Bacillen zu suchen, denn .es könnte eine Complieation von Tubereulose der Lungen oder des Kehl- kopfes und Syphilis des Gaumensegels stattfinden, so dass wir im Sputum aus den Lungen Baeillen finden, die Affeetion des Gaumensegels aber eine syphilitische wäre. Entnehmen wir aber direet aus den Ge- schwüren am Velum Eiter und finden Baeillen, so ist wohl sicher auch hier am Velum Tubereulose vorhanden. Sie sehen, meine Herren, dort unter dem Mikroskop ganze Nester von Baeillen, welche ich mittelst eines vorher ausgeglühten metallenen Ohrlöffels direet aus den Geschwüren am Gaumensegel der oben genannten Patientin entnommen der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 5 resp. ausgekratzt habe. Gerade dieses Auffinden von Nestern der Bacillen zeugt davon, dass die Letzteren direct aus den Geschwüren aus dem Velum stammen und nicht etwa aus den Sputis dort hängen geblieben sind. Um zugleich in den anderen erkrankten Organen Baeillen nach- zuweisen, habe ich in dem Sputum und dem Larynx derselben Patientin Baeillen aufgesucht und gefunden. — Sie sehen sie dort unter den beiden anderen Mikroskopen. Was die Tuberceulose des Larynx betrifft, so will ich hier nur von der difierentiellen Diagnose sprechen und den Streit nicht auffrischen, ob diese Tuberculose primär im Larynx auftreten kann, und will nur bemerken, dass ich wenigstens niemals die 'Tuberculose des Larynx habe tödtlich enden sehen, ohne dass das Lungenleiden hin- zugetreten wäre. Aus diesem Umstande mag es auch zu erklären sein, dass man bei Secetionen äusserst selten eine primäre Tubereulose des Larynx gefunden hat, wie Rokitansky sagt (Pathol. Anatomie, Band III, S. 36): ‚Die Tubereulose des Kehlkopfes ist als eine primäre und selbstständige so äusserst selten, dass man ihr Vorkommen völlig ge- leugnet Jhat.““ Im Leben der Kranken stellt sich aber die Sache anders; hier ist sehr häufig keine Lungenaffeetion nachweisbar, selbst wenn die Affeetion des Kehlkopfes schon einen hohen Grad erreicht hat, und da zugleich noch kein Fieber, auch völlises Wohlbefinden des Patienten ausser der Heiserkeit vorhanden ist, so möchte man annehmen, das Leiden beginnt primär im Larynx. Der angegebene Verlauf der Tuber- culose des Larynx bildet sogar die Regel: es können im Larynx bereits Zerstörungen vorhanden sein, Krater, in die man den Finger hineinstecken könnte, und in den Lungen findet man gar keinen oder nur unbedeutenden Spitzencatarrh, dabei fast gar keinen Husten, kein Fieber, und die Patienten noch so rüstig, wohl aussehend und ohne Abmagerung, dass sie selbst, ja auch der Hausarzt (wenn er nicht laryngoskopiren kann) kaum eine Ahnung davon hat, dass er es bereits mit einem Todescandidaten zu thun hat, wie ich jetzt eben einen solchen Fall an dem Schwager eines Arztes vor mir habe. Bei der Diagnose der Tuberculose des Larynx treten uns noch grössere Schwierigkeiten entgegen, als bei der des Velum. In vielen Fällen ist ja die Diagnose sofort sicher zu stellen, aber es kommen doch auch sehr schwierige Fälle vor, und auch hier schwankt die Diagnose zwischen Krebs, Syphilis, Lupus und Tubereulose. Es ist unnöthig, dies Alles durch Beispiele zu belegen, jeder erfahrene Specialist wird dies genug- sam erlebt haben. Auch hier kommen wir jetzt über alle Zweifel der Diagnose sofort hinweg durch den Nachweis der Baeillen, und zwar em- pfehle ich auch hier als das Sicherste, wodurch man zum Ziele gelangt, direet aus dem Kehlkopf die zu untersuchenden Stoffe zu entnehmen. Man nehme zu diesem Zwecke vom feinsten, gut ausgekochten Bade- schwamm ein Stück, etwa so gross als eine Bohne oder Haselnuss, und 6 Jahres-Bericht nähe dasselbe an eine Oese, die sich am Ende eines krumm gebogenen, steifen Kupferdrahtes mit Handgriff (von der Art, wie die Kehlkopf- Pinsel oder Schwämme) befindet, schneide mit der Scheere hier und da einige Lücken in den Schwamm (damit der Eiter des Kehlkopfes besser daran hafte), gehe mit demselben direet in den Larynx und wische diesen vorsichtig aus. Es bleibt alsdann genügend an dem Schwamme hängen, was zur Untersuchung benutzt werden kann. Dies Manöver würde allerdings wohl nur von Specialisten zu executiren sein, es bleibt aber das Sicherste, um Baeillen zu erlangen, wenn solche im Larynx sich befinden. Wer dieses nicht ausführen kann, muss sich da- mit begnügen, die Sputas zu untersuchen, die man des Nachts über und des Morgens sammeln lässt, auch allenfalls den Patienten sogleich in seiner Gegenwart aushusten lässt. Dabei kann es freilich begegnen, dass man Tage lang sucht, ehe man etwa eine Bacille findet; an anderen Tagen gelingt es dann allerdings vielleicht, bei einem und dem- selben Patienten sie massenhaft zu finden. So habe ich hier ein Prä- parat von einer Patientin mit exquisiter Kehlkopfschwindsucht, wo ich mehrere Tage lang im Sputum nur spärliche Bacillen fand, bis an einem anderen Tage in dem Sputum, welches Patientin sofort in meiner Gegenwart auswarf, massenhafte Baecillen gefunden wurden. Der Nicht- Specialist kann sich auch noch einer anderen Methode bedienen: er nehme einen möglichst grossen, nicht erwärmten Kehlkopfspiegel und halte diesen lege artis, als wenn man laryngoskopiren wollte, in den Rachen des Patienten und lasse Letzteren nun kräftig aushusten, dann fliest das Sputum, ganz rein und unvermischt von Speichel, direct an den Spiegel, von dem man es dann aufsammeln kann; ist der Spiegel erwärmt, so haftet es zu stark an demselben. Jene Methode, die zu untersuchenden Stoffe direet von dem loco affeeto zu entnehmen, em- pfehle ich für alle Höhlen des menschlichen Körpers, zu denen man mit einem Schwamme oder dergleichen gelangen kann. (Es versteht sich von selbst, dass man für jeden Patienten einen andern Schwamm an die Oese, die man vorher wieder ausgeglüht hat, annähen muss.) Vor einigen Wochen erschien hierselbst eine Inaugural-Dissertation über die Tubereulose der weiblichen Genitalien von Herrn Leo Mosler; nach derselben scheint die Diagnose schwierig zu sein, denn er sagt unter Anderem: „Es sind also zumeist die objeetiven Symptome, die in einigen besonderen günstigen Fällen eine Diagnose ermöglichen können.“ Ich bin fest überzeugt, dass man hier sofort eine Diagnose wird sicher stellen können, wenn man von den Geschwüren in den Genitalien, wie oben bei der Tubereulose des Gaumensegels geschehen, Eiter abhebt und auf Baeillen untersucht. Was nun die Aetiologie der Tubereulose überhaupt und zunächst ins Besondere die des Velum betrifft, so sind meine Anschauungen folgende: Warum die Tubereulose sich gerade am der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 7 Velum localisirt, ist uns unbekannt; soll man an Selbstansteckung denken? Mosler in Greifswald hat vor einiger Zeit einen Vortrag ge- halten, in welchem er einen Fall von Darmtubereulose bei gleichzeitig bestehender Lungenphthise auf Selbstansteckung zurückführt, durch Ein- wanderung der Bacillen nach dort, die durch das Verschlucken der Sputa dorthin gelanst sind. Mir will die Sache nicht recht einleuchten, denn geschehe solche Selbstansteckung durch die Bacillen, so müsste die Tuberceulose des Larynx wohl fast immer, jedenfalls aber häufiger als es der Fall ist, mit Lungenschwindsucht vergesellschaftet vorkommen; die Kehlkopfschwindsucht ist aber eine viel seltenere Krankheit als die Lungenschwindsucht. Kein Organ ist bei Lungenschwindsucht so sehr der Ansteekung ausgesetzt, als der Kehlkopf, wenn man erwägt, dass Tag und Nacht ununterbrochen die Sputa aus den Lungen den Kehl- kopf passiren müssen und noch dazu hier die beste Gelegenheit haben, im Morgagni’schen Ventricel hängen zu bleiben. Der Einwand ist ein nichtiger, den man gemacht hat, dass man sagt, die Sputa bleiben nicht im Larynx haften, weil sie hier zum Husten reizen und ausge- worfen werden. Jeder Speeialist weiss, dass unglaubliche Dinge im Larynx hängen bleiben, ohne zum Husten zu reizen. Schrötter (Laryngo- logische Mittheilungen aus der Wiener Klinik, 1871— 73, 8. 86) beschreibt den Fall, wo ein intelligenter Ingenieur des Nachts ein Gebiss von 4 künstlichen Schneidezähnen aspirirte, ohne eine Ahnung und Be- schwerde zu haben und erst die Zähne früh beim Waschen vermisste. Was nun die Ansteckungsfähigkeit der Tubereulose überhaupt, respective dureh die Bacillen betrifft, so ist ja die Sache von grosser Bedeutung auch für das sociale Leben und ist es mit der Ansteckung wirklich so gefährlich, wie vornehmlich die Theoretiker jetzt annehmen, so kommen wir in Gefahr, die unglücklichen Kranken aus der menschlichen Gesellschaft auszuschliessen und uns von unseren eigenen Angehörigen zu isoliren, wenn sie an der Phthisis erkranken. Man kann demnach nicht ernst genug die Angelegenheit erwägen und wollen wir versuchen, nach den bis jetzt vorliegenden Thatsachen Klarheit zu erlangen. Mosler in Greifswald hat Hunde längere Zeit mit den Sputis von ex- quisit schwindsüchtigen Menschen gefüttert — sie blieben gesund. Nun könnte man sagen, Hunde erkranken nicht so leicht an Tuberculose, aber Professor Dr. Arndt, Direetor der Irrenanstalt in Greifswald, berichtet von einem Geisteskranken, welcher längere Zeit unbemerkt die Sputa eines Schwindsüchtigen getrunken hat (efr. deutsche medic. Wochenschr. Nr. 19, 1833) und noch nach einem Jahre völlig gesund, d. h. frei von Tubereulose geblieben ist, wie mir der Herr College in einem Briefe 'mittheilt, in welchem es heisst: „Nichts deutet darauf hin, dass ihm jener Genuss Schaden verursacht habe.“ Nun sagt Robert Koch in seinem Vortrage am 24. März 1882 (Berl. Klin. Wochenschrift Nr. 15, 8 Jahres - Bericht 1882) von den Baeillen, „dass dieser Parasit nur im thierisehen Körper seine Existenzbedingungen findet und nicht, wie die Milzbrandbaceillen, auch ausserhalb desselben gedeihen kann.“ Koch sagt ferner: „Es ist also hiernach sehr wahrscheinlich, dass die Tuberkelbacillen ge- wöhnlieh von der Athemluft, an Staubpartikelchen haftend, eingeathmet werden.“ Danach könnte man jenen Thatsachen gegenüber, dass die Hunde und der Geisteskranke gesund geblieben sind, den Einwand machen, die Bacillen kommen in beiden Fällen in den Magen und nicht in die Lungen. Um nun aber zu ermitteln, wie weit Getränke oder Speisen die Respirationswege berühren, um so die Möglichkeit zu bieten, dass Partikel von ihnen inhalirt oder durch Capillarität weiter geschafft werden können, habe ich an mir selbst Experimente angestellt. Ich trank früh nüchtern eine unschädliche, selbst bereitete Dinte und laryngo- skopirte mich dann sofort: Zunge bis zum Kehldeckel abwärts schwarz, ein förmliches Depöt schwarzer Farbe in den Gruben zu beiden Seiten des Lig. glosso - epiglotticum med.; beide Sinus pyriformes schwarz, aber auch der Eingang zum Kehlkopf schwarz, d. h. Rückenfläche der Epislottis theilweise schwarz, besonders aber die Aryknorpel und die Stelle zwischen ihnen. Darauf frühstückte ich und nach 1 Stunde unter- suchte ich mich abermals: die schwarze Farbe war aber noch immer vorhanden. Diesen Versuch habe ich wiederholt vorgenommen mit sleichem Erfolge; Experimente mit anderen Substanzen, z. B. Milch, Heidelbeeren, gaben kein so auffallendes Resultat, wie Dinte, aber in allen Fällen war die stärkste Anhäufung des Getrunkenen zwischen Kehldeckel und Zungenwurzel zu beobachten. Es kann nun aber oder muss vielmehr sich auch beim Trinken durch Capillarattraetion Flüssig- keit allezeit in den Larynx hineinziehen; dies beweisen z. B. unsere täg- lichen Bepinselungen mit Höllenstein oder dergleichen bei heiseren Patienten, bei denen wir mit einem getränkten Pinsel oder Schwamm blindlings oder unter Leitung des Spiegels tief in den Rachen des Patienten dringen und wohl fast niemals (weil eben nicht unter Leitung des Spiegels) in den Kehlkopf gelangen; in den allermeisten Fällen ist dann sofort die Stimme etwas besser, was nicht der Fall sein könnte, wenn nicht die Wirkung des Höllensteines oder anderer Flüssigkeit sich bis auf die Stimmbänder erstreckt hätte. Wenn wir ferner z. B. so lange gesprochen haben, bis uns die Stimme beinahe versagt, so können wir sie sofort herstellen, wenn wir etwas trinken. Koch hat nachgewiesen, dass durch Einimpfung der Baeillen in das subeutane Zellgewebe ete. von Thieren die Tubereulose entsteht. Er hat ferner nachgewiesen (l. c. $. 229), dass „auch nach dem Eintrocknen der- artige infeetiöse Sputa ihre Virulenz nieht verloren haben.“ Die Tuber- eulose konnte noch eingeimpft werden dureh „8 Wochen hindurch trocken gehaltenes Sputum .... , Demnach lässt sich annehmen, dass das am der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur., ) Boden, Kleidern u. s. w. eingetrocknete phthisische Sputum längere Zeit seine Virulenz bewahrt und verstäubt in die Lungen gelangt.“ Patho- logische Anatomen behaupten auch, dass die durch Impfung bei Thieren erzeugte Tubereulose identisch sei mit der, an welche die Menschen bei Lungenschwindsucht zu Grunde gehen. So weit hätten wir es den pathologischen Anatomen und anderen Theoretikern zu danken, Licht in diese Angelegenheit gebracht zu haben — weiter reicht aber ihre Competenz nicht, und weder Koch noch andere Theoretiker werden die Frage entscheiden, wie verhält es sich mit der Ansteckungsfähiskeit der Tubereulose beim Menschen? Diese Frage werden nur die praktischen Aerzte entscheiden, welche täg- lich mit Kranken zu thun haben und diese in ihren Familien beob- achten. Hält man diesen praktischen Gesichtspunkt nicht fest, so kommt man zu lauter schiefen Urtheilen, die nur den Schein der Wahrheit für sich haben. So hört man z. B. Umstände anführen, welche die An- steckungsfähiekeit beweisen sollen, nämlich dass in dieser oder jener Familie alle Kinder oder beinahe alle an der Schwindsucht starben, während die Eltern gesund waren. Man erkennt hierbei nicht, dass jene Umstände grade gegen die Ansteekungsfähigkeit statt für dieselbe sprechen, denn warum sterben denn in solchem Falle nicht auch die Dienstboten oder guten Freunde der Familie an Schwindsucht, wenn diese ansteckend wäre? Weil aber nur die Familienglieder sterben, so be- weist dieser Umstand, dass wir es hier mit Heredität zu thun haben. Man fasst nämlich den Begriff der Heredität in derRegel viel zu eng, indem man darunter nur Erblichkeit der Krankheitsanlage versteht; dies ist aber nicht richtig, man muss den Begriff weiter fassen und unter Heredität überhaupt Familienanlage verstehen. So sehen wir z. B. in manchen Familien sämmtliche Kinder gänzlich erblindet oder einige blind, andere nur auf ein Auge blind; die Eltern gut sehend. Jeder Ohrenarzt weiss ferner und man kann sich hierüber jeden Tag in den Taubstummen - Anstalten informiren, dass gesunde, gut hörende Eltern lauter taubstumme Kinder haben, oder dass das erste Kind taubstumm, das zweite gut hörend, das dritte wieder taubstumm, das vierte wieder gut hörend, das fünfte taubstumm ist. Alle solche Fälle muss man unter den Begriff der Heredität subsumiren — es ist Familienanlage. Dergleichen Fälle sind mir wiederholt vorgekommen in Ehen unter ı Verwandten, wie ich gegenwärtig hier in Breslau einen solchen Fall in ı meiner Praxis habe. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Tubereulose: ganz gesunde Eltern, die 70 bis 80 Jahre alt wurden, hatten Kinder, die ' sämmtlich oder beinahe sämmtlich an der Lungenschwindsucht starben, . . . “ ° . . ı obgleich diese Kinder ganz von einander getrennt, in weiter | Ferne lebten; solche Beispiele kann ich namhaft machen. Leben | solehe Kinder aber zufällig zusammen, dann liegt der Schluss nahe, sie 10 Jahres - Bericht haben sich gegenseitig angesteckt — ein voreiliger Schluss, denn, wie schon oben bemerkt, muss man fragen, warum sterben denn nicht auch die Dienstboten und guten Freunde der Familie, die mit der Letzteren beständig verkehren, an dieser Krankheit? Man muss ferner auch das als Heredität aufiassen, wenn ein Glied in der Generation übersprungen wird, wie ja das z. B. von der Aehnlichkeit der Familienglieder längst bekannt ist, dass Kinder den Grosseltern ähnlich sehen, viel mehr als den Eltern. So ist es auch bei der Erblichkeit von Krankheiten. Docent Dr. Heitler in Wien (Ueber die diagnost. und progn. Bedeutung der Tuberkelbaeillen im Auswurf. Wiener mediec. Wochenschrift Nr. 43 und 44, 1883, S. 13), theilt ein sehr prägnantes derartiges Beispiel mit. Er erzählt: „In meinem Heimathsorte hatte ein Mann, der ein Alter von 96 Jahren erreichte und nicht an Tubereulose starb, zwei Frauen; mit der ersten Frau, welche nicht tuberculös und auch nicht hereditär be- lastet war, zeuste er 8 Kinder; alle sind gesund und befinden sich jetzt in den 60er und 70er Jahren; die zweite Frau, welche ebenfalls gesund war, sehr fett wurde und im Alter von 70 Jahren plötzlich an Herz- lähmung starb, stammte aus einer tubereulösen Familie. Alle Kinder aus dieser zweiten Ehe, neun an der Zahl, zeigten Erscheinungen von Tubereulose und drei derselben starben im jugendlichen Alter mit 16, 28 und 32 Jahren an Tubereulose.“ Heitler hat 169 Fälle auf Bacillen untersucht, von diesen waren 140 tubereulös und 29 nicht tuberculös; er kommt zu dem Resultate, „dass durch den Koch’schen Baeillus die Diagnostik der Tubereulose eine sehr bedeutende Bereicherung erfahren hat.“ Trotz seiner Befunde kommt Heitler zu folgender Anschauung: „Aber gegenüber experimentellen Forschungen bewahren durch Jahr- hunderte sanctionirte ärztliche Erfahrungen ihr volles Recht, und eine Lehre kann nur dann als feststehend betrachtet werden und kann nur dann Befriedigung gewähren, wenn Experiment und Erfahrung sich in vollkommener Uebereinstimmung befinden. Hier herrscht jedoch vorläufig zwischen Theorie und Praxis eine Kluft, über welche die im Sinne der herrschenden Theorie geschlagenen Brücken nur eine lose Ver- bindung schaffen.‘ Diesen Anschauungen muss ich mich im Grossen und Ganzen an- schliessen. Ich betreibe meine Specialität (Laryngologie) seit beinahe 25 Jahren (abgesehen davon, dass ich schon vorher als Physikus und praktischer Arzt genügende Erfahrung in diesem Punkte hatte, und zwar im äussersten Norden und Süden von Deutschland), aber es ist mir kein sicheres Beispiel von Ansteckung bekannt. Ich erinnere mich dunkel, dass mir einige Mal Fälle vorgekommen sind, dass Mann und Frau an der Phthisis erkrankten, und solche Fälle sind es ja vornehmlich, die man für die Ansteckungsfähigkeit ins Treffen führt; aber auch solche Fälle lassen eine andere Deutung zu. Ich behandle gegenwärtig eine a ar EEE der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 1l Braut, deren Familie ich genau kenne; die Mutter und der Bruder der Braut sind an der Lungenschwindsucht gestorben; die Familie des Bräutigsams kenne ich ebenfalls genau; sein Vater ist auch an der Lungen- schwindsucht gestorben. Wenn nun diese jungen Leute sich heirathen, so würde es nichts Befremdliches haben, aber auch kein Beweis von Ansteckung sein, wenn sie an der Schwindsucht erkranken; sie würden aller Wahrscheinlichkeit nach, auch ohne dass sie sich heirathen, die Schwindsucht bekommen, noch eher aber, wenn sie sich heirathen, min- destens die Frau durch wiederholte Wochenbetten. — Während ich dieses schreibe, kommt eine 30jährige, noch blühend aussehende Frau aus Münsterberg zu mir; sie ist seit '/, Jahre heiser, bis dahin war sie sanz gesund; sie hat jetzt auch schon einmal Blut gespuckt. Die Unter- suchung ergiebt Spitzencatarrh beider Lungen; beide wahren Stimmbänder verdickt und mit Geschwüren hier und da bedeckt, sonst ist der Larynx noch normal. Ich holte sofort mit dem Schwamme Secret aus dem _ Larynx und die Untersuchung ergiebt massenhafte Bacillen — also an der Tubereulose ist nicht zu zweifeln. Die Frau erzählt nun, dass ihr Mann grade vor zwei Jahren an der Schwindsucht gestorben ist; die Eltern des Mannes und 7 Geschwister desselben leben noch und sind sesund; ihre eigenen Eltern starben als sie 4 Jahre alt war, und weiss sie nicht, woran sie starben. Dies wäre nun wieder ein Fall von Schwind- sucht beider Eheleute und man könnte an Ansteckung denken, obgleich die Ineubationszeit von ’/, Jahren denn doch etwas lange wäre! Forscht man der Sache aber weiter nach, so muss man die Ansteckung wohl fallen lassen. Gleich nach dem Tode des Mannes verliess die Frau die Wohnungs, kam also aus der Ansteckungs-Atmosphäre heraus; während es ihr bei Lebzeiten des Mannes gut ging, geht es ihr seit dem Tode desselben sehr kümmerlich: von früh Y,6 Uhr sitzt sie bis Abends 10 bis 10°, Uhr und beschäftigt sich mit Handschuhnähen, um sich und ı ıhr Kind zu ernähren. Bei dieser Lebensweise wurde sie ohne alle Ver- anlassung heiser, d. h. schwindsüchtig! Was sagen andere praktische Aerzte zu der Ansteckunssfähiskeit der Tuberceulose? Wir sehen in Hospitälern die Schwindsüchtigen mit allen andern Kranken zusammen- liegen, auch mit solchen, die an verschiedenen Brustaffeetionen leiden, welche also besonders disponirt wären für die Ansteckung — und wir erleben keine Ansteckung, auch nicht bei dem Wärterpersonale, welches jahrelang zwischen diesen Krankenstuben schläft und sich bei den Pa- tienten aufhält; auch von den behandelnden Aerzten ist solches nicht bekannt. | Auf dem internationalen hygienischen Congress in Genf 1882 theilte Dr. Leudet aus Rouen (wo die Phthisis sehr häufig vorkommt) seine 28jährigen Erfahrungen mit: In 56 Haushaltungen, die der wohlhabenden , Klasse angehörten, war im Momente der Ehe resp. mehr oder weniger 13 Jahres - Bericht Zeit nachher, 15 Mal der Ehemann tuberculös und die Frau gesund, 41 Mal dagegen die Frau allein von der Tubereulose ergriffen. In 5 jener 15 Ehen, in denen der Mann zuerst von der Tuberculose ergriffen war, wurde die Frau von derselben Affeetion erfasst. Bei einer der 5 er- sriffenen Frauen bestand freilich eine rhachitische Verkrümmung und wurde sie erst 10 Jahre nach dem Tode des Mannes tubereulös! Eine Andere hatte eine Schwester, eine Dritte eine Tante, deren Mutter an Tubereulose verstorben war. In 41 Haushaltungen, in denen bei Be- sehung der Ehe oder einige Zeit nachher die Phthisis sich zuerst bei der Frau zeigte, wurde der Mann nur 3 Mal tubereulös! Die Statistik des Brompton-Hospital (Lancet, Juni 1878), wonach bei Verpflegung von 15,262 Schwindsüchtigen während beinahe 20 Jahren unter den gesunden Aerzten (59), Geistlichen, Oberinnen, Wärter und Wärterinnen kein einziger Fall von Lungenerkrankung vorgekommen ist, erscheint noch beweisender, als die l4jährigen Erfahrungen von Dr. Dettweiler und Dr. Meissner in ihren Anstalten, die keinen einzigen Fall von An- steckung erlebt haben (Dr. Dettweiler und Meissner: Der Tuberkel- baeillus und die chronische Lungenschwindsucht. Berlin. Klinische Wochenschrift Nr. 7, 1883). Geht man in die Colonien für Schwind- süchtige, z. B. nach Meran, wo manche Patienten Jahre lang mit ihren sesunden Angehörigen sich aufhalten, so wissen diese Gesunden durchaus nichs von Ansteckung, welche dort eingetreten sein sollte! Zwar hat Koch selbst schon eine Entgegnung gebracht auf den eben eitirten Auf- satz von Dettweiler (in welcher dieser auch das Factum aus dem Brompton-Hospital erwähnt), aber Koch beschäftigt sich in derselben immerwährend mit der Impffrage bei den Thieren, ignorirt aber voll- ständig den Einwand von Dettweiler, den dieser durch das Brompton- Hospital und aus seinem eigenen Sanatorium beibringt, dass nämlich dort noch niemals ein Fall von Ansteckung beobachtet worden ist. Dies ist ja doch aber die Hauptsache, zu zeigen, wie die Tubereulose für die Menschen ansteckend sein soll, denn auch die Gesundheitsämter sind doch in erster Linie um der Menschen willen da. Darüber geht aber Koch in seiner Entgegnung vollständig hinweg (Deutsche medic. Wochen- schrift Nr. 10, 1883: Kritische Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbaeillen gerichteten Publieationen, von Dr. R. Koch). Wenn Koch hier weiter sagt: „Nun möchte ich mir von Dettweiler aber doch eine Erklärung darüber ausbitten, wie es kommt, dass sich die eine Krankheit ausnahmslos von kleinen, eine zweite von grossen Baecillen, eine dritte von Mikrococcen u. s. w. begleiten lässt, das kann doch nieht nur eine Marotte dieser Krankheit sein“ — so ist dieser Einwand auch nicht stiehhaltis. Warum sollen die einzelnen Krank- heiten, also der verschiedene Krankheitsboden, nicht solche „‚Marotte‘ haben, auf sieh verschiedene Parasiten gedeihen zu lassen. Die Krätz- UUUTUTUTUTUTUNUNUTYUNUNUUU der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 13 milbe kommt nicht auf dem behaarten Kopfe, sondern in den Gelenk- beugen, dagegen die gewöhnliche Laus auf dem behaarten Kopfe vor; wo die Erle gedeihen soll, muss Wasser resp. Sumpf sein und asper- sillus glaucus liebt vorzugsweise das Ohr u. s. w. Es ist mir eigentlich diese Art der Logik unverständlich, wie man bei einer Krankheit, welche das Menschengeschlecht seit Jahrtausenden decimirt, alle Tage und an allen Orten und zu allen Zeiten massenhaft vorkommt, wie man, sage ich, bei einer solchen Krankheit erst heute, nach Entdeckung der Bacillen, die Ansteckungsfähigkeit gefunden und erkannt haben will! Durch die Entdeckung der Bacillen könnte man doch höchstens über die Art und Weise, das „Wie‘ der Ansteckung ins Klare kommen, aber doch nicht jetzt erst darüber, ob die Tuberculose überhaupt an- steekend sei; eine Ansteckungsfähiskeit einer Krankheit, die alle Tage massenhaft vorkommt, die muss man doch sehen, da man sie doch bei jeder anderen ansteckenden Krankheit sieht und nicht im Zweifel dar- über ist — und nun soll uns erst über die Ansteckungsfähigkeit der Tubereulose seit der Entdeckung der Bacillen ein Licht aufgegangen sein? Ja, sagt man, die Ansteckungsfähigkeit bei der Tubereulose ist eine ganz besondere — eine ganz besondere muss sie allerdings sein, wenn man sie nicht sieht. Man sagt ferner: was helfen alle Raisonne- ments gegen die Ansteckungsfähigkeit — man impft die Bacillen ein und sieht die Thiere an der Tuberculose zu Grunde gehen! Dies ist nun allerdings ein unzweifelhaftes Factum, aber dieses halte ich eben für das Entscheidende in der ganzen Frage: so lange den Menschen die Tubereulose nicht eingeimpft wird, sind sie vor der Ansteckung sicher und können ruhig schlafen — sogar unter Schwindsüchtigen! Sie sind dann eben so sicher vor der Ansteckung, wie sie es vor der Syphilis sind, wenn sie diese sich nicht auf irgend eine Weise einimpfen. In dem neuesten Journale von Frerichs und Leyden macht Gerhardt die merkwürdige Thatsache bekannt, dass er durch Einimpfung der Herpesbläschen bei Intermittens eine veritable Intermittens hervorgerufen habe. Jeder Mensch weiss nun aber, dass die Intermittens nicht an- steckend ist, im’ gewöhnlichen Sinne, wenn sie aber eingeimpft wird, so sehen wir, dass sie ansteckend ist. Ebenso halte ich dafür, ist es mit der Tubereulose, und Koch selbst bestätigt dies ja, indem er sagt (l. e. 8. 229): „Wenn man ein Thier mit Sicherheit tubereulös machen will, dann muss der Infectionsstoff in das .subeutane Gewebe, in die Bauchhöhle, in die Augenkammer, kurz an einen Ort gebracht werden, wo die Bacillen Gelegenheit haben, sich in geschützter Lage vermehren und Fuss fassen zu können ..... Hieraus erklärt es sich, weshalb die Sectionen von tuberculösen Leichen nicht zur Infection führen, auch wenn kleine Schnittwunden an den Händen mit tubereulösen Massen in Berührung kommen.“ Trotzdem will Koch die Ansteekung durch Ein- 14 Jahres - Bericht athmung annehmen; aber welche tiefe Veränderungen müssten schon in den Lungen vorgegangen sein, wenn die Bacillen resp. die Sporen so tief eindringen könnten, um sich ‚‚einnisten‘‘ zu können — die Menschen müssten schon die Schwindsucht haben, ehe sie von den Bacillen ergriffen werden können, denn „‚stagnirendes Secret, Entblössung der Schleimhaut vom schützenden Epithel u. s. w.‘“ (l. ce. $S. 229) kommt in den Kranken- sälen alle Tage vor bei anderen Kranken, die mit den Phthisischen in einem Zimmer zusammen liegen. Uebrigens werden bei Secetionen von Tubereulösen wohl auch die Aerzte sich öfter nicht blos oberflächliche Verletzungen beifügen, man hat aber noch nichts von Ansteckung gehört. Koch sagt ferner (l. e. 8. 229): „Die weit überwiegende Mehrzahl aller Fälle von Tubereulosen nimmt ihren Anfang in den Respirations- wegen und der Infeetionsstoff macht sich znerst in den Lungen oder in den Bronchialdrüsen bemerklich. Es ist also hiernach sehr wahrschein- lich, dass die Tuberkelbacillen, gewöhnlich mit der Athemluft an Staub- partikelehen haftend, eingeathmet werden.‘ Dieser Schluss erscheint mir nicht recht einleuchtend; die angeführte Thatsache — nämlich dass die Tuberculose vorzugsweise die Lungen angreift — ist weder ein Beweis für die Ansteckung noch weniger dafür, dass diese Ansteckung durch die Athemluft erzeugt wird; sie ist so wenig ein Beweis dafür, wie es ein Beweis dagegen wäre, dass die Tuberculose nicht durch Ver- schlucken von Tuberkelbacillen im Magen entsteht (wie eben die oben angeführten Hunde, die Mosler mit tubereulösem Sputis fütterte, und der Geisteskranke von Professor Neugebauer, der die tubereulösen Sputa längere Zeit trank, nicht die Tubereulose im Magen bekamen) — denn der Magen wird eben überhaupt nur äusserst selten von Tuberculose ergriffen. (Rokitansky, pathol. Anatomie, Band II, Seite 201.) Die Syphilis liebt es, an welcher Stelle auch die Infeetion erfolgen möge, sich vorzugsweise im Halse, Rachen, Nase zu manifestiren, aber aus diesem Befunde wird man doch nicht den Schluss ziehen wollen, es sind immer primäre Processe durch Ansteckung vom Munde aus ent- standen! Koch sagt, „‚der Impfstoff muss in das subeutane Gewebe gebracht werden‘, wenn er tubereulös machen soll, es müssten demnach bei der supponirten Ansteckung durch Einathmung der Bacillen diese ebenfalls in das subeutane Gewebe gelangen, mit andern Worten, diese Ansteckung wäre doch auch nichts anderes, als eine Einimpfung — wie aber ganz anders verläuft der Process bei der Impfung der Thiere, nach den eigenen Experimenten von Koch, als die Tubereulose beim Menschen! Nach den Impfversuchen von Koch (l. e. $. 226 u. f.) verlief der Process nach Tagen (,,13, 19, 21, 25, 26, 27 Tagen‘) — beim Menschen dauert der Krankheitsprocess in der Regel Jahre lang. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. | 15 Wenn die Tubereulose durch Einathmen der Sporen der Bacillen entstehen sollte, so müsste sie noch öfter vorkommen und die Ansteckung evidenter sein, wenn man erwägt, welche Milliarden von Baecillen täglich an allen Orten von Phthisischen ausgehustet und ausgespuckt werden, und wenn man erwägt, wie täglich bei verschiedenen Menschen Nasen- bluten vorkommt, also Gefässe blossliegen und an diesen gerissenen Gefässen nun ununterbrochen der Respirationsstrom mit den Infeetions- stoffen vorbeistreicht. Und wie soll man nun die phthisische Anlage, den phthisischen Habitus deuten, wobei man es einem jungen Menschen schon ansieht, dass er, wenn er in das entsprechende Alter (resp. Pubertät) kommt, sicherlich die Schwindsucht bekommen wird; gewinnen jetzt erst die Bacillen Gewalt, den Menschen zu infieiren? Man spricht doch von keinem syphilitischen oder Scharlach- oder Wasserscheu- Habitus. Hierbei möchte man denn allerdings auf den Gedanken kom- men, dass die Bacillen nur Begleiterscheinung, nicht Ursache der Tubereulose sind, und dass es mit ihnen ähnlich sich verhält, als wie z. B. mit Wasserpflanzen. Auf dem Wüstensande wachsen niemals Wasserpflanzen, kommt aber eine Ueberschwemmung dahin und lässt Wasser zurück, so erscheinen sofort Wasserpflanzen. Allerdings stände mit dieser Anschauung im Widerspruch, dass durch Einimpfuns der Bacillen wiederum Tuberculose erzeust werden kann. Man hat nun übrigens bei der ganzen Ansteckungssfrage ein Moment völlig übersehen, nämlich dies: Es kann eine Krankheit ein sehr heftises Virus erzeugen, ohne immer und allein durch dasselbe entstanden zu sein. So erzeugt z. B. das Scharlach, die Wasserscheu (Lyssa) ein sehr heftiges Virus, trotzdem entstehen diese Krankheiten ebenso oft spontan, als durch An- steckung. Man wird hier einwenden und hat auch schon eingewendet: sehr wahrscheinlich entstehen diese Krankheiten aber auch durch einen Parasiten und immer durch Ansteckung — es ist dies möglich, so lange dieser Parasit aber und die jedesmalise Ansteckung nicht nachgewiesen ist, bleibt mein obiger Satz stehen. Dazu kommt, dass es unzweifelhaft Fälle giebt, wo die Wasserscheu durch den Biss eines nicht tollen, | aber gereizten, z. B. eines im Begattungsgeschäfte gestörten Hundes \ entstanden. ist (Rust’s Abhandlungen. Band I. Berlin 1836: über die | durch den Biss eines Hundes veranlasste Wasserscheu und ihre Behand- | lung). Rust führt hier den Beweis, dass es unzweifelhaft solehe Fälle | giebt, und ich selbst beobachtete einen tödtlich verlaufenden Fall von | Wasserscheu zu der Zeit als ich Kreisphysikus war und mich sehr ein- | gehend mit dieser Krankheit beschäftigte und beschäftigen musste. Ein \ junger Mann wurde von einem Hunde in den Arm gebissen, von dem es | durchaus nicht erwiesen, dass er toll, sondern nur gereizt gewesen war; | nach etwa 7 Wochen brach bei dem jungen Manne die Wasserscheu aus, |an der er starb; ich habe ihn behandelt und genau beobachtet. Solche 16 Jahres-Bericht Fälle sind aber Belege dafür, dass ein und dieselbe Krankheit ebenso wohl durch ein Virus als spontan entstehen kann, wie oben die Lyssa beim Hunde- und Katzengeschlecht spontan entsteht und dennoch ein heftiges Virus erzeugt. Man hat solche Fälle von Lyssa, wo ein Mensch von einem nicht tollen Hunde war gebissen worden, dadurch entkräften wollen, dass man gesagt hat, die Krankheit war keine Lyssa, sondern Tetanus. Wer solche Behauptungen aufstellt, hat nie in seinem Leben einen Tetanus, noch weniger eine Lyssa gesehen, denn der Tetanus ist das gerade Gegentheil von der Lyssa. Ein Mensch von Tetanus befallen, liegt wie ein Klotz im Bette und kann seine Muskeln nicht bewegen, woran er eben allermeistens stirbt. Dagegen vermag der von Lyssa Be- fallene alle seine Muskeln zu bewegen und springt in der Raserei resp. Verzweifelung aus dem Bette und zertrümmert Thüre und Fenster. Wie soll hier eine Verwechselung beider Krankheiten stattfinden? Nach all dem Gesagten sind wir nach meiner Meinung bis jetzt nur berechtigt, uns bei der Tuberkelbacillen-Frage an zwei Thatsachen zu halten; die Eine ist die, dass durch Einimpfung von Tuberkelstoff bei Thieren die Tubereulose erzeugt wird — und dies spricht für ihre Ansteckungs- fähigkeit. Die andere Thatsache ist die, dass bei einer Krankheit, die seit Jahrtausenden das Menschengeschlecht aller Orten und Zeiten deeimirt und täglich massenhaft vorkommt — noch kein einziger Fall von An- steckung bei Menschen sicher constatirt ist. So lange man also den Menschen nicht die 'Tuberceulose einimpft, halte ich eine Ansteckung im gewöhnlichen Sinne, d. h. im Verkehr und Umgange mit Schwind- süchtigen, weder für erwiesen noch für möglich — weil eben einfach die tägliche Erfahrung der praktischen Aerzte dagegen spricht und die Fälle, die man bisher beigebracht (bei Eheleuten), nach meiner Erfah- rung auf mangelhafter Beobachtung beruhen. Trotz dieser meiner An- schauung will ich aber die hohe diagnostische Bedeutung der Tuberkel- Baeillen nicht herabsetzen, im Gegentheil anerkennen, dass wir Robert Koch für seine Entdeckung zu grossem Danke verpflichtet sind. Das sind aber gar nicht zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschliessen, näm- lich: Anerkennung der hohen diagnostischen Bedeutung und Nicht- anerkennung der Infeetiosität der Tubereulose, d. h. in dem Sinne, dass diese nur und ausschliesslich durch Infeetion entsteht. Finden wir demnach in einem Falle Tuberkelbaeillen, so sind wir über alle Zweifel der Diagnose hinweg, wir werden dann z. B. manch- ‚mal dem Patienten es ersparen, sich den Kehlkopf herausschneiden zu lassen, weil man das Leiden für Careinom hielt, was doch Tubereulosis laryngis war — „wie denn das zu Zeiten kommen mag“! Finden wir im gegebenen Falle keine Bacillen, so sei man allerdings vorsichtig im Urtheile, es kann dennoch 'Tubereulose vorliegen, man hat eben die der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 17 Baeillen noch nicht gefunden, bei wiederholtem Suchen in verschiedenen Zwischenräumen findet man sie aber vielleicht doch und wenn es auch nur Eine wäre, so ist die Diagnose sicher. In einem verdächtigen Falle, den ich gegenwärtig noch behandele, habe ich 2 Monate lang die For- schung nach Bacillen fortgesetzt und erst nach 2 Monaten fand ich sie. Die grosse diagnostische Bedeutung der Bacillen wird auch dadurch nicht aufgehoben, dass man bei Lupus, Lepra und Rotz ganz dieselben Bacillen will gefunden haben, denn wer sich speciell mit Kehlkopf- und Lungen- krankheiten beschäftigt, wird wissen, wie unendlich selten oder viel- leicht auch gar nicht im ganzen Leben ihm ein Fall von jenen Krank- heiten vorkommt, während die Tubereulose ihm vielleicht jeden Tag so und so oft: zur Beobachtung kommt. Begegnet ihm unter solchen Um- ständen dann aber einmal ein Fall jener seltenen Krankheiten, so dürften sich wohl noch andere Momente für die Diagnose vorfinden. Es wird deshalb auch in solchen Fällen immer wichtig sein, wie ich schon oben angegeben, nicht blos an Ort und Stelle, z. B. am Velum, Larynx, Rachen, sondern auch im Sputum nach Bacillen zu suchen. Schliesslich will ich mir noch erlauben, etwas über die Incubations- zeit des Virus zu sagen, wie wir sie bei allen ansteckenden Krankheiten wahrnehmen. Es hat ja allerdings etwas sehr Merkwürdiges, dass z.B. bei der Lyssa das Virus Wochen, ja Monate lang latent bleibt, ehe es seine Wirkung entfaltet. Die Sache verliert aber von ihrer Merkwürdis- keit, wenn wir erwägen, dass es auch einen physiologischen Vor- gang giebt, bei welchem der Keim lange latent bleibt, ein Vorgang, welcher wohl Vielen unbekannt ist, weshalb ich mir erlauben will, ihn etwas umständlicher mitzutheilen. Es war bis in die neue Zeit auch bei den Jägern eine zweifelhafte Sache, wann die Brunstzeit der Rehe stattfindet. Die Jäger nahmen eine wahre und falsche Brunst an, jene im Juli, diese im December. Man fand nämlich bei Sectionen im December das Ovulum in seiner beginnenden Entwickelung, andererseits sahen die Jäger im Juli das männliche Reh das weibliche verfolgen. Früher passionirter Jäger, interessirte mich jene Frage auch in naturwissen- schaftlicher Beziehung und ich suchte und fand Gelegenheit, in Zwischen- räumen von Wochen eine grössere Anzahl weiblicher Rehe zu seeciren. Die inneren Genitalien sendete ich an meinen berühmten Lehrer in der Physiologie, Johannes Müller, welcher mir in einem Briefe vom 31. Januar 1852 dankte. Später, bei einem Besuche, theilte mir Johannes Müller mit, dass er meine Präparate zwar dem Museum einverleibt habe, dass aber die Frage wegen der Brunstzeit des Rehes bereits durch den Herzog von Braunschweig zur Entscheidung gebracht worden sei, welcher aus seinen Forsten 50 weibliche Rehe Preis ge- geben habe, um diese Frage entscheiden zu lassen. Da hat sich nun folgende merkwürdige Thatsache ergeben: Die Conception findet beim 1884. 2 3 Jahres-Bericht Rehe im Juli statt, aber das Ovulum bleibt in der Tuba oder Uterus (in welchem von beiden weiss ich nicht mehr genau) bis zum December unentwickelt (latent) liegen, dann erst entwickelt es sich weiter. So Johannes Müller. Secirte man früher also ein weibliches Reh im December, so musste man annehmen, die Conceptionszeit finde im December statt. Hier haben wir einen physiologischen Vorgang, der ganz der Incubationszeit der verschiedenen Virus-Arten entspricht. In der an den Vortrag sich schliessenden Discussion bemerkt Herr Gottstein, dass er auf alle die Fragen, die der Vortragende berührt hat, besonders in Betreff der Aetiologie der Phthise, über den Zusammen- hang der Larynxphthise mit der Tubereulose u. s. w. nicht näher ein- gehen könne, nur glaube er, dass die Methode, die Herr V. anwendet, um sich Secret aus den Larynxgeschwüren behufs Untersuehung auf Baecillen zu verschaffen, keine Sicherheit gewährt, dass es wirklich aus den Larynxgeschwüren stammt und nicht vielmehr aus den Lungen herrührt und nur vorübergehend in den oberen Luftwegen geweilt hat. Er sucht deswegen in einer anderen Weise zum Ziele zu gelangen; er geht mit einer Silbersonde vorsichtig direct in den Geschwürsgrund; das an der Sondenspitze haften bleibende Secret reicht aus, um die Bacillen eventuell nachzuweisen. Herr Voltolini schlägt vor: fortan zur Erlangung von Material aus dem Larynx für die Untersuchung auf Baeillen mit einem kleinen Schwamme an gebogenem Draht (selbstverständlich in jedem Falle neuer Schwamm und Draht, vorher geslüht) in den Larynx zu gehen und ihn auszuwischen. Die unter dem Mikroskope aufgestellten Präparate sind auf solche Weise erlangt und demonstrirt V. sie den Mitgliedern. Wie das Material für Bacillenuntersuchung an einer glatten Sonde nach Gottstein besser haften soll, als am Schwamm, ist gar nicht abzusehen, ist auch jedenfalls unrichtig. V. habe sich selbst einen langen metallenen Ohrlöffel für den Larynx construirt, weil dieser aber mehr die Theile beleidigt als der Schwamm, so ist V. beim Schwamme geblieben. Herr Neisser spricht zuerst seine Verwunderung darüber aus, dass der Herr Vortragende auf den diagnostischen Werth des Tuberkel- baeillen-Befundes ein so grosses Gewicht legt, während er andererseits diese Mikroorganismen nur als mehr zufälligen Ansiedler bei bereits „Phthisischen“ gelten lassen will. Er stellt sich auf einen dem Vor- tragenden diametral gegenüberstehenden Standpunkt: Ohne Bacillus als primäre Ursache keine tubereulöse Erkrankung. — Damit sei freilich die Krankheitslehre der Tubereulose nicht erschöpft; es seien noch viele Lücken, namentlich in der Kenntniss der für das Zustandekommen der Infecetion einflussreichen Verhältnisse auszufüllen, ebenso wie die Frage nach der Vererblichkeit der Tubereulose eine noch durchaus offene sei. — Was die Dilferentialdiagnose zwischen Lepra und Tubereulose der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 19 betreffe, so sei dieselbe eine leichte. Die Lepra setze grossknotige Neu- bildungen mit sehr langsamem Verfall, während eigentliche Neoplasmen, im makroskopischen Sinne wenigstens, bei der Tuberculose fehlten. Die absolute Schmerzlosigkeit der leprösen Gaumen- und Kehlkopfsaffeetion sei gleichfalls differentialdiagnostisch verwerthbar. Auch was die Syphilis anlange, halte er die Unterscheidung der Tubereulose gegenüber für meist leicht möglich. Die papulösen Früh- formen führten selten zu irgend tiefer greifenden Zerstörungen; die summösen Spätformen zeichneten sich durch die massigere Neubildung, die viel tiefer greifende Zerstörung, den schleichenderen, schmerzlosen, oft ganz unbemerkt bleibenden Verlauf aus — abgesehen von dem Fehlen der häufig beobachteten tubereulösen Miliarknötehen. Allerdings stimme er mit dem Herrn Vortragenden darin überein, dass die durch den Bacillennachweis geschaffene Erleichterung der Diagnose gerade für die ulecerösen Formen, welche den Kehlkopf allein befallen, von besonderem, oft alleinigem Werthe sei. Lupus schliesslich trete so selten primär und allein im Kehlkopf oder auf der Mundschleimhaut auf, dass er eigentlich nur per exclusionem diasnostieirt werden könne. Mit Hautlupus combinirt, sei die Diagnose andererseits eine leichte. Im übrigen halte er Lupus und Tuberculose (im engeren Sinne) für ätiologisch identische Erkrankungen, worauf näher einzugehen hier leider die Zeit fehle. Was endlich das nicht gesetzmässige Befallen des Kehlkopfes bei selbst hochgradiger Phthisis pulmonum betreffe, so glaubt N., dass die Sputa zu schnell und heftig ausgehustet werden, so dass sie nicht haften können. Es bedürften ja bekanntlich die Bacillen einer längeren Frist, ehe sie in langsamer Entwicklung in die Gewebe einzudringen ver- möchten — Verhältnisse, welche bei anhaltender Expectoration der Kehl- kopfsinfeetion eher ungünstig seien, als dieselbe unterstützten. Herr Ponfick wendet sich zunächst gegen die Annahme des Herrn Vortragenden von dem nachträglichen Hinzutreten der ‚Tuberkel-Ba- eillen“ in eine bereits phthisisch erkrankte Lunge. Nach den vielfach bestätigten Koch’schen Untersuchungen sind wir vielmehr nur das als Tubereulose zu betrachten berechtigt, was mit der Anwesenheit der spe- eifischen Baeillen von vornherein verbunden und erfahrungsgemäss durch sie hervorgerufen ist. Was die Beziehung zwischen dem tubereulösen Process in den Lungen und den Kehlkopfgeschwüren anlangt, so hält es auch P. für unzweifelhaft, dass manche Ulcerationen im Laufe der Athemwege auf eine directe Selbstinfeetion von der Lunge her zurückzuführen seien. Indess ist keineswegs jedes Ulcus oder auch nur die Mehrzahl mit Cavernen verbunden, durch deren profuses Secret ja allerdings massen- haft Pilzkeime auf die Respirationsschleimhaut geschleudert werden 9% nd 90 Jahres - Bericht müssen, wo sie dann theils an den Engen — Rima glottidis — theils in physiologischen oder pathologischen Recessus — Morgagni’schen Taschen, Bronchi- und Tracheectasieen — besonders leicht haften bleiben und zu neuen Zerstörungen Anlass geben werden. Vielmehr trifft man nicht gar selten auch Defecte an ganz den nämlichen Stellen und von dem gleichen Charakter ohne jeden Zerfallsherd innerhalb der Lunge, ledig- lich neben, sei es frischeren, sei es indurativ ausgeheilten Infiltraten. Ob es endlich auch Fälle gebe, wo eine tuberculöse Affeetion im Kehlkopf oder anderen Abschnitten der Luftwege — Nase, Pharynx, Bronchien — vorkomme ohne jede wie immer geartete Betheiligung der Lungen — diese Frage ist, nach P.’s Meinung, mit Hilfe des gegenwärtig vorliegenden casuistischen Materials noch nicht zu entscheiden. Andererseits giebt es nun aber bekanntlich auch eine nicht geringe Zahl von Kranken, welche ungeachtet der umfänglichsten und notorisch sehr reichlich secernirenden Cavernen gleichwohl gar keine Störung an der ganzen Respirationsschleimhaut aufweisen und bei denen die Section den intra vitam erhobenen negativen Befund bestätigt. Offenbar besteht somit in keiner von beiden Rich- tungen ein zwingender, sondern nur ein bedingter Causal- zusammenhang zwischen den pulmonalen und den laryngo- trachealen Zerstörungen. Für diese höchst auffallende Ungleichheit der ansteckenden Wirkung des Eiters in scheinbar so gleichartigen Krankheitsfällen den Grund auf- zudecken, muss weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Herr Eger wirft die Frage auf, ob bei gleichzeitig bestehender Lungen- und Kehlkopftubereulose der Laryngoskopiker stets im Stande sei, zu unterscheiden, ob das aus dem Larynx geholte Seeret diesem oder ob es der Lunge entstamme. Dass das Lungensputum in der Regel so lange Zeit im Larynx weile, um dort Infection veranlassen zu können, bezweifelt er in Berücksichtigung der grossen Intoleranz des Kehlkopfes bei der geringsten Secretanhäufung. Gilt diese Intoleranz schon von dem gewöhnlichen Larynxcatarıh, so wird sie noch mehr bestätigt von dem Phthisiker, welcher Secret aus einer ungünstig ge- legenen Caverne continuirlich in die grösseren Luftwege entleert. Das in den Larynx kommende Secret veranlasst dann ununterbrochenen, durch nichts zu stillenden Hustenreiz. Wäre das passirende Sputum so leicht zu infieiren im Stande, so ist es jedenfalls auffallend, dass Stellen, an die dasselbe mit grosser Kraft angeschleudert wird und an denen es nicht selten auch längere Zeit verweilt, wie der weiche Gaumen, doch verhältnissmässig selten so arge Zerstörungen aufweisen, wie gerade der Kehlkopf. Gottstein beantwortet die Frage, ob Lungenseceret längere Zeit im Larynx verweilen kann, bevor es expeetorirt wird, mit Ja. Er glaubt der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. 91 auch, wie er dies in seinem Lehrbuch ‚Die Krankheiten des Kehlkopfs“ auseinandergesetzt hat, dass die Klebs’sche Annahme einer infectiösen Einwirkung des Cavernensecrets auf die Larynxschleimhaut nach unsern heutigen Anschauungen über Tubereulose nicht von der Hand zu weisen und mit manchen Thatsachen in Uebereinstimmung ist, dass aber auch noch auf andere, zum Theil noch uns unbekannten Wegen Infection des Larynx stattfinden kann. Voltolini wird sich ausführlich über die Ansteckung bei Phthisis resp. Tuberculose aussprechen, wenn der Vortrag in einem besonderen Aufsatze erscheinen wird. Hier nur die Bemerkung, dass er die An- steckung in dem Maasse nicht anerkennen kann, wie sie Koch annimmt. Sitzung vom 18. Januar 1884, Herr Wollner hält einen Vortrag über Diabetes mellitus und seine Kur in Carlsbad. Die ätiologische Dunkelheit des Diabetes mellitus, die Schwierig- keit seiner theoretischen Begründung, seine verhängnissvolle Prognose und die beschränkte Wirksamkeit seiner Therapie sind Momente, die gerade wegen ihrer negativen Natur das Interesse des Forschers, wie des Arztes erregen. Seitdem Thomas Willis (1675) in Fällen von Po- lyurie den Harn von süssem Geschmacke fand, und andere nach ihm, sehr geraume Zeit später, durch Abdampfen solchen Harns charakte- vistischen Zucker darstellten, also seit der eigentlichen Entdeckung des Diab. mell. bis auf die neueste Zeit wurde von zahlreichen Forschern der letzte Grund derselben studirt und eine Reihe von Theorien aufge- stellt, von denen bislang keine absolute Gültigkeit behauptet hat. Die Rücksicht auf den mir zustehenden Raum veranlasst mich, die in meinem Vortrage versuchte Recapitulation der wichtigeren Diabetes- theorien und ihre Kritik hier fortzulassen und mich gleich den semio- tischen und klinischen Eigenschaften des Diab. zuzuwenden, wobei ich betone, dass meine Beobachtungen sich fast ausnahmslos anschliessen an den Aufenthalt der Patienten in Carlsbad und dass sie aus einem Zahlenmateriale von 210 Diabetikern resultiren. Von diesen entfallen auf die Alterstufe von: 1020 ’Jahren ’| "rl 2, 21—30 z ERRRSIERRRGE 31—40 - LINEMALOSERE, &249. 41—50 - LEI 02 51—60 = MR. 0, ET 31 61— 70 - Mk Ill BON 71—80 = Man Alt 8065 23 Jahres-Bericht wobei ich bemerke, dass der jüngste Patient zwölf, der älteste 78 Jahre zählte. Dem Geschlechte nach waren 156 oder 75 pCt. Männer und 54 oder 25 pCt. Frauen. Die Heredität des Diabetes ist in eirca 9 pCt. meiner Fälle her- vorgetreten und zwar bei Eltern und Kindern, Geschwistern, Vettern und Muhmen, Onkel und Neffen. In einer Gruppe sind sämmtliche vier Geschwister diabetisch gewesen, in einer anderen die Mutter, ein Sohn und beide Töchter. Die erbliche Belastung konnte in einem Falle bis zur dritten Generation zurückverfolgt werden. Ich halte diese Zahlen nicht für abgeschlossen, glaube vielmehr, dass sie sich erheblich vermehren würden, wenn alle Diabetiker über die suspecte Krankengeschichte ihrer Vorfahren besser unterrichtet wären, als sie es thatsächlich häufig sind. Die ätiologisch herangezogenen deprimirenden Einwirkungen auf das Gemüth sind nicht immer in unzweideutiger Weise zu verwerthen, da die Frage nach vorausgegangenem Kummer fast stets bejaht wird. Allein in einzelnen Fällen waren doch gewisse, das Individuum tief er- schütternde Vorgänge als erweisliche Veranlassung des plötzlichen Krank- heitsausbruches bestimmt hervorzuheben. In 5 Fällen war es der Tod naher Angehörigen, in je einem Fall schwere Kränkung der militairischen Ehre und der Schreck über scheu gewordene Pferde und in zwei Fällen waren es grosse materielle Verluste, worauf der sehr bald eruirte, plötzliche Beginn der Krankheit zurückgeführt wurde. Die in der Fettleibigkeit ceonstatirte Prädisposition für den Diabetes ist bei 30 pCt. meiner Fälle hervorgetreten. In der letzten, Saison fand ich bei 2 Patienten, von denen der eine lediglich wegen hoch- sradiger Adipose, die ihn in der Ausübung seines mit körperlicher An- strengung verbundenen Berufes hinderte, und der andere, welcher gleich- falls wegen Obesität und ausserdem wegen Arthritis urica sich einer Kur in Carlsbad unterzogen hatten — bei dem ersten 0,5, bei dem andern 1,2 saccharum. Ich möchte mir hier die Bemerkung einzuschalten er- lauben, dass ich es nie verabsäume, den Harn fettreicher Leute auf Zucker zu untersuchen. Auch eine unpassende Diät hat man für den Diabetes verantwort- lich gemacht. Cantani hält die grosse Zahl seiner italienischen Dia- betiker, die mehr oder weniger ausschliesslich von Pflanzenkost und Süssigkeiten sich ernähren, für Alimentationsdiabetiker. Ob die ähnliche Ernährungsweise das notorisch häufige Vorkommen des Diabetes in einzelnen Distrieten Thüringens, Württembergs, der Normandie und Eng- lands verschulde, ist mit Rücksicht auf die ohne diabetische Consequenzen bestehende universelle Verbreitung vegetabilischer Ernährung controvers. Von meinen Patienten war es ein durch Intelligenz und Zuverlässigkeit ausgezeichneter Mann, der mit Bestimmtheit angab, dass er, um die Folgen des Biergenusses auf seinen wachsenden Körperumfang zu ver- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 33 hüten, Conditoreien zu besuchen angefangen habe, worauf sich bei ihm Diabetes bis zu 4 pCt. Zucker einstellte. Die als ätiologisches Moment angeführte Erkältung, diese stereotype anamnestische Figur, habe ich eben so wenig zu constatiren Gelegen- heit gehabt, wie übergrosse geistige Anstrengung, da unter meinen Diabetikern sich kaum einer befand, dessen Beruf übermässige geistige Arbeit zum Inhalte hatte. Das entscheidendste Kriterium für die Existenz des Diab. ist die nachweisbare Anwesenheit von Zucker im Harne. Alle anderen dia- betischen Erscheinungen, wie Polyurie, Polydipsie, Muskelschwäche, Neuralgien, Hautaifectionen und wie sie sonst heissen mögen, können in einem Falle von erwiesener Zuckerruhr fehlen und es ist bisweilen der Zufall, bisweilen ein höchst geringfügiges, durchaus nicht charakte- ristisches Symptom, welches zur Erkenntniss des Leidens führt. Unter meinen Patienten befanden sich 20, bei denen weder Polyurie noch Poly- dipsie und zwar zu keiner Zeit der Krankheit wahrgenommen wurde, in anderen acht war Polyurie ohne Durstgefühl vorhanden, sowie einige Patienten nur über zeitweilige, mässige Trockenheitsempfindung und andere wenige endlich nur über eine Steigerung ihres diuretischen Be- dürfnisses, ohne Vermehrung der Harnabsonderung Klage führten. Der höchste Zuckergehalt, den ich beobachtete, betrug zehn Procent. Die zur Feststellung des Status morbi herangezogene Bestimmung des specifischen Gewichts des Harns bildet im Allgemeinen für jenen ein wichtiges Kriterium, jedoch nicht in allen Fällen ist die hohe Gewichts- ziffer die consequente Begleiterin einer schweren diabetischen Erkrankung und umgekehrt. Ich habe Fälle gesehen, in denen ein specifisches Ge- wicht von 1040 neben sonst mässigen Symptomen bestand, während andererseits in sehr ernsten, durch mehrfache Complicationen beschwerten Fällen, der Harn öfters 1006 wog und sich nie über 1016 erhob. Hier war eben der Gehalt des letzteren an festen Bestandtheilen, Salzen, Harnstoff, Extractivstoffen ein geringer. Ebenso wenig ist der hohe Zuckergehalt in jeder Phase des Leidens der adäquate Ausdruck für die Schwere des Falles, da ich nicht selten beobachtete, dass der un- mittelbar nach Ankunft der Patienten in Carlsbad ausserordentlich grosse Zuckerreichthum des Harns schon nach 2—3 Tagen auf wenige Zehntel Procent zurückging, welche Thatsache nicht als Beweis für die rapid eingetretene Besserung eines schweren Leidens verwerthet werden kann, sondern unzweifelhaft dafür spricht, dass die hohen Zuckerprocente, so zu sagen die acuten Folgen der Anstrengung der Reise und der während derselben beobachteten ungeeigneten Diätführung waren, die nach Her- stellung passender diätetischer Verhältnisse, den ursprünglich leichten Fall wieder hervortreten liessen. Einen intermittirenden, d. h. einen Diab. mit deutlich eingehaltener Periodieität der Glycosurie hatte ich zu be- 24 Jahres - Bericht obachten keine Gelegenheit. Von den im diabetischen Harne häufiger beobachteten abnormen Stoffen ist besonders das Eiweis und die aceton- sebende Substanz (Diacetsäure) hervorzuheben. Albumin constatirte ich in 15 Procent aller Fälle, wobei sich meist mit voller Bestimmtheit die Abwesenheit corpusculairer Elemente ergab. Nur in 4 Fällen fanden sich in dem eiweishaltigen Zuckerharn mor- photische Bestandtheile und dieses waren sicher diagnostieirte, chronische Nephritiden mit ihren destructiven Consequenzen. Zwei Patienteu dieser Kategorie gingen nach 7- bis Sjähriger Dauer ihres Diab. urämisch zu Grunde. Ein vorübergehendes Verschwinden des Albumins habe ich öfters — ein dauerndes nie beobachtet. Die Untersuchung auf Aceton ergab seine Anwesenheit bei 8 pCt. meiner Kranken. Ich muss aber ausdrücklich hervorheben, dass seine Existenz im Harne, die wohl ge- eignet scheint, die Gefahren der Acetonämie und des Coma diabeticum zu constituiren, mir nicht immer eine prognostische Stütze war, da ich den in Rede stehenden Stoff in einer Reihe leichterer diabetischer Er- krankungen und selbst nach dem Verschwinden des Harnzuckers habe nachweisen können, während er bei anderen durch ihren deletairen Ver- lauf als schwerer Diabetes charakterisirten Fällen, vollständig fehlte. — Was nun die Symptome des Diab. betrifft, so habe ich bereits erwähnt, dass zuweilen der Durst und die Polyurie oder eines von Beiden fehlen. Wo sie aber, wie meist der Fall, bestanden, konnte man ihre Verminderung, oder ihr völliges Aufhören mit der Abnahme resp. der Beseitisung der Zuckerausscheidung in folgerichtisem Zusammenhange stehen sehen. Auch der Heisshunger gehört nicht zu den steten Be- sleitern des Diab., er ist vielmehr zumeist nur in den schweren Er- krankungsfällen vorhanden. Von meinen Patienten klasten 22, also 10,5 pCt. über denselben, während 31 an Dyspepsie, Appetitlosigkeit litten. Die bei Diabetikern häufig bestehende Stuhlverhaltung dürfte auf die animalische Diät zurückzuführen sein und wird ohne wesentliche Belästigung eine Zeit lang ziemlich gut ertragen. Jedenfalls ist sie tolerabler als das Eintreten von Diarrhoen, die leicht allgemeine Schwäche- zustände erzeugen. Die äussere Erscheinung der Diabetiker zeigt kein eigenartiges patho- snomonisches Gepräge. Eine grosse Zahl derselben unterscheidet sich in ihrem Aussehen durchaus nicht von gesunden und zuweilen recht kräftigen Menschen, und die Schwerkranken unter ihnen bieten eben das Bild allgemeiner Hinfälligkeit und Deerepidität. Die besonders in schweren Fällen trockene und rauhe Haut ist in anderen sehr seeretionstüchtig. Eines der häufigeren Symptome ist das oft auf keine exantematische Eruption zu beziehende Hautjucken, Zuweilen stellt sich hartnäckiges Eezem ein und dass Phlegmone, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. IS) d Furuneulose und Carbunculose, dass Neigung zu Gangrän, besonders der vom Circulationscentrum entfernten Punkte, zumeist der Zehen, aber auch einzelner Hautpartieen des Rumpfes, dass eine erhöhte Vulnerabilität und eine verringerte Regenerationskraft der Haut, vorzüglich den derma- tologischen Symptomencomplex constituiren, ist heut jedem Arzte eine bekannte Thatsache. Wie oft wird aus einer der vorgenannten Er- scheinungen, wie oft aus einem ungewöhnlich protrahirten Heilungs- verlauf einer nicht auf luetischer Basis bestehenden Excoriatio penis — wie oft, um auch das hier anzuführen, aus dem mit so lästiger Beschwerde einhergehenden Pruritus vulvae allein die sichere Diagnose auf Diab. mellitus gestellt. In beträchtlichem Grade scheinen die Lungen den verheerenden Einwirkungen des Diab. ausgesetzt zu sein. Chronische Pneumonien, Infiltrationen und nekrotischer Zerfall des Lungenparenchyms, Gangraena pulmonum, Cavernen und die Phthisis pulmonum sind jene traurigen Eventualitäten, auf die der Diabetiker die begründetste Anwartschaft hat. Ungefähr 12 pCt. meiner Diabetiker sind bis jetzt der Lungen- phthise verfallen, von denen °, dem Leiden bereits erlagen. Dass übrigens die Phihise der Diabetiker eine bacilläre sein könne, wurde in neuester Zeit vielfach festgestellt. Störungen des Sehvermögens sind eine von Diabetikern überaus häufig geführte Klage — mindestens die Hälfte derselben ist in der einen oder anderen Richtung augenkrank. Allerdings stellen Accomo- dationsstörungen hierzu das grösste Contingent; bei mir waren es 85 pCt. Die Amblyopie,‘) d. h. jene Herabsetzuug der Sehschärfe, die ohne ophtalmoskopisches Substrat, nach vorausgegangenen Ermittelungsver- suchen mit Convexgläsern, als solche erkannt wurde, war in 5 pCt., die Cataraeten in 4, die Retinitis in nicht ganz 3, Lähmung des Ab- ducens in 1,5 pCt. zur Beobachtung gekommen, während Blutung in den Glaskörper in einem Falle erweislich war. In einem auffallenden Con- traste zu diesen Ermittelungen stehen die Zahlenangaben, die Gole- zowski‘) vor Kurzem gemacht hat. Nach seiner Aufstellung hätte ihm der Diab. 31 pCt. Cataracten, 21 pCt. Amblyopien, 19 pCt. Reti- nitiden und 7 pCt. Paralysen geliefert. Ich befinde mich ausser Stande, diese Dilierenz aufzuklären, die wohl dadurch eine noch erhöhtere wird, dass er auch Conjunctivitis, Keratitis, Lritis, Glaucom in nicht unerheb- lichen Procentsätzen auf diabetischer Grundlage beobachtet hat, ') Prof. Hermann Cohn: Amblyopie bei Diabetes (Archiv für Augen- und Ohrenheilkunde). ”) Le Diabete en pathologie oculaire, besprochen im Centralblatt für klin, Medicin No. 24. 18853. 36 Jahres - Bericht möchte aber meinen, dass diese Angaben nicht ganz unbefansen und nicht frei von wissenschaftlichem Chauvinismus erscheinen. „Der Ver- fasser kann sich nicht enthalten, der deutschen ophtalmologischen Schule den Vorwurf der Negation in Betreff des Einflusses allgemeiner Körper- diathesen auf das Auge zu machen“.') Die mit den Diabetes einher- schenden Alterationen des Nervenlebens zeigen einen mannigfach aus- gestalteten Symptomencomplex. Auf den Zusammenhang gewisser Gehirnkrankheiten, wie Hirntumoren, Epilepsie, Gehirnapoplexie, trau- mat. Einwirkungen, Psychosen u. a., ist man schon seit lange aufmerk- sam. Man hat aber auch Gelegenheit, mancherlei nervöse Störungen zu beobachten, die ohne erweisliches Fundament einer centralen Local- erkrankung verlaufen. Hyperästhesien, Anästhesien, Parästhesien und unter letzteren besonders cutane Kälteempfindung sind häufige Be- schwerden der Diabetiker. Allein die eindringliche Betonung des Zu- sammenhangs von Diab. und Neuralgien ist eine Errungenschaft neuerer Beobachtung. Sie gelangte auch in dieser Gesellschaft ”) wiederholent- lich zur Besprechung und ich verdanke Herın Prof. Berger die Kennt- niss einiger Fälle, in denen lediglich aus der Intensität und dem pro- trahirten Verlaufe der Neuralgien die Diagnose auf Diabetes gemacht worden war. Unter meinen Patienten befand sich eine beträchtliche Zahl, die über dumpfen Druck und Schmerz im Kopfe, geistige Apathie, Gemüthsverstimmung, Schlaflosigkeit, Gedächtnissschwäche, Aphasie klagten; Beschwerden, die nicht nur nicht immer das gleiche Inten- sitätsniveau behaupteten, sondern die zuweilen völlig zurücktraten und verschwanden. Das Vorhandensein diffusser oder distineter Kopf- schmerzen gaben eirca 10 pCt. an, an Neuralgia quinti litten 2,5 pCt., an Ischias 5 pCt., an Oceipital- und Brachial-Neuralgie je 1,5 pCt. und an Neuralgia sacralis 1 Patient. Endlich hatte ich bei einem meiner zu Exaltationszuständen disponirten Pflegebefohlenen Gelegenheit, als Folge einer wahrscheinlich durch Insolation bewirkten hochgradigen Reizung der psychosensoriellen Sphäre, hallueinatorische Delirien von mehrtägiger Dauer zu beobachten. In die Kategorie der nervösen Symptome gehört auch die Abnahme oder das Erlöschen der sexuellen Potenz, in vielen Fällen schon ein initiales Symptom. Ich habe diese regressive Erscheinung ungefähr bei 20 pCt. beobachtet; die Cession der Menses war bei einer Patientin mit dem in ihrem 29, Lebensjahre nach- weislich aufgetretenen Diabetes zusammengefallen, So sehr man also nach dem eben Angegebenen berechtigt ist, die pathognomonische Bedeutung des letzt erwähnten Symptoms zu wür- digen, so muss doch bemerkt werden, dass in einigen Fällen nicht nur ı) Ebenda. 2) Bresl. Aerztl. Zeitschrift 1882, Nr. 24. ul a u, ’ . der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 97 die sexuelle Vollkraft, sondern sogar eine Steigerung derselben be- stimmt versichert wurde. Störungen der Motilität, Muskelschwäche, ataktische Unsicherkeit, Müdigkeitsempfindung, ohne vorausgegangene Anstrengung, sind in vielen Fällen eonstante Aeusserungen des Leidens. Thatsächlich gewährt bis- weilen das Symptom der verringerten Muskelenergie den einzigen Anhalt für die Diagnose. Herr L., ein Mann von kräftigem Körperbau, sehr sut entwickelter Musculatur und trefflicher Ernährung, erblich nicht be- lastet, in keiner Weise subjectiv leidend, begleitete seine Schwester nach Carlsbad, um ihr während ihres dortigen Kurgebrauchs beizu- stehen. Auf das wiederholte Andringsen der letzteren, ihren Bruder, da er doch einmal in Carlsbad sei, zu einer Kur zu veranlassen, schritt ich eines Tages zur Exploration desselben. Alle meine Bemühung, einen Stützpunkt für die von mir geforderte Verordnung zu gewinnen, scheiterte an der Unmöglichkeit, in irgend einem Organe einen patho- logischen Vorgang zu entdecken. Bei diesem Examen kam ich auf das Kapitel der Muskelenergie und erfuhr, dass Herr L. bei der Ausführung seiner gewohnten weit ausgedehnten Spaziergänge, im Gegensatze zu früher, eine leichte Ermüdung verspürte. Dieses wäre aber, so fügte er erläuternd hinzu, wohl nur die Folge seiner 52 Lebensjahre und der tüchtigen Arbeit, die er während eines mehrjährigen Aufenthalts in Amerika geleistet hätte. Ich forderte seinen Urin — und fand 2,1 Zucker. Im Allgemeinen ist zu sagen, dass der ganze Complex der dia- betischen Symptome wohl selten, oder nie vereint anzutreffen ist, und dass selbst in den schweren Fällen das eine oder andere Krank- heitszeichen fehlt. Oft genug sind die Symptome so verschleiert und wenig ausgeprägt, dass man nur durch kaum zu motivirende subjective Combination zur Erkennung der Krankheit geführt wird. Der Verlauf des Diab. gestaltet sich ebenso wie seine Dauer in versehiedenen Fällen verschieden. Jene Fälle, die sich gewissermassen durch ein Minimum urgirender Symptome auszeichnen — welche vielleicht schon geraume Zeit bestanden, bevor sie dem Kranken zum Bewusst- sein kamen — und ich habe Fälle gesehen, die sozusagen eine drei- jährige Latenz besassen — repräsentiren eben einen milden Grad der Krankheit. In anderen, schon frühzeitig erkannten Föllen behaupteten die charakteristischen Symptome, bei angemessener Haltung der Patienten, eine zeitlang ein niedriges Niveau resp. befanden sich dieselben leidlich wohl, während endlich in einer dritten Reihe die Krankheit im rapi- desten Tempo zur traurigen Katastrophe führte. Der Tod trat je nach der diabetischen Affeetion der verschiedenen Organe ein in Folge von acuter Herzschwäche, Marasmus, Gangrän, Phthisis, destructiver Ne- phritis, Gehirnapoplexie und Coma diabeticum. Eine genaue Mortalitäts- 28 Jahres - Bericht statistik bin ich bei der Eigenartigkeit meiner Praxis, die es ja bedingt, dass ich einen Theil meiner räumlich zerstreuten Patienten aus dem Gesichtskreise verliere, zu geben ausser Stande. Soviel ich ermitteln konnte, starben an Phthisis pulmonum bis jetzt circa 8 pCt., an Maras- mus 6’/, pCt., an Apoplexie 3 pCt., an Nephritis und Coma diabeticum je 1 pCt. In Carlsbad starben mir während meiner achtjährigen Berufs- ausübung 2 Diabetiker und zwar ein Patient an foudroyanter Apoplexia cerebri und eine Patientin an Coma diabeticum. Diese letzte war von der Reise ungewöhnlich ermattet, nahezu erschöpft, am 24. Mai 1882 in die Kur getreten. Die Untersuchung des Urins ergab ein speei- fisches Gewicht von 1032, sowie 6 pCt. Zucker und erhebliche Mengen von acetonbildender Substanz. Schon am nächsten Tage klagte sie über intensiven Kopfschmerz, über Athemnoth und grosse Schwäche und wenige Stunden später stellten sich verlangsamender Athmungstypus, kleiner frequenter Puls, kühle Hauttemperatur, schwerer Collaps und Somnolenz ein. Sehr bald folste Coma, worauf in kurzer Zeit der Tod eintrat. Der ganze Vorgang dauerte 18 Stunden. Dass hier eine intoxicative Schädlichkeit eingewirkt hatte, wobei ich unerörtert lasse, ob das Intoxieationsagens Aceton oder Diacetsäure oder Acetessissäure war, war klar ersichtlich. ‘ Das Bild erinnerte an die Urämie, unterschied sich aber von derselben unter anderem äusserst prägnant durch das be- kannte Ausströmen eines mit der Exspirationsluft vermischten Essig- geruchs von solcher Intensität, dass nicht nur das Krankenzimmer mit demselben für längere Zeit angefüllt war, sondern auch die Kleider der um die Kranke beschäftigten Personen noch nach Tagen, wie mit Essig imprägnirt, rochen. Ich würde dieses in seinem klinischen Verhalten durchaus nicht ungewöhnlichen Falles nicht so specielle Erwähnung gethan haben, wenn ich nicht geglaubt hätte, an denselben die immer- bin bemerkenswerthe Betonung der Thatsache knüpfen zu sollen, dass das ausgebildete Coma diabeticum eine nicht eben häufige Even- tualität des Diab. ist und dass, wie auch von anderer Seite hervor- sehoben wurde, der Ausbruch des Coma zum Theil auf allgemeine, in diesem Falle, durch Reiseanstrengung bewirkte, Erschöpfung zurück- zuführen wäre. Die Dauer des Diab. ist äusserst variabel. Der kürzeste Zeitraum vom wohl verbürgten Besinne der Krankheit bis zum Tode betrug nach meiner Beobachtung ein Jahr, der längste 20 Jahre. Für die Richtig- keit dieser letzten Angabe kann ich umsomehr einstehen, als ich selbst im Sommer des Jahres 1863 bei der in meinem früheren Heimathsorte wohnhaften Patientin den Diab. constatirt hatte, Letztere besass übrigens einen seltenen Grad von Widerstandskraft, da sie nicht nur an den häu- figeren, sondern auch an mancherlei aceidentellen diabetischen Be- schwerden gelitten hat. So wurde sie an Cataracta diabetica vom ee der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 39 Collegen Jany erfolgreich operirt und hat zweimalige Ausbrüche schwerer Carbunkelattaquen glücklich überstanden. Sie ging vor wenig Wochen marantisch zu Grunde. Patienten, bei denen die Krankheit erwiesener- massen 10 Jahre und darüber besteht, sind durchaus nicht selten. Von begreiflich hohem Interesse ist die Prognose und es scheint mir hier der Ort zu sein, um die vereinzelt behauptete Heilbarkeit des Diab. zu berühren. Nach meiner Ueberzeugung ist der Diab. unheilbar und früher oder später verfällt der Zuckerkranke dem ihm durch die Krankheit sicher bereiteten Untergang. Die längste Befreiung von der Zuckerausscheidung währte in einem meiner Fälle 2'/,, in einem zweiten drei Jahre. Die in diesen beiden Fällen geheste Hoffnung auf dauernde Heilung erwies sich als trügerisch. In einem dritten Falle ist die im Sommer 1879 in Carlsbad fortgebliebene Glycosurie bis zu diesem Augenblicke noch nicht wiedergekehrt. Die Immunitätspause dauert also hier vorläufig ca. 4°/, Jahre. Drei Momente sind es, die in bestimmtester Weise die Prognose bedingen. Das ist in erster Reihe das jugendliche Alter der Patienten. Sämmtliche mir anvertraut gewesenen Diabetiker im Alter bis zu 22 Jahren erlagen nach einer Krankheitsdauer von längstens 2 Jahren ihrem Leiden. In zweiter Reihe sind es die gewohnheitsmässigen Con- sumenten übergrosser Mengen von stärkemehlhaltiger und süsser Kost, sowie die Armen, die die kostspielige antidiabetische Diät nicht zu erschwingen vermögen. Der Diab. ist eine Krankheit für Wohlhabende und daher sehen wir besser situirte Kranke, welche sich die ihrem Leiden zusagende Nahrung in schmackhafter Abwechslung zu bieten vermögen, nicht nur kräftiger, sondern länger erhalten. Als dritten prognostischen Factor endlich müssen wir den Grad der herabgesetzten Widerstandskraft des mit Diab. behafteten Organismus gegen das An- dringen gesundheitsschädlicher Einflüsse bezeichnen. Wie oft sehen wir äussere oder innere Krankheiten, denen zumeist ein milder Cha- rakter innewohnt, bei dem Diabetiker einen deletairen Verlauf nehmen. Solche Kranke sind eben exponirter als andere und stets von Gefahren umringt, die in erhöhtem Masse die Besorgniss einer verhängnissvollen Katastrophe rechtfertigen. Andererseits aber ist zu bemerken, dass es in einzelnen Fällen doch wohl gelingt, die mit schweren Symptomen einhergehende Erkrankung in ihrem drohenden Verlaufe aufzuhalten und zu einem milderen Ver- halten zu zwingen, vorübergehende Besserungssymptome, die momentan die Prognose günstig beinflussen. Die Besprechung der Therapie, die bekanntlich in eine medicamen- töse und diätetische zerfällt, muss ich mit dem Bekenntniss einleiten, dass wir ein antidiabetisches Speeifieum nicht besitzen und dass alle 30 Jahres - Bericht entgegenstehenden Empfehlungen sich sehr bald als unhaltbar erwiesen. Als eines der wirksameren Medicamente ist immer noch das schon von Rollo empfohlene, als Sedativum wirkende, den Stoffwechsel verlang- samende und die sekretorische Thätigkeit einschränkende Opium zu nennen. Analog der Abnahme der Harnmenge, stellt sich unter seinem Gebrauche eine Verringerung der Zuckerausscheidung ein, welche letztere vorübergehend vollständig verschwinden kann. Die Erfahrung lehrt aber, dass mit der Aussetzung des Mittels, für welches übrigens der Diabetiker meist eine hohe Toleranz besitzt, da Tagesdosen von 0,3 ohne Beschwerde vertragen werden, auch sein Effect sich allmählich verliert. Demnächst möchte ich die von Ebstein und Müller empfohlene Carbol- säure und die ihr in gewissem Sinne nahestehende Salicylsäure, sowie die von Cantani vorgeschlagene Milchsäure um deswillen erwähnen, weil ich in einzelnen Fällen, in denen ich neben dem Carlsbader Kur- sebrauch zur Anwendung eines Medicaments veranlasst war, von dem einen oder anderen der genannten Mittel einigen Nutzen beobachtete. Speciell muss ich eines Falles aus der letzten Saison Erwähnung thun, in welchem die Verabreichung der Milchsäure — von welcher an- genommen wird (Cantani, Pawlinoff), dass sie, indem sie sich selbst als leichter verbrennbar und angriffsfähig in den Stoffwechsel einführe, den Verbrauch der Eiweissstoffe hintanhalte — einen in die Augen springenden Wendepunkt zum Besseren zu bewirken schien. Der Fall war ein schwerer, da er vor circa 6 Wochen plötzlich auftretend, gleich mit intensiven diabetischen Symptomen einsetzte. Polydipsie, Polyurie (5000 cem Harn in 24 Stunden), hochgradige Dyspepsie, Abmagerung (12 Pfund Gewichtsverlust), Gedächtnissschwäche, Amblyopie, grosse Prostration der Kräfte und trotz der Einleitung strenger animalischer Diät und einer entsprechenden Brunnenkur, eine Steigerung von initialen 4 pCt. auf 5,5 Zucker. Vom 17. Mai ab, an welchem Tage die letzt- genannte Zuckermenge constatirt wurde, erhielt er täglich 3mal 1 gr Milchsäure und hatte am 20. Mai 5 pCt, am 24 Mai 3,5 und 5 Tage später 0,5 Zucker. Alle diabetischen Beschwerden waren geringer ge- worden, vor Allem hatte sich der Appetit gehoben und Patient zog mit sichtlich frischen Kräften in die Heimat. Auch das Brom und seine Präparate, insbesondere den Bromarsenik, sowie das von Moleschott empfohlene Jodoform habe ich wiederholt subsidiär in Anwendung ge- zogen, ohne jemals einen Effeet beobachtet zu haben. Die Bedeutung des Carlsbader Wassers in dem antidiabetischen Heil- schatze ist, trotzdem demselben eine souveraine Heilkraft nicht vin- dieirt werden kann, seit geraumer Zeit anerkannt und sewürdigt. Gegen die Behauptung, dass die Hoffnung auf Heilung des Diabetes durch das Carlsbader Wasser allein zuweilen eine Illusion ist, wird sich kaum der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 31 eine kritisch unanfechtbare Polemik führen lassen. Im Allgemeinen, also in der Mehrzahl der Fälle, richtet man durch die Verordnung, des letzt- genannten Mittels einen günstigen therapeutischen Effect aus, wenn das- selbe mit der animalischen Diät kombinirt wird. Nichtsdestoweniger ist es eine durch vielfache Erfahrung verbürgte Thatsache, dass die Ver- bindung der Carlsbader Wässer mit der Fleischdiät in vielen Fällen nothwendig ist, und dieses überall da, wo Dyspepsien und andere Erscheinungen von Verdauungsstörungen bestehen. Ja, ich glaube be- haupten zu dürfen, dass in einzelnen Fällen die Durchführung einer strieten animalischen Diät, gegen welche sich gar nicht selten sehr bald Abnei- sung und Widerwille einstellen, durch die Verbindung mit unseren Wässern geradezu ermöglicht wird. Dass es übrigens auch Fälle giebt, in denen die Carlsbader Thermen für sich allein und ohne Unterstützung durch die Diät im Diabetes positiv Günstiges leisten, wird von erfahrenen und zuverlässigen Collegen des genannten Orts versichert. Ich selbst möchte als instructiven Beitrag zu dieser, auch von mir getheilten An- schauung auf die Krankengeschichte gerade eines, einer Anzahl hiesiger Collesen wohlbekannten Diabetikers hinweisen, der trotz sonstiger hoher Intelligenz nicht die Willenskraft gewinnen kann, seine ausschliessliche Vorliebe für stärkemehlhaltige und süsse Kost zu überwinden. Seine Diätführung ist selbst in Carlsbad die denkbar irrationellste und trotz- dem ist die vorübergehende Beseitigung der Zuckerausscheidung bis auf eine minimale Spur das jedesmalige Kurergebniss. Uebrigens spricht die sehr verbreitete und von vielen Aerzten executirte therapeutische Maxime, fast in jedem Falle diabetischer Erkrankung primo loco das Carlsbader Wasser zu verordnen, sowie überhaupt die grosse Zahl der alljährlich nach Carlsbad pilgernden Diabetiker, und unter ihnen viele, die den Heilort immer wieder aufsuchen, für dessen Wirksamkeit. Auch ist der Werth des Aufenthaltes an einem, durch seine landschaftlichen Reize und hochentwickelten balneologischen Einrichtungen so bedeut- samen Orte, für die günstige Beeinflussung der Krankheit nieht zu unter- schätzen. Haben doch einzelne Aerzte in diesen badehygienischen Mo- menten das wichtigste therapeutische Agens urgirt. Von unbestreitbar srossem Nutzen ist die durch alle örtlichen Einrichtungen erleichterte Direetion der Patienten in diätetischer Beziehung. An den Aufenthalt in Carlsbad knüpft sich für viele Diabetiker der Beginn einer rationellen Lebensordnung. Dort lernen sie sich richtig ernähren, in Enthaltsamkeit sich zu üben und die ihnen so nützliche, bis dahin vielleicht vernach- lässiste Muskelbewegung zu betreiben. Was nun die animalische Diät anbetrifft, so ist es eine täglich sich mehrende Erfahrung, dass dieselbe in zu excelusiven Grenzen gehalten und über einen langen Zeitraum aus- sedehnt, sehr häufig von dem Patienten nicht vertragen und zurück- gewiesen wird. 32 Jahres - Bericht „Mit reinem Fleisch — sagt Landois') — ist der Mensch nicht im Stande, das Gleichgewicht seines Stoffwechsels aufrecht zu erhalten; zu einer solehen Nahrung dauernd gezwungen, würde er unbedingt unter- liegen müssen.“ Daher sehen wir denn auch bei einer sehr strengen und andauern- den Durehführung dieser Diät meist zwar den Zucker verschwinden, aber auch die ganze Reihe dyspeptischer Beschwerden, Magenkatarıh, Diar- rhoen, fortschreitende Abmagerung und Inanitionserscheinungen sich ein- stellen, welche in ihren deletairen Wirkungen meist nachtheiliger sind, als ’die eigentliche Krankheit, daher sehen wir die Phänomene der Acetonämie auftreten, welche als ein occasionelles Moment des Coma diabeticum durchaus gewürdigt zu werden verdient. In dieser Beziehung sind die von Jänicke?) veröffentlichten 6 Fälle äusserst lehrreich, da man an der Hand der von demselben geübten sorgfältigen Beobachtung sich zu überzeugen Gelegenheit hat, dass die eingeleitete Fleischdiät auf die Zunahme der Aceton gebenden Substanz und die Entstehung des Coma von direetem Einflusse war. Auch Ebstein?°) berichtet von einem an die Einleitung der Fleischdiät sofort sich anschliessenden Coma, das nach Wiederverabreichung gemischter Kost schnell und glücklich vor- überging. So wird es sich denn allmählich zur ärztlichen Maxime herausbilden müsssen, von der dauernden Durchführung exelu- sıver Fleischdiät im Diabetes abzusehen und die Ernährung des Diabetikers vorübergehend wohl dureh striete Fleisch- kost, im Uebrigen aber durch eine mehr gemischte Kost allerdings mitvorwiegender Berücksichtigung der Nhaltigen Nahrung zu bewerkstelligen. Es wird eben Sache des behandelnden Arztes sein, die Diät dem jeweiligen Stande der Krankheit anzupassen und je nach der Indieation bald strengere, bald laxere diätetische Verfügungen zu treffen und so wird es, wie die Erfahrung lehrt, gelingen, den Patienten bei relativem Wohlbefinden recht lange zu erhalten. In einem anderen Punkte aber noch ist meines Erachtens eine kemedur anzustreben und zwar in der Redueirung der Menge der dem Diabetiker zu gestattenden Nahrung. Viele Diabetiker essen in der That zu viel, d. h. mehr als ihre Verdauungsorgane bewältigen können, und assimiliren weniger, ‚als sie sollten, und die dyspeptischen Folgen ihrer Unmässigkeit bleiben nicht ohne Wirkung auf ihr Gesammtbefinden. ') Landois Physiologie des Menschen 8. 449. “) Aus der Klinik des Herrn Geh. Medieinal-Rath Dr. Biermer: Beiträge zur sogenannten Acetonämie bei Diabetes mellitus. °) Ueber Drüsenepitelsnekrose bei Diab. mellit. ) mit besonderer Berück- sichtigung des diabetischen Coma. x der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ° 33 Es ist vielleicht das einzige Verdienst des früheren Hamburger Special- arztes v. Dühring, der den Diabetes mit Reis, Buchweizengrütze, ge- trocknetem Obst und etwas Fleisch zu heilen glaubte, unter Hinweisung auf den Satz, dass: auch der Diabetiker nicht von dem lebe, was er geniesse, sondern von dem, was er verdaue, der Einschränkung der Nah- rungsmenge das Wort geredet zu haben. Auch Ebstein'), Cantani?), Ewald°) u. A. erachten gleichfalls die Beschränkung der Nahrungs- zufuhr auf das Nothwendigste für das wichtigste Kriterium in der Auf- stellung der Diabetestherape. Wenn Bouchardat') bei drei Dia- betikern während der letzten Belagerung von Paris beobachtete, dass sie bei fast vollkommener Abstinenz von Fleisch den Zucker aus dem Harne verloren, so war dieses ebenso die Folge der durch die erschwerte Verproviantirung bewirkten unzureichenden Ernährung überhaupt, wie es Pavy, Tscherinoff u. A. durch das Hungerexperiment nachgewiesen haben und wie ich es gerade jetzt bei einem langjährigen Diabetiker zu erfahren Gelegenheit hatte. Bei diesem Patienten, der in den letzten Jahren kaum unter 4 pCt., oft aber über 6 pCt. Zucker mit dem Harne entleerte, machte sich im Gefolge eines sich eben jetzt abwickelnden, acuten, eine Zeit lang mit hohem Fieber einhergehenden Lungenleidens ein vollständiges Darniederliegen jeglichen Nahrungsbedürfnisses geltend. Die während und kurz nach der mindestens 14 Tage dauernden Nahrungs- abstinenz des öfteren vorgenommene Harnuntersuchung ergab 0,1 Zucker, welcher Procentsatz sich jetzt, nach wieder erwachender Esslust und vermehrtem Genusse, zu heben beginnt, um, wie ich überzeugt bin, früher oder später die vorige Höhe wieder zu erreichen. Eine von allen mit Diabeteskranken beschäftigten Aerzten stets wahr- genommene Calamität liest in der Schwierigkeit der Beschaffung eines schmackhaften und unschädlichen Brotes. Ein Stück Roggenbrot bildet das stereotype Verlangen der meisten Diabetiker, und alle Surrogate, wie Kleien-, Inulin-, Mandel-, Kleberbrot, von welchem letzteren übrigens das aus Frankreich importirte nach Birnbaum 32,8 pCt. — das in Carlsbad feilgebotene nach Müller 32,4 pCt., das aus Mannheim stam- mende 12 pCt. Stärkemehl enthält, sind ebenso wenig geeignet, das Verlangen des Patienten zu befriedigen, wie seiner rationellen Er- nährung zu dienen. Ich trage daher kein Bedenken, meinen Patienten eine mässige Menge Roggsen- oder Weizenbrot, die die Tagesportion von 120 Gramm selten übersteigt, zu gestatten, und kann versichern, dass ich nieht oft in die Lage kam, diese Concession zu modifieiren oder ) Ebstein: Das diätetische Regimen beim Diab. mellitus. Erbantanı a, 22 0r =) Ewald a. a.:0. ?) Bouchardat: de la Glycosurie. Paris 1875. 1884. 34 j Jahres-Bericht sar zurückzunehmen. — Ich enthalte mich der speciellen Anführung aller der zum Speisezettel der Diabetiker gehörigen Nahrungs- und Genuss- mittel. Einmal sind dieselben bekannt und in jedem Handbuche über Diabetes in extenso zusammengestellt; dann aber halte ich die Aufstellung eines allgemein verwendbaren, schematischen Ernährungsrecepts für un- praktisch. Die Schwere des Falles, seine Individualität, die materielle Bemittelung des Patienten — diese und ähnliche Motive werden bei der Bestimmung des Ernährungsdetails immer entscheidend sein. ‚Ich möchte noch auf die, wegen ihres bei einer Gruppe von Dia- betikern erweislichen Erfolges, anerkannte Wichtigkeit. methodischer Muskelbewegung aufmerksam machen. Dass die Muskeln Glycogen und Zucker enthalten und dass diese Stoffe durch Muskelarbeit aufgebraucht werden resp. verschwinden, indem sie analog der allgemeinen Stoff- wechselmetamorphose in Fleischmilchsäure, Kohlensäure und Wasser umgewandelt werden, ist eine durch das Experiment constatirte That- sache, auf welche einige Aerzte eine durchaus nicht erfolglose Behandlung des Diabetes basirten. Es giebt in der That Diabetiker, bei denen energische Muskelaction den Zucker zum Verschwinden bringst, selbst wenn, worauf es ja bei der Würdigung eines antidiabetischen Mittels besonders ankommt, die gleichzeitig eingehaltene Diät eine reichlich amylaceenhaltige war. Ich habe auf Anregung des um die Lehre des Muskeldiabetes sehr verdienten Collegen Zimmer!) in Carlsbad schon vor 4 Jahren bei einigen Patienten den Versuch gemacht, die Trinkkur mit ausgiebiger Körperbewegung, ohne Diätbeschränkung, zu com- o) biniren. Der Erfolg war zum Theil ein überraschend günstiger. Trotz reichlicher stärkemehlhaltiger Kost — selbst der Zuckergenuss war ge- stattet — verschwand der Zucker aus dem Harne zweier Patienten, nachdem dieselben weite und zum Theil beschwerliche Bergtouren zurück- gelegt hatten, und mit ihm die diabetische Symptomatologie ziemlich nachhaltig. Allerdings handelte es sich hier um leichtere Affeetionen bei noch kräftigen Individuen. In zwei anderen Fällen, die sich als schwere Erkrankungen manifestirten, blieb dieser Erfolg nicht nur aus, sondern es trat in Folge der Muskelanstrengung eine Verschlimmerung des Zustandes ein und es musste angesichts der wachsenden Inanition von dieser Heilmethode Abstand genommen werden. Zum Schlusse noch ein Wort über den Gebrauch von Bädern beim Diabetes, Dass die Pflege der Haut, die ja so oft im Diabetes der Sitz pathologischer Vorgänge ist, eine Hauptaufgabe für die Behandlung bildet und dass zur Erreichung jenes Zieles Bäder ein sehr geeignetes Mittel sind, bedarf keiner eingehenden Motivirung. Die in Carlsbad zur Ver- n 37; m ) Zimmer: Die Muskeln eine Quelle, Muskelarbeit ein Heilmittel bei Jiabetes, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 35 wendung gelangenden, je nach der Individualität des Kranken temperirten und durch mancherlei Zusätze im Bedarfsfalle adaptirten Thermalbäder werden i. A, gut vertragen und sind eine werthvolle Stütze für die Trinkkur. Aber auch die, zum Theile noch anderen Indieationen dienende An- wendung hydrotherapeutischer Manipulationen ist im gegebenen Falle nützlich und neben der Carlsbader Kur wohl ausführbar; ich habe wiederholt dieselben in Gebrauch gezogen. Auch den günstigen Effect der Seebäder hatte ich hier und da wahrzunehmen Gelegenheit. Für ihre Verordnung an Diabetiker werden wohl die nämlichen Cautelen in Bezug auf die Integrität der edlen Organe, wie bei anderen Patienten zu be- obachten sein. In der an den Vortrag sich schliessenden Discussion bemerkt Herr Jany, dass Herr Wollner in seinem Vortrage auch erwähnt habe, dass der Procentsatz an Kataraktösen bei den von ihm behandelten Dia- betikern nur 4 pCt. betrage, während beispielsweise Galezowski, ein Pariser Augenarzt, in einer neulichen Publication 31 pCt. anführt. Herr Wollner weiss sich diese höchst auffallende Differenz der Angabe Gafezowski’s von der seinigen nicht zu erklären. „Hierzu möchte ich, sagt Herr Jany, zunächst bemerken, dass die Angaben Seegen’s (4 pCt.) über die Häufiskeit der diabetischen Katarakt ebenfalls sehr differiren von denen v. Gräfe’s (25 pCt.). Die Erklärung hierfür finde ich in dem Umstande, dass einzelne Autoren jede Katarakt, die sie namentlich bei älteren Diabetikern vorfinden, als eine diabetische ansprechen. Dies ist aber nieht ganz richtig, wie ich schon vor 4 Jahren in einer Arbeit, die im Knapp’schen Archiv für Augenheilkunde er- schienen ist‘), hervorgehoben habe. Man sollte nicht jede Katarakt eines Diabetikers mit seinem Diabetes in einen bestimmten ätiologischen Zusammenhang bringen. Denn einmal lässt sich in den bei Weitem meisten Fällen schwer erweisen, ob die Katarakt oder der Diabetes eher dagewesen, sodann aber zeichnet sich die Katarakt älterer Diabetiker durch keine besonderen Eigenthümlichkeiten aus vor der Katarakt an- derer gleichaltriger, diabetesfreier Individuen, Ich habe wenigstens bis jetzt in der Erscheinungsform einer Katarakt, die ich zufällig bei einem älteren Diabetiker vorfand, bestimmte Criterien für den diabetischen Ursprung derselben nie auffinden können, weshalb ich mich auch Becker's Ansicht vollkommen anschliesse, dass sich bei ältern Leuten aus dem äussern Aussehen eine diabetische Katarakt nicht erkennen lässt. Die echte diabetische Katarakt kommt nur bei jugendlichen Individuen vor (mach Förster?) etwa bis in die Mitte der 20er Jahre) und ist sehr SP BandVIHS: 272. 2) Gräfe- Saanisch. Handbuch der ges. Augenheilkunde Bd. VII, 8. 220. 2% oO 96 Jahres - Bericht .) selten. Ich habe bis jetzt unter den in meiner Klinik behandelten fast 61000 Augenkranken echte diabetische Katarakt nur 4 Mal und zwar stets beiderseitig gesehen. Der erste Fall betraf einen 17 Jahr alten Lehrersohn, der zweite ein 22 Jahre altes Dienstmädchen, der dritte und vierte Fall zwei Frauen von 30 resp. 31 Jahren. Ich vermuthe deshalb, dass auch die von Herrn Wollner beobachteten 4 pCt. Katarakten ge- wöhnliche Altersstaare waren und nicht echt diabetische.‘ Herr Hermann Cohn: Ich möchte auf eine diagnostische und eine therapeutische Frage die Aufmerksamkeit der geehrten Collegen hinlenken. Schon vor vielen Jahren habe ich auf die Wichtigkeit der Amblyopie hingewiesen, die uns bei völligem Fehlen aller objeetiven Erscheinungen am Auge immer veranlassen soll, den Urin auf Zucker zu untersuchen, und im Jahre 1377 habe ich eine Reihe von Fällen im Knapp’schen Archiv VII veröffentlicht, bei denen ich nur aus der Amblyopie zur Diagnose des Diabetes geführt wurde. Es giebt noch eine andere Augenkrankheit, bei der ich nach meinen neueren Er- fahrungen jetzt stets auf Zucker vigilire, obgleich diese Krankheit meines Wissens bisher noch nie als Begleiterscheinung des Diabetes beschrieben worden ist. Es ist dies der Katarrhus sieeus eonjunetivae. Der- selbe zeigt bekanntlich wenig Objectives, mitunter nur etwas Hyperämie der Tarsaleonjunetiva, dagegen bringt er um so mehr subjeetive Be- schwerden. Die Kranken klagen über ein lästiges Brennen, Drücken und Jueken in den Augen, haben aber niemals eine abnorme Secretion der Bindehaut. Diese im Ganzen seltene, meist bei nervösen Frauen vor- kommende Krankheit, welche allen Behandlungsmethoden energisch trotzt und die Kranken oft Jahre lang peinigt, habe ich jetzt 4 Mal bei Diabetikern gefunden. Anfangs glaubte ich, die Erscheinungen mit der Schlaflosigkeit der Diabetiker in Beziehung bringen zu sollen, da ich sie auch bei Agrypnischen gesehen. Indess der bald mitzutheilende Fall überzeugte mich, dass die Schlaflosiekeit nicht die Ursache des Katarrhus siceus sein könne. Jedenfalls empfehle ich, bei Klagen die auf Katarrhus siceus eonjunetivae deuten, den Urin auf Zucker zu prüfen; mitunter ist dieses Symptom ein relativ frühes. Specielle Mittheilungen über diese Krankheit behalte ieh mir vor. Die therapeutische Frage, die ich anregen wollte, lautet: Wie lange sollen wir die Diabetiker Mühlbrunnen trinken lassen? Zweifellos wirkt der Carlsbader Brunnen auf die grosse Mehr- heit der Zuckerkranken sehr günstig. Die meisten verlieren in Karlsbad den Zucker theilweise oder ganz. Kommen sie aber zurück, so treten bald wieder alle Erscheinungen auf. Sollte es da nicht serathen sein, den Gebrauch des Carlsbader Monate lang fortzusetzen? Ich habe vor - ‘ Jahren über eine diabetische Frau berichtet, welche seit 6 Jahren der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 37 mit vorübergehendem Nutzen jährlich in Karlsbad war, dann aber alle 2 Monate 4 Wochen lang und zwar in der Nacht im Bett um 2, 4 und 6 Uhr Mühlbrunnen trank, da sie bei diesem Modus am Besten Schlaf fand. In dieser Weise hat sie 3 Jahre lang ihre Beschwerden am Besten verringert und von dem reichlichen Gebrauch des Brunnens keinerlei Nachtheil empfunden. Im vorigen Jahre aber lernte ich einen Kaufmann kennen, der seit 20 Jahren zuckerkrank ist und seit 4 vollen Jahren Tag für Tag jeden Morgen 2—3 Glas Mühlbrunnen zu sich nimmt, meist das erste Glas in der Nacht um 4 oder 5 Uhr. Dieser Patient klagte auch über Katarrhus sieeus conj., schlief aber bei dieser Methode des täglichen Brunnentrinkens ganz vorzüglich, Er wiegt 161 Pfund, sieht blühend aus, hat in den letzten Jahren nicht an Gewicht abgenommen, hält gar keine Diät, isst sogar sehr viel Zucker, viel Kartoffeln und Brot, und fühlt sich körperlich vollkommen wohl. (Alle 2 Tage nimmt er ein warmes Bad mit Seesalz.) Wenn er aber einen einzigen Tag den Carlsbader Brunnen auslässt, sind alle Beschwerden wieder da: Agrypnie, Polyurie, Polydipsie, Mattigkeit etc. Ich möchte mir also die Frage erlauben: Thäten wir nicht im Allgemeinen besser, wenn wir längere Zeit als 4 Wochen im Jahre, vielleicht Jahre lang, den die Symptome der Krankheit entschieden ver- mindernden Brunnen den Diabetikern empfehlen würden? Herr Wollner: Der von Herrn Cohn neuerdings bei Diabetes in einisen Fällen beobachtete Katarrhus siecus ist bis jetzt als patho- snomisches diabetisches Symptom wohl kaum urgirt worden. Doch er- scheint es durchaus plausibel, dass der Diabetes, wie er die secretorische Thätigkeit anderer Schleimhäute einschränkt, auch auf die Conjunctiva bulbi austrocknend wirken könne. Eine weitere Prüfung dieses Symptoms “wird nicht ausbleiben. Wass die Zulässigkeit der Ausdehnung einer Carlsbader Trinkkur betrifft, so existirt hierfür selbstverständlich keine allgemeingiltige Nor- mativbestimmung. Individuelle Verhältnisse werden hier, wie: bei jeder therapeutischen Massregel, berücksichtigt werden müssen. Thatsächlich ist anzuführen, dass die Toleranz des Organismus für das Carlsbader Wasser eine grosse ist und dass in einzelnen Fällen der Gebrauch desselben, mit kurzen Unterbrechungen und in mässiger Menge, hat nutz- _ bringend monatelang fortgesetzt werden können. Auf Antrag von Herrn Rosenbach wird die Discussion vertagt. Hierauf giebt Herr Süssbach Miscellen zur Hydrotherapie. 38 Jahres - Bericht Sitzung vom 1. Februar 1884. Fortsetzung der Discussion zu dem Vortrage des Herrn Wollner: Der Diabetes mellitus und seine Kur in Karlsbad. Herr Rosenbach will aus der grossen Menge der sich bei der Krörterung des Diabetes aufdrängenden Fragen nur einige für den prak- tischen Arzt besonders wichtige herausgreifen. Was die Diagnose des Diabetes betrifft, so haben ihn seine Erfahrungen noch mehr in der von ihm schon vor einigen Jahren an derselben Stelle ausgesprochenen An- sicht bestärkt, dass es keine für den Diabetes pathognomischen Symptome seitens der Körperorgane giebt und dass eine Reihe von Symptomen, die scheinbar häufig bei der Zuckerkrankheit vorkommen, nur der Ausdruck von Ernährungsstörungen im Organismus sind, die auch anderen Stoff- wechsel- und Constitutionserkrankungen, sowie Localaffeetionen, welche das Allgemeinbefinden in Mitleidenschaft ziehen, eigen sind. Er erinnert an die Neuralgien und andere Erscheinungen von Seiten des Nerven- systems bei Nierenkrankheiten, Anämischen und Phthisikern. Das einzige charakteristische Symptom ist die Zuckerausscheidung und darum ist es nothwendig, in allen Fällen, auch wenn die Kranken keine für den Diabetes specifischen Symptome bieten, den Urin ebenso wie auf Ei- weiss auch auf Zucker zu untersuchen. Es sei dies ebenso wichtig und unerlässlich, wie die physikalische Untersuchung, und nur auf Grund dieses Vorgehens sei es ihm gelungen, eine verhältnissmässig grosse Anzahl von Diabetikern gelegentlich zu entdecken, die sicher noch Jahre lang der Beobachtung entgangen wären. Nun sei aber natürlich in Kolge einer Urinuntersuchung, auch bei völlig negativem Befunde, ein Diabetes mit Sicherheit nicht auszuschliessen. Denn Fälle, in denen eine intermittirende Zuekerausscheidung für Stunden und Tage vorkäme, seien viel häufiger, als man dies annehme. Deshalb müsse man, um möglichst sicher zu gehen, nicht den Frühurin, sondern den einige Stunden nach dem Mittagsessen gelassenen Urin untersuchen; in allen zweifelhaften ällen sei es überhaupt nothwendig, eine Probe der durch 24 Stunden gesammelten Harnmenge zu untersuchen, eventuell wie dies ja auch schon vorgeschlagen worden ist, vorher reichlich Amylaceen geniessen zu lassen. Wenn man so die Diagnose des Diabetes gestellt habe, so sei es (ernerhin absolut unerlässlich, bei der weiteren Beobachtung des Kranken die Beurtheilung des Verlaufs des Leidens nicht von der Untersuchung einer einzigen Harnprobe abhängig zu machen, da man bei dem wechseln- den Zuckergehalte der einzelnen Urinportionen grossen Irrthümern in der Auffassung des Krankheitszustandes ausgesetzt sei. Auch hier kann nur die Untersuchung einer Harnprobe, die der gesammelten 94 stündigen k Urinmenge entnommen sei, eine gleichmässige Basis für unser ärztliches z Urtheil schaffen, An diese Fragen knüpft sich eine andere Erwägung _ der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 39 die für die Behandlung der Kranken von grösster Wichtigkeit ist. Da bekanntlich jeder Diabetiker mit der grössten Aengstlichkeit das Steigen oder Sinken seines Zuckergehaltes verfolgt, weil er ja fälschlicher Weise glaubt, dass daraus eine Besserung oder Verschlimmerung seines Leidens zu erkennen sei, so muss von vornherein in der Erwägung, dass die psychische Aufregung dem Diabetiker mehr als alles andere schadet, darauf hingewirkt werden, dass der Kranke die entsprechenden Zahlen nicht erfährt oder dass er darüber belehrt wird, dass ein absoluter Schluss aus dem jeweiligen Procentgehalte an Zucker nicht zu ziehen ist. Bei leichteren Fällen des Diabetes hat Redner, wenn er überzeugt war, die Kranken unter seiner Controle zu behalten, seine Massnahmen getroffen, ohne den Kranken von der Diagnose Mittheilung zu machen, und hat nur günstige Erfolge von dieser Massnahme gesehen. Er ist nie von der Ansicht abgewichen, die ja auch jetzt wieder die herrschende geworden ist, dass man dem Diabetiker auch entsprechende Mengen von Kohlehydraten gewähren müsse, da er sich davon überzeugt hat, dass trotz des Verschwindens des Zuckers aus dem Urin das specifische Gewicht verhältnissmässig hoch bleibt, als Zeichen dafür, dass das Blut mit anderen Zerfallsprodueten, namentlich stickstoffhaltigen, über- laden wird, deren Circulation und Ausscheidung für die betreffenden Organe andere Unzuträglichkeiten im Gefolge hat. Schliesslich möchte Redner noch hervorheben, dass man nur durch die gewissermassen obligatorische Untersuchung des Urins auf Zucker hoffen könne, über die Anfangsstadien und die leichteren Formen des Diabetes und somit über die Ursachen dieser räthselhaften Erkrankung Aufschluss zu gewinnen. Dann werde man auch dazu gelangen, die Unterschiede zwischen Diabetes und Meliturie, die keine Berechtigung hätten, fallen zu lassen. Herr Wollner: Die von Herrn Rosenbach nachdrücklich gestellte Forderung, in allen Stoffwechsel- und Constitutionserkrankungen den Harn auch auf Zucker zu untersuchen, ist eine durchaus berechtigte. Thatsächlich wird diese Untersuchung, wie Redner aus einer reichen Erfahrung versichern kann, von den meisten Aerzten vorgenommen. Auch die in Uebereinstimmung mit anderen Beobachtern gemachte An- gabe, dass die Untersuchung des betreffenden Harns am besten einige Stunden nach dem Essen geschehen möge, entspricht durchaus richtiger Erfahrung, indem der zu dieser Zeit entleerte Urin den sichersten Auf- schluss giebt. Diese Praxis wird übrigens von den Speeialärzten meist geübt. Die weitere Forderung, eine Stichprobe aus der in 24 Stunden angesammelten Harnmenge für die Untersuchung zu verwenden, ist, so berechtigt sie auch erscheint, bei nahe liegender Erwägung im conereten Falle nicht immer durchzuführen. Ihre volle Bedeutuug dürfte diese Massregel übrigens nur für wissenschaftliche Zwecke haben, bei denen es auf subtile Genauigkeit ankommt. 40 Jahres - Bericht Das demnächst von Herrn R. geäusserte, die Mittheilung des jeweiligen Standes der Krankheit an den Diabetiker betreffende Bedenken ist mit Rücksicht auf die psychische Einwirkung solcher Information auf den Patienten durchaus motivirt. Allein nicht immer ist diese ärztliche Zurückhaltung durchführbar, besonders nicht in grossen Städten und auch in Carlsbad nicht, wo dem Patienten die Gelegenheit geboten ist, seinen Urin von unbetheiligter Seite untersuchen zu lassen, eine Gelegenheit, die oft genug benützt wird. Uebrigens ist die in solchem Falle un- ausbleibliche Differenz in der Angabe des Untersuchungsergebnisses, wie die ‚Erfahrung lehrt, nieht geeignet, die Zuversicht des Kranken zu der Prognose seines Leidens und das Vertrauen zu dem ihn behandelnden Arzt zu erhöhen. Es wird wohl auch hier richtig sein, das betreffende Verfahren unter Berücksichtigung der Individualität des Patienten in jedem einzelnen Falle entsprechend auszuwählen. Herr Asch: Gestatten Sie mir, zu der vorliegenden Frage vom Standpunkt des praktischen Arztes einige Bemerkungen zu machen, welche lediglich ein Streiflicht auf die überaus schwierige Frage, deren Lösung noch sehr fern zu liegen scheint, werfen sollen. — Der Diabetes, d. h. derjenige pathologische Zustand, bei welchem Zucker im Urin erscheint, ist eine viel häufigere Krankheit, als man gemeinhin und sicher noch bis vor wenigen Jahren angenommen hat, obwohl dieselbe bereits seit dem Anfang dieses Jahrhunderts bekannt und in der französischen Akademie verhandelt worden: ist. Ich glaube, dass bei jedem Kranken, bei welchem eine exclusive Diagnose nicht feststeht, der Urin unter- sucht werden muss und dass man das auch in der Privatpraxis sehr gut und ohne jede Schwierigkeit ausführen kann. — Diesem Grundsatz seit vielen Jahren folgend, habe ich eine grosse Anzahl von Diabetes- Kranken zu beobachten Gelegenheit gehabt, und zwar durch eine lange lkeihe von Jahren. Dass der Urin von Leuten untersucht wird, welche über Kräfteverfall, heftigen Durst und grosse Urinmengen klagen, ist wohl natürlich und jetzt ziemlich allgemein bekannt, obwohl ich schon hier vorausschicken möchte, dass man sich gerade bei solchen Symptomen oft in seiner Erwartung getäuscht und eben keinen Zucker findet. Meiner Ueberzeugung nach müssen insbesondere solehe Kranke auf’s Schärfste in der in Rede stehenden Richtung untersucht werden, welche über all- gemeine Abspannung, typische oder periodisch vagirende Neuralgien, namentlich Migraine, über leicht und rasch eintretende Muskel-Ermüdung, Schlallosigkeit, Hautjucken, Muskelschmerzen und über diejenigen aner- kannten Symptome klagen, welche wir unter dem Capitel ,„Gehirn- lörmüdung“ zusammenfassen, denn es scheint festzustehen, dass vorzugs- weise Männer, welche geistig angestrengt arbeiten, befallen werden. — Ich übergehe absichtlich die vorhin sehon erwähnten Symptome ebenso wie Pruritus vaginae und ähnliche, weil diese Symptome als anerkannte der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 41 Wegweiser betrachtet werden. — Dagegen möchte ich darauf aufmerk- sam machen, dass jeder Kranke, welcher an einem leichten Ekzem, besonders an der innern oberen Seite des Oberschenkels leidet, unter- sucht werden muss, ferner muss ich zwei Vorgänge ganz besonders be- tonen. Es kommt nicht ganz selten vor, dass Individuen, welche bis dahin als gesund gelten, plötzlich an einer Faecialis-Lähmung erkranken, welche oft bei jedem Fehlen eines nachweisbaren ursächlichen Moments mit dem weiten Mantel der: „rheumatischen Affectionen‘ eingehüllt werden. In diesen Fällen ist sehr häufig Zucker im Urin und das Erste bei der Untersuchung eines solchen Kranken muss das Reagens- slas sein. Dass im fernern Verlauf des Diabetes nicht selten ähnliche Zustände auftreten, ist bekannt, ebenso wie sich bei dem zweiten gleich zu erwähnenden Umstand ein ähnliches Verhältniss wiederholt. —- Dieses Zweite ist, dass Menschen, welche an multipler Furunculose, besonders im Nacken oder an den Seitentheilen des Gesichts oder des Kopfes leiden, sehr häufig an Diabetes leiden. Ich spreche nicht von der Furuneulose oder Carbunculose, welche im Verlaufe von hochgradigem Diabetes am Ende der Scene vorkommt, sondern von der gewöhnlichen, alltäglich vorkommenden Furuneulose, aber ich könnte eine Reihe von Fällen vorführen, in welchen ich nur durch dieses Symptom mich auf die Urinuntersuchung habe hinstossen lassen.) Ob die Furuneulose vorübergehend Diabetes erzeugen kann, mag zunächst dahin gestellt bleiben. Ich glaube nicht daran, wie ich überhaupt nicht an einen vorübergehenden Diabetes glaube. Wer Diabetes hat, behält ihn — wie lange? das ist eine Frage, die von der Art und Ursache des Diabetes abhängt und von der Lebensweise, welche der Kranke einschlägt. Die Zeit, innerhalb welcher bei einem Kranken kein Zucker oder nur Spuren desselben vorhanden sind, kann verschieden sein. Ich glaube, dass die Beobachtung, dass diese Pause bis zu 4 Jahren und mehr — wahrscheinlich abhängig von dem Verhalten des Kranken — sich ausgedehnt habe, richtig ist, aber es ist dies keine Heilung. Es kommt der Tag, an welchem der Zucker dennoch wieder erscheint. Wenn Cantani in seinem Buch von einer Reihe von Heilungen spricht, so will ich nicht einen Augenblick an der Richtigkeit der Angaben des Verfassers zweifeln, aber er hat jedenfalls eine andere Form des Diabetes — vielleicht einen rein alimentären — vor sich gehabt, der von der oft sehr exelusiven und einseitigen Lebensweise der Bevölkerung abhängig sein mag. Es sind dies offene Fragen. Für mich hängt der Diabetes ') Einer interessanten Beobachtung aus der allerneuesten Zeit, deren weiterer Mittheilung wir mit Spannung entgegensehen, will der Correetor hier vorgreifend gedenken, der, dass Herr, Privatdocent Dr. Rosenbach bei einem Kinde von #4 Monaten mit intensiver Furunculose starken Zuckergehalt des Urins beob- achtet hat. 49 Jahres - Bericht als Symptom von einem Vorgange im Centralnervensystem ab — welcher als solcher mir unbekannt ist — aber es will mir scheinen, dass dieser Vorgang weit länger, vielleicht bis zu einem Jahr im Organismus bestehen kann, ehe das letzte Symptom, welches dem Kind den Namen giebt, zur Beobachtung kommt. Es will mir scheinen, dass dieser Vorgang eine Reihe für unser Auge prodromistischer Symptome hervorruft, welche dem aufmerk- samen Beobachter das Reagensglas in die Hand drücken — ohne dass er zu seiner Ueberraschung Zucker im Urin findet. Es will mir scheinen, dass bei einer kleinen Zahl von Kranken, welche ich mit solchen Symptomen, die mir als Indices sacchari erschienen, durch längere Zeit beobachtet habe, eines Tages als Zuckerträger sich entpuppten, d. h. dass der Vorgang endlich bis zu der Höhe gediehen war, um den Stoffwechsel in der angegebenen Weise zu beeinflussen. Vielleicht liest eine Innervationsstörung zu Grunde, welche auf einer Funetionsstörung im Rückenmark (?) beruht, welche ein mehr oder minder greifbares materielles Substrat hat. Ich glaube nicht an einen Unterschied zwischen Diabetes und sogenannter Meliturie.) Wenn es sich nun um die Therapie handelt, so bekenne ich, dass ich kein einziges Mittel kenne, welches eine irgendwie wechselseitige Wirkung auf den Zustand auszuüben im Stande ist, für mich besteht zunächst nur das Eine: Der Kranke hat mehr oder minder Zucker im Urin, d. h. sein Stoffwechsel ist wesentlich ge- stört, und die Gegenwart von Zucker im Urin ist eine mehr oder minder grosse Gefahr für den Menschen; Zucker ist in diesem Falle ein Gift für den Organismus. Nicht immer ist das subjeetive Befinden des Kranken geradezu abhängig von dem mehr oder minder hohen Zucker- gehalt. Ich habe Kranke gesehen, welche lebhaft litten und sich über die verschiedensten Symptome, namentlich Muskelschwäche, Neuralgien u. dergl. beklagten, ohne dass der Zuckergehalt gestiegen war und um- gekehrt solehe, welche sich bei hohem oder steigendem Zuckergehalt subjeetiv sehr wohl befanden; — aber ich wiederhole, dass solche Fälle Ausnahmen sind und dass der höhere Zuckergehalt auch eine höhere Gefahr involvirt. Deshalb sehe ich es als nächste Aufgabe an, die Anwesenheit von Zucker zu beschränken, und dazu dient zunächst die Diät, und diese selbst hängt von dem Kranken ab. Bei keiner Krankheit beinahe hat der Kranke sein Befinden so in der Hand wie bei ') Unter den Symptomen, welche als ganz besonders auffällige im Verlauf des Diabetes auftreten, möchte ich eines anführen, welches meines Wissens bis jetzb nicht erwähnt ist. Ich glaube bei verschiedenen Diabetes-Kranken eine Gontractur der Flexoren der Finger und der Palmarmuskeln, resp. Sehnen ge- sehen zu haben, welche den Fingern ein klauenartiges Ansehen giebt und die Funetion der Hohlhand beeinträchtigt, Vielleicht gehört dieses Symptom auch zu den prodromalen, wenn auch selten. A. | ” f d Fr . 57 der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. 43 dieser, um deswillen bin ich auch immer dafür (natürlich nulla regula sine exceptione!), dass man den Kranken über sein Leiden und dessen Hintanhaltung aufkläre, damit er selbst wisse, dass er mehr oder minder „seines Glückes Schmied sei“. Eine systematische Lebensweise wird nicht auf einfache Verordnung durch Jahre fortgeführt. Zunächst muss experimentell bei einem Kranken die Toleranzgrenze für Amylaceen festgestellt werden (gewöhnlich 150—200 Gramm in 24 Stunden). Ueber diese darf der Kranke den Genuss von Amylaceen nicht ausdehnen. Ob diese Toleranzgrenze sich nach oben oder unten verschiebt, muss von Zeit zu Zeit festgestellt werden, namentlich bei Ab- oder Zunahme der Fettablagerung, welche nicht zu gering werden darf, wie dies die noth- wendige Folge ausschliesslicher Fleischnahrung ist. Ueberhaupt darf die exclusive Diät nicht zu weit getrieben werden. Sie hat zwei ge- waltige Uebelstände zur Folge. Der eine ist das Eintreten des Zustandes, welchen wir mit Acetonämie bezeichnen; der andere ist das Auf- treten überschüssiger Mengen von harnsauren Salzen und Harnsäure im Urin, welche sich leicht zu Conerementen verdichten können. Die richtige Mitte zu finden, eine dem Fall und dem Individuum angepasste gemischte Diät auf Grund fortgesetzter Beobachtung und wiederholter Untersuchung des Urins herzustellen, ist die überaus schwere Aufgabe des Arztes, weil es hier gar zu leicht heisst: „ineidit in Seyllam, qui vult vitare Charybdin.‘ Wenn ich oben von der Nutzlosigkeit der bis jetzt empfohlenen Medica- mente gesprochen habe, so muss ich andererseits betonen, dass ich den Gebrauch der Carlsbader Wässer für sehr wohlthätig halte. Der Vor- theil derselben besteht, wie mir scheint, darin, dass unter dem Ge- brauch derselben die Toleranzgrenze gegen Amylaceen sich erhöht, dass, mit anderen Worten, mehr Amylaceen verdaut werden, ohne dass mehr Zucker im Urin erscheint; ferner darin, dass unter dem Gebrauch von Carlsbader die mehr oder minder überschüssige Fleischdiät viel besser vertragen wird. Für mich giebt es auch um deswillen in dem Gebrauch des Carlsbader Wassers keine Grenze. Man kann solche _ Kranke Jahre lang Carlsbader trinken lassen, wenn auch mit gewissen Unterbrechungen, welche von Zeit zu Zeit durch nicht zu bewältigenden Ueberdruss an demselben herbeigeführt werden. (Sättigungsgrenze.) Neben dem Carlsbader halte ich den täglichen Gebrauch irgend eines alealischen Wassers statt des gewöhnlichen Wassers für nützlich. Herr Berger: Ich möchte mir erlauben, im Anschluss an die klinische Skizze, die der Herr Vortragende von dem Diabetes mellitus ent- woırfen hat, einige nervöse Störungen, welche bisher nicht genügend gekannt zu sein scheinen, einer kurzen Besprechung zu unterwerfen, Jedes Jahr sehe ich eine nicht unbeträchtliche Zahl von ‚Nerven- kranken“, die sich bei der Untersuehung als Diabetiker herausstellen. Ueber die diabetische Neuralgie habe ich bereits vor längerer 44 Jahres-Bericht Zeit in unserer Gesellschaft meine Erfahrungen mitgetheilt und will deshalb heute nicht wieder darauf zurückkommen. Zunächst erwähne ich psychische Störungen im Verlaufe des Diabetes, „diabetische Psychosen“, über welche die Literatur meines Wissens nur äusserst spärliche und aphoristische Bemerkungen enthält. Ich selbst habe zwei Fälle längere Zeit zu beobachten Gelegenheit gehabt, die, wie ich glaube, diesen Namen verdienen. Es handelt sich um zwei bereits seit Jahren Diabetes-Kranke männlichen Geschlechts von 35 resp. 45 Jahren, welche nach einem kurzen Prodromalstadium, in welchem sie über Kopfdruck, Verstimmung, Unlust zu jeder körperlichen und geistigen Thätigkeit u. A. m. klagten, eine ausgesprochene Geistesstörung darboten. Dieselbe zeigte sich als hallueinatorisches Irresein, mit grosser körper- licher und psychischer Unruhe, Schlaflosigkeit und besonders stark her- vortretenden Motilitätsstörungen, (Zittern der Zunge, der Hände, paretischer Gang.) Nach vier- bis siebenwöchentlicher Dauer war die Psychose geheilt und es schien, wenigstens in dem einen Falle, als ob srosse Dosen Opium einen günstigen Einfluss auf die Krankheit ausgeübt hätten. In beiden Fällen traten Recidive ein nach einem resp. zwei Jahren, und zwar unter nahezu denselben Symptomen, ebenfalls mit sünstigem Ausgang innerhalb weniger Wochen. Bei dem einen Patienten entwickelte sich das Recidiv wenige Tage nach dem Beginn einer Kur in Carlsbad, Der Zuckergehalt des Urins war dabei z. Z. nicht erheb- lich, jedenfalls war er im Verlaufe der Krankheit wiederholt ein weit stärkerer gewesen, Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir ferner die Bemerkung erlauben, dass unter den von mir beobachteten Diabetikern die Mehrzahl sich in psychischer Beziehung nicht völlig frei erwiesen, wenigstens im weiteren Sinne des Wortes. Grosse Reizbar- keit, Verstimmung, auffallende Schwankungen des gemüthlichen Gleich- sewichts, eine oft geradezu hysterische Gemüthsbeschaffenheit habe ich häufig bei Diabetes-Kranken gesehen. Die andere Gruppe von Nervenstörungen, auf welche ich die Auf- merksamkeit lenken möchte, sind ebenfalls eerebralen Ursprungs. Ich meine gewisse Lähmungszustände bei Diabetikern, welche entweder eine ganze Körperhälfte (Hemiplegie), oder als sogenannte Monoplegie nur ein Seament derselben betreffen. Sehon vor etwa wei Decennien hat Marehal de Caloi der Pariser Akademie der Wissenschaften eine Arbeit über die Erkrankung des Centralnerven- systems in Folge des Diabetes mitgetheilt. Trousseau, in neuerer Zeit Lastgue, besonders aber Dreyfouss haben sich eingehender mit dieser Frage beschäftigt. Gestatten Sie mir, Ihnen nur kurz zu referiren, dass eine Anzahl von Fällen beobachtet ist (auch von deutschen und englischen Autoren herrührend), wo bei Diabetikern sewöhnlich unter apoplektiformen Erscheinungen hemiplesische Zustände auftraten, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 45 welche von den Autoren auf den Diabetes als Ursache der Lähmung — „diabetische Lähmung‘ — zurückgeführt wurden. Es scheint mir sicher zu sein, dass wenigstens ein Theil dieser Fälle mit Recht so senannt wird, und dass der naheliegende Einwand eines umgekehrten Verhaltens nicht aufrecht zu erhalten ist. Die Hemiplegien sind ent- weder permanente, und bieten als anatomische Grundlage fast immer einen Erweichungsherd im Grosshirn, oder sie sind transitorische, und wenige Tage nach ihrer Entstehung wieder verschwunden. Die letztere Form bietet klinisch den Charakter der „Rindenlähmung“ dar, indem sie gewöhnlich als Monoplegie auftritt, z. B. des Faeialis, des oberen Augenlides, einer Gliedmaasse, und andererseits immer nur eine Parese, nicht. eine vollständige Lähmung darstellt. Als Ursache dieser diabetischen Lähmungen nehmen die Autoren Erkrankungen des Herzens und der Gehirnarterien an, welche zu Thrombosen oder Embolien Veranlassung geben. Diese anatomischen Veränderungen sind namentlich von Lecorch& in seinem Werke über den Diabetes studirt worden und dieser Autor spricht direet von einer Endocarditis und Endarteriitis diabetica. Auch beim diabetischen Brand hat man arterielle Veränderungen gefunden. Lecorche u. A. führen die Er- krankung des Gefässsystems auf die Reizung der Gefässwand durch das zuckerhaltise Blut zurück. Von klinischer Bedeutung erscheinen namentlich die ephemeren Monoplegien, wie dies neuerdings Lasegue und vor Kurzem zwei Schüler Charcot’s in den Archives de Neuro- logie hervorgehoben haben. Solche flüchtige Lähmungszustände eines Gliedes oder eines Hirnnerven müssen daher den Verdacht auf Diabetes erwecken. Mir selbst war ein Diabetiker bekannt — er ist vor circa 2 Jahren an Gangrän der Zehen und des Fusses zu Grunde gegangen — der in den ersten Jahren seiner Erkrankung eine allerdings viele Wochen andauernde linksseitige Ptosis dargeboten hatte. Herrn Rosenbach gegenüber möchte ich doch daran festhalten, dass die vorübergehende Zuckerausscheidung im Harn und der echte Diabetes mir nicht in der Weise zusammengehörig erscheinen, dass die Meliturie nur als eine leichte, beginnende Form derselben Krank- heit aufgefasst werden darf. Es ist bekannt, dass die verschiedensten experimentellen Verletzungen der cerebrospinalen Axe — nicht nur der Bernard’sche Zuckerstich — ja selbst die Durchschneidung des Ischia- dieus, transitorische Zuekerausscheidung herbeiführen. Wir wissen ferner, dass zahlreiche toxische Substanzen einen Uebergang des Zuckers in den Harn bedingen (Amylnitrit, Curare, Kohlen- oxyd etc). Auch bei der Apoplexia cerebri sanguinea der verschiedensten Localisation hat man vorübergehende Polyurie und Glyeosurie beobachtet. Besonders aber scheint mir der Umstand von Wichtigkeit, dass es sich bei der Glyeosurie um einen im Uebrigen 46 Jahres - Bericht normalen Urin handelt, dem eben nur Zucker beigemischt ist, während beim echten Diabetes die zu Grunde liegende Stoffwechselkrankheit ausser dem Zuckergehalt andere abnorme Eigenschaften des Harns bedingt. | Herr Wollner: Ich stimme mit Herın Asch vollkommen darin überein, dass der Diabetes viel häufiger vorkommt, als man glaubt und dass viele Fälle ohne Diagnose verlaufen. Jeder erfahrene Arzt könnte die Casuistik durch die Mittheilung solcher Fälle bereichern, in denen er bei der Abwesenheit jeglicher Verdachtsmomente durch das plötz- liehe Auftreten von Diabetes überrascht wurde. Andererseits ist nach zuverlässiger Beobachtung festgestellt, dass nicht jeder Fall von Zucker- ausscheidung ohne Weiteres als Diabetes angesprochen werden kann und dass die Bezeichnung Meliturie für vorübergehendes Erscheinen von Zucker im Harne durchaus begründet ist. So Senator in seiner Ab- handlung über Diabetes mellitus und so Segen, der die Ansicht Parys acceptirt, indem er angiebt, dass zeitweilig Zucker auftreten könne, ohne dass dadurch die Erscheinungen des Diabetes hervorgerufen werden. Hierher gehört auch der Diabetes der Schwangeren und Säugenden, dessen chemisches Substrat übrigens nach Hofmeister und Kalten- bach Milchzucker ist und der nach dem Vorschlage von Leube besser Laetosurie genannt werden möchte. Keinesfalls sind dieser letzterwähnten Kategorie die Kriterien des Diabetes mellitus eigen. Herr Förster: Die von Herrn Dr. Asch aufgeworfene Frage, ob sich nicht durch Symptome am Sehorgan — vielleicht mit dem Augen- spiegel erkennbar — der Diabetes verrathe, ist dahin zu beantworten, dass bei Diabetes ausserordentlich zahlreiche und höchst verschiedene Veränderungen am Sehorgan beobachtet worden sind, als: Trübungen im Glaskörper und Blutungen in denselben, eine eigenthümliche Trübung der Linsen, die in den äussersten Schiehten der Linsensubstanz beginnt, Blutungen in die Netzhaut, Fettdegeneration derselben, Neuroretinitis, Hemianoprie, inselförmige Defeete in beiden Gesichtsfeldern, identische Stellen betreffend, rasch sich entwiekelnde einseitige Amaurosen, in Atrophie eines Sehnerven übergehend, Accommodationsbeschränkungen, llüchtige oder persistente Augenmuskel-Lähmungen, dass aber alle diese Symptome und Processe weder irgend constant beim Diabetes vor- kommen, noch auch nur einigermassen pathognomonisch für denselben Sind — ausgenommen etwa in letzter Beziehung die selten vorkommende eigenthümliche Linsentrübune. Niehtsdestoweniger wird bei allen jenen hier aufgeführten Zuständen der Urin auf das Vorkommen von Zucker untersucht werden müssen. Herr Ponfieck: Meine Herren! Die Bemerkungen des Herrn Asch über Furuneulose gemahnen mich an eine überraschende Beobachtung, die ich vor einiger Zeit gemacht habe, und auf Grund deren ich es der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 47 für wahrscheinlich halten muss, dass unter dem Einfluss der diabetischen Blutmischung auch an anderen Stellen, als an der Haut, eine bemerkens- werthe Neigung zu nekrotischem Zerfall des Gewebes bestehe. Es handelt sich um eine 39jährige Frau, welche, auf der hiesigen medieinischen Klinik unter den Erscheinungen eines Lungenbrandes behandelt, stets durch einen Umstand sehr aufgefallen war, dass nämlich die mit offen- baren Trümmern von Lungengewebe untermischten Sputa keine Spur von fauligem Geruche besassen. Im Einklang damit stand das durch- aus blande Verhalten des eitrig-bröckligen Inhaltes der umfänglichen Höhle, welche den Mittelpunkt eines ausgedehnten Hepatisationsgebietes einnahm. Da mir das ganz unfasslich dünkte, jedenfalls der bekannten Er- fahrung, dass jeder Brandherd der Lunge durch die früher oder später unvermeidliche Einfuhr von Fäulnisserregern einen gangränösen Cha- rakter annimmt, grell widerstritt, suchte ich nach einer Erklärung für ein so ausnahmsweises Verhalten. Unterstützt durch gewisse Eigenthüm- lichkeiten der Hepatisation, sowie der Configuration jener Caverne und durch den erweichungsähnlichen Charakter der dieselbe zunächst be- srenzenden Pareuchymschicht, kam ich auf den Gedanken, dass es sich vielleicht um eine diabetische Pneumonie mit Ausgang in Erweichung und Höhlenbildung handle: eine Form, welche, der sonstigen Regel ent- sesen, die rein nekrotische Natur lange zu bewahren pflegt. In der That ergab die chemische Prüfung des Urins auf Zucker ein positives Resultat, so dass ich nicht anstehe, jene Vermuthung als Gewissheit zu bezeichnen. Folgerichtig wird man künftig bei jeder Art von Lungen- brand, zumal demjenigen, der die „trockenen“ und geruchlosen Eigen- schaften lange Zeit hindurch festhält, auf diesen Causalzusammenhang zu achten haben. Weiter halte ich es aber für sehr wohl möglich, dass der Diabetes auch an anderen inneren Organen ähnliche Nekrosen zu Stande kommen lässt, wie sie an der Haut schon lange als seine Producte bekannt und hiermit auch für die Lunge nachgewiesen sind. Herr Sehäfer: Ich wollte mir erlauben, mich nur ganz cursorisch gegen den Causalnexus zu wenden, in welchem nach der Ansicht des Herrn Collesen Asch Diabetes mellitus und die sogenannte „Furuncu- losis‘“ mit einander stehen sollen. Die Frage dieser innigen Beziehung zwischen besagten Krankheiten ist keineswegs als abgeschlossen zu be- trachten, von vielen Autoren und Klinikern sogar — namentlich in neuerer Zeit — gänzlich angezweifelt worden. Nach meinen Erfahrungen, die ich zum Theil in der Hallenser Poliklinik, wo ich eine Zeit lang jeden mit „Furuneulosis“ behafteten Kranken auf Zucker im Harn untersucht, theilweise in meiner hiesigen dreijährigen poliklinischen und privaten Praxis gesammelt habe, findet man bei Furuneculosiskranken nicht oft genug Zucker im Harn, um nicht von einem zufälligen 48 Jahres-Bericht Einhergehen dieser beiden Erkrankungen sprechen zu können. Was übrigens die sogenannte „‚Furuneulosis‘‘ selbst betrifit, so scheint mir die Aetiologie derselben ebenfalls noch nicht ganz sicher festgestellt zu sein. Ich kann nur sagen, dass ich die Furunkel fast ausschliesslich auf ihre Umgebung sich habe fortpflanzen sehen, was wohl immer für Infeetion durch Kratzeffect angesprochen werden darf. So oft ich die Furunkel mit einem tiefen Kreuzschnitte ineidirte, dieselbe dann ordent- lich desinfieirte, sie darauf durch einen grossen Verband von der Um- sebung und von den „weiterschmierenden“ Händen isolirte, war stets die „Furuneulosis“ verschwunden. Dass bei Diabetes mellitus die Ge- webe zu einem gewissen, leichteren Zerfalle hinneigen mögen, geht daraus hervor, dass man auch hier, wie bei jeder anderen Kachexie, nicht selten neben anderen Entzündungen der Haut zum mindesten so häufig wie Furunkel auch Carbunkel und Anthrax sieht. Herr Rosenbach: Gegenüber Herrn Berger muss ich bemerken, dass pathologische und physiologische Erwägungen, abgesehen von den Bedürfnissen der Praxis, dazu zwingen, eine Unterscheidung zwischen Diabetes mellitus und Meliturie fallen zu lassen. Abgesehen von der Thatsache, dass so viele hochgradige Diabetiker keines der als cha- rakteristisch für den Symptomencomplex des Diabetes angesehenen Symptome darbieten, abgesehen davon, dass man alle Erscheinungen der Erkrankung allein von der Anwesenheit des Zuckers im Blute, welche somit das einzige speeifische Symptom repräsentire, ableiten könne, spricht für eine Identität beider Zustände auch die Erwägung, dass ja in jedem Falle, in dem Zucker im Urin in grösseren Mengen zur Be- obachtung kommt, auch eine der Ursachen, welche beim ausgesprochenen Diabetes wirksam sind, vorhanden sein muss, und es hängt ja nur von individuellen Verhältnissen oder von der Andauer gewisser Schäd- lichkeiten ab, ob der Zuckerüberschuss im Blute ein vorübergehender oder dauernder ist, in welch’ letzterem Falle natürlich auch die anderen nit der Anwesenheit von Zucker im Blute verbundenen bekannten Symptome mehr oder weniger deutlich zur Ausbildung gelangen werden. Herr Neisser: Ich kann aus meiner Erfahrung, welehe allerdings wesentlich poliklinisches und Hospital-Material betrifft, der von Herrn Asch vertretenen Ansicht über die so häufige Combination von Furunkeln und Diabetes nicht beistimmen. Bei keinem der Fälle, obwohl dieselben zum heil echte Carbunkel waren, konnte Zucker im Urin gefunden werden; nur war ein sehr hohes specifisches Gewicht des Urins meist vorhanden. — Doch lässt sich diese meine Differenz mit Herrn Asch wohl ungezwungen erklären. Herr Asch sieht in seiner sehr ansge- — breiteten, den besseren und besten Ständen angehörigen Praxis viel Diabetes, und da die heute sehon häufig betonte Schädigung der Gefäss- wände und Nekrotisirung der Gewebe dureh die zuckerhaltigen Körper- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 49 säfte es wohl erklärlich macht, dass bei Diabetikern localisirte Binde- gewebsentzündungen oft sich entwickeln, so hat Herr Asch eben oft diese Complication gesehen. Doch ist ein umgekehrter Schluss nicht zulässig, da für Furunculose jedenfalls noch eine grosse Anzahl ander- weitiger, uns freilich noch unbekannter Ursachen verantwortlich zu machen sind. — Doch stimme ich mit Herrn Asch ganz darin überein, dass es unter allen Umständen unsere Pflicht ist, bei der — ätiologisch uns fast ganz unbekannten — Furunculose stets den Diabetes im Auge zu behalten, ebenso wie wir es bei jedem Pruritus thun müssen. Herr Rosenbach: Was die Differenzen in den Angaben der Herren Asch, Schäfer und Neisser bezüglich der Zuckerausscheidung bei der Furunculose anbetrifft, so möchte Redner darauf hinweisen, dass er schon bei einer anderen Gelegenheit an derselben Stelle ') diesen Punkt zur Sprache gebracht hat. Es ist unzweifelhaft, dass bei Diabe- tikern Furunculose nicht selten ist; es ist aber andererseits zu con- statiren, dass bei grösseren Furunkeln, die mit starker Hautnekrose und Eiterbildung einhergehen, der Urin ein Verhalten zeigt, welches dem eines Zucker enthaltenden ähnlich ist, d. h. der Urin hat ein hohes speeifisches Gewicht und redueirt schwefelsaures Kupferoxyd bisweilen ziemlich stark, ohne dass jedoch immer die charakteristische Ausfällung des Kupferoxyduls eintritt. Ebenso fallen die anderen Zuckerproben, namentlich die Kaliprobe, nicht immer positiv aus. Es handelt sich hier zweifellos um ein übernormales Auftreten einer reducirenden Substanz (Zucker?) im Urin und es ist wohl möglich, dass derartig wirkende Stoffe durch Resorption von dem Furunkel aus ins Blut gelangen und durch den Urin ausgeschieden werden. Da es dem Redner in einzelnen Fällen nicht gelungen ist, die Gründe für dieses auffallende Verhalten des Urins zu eruiren und die Natur der fraglichen Substanz näher zu be- stimmen, so erscheinen weitere Untersuchungen in dieser Richtung wohl geboten; in andern Fällen (bis jetzt in zweien?) war der Nachweis des Zuckers in derartigen Fällen zweifellos zu führen. Herr Magnus: Wenn Wollner nur 4 pCt., Galezowski aber 80 pCt. Cataracta diabetica gefunden hat, so ist aus keiner von diesen beiden Angaben ein Rückschluss auf das procentarische Verhalten des diabetischen Graustaares zu machen. Nach meiner Erfahrung lässt sich überhaupt nicht mit Sicherheit der Procentsatz für Cataracta diabetica ' feststellen und zwar aus folgenden Gründen. Der diabetische Staar ' bietet keinerlei nur für ihn allein giltige Symptome dar; aus der Be- ' schaffenheit des Staares allein ist die Diagnose der diabetischen Natur \) Bresl. ärztl. Zeitschr. 1831, Nr. 24. 