munter ® ee PETE aaa ee Ba EEE EREEIEN re vr : . er rn aie per : Inner ee nerne ame ee an pen ht N Ne | unsern Ir De PRaFSReNSORBENZT EZ inlrinkateent re erere urn BER TSLUE nel aka Darae EEE Er {reed nr Va anal Hin a end Malsheheh But e Eu Hi ur Krurnreres Ken rasen ren Lasjehrüenehunabmied 16 nr . . | r Per j alHEWeSETR? er f “ rt j h r einer änheieheihehs| . Het Nedeti‘ 2 art > nen ei MORETTETLLAL LEER N bi Een i en Le inte nte warnen h ur rat rn eNFEN Mu 4 hate Eis 2 19 “ ‘B. eins 4 Gt Lg EeePC SEES EEE . Einundneunzigster Jahres-Bericht Schlesischen Gesellschaft für vaterlindische Gultar. 1918, 0 Braslan zo P. Aderholz’ Buchhandlung. & Adresse für enanen \ ische Gesellschaft für ' vaterlä indische De BEN ” Matthjaskonet 45. N a) £ Emm d melımzıgster Jahres-bericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Breslau. G. P. Aderholz’ Buchhandlung 1914. Inhalts -Verzeichnis des I. Bandes des 91. Jahresberichtes. Allgemeiner Bericht über die Verhältnisse und die Wirksamkeit der Gesellschaft im Jahre 1913, abgestattet vom stellvertr. General-Sekretär, Professor Dr. Rosenfeld Bericht über die Bibliothek . Bericht über das Herbarium der Eeselleenalı Kassen-Verwaltungsbericht : „Ein Bücherkleinod‘ von v. DoDs che i „Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Eeburistaen von Mes Ka en en schtnierede auf Geheimrat Professor Dr. Emil Ponfick“ von Fr. Henke Berichte über die Sektionen. II. Abteilung: Naturwissenschaften. a. Sitzungen der naturwissenschaftlichen Sektion. Arbeiter, Erich: Mineralogisch-chemische Untersuchungen an Markasit, Pyrit und@Maenetkies.r u... 0.2.20. Juan. 2 RT ende v. Braun, J.: Untersuchungen aber basische ak 1 Ben lalkaner, Diphenylmethans und Benzhydrols .. 2.2... „nn. Buchwald, Eberhard: Beugung an Raumgittern . . . 2 Fröhlich, Otto: Pilotballonbeobachtungen in Breslau zur ecke Besihuine der Windrichtung und Windstärke in oberen Luftschichten während der Jahre 1911 und 1912 aM, © 12 N: Grundmann, @.: Über die Bahnen einiger in as 1etoien Jahren Vormegend in Senlesien beobachteter heller Meteore. , Eu A Höhne, Erich: Beiträge zur experimentellen Betimining- des Verhältnisses der beiden spezifischen Wärmen % — cp/cv der Luft. Jannek, Josef: Eine neue Atomgewichtsbestimmung des Selens. . . Kobayashi, Iwao: Einfluß der Dämpfung auf die Beugung ekironisene tischer Wellen an einem dielektrischen Zylinder. Lummer, O.: Sternenglanz und Stäbchenweiß . — Siedetemperatur (der Bogenlampenkohle. . . .......... 2... — Neue Methode zur Beobachtung und Berechnung der wahren Temperatur des in einer Glühlampe elektrisch glühenden Fadens SR — Bestimmung des Gesamtstrahlungsgesetzes der Clunlampenkähle oe: — über. den flüssigen Zustand der Kohle. ..2 2 20 wo... Neumann, Günther: Die träge Masse schnell Dewwegten Elektronen . Pringsheim: Nachruf für Professor Dr. Franz. . . — Zur Herleitung des Kirchhoff’schen Gesetzes Rechenberg, G.: Allgemeine Übersicht der meteor sloziechen Beobachiungen auf der Königl. Universitäts-Sternwarte zu Breslau im Jahre 1913 Sachs, Arthur: Die Bildung schlesischer Erzlagerstätten . un gaerve 5 {ep} Rn IV Inhalts-Verzeichnis. Sackur, O.: Die Zustandsgleichung der idealen Gase bei tiefen Temperaturen Schaefer, Cl.: Theorie der Kombinationstöne an Saiten und Membranen . — Bemerkung über die Dämpfung der Serienspektrallinien . — Bemerkungen zu dem Vortrage von Fräulein Stallwitz - ..... — Bericht über eine Arbeit des Herrn G. Neumann „Die träge Masse schnell bewegter Elektronen“ betreffend . ..... 