2) Ein dritter Fall ist nachträglich zur Beobachtung gekommen. (Anm. bei der Corr.) 1884, 4 50 = Jahres -Bericht desselben nicht möglich. Nun ist der Diabetes eine Krankheit, welche in der Mehrzahl der Fälle in die zweite Hälfte des Lebens fällt; und das nämliche gilt auch für Cataract. Wenn also ein in der zweiten Lebenshälfte stehender Mann mit Cataract zu uns kommt, der zugleich auch Diabetiker ist, so können wir in keiner Weise sagen, ob der bestehende Staar ein diabetischer oder ein seniler ist. Für die Mehr- zahl der Diabetiker, die mit Cataract behaftet sind, entfällt also die Möglichkeit, die Natur der Linsentrübung zu bestimmen. Anders liegen dagegen die Verhältnisse für die in der ersten Lebenshälfte stehenden Individuen. Ein das 30. Jahr noch nicht hinter sich habender Diabetiker lässt mit ziemlicher Sicherheit einen etwa entstehenden Cataract als diabetischen ansprechen. Für jugendliche Individuen ist die Linsen- trübung immer eine Ausnahme; tritt sie spontan auf, so wird der Ophthal- mologe unter allen Verhältnissen berechtigt sein, irgendwie patholo- sische Basis in dem Allgemeinbefinden des Organismus zu vermuthen, Hat also ein jugendlicher Diabetiker Cataract, so wird man nicht fehl- greifen, wenn man ihn als einen diabetischen ansieht. Da nach dem Gesagten die Diagnose auf Cataracta diabetica nur für jugendliche Individuen möglich ist, nicht aber für die grösste, jenseits des 30. Jahres stehende Menge der Cataraetösen resp. der Diabetiker, so ist eine genaue statistische Berechnung der Häufigkeit des diabetischen Graustaares nicht zu erbringen. Fe er A ee ei! Sitzung vom 15. Februar 1884. Herr Magnus spricht Ueber die Verhütung der Blennorrhoea neonatorum und der sich daraus entwickelnden Blindheit. Die eitrige Augenentzündung der Neugeborenen liefert nach den von mir angestellten Untersuchungen gegenwärtig noch den höchsten Procentsatz zu der Zahl der Erblindungen. Unter 2528 Fällen doppel- seitiger Blindheit, welche ich theils aus der Literatur zusammengetragen, theils selbst untersucht habe, nahm die Blennorrhoea neonatorum mit 10,57 pCt. den ersten Rang ein. Keine andere Erkrankungsform des Sehorganes liefert eine solche Menge von Erblindungen, wie gerade die A Blennorrhoe der Neugeborenen; selbst so pernieiöse Zustände, wie die Atrophia nervi optiei, das Trachom, das Glaukom, richten nach meinen Untersuchungen nicht eine so erschreckende Verheerung unter den Augen an. Und diese Verhältnisse gestalten sich noch schrecekenvoller, wenn wir unsere Untersuchungen nur auf Blinden -Unterrichts- Anstalten, d. h. also auf ein Blinden - Material Jugendlicher Individuen, beschränken. Unsere Breslauer Blinden-Unterriehts- Anstalt enthielt bei der von mir durchgeführten Untersuchung 34 pCt. dureh Blennorrhoe erblindeter Kinder. ° + un Re s te urn ER nd te der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 51 In anderen Anstalten sind ähnliche Verhältnisse bezüglich der Blennor- rhoe-Blindheit gefunden worden, und wenn man die von Reinhardt in Dresden vor einigen Jahren entworfene Tabelle über die Häufigkeit der Blennorrhoe-Blindheit in den Blinden-Anstalten einsieht, so findet man Zahlen, welche die von uns ermittelten 34 pCt. noch weit überragen. Diese exorbitant hohen Zahlen sind aber nur in einem aus jugendlichen Individuen bestehenden Blinden-Material nachweisbar, und der Grund hier- für ist ein sehr einfacher. Das aus jugendlichen Blinden gebildete Material entbehrt eine Reihe sehr wirksamer Erblindungs-Ursachen des höheren Alters vollkommen, so vor Allem das Glaukom u. A. Ein aus Blinden aller Altersklassen gebildetes Untersuchungs -Material enthält aber alle Erblindungs-Formen, sowohl die der Jugend wie die dem Alter eigenthümlichen. Dass ein derartiges Verhältniss für den Procentsatz der einzelnen Erblindungs-Ursachen aber von bedeutendem Einfluss sein muss, ist so selbstverständlich, dass ich mir weitere Worte über diesen Punkt füglich sparen kann. Im Allgemeinen muss man nach meinen Erfahrungen daran festhalten, dass die hohen Procentsätze, d. h. die über 15 pCt. steigenden, die Gefahr repräsentiren, mit welcher die Blennorrhoea neonatorum das Auge des Neugeborenen bedroht, während die unter 15 pCt. sich haltenden Procentsätze die Gefahr numerisch zum Ausdrucke bringen, welche dem Menschengeschlecht überhaupt aus der _ Blennorrhoe erwächst. Unter allen Umständen erreicht die Blennorrhoe- "Blindheit aber einen so erschreekenden Umfang, dass es die Pflicht eines ' jeden Arztes und einer jeden ärztlichen Versammlung ist, eine möglichst sichere Abwehr gegen diese traurigen Verhältnisse zu schaffen. Durch- ‘ drungsen von der Nothwendiskeit eines derartigen prophylaktischen Schrittes, habe ich mich darum entschlossen, in dieser Versammlung die Frage zur Besprechung zu bringen: | Wie verhütet man am sichersten die Blennorrhoea | neonatorum und die unglücklichen Folgen derselben? | Im Allgemeinen dürften sich die Massregeln, welche wir zur Be- kämpfung der Blennorrhoe - Blindheit ergreifen müssen, vornehmlich auf zwei Punkte erstrecken: indem wir nämlich einmal die Neigung zur Er- werbung der Blennorrhoe überhaupt möglichst einzuschränken und indem wir zweitens die zum Ausbruch gelangte Blennorrhoe in ihren üblen ‚Folgen so viel wie möglich zu mildern haben. Wenden wir uns nun- mehr zur eingehenderen Untersuchung dieser beiden Fragen und be- ‚ ginnen zuvörderst mit der Erörterung der ersten derselben: 1. Wie lässt sich ‚die Neigung zur Erwerbung der Blen- norrhoe am sichersten beschränken? | Prophylaktische Massregeln gegen die Erwerbung der Blennorrhoe ‚sind in früheren Perioden der Ophthalmologie bereits wiederholt in | Vorschlag gebracht worden. Sie waren vornehmlich dahin gerichtet, das 4*F 4 52 Jahres-Bericht neugeborene Kind gegen etwaige vorhandene krankhafte Einflüsse von Seiten der Mutter zu schützen, und beschäftigten sich demgemäss haupt- sächlich damit, die Geschlechtstheile der Gebärenden durch verschieden- artige Einspritzungen resp. Auswaschungen zu reinigen. Und zwar sollten derartige Ausspülungen bei allen Scheidenflüssen, bei syphilitischen Affeetionen der mütterlichen Geschlechtstheille und ähnlichen Zuständen in Anwendung gezogen werden. Auch sollten damit zugleich Aus- waschungen der Augen des Neugeborenen mit schwacher Sublimatlösung verbunden werden. Allein eine allgemeine, auf alle Neugeborenen in gleicher Weise sich beziehende Geltung wurde diesen Vorschlägen von den älteren Aerzten nicht gegeben; ganz vereinzelt erhebt dieser oder jener Arzt wohl einmal seine Stimme und räth zu einer allgemeinen prophylaktischen Massnahme — so empfahl z. B. Dr. Haase, Director des Dresdener Entbindungshauses, als allgemeines Präservativum die Auswaschung der Augen des Neugeborenen mit einer erwärmten Chlor- kalk-Lösung (1—4 Gramm auf 1 Unze) — doch fand ein derartiger Vorschlag niemals eine sonderliche Beachtung. Und eigentlich konnte er sie bei den pathologischen Vorstellungen, welchen man bis in die neueste Zeit über die Natur der Blennorrhoe huldigte, auch gar nicht finden. Eine allgemeine Prophylaxe der Blennorrhoea neonaterum konnte erst mit dem Augenblick unabweisbares Bedürfniss werden, wo man von der infeetiösen Natur der Blennorrhoe ausschliesslich überzeugt war; so lange man in der Infection nur eines von vielen anderen ätio- logischen Momenten erblicken wollte und andere Faetoren, wie etwa die Einwirkung des Lichtes, Erkältung, Hyperearbonisation des Blutes u. A., der Infeetion für gleichwerthig, ja sogar für viel wesentlicher als diese erachtete, fand man natürlich keinerlei Veranlassung zu all- Semeinen, gegen eine Infeetion gerichteten prophylaktischen Mass- nahmen. Mit den Anschauungen, welche die moderne Wissenschaft über die ausschliesslich infeetiöse Natur der Blennorrhoe lehrt, konnte sich das Bedürfniss nach Schutzmassregeln erst zu regen beginnen. Dem- entsprechend sehen wir denn auch, dass erst im vorigen Decennium von Bischof und Olshausen in grösserem Umfange allgemeine pro- phylaktische Massnahmen gegen die Blennorrhoe in Anwendung gebracht wurden; Waschungen der mütterlichen Geschlechtsorgane und der kind- liehen Augen mit Carbol- resp. mit Salicyllösungen wurden von diesen Autoren mit solchem Erfolg durchgeführt, dass die Zahl der in ihren Anstalten zur Beobachtung kommenden Blennorrhoeen von 5,6 pCt. auf 2,6 pCt. resp. von 12,5 pCt. auf 6 pOt. herabsank. Dieser so überaus günstige Erfolg musste zu einem weiteren Innehalten dieses so aussichts- vollen Weges auffordern, und so gelang es denn auch Crede&, eine Me- thode zu finden, welche eine fast vollständige Beseitigung der Blen- norrhoe aus den Gebäranstalten aufzuweisen hat. Diese Cred&’sche der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 53 Methode, die Ihnen, meine Herren, aus der Tagesliteratur ja hinläng- lich bekannt ist, besteht in ihrer jetzigen Gestalt darin, dass den Kindern nach der Abnabelung und nach Reinigung der Augen mit einem in Wasser getauchten Läppchen auf dem Wickeltisch mittelst eines Glas- stäbehens in jedes ein wenig geöffnete Auge ein einziger Tropfen einer 2 procentigen Argentumlösung mitten auf die Cornea fallen gelassen wird, Die Erfolge dieses Verfahrens sind so überaus günstige, dass sie in kurzer Zeit das allgemeinste Aufsehen erregt haben; gelang es ja doch Cred&, mit seiner Methode den Procentsatz der Blennorrhoe, welcher in der Leipziger Geburtsklinik bis dahin durchschnittlich etwa 10 pCt. betragen hatte, auf etwa 0,2 pCt. herabzudrücken. Aehnliche überraschend gün- stige Erfolge sind von den verschiedensten Forschern mitgetheilt worden, doch will ich auf eine Reproduction der einschlägigen Notizen an dieser Stelle verzichten, da Ihnen, meine Herren, die Lecetüre der medieinischen Journale hinlänglich Gelegenheit bietet, sich einen eigenen Einblick in die fraglichen Arbeiten zu verschaffen. Dagegen will ich einige Mit- theilungen geben, welche bisher noch nicht veröffentlicht worden sind und welche ich der Güte des Herrn Sanitätsrath Fuhrmann, Director der hiesigen Hebammen-Unterrichts-Anstalt, verdanke. Diese Mittheilungen sind deshalb sehr instructiv, weil sie sich nicht allein über die letzten vier Jahre erstrecken, sondern sich auf Parallel-Versuche mit Carbol beziehen. Im Sommer- und Wintersemester 1880/81 fanden sich in der senannten Anstalt unter 124 Geburten 7 Fälle schwerer Blennorrhoe = 5,6 pCt. Im Sommer- und Wintersemester 1881/32 unter Benützung der Cred&’schen Methode unter 126 Neugeborenen 3 Fälle von Blennor- thoe = 2,3 pCt. Im Sommer- und Wintersemester 1882/33 unter Benutzung einer 2procentisen Carbolsäurelösung unter 144 Kindern 7 Fälle von Blennorrhoe —= 4,9 pCt. Im Sommersemester 1883 wurde immer ein Neugeborener mit 2 procentiger Carbolsäurelösung und einer mit 2procentiger Argentum- lösung behandelt. Das Resultat war, dass bei den mit Argentum be- handelten Kindern 0, bei den mit Carbolsäure behandelten dagegen 1 an Blennorhoe erkrankte, Im Wintersemester 1883/84 wurden sämmtliche Neugeborene nur nach der Cred&’schen Methode behandelt und kein Fall von Blen- norhoe beobachtet. Im Allgemeinen ist man jetzt in ärztlichen Kreisen ') über die !) Bekanntlich hat vor einiger Zeit Pflüger (Universitäts-Augenklinik in Bern, _ Bericht für das Jahr 1881. Bern 1883, p. 16) die praktische Bedeutung des Cred&schen Verfahrens bedeutend in Zweifel gestellt, indem er sagte: „Mir 54 Jahres-Bericht ausgezeichnete Wirksamkeit des Cred&’schen Verfahrens vollkommen einig und auch die Behörden beginnen bereits den vorzüglichen Erfolgen. desselben ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Das deutsche Reichs - Ge- sundheits-Amt hat die deutschen Regierungen in einem besonderen Formu- lar auf die hohe Bedeutung der Crede’schen Methode hingewiesen und täusche ich mieh nieht — zur Prüfung derselben aufgefordert. Der vor- zügliche Aufsatz, welchen Professor Schatz aus Rostock jüngst in der deutschen medieinischen Wochenschrift veröffentlicht hat, ist dieser be- hördlichen Initiative bereits entsprungen und so steht zu hoffen, dass die Prophylaxe der Blennorrhoe in nicht allzu langer Zeit eine feste, offieielle Form gewinnen werde. Darüber kann wohl kein Zweifel ob- walten, dass dieser von Cred6 gewiesene Weg in Zukunft der für die Prophylaxe der Blennorrhoe massgebende sein werde. Ob dabei das Argentum nitricum das ausschliesslich benützte Mittel sein, oder man vielleicht andere Medieamente bevorzugen wird, will ich vor der Hand dahingestellt sein lassen. Uebersehen darf man allerdings nicht, dass von einzelnen sehr beachtenswerthen Forschern in sehr warmer Weise für das Sublimat eingetreten wird. Nachdem man also gegenwärtig darüber einig ist, dass eine prophy- laktische Massnahme in Crede’s Sinne unbedingt erforderlich ist, entsteht die Frage, in welchem Umfange man die bezügliche Methode praktisch verwerthen solle. Soll man das Cred@’sche Verfahren nur in Gebär- anstalten einführen, oder soll man auch für eine offieielle Benützung desselben in der allgemeinen Praxis eintreten? diese Fragen sind es, welche im Augenblicke den Gegenstand vielfacher Erörterungen bilden. Darf ich meinen eigenen Standpunkt in dieser Angelegenheit präeisiren, so würde ich zuvörderst unbedingt für die offieielle Einführung des Ured@’schen Verfahrens in alle Gebäranstalten plaidiren, ein Standpunkt, welchen gegenwärtig wohl die meisten Collegen, welche sich mit der (raglichen Sache beschäftigt haben, mit mir theilen und der bereits auch schon von einzelnen Regierungen praktisch durchgeführt worden ist. $o ist z. B. durch Erlass vom 31. Januar 1883 von der k. k. öst.-ung. Statt- halterei das Cred@’sche Verfahren in allen Gebär- und Findelanstalten scheint, dass jedes Desinfieciens, das auch nur vorübergehend die Conjunctiva reizt und sie zu vermehrter Absonderung veranlasst, einen günstigeren Boden (ür eine Seeundärinfeetion schaffen muss. Ich konnte mich daher nie für die Crede’sche 2proe. Are. nitr. Lösung begeistern und bin überzeugt, dass bald weniger günstige Berichte über dieses Verfahren als bisher einlaufen werden Wenn diese Aeusserung Pflügers auch erst im Jahre 1883 gethan worden ist, so ist sie doch durch die inzwischen gemachten Erfahrungen bereits vollständig antiquirt. Die Praxis hat die theoretischen Erwägungen Pflüger’s nicht bestätigt und das Crede’sche Verfahren erfreut sich heut mit Recht bei den Aerzten der vollsten Billigung. | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 55 Öesterreichs officiell eingeführt worden. Eine nähere Begründung dieser meiner Anschauung darf ich mir darum gewiss ersparen. Ein Verfahren, welches im Stande ist, die Blennorrhoe in den Gebäranstalten fast voll- ständig zu verbannen, wie dies der Cred@’schen Methode in Leipzig, Wien, Stuttgart, Breslau und an anderen Orten gelungen ist, verdient unter allen Umständen als bleibende Massnahme in den Gebärhäusern heimisch zu werden. Nicht so unbedingt möchte ich mich dagegen — wenigstens für den Augenblick — für die allgemeine Einführung der Cred&’schen Me- thode in die Hauspraxis aussprechen. Hier liegen denn doch allerlei Bedenken vor, welche bereits von anderer Seite geltend gemacht worden sind, so von Professor Schatz, in dem bereits genannten Erlass der öster- reichischen Statthalterei u. s. w. Der wichtigste und vornehmste Grund, welchen ich gegen die all- gemeine Benutzung der Crede’schen Methode anführen möchte, liegt keines- wegs in ihr selbst, als vielmehr in der Befürchtung, dass dieselbe von den in Frage kommenden Medicinalpersonen, speciell von den Heb- ammen, in der Hauspraxis nicht in hinreichender und befriedigender Weise zur Ausführung gebracht werden dürfte. So einfach und leicht zu handhaben die Orede’sche Methode im Allgemeinen auch sein mag, so glaube ich, darf man doch nicht ohne Weiteres die Ausführung der- selben nun alsbald einer jeden Hebamme in Stadt und Land zumuthen. Die Erfahrung hat wenigstens gelehrt, dass der Erfolg des Ored&’schen Verfahrens in der Hand eines nicht geübten und mit demselben nicht vollständig vertrauten Individuums durchaus nicht die günstigen Resultate ergiebt, welche andere erfahrenere Beobachter melden. So berichtete z. B. jüngst erst Professor Simpson, dass in der Edinburger Gebäranstalt mittelst Crede’s Verfahren die Zahl der Blennorrhoen zwar von 11,76 pCt. auf 5 pCt. herabgedrückt worden seien, dass aber ein - voller Erfolg lediglich aus dem Grunde noch nicht erzielt worden sei, weil die Hebammen in der Ausführung des Verfahrens noch nicht die nöthige Uebung und Schulung besässen. Auch von anderer Seite ist mir per- sönlich mitgetheilt worden, dass der Erfolg der Cred@’schen Methode bei nicht genügend verlässlichen Hebammen zu wünschen übrig lasse. Natür- lich bin ich weit davon entfernt, aus diesem Umstande dem Verfahren selbst irgend einen Vorwurf machen zu wollen, glaube aber doch, dass uns die fraglichen Erfahrungen die nöthigen Winke darüber ertheilen dürften, wie wir uns in der allgemeinen Praxis gegenüber dem Crede- schen Verfahren zu verhalten haben. Könnten wir der sicheren Ueber- zeugung sein, dass die in’ Stadt und Land wirkenden Hebammen ins- gesammt der Handhabung der Cred&@’schen Methode gewachsen wären, so würden wir unbedingt für eine allgemeine Einführung derselben stimmen. Da wir nun aber zu einer derartigen Annahme nach der 56 Jahres- Bericht vorliegenden praktischen Erfahrung nur wenig Berechtigung zu haben scheinen, so halten wir es vor der Hand noch nicht gerathen, der Einführung des Cred&’schen Verfahrens in die allgemeine Praxis das Wort zu reden. Wir können, dies ist wenigstens unsere Meinung, vor der Hand nicht mehr thun, als die Verallgemeinerung der Crede’schen Methode vorzubereiten, indem wir darauf dringen, dass sobald als mög- lich die Unterweisung in der Handhabung des Crede’schen Verfahrens dem Lehrplan des Hebammen-Unterrichtes einverleibt werde. Geschieht dies, erhält die Hebamme in der Schule die nöthige Anleitung zu einer rationellen Einübung jener vortrefflichen Methode, so wird es nicht allzu lange dauern und wir werden über ein Hebammenpersonal verfügen, welches den technischen Ansprüchen der Cred&’schen Methode im vollsten Masse entsprechen dürfte. Mit diesem”Augenblick wäre aber die Ein- bürgerung des Verfahrens in die Hauspraxis wesentlich aussichtsvoller, als sie jetzt ist. Ausser der fehlenden Uebung in der Technik des Ver- fahrens, welche wir an den jetzt in Stadt und Dorf praktieirenden Heb- ammen bemerken, ist es noch ein anderer Umstand, welcher uns die sofortige Einführung des Verfahrens nicht rathsam erscheinen lässt. Die Einträuflung der 2procentigen Argentumlösung ruft unter Umständen eine leichte Hyperämie der Conjunctiva und etwas vermehrte Secretion hervor. Wenn diese reactiven Erscheinungen nun auch ohne jede Bedeutung sind, So dürfen wir sie doch unbedingt nicht vollständig ignoriren. Eine Heb- amme, welche aus eigener Erfahrung mit den reactiven Folgen der Me- (hode nicht vollständig vertraut ist, könnte durch das Auftreten solch einer seeundären Conjunetivitis doch zu allerlei total überflüssigen Mass- nahmen veranlasst werden, wie auch das Publikum aus solchen Vor- sängen möglicherweise mit Misstrauen gegen das Verfahren erfüllt werden könnte. Nur wenn die Hebamme das Verfahren in allen Phasen des- selben vollständig beherrscht, können derlei Unzuträglichkeiten sicher ver- mieden werden. Darum schliessen wir uns denjenigen Autoren unbedingt an, welche die sofortige Einführung des Cred6’schen Verfahrens in die allgemeine Praxis vor der Hand noch widerrathen. Uebrigens möchten wir darauf hinweisen, dass ausser der schulmässigen Unterweisung der Ilebammen auch das ärztliche Publikum für die Verallgemeinerung des Oredesehen Verfahrens viel thun könnte. Wenn die Aerzte von dem Verfahren genaue Kenntniss nehmen, sich für dasselbe interessiren und in ihren Kreisen auf die Hebammen und das Publikum belehrend einwirken, so wird durch eine solche Thätigkeit die Bedeutung des Cred6- schen Verfahrens bald in weiteren Schichten des Volkes bekannt sein und damit der Verbreitung desselben wesentlich Vorschub geleistet werden. N nochmals das, was wir für die Verhütung der dei atorum als unbedingt nothwendig erachten, wieder- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 57 holen und in die Form von Anträgen zusammenfassen dürfen, so würden wir Folgendes fordern: 1. Obligatorische Einführung des Crede@’schen Verfahrens in alle Ge- burts- und Findelhäuser. 2. Unterricht der Hebammen in der Handkabung des Cred&’schen Verfahrens und probemässige Ausführung desselben durch die Hebamme bei der Prüfung. 3. Kenntnissnahme des Verfahrens durch die Aerzte, sowie mög- lichste Verbreitung des Verfahrens im Publikum durch Belehrung von Seiten der Aerzte. Wir würden uns nunmehr zur Betrachtung der zweiten Frage zu wenden haben, welche lautete: | 2. Wie lassen sich die üblen Folgen der zum Aus- bruch gelangten Blennorrhoe verhüten? Vom theoretischen Standpunkt aus ist die Beantwortung dieser Frage ungemein leicht, denn sie lautet eben nur: man hole zur rechten Zeit den Arzt. Aber praktisch liegt die Sache denn doch nicht so einfach; hier machen sich verschiedene Factoren geltend, welche der rechtzeitigen Herbeirufung des Arztes hindernd in den Weg treten. Im Allgemeinen sind es vornehmlich zwei Momente, welche das helfende Eingreifen des Arztes nur zu oft lahmlegen: nämlich der Widerstand der Hebamme und die Nachlässigkeit der Eltern. Es sei mir nunmehr gestattet, diese beiden Punkte des Näheren zu beleuchten. Der Widerstand der Hebamme gegen eine ärztliche Behandlung der Blennorrhoe ist leider nur zu oft die Veranlassung zu den üblen Ausgängen, welche die Blennorrhoe nimmt. Ich will keineswegs be- haupten, dass die Hebamme immer nur aus Rücksicht auf ihren eigenen Vortheil die Herbeiziehung eines Arztes zu hintertreiben suche. In nicht wenigen Fällen mag dieses Moment ja mitspielen und die Hebamme veranlassen, die Kosten der Behandlung sich selbst zu verdienen, Weit- aus in der Mehrzahl der Fälle ist es aber gewiss nicht der Eigennutz, sondern die Unwissenheit der Hebamme, welche die Herbeirufung des Arztes den Eltern des kranken Kindes als unnöthis darstellen lässt. Die Hebamme glaubt eben, dass die in ihren Anfängen ja noch nicht so gefähr- lich aussehende Blennorrhoe ein unschuldiger Zustand sei; sie ist der festen Ueberzeugung, dass die von ihr vorgeschlagenen Mittel, als Milch- einträufeln, Rosenwasserwaschungen u. dgl. m., vollkommen ausreichend seien, um die Augenerkrankung der Neugeborenen zu beseitigen, und indem sie diese ihre Ueberzeugung den Eltern des Kindes als die rich- tige darstellt, verhindert sie eben die Herbeirufung des Arztes. Meine eigene Praxis hat mir nur zu oft die Richtigkeit des eben Gesagten be- stätigt. Erst jüngst noch hatte ich Gelegenheit, bei einigen schweren, spät in meine Behandlung gekommenen Blennorrhoefällen aus dem Munde 58 Jahres - Bericht der Mütter die Mittheilung zu hören: dass die Hebamme den vorhan- denen Zustand für absolut ungefährlich erklärt und das Verschwinden desselben von einem Tag auf den anderen prophezeit habe. Wir wollen uns schliesslich aber mit den Gründen, welche die Hebamme so oft veranlassen, die ärztliche Hilfe gar nicht oder zu spät in Anspruch zu nehmen, nicht weiter beschäftigen. Es kann uns Aerzten ja schliess- lich ziemlich gleichgiltig sein, welche Gedankenverbindungen in einem hebammlichen Gehirn sich abspielen mögen, wenn sie gegen unsere Hilfe opponirt. Thatsache bleibt es nun einmal, dass viele Fälle von Blennorrhoe nur deshalb einen unglücklichen Ausgang nehmen, weil jener Widerstand der Wehmutter sich geltend gemacht hat. Mag auch in dieser oder jener Stadt, Dank dem energischen Auftreten der Behörden oder Dank den Bemühungen eines für die Sache sich ganz besonders interessirenden Collegen, die Hebamme weniger Schaden stiften; im Grossen und Ganzen vermag ich die Hebamme doch nicht von der Schuld, welche sie durch Vernachlässigung der Blennorrhoe auf sich lädt, freizusprechen. Es ist nun in Anerkennung dieser Thatsache bereits auch wiederholt sowohl auf privatem Weg von einzelnen Collegen, als behördlicherseits der Versuch gemacht worden, das Benehmen der Hebamme gegenüber der Blennorrhoe durch möglichst genaue Bestim- mungen zu regeln. So liegt mir z. B. ein aus dem Jahre 1852 stam- mender Erlass der Königlich bayerischen Regierung vor, welcher den Titel trägt: ‚Was von der Hebamme in Ansehung der Erhaltung des Augenlichtes der Neugeborenen zu beachten ist“. Und auch die neueste Zeit hat verschiedene derartige amtliche Verordnungen gebracht; so ist z. B. im Jahre 1882 von der Königlich sächsischen Regierung an die Hebammen eine Verhaltungsvorschrift erlassen worden. Allein so gut diese Verordnungen auch gemeint sein mögen und so sehr sie das Bestreben der Regierungen beweisen, den besagten Uebelständen abzu- helfen, so halten wir doch den Erfolg derselben für sehr gering. Für den Augenblick, wo solche Verordnungen erlassen worden sind, mögen sie wohl einigen Nutzen stiften; allein die Alles nivellirende Zeit stumpft den Eindruck eines solehen behördlicheu Erlasses zu bald ab und macht damit die beabsichtigten Wirkungen desselben denn doch recht illu- sorisch. Ermahnungen und Verwarnungen sind zu gelinde Mittel gegen Kigennutz, Leichtsinn und Unkenntniss. Hier bedarf es energischerer Mittel, um einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen. Von diesen Er- wägungen geleitet, schlagen wir vor: Obligatorische Meldepflicht eines jeden Falles von Blennorrhoea neonatorum für die Hebamme, verbunden mit einer kurzen Be- merkung über die ärztliche Behandlung. Ks sei mir gestattet, über den Nutzen, welchen ich mir von diesem meinem Vorschlag verspreche, einige wenige Bemerkungen zu machen. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 59 Wird die Blennorrhoe in eine Kategorie mit jenen infectiösen Erkran- kungen gesetzt, für welche gegenwärtig bereits der Meldezwang besteht, so gewinnen wir mit dieser Massregel zuvörderst einen sicheren sta- tistischen Ueberblick über den Umfang der Blennorrhoe. Professor Schatz in Rostock hat jüngst, wie wir meinen mit vollstem Recht, darauf hingewiesen, dass für eine ausgiebige Bekämpfung der Blennorrhoe zuvörderst eine genaue Ermittelung ihrer Verbreitung höchst nothwendig sei. Durch die Meldepflicht würde nun eine derartige Ermittelung ohne Weiteres ermöglicht werden. Wir würden auf diesem Wege nicht allein die Zahl der in einem Jahr in jeder Provinz vorgekommenen Blennorrhoefälle kennen lernen, sondern wir würden auch über etwaige Localisation dieser Krankheit in einzelnen Landstrichen uns genau unter- richten können. Nach den Beobachtungen einzelner Autoren, so z. B. nach Prof. Schmidt-Rimpler in Marburg, scheinen einzelne Gegenden eine auffallend geringe Zahl von Blennorrhoe-Erkrankungen zu besitzen. Die Meldepflicht würde uns über dieses Verhalten vollkommene Klarheit geben. Bei dem Dunkel, welches gegenwärtig immer noch über der Aetiologie der Blennorrhoe schwebt, wäre aber jeder Einblick in die Entstehungsursache resp. in die Begünstigung ihrer Entstehung von der grössten Bedeutung. Sodann wäre man in der Lage, durch Anbringung von gewissen Fragen auf dem Meldeformular noch andere für die Aetio- logie der Blennorrhoe wichtige Verhältnisse überblicken zu können. Das Verhältniss der Blennorhoe zu Scheidenflüssen liesse sich nämlich auf diesem Wege statistisch genau feststellen; man brauchte blos auf dem Meldeformular einige diesbezügliche Fragen aufzustellen. Aus diesen Erörterungen geht, glaube ich, mit vollster Sicherheit hervor, dass für den wissenschaftlichen Theil der Blennorrhoefrage, für die Kenntniss der Aetiologie durch die Meldepflicht — vorausgesetzt, dass sie in der geeigneten Weise mit Hilfe eines Formulars, auf das wir gleich noch zurückkommen werden, ausgeführt werde — sehr viel ge- wonnen werden könnte, Aber auch für den rein praktischen Theil, für die Verhütung der üblen Ausgänge der Blennorrhoe, würde die Meldepflicht sehr wesentliche Dienste leisten. Denn es lässt sich nicht verkennen, dass die Melde- pflieht für die Hebamme eine sehr genaue Controle bilden würde. Weiss die Hebamme, dass sie bei schwerer Strafe jeden Fall von Blennorrhoe zu melden hat, so wird sie in ihrem Verhalten gegen diese Erkrankungsform viel vorsichtiger und sorgsamer werden. Sie wird sich wohl hüten, die Blennorrhoe, wie sie dies jetzt thut, selbst zu behandeln oder leichtsinnig zu verschleppen; die unbedingte Einsicht in einen jeden Blennorrhoefall, welche die Medieinalbehörde durch eine Meldepflicht nun einmal gewinnen würde, müsste die Fehler der Hebamme sofort zu Tage fördern und ihr zu der verdienten Strafe schnell genug verhelfen. 60 Jahres - Bericht Auf diese Weise würde die Meldepflicht einen sicheren Schutz gegen die von der Hebamme drohenden Gefahren bieten und deshalb plaidiren wir unter allen Umständen für einen möglichst bald einzuführenden Meldezwang. Wie wir vorhin bereits angedeutet haben, würde der Meldezwang aber nur dann den vollen Erfolg auch in wissenschaftlicher Beziehung garantiren, wenn die einzelne Meldung nach einem bestimmten Schema erfolgen würde, Wir erlauben uns nunmehr, im Folgenden ein solches Meldeschema in Vorschlag zu bringen: 'l. Vor- und Zuname des Erkrankten: 2. Alter: . Geschlecht: . Wohnort: . Tag der Erkrankung: . Hat die Gebärende einen Scheidenfluss: . Welcher Art ist der Scheidenfluss, weiss oder eitrig: . Dauer der Austreibungszeit: 9. Ist ein vorzeitiger Sprung der Fruchtblase erfolgt: 10. Wie viel Mal hat die Mutter bereits geboren: 11. Sind die früheren Kinder an Blennorrhoe erkrankt: 12. Sind prophylaktische Massregeln bei dem Kinde getroffen worden: Ich will auf die Aufnahme dieses von mir proponirten Formulars nun in keiner Weise drängen; ich stelle dasselbe vielmehr den Herren Collegen zur freien Discussion. Ich kann mich der Einsicht nicht ver- schliessen, dass das von mir aufgestellte Meldeschema vielleicht zu viel Fragen enthalte und deshalb die Ausfüllung desselben Schwierigkeiten bereiten könne; auch will ich die Möglichkeit keineswegs ausschliessen, dass nicht irgend ein wesentlicher Punkt von mir bei Entwurf des Schemas übersehen sein könnte. Es ist das, was ich Ihnen vorlege, eben nur ein Entwurf zu einem allgemein einzuführenden Schema und als solcher der Verbesserung natürlich nicht blos fähig, sondern auch bedürftige. oO 9 ap Wir würden uns nunmehr noch zu beschäftigen haben mit den- jenigen Gefahren, welehe dem blennorrhoekranken Kinde aus dem Verhalten der Eltern erwachsen. Dass Leichtsinn, Unachtsamkeit, Unkenntniss und peeuniäre Hilfslosigkeit der Eltern gar nicht selten die Veranlassung zu einem schlimmen Ausgang der Blennorrhoe geben ist jedem Praktiker hinlänglich bekannt und brauche ich deshalb über diesen Punkt mich nicht noch besonders auszulassen. Für uns handelt es sich vielmehr hier nur darum: Wie können wir das blennorrhoekranke Kind gegen diese von den Eltern drohende Gefahren in wirksamer Weise schützen? Der zweite europäische Blindenlehrer- Congress, welcher im Jahre 1876 in Dresden getagt hat, hat die der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 61 Blennorrhoefrage in eingehender Weise erörtert und war dabei zu folgender Resolution gelangt: ,‚Die Presse Deutschlands und Oesterreichs wolle der Augenentzündung der Neugeborenen ihre besondere Aufmerksamkeit schenken und ihre Leser über die verderbliche Krankheit in populärer Weise belehren.“ Nun, ich muss gestehen, dass gerade dieser Weg mir wenig versprechend scheint und ich nicht glaube, dass das Publikum lediglich durch belehrende Aufsätze zu einem rationellen Verhalten den blennorrhoekranken Kindern gegenüber veranlasst werden könnte. Der- jenige Theil des Publikums, welcher einen Artikel über Blennorrhoe zu Gesicht bekommt, wenn ihm gerade die Geburt eines Kindes blüht, wird vielleicht von dem fraglichen Aufsatz Kenntniss nehmen und die Möglichkeit, dass er das dort Gesagte auch beherzigen werde, ist natür- lich keineswegs in Abrede zu stellen. Allein es ist wohl kaum anzu- nehmen, dass diejenigen Personen, welche der Eventualität einer Ver- mehrung ihrer Familie nicht unmittelbar entgegensehen, sich den Inhalt eines Aufsatzes über Blennorrhoe sonderlich zu Gemüthe führen dürften. Es wird ein solcher Artikel eben das Schicksal haben, welches popu- läre medieinische Belehrungen meist haben, sie werden vergessen, nicht beachtet. Soll ein Apell an das Publikum einen Erfolg haben, so muss er unbedingt dann an dasselbe gerichtet werden, wenn das Publikum der betreffenden Unterweisung gerade bedürftig ist, d. h. also zur Zeit der Geburt. Es ist wohl aber kaum anzunehmen, dass die zwar vor- züglichen populären Artikel, welche Colsman, Samelsohn, die Hygiene pratique, die Society for the Prevention of Blindness u. a. m. über die Blennorrhoe wiederholentlich publieirt haben, gerade immer dem Interessenten dann zugänglich sind, wenn er sie am meisten bedarf, d. h. eben bei einer Geburt. Meist wird dies ganz gewiss nicht der Fall sein, und wenn die Unterweisung gebraucht wird, wird sie nicht zur Stelle sein. Aus diesem Grunde stehen wir der Belehrung des Publikums über die Blennorrhoe durchaus kühl und misstrauisch gegenüber und können uns die geringe Bedeutung derselben nicht verhehlen. Soll die Belehrung einen Nutzen stiften, so muss sie unbedingt so eingerichtet sein, dass sie immer dann, wenn sie gerade gebraucht wird, auch zur Hand ist. Dies lässt sich nur in der Weise erreichen, dass eine kurz- gefasste Belehrung Demjenigen, welcher die Geburt eines Kindes auf dem Standesamt meldet, überreicht wird. Eine ähnliche Einrichtung ist bereits in einigen Städten getroffen worden, so z. B. in Havre. Will man also die Belehrung in der Weise veranstalten, dass man eine kurz- gefasste, wenige Paragraphen umfassende Unterweisung Jedem, der eine Geburt auf dem Standesamt meldet, übergiebt, so würde ich eine der- artige Einrichtung unter allen Umständen befürworten. Schliesslich möchte ich noch eine Frage zur Besprechung bringen, für und gegen welche sich Manches sagen lässt, nämlich die Frage: 69 Jahres - Bericht Empfiehlt es sich, dass der Staat die ärztliche Behandlung der Blen- norrhoe obligatorisch den Eltern auferlegt und bei pecuniärer Hilflosig- keit derselben selbst die Kosten der ärztlichen Behandlung trägt? Mir ist es nicht bekannt, ob unsere Gesetze zu einer derartigen Massnahme einen Anhalt gewähren würden und vermag ich also auch darüber, ob eine solehe Regelung der Behandlung der Blenorrhoe überhaupt möglich sein könnte, kein Urtheil zu fällen. Das glaube ich aber sagen zu können, dass das Bestehen einer gesetzlichen Nöthigung für die Behand- lung, die Gefahren der Blenorrhoe erheblich herabmindern müsste. Und ich glaube auch, dass das ärztliche Publikum diese meine Meinung durch- aus theilen dürfte. Man könnte mir vielleicht den Einwand machen, dass die von mir befürwortete Tragung der ärztlichen Behandlungskosten durch Staat resp. Gemeinde nicht durchführbar wäre, indem mit einer solchen Massregel der Staats- resp. Gemeindesäckel zu stark in Anspruch genommen werden könnte. Allein dieser Einwurf wird sich als nicht stichhaltig erweisen, wenn wir die Kosten, welche ein an Blennorrhoe erblindetes Individuum dem Allgemeinwesen auferlegt, vergleichen mit denen, welche die ärztliche Heilung eines Blenorrhoekranken verursacht. Rechnen wir zuvörderst, dass ein blennorrhoeblindes und ein sehendes Individuum in den ersten 15 Lebensjahren ziemlich die gleichen Kosten für Wohnung, Bekleidung, Nahrung, Pflege u. dergl. beanspruchen dürften, so ändert sich doch dieses Caleül erheblich mit dem Eintritt des fünf- zehnten Lebensjahres. In den unteren und mittleren Volksklassen be- ginnt mit dem Confirmationstermin, welcher ja meist in das 15. Lebens- jahr fällt, fast immer eine neue Zeitepoche, in welcher das sehende Individuum seinen Lebensunterhalt selbst verdient. Wenn es auch noch nicht alle Kosten, welche seine Existenz verlangt, decken kann, so wird es dureh seine Arbeit doch einen guten Theil derselben erbringen. Der Blennorrhoe-Blinde ist dagegen zu einem solchen Erwerb meist ausser Stande und ist mit den für seinen Unterhalt nothwendigen Kosten lediglich auf Unterstützung angewiesen. Rechnen wir nun, dass der Blinde täglich 1 Mark für seinen Lebensunterhalt braucht, so würde das jährlich die Summe von 365 Mark repräsentiren. Schätzen wir nun das Lebensalter auf 30 Jahre, so würde der Blinde 15 Jahre hindurch, nämlich vom 15. bis 30. Lebensjahr jährlich 365 Mark, d.h. in Summa 5475 Mark an Unterstützung kosten. Kerner können wir annehmen, dass der Sehende vom zwanzigsten Jahr an täglich 2 Mark verdient, das Jahr zu 300 Arbeitstagen ge- rechnet, würde dies einem Capital von 600 Mark jährlich gleiehkommen. Der Blinde ist nun aber in den seltensten Fällen in der Lage, diese 600 Mark jährlich zu verdienen. Es bedeutet also die Arbeitsunfähig- keit des Blinden für den Staat einen jährlichen Verlust von 600 Mark. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 6 os Reehnen wir wieder die durchschnittliche Lebensdauer auf 30 Jahre, so würde der Blinde vom 20. bis 30. Jahr durch Ausfall seiner Individual- arbeitsquote dem Staat einen Schaden von 6000 Mark bereiten. Rechnen wir nun diese beiden Posten, die 5475 Mark für Unter- halt und die 6000 Mark zusammen, so würde ein Blennorrhoeblinder, der im 30. Jahre stirbt, dem Staat gekostet haben 11 475 Mark. Halten wir gegen diese 11475 Mark die Kosten, welche die ärzt- liche Behandlung eines Blennorrhoeblinden erfordert, so werden wir uns leicht die Frage beantworten können: Macht der Staat ein schlechtes Geschäft, wenn er arme blennorrhoische Kinder auf seine Kosten heilt? Eine ärztliche Behandlung der Blennorrhoe würde, nehmen wir einmal einen hohen Satz an, wohl in den seltensten Fällen mehr wie 475 Mark Kosten beanspruchen. Wenn also der Staat durch Ausgabe dieser 475 Mark einem blennorrhoekranken Kinde das Sehvermögen erhält, so würde ihm diese baare Auslage doch schliesslich immer 11 000 Mark erhalten haben, welche das erblindete Kind während eines 30 jährigen Lebens kosten würde. Ich glaube also, vom volkswirthschaftlichen Standpunkt wäre der Behandlung armer blenorrhoekranker Kinder auf Kosten des Staates unbedingt das Wort zu reden. Und damit hätte ich das, was ich dieser Versammlung über die Verhütung der Blennorrhoe und der üblen Folgen derselben zu sagen hatte, beendet. In der an den Vortrag sich schliessenden Discussion bemerkt Herr Jany, dass er der Prophylaxis der Blenn. neonat. und den üblen Aus- gängen dieser Krankheit seit langer Zeit eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt und nach dieser Richtung hin zur Besserung der Breslauer Verhältnisse wesentlich beigetragen habe. Nachdem er die Ueberzeugung erlangt hatte, dass die Blenn. neonat. in allen Fällen eine von der - Mutter auf das Kind übertragene Krankheit ist, war er darauf bedacht, Mittel und Wege aufzufinden, um einmal dem Entstehen des Uebels vorzubeugen, das andere Mal den traurigen Verlauf desselben zu ver- hindern. Er ging hierbei von der Ansicht aus, dass in den bei Weitem meisten Fällen die Hebammen an der Erblindung der Kinder in Folge von Blenn. neonat. schuld wären, und dass man zur Hebung dieses Uebel- standes vor Allem gegen die Hebammen vorgehen müsste. Deshalb ver- anlasste er das hiesige Polizei-Präsidium, ein Rescript an die Hebammen zu erlassen, in dem ihnen beim Vorkommen von Blenn. neonat. unter Androhung von Strafen (ef. $s$ 230—232 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich) geboten wurde: 1) sich der Heilsversuche zu enthalten, 2) die Eltern des Kindes auf die Gefahr der Krankheit aufmerksam zu machen und darauf zu dringen, dass dieselben sofort augenärztliche Hilfe in Anspruch nehmen möchten. Diese Verfügung erschien im Januar 1869 und wurde auf Wunsch des Dr. J any nach 4 Jahren (8. August 1375) 64 Jahres - Bericht wiederum erneuert. Dass diese Verordnung genützt und wie sie genützt hat, davon hat sich Herr J. im Laufe der darauf folgenden Jahre wohl überzeugt und zweifelt nicht daran, dass dies auch die andern hierorts praeticirenden Augenärzte bemerkt haben werden. Es steht fest, dass im letzten Decennium so traurige Fälle von vernachlässigter Blenn. neonat., wie sie hier in der Stadt noch in den 60er Jahren häufig vor- kamen, nur noch selten beobachtet werden, und wenn sie vorkommen, so betreffen sie meist Kinder vom Lande, wo es allerdings in dieser Beziehung noch sehr schlecht aussieht. Deshalb stellt J. den Antrag: „Die medicinische Section wolle eine Commission ernennen, be- stehend aus 3 oder 5 Personen, die den Auftrag erhält, ein Regulativ auszuarbeiten für die Hebammen, betreffend ihr Verhalten gegenüber der Blenn. neonat., und dieses Regulativ an das Reichsgesundheits- (Reichskanzler-) Amt einzusenden mit der Bitte, dass dieses die Sache in die Hand nehmen und für das ganze deutsche Reich gesetzlich regeln möchte.“ Herr Magnus lässt sich zu vorstehendem Antrage dahin aus, dass er denselben nur mit vollster Sympathie begrüssen könne, sei nach dem, was er in seinem Vortrage soeben gesagt habe, wohl selbstverständ- lich. Ist ja doch der Jany’sche Antrag schliesslich nichts Anderes als der Wunsch, das von ihm Gesagte praktisch zu verwerthen. Und da er bereits vor einiger Zeit Schritte gethan habe, welche die behörd- liche Hilfe gegen die aus der Blennorrhoe drohende Gefahren zu ge- winnen suchten, so kann er natürlich den Jany’schen Antrag nur durch- aus billigen und in ihm eine Unterstützung für die von ihm bereits gethanen Schritte erblicken, nur wünschte er den Antrag Jany etwas weiter gefasst, indem die Thätigkeit der zu wählenden Commission nicht lediglich nur auf das Verhalten der Hebammen, sondern auch auf das der Eltern und Pfleger ausgedehnt werden möchte. Die Discussion über den Antrag des Herrn Jany wird auf die nächste Sitzung vertagt. Sitzung vom 29. Februar 1884. Der Vorsitzende bringt zunächst den Antrag des Herrn Jany, Wahl einer Commission zur Aufstellung eines Regulativs für Verhalten der Hebammen bei Blennorrh, neonat. betreffend, zur Kenntniss der Ver- sammlung und ertheilt Herrn Jany zur Begründung seines Antrages das Wort. Herr Jany bemerkt: Die statistischen Erhebungen haben ergeben, ass von den 40 pCt. derjenigen Erblindungen, die nach dem jetzigen Stande unserer Wissenschaft als vermeidbar anzusehen sind, 10 pCt. auf Rechnung der Blennorh. neonat. fallen — dass also die Blen. neon. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 65 25 pCt. aller abwendbaren Erblindungen verschuldet. Das ist eine Fatalität, der gegenüber wir als Aerzte uns nicht passiv verhalten können. Jany ist der Ansicht, dass wir die Forschungsergebnisse unserer Wissenschaft womöglich auch praktisch verwerthen müssen. Hierzu bietet sich gerade bei der Blen. neon. eine günstige Gelegenheit. Nach der Ueberzeugung Jany’s und aller übrigen Augenärzte, die sich mit diesem Gegenstande eingehender beschäftigt haben, sind die Heb- ammen an den bei weitem meisten Fällen von Erblindungen durch Blen. neon. einzig und allein schuld und es muss deshalb gegen diese der Kampf eröffnet werden. Die blosse Belehrung derselben nützt nicht viel und die Vorschriften, welche nach dieser Richtung hin unsere Hebammenlehrbücher enthalten, sind nicht ausreichende. Es ist nicht genügend, wenn das Hebammenlehrbuch sagt: ‚Die Hebamme würde eine sirafbare Schuld auf sich laden, wenn sie dies oder jenes unter- liesse, sondern man muss den Hebammen die hier einschlägigen Para- sraphen ($$ 230—32) des Strafgesetzbuches, das sie ja meist gar nicht kennen, wirklich vor Augen führen und ihnen gleichsam das Damokles- schwert über den Nacken hängen. Wenn erst jede Hebamme weiss, dass sie mit 900 Rm. oder mit Gefängniss bis zu 3 Jahren bestraft werden kann, wenn sie sich einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig macht, so wird sie jede Curpfuscherei unterlassen. Diese Gründe haben Jany veranlasst, die schon oben erwähnte Ver- ordnung bei dem hiesigen Polizei-Präsidium im Jahre 1869 zu erwirken. Dass dieses Rescript für Breslau gute Früchte getragen hat und dass so traurige Fälle von vernachlässigter Blen. neon., wie sie noch in den 60er Jahren hier ziemlich häufig vorkamen, im letzten Decennium nur noch sehr vereinzelt angetroffen wurden, und wenn dies der Fall war, meistens Kinder vom Lande betrafen, könne er mit Zahlen be- weisen. Bei 100 Blen. neon., die aus den Krankenbüchern seiner Klinik vom Jahre 1865, 66, 67 und 68 ausgezogen wurden, finden sich nicht weniger als 18 Fälle von Corneal-Affectionen (Infiltrate, Geschwüre, Perforation mit und ohne Prolaps Iridis ete.), und alle diese Kinder waren aus der Stadt Breslau selbst, während sich unter 100 Blen. neon. aus den beiden Jahren 1880 und 81 nur 7 Fälle von Corneal-Affectionen notirt finden, und diese sämmtlichen 7 Kinder waren vom Lande. Hier- nach wäre also das procentualische Verhältniss der schweren bezw. vernachlässigten Fälle von Blen. neon. in der Stadt Breslau von 18 pCt. auf O0 pÜt. gesunken. | Was nun den Inhalt des von der zu wählenden Commission auszu- , arbeitenden Regulativs betrifft, so glaubt Jany, dass hierbei hauptsäch- ‚ lich 4 Punkte ins Auge zu fassen wären. 1. Was hat die Hebamme unter der Geburt zu thun? (Einspritzungen mit desinfieirenden Flüssigkeiten, besonders da, wo die Kreisende 1884. 5 66 Jahres - Bericht an Fluor leidet; ob Carbol oder Sublimat zu wählen sei, darüber müsse die Commission schlüssig werden). 3. Was hat die Hebamme nach der Geburt des Kindes zu thun? (Reinigen der Augen und prophylaktisches Einträufeln von Arg. ete.) 3. Hebamme hat die Eltern auf die Gefahr der Krankheit aufmerksam zu machen und darauf zu dringen, dass sofort ein Arzt zugezogen wird. 4. Meldepflicht bei der Behörde, in der Stadt beim Polizei-Präsidium, auf dem Lande beim Orts- resp. Amtsvorsteher. Was endlich den Weg anlangt, den man dann mit dem Regulativ weiter zu beschreiten habe, so wird sich die Commission zu entscheiden haben, ob man sich mit einer Petition an das Reichskanzleramt, oder an den preussischen Minister des Innern, oder zunächst blos an das hiesige Ober-Präsidium der Provinz wenden solle. Herr Neisser beantragt, die Commission nieht nur mit der Aus- arbeitung hygienischer Maassnahmen zu betrauen, sondern ihr auch die Erforschung der Aetiologie der Blen. neon. aufzugeben. Es sei merk- würdigerweise das Verhältniss der Blen. neon. zur Gonorrhoe und den dieselbe veranlassenden Gonoeoceen, resp. die Frage, ob es nicht ätio- logisch verschiedene Blennorhoeen gäbe, durchaus unaufgeklärt. Eine Sammelforschung sei für das Studium dieser Fragen durchaus am Platze. Die Commission möge das Material sammeln und wissenschaft- lich verwerthen. N. glaubt auch, dass aus diesen wissenschaftlichen Er- örterungen und Befunden practisch-verwerthbare Schlüsse werden ge- zogen werden können. — Er stellt also den Antrag: „‚eine Commission von 5 Mitgliedern zu wählen, welche die Entstehung und Beseitigung der Blennorrhoea neonatorum für hygienische Zwecke und vom wissen- schaftlichen Standpunkte aus durchberathen soll.“ Mit dem von Herrn Neisser gestellten Amendement, dass sich die Commission auch mit der Erforschung der Ursachen der Blennorrhoe neonatorum zu befassen hätte, erklärt sich Herr Jany ganz einver- standen. Nachdem der Antrag Jany’s einstimmig angenommen worden, wurden in die Commission die Herren Fritsch, Jany, Kroner, Magnus und Neisser gewählt. Alsdann hält Herr Neisser einen Vortrag Ueber den Bärenmenschen. Der Vortragende demonstrirt zuerst den Bärenmenschen. Derselbe | ıst ein seinem Alter — 13 Jahre — körperlich und geistig entsprechend entwickelter Mensch. Die Abnormität, um die es sich handelt, bezieht | sich auf eine sehr dichte, ganz und gar aus weichen, feinen Flaum- | haaren bestehende Behaarung, welche am stärksten im Gesicht ausge- a der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 67 sprochen ist, so dass hier eine totale Behaarung der gesammten Gesichts- haut vorhanden, während am übrigen Körper der Haarreichthum ungleich geringer ist. Die Behaarung ist im Laufe der Jahre im Zunehmen be- griffen. — Ausser der abnormen Behaarung besteht ein Defeet der Zahnentwicklung. Es finden sich nur 5 Zähne. — Der Vortragende weist darauf hin, dass dieser Fall (der übrigens schon lange bekannt ist, z. B. im Hebra’schen Atlas und den Bartels’schen Arbeiten be- reits abgebildet ist) gänzlich den sonst beobachteten (ca. 23) Fällen entspreche, sowohl was die Behaarung als die defeete Zahnbildung be- trifft. Beide Vorgänge sind bisher stets combinirt beobachtet worden. Der Vater des Knaben, gleichfalls seit langer Zeit wohlbekannt, ist mit der gleichen Abnormität behaftet gewesen. Was nun die Deutung dieser eigenthümlichen Erscheinung anlangt, so handelt es sich nicht um eine Hypertrophie von Haaren, sondern im Gegentheil ist die Hypertrichosis zurückzuführen auf einen Hemmungs- vorgang im embryonalen Leben. Während das in den ersten 6 Monaten entwickelte Haarkleid normaler Weiser sich in den letzten intrauterinen Monaten abstösst, um später durch die bleibende Behaarung ersetzt zu werden, fällt dieser Vorgang bei den sogenannten Bären- oder Hunde- menschen aus. Es bleibt also die embryonale Behaarung das ganze Leben hindurch bestehen und entwickelt sich weiter. Dementsprechend ist die Vertheilung des Haarreichthums in Hypertrichosis-Fällen durch- aus entsprechend der Vertheilung des embryonalen Haarkleides, d. h. Gesicht und Kopf sind am stärksten bewachsen. Ebenso ergiebt die mikroskopische Untersuchung der Haare die Richtigkeit der vorge- tragenen Deutung. Die untersuchten Haare des Bärenmenschen sind, wie die embryonalen Haare, feinste pigmentarme, marklose ‚„Beethaare“ (Rindenhaare), während die normaler Weise im extrauterinen Leben entstehenden Haare Papillen- oder Markhaare sind, von erheblich grösserer Dicke und grösserem Pigmentreichthum, als die Flaumenhaare des Embryos. | Zum Schluss erörtert der Vortragende die verschiedenen Arten von abnormer Behaarung, wie dieselben auf Naevis, bei gewissen Racen etc. vorkommen. Schliesslich spricht Herr Kroner: Zur Therapie der puerperalen Uterusruptur. Die Uterusruptur gehört bekanntlich zu den unheilvollsten Geburts- ereignissen. 95 pCt. Mortalität beträgt eine Zusammenstellung Hugen- bersers von 298 Fällen. Chok, Blutung oder consecutive Peritonitis sind die häufigsten Todesursachen. Als ein Fortschritt in der Therapie wurde und wird in den letzten Jahren vielfach die Behandlung der Uterusruptur, nach Geburtsbeendigung per vias naturales, mit Drainage 5* 68 Jahres-Bericht angesehen. Sie soll den Abfluss der in die Bauchhöhle ergossenen Blut- und Fruchtwassermengen ermöglichen, also ihre Zersetzung und die secundäre Infeetion des Bauchfells verhüten. Zum ersten Male wurde hierbei die Drainage im Jahre 1874 von Braun in Wien angewendet, angeregt durch die von Sims und Nussbaum s. Z. mitgetheilten Erfolge über Drainage der Bauchhöhle nach Ovariotomien, aber mit Misserfolg. Bis zum Jahre 1880 verlautete dann wieder Nichts über Drainage- behandlung der puerperalen Uterusruptur, wie man ja auch in der Er- kenntniss, dass eine strenge Antisepsis während der Operation selbst die Hauptsache ist, bekanntlich immer mehr von der Sims’schen Peritonealdrainage nach Ovariotomien zurückkam. Dagegen ist im Jahre 1880 über drei Uterusrupturen aus der Schröder’schen Klinik als mit Drainage erfolgreich behandelt berichtet worden, und danach von verschiedener Seite über weitere 8 Fälle, also im Ganzen über 11. Davon waren 7 complete (darunter 3 mit totalem Austritt der Frucht in der Bauchhöhle), 1 incomplete mit Austritt des Kopfes unter das stark vom Uterus abgehobene Bauchfell und 3 rück- sichtlich der Mitbetheiligung des Bauchfells zweifelhafte (einmal mit Austritt). Fast alle Fälle waren spontan entstanden und sämmtliche i. p. nicht, jedenfalls nicht schwer infieirt. In der Mehrzahl der Fälle wurde sofort nach Geburtsbeendigung durch Wendung, Zange oder Craniotomie die Bauchhöhle mit 2 pCt. warmer Carbollösung ausgespült, in allen Fällen dann, ähnlich wie es bereits Braun that, ein T-förmiges Drainrohr durch den Riss in der Bauchhöhle, resp. bei intact gebliebenem Peritoneum in den Subperitoneal-Raum eingeführt und darauf meist ein fester Com- pressionsverband um den Leib angelegt. In einzelnen Fällen wurden noch weitere desinfieirende Ausspülungen durch das Drainrohr, besonders bei 'Temperatursteigerungen gemacht. Entfernt wurde das Drainrohr mehrere Tage oder Wochen p. p. bei Aufhören der Seeretion, wenn es nicht etwa schon vorher von selbst herausgefallen war. — Alle 11 so behandelten Wöchnerinnen genasen nach mehr minder durch peritoni- tische oder parametrische Erscheinungen erschwerten Wochenbetten und wurden nach 4—8 Wochen aus der Behandlung entlassen. Der glück- liche Ausgang wird von den Berichterstattern wesentlich auf die Drainage- behandlung zurückgeführt und diese für alle Fälle von Uterusruptur, wo i. p. keine Infeetion stattgefunden hatte und die Entbindung p. v. n. vollendet werden konnte, empfohlen. — Dem Vortragenden scheint, so wenig an einer antiseptischen Wirksamkeit der Drainage auch bei Uterus- ruptur gezweifelt werden kann, der Werth derselben dennoch überschätzt. Er berichtet über eine eigene Beobachtung von ohne Drainage geheilter incompleter Uterusruptur, die spontan entstanden war bei einer i. p. gesund gebliebenen Gebärenden. Die Geburt konnte sofort durch Wendung und Extraetion beendet werden. Die Wöchnerin wurde nach 7 Wochen der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 69 aus der Behandlung entlassen. — Ausserdem berichtet er über das Er- sebniss einer Zusammenstellung von ohne Drainage behandelten Uterus- rupturen mit Geburtsbeendigung p. v. n. seit den letzten 10 Jahren. Von 47 hierher gehörigen Fällen waren 19 complicirte mit 8, 10 uncom- plieirte mit 5, 18 rücksichtlich der Mitbetheiligung des Bauchfells zweifel- hafte mit 9 Genesungen, also im Ganzen 22 Genesungen. — Für die Todesfälle kommt bei der weitaus grössten Mehrzahl die Frage der Nachbehandlung mit oder ohne Drainage gar nicht in Betracht, denn 7 starben in, resp. bald nach der Geburt, 11 innerhalb der nächsten 24 Stunden und nur 8 nach 24 Stunden, resp. innerhalb der folgenden Tage oder Wochen. Von diesen letzteren aber waren 3 schon i. p. schwer erkrankt, in 4 Fällen handelte es sich um zum Theil lang- dauernde Geburten mit erst spät erkannten Anomalien und schwere oder gewaltsame Geburtsbeendisung nach oft mehrfachen vergeblichen Ent- bindungsversuchen. — Dem gegenüber erschienen die 22 Genesungsfälle von ganz besonderem Interesse, um so mehr, als 3 darunter bestimmt perforirende Rupturen waren mit oft partiellem oder totalem Austritt der Frucht in die Bauchhöhle, und ein- oder mehrmaligem Vorfall der Därme. Hervorzuheben ist aber, dass es sich in fast allen Fällen um spontane, nicht traumatische resp. durch grobe Kunstfehler verschuldete Rupturen handelte, und dass, wie auch bei den mit Drainage geheilten, in keinem Falle von einer schweren Infeetion i. p. die Rede ist. — In diesen ohne Drainage genesenen Fällen hat jedenfalls der Intrabauch- druck, der ja oft stark genug war, Darmprolaps zu bewirken, auch viel dazu beigetragen, in die Bauchhöhle ergossene infectionsfähige Massen zu entfernen, aus dem Peritonealraum freilich nur so weit, als es diese falten- und buchtenreiche Höhle überhaupt ermöglicht, und nur so lange, als dieselbe nicht durch Verklebungen gegen Aussen abgeschlossen ist. Das Einlesen eines Drainrohres ändert an der Unvollkommenheit dieser natürlichen (Kaltenbach) Peritonealdrainage nicht viel. Dasselbe liest sehr bald, wie viele Obductionsbefunde beweisen, durch diese Ver- klebungen in einem Kanale gewissermassen ein- und gegen die übrige Bauchhöhle abgeschlossen, so dass Nichts mehr aus der Peritonealhöhle durch das Drainrohr herausfliessen kann, Injectionen durch dieses aber höchstens nur das Drainrohr selbst desinfieiren. Die antiseptische Wirk- samkeit der Drainage kommt also wesentlich dem Extraperitonealraum zu Statten und in diesem Sinne haben auch Mickuliecz, Felsenreich, Spiegelberg u. A. den Werth derselben anerkannt. Dass sie aber selbst in dieser Beziehung entbehrlich ist, zeigt die obige Zusammen- stellung. Da aber die Drainage, wenn nicht streng aseptisch durchgeführt, sogar mehr schaden als nützen kann, so solle man sich nach Ansicht des Vortragenden in den Fällen von Uterusruptur mit ausführbarer Geburtsbeendigung p. v. n. damit begnügen, den Intrabauchdruck durch 70 Jahres - Bericht festen Compressionsverband und halbsitzende Lagerung zu unterstützen, vorher aber die Bauchhöhle resp. den Extraperitonealraum möglichst gründlich ausspülen. Ist die Wöchnerin bereits in der Geburt infieirt, nützt die nachfolgende Drainage natürlich erst recht nichts. Sitzung vom 14. März 1884. Herr Fritsch hält einen Vortrag Ueber Totalexstirpation des Uterus. Hierauf demonstrirt Herr Krauss verschiedene pathologische Präparate. Unter diesen Tuberculose der Prostata, Harn- und Samenblasen. Sitzung vom 21. März 1884. Herr ©. Berger hält einen Vortrag: Zur Symptomatologie der Tabes dorsalis. Der Vortr. bespricht einleitend die übliche Eintheilung des klinischen Verlaufs der Tabes dorsalis in die drei bekannten Stadien. Derartige Eintheilungen haben immer etwas Gewaltsames und Unnatürliches, die Krankheiten verlaufen eben nicht nach vorgeschriebenem Schema. Das Initialstadium führt mit Recht den Namen „Stadium der blitzenden Schmerzen“. Die paroxysmenweise auftretenden „tabischen‘‘ Neu- ralgien sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von grossem diagnostischen Werth und müssen schon an und für sich den Ver- dacht auf Tabes erwecken. In einer Reihe von Fällen, wo keine eigentlichen, kürzere oder längere Zeit anhaltenden, Schmerzattaquen vorliegen, sondern immer nur vereinzelte, nur wenige Sekunden dauernde, blitzähnliche Schmerzen mit cutaner Hyperalgesie etc. bestehen, kann die Schmerzperiode anamnestisch leicht übersehen werden. Nur sehr selten fehlen die lanceinirenden Schmerzen während des Gesammtverlaufs vollständig, nach B.s statistischer Zu- sammenstellung eines Materials von über 380 Fällen nur in 14,5 pCt. Den tabischen analoge Neuralgien von zweifellos nicht tabischem Ur- sprunge sind nach den Erfahrungen des Vortr. äusserst selten. Ab- gesehen von solchen Fällen, wo die Obduetion zwar keine Tabes, aber eine Läsion der Hinterstränge in Form der inselförmigen Selerose ergab, hat B. nur sechs Kranke gesehen, welche seit langer Zeit über charak- teristische neuralgische Schmerzen klagten, ohne dass andere Tabes- Symptome vorhanden waren. Zur Zeit der Beobachtung waren die Sehnen-Reilexe noch unbekannt; in drei Fällen fehlten dieselben aber bei einer erneuten Untersuchung schon vor mehreren Jahren, einem der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 71 vierten, mit lebhaftem Patellarreflex, gastrischen Krisen u. A. m., liegt wahrscheinlich eine multiple Sclerose zu Grunde, und bei den beiden anderen Kranken sind inzwischen anderweitige Beschwerden (Blasen- schwäche, Impotenz) zu Tage getreten, die wenigstens ein Spinalleiden ausser Zweifel stellen. Der Angabe von Westphal, dass die lanei- nirenden Schmerzen relativ recht häufig ohne tabische Grundlage vorkommen, kann B. nicht zustimmen. — Das atactische Stadium, welches die Entwiekelungshöhe der Krankheit darstellt, zeigt vor Allem die charakteristischen Coordinationsstörungen der Locomotion. (,Ataxie locomotrice progressive.‘‘) Aber selbst dieses Hauptsymptom kann wäh- rend der ganzen Dauer des Leidens in einer gewissen Zahl von Fällen vollständig fehlen, oder wenigstens nur in sehr geringem Grade vorhanden sein. Jedenfalls braucht man heute mit der Diagnose nicht mehr so lange zu zögern, bis sich die pathognostische Gehstörung dar- bietet. Die von B. in mehreren Fällen festgestellte Thatsache, dass eine Tabes bis zum tödtlichen Ausgange ablaufen kann, ohne während einer Jahre langen klinischen Beobachtung atactische Störungen gezeigt zu haben, und bei der Obduction trotzdem die typische Hinterstrang- selerose gefunden wird, ist bei unseren heutigen Kenntnissen von der pathologischen Anatomie der Tabes wohl zu erklären. Wir wissen, dass die zu Grunde liegende graue Degeneration der Hinterstränge nicht als eine diffuse Erkrankung des Gesammtquerschnittes der Hinterstränge (inelusive Hinterhörner und hintere Wurzeln) aufzufassen ist, sondern dass bestimmte Abschnitte derselben vorzugsweise erkranken, während andere absolut oder relativ frei zu bleiben pflegen. (Strümpell.) Das Fehlen des einen oder andern sonst regelmässig vorhandenen tabischen Symptoms kann demnach auf die Unversehrtheit eines be- "stimmten, innerhalb der Hinterstrangregion gelegenen Feldes zurück- geführt werden, die genauere topographische Localisation bedinst die einzelnen Hauptsymptome der Krankheit. Der Vortr. gedenkt an anderer Stelle auf Grund eines seit Jahren ge- sammelten anatomischen Materials dieser hochinteressanten Frage näher zu treten. Die wichtigsten objectiven Symptome der Tabes sind bekanntlich der Ausfall des Patellarsehnenreflexes — das „Westphal’sche Symptom“ — (und des Achillessehnenreflexes, welcher mit derselben Regel- mässigkeit fehlt) und die „refleetorische Pupillenstarre“. In Bezug auf das neuralgische Stadium berichtet der Vor- tragende über mehrere Fälle, wo die lancinirenden Schmerzen für längere Zeit nicht in den Gliedmassen, oder am Rumpfe, sondern am Kopfe ihren Sitz hatten. Es ist bekannt, dass sie bisweilen in der Bahn des Trigeminus verlaufen, oft mit consecutiver Anästhesie im Gebiete dieses Nerven, — in einem Falle B.’s leitete eine heftige und hart- 1 Jahres-Bericht näckige Oceipitalneuralgie die Krankheit ein — aber bisher nirgends beschrieben scheint die von B. beobachtete Form von migräne- ähnlichen Schmerzanfällen zu sein. In den von ihm gesehenen Fällen traten die ersten Krankheitserscheinungen als paroxystische Schmerzen in einer oder beiden Schläfe- und Scheitelregionen auf, die als messerstich-ähnlich und blitzend bezeichnet wurden, Anfangs in 3- bis 4 wöchentlichen Intervallen, später häufiger, sich wiederholten, und stets von Uebelkeit und mehrmaligem Erbrechen begleitet waren. Bei zwei weiblichen Kranken waren diese Paroxysmen besonders heftig und regelmässig zur Zeit der Menstruation. Bei dem Mangel aller anderen Beschwerden lag es nahe, eine einfache Migräne anzunehmen, obwohl der Umstand, dass dieser Migräne jede erbliche Basis fehlte und dass sie erst in einem relativ vorgerückten Alter zum ersten Mal auftrat, Bedenken erregen musste. Zu diesen Kopfschmerzen gesellte sich in zwei Fällen beiderseitige Atrophia nervi optiei hinzu, und im weiteren Verlauf kam es dann zu dem typischen Bilde der Tabes. Bei drei Kranken waren charakteristische Gliederschmerzen und Gürtelgefühl die nächsten Erscheinungen, welchen Ermüdbarkeit der Beine, Blasen- schwäche, Taubheit in den Fusssohlen und andere zweifellose Tabes- symptome folsten. Auch hier entwickelte sich in einem Falle eine tabische Amaurose. In allen 5 Fällen aber fehlten die Sehnen- reflexe, bei intacter mechanischer und elektrischer Contractilität der entsprechenden Muskeln '), und zwei Mal war gleichzeitig reflectorische Pupillenstarre vorhanden. Bekanntlich kann sich eine solche sympto- matische Migräne auch auf dem Boden anderer schwerer Krankheiten entwickeln (chronische Nephritis, Diabetes, erstes Stadium der pro- gressiven Paralyse) und B. folgert aus seinen Beobachtungen, dass migräneähnliche Kopfschmerzen zuweilen auch den Ver- dacht auf eine beginfende Tabes erwecken müssen; das Fehlen des Kniereflexes würde dann für die Diagnose sehr schwer ins Gewicht fallen. Das zweite Symptom, auf welches der Vortr. die Aufmerksamkeit lenken will, hat eine weit grössere praktische Bedeutung, weil es häufiger zur Beobachtung kommt. Es handelt sich um Blasenstörun- gen, welche lange Zeit, ja viele Jahre hindurch, die ein- ') Auf den Umstand, dass bei dem Westphal’schen Symptom der Tabes die mechanische Erregbarkeit des Quadriceps vollständig erhalten bleibt, habe ich zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt und daraus einen klinischen Beweis für die refleetorische Genese des Patellarreflexes hergeleitet. (S. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterländische Cultur für das Jahr 1875, . P. 2033 Später hat auch Erb die ausnahmslose Integrität der mechanischen und elek- trischen Muskelerregbarkeit neben dem völligen Fehlen des Patellarreflexes be- sonders betont, (Deutsch. Archiv f. kl. Medie. 1879.) ı darms verknüpft ist Spinalleiden denken. Von den fünfzehn dem Vortr. zu Gebote stehenden der Schles. Gesellschaft für vater!. Cultur. 73 zige, isolirt bleibende Beschwerde des Kranken bilden. Das scheinbare Fehlen aller anderen tabischen Symptome verdrängt den Ge- danken an ein Rückenmarksleiden, bis, event. erst nach Jahren, das „Dlasenleiden“ sich als eine Tabes demaskirt. Fünfzehn durch eine Reihe von Jahren controlirbare Fälle dienen dem Vortr. zur Grundlage. Es ist allbekannt, dass die Blasenschwäche nicht nur ein sehr häufiges Symptom der Tabes bildet, sondern dass sie auch sehr früh, bereits im ersten Entwickelungsstadium, auftreten kann. In der Regel aber ist sie mit andern, mehr oder minder charakteristischen Symptomen (lanei- nirende Schmerzen, Ermüdung und Unsicherheit der Beine, Augen- muskellähmungen etc.) vergesellschaftet. In B.’s Fällen aber — die man als „Tabes dysurica“ bezeichnen könnte — bilden die Blasen- störungen nicht nur das erste, sondern auch das für lange Zeit einzige Glied der tabischen Symptomenkette. Eine aufklärende Erscheinung ist allerdings auch bei der Tabes dysurica nach den Be- obachtungen B.'s regelmässig vorhanden, das „Westphal’sche Symptom“, d. h. das Fehlen des Patellarsehnenreflexes, welchem anerkanntermassen der Werth des constantesten Symptoms der Tabes überhaupt zukommt. In drei Fällen B.’s fand sich auch reflecto- ı rische Pupillenstarre. Da diese sowohl, als auch der Verlust des Knie- reflexes keinerlei Beschwerden veranlassen, so ist eben das Verhalten der Pupillen und des Patellarsehnenreflexes einer Prüfung zu unter- werfen. In den fünfzehn Fällen B.’s schwankte die Latenzperiode zwischen 8 Monaten und 7 Jahren, so dass ein Patient 7 Jahre ; lang als blasenkrank galt. Da die meisten Kranken den ge- bildeten Ständen angehörten, war es fast immer möglich, genauere , Daten über den Verlauf zu eruiren. In der Mehrzahl der Fälle bildeten Schmerzerscheinungen den Anfang: Laneinirende Schmerzen in der Tiefe ' des Beckens und am Perineum, Stiche und Brennen in der Urethra, , Hyperästhesie des Blasenhalses; später Harnzwang, dysurische Be- schwerden, Retention ete. Auf die diagnostische Wichtigkeit einer ‚ im kräftigen Mannesalter ohne besonderen localen Grund eintretenden | Enuresis noeturna hat der Vortr. bereits vor vielen Jahren auf- merksam gemacht.?) Sobald es erst im späteren Verlaufe zu Anästhesie der Harnröhre, mit welcher gewöhnlich auch Taubheitsgefühl des Mast- ‚ gekommen ist, wird wohl jeder Arzt an ein Fällen waren dreizehn local behandelt worden, fast alle Kranken waren, zum Theil mehrere Male, nach Wildungen gewandert, bei den meisten war es zu einem chronischen Blasencatarrh gekommen und auf diesen 2) $. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft f. vaterländische Cultur für das ' Jahr 1877, p. 218. 74 Jahres - Bericht lautete schliesslich auch die Diagnose. Bei einem 40jährigen Manne hatte Wilms nach Aufklärung der Diagnose dem Vortr. in liebens- würdiger Collegialität mitgetheilt, dass die constatirte geringe Prostata- hypertrophie nur faute de mieux als die Ursache der Blasenbeschwerden angenommen worden war. B. berichtet ausführlicher über einen erst vor wenigen Wochen beobachteten Fall, der den 34jährigen königl. Bauführer X. aus B. in der Provinz Posen betrifft. Im Herbst 1880 nach einem starken Excess in Potu zum ersten Mal Ischurie; er konnte die Blase nur bei gleichzeitigem Stuhlgang entleeren. Am andern Tage waren die Blasenbeschwerden verschwunden, stellten sich aber nach reichlichem Trinken immer wieder ein. Im Frühjahr 1831 nach eben einer solehen Gelegenheit gleichzeitig sehr heftiges Brennen im hintersten Theil der Harnröhre, welches mehrere Wochen andauerte. Im Juni des- selben Jahres wegen „Blasenleiden“ Gebrauch von Wildungen, mit dem Erfolge der Erkräftigung der Blase und eines Nachlasses der Schmerzen. Zur Zeit nicht die geringsten Gliederschmerzen, Gehfähiskeit aus- gezeichnet. Im Sommer 1882 vielfach bougirt und kalte Einspritzungen in die Blase, mit consecutivem, seitdem nicht mehr gebesserten Blasen- catarırh. Oefters Enuresis nocturna. Der trübe und stark riechende Urin kann jetzt in schwachem Strahl relativ gut entleert werden, Abends catheterisirt sich der Kranke selbst. Häufiger Tenesmus, bei sefüllter Blase leichte Incontinenz. Nach zweijähriger Dauer der Blasenbeschwerden, während welcher Zeit Patient grosse Fusstouren in der Schweiz gemacht, oft getanzt und in seinem Berufe häufig in raschem Tempo, ohne irgend welche Störung, die Leiter hinauf und herabgestiegen war, begannen die tabischen Symptome mit mässig heftigen Schmerzen in beiden Füssen, später Parasthesien, Schwanken im Finstern, Ermüdbarkeit der Beine und rasch fortschrei- tende Eintwickelung des atactischen Ganges. Als der Kranke sich im März 1333 seinem ersten Arzte wieder präsentirte, war auf den ersten Blick die Tabes zu erkennen, welche seitdem weder durch Arge. nitr., Jodkali ete.,, noch durch eine Badekur in Rehme gebessert wurde. Zur Zeit besteht das vollentwickelte Bild einer typischen Tabes, mit Propagation auf die oberen Extremitäten, ausgesprochenstem Hahnen- tritt, Haut- und Muskelsinnstörungen, fehlenden Sehnenreflexen, reetaler Anästhesie ete. Aus dem Vorgetragenen geht hervor, dass wir bei chronischen Blasenleiden (ehronischem Blasencatarrh), zumal bei Männern im | kräftigen Lebensalter, sobald keine sicher nachweisbaren Läsionen des Harnapparates vorliegen, zu dem Verdacht einer beginnenden Tabes berechtigt sind. Die Untersuchung des Westphal’schen Symptoms ist in allen solehen Fällen unbedingt erforderlich. In der Literatur findet sich eine hierauf bezügliche Aeusserung der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 75 Buzzard’s (beim letzten internationalen medieinischen Congress), nach welcher die tabische Cystitis häufig Veranlassung zur Bildung von Phos- phatsteinen bildet. Demgemäss soll man bei Blasensteinkranken auf Tabes vigiliren. B. erinnert sich nicht, unter seinem Tabesmaterial einen Fall von Blasenstein gesehen zu haben. Zum Schluss resümirt B. dahin: 1) Die Tabes dorsalis kann bis zu dem tödtlichen Ausgange ohne wesentliche atactische Störungen verlaufen. Wahrscheinlich bilden Anomalien der genaueren Localisation des anatomischen Processes inner- halb des Hinterstranggebietes die anatomische Ursache sowohl für dieses Verhalten, als für andere auffallende Abweichungen von dem typischen Symptomenbilde der Krankheit. In der Mehrzahl der Fälle ge- bührt den lancinirenden Schmerzen eine besondere dia- gnostische Wichtigkeit. Von wesentlichster Bedeutung für die Diagnose sind zwei der neueren Zeit angehörige Symptome: das W estphal’sche Symptom und die „refleetorische Pupillenstarre“. Meist gesellen sich bereits frühzeitig gewisse Erscheinungen, cutane und viscerale Neuralgien, (Gastro-Enteralgien, Hyperemesis etc.), Augen- muskellähmung, Ermüdung und Unsicherheit der Beine, Schwanken beim Schliessen der Augen, Analgesie u. a. m. hinzu, welche die Diagnose bekräftigen. 2) Die initialen Neuralgien können unter dem Bilde einer heftigen Migräne auftreten. 3) Chronische Blasenbeschwerden ohne palpableLocal- erkrankung müssen den Verdacht eines Rückenmarkleidens (Tabes dysurica) erwecken. Sitzung vom 4. April 1834. Herr G. Born sprach Ueber den Einfluss der Schwere auf das Froschei. Am Ende des vorigen Sommers erschienen rasch hintereinander zwei Arbeiten von Pr. Pflüger in Bonn, die den Titel trugen: ‚‚Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen und die Ent- wicklung des Embryo.“ Pflüger zeigte darin, dass, wenn man die Gallerthülle befruchteter Frosch- und Unkeneier durch ungenügenden Wasserzusatz an der vollkommenen Quellung verhindert, die so be- handelten Eier nicht mehr, wie es sonst für befruchtete Froscheier als Regel gilt, von selbst den dunklen Pol nach oben kehren, sondern, durch die unvollkommen gequollene Hülle festgehalten, vollständig oder wenigstens annähernd die Stellung bewahren, die sie beim Auflegen inne hatten. Solche Eier furchen sich trotz der unvollkommenen Quellung der Hülle, die erste Furche tritt aber nicht, wie im regulären Falle, 76 Jahres - Bericht in der Mitte des dunklen Poles auf, sondern dieselbe geht stets durch den jeweilig höchsten Punkt des Eies und die erste Furchungsebene steht immer senkrecht. Pflüger sucht den Grund dieser merkwürdigen Erscheinung, soviel mir aus seinen Aufsätzen ersichtlich, in einer directen, richtenden Wirkung der Schwere auf die Theilung der Eier (resp. Zellen überhaupt). Aus diesen Eiern mit verminderter Richtung der primären Furchen entwickelten sich übrigens ganz normale Quabben. In meinen „Beiträgen zur Bastardirung zwischen den einheimischen Anurenarten“ hatte ich Veranlassung, auf die interessanten Pflüger’schen Versuche einzugehen; es fiel mir auf, dass P. die Erscheinungen der Kerntheilung, die doch der Theilung der Eizelle ausnahmslos voraus- gehen und dieselbe bedingen, gar nicht in Betracht gezogen hat. Alle Autoren, die die diesbezüglichen Vorgänge an durchsichtigen Eiern be- obachten konnten, stimmen darin überein, dass die Theilungsebene des Eies stets dieselbe ist, wie die des Kernes, dass also höchst wahr- scheinlich die erstere durch die letztere bestimmt wird. Man kann daraus folgern, dass bei den verlagerten Eiern der P.’schen Versuche auch die Theilungsebene des Kerns senkrecht durch die jeweilig höchste Stelle des Eies, also unter Umständen auch durch die weisse Hälfte desselben hindurchgehen muss: der Kern muss demnach bei diesen Eiern seine normale Lage — excentrisch in der Nähe des schwarzen Poles — verlassen und sich unter die jeweilig höchste Stelle des Eies eingestellt haben. Da nun die dunkle Hälfte des befruchteten Eies specifisch leichter ist, wie die helle, wie die Einstellung des dunklen Poles nach oben bei ungehinderter Drehung des Eies beweist, da ausser- dem bei gehinderter Drehung der Kern wahrscheinlich in die Nähe des höchsten Punktes des Eies rückt, so lag die Annahme nahe, dass die dunkle Hälfte des Eies ihr geringeres spee. Gewicht eben dem Kern verdankt, der in derselben gelagert ist. Ich sah also in den P.’schen Versuchen keine direete Wirkung der Schwere auf die Theilung des Froscheies oder gar aller Zellen, sondern nur eine freilich auch so sehr interessante indireete, die bedingt ist durch die excentrische Lage des Kerns und das supponirte geringere specifische Gewicht desselben im speciellen Falle des befruchteten Froscheies. Ich versprach, die Richtigkeit dieser meiner Anschauung sobald wie möglich durch direete Untersuchung zu prüfen, und habe auch damit, als ich am 2. März er. aus Heidelberg von meinem Freunde Steiner die erste Sendung brünstiger R. fuscae bekam, sogleich begonnen. Im Laufe des Winters theilte mir College Roux mit, er würde dieselbe Angelegenheit auf andere Weise in Angriff nehmen, und zwar so, dass er die befruchteten Eier auf eine Centrifuge setzte, so dass die richtende Wirkung der Schwere auf dieselben aufgehoben würde. Roux hat seine Ergebnisse sehon veröffentlicht. Unsere Untersuchungen gingen der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. on] u | nebeneinander her; wir sind auch häufig unabhängig von einander zu denselben Resultaten gekommen. Ich habe es aber unterlassen, seine Veröffentlichung zu lesen, um mich in meiner Darstellung und Auffassung nicht beeinflussen zu lassen. P. geht von der bekannten Thatsache aus, dass unbefruchtete Anureneier sich im Wasser nicht drehen. Ich hatte bei früheren Unter- suchungen auch häufig gesehen, dass diejenigen Eier, die sich nicht furchten, die Lage, die sie zufällig beim Einlegen in das Wasser ein- genommen hatten, noch beibehielten, wenn die übrigen, die sich ent- wickelten, längst den dunklen Pol nach oben kehrten. Erscheinungen, die ich, wie unten folgt, an den in Zwangslage befindlichen Eiern be- obachtete, veranlassten mich zu prüfen, ob es wirklich riehtig sei, dass die unbefruchteten Eier sich gar nicht drehen; — und nun kam ich, unabhängig von Roux, ebenso wie dieser, zu dem Resultate, das auch die unbefruchteten Eier den schwarzen Pol nach oben richten, nur geschieht diese Drehung viel langsamer, als bei den befruchteten. Während diese verlagert nur wenige Minuten brauchen, um den dunklen Pol nach oben zu richten, dauert es, bis alle unbefruchteten Eier in einer Schaale mit Wasser sich vollkommen gedreht haben, oft 5 bis 6 Stunden. Woher der Unterschied kommt, erschien mir noch frag- ‚ lich; — möglicherweise wird der Unterschied im specifischen Gewicht ' zwischen hellem und dunklem Pole nach der Befruchtung grösser, man ' muss aber auch daran denken, dass vielleicht in Folge einer Contraetion ‚ des Eiinhalts nach der Befruchtung, wie sie an durchsichtigen Eiern ' vielfach direet beobachtet worden ist, der Zwischenraum zwischen Gallert- ‚ hülle und Ei, in dem das Ei sich bewegt, rascher auftritt, als beim un- ‚ befruchteten Ei. Soviel ist sicher, auch das unbefruchtete Ei von R. f. ‚ dreht sich, wenn seine Gallerthülle quellen kann, allmählich so, dass ‚ der der dunkle Pol nach oben sieht. | Bringt man unbefruchtete Eier in Zwangslage (mit ungenügend ‚ gequollener Gallerthülle) so auf eine Glasplatte, dass der helle Pol ı gerade nach oben sieht, so bemerkt man sehr lange keine Veränderung, | erst nach 5—6 Stunden wird allmählich das weisse Feld des hellen ‚ Poles grau und zwar in ganz unregelmässiger Weise. Von dem im ‚ günstigen Falle scharf begrenzten gelbweissen Kreise bleibt z. B. nur ' ein Halbmond unverändert, der Rest desselben erscheint blaugrau. Dabei findet keine Veränderung der Grenzen und Stellung des Kreises statt. ı Es ist dies kaum anders zu erklären, als dass ein Theil der weissen ‘ Substanz durch dunkle ersetzt wird oder sich mit dieser mischt; das ; Nähere wird die mikroskopische Untersuchung solcher Eier ergeben. | Für die besprochenen, sowie für die folgenden Punkte muss ich noch besonders hervorheben, dass P.’s Material ein anderes war, als das ; von mir benutzte. Bei den Eiern von R. ese. und Bombinat. ign. ist 718 Jahres-Bericht die dunkle Hälfte des Eies viel weniger pigmentirt und von geringerer Ausdehnung als bei R. f. Bei letzterer Art misst das helle Feld immer weit weniger als die Hälfte der Eikugel; der Durchmesser desselben variirt bei verschiedenen Weibchen im Verhältniss von 1:2. Dabei sind die hellen Felder von geringem Durchmesser zugleich meist trübe, srau-schwärzlich und undeutlich begrenzt, die von grossem Durchmesser meist rein weissgelb und scharf begrenzt. In der Mitte des hellen Feldes findet sich bei den Eiern maneher Weibehen noch ein dunkler Punkt. Für unsere Zwecke ist es angezeigt, sich Eier mit grossem hellgelben, ventralen Pole auszusuchen. Inwieweit der Unterschied des Materials die Verschiedenheiten der Beobachtungen P.’s und der meinigen beeinflusst hat, kann ich vorläufig nicht angeben. Auf dem Durchschnitte, der durch beide Pole geht, sehen die Eier von R. f. sehr ähnlich wie die anderer Amphibienarten aus, die von Bambecke u. a. beschrieben worden sind. Mit Ausnahme des hellen Feldes bildet eine dunkelschwarze Pigmentschicht, die am dunklen Pole am dicksten ist, die oberflächlichste Lage des Eies. Ausserdem ist die knappe obere Hälfte des Eies (die dem dunkeln Pole entspricht) schwächer, aber doch deutlich pigmentirt und diese Pigmentlage schickt in der Mitte der Eikugel eine zapfenartige Verlängerung nach unten. Eine helle Zone, die nach Bambecke bei anderen Amphibieneiern das schwach pigmentirte Innere der oberen Hälfte des Eies von der dunkel pigmentirten Rindenschicht trennt, ist bei R. f. gar nicht oder nur schwach angedeutet. Nach der Befruchtung ändert sich dies Bild nur wenig; nur durch die dünne Pigmentstrasse der eindringenden Spermatozoen u. dgl. m. Bei der Theilung tritt bekanntlich in die Theilungsfurche die dunkel pigmentirte Rindenschicht mit ein. Das Genauere über die hier inter- essirenden Dinge, namentlich über die Lage, Form und Beschaffenheit des Kernes folgt in einer ausführlichen mit Abbildungen belesten Publication. Ebenso muss ich die Darstellung des Verfahrens, das ich zur Be- obachtung der Eier in Zwangslage einschlug, auf später verschieben. Es kostete einige Zeit und Material, ehe ich der dabei auftretenden nicht unerheblichen Schwierigkeiten Herr wurde. Hatte ich befruchtete u Eier von R. f. in Zwangslage so aufgestellt, dass das helle Feld gerade 3 oder auch etwas schräg nach oben sah, so beobachtete ich ausnahmslos, — dass, wenn überhaupt Entwicklung eintrat, das helle Feld seine ursprüng- liche Stellung nicht beibehielt, sondern sich soweit verschob, dass es ganz oder zum grösseren oder kleineren Theile unter den Aequator herabgetaucht war, wenn die erste Furche erschien. Es geschieht dies bei einer Zimmertemperatur von 21° C. in ungefähr 2%, Stunden. Die 4 erste Furche tritt nun in der That meist an der jeweilig höchsten Stelle des Eies zuerst auf, doch nicht ausnahmslos, mitunter schneidet _ V der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 79 dieselbe tiefer hindurch und dann steht bisweilen die Ebene derselben, wie man sich durch Betrachtung der unteren Eihälfte überzeugen kann, nicht einmal senkrecht. Pflüger hat beobachtet, dass Eier, welche mit dem hellen Pol gerade nach oben aufgesetzt sind und die diese Stellung unverändert beibehalten, sich niemals furchen; die Eier, welche sich entwickelten, zeigten den hellen Pol mehr oder weniger weit nach unten verschoben. Dass die Anlagerung des schwarzen Poles an das Glas nicht der Um- stand ist, der in diesem Falle das Eindringen der Spermatozoen (Mikro- pyle) und damit die Entwicklung verhindert, woran Pflüger unter Anderm denkt, beweist der Umstand, dass Eier, die man mit dem schwarzen Pol gerade nach oben in Zwangslage an einer Glasplatte auf- hängt, sich so vortrefflich entwickeln, dass ich diese Versuchsanordnung, die andere Vortheile bietet, häufig mit Erfolg benutzt habe. Pflüger hat gesehen, dass mit dem hellen Pole nach oben aufgesetzte Eier, die sich nach 2 Stunden nicht entwickelt hatten, während gleichzeitig be- fruchtete andere Eier schon die erste Furche zeigten, bei nachträglichem Zusatz von Wasser, der ihnen die Drehung erlaubte, sich nach abermals 2 Stunden doch noch furchten, gerade als ob die Benetzung mit Samen erst im Augenblicke des Wasserzusatzes geschehen sei. Ich habe als durchgehende Regel beobachtet, dass Eier in Zwangslage, die die ab- norme Stellung ihres hellen Feldes gar nicht änderten, sich ohne Weiteres auch niemals entwickelten. Ich nehme demgemäss an, dass hier immer ungenügender Wasserzusatz Schuld ist, der dazu führt, dass die Spermatozoen nur in die oberflächlichsten Schichten der Gallerthülle eindringen, dort aber, wie der interessante, letzterwähnte P.’sche Ver- such beweist, noch lange lebend bleiben. Entwickeln sich die in Zwangslage befindlichen Eier, so rückt also meiner Erfahrung nach auch stets das weisse Feld mehr an den Aequator oder gar über diesen hinaus auf die untere Hälfte des Eies. Bei den Eiern von R. f. aber beobachtet man leicht, dass diese Ver- schiebung zum kleinsten Theil und in den seltenern Fällen durch eine wirkliche Drehung des ganzen Eies innerhalb seiner Hüllen verursacht wird, wie dies von P. für seine Eier beschrieben wurde. Man sieht nämlich an der Stelle, die eben noch das weisse Feld eingenommen hatte, nicht die schwarze Rinde, sondern entsprechend der vollen Aus- dehnung dieser Stelle, oder beinahe derselben entsprechend, einen grauen Fleck, in verschiedenen Fällen verschieden, von bald mehr grauweiss- licher, bald mehr grauschwärzlicher Farbe. Je längere Zeit seit der Be- fruchtung verflossen ist, um so breiter wird dieses graue Feld, das, wenn man sparsam im Zusatz der Samenflüssigkeit gewesen ist, einer- seits in voller Ausdehnung die ursprüngliche Stelle des weissen Feldes einnimmt, andererseits sich continuirlich bis zum höchsten Rande des ® 30 Jahres-Bericht weissen Feldes in seiner neuen Stellung erstreckt. Hat man mehr Samen- flüssigkeit zugesetzt, so reicht der höchste Rand des grauen Fleckens nicht so weit, wie ursprünglich das weisse Feld; oft erscheint dasselbe nach oben spitzig ausgezogen. Ich brauche kaum hinzuzufügen, dass das Herabsinken des weissen Feldes bei irgendwie merklich excentrischer Anfangslage desselben immer auf dem kürzesten Wege geschieht. Je intensiver weiss und je ausgedehnter der helle Pol ist, um so auffälliger ist die Erscheinung des grauen Fleckens. So wie ich diese Erscheinung wahrgenommen hatte, so machte ich mir auch die Erklärung dazu, dass es sich hier um keine Drehung des ganzen Eies handeln konnte, sondern um ein Herabsinken des schwereren weissen Poles längs der Oberfläche des Eies, wobei aber Reste der Substanz desselben zurückblieben und sich mit der aufsteigenden schwarzen mischten, wodurch dann der graue Fleck entstände. Die Schnitte durch solche Eier aber belehrten mich, dass der Vorgang in etwas anderer Weise stattfände. Ich will hier ein- schalten, dass es nicht ganz leicht ist, Froscheier sammt ihrer Hülle, wie es für unsere Zwecke nöthig war, in ganz bestimmter, vorher am Ei bezeichneter Richtung in Schnittserien zu zerlegen; wie ich dies erreicht habe, kann ich aber auch erst in einer ausführlichen Mittheilung beschreiben. Wartet man bis zum Eintritt der ersten Furche, so bemerkt man an Kiern mit grossem, scharfweissem Felde und in Folge dessen ausgedehntem grauen Fleeke mitunter eine eigenthümliche Veränderung des letzteren. Derselbe theilt sich in zwei oblonge Felder, die mit ihren längeren Seiten in der Furche aneinanderstossen, oder mit anderen Worten der graue Fleck erleidet in der Richtung der ersten Furche an jeder Seite eine tiefe Pinschnürung. Wartet man noch länger, so sieht man das graue Feld im Verlaufe der Furchung allmählich schmäler und unscheinbarer werden; aber selbst im Stadium der Sandsteinformation sind noch Spuren desselben zu bemerken. — Nehmen wir als Beispiel der Schnittbilder ein Ei, bei dem dass weisse Feld ursprünglich gerade nach oben ge- richtet war, im Verlaufe von zwei Stunden aber so weit nach unten gerückt ist, dass nur ein schmaler halbmondförmiger Saum desselben über den Aequator hinaufragt und von oben sichtbar ist, während der ursprüngliche Ort und der Weg, den dasselbe genommen hat, durch einen grauweissen Fleck bezeichnet ist. Dasselbe sei so durchschnitten, dass der mittelste Sehnitt zugleich die höchste Erhebung des Eies und die grösste Ausdehnung des weissen Feldes durchzieht, so sieht man Folgendes: an der Stelle, wo ursprünglich das weisse Feld lag, sowie auf dem Wege, auf dem dasselbe sich herabbewegt hat, ist an der Oberfläche eine dünne Schicht weisser Substanz liegen geblieben. Diese weisse Schicht geht nach unten allmählich in das Hauptlager von weisser Sub- stanz über, so dass die Gesammtheit derselben ungefähr die Form einer Ei DE An SEP An rn ET et ai der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 3i Retorte mit gekrümmtem Halse besitzt. In die Ausbuchtung zwischen dem Kopf und dem gekrümmten Hals der Retorte hat sich die schwächer pigmentirte Substanz des EBies in deutlichem Zuge eingeschoben, während sich dicht unter dem Ende der weissen Substanzplatte, die den ursprüng- lichen Ort des weissen Feldes anzeigt, über die schwächer pigmentirte Substanz hinweg, eine dünne Schicht der dunkel pigmentirten Rinden- lage, die sich offenbar darunter hinweggeschoben hat, eingelagert hat. Dies ist das Bild, das man allgemein bekommt, in grossen Zügen; auf das Genauere werde ich erst mit Hülfe von Figuren eingehen können. Dies Bild variirt in erster Linie natürlich nach der Zeit, die seit der Befruchtung verflossen ist; — ist dieselbe kürzer, so ist auch der nach oben gerichtete Hals der retortenförmigen Figur, die die weisse Substanz auf den Schnitten darstellt, nicht lang. Untersucht man zur Zeit des Beginns der ersten Furche, so findet man einmal häufig das obere Ende des Halses dieser retortenförmigen Figur etwas hakenförmig nach unten umgebogen, als wenn dasselbe dem Andrängen der schwarzen Rinden- schicht nachgegeben hätte, weiterhin aber regelmässig die weisse Zell- platte mit der sie unterlagernden schwarzen Pigmentschicht in die Furche eingebogen, gerade wie dies im gewöhnlichen Falle mit der schwarzen Pigmentschicht allein der Fall ist. Sucht man nach dem Kern, so findet man denselben je nach der Zeit, in der das Ei abgetödtet wurde, in ver- schiedenen Stadien der Theilung; er ist leicht kenntlich an dem cha- rakteristischen Pigmenthofe, der denselben umgiebt. Er befindet sich immer in der schwächeren Pigmentschicht in verschiedener Höhe; da er sich aber bei in der Theilung geschnittenen Eiern meist unter der höchsten Stelle des Eies befindet, kann man kaum annehmen, dass derselbe nur passiv von der aufsteigenden pigmentirten Substanz mitgenommen wurde, sondern wird zu Ueberzeugung gedrängt, dass derselbe noch leichter ist, als die ihn umgebende pigmentirte Substanz und in Folge dessen in dieser (die wahrscheinlich auch nicht gleichmässig dicht anzunehmen ist) bis unter die höchste Stelle des Eies ziemlich nahe an die Rinde hinaufsteist. Der graue Fleck wird also nicht, wie ich zuerst glaubte, durch eine Vermischung weisser und dunkler Substanz hervorgebracht, sondern durch die Unterlagerung einer dünnen Platte weisser Substanz mit pigmentirter. Da es längst bekannt ist, dass die Rindenschicht des Froscheies härter ist, als das Innere, so könnte man im ersten Augen- blick annehmen, es bliebe überhaupt nur die Rinde des Eies an ihrer Stelle, während das halbflüssige Innere der Drehung des Eies ent- sprechend soweit rotire, bis der pigmentirte, leichtere Theil derselben ' wieder nach oben stehe; eine etwas genauere Betrachtung der eben | beschriebenen Figur belehrt aber, dass die Vorgänge nicht so einfach ‘ sind; denn behielte die ganze Rinde ihren Platz, so müsste nur die Stelle des hellen Feldes, wie oben für die unbefruchteten Eier beschrieben, 1884, 6 32 Jahres - Bericht grau werden, und das weisse Feld selbst ganz verschwinden; das ist aber nicht der Fall, das weisse Feld bleibt fast ausnahmslos an der Ober- fläche und bezeichnet nur seinen früheren Ort und den Weg, den es genommen, durch einen grauen Fleck; es verdrängt also die weisse Substanz bei ihrem Herabsinken die schwarze Rinde, während sich auf der anderen Seite schwarze Rinde unter die stehenbleibende Randschicht der weissen Substanz hinwegschiebt. Es ist mithin ein aus Drehung und Verschiebung eigenthümlich gemischter Vorgang, dessen genauere Analyse ich mir auf später aufschieben muss. Mit und in der schwächer pigmen- tirten Substanz steigt der Kern auf, der während dieses Vorganges die bekannte Spindel- resp. Hantelfigur der Theilung zeigt; es ist nun leicht verständlich, dass mitunter der Kern schon, ehe er noch die höchste Stelle des Eies erreicht hat, so weit in der Theilung vorgeschritten ist, dass er auf die Eisubstanz zu wirken beginnt; dass sind dann die Fälle, in denen die erste Furche nicht durch die höchste Stelle des Eies hindurchgeht, ja mitunter ausgeprägte Schieflage zeigt. Es handelt sich also bei den interessanten Erscheinungen, die Pflüger an dem in Zwangslage befindlichem Froschei kennen gelehrt hat, wenigstens bei der von mir untersuchten Rana f., nicht um eine all- gemein anzunehmende Einwirkung der Schwere auf sich theilende Zellen, sondern um indireete Einwirkungen der Schwere, die dieselbe, vermöge der eigenthümlichen Anordnung und Beschaffenheit der verschieden spe- cifisch schweren Eibestandtheile, unter Umständen an dem sich ent- wickelnden Froschei hervorzurufen vermag. Auf die Bedeutung dieser Erscheinungen will ich nachher ‘noch mit einigen Worten eingehen. Pflüger hat aber ferner gezeigt, dass durch die Verlagerung des hellen Poles in bestimmter Weise die Medianebene des Embryos festgestellt sei, indem dieselbe immer durch den vertikalen Meridian geht, welcher die höchste Erhebung des weissen Kreises (in seiner späteren Stellung) trifft; — diese von mir gewählte Ausdrucksweise lautet etwas anders, als die Pflüger’sche, hat aber, soviel ich sehe, denselben Inhalt und scheint mir für das Folgende zweckmässiger. Ich kann diesen Satz aus einem jetzt schon recht zahlreichen Material von Fällen durchaus be- stätigen. Man erleichtert sich die Beobachtung, wenn man die Eier nur bis nach den ersten Furchen in Zwangslage hält und dann vorsichtig mit der Pipette Wasser zusetzt, die Eier drehen sich bei der nun folgenden Quellung kaum mehr merklich und entwiekeln sich leichter weiter, als wenn man sie die ganze Zeit über in Zwangslage erhalten muss; — auch aufgehängte Eier sind für diese Beobachtung günstig. Wie ich bald bemerkte trifft die P.’sche Regel in überraschender Weise mit einer Beobachtung zusammen, die Roux an normalen Eiern von R. esc. gemacht hat; — auch hier steht die Medianebene vertikal und geht durch den asymmetrisch erhobenen, höchsten Punkt des weissen Feldes der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 83 hindurch. Ich glaube für diese Erscheinung einen freilich nur hypothe- tischen Erklärungsversuch hersetzen zu dürfen, der, wie mir scheint, leiehter verständlich ist, als die Annahme Pflügers von den in meri- dialer Richtung polarisirten Molekülreihen, von denen die Schwerkraft eine bevorzugt und, wenn ich ihn recht verstehe, dieselbe zur medianen Körperaxe macht. Alle Autoren, die die Bildung des Ruskoni’schen ‘ Afters am Amphibienei bisher beobachtet haben, kommen zu dem Schluss, ‚ dass die Bildung der Gastrula so zu Stande kommt, dass die sich rasch in der Fläche ausbreitende, dünne, obere Kugelschale des Eies an der ‚ sich träger theilenden, dieken unteren Hälfte einen Widerstand findet ' und sich daher über diese hinwegschiebt. Der Widerstand leistende | Abschnitt des Eies ist aber die an Nahrungsdotter reichere, untere weisse Hälfte desselben; liegt dieselbe nicht symmetrisch, sondern ragt mit einem Rande, mag dies natürlich oder künstlich verursacht sein, ‚ höher hinauf, so beginnt an dieser Stelle zuerst der Widerstand und ‚ damit auch die Einstülpung; die Stelle, an der der Rusk. After zuerst ‚ auftritt, bezeichnet aber erfahrungsgemäss den Punkt, durch den die Vertikalebene, die die Körperaxe enthält, hindurchgeht. Ich behalte | mir vor, diese Anschauung durch weitere Untersuchungen besser zu begründen. | Im normalen Ei fallen nach Roux und Pflüger die Richtung der ersten Furche und der ersten Medianebene zusammen; bei den in | Zwangslage befindlichen verlagerten Eiern aber bilden dieselben nach P. ‚ alle mögliehen Winkel miteinander; auch dieses letztere kann ich be- ‚ stätigen. Es scheint nach dem Geschilderten aber nicht schwer verständ- ‚ lieh, dass beim Aufsteigen und Verschieben des Kerns im Innern des ‚ verlagerten Eies die Beziehungen, die die Theilungsebene des Kerns im | normalen Falle zu den Verhältnissen hat, die die Lage der Medianebene bestimmen, gestört werden. | Das Wunderbare ist, dass trotz der erheblichen Störungen in der Vertheilung des Eimaterials, die durch die Verlagerung der Eier herbei- ‘ geführt wird, sich doch schliesslich normale Quabben, die sich in nichts von den gewöhnlichen unterscheiden, entwickeln. Auch die Willkür, mit ‚ der man nach der Pflüger’schen Regel, die Richtung der Medianebene ändern kann, macht das Problem der Entwickelung durchaus nicht ‚ leichter verständlich, denn die Sicherheit in der Vererbung nicht blos ‘ der grossen Familiencharaktere, sondern der kleinsten Eigenthümlich- ; keiten der Art, ja des Individuums, hat immer dazu geführt, eine mög- | liehst frühzeitige, specielle, örtlich feste Austheilung des Eimaterials | je nach seinen zukünftigen Bestimmungen anzunehmen. — Die oben angeführten Erfahrungen erscheinen einer solchen Annahme nicht günstig; ' es bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten, zu zeigen, wie man trotz- ' dem dem Grundproblem der Entwickelung näher kommen kann. 6* 34 Jahres- Bericht Zur Discussion sprachen Herr Hasse, dann Herr Rosenbach: Da sich, wie der Herr Vortragende angeführt hat, vor der Befruchtung die Eier auch, wenn auch viel langsamer, als nach der Befruchtung drehen, so kann an an den geschilderten Vor- gängen nicht die Schwerkraft den alleinigen Antheil haben, sondern es müssen in Folge der Befruchtung noch andere Vorgänge eintreten, welche jene schnellere Drehung des Eies bewirken. Es kann dies entweder dadurch geschehen, dass Flüssigkeit durch die Gallerthülle in das Ei tritt, was wohl nicht wahrscheinlich ist, oder es muss das ein- tretende Spermatozoon gewisse vitale Vorgänge in dem Eie hervorrufen, welche uns noch unbekannt sind. Herr Roux: Bezüglich dieser Frage habe ich einige Versuche gemacht, welche bereits in meiner jüngsten Publication über die Ent- wiekelung des Froscheies bei Aufhebung der richtenden Wirkung der Schwere kurz erwähnt sind. Um zu erkennen, ob der Umstand, dass die befruchteten Eier sich in ein bis fünf Minuten innerhalb der Gallert- hülle umdrehen, während die unbefruchteten Eier ebenso vieler Stunden dazu benöthigen, ob dieser Umstand in Verschiedenheiten des unbe- fruchteten und des befruchteten Eies beruhe, brachte ich die Eier mit ihrer Hülle in eine Flüssigkeit von geeignet hohem specifischem Gewicht, um sie schwimmend zu erhalten. Es zeiste sich, dass jetzt befruchtete und unbefruchtete sich beide innerhalb weniger Secunden drehten und fest einstellten. Es schien, dass die befruchteten Eier dabei noch ein wenig rascher, im Mittel etwa in sechs, die unbefruchteten im Mittel in zehn Secunden ihre feste Einstellung nach grösster Entfernung von der Gleichgewichtslage erreichten; doch sind meine bisherigen, nur mehr beiläufig gemachten Beobachtungen noch nicht genügend, um diese prin- eipiell wichtige Frage zu entscheiden. Ich möchte noch einen zweiten Punkt erwähnen. Die älteren Autoren geben an, dass bei den Froscheiern die die Mitte des schwarzen und des weissen Poles verbindende Linie, die Eiachse, sich immer senk- recht einstelle, und ich habe es daraufhin auch in meiner jüngsten Schrift noch bezüglich des Eies der Rana fusca so aufgeführt. Bezüglich der R. eseulenta hatte ich im vorigen Jahre eine hochgradige Schiefstellung als die Regel erfunden und zur Bestimmung des Oral und Aboral des künftigen Embryo am befruchteten Eie benutzt. College Born erwähnte in seinem Vortrage bereits, dass auch bei R. fusca die Eiachse nicht immer vollkommen senkrecht steht, und nachdem ich jüngst bei einer weiteren Untersuchung dasselbe Verhalten aufgefunden hatte, schenkte ich demselben weitere Aufmerksamkeit und fand dasselbe als sehr häufig. Bei einem braunen Frosch stellten sich sogar alle, das will sagen die beobachteten etwa 120 Eier, so hochgradig, zwischen 20 und 30 Grad, schief mit den Eiachsen ein, dass sie der Schiefstellung der der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 55 Eier von Rana esculenta gleichkamen. Dabei boten interessanter Weise auch viele dieser Eier zugleich das von mir beschriebene Furchungs- schema der Rana esculenta dar. Da die Schiefstellung der Eiaxe so variabel in ihrem Vorkommen ist, so werden wir ihr keine hohe Bedeutung für den Mechanismus der Entwiekelung zuerkennen dürfen. Aber als Hilfsmittel der Forschung ist sie von grosser Bedeutung. Denn wir erhalten durch diese Schief- stellung ausser einer festen Linie noch einen Punkt im Eie, den höchsten Punkt des weissen Poles, so dass genügend Anhaltepunkte zur Orien- tirung über manche Vorgänge in und auf dem Eie dadurch gegeben sind. Ich verwende gegenwärtig diese Schiefstellung der Eiaxe zu Ver- suchen darüber, ob das Oral und das Aboral des künftigen Embryo schon im unbefruchteten Froschei fest gegeben ist oder ob diese Richtungen erst nach der Befruchtung des Eies bestimmt werden. Sitzung vom 23. Mai 1884, Herr Ponfick widmet dem am 18. d. M. dahingeschiedenen Präses der Schles. Gesellschaft einen ehrenden Nachruf und gedenkt dabei besonders auch der grossen Verdienste, die sich derselbe um die medi- einische Section erworben hat. Hierauf hält Herr Riegner einen Vortrag Ueber doppelseitiges Aneurysma der Carotis communis, durch Unterbindung beider Carotiden geheilt. M. H. Ein Theil von Ihnen erinnert sich vielleicht noch des hier vor nahezu 3 Jahren vorgestellten Patienten, bei welchem ich wegen Aneurysma der linken Carotis communis die Ligatur der Arterie ober- halb des Sternoclavieulargelenks mit Erfolg ausgeführt hatte. (Breslauer ärztliche Zeitschr. Nr. 1, 1882, Sitzung der medicinischen Section vom 11. November 1881). Für die anderen Herren erlaube ich mir den Fall hier noch einmal kurz zu resümiren. Der damals 54 Jahre alte Kaufmann Löwenthal aus Oels stellte sich mir am 5. September 1881 mit einer pulsirenden Geschwulst an der linken Halsseite vor, die seit 6 Wochen ohne ihm bekannte Veranlassung, jedenfalls ohne vorange- sangenes Trauma, allmählich entstanden sein sollte. Die eiförmige Ge- schwulst sass im Niveau des Kehlkopfes, dessen Grenzen in der Längs- richtung ziemlich entsprechend, und reichte in der Breitenausdehnung von dem etwas lateralwärts verschobenen Kopfricker bis zum Pomum Adami. Sie bot alle die bekannten pathogonomischen Zeichen eines Aneurysma verum, und fiel bei Druck auf den hier noch ganz intacten Theil des Carotisstammes zwischen den Köpfen des Sternocleidomastoideus 36 ‚Jahres - Bericht zusammen, während gleichzeitig Pulsation und Geräusche vollkommen aufhörten. Die Carotis der anderen Seite zeigte damals keinerlei Ab- normitäten, Der Radialpuls war auf beiden Seiten synchron, während der Puls der linken A. temporalis hinter dem des rechten etwas zurückblieb. Zunächst wurde 4 Tage lang täglich mehrere Stunden hindurch Digital- compression versucht, die Patient ohne wesentliche Beschwerden ertrug, bei gleichzeitiger schmaler Kost, Eisblase auf der Geschwulst und Jod- kalidarreichung, Das dadurch erzielte Resultat (merkliches Härter- und Kleinerwerden des Aneurysma) ging leider durch eine Reise des Patienten wieder verloren, ja der Sack hatte bei der Rückkehr ganz auffallend an Umfang zugenommen, und es waren Heiserkeit und heftige Schling- schmerzen aufgetreten. Deshalb unterband ich die Carotis communis nach Allan Bruns von einem am inneren Rande aes Kopfnickers vom Sternoclaviculargelenk 6 Ctm. nach oben verlaufenden Schnitte aus, und zwar ohne die Sternalportion des Muskels durchschneiden zu dürfen. Die Vena jugularis kam dabei nicht zu Gesicht. Ich ligirte mit zwei starken Catgutfäden, ohne die Arterie dazwischen zu trennen. Der Sack hörte auf zu pulsiren und fiel zusammen. Eine unmittelbar nach Knüpfung der Fäden eintretende hochgradige Cyanose des Gesichts verlor sich allmählich bis zum Abend. Die Pupillen waren beide sehr eng, zeigten aber keine Differenzen. Es wurden keinerlei Lähmungs- oder ander- weitige Erscheinungen von Seiten des Gehirns beobachtet. Dysphagie und Heiserkeit begannen schon vom nächsten Tage ab sich zu bessern, und verloren sich vollständig, Der weitere Verlauf war ein durchaus fieberloser und günstiger. Beim ersten Verbandwechsel am 13. Tage post oper. zeigte sich volle primäre Heilung, der Sack zu einer zwei- markstückgrossen, flachen festen, völlig pulslosen Geschwulst geschrumpft. Nach weiteren zwei Wochen war auch von diesem letzten Rest nichts mehr zu palpiren, Im untern Drittel des Halses am Vorderrand des Kopfnickers fühlte man eine ziemlich oberflächlich gelegene Arterie etwa vom Caliber der Radialis vom Jugulum bis zum unteren Rand der Cartilago thyreoeidea pulsiren, die, rechterseits nicht vorhanden, offenbar durch collaterale Erweiterung entstanden war. Der Puls der Maxillaris ext. und temporalis fehlte linkerseits ganz. Ich hatte später wiederholt Gelegenheit den Patienten zu sehen und mich von dem unverändert guten Status zu überzeugen. Vor ungefähr anderthalb Jahren consultirte mich Herr Löwenthal wegen einer schmerzhaften Empfindung an der rechten Halsseite. Ich fand etwas Druckempfindlichkeit im Verlaufe der, wie mir schien, abnorm stark pulsirenden Carotis dextra, ohne jedoch irgend welche sonstige Anomalie an der Arterie constatiren zu können. Vor einem Jahre etwa will nun Patient zum ersten Male eine eirea taubeneigrosse pulsirende Geschwulst an der früher empfindlichen Stelle bemerkt haben, kam aber , * na EEE der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 37 erst Anfang September 1883 deshalb nach Breslau, als ich gerade ver- reist war. Mein Vertreter constatirte damals ein wallnussgrosses Aneu- rysma der Carotis dextra und rieth zu baldiger Operation. Patient ging indess nach Wien, wo subeutane Ergotininjectionen erfolglos gemacht wurden. Die Geschwulst soll bis vor 6 Wochen stationär geblieben, seitdem aber allmählich bis zu ihrem jetzigen Umfange gewachsen sein, weshalb sich Patient am 1. April d. J. wieder an mich wandte. Ich fand zunächst an der linken Halsseite, an der ich vor 2‘), Jahren die Operation gemacht, keine Spur von aneurysmatischer Erweiterung. Ich fühlte, ziemlich entsprechend dem Verlaufe und der Ausdehnung der Carotis, eine Arterie etwa vom halben Umfange jener pulsiren; nur in der Höhe des Ringknorpels war die Pulsation etwa auf einer Strecke von 11, Ctm. unterbrochen, An der rechten Seite des Halses constatirte ich ein über gänseeigrosses stark pulsirendes Aneurysma, welches, in seiner Längsrichtung genau dem Verlaufe des Sternocleidomastoideus entsprechend, denselben stark hervorwölbte und spannte, so dass seine beiden Portionen deutlich vortraten. Den vorderen Rand des Muskels überschritt die Geschwulst nur wenig, den hinteren um etwa 2 Ctm., ihre untere Grenze war in dem Interstitium beider Köpfe deutlich abzu- tasten und lag etwa 2°, Ctm. über dem oberen Rande der Clavicula, während der den hinteren Rand des Kopfnickers überragende Theil des Aneurysma noch etwa /, Ctm. tiefer herabreichte. Die obere Grenze des Sackes wurde durch den Winkel und horizontalen Ast des Unter- kiefers gebildet, und war etwa 5 Ctm. vom Warzenfortsatz entfernt, Der Längsdurchmesser betrug 8'),, der grösste Breitendurchmesser 7 Ctm, Die Geschwulst hatte den Kehlkopf etwas nach links verdrängt und war offenbar bereits Verwachsungen mit demselben eingegangen, da sie beim Schlingen sich mit diesem auf und ab bewegte. Auf leichten Druck war sie nur wenig empfindlich, nur zeitweise soll sie an ihrem hinteren oberen Theil recht schmerzhaft gewesen sein. Der rechte Radialpuls war merklich schwächer und nicht ganz synchron mit dem linken, Die - Herztöne rein, der zweite Aortenton klappend. Pupillen beiderseits von gleicher mittlerer Weite. Patient hatte bis auf leichte Behinderung beim Schlingen keine weiteren Beschwerden und war noch bis vor Kurzem seiner Beschäftigung nachgegangen. Irgendwelche Hirnerscheinungen haben sich niemals bemerklich gemacht, doch hatte er ein entschieden cyano- tisches Aussehen und machte jetzt den Eindruck erheblicher körperlicher Hinfälliskeit und psychischer Depression. Während der Untersuchung des Aneurysma trat plötzlich ein Schüttelfrost ein, die bald darauf ge- messene Temperatur betrug 39,5. Compression der Oarotis oberhalb der Clavicula verkleinerte den Sack erheblich, doch vermochte nur sehr energischer Fingerdruck Pulsa- tion und Geräusche vollständig zum Schwinden zu bringen, Dabei trat 88 Jahres- Bericht aber Schwindelgefühl, Schwarzsehen und beunruhigende Cyanose ein, so dass die Compression nur wenige Minuten ausgeübt werden konnte. Der Patient liess sich am 3. April in meine Privatklinik aufnehmen, | wo bei ruhiger Rückenlage zwei Tage lang fast beständig eine Eisblase auf die Geschwulst applieirt wurde. Mehrmals täglich wurde die Com- pression der Arterie versucht und immer länger, ohne Hirnerscheinungen hervorzurufen, zuletzt 5 Minuten lang ertragen. Am 9. April wurde zur Operation geschritten. Die Narkose war recht unangenehm und musste wegen eintretender Asphyxie häufig unterbrochen werden. 6 Cim. langer Hautschnitt am inneren Rande des Kopfnickers vom Sternalansatz nach oben, dabei ziemlich starke Blutung, welche mehrfache Unter- bindungen benöthigte. Nach Freilegung des Muskelrandes und Ineision der tiefen Halsfaseie musste die Sternalportion durchschnitten werden, da ihre seitliche Verziehung zur Freilegung der etwas nach aussen ver- schobenen Carotis diesmal nicht genügte. Die sehr tief liegende und nur noch auf eine Länge von etwa 2'J, Ctm, gesunde Arterie konnte nun, ohne dass die Vena jugularis interna zu Gesicht kam, aus ihrer Scheide auf eine Strecke von 1 Ctm. isolirt werden. Von zwei unter sie ge- führten starken Sublimateatgutfäden (Nr. 5) wurde der eine ziemlich nahe am Sack, der andere 1 Ctm. weiter nach unten geknotet, die Arterie zwischen ihnen aber nicht durchtrennt, weil ich das Abrutschen der Ligaturen befürchtete. Das Aneurysma hörte sofort auf zu pulsiren, fiel aber unerwarteter Weise nicht zusammen, sondern schien eher an Umfang noch etwas zuzunehmen. Die Pupillen, erst beide gleichmässig stark verengt, erweiterten sich beide ad maximum, bald darauf wurde und blieb die rechte enger als die linke. Bedrohliche Cyanose des Ge- sichts, die sich nach etwa 20 Minuten allmählich verlor. Nach Ein- führung eines dieken Drains in den unteren Wundwinkel, Catgutnaht, Bedecken mit Sublimatglaswolle, Sublimat-Holzwollensackverband, welcher Kopf, Hals und obere Brusthälfte umschloss. Bald darauf kam Patient vollkommen zu sich, und klagte weder über Kopfschmerzen, Schwindel noch sonstige Hirnerscheinungen. Keinerlei Lähmung weder im Bereich der Hirn- noch der spinalen Nerven. Am Abend waren die Pupillen wieder gleich weit, die Cyanose ganz geschwunden, der Radialpuls voll und kräftig, 75 in der Minute. Wegen heftiger Schmerzen in der Wunde wurde eine Morphiuminjeetion gemacht. Wohl in Folge der letzteren trat Urinretention ein, die jedoch nach einmaligem Katheterismus am 6. April gehoben war. Ausser mässigen Schlingschmerzen und ziem- lich erheblicher Kieferklemme üäusserte Patient am folgenden Morgen keine Beschwerden, doch will er in der Nacht einige Male Pulsationen in der Geschwulst gefühlt haben. Im Laufe des Nachmittags traten vorübergehend leichte Dilirien auf, und darnach stellte sich eine lähmungs- artige Schwäche im linken Arm ein, dessen Bewegungen zwar frei, i ) | 2 er ne a 2. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 89 aber weniger energisch erfolgten, als rechts. Die Sensibilität war dabei vollkommen normal. Auch die leichte Motilitätsparese war schon am folgenden Morgen (7. April) wieder verschwunden. Der weitere Verlauf war ungestört und vollkommen fieberlos, die Schlingbeschwerden besserten sich allmählich, ebenso die Kieferklemme, so dass Patient, der Anfangs auf schmale flüssige Kost gesetzt worden war, _ bei bald sich einstellendem Appetit wieder feste Speisen geniessen konnte. Beim ersten Verbandwechsel am 10. April, den ich diesmal etwas zeitiger vornahm, um mich über das Verhalten des Aneurysma zu orientiren, zeigte sich die Wundhöhle per pr. verklebt, die Nahtlinie _ trocken, der aneurysmatische Sack auf die Hälfte verkleinert, vollkommen hart, puls- und geräuschlos.. Auch in der rechten Temporalis und Maxillaris externa konnte keine Pulsation gefühlt werden, während links ' die Temporalis deutlich pulsitt. Das Drain wurde wegen geringer ‚ seröser Secretion durch ein dünneres und kürzeres ersetzt und am 14. April ganz entfernt. Am 20. April zeigte sich bei Erneuerung des Verbandes der Sack noch mehr, etwa auf ein Drittel geschrumpft. An seinem hinteren Rande fühlte man jetzt eine ziemlich kräftig pulsirende Arterie vom Caliber der Radialis, welche etwa von der Mitte des Sehlüsselbeines aufsteist, hinter der Geschwulst bis zu deren oberen Grenze verläuft und hier dem Finger entschwindet. Unter ihr, sowie etwas undeutlicher über dem Sack sind zwei Töne, aber keinerlei Geräusche zu hören. Bei der Entlassung des Patienten am 23. April war auch die Drain- ‘ fistel vernarbt und bei einer Vorstellung am 12, Mai der vollkommen feste und pulslose Tumor auf kaum Haselnussgrösse reducirt. Der ‚ Patient hatte sich körperlich auffallend erholt, und sein Geschäft wieder ' aufgenommen. Heute, 23. Mai, konnte ich ausser der oben erwähnten ‚ eollateralen Arterie eine Pulsation oberhalb der Clavicula constatiren, der Sack aber ist vollkommen fest, pulslos und auf eine bohnengrosse strangartige Verdickung zusammengeschrumpft.‘) Doppelseitige spontane Aneurysmen der Carotis communis sind an und für sich schon sehr selten beobachtet worden, ein Fall von beider- seitiger Unterbindung wegen dieses Leidens aber bisher überhaupt noch | nicht ausgeführt, oder wenigstens nicht berichtet. Dieser Umstand und , der günstige Erfolg rechtfertigten wohl die etwas detaillirte Schilderung, ' welche ich Ihnen von meinem Falle gegeben habe. Schliesslich spricht Herr Alexander Ueber das Antipyrin und seine Wirkung bei fieberhaften Krankheiten. Während über das Wesen des Fiebers und über die Entstehung der ' einzelnen Erscheinungen, deren Gesammtheit wir als Fieber zu be- ') Am 14. August localer Befund unverändert, Allgemeinbefinden vortrefllich. 90 “ Jahres -Bericht zeichnen pflegen, namentlich über die Entstehung der fieberhaften E. Temperatur-Erhöhung ganz ausserordentlich verschiedene Theorien ent- wickelt worden sind, war man doch im Allgemeinen bis vor wenigen Jahren darüber einig, dass das Fieber ein schädliches Krankheits- Symptom sei und deshalb nach Möglichkeit therapeutisch bekämpft werden müsse. Ganz besonders war es die Gefahr der Consumption, welche durch die Steigerung des Stoffwechsels bei einem länger dauerndem Fieber herbeigeführt wird und die üble Einwirkung, welche man hohen Fiebertemperaturen auf die Thätigkeit des Central-Nerven- systems und auf die Structur des Herzmuskels, der Leber und der Nieren zuschrieb, welche diese bis vor Kurzem ganz allgemein acceptirte Ansicht über die Bedeutung des Fiebers stützten. Erst in jüngster Zeit haben einzelne Forscher angefangen, die Schädlichkeit des Fiebers, zu bezweifeln und das letztere als eine weise oder sogar höchst zweck- mässige Einrichtung der Natur zu betrachten, welche dazu bestimmt ist, dem Organismus die Ueberwindung einer in denselben eingedrungenen krank machenden Noxe zu erleichtern. Schon CGohnheim') hat in seinem Lehrbuche der allgemeinen Pathologie derartiges angedeutet, und Unverricht’) ganz kürzlich diese Ansicht in energischer und beredter Weise vertreten. Wer einen solchen Standpunkt einnimmt, dem muss eine jede anti- pyretische Behandlung naturgemäss nicht nur nicht nützlich, sondern sogar schädlich erscheinen, allein es hat die Hypothese von der Zweckmässig- keit des Fiebers bisher nur wenig Anhänger gefunden und, soweit mir bekannt, noch keine wesentlichen praktischen Resultate erzielt. Ueberall, wenigstens in Deutschland, werden die mit Fieber verlaufenden acuten und chronischen Krankheiten, sobald das Fieber eine gewisse Höhe überschreitet und über eine gewisse Zeit hinaus dauert, noch immer mit antipyretischen Mitteln irgend welcher Art behandelt. Auch in der hiesigen medieinischen Klinik geschieht dies eonsequent. Indessen dürfte die Aufstellung der Hypothese von der Zweckmässigkeit des Fiebers dennoch das eine Gute bewirkt haben, nämlich, dass sich die Aerzte wiederum daran erinnern, dass das Fieber nicht ein einzelnes Symptom in der Gestalt einer erhöhten Körpertemperatur, sondern ein Complex von Symptomen ist, welche zum Theil wenigstens unabhängig sind von der Temperatur und direete Folgen der die Krankheit erregenden Ur- sache. Daraus aber geht wiederum hervor, dass der Werth einer anti- u pyretischen Behandlungsmethode nicht einseitig beurtheilt werden darf nach dem Einfluss derselben auf den Gang der Temperatur, sondern, ') Cohnheim, Vorlesungen über allgem. Pathologie. II. Bd. p. 562. “) Unverricht, Ueber Fieber und Fieberbehandlung, Deutsche med. Wochen- “ - schrift. 1883. Nr. 5. = ge -. ® ı EEE ar en = n - Eu ur un a ® r - : N „ - re - 12 AL AN. EZ ee In En a nn a I a a Fr EEE EBENEN EEE EEEEN a z der Schles. Gesellschaft für vaterl, Cultur. 91 dass dabei auch das Verhalten der übrigen im Begriffe des Fiebers enthaltenen Symptome, namentlich Frequenz und Qualität des Pulses, die Thätigkeit des Gehirns, das Verhalten der Verdauungsorgane und der Exceretionen wohl in Betracht gezogen werden müssen. Ist doch die Frequenz des Pulses in prognostischer Beziehung sehr viel wichtiger, als die absolute Höhe der Temperatur. Wenn man sich gewöhnt, den Einfluss einer antipyretischen Be- handlungsmethode nicht ausschliesslich nach dem Gange der Temperatur zu betrachten und zu würdigen, sondern auch die übrigen oben ge- nannten Factoren nach Verdienst mit in Rechnung zieht, wird man, glaube ich, einem fiebernden Kranken durch eine antipyretische Behand- lung nieht nur nicht schaden, sondern die Genesung desselben erleichtern und beschleunigen, die Gefahr für das Leben herabsetzen oder das tödtliche Ende wenigstens hinausschieben. Unter diesem Gesichtspunkte muss es als ein verdienstliches Werk erscheinen, wenn in jüngster Zeit Chemiker und Pathologen sich bemüht haben, auf synthetischem Wege Stoffe herzustellen, welche, dem fiebern- den Organismus einverleibt, die Körpertemperatur mit Sicherheit und lohnend herabsetzen und zwar schon in Dosen, bei welchen Schädigungen und Funetionsstörungen wichtiger Organe nicht eintreten. Unsere alten, innerlich zu verabreichenden Antipyretica erfüllen dieses Erforderniss nicht ganz. Das Chinin z. B., welches ein sicheres Specificum gegen Wechselfieber ist, wirkt bei der eroupösen Pneumonie und dem acuten Gelenkrheumatismus in den gewöhnlichen und unbedenklichen Dosen nur wenig und nicht lange genug auf die Temperatur, beim Abdominal- typhus auch nur dann in erheblicher Weise, wenn es in sehr grossen Dosen gegeben wird, welche zum mindesten einen heftigen Schwindel und Ohrensausen verursachen. Das Natron salicylicum dagegen, welches beim acuten Gelenkrheumatismus meist schon in mässigen Dosen, in kürzester Frist, zuweilen schon in wenigen Stunden, die heftigsten Schmerzen beseitigt, gleichzeitig aber auch die Temperatur und die 'Pulsfrequenz bis zur Norm heruntersetzt, vermindert zwar auch beim Abdominaltyphus in kurzer Zeit die Fiebertemperatur sehr bedeutend, wenn auch nur sehr vorübergehend, lässt aber den Puls nicht gleich- zeitig mit der Temperatur herunter, oft sogar in die Höhe gehen, und führt auf diese Weise zu dem, was man als Collaps zu bezeichnen und seiner üblen prognostischen Bedeutung wegen in hohem Grade zu fürchten pflegt. Auch die übrigen Antipyretica, wie z. B. Resorein und Veratrin, _ sind nicht frei von bedenklichen Nebenwirkungen. Die Bemühungen, neue und womöglich bessere Antipyretica darzu- stellen, nahmen ihren Anfang mit der therapeutischen Verwendung des Chinolins und seiner Salze. Dasselbe ist von verschiedenen Autoren ep) Jahres-Bericht geprüft worden, doch hat sich dabei herausgestellt, dass seine anti- pyretische Wirkung nur eine geringe ist. Dagegen ist es nach den ausgedehnten Erfahrungen des Dr. Löwy ') in Fünfkirchen ein gutes Mittel gegen Malaria-Krankheiten und steht dabei an Sicherheit der Wirkung dem Chinin nicht viel nach, doch hat es den grossen Nachtheil, dass es sehr schlecht riecht und schmeckt und den Magen sehr stark reizt. Unsere eigenen Erfahrungen über das Chinolin beschränken sich auf zwei Fälle von Intermittens, in welchen es ohne Erfolg gegeben wurde und die erwähnte üble Nebenwirkung in ausgesprochenster Weise zeigte. Einen entschiedenen Fortschritt bedeutete deshalb die Entdeckung des Kairins durch Fischer und seine Einführung in die Therapie durch Filehne), denn es unterliegt nach den Erfahrungen einer ziemlich grossen Anzahl von Beobachtern und auch nach unseren eigenen keinem Zweifel, dass das Kairin, ein Derivat des Chinolins, ein mächtiges Anti- pyreticum ist, welches, in genügend grossen Dosen angewandt, in allen Fällen die fieberhafte Temperatur bis zur Norm zurückzuführen im Stande ist. Allein dazu sind häufig Dosen erforderlich, welche sehr unangenehme Nebenwirkungen haben, so z. B. Cyanose, Anwandlungen von Collaps, zuweilen auch Delirien verursachen. Am unangenehmsten ist es jedoch, dass die durch Kairin erzwungene niedrige Temperatur nur äusserst kurze Zeit vorhält, und dass das Wiederansteigen der Temperatur nach dem Aussetzen des Mittels unter einem heftigen, für die Kranken sehr peinlichen Schüttelfrost erfolgt. Aus diesen Gründen hat sich das Kairin eine gesicherte und bleibende Stellung im Arzneischatze nicht erwerben können. Das neueste Product der auf die Gewinnung neuer und guter Anti- pyretica gerichteien Bestrebungen Filehne’s°), war die Beobachtung, dass ein von Dr. Knorr, Assistenten am chemischen Institute zu Erlangen, entdecktes Alcaloid sehr kräftige antipyretische Wirkungen ausübt. Dieses Alealoid wurde eben deswegen von seinem Entdecker „Antipyrin“ genannt. Das „Antipyrin“ ist ebenfalls ein Derivat des Chinolins, doch hat Knorr etwas Genaueres über die chemische Constitution desselben noch nicht mitgetheilt. Das Antipyrin stellt ein weisses, krystallinisches Pulver dar, ist in Wasser sehr ieicht löslich und schmeckt unangenehm bitter, wenn auch \ bei weitem nicht so bitter als Chinin. Wenn Filehne den Geschmack als ganz schwach bezeichnet, so kann ich dem nicht völlig beistimmen, ') Löwy, Das Chinolin gegen Intermittens und Intermittensneuralgien, Wiener med. Presse. 1881. Nr. 39—42, *) Berliner klinische Wochenschrift. 1882. Nr. 45. °) Berliner klinische Wochenschrift Nr, 20 vom 19. Mai 1884. x “ der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 93 aber richtig ist es, dass sich der Geschmack, wie Filehne angiebt, leicht verdecken lässt, z. B. reeht gut durch Mischung der Lösung mit gleichen Theilen Ungarwein. Filehne hat die Wirkung des Mittels an Thieren, an sich selbst, an gesunden und an mehreren fiebernden Personen erprobt. Ausserdem haben auf Wunsch von Filehne der Director des städtischen Kranken- hauses in Nürnberg, Dr. Merkel, der Direetor des städtischen Kranken- hauses „‚Moabit“ in Berlin, Dr. Guttmann, und Dr. Wiesner vom heiligen Geist-Hospital zu Frankfurt a. M. das Mittel bei einer grösseren Anzahl fiebernder Kranken versucht und die Resultate Filehne zur Verfügung gestellt. Guttmann hat seine Erfahrungen über das Antipyrin dann aber auch vor einigen Tagen in der Berliner klinischen Wochenschrift ver- öffentlicht '), Er hat das Mittel an 27 hochfiebernden Kranken geprüft und die Angaben Filehnes über die Wirkungen desselben durchaus bestätigt. Die Dosis, in welchen das Antipyrin von Filehne gegeben worden, ist 5 bis 6 gr., welche in einstündigen Intervallen in Theildosen von 2 + 2 + 1 resp. 2 gr. als Pulver gegeben wurden, welche erst kurz vor der Verabreichung in Wasser oder Wein gelöst wurden. In der grossen Mehrzahl der Fälle gelang es auf diese Weise, die Temperatur bis auf 38° herabzusetzen. Die Temperaturherabsetzung hielt verhältnissmässig lange an, meist 7 bis 9, zuweilen aber erst 13 bis 20 Stunden nach Beginn der Wirkung stieg die Temperatur wieder an und zwar immer ganz allmählich ohne Schüttelfrost. Unangenehme Nebenwirkungen wurden, ausser, dass hin und wieder einmal Erbrechen auftrat, überhaupt nicht beobachtet. Ende April d. J. stellte die chemische Fabrik von Meister, Lueius und Brüning in Höchst a. M. Herrn Geheimrath Biermer eine kleine Quantität Antipyrin zur Verfügung mit dem Ersuchen, in seiner Klinik Versuche mit dem Mittel anzustellen, wozu Herr Geheimrath Biermer ' mit Vergnügen bereit war. Die Ausführung dieser Versuche wurde mir | übertragen, einige Versuche (Masern und Recurrens) wurden auch in der, dem Collegen Rosenfeld übertragenen klinischen Abtheilung des Absonderungshauses am Allerheiligen-Hospital gemacht und mir freund- ‚ liehst überlassen. Die Form, in welcher das Mittel gegeben wurde, war stets eine | Lösung von 10 gr. Antipyrin in 150 gr. Wasserleitungswasser. Eine derartige Lösung ist vollkommen klar und besitzt eine hellgelbe Farbe. Die Krankengeschichten derjenigen Fälle, welche mit Antipyrin behandelt wurden, lasse ich hier in einem ganz kurzen Abriss folgen: ı) Zeitschrift für klinische Mediein. Bd. VI. 8. 6. 94 Jahres - Bericht Die dabei angegebenen Temperaturenzahlen beziehen sich sämmtlich auf Achselhöhlenmessungen. 1. Julius J., 34 Jahre alt, Bäcker, aufgenommen am 29. April 1884, hatte eine croupöse Pneumonie im linken Unterlappen und befand sich bei der Aufnahme in die Klinik am 2. Krankheitstage. Das Fieber, welches sich meistens zwischen 39 und 40° bewegte, begann schon in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai zu sinken, am 1. Mai war dasselbe bis Nachmittag 5 Uhr sehr niedrig, erhob sich aber später bis 39,7°. Am anderen Tage war es wieder sehr hoch, Vormittags 10 Uhr erhielt Patient Kairin 0,5 gr. bei einer Temperatur von 39,5°. Darauf sank die Temperatur um 11 Uhr bis auf 39° und stieg um 12 Uhr schon wieder bis auf 39,7°. Die Kairin-Dosis wurde nicht wiederholt, weil das kürzlich ein- getroffene Antipyrin in diesem Falle gegeben werden sollte. Den 2. Mai, Nachm. 1 Uhr: Temp. 40,3°, Puls 104. Darauf Antipyrin 2 gr. Bo aa Sehr ra Be ee re EREENERNEDE Ms [0 Sie re a Del Be oe a BO Ne ne ine TER ve 9 EN ERR Be u.r= 3890, 108 ee a a Eee Am 3. Mai stieg das Fieber zwar wieder etwas an, ging aber nicht über 38,9°, am 4. Mai nicht über 39,6° hinaus, zeigte dabei aber Vormittags starke und mehrere Stunden anhaltende Remissionen bis zur normalen und hörte erst am 7. Mai definitiv auf. Echte kritische Erscheinungen wurden dabei nicht be- obachtet. Die Pneumonie endigte mit einer Lysis und löste sich ausserordentlich langsam, Das Antipyrin wurde in diesem Falle nur einmal, im Ganzen 9 gr. gegeben, erregte weder Erbrechen noch stärkeren Schweiss, auch zeigte Patient keinen Widerwillen gegen das Medicament. 2. Gustav T, 21 Jahre alt, Zeugschmiedegeselle, aufgenommen den 3. Mai 1884, litt an einer Intermittens tertian.. Am 4. Mai früh Morgens fröstelte Patient ein wenig, hatte aber keinen eigentlichen Schüttelfrost. In der Zeit von 7 Uhr früh bis Mittags 1 Uhr stieg die Temperatur von 38° bis 41,1° und sank darauf all- mählich wieder unter starkem Hitzegefühl und Schweiss bis zur Norm herab. Am 5. Mai kein Fieber. Den 6. Mai, Vorm. 3 Uhr: Temp. 37,3°, Puls 76. re I Rr- = 37,9%, = 9. Antipyrin2gr. 2 6 = = 37 90 = 80. = > z une = 37.10, ee. - eg 8 = = 369% =68 gar are 10. ‚= =+i1 86,09, a0 TR "40ll,,,,s 2 0/87, Bl rel! R N Bi . s Se = 100. Antipyrin 2 gr. achm. = . 398%, = 96. Eu = u WS Re Ic. z 18: Bu eu. 39,5%. 2104, = 4 e = 39,19, e 100. der Schles. Gesellschaft für väaterl. Cultur. 05 Den 6. Mai, Nachm, 5 Uhr: Temp. 38,1°, Puls 100. Rn eesellor- 1330 yL.l 2,80: eh Be >72, a BE at 472. Schüttelfrost fehlte auch an diesem Tage, nur zwischen 8—9 Uhr leichtes Frösteln. Patient hat also an einem Tage im Ganzen Antipyrin 10 gr. erhalten, Dasselbe hat, in der Dosis von 5 gr. zu der Zeit gereicht, wo das Fieber eben begann, den Fieberanfall unterbrochen und um einige Stunden hinausgeschoben, nach eigetretenem hohem Fieber die Rückkehr der Temperatur bis zur normalen um mehrere Stunden beschleunigt. Am 8. Mai früh Morgens erhielt Patient 1 gr. Chinin, trotzdem trat der Fieberanfall noch einmal auf, doch ist seitdem unter fortgesetzter Behandlung mit Chinin das Fieber nicht wiedergekehrt. 3. Anna B.,, 20 Jahre alt, Dienstmädchen, aufgenommen den 25. April 1884, litt ‚ anfänglich an einem mit geringem Fieber verlaufenden, unbedeutenden Gesichts-Erysipel und einer beträchtlichen schmerzhaften Anschwellung der Lymphärüsen unterhalb des Kiefers und am Halse Nachdem das Erysipel geheilt war, blieb die Anschwellung der Drüsen zurück, doch war Patientin vom 1. bis 5. Mai fieberfrei. Am 6. Mai erhob sich die Temperatur Abends auf 38,3%, am 7. auf 38,2°, am 8. Mai auf 39,4%. Seitdem fieberte sie wieder stark und ziemlich continuirlich, während die Anschwellung der Drüsen immer mehr zunahm, | Den 11. Mai, Nachm. 5 Uhr: Temp. 39,6°, Puls 104. Antipyrin 2 gr.!) | | ee oo AG. ah / de oral 28 eRjos, a | ea sn 100, | m 700 nl ‚und nun blieb die Temperatur normal bis Nachts 3 Uhr, also 6 Stunden lang, und ‚stieg dann sehr allmählich wieder an bis 39,3° Nachmittags 1 Uhr. | Wenn in diesem Falle die Temperatur nach der ersten Dosis Antipyrin, ‚ anstatt zu sinken, in die Höhe ging, so hat dies seinen Grund wohl darin, dass ‚ eben die ganze Dosis gleich erbrochen wurde. ‚ einem acuten Gelenkrheumatismus des linken Schulter- und Kniegelenks mit bedeutender Schwellung und Schmerzhaftigkeit bei Druck und Bewegungsversuchen, | | | 4, Reinhold K., 16 Jahre, Bäckerlehrling, aufgenommen den 14. Mai 1884, litt an | | | Den 14. Mai, Nachm. 5 Uhr: Temp. 39,2°, Puls 96. N Ze - 40,1%, = 9. Antipyrin 2 gr. | a NO N zuNSı, = 84: - 2 = = Ol. go... lad): > | zu 100- 2738.10, 2880: | = 1 = 28.00, = 188. | Den 15. Mai, Vorm. 1 = 305, 080: Nun blieb die Temperatur unter 38° bis 7 Uhr früh, um dann ganz all- ‚mählich wieder anzusteigen bis 40°, welche Nachmittags 5 Uhr erreicht wurden. Das Heruntergehen der Temperatur unter der Antipyrin-Behandlung war von einem starken, allgemeinen Schweisse begleitet, die Gelenkaffection und die Schmerzen wurden durch das Antipyrin nicht im mindesten | | beeinflusst. Später wurde Patient mit Natr. salicyl. behandelt, welches am ‚15. Mai auf die Temperatur nur wenig, auf den Puls so gut wie gar nicht !) Sofortiges Erbrechen, 96 Jahres-Bericht erniedrigend wirkte, während die Affeetionen des Schulter- und Kniegelenks ent- schieden abnahmen, ohne sich jedoch vollständig zu verlieren. Auch unter fort- gesetzter Behandlung mit Natr. salieyl. fieberte Patient hier und da etwas, am 21. Mai wurde sogar das linke Ellenbogengelenk von Neuem schwer ergriffen. 5. Joseph K., 22 Jahre alt, Schuhmachergeselle, aufgenommen den 14. Mai 1884, litt an einer croupösen Pneumonie des linken Unteriappens von nicht sehr bedeutender Ausdehnung. Er befand sich bei der Aufnahme am 6. Krankheitstage, hatte noch sehr hohes Fieber. Den 14. Mai, Vorm. 11 Uhr: Temp. 40°, Puls 104. = Al2R - - 40,4%, = 108. Antipyrin 2 gr. Nachm. 1 = = BSH = 7100. = 2 = Er 10.3859, 121,100: = 1, - = 3.E- = BI 23 88: TR EB EN a oe 3002, 1788: = (De = 302 u 88 z esse ERSTES Sodann stieg die Temperatur ganz allmählich wieder an, erreichte am 15. Mai Nachmittags 1 Uhr 39,2%, blieb aber am 15., ebenso wie am 16. Mai fast immer unter 39°. Am 16. Mai Nachmittags endete das Fieber mit einer Krise. Der Temperaturabfall unter der Wirkung des Antipyrin war von einem starken Schweisse, aber nicht von jenem subjectiven Wohlbefinden begleitet, welches bei der definitiven Krisis empfunden wurde. 6. Louise K., 49 Jahre alt, Böttcher- Wittwe, aufgenommen den 10. Mai 1884, litt an einer croupösen Pneumonie des rechten oberen und linken unteren Lappens. Krankheitstag nicht sicher zu bestimmen. Den 11. Mai, Vorm. 7 Uhr: Temp.39,9°, Puls 100. a le = 39,30. >,.100. Hein : Erbrechen. le =.,38,6%, 32.2100. 2 une = 38,90 =, 92. = 2 = Erbrechen. Nachm. 12), - a er ich ol lHige 1370 nk=rah 68: nee ee le = oa: = 038,6% Tall: = 4l, = Zwsgi2e, =108: Se 2039,20, 022,108 el ne 38,3, e pe = 39% = 100 e 1200- =: 937,908 = 2108 Den 12. Mai, früh 1 - 3 3870, 9 108 = ale = 38,5%, = 104. Eee za 25100: er Bire- af 3905, 108 INT . 40,40 - 112. Antipyrin 2 gr. « ‚12, = =.) 3349, ;#,,100: = 2 = Nachm. 1 = =. 38,10, ,.-:1100% = = enge Ei Din, = DON und nun blieb die Temperatur normal, der Puls nur wenig beschleunigt bis Nachts 11 Uhr — also 9 Stunden lang. Am 13. Mai erhob sich die Temperatur der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 97 auf 39,2° und der Puls auf 132 Schläge pro Minute. Später ging das Fieber über 40° hinaus. Der von Anfang an sehr schwere Fall von doppelseitiger Pneumonie kam zum Exitus letalis.. Das Antipyrin wurde bei der ersten Anwendung schon bei hochgradiger Dyspnoe und grosser psychischer Unruhe der Patientin, das zweite Mal zu einer Zeit gegeben, wo wegen der Ausdehnung des pneumonischen Processes die Prognose bereits letal gestellt werden musste. Das Erbrechen, welches in dem Falle wiederholt unmittelbar nach Genuss des Antipyrin auftrat, kann nicht auf die Wirkung des letzteren allein zurückgeführt werden, da diese Kranke schon seit Beginn ihrer Erkrankung nahezu Alles ausbrach, was sie ass oder trank. Bei der ersten Anwendung schwitzte dieselbe sehr wenig, bei der zweiten mässig stark. Die Kranke selbst empfand. die Wirkung des Antipyrins als wohlthätig, wünschte noch eine dritte Anwendung desselben und zog es einem Digitalisinfus entschieden vor. 7. Anna N,, 27 Jahre alt, Dienstmädchen, aufgenommen den 12. Mai 1884, litt an einem Typhus abdominalis und befand sich bei der Aufnahme in die Klinik am Ende der zweiten Krankheitswoche. Das Fieber war ziemlich hoch, ging täglich in den Nachmittagsstunden über 40° hinaus, der Puls der Temperatur entsprechend beschleunigt. Den 13. Mai, Nachm. 5!/, Uhr: Temp. 40,1°, Puls 104. Antipyrin 2 er. Ra 3900. 12 Hour hin N9.- ee u au en are, '7100, und nun blieb die Temperatur normal bis 9, Uhr, wo sie sich auf 38,5° erhob, dann war sie wiederum, ohne dass von Neuem Antipyrin gegeben wurde, normal bis 14. Mai Vormittags 11 Uhr. Sehen wir von dieser einen Unterbrechung ab, so war Patientin nach Gebrauch des Antipyrins im Ganzen 13!/, Stunden fieberfrei. | Den 14. Mai, Nachm.7 Uhr: Temp. 39,7°, Puls 100. Antipyr.2 gr. I Om al 2100: = 25 Erbrechen. RE = 39,90, 7,80: RR PU NE = 22.100 - 2031.80 = 100: ulenns aller 88: = 1208 ASUS = 0180. Den 15. Mai, Vorm. 1 - Zu aTsAy, E=1 88. zul DH F- 2 38,50, 2,7112. u. Dur 2 282 101196. e Ti = = 33,32, = 38. ER - 38,6% 70,88. Nachm. 1 - 38 AR 792% 8 e 38,50, =, 88. Ze ge - 40,4%. = 92. Antipyrin 2 gr. =. MOM = 3942 2,100. - 2 = we z 39,10, = 28 EIROUFE- 3282, =. 96. Bar) m 372.100. = 238% 2,108 Den 16. Mai, früh 1 - 738120 100 ' und nun stieg die Temperatur allmählich wieder an bis 39,5%. Den 17. und 18. Mai hohes Fieber bis 40° und darüber. 1884. 7 98 Jahres - Bericht Den 19. Mai, Nachm. 5 Uhr: Temp. 39,2°, Puls 86. Antipyrin 2 gr. RUHRT- =38, 9 - 104. z DE A lee 038,32, 22100: - 2. = END z 36,80. = 48: EI Zen. 2er =a107 = ala 1 rer il le 223369, 65580: Den 20. Mai, Vorm. 1 = NT SE 468: Es Sun WE 80: Zi che Aa 088 u ae = ek ul = zul 80% sd. Nachm. 1 - 038.20 =u1085 N Ne 38510, 72.90: 2 d. 0 ee TEE = 889200, 100) u > eu ag el96. =, ul Se 310928 Den 21. Mai, Vorm. 1 =, AUS = &). Diese Zahlen lehren, dass durch eine einmalige Dosis von. 6 gr. Antipyrin beim Abdominaltyphus ein fieberfreies Stadium von 15 Stunden erzielt werden kann und dass nach Ablauf der-° selben das Wiederansteigen der Temperatur nur ganz allmählich stattfindet. pi Den 21. Mai, Nachm. 4 Uhr: Temp. 39°, Puls 104. Antipyrin 2 gr. \W \ SE 380% 84. - 2.E ae - 37,50. = 4728 ae I N HR u 30:90 Se a, Ko me =, 36:90, 23164: Temperatur und Pulsfrequenz blieb nun normal bis Vormittags 7 Uhr, also im Ganzen 13 Stunden. Der Abfall der Temperatur unter der Einwirkung des Antipyrins trat bei dieser Kranken immer unter sehr reicher Schweisssecretion ein, 8. Franz H., 17 Jahre alt, Bäckerlehrling, aufgenommen den 17. Mai 1884, hatte” eine wenig ausgedehnte Pneumonie im linken Unterlappen und befand sich bei der | Aufnahme am fünften Tage der Erkrankung. Er hatte bei der Aufnahme eine” Temperatur von 40° und 120 Pulsen pro Minute. Temperatur und Puls gingen darauf in wenigen Stunden unter mässigem Schweisse ganz von selbst bis zur Norm herunter, stiegen jedoch im Laufe der Nacht vom 17. zum 18. Mai all- mählich wieder an. 1% Den 18. Mai, Vorm. 9 Uhr: Temp. 40,5°, Puls 112. Antipyrin 2 gr. 108 = es oe ns DEN = 2 = za ue- =u0.38,9%, =968 = l = une = 230,5% 7 = 7.2100: Nachm. 1 - le Eu BASE =. 38:50, are MIR: ae EN 3810, FR - 4 = = 1 38,20. 90-12100: j .. 1 sa ee 3 ei) Te =)1,.39,7%, 4219104: 7 Am 19. Mai hohes Fieber bis 40,0°, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 99 Den 19. Mai, Nachm. 7 Uhr: Temp. 40°, Puls 96. Antipyrin 2 gr. Ms > se a eg. . 3780 - 7. 10 36.90 7.68. Er aloe, ee ee Den 20. Mai, früh 1 NIE = 780. Am 20. Mai Vormittags wieder hohes Fieber bis 40,2°, Den 20. Mai, Vorm. 11 Uhr: Temp. 39,9°, Puls 84. Antipyrin 2 gr. \ \ 12 5= - 38,70 84. -RNR2LEe Nachm. 1 - ABB 80 s 2 = NZ Zu 38,1 1:80. Nee 388%, 12188: u 3870 12188. tal Ihe 38:78 DEn292. ZEN 3752, 00568: zn = ar = 100. Am 21. Mai Vormittags noch Fieber bis 39,9°, am 21. Mai Abends, am 9. Tage der Krankheit, erfolgte das kritische Ende des Fiebers. Das Absinken der Temperatur unter der Einwirkung des Antipyrins fand immer unter sehr starkem Schweisse statt. Patient erbrach zwar wiederholt, aber immer nur beim Husten und niemals direct nach dem Einnehmen des Antipyrins. 9. Maria Sch., 15 Jahre alt, Dienstmädchen, aufgenommen den 19. Mai 1884, hatte einen Abdominaltyphus und befand sich bei der Aufnahme am Anfang der zweiten Krankheitswoche. Den 19. Mai, Nachm. 5 Uhr: Temp. 40°, Puls 100. Antip. 2 gr. z Oyer= 2738:82 2215.00 FE Pe = Zu 1198: 7488 a 2 - Syn 2 30.8 na 2. Hierauf kein Fieber mehr bis den 20. Mai, Vormittags Il Uhr — also 13 Stunden lang. Am 20. Mai Nachmiltags stieg das Fieber allmählich wieder an bis 39,6° und blieb auch am 21. Mai Vormittags sehr hoch, erreichte 40,5°. Den 21. Mai, Nachm. 1 Uhr: Temp. 40°, Puls 92. Antipyrin 2 gr. ao rear, 38190, a8. ro a er ua ae igedo, 2 Nr, 2 ae So 6: Dunn 6 ER rg8;49 1104, ae 7 Sage 19. aa na m 5 100, OU REN 37.300.280! Von Abends 9 Uhr bis 22. Mai Nachts 1 Uhr kein Fieber, am 22. Mai Vor- mittags allmähliches Wiederansteigen der Temperatur bis 40°. Den 22. Mai, Vorm. 12 Uhr: Temp. 39,8°, Puls 112. Antip. 2 gr. Nic JE Sun 2 0.1138:604n - 100102 © 2% = 2 = = 21.60, = 96. = ie- Erbrechen. ud BEN 36,88 4nerarl0O: 7% 100 Jahres-Bericht Nachm. 4 Uhr: Temp. 36.1°, Puls 88. - De = 130:900.202884. - 6. = 7380 = a z ae =, ar Ip: Der Schweissausbruch beim Sinken der Temperatur war bei dieser Kranken ein ganz colossaler, Erbrechen erfolgte unmittelbar nach Verabreichung des Anti- pyrins nur ein einziges Mal, doch wiederholt mehrere Stunden nachher. Die Kranke hatte auch vor een Eintritt in die Klinik seit b Berinz ihrer Krankheit häufig erbrochen. 