2... EN: Schulemann, Werner: Die vitale Färbung mit sauren Farbstoffen. ... . Stallwitz, Helene: Untersuchungen über ein zweidimensionales Dispersions- und Absorptionsproblem. . ...... © Waetzmann, E.: Untersuchungen an Ehysikalisch: ohjekiven Kombinananse tönen 0. a E60 00 — Die Art der Entstehung x von Kombinationstönen im Mikropisent -Tele- phonkreise. ae — Bemerkung über die Dehpfang der Ohtelondiorene eo oo — Die Entstehungsweise „subjektiver“ Kombinationstöne . Se — Die Bewegungsform elastischer Körper unter der ann auf- treffender Schallwellen . . b. Sitzungen der zoologisch-botanischen Sektion. Arndt, W.: Zoologische Ergebnisse der ersten Lehr-Expedition der Dr. P. Schottländerschen. Jubiläums-Süftung.- . . . . 2... 2 2 L ErLEeEREe Dittrich, R.: 4. Fortsetzung des Nachtrages zum love init der schle- sischens@allen®. 1. che SSH en Ser Engler, N.: Beiträge zur Kenntnis der heimisehen indentors 2 Grosser, W.: Krankheiten u. Beschädigungen der Sn in lesen im@Jahren ID FE ee. era ven nee: . - Grüning: Phylogenie, Systematik und Verbreitung de "Euphornaee Stenolobeae.; ,. ., 28. eutummansi a a er Jost Kern, F.: Die Moosflora des Sclimeizerischen Nalurschutnarke BERN ec. to — Verzeichnis der Moosarten, die seit dem Erscheinen der Limpriebeenen Werke in Schlesien entdeckt worden sind . . . . . / — Die Moosflora des Brenta- und Adamellogebietes in Südtirol . /Limpricht, W.: Eine Vegetationsskizze der Tai hu-Berge Schmidt, H.: 4. Fortsetzung des Nachtrages zum Verzeichnisse der nie sischen (Gallen ae 1.1 =1:-. 2.0 re enseren EEE ao 0. c Schube, Th.: Ergebnisse den Diischforechung en schleszchen Gefäg- pflanzenwelt im Jahre 1913... ... . — Phaenologische Beobachtungen in Soklesien im Tahnd 1913 : — Nachträge zum „Waldbuch von Schlesien“ . . . ae ee RE Winkler, H.: Bildungsabweichungen bei Gentiana asclepiaded SEE c. Sitzungen der Sektion für Obst- und Gartenbau. Brodersen: Der Baum im Stadt- und Landschaftsbilde . .. . .- . - Dittrich, G.: Nachträge zur Pilzflora Schlesiens. 5 Hölscher, Jelto: Bericht über die Tätigkeit der kon im ee 1913 . Rosen, Felix: Bericht über die Tätigkeit der Sektion im Jahre 1913 — Unsere Gartenbau-Ausstellung im Farbenbilde. . .»....... Schube, Th.: Ästhetisch und biologisch Beachtenswertes aus der Gehölz- weit Breslau ... en. c Schwabe, F.: Über die Beeuebartgen, des Vogelsehut ee re ee Qu Ww Innakasverzeiehnis. III. Abteilung: Geschichte und Staatswissenschaften. a. Sitzungen der historischen Sektion. Loewe: Zur Geschichte der preußischen Staatsverträge des 18. Jahrhunderts b. Sitzungen der rechts- und staatswissenschaftlichen Sektion. Buch: Schuld und Haftung im geltenden Recht . . ..».... ER lee Feige: Über Gleichstellung deutscher und österreichischer Notariatsurkunden unter besonderer Berücksichtigung der Vollstreckbarkeit. .. . . . .» Fischer, O.: Der Kurs der deutschen und französischen Staatsanleihen und die neueren Vorschläge zur Hebung des Kurses der deutschen Staats- AN LEIN ET NE Ra e e a Fischer, O.: Rechtsquellen und Rechtsfindung im internationalen Peivalnecht Leonhard: Zur Entwicklungsgeschichte des englischen Rechts . : Neugebauer: Das internationale Eheschließungsrecht nach dem Haager Abkommen! vom >12: Jun21902 22 eo ee Stern, William: Die psychologische Vorbildung der Juristen ...».... v. Wenckstern: Hegel und Marx IV. Abteilung. a. Sitzungen der philologisch-archäologischen Sektion. Foerster, R.: Ist die Feder oder das Lotosblatt Attribut des Hermes? Markowski: Eine Studienreise nach Chalki und Patmos. . ..... b. Sitzungen der orientalisch-sprachwissenschaftlichen Sektion. Diels, Paul: Über das indogermanische Passivum . ... ....... Bigfeidlen-E Neues; aus.der-Agyptologie’ . - 2» - co. 002.00 ma. c. Sitzungen der Sektion für neuere Philologie. Hilka: Beiträge zur mittelalierlichen Fabelliteratur . .. 