10. Auguste K., 16 Jahre alt, Dienstmädchen, aufgenommen den 20. Mai 1834; Patientin hatte einen acuten Gelenkrheumatismus. Das rechte Handgelenk und das rechte Fuss- und Kniegelenk waren stark geschwollen und auf Druck, sowie bei Bewegungen sehr schmerzhaft. Starke Herzarythmie, mässige Dilatation des rechten Herzens. Temperatur bei der Aufnahme 39°, Puls 104. Den 20. Mai, Abends 7 Uhr: Temp. 39,2°, Puls 80. Antipyrin 2 gr. an. sol a rg re ee. Seitdem hat Patientin überhaupt nicht mehr gefiebert, obgleich sie ganz indifferent behandelt wurde. Vorübergehend wurde die Temperatur etwas sub- normal, der Puls ging anfänglich nicht mit der Temperatur herunter, sondern blieb in seiner Frequenz bis zum 21. Mai früh Morgens noch mässig erhöht. Die Affection des Fuss- und Kniegelenks war am 21. Mai vollständig, diejenige des Handgelenks am 22. Mai beinahe vollständig geheilt. Die Schweisssecretion beim Eintreten der Entfieberung war in diesem Falle nur eine geringe. ll. Anna $., 20 Jahre alt, aufgenommen den 5. Januar 1884. Patientin, welche als Scheuermädchen im Hospitale bedienstet war, überstand einen Typhus abdominalis von mässig schwerem Character. Es trat keine rechte Reconvalescenz ein und schon Mitte Februar liess sich eine phthisische Erkrankung des linken unteren Lungenlappens ni nachweisen, welche sehr rasch zunahm und bald die gauze linke Lunge ergriff. = Seitdem fieberte sie andauernd stark, besonders in den Nachmittag- und Abend- stunden, während das Fieber in den Morgenstunden theils gering ist, theils ganz fehlt. Puls seit mehreren Wochen im Verhältniss zur Temperatur immer sehr schnell. Aeusserste Abmagerung. Den 14. Mai, Nachm. 7 Uhr: Temp. 39,7°, Puls 120. Antip. 2 gr. z Sur =” 31,80, = 1132. mar arichrechem - g ei 3000, = 108 207 Sarrbrechen: a, SU = =. 3750.27 2° MAR Die Temperatur blieb alsdann il bis 15. Mai früh 7 Uhr — also 9 Stunden lang — und stieg darauf allmählich wieder an bis 40°, der Puls dagegen behielt auch in der fieberfreien Zeit immer eine Frequenz von 104 bis 116 Schläge. Der Schweiss beim Sinken der Temperatur war nicht sehr bedeu- tend. In der Zeit vom 14. bis 22. Mai wurde dann kein Antipyrin mehr gegeben, die Temperatur aber Tag und Nacht zweistündlich gemessen. Dabei zeigte es sich, dass Patientin spontan niemals ganz fieberfrei wurde, sondern meistens hoch fieberte, 12, Martha H,, 3 Jahre alt, aufgenommen den 5. Mai 1884, überstand eine E Masern-Erkrankung mit ziemlich hohem Fieber bis 40,6° und einer complicirenden, erst einseitigen, dann doppelseitigen Pneumonie. | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 101 ler} Den 13. Mai, Abends 7 Uhr: Temp. 39,3°. Antipyrin 1 gr, - = = 38,50. - = zu 10ER - 32.02: = 1 = Erbrechen. Zi, I = 31.10 z l = Erbrechen. Die Temperatur ist darauf, während die Pneumonie in Lösung überging, normal geblieben. Der Puls ging unter der Anwendung des Antipyrins gleich- mässig mit der Temperatur herunter. 13. Christiane D,, 24 Jahre alt, Dienstmädchen, aufgenommen den 6. Mai 1884. Patientin überstand eine mit hohem Fieber (bis 41,3°) verlaufende Maseru-Erkrankung. Nach Verschwinden des Exanthems und Beginn der Abschuppung fuhr Patientin fort zu fiebern in Folge einer Entzündung der Lymphdrüsen unterhalb des rechten Kieferwinkels. Den 13. Mai, Abends 7 Uhr: Temp. 38,6°. Antipyrin 1 gr. z = UNO, = 2 910, << z 38,9°. = DB: u 8 182:82. - ae Den 14. Mai, Nachts 1 - - 32.02. z ie - 37,0%: - Se = 372. Seitdem blieb die Temperatur normal bis 14. Mai, Nachmittags 1 Uhr, stieg darauf allmählich wieder in die Höhe und blieb noch wochenlang stark fieber- haft erhöht, indem die Drüsengeschwulst mehr und mehr zunahm. Der Puls ver- hielt sich auch in diesem Falle conform der Temperatur. 14, Hedwig U., 7 Jahre alt, Arbeitertochter, aufgenommen den 14. Mai 1884, hatte ebenfalls Masern. Den 14. Mai, Abends 7 Uhr: Temp. 39°. Antipyrin 1 gr. = 8/8= = 39°, = iye a SE N We = (N a 7100220 %1°2 9 Mal Erbrechen. Ed er a N Nun blieb die Temperatur normal bis 15. Mai, Vormittags 11 Uhr, um 1 Uhr Nachmittags stieg sie noch einmal auf 37,9° und blieb seitdem dauernd normal. Der Puls ging auch hier ganz entsprechend der Temperatur herunter. 15. Wilhelm G., 29 Jahr alt, Arbeiter, aufgenommen den 9. Mai 1884, litt an febris recurrens und befand sich bei der Aufnahme im ersten Anfall. Spirillen im Blute mässig reichlich. Am 13. Mai erfolgte in wenigen Stunden ein Ab- sturz der Temperatur von 39,9° auf 36,6°. Seitdem blieb Patient fieberfrei bis 19. Mai, wo er wiederum mit hohem Fieber erkrankte. Am 20. Mai erreichte die Temperatur 41°. Den 20. Mai, Nachm. 5 Uhr: Temp. 40,9°. Antipyrin 2 gr. = 67 - 39,20. = = = VRE= z 38,5°. = 1 = z Sn = 38°. = Te = 31,6% = 1055 = - 37,8% = I = = s3o.K - 12R : s 38,40, = l = 102 Jahres - Bericht Den 21. Mai, früh 1 Uhr: Temp. 38,7°. DIN - BEN: De z 38,6°. 4 = 2 38,1: - Dr - 38,3°. 2 = z 38,6°. 8 - = 39,7°. Antipyrin 2 gr. ER 238,40) ae u N) = = 38,9%. - 210 a Pe - 37,6°. - Iies= a an \> = 37,30. z Iris > = 37,4°. Di: = 310.9. = l = Sn = TUE = ine 4 = - 37,6°. I * = 37.9. s (BE 37,50 N > = 37,6°. Sr z 37,62. ge aa u Den 22. Mai, früh 8 Uhr: Temp. 38,8°. ER SOME = 38,9%. ZU - 3gr. ae re - 39,9% Am 22. Mai ging die Temperatur noch bis 40,5° wieder in die Höhe und stürzte in der Nacht vom 22. zum 23. Mai kritisch ab bis 36,2°. Der Puls behielt unter der Anwendung des Antipyrins eine sehr mässige Frequenz, war aber dabei etwas klein. Subjectiv befand sich der Kranke bei der durch Antipyrin bewirkten Herabsetzung des Fiebers nach seiner Angabe viel wohler, als vorher. Namentlich hatten sich seine Kopfschmerzen und das Gefühl allgemeiner Mattig- keit sehr vermindert. ÖObjectiv befand er sich dessen ungeachtet in einem Zu- stande hochgradiger Muskelschwäche. Während der Behandlung mit Antipyrin hat er sehr oft erbrochen. Die Spirillen im Blute waren unter dieser Behand- lung etwas zahlreicher, als im Anfang. Im Ganzen hat der Kranke in 40 Stunden 17 gr. Antipyrin erhalten. Fassen wir unsere Erfahrungen über die Wirkung des „Anti- pyrins‘“ bei fieberhaften Krankheiten noch einmal zusammen, so ergiebt sich, dass mit diesem Mittel im Ganzen 15 Kranke behandelt wurden. Davon litten 4 an eroupöser Pneumonie, 2 an Typhus abdominalis, 1 an Febris reeurrens, 2 an Masern, i an Lymphadenitis colli nach Masern, l an Lymphadenitis colli nach Gesichts-Erysipel, 1 an Lungenphthise, 1 an Wechselfieber, 2 an acutem Gelenkrheumatismus. In allen diesen Fällen entfaltete das Antipyrin in einer Gesammt- dosis von 4 bis 6 gr., vertheilt auf mehrere Einzeldosen von 2 resp. 1 gr., eine, die Temperatur stark, in den meisten Fällen bis zur nor- malen, herabsetzende Wirkung. Das Sinken der Temperatur beginnt fast immer schon nach Verabreichung der ersten 2 gr. und ist gewöhn- lich von einem starken, mitunter ganz colossalen Schweissausbruch be- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 103 gleitet, welcher in einzelnen Fällen schon 10 Minuten nach der ersten Dosis beginnt. Die durch Antipyrin geschaffene Apyrexie oder Ver- minderung des Fiebers überdauert die letzte Einzeldosis des Mittels verhältnissmässig lange. Am längsten fällt die Apyrexie aus beim Typhus abdominalis, bis zu 15 Stunden, weniger lange bei der Pneu- monie. Das Fieber bei Recurrens lässt sich nach Anwendung einer grossen Dosis Antipyrins durch fortgesetzte kleinere Dosen auf einer, der normalen Temperatur sich nähernden Höhe erhalten. Dass zwei Fälle von Masern, davon der eine mit doppelseitiger Pneunomie, nach einer einzigen Dosis Antipyrin definitiv normale Temperatur behielten, ist wohl dadurch zu erklären, dass das Mittel zu einer Zeit gegeben wurde, wo bereits eine Neigung zum spontanen kritischen Abfall der Temperatur bestand. Bei einem Intermittenskranken konnte der Anfall durch Antipyrin, das im ersten Beginne gereicht wurde, unterbrochen, sein Wiederauftreten aber nicht verhindert werden. Auf der Höhe des Anfalls gereicht, kürzte es denselben ab. Wenn in einem Falle von acutem Gelenkrheumatismus mit dem Fieber auch die Gelenkaffectionen nach Anwendung des Mittels sich verloren, so nehmen wir an, dass ‚ dies nicht mit einer specifischen Wirkung des Antipyrins zusammen- hängt. Ein mässiger Fall von Gelenkrheumatismus kann ja auch ohne Behandlung in kurzer Zeit zur Heilung kommen. In einem Falle von Lungenphthise mit hohem Fieber setzte es ebenfalls die Temperatur bis zur normalen und für längere Zeit herunter, während es die Puls- freguenz nicht sehr verminderte. Auch bei dem einen Gelenkrheumatis- mus, welcher übrigens eine, wahrscheinlich ältere, Herzeomplication hatte, ging die Pulsfrequenz anfänglich nicht mit herunter, während das Fieber und die Gelenkaffeetionen verschwanden. In allen anderen Fällen nahm die Pulsfrequenz gleichmässig ab mit dem Sinken der Temperatur. Häufig beginnt jedoch die Abnahme der Pulsfrequenz einige Stunden später, als diejenige der Temperatur. Eine Steigerung der ersteren während des Sinkens der letzteren, oder irgend welche andere bedroh- liehe, oder die Kranken sehr belästigende Erscheinungen wurden niemals beobachtet. Erbrechen trat hin und wieder ein, aber doch nicht so ‚häufig oder so heftig, dass die betreffenden Kranken einen Widerwillen gegen das Mittel gefasst hätten. Fast ausschliesslich waren es weibliche Personen, welche erbrachen; hiervon die meisten wieder solche, welche auch nahezu alles andere erbrachen. Der Geschmack des Mittels wurde von den Kranken zwar als unangenehm, aber doch nicht als widerlich oder Ekel erregend empfunden. Die mit der Deferrescenz auftretenden _ Schweisse waren den Kranken niemals lästig, öfter sogar angenehm. Das Wiederansteigen der Temperatur nach dem Aussetzen des Mittels findet ganz allmählich statt, vollzieht sich am langsamsten beim Typhus abdominalis und ist niemals von einem Frost begleitet. 104 Jahres-Bericht Der Urin der mit Antipyrin behandelten Kranken zeigte keine auf- fälligen Veränderungen in der Quantität oder in der Farbe, noch trat Eiweiss darin auf. So stehen wir denn nicht an, die Entdeckung des Antipyrins durch Knorr und seine Einführung in die praktische Mediein durch Filehne als eine werthvolle Bereicherung unseres Arzneischatzes zu begrüssen und die Erwartung auszusprechen, dass dasselbe in kurzer Zeit eine sehr ausgedehnte therapeutische Verwendung finden wird, ganz besonders bei der Behandlung des Typhus abdominalis und der Phthise. Wir halten uns zu dieser Erwartung um so mehr für berechtigt, als auch der Preis des Mittels, welches in wenigen Tagen wird durch die Apotheken bezogen werden können, schon jetzt ein mässiger ist (das Kilo 110 Mark) und wahrscheinlich bald noch viel niedriger werden wird. Endlich möchte ich nicht unterlassen, meinem Chef, Herrn Geheimen Medieinalrath Professor Dr. Biermer, für die Erlaubniss zur Publieation dieser therapeutischen Versuche meinen besten Dank auszusprechen. Sitzung vom 27. Juni 1884. Herr Ponfick hält einen Vortrag Ueber Actinomycose ohne Actinomyces. Wenn ich dem Thema dieses Vortrages die Fassung „Actinomy- cose ohne Actinomyces“ gegeben habe, so ist das allerdings weniger vom pathologischen, als vom therapeutischen Standpunkte aus gerecht- fertigt. Denn mit Recht sind wir ja gewohnt, die Diagnose auf die merkwürdige Krankheit nur dann zu stellen, wenn der Nachweis der für sie charakteristischen Pilzkörnehen gelungen ist. Und Sie selber erinnern sich, dass ich vor einiger Zeit eine damit versehene Eiterprobe aus der Rückenfistel eines 11jährigen Jungen hier vorgelegt habe, mit dem Bemerken, dass eben auf Grund der Anwesenheit dieser Bei- mengungen der Kiter leicht als von einem actinomyceotischen Herde stammend erkannt worden sei. Gestützt auf eine in jüngster Zeit ge- machte Beobachtung werde ich indess darthun, dass auch eine unzweifel- hafte Actinomyeose in gewissen Phasen ihres Verlaufs wenigstens — nachweisbare Actinomyces-Körner durchaus vermissen lassen kann. | In auffallender Häufung haben sich in diesem Sommer kurz hinter einander 3 neue Fälle gezeigt. Ich möchte nicht im Einzelnen auf die- selben eingehen, sondern nur der Vielgestaltigkeit der Krankheit wegen kurz berichten, dass im ersten (39 jähriger Maler) eine rechtsseitige Paranephritis den Mittelpunkt des Leidens bildete. An eine speeifische Natur derselben war aber während des Lebens nicht gedacht und _ | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 105 erst im Verlaufe der Section stellte sie sich ausser Zweifel. Es fand sich um die rechte Niere ein ziemlich umfangreicher Abscess, welcher bereits auf das Colon ascendens überzugreifen drohte, die Leber anzu- fressen begann und Rippen und Darmbein ergriffen hatte. In einem grossen rings geschlossenen Hohlraume lagen die bekannten schwefel- selben Körner sehr vielfach im Eiter verbreitet. Was nun die Herkunft und den Verbreitungsweg dieses Eiterherdes anlangt, so waren auch in diesem Falle die Zähne, die wir als Eingangspforten vor allem ins Auge zu fassen haben, ebenso wie das Zahnfleisch, ziemlich stark verändert. Ein direeter Zusammenhang zwischen jenen so weit auseinander liegenden Oertlichkeiten war jedoch nicht mehr nachzuweisen und mit Rücksicht auf das offenbar schon sehr späte Stadium des Leidens erscheint das ja wohl begreiflich. Auf den ersten Blick ganz verschieden und in hohem Maasse eigen- artig war der zweite Fall, der eine bisher erst vermuthete Verbreitungs- weise in so überzeugender Weise demonstrirt, wie kein früherer, näm- lich die Infeetion durch den Verdauungstractus. In der Mehrzahl der bisherigen Beobachtungen hatte es entweder für zweifellos oder wenigstens für wahrscheinlich gegolten, dass der Import in den Körper mittelst der Athemwege geschehe. In dem vorliegenden indessen konnte man deut- lich an der hinteren Wand der Speiseröhre eine Fistel sehen, welche sich nach abwärts die Wirbelsäule entlang verfolgen liess und weiter eine prävertebrale Phlegmone erzeugt hatte. Allerdings sind ja schon viele Beobachtungen von Actinomycosen mitgetheilt, bei welchen gerade die Mitbetheiligung der Wirbelsäule die hauptsächlichste Störung dar- stellt. Aber ein so unmittelbares Nebeneinander und eine so continuir- liche Verfolgbarkeit des Processes, wie hier, von jenem Defect des Oesophagus an bis weit hinab in die Brusthöhle, ist in soleher Klarheit hier zum ersten Mal zur Anschauung gelangt. In beiden Fällen waren nun aber, so sehr sie sonst von einander abweichen mochten, die typischen Körner reichlich in dem Eiter enthalten, so dass die richtige Diagnose wenigstens an der Leiche ohne Mühe gestellt werden konnte. Von diesem Gesichtspunkte aus nahm ein vor acht Tagen seecirter Arbeiter, welcher auf der Abtheilung des Herrn Sanitätsraths Dr. Friedländer wegen linksseitigen Pleuraergusses behandelt worden war, ein hervorragendes Interesse in Anspruch. Als mir von dem Obducenten, Herrn Dr. Sperling, die bezüglichen Präparate vorge- lest wurden, schien es sich um eine ganz einfache Pleuritis exsuda- tiva zu handeln, die schon als Empyem bezeichnet werden durfte. Das einzige, was mir jetzt auffiel, war der Umstand, dass die Granula- tionen ein eigenthümlich flockiges und dabei blutig gesprenkeltes Aus- sehen zeigten, wie ich es als eine pathognomische Eigenthümlichkeit der Actinomycose geschildert habe. Allein es waren nicht nur während 106 Jahres-Bericht des Lebens keine Körner gefunden worden, sondern auch jetzt ergab die sorgfältigste Untersuchung des frei im Cavum pleurae enthaltenen Eiters wider Erwarten keine Spur davon. Erst den sorgfältigsten Nach- forschungen an dem Inhalte der abgelegensten Spalten und Ausbuch- tungen des Raumes gelang es nach mancher vergeblichen Mühe, in einem jener Recessus einige sporadische Körner zu entdecken, die sich als offenbar ganz jugendliche Drusen darstellten. Nimmt man hinzu, dass nach der Versicherung des behandelnden Arztes, Herrn Dr. Malachowski, die intra vitam wiederholt vorgenommene Prüfung auf Körner ein nega- tives Resultat lieferte, so kann man in der That wohl sagen, dass hier, in der letzten Lebenszeit wenigstens, eine Actinomycose ohne Acti- nomyces bestanden habe. Jedenfalls aber darf dieser Fall als Beweis dafür dienen, dass auch die eigenthümliche Beschaffenheit der Granu- lationen als diagnostisches Hilfsmittel nicht zu unterschätzen und Mangels jenes durchschlagendsten Symptomes erfolgreich zu verwerthen sei. Bei der am 8. Januar erfolgten Aufnahme wurde ein linksseitiger Pleuraerguss constatirt, der weiterhin bis zur Lungenspitze hinaufstiese. Bei der am 17. Januar vorgenommenen Punction wurden etwa 1000 gr eines ganz klaren, serösen Fluidums entleert. Danach zeigte es sich, dass der Pleuraraum, besonders vorn, von einer mächtigen, bereits aus eigenthümlich schwammigem Granulationsgewebe bestehenden Schwarte ausgekleidet sei. Am vorderen Brustumfang blieb denn auch absolute Dämpfung fortbestehen. In der nächsten Zeit nahm das Ex- sudat wieder zu, zugleich liess sich aber eine Luftansammlung mit Ver- drängung des Herzens wahrnehmen. Auf Grund dieser Erscheinungen wurde die Diagnose auf Phthisis pulmonis gestellt, obwohl Verdichtungen in der Lunge nicht festzustellen waren. Abermalige dyspnotische Beschwerden veranlassten eine neue Punetion (27. März), bei welcher sich aus der in der linken Axillarlinie angelegten Oeffnung 500 gr einer jetzt eitrigen Flüssigkeit entleerten. Die nun stattgehabte Unter- suchung auf Actinomyces ergab ein negatives Resultat, aus Gründen, die wir sogleich kennen lernen werden. Da sich in der Umgebung der Fistelöffnung eine Infiltration zu bilden begann, die einen spontanen Durchbruch als drohend erscheinen liess, wurde am 17. Mai eine Ineision gemacht und sodann während der folgenden 3 Wochen bis zum Tode tägliche Durchspülungen mit ’/, procentiger Sublimatlösung ausgeführt. Unter hochgradiger Erschöpfung trat am 7. Juni der Tod ein. Die Section lehrte, dass keine Spur von Phthise vorhanden, viel- mehr die linke wie die rechte Lunge an sich durchaus normal waren. Erstere lag als eine kleine und sehr zähe dichte Masse ganz nach hinten, an die Wirbelsäule angepresst, umgeben von einem weiten, klaffenden Exsudatraum. Die Pleura zeigte sich stark verdiekt. und fast durchweg granulirend; aber nur im hinteren und unteren Theil des Cavums waren der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 107 die Wucherungen charakteristisch genug, um den Verdacht auf Acti- nomyeose wachrufen zu können. Ich vertrat denn auch diese An- schauung, allein es war und blieb unmöglich, mit blossem Auge auch nur ein Korn aufzufinden; erst mit Hilfe des Mikroskops gelang es nach längerem Suchen. In einem der äussersten Recessus nämlich steckten einige, allerdings sehr jugendliche Drusen, die sich jedoch blos aus Fäden zusammensetzten, die typischen Keulen dagegen vermissen liessen. Alles in allem waren es so wenige, dass jede weitere Nachforschung an anderen Stellen unfruchtbar blieb. Zwei Punkte sind es, welche der vorliegenden Beobachtung ein besonderes Interesse verleihen. Einmal die aus den Angaben des Herrn Dr. Malachowski bestimmt zu entnehmende Thatsache, dass der Actino- mycespilz im Einklange mit der früher von mir aufgestellten Behauptung an und für sich selbst weder Eiterung, noch gar Jauchung zu erregen vermag, also in diesem Sinne vollkommen gutartig ist. Nur wenn er, was ja allerdings leicht geschehen kann, mit anderen Mikroorganismen, z. B. mit Fäulnissbacterien vermengt auftritt, wenn er aus der Mund- höhle oder der Darmwand direct ins Gewebe eindringt, ist er danach angethan, eine Eiterung hervorzurufen, offenbar die Wirkung gemischter Ursachen. Gelangt er hingegen gleichsam als Reineultur zur Geltung, oder findet er Gelegenheit, sich auf seiner schleichenden Wanderung jener fremden Beimengungen zu entledigen, so ruft er zunächst eine ein- fache Entzündung, weiterhin unter günstigen Umständen ein specifisches Neoplasma hervor. Mit dieser Auffassung steht die Angabe in befrie- disendstem Einklange, dass das Pleuraexsudat bei den zwei ersten Punktionen ein rein entzündliches, seröses Fluidum darstellte. Erst als, offenbar ven aussen her, ein Import von Eitererregern in die Brusthöhle stattgefunden, gewann das Exsudat cine purulente Beschaffenheit. Der zweite Punkt bezieht sich auf die diagnostische Bedeutung der Körner, deren Gegenwart zwar das Vorhandensein von Actinomycose ausser Zweifel stellt, deren Fehlen indessen uns noch nicht berechtigt, eine Actinomycose auszuschliessen. Fragt man nach dem Grunde der auffälligen Spärlichkeit der sonst so massenhaften Körner, so dürften zwei Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen sein. Entweder können sie früher reichlich dagewesen, bei der mikroskopischen Untersuchung aber übersehen worden sein. -Bei den nun folgenden wiederholten Ausspülungen dürften schliesslich alle ent- fernbaren herausgetrieben worden und nur in den äussersten Recessus jener kleine Rest gleich wie zufällig zurückgeblieben sein. Oder aber, _ wir hätten anzunehmen, dass überhaupt nur sehr wenige vorhanden, die Sanze Krankheit noch in jugendlicher Entwickelung begriffen gewesen sei. Zu Gunsten der letzteren Anschauung könnte man jedoch nur die Jugend- lichkeit der gefundenen Körner anführen. Dagegen würden die bedeu- 108 Jahres - Bericht tenden Veränderungen an der Pleura und die Schwere des gesammten Krankheitsverlaufs dabei unerklärlich bleiben. Ich stehe daher nicht an, mich zu der ersten Auffassung zu bekennen, dass nämlich die Erzeuger der Pleuritis und jener verrätherischen Granulationen, die Actinomyces- körner, ursprünglich in grösserer Menge vorhanden gewesen und erst in Folge der fortgesetzten Durchspülung bis auf ein Minimum verschwunden seien, mit Hinterlassung einer jetzt gleichsam selbstständigen, dem An- scheine nach idiopathischen Pleuritis. Hierauf hält Herr Hirt einen Vortrag Ueber Neurotabes peripherica, in welchem er, anschliessend an 2 in seiner Poliklinik beobachtete Fälle von Maschinennähterinnen ausführte, das man unter Umständen bei Patienten das ausgesprochene Krankheitsbild der Tabes (allerdings ohne Blasenstörungen) constatiren könnte, ohne dass p. m. thatsächlich Tabes zu finden sei. Es handle sich da nur um Erkrankung aus den peripheren Nerven, wie sie in neuerer Zeit besonders D&jerine beschrieben habe. Von der Tabes seien solche Fälle durchaus zu unterscheiden und auch der von D&j&rine vorgeschlagene Name Neurotabes sei mit dem passenden Neuritis peripherica zu vertauschen. Eine ausführlichere Publication über diesen Vortrag ist in dem neurologischen Centralblatt von Professor Mendel, Nr. 21, 1884, erschienen. Sitzung vom 11. Juli 1884. Herr Julius Wolff spricht: Zur Diagnostik der Nierenkrankheiten. M. H.! Soweit auch die Diagnostik der Nierenkrankheiten in der neueren Zeit fortgeschritten ist, unsere Untersuchungsmethoden sind noch nicht vollkommen genug, und wir müssen bestrebt sein, zu einem höheren Grade der Sicherheit des Diagnostieirens ansteigen zu können. Nicht selten ja begegnet es selbst dem gewiegtesten Beobachter, dass er erst auf dem Sectionstische das Bild einer schweren Nephritis erkennt, einer Verfettung der Niere, oder einer amyloiden Degeneration, während die klinische Beobachtung ihn einen Einblick in die Veränderungen dieses Organes nicht gewinnen liess, besonders in Fällen, wo die Beobachtungs- dauer eine nicht genügend lange war, und wo die typischen Symptome | der Nierenerkrankungen vermisst wurden. Ich erlaube mir, Ihnen heute eine Untersuchungsmethode zu empfehlen, welche in der von mir zu e beschreibenden Form nicht gekannt ist und geübt wird, welche aber, wie ich hoffe, namentlich im Vereine mit den übrigen, im Stande sein wird, eine exactere Diagnose zu ermöglichen und sich, da verhältnissmässig der Schles. Gesellschaft für vateri. Cultur. 109 einfach zu handhaben, vielleicht Eingang in den Kreisen der Aerzte verschaffen wird. Gestatten Sie mir, Ihnen den Weg, auf welchem ich zu jener Methode gelangt bin, in Kürze darzulegen. Seit über zwei Jahren unter- suche ich bei den verschiedensten mit mehr oder weniger erheblichen Verdauungsstörungen einhergehenden Krankheiten und bei gesunden Indi- viduen die Resorptionsfähigkeit des Magens. Ich habe vor zwei Jahren die Resultate meiner Untersuchungen in einem im physiologischen Verein hierselbst gehaltenen Vortrage, darauf in einer, in der Zeitschrift für klinische Mediein erschienenen Arbeit veröffentlicht und unlängst eine kurze Notiz als Erwiderung eines Referates von Edinger in der „Breslauer ärztlichen Zeitschrift“ folgen lassen. U. A. bin ich zu dem Ergebniss gelangt, dass die Verlangsamung der Resorptionsgeschwindig- keit bis zu 3—4 Stunden möglicherweise ein brauchbares Symptom für die Diagnose des Magenkrebses, besonders des nicht fühlbaren, des Pyloruscareinoms, werden würde. Ich möchte diese Untersuchungen nur streifen mit der Bemerkung, dass sich diese meine Vermuthung im Verlaufe meiner weiteren Beobachtungen, welche sich jetzt auf 454 belaufen, bestätigt hat und dass auch Quetsch neuerdings in einer aus der Riegel’schen Klinik hervorgegangenen Arbeit die Verlangsamung der Resorptionsgeschwindiskeit bei Magenkrebs beobachtete. Leider aber hat sich Quetsch, der offenbar jene Notiz in der „Breslauer ärzt- lichen Zeitschrift‘“ nicht kennt, einer anderen und unzweckmässigen Methode bedient und eine zu geringe Zahl von Fällen benützt, so dass ich die Resultate seiner Untersuchungen einestheils für nicht vergleich- bar mit den meinisen, anderntheils nicht für schlusskräftig erachten kann. Doch davon an einer anderen Stelle. Ich wende mich zu einem zweiten Symptom, bei dessen näherer Prüfung ich zu jener Methode gelangt bin. Ich ging von der Idee aus, dass, sowie man Verdauungsstörungen ' nachweist, indem man Ingesta längere Zeit als normal im Spülwasser des Magens findet, leicht resorbirbare Salze längere Zeit als normal bei Verdauungsstörungen, in Folge der Retention und längere Zeit statt- ' findenden Resorption, in der Circulation und somit im Speichel oder Urin nachgewiesen werden könnten. Dies hat sich, für eine Zahl der Fälle wenigstens, bestätigt. Ich fand als normale Reactions- resp. Aus- - scheidungsdauer für Jodkalium, d. h. die Zeit, innerhalb welcher Jod, sei es im Speichel, sei es im Urin, nachweisbar war, '",„—1'), Tag, selten bis 2 Tage, bei einer Darreichung von 0,2 gr. Jodkalium in Gelatinekapseln. Bei schwereren Magenerkrankungen, wo übrigens die ‚ Ausscheidungsdauer eine ganz normale sein kann, ergab sich in einigen ‘ wenigen Fällen eine Verlängerung. Verlängerungen der Ausscheidungs- ' dauer und Verlangsamung des Resorptionsgeschwindigkeit geben, wie es 110 Jahres-Bericht scheint, einen noch besseren Anhalt für die Diagnose des Magen- carcinoms, doch kommen sie vereint sehr selten vor. Als ich das Symptom der Verlängerung der Ausscheidungsdauer des Weiteren studirte, ergab sich mir folgendes Verhalten. Erhält ein nor- males Individuum eine Dosis von 0, 2gr. Jodkalium in Gelatinekapseln (die Versuche wurden sämmtlich zu derselben Zeit, 4 Stunden nach der Mittagsmahlzeit, Nachmittags 4 Uhr, angestellt), so wird am nächsten Morgen, also nach ungefähr 16 Stunden, im Urin mehr Jod ausge- schieden, als im Speichel, was leicht erkennbar ist, da das mit Urin getränkte Stärkepapier nach Zusatz eines Tropfens rauchender Salpeter- säure intensiv blau tingirt wird, stärker als das mit Speichel benetzte. Was nun von Wichtigkeit: Bei Nierenkrankheiten zeigt sich in der Mehrzahl der Fälle eine Umkehr der normalen Ausscheidungsformel, wenn ich so sagen darf, durch den Speichel wird weit mehr Jod ausge- schieden, als normal, mehr, als durch den Urin, ja nicht selten ver- misst man die Jodausscheidung durch den Urin ganz und die Dauer der Jodausscheidung durch den Speichel ist eine auffallend verlängerte, gegenüber derjenigen, bei anderen Krankheiten, speciell bei schweren Magenleiden '), sie kann bis zu 7'/, Tag betragen. Einmal wechselte | das Verhalten, indem die Ausscheidung durch den Speichel erst geringer, | dann grösser und schliesslich wieder geringer wurde, als im Urin (bez. im Speichel fehlte, Fall von linksseitiger Pyonephrose, Ausscheidungs- dauer 5'/, Tag), die Ausscheidungsdauer durch den Urin ist somit in einer verschwindend kleinen Zahl bei Nierenleiden verlängert. Jenes | genannte Symptom nun war nachweisbar in Fällen von acuter und chronischer parenchymatöser Nephritis, bei der amyloiden Degeneration der Niere (hier jedoch etwas seltener), bei der hämorrhagischen Nephritis und bei der Schrumpfniere. Die Albuminurie geht häufig parallel der verminderten Ausscheidung des Jods durch die Nieren, bez. der Umkehr 4 der Ausscheidungsformel und Verlängerung der Ausscheidung durch den Speichel, so dass man gar nicht selten aus den genannten Zeichen | einen Schluss ziehen kann auf die Grösse der Eiweissauscheidung. Be- merkenswerth ist aber, dass selbst bei fehlendem Eiweissgehalt, so be- 4 sonders bei der Schrumpfniere, das Symptom auftritt und daher um so werthvoller wird; einmal ergab die Section schwere Verfettung der Niere bei einem Patienten mit Lebereirrhose, wo, intra vitam, Eiweiss im Urin fehlte, jenes Symptom aber vorhanden war. Nur selten fand sich bei Nierenleiden, dann gewöhnlich vorübergehend, eine normale Aus- scheidung des Jods. Dies kann ebensowenig befremdlich erscheinen, wie = Fehlen von Eiweiss in gewissen Stadien verschiedener Formen E ) Freilich w verden sich bei derartigen Magenkrankheiten Nierenläsionen, seien es Cireulationsstörungen, seien es organische Veränderungen der Nieren, nicht a u Sicherheit ausschliessen lassen. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 111 von Nephritis. Unlängst sah ich ein äusserst elendes Individuum, welches wegen chronischer Dyspepsie das Hospital aufsuchte. Der Urin war voll- kommen frei von Eiweiss, sein specifisches Gewicht betrug 1000. Auch hier war das Symptom vorhanden, während andere, auf eine Nieren- erkrankung hindeutende Symptome gänzlich mangelten. Wahrscheinlich waren die Nieren jenes Individuums nicht ganz intact, sei es, dass nur functionelle Störungen, oder doch materielle Läsionen Platz gegriffen hatten. Begegnet es uns nicht zuweilen, dass wir bei der Untersuchung des Urins eines uns sonst vollkommen gesund erscheinenden Individuums Eiweiss entdecken und so zu der Annahme von Nierenerkrankungen, sei es vorübergehender Circulationsstörungen, oder dauernder, organischer Veränderungen gezwungen werden? Ich betrachte das beschriebene Symptom als ein der Albuminurie annährend gleichwerthiges und halte es für wünschenswerth, fortan diese neue Untersuchungsmethode den bisher bekannten anzureihen. In einigen Fällen von schwerer Cystitis, wo gleichzeitige Veränderungen der Niere nicht gut anzunehmen waren, trat es auf, einmal zeigte sich hierbei die Eiterschicht ganz schwach, die Flüssigkeits- (Urin-) Schicht ziemlich stark jodhaltig.?) | Die Deutung der erwähnten Verhältnisse ist nicht einfach. Zwei Möglichkeiten bestehen. Entweder vereinigt sich das Jod mit den jod- bindenden Substanzen der Nierenepithelien, wird also in den Epithelien deponirt, müsste aber wieder resorbirt und durch den Speichel etc. ausgeschieden werden (Ausscheidungsdauer für den Speichel verlängert), oder aber das Jod tritt nicht in die Nierenepithelien ein und wird in der Circulation zurückgehalten. Nun zur Methodik. Es empfiehlt sich, das Stärkepapier sich selbst zuzubereiten, indem man Filtrirpapier in aufgelöstes Amylum eintaucht, gründlich trocknen lässt und wohl verpackt gesondert aufbewahrt. Man verwahre es nicht in einem Raum, in welchem sich Jodtinetur befindet, weil Joddämpfe in das Papier einzuziehen scheinen; wenigstens habe ich unter solchen Verhältnissen das vorher jodfreie Stärkepapier rasch jodhaltig werden sehen. Die Salpetersäure verwahrt man zweckmässig in einer Glasflasche mit bis auf den Boden reichendem Glaspfropfen. Ein Stück Stärkepapier wird mit der betreffenden Flüssigkeit (Speichel, Urin) getränkt, wie Sie hier sehen, am besten auf die Rückseite eines weissen Porzellantellers gelegt und nun an verschiedenen Stellen mit rauchender Salpetersäure betupft. Mitunter tritt eine Reaction erst nach einigen Secunden ein. Den Speichel untersuche man nie unmittelbar nach der 2) Die Section ergab, wie ich jetzt, während des Drucks dieses Vortrags, von Herrn Dr. Martell erfahre, pyelonephritische Abscesse, so dass die Ein- schränkung der diagnostischen Verwerthbarkeit des Symptoms für nicht eiter- haltige Urine hinfällig würde, zumal dasselbe bei frischer hämorrhagischer Cystitis fehlte, 1412 Jahres-Bericht Mahlzeit, wo sich Jod dem Nachweis entzieht, wahrscheinlich wegen Verdünnung oder mechanischer Entfernung durch die Ingesta. Man achte genau auf die verschiedenen Nuancen der Färbung, ob blau, violett oder roth, ob eine blaue Scheibe auftritt oder ein blauer Rand und wie breit derselbe. Leicht verwechseln kann man eine durch Jod entstehende Rothfärbung mit einer rosarothen, erst gewöhnlich scharfrandigen, dann diffus werdenden Färbung, welche auf Judicau zu beziehen ist. In der an den Vortrag sich schliessenden Discussion bemerkt Herr Rosenbach, dass seines Wissens bereits frühere Autoren, namentlich französische, darauf hingewiesen haben, dass bei Nierenerkrankungen gewisse Stoffe, die sonst prompt im Urin erscheinen, längere Zeit im Körper zurückgehalten werden. Herr Jaenicke: Ich möchte den Herrn Vortragenden um Aus- kunft bitten, ob nach seinen Untersuchungen bei Nephritiden, wie ich verstanden zu haben glaube, Jod, innerlich eingenommen, überhaupt nicht durch die Nieren ausgeschieden wird, oder ob das Verhältniss nicht vielleicht ein derartiges ist, dass die Ausscheidung nur nicht sofort geschieht, sondern erst später auftritt? Das letztere Verhalten würde den Resultaten entsprechen, welche Chauvet Ende der 70er Jahre ebenso wie einige Autoren vor ihm bei ähnlichen Untersuchungen erhalten hat. Nach ihm ist sowohl bei parenchymatöser als interstitieller Nephritis die Ausscheidung einer grossen Anzahl von Substanzen einerseits ver- langsamt, andererseits auch in Bezug auf die Quantität geringer als beim gesunden Menschen. So wird Chinin beim Gesunden innerhalb von 3—4 Tagen ausgeschieden und zwar ', der eingeführten Menge, bei Nephritis dauert die Ausscheidung von 4—7 Tage und erreicht nur den zehnten bis fünfzigsten Theil. Jodkalium braucht unter normalen Verhältnissen 3, bei Erkrankung der Nieren 4—12 Tage, Bromkalium einerseits 7, andererseits 30—35 Tage etc. Diese beschränkte Ausscheidung ist die Ursache der von Herrn J. Rosenbach erwähnten toxischen Wirkung differenter Substanzen bei Nephritis. Blei, innerlich gegeben, führt in sonst unschädlichen Mengen schnell zur Intoxication, Morphium und Opium kann, wie dies u. a. durch einen Fall von Keen bestätigt wird, unter gleichen Verhältnissen in kleinen Dosen den Exitus herbeiführen, und wenige Einreibungen von srauer Salbe führen zur Salivation, Herr Wolff: Hierauf erlaube ich mir zu erwidern, dass ich bei meinen Untersuchungen zwei Hauptmodi der pathologischen und für Nierenkrankheiten charakteristischen Ausscheidung des Jod gefunden habe. Gemeinsam ist ihnen, dass die Ausscheidungsformel des Jod für Speichel und Urin umgekehrt ist, sie unterscheiden sich dadurch, dass in einer Anzahl von Fällen die Ausscheidungsdauer für Speichel ver- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 113 längert, in einer anderen Zahl normal ist. Dass im Urin nach einigen Tagen des Fehlens Spuren Jod oder selbst etwas mehr Jod als im Speichel vorübergehend auftreten kann, beobachtet man gelegentlich, ist aber von untergeordneter Bedeutung. Aeusserst selten ist eine Reihe von Tagen hinter einander Jod im Urin nachweisbar gewesen, im Speichel gar nicht oder nur in Spuren (Fall von linksseitiger Pyonephrose bis zu 5, Tagen); hier war indess von einer Verminderung der durch die Nieren ausgeschiedenen Jodquantität keine Rede, Somit unterscheiden sich meine Resultate wesentlich von denen Chauvet’s, wie ich aller- dings in meinem Vortrage hätte erwähnen sollen, indem eben von einer Verlängerung der Ausscheidungsdauer durch den Urin bei Verminderung der Quantität nicht die Rede, und der Schwerpunkt zu verlegen ist auf das Missverhältniss der Ausscheidungsgrössen des Jod für Speichel und Niere. Wenn Chauvet als massgebend betrachtete die Verlängerung der Ausscheidungsdauer durch den Urin, so erklärt sich diese Differenz, abgesehen von der zu geringen Zahl seiner Versuche, wohl mit der Art seines Experiments, mit der Anwendung einer zu hohen Dosen- grösse, welche den Ueberblick erschweren musste. Eine Verminderung der Jodausscheidung durch den Urin zu einer bestimmten Zeit (nach 16 Stunden) hat nun allerdings statt, ja häufig sogar eine Aufhebung, doch ist eine Verminderung der ausgeschiedenen Quantität an und für sich nicht von Belang für die Diagnose einer Nierenerkrankung, da die jeweilige Resorption im Magen in Betracht kommt. Erst das Miss- verhältniss zwischen Ausscheidung des Jod durch Niere und Speichel- drüsen lehrt, dass die Resorption eine normale, die Niere (bei Umkehr ‘der Ausscheidungsformel) zur Zeit funetionsuntüchtig war. So konnte denn bisher von einer praktisch anwendbaren und zu einigermassen zu- verlässigen Resultaten führenden Methode nicht die Rede sein, Weiter spricht Herr Wolff: Ueber einen Fall von Actinomycose. Ein 41 jähriger Mann, Karl Kuschel, Kammerjäger, trat am 3. Juni d.J. in das Allerheiligenhospital ein, mit der Klage über einen heftigen, „zusammenziehenden‘‘ Schmerz der rechten Brustseite, über eine ‚‚Ver- härtung‘“‘, wie er sich ausdrückte, des Rückens, rechterseits, Kurzathmig- keit und trockenen Husten. Sein Appetit sei seit längerer Zeit ver- mindert, Durchfälle hätten sich eingestellt, hochgradige Mattigkeit und Nachtschweisse. Bis vor einem Jahre fühlte er sich äusserst gesund und kräftig, abgesehen von Vomitus matutinus (Abusus spirituosorum zuge- standen). Den Feldzug 1870/71 hat er ohne Beschwerden durchgemacht. Er ist seit 9 Jahren verheirathet; von 4 seiner Kinder lebt nur eins, die anderen 3 sind ganz jung, im Alter von einigen Monaten bis zu einem Jahre gestorben; abortirt hat seine Frau niemals. Die Krankheit setzte 1884. ö 114 Jahres - Bericht plötzlich ein; beim Mittagessen wurde ihm unwohl, Frost durchschauerte ihn, er empfand Schmerzen in der rechten Brustseite beim Athemholen und bei Bewegungen und musste viel husten. Noch an demselben Tage wandte er sich an Herrn Dr. Gräbsch, welcher folgenden Befund notirte und W. in liebenswürdiger Weise übermittelte: „Epigastrium auf Druck sehr empfindlich, Leber schmerzhaft und geschwollen, rechts hinten unten trockenes Reiben hörbar. Ganz allmählich entwickelte sich Exsudat, so dass am 9. November Dämpfung bis zur Mitte der Scapula reichte. Von dieser Zeit an verringerte sich das Exsudat unter fortwährender Dar- reichung von Diuretiecis, so dass die ursprünglich von mir geplante Punetion nicht zur Ausführung kam.“ 6 Wochen etwa vor Eintritt in das Hospital entstand eine Auftreibung des Rückens rechterseits, welche die 9. bis 12. Rippe betraf; die Weichtheile wurden zugleich infiltrirt, sodass eine ziemlich auffällige, fast von der Wirbelsäule bis zur hinteren Axillarlinie, in der Höhe der 3. bis 12. Rippe reichende, allmählich sich in das Niveau der Umgebung verlierende, feste Geschwulst sichtbar wurde. Eine jetzt zum ersten Male und zwar in diese Geschwulst von Herrn Dr. G. vorgenommene Probepunction ergab ein negatives Resultat. Die Ursache der Erkrankung übrigens wollte Patient in der Art seiner Beschäftigung suchen, bei welcher er allerlei giftige Substanzen (besonders Arsenik, welches er täglich zerstiess) einzuathmen gezwungen war. Die Untersuchung bei der Aufnahme des K. ergab die Zeichen einer Compression der rechten Lunge. Intensive Dämpfung rechts hinten von der 7. bis 11. Rippe, seitlich von der 6. bis 8. und in diesem Bezirk vorzugsweise abgeschwächtes Bronchialathmen, hier und da ab- geschwächtes Vesiculärathmen bis aufgehobenes Athemgeräusch; Tempe- ratur 38,0. Auffallenderweise liess die Probepunction, obwohl an mehreren Stellen und möglichst tief gemacht, keine Flüssigkeit aspiriren; nur war nach der am ersten Tage, im 9. Intercostalraum hinten, vorge- nommenen Probepunction etwas eingetrockneter Eiter auf der Unterlage erkennbar. Entweder nun musste der Eiter sich, wenigstens grössten- theils, in eingediektem Zustand befinden, oder in Maschen, oder er lag so tief, etwa durch eine dieke Panzerschwarte der Pleura nach aussen abgeschlossen, dass er der Hohlnadel nicht zugänglich war. Als wahr- scheinlich war noch das Vorhandensein einer Parapleuritis zu erachten. Während vierwöchentlicher Hospitalbeobachtung bestanden hart- näckige Diarrhöen, Appetitlosigkeit, Dyspnoe, trockner Husten, Nacht- schweisse, quälende Schmerzen der rechten Brustseite, Symptome, welche durch geeignete therapeutische Massnahmen nur vorübergehend gelindert werden konnten. Der obenerwähnte physicalische Befund änderte sich nur insofern zuletzt, als das Bronchialathmen lauter und ein hinzugetretenes Infiltrat des rechten, unteren Lungenlappens wahr- scheinlich wurde. Schmerzen der Wirbel, spontane oder auf Druck, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 115 waren nicht vorhanden. Das Bemerkenswertheste blieb die Schwere der Kachexie und der geschilderten Symptome im Verhältniss zu den nachweisbaren Veränderungen der Lungen, der Lungenbefund selbst mit der eigenthümlichen Geschwulstbildung des Rückens. Unter zunehmender Kachexie und Dyspnoe — Temperatur war grösstentheils normal, stieg nur einigemal auf 38,3 als Höchstes und zwar nur Abends — trat am 6. Juli der Exitus ein. Schwierig war die Frage, auf welcher Grundlage das Leiden er- wachsen sei. Eingedenk eines unlängst auf der Abtheilung des Herrn Sanitätsrath Dr. Friedländer beobachteten Falles neigte W. zu der Annahme einer Actinomykose, ebenso wie Herr Sanitätsrath Dr. Fried- länder. Ohne Kenntniss dieses Falles hätte man wohl nur an ein, aus serösem Exsudate hervorgegangenes Empyem, vielleicht zugleich an eine secundäre Tuberculose der Lungen und Caries der Rippen gedacht. Jener Fall ist unlängst in der medicinischen Section von Herrn Professor Ponfick mitgetheilt worden; die Krankheit setzte mit linksseitiger, seröser Pleuritis ein, welche nach stattgefundener Puncetion in Empyem überging, das nach aussen durchbrach, ineidirt und mit antiseptischen Ausspülungen behandelt wurde. Bei der Section fanden sich minimale actinomykotische Veränderungen, so geringfügige, dass Herr Professor Ponfick den Fall als eine Actinomycose ohne Actinomyces bezeichnet hat, und dass die Diagnose grossen Schwierigkeiten begegnete. Nur spärliche, üppig wuchernde, leicht blutende Granulationen nämlich er- weckten den Verdacht auf Actinomycose, welcher durch den Nachweis äusserst vereinzelter Actinomycespilze zur Gewissheit wurde. In diesem Falle konnte es sich ähnlich verhalten, nur dass es zu keinem Empyema necessitatis, zu keiner Fistelbildung gekommen war. Vielleicht aber wäre jene Geschwulst des Rückens, konnte man während der klinischen Beobachtung, nicht mehr allerdings nach Berücksichtigung des anatomischen Befundes, glauben, mit der Zeit zu einem Empyema ) necessitatis geworden. Sehr gut passte zu dieser Annahme gerade die Schwere der Symptome, besonders der Kachexie im Verhältniss zu dem localen Befund. Ueber eine Vermuthung freilich konnte man nicht hinaus- kommen, weil der Nachweis von Actinomycespilzen nicht erbracht werden konnte. Die Section lehrte, dass es sich in der That um die vermuthete Actinomykose handle. (Vortr. demonstrirt, da die mitgebrachten Präparate durch Fäulniss stark verändert waren, eine ihm von Herrn Professor Ponfick liebens- würdiger Weise zur Verfügung gestellte Abbildung der Präparate, welche deutlich die Verhältnisse, besonders eine interessante Erkrankung der Leber, sowie die schwieligen Pleuraverdiekungen, die actinomykotischen Herde in denselben, illustrirte.) 0.6) >” 116 Jahres- Bericht Aus dem Sectionsprotokoll (Dr. Sperling) konnte Vortr. der vorge- rückten Zeit wegen nur Weniges hervorheben.) Auf dem Rücken findet man drei Finger breit unter der Spin. scapulae eine stecknadelkopf- srosse Fistel, durch welche die Sonde eben hindurchgeht und aus welcher sich eitrige, leicht blutende Flüssigkeit herausdrücken lässt. (Probe- punctionsstelle.) Die unmittelbare Umgebung der Fistel ist derb. Auf dem Durchschnitt zeigt sich hier ein weisses, speckiges Gewebe von grosser Derbheit.e An einer etwa pfennigstückgrossen Stelle mitten darin rothe und gelbe Flecke. Musculatur mit stecknadelkopfsgrossen selben Knötchen von unregelmässiger Gestalt und Grösse durchsetzt. Der so beschaffene Herd beginnt oben an der 9. Rippe und setzt sich nach hinten bis unter die 12. fort. In der Höhe der letzteren, ungefähr 3 Finger breit von den Proc. spinos. entfernt, findet sich ein hämorrha- gischer Herd, wiederum mit den kleinen, gelben Knötchen durchsetzt. Eine Anzahl stark verdickter actinomykotischer Herde in der Pleura. Fast unmittelbar an einen Herd schliesst sich eine Affection der Leber, welche ein Kreissegment mit nach der Porta hepatis gerichteter Convexität und einem grössten Radius von 386 mm in Anspruch nimmt und sich durch seine eigenthümliche Färbung von dem graurothen Lebergewebe deutlich abzeichnet. Die Farbe ist im allgemeinen gelb, auf zahlreiche Knötchen und Knoten bis Kirschkerngrösse und auf einige Uleerationen vertheilt. Dazwischen lagern graue Knötchen, die in der Mitte dunkel- bräunliche Stellen erkennen lassen, die wohl als Gefässlumina zu deuten sind, und alles dieses erscheint eingebettet in eine glasig durchscheinende, bräunlichgraue Substanz, jedoch so, dass ihr Antheil der bei weitem geringere ist. Auch einige weisse, verzweigte Züge zeigen sich darin und nach der Peripherie schieben sich vereinzelte gelbe Knoten nach dem Leberparenchym vor... .. Nach Herausnahme der Brustorgane bemerkt man das Fehlen des Periosts auf den unteren Brustwirbeln, welches sich eben sehr leicht hat abziehen lassen; darunter erscheinen die Wirbelkörper von schmutzig grauer Färbung, ohne dass am vorderen Theile eariöse Stellen nachweisbar waren. Dagegen findet sich auf der linken Seite, am 10. Brustwirbel, eine kleine Höhle, in welche man die Spitze des Daumens bequem hineinlegen kann, gefüllt mit schwammigem, blutigen Inhalt, in deren Tiefe man scharfe Knochenspitzen fühlt. Eine gleiche Beschaffenheit zeigen mehrere Höhlen von Haselnuss- bis Wall- nussgrösse an der linken Seite der Wirbelsäule vom 9. bis 12. Brust- wirbel. Dieselben liegen immer entsprechend den Intercostalräumen und die Gewebe der letzteren sind ebenso, wie die Rückenmuskeln, theils mit schwefelgelben Knoten besetzt, theils, besonders in der un- | mittelbaren Nähe der Wirbel, in weiche, blutige, mit schwefelgelben | ‘) Das Protocoll wird hier etwas ausführlicher mitgetheilt als im Vortrag. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 117 Knoten durchsetzte Massen verwandelt, aus welcher sich bei näherem Zusehen sehr kleine Körnchen in sehr grosser Masse isoliren lassen. Die den Wirbeln entsprechenden Rippen sind zum Theil cariös. Am meisten betroffen ist die 12., rechte, an welcher man fast in ihrer ganzen Ausdehnung spitze und scharfe Knochenstückchen fühlt und deren Breite durch die Caries etwa auf die Hälfte redueirt ist. An den Halsorganen nichts besonderes, namentlich Speiseröhre ganz intact. Aus den prävertebralen Granulationsmassen liessen sich leicht eine grosse Zahl der typischen Körner von nicht mehr als Sandkorngrösse isoliren, bestehend aus charakteristischen Drusen; Keulen allerdings waren in typischer Form nirgends zu finden. Die als gelbe Inseln be- schriebenen Gebilde des Leberknotens enthielten sehr atrophische Leber- zellen, zwischen welchen eine grosse Zahl von Rundzellen sich ange- siedelt hat, neben reichlichem, körnigem und scholligem Pigment. Die gallertigen Stellen bestehen meist aus Capillaren, mit beginnender Zell- wucherung. Die Stellen, an welchen kleine Lumina sichtbar sind, be- deuten Gefässe mit stark verdickter und reichlich infiltriter Wand. Hier und da lagen Drusen; ihre Umgebung wird wieder von massenhaften Rundzellen gebildet, sodass sich ganze Haufen derselben verbinden, die in mehr oder weniger ausgebreiteter Beziehung zu einander stehen. Nach dem normalen Lebergewebe hin schieben sich immer spärlicher werdende Rundzellen zwischen die Leberzellen hinein. Die anatomische Diagnose: Actinomycos. vertebr., costar., pleur. d., telae pericostal., musculor. tergi, diaphragm. hepat. Atroph. fusc. lev. cord., Nephrit. chron. parench. Degen. amyl. gSlomerul. Degen. amyl. follie. lien. et villor. intestin. Indurat. chron. apic. pulm. d. Atelectas,. et pneum. chrom. interstit. et infiltrat. recentior. alveolor. lob. inf. utr. Struma parenchym, dupl., Abscess, para- vertebral., pericostal., inter- et intramuseular. Caries vertebr. VII—XH. costar. IX— XII. Pleurit. et parapleurit. et perihepat. partim. chron, fibr. et fistul., partim. granul. haemorrhag. abscedens. Es fragt sich: Ist in diesem Falle die Erkrankung der Pleura das primäre oder waren Wirbel und Rippen bereits aflieirt, als klinisch die Symptome der Pleuritis auftraten. Vortr. neigt zu der ersteren An- nahme, doch wäre zur Entscheidung dieser Frage zunächst experimentell festzustellen, ob eine Infection der Pleurahöhle mit Actinomycespilzen eine der vorliegenden gleiche oder ähnliche Krankheit zu erzeugen ver- mag. Unter letzter Bedingung könnte man in unserem Falle natürlich mit srösserem Recht von einer primär actinomykotischen Pleuritis sprechen, ohne dass übrigens die andere Möglichkeit kinfällig würde. Unser thera- peutisches Regime würde bei einer primär actinomykotischen Pleuritis wohl ein anderes werden können. Im Beginn der Krankheit zwar würden wir ebenso vorgehen müssen, wie bisher, mit Diuretieis, später Punction, da die Diagnose nicht zu stellen sein wird. Späterhin jedoch, 118 Jahres - Bericht wo eine Geschwulst, wie im vorliegenden Falle oder gar Fistelbildung auftritt und die Annahme einer Actinomycose nahe liest, würde es wünschenswerth erscheinen, möglichst viele Pilzdepots mechanisch zu entfernen. Ineision auf die Rippe, Auskratzen derselben, Ineision der Pleura mit antiseptischen Ausspülungen kämen hier in Betracht, wenn gleich selbst bei der primär actinomykotischen Pleuritis nicht zu ver- meiden sein wird, dass wir, da bereits der Infeetionskeim weiter vorge- drungen ist, als wir glauben (Rippen, Wirbel), nur einen kleinen Theil der Noxe entfernen können. Der mitgetheilte Fall ergänzt in wünschenswerther Weise den von Herrn Prof. Ponfick publicirten, und ist von Wichtigkeit, denn er be- weist mit Sicherheit, dass eine Actinomykose klinisch beginnen kann mit Pleuritis, welche während der ganzen Krankheitsdauer die Scene be- herrscht, während spät erst Erkrankungen der Weichtheile und Knochen sich hinzugesellen. In jenem Ponfick’schen Falle nämlich war eine, wenn auch fernliegende Möglichkeit vorhanden, dass eine Infeetion der Pleurahöhle mit Actinomyceskeimen erst secundär und zwar gelegent- lich der stattgehabten Punction bewirkt wurde, zumal die actinomyko- tischen Veränderungen sehr geringfügig waren, sodass sie, wie erwähnt, leicht übersehen werden konnten! Sollte nicht auch das seröse Exsudat einen ganz guten Nährboden abgeben können für die Actinomyceskeime, deren Verbreitung gewiss keine beschränkte ist? Unser Patient wurde nicht punctirt; er wurde erst spät probepunctirt, als die Geschwulst des Rückens, der Ausdruck einer bereits bestehenden Actinomykose der Weichtheile und der Rippen vorhanden war, und fast sicher ist die Pleuritis hier das erste Zeichen der hereinbrechenden Mykose. Die Diagnostik wird aus dieser Thatsache in Zukunft Nutzen zu ziehen haben; in weleher Weise ist oben angedeutet. Herr Ponfick: Zur Illustration des von Herrn Wolff vorgelesten | Präparates erlaube ich mir einige Worte beizufügen. Es hat sich hier | vor Allen um eine massenhafte Schwielenbildung im unteren Theil der Pleura und im oberen Theil des Bauchfelles gehandelt, welche von einer entsprechenden Infiltration des subeutanen Gewebes begleitet wurde. Auf die Verbreitung in letzterer Richtung möchte ich vor Allem in diagnostischer Hinsicht hinweisen, weil einestheils der Umfang und die Gestalt, anderen Theils die Consistenz dieser Anschwellung die wahre Natur des Leidens zu verrathen geeignet ist. Offenbar konnte sie als eitrige nicht aufgefasst werden, im Hinblick auf ihre derbe, fast starre Beschaffenheit. Andererseits war sie für ein Gewächs zu ausgedehnt und zu verschwommen. Die Combination der genannten beiden Eigen- schaften ist vielmehr bezeichend für die, die Mitte zwischen entzündlicher Infiltration und eigentlicher Geschwulstbildung haltenden Infections- geschwülste, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 119 Die Granulationen nun, welche dieser ausgedehnten Verdichtung des subeutanen Gewebes zu Grunde liegen, dringen mittels einer Reihe von Fistelgängen gegen die Rippen heran, greifen bald um diese herum, bald sehen sie direet durch die Intercostalräume, um sich alsdann in jene wulstise, extraperitoneale Schwarte zu verlieren. Dieselbe erreicht da und dort eine Dicke von einem Zoll und ist ebenfalls von Fistelgängen durchzogen, welche erst innerhalb des Leberparenchymes selbst endigen. In dem heutigen Falle stehen also die retroperitonealen Schichten im Vordergrund und an ihre Erkrankung schliesst sich unverkennbar erst späterhin die Affeetion der Lunge. Während wir demnach in vielen Fällen, unter anderen auch in dem jüngsten von mir geschilderten (Seite 105), eine Ansteckung auf dem Wege des Respirationstractus nicht werden umgehen können, erscheint in dem vorliegenden ein Import durch den Oesophagus unabweisbar. Was nun freilich die Her- kunft der Pilzkeime betrifft, so bleiben wir da auf ferne Vermuthungen beschränkt. Denn der 5ljährige Kranke besass tadellos gesunde und schöne Zähne, ebenso ganz atrophische, von Recessus und Secretpröpfen durchaus freie Mandeln. In der Mundhöhle also dürfte der Ausgangs- punkt der Ansteckung nicht gefunden werden können; ebensowenig liess sich im Oesophagus eine Fistel oder Narbe entdecken, von welcher aus jene bis ins extraperitoneale Gewebe vordringende Senkung etwa ihren Ausgang genommen hätte. Wir vermögen also höchstens zu vermuthen, dass etwas der Art früher im Spiele gewesen, was sich aber später ver- wischte. Auch in Bezug auf die Behandlung gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Ich möchte daran festhalten, dass trotz der mancherlei letalen Ausgänge, über welche an dieser Stelle berichtet worden ist, eine erfolgreiche Therapie möglich sei. Wenn es bisher so geschienen hat, als wenn der Process, einmal gegen eine Körperhöhle hinabgestiegen, den Patienten unrettbar zu Grunde richten müsse, so sind die in jenem jüngst mitgetheilten Falle gesammelten Erfahrungen entschieden darnach angethan, eine solche Ansicht, in dieser Allgemeinheit wenigstens, auf das Ermuthigendste zu widerlegen. Denn offenbar war es dort gelungen, mittelst Ausspülung des Cavum pleurae die Actinomyces-Körner fast sämmtlich zu entfernen und es waren ganz andere, lediglich accidentelle Umstände, welche den weiteren Verlauf der Krankheit ungünstig beein- flusst haben. Ich muss da auch auf den Einwand des Herrn Wolff ein- gehen, welcher meinte, dass bei der Punction vielleicht eine Verun- reinigung des Pleuraraumes, also gleichsam eine Impfung von Actinomyces- keimen stattgefunden, dass also eine ursprünglich einfache Pleuritis erst ganz nachträglich jenen specifischen Charakter erhalten habe. Nun, meine Herren, die Actinomycose ist ja allerdings keine so gar seltene Krankheit; indess so allenthalben verbreitet dürfen wir uns die sie be- 120 Jahres - Bericht dingenden Pilze doch wohl nicht vorstellen, dass sie bei einer beliebigen kleinen Operation so leicht übertragen werden könnten. Sicherlich hätten wir dann in noch viel höherem Masse bei jeder Hydrocele-, Pleuritis- ete. Punction einen Import von Tuberkelbacillen zu fürchten, Gleichwohl wird aber wohl kaum jemand mit dieser Gefahr so ernstlich rechnen, dass er eine später gefundene Tuberculose der Scheidenhaut oder der Pleura erst als das Ergebniss dieses Eingriffs oder der mancherlei ihm folgenden Manipulationen betrachten möchte. Aber selbst das Un- wahrscheinliche zugegeben, so würde dennoch nach wie vor unerklärt bleiben, wodurch denn jene Pleuritis selber und ein so massenhaftes Exsudat entstanden seien? Erwägt man vollends die gänzliche Unver- sehrtheit der Lungen, welche nicht die geringste Spur irgend einer Infiltration entdecken liessen, so muss ich bekennen, dass die Annahme der idiopathischen Entstehung einer so heftigen Entzündung allen sonstigen Erfahrungen widerstreitet. — Was schliesslich die von Herrn Wolff vor- geschlagene Therapie anlangt, so liegt es gewiss nahe, dieselbe an der Hand des vorliegenden Präparates zu prüfen. Denn offenbar wird eine wirksame Behandlung nur auf Grund genauester Berücksichtigung der topographischen Verhältnisse thunlich sein. Nun ist aber das Ueble der Umstand, dass es sich keineswegs um eine, sondern um beinahe sämmt- liche Rippen handelt, und dass der Process, wie Sie sich überzeugen können, zugleich ungemein in die Breite geht. Man müsste also min- destens von der Hälfte des Thorax ein sehr ansehnliches Stück weg- nehmen. Hiermit indess meist nicht genug, hat sich der Process sogar auf die linke Seite verbreitet, und ebenso auf «der Vorderfläche der Wirbelsäule seine Verheerungen bereits begonnen: wie wollen Sie all diesen tiefen Herden zu Leibe gehen? Herr Wolff: Ich erlaube mir zu erwidern, dass ich das von mir vorgeschlagene therapeutische Verfahren ausdrücklich für die Fälle von primär actinomykotischer Pleuritis angewandt wissen wollte, wo die Er- krankung der Rippen erst im Beginn steht, nicht etwa für Fälle, wo der Ausgangspunkt der Krankheit in der Wirbelsäule und in den Rippen zu suchen ist. In Zukunft würde ich grade in Fällen, mit einem Verlauf wie der vorliegende, wo zu der Pleuritis eine derartige Geschwulst- bildung hinzutritt, in der gedachten Weise vorzugehen rathen, erwägend, dass dem Kranken schon ein erklecklicher Nutzen gestiftet werden kann, wenn selbst nur ein Theil der Pilzdepots aus dem Körper entfernt wird. Ich würde es aber nur thun, sofern sich meine Vermuthung, dass es sich in solchen Fällen um primär actinomykotische Pleuritis handelt, bestätigt. Herr Ponfick: Ich bin vollständig mit Herrn Wolff darin einver- standen, dass die chirurgische Behandlung die einzige ist, welche die der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 121 Herde zu erreichen und zu entfernen vermag, und dass die vornehmste Aufgabe die ist, die Granulationen möglichst früh und vollständig zu zerstören. Sitzung vom 25. Juli 1884. Herr Born spricht Ueber die inneren Vorgänge bei der Bastardbefruchtung der Froscheier. Unter den vielen Fragen, die sich mir bei meinen vorjährigen Ver- suchen über Bastardirung zwischen den einheimischen Anurenarten auf- drängten, waren es vornehmlich drei, die ich dieses Jahr weiter verfolgt habe; über die Resultate meiner Untersuchungen will ich hier vorläufig und kurz berichten; die vollständige Bearbeitung dieses Materials, sowie der mehr beiläufig gewonnenen Ergebnisse wird noch längere Zeit erfordern, und kann daher erst später erfolgen. Im vorigen Jahre hatte ich gefunden, dass der Erfolg der Bastardirung zwischen Rana fusca 3 (R.f.) und Rana aryalis 2 (R. a.) in merkwürdiger Weise von der Concentration der benützten Samenflüssigkeit abhängt. Reichlicher ') unverdünnter Samen aus den strotzend gefüllten Samen- blasen hochbrünstiger R. f. bringt bei den damit benetzten Eiern von R.a. eine eigenthümliche Art von rascher, ganz unregelmässiger Furchung hervor, die ich als „Barockfurchung‘‘ bezeichnet hatte; dieselbe führt in kürzester Frist zur Zersetzung und zum Absterben der Eier. Mit mässig verdünntem Hodensaft befruchtete Eier furchen sich zum grössten Theile gar nicht, zum kleineren Theile regelmässig oder nur wenig unregel- mässig. Bei einer Verdünnung des Hodensaftes, in der die Eier der eigenen Art (R. f.) ausnahmslos befruchtet werden, hört bei der Bastardirung jede Wirkung auf. Meine vorjährigen Versuche zeigten aber eine etwas ungleichmässige Wirkung des unverdünnten Hodensaftes, indem die „Barockfurchung‘“ mitunter ganz ausblieb, mitunter nur unvollkommen ausgeprägt war; jetzt ist es mir gelungen, die Ursache für diese Ungleich- mässigkeit herauszufinden. Die Samenblasen der & von R. f. zeigen nämlich, auch wenn die- selben strotzend gefüllt sind, nicht immer denselben Inhalt. Nur auf der Höhe der Brunstzeit frisch eingefangene Exemplare, die bis zur Be- nützung möglichst ungestört ihr 2 umarmt hielten, haben einen scharf milchweissen Samenblaseninhalt. Diese aufs Aeusserste concentrirte, milch- weisse Flüssigkeit direct über einen nicht zu grossen Haufen von Eiern der R. a. entleert, bringt bei rasch folgendem Wasserzusatz mit Sicher- ") pag. 473 meiner vorjährigen Arbeit steht in der neunten Zeile von unten statt: „reichlicher unverdünnter Samen“ durch einen den Sinn geradezu um- kehrenden Druckfehler: „reichlicher verdünnter“. a Jahres-Bericht die Erscheinung der Barockfurchung im höchsten Glanze hervor. hier beginnt die Zersetzung der Eier, die unregelmässige Mischung weissen und pigmentirten Substanz, bei vielen Eiern des Haufens ınter schon nach 1°/, Stunden, also lange bevor im regulären Falle h 2°%,—3 Stunden) die erste Furche auftritt. Viele dieser in Zer- ung begriffenen Eier scheinen sich dann überhaupt nicht mehr zu hen. Ich habe mich übrigens dieses Jahr mit Leichtigkeit über- st, dass bei der Barockfurchung in der That mehrere unregelmässige chen zugleich an verschiedenen Stellen des Eies auftreten, was ich meiner ersten Arbeit noch nicht mit absoluter Sicherheit behaupten nte. Haben die männlichen Frösche, ehe sie zur Verwendung kommen, ın etwas gelitten, ist die Hochbrunst vorüber, sind sie schon längere ; in Gefangenschaft oder sind dieselben mehrmals vom Weibchen ennt worden und dergleichen, so findet man die Samenblasen meist mit einer grauen, trüben oder gar mit einer beinahe wasserklaren sigkeit angefüllt. Dieselbe ruft viel seltener die Erscheinung der ockfurchung hervor, meistens bleiben daher sehr viele Eier ganz erändert, eine grössere oder kleinere Zahl furcht sich etwas unregel- sig oder ganz regelmässig. Die Anfangs nur wenig unregelmässigen " gehen im Verlaufe der weiteren Furchung auch noch zu Grunde und etzen sich; man muss diese secundäre Zersetzung und die primäre, bei den mit concentrirten Samen bastardirten Eiern innerhalb 2 bis tunden nach der Befruchtung erfolgt, durchaus auseinanderhalten, ob- ch selbstverständlich alle möglichen Uebergänge zwischen beiden Er- ’inungen gefunden werden. Der Verdünnungsgrad, bei dem der Same irksam wird, richtet sich natürlich auch nach der Concentration des ens. Der milchweisse Inhalt einer Samenblase mit 5 Ce. Wasser ver- nt, veranlasste an den damit benetzten Eiern noch genau dieselbe ockfurchung, wie der der andern Samenblase desselben 5, der unver- nt über einem Eihaufen entleert worden war; dagegen furchten sich mit dem durch 20 Ce. Wasser verdünnten milchweissen Inhalt der n Samenblase eines anderen 5 benetzten Eier zum grössten Theile nicht, zum kleineren regelmässig oder schwach unregelmässig, während unverdünnte Inhalt der andern Samenblase desselben Thieres die ockfurchung im höchsten Maasse hervorrief., Aus allen meinen Versuchen, namentlich wenn mit wenig verdünntem en oder Hodensaft befruchtet war, haben sich wieder eine ganze An- Eier regelmässig gefurcht und weiter entwickelt. Da ich dieses Jahr meinen früher beschriebenen Vorsichtsmassregeln noch ausnahmslos hinzufügte, dass ich jeden Frosch, kurz ehe er benützt wurde, mehre- e mit ', bis 1 pCt. Salzsäure abwusch und da die regelmässig ge- hten Eier in kleinerer oder grösserer Zahl bei allen Versuchen wieder- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 123 kehrten, darf wohl der letzte Zweifel an der Möglichkeit, Bastarde aufzuziehen, als beseitigt gelten. Leider gingen mir sämmtliche aus- geschlüpfte Bastardlarven, die in kleinen Schalen vertheilt im Freien aufgestellt waren, nachdem sie schon die äusseren Kiemen verloren hatten, in Folge der kalten Aprilnächte zu Grunde. Von meinen vor- jährigen Bastardfröschen existirt noch eine grössere Zahl, die sich in einem Pflüger’schen Terrarium vortrefflich entwickelt haben; ich werde über dieselben späterhin ausführlich berichten. Für die Bastardirung zwischen Bufo cin. 2 und Bufo variab. war die Witterung des Frühjahrs 1884 ungünstig, da in Folge derselben die Laichzeiten weit auseinander fielen. Ich konnte diese Bastardirung nur einmal ausführen, auch hier mit den oben und früher aufgezählten Vorsichtsmassregeln; das Resultat war genau dasselbe wie voriges Jahr. Es furchten und entwickelten sich fast alle Eier regelmässig und es schlüpften viele Hunderte bastadirte Larven aus, unter diesen wieder eine sanze Anzahl Albinos. Diese Bastard-Krötenlarven wandeln sich seit einigen Wochen um, ich hoffe diesmal eine grössere Zahl derselben auch nach der Umwandlung zu erhalten. Da ich dieses Jahr selbstgezogene Larven von B. cin. und sichere Larven von B. variab. von Anfang an zum Vergleich zur Verfügung hatte, ausserdem auch eine Methode fand, die Larven für längere Zeit zu lähmen, ohne sie zu tödten, konute ich ‘ die Färbungsunterschiede besser als im vorigen Sommer studiren. Das Ergebniss war, dass die Bastarde wenigstens in gewissen Stadien in Bezug auf alle Details der Pigmentirung mit Schwarz und metallisch glänzenden Farben zwischen den beiden elterlichen Arten genau die Mitte halten; ‚ ich werde dies später durch Abbildungen belegen. | Am wichtigsten war mir jedoch der dritte Punkt. Ich wollte durch ‚ Anfertigung von Schnittserien direete Beweise für die von mir aufge- stellte Hypothese gewinnen, dass die Barockfurchung auf einem Ein- ‚ dringen zahlreicher Spermatozoen in das Ei der fremden Art beruhe, | während bei normaler Befruchtung nur eine in das Ei eindringt und unter den bekannten eigenthümlichen Erscheinungen den männlichen Vor- | kern bildet, der sich mit dem weiblichen zum ersten Furchungskeim con- | jugirt u. s. w. In Bezug auf das Detail meines Erklärungsversuches verweise ich auf meine vorjährige Arbeit, namentlich ist dort nachzu- | lesen, wie ich die Verschiedenheit der Wirkung des Samens je nach ' seiner Concentration auffasse. In Betreff der Erscheinungen bei der normalen Befruchtung der | Amphibieneier stehen sich zwei Angaben unvermittelt gegenüber: Bam- } becke hat an Schnitten durch befruchtete Urodeleneier gefunden, dass | häufis; mehrere Pigmentstrassen mit hellen Endflecken und Kernen in den ‚ letzteren, die auch er als aus Spermatozoen hervorgegangen auffasst, ins | Ei eindringen, Hertwig dagegen hat an Froscheiern immer nur eine 124 | Jahres - Bericht einzige Pigmentstrasse gefunden. Ich selbst habe im Verlaufe meiner im Frühjahr vorläufig mitgetheilten Untersuchungen über den Einfluss der Schwere auf das Froschei eine sehr grosse Zahl von regulär befruchteten Eiern von R. f. in Schnittserien zerlegt, ich habe jetzt noch über ein Dutzend von normal befruchteten Eiern von R. a. geschnitten, überall fand ich nur eine Pigmentstrasse mit einem hellen Endfleck, genau wie es Hertwig beschrieben hat; auch die von diesem Autor geschilderten Erscheinungen der Conjugation der beiden Vorkerne habe ich öfters beobachtet. Ich weiss mir die Befunde Bambecke’s, an deren that- sächlicher Richtigkeit nicht zu zweifeln ist, nur so zu erklären, dass die betreffenden Eier etwas gelitten hatten und dass dann, ähnlich wie bei Hertwig’s und Fol’s bekannten Beobachtungen, an Echinodermen-Eiern anormaler Weise mehrere Spermatozoen eingedrungen waren. Jeder, der sich mit der Sache viel beschäftigt hat, weiss, wie häufig bei der Ent- wickelung von Amphibieneiern, namentlich wenn die Eltern in der Ge- fangenschaft gehalten wurden, Unregelmässigkeiten bei der Furchung auf- treten; ich kann freilich nicht direct nachweisen, dass diese Unregel- mässigkeiten auf dem Eindringen mehrerer Spermatozoen beruhen, da ich mir noch kein Material für diesen Zweck conservirt habe, auch ist bei Bambecke keine Notiz darüber zu finden, ob sich die zu seinen Untersuchungen benutzten Eier grössten Theils regulär oder irregulär gefurcht haben; wenn man aber sieht, wie die meisten neueren Arbeiten auch in Fällen, wo es früher zweifelhaft war (z. B. bei den Säugethieren und den Ascariden), den Beweis erbringen, dass immer nur eine Sperma- tozoe normaler Weise ins Ei eindringt, wenn man ferner berücksichtigt, dass das Eindringen nur einer Spermatozoe ein Postulat der Zeugungs- und Vererbungstheorie ist, so wird man meinen Erklärungsversuch der ab- weichenden Bambecke’schen Befunde vielleicht nicht zu gewagt finden. Ein einziges Mal habe ich in einer Schnittserie durch ein Ei von R. a. eine zweite kleine, gerade Pigmentstrasse gefunden, aber ohne hellen Fleck am Ende, ich erkläre dies ebenso, wie Bambecke’s Bilder. Ganz abweichend von dem Bilde bei normaler Befruchtung, sehen Eier von R. a., die mit milchweissem, unverdünntem Samen von R. f. begossen wurden, aus, wenn dieselben nach 1, —2 Stunden in heissem Wasser getödtet und in Schnittserien zerlegt werden. Ich bemerke gleich, dass ich bisher keineswegs im Stande war, alles eingelegte Material zu untersuchen, und dass dies in vollem Umfange überhaupt kaum möglich sein wird, da die Anfertigung jeder einzelnen Serie doch ziemlich erheb- liche Zeit erfordert; die Bilder sind aber trotz aller Abwechselung im Einzelnen so typische, dass die Untersuchung einer grösseren Zahl, wie ich sie ausgeführt habe, genügt. Statt der einen kegelförmig zugespitzten Pigmentstrasse des normalen Falles sieht man an den mit ceoncentrirtem Samen bastardirten Eiern eine grosse Zahl Pigmentstrassen in das Ei der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 125 eindringen. Die Eintrittsstellen derselben sind über die ganze pigmentirte Oberfläche des Eies verstreut, mitunter finden sie sich nahe an dem weissen Flecke, oder sogar in dessen Peripherie, der weisse Pol selbst aber bleibt, so viel ich sehen kann, auch hier frei. Die einzelnen Pigment- strassen selbst haben die variabelste Richtung, Form und Ausdehnung. Bald streben dieselben gegen den Mittelpunkt der Eikugel, bald kriechen sie dicht an der Oberfläche hin oder endigen als ganz kurzer, kaum von der Pigmentrinde abgehobener Fortsatz. Mitunter sind es einzelne dünne Fäden, viel häufiger beginnt die Pigmentstrasse an der Oberfläche als dieker, unregelmässig begrenzter, schwarzer Klumpen, der sich dann mehrfach theilt oder gar in eine Art grobes Netzwerk auflöst. Die ein- zelnen Aeste desselben sind bald gestreckt, bald ziekzackförmig hin- und her gebogen; an manchen Stellen erscheinen dieselben verdiekt, an anderen in kaum merkliche dünne Fäden ausgezogen. Wo ein recht massiger Pigmentklumpen der Eioberfläche ansitzt, erscheint dieselbe häufig einge- bogen. Die Ränder der Einbiegung sind mitunter kraterförmig zerrissen, ich konnte noch nicht ganz sicher entscheiden, ob dies eine präformirte Erscheinung ist, oder von einer nachträglichen Läsion beim Schneiden herrührt. — Unter der dünnen Pismentrinde des Eies findet sich bekannt- lich in dem bei normaler Stellung oberen Theile des Eies eine schwächer pigmentirte und feinkörnigere, bräunliche Substanz, die in der Mitte knopf- förmig in den weissen grobkörnigen Dotter vorspringt, der die unteren zwei Drittel des Eies anfüll. An den Seiten der Eier schiebt sich dieser weisse Dotter dicht unter der schwarzen Pigmentrinde über den Aequator zugeschärft gegen den schwarzen oberen Pol hin, ohne denselben aber zu erreichen. Es kommt daher auf Schnitten, die durch beide Pole gehen, für den weissen Dotter ein ungefähr halbmondförmiger Umriss heraus. Den unter dem schwarzen oberen Pol liegenden hellen Fleck habe ich an den bastardirten Eiern nicht mehr wahrnehmen können. Die Pigment- strassen, die dicht oberhalb und unterhalb des Aequators in das bastar- dirte Ei eindringen, stülpen die weisse grobe Dottersubstanz häufig in die bräunliche feinkörnige vor sich her ein, so dass die Grenze beider Sub- stanzen nicht mehr gleichmässig erscheint, sondern beide in sehr bunter Weise in einander greifen. Ueberall an und in diesen Pigmentstrassen, an den Enden derselben sowohl wie an ihren Grenzflächen angeheftet, häufig aber auch in ihrem Innern findet man grössere oder kleinere, meist von strahligen Pismenthöfen umgebene helle Flecke. In den Flecken aber sieht man stark lichtbrechende, kernähnliche Gebilde, bald 1, bald 2—4, in den grösseren Räumen sogar viele Dutzende dicht an einander gedrängt. Färbt man die auf dem Objectträger aufgeklebten Schnitte mit Pikro- carmin und behandelt dieselben nachher mit salzsäurehaltigem Glycerin, so nehmen die Kernchen eine schön rothe Farbe an. Ihr Umriss ist bald kreisförmig, bald oval. Sie gleichen durchaus dem einen Kernchen, das 1236 Jahres - Bericht sich in dem hellen Endfleck der einen Pismentstrasse findet, die bei normaler Befruchtung in das Ei eindrinst. Wenn man, wie ich, dieses mit Hertwig (und Bambecke) auf ein eingedrungenes Spermatozoon zurückführt, so muss man auch alle diese Kernchen der bastardirten Eier, deren Zahl in einem Ei oft auf mehrere Hundert zu schätzen ist, von einer entsprechenden Zahl eingedrungener Spermatozoen herleiten, so dass also hier in der That ein Analogon für die von Fol und Hertwig bei der Befruchtung geschwächter Echinodermeneier direet beobachteten Erscheinungen vorliegt. Da in einer und derselben verzweigten Pigmentstrasse an den ver- schiedensten Stellen Massen dieser Kerne und Kernanhäufungen gefunden werden, scheint es, als ob der Weg, auf dem überhaupt eine Spermatozoe die Eioberfläche erreichen konnte, zugleich von vielen benützt wird, was nach den Versuchsbedingungen und meiner Theorie leicht erklärlich ist. Diese zugleich die Oberfläche erreichenden Spermatozoen dringen in das nicht oder schlecht reagirende Ei zusammen ein und rufen dann die massige und verzweigte Pigmentstrasse hervor, auf der sie an verschie- denen Stellen liegen bleiben. Ich wiil nicht unerwähnt lassen, dass bei einzelnen Kernchen der volle Zusammenhang mit der Pigmentstrasse kaum nachzuweisen ist, es ist dies aber nicht verwunderlich, da auch im nor- malen Falle in späteren Stadien das zugespitzte feine Ende der Pigment- strasse bei Rana arvalis den hellen Fleck kaum oder gar nicht mehr erreicht. Sehr viele von diesen Kernanhäufungen bleiben dicht unter der Oberfläche in unregelmässig verdiekten Stellen der Pismentrinde oder in den starken Wurzeln der Pigmentstrassen liegen. Ist nach drei Stunden die Furchung eingetreten, so bietet sich auch auf den Schnitten ein höchst wirres Bild dar, das dem der Oberfläche, dem ich den Namen Barockfurchung gab, vollkommen entspricht. Hier und da zeigen sich an der Peripherie Kerben, von denen aus Pigment- streifen, wie bei der regelrechten Furchung, ins Innere dringen; sehr häufig schnüren sich sogleich durch parallel der Oberfläche einschneidende pigmentirte Furchen flache Scheiben oder nur kleine Protuberanzen mehr oder weniger vollständig ab; an Stellen, wo recht dicke klumpige Pigment- strassen eingedrungen sind, findet geradezu eine Zerbröckelung der schwarzen Substanz statt und so bilden sich die kraterförmigen Ein- senkungen, wie ich sie schon voriges Jahr gesehen und beschrieben habe. Ueberall zerstreut in diesen unregelmässig zerfallenden Partien liegen die Kerne und Kerngruppen; — da man das betreffende Ei nicht vorher untersuchen konnte, kann man nicht sagen, ob sie schon in Vermehrung begriffen sind, ebenso ist es schwer, in diesem Wirrwarr von Furchen und Pigmentzügen die zu jeder Abtheilung gehörigen Kerne herauszufinden, es wird wohl aber nach den direeten Beobachtungen von Fol und Hert- wig nicht so leicht Jemand bezweifeln, dass die irregulär massenhaft der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 127 eingedrungenen Kerne, die von Spermatozoen hergeleitet werden müssen, die Ursache und die Centra dieses so irregulären Zerfalles sind. Erst die Abbildungen werden von der Mannichfaltigkeit dieser bizarren Bilder eine Anschauung geben können, in diesem kurzen Referat kann ich nicht einmal die hauptsächlichsten anführen. Es scheinen zuerst die oberfläch- lich gelegenen Kerne zu sein, die die Eisubstanz zerfällen, die tiefer eingedrungenen Kerne schienen mir jetzt schon häufig in Vermehrung besriffen, ohne dass die umliegende Dottersubstanz in Theilung geriethe. Später findet diese Vermehrung der Kerne sicher statt. Nach 6 Stunden findet man an einigen Eiern den schwarzen Pol unregelmässig in kleinere Furehungskugeln zertheilt, während im Uebrigen in einiger Entfernung von der Oberfläche des Eies massenhaft von Pigmenthöfen umgebene Kerne zerstreut liegen, ohne dass es zur Furchung gekommen wäre. Von den Pigmentstrassen sind dann nur noch hier und da die dicken An- fangsstücke erhalten. Bei anderen Eiern — und ich glaube ein Recht zu haben, diese als diejenigen zu bezeichnen, in welche die zahlreichsten Spermatozoen eingedrungen sind — ist es bei einzelnen ganz unregelmässig ausgeführten und verbreiteten oberflächlichen Abschnürungen und Ein- kerbungen geblieben, dagegen ist durch die ganze obere Hälfte des Eies eine Unzahl von mit Pigmenthöfen umgebenen Kernen und Kernnestern dieht zerstreut; dieselben sind so zahlreich, dass, wenn man das Bild mit dem der Eier 3—4 Stunden nach der Befruchtung vergleicht, kaum ein Zweifel bleibt, dass die tiefer eingedrungenen Kerne in starke Ver- mehrung gerathen sind. In die untere Hälfte der Eier dringen die Kerne nach 6 Stunden noch nicht sehr stark ein. Mitunter sieht man an ein solches Kernnest noch die zugehörige Pigmentstrasse heranreichen. Das Genauere über alle diese Erscheinungen kann erst später folgen; die Hauptsache aber, glaube ich, wird schon aus der gegebenen kurzen Uebersicht erhellen: die von mir im vorigen Jahre aufgestellte Theorie hat sich als richtig erwiesen; die Reihe von Phänomen, die ich an mit concentrirtem Samen von R. f. befruchteten Eiern von R. a. als - Barockfurchung beschrieben habe, beruht auf dem Eindringen zahlreicher Spermatozoen in diese Eier. In wie weit die geringeren Unregelmässig- keiten, die bei dieser und anderen Bastardirungen auftreten, auf einer schwächeren Wirkung derselben Ursache beruhen, worin ferner die Ur- sachen für das Absterben der bei der Bastardirung von R. a. g' und R. esc. 2 regelmässig abgefurchten Eier vor Bildung des Rusconi’schen Afters zu suchen sind u. s. w., hoffe ich durch die weitere Bearbeitung des von mir gesammelten Materials vielleicht noch eruiren zu können. Hierauf hält Herr Soltmann einen Vortrag Zur Aetiologie der Actinomycose. Vortragender stellt zunächst einen 11jährigen, mit Actinomycose be- hafteten Knaben vor. Der Fall ist besonders interessant, weil er der 128 Jahres - Bericht erste ist, der über die Entstehung der Krankheit sicheren Aufschluss giebt und die Möglichkeit gewährt, über die strittige Natur des Pilzes dereinst Aufklärung zu erhalten. Der Knabe hatte beim Maulbeerenpflücken auf dem Friedhofe aus Versehen eine Garbe mit ergriffen und verschluckt. Bald darauf traten heftige Schmerzen unter dem Brustbein auf, die sich steigerten und mehr und mehr dem Rücken zu ausstrahlten. Hier lokalisirten sie sich rechts von der Wirbelsäule im 6. Intercostalraum. Nach Eröffnung eines sich dort bildenden Furunkels kam ein Theil jener einst verschluckten Garbe zum Vorschein; dies wiederholte sich nach einigen Tagen. Da die Schmerzen nicht nachliessen und sich neue Herde zu bilden schienen, wurde der Knabe ins Spital gebracht. Hier konnten alsbald in der Eitermasse sowohl der bestehenden als sich neu bildenden Herde stets die für den Actinomyces charakteristischen sandkornähnlichen Pilzdrusen nachgewiesen werden. Vortragender demonstrirt diese, sowie einen Theil jener einst verschluckten Garbe von Hordeum murinum (Mäusegerste). Das Verschlucken derselben, die Wanderung durch den Körper, das Auf- treten der Actinomycose bringt Vortragender in direete Beziehung zu einander. Der Gang der Wanderung der Garbe durch die Speiseröhre resp. Retro-Visceralspalte u. s. w., die Art der Invasion und des Angriffs- punktes machen es ihm begreiflich, warum nicht, wie gewöhnlich, das Leiden an den Alveolen der Kiefer begann. Entstehe doch aus eben diesem Grunde gelegentlich eine primäre Lungen- oder Darmactinomycose. Gleichviel aber wo der Angriffspunkt und primäre Sitz der Affection, überall erzeugt der Pilz eine echte ceontagiöse Infeetionskrankheit mit schleichendem und malignem Verlauf. In dieser Eigenschaft schlage der Actinomyces die Brücke von den Hyphomyceten zu den pathogenen Schizomyceten. Vielleicht gelinge es mit Rücksicht auf die Entstehung der Krankheit im vorliegenden Fall in Zukunft den Pilz entwickelungs- geschichtlich ausserhalb des lebenden Thierkörpers zu verfolgen. Bei der sich an den Vortrag schliessenden Discussion betheiligten sich die Herren Ponfick und Soltmann. Sitzung vom 31. October 1884. Herr Ponfiek hält eine Gedächtnissrede auf Julius Cohnheim. Geehrte Versammlung! In der geräuschlosen Stille der eben ange- brochenen Ferienzeit, in der dumpfen Schwüle eines Augusttages hat ein Herz zu schlagen aufgehört, das so warm und kräftig wie Wenige für den Fortschritt in der medieinischen Wissenschaft, für die Blüthe auch unserer Alma mater geschlagen hat. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 129 In der Frühe des 15. August ist Julius Cohnheim entschlafen, auf der Höhe des Lebens und seines Ruhmes, nachdem er innerhalb zweier flüchtiger Jahrzehnte den Ruf deutscher Geistesarbeit in alle Lande getragen und durch den kühnen Flug seiner Gedanken, durch die zündende Gewalt seines Wortes einen weiten Kreis von Schülern und Nachfolgern um sich versammelt hatte. Denn das ist ja die Grösse und die Macht des Genius, dass er weit über die an Raum und Zeit gebundene persönliche Anregung des Hörers hinaus alle forschenden und strebenden Geister nah und fern an sich zu fesseln, sie zu lenken und mit sich fortzureissen versteht, bis der ursprünglich so schmale Pfad, den er sich, des Zieles klar bewusst, erkoren, zu einer immer offeneren, weiteren Strasse wird, bis sich die bunte Schaar aller vorwärts Strebenden in immer diehterem und eifrigerem Marsche darauf einherbewegt. Ein solcher Pfadfinder und ein solcher Leiter in der wissenschaft- lichen Mediein ist Cohnheim gewesen, er ist es geworden fast schon als Jüngling, und dieser frühzeitigen Entfaltung und Bewährung seiner seltenen schöpferischen Kraft entsprach nur die Thatsache, dass er uns als Mann die ausgereifte Frucht grundlegender Forschungen, unablässiger Gedankenarbeit bereits in einer Lebensperiode zn bieten vermocht hat, welche bei der grossen Mehrzahl weit mehr dem Sammeln und Sichten von Thatsachen, als dem organischen Aufbau eines ebenso kühn ange- legten, wie folgerichtig durchgeführten Systems der Pathologie gewidmet zu sein pflegt. So blieb denn Dies junge, frische, schaffensreiche Leben Kein Frühling blos, dem doch kein Herbst gegeben; sondern so vorzeitig und so erschütternd traurig dies reiche Leben sich verzehren musste in Krankheit und manch’ bitterem Seelenkampfe: Ein Trost bleibt uns Zurückgelassenen dennoch in allem Schmerz: das Be- wusstsein, dass diese Fülle von Begabung, diese eben so sehr in Pro- duction, wie in Kritik bewährte Kraft noch eine harmonische Zusammen- fassung, eine Art von Abschluss gefunden hat in dem Werke seines Lebens, jenen Vorlesungen über allgemeine Pathologie, in denen der Meister, mag sein feuriges Wort auch verstummt sein, fort- fahren wird, die akademische Jugend, wie den vielerfahrenen Arzt zu begeistern für die experimentale Begründung der pathologischen Probleme, und welche das Andenken an Cohnheim wach halten werden bis in die fernste Zukunft. Geehrte Herren! Wenn es eine mit Recht hochgehaltene Sitte im Kreise wissenschaftlicher Aerzte ist, neben dem Blick auf alle Ent- deekungen und Vervollkommnungen in den Einzelfächern das Auge stets offen zu halten für den lebendigen Strom unserer Gesammtwissenschaft, so liegt es gewiss gerade an diesem Orte doppelt nahe, das Bild eines 1884, 9 130 Jahres-Bericht Mannes vor Ihrer Seele erscheinen zu lassen, welcher der Breslauer Universität und dieser Gesellschaft einen so bedeutungsvollen Abschnitt seiner kurzen Laufbahn gewidmet, welcher es oft und gern ausgesprochen hat, dass die in unserer Provinz, in dem von ihm begründeten patho- logischen Institute verbrachten Jahre die ungetrübtesten und fruchtbarsten seines Lebens gewesen seien. Gestatten Sie mir darum, Ihnen in kurzen Zügen den Gang seiner inneren Entwickelung ins Gedächtniss zurückzurufen, seinen massgebenden Einfluss auf die gegenwärtige Gestaltung der wissenschaftlichen Mediein zu schildern, — ihm selber zu ehrender und dankbarer Erinnerung, uns Allen aber zur Erhebung in der Trauer um einen unersetzlichen Verlust! Als 24jähriger Mann übernahm Cohnheim 1864 die Stelle eines Assistenten am Berliner pathologischen Institute, einen Posten, der ihn in die engste und tiefgreifendste Berührung zu seinem grossen Meister Virchow und in nahen wissenschaftlichen Verkehr mit Männern wie v. Recklinghausen, Klebs, Wilhelm Kühne und Anderen brachte: ein Kreis, reich an hochbegabten, kühn aufstrebenden Köpfen, der als das „junge Berlin‘ auf die Entwickelung der wissenschaftlichen Mediein in Deutschland auf Jahrzehnte hinaus den wichtigsten Einfluss gewinnen sollte und mit dessen Gliedern er auch nach seiner räumlichen Trennung bis ans Ende durch tausend Fäden verbunden geblieben ist. Zugleich trat er während dieser Lernjahre in ein immer näheres Verhältniss zu Traube, dem ersten Kliniker in Deutschland, welcher die experimentelle Forschung verwerthet hatte, um das wechselvolle Spiel der Erscheinungen am Krankenbette physiologisch zu begründen, in seinem innersten Zu- sammenhange klar zu legen und dessen rastlos suchender Geist allen mittelst des Thierversuches zugänglichen Fragen fort und fort das regste Interesse zugewendet erhielt. Ein solcher nach den mannigfachsten Seiten hin befruchtender Austausch musste eine tiefe Einwirkung auf die Richtung seines gesammten Schaffens ausüben und hat denn auch, ebenso wie die nahen Beziehungen zu seinen späteren Collegen Bartels und Heidenhain, in seinen Werken einen für den Eingeweihten viel- fach unverkennbaren Ausdruck gefunden: ich erinnere nur an das Capitel „Herz und Cireulation“ im ersten, „Magen und Pancreas“ im zweiten Bande der Vorlesungen, sowie an den hochinteressanten Abschnitt über die Pathologie des Harnapparates. Schon im Herbste 1868 erhielt er die Leitung des pathologischen Institutes in Kiel und als 1872 bei der Gründung der Wilhelms-Universität zu Strassburg Waldeyer dem Rufe folgte, Breslau mit dem Reichs- lande zu vertauschen, ward er eine Zierde unserer Hochschule, Unter seinen Augen, seiner thätigen Mitwirkung erhob sich hier zum Ersatz für eine kümmerliche und fast heimathlose Arbeitsstätte ein stattliches, den der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 131 moderner: Ansprüchen gerecht werdendes Institut, eine Anstalt, die als- bald nieht nur für ihn selbst, sondern auch für eine ganze Reihe tüchtiger Genossen den fruchtbaren Boden abgab für experimentelle Untersuchungen auf den verschiedensten Gebieten. Indess nur wenige Jahre sollte er Breslau erhalten bleiben: bereits zu Ostern 1878 verliess er schweren Herzens das ihm rasch lieb gewordene Schlesien, da er es nicht über sich gewinnen konnte, dem umfassenderen Wirkungskreise in Leipzig sich zu versagen. Noch lebt in Ihrer Aller Gedächtniss, welch’ segensreiche Wirk- samkeit er dort entfaltete, wie verheissungsvoll sich Alles für ihn anzu- lassen schien, — bis die schleichende Krankheit sich immer mehr seiner bemächtigte und ihn trotz heldenhaften Widerstandes zwang, der geliebten Lehr- und Arbeitsthätigkeit mehr und mehr zu entsagen. Die glänzendste Entdeckung, welche sich an Cohnheim’s Namen knüpft, diejenige, welche ihn sofort zu einer europäischen Berühmtheit machte, die Entdeckung des Auswanderns der weissen Blut- körperchen bei der Entzündung und Eiterung, gehört dem Jahre 1867 an. Wollen wir diese auf den ersten Blick ganz unvermittelt dastehende Leistung des 23jährigen Jünglings aber in ihrem vollen Zu- sammenhange begreifen, so müssen wir gleichzeitig eine andere Arbeit von ihm ins Auge fassen, durch welche jene ebenso angebahnt zu werden scheint, wie andererseits sie selbst Ausgangspunkt und Hinweis für eine ganze Reihe nachfolgender Untersuchungen geworden ist: ich meine die über die Nervenendigung in der Cornea. So überzeugend hierin mit Hilfe eines trefflichen neuen Reagens, des Goldchlorids, der Nach- weis geführt wurde, dass ein bis dahin für durchaus gefäss- und nervenlos gehaltenes Organ mit einem ausserordentlich dichten, bis in die äusserste Grenzschicht sich verzweigenden System von Nervenfasern ausgestattet sei, und so staunenswerth sowohl die Methode, wie das Ergebniss der Untersuchung allen Fachgenossen erschien, so lag doch für die Patho- logie der Werth dieser überraschenden Erweiterung unserer Erkenntniss offenbar noch ungleich tiefer, als von jenem rein histologischen Stand- punkte. Denn erst jetzt, erst nachdem die Hornhaut ihrer bisherigen Ausnahmestellung unter den Geweben entrückt, und im Gegentheil unter die nervenreichsten eingereiht worden, war die unerlässliche anatomisch- physiologische Grundlage gegeben für die Vermittelung, gleichsam die Weitergabe des Entzündungsreizes auf die vom Mittelpunkt der Cornea doch so weit entfernten Limbus-Gefässe. Erst durch den Nachweis einer solchen Fülle von Leitungsbahnen haben wir einen festen Anhalt gewonnen für die nothwendig anzunehmenden reflectorischen Wechsel- wirkungen, welche sich zwischen dem centralen Reizgebiete und den Gefässen der Randzone abspielen und in gesetzmässiger Folge zu ent- 9* 132 Jahres - Bericht zündlicher Fluxion, zu Erweiterung des Lumens, Randstellung der farb- losen Zellen, Auswanderung der letzteren und sodann zur Ueber- schwemmung einer immer breiteren Schicht von Cornealsubstanz mit diesen fremden Elementen führen. Bis dahin hatte die Entzündung als ein Vorgang gegolten, bei welchem vermöge eines das Gewebe treffenden Anstosses, eines Reizes, ein gewisser Bezirk von Zellen, die direet verletzten, in Wucherung gerathe und nun auf dem Wege der Theilung und Vermehrung aus sich heraus jene Producte erzeuge, welche als serös-zelliges Infiltrat oder als eitrige Absonderung schon so lange bekannt waren. Dem Gefässsystem fiel dabei nur eine untergeordnete, jedenfalls eine blos secundäre Rolle zu, lediglich in dem Sinne, dass es berufen sein sollte, jenes Plus von Ernährungsmaterial heranzuführen, ohne welches sich eine so rasche und so beträchtliche Neubildung junger Elemente offenbar nicht vollziehen konnte. Durch Cohnheim wurde nun aber gezeigt, dass der bei weitem grösste Theil, ja, wie er zeitweise glaubte, die Gesammtheit jener dem ursprünglichen Gewebe fremden Zellen aus den Blutgefässen herstamme, dass sie nichts weiter seien als weisse Blut- körperchen. — Es ist einleuchtend, dass diese fundamentale Thatsache allsogleich neue schwierigere Fragen hervorlocken musste, zu deren Lösung er selber sogleich den Weg zeigte; nicht minder einleuchtend, dass sie manche bis dahin herrschende Anschauung umstiess, um Cruveilhier’s prophetisches Wort: „La phl&ebite domine toute la pathologie‘“ in durchaus ungeahnter Weise zur Wahrheit zu machen. Indess mit dem Nachweis des wesentlich vasculären Charakters der entzündlichen Initial-Erscheinungen, so weittragend diese Errungenschaft sofort auch erschien und so umwälzend sie auf das Verständniss fast aller krankhaften Processe einwirkte, ist der Inhalt des Aufsatzes über Entzündung und Eiterung dennoch keineswegs erschöpft. Im Nu eröffneten . sich neue Ziele und Aufgaben: wie die über Wesen und Ursache des Austrittes der weissen Blutkörperchen, von Cohnheim im Sinne einer massgebenden Aenderung in dem molecularen Verhalten der Gefässwand beantwortet, wie die über die Betheiligung der fixen Gewebselemente bei der Erzeugung der entzündlichen Producte, wie die über die ferneren Schicksale der ausgewanderten farblosen Zellen, die so mannigfachen Mittel und Wege zu ihrer Um- und Rückbildung und viele andere. Zur Lösung der meisten dieser Probleme haben Cohnheim selbst oder seine Schüler wichtige neue Thatsachen beigebracht und so den neuen Bau einer vasculären Entzündungslehre zunächst in seinem Fundamehte unerschütterbar begründet, dann aber auch in seinen einzelnen Theilen immer mehr ausgestaltet und deren inneren Zusammenhang klargestellt. In Bezug auf andere jener Fragen hat er wenigstens durch die Schärfe seines Urtheils, durch kritische Abwehr dazu beigetragen, dass der Kern der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 133 seiner Entdeckung, die dominirende Rolle des Gefässsystems bei jeder wie immer gearteten Entzündung, gewahrt blieb und dass den Derivaten der Grundgewebe nur eine bedingte und untergeordnete Antheilnahme zuerkannt wurde. Und so kann denn heutzutage — Dank gemeinsamer, theils schöpferischer, theils kritischer Arbeit eines kurzen Jahrzehnts — die Grundlage der gesammten Pathologie, die Lehre von der Entzündung, als eine auf objective Befunde gestützte und in den wesentlichen Punkten allgemein anerkannte bezeichnet werden. Indess auch bei dieser epochemachenden Untersuchungsreihe beruhte ein Haupttheil des von ihr ausgeübten Reizes, eine kaum minder reiche Quelle der Anregung und neuen Förderung für alle nacheifernden Geister in der Neuheit und Eigenartigkeit der von Cohnheim gewählten Methode, Noch niemals zuvor hatte ja das lebende Gewebe, allerdings bereits mannigfach benutzt zum Studium einzelner „‚eurieuser‘‘ physiologischer Vorgänge, in gleich umfassender Weise, gleich stetig und gleich ziel- bewusst dem realeren Zwecke dienen müssen, krankhafte Erscheinungen in ihrem Werdegange zu verfolgen, die verschiedenen, anscheinend weit auseinander liegenden Aeusserungen eines und des nämlichen Processes in ihren inneren Wechselbeziehungen zu erläutern. War es in diesem Sinne wirklich ein blosser Zufall oder ein, ich möchte sagen, symbolisches Zusammentreffen, dass die wichtigste patho- logisch- anatomische Entdeckung, welche sich an Cohnheim’s Namen knüpft, die des Vorkommens einer Tubereulose der Aderhaut, just in das gleiche Jahr fällt, wie die Arbeit ‚Ueber Entzündung und Eiterung‘‘? Denn unstreitig bot der dort gelieferte Nachweis der relativ srossen Häufigkeit einer Entwickelung von Tuberkeln in der Chorioidea keineswegs etwa blos insofern Interesse, als für ein neues wichtiges Organ die stete Gefahr einer Einschleppung des im Körper kreisenden Tuberkelgiftes dargethan wurde. Ungleich grösser musste sich ihre Tragweite gestalten, sobald man sich der Leichtigkeit bewusst wurde, die zarten Knötchen bereits intra vitam zu erkennen und so in erneuter Bekräftigung des alten Wortes „Ex oculo signa“ die Diagnose einer zweifelhaften Allgemeinkrankheit zu sichern durch eine kurze Prüfung des Patienten mittelst des Augenspiegels. Einmal so glänzend erprobt, wurde nunmehr die Methode directer Beobachtung des lebenden Gefässapparates zum Studium einer ganzen Reihe von Störungen von ihm benutzt, welche er durch die ver- schiedensten, mannigfach variirten und aufs feinste abgewogenen Ein- griffe, mechanische, thermische, chemische Einflüsse vielerlei Art hervor- serufen hatte. So entstand der Aufsatz „Ueber venöse Stauung‘“, durch welchen die überraschende Thatsache dargetban wurde, dass die der Verengung oder Verschliessung einer Vene folgende passive Dila- tation des Stammes und aller seiner Wurzeln nicht nur eine Aus- 134 Jahres - Bericht schwitzung von Serum, sondern daneben auch ein massenhaftes Hinaus- schlüpfen geformter Blutbestandtheile, der rothen Körperchen aus der morphologisch unversehrt bleibenden Gefässwand nach sich ziehe. In unerbittlicher Folgerichtigkeit musste dies überraschende Ergebniss zum Umsturz der ganzen bis dahin gültigen Anschauungen über Natur und Ursache der „Blutungen“ überhaupt führen und der Anstoss werden, um die zwar altbewährte, inzwischen jedoch längst als haltlos ver- worfene ‚„Haemorrhagia per diapedesin‘ als die häufigste und wichtigste unter sämmtlichen Blutungen in ihr gutes Recht wiederum einzusetzen. So entstand ferner jene Reihe von Arbeiten „Ueber den embolischen Process“, die, fussend auf dem festen Boden der berühmten Unter- suchungen seines Lehrers Virchow, in das Wesen der dem Gefäss- verschluss folgenden Erscheinungen durch direeteste Anschauung des gestörten Kreislaufes einzudringen strebte. Zunächst war er bemüht, die so auffälligen und auf den ersten Blick paradoxen Differenzen in der Wirkungsweise gleich grosser Pfröpfe auf verschiedene Organe abzuleiten aus Eigenthümlichkeiten der Gefäss- Vertheilung und -Anordnung, aus 4 dem Mangel oder dem Ueberfluss an Anastomosen, kurz aus dem „End- arterien-Charakter‘‘ des verlegten Gefässes oder aber seinem fort- gesetzten Reichthum an Seitenverbindungen. Ganz neu war sodann die von ihm für das Zustandekommen des hämorrhagischen Infaretes bei- gebrachte Erklärung, welcher sich innerhalb des embolisirten Bezirks stets anschliesst, sobald die Verstopfung jenseits der letzten oder wenigstens“ ‚der letzten halbwegs genügenden Anostomose erfolgt ist. Im Gegensatze zu der bis dahin geltenden Ansicht, dass jener Erguss von Blut aus den übermässig gespannten Collateral- Arterien herstamme, nahm er eines- theils und hauptsächlich einen rückläufigen Venenstrom dafür in An- spruch, andererseits für den Fall einer Wiedereröffnung der Passage eine die Durchlässigkeit steigernde Alteration der Gefäss- . wandung. Das letztere Moment, welches er einmal bei der entzündlichen Auswanderung, sodann durch Embolie hervorgerufenen Anschoppung, endlich bei der venösen Stauung sich mehr und mehr gewöhnt hatte, als den eigentlichen Mittel- und Kernpunkt der Ausschwitzung der jeweiligen abnormen Producte zu betrachten, sah er nicht minder als massgebenden Factor an bei dem eigenthümlichen Oedeme, welches sich unter dem Einflusse der hydrämischen Plethora in bestimmten Organen ausbildet, Im Hinblick auf die merkwürdige Thatsache, dass die gesteigerte Füllung des gesammten Gefässsystems keineswegs überall, vielmehr stets nur an gewissen Eingeweiden der Bauchhöhle zur Transsudation eines Theiles des überschüssigen Serums, zu einer mehr oder weniger stürmischen ödematösen Durchtränkung jener Gewebe Anlass giebt, sah er sich senöthigt, ein wesentlich differentes Verhalten der verschiedenen Gefäss- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 135 Provinzen des Körpers, eine ungleiche Durchlässigkeit anzunehmen, - Ebenso wie er den Grund der letzteren in einer molecularen Wand- veränderung erblickte, suchte er auch die bei der einfachen Hydrämie auftretenden Hydropsieen, welche sich ja erst in vorgerückten Stadien der fehlerhaften Blutmischung geltend zu machen pflegen, von einer Alteration der Wandungen der in den betroffenen Regionen verlaufenden ' Gefässe abzuleiten, einer Alteration, die als das zuletzt unausbleiblich gewordene Ergebniss eben jener anomalen Blutbeschaffenheit aufzu- fassen sei. | Einem ganz anderen Gebiete als die ‘eben geschilderten Arbeiten über die verschiedensten Kreislaufstörungen, von denen er die grund- lesenden allein, andere im Verein mit bewährten Mitarbeitern oder mit Hilfe begabter Schüler durchgeführt hatte, gehören die beiden Unter- suchungen an, mit denen er in der letzten Zeit seines Breslauer Auf- enthaltes beschäftigt war: Ueber Tuberceulose und über Geschwulst- entwickelung. Ersterer hatte er bereits in Berlin — fast 10 Jahre früher — eingehende Aufmerksamkeit zugewendet, auch das Ergebniss ‚seiner Ver- suche damals veröffentlicht, so wenig abschliessend, ja sogar überzeugend sie ihm selber dünken mochten. Allein es ist bezeichnend für die selbst- verleugnende Wahrhaftigkeit dieses kritischen Geistes, dass er, frei von jeder Befangenheit, bemüht blieb, jene schwer begreiflichen Befunde fort und fort zu prüfen im Lichte der neuen unterdess gewonnenen That- sachen, und dass er keinen Augenblick anstand, sich zu einem in schärfstem Gegensatz zu dem ursprünglichen stehenden Resultate zu bekennen, sobald sich dasselbe auf dem Wege tadelloser Methoden als unanfechtbar herausgestellt hatte. Die Versuchsreihe, mit welcher er zugleich von hier Abschied nahm und in seinem neuen Wirkungskreise zu Leipzig sich einführte durch einen Aufsehen erregenden Vortrag: „Ueber die Tuberceulose vom Standpunkte der Infections- lehre“, ist ebenso wie so manche frühere vor Allem durch den ein- geschlagenen Weg ausgezeichnet. Auch hier sollte er der Wahl des reinsten und durchsichtigsten Operationsfeldes die Raschheit und den Glanz seines Erfolges verdanken. Indem er statt der Bauchhöhle oder einer anderen uncontrolirbaren Oertlichkeit die vordere Kammer des Auges zur Eingangspforte für das zu überimpfende Tuberkelgift machte, schuf er von vornherein die denkbar günstigsten Bedingungen für die primäre, wie die generelle Localisation der Krankheit. Und in der That, bereits innerhalb weniger Wochen war nicht nur die Iris Sitz einer dichten Eruption typischer Knötehen geworden, sondern hieran reihte sich alsbald die Verallgemeinerung der Infeetion. Während in den verschiedensten Organen eine Unzahl miliarer Tuberkel zum Ausbruch kam, gingen die Thiere unter schweren fieberhaften Symptomen an den 136 Jahres - Bericht Folgen der Einbringung jenes winzigen Stückchens tubereulöser Sub- stanz zu Grunde. Hiermit war denn auch seine gewichtige Stimme der Villemin’schen Lehre von der specifischen Ansteekungsfähigkeit, der contagiösen Natur der Tuberculose gewonnen. Zugleich aber hatte er uns den Weg und die Verbreitung des ganzen Vorganges wiederum so mustergiltig direet vor Augen geführt, dass sich die geringfügige Ursache einerseits, die verderblichen Consequenzen andererseits nicht mehr, wie bis dahin, durch eine weite Kluft geschieden darstellten, sondern ver- knüpft durch eine in allen Einzelgliedern zu überschauende Kette vermittelnder Störungen und mit innerer Nothwendigkeit sich aneinander reihend. Wenngleich schon kurz danach das Tuberkelgift in den Händen Robert Koch’s leibhaftigste Gestalt gewann, der es in einer kaum geahnten Reinheit und Selbstständigkeit zu demonstriren, in seinen biologischen Eigenschaften zu erläutern vermochte, so bleibt es darum nicht minder ein Verdienst von Cohnheim, mit der ganzen ihm eigenen Schärfe und Klarheit die zwingenden Gründe entwickelt zu haben für die parasitäre Natur des in seiner verheerenden Wirkung soeben grell erprobten Krankheitsstoffes. Fast noch mehr Aufsehen erregten die von den bisherigen stark ab- weichenden Anschauungen über die Genese der bösartigen Ge- wächse, zu welchen er sich, gestützt auf eine Reihe von Implantations- Versuchen, gedrängt sah. Die wohlbeglaubigte Erfahrung, dass manche Neoplasmen, wie z. B. gewisse Nierensarkome, auf die Persistenz und das nachträgliche Wachs- thum embryonaler Reste zurückzuführen sind, im Verein mit der experi- mentell gewonnenen Thatsache, dass fötalen Geweben- und Organtheilen eine grossartige Wucherungsfähigkeit innewohnt und dass sie kraft der- selben der Kern werden können für eine gewaltige gewächsartige Neu- bildung, veranlasste ihn, auch für die bunte Reihe der sonstigen Tumoren insgesammt die Abstammung von embryonalen Keimen als das Be- stimmende anzunehmen: „Die Hauptsache ist und bleibt, dass es ein Fehler, eine Unregelmässigkeit der embryonalen Anlage ist, in der die eigentliche Ursache der späteren Geschwulst gesucht werden muss.“ Allerdings war und blieb ja diese Lehre, in solcher Allgemeinheit wenigstens, eine Hypothese, so lange es nicht gelungen war, in gesunden Geweben jene rückständigen, gleichsam vergessenen Zellgruppen nachzu- weisen, von welchen unter günstigen Umständen eine schrankenlose Zell- wucherung ausgehen sollte. Auch die Erfahrungen der Chirurgie waren nur schwer damit in Einklang zu bringen: denn häufig genug liess sich die Thatsache nun einmal nicht wegleugnen, dass ein äusserer Zwischen- fall, eine Verletzung, fortgesetzte, sei es mechanische, sei es chemische Reize und dergleichen, das Uebel erzeugt, oder dass ein Jahre hindurch h 5 7 j en Tr 22 Pa Ä . & 2 d. = der Schles. Gesellschaft für vaterl, Oultur. 137 harmlos gebliebenes Wärzchen, ein lange Zeit indifferentes Ulcus plötz- lich, in Folge eines bestimmten Insultes, einen bösartigen Charakter , angenommen hatte. Immerhin ist die Anregung zu eifrigerem Sammeln, kritischerem Sichten aller einschlägigen Fälle, welche die Wissenschaft _ Cohnheim’s geistvoller Ausgestaltung und beredter Vertheidigung jener in beschränkterem Umfange bereits von Virchow aufgestellten Theorie zu verdanken hat, schon jetzt mannigfach fruchtbar und förderlich geworden. Der ganze Schatz dieser reichen Erkenntniss, rastloser Forscher- und Gedankenarbeit ist in seinen „Vorlesungen“ zu glänzender Münze ausgeprägt. Hier offenbart der gefeierte Lehrer angesichts eines gespannt ‚ lauschenden Hörerkreises den gewaltigen Schwung seiner Gedanken, den ‚ unerschöpflichen Scharfsinn seiner Beweisführung, getragen von der An- muth und dem Feuer seiner Redegabe. Allein nicht der Lernende blos fühlt sich immer von Neuen hingerissen von einer Darstellung, welche in einem bis dahin unerreichten Grade durchdrungen ist von dem Geiste der modernen Physiologie, welche sich die hohe Aufgabe gestellt und auf vielen, jüngst noch für fast unzugänglich gehaltenen Gebieten rüstig zu lösen begonnen hat, alle Erscheinungen am kranken Menschen aufzu- hellen durch die Leuchte des physiologischen Experimentes, sie an und für sich selbst wie in ihrer causalen Wechselwirkung begreifen zu lernen an der Hand der einfacheren Vorgänge am gesunden Lebenden, in künstliche Krankheit versetzter Thierkörper. — — Aber nicht in die Werkstätte seines Geistes allein, geehrte Ver- sammlung, lässt uns Cohnheim durch jenes bleibende Denkmal seines Schaffens einen Blick thun. Auch die hervorragenden Eigenschaften des Menschen treten uns so sprechend daraus entgegen, dass Jeder, auch der mit seiner Persönlichkeit Unbekannte, es nicht ohne ein Gefühl wahrhafter Vertrautheit mit dem Autor aus der Hand gelegt haben wird. All jenen Mitarbeitern und Jüngern vollends, zu denen ihn sein Beruf, die Lust an gemeinsamem Wirken im Dienste der Wissenschaft je irgendwie in Beziehung gebracht hatte, ist er ein anfeuerndes Vor- bild, mehr noch ein allezeit wohlwollender Berather und hilfsbereiter Freund gewesen. Ihr Thun auf jede Weise zu fördern und in die ebenste Bahn zu lenken, neidlos theilzunehmen an jedem ihrer Erfolge, an allen Fortschritten ihres wenn auch räumlich noch so ferngerückten Lebenslaufes: das war die aus dem Herzen kommende Art eines Mannes, dessen tiefes und warmes Gemüth stets unverkennbar hervorleuchtete zwischen all dem heiteren Scherz, dem sprühenden Witze, womit er die guten Stunden zu würzen, über die schlimmen sich und andere gleichwie spielend emporzuheben verstand. Und wer von denen, die ihm und seinem Hause näher treten durften, hätte diesen Grundzug ERRTER i 138 Jahres-Bericht seines Wesens nicht in schönster Vollendung wiedergefunden in dem ächten Seelenbunde, der ihn und eine edle, von der Natur nicht minder reich begabte Gattin umschloss, in der Innigkeit, mit welcher er der Leiterin seiner Jugend, einer verehrten Mutter, anhing und in dem liebe- vollen Verständniss, das er seinen Kindern entgegenbrachte! Ein Stück dieser reichen Persönlichkeit ist auch unser gewesen und mancher auch in diesem Kreise hat seiner Sitten Freundlichkeit erfahren. Erheben Sie sich darum, meine Herren, zu Ehren von Julius Cohnheim. Lassen Sie uns immerdar hochhalten hier und überall das Andenken an einen der grössten Pathologen. Sitzung vom 7. November 1884. Herr Berger hält einen Vortrag Ueber die ätiologischen Beziehungen zwischen Syphilis und Tabes. Der Ausspruch von Leyden, dass „die Syphilis als Aetiologie der Tabes zurückgewiesen werden muss“, ist ebenso unberechtigt, als wenn von anderer Seite behauptet worden wäre, es sei bereits der ent- scheidende Beweis für die ätiologische Beziehung zwischen Syphilis und Tabes erbracht. Die Wichtigkeit des Gegenstandes aber erfordert dessen fortgesetzte Erforschung. Vortr. berichtet zunächst über zwei eigene Beobachtungen aus der jüngsten Zeit. Die eine betrifft einen 41 jährigen Kaufmann mit atactischer Tabes (Hahnentritt, Haut- und Muskelsinns- störungen an den unteren Extremitäten, schweren Blasenstörungen, Augen- muskellähmung etc.), deren erste Symptome vor eirca 4—5 Jahren auf- traten. Im Jahre 1865 Infeetion, hartes Geschwür, mehrfache Quecksilber- euren, erst im Jahre 1870 schwere syphilitische Erscheinungen: 2 Gum- mata im Gesicht, die grosse Narben zurückgelassen haben, ulcerative . Processe in der Nasenhöhle, die erst nach eirca 2'/, jähriger Behandlung (Quecksilber, Zittmann’sche Curen) zur Heilung kamen, seit Kurzem aber wieder recidivirt sind. Erkältungen und Ueberanstrengungen sind auszuschliessen, vielleicht bestanden Excesse in Venere, doch viele Jahre vor den ersten tabischen Symptomen. Hier liegt ein Fall vor, wo seit eirca 10 Jahren eine continuirliche Kette schwerer syphili- tischer Erscheinungen bei einem sonst gesunden Manne besteht und im Verlauf derselben ohne nachweisbare anderweitige Ursache eine Tabes zur Entwickelung gelangt. Viel wichtiger ist die zweite Be- obachtung. Ein 74jähriger Schmiedegeselle (Schaar) kam am 26. März d.J. auf die Krankenabtheilung. Es wurden Tabes diagnostieirt (hoch- gradigste Ataxie locomotrice, so dass der Gang fast unmöglich ist, Gelenksanästhesie an den Zehen, Tastsinnsstörungen, Romberg’sches Symptom, Parästhesien an den Beinen, besonders sehr heftiger Prurigo), der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 139 allerdings in Rücksicht auf das hohe Alter mit einer gewissen Reserve. Beginn der Symptome erst vor zwei Jahren! Im Jahre 1830 zum ersten Male Syphilis (,Selerose, exanthema maculoso-papulos., rüstiger Mann, vor 10 Wochen infieirt, Inunetionseur, Roseola schnell ver- schwunden. Im rechten Auge iritische Reizung, durch Atropin ge- schwunden.“ Breslauer Hautklinik). Neben den tabischen Symptomen Symptomen doppelseitige Orchitis und eine Narbe am Suleus retrogland. Tod am 3. Mai. Obduction: Lungen- und Darm-Tuberceulose. Orchitis interstit. duplex. Strangförmige Degeneration der Hinter- stränge in einem relativ frühen Stadium (zahlreiche Körnchenzellen in den Hintersträngen, besonders den Gefässen entlang, nur spärliche corp. amylac., typische Localisation innerhalb des Hinterstranggebietes (Strümpell), degenerative Atrophie im Ischiadieus und Saphenus major.) Der Fall ist kein entscheidender Beweis für die Beziehung von Syphilis und Tabes. Aber wohl die meisten Aerzte werden ihn als eine dringende Mahnung betrachten, die Syphilis nicht aus der Aetiologie der Tabes mit Entschiedenheit zurückzuweisen. Hat man schon eine strang- förmige Degeneration der Hinterstränge beobachtet, die erst im 72. Lebensjahre ihren Anfang genommen hat? Die Zusammenstellung von 100 neuen Fällen typischer Tabes ergab in 43 pCt. Syphilis, wobei nur solche Berücksichtigung fanden, wie auch bei der ersten statistischen Zusammenstellung B.s, in denen die secundäre Syphilis durch völlig ausreichende Angaben gesichert war. Die durchschnittliche Zeitdauer zwischen der Infection und der Entwickelung der Tabes betrug 8,4 Jahre. Hinsichtlich der Symptome wäre vielleicht das Ueberwiegen der Augenmuskellähmungen bei Tabischen mit syphilitischen Antecedentien bemerkenswerth., Bei früher syphilitischen Männern (34) in 32 pÜt., bei fehlender Syphilis (41 Männer) in 17 pCt., bei Weibern stehen sich 25 und 13 pCt. gegenüber. Der Vortragende wendet sich überhaupt gegen das Postulat, dass die mit Syphilis zusammenhängende Tabes einen besonderen Symptomencomplex zeigen müsse. Es handelt sich ja ebenso um eine strangförmige Degeneration der Hinterstränge, wie bei der von Syphilis unabhängigen Form, dem kann nur ein identischer Symptomencomplex entsprechen. Sowie die amyloide De- generation der Leber dieselben Symptome bedingt, ob sie nun auf Grund der Syphilis oder der Phthise u. a. m. zu Stande gekommen ist, keinerlei anatomische Differenzen darbietet, ob Syphilis oder eine andere Ursache vorhanden ist, durch ein antisyphilitisches Verfahren nicht geheilt wird, auch wenn zweifellos Syphilis die Aetiologie abgiebt, — so kann es D) In einer früheren Sectionssitzung von den Herren Professoren Ponfick und Metzdorf agnostieirt. 140 Jahres-Bericht sich auch bei der Tabes verhalten. Von den 100 Fällen wurde 14 Mal die Diagnose durch die Section bestätigt, in fünf Fällen davon handelte es sich um Tabes mit vorausgegangener Syphilis, darunter zwei Weiber. Zeichen der Syphilis fanden sich ausser bei dem früher erwähnten Schaar (interstitielle Orchitis duplex) noch bei einer Frau (Caries sicca Ossis pariet. dextr.). Der Vortragende sucht schliesslich die Bedenken, die vom pathologisch-anatomischen Standpunkte vielfach erhoben sind, zu widerlegen. Eine Erklärung der syphilitischen Tabes bietet dieselbe Schwierigkeit, als die durch Tucezek nachgewiesene Ergotin-Tabes. Vom theoretischen Standpunkt lässt sich die Unmöglichkeit einer „Systemerkrankung‘ des Rückenmarks durch die Syphilis nicht behaupten. Nach weiteren Bemerkungen über den Mangel specifisch-histo- logischer Charaktere der syphilitischen Processe überhaupt — auch in den 5 Fällen von Tabes mit vorausgegangener Lues war ein anato- mischer Unterschied nicht vorhanden — erklärt sich der Vortragende noch heute, wie im Jahre 1879, für die Wahrscheinlichkeit eines ätiologischen Zusammenhanges zwischen Syphilis und Tabes. 43 pCt. secundäre Syphilis bei nicht Tabischen kommt bei uns zu Lande absolut nicht vor. Andere bekannte Ursachen der Tabes bestehen deshalb nach wie vor zu Recht (43 pCt. früher Syphilitischer stehen ja 57 pCt. nicht Syphilitischen gegenüber). Erb geht zu weit, die Tabes geradezu für eine Manifestation der Syphilis zu erklären (abgesehen von seinem Standpunkt als Unitarier). Wie Berger das ätiologische Ver- hältniss zwischen Syphilis und Tabes formuliren zu können glaubt, soll anderweitig publieirt werden. Einer antisyphilitischen Behandlung, besonders im Beginn der Tabes, wo es sich meistens um kräftige Individuen handelt, ist das Wort zu reden. Aus der Erfolglosigkeit der Therapie den Schluss gegen einen ätiologischen Zusammenhang ziehen zu wollen, ist aus vielen Gründen nicht zulässig. (Anmerkung: Die statistische Zusammenstellung verdanke ich meinem Assistenten, Herrn Dr. Ed. Krauss.) Hierauf spricht Herr H. Cohn Veber kleine Erleichterungen bei der Brillen-Vorprobe. Der Vortr. entwickelt zunächst die Vortheile des Dioptrie- Systems gegenüber der alten Zollrechnung. Indessen lasse sich doch nicht läugnen, dass die bei den Leseproben gefundenen Entfernungen, die man ja in Cent. abliest, immer erst in 100 dividirt werden müssen, damit man die entsprechenden Brillengläser finden kann. Es ist nicht leicht, wenn man den Nahepunkt oder Fernpunkt einer Schrift bei Jemand in 65, 36, 28, 17, 13 Cent, gefunden, diese Zahlen der Schles. Gesellschaft für vater!. Cultur. 141 schnell im Kopfe in Dioptrieen umzuwandeln. Das macht sich Jedem fühlbar, der täglich viele Leseproben, die an sich schon sehr lang- weilig und zeitraubend sind, vornehmen muss. Der Vortr. hat diesen Uebelstand beseitigt, indem er auf seinem, mit Cent. versehenen Lineal bei 80, 66,6, 57,1 50, 44,4 40, 36,4, 33,3, 30,7, 28,6, 26,6, 25, 22,2, 20, 18,2, 16,6, 14,3, 12,5, 11,1 10, 9,1, 8,3, 7,7, 7,1, 6,7, 6,2, 5,5 und 5 die entsprechenden Theilstriche mit Ziffern am unteren Rande der Vorderfläche des Maassstabes markiren, sie bis zum oberen Rand verlängern und hier D = 1,25, 1,5, 1,75 ete, bis D = 20 entsprechend einschreiben liess. Er kann also ohne jede schrift- liche oder Kopfrechnung und ohne erst in eine Hülfstabelle blicken zu müssen, bereits die Vorprobe in Dioptrieen machen und die D-Brille sofort ablesen. Der Vortragende belegt durch mannigfache Beipiele dies grosse Vereinfachung der Rechnung bei dieser Untersuchungsweise gegenüber der alten Methode, Hier nur ein Beispiel. Wenn nach der Zollrechnung 1 ein Myop von 377, eine Brille für 10 Zoll Distanz erhalten sollte, so 4 musste man rechnen: 1 a a BE! an bir a er eg 97 ee. 33, 0,10 as To 15 15—40 25 1 —— = — =-0 150 150 6 1 5 Darauf verordnete man — TE Heut finden wir den Fernpunkt des Be- treffenden in 9,5 Cent.; dicht darüber steht schon auf dem Dioptrie- Lineal 10 D. Wir wünschen den Fernpunkt nach 25 Cent. — 4 D zu verlegen; die Rechnung lautet einfach 10 —4= 6, — 6 wird verordnet. Ganz ähnlich ist es bei der Brillenbestimmung für Presbyopen und Hyperopen. (Beispiele sind von dem Vortr. angegeben in seinem Aufsatz: „Das Dioptrie-Lineal zur Brillen-Vorprobe‘‘ in der Deutsch. med. Wochenschrift 1884 No. 44.) Vortr. legt das Dioptrie-Lineal') vor; das vordere Ende ist zugespitzt, damit man leichter auf einzelne Buchstaben zeigen kann, das Lineal ist leicht zusammenklappbar. Es ist bei Opticus Heidrich in Breslau (Schweidnitzer Strasse 27) für 3 Mark zu beziehen, D) Am 9. Nov. 1884 sandte Prof. Snellen dem Vortragenden ein Bandmaas, das auf einer Seite Cent., auf der Rückseite aber die Dioptrieenzahl zeigt und welches Snellen schon seit Jahren von Roulot in Paris für 6 Fres. arbeiten lässt. Dasselbe war dem Vortr. bisher nicht bekannt; letzterer zieht aber das Lineal dem Bandmaasse vor, da es die Dioptrieen zugleich mit den Cent. vor Augen führt und zum Zeigen der Buchstaben sich besser eignet. 142 Jahres-Bericht Alsdann demonstrirt der Vortr. seine Gläser-Serien, d. h. Holz- leisten mit je 24 Concav- und Convexgläsern von 2,5 Cent. Durch- messer, die sich vortreffllich zu schneller Refractionsbestimmung eignen. Eine Serie ist für 7 Mark bei ÖOpticus Heidrich zu beziehen. Drittens legt derselbe ein Brillen-Probirgestell mit Klappen vor. Die Anweisungen für das Schliessen eines Auges bei der Leseprobe kosten stets Zeit und werden meist schlecht befolgt, entweder drücken die Kranken das Auge oder schliessen es nicht vollkommen. Verbände sind zeitraubend und bei den Frisuren und Hüten der Damen schwer. In dem Probegestell liess er im Charniere jedes Bügels einen Winkelhaken anbringen, der ein quadratisches, doppelt übereinander genähtes Stück dicksten schwarzen Seidenstoffes von 10 Cent. Länge und Breite, trägt. Dies deckt das Auge total, ohne zu drücken und ohne es zum Schluss zu zwingen; das Gestell ist auch beim Perimetriren brauchbar; es kostet bei Heidrich 6 Mark. Endlich bedient sich der Vortr. einer fertigen Brille 4 6 mit Klappen zur Vorprobe, wodurch Zeit gespart wird. Heidrich liefert sie für 3 Mark. Leseproben sind trotz bester Optometer und trotz sorgsamster Re- fraetionsbestimmung mit dem Augenspiegel stets unentbehrlich; jede Erleichterung derselben dürfte daher willkommen sein. Sitzung vom 28. November 1884. Herr Dreser spricht Ueber Histologisches zur Nierenphysiologie. Der Vortrag ist in der Zeitschrift für Biologie ausführlich erschienen. Hierauf hält Herr E. Fränkel einen Vortrag Ueber Cocain als Mittel zur Localanästhesie der Schleimhäute. Obwohl Coca und seine Präparate, speciell sein 1859 von Niemann gefundenes wirksames Alcaloid, Cocain, und dessen Salze, das salz- und essigsaure Cocain, in ihren physiologischen und therapeutischen Eigen- schaften experimentell (v. Anrep) und klinisch schon seit längerer Zeit bekannt sind, und obwohl bereits 1862 Schroff zeigte, dass Cocain bei örtlicher Application die Zungenschleimhaut anästhetisch macht, blieb es doch der neuesten Zeit vorbehalten, diese local anästhe- sirende Wirkung des Mittels auch für weitere Gebiete der Heilkunde “nutzbar zu machen. Es ist das Verdienst Koller’s (Verhandlungen der Versammlung deutscher Augenärzte in Heidelberg am 15. und 16. September d. J. und Wiener medic. Wochenschrift Nr. 43 u. 44, 1884), dass er, gestützt auf Thierversuche und klinische Beobachtung, zuerst die Verwendung des Cocain zur Anästhesirung am Auge empfohlen und durchgeführt hat. Er erzielte mit 2- und 5procentigen wässerigen Lösungen von Cocain. nn ng mn en m nn ne rn m nn er m sr un m mn m. m. eh nn Tun en. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 143 muriatie. eine vollständige, 7—10 Minuten dauernde Anästhesie der Con- junetiva und Cornea, letzterer in ihrer ganzen Substanz, und verwerthete demnach das Cocain praktisch 1) als Narcoticum bei schmerzhaften Augen- erkrankungen, 2) als Anästheticum bei verschiedenen Augenoperationen. Einen weiteren Fortschritt bezeichnet die Anwendung des Cocain als Anästheticum und Analgeticum für die Schleimhaut des Pharynx und Larynx durch Jelinek (Wien. medic. Wochenschrift Nr. 45 u. 46, 1884), Durch 2—3, in Pausen von 1'/, bis 2 Minuten wiederholte Einpinselungen einer allerdings stärkeren, 10— 20 procentigen, alkoholischen Cocain- lösung war derselbe im Stande, diese Organe ohne jede üble Nach- wirkung rasch, binnen 2 Minuten bis '/, Stunde, je nach dem Grade der Reflexerregbarkeit, zu anästhesiren, wenn auch nicht immer absolut und anhaltend, aber doch genug, um einen endolaryngealen Eingriff mit Ruhe und Sicherheit auszuführen. Die bei der laryngo- und rhino- skopischen Untersuchung und besonders bei endolaryngealen Operationen in hohem Grade störenden Reflexbewegungen des Rachens und Kehl- kopfs, die bis jetzt wochenlange Einübung der Kranken erforderten und die Laryngologen immer neue, zum Theil recht umständliche und nicht ungefährliche, jedenfalls aber zu langsam wirkende Methoden zur Local- anästhesie dieser Organe erfinden liessen, wurden durch diese Wirkung des Cocain ausgeschaltet, sogar der reflectorische Schluss der Stimm- bänder, der selbst in der Chloroformnarkose persistirt, blieb bei Cocain- localanästhesie aus. Ausserdem fand Jelinek, dass bei sehr schmerz- haften Kehlkopf- und Rachenaffectionen, z. B. der meist auf tubereulöser Basis beruhenden Perichondritis der Epiglottis und Affeetionen der hinteren Larynxwand, die mit den‘ heftigsten Schlingbeschwerden ver- bunden sind und die Kranken qualvoll, langsam verhungern lassen, ferner bei hochgradiger Angina tonsillaris phlegmonosa, Pharyngitis acuta und verschiedenen ulcerativen Processen im Rachen eine mehr- malige Bepinselung mit 20precentiger, in diesem Fall (um jeden Reiz zu vermeiden) wässeriger Cocainlösung genügt, um nach 1—2 Minuten stunden-, ja oft tagelange Remission der Schmerzen zu erzielen und das Schlingen wieder zu ermöglichen. Endlich will Jelinek eine auf der local anämisirenden Eigenschaft des Cocain beruhende Abschwellung geschwellter Schleimhautpartien und Secretionsverminderung bemerkt haben. Es lag sehr nahe, diese Erfahrungen auch für gynäkologische Zwecke nutzbar zu machen, und schon vor der Publication der Jelinek’schen Arbeit hatte ich mit diesbezüglichen Versuchen begonnen. Es war mir von Anfang an klar, dass die örtlich anästhesirende Wirkung des Cocain sich nur für diejenigen Affeetionen verwerthen lassen werde, die sich ganz auf der Oberfläche der Schleimhaut des Genitalcanals abspielen und deren ceurative Beseitigung in verhältniss- 144 Jahres-Bericht mässig kurzer und die rasch vorübergehende Cocainwirkung nicht über- dauernder Zeit zu erzielen ist; eine Dammplastik z. B. oder eine Fistel- operation könnte durch dieses Mittel wohl kaum schmerzlos gemacht werden. Indessen giebt es gerade in der Gynäkologie Fälle genug, wo es nur darauf ankommt, einen einzigen Scheerenschlag oder Messer- schnitt, eine rasch auszuführende Aetzung mit dem Lapisstift oder dem Ferrum caudens weniger empfindlich zu gestalten, wo aber die Scheu der Kranken vor einem jeden, selbst rasch vorübergehenden Schmerz uns bisher bei der Unvollkommenheit aller bekannten Mittel zur Local- anästhesie zwang, zu chloroformiren. Abgesehen von den damit ver- bundenen, den minimalen Eingriff oft bei Weitem übersteigenden Unzu- kömmlichkeiten entsteht dadurch immer der Anschein einer „Operation“, ein Wort, das allein schon manche furchtsame Frau zurückschreckt. Es schien mir daher nicht unnütz, zu erproben, ob (woran ja a priori kaum zu zweifeln war) das Cocain, welches die sensiblen Nervenendigungen der Schleimhaut der Zunge, des Rachens, des Kehl- kopfes, des Auges, sowie der Cornea lähmt, sich zu denen der Vulva, Vagina und des Uterus in gleicher Weise verhalten werde und ob ferner die Herabsetzung der Reflexerregbarkeit, wie sie Jelinek im Pharynx und Larynx erzielte, auch für die Mucosa des weiblichen Genitale zu erreichen sei. Ich bediente mich zuerst, wie Koller am Auge, 2- bis 5procentiger wässeriger Lösungen von Merk’schem Cocain. muriaf,, jedoch ohne besonderen Erfolg. Durch energisches und wiederholtes Einpinseln derselben auf die Schleimhaut der Vulva, Vagina und Vaginal- portion, sowie durch 5—10—15 Minuten langes Einlegen von mit 5pro- centiger Lösung getränkten Wattebäuschchen in das Vestibulum vaginae konnte ich niemals vollkommen Anästhesie, höchstens eine unbedeutende Herabsetzung der Schmerzempfindlichkeit erzielen, offenbar weil die Resorptionsfähigkeit der Vulvar- und Scheidenmucosa derjenigen des Auges und auch des Kehlkopfs und Rachens wegen ihres geschichteten Pflasterepithelüberzuges wesentlich nachsteht. Es folgte daraus die Noth- wendigkeit, für meine Zwecke zu eoncentrirteren Cocainlösungen überzu- gehn und ich benutzte nunmehr wie Jelinek (l. c.) zuerst 10 procentige, bald ausschliesslich 20 procentige alkoholische Lösungen. (Coeain. mur. 1,0, Ag. dest. 3,0, Spir. vin. rectif. 2,0. Ohne Säurezusatz und nicht zu filtriren!) Bei längerer Aufbewahrung werden dieselben durch Ver- dunstung eines Theils des Alkohols und Ausfallen von Cocain etwas trübe und auch unwirksamer; Hinzufügen einiger Tropfen Alkohol genügt zur Herstellung des früheren Verhaltens. Schädliche locale oder allgemeine Reizsymptome veranlassen auch diese stärkeren Concentrationen nie, ‘ höchstens ein leichtes, vorübergehendes Brennen in der Vulva. Die Art der Anwendung war so, dass ich die Lösung in Zwischen- räumen von 11,—2 Minuten nachdrücklich auf die vorher sorgfältig der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur., 145 gereinigte und getrocknete Schleimhaut aufpinselte und dies je nach der individuellen Erregbarkeit 3 bis 4 Mal wiederholte. Für das Cavum uteri benutzte ich, nach Ausspülung desselben mit lauem Wasser durch den Uteruskatheter und Austrocknung vermittelst watteumwickelter Plaifayr’scher Sonden, eben solche, mit Cocainlösung getränkt, zur Auspinselung; in einem noch zu erwähnenden Falle liess ich eine damit imbibirte Wicke 15 Minuten in der Uterushöhle liegen, Die Prüfung der Schmerzempfindlichkeit nahm ich an möglichst erregbaren Individuen vor, deren Reaction gegen Schmerzeindrücke ich stets vorher durch oberflächliche und tiefere Einstiche, durch Aetzungen kleiner Schleimhautabschnitte mit einem fein zugespitzten Lapisstift und durch ein sehr spitzes, rothglühendes Eisen feststellte, und zwar vor- wiegend in der recht empfindlichen Umgebung des Orif. urethrae extern,, dem untersten Abschnitte der Harnröhre selbst, der vorderen Commissur zwischen Harnröhre und Clitoris, sowie der hinteren Commissur nahe dem Hautdamm, Die Wirkung war in allen so vorgeprüften und dann cocainisirten Fällen eine augenscheinliche, wenn auch nicht immer gleich stark und sleich lange anhaltend. I. Erwies sich die Schmerzempfindlichkeit deutlich herabgesetzt; ein verursachter Schmerz wurde in den ober- flächlichen Schleimhautschichten fast gar nicht, in den tieferen in etwas geringerem Maasse, als sonst, gefühlt. So konnte ich ohne nennenswerthe Schmerzensäusserung mit einer feinen Punetionsnadel an den beschriebenen Stellen so tief einstechen, bis ein Tropfen Blut kam, während vor der Cocainapplication selbst bei oberflächlichen Berührungen mit der Nadelspitze geklagt oder heftig sezuckt wurde. Ebenso wurde das punktförmige oder flächenhafte Touchiren der Schleimhaut mit dem Lapisstift weder augenblicklich, noch in den folgenden 10—15 Minuten als besonders schmerzhaft bezeichnet, das Einsenken der Spitze des Ferrum caudens in die Schleimhaut nur als leichte Berührung mit begleitendem Wärmegefühl empfunden. Die tiefe Punction der Cervix (nach Spiegelberg), bei deren ersten zwei Einstichen von einer sehr empfindlichen Frau laut geklagt wurde, ward nach zweimaliger Bepinselung und darauf folgendem 5 Minuten langem Andrücken eines in 20 procentige Cocainlösung getauchten kleinen Watte- tampons an die erodirte Portio ohne Schmerzensäusserung vertragen. Auf Befragen erklärte die Frau, es sei ihr so, als werde über die Portio „gewischt‘“, Schmerzen empfinde sie jedoch nicht. Bei derselben Kranken liess ich, nachdem die ersten Curettenzüge ihr lebhafte Schmerzens- äusserungen entlockt hatten, eine in Cocainlösung getauchte Wicke 15 Minuten im Cavum uteri liegen. Das folgende, recht nachdrück- liehe Curettement bezeichnete sie als weniger schmerzhaft und ertrug 1884, 10 146 Jahres-Bericht es besser, als vorher. Bei einer anderen, sehr nervösen und empfind- lichen Kranken mit hinterer Fixation des Collum uteri durch Para- metritis posterior chron. erwies sich jeder Versuch, die Portio nach vorn pendelnd zu bewegen, als höchst schmerzhaft, ebenso das zufällig zu starke Andrücken des hinteren Randes eines Fergusson’schen Spiegels an das hintere Scheidengewölbe. Nach Bepinselung und 10 Minuten langem Anlegen eines Cocainwattebausches an die erodirte, also leichter und rascher resorbirende Portio konnte ich an drei aufeinanderfolgenden Versuchstagen und unter genau denselben Erscheinungen zu meiner Ueberraschung ohne jeden Schmerz der Kranken die Portio stark nach vorn hebeln und den Spiegel tief in das hintere Laquear vagin. ein- drücken. Es erscheint mir dies um so bemerkenswerther, als hier nicht blos eine Anästhesirung oberflächlicher Schleimhautpartien, etwa nur der erodirten Stellen am Muttermunde, sondern — etwas, was ich sonst nicht beobachten konnte — tiefer liegender und dickerer Gewebsschichten nachweisbar scheint; denn bei dem Andrücken des Spiegels wurde nur das hintere Scheidengewölbe und das darüber liegende parametrane Infiltrat, in keiner Weise aber die Erosion berührt oder gereizt. II. Auch auf die entzündete Schleimhaut wirkt Cocain anästhetisch; in mehreren Fällen von acuter gonorrhoischer Vulvitis und Kolpitis fand sich die Sensibilität ebenso deutlich wie bei normaler Mucosa herabgesetzt. Hier war auch die ischämische Wirkung des Cocain durch Erblassen der hochrothen Vulvar- und Urethralschleim- haut sicher zu erkennen; hingegen konnte ich eine dauernde oder vor- übergehende Abschwellung und Secretionsverminderung nicht wahrnehmen. Il. Die Reflexerregbarkeit des Scheideneingangs wird herabgesetzt. In einem Falle von Vaginismus, bei einer 6 Wochen lang verheiratheten jungen Frau, die über unerträgliche Schmerzen bei jedem Versuche der Cohabitation klagte, fand ich die Schleimhaut des ‚Introitus hyperämisch, geschwellt, mehrfach verletzt und so empfindlich, dass sich die vaginale Exploration mit einem Finger wegen heftigen Reflexkrampfes als unmöglich erwies. Hier genügte 3 malige Einpinselung einer 20procentigen Cocainlösung in Intervallen von 2 Minuten, um die Digitaluntersuchung wiederholt und schmerzlos ausführen zu können. Ein ähnliches Verhalten dürften höchst wahrscheinlich die Fälle von Proktospasmus durch Fissura ani darbieten, wo man bisher Zwecks Durchschneidung der Fissur zu chloroformiren genöthigt war. Mehr- malige Cocainbepinselung des Geschwürs und seiner Umgebung dürfte wohl die zur Einführung des Mastdarmspiegels und Spannung des After- randes nöthige Anästhesie herzustellen im Stande sein, Es lassen sich also vorläufig folgende Indicationen für die loeale Application des Cocain auf die Genitalschleimhaut ableiten: der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 147 I. Zu anästhetischen Zwecken: a. Vor intensiverer Aetzung der Vulvar- und Vaginalschleimhaut, z. B. bei aeuter oder subacuter Vulvitis und Kolpitis gonorrhoiea vor der Aetzung mit Lapis in Substanz oder Bepinselung mit concentrirteren Sublimatlösungen. b. Zur Abtragung kleinerer, oberflächlich sitzender Schleimhaut- wucherungen der Vulva, z. B. spitzer Condylome oder Carunkeln der Urethra, sowie Aetzung ihrer Basis, sei es bei ersteren mit dem Stift, bei letzteren, was sonst nicht schmerzhaft, aber zur Verhütung von Reecidiven nöthig, mit dem Glüheisen; ferner auch vor Eröffnung von Abscessen der Bartholin’schen Drüse. c. Bei sehr reizbaren Individuen bei Blutentziehungen oder Cauteri- sationen der Vaginalportion, vielleieht auch beim Curettement der Uterushöhle. II. Zur Herabsetzung der Reflexerregbarkeit: a. Bei temporärem Vaginismus, vor der Digitalexploration resp. vor Einführung von Scheidendilatatoren; eventuell den Kranken zur Selbsteinpinselung unmittelbar vor der Cohabitation anzu- empfehlen. b. Bei Mastdarmkrampf durch Fissura ani, Zwecks Operation ohne Narkose, vielleicht auch als Analgeticum zur Bepinselung vor jeder Defäcation. Ob Cocain in der Geburtshilfe sich als locales Anästheticum bewähren ‚ dürfte, z. B. bei der oft recht schmerzhaften Eröffnung des Muttermundes Erstgebärender oder beim Ein- und Durchschneiden des Kopfes, scheint ‚ mir sehr fraglich, da es sich hierbei um Dehnung und Zerrung. tiefer ‚, liegender, an der Anästhesie nicht Theil nehmender Gebilde handelt; auch steht der allgemeinen Einführung der zur Zeit noch sehr hohe , Preis des Mittels entgegen. Hingegen dürfte auf einem, dem eben berührten sehr fernliegenden Gebiete die schmerzstillende Wirkung des Cocain sich vielleicht bewähren, ich meine in der Zahnheilkunde. Die in cariösen Zähnen öfters frei- liegende, höchst empfindliche Pulpa, deren Sensibilität bisher durch ver- schiedene Aetzmittel, z. B. die bekannte Pasta aus Acid. arsenicosum, Morphium und Creosot aa bekämpft wurde, dürfte zweckmässiger Weise durch Wattekügelchen, in 20 procentige Cocainlösung getaucht und in der Höhle des Zahns in bekannter Weise fixirt, anästhesirt werden. ı Während gegen die oben genannte Pasta eine auch nur leichte entzünd- liche Reizung der Wurzelhaut des Zahnes eine striete Contraindieation abgiebt und vielleicht auch beschleunigter Zerfall des Zahnbeins der Anwendung starker Aetzmittel folgt, ist ist dies bei Cocain nicht zu befürchten. Die rasch eintretende Anästhesie kann zur Entfernung der freiliegenden Pulpa dentis mit dem Nervenhäkchen oder zur Zerstörung 10* 148 Jahres - Bericht derselben mit dem Ferrum caudens benutzt werden, Manipulationen, die sonst, wie bekannt, hochgradig schmerzhaft sind. Ich muss es selbst- verständlich den Zahnärzten überlassen, diese Andeutungen, wenn sie der Versuch als zutreffend erweist, practisch weiter zu verwerthen, Schliesslich spricht Herr Landmann Veber die Anwendung des Cocain in der Augenheilkunde. Die Eigenschaft des salz- oder essigsauren Cocains, die Schleimhäute anästhetisch zn machen, war seit längerer Zeit bekannt, aber es ist das Verdienst Koller’s, dieselbe für die Ophthalmologie verwerthet zu haben, und nach den bisherigen Untersuchungen hat es den Anschein, dass sich das neue Mittel einen bleibenden Platz in dem Arzneischatz des Augen- arztes erwerben wird. Ohne Genaueres, als die kurze Angabe der Concentration der Lösung und deren Wirkung auf die oberflächlichen Gebilde des menschlichen Augapfels zu kennen, begann ich meine Versuche mit einer aus der Allerheiligenhospital-Apotheke bezogenen wasserklaren, 2°/, Cocain ent- haltenden Flüssigkeit und konnte zunächst die v. Anrep’sche Erfahrung über die Anästhesirung der Zungenschleimhaut für chemische und tactile Reize bestätigen; für die Instillation in dem Conjunctivalsack stellten sich mir mehrere Collegen und ausserdem Patienten der stabilen Abtheilung der Klinik mit absolut gesunden Conjunctiven zur Disposition. Ueber meine Erfahrungen der ersten Zeit will ich kurz hinweggehen; sie waren nicht sehr ermuthigend, aber ich muss die zunächst negativ ausfallenden Resultate hier erwähnen, weil mir dieselben in Bezug auf die Lösung einen richtigen Fingerzeig gaben. Ausnahmslos reagirten die Conjunctiven der betr. Personen in überaus heftiger Weise, ohne dass die erwartete deutliche Anästhesie eintrat, und als ich mir, nach vorheriger Fest- stellung der Empfindlichkeit meiner Cornea und Conjunctiva, instilliren _ liess, empfand ich zuerst einen lebhaften, brennenden Schmerz, der nach einer halben bis ganzen Minute nachliess und mit Injeetion der Con- junctivalgefässe und Thränenfliessen vergesellschaftet war; eine nennens- werthe Herabsetzung der Empfindlichkeit für stumpfe Berührung war weder bald nachher, noch später nachzuweisen. Noch nach Verlauf von 16 Stunden hatte ich das Gefühl wie von einem acuten Bindehautcatarrh Mit der Prüfung in der Poliklinik zunächst an den durch Fremdkörper verletzten Corneen erging es mir nicht besser; die Patienten reagirten. je nach der Individualität ganz verschieden, aber von Analgesie, ge- schweige von Anästhesie war keine Rede. Wenn manche ruhig hielten, so konnte man ebenso gut an die alte Erfahrung denken, dass Patienten nur bei der ersten Berührung mit der Nadel zucken und dann sich die Manipulation gefallen lassen, oder auch daran, dass eine Abstumpfung des Schmerzes nach vorhergegangener starker Reizung der sensibelen der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 149 Nerven eintritt. Giesst man einem normal empfindlichen Auge einige Tropfen Tinct. opii ein, so wird, nachdem der heftige Schmerz vorbei ist, unmittelbar darauf jede Berührung der Cornea und Conjunctiva ent- schieden weniger gefühlt; auf diese Weise suchte ich mir zunächst die Wirkung oder vielmehr das Ausbleiben derselben bei Anwendung meiner Cocainlösung zu erklären, und ferner durfte ich annehmen, dass durch den erwähnten heftig brennenden Reiz eine erhöhte Thränen- secretion das etwa Wirksame aus dem Conjunctivalsack herausspüle. Dass aber die verwendete Flüssigkeit wirklich anästhesirend wirkte, be- wiesen Kaninchenversuche; die Thiere bekamen nach 3—4 Eingiessungen zwar auch etwas Injection der Binde- und Nickhaut, doch wurde der vordere Abschnitt des Auges so unempfindlich, dass man denselben sehr srob behandeln konnte, ohne dass irgend welche refleetorische Zuckung ausgelöst wurde; es musste nur darauf geachtet werden, dass die Cilien nicht berührt werden. Daraufhin prüfte ich, da von solchen Reiz- erscheinungen bei der Demonstration in Heidelberg nichts zu Tage ge- treten war, die Reaction meiner Lösung und fand dieselbe stark sauer. Offenbar war die Salzsäure, die zur Klärung der Lösung hinzugesetzt war, Schuld an meinen Misserfolgen, denn mit einem nicht so wasserhellen und eher leicht opalisirenden neutralen Präparat erzielte ich in der That befriedigende Erfolge. Wenn ich mich zunächst dem wichtigsten Befund am cocainisirten Auge, der Anästhesie, zuwende, so habe ich in den Selbstversuchen fol- gende Erfahrung gemacht. Die Instillation einer Menge der letzt- ı erwähnten Lösung, die das ganze Conjunetivalgebiet mit der Cornea zu überspülen vermag, bringt einen leichten, etwa 20 Secunden anhaltenden Schmerz hervor, dem ein länger dauerndes Gefühl von Wärme nach- folgt; eine Minute später zeigt sich die Cornea für stumpfe Berührung unempfindlich, während ich an der Conjuncetiva noch einen nicht all- zuleichten Druck des Sondenknopfes verspürte. Bald macht auch an ‚, der Conjunetiva die Analgesie einer Anästhesie Platz, die auch gröbere \ Insulte, wie Anfassen mit einer Klauenpineette ete., nicht zur Perception gelangen lässt. Man hat in diesem Stadium kein Urtheil darüber, was mit oder an dem Augapfel vorgenommen wird, vorausgesetzt, dass dies oberflächlich geschieht und dass man es nicht sieht. Etwa 7—8 Minuten nach der Instillation beginnt die Anästhesie zu schwinden und es stellt sich ziemlich rasch die gewöhnliche Empfindlichkeit wieder her. | Zur Beantwortung der Frage, ob auch für andere Reize, für ober- ‚ flächliche tactile war sie ja hiermit erwiesen, eine Anästhesie nach ‚ Cocainanwendung an der menschlichen Cornea und Conjunctiva eintritt, ı nahm ich einen Patienten, der wegen Maculae corn. diff. mit Tinet. opüi ‚, behandelt werden sollte, und eocainisirte das eine Auge; nach 2 Minuten | liess ich eine ebenso grosse Quantität jenes Reizmittels über den vor- 150 Jahres - Bericht deren Abschnitt des Bulbus laufen und es wurde kein Zeichen von Schmerz seäussert. Die auf Tinct. opii gewöhnlich eintretende Injection blieb an der Conjunetiva nicht aus und nach weiteren 5 Minuten, innerhalb deren auch am nieht empfindungslos gemachten Auge die Opiumwirkung nach- lässt, war keine Schmerzempfindung vorhanden. Es scheint also, als ob die Coeainwirkung ebenso lange anhält, wie sonst die der Tinet. opii, Eingreifendere und die Gewebe mehr oder weniger zerstörende Ver- suche konnte ich selbstverständlich nur an Thieren ausführen, und auch hier bestand in der Zeit der Anästhesie, die bei Kaninchen, wie es scheint, etwas länger dauert, ein ganz reactionsloses Verhalten bei Application von Säuren oder Glüheisen. Von Interesse war es nun, zu erfahren, bis zu welcher Tiefe die Wirkung meiner 2°), Cocainlösung ging, und es zeigte sich, dass bei dem bis jetzt stets innegehaltenen Modus der ein- maligen gründlichen Ueberschwemmung des betr. Gebietes Schnitte und Stiche durch die ganze Dieke der Cornea und Abtrennung der Conjunctiva durch Scheerenschläge gut vertragen wurden. Berührung der Iris und Einführen eines Schielhackens in die Conjunctivalwunde liessen sich die Thiere nicht gefallen. Ich tropfte nun von 5 zu 5 Minuten die Lösung etwa '/, Stunde lang ein und fand, dass eine Tenotomie des Rect. sup. bei dem ruhig vor mir sitzenden Kaninchen möglich war; bei dem zweiten ebenso cocainisirten Thier war jedoch die Irisexeision nach dem Hornhautschnitt nicht ausführbar. Wenn mittelst der Pipette noch ein Tropfen Cocainlösung auf den Irisprolaps gebracht wurde, konnte bald nachher der zweite Act der Irideetomie ungestört ausgeführt werden. Die meiste Gelegenheit zur Anwendung auf die menschliche Cornea und Conjunctiva boten die Fälle von leichten Fremdkörper-Verletzungen, und beim Herausnehmen der Stahl- und Steinsplitterchen liess die vom Cocain zu erwartende Wirkung nie im Stich. Besonders deutlich war diese in einigen Fällen, in denen zwei Corp. alien. in der Cornea sassen; es war geradezu frappirend, wenn erst nach dem Abkratzen des einen Fremdkörperchens, wobei der Patient sich höchst ungeberdig benahm, das Auge cocainisirt wurde, und nun ohne jegliche Reaction seitens des Patienten die kleine Operation gelang. Jedesmal habe- ich vorher eine Vorprobe der individuellen Empfindlichkeit, die bekanntlich ungemein verschieden ist, angestellt, aber immer wurde mit Sicherheit durch die Cocainanwendung absolute Schmerzlosigkeit angegeben. Ich bemerke, dass ich nie den Leuten vorher sagte, worum es sich handelte, und dass dieselben also nicht irgendwie beeinflusst sein konnten. In einem Falle von centralem, nicht infiltrirtem und nicht vascularisirtem Uleus corneae, welches lange Zeit unerträgliches Drücken verursachte, und weder durch Verband noch bei offener Behandlung zu beseitigen war, gelang es leicht, die blossliegenden Nervenendigungen zu anästhe- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 151 siren; das Auge konnte spontan geöffnet werden und der Zustand blieb bei mehrmaliger täglicher Instillation ganz leidlich und besserte sich dann unter Calomelinspersion. Auch bei Erosionen der Cornea verschwand das Drücken im Auge nach gründlicher Ueberspülung mit der Lösung für eine Zeit lang, und fast alle Patienten behaupteten, dass später das Schmerzgefühl nicht in dem Masse wiedergekehrt sei. Dass die beim Trachom übliche Touchirung mit Cupr. sulfurie. nach vorheriger Cocaini- sirung weniger schmerzhaft sei, wie ich a priori annahın, konnte ich nicht finden; gerade bei den Versuchen auf trachomatös erkrankter Con- junetiva, wobei ich gebildetere Personen mit besserer Beobachtungsgabe zur Verfügung hatte, kam ich zu keiner genauen Anschauung über die Wirkung; des Cocains. In einzelnen Fällen mit relativ geringen Wuche- rungen wurde der Eintritt des Schmerzes um ?/, Stunde hinausgeschoben, um dann wieder in dem Grade wie gewöhnlich einzutreten, in anderen mit starker Granulation war nie eine Milderung zu erlangen; es ist dies ein Punkt, auf welchen ich noch zurückkomme. Das Sondiren des Thränennasenganges, welches einigen meiner Patienten jedesmal Schmerzen verursachte, konnte ich durch Injection einiger Tropfen meiner Lösung in das Thränen-Oanälchen erheblich leichter machen. Behufs schmerz- freier Spaltung des Thränencanales reichte selbst die 40 Minuten lang fort- gesetzte Cocainisirung der inneren und äusseren Wandungen des Ganges nicht aus. Gute Dienste leistete das Cocain bei Aetzungen und Ver- brennungen der Conjunctiva, sowie auch bei kleinen Operationen an der- selben — Abtragen eines Granuloms, Abrasio corneae ete. — Ich will mich nicht zu"sehr ins Detail verlieren und habe Ihnen jetzt noch die Resultate bei grösseren operativen Eingriffen vorzulegen. So liessen Diseisionen von Zonular- und secundären Staaren, Abkappen von lIris- vorfällen, nach perforirenden Wunden der Cornea, Tenotomieen in Bezug auf das Verhalten der Kranken bei der Operation nichts zu wünschen übrig; ich befolgte den Modus wie bei den Kaninchen-Experimenten und tropfte alle 5 Minuten ca. 30 Minuten vor der Operation ein. Bei den Tenotomieen war die Wirkung des Cocains nicht bis an die Sehne des Muskels gelangt, doch rief ein Tropfen in die Conjunetivalwunde auch hier Anästhesie hervor, sodass die Operation ohne Schmerzäusserung des Patienten vollzogen werden konnte. Angenehm auffallend war, dass fast gar keine Blutung eintrat, und auch am nächsten Tage war der sub- conjunctivale Bluterguss nicht bedeutender wie sonst. Dies führt mich dazu, gleich hier einer Nebenwirkung des Cocains, die vorher schon häufig bei den leichten Verletzungsfällen beobachtet wurde, Erwähnung zu thun, nämlich der Ischämie der Conjunctiva; besonders deutlich zeigte sich das Blasserwerden und die Contraction der injieirten Gefässe in frischen Fällen, während längere Zeit gefüllt gewesene Gefässe der Bindehaut sich nicht so sichtbar verengten,. Wenn ich bei Keratitis 152 Jahres - Bericht fascicularis das Cocain verwendete, so wurde die Photophobie geringer, aber ich beobachtete mehrmals, dass die schön fortschreitende Vaseulari- sation hintangehalten wurde, und ich glaube daher, dass Cocain bei den verschiedenen Formen von Keratitis dann contraindieirt sein dürfte, wenn die Regenerationsgefässe sich zu entwickeln beginnen. | Hinsichtlich der Irideetomieen und Cataractextractionen muss ich bemerken, dass '/, Stunde lang-vor der Operation von 5 zu 5 Minuten Cocainlösung eingetropft wurde, und dass der Hornhautschnitt von keiner, dagegen die Irisexeision stets von einer Reaction begleitet war. Dies ist, wie es scheint, am menschlichen Auge nicht zu vermeiden, doch versieherten wiederholt Patienten, die bereits eine Irisoperation hinter sich hatten, dass das zweite Mal der Schmerz nicht so heftig ge- wesen sei. Eine nicht gering anzuschlagende Annehmlichkeit für den Operateur ist jedenfalls die, dass die Manipulationen an der Cornea, bei Extraction der Linse, oder das Reinigen der Wundränder kaum em- pfunden werden. Auf den Heilverlauf konnten wir bei den unter Cocain operirten Fällen irgendwelchen schädlichen Einfluss niemals constatiren. Das Mittel, in der angegebenen Weise verwendet, macht also die Hornhaut absolut durch die ganze Dicke, die Conjunetiva bis zu einer gewissen Tiefe anästhetisch, und durch häufige kurz hintereinander ge- gebene Dosen ist eine eumulative Wirkung zu erzielen. Diese bleibt jedoch aus bei entzündlich veränderter Conjunetiva, wie beim Trachom und in einem Falle von Sclerocornealruptur beobachtet wurde, in welchem die heftig injieirte Gegend der bereits geheilten Wunde weder blutleer, noch für das Anfassen mit der Fixationspincette schmerzlos wurde, während alle übrigen Abschnitte des Bulbus anästhetisch waren. Abgsechlossen sind die Versuche noch keineswegs, soviel glaube jedoch auch ich nach den bis heute gewonnenen Erfahrungen sagen zu dürfen, dass besonders in der operativen Augenheilkunde die locale “ Anästhesirung durch Cocain von der grössten Bedeutung ist, und ferner ist das sonstige indifferente Verhalten des Mittels im Vergleich zu den übrigen in der Ophthalmologie gebrauchten Alealoiden hervorzuheben. Ich erwähnte schon die durch Cocain erzeugte Nebenwirkung, die Contraetion der Gefässe, die sich am vorderen Bulbusabschnitt deutlich documentirt, während die ophthalmoscopisch sichtbaren Gefässe nie Aen- derungen des Kalibers zeigten. Von einigen anderen Erscheinungen am cocainisirten Auge habe ich nun noch zu sprechen. Die auffallendste ist die Dilatation der Pupillen, welche auch die früheren Autoren nach localen oder internen Gaben stets gesehen haben. Etwa 8—10 Minuten nach einer Instillation beginnt die Mydriasis, wenn schon die Anästhesie im Abklingen begriffen ist; dieselbe wird nie zu einer maximalen und auf jede Convergenzbewegung! oder focale Beleuchtung erfolgt, wie auch auf Eserin, eine Verengung. Die Dauer wird nach Stunden angegeben, . £ E i a ER I 5323 der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 153 doch war mehreremale an meinem Auge die Dilatation noch am nächsten Morgen — nach 17 Stunden — sichtbar. Mit dieser Mydriasis geht eine leichte Beschränkung der Accomodationsbreite einher; das Punct. prox. wird in allen Fällen, die ich daraufhin mit feinster Schrift und Burchard’schen Punktproben untersuchte, um '/, Zoll vom Corneal- scheitel abgerückt. Diese leichte Parese hört viel früher auf, als die Mydriasis. Ferner bemerkt man, dass die Lidspalte des behandelten Auges nach etwa 10 Minuten messbar weiter wird, als die des nicht cocainisirten, und zwar ist dieses Phänomen bei älteren Individuen mit schlaffen Ge- weben am besten wahrnehmbar; auch finden solehe Patienten, dass das Schliessen und Oeffnen der Lider nicht so prompt an dem betr. Auge ausgeführt werden kann. Die Beobachter in Wien meinen, dass zugleich eine Protusio bulbi auftrete; ich glaube indess, dass dies als Täuschung aufzufassen ist, denn wenn man das obere Lid, ohne im geringsten den Bulbus zu drücken, herabzieht, so dass beide Spalten gleich weit sind, so verschwindet der Eindruck des vorstehenden Bulbus. Nach den bis dato erschienenen Publicationen herrscht in allem wesentliche Uebereinstimmung, besonders in Bezug auf das Cocain als Nareotieum und Anaestheticum, und wenn ich zur Prüfung an weiteren vorgeschlagenen Krankheitsprocessen, wie Cyclitis, Herpes Zooster, Supra- orbitalneuralgie ete., keine Gelegenheit hatte, so lag dies am gerade zur Verfügung stehenden Material. Der Ansicht Königstein’s bin ich jedoch nicht, dass das Cocain alle anderen Mydriatica, und besonders das Homatropin, aus dem Felde schlage. Meine vergleichenden Versuche mit den beiden Mitteln lassen mich für genaue Detailuntersuchung und Refractionsbestimmung durch den Augenspiegel das letztere vorziehen, Interessant ist jedoch die Angabe von v. Reuss, dass bei Mydriasis durch Cocain das Eserin seine Wirkung entfalte, und dass die Eserin- wirkung durch Cocain nicht beeinflusst werde, was ja für einzelne Glaucomuntersuchungen von grosser Tragweite sein kann. Stärkere Lösungen als 3°, habe ich nicht benutzt, man kommt mit dieser Con- centration vollkommen aus. In Substanz soll das Mittel noch intensiver wirken und sogar die Lidhaut paretisch machen. Immerhin ist bei der Beurtheilung der Coeainlösung in Bezug auf die anästhesirende Kraft die individuelle Empfindlichkeit in Betracht zu ziehen, und auch mir scheint, ein Punkt, den ich übrigens betone und den ich bei weiteren Versuchen beachtet wissen möchte, dass nicht alle Menschen in gleicher Weise leicht und vollständig durch dieselbe Lösung eocainisirt werden können. Will man sich eine Erklärung der geschilderten Wirkungen dieses Alealoids zu geben versuchen, so sind wir vorläufig nur auf Vermuthungen angewiesen, da die seitherigen physiologischen Experimente in den uns 1 54 Jahres - Bericht hier interessirenden Punkten recht lückenhaft sind. Die Annahme, dass durch die Imbitionsfähigkeit der Cornea und Conjunctiva die sensibelen Endigungen der Nervenäste gelähmt werden, stimmt mit den Frosch- versuchen v. Anrep’s, und dass diese Paralyse sich auf den Stamm fortsetze, wird ebenfalls in dessen Arbeit behauptet. Direct werden jedenfalls die Nervenenden in der Cornea, wie auch die der Zungen-, Rachen- und Kehlkopfschleimhaut durch das Alcaloid getroffen; ob sich die Wirkung durch die Stämmchen bis an periphere Centralorgane, zu- nächst also ans Ganglion eiliare, fortpflanzt, um so, wie Königstein vermuthet, durch reine Sympathicuswirkung die übrigen Neben- erscheinungen hervorzurufen, dünkt mir nicht recht annehmbar. Wäre allein Sympathicusreizung im Spiele, so müsste nach der Durchschneidung desselben die erweiterte Pupille sich verengen und dies geschieht nach einem Versuch an jungen Hunden, den Nikolsky anstellte, nicht. Wenn es ferner richtig ist, dass zuerst die sensibelen Nerven durch kleine Gaben Cocain erregt werden, so könnte man diese Reizung der sensibelen Nerven für die Gefässverengerung, die wir ja eintreten sahen, verant- wortlich machen und man müsste überhaupt eher an vasomotorische Ein- flüsse denken. Dem widerspricht die Beobachtung, dass die Secretion an Schleimhäuten durch Cocain vermindert wird, nicht, und weiter wird durch Reizung des Splanchnieus die Darmbewegung gehemmt, während diese an cocainisirten Thieren beschleunigt ist. Ueber die beiden letzteren Vorträge findet eine gemeinsame Dis- cussion statt, an welcher sich die Herren Förster, Jany, Berger und Buchwald betheiligen. Sitzung vom 12, December 1834. Herr Ponfick: Demonstration einer Mikrocephalin, des Mädchens mit dem Vogelkopf. Meine Herren! Ich erlaube mir Ihnen hiermit die bereits an vielen anderen Orten demonstrirte Margarethe Becker vorzustellen, im Verein mit ihren ganz gesunden Eltern. Sie stammt aus Bürgel bei Offenbach a. M. und ist das vierte von acht Kindern, welche aus der zweiten Ehe des sehr grossen und vollständig normalen Mannes hervor- gegangen sind. Das einzige Kind aus erster Ehe, eine Tochter, ist insofern ebenfalls bemerkenswerth, als sie in Folge des bei der grossen Mainüberschwemmung im Jahre 1882 erlittenen Schreckens in Tobsucht verfallen und seitdem — mit gewissen Unterbrechungen — geistes- gestört geblieben ist. Von den acht Kindern aus zweiter Ehe wurden das erste, vierte, fünfte und siebente mikrocephal geboren, während die vier andern eine vollständig normale Entwickelung zeigen. Von den der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 155 ersteren ist heute nur noch Margarethe am Leben, während von den übrigen das eine todtgeboren, das andere bald nach der Geburt gestorben ist, ein drittes endlich ein Alter von 10 Jahren erreicht hat. Hinsicht- lich des letzteren hat die Section einen ungemein wichtigen Einblick in die Verhältnisse des Gehirns gestattet, welches einer schweren Ent- artung unterlegen war. Die grossen Hemisphären nämlich waren in eine Art häutigen Sackes verwandelt und zum überwiegenden Theile durch eine Flüssigkeit ersetzt. Das Gewicht des Gehirns insgesammt betrug annähernd 360 gr. Es liegt nahe, anzunehmen, dass bei der jüngeren Schwester ähnliche Verhältnisse obwalten. Ebenso wie der Vater ein ganz normales Verhalten zeigt, ist auch die Mutter eine kräftige, starkknochige Frau mit ganz normaler Schädel- bildung. Das einzige, was sie in ursächlicher Beziehung über die Ent- stehung so abnormer Früchte anzugeben vermag, ist der Umstand, dass sie während der Schwangerschaft jedesmal dann Schmerzen empfand, wenn sie ein mikrocephales Kind trug, nicht aber bei den übrigen sesunden. Auch die beiderseitigen Grosseltern sollen nichts Abnormes dargeboten haben, und ebenso wenig ist bei den Seitenverwandten etwas Aehnliches vorgekommen. Was die allgemeinen körperlichen Verhältnisse des Mädchens an- langt, so dürfen sie als im Wesentlichen normale bezeichnet werden. Sie hat die ihrem Alter entsprechende Grösse, auch das sonst bei Mikrocephalen öfter beobachtete Missverhältniss zwischen Rumpf und Extremitäten wird bei ihr vermisst. Das einzig Auffallende ist die Bildung ihres Kopfes. Derselbe ist überraschend klein, sein Umfang beträgt 33 cm und ist somit nicht grösser als der eines 1jährigen Kindes. Der vogelartige Typus wird vor allem durch die auffällige Geneigtheit der Stirn bedingt, deren Contour sich in fast grader Rich- tung auf die unverhältnissmässig grosse, adlerähnlich vorspringende Nase fortsetzt. Während so die Stirn in schräger Richtung nach oben und hinten zurückweicht, springen die Nase und in gleicher Weise die Ober- kiefer mächtig vor. Gestützt auf das Ergebniss der vor 10 Jahren von Virchow vorgenommenen Untersuchung der Patientin, kann man sagen, dass der Kopf seitdem nur ein geringes Wachsthum erfahren, während sich der ganze Körper unabhängig davon kräftig entwickelt hat. Wenn der Kopf gegenwärtig vergleichsweise vielleicht etwas grösser erscheint, so beruht das wesentlich darauf, dass das Haupthaar in den letzten Jahren sehr stark gewachsen ist und jetzt in einem stattlichen blonden Zopfe auf den Rücken hinabfällt. Ihre dunkelblauen, stark vorspringenden Augen sind sehr gross und irren etwas unstät umher. Dieser Umstand und der eigenthümliche Glanz verleihen ihrem Gesichte etwas unnatürlich Lebendiges, Auch die Ohren sind verhältnissmässig gross, etwa dem Alter von 15 Jahren entsprechend und stehen weit ab. Noch gewaltigere 156 Jahres - Bericht Dimensionen hat der Mund, welcher fast von einem Ohr bis zum anderen reicht und, von den Lippen kaum geschlossen, eine stattliche Reihe blendend weisser, sehr grosser und ganz normal gebauter Zähne hervor- treten lässt. Das Kinn ist scharf und spitz und vervollständigt so den vogelartigen Habitus.. Alles in allem hat der Gesichtsausdruck etwas ausgesprochen Stupides, ohne aber hässlich oder gar abschreekend zu sein. Während die vegetativen Functionen ganz normal sind, — nur ist bis heute eine Menstruation noch nicht eingetreten — steht das geistige Leben auf einer äusserst niederen Stufe. Die Sprache ist vollständig zurückgeblieben und nur mit Mühe ist sie zu bewegen, die Worte „Mama“ und ‚Papa‘ auszustossen, was sie offenbar nicht geringe An- strengung kostet. Ihre Sinnesorgane functioniren normal, sie sieht und hört gut, unterscheidet genau die Stimme der Ihrigen und sucht, alle um sie vorgehenden Umstände genau zu verfolgen und auszuforschen. Auch lässt sich nicht verkennen, dass sie Mancherlei von dem um sie her Gesprochenen nicht nur zu hören, sondern auch leidlich aufzufassen ver- mag, wie sie denn ihre gewöhnlich stille Antheilnahme plötzlich durch lebhaft abwehrende Bewegungen verrathen kann, sobald sie etwas ihr Unangenehmes wahrnimmt. Ebenso sind Geruchs- und Tastgefühl gut bei ihr entwiekelt. Ihre Bewegungs- und Empfindungsfähigkeit ist, wenn auch vielleicht etwas träger als normal, so doch unbestreitbar. Sie weiss Arme und Beine ziemlich gut zu gebrauchen: freilich ist der Gang etwas langsam und unsicher; jedoch liest diesem „turkelnden“ Gange keine nachweisbare Störung des Bewegungsapparates zu Grunde. Ihr Charakter ist im Allgemeinen gutartig; nur vorübergehend zeigt sie sich widerspenstig. Ihre Lebensweise im Hause beschränkt sich meist auf ein stilles Dasitzen in einer Ecke und ein dumpfes Hinbrüten. Auch beim Essen bekundet sie mehr Geschick, als andere Mikrocephalen, denen oft genug die Speisen eingeflösst werden müssen. Sie hat gelernt, nicht nur selber und mit Hilfe des Löffels zu essen, sondern auch sich ganz allein zu bedienen: auch den Speisen gegenüber macht sich ein ent- schiedenes Unterscheidungsvermögen geltend, indem sie bestimmten Ge- richten den Vorzug giebt. Die Verdauung geht regelmässig von Statten und im Gegensatz zu der Unsauberkeit anderer Mikrocephalen verräth sie durch bestimmte Zeichen den Wunsch nach Entleerung ihrer Excre- mente. Ihr Schlaf ist leicht und oft unterbrochen; ihr Herzschlag schwach und der Puls am Handgelenke kaum fühlbar. Bemerkenswerth ist die bläulichrothe Färbung und die kühle Beschaffenheit, welche ihre sanze Hautoberfläche zeigt. In Bezug auf die Entstehungsweise des räthselhaften Leidens können wir gegenwärtig die sensationelle Theorie Karl Vogt’s, dass diese Mikrocephalen eine Zwischenstufe zwischen Mensch und Affen darstellten, als Ausdruck eines Rückschlags (Atavismus) auf überholte Entwiekelungs- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 157 stufen der Thierreihe aufzufassen seien, für endgültig beseitigt erachten. Vielmehr handelt es sich, wie Virchow unwiderleglich dargethan hat, um eine bereits im mütterlichen Organismus erfolgte Hemmungsbildung, sei es nun des Schädels, sei es des Gehirns. Mit der letzteren Anschauung stehen alle anatomischen Thatsachen im befriedigenden Einklang, welche bis jetzt in Bezug auf das Schädelinnere derartiger Individuen erhoben worden sind. Speciell für den vorliegenden Fall wird man dieselbe aber mit doppeltem Rechte als gültig ansehen dürfen, weil in Bezug auf Margarethens Bruder der Nachweis einer intrauterinen Entzündung des Gehirns mit nachfolgender Störung und Zurückbleiben seines Wachsthums direct geliefert worden ist. Hierauf demonstrirt Herr Leppmann einen Fall von Heilung einer Psychose durch Kopiverletzung. Derselbe betrifit eine dreissigjährige verheirathete Frau, welche auf Grund schwerer Anämie und chronischer Metritis an einer Melancholie mit Versündigungswahnideen litt. Nach achtwöchentlicher Dauer steigerte sich allmählich das Leiden zur hochgradigsten ängst- ‚ lichen Exaltation mit starker Benommenheit; in diesem Zustande ı stürzte sich die Kranke aus erheblicher Höhe auf den Kopf und zog sich eine subeutane Fractur des Schädeldaches zu. Nachdem. inner- halb weniger Tage die durch das Trauma bedingten Commotions- erscheinungen geschwunden waren, zeigte sich die Patientin dauernd und ‚ völlig frei von jeder krankhaften Stimmung und Wahnidee und hatte ‚ detaillirtes Krankheitsbewusstsein, nur für die Tage vor und nach dem Sturz blieb fast vollständiger Erinnerungsdefect. In kurzer Zeit besserte sich auch der Ernährungszustand in auffallender Weise. 5 Wochen nach , der That wurde die Betreffende genesen entlassen und ist gesund ge- blieben. Ein causaler Zusammenhang zwischen Trauma und Heilung erscheint dem Vortragenden sicher, da Psychosen von solcher Art, Dauer und Entwickelung spontan niemals plötzlich schwinden, dagegen ähnliche Fälle von Genesung nach einer Gehirn- oder Rückenmarksverletzung bereits beschrieben sind. Was den Heilungsmechanismus anbetrifft, so recurrirt er auf plötz- liche moleculäre Veränderungen im Gehirn, wie man sie auch zur Er- klärung der Commotion heranzieht. Die Wirkung des sogenannten „psychischen Shoks“ hält er bei der hochgradigen Benommenheit vor dem Sturz und der völligen Bewusstlosigkeit nach demselben für ausge- schlossen. (Die Krankengeschichte wird in extenso in Nr. 6 der Bres- lauer ärztlichen Zeitschrift, Jahrgang 1885 veröffentlicht werden.) Schliesslich spricht Herr Buchwald Ueber Kefyr. Während das Kumyss ähnliche Getränk ‚Kephir‘“ (Kefir, Kapir) als Nahrungsmittel für Gesunde und Kranke in Russland seit mehreren Jahren 158 Jahres- Bericht mehr und mehr Eingang findet, hat dasselbe in Deutschland bislang noch zu wenig Anwendung gefunden. Der Vortragende lernte es in der Heil- Anstalt des Dr. Römpler in Görbersdorf kennen und hat es seitdem mehr- fach bei Kranken selbst mit gutem Erfolge versucht. Kephir ist ein aleohol- und kohlensäurehaltiges Getränk, welches seit undenklichen Zeiten der eingeborenen Bevölkerung des Kaukasus als Genussmittel dient. Hergestellt wird es mittelst eines eigenen Fermentes, welches den Namen Kephir (Gribki, Körner, Samen) führt. Der Vortragende de- monstrirt die aus verschiedenen grossen, rundlichen, weisslich gelben Körnern bestehende Hefenmasse, welche Eiergraupe nicht unähnlich sieht, nach dem Aufquellen aber mehr kleinen Blumenkohlköpfehen gleicht. Indem er noch die aus Milch dargestellten ähnlichen Getränke Kumyss, Keschk, Jaurt etc., auf welche auch bereits Professor F. Cohn im vorigen Jahre aufmerksam machte, einer Besprechung unterzieht und die histo- rischen Daten über die Kenntniss des Kephirs giebt, theilt er die üblichen Methoden der Darstellung dieses Getränkes mit. Wegen der Details müssen wir äuf die einschlägigen Arbeiten von Podwyssotzki, Dimi- trijew, Krannhals u. A. verweisen, Je nachdem die Pilze zur Bereitung des Kephirs verwendet werden, oder bereits fertiger Flaschenkephir zur Erzeugung neuer Massen Ver- wendung findet, ist die Bereitung eine complieirtere oder einfachere. Ersteres Product bezeichnet man als Kephir (Dm.) letzteres als Kapir; Svadoweny nennt den ersteren Schlauch- oder Dorfkephir, letzteren Flaschenkephir. Bei Anwendung von Hefekörnern, welche bislang noch schwer zu haben waren, jetzt aber von Louis Gerike in Petersburg kilogrammweise (zu 80 Mk. pro Kilogr.) abgegeben werden, bedarf es grosser Sorgfalt, um einen guten Kephir zu erzielen; die zweite Methode, zu einem guten Kephir neue Mengen, abgerahmte oder unabgerahmte, gute, gekochte oder ungekochte Milch hinzuzusetzen, ist viel einfacher, setzt aber den Besitz von gutem, nach ersterer Methode bereiteten Kephir voraus. Man unterscheidet: 1) eintägigen (schwachen) Kephir, welcher noch wenig Kohlensäure und Alcohol enthält; 2) zweitägigen (mittleren) Kephir, welcher für gewöhnlich angewendet wird und eine mohnähnliche Consistenz besitzt; 3) dreitägigen (starken) Kephir, welcher meist flüssiger, recht sauer und alcoholreicher ist. Je nach der Jahreszeit und Temperatur bei der Darstellung, sowie der Güte der Körner wird 2tägiger Kephir auch später (in 3—4 Tagen) erst fertig. Zeichen eines guten_2tägigen Kephirs ist, dass sich die Gesammtmasse bei ruhigem Stehen, in zwei Schichten, eine untere, durchscheinende molkenähnliche Flüssigkeit und eine obere, diekere, aus feinsten Caseinflocken bestehende Masse, sondert, welche beim Schütteln sich wieder leicht vereinigen. Nach den Unter- suchungen Kern’s bestehen die Kephirkörner aus 2 verschiedenen Ele- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 159 menten, aus Hefezellen und einer Bacterienart, welche er mit dem Namen Dispora caucasica nov. gen. et nov. species bezeichnet. Die Hefezellen sind als der Gattung Sacharomyces Meyen angehörige wahre Hefenzellen | anzusehen. | Durch diese beiden in wechselnden Verhältnissen vorhandenen Ge- | bilde, wird nach Podwissotzky’s Untersuchung folgende Umsetzung ‚ in der Milch veranlasst: 1) Alcoholgährung: ein Theil des Zuckers der Milch wird in Kohlensäure und Alcohol gelegt; 2) Milchsäuregährung: | ein anderer Theil des Zuckers geht in Milchsäure über. 3) Peptonisirung eines Theiles des Caseins und Albumins der Milch, Wie bei jeder Aleohol- und Milchsäuregährung werden nebenbei kleine Mengen von Glyeerin, Bernsteinsäure, Butter- und Essigsäure gebildet. Wir haben ' somit im Kephir ein angenehm säuerlich schmeckendes, milchsäure-, | kohlensäure- und alcoholhaltiges Getränk, in dem das Casein in Form feinster Flocken niedergeschlagen ist und welches geringe Mengen von | Peptonen enthält. | Vor dem Kumyss hat Kephir (Kapir) wesentliche Vortheile; Geruch ‚ und Geschmack sind angenehmer, in einer Flasche Kapir sind soviel ‚ Eiweissstoffe enthalten, als in 3'/, Flaschen Kumyss. Auch ein schwacher ‚ Magen wird Kapir gut vertragen namentlich da, wo gegen Milch eine ‚ Abneigung besteht, wie bei vielen Kranken, besonders auch Lungen- kranken, wird Kapir gern genommen, und auch unbegrenzt lange ge- ‘ braucht werden können. Erwachsene wie Kinder können mit Kephir nährt werden. 2tägiger Kephir wirkt bisweilen obstruirend, durch ‚ Zusätze von Zucker vor Beginn der Gährung hilft man diesem Uebel- | stande ab; ausser Zucker können auch Zusätze von Ferrum lacticum und Ferrum hydrogenio reduetum gemacht werden. Der Kephir wird fast von allen Kranken dauernd vertragen, auch Kranke mit geschwächter | Constitution und schwachen Verdauungswerkzeugen können denselben gebrauchen; nur Kranke, welche an sogenannter Plethora abdominalis | leiden, und Herzkranke vertragen meist den Kephir schlecht; auch kann ' die darauf folgende hartnäckige Obstruction, bei starkem Kenkir das Ein- ‚ treten von Diarrhoön, sowie Widerwille gegen das Getränk zum Aus- setzen desselben Veranlassung geben. Man beginnt die Cur mit kleinen Portionen, 1—1'), Gläser, steigt allmählich zu grösseren Mengen, 6—8 Gläsern; Kindern, Magenkranken, geschwächten Personen lässt man den Kephir verdünnt geben, oder bereitet ihn aus gekochter, abgerahmter, ‚ verdünnter Milch. Am nimmt man Kephir in Be (3) Bor: | tionen, zwei Portionen Vormittags (die eine auf den nüchternen Magen), die dritte nach Tisch. Man trinkt den Kephir schluckweise und nicht ‚zu kalt, erwärmt denselben eventuell unter den nöthigen Vorsichtsmass- regeln, um ein Platzen der Flaschen zu verhüten. Am besten ist es, Bewegungen nach dem Genusse zu machen. Die Nahrung soll während nn 7 160 Jahres - Bericht des Kephirgebrauches eine leichte sein; erhitzende Getränke, Wein, Bier, Alcoholica, Caffee, sollen dabei möglichst vermieden werden. Tritt nach längerem Gebrauch Widerwillen ein, so pausirt man 14 Tage bis 3 Wochen und beginnt die Cur von Neuem. Verschiedene Medicamente können gleichzeitig gebraucht werden. | Der Vortragende macht darauf aufmerksam, dass Kephir bereits zu haben ist (Hummerei 41 bei Quabbe), dass er die Molkereidirection zu bewegen gesucht, die Kephirbereitung im Grossen zu besorgen, wodurch der noch hohe Preis (80 Pf. pro Flasche) sich wesentlich niedriger ge- stalten dürfte. Er empfiehlt den anwesenden Collegen das brauchbare Präparat auf das Wärmste, hebt auch hervor, dass sich die Angehörigen der Kranken den Kephir ev. selbst bereiten können, indem sie ';,—'j, Kephir *,—*/, Milch zufügen und das Gemisch (in starken, nicht ganz gefüllten Flaschen) der Gährung überlassen. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 161 LI. Bericht über die Thätigkeit der Seetion für Öffentliche Gesundheitspflege im Jahre 1884, erstattet von den Herren Geh. Medieinalrath Prof. Dr. Biermer, Prof. Dr. Förster und Königl. Bezirks-Physieus und Privat-Docent Dr. Jacobi, zeitigen Secretairen der Section. In der ersten Sitzung am 25. Januar sprach Herr Geh. Medi- einal-Rath Prof. Dr. Göppert über den Hausschwamm und seine Bekämpfung. In der neueren Zeit ist die Pflanzenfamilie der Pilze in den Vorder- grund der Thätigkeit fast aller Botaniker getreten. Früher wurde diese Familie weniger beachtet, jedoch der unbegrenzte Einfluss, welchen sie auf alle Verhältnisse unseres Lebens ausübt, hat nun die Wissenschaft zu immer eingehenderer Berücksichtigung derselben geführt. Schon in den ältesten Zeiten kannte man die theilweise Schädlich- keit der Pilze, und das classische Alterthum hatte schon Kenntniss von Vergiftungsfällen durch Verwechseiung giftiger mit essbaren Pilzen. Quantus furor tanti eibi aneipitis, ruft schon Plinius aus, nachdem er eine Anzahl derartiger Todesfälle erwähnt hat. Bekanntlich verlor der Tragöde Euripides seine gesammte Familie durch ein Pilzgericht. Im Mittelalter waren die Pilze wenig beachtet, und erst Linne vereinigte die verwandten Arten zu Gattungen und beschrieb sie wissen- schaftlich. Aus seiner Zeit besitzen wir recht brauchbare Arbeiten über _ Pilze. Die Verbesserung des zusammengesetzten Mikroskopes führte eine totale Umwälzung der wissenschaftlichen Forschung herbei, speciell die 1884, Il 162 Jahres-Bericht Plössl’schen Mikroskope bewirkten einen ungeheueren Fortschritt. Die Lehre der generatio aequivoca wurde vollständig erschüttert, obgleich merkwürdigerweise sie selbst heute noch ihre Verehrer findet. Die all- gemeine Verbreitung der Pilzsporen und ihre Beziehung zu so vielen Lebensprocessen wurden erwiesen und wuchsen fort und fort zu jener Bedeutung heran, die sie heut alle anderen Pflanzenfamilien übertreffen lässt, die dahin geführt hat, dass ein mikroskopischer Querschnitt heut vielen Botanikern mehr werth ist als die ganze Pflanze. Meine Be- schäftigung mit den Pilzen richtete sich nicht auf die Erforschung neuer Gebiete, sondern auf praktische Beziehungen. Seit fast 20 Jahren habe ich giftige und schädliche Pilze im Vergleich mit den essbaren Arten im botanischen Garten aufgestellt, welche Aufstellung überall Beifall gefunden hat, und an vielen, auch kleineren Orten nachgeahmt worden ist. Ganz besondere und allgemeinste Anerkennung hat die Pilz-Aus- stellung gefunden, welehe durch unseren ersten Pilzkenner, Herrn Ober- Stabsarzt Dr. Schröter, in diesem Sommer in Liegnitz veranlasst wurde, Mein Augenmerk richtete ich feruer auf unsere Bäume, indem ich die Aufmerksamkeit der Forstmänner und Gärtner zu erregen suchte, dass sie die Bäume nicht ohne Noth durch Ausästen verletzen möchten, weil jeder abgehauene Ast, jede offene Wunde eine Introductionsstelle schädlicher Pilze ist. Ich zeigte, wie so mancher plötzliche Tod eines Baumes ganz allein durch Pilze verursacht wurde. Jeder grössere Pilz, der an einem Baume hervortritt, ist das sichere Zeichen des Beginnes einer chronischen Krankheit, die endlich den Tod des Baumes herbei- führt. Meine Untersuchungen in dieser Richtung sind in die besten Hände übergegangen, in die unseres ersten Forstbotanikers Hartig in München, dessen Vater schon durch seine berühmte Arbeit über die . Nachtfaser in den Bäumen epochemachend wirkte. Pilze der unschein- barsten Art zersetzen unsere Bäume gänzlich, indem sie dem Holz seine festen Bestandtheile, insbesondere das Kali, entziehen, der Baum wird trocken und dürr und geht schliesslich ein. Der Sturm der letzten Tage hat im botanischen Garten eine mächtige Weide gebröchen, welche äusserlich völlig gesund erschien, deren Inneres aber bis auf die 2 bis 3 Zoll starke Rinden- und Cambiumschicht total von Pilzen zersetzt war. Das Zusammenbrechen solcher gänzlich von den Pilzen zerstörter Stämme erfolgt oft ganz plötzlich, wie z. B. vor wenigen Jahren in Liegnitz, wo derartig zusammenstürzende Stämme zwei Personen er- schlugen. Die Pilze, welche den Tod der Bäume herbeiführen, gehören vielen Arten an, an den Obstbäumen sind es meist Feuerschwämme; der botanische Garten verlor voriges Jahr eine über 25 m hohe Birke durch den Birkenschwamm. der Schles. Gesellschaft für vaterl, Cultur, 163 Schon vor längerer Zeit habe ich dann Untersuchungen über den Hausschwamm hier veröffentlicht und war vor zwei Jahren im Begriff, dieselben in der Hygiene-Ausstellung zu publieiren, als die Ausstellung abbrannte. Zwischenfälle aller Art und meine schwere Erkrankung im vorigen Jahre hinderten mich dann an der Veröffentlichung, und erst der traurige Zustand unseres Provinzialmuseums veranlasste mich, meine diesfälligen Arbeiten wieder aufzunehmen. Das prächtige Gebäude auf dem Museumsplatz, das der Stadt und Provinz zu hoher Ehre gereichende Institut, welches wir den Provinzial-Ständen verdanken und für welches ich auch ein besonderes Interesse habe, weil ich selbst 1366 die Ehre hatte, als Führer einer Deputation der angesehensten Vertreter der Stadt und Provinz Beihilfe Seiner Majestät zu erbitten, lieferte mir leider massenhaftes Untersuchungsmaterial des zerstörenden Pilzes, Einen Theil dieses Materials legte ich schon vor acht Wochen in der bota- nischen Section vor, einen eingehenden Vortrag darüber in Aussicht stellend. Der Pilz selbst führt den Namen Merulius lacrymans, der Gattungs- name Merulius bezieht sich auf die amselartige Färbung des Pilzes, das Beiwort auf die thränenähnlichen Feuchtigkeits - Absonderungen des Fruchtlagers. Der Pilz entwickelt sich aus etwa 10 { im Durchmesser haltenden halbmondförmig-länglichrunden, braungelben Samen oder Sporen in tiefster, noch nicht aufgeklärter Verborgenheit. Er treibt zarte Fäden, die sich sofort durch sehr entschiedenes Spitzenwachsthum aus- zeichnen. Diese zarten Sprossen gedeihen nur im allerdunkelsten Ort und suchen ihre Nahrung gleich anderen Pilzen auf organischem Substrat, vor allen Dingen aber Feuchtigkeit, die sie nothwendig zum Gedeihen brauchen. Sie besitzen dieselbe merkwürdige Fähigkeit, die in neuerer Zeit wieder der Pflanzenwurzel zuerkannt worden ist, die Fähigkeit, sich ihre Nahrung auszusuchen. Die Lehre vom Instinet der Thiere ist glück- lich überwunden, aber in den‘ Pflanzen tritt uns die ähnliche wunderbare Eigenthümlichkeit entgegen, dass jede Art nur die ihr zusagende Nahrung aufsucht. In demselben Glase in einer Lösung eultivirte Arten nehmen im dunklen Bewusstsein jede nur gerade die für ihre Existenz nöthigen Stoffe auf, Meine vor 56 Jahren mit wässeriger Blausäure angestellten Versuche ergaben, dass die Blausäure das Pflanzenleben vernichtet, setzte ich aber welke Pflanzen in Blausäurelösung, so nahmen sie erst Wasser auf und erholten sich durch die Wasseraufnahme, erst später nahmen sie Blausäure auf und starben davon, Der gekeimte Haus- schwamm breitet sein feinfädiges Gewebe rasch nach allen Richtungen hin aus und zwar normal in concentrischen Kreisen wie die Boletus- Arten, wie ich es einst fand bei der Entwickelung des Pilzes zwischen Glasplatten. Gleich dem Wanderer in der Wüste führt der Pilz das Wasser, dessen er bedarf, mit sich und vermag sich längere Zeit ohne 11# 164 Jahres-Bericht andere Wasserzufuhr zu erhalten. In der Noth kann er sogar auf und in Ziegelstein vegetiren, besonders auf porösen, schlecht gebrannten Steinen, welche er durchwuchert. Will er aus der dunklen Vegetations- schicht ans Licht, ins Freie gelangen, so rollt sich das zarte, spinnweben- ähnliche Geflecht stengelartig zusammen und presst sich durch die schmalste Spalte. Auf dem langen Wege seiner Vegetation übt er eine energisch ver- derbende Wirkung auf das von ihm befallene Holz aus, dessen Zellen er aussaugt, ihre besten Bestandtheile in sich aufnehmend und den Holz- körper als schwammig-brüchige kraftlose Masse zurücklassend. Je dicker die Zellwände sind, um so fester ist bekanntlich das Holz, gerade diese festen Zellwände aber beraubt der Pilz der wichtigsten Stoffe. Das vom Pilz zerstörte Holz ist völlig werthlos und wir stehen vor der Frage, ob es kein Mittel giebt, seinem verderbenbringenden Wachsthum ent- gegenzutreten, Dazu ist nöthig, genau die Veränderung zu wissen, welche das Holz durch den Schwamm erleidet, diese Kenntniss verschafft uns die Chemie, die Verrätherin aller stofflichen Umwandlungen. Professor Dr. Poleck und Apotheker Thümmel haben sich auf meinen Wunsch der Mühe dieser Untersuchungen unterzogen. Die noch nicht abge- schlossenen, aber schon entscheidenden Analysen haben ergeben, dass fast alle löslichen Salze des Holzes vom Pilz aufgenommen werden, während er alle unlösslichen zurücklässt, dadurch wird die Structur des Holzes total zerstört, und zwar ohne jede Aussicht auf die Möglichkeit einer Wiederherstellung,. Das vom Pilz zerstörte Holz (Kiefernholz) schwindet, wird rissig und ist um 50 pCt (!) leichter, als das normale Holz. Die Analyse weist nach, dass dem Holze die löslichen phosphor- sauren Salze völlig entzogen sind. Die Asche des Pilzes, 8,32 pCt., welche fast 25 Mal mehr als jene des gesunden und 6 Mal mehr als jene des kranken Holzes beträgt, enthält nicht weniger als 80 pCt. in Wasser lösliche Salze, darin 46 pCt. phosphorsaures Kali und 9 pCt. Chlorkalium, welche in der Asche des kranken Holzes ganz fehlen, während die Menge des schwefelsauren Kalis in dieser nur halb so viel betrügt, wie jene der Pilzasche, Der Pilz hat dem Holze daher vor- zugsweise Phosphorsäure und Kali entzogen. Stickstoff enthält das ge- sunde Holz kaum 0,2 pCt., der Pilz fast 5 pCt., an Fett aber, welches in normalem Holze gleichfalls nur 0 2 pCt. beträgt, besitzt der bei 100° getrocknete Pilz 15,2 pCt. Schon diese wenigen Notizen ergeben, welche enorme Aenderung der Pilz im Holze bewirkt. Lässt sich nun auch das zerstörte Holz nicht wieder herstellen, so doch auf anderem Wege dem Pilze entgegengearbeitet werden. Es giebt nur eine Möglichkeit, dem Wuchern desselben Einhalt zu thun, und diese liegt in der steten Zuführung am besten warmer frischer Luft und in der Austrocknung seines Myceliums. Schon vor 6 Jahren ge- kann der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultar. 165 meinsam mit Apotheker Julius Müller vorgenommene Austrocknungs- versuche ergaben, dass der stark ausgetrocknete Pilz nicht mehr weiter wuchs, auch nach neuer Anfeuchtung nicht wieder lebendig wurde, sondern zu Grunde ging. Die vielfach unter allen möglichen volltönenden Namen empfohlenen Aetzmittel nützen sammt und sonders nichts, wenn das Holz schon vom Pilze befallen und durchwuchert ist. Wird mit der Anwendung der Aetzmittel zugleich Luftzug und Trockenlegung be- wirkt, so schwindet der Pilz allerdings, aber nicht durch das Geheim- mittel, sondern durch die ihm unerträgliche trockene Luft. Es treten bei der Zerstörung durch den Hausschwamm ganz andere Wirkungen als bei der Fäulniss ein, da der Pilz ein Missverhältniss in der ganzen Zusammensetzung des Holzes sehr schnell hervorruft. Wie schon ge- sagt, liebt der Pilz die Dunkelheit, unter den Dielen beginnt er seine verderbenschwangere Laufbahn, dort, wo das Holz ganz von Mauerwerk umgeben ist, greift er es an, immer wächst er von unten nach oben, von innen nach aussen. Nicht eher gewahrt das Auge den Zerstörer, als bis eines Tages die scheinbar unversehrte Dielung zusammenbricht, das Tafelwerk von der Mauer stürzt, die Balken ihre Tragfähigkeit ver- \ieren. Eher als das Auge entdeckt der Geruchssinn den Pilz, dessen scharf riechende, oft fast beissende Ausdünstungen äusserst charakte- ristisch sind. Im neugebauten Hause kann man doch aber nicht die Dielung aufreissen, die Balken blosslegen, um nachzusehen, ob die mikro- skopisch kleinen Pilzsporen daran hängen, Hier kann daher nur helfen, dem Pilz sein Lebenselement, die Feuchtigkeit, zu entziehen, dem Substrat das Wasser wegzunehmen, ehe es der Pilz ihm abnimmt. Die Samen- oder Sporenbildung beginnt der Pilz, sobald er gehörig erstarkt ist und irgendwie freien Horizont erreichen kann. Zuweilen entwickelt er ungeheuere schaumartige, weissliche Mycelium-Massen, ehe er zur Fruchtbildung gelangt: ein kuchenartiges Gebilde, das anfangs weisslich-rosenroth, dann in allen Nuancen, endlich purpurroth auf der weissen Fläche des Myceliums einen prächtigen Anblick bietet, den schönsten, den die Pilzwelt gewähren kann. Auf dem netzförmig- röhrigen Grunde des Fruchtkörpers (Hymenium) befindet sich der bräun- liche kurzgestielte Same von mikroskopischer Kleinheit, etwa 0,01. mm Durchmesser, in unzählbarer Menge, etwa 1500 Millionen auf einem Quadratfuss. Ein solches Fruchtgebilde von fast drei Fuss Durchmesser _ wurde vorgelegt. In England hat man eines von 15 Fuss Durchmesser beobachtet. Rechnet man nun, dass ein einziger solcher Same oder Spore ausreichen kann, um ein Haus zu ruiniren, dann erstaunt man über die Gleichgiltigkeit, mit welcher trotz aller Mahnung der gefähr- liche Feind behandelt wird. Noch immer können sich Viele nicht Ein- sicht in die wahre Natur und Ursache der durch den Häuserpilz ange- richteten Zerstörung verschaffen, wie ich sie eigentlich schon vor sechs 166 Jahres-Bericht Jahren schilderte, heute nur tiefer eingehend beschrieb, wie sie die Chemie uns lehrt. Noch immer wird der infieirte Bauschutt von einem Hause in das andere gebracht, noch immer liegt das bei Reparaturen herausgeschaffte, zerstörte, mit Pilzschwamm oder Sporen erfüllte Holz vor allen Thüren und Thoren, man kann, bitter scherzend, wohl sagen, zu Allerwelt Gebrauch, denn kaum ist ein Neuban in unserer Stadt er- richtet, ertönen schon Klagen über die Verwüstungen des Häuserpilzes. Bei solchem Verfahren kann es nicht anders kommen. Möge mein Mahnruf dieses Mal wenigstens nicht ungehört bleiben und man auf- hören, auf die angegebene Weise uns zu unnützen Geldopfern zu nöthigen. Die ausserordentliche Gefahr, füge ich noch hinzu, liegt auch darin, dass die unendlich leichten Sporen durch jeden Lufthauch in der Atmosphäre sich verbreiten. Montag legten wir in dem 35 Fuss hohen Bildhauer-Atelier, in welchem täglich gearbeitet wird, mit Glycerin be- strichene Glasplättehen in verschiedenen Höhen aus, und Donnerstag fanden wir sie alle bedeckt mit Sporen, so dass diese also überall ver- breitet waren. Das gesammte Museum schwebt in grösster Gefahr, und es ist dringend zu wissen nöthig, wie weit die Sporen auch schon in andere Räume des schönen Baues vorgedrungen sind. Eigenthümlich ist es, dass alte Bauten den Pilz fast nie zeigen, unsere Neubauten fast immer. Mit wahrem Fatalismus glaubt man, dass der Baum, der den Balken lieferte, schon infieirt war. Aber der Pilz scheint gar nicht in unseren Wäldern zu wachsen, Dr. Schröter sah ihn ebensowenig wie ich im Walde; es ist eine nirgends wild wachsende Pflanze, welche ihren Heimathschein verloren hat, gleich unseren Cultur- pflanzen. Der Pilz würde aus unseren Häusern allmählich verschwinden, wenn wir ihn in seinen Höhlen nicht nur aufsuchen, sondern auch seine Samen vertilgen würden. Eine Preisaufgabe über die Vertilgung des Pilzes halte ich nicht für nützlich, da festgestellt ist, dass er in seinen ersten Stadien nicht entdeckbar ist und wir bereits wissen, dass das Austrocknen ihn radical vernichtet, während alle Aetzmittel werthlos sind. Es giebt kein Mittel und kann keins geben, welches dem ange- | sriffenen und bereits zersetzten Holze seine Frische wiedergiebt. Als das einzige Mittel erscheint, direct auf die Ursache der Massenverbreitung des Pilzes loszugehen und diese zu hemmen. Mögen alle Bauleute in allen Orten locale Vereine bilden, die darüber wachen, dass alles in- fieirte Holz und alle Pilztheile sofort vernichtet werden und alle die Ventilation, Trockenlegung, Unterkellerung gewährenden Einrichtungen in Anwendung kommen; ein anderes Universalmittel giebt es sicher nicht. Es ist dies ein Appell des Publikums an die Baumeister, zu welchem eine zwingende Nothwendigkeit vorliegt. In erster Linie ver- hindere man das leichtsinnige Anfahren alten Bauschutts, der voller Pilzsporen steckt, an und in die Neubauten. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 167 Breslau sollte den ersten Verein bilden, um diese Summen zu sparen, und gerade Breslau ist berufen, wie in so vielen anderen Fällen, auch hier bahnbrechend zu wirken, um so mehr, da auch unsere Ge- sundheitsverhältnisse durch den Pilz wesentlich geschädigt werden. In pilzhaltisen Wohnungen treten nicht selten Massenerkrankungen (Aphthen, typhöse Krankheiten) ein, besonders in Kellerwohnungen, in denen der Pilz oft noch durch die Unreinlichkeit mancher Bewohner gefördert wird. Jedenfalls erscheint die Atmosphäre durch die Gasausdünstungen des Pilzes erheblich verschlechtert und gesundheitsschädlich, Ueber die Natur dieser Gase wissen wir noch nichts, die Untersuchungen der Herren Poleck und Thümmel werden sich aber auch auf die Gasarten er- strecken und Licht schaffen. Im Moment fehlt uns das Material, und ersuche ich daher um Nachrichten über Pilzwucherungen. Die Pilze verbreiten ihre Sporen auf die verschiedenste Weise, einige Arten werfen sie — z. B. Sphaerobolus stellatus — im Bogen empor, 8—10 Mal höher als der Pilz ist, die Agarici lassen sie herabfallen, durch Unter- schieben von Papier kann man die schönsten abdruckähnlichen Sporen- lagen erhalten. Fast alle Pilzsporen besitzen ein fettes Oel, welches ihre Anheftung erleichtert und sie ferner auch noch vor baldigem Aus- trocknen bewahrt, Schon im Bernsteinholze (Plinites suceinifer) kommen Pilzfäden vor, welche genau den heutigen entsprechen, wie überhaupt die im Bernstein erhaltenen Schimmelformen identisch sind mit den heutigen Arten. Schon damals drangen, wie noch heute, die Pilzfäden durch die Tüpfel, als den dünnsten Stellen, in die Zellen ein. Bei der nun folgenden Discussion dankt Herr Geh. Rath Dr. Biermer dem Vortragenden für den sehr lehrreichen, von so zahlreichen Demon- strationen (an 100 Einzelheiten) begleiteten Vortrag. Er sei überzeugt, “ dass das Eindringen dieser . grossen Sporen in die Luftwege reizend wirke, und glaube auch, dass die Erkrankungen der Kinder, wie sie Garten-Inspector Stein ihm mitgetheilt habe, auf den Einfluss dieses Pilzes zurückzuführen seien. Auffällig sei, dass im Museum Niemand erkrankt ist. Als Mitglied des Curatoriums des Museums bitte er um präcise Angabe, was zur Abhilfe gereichen könne. Wie weit sei der Pilz schon im Museum und ob für die Oelgemälde zu fürchten sei? Herr Geh. Rath Göppert antwortete, dass wohl schon 1879 der Pilz im östlichen Flügel des Museums und 1881 in den Directorial- räumen aufgetreten sei. Auf seinem Zuge verschone er nichts, Leinwand mit und ohne Farbe, also auch Oelgemälde, Acten, sogar bemächtige er sich der organischen Reste auf fossilen Pflanzen u. dergl. Der Haupt- fehler sei die Nichtunterkellerung des Gebäudes, welches auf dem denk- bar feuchtesten Untergrunde in nächster Nachbarschaft des 1859 mit 168 Jahres-Bericht Schutt ausgefüllten Mäuseteiches stehe. Der Pilz wird immer wieder- kommen, so lange Ventilationscanäle fehlen. Die als Ausfüllung benutzten Coakes waren durch den Pilz in 4—5 Quadratfuss breite und bis 2 Fuss tiefe Ballen zusammengebacken. Wie weit der Pilz jetzt vorgedrungen sei, wisse er nicht, wolle es aber untersuchen. Herr Professor Poleck hat im eigenen Hause in Neisse den Pilz aus drei feuchtgelegenen Räumen nur durch vollständiges Aushauen der infieirten Mauern, Neumauerung und Fussbodenlegung in Cement, Hohl- dielung mit Zug nach Aussen und in die Schornsteine verhüten können, alle anderen Mittel blieben erfolglos. In seiner jetzigen Amtswohnung trat der Schwamm erst im Keller und ein Jahr später in den darüber gelegenen Stuben unter den Möbeln auf. Eine Hauptgefahr liege in der Ausfüllung der Dielen mit altem Bauschutt. Er weist auf die ausführ- liche Analyse hin und hebt hervor, dass der Pilz 15 pCt. Fett und 4 pCt. Stickstoff enthalte. Herr Garten-Inspeetor Stein bemerkt, dass die Leinwand der Oel- semälde jedenfalls als günstiger Boden für den Pilz zu betrachten sei. Im eigenen Hause (Dienstwohnung) habe er leider den Pilz genügend studiren können und pflichte Professor Poleck bei, dass nur voll- ständigste Entfernung des infieirten Mauerwerks und energischer Luftzug helfe. Die ohne diese Massregel gelegten Balken, auf Cementguss ge- legt, die Balken getheert und geätzt, waren in vier Monaten an den Enden wieder total verpilzt. Der starke Luftzug sei in bewohnten Räumen aber meist unausführbar. Die imprägnirten Balken werden durch das Anschlagen der Dielen, die Verletzungen beim Abwiegen u, 8. w, stets mit frischen Anbruchstellen versehen, in welche der Pilz seine Fäden treibt. In der Wohnung des Redners seien alle denkbaren Mittel probirt worden, bedeutende Summen ausgegeben und der Erfolg sei fast Null. Herr Apotheker Müller weist auf das ungenügende Eindringen auch der besten Imprägnirung hin, die besonders im Mauerwerk ganz illusorisch sei, nur Austrocknung helfe. Herr Superintendent Altmann hat seit 50 Jahren Holzkohlenpulver als bestes Vorbauungsmittel kennen gelernt. Die Holzkohle wird als Ausfüllung der Dielen verwandt. Herr Geh. Rath Göppert betont, dass er seinen Vortrag nach Ab- schluss aller Untersuchungen als selbstständige Schrift mit Illustrationen binnen 2 Monaten im Verlage von Max Müller publieiren werde, und macht Mittheilung von dem 1885 bevorstehenden Bau eines botanischen Museums zur Aufnahme des umfangreichen, bis jetzt in zwölf ver- schiedenen Räumen befindlichen Demonstrationsmaterials, welches die Universität besitzt. # der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 169 In der zweiten Sitzung am 8. Februar sprach 1) Herr Professor Dr. Förster Ueber die Grundbedingungen für gute Tagesbeleuchtung in den Schul- zimmern, Der Vortragende führt aus, dass es bisher an präcisen Bestimmungen fehle, nach welchen bei dem Neubau von Schulen die ausreichende Tagesbeleuchtung in den Klassen gesichert werde. Das Verhältniss der Fenster-Glasfläche zur Bodenfläche sei für sich allein nicht ausreichend, da z. B. in engen Strassen und bei hohen gegenüberstehenden Gebäuden trotz der grössten Fenster die Beleuchtung der Zimmer ganz unzuläng- lich sein könne. Jeder Platz auf den Pulten, welcher sein Licht allein von den Mauern der gegenüberstehenden Gebäude erhalte, sei zum Lesen und Schreiben ungeeignet; es sei vielmehr erforderlich, dass directes Himmelslicht in ausreichender Quantität auf jeden dieser Plätze gelangen könne. Diese ausreichende Quantität sei auch nur dann segeben, wenn der Oeffnungswinkel und der Einfallswinkel für das Licht nicht unter eine bestimmte Grösse sinken, Zieht man von einem durch Himmelslicht erleuchteten Punkte der Pult- fläche 2 grade Linien, die eine zur oberen Fensterkante, die andere zur Dachkante des gegenüberstehenden Hauses, so schliessen diese Linien einen Winkel ein, den der Vortragende den Oeffnungswinkel nennen will, Dieser Winkel umfasst im Verticalschnitt den Theil des Himmels, welcher dem betreffenden Punkte das Licht sendet. Die Grösse des Oeffnungswinkels solle mindestens 5 Grad betragen. Der Einfallswinkel ist derjenige Winkel, welcher die erste der erwähnten beiden Linien (die von der oberen Fensterkante nach einem Punkte der Pultfläche gezogen wird) mit der Pultfläche selbst macht. Der Vortragende demonstrirt in einer Zeichnung, dass mit der Abnahme der Grösse des Einfallswinkels die Beleuchtung sehr rasch abnimmt, so dass z. B. bei einem Einfallswinkel von 25° die Beleuchtung nur noch !, so stark ist, wie bei einem Einfallswinkel von 65°. Der Einfalls- winkel darf nicht unter 25° sinken. Je grösser die Zimmertiefe ist, unter desto kleinerem Einfallswinkel gelangen die Lichtstrahlen auf die vom Fenster am weitesten entfernten Plätze. Der Einfallswinkel ist also massgebend für das Verhältniss zwischen der Höhe der Fenster und der Zimmertiefe. Was die Himmelsrichtung betrifft, nach welcher die Fenster anzu- legen sind, so ist die Nordseite der von vielen Seiten empfohlenen Südseite weit vorzuziehen, weil alle Vorhänge, Persiennes u. s. w., welche an hellen Tagen zur Abwehr der Sonnenstrahlen durchaus nöthig sind, für Schulen grosse Uebelstände zur Folge haben. Sie schliessen nicht 170 Jahres-Bericht nur die Sonnenstrahlen, sondern das Himmelslicht überhaupt ab, machen die Zimmer daher dunkel, müssen bei Wechsel von Bewölkung und Sonnenschein oft in einer Stunde mehrmals hinaufgezogen und wieder herabgelassen werden, beschränken die Fensteröffnung, hindern das Oefinen der Fensterflügel, sind schwer in Ordnung zu halten etc. An hellen Tagen genügt das Licht des Nordhimmels vollauf, an trüben Tagen kann das menschliche Auge den Nordhimmel vom Südhimmel nicht unter- scheiden, beide geben also gleichviel Licht ab. Bei Nordlage der Fenster fällt der Kampf mit den Sonnenstrahlen fort; Vorhänge erübrigen sich gänzlich. Eine geringe Abweichung der Fensterfront nach Osten, eine bedeutendere nach Westen — bis Nordwesten — ist zulässig, weil die Schulstunden in die Tageszeit zwischen 7 Uhr Morgens und 4 Uhr Nachmittags fallen. | Schliesslich empfiehlt der Vortragende, um mehr Licht in unge- nügend beleuchtete Schullocale zu bringen, Versuche mit Prismensystemen zu machen, welche, vor den Fenstern in der Höhe angebracht, Licht- strahlen, welche sonst das Strassenpflaster treffen würden, in die Tiefe des Zimmers hineinlenken müssen. Herr Prof. Dr. H. Cohn: Die Regel der bautechnischen Deputation in Berlin, dass die Glasfläche zur Bodenfläche der Schulzimmer sich ver- halten solle wie 1:5, stütze sich wesentlich auf seine vor 18 Jahren mitgetheilten Beobachtungen und Rathschläge. Es sei ihm aber niemals in den Sinn gekommen, dieses Verhältniss allein als Grundbedinguns für die Helligkeit der Schulzimmer anzugeben. Er habe damals eine Hellig- keitstabelle für jedes der 133 von ihm untersuchten Schulzimmer ent- worfen und ausgefüllt, in welcher notirt wurde: wie viel Fenster rechts, links, vor und hinter den Schreibenden? wie viel Fenster östlich, süd- lich, nördlich, westlich? wie viel Stock hoch sind die Häuser vis-A-vis, wie viel Schritte sind sie entfernt? wie hoch und wie breit sind die Fenster? und in welchem Stockwerke liegt das Klassenzimmer? Da fand sich, dass, wenn sonst alle Verhältnisse geregelt sind, d. h. wenn das Schulhaus auf einem freien Platze und nicht in einer engen Strasse mit hohen Häusern steht, dass dann die Zimmer hinreichend hell waren, wenn sich die Glasfläche zur Bodenfläche mindestens wie 1:5 ver- hält. War das Verhältniss geringer, so waren die Zimmer dunkel. Es gab damals eben noch keine Photometer; man musste sich mit der- artigen Umschreibungen behelfen. Nun aber hat jetzt Herr Prof. Dr, Leonhard Weber ein Photo- meter erfunden, mit dem es möglich ist, auch die Quantität des diffusen Tageslichtes an jedem Platze in wenigen Minuten zu messen. Das Wesen des ingeniösen Weber’schen Apparates beruht darauf, dass eine von einer Benzinkerze erleuchtete Milchglasplatte mittelst eines Reflexionsprismas gespiegelt wird neben eine vom Tageslicht be- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 171 leuchtete weisse Platte. Die beiden Felder werden durch ein rothes Glas betrachtet und die Milchglasplatte der Benzinkerze entweder ge- nähert oder von ihr entfernt, bis beide Felder gleich hell roth er- scheinen. Von grösstem Werthe sind diese Messungen zur vergleichenden Betrachtung des Verhältnisses des hellsten Platzes zum dunkelsten in den verschiedenen Klassen, möge nun das Tageslicht überhaupt sehr splendid oder sehr gering sein. So zeigt sich denn, dass im Elisabet-Gymnasium der dunkelste Platz 43—48 mal dunkler ist als der hellste, in der Ober-Realschule dagegen nur 7, resp. 3 mal dunkler. In Frankreich ist übrigens die Frage nach der besten Tages- beleuchtung in den Klassen schon vor einigen Jahren eingehend diseutirt und das Stück Himmel, welches vom Schülerplatze aus gesehen werden muss, in den Vorschlägen der Commission, welche der Minister einge- setzt hatte, berücksichtigt worden. Auch verlangte bereits Javal in Paris vor Jahren mit Recht, dass der Abstand der gegenüberliegenden Gebäude doppelt so gross sein müsse, als die Höhe derselben. Die Er- örterungen des Herrn Prof. Förster dürften wohl zu denselben Resul- taten führen. Dass die Klassen einzelner Schulen aus den Parterreräumen in die höheren Stockwerke kommen sollen, habe er schon 1865 beantragt; der Antrag wurde auch in das Promemoria „zur Verbesserung der Schul- zimmer‘ aufgenommen, welches im April 1865 von der schlesichen Ge- sellschaft an alle Behörden geschickt wurde. Was den zweiten Punkt anlangt, den Herr Prof. Förster betont hat, nämlich die Himmelsrichtung der Fenster, so ist es allerdings richtig, dass alle Arten Rouleaux, Persiennes und Vorhänge in den Schulen sehr viele Inconvenienzen mit sich bringen; meist sind sie auch in Unordnung, aber fast alle Autoren, ausser Reclam, sind für eine mehr südliche oder östliche Richtung der Fenster, da bei derselben zweifellos mehr Licht ins Zimmer kommt, als bei nördlicher Richtung. Selbst an sehr dunklen Tagen könne er an seiner Wohnung und in seiner Anstalt, welche nach N. und 9. ganz frei gelegen, bedeutende Unterschiede der Helliskeit in den nördlichen und südlichen Zimmern wahrnehmen. Seine photometrischen Messungen haben das auch schon ergeben; in einem südlichen Zimmer der Oberrealschule war am Fenster das Licht = 133 Normalkerzen, in einem nördlichen nur = 35 Normalkerzen. Will man also, um die Vorhänge zu vermeiden, die Schulzimmer nach Norden legen, so müssten die Fenster noch grösser gemacht werden. Endlich sei er der Ansicht, dass wir jeden Versuch, unsere alten jammervollen Schullocale mit mehr Licht zu versehen, dankend acceptiren müssen, und wir werden gut thun, den originellen Vorschlag des Herrn 172 Jahres-Bericht Prof. Förster, mittels Prismen das Himmelslicht tiefer in die Klassen hineinzuleiten, zu probiren, wenn er auch ziemlich kostspielig sein wird. Herr Dr. Steuer schliesst sich mit voller Entschiedenheit der These des Vortragenden an, dass die Fenster nach Norden liegen sollen. Die emporgezogenen Rouleaux verdecken grade den für die Beleuchtung werthvollsten Theil der Fenster und die Persiennes stören die Ventilation, welehe im Sommer vorwiegend durch das Oeffnen der Fenster bewirkt werden muss. Herr Dr. Steuer hat in hiesigen Schulen statt der üblichen unzweckmässigen Rouleaux Zugvorhänge empfohlen, die sich am Pfeiler befinden und somit, wenn sie nicht gebraucht werden, kein Licht rauben. Herr Prof. Dr. Förster erwidert Herrn Prof. Dr. Cohn, dass der qu. Ministerial-Erlass das Verhältniss der Fenster zur Bodenfläche als Grundbedingung aufstellt, ohne von der Umgebung des Hauses zu sprechen. Er habe sich grade bemüht, für den Baumeister Prineipien zu gewinnen, welche dem vorbeugen sollen, dass hinterher Lichtmangel nachgewiesen werden könne, Herr Prof. Dr. H. Cohn: Es ist sehr richtig, dass die Beleuchtung ausserordentlich abnimmt, wenn grade die oberste Scheibe durch einen Vorhang verdeckt wird. Wir fanden am schlechtesten Platze in der ersten Klasse der Baugewerkschule am Lehmdamm 18,7 Normalkerzen, und als wir den oberen Bogen der Fenster (welcher nur 0,6 m hoch ist bei einer Gesammthöhe der Fenster von 2,4 m) mit dem grauen Rouleaux verdecken liessen, also nur den 4. Theil der gesammten Glasfläche verdeckten, so sank die Beleuchtung auf 10,4 Normalkerzen, also fast auf die Hälfte. — In anderen Ländern sucht man jetzt durch wahre Atelierfenster den Augen der Schulkinder zu nützen. In dieser Beziehung könnte auch bei uns noch viel geschehen! So gut der Kauf- mann für seine Schaufenster einige Pfeiler wegnehmen lassen kann, ebensogut könnte dies in vielen alten Schulen geschehen. Herr Dr. Traube möchte aus dem Gehörten die praktische Folge- rung ziehen, dass zunächst unter den gegebenen Verhältnissen die Schul- zimmer aus dem Parterre in die höheren Etagen verlegt werden müssen. 2. Herr Geheimer Medieinal-Rath Prof. Dr. Göppert macht einige nachträgliche Mittheilungen zu seinem in der ersten Sitzung d. J. ge- haltenen Vortrage „über den Häuserschwamm und seine Be- kämpfung im Museum der bildenden Künste,“ „Es kommt vielleicht Manchem sonderbar vor, dass ich unser Provinzial-Museum zum Ausgangspunkt meiner Untersuchungen über den Häuserschwamm machte, als ob hier etwas Eigenthümliches vorkäme. Dies ist nun keineswegs der Fall; denn fast bei allen unseren Bauten zeigt sich leider nur eine zu ausgedehnte Verbreitung des Häuser- pilzes. Bei jedem Neubau wird es daher fast nothwendig, auch an der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 173 die Bestreitung der Reparaturkosten zu denken, welche nach wenig Jahren schon nothwendig werden. Wenn man die bedeutenden Summen in Anschlag bringt, welche bei uns auf solche Weise erfordert wurden, dürfte man mich einer Uebertreibung nicht beschuldigen. Welche Kunstschätze hätte nicht unser Museum, bei der dankenswerthen Umsicht und Sorgfalt, die die Provinzialstände auf die Förderung ihrer schönen Schöpfung verwenden, erlangen hönnen, wenn nicht die fort und fort nöthigen Reparaturkosten hemmend entgegenträten. Leider ist man damit noch lange nicht am Ende. Vergangenheit und Gegenwart melden sich. Denn in dem erst vor kaum 2 Jahren vermeintlich vom Pilz befreiten Theile hat er schon wieder seinen Einzug ge- halten und in dem 37 F, hohen Bildhauer-Atelier haust er eben so noch wie vor Monaten und versorgt durch den Verkehr wie durch die Heiz- canäle die ganze Umgebung mit Sporen oder Samen, die auch aus dem mit dem noch vorhandenen alten mit Sporen erfüllten Holzwerke der Lichthöfe sich in die Höhen erheben. In der That fanden sich auf den an 100 einzelnen Stellen mit Glycerin bestrichenen Glasplättchen (als das beste Reagens für Untersuchungen dieser Art) Sporen in den Sälen parterre des Alterthumsmuseums, dem Corridor, in der Höhe des Malerateliers und des Ateliers selbst u. s. w. Die Untersuchungen werden im Verein mit meinen Herren Assistenten Dr. Lakowitz und Cand. Phil. Hellwig fortgesetzt und versprechen wohl auch ein praktisches Resultat, sobald man sich entschliesst, der Stimme der Wissenschaft überhaupt Gehör zu geben, für welche ich schon seit Jahren kämpfte, und die bald von nah und fern sich erheben und endlich auch hier wohl Erhörung finden wird. Die in meiner letzten Mittheilung angezeigte Schrift mit den die Verhältnisse des Häuserpilzes erläuternden Illustrationen erscheint im Verlage bei Herrn Max Müller in 2 Monaten,“ In der dritten Sitzung am 22. Februar sprach 1) Herr Professor Dr. H. Cohn über die Geschichte einer wörtlich abgeschriebenen Hygiene des Auges. Der Vortragende hatte bei den Vorarbeiten für seine „Hygiene des Auges in den Schulen‘ ein Buch gefunden, welches den Titel führt: ,„F. L. de la Fontaine (vormals Kgl. Polnischer Hofrath und wirklicher Leibchirurgus) über den vernünftigen Gebrauch und die zweckmässige Pflege der Augen. Herausgegeben von Prof. extraord. Dr. med. J. R. Lichtenstädt, Secretair der med. Gesellsch. zu Breslau. Breslau, bei W. G. Korn 1824,“ Dieses ganze Buch ist sogar mit der Vorrede wörtlich von der ersten bis zur letzten Zeile abgeschrieben aus einer der be- 174 Jahres - Bericht rühmtesten Schriften, welche den Titel führt: „Pflege gesunder und geschwächter Augen, nebst einer Vorschrift, wie man sich bei plötzlichen Zufällen an den Augen, welche nicht eine eigentliche medi- einisch-chirurgische Kenntniss erfordern, selbst helfen kann. Von Georg Josef Beer, der Arzneiwissenschaft Doctor und beeideter Augenarzt an der K. K. Universität zu Wien. Wien bei dem Verfasser und Leipzig in der Weidmann’schen Buchhandlung 1800. Nur drei kleine unwesentliche Sätzchen fanden sich in der Schrift von Lafontaine, welche nicht in Beer’s Buche standen; dagegen sind viele Capitel Beer’s ausgelassen, das Wort ‚Wien‘ stets geflissentlich semieden, die Bewohner Wiens, welche Beer häufig eitirt, in die Be- wohner grosser Städte verwandelt; jedoch viele Sätze, in denen Beer „ich“ schreibt, sind in dieser Construction bei Lafontaine stehen ge- blieben. Dabei wird in der ganzen Lafontaine’schen Schrift niemals der Name Beer genannt. Nach der Entdeckung eines so unerhörten, in der Geschichte der Mediein vielleicht einzig dastehenden Plagiats mussten natürlich die Fragen beantwortet werden: Wer war der Abschreiber Lafontaine und wer der Herausgeber Lichtenstädt? Durch die Güte der Professoren Dr. Szokalsky und Dr. Kos- ninski in Warschau erhielt der Vortragende biographische Notizen über Lafontaine, welcher 1756 in Bibek in Schwaben geboren, in Strassburg und Wien Stud. med. gewesen, dann in Krakau als Arzt, später 1787 in Warschau als Leibarzt des Königs Stanislaus August thätig war, 1807 wurde er General-Chirurg des polnischen Heeres, ge- rieth 1812 in russische Gefangenschaft und starb 1812 in Mohilew. Ausser verschiedenen polnischen Arbeiten schrieb er ein deutsches Werk „Ueber den Weichselzopf“, auf Grund dessen ihm die medieinische Facultät in Halle das Diplom als Doctor zusendete. Viele gelehrte Gesellschaften wählten ihn zum Mitgliede, und im Jahre 1811 wurde er sogar Ehrenmitglied der Krakauer Universität. Von 1801—1802 gab Lafontaine eine populär-medieinische Zeitschrift heraus, „Dziennik zdrowia“ (Gesundheits-Zeitung); im 4. Bande derselben sollte sich ein populärer Aufsatz über die Pflege des Auges befinden. Diese seltene Zeitschrift erhielt nun der Vortragende von der Warschauer Bibliothek und in derselben fand er pag. 90 den Aufsatz „‚O chorobach oezu“ (Ueber die Krankheiten der Augen). | In der Einleitung dieses Aufsatzes sagt Lafontaine, dass er mit seinen eigenen, so oftmals gemachten Beobachtungen alles vereine, was Andere darüber geschrieben. „Für Nichtärzte am nützlichsten haben geschrieben Sömmering, Beer, Busch und Lichtenberg, aus deren Werken ich das, was bemerkenswerther ist, hier aulnehme,“ Ausser in diesem Satze kommt niemals mehr das Wort der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 175 „Beer“ in der polnischen Arbeit vor. Er bringt von pag. 98 an die wortgetreue Uebersetzung der ganzen Beer’schen Schrift: auch finden wir dort die Capitel und Alineas Beer’s, die in der deutschen Ausgabe ausgelassen sind; aber auch hier ist „ich“ gebraucht, so dass man glauben muss, „ich“ sei Lafontaine und nicht Beer. Es ist, gelinde gesagt, sehr auffallend, dass Lafontaine in der Einleitung nicht sagt, dass er nun das ganze Buch von Beer übersetzen werde. Der Herausgeber Lichtenstädt stammt aus Glogau, wurde 1815 in Berlin Doctor, 1819 in Breslau Privatdocent der Medizin, 1824 hier ausserordentlicher Professor, schrieb über Heilmittellehre, über Cholera, über Platon’s Lehren auf dem Gebiete der Naturforschung, ging 1830 nach Petersburg, wurde dort Mitglied der russischen Akademie der Wissenschaften und erhielt daselbst den ersten Preis von der Kaiserlichen ökonomischen Gesellschaft für ein Werk ,‚Ueber die Ursachen der srossen Sterblichkeit der Kinder des ersten Lebensjahres“. Von 1821 bis 1850 war Lichtenstädt Secretair der medicinischen Section zu Breslau und wird in allen Berichten als überaus fleissig und bescheiden gerühmt. Am 2, Januar 1823 hielt er in der medicinischen Section einen Vortrag, in dem er „aus dem späterhin von ihm zum Theil heraus- gegebenen Nachlasse des berühmten Lafontaine Bemerkungen über die Beschaffenheit des Auges und das zweckmässigste diätetische Verhalten desselben mittheilte, dieum so mehr Wechselreden veranlassten, je mehr sie in einzelnen Beziehungen der gewöhnlichen Ansicht wider- sprechen.‘ Obgleich also in unserer medieinischen Section damals eine starke Discussion stattgefunden haben muss, hat wohl keiner der. An- wesenden eine Ahnung davon gehabt, dass die Schrift von Lafontaine eine wörtliche Abschrift von Beer war. Liehtenstädt kannte offenbar die polnische Ausgabe von La- fontaine nicht; ihm lag nur das deutsche Manusecript vor; das lässt sich durch verschiedene Bemerkungen des Herausgebers nachweisen. Lichtenstädt hat auch eine Reihe lesenswerther Noten zu der Schrift, die er edirte, gemacht, in denen er abweichende Ansichten von La- fontaine vorträgt. Später fand der Vortragende noch ein anderes bei Korn in Breslau 1824 erschienenes Buch, das den Titel führt: ,„F.L. de la Fontaine, hinterlassene medicinische Schriften, herausgegeben von Lich- tenstädt“, in dem nochmals die ganze Abschrift aus Beer abgedruckt ist. Hierzu existirt aber ein Vorwort von Lichtenstädt. In dem- selben rühmt er Lafontaine’s allgemein anerkannte Arbeit über den Weichselzopf und fährt fort: „Bei dieser Ueberzeugung von dem Werthe jener Schrift ergriff ich mit Vergnügen die Aufforderung des Herrn Verlegers (Korn), die hinterlassenen Schriften des verstorbenen 176 Jahres - Bericht Lafontaine dem Publikum vorzulegen. ... Auch hat der Verfasser, wie aus mehreren Randbemerkungen erhellt, diese Abhandlung wohl nicht zur Bekanntmachung in deutscher Sprache, sondern zur Ueber- setzung ins Polnische bestimmt, welches auszuführen zweckmässig wäre, wenn, was mir unbekannt ist, in dieser Sprache noch nichts Aehn- liches existirt u. s. w.“ Der Vortragende fand endlich unter den alten Verlagsartikeln in der Korn’schen Buchhandlung noch eine überaus seltene Ausgabe dieser hinterlassenen Schriften mit Lebensbeschreibung und Bildniss von Lafontaine, welche dem Verleger erst später eingesendet wurden, so dass nur noch eine kleine Anzahl Exemplare diese Beilage erhalten konnte. Die Sache erklärt sieh nunmehr so: Lafontaine hat sich zweifel- los das Buch von Beer wörtlich abgeschrieben und nur die ihm weniger wichtig scheinenden Stellen ausgelassen, besonders wohl, um es für seine Gesundheits-Zeitung übersetzen zu lassen. Es wäre ihm gewiss nicht in den Sinn gekommen, diese Schrift unter seinem Namen deutsch herauszugeben. In seinem Nachlasse wurde nun diese wörtliche Abschrift, zu der jedenfalls das Titelblatt fehlte, gefunden und 12 Jahre nach Lafontaine’s Tode von Professor Lichtenstädt, dem der literarische Nachlass von Korn übergeben wurde, ohne Weiteres herausgegeben. Das ist eben der Vorwurf, den man Lichtenstädt nicht ersparen kann, dass er einBuch edirte, ohne die Literatur des Gegen- standes zu kennen, speciell das beste Werk zu kennen, das man damals besass, das Werk von Beer. Merkwürdig ist jedenfalls, dass eine solche Abschrift des Beer’schen Buches bisher unentdeekt geblieben. Der Nachdruck erschien 1824; Beer selbst war 1821 gestorben. Hätte er gelebt, so hätte er sicher eben so energisch protestirt, wie gegen Professor Benedict in Breslau, der Beer’s Collegienhefte ohne seine Erlaubniss 1811 her- ausgab. In Frankreich hatte Beer’s Schrift bereits 1813 vier Auflagen erlebt, und in Deutschland war sie den Fachmännern als trefllich bekannt. Das Beer’sche Buch ist aber nicht blos für das Jahr 1800, sondern noch heut, wo man die Hygiene des Auges allerdings viel wissenschaft- licher behandelt, von allergrösstem Werthe; es war überhaupt die erste Hygiene des Auges; die Capitel über die VUeberbürdung der Augen der Kinder und über die Kurzsichtigkeit sind noch heut höchst zeitgemäss. Der Vortragende liest zum Beweise einzelne Paragraphen aus Beer vor und schliesst mit folgenden Sätzen Beer’s: „Man sieht, dass die Kinder viel zu früh angehalten werden, ihre Augen nicht nur anzu- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 177 strengen, sondern auch mit der unausgesetzten Betrachtung naher und kleiner Gegenstände zu beschäftigen. Sollte man nicht lieber fragen: Warum es so wenige Kurzsichtige in der wohlhabenden Klasse giebt? Wer es überhaupt so oft sieht, wie unverantwort- lich Eltern und Erzieher auf die Augen ihrer Kinder und Zöglinge losstürmen, wer so oft in dem freundschaftlichen Tone gegen alle diese eingewurzelten Vorurtheile fruchtlos gepredigt und die unausbleiblichen Nachtheile einer solehen Erziehung unwiderleglich und doch ohne Erfolg bewiesen hat, wie ich, dem muss es wahrlich sauer werden, wenn er alle seine wohlgemeinten und auf Erfahrung gegründeten Rath- schläge öffentlich wiederholen und dabei denken muss, dass seine Stimme vielleicht nur Wenige bekehren dürfte. Aber auch schon diese Wenigen sollen mir der reichlichste Lohn für alle die fruchtlosen Bemühungen sein, die ich seit so vielen Jahren zum Besten der armen Kinder an- wendete.‘ Möchten wenigstens jetzt nach 84 Jahren die guten hygienischen Winke von Beer endlich beherzigt werden! Herr Professor Förster bemerkt, dass er in seinen ophthalmo- logischen Beiträgen (1862) auf ein ähnliches Plagiat in grossem Stile aufmerksam gemacht habe. Das Lehrbuch der Augenheilkunde von J. J. Plenk sei durch den Engländer Rowley grossentheils wörtlich abgeschrieben und als sein eigenes Product herausgegeben worden. Im Jahre 1792 sei dann eine deutsche Uebersetzung von Rowley’s Buch in Breslau erschienen. 2) Herr Professor Dr. L. W'eber demonstrirte einen Apparat, welcher zur Messung der Helligkeit des diffusen Tages- lichtes bestimmt war. Dem Versuche, die Helliskeit des Tages- lichtes auf das Mass einer Normalkerze zurückzuführen, stellt sich zu- nächst eine physiologische Schwierigkeit entgegen, welche durch die ver- schiedene Färbung des Tageslichtes und der Normalkerzen begründet ist. Die Lichtintensitäten beider Arten von Licht sind physikalisch in- commensurabel. Um dennoch zu einem zahlenmässigen Ausdruck zu gelangen, kann man zuvörderst diejenigen Theile des Tageslichtes, welche durch ein nahezu monochromatisches, z. B. durch Kupferoxydul rothgefärbtes Glas hindurchgelassen werden, mit dem entsprechenden Antheile einer Normalkerze vergleichen. Dadurch gewinnt man auf eine weiterhin anzugebende Weise einen Zahlenausdruck für die Helligkeit des in dem Tageslichte enthaltenen rothen Lichtes, ausgedrückt durch das in einer Normalkerze enthaltene rothe Licht. Dieser Werth ist dann zu multiplieiren mit einem Coeffieienten, welcher angiebt, in welchem Verhältnisse bei gleichen Helliskeiten des Tageslichtes und des Normal- kerzenlichtes die beiderseitigen Antheile an rothem Licht zu einander stehen. Für eine unveränderliche Sorte von Tageslicht ist dieser 1884. 12 178 Jahres-Bericht Ä Coeffieient durch bezügliche, ein für allemal anzustellende Vorversuche zu ermitteln, bei welchem auf die normale Beschaffenheit des Auges vom Beobachter und auf die einschlägigen physiologischen Gesetze Rück- sicht zu nehmen ist. Bei Aenderungen in der Farbenzusammensetzung des Tageslichtes, wie sie z. B. bei niedrigem Stande der Sonne vor- kommen, lässt sich der Werth jenes Coefficienten aus Tabellen ent- nehmen, wenn noch ausser der Messung des rothen Lichtes eine zweite mit grünem Glase gemacht wird. Von den Herren Mac& de L&pinay und Nicati in Marseille und auch vom Vortragenden sind solche nach dem Intensitätsverhältnisse Roth — Grün geordnete Tabellen zur Er- mittelung jenes physiologischen Coeffiecienten entworfen. ') Die Ausmessung des im Tageslichte enthaltenen diffusen rothen Lichtes geschieht auf folgende Weise: In einem dunklen Raum wird zunächst ein Vorversuch gemacht, bei welchem eine mit mattem weissen Carton oder mit Barytweiss überzogene Fläche von einer in Im senk- rechtem Abstand aufgestellten Normalkerze beleuchtet wird. Auf diese Fläche wird das bewegliche Beobachtungsrohr des Photometers ge- richtet. Dasselbe ist im Wesentlichen an beiden Enden offen und nur an der Ocularöffnung mit einem rothen Glase verschlossen. In der Mitte des Rohres befindet sich jedoch ein als Spiegel dienendes Reflexions- prisma, welches die rechte Hälfte des Gesichtsfeldes bedeckt und die letztere mit dem Lichte der in einem zweiten horizontalen festen Tubus verschiebbaren Milchglasplatte erleuchtet. Diese Milchglasplatte wird ihrerseits von einer als Hilfsnormallicht dienenden Benzinkerze be- schienen und kann durch einen einfachen Trieb so eingestellt werden, dass beide Hälften des Gesichtsfeldes gleich hell erscheinen. Man liest bei dieser Einstellung den Abstand des Milchglases von der Benzinkerze an einer Scala ab. Soll nun für einen Platz eines mit diffusem Lichte erfüllten Raumes die Helligkeit bestimmt werden, so bringt man den- selben weissen Schirm an den betreffenden Platz, und zwar in die- jenige Lage — horizontal oder vertical — für welche man die Hellig- keit ermitteln will. Der bewegliche Tubus des Photometers wird jetzt auf den Schirm gerichtet und durch Verschiebung der Milchslasplatte abermals eine Einstellung auf gleiche Helligkeit gemacht. Die Ent- fernung von der Benzinkerze ist jetzt im Allgemeinen eine andere und wird wieder abgelesen. Das Verhältniss der Quadrate beider Ablesungs- zahlen giebt ohne Weiteres die Intensität des auf den Schirm fallenden diffusen Lichtes, d. h. es wird dadurch ermittelt, wie viel Normal- ‘) Herr Professor H, Cohn hat die Freundlichkeit gehabt, das Auge des Vortragenden auf Farbensinn zu untersuchen. Dasselbe stellte sich als voll- kommen normal heraus und können daher die berechneten physiologischen Coeffieienten als für ein normales Auge giltig angesehen werden. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 179 kerzen erforderlich sind, um bei senkrechter Ineidenz in der Entfernung eines Meters den weissen Schirm eben so hell zu erleuchten, als es durch das an der betreffenden Stelle vorhandene diffuse Licht factisch geschieht. Der er- wähnte Vorversuch im dunklen Zimmer braucht natürlich für wieder- holte Messungen des Tageslichtes nur einmal gemacht zu werden. Für grössere Helligkeiten ist vorne am beweglichen Tubus eine Vorrichtung getroffen, durch welche das Licht in der linken Hälfte des Gesichts- feldes mittelst einer oder mehrerer Milchgläser mit zuvor bestimmten Absorptionsconstanten abgeschwächt werden kann. Ausserdem ist eine Controle der Flammenlänge der Benzinkerze erforderlich, welche mittelst kleiner auf Spiegelglas befindlicher Scala ausgeübt wird. Abweichungen von der für die Berechnungen zu Grunde gelegten Flammenlänge von 2 cm lassen sich durch procentische Vergrösserung oder Verkleinerung des Endresultates berücksichtigen. Für die Praxis gestalten sich demnach die Messungen wie folgt: Aufstellung des weissen Schirmes; Einstellung des Photometers; Ab- lesung: 1) der Flammenlänge, 2) der Entfernung des verschiebbaren Milchglases von der Benzinkerze, 3) Notiz über die Anzahl der in dem beweglichen Tubus zur Abschwächung vorgesetzten Glasplatten. Aus letzteren drei Beobachtungsdaten wird mittelst vorberechneter Tabellen entnommen die Helliskeit des rothen Theiles des beobachteten diffusen Liehtes, ausgedrückt in „Meternormalkerzen“, 3) Herr Prof. Dr. Metzdorf zeigt Proben von nach Koch’s Vor- schrift sterilisirtem Blutserum vor, welche durch die Schuchardt’sche chemische Fabrik in Görlitz, das Glas zu 40 Pf,, neuerdings in den Handel gebracht worden sind, 4) Herr Professor Dr. H. Cohn hält einen Vortrag über künstliche Beleuchtung in den Schulzimmern. Seit der Nachmittags-Unterricht aufgehoben ist, werden die meisten Schulstunden bei sogenanntem Tageslicht gegeben. Er wolle nicht darüber streiten, ob es nicht besser wäre, wie früher 3 Stunden Vor- mittags und 2 Stunden Nachmittags mit einer gehörigen Pause von 2 Stunden zu ertheilen. In Wirklichkeit müssen die Schüler ja doch zu einzelnen Stunden noch Nachmittags in die Klassen kommen; andererseits sind bei dem fünfstündigen Vormittags-Unterricht viel zu kurze Pausen. Aber selbst bei ausfallendem Nachmittags-Unterricht ist die künstliche Beleuchtung doch sehr wichtig, speciell in Breslau, weil in den finsteren Zimmern im Winter 2, in manchen Localen selbst 3—4 Stunden Vormittags Gas gebrannt werden muss. Die erste Frage, um die es sich hier handelt, ist die nach dem Beleuchtungs - Material: Gas oder Petroleum? Vor einiger Zeit 12* 180 Jahres- Bericht theilte ihm Herr Professor Virchow schriftlich mit, dass der Herr Kriegsminister zur Verhütung der Kurzsichtigkeit unter den Schülern eine Verfügung erlassen habe, welche das Gaslicht in den Schul- und Arbeitsstuben der Militair - Bildungs- und Cadetten - Anstalten aus- schliesst, und dass man in Berlin glaubt, es sei diese Verfügung auf seine Initiative zurückzuführen. Er habe aber niemals gegen das Gas in den Schulen gesprochen. Im Gegentheil, er habe es als das reinlichste, bequemste und hellste Beleuchtungsmaterial für Schulen in allen seinen Schriften empfohlen. Auf dem hygienischen Congress zu Berlin habe er im vorigen Jahre noch besonders gegenüber dem Herrn Baurath Mal- komess aus Frankfurt das Gas vertheidigt. M. war für die Einführung des allerdings bedeutend billigeren Petroleums; er habe ihm in der Discussion erwidert, man müsste dann erst eine Schule für Schul- diener gründen, denn wenn die Petroleumlampen nicht sorgfältig täg- lich gereinigt werden, brennen sie erbärmlich, und wie es mit der Sorg- falt der Schuldiener bestellt sei, wisse Jedermann. Die wissenschaftliche Prüfungsdeputation hat nun auch in ihrem neuesten Gutachten vom 19. December 1833 „über die Ueber- bürdung der Schüler“, das soeben an das Abgeordnetenhaus vertheilt worden ist, sich der Anordnung des Herrn Kriegsministers nicht an- geschlossen und sagt sehr richtig ausdrücklich pag. 14: ,‚Unseres Wissens sind keine massgebenden Erfahrungen über die Schädlichkeit des Gaslichts in den Schulen veröffentlicht worden; alle Klagen beziehen sich auf ungehörige Placirung und unzweckmässige Con- struction oder auf ungenügende Anzahl der Gaslampen, zu- weilen aueh auf das Brennen ganz freier Gasflammen.“ Wenn wir gute und billige elektrische Beleuchtung für die Schulzimmer bekommen könnten, so wäre dieselbe wegen der grösseren Helligkeit und der geringen Wärmeentwickelung natürlich. noch viel er- wünschter; unter den gegebenen Umständen aber sei er für die Gas- beleuchtung. Es handelt sich zweitens um die Zahl der Flammen in einem Zimmer. Früher habe er für 16 Kinder eine Flamme vorgeschlagen; Falk erklärte diese Zahl für zu freigebig, Baginsky für zu gering. Emmert wünschte für 12, die sächsische Regierung für 7, Varrentrapp tür 4 Kinder und Javal für jedes Kind eine Flamme. In Upsala hat man in der Realschule mittels Gaslampen und Reflectoren eine links- seitige Beleuchtung hergestellt, welche die Tagesbeleuchtung ziemlich gut imitiren soll. In Berlin fand Baginski 1 Flamme für 10 Schüler; in sehr grossen Klassen Breslaus findet man nur 2 oder 4 Flammen, In Frankreich hat der Unterrichts-Minister schon vor einigen Jahren eine eigene Commission von Aerzten eingesetzt, die ihm betreffs der Schul- hygiene Vorschläge machen sollte. Da heisst es in dem officiellen Be- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 181 richte von Dr. Gariel wörtlich: ,Das Ideal würde sein, dass jedes Kind seine eigene Lampe hat und zur Vermehrung noch von der all- gemeinen Beleuchtung des Saales Nutzen zöge; aber gegenwärtig wird immer nur durch unzureichende Beleuchtung der Schulen gesündigt; ein Excess ist durchaus nicht zn fürchten.“ Nach seinen Beobachtungen in der Taubstummen-Anstalt zu Breslau halte er eine richtig angebrachte sute Gasflamme für ausreichend für vier Kinder, Es handelt sich drittens um die Cylinder. Vor 20 Jahren habe er hier in keiner der von ihm untersuchten 133 Klassen andere als offene Schmetterlingsflammen gefunden. Solche sind durchaus nicht zu dulden; denn das Flackern, d.h. die beständige stossweise Bewegung des Gasstromes, verursacht einen schnellen Wechsel von stärkerer und schwächerer Beleuchtung und dadurch eine schädliche intermittirende Netzhautreizung. Wahrscheinlich gehen bei dem Flackern der offenen Flammen fortwährende Veränderungen in der Contraction des Accom- modationsmuskels vor sich, welche schnell eine Ermüdung der Augen herbeiführen. Bis 1867 gab es in unserer Universität nur offene Schnittbrenner; erst nach seinem Berichte über die Augen der Breslauer Studenten wurden Schirme und Cylinder angebracht. Wir haben zwar vor 18 Jahren hier in der pädagogischen Section ein Promemoria ‚zur Verbesserung der Schulzimmer“ ausgearbeitet und haben dasselbe an die Behörden ver- schickt; in demselben war ausdrücklich betont, dass offene Gasflammen nicht zu dulden seien, sondern dass Cylinder und Glocken angeschafft werden müssen. Er habe bei verschiedenen Gelegenheiten seitdem immer wieder öffentlich urgirt, dass noch immer in den Breslauer Schulen die Flammen frei brennen, u. A. auch in der Rede, die er auf der Natur- forscher-Versammlung zu Danzig i. J. 1830 über .‚Schrift, Druck und über- handnehmende Kurzsichtigkeit‘“ hielt, und im vorigen Jahre auf dem hygienischen Congress zu Berlin; es hat alles nichts genützt; fast in allen Klassen Breslaus brennen noch heut die Flammen offen. Dabei ist es natürlich über der Köpfen der Kinder hell, auf dem Tische aber dunkel, und oft fällt noch der Schatten des Kopfes gerade auf die Schrift. Es handelt sich doch aber hauptsächlich darum, dass das Licht voll auf den Tisch fällt. Schon damit man gezwungen ist, Cylinder zu benützen, müssten alle Schnittbrenner entfernt und durch Argandbrenner ersetzt werden; letztere können nämlich ohne Cylinder überhaupt nicht gebraucht werden. Das Flackern hört natürlich bei Anwendung der Cylinder sofort auf. In mehreren Anstalten wurde ihm gesagt, man schaffe keine Oylinder mehr an, da sie ja doch von den Schülern zerbrochen werden, und die steten Neuanschaffungen zu kostspielig wären. Davon, dass Glim- mercylinder existirten, war einem der gefeiertsten Philologen (ausser- h; 4 halb Breslau) nichts bekannt. Letztere sind mit grösstem Nutzen in der Universität eingeführt und sollten in keiner Schule fehlen. Freilich muss man beim Putzen mit ihnen etwas vorsichtig umgehen. Uebrigens müsste sich die Disciplin, die so vieles in den Klassen durchsetzt, auch darauf erstrecken können, dass Beschädigungen von Cylindern und Glocken nicht vorkommen. Von grosser Wichtigkeit ist viertens die Frage der Glocken oder Schirme. Da das Licht auf den Tischen concentrirt werden soll, sind durchaus Schirme nöthig. Schon vor 18 Jahren habe er vor- geschlagen, konische Blechschirme von 6 Zoll Höhe, 6 Zoll Seite der oberen und 18 Zoll Seite der unteren Oeffnung auf jede Flammen zu setzen. Mit dem grössten Nutzen sind sie mit nur kleinen Grössen- Veränderungen in der Taubstummen-Anstalt eingeführt; dort haben sie unten 40, oben 10 Centimeter Durchmesser und 12 Centimeter Höhe; sie bewähren sich sehr gut. Auch das Strassburger Gutachten empfiehlt Cylinder und Blechschirme und ist gegen die Benützung der Glocken, welche zu viel Licht ab- sorbiren. Eine sehr interessante und werthvolle Arbeit über die Ab- sorption des Lichtes durch Lampenteller und -Glocken hat Hartley in London geschrieben; er fand, dass das gewöhnliche Milchglas 33 bis 60 pCt. Licht entziehe, ein matter Lampenteller sogar mehr als 60 pCt. Diese Untersuchungen von Hartley sind erst 1881 veröffentlicht worden im Journal of Gas-Lighting, konnten also der wissenschaftlichen Prüfungs - Deputation noch nicht bekannt sein, welche sich im Jahre 1577 für matte Glocken, event. Lampenteller aussprach. In demselben Gutachten heisst es wunderlicherweise: „Sehr nachtheilig sind aber die dunklen undurchlässigen Blechschirme und alle Klagen beim Gebrauche des Gaslichtes sind fast durchgängig nur auf diese unzweekmässige Ein- richtung zurückzuführen. Da nämlich das Auge hierbei im Dunklen verweilt (?), so muss auf die Dauer Blendung und Ueberreizung der Augen mit ihren nachtheiligen Folgen entstehen. Ganz geeignet sind nur Milchglasglocken, welche das Licht mehr zerstreuen und das Auge nicht unangenehm beeinflussen.“ | Wenn die Flammen und also auch die Lampenschirme hoch genug angebracht sind, so ist von dem Verweilen des Auges im Dunkeln ja gar keine Rede. Es könnte dies nur stattfinden, wenn die Lampen mit ihren Schirmen ganz tief ständen, was schon der Wärme des Gases wegen kaum jemals vorkommen kann. Es ist daher sehr auffallend, dass noch in dem neuesten Gutachten der wissenschaftlichen Deputation (pag. 26) auf dieses alte Gutachten derselben Behörde recurrirt und ausdrücklich gegen das Strassburger Gutachten gekämpft wird. Er habe niemals etwas von Blendung bei richtig angebrachten dunklen Blech- schirmen gehört. Ob aber innen polirte oder innen weiss 182 Jahres - Bericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 183 lackirte Blechschirme mehr Licht zurückwerfen, wird man erst mit Weber’s Photometer entscheiden können. Endlich handelt es sich fünftens um die Höhe der Flammen über den Köpfen der Schüler. Die Hitze der Gasflammen ver- ursacht allerdings ein Gefühl von Trockenheit im Auge, die Bindehaut- feuchtigkeit verdunstet zu schnell, wenn die Flamme dem Auge zu nahe ist. Dieses Gefühl der Austrocknung ist recht lästig; nicht blos das Auge, sondern auch der Kopf wird erwärmt, und es entsteht Kopf- schmerz, der schliesslich am Weiterarbeiten hindert, Bei vergleichenden Versuchen mit Gas und elektrischem Glüh- licht, die er gemeinsam mit Herrn Director Schneider in der Gas- anstalt anstellte, fand sich die Erhöhung der Temperatur wie 2:1, so- wohl mittels berusster Thermometer, als mit der Thermosäule; das Gas erhitzt also bei 20 cm Entfernung Pu} so stark als ein Glühlicht von gleicher Intensität. Die Empfindlichkeit des Auges gegen Wärme ist übrigens bei verschiedenen Personen eine sehr verschiedene. Vor 15 Jahren habe er die Augen von 152 Schriftsetzern geprüft und 51 pCt. kurzsichtig gefunden. Er liess sie abstimmen über die Beleuchtung, die ihnen am wünschenswerthesten wäre; nur 72 stimmten für Gas, die anderen zogen wegen der geringeren Hitze Oel oder Petroleum vor. Von 72 Uhrmachern fand er nur 9 pCt. kurzsichtig. Die Uhrmacher müssen bei ihren feinen Arbeiten die Flamme ganz besonders nahe, bei sehr feinen Arbeiten bis 25, ja selbst bis 18 cm an das Auge bringen, und in der That stimmten 54, also °/, der Uhrmacher für Oel oder Petroleum, da das Gas ihr Auge zu sehr erhitze, Natürlich kann man die Hitzewirkung verringern, wenn man die Flamme hoch genug über dem Kopfe anbringt; allein bekanntlich nimmt die Helligkeit nicht wie die Entfernung, sondern wie das Quadrat der Entfernung ab; dann wird also eine doppelte und selbst eine vierfache Menge von Licht nöthig sein, wenn man die Hitze vermeiden und doch die gleiche Helligkeit auf dem Arbeitstische haben will, Aus diesem Grunde wird natürlich das elektrische Glühlicht entschieden zu bevorzugen sein. Er selbst könne die Hitze eines Gasrundbrenners von 1 Zoll Durchmesser, auch wenn er von Porzellanteller und trichterförmiger Glocke umgeben ist, nicht mehr ertragen, wenn die Entfernung '/, m über seinen Augen beträgt; bei '/, m konnte er stundenlang ohne Be- schwerden arbeiten. Das Strassburger Gutachten schreibt einen Meter Höhe über den Köpfen der Schüler vor, und das scheint auch das Rich- tige zu sein. Für Zeichensäle sollte unbedingt jeder Schüler seine eigene Gasflamme haben und durch Vorhänge seinen Platz von dem des Nach- 184 Jahres - Bericht bars abschliessen können, damit er nicht durch die beiden Schatten ge- stört wird, welche die benachbarten Lampen von seinem Bleistifte ent- werfen. Dieser Uebelstand macht sich in der sonst vortrefflich beleuchteten Oberrealschule am Lehmdamm, in der viele Stunden lang Abends bei Gas gezeichnet wird, recht fühlbar. Auch ist die Hitze in diesem Locale eine unerträgliche; gerade für solehe Zimmer muss daher elektrisches Licht empfohlen werden. Auch die häusliche Beleuchtung sei recht splendid für die Schulkinder! Erismann in Petersburg fand unter 397 Pensionairen 42 pCt., unter 918 Externen der russischen Gymnasien aber nur 35 pCt. Myopen. Doz in Lyon fand unter den Internen des Lyceums 33 pCt., unter den Externen aber nur 18 pCt. Myopen. Beide Autoren sind ge- neigt, die grössere Anzahl von Kurzsichtigen auf die nicht selten spärlich und unpassend angebrachte künstliche Beleuch- tung in den Pensionaten zu beziehen. Er sei der Ansicht, dass in einer hygienisch gut einge- richteten Schule für je 4 Kinder eine Gasflamme vorhanden sein, dass diese einen Rundbrenner, einen Glimmereylinder und einen Bleehschirm haben und 1 m über den Köpfen der Schüler angebracht sein muss. Die Beleuchtungs-Verhältnisse in unseren Breslauer Schulen würden wohl entschieden nicht so primitiv sein, wenn in Preussen staatliche Schulärzte eingeführt wären, die Sitz und Stimme im Schulecollegium haben, wie es in vielen ausserdeutschen Ländern schon längst der Fall ist. In der Diseussion, an welcher sich die Herren Professor Dr. Förster, Professor Dr. Weber, Schulrath Finger, Professor Dr. Poleck und Professor Dr. Kosmann betheiligen, wird constatirt, dass bei gleicher Leuchtkraft ein Argandbrenner mehr Gas verbraucht und mehr Hitze giebt als ein Schnittbrenner, weil bei dem ersteren die Verbrennung eine vollständigere ist, und der Wunsch ausgesprochen, dass Argandbrenner mit vollkommeneren Resulirvorrichtungen für den Luftzutritt zur mög- lichsten Ausnutzung der Leuchtkraft hergestellt werden möchten. In der vierten Sitzung vom 4. Juli sprach Herr Geheimer Med.- Rath Biermer über die Entstehung, Verbreitung und Abwehr der asiatischen Cholera. Meine Herren! Nachdem die asiatische Cholera wieder einmal in einem europäischen Hafen eingeschleppt worden ist und es der Erfahrung entspricht, dass die Cholera, wenn sie auf dem europäischen Continent > A N an x h AR N . . “. Boden gefasst hat, ihre Wanderung auf die verschiedensten Länder aus- dehnt, so bedarf es wohl keiner weiteren Motivirung, dass auch wir im der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 185 Osten uns zu ihrem Empfang vorbereiten resp. uns überlegen, wie man auf Grund der bisherigen Erfahrungen und insbesondere der neuesten Forschungen über die Verbreitungsweise des Choleragiftes die geeigneten Massregeln zur Bekämpfung dieser schrecklichsten aller Seuchen trifft. Ohne der von unserer Reichsregierung eingesetzten Cholera-Commission, welche gewiss mustergültige Rathschläge ertheilen wird, vorzugreifen, halte ich es doch für opportun, dass wir unsere persönlichen Erfahrungen aus früheren Epidemien hervorsuchen und prüfen, ob und wie sie sich mit den Entdeckungen Koch’s in Einklang bringen lassen. Die Breslauer Col- lesen besitzen ja reiche Erfahrungen besonders aus dem Kriegsjahre 1866, und was mich betrifft, so habe ich eine ziemlich heftige Localepidemie in Zürich im Sommer und Herbst 1867 durchlebt, welche die Verbreitung der Cholera von Haus zu Haus sehr gut studiren liess. Die zerstreuten Häuser und Arbeiterwohnungen in den Vorstädten (den sogen. Aussen- gemeinden) von Zürich boten günstige Gelegenheit, die Verschleppung der Krankheit aus den primären Ansteckungsherden durch Fabrikarbeiter zu verfolgen. Die Epidemie war überhaupt für die Genese und Aetiologie der Krankheit lehrreich und habe ich deshalb meine damaligen Erfahrungen bereits in einem kleinen Vortrag ‚über die Ursachen der Volkskrankheiten insbesondere der Cholera‘ (Zürich 1867) veröffentlicht. Auch heute werde ich mich vielfach auf meine persönlichen Beob- achtungen berufen und bezüglich der Entstehung und Verbreitungsweise der Seuche wesentlich meinen eigenen Eindrücken und Anschauungen folgen. Da wir die Ehre haben, auch Nicht-Medieiner in unserer Ver- sammlung zu begrüssen, so muss ich mich populär fassen und zunächst, bevor ich die Massregeln zur Bekämpfung der Cholera nach dem heutigen Stande unseresärztlichen Wissens erörtere, aus derEpidemio- logie über den Gang der Choleraseuchen Einiges mittheilen. Die indische Cholera suchte bekanntlich Europa zum 1. Mal Anfang der 50er Jahre dieses Jahrhunderts heim. In Indien war sie von europäischen Aerzten schon früher beobachtet worden. Englische Aerzte hatten die Epidemien von 1817—1823 in Indien studirt. So oft seitdem die Cholera nach Europa kam, epidemisirte sie daselbst durch eine Anzahl von Jahren, erlosch dann aber wieder auf längere Zeit, bis sie von Neuem aus ihrer Heimath zu uns eingeschleppt worden ist, Wir können in dieser Beziehung 3 Invasionsperioden unterscheiden. Die erste begann 1830 und fand ihr Ende 1837. Die Seuche war damals auf 2 Landwegen nach Russland gekommen, nämlich durch Karawanen- züge aus Bengalen nach Chiwa und Orenburg einerseits und über Persien nach Astrachan und nach den Wolgaländern andererseits. 4 Jahre brauchte die Verschleppung, bis die Krankheit in Moskau, Petersburg, den Ostsee- provinzen und Polen angelangt war. Von Persien aus verbreitete sich die Seuche 1830 auch nach Arabien, Syrien, Palästina und Aegyten und 186 Jahres-Bericht zwar durch den Verkehr der mohamedanischen Mekka-Pilger. Nachdem der Continent infieirt war, wurde die Krankheit nach England und Amerika verschleppt. Im Winter 1837/38 war die Pandemie erloschen. Fast 10 Jahre lang blieb Europa verschont. Die Cholera schien in ihre ursprüngliche Heimath zurückgedrängt, bis im Jahre 1846 ein neuer Epidemienzug begann, welcher diesmal westwärts und zwar ziem- lich rasch nach Persien und einem Theil der asiatischen Türkei vorschritt, von dort aber in nordwestlicher Richtung nach dem Kaukasus drang und diesen auf der Heerstrasse überschritt. Anfangs 1847 war die Seuche an der Küste des kaspischen Sees angelangt. Von hier aus drang sie sowohl nach den Thälern des Ural und der Wolga als auch nach dem schwarzen Meer und nach Constantinopel. Im Herbst 1847 war sie in Moskau und im darauffolgenden Jahre 1848 im Juni in Petersburg, im Juli in Berlin, im September in Hamburg und London, im December in Norwegen, New-York, New-Orleans ete. Zum 2. Male war also Norddeutschland von Russland und Polen aus infieirt worden. Von nun an verschwand die Seuche in den 50er Jahren nicht mehr aus Europa, bald da und dort in sonderbaren Sprüngen epidemisirend. Grössere Ausdehnung erreichte sie 1854 und 55 in einzelnen Gegenden Deutschlands (München, Augsburg, Wien). In diesen Jahren war sie auch zum ersten Mal in die deutsche Schweiz ge- drungen (Aarau, Zürich und Basel). 1853—60 epidemisirte sie in Spanien, besonders 1855 und 59. In Petersburg und Kronstadt herrschte sie noch 1860—62 und am Schlusse des Epidemienzuges grassirte die Seuche 1863 in Brasilien. 1860/61 waren grosse Epidemien in Indien und Persien. Wahrscheinilch steht damit in Zusammenhang der Epidemien-Ausbruch in Kleinasien (Bagdad) und Arabien 1862. Nun war in Bezug auf Europa eine Pause von nur 2 Jahren ein- getreten, Zuletzt war die Cholera noch in Petersburg 1862. Schon im Mai 1365 war sie aufs Neue von Mekka aus durch Pilger nach Unteräsypten, von da im Juni nach Malta und Marseille verschleppt worden. Von Marseille aus fand die Verschleppung nach dem Süden und im folgenden Frühling (1866) nach dem Norden von Frankreich statt. Fast zugleich mit Malta und Marseille war 1865 Italien infieirt worden (Ancona durch ein Schiff aus Alexandrien). Es herrschte eine grosse mörderische Epidemie 1866 und 1867 in Italien und Sieilien. Auch Spanien und Portugal wurde auf dem Seewege 1865 infieirt (Valeneia im Juli durch einen Reisenden, der von Alexandrien über Marseille nach Valencia gereist war). Und Constan- tinopel ebenfalls von Alexandrien aus Juni 1865. Die Seuche kam von der Türkei nach den Donaufürstenthümern, nach Süddeutschland und Polen (1866 und 67). Das Jahr 1866 ist auch berüchtigt durch die grossen Epidemien in Oesterreich, Ungarn, Böhmen, Schlesien, den Rheinlanden, Westfalen und FE N der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 187 dem grössten Theil von Norddeutschland. Nach Süddeutschland war die Seuche im Kriegsjahr zwar auch verschleppt worden, hatte aber, Mainz ausgenommen, nirgends eine grössere Epidemie erzeugt. Grossbritannien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande wurden 1865/66 ebenfalls heimgesucht. Skandinavien und Finnland blieben von grösseren Epidemien verschont. Nur in Schweden war die Cholera 1865 etwas stärker verbreitet. Lehrreieh waren 2 Verschleppungen des Choleragiftes durch ein- zelne Reisende auf dem Landwege. In ganz cholerafreien Gegenden wurden dadurch 2 Localepidemien erzeugt. Der eine Fall betraf Alten- burg, wohin im Sommer ’1865 die Cholera durch eine aus Odessa zurei- sende Familie gebracht wurde, und der zweite Fall, der mich ganz speciell berührte, war die merkwürdige Entstehung einer ziemlich heftigen Epidemie im Juli 1867 in Zürich durch eine aus Rom auf direetem Wege _ angekommene Malerfamilie. Nirgends in der Schweiz oder den angren- zenden Provinzen von Deutschland und Frankreich herrschte 1867 damals die Cholera. Aber in Italien war sie noch ziemlich heftig, wenn auch nicht an der Grenze der Schweiz. Da erschien eines Tages eine Familie, welche der Cholera wegen aus Rom ausgerissen war und in ihre Hei- math nach Basel reisen wollte. Unterwegs auf der Fahrt über den Splügenpass war ein kleines Kind dieser Familie unter den Symptomen des Brechdurchfalls erkrankt. Das Kind hatte zum Schrecken der Mit- reisenden den Postwagen durch seine Dejectionen verunreinigt. Trotzdem wurde die Familie nicht angehalten, sondern die Reise bis Zürich fortge- setzt, wo die Familie bei den Schwiergereltern in einer engen Gasse in dem Hause zum schwarzen Wegsen abstieg. Ein Arzt wurde gerufen, erkannte aber die ächte Cholera nicht, sondern diagnostieirt einfachen Brechdurchfall.e. Die Windeln und sonstige mit Dejeetionen beschmutzte Wäsche wurde zum Waschen einer Frau gegeben, die eirca 20 Minuten davon in einer Vorstadt wohnte. Bald darauf starb das Kind, die ange- steckte Grossmutter und die Wäscherin an der ächten Cholera. Von diesem einzigen Falle aus verbreitete sich die Cholera auf Zürich und nächste Umgebung. 1869 und 70 kam die Cholera ausserhalb Indien nur in Russland vor, wo sie sich seit der Invasion von 1865 ziemlich eingebürgert zu haben schien. Von 1871—1874 nahm die Ausbreitung in verschiedenen Ländern Europas wieder zu. Zuletzt war sie 1874 in Oberschlesien, während 1873 die pandemische Verbreitung bereits aufgehört hatte. 1875 war sie noch in Syrien und seitdem schien die Cholera wieder nach Indien zurückgedämmt, bis wir im vorigen Jahre (1883) die Verschlep- pung von Mekka nach Aegypten erlebten und vor Kurzem durch die Nachricht der Verschleppung aus China nach Toulon und Marseille frappirt wurden. 188 Jahres - Bericht Die 3. Invasionsperiode in Europa hatte also fast 10 Jahre gedauert. Ob wir wieder am Anfang einer pandemischen Verbreitung stehen, wer weiss es zu sagen? Hoffentlich nicht. Ich halte es für möglich, wenn auch nicht für sehr wahrscheinlich, dass die Cholera ähnlich wie im vorigen Jahre in Aegypten diesmal auch auf ihre Infeetionsherde in Toulon und Marseille beschränkt bleibt. Auf jeden Fall sollte die staatliche und private Thätigkeit angestrengt werden, um ein solches Resultat zu erreichen, oder wenn die Weiterverbreitung zu uns doch stattfindet, das Nöthige vorzukehren, damit das Unheil mög- lichst vermindert wird. | Die Prophylaxis der Cholera kann natürlich nur auf die Schluss- folgerungen gestützt werden, welche man aus den Erfahrungen und Forschungen über das Wesen und die Verbreitungsweise der Cholera zu ziehen berechtigt ist. Ich muss daher einige Sätze vorausschicken, welche ich theils als bewiesen voraussetze, theils für beweisfähig halte. 1. Die Cholera ist eine specifische Krankheit mit specifischer Ur- sache. Die ächte Cholera entsteht nicht aus den gewöhnlichen Schädlichkeiten, denen der Mensch durch Witterungs-, Wohnungs- und Nahrungseinflüsse ausgesetzt ist. Diese Schädlichkeiten sind zwar als begünstigende Momente für die Entstehung der Cholera nicht zu unterschätzen, sie genügen aber niemals, um ächte Cholera-Anfälle zu erzeugen; denn dazu gehört ein besonderes Etwas, ein specifisches Gift, der sogen. Cholerakeim. 2. Dieser Oholerakeim ist ein logisches Desiderat der wissenschaft- lichen Pathologie, ohne welches man die Eigenthümlichkeiten der Cholera und ihrer Verbreitung nicht begreifen kann. Der Cholerakeim ist desshalb schon lange angenommen und seine Auffindung und simn- liche Darstellung seit eirca 20 Jahren als preiswürdige Aufgabe der mikroskopischen Forschung anerkannt. Der genialen Methode Koch’s scheint es gelungen zu sein, den Träger oder Erreger des Choleragiftes in der Form eines züchtbaren Baeillus zu entdeeken und ad oeulos zu demonstriren. Obwohl ich dieser Entdeckung vollen Beifall zolle, möchte ich mich doch darüber noch einigermassen reservirt ausdrücken, 1) weil das Ex- perimentum erueis, wie Koch selbst hervorhebt, die experimen- telle Erzeugung von Cholera durch den gezüchteten Cholera- Baeillus noch nicht gelungen ist; 2) aber auch noch aus dem Grunde, weil Koch eine Eigenschaft seines Komma-Baeillus angegeben hat, welche nur ı Ä sich mit der Verbreitung der Cholera-Infection nach meiner Meinung nicht gut reimen lässt. Der Komma-Baecillus soll nämlich u Feuchtigkeit lebensfähig sein und, so wie er eintrocknet Fa ® VI uE Te Ba der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 189 absterben. Koch findet dies selbst auffallend und meint, dass es noch eine bis jetzt nicht gefundene Dauerform des Bacillus geben dürfte, welche existenzfähiger sei und auch im vertrockneten Zustand fortlebe. Ich habe aus meinen persönlichen Erfahrungen den Eindruck be- kommen, dass die flüssigen Dejectionen der Cholerakranken, in denen ja der Baecillus steckt, eigentlich wenig ansteckend sind. Man kann, wenn man die nöthige Reinlichkeit beobachtet, Cholera- leichen seeiren, man kann in den Eingeweiden herumwühlen, man kann die Dejectionen in Gläsern aufbewahren, ihre Theile mikro- skopiren und nach Koch’s Methode die Bacillen züchten, ohne angesteckt zu werden. Nach meiner Meinung können die Menschen aber ange- steckt werden auch durch die Luft der Cholerahäuser und ihrer Abtritte. Selbst die Luft in engen Gassen, welche von Cholera- häusern dicht besetzt sind, scheint mir ansteckend sein zu können; wenigstens habe ich für diese Annahme Indieien aus der Züricher Epidemie. Ferner ist es gefährlich, die Hemden und Bettleinwand, wenn sie mit vertrockneten Choleradejectionen beschmutzt sind, ab- zuziehen oder zu waschen. Ich habe deshalb bisher angenommen, dass das Choleragift in zerstäubtem trocknem Zustand, mit der Luft eingeathmet und verschluckt, wirken kann und die Uebertragung von staubförmigem Choleragift in den Mund ein ziemlich gewöhnlicher Modus ist, wenn ich auch nicht leugnen will, dass der Genuss von infiecirtem Trinkwasser in manchen Epidemieen eine noch grössere Rolle gespielt hat. . Das Choleragift wird nicht auf weite Strecken durch die Luft- strömungen verbreitet. Man darf es sich nicht als ein Miasma vor- stellen, welches von Ort zu Ort geweht wird; denn der Gang aller Epidemieen weist darauf hin, dass die Cholera auf weite Entfernungen nur durch den Verkehr der Menschen verschleppt wird. 'Wiederholt ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Cholera bei ihrer Wanderung aus Asien nach Europa vorzüglich dem Laufe der grossen Flüsse folgte, die früher zugleich die Hauptwege des Verkehrs waren. Die Uferorte und Hafenstädte wurden immer zuerst befallen. Oftmals ist es nachgewiesen worden, dass die Cholera durch Schiffe eingeschleppt wurde. Ebenso liess sich bisweilen er- kennen, dass die Krankheit in der Richtung der Land- oder Heer- strassen sich verbreitete. Auf die Riehtung der Winde kam dabei aber gar nichts an. Es ist auch charakteristisch, dass sich die Cholera nicht schneller verbreitet, als es der menschliche Verkehr erlaubt. Bei der ersten Invasion in den 30er Jahren war die Fortbewegung der Cholera eine viel langsamere als später, wo Dampfschiffe und Eisenbahnen den 190 6. _ ” Jahres - Bericht Verkehr beschleunigt hatten; aber auch heute noch reist die Cholera nicht schneller als ein Brief oder ein Passagier. Das Choleragift haftet an den Darmdejectionen des kranken Menschen. Es sitzt nicht im Blut und den Ausdünstungen der Haut. Der Mensch ist nur durch seine Ausleerungen ansteckend, und da Partikel dieser Ausleerungen nur unter besonderen Bedingungen bei mangelhafter Reinlichkeit und Sorgfalt direct auf andere Menschen übergehen, so ist der Cholerakranke eigentlich direct wenig ansteckend und der Umgebung mit ihm selbst wenig gefährlich. In der Züricher Epidemie von 1867 ist z. B. kein einziger Arzt wirk- lich cholerakrank geworden. Ausserhalb des menschlichen Körpers kann das Choleragift wahrscheinlich in der Luft der Wohnräume, in den Abitritten und Jauchestätten, auf den beschmutzten Hemden und Bettstücken, auf Lumpen, im Boden, im Grundwasser, in Tümpeln und Teichen, in jächen und Wasserleitungen sich aufhalten. Für alle diese Annahmen liesen Indiecien vor. Es ist interessant, dass Koch seine Cholera- bacillen in dem Wasser von sogen. Tanks (Tümpel oder Teiche von Hütten umgeben) nachgewiesen hat. Eine Aufgabe der Zukunft wird es sein, die Luft in Cholerahäusern und die übrigen fraglichen Standorte des Giftes auf Bacillen zu untersuchen. wa ee TE en £ Sc Hr A An Wie weit und wie lange der Cholerakeim ausserhalb des menschlichen Körpers lebensfähig bleibt und sich vermehrt, ist noch nicht zu sagen. In Indien, wo die Heimath der Cholera ist, muss man annehmen, dass der Cholerapilz überall, wo er seinen Nährboden findet, unbegrenzt reproductionsfähig ist. In den ausserindischen Ländern ist seine Existenz von begrenzter Dauer; denn die Epidemieen erlöschen immer nach einer Anzahl von Monaten, meist schon nach 3—4 Monaten. In grossen Städten dauert es manchmal länger. Meist epidemisirt die Cholera bei uns nur im Sommer, ausnahmsweise überdauert sie auch den Winter (Petersburg, Breslau, München). Die Külte hindert also die Reproduction des Giftes nicht, wenn es auch gewiss zu sein scheint, dass die Hitze die epidemische Verbreitung begünstigt. Von der grössten Wichtigkeit ist es, dass die Epidemieen ausserhalb Indiens, wenn sie erloschen sind, nicht ohne neue Einschleppung des Giftes wiederkehren. Daraus folgt, dass der Cholerapilz in Europa bis jetzt noch nicht einheimisch geworden ist. Das Choleragift gedeiht nicht überall, es ist nicht ubiquitär. Wie die höher organi- sirten Pflanzen ihre Standorte haben, so ist es vielleicht auch beim Abgesehen davon, dass der Cholerapilz in Europa Cholerapilz, nicht autochthon ist, gibt es auch genug Orte, wo seine Einschleppung nicht zur Entwickelung von Epidemieen führt, wo also die Cholera der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 191 nicht packt, sondern sporadisch bleibt. Diese Immunität kann nur in besonderen, wenn auch unbekannten localen Bedingungen liegen. An den Menschen, die dort wohnen, liegt es nicht, denn diese sind leider, wenn es auch eine individuelle Immunität gibt, überall für die Infeetion empfänglich. Die Thatsache der localen Immunität und Dis- position beweist, dass die Reproduction des Cholerakeimes im mensch- lichen Körper nicht zur epidemischen und endemischen Verbreitung genügt. Das Gift muss ausserhalb des Menschen günstige Lebens- bedingungen finden, wenn es epidemisch wirken soll. von Pettenkofer hat zur Erklärung der örtlichen Disposition und Immunität angenommen, dass das Choleragift im menschlichen Körper nicht reif werde, dass zu dem x des Cholerakeimes im Körper noch ein y des Bodens kommen müsse, um das wirksame Gift zu erzeugen. Wo das y fehle, da könne die Cholera sich nicht aus- breiten. Diese Anschauung hält aber vor der Erfahrung nicht Stich; denn die Dejectionen eines Cholerakranken brauchen nicht mit dem Boden in Berührung zu kommen, um ansteckend zu wirken. Die Contagosität von verunreinigter Cholerawäsche ist ein un- angreifbares Argument gegen v. Pettenkofer’s Theorie. Wir sind zur Annahme gezwungen, dass der Cholerakeim im Menschen sich wirk- sam ohne Hilfe des Bodens reproduciren kann, dass er aber auch ausserhalb des menschlichen Körpers leben, wuchern und reifen kann, Das endemische Vorkommen der Cholera in Indien begreift sich nur, wenn man annimmt, dass der Cholerakeim ausserhalb des Menschen sei es im Wasser, Tümpeln oder im Bodenmaterial wächst und zeit- weise, wenn er besonders üppig wuchert, sei es durch Wasser oder Luft, vielfach in den menschlichen Körper kommt und eine Epidemie erzeugt. . Wie das Choleragift in den menschlichen Körper kommt, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen; jedoch können wir aus Er- fahrungsthatsachen Vermuthungen schöpfen, welche fast den Werth von zwingenden Beweisen haben. Da die Berührung von Cholera- dejeetionen und von Cholerakranken, wenn man nichts davon in den Mund bringt, ungefährlich ist, so kann das Gift nicht durch die Haut in den Körper kommen. Die Cholera ist nicht ansteckend, wie die Pocken oder Masern. Wenn aber die Haut ausgeschlossen ist, so bleiben nur die Respirations- und Verdauungswege als Ein- gangspforten für das Gift übrig. Die Respirationswege fallen in ihrem Anfang mit den Verdauungswegen zusammen, und da nichts dafür spricht, dass das Choleragift in der Lunge und im Blute sitzt, Alles aber, dass es im Darm seine Wirkung entfaltet, so muss man an- nehmen, dass das Gift durch die Mundhöhle in den Magen und Darm gelanset. Damit ist aber nicht gesagt, dass es immer durch 192 Jahres - Bericht Speise und Trank aufgenommen wird, Die Luft in Cholerahäusern kann nach meiner Meinung ansteckend sein, zerstäubte Dejections- bestandtheile, Ausdünstungen der Cholerawäsche ebenfalls, die Abtritte in Cholerahäusern sind höchst wahrscheinlich eine Quelle der An- steckung. Ich halte desshalb eine staubförmige Verbreitung des Giftes für möglich. ; 10. Die Beschaffenheit des Magens ist allem Anschein nach von grosser Bedeutung für die individuelle Disposition. Vielfache Erfahrungen sprechen dafür, dass Magenschwäche oder Indigestion die Empfänglichkeit für Cholera sehr erhöht. Wer dagegen einen ge- sunden, kräftigen Magen hat und ihn während der Choleraepidemie conservirt, hat grosse Chance, nicht befallen zu werden. Diese Er- fahrung ist eine alte. Eine Erklärung dafür kann durch die neuesten Untersuchungen, welche gezeigt haben, dass die meisten Bacterien im sauren Magensaft zu Grunde gehen resp, verdaut werden, gegeben werden. Es ist wahrscheinlich so, dass erst wenn der Cholera- Bacillus lebendig durch den Magen in den Darm gelangt, der Choleraprocess beginnt, im andern Falle aber die Ansteckung un- schädlich bleibt. Nachdem wir aus den vorgetragenen Sätzen ersehen haben, wie man sich die Enstehung der Cholera ungefähr zu denken hat, möchte ich noch mit einigen Bemerkungen auf die epidemische Verbreitungsweise der Deuche zurückkommen. Wir müssen daran festhalten, dass der Cholerakeim nicht durch die Luftströmungen auf grössere Strecken verbreitet wird, sondern durch den menschlichen Verkehr. Wenn, wie ich bisher angenommen habe, das Choleragift durch vertrocknete Dejeetionen in den Staub der Wohnungs- räume und in die Luft der Abtritträume übergehen kann, so werden zwar die Wohnhäuser zu Infectionsherden werden können, aber das Cholera- gilt wird sich deshalb nicht von den Häusern durch die Luft auf weitere Strecken zu verbreiten brauchen. Für eine solche flüchtige miasmatische Verbreitung spricht in der That keine einzige Erfahrung. Dagegen sehen wir, dass die Krankheit von Haus zu Haus durch Kranke verschleppt wer- den kann und dass die Epidemieen sich gewöhnlich aus Gruppenerkran- kungen der einzelnen infieirten Häuser zusammensetzen. Nicht immer findet aber die Verbreitung nur durch den mensch- lichen Verkehr resp. durch menschliche Verschleppung statt. Es giebt auch eine Verbreitung durch Infeetion von Brunnen, Wasserleitungen, Canalisationen, Bächen und Flüssen. Inficirte Wasserleitungen können sicher grosses Unheil anstiften. Dies lehrt die Geschichte der Typhus- wie Choleraepidemieen, Ein Beispiel, welches John Simon von London aus berichtete, hat dies für die Cholera dargethan, während ich bezüglich des Typhus selbst über mehrere eclatante Beispiele aus der han der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 193 Schweiz seiner Zeit referirt habe. Diese Epidemieen, welche durch infi- eirte Trinkwasserleitungen entstanden sind, zeichnen sich alle aus durch die viel raschere Verbreitung, durch die fast plötzlichen Massenerkran- kungen. Die Seuche explodirt in solchen Fällen so zu sagen mit einem Schlag, während bei der gewöhnlichen Verbreitungsweise durch den Ver- kehr von Haus zu Haus ein viel langsameres Tempo eingehalten wird. Auch für die Verbreitung des Choleragiftes durch die natürlichen Wasserläufe fehlt es nicht an einzelnen Beispielen. Ich will Ihnen eines aus meinem eigenen Erfahrungskreise erzählen. Im October 1867, am Ende der Züricher Choleraepidemie und im Zusammenhang mit der- selben, brach die Cholera im Canton Solothurn in dem Dorfe Kriegsstetten aus. Die ersten Fälle kamen in der dortigen Papierfabrik vor bei Mädchen, welche die aus dem infieirten Zürich gelieferten Lumpen sortirt hatten. Die Dejectionen der Erkrankten gelangten durch den Abtritt der Papier- fabrik in den vorbeifliessenden Bach und die Cholera verbreitete sich so- dann längs des Baches in den Häusern, welche ihr Trinkwasser aus dem Bach bezogen. Obwohl jedes Gehöfte seinen eigenen laufenden Brunnen hatte — die Gegend heisst wegen ihres Quellenreichthums die Wasser- amtei, — so zogen die Bewohner doch vor, ihr Trinkwasser aus dem Bach zu schöpfen, weil die hölzernen Leitungsröhren ihrer Brunnen grossenthbeils angefault waren und das Wasser aus den Leitungen modrig schmeckte. Ich war als Sachverständiger von der Solothurner Regierung dorthin gerufen worden und habe mich von diesem interessanten Ver- schleppungsmodus durch den Augenschein überzeugt. Ich will noch be- merken, dass damals in der ganzen Schweiz ausser in Zürich keine Cholera- epidemie war und auch die Kriegsstettner Erkrankungen nicht zu einer fortgesetzten epidemischen Verbreitung Veranlassung gaben. Das Kriegsstettner Beispiel illustrirt uns auch den Modus der Ver- ‚ sehleppung durch Lumpen, welcher übrigens in der Geschichte der Epi- demieen keine häufige Rolle spielt. Die Verschleppung durch Lumpen, Kleidungsstücke, beschmutzte Wäsche ete. kann wichtig sein für den Aus- Sangspunkt einer Epidemie, nicht aber für die epidemische Ausdehnung der Krankheitsfälle. Ebenso möchte ich annehmen, dass die Verbreitung des Choleragiftes durch verunreinigte Nahrungsmittel nur in ein- zelnen Fällen vorkommen dürfte. Nahrungsmittel können ja durch infieirtes Wasser, mit dem sie gewaschen worden sind, den Cholerakeim enthalten; ob dies aber häufig vorkommt, müssen weitere Beobachtungen lehren. Vorläufig kenne ich keine ähnliche Massenerkrankungen von Cholera durch infieirte Nahrungsmittel, wie sie in 2 grossen Typhusepidemien durch infieirtes Fleisch im Canton Zürich (Andelfingen und Kloten) notorisch vorgekommen sind. | Diese Ihnen vorgetragene Ansicht von der Verbreitung der Cholera, nach welcher ich einen Hauptaccent auf die infieirte Luft der Wohnräume 1884, 13 194 Jahres - Bericht und Aborte der Cholerahäuser gelegt habe, würde eine wesentliche Cor- rectur erfahren, wenn Koch’s Angabe, dass der Cholerakeim nur im feuchten Zustand ansteckend sei, sich durch weitere Beobachtungen be- stätigen sollte; denn dann wäre man gezwungen, anzunehmen, dass die Infeetion nur durch feuchte Medien, Getränke und Speisen, durch verun- reinigte Finger, welche mit-dem Munde in Berührung kommen, u. s. w. stattfinden könnte. Ich verhalte mich aber in dieser Beziehung noch sceptisch, oder vielmehr ich glaube vorläufig noch fest daran, dass auch vertrocknete Dejectionsbestandtheile von Cholerakranken wirksames Gift enthalten und in Staubform mit der Athmungsluft in die Mundhöhle und von da in den Magen und Darm gelangen können. Die Prophylaxis, zu deren Besprechung ich jetzt übergehe, hängt wesentlich von unseren Beobachtungsergebnissen und Meinungen über die Verbreitungsweise des Choleragiftes ab. Wir können aber aus dieser keine strengen Consequenzen ziehen, weil die Prophylaxis leider sehr viele Rücksichten auf unsere heutigen Verkehrsverhältnisse zu nehmen hat. Von radicalen Massregeln, wenn sie theoretisch noch so richtig sein würden, ıüssen wir absehen. Obwohl die Cholera die furchtbarste Seuche des Menschengeschlechtes ist, obwohl durch dieselbe Millionen von Europäern schon umgekommen sind, mehr als in sämmtlichen Schlachten dieses Jahrhunderts, obwohl die Choleraepidemieen Handel und Wandel vielleicht ebenso stören, als es radicale prophylactische Massregeln thun würden, so ist es. doch in unserem Zeitalter des Dampfes und des banau- sischen Geschäftsbetriebs unmöglich, ausreichende Verkehrsbeschränkungen, welche uns die Cholera vom Leibe halten könnten, wirksam durchzuführen. Was man in alten Zeiten gegen die Pest gethan hat und was man in unseren Tagen gegen die Rinderpest thut, das scheut man sich gegen die Cholera vorzuschlagen, weil man überzeugt ist, dass es sich nicht strenge durchführen lässt. Es ist zwar nicht bestimmt in Gottes Rath, dass man die Cholera haben muss, aber es ist bestimmt in dem Rathe der Völker, dass um keinen Preis, selbst nicht um den der Cholera-Ab- wehr, der internationale Verkehr ernstlich gestört werden darf. Und doch ist es klar, dass die Wanderung der Cholera von einem Lande zum andern nicht verhütet werden kann, wenn man den Verkehr nicht controlirt und beschränkt, Die Cholera kommt bei jedem Epidemieen- zug ursprünglich aus Indien, entweder zu Wasser oder zu Land, durch Schiffe, Eisenbahnen, Karawanen ete. Man müsste also die Eingangs- pforten von Europa eontroliren und die Träger des Giftes in humaner, wenn auch unbequemer Weise unschädlich machen. Lässt sich diese Aufgabe lösen? Giebt es eine Methode, bei der die Einschleppung der Seuche durch Zureisende verhindert werden kann? Die meisten Autoritäten sagen nein und ich gebe zu, dass diese Antwort im Allgemeinen richtig ist. Ich muss aber doch behaupten, dass es der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 195 Fälle giebt, wo Controlmassregeln nicht blos nützlich, sondern auch ohne zu grosse Schwierigkeiten durchzuführen sind. Die Einschleppung des Cholerakeimes durch Seeschiffe müsste z. B. durch eine exacte Controle und Quarantaine der Seeschiffe verhütet werden hönnen und ist auch gewiss in einzelnen Fällen schon oft ver- hütet worden. Freilich genügt eine Scheincontrole nicht, bei der man Schiffe, aus infieirten Gegenden kommend, ohne weiteres zulässt, wenn sie unterwegs keine Cholerakranken gehabt haben. Eine Quarantaine, wie sie gegen Pest und Gelbfieber ausgeübt worden ist, halte ich gegen Cholera wenigstens für so lange angezeigt, als die Insel oder das be- treffende Festland noch nicht von Cholera angesteckt ist. Schwieriser und nicht überall anwendbar ist die Grenzeontrole der zuLand Ankommenden. Wenn z. B. die Cholera in Oesterreich oder in Frankreich herrscht, so werden wir unsere ausgedehnten Grenzen nicht wirksam beaufsichtigen können. Wenn uns in Preussen aber die Cholera aus Russland importirt zu werden droht, während sie im übrigen Europa noch nicht herrscht, würde ich kein Bedenken tragen, den Grenz- verkehr analog zu beaufsichtigen wie dies bei drohender Rinderpest ge- schieht. Eben so gut als die Russen keinen Menschen hinüber lassen ohne Pass und ohne sein Gepäck durchgestöbert zu haben, können wir die aus Russland Kommenden auf ihre Gesundheit untersuchen und wenn sie Anzeichen von Unwohlsein oder Cholera haben, in ein Observations- haus stecken. Man sollte überhaupt deshalb, weil die Absperrung der Grenzen und die Quarantaine auf dem Festland nicht möglich ist, nicht gänzlich auf die Controle der Reisenden verzichten. Die Erfahrung, dass durch ein- zelne Zureisende Localepidemieen erzeugt werden können, lehrt uns, dass auch eine den Verkehr nicht zu sehr belästigende Ueberwachung der Reisenden nützlich sein könnte. Ich erinnere an die Beispiele von Alten- burg, Ancona und Valencia aus dem Jahre 1865 und an die Local- epidemie von Zürich aus dem Jahre 1867. Zürich ist damals, wie ich Ihnen schon erzählt habe, durch eine Malerfamilie aus Rom infieirt worden. Hätte der Posteonducteur, der die Familie mit dem cholerakranken Kinde über den Splügen gebracht hatte, den Auftrag gehabt, ein Telegramm nach Zürich zu schicken und die Polizei zu benachrichtigen, dass eine choleraverdächtige Familie ankommen wird, so wäre die betreffende Familie in Zürich isolirt und wahrscheinlich unschädlich gemacht worden. Man brauchte, wie dies Beispiel lehrt, den Verkehr nicht zu stören und könnte doch durch eine Controle der Reisenden schweres Unheil ver- hüten. Für sehr nöthig halte ich auch die Aufnahme von cholerakranken Reisenden in Spitäler. Die Gasthöfe und Wirthschaften sollten für solche Kranke gar nicht zugänglich sein, 13* 196 Jahres - Bericht Dass in Cholerazeiten ein Verbot der Einfuhr von Lumpen und gebrauchten Kleidungsstücken aus infieirten Gegenden erlassen wis findet gewöhnlich keinen Widerspruch. Nach der Koch’schen Theorie dürften zwar die trocknen Gegenstände unschädlich sein, aber die Ihnen erzählte Geschichte von Kriegsstetten rechtfertigt, wie ich glaube, das Ver- bot. Ich wiederhole indess, dass auch nach meiner Ansicht die Ver- breitung der Cholera durch Lumpen selten vorkommen dürfte. Wenn die Einschleppung trotz aller Vorsichtsmassregeln doch erfolgt ist, so muss man auf die ersten Erkrankungsfälle ein grosses Augen- merk richten. Es soll kein Infeetionsherd gebildet werden und desshalb sollten die ersten Fälle unter polizeiliche Controle gestellt werden. Das Beste wäre, die Kranken sofort in Spitäler zu schaffen und die Wäsche der Kranken und ihre Wohnungen zu desinfieiren. Wo die Kranken in ihrer Wohnung bleiben, wäre es das Beste, die Mitbewohner zu delogiren, also das Haus gewissermassen zu evacuiren. Die Evacuationsmethode, welche ich in meiner Choleraschrift von 1867 warm empfohlen habe, passt natürlich nur für den Anfang und für das Ende einer Epidemie; denn es ist klar, dass man nicht Evacuationsräume für viele Hunderte von Menschen schaffen kann. In Zürich wurde die Evacuation der Choleraherde auf meinen Vorschlag (freilich erst am Ende der Epidemie) durchgeführt und fand allgemeinen Anklang. Wir hatten den Eindruck, dass die Massregel wohlthätig und wirksam war. Um Ihnen zu sagen, wie ich die Evacuation auffasse, erlaube ich mir aus meiner Cholera- schrift folgenden Passus vorzulesen: „Als die wichtigste sanitätspolizeiliche Massregel bei Cholera- epidemieen betrachte ich die Errichtung von Evacuationslocalen. Wie man eine Feuersbrunst durch Entfernung des Brennstoffs bekämpft, so soll man der Seuche das Material zur weiteren Ansteckung ‘möglichst zu entziehen suchen. Die wohlhabenden Leute sorgen in dieser Be- ziehung für sich selbst, indem sie die Cholerahäuser verlassen. Für die Armen durch Evacuationslocale in ähnlicher Weise zu sorgen, ist nicht blos eine zweckmässige Massregel gegen die Vermehrung der Seuche, sondern ein Gebot der Menschenliebe. „Wenn man erfahren hat, wie nach und nach die ganze Bewohner- schaft von infieirten Häusern cholerakrank wurde, wie alle Wohnen- bleibenden in grösster Gefahr waren, wie ganze Häuser ausgestorben sind; wenn man gehört hat, wie Ueberlebende inständig gefleht haben, man möge ihnen doch aus dem Herde des Todes wegzukommen Ge- legenheit geben, so begreift man leicht, dass wir hier zum Evacuations- system übergingen. „Die Evacuation hat in Zürich sehr wohlthätige Dienste geleistet und ich glaube: das, was in dieser Beziehung geschehen ist, kann anderen Orten zum Muster dienen. Soll aber die Evacuation der der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 197 Choleraherde vernünftig durchgeführt werden, so müssen die Evacua- tionshäuser unter genauer ärztlicher und polizeilicher Aufsicht stehen und gewissermassen wie Quarantaine-Anstalten oder Spitäler behandelt werden. Die Befürchtung, dass die von den Evacuirten bezogenen Locale sehr bald zu neuen Choleraherden werden würden, hat sich, wie ich’s vorausgesagt, nicht bestätigt.