2.2.2... — eNtfmanzösische, Sprichwörter, uno .. ee aa V. Abteilung. a. Sitzungen der mathematischen Sektion. Hessienblerg: Über Rechenmaschinen. - . .... „2... 200. b. Sitzungen der philosophisch-psychologischen Sektion. Guttmann, Julius: Natorps allgemeine Psychologie nach kritischer Methode Stern, William: Über die psychologische Vorbildung der Juristen. . . . . c. Sitzungen der katholisch-theologischen Sektion. Karge: Hat die babylonische Religion und Mythologie einen Einfluß auf das Neuerkestament ausgeübt Wu ee. Beisipierczyk: Beiträge zur:Sexualpädagogik - ........ 2... Renz: Die katholischen Moralsätze bezüglich der Haboralsierune der Geburten Rohn: Streifzüge durch das kirchliche Erziehungswerk in Italien. . . . . Seppelt: Strehlitz und seine Kirche im Mittelalter. . . . . Sickenberger: Zur Frage nach dem Todestage Jesu . . ........ Wagner: Ist die christliche Moral eudämonistisch ? Seite 1 24 a [SS} Der mr VI Inhalts- Verzeichnis. d. Sitzungen der evangelisch-theologischen Sektion. Seite Decke: Über den Roman von Zoır: „Dein Reich komme“ . . . 1 Froböß: Die persönliche Stellung des Königs Friedrich Wilhelm II zu an Maßregeln gegen die Altlutheraner 1830—1840 . i 2) Jacob: Joh. Gottl. Rahn, ein Breslauer Pastor in der Zeit der Freihäit Earene 1 Lillge u. Müller (Magdalenen): Der Narr in Christo von Gerhard Hauptmann 1 Rothstein: Das hohe Lied, seine formale und inhaltliche Auffassung. . 1 v. Walter: Zur Christologie des Hermas ; jl Wobbermin: Theologie und Bennett 1 VI. Abteilung. a. Sitzungen der technischen Sektion. Schilling: Neuzeitliche Meßmethoden in der Metallverarbeitung und ihr Einfluss auf die Grundrißentwicklung . .. a ts, © 2) Wasserberger, Carl: Überblick über Holzhedrheitenesmescin ea im be- sonderen über Sägemaschinen. „,... ... Lem. 222. 1 b. Sitzungen der Sektion für Kunst der Gegenwart. Burgemeister: Das Schlesische Bürgerhaus . . . Ne 9) Corwegh, Robert: Antike Menschenbildner in neuer Zeit . a 1 Drescher, Karl: Otto Ludwig und Friedrich Hebbel . Erbe: Errungenschaften und Bestrebungen auf dem Gebiete der Friedhoffkunt 23 Kautzsch: Betrachtungen über die deutsche Baukunst der Gegenwart. .. 2 Kayser-Eichberg, Carl: Der Rhythmus in der bildenden Kunst .... 34 Koch, Max: Zur Feier von Richard Wagner 30. See i Laboschin: Wie entstehen unsere Kunstblätter”? Landsberger: Führung durch die Ausstellung der Werke von mr a Muneh 21 Spieler, Marie: Atelier-Ausstellung . .. .. 2 u... re) c. Sitzungen der Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. Berg, G.: Über eine Talzäpfung bei Liebau in Schlesien . ........ 2 Charlesworth, John K.: Bilder aus dem englischen Diluvium . ..... 103 Dietrich, Bruno: Morphologie der Rhön . . . . 5 . S Klaatsch: Fossile Reste des prähistorischen Mähschen. it Rücksicht auf geologischerFragenwe a . 1 Lachmann, R.: Kritische Übersicht über einige neuere Bautoenie “ Alpen 1 — Vorlage einer Arbeit von Dr. Heinrich Arndt-München über „Gesteine des#Simnplonst.., . von-malrez cn io ls Olbricht, Karl: Neue Forschungen im Sanleihen ihnen Aa. 06) Quiring, H.: Über das Goldvorkommen bei Goldberg in Schlesien und seine bergmännische Gewinnung im 13. und 14, Jahrhundert . »....... 56 Renz, C.: Neue Fossilfunde aus dem Ebersdorfer Devonkalk 2 e 1 Spitz: Über Längsbewegungen an der Grenze von Ost- und Westalpen . . 1 Wohlin, R.: Beiträge zur Kenntnis der thermischen Analyse von Tonen, Bauxiten und einigen verwandten Körpern...» .. 2 vu. u... 24: d. Sitzungen der chemischen Sektion (Chemische Gesellschaft zu Breslau). Friedrich, K.: Die Metallographie im Dienste der Praxis e RN. Gadamer, J.: Die Entstehung und Bedeutung der Alkaloide in den Pianzen ıl Nekrologe auf die im Jahre 1913 verstorbenen Mitglieder ........ 