“ Die Schwierigkeiten bei der Auffindung und Einrichtung von Evacua- tionsräumen waren in Zürich nicht gross und wurden, Dank dem treff- lichen Gemeinsinn der dortigen Bürger, bald überwunden. Die Fürsorge der Behörden und die Privatwohlthätigkeit reichten sich die Hand, um Betten und Alles, was zur Einrichtung der Räume und Beköstigung der Inquilinen nöthig war, beizuschaffen. Ein Arzt war immer gegenwärtig und Damen und Herren aus den besten Kreisen übernahmen die Ver- waltung resp. Ueberwachung der Evacuationsanstalten. Für eine Stadt mit Arbeiterkasernen, wie Breslau, würde das Eva- cuationssystem natürlich viel mehr Schwierigkeiten bieten, wie für Zürich, wo damals noch die Arbeiterklassen in kleinen Häusern wohnten, also die Evaeuation von 1 Dutzend Choleraherden nicht so viele Bewohner betraf, wie hier vielleicht die eines einzigen Herdes. Indess denke ich, dass, weil sich die Epidemie fast immer im Sommer entwickelt, man durch leichte Barackenbauten in wenigen Tagen das nöthige Obdach schaffen könnte. Auch Schulhäuser könnten, insofern die Cholera Zwangs- ferien schafft, zu Evacuationslocalen benützt werden. Die Errichtung von Speiseanstalten und Suppenküchen für die Armen ist eine allenthalben beliebte Massregel, welche keiner be- sonderen Empfehlung bedarf. Ebenso ist die Errichtung von ärztlichen Bureaux und ärzt- lichen Stationen, in denen bei Tag und Nacht schnelle Hülfe zu haben ist, gewissermassen selbstverständlich. Zur Bekämpfung der örtlichen Disposition dienen polizeiliche Massregeln, welche sich auf die Controle des Trinkwassers, Sperre von schlechten Brunnen, Desinfection der Abtritte, Kloaken, Canäle, Jauche- sruben und Mistbehälter beziehen. Dahin gehören auch die Ueber- wachung, des Obst- und Gemüsemarktes, ferner die prophylactische Visi- tation der schlechten Wohnungen und Anordnungen zur besserung der Reinlichkeitsverhältnisse. Wenn die Cholera bereits eingerückt ist, empfehlen sich tägliche Hausvisitationen durch Aerzte, welche dazu polizeilich beauftragt sind. Der Arzt geht in die ihm zugewiesenen Häuser, lässt sich Rapport erstatten über den Gesundheitszustand der Bewohner, sorgt für Anzeige frischer Erkrankungen und ordnet, wo es nöthig ist, die Aufnahme in Spitäler an. Die Augen des Arztes sehen in dieser Beziehung mehr als 193 Jahres - Bericht die eines Polizeibeamten. Manche Erkrankung kann auf diese Weise im Keime erkannt und unschädlich gemacht werden. Nicht zu empfehlen ist die Absperrung der Oholerahäuser, wenn sie nicht evacuirt werden. In Zürich wurden im Anfang der Epi- demie die Häuser, in welchen Cholerakranke lagen, abgesperrt und die Polizei vor die Thüre gestellt. Diese Massregel, welche unter dem Ein- fluss der Panik beschlossen wurde, musste bald zurückgenommen werden 2 Sie ist auch nicht rationell; denn die Wohnenbleibenden sind erst recht 2 in Gefahr, angesteckt zu werden. Nur wenn man die Gesunden heraus- ” genommen hat, ist eine temporäre Sperrung erlaubt, sei es um den Ver- kehr mit dem Infeetionsherd zu meiden, sei es um die nöthige Reinigung und Desinfection des Hauses vorzunehmen. ® Noch weniger halte ich von der Desinfection der Reisenden in prophylaetischer Absicht. Das Räuchern und Desinfieiren der Zureisen- den kann nichts nützen; denn es handelt sich nicht um einen flüchtigen Infeetionsstoff, der durch Chlorräucherungen, Carboldämpfe ete. am Leben- den unschädlich gemacht werden kann. Auch Gepäckstücke der Passa- giere können durch Räucherungen schwerlich desinfieirt werden. Vor- läufig kennen wir überhaupt noch kein passendes Desinfeetionsmittel für den Cholerapilz. Dass man die Häuser durch Ventilation und Reinlich- keit sanirt, dass man die Abtritte und alle Fäulnissstätten mit chemischen Mitteln zu desinfieiren sucht, ist eine andere Sache; denn damit will man die Brutstätten des Cholerakeimes ungefährlich machen. Aber den Cholerakeim, den der Mensch mitbringt, wird man durch die bisher ge- bräuchlichen Räucherungen nicht zerstören. Die sogenannten Desinfections- versuche, welche man eben jetzt in Frankreich an den Zureisenden auf Bahnhöfen und in Häfen anstellt, verdienen kein Vertrauen. | Schliesslich möchte ich noch die individuelle Prophylaxis kurz berühren. Was soll der Einzelne thun, um sich vor Ansteckung zu schützen? Das beste Mittel ist unbedingt die schleunige Entfernung vom Choleraorte. Dieses Mittel kann aber nur denjenigen empfohlen und ver- ziehen werden, die keine besonderen Pflichten haben, da zu bleiben, insbesondere den Weibern und Kindern. Dass dieses Mittel reichlich angewendet wird, sehen wir bei jeder Epidemie. Wir wollen es aber nicht nachahmen, wir wollen ausharren and diejenigen nicht verlassen, die in Gefahr sind. Für Aerzte und Beamte müsste es geradezu als eine Sc hmach bezeichnet werden, wenn sie ausreissen wollten. Der Einzelne schützt sich am Besten durch Vermeidung von Diät- fehlern, durch Sorge für guten Magen und durch scrupulöse Reinlichkeit. Man enthalte sich des Wassers und auch des Bieres, dagegen ist der Genuss von gutem Rothwein, der die in Choleraepidemieen herrschende Neigung zu Diarrhöen bekämpfen hilft, zu empfehlen. Man sorge für Reinigung und Desinfeetion der Abtritte, man ventilire die Wohnung so #. R X: n VER t% Dr 228 der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 199 oft wie möglich. Die Luft ist vielleicht das beste Desinfectionsmittel. Man pflege seinen Körper sorgfältiger als je, vermeide jeden Excess und lasse jedes Unwohlsein sofort durch seinen Vertrauensarzt behandeln. Dies ist in Kürze Alles, was ich zur individuellen Prophylaxis empfehlen kann. Speeifica, welche uns vor Cholera-Erkrankung schützen können, kenne ich nieht, und vor den meisten sogen. Choleramitteln, welche nicht selten den Magen verderben, möchte ich eher warnen. Bei der nun folgenden Discussion äussert Herr Prof. Dr. Förster: Eine der merkürdigsten Thatsachen bei den Choleraepidemieen bleibt immer die, dass es immune Orte giebt, dass in einem grossen Be- zirke, welcher durchseucht ist, einzelne Oasen liegen, in denen nie eine Choleraepidemie auftritt. Solche Oasen sind hier in Schlesien in Menge bekannt, und ich habe mich in zwei Arbeiten, welche ich vor zehn Jahren geschrieben, dazu gewandt, zu untersuchen, ‚was ist diesen gemeinsam?‘‘ Es muss etwas Gemeinsames sein, was allen zu- kommt, und was bewirkt, dass das Cholera-Contagium an diesen Orten nicht haftet. Ich habe in den Arbeiten, die, weil sie gegen das Ende der Epidemie erschienen, wenig bekannt wurden, als das Gemeinsame sefunden, dass 1. alle diese Orte ein gutes Wasser haben, was ihnen zugeführt wird aus der Ferne durch Leitungen, nicht Oderwasser, auch nicht aus Brunnen oder aus Bächen, sondern Quellwasser; und 2. dass die Bewohner gewohnt sind, nur dieses Wasser für alle Haus- haltungezwecke, zum Kochen und Trinken ete., zu benutzen. Es würde ein gutes Wasser selbst dann nicht genügen, wenn nebenbei auch noch Brunnen benutzt würden. Als solche Orte, in welchen Cholerakranke hineinkommen können, ohne eine Epidemie zu erzeugen, nenne ich: Poln.-Lissa, Glogau (mit Beschränkung), Lauban, Pless, Rybnik, Grünberg, Neumarkt, Zobten, Tarnowitz, ferner Karlsbad, Jena, Crossen, Belgern u. s. w. Nun könnte man sagen, und so ist es in der Regel aufgefasst worden, dass dies Zu- fall sei: bei der nächsten Epidemie könne sich dort Cholera etabliren. Indessen, wenn immer und immer Epidemien auftreten und diese Städte stets frei bleiben, so scheint mir dies doch bedeutsam und nicht nur vom Zufall abhängig. Alle diese Städte haben gutes Quellwasser, auf einige _ dieser Städte will ich genauer eingehen, weil sie mir besonders beweisend erscheinen. Glogau zerfällt in zwei Theile: auf der rechte Oderuferseite liegt eine kleine Vorstadt von zwölf bis fünfzehn Hundert Einwohnern, links der Haupttheil. Dieser letztere hat ein vorzügliches Wasser von den Dalkauer Bergen her und dieser hat nie eine Choleraepidemie ge- habt, trotz der ungünstigsten Verhältnisse. Er steht durch eine Brücke in Verbindung mit der Vorstadt auf der rechten Seite. Dort hat die Cholera sehr schwer gehaust, so dass dort in einer Epidemie 1'/, ‘/, der Einwohner zu Grunde gegangen sind. Auf die linke Oderuferseite sind 200 Jahres - Bericht mehrere Fälle eingeschleppt worden, dort auch 5—6 Menschen der Cholera erlegen, aber trotzdem hat sich in diesem Stadttheil nie eine Epidemie verbreitet. Es will mir doch scheinen, dass diese Thatsache darauf hin- weist, dass die Immunität in der That an der Oertlichkeit haftet, und dass die Verstäubung durch die Luft zwar hin und wieder von einigem Erfolg gewesen sei, aber doch nicht genügt, eine grosse Epidemie zu erzeugen. In Glogau war im Jahre 1866 noch ein zweiter ungünstiger Umstand vorhanden. Damals befand sich auf der linken Oderseite ein grosses Barackenlager für 4000 Mann Kriegsgefangene. Die Gefangenen brachten aus Stettin die Cholera mit, und es entstand durch diese eine schwere Epidemie im Lager. Von den Gefangenen starben viele, aber es hat sich von dort aus eine Epidemie nicht nach der Stadt ver- breitet. In dieser starben nur 5 Personen, von denen 2 viel mit den Gefangenen verkehrten, 3 einer Restauration angehörten, in welche die Gefangenen kamen. Ferner nenne ich Halle. Halle war ein berühmter Cholera-Ort. Frei blieb aber immer das grosse Waisenhaus daselbst. Halle hat bekanntlich schlechtes Trinkwasser. Das Waisenhaus hingegen, eine kleine Stadt für sich, hat 2 gute Wasserleitungen, und diese haben es geschützt. Nun hat man neuerdings die ganze Stadt mit gutem Leitungs- wasser versehen, und Halle ist immun geworden, trotzdem es in den letzten Epidemieen mit Orten in Verkehr stand, die Choleraepidemieen hatten. Koch hat angeführt, dass auch in Caleutta, seitdem dort eine gute Wasserleitung ist, die Zahl der Cholerafälle ausserordentlich abgenommen hat, Wir haben aber auch in Schlesien noch einen zweiten Ort, der uns Aehnliches lehrt. Beuthen in Oberschlesien wurde bis zum Jahre 1855 von 6 schweren Epidemieen heimgesucht. Dann versiegten die Brunnen durch den Bergbau, es musste eine Wasserleitung eingerichtet werden. Seitdem ist es ein immuner Ort, trotzdem in Margarethe, in nächster Nähe von Beuthen, die Cholera sehr bedeutend war. Ferner führe ich als beweisendes Beispiel Belgern auf, an der Elbe zwischen Torgau und Mühlberg gelegen. Dieser Ort hat auch eine gute Wasser- leitung, Brunnen giebt es nicht, und immer ist es freigeblieben, trotzdem in Torgau und Mühlberg eine sehr böse Cholera mehrfach geherrscht hat. Es lüsst sich in diesen Fällen nur annehmen, dass die Wasserver- hältnisse den Grund der Immunität abgeben. Aehnlich verhält sich’s in Weimar und in Jauer. Beide Städte zerfallen in zwei Theile, in einen tief und in einen hoch gelegenen Theil. In den tief gelegenen Theilen giebt es in die Erde gegrabene Brunnen, und diese Orte sind befallen worden, dagegen haben die hoch gelegenen Theile keine Epidemieen ge- habt, Meine Nachrichten stützen sich auf höchst zuverlässige Quellen. Ein College in Jauer hatte 146 Cholerakranke zu behandeln und zwar 145 in dem tief gelegenen Theil, in dem hoch gelegenen nur einen. Dieser hoch gelegene Theil hat keine Wasserleitung, aber ausgezeichnete der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 201 Brunnen, 60— 80 Fuss tief; diese sind durch eine 30 Fuss starke Stein- schicht gesprengt und bekommen das Wasser aus der Tiefe. Es ist also nieht nothwendig, dass eine Quellleitung nach dem Orte hingeleitet wird, es können am Orte selbst Quellen sein, welche aber ihr Wasser nicht aus den oberen Schichten beziehen dürfen. Alle diese Orte scheinen mir den Beweis zu liefern, dass eine grosse Epidemie durch die Luft nicht zu Stande kommen kann, sondern dass das Wasser Hauptträger des Cholerakeimes ist. Ich will es keinesweges bestreiten, ‚dass eine Ver- breitung auch durch die Luft vorkommen kann, aber die Epidemie ge- winnt erst dann Boden und eine grosse Ausdehnung, wenn auch die Brunnen infieirt werden. Nun wird man fragen: „Wie werden die Brunnen infieirt?“ Diese Infection kann nur in der Weise stattfinden, dass die Dejectionen aus den Aborten in die Erde gelangen. Wir wissen, dass die Ansammlungen, welche sich in den Abtrittsgruben befinden, auf weite Streken hin das Erdreich durchtränken, und den Brunnen ihre Be- standtheile mittheilen können. Als unumstösslicher Beweis dafür ist anzu- sehen die Salpeterhaltiskeit des Brunnenwassers. In Breslau haben wir keinen Brunnen, der nicht viel Salpeter enthielte. Dieser kann nur her- stammen aus den organischen Fäulnissstoffen, welche in den Abitritten sich ansammeln. Eine Abtrittsgrube kann auf Hunderte von Fussen die Umgebung imprägniren. Pettenkofer hat beobachtet, dass das Wasser aus einer Gasanstalt bis 700 Fuss weit den Brunnen vergiftete. Ferner wissen wir aus der Gegend von Dresden, dass vergrabene Thiereadaver auf mehrere Hundert Fuss hin die Brunnen schlecht gemacht haben. Wir können daraus schliessen, dass die Abtritte auf weit hin den Boden infieiren. Somit kann auch das Choleragift aus den Abtritten in die Brunnen gelangen. Wenn dies richtig ist, so würden wir auch ein Mittel haben, welches uns gegen Choleraepidemieen schützen kann. Wir brauchen nur unser Trinkwasser zu verbessern, und aus den Brunnen, die in die Erde gegraben sind, kein Wasser zu Haushaltungszwecken zu schöpfen. Für letztere müssen wir uns mit gutem Leitungswasser versorgen und sollte es auch weit herzuholen sein. Ich würde diese Gelegenheit für ‚sehr geeignet halten, Interesse zu erwecken dafür, dass Breslau sich mit einer guten Quellwasser-Leitung versorge. Die Möglichkeit dazu ist da; ich erinnere nur an Riemberg, wo die Stadt ein Wald-Areal von 3 bis 4000 Morgen besitzt. Herr Prof. Biermer: Ich habe natürlich durchaus nicht die Ansicht, dass das Trinkwasser bei der Cholera keine Rolle spielt, im Gegentheil eine sehr wesentliche, aber ich erkläre mir die Immunität der Orte nicht ‚daraus, denn ich kenne Orte, die schlechtes Wasser haben, und doch immun sind. So ist z. B. Winterthur immun. In diesem ist eine grosse Typhusepidemie durch Trinkwasser entstanden, aber die Cholera ent- wickelte sich dort nicht trotz des lebhaften Verkehrs mit dem infieirten 202 Jahres - Bericht Zürich. Winterthur hat zum Theil Leitungswasser, zum Theil Brunnen, welche nicht besser sind als die in Zürich. Ich glaube, dass das Trink- wasser eine Rolle spielt, ich bin auch der Ansicht fern, dass nur durch die Wohnungsluft die Cholera verbreitet wird. Ich habe ja ausdrücklich‘ oesagt, das genügt nicht; das Cholera-Gift muss auch ausserhalb wurzeln und w a sonst giebt es keine Epidemie. Aber im Anfang setzt sich die Epidemie aus lauter kleinen Hausepidemieen zusammen. Diejeni 3 Epidemieen, die durch infieirte Wasserleitungen entstanden sind, sind augenblicklich zu erkennen, sie verbreiten sich viel schneller, sie explo-. diren gewissermassen auf einmal. Da ist nicht die zertreute Gruppirung der Cholerahäuser, wie wir sie bei den meisten Epidemieen sehen. Bei diesen geht es, wie es in Toulon jetzt geht. Die Seuche nimmt langsam zu, es vermehren sich die einzelnen Infeetionsherde, und aus der Menge der Infeetionsherde wird schliesslich eine Epidemie. Ich bin durchaus“ nicht gegen die Ansicht, dass Trinkwasser eine Rolle spielt, glaube aber, dass wenn man auch keinen Tropfen Wasser trinkt, man die Cholera doch bekommen kann. ; Herr Oberpräsident von Seydewitz, Excellenz weist darauf hin, dass aueh Görlitz zu den Orten gehöre, welche eine relative Immunität bewiesen haben. — Seine Excellenz schliesst mit den Worten: „Ich bin schr dankbar für das, was ich hier gehört habe und werde meiner seits mitwirken, dass der möglichste Nutzen daraus gezogen werde.“ Herr Prof. Dr. Förster: Ich möchte die Herren Collegen bitten, wenn ihnen Orte bekannt sind, die unverdächtiges, gutes Wasser haben und nicht immun sind, mir dieselben zu nennen. Ich habe schon vor Jahren darum gebeten, bisher aber keine soleher Orte in Erfahrung bringen können. (Zurufe: Wien!) Wien hat seine Leitung erst später bekommen, und dann wird Wien keineswegs ganz versorgt durch die Kaiserleitung, das ist die Kaiserleitung nieht im Stande, sondern nur zum Theil, In der fünften Sitzung am 22. November sprach 1) Herr Prof. Dr. Hirt über die diesjährige Hygiene-Ausstellung in London. Bedeutsam erscheint, dass ein verhältnissmässig grosser Theil der Ausstellung den Nahrungs- und Genussmitteln einschliesslich der Ver- fülschungen gewidmet ist. Es finden sich dabei vollständige Milehwirth- schaften, vegetarianische Restaurants, Bäckereien mit Maschinenbetrieb, die Wasserversorgung von London (wobei jedem Besucher die Ver- gleichung der Leistungen der 8 eoneurrirenden Wasserversorgungs- Gesellschaften Londons möglich wird) ete. — Sehr anziehend ist ferner die Ausstellung einer „old London street“, welche die Zustände vo der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 303 200 Jahren darstellt. — Die Gewerbehygiene ist besser vertreten, als sie es in Berlin war. Es werden viele neue Verfahren zur Vermin- derung der gewerblichen Unfälle vorgeführt, so eine Herstellung von Bleiweiss auf elektrischem Wege, Kalkpatronen als Sprengmittel für Kohle ete.. — In der Westgalerie imponiren die Maschinen, welche Alles herstellen. Von besonderem Interesse sind die Kalte-Luft-Maschinen (Cold air machines), welche ohne Eis, nur durch Compression der Luft und Absorption der dabei frei werdenden Wärme mittelst eirculirenden Wassers bis — 59°C. erzeugen und ermöglichen, dass Hammelfleisch frisch aus Australien auf den englischen Markt samen! und enorm billig verkauft werden kann. Von den auswärtigen Staaten ist Deutschland am wenigsten ver- treten. Frankreich stellte besonders Einrichtungen der Stadt Paris aus, ferner das Laboratorium von Pasteur. Einen eingehenderen Bericht wird der Vortragende in der deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege veröffentlichen. 2) Herr Prof. Dr. H. Cohn theilt seine Untersuchungen über den Beleuchtungswerth der Lampenglocken mit. Bisher war es nur möglich, anzugeben, wie viel Normalkerzen an Stelle einer Flamme gesetzt werden müssen, um ebensoviel Licht aus- zusenden, wie diese Flamme. Wie hell aber ein Blatt Papier von einer Flamme beleuchtet sei, auf welche eine Glocke gesetzt wird, konnte bisher durchaus nicht gemessen werden, und doch liegt die hygienische Wichtigkeit solcher Messung auf der Hand. Mit dem Photometer, das Prof. Leonhard Weber erfunden, sind jetzt derartige Messungen möglich, und der Vortragende hat im Weber’schen Laboratorium über .500 Bestimmungen gemacht, sowohl bei Gasrundbrennern als bei Gasflachbrennern, bei Albocarbon- und bei Petroleumlampen mit den verschiedensten gebräuchlichen Lampenglocken und Lampenschirmen, die die Firma Langosch zur Verfügung gestellt hatte, Weber nennt die Helligkeit (h) einer Meterkerze eine Hellig- keit, welche ein weisses Papier besitzt, das in 1 Meter Entfernung senk- recht einer Normalkerze gegenübergestellt wird. Der Vortragende bestimmte nun die Helligkeit in Meterkerzen bei Papieren, welche (bei 0,5, 0,75, 1 Meter Höhe des Brenners über dem Tische) sowohl senkrecht unter der Flamme als seitlich bis 3 Meter horizontal entfernt auf dem Tische lagen. Papiere, die senkrecht unter dem Brenner ohne Glocke kaum h = 1 hatten, erhielten durch 12 verschiedene Lampenglocken eine Helligkeit von 11—260 Kerzen. Polirte Blechschirme gaben stets bedeutend mehr Lieht als lackirte, sind also für Sehulen viel empfehlenswerther. Unverantwortlich ist es, in Klassenzimmern offene Flammen ohne 204 Jahres - Bericht Cylinder und Schirme brennen zu lassen, da das Licht dabei nicht auf die Tische eoncentrirt und die Netzhaut durch die beständigen Zuckungen der Flamme gereizt wird. Der Vortragende demonstrirt hierauf die verschiedenen Glocken und Schirme und erörtert an Curven und Tabellen ihren Lichtwerth sowohl, als den Liehtverlust, den die sogenannten Augenschützen ver- ursachen. Unter den benützten Petroleumbrennern waren der Excelsior- brenner mit 79, der Sonnenbrenner mit 65 und die hygienische Normallampe von Schuster u, Bär mit 56 Kerzen die besten; die Mitrailleusen-Hängelampe von Wesp in Frankfurt a. M. gab 91 Kerzen in 0,25 Meter und 16 Kerzen sogar noch in 1 Meter. Sehr empfehlenswerth sind die neuen Clavierlampen mit vernickeltem Reflector, die das Licht auf dem Notenblatte verdreifachen. Der Vortragende fand in einer Reihe von Versuchen, dass man eine Schrift ebenso rasch in 1 Meter Entfernung liest, als bei mittlerem Tageslicht, wenn das Papier 50 Kerzen h hat. Weniger als 10 Kerzen seien nieht zu dulden; die Helligkeit von 10 Meterkerzen kann man sich nach Weber sofort herstellen, wenn man ein Blatt Papier 15 Centimeter unter und 20 Centimeter seitlich von einer Stearinkerze hält; diese Hellig- keit ist nur mässig. In einer bereits unter der Presse befindlichen, bei Bergmann in Wiesbaden in Kurzem erscheinenden, allgemein verständlichen Broschüre hat der Vortragende alle seine Messungen und Resultate zusammengestellt und in einer grossen Tabelle die Helligkeit jedes Arbeitsplatzes bei den verschiedenen Brennern und Glocken bezeichnet, so dass die Fabrikanten und Techniker sowohl als die Hygieniker, Aerzte, Lehrer und Familien- väter sofort finden können, wie hell bei einer beschirmten Lampe die einzelnen Plätze des Arbeitstisches beleuchtet sind. In der sechsten Sitzung am 5. December sprach Herr Dr. Schmeidler über Resultate der Breslauer medieinischen Statistik aus den letzten Decennien, nebst Demonstration von Karten des hiesigen statistischen Bureaus. Die Resultate der Breslauer medieinischen Statistik sind bisher periodisch in der hygienischen Seetion von dem um erstere hochver- dienten Herrn Geheimrath Dr. Grätzer mitgetheilt und erörtert worden. Inzwischen sind von dem hiesigen statistischen Bureau graphische Dar- stellungen, welche grössere, oft viele Decennien umfassende Zeitabschnitte behandeln, angefertigt und nachdem sie kurze Zeit in Breslau ausgestellt worden, im Auftrage der städtischen Behörden zur Hygiene- Ausstellung I use der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 3205 nach Berlin gesandt worden. Diese Karten ergeben hochinteressante Resultate, wie denn überhaupt die Statistik um so richtigere und um so beachtenswerthere Resultate ergiebt, auf je grössere Zahlen, auf je grössere Zeiträume sie sich bezieht und stützt. Dieselben vortrefflichen Tafeln, deren jede eine enorme Arbeit in sich birgt und in kurzen graphischen Zügen hygienische Verhältnisse Breslaus besser wiederspiegelt als dies lange Zahlenreihen thun, dürften den meisten Mitgliedern der Section noch nicht dermassen bekannt sein, als sie es verdienen. Da nun Herr Dr. Neefe, Director des hiesigen statistischen Bureaus, welchem als Verfasser derselben ihre Demonstration wohl vor allen Dingen zu- sekommen wäre, leider aus Mangel an Zeit bisher nicht Mitglied der hysienischen Section geworden ist, so erlaubt sich mit seiner ausdrück- ‚liehen Einwilligung der Vortragende, dazu angeregt durch Herrn Geh. Rath Prof. Dr. Biermer, die ihm von Herrn Dr. Neefe gütigst ge- liehenen Karten zu demonstriren, und in Folgendem die aus diesen sowie aus den letzten Serien der Hefte ‚‚Breslauer Statistik‘ sich ergebenden wichtigsten Resultate mitzutheilen. Diese Resultate lassen sich scheiden: I. in allgemeine, d. h. solche wie sie in anderen grossen Städten auch beobachtet werden; II. in specielle, d. h. nur für die Stadt Breslau eigenthümliche. Es ergeben sich demnach für die Rubrik I. folgende allgemeine Resultate '): 1. Die Höhe der Sterblichkeit im Allgemeinen ist ab- hängig von der Geburtsziffer. Zur Erläuterung: Es sterben in der Regel da verhältnissmässig die meisten Menschen, wo auch die meisten geboren werden, oder: Die Sterblichkeit in gleich srossen Stadtbezirken ist stets in demjenigen auch relativ höher, in welchem in demselben Zeitraume die meisten geboren werden. 2. Die Geburtsziffer ist da am höchsten, wo ein durch zahlreiche Wohnungen zu mässigen Miethspreisen ver- anlasster starker Bevölkerungszuzug insbesonderevon Mitgliedern neubegründeter Haushaltungen stattfand. 8. Die Höhe der allgemeinen Sterblichkeit ist in Breslau, resp. überhaupt in grossen Städten abhängig von der Höhe der Kindersterblichkeit; auch diese steht im geraden Verhältniss zur Höhe der Geburtsziffer. 4. Sehr grossen Einfluss auf die Geburts- und Sterblichkeitsziffer (des- gleichen insbesondere auf die Sterblichkeit im ersten Lebensjahre und an Lungenschwindsucht) haben die Wohlstandsverhältnisse. \) efr. Breslauer Statistik, VII. Serie 3. Heft pag. 284. 206 Jahres - Bericht Je höher das Einkommen (ebenso der Aufwand an Miethe) desto niedriger sind unter sonst gleichen Verhältnissen die Geburts- und die Sterblichkeitsziffer und umgekehrt. | . Einen ebenso deutlichen Einfluss auf Geburt und Sterblichkeit übt die (nach der Zahl der heizbaren Zimmer pro Einwohner be- rechnete) Diehtigkeit des Wohnens. Der Vortragende erläutert obige Sätze an 11 bunteolorirten Tafeln des statistischen Bureaus. Dr. Neefe hat, um genügende Anhaltspunkte. zur Vergleichung der verschiedenen Stadtgebiete zu finden, die Stadt | Breslau in 48 Bezirksgruppen') getheilt, deren jede circa 5700 Ein- | wohner enthält. (Die bestehenden 157 Stadtbezirke hätten wegen der geringeren Zahl ihrer eirca je 2200 Einwohner keine genügenden Ver- | gleichsmomente geboten; es wurden daher vorläufig für statistische Zwecke obige 48 Bezirksgruppen je aus mehreren benachbarten Stadt- bezirken zusammengesetzt). In diese in 48 Bezirksgruppen getheilten Pläne der Stadt Breslau sind die einschlägigen Verhältnisse nach Farben scalen eingetragen. Die wichtigsten Tafeln enthalten u, A. folgende Dar- stellungen: € an a. kartographisch: | 1. die Häufigkeit der Lebend-Geborenen im Mittel der Jahre 18758 bis 1880; 2. die Sterblichkeit im Allgemeinen im Mittel der Jahre 1876 bis 1880; 3. die Kon Ense ahliehkeit im gl: Lehen im Mittel der Jahre 1876 bis 1880; SE 4, Zu- und Ahnahme der Bevölkerung von 1871 bis 1880; | 9. Vertheilung des Volks-Einkommens auf Grund der Einschätzungen) zur Klassen- und klassifieirten Einkommensteuer am 1. December 1880; 6. die Dichtigkeit des Wohnens nach der Zählung am 1. Deeembei 18850; pn > . Höhe der Zimmermiethen in den 48 Bezirken nach der Auf- nahme vom Jahre 1875; 2 83. dieselbe vom Jahre 1880: . die Häufigkeit der ee im Mittel der Jahre 1876 bis, 1550; b. in Oase. Teri ln: 10, die Geburts- und Sterblichkeits- Verhältnisse im Mittel der Jahre“ 1876/80, eombinirt mit der Dichtigkeit der Bevölkerung, dem $ | ') Ueber die Bezirksgruppen cfr, Bresl. Stat., Serie 7 pag. 125 und 1 ihre Zusamme nsetzung aus den u Be ebenda pag. 99 und die sie bildenden Strassen Tab. B. pag. 278. m ,. ' | 1: der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 207 Volks-Einkommen und der Wohnungsmiethe (8 verschiedene Curven gleichzeitig auf 1 Tafel); il. die Vertheilung der Breslauer Bevölkerung nach Alters- und Einkommenklassen in 43 Bezirksgruppen. Uebergehend zu Theil Il, den speciellen, nur für Breslau eigenthümlichen Resultaten, bemerkt der Vortragende zunächst im Anschluss an die vorhergehenden Demonstrationen, dass in genannten 48 Bezirken die Mortalität ausser von den genannten Momenten auch noch abhängig sei von der Altersvertheilung der Lebenden. Die- selbe sei z. B. grösser im Bezirk 6, weil dort besonders viele alte Leute wohnen, auffallend klein dagegen in den Bezirken 11, 39, 48 wegen der dort kasernirten Militärbevölkerung; diese, bestehend aus fast durchwegs gesunden, jungen und kräftigen Leuten, gäbe natürlich viel ge- tingere Chancen für die Mortalität als andere gemischte Bezirke; wie gross der Einfluss so zahlreicher Militär-Bevölkerung auf die Mortalitäts- Statistik sei, zeige sich ganz besonders auffallend in kleinen Städten, die eine grosse Garnison haben, so z. B. Neisse, das dadurch in der Statistik sanitär scheinbar viel günstiger dastehe als es ohne Militär- bevölkerung dastehen würde. Die speciellen Verhältnisse Breslaus sind bekannlich schon seit Ende des 17. Jahrhunderts statistisch erfolgreich bearbeitet worden, mit am frühesten in ganz Europa, wie Herr Geheimrath Grätzer in seiner „@dmund Halley und Caspar Neumann“ betitelten Schrift nachge- wiesen hat. Durch die später zusammenhängend fortgesetzten Beobachtungen ist es sogar möglich geworden, dass uns das 2. Heft der VIII. Serie Breslauer "Btatistik pag. 166a unter No. IV. einen „Vergleich absoluter und relativer Zahlen der Gestorbenen der Jetztzeit mit denen aus früheren Perioden: a. im Allgmeinen, b. nach Altersklassen im Mittel der Jahre 1687 — 1691, 1782—1805 (exel. 1799), 1815-1822 und 1876—1880“ bieten konnte, woraus Dr. Neefe folgende interessante Schlüsse zieht: Ein Vergleich der relativen Zahlen der Gestorbenen „nach Alters- klassen“ ergiebt für die früheren Perioden im Alter von 0—5 Jahren kleinere Zahlen, während im Alter 5—20 die Zahlen der Jetztzeit geringer sind. In den Altersklassen 20—25 und 40—45 treten aber- mals Wendepunkte ein; innerhalb derselben ist die Gestorbenenzahl der früheren Perioden kleiner, vom 45. Lebensjahre ab dagegen grösser. ') !) Doch muss man bei den Daten früherer Jahrhunderte immer berück- Sichtigen: 1) dass die Geburten nicht alle richtig gezählt wurden, namentlich die unehelichen (Grätzer), und 2) dass die Geburtsziffer damals überhaupt keine so hohe war wie jetzt, also auch nicht die Sterblichkeitsziffer. 208 Jahres - Bericht Es folgt daraus, dass die Vertheilung der Lebender in den betreffenden Altersklassen sich dementsprechend geändert hat. * Entsprechend den sogen. Tafeln der Ueberlebenden, wie sie Halley zuerst aufgestellt, hat unser statistisches Bureau im 2. Heft der VII. Serie die Curven-Tafeln der Ueberlebenden der drei Städte Breslau, Hamburg, Berlin zusammengestellt, wonach sich Hamburg durchschnittlich ım günstigsten für beide Geschlechter herausstellt, während Berlin und Areale derartig coneurriren, dass sich die Curve des mämlichen Ge- schlechts für Berlin, die des weiblichen für Breslau meist günstiger herausstellt. Der Vortragende demonstrirt ferner eine Tafel, darstellend den Altersaufbau der Bevölkerung Breslau’s nach den Yolkszählühgen im Jahre 1875 und 1880. Für Breslau’s allgemeine Mortalität ist nun die Höhe der Kindci sterblichkeit derartig influirend, dass letztere fast immer allein für die Gestaltung der Curve der ersteren den Ausschlag giebt. Dies zeigt sich auf den Curven, welche die Mortalität nach Monaten und w einen vieljährigen Zeitraum darstellen, so auf einer Tafel, betitelt Metecrologische und Sterblichkeits- Verhältnieke nach Moore für die Jahre 1871—1880, auf welcher gleichzeitig die Höhe der Niederschläge, die Oder-Wasserstände, die Temperatur-Mittel, -Maxima und -Minima, ferner die Sterblichkeit im Allgemeinen und die Kinder-Sterblichkeit in Curven graphisch dargestellt sind, eine höchst interessante Tafel, die u. A. Folgendes beweist: | a Die Gipfel der Curven der allgemeinen und der Kinder - Sterb- lichkeit fallen in allen Jahren mit Ausnahme des Jahres 1871 zusammen, und zwar die grösste Sterblichkeit stets in die heissesten Sommer- Monate Juli und August, Nur im Jahre 1871 findet sich neben parallelen Gipfeln für August ein noch höherer Gipfel der allgemeinen Mortalität im November, und zwar in Folge einer damals sehr starken Pocken- und Masern-Epidemie. Dieser Gipfel nimmt bis in den Anfang des fol- genden Jahres nur sehr langsam ab, bis sich im Sommer 1872 das vor hin erwähnte Verhältniss beider Mortalitäten wieder herausstellt. In allen folgenden Jahren sind auch die Epidemien von Masern, Scharlach ete, nicht im Stande, die Curven insoweit zu ändern, dass nicht trotzdem die grösste Höhe der Kindersterblichkeit U kscider durch Breehdurch- fälle!) und somit auch die der allgemeinen Sterblichkeit in Breslau in die heissen Sommer-Monate fiele. Denn’die Kindersterblichkeit beträgt in den Monaten Juli und August oft über 50 pCt. der Gesammt- Sterb- lichkeit, Bemerkenswerth ist auf dieser Tafel noch die Thatsache, dass M Höhe der Kinder-Sterblichkeit nicht mit den hohen Wasserständen zu der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 209 sammenfällt, sondern stets einige Zeit nach denselben eintrifft, d. h. zu einer Zeit, wo die Ausdünstung des vorher vielfach (durch Nieder- schläge, Ueberschwemmungen und hohe Grundwasserstände) durchnässten Bodens in Folge der nachfolgenden Hitze in und um Breslau am leb- haftesten ist. Diese hohe Kindersterblichkeit stellt ferner Breslau leider auf einen viel ungünstigeren Standpunkt als es sonst gegenwärtig im Verhältniss zu anderen Städten einnehmen würde, wie folgende vergleichende Ta- bellen zeigen (cfr. VIII. Serie 2. Heft S. 137.): a. Kindersterblichkeit. Es kamen im Durchschnitt der Jahre 1876 — 1880 im 1. Lebens jahre Gestorbene auf 1000 Lebend-Geborene: In München: Strassburg i. E.: Königsberg i. Pr.: 377 321 311 Breslau: Berlin: 308 299. Im Jahre 1881: Königsberg i. Pr.: München: Breslau: Berlin: 369 341 320 282. Im Jahre 1882: Königsberg: München: Breslau: Danzig: Strassburg i. E.: 435 319 313 312 all Nürnberg: Berlin: 292 271. b. Allgemeine Sterblichkeit. Es kamen auf 10000 Einwohner überhaupt Gestorbene: 1876/80: München: Breslau: Strassburg i. E.: Berlin: 356 320 305 291. 2281: München: Breslau: Strassburg: Berlin: 325 324 297 273. 1882. Breslau: Königsberg: München: Köln: 317 317 305 280 Danzig: Nürnberg: Strassburg: Berlin: 280 278 276 259. Aus dem Vergleiche obiger Tabellen ersieht man wiederum, wie in allen grossen Städten die Kindersterblichkeit auf diejenige Stelle influirt, welche die betr. Stadt in der Gesammt - Sterblichkeit einnimmt; wie u.A, in Berlin sich die allgemeine Sterblichkeits-Ziffer im Jahre 1882 1884. 14 10 Jahres - Bericht RB; auffallend vermindert hat, weil sich die Sterblichkeit im 1. Lebensjahre N daselbst so erheblich verminderte. So bleiben überhaupt die Zahlen der allgemeinen Sterblichkeit so lange nur rohe und für die Beurtheilung der Gesundheits- Verhältnisse eines Ortes nicht absolut massgebende, als dabei nicht die Altersvertheilung der Lebenden mit berücksichtigt ist. In der Provinz Schlesien nahm in der Zählungs-Periode 1876/80 Breslau in Bezug auf Gesammt-Mortalität im Durchschnitt die” rd dritt-ungünstigste Stelle ein (339: 10000 der Bevölkerung) und wurde übertroffen von Liegnitz mit 355 und Beuthen OS. mit 349: 10000. (Der Durehschnitt von ganz Schlesien betrug nur 301 : 10.000.) In Bezug auf Kindersterblichkeit im 1. Lebensjahre nahm Breslau ın derselben Periode im Durchschnitt die viert-ungünstigste Stelle ein (308 :1000 Lebendgeborenen) und wurde übertoffen von Liegnitz (357), Görlitz (324) und Schweidnitz (313). Der Durchschnitt von ganz Schlesien t£ betrug nur 255; hierbei sind aber die günstigeren Verhältnisse auf dem | Lande durchweg zu berücksichtigen. | Auch unter den unehelichen Kindern prävalirte in derselben f Periode Liegnitz mit 500 Gestorbenen auf 1000 Lebendgeborenen, dann kam Schweidnitz (467), Beuthen (461), dann erst Breslau mit 455. Der Durchschnitt von ganz Schlesien betrug nur 371. In Bezug auf den Ueberschuss der Geburten über die Todesfälle stehen in Schlesien in jenem Zeitraum der Reihe nach Neisse, Schweid- nitz, Liegnitz, Görlitz, nächstdem erst Breslau am ungünstigsten da gegenüber dem Durchschnitt der Provinz Schlesien und besonders den Landkreisen. Die Ursachen der hohen Kindersterblichkeit Breslaus liegen klar zu Tage; sie entspricht eben, wie schon im allgemeinen Theil gesagi | wurde, immer der Geburtsziffer, welche ja in Breslau besonders unter der ürmeren Bevölkerung sehr hoch ist, und wird wesentlich mit bedingt durch die Wohlstands-Verhältnisse, welche in Breslau (efr. Tabellen der Steuer - Einschätzungen) im Durchschnitte ebenfalls ziemlich ungünstige sind, indem sich seit Ende der 60er Jahre (Aufhebung des Einzugs- geldes) die ürmere Bevölkerung auch durch Zuzug sehr vermehrt hat, | Der Vortragende weist in Bezug auf diese causalen Verhältnisse auf die Arbeit von Geheimrath Grätzer: „Die Gesundheits-Verhältnisse Breslau's in der Zühlungsperiode 1876 — 80% hin, in welcher dieselben nach jeder Richtung gewürdigt worden sind. Auch der nach dem wirth- schaftlichen Aufschwung der ersten Hälfte der 70er Jahre wieder ein- tretende Rückgang der wirthschaftlichen Verhältnisse und damit besonders | der Eheschliessungen hatte gegen Ende der 70er Jahre ungünstig auf die Kindersterblichkeit eingewirkt. Allerdings war die Statistik der 4 ion : 100 en a E * . = ® R Eheschliessungen in Breslau noch nicht so ungünstig wie durchschnitt- ee Se EEE Ki EEE EEE EEE EEE der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 911 lich im ganzen deutschen Reiche; die Zahl derselben nahm in Breslau sogar bis 1876 zu, dann freilich bis 1880 bedeutend ab, von 1880 bis 1882 aber wieder zu (cfr. Verwaltungs-Bericht des Magistrats zu Breslau für die 3 Etats-Jahre vom 1. April 1880 bis 31. März 1883), während sie im ganzen deutschen Reiche seit 1870 constant herabgegangen ist. Mit der Ungunst der wirthschaftlichen Verhältnisse und der Ab- nahme der Eheschliessungen hängen auch viefach zusammen die Er- nährungs- Verhältnisse, als ein auf die Kindersterblichkeit im höchsten Grade einwirkender Factor. Denn von 2916 gestorbenen Kin- dern des Jahres 1882 im Alter von O0 bis 9 Monaten waren nur 809 (d. i. 277 pCt.) mit Mutter- oder Ammenmilch, dagegen 2107 (d. i. 723 pCt.) durch Ersatzmittel oder gemischte Nahrung ernährt (speciell 789 an der Mutterbrust, 1672 durch Ersatzmittel, 435 durch gemischte Nahrung von 0—9 Monaten; oder 577, 881 und 183 von 0—3 Monaten). Davon starben die meisten an Diarrhoe und Darmkatarrh. Dieser Beweis, wie wesentlich ungünstig im Gegensatz zur natür- liehen die künstliche Ernährung auf die Sterblichkeits-Verhältnisse der Kinder unter 1 Jahr influirt, ist, wie wohl die Thatsachen als solche längst bekannt sind, durch Zahlen in Breslau erst seit Einführung der neuen Todesbescheinisungs-Formulare (1. Januar 1882) erbracht worden. Wenn nun die Kindersterblichkeit Breslau’s anscheinend eine so erschreckend hohe und von so grossem Einfluss auf die Gesammtsterb- liehkeit ist, so darf man diese Thatsache doch nicht als eine absolute, sondern im Verhältniss zu den erwähnten socialen Verhältnissen nur als eine relative hinstellen, denn: 1. es hat sich in Breslau, wie schon wiederholt erwähnt, im Ganzen die Geburtsziffer und mit ihr erst die allgemeine und Kinder-Mor- talität erhöht; 2. hat sich durch Berechnungen des hiesigen statistischen Bureaus nach einer neuen Formel ergeben, dass sich doch die Kinder- sterblichkeit seit dem Jahre 158561 von Periode zn Periode insofern vermindert hat, als die Wahrschein- lichkeit, im nächsten Augenblick zu sterben, sich im 1. Lebensjahre von 0,502 auf 0,520 reducirt hat; ö. endlich zeigt die Tafel, betitelt: Meteorologische und Sterblich- keits- Verhältnisse in den Jahren 1821 bis 1880, dass der Ueberschuss der Geburten über die Todesfälle in Breslau sich seit dem Jahre 1821 dermassen verbessert hat, dass, während in allen vorhergehenden Decennien noch ein häufiges Ueberwiegen der Todes- fälle zu beobachten war, ein solches zuletzt nur im Jahre 1871 (Masern, Pocken etc.) vorkam, dann aber gar nicht mehr, so dass sogar im ganzen Decennium 1871 bis 1880 der Ueber- 14* Jahres - Bericht schuss der Geburten über die Todesfälle ein andauernd und steigend so hoher ist, wie er es vorher überhaupt nie gewesen ist. 4 Man sieht aus diesen 3 Thatsachen, wie doch die sanitären Verhält- nisse Breslaus sich seit 6 Decennien nicht verschlechtert, sondern wesent- lich verbessert haben. Ein Blick auf die letzterwähnte Tafel lehrt gleichzeitig, wie die Epidemien, besonders die Cholera- Epidemien, die Mortalität einzelner Jahre jener 60jährigen Periode auf eine enorme, die Zahl der Geburten weit übertreffende Höhe schraubten, so die Cholerainien 1831, 1836, 1848, 1855 und besonders die grösste Cholera-Epidemie von 1866, woran in Breslau allein 4328 Menschen oder 257 von 10000 Eine wohnern starben. An Cholera starben ferner im Jahre 1867: 535 Per- sonen oder 32 von 10000 Einwohnern; vergleichsweise interessant dürfte sein zu erfahren, dass gestorben sind an Pocken a. 1871: 752, oder 7:10000, an Masern 1871: 285, oder 14:10000, dto. 1876: 225, 1880: 122 Personen; ferner an Scharlach 1863: 143 Personen oder 9:10000, 1878: 126 Personen, 1881: 168, oder 6:10000. (Cfr. Dr. Eger’s Bearbeitung der Scharlach-Epidemie von 1878.) R Es wird also die Curve der Gesammt-Mortalität Breslaus auch durch die Epidemien höchst wesentlich beeinflusst. Speciell characteristisch für Breslaus sanitäre Verhältnisse ist endlich diejenige Tafel, auf welcher ‚die Mortalität an einigen hauptsächlichen Krankheiten in den Jahren 1863—80 und im Monatsmittel“ graphisch dargestellt ist. Dieselbe umfasst: Lungenschwindsucht, Lungenentzün- dung, Magendarmkatarrh inel. Brechdurchfall, Unterleibstyphus, Bräune, Croup, Diphtherie, Masern, Seharlach, Keuchhusten, Wochen- bettfieber, Pocken. 3 Aus den interessanten Thatsachen, welche hieraus zu folgern sind, seien nur folgende hervorgehoben: . l. Das Wochenbettfieber, das noch 1872 eine hohe Curve zeigt, hai seit dem Jahre 1873 stetig abgenommen und ist nunmehr fast ganz verschwunden, ein glänzender Beweis für den Nutzen der Anti- septik in der Geburtshilfe; 2. Die Mortalität an Unterleibs-Typhus, die noch im Jahre 1863 226 Personen oder 15 von 10000 Einwohner betraf, hat sich seit dem derartig eonstant vermindert, dass die Mortalität im Jahre 1852 nur noch 80 Personen oder 3 von 10000 Einwohner betraf. E Es starben im Mittel der Jahre 1863 bis 1872 daran 11 von 10000, dagegen im Mittel der Periode 1873 bis 1882 nur 4 von 10000. Das Genauere ergiebt folgende Tabelle. E der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 313 Es starben an Unterleibs- Typhus: 1863: 226 Personen oder 15 : 10000 Einwohner, Rn ER „ 11:10000 E 1865: 208 „, „ 12: 10000 B 18662, „ 15: 10000 x 2867: 187. 0%, 45° 1%7710:000 W 1868: 197 er 21182100009 s 1869: 148 „, » 8: 10000 5 18702193» »„. 6:10000 e ey Ve ee » 8:10000 f en » 8: 10000 5, Banane, » 5:10000 Baal ı:n, 5057210000 5 a 5 ##5::210000 N 1376: 1333212, » 5:10000 N agraahg4=i! |, „ 4#:10000 a; 187825105 ="), „ 4+:10000 7 1329:1:86 ©), » 3: 10000 \i 1830: 0700 „ 4:10000 = 1331:5101 0; „ #:10000 2 1882: 800° ,„ » 3:10000 h Diese auffallende und constante Abnahme der Mortalität an Unter- leibs-Typhus ist entschieden der Aufbesserung aller sanitären Verhält- nisse Breslaus, in specie der Einführung der Wasserleitung, also Zuführung gesunden filtrirten Trinkwassers, der Canalisation, also der rascheren Fortschaffung der Fäcalien und Verhütung der. Boden- verunreinisung, sowie vielfach gleichzeitiger Drainage und der besseren Pflasterung, d. i. Verhütung schädlicher Boden-Ausdünstungen, nebst vielen anderen sanitären Massnahmen zu danken. _ Wetteiferte also Breslau früher in der Typhus - Mortalität mit München, so dürfte es jetzt diesem üblen Rufe als vollständig entronnen zu betrachten sein, sowie es überhaupt in jeder Beziehung seit zwei Decennien einen erheblich günstigeren sanitären Standpunkt ein- nimmt und hoffentlich immer mehr einnehmen wird. Die Cassirung des die Stadt durchziehenden Ohle-Flusses, Anlage schöner Promenaden und Parks, in neuerer Zeit angebahnte energische Massnahmen zur Verhütung von Ueberschwemmungen in Breslaus nächster Umgegend sind mit hier- her zu zählen. Von anderen Krankheiten haben zwar naınentlich die Respirations- Krankheiten, besonders Lungen-Entzündung, sowie Bräune, Croup und Diphtherie in der letzten Zeit bis 1882 zugenommen, doch sind dies wohl nur periodische Schwankungen, wie sie früher schon öfter vor- gekommen sind, E icht 214 Jahres - Berich Die scheinbare Zunahme der Lungenschwindsucht im Jahre 1832 | erklärt sich daraus, dass seit diesem Jahre die neuen Todesbescheinigungs- | | Formulare eingeführt sind und auf diesen meist genauer als früher die | Lungenschwindsucht unter den „Lungenleiden‘‘ elassifieirt worden ist. Immerhin schwankte in den Jahren 1865—1882 die Mortalität an derselben zwischen 548 und 1001 Opfern oder 23 minimum und 36 maximum : 10000 Einwohnern jährlich, was gegen andere Gross- | städte, wie z. B. Wien, noch nicht einmal so schlimm ist. Dagegen ist | ferner von der Lungen-Entzündung Folgendes erwiesen: Während an | derselben im Jahre 1863 nur 11 von 10000 Einwohnern starben, stieg diese Mortalität auf 22 : 10000 im Jahre 1881 und auf 24 : 10000 im Jahre 1882. Die Zahl der Todesfälle an Magendarmkatarrh und Brech- durchfall betrug im Durchschnitt der 10 Jahre 1863/72: 30 pro 10000 und in den 10 Jahren 1873/82: 39 pro 10000, was also eine Steigerung der Mortalität auch an diesen Affectionen erweist. : Sehr interessant sind die Monatsmittel der genannten Er- | krankungen seit 1863 — 1880 ebenfalls graphisch dargestellt. Dieselben ergeben u. A. folgende Resultate: Im Monatsmittel der Jahre 1863— 1880 erreichte: Die Lungensehwindsucht ihren durchschnittlich höchsten Standpunkt in den Monaten April und Mai, vom Februar steil an- steigend und bis zum September, wo ihr niedrigster Stand ist, langsam abfallend; bis zum December und Januar findet dann wieder ein ge- ringer Anstieg statt. Die Lungen- Entzündung beginnt mit einem hohen Stande im Januar und steigt dann noch bis zum Mai, wo sie den höchsten Jahres- stand erreicht, fällt langsam ab bis zum August und September, wo sie ihren niedrigsten Standpunkt erreicht und steigt dann wieder bis zum November und December. Es erinnert dieses Verhältniss an die verschie- denen Formen der Pneumonie, indem gerade im Frühjahr auch die sogen, katarrhalischen oder Broncho-Pneumonien sehr häufig sind; dass dieser Höhepunkt gleichzeitig mit dem durchschnittlichen Höhepunkt der Malaria-Erkrankungen in Breslau zusammenfällt, hat der Vortragende bereits in seiner im Jahre 1881 erschienenen Arbeit über Malaria er- wähnt; es ist dies auch kein Zufall, sondern diese Art Infeetions- P’neumonien beruhen oft auf Malaria, wie sie sich, besonders bei Kindern, gern an diese anschliessen oder aus derselben heraus entwickeln. Auch scheint die Frühjahrszeit mit ihrer lebhaften Entwickelung der organischen Natur im Allgemeinen der Entwickelung bacterieller Lungen - Erkran- kungen speciell günstig zu sein, wie sich aus der fast parallelen Curve der Lungenschwindsucht ergiebt. Die Magendarmkatarrhe (incl. Brechdurchfall) erreichen ihr Maximum im August mit steil ansteigender und steil abfallender 5 se. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 315 Curve. Der August ist in Breslau der durchschnittlich heisseste und ein recht ungesunder Monat. Der Unterleibs-Typhus erreicht nach der hier zu Grunde ge- legten Durchschnitts - Berechnung noch immer seine grösste Höhe im September, mit steil ansteigender und langsamer bis zum April und Mai abfallender Curve, in welch’ letzteren Monaten er fast = 0 ist. Es stimmt dies im Wesentlichen mit der Pettenkofer’schen Theorie von den Grundwasserständen überein, die in Breslau im Frühling am höchsten, im September am niedrigsten zu sein pflegen (cfr. Jacobi, Beiträge zur medicinischen Klimatologie und Statistik, umfassend die wiehtigsten Elemente einer hygienischen Local-Statistik der Stadt Breslau 1879). Es ist aber hierbei erwähnenswerth, weil aus den Tabellen den „Breslauer Statistik“ ersichtlich, dass, wie der Unterleibs-Typhus mit Verbesserung der sanitären Verhältnisse Breslaus überhaupt abgenommen, ganz besonders seit Einführung des filtrirten Wasserleitungs-Trinkwassers und der Canalisation sich das Verhältniss der Typhus-Erkrankungen zu den einzelnen Jahreszeiten insofern wesentlich geändert hat, als eine der- artig bestimmte Curve sich in den letzten Jahren nicht mehr ergiebt — ein Beweis, dass gerade das Brunnen-Trinkwasser es früher war, welches in richtiger Uebereinstimmuug mit Pettenkofer’s Grundwasser-Theorie die charakteristische Curve des Typhus bedingte. Bräune, Croup und Diphtherie erreichen in flach aufsteigender Curve ihre Höhepunkte in den Monaten October, November, December, Januar, die Masern im November, Scharlach im September und October, Keuchhusten im Mai, mehr aber noch im August und Sep- tember, Pocken im Januar, dann vom October steil ansteigend im November und December. Aus der Betrachtung aller dieser Monatsmittel, sowie der Mortalitäts- Statistik im Allgemeinen, des Krankenbestandes der Hospitäler und der Thätigkeit der Communal- und Privat-Aerzte ergiebt sich übereinstimmend die Thatsache, dass in Breslau der Monat September der aller- sesündeste ist, nächstdem der October; eine Thatsache, die auch nach den meteorologischen und klimatologischen Verhältnissen Breslaus voll- ‚ständig erklärlich ist, deren Begründung aber hier zu weit führen würde, Ferner ist eine Tafel, betitelt: Die Gestorbenen nach Krankheits- gruppen, Altersklassen und Geschlecht im Mittel der Jahre 1876—1880, berechnet auf 10000 der betreffenden Lebenden, mit farbigen Columnen dargestellt, von grossem Interesse. Dieselbe zeigt, wie die Mortalität vom 1. bis 5. Lebensjahre am höchsten, von da bis zum 30. am niedrig- sten ist, wie sie dann bis zum 70. und darüber wieder ansteigt; welchen überwiegenden Antheil an allen Lebensaltern die Respirations-Krank- heiten einnehmen, wie am Anfang und Ende des Lebens die Entwickelungs- und Verdauungs- sowie Gehirn- und Rückenmarks-Krankheiten von wesent- 116 Jahres - Bericht lichem Einfluss sind, welche bedeutende Rolle endlich in allen Lebens- altern, aber speciell im Kindesalter (hierher gehören auch die Brechdurch- fälle) die Infeetions-Krankheiten spielen. Was in Breslau die einzelnen Stadttheile anbetrifit, so spielen für ihre hygienischen Verhältnisse in erster Linie wiederum die im all- gemeinen Theil I. angeführten socialen Verhältnisse eine Rolle, so dass bis auf wenige Ausnahmen die übervölkerten Theile der Vorstädte hier am ungünstigsten situirt sind, während die innere Stadt durch massen- haftes Verziehen ihrer Einwohner nach den Vorstädten und vorwiegender Etablirung von Geschäften in der inneren Stadt eine erhebliche Einbusse an Bevölkerung, damit aber auch in einzelnen Theilen derselben einen Vortheil durch die geringere Dichtigkeit derselben erfahren hat, wie andererseits einzelne Theile derselben noch jetzt an zu dichter Be- völkerung leiden. In den Vorstädten hausen demnach auch die Epi- demien am schlimmsten, sowie die allgemeine und speciell Kinder- sterblichkeit bei schlechten Einkommens- und Ernährungs-Verhältnissen und der grossen Dichtigkeit des Wohnens meist am grössten ist. Dagegen ist in den Bezirken, wo die Geburtsziffer bei weitläufigerem Wohnen und besseren socialen Verhältnissen am niedrigsten, auch die Mortalitäts- ziffer am niedrigsten. Nach Einführung des erwähnten neuen Todesbescheinigungs -For- mulars wird es auch allmählich möglich werden, eine genauere Statistik des Kinflusses der einzelnen Stockwerke auf Morbidität und Mortalität anzubahnen, sowie eine genauere localistische Statistik der einzelnen Stadtbezirke, Häuser, Wohnungen, Strassen. Dazu bedarf es noch vieler Arbeit, vieler Mittel, vieles Interesses seitens aller Betheiligten. Paris und Brüssel haben, wie der Vortragende an vorgelegten Karten demonstrirt, angefangen, eine localistische Statistik des Typhus und anderer Infeetions- Krankheiten, wie der Diphtherie, anzubahnen!), um den Haupt-Brutstätten der Krankheiten nachzuspüren, doch waren auch dort die eingeschlagenen Wege noch zu langsame, unvollkommene. Es wäre wünschenswerth, dass eine ähnliche Pflege localistischer Statistik, nur in besserer und rascherer Ausführung, hier in Breslau angebahnt würde. Es würden sich daraus Vortheile für die Erforschung der Aetiologie, Verbreitung und Beschrän- kung von Epidemien ergeben, | Als Resum& seines Vortrages hebt Schmeidler nochmals folgende für Breslaus sanitäre Verhältnisse erfreulichen Resultate der Statistik aus den letzten Decennien hervor: Il. Die relative Abnahme der Kindersterblichkeit. +) ip f f Yy ar* > 1 2. Der andauernd erhebliche Ueberschuss der Geburten über die l’odesfälle seit 1870. ) Annuaire statistique de la ville de Paris. Annee 1880 der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ST, 3. Die erhebliche Verminderung des Typhus und der Wochenbetts- Erkrankungen. Bei der nun folgenden Discussion äussert Herr Prof. Dr. Förster: Die Thatsache, dass von den 2916 gestorbenen Kindern 809 an der Brust und 2107 künstlich ernährt worden sind, beweist noch nichts für den Einfluss der Ernährung auf die Kindersterblichkeit. Ein statistischer Vergleich wäre erst möglich, wenn man wüsste, wie viele starben von 100 Kindern, welche an der Brust, und wie viele starben von 100 Kin- dern, welche künstlich ernährt worden sind. Herr Geh. Medicinal-Rath Prof. Dr. Biermer: Während in Breslau Typhus abdominalis am häufigsten im September vorkommt, erreicht er in der Schweiz gerade im Winter sein Maximum. In Zürich beginnt die Zunahme dieser Krankheit im Herbst und steigert sich bis Januar. In Zürich ist eine sichere Coincidenz der Typhuscurve mit den Schwan- kungen des Grundwasserstandes nicht constatirt. 213 Jahres-Bericht ITIE Bericht über die Thätigkeit der naturwissenschaftlichen Section der Schiesischen Gesellschaft im Jahre 1884 erstattet von Herrn Geh. Bergrath Prof. Dr. Römer und Herrn Prof. Dr. Poleck, zeitigen Secretairen der Section. — In der Sitzung vom 23. Januar machte der Assistent am mine- ralogischen Museum, Herr Dr. Gürich, Mittheilungen über weitere Saurier-Funde aus dem Muschelkalk Oberschlesiens. Am Beginn dieses Jahres gelangte das Breslauer mineralogische Museum in den Besitz des ersten in Schlesien aufgefundenen Placo- dontenschädels; derselbe ist von Herrn Dr. Mikolajezak im Böhm- schen Steinbruch bei Tarnowitz, dem berühmten Fundort schöner Muschel- kalk-Petrefacten, gefunden und dem Museum überlassen worden. Das Genus Placodus ist von Münster begründet und von ihm sowohl wie von Agassiz (Recherches sur les poissons fossiles II, 217) zu den Fischen gestellt worden. Owen wies (Philosophieal Transactions 1858 p. 169) die Sauriernatur dieser Thiere zuerst nach, H. v. Meyer kam später (Palüontographica 1864 p. 176) zu demselben Resultat, ausserdem erhob er einige Arten der alten Gattung Placodus zu einer neuen, Cyamodus. Zu dieser gehört auch der vorliegende Schädel. Derselbe besitzt „wei Paar Gaumenzähne, die vorderen sind rundlich, die hinteren elliptisch, fast dreimal so lang als jene, In geringem Abstande vor diesen Zähnen befindet sich ein Paar länglicher Gaumenlöcher, die hier das erste Mal bei den Placodonten mit voller Bestimmtheit nachgewiesen werden konnten, Der Oberkiefer trägt drei Zähne, deren letzter, der grösste, mit den vorderen Gaumenzähnen in einer Linie liegt. Der Zwischen- 3: der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 319 kiefer ist weggebrochen, nur der letzte Zwischenkieferzahn der rechten Seite ist vorhanden; er stand bereits auf der vorderen Rundung des Schnauzenendes. Die Knochendecke des Rachens besass zwei trichterartige Ein- stülpungen in der den beiden Augen entsprechenden Gegend; ähnliche Vertiefungen befinden sich an der hinteren, inneren Ecke der Gaum- zähne. Letztere stehen nur in den Gaumenbeinen, hinter welchen deut- lich die beiden kurzen, aber hohen zahnlosen Flügelbeine erkennbar sind. Der die Schläfengruben vorn begrenzende Bogen bestand aus zwei Knochen, einem unteren breiteren, ‚dem jugale, das vorn an den Öber- kiefer stiess und nach dem hinteren Augenrande einen oberen Fortsatz aussandte, und einem oberen schmalen, von dem ein oberer Fortsatz nach dem vorderen Schläfengrubenrande ausging. Die seitliche Be- srenzung der Grube bildete ein breiter Knochen, die hintere ist weg- gebrochen. Das Scheitelbeinloch befindet sich in einer Linie mit dem vorderen Ende der Schläfengrube. Diese lagen ungefähr horizontal, die Augenlöcher senkrecht und untereinander nach vorn zu stark convergirend, die wohl nur kleinen Nasenlöcher müssen ebenfalls senkrecht gestanden und nahe bei einander nach aussen gemündet haben. Dies Exemplar erweist sich durch diese Merkmale als zu einer neuen, Cyamodus laticeps Owen und C. Münsteri Ag. am nächsten stehenden Art gehörig, die Cyamodus Tarnowitzensis genannt werden möge. Von C. laticeps unter- scheidet sie die, bei gleicher Breite in der hinteren Augengegend be- deutend kürzere Schnauze und viel schwächere Entwickelung der hinteren Schädelpartie, sowie die grössere Höhe derselben; auch ist der Schläfen- srubenbogen bis an die hintere Ecke einfach, bei laticeps ist er schon an der Seite doppelt. Von Cyamodus Münsteri ist, abgesehen von dem dritten, vordersten Paare Gaumenzähnen, die möglicherweise zu Unrecht auf dem Originalexemplar aufgekittet sind, unterscheidend die bei gleicher Schnauzenlänge grössere Breite der Gesichts- und hinteren Schädelpartie, deren grössere Höhe und die Stellung der Backenzähne, die bei Münsteri durch Lücken getrennt sind, bei C. Tarnowitzensis eine ununterbrochene Reihe bilden. Was schliesslich die systematische Stellung der Placodontier anlangt, so ist sie noch wenig aufgeklärt; wenn Owen sie mit den Nothosauriern vergleicht, so dürfte er es nur gethan haben, um überhaupt ihre Sauriernatur zu betonen. Beachtens- werth ist jedenfalls Huxley’s Annahme, der sie in die Nähe von Hat- ‚teria stellt. Einige Aehnlichkeit mit Placoduszähnen weisen die Zähne eines kleineren Gebisses, des zweiten vorzulegenden Fundes, auf. Das Frag- ment stammt aus dem Muschelkalk der Maxgrube bei Michalkowitz in Oberschlesien und wurde mir von Herrn Bergrath Möcke in Kattowitz zur Untersuchung überlassen. Es umfasst 5 pleurodonte Zähne, die an 930 Jahres- Bericht der Innenseite eines verhältnissmässig zarten, porösen Kieferknochen an- oewachsen sind. Innen sind sie bis zum Grunde frei und hier durch wurzelartige Verzweigungen mit dem Knochen verwachsen. Ueber dem Grunde zusammengezogen, nach oben aufgebläht, zeigen sie innen eine starke, nicht ganz regelmässige Riefung, die oben in der Schmelzkrone endigt. Letztere ragt aussen in plumper Anschwellung über den Kiefer- rand hervor und zeigt oben eine etwas erhabene, nach aussen abfallende ebenflächige Abstutzung, deren Schmelz im Gegensatz zu der rehbraunen | Krone weiss gefärbt ist. Auf der Aussenseite befindet sich eine Längs- einstülpung des Schmelzes, eine Falte, die bis in die weisse Kappe hin- aufragt und deren Ränder in der Mitte der Höhe etwas stärker klaffen. Die Zähne sind von der Knochensubstanz angefüllt, nur der oberste Theil der Krone ist hohl. Durch diese höchst auffälligen Merkmale weicht das vorliegende Gebiss von allen bisher bekannten Zähnen des Muschelkalks ausserordentlich ab und soll deswegen zu einem besonderen Genus Pleurodus erhoben, die Art als bicolor bezeichnet werden, ohne dass damit die systematische Stellung des Thieres, zu dem es gehört, angedeutet werden soll. Indess möge hier darauf hingewiesen werden, dass bei gewissen Lacertilieren die Verwachsung der Zähne mit dem Kiefer in ganz ähnlicher Weise stattfindet. Hierauf legte Herr Professor Dr. Arzruni eine Anzahl schlesische und amerikanische Mineralien vor von den dem königl. mineralogischen Museum stets reichlich und in dankenswerther Weise zufliessenden Geschenken an Mineralien, mit dem Bemerken, dass das Museum sich besonders in der Provinz zahl- reiche Freunde erworben hat, wodurch es eine exceptionell begünstigte Stellung gegenüber vielen anderen Museen Deutschlands geniesst. Von schlesischen neuen Vorkommnissen ist zunächst der aus neuen Anbrüchen im Julischacht der Friedrichsgrube zu Tarnowitz herstammende Tarnowitzit hervorzuheben, von welchem durch die Güte des Herrn Bergrath Koch zu Tarnowitz dem Museum eine Reihe prachtvoller Stufen zuging. Dieses von Breithaupt benannte, von Böttger und Kersten (1839) zuerst analysirte Mineral beansprucht ein besonderes theoretisches Interesse, als eine in Aragonitform krystallisirende iso- morphe Mischung von Caleium- und Bleicarbonat, deren Vorkommen auf Tarnowitz und Miechowitz bei Beuthen beschränkt zu sein scheint, wenn man von einem wohl nicht näher beschriebenen, durch Herrn Dun- nington analysirten 7,29 pCt. Bleiearbonat enthaltenden Minerale von Austin Mine Wythe Co,, Virginia, absieht (vergl. Dana, Min. 3d. App. unter „Aragonite“), Wie die bisher allein gebliebene krystallographische Untersuchung des Tarnowitzit durch Herrn W ebsky (Zeitschr. d. deutsch. geolog. Ges, IX, p. 737, 1857) dargethan hat, nähert sich dieses Mineral der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. a in Habitus und Zwillingsverwachsung seiner Krystalle dem Aragonit, welchen er allerdings, wenn nicht bezüglich des Formenreichthums, so doch hinsichtlich der Complieirtheit der Zwillingsverwachsung zu über- treffen scheint. Auf Wunsch des Vortragenden unterzog Herr Stud. Langer einige Krystalle des genannten Minerals einer goniometrischen und optischen Untersuchung, die u. A. das Auftreten einer Pyramide mit 20facher Verticalachse erwies und die Bildung von ringförmig grup- pirten Zwölflingen nach der Fläche (110), wobei die Einzelkrystalle häufig im Centrum nicht zusammenstossen, sondern einen Hohlraum zurück- lassen, dessen Umrisse dem äusseren vollkommen entsprechen. Da die bisherigen Analysen an stengeligen Massen des Tarnowitzit angestellt wurden, und also der gefundene Gehalt an Bleicarbonat (2,19 bis 3,889) vielleicht mechanischen Beimengungen zugeschrieben werden könnte, veranlasste Vortragender auch eine Bestimmung des Bleigehaltes an sorgfältis ausgesuchten, vollkommen wasserhellen, durchsichtigen Kıystallen. Die von Herrn Stud. Herde ausgeführte Analyse lieferte 8,06 pCt. Bleicarbonat, während Herr Dr. Mikolayczak zu Tarnowitz bis zu 9 pCt. an milchweissen Krystallen fand (vergl. Kosmann, Zeit- schrift d. oberschl. berg- und hüttenm. Vereins, August-September 1883). Trotz dieses verhältnissmässig hohen Bleigehaltes dürfte G. Rose’s Meinung (Abh. d. Berl. Akad. 1856 p. 25), dass die beiden Carbonate sich nicht unbeschränkt zu mischen scheinen — eine auf Grund des von inm beobachteten Auskrystallisirens von reinem Cerussit auf Tarnowitzit gemachte Annahme — ihre Berechtigung bewahren. Einen weiteren interessanten Fund aus Schlesien und zwar von einem auf Kupferkies getriebenen Versuchsstollen im Eulengrund bei Wolfshau vermochte Vortragender, Dank der Freundlichkeit des in der Sitzung anwesenden Herrn Gutsbesitzers Mende aus Lomnitz, vorzulegen. Dieser von Herrn Mende gemachte Fund bezieht sich auf Anatas, welcher in etwa l mm grossen schwarzen, pyramidalen Kryställchen, wasser- hellen Krystallen von Adular und Albit aufsitzt, die ihrerseits Kluftwände im Gneis (oder Glimmerschiefer?) als Kruste überziehen. Auf einer der vier Stufen sind ausserdem noch zwei kleine schuppenförmige, glänzende, braune, durehsichtige Kryställchen einer anderen Modification der Titan- säure — des Brookits zu sehen. Der Anatas ist in Schlesien bisher blos vom Grünbuschloch bei Schwarzbach unweit Hirschberg (Zeitschr. d. deutsch. geol. Gesellsch. I, p. 81, 1349, auch Fiedler, Min. Schl. p. 37) bekannt gewesen, wo er gleichfalls mit Brookit zusammen grösseren Orthoklas- und Albit-Krystallen eines granitischen Ganges aufsitzt, während der Brookit für sich im Korund-führenden Granitgange bei Wolfshau gefunden wurde. Eine von daher stammende Stufe des hiesigen Museums zeigt einen „trüben, in Rutilmasse umgewandelten‘“ Brookit (Etiquette von Herrn Websky, 229 Jahres-Bericht welche auch eines „leberbraunen, durchsichtigen Krystallbruchstücks in Professor Marbach’s Sammlung‘“‘ Erwähnung thut). Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, welche von den beiden Modifieationen der Titänsäure im Eulengrunde als spätere Bildung angesehen werden muss, doch will es scheinen, als ob der Anatas der jüngere sei, was im Ein- klange mit Herrn Hautefeuille’s Beobachtung stehen würde, nach“ welcher bei künstlicher Darstellung für den Brookit eine höhere Tem- peratur (Rothgluth) erforderlich ist, während der Anatas sich unter 100 Grad bildet und blos unter diesem Temperaturgrade bestehen kann. Bei einem dem schlesischen analogen Zusammenvorkommen beider Mineralien, dem- jenigen vom Maderanerthale, Canton Uri, zeigt sich ein deutliches Auf- sitzen von Anatas auf Brookit, wodurch die Epigenese des ersteren nicht zu bezweifeln ist. Derselbe erwähnte ferner ein von Herrn Robert Bunsen in Lead- ville Lake Co., Colorado (einem Neffen des berühmten Chemikers dieses Namens) gemachtes Geschenk. Es sind Stufen eines zersetzten, fast eänzlich in Eisenoxydhydrat umgewandelten und Manganoxyde ent- haltenden, porösen, aber harten, anscheinend quarzarmen Gesteins, in dessen Poren kleine, schmutzig-grüngelbe, bei Gaslicht fahl aussehende Kumbolit- (Chlorbromsilber-) Krystalle von der bekannten Form — Würfei mit vom Octaöder abgestumpften Ecken — sitzen. Das Gestein wird durch kalte Salzsäure anfangs nur schwer angegriffen, löst sich aber nach und nach unter Chlor-Entwickelung zum grössten Theil auf, während der Rest in ein grobkörniges Pulver zerfällt, das unter dem Mikroskop deutlich nur Orthoklas erkennen lässt. Nach einem Bericht von Herrn 8. F. Emmons, Geologist-in-charge (Annual Rep. of the Dir. U. 8. Geol. Survey, 1882 p. 201—290) ist die Gegend von Leadville reich an Halloidverbindungen des Silbers, welche als secundäre Bildungen meist an der Grenze zwischen Porphyren und blauem Thon (Carbon) oder in Dolomiten auftreten, Derselbe legte endlich noch eine Reihe von Mineralien aus den Zinnerzlagerstätten von Oruro, Bolivia, vor, welche dem Museum von llerrn Dr. A, Stübel in Dresden, dem bekannten, um die Erforschung Südamerikas hochverdienten Geologen, zum Geschenk gemacht wurden. Vortragender erinnert an die von Herrn Daubr6e aufgestellte, durch löxperimente begründete geistreiche Theorie von der Bildung der Zinn- erzlagerstütten und weist auf die von der allgemeinen Regel anscheinend abweichenden paragenetischen Verhältnisse hin, welche die Lager von Oruro darbieten, indem dieselben von Fluorverbindungen nichts zu führen scheinen, wie auch überhaupt Südamerika äusserst arm daran ist, So ist der Flussspath anstehend blos von den Smaragdgruben von Muzo, Colombia, bekannt, scheint aber allerdings auch im peruanisch - bolivia- nischen Hochlande vorzukommen, worauf die in dem Ruinenfelde der der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 333 Stadt Tiahuanaco am Südufer des Titieaca-Sees durch Herrn Stübel aufgefundenen Perlen und Werkstattabfälle aus diesem Material schliessen lassen. Neben Flussspath wurde dort auch blauer Sodalith angetroffen, welcher ausschliesslich an den Eläolithsyenit — eine bisher blos von vier Punkten der Erde bekannt gewordene Gesteinsart — gebunden ist, die aber wahrscheinlich auch irgendwo im südamerikanischen Hochlande ansteht. Herr Professor Dr. Poleck legte in derselben Sitzung eine Suite interessanter Cyanverbindungen vor, Chloreyan, Jodeyan, Phosphorcyan, Schwefeleyan und Cyanamid, welche im Laboratorium des pharmaceutischen Instituts dargestellt worden waren. Er demonstrirte dann den Wolff’schen Apparat zum Nachweis mini- maler Mengen von Quecksilber auf elektrolytischem Wege. Das Queck- silber wird auf die aus Platindrähten bestehende pinselförmige Kathode niedergeschlagen, dann in ein capillar ausgezogenes Glasrohr sublimirt und durch Joddämpfe in rothes Quecksilberjodid übergeführt. Bei der Einrichtung des Apparats, welcher die Flüssigkeit wiederholt die Zer- setzungszelle passiren lässt, kann noch '/,, Milligramm Quecksilber in 100 Ce. Flüssigkeit nachgewiesen werden. Derselbe Vortragende zeigte dann noch eine Anzahl Gas-Pipetten, welche Professor Hempel für die technische Gas-Analyse construirt hat, und zwar die Pipetten zur Bestimmung der Kohlensäure, des Sauerstoffs, des Kohlenoxyds und eine Explosions-Pipette. Mit der, eine grosse An- zahl dünner Phosphorstanzen enthaltenden Gas-Pipette zur Bestimmung des Sauerstoffs führte der Vortragende eine Analyse der Luft aus, welche nur wenige Minuten Zeit beanspruchte und ein befriedigendes "Resultat gab. Herr Geheimer Rath Professor Dr. Göppert legte schliesslich noch ein fossiles Stammstück von 10 cm Durchmesser vor mit einer durch hellen Quarz gebildeten Zeichnung eines Bogens und Pfeiles von täuschen- der Aehnlichkeit. In der Sitzung vom 20. Februar machte Herr Geheimer Berg- rath Professor Dr. Römer geologische und paläontologische Mittheilungen, indem er zunächst nachstehende neu erschienene Werke vorlegte und besprach: 1) Second Annual report of the United States geologieal Survey to the seceretary of the Interior 1880/81 by J. W. Powell, Director, Washington 1882. Dieser Band enthält Ab- handlungen verschiedener Autoren über die geologischen Verhältnisse 924 Jahres - Bericht einzelner Distriete der westlichen Staaten und Territorien. Die erste dieser Abhandlungen führt den Titel: The physical geology of the orand Cafon Distriet by Capt. Clarence E. Dutton. In derselben wird das im Territorium Arizona am oberen Laufe des in den Golf von Cali- fornien sich ergiessenden Colorado-Flusses gelegene Gebiet beschrieben, welches durch die grossartige Scenerie seiner schluchtenartigen Thäler berühmt geworden ist. Ein besonderer Atlas in grossem Format mit Karten und Ansichten dient zur Erläuterung dieser Beschreibung. Die Ansichten geben vortreffliche Darstellungen von der Natur des als Grand Canon von den früheren spanischen Colonisten bezeichneten, durch fast senkrechte, bis 2000 Fuss hohe Thalwände begrenzten spaltenähnlichen und doch lediglich durch Auswaschung gebildeten Thals des Colorado und des dasselbe umgebenden, durch groteske Felsbildungen ausgezeich- neten Gebirgslandes. In keinem anderen Theile der Welt sind die Wirkungen einer durch Jahrtausende fortgesetzten Erosion in so grossem Massstabe und in so überzeugender Deutlichkeit nachweisbar. 2) Topographische en geologische Beschrijving van een gedeelte van Sumatra’s Westkust. Atlas. Amsterdam 1883. Die Holländer haben seit Jahren eine geologische Landesanstalt für die geologische Untersuchung und Kartirung ihrer ostindischen Colonien. Die Arbeiten dieser Anstalt sind seit einer Reihe von Jahren auch auf die Insel Sumatra ausgedehnt. Man hat zunächst das nördlich und nord- östlich von der an der Westküste gelegenen Colonie Padang befindliche Gebiet in Angriff genommen. Das kartographische Ergebniss dieser Aufnahme liegt in dem Atlas vor. Den Hauptinhalt desselben bilden 3 Blätter der unter Leitung des Berg-Ingenieurs R. D. M. Verbeek im Massstabe von 1: 100000 ausgeführten geologischen Karte. (Geologische Kaart van een gedeelte van het gouvernement Sumatras Westkuste, op- genomen door den Myning Ingenieurs R. D. M. Verbeek, C. J. van Schelle, R, Fennema en De Jongh ete. onder leiding van den eerst- aanwezend R. D. M. Verbeek, In de Jaren 1875—1879. Schaal van 1: 100000.) Ausserdem enthält der Atlas eine geologische Uebersichts- karte des Gebietes im Massstabe von 1: 500000 und eine Anzahl von Tafeln mit geologischen Profilen und topographischen Darstellungen ein- zelner Localitäten. Wenn schon das Unternehmen an sich, eine geo- logische Karte in einem so grossen Massstabe (die im Auftrage des Staats herausgegebenen geologischen Karten von Nieder- und Ober- schlesien haben auch nur den Massstab von 1: 100000) von einem aus- gedehnten, bis dahin fast ganz unbekannten Gebiete eines tropischen Landes anzufertigen, kühn und grossartig erscheint, so ist auch die Aus- führung des Unternehmens augenscheinlich mit grosser Sachkenntniss und bewundernswerthem Fleisse erfolst. Sumatra ist in geologischer Be- »iehung entschieden die interessanteste der Sunda- Inseln. Während der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 335 Java und die meisten anderen Inseln fast ausschliesslich aus tertiären Ablagerungen und vulkanischen Gebirgsarten zusammengesetzt sind, so zeist dagegen Sumatra eine grosse Mannigfaltigkeit von verschiedenen Formationsgliedern. In der die ganze Insel von Nord nach Süd längs der Westküste durchziehenden Gebirgskette sind das granitische Ur- sebirge, versteinerungsleere alte Thonschiefer, der Kohlenkalk und eocäne Tertiär- Ablagerungen vertreten und ausserdem weisen die das ganze Gebirge überragenden, bis 10000 Fuss hohen Vulkane mannigfaltige Eruptiv-Gesteine auf. Die Verbreitung aller dieser verschiedenen Ge- steine, deren 25 durch besondere Farben unterschieden sind, ist auf den Blättern der Karte sorgfältig verzeichnet und sehr anschaulich zur Dar- stellung gebracht. Unter den Gliedern der Sedimentär-Formationen ver- dient der Kohlenkalk wegen der auffallenden Uebereinstimmung seiner petrographischen und paläontologischen Merkmale mit demjenigen Europas besondere Beachtung. Die fossile Fauna desselben ist nach Sammlungen, welche Herr Verbeek einsandte, in einer besonderen Abhandlung (Ueber eine Kohlenkalk - Fauna der Westküste von Sumatra. Mit 3 Tafeln. Kassel. Paläontogr. Bd. XXVIL) durch den Vortragenden schon früher beschrieben worden. Ein erläuternder ausführlicher Text zu dem Atlas fehlt vorläufig noch, wird aber wahrscheinlich von Herrn Verbeek vor- bereitet, da erst durch einen solchen das Verständniss der vortrefflichen Karten vollständig eröffnet werden wird. Derselbe berichtete ferner über das Vorkommen einer eigenthümlichen gangartigen Kluft in dem Kohlengebirge Oberschlesiens. Er verdankt die Kenntniss derselben der gefälligen Mittheilung des Herrn Geh. Bergrath Meitzen, Director der Königlichen Berginspection Königsssrube in Königshütte. Das betrefiende Schreiben lautet: ‚Beim Durchfahren der hangenden Schichten des Gerhardflötzes ins Erbreich- schachtfeld der Königsgrube wurden feste und grobkörnige graue Sand- steinschichten auf etwa 17 m Länge und hierauf milde und klüftige Schichten desselben Gesteins genau querschlägig aufgeschlossen. Die letztgenannten Gesteinspartien zeigten ziemlich parallel mit dem Streichen der Schichten und gleichfalls parallel mit einem in der Nähe durch- setzenden bedeutenderen Sprung Klüfte und Spalten von 1—10 cm Breite und diese enthielten losen Sand und in diesem eingebettet ein Aus- füllungsgestein, welches aus den Bruchstücken der einzelnen Schichten des Steinkohlengebirges, als Sandstein, Schieferthon, Thoneisenstein, ver- kittet mit Schwefelkies und durchsetzt von Bleiglanz bestand. Ueberall waren die Wände der Klüfte und am besten da, wo sich die letzteren am meisten öffneten, dicht mit Schwefelkieskrystallen bedeckt und recht häufig sassen auf diesen sehr schön ausgebildete Bleiglanzkrystalle auf.“ 1884. 15 96 Jahres-Bericht Belesstücke zur Erläuterung dieser bemerkenswerthen Kluftausfüllung, »legs die ebenfalls von Herrn Meitzen eingesendet waren, wurden vorgelegt; namentlich Stücke von Kohlensandstein, welche mit einer Rinde von kleinen Binarkieskrystallen bekleidet sind, und auf dieser zierliche, 4 bis 6 mm dieke Octaöder von Bleiglanz. Von einem eigentlichen Gang- vorkommen ist übrigens diese Kluftausfüllung durch den Mangel eines Parallelismus in der Ablagerung der ausfüllenden Massen und durch die Lage im Streichen der Schichten wohl unterschieden. Derselbe legte ferner einen im Schieferthon der zwischen Königshütte und Laurahütte gelegenen Alfredgrube, 10 m im Liegenden des Carolinenflötzes, gefundenen Insectenflügel vor. Nach der Bestimmung des als Kenner fossiler Inseeten wohlbe- währten Herrn Assmann ist es der Oberflügel einer Neuropteren- Gat- tung aus der Verwandtschaft der recenten Gattung Chauliodes Latr. in der Familie der Sialiden und zunächst mit einer durch Sceudder (The Devonian Inseets of New Brunswick. Mem. Boston Soc. nat. hist. 1880 p. 7 A. I. fig. 1) unter der Benennung Homothetus fossilis beschriebenen Art. Der Vortragende bemerkt, dass es das erste aus dem Kohlen- gebirge Oberschlesiens bekannte Insect ist. Der letztere Umstand ist übrigens durchaus kein Beweis von der Seltenheit solcher Reste in dem dortigen Kohlengebirge, sondern nur der geringen Aufmerksamkeit, welche bisher dem Vorkommen derselben gewidmet wurde. Ch. Brogniart (Bullet, Soc. g&olog. Fr. Tom. XI. 1882 p. 143) erwähnt, dass auf den Kohlengruben von Commentry im Departement Allier, nachdem man dort durch die Auffindung eines einzelnen Inseets aufmerksam geworden war, durch eifrige Nachforschung im Laufe von 4 Jahren (1878—1882) 440 Exemplare von Inseeten zusammengebracht wurden, während die Zahl der aus dem Kohlengebirge aller Länder bis zum Jahre 1878 be- kannten Inseeten-Exemplare nur 110 betrug. Das fragliche Stück wurde übrigens durch die gefällige Vermittelung des Herrn Dr. Kosmann für das mineralogische Museum erworben. Derselbe Vortragende berichtete schliesslich über eine Sammlung von Kreide-Versteinerungen aus Texas, welche unlängst für das mineralogische Museum erworben wurden. Die- selbe ist durch Hermm Georg Stolley, einen nach Texas ausgewanderten und seit einer Reihe von Jahren in Austin, der Hauptstadt von Texas, lebenden deutschen Landsmann aus Schleswig-Holstein mit vielem Ver- ständniss in der Umgebung von Austin zusammengebracht worden. Da die Schichten, aus welchen die Versteinerungen herrühren, dieselben sind, in welchen der Vortragende die meisten der in seiner Monographie der texanischen Kreidebildungen beschriebenen Arten von Neu-Braunfels vor > der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. II Jahren sammelte, so stimmt auch die Mehrzahl der Arten von Austin mit der in der genannten Schrift beschriebenen überein; allein eine Anzahl von Arten ist neu. Darunter verdient eine Art der früher in die Verwandtschaft von Crassatella gestellten, nach Dames (Zeitschrift geol. Ges. XXV, 1875, p. 574—3853) aber zu den Veneriden gehörenden Gattung Ptychomya besondere Erwähnung. Dieselbe ist mit der als Pt. Zitteli aus dem Turon der Gosau von Dames beschriebenen Art zu- nächst verwandt, aber durch die geringere Zahl der ausstrahlenden Rippen unterschieden und mag als Ptychomya Texana bezeichnet werden. Herr Professor Dr. Ferdinand Cohn hielt hierauf einen Vortrag über eigenthümliche Fermentationen aus Japan, Sake und Shoju, und die darin enthaltenen Organismen. Der Vortrag ist bereits im Bericht der botanischen Section aus dem Jahre 1883 abgedruckt. Derselbe Vortragende demonstrirte ferner mit Hartnack’schen Hand-Mikroskopen eine Anzahl virtuoser mikroskopischer Präparate von Möller in Wedel in Holstein. Der Docent an der Universität Herr Bergmeister a. D. Dr. Kos- mann machte Mittheilungen über die Verwerthung der Rio-Tinto-Kiese in den Fabriken von Saarau und ihre Verhüttung in Königshütte in ' Oberschlesien. Er legte eine Probe von Cementkupfer vor als ein in seiner Art erstes Product oberschlesischer Industrie; dasselbe wird seit Kurzem in der eigens hierzu errichteten Laugerei-Anstalt der Königshütte zu Stadt Königshütte OS. aus Abbränden von Rio-Tinto-Kiesen erzeugt, nachdem der Schwefelgehalt derselben auf der Schwefelsäurefabrik der Silesia zu Saarau nutzbar gemacht worden ist. Das Cementkupfer bildet einen fein vertheilten Schlamm, welcher sich dennoch unter dem Mikroskop selbst in den kleinsten Molekülen als krystallinisch und in den dem gediegenen Kupfer eigenthümlichen baumartig verästelten Zwillings-Verwachsungen zeist; dasselbe enthält bis zu 80 °, reines Kupfer, ferner 18 °/, aus der Mutterlauge mitgerissenes Eisen und 2 °/, unlöslichen Rückstand, ausser- dem einen Gehalt von 30—33 gr Silber pro Tonne oder 0,003 °/, Silber. Da das Kupfer in diesem feinvertheilten Zustande für die fernere Ver- arbeitung und Raffination sich sehr ungünstig verhält, so soll dasselbe, anstatt durch Eisen auf galvanischem Wege, mittels electrodynamischer Maschinen gefällt werden, zumal da die in dieser Absicht angestellten Versuche ein sehr günstiges Resultat ergeben haben, Die tägliche Ver- arbeitung erstreckt sich auf 50 Tonnen Abbrände, welche bei einem 15* 298 Jahres-Bericht Kupfergehalt von 2°, täglich 1 Tonne oder 20 Ctr. Kupfer, daneben 1,75 kg Silber liefern würden. Derselbe Vortragende legte dann Proben aus einem neuen Kieselguhrlager — Diatomeenerde vor, welches bei Alt-Kliecken, nahe Coswig in Anhalt, aufgefunden worden ist, | Den anderen derartigen Producten gegenüber, welche Gegenstand der technischen Ausbeutung sind, aus den bekannten Gruben von Ober- Ohl und Hützel bei Uelzen, zeichnet sich dieser Guhr aus durch einen Gehalt von Eisenphosphat (FePO, -— 4ag), welches in den eisenreichen Bänkchen, welche das Lager durchsetzen, bis zu 6 °/, Phosphorsäure aufweist. Herr Professor Dr. Arzruni legte schliesslich einige schlesische Mineralien aus dem Riesengebirge und ein noch wenig gekanntes, aus Epidot, Amphibol und Sphen mit Apatit bestehendes Gestein aus Alaska vor, woran er einige Bemerkungen über die Umwandlung von Fluor enthaltenden Magnesia-Silicaten in Serpentin knüpfte. In der Sitzung vom 2. April demonstrirte und besprach Herr Professor Dr. Arzruni eine Suite von Mineralien, welche dem mineralogischen Museum durch die Freundlichkeit des Herrn A. D. Roe in Stillwater Minn. U. S. A. zugegangen war, Ueber das Vorkommen mancher dieser Mineralien sind bereits An- gaben in der Literatur vorhanden, über andere dagegen hat der Vor- tragende nirgends Erwähnung finden können. Vor allen anderen Stücken der Suite sind bemerkenswerth zwei Stufen mit Dipyr-Krystallen, von Canaan, Conn, Nach Herrn Roe’s Angaben, ist das Vorkommen neu. Beschrieben scheint es in der That nicht zu sein, jedoch befindet sich im hiesigen mineralogischen Museum bereits seit mehreren Jahren ein den eben zugegangenen vollkommen gleiches, S : f . )ank « . ® S s. 4. von Hın. Peekham eingesandtes Exemplar. — Das Gestein, in welchem die meist rundum ausgebildeten Dipyr-Krystalle eingewachsen sind, ist ein zuckerkörniger, theils weisser, theils bräunlich gelb oder auch grau gefärbter Kalk (oder Dolomit), dessen Körner nur sehr lose zusammenhängen und der daher, selbst durch einen leisen Druck, zwischen den Fingern zerrieben werden kann. — Die Dimensionen der Dipyr- krystalle erreichen 2 em Länge auf 0,75—1 em Dicke, sinken aber bis ins Mikroskopische hinab und erfüllen bei dieser mit blösseik Auge kaum der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 339 mehr wahrnehmbaren Korngrösse das Gestein. ‚Dies ist besonders deut- lich zu sehen, wenn das nach Behandeln mit Säure ungelöst Gebliebene unter dem Mikroskop durchgesehen wird. Neben dem Dipyr treten im Kalk noch eingesprengt auf: Eisenkies in kleinen braunen, schillernd- angelaufenen, z. Th. ganz in Brauneisen umgewandelten, unregelmässig entwickelten, gerundeten Würfeln; weisser (Kali-?) Glimmer in feinen, etwas zersetzten Schüppchen; endlich braune, an den Enden gerundete Säulchen, ausgezeichnet dureh ihren deutlichen Pleochroismus. — Die Farbe ist bei longitudinaler Stellung — Radde 5,h — 6,h, bei trans- versaler — 6,k. — und an Zirkon (oder Andalusit?) erinnernd. Beim Behandeln mit Säure bleiben diese Kryställchen neben denen des Dipyrs unangesriffen, selbst nach 24 Stunden, zurück. — Die Dipyr-Krystalle und -Körner sind bald farblos und vollkommen durchsichtig, bald von grauer Farbe verschiedener Abstufungen, welche der Reihe 31 (,‚Normal- srau“) der Radde’schen Scala, und zwar den Tönen 31,6 bis zu den hellsten hinab, recht gut entsprechen. — Die Krystalle sind im Gestein vereinzelt eingewachsen, bilden aber auch häufig Gruppen mit nahezu paralleler Verwachsung. Sie lassen Nichts von Formen dritter Stellung der pyramidalen Hemiedrie erkennen, da die an ihnen beobachtete Com- bination nur aus den Gestalten a (100), m (110) und o (111) gebildet ist. Die Krystalle sind an den Kanten und Ecken gerundet, emailleartig angeschmolzen, wie Solches ja auch beim Skapolith der krystallinen Kalke z. B. von Gouverneur, von Pargas u. s. w., oder auch bei Apatit- krystallen bekannt ist. Die Flächen sind aber wesentlich eben und glänzend und liefern daher einfache, deutliche Reflexe. Die an einem der besten Krystalle ausgeführten Messungen führten zum Axenver- hältniss a4: GC) 114.:,0,4401, nahe übereinstimmend mit demjenigen des Mejonits, mit welchem der Dipyr auch sonst vielfache Analogien aufweist. Die folgende Tabelle führt die gemessenen und berechneten Werthe, sowie diejenigen von Hrn. Des Cloizeaux am Dipyr von Pouzae bei Basnieres-de-Bigorre!) und am Mejonit vom Mte, Somma?) gewonnenen zum Vergleich auf. Man sieht, dass die Zahlen der letzten Columne mit den Werthen des Dipyrs von Canaan besser überstimmen, als die der dritten Columne, obwohl in dem Vorkommen von Canaan, auf Grund dessen nicht merklichen Löslichkeit in Säuren, ein Glied der Skapolith- reihe vorliegen dürfte, welches eher dem Marialith-Silicat, als dem Me- jonit-Silicat sich nähert. (Vgl. G. Tschermak: Die Skapolithreihe, in: Sitzb. Wien. Akad. I. Abth. Bd. 88 p. 1178 u. 1179). !) Des Cloizeaux, Manuel de min£ralogie, I. pag. 226. ?) ibid. pag. 221. 230 Jahres-Bericht Dipyr. | Mejonit. Canaan. Pouzac. Mte. Somma. gem. ber. gem. m:o 58° 20%,’ 58° u SB et verenüberl. 0:0 63 49 63 49 64 51 63 42 u DE OLSEN, 68 b) 68 23 68 54, a. d. Polkteo:o 44 25 43 54 43 30 43 49 Von weiteren physikalischen Merkmalen, welche beim vorliegenden Mineral beobachtet werden konnten, seien noch erwähnt: Spaltbarkeit: Spuren nach der Basis (001). Auffallend ist es, dass diese, hier allein deutliche Spaltbarkeit blos von Hrn. Des Cloizeaux (1. ec. pag. 227) und zwar als zweite, weniger deutliche angegeben wird, während sowohl von ihm, wie von Hrn, Tschermak (l. ce. pag. 1144) übereinstimmend, und zwar für die ganze Reihe der Skapolithmineralien, als vollkommenere Spaltbarkeit die nach a (100) und als zweitbeste die nach m (110) aufgeführt wird. Ich habe an meinen Krystallen weder die eine noch die andere beobachten können, vielmehr durch alle Spaltungs- stücke in eonvergentem polarisirten Lichte das einaxige Interferenzbild sehen können und zwar stets fast genau in der Mitte des Gesichtsfeldes, Bruch: flachmuschelig, glasartig. Härte: über 5, nahe = 6. Doppelbrechung: negativ. Das optische Bild ist kaum gestört, das schwarze Kreuz unmerklich dislocirt. | Pleochroismus: Eigenthümlich ist es, dass bei manchen Krystallen, in Platten parallel zur Basis, die das optisch einaxige Bild zeigten, ein unverkennbarer Pleochroismus wahrgenommen werden kann, Das eine sild ist farblos, das andere deutlich braun (Radde: 33, s—t.). Andere basale Platten verhalten sich dagegen vollkommen normal und zeigen Nichts von einem solchen Pleochroismus. Diese mehrfach beobachtete lörscheinung ist demnach der Wirkung einer regelmässig eingelagerten (remden Substanz, wahrscheinlich einem Glimmer zuzuschreiben, dessen Lamellen nicht blos parallel der Basis des Dipyrs eingeschlossen, sondern auch genau einander parallel orientirt sind, in Bezug auf die Richtungen ihrer in der Basis gelegenen Elastieitätsaxen (vgl. darüber übrigens bei Hrn. Tschermak., |, ec. pag. 1148, wo ebenfalls von stark dichroitischen. Tüfelehen von Meroxen die Rede ist). — Von etwaigen Einschlüssen anders orientirter kleinerer Dipyrkrystalle in den grösseren kann diese rscheinung nicht herrühren, denn es müssten dann ein normal zur Richtung der Hauptaxe den Krystall durchsetzender Lichtstrahl in zwei, ihrer Farbe nach am stärksten differirende Lichtstrahlen zerlegt werden. Betrachtet man aber einen Krystall durch eine seiner Prismenflächen, so nimmt man kaum irgend eine Spur von Diehroismus war, Hierdurch ist der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 93] die Einlagerung eines fremden dichroitischen Minerals in äusserst dünnen Täfelehen, die ihrer Breitfläche nach normal zur Hauptaxe des Dipyrs gelagert sind, also durch eine Prismenfläche betrachtet, auf der Kante stehend gesehen werden müssten, ihrer verschwindend geringen Dicke wegen aber nicht gesehen werden können, mehr als wahrscheinlich. Von demselben Fundort wie der Dipyr, d. h. von Canaan, Conn,, liegt noch Tremolit vor. Dies Mineral tritt in zwei verschiedenen Varietäten auf: die eine ist weiss mit einem Stich ins Graue, die andere — gras- grün —= Radde 13, q—s. Das Gestein ist wiederum derselbe zucker- körnige Kalk resp. Dolomit. In diesem Handstück ist er nur blendend weiss, auch etwas fester und feinkörniger als der Dipyr führende. Dem ganzen Aussehen nach könnte man das Handstück leicht mit einem solchen vom St. Gotthardt resp. vom Campolungo verwechseln, zumal auch hier wie dort Schüppchen eines braunen Glimmers, wahrscheinlich Phlogopits (Radde 33 m) und vereinzelte Körner von Eisenkies auftreten. Herr Dana erwähnt (Syst. of. Min. pag. 241 und 771) wohl den weissen, in strahligen Aggregaten oder auch in grösseren Krystallen vorkommenden Tremolit von Canaan, nicht aber den grünen. Der vorliegende einzige Krystall ist säulenförmig, an den Enden abgebrochen. Ebenfalls aus dem Staate Connecticut, speciell von Reading, stammt eine Stufe zersetzten feinschiefrigen schwarzen Magnesiaglimmerschiefers, dessen Glimmer z. Th. durch Ausscheidung von Eisenoxydhydrat braun gefärbt, z. Th. aber auch (wohl in Folge von Auslaugung) gänzlich aus- geblichen und opak geworden ist. Darin sind eingewachsen 2—2,5 cm grosse, braunrothe modellartig vollkommen ausgebildete Krystalle von Granat. Es sind Ikositetraöder (112). Nur an einem Krystall ist noch ganz klein das Rhombendodekaöder zu sehen. Die Flächen der erstsenannten Form sind aber sämmtlich in der Richtung der Rhom- bendodekaöder-Hauptschnitte äusserst fein gestreift (ef. Dana, |. ce. pag. 771). Ein weiterer Fundort desselben Staates, Norwich, lieferte Sillimanit in bis 35 mm langen und 3 mm breiten, gebrochenen Krystallen, welche in einem aus schwarzem Glimmer, hellröthlichem Orthoklas und hellgrauem, durchsichtigem Quarz bestehenden Gestein eingewachsen sind. Das Handstück lässt nicht entscheiden, ob es ein Gneiss oder ein Granitit ist. Der Sillimanit ist schwach gelblich gefärbt, zeist vollkommene Spaltbarkeit nach der vorderen Querfläche (100). Ausserdem scheinen seeundäre Spaltbarkeiten nach einem Querprisma (h 0 1) und nach einer Pyramide vorhanden zu sein. Die an den Krystallen beobachteten Gestalten sind: (100) und (110). — Neben dem Sillimanit führt das Handstück noch kleine, vereinzelte, gerundete braune Körner (Monazit?). Herr Dana (Il. e, 375 und 771) erwähnt ferner 232 Jahres - Bericht Korund und Zirkon, mit denen aber die oben erwähnten Körner, ihrer geringen Härte wegen, nicht zu identifieiren sind. Aus demselben Staate ist ferner ein vom Fundorte Salisbury stam- mender, von Hrn. Roe als neu bezeichneter Granat, der in einem grauen Glimmerschiefer(?) eingewachsen ist, zu erwähnen. Er zeigt die Gestalten (110) und (112). Der Fundort Chester, Mass., ist durch mehrere Stufen vertreten, auf denen folgende Mineralien beobachtet wurden: Korund, in grossen, kurzsäulenförmigen Krystallen von branner Farbe mit starkglänzenden Spaltflächen, auf deren einen eine deutliche, in einer Richtung verlaufende Streifung zu sehen ist. Das Gestein ist ein diehter Chlorit-Damourit-Schiefer, in welchem kleine Magnetit- octa&äder und Säulen von Turmalin eingewachsen sind. Die grösseren, über 2 em langen und über 1 em. dicken Krystalle dieses letzteren (auf einer anderen Stufe recht schön ausgebildeten) Minerals zeigen die Formen (1120), (1010) und (1011), die alle vollkommen glatt und glänzend sind — eine bei dem Turmalin gewiss selten beobachtete Eigenschaft. Das Gestein erhält stellenweise, durch das Zurücktreten des Chlorits, der dann blos in grossen Blättern erscheint, ein abweichendes Aussehen. Neben den erwähnten Mineralien beobachtet man ferner: Diaspor, welcher sich an den Korund gesellt, meist in farblosen, stark glänzenden, aber auch in violetten (Radde 22, s—I) Blättchen erscheint; 4 Margarit, in grossblätterigen, silberglänzenden Aggregaten, die einen Stich ins Rosenrothe zeigen; Fuchsit von der diesem Minerale eigenthümliehen smaragdgrünen Farbe, Von sämmtlichen hier aufgezählten Mineralien von Chester wird der Wuchsit allein in Hrn. Dana’s Handbuch nicht erwähnt. Dagegen ist von Chromeisen die Rede, wodurch auch das Erscheinen des Fuchsits eine genügende Erklärung findet (ef. 1. ec. 769). Die paragenetischen Verhältnisse schienen in dieser Loealität analog zu sein mit denen einer Lagerstätte des Distrietes Niäne-Issetsk am Ural, wo in einem dichten Chloritschiefer, mit welchem Paragonitschiefer -usammen auftritt, folgende Mineralien sich finden: Chromit in grösseren Nestern; Korund ebenfalls in grösseren, zusammenhängenden krystallini- schen Knollen, in denen hier und da auch Krystalle desselben Minerals; grossblütteriger Chlorit; Diaspor; feine Rutit-Nadeln; schwarzer und dunkelgrüner Turmalin, von denen letzterer mit einem fast 11% erreichenden Gehalt an Chromoxyd u. s. w. Kleine Magnetitoctaöder sind durch das ganze Gestein vertreut. | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 233 Stufe mit dem sonst in Sammlungen so selten vertretenen Wulfenit (ef. Dana |. ce. 608, 770). Das Gestein ist ein Quarz- ‚ gang von gelblichweisser Farbe, stengeliger, excentrisch-strahliger Structur, in dessen Drusenräumen Quarzkrystalle sich gebildet haben und ein weisser Thon sich abgelagert hat. In diesem letzteren stecken tafel- förmige Wulfenitkrystalle, die bis 0,5 cm breit sind und ausser der matten, etwas rauhen Basis (001) noch eine glänzende Pyramide — wohl die primäre (111) — und ein Prisma dritter Stellung zeigen. Die Farbe desWulfenits ist auf der Basis — Radde 3, m, auf dem Bruch — 2, m—n, In den Drusenräumen des Quarzes bemerkt man ferner aus ganz kleinen Kryställchen gebildete Krusten von grasgrünem (Radde 13,p) Pyromorphit; an einer Stelle Anglesit. Der Quarz enthält würfelartige Hohlräume, die wie Zellen durch dünne Quarzscheidewände von einander getrennt sind, Es sind unzweifelhaft Bleiglanzkammern, d. h. Hohldrücke von ehemaligen ' Bleislanzkrystallen, auf deren Kosten sich die jetzt vorhandenen Blei- salze bildeten. | | Von Southampton, ebenfalls im Staate Massachusetts, stammt eine | genug Von zwei schönen Stufen vom Erie-Tunnel, Bergen, N. J. zeigt die eine den bekannten Datolith, von Caleit- und Blende-Krystallen be- gleitet, auf Klüften eines mit Serpentin vergesellschafteten Amphibol- schiefers. Blende scheint von diesem Fundorte noch nicht erwähnt worden zu sein (cf. Dana, |. c. 776). — Die andere Stufe führt den ‚ ebenfalls bekannten, grauweissen Pektolith, welcher, in bis 0,5 em ‚ dieken, aus excentrisch-strahligen Aggregaten Bebteten Krusten, Kluft- | ‚ flächen des Gabbro bedeckt. | Eine kurze Erwähnung verdienen ferner: | Prehnit von Bellow Falls, Vt. Gewölbte, bis 1,5 cm grosse, gras- grüne (im auffallenden Lichte — Radde 14, r, im dtehfallenden — 14, u), | ‚fast vollkommen durchsichtige Kıytsalle, ge den schottischen sehr ähn. lich sind. Das vorliegende Stück ist eine abgesprengte Kruste, an der E: dem Gestein, welches sie überdeckte, Nichts zu sehen ist. Molybdänit von Newport, N. H, oder Vt.? (ef. Dana |. c. 33 ‚und 767). In einem feinkörnigen, dunkelgrünen Pyroxen, der von ‚ Orthoklas-führenden Quarzgängen durchzogen ist. Chlorophyllit, Unity, N. H. (ef. Dana |. e. 767), ausgezeichnet ‘dureh vier Spaltrichtungen von anscheinend gleicher Vollkommenheit. ‚Drei davon liegen in einer Zone, während die vierte zu ihnen senkrecht steht. | Titanit, Williams Bridge, bei N. Y.-City. Der Fundort ist neu. Es Gestein — ein schöner Amphibolschiefer — besteht aus farblosen, ‚sandartigen Quarzkörnern und schwarzer Hornblende. Auf den Schieferungs- ‚lächen — Spuren von Malachit, Der Titanit tritt in gerundeten, bis i 934 Jahres-Bericht 2 cm grossen, hell orangegelben, resp. gelbgrauen (Radde 6, i resp. 35, I-m) Krystallen auf. Cerussit und Bleiglanz, Linden, Wis. (cf. Dana l.’e. 785). Schöne grosse Krystalle von Cerussit auf krystallinischen Aggregaten von Bleiglanz, auf welchem auch Krystalle von hellbrauner Blende und broncefarbenem, angelaufenem Arsenkies.. Die Combination des letzteren ist (110), (013). Cerussit, Blende und Arsenkies werden von Hrn. Dana nicht erwähnt, dagegen Smithsonit und Hydrozinkit, welche auf vor- liegender Stufe nicht vertreten sind, sicher aber ihren Ursprung der Blende verdanken. Caleit mit einer Kruste von Smithsonit von Mineral Point, Wis, (ef. Dana, 785). Der Caleit bildet abgerundete, stumpfe Skalenoöder, die von braungefärbtem traubigen Smithsonit überkrustet sind. An einer Stelle ist auch stark zersetzte Blende zu sehen. Der Caleit ist z. Th, bedeutend eorrodirt und bekommt ein dem Elbaner Castor oder Pollux ähnliches Aussehen. j Herr Dr, Gürich, Assistent am mineralogischen Museum, sprach über Tiefbohrungen bei Breslau. Ueber derartige Tiefbohrungen hatte bis jetzt Geheimrath Römer viermal Gelegenheit in der naturwissenschaftlichen Section zu berichten. Das älteste Bohrloch, im Hofe der Kürassierkaserne in Kleinburg, wurde bis 220° Tiefe gebracht und zwar im Jahre 1833, dann folgen 2) das Bohrloch am Oberschlesischen Bahnhofe bis 390’ vom Jahre 1850, 3) das von Kraika, einem Orte 1'/, Meile s. v. Breslau an der Chaussee nach Strehlen, 4) zwei in Gross-Peterwitz bei Canth, das eine 110‘, das andere 140° tief, Im Laufe des letzten Jahres kamen drei weitere Bohrungen hinzu: 1) eine bei der Brauerei Oderschlösschen bis 126 m, 2) eine in dem Dorfe Bettlern, südwestlich von Breslau, bis 95 m und 3) eine in der Zuckerfabrik zu Rosenthal bei Breslau bis 80 m. Die Unter- suchung der Bohrproben aus dem ersten Bohrloch wurde dem Vor- tragenden durch Herrn Brauerei-Inspeetor Reimann, derjenigen aus dem dritten durch Herrn Commereienrath Sehöller in liebenswürdigster Weise ermöglicht. Aus dem zweiten Bohrloch wurden Bohrproben nicht aufbewahrt, was sehr zu bedauern ist; es stand nur ein von Herrn Bohr- Ingenieur Morys freundlichst übersandtes Bohrregister zur Verfügung, auch konnte der Vortragende an Ort und Stelle das allerdings vom Regen bereits verwaschene ausgebrachte Material untersuchen. Eine vergleichende Betrachtung dieser Bohrungen ergiebt folgende Resultate. Das Oderalluvium erstreckt sich am Oderschlösschen weniger tief als man anzunehmen geneigt sein könnte, nur bis 14 m reichen die Oderkiese und groben Sande daselbst; in Rosenthal kamen sie bis 10 m, im Kasernenhofe bis 9 m Tiefe vor. Das Diluvium, dessen obere Grenze =’ u der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 335 schwieriger festzustellen ist, besteht seiner Hauptmasse nach aus einer 15—30 m mächtigen Schichtenfolge von dunklen, mageren, mergligen Thonen mit zahlreichen erbsen- bis nussgrossen Kieseln und häufigen rothen Granitgeschiebebrocken; nur in Rosenthal sind die Thone etwas fetter. In denselben wurde in Rosenthal bei 18 m, im Oderschlösschen bei 35 m eine Schicht feinen, von Glimmerblättehen schimmernden, sehr thonigen Sandes angetroffen, der gewissen tertiären Sanden durchaus gleicht nnd für welchen eine gleiche, also lacustre Bildungsweise in Anspruch genommen werden muss. Die gewöhnlichen Brunnen von Breslau und Umgegend, welche wohl alle im Alluvium und oberen Diluvium stehen, hören auf Wasser zu führen, wenn ihre Schachtwände auf diese Thonschichten stossen, weil dann die Schachtröhre unten durch den undurchlässigen Thon verstopft wird. Den Brunnen alsdann zu ver- tiefen würde sich wegen der Mächtigkeit der 'Thonschichten verbieten. Die untere Grenze des Diluviums liegt im Bohrloch vom Oderschlösschen und in der Kürassierkaserne bei 36 m, am Bahnhof und wahrscheinlich auch bei Bettlern bei 33 m, nur in Rosenthal bei 23 m. Das darunter folgende Tertiär gehört in unserer Gegend der nordostdeutschen Braun- kohlenbildung, dem unteren Oligocän an. Es war nach seiner Ablage- rung bis zur Diluvialzeit, also das ganze Miocän und Pliocän hindurch, blossgelegt. Die Ablagerung dieser Tertiärschichten hat in flachen, stellenweise ven Inseln überragten Süsswasserseen mit sehr wechselnden Nieder- schlägen verschiedener Sinkstoffe stattgefunden. Mergel, Thone und Sande setzen diese Schichten zusammen und zwar in der Weise, dass in den oberen Schichten etwa bis 60 m hellgefärbte, gelbgestreifte, magere, ‚ beim Trocknen blättrig zerfallende Mergel vorherrschen, darunter dunkel- ' gefärbte, fette Thone mit häufigen Braunkohlenschmitzen folgen und hell- u graue, rothgeflammte Thone von reiner Beschaffenheit die Schichtenreihe nach unten beschliessen, während Sande von wechselnder Mächtigkeit in einer Tiefe von 50—60 m an abwärts ohne bestimmte Regelmässig- keit in den Thonen auftreten. An diese Sande ist immer das Vorkommen von Wasser in den Tertiärschichten gebunden. Die Quantität desselben hänst-von der Mächtigkeit der wasserführenden Schicht ab, der Druck aber, mit welchem das Wasser durch die Bohrröhren nach oben und über die Erdoberfläehe emporsteigt, ist dadurch bedingt, dass eine mög- lichst starke, undurchlässige und zusammenhängende Thonschicht auf dem Sandlager lastet. Die Qualität des Wassers hängt natürlich von der Beschaffenheit der Wasser führenden und der letztere einschliessenden Schichten ab. Die gelblichgrauen, ungleichmässig grobkörnigen Sande führen sämmtlich ziemlich viel Eisenkies und sind häufig durch Rothbruch verunreinigt, während die feinen weissen Sande meist mit hellgrauem Thone innig of D = ] h 236 Jahres - Bericht gemengt sind und, wenn erstere noch vorherrschen, in welchem Falle sie immer Wasser führen, das typische schwimmende Gebirge vorstellen. Am günstigsten wird das Verhältniss dann sein, wenn eine starke Schicht feinen, weissen, thonfreien Sandes in die meist in mächtigen Schichten auftretenden bunten Thone eingeschlossen ist, was in Tiefen von 90 bis E 120 m sicher einmal angetroffen wird. Verschiedenheiten stellen sich in jedem Bohrloch ein, denn die Sande treten nicht in gleichförmigen, weithin aushaltenden Lagern auf, die etwa in Rosenthal in derselben Tiefe mit gleicher Mächtigkeit wie in 3ettlern zu erwarten wären, sondern es sind einzelne Einlagerungen, die sich in geringen Entfernungen verschwächen und dann wieder anschwellen oder sich ganz auskeilen. So treten Wasser führende Sande am ÖOder- schlösschen bei 56, 77, 98, 101, 120 m auf, in Rosenthal bei 68, 76, 84 m, Die Schichtenfolge im Bohrloch von Rosenthal weicht überhaupt etwas von derjenigen der anderen ab, indem sandige und thonige | Schichten schon in geringeren Tiefen auftreten und die Mergel eine ge ringere Ausdehnung aufweisen. “ Von den genannten Bohrungen hat nur eine, die von Kraika, die” Unterlage des Tertiär erreicht, ehe indess davon die Rede sein soll, mögen folgende Erwägungen hier ihren Platz finden. Unsere Tertiär- schiehten gehören dem unteren Oligocän an, vor der Ablagerung des- selben, also als anderwärts das Eocän sich bildete, ist das mittlere Odergebiet Festland, mithin der Erosion und Abrasion preisgegeben ge- wesen, man hat also zu erwarten, dass das Tertiär seiner Unterlage nicht ebenflächig aufliegen wird und dass in dieser bedeutende Niveau- differenzen sich zeigen werden. Zudem sind gerade zur Tertiärzeit in Folge bedeutender Senkungen, mit denen die Balsaltausbrüche in unserem Vorgebirge in Verbindung standen, die Schichten vielfach verschoben worden, so dass man bei fernern Bohrungen, besonders auf der linken Oderseite, nach dem Gebirge hin, sehr wohl auf unerwartete Resultate stossen kann, Die nüchst ältere Formation, die Kreide, und zwar deren obere Schichtenreihe, ist sowohl in Oberschlesien bei Leobschütz und Oppeln und in der Grafschaft Glatz als auch in Niederschlesien bei Lähn und Löwenberg entwickelte Aus den bezüglichen Untersuchungen von Beyrich und F. Römer ergiebt sich, dass das oberschlesische Becken mit dem Glatzer Becken theilweise Uebereinstimmung zeigt, beide aber von dem niederschlesischen einigermassen abweichen, alle zusammen jedoch mit der Schiehtenfolge im mittel- und westdeutschen Kreidegebiet soweit im Einklange stehen, dass man zu folgender Annahme berechtigt ist: das oberschlesische und niederschlesische Becken waren in das öst- lich vorgelagerte Festland eindringende Busen des mitteldeutschen Kreide- meeres, und der mittlere Theil Schlesiens bildete die trennende Halb- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 337 insel. Ob nun die Gegend von Breslau noch dem südlichen Busen an- gehörte oder bereits auf der ebengenannten Halbinsel lag, lässt sich nicht mehr angeben. Wenn Kreide nordwärts der aus schwach nach W. einfallenden Schichten bestehenden Oppelner Insel vorhanden wäre, müsste man sie als in die Tiefe abgesunken erwarten. Bei Kraika hat man Kreide indess nicht getroffen und so ist es wahrscheinlich, dass die nördlich von Oppeln an dem nördlichen Rande des oberschlesischen Kreidebusens entstandenen Ablagerungen nachträglich wieder fortge- ‘ schwemmt worden sind. Während der älteren Kreidezeit war Schlesien wieder Festland, jene schon erwähnten Factoren bei der Zerstörung der die Erdoberfläche bildenden Schichten waren ebenfalls in Thätigkeit; von den Ablagerungen jenes Jurameeres, das das oberschlesisch-polnische Jurabecken mit dem süddeutschen in Verbindung erhielt, sind nur einige geringe Reste übrig . geblieben, alles Andere ist hinweg geschwemmt. In Oberschlesien und Polen bildet der Jura mit der Trias eine fast continuirliche Schichten- folge, in welcher nur der Lias fehlt, die mittelschlesischen Gebirge da- gegen sind wohl nie vom Jura- oder Triasmeer bedeckt gewesen. Erst in der Löwenberger Mulde tritt die Trias wieder auf und in unserer Gegend ungefähr werden wir die Westgrenze des Meerestheiles zu suchen haben, der den oberschlesischen und den niederschlesischen Triasbezirk verband. Der Jurarücken lässt sich weiter nordwärts durch Posen bis Pommern und Mecklenburg verfolgen und wenn in ähnlicher Weise wie in Oberschlesien westlich von demselben die älteren Formationen in parallelen Streifen von der Erdoberfläche geschnitten werden, werden dieselben in ‚ unserer Gegend von Diluvium und Tertiär überdeckt sein. In der Gegend von Kreuzburg bis Polnisch-Wartenberg wird man Jura, westlich davon, also etwa in einer durch Namslau gehenden Linie, Keuper, noch weiter westlich Muschelkalk und schliesslich Buntsandstein, unter den über- lagernden jüngsten Formationen ausgehend, antreffen. So dürfte man in Rosenthal in der Tiefe Buntsandstein oder vielleicht erst Muschelkalk zu gewärtigen haben. Die paläozoischen Formationen sind an der Ostseite des Riesen- gebirges in zwei Mulden entwickelt, deren Grenze etwa von Kupferberg über Striegau hinaus verläuft, in der nördlichen fehlt in Uebereinstim- mung mit dem: baltischen paläozoischen Gebiete die Kohlenformation; während in der südlichen der Zechstein fehlt, das jüngste Glied der ganzen Reihe, Demnach würde die Gegend von Breslau der südlichen Mulde an- gehören. Bei Kraika hat man nun bei 500° Rothliegendes angetroffen, wie bereits von F. Römer constatirt wurde. Ein genauer Vergleich der Bohrproben mit den entsprechenden Gesteinen der Grafschaft ergibt fasst mit Gewissheit, dass die von 500—800° durchbohrten Schichten 238 Jahres - Bericht dem obersten Rothliegenden, den conglomeratlosen Sandsteinen 1 der seolog. Karte von Niederschlesien, und der angebohrte dolomitische Kalk dem mit # bezeichneten Kalke dieser Stufe entsprechen. Der nächste Punkt mit anstehendem Rothliegenden, Volpersdorf in der Grafschaft Glatz, ist eirca 50 km von Kraika entfernt, zwischen beiden Punkten befindet sich ein etwa 35 km breiter Rücken ältester krystallinischer Gesteine, der einst mit den Sedimenten des Dyasmeeres bedeckt gewesen war und später wieder blossgelegt wurde. Zwischen den in der Tiefe bei Kraika vorhandenen alten Schiefern und den circa 12 km entfernten nächsten Punkten, an denen diese Gesteine zu Tage treten, ergiebt sich eine Niveaudifferenz von mindestens 500—600 m; dieselbe kann aber noch viel bedeutender sein. Uebrigens reichte das Meer des Rothliegen- den nicht weit nach Süden; das oberschlesische Carbonplateau scheint, ehe es in die Fluthen des Triasmeeres sank, Festland gewesen zu sein, Uebrigens kann das eine Bohrloch bei Kraika keinen Aufschluss über die Lagerung des Rothliegenden in unserer Gegend geben; es ist also ungewiss, ob dasselbe von dem nordwestlich vorgelagerten Urgebirge abfällt, also dann steil nach SO, einfiele, oder ob es in Folge eines be- deutenden Sprunges vom alten Gebirge abgesunken ist und dann also mit geringerer Neigung vielleicht in derselben Richtung einfiele. In Breslau selbst wird es jedenfalls in grösserer Tiefe zu erwarten sein. Was nun die nächstältere, die Kohlenformation anlangt, so ist zu- nächst hervorzuheben, dass das oberschlesische und das niederschlesische Steinkohlenbecken demselben Ablagerungsgebiet angehören; man muss sich dasselbe als ein grosses Süsswasser- und zwar Strandseebecken vor- stellen, von dessen Grenzen eigentlich nur ein Theil der Nordgrenze sich mit Bicherheit bestimmen lässt: die oben genannte Linie Kupferberg- Striegau. Gegen Osten stand dieses Becken durch wiederholte Senkungen mit dem grossen russischen Carbonmeere in Verbindung, das wenigstens während der älteren Carbonzeit den südöstlichen Theil des Gebietes mehrfach überfluthete. Während in Böhmen die Schwadowitzer und Kadowenzer Carbonschichten, also die Jüngsten Stufen dieser Formation, zur Ablagerung gelangten, wurde das übrige Carbongebiet trocken gelegt, darauf drang das Rothliegende Meer in die schon vorhandene Senkung jenes Bees ein, griff auch wohl über die Ränder desselben hinweg, so dass seine Sedimente, das Rothliegende transgredirend über dem Stein- kohlengebirge lageri. Breslau müsste nun bei dem oben angegebenen Verlauf der Nordgrenze des Carbongebietes noch innerhalb des Kohlen- beckens liegen und diese Formation nördlich von Tost, welchen Punkt man bisher als einen Theil der Nordgrenze der oberschlesischen Stein- kohlenmulde betrachtete, sich wieder senken, was an und für sich sehr Andererseits liegt in Folge der Transgression auch latz das Rothliegende nicht überall auf dem Carbon; wohl möglich ist, in der Grafschaft 6 Suwzz Fe — u der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 939 stellenweise bildet nämlich das Urgebirge die Unterlage des ersteren, ‘ und so ist es denkbar, dass auch in Kraika unter dem Rothliegenden nicht das Carbon, sondern der von den älteren Gebirgsarten gebildete Saum des Steinkohlenbeckens angetroffen wird. Sollte indess das Carbon daselbst vorhanden sein, so dürfte seine grösste Annäherung an die Erd- oberfläche westlich von diesem Punkte, also 2 bis 3 Meilen südwestlich von Breslau zu erwarten sein, allerdings in so beträchtlichen Tiefen, ' dass ein wirthschaftliches Interesse hieran sich nicht knüpfen würde. Greifbare Resultate würden Tiefbohrungen nördlich von Tost geben, also ' in der Region, wo sich unter den obigen Annahmen das Steinkohlen- gebirge wieder nach Norden einsenkt. Alle die genannten Bohrungen ‚ hatten die Anlage artesischer Brunnen zum Zweck. Die Möglichkeit derselben in dem auch in der weiteren Umgebung von Breslau ohne Zweifel vorhandenen Tertiär ist schon hervorgehoben. Sollte der Wasser- reichthum der tertiären Sande zu gering sein, so wird man weiter hin im Osten in den Schichten des Buntsandsteins, bei Breslau selbst und in geringer Entfernung nach Westen in den Schichten des Rothliegenden Wasser in genügender Menge auffinden und es wird im Allgemeinen ‚ kein Punkt einem anderen gegenüber als besonders bevorzugt zur Er- schliessung der unterirdischen Wasseradern angegeben werden können. Gegen das Gebirge hin, etwa von 3 Meilen westlich von der Oder an, ‘ werden die Verhältnisse weniger einfach. Niemand kann daselbst an- ' geben, ob unter dem Diluvium sich an gewissen Punkten Tertiär oder ‚ andere wasserführende Formationen befinden, und jeder Versuch, es ' dennoch zu thun, wird als eine Täuschung bezeichnet werden müssen. Zum Schluss möge noch der Wunsch hier eine Stelle finden, dass recht bald weitere tiefe Bohrungen unternommen werden möchten, die über diese für Breslau und Umgebung so hoch interessanten Verhältnisse genauere Auskunft ertheilen könnten. Herr Bergmeister Dr. Kosmann, Docent an der Universität, sprach unter Vorzeigung von Belegstücken über eisenhaltige Mineralien der Steinkohlenflötze Oberschlesiens. Unter diesen Mineralien ist in erster Reihe der Schwefelkies zu nennen, welcher als eine mit der Steinkohle gleichzeitig entstandene Ab- scheidung aus den stagnirenden Gewässern anzusehen ist. Dieser fast in keiner Kohle fehlende Begleiter derselben tritt stets in der Modifieation des Pyrits, d. h. im regulären System kıystallisirend auf; wo sich in ' der Steinkohle oder in den begleitenden Gebirgsschichten, in den Ver- werfungen Schwefelkiese als Markasit vorfinden, sind sie immer späterer Entstehung zuzuschreiben. — Der Pyrit aus dem Leopoldflötz bei Orzesche ist ausgezeichnet durch einen Niekelgehalt von 0,19°/,, dessen Vorhandensein schon Herr Professor Poleck im Jahre 1869 durch 240 Jahres - Bericht Analyse der Grubenwasser nachgewiesen hat; durch die Analyse des Vortragenden an dem bezeichneten Pyrit ist die Herkunft des Nickels in den Wassern dargethan, Eine andere Form des Pyritvorkommens ist diejenige dichter Knotten- erze in dem Carolineflötz der Carlshoffaungsgrube, dem Gerhardflötz der Königs- und Gräfin-Lauragrube, dem Fannyflötz der Fanny- und Ferdinand- srube. Diese Knotten bestehen aus kleinsten Krystallen von Pyrit oder sie werden von einem grösseren Individuum gebildet, sie finden sich zu- meist in einem angewitterten Zustande, wie dies in der Analyse durch die Anwesenheit von aussen zugeführter Carbonatsalze von Kalk und Magnesia erwiesen wird. — Die fortschreitende Verwitterung erzeugt endlich an Stelle der Pyrite ein rogensteinartiges Gefüge brauner Knotten, einen Eisenoolith, dessen zerreibliche Körner neben Eisen- hydroxyd vorwiegend aus Carbonaten von Eisen, Kalk und Magnesia | bestehen; in der reinsten Ausbildungsform zeigen sie sich in krystallini- schen Sphärolithen, welche, wie im Sattelflötz der Florentinegrube, als Spatheisenstein anzusehen ist, bemerkenswerth indessen durch den grossen Gehalt an Caleiumcarbonat, Dieser Umwandlung der Pyrite innerhalb der Flötze durch die Grubenwasser unter Luftabschluss wurde die Verwitterung derselben nach Aufschluss der Flötze durch den Grubenbetrieb gegenübergestellt und durch die Analyse der betreffenden Producte, wie Eisenoker und Schlammniederschläge aus den Klärbassins der Grubenwasser, der Verbleib der Elemente der Pyritsubstanz nachgewiesen. — Die ausführlichere Ab- handlung über diesen Gegenstand erscheint zur Zeit in der „Berg- und Hüttenmänn. Ztg.“ von Kerl und Wimmer. Herr Apotheker Thümmel berichtete schliesslich über die Fort- setzung der mit Herrn Professor Poleck gemeinsam unternommenen Arbeit über die Einwirkung des Schwefel-, Arsen-, Phosphor- und Antimon- wasserstolls auf concentrirte Silbernitratlösung, indem er die, durch Einwirkung von Selen und Tellur auf Silbernitrat erhaltenen Verbindungen vorlegte und ihr Verhalten als ein, den be- treffenden Doppelverbindungen des Schwefelsilbers mit Silbernitrat- und sulfat analoges characterisirte. Die Arbeit wird fortgesetzt und wird sich noch auf einige andere Wasserstoffverbindungen erstrecken, von denen Silieiumwasserstoff ziemlich energisch auf Silberlösung einwirkt, wie durch das betreffende Experiment gezeigt wurde, In der Sitzung vom 22. October experimentirte Herr Professor Dr, 0, k, Meyer mit | einigen neuen Apparaten des physikalischen Cabinets, zuerst mit dem von Carpentier in Paris bezogenen Galvanometer von Desprez-d’Arsonval. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Galvanometern, bei 5 ' “ j I | l \ der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 41 welchen eine Magnetnadel sich innerhalb einer Drahtspule bewegt, ist bei diesem Instrument eine Drahtspule zwischen den Polen eines Huf- eisenmagnets aufgehängt. ; Zweitens erläuterte er eine aus 20 Elementen bestehende Plant&’sche Secundär-Batterie von Breguet in Paris. Nachdem dieselbe mittelst einer dynamoelektrischen Maschine geladen war, vermochte die Batterie, je nach der Schaltung der Elemente, sowohl lange dünne, als auch kurze dicke Drähte zum Glühen zu bringen. Drittens benutzte er eine von J. Kleinert in Breslau gebaute elektrische Lampe, in welcher sich 7 Kohlenstäbe befinden, die der Reihe nach eingeschaltet werden können, um die Spectra von 7 verschiedenen Substanzen, welche sich in Höhlungen der Kohlenstäbe befanden, zu zeisen. Die Regulirung des Lichts geschieht mit der Hand durch eine Zahnstange mit Betrieb. Die Verwandlung der gelben Natronlinie in eine schwarze wurde nach dem Verfahren von Amberg gezeigt; die schräg abgeschnittene Kohle hat 2 mit Kochsalz gefüllte Bohrlöcher, eins in unmittelbarer Nähe der glühenden Spitze, ein zweites weiter von der- selben entfernt; bei weitem Abstande der Kohlenspitzen von einander liefert der Inhalt des ersteren Lochs leuchtenden Natrondampf, wodurch die gelbe Linie entsteht; bei geringer Entfernung der Kohlenspitzen ver- dampft auch aus dem unteren Loche Natron, und dieser kältere Dampf absorbirt das gelbe Licht aus dem continuirlichen Spectrum des Kohlen- liehtes, so dass eine schwarze Linie auftritt. Herr Professor Dr. Leonhard Weber demonstrirte einen auch zur Messung des diffusen Lichtes geeigneten photometrischen Apparat. Der Apparat, den ich mir zu beschreiben erlaube, ist nach meinen Angaben im Jahre 1883 zuerst von Herrn Mechaniker Kleinert in Breslau, sodann in abgeänderter Form von den Herrn Fr. Schmidt und Hänisch in Berlin construirt. Er gehört in diejenige Klasse von Photometern, bei welchen die eigentliche Einstellung mit Hülfe der Lichtempfindlich- ‚keit des beobachtenden Auges geschieht, d. h. mit Hülfe jener bekannten Eigenschaft des Auges, welche es erlaubt, die gleiche oder ungleiche Helliskeit zweier benachbarter erleuchteter Flächen zu beurtheilen. Die bekanntesten Typen dieser Klasse sind a) die Photometer von Rumford, Ritchie, Bunsen, Foucault, b) diejenigen von Zöllner, Glan, und das ver- einfachte Wild’sche Photometer. Bei allen besteht die eigentliche Ein- stellung darin, dass zwei benachbarte Flächenstücke gleich hell gemacht werden. Die numerische Verwerthung dieser Einstellung erfolgt in den ; unter a) angeführten Fällen, zu denen auch der vorliegende Apparat ge- hört, nach Massgabe des bekannten photometrischen quadratischen 1884. | 16 242 Jahres - Bericht Grundgesetzes, in den unter b) angeführten Fällen durch das sogen. cos? Gesetz, Im Speeielleren kommt bei meinem Apparate noch in Betracht 1) Der Helligkeitseindruck, die Lambert’sche claritas visa einer Fläche ist unabhängig von deren Entfernung, oder: die Lichtmenge, welehe von einer leuchenden Fäche auf ein und dieselbe Stelle der Netzhaut fällt, ist unabhängig von dem Abstand der Fläche; oder beispielsweise: wenn wir durch ein in unveränderlicher Distanz vor dem Auge befindliches Diaphragma auf die Sonne sehen, so würde uns die Scheibe immer gleich hell erscheinen, sleichgültig wie nahe die Sonne herankommt. 2) Derselbe Helligkeitseindruck ist unabhängig von der Neigung, welche die angeschaute Fläche gegen die Richtung nach dem Auge hat. Dieses Gesetz gilt jedoch nur näherungsweise und zwar werden die Abweichungen um so stärker, je weiter sich die Seh- richtung von der Normale der Fläche entfernt. Selbstleuchtende feste oder flüssige Körper entsprechen dem Gesetze fast voll- ständig, mit mehr oder weniger Annäherung gewisse beleuchtete matte Flächen, z. B. glanzloses Papier, Gyps, Barytweiss, mattirtes Milchglas. Eine Folge dieses sog. Emanationsgesetzes ist es z. B., dass wir die bekannten kugelförmigen Milchglasglocken über Gas- lammen als Scheiben von gleichmässiger Helligkeit wahrnehmen. Mit Hülfe dieser Gesetze ist die Einrichtung des Apparates leicht verständlich. Ein innen geschwärzter Tubus A von etwa 8 cm Durch- messer und 30 em Länge wird in horizontaler Lage von einem Stative gehalten. An dem einen Ende desselben befindet sich mit Bayonnet- verschluss angesetzt ein Brennergehäuse mit einer Benzinkerze, deren Klammenlänge fein regulirbar und ablesbar ist. Dieselbe beleuchtet eine runde Milchglasscheibe, welche durch eine Triebschraube längs des Tubus bewegt werden kann, wobei ein Index gleichzeitig den Abstand r von der Benzinkerze ablesen lässt. An dem anderen Ende von A ist rechtwinklig ein zweiter Tubus B angesetzt, welcher mit A zusammen eine |—förmige Figur bildet und sich um die Längsaxe von A drehen lässt, Innerhalb B sitzt der Oefinung von A gegenüber ein Reflexions- prisma, mittelst dessen die rechte Hälfte des Gesichtsfeldes eines in B hinein bliekenden Beobachters erleuchtet wird. Die linke, scharf ge- schliffene Kante des Prismas trennt letztere von der linken Hälfte des Gesichtsfeldes, welche ihrerseits durch eine am anderen Ende von B befindliche und der zu messenden Lichtquelle exponirte Milchglasplatte beleuchtet wird. Durch ein passendes Diaphragma werden beide Hälften des Gesichtsfeldes von gleicher Grösse und symmetrisch zu der Prismen- kante gemacht in einer für jede beliebige Stellung des Tubus B unver ünderlichen Weise, Macht man dureh Verschiebung der runden Milch- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 343 glasplatte die Helliskeit rechts und links gleich, so scheinen beide Hälften in eins zu verschwimmen. Dies ist die bei jedem Versuch zu machende Einstellung. Bezeichnet man die Intensität der untersuchten Lichtquelle mit J, ihren Abstand von dem Milchglase des drehbaren Tubus B mit R, so ist leicht zu sehen, dass worin C eine von den Transparenzcoefficienten der beiden Milchgläser und des Prismas, sowie von der Flammenlänge der Benzinkerze ab- hängige Constante ist. Diese Grösse C ist durch einen, eventuell durch wiederholte Vorversuche zu ermitteln, wobei an Stelle der zu unter- suchenden Lichtquelle J eine Normalkerze (oder andere Lichteinheit) tritt, wodurch sich © offenbar nicht ändert. In ähnlicher Weise, wie hier die Intensität einer als punktförmig betrachteten Lichtquelle gemessen wurde, lässt sich eine zweite Funda- mentalaufgabe mit dem Apparate lösen, nämlich die Helligkeit einer beleuchteten weissen Fläche zu messen. Zu diesem Zwecke - riehtet man den drehbaren Tubus B auf die gegebene Fläche eines weissen Cartons oder einer mit Barytweiss gestrichenen Tafel. Die Milchglasplatte aus dem Tubus B wird entfernt. Man kann alsdann mit derselben Schärfe, ohne irgend welche Empfindung des auch für die Messung gleichgültigen Abstandes des Cartons zu haben, eine Einstellung machen. Alsdann ist, wenn C’ jetzt eine andere constante Grösse ist, und H die Helligkeit der untersuchten Fläche H= 0. Der Werth von C’ lässt sich wiederum durch einen Vorversuch be- stimmen, indem man gleichzeitig ein Einheitsmass für die Helligkeit von Flächen einführt. Nimmt man als solches etwa diejenige Helligkeit, welche derselbe Carton erhält, wenn man denselben mit einer Normal- kerze in 1 m Entfernung senkrecht beleuchtet, so erhält man H in Meternormalkerzen ausgedrückt. Der erwähnte Vorversuch zur Bestim- mung von C‘ besteht nun einfach darin, dass man denselben Carton in I m Distanz von einer Normalkerze senkrecht beleuchtet und das Photometer darauf einstellt. Giebt die jetzt zu machende Einstellung einen Abstand r‘ der runden Milchglasplatte von der Benzinkerze, so ist U 1% | Wird die Helligkeit des Cartons so gross, dass man die runde Milch- glasscheibe allzunahe an die Benzinkerze schieben müsste, so ist der drehbare Tubus B durch eine, eventuell durch mehrere Milchglasplatten zu schliessen und ausserdem mit einem Abblendungskonus zu versehen. Die Constante ©’ wird jetzt eine andere, durch einen zweiten Vorver- such ebenfalls leicht zu bestimmende., 16“ YA4 Jahres-Bericht Was die Genauigkeit der Messung betrifft, so hängt dieselbe in erster Linie von der Schärfe der Einstellung auf gleiche Helliskeit ab. Diese ist mit etwa derselben Leichtigkeit wie bei einem guten Bunsen’schen Photometer zu machen, d. h. bis auf 2—3 °/, und bei guter Trainiruug des Auges bis unter 1%,. Die aus der Constantenbestimmung her- rührenden Fehler könen durch Wiederholung der Vorversuche beliebig klein semacht werden. Dagegen bleibt noch jeder Messung anhaftend ein aus der Variabilität der Benzinkerze entspringender Fehler. Eine Aenderung der Flammenlänge um 0,1 mm bei einer Gesammtlänge von 2 cm beein- flusst das Resultat um genau 1%,. Da man nun die Flammenlänge mit Hilfe einer spiegelnden Scala bis auf 0,1 mm genau ablesen kann, so kann man den Gesammtfehler einer Messung mit Leichtigkeit unter 2—3 °/, halten. Die beschriebene zweite Fundamentalaufgabe setzt uns unmittelbar in den Stand, einen zahlenmässigen Ausdruck für die Helligkeit des diffusen Lichtes zu gewinnen. Zu dem Zwecke ist Folgendes zu be- rücksichtigen: An einer beliebigen Stelle eines von diffusem Lichte er- füllten Raumes denke man sich eine kleine ebene Fläche in bestimmter Lage gegeben. Man kann alsdann von der Intensität des diffusen Lichtes für jene Stelle und für jene Lage des Flächenelementes sprechen und darunter die auf jene Fläche fallende Liehtmenge dividirt durch die Fläche verstehen. Die so definirte Grösse habe ich mir erlaubt, an anderer Stelle als die von den vorhandenen Licht- quellen für jenes Flächenelement indicirte Helligkeit zu bezeichnen. Als Einheit für diese indieirte Helligkeit ergiebt sich offen- bar wieder dieselbe oben definirte Meternormalkerze, und die Helligkeits- messung des von beliebigem diffusen Lichte beleuchteten Cartons ergiebt sleichzeitig für die gewählte Lage desselben einen zahlenmässigen Werth der für jene Lage von dem diffusen Lichte indieirten Hellig- keit in Meternormalkerzen ausgedrückt. 50 lange die untersuchten Lichtquellen, wie bisher angenommen, gleiche Farbe mit dem Benzinlicht und dem Normalliecht haben, bieten die beschriebenen Versuche keinerlei nennenswerthe Schwierigkeit. Eine solche entsteht jedoch durch die von der Praxis geforderten Ausmessungen von anders gefärbten Flammen, von Sonnen- und diffusem Tageslicht. Diese Aufgaben lassen sich nieht mehr rein physikalisch lösen, da wir bis jetzt kein gemeinsames physikalisches Mass verschieden gefärbter Lichtarten kennen, welches der Reizbarkeit des Sehorgans parallel liefe, und es ist daher ein weit verbreiteter, wenn auch mehrfach widerlegter Irrthum, zu glauben, dass man etwa durch spectrophotometrische Unter- suchung zu einem ziffernmässigen Ausdruck der Gesammtintensität einer von der Farbe des Normallichtes abweichenden Lichtquelle auf rein physikalischem Wege gelangen könnte, Durch spectrophotometrische — | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 345 Untersuchung können nur die Intensitäten der einzelnen componirenden Farben durch die Intensitäten der gleichen Farben des Normallichtes | gemessen werden. Wie man dennoch zu Zahlenwerthen gelangen kann, welche zwar physiologisch und von der Individualität des Beobachters beeinflusst sind, aber für practische Zwecke vorläufig ausreichend er- scheinen, habe ich an anderer Stelle darzulegen gesucht‘). Als das für die Praxis bequemste Resultat ergab sich, dass man sowohl die Inten- sität anders gefärbter Flammen als auch die indicirte Helligkeit des Tages- ' Jiehtes durch die Formel gewinnt D=ık%) worin B der gesuchte, etwa als Beleuchtungskraft bezeichnete Werth, J ‚ die Intensität eines beliebig herausgegriffenen Strahleneomplexes, z. B. ' des durch nahezu monochromatische rothe Gläser gegangenen Lichtes, | bedeutet und k ein Factor ist, der einerseits von der Beschaffenheit ‚ jenes Strahleneomplexes, andererseits von der Natur der Lichtquelle | abhängt. Mit Hilfe des beschriebenen Apparates kann man in letzter Formel | das J sowohl bei diffusem Licht als bei Flammenhelligkeit dadurch finden, | dass unmittelbar vor das Auge ein rothes durch Kupferoxydul gefärbtes ı Glas A = 656) gesetzt wird. Die Messungen vollziehen sich dann ' genau ebenso wie oben beschrieben. Die Ermittelung von k kann nach ' den bezüglichen Untersuchungen des Herrn Mac& de Lepinay?), sowie ‚ nach meinen Messungen’) dadurch gemacht werden, dass man noch eine ‚ zweite Beobachtung mit einem grünen Glase (A — 547) ausführt. Der | ' G ‘ Quotient der für Grün und Roth ermittelten Intensitäten 5 ändert sich } \ | alsdann sehr merklich mit Aenderung der Farbe der untersuchten Licht- ‘ quelle und dem entsprechend sich ändernden Werthen k. Es lässt sich | demnach eine Tabelle aufstellen, aus der man zu gefundenen Werthen | | G r die zugehörigen für k entnimmt. Ich fand als solche aus Versuchen ‚ mit Glühlampen?) hervorgehende Beziehungen Gr Gr Gr Gr | R . R k R h R u | 0,3 0,50 0,8 0,87 1,3 1,22 1,8 1,941 0,4 0,56 0,9 0,94 1,4 1,28 1,9 1,56 | Bi, 10.1600. 1841,02,0 1,6 | 0,6 0,72 Kl 1,08 1,6 1,40 2,1 1,65 | 0,7 0,80 1,2 1,15 1,7 1,46 2,2 1,69 2) Electrotechn. Zeitschr. 1884. April. ?) Ann. de Chim, et de Phys. 1883. ®) Electrotechn. Zeitschr.. 1884. April. *) Vergl. die daselbst und im Mai-Heft beschriebenen, gemeinsam mit Herrn ‚, Dr. 0. Schumann im Laboratorium des Herrn Professor Dr. O. E. Meyer aus- geführten Versuche. J46 Jahres-Bericht Für den Fall gleicher Färbung des untersuchten Lichtes mit dem Normal- icttwıdk=1 = = Man kann also in diesem Falle ebensowohl mit als ohne rothes Glas beobachten. Das erstere ist aber für das Auge weit angenehmer. Noch sei erwähnt, dass der Apparat eine l. e. beschriebene Ein- richtung zulässt, welche es ermöglicht, eine selbstständige Bestimmung der Coöfficienten k auf Grund zweier Versuche zu machen. Zu diesem Zwecke werden die beiden Milchglasplatten ersetzt durch zwei andere, auf welehen, photographisch von Herrn van Delden zu Breslau vorzüglich hergestellt, Zeiehnungen von concentrischen Kreissystemen enthalten sind. Die gleiche Deutlichkeit der von verschiedenem Lichte erleuchteten Zeichnungen wird als Kriterium gleicher Beleuchtungskraft B ge- nommen, Herr Dr, Kunisch legte ein Fragment eines Meteoriten (Chondriten) vor, welches er durch Vermittelung des Herrn Thierarzt Joger zu Frankenstein bei einem Handwerker in Ober-Peilau bei Gnadenfrei auf sefunden. Dasselbe rührt von dem Meteorsteinfall bei Gnadenfrei vom 17. Mai 1879 her (vergl. Jahresbericht d. Schles. Ges. f. vaterl. Cultur, 1879, 8. 166 ff), wiegt nahezu 1 g und zeigt neben der inneren Structur auch die braune Schmelzrinde. In der Sitzung am 5. November legte der Herr Geheime Bergrath Professor Dr. Römer zunächst einige neu erschienene Schriften vor und machte dann verschiedene geologische und paläontologische Mittheilungen und zwar: I) Dr.H. vonDechen: Geologische und paläontologische Uebersicht der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen, sowie einiger angrenzenden Gegenden. Bonn 1884. Mit diesem umfangreichen Werke hat der allverehrte Nestor der deutschen Geologen fünfzigjährige unermüdliche geologische Studien in Rheinland und Westfalen zu einem glücklichen Abschluss gebracht. Dasselbe bildet zugleich den zweiten Band der Erläuterungen zur geologischen Karte der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen, nachdem deren erster vorzugsweise nur Höhenmessungen enthaltender Band bereits 1870 erschienen war. Eine nur schwer zu übersehende Fülle zuverlässiger Beobachtungen ist in dem Werke zu- sammengedrüngt, welches für lange Zeit die Hauptquelle für die geolo- gische Kenntniss der genannten Provinzen bilden wird, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 947 2) Topographische en geologische Beschrijving van een Gadeelte van Sumatras Wastkust door R. D. M. Verbeek. Batavia 1833, Dieses Werk ist die Erläuterung zu dem geologischen Atlas, welcher in der Sitzung vom 20. Februar d. J. vorgelegt und besprochen wurde. Es enthält eine umfassende und eingehende Darstellung der sehr merk- würdigen geologischen Verhältnisse des auf den Karten des Atlas graphisch dargestellten grossen Gebietes auf der Westküste von Sumatra. ' Dank der aufopfernden Thätigkeit und wissenschaftlichen Tüchtigkeit der holländischen Bergingenieure und im besonderen des Herrn Verbeek kennen wir nun einen grossen Theil der bis vor wenigen Jahren geo- logisch ganz unbekannten Insel gegenwärtig genauer, als manche ent- legene Theile Europas, 8) Denkschrift zur Feier des hundertjährigen Bestehens des könig]. Blei- und Silbererzbergwerks Friedrichsgrube bei Tarnowitz O.-S. am 16. Juli 1884. Im Auftrage seiner Excellenz des Ministers der Öffentlichen Arbeitern verfasst von Hugo Koch, königl. Bersrath und Bergwerks-Director. Mit einem Atlas. Berlin, Verlag von Ernst u. Korn. 1884. Diese Schrift giebt eine auf amtliche Quellen gestützte, in vielfacher Beziehung bemerkenswerthe geschichtliche Dar- stellung von der Entwickelung des oberschlesischen Bergbaues überhaupt und der Friedrichsgrube im Besonderen. Der beigegebene Atlas enthält eine geologische Karte der Umgegend von Tarnowitz und Beuthen im Massstabe "/;n000, geologische Profile der Erzlagerstätten, Darstellungen der im Jahre 1783 zur Wasserbewältigung aufgestellten Dampfmaschine, der ersten, welche in ganz Schlesien zur Verwendung kam, und Facsimiles denkwürdiger, auf die Geschichte der Friedrichsgrube bezüglicher Ur- kunden; unter den letzteren namentlich auch ein Facsimile der bekannten von Goethe an die Knappschaft von Tarnowitz gerichteten Verse: Fern von gebildeten Menschen, am Ende des Reiches, wer hilft Euch u. s. w., welche er bei dem in Begleitung seines fürstlichen Freundes Carl August am 4. September 1790 ausgeführten Besuche von Tarnowitz, welcher vorzugsweise der Besichtigung der ersten Dampfmaschine galt, dort einschrieb. Derselbe theilte ferner einige paläontologische Beobachtungen mit: Ueber das Verhalten von Terebratula caiqua d’Arch. et Vern. und Terebratula amygdala Goldf. In der werthvollen Schrift: Die Eifelkalkmulde von Hillesheim von Eugen Schulz (Jahrb. der königlich preussischen geologischen Landes- anstalt und Bergakademie von 1882) wird eine bestimmte Schicht des Mittel-Devon als Caiqua-Schicht bezeichnet, weil dieselbe mit den Schalen von Terebratula caiqua erfüllt ist. In dem paläontologischen Anhange J48 Jahres-Bericht wird eine $ynonymie und Beschreibung der Art geliefert und sie als tensselaeria caiqua aufgeführt. In der Synonymie werden Terebratula | caiqua d’Arch. et Vern, und Terebratula amygdala Goldf. als identisch | betrachtet. Der Vortragende, der schon 1844 seinen Zweifel an dieser Identität ausgedrückt hatte, ist gegenwärtig in der Lage, die vollständige Verschiedenheit beider mit Bestimmtheit aussprechen zu können. Terebratula caiqua d’Arch. et Vern, ist nichts anderes als eine Varietät von Stringocephalus Burtini, Terebratula amygdala Goldf. ein specifisch und generisch durchaus verschiedenes Fossil. Vollständige Uebergänge durch Zwischenformen verbinden d’Arch. und de Verneuil’s Terebratula caiqua mit der typischen Form von Stringocephalus Burtini, Auch ist die fast glatte Beschaffenheit der nur mit wenigen weit getrennten An- wachsringen versehenen Schalenoberfläche durchaus derjenigen der typischen Form von Stringocephalus Burtini gleich. Die Verwechselung | beider Arten ist zuerst durch Goldfuss begangen worden, welcher nach einer Bemerkung von d’Archias und de Verneuil lediglich nach Ansicht der Abbildung der T. eaiqua die Identität beider Arten erklärte. Schenk hat dann später als Terebratula caiqua die echte Terebratula Ei amygdala von Goldfuss von Pelm und Rockeskyll in der Eifel beschrieben und abgebildet. | Seine Abbildung ist im Ganzen gut und namentlich sind die in tief hinabreichendem Bogen verlaufenden zahlreichen Anwachsringe richtig angegeben. Nur die grosse runde Oeffnung des Schnabels ist unrichtig, . da der letztere meistens derartig übergebogen ist, dass eine Oeffnung überhaupt nicht sichtbar ist. Ob die Art wirklich zu Hall’s Gattung Rensselaeria gehört, wird noch weiterer Untersuchung bedürfen. Stein- kerne mit solchen von Renssaeleria ovoides, Hall’s typischer Art der Gattung, verglichen, weisen doch auf erhebliche Verschiedenheiten des inneren Baues der Schale hin. Auch ist die äussere Schalen-Skulptur | verschieden, indem dieselbe bei allen sicheren Arten der Gattung aus | Läüngsreifen oder Längsrippen besteht, während bei T. amygdala die | Schale fast glatt ist und nur concentrische Anwachsringe zeigt. Vor- lüäufig mag die Art aber immerhin bei der Gattung Rensselaeria ver- bleiben, Die durch ihr massenhaftes Auftreten bezeichnete Schicht der llifeler Kalkmulden muss nun statt „Caiqua-Schicht“ als Schicht mit Kensselaeria amygdala“ aufgeführt werden. Ausser der gewöhnlichen Form der Kalkschichten liegt übrigens ein in gelblich-grauem Dolomit versteinerte, viel grössere (über 7 cm lang) aus der Gegend von Gerol- stein vor, Ueber das Vorkommen von Hindia fibrosa Hinde bei Sadewitz, unweit Oels. Nachdem von Duncan die Gattung Hindia für gewisse kugelige Körper aus dem ÖObersilur von Neu-Braunschweig errichtet war, hat der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 949 neuerlich G. J. Hinde (Catalogue of the fossil sponges in the British ‘ Museum, London 1883 p. 57. tab. XIII. Fig. 1, la, 1b) solche Körper ‘ unter der Benennung, Hindia fibrosa aus Nord-Amerika beschrieben und ' sie zu den Spongien und zwar zu Zittel’s Familie der Anomocladinen ' gestellt. Dieselben Körper haben sich nun auch in Europa und zwar ' unter den silurischen Diluvialgeschieben von Sadewitz gefunden. Es sind zollgrosse vollkommene kugelise Körper, welche im Innern dicht aneinanderliegende, vom Centrum in allen Richtungen ausstrahlende | Radien zeisen. Die Radien sind nach Hinde Wassercanäle und die ‘ dünnen, sie trennenden Wände bestehen aus Spongiengewebe. _ Lebensversicherungsbank, Ueber einen bei Steinau an der Oder gefundenen Knochen des Mammuth (Elephas primigenius,) Es ist ein gut erhaltener Ellenbogenknochen (Ulna) von 68 cm ' Länge, Die schon ziemlich ansehnliche Zahl von Fundpunkten von Knochen des Mammuth in Schlesien wird dadurch um einen neuen ver- mehrt. Der Knochen wurde von Herrn Gutsbesitzer Wilhelm Vincenz in Geissendorf bei Steinau im Ufersande des Durchstichs in der Borschener alten Oder im Jahre 1883 gefunden und wurde durch Seine Magnificenz Herrn Professor Dr. Förster dem Mineralogischen Museum übergeben. Beiden genannten Herren wurde im Namen des Museums der Dank von dem Vortragenden ausgesprochen. Hierauf sprach Herr A. Langenhan, Bezirks-Vertreter der Gothaer über Foraminiferen aus dem Lias des grossen Seebergs bei Gotha, indem er gleichzeitig drei von ihm gezeichnete und autographirte Tafeln mit ca. 250 Abbildungen mikroskopischer Schälchen von Foraminiferen, Radiolarien aus diesem Fundort vorlegte. Er hob hervor, dass unter den sehr spärlichen Ueberresten des Liasmeeres in Mitteldeutschland besonders jene Liasinsel, welche durch die Anlage eines Wasserstollens zur Speisung der Erfurter Wasserleitung zum Theil blossgelest, bezw. bekannt geworden, nach verschiedenen Richtungen hin Interessantes dar- geboten hat. Es sind neben einer ziemlich reichen Ausbeute von Ver- steinerungen des mittleren Lias, welche mit blossem Auge erkennbar waren, in den zu Tage geförderten Lias-Thonen und kalkigen Mergeln auch zahlreiche mikroskopische Foraminiferen und andere Rhizopoden- ' Schälchen neben häufigen Resten von Cidariten-Stacheln und Kiesel- ; nadeln von Spongien gefunden worden. Bei Gelegenheit der Zusammen- stellung dieser zumeist sehr kleinen Fossilien hat sich Folgendes als be- ‚ merkenswerth ergeben: In der heutigen Literatur werden speciell von _ Foraminiferen nahezu 100 Gattungen und an Arten etwa 2000 angeführt, _ von denen vielleicht ”), nur fossil bekannt sind. Ihre grösste Ent- wiekelung erreichen dieselben erst in der Tertiär- und Jetztzeit. Sie 950 Jahres-Bericht fehlen aber auch den älteren Formationen nicht, sind dort jedoch ver- hältnissmässig selten und wahrscheinlich wegen der häufig stark ver- änderten Beschaffenheit fast aller Gesteine schwerer nachweisbar. Am meisten bearbeitet und am sichersten elassifieirt erscheinen desshalb auch die Foraminiferen der Kreide- (Reuss in Wien, F. A. Römer, Ehrenberg u. A.) und der Tertiär-Zeit (Reuss, Fichtel u. Moll, Gümbel, Stache, Schwager u. A.). Was die deutsche Juraformation betrifft, so sind, wie überhaupt im Bezug auf die älteren geologischen Perioden, nur wenige Arbeiten über fossile Rhizopoden veröffentlicht worden. Die Foraminiferen des weissen Juras in Schwaben, Franken und der Schweiz sind von Gümbel, Schwager, Hübler und Zwingli be- schrieben. — Ueber Formaminiferen endlich des Lias, und zwar des- jenigen von Göttingen, hat J. G. Bornemann in seiner Dissertation über die Liasformation von Göttingen 1854 berichtet. Derselbe Autor erwähnt auch an anderer Stelle (und zwar in der Zeitschrift der deutschen geo- logischen Gesellschaft) das Vorkommen von Foraminiferen im Lias von Eisenach, Beide Hinweise des Genannten waren für die von dem Be- richterstatter angestellten Nachforschungen nicht ohne Bedeutung. Leider aber liess sich nicht genau feststellen, ob jener Autor seine Foramini- [eren in demselben Horizonte des Göttinger Lias sammelte, aus dem Berichterstatter am Seeberge bei Gotha die seinigen entnahm. J.G. Borne- mann nämlich gibt an, dass er seine Foraminiferen bei Göttingen in den Belemniten-Schichten des Lias, speciell: „in Belemniten-Kalkbänken mit zwischen gelagerten Me ihtonschein sefunden habe. Da nun Belemnites paxillosus der einzige Belemnit, welehen der Mehrgenannte beschrieben hat, im mittleren Lias von Etage y bis ö& (nach Quenstedt) vorkommt, so steht es nicht fest, ob Genannter in correspondirenden Gliedern des Göttinger Lias gesammelt hat. Bezüglich des Eisenacher Lias ist zu bemerken, dass der mittlere Lias daselbst gar nicht ver- treten ist, und dass auch von dem oberen Lias nur spärliche Reste vorhanden sind, wie dies Hofrath Dr. Senfft in der Arbeit: Gaea, Flora und Fauna von Eisenach, zusammengestellt für die Denkschrift der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Eisenach 1882 ausführt. Letzterer Lias-Fundort kommt also für die vorliegende Unter- suchung gar nicht in Betracht. Im Bezug auf die erstere Fundstelle (bei Göttingen) ist noch hervorzuheben, dass einzelne Species der (Gattungen Frondieularia und Cristellaria mit den bei Gotha gefundenen Species übereinzustimmen scheinen, dass aber die Gattung Dentalina, welche Bornemann gar nicht aßfunden hat, im Gothaer Lias gerade häufig vertreten ist, und dass wiederum die Gattung Glandulina, welche in der Göttinger Ablagerung häufiger zu sein scheint, bei Gotha kaum nachgewiesen werden ne der Schles, Gesellschaft für vaterl. Cultur. 351 Im Uebrigen ist der Gothaer Lias zweifelsohne viel formenreicher an Rhizopoden-Resten, als derjenige von Göttingen nach den Borne- mann’schen Angaben wohl sein dürfte. Bei der Durehmusterung verschiedener Mergel- und Thonproben aus ‚ der Gothaer Lias-Ablagerung, welche den Lias-Horizonten ß bis ö (Quenstedt) entnommen wurden, fanden sich in den zum Zwecke mikroskopischer Untersuchung hergerichteten ca. 100 Präparaten immer Rhizopoden-Schalen. Am besten erhalten aber und relativ am zahl- reichsten zeigten sie sich in den graulich gelben und sandigen Mergel aus der Etage der Terebratula numismalis (Numismaliten-Mergel), sowie in dem Grus, welcher sich durch die Verwitterung der aus dem vor- erwähnten Stollen zuerst zu Tage geförderten Amaltheen-Schichten ge- bildet hat. Diese ebenerwähnten Schichten (Lias 5) bilden die oberste Stufe der auf der kleinen Lias-Insel des Seebergs überhaupt übrig- gebliebenen Schichtenfolge, die sich in unmittelbarer Umgebung des ' Rhäts und der bunten Keupermergel befindet. Eine speciellere Classification und Benennung der zum grössten Theil sehr wohl erhaltenen Rhizopoden-Schalen ist unterblieben, da es an Vergleichs-Material aus anderen Lias-Ablagerungen für die so überaus wechselreichen und häufig auch innerhalb der einzelnen Species noch sehr veränderlichen Formen noch fehlt. Es muss in dieser Be- ziehung vielmehr abgewartet werden, dass sich ein Bearbeiter findet, der diese zierlichen Fossilien durch alle geologischen Formationen, also namentlich die älteren, verfolgt, ausgebildete, bezw. ausgewachsene Individuen von Jugendformen scheidet und ihnen den im System passendsten und bezeichnendsten Species-Namen gibt. Bestätigt werden konnte die von Professor Zittel in seinem „Hand- buche der Paläontologie‘ gemachte Bemerkung, dass Globigineriden fast gänzlich, Nummuliniden aber überhaupt im Lias noch fehlen. Letztere erreichen bekanntlich erst in der Tertiärzeit ihre höchste Aus- bildung und ungewöhnliche Grösse, so dass bei ihrer Betrachtung das Mikroskop schon entbehrlicher wird. Sicher nachgewiesen konnten im Gothaer Lias folgende Gattungen werden: von der ersten Hauptgruppe der Monostega die Gattung Lagena; von der zweiten Hauptgruppe der Stichostega die Gattungen Nodosaria, Dentalina, Frondicularia; von der dritten Hauptgruppe der Helicostega die Gattung Cristellaria; von der vierten Hauptgruppe der Cyelostega die Gattung Orbitolites; und von der siebenten Hauptgruppe der Agathistega die Unterabtheilung der Spiroloculina. 952 Jahres - Bericht =“ Unter den übrigen, nicht speciell zu den Foraminiferen zu zählen sewesenen Vorkommnissen dürften besonders die Schälehen von Ento- | mostraceen zu nennen sein, welche im Bezug auf ihre Form der Cytherea des Zechsteins entsprechen. Spongien-Nadeln (ankerförmig) zeigten sich | im Ganzen nur selten, dagegen waren zahlreich vertreten die sehr zarten | Stacheln verschiedener Cidariten-Speecies. Herr Bergmeister Dr. Kosmann hielt einen konz üher Russel’s verbessertes Verfahren zur Auslaugung von Silbererzen. Der Vortragende legte zunächst die Druckschrift vor: „C. A. Stete- feldt, Russel’s improved process for the lixiviation of silver ores (Russel’s verbessertes Verfahren zur Auslaugung von $Silbererzen), ein auf der 39. Versammlung des American Institute of Minning Engineers zu Chicago im Mai c. gehaltener Vortrag.“ Die von Mr. Russel, einem Beamten der Ontaria Mill, Utah, eingeführten Verbesserungen der Silberextraetion | beziehen sich auf zwei Entdeckungen desselben, welche derselbe be- | züglich des Verhaltens der Natriumhyposulfitlauge auf chlorirend abge- röstete Silbererze gemacht hat. Die Abröstung der Silbererze unter Zusatz von Kochsalz leidet in der Praxis an der Unvollkommenheit, dass entweder die Chlorirung nicht weit genug geführt ist, so dass neben Chlorsilber noch Sulfate wie unzersetzte Sulfuride vorhanden, oder dass überchlorirt worden ist, infolge dessen sich metallisches Silber oder basische Silbersalze gebildet haben. Im ersteren Falle bleibt bei der darauf folgenden Auslaugung mittels Natriumhyposulfit unzersetztes Silber in | der Erzpost zurück, während Bleisulfat in Lösung geht, welches bei der späteren Fällung mittels Schwefelnatrium mitfällt; im anderen Falle enthalten die Rückstände auch zu hohen $Silbergehalt, welcher zu einer abermaligen Abröstung zwingt. Russel hat nun entdeckt, 1) dass ein Zusatz von Kupfervitriol zu der Hyposulfitlauge dieselbe fähig macht, sowohl Schwefelsilber, metallisches Silber und basische Chloride, als auch die unlöslichen Arseniate und Antimoniate zu lösen, und 2) dass der schädliche Gehalt von Bleisulfat aus der Extraetionslauge durch Ausfällen mit Na, Co, als Carbonat entfernt werden kann, während Silber und Kupfer durch Soda in Hyposulfitlösung nieht gefällt werden, Nachdem also die abgerösteten Erze mit der gewöhnlichen Hyposulfit- lauge nach dem bisherigen Verfahren ausgesüsst sind, wird eine zweite mit Kupfervitriol versetzte Natriumhyposulfitlauge auf die Erzpost ge- lassen, welehe den restlichen Silbergehalt extrahirt. Die Extraetion wird so bis auf 95 pCt. des Silbergehalts getrieben. Auf Schwefelgold und metallisches Gold übt diese Doppelsalzlauge, welche als Extrasolution bezeichnet wird, eine ähnliche Wirkung aus. Stetefeldt und Russel haben die Ch der Natrium- Kupferhypo- sulfit-Doppelsalze eingehend studirt, so dass diese Untersuchungen auch der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 953 | in rein wissenschaftlicher Beziehung einen hohen Werth besitzen. Die- selben erwiesen, dass von den verschiedenen Doppelsalzen, welche man ‚ aus der Umsetzung verschiedener Mengen Natriumhyposulfit und Kupfer- ‘ sulfat erhält, nämlich: 1. Na,S,0,, Cu,S,0, + 2 aq (das '/, Salz), 2. 2 Na,S,0,, Cu,8,0, + 3 aq (das 7/, Salz), | 3. 2 N%,S,0,, 3 CwS,0, + x aq (das °/, Salz), ‚ das letztere (von Lenz dargestellt) das wirksamste ist; man erhält ‚ dasselbe, wenn man 9 Theile Natriumhyposulfit mit 5 Theilen Kupfer- yitriol auflöst; indem die überstehende Flüssigkeit fast frei von Kupfer | und Natriumhyposulfit ist, setzt sich ein gelber Niederschlag zu Boden, ‚ welcher 33,7 pCt. Cu enthält. Das Lenz’sche Salz verlangt 33,9 pCt. Cu. | Dieses Salz ist in Wasser schwer löslich (1 Th. Salz in 352 Th. aqg.), dagegen leicht löslich in wässrigem Natriumhyposulfit und bedarf es 2 Aeg. Natriumhyposulfit, um 1 Aeg. des ”, Salz aufzulösen; in dieser Lösung muss daher ein Doppelsalz von der Formel 4 Na,S,0,, 3 Cu,S,0, 4 x aq vorausgesetzt werden. Die Wirkung der Extra- solution auf Schwefelsilber u. s. w. ist ein Maximum, wenn dieselbe auf 1 Th. Cu ungefähr 2 Th. Natriumhyposulfit enthält. Indem die Wirkungen dieser Lösung sowohl auf rohe Erze wie auf oxydirend und chlorirend abgeröstete Erze, deren Flugstaubproducte und ‚auch auf daraus erzeugte Kupfersteine untersucht, weist Stetefeldt auf ‚den Einfluss hin, welche verschiedene zur Zeit in Anwendung stehende ‚Silber-Auslausungs- und Amalgamirungsprocesse durch die Verwendung der Extrasolution erleiden müssten. Für unsere heimische Industrie kommt hier der auf den Mansfelder Kupferwerken gehandhabte Zier- ‚ vogel-Process in Betracht, bei welchem seit längerer Zeit der zunehmende ‚Silbergehalt der Rückstände als ein Missstand empfunden wird; eine ‚nachträgliche Aussüssung mittels Extrasolution dürfte hier die erwünschte ‚Abhilfe bringen. — Eine fernere Verwendung dürfte die Extrasolution bi Auslaugung der goldhaltigen Arsenikabbrände auf den Arsenikwerken ‚bei Reichenstein finden und vielleicht einen grösseren Erfolg erzielen, ‚als das bisherige Verfahren der Behandlung mit Chlorgasdämpfen nach ‚Rlattner, welehe neuerdings versuchsweise durch die Verwendung von ‚Bromlauge ersetzt worden ist. Eine ausführliche Uebersetzung der Stetefeldt’schen Abhandlung er- scheint in der Berg- und Hüttenmännischen Zeitung von B. Kerl, Leipzig, ‚A. Felix’ Verlag. Herr Dr. H. Kunisch sprach schliesslich unter Vorlegung von Bohrproben über die neueste Tiefbohrung im Weichbilde von Breslau. Sie befindet sich im Hofe des der Molkerei-Genossensehaft gehörigen Grundstücks Berlinerstrasse Nr. 51, besitzt eine Tiefe von 64 m und " 254 Jahres - Bericht wurde durch Herrn Bohringenieur ©. Morys aus Landeshut in Schl. aus- geführt. Es wurde dabei folgende Schichtenfolge eonstatirt: 1) ca. 5 m srober Sand mit spärlichem Geröll, 2) ungefähr 40 m sehr magerer, dunkler Thon, 3) 11 m fetter, gelber Letten, der in der unteren Hälfte sehr viel feste Mergel-Coneretionen enthält, 4) 8 m fetter, blauer Thon mit Braunkohlenresten und Mergel-Concretionen, 5) nahezu 1 m bläulich- weisser Sand. Die angebohrte Sandschicht ist wasserführend und liefert in der Minute ca. 300 1 Wasser von 9° R. bis über die Erdoberfläche. Man hofft in dem artesischen Brunnen durch geeignete Vorrichtungen einen so hohen Wasserstand zu erzielen, dass durch ersteren die Wasser- reservoire der Molkerei direct gespeist werden können. Möchten diese Erfolge zu neuen Tiefbohrungen Veranlassung geben! — Hervorzuheben ist noch, dass das Braunkohlengebirge in dem beschriebenen Bohrloche in einer Tiefe von ca. 45 m beginnt und die Schichtenfolge im Allge- gemeinen mit der anderer Bohrlöcher in der Umgegend von Breslau recht gut übereinstimmt. In der Sitzung am 19. November hielt Herr Dr. Otto Zacharias aus Hirschberg einen Vortrag über die Ergebnisse einer zoologischen Erforschung des Grossen und Kleinen Teiches im Riesengebirge. Der Redner begann mit einer descriptiven Schilderung der beiden romantisch gelegenen Bergseen und machte einige ziffernmässige Mit- theilungen über deren Grössen- und Tiefenverhältnisse. Der sogenannte Grosse Teich liest 1218 m über dem Meere und nimmt eine Fläche von 663 Ar ein. Die tiefste Stelle (unweit vom östlichen Ufer) lothet man bei 85 Fuss. An anderen Punkten, zumal am nördlichen und west- lichen Uferrande, ist derselbe See so seicht, dass man durch das klare Wasser bis auf den Grund sehen kann. Das Niveau des Kleinen Teiches liegt 50 m tiefer als das des Grossen, und die Wasserfläche beträgt hier nur 225 Ar. Beide Wasserbecken werden durch zahlreiche, von den umgebenden Felsenwänden herabrieselnde Wasseradern gespeist, und jeder Teich hat einen deutlich wahrnehmbaren Abfluss, wie Allen bekannt ist, die sich die betreffende Gebirgsgesend näher angesehen haben. Der Abfluss des Grossen Teiches vereinigt sich mit dem des Kleinen unterhalb der Ziegenbrücke zum Lomnitzfluss, der bei Schildau in den Bober einmündet. Eine zoologische Untersuchung der in Rede stehenden Bergseen war bisher niemals vorgenommen worden, und es eursirten daher die sonderbarsten Gerüchte über die muthmassliche Bewohnerschaft der- selben. Von dem Breslauer Botaniker Professor J. Milde, der im Jahre 1866 in Gesellschaft des Königlichen Garten-Inspeetors B, Stein eine - der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 955 Exeursion an den Grossen Teich unternahm, war beiläufig die ausser- ordentlich zahlreiche Anwesenheit des Triton alpestris und einiger Wasserkäfer constatirt worden — aber eine systematische Unter- suchung der Fauna hatte den beiden genannten Herren ganz fern ge- legen. Die Aufmerksamkeit derselben war vielmehr auf die pflanzliche Bewohnerschaft des Ufers und des grossen Wasserbeckens selbst gerichtet, und Herr Professor Milde machte bei Gelegenheit dieser Exeursion die hochinteressante Entdeckung, dass das hauptsächlich in den Seen der Alpen gedeihende Brachsenkraut (Isoötes lacustris) auch massenhaft auf dem Grunde des Grossen Teiches vorhanden sei. Zur Anstellung einer gründlichen faunistischen Untersuchung (zumal einer solchen des Grossen Teiches) war es vor Allem erforderlich, sich mit Hilfe eines Bootes auf die Mitte des Wasserspiegels zu begeben, da viele Thiere bekanntermassen die Uferzone als Aufenthaltsort per- horreseiren. Das benöthigte Fahrzeug wurde Herrn Dr. Zacharias in freundlichster Weise seitens der Reichsgräflich Schaffgotsch’schen Cameral- Verwaltung zur Verfügung gestellt, und mittels eines Gespannes bis zur Schlingelbaude befördert. Von da wurde es durch Menschenhände bis hinauf an den Teich weiter transportirt. Die nunmehr beginnenden täglichen Bootfahrten machte Dr. Zacharias stets in Begleitung mit dem Präparator des zootomischen Instituts zu Leipzig, Herrn Alfred Neumeister, der von Herrn Geheimrath Prof. Dr. Leuckart einen besonderen Urlaub (während der akademischen Ferienzeit) zu diesem Zwecke erhalten hatte. Gleich nach der ersten Rundfahrt, während welcher ein sogenanntes „Schwebnetz‘‘ (mit weiter Oeffnung) zur Anwendung kam, konnte die Anwesenheit einer der Individuenzahl nach massenhaften Entomostraken- Fauna constatirt werden. Eine genauere Untersuchung der erbeuteten Thierchen ergab folgende Arten: Cyelops agilis Koch, Cyelops tubens Jur., Acroperus striatus und Daphnia magna. Letzt- genannte Cladocere war am zahlreichsten vorhanden; auf dem Grunde des Schleppnetzes befand sich eine eentimeterhohe Schicht davon. Bei fortgesetzter Thätigkeit gelang es noch, am Südufer des Grossen Teiches die Anwesenheit von Polyphemus pediculus, einer sonst nicht häufigen Daphnide, nachzuweisen. Das ist ein prächtiges Thierchen, dessen grosses mit Kıystallkegeln besetztes Auge fast den ganzen Kopf einnimmt. Während des ganzen Sommers findet man Polyphemus nur in weiblichen Exemplaren vor; am Ende des Monats August (Herbst- generation) waren hier oben indessen bereits Männchen vorhanden, und die Weibchen trugen in dem kirschroth pigmentirten Brutbehälter so- genannte Dauer- oder Wintereier. Solche hartschalige und schwer zerstörbare Eier bewahren ihre Keimfähigkeit lange Zeit, und mit Hilfe derselben ist auch eine Uebertragung des Polyphemus in entfernte Seen 256 Jahres - Bericht durch wandernde Wasservögel möglich, insofern am Gefieder derselben Stücke von Algenfilz hängen bleiben, welche Eier der angegebenen Art enthalten. Der Vortragende vertrat die Ansicht, dass der im Grossen Teich anwesende Polyphemus durch wilde Enten aus den Seen des Böhmerwaldes, wo er notorisch vorhanden ist, exportirt worden sei. Dr. Zacharias benutzte die seltene Gelegenheit, Polyphemus-Männchen in beliebiger Anzahl zur Verfügung zu haben, dazu, um die Samen- elemente derselben (deren amöboide Beschaffenheit bisher nur von Fr, Leydig constatirt worden war) näher zu untersuchen. Der Vortragende schilderte seine Experimente mit diesen Gebilden, und erwähnte, dass er einen ausführlichen Bericht über dieselben im 41. Bande der „Zeit- schrift für wissenschaftliche Zoologie“ zu geben gedenke. Mittlerweile ist dieser Band erschienen. Derselbe enthält auch noch eine Abhandlung über Fortpflanzung und Entwickelung von Rotifer vulgaris aus der Feder des Vortragenden. Ausser den aufgezählten Entomostraken besteht die Fauna des Grossen Teiches noch aus mehreren Arten von Infusorien (Amphi- leptus, Stentoriden, Prorodon u. s. w.) und Würmern (Chaetogaster- Arten nnd Räderthiere), von denen in dem Vortrage jedoch nicht speeieller gehandelt wurde. Erwähnenswerth ist noch, dass durch die Untersuchung des Grossen Teiches endlich auch einmal festgestellt wurde, dass Fische (Forellen) von ansehnlicher Grösse in diesem See vorhanden sind. Es wurden Exemplare von 45 em Länge und 1", Pfund Gewicht mit Hilfe von Nachtangeln (und Regenwürmern als Köder) erbeutet. Was den Kleinen Teich anlangt, so kommen in demselben genau dieselben Entomostraken vor, wie im Grossen Teich, aber in anderen Zahlenverhältnissen, und mit Ausnahme des Polyphemus, dessen An- wesenheit auf den Grossen Teich beschränkt ist. Am meisten vor- herrschend ist im Kleinen Teich Cyelops rubens Jur. Dass von Alters her zahlreiche Forellen hier vorfindlich sind, ist allgemein bekannt und konnte von Dr. Zacharias lediglich bestätigt werden. Zoologisch von hervorragendem Interesse ist es, dass in der Uferzone dieses kleinen Sees (zwischen Oseillarien und Conferven) die zahlreiche Anwesenheit eines sonst seltenen Strudelwurms, des Mesostomum viridatum, constatirt werden konnte, Als das Hauptergebniss seiner Untersuchung betrachtet Dr. Zacharias die Auffindung einer neuen Turbellarie im kleinen Teich, die in ihrer Organisation und Lebensweise gewissen Strudelwürmern 1 nordischen Meere, den Monotiden, ausserordentlich nahe steht. Nach der vom Vortragenden gegebenen Besbieihung hat der neu entdeckte Plathelminth eine Länge von 3—4 mm und eine lorbeerblattförmige Gestalt. Unter dem rothbraunen Augentfleck liest die Gehörblase (Otoeyste) mit dem nee der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 957 schön glänzenden runden Otolithen, welcher deutliche Spuren der für die Monotiden so charakteristischen ‚Nebensteinchen‘‘ zeigt. Gelappte Dotterstöcke und traubige Ovarien fallen gleich bei der ersten Besichti- sung auf. Betreffs des männlichen Geschlechtsapparats lässt sich eine frappante Aehnlichkeit mit dem von Automolos unipunctatus (Monocelis spinosa Jens.) constatiren. Die sich naturgemäss erhebende Frage, wie dieser Strudelwurm zu einem Aufenthalt im süssen Wasser komme, glaubt der Vortragende dahin beantworten zu sollen, dass wir es in dem fraglichen Thiere mit einem Vertreter der sogenannten Relictenfauna zu thun haben. Die Vorfahren des jetzt im Süsswasser lebenden Monotus (relietus) waren höchst wahrscheinlich ebenfalls Meeresbewohner (wie ihre Speciesver- wandten), und blieben in einem grossen Binnensee eingeschlossen zurück, als sich das -diluviale Meer nach Norden hin zurückzog. Hier gewöhnten sie sich (unter dem beständigen Zufliessen von Regenwasser) im Laufe der Zeit an die abweichenden Lebensbedingungen, unter denen sie noch jetzt existiren. Als das Becken dieses ehemaligen Sees glaubt der Vor- tragende das Hirschberger Thal in seiner ganzen Ausdehnung in Anspruch nehmen zu sollen, und — wie Herr Geh. Bergrath Professor Römer in der nachfolgenden lebhaften Discussion bezeugte — ist der geologische Befund ganz geeignet, die Annahme des Vortragenden zu rechtfertigen. Einen ausführlichen, streng wissenschaftlichen Bericht über die Ergeb- nisse seiner Teichforschung publieirt Herr Dr. OÖ. Zacharias im 3. Hefte des 41. Bandes der ‚‚Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie“ (Leipzig, Verlag von Wilh. Engelmann, 1885). In der Sitzung vom 17. December hielt Herr Professor Dr. Poleck einen Vortrag über Carvol und Carvacrol. Das Carvol ist der sauerstoffhaltige Bestandtheil des ätherischen Oels von Carum Carvi L. neben dem Carven, einem zur Klasse der Terpene gehörenden Kohlenwasserstoff. Seine Zusammensetzung ent- spricht der Formel C,,H,,0, welche zwei Atome Wasserstoff weniger wie der Japankampher enthält, aber dieselbe chemische Struetur besitzt, nämlich ein Carbonyl, CO, enthält, welches durch die Behandlung mit Hydroxylamin in das bei 106° C. schmelzende Carvoxim, C,,H,,NOH, übergeht, wie eine vor wenigen Wochen aus dem Laboratorium von V. Meyer hervorgegangene Arbeit gelehrt hat. Durch Behandlung mit syrupdicker Phosphorsäure geht das Carvol unter lebhafter Reaction, welche sich, wie Kekul& und Fleischer beobachteten, bis zur explosiven Heftigkeit steigern kann, in das isomere Carvacrol über. Das Carvacrol ist gleichzeitig isomer mit dem Thymol. Beide Körper enthalten die Methyl- und die Propyl-Gruppe in der Parastellung 1884. 17 258 Jahres - Bericht und ausserdem noch eine Hydroxylgruppe; sie unterscheiden sich aber | wesentlich in ihren physikalischen Eigenschaften, indem Thymol fest ist, schön krystallisirt, bei 44° C. schmilzt und bei 230° siedet, während das Carvacrol ein dickes Oel bildet, welches erst bei — 20° erstarrt, bei 0° schmilzt und bei 236° siedet. Bei Behandlung mit Phosphorsäure- anhydrid geben beide Oele Propylen, daneben aber giebt Thymol Meta- kresol, während Carvaerol Orthokresol giebt, woraus der Schluss zu ziehen ist, dass im Thymol die Hydroxylgruppe zur Methylgruppe sich in der Meta-, im Carvacrol in der Orthostellung befindet. Die Um- wandlung des Carvols in das isomere Carvacrol spricht sich darin aus, dass der Sauerstoff der Carbonylgruppe in eine Hydroxylgruppe über- geht und damit zwischen den sechs Kohlenstoff-Atomen die Bindung des Benzols eintritt. Beide liefern mit Natriumamalgam oder Phosphorchlorid Cymol, ©,,H,,. Bei der Destillation mit Fünffach Schwefelphosphor giebt das Carvacrol Cymol und Thiocymol, C,,H,,SH, welches fest ist und bei 235° C, siedet. Das Carvacrol bildet mit Hydroxylamin keine Nitroso-Verbindung. Das Carvacrol ist Gegenstand einer wissenschaftlichen Arbeit im Laboratorium des pharmaceutischen Instituts geworden, bei welcher Herr Stud. chem. Lustig nachstehende, noch nicht bekannte Derivate des Carvaecrols dargestellt und studirt hat. Die Natrium-Verbindung dieses Phenols wird leicht erhalten, wenn man das Carvacrol in der vier- bis fünffachen Menge Petroläther löst und auf diese Lösung Natrium einwirken lässt. Die Verbindung stellt ein weisses, nicht krystallinisches Pulver dar, welches begierig Wasser und Kohlensäure anzieht. Mit der entsprechenden Menge Aethyljodid im zugeschmolzenen Rohr längere Zeit bei 100° erhitzt, bildet das Carvolnatrium den entsprechenden Aethyläther, welcher ein dünnflüssiges Oel, leiehter wie Wasser, darstellt und bei 235° siedet. Durch Be- handeln des Carvaerols mit Acetylchlorid und Benzoylchlorid entstehen der Essigsäure- und Benzoesäureäther, welche durch Alkalien wieder iu Carvaerol und Benzoe- bezw. Essigsäure gespalten werden. Beide Körper sind diekflüssige Oele, schwerer wie Wasser. | Carvacrol giebt in einer wässerigen Lösung von Kaliumhydroxyd mit Chloroform nach der von Tiemann und Reimer sefundenen Reaction ein Oel von aldehydartigem Charakter ende Schon durch Stehen an der Luft scheiden sieh in ihm nadelförmige Krystalle von deutlich 25 WERL ? 1iantı < . . x . saurer Reaction ab. Durch Behandeln mit Oxydationsmitteln wurde die dem Aldehyd entsprechende Säure G+Hs oh in grösserer Menge gewonnen, 8ie krystallisirt in feinen, seidenartig glänzenden Nadeln und ibt nicht identisch mit der von Kekul& nach Kolbe’s Verfahren durch Kinwirkung von Natrium auf Carvacrol in einer Kohlensäure-Atmosphäre der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 359 dargestellten Carvacrotinsäure. Letztere wurde ebenfalls dargestellt und die beiden isomeren Säuren einem vergleichenden Studium unterzogen. Beide Säuren sind in kaltem Wasser fast unlöslich, in heissem Wasser, Alkohol und Aether leicht löslich. Beide lassen sich sublimiren und mit heissen Wasserdämpfen destilliren. Der Schmelzpunkt der Carva- erotinsäure liegt bei 136° C., jener der isomeren Säure dagegen bei 80°C. Die erstere färbt alkoholische Eisenehloridlösung violett, die letztere dagegen grün. Der nach der vorstehend beschriebenen Methode erhaltene Aldehyd giebt mit Hydroxylamin ein Acetoxim, eine Nitroso-Verbindung, welche in kurzen feinen Nadeln krystallisirt, in Alkohol wenig, dagegen in Aether leichter löslich ist. Die Charakterisirung des Carvols und Carvacrols gab schliesslich Veranlassung, die engen und interessanten Beziehungen zwischen der chemischen Structur dieser beiden isomeren Verbindungen und ihren physikalischen Eigenschaften, speciell ihrer Molekular-Refraction klar zu legen. Derselbe Vortragende legte hierauf Magnesium-Metall in grossen Stücken und geraspelt vor, ein Geschenk der Direction der chemischen Fabrik auf Actien, vor- mals L. Schering in Berlin, in welcher jetzt auf elekrolytischem Wege vermittelst Gramme’scher Maschinen dies Metall im grossartigen Mass- stabe nach dem Patent Grätzel dargestellt wird. Da der Preis des- selben dadurch wesentlich, auf weniger als ein Viertel des früheren, ermässigt werden konnte, so eröffnen sich nun der technischen Verwen- dung des Magnesiums als Beleuchtungsmaterial, namentlich zu photo- graphischen Aufnahmen und im Kriege, ferner als vortreffliches Reductions- mittel u. s. w. neue Chancen. Es würde von hohem wissenschaftlichen Interesse sein, wenn auch die Metalle der alkalischen Erden auf diesem Wege in grösserem Massstabe dargestellt würden, wozu Aussicht vor- handen ist. Derselbe Vortragende zeigte schliesslich eine kleine Quantität Glycerylnitrat, Nitroglycerin, welches er selbst vor 35 Jahren zu arzneilichen Zwecken dargestellt hatte, fast 10 Jahre früher, ehe dessen furchtbare explosive Eigenschaften bekannt und benutzt wurden. 1847 von Sobrero entdeckt, wurde dieser sehr giftige Körper im Jahre 1849 unter dem Namen Glonoin als 'homöopathisches Arzneimittel von Nordamerika aus empfohlen. Das in Rede stehende Präparat hat sich als eine farblose, ölartige, neutrale Flüssigkeit in seiner vollen Explosivität bis heute vollständig unverändert erhalten. Jeder Tropfen explodirte noch, wie der Versuch zeigte, mit Srösster Heftigkeit durch den Schlag mit dem Hammer, Es ist damit 117 260 Jahres - Bericht die grosse Haltbarkeit des Präparats bewiesen, welches jetzt wieder die rationelle Mediein als Arzneimittel gegen Asthma etc. in sehr kleinen Dosen anwendet, wenn dasselbe in kleinen Mengen mit Sorgfalt darge- stellt wird, während seine Darstellung im grösseren Massstabe mit ernsten Gefahren verknüpft ist, wie dies die Zerstörung der Ober- schlesischen Dynamit-Fabrik vor Kurzem wieder nahe gelegt hat. Die in neuester Zeit fabrieirte Sprenggelatine, welche der Section vorgelegt wurde, besitzt ganz das Aussehen eines Gelee’s und enthält ca. 93°, Nitroglycerin und 7°, in Aether-Aleohol lösliche Schiesswolle, wahrscheinlich das Pentanitrat der Cellulose. Da das Nitroglycerin in seiner Zusammensetzung mehr Sauerstoff enthält, als zur vollständigen Verbrennung seines Kohlenstoffs und Wasserstoffs zu Kohlensäure und Wasser nothwendig ist, dagegen bei der Schiesswolle, der Nitrocellulose, dies Verhältniss ein umgekehrtes ist; da unter ihren Verbrennungspro- dueten nieht unbeträchtliche Mengen Kohlenoxyd auftreten, so enthält obige Mischung in der Sprenggelatine eine Ausgleichung dieser Verhält- nisse, Dadurch wird nicht blos die dynamische Wirkung im Augenblick der Explosion wesentlich gesteigert, sondern die Verbrennungsgase ent- halten dann auch nicht das giftige Kohlenoxyd, was von Bedeutung wird beim Sprengen in geschlossenen Räumen, Tunnels, Bergwerken, Kriegs- minen, namentlich bei sogenannten Quetschminen zur Zerstörung der feindlichen Arbeiten, deren Wirkung vorzugsweise eine unterirdische ist und sein muss. Der Vortragende hatte bereits vor ca. 20 Jahren in seiner Arbeit über die Minengase analoge Vorschläge zur Beseitigung des Kohlenoxyds in den Pulvergasen gemacht. llerr Geheime Bergrath Professor Dr. Römer machte eine Mittheilung über russische Phosphorite. Seit einigen Jahren werden in mehreren chemischen Fabriken Schlesiens Phosphorite aus Russland, die über Oberschlesien eingeführt werden, zu Dünger-Phosphaten verarbeitet. Dieselben werden unriehtiger Weise gewöhnlich als Coprolithen bezeichnet, obgleich sie durchaus nicht, wie die wirklichen Coprolithen, Exeremente fossiler Thiere dar- stellen, sondern durchaus unorganischer Natur sind. Es sind glatt abge- riebene schwarze oder dunkelgraue Kugeln oder Sphäroide von Wall- ha bis Kopfgrösse, welche im Innern eine radial-faserige Structur be- sitzen. Die dunkelgrauen oder gelblich-grauen Fasern sind gewöhnlich fein porös und haben ein zerfressenes Ansehen, als wären sie pseudo- morphisch umgewandelt. Bei genauerer Prüfung zeigen sie sich mit sehr kleinen Krystallen von Apatit bedeckt, welche sich zuweilen auch zu kleintraubigen Ueberzügen Sruppiren. In der Mitte der kleineren Kugeln befindet sich häufig ein Kern von krystallinisch blätterigem Blei- slanz, bräunlich-gelber Zinkblende und Kupferkies. Herr Professor Dr. Im der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 961 Krocker, welcher zahlreiche chemische Analysen dieser Phosphorite aus- geführt und die Ergebnisse derselben dem Vortragenden gefälligst mit- getheilt hat, fand die Kugeln mit deutlich faseriger Structur und heller Farbe der Fasern, die an Phosphorsäure reich sind. Sie enthalten 70 bis 75%, phosphorsauren Kalk, was einem Phosphorsäure-Gehalt von 30 bis 35°, entspricht. Einmal wurde sogar ein Gehalt von 80°, ermittelt. Ausserdem ist stets ein Gehalt von Eisenoxyd und von kohlensaurem Kalk vorhanden. Von dem ersteren ist in den reicheren Kugeln nur 2‘, bis 3%, enthalten, von kohlensaurem Kalk auch nur wenige Procent, in den schlechteren Kugeln aber 10 bis 15%,. Das Ursprungsgebiet dieser Phosphorit-Knollen ist russisch Podolien, und zwar namentlich die Umgegend von Proskurow am Bug. An den Thalgehängen der Neben- flüsse des Bug sind hier horizontal gelagerte, schwarze silurische Thon- schiefer aufgeschlossen, Diese sind die eigentliche und ursprüngliche Lagerstätte der Phosphorit-Knollen. Aber noch häufiger sind sie in einer den Thonschiefer bedeckenden, '/, bis 1'/, Meter mächtigen Schicht von cenomanem glaukonitischen Kreide-Sandstein. Aus diesem werden sie vorzugsweise gewonnen. Sie sind hier glatt abgerundet, während sie in dem Thonschiefer rauhflächig und mit zahlreichen buckelförmigen, rundlichen Erhöhungen versehen sind. Unzweifelhaft sind die ursprünglich in dem Thonschiefer gebildeten Knollen erst später nach theilweiser Zerstörung des silurischen Thonschiefers und nach darauf erfolgter Ab- rolluns und Glättung im Wasser in den Kreide-Sandstein gelangt. Woher der Gehalt an Phosphorsäure stammt, ist nicht ersichtlich, da die siluri- schen Schiefer Versteinerungen angeblich nicht enthalten. Nähere An- gaben über das geologische Vorkommen dieser Phosphorit-Knollen finden sich in nachstehend bezeichneten Aufsätzen russischer Geologen: L. P. Dolinsky: Die Phosphate des südwestlichen Russlands (Schriften der Kijewer landwirthschaftl. Ges. Februar 1883) und Emil von Dunikowski: Geologische Untersuchungen in Russisch-Podolien (Zeitschr. der deutsch, geolog. Ges. Bd. XXXVI, 1884, 8. 41—-67). Herr Dr. Gürich, Assistent am mineralogischen Museum, gab schliesslich eine ausführliche Darstellung der Quartärfauna von Schlesien. Seitdem Hensel in der zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens der Schles. Gesellsch. für vaterländische Cultur 1853 herausgegebenen Fest- schrift eine zusammenfassende Darstellung der Quartärfauna von Schlesien gegeben hat, sind nur einzelne Notizen über diesen Gegenstand in den Jahresberichten dieser Gesellschaft erschienen und rühren ausser je ein- maligen Mittheilungen von Scharenberg, Göppert und Dr. Kunisch sämmt- lich von Geh. Bergrath Prof. Dr. F. Römer her. Nur eine Abhandlung von Dr. Rose, Realgymnasiallehrer in Neisse, über Elephas primigenins 262 Jahres - Bericht befindet sich in einer Festschrift des Neisser Realgymnasiums von 1882, Diese Notizen zusammenzufassen und das bisher nicht publieirte in Breslau aufgesammelte Material zu besprechen, ist der Zweck der vor- liegenden Arbeit. Ausser der Sammlung des Mineralogischen Museums der Universität wurden noch die des Anatomischen Instituts und des Schlesischen Alterthumsmuseums untersucht. Für die mir zu Theil ge- wordene Erlaubniss, diese Sammlungen benutzen zu dürfen, bin ich den Leitern dieser Institute, Herrn Medicinalrath Prof. Dr. Hasse und Herrn Director Dr. Luchs, zu grossem Danke verpflichtet. Unsere Kenntniss von der Schlesien einst bewohnenden Fauna ist aus einem besonderen Grunde eine verhältnissmässig mangelhafte, näm- lich weil Schlesien fast gänzlich der Höhlen entbehrt und diese überall als günstigster Aufbewahrungsort für Knochenreste sich erwiesen haben. Erst in der Nachbarschaft von Oberschlesien, in dem an die galizische Grenze stossenden Theile von Polen im Thale von Ojcow, wenige Meilen nördlich von Krakau, sind Höhlen in grösserer Anzahl aufgefunden und mit besonderer Berücksichtigung der in ihnen enthaltenen fossilen Knochen ausgebeutet worden. Die Resultate der Untersuchung derselben sind in der in der Palaeontographia und als gesondertes Werk erschienenen Abhandlung Ferd. Römer’s „die Knochenhöhlen von Ojeow‘ niedergelegt worden. Vorliegende Zusammenstellung beschränkt sich auf die engeren Grenzen Schlesiens. | Zunächst möge eine tabellarische Uebersicht (Seite 263—268) der bereits beschriebenen wie der neu hinzu kommenden Reste folgen. Eine Angabe Cervus dama betreffend ist indessen zweifelhaft. Im anatomischen Institut fand ich wohl ein Gehörnfragment mit einer Eti- quette versehen, welehe mit Hensels Angaben, den Fund von Mittelwalde betreffend, übereinstimmt, es ist dies aber keine Damhirschstange, sondern eine Elenschaufel; es kann indess hier wohl nur eine nachträgliche Ver- wechselung der Etiquetten vorliegen. In dem angeführten Register fällt zunächst das Fehlen der Fleder- mäuse, Nager und Insectivoren auf, eine einfache Folge des Mangels an Höhlen; es ist dies ein bedauerlicher Umstand, weil gerade unter diesen Abtheilungen die Hauptrepräsentanten der von Nehring und Liebe im übrigen Deutschland constatirten postglacialen Steppenfauna sich be- finden. Das Vorkommen von wilden Pferden allein dürfte für eine solehe Annahme keine genügende Stütze gewähren, das von wilden Eseln noch cher aber, der von Hensel erwähnte, zu Equus asinus ge- zogene Zahn ist zu wenig sicher; wäre er wirklich älteren Ursprungs und aus Schlesien, so müsste man nach Nehring allerdings auf die einstige Dee N x rn r \ Ir = ® . . Existenz von Equus hemionus in Schlesien und auf ein damaliges Steppenklima schliessen. 263 Gesellsehaft für vaterl. Cultur. der Schles. "unoasnwsummLogw SOWaSTsOTYag = 'W 'S 'yamsu] soyasıuoyeuy = IT 'V 9 °T [PsuU9H 9 'T „ıaddoy » 7 „addon ‘9 °'T [osuoyJ "W m | '7gd g287 90T PuOy A I 5 (WM 'N 'prqr Yoddoy "or d eısı "yosTT9s9H "soTyagt "p -gssayep *(uueunudof 10]seT U0A vrydeıs -OJSSEM ypeu) 9aaddon 'epz 'd 0 °T Tosuoy] ‘081 d 088T 9 T PwOy °A ‘sa d pıgl "yosT[osad) "soyag "pP nsqsoaygepr "Wowoyg "A ‘Opz 'd 'pıqı [osuay "Orz 'd ECHT "IUOSNUOA "[9suoH T9qaM 931uro “N90ISUISOY JTWL uarg I op op op op upppneyag NOTINg SHZUBS "TIASUY uponeyog HJUOUILIFUTOMOIN wmndes [ "wrnm 'gwmf "OA T “uıs 99 'IxOp 'dıpuvut [ IXOPp vIqty 99 "uIs "nu SOUTD OJUSWORLT "us 'qipuew "TOM _ mejsoag 'Iy "ZILMIIM TOq 9qnıS[o3ıoN nejzung uagnT "ıyy ‘JIOPUNyOSYpA NEYWIN UOA 9I0O0WJIOT, oynysStuoy ZYUAOLT, 199 U9TJEARI "VANLSTEIAOMN zytug91] Toq [OSseM neyordg 19q OqNLSTOSAON SI9AQYOSALH 79q eywgog HpusyoM ey} -WBAIZIEY SOA9I0O "oS.10q -[OZILy] IT OTUOH TOP ayfedg yyued) 199 9AqNLOTOEDAOM neyoıdg T9q Jaop -UOOIM UOA HqNASTOSLOM Von r- BE wnosnp Foypstsoermum = "WW (ı YOSATYU9SOIY “ıpıy sorooAanma mA | 'g op op op op op op uog “T SO9IY SNALIY Ä dor -uay "T snpueie} SNAII ug JouneIg "T sSopae snsıj TE CUSUOET “gquowmnjg smoejeds snsın 9MATUaTUoH “Ipfog e9ejods sıpag usııYy Aop JwunN orrgnd gyora you U9IWM 9punyg UOUSLASIHA „ ur OL (I —— oo SYIOSNYOSOM may Acad wre wog er opeyog | Saoqaogsunw 19q Sruwey | I "snyeyosour soqtag) | "ZI "wg *| + | — | — |uordez rw umgoyur] nesofg-ıg "zyıpeag | "T | Jeyossney “rg sore staQ) | "TI Akllrr «| +1 —- | — HPIOYOg YIWL AOULQL | Jorywp nejsoag "Tosurwogq | "7 op msn mu «| + 1-1 — uoJdezu1oy 19809 T9q zymoeaoıg | '[ | oSoTzEneF “7 suoary waden | ‘OL 9 °T Josua} PR — u10y9d) | zUpIEMYog TOq A0OULJAOL, | "I |yoy “j smjooadeo snArog | 6 TE o ‘7 [osuo} & — op zymouueM | "II op Tuye ee ae onp |Jomwp negsoag ‘osurwoc, | "OL op ATTESc «| +1 | — HUaWIeATILTOMoN | ZUUSOTT TOQ yasnquaod | "6 op = "WW le re T9peyag | 3AH9quoy9eLLTogdoowpjtoL | ‘8 op © WW 2 Tpswy| — | + | — op uwdeg UOA I00WJIOL |", op x 19509 ; TYemwg ee op "ZIMONEAIOTH LO0WFIOL | "9 op = WW a N op zyddeiy 104 wpQ | 'C oyıp = | (uayos NW x2| — 2: onp |-ussog wer) eusoag op uy | 'F op N 'W a 6 onp- nepsoig TOq 9pIoM | op ‘erg ‘do 'T Tosuof | — ö op pues1opog nefyoM| '% op end | yosary W'WI 98T 9 ı pwoy al —- | — | + JUHWSE.LUTEMON | ZINYISpuom uoAagqnıssory | "TI |-TPpf "T seydopp snaron | '8 "Ws ls mel odueIg | 704 ‚08 “ypequoyproyg | "7 op opfem yosımy TpswHy| — |: | — yromand | -Toygipt “Teyguoyag ‘toop | ‘I -weq “7 ewep snamg | ', oO a : E|e|® ’2 a= x ogE worgeorpgndg ale 2. 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Gesellschaft für vaterl. Cultur, 969 Von den 21 angeführten Arten sind 6, Felis spelaea, Ursus spelaeus, Cervus euryceros, Bos primigenius, Elephas primigenius, Rhinoceros tiehorhinus, völlig ausgestorben, 6 weitere aus Schlesien verdrängt: Ursus aretos, Cervus tarandus, Cervus Alces, Equus hemionus?, Ovibos moschatus, Bison priscus, 4 werden fast nur noch in Wildparks gehegt, Cervus dama, C. elaphus, C, capreolus und Sus scrofa ferus, die 5 übrigen sind Hausthiere. Von Fundorten kommen im Allgemeinen folgende Kategorien in Betracht: 1) Die sogenannten Mergelgruben, wohl ausschliesslich im Diluvialen, Geschiebemergel, 2) Sand- und Kiesgruben, gleichfalls diluvial; Sande und Kiese sind fast über die ganze Provinz verbreitet, ebenso wie die ihnen geologisch gleichwerthigen Lehme; fast überall, wo man in denselben grössere Erdarbeiten vornimmt, stösst man auf Reste diluvialer Thiere. Die Erhältung der Knochen und Skelette ist meist eine derartige, dass an einen weiten oder gewaltsamen’ Transport derselben nicht wohl zu glauben ist. Dass in dieser Thiergesellschaft auch der Mensch sich bereits bewegte, beweisen die in einer diluvialen Kiesgrube bei Mondschütz aufgefundenen und von Menschenhand be- arbeiteten Hirschgeweihe (F. Römer, J. d. Schles. Ges. 1879, p. 131). Ein weiteres, sehr verbreitetes Vorkommen ist 3. das im Ufersande unserer Flüsse, unter denen sich besonders die Oder und die Prosna als reiche Fundgruben für Pachydermen, grosse Boviden und Cerviden er- wiesen haben. Zunächst könnte man annehmen, diese Reste seien aus ursprünglichem Diluvium herausgespült, es scheint diese Ansicht indess mit der Erhaltung der Knochen wohl nicht recht vereinbar zu sein; letztere können ebenfalls keinen weiteren Transport durchgemacht haben. Die Thiere müssen so ziemlich an Ort und Stelle umgekommen sein und man ist genöthigt, daraus auf ein so hohes Alter der Flüsse zu schliessen. Seltener, aber nicht weniger wichtig sind Funde in (4.) Spalten des älteren Gebirges; zu erwähnen sind hierbei eine Spalte im Muschelkalk bei Tarnowitz, eine im Rothen Berge bei Glatz, beide diluvial; auf ähnlichem Fundort fand sich Ursus aretos am Kitzelberge, wohl jüngeren Alters, Sämmtlich als postdiluvial sind die bisher bekannten Funde in (5.) Torfmooren zu bezeichnen. Hierher gehören die Funde von Elen, Hirsch, Reh und Wildschwein. Die in Torfmooren gefundenen Rinder und Ziegen werden wohl zu der nächsten und letzten Kategorie, den Funden auf (6.) Culturstätten zu rechnen sein. Hierher gehören die Fundstellen von Gieraltowitz bei Cosel, in den Fundberichten des Schlesischen Museums als „alte Gruben“ bezeichnet, der sogenannte Opferberg von Gr.-Gräditz bei Gr.-Glogau mit zahlreichen Resten von Hirsch, Reh, Rind, Schaf und Pferd; besonders interessant dürfte das Vorkommen eines vierhörnigen Schafes von diesem Fundorte sein. Aus- 270 Jahres-Bericht gedehnte Ablagerungen gleicher Art sind auf der Dominsel in Breslau bei 4 m Tiefe mehrfach angetroffen worden. Zahlreiche Reste von Hirsch, Pferd, Hausrind, Hausschwein, von letzteren ein Schädel mit olatt abgeschnittenen Hinterhauptscondylen, sowie von Ziege sind daselbst gefunden worden; namentlich ein Ziegengehörn mit wohlerhaltener Hornscheide dürfte für das verhältnissmässig jugendliche Alter dieser Ablagerungen sprechen. Je ein Humerus im Schles. Museum und im Anatomischen Institut mit der Bezeichnung Bos urus, worunter also 3jison gemeint ist, liessen sich wenigstens nach Rütingers Angaben über diesen Gegenstand und nach dem Vergleichsmaterial, das mir zur Ver- fügung stand, nur als zu grossen Exemplaren von Bos taurus gehörig nachweisen. Im Schles. Museum befinden sich noch Knochenreste von einer ganzen Anzahl alter Culturstätten, dieselben boten aber nichts Be- sonderes und konnten füglich übergangen werden. Damit wäre der bisher angesammelte Vorrath von Resten einer Schlesischen Quartärfauna erschöpft und der Verfasser spricht zum Schlusse noch den Wunsch aus, dass recht bald neues diesbezügliches Material seinen Weg in das Mineralog. Museum finden möge. 1 der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 971 EM. Bericht über die Thätigkeit der botanischen Section der Schlesischen Gesellschaft im Jahre 1884, erstattet von Professor Dr. Ferdinand Cohn, zeitisem Secretair der Section. Die botanische Section hat im Jahre 1884 zehn Sitzungen ge- halten. In der ersten Sitzung vom 17. Januar berichtete Herr Professor G. Hieronymus | über seine Untersuchungen einiger Gallen, welche er in der Republik Argentina gesammelt "hat. Derselbe hat sich mit Dr. Franz Löw in Wien in Verbindung gesetzt und hat dieser die Beschreibung der die Gallen erzeugenden Thiere übernommen und vor- läufige Bestimmungen freundlichst dem Vortragenden mitgetheilt. Der Vortragende besprach zuerst eine Galle, welche von einer noch unbestimmten Gallmücke (Cecidomyide) hervorgebracht wird, und zwar an den Zweigen von Gourliea decorticans (Gill.), eines Papilionaceen- baumes, welcher in seinem Vaterlande den Vulgärnamen Chafar führt. Diese Galle hat den morphologischen Werth eines endogen entstandenen Adventivzweiges mit eingesenktem Vegetationspunkt. Ihre Oberfläche wird von rudimentären Blattbildungen bedeckt. An der Basis dieser entstehen in einem späteren Zustande zahlreiche Zweige, die der Galle ein hexenbesenartiges Aussehen verleihen. Gleichzeitig beginnt die Galle nach Art anderer Zweige vermittelst eines Cambiums in die Dicke zu wachsen. Dieselbe grünt auch noch, nachdem sie vom Insect ver- lassen worden ist. Eine ähnliche Galle, die sich jedoch dadurch unter- 279 Jahres-Bericht scheidet, dass sie, nachdem sie vom Insect verlassen als en weiter lebt, und kein Diekenwachsthum besitzt, ist die der Ceeidomyide: Asphon- dylia Hieronymı (Löw) (syn. Lasioptera Hieronymi W eyenbergh). Dieselbe findet sich zahlreich an den Zweigen von Baccharis salicifolia (Pers.), eines weidenartigen Compositenstrauches der argentinischen Flussufer. Ferner besprach der Vortragende die eigenthümliche Galle der Microlepidoptere Cecidoses Eremita (Curt.), welche sich an Zweigen der argentinischen Sträucher der Gattung Duvaua vorfindet. Diese kugel- bis eiförmige, etwa haselnussgrosse, endogen aus dem Cambium ent- standene Galle zeichnet sich durch einen eigenthümlichen Gefässbündel- verlauf, das Vorhandensein eines parallel der Oberfläche gelagerten :ambialen Meristems, welches in radialer Richtung nach Innen ein be- sonderes, aus protoplasmareichen, dünnwandigen Zellen bestehendes Nahrungsgewebe für die Raupe, nach Aussen sklerotische Zellen und Verlängerungen der Gefässbündel erzeugt, und durch eine eigenthümliche Bildung eines Deckels aus, welcher ohne jede Beihilfe des Insects hervorgebracht wird. Eine zweite, kleinere, endogen aus dem Cambium entstandene Galle von länglicher Gestalt, die an den Zweigen von Duvaua praecox (Gr.) meist in Gruppen sitzt, welche letztere die Rinde des betreffenden Zweiges blasenartig auftreiben, wird von einer noch unbestimmten Ceeci- domyide erzeugt, und ist der Galle von Cecidoses Eremita (Curt.) insofern ähnlich, dass sie sich gleichfalls mit einem Deckel öffnet und ein be- sonderes eambiales Meristem aufweist, welches einerseits Nahrungsgewebe für die Larve, andererseits sklerotische Zellen erzeugt, unterscheidet sich jedoch durch einen einfacheren Verlauf der Gefässbündel, deren Enden nicht durch das genannte cambiale Meristem verlängert werden, und dadurch, dass hier die Larve bei der Bildung des Deckels selbst mit thätig, ist. Ferner wurden noch kurz besprochen: Die Gallen von Psylla Duvauae (Scott), welche mützenförmige blasige Auftreibungen der Blätter von Duvaua praecox Gr. vorstellen. Zwei Vegetationspunktgallen von Zweigen des Chenopodiaceenstrauches Suaeda divaricala (Mogqg.) und des Compositenstrauches Baccharis microphylla (Kunth), beide durch noch unbestimmte Ceceidomyiden erzeugt; zwei Milbengallen von unregelmässiger Form an Zweigen des Capparideen- Strauches Atamisquea emarginata (Miers.) und der oben schon genannten Baccharis salieifolia (Pers.); eine Galle von noch gänzlich unbestimmtem lörzeuger, welche an Zweigen von Lycium scoparium (Miers.) knollige Verdickungen darstellt, die mit zahlreichen Zweigen bedeckt sind. Der Vortrag wurde durch Demonstrationen der genannten Gallen, Herbarexemplaren der betreffenden Pflanzen und theilweise auch der Inseeten, sowie durch Zeichnungen verschiedener Art erläutert. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 973 band Der Secretair der Section, Prof. Ferdinand Cohn, sprach unter Vorlage der Exemplare über eine im Lebamoore als Wasserblüthe auftretende Rivularie. Schon im Jahre 1877 berichtete ich der Section über eine von meinem Schüler und Freunde, Dr. August Schmidt, Oberlehrer am Realsymnasium zu Lauenburg in Hinterpommern beobachtete und mir zur Untersuchung mitgetheilte Wasserblüthe, welche 5 Tage hinter- einander das Wasser des Lebaflusses mit einer grünen schwimmenden Schleimschicht überzog und nicht, wie dies gewöhnlich der Fall ist, von Anabaenen, Aphanizomenon, Olathrocystis oder Coelosphaerium, sondern von den punktförmigen Colonieen einer Rivularia gebildet war; an den strahligen Fäden derselben konnte ich weder Sporen noch Scheiden auffinden und bezeichnete sie deshalb als Rivularıa Jluitans ad interim, indem ich weiterer Beobachtung anheimstellen musste, ob es sich hier um eine bisher unbekannte Species, oder um den Jugendzustand einer im Alter anders gestalteten Art handele (Jahresbericht der bot. Sect. der Schl. Gesellsch. f. 1877 p. 144, Hedwigia 1878, XV], p. 1). Seitdem sipd die schwimmenden Rivularieen in den letzten Jahren mehrfach Gegenstand der Beobachtung gewesen; die neueste kritische Bearbeitung verdanken wir den Herren E. Bornet und Ch. Flahault (Sur la dötermination des Rivulaires qui forment des fleurs d’eau. Bull. d. 1. Soc. Bot. de France XXXI. 22. Febr. 1884.) Die Verfasser haben in den Fäden der von mir provisorisch als Rivularia fluitans bezeichneten Art die Anfänge von Sporen aufgefunden, wodurch sich dieselbe als die Jugendform einer Gloiotrichia charakterisirt; von welcher Art, liess sich indessen nicht angeben; vermuthlich ist es jedoch nicht Gloiotrichia Pisum, welche anderwärts, nach der Mittheilung von Gobi (1877) selbst im finnländischen Golf, wohin sie aus den be- nachbarten Bächen geflösst worden war, als Wasserblüthe beobachtet wurde, Die Verfasser erklären das plötzliche Auftreten von Myriaden junger Rivularieen an der Oberfläche eines Gewässers durch die schon von de Bary ermittelte Entwiekelung mehrerer Keimfäden (Hormogonien) aus einer Spore; da die Keimfäden selbst sich wieder theilen und jeder Theilfaden zu einer eigenen Colonie den Anfang geben kann, so sei es begreiflich, dass am Boden des Wassers sich in kurzer Zeit Millionen junger Colonien entwickeln können; wenn nun Sonnenschein eine leb- hafte Assimilation und die Entbindung von Gasblasen erregt, welche im Schleim der Colonien festgehalten werden, so würden diese leicht an die Oberfläche des Wassers gehoben, im Schatten dagegen, wenn die Gas- entwickelung aufhört, wieder zu Boden sinken; so erkläre sich das periodische Erscheinen und Verschwinden der Wasserblüthe. 1884, IR) 274 Jahres-Bericht Im August 1884 schickte mir Herr Dr. August Schmidt wiederum eine Rivularia, welche er als eine Art Wasserblüthe schwimmend auf dem Luggewieser See, °/, Meilen von Lauenburg, im Lebamoore befind- lich, beobachtet hatte. Der See ist flach, sehr gross, meist mit sandigem Grunde. Leider waren die frischen Exemplare, als ich dieselben bei der Rückkehr von einer Ferienreise Ende September zu Gesicht bekam, dureh Fäulniss so sehr zu Grunde gerichtet, dass ich mit ihnen nichts mehr anfangen konnte. Auf meine Bitte schickte mir Dr. Schmidt im No- vember 1884 Exemplare, die auf Papier angetrocknet waren; es sind unzählige, punktförmige harte Körperchen von 0,4—0,5 mm Durchmesser; sie unterscheiden sich von der Rivularia fluitans durch ihre dunkelgrüne Farbe, festere Consistenz und etwas grösseren Durchmesser, während Rivularia fluitans in hellgrünen, weichen Pünktehen auftrat, Der mikroskopische Bau der neuen Alge zeigte eine Rivulariee in jugendlicher, doch kräftigerer Entwickelung; der harten Consistenz ent- sprach eine dichtere Lagerung der blaugrünen Fäden, die aus kurzen Gliedern gebildet, und an der Basis länglich-eylindrische Sporen entwickelt hatten; die Scheiden waren sehr eng anliegend; es stellte sich daher unsere Form als eine unzweifelhafte Gloiotrichia heraus; es konnte nur fraglich sein, zu welcher Art von Gloiotrichia sie zu ziehen sei. Kützing hatte 1845 in der Phycologia germanica eine Rivularia pygmaea beschrieben, welche v. Flotow in stehenden Wässern bei Schwerin zwischen Anabaena schwimmend gefunden hatte; in den Species Algarum 1849, p. 337 schildert Kützing diese Art als Kugeln von '/, bis '/ı‘, hart, dunkelspangrün, die Faden steif oder schwach gekrümmt mit Haarspitze und verlängerten, etwas gekrümmten Sporen. Raben- horst (Flora Algarum Europaea U, 1865, p. 206) beschreibt diese Art als Gloiotrichia pygmaea: die Glieder der Fäden gleich breit oder etwas kürzer wie lang; die Scheiden eng anliegend, farblos, mitunter hier und da etwas zerflliessend; die Sporen verlängert eylindrisch, meist gerade, b—3mal länger. Wüstnei hatte die Gloiotrichia pygmaea aus dem näm- lichen Fundort bei Schwerin in den Rabenhorst’schen Algendecaden unter 930 ausgegeben. Da unsere Lauenburger Alge vollkommen mit der von v. Flotow aulgefundenen Gloiotrichia pygmaea (Kütz.) Rab. übereinstimmt, so haben wir sie zunächst unter diesem Namen aufzuführen. Eine andere Frage ist, ob Gloiotrichia pygmaea eine selbstständige Art, oder ob sie blos der Jugendzustand einer sonst nur in ausgewachsenem Zustande be- obachteten Species sei; Bornet und Flahault denken hierbei, wie schon be- merkt, an Gloiotrichia Pisum, die ja auch mitunter schwimmend vorkommt. Ich möchte indess bemerken, dass, so nahe es auch liegt, die 1877 von A, Sehmidt uns mitgetheilte Rivularia fluitans ad int. mit unentwickelten Sporen und Scheiden als einen Jüngeren Zustand der neuerdings 1884 der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 2375 mir übersandten Gloiotrichia pygmea, beide aber als Entwickelungsstadien der Gloiotrichia Pisum anzusehen, der Beweis der Identität dieser drei Rivularieen doch erst dann wirklich geführt sein wird, wenn es gelingt, deutliche Uebergangszustände aufzufinden, die vollständige Entwickelung der als Wasserblüthen auftretenden Rivularieen zu ermitteln und ins- besondere auch die von Bornet und Flahault vermuthete Entstehung der schwimmenden Colonieen aus den Keimfäden der am Boden angehäuften Sporen durch direete Beobachtung zu. bestätigen. Auffallend ist die Verbreitung der Wasserblüthen bildenden Rivularieen an der Ostseeküste (Mecklenburg, Pommern, Esthland)!). Bornet und Flahault haben übrigens ähnliche Vorkommnisse aus der älteren Literatur von Seen auf Anglesey (England — 1804), bei Aberdeen 1846— 48), bei Ellesmere (England — 1880), bei Frebörning (Schweden — 1872), sowie in Nordamerika (Minnesota — 1882 und 1883) nach- gewiesen. In der zweiten Sitzung vom 31. Januar hielt Herr Dr. Frank Schwarz einen Vortrag über die Einwirkung der Schwerkraft auf die Bewegung schwärmender Algen. Der Vortrag ist in den Berichten der Deutschen botanischen Gesell- schaft, Sitzung vom 21. März 1884, Bd. Il, p. 51, abgedruckt worden. Herr Prof. Körber. berichtete über die Lichenen, welche Scandinavien mit den Sudeten gemein hat, sowie über die arctischen Flechtenspecies, die auf unseren erratischen Blöcken leben. Zur Erläuterung legte derselbe eine Sammlung von Lichenen vor, die Herr Direetor Kindt zu Drontheim gesammelt hatte. | In der dritten Sitzung vom 14. Februar legte der Secretair der Section, Professor Ferd. Cohn, vor frische Zweige von Loranthus europaeus L. mit gelben Beeren, welche in verlängerten Aehren stehen und reife “ Samen enthalten. Bekanntlich wurde Zoranthus von Herrn Hippe 1882 auf den Wipfeln hoher Eichen zu Dohma bei Pirna entdeckt; die Exem- plare sind von ihm gesammelt und von Herrn Erich v. Thielau ein- gesendet worden. | | | ı) Die von Stitzenberger Rab. Alg. 355 ausgegebene Rivularia pygmaea aus einem Torfmoor bei Constanz, welche auf Moos festsitzt, scheint von der der Ostseeküste verschieden zu sein. 18* 276 Jahres-Bericht Der Vortragende hob das pflanzengeographische Interesse hervor, welches das Vorkommen des Loranthus im unteren Elbthal besitzt. Da bekanntlich die Verbreitung der Misteln nur durch Vögel geschieht, welche die Beeren verzehren und die unverdauten Samen auf die Baum- äste absetzen, so muss das erst seit einigen Jahren constatirte Vorkommen des Loranthus im Norden des sächsisch-böhmischen Grenzgebirges offenbar mit den Flügen der Mistelvögel (Turdus viscivorus u. a.) zusammenhängen, und es ist eigentlich auffallend, dass Loranthus nicht schon längst durch die Vögel, die sich doch wohl nicht auf das obere, böhmische Elbthal beschränken, weiter nordwärts verbreitet worden ist. Die älteren Nachrichten über Loranthus und Viscum bedürfen kri- tischer Sichtung, namentlich mit Rücksicht auf die daran geknüpften Mythen und Gebräuche. Zu berücksichtigen ist hierbei vorzugsweise, dass nur Viscum weiter nach Norden und Westen vordringt und auf den verschiedensten Holzgewächsen wächst, harten und weichen; auf Ahorn und Weissdorn, wie auf Pappeln und Weiden, selbst auf sehr harz- reichen Bäumen, wie die Kiefer; dass Viscum aber auf Cupuliferen, und namentlich auf Eichen in gewissen Ländern, speciell in Deutschland, noch niemals gefunden wurde.‘) Andererseits schmarotzt Loranihus ausschliess- lich nur auf Eichen und Edelkastanien; seine Verbreitung aber ist auf den Süden und Osten Europas beschränkt?). Die Mythen des Alterthums ') Nach Seriba indessen bei Heidelberg in Menge auf Castanea vesca (Verh. des bot. Vereins der Prov. Brandenburg XVII, 16. *) Herr R. v. Uechtritz hatte auf mein Ansuchen die Freundlichkeit, mir nachstehende Zusammenstellung der Verbreitungsbezirke der beiden Loranthaceen mitzutheilen: Loranthus erreicht in Böhmen die Nord- und Westgrenze seiner Ge- sammtverbreitung und ist hier hauptsächlich auf das Elbthal und den nordöstlichen Landestheil beschränkt. Westlich der Elbe sind weniger Standorte bekannt, so namentlich in der Gegend von Teplitz bis zum Fusse des Erzgebirges (Kostner Ihiergarten), dann bei Dobris südwestlich von Prag; westlicher und südlicher in Böhmen sind meines Wissens keine bekannt, dagegen folgen die die Nordgrenze warkirenden, rechts der Elbe im südlichen Vorlande der Sudeten gelegenen und von der schlesischen Grenze nur etwa 5—8 Meilen entfernten in grösserer Aus- dehnung (Kosmanos, Münchengrätz, Sobotka, Jicin, Königgrätz, OpoCno). Nur im Südosten, im Sazava-Gebiete bei Kloster Selau wird ausserdem diese Pflanze noch angegeben, so dass fast alle Standorte nördlich des 50. Grades fallen; aus Süd- böhmen ist sie nicht bekannt und dem rauheren Klima entsprechend auch weniger zu erwarten, Die beiden im sächsischen Elbgebiete gelegenen Localitäten sind als die nördlichsten Vorposten der böhmischen Verbreitung zu betrachten und es wäre nicht unmöglich, dass Loranthus auch noch nach Schlesien übertritt, wo er zunächst in den wärmeren und niedrigeren Lagen des Glatzer Neissethales und im Hügellande der Gegend um Frankenstein, Nimptsch, Reichenbach u. s. w. zu erwarten wäre, welches einige Arten von ähnlicher Verbreitung aufzuweisen hat, Möglicherweise würde sich Loranthus auch im südlicheren 2. =) wie 2. B, Carer Michelii. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 377 und Mittelalters beziehen sich meist auf die Eichenmistel (Viscum quercinum); doch scheint darunter Viscum und nicht Loranthus zu ver- Oberschlesien in den Eichenwäldern der Kreise Cosel, Leobschütz und Ratibor, sowie in Oesterreichisch-Schlesien finden, da die Nordgrenze von Ostböhmen nach Mähren (schon bei Olmütz), allerdings mit Unterbrechungen durch das nordwest- liche mährisch-böhmische Plateau, verläuft; im südlicheren Mähren ist Loranthus ziemlich verbreitet. Die Nord-Karpathen scheint die Pflanze nicht zu über- schreiten, denn die Angaben aus Polen und Galizien (Lemberg) sind überaus un- sicher. Nur vom. Hörensagen wird von Rostafinski eine Notiz über ein Vor- kommen in der Gegend zwischen Czenstochau und der schlesischen Grenze bei Viscum eitirt; er führt die Art auch nicht besonders auf. Durch Ungarn (nach Kitaibel hier ausnahmsweise auf Castanea und Tihka alba schmarotzend) verbreitet bis in die wärmeren Vorberge, vom südlichen Trentschiner Comitat an; in Sieben- bürgen; bei Ozernowitz in der Bukowina; in der Moldau und Dobrudscha, hier nicht im Donaudelta, sondern nur in der Waldregion des Innern. Weiter östlich fehlt die Pflanze in Europa allem Anschein nach und Ledebour (fl. ross.) giebt überhaupt nur einen Standort für sein Gesammtgebiet an (in deserto caspio pr. Mergenef ad fl. Ural in Salicibus parasiticus: Pallas), der schon der Isolirtheit und des Vorkommens „in Salieibus‘“ verdächtig ist, um so mehr, als weder die Krim noch der Kaukasus (jedenfalls eine auffällige Erscheinung) Loranthus be- herbergen. Vom unteren Donaugebiete abgesehen, scheint er im östlichsten Theile der Balkanhalbinsel, wenigstens in Thracien, zu fehlen und die Grenzlinie von Serbien nach dem Athos in südlicher Richtung zu verlaufen. Von hier und Euboea tritt Loranthus nach Klein-Asien über, dessen nördlichen Theilen er jedoch fehlt, zunächst nach Lydien, dem eatonischen Taurus, Cilieien, um in Kurdistan, und zwar im persischen Antheile (in montibus Avroman et Pendjavin, 6000 bis 8000° leg. Haussknecht), seine Ostgrenze zu erreichen. (In Klein-Asien wie es scheint vorherrschend auf Castanea vesca, in Griechenland seltener auf dieser als auf Eichen.) Die Südgrenze geht vom südlichsten Klein-Asien nach Griechenland zurück (Peloponnes: Arkadien, Malevo-Gebirge in Lakonien bei 3000‘) und endet mit Sieilien (Waldregion des Aetna), verläuft also im Ganzen sehr geradlinig, während die Nordgrenze von der sächsischen Schweiz und Nordböhmen an bis zur Buko- wina allmählich nach Südosten sich senkt, von dort bis zur Dobrudscha zur reinen Nordost- resp. Ostgrenze wird und von hier bis Syrien durch eine starke west- liche Einbuchtung eine Lücke aufweist, um dann wieder eine reinere Nord- grenze darzustellen, die aber, weil das asiatische Areal verhältnissmässig eine nur schmale Zone ausfüllt, im Ganzen auch mit der Südlinie zusammenfällt. Die Westgrenze des Loranthus ist nun wohl auch local starken Aus- buchtungen unterworfen, aber sie ist dadurch ausgezeichnet, dass ihre Endpunkte im Süden (Sieilien) und im Norden (östliches Erzgebirge) ziemlich genau unter 4 denselben Meridian fallen. Durch Süd- und Mittel-Italien beiderseits des Apennin ' reicht die Verbreitung nordwestlich bis zum Gebirge von Pistoja und (nach Nyman, denn Cesati führt ihn nur frageweise auf) bis zur Lombardei, dann wendet sich die Linie längs des Apennins über das Gebiet vou Modena zurück bis in das von Bologna (Poretta) bis zu den Marken. Im übrigen Nord-Italien, an den Südgehängen der Alpen, sowie in Süd-Istrien und Dalmatien fehlt Loranthus, so dass sein Vorkommen bei Triest jedenfalls im Zusammenhange mit dem bosnischen und kroatischen steht. Vom Küstenlande aus geht er über Krain, er. 78 Jahres - Bericht stehen, Mit den alten Dichtern ist freilich nicht viel anzufangen. Be- kannt ist die Stelle in Virgils Aeneis VI, 136—208 von dem goldenen Unter-Steiermark und Unter-Oesterreich, wo er mit Ausschluss des westlichen Theiles nicht selten ist, wieder nach Mähren und Böhmen zurück. Aus dem Vorstehenden ergiebt sich die Thatsache, dass, obwohl L. europaeus nicht auf Europa ausschliesslich beschränkt ist, er immerhin im Ganzen seinem Trivialnamen, auch abgesehen davon Rechnung trägt, dass er der einzige eure- päische Repräsentant der sonst vorzugsweise tropischen oder subtropischen Gat- tung ist. Denn wenn auch die grösste Extension seines Längenareals in Vorder- Asien vom lydischen Tmolus (Bosdagh) bis Persisch-Kurdistan der unter 45 Grad n. Br. fallenden europäischen von der Dokrudscha bis zum nordwestlichen Apennin ungefähr gleich ist, so steht doch die der geographischen Breite in Asien gegenüber der in Europa in einem sehr ungleichen Verhältnisse. Dort fällt, wie schon erwähnt, Nord- und Südgrenze hart zusammen, da es sich nur um 2—3 Breitengrade handelt, während hier die Distanz vom südlichen Pelo- ponnes bis zum nordungarischen Karpathenvorlande sowie die von Sicilien bis zu dem der böhmischen Sudeten und zur sächsischen Schweiz 11 resp. 12 Grade beträgt. Loranthus ist auch keineswegs, wie man bisweilen annimmt, ein Glied der pontisch - pannonischen Flora, sondern der tief bis in den Orient sich er- streckenden östlichen Mediterranflora sowie der der unteren und mittleren Donau- länder. Die Alpen hat er weder nach Westen noch nach Norden überschritten, so dass er Westeuropa vollkommen fehlt, dagegen ist vom nördlichen Wiener Becken aus eine Einwanderung ins obere Elbgebiet erfolgt. — Offen bleibt frei- lich die Frage, ob Loranthus als ein Relict aus der Tertiärzeit zu betrachten, in welcher dieses heute fast ausschliesslich auf die tropischen resp. subtropischen Länder beschränkte Genus (resp. Verwandte) in Europa reichlicher vertreten ge- wesen sein könnte (europäische Tertiärfunde sind mir im Augenblicke wenigstens nicht bekannt), oder ob er nicht dort vielleicht erst im Laufe der Zeit aus Westasien eingewandert ist. Denn noch gegenwärtig wird ZL. europaeus wenig entfernt von derselben Gegend, wo er seine äusserste Ostgrenze erreicht (Nord- Persien), durch eine verwandte Species, den L. Grewinkii Boiss. et Buhse abgelöst, der übrigens nur auf Nord- und Südwest-Persien beschränkt ist. Im asiatischen Orient findet sich allerdings nach Bcissier ausserdem nur noch eine, nicht wie die beiden anderen der Section I Euloranthus DC., sondern der fast ausschliess- lich tropisch-asiatischen Section II Symphyanthus DC. angehörige Art, L. Acaciae Zucc, (Palästina, dann wieder in Nubien). Viscum album L. Nordgrenze: Nord-England (vielleicht 55 Grad oder noch nördlicher — aus Yorkshire habe ich noch Exemplare); in Watson’s „Remarks“ von 1835 wird die Verbreitung vom 51. bis 57. Grad angeführt, danach müsste es auch in Schottland vorkommen; aber sowohl der Landesflorist Babington als auch Nyman im Consp. (wohl ersterem folgend) führen sie aus- ara nur aus England, nicht aber aus Irland oder Schottland auf. Südl. Norwegen, 59° 18° bis 59° 30°. sehr se »j ) istiani Stift ı on N: an ae: ee a | g TE : ist es nicht mehr. Mittl. Schweden bis zu den Inseln des Mälarsees, ca. 59° 30‘. In R u ssland reicht die Linie bereits merklich tiefer nach Süden und ist aueh nicht leicht genau festzusetzen. heute nach der neuesten Flora bekannt (nur einmal ist sie nach Ledeb. in früherer Zeit in Livland gefunden Für die russischen Ostseeprovinzen ist die Pflanze auch von Klinge noch von keinem sicheren Standorte “ der Schles. Gesellschaft für vaterl, Cultur, 379 ‚Zweige, der von einem Baume im Haine der Sibylle von Cumä gebrochen und als Ehrengeschenk der Proserpina überreicht werden sollte, damit diese den Eintritt in die Unterwelt gestatte; Tauben weisen dem Aeneas den Weg zu dem goldenen Wunderzweige, der auf einer Eiche sprosst; der Vergleich mit der Mistel, die zur Zeit des Winterfrostes auf ihrem Baume mit frischem Laube grünt, weist jedoch darauf hin, dass der Diehter hier das immergrüne Viscum, und nicht Loranthus, der im Winter das Laub verliert, im Sinne gehabt habe. Ebenso kann sich die be- rühmte Stelle vom Mistiltein in der Volusp& (Edda) nur auf Viscum beziehen, da Loranthus in den nordischen Wäldern nicht wächst. Dasselbe gilt von den Nachrichten des Plinius über die religiöse Weihe der Mistel bei den alten Galliern (naturalis historia XVI, 95); auch sie kann nur auf Viscum bezogen werden, da Loranthus bereits im Elbthal seine West- grenze findet. Plinius selbst erklärt auch die Verehrung der auf der worden), dagegen ist sie bereits in Ostpreussen verbreitet und erst in der Memelgegend selten. Von da durch Litthauen, Volhynien (also Nordost-Linie!) über Kiew, Charkow (Moskau, olim rariss., ob noch jetzt, mir unbekannt, jeden- falls ein schon isolirteres Vorkommen) und das südlichere Steppengebiet bis zum sibirischen Süd-Ural; dann wieder im Amurgebiete, z. B. an der Ussuri-Mündung und im Sumurgebirge am mittleren Ussuri, auch in Japan. Ob die Pflanze in China vorkommt, weiss ich nicht, wahrscheinlich aber ist dies im Norden des Landes der Fall. Im Ganzen zeigt sie a]so in Asien ein ähnliches Verhalten wie Loranthus, nur dass sie bis in die pacifischen Küstengebiete vordringt, aber ihr östliches Areal ist jedenfalls nach Norden und Süden minder ausgedehnt, als im westlichen Europa. Die Südgrenze geht von Japan, wie gesagt, wahrscheinlich durch das nörd- lichere China u. s. w. bis Nordpersien (Asterabad und Provinz Ghilan), das ganze Kaukasus-Gebiet nach Kappadocien, wendet sich von hier nach Südwesten bis zum eilieischen Taurus, von dort nach Lydien (Smyrna) und beginnt in Südost- Europa wie bei Loranthus im südlichen Peloponnes (Taygetos; Creta besitzt weder Viscum noch Loranthus); übrigens sonst nicht im eigentlichen Griechen- land, sondern erst wieder am Athos. Dann Sicilien, Nordwest-Afrika (Algerien, nach Munby fraglich, aber von Boissier [fl. orient.] angegeben), Südspanien (als V. lacum B. et R.; in Central- und Nordspanien auch der Typus) bis ins mittlere Portugal (nur bei Collares in der Serra de Cintra). Von Galicien, Asturien u. $. w. bis England bildet der atlantische Ocean die Westgrenze, aber Irland bleibt, wie gesagt, ausgeschlossen. Das andere südeuropäische Viscum, das des Oelbaumes, V. eruciatum Sieber, ist nur auf die Provinz Granada und Andalusien beschränkt; bei Sevilla, wo es schon Clusius beobachtete, häufig; ich besitze von dort auch ein von Professor Lange auf Populus alba gesammeltes Exemplar. Wahrscheinlich wird es in Nordafrika nicht fehlen (Standortangaben aber meines Wissens keine bekannt), da es in Palästina, namentlich bei Jerusalem, wieder auftritt. Durch die nur undeutlich dreinervigen Blätter, durch nur 2 bis 4 in ein gestieltes, nicht sitzendes Köpfchen vereinigte Blüthen und die röthlichen Beeren ist es von Y. album, zu dem V. laeum B. et R. und V. austriacum Wiesb. als Varietäten gehören, ver- schieden. 380 Jahres - Bericht Eiche (Robur) wachsenden Mistel (Viscvm) daraus, dass sie nur sehr selten auf der Eiche vorkomme, und da dieser Baum den Druiden heilig sei, so gelte, wenn einmal eine Eichenmistel gefunden worden, diese als ein besonderes Geschenk der Gottheit, das vom Himmel auf den auserwählten Baum herabgefallen sei. Die Feierlichkeit, mit der die Eichenmistel gesammelt wurde, das Abschneiden durch einen Priester mit einer goldenen Sichel, das Auffangen in einem weissen Tuche, damit sie die Erde nicht berühre, das Opfer der weissen ungejochten Stiere zeigen den mächtigen Eindruck, den das aussergewöhnliche Vorkommen einer Eichenmistel im Volksgemüthe erregte, und machen es begreiflich, dass die Gabe der Gottheit als allheilende Panacee verehrt wurde. Von den mehr wissenschaftlichen Nachrichten des Alterthums kommen nur die des Theophrast in Betracht, dessen Bedeutung in der geschicht- lichen Entwiekelung der Botanik noch immer keine gerechte Würdigung sefunden hat. Theophrast (Hist. plant. III, 16) unterscheidet 3 Arten von Misteln, die allbekannte Ixia (bei Aristoteles Ixos, sprachlich gleich Viscum); die von den Euböern benannte Stelis; das von den Arcadiern benannte Hyphear; die beiden letzteren wachsen nur auf Tannen (Elate) und Kiefern (Peuke); Hyphear auch auf Quercus Ilex (Prinos);, Ixia dagegen lebt nicht blos auf Dex, sondern auch auf Eichen, Terebinthen und vielen anderen Bäumen (ibid. III, 7). Es sei nicht anzunehmen, wie einige meinen, dass ihre Verschiedenheiten nur durch die verschiedenen Nähr- pflanzen bedingt werden; denn auf demselben Baume finden sich auf verschiedenen Theilen verschiedene Mistelarten, und diese bleiben in Gestalt und Fruchtbildung auch in verschiedenen Localitäten constant verschieden (Caus. pl. OH, 17). Wenn dagegen Ixia im Winter bald ihre Blätter behalte, bald sie verliere, das erstere auf Bäumen mit immer- srünem, das letztere auf solchen mit sommergrünem Laube, so beruhe dies nur darauf, dass die Mistel auf Bäumen, welche im Winter ent- laubt sind, keine Nahrung finde, und aus diesem Grunde ebenfalls ihre Blätter abwerfen müsse. Theophrast forscht nach dem Grunde, weshalb eigentlich die Mistel durchaus nicht auf dem Erdboden wachse, sondern nur da, wo Vögel die sehr reiehlichen Früchte verzehrt und ihre Excre- mente auf einen Baumzweig abgesetzt haben; denn nur hier keime der unversehrt gebliebene Same der Mistel, und dringe durch die Rinde in den Baum ein, der ihm die Nahrung gewährt, wie der Wildstamm dem lidelreis oder dem Edelauge; allerdings seien letztere zu schwächlich, um sich selbst ernähren zu können; die Mistel aber sei offenbar eine kräftige Pilanze, welche selbst viel Nährstoff enthalte und deshalb auch nach der Ernte den Rindern als Nahrung gereicht werde (Caus. pl. U, 17; V 4, 15). Den griechischen Botanikern muss überlassen bleiben, aus diesen Nachriehten des Theophrast über die drei Mistelarten das Wahre vom der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 381 Falschen auszusondern. Plinius hat, wie gewöhnlich, in seinem Capitel über die Mistel (Nat. hist. XVI, 95) den Theophrast ausgeschrieben; hinzufügt er nur, dass Viscum auf keinem anderen Baum, als auf Eichen (Quercus und Robur), Lärchen, wilden Pflaumenbäumen und Tere- binthen wachse, dass ferner Viscum immer strauchartig und grün, und dass es getrennten Geschlechtes sei, sonderbarer Weise erklärt er aber die männliche Mistel für fruchtbar, die weibliche für unfruchtbar; zuweilen trage auch keine von beiden. Dioscorides giebt an, dass die Mistel auch auf Aepfel- und Birnbäumen, sowie selbst auf den Wurzeln von Sträuchern wachse. Von den Commentatoren berichtet Matthiolus 1558, die Mistel sei in den Wäldern von Siena so ungeheuer häufig, dass ihre Verpachtung zur Gewinnung des Vogelleims grosse Summen abwerfe; hier finde sie sich nicht blos auf Eichen (Robur, Ilex, Cerris), sondern auch auf edlen Kastanien und Mandelbäumen. Die auf Aepfel- und Birn- bäumen gebe keinen brauchbaren Vogelleim; ebenso wenig die im Triden- ‚ tinischen auf Fichten und Tannen gemeine Mistel. Der Vogelleim werde ‚ in Toseana auch benutzt, um Leimringe um die Rebensetzlinge zu machen ‚und sie dadurch von der Vernichtung durch die Raupen zu bewahren. | Matthiolus widerspricht der Angabe von Theophrast, dass die Mistel auf ‚ Bäumen mit abwerfendem Laub auch ihre Blätter verliere; denn sie sei auf Obstbäumen immergrün (Viscum), dagegen verliere sie ihr Laub auf ‘ Sommer- und Wintereichen und Kastanien (Loranthus). Alle älteren Bota- , niker sprechen von der Eichenmistel als einem gewöhnlichem Vorkommen; nur Bock 1539 (Tragus 1552) bemerkt schon, dass in unseren Gegenden Viscum nicht auf Eichen und Buchen, sondern auf Aepfel- und Birn- bäumen, Schwarzpappeln, Weiden, Ahorn, wilden Kastanien, Linden, Haseln und Birken wachse, auf den drei letzteren jedoch seltener. Die Mistel mit rothen Beeren auf den Oelbäumen von Jerusalem erwähnt Belon 1553, dieselbe Art aus Spanien Clusius. C. Bauhinus giebt im Pinax 1671 als Standorte für die Mistel ausser den früher genannten ' noch Lärche (schon Plinius), Korkeiche, Quitte, Eberesche, Mispel, Weiss- ‚ dorn, wilde und Gartenrose, Nussbaum, Oelbaum und Juniperus Oxycedrus | (Arceuthos) an. Doch während schon Theophrast mit aller Bestimmtheit | darauf hinweist, dass die Mistel nicht aus der Fäulniss, sondern aus Samen ‚ entsteht, die durch Vögel ausgesäet werden (der Spruch: „Turdus sibi | exitium cacat‘‘ steht bei Plautus; Plinius rechnet unter die Mistelvögel , auch die wilden Tauben — Palumbae), meint ©. Bauhin mit dem gelehrten | ' Commentator des Theophrast, J. C. Sealiger: die Mistel sei ein Aus wuchs des Baumes, wie die Hörner des Thieres. | Herr R. v. Uechtritz bemerkte, dass es auch eine Varietät von Viscum ‚ mit gelben Beeren gebe (V. laxum), dass ferner Prof. Kanitz bei Klausen- burg Viscum auf Loranihus schmarotzend gefunden habe, wie schon in früheren Zeiten einmal Pollini in Italien. 989 Jahres- Bericht Herr Oberstabsarzt Dr. Schröter bemerkt, dass er Viscum auch auf Robinia und Carpinus gefunden und dass er in Frankreich Viscum auf Aepfel-, aber nicht auf Birnbäumen, im Schwarzwald häufig auf Tannen, aber nicht auf Fichten beobachtet habe. Hierauf hielt Herr Prof. G. Hieronymus einen Vortrag über die Bromeliaceen der Republik Argentina. Der Vortragende legte eine Sammlung von. aus der argentinischen Republik stammenden, meist von ihm selbst und Prof. P. G. Lorentz gesammelten Bromeliaceen vor. Darunter befand sich Bromelia Serra Griseb., eine Pflanze, welche blühend ein prachtvolles Aussehen hat, da die Inflorescenz feuerrothe Bracteen, in deren Achseln weisse, violett sefleekte Blüthen stehen, besitzt; ebenso sind auch die oberen Blätter der Rosette schön roth angelaufen. Die Pflanze ist eine Erdbromeliacee und findet sich an trockenen Standorten in den Provinzen Salta mit Oran, Jujui, Santiago del Estero und besonders im Gran Chaco. Die wilden Eingeborenen des letzteren, noch gänzlich uncultivirten Gebietes geniessen die in der Asche gebratenen Rhizome der Pflanze und gewinnen ver- mittelst Maceration in Wasser die Bastfasern der sehr stacheligen Blätter und verarbeiten dieselben zu einem ausserordentlich dauerhaften und festen Bindfaden, welchen sie in mannigfaltiger Weise zu benutzen ver- stehen. Ein Panzerhemd und ein Jagdbeutel, welche Vortr. von einem Caziken der Matako-Indianer erhandelte, wurden vorgezeigt. Dieselben sind in sehr eigenthümlicher Weise aus solchen Bindfaden mit der Hand geknüpft. Ferner legte der Vortr. Exemplare der meist auf Bäumen epiphy- tischen, seltener Felsen der subtropischen Wälder bewohnenden Chevallieria grandiceps Griseb. vor. In den Blattscheiden dieser Pflanze sammelt sich in ziemlicher Quantität das Regenwasser und hält sich lange darin. Der Genuss des letzteren soll schädlich sein und Wechselfieber hervorbringen. Dieses Wasser, welches sehr langsam von einer den Stengel fest umfassenden Blattscheide zur andern siekert, kommt so nach und nach den Wurzeln des Rhizoms zu Gute und wird von denselben aufge- nommen, Der Vortragende legte ferner Exemplare vor von Pitcairnia spathacea Griseb. (aus den Gebirgen der Provinz Cördoba, wo sie auf Felsen wächst), Coitendorfia albicans Griseb. (auf Felsen und Erde in den sub- tropischen Wäldern des Nordens), Dyckia rariflora Schult. (auf Erde aus löntrerios), D. floribunda Griseb. (an Felsen in der Sierra de Cördoba), Navia brevifolia Griseb. (an Felsen in den Gebirgen Süd-Boliviens) und eine grössere Anzahl von Arten der interessanten Gattung Tillandsia, und besprach einige morphologische Eigenthümlichkeiten der letzteren, welehe in Zusammenhang stehen mit der merkwürdigen Lebensweise dieser + i i der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 383 Pflanzen als Epiphyten auf Bäumen oder an steilen Felswänden. Als Vertreter der Section Vriesia wurde T. rubra Ruiz et Pav. und eine noch unbestimmte Art vorgelegt, welche beide Epiphyten sind und aus den subtropischen Wäldern des Nordens der argentinischen Republik stammen. Dieselben sammeln, wie Chevallieria grandiceps Griseb., in ihren Blattscheiden Wasser, sogar in noch bedeutenderen Quantitäten, so dass eine Blattrosette oft mehr als '), Liter enthalten mag. Der Genuss _ dieses Wassers soll gleichfalls schädlich sein, was wohl zu begreifen ist, da es oft faulende Stoffe, besonders von ertrunkenen Insecten ent- hält. Die der Section Platystachys angehörigen vorgelegten Arten: Tillandsia macrocnemis Griseb., T. Lorentziania Griseb., T. purpurea Ruiz et Pav. und besonders T. circinalis Griseb., welche als Epiphyten in den trockenen Wäldern, vorzüglich der mittleren Provinzen und des Gran Chaeos vorkommen, haben die morphologische Eigenthümlichkeit, dass die an den Insertionen der Blätter, dieht unter dem Stengelvege- tationspunkt, aus meristematischem Gewebe entstehenden Beiwurzelnin eine grössere Anzahl von Internodien abwärts innerhalb des Stengels ver- laufen, ähnlich wie dies auch für manche Lycopodiumarten bekannt ist, und gewöhnlich erst an der Basis des Stengels zu einem Büschel ver- einist gemeinsam heraustreten, um sich an das Substrat festzuheften. Diese Thatsache ist selbst mit unbewaffnetem Auge auf Quer- und Längsschnitten leicht zu erkennen, da die Wurzeln eine den centralen Gefässbündeleylinder umgebende mehrschichtige Schutzscheide besitzen, welche aus stark verdickten, braun oder fast schwarz gefärbten Sklerenchym- fasern besteht und dadurch den Verlauf der Wurzeln in dem Stengel- sewebe auch makroskopisch sichtbar macht. Uebrigens sind die Wurzeln nicht zahlreich, unverzweigt und verhältnissmässig kurz, dienen den Pflanzen nur als Haftorgane am Substrat und dringen nicht in dasselbe ein. T. circinalis, die sehr wenig Wurzeln hat, besitzt in ihren sich rankenartig um dünnere Aeste und Zweige windenden Blättern besondere Organe, mit welchen sie sich auf den Bäumen festhält; an Felsen kommt diese Art nicht vor. Aus der Section Anoplophytum legte der Vortragende folgende Arten vor: T. dianthoides Ten. (aus Entrerios), T. iwioides Griseb. (aus Entrerios), T. bicolor Brogn. (aus dem Norden der argent, Republik) und einige unbestimmte, sämmtlich Epiphyten auf Bäumen, die sich durch schöne, ' farbige und meist angenehm duftende Blüthen auszeichnen; ferner eine Anzahl der Section Strepsia (inel. Diaphoranthema) angehörige Arten, darunter, ausser einigen noch nicht bestimmten, vielleicht auch neuen Arten: T. myosura Griseb. (in Bolivien, den nördlichen und mittleren Provinzen Argentiniens heimisch), T. retorta Griseb. (Cördoba, San Luis und Patagonien), T. cordobensis Hieron. (syn T. recurvata Griseb. non Linn. un vo 284 Jahres-Bericht aus den Gebirgen von Cördoba) T. bryoides Griseb. (Cördoba, San Luis, | Catamarka, Patagonien), T. propingua Gay (Cördoba, San Luis), T. usneoides ' L. (Cördoba, Entrerios, Tucuman). T. myosura hat etwas Aehnlichkeit | mit T. eircinails Griseb., insofern ihre Blätter, wenn auch in geringerem Masse das Vermögen haben, sich um dünne Zweige zu winden und so der Pflanze Halt geben. Sämmtliche der vorgelegten Tillandsien, mit Ausnahme der der Section Vriesea angehörenden, haben ein graugrünes Aussehen, auch im frischen Zustande. Dasselbe wird hervorgebracht durch zahlreiche, dicht bei einander stehende, eigenthümlich gebaute Schuppen, die wesentlich gleichartig gebaut sind bei allen Arten, und für T. usneoides Linn. bereits von Schacht richtig beschrieben und abgebildet wurden (die Pflanzen- zelle p. 234, Taf. VOL, Fig. 17 und 18). Der Vortragende geht näher auf die Beschaffenheit dieser Schuppen ein. Ferner zeichnet sich die Blatt- und Stengelepidermis dieser Arten dadurch aus, dass die Innenwand der Zellen stark verdickt ist, die Aussenwand und Zwischenwände jedoch dünne, während es doch sonst bei den übrigen Pflanzen umgekehrt ist. Diese Thatsache ist schon für viele andere epiphytische Bromeliaceen bekannt. Auch besitzt die Blatt- und Stengelepidermis der genannten Arten nur sehr wenig Spaltöffnungen, die meist unter den Schuppen ver- borgen und etwas eingesenkt sind. Durch alle diese Einrichtungen und Beschaffenheit der Epidermiszellen sind diese Pflanzen ausserordentlich gut gegen das Austrocknen, dem sie an ihrem luftigen Standorte sonst leicht ausgesetzt wären, geschützt. Zugleich hat der Vortragende die Ueberzeugung, dass diese Pflanzen mit ihren Stengeln und Blättern ver- mittelst der Epidermis oder deren Schuppen, wenn sie durch Regen angefeuchtet werden, Wasser aufnehmen, da die wenigen und kurzen Wurzeln, welche auch gewöhnlich nicht in das Substrat, sei es nun Rinde oder Fels, eindringen, nicht im Stande sein können, den betreffenden Pflanzen das nöthige Wasser zuzuführen. Bei Tillandsia usneoides Linn. ist dies nicht zu bezweifeln. Dieselbe besitzt zwar eine Zeit lang Wurzeln und hängt nach Art mancher Usnea-Arten mit oft über meter- langen, reichverzweigten und ineinander verflochtenen Stengeln bart- artig von den Baumzweigen herab, die aus dem Samen erwachsenen Individuen sterben jedoch nach einigen Jahren an den bewurzelten Theilen ab und die jüngeren Theile werden leicht durch den Wind oder durch manche Vögel, die sie zum Nestbau verwenden, losgerissen, leben dann jedoch ohne je neue Wurzeln zu bilden noch lange weiter, wenn sie dureh tiefer stehende Zweige festgehalten oder am Vogelnest befestigt werden, also nicht auf die Erde fallen. Dabei erneuern sich diese Tillandsiabärte jährlich durch zahlreiche Innovationssprossen, während ihre älteren Theile fortfahren, abzusterben. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 385 Herr R. v. Uechtritz sprach über die Einwirkung des ungewöhnlich milden Winters 1883/84 auf die Entwickelung der Vegetation. In dem heurigen Winter, in welchem, eine kurze Zeit am Anfang ausgenommen, weder Stadtgraben, noch weniger die Oder zufror, und die Lufttemperatur fast ununterbrochen über dem Nullpunkt stand, reichten sich Herbst- und Frühlingsflora fast ohne Unterbrechung die Hand; über 200 Arten blühten im December. Das südliche Polycarpon tetraphyllum war am 21. Januar massenhaft ausgetrieben und hatte den Frost über- dauert. Auch Puceinia Malvacearum zeigte sich schon jetzt in voller Ent- wickelung auf den grünen Malvenblättern. In der vierten Sitzung vom 28. Februar hatte die Section die Freude, zum letzten Male ihren allverehrten Präses, Geheimrath Professor Göppert, in ihrer Mitte zu begrüssen, der einen Vortrag über botanische Museen hielt. Er sei vielleicht der erste gewesen, der die Bedeutung botanischer Museen für den akademischen Unterricht wie für die allgemeine Volks- bildung erkannt, schon frühzeitig mit der Sammlung geeigneter Objecte begonnen habe und sich deren ununterbrochene Vermehrung habe an- gelegen sein lassen. Leider seien seine Sammlungen, die nur von der Berliner an Vollständigkeit übertroffen werden, in verschiedenen Localen zerstreut; erst jetzt sei bestimmte Aussicht vorhanden, das botanische Museum in einem würdigen Locale aufzustellen, nachdem die hohen Ministerien die unter seiner Leitung entworfenen Baupläne zu einem neuen Museumsgebäude genehmigt hätten. Indem er den gedruckten Katalog seiner botanischen Sammlungen vorlegte, kuüpfte er daran eine kurze Geschichte der botanischen Sammlungen insbesondere in Schlesien seit der Zeit von Schwenkfeldt, und legte in Originalen oder Abbildungen einige der interessantesten Objecte seiner Sammlungen vor, darunter die von Schadenberg in Mindanao entdeckte Rafflesia Schadenbergiana, ver- schiedene Ueberwallungen, Inschriften in Stämmen u. s. w. Der Secretair der Section theilt mit, dass nach einer von dem Herrn Landeshauptmann von Schlesien dem Präsidium unserer Gesell- schaft gemachten Mittheilung der Ausschuss des Provinzial- Landtages eine beträchtliche Subvention zur Bestreitung der Kosten für die von der Section in Angriff genommene Untersuchung der schlesischen Moore bewilligt habe. Derselbe legte vor frische blühende Exemplare von Colchieum autumnale var. vernum, welche von dem Candidat des höheren Lehramts, Herrn Girndt aus Peilau, eingesandt worden sind. Die Blüthen, deren meist zwei aus 286 Jahres - Bericht einer blattlosen Knollzwiebel hervorkommen, zeichnen sich durch ihre schmal linearen Perigonzipfel aus; diese in Süddeutschland nicht ganz seltene Frühlingsform ist bisher in Schlesien (mit Ausnahme an der Lissa Hora einmal durch Wetschky) noch nicht beobachtet worden. Derselbe legt vor die soeben erschienenen Lieferungen der bota- nischen Wandtafeln von Prof. Kny, die sich gleich den früheren durch eine musterhafte, naturgetreue und zugleich künstlerische Darstellung, . wie nicht minder durch die Gründlichkeit der Untersuchung aus- zeichnen, Der Königl. Garten-Inspector Herr Berthold Stein zeigte blühende Exemplare von Saxifraga Kotschyi und Corydalis Sewerzowii. Derselbe legte vor Centurien der Flora exsiccata Austro-Hungarica a Museo univ. Vindob, edita. Hierzu: Schedae ad floram exsicc. austr.-hung. Zu dieser prachtvoll ausgestatteten Sammlung, welche unter Direction des Prof. Kerner in Wien erscheint, hat auch Vortragender Beiträge geliefert. In der fünften Sitzung vom 13. März legte Professor Ferd. Cohn die Grundrisse des neuen botanischen Gartens, der Gewächshäuser, der botanischen Sammlungen und Laboratorien von Lüttich vor, die ihm Professor Ed. Morren freundlichst zugeschickt hatte; das grossartige neue botanische Institut ist unter Morren’s Leitung gegründet und im November vorigen Jahres feierlich eingeweiht worden. Hierauf legte der Lehrer an der höheren Bürgerschule, Herr G. Limpricht, eine Anzahl für Schlesien neue Laub- und Lebermoose vor und hielt sodann einen Vortrag über die Pseudoperianthien der Jungermanniaceen. Das Referat über diese Mittheilungen ist bereits in dem Jahres- bericht der Section für 1883 Seite 204 mit aufgenommen worden. Schliesslich berichtete der Assistent am botanischen Garten, Herr Dr. Lakowitz, über eine Excursion nach der hohen Tatra, > welche er im März 1883 mit Herrn Stud. Hellwig unternommen, und legte die von ihm gesammelten Pflanzen vor. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 287 In der sechsten Sitzung vom 27. März gab Herr R. v. Uechtritz unter Vorlegung der betreffenden Pflanzen einen Bericht über die im Jahre 1883 bekannt gewordenen neuen Funde im Gebiete der schlesischen Phanerogamenflora. Dieser Bericht ist im Jahresbericht der Schles. Gesellsch. für 1883 S. 249 abgedruckt worden. In der siebenten Sitzung vom 30. October machte zunächst Herr Professor Dr. Körber Anzeige, dass das Präsidium der Gesell- schaft von der botanischen Section ein Gutachten über die im Besitz der Gesellschaft befindlichen Specialherbarien erbeten habe; als Custos der Gesellschafts-Sammlungen äusserte er sich dahin, dass diese Special- herbarien, insbesondere die von Kroker, Starke, Mückusch u. a. im All- gemeinen noch in gutem Zustande sich befänden und im Interesse der Geschichte der schlesischen Flora auch in Zukunft aufzubewahren seien; nur das Herbar des Grafen Mattuschka sei sehr zerfressen, verdiene aber gleichwohl wegen seiner historischen Bedeutung fernere Auf- bewahrung. Hierauf sprach Herr Professor Dr. G. Stenzel über abnorme Blüthenformen von Linaria vulgaris, indem er zwei eigenthümliche Veränderungen der Oberlippe besprach. Unter den reichlich blühenden Stöcken am Wege von der Ziegelei Grün- eiche nach Schaffgotschgarten fand er in den letzten Sommern ziemlich zahlreiche, bei denen die meisten oder alle Blumenkronen hinten tief gespalten waren. Wo dieser Spalt nur bis in die obere Hälfte der Röhre reichte, waren die beiden Abschnitte der Oberlippe noch auf- gerichtet und liessen nur die obersten Theile der Staubgefässe von aussen sehen. Eine derartige Spaltung hat schon Ratzeburg beobachtet und in den Animadversiones ad peloriarum indolem def. p. 10 u. Fig. 14 beschrieben und abgebildet, doch verbunden mit anderen Veränderungen der Blüthe, während die von mir beobachteten fast ganz regelmässig waren. Bei diesen reichte der Spalt meistens bis ganz nahe an den Grund heran, so dass nur noch das kleine Staminodium unter ihm stand. Hier traten die beiden schmalen Abschnitte unter rechtem Winkel aus- einander, so dass in dem weitklaffenden Spalt Griffel und Staubgefässe fast bis zum Grunde sichtbar waren und von vorn gesehen die weit getrennten Abschnitte der Oberlippe rechts und links von der Unterlippe hervortraten. Diese breitete sich erst spät aus, indem, entgegen der gewöhnlichen Deckung, die beiden seitlichen Abschnitte lang über dem mittleren zusammengeschlagen sind. Eine Ursache dieser Spaltung habe ich mit Sicherheit nicht auffinden können. Die Spaltränder waren bis 288 Jahres - Bericht - an den Grund der Spalte vollkommen glatt, also nieht durch Zerreissung entstanden; auch war die Blüthe schon in stecknadelknopfgrossen Knospen ganz so angelegt, wie sie später erschien. Selbst in diesen war freilich der Koth einer Käferlarve, nach der gefälligen Bestimmung des Herrn Letzner ein Brachypterus Zinariae Steph., welche kaum in einer Blüthe fehlte, zu finden, aber dieselbe frass sich hauptsächlich in den Fruchtknoten ein und fand sich ausserdem in eben so vielen ganz regel- mässig ausgebildeten Blüthen. Eben so wenig habe ich an der Spaltungs- stelle etwas von einem Pilze gefunden. Jedenfalls scheint die Bildung sich einigermassen zu vererben, da ich in zwei aufeinander folgenden Sommern an derselben Stelle zahlreiche Pflanzen dieser Art gefunden habe. Die andere Umbildung der Oberlippe besteht in der Vermehrung ihrer Abschnitte. Verbreitert sich einer derselben und zeigt eine seichtere oder tiefere Ausbuchtung, ohne dass ein nach innen vorspringen- der Kiel von der Bucht herabläuft, wie von der Bucht zwischen den zwei regelmässigen Abschnitten, so bleibt die übrige Blüthe unverändert. Schreitet aber diese Ausbuchtung zur Bildung dreier gleichwerthiger Abschnitte der Oberlippe mit herablaufenden Kielstreifen fort, so finden sich bei den zuletzt wieder ganz regelmässig ausgebildeten Blüthen in der Regel sechs Kelchzipfel, unter der dreispaltigen Oberlippe zwei Staminodien und ein mehr oder weniger dreifächeriger Fruchtknoten, indem ausser den von beiden Seiten her in der Mitte zusammenstossenden Samenträgern noch ein dritter in das obere Fach hineinrast. Staub- fäden, Unterlippe und Sporen können dabei wie gewöhnlich beschaffen sein. Theilt sich auch der Sporn, so erfahren Unterlippe und längere Staubgefässe dieselben Veränderungen, wie an Blüthen mit regelmässig gebildeter Oberlippe. Solche Blüthen wurden wiederholt an mehreren Stellen in Schreiberhau beobachtet; sie machen den Uebergang zu den stark verbildeten Formen mit mehreren Abschnitten der Oberlippe wie sie Ratzeburg a. a. O. beschrieben hat. Die besprochenen Formen wurden an in fünffacher Vergrösserung ausgeführten Zeichnungen der regelmässigen wie der abweichenden Blüthenformen und ihrer Grundrisse erläutert. Im Anschluss hieran legt Herr F. Cohn aus der teratologischen Sammlung des pfllanzenphysiologischen Instituts eine Anzahl Pelorien von Linaria theils in getrockneten, theils in Spiritus-Exemplaren vor; sie sind von den Herren Junger, Zimmermann und Kabath gesammelt, von letzterem auch Pflanzen mit vollkommen strahlig gebauten, spornlosen Blüthen, Die Mitglieder der Section wurden ersucht, die Sammlung, welehe in neuester Zeit auch die von Herrn Zimmermann in Striegau, Schumann in Reichenbach u. a. gesammelten Bildungsabweichungen auf genommen, durch Beiträge zu vermehren. Be ä der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 289 Hierauf legte Professor F. Cohn vor: 1) Elodea canadensis, aus Militsch von Herrn Schnorrenpfeil eingesandt; sie hat sich seit 1832 im Gebiet der Bartsch, angeblich von Craschwitz aus, angesiedelt und ist zu einer Wasserplage geworden, während ihre einst so rapide Verbreitung anderwärts vielfach zum Still- stand gekommen zu sein scheint. 2) Gallenan den Becherhüllen von Eicheln, sogen. Knoppern, hervorgerufen durch Cynips Quercus Calyeis, Burgsdorf; die kantig ge- flügelten Gallen enthalten im Innern eine kuglige Kapsel, in der die Larve lebt; in Oesterreich-Ungarn sehr häufig und unter dem Namen der ungarischen Galläpfel ein Handelsartikel, werden sie in Schlesien seltener beobachtet, sind in diesem Herbst aber dem Vortragenden von ver- schiedenen Orten (Gorkau am Zobten, Reichenbach, Canth, Scheitnig, Morgerau bei Breslau, sowie aus Russisch-Polen) zugeschickt worden. Herr G. Limpricht hielt einen Vortrag über Tüpfelbildung bei Laubmoosen. Schon W. Hofmeister entdeckte die Tüpfel in den prosenchymatischen Stengelzellen (Holzschicht) der Sphagnen; er beschreibt und zeichnet sie 1851 in: Vergleichende Untersuchungen, p. 61 und 62; Tab. 13, Fig. 8 und Sb. Auch Schimper erwähnt ihrer in seiner Monographie der Sphasnen (1858), p.,36 und bildet sie Tab. IV, Fig. 2, 3 und 9 von Sphagnum cymbifolium ab; allein er hat die Sache nicht weiter verfolst, denn er ist der Meinung, dass die Tüpfel bei fortschreitender Verholzung fast gänzlich verschwinden und dass bei den andern Sphagnen die Holz- zellen ohne Tüpfel erscheinen. Durch Russow, Beiträge (1858), Tab. II, Fig. 6 und 6a werden Tüpfel (hier „Poren‘‘ genannt) im Stengelquer- schnitt von Sphagnum Wulfianum und nach Text p. 16 und 17 in den 'Perichätialblättern von Sphagnum Gürgensohnü, fimbriatum etc. wie im Randsaume der Ast- und Stengelblätter gewisser Arten nachgewiesen. Der Vortragende constatirt, dass bei allen europäischen Sphagnen in den Holz- und Markzellen des Stengels wie der Aeste, besonders zahl- reich an den Stellen, wo sich ein Astbüschel abzweigt, einfache Tüpfel auftreten und dass sie sich ausserdem auch in den Scheidewänden der angeschwollenen basalen Blattzellen finden. Als eine interessante Erscheinung wurden die siebartig verdünnten Querwände (Siebplatten?) im Stengel und in den Aesten von Sphagnum bezeichnet, die im Querschnitt mancher Arten (Sphagnum' squarrosum, contorium) sowohl in der spongiösen Aussenrinde als in der Holz- und Markschicht auftreten. Oft erscheinen die Verdünnungen unregelmässig, andernfalls auch durch radiale Querbalken strahlig und sternförmig geordnet. 1884. 19 290 Jahres - Bericht Nach Schimper, Synopsis, 2. ed., Vol.I, p. VII (1876) fehlen Tüpfel- bildungen den echten Laubmoosen ganz; dessenungeachtet sind sie hier eine ganz allgemeine Erscheinung; sie treten nicht blos in den Axen (den dünnwandigen Zellen der Leitbündel scheinen sie zu fehlen), sondern auch in den Blättern, sowohl in der Rippe, als in der Lamina auf und zeigen bald runde, bald spaltenförmige Form. Sehr häufig sind sie z. B. im Stengel von Andreaea, Dieranum, Grimmia, Racomitrium, Bryum, Philo- notis, Brentelia, Webera, Mnium, Bartramia, Hypnum ete.; in der Blattrippe bevorzugen sie die Längswände der Zellen, welche Lorenz Deuter nannte, in der Lamina finden wir sie bei vielen Dierana und Hypnaceen, letzteren- falls besonders am Blattgrunde. Herr Apotheker Sonntag in Wüste-Waltersdorf legte eine Anzahl von ihm gesammelter Algen, insbesondere Diatomeen, aus dem Gebiete der hohen Eule vor. In der achten Sitzung vom 13. November machte Herr Ober- stabsarzt Dr. Schröter Bemerkungen über Keller- und Grubenpilze II. IV. Ueber das Wachsthum der Pilze im Dunkeln, speeiell in Kellern und Gruben. (Fortsetzung des Aufsatzes im Jahresber. 1883, pag. 193.) Der Einfluss, welchen das Licht auf das Wachsthum der Pilze übt, ist häufig erörtert und experimentell geprüft worden. Es hat sich dabei herausgestellt, dass dieser Einfluss sich besonders in zweifacher Beziehung äussert, einmal, indem er die Wachsthumsrichtung des Pilzes beeinflusst, sodann dass er auf die Ausbildung seiner Form und einzelnen Organe Kinwirkung zeigt. Die riehtungsbestimmende Wirkung tritt bekanntermassen sehr deut- lich bei dem Wachsthum von Mucor Mucedo auf, wo die Hyphen scharf nach der Richtung der einfallenden Lichtstrahlen zuwachsen. Noch deutlicher lässt sich dies bei Pilobolus erystallinus beobachten. Noch auflallenderer zeigt sie sich bei zusammengesetzteren Pilzen. Bekannt ist, mit welcher Energie die aussprossenden Fruchtkörper von Ülaviceps nach dem Lichte zustreben, Dasselbe zeigt sich bei Peziza-Formen, 7. B, Sclerolinia Fuckeliana; ich beobachtete längere Zeit eine lang ge- stielte lorm von Pezisa rutilans, bei welcher die Stiele ebenfalls streng in der Richtung des Liehtes wuchsen und jede Aenderung in ihrer Stellung sofort dureh die Aenderung der Wachsthumsriehtung markirten, während sich die schön orangerothen Fruchtscheiben senkrecht zur Riehtung des einfallendes Lichtes ausbreiteten. Auch kleinere und grössere Agaricineen zeigen im Wachsthum des Stieles denselben Ein- us. Ich habe ihn bis jetzt bei einer Reihe von Versuchen mit Copri- der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 391 nus-Arten (C. stercorarius, C. ephemeroides u. a. m.), Panaeolus campanu- latus, Pleurotus ostreatus geprüft. Ich will hier nur erwähnen, dass sich bei diesen Pilzen eine starke richtungsbestimmende Wirkung nach dem einfallenden Lichte zu zeigt, und dass es nur die Spitze der fortwachsen- den Hyphen ist, welehe dieser Einwirkung unterworfen ist, während die älteren Theile ihre eingenommenen Richtungen nicht mehr ändern. Durch Abwechselung zwischen Beleuchtung und Verfinsterung und durch Aenderung der Aufstellung lässt sich diese Lichtwirkung aufs Deutlichste zur Anschauung bringen. Bei den schnellwachsenden kleinen Coprinus- Arten kann man diese Wirkung innerhalb weniger Stunden in ver- schiedenem Wechsel prüfen; bei Panaeolus campanulatus hält der starre Stiel in seinen Abschnitten die bei diesen Versuchen erlangte verschieden- artige Richtung bei; bei Pleurotus ostreatus krümmen sich die immerhin recht dieken Stiele des jungen Fruchtkörpers bei veränderter Aufstellung sofort an der Spitze nach der neuen Richtung des Lichtes hakenförmig um. Bei Liehtabschluss werden diese Pilze in ihrem Wachsthum von der Schwerkraft geleitet. Die Spitze der Stiele (die Enden der Hyphen) wachsen senkrecht aufrecht, die Hüte stellen sich horizontal. Diese Eigenschaft der Hyphenspitze, senkrecht aufwärts zu wachsen, lässt sich an der einzelnen Hyphe sehr deutlich bei Pilobolus erystallinus zeigen. Nimmt man einen Rasen dieses Schimmels, dessen Fruchtträger soeben die Sporangien abgeschkleudert haben, und stellt ihn so auf, dass die Hyphen horizontal stehen, so sieht man schon nach kurzer Zeit, dass die noch fortwachsenden Enden der Fäden sich aufrichten, bei Licht- abschluss senkrecht aufrecht, bei Einwirkung des Lichtes nach diesem hingebogen, hakenförmig von dem horizontalbleibenden älteren Theile der Hyphe abgekrümmt. Weniger untersucht ist die formbildende Wirkung des Lichtes auf die Pilze. Aus den Bemerkungen, welche Brefeld (Ueber Schimmel- pilze III, $. 87—97, 114. 115) gegeben hat, ergiebt sich, dass bei Coprinus siercorarius die Finsterniss das Wachsthum bedeutend modificirt. Die Stiele vergeilen, werden bedeutend verlängert, gehen abnorme Sprossbildung ein und entwickeln keine oder nur sehr kleine, unvoll- kommene Hüte, Bei Coprinus ephemerus wird durch Lichtausschluss das Wachsthum gänzlich aufgehalten. Die Beobachtung an vielen im Dunkeln gewachsenen Pilzen zeigen, dass ähnliche Entwickelungshemmungen bei ihnen vorkommen. Hier sind zunächst die eigenthümlichen, oft besprochenen Meta- morphosen zu erwähnen, die einige Lentinus-Arten beim Wachsthum im Finsteren annehmen. Es sind weisse, runde Stränge, welche an den Enden spitz zulaufen und entweder einfach bleiben, häufiger noch geweihartig oder korallenförmig in eine Anzahl von Aesten verzweigt sind. Diese Formen sind früher oft unter eigenen Namen beschrieben 19* 399 Jahres-Bericht (Olavaria cornula Retz., Elvella serpentiformis Batsch, Ramaria ceratoides Holmsk. ete.) worden. Man findet diese Monstrositäten nicht gerade selten zwischen den Dielungen, aus den Balken hervorwachsend. Von einem solehen Standorte erhielt ich z. B. ein Exemplar aus Liegnitz, welches 35 em Länge hatte und unten aus 2 starken Slämmen von je 2 em Dicke besteht, die sich nach oben in viele 1 cm dicke Aeste verzweigen. Diese laufen in Spitzen aus, geben aber in ihrem Verlaufe seitlich vielfache, theils längere Zweige, theils kurze Zacken ab. Mehrere enden mit einer aus 3 bis 8 flächenartig verbundenen Aesten gebildeten, dem Geweih eines Damhirsches ähnlichen Platte, eine Form, die schon in der Flora danica (Taf. 405 als Fucus cartilagineus corneus) abgebildet ist. Treten die Aeste an das Licht, so bilden sich häufig an ihrer Spitze verkümmerte oder mehr oder weniger gut ausgebildete Hüte, aus denen man die Art erkennen kann. Meist gehören sie zu Lentinus lepideus (Schaeff.), doch manchmal wohl auch zu anderen Lentinus-Arten. Ein ixemplar, welches in einem Stalle in der Nähe von Namslau gefunden wurde und welches auf stark verzweigten Stielen gegen 30 fast aus- gebildete neben zahlreichen verkümmerten Hüten gebildet hatte, ist des glatten Stieles und Hutes wegen als Lentinus suffrutescens (Brot) zu be- stimmen. Kleinere korallenartige Gebilde, etwa 6 em hoch, am Grunde nur 4 cm dick, welche reihenweise aus dem Gebälk in einem keller- artigen Raum der Liebigshöhe in Breslau herausgewachsen waren, möchte ich als Monstrositäten von Lent. tigrinus (Bull) ansehen. Verzweigte Fruchtträger, auch solche, welche in unfruchtbare Spitzen auslaufen und dann ganz einer verzweigten Clavaria ähnlich waren, habe ich bei Culturen von Pleurotus ostreatus (Jacq.) häufig auf- treten sehen, und zwar hier schon, wenn die sich bildenden Frucht- körper von der Lichtseite abgewendet waren. Zu den durch Abschluss vom Lieht bedingten Wachsthumsmodi- liealionen von Hutpilzen werden auch die verschiedenen Rhizomorpha- llormen gerechnet. Bekanntlich ist nachgewiesen, dass mehrere dieser lormen in den Entwiekelungskreis von Armillaria mellea gehören; es ist daraus aber nicht zu schliessen, dass dies für alle gilt, vielmehr möchte anzunehmen sein, dass auch andere Agarieineen Rhizomorphen bilden können, Derartige Stränge sieht man nicht selten bei Collybia velutipes Curl, entstehen; sie kriechen weite Streeken unter der Rinde hin, und verrathen dureh ihre feine Behaarung, dass sie zu dem genannten Pilze sehören,. An morschen Weiden und Pappeln sieht man öfter weitver- breitete Rhizomorphen mit grösseren, in büscheligem Rasen wachsenden Mycena-Arten (M. polygramma, inelinata, Tintinabulum u, ähnl.) in Ver- bindune >) in zu denen sie möglicherweise gehören. Eine diesen ähnliche Mycena Verbindung mit Rhizomorpha, auf Grubenholz im Harz gefunden, Pu; u, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 293 bildet schon G. F. Hoffmann (Veget. im Herc. subterr. Tab. IID) unter dem Namen Agaricus myurus ab. Sehr bekannt ist auch Rhizomorpha setiformis Roth, schwarzbraune, Rosshaaren ähnliche, oft vielfach verzweigte, zähe Fäden, die von Tannen- nadeln, Reisern u. dgl. entspringen und zwischen Moos und Laub hin- kriechen. Sie sind verbildete Fruchtkörper von Marasmius androsaceus (L.). Aehnliche Rhizomorphen bildet Marasmius Rotula (Scop) bei Abschluss vom Licht, sie sind nur dicker, selten verzweigt und stehen oft in dichten Bündeln zusammen. Ich besitze Exemplare, in denen die starren Fäden zu Hunderten in einem Büschel zusammen stehen; einzelne tragen steeknadelkopfähnliche Hütchen. Hierher gehören wohl manche der haarförmigen, schwärzlichen Rhizomorphen in Bergwerken. Als durch den Lichtmangel bedingte Vegetationsform wird ge- wöhnlich auch die Ozoniumform aufgeführt, dichte, plüschartige Ueber- züge, aus starren, lebhaft braun oder rothgelb gefärbten Hyphenbündeln bestehend. Ich erwähne hier die als Byssus fulva L., Ozonium auricomum Link, O0. (Dematium) stuposum (Pers.) bekannte Form, von welcher schon A. v. Humboldt und Persoon verschiedene Gruben in Sachsen und Böhmen als Standorte angaben (Humb. mit dem Zusatze: sub dio nunguam legi), und welches in Breslau in einem lichtlosen Steinkohlenkeller jedes Jahr die Wand in weiter Strecke überzieht. Mindestens ganz ähnliche Formen kommen übrigens auch in Wäldern an gefällten Stämmen, in Gewächshäusern, in welchen das Licht keineswegs ausgeschlossen ist, vor. Ich will hier nur erwähnen, dass sich aus diesen Ozonium-Formen zumeist ein Coprinus entwickelt, der als C. radians (Desm.) Fr. bestimmt werden kann. Uebrigens bilden vielleicht mehrere Coprinus-Arten, z. B. auch C. domesticus Pers., solche Ozonien. In dem Palmenhause des Berliner botanischen Gartens sah ich aus einem ganz ähnlichen Ozonium in Menge einen Pilz erwachsen, den ich als Coprinarius disseminatus Pers. bestimmte. Die stärkste Bildungshemmung durch den Einfluss der Licht- entziehung zeigt sich in den Gestaltungen der strahligen Schimmel- - bildungen, welche die älteren Botaniker unter dem Gattungsnamen Byssus vereinigten und aus denen sie zahlreiche Arten bildeten. Viele dieser Formen gehören in den Entwickelungskreis von Merulius lacrimans, der in lichtlosen Kellern und Gruben iu den mannichfachsten Formen auf- tritt, nicht blos an den Hölzern (Lagerbalken, Zimmerhölzern), sondern auch auf Mauern und Steine übergeht. In den lichtlosen Räumen kommt der Pilz nie zur Fruchtbildung; ich habe ihn bis jetzt in Gruben noch nicht fructifieirend gefunden; dagegen giebt Hoffmann (Taf. XVI, S. 25) unter dem Namen Gymnoderma favosum die sehr deutliche Abbildung und Beschreibung des fructifieirenden Pilzes, die er in alten Gruben ge- funden. Auch in den Kellern bildet er sehr selten Sporenlager, ich 294 Jahres - Bericht habe indessen in einem hiesigen Weinkeller an einer Stelle, die nur sehr spärlich von einem kleinen Fenster Licht erhielt, auf dem Mauer- werke gut ausgebildete Fruchtlager angetroffen. Während sich bei den bisher betrachteten Pilzen in ausgesprochener Weise der Einfluss des Lichtausschlusses auf die Vegetation, besonders auf die Fruchtbildung äusserte, tritt dieselbe bei anderen Pilzarten weniger stark hervor, bleibt aber immer noch recht deutlich zu erkennen, So nehmen manche Polyporus-, Lenzites und Stereum-Arten ein verändertes Wachsthum an, es kann aber auch bei völliger Dunkelheit bei ihnen zur Ausbildung vollkommener Hymenen und Sporen kommen. Einige Beispiele der Art sollen im nächsten Abschnitte aufgeführt werden. Eine Anzahl grösserer Pilze kann aber auch bei vollständigem Ausschluss von Beleuchtung zu ganz normaler Entwickelung gelangen. Ein allbekanntes Beispiel hierfür ist der gewöhnliche Champisnon, Psalliota campestris (L.), dessen Culturen ja in den dunkelsten Kellern sedeihen und jetzt auch in verlassenen Schachten oberschlesischer Gruben angelegt worden sind. Weniger bekannt ist wohl noch das spontane Vorkommen dieses Pilzes in Kellern. In einem tiefen, lichtlosen Weinlagerkeller in Breslau brachen an einer bestimmten Stelle des Mauerwerkes mehrere Jahre hindurch dann und wann Bündel von 5 bis 6 Hut-Pilzen hervor, die sich als grosse Exemplare des echten Cham- pignons erwiesen, In dem ebenfalls lichtlosen Keller eines hiesigen Droguengeschäftes sprossten ebenfalls jährlich Bündel von Champignons an einer Stelle der Mauer heraus und zwar in riesigen Exemplaren. Der Hut des gröstsen derselben, den ich Juni 1884 erhielt, hatte 21 cm Durchmesser, der Stiel war 22 cm lang und am verdiekten Grunde 5 em diek, die Lamellen 2 em breit. Ueber dem ersten Keller hatte sich, jedoch noch durch einen darüberliegenden Keller getrennt, ein Pferdestall be- (unden, was vielleicht von Einfluss auf die Entstehung der Pilze war. Von den Hymenomyceten, welche in Gruben ihre volle Entwickelung erlangen, sollen in den folgenden Abschnitten einige besprochen werden. lüs geht aus diesen Beispielen wenigstens hervor, dass der Einfluss des Lichtes auf die einzelnen Pilze sehr verschieden ist und daher für jede Species besonders untersucht werden muss. V. Die Pilzvegetation in der Hoymgrube bei Czernitz. Im Spätherbst dieses Jahres hatte ich Gelegenheit, bei einem Be- suche der Hoymgrube bei Czernitz, Kreis Rybnik, das Wachsthum der Grubenpilze etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Aus derselben Grube hatte ich durch die freundliche Vermittelung des Herrn Guts- besitzers R, Fritze schon früher mehrere Sendungen von Grubenpilzen erhalten, so dass ich über die dort vorkommenden Formen ziemlich genau orientirt war, - i der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 395 Die Hoymgrube gehört zu den älteren Kohlengruben Oberschlesiens. Sie enthält Strecken, die seit längerer Zeit abgebaut sind und nur noch zur Communication benutzt werden; an dem alten Holzwerke dieser Stollen ist besonders reichliche Pilzvegetation vorhanden. Die tiefsten Stollen sind 150 m tief, zu denen wir auf der Förderschale hinabfuhren, in etwa der halben Tiefe ziehen andere Stollen hin, die ebenfalls abge- sucht wurden. Es mag sogleich bemerkt werden, dass die Tiefe keinen Einfluss auf die Art der Vegetation zu haben schien; ebenso konnte ich aus den in verschiedenen Jahreszeiten erhaltenen Proben schliessen, dass sie das ganze Jahr hindurch ziemlich gleichartig zu sein scheint, Ueberall reichlich fanden sich die zarten Schimmelvegetationen, die als Byssus subterranea Scop., B. floccosa Schreb. u. s. w. bezeichnet werden, sehr zarte kugelige Gebilde bis zu 15 cm im Durchmesser, aus strahligen, zarten schneeweissen Fäden gebildet, von Wasser durch- setzt, beim Ablösen sogleich zusammenfallend. Das Wasser sammelt sich bei diesen Ballen oft in dicken Tropfen an, welche die Fäden aus- einander drängen, beim Eintrocknen entstehen dann aus ihnen knollen- artige Gebilde, von weiten Höhlungen wie Bienenwaben durchsetzt, wodurch das Ganze fast das Ansehen eines Polyporus erreicht. An den Seitenwänden der alten Stollen fand sich ein ziegelrother, an den Rän- deın weissflockiger Schimmel, welcher mit dem rothen Maueraussatz, der auch in den lichtlosen Kellern häufig ist, identisch ist. Ich glaube, dass diese Formen zu Merulius lacrimans gehören, dessen verschieden- artige, strang- und hautartige Formen ebenfalls in grosser Mannichfaltigkeit auftraten. Fructification zeigte sich nicht, dagegen fand sich in dem Förderschachte, der doch einigermassen dem Lichte Zutritt gewährt, ein gut entwickeltes Exemplar von Merulius tremellosus. Rhizomorpha-Formen fanden sich sehr reichlich vor. Die inter- essanteste derselben wuchs in den Rinnsalen des tiefen Stollens, in welchen die Grubenwasser abfliessen. Sie bildet zusammenhängende bis 2 mm dicke, in Abständen von 5—10 cm mit wirtelig oder büschelig gestellten Aesten besetzte Strängen, die sich in Massen Hunderte von Metern fortzogen. Die büscheligen Aeste wurzelten in die Unterlage ein, und erschweren dadurch das Loslösen des Pilzes, doch gelang es leicht Stücke von 10 m Länge herauszunehmen. Die Stränge sind ziem- lich zähe, mit schwärzlicher glatter Rinde bekleidet, an den freien Enden kastanienbraun und an der Spitze gelblich weiss. Diese Form ist dieselbe, welche Hoffmann (l. e. Taf. XVII, Fig. 2, $. 34) als Rhizomorpha canalicularis beschreibt und abbildet. Er sagt, dass sie in den Kanälen der Clausthaler Gruben oft in erschreckenden Massen vorkommt und den Abfluss des Wassers verhindert. An den Zimmerhölzern, manchmal von den Balken in verzweigten Strängen herabhängend, manchmal auch auf ihnen hinziehend, fand sich 296 Jahres - Bericht sehr reichlieh Rhiz. subterranea Pers. Ein Leuchten bemerkte ich bei ihnen nicht, auch die Bergleute haben es hier nicht gesehen. Vielleicht sind örtliehe Einflüsse oder die speeifischen Verschiedenheiten der Pilze für das Zustandekommen der Erscheinung massgebend. Bekanntlich leuchten die aus Sporen des Armillaria mellea gezogenen Rhizomorphen sehr deutlich; Göppert und Beinert fanden in einem Stollen bei Char- lottenbrunn das Leuchten von Rhizomorphen so stark, dass sie eine orossgedruckte Bergmannsbibel bei diesem Scheine ohne alle Schwierig- keit lesen konnten. Eine sehr zierliche Rhizomorpha hing an einer Stelle des alten Stollens von den Querbalken der Decke herab. Sie bildete Fäden von 5 bis 6 cm Länge, am Grunde etwa 1 mm dick, braun, nach dem Ende zu fein vertheilt, farblos. Die Fäden standen reihenweise dicht neben- einander und waren mit Wassertropfen über und über besetzt, so dass bei dem Schein des Grubenlichtes die ganze Franse funkelte und glänzte wie eine Schmuckkette von Edelsteinen. Eine andere Form bot das Bild eines Gewirres langer, steifer schwärzlicher Haare. An einem Ende eines solchen fand sich ein kleines, kegelförmiges Agaricus-Köpfchen, ähnlich wie bei den erwähnten Rhizo- morphen von Marasmius Rotula. | An einigen Balken fand ich Stereum sanguinolentum (Alb. et Schw.) reichlich entwickelt, und wie sich bei der Untersuchung zeigte, mit gut ausgebildeten Sporen. Der Pilz gehört zu den Arten, welche in ihrem Wachsthum durch die Dunkelheit zum Theil erheblich modifieirt werden. Die (lach ausgebreiteten Lager oder halbirten Hüte waren selten, meist war der ganze Fruchtträger in eine grössere Zahl korallenartige, in verbreiterte sezackte Kämme auslaufende Aeste aufgelöst, die von den Balken herab- hingen. Die blutrothe Färbung, welche die Pilze bei Verletzung an- nahmen, sicherten die Bestimmung. Coniopkora puteanea (Schum.), ein in dunklen Kellern öfter vor- kommender Pilz, fand sich einigemal in einer etwas abweichenden l"orm. Auf der Hymenialsehicht erhoben sich grosse Höcker, die zum Theil wieder zusammenflossen und dadurch Warzen und Falten bildeten, die den Pilz fast unkenntlich und dem Merulius lacrimans ähnlich machten, dem er auch durch Grösse und Färbung der Sporen nahe steht. Auch Lensiltes sepiaria (Wulff) bildete an dem Holzwerke der tiefsten Schachte zum Theil noch regelmässige Fruchtlager, zeigte aber mannigfache monströse Formen. Diese zeigen sich einerseits in der abnormen Ausbildung der Kruchtkörper, die bald als kleine, mit wenigen Lamellen versehene Höcker aus der sterilen Masse vorragen, bald als langgestielte, fücher- oder slockenförmige Gebilde erscheinen, bald auf der Unterseite mit weiten ausgezackten Poren besetzt sind. Mehr noch zeigt sich die Umbildung darin, dass der Pilz weitverbreitete, dunkel- r } der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 997 braune, sterile Massen bildet, die ausserordentlich leicht und locker ver- webt sind, in ihrem Ansehen präparirtem Feuerschwamme sehr ähneln und, ausgetrocknet wie dieser, beim Entzünden vollständig verglimmen. Diese sterilen Massen bilden theils weitverbreitete flache Lager, theils dicke Knollen, theils korallenartige, oft verzweigte Stränge. Sehr reichlich fanden sich weisse, halbkugelige Gebilde, die die Grösse eines Apfels erreichten; sie sind von lockerem Gefüge, und an ihrer Oberfläche überall mit Spitzchen oder kleinen Warzen besetzt, die sich hier und da in korallenartige Auswüchse gestalten, in welche manchmal die ganze Pilzmasse umgewandelt ist. Sehr oft sind diese Knollen durch flache Lager von gleicher Substanz verbunden, wodurch bis 0,5 Meter lange Polster gebildet werden. Diese Formen sind früher schon öfter beschrieben worden, von Scopoli als Fungus tuberosus, von Humboldt als Boletus botryoeides, von Hoffmann als Poria echinata (Taf. VII und XI, 1. 2. S. 21). An den flachen Lagern finden sich sehr häufig unvollkommene, zuweilen aber auch gut ausgebildete, sporentragende Röhren. In der völligen, Ausbildung erscheint der Pila dem Polyporus vaporarius ähnlich. Aehnliche aber viel festere Knollen, schmutzigweisser Farbe, manch- mal auf der ganzen Oberfläche glatt, manchmal nach oben in einen braunen höckerigen Rand übergehend, sind Missbildungen von Polyporus pinicola Fr. Ich fand in den tiefen Stollen einige kleine Exemplare, die unverkennbar das Bild dieses Pilzes boten. Hoffmann bildet Taf. IX und X diesen Pilz, als Poria scutata in leichter, Taf. XII als Poria encephalum in stärkerer Umwandlung ab. Andere Polyporus-Arten hatten weniger starke Metamorphosen in der Dunkelheit erlitten. Feste, flache, weisse Lager, fast ganz aus sehr feinen Poren bestehend, bestimmte ich als Polyporus Medulla panis (Pers.). Weisse, diekere Polster mit groben Poren waren durch die blaue Ver- färbung bei Berührung als Pol. caesius Schrad. characterisirt. — P. albidus Trog trat häufig in einer sehr zierlichen Gestalt auf, in dünnen, flachen, fast kreis- oder halbkreisförmigen Flächen, hinten in einen kurzen Stiel zusammengezogen, auf der Unterseite mit sehr feinen, kurzen, weissen Röhren besetzt, die regelmässige Sporen führten. Von Agaricineen fanden sich einzelne Formen, welche in der Dunkel- heit zu gar keiner oder nur sehr verkümmerter Ausbildung von Frucht- körpern gelangten. Ich rechne hierher, abgesehen von den schon er- wähnten Rhizomorphen, zunächst hornartige Gebilde, welche in ihrer Structur ganz den oben erwähnten Monstrositäten von Lentinus-Arten Slichen. Vielfach fanden sich auch Formen, die deutlich einen ver- kümmerten Agaricus verriethen. Stiele von 6—8 em Länge, unten 9—6 cm dick, aus regelmässig parallel gelagerten Pilzhyphen bestehend, senkrecht von dem Gebälke herabhängend, trugen an ihren Enden ge- 298 Jahres - Bericht schlossene, kugelige Hütchen von etwa 7—8 mm Dicke; Lamellen waren nicht ausgebildet. Hut und Stiel hatten hell gelbbraune Farbe. Es er- scheint mir noch unsicher, zu welchem Pilze diese Monstrosität gehört, vielleicht zu einer Flammula- oder Hypholoma-Art (Hyph. fasciculare. Zu den Agaricineen, welche an den finstersten Stellen eine grosse Ueppigkeit der Entwickelung zeigten, gehörte ein äusserst veränderlicher, nicht fächerförmig halbirter Pilz, den ich mit Agaricus acheruntius Humb,. identifieiren und über den ich in dem folgenden Artikel einige Be- merkungen zusammenstellen will; er soll daher hier nur kurz er- wähnt sein. Reichlich fand sicb auch an dem Gebälk ein kleiner Coprinus. Die etwa 1—1,5 cm langen Hüte desselben hingen bis zu ihrer völligen Aus- bildung senkrecht herab. Wenn der Stiel sich streckt, so krümmt er sich im Bogen anfwärts, so dass der Hut aufrecht zu stehen kommt. Die Species-Bezeichnung lasse ich dahingestellt. Wahrscheinlich ist es dieselbe Art, welche Humboldt als Agaricus petasiformis bezeichnet. — Neben den entwickelten Pilzen fanden sich öfter zerflossene Hüte und Sporen, die in der für Coprinus characteristischen Weise gekeimt waren und schon verzweigte Keimschläuche getrieben hatten. Es ist daraus zu schliessen, dass die Pilze sich in den Gruben durch Keimung der Sporen an Ort und Stelle fortpflanzen. Ebenfalls häufig wuchs auf den Balken der alten Schachte ein äusserst zierlicher Pilz, dessen Form ich mich nicht erinnern kann, am Lichte gesehen zu haben. Der Stiel ist 6-8 em lang, kaum 1 cm dick, glatt, am Grunde mit striegelig-strahligen Haaren besetzt, rein weiss, oben oft gelb; er steht von der Unterlage grade ab und krümmt sich dann im Bogen aufwärts. Der Hut ist halbkugelig-glockig, 1—1,5 cm breit, reinweiss, glatt, sehr zart. Die Lamellen stehen weitläufig, sind schmal und laufen etwas am Stiele herab. Die Sporen sind farblos. Annühernd passt auf ihn die Beschreibung von Agaricus trichopus Scop bei Humboldt und Omphalia stellata Fr. An den Deckengebälken fand ich auch einige Exemplare eines sehr eigenartigen Pilzes, den ich als Ceriomyces trabeus bezeichnen will. Er hat im frischen Zustande eine etwa wachsweiche Consistenz und gelb- bräunliche Färbung. Er erscheint aussen aus fast kugeligen Körpern zusammengesetzt, der ganze Pilz erreicht 2—6, die einzelnen Knollen bis 1 em Durehmesser, die Oberfläche ist glatt. Auf dem Durchschnitt zeigt sich das Innere durchsetzt von gewundenen Gängen und Höhlungen. Die Grundsubstanz besteht aus ziemlich dicken Hyphen, die an der Oberfläche der Gänge dureh dünnere Aeste ein Hymenium bilden. An den Enden der Aeste werden elliptische oder eiförmige, farblose ‘—)9 Mik, lange, 5—6 dicke Sporen abgeschnürt. Eine ähnliche Art, auf Waldboden wachsend, hat Saccardo als Ceriomyces terrestris e ne PR b der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 299 beschrieben. Aus Schlesien ist mir diese Form noch nicht bekannt geworden. Von den Schimmelpilzen, welche gewiss reichlich auf den Gruben- hölzern vorkommen, habe ich wenigstens einige untersuchen können. Mucor habe ich nicht gefunden. Penicilium zeigte sich in einer braun- sefärbten (braunsporigen), im Uebrigen dem P, crustaceum gleichender Form als Ueberzug von Balken. Von Helminthosporium fand ich mehrere verschiedene Formen. Ein schwarzer, wergartiger Schimmelüberzug erschien mir auf den ersten Anblick wie Rhacodium cellare, erwies sich aber bei der Untersuchung sehr deutlich davon verschieden, da er sehr reichliche zweitheilige Sporen bildet. Meine Aufmerksamkeit richtete sich auch darauf, das in einer der früheren Bemerkungen besprochene Erebonema aufzufinden. Scehleim- überzüge in der Art, wie sie die Wände der tiefen Breslauer Keller oft bekleiden, fand ich in der Hoymgrube nicht, doch traten an einzelnen Stellen dünnere schwärzliche Schleimmassen an den Stollenwänden auf. Dieselben bestanden grösstentheils aus denselben, von weiten Gallert- hüllen umzogenen Coccen, welche sich in dem Kellerschleim vorfinden, und welche ich als Leucocystis bezeichnet habe, Daneben enthielt der Schleim noch mehrere andere Bacterienarten eingebettet, namentlich grössere Bacillen. — Später habe ich aus der Ruben-Grube bei Neurode eine den Stollenwänden anhaftende, fast farblose Schleimmasse erhalten, welche vollkommen rein, nur aus Leucocystis gebildet war. Die völlige Uebereinstimmung dieses Schizophyten mit dem früheren Erebonema dürfte hiernach auch hinsichtlich des Vorkommens in Gruben festgestellt sein. — Eine andere Schleimmasse quoll an einzelnen Stellen aus den Seiten- rändern der Stollen vor. Sie bildete ochergelbe Flüsse von schleimiger Beschaffenheit, die sich wie ein Quell in der Länge von 1 m und mehr ergossen und unten in schleimige Lager ausbreiteten. Der Schleim war überall erfüllt von cylindrischen, farblosen, etwa 2 Mik. dieken, meist bogig gekrümmten Fäden, die von deutlichen, meist ochergelb gefärbten Scheiden umgeben waren. Sie sind als Leptothrix achracea Kütz. zu bestimmen. — In einem ganz ähnlichen Ockerschleime aus der schon erwähnten Ruben-Grube fand sich eine andere Schizophytenform, welche als viel zartere, aus spindelförmigen rostbraunen Gliedern gebildete Fäden erschienen. Sie stellte die Form dar, welche Ehrenberg als Gallionella ferruginea bezeichnet hat. Durch Zusatz von Salzsäure löste sich der Ocker auf, es zeigte sich, dass die spindelförmige Gestalt der Glieder nur durch die Ockerinerustation gebildet worden war, während sehr dünne, einem kleineren Baecillus gleichende Stäbchen zurückblieben. Ob die beiden Formen in den Entwickelungskreis desselben Organismus gehören (wie z. B. von C. Mittenheiner behauptet ist), erscheint mir 300 Jahres-B ericht noch unentschieden. Dass sie von Einfluss auf die Ausscheidung der Eisensalze sind, dürfte nach dem massenhaften und constanten Vorkommen in diesen Ockerflüssen wohl nicht zu bezweifeln sein. VI. Agaricus acheruntius, Alexander v. Humboldt stellt in seiner Flora fribergensis ($. 73) einen Agarieus acherunlius auf, den er im Harz in mehreren Gruben und in Schlesien in den Kohlengruben zu Siemianowitz gefunden. Spätere Autoren haben diese Species nicht mehr aufgenommen, namentlich ist sie auch, wie überhaupt alle Grubenpilze, von Fries nicht erwähnt. Die freilich kurze, aber nicht undeutliche Beschreibung bei Humboldt lässt erkennen, dass er einen dünnflüssigen, stiellosen, seitlich dem Ge- bälk angewachsenen, bis 3 Zoll breiten Pilz mit zartfilziger weisser Oberfläche, welligen Rändern, anfangs weissen, später gelben, weitläufig sestellten und nach der Ansatzstelle zusammenlaufenden Lamellen vor sich hatte. Bei meinem Besuche der Hoymgrube fand ich bald, nament- lieh in den alten verlassenen Stollen an Thüren und Balkenwerk, in reichster Entwickelung einen Pilz, auf den vollkommen die obige Be- schreibung passte. Ich hatte ihn, wie ich bei späterem Vergleiche fand, schon aus verschiedenen Gruben Schlesiens erhalten, und er hat, sowohl durch sein eigenthümliches Wachsthum als die Art seines Vorkommens, die Aufmerksamkeit vieler Mykologen erregt. Fries beschreibt ihn als Paxillus panuoides und führt eine grosse Anzahl von Synonymen an: Agaricus eroceolamellatus Zetell., Merulius lamellosus Sow., Agaricus lamell- rugis DC., Merulius erispus Turpin, Cantharellus Dutrochetii Mont., Gomphus pezizoides Pers., die sich zum Theil auf eigenthümliche Wachsthums- formen des Pilzes beziehen. Von allen diesen Namen ist der Humboldt’sche der älteste, hat daher als Speeciesbezeichnung die Priorität. In frischem und bestentwiekeltem Zustande stellt er das Bild dar, welches Humboldt vor Augen hatte; er bildet flachgewölbte, fast kreis- lörmige oder nierenförmige Hüte, die in mehr oder weniger dichten Gruppen horizontal von der Unterlage abstehen, an dieser mit einer schmalen Basis, die meist in einen kurzen Stiel zusammengezogen ist, an- geheftet. Die Oberseite ist weichfilzig, bei den frischen Pilzen rein weiss, wird aber sehr bald gelblich, zuletzt bräunlichgelb, oft färbt sich der Filz wie bei manchen Panus-Arten, z. B. P, torulosus, P. rudis, violett. Der Rand ist dünn, manchmal wellig verbogen, seltener gelappi. Die Lamellen sind schmal, anfangs weisslich, später gelb, sie gehen immer strahlenförmig von einem Centrum, welches bei den gut entwickelten Kxemplaren nahe dem Ansatze zu liegt, nach der Peripherie aus, sind (ast faltenfürmig dick, weitläufig gestellt, vielfach wellig verbogen und der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 301 in ihrem Verlaufe mehrfach dichotom verzweigt. Von den Seiten gehen nach dem Grunde leistenartige Vorragungen herab, die sich zwischen den Lamellen zu Maschen verbinden, so dass das Fruchtlager in der That die Mitte hält zwischen einem Merukus und einer Agaricine. Das Sporenpulver ist ocherbraun, die Sporen sind elliptisch, meist 5—6 Mik. lang, 5—4 breit, die Membran glatt, sehr hellgelblich, fest. — Von der regelmässigen, fast fächerförmigen Gestalt kommen mannigfache Ab- _ weichungen vor. Die auffallendsten sind die vollständig kreisförmigen Formen, die in der Mitte angeheftet sind, auf der Unterseite das vom Centrum gleichmässig ausstrahlende Hymenium tragend. Solche Formen sind entweder fest aufsitzeud oder mehr oder weniger lang gestielt, glocken- oder trichterförmig herabhängend. In den ersten Anfängen, die ich auf Cultur von Grubenhölzern auftreten und sich entwickeln sah, bildet der Pilz einen zottigen, fast kugligen Ballen, der sich in der Mitte öffnet und dann die Gestalt einer weissen weichzottigen, innen glatten, gelb- lichen Peziza annimmt. Auf dieser glatten Hymenialfläche erheben sich vom Centrum her strahlig die faltigen Lamellen, durch einseitiges Wachs- thum der dem Substrat abgewandten Seite entsteht sodann die fächel- förmige Form. Höchst eigenthümlich ist die Art des Vorkommens des Pilzes. ' Fries giebt an, dass er an Kiefernholz, sowohl in Wäldern als in Ge- ‚ bäuden, vorkomme. In der That ist er in Wäldern anzutreffen, aber wie ‚es scheint nur selten. Ich selbst habe ihn nur in wenigen Exemplaren ‚in Wäldern bei Falkenberg in Oberschlesien gefunden. Er bildete ‚ dort am Grunde von Kieferstämmen aus mehreren übereinander wachsen- den Exemplaren gebildete Rasen. — Die meisten Autoren geben an, dass sie ihn in Gebäuden gefunden haben. So erhielt Sowerby schöne Exemplare seines Merulius lamellosus, die in einem Keller auf einem | alten Kasten gewachsen waren, Letellier fand ihn mehrere Jahre hinter- ‚ emander auf dem Gesims eines feuchten Saales, Berkeley giebt als ' Standort Keller und Sägemehl an; in grosser Menge wurde er in einer | Sägemühle in Coed Coch 1858 und 1859 gefunden. Auch Fries ‚ führt im Elench. fung. sein häufiges Vorkommen in Kellern an. Ich habe ‚ihn in einem Warmhause des Breslauer botanischen Gartens angetroffen, ‚und zwar hier an einem Standorte, der den lichtlosen Gruben am | nächsten kam, an der inneren Seite einer Doppelthür. — In Berg- werken scheint er seine weiteste Verbreitung zu finden. Ich habe ihn wiederholt aus Gruben der Gebiete von Waldenburg, Neurode, Beuthen, Zabrze, Rybnik, kurz von überallher, von wo ich meine Grubenpilze erhielt, reichlich geliefert bekommen, Die Angabe von Humboldt habe ich ‚schon angeführt. Auch Hoffmann bildet ihn unter der Bezeichnung 'Agaricus Concha (Taf. VIL, Fig. 3, $. 