1—50. schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur. SYR 91. | Jahresbericht. Allgemeiner Bericht. 1913. © ER 26 Allgemeiner Bericht über die Verhältnisse und die Wirksamkeit der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur im Jahre 1913, erstattet von dem stellvertretenden General -Sekretär = EM GAKDEN Professor Dr. Rosenfeld. Am Dienstag, dem 16. Dezember 1913 wurde unter dem Vorsitze des Präses, Herrn Geh. Regierungsrat Professor Dr. Foerster, die Ordent- liche Hauptversammlung abgehalten, nachdem sie auf Grund des $ 17 der Satzungen durch einmalige Anzeige in der Schlesischen und der Breslauer Zeitung bekannt gemacht worden war. Die Versammlung erteilte dem Schatzmeister, Herrn Kommerzienrat Berve, Entlastung von der seitens des Präsidiums geprüften Rechnung des Jahres 1912. Der Präses sprach im Anschluß hieran dem Schatz- meister den Dank der Gesellschaft für die der Führung der Kassengeschäfte gewidmete Sorgfalt aus. Hierauf verlas der stellvertretende Generalsekretär, Herr Professor Dr. Rosenfeld, den Allgemeinen Bericht über das Jahr 1913. Zunächst wurden die Verluste an Mitgliedern aufgeführt, welche die Gesellschaft teils durch den Tod, teils durch Ausscheiden erlitten bat. a. Von Ehrenmitgliedern starb: 1. Herr Wirkl.GeheimerRat Grafvon Stosch, Exzellenz aufHartau; b. von korrespondierenden Mitgliedern: l. Herr Professor Dr. phil. P. Ascherson in Berlin, 2. ,„ Professor Dr. Hermann Traube in Berlin; c. von wirklichen einheimischen Mitgliedern: 1. Herr Privatgelehrter Dr. phil. Carl Baenitz, „ Geheimer Kommerzienrat Dr. Georg v. Caro, 3. ,„, Bankier Julius Cohn, „ Professor Dr. jur. Alfons Dierschke, ‚„ Oberbergamts-Markscheider a.D, Carl Gaebler, ‚„ Oberlandesgerichts-Senatspräsident Hans Heidermanns, 3 4 5. , Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Julius Franz, 6 1. 1912. 1 AUG 15 1923, » Jahresbericht der Schles. Geseilschaft für vaterl. Cultur. 8. Herr Sanitätsrat Dr. Max Heilborn, 9. ,„ Sanitätsrat Dr. Adalbert Heimann, 10. Frau Geheimrat Toni Neisser, 11. Herr Dr. med. Paul Oppler, 12. ,, Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Emil Ponfick, 13. ,, Wirkl. Geheimer Rat Graf von der Recke-Volmerstein, Exzellenz, 14. ,, Regierungsassessor Reymann, 15. ,, Domherr und Professor Dr. Max Sdralek, 16. Frl. Malerin Marie Spieler, 17, Herr Geh, Sanitätsrat und Stadtältester Dr. Philipp Steuer 18. ,„ Ökonomierat Paul Ziegert; d. von wirklichen auswärtigen Mitgliedern: 1. Herr Geh. Medizinalrat Dr. S. Adler in Brieg, 2. ,„ Professor Dr. M. Biermer in Gießen, 3. .„ Geh. Sanitätsrat Dr. Neißer in Berlin, 4. ,„ Landgerichtsrat a. D. Schmula in Oppeln. Infolge von Wechsel des Wohnortes oder aus anderen Gründen schieden aus: 23 wirkliche einheimische Mitglieder und 6 wirkliche auswärtige. Dagegen sind (nach dem 1. Juli 1913) neu aufgenommen worden: 35 wirkliche einheimische Mitglieder, nämlich: 1. Herr Professor Dr. phil. Wilhelm Kroll, „ Professor Dr. med. Georg Wetzel, „» Oberlehrer Dr. Otto Beyer, „» Dr. med. Casıimir Weckowsky, „ Fabrikbesitzer Hermann Beck, Königl. Kammerherr von Riepenhausen, ‚„ Generalsekretär. Kurt Daerr, Frl. Martha Bauch, Herr Bankier Hans Wachsmann, eo no oa rom 10. ,, Dr. med. Albrecht Speck, 1l. ,, Rechtsanwalt Dr. Hans Schäffer, 12. ,, Dr.phil. Stefan Sikorski, 13. ,, Privatdozent Dr. Ernst Koenigs, 14. ,, Privatdozent Dr. Fritz Arndt, 15. Frl. Cand. phil. Margarete Rawicz, 16. Herr Oberlehrer Dr. Albert Ippel, 17. , Regierungsrat Hermann Saenger, 18. , Stud. geol. Fritz Czermak, 19. ,, Stabsarzt Dr. Lehmann, 20. ,, Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Friedrich Aereboe, Allgemeiner Bericht. 