32) ab und sagt, dass er an faulem ‚Grubenholze vorkommt. 302 Jahres - Bericht In der Hoymgrube fand er sich wie erwähnt in grösster Fülle in den verlassenen Stollen, in welche seit sehr langer Zeit kein neues Zimmerholz eingeführt worden ist. Humboldt fand ihn ebenfalls in einem lange verlassenen Stollen, der durch Gesteinmassen wohl hundert Jahre geschlossen gewesen und neuerdings geöffnet worden war. Alle diese Thatsachen lassen schliessen, dass unser Paxillus ache- runtius (Humboldt) ein Pilz ist, der sich in ähnlicher Weise wie Merulius lacrimans an das Leben in Culturstätten gewöhnt hat, und in den Gruben- bauten mit ihrer gleichmässigen Wärme und Feuchtigkeit die besten Bedingungen für seine Existenz findet. Hier entwickelt er sich in srösster Ueppigkeit und erhält sich jahraus jahrein wohl durch Aussaat der Sporen und pflanzt sich selbstständig fort, wie das Vorkommen in den lange verlassenen Stollen zeigt. Wir können daher diesen Pilz als einen ganz specifischen Grubenpilz bezeichnen. Vortragender legt in sehr zahlreichen Exemplaren die von ihm in der Hoymgrube gefundenen Pilze vor. Auch aus den Gruben zu Öster- wald im Harz sind durch Herrn Bergassessor Dr. G. Pringsheim ver- schiedene Pilze an das Pflanzenphysiologische Institut eingesendet worden. Schliesslich wurden noch riesenhafte Champignons (Agaricus campestris) demonstrirt, die in zwei Kellern der Albrechts- und Ohlauerstrasse zu Breslau gewachsen waren. In der neunten Sitzung vom 27. November wurde Heır Professor Cohn auf seinen Antrag von der Section ermächtigt, an den um die Erforschung der Algen, der Pflanzenanatomie und Paläonto- logie verdienten Professor G. Meneghini zu Pisa, den ältesten der lebenden Botaniker, aus Anlass seines am 14. December zu feiernden 90 jährigen Professoren-Jubiläums ein Gratulationsschreiben Namens der Section zu richten. Herr Professor Dr. Stenzel spricht über Bildungsabweichungen an der Frucht und im Samen der Eichel. Er legte, anschliessend an frühere Mittheilungen, eine Anzahl Eicheln (von Quercus pedunculata) vor, an denen er die wichtigeren von ihm bisher bei dieser Art beobachteten Samenformen erläuterte. Unter etwa 850 Eicheln, welche er der liebenswürdigen Aufmerksamkeit von Fräu- lein Meta Grunert, der Tochter des Försters Grunert zu Peiskerwitz bei Auras, verdankte, zeigten über 13°), bemerkenswerthe Abweichungen. Am häufigsten waren nur die Kotyledonen ungleich, zuweilen der kleinere nur halb so lang als der grössere, ja bei einer später aus dem Peiskerwitzer Forst erhaltenen Eichel war derselbe nur etwa den dritten Theil so lang und dabei so schmal, dass er gegenüber dem grossen, fast den ganzen Hohlraum der Eichel erfüllenden Kotyledo, —r der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 303 winzig zu nennen war. Häufig fand sich die schon fremdartigere Er- scheinung, dass das Würzelchen nicht an der Spitze des Samens lag, sondern seitlich in allen Abstufungen bis über die Mitte hinaufgerückt, wobei der Spalt zwischen den Kotyledonen meist schräg nach der gegen- überliegenden Seite, selten quer gerichtet war, Eine, bald nur seicht in das stumpfe Ende eindringende, bald tiefer, selbst bis unter die Mitte herabgehende Spaltung des einen Koty- ledo macht den Uebergang zu den nicht häufigen Eicheln mit 3 Koty- ledonen, bei denen das Würzelchen meist an der Spitze, zuweilen aber auch, wie bei dikotylen Samen, seitlich steht, und zu den seltenen mit 4 Kotyledonen. Andererseits waren mehrmals die beiden Kotyledonen bis zur halben Höhe oder bis ans Ende der Länge noch bis zur halben Breite verwachsen, so dass sie einen längsgefalteten Kotyledo darstellten. Drei der vorgelegten Eicheln zeigten das seltene Vorkommen von 2Keimlingen in einem Samen in sehr verschiedener Ausbildung, Eine grössere Zahl (etwas über 4°/,) enthielten 2 Samen, bald fast gleich gross und gleich ausgebildet, die beiden Würzelchen dicht neben einander, bald von verschiedener Grösse. Ist der schwächere Same viel kleiner, so liest er dem grösseren in Gestalt einer flachen Linse meist seitlich an; ganz kleine Samen, welche dann meist beim Abschälen an der Innenseite der Schale hängen bleiben, rücken nach dem stumpfen Ende der Eichel hin, das Würzelchen aber nach dem spitzen Ende gerichtet. Die kleinsten mögen kaum noch keimfähig sein und sehen allmählich in die ganz verkümmerten Reste der nicht zur Entwickelung gekommenen unter den 6 Eichen über, welche der Frucht- _ knoten zur Blüthezeit enthielt. Derselbe zeigt den Hut des seltenen Pilzes Strobilomyces strobilaceus, ‚, in Lehmwasser bei Charlottenbrunn gefunden. Herr Professor F. Cohn berichtet | über die Arbeiten der Commission für Erforschung der schlesischen Moore | im Jahre 1884. In der Sitzung der botanischen Section der Schlesischen Gesellschaft vom 27. November 1883 wurde auf Antrag des Secretairs der Section, Professor Dr. Ferd. Cohn, eine Commission zur Erforschung der schle- | sischen Moore erwählt. Die Commission constituirte sich am 22. De- | | cember 1883. Sie bestand aus den Herren: Prof. Dr. Ferd. Cohn als ‚Vorsitzenden, Geh. Rath Prof. Dr. Göppert, Prof. Dr. Körber, Prof. | Dr. Stenzel, Oberstabsarzt Dr. Schröter, Königl. Garten - Inspector ) ®8tein, Realschullehrer Limpricht, Herr R. von Uechtritz und Dr. Bidam als Schriftführer. 304 Jahres - Bericht Zur Theilnahme an den Exeursionen der Commission wurden ale Vertreter anderer Naturwissenschaften, insbesondere für Zoologie und Geologie, die Herren Bergmeister Dr. Kosmann, Assistent am minera- logischen Museum Dr. Gürich, Realschullehrer Dr. Kunisch und Dr. Haase beigezogen. Die Commission hat im Laufe des Jahres 1884 eine Anzahl Sitzungen gehalten und sich über die Methode schlüssig gemacht, nach welchen die Untersuchung der schlesischen Moore in Angriff genommen werden solle. Bei der weiten Ausdehnung des Untersuchungsgebietes kam man darin überein, dass im Jahre 1884 zunächst die Vorarbeiten durch Sammlung statistischer Notizen sowie der älteren Literatur erledigt und durch gemeinsame Excursionen eine Örientirung über die zu lösenden Aufgaben gewonnen werden solle. 1 Die Commission hatte die Freude, dass Geheimrath Professor Dr. Göppert sich an ihren Berathungen mit dem ihn auszeichnenden warmen Interesse bis zu seinen letzten Tagen betheiligte und derseliuee seine überaus werthvollen Rathschläge angedeihen liess. Durch den am 18. Mai 1884 erfolgten Tod des Herrn Geheimrath Göppert hat die Commission einen sehr schweren Verlust zu beklagen, An seiner Stelle ist der gegenwärtige Director des botanischen Gartens, Professor Dr. Engler, der Commission beigetreten. Durch die freundliche Vermittelung des Herrn Professor Blytt in Christiania, der sich um die Erforschung der norwegischen Moore grosse Verdienste erworben hat, und der auch unserem Unternehmen seine das- selbe in hohem Grade fördernden Rathschläge zu theil werden liess, be- 08 die Commission aus der Fabrik von Blunck in Christiania einen Torfbohrer, bestehend aus 12 je 1 Meter langen eisernen Gestängen, welche, an dem mit einer Kammer versehenen Bohrer angeschraubt, die Gewinnung von Proben aus jeder beliebigen Tiefe der Moore bis zum Grunde ermöglichen. Der norwegische Torfbohrer hat sich bei unseren Untersuchungen vollkommen bewährt und uns in den Stand gesetzt, die grösste "Tiefe mehrerer schlesischer Moore festzustellen und durch Ent- nahme von Proben aus den verschiedenen Tiefen Material zur Ermitte- lung ihrer löntstehungsgeschichte zu sammeln. Die erste gemeinsame Exeursion der Commission am 17. Mai 1884 galt der Untersuchung der Torfmoore zu Bruch und Nimkau, Kreis Neu- markt, Hierbei hatte sieh die Commission der freundlichen Unter- stützung der Herren Baron von & regory und Oberförster Freiherr von Lüttwitz zu erfreuen. Die zweite Excursion am 5. Juli, an welcher sich aueh mehrere Herren aus Liegnitz betheiligten, war dem sog. Krummteiehmoor bei Kunitz in der Nähe von Liegnitz gewidmet. B \ | | | | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 305 Während der Hundstagsferien unternahm Herr Realschullehrer Limpricht eine Untersuchung der Moore auf den Kämmen des Riesen- und Isergebirges unter gefälliger Unterstützung des gräfl. Güterdirectors Herrn Geheimrath Dr. Krätzig. Am 10. October 1884 wurde eine Excursion zur Untersuchung des Friedrichs- und Goldmoores zu Tillowitz in Oberschlesien vorgenommen, welcher Herr Graf Fr. v. Frankenberg in freundlichster Weise För- derung gewährte. Die von dem Königl. Garten-Inspector Herrn B. Stein vorbereitete Untersuchung der Moore im Heuscheuer-Gebirge musste wegen dessen Erkrankung auf das Jahr 1885 versChoben werden. Dagegen unternahm Herr Dr. Gürich, welcher gegenwärtig als Naturforscher die Expedition der Deutschen Afrikanischen Gesellschaft nach dem Benu& begleitet, auf Veranlassung der Fürstlich Pless’schen Güter-Direction unter Mitwirkung des Fürstlichen Oberförsters Herrn Strähler um Weihnachten 1884 eine Untersuchung der Torfmoore zu Ziskowo bei Czernikau, Provinz Posen, bei welcher ebenfalls der Torf- bohrer der Commission zur Verwendung kam. Ueber sämmtliche Excursionen und Untersuchungen sind Berichte eingeliefert worden, welche über die Verhältnisse der erforschten Moore Aufschlüsse gewähren und der später vorzunehmenden wissenschaftlichen Bearbeitung zu Grunde gelegt werden sollen. Für das Jahr 1885 ist die Fortsetzung unserer Untersuchungen in Aussicht genommen worden. Die Commission behält sich einen aus- führlichen Bericht über die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeiten nach Abschluss derselben vor. Herr Oberstabsarzt Dr. Schröter erstattete speciellen Bericht über die von den Herren Professor Engler, Cohn und ihm selbst am 10. October 1884 unternommene Excursion zur Untersuchung der Torf- moore bei Tillowitz OS. Er giebt eine Schilderung der dortigen, von der Steine dnrchflossenen, mit grossen Waldungen und vielen Teichen besetzten Reviere. Der jetzt abgebaute Torf Friedrichsglück erschien öde und wie verbrannt, mit oberflächlicher Effloresceenz von Alaun- und Gypskrystallen‘; in dem- selben fanden sich Granitgeschiebe, sowie ein sehr grosser Block von Conglomerat aus dem Culm bei Leobschütz, Im Torf stecken zahl- reiche Stämme; die oberflächliche Vegetation ist äusserst spärlich, auch sind bis jetzt alle neuen Anpflanzungen verdorben. Nordöstlich stösst das grosse, schon 1863 von Professor Cohn untersuchte fossile Diatomeen- lager an, hauptsächlich gebildet aus Navicula serians, die bis jetzt 1884. 20 306 Jahres-Bericht [9] in Schlesien und überhaupt in Deutschland noch nicht lebend gefunden worden ist.’) Ein weiterer Besuch galt dem zur Zeit stark ausgebeuteten Gold- moor bei Schiedlow, im Ansehen eines Seebeckens und ursprünglich ebenfalls mit Wald bedeckt, wovon die zahlreichen, zum Theil in drei Etagen übereinander stehenden Stämme Zeugniss ablegen. Jetzt trägt das Moor nur spärliche Sumpfvegetation. Auf beiden Mooren wurden an mehreren Stellen Bohrungen vor- genommen. Zum Schluss werden von Garten-Inspector Stein einige blühende Pflanzen aus dem botanischen Garten vorgezeigt. In der zehnten Sitzung vom 11. December hielt Professor G. Hieronyınus einen Vortrag über die klimatischen Verhältnisse der südlichen Theile von Süd-Amerika und ihre Flora. An mehreren Karten wird gezeigt und erörtert, dass die Jahres- isothermen an der Westküste Südamerikas sich auffallend weit gegen den Aequator zu erheben, eine Folge des Temperatur abkühlenden Ein- flusses der vom Südpol kommenden kalten Meeresströmungen. Der nördlichste Theil von Chile, die Wüste Atacama, ist bei fast constanten südlichen Winden ausserordentlich wasserarm, und weist in Folge dessen eine sehr spärliche Flora auf; der im Süden an diese grenzende, etwa zwischen dem 27. bis 34. Breitengrade liegende, von Grisebach als chilenisches Uebergangsgebiet bezeichnete Küstenstrich ist im Sommer bei meist südlichen Winden trocken, hat jedoch im Winter in Folge des hier zur Zeit stattfindenden Herabsteigens der vom Aequator kommenden warm-feuchten Luftströmung regelmässige Regen, die aber nicht be- sonders wasserreich sind, da die vom Norden kommende Luftströmung ziem- lich parallel dem Zuge der Cordilleren verläuft, und so nicht Gelegenheit hat, sich an diesen stark zu stossen und abzukühlen, die Vegetation besitzt! dementsprechend da, wo nicht künstliche Bewässerung durch Cor- dillerenbäche stattfindet, einen Xerophytencharakter. Im Süden schliesst ') Die Vermuthung lag nahe, dass Navicula serians von Tillowitz ein Reliet aus der Glacialzeit sei, das in der Gegenwart auf deutschem Gebiet ausgestorben \st, aber im arktischen Bezirk sich vielleicht lebend erhalten hat. Die bis jetzt bekannten Fundorte ergeben indess Folgendes: Navicula serians wurde zuerst von Bröbisson in der Normandie (Falaise) angegeben, dann von Smith aus England und Irland (fossil von den Hebriden). Der ausgezeichnete Bacillarienkenner Dr. Lager- ström in Stockholm theilte Herrn Prof. Blytt, dem ich meine obige Vermuthung angezeigt, mit, dass N. serians auch in Schweden (Behinge), Norwegen (Finn- marke), Grönland (forma minor und exilis) gefunden sei; die Fundorte in anderen Welttheilen sind wohl fraglich. Hiernach wäre N. serians gegenwärtig zwar nicht als arktische, aber doch als eine nordische Art anzusehen. F. Cohn. E der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 307 sich auf der Westküste Südamerikas an das chilenische Uebergangs- gebiet ein üppiges Vegetationsgebiet an, welches von den Pflanzen- geographen mit einem nicht besonders passenden Namen als das der antaretischen Wälder bezeichnet wird, und die westlichen Abdachungen der Cordilleren und die zahlreichen Inseln bis zum Cap Horn bedeckt, ‘ vielleicht auch an den Punkten, wo die Cordillere niedrig ist, auf deren ' Ostseite übertritt. Sein Vorhandensein ist in den in diesen Breiten ‘ vorherrschenden West- (besonders Nordwest-) Winden begründet, welche sich an den Cordilleren stossen und reichliche Wassermassen das ‘ ganze Jahr hindurch an deren Fuss und Westseite ablagern. Die hoch- | eordillere Xerophytenvegetation, welche durch ganz Südamerika ein und denselben allgemeinen Charakter aufweist, auf den bolivianischen und | peruanischen Hochebenen aber besonders ausgeprägt ist, betrachtet der ‘ Vortragende als ein eigenes Vegetationsgebiet, das der Punaformation, | das jedoch in innigsem Zusammenhange mit dem patagonischen Vege- ‚ tationsgebiet steht. Letzteres nimmt den grössten Theil der Ebene an ‚der Ostseite der Cordilleren von der Magelhanstrasse an bis in die ' Nähe des patagonischen Rio Negro ein und zeichnet sich durch- eine \ Xerophytenvegetation aus, die manche zahlreiche Elemente der nörd- liehen hochcordilleren Flora aufgenommen hat, ohne jedoch endemischer Formen zu entbehren; der Charakter derselben wird durch die nur sehr 'spärlichen und unregelmässig fallenden Sommerregen bedingt. An das | Vegetationsgebiet der patagonischen Ebene schliesst sich nordöstlich das \ Gebiet der argentinischen Grassteppen oder der Pampas an. Dasselbe ' umfasst die Provinzen Buenos-Aires, Santa F& und einen Theil von San | Luis und Cördoba und besitzt reichliche Sommer- und weniger wasser- ‚reiche Winterregen, deren Vertheilung aber sehr unregelmässig ist, weil kein Wald vorhanden ist, welcher dieselbe regel. Die Wasser- | massen empfangen die Pampas zweifellos vom atlantischen Ocean und | werden dieselben besonders durch einen nordöstlichen, an der Küste Brasiliens entlang strömenden, im Sommer wehenden, eillischen Wind ‚gebracht, der anscheinend nur ein durch das Hestlard abgeleiteter Süd- | ostpassat ist. | Im Westen des Pampasgebietes, welches nördlich bis an den 63. Längengrad (östl. Greenw.) heranreicht, südlich den 66. wohl nicht ‚überschreitet, schliesst sich an dasselbe ein Xerophytengebiet an, das der ‚ Vortragende als das der Espinale oder Espinarwaldungen benennt, von Grisebach nach einem daselbst vorkommenden Baum mit dem nicht be- sonders passenden Namen der Chanarsteppe belegt worden und von ‚demselben als Theil des Pampasgebietes betrachtet worden ist. Diese 'Waldungen zeichnen sich durch dorniges, struppiges Aussehen, niedrigen ‚Baumwuchs mit kleinen oder sehr fein zertheilten, wenig Schatten ‚gebenden Blättern aus. Dieses Gebiet reicht westlich bis an den Fuss 208 308 Jahres - Bericht .) der Cordilleren, im Süden bis in die Nähe des patagonischen Rio Negro, Im Norden wird es durch die Gebirge von Catamarca und Tucuman begrenzt und dringt nordöstlich bis tief in die Provinz Santiago vor, wo es erst am Rio Salado in das Nachbargebiet des Gran Chaco übergeht. Das Gebiet der Espinarwaldungen besitzt nicht reichliche Sommerregen, die stets bei Gewitterbildung fallen und auch periodisch ausbleiben können. Eingeschlossen in das Gebiet der Espinale befinden sich grössere Strecken von Salzwüsten, die sogenannten Salinen, mit spärlicher Halo- phytenvegetation. Im Norden der Argentinischen Republik, soweit er nicht Hochgebirge aufweist und von dem hochcordilleren Vegetationsgebiet eingenommen wird, findet sich ein subtropisches Vegetationsgebiet, welches den grössten Theil der Ebene und die unteren Abhänge der Gebirge in den Provinzen Tucuman, Salta, Jujui und Oran einnimmt, von da sich in die niederen Theile Boliviens erstreckt und mit dem brasilianischen sub- tropischen Vegetationsgebiet in enger Verbindung steht und als Theil desselben betrachtet werden kann. Die reichlichen Sommerregen, welche in den genannten Theilen der Argentinischen Republik und Boliviens fallen, beziehen ihre Wassermassen über Brasilien vom atlanti- schen Ocean und werden hier in Folge der abkühlenden Einwirkung der Cordilleren und deren Ausläufer auf die von Osten kommenden Winde niedergeschlagen. Dieses subtropische Gebiet steht mit dem ebenfalls sich an das brasilianische Gebiet anschliessenden Vegetationsgebiet Para- guay’s in fast direeter Verbindung, da die subtropische Vegetation an den den Gran Chaeo durchkreuzenden Flüssen herabsteigt. Der Gran Chaco selbst, ein noch wenig erforschtes, fast nur von wilden Eingeborenen bewohntes Terrain, scheint dem Vortragenden ein Uebergangsgebiet von dem subtropischen Vegetationsgebiet zu den Espinalen zu sein. Ebenfalls als Uebergangsgebiete, und zwar vom subtropischen Gebiet zu den Pampas, betrachtet Vortragender das der Republik Uruguay, und das von Lorentz als mesopotamisches Gebiet bezeichnete, welches die argen- tinische Provinz Entrerios und einen Theil von Corrientes einnimmt. Besonders letzteres enthält schon eine grössere Anzahl aus dem sub- tropischen Gebiet stammende Elemente, welche entlang den grossen Flüssen eingewandert sind. Vortragender legt darauf Photographien, Zeichnungen und eine grosse Anzahl von Pflanzen aus dem Gebiet der Espinarwaldungen vor, speciell von ihm in der Gegend von Cördoba in der Republik Argentina ge- sammelt, woselbst er 10 Jahre als Professor der Botanik an der dortigen Universität gewirkt hat, Schliesslich werden die von Herrn R. v. Uechtritz im Jahre 1884 gesammelten, für Schlesien neuen Phanerogamen vorgelegt, über welche derselbe nachstehenden Bericht eingesendet hat: der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 309 Resultate der Durchforschung der schlesischen Phanerogamenflora im Jahre 1884 zusammengestellt von R. von Vechtritz. A. Für das Gebiet neue Species und Varietäten. Thalietrum angustifolium Jacg. var. microcarpum Rupr. (fl. ingr.) Die Gestalt der Früchte, welche von manchen Autoren zur Unterscheidung des Th. angustifoium Jg. von Th. flavum L. verwerthet wird, was im Allgemeinen auch naturgemäss ist, varlirt nichtsdestoweniger bei der ersteren Art in gewissen Fällen. Bemerkenswerth erscheint eine um Breslau mehrfach (z. B. Brockau, Carlowitz ete.) beobachtete Form mit fast rundlichen, nicht zusammengedrückten, kurz gespitzten, um ein Dritttheil oder die Hälfte kleineren Früchten, die von der gewöhnlichen mit grösseren länglichen etwas zusammengedrückten deutlich verschieden ist und weitere Prüfung verdient. Unsere Pflanzen gehören zur Varietät sienophyllum W. et. Gr., während die Ruprecht’sche in der Blattform der Var. heterophylium entspricht. Evonymus europaea L. forma suberosa. Breslau: ein Strauch an einem Grabenrande hinter dem Brockauer Parke!! (Dr. Friedrich). Sterile Zweige vierkantig, + stark korkig-geflügelt, die Flügel nament- lich gegen den Grund oft diekkrustig, an die von Ulmus suberosa und Acer campestre erinnernd; auch auf den Flächen mit nicht selten sehr entwickelter Lenticellenbildung. — Ein Gegenstück zu der var, aptera Regel der ostasiatischen E. alata Thunbg., deren Typus korkis- geflügelte Zweige hat; doch tritt bei unserer Form die Korkbildung in weit entwickelterem Grade auf, als bei dieser überhaupt viel dünn- zweigigeren Art. — Uebrigens ist der Spindelbaum in Bezug auf Grösse, Textur und Gestalt der Blätter ziemlich veränderlich. — Vicia pannonica Jacg. Breslau: vereinzelt an Wegrändern hinter Kl.-Totschen! (Preiser); Ziegenhals: Chausseegraben beim Zoll- hause an der Zugmanteler Chaussee in zwei Exemplaren! (Richter). — 310 Jahres-Bericht Wahrscheinlich im Gebiete öfter mit ungarischem Getreide eingeschleppt, wie auch anderwärts in neuerer Zeit; einheimisch zunächst im südlichen Mähren, Nieder-Oesterreich und Nordwest-Ungarn. + V. grandiflora Scop. var. Kitaibeliana Koch (V. sordida W. et K.). Breslau: nicht häufig an grasigen Rainen des Sandhügels zwischen Kapsdorf und Mahlen, mit Scorzonera purpurea L. und Pulsatilla pratensis Mill! (Preiser.) — Wahrscheinlich ebenfalls mit ungarischem Getreide eingeschleppt. V. angustifolia Reich. f. amphicarpa (Dorthes). Diese früher nur aus dem Mittelmeergebiete bekannte und als eigene Art aufgefasste Form, welche Ascherson!') 1884 ausführlicher besprochen und zuerst für Mitteleuropa (Berlin, Braunschweig) nachgewiesen hat, unterscheidet sich vom Typus nur durch das Vorhandensein sehr kleiner unterirdischer kleistogamischer Blüthen. — Breslau: an der Strasse zwischen Scheitnig und Schwoitsch und am Schwoitscher Fuchsberge, an beiden Orten nur spärlich unter der gewöhnlichen; auch gehört ein schon 1864 in der Öhlauer Vorstadt gesammeltes Exemplar hierher. Jedenfalls weiter verbreitet. Lathyrus Nissolia L. var. liocarpus (L. gramineus Kerner), Breslau: auf einer trockenen Alluvialwiese bei Gr.-Grüneiche ziemlich zahlreich!! (Referendar Friedrich). In Gesellschaft von Thymus Chamaedrys, Potentilla silvestris, P. argentea, Stachys Betonica, Genista tinctoria, Galium boreale, verum, Agrimonia Eupatorium, Fragaria collina, Spiraea Filipendula, Trifolium montanum, Silaus, Daucus, Dianthus deltoides, Hieracium umbel- latum etc., zum Theil noch Anfangs Octeber in Blüthe. — Die von mir gesehenen Exemplare von Löwen und Teschen gehören zu der typischen Form mit bekleideten Hülsen. Succisa australis (Wulfen) Rechb. (S. inflexa (Kluk) C. Koch; Scabiosa repens Brign.). Liesnitz: in feuchtem Weidengebüsch des Mühl- graben-Inundationsgebietes bei Pfaffendorf! (Gerhardt.) — Von dem Ent- deeker schon seit reichlich 30 Jahren beobachtet, aber erst neuerlichst richtig erkannt. Diese zugleich für die Flora des deutschen Reiches neue Species, welche sich von $. pratensis Mnch. durch die dünnere verzweigte kriechende Grundachse, stärkere Verkahlung, reichlichere spreizendere Verzweigung, etwas kleinere lichter blaue, nach dem Ver- blühen verlängertere Köpfe und kahle, sehr kurze, stumpfzähnige äussere und abgerundete borstenlose innere Kelehe leicht unterscheidet, wurde in den Nachbarländern bisher nur in Polen und bei Rzesz6w in Galizien beobachtet, dann erst wieder in O.- und N.-Oesterreich, U.-Steiermark, Krain, Oberitalien, Dalmatien, Croatien und von hier durch Serbien, "IE. A (Ber, D. B. Ges. II, H. 5, p. 235 ff.) 1. scherson, Amphicarpie bei der einheimischen Vicia angustifolia R der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. sll Siebenbürgen, Ostungarn bis Volhynien.‘) — Zerstreut im östlichen Polen nördlich bis zur Narew (also vielleicht auch in Ostpreussen!), westlich bis Warschau, aber möglicherweise auch im nordwestlichen Landestheile, sowie im südlichen Posen und von dort nach Schlesien eintretend, also wohl noch an anderen Standorten im Gebiete aufzufinden. — Scabiosa eyanocephala Vest (Sylloge soc. Ratisb. II), auf welche mich mein belesener - Freund Junger zuerst aufmerksam machte, scheint nach der Beschreibung eine üppige Form der überhaupt etwas polymorphen S$. ausitralis mit grösseren Köpfen, strahlenden Randblüthen und kurzborstigem Innenkelche. Gnaphalium uliginosum L. var. G. pilulare Wahlenbg. f. limoselloides Uechtr. Breslau: auf feuchtem nacktem Uferschlamme der Oder und des benachbarten Inundationsgebietes sehr zerstreut und sporadisch, aber bisweilen in Menge unter anderen Formen, so beim Strauchwehr an der Oderseite der den Hafen begrenzenden Landzunge (1877 und 1884); unter der Villa zwischen Uferstrasse und dem Winter- "hafen zahlreich (1854), an der Oder hinter der Pumpstation am Zehndelberge (1878; 1884 vergebens aufgesucht) und bei Zedlitz. — Hierher G. uliginosum L. var. subnudum Uechtr. (Jahresb. d. schles. Ges. 1877), nicht Ascherson (nach Vergieich einer vom Autor mitgetheilten Probe seines Originalexemplares) und G. uliginosum ß pilulare Fiek (Fl. v. Schl.) ex p. — Die Beschreibung 1. ec. p. 76; zu bemerken ist noch, dass unsere Exemplare kleinköpfiger sind, als die Wahlenberg’sche Pflanze aus Lappland. (Cirsium palustre X acaule des Jahresberichtes für 1883 ist zu streichen ; das später vom Sammler vorgelegte Exemplar hat sich als eine Form des ©. canum X palustre Wimm. erwiesen.) Hieracium aurantiacum X Auricula (nicht F. Schz, Kerner!). Für diese Hybride möchte ich ein nur in einem Exemplare von G. Schneider 1883 auf Kulturwiesen um die Gränzbauden (vor Goders Baude) im Riesengebirge gefundenes Piloselloid halten, welches im Ganzen auch habituell den Eindruck der genannten Combination macht. — Stengel 23 cm hoch, schlank, aus kurz aufsteigendem Grunde aufrecht, zweiblättrig, mit zwei entwickelten Köpfen. Stolonen oberirdisch, schlank, nur gegen die Spitze reichlicher beblättert. Laubblätter verlängert, fast lanzettlich, etwas oberhalb der Mitte am breitesten (9—13 mm), mit etwas schrägem Spitzchen, in den ziemlich langen Stiel allmählich ver- schmälert, nicht oder nur ganz undeutlich gezähnelt, schwach glauceseirend ; die der Läufer denen der H. Auricula ähnlich, aber zarter, klein und stumpf. Unteres Stengelblatt nahe der Basis des Stengels, den grund- ‚ständigen ähnlich, das obere etwa 8 cm unter der Gabelung, viel kürzer, _ breit lanzettlich, eine verkümmerte, einfach-gabelige Inflorescenz stützend !) Ich besitze übrigens auch ein Exemplar von Montluel bei Lyon (leg. Gandoger). 319 Jahres - Bericht (daher richtiger als laubiges Deckblatt aufzufassen). Kopfstiele, 6—9 mm, etwas schlank. Hülle 8—9 mm lang, mit abgerundeter Basis, ihre Blätter breit, stumpf; die äusseren schwärzlich, mit dunkler grünem Rande, die inneren mit schwarzem Rückenstreif, sonst lichtgrün, weiss berandet, die innersten bisweilen fast farblos und kahl. Blumen zwei- farbig, die randständigen aussen sehr breit trüb-blassroth, seltner wie die Zähne des Saumes rein röthlich, vor dem Aufblühen dunkler roth; die inneren gelb. Griffel sattgelb, zuletzt mit einem Stich ins Orange, — Längere Haare weisslich, am Stengel und an den Stolonen in mässiger Zahl, gegen den Grund reichlicher, an den Kopfstielen und namentlich an den Hüllen spärlich, auf der Blattoberfläche sehr spärlich, auf der Unterseite und am Rande reichlicher. Drüsenbekleidung der Hüllen nur am Grunde stärker, die der Kopfstiele sehr entwickelt, ebenso an der Stengelspitze, aber bis zum obersten Blatte rasch abnehmend, jedoch bis etwa zur Mitte noch deutlich vorhanden. Sternhaare am Grunde der Hülle, an den Kopfstielen und am oberen Theile des Stengels ziemlich reichlich, wegen der zahlreichen schwarzen Drüsenhaare indessen ver- hältnissmässig wenig hervortretend und stellenweise auch lockerer, von der Stengelmitte bis gegen den Grund sehr zerstreut und klein, an den Stolonen und Blättern mit Ausnahme der Unterseite des obersten fehlend. — Wahrscheinlich von H. aurantiacum und einem schmalblätterigem MH, Auricula abstammend; die Betheiligung anderer Arten erscheint nach den Characteren ausgeschlossen. In der Verkahlung des Laubes, der Inilorescenz, den Köpfen und namentlich in den stumpfen, breit- und bleichberandeten, nur schwach mit längeren Haaren bekleideten Hüll- blättern stark an H. Auricula erinnernd, aber die sonstige Bekleidung und besonders die Blüthenfarbe weist auf H. aurantiacum hin, zudem spricht das ganz vereinzelte Vorkommen für Hybridität. — Jedenfalls trotz der Blattform in den Formenkreis der H. pyrrhanthes Näg. et Peter gehörig, welcher sehr heterogene Pflanzen enthält und aus welchem entschieden IH. ostrogothicum N. et P. (H. elatum Lindeberg non Fr.) auszuscheiden ist, das eine feistere Form des H. pratense Tausch mit intensiver gefärbten, aussen oft roth gebänderten Blumen und etwas dunkleren Griffeln repräsentirt, welche in Schlesien sowohl in der Tiefebene als im Vor- gebirge (schon Lindeberg kannte sie von Görbersdorf!) nicht selten ist!). — Der vorstehend besprochenen Form verwandt und ebenfalls der Colleetivgruppe Pyrrhanthes angehörig ist das zuerst von mir (Jahresb, d. schles, Ges. 1879) besprochene, von demselben Standorte stammende H, latibracteum A, Peter („Flora“ 1881), in welchem der Autor ebenfalls ein H, aurantiacum X Auricula vermuthet, während es nach der Auffassung ') Vergl, auch J. P. Norrlin, Adnotationes de Pilosellis fennieis I (1884) p. 139 und 140, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 313 der schlesischen Botaniker eher ein H. aurantiacum > suecicum darstellt‘). — Wäre die Bekleidung der unteren Stengeltheile, der Stolonen und Laubblätter des H. latibracteum eine stärkere, so wäre ich übrigens jetzt geneigter, in demselben eine Hybride des H. aurantiacum mit H. ;seranum m. (H. floribundum v. montanum Wimm.)?) zu suchen, welches letztere E. Fries brieflich sowohl Wimmer als mir gegenüber wiederholt als zu seinem H. suecicum gehörig bezeichnet hat. Die geknäulte Inflorescenz, die dickeren Kopfstiele, die Gestalt der Hüllen und ihre reichlichere Bekleidung mit einfachen längeren Haaren, sowie die starke Sternhaar- bekleidung der Kopfstiele und der oberen Stengelpartien weisen in der That mehr auf das H, iseranum als auf A. suecicum hin. — Das H. lati- bracteum unterscheidet sich von der Schneider’schen Pflanze erheblich durch feiste, vorherrschend 3—6blättrige Stengel, in den meisten Fällen fehlende oberirdische Stolonen, weit breitere, derbere verkehrt- eilängliche bis zungenförmige, stumpfe, stärker glaucescirende, bisweilen sezähnelte Laubblätter mit bis zur Mitte deutlicher hervortretendem, weil breiterem Mittelnerv, durch kürzere Blattstiele, gedrungenere und zu- sammengesetztere Inflorescenz, etwas kürzere, noch stumpfere, dunklere, nicht so breitberandete Hüllblätter und intensivere Färbung der merklich kürzeren randständigen Blumen. Auch in der- Bekleidung zeigen sich Differenzen, so der grössere Reichthum der Hüllen an längeren weisslichen Haaren, die geringere Zahl der Drüsen des Stengels, die schon in der Region der übrigens häufig ganz fehlenden blattigen Bractee verschwinden, !) Peter leugnet zwar das Vorkommen des echten H. suecicum Fr. in den Sudeten, nichtsdestoweniger kommt die namentlich im Vorgebirge hin und wieder nicht seltene etwas polymorphe Mittelform zwischen H. Auricula und H. floribundum, die sich naturgemäss mit keinem derselben vereinigen lässt und schwerlich hybrider Abkunft ist, gewissen nordischen auch von Peter zu H. suecicum gezogenen Formen, so u. a. der Pilosella cochlearis Norrlin (speciell Exs. fenn. 32 und 33! = H. floribundum Lindebg. Exs. scand. 6!) so nahe, dass ich wenigstens völlig ausser Stande bin, sie specifisch zu trennen. Unsere Exemplare zeigen durchaus nicht selten aussen rothgebänderte Randblumen, wie umgekehrt manche der nordischen Suecica einfarbige. Dass Lindeberg auf Grund Wimmer’scher Originale das H. suecicum Fr. zu H. floribundum zog, spricht gewiss auch für die Existenz des ersteren in Schlesien. Wimmer hat eben allem Anschein nach auch die ihm nicht senauer bekannte Fries’sche Pflanze in seltenen Ausnahmefällen als H. floribundum ausgegeben. Es wäre gleichwohl ein Irrthum, wenn man deshalb zu H. suecicum Fr. etwa als Synonym AH. floribundum W.et Gr. ex p. eitiren wollte, da es ausser Zweifel steht, auf welche Pflanze W. von Ursprung an seine Art begründet hat. 2) Wird von Nägeli und Peter zu ihrem H.nigriceps, welches im Uebrigen allem Anschein nach einer Bastardgruppe zwischen A. floribundum und H. Pilosella entspricht, gezogen, obwohl auch den Autoren die Hybridität gerade dieser Form nicht wahrscheinlich ist. Zu bemerken ist, dass der Name H. nigriceps schon von Lindeberg an ein Archieracium, sein H. caesium politum (Hier. scand. exs. 62) vergeben ist. Siehe Lindeberg, Hieraciologiska Bidrag I p. 12 (1882). 314 Jahres - Bericht sowie die dichtere Sternhaarbekleidung der obersten Stengelpartie und der Kopfstiele., | H. pseudalbinum n. sp. Nachdem ich die sudetischen Typen der Alpestria in neuerer Zeit wiederholt eingehender studirt, habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass es zur genauen Fixirung der Abgrenzung dieser unter sich meist nahe verwandten Formen entschieden rathsam erscheint, noch eine weitere übrigens schon lange bekannte zu sondern. Es ist dies die am Kiesberg nicht seltene, im Melzergrunde und am Gehänge unter der kleinen Koppe (hier G. Schneider!) nur spärlich vor- kommende, allem Anschein nach nur auf das östliche Riesengebirge be- schränkte gewöhnlich für H. albinum Fr. gehaltene Pflanze, welche schon habituell leicht erkennbar ist und sich von dem echten H. albinum auch durch wesentlichere und beständige Charactere unterscheidet. — Stengel 30—40 em hoch, schlank und dünn, hin und her gebogen, ziemlich leicht zerdrückbar, kantig-gestreift, doch wegen der undeutlichen Kanten im Ganzen noch stielrundlich, etwas schärflich, bisweilen aber auch fast glatt, kahl, nur an der Basis zerstreut weichhaarig, unten oder bis zur Mitte wie die Blattstiele meist röthlich oder gesprenkelt. Blätter hell- grün, beim Trocknen leicht gelblich werdend, mit bräunlich gefärbtem Spitzchen, etwas derb, viel seltener dünnhäutig, unterseits bleicher, aber nieht glauceseirend, — maschig geadert, alle aufrecht oder aufrecht- abstehend, am Grunde, namentlich am Hauptnerven der Unterseite und am Rande mit längerer weichhaariger Bekleidung; Haare der übrigen Theile der Spreite spärlicher, kürzer und steifer, nicht selten bis auf die Zwiebel redueirt, und alsdann die Blätter granulirt erscheinend, bei derbblätterigen Individuen auf der Oberseite bisweilen ganz fehlend. Grundständige zur Blüthezeit 1—2, selten mehr, öfter aber sämmtlich vertrocknet, breit länglich oder länglich-elliptisch, in den dünnen, nur undeutlich geflügelten, stärker weichhaarigen und meist ziemlich langen Stiel + verschmälert, ziemlich gleichmässig entfernt gezähnelt. Blätter des Stengels 4—6 (vorherrschend 5), lanzettlich-länglich oder breit- lanzettlich, seltener länglich-elliptisch, allmählich an Grösse abnehmend, das unterste (bei grösseren Exemplaren wohl auch noch das zweite) den grundständigen ähnlicher, das nächstfolgende (seltener zwei) meist in den kurzen deutlich geflügelten etwas umfassenden Stiel, zusammen- gezogen, gegen den Grund stärker drüsig-gezähnelt, nicht selten schwach buchtig gezähnt; die übrigen mit höchstens halbumfassender, am Rande oft einwärts gefalteter Basis sitzend, die obersten eilänglich. Inflorescenz nor- mal von der Laubblattregion deutlich geschieden, nur ausnahmsweise das unterste Deckblatt laubig, lanzettlich, lang gespitzt, die übrigen lanzettlich- lineal bis lineal; einfach doldenrispig, viel seltener mit einem abstehen- den, meist einfach gabeligen bis 35 em langen armköpfisen Bereicherungs- zweige. Köpfe etwas entfernt, 3—5, seltener mehr (bis 7), auf schlanken der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 315 12—20 cm langen, am Grunde + aufsteigenden oder gegen die Spitze zu einwärts gekrümmten Stielen. Drüsenbekleidung der Inflorescenz im unteren Theile derselben sehr schwach, im oberen ziemlich reichlich, mit eingestreuten grauweissen Sternflocken wie die Hüllen. Diese etwas unter Mittelgrösse (9—10 mm lang); Hüllblätter stumpf (nur bisweilen einzelne spitzlich); an der Spitze von kurzen weisslichen Haaren bebärtet; die äusseren zum Theil abstehend, schwarz, stärker drüsig, kaum berandet, die mittleren grün berandet, einzelne der innersten blassgrünlich, nur gegen die Spitze dunkler gefärbt, mit farblosem Rande. Zähne der Randblumen kurz gewimpert; Griffel dunkel; Früchte hell rothbraun, bei völliger Reife jedoch schwarzbraun. — Im Ganzen gehört das H. pseudalbinum zu den kleinblättrigeren Arten unserer Alpestria; die Länge der Spreite der grundständigen Blätter beläuft sich bei ca. 18 bis 30 em Breite auf 40—60 cm, die der mittleren stengelständigen bei 15—20 cm Breite auf 35—50 em; nur ausnahmsweise gestaltet sich das Verhältniss auf 30—40 : 85—100, resp. 23—35 : 65—82 cm, woraus zugleich hervorgeht, dass die Blätter der üppigeren Individuen im Ver- hältniss zur Länge schmäler sind, als die der normalen. — Im Allge- meinen fällt bei dieser in den Stengelblättern etwas an H. bohemicum Fr. erinnernden Art die grösste Breite des Blattes ziemlich genau in die Mitte, Das echte H. albinum Fr. unterscheidet sich durch folgende Merk- male: Grundaxe meist stärker verdickt; Stengel oft etwas feister, als- dann noch leichter zerdrückbar, reichlicher gestreift, mit deutlicheren Kanten; am Grunde wie die Blätter nicht selten stärker weichhaarig, durchweg !srün oder im unteren Theile röthlich gesprenkelt. Blätter srasgrün, stets dünnhäutig, von den äusseren grundständigen und dem obersten abgesehen ziemlich von gleicher Grösse; Spreite bei 26—57 cm Breite 60-—-80 cm lang, am breitesten etwas unterhalb der Mitte oder im unteren Dritttheil; grundständige zur Blüthezeit 2—3, seltener 1 oder 4, aufrecht abstehend bis abstehend, vorherrschend eiförmig- länglich, gegen die Basis entfernt buchtig gezähnelt oder selbst ge- zähnt und wenigstens theilweise plötzlicher in den Stiel zusammen- gezogen. Stengelblätter meist 3, seltener 2, stärker abstehend, das oberste meist horizontal; gleichmässig gezähnelt, das unterste oft den srundständisen ähnlich und bisweilen grösser als diese, das nächste, bei robusteren Exemplaren wohl auch erst das dritte, vom untersten Dritttheil, seltener schon fast von der Mitte an, plötzlich stiel- artig breit-zusammengezogen, mit reichlich halbumfassendem Grunde sitzend. ') Oberstes eiförmig, länger gespitzt, sehr schwach umfassend oder einfach sitzend, nur ausnahmsweise sehr kurz gestielt. Inflorescenz ") Beginnt die Verschmälerung bald unter der Mitte, so nähert sich die Gestalt des Blattes beinahe der ungleich-rhombischen. 316 Jahres - Bericht nebst den Hüllen stärker sehwarzdrüsig; die Drüsenhaare öfters noch in die oberste Stengelparthie hinabreichend. Hüllblätter wegen der reichlichen Drüsen noch tiefer schwarz, mit Ausnahme der wenigen innersten schmäler berandet. — H. albinum Fr. ist, wie zum Theil auch schon aus dem Vorstehenden sich ergiebt, das dem H. murorum am nächsten kommende Glied der Reihe, während bei A. pseudalbinum von einer Aehnlichkeit mit letzterem keine Rede sein kann. Der neuen Art sehr affin ist ferner das gleichfalls am Kiesberge vorkommende H. erythropodum Uechtr., speciell dessen typische Form (H. albinum var. dentatum Freyn in Celak. Prodr. p. 790) !), welches bei ähnlicher Färbung des Laubes und fast gleichem Wuchse ebenfalls die rothbraune Färbung resp. Fleckung der unteren Stengeltheile und der Blattstiele zeigt. Indessen ist die Grundachse dünner, der Stengel etwas reichlicher und meist auch höher hinauf weichhaarig, stärker schärflich, 3—4-, seltener 5blättrig. Blätter, mit Ausnahme eines der beiden zur Blüthezeit gewöhnlich vorhandenen grundständigen, meist schmal-läng- lichen und nur gezähnelten, verlängert-lanzettlich oder lanzettlich-läng- lich, merklich schmäler (Spreite der unteren bei 15—21 cm Breite 55 bis 70 em lang, mittlere 9—15 : 35—60), die grundständigen und das untere stengelständige in den an der Spitze breiter geflügelten Stiel lang und ganz allmählich verschmälert, die mittleren und oberen gleich- mässig scharf gezähnt, nicht selten mit eingeschalteten kleinen Zähnchen; die Zähne abstehend oder mit etwas einwärts gekrümmter stieldrüsiger Spitze; das zweite, bisweilen auch das nächstfolgende kürzer gestielt, der Stiel breit geflügelt, am Grunde halbumfassend, die obersten klein, mit kaum halb umfassendem Grunde, seltener einfach sitzend. Infloreseenz noch einfacher; meist nur 1—3, sehr selten 4—6 genäherte Köpfe zur Ausbildung gelangend; mit aufrechten, bisweilen an der Spitze etwas einwärts gebogenen dünnen Stielen. Hüllblätter schmäler, die innersten spitzlich; Sternhaarbekleidung im Alter meist ziemlich verschwindend. - Das H. erythropodum ist im Gegensatz zu H. albinum Fr., wie auch Velenovsky, der freilich auch Gebirgsformen des H.vulgatum mit ein- bezog (efr. Jahresb. 1883), schon richtig bemerkte, diesem letzteren, speciell der Var. alpestre, habituell ähnlich; das H. pseudalbinum lässt sich am natürlichsten zwischen den beiden bisher besprochenen Alpestribus einschalten, löntfernter verwandt ist noch das H. Wimmeri Uechtritz, das übrigens trotz seines Polymorphismus, in Folge dessen manche Exemplare eine L Iatraff ar . r . . .r. ® ) In Betreff der hierher gerechneten Formen mit wenig und unregelmässig gezähnelten oder fast ganzrandigen Blättern und oft nur 2-, höchstens 3blättrigem Stengel ist zu bemerken, dass ihre Zugehörigkeit zu H. erythropodum zum Theil nock Zweifeln unterliegt; einzelne wenigstens dürften vielleicht hybriden Ursprungs sein, Z A p | | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 317 unleugbare Aehnlichkeit mit unserer Pflanze zeigen, zu den leichter er- kennbaren sudetischen Typen gehört, wiewohl es ziemlich schwer hält, eine präcise Diagnose zu entwerfen. Stengel nur I—3-, am häufigsten 2blätterig, glatter (mitunter aber ebenfalls etwas schärflich), bei grösseren Exemplaren reichlicher verzweigt; Blätter im Ganzen mehr abstehend, namentlich das obere, gesättigt grasgrün, unterseits matter, ins Grau- srüne, am Rande meist kurzgewimpert bis verkahlend, länglich-lanzettlich oder länglich, bisweilen verkehrt eiförmig länglich, vorherrschend stärker und meist unregelmässig gezähnelt bis ausgeschweift grob-gezähnt; grund- ständige zur Blüthezeit meist noch grün, 2—5; wie meist auch das untere Stengelblatt in den häufig etwas breiter geflügelten Stiel ver- schmälert, die übrigen mit nicht umfassendem Grunde verschmälert sitzend oder kurzgestielt. Infloresceenz noch lockerer, Verzweigungen tiefer beginnend, mitunter schon den Achseln des zweiten, seltener sogar schon des untersten Stengelblattes entspringend; Köpfe 2—12, bei grossen Exemplaren bisweilen 20 und mehr, auf gespreizten, sehr schlanken, häufig geschlängelten und stark (25—60 em) verlängerten und wie die etwas grösseren 10—12 cm langen Hüllen noch schwächer grauflockig und drüsenhaarig. Hüllblätter schmäler, sehr allmählich in die stumpfliche Spitze verlaufend, die äusseren und mittleren nicht berandet. Die Blätter wechseln bei H. Wimmeri in der Gestalt, Breite und Grösse erheblicher als bei allen vorher erwähnten Arten, doch sind sie durchschnittlich in der Mitte am breitesten, weit seltener gegen die Spitze oder gegen die Basis; die Zahnung dagegen ist gegen den Grund am deutlichsten. — Mit den übrigen Species des Alpestria giebt unsere Art zu Verwechs- lungen keinen Anlass. H. glaucellum Lindebg. (H. scand. exs. Nr. 69, 1872!) (H. vulgatum Fr. glaucellum ej.) (in Norges Hieracier 1874 et Skandinaviens Hieracier 1877). Mit der von Lindeberg aus Opdalen ausgegebenen Pflanze und der auf der zugehörigen Etiquette gegebenen, allerdings unzulänglichen Diagnose!) stimmt eine mir schon lange vom Kiesberge im Riesengebirge bekannte Pflanze gut überein, deren richtige Unterbringung stets Schwie- riskeiten machte. Für eine Varietät des vielgestaltigen H. vulgatum kann ich weder diese noch die norwegische halten, vielmehr schliesst sie sich einigermassen an die vorgehend besprochenen Formen, und zwar wegen der ungeflügelten Blattstiele, und der durchweg nicht umfassenden Blätter noch am ehesten an H. Wimmeri an, zeigt aber auch eine Anlehnung an H. atratum Fr. Zu der nämlichen Art rechne ich eine von Freyn 1830 auf den Triften des Südabhanges des Krkonos !) „Caule scapiformi gracili glabro 1—3 phyllo, foliis rigidiusculis glaucescen- tibus nudis in petiolum sensim decurrentibus, corymbo oligocephalo patente pedunculis ineurvatis capitulisque parvis floccosis et nigroglandulosis distinetum.‘ 918 Jahres - Bericht 19) gesammelte, unter Nr. 442 als H. atratum Fr. var. ausgegebene Form, die 1884 auch Vandas über dem Pantschefalle gefunden hat, 3eji beiden sind die unteren Blätter etwas breiter und stärker gezähnt, nicht blos gezähnelt; das letztere Merkmal gilt vorherrschend übrigens auch für die schmalblätterigere Pflanze des Kiesbergs.. Von H. atratum ist sie meines Erachtens nach jedenfalls zu unterscheiden; ich betrachte sie einstweilen als eine Art zweiten Ranges, die wie H. Wimmeri eine 3rücke von den Alpestribus nach den Vulgatis hin bildet, doch letzteren näher kommt und weiterer Beobachtung empfohlen werden muss. Cicendia filiformis Delarbre. Niesky: in feuchten sandigen Aus- stichen am Saume des Alluvialgebietes des weissen Schöps, eine halbe Stunde südwestlich vom Bahnhofe Rietschen gegen Werda mit Drosera intermedia Hayne, Lycopodium inundatum, Radiola, Juncus capitatus ete. ziemlich zahlreich! (Fiek, 7. September 1884.) — Ueber diesen merk- würdigen Fund wurde bereits vom Entdecker und mir anderweitig Aus- führlicheres berichtet. ') Veronica officinalis L. var. alpestris Celak. (V. Tournefortu Vill. t. Verlot, Schmidt.) Lichter grün, Blätter kürzer und breiter, bisweilen vollkommen rundlich, nur am Grunde kurz keilig (Fiek in litt.), Beklei- dung der Inflorescenz, der Kelche und Kapseln locker abstehend mit nur spärlich eingemischten oder nach Fiek auch ganz fehlenden Drüsenhaaren. Blumen etwas grösser, tief himmelblau, nicht blassblau oder trüb lila; Kelche und die tiefer angerandeten Kapseln etwas kürzer. — Riesen- gebirge: Krkonos (Schmidt); Strassenrand bei Neuwelt (Cyr. Purkyne ex Üelak.), Sturmhaube! (Fiek); auch von K. Knaf im Riesengebirge be- obachtet und wohl weiter verbreitet. V. Chamaedrys L. var. lamiifolia (Hayne). Blätter, auch die der Hauptachse, deutlich gestielt, Stiele mitunter halb so lang als die Spreite. Um Breslau hier und da, z. B. bei Cosel! (Kabath), vor der ersten Restauration am Weidendamme ete.; Grünberg: Rohrbuseh! (Hell- wig); Leobschütz: Steinmühle!, Kaltenhausener Teich!, zwischen Deutsch- Rasselwitz und Gläsen!, Kapellenberg bei Ransen!, zwischen Ransen und Füllstein! (Sintenis 1879), Jägerndorf: Wald gegen Lobenstein! (Sint,) — Uebrigens fehlt es keineswegs an Uebergängen zur Hauptform. Hierher gehört ausser V. intermedia Sternbg. und V. umbrosa Opiz (non M. B.) auch V. Chamaedrys var. turfosa H. Mortensen exs. Mentha aquatica L. var. ovalifolia (Opiz, Boreau). Ein schöne leieht kenntliche, zu var. verticillata ß verticillata hirsuta gehörige, sich gleichbleibende Form mit breit ovalen oder elliptischen Blättern, auf welche ) Yin Kay r ® . 11.» . R = . ) Vechtritz, Cicendia filiformis Delarb. in der schlesischen Ober-Lausitz Ska D. B. Ges. II, H. 11, p. LXII) und Fiek, Deutsche bot. Monatsschrift I, rn. 12. P- ® der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 319 die Beschreibung Boreau’s (Fl. du Centre II p. 510) gut passt, nur dass ‚ bei der schlesischen Pflanze die Blüthenfarbe nicht purpurn, sondern bleichviolett ist. — Breslau: am sogenannten Krebsteich in den Sitten ' bei Obernigk 1864 zahlreich, neuerdings vergeblich gesucht; die Pflanze von hier wurde mir von Boreau selbst als M. ovalifolia bestimmt; Ziegenhals: Quelle an der Jägerbaude im Jesuitenwald! (Richter, 1884.) Plantago major L. var. heterophylla Gerh. in litt. Schaft niedrig, so lang oder wenig länger als die Blätter; innere der Rosette schmal-lanzett- lich, 60—70 mm lang, 8$—10 mm breit, oft mit langer Spitze ausgehend, äussere normal, wenig zahlreich oder ausnahmsweise zur Blüthezeit fehlend. Liesnitz: Kaiserstrasse in mehrfachen Exemplaren! (Gerhardt.) + ÖOrnithogalum montanum Cyr. Ziegenhals: ein vereinzeltes Exemplar in Bielewinkel unter einheimischer Frühjahrsflora! (Richter). In Süditalien, Griechenland und im asiatischen Orient einheimisch, bei uns bisweilen in Gärten als Zierpflanze angebaut und aus solchen wahr- scheinlich an den erwähnten Fundort durch Hochwasser zufällig herab- seschwemmt. Dem O. umbellatum L. ähnlich, aber durch die flacheren breiten, lineal-lanzettlichen, lang-zugespitzten, nicht weiss gestreiften Blätter, den dieselben nur wenig überragenden Schaft, kürzere Staub- blätter und die verkehrt eiförmige Kapsel leicht zu unterscheiden. B. Neue Fundorte. Thalicirum aquilegifolium L. Prausnitz: Wilkawe (Schwarz); Ziegenhals: Bielewinkel! (Richter). Th. simplex L. var. tennifolium (Sw.) Kosel: Wiese rechts vom Wege nach Kandrzin (Wetschky). Th. minus L. Lüben: im Dorfe Altstadt (Figert). Pulsatilla vernalis Mill. Hummel, Kreis Lüben (Gerhardt). Ranunculus trichophyllus Chaix. var. radıans (Revel) Liegnitz: Sophienthal! (Gerhardt). R. eircinatus Sibth. (R. divaricatus aut. plur. nec Schrk.) Ober- Glogau! (Richter). R. auricomus L. var. fallax W. et Gr. Ziegenhals: Bielewinkel, eine kleinere Form! (Richter). R. cassubicus L. Ziegenhals: mit vorigem! (Derselbe). R. acer L. (R. Boraeanus Jord.) f. parviflorus Ziegenhals: an Feldrainen! (Richter). Blumenblätter öfter kaum halb so gross, als bei R. Flammula L. —- R. Steveni Andrz. Breslau: Volksgarten auf Grasplätzen. R. repens L. var. hirsutus Uechtr. Breslau: im botanischen Garten! und im Volksgarten! (Kabath). — Var. R. repiabundus Jord. und zwar in einer fast kahlen Form an sandigen Orten bei Ziegenhals! " (Richter). 390 Jahres- Bericht Trollius europaeus L. Breslau: rechts vor Wiese häufig! (Preiser). Lüben: Brauchitschdorf (Figert). Gesenke: Maiberg, grosser Hirschkamm (Formänek)'). Isopyrum thalictroides L. Breslau: Kawallen bei Obernigk sehr zahlreich, dort „Liebenötze‘“ genannt (Schwarz). Ziegenhals: Kirch- wiese! (Dittmann). Agquilegia vulgaris A. Oppeln: Fichtenwald nördlich von Chronstau (Schmidt). Aconitum Napellus L. Mit gescheckten Kelehblättern im Melzer- grunde! (Dr. Schube). Grundfarbe schmutzig weiss, nur die Spitze des Helms auf eine kurze Strecke intensiv violettblau und der äussere Saum der seitlichen Kelchblätter violett. Delphinium elatum L. Gesenke: grosser Hirschkamm (Formänek). Actaea spicata L. Ziegenhals: spärlich am Hohenzollernstein des Holzberges! (Richter). Berberis vulgaris L. Breslau: feuchte Gebüsche hinter Klein- Öldern!! (Fiek). Nymphaea candida Presl. f. semiaperta (Klinggr.) Pless: Paproczanteich (Fiek und Wetschky). Papaver dubium L. Breslau: am Bahnhofe von Koberwitz spärlich unter P. Rhoeas L. und dessen Var. strigosum Bönnigh. Fumaria officinalis L. var. Wirtgeni (Koch) Breslau: Kober- witz, einzeln am Bahnhofe unter dem Typus. Corydalis cava Schweigg. et Körte. Breslau: Bischwitz am Berge! (Kionka). Prausnitz: Wilkawe-Puditscher Grenzbach (Schwarz). 0. fabacea Pers. Prausnitz: Quallberg bei Wilkawe einzeln (Schwarz). Barbaraea arcuata Rchb. Ober-Glogau: Weindämme! (Richter). Hirschberg: ‚„‚Weltende“ im Sattler! und sonst (Fiek). Erysimum hieracifolium L. Breslau: Waldung zwischen Obernigk und Muritsch, auch zwischen Obernigk und Gross-Leipe (Schwarz 1878). Von der Oder weit entfernte Standorte; zugleich neu für die Flora der Trebnitzer Hügel. Arabis Gerardi Besser. Lüben: Gross-Kriechen! (C. Scholz). A. hirsuta Scop. Lüben: Klaptau! (C. Scholz). Schönau: Eichen- berg bei Tiefhartmannsdorf! (Fiek). Jauer: Willmansdorfer Höhe! (FW. Scholz). Gleiwitz: Wiesen eines Gartens! (Jungck). A, arenosa Scop. Gleiwitz: Bahndamm am Stadtwalde! (Jungek). > Erucastrum incanum Koch. Borganie bei Mettkau! (Overweg). 1 m) R & FE . . sat, . ) Formänek’s Angaben sind seinen Beiträgen zur Flora der Beskiden und des Hochgesenkes (Oest. bot. Z. 1884) entlehnt. N ES Te der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 321 Nasturtium amphibium X silvesirre Wimm. Liegnitz: an der Katzbach ! (Figert). Lepidium ruderale L. Ziegenhals: Kiesbänke der Biele am Fer- dinandsbade! (Richter). Gleiwitz: Papierfabrik! (Jungck). — Bunias orientalis L. Gleiwitz: Wiesen an der Promenade mit Lep. campesire, beide erst seit 1884! (Jungck). Helianihemum Chamaeecistus Mill. Um Grünberg selten: Haide zwischen Pirnig und Kern! (Hellwig). Viola canina X stagnina Ritischl. Liegnitz: Grossteich bei Kuchelberg! (Gerhardt). Drosera intermedia Hayne. Myslowitz: sehr häufig im Torfmoor Imielok bei Imielin! (Wetschky). Reseda lutea L. Breslau: an einem Feldgraben bei Klein-Mochbern ein kräftiger Stock! (Referendar Friedrich). Liegnitz: Eisenbahn- böschungen zwischen dem Kirchhofe und Alt-Beckern (Gerhardt). An beiden Stellen nur eingeschleppt. Polygala amara L. var. austriaca Urntz. Breslau: verbreitet nördlich vom Koberwitzer Parke in der Richtung auf Zaungarten; nach Fiek ebenso westlich der Bahn bis südlich von Haidänichen. Dianthus Armeria L. var. glaber Scholtz FI. v. Bresl. Oder- wald zwischen Maltsch und Leubus! (Figert). D. Armeria X delioides Hellw. Liegnitz: am Mühlgraben unter den Eltern (Gerhardt). Oderwald zwischen Maltsch und Leubus! (Figert, Gerhardt). | D. superbus L. Görlitz: Basaltberge bei Nieda (Fiek). Lüben: Gross-Kriechen selten! (Fiegert). Var. grandiflorus (Tsch.). Gesenke: Leiterberg, Heiligenhübl, Maiberg, grosser Hirschkamm, Schieferhaide, Backofensteine, verlorene Steine (Formänek). Tunica prolifera Scop. Oppeln: zwischen Tarnau und Gross- Stein (Schmidt). Prausnitz: zwischen Gross-Breesen und Gracie (Schwarz). Cucubalus baccifer L. Breslau: an der Ohle hinter Pirscham, Dämme um den Josephinenberg, vor und hinter Oldern, Koberwitz. Lüben: Gross-Kriechen (Fiegert). Prausnitz: Wilkawe (Schwarz). Silene gallica L. Prausnitz: Wilkawe, in einem Gerstenfelde 1879 (Schwarz). Pless: Paproezanhütte (Fiek). 8. chlorantha Ehrh. Grünberg: Kaiserberg bei Loos! und viel im Kieferwäldehen bei der Weiten Mühle (Hellwig). Melandryum rubrum Gcke. Jauer: blassrosa bis weiss blühend bei Lobris! (F. W. Scholz). Prausnitz: Parkrand bei Gross-Muritsch (Schwarz). Agrostemma Githago L. j. albiflora. Breslau: an der Strasse vor Mahlen in der Nähe des Goi in zwei Exemplaren! (Preiser). 1884. 21 323 Jahres - Bericht Spergularia rubra Presl var. glabrata Kabath. Grünberg! (Hellwig). Sagina subulata T. et Gr. Falkenberg: Artillerie-Schiessplatz! (Dr. Schröter). Arenaria leptoclados Guss. Breslau: Gross-Oldern, Lambsteld, auch südlioh des Weidendammes auf Schutt. Cerastium pumilum Curt. Ziegenhals: Bieleufer! (Richter). Stellaria Frieseana Sev. Löwenberg: Höfel! (Dresler). Elatine hexandra DC. Muskau: Braunsteich bei Weisswasser (Kahle t. Fiek). E. Alsinastrum L. Neu-Berun: Jedlin, einen Teich völlig aus- füllend (Wetschky). [Mähr.-Ostrau: Hrabowa (Derselbe)]. Malva neglecta X pusilla Uechtr. Oppeln: Klein-Stein unter den Eltern (Schmidt). Acer campestre L. f. suberosum. POber-Glogau: in den „Erlen“! (Richter). Hypericum hirsutum L. Prausnitz: Gross-Muritsch (Schwarz). H. montanum L. Trachenberg: Goitker Kieferwald (Schwarz). Geranium phaeum L. Ziegenhals: Waldrand bei Klettnig! (Richter). Liegnitz: im Gebüsch an der Katzbach zwischen Schmochwitz und Schimmelwitz sparsam (Gerhardt und Figert). G. pyrenaicum L. Breslau: Klein-Tinz (Kionka). Bei Koberwitz findet sich ausschliesslich die seltenere Form mit bleichen, aus Rosa ins Weissliche spielenden Blumenblättern. G. divaricatum Ehrh. Carolath: Reinberg! (Hellwie). Nord- westlichstes Vorkommen im Gebiete. G. dissectum L. Canth: unweit des Bahnhofes! (F. W. Scholz). Oxalis Acetosella L. Grünberg: rothblühend im Rohrbusch! (Hellwig). Cytisus ecapitatus Jacg. Neumarkt: Rausse! (Overweg). ©. nigricans L. Muskau: Weisswasser (Fiek). Ononis hireina Jacg. Lüben: sehr häufig (Figert). Melilotus altissimus Thuill. Breslau: Olderner Park, in Ge- büschen zwischen dem Koberwitzer Parke und Zaungarten. Medicago minina Bartal. Lüben: Kirchhügel bei Altstadt! (Figert). Trifolium striatum L. Liesnitz: Haue im Peist (Gerhardt). -- T. incarnatumL. Mit rein weissen Blumen um Lüben: Gross- Kriechen (Figert). T. arvense Z. var. microcephalum Uechtr. Grünberg: Saaborer Gruft! (Hellwig). Lotus tennifolius L. Breslau: Alluvialwiesen an der Ohlau bei der Hase’schen Brauerei unter ZL. uliginosus einzeln. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 393 Teiragonolobus siligquosus Roth. Bei den Stationen Wäldchen und Wangern der Breslau-Strehlener Eisenbahnstrecke und zwischen dem Bahnhofe Strehlen und Sägen! (Fiek). Astragalus Cicer L. Breslau: P. Neudorfer Sandgrube bei Bischwitz a. B.! (Kionka). Vieia dumetorum L. Prausnitz: Gracie bei Wilkawe (Schwarz). V. pisiformis L. Gesenke: [Klepel (Formänek)). V. silvatica L. Zuckmantel: Bischofskoppe! (Richter). Freuden- thal: Mestenbusch (Formänek). V.lathyroides L. f. albiflora. Liegnitz: Weg nach Lindenbusch selten! (Gerhardt). Der Typus: Prausnitz: Wilkawe (Schwarz). Lathyrus tuberosus L. Prausnitz: Rodelandberg bei Wilkawe (Schwarz). L. silvestris L. var. ensifolius Buek. Trachenberg: Corsenzer Försterei (Schwarz). Aruncus silvester Kost. Ziegenhals: Holzberg! (Richter). Geum montanum X rivale Rekb. Kiesberg im Riesengebirge, in zwei Exemplaren am rechten Ufer des Koppenbaches oberhalb der Brücke! (Ficinus). G. urbanum X rivale Schiede. Hirschberg: oberhalb Berbis- dorf (Fiek). Rubus hirtus W. Kit. Tost! (Overweg). R. tomentosus Borkh. Wird von Formänek bei Freudenthal im Gesenke angegeben. R. Idaeus L. var. denudatus Schimp. ei Spenn. (cfr. Jahres- bericht 1883). Breslau: im ganzen südwestlicheren Theile des Waldes hinter Lissa ziemlich verbreitet, auch an trockenen Standorten, selbst auf Kiefern-Schonungen, meist in Gesellschaft von R. suberectus, nicht selten auch mit R. plicatus, aber nie mit der in den nördlichen Theilen des Waldes häufigeren Stammform. Verhältnissmässig selten blühend und fast immer steril, indem die Blüthen nebst ihren Stielen bald nach der Anthese vertrocknen; nur eine einzige entwickelte von der der gewöhnlichen Form übrigens nicht verschiedene Frucht wurde beobachtet. Dieses Verhalten könnte auf Hybridität der Lissaer Form, die übrigens meist ebenso breite Blättchen wie der Typus zeigt, schliessen lassen, allein letzterer fehlt, wie gesagt, an ihren Standorten, und auch den R. caesius, der allein noch mit im Spiele sein könnte, erinnere ich mich nicht, an denselben bemerkt zu haben. Vielleicht ist der in den betreffenden Partien des Waldes vorherrschend sterile sandige Untergrund die Ursache der allerdings sehr auffälligen Sterilität, die schliesslich in anderen, minder trockenen Jahrgängen auch nicht so constant auftreten dürfte. R. suberectus Anders. Nimptsch: Schlucht unter der Tataren- schanze bei Priestram (Fiek.) 25 324 Jahres - Bericht Potentilla silesiaca Uechtr. Zimmeter (die europäischen Arten der Gattung Potentilla) eitirt hierher P. adpressa Opiz, P. collina var, virescens Cel. und P. Lindackeri Tsch. (en p.) als Symonyma, aber ganz bestimmt mit Unrecht. Durch die Gefälligkeit Öelakovsky’s wurde es mir ermöglicht, das gesammte Material des Prager Museums zu ver- gleichen; die böhmische Form, welche ich aus unserem Gebiete niemals gesehen habe, steht vielmehr der P. Wiemanmiana Günth. et Schum. (P. Lindackeri Tausch! altera ex parte) sehr nahe, von der sie immerhin als besondere Rasse zu sondern sein wird. Mit P. silesiaca, deren ent- wickelte Formen sich weit mehr der P. thyrsiflora Zimmeter nähern, hat sie eigentlich nur das relativ häufige Auftreten 6—7zähliger Blätter semein, doch finden sich solche, allerdings nur in seltenen Ausnahme- fällen, auch bei im Uebrigen typischer P. Wiemanniana. P. adpressa Opiz ist in der That wohl der Hauptsache nach als Synonym von P. collina virescens Üel. zu betrachten, obschon Zimmeter (l. e. p. 19) sie wenigstens pro parte zu P. albescens Opiz, einer zu P. verna aut. plur. gehörigen Pflanze bringt. Denn nur ein Theil der Opiz’schen Originale von den Kornthorschanzen bei Prag repräsentirt die betreffende geringfügige Modifieaiion der polymorphen verna aut. (P. opaca L., Zimmet.), der andere gehört zu P. collina virescens, die auch sonst als P. adpressa im Mus. bohem. vorliegt. P. verna aut. (non L.). Prausnitz: Wilkawer Windmühlenberg (Schwarz). Ziegenhals: Niklasdorf! (Richter). P. canescens Bess. Liegnitz: an der Katzbach bei Schmochwitz (Figert). Freudenthal: Kreuzbusch (Formänek). P. norvegica L. Gleiwitz: Labander Wald auf frischem Rodeland! (Jungek). Neu-Berun: Teichränder bei Kopain mit P. procumbens (Wetschky). Alchemilla vulgaris L. var. glabrata Wimm. (A. glabra Dumort.). Ziegenhals : Feldränder im Bielewinkel in einer nur 0,5—1 dem hohen, zugleich sehr kleinblätterigen zierlichen Zwergform, Agrimonia odorata Mill. Breslau: Waldgräben unfern einer Weidemühle zwischen Kunersdorf und Klarenkranst (Ansorge). Oppeln! Malapanebrücke bei Turawa (Schmidt). Rosa pomifera Herm. Jauer: Profen! (F. W. Scholz). Beuthen a.0®.: Strasse nach Schönau (Figert). Ob wild? R. trachyphylla Rau. Breslau: an Wegrändern um das alte | Vorwerk hinter Gross-Grüneiche, dagegen am Schwoitscher Fuchsberge | neuerdings vernichtet. Leubuser Oderwald am Fusswege nach Maltsch. (Gerhardt). j R. canina L. var. biserrata (Mer.). Lüben: Össig! (C. Scholz). | % BE >. gi der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. _ 39235 R. glauca Vill. Breslau: ein sehr kräftiger Strauch an einem Feldgraben zwischen dem alten Vorwerk bei Gross-Grüneiche und der östlich davon gelegenen Ziegelei. — Die typische Form mit einfach- ; gesägten Blättern und aufrechten Kelchzipfeln um Lüben: Ossig! (C. Scholz); ebendaselbst auch die var. subcanina Christ; erstere auch um Reichen- stein! (Wetschky). | R. gallica L. Prausnitz: Grenzraine bei Klein-Muritsch mit R. rubiginosa (Schwarz). Gross-Glogau: auf Aeckern zwischen Gusten und ‘dem Dalkauer Berge! (Hellwig). / Epilobium Dodonaei Vill. An der Ostrawica bei Friedland- ‘Hammer in Menge (Wetschky). E. collinum Gmel. Ziegenhals: Göppertplatz! (Richter). E. adnaltum Gris. Schönau: Tiefhartmannsdorf! (Fiek). Gesenke: 'Freudenthal (Formänek). | E. virgatum Fr. Liegnitz: Gräben um Rüstern, Hummel, Panten! >. | E. nutans Schmidt. Riesengebirge: unterhalb der Korallensteine ‚ca. 800 m (Fiek). | E. scaturiginum Wimmer. Südseite des Glatzer Schneeberges! Fiek). E. roseum X parviflorum Krause. Liegnitz: Neuhof, selten "unter den Eltern in einer breit- und einer schmalblättrigen Form! ebenso ‚am Mühlgsraben beim Wasserhebewerke! (Fiegert). Breslau: Acker- ‚gräben am Brockauer Parke, Wiesengräben bei Gross-Oldern. E. parviflorum X adnatum ÜUechtr. Liegnitz: Ziegelei bei Hummel! (Figert). E. roseum X adnatum ÜUechtr. Liegnitz: Rüstern, unter den ‚Eltern an der Dorfstrasse, nur ein Exemplar! (Figert). | Circaeaintermedia Ehrh. Oppeln: häufig im Fichtenwalde nörd- ‚lich von Chronstau (Schmidt). Bolkenhain: zwischen Seitendorf und ‚Leipe (Fiek). | Trapa natans L. Pless: Teich von Paproczan (Fiek und Wetschky). Lytrum Hyssopifolia L. Trachenberg: Kottiewe (Schwarz). | Grünberg: Ochelhermsdorf! (Schäfer). | — Sicyos angulatus L. Grünberg: Erlbusch! (Hellwig). Illecebrum verticillatum L. Grünberg: zwischen Cosel und Kunzendorf! (Derselbe). — Sedum spurium MB. Striegau: auf alten Mauern der Stadt! ‚(Kionka); Strehlen: ebenso in Bärtzdorf! (F. W. Scholz). Sempervivum soboliferum Sims. Breslau: angepflanzt auf Dächern in Domslau (Kionka). 396 Jahres - Bericht Bulliarda aquatica DC. Neu-Berun: sehr zahlreich an der Gostyna bei Kopain gegen Jedlin zu! (Wetschky). Vierter Standort im Gebiete. Ribes Grossularia Z. Ziegenhals: Holzberg, spontan! (Richter), R. alpinum L. Wölfelssrund sparsam (Fiek). R. nigrum L. Breslau; Kawallen bei Obernigk (Schwarz). Sazxifraga tridactylites L. Breslau: Acker um Brockau. Trachen- berg: Corsenz (Schwarz). Hydrocotyle vulgarisL. Prausnitz: Wilkawer Altteich. Trachen- berg: Lauskower Wald (Schwarz). Pless: Paproezanteich, Przykryteich bei Biassowitz (Wetschky). Sium angustifolium L. Breslau: Gräben im Koberwitzer Parke in Gesellschaft von 8. latifolium L. (vergl. Jahresber. 1882). | Oenanthe fistulosa L. Grünberg: Ochelhermsdorf! (Schäfer). ' Lüben: Gross-Kriechen (Figert). Trachenberg: Corsenz gemein (Schwarz). Breslau: Polanowitz! (Dr. Friedrich). Seseli coloratum Ehrh. var. tenuifolium Fritze (Verh. bot. Ver. für Brandenb. XIV, p. 93). Breslau: Walddämme hinter Lissa gegen den Kirschberg sparsam (Schube und Ue.) | Angelica silvestris L. var. montana (Schleich.) Ziegenhals: Bieleufer vor dem Felsenthor nicht selten! (Richter). Neu für Ober- schlesien. — Im Riesengebirge noch im oberen Theile des Aupagrundes bei fast 1400 m (Fiek). Peucedanum Cervaria Cuss. Breslau: verbreitet auf Wiesen und in Gebüschen links der Stettiner Eisenbahn in der Richtung von Altenhayn nach Gross - Masselwitz, Grünberg: Dammrauer Berge! (Hellwig.) Daucus Carota L. var. glaber (Opiz). Grünberg: Lansitz! (Hellwig). Breslau: Grünhübel, Brocke, vor der Gröschelbrücke ete.; übrigens mit dem Typus durch zahlreiche Abstufungen in der Be- kleidung verbunden. Namentlich finden sich im Spätherbste häufig Exemplare, deren Hauptachse durch Mähen etc. verstümmelt ist, aber noch deutlich Spuren der normalen steifhaarigen Bekleidung zeigt, während die später entwickelten seitlichen fast oder völlig kahl sind. Anthriscus alpestris W. et Gr. Gesenke: Ludwigsthal, Donners- lahn, Schafberg (Formänek). Chaerophyllum aromaticum L. Lüben: am kalten Bach bei Gross-Kriechen zahlreich (Figert). Grünberg: Ochelhermsdorf (Schäfer). Viscum album L. Prausnitz: Wilkawer Rösteteich auf Robinia (Schwarz). Sambucus racemosa L. Lüben: Brauchitschdorf in Wäldern (Figert). | S. Ebulus L. Jauer: Wiesenmühle bei Lobris (Hiller t. Gerh.), 1 hier wohl nicht ursprünglich. Gesenke: Freudenthal (Formänek). | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 327 Galium silvesre Poll. Ziegenhals: Hohenzollernstein (Richter). G. elongatum Presil. Oppeln: mehrfach an Ackergräben (Schmidt). | Grünberg: Kottwitz! (Hellwig). Ber . ei - - EEE G. Wirtgeni F. Schz. Breslau: Koberwitzer Park und weiterhin gegen Zaumgarten, G. Crucisata Scop. Gesenke: Freudenthal (Formänek). G. vernum Scop. Freudenthal: Mestenbusch (Derselbe). Asperula tinctoria L. Gogolin (Schmidt). A. odorata L. Altes Bergwerk im Riesensrunde (G. Schneider). Valerianella rimosa Bast. Liegnitz: Schubertshof! hier auch ein Exemplar der in Schlesien seltenen Var. lasiocarpa Koch. (Gerhardt). Goldberg: Wolfsberg (Derselbe). V. dentata Poll. var. lasiocarpa Koch. Breslau: Koberwitz. Liesnitz: Schubertshof! (Gerhardt). Valeriana Tripteris L. Gesenke: Ludwigsthal, Mooslehne bis zum Oppafalle, sowohl & als ß (Formänek). Enpatorium cannabinum L. Breslau: Koberwitzer Park und Gebüsche gegen Zaumgarten. — Astier novi Belgii L. var. @ (A. serotinus W.). Ziegenhals: Bachufer in Langendorf zahlreich! (Richter). — Stenactis annua Nees. Prausnitz: Muritscher Parkrand (Schwarz). J. Conyza DC. Jauer: Oberhof bei Leipe! (Richter). Schönau: Eichenberg bei Tiefhartmannsdorf (Fiek). Oppeln: sparsam zwischen Tarnau und Gross-Stein (Schmidt), zweiter Standort auf der rechten Oderseite in Pr.-Schlesien. Erigeron acer L. Gesenke: Peterstein (Formänek). Xantihium spinosum L. Breslau: ein starker Stock an der Strasse südlich des Weidendammes, — Rudbeckia laciniata L. Liegnitz: an der Katzbach bei Schmochwitz und am Schwarzwasser vor Pfaffendorf (Figert). Bidens radiatus Thuill. Falkenberg: am nordwestlichen Abflusse des 1884 trockengelegten Sangorteiches in Menge (Schmidt). Dritter Standort im Gebiete. B. tripartitus L. var. integer C. Koch. Breslau: Koberwitzer Park mit Uebergängen zur Grundform. — Ziegenhals: Neuhäuser! (Richter). —+ Galinsoga brachysiephana Reg. Häufiges Unkraut auf Fel- dern des Breslauer botanischen Gartens mit G. parvijlora. —+- G. parviflora Cav. Canth: Strassengraben vor Krieblowitz! (F. W. Scholz). Chrysanthemum Tanacetum Karsch. Höchstes Vorkommen bei 800 m um Hubertuskirch bei Carlsbrunn (Formänek). 298 Jahres - Bericht .) Anthemis tinctoria L. Breslau: Aecker vor Mahlen nicht selten! S (Preiser). Gleiwitz: auf Kleefeldern bei Petersdorf (Jungcek). A. ruthenica MB. [Zwischen Züllichau und Langmeil! (Hellwig).] Senecio paluster DC. Lüben: Torfstich bei Gr.-Kriechen nicht häufig (Figert). S. vernalis W. et K. Jauer: Kleebrachen bei Klonitz!, Tschirnitz, Hertwigswaldau (F. W. Scholz). | S. erucifolius L. (8. tenuifolius Jaq.). Breslau: Gebüsche zwischen dem Koberwitzer Park und Zaumgarten. S. erraticus Bert. Proskau! (Richter). S. fluviatilis Wallr. Breslau: am Rande eines feuchten Wäldchens südöstlich von Oldern (Ue. und Fiek); ein von der Oderniederung weit entferntes Vorkommen. Carlina acaulis L. Liegnitz: ein kräftiges Exemplar zwischen dem Kirchhofe und der Freiburger Eisenbahn (Gerhardt). Prausnitz: Muritscher Berg bei Wilkawe (Schwarz). Cirsium canum Mnch. Lüben: Gr.-Kriechen! (Figert). Prausnitz: Wilkawer Wiesen häufig (Schwarz). Gesenke: Freudenthal (Formänek). C. palustre Scop. var. seminudum Neilr. Breslau: Wald hinter Lissa, Koberwitz. C. acaule All, Trachenberg: Corsenz, zahlreich mit var. caulescens (Schwarz). C. heterophyllum All. Gesenke: Hohe Haide, Grosser Hirsch- kamm (Formänek). 0. oleraceum X canum Wimmer. Lüben: Gr.-Kriechen! (Figert). Breslau: an Wegrändern und Feldgräben zw. Kl.-Oldern und Schmortsch. C. oleraceum X palustre Schiede. Lüben: Altstadt, Gross- Kriechen! (Figert), Liegnitz: Thalziegelei! (Derselbe). C. acaule X canum Siegert. Lüben: Gr,-Kriechen! (Ders.). C. acaule X lanceolatum Näg. Muskau: nördlich von Zibelle unter den Eltern sehr selten! (Fiek). Zweiter Fundort! C, canum X palustre Schiede. Lüben: zahlreich und in ver- schiedenen Formen um Altstadt und Gr.-Kriechen! (Ders.). Breslau: ein lixemplar auf einer Wiese im Walde hinter Lissa mit (. palustre, aber ohne (Ü), canum. Y . . C. oleraceum X acaule Schiede. Lüben: in sehr extremen lormen bei Gr,-Kriechen! (Figert). Carduus nutans L. var. mierocephalus Wallr. Prausnitz: Mu- ritscher Gruftberg bei Wilkawe (Schwarz); Trachenberg: nicht selten ohne den Typus in Kiesgruben bei Corsenz! (Derselbe). Y 5 . a . C. acanthoides L. var. subundus Neilr. Breslau: an der alten Oder zwischen der Gröschelbrücke und der Pumpstation, dann im Kober- witzer Parke mit dem Typus und C. nutans. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 329 C. erispus L. Breslau: sparsam auf Schlägen im Koberwitzer ' Parke; Gesenke: Mexico bei Freudenthal (Formänck). C. acanthoides X crispus Koch. Liegnitz: verschiedene Formen unter den Eltern nicht selten am Mühlgraben und der Katzbach, sowie zwischen dem Bahnhofe und Schlachthofe (Figert!, Gerhardt!). Lappa macrosperma Wallr. Bolkenhain: Laubwald zwischen ' Seitendorf und Ober-Leipe häufig! (Fiek). — Dritter. Standort im Ge- ' biete, nee er Centaurea Scabiosa L. forma albiflora. Gross-Glogau: zw. Fröbel und Schönau! (Figert). —- C. solstitialis L. Liegnitz: unter Luzerne an der Freiburger Eisenbahn in einigen kleinen Gruppen (Gerh. u. Figert). Leontodon autumnalis L. var. integrifolius Uechtr. Schmiede- berg: Forst-Langwasser! (Dr. Schube). Scorzonera humilis L. Prausnitz: zwischen Wilkawe und Mu- ritsch (Schwarz). Hypochoeris glabra L. Ziegenhals: häufig! (Richter). Lactuca Scariola L. Breslau: ganz vereinzelt am Saume eines trockenen Hölzchens hinter Oldern!! (Fiek). Striegau: Gross - Rosen ! (F. W. Scholz). Glatz: beim Bahnhofe (Fiek). L. muralis Less. Breslau: Brockauer Park. Sonchus arvensis L. var. uliginosus (M. B.). Ober-Glogau: ver- einzelt auf Aeckern! (Richter). Breslau: Koberwitz mehrfach, aber ver- einzelt. Crepis biennis L. floribus tubulosis. Liegnitz: Gross-Beckern! (Gerhardt). C. setosa Hall. fil. Oppeln: auf wüstem Kalkboden beim Bahn- hofe Groschowitz (Fiek). Hieracium Auricula L. var. flagelliferum Fr. (2) Ober- Schmiedeberg: unterhalb des Schwarzer-Gutes am Fussstege bei der Brücke über das Jokelwasser mit typischem H. Auricula und H. flori- bundum! (G. Schneider). — Eine sehr üppige und hohe Pflanze mit zahl- reichen blühenden Flagellen; Blätter der Rosette, zumal die inneren, deutlicher gezähnelt als beim Typus, dem sie in den Hüllen und in der Bekleidung der Kopfstiele nahe kommt. Der Finder vermuthete viel- leicht nicht mit Unrecht in dieser Form ein H. Auricula X floribundum. H. sseranum Uechtr. Riesengebirge: über dem Brückenberger Waldhause! (G. Schneider). H. floribundum Wimm. et Gr. Liegnitz: Peist (Gerh.). Ziegen- hals: Klettnig! (Richter). Riesengebirge: oberhalb Kirche Wang! (Ger- hardt). Die von Sitensky im Riesengrunde gesammelte, schon verblühte Pflanze (cfr. Jahresb. 1883) erwies sich bei der Anzucht aus Früchten als ein breitblättriges H. praealtum. 330 Jahres-Bericht H. aurantiacum L. Ziegenhals: Holzberg gegen Schönwalde mit H. stoloniflorum aut. siles. auf Wiesen! (Richter). Neu für Pr.-Ober- schlesien. H. cymosum L. @ pubescens W. et Gr. (H. cymigerum Rehb. und wahrscheinlich H. glomeratum Froel., aber nicht Fr.). Ziegenhals: Kletinig (Richter). H. Auricula X Pilosella Fr. (H. auriculiforme Fr.). Liegnitz: in einer Schonung des nördlichen Peist in mehreren reichen Gruppen und in zwei Formen, die eine mit starker Drüsenbekleidung der Hüllen, bei der anderen herrschen einfache Haare vor (Figert!, Gerhardt!). H. ceymosum X Pilosella Krause (erw.) — H. canum Näg. et Peter. Liegnitz: Peist in einer ansehnlichen Gruppe! (Figert). Die dortige Form entspricht der Combination H. cymigerum > Pilosella. H. pratense X Pilosella Wimm. Liegnitz: Peist! und Chaussee nach Wahlstatt! (Figert); Wiese vor den Hummler Schiessständen! (Gerhardt). H. stoloniflorum (flagellared) > pratense Uechtr. Liegnitz: Mühlsraben und auf einer Wiese vor Rüstern! (Figert). H. rubrum A. Peter. Nach den in den Hieracus MNägelianis unter Nr. 20 vom Autor ausgegebenen, im Münchener botanischen Garten aus Originalsamen eultivirten Exemplaren eine sehr schöne Pflanze und eine den sudetischen Floristen bisher unbekannt gebliebene neue Form, wofür auch die in der Monographie der Piloselloiden nunmehr ausführlicher gegebene Beschreibung spricht. Obwohl sie Peter nicht für eine Hybride zu halten geneigt ist, muss sie nach dieser Hinsicht an Ort und Stelle jedenfalls noch weiter geprüft werden, denn wenigstens auf mich macht sie keineswegs den Eindruck einer reinen Form. Vielleicht ist sie kein Bastard von H. aurantiacum und H. Pilosella, sondern von ersterem und HH. flagellare rec. (H. stoloniflorum aut. sil.); auf letzteres weisen die Blätter, deren zerstreute und doch dabei nicht gerade spärliche Stern- haarbekleidung, die Infloreseenz und die ansehnlichen Köpfe hin. Auf- (üllig bleibt immerhin die geringe Entwickelung der Stolonen, ein Character, den jedoch diese Form von H. aurantiarum entlehnt und bewahrt haben könnte. Würde sich diese Deutung bestätigen, so müssten aller- dings die beiden schweizerischen Formen, die der Autor ebenfalls zu IH. rubrum zieht, anderen Ursprungs sein, da H. flagellare der Schweiz fehlt. ; H, glandulosodentatum Uechtr. Elbgrund! (A. Oertel). H, Fritzei, F, Schz. var. plejocephalum Uechtr. Langer Grund! (Oertel). H, alpinum L. var. eximium (Backh.). Gesenke: Gr. Hirsch- kamm (Formänek). der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 331 Var. calenduliflorum (Backh.). Riesengebirge: auf Wiesen an der kleinen Lomnitz über dem Melzersrunde!, am Gehängewege über Krummhübel bis ca. 800 m herabsteigend!, Kiesberg! (G. Schneider). H. nigritum Uechtr. Riesengebirge: Ziegenrücken! (Vandas in herb. Mus. bohem.). Gesenke: Maiberg, Backofensteine, Hörndlsteine (Formänek),. H. asperulum Freyn. Riesengebirge: sehr sparsam auch im Kessel an der Kesselkoppe (Trautmann, 1873, als H. crocatum (i. e. inuloides) x juranum); auch 1884 von Cyrill Purkyne an der Kesselkoppe ge- sammelt nach einem Exemplar des Prager Museums-Herbar. H. Schmidtii Tausch. Riesengebirge: Pantschefall! (Vandas); eine in den Blättern gegen die Var. persicifolium Fr. hinneigende Form, aber die Kopfstiele noch drüsenhaarig. H. murorum (L.) var. porrectum Uechtr. forma stylosa. EIb- srund bei Spindelmühl! (Fieinus). Exemplare mit zugleich etwas kleineren Köpfen. — Var. cinerascens (Jord.). Schönau: Kalkfelsen des Eichberges bei Tiefhartmannsdorf (Fiek). Ziegenhals: Holzberg! (Richter). — Var. alpestre Gris. kl. Schneegrube! (G. Schneider) und Krkonos im Riesen- gebirge! (C. Purkyne). — Var. crepidiflorum (Polak) vergl. Jahresb. 1883. Grosse Schneesrube! (G. Schneider. — F. microcephalum TUechir. Schmiedeberg: Weg nach den Grenzbauden beim ‚‚todten Mann“!, Brückenberg!, unter Kirche Wang! Asnetendorf!, Petersbaude!, altes Bergwerk am Kiesberge! (G. Schneider). H. bifidum Kit. Nach Formänek bei Carlsbrunn: Donnerslahn und Schafberg. H. caesium Fr. var. alpestre Lindebg. f. stylosa. Elbgrund bei Spindelmühl! (Fieinus) und zahlreich am Wege über der Elbfall- baude gegen die Elbwiese! (G. Schneider und früher schon Heger! und Pax). H. atratum Fr. var. polycephalum (Velen.). Elbgrund, in die Waldregion herabsteigend, zugleich mit Uebergängen zum Typus! (Fieinus) ; kl. Teich! (G. Schneider). H. vulgatum Fr. var. latifolium W. et Gr. Schmiedeberg: Gebüsche beim Hammergute! (Schneider). H, vulyatum Fr. Eine Uebergangsform der Var. argutidens n ex p.) zur Var. calcigenum (Rehm.) im Elbgrunde! (Vandas). Daselbst auch eine in der Inflorescenz an H. fastigiatum Fr. erinnernde Pflanze mit wenigen (3—4) grossen, gegen den Grund grobgezähnten verkahlenden Stengelblättern. Inflorescenz fein-drüsig; innere Hüllblätter fast kahl. Stengel mit Ausnahme der Basis ohne längere Haare, schärflich. H. laevigatum W. var. tridentatum (Fr.) f. f. grandidentatum Uechtir. Schmiedeberg: Buchwald schön ausgeprägt! (Schneider). 339 Jahres - Bericht H. laevigatum W. var. b. alpesir. F. Schz. (H. gothicum Fr. majore ex parte) B. phyllopodum Uechtr. (H. silesiacum Wimm. ß. dentatum K. Knaf). Seit der Entdeckung durch K. Knaf (1872) am Original- standorte (Kesselkoppe) von Vielen vergeblich aufgesucht, aber im August 1884 von K. Poläk wiedergefunden. Von den drei mir zur Ansicht mit- getheilten Exemplaren entspricht das eine dem Knaf’schen Originale ganz gut, die anderen sind etwas abweichender und sprechen entschieden für die Zugehörigkeit dieser interessanten Pflanze zu H. laevigatum v. alpesire, zumal zur Blüthezeit nur noch je ein frisches grundständiges Laubblatt vorhanden ist. Stengel etwas höher (0,29—0,37 m), bis 5blätterig; aber dann die obersten Blätter sehr klein; bei dem einen Exemplare 3köpfig. Blätter noch deutlicher gezähnt. H. boreale Fr. Symb. (mec Novit.).. Breslau: gegen Süden noch im kl. Tinzer Busche! (Kionka). Riesengebirge: selten am Gehänge über Krummhübel! (Oertel). H. umbellatum L. wird von Formänek noch auf dem Altvater an- gegeben; der alpinen Region der Sudeten fehlt diese sonst gemeine Art im Uebrigen gänzlich. — Var. stenophyllum W. ei Gr. Zwischen Beuthen a.O. und Carolath! (Hellwig). Derselbe beobachtete auch eine Ueber- gangsform zwischen diesem und der Var. coronopifolium (Bhd.) mit beider- seits nur je einem oft ansehnlichen Blattzahne, der öfter auch fehlt, im Kieferwäldehen an der breiten Mühle! bei Grünberg. Campanula rotundifolia L. f. albiflora. Aufzug bei Kontopp, Lippen! (Hellwig). Oxycoccos palustris Pers. Weidenau: Grosse Lusche (Formänek). Pirola minor L. Breslau: Rabenbusch zwischen Kl.-Tinz und Kl.-Sürding! mit P. rotundifolia (Kionka);, der erste Standort im südlichen Theile des Kreises. Hochgesenke: Backofensteine (Formänek). P. media Sw. Reinerz: Mooshüttenwald mit P, chlorantha! (Kionka). Erica Tetralix L. Muskau: Weisswasser (Fiek). Ligustrum vulgare L. Breslau: zahlreich in Gebüschen und Waldremisen zwischen dem Koberwitzer Parke und Zaumgarten; nament- lich an deren Rändern stellenweise vorherrschend und in mächtigen Sträuchern; hier allem Anschein nach vollkommen spontan. Vinca minor L. Ziegenhals: Holzberg! (Richter). Erythraea Centaurium Pers. f. albiflora. Breslau: um die Ziegelei zw. Kl.-Tinz und Bischwitz a. B. (Kionka). Gentiana eiliata L. Jauer: in einem alten Kalkbruche am Ober- hofe bei Leipe! (Richter), Schönau: Kirchberg bei Seitendorf (Derselbe). Lähn: Husdorf (M. Fiek). G. campestris L. Zwischen Altenberg und Seitendorf, Kr. Schönau! und sehr häufig um Leipe (Richter). der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 333 G. Amarella L. a uliginosa (W.). Breslau: südlich von Hai- dänichen! (Fiek). G. punctata L. Gesenke: Heiligenhübel und Hirschkamm sehr spärlich (Formänek). G. asclepiadea L. f. albiflora. Riesengebirge: Südlehne des Krkonos zahlreich (G. Schneider). Convolvulus arvensis L. var. auriculatus Dsr. Liegnitz: \ Sandfelder zwischen Vorderhaide und Neurode! (Gerhardt). Cuscuta lupuliformis Krocker. Beuthen a. d. Oder (Figert). Breslau: sehr gemein am Damme zwischen der Bildereiche und dem Josefinenberge. Cerinthe minor L. Breslau: Aecker an der Eisenbahn bei Zaungarten. Symphitum officinale L. var. albiflorum. Liegnitz: ziemlich " häufig im Schwarzwasserbruche unweit Boberau (Gerhardt). 8. tuberosum L. Ziegenhals: Bielewinkel! (Richter). Pulmonaria officinalis L. (fl. suec.) (P. obscura Dum., Kern.) ı f. albiflora. Jauer: ein Exemplar vor Moisdorf (Gerhardt). P. offieinalis L. (fl. suec.) var. maculosa Hayne (P. offieinalis L. spec. pl. ex p.; Dum., Kerner). Koberwitzer Park; neu für die ' Flora von Breslau. Die von mir gesammelten Exemplare gehören (vielleicht nur zufällig?) zu der selteneren Form mit ungefleckten Blättern. Lithospermum officinale L. Breslau: verbreitet in Gesträuch und in Waldremisen zwischen dem Koberwitzer Parke und Zaungarten ' östlich der Eisenbahn!!; auch westlich derselben an ähnlichen Localitäten bis in die Gegend von Heidänichen! (Fiek). Myosotis sylvatica Hoffm. Breslau: stellenweise häufig auch in den Oderwäldern, z. B. Strachate, Tschechnitz-Kottwitzer Wald bis Ohlau; auch unterhalb der Stadt, so im Peiskerwitzer Oderwald! (Hübner). — Nicandra physaloides Gärtn. Gleiwitz: bei der Hütte in Gärten und auf Aeckern als Unkraut! (Jungck). Solanum nigrum L. var. memphiticum (Mart.). Breslau: Kar- toffeläcker bei Pilsnitz, Gr.-Oldern. Datura Stramonium L. Breslau: an der Oder bei der Universitäts- brücke!! (Dr. Friedrich). Die Var. Tatula (L.) vereinzelt in Syringa- Hecken der Matthiasstrasse. V. phlomoides L. Wird von Formänek noch bei Carlsbrunn am Wege zur Gabel angegeben, während es anderweitig im Gebiete aus dem höheren Vorgebirge nicht bekannt ist. V. Zychnitis L. Freudenthal (Formänck). V. nigrum L. var. lanatum (Schrad.) Grünberg: Droschkau ' einzeln! (Hellwig). 34 Jahres - Bericht > Verbascum phoeniceumL. Breslau: Schlanz (Dr. W. G. Schneider). V. Blattaria L. Breslau: Stenzelbusch bei Bischwitz a. B.! (Kionka). Liegnitz: Neuhof, Tivoli, Kirchhof (Figert). V. ihapsiforme X nigrum Schiede. Lüben: Altstadt, unter den dort ohne andere Arten vorkommenden Eltern nur ein Exemplar! (Figert). V. nigrum X Lychnitis Schiede. Gesenke: Freudenthal unter den Eltern (Formänek). Scrophularia alata Gil. Lüben: sehr häufig am kalten Bach in Gr.-Kriechen (Figert). Breslau: Wiesengräben vor und Bachufer hinter Oldern, sowie weiterhin gegen Schmortsch, hier verbreiteter als S. nodosa und zugleich in deutlichen Uebergängen zur var. Neesii (Wirtg.). —+- Linaria Cymbalaria Mill. Lüben: Stadtmauer, ziemlich häufig (Figert). L. spuria Mill. Breslau: einzeln vor Gr.-Oldern, zugleich mehr- spornig!! (Fiek). Mit zahlreichen Pelorienbildungen verschiedener Art, oft an demselben Individuum in Menge südlich des Brockauer Parkes, wogegen die ebenfalls dort sehr häufige L. Elatine, wie gewöhnlich, keinerlei Bildungsabweichungen der Blumen zeigte. L. arvensis Mill. Breslau: in einer Sandgrube des Hügels nörd- lich vom Koberwitzer Parke (Fiek). Gratiola offieinalis L. Lüben: Feldgraben zwischen Gr.-Kriechen und Oberau! (Figert). Digitalis ambigua Murr. Breslau: Riemberger Forst (C. Scholz). Veronica Anagallis L. Eine Uebergangsform von var. anagalli diformis Boreau mit nur vereinzelten Drüsen der Infloreseenz: Liegnitz: Sandgrube bei Gr.-Beckern! (Gerhardt); auch um Breslau nicht selten. V. aquatica Bernh. Liegnitz: Scheibe! (Gerh.). Breslau: vor Rothkretscham, Teich in Schwoitsch, rechts der Strasse nach Lissa vor Altenhayn. — Var. dasypoda Uechtr. Liegnitz: vor Lindenbusch! (Gerh.). Breslau: Wiesengräben links vor Lissa. V. montana L. Ziegenhals: Jesuitenwald am Holzberge! (Richter). Hirschberg: Sattlerschlucht (M. Fiek). Bartschia alpina Z. Altvater (Formänek). Melampyrum cristatum var. pallidum Tausch. Belkau bei Nimkau! (©. Scholz). M. pratense L. v. integerrimum Döll, Gr.-Glogau: Dalkauer Hügel! (Hellwig). Odontites rubra Pers. var. pallida Lange. Waldenburg: Vor dem Kalkofen zwischen Lässig und dem Wildberge! (Hübner). Enphrasia picta Wimm. Gesenke: Leiterberg, Heiligenhübel, Gr.-Hirschkamm, Schieferhaide (Formänek) der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 335 Mentha silvestris L. var. tomentosa W. et Gr. Jauer: Leipe, ‚ am Kalkteiche! (Richter). M. arvensis L. var. parietariaefolia (Beck). Ziegenhals: Rother Berg, eine kleinblätterigere Form! (Richter). Salvia glutinosa L. Gesenke: bei Carlsbrunn von Formänek " wiedergefunden, und zwar an der Mooslehne. — Satureja hortensis G. Breslau: massenhaft verwildert auf wüsten Brachen hinter den Lehmgrubener Kirchhöfen, Lamium maculatum L. Breslau: schattige Bachufer der Gehölze hinter Kl.-Oldern nicht selten (Fiek und Ue.); Wölfelsgrund am Schnee- berge bis fast 1200 m. (Fiek). — Forma albiflora: Liegnitz: Berghäuser sehr selten (Figert). L. album L. Gleiwitz: neuerdings eingeschleppt an einer Stelle am Kanal (Jungck); früher nie beobachtet. Höchstes bekanntes Vor- kommen; Forstbauden im Riesengebirge ca. 1200 m (Junger). Galeopsis Tetrahit war. bifida) X pubescens Lasch. Breslau: an zwei Stellen im Koberwitzer Parke unter den Eltern. G. angustifolia Ehrh. Oppeln: Groschowitz (Fiek). Stachys germanica L. Breslau: sehr spärlich an einem Feld- sraben kurz vor Koberwitz mit Cerinthe!! (C. Scholz). Bei uns sonst nur bis ins niederste Vorgebirge, wird aber von Formänek bei Carls- brunn angegeben (Antonsteig, Breite Lehne, Hubertuskirch). St. silvatica L. Riesengebirge: Waldregion des Ziegenrückens! (Dr. Schube). St. annua L. Breslau: ein verschlepptes Exemplar am Wege süd- lich des Weidendammes! (Hübner). Prunella grandiflora Jacg. Breslau: gemein auf Wiesen und in lichtem Gehölz zwischen dem Koberwitzer Parke und Zaungarten!!, Wiesen am Stenzelbusche bei Bischwitz a. B.! (Kionka). Grünberg: Dammrauer Berge, auch mit am Grunde gezähnten Blättern! (Hellwig). Teuerium Scordium L. Lüben: Gr.-Kriechen (Figert). Trachen- berg: Corsenzer Rossgarten (Schwarz). Pinguicula vulgaris L. Gesenke: vereinzelt unter der Schweizerei am Altvater (Fermänek). —+ Lysimachia punctata L. Liegnitz: an der Eisenbahn an einer Stelle zwischen Weiden zahlreich (Figert). Jauer: spärlich in einem Gebüsch bei Lobris (F. W. Scholz). L. nemorum L. Ziegenhals: häufig am Holzberge! (Richter). Primula officinalis Jg. Breslau: Koberwitzer Park im tiefen Waldschatten sehr üppig mit beiderseits grünen Blättern. P. minima L. f. albiflora. Riesengebirge: Brunnberg sehr selten \ (G. Schneider). 336 Jahres-Bericht Anagallis arvensis L. var. caerulea (Schreb.) Breslau: anf Schutt südlich des Weidendammes ein Exemplar unter A. phoenicea Lam., Linaria minor, Arenaria leptoclados etc. Plantago arenaria W. et K. Lüben: an der Kaserne gegen den Exercierplatz (Figert). | P. media L. f. polystachya. Liegnitz: hin und wieder, doch seltner als die analoge Form der P. lanceolata (Figert). Litorella juncea Bergius ist bei Zibelle am Teiche der rothen Mühle nach Fiek nicht mehr vorhanden. — Amarantus paniculatus L. var. sanguineus (L.). Breslau: am Tinzer Busch bei Bischwitz a. B.! (Kionka). A. reiroflexus L. Ziegenhals: bisher nur an einer Mauer bei der Kaserne! (Richter). — Blitum virgatum L. Jauer: Hertwigswaldau! (F. W. Scholz). Chenopodium ficifolium Sm. Breslau: spärlich auf Kartoffel- äckern zwischen dem Parke und der Chaussee vor Koberwitz. — Spinacia inermis Mnch. Breslau: Eisenbahndämme bei Pöpelwitz. + Fagopyrum tataricum Gärtn. Grünberg: zwischen Lättnitz und Cosel (Hellwig). Polygonum aviculare L. var. monspeliense Thieb. Grünberg: Droschhaidau! (Hellwig). Rumex crispus X obtusifolius G. F. Mey. Breslau: ein Exemplar auf den Ohlewiesen bei der Haase’schen Brauerei unter den Eltern. R. obiusifolius L. var. agrestis Fr. Novit. Grünberg: alte Schloiner Strasse sehr ausgeprägt! (Hellwig). R. Acetosella L. Hohe Haide im Gesenke (Formänek). Thesium intermedium Schrad. Breslau: am Schwoitscher Fuchsberge noch jetzt an einer Stelle mit Sedum reflecum. Prausnitz: Quallberg bei Wilkawe (Schwarz). Euphorbia Cyparissias X lucida Wimm. Grünberg: Oder- wald! (Hellwie). | Urtica dioeca L. v. subinermis Uechtr. Gesenke: Freudenthal (Formänek). Parietaria officinalis L. Oppeln: Tarnau (Schmidt). Ulmus montana With. Jauer: Profen! (F. W.' Scholz). Wölfels- grund am Schneeberg (Fiek). Betula pubescens Ehrh. Breslau: zwischen dem Koberwitzer Parke und Zaungarten in feuchten Gehölzen. Almus glutinosa X incana Krause. Liegnitz: ein Strauch am > I st Are . B\ F » m x Rinnständer unter den Eltern! (Figert und Gerh.). der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 337 — A. serrulata W. Grünberg: Hillers Seechen, ein fertiler Strauch! (Hellwig). Salixz pentandra L. var. polyandra Bray. Liegnitz: Tzschocke (Figert). 8. fragilis X pentandra Wimm. Liegnitz: am Schwarzwasser bei Pfaffendorf! (Figert). S. purpurea X viminalis Wimm. var. angustifolia (Tausch.). Liesnitz: an der unteren Gransche unterhalb Gr.-Beckern! (Gerhardt und Figert). S. aurita X purpurea Wimm. Liegnitz: Ausschachtungen der Eisenbahn dem Kirchhofe gegenüber! (Gerh. und Figert). S. Caprea X purpurea Wimm. Liegnitz: Tzschocke! (Figert). 8. einerea X viminalis Wimm. Liesnitz: Bahn - Ausstiche (Gerh. und Figert). Katzbachufer unterhalb Altbeckern! (Fig.). Grün- berg: Bachufer bei Köhler’s Spinnerei! (Hellwig). 8. Caprea X viminalis Wimm. Liegnitz: Bahnausstiche und bei einer Ziegelei vor Lindenbusch! (Figert). Katzbachufer vor Panten! (Gerh.). Oderwald bei Maltsch! (Figert). S. aurita X viminalis Wimm. Liegnitz: an der Freiburger Bahn am Kirchhofe! (Figert). 8. silesiaca X Lapponum Wimm. Riesengebirge: Weisswasser- srund! (Dr. H. Krause), S. Caprea X cinerea Wimm. Lüben: Gr.-Kriechen im Walde steril! (Figert). S. aurita X repens Wimm. Liegnitz: hinter der Oberförsterei Panten (Gerhardt) und auf Haidemoor im Brieser Walde! (Figert), je ein Strauch. S. cinerea X repens Wimm. Grünberg: zwischen Cosel und Kunzendorf!, Lawaldauer Chaussee! (Hellwig). Stratiotes aloides L. Festenberg: Mühlteich in Althammer (Schwarz). | + Elodea canadensis Casp. Liegnitz: Abfluss des Grossteiches bei Kuchelberg (Gerhardt). Potamogeton perfoliatus L. Pless: Paprocezanteich (Fiek und Wetschky). P. nitens Weber. var, lacusiris Cham. Kontopp: Nordwestufer des Schlawasees bei Josephshof zahlreich, aber steril! (Hellwig). P. heterophyllus Schreb. var. graminifolius Fr. Grünberg: Torftümpel bei Semmlers Lug bei Pirnig! (Hellwig). Oppeln: Szezepano- witzer Teich (Schmidt). P. Friesii Rupr. (P. mucronatus Schrad.). Trachenberg: in einigen Röstlöchern bei Corsenz zahlreich, in der Orla selten! (Schwarz). P. pectinatus L. Breslau: im vorderen Teiche bei Cosel steril. 1884. 22 98 Jahres-Bericht au P. pusillus L. var. Berchtoldi Fieber. Warmbrunn: in einem f schnellfliessenden Graben bei Giersdorf, in einem stagnirenden auch der ® Typus (Fiek). P. trichoides Oham. [Mährisch-Ostrau: Teiche bei Hrabowa! (Wetschky))]. Calla palustris L. Goldberg: Giersdorf häufig (Figert). Sparganium minimum Fr. Oppeln: zwischen Königshuld und Kollanowitz (Schmidt). E Orchis incarnata L. Liegnitz: in einer Lehmgrube vor Anna- | werder (Gerhardt). Gymnadenia conopea R. Br. var. densiflora (Whbg.). Lüben: Gross-Kriechen häufig auf torfhaltigen Wiesen! (Fiegert). Erster Standort in der schlesischen Ebene. Ein Exemplar auch bei der Schlingelbaude im Riesengebirge (G. Schneider). Cephalanthera pallens Rich. Schönau: Repprichberg bei Kauf fung zahlreich, sparsam am Eichenberge gegen Tiefhartmannsdorf (Fiek), Herminium Monorchis R. Br. Lüben: Torfwiesen bei Gross- | Kriechen sehr sparsam! (Figert). Dritter Standort dieser in neueren Zeiten, soweit bekannt, überhaupt nicht wieder beobachteten Pflanze. Epipogon aphyllus Sw. Reichenstein: Jauersberg in mehrfachen Gruppen (Wetschky). Epipactis palustris Orntz. Lüben: häufig um Gross-Kriechen (Figert). Prausnitz: Rodelandberg bei Wilkawe (Schwarz). Iris sibirica L. Breslau: Wiese am Warteberge (C. Scholz). Leucojum vernum L. Schweidnitz: Niederbusch bei Stephans- hain (Schöpke). Prausnitz: Krumpach-Wiesen bei Wilkawe (Schwarz). Galanthus nivalis L. Prausnitz: mit vorigem. Trebnitz: Scha- } woine (Schwarz). Anthericum ramosum L. Breslau: Schwoitscher Fuchsberg noch jetzt, dagegen bei Carlowitz seit langer Zeit nicht wieder beobachtet. Gagea minima Schult. Kawallen bei Obernigk und Wilkawer Quallberg (Schwarz), Ornithogalum umbellatum L. Jauer: Grasgarten in Hennersdorf (Gerhardt). Breslau: Bischwitz a, B. (Kionka),. Lilium Martagon L. Altvater, nahe am Gipfel (Formänek). Allium Scorodoprasum L. Breslau: zahlreich in einem Gebüsch bei Bischwitz a. B.! (Kionka). A. vineale L, Ober-Schmiedeberg (G. Schneider). Muscari comosum Mill. Niesky: Daubitz (Cantor Kahle t. Fiek). Prausnitz: Kartoffeläcker bei Wilkawe (Schwarz). Veratrum Lobelianum Bernh. Weidenau (Formänek). ke Juncus effusus X glaucus Schnizl. und Frickh. Liegnitz: Siegeshöhe, Lindenbusch, Schwarzwasserbruch! (Figert und Gerhardt). os ur EEE Dei. DEE, PR Fern en 7°, der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 339 J. capitatus Weig. Pless: Paproczanteich; zwischen Kopain und Sciern (Wetschky). J. [uscoater Schreb. Myslowitz: am Imielok bei Imielin mit J. supinus! (Wetschky). Grünberg: Holzmanns Ziegelei! (Hellwig). Warmbrunn: Gotschdorfer Teich (Fiek). Muskau: Rietschen, Zibelle (Fiek). Luzula pallescens Bess. Breslau: Wiesen nördlich von Altenhayn. Deutsch-Wartenberg: Schlossberg bei Bobernig! (Hellwig). L. campestris DC. f. monostachya. Grünberg: Saaborer Gruft! (Hellwig). Heleocharis ovata R. Br. Falkenberg: am nordwestlichen Abfluss des Sangorteiches (Schmidt). Proskau (Derselbe). Seirpus maritimus L. Grünberg: Teich zwischei, Schweinitz und Kunzendorf! (Hellwig). Neu für die dortige Flora. Carex pulicaris Z. Breslau: Moorwiesen nördlich von Altenhayn. Prausnitz: Quallberg bei Wilkawe auf Torf (Schwarz). C. Davalliana Sm. Hirschberg: altsr Bober, Ober-Berbisdorf östlich der Kapelle (Fiek). C. paradoxa W. Lüben: Gross-Kriechen nicht selten (Figert). Hirschberg: beim ‚‚kalten Brunnen“ unweit der Waldhäuser (Fiek). ©. Buekii Wimm. Breslau: am Fusse des Schwoitscher Fuchs- berges. C. caespitosa L. Breslau: in einer breitblätterigen Form auf den Sumpfwiesen nördlich von Altenhayn sparsam. ©. acuta (L. ex p.) Fr. var. sphaerocarpa Uechtr. Breslau: Wiesen vor Lissa mit Orchis palustris. — Var. tricostata (Fr.). Breslau: Wiesen zwischen Kapsdorf und Riesenthal! (Preiser). C. pallescens Z. Altvater (Formänek). C. tomentosa L. Prausnitz: Muritscher Waldberge (Schwarz). C. montana L. Breslau: massenhaft auf trocknen sonnigen Wiesen („Gandauer Wiesen‘‘) zwischen Altenhayn und der Stettiner Bahn in der Riehtung auf Gross-Masselwitz mit (. verna, Potentilla alba, Peucedanum Cervaria, Scorzonera humilis, Tetragonolobus. — Prausnitz: Muritscher Waldberge (Schwarz). 0. Hornschuchiana Hoppe. Breslau: zahlreich an einem Wiesen- graben mit CO. distans und C. Buxbaumii nordöstlich von Altenhayn un- weit des Standorts der vorigen. C. Pseudocyperus L. Oppeln: Sowada (Schmidt). —+ Panicum capillare L. Breslau: auch neuerdings als Unkraut im botanischen Garten; vereinzelt auf Schutt am Fahrwege südlich des Weidendammes. Setaria verticillata P. B. var. breviseta Godr. Breslau: bota- nischer Garten, II# 340 Jahres - Bericht Anthozanthum odoratum L. var. villosum Lois. Hirschberg: ” alter Bober (Fiek). 3 + Alopecurus agrestis L. Liegnitz: an der Katzbach vor Tivoli = (Figert). Phragmites communis Trin. var. flavescens Cust. Breslau: Gross-Oldern. Avena pubescens L. var. glabra Fr. Breslau: Carlowitz. Melica nutans L. Riesengebirge: Teufelsgärtehen an grasigen Felslehnen! (Fiek). M. transsilvanica Schur (M. ciliata aut. siles.). Bolkenhain: Sei- tendorfer Kalkberge! (Fiek). Briza media L. f. pallens Peterm. Liegnitz: Wald zwischen dem Krummlinder Torfbruch und Vorderheide! (Gerhardt). Eragrostis minor Host, Breslau: wüste Stellen hinter der Mau- ritiusbrücke. Poa nemoralis L. var. rigidula Gaud. Mauern in Hermanns- dorf mit P. compressa (Gerhardt). P. compressa L. var. Langiana (Rchb.). Liegnitz: Ziegelei an der Siegeshöhe! (Gerhardt). P.Chaisii Vill. var. remota Fr. Gleiwitz: Labander Wald an einer Stelle häufig! (Jungck). Glycerva plicata Fr. Breslau: Gräben nördlich vom Koberwitzer Parke. Dactylis glomerata L. var. nemorosa Klett et Richt. Breslau: Koberwitzer Park. — Der Typus noch am Altvater nahe am Gipfel, dort nur mit violetten Aehrehen (Formänek). Vulpia myurus Gmel. Lüben: Kirchhügel bei Altstadt (Figert). Beuthen a. O.: westliches Ende von Hohenborau! (Hellwig). V. sciuroides Gmel. Löwenberg: Heideberg (Dresler). Kontopp: Pirniger Fähre vor dem Wirthshaus! (Hellwig). Festuca glauca Lam. var. psammophila Hackel. Breslau: Schwoitscher Fuchsberg, früher verbreitet, noch jetzt an zwei Stellen ziemlich zahlreich, ohne F. glauca, die indessen am westlichen Abhange, obwohl selten, auch noch vorhanden ist. F, heterophylla Lam. Löwenberg: Popelberg, Plagwitzer Stein- berg und am Zips bei Siebeneichen ziemlich häufig! (Dresler). F.arundinacea Schreb. Breslau: Wiesen und Gräben am und im Koberwitzer Parke häufig. Brachypodium silvaticum P, B. J. gracilius Lange. Breslau: Olderner Park und angrenzende Gehölze unter dem Typus. Bromus mollis L. var. liostachys Tsch. Um Liegnitz mehrfach (Gerhardt). B. racemosus L. Liegnitz: Peist! (Gerhardt). der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 341 B. commutatus Schrad. Breslau: Koberwitz am Bahnhofe sparsam. | B. erectus Huds. Schönau: in Menge am Eichenberge bei Tief- hartmannsdorf und auf den benachbarten Kalkbergen auch an felsigen Stellen! (Fiek). Neu für das eigentliche Vorgebirge, wurde indessen schon von Albertini um Seichau bei Jauer angegeben. B. sterilis L. Löwenberg: an einer Mauer bei der Stadt (Dresler). B. tectorum L. var. glabratus Sond. Liegnitz (Gerhardt). Taxus baccata L. Einige Sträucher am Mühlberge bei Kauffung (Fiek). *Pinus Laricio Poir. var. nigricans (Host). Jauer: Bremberger Berge unter P. silvestris in einer kleinen Gruppe gepflanzt (Figert und Gerhardt). Salvinia natans All. Pless: Paproczanteich (Dr, Gürich). Neu- Berun: Przykryteich bei Biassowitz (Wetschky). [Mähr.-Ostrau: Teiche bei Hrabowa mit ZLimanthemum und Elatine Alsinastrum (W etschky.)} Pilularia globulifera L. Zwischen Rietschen und Werda in einem Ausstiche der Schöpsniederung (Hirche t. Fiek). Lycopodium complanatum L. @ anceps (Wallr.). Schweidnitz: Ober-Weistritz (Schöpke). Ziegenhals: Holzberg unter dem Hohenzollern- stein (Richter). Equiseitum arvense L. var. nemorosum A. Br. Breslau: Schwoitscher Fuchsberg, hinter Oldern, Koberwitzer Park. Gesenke: Freudenthal (Formänek). | E. pratense Ehrh. Deutsch-Wartenberg: Schlossberg bei Bobernig! (Hellwig). E. hiemale L. Trachenberg: Lauskower Laubwald (Schwarz); für das Vorgebirge zuerst am Molkenbache unterhalb Flachenseiffen bei Hirschberg von Fiek nachgewiesen. Boirychium Lunaria Sw. Gleiwitz: Labander Wald! (Jungcek); Kontopp: zwischen Josephshof und Schwenten! und am nordwestlichen Ufer des Schlawa-Sees! (Hellwig); Grünberg: Saaborer Gruft! und zwergig zwischen Droschkau und Dammerau! (Derselbe). Phegopteris polypodioides Fee. Ziegenhals: Holzberg (Richter). Ph. Robertianum A. Br. Schönau: Eichenberg bei Tiefhartmanns- dorf und benachbarte Kalkberge in Menge! (Fiek). 349 Jahres - Bericht DYR Bericht über die Thätigkeit der entomologischen Section im Jahre 18834, erstattet von K. Letzner, Zeitisem Secretair der Section. Die entomologische Section hat sich im abgelaufenen Jahre zu zehn Sitzungen versammelt, welche von Gästen zahlreich besucht waren, und in welehen von Herrn Baumeister Fein, Herrn Dr. W. G. Schneider und dem zeitigen Secretair der Section Vorträge gehalten wurden. | Herr Gutsbesitzer Naacke und Herr Dr. med. Wocke waren leider auch in diesem Jahre von dem Besuche der Versammlungen durch Krankheit abgehalten. I Herr Baumeister Fein hielt am 21. Januar einen Vortrag über dc Anisotomini, erläuterte denselben durch das Mikroskop, namentlich in Beziehung auf die Fühlerkeule, die Tarsen und das Kugelvermögen der Arten, und setzte denselben am 3. März unter Vorzeigung der schlesischen Arten dieser Familie fort. 3 Herr Dr. W. G. Schneider sprach über ein kleines Inseet (Heme- robiide?), welches sieh im Zimmer auf den Blättern einer Fuchsia ein- sefunden und daselbst seine Entwickelung durchgemacht hatte. Der zeitige Seeretair hat folgende Vorträge gehalten: 1. Weber ein Massenauftreten des Othius punctipennis Lac. (laeviusculus Steph.). Dass manche Arten der Inseeten (und zwar aus allen Ordnungen) nach gewissen Zeitperioden, die für ihre Entwickelung und Vermehrung besonders günstig waren, in Menge auftreten, und dem Menschen durch ihre Menge dann wohl oft in Gärten, Feldern und Wäldern sehr schäd- lieh werden, ist Jedem bekannt; ich erinnere nur an Bruchus Pisi, j | | N | Zi EAN nn En RE un Be N LE I a der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 343 Sitophilus granarius, Otiorhynchus niger, die Bostrichus- und Haltica- Arten ‘ unter den Käfern. Aber auch viele andere Arten, welche nicht in so grosser und oft wiederkehrender Menge aufzutreten pflegen, sondern meist nur ziemlich häufig, ja sogar nur ziemlich selten angetroffen werden, treten in gewissen längeren Perioden plötzlich ein Mal häufig, zuweilen sogar in Masse auf. Ueber ein solches Massenauftreten 1) des Otiorhynchus Ligustici L. in der Nähe von Ohlau habe ich berichtet in ' dem 53. Jahres-Ber. der Schles. Ges. (1875) $. 179 u. 180, 2) der Coceinella (Adalia) undecimnotata Schneid. in dem 44. Jahres-Ber. der Schles. Gesellsch. (1866) S. 161—168. i Durch die Gewogenheit des Herrn Dr. med. Wocke erhielt ich ‚am 16. Juni d. J. Nachricht von einem ähnlichen Massenauftreten des "im Ganzen seltenen Othius punctivennis Lac., laeviusculus Steph., in der ersten Hälfte des Juni. In dem in der Nähe von Gärten an der Pro- menade gelegenen Wohnhause des Herrn Kaufmann Georg Wocke in Troppau war das genannte Thier an dem einen Tage plötzlich in solcher 1 Menge aufgetreten, dass man sich desselben nicht zu erwehren ver- ‚ mochte, dass es überall umherlaufend und fliegend den Hausflur und die Gegenstände in demselben bedeckte, und selbst in die Wohnzimmer eindrang. Eine Anzahl derselben liess Herr G. Wocke (ein grosser ' Freund der Insectenkunde) zusammenkehren, in Spiritus tödten und mir - freundlichst zustellen. Es waren weit über 800 Exemplare, viele natür- ‚lich beschädigt und für Sammlungen nicht verwendbar. — Dieses äusserst | merkwürdige Massenauftreten des in Schlesien und Deutschland sonst ' seltenen Thieres ist bisher unerklärt, da meine Vermuthung, dass die Thiere mit frischem Heu in das Gebäude gekommen sein könnten, sich ‚ als irrthümlich erwiesen hat. — Der Menge von Exemplaren fanden sich noch folgende Käfer-Arten (jede Species jedoch nur in 1 Exemplar) bei- gemischt: Trechus minutus F., Cercyon haemorrhoidale F., Aleochara rufi- ‚ cornis Grav., Gyrophaena nana Payk., Homalium caesum Grav., Alophus ‚ triguliatus F., Donacia semicuprea Pz. und Phyllotreta nemorum L. | Im Herbste dieses Jahres hatte sich, ebenfalls in Troppau, gegen ' Ende October aus den aus Oberschlesien stammenden Samen von Saro- thamnus vulgaris in grosser Menge entwickelt: Bruchus (Mylabrıs Geoffr.) villosus F., Cisti Payk., ater Marsh. Herr Kaufmann G. Wocke hatte die Güte, mir von demselben etwa 1000 Stück zukommen zu lassen, von denen mehrere noch in der sie beherbergenden Frucht steckten, und aus deren vorderem Theile nur mit ihrer Afterdecke und dem letzten Bauch- segmente hervorragten. Da unter denselben nur 15—20 Exemplare von Apion fuscirostre F. sich fanden, welches ebenfalls in den Samen von Sarothamnus seine Verwandlung durchmacht und im Herbste häufig ge- fangen wird, so mag dasselbe dieses Jahr von Bruchus alter wahrschein- lich verdrängt und in seiner Entwickelung gestört worden sein. 344 Jahres - Bericht Bruchus villosus F. entwickelt sich übrigens auch in den Samen des Astragalus Ratisbonensis, in denen Herr Oberbergamts-Secretair Langner mehrere Exemplare aus Wien erhalten und mir freundlichst über- lassen hat. Herr Director Kletke hatte aus einer Apotheke eine Anzahl Zytta vesicatoria L. erhalten, welche von einer grossen Zahl des Anobium (Sito- drepa) paniceum L. gänzlich zerfressen waren. — Ebenso war von diesem schädlichen Thiere gänzlich vernichtet worden eine Quantität von Sambulus moschatus (Euriangulum Sambulum), Archangelica moschata, ein durch die Russen in den Handel gebrachtes Heilmittel (radix Sambuli). 2. Melolontha vulgaris F., Var. nigra. Durch Herrn Limpricht, Lehrer der höheren Bürgerschule II, wurde mir freundlichst ein schwarzes, noch lebendes Exemplar der Melolontha vulgaris F. mitgetheilt, welches Herr B. Hielscher in Reibnitz bei Schmolz in der ersten Hälfte des Mai d. J. daselbst gefangen und den 13. Mai geneigtest eingesendet hatte. Es ist ein 2 von mehr als mitt- lerer Grösse und ausgebildetem Schnabel, ganz schwarz, mässig glänzend. Nur die Keule der Fühler ist roth, das 1. bis 5. Glied derselben mehr oder weniger schwarz, stellenweise roth gefleckt. Die Taster sind schwarz. Auf der Oberseite sind die weissen Härchen auf den Decken sparsam und kurz, auf den erhabenen Rippen fehlen sie ganz. Auf dem Kopf und Thorax sind dieselben länger und bilden auf dem letzteren unfern der Seiten und auf der Mitte drei theilweise unterbrochene, weisse Längslinien. Unterseite, Beine und Tarsen sind schwarz, Hinter- brust mit dichter, langer, blassgelber Beharung. Die Seiten der Bauch- segmente mit den gewöhnlichen dreieekigen oder trapezförmigen, kreide- weissen Flecken. Erichson (Naturgesch. der Ins. Deutschl. III, 692) erwähnt diese sehr seltene Var. mit den Worten: Bei einer seltenen Abänderung sind die Flügeldecken ganz oder grösstentheils schwarz. 3. Ueber Letzneria lineata Letzn. Am 7. Juli dieses Jahres war ich so glücklich, ein Pärchen des sen. Thieres am Leiterberge, dem Abfall des kleinen Vaterberges nach den Quellen der Freiwalder Biele hinab, zu erbeuten, welches gegen Mittag in Copula im Sonnenscheine an einer anbrüchigen Fichte am Waldrande sass.. Nachdem die Thiere getrocknet waren und ich sie einer genaueren Betrachtung unterworfen habe, erlaube ich mir als Er- sänzung zu Ganglbauer’s Beschreibung (Best.-Tab. VII, p. 17) Folgendes mitzutheilen. Der Mund, namentlich die Oberlippe, wie die Kinnbacken und Taster (mit Ausnahme der Spitzen beider) sind, wie Ganglbauer ganz der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 345 - riehtig angiebt, röthlich-gelbbraun. Das 1. Fühlerglied ist an der Spitze jedoch selten heller gefärbt, meist ganz schwarz, dagegen das 2., 3. u. 4. Fühlerglied meist immer röthlich-gelbbraun, das 3. u. 4. Glied oft an der Spitze etwas schwärzlich. — Der Thorax ist auch am Vorder- und Hinterrande (an dem letzteren in der geringsten Ausdehnung) sehr dicht punktirt und deshalb matt, in der Mitte glatt, glänzend (wie der Hals des Kopfes) mit einer Längsvertiefung, ganz wie sie Ganglbauer - beschreibt, mit feiner, gelbbräunlicher, meist abstehender Beharung ver- sehen. — Die Beine sind röthlich-gelbbraun, die Schenkel gegen die Knie hin mehr oder weniger schwarz, öfters bis zur Hüfte ganz schwarz, namentlich die Hinterschenkel, so dass man, da die dunklere Färbung sich bei den heller gefärbten Schenkeln nach beiden Enden hin all- mählich verläuft, doch von einem dunkleren Ringe der Schenkel nicht sprechen kann, wenn auch die Knie gelbroth sind. Bisweilen sind die sanzen Vorderschenkel hell gefärbt. Dagegen ist bei meinen Exemplaren die Spitze der Schienen (wie Ganglbauer richtig bemerkt) immer dunkel, fast schwarz. — Die Flügel sind schwärzlich. — Die Flügeldecken sind, wie Ganglbauer sie beschreibt, mehr oder weniger dicht, zuweilen sogar runzelig-punktirt, mit anliegender, kurzer, röthlich -gelber Be- harung versehen. Der schwarze Längsstreif auf der Mitte der Decken ist vorn am breitesten und färbt auch die stark hervortretende Schulter- beule sanz dunkel. Derselbe reicht nicht immer bis zur Spitze der a mn Ent Eee. EEE ET DEE BETTEN EEE EHE ee Ju RE ee SER > »_ EHRE en ET Te ET En ee % Decken, sondern erlischt zuweilen kurz vor derselben, so dass an der Spitze selbst nur die Naht und der schwarze Seitenstreif (welcher hinten am breitesten ist) einander berühren, und die beiden röthlich - gelben Längsstreifen jeder Decke (zu beiden Seiten des schwarzen Längsstreifes auf der Mitte) einander treffen. Var. flavescens. — Bisweilen gewinnt aber das Schwarz bedeutend das Uebergewicht über das Gelb, und der innere röthlich-gelbe Längsstreif (welcher den schwarzen, über die Mitte der Deeken hinziehenden Streif nach innen begrenzt) wird alsdann bald so schmal, dass er gegen die Mitte der Decken gänzlich erlischt und auf der hinteren Hälfte derselben nur noch einmal als schmales, läng- liches, bräunliches, durchscheinendes Strichel wahrzunehmen ist. Das hinterste Viertel der Decken ist ganz schwarz, da der äussere gelbe Strich (neben dem schwarzen Aussenrande) auf der hinteren Hälfte ganz geschwunden ist und nur noch auf der vorderen Hälfte als ein kurzes, bräunliches Strichel kaum bemerkbar ist. Var. nigrescens. Dieser Form gehört das $ von dem dieses Jahr in Cop. gefangenen Pärchen an; das 2, obwohl verhältnissmässig auch dunkler als sonst gewöhnlich, gehört zu der von Ganglbauer beschriebenen genuinen Form. — Als Geschlechts- unterschiede fallen in die Augen: 1) das Männchen besitzt einen etwas kleineren, schlankeren, namentlich in der Mitte der Decken schmaleren Körper; 2) das 5 hat etwas längere Fühler (die Spitze der Decken 346 Jahres - Bericht 2 fast erreichend), deren einzelne Glieder (mit Ausnahme des oft ganz röthlich-gelben 2. Gliedes) nur an der Basis gelbröthlich, an der Spitze schwarz sind. Vom 6. Gliede an ist fast (mit Ausnahme des Endgliedes) die äussere Hälfte jedes Gliedes schwarz. Das 3. wie das 4. Fühler- slied sind bei dem 5 etwas kürzer als bei dem 2, jedoch auch dann noch beide zusammen fast. noch kürzer oder eben so lang als das 5. Glied. Dieses ist bei dem Weibchen allein an der Spitze schwarz, während die folgenden Glieder bis an ihr Ende gelblichroth (oder kaum ein wenig dunkler an der Spitze) gefärbt sind. 3) Bei dem 3 ist der Hinterleib an der Spitze schmal und ganz von den Flügeldecken bedeckt, bei dem 2 ragt das Analsegment und ein grösserer oder geringerer Theil des vorletzten Bauchsegmentes über die Flügeldecken hinaus und hat (da die Segmente nicht hart und steif sind) ein zusammenge- schrumpftes, verbogenes Aussehen. Nur bei solchen Individuen, welche sich muthmasslich noch begatten sollen, und bei denen die Begattung noch nicht in nächster Aussicht steht, ist das Abdomen ganz unter den Flügeldecken verborgen. 4) Bei dem 2 ist das letzte Abdominal- Segment flach eingedrückt und etwas stärker als die vorhergehenden Bauchsegmente punktirt. Varietäten: a. genuina; der schwarze Längsstrich auf der Mitte der Decken vereinigt sich an der Spitze mit dem schwarzen Strich am Aussenrande und mit dem schmalen schwarzen Strich an der Naht. — b. flavescens; der schwarze Längsstrich auf der Mitte der Decken reicht hinten nicht bis zu dem schwarzen Strich an der Naht und am Aussen- rande, so dass sich die beiden gelben Längsbinden an seiner äusseren und inneren Seite vor der Spitze vereinigen können. — c. nigrescens; der schwarze Längsstrich auf der Mitte der Decken verbreitert sich beiderseits, so dass er mehr oder weniger die gelbe Längsbinde an seiner inneren und äusseren Seite zuletzt ganz verdrängt und unterbricht. — d. nigropiceus; die schwarzen Längsbinden der Decken sind bräunlich. Mehrere Jahre alte Exemplare, bei denen das Schwarz verblichen ist. 4. Ueber Farben-Varietäten des Oxymirus cursor L. In meiner Sammlung finden sich folgende Abänderungen dieses Thieres: a. genuinus, 3 ganz schwarz (moctis L.), 2 nach Ganglbauer (Best.-Tab. VII, 37) schwarz, der Mund, der grösste Theil der Fühler, die Schienen und Tarsen rostfarben;, die Decken röthlich-gelbbraun, ein breiter Streif an der Naht und eine breite Längsbinde von der Schulter bis gegen die Spitze schwarz. — b. testaceus Gredl., Verneulii Muls. Der Körper überall testfarben oder mehr röthlich. g und 9. — ec. nigri- colis. Schwarz, Decken testfarben, an der Naht und am Aussenrande sehr schmal schwarz gerandet. Ein $. — d. lineatus, ein 2; Färbung wie bei a, aber das Schwarz des Streifes an der Naht und der von der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 347 der Schulter ausgehenden schwarzen Längsbinde bedeutend verbreitert, so dass der zwischen beiden schwarzen Längsbinden sich befindende gelbröthliche Längsstreif nur unfern der Schulter deutlich, auf der Mitte der Decken fast und vor der Spitze ganz verloschen ist. — e. fenestratus, wie d, aber da das Schwarz noch mehr das Uebergewicht erlangt, so sind die Decken auf der vorderen Hälfte ganz schwarz und die röthlich- gelbe Längsbinde schimmert nur unfern der Spitze noch mehr oder weniger deutlich durch. 2 Z und 1 2. Bei einem dem Herrn Raths- Seeretair Wilke gehörenden 2 aus Bayern ist der Aussenrand von der Schulter bis gegen die Spitze hin schmal röthlichbraun und die Fühler (bis auf die rothen Höker, auf denen sie stehen) sind bis zur Spitze schwarz, ebenso der Bauch (mit Ausnahme des Hinterrandes der drei letzten Segmente) und die Schenkel und der untere Theil der Schienen. — f. niger; ein 2, welches oben ganz schwarz ist, wie das 3' der genuinen Form; nur der Mund, die Höker, auf denen die Fühler stehen, die vor- deren Schienen und eine schmale Linie am Seitenrande der Decken sind braunroth, die Hinterschienen und deren Tarsen schwarz. 5. Mittheilungen aus der Provinz. 1. Das Dominium Lampersdorf bei Steinau (Herr Inspector Giere) sendete am 24. Juni c. eine Anzahl Schoten des Rapses ein, welche vor der Zeit vertrocknet und aufgesprungen waren, und ersuchte um Angabe des Grundes dieser in dem gegenwärtigen Sommer in seiner Gegend häufigen Erscheinung. Bei näherer Untersuchung zeigte sich, dass an diesen Beschädigungen der Rapsschoten zwei Insecten die Schuld trugen, nämlich Ceuthorhynchus assimilis Payk. und Cecidomyia Brassicae Winn. Es waren in den übersendeten Schoten nur noch wenige Larven der genannten beiden Thiere vorhanden, was jedenfalls den kalten Tagen des Monat Juni (den 29. Mai hatte ein Gewitter über das Rapsfeld ein kurzes Schlossenwetter gebracht) zuzuschreiben ist, welche die sonst früher im Monat Juni erfolgende Verpuppung dieser Thiere verzögert hat. — Ausser den Larven der genannten beiden Arten fanden sich in dem trockenen Theile einer Schote noch zwei Exemplare von einem kleinen, mit weissen Flügeln versehenen Thrips (T. vulgatissima Hal.?). Ob derselbe dem Raps schädlich wird, konnte nicht constatirt werden. Ebensowenig konnte festgestellt werden, ob das Kranken der Schoten nicht vielleicht einem in dem Innern der Stengel lebenden Ceuthorhynchus (Napi Gyl.2) mit zuzuschreiben sei, da keine Stengel mit eingesendet worden waren. 2. Der Königl. Ober-Amtmann Herr Nonne, z. Z. in Heidau bei Nimkau, ersuchte den 30. Juli um den Namen eines in seiner Gegend unbekannten Käfers, welcher in einer Kornmiete gefunden worden war. Es war Polyphylla fullo L. 348 Jahres-Bericht 3, Herr Oberförster Karsunky in Zuschenhammer machte unter dem 12. August Herrn v. Hahn Mittheilung von der Uebersendung mehrerer, etwa 2—4 Zoll dicker Kiefernknüppel, welche als Bäume bei einem etwa 3 Morgen Kiefernwald vernichtenden Waldbrande zwar die | Blätter bis in die Gipfel verloren hatten, deren Rinde aber von dem | tauche wohl stark geschwärzt, jedoch nur hier und da an der Aussen- seite versengt war. Aus denselben sind bis jetzt (März 1885) ausge- krochen: 1) Im September ein dem Pissodes Strobili Redt. (validirostris Gyl.) sehr ähnliches, kleines Exemplar des P. Pini L. (wahrscheinlich Curculio notatus Hbst. in Ratzeb. Forstinseeten, Bd. 1, p. 117, Taf. 5, Fig. 1); — 2) im October und December: Aylurgus piniperda L. (Hwylesinus [Dendroctonus] piniperda in Ratzeb. I, S. 171) in mehreren Stücken. — Ausserdem fanden sich noch einige todte Larven von Rhagium inda- gator F., deren auch mehrere Herrn v. Hahn in einem Fläschehen über- sendet worden waren. 2 4. Herr Gerichts-Assessor Dr. Troska in Leobschütz ersucht um Bestimmung der in einer Abbildung beigelegten Oedemera flavescens. 6. Ueber einen Campylus rubens Piller mit monströsen Fühlern. Das Exemplar ist ein vollkommen ausgebildetes und unbeschädigtes 7, dessen beide Fühler monströs und auffallend kurz sind. Dieselben sind ziemlich gleich lang, messen wenig über 2 mm jeder und ragen nur wenig über die Vorderecken des Thorax hinaus. Auf den ersten Blick erscheinen sie drehrund, in der Mitte am dieksten, gegen das Ende, namentlich der linke Fühler, fein zugespitzt, während der rechte an dem letzten vorhandenen Gliede deutlich erkennen lässt, dass seine lindglieder vor seiner Entwickelung abgerissen sein müssen. Betrachtet man diesen rechten Fühler unter starker Vergrösserung, so erkennt | man, dass derselbe höchst wahrscheinlich nur aus den ersten 9 Gliedern besteht, welche aber, mit Ausnahme des ersten und etwa des zweiten, sehr verkürzt und missgebildet sind. Das 3. Glied ist sehr kurz, kaum so lang als das 2.; am Vorderrande zeigt es statt des bei dem voll- kommen entwickelten Fühler vorhandenen, ziemlich langen Zahnes eine kleine, stumpfe Vorragung. Das 4. Glied ist kaum länger als das 3., rundlich und zeigt an der Vorderseite keine zahnartige Vorragung. Das 9. Glied ist das längste und breiteste des ganzen Fühlers, wenig länger als das 1. Glied und viel breiter als bei einem vollkommen ausge- bildeten Fühler. An seinem Vorderrande ragt der bei dem vollkommenen Fühler vorhandene spitze Zahn als rundliche, schräg nach aussen ge richtete Spitze weit vor. Das eben so lange 6. Glied, welches mit dem 5. innig verschmolzen scheint, ist nur an dem weiter nach unten stehen- den, vorragenden, rundlichen Zahn zu erkennen, Das 7. eben so lange und breite Glied, welches sehr deutlich an beiden Enden abgegrenzt ist, | | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 349 zeigt an seinem äusseren Ende einen ziemlich langen, schräg nach vorn gerichteten, sich an die Vorder- und Aussenseite des folgenden Gliedes anlegenden Zahn. Das 8. und 9. Glied sind verkehrt kegelförmig, etwas kürzer und breiter als bei dem normal entwickelten Thiere, be- sitzt aber an der Spitze keinen nach aussen vorragenden spitzen Zahn, Der linke Fühler ist rund, spindelförmig, gegen das Ende all- mälich stark zugespitzt und von dem Ansehen eines vollständigen, nicht monströsen Organes, dessen einzelne Glieder kaum noch oder gar nicht (namentlich an der Spitze) zu erkennen sind. Nur an.dem 3. und 6. Gliede sind Spuren von einer kleinen Vorragung, wahrzunehmen, welche den bei dem vollkommenen Fühler an der Spitze vorhandenen Zahn andeutet. Gefangen wurde das besprochene Thier Anfang Juli dieses Jahres in meiner Anwesenheit am Nordabhange des Altvaters (Leiterberge) von Herrn Major Gabriel, der es meiner Sammlung freundlichst über- lassen hat. 7. Ueber den Status der Coleoptern-Arten Schlesiens Ende des Jahres 1884. In dem abgelaufenen Jahre 1884 sind zur schlesischen Käferfauna zugetreten: 1. Harpalus fuscipalpis St. Bis jetzt nur von mir bei Carlowitz unweit Breslau (im Mai) und von Herrn Major Gabriel bei Neisse ge- fangen. 2. sStenolophus (Acupalpus) suturalis Dej. Von mir in der Umgebung von Breslau (Carlowitz Januar und September, Ottwitz im Mai) und auch bei Ueberschwemmungen gesammelt. 3. Steropus madidus F., Var. concinnus St. Ein Stück in meiner Sammlung von Gogolin; auch von Herrn Baumeister Fein daselbst auf- gefunden. 4, Helophorus laticollis Thoms. Im Gebirge bis 4500 Fuss, selten, Riesengebirge (hohes Rad, Koppenplan, Juli), Schneeberg (v. Rottenb.). 9. Monotoma punctaticollis Aub. Bei Breslau im Juni gegen Sonnen- üntergang umherfliegend in mehreren Exemplaren von mir aufgefunden. 6. Abdera bifasciata Marsh. Ein Exemplar klopfte Herr Raths- Secretair Wilke bei Nieder-Langenau im Juli d. J. von Nadelholz. 7. Acmaeops marginata F, In der Ebene sehr selten. Rauden (Roger), Liegnitz (Gerh.). 8. Acmaeops sepientrionis Thoms., marginata Naezen, simplonica Stierl. Sehr selten; ich besitze nur ein Stück (Var. marginata Naez.) aus Schlesien. 350 Jahres - Bericht | u 9. Cortodera femorata F., monticola Abeil. Auf blühenden Kiefern, 4 ziemlich häufig. Brieg, Ohlau, Breslau, Mahlen, Glogau, Steinau (von tottenb.), Liegnitz (Gerh.). 10. Leptura unipunctata F. Herr Dr. Haase fing ein Stück bei Carlsbrunn im Sommer vorigen Jahres, welches er freundlichst meiner Sammlung überlassen hat. = 11. Eixocentrus adspersus Muls. In der Ebene und im Vorgebirge an Eichen, häufig. Breslau (Marienau Juni bis August). Bisher mit E, lusitanus vermengt. | I 12. Esxocentrus Stierlini Ganglb. In der Ebene, in Kieferwäldern, selten. Breslau (Oswitz Juni), Wohlau. 2 13. Pogonochaerus bidentatus Thoms., hispidus Laich. In der Ebene und im Vorgebirge in Kieferwäldern, selten. Trebnitzer Hügel, Heiers- dorf bei Fraustadt. 3 14. Pogonochaerus decoratus Fairm. In der Ebene in dürren Baum- ästen, ziemlich häufig. Breslau (Oswitz Mai), Obernigk (März), Liegnitz 15. Morimus funereus Muls., tristis F. Bei Seibenschütz (Fürstenth, | Teschen?). Reitter, Käferfauna von Mähren und Schlesien, 1. Nachtr. 2 16. Zeugophora Turneri Power, rufotestacea Krtz, Ein Stück . Herrn Lehrer Rupp bei Grunau unweit Schweidnitz am 10. Mai d. vom Gesträuch gekäschert. Dagegen sind in Abgang zu bringen: 1. Helophorus brevicollis. Thoms. — granularis L. — 2. Pogonochaeris pilosus F., dentatus Fourc. — P. hispidus Schrk. 1 Am Ende des Jahres 1883 zählte Schlesien 4330 Käfer-Arten. Nach £ vorstehendem Verzeichnisse traten im Jahre 1884 hinzu 16 Ara sc | dass die Zahl der einheimischen Species auf 4346 steigen würde, echnet man davon die in Abgang zu bringenden 2 Arten ab, so beläuft sich die Zahl der in Schlesien heimischen Coleoptern am Ende je: F Jahres 1884 auf 4344 Arten. & | BE \ ] 4 | 8. Ueber einige Cicaden. Im Juni dieses Jahres hatte ich das Vergnügen, in Gegenwart de Herrn v. Hahn mehrere Exemplare der Cicada montana Scop., tibiali Pans., im Oswitzer Walde zu erbeuten, wo das Thier an den Stämme her der etwa 3 bis 4 m hohen Birkenktraneikg (Betula alba) sass, den Kop bald auf-, bald abwärts gerichtet. Dasselbe ist, so viel mir beka nnt, noch nie in Schlesien beobachtet worden, und in der reichen Schum- mel'schen Sammlung schlesischer Henn sucht man es vr Vielleicht liegt der Grund darin, dass früher Niemand den Oswit Wald ausserhalb des Hanptweoes betreten durfte, und dass erst, se der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 351 die Humanität der hiesigen Magistratsbehörde den Entomologen das Be- treten desselben gestattet hat, ein Auffinden desselben ermöglicht war. Zur Ansicht erlaube ich mir ausser der oben genannten Cicada montana Scop. vorzulegen: 1. Von Singzirpen (Stridulantia): Cicada Orni L. (Manna- Cicade), von mir in der Lombardei an Populus niger gesammelt. Die leere Puppenhaut, welche an einer Wurzel der genannten Pflanze festsitzend sefunden wurde, lässt erkennen, dass bei dem Auskriechen des voll- kommenen Thieres sich auch die Luftröhren theilweise häuten. — Cicada Fraxina F., plebeja Scop. von Triest und zwei ganz verschiedene Arten aus Ostindien. 2. Von Leuchtzirpen (Fulgorina): Pseudophana europaea (ebenfalls | . [} “ . von ÖOswitz), Ps. pannonica aus Oesterreich und Fulgora candelaria L. : aus Ostindien, j | 3. Von Buckelzirpen (Membraeina): Centrotus cornutus F. und Ledra aurita L., beide von Oswitz bei Breslau. 4. Von Kleinzirpen (Cicadellina): Teitigonia viridis F. von Oswitz. 352 Jahres - Bericht vi. Bericht über die Thätigkeit der historischen Section der Schlesischen Gesellschaft im Jahre 1884, erstattet von Direetor Dr. Reimann, zeitisem Secretair der Section. Am 10. Januar behandelte der Secretair den orientalischen Plan der Kaiserin Katharina II. von Russland. Am 24, Januar hielt Herr Prof. Dr. Grünhagen einen Vortrag über die politischen Ereignisse in Schlesien unter der Regierung des = Königs Ludwig (1516—-1526). Am 14. Februar las Herr Pastor em. Dr. Schimmelpfennig _ über die Altranstädter Convention und ihre Durchführung im Fürsten- 3 thum Brieg.') Der westphälische Friede hatte den Evangelischen Schlesiens wenig. Trost gebracht. Freie Religionsübung war nur den Fürstenthümern Liegnitz-Brieg, Oels und der Stadt Breslau zugesichert. Für das ganze übrige Schlesien hatten nur die bekannten drei Friedenskirchen in Glogau, Schweidnitz und Jauer ausgewirkt werden können. Wegen der Evangelischen in den schlesischen Erbfürstenthümern wollte man das ') Ausser dem in Hensel’s protestantischer Kirchengeschichte der Gemeinen in Schlesien gedruckt vorliegenden urkundlichen Material ist die in der Bibliothek der Schlesischen Gesellschaft sich befindende handschriftliche Chronik Stein- berger's und ein den Briefwechsel des Wirthschaftshauptmanns Daniel Leopol Scholtze in Prieborn mit den Vormündern der Waffenberg’schen Minorennen n Wien enthaltendes Actenstück in der Canzlei des Königlichen Charite-Amtes Prie- | born für die nachfolgende Darstellung benutzt worden. = rn ——— | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 353 Friedenswerk nicht scheitern lassen. Von dem ihm durch den Frieden zugesprochenen Reformationsrechte machte denn auch der Kaiser alsbald ausgiebigen Gebrauch, indem er 1653 und 1654 mehr als 300 evan- selische Kirchen in seinen Erbfürstenthümern schliessen liess. Die Aus- sichten wurden noch trüber, als der Tod des letzten Piasten Georg Wilhelm auch den Heimfall der Fürstenthümer Liegnitz, Brieg und Wohlau an die Krone Böhmen 1675 zur Folge hatte. Zwar begnadete der Kaiser in dem Besitzergreifungs-Patente die Stände mit der „aller- mildesten Erklärung, dass sie und ihre Posterität bei jetzigem wirk- lichem und vor dem Kriege gehabtem exereitio Augustanae confessionis gelassen, gehalten und mächtiglich geschützt werden sollten“, aber die Stände waren der srundbesitzende Adel; die Städte und das Landvolk auf den Kammersütern, denen nichts versprochen worden war, blieben dem jus reformandi des Landesherrn ohne Rettung verfallen. So energisch wie 1653 vorzugehen, trug man allerdings Bedenken, aber auch in milderen Formen liess sich viel erreichen, wenn es recht angefangen wurde. Die reformirte Schlosskirche in Brieg kam zuerst an die Reihe; sie wurde sofort geschlossen, der Superintendent Christian Pauli mit seinen Collegen entlassen, auf die zu dieser Kirche gehörende Gemeinde keine Rücksicht genommen. Das Verfahren war hart, aber involvirte nicht gerade eine Rechtsverletzung, denn in Schlesien hatten die Reformirten keine Rechte, auch waren sie bei den Lutheranern so wenig beliebt, dass diese mit einer gewissen Schadenfreude ihrer Vergewaltigung zu- sahen. Wenn die lutherischen Kirchen vor der Hand unangetastet blieben, so dachte in Wien Niemand daran, sie in ihrem bisherigen Bestande zu conserviren, doch wurde das Reformationsrecht des Landesherrn vorerst auf die Kammergüter beschränkt und nicht gewaltsam ausgeübt. Man besnüste sich damit, wenn eine Pfarrei auf denselben durch den Tod des Inhabers vacant wurde, diese, sobald einiges katholische Gesinde vorhanden war, welches eine kleine Gemeinde bilden konnte, mit einem katholischen Geistlichen zu besetzen; war eine Gemeinde nicht zu schaffen, so wurde die Kirche gesperrt und für spätere Redu- eirung aufgespart. In Wien machte man daraus auch gar kein Hehl. Eine Deputation der bei Hofe darüber Klage führenden und um Ab- stellung supplieirenden Stände wurde 1681 mit dem Bescheide abge- fertigt, „da der Kaiser das jus patronatus und Kirchlehn auf seinen Kammergütern ganz allein besässe, so würde er die Kirchen auch nicht anders als mit katholischen Priestern besetzen. Dennoch wolle er die Gnade haben und es in seinen neuen Erbfürstenthümern Liegnitz, Brieg und Wohlau ebenso einrichten, wie es vermöge des westphälischen Friedens in den alten — Schweidnitz, Jauer und Glogau — geschehen, also auf den Kammergütern. eines jeden der drei neuen Fürstenthümer 1884. 23 Jahres-Bericht 394 den Evangelischen eine Kirche lassen und mit lutherischen Predigern bestellen“; und als 1682 der Kurfürst von Sachsen in derselben An- gelegenheit für die Evangelischen im Fürstenthum Brieg Fürbitte ein- legte, wurde ihm frostig geantwortet, „der Kaiser könne und wolle sich wegen der drei neuen Fürstenthümer die Hände nicht binden lassen, am wenigsten aber bei seinen unmittelbaren Kammergütern und den dazu gehörigen lutherischen Kirchen. Die neuen Fürstenthümer hätten kein mehreres Recht in dieser Religionsangelegenheit wie die alten. Dass man bedacht wäre, auf eine billige Art und Weise das Aufnehmen der katholischen Kirche, zu welcher der Kaiser sich bekenne, auch jetzo in den neuen Landen zu befördern und einige Kirchen für die Katholischen zu haben, deren bisher zu wenige gewesen, sei dem west- phälischen Frieden nicht zuwider, denn das thäte jeder Landesfürst in seinem Lande.“ Das waren trostlose Aussichten für die Zukunft. In den Weich- bildstädten verfuhr man ganz ebenso. War das Patronat fiscalisch, so war von einer Wiederbesetzung erledigter geistlicher Stellen überhaupt keine Rede; stand das Berufungsrecht aber dem Rathe zu, so wurde ihm das Patronat kurzer Hand bestritten und die Wiederbesetzung ein- lach untersagt. Dem von Wien aus gegebenen Beispiele folgten die Klöster; auch sie besetzten die Kirchen auf ihren Gütern, wenn sie vacant wurden, nicht mit Geistlichen Augsburgischer Confession, sondern mit Brüdern ihres Ordens, und selbst einfache Edelleute massten sich das landesherrliche jus reformandi an und scheuten sich nicht, ihren armen Bauern einen Glauben aufzuzwingen, von dem diese absolut nichts wissen wollten. Waren die Umstände übrigens dazu angethan, so schreckte man auch vor Gewaltmassregeln nicht zurück. 1698 wurden die beiden Pastoren der Johanniskirche in Liegnitz abgeschafft und die Kirche den Jesuiten übergeben; 1702 die Kirche in Arnsdorf bei Strehlen, deren Patronat nur zur Hälfte dem Amte Prieborn gehörte, ohne Umstände unter Siegel gelegt und der Pfarrer mitten im Winter ins Elend ge- (rieben. Kaum liess man ihm so viel Frist, dass seine Frau, welche eben geboren hatte, nothdürftig genesen konnte. | wW ir übergehen die zahllosen anderen Plackereien, welche trotz der dringlichsten Intereessionen deutscher Fürsten und auswärtiger Mächte bei Kaiser Leopold über die schlesischen Protestanten verhängt wurden. Als S daher 1705 am 5. Mai nach 48jähriger Regierung starb, hatten die Sehlesier keine Veranlassung, sich darüber gross zu betrüben. Von Eee eher etwas zu hoffen. Man wusste, dass er mit apste auf sc ılechtem Fusse stand und seinen Gesandten von Rom Eee ae n = den Jesuiten nicht gerade hold war. Als on Rom TER a0 geworden, den Lehrer und Beichtvater Josephs , bedeutete Joseph dem päpstlichen Nuntius, ‚wenn r) a h der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 355 Rummel nach Rom müsse, würden ihm alle Jesuiten das Geleite geben.