3 21. Herr Apotneker Dr, Fritz Kuntze, 22. ., stud. phil. Gerhard Köster, 2000.) Dr. med. Eugen Rietruskv, 24. ,, Cand. phil. Richard Rabe, 25. , Oberpräsidialrat a. D. Rüdiger v. Haugwitz, Den Dr.med. RritziSseydel, 27. Frau Martha Grund, 23. Herr Kaufmann John Levi, 29. , Privatdozent Dr. Bruno Dietrich, 30. , Oberlehrer Dr. Hugo Hoppe, ala. Dr.med. Geors Kunicke, =, Bfarrer Dr. Paul Baschke, 33. ,„, Rechtsanwalt Dr. Ernst Heilborn, 34. , Major z.D. Ernst Rodewald, 35. Frau Julie Rodewald; und nach dem 1. Januar (bis zum 1. Juni) 1914 folgende 29 Mitglieder: 36. Herr Rechtsanwalt Victor Reisner, 30. , Professor Dr. phil. Ernst Maetschke, 38. , Seminardirektor Pfarrer Lie. Dr. Johannes Stier, 39. ,, Rentier Albert Hamburger, 40. ,, Kaufmann Leo Smoschewer, 41. ,„ Dr. phil. Wilhelm Zorn, 42. ,„ Kurt Fleischmann, Cand. des höheren Lehramts, 43. , Prokurist Max Krusche, 44. ,, Fabrikbesitzer Georg Trelenberg, 45. ,, Fabrikbesitzer Max Jankowski, 46. Frau Marie Neisser, 47. Herr Kaufmann Louis Hamburger, 48. ,„ Handelschemiker Dr. Walther Becker, 49. Frau Elisabeth Richter, 50. Herr Oberstabsarzt Dr. Georg Hillebrecht, 5l. ,, Regisseur Klaus Pringsheim, 52. ,, Privatdozent Lie. theol. Johannes Behm, 53. , Geheimer Baurat Fritz Martiny, 54. ,„ Zahnarzt Dr. Stephan Loewe, 55. Frau Berta Schlesinger, 56. Herr Regierungsbaumeister und Fabrikdirektor Walter Hönsch, 57. ,„ Professor Lie. theol. Walter Bauer, »e,. ., Oberarzt Dr. med. Ernst Strube, >32, Dr.med. Kurt Pollack, 60. ,, Regierungs- und Baurat Ernst a 61. Frau Elisabeth Buchholz, 1* A Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. 62. Herr Dr. Walter Nichelmann, 63. ,„ Professor Dr. Adolf Weber, 64. ,, Fabrikbesitzer Georg Huth; und 4 wirkliche auswärtige Mitglieder, nämlich: 1. Herr Betriebsführer Gustav Schneider in Schlegel b. Neurode, 2. , Pfarrer Dr. Albert Schönfelder in Mühlbock (Neumark), 3... Generaloberarzt a. D. Professor Dr. Erich Martini in Greiffenberg i. Schl. 4. Oberschlesisches Museum in Gleiwitz. Zum Ehrenmitgliede wurde ernannt: Herr Oberstleutnant und Professor Dr. phil. h. ec. Paul Poch- hammer in Berlin-Lichterfelde. Zum korrespondierenden Mitgliede wurde ernannt: Herr Geh. Regierungsrat Professor Dr. Julius Wolf in Berlin. Mithin zählt die Gesellschaft: 962 wirkliche einheimische Mitglieder, 191 wirkliche auswärtige Mitglieder, 32 Ehrenmitglieder und 154 korrespondierende Mitglieder. Außerdem zählt die Sektion für Obst- und Gartenbau neben 91 Gesell- schafts-Mitgliedern noch 109 zahlende. Die chemische Sektion (Chemische Gesellschaft zu Breslau) zählt ausser 53 Gesellschaftsmitgliedern noch 106 Sektionsmitglieder. In den Verwaltungs-Ausschuß sind gewählt: Herr Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Foerster als Präses, Oberbürgermeister a. D. Dr. Bender als Vize-Präses, Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Neisser als General-Sekretär, Prof. Dr. Rosenfeld als stellvertretender General-Sekretär, Kommerzienrat Berve als Schatzmeister und „ Handelsrichter Alfred Moeser als stellvertretender Schatz- meister. ” In das Präsidium sind gewählt: Herr Professor Dr. Kükenthal, » Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Küstner, . sSttadtrat" Julius Müller, „ Oberpräsidialrat Dr. Schimmelpfennig, » Bürgermeister Dr. Trentin. Als Delegierte der einzelnen Sektionen sind in das Präsidium gewählt von der Medizinischen Sektion: Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Neisser, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Partsch, 2) Allgemeiner Bericht. 5 Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Uhthoff, =. Geh. Med.-Bat, Prof. Dr. Küttner,, %e Eroi. Dr.-Tietze, von der Hygienischen: Herr Geh. Med.