“ Gleichwohl würde es wohl lange gewährt haben, bis Joseph aus eigenem Antriebe das Loos seiner evangelischen Unterthanen in Schlesien ver- bessert hätte, wenn er nicht durch die politische Lage gebieterisch dazu gezwungen worden wäre. König August von Polen hatte sich durch Czar Peter unüberlest zu einem Bündniss gegen Schweden verleiten und dadurch in den nor- dischen Krieg verwickeln lassen. Wiederholt von Carl XII. geschlagen und auf dessen Betreiben 1704 von einer Adelsconföderation des Thrones verlustig erklärt, hatte er, um sich zu retten, aus Sachsen Truppen herangezogen. Sie waren mit Kaiser Josephs Erlaubniss durch Schlesien marschirt, aber bei Fraustadt von den Schweden vernichtet worden. Jetzt nahm König Carl, um den geschlagenen Feind in seinem eigenen Lande aufzusuchen, das Recht des Durchmarsches durch Schlesien auch für sich und sein Heer in Auspruch und der Kaiser musste geschehen lassen, was er zu hindern nicht im Stande war. Der Krieg mit den aufständischen Ungarn unter Rakoczi und mit Ludwig XIV. von Frank- reich wegen der spanischen Erbfolge erforderten die Anspannung aller Kräfte; als dritten Feind sich den unbesiegten König von Schweden auf den Hals zu hetzen, würde Vermessenheit gewesen sein. 80 überschritt Carl XII. am 22. August 1706 mit seinem Heere bei Steinau die Oder, stand am 27. d. M. bei Lauban und drei Wochen darauf war das von Truppen ganz entblösste Sachsen in seinem Besitz. Am 20. September war das Hauptquartier des Königs in Taucha bei Leipzig, von wo es am 23. nach Altranstädt verlegt wurde. Dort wurde am 25. ein Wafien- stillstand auf 10 Wochen geschlossen, dem am 24. October der Friede folste. Kurfürst August entsagte in demselben dem polnischen Königs- throne, gab die 1704 gefangen gesetzten Sobieski’schen Prinzen frei, ge- stattete den Schweden Winterquartiere in Sachsen und verpflichtete sich, gesen die Protestanten nichts vorzunehmen. Diese letzte Klausel liess schon voraussehen, dass Carl die günstige Gelegenheit nicht werde vor- übergehen lassen, wegen der Klagen der schlesischen Protestanten ein ernstes Wort mit dem Kaiser zu reden. Sein Gesandter in Wien hatte im Verein mit den Gesandten von Brandenburg, Holland und England erst kurz zuvor wegen der Evangelischen im Allgemeinen und für die ungarischen Reformirten im Besonderen intercedirt, aber wie früher auch dieses Mal nicht das Mindeste erreicht. Nun hatte Carl auf dem Durch- marsch durch Schlesien die traurige Lage seiner lutherischen Glaubens- ' genossen mit eigenen Augen gesehen und einem Greise, der sich an sein Pferd herandrängend ihn angefleht, an den unterdrückten Glauben in diesem Lande zu denken, gnädig Gewährung zugesagt, so war es denn blos billig, dass er, obendrein Garant des westphälischen Friedens, durch seinen Gesandten in Wien, Freiherrn v. Strahlenheim, die Ver- 23* 356 Jahres-Bericht gewaltigung der schlesischen Lutheraner zur Sprache bringen und Ab- stellung derselben nachdrücklich fordern liess. Strahlenheim entledigte sich dieses Auftrages in einer Weise, die nichts zu wünschen liess. Energisch bis zur Rücksichtslosigkeit wie sein Gebieter, ging er gerade auf sein Ziel los und liess sich von den kaiserlichen Räthen weder mit nichtssagenden Worten abspeisen, noch durch hochfahrende Reden ein- schüchtern. Als der kaiserliche Kammerherr Graf Zotor ihm im Laufe dieser Unterhandlungen 1707 zu sagen sich erdreistete, Schweden spiele mit den ungarischen Rebellen unter einer Decke, fertigte ihn Strahlen- heim mit einer derben Ohrfeige ab und der Graf musste diese schlagende, sehr undiplomatische Antwort nicht blos ruhig einstecken, sondern sich für seine unvorsichtige Insinuation noch obendrein als Arrestant in Stettin gestellen, von wo er indess ohne weitere Strafe bald wieder entlassen wurde. Carl XI. stand mit einem siegreichen Heere an der Elbe; schlug er sich zu den Feinden Oesterreichs, so wurde die ohnehin schon kritische Lage des Kaisers noch viel bedenklicher, besonders da Schweden 1607 am 16. August auch mit König Friedrich I. von Preussen einen Vertrag abgeschiossen hatte und auf dessen Unterstützung rechnen durfte. Die Verhältnisse drängten mithin zu raschem Handeln, und da mit freund- lichem Entgegenkommen und bereitwilligem Eingehen auf Carl’s For- derungen sich der Ausbruch des im Norden zusammenziehenden Ge- witters voraussichtlich abwenden liess, so wurde der böhmische Kanzler Graf Wratislaw in das Hauptquartier des Königs nach Altranstädt ge- sandt, um die zwischen beiden Höfen schwebenden Differenzen in güt- licher Uebereinkunft friedlich beizulegen. Sie wurde 1707 am 22. August abgeschlossen und führt den Namen Altranstädter Convention. Volle keligionsfreiheit hat sie den Schlesiern nicht gebracht, aber den schweren Druck, unter welchem sie seufzten, einigermassen erleichtert. In dem ersten, elf Paragraphen umfassenden Artikel war bestimmt, dass das den schlesischen Grafen, Freiherrn, denen von Adel und ihren Unterthanen, wie auch den der Augsburgischen Confession zugethanen Städten, Vorstädten und Dörfern im Osnabrück’schen Frieden zugesicherte [reie Religions-Exereitium nicht allein ungekränkt und ungehindert ver- bleiben, sondern auch das, was wider den wahren Verstand des Osna- brück’schen Friedensschlusses neuerlichst anzutreffen oder eingeführt wäre, corrigirt und verbessert werden solle. Diese Correcetur kam indess den alten Erbfürstenthümern nur in so weit zu Gute, dass die Gemeinden der drei Friedenskirchen sich auch Schulen errichten und so viele Geist- liehen anstellen durften, als zur Bestellung des Gottesdienstes nöthig waren; sonst wurde den Evangelischen in denselben nur erlaubt, den Gottesdienst friedlich und bescheiden im eigenen Hause für sieh, | die Kinder und Hausgenossen (also das Gesinde) zu verrichten, Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 357 ihre Kinder in auswärtige evangelische Schulen zu schicken oder durch Hauslehrer unterrichten und ministerialia von auswärtigen Geistlichen ihrer Confession gegen Erlegung der Gebühren an die katholischen Pfarrer vollziehen zu lassen. Ferner sollten evangelischen Mündeln Vormünder anderer Religion nicht weiter aufgedrungen, viel weniger sie in Klöster gesteckt werden dürfen, auch wurde den Müttern das Recht gewahrt, wo testamentarische Vormünder nicht verordnet oder legitime nieht vorhanden wären, andere der Augsburgischen Confession zugethane sich auszubitten und zuzufügen. Endlich sollten die von Adel und andere Augsburgische Religionsverwandte, soweit sie dazu geschickt wären, von den öffentlichen Aemtern nicht ausgeschlossen und ihnen der Verkauf ihrer Güter und der Wegzug aus dem Lande nicht verwehrt sein. Der Löwenantheil an den in der Convention ausgewirkten Vergünstigungen fiel den Fürstenthümern Liegnitz-Brieg, Münsterberg-Oels und der Stadt Breslau zu. In Betreff ihrer war verordnet, dass alle nach dem west- phälischen Frieden weggenommenen Kirchen, sie mögen entweder schon den Katholischen eingeräumt oder nur gesperrt sein, wieder in den Stand, wie sie zur Zeit des gedachten Friedensschlusses gewesen, gesetzt und den Augsburgischen Confessionsverwandten mit allen dazu gehörigen Rechten, Freiheiten, Einkünften, liegenden Gründen und anderen Gütern binnen sechs Monaten auf das längste oder noch ehender wiederum einseräumt werden sollten. In Wolkowitz bei Leipzig ratifieirte der König am 1. September den abgeschlossenen Vertrag unter dem Vor- behalt, seine Armee wieder nach Schlesien zurückzuführen, wenn das in demselben Stipulirte in der festgesetzten Zeit nicht erfüllt wäre, Das von Papst Clemens XI. am 10. September an Joseph erlassene Breve, in welchem er des Kaisers Intention, den Lutheranern in Schlesien die wesgenommenen Kirchen wieder zurückzugeben, als ein Vergehen, welches weder vor Gott noch vor den Menschen gerechtfertigt werden könnte, tadelt und vor dem Abschlusse eines darauf bezüglichen Ver- trages warnt, kam zu spät und konnte an der abgeschlossenen Convention, _ welche am 13. September in Breslau auf dem Rathhause feierlich publicirt worden war, nichts mehr ändern. | Die Ausführung der Convention wurde in die Hände einer Com- mission gelegt, welche aus den Grafen Hans Anton und Christoph Wilhelm von Schaffgotsch, Franz Anton Graf von Schlegenberg und dem Oberamtsrath Franz Albrecht Lange von Kranichstädt bestand. Nach einer auf dem Schlosse des Grafen Schlegenberg in Stephansdorf am 29. October mit dem schwedischen Plenipotentiarius Freiherrn von Strahlenheim abgehaltenen vorbereitenden Conferenz begaben sich die Commissarien zunächst nach Liegnitz und verhandelten dort vom 31. October bis zum 3. November mit den Ständen über die Modalitäten der Ausführung; indessen wie viele Mühe sie sich auch gaben, die 358 _ Jahres-Bericht letzteren zu bestimmen, von dem in der Convention Gewährten etwas nachzulassen und nicht auf der Rückgabe aller weggenommenen Kirchen zu bestehen, sondern einige derselben dem katholischen Cultus einzu- räumen, sie predigten tauben Ohren; die Stände wollten davon nichts hören, sie bestanden auf buchstäblicher Ausführnng der Convention. Die Bleche Erfahrung machten die Commissarien in Wohlau, mit dessen Ständen sie am 15. November zu verhandeln anfingen. In Brieg war noch weniger zu hoffen. Dieses Fürstenthum hatte wohl am schwersten gelitten. 49 Landkirchen waren gesperrt und in sechs Städten, in Ohlau, Nimptsch, Reichenstein, Silberberg, Kreuzburg und Pitschen, hatte aller evangelische Gottesdienst aufgehört. In Brieg wurde er von einem einzigen, 65 Jahre alten Diakonus Martin Beer, den der Tod bisher glücklicherweise verschont hatte, noch kümmerlich fort- bestellt und in Strehlen lag die ganze Amtslast ebenfalls auf den Schultern eines einzigen Mannes, des auch mehr als 60jährigen Diakonus Tobias Löwe; wenn sie starben, dann wurden auch diese letzten Stadt- kirchen gesperrt. Man kann sich daher die Freude der Evangelischen denken, als das kaiserliche Patent die abgeschlossene Convention zur allgemeinen Kenntniss brachte, aber auch den Schrecken der wenigen Katholiken im Fürstenthum — es waren ihrer im ganzen Fürstenthum, Adlige, Bürger und Bauern zusammengerechnet, nur 110 angesessen — als sie erfuhren, dass nicht nur die bloss gesperrten, sondern alle, auch die ihnen eingeräumten Kirchen jetzt zurückgegeben werden sollten. Die Briefe des Wirthschaftshauptmanns Daniel Leopold Scholtze in Prieborn an die Waffenberg’sche Vormundschaft in Wien enthalten dar- über ein interessantes Material. Scholtze, Verwalter des 1685 von der Hofkammer an den Freiherrn von Waffenberg verpfändeten Amtes Prieborn, in welchem drei Kirchen weggenommen und jetzt zu restituiren waren, hat an allen Verhandlungen mit den Ständen persönlich theil- genommen und darüber ausführlich und sachgemäss nach Wien berichtet, ist durchweg gut unterrichtet, wohlmeinend und bei aller Strenge seiner katholischen Ueberzeugung aufrichtig bemüht, die Evangelischen nicht ohne Noth zu beunruhigen. Auch enthalten seine Briefe beachtens- werthe Einzelheiten, welche die damaligen Vorgänge beleuchten und darum hier mitgetheilt zu werden verdienen. Von den drei Kirchen des Amtes Prieborn war eine, die in Arns- dorf, nur gesperrt; wegen ihr besann sich der Hauptmann nicht lange; am 26. September übergab er die Schlüssel derselben den evangelischen Compatronen und den zur Stelle gerufenen Kirchvätern; aber bei den anderen beiden lag die Sache nicht so einfach; sie waren reeoneilürt und mit einem katholischen Pfarrer besetzt; ihrethalben fragt er, da er sich selbstständig zu handeln nicht getraut, bei der Vormundschaft in Wien an | und bittet um Verhaltungsregeln. Herr von Krapff, welcher an der Spitze der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 359 der Vormundschaft stand, rieth ihm echt diplomatisch, sich ja nicht zu übereilen. „Das kaiserliche Mandat“, schrieb er ihm am 17. November, „beziehe sich allein auf die gesperrten Kirchen und enthalte nichts von den ungesperrten; er vermuthe daher, dass die Prieborner und Krummen- dorfer Kirche hinsichtlich der Rückgabe der Arnsdorfer nicht folgen würden. Wo aber etwa unverhofit andere Ordre einliefe, solle Scholtze nieht gleich Folge leisten, sondern vorher durch die Vormundschaft bei der Hofkammer anfragen, zumal da derlei in die jura religionis so tief eingreifende puncta die Herrschaft (d. i. die Waffenberg’sche Vormund- schaft) ohne Vorwissen domini directi (also des Kaisers) zu resolviren nicht auf sich nehmen könnte.“ Der Rath war nicht zu verachten, nur kam er leider zu spät; zu einem Recurse an die Hofkammer blieb keine Zeit, denn schon am 20. November trafen die mit Regelung der Sache betrauten kaiserlichen Commissarien in Brieg ein, um auch hier wie in Liegnitz und Wohlau mit den Ständen zu verhandeln. „Diese waren“, wir folgen dem von Scholtze an die Vormundschaft in Wien erstatteten Berichte, „zu dem auf den 21. November dazu einberufenen Landtage zahlreich erschienen. Es wurde ihnen eröffnet, der Kaiser habe sich allergnädigst resolvirt, die Convention binnen sechs Monaten ad executionem zu bringen und nun- mehr auch die reconciliirten Kirchen den Evangelischen einzuräumen, Weil aber bei so vollkommener Einräumung ermeldter eingezogener Kirchen den katholischen Ständen von Adel, sowie Bürgern und Unter- thanen, welche sich sehr vermehrt hätten, das excertium der katholischen Religion so empfindlich restringirt und bei Abtretung der Kirchen und Pfarreien der katholischen Geistlichkeit der Unterhalt gänzlich entzogen würde, so lebten Kaiserliche Majestät des allergnädigsten Vertrauens zu Dero allergehorsamsten Ständen, sie würden auf solche zuverlässige Mittel und fundos sinnen und bedacht sein, durch welche nicht allein die Katholischen mit einer zulänglichen Anzahl Kirchen und die dazu gehörigen Seelsorger mit genugsamem Auskommen, sondern auch die reducirten katholischen Pfarrer mit standesmässigem Unterhalte ad dies vitae oder bis zu erhaltener weiterer Accommodation versehen werden könnten.“ Katholischerseits hatte man sich niemals Sorge gemacht, wie die ihrer Kirchen beraubten evangelischen Gemeinden künftig ihre religiösen Bedürfnisse befriedigen und noch weniger, wovon die aus ihren Stellen vertriebenen evangelischen Geistlichen leben würden, und darum wird man die Abgeneigtheit der Brieger Stände, auf dieses Verlangen der Commissarien einzugehen, nicht verwunderlich finden, zumal sie ausser- dem unter der Hand erfahren hatten, dass der schwedische Plenipotentiar „die wirkliche Execution der Convention aufs pressanteste urgire‘‘. Sie baten daher die Commission, „es bei der Convention zu belassen; auch W ai | 360 Jahres-Bericht 9) wirden die Katholischen im Ohlau’schen und Brieg’schen beinahe 30 Kirchen behalten und wo nicht in allen Städten, doch allernächst dabei gar bequeme Religionsübung haben.“ Auf wiederholte dringende Vor- stellung der Commissarien erklärten sie sich nach nochmaliger Berathung bereit, „sich mit den Liegnitzer und Wohlauer Ständen dieserhalb zu benehmen; falls ihnen jedoch kein ferneres spatium indulgirt würde, so wollten sie einen jeden von den zu redueirenden parochis secularibus (die Kirchen auf den Klostergütern waren ja mit Ordensleuten besetzt, die wieder in ihre Klöster zurückkehrten) bei Restitution der Kirche mit einer Discretion von 100 Fl. Rheinisch semel pro semper be- rathen.‘“ Die Liegnitzer und Wohlauer Stände hatten sich zu gar nichts verstanden, sondern darauf verwiesen, „dass einige der zu reducirenden Pfarrer neben ihren abzutretenden Kirchen annoch andere stattliche Parochien hätten, andere seien Ordensleute, die in den Klöstern oder Conventen ihren reichliehen Unterhalt haben könnten, und andere würden sich endlich ohne Zweifel durch die hohen Uebersetzungen der aceidentium stolae bei Armen und Reichen und sonst auf andere Weise einen guten Vorrath angeschafft, alle insgesammt aber die heurigen decimas annoch völlig zu erheben und einzunehmen haben.“ Trotz der ablehnenden Antwort der Stände wurden die Unterhand- lungen wegen einiger den Katholiken zu belassenden Kirchen nicht ganz abgebrochen, sondern unter der Hand fortgesetzt. Wir erinnern uns, wie stiefmütterlich in der Convention die Evangelischen der alten Erb- fürstenthümer bedacht waren. Von Errichtung neuer Kirchen war darin mit keinem Worte die Rede. Blieb ihnen die Erlaubniss dazu versagt, so war ihnen nicht geholfen; daher hatte der schwedische Plenipotentiar bereits am 13. November 1707 auf Grund von $ 10 der Convention, in welchem der Kaiser der Intercession des Königs von Schweden für seine Glaubensgenossen in Schlesien Rechnung zu tragen verspricht, ein Memorial an die Executions-Commission gerichtet, in welchem er eben so warm als entschieden für die Evangelischen der alten Erbfürsten- thümer eintritt. „Wenn ja‘, führt er in demselben aus, ‚in den alten Erbfürstenthümern nicht alle Kirchen wiedergegeben werden sollten, so würden doch in jeder Stadt eine Kirche und auf den Dörfern nach der Distance im Kreise etliche nach der Art der drei neuen Gnadenkirchen zu erbauen oder einige, jetzo ohnedem leer stehende zum Gottesdienst einzuräumen sein. Die paeiseirte und vorbehaltene Intercessionsgerechtig- keit sei nicht so zu verstehen, als wenn die Allerhöchsten Paeiscenten sich blos eine Permission de intercedendo hätten stipuliren wollen, welches ja in effeetu ebensoviel als nichts wäre und also auch wohl auf keine Weise ohne Verletzung der hohen Existimation solcher Puissancen für ein objeetum pactorum unter denselben gehalten werden | könne, sondern sie müsse cum effeetu verbunden sein. Der König sei E | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 361 schon zu Altranstädt des Sinnes gewesen, für seine höchst bedrängten armen Glaubensgenossen etwas Vortheilhaftes und zwar en detail und mit Benennung zu bedingen, leider habe man aus Mangel an Zeit und ohne nähere Kenntniss der Verhältnisse nur die Intercessionsgerechtigkeit in der Convention generaliter stipuliren lassen, besonders da Graf Wra- ' tislaw freiwillig versichert habe, des Kaisers Majestät sei gesonnen, aus erheblichen Ursachen nicht nur nicht weniger, sondern mehr als in der Convention stipulirt wäre, zum Troste ihrer evangelischen Unterthanen in Schlesien zu thun.“ Die Commissarien waren über diese Auslegung der schwedischen Intercessionsgerechtigkeit nicht wenig erschrocken und berichteten alsbald nach Wien; soviel aber war vorauszusehen, dass sich bei den Ständen der neuen Erbfürstenthümer nichts ohne einige Zugeständnisse für die alten werde durchsetzen lassen. Sie steiften sich daher auf den Buchstaben der Convention, um für ihre Glaubens- genossen in den Fürstenthümern Schweidnitz, Jauer und Glogau einige weitere Kirchen zu erlangen; für diese alsdann einige der zu reducirenden abzutreten, liessen sie sich bereit finden. Ein Bericht Scholtze’s an die Vormundschaft in Wien vom 19. De- cember klärt uns über das auf, was sich hinter den Coulissen abspielte, „Es sollen“, meldet er, ‚im Fürstenthum Brieg die Schlosskirche in Brieg, die Schlosskapelle in Ohlau, die Kirche in Naselwitz, eine im Kreuzburg’schen Weichbilde, sowie die Kirchen in Reichenstein und Langenöls den Katholischen gelassen werden; hinter der Zurückgebung dieser Kirchen stecke das evangelische Ministerium, dass dafür so viel andere Kirchen im Lande und zwar an Orten, wo vorhin das liberum exereitium Augustanae religionis nie in usu gewesen, auch nie verstattet worden sei, für die Evangelischen verlangt werden sollten, um ihr exereitium religionis desto weiter durchs Land libere auszubreiten; und wie man höre, solle des Kaisers Majestät, soviel diesen passum betrifft, Dero allergnädigste Erklärung dahin gerichtet haben, dass, im Fall vom Gegenpart statt der den Katholischen zurückgegebenen Kirchen keine anderen anderwärts prätendirt würden, es Ihre Majestät dabei aller- gnädigst bewenden liessen; im Falle aber, wie gedacht, einige andere in loeum der zurückgegebenen begehrt würden, dass Ihre Majestät darein nicht zu willigen geruhten,“ Der Verlauf des Landtages in Brieg musste es dem Prieborner Wirthschaftshauptmann klar gemacht haben, wie gering die Aussicht war, die Kirche in Prieborn der Reduction zu entziehen, indess er that, was er konnte und reichte ‚auf den Rath eines guten Freundes“ am 27. November bei der Commission eine Supplik ein. „Obschon die Convention“, heisst es in derselben, „wie vulgo davon geglaubt werde, ad literam adimplirt werden solle, so sei jer doch der unvorgreiflichen Persuasion, es dürfte inspectis eircumstantiis doch wohl ein und die 369 Jahres - Bericht andere Limitation indulgirt werden. Um Prieborn seien in der Ent- fernung von anderthalb Viertelmeilen drei evangelische Kirchen vor- handen; die Prieborner und Krummendorfer stünden noch in des katho- lischen Priesters Händen, sollten nun beide vollends abgetreten werden, so würden die ärmsten desalirten Katholischen, deren in der Herrschaft wohl auf 150 Seelen gezählt würden, gar keinen Gottesdienst, viel weniger in der höchsten Necessität einigen Seelentrost geniessen können; sie wirden ihren Gottesdienst und refrigerium animae auf anderthalb Meil Weges höchst beschwerlich suchen müssen, die Neubekehrten wegen unnachbleiblicher Verfolgung der Gegner in zweifelhafte Gedanken fallen und auf die gegentheilige Seite treten, die Kinder aus den gemischten Ehen evangelisch werden, die katholische Jugend wie das Holz auf- wachsen und versäumt Babe und die Alten viele heilige Messen an Sonn- und Feiertagen und andere geistliche Labungen bei ereignenden schweren Krankheiten entbehren müssen. Er flehe darum fussfällig, die Commission wolle alle Umstände in gnädigste Consideration ziehen und ihnen wenigstens die Kirche zu Prieborn belassen.“ Die Antwort auf diese bewegliche Vorstellung war eine Vorladung auf den 29. November in die Kanzlei nach Brieg, wo ihm und den übrigen Hauptleuten der kaiserlichen Kammergüter eröffnet wurde, die Schlüssel der redueirten Kirchen sammt den Kirchenbüchern durch evangelische Gerichtspersonen nächsten 5. December in Brieg einzuliefern. „Herzwehmüthigst und mit weinender Feder‘ berichtet Scholtze am 1, December nach Wien, „dass alle im Brieger Fürstenthum annoch in katholischen Händen stehenden reconciliirten Kirchen gesperrt und Kirchenbücher, Kirchenrechnungen und Schlüssel sine mora nach Brieg geliefert werden sollen; Alles so pressant, dass weder Einwendung noch Fristung gelten thut, sondern Alles mit blindem Gehorsam befolgt und binnen acht Tagen ad executionem gebracht sein muss; allermassen vor gewiss gesagt wird, dass, sollte auch das Geringste wider die Convention nicht befolgt werden, die an der Grenze stehenden 16000 Mann Schweden ins Land einrücken würden.“ Unter sothanen Umständen liess denn auch Scholtze am 3. December die Kirchen in Prieborn und Krummen- dorf schliessen und am 5. die Schlüssel durch evangelische Gerichts- personen abliefern. Sie wurden den letzteren von der Commission sofort ‚urückgegeben und der Hauptmann angewiesen, den Evangelischen die Kirchen aufzulassen. Am 6. wurden sie wieder eröffnet; am 8. hielt der Pfarrer von Schönbrunn in beiden zum ersten Male wieder evange- lischen Gottesdienst. Die evangelischen Stände hatten jetzt allerdings ihre Kirchen wieder, mussten sich aber dafür ihr bisher unbedingtes Patronatsrecht erheblich beschränken lassen, da die Commission ein Bestätigungsrecht der zu berufenden Geistlichen für den Kaiser in Anspruch nahm. Bisher war i ET EEE ET a der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 363 ein solehes nie präten«lirt worden; den Kirchenpatronen hatte Niemand etwas zu sagen gehabt; sie hatten ihre Pastoren ganz selbstständig be- rufen und, da seit der Entlassung des reformirten Superintendenten und Aufhebung des Consistoriums in Brieg 1675 ein Kirchenregiment nicht vorhanden war, auch selber installirt; so hatte es 1697 noch von Zolli- koffer als Lehnsherr der Kirche in Arnsdorf gemacht. Dass das jetzt aufhören sollte und sie ihre Kirchlehne nicht länger nach Belieben sollten verleihen dürfen, kam den Ständen verwunderlich und bedenklich vor. Als ihnen daher am 7. December — der Landtag war noch ver- sammelt — ein vom Hofe eingegangenes Allergnädigstes Rescript des Inhalts, „dass wegen Bestellung der ministrorum Augustanae confessionis in denjenigen Pfarreien und Dörfern, wo denen privatis possessoribus das jus praesentandi oder collaturae zukomme, eine ordentliche Liste, darin die Namen und Qualitäten der dazu präsentirten Subjecte speecifieirt wären, eingerichtet und zur landesfürstlichen Confirmation durch die Commission bei der Regierung allernächst eingereicht werden sollte‘, communicirt wurde, begehrten sie Frist, um sich darüber wegen der Tragweite dieser Proposition schlüssig machen zu können. Die evange- lischen Stände fanden sich „‚prägravirt, dass, nachdem sie diejenigen Subjeete, welche sie zu Pfarrern vocirt, auch alsogleich ohne landes- fürstliche weitere Einsagung und Confirmation installirt hätten, ihnen solches durch dieses Allergnädigste petitum restringirt würde“, Sie weigerten sich daher darauf einzugehen und meldeten den Recurs an den Kaiser an; die wenigen katholischen Lehnsherren dagegen fügten sich auf den Rath der Commission und erbaten sich nur eine Frist, um taugliche Subjeete auffinden und präsentiren zu können. Die Beschlüsse beider Theile wurden an den Hof berichtet; dass die Evangelischen mit ihrem Recurse abgewiesen wurden, verstand sich von selber. Dieses für den Kaiser neugewonnene Bestätigungsrecht war übrigens noch in anderer Weise werthvoll; es bildete eine neue, augenblicklich reichlich fliessende Einnahmequelle, aus welcher auch in Zukunft immerhin einige Tausend Gulden jedes Jahr zu hoffen waren. Diese Confirmationen wurden nämlich nur gegen Erlegung gewisser Taxen gewährt. Später erfolste eine Classification der einzelnen Stellen und die Berufenen mussten durchschnittlich die Einkünfte eines ganzen Jahres opfern, um die kaiserliche Confirmation zu erlangen. Von einem Superintendenten wurden zuletzt 1000 Gulden pro confirmatione erhoben. Die Kirchlehne des Amtes Prieborn hatte die Herrschaft zu ver- geben. Scholtze, als Vertreter derselben, befand sich in Verlegenheit, wie er sich wegen Wiederbesetzung der beiden Pfarrstellen verhalten solle; die Sache war eilig und Wien weit; er bat daher, wie wir aus seinem Bericht an die Vormundschaft vom 12. December entnehmen, den Regierungsrath v. Rottenberg in Brieg um Instruction und erhielt | ü Fi "m 364 Jahres - Bericht 2] von ihm den Bescheid, „es sei des Kaisers Allergnädigste Intention, bei den evangelischen Ständen es ebenso einzurichten, wie es bei den katholischen bräuchlick wäre, wo der Collator das Subject präsentire, der Bischof aber die Investitur oder die Confirmation ertheile, zumal bei den Evangelischen das jus episcopale unbestritten den Landesfürsten verblieben sei. Die katholischen Stände hätten daher ganz recht gethan, sich der kaiserlichen Proposition zu fügen. Bei Einsetzung der Geist- lichen sei zu attendiren, dass keine ‚Ausländer, insonderheit keine ungarischen Exulanten, auch keine solchen, die vor der Reduction der Kirchen zum katholischen Gottesdienste Pastores ge- wesen, oder derlei Subjecete, von denen zu vermuthen, dass sie un- ruhige Köpfe und Aufwiegler wären, sondern inländische Leute und ein- geborene Landeskinder vocirt würden, welche exemplarisch, gelehrt, verträglich, genüglich und von guten Qualitäten seien.“ Die Vormundschaft in Wien war über den Verlauf, den die Dinge in Schlesien nahmen, wenig erbaut. „Bezüglich des negotii religionis“, schreibt Krapff am 24. December an den Prieborner Hauptmann, ‚so sei solches der göttlichen Providenz zu committiren; er werde sich zwar informiren, ob wegen der Prieborner Kirche noch ein Mittel übrig sei, doch weil bereits cedirt, sei wenig zu hoffen.“ So kühl und gelassen wie sein Chef in Wien konnte Scholtze in Prieborn unmöglich die Dinge ansehen. Eine tiefe Erregung ging durch das ganze Land und machte sich hier und da in Worten Luft. Die Bauern des Amtes Prieborn waren gegen ihren Pfandesherrn und die Regierung erbittert, und zieht ınan die Unbilden in Betracht, die ihnen in den letzten 25 Jahren wider- (fahren waren, so wird man das erklärlich und entschuldbar finden. Scholtze war ängstlich. Aus allen seinen nach Wien erstatteten Be- richten, die er, um das Geheimniss zu wahren, „selber coneipirt, mundirt und expedirt‘“, hören wir seine Besorgnisse heraus. „Es ist halt‘‘, lässt er sich in einem derselben aus, „ein deplorabler Zustand mit uns ärmsten Katholischen in Schlesien, worinnen doch der gerechte Gott dermaleinst sehen und unsern höchst bedrängten Allergnädigsten Kaiser und König und Herm aus diesen zugenöthigten Drangsalen kräftigst retten und (ormidabel machen wird; interim muss man Geduld haben“; und ein andermal: „so sind wir verpflichtet, stille zu stehen und unter dem sinn- reichen symbolo „meliora speramus“ unsere sanftmüthige Hoffnung in meliora et congruiora tempora mit der grössten Geduld zu dirigiren.“ Von den drei Kirchen im Amte Prieborn war die in Arnsdorf bereits wieder besetzt. David Fleischer aus Kirchberg im Meissnischen, am 1. December von den beiden Compatronen unter Zustimmung Scholtze’s voeirt, hatte am 10. d. M. das Amt übernommen. Krapff war damit nicht recht zufrieden; „zwar wolle er sich dieses Mal“, schreibt er an der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 365 Scholtze, „mit der Uebertragung der Stelle an den genannten Candidaten eonformirt haben, doch möge der Hauptmann ihm berichten, ob man an der zwei Collatoren Vota allezeit gebunden und wer sodann judex deeisionis sei, und in jedem Falle künftig die Ratification der Vor- mundschaft vorbehalten.“ Scholtze entschuldigt sich, „er habe nach- gegeben, um nicht durch unbesonnene Widersetzlichkeit unter dem ge- meinen Pöfel, welcher noch zu dato in eifervollem Hass und Neid gegen uns Katholische entzündet ist, einen Aufstand zu erwecken und das Feuer, welches noch unter der Asche glimmet, in landesverderblichen Brand zu bringen; denn dieses lutherische Volk hoffe und schwätze noch beständig von dem schwedischen Anmarsch ins Land und drohe, wie es mit den Katholischen handeln und umgehen wolle; dessen sei man noch nicht überhoben, bevor nicht bei der vorseienden grossen Commission in Breslau der vermeinte Recess, der Alles determiniren soll, seine Voll- kommenheit erreicht habe und zu künftiger Harmonie und Tranquillität beider Religionsverwandten publieirt worden sei.“ Diese Harmonie zu befördern zeigte sich die Vormundschaft nicht besonders beflissen, wie sich das sofort ausweisen sollte. Es hatten sich für Prieborn und Krummendorf zahlreiche Bewerber gemeldet. Zwei Candidaten, Tobias Waltsgott und Adam Springer, hatte der Landes- hauptmann v. Posadowsky dem Prieborner Amtshauptmann besonders zur Berücksichtigung empfohlen, und beide hatten, Waltsgott in Prieborn und Springer in Krummendorf, in ihrer Probepredigt so ausgezeichnet gefallen, dass aus beiden Gemeinden am 31. December Deputirte im Amte erschienen und ‚‚demüthig baten, die gnädige Herrschaft möge ihnen diese beiden Candidaten zur Fortstellung ihres Gottesdienstes als Pfarrer in hohen Gnaden vociren“. Scholtze, der sich den Landes- hauptmann gern verpflichtet hätte und es für angezeigt hielt, den Ge- meinden in der Gewährung ihrer Bitte die Hand zur Versöhnung zu bieten, legte für sie in Wien ein warmes Vorwort ein. Unglücklicher- weise aber war direct bei der Vormundschaft M. Martin Schiller aus 8orau durch den Königl. Amtsverweser Freiherrn v. Gruttschreiber in ' Brieg angelegentlich „recommandirt“ worden und man hatte beschlossen, dem Landeshauptmann nur mit einem Candidaten zu „‚deferiren“ und Schillern nach Krummendorf zu setzen. Als die Krummendorfer erfuhren, dass Scholtze von Wien aus den Auftrag erhalten habe, M. Schiller als nach Krummendorf vocirt anzumelden, versuchten sie es, vielleicht auf des Hauptmanns Rath, mit einer am 13. Februar 1708 wegen ihres Can- didaten an die Vormundschaft gerichteten demüthigen Supplik; allein Herr v. Krapff dachte nicht daran, den Wunsch der Gemeinde zu er- füllen, und als nun gar noch Scholtze ihm am 1. März berichtete, ‚‚die Gemeinden würden wegen langer Zurückbleibung der kaiserlichen Con- firmation bereits schwierig und unruhig, und dass die Leute in Krummen- oO) 366 Jahres - Bericht dorf von Schiller durchaus nichts wissen wollten und lieber einen tertium vertragen würden, ja dass fast ein Aufstand zu befürchten stehe“, wurde er ganz ungnädig. Indem er dem Wirthschaftshauptmann am 10. März meldet, dass die Ernennung der Pfarrer unterwegs sei, fährt er fort: „Wenn solche nit völlig zu der Unterthanen Vergnügen ausgeschlagen, kann ich ihnen nit helfen. Sie sollen zufrieden sein, dass sie ihre Kirchen erhalten; dass sie aber auch der Herrschaft und vorderst Ihrer Kaiserlichen Majestät die Subjecta vorschreiben wollen, das wäre denen juribus dominieis et episcopalibus zu nahe getreten, dahero kann der Herr ihnen glatt sagen, sie sollten von aufrührerischen Reden stille schweigen, sonst werde ich den nächsten besten beim Kopf nehmen lassen und ihn als einen Aufrührer andern zum Abscheu condemniren machen. Es ist noch nit an deme, dass man sich von diesem Pöfel muss leges vorschreiben lassen; man wird ihnen noch Herr genug zeigen. Es nimmt mich Wunder, dass der Herr als ein so alter Practicus ihnen nit zu begegnen weiss, wesswegen denn der Herr sich auch in Acht zu nehmen hat, dass die Lämmer nit auf ihn springen und er sich zum Complicen mache, indem er derlei Reden passiren lasset und nicht gleich einer löblichen Regierung es andeutet. Meinen denn die Pengel, Ihro Majestät der Kaiser hat nichts zu thun, als mit ihren Pfarrern um- zugehen? Ist ihnen denn was entgangen, indeme sie unterdessen gleich- wohl provisorie somit versehen gewest? Wolle der Herr diess Mal ihnen einen Ernst zeigen und sich nit weich finden lassen; ich erwarte daher, was diessfalls passiren wird.“ Diesmal passirte nicht viel. Der Amtshauptmann theilte den eingegangenen Bescheid den zusammen be- rufenen Gemeinden mit und begnügte sich, „sie nachdrücklich zu be- drohen und vor schwerem Unglück zu warnen, insofern der eine oder andre sich widersetzlich weisen und unterstehen würde, dawider das Geringste vorzunehmen.“ Neues Kopfzerbrechen verursachte die den neu berufenen Pfarrern auszustellende Vocation. Scholtze hatte eine Abschrift der dem Arns- dorfer Pfarrer ertheilten nach Wien geschickt, dabei aber zugleich be- merkt, „es sei darinnen viel begriffen, was einem katholischen Collator zu inseriren nicht anstehe; übrigens sei nach der Versicherung des Landeshauptmanns eine besondere Vocation gar nicht nothwendig, sondern nur ein herrschaftlicher Assensus, zumal die Privateollatoren die Subjeeta zu den voeirenden Kirchen - Ministeriis Ihrer K. K. Majestät zu Dero Allergnädigsten Confirmation zu präsentiren hätten.“ Man sah deshalb auch richtig von der Ausstellung von Vocationen ganz ab und liess es mit einer Legitimation gut sein, auf Grund deren die für die Kirchen * Pak n a r >» .. > 1 17 in Prieborn nnd Krummendorf erwählten Candidaten nachher die Ordi- natıon empfingen. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 367 Nach diesen Einzelheiten kehren wir wieder zur Hauptsache zurück. Wie wir oben sahen, hatte Freiherr von Strahlenheim im November 1707 die Lage der Evangelischen in den Erbfürstenthümern bei der Executions-Commission zur Sprache gebracht und auf Grund der Con- vention Kirchen für sie in Anspruch genommen. Indessen in Wien dachte Niemand daran, die Definition Strahlenheim’s von dem Umfange der Intercessions - Gerechtigkeit der Krone Schweden anzuerkennen. „Die Königliche Majestät in Schweden“, heisst es in dem bis in den Januar 1708 verzögerten Bescheide, „könne nicht sagen, dass Dero Vor- bitten irritae oder umsonst wären, weil auch diessmal der Kaiser um Derselben willen bei dieser Convention ein Mehreres gethan und erlaubt hätte, aber allezeit und in infinitum diese Vorbitten fortzusetzen und zu begehren, werde doch nicht angehn; man hoffe zu der Gerechtigkeit und Aequanimität des Königs, er werde sich von turbulenten Gemüthern nicht anfrischen lassen“, und obgleich Strahlenheim sein Ansuchen er- neuerte und sämmtliche evangelische Stände Ober- und Niederschlesiens seine Vorstellung unterstützten, so beharrte man in Wien doch starr auf dem einmal eingenommenen Standpunkte; ein Mehreres, als der Buchstabe der Convention besagte, wurde nicht gewährt. Es bedurfte neuer Intercessionen — auch der Reichstag in Regensburg säumte nicht, Fürbitte einzulegen —, neuer dringender Vorstellungen der Krone Schweden, um für die Evangelischen der alten Erbfürstenthümer wenigstens einige Zugeständnisse zu erlangen. Da erklärte sich am 22. Juni 1708 die Executions-Commission endlich bereit, die Erbauung von fünf oder sechs evangelischen Kirchen in den Erbfürstenthümern beim Hofe in Wien zu befürworten, wenn den katholischen Ständen und Einwohnern der drei Fürstenthümer Liegnitz, Brieg und Wohlau einige katholische Kirchen an Orten, wo sie an katholischem Gottesdienste Noth litten, von den Evangelischen vergönnt würden. Noch waren, ob- schon die zur Durchführung der Convention in Aussicht genommene Frist von 6 Monaten längst verstrichen war, 16 Kirchen, welche un- zweifelhaft restituirt werden mussten, nicht herausgegeben; in ihnen war ein Compensationsobject gefunden, über welches aufs neue in Ver- handlungen eingetreten wurde, die zu einem erspriesslichen Abkommen führten. 1709 am 8. Februar wurde der über die Altranstädter Con- vention abgeschlossene Executionsrecess in Breslau unterzeichnet. 119 eingezogene Kirchen waren restituirt und den Evange- lischen in den alten Erbfürstenthümern 6 Gnadenkirchen ausgewirkt; in $ 16 des Recesses wurde ihnen nämlich gestattet, sich in Sagan, Freistadt, Hirschberg, Landeshut, Militsch und Teschen auf ihre eigene Kosten Kirchen und dazu gehörende Schulen zu erbauen. Aber umsonst war in Wien nichts zu haben. Die mit 368 Jahres-Bericht Kirchen begnadeten Städte haben sich diese Bevorzugung theuer, nicht nur mit freiwilligen Geschenken, sondern auch mit bedeutenden Dar- lehnen, deren Rückzahlung sehr problematisch war, also doppelt erkaufen müssen. Um die Höhe dieser Darlehne und Geschenke mag wohl ganz ordentlich gehandelt worden sein; dass die erste Forderung und das erste Angebot gleich aeceptirt worden sein sollten, ist schwer glaublich. Schade, dass Näheres darüber nicht bekannt geworden ist; bekannt sind blos die wirklich gezahlten Summen. Hirschberg bequemte sich zu einem Darlehn von 100,000 Fl. und einem freiwilligen Geschenke von 3000 Ducaten & 83 Sgr. thut 12,450 Fl.; Landeshut opferte ein Darlehn von 80,000 Fl. und ein freiwilliges Geschenk von 12,000 Fl.; Freistadt sab 80,000 Fi. Darlehn und 10,000 Fl. freiwilliges Geschenk ; Sagan 50,000 Fl. Darlehn und als Geschenk 10,000 Fl. Militsch und Teschen waren arm und Darlehne von ihnen nicht zu verlangen, dafür zahlte Militsch ‚zu freier kaiserlicher Disposition‘ 15,000 Fl. und Teschen gab ein freiwilliges Geschenk von 10,000 Fl. Zu diesen Spesen in Wien, welche die für damals sehr bedeutende Summe von 379,450 Fl. aus- trugen, traten jetzt noch die eigentlichen Baukosten der Kirchen, Pfarr- und Schulhäuser; sie sind mit. Freuden getragen worden. Auch andere Städte der Erbfürstenthümer, unter ihnen Löwenberg und Grünberg, er- boten sich zu solehen Darlehnen, Donativen und Erkenntlichkeiten, wenn ihnen die Erbauung von Kirchen bewilligt würde, allein trotz immer- währender Geldklemme war der Kaiser nicht dazu zu bewegen, den Evangelischen weitere Zugeständnisse zu machen. Am 13. März hielt Herr Dr. Markgraf einen Vortrag zur Krankheits- und Gesundheitsgeschichte von Breslau. Am 27. März las Herr Professor Dr. Röpell über die Eröffnung der Bundesversammlung (1816). Am 16. October behandelte der Seeretair die Irrungen Josephs II. mit Holland und seinen Plan, Bayern gegen die Niederlande einzutauschen. Am 30. Oetober hielt Herr Professor Dr. Grünhagen einen Vortrae über Schlesien in der letzten Zeit Kaiser Ferdinands 1. Am 13. November las Herr Professor Dr. Caro über den Krakauer Tumult von 1461 und seine Folgen. der Schles. Gesellschaft für vaterli. Cultur. 369 Am 27. November gab Herr Post-Cassirer Schück Beiträge zur Lebens- und Familiengeschichte Georg Forster’s. Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte. Dieser Spruch des Dichters kann seine volle Anwendung auf Georg Forster finden. Als Therese Huber den Briefwechsel ihres Gatten 1829 herausgab, schloss sie die Einleitung des Buches mit den Worten: „Wer reiner ist als Er, hebe den ersten Stein auf!“ Nun, an belastenden Steinen hat es wahrlich nicht gefehlt. Man hielt Forster für einen Landesverräther, man erklärte ihn in Acht und Bann, man setzte sogar auf seinen Kopf einen Preis von 100 Dukaten. Konnte doch unser Schiller selbst es sich nicht versagen, den in der Verbannung Verstorbenen mit Spott zu verfolgen.') Goethe urtheilt viel milder, indem er am 17, Februar 1794 an Sömmering schreibt: „So hat der arme Forster denn doch auch seine Irrthümer mit dem Leben büssen müssen, wenn er schon einem gewaltsamen Tod entgegenging. Ich habe ihn herzlich bedauert.‘ Wilhelm v. Humboldt, der gestehen musste, dass er jenem Manne einen grossen Theil seiner Bildung verdanke, fällt in seinen Briefen an eine Freundin ein nicht günstiges Urtheil über Forster?), während Alexander v. Humboldt in ihm den Mann findet, ‚der Grosses gethan, was die spätere Zeit zur Reife gebracht.‘ | Ein Jahrhundert ist bereits verflossen, seitdem Forster geendet hat. , Die politische Wirksamkeit hat in den veränderten Anschauungen der ı Zeit eine mehr objective Beurtheilung gefunden. Die spätere Zeit kann ja freier die Gestalten der Vergangenheit überblicken und Licht und | Schatten deutlicher sondern, = Phegarque miserrimus omnes admonet. | „O ich Thor! Ich rasender Thor! Und rasend ein Jeder, | Der auf des Weibes Rath horchend den Freiheitsbaum pflanzte.“ | Die dreifarbige Kokarde. „Wer ist der Wüthende da, der durch die Hölle so brüllet, | Und mit grimmiger Faust sich die Kokarde zerzaust ?* | (Xenien.) | *) Brief 96. „In der Zeit, in der ich ihn kannte, und wo ich selbst sehr jung war, hatte ich selbst eine sehr grosse Meinung von ihm, nachher habe ich aber wohl eingesehen, dass er wirklich, auch als Gelehrter und Schriftsteller, ‚ einen bedeutenderen Namen hatte, als wozu sein Geist und seine Kenntnisse " eigentlich berechtigten.“ — „Er gefiel sich in der Aufopferung, und sie nährte , sein Selbstgefühl.“ a 184. er 970 Jahres - Bericht Grossen Einfluss auf die gerechtere Beurtheilung unseres Mannes hatte zweifellos Gervinus, der Forster’s im Band V der Geschichte der deutschen Dichtung eingehend gedenkt: „Wer die Werke Forster’s und ‚sein Leben kennt, den wird es nicht befremden, dass wir von ihm aussagen, er sei ein grösserer Politiker, als die grössesten, die wir unter uns in Deutschland mit diesem Namen beehren, er habe die Anlage gehabt, ein wahrhaft grosser Staatsmann zu werden, er sei praktisch, wie sein Freund Lichtenberg literarisch, dem kleinlebigen Geiste des deutschen Volkes zum Opfer gefallen, und habe seine grössten Gaben unentwickelt zu Grabe getragen.“ Seitdem Gervinus für den viel Verlästerten eine Lanze brach, ist eine Reihe von Publicationen gefolgt, welche Forster’s Bedeutung als Gelehrter und Politiker, und die sittlichen Motive seiner Handlungen lobend erwähnen, Mag man auch in der Beurtheilung des Mannes mit- unter zu seinen Gunsten zu weit gegangen sein, jedenfalls bleibt Forster ein Charakter, der ein allgemeineres Interesse erwecken muss, zumal in einer Zeit, die so vieles zur Reife gebracht, was vor 100 Jahren dem Streben versagt blieb. | Dieses Interesse hat mich bewogen, während meines Aufenthaltes in Westpreussen die Stätten aufzusuchen, von welchen Forster seinen Ausgang nahm. Herr Director Dr. Strehlke hat 1863 in einer Abhandlung im Pro- gramm der Petrischule Mittheiluugen über Forster’s Vorfahren und seinen Geburtsort gegeben, welche ich in diesem Aufsatze mit Dank benutzt habe. Allgemein bekannt dürfte es sein, dass unser Forster schottischen Ursprunges ist. Im 17. Jahrhundert fand in Westpreussen durch längere | Zeit eine nicht unbedeutende Einwanderung von Schottland aus statt. Als Ursache dieser Erscheinung mögen zumeist die politischen Ereignisse gelten können, doch mag dabei auch der Trieb nach besserem Erwerb mitgewirkt haben. Die Einwanderer waren zumeist Handwerker und kleine Handelsleute, sie kamen nicht ohne Mittel an, und waren zuweilen sogar in der Lage, den Orten, wo sie ein Asyl fanden, Darlehen zu machen, ') Im Städtehen Neuenburg an der Weichsel treffen wir die Schotten urkundlich zuerst um 1630 vertreten durch die Namen Brunswig, Fox, (ertron, Joh. Hoi, Alexander Lin, Alexander Litt, Ramson, Scott, Wederop an. ') In unmittelbarer Umgebung von Danzig treffen wir die Ortschaften Alt- und Neu - Schottland, Niederlassungen schottischer Handwerker, welche im 1% Jahrhundert unter dem Schutze des Bischofs von Cujavien gebildet wurden. Das Danziger Archiv enthält eine Reihe von Acten über die Confliete der Schott- länder Bönhasen mit den zünitigen Handwerkern Danzies. | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 37 In einer Verhandlung vom 14. December 1645 findet sich im städtischen Archiv von Neuenburg Folgendes: „Wegen der Buden auf dem Markte, und zumal so die Schotten bewohnen, ist Rechnung gehalten wie folget: 1. des sel. Adam Brussens successores, Hans Lugon, 2. der Georg Forster, 3. der Hans Wricht, 4. der Alexander Lin haben E. E. Rath geborget 931 Fl. 20 gr., wovon die Interessen 8 Fl. vom Hundert betragen. Dagegen macht dieser obbenannten vier Schooten dreijährige versessene Contribution für Jedweden monatlich 2 Fl. = 283 Fl]. und die Interessen, welche sie v. E. E. Rath durch dieselbige 3jährige Zeit haben sollten, macht 221 Fl. 23", gr.“ Hiernach wäre Georg Forster spätestens 1642 in Neuenburg ein- gewandert. Die Aufnahme der betriebsamen Schotten, die Ertheilung des Bürger- rechtes an dieselben erweckt die Eifersucht anderer Städte und Besorg- nisse wegen der Concurrenz der fleissigen fremden Handelsleute. So schreibt die Nachbarstadt Mewe an den Ehrb. Rath von Neuenburg: „Concordia res parvae crescunt, discordia maximae dilabuntur. Es ist aber wider uralten empfangenen Gebrauch, und zum höchsten Nachtheil der guten Stadt, einen Schotten zum Bürger anzunehmen. Wollen hiermit E. E. Rath gemeldet haben, dass wofern Erb. Rath mit dem Bürgerrecht den Schotten zu geben nicht einhalten wird, da- mit concordia publica einen Riss bekommen werde. Und da der Erb. Rath von Schottes Geld aufgenommen, wolle die Gemeinde bedacht sein, wie sie ihnen solches wieder erlege.‘“ Georg Forster scheint ein unruhiger Mann gewesen zu sein, der sich nicht allein mehrfach gegen die Geldforderungen des E. Raihes von Neuenburg auflehnte, sondern auch in agitatorischer Weise bei seinen Landsleuten wirkte. Schon im Jahre 1645 hatte sich Forster einen Verweis des Rathes zugezogen, weil er ohne Vorwissen desselben einen Gartenplatz gekauft ‚ und bebaut hatte. In einer Verhandlung vom 3. April 1647 heisst es: „Das Land wegen der Schoten Contribution ist also deelarirt worden, auf dass dieselben so lange die andere Bürgerschaft laut ge- schehenem Land contribuiren werde, sollen monatlich contribuiren als folget: Hans Wricht, Girge Foster, Alexander Lin 2 Fl., Alex Brunds Wittfrau und Rector Mongo 1, Fl., Wilh. Brus zu I Fl. und auch Hans Lugo. Anlanget die Schrift, welche sie einem E. E. Rath übergeben haben, welche eine Rebellion in sich hält, sollen sie zur Strafe auf dem Rathhause bleiben, bis weiteren Bescheid.‘ 24F 373 Jahres - Bericht Nach den 60er Jahren kommt der Name Forster in Neuenburg nicht mehr vor. Johann Reinhold Forster, der Vater unseres Georg, erzählt über seine Abstammung, wohl unter dem Einfluss einer Regung von Eitelkeit, in Jacob’s Philosophischen Anzeigen vom 14. Januar 1795 Folgendes: „Unsere Vorfahren waren zu den unruhigen Zeiten, da Cromwell suchte sich die Oberherrschaft von Grossbritannien durch List, Ränke und durch sein siegreiches Heer zu erwerben, Besitzer eines Land- gutes in Yorkshire in England, und stammen von der alten Familie der Lords Forrester in Schottland ab, mit denen wir auch unser Familienwappen (drei schwarze Hifthörner im silbernen Felde) ge- mein haben. Der Rang als Esq. oder Gentilhomme Ecuyer war der Familie eigen. Sie hing in der allgemeinen Gährung aller Stände ihrem König Carl I. an. Sie musste, da er fiel!), anch fliehen, um ihr Leben zu retten, und verlor ihre Besitzungen. Mein Ureltervater Georg Forster ging mit dem Ueberreste seines Vermögens nach Danzig zu Schiffe. Im Putzker Wyk strandete das Schiff, und er verlor Alles bis auf 2 goldene Jacobus, die er im Hosenlinte (Hosen- gurt) vernähet hatte. — Alle Städte des damals Pohlnischen Preussens waren überall mit Ankömmlingen aus Schottland und England an- gefüllt, z/ B. den Frasers, den Douglasen, den Coldens, den Bentowns, den Paynes, den Jelespy, den Wrights. Aus dieser letzteren Familie wählte sich der schiffbrüchige George Forster seine Gattin, ward Bürger zu Neuburg, einem Städtehen an der Weichsel, 11—12 Meilen von Danzig, und trieb da den Kornhandel. Sein Sohn Adam Forster zog 1666 nach Dirschau, einer anderen an der Weichsel, 5 Meilen von Danzig gelegenen Stadt. Er hatte studirt und erhielt zuletzt die Bürgermeisterwürde in der Stadt. Er heirathete gleichfalls eine aus den schottischen Geschlechtern abstammende Catharina Jelespy. Sein Alter nöthigte ihn zuletzt, sein Amt niederzulegen und er starb 1700, da sein Sohn George Forster schon Schöppenherr in seiner neuen Heimath war. Florentine Sehützerin, die Tochter eines Obristlieutenants und Commandanten in der Danziger Festung Weichselmünde, und leib- liche Schwester des nachmaligen Schwedischen Leibarztes v. Schützen- | kranz, ward Georg’s Gattin. Nachdem derselbe auch Bürgermeister | geworden war und als Gelehrter seiner Vaterstadt bei den unruhigen | Zeiten viele Dienste geleistet hatte, starb er 1726. Sein Sohn George | Reinhold Forster war 1693 den 19. März geboren, studirte in Danzig und Königsberg und stieg ebenfalls durch den Schöppenstuhl und Rath (’ bis zum Bürgermeisteramte in Dirschau. Er hatte 1727 die Tochter | 1 Ina ur a sata 2 j 9 E, . . .. m ı ) Georg Forster wanderte schon 1642 in Neuenburg ein, während der Tod Carl’s erst 1649 erfolete. = a TEE un TEE mu en on on Vor Fa FE "TOT BRETT 3 SH EOROHEE" 7 T Ve er En EEE BE EEE EEE der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur., 373 des Bürgermeisters Johann Wolf geheirathet und entschlief sanft den 15. November 1753.“ Der Vater unseres Forster Johann Reinhold wurde in Dirschau am 22. October 1729 geboren. Sein Geburtshaus, die ehemalige Comthurei, ist nur noch theilweise erhalten und seit einigen Jahren auf Anregung des Sanitätsraths Dr. Preuss mit einer Votivtafel geziert. Bis zum 15. Lebensjahre blieb der Knabe in Dirschau, dann wurde er in das Joachimsthaler Gymnasium nach Berlin gebracht und bezog schon 1748 die Universität in Halle, um Mediein zu studiren. Der Vater war diesem Berufe nicht geneigt und empfahl die Rechtswissenschaft, worauf F. end- lieh die Theologie wählte. 1751 verliess er Halle, ging nach Danzig und erhielt im Jahre 1753 die reformirte Predigerstelle in Nassen- huben. ') Bald nach Antritt seiner Stelle verheirathete sich F. mit Justine Elisabeth Nicolai, der Tochter des Rathsverwandten N. in Marienwerder (in den meisten Biographien als Bürgermeister bezeichnet). Am 27. November 1751 wurde aus dieser Ehe unser Johann George Adam geboren und am 5. December 1754 in Nassenhuben durch den reformirten Prediger Jenin aus Danzig getauft. Das Kirchenbuch von Nassenhuben enthält von der Hand Johann Reinhold Forster’s darüber folgende Eintragung: „1754. Decbr. 5. Johann George Adam getaufet von Ihro Hoch- Ehrwürden Herrn Jenin?), Archidiaconus St. Peter in Dantzig, den 27. Novbr. gebohren, zwischen 7 und 8 Uhr Abends; der Vater ich Johann Reinhold Forster; die Mutter Justina Elisabeth Nicolai, meine liebe Ehefrau. Die Pathen waren: 1. Ihro Hochwohlgeb. Gnaden Frau Anna de la Haye geb. von Schwartzwald, Edlfrau von Nassenhuben und Hochzeit, an deren Stelle stand Fr. Adelgunda L’ains geb. Fabricius, Herrn Daniel L’aine, Frantz. Prediger in Dantzig Eheliebste. 2. Frau Maria Florentina Schmidtin geb. Forster, eine Stadtschreiber- wittwe in Marienwerder, meines seel. Vaters Schwester, deren Stelle vertrat Frau Doeringin aus Dantzig, eines angesehenen Kaufmanns und Quartiermeisters Eheliebste, 9. Ihro Hochwohlgeboren Gnaden Herr Anton Baron von Leubnitz, Ihro Königl. Maj. von Pohlen Kammerherr und Hofrath, wie D) In der Fragment gebliebenen, schon erwähnten Biographie Georg Forster’s, welche sein Vater in Jacob’s Philosophischen Anzeigen für 1795 veröffentlichte, ' ist der Ort an zwei Stellen „Vassenhof“ genannt. Es beruht diese Angabe zweifellos auf einem Druckfehler, welcher alsdann in die meisten Schriften über den älteren und jüngeren Forster übergegangen ist. Der Ort ist urkundlich nur als Nassenhuben oder Nassenhof bezeichnet. 2) Ein Bild Jenin’s in Chodowiecki’s Reise von Berlin nach Danzig. 374 Jahres-Bericht auch Vice-Commissär, General der Ostsee, dessen Stelle vertrat Hr. Carl Reinhold Schmidt, Königl. Pohln. Secretair. 4. Ihro Hochehrwürden, Herr Ludwig Reinhard Kleinschmidt, Pastor zu St. Peter in Danzig, stand in eigner Person. 5, Hr. Johann Volkert von Koldum, Rathsverwandter der Königl. Preuss. Stadt Marienwerder und angesehener Kaufmann daselbst, dessen Stelle vertrat Hr. Doering, Quartiermeister in Danzig, und 6. Hr. Johan Carl Forster, Königl. Pohln. Commissions-Rath und Assessor des Oberamts Gerichtes zu Marienburg, dessen Stelle ich selbst vertrat.‘ Unter 2 und 6 der Pathen lernen wir hier noch zwei andere Mit- glieder der Forster’schen Familie kennen. Der Charakter Georg Forster’s ist zweifellos viel durch seinen Vater beeinflusst worden. Dieser, genial angelegt, als Naturforscher von bedeutendem Ruf, zeigt in seinem Wesen mancherlei Excentrisches, un- stät in seinem Leben, trug er das Gepräge des Kosmopoliten, welches wir auch bei seinem berühmteren Sohn antreffen. Um den Charakter der Mutter zu würdigen, möge der Nekrolog, welchen ihr Niemeyer in Halle nach ihrem am 6. December 1804 er- folgten Tode widmete‘), im Auszuge hier seinen Platz finden: „Das heutige Wochenblatt nennt unter den Verstorbenen den Namen einer Mitbürgerin, die Allen, die sie auch nur entfernter kannten, sehr theuer war; einer Matrone im edelsten Sinne des Wortes, der nicht blos eine Reihe von Jahren, der echte Würde und wahres Verdienst eine allgemeine Verehrung gewidmet hat. — — Seit dieser Zeit sind wir nun Zeugen des in jedem häuslichen Verhältniss muster- haften Lebens der ehrwürdigen Frau gewesen, welches ihr von Jüngeren und älteren Personen eine so seltene Achtung und ein so durchgängiges Vertrauen erworben hat. Es waren nicht gerade glän- zende Talente oder sich ankündigende Eigenschaften des Geistes, es war die stille Würde, gleich fern von einer falschen Demuth und einer sich hervordrängenden Anmassung, es war die sich gleich bleibende Ruhe, die aus dem steten inneren Einverständniss mit sich selbst her- vorgeht; es war die Klarheit, der helle Verstand, die schöne Duld- samkeit, es war die Wahrheit des Gefühles, es war das echte Wohl- wollen, das sich in Wort und Mienen, in ihrer feinen und zarten Physiognomie, in weleher das höchste Alter nichts entstellt hatte, ausdrückte: — das war, was wir in ihr ehren und lieben mussten, und dem man hochachtend entgegenkam, wo sie in einen Cirkel eintrat." ') Halle'sches Patriotisches Wochenblatt vom 15. December 1804. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 375 Die menschenfreundliche Gesinnung, welche bei Georg Forster selbst seine Feinde anerkennen mussten, mag als ein Erbtheil seiner Mutter gelten. Im Süden und Osten der Stadt Danzig breiten sich die fruchtbaren Gegenden aus, die wir im Allgemeinen mit dem Namen ,„Werder“ zu bezeichnen pflegen. Die ganze Landfläche, welche sich von der Mon- tauer Spitze bei der ersten Spaltung der Weichsel nördlich bis Danzig und nordöstlich bis Elbing ausdehnt, ist durch allmählichen Absatz durch die Weichsel angeschwemmter Erdtheile entstanden. Diese jetzt so fruchtbaren und bevölkerten Werder waren vor ihrer ersten Cultivirung ein von der Weichsel abgesetzter Sumpf oder Moor, mit Gesträuchen oder Bäumen besetzt. Das Verdienst, diese Landflächen in fruchtbares Ackerland verwandelt zu haben, gebührt dem Deutschen Orden, der durch Anlage von hohen Dämmen oder Deichen das Land vor den ver- heerenden Wirkungen des Stromes schützte, und durch niederdeutsche Colonisten besiedelte. Wir unterschieden gewöhnlich das Danziger Werder zwischen Mottlau und Weichsel, das Marienburger Werder in dem eigentlichen Weichseldelta zwischen Nogat und Weichsel, und das Elbinger Werder östlich der Nogat. Die Bevölkerung des Werders ist auch unter dem Einfluss der mehrere Jahrhunderte währenden polnischen Herrschaft deutsch geblieben. | Der Geburtsort Georg Forster’s, Nassenhuben oder Nassenhof, liegt im Danziger Werder, und wir können die Angabe des Gervinus, welcher die Bewohner der polnischen Nationalität zuweist, als irrig bezeichnen. Die Pfarre von Nassenhuben befindet sich seit 1844 im benachbarten Müsgenhahl, Strehlke hatte dort Gelegenheit, die Kirchenbücher der zu- sammenhängenden Ortschaften Nassenhuben und Hochzeit, welche urkund- lich schon im 14. Jahrhundert vorkommen, einzusehen. Er fand unter Hunderten von deutschen Namen nur vereinzelte polnische vor. Einmal geht sogar dem Inhaber eines polnischen Namens im Laufe der Jahre unter der Einwirkung deutscher Rede die polnische Endung ganz ver- loren. Die Werderbewohner haben sich stets der deutschen Sprache bedient, wie in der Gegenwart dies geschieht. Ich bitte, mich nun auf einem Gange von Danzig nach dem Geburts- ort Georg Forster's zu begleiten. Es ist diese Gegend der Schauplatz von Kämpfen gewesen, die uns im Januar v. J. Herr General Köhler in beredter Weise geschildert hat. Hinter dem Leegenthor, einem Quaderbau, der gegen Ende des 16. Jahrhunderts bei der Vervollständigung der Fortificationen gegen Stephan Bathory entstand, unweit der Steinschleuse, dem mächtigen Werk Schneider von Lindau’s (dem Erbauer des Hohen Thores in Danzig und des ehemaligen Sandthores in Breslau), überschreiten wir den Eisen- bahndamm, wenden uns nach Klein-Walddorf, passiren einen Theil von I 376 Jahres - Bericht Ohra und verfolgen das linke Ufer der Mottlau. Bald umgiebt uns das eiventhümlich reizende Landschaftsbild des „Werders“. Dämme und Gräben. durchziehen die fetten Triften, blühende Dörfer beleben die Landschaft, herrliches Vieh findet auf den üppigen Wiesen reiche Nahrung. In grosser Zahl sind Windmühlen (sog. Schnecken) aufgestellt, be- stimmt, das überflüssige Wasser von den Feldern und Wiesen zu heben und durch die Abflussgräben dem Fluss zuzuleiten. Die ganze Land- schaft hat ein entschieden niederländisches Gepräge. Entfernt man sich weiter von der Stadt, so findet man die Gehöfte nicht mehr zusammenhängend, sondern vereinzelt auf künstlichen Er- höhungen. Die uns stets begleitende Mottlau hat hier noch den reinen Wasserspiegel bewahrt. Am Krampitzer Kruge (vom Volke. Kramskrug genannt) wendet sich der Weg nach Süden längs des Deiches bis zu vereinzelten Höfen von Nassenhuben, dem sich später zusammenhängende Häusergruppen anreihen. Mit Nassenhuben zusammenhängend ist das Dorf Hochzeit, beide Orte stets zu einem Besitz gehörig und erst in neuester Zeit durch Kataster - Feststellungen genauer begrenzt. Die Rittergüter Nassenhuben, Hochzeit und das daran grenzende Neuenhuben sehörten zu Anfang des 18. Jahrhunderts der Familie des Danziger Rathsherrn von Schwartzwald. Diese Familie zählte unter ihren Mit- gliedern viele in Kunst und Wissenschaften ausgezeichnete Männer. War es doch ein Schwarzwald, der gleich unserem Rhediger auf seinen Reisen eine höchst werthvolle Bibliothek sammelte, und sie seiner Vaterstadt zu allgemeinem Nutz und Frommen überwies. Erinnern wir uns doch der Vereinigung gelehrter und kunstverständiger Männer, die zu Opitz’ Zeiten in dem gastfreien Hause eines Schwarzwald in Tempelburg ihre regelmässigen Zusammenkünfte hatten. Von den Schwarzwald’s ging der Besitz durch die weibliche Linie an die Familie von Conradi über, gleichfalls Danziger Patrizier, die bei dem Erlöschen des Stammes ihren grossen Grundbesitz einer Schulstiftung (jetzt in Jenkau) zuwiesen. Halbversunkene, bemooste Grenzsteine mit dem Schwarzwald’schen Wappen erinnern noch wiederholt an die früheren Besitzer. Als höchstes Gebäude des Ortes Nassenhuben ragt das Schulhaus hervor. Ueber dem Haupteingang zeigt eine schwarze eiserne Tafel in Goldschrift den Satz: „Georg Forster ward in Nassenhuben geboren.‘ Die Tafel verdankt ihre Entstehung zwei verdienten, längst ver- storbenen Danzigern, dem Regierungs- und Schulrath Dr. Höpfner und dem Commerzienrath Abesg. Weleh’ warmen Antheil auch der verewigte Staatsminister v. Schön an Georg Forster nahm, zeigt sein an den ehemaligen Director der Danziger Kunstschule, Professor Schultz, gerichteter Brief: der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ST „Pr.-Arnau, den 16. October 1847. Sagen Sie gefälligst Herrn Regierungsrath Höpfner, ob die Ziegel und das Holz und der Kalk und die Steine, welche bei Georg Forster’s Geburt in Nassenhuben das Pfarrhaus bildeten, noch da sind, oder nicht, ist gleichgiltig.. Die Sonne geht noch heute über Nassenhuben auf, wie sie bei Forster’s Geburt aufgegangen ist. Bitten Sie Herrn Resierungsrath Höpfner, die Poesie, welche Gott ihm gegeben, aus allen Ecken und Winkeln zusammenzuholen, und die Schmach zu ent- fernen, welche in der Vernachlässigung der Geburtsstätte von Georg Forster liegt. Ist kein Pfarrhaus da, so ist doch die Stelle da, wo es stand, und kann man keine eiserne Tafel anbringen, so mag man einen Stein setzen. Genug! Der Geist fordert sein Recht. Schön.‘‘') Die Voraussetzung Schön’s, dass das Pfarrhaus, in welchem Georg Forster das Leben erblickte, nicht mehr vorhanden ist, trifft nicht zu. Es ist vorhanden, etwa 300 Schritt vom Schulgebäude entfernt, ein ein- stöckiges, schmuckloses Haus. Von Innen ist das Gebäude mannichfach verändert worden, um es seinem gegenwärtigen Zweck als Arbeiter- wohnungen dienstbar zu machen, von Aussen mag es noch denselben Anblick gewähren, den es im Jahre 1754 bot. Eine grosse Akazie überragt das niedrige Dach. Die alte Granit- schwelle der Hausthüre liegt jetzt zur Seite, ersetzt durch zwei hölzerne Schwellen. Hinter dem Hause liegt ein kleiner Blumengarten, wahr- scheinlich heut an derselben Stelle, wo Georg Forster als fröhliches Kind mit Blumen spielte. Die Umgebung des alten Pfarrhauses ist heute monoton, einst zu Forster’s Zeiten bot sie einen anderen Anblick. Ein früher in meinem Besitz befindlicher Kupferstich vom Jahre 1721 zeigt uns das vor etwa 40 Jahren abgebrochene Schloss (an der Stelle, wo heut die Schule steht), mit spitzen Giebeln, umgeben von einem Wassergraben, über welchen eine Zugbrücke den Zugang ver- mittelt. Ein kleiner Thurm deutet den Theil des Schlosses an, der einst zu kirchlichen Zwecken diente. Im stillen Pfarrhaus von Nassenhuben versuchte der junge Aar zu- erst seine geistigen Schwingen. Ein lernbegieriger Knabe, regte er seinen Vater vornehmlich zu dem Studium der beschreibenden Natur- wissenschaften an. Reinhold Forster berichtet uns über diese Jugendjahre: „Die Munterkeit, Fähigkeiten und Neugierde des nun zunehmenden gesunden Knaben machte uns Ältern viel Vergnügen. Da wir in meinem Studirzimmer speiseten und auch unser Frühstück genossen, D) Strehlke a. a. O. 378 Jahres-Bericht da der Knabe mich oft lesen und die Bücher brauchen sahe, so er- weekte dies bei ihm frühe die Lust, auch lesen zu lernen. Er ging an die Bücher der Bibliothek und frug, wie jeder Buchstabe des gold- gedruckten Tituls hiesse, und wie die Silben ausgesprochen würden. Hierdurch lernte er diese Titel spielend lesen, und da beydes, latei- nische und deutsche Titel auf den Büchern standen, so lernte er bald in beiden Sprachen lesen. Die in Nürnberg herausgekommenen Bilder zu einer Sammlung von biblischen Geschichten, welche ihm seine Mutter oft erklärte, waren im Winter die erste Nahrung für seine rege Wissbegierde. Allein als er mit dem ersten Frühlinge im Garten Inseeten und neue Blumen hervorkommen sahe, so wollte er durchaus von mir jedes Inseets, jeder Blume und jedes Vogels Nahmen wissen. Ob ich gleich mit einem Freunde meiner Jugend, dem Dr. Jampert, etwas Naturgeschichte gemeinschaftlich sowol in Berlin, als in Halle des grossen Linne’s Schriften gelernt hatte, so war solches doch theils nicht hinlänglich, um wieder Unterricht zu geben, theils wieder ver- gessen worden. Ich wollte durchaus die Wissbegierde meines Lieb- lings befriedigen, ich ging demnach bald darauf zu Fuss nach Danzig, kaufte mir die Halle'sche Ausgabe von Linne’s Systema naturae, nebst Ludwig’s Definitiones Generum plantarum, welche Böhmer her- ausgegeben, und die Philosophia botanica des grossen Linne, und nun fing ich an, die Naturgeschichte mit grossem Fleisse von neuem zu erlernen und mir mit Hilfe dieser und andrer Bücher, welche meine Freunde mir zukommen liessen, die Pflanzen, Inseeten, Vögel, Fische und Gewürme meiner Nachbarschaft mir bekannt zu machen, und die Namen nebst den Eigenschaften, Öeonomie und Kennzeichen der Pflanzen und Thiere meinem Sohne vorzusagen, — — Im neunten Jahre seines Alters wohnte er dem katechetischen Unterrichte in den Religionswahrheiten bei, den ich den Kindern meiner Gemeine gab, und dem ich allezeit eine Erzählung der wich- tigsten Veränderungen in der jüdischen Kirche und Staatsverfassung und den Schicksalen des jüdischen Volkes, sowie auch der Entstehung, Fortpflanzung und Veränderung der christlichen Lehre voranzuschieken pflegte. Im Sommer machte ich mit meinen zwei ältesten Söhnen kleine Wanderungen in die Nachbarschaft, um Pflanzen zu sammeln, wodurch Herrn Reyger’s Flora Gedanensis einige Zuwächse bekam; und sie begleiteten mich auch zuweilen auf der Jagd, um sich im Gehen zu üben und sich an die freie Luft und alle Arten von Witte- rung zu gewöhnen.“ Wie muthet uns diese Darstellung der glücklichen Jugendzeit des = deutschen Knaben an. Wenn er so durch Feld und Wald schweifte, wenn er das weite Meer auf seinen Wanderungen vor sich sah, da mögen wohl schon im Knaben Bilder der Sehnsucht nach der Ferne, 4 der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 379 nach dem Lande der Palmen aufgestiegen sein, wie sie ja jeder geistig und körperlich gesunde Knabe empfindet. Die Pflege der Naturwissenschaften wurde damals gerade in Danzig mit Eifer betrieben. Am 2. Januar 1743 hatte dort eine Vereinigung von 9 Personen die „„Naturforschende Gesellschaft‘ (eine der ältesten in Deutschland) begründet, die bald einen bedeutenden Ruf erlangte. Johann Reinhold Forster trat schon ein Jahr nach seiner Ueber- siedelung nach Nassenhuben in die Gesellschaft ein, und fand in engem Verkehr mit Männern wie Reyger, Zorn von Plobsheim, Hanow, Gralath, Klein u. A. Anregung und Unterstützung für seine Studien. Nur allzufrüh für unseren jungen Georg endete die Idylle des länd- lichen Pfarrhauses. Sein Vater vernachlässigte mehr und mehr das Amt, welches ihm von jeher nicht besonders zugesagt hatte, er suchte mehr und mehr den vertraulichen Umgang der Bauern auf, und verzichtete vielfach auf die Würde seiner Stellung. Durch derben Freimuth gegen seine Gutsherr- schaft verfeindete er sich mit dieser. In den Streitigkeiten, die ihm vielfach erwuchsen, enthüllte sich zuerst die Reizbarkeit seines Ge- müthes, die rücksichtslose Heftigkeit des Gebahrens, welche ihm in allen späteren Tagen und Lagen Unruhe und Feindschaft bereitet hat, und zugleich trat leider eine andere glückzerstörende Eigenheit grell hervor, der völlige Mangel an haushälterischem Sinn. Seine Pfarre trug nur 200 Thaler ein, die Bedürfnisse der rasch anwachsenden Familie, auf Georg folgten von 1756—1765 noch zwei Söhne und vier Töchter, und mehr noch die gelehrten Liebhabereien verschlangen bald das vom Vater und Oheim ererbte Vermögen. Als dann Schulden aufliefen, half die Danziger reformirte Gemeinde mehreremals freiwillig aus, doch zerschlug sich andererseits eben dadurch die Aussicht auf eine Anstellung in der Stadt selbst. Der Gedanke Catharinas II. von Russland, die unangebauten Gegen- den im südlichen Theile des Reiches mit Colonisten zu bevölkern, zog einen grossen Strom von deutschen Auswanderern dahin. Reinhold Forster lenkte die Aufmerksamkeit des russischen Residenten in Danzig, Obristen von Rehbinder, auf sich, auf dessen Vorschlag er vom Grafen Orloff beauftragt wurde, den Zustand der für die Ansiedelungen be- stimmten weiten Länderflächen und der Colonien selbst zu untersuchen. Im März 1765 ging Reinhold Forster, begleitet von seinem Knaben Georg, mit einjährigem Urlaub nach Petersburg, dann nach Saratow. Unter Begleitung einer Kosacken-Eseorte bereiste F. die Gegenden längs der Wolga bis Dmitriewsk, das Steppengebiet des Don. 1766 trat Forster, nachdem Zerwürfnisse mit der russischen Regie- tung eingetreten waren, eine Reise nach England an, auf welcher ihn 380 Jahres-Bericht Ö wiederum sein Sohn Georg begleitete. 1772 betheilisten sich beide Forster an der zweiten Weltumseglung des Capitains Cook. Georg Forster hat niemals seinen Geburtsort wiedergesehen, aber immer eine gewisse Anhänglichkeit an Danzig bewahrt, So verdankt die dortige Naturforschende Gesellschaft ihm den Besitz der Waffen und Geräthe, welche er auf den Südsee - Inseln erwarb. Diese Gegenstände sind zu- gleich die Originale für die Abbildungen in der Forster’schen Reise- beschreibung. Das weitere bewegte Leben unseres Mannes, sein Wirken als Lehrer und Schriftsteller gehört nieht in den Rahmen dieses Vortrages. Der Politiker Georg Forster gehört der Geschichte an, sein Wirken mag immerhin sehr verschiedenen Urtheilen unterliegen, aber soweit scheint die Kritik doch geklärt zu sein, dass man die Motive, welche ihn beseelten, als edle, sittliche erkannt hat. Der Glaube, dass das Wort heilende, rettende, beglückende That werden könne, wenn es rein und lauter, ein Zeuge der Wahrheit, wie der zugleich leuchtende und wärmende Sonnenstrahl das Leben edler Völker durchdringe und gestalte, dieser Glaube war der Irrthum seines Lebens. Forster als Gelehrter, als Mittelpunkt seiner Familie gehört zu den Besten seiner Nation. . Der Abschied von seiner Familie im October 1793, von Schnee und Fels umgeben, in der Hütte eines einsamen Juradorfes, war die letzte Freude des zum Tode Ermatteten. „Küsst meine Herzblättchen‘“, so schloss der Brief Forster’s, wenig Tage bevor der Tod dem müden Wanderer die Augen für immer schloss. „Es irrt der Mensch, so lang er strebt‘‘, sagt der Dichter. Dieses Streben, hervorgegangen aus edlen Beweggründen, mag die heutige Generation milde stimmen, wenn sie die Irrthümer seines Lebens dem Urtheil unterwirft. Sprechen wir mit dem Engel in Goethe’s Faust: „Gerettet ist das edle Glied der Geisterwelt vom Bösen. Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen. Und hat an ihm die Liebe gar von Oben theilgenommen, Begegnet ihm die seel’ge Schaar mit herzlichem Willkommen.“ Am 11. December hielt der Seeretair einen Vortrag über die Gründung des Fürstenbundes (1785). der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 38] VII. Bericht über die Thätigkeit der geographischen Section im Jahre 18834, abgestattet von Dr. J. G. Galle, zeitigem Secretair der Section. In der Sitzung vom 26. November sprach Herr Prof. Partsch über den Stand der Kartographie in den Alpenländern und unterzog speciell die in der Darstellung dieses schwierigen Gebietes eoneurrirenden Methoden der Terrain - Zeichnung einer vergleichenden Würdigung. Das Problem, von den Unebenheiten der Erdoberfläche eine treffende Darstellung in Planzeichnung zu geben, kann mit Hilfe zweier verschiedener Liniensysteme gelöst werden, entweder durch eine Schraffi- rung, deren Striche überall der Richtung stärkster Bodenneigung folgen, oder durch Curven, welche in der Richtung minimaler Neigung ver- laufen, die äquidistanten Horizontalen oder Isohypsen. Bei der Schraf- firung hat man die Wahl zwischen der Voraussetzung verticaler Be- leuchtung, wie sie nach Lehmann’s Muster die Generalstabskarten Frank- reichs (1: 80000), Bayerns (1:50000) und Oesterreichs (1:75 000) nun auch in den Alpen angewendet haben, oder der Voraussetzung schräger, unter 45° von Nordwest einfallender Beleuchtung; sie hat Dufour für die Schweiz (1:100000 und 1:250000), der sardinische Generalstab für Piemont (1:50000 und 1:250000) vorgezogen. Durch den Verzicht auf strenge Durchführung des wissenschaftlichen Grundprineips sind in diesen beiden Fällen Terrainbilder von liehtvoller Haltung und wahrhaft plastischer Anschaulichkeit entstanden, während die Schraffirung unter verticaler Beleuchtung den Franzosen im Hochgebirge finster überladene Blätter schuf, die einen baldigen Ersatz durch leichter lesbare Karten wünschenswerth machten. Dafür wählte man statt Schraffen Isohypsen, 389 Jahres - Bericht also die Art der Terraindarstellung. welche ihrer wissenschaftlichen Exactheit, Klarheit, Leichtigkeit und Billigkeit wegen alle Culturstaaten für die Publieation ihrer speciellen Aufnahmeblätter vorziehen, so auch die Schweiz für ihren herrlichen Siegfried- Atlas (1:50000 im Hoch- gebirge, 1:25000 in der Ebene). Der Versuch der Combination von Schraffen nnd Isohypsen auf Oesterreichs Generalstabskarten (1: 75000) ist nicht vollkommen befriedigend ausgefallen; er kann nur im Buntdruck ohne Sehädigung der Klarheit aller Elemente des Kartenbildes gelingen. Hieran anknüpfend hielt Herr General Weber einen Vortrag über die Arbeiten des österreichischen militair-geographischen Instituts. Derselbe betonte zunächst das Missliche so verschiedener Dar- stellungen des orographischen Theiles der Karten, insbesondere für im Kartenlesen nicht bewanderte Touristen, von denen namentlich die gleich- abständigen Horizontalen nicht verstanden werden. In Kriegsskarten, welche auch von Unteroffizieren und Patrouillenführern verstanden werden sollen, gehören sie unbedingt nicht hinein. Sie wirken verwirrend, wie dies auf den Österreichischen Generalstabskarten dem Beschauer sofort entgegentritt, wozu bei diesen noch der Uebelstand hinzukommt, dass Wasserläufe und Vieinalwege sich in der Signatur zu wenig unterscheiden und für die Markirung der Thalsohlen fast niemals Lichtkanten aus- gespart sind, Zu näherer Darlegung dessen wurden Generalstabskarten von Preussen, Sachsen und Oesterreich vorgelegt, gleichzeitig jedoch darauf hingewiesen, dass die vom österreichischen militair-geographischen Institute in kleinerem Massstabe und ohne gleichabständige Horizontalen herausgegebenen Karten an Vorzüglichkeit und praktischer Brauchbarkeit wie an Verständlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Dies wurde an den ebenfalls mit vorgelegten Sectionen der von diesem Institute herausgegebenen Uebersichtskarte von Mitteleuropa (1: 75000) speeieller nachgewiesen und diese Karte, welche auch in der deutschen Armee vielen Beifall und Absatz gefunden hat, für längere Reisen statt des Ballastes der Specialkarten ganz besonders empfohlen. Hiernächst die trigonometrischen , topographischen und kartogra- phischen Abtheilungen des deutschen grossen Generalstabes der Armee mit dem österreichischen militair-geographischen Institut in ihren Organi- sationen vergleichend, wies der Vortragende insbesondere auf die bei Vesterreichs Berg-, Alpen- und Karst-Ländern erwachsenden eigenartigen Schwierigkeiten hin. Abweichend von der im Wesentlichen den Kriegs- „wecken und der Wissenschaft dienenden deutschen Landesvermessung arbeitet das österreichische Institut in grossem Umfange auch für andere Behörden und für das grosse, namentlich das Touristenpublikum. Selbst für Griechenland und sogar auch für China waren österreichische Topo- graphen thätie, u WE. [m der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 383 Das Institut hat eine astrenomisch-geodätische Abtheilung, welche in den letzten Jahren Breiten- und Azimut-Bestimmungen bei Kronstadt ausgeführt hat, auch Messungen der Schwerkraft. Die trigonometrischen Arbeiten dieser Abtheilung sind in letzter Zeit besonders Bosnien ge- widmet, ebenso die daran sich knüpfenden Präcisions-Nivellements. — In den Militair-Mappirungs- (Messtisch-) Arbeiten ist Oesterreich überaus thätig, obwohl eben hierbei die Arbeiten im Karst-Gebiet, wie schon angedeutet, unter Entbehrungen aller Art ausgeführt werden müssen; Proviant und sogar Trinkwasser müssen aus der Ferne entnommen werden, und Offiziere wie Arbeiter müssen Monate lang unter Zelten campiren. — Die topographische Gruppe arbeitet zur Zeit an der er- wähnten, in einzelnen Sectionen und mit dem Netze vorgelegten Ueber- sichtskarte von Mittel- Europa und an der Generalkarte von Central- Europa (1:300000), an „Heeres-Ergänzungskarten‘ und Speecialkarten aller Art, in ihren beiden Abtheilungen, der lithographischen und der Kupferstich-Abtheilung. Eine bei uns noch wenig in das Publikum ge- drungene Arbeit dieser Gruppe ist das sogenannte „Evidenthalten‘ oder die „Evidentführung‘ für alle Karten. Zu diesem Ende werden aus den sehr sorgfältig zusammengetragenen Notizen über neue Eisenbahnen, Strassen u. s. w. kleine Skizzen gefertigt, welche um ein Billiges käuf- lich sind, und aus welchen jeder Kartenbesitzer mittels Pauspapier leicht die neuen Strecken in seine Karten eintragen kann. Es ist neuer- dings vorgeschlagen, diese Skizzen gleich auf Pauspapier zu drucken (sogenannte „‚Oleate‘‘), was das Uebertragen dann noch wesentlich er- leichtert. — Die technische Gruppe arbeitet und experimentirt in Photo- graphie, Photochemigraphie, Photolithographie und Heliogravüre. Es ist noch zu erwähnen die ihrem Schlusse nahende Katastral- vermessung von Bosnien und der Herzegowina, welche auch mit Entbehrungen aller Art zu kämpfen hatte, allein unerwarteter Weise keinerlei Sicherungsmassregeln bedurfte. In nur 2'/, Jahren sind 420 Sectionen fertiggestellt worden. Versuche über Verwerthung der Elektrolyse in den geographischen Künsten, welche von dem den Mitgliedern des Alpenvereins wohlbe- kannten Major Volkmer ausgeführt werden, und Beobachtungen über die mittleren Refractions-Coeffiecienten sind ebenfalls im Gange. Eine auch aus dem österreichischen militair-geographischen Institute hervorgegangene Abhandlung des Hauptmanns Pelikan beschäftigt sich mit den Fortschritten der Landesaufnahme der österreichischen Monarchie seit den letzten 200 Jahren, worüber Näheres einem späteren Vortrage vorbehalten bleiben muss. Den Schluss der Sitzung bildeten einige astronomische Mittheilungen des Secretairs der Section über die in diesem Jahre entdeckten Planeten 384 Jahres-Bericht und Kometen. Die Zahl der kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter ist gegenwärtig am Schlusse des Jahres 1884 auf 244') angewachsen. Zu den neun in diesem Jahre neu hinzugekommenen gehören der 21. der von dem Schlesier Dr. Luther in Düsseldorf entdeckten (Germania) und sechs fernere der zahlreichen Entdeckungen des Dr. Palisa in Wien. Von den drei Kometen des gegenwärtigen Jahres wurde der erste sehr bald als identisch mit dem bereits erwarteten Pons’schen Kometen von 1812 erkannt, mit einer (schon 1816 von Eneke berechneten) Umlaufs- zeit von 72 Jahren. Aber auch die beiden anderen, von Barnard in Amerika und von Wolf in Heidelberg entdeckten Kometen haben sich als elliptisch erwiesen, beide mit kurzen Umlaufszeiten von etwa sechs Jahren. Allgemeine Uebersicht der meteorologischen Beobachtungen auf der königlichen Universitäts-Sternwarte zu Breslau im Jahre 1864. Höhe des Barometers über dem ÖOstseespiegel bei Swinemünde = 147,35 m. I. Barometerstand, Ji. Temperatur 1884. redueirt auf 0° Celsius, der Luft in Graden nach in Millimetern, Celsius. 8 e Ei SE a eng | ee Monät. = 17 = = 5 = 71 = a: D) se) er one EsulgS Aula Slae E a a he = | 5 mm mm mm o | ) 0 Januar ....| 1 |764,7 | 24 |728,3 | 749,94 | 30 |+109| 1 |—- 82]+ 229 Februar ...[13 18] 61,2 | 25. | 89,6 | 51,77| 1. |+ 115] 180 65: 28 Mürz \..... 15 | 61,0 | 10 | 42,6 | 50,05 |18 20|+ 16.61 6 9 | 4,7)+ 3,898 Aprilı..... 6 | 500 | 24 | 39,6 | 45.08 | 13 |+168 9 27 + 58 Me 2 |615| 5 | 358 | 49,55 | 19 |+284 27 |+ 35/+ 13,38 Juni ...... 13 | 55,7 4 | 34,0 | 45,7 3 |+24,8| 18 |+ 5,9+ 14,49 A 2 | 989 |10 24| 44,2 | 49,06 17 + 318 21 |+ 88 -+ 19,18 August BUG NH 1597 | 41,2 50,11 11 |+298| 29 |+ 6,91+ 16,52 September. | 12 | 612 | 5 | 32,5 | 52.06 3 |+26,7| 25 |+ 4,7)+ 15,18 October ...| 31 | 64,5 | 26 | 348 | 4832| 7 |+189| 31 | 1511 ZU November .| 11 | 644 | 28 | 36,7 | 5216| 6 |+148| 23 |-11,5|+ 1,02 December . 908. 20 28.8 46.15 8 +11,4 3 |— 11,0) + 2,39 | | Jahr - Bei — |728,3 | 749,16 | — E 31,8 — 1 115700 \ 16 v1 \ ’artyom Es » ) Die bei dem Vortrage selbst angegebene (und auch bereits mehrfach ge- druckte) Zahl 245 ist in 244 umgeändert, da dieser 245. Planet sich bald nachher als identisch mit dem bereits 1879 von Palisa entdeckten 208. Planeten Lacrimosa ercab, G der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 385 III. Feuchtigkeit der Luft. IV. Wolken- 1884, a. absolute, b. relative, bildung und in Millimetern. in Procenten, Niederschläge. — - - o fe) zZ (eb) ER o s n {eb} 5 . n je) o m 0» Deere es |El3|s 38: Sole ee lo one B= RI =|.e = s 5I8s|2 53 > == mm mm | mm eo ee mm Januar 31 7.7) 1 | 2.0| 4,49 |öfter 100) 26 147|81,5| 3 | 14 14| 34,79 Februar ..| 10 | 6,7| ı7 | 2,4, 4,3213 28l100| 20 |38|77,5| 3 | 14 12| 7,97 März ..... 20 211° 7.7| 5 | 2,0) 4,62 löfter]100| 17 \25176,7| 6 | 10) 15| 46.26 April..... 29 | 80) 4| 2,6) 5,02!öfter1001 5 |80|76,31 5 | 11) 14!| 40,01 ..:... 19 | ı12| 26 | 2,9| 7,10 21 | 961 25 |28|63,3| 9 | 15] 7| 40,48 m ...... 30 | 14,1| 19 | 5,7, 8,86 löfter100 6 136|73,8| 1 | 16| 13) 96,30 .... 15 | 15.6] 27 | 6210.96 || 8 lioo] 24 1311683] 5 | 201 6| 4421 Aueust...| ı1 | 15,1| 28 | 5,1| 9.16 21 \100/öfterı 32|67,0| 8 | 191 4| 70,59 September| 1 | 13,3| 28 | 5,8! 8521125, 98! ı1 [34168,4| 11 | 12) 7| 24,14 October..| 7 | 98! 13 | 3,7| 6.26 öfter 100) 13 |43|78,8| 3 | 14| 14) 55,00 November| 6 | 7,7| 23 | 1,9| 4,44 löfter\100, 8 5287.01 3 | 13! 14| 58,16 December | 14 7,61 2 | 1,7 4,54 löfter100| 5 |52/81,8| 1 | 11] 19| 33,44 FB lr- | I | L7| 6,52 | _ 1100) — [95 75,0] 58 8 169 139 1551,35. 139 | 551,35 V. Herrschende Winde. Januar. Nordwest, Südwest und West waren die bei weitem vor- herrschenden Windesrichtungen. Februar. Die Zahl der Südostwinde überstieg in diesem Monate etwas die der Richtungen West, Südwest und Nordwest. März. Südost war die vorherrschende Windesrichtung. April. Die östlichen und nördlichen Windesrichtungen waren vor den westlichen vorherrschend, am häufigsten wurde Südost verzeichnet, demnächst Nordwest, Ost, Nordost, Nord, West. Mai. Unter den Windesrichtungen waren die westlichen (Nordwest, Südwest, West) überwiegend, seltener Südost. / Juni. Nordwest war bei weitem vorherrschend, hiernächst folgte West, | alle übrigen Richtungen waren seltener. Juli. Nordwest- und Südost-Winde kamen am häufigsten vor, erstere jedoch vorherrschend. | August. Nordwestwinde wurden am häufigsten beobachtet, beinahe eben so oft die entgegengesetzte Windesrichtung Südost; hiernach folgten in einer nur wenig geringeren Anzahl östliche, nordöstliche und nördliche Winde mit fast derselben Häufigkeit. September. Die Windesrichtungen aus Südost und Ost waren vor- herrschend vor denen aus Nordwest, West und Südwest. October. Die westlichen Winde waren vorherrschend, minder häufig Südost. 1884. 25 | | 386 Jahres - Bericht November. Nordwest-, Nord- und Südwest-Winde waren vorherrschend, | weniger häufig kam Südost vor. | December. Der Wind wehte am häufigsten aus Südwest und West, | nur halb so viel aus Südost und Nordost. VI. Witterungs- Charakter. Januar. Der diesjährige Januar ist einer der wärmsten, welche seit j dem Beginne der Beobachtungen auf der hiesigen Sternwarte | (1791) hier in Breslau vorgekommen sind, indem die Januar- Temperaturen der Jahre 1852, 1863 und 1866 die diesjährige ! nur wenig übertrafen und nur die von 1796 noch um 2° höher | war. Mit Ausnahme des 1. Januar waren alle Tagesmittel meist | beträchtlich (bis zu 10°,5) über ihrem Normalwerthe. Für den | mittleren Luftdruck ergab sich, unter öfteren starken Schwankungen desselben, der Normalwerth. Der Gehalt der Luft an Wasser- 1 dampf war, der Temperatur entsprechend, grösser als im Mittel, j dagegen der Sättigungsgrad — die relative Feuchtigkeit — geringer. Niederschläge, meist Regen, kamen häufig (an 21 Tagen) vor, | das Quantum derselben überstieg den Mittelwerth. - Die Seringen & Mengen Schnee, welche fielen, hielten sich auf der Erdoberfläche | nur an wenigen Tagen. Die seit Ende November sichtbaren un- | gewöhnlichen Abendröthen von nahe zweistündiger Dauer zeigten | sich auch noch in diesem Monate nahezu an allen klaren Abenden obwohl an Lichtstärke abnehmend, Februar. Die Temperatur des Februar überstieg ihren Normalwerth um nahe eben so viel wie die des Januar, nur an 5 Tagen war dieselbe etwas geringer. Auch der Luftdruck und der Dunstdruck | waren durchschnittlich höher als im Mittel, dagegen war die | relative Feuchtigkeit erheblich geringer. Entsprechend erreichte auch das Quantum der Niederschläge in diesem Monate kaum ein Dritttheil seines Normalwerthes. Etwas Schnee kam fast nur in den letzten 3 Tagen vor und auch nur vorübergehend. Die | ungewöhnlichen Abendröthen der verflossenen Monate zeigten sich ebenfalls noch an mehreren Tagen, jedoch immer mehr ab- nehmend. März. Sowohl Temperatur als Luftdruck und Dunstdruck waren höher als im Durchsehnitt. Die Menge der Niederschläge war ungeachtet | der mässigen Anzahl der Regentage und der vorherrschenden | südöstlichen Winde eine grosse, besonders bewirkt durch den bei Nordostwind stattfindenden anhaltenden Regen vom 25. zum 26. Vom 7. bis 9. fand noch ein nicht unerheblicher Schneefall statt. April. Durchgängig im Gegensatze zu dem vorigen Monate waren Temperatur, Luftdruck und Dunstdruck unter ihrem Mittelwerthe; ® | 4 | ! Mai. Juni. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 387 dagegen war die relative Feuchtigkeit der Luft gegen den Durch- schnittswerth eine ungewöhnlich hohe. Das Quantum der Nieder- schläge war normal und vertheilte sich auf 16 Tage, darunter noch 5 Tage mit Schnee, besonders in der zweiten Hälfte des Monats. Einige heitere Tage im Anfange des Monats ausgenommen, war das Wetter meist trübe und kalt; nur an 6 Tagen in der ersten Hälfte des Monats war die Tages-Temperatur über der normalen, vom 14. ab stetig unter derselben. Von den im Durchschnitt zweimaligen Kälterückfällen im Mai, von denen der eine auf die Tage vom 11. bis 13. (Mamertus, Servatius und Pancratius), der andere auf den 25. (Urban) fällt, war es in diesem Jahre nur der zweite, welcher wirklich eintrat und der an mehreren Orten in der Provinz mit wirklichem Frost verbunden war. Im Uebrigen war der Mai wärmer als sonst, obwohl in Folge des kalten Aprils die Belaubung der Bäume sich noch bis gegen eine Woche nach Beginn des Monats verzögerte. Der Luftdruck war ausser im Anfange des Monats vorwiegend hoch. Die Feuchtigkeit war gering, ebenso das Quantum der Niederschläge, das Wetter heiterer als sonst in diesem Monate. Der .gewöhnliche Kälterückfall in der Mitte des Juni machte sich in diesem Jahre in sehr empfindlicher Weise vom 15. bis gegen Juli. Ende des Monats geltend, aber auch schon die erste Hälfte des Monats war kälter als im Durchschnitt. Das Wetter war unge- wöhnlich trübe und wolkig, mit häufigen und zum Theil sehr reichlichen Niederschlägen, so dass diese den Mittelwerth um die Hälfte übertrafen. Entsprechend war die relative Feuchtigkeit der Luft sehr viel höher als im Durchschnitt. Der Luftdruck war vorherrschend niedrig und dies gleichzeitig mit den niedrigen Temperaturen. . Das Wetter des Juli war vorwiegend warm und schön, bei ge- ringen Schwankungen des Luftdruckes und meist schwacher oder nur mässiger Windbewegung. Gewitter kamen häufig vor, jedoch nur mit mässigen Niederschlägen, so dass die Regenmense nicht viel über die Hälfte des Mittelwerthes betrug. August. Der Luftdruck überstieg während des grössten Theiles des B ” ‚a b 2, 4 3 5 Monats seinen normalen Werth; nur am 19. und 20., sowie an den letzten 6 Tagen stand das Barometer unter dem Mittel. Die Temperatur hingegen war zumeist Tagen — unter dem Mittelwerth, und zwar in dem letzten Drittel des Monats bis zu 4—5 Grad. Die Luftfeuchtigkeit war ein wenig geringer als im Mittel, ebenso blieb das Quantum der Niederschläge fast um 12 mm unter dem normalen Werth zurück, obwohl an 2 Tagen — am 8. und 20. — allein 55 mm Regen 7 abgesehen von 7 wärmeren 235° 388 Jahres - Bericht fielen. Entsprechend der geringen Zahl der Regentage und dem hohen Barometerstande war das Wetter zumeist beständig und heiter. September. Das Wetter war in diesem Monate vorwiegend heiter, warm und trocken, nach Verhältniss in noch höherem Maasse als im Juli und August; nur an 8 Tagen war die Temperatur etwas unter dem Mittelwerthe. Die Feuchtigkeit der Luft war ent- sprechend gering und die Regenmenge betrug nur die Hälfte des Normalwerthes. Der Luftdruck hielt sich ausser in der ersten Woche fast stetig über dem Mittel. | October. Das Wetter war in diesem Monate sehr unbeständig, mit ungewöhnlich vielen Regentagen und auch einer fast doppelt so grossen Regenmenge wie im Durchschnitt. Sehr viel Regen fiel namentlich, und von heftigem Sturme begleitet, am 17. und 18. Das Barometer erreichte besonders niedrige Stände am 11. und am 27., dann einen sehr hohen Stand am 31. Die Mittel des Lnftdruckes und der Temperatur blieben beide unter dem Durch- schnittswerthe. Unter den Gefrierpunkt sank das Thermometer nur einmal, am 31. November. Der Luftdruck war vorwiegend hoch, nur in dem letzten Dritttheil des Monats unter dem Mittel. Dagegen war die Tem- peratur um nahe 2 Grad tiefer als gewöhnlich und überhaupt nur an 8 Tagen über dem Mittelwerthe. Die erste Hälfte des Monats war trocken mit mehreren heiteren Tagen; die zweite Hälfte da- gegen brachte viel Niederschläge, meist in Schnee bestehend, besonders in den letzten 5 Tagen des Monats, wo nicht weniger als 48 mm gemessen wurden, während die vorhergehenden 25 Tage zusammen nur 10 mm ergaben. Der Durchschnittswerth des Monats wurde dadurch um mehr als die Hälfte überschritten. December. Wie gegen Ende des vorigen Monats, blieb auch in diesem Monate der Luftdruck bei den vorherrschenden Südwest- und West- Winden niedrig und überstieg nur an 6 Tagen den normalen Werth, Dagegen war die Temperatur stetig eine ungewöhnlich hohe und war nur an den 3 ersten Tagen unter dem Mittel. Das (Quantum der Niederschläge war normal, meist aus Regen be- stehend, doch bildete sich vorübergehend einige Male auch eine mehrere Tage andauernde Schneedecke. Das Wetter war vor- wiegend trübe. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 389 Nekrologe. Unter den Klängen des Schnabel’schen Miserere bewegte sich am 21. Mai 1884 ein grossartiger Leichenzug vom botanischen Garten über den Domplatz und die Kleine Scheitnigerstrasse nach dem alten Fried- hofe von St. Laurentius. Geheimer Medieinalrath Heinrich Robert Göppert war am 18. nach kurzer Krankheit ins bessere Leben ent- schlafen und die Universität gab dem berühmtesten ihrer Professoren, die Schlesische Gesellschaft ihrem allverehrten Präsidenten, die Stadt Breslau ihrem um sie hochverdienten Ehrenbürger, Schlesien seinem treuesten Sohne das letzte Geleite. Unter dem Vortritt der Magistrats- ausreuter in ihrer alterthümlichen Tracht eröffneten die Studirenden der Universität unter ihren Fahnen den imposanten Zug und bildeten in der Nähe des Kirchhofes Spalier. Palmen, Kränze und Blumen bedeckten den die sterblichen Ueberreste des Verewigten bergenden Sarg; es folgten der Lehrkörper der Universität unter Führung des zeitigen Reetor magnificus, die Spitzen der Militair- und Civilbehörden der Pro- vinz, der Magistrat und das Stadtverordneten-Collegium Breslaus, die Mitglieder der Schlesischen Gesellschaft und die aus Nah und Fern her- heigeeilten zahlreichen Freunde und Verehrer des theuren Mannes, welcher allen, die mit ihm in Berührung gekommen sind, unvergesslich bleibt. Was H. R, Göppert für die Universität und die Wissenschaft, für die Schlesische Gesellschaft und für die Stadt Breslau, was er für die ganze Provinz gewesen und wie er es geworden ist, wie er durch Wort und Schrift unermüdlich für Volksbildung gewirkt hat, was Schlesiens Land- und Forstwirthschaft, Obst- und Gartencultur ihm ver- danken, das haben Herr Geheimer Medieinalrath Professor Heidenhain und Herr Professor Ferdinand Cohn in der am 14. December in der grossen Aula der Universität veranstalteten erhebenden Göppertfeier in zwei sich schön ergänzenden Lebensbildern des Verewigten (S. I—XXVI) den Versammelten ins Gedächtniss zurückgerufen und zur Anschauung gebracht. Semper honos nomenque tuum laudesque manebunt; Molliter ossa cubent cespite sub viridi! 390 Jahres-Bericht Im Laufe des Jahres 1884 sind von den ordentlichen Mitgliedern der Schlesischen Gesellschaft gestorben: Gustav Heinrich von Ruffer, bürgerlicher Herkunft und in Goldberg 1798 am 26. März geboren, verdankte seine Bildung dem Gymnasium in Liegnitz, von welchem er 1814 abgins, um sich dem Kaufmannsstande zu widmen, dessen Zierde er geworden ist. Mit einem kaufmännischen Scharfblick ohne Gleichen überall das Richtige treffend und mit einer Willensenergie, die sich durch Nichts abschrecken liess, das als richtig erkannte unausgesetzt verfolgend und stets glücklich zu Ende führend, hat er sich um Schlesiens Industrie und Handelsverkehr Verdienste erworben, die kaum hoch genug angeschlagen werden können, Nachdem er sich am Ende des Jahres 1823 in Breslau als selbstständiger Kaufmann niedergelassen, begründete er unter Mitwirkung der König]. Seehandlung 1832 die erste Maschinenbauanstalt Schlesiens in Breslau, 1837 das Zinkwalzwerk in Thiergarten bei Ohlau, wiederum das erste seiner Art in Schlesien, 1840 die ersie Kammsarnspinnerei in Breslau, 1841 die Flachsgarnspinnerei in Landeshut. Das erste Dampfschiff, welehes die Oder befuhr, ist 1840 aus seiner Maschinenbauanstalt her- vorgegangen und die erste Schlesische Eisenbahn, die Breslau-Freiburger, wesentlich durch seine Bemühungen zu Stande gekommen. Auch die Rechte-Oder-Ufer-Eisenbahn verdankt Schlesien seiner Anregung. Alle Unternehmungen, an denen Ruffer sich betheiliste, gediehen; so die Königshulder Stahl- und Eisenwaaren-Fabrik und das Breslauer Lager- haus; an der Leitung beider hat er bis zu seinem Tode hervorragenden Antheil genommen. Nur eine einzige seiner Gründungen ist für die daran Betheilisten pecuniär nicht luerativ geworden und trotzdem rechnen wir sie Ruffer zu besonderem Verdienste an. Ihm verdankt nach dem Zeugniss des Verwaltungsrathes unser zoologischer Garten in erster Linie seine Entstehung. Zinsen hat dieser den Actionairen allerdings nicht ge- bracht, dafür aber Tausenden, die ihn besuchen, Freude und Belehrung. libenso tüchtig wie als Kaufmann war Ruffer als Bürger. Er hat sich, wie ihn der Breslauer Magistrat in seinem Nachruf nachrühmt, ‚auf den mannigfaltigsten Gebieten der Öffentlichen Thätigkeit in hervorragender Weise betheiligt und ist in den verschiedensten öffentlichen Aemtern, zuletzt während eines Zeitraums von fast 30 Jahren in dem Curatorium der städtischen Bank, als Mitglied thätig gewesen.“ Wie gross die Ver- ehrung war, in welcher er bei seinen Mitbürgern stand, zeigte sich recht deutlich 1873 gelegentlich der Feier seines fünfzigjährigen Bürger- Jubiläums. Auszeichnungen sind dem in jeder Beziehung ausgezeichneten Manne zahlreich zu Theil geworden. Er wurde zuerst zum Commerzien- vallı, dann zum Geheimen Commerzienrath ernannt, im Anfang der sechziger Jahre in den erblichen Adelstand erhoben und mehrfach mit Orden geschmückt. Ausser einigen ausländischen besass er den Rothen fr ri fa: “: der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 39] Adler- und den Königlichen Kronen-Orden dritter Klasse. Ins bessere Leben entschlief er 1884 am 13. Februar nach kurzer Krankheit. Carl Ludwig Ferdinand von Wittken, der Sohn eines Ritt- meisters bei den Dragonern und 1807 den 7. Februar in Beuthen an der * Oder geboren, wurde nach dem frühen Tode seiner Eltern bis in sein 12. Lebensjahr in einer Pension erzogen und 1819 auf das Pädagogium in Züllichau gebracht, von welchem er 1826 mit dem Zeugniss Nr. 1. auf die Universität entlassen wurde. Nach dreijährigem Studium der Rechte in Berlin und Heidelberg wurde er 1829 als Auscultator dem Stadtgericht in Potsdam zur praktischen Ausbildung überwiesen und mach abgelegter zweiter Prüfung 1831 beim Oberlandesgericht in Naum- burg als 'Referendar beschäftigt. Nachdem er 1834 die grosse Staats- prüfung bestanden, kam er 1835 am 1. Januar als Assessor an das da- mals neu organisirte Land- und Stadtgericht in Zeitz, von wo er 1839 als Richter an das Stadtgericht in Perleberg versetzt wurde, um kurze Zeit darauf als Direetor an dessen Spitze zu treten. In dieser Stelle erwarb er sich die Liebe der Bürgerschaft in solchem Grade, dass, als er 1845 nach Langensalza als Kreis-Justizrath und Land- und Stadt- serichtsdireetor berufen wurde, Perleberg ihn durch Ehrenbürgerbrief vom 50. November 1845 zum Ehrenbürger ernannte. In Langensalza blieb er bis zu seiner Beförderung zum Appellationsgerichts-Rath in Breslau, welche 1858 am 1. April erfolgte. Allen wissenschaftlichen Bestrebungen huldigend, trat er alsbald der Schlesischen Gesellschaft als ' Mitglied bei, in deren juristisch-staatswissenschaftlicher Section er wieder- ‘holt Vorträge gehalten hat. Ein Augenleiden und zunehmende Kränk- liehkeit nöthigten ihn nach der Feier seines goldenen Dienstjubiläums, bei weleher ihm Allerhöchst das Prädicat eines Geheimen Justizraths verliehen wurde, um seine Entlassung aus dem Königlichen Justizdienste zu bitten. Von allen, die ihn kannten, geliebt und verehrt, beschloss er 1884 am 15. Februar sein arbeitsreiches Leben. Als juristischer Schriftsteller ist v. Wittken nicht aufgetreten, dafür aber von 1844 an 2 | für die Preussische Staatszeitung bis zu ihrem Eingehen als officieller Correspondent publieistisch thätig gewesen. Hermann Friedberg, geboren 1817 den 5. Juli in Rosenberg in Oberschlesien, erhielt seine Vorbildung für die Universität auf dem Gym- ' masium zu Brieg, welches er von 1830 bis 1833 besuchte, studirte als- dann in Breslau Mediein und wurde 1842 zum Doetor promovirt. Nach absolvirtem Staatsexamen praktieirte er in Berlin und habilitirte sich 1852 an der dortigen Universität als Privatdocent für Chirurgie, gericht- \ liehe Mediein und öffentliche Gesundheitspflege. 1866 als Physieus nach ‚ Breslau berufen, nahm er an der hiesigen Universität auch die bisherige ‚ akademische Lehrthätigkeit wieder auf und wurde 1869 im December zum | Professor ernannt. Von der grossen Anzahl seiner Schriften seien hier 392 Jahres - Bericht angeführt: Die angeborenen Herzkrankheiten des Menschen. Berlin 1842. Histologie des Blutes. Berlin 1852. Chirurgische Klinik. Jena 1855. Pathologie und Therapie der Muskellähmung, Berlin 1862, ge- krönt mit dem Preise der Acad&mie de me&decine in Paris. Die Lehre von den venerischen Krankheiten. Berlin 1865. Vergiftung durch Kohlen- dunst. Berlin 1866. Rücksichten der öffentlichen Gesundheitspflege auf die Arbeiten in comprimirter Luft. Berlin 1872. Menschenblattern und Schutzpoekenimpfung. Erlangen 1874. Gerichtsärztliche Gutachten, Braunschweig 1875. Gerichtsärztliche Praxis. Wien 1881. Ueber seine in der medicinischen Section gehaltenen Vorträge geben unsere Jahres- berichte nähere Auskunft. Zu früh für seine Familie endete ein sanfter Tod 1884 am 1. März sein arbeitsreiches Leben. Friedrich Fabian Graf von Pfeil, geboren 1804 am 29. Sep- tember auf dem väterlichen Gute Pilgramsdorf bei Lüben, wurde auf den Pädagogien in Gnadenfeld und Gnadenfrei erzogen und studirte als- dann in Berlin Cameralia. Eine Reise nach Italien in Begleitung seines Vaters, welche nach gutem alten Brauche mit eigenen Pferden gemacht wurde, schloss seine Jugendjahre ab; sie ist ihm lebenslang der Gegen- stand seiner liebsten Erinnerungen geblieben. Nach der Heimkunft widmete er sich auf dem Gute seines Vaters Kleutsch bei Frankenstein der praktischen Landwirthschaft und übernahm im Anfang der Dreissiger Jahre die Administration des 1827 von seinem Vater erkauften Ritter- gutes Wildschütz, Kreis Oels. Albrecht Thaer in Möglin hatte der Landwirthschaft neue Bahnen vorgezeichnet und in Schlesien standen Plathner und Block als Praktiker und Professor Weber als Theoretiker an der Spitze der landwirthschaftlichen Reformer. Sie fanden in Graf Pfeil, dessen Oekonomie in Wildschütz bald zu den Musterwirthschaften Schlesiens zählte, einen treuen Gehilfen. Mehrere in der Schlesischen Landwirthschaftlichen Zeitschrift, Jahrgang 1834, veröffentlichte Aufsätze zeigen den hochgebildeten, mit Theorie und Praxis gleich vertrauten Landwirth, der auf erossen Reisen nach Schweden und Holland seinen (esichtskreis erweitert und seinen Blick für das in Schlesien Noth- wendige und Mögliche geschärft hatte, so dass in dem srossen Kreise seiner Verwandten und Freunde, wenn es sich um Güterkäufe oder um Hebung von Gutserträgen handelte, ohne seinen sachkundigen Rath nichts unternommen wurde, Seine Mitstände, welche seine Tüchtigkeit und Arbeitskraft bald erkannten, wählten ihn 1844 zum Kreisdeputirten und 1552 zum Landesältesten der Oels-Militscher Fürstenthumslandschaft, worauf sie ihn, als er 1871 eine Wiederwahl ablehnte, zum Ehren- Landesältesten ihres Systems ernannten, Bei Hohen und Niedrigen sieh gleichen Vertrauens erfreuend, erhielt er 1864 ein Mandat ins Abgeord- netenhaus, welches er 1872 mit einem Sitze im Herrenhause als Ver- treter des alten und befestigen Grundbesitzes vertauschte. Sein gemein- | | | | | der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 393 nütziges, verdienstliches Wirken wurde von Allerhöchster Stelle 1858 durch Verleihung des Rothen Adler-Ordens, dessen dritte Klasse mit der Schleife er 1870 erhielt, anerkannt, während er 1862 auch zum Ehrenritter des St. Johanniter-Ordens ernannt worden war, Seinen Freunden und Allen,- die ihn gekannt haben, unvergesslich, starb er 1884 am 4. Mai .in Wildschütz; seine sterbliche Hülle ist in der Gruft des von dem Verewigten 1853 zurückgekauften alten Familiengutes Ober- Diersdorf bei Nimptsch beigesetzt worden. An den Bestrebungen und Arbeiten der Schlesischen Gesellschaft, der er seit 1847 angehörte, hat der Verewigte unausgesetzt lebhaften und regen Antheil genommen. Hermann Straka, geboren 1821 den 6. Juni in Breslau und Zög- ling der Realschule am Zwinger, widmete sich der Kaufmannschaft, die er in der Handlung von F. W. Scheurich auf der Kirchstrasse erlernte. Von seinem Principal zum tüchtigen Kaufmanne ausgebildet, etablirte er, nachdem er mehrere Jahre servirt hatte, mit dem Sohne seines früheren Lehrherrn 1847 am Schweidnitzer Stadtgraben unter der Firma Scheurich & Straka ein Compagniegeschäft, welches er 1849 auf alleinige Rechnung übernahm und auf die Junkernstrasse 33 verlegte. Nament- lich liess er sich den Vertrieb aller Arten von Mineralwässern, in- und ausländischer, angelegen sein und hatte die Freude, sein mit Umsicht und Sachkunde geleitetes Geschäft immer grössere Dimensionen an- nehmen zu sehen. 1865 erwarb er das Haus Nr. 10 auf der Riemer- zeile, in welches er seine Handlung verlegte. Durch das Vertrauen seiner Mitbürger 1867 in die Stadtverordneten-Versammlung gewählt, hat er in derselben als Mitglied der Armen - Commission bis zu seinem Tode des Guten viel gewirkt. Seine Wohlthätiskeit und Gutherzigkeit war bekannt. Er gehörte zu den Begründern des Unterstützungs- Vereins für verarmte Kaufleute und als Mitglied des Vereins für den Unterricht und die Erziehung Taubstummer war es ihm Herzensbedürfniss, den Zöglingen dieses Instituts jedes Jahr ein kleines Fest zu geben und sich mit ihnen herzlich zu freuen. In der Handelskammer, der er seit 1878 angehörte, hat er sich mit Eifer und Hingebung die Vertretung der kaufmännischen Interessen angelegen sein lassen. An den Bestrebungen der Schlesischen Gesellschaft, in welche er, getreu den alten Traditionen des ehrenwerthen Breslauer Kaufmannsstandes 1866 eingetreten war, und deren allgemeine Versammlungen zu besuchen er nie unterliess, nahm er unausgesetzt den lebhaftesten Antheil. Ein Muster bürgerlicher Tüchtigkeit und Selbstständigkeit, starb er im kräftigsten Mannesalter 1884 am 24. Juni nach längeren Leiden, von den Seinen und Allen, die _ Ihn kannten, schmerzlich betrauert. Johannes Promnitz, ein Sohn des 1840 verstorbenen Stadtraths Friedrich Wilhelm Promnitz und 1827 am 3. Juni hierselbst geboren, besuchte die hiesige Realschule am Zwinger, von welcher er 1845 ab- 394 Jahres - Bericht sing, um in dem Droguen-Geschäft von Oredner & Schönau die Handı lung zu lernen. Im Jahre 1849 in das hierorts unter der Firma C. W. ?oland betriebene väterliche Geschäft eingetreten, gründete er, nach einer ausgedehnteren, mehr schöpferischen Thätigkeit verlangend, im Verein mit seinem Schwager 1852 in Polnisch-Weistritz bei Schweidnitz die erste Melassespiritus - Brennerei Schlesiens. Er hatte sich dabei unter schwierigen Verhältnissen als einen so umsichtigen und thatkräftigen Kaufmann bewiesen, dass mehrere industrielle Gesellschaften sich be- eilten, ihn durch Berufung an leitende Stellen für sich zu gewinnen. So hat er der Königshulder Stahl- und Eisenwaaren - Fabrik eine lange Reihe von Jahren als Vorstands- und stellvertretendes Direetions-Mitglied angehört und ist eleicherweise der Breslauer Wechslerbank von Anbeginn als Mitglied des Aufsichtsraths ununterbrochen ein sorgsamer Berather und Förderer geworden. Als Bürger hat Promnitz in zahlreichen Ehren- ämtern, zuerst als Schiedsmann und Bezirksvorsteher und von 1872 bis 1883 als Mitglied des Stadtverordneten-Collegiums, seiner Vaterstadt treue und wichtige Dienste geleistet und ihre Wohlthätigkeits-Anstalten auf jede Weise gefördert. Er war lange Jahre Speeialeurator des Real- eymnasiums am Zwinger, dessen Schüler er gewesen, ferner Mitglied des Curatoriums der Willert’schen Stiftung, des Schlesischen Blinden- Instituts und des Asylvereins für Obdachlose. 1883 nöthigte ihn zu- nehmende Kränklichkeit allen diesen ihm liebgewordenen Pflichten und Aemtern zu entsagen, um auf seiner Villa in Scheitnig in vollkommener Ruhe und stiller Zurückgezogenheit nur sich und seiner Gesundheit zu leben; aber Genesung war ihm nicht beschieden. 1884 am 6. Juli er- löste ihn der Tod von langen schweren Leiden. Promnitz war unver- mählt. Seine ihn überlebende hochbetagte Mutter aber hat dem geliebten Sohne das schönste Denkmal gesetzt, indem sie alle Anstalten, in deren Vorstande er gesessen oder für nr er sich interessirt hatte, mit frei- sebiger Hand reich beschenkte und so sieh und ihm in den Herzen der Dürftisen für immer ein dankbares Andenken sicherte. Die Summe dieser Zuwendungen, so weit sie bekannt geworden sind, beläuft sieh auf 22000 Mark. Georg Friedrich Felix Eberty, geboren 1812 am 26. Januar in Berlin, studirte von 1831 bis 1834 in seiner Vaterstadt und in Bonn die Rechte und trat als Doctor beider Rechte in den Justizdienst. 1510 zum Assessor beim Kammergericht befördert, wurde er nach mehr- jähriger riehterlicher Thätiekeit in Hirschberg und Lübben 1845 an das Breslauer Stadtgerieht versetzt. Er fühlte sich in Breslau bald so heimisch, dass er es nicht wieder verlassen hat. In seinen äusseren Verhältnissen völlig unabhängig, quittirte er den Staatsdienst und erwarb sich 1550 am 15. Juui durch Vertheidigsung seiner Dissertation „De re ceptione legsum Juliarum de vi publiea et privata in Germania‘ an der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 395 unserer Universität die venia legendi für Natur- und Criminalrecht, aber obgleich er schon 1854, wohl in Folge seiner rechtsphilosophischen Schrift „Versuche auf dem Gebiete des Naturrechts‘, zum ausserordent- liehen Professor ernannt wurde, so liegt doch der Schwerpunkt seines Wirkens nicht in seiner. akademischen Lehrthätigkeit. Universal ange- lesten Naturen, und zu ihnen gehörte Eberty, widerstrebt es, sich voll und ganz einem Gegenstande zu widmen. Fast auf allen Gebieten menschlichen Wissens heimisch und über eine umfassende Gelehrsamkeit verfügend, ist Eberty auf den verschiedensten Gebieten und stets mit Erfolg als Schriftsteller aufgetreten. Seine ersten Arbeiten datiren aus dem Jahre 1846 und erschienen anonym. „Die Aufgaben der Zeit, be- sprochen von F. Y.‘“, enthalten gewissermassen sein politisches Pro- sramm, dem er in seinem späteren Leben und Wirken unverbrüchlich treu geblieben ist. Dieser ersten Brochüre folgte bald eine zweite von 28 Seiten, datirt vom 21. Februar 1846, „Die Gestirne und die Welt- geschichte. Gedanken über Raum, Zeit und Ewigkeit von F. Y.“, in welcher er die religions-philosophischen Begriffe der Allwissenheit, All- segenwart und Unzeitlichkeit Gottes dem Leser demonstrirt und zur Anschauung bringt. Sie erregte Aufsehen und. wurde unmittelbar nach ihrem Erscheinen ins Englische übersetzt. Hierbei geschah das Sonder- bare, dass, nachdem sie in England mehrere Auflagen erlebt hatte, sie wieder ihren Uebersetzer fand, der, um sie seinen Landsleuten bekannt zu machen, sie aus dem Englischen ins Deutsche übertrug. Als Literatur- historiker trat Eberty 1860 auf. Sein „Walter Scott“ in zwei Bänden wurde mehrfach übersetzt, ihm folgte 1862 sein „Lord Byron“, ebenfalls in zwei Bänden. Vom Biographen zum Geschichtsschreiber ist der Schritt nur klein und Eberty’s „Geschichte des Preussischen Staates“, welche 1866 bis 1873 in 7 Bänden erschien, wird durch den Reichthum ihres in frischer, ansprechender Darstellung zu einem belehrenden Ge- sammtbilde verarbeiteten historischen Materials neben den Werken unserer besten Historiker stets einen ehrenvollen Platz einnehmen. Mit den „Jugend-Erinnerungen eines alten Berliners‘ beschloss Eberty 1878 ‚seine bedeutende schriftstellerische Thätigkeit. Dabei war er ein be- geisterter Verehrer der Kunst. Malen und Schnitzen füllten seine Er- holungsstunden aus und in beiden leistete er über den Dilettantismus Hinausgehendes; aber weder durch seine gelehrten Arbeiten, noch durch seine künstlerischen Erholungen hat er sieh abhalten lassen, sich als Staatsbürger am Öffentlichen Leben rege zu betheiligen und nach Kräften ‚ dazu beizutragen, dass es in Stadt und Staat besser werde. Er wurde 1851 zum Stadtrath gewählt und hat als soleher und nach seiner Resignation 1863 als Mitglied des Stadtverordneten-Collegiums sich um die Förderung unseres Schul- und Fortbildungswesens grosses Verdienst erworben. Bildung und Erziehung des Volkes zur Sittlichkeit waren 396 Jahres - Bericht ihm die einzigen Mittel, bessere Zustände herbeizuführen und darum lagen ihm Volksschulen und Volksbibliotheken so sehr am Herzen, und namentlich für die letzteren hat er mit einer Hingebung und einem Eifer gewirkt, wie sie nicht bald wieder anzutreffen sein möchten. Als zu- nehmende Schwerhörigkeit ihn nöthigte, sein Mandat als Stadtverordneter niederzulegen und sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen, bat er es sich als Bedürfniss seines Herzens aus, Curator unserer Volks- bibliotheken bleiben zu dürfen. Dass er als Mitglied der Schlesischen Gesellschaft seit 1854 sich an den von ihr jedes Jahr im Winter ver- anstalteten öffentlichen Vorträgen stets lebhaft betheiligte, ist selbst- verständlich. Seinen Mitbürgern wie seinen Freunden unvergesslich, beschloss er 1884 am 7. Juli auf seiner reizenden Familienbesitzung in Arnsdorf im Hirschberger Thale sein an Mühen und Erfolgen reiches Leben. Johann Ludwig Alphons Wendt, geboren 1811 am 26. December in Breslau, verdankt seine Vorbildung dem Königlichen Matthias-Gym- nasium, welchem er von 1819—1822 als Schüler angehörte, und dem Magdalenäum, von welchem er Ostern 1829 mit dem Maturitätszeugniss auf die Universität entlassen wurde. Durch seine Abkunft gewisser- massen zum Arzte prädestinirt, war es natürlich, dass er sich einem Berufe widmete, in welchem der Grossvater so segensreich gewirkt hatte und zu dessen Zierden der Vater gehörte. Nach dreijährigem medi- einischen Studium auf der hiesigen Universität unter der Leitung seines berühmten Vaters ging er 1832 nach Leipzig und kehrte nach einem Jahre wieder nach Breslau zurück, wo er 1833 am 11. Juni nach Ver- (heidigung seiner Dissertation „De epidermide humana‘ zum Doctor der Mediein und Chirurgie promovirt und bald darauf zum Professor an die hiesige medieinisch-chirurgische Lehranstalt berufen wurde. In dieser Stellung ist er als Lehrer bis zur Aufhebung der Anstalt 1848 mit grossem Erfolge thätig gewesen. Als Mitglied des Medicinal-Collegiums der Provinz, zuletzt Geheimer Medieinalrath, hat er sich um die allge- meine Gesundheitspflege und als Stadtphysicus speeiell um die Breslaus wesentliche Verdienste erworben. Seine letzten Lebensjahre waren durch Kränklichkeit getrübt, die in der Regel schlimmer ist, als aus- sesprochene Krankheit. Den von seinen zahlreichen Freunden und Ver- ehrern für die Feier seines Doetor-Jubiläums geplanten Ovationen entzog er sich durch eine Reise nach Landeck, wo er den Tag, an welchem er seine ärztliche Laufbahn begonnen hatte, im Kreise seiner Familie in stiller Zurückgezogenheit verlebte. Der Winter brachte keine Besserung, auch nicht der Aufenthalt im Gebirge während des folgenden Sommers. Wendt hatte in Janowitz Sommerquartier genommen; dort ist er unver- muthet am 1. August 1884 gestorben. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 397 Heinrich Neumann, Sohn des als Privatgelehrter hier lebenden bekannten Orientalisten und 1814 am 17. Januar geboren, besuchte das Elisabetan und studirte von 1832—1836 Mediein, zu deren Doctor er 1836 am 8. September promovirt wurde. Seine ärztliche Praxis be- gann er als Unterarzt im Schlesischen Leib-Kürassier-Regiment, eine Stellung, welche er bald mit der eines Assistenzarztes in der geburts- hilfliehen Klinik des Professor Betschler vertauschte, worauf er sich 1839 an der hiesigen Universität als Docent für innere Mediein habilitirte. Mit den Anschauungen Schönleins, die er vertrat, fand er jedoch in den massgebenden Kreisen wenig Anklang, und so verzichtete er, den Um- ständen Rechnung tragend, freiwillig auf seine Lehrthätigkeit und nahm 1846 die Stelle eines Assistenzarztes in der Irrenanstalt zu Leubus an. Aber Neumann war geistig und wissenschaftlich eine viel zu selbst- ständig angelegte Natur, um die Beschränkungen, die diese untergeordnete Stellung mit sich brachte, auf die Dauer zu ertragen und den der Orga- nisation der Anstalt anhaftenden Gebrechen, die er in einer als Manu- seript gedruckten Schrift „Gedanken über die Zukunft der Schlesischen Irrenanstalten‘‘ 1848 freimüthig besprach, gegenüber gleichgiltiger Zu- schauer zu bleiben. Er kehrte daher nach mehrjähriger Thätigkeit in _ Leubus wieder nach Breslau zurück und gründete 1852 seine Privat- Irrenanstalt in Pöpelwitz, worauf er sich zum zweiten Male, diesmal als Docent für die an der Universität noch nicht vertretene Psychiatrie habilitirte. Seine Ernennung zum ausserordentlichen Professor, welcher 1867 die zum Primairarzt der Abtheilung für Geisteskrankheiten in unserem städtischen Allerheiligen-Hospital folgte, führte zur Gründung einer psychiatrischen Universitätsklinik, deren Direction ihm übertragen wurde. In allen diesen Stellungen hat Neumann durch seine reichen Erfahrungen des Guten viel gestiftet. Andauernde Kränklichkeit be- stimmte ihn, seine Privatanstalt 1881 jüngeren und kräftigeren Händen zu überlassen. Er starb 1884 am 10. October. Was er als Arzt, als Gelehrter und Mensch gewesen, entlehnen wir dem ihm in der Breslauer Zeitung von Dr. A. L. gewidmeten Nekrologe. ‚Heinrich Neumann war ein genial angelegter, klar denkender Kopf, dessen wissenschaftliche Arbeiten sich durch Präeision des Ausdrucks und Originalität der Ge- danken auszeichnen. Seiner tiefen allgemeinen Bildung, seiner form- gewandten faseinirenden Beredtsamkeit verdankte er seine Erfolge als akademischer Lehrer und populärer Vorleser. Seine Shakespeare -Vor- träge im Musiksaale der Universität, welche Vielen gewiss unvergesslich | bleiben werden, gehören unstreitig zu den besten Mustern populärer '; Aesthetik. Sie sind zum Theil im Druck erschienen und werden, wie ' 24.B. der Vortrag über ,Lear und Ophelia‘‘, in der Shakespeare-Literatur | einen dauernden Werth behalten. Unter seinen wissenschaftlichen ') Arbeiten hat besonders sein Lehrbuch der Psychiatrie, welches neuer- Il 2 398 Jahres - Bericht ):ı dings in gekürzter Form als Leitfaden der Psychiatrie wieder erschien, die weitgehendste Würdigung erfahren. Mit seiner wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit vereinigte der Dahingeschiedene eine trotz mannig- fachen Kummers ungetrübt heitere Lebensanschauung, welche ihn zum liebenswürdigsten Gesellschafter machte, und ein edles, für Noth und Unglück Anderer warmfühlendes Herz. Ohne Rücksicht auf seine Privat- interessen führte ihn seine Hilfsbereitsehaft in den fünfziger Jahren in die vom Typhus durchseuchten Gegenden Oberschlesiens, 1866 auf die Schlachtfelder Böhmens und 1870 in die hiesigen Lazarethe. Mit der- selben Aufopferung war er, meist ohne Aussicht auf materielles Entgelt, auch ausserhalb seiner amtlichen Thätigkeit ein treuer Berather bei unglücklichen Geistesumnachteten. Seinen Untergebenen war er ein milder Vorgesetzter und trotz seiner schneidigen Dialektik ein wohl- wollender Beurtheiler seiner Mitmenschen. Mancher Arme wird in ihm einen stillen Wohlthäter vermissen.“ Der Schlesischen Gesellschaft, in deren medicinischen Seetion er namentlich in früheren Jahren wiederholt Vorträge gehalten hat, gehörte er seit 1839 an. Julius Steinitz, 1845 am 17. August zu Loslau in Oberschlesien geboren, widmete sich nach Absolvirung des Gymnasiums in Ratibor, von welchem er 15865 mit dem Zeugniss der Reife auf die Universität entlassen wurde, in Breslau dem Studium der Mediein, erwarb sich durch seine Dissertation über die Leister'sche Verbandmethode 1869 am 17. Juli das Doectorat und wurde nach rühmlich bestandenem Staats- examen als Impfarzt in Falkenberg provisorisch angestellt. Nach kurzer Wirksamkeit gab er diese Stelle auf und verlegte im Mai 1870 seinen Wohnsitz nach Breslau, wo ihm das eben etablirte Barackenlazareth, in welches er im September desselben Jahres als Assistenzarzt eintrat, er- wünschte Gelegenheit bot, seine ärztliche Tüchtigkeit zu bewähren. Sie wurde dnreh die Verleihung der Kriegsdenkmünze von Stahl am Nicht- Combattanten-Bande anerkannt. Als Arzt des hiesigen Gesundheitspflege- Vereins hat er alsdann, wie ihm vom Verwaltungsrathe nachgerühmt wird, „durch 13 Jahre in grosser Treue und mit bereitwilliger Auf- oplerung und von seinen Patienten geliebt und verehrt“, bis zu seinem nach langen schweren Leiden 1884 am 13. November erfolgten Ableben segensreich gewirkt. Der Humboldt-Verein für Volksbildung verlor in. ihm nicht blos „ein allezeit eilriges und beliebtes Ausschussmitglied, sondern auch eine hervorragende Lehrkraft“; der Verein „Breslauer Dichterschule“ beklagt den Verlust eines Freundes, „der sich durch Liebenswürdiskeit und edlen Charakter, sowie durch warmes Interesse ’ R Banden ER ae ERS S R S an den Bi strebungen des Vereins ein dauerndes Andenken gesichert hat.“ rn) “1 r .I 3 > . 5 Friedrieh Anton Klein od, geboren 1808 den 5. September in a . ..7 ‚N < an Ar x . E a Bi: Gross-Tsehansch bei Breslau, erhielt den ersten Unterricht in der Dorf- Io 3 101 Io An en R. ns \ .. . schule seines Geburtsortes und wurde 1822 Schüler des Matthias-Gym; der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 399 nasiums in Breslau, von welchem er Ostern 1825 abging, um in Brieg seine Gymnasialbildung abzuschliessen. Nach wohlbestandenem Abi- turienten-Examen studirte er von Ostern 1830 bis Ostern 1833 in Breslau evangelische Theologie, nahm eine Hauslehrerstelle in Niederschlesien an und machte 1854 das Examen pro venia concionandi. Es war da- mals eine Zeit des Candidaten-Ueberflusses.. Zu den allerdürftigsten Pfarrstellen, auch wenn ihr Einkommen 400 Thaler lange nicht erreichte, meldeten sich nicht etwa blos zehn, sondern hundert Bewerber, und so dürfen wir es dem Candidaten Kleinod nicht verargen, dass, nachdem er alle Gerechtigkeit erfüllt und auch das Examen pro ministerio 1837 ‚absolvirt hatte, er dem geistlichen Ackerwerke Valet sagte und sich das lohnendere der Landwirthschaft erwählte. ‚Omnia vincit amor; et nos cedamus amori.‘“ Nach zweijähriger Lehrzeit übernahm er 1839 die Verwaltung der zum Domainenamt Tschechnitz gehörigen Vorwerke Tschechnitz und Gräbelwitz und nach dem Tode seines Schwiegervaters, des Königlichen Oberamtmanns Brade in Tschechnitz, 1846 dessen ganze Pacht. Für seine treffliche Wirthschaftsführung wurde er zum Königl. Amtsrath ernannt und die Pachtung ihm immer aufs neue zugeschlagen. 18584 am 21. December entschlief er ins bessere Leben. Der Schlesischen Gesellschaft gehörte er seit länger als 30 Jahren an, Aus der Zahl unserer Ehren- und correspondirenden Mitglieder starben im verflossenen Jahre: Georg Heinrich von Boguslawski, Sohn des Artilleriehaupt- manns Palm Heinrich Ludwig von Boguslawski, und auf dem seinem Vater gehörenden Rittergute Gross-Raake bei Breslau 1827 am 7. De- cember geboren, erhielt wegen seiner schwächlichen Gesundheit den ersten Unterricht durch Privatlehrer im elterlichen Hause, wurde 1840 als Schüler in das Königliche katholische Gymnasium hierselbst aufge- " nommen und Michaelis 1846 von demselben zur Universität entlassen. ' Sein Vater war inzwischen zum Professor der Astronomie an der hiesigen Hochschule und zum Director der Sternwarte ernannt worden; | wie konnte der Sohn ein anderes Studium erwählen, als das der Mathe- matik, der Astronomie und der Naturwissenschaften? Während seiner Universitätsjahre betheiligte er sich eifrig an den astronomischen Arbeiten des Vaters für den „Uranus“, sowie an den täglichen magnetischen Be- Obachtungen, und widmete sich nach dessen Tode vorzugsweise dem / Studium der Geschichte der Sternschnuppenkunde. Nachdem er Ostern 1354 das Examen pro faeultate docendi in Mathematik und Naturwissen- ' schaften rühmlich bestanden und sein Probejahr an der Luisenstädtischen Realschule in Berlin absolvirt hatte, wurde er 1855 als Lehrer an das Gymnasium in Anclam und das Jahr darauf als Collaborator an die 400 Jahres-Bericht Friedrich-Wilhelms-Realschule in Stettin berufen. Durch seine in den Verhandlungen der Schlesischen Gesellschaft veröffentlichte Arbeiten („Barometrische Höhenbestimmungen der Eule in Schlesien‘ 1847, „Ueber die periodischen Sternschnuppenphänomene“ 1852) und durch seinen „Nachtrag zu Chladni’s Verzeichniss der Innenmeteore‘‘ (Poggendorf’s Annalen, Ergänzungsband IV) längst vortheilhaft bekannt, erschien 1857 seine Schrift „Die Kometen und ihre Bedeutung als Weltkörper‘‘, zweite Auflage 1874, welehe ihm Ostern 1857 die Beförderung zum Oberlehrer an der städtischen höheren Töchterschule und Lehrer der Mathematik an der Königlichen Schiffbauschule in Stettin eintrug. Trotz dieses doppelten Lehramtes blieb Boguslawski unausgesetzt noch wissenschaft- lich thätig und veröffentlichte in den Jahresberichten der Polytechnischen Gesellschaft, deren Schriftführer er war, „Fünf Beiträge zur Witterungs- kunde von Stettin‘, 1868—1872, sowie 1871 den „Entwurf einer astro- nomischen Theorie der Sternschnuppen. Von J. v. Schiaparelli. Aus dem italienischen Manuscripte des Verfassers frei übersetzt.“ Die all-_ semeine Anerkennung, mit welcher Boguslawski’s Arbeiten, namentlich auch die meteorologischen, überall aufgenommen wurden, führte 1873 zu seiner Berufung in das hydrographische Bureau der Kaiserlichen Admiralität in Berlin. Mit dieser Stellung, welche er 1874 am 1. Januar antrat, war zugleich die Redaction der „Annalen der Hydrographie‘ ver- bunden. „Keine der seefahrenden Nationen“, äussert sich Neumayer im Nekrologe Boguslawski’s (Zeitschrift für Meteorologie 1. Jahrg. S. 334) über diese Annalen, „besitzt eine Fachzeitschrift, welche der grössten aller Errungenschaften neuester wissenschaftlichen Arbeit, den Tiefsee- forschungen, in so eingehender Weise Rechnung getragen hat.‘ Zu dieser Bedeutung sind die Annalen durch Boguslawski erhoben worden, denn als er die Redaction übernahm, war erst ein Jahrgang erschienen. Von nun an war seine ganze Kraft der Erforschung der physikalischen Verhält- nisse des Meeres gewidmet und eben hatte er begonnen, die Resultate seiner Forschungen in seiner „Oceanographie‘ zu veröffentlichen, als der Tod ihn mitten aus der Arbeit abrief. Es ist leider zu fürchten, dass das Werk, von welchem nur der erste Band erschienen ist, Bruchstück bleibt, Boguslawski starb 1854 am 4. Mai. Die Berliner Gesellschaft (ür Erdkunde verlor in ihm ihren langjährigen Schriftführer, die Geo- graphie einen ihrer berufensten Forscher, der Staat einen Beamten von seltener Begabung und eminenter Arbeitskraft. Johann Gustav Droysen, geboren 1808 am 6. Juni im Pfarr- hause zu Treptow an der Tollense in Pommern und für die Universität auf dem Gymnasium in Stettin vorgebildet, widmete sieh von 1826 bis 1829 in Berlin dem Studium der Philologie und der Alterthumswissen- schaft und wurde nach Beendigung desselben Lehrer am Gymnasium zum grauen Kloster. In dieser Stellung blieb er nur wenige Jahre. Seine der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 401 meisterhafte Uebersetzung des Aeschylus (Berlin 1832, dritte Auflage 1868) bahnte ihn den Weg zum Universitätskatheder. Sich 1833 an der Universität habilitirend, wurde er schon 1835 nach dem Erscheinen seiner von ganz neuen Gesichtspunkten ausgehenden „Geschichte Alexanders des Grossen‘ (Berlin 1835) zum ausserordentlichen Professor befördert. Der junge Professor feierte nicht. Er hatte inzwischen auch den Aristophanes übersetzt und in drei Bänden 1835—18383 (zweite Auflage 1871) herausgegeben und 1836 seine „Geschichte des Hellenis- mus‘ begonnen, in Folge deren er 1840 als ordentlicher Professor nach Kiel berufen wurde. Diese Berufung bildet einen Markstein im Leben Droysen’s. Bisher hatte er nur für die Gelehrten gearbeitet und ge- schrieben; in Kiel wurde aus dem Alterthumsforscher ein Politiker und aus dem Kathedergelehrten ein Volksmann. Durch und durch deutsch sesinnt betheiliste er sich lebhaft an den politischen Fragen, welche damals die Herzogthümer bewegten, und stand im Kampfe gegen die Ansprüche der Dänen als Führer an der Spitze der Protestler. Die so- senannte Kieler Adresse ist 1844 aus seiner Feder geflossen und an der Abfassung der Schrift der neun Kieler Professoren „Ueber das Staats- und Erbrecht des Herzogthums Schleswig“, 1846, hat er bedeutenden Antheil. In demselben Jahre erschienen auch seine „Vorlesungen über die Geschichte der Freiheitskriege‘‘ in zwei Bänden, ein Werk, welches deutsche Gesinnung und Interesse an nationalen Fragen in weiten Kreisen geweckt hat. Von seiner ferneren politischen und publieistischen Thätig- keit hier absehend, sei hier nur noch erwähnt, dass er 1848 ins Frank- furter Parlament gewählt wurde und mit dem Scharfblick des Historikers es schon damals vorausgesehen hat, dass ein einiges und starkes Deutschland nur unter der Führung der Hohenzollern zu Stande kommen könne. 1851 wurde Droysen als Nachfolger Luden’s auf den Lehrstuhl der Geschichte nach Jena berufen. Hier schrieb er sein „Leben des Feldmarschalls Grafen York von Wartenburg‘‘, 1851—1852, ein Volks- buch im besten Sinne des Wortes, dessen siebente Auflage 1875 ans Licht trat, und seinen „Grundriss der Historik“, 1858, zweite Auflage 1875, dadurch bedeutsam, dass er in demselben zuerst eine philosophisch- wissenschaftliche Theorie aller historischen Wissenschaften aufstellte. In Jena begann er auch sein Hauptwerk, die „Geschichte der preussischen Politik“, in Folge dessen er 1859 an die Universität in Berlin berufen wurde. Erschienen sind davon 5 Bände in 13 Abtheilungen, die ersten Theile bereits in zweiter Auflage, doch ist es weitaus noch nicht voll- endet. Auf Droysen’s Veranlassung und unter seiner Leitung wurden auch die „Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des grossen Kur- fürsten“ in 6 Bänden, 1864—1872, herausgegeben. In seinen Werken tortlebend, starb er 1884 am 19. Juni an einem unheilbaren Brustleiden. In ihm verlor Deutschland einen seiner besten und gesinnungstüchtigsten 1884, 26 402 Jahres-Bericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Männer, die Schlesische Gesellschaft eines ihrer berühmtesten Ehren- mitglieder. 2 Bi Von dem in Leipzig 1884 am 15. August verstorbenen Professor. | Dr. Julius Cohnheim, dessen Epoche machende Arbeiten Herr Pro- fessor Ponfick in der am 31. October in der medicinischen Section ihm gehaltenen Gedächtnissrede ($S. 128—138 unseres Jahresberichts) ge- würdigt hat, seien hier, damit dem Bilde des Verewigten der Rahmen nicht fehle, noch die Hauptmomente seines äusseren Lebens in Kürze nachgetragen. Julius Friedrich Cohnheim, geboren 1839 am 20. Juli zu Demmin in Pommern, besuchte zuerst die höhere Bürger- schule seiner Vaterstadt‘ und dann das Gymnasium in Prenzlau, von welchem er Michaelis 1856 auf die Universität ging, um sich der Mediein zu widmen. Das in Berlin begonnene Studium wurde in Würz- burg, Greifswald und Prag fortgesetzt und mit Absolvirung des Staats- Examens im Winter 1861/62 beschlossen. Nach kurzer Thätigkeit als - praktischer Arzt in Berlin wurde er 1864 Assistent am pathologischenä Institut der Charite unter Virchow und 1368 als ordentlicher Professor für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie nach Kiel, 1872 | in gleicher Eigenschaft zum Nachfolger Waldeyers nach Breslau Herten, 3 Hier befiel ihn in bedrohlichster Weise ein gichtisches Leiden, welches ihn zum grossen Leidwesen seiner zahlreichen Schüler nöthigte, seine Vorlesungen einige Semester ganz einzustellen. Allgemein wie die Freude über seine Genesung, war das Bedauern, als er 1876 dem an ihn ergangenen Rufe nach Leipzig folgte, dessen klinischen Universitäts- Institute mit ihren grossartigen Einrichtungen ihm eine akademische Lehrthätigkeit eröffneten, wie eine solche, von Berlin abgesehen, ihm keine zweite deutsche Universität zu bieten hatte. Dort erlag er der“ tückischen Krankheit, von der er bereits in Breslau befallen worden war, 1884 am 15. Ehen im 45, Lebensjahre. “ Stat sua euique dies; breve et irreparabile tempus Omnibus est vitae; sed famam extendere factis, Hoe virtutis opus, (Virg. Aen. X, 468.) Dr. Schimmelpfennig. 14 JUL. Teez Druck: von Grass, B arth & Comp. (W, Friedrich) in Bresiain.- Verzeichniss = sammtlicher von der-sehles. Gesellschaft für vater, Gultur herangngeht 1. Einzelne Sehriften. Zwei Reden, gehalten von dem Reg.-Quartiermstr. Müller und Prof. Reiche Feier des Stiftungstages der Gesellschaft zur Beförderung der Nabrkns Schlesiens, am 17: December 1804. 8°, 48 Seiten. An die Mitglieder der Gesellschaft zur Beförderung der Naturkunde und Indust und an sämmtliche Schlesier, von Reetor Reiche, 1809.. 8% 328. Oeffentlicher Aetus der Schles. Gesellschaft f. vaterl. Cultur, gehalten am 19. Dec eb Feier ihres Stiftungsfestes. 8°. 40 8. Joh. George Thomas, Handb. d. Literaturgeschichte v. Schlesien, 1824. 8°, an Preisschrift. Beiträge zur Entomologie, verfasst von den Mitgliedern der entom. Seetion, mit 18 Kpi f Die schles. Bibliothek der Schles. Gesellschaft v.K.G.Nowack. 8°, 1835 oder spä ter er Denkschrift der Schles. Gesellschaft zu ihrem 50jähr. Bestehen, enthaltend die & Schles. Gesellschaft und Beiträge zur Natur- und Geschiehtskunde ‚Schles Mit 19 lithogr. Tafeln. 4°, 282 S. Dr. J. A. Hoennicke, Die Mineralquellen der Provinz Schlesien, 1857. 8°, 1668, Dr. J. G. Galle, Grundzüge der schles. Klimatologie, 1857. 4°. 1278. Dr. J. Kühn, Die zweckmässigste Ernährung des Rindviehs, 1859. 8°, 242 8,8 gekr. Dr. H. Lebert, Klinik des akuten Gelenkrheumatismus, Gratulationsschrift zum 60jäl Jubiläam des Geh. San.-Raths Dr. Ant. Krocker. Erlangen 1860. 8%, 149 8 Dr. Ferd. Römer, Die fossile Fauna der silurischen Diluvialgeschiebe von Sadewit in Schlesien, mit 6 lithogr. u. 2 Kupfer-Tafeln, 1861. 4°, 70 S. Fe Lieder zum Stiftungsfeste der entomologischen und botanischen Section der Schles. 6 ‚ “als Manuscript gedruckt. 1867.. 8% 92 S. Verzeichniss der in den Schriften der Schles. Geseläßhaft von en; Aufsätze in alphab. Ordnung von Letzner. 1868. 8°, Fortsetzung der in den Schriften der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur von 1864 bi E enthaltenen Aufsätze, geordnet nach den Verfassern in alphab. Ordn. von zZ Se General-Sachregister der in den Schriften der Schles. Gesellschaft für vaterl. C lt bis 1876 inel, enthaltenen Aufsätze, geordnet in alphab. Folge von Dr. Sch 2. Periodische Schriften. $; Verhandlungen -der Gesellschaft f. Naturkunde u. Industrie Schlesiens 8°, Bar) Hit. = „e Hit. 2, 1128. 1806. Desgl. Bd. II, 1. Hft. 1807. Be Correspondenzblatt der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur, 40,75 Jahrg. I, 1810, 96 S. Jahrg. III, 1812, 96 S. Jahrg. V,1814,Hft.I s IE, 1811, do. & IV, 1813 ‚Hit. 1u.2je96 35.12, SB 1815, Correspondenz der Schles. Gesellschaft f£. vaterl, Cultur 8°. Bd. I, 362 S. mit Abbild 1820. Desgl. Bd. II, (Hft. 1), 80 S. mit Abbild., 1820. x Bulletin der naturwissenschaftl. Section der Schles. Gesellschaft 130 1822, nr do. do. do. 3 1-10, 1824, 8% Uebersicht der Arbeiten (Berichte sämmtl. Seetionen) und Veränderungen“ der Schles, ( für vaterl. Cultur: f Jahrg. 1824. 55 Seiten, 4°. Jahrg. 1847, 404 Seit. 4°. nebst Jahrg. 1566, 267 x as Ve :* Br 4°, 44 S. meteorol. Beob. Abh „.v31826, OB. Me „1848, 248 Seiten, 4°. Su 1887. 78 | RAR 3° = Pelaarn A Nage EORT \, „ 1849. Abth. I, 1808. 11,398. „At MOE T:> ont Ey ©. u.44S, met, Beobacht, ri ner ASR,. 72 „. 1850, Abtheil. I, 204 $,, __ Abha „ 18390. 95 „>40, Abth. II, 368. „- 1869. 371 8 5.» „1881, 7 DB > „1851. 194 Seiten. 4°, - Abi » 1832. 103 u, ir » 1852. 212 „ 4°, „ u ARE TOR N RR, 71888. 3ASUıl5 en a TRSATEAR, TE N ER a 1:7 00 ea, \ “ NONE TE TER | „1855.86 4%, BEL „1806, 23 SR u RBT. IHR. > 48 3: VIRETABAE N SR A898, 188), 048 ». 1858. 224 048 N IRRE TS RE y Bor ale a. 189, 20 Rt IB) Re TS „1860, - BER „189 ea. 1 Ba. 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