-Rat u. Regierungsrat Dr. Telke, von der Naturwissenschaftlichen: Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Hintze und „ Geh. Reg. Rat Prof. Dr. Lummer, von der Zoologisch-Botanischen: Herr Prof. Dittrich, von der Sektion für Obst- und Gartenbau: Herr Prof. Dr. Rosen, von der Historischen: Herr Archivdirektor Geh. Archivrat Dr. Meinardus, von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen: Herr Ober-Landesgerichts-Präsident Wirkl. Geh. Oberjustizrat Dr. Vierhaus, Exzellenz, » Geh. Justizrat Prof. Dr. Leonhard, » Mathematiker Dr. Wagner, von der Philologisch-Archäologischen: Herr Geh. Regierungs- und Provinzial-Schulrat Dr. Thalheim, von der Orientalisch - Sprachwissenschaftlichen: Herr Prof. Dr. Schrader, von der Sektion für Neuere Philologie: Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Appel, von der Mathematischen: Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Kneser, von der Philosophisch- Psychologischen: Herr Prof. Dr. Baumgartner, von der Katholisch-Theologischen: Herr Domherr Prof. Dr. Joh. Nikel, „» Domherr Dr. Anton Bergel, von der Evangelisch-Theologischen: Herr Prof. Dr. Wobbermin, von der Technischen: Herr Prof. Schilling, von der Sektion für Kunst der Gegenwart: Herr Architekt Felix Henry, „ Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Koch, 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. von der Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hütten: wesen: Herr Berghauptmann Schmeißer, „ Geh. Bergrat Prof. Dr. Frech, „ Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Supan, von der Chemischen Sektion (Chemische Gesellschaft zu Breslau): Herr Professor Dr. Biltz und „ Professor Dr. Schenck. Über die Tätigkeit der einzelnen Sektionen berichten die Herren Sekretäre das Folgende: Die medizinische Sektion hielt 24 Sitzungen ab, einschließlich 3 klinischer Abende. Für die Periode 1914/15 wurden gewählt: als 1. Sekretär, zugleich als Vorsitzender der Sektion: Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Uhthoff, als 2. Sekretär, zugleich als stellvertretender Vorsitzender: Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pohl, ferner: Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Minkowski, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Partsch, Prof Dr’ Rohmann, Prof. Dr. Rosenfeld, Prof. Dr. Tietze. Die hygienische Sektion hielt 1 Sitzung. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Pfeiffer, Geh. Med.- u. Reg.-Rat Dr. Telke. b} Die naturwissenschaftliche Sektion hielt 8 Sitzungen. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Hintze, Prof. Dr. Pringsheim, Bor Dr. Bultz. „ ” Die zoologisch-botanische Sektion hielt 7 Sitzungen. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Pax, Magnifizenz, Prof. Dr, Kükenthal, 2] Allgemeiner Bericht. Die Sektion für Obst- und Gartenbau hielt 6 Sitzungen. Zum Sekretär ist gewählt: Herr Prof. Dr. Rosen, zum Stellvertreter: Herr Kgl. Garteninspektor Hölscher, zum Verwaltungsvorstand: Herr Verlagsbuchhändler und Handelsrichter Max Müller. Die historische Sektion hielt 1 Sitzung. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Kaufmann, »„ Archivdirektor Geh. Archivrat Dr. Meinardus, „» Prof, Dr. Schoenaich. Die Sektion für Rechts- und Staats-Wissenschaften hielt 8 Sitzungen. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Geh. Justizrat Prof. Dr. Leonhard, ‚„, Oberlandesgerichts-Präsident Dr. Vierhaus, Exzellenz, „» Prof. Dr. v. Wenckstern. Die philologisch-archäologische Sektion hielt 2 Sitzungen. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Foerster, » Geh. Reg.-Rat u. Prov.-Schulrat Dr. Thalheim, Die orientalisch-sprachwissenschaftliohe Sektion hielt 1 Sitzung. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Prof. Dr. Meissner, „ Prof. Dr. Schrader. Die Sektion für neuere Philologie hielt 1 Sitzung. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Appel, „ Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Max Koch, „» Prof. Dr. Sarrazın, „ »Brof. Dr: Diels: 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die mathematische Sektion hielt 1 Sitzung. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Kneser, „ Realschuldirektor Prof. Dr. Peche. Die philosophisch-psychologische Sektion hielt 2 Sitzungen. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Prof. Dr. Stern, zugleich Vorsitzender, „» Prof. Dr. Baumgartner, » Prof. Dr. Kühnemann. Die katholisch-theologische Sektion hielt 7 Sitzungen. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Domherr Prof. Dr. Joh. Nikel, „ Religions- und Oberlehrer Herm. Hoffmann. Die evangelisch-theologische Sektion hielt 7 Sitzungen. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Prof. Dr. Wobbermin, »„, Kircheninspektor Probst D. Decke. Die technische Sektion hielt 2 Sitzungen. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Prof. Schilling, „ Prof. Dipl.-Sng. Wohl. Die Sektion für Kunst der Gegenwart hielt 9 Sitzungen. Zu Sekretären wurden gewählt: Herr Architekt Felix Henry, Baurat Karl Grosser, „ Geh. Reg.-Rat Professor Dr. Max Koch, „» Professor Dr. Kinkeldey, »» Privatdozent Dr. Landsberger. Die Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen hielt 4 Sitzungen. Zu Sekretären sind gewählt: Herr Berghauptmann Schmeisser, „ Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Supan, Allgemeiner Bericht. 9 Herr Geh. Bergrat Prof. Dr. Frech, „» Privatdozent Dr. Lachmann, » Privatdozent Dr. Dyhrenfurth, „ Bergwerksdirektor Eckert. Die Chemische Sektion (Chemische Gesellschaft zu Breslau) hielt 2 Sitzungen. Zum Vorstand der Sektion wurden gewählt: Herr Prof. Dr. Biltz, Vorsitzender, was Prof Dr. Schenck,, \ Ba „ Direktor Dr. Schultz, J 2 » Prof. Dr. Schulze, Kassenwart, »„ Prof. Dr. Herz, Schriftführer. Allgemeine Versammlungen haben 8 stattgefunden. In ihnen wurden folgende Vorträge gehalten: 1. Am 3. Februar von Herrn Prof. D. von Dobschütz: „Ein Bücherkleinod.“ (Der Vortrag folgt unten Seite 15). 2. Am 2. Mai: Zur Feier des 2. Mai 1813, von Herrn Prof. Dr. Preuß: ‚Der Geist der Freiheitskriege‘“; von Herrn Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Foerster: „Zum Ge- dächtnis von Henrik Steffens und Chr. Gottl. Berger“. Zum Beginn und Schluß der Feier wurden vaterländische Lieder von den Sängerschaften Leopoldina und Burgundia unter Leitung von Herrn Direktor Theodor Paul vorgetragen. 3. Am 21. Mai: Zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag, von Herrn Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Max Koch: ‚Wagners Stellung in der Entwickelung der deutschen Kultur“, (Der Vortrag folgt unten Seite 33.) Zur Einleitung und zum Schluss der Feier Gesänge der Sänger- schaften Leopoldina und Burgundia unter Leitung von Herrn Direktor Theodor Paul. 1. Weihegruß. (Vierstimmiger Männerchor von Richard Wagner). 2. Gruß seiner Treuen an Friedrich August II. (Huldigungschor von Richard Wagner.) 3. An Webers Grabe. (Männerchor von Richard Wagner). 4. Am 30. Mai (im Elektrotechnischen Institut der Technischen Hoch- schule) von Herrn Prof. Dr.-Ing. Hilpert: „Über drahtlose Telegraphie mit Berücksichtigung des Telefunken-Systemes“. 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur Ausgehend von den ersten Mareonischen Versuchen erläuterte der Vortragende zunächst die physikalischen Grundlagen der drahtlosen Tele- graphie und ihre Entwickelung. Die Verwendung der drahtlosen Telegraphie auf Entfernungen von Tausenden von Kilometern ist, wie der Redner aus- führte, durch den von den deutschen Forschern Braun und Slaby be- nutzten elektromagnetischen Schwingungskreis möglich geworden. Durch die Verbindung des Schwingungskreises mit dem Sendedraht (Antenne) ließen sich bedeutend stärkere Schwingungen erzielen, als es bei der früher üblichen Marconischen Methode der Fall war. Die Gesellschaft für drahtlose Telegraphie, welche die Erfindungen von Braun und Slaby in dem sogenannten Telefunkensystem verwertet hat, hat durch Einführung mehrfach unterteilter Funkenstrecken, entsprechend einer Erfindung von Prof. Wien, die Energie der aussendenden Wellen noch wesentlich weiter verstärkt. An Stelle des früher verwendeten Funkeninduktors benutzt man heutzutage zur Erregung des Schwingungskreises eine Hochfrequenz- maschine, welche eine größere Gleichmässigkeit der Stromstöße gewähr- leistet. Nachdem man den früher verwendeten, wenig empfindlichen Fritter durch äußerst wirksame Kontaktdetektoren ersetzt hat und nachdem man mit Hilfe des Telephons zum Hörempfang übergegangen ist, sind die Empfangsapparate besonders empfindlich geworden und damit die Reich- weite sehr beträchtlich gestiegen. Durch die größere Reichweite ist die drahtlose Telegraphie heute für die Schiffahrt eine unentbehrliche Ein- richtung geworden. Eine drahtlose Station befindet sich auch in dem Elektrotechnischen Institut der Königl. Technischen Hochschule Breslau, welche für eine Grundwelle von 650 Meter eingerichtet ist. Die Station empfängt nicht nur die von Norddeich ausgesandten Zeit- und Wetter- telegramme (vor welchen das entsprechende Telegramm vorlag), sondern kann auch noch die drahtlosen Telegramme von der Funkenstation des Pariser Eifelturmes, der etwa 1100 Kilometer von Breslau entfernt liegt, empfangen. Neuerdings ist man bestrebt, die drahtlose Telegraphie derart weiter zu entwickeln, dass man nach einer bestimmten Richtung telegraphieren kann. Diese gerichtete drahtlose Telegraphie hat den Vorteil, daß sich die Meldungen verschiedener Stationen weniger kreuzen und verwirren. Nur die in einer Richtung liegenden Stationen können die Mitteilungen aufnehmen, sodaß auch eine Geheimhaltung eher möglich ist. Die ge- richtete drahtlose Telegraphie kann auch zur Ortsbestimmung für Schiffe angewandt werden. Der Vortrag wurde durch eine größere Zahl von aufgebauten Ex- perimenten und durch Lichtbilder erläutert. | 5. Am 29. November von Herrn Prof. Dr. Meißner: ‚Grundzüge der altbabylonischen Plastik‘ (mit Lichtbildern). Allgemeiner Bericht. 11 6. Am 8. Dezember von Herrn Prof. Dr. Henke: ‚Gedenkrede auf Herrn Geheimrat Prof. Dr. Emil Ponfick“. (Folgt unten Seite 64.) 7. Am 14. Dezember von Herrn Oberst a. D. von Diest: „Kleinasien einst und jetzt, in Wort und Bild“ (mit Lichtbildern). 8. Am 16. Dezember von Herrn Prof. Dr. Kautzsch: ‚Drei Barockkapellen in Breslau“ (mit Lichtbildern). Vor diesem Vortrage wurde das Bild des Präses, das von Herrn Prof. Kaempffer angefertigt worden war, vom Präsidium über- geben, wobei Herr Oberbürgermeister a. D. Dr. Bender die An- sprache hielt. Der Präses sprach, freudig bewegt, seinen Dank dem Präsidium und den Mitgliedern aus. Präsidialsitzungen haben 3 stattgefunden. Außerdem 2 unter dem Vorsitz des Herrn Dr. Bender, ohne Hinzu- ziehung des Präses, in denen beschlossen wurde, dem Präses zu seinem 70. Geburtstage am 2. März 1913 durch das Präsidium die Glückwünsche der Gesellschaft auszusprechen und sein Ölbild nebst einer Kopie durch Herrn Prof. Kaempffer anfertigen zu lassen, damit das erstere im Ge- sellschaftshause aufgehängt werde und das zweite der Familie des Präses übergeben würde. Als wesentlichste Mitteilungen aus den sonstigen drei Präsidial- sitzungen sind hervorzuheben: Eingegangen: 1 Exemplar von 'Pochhammers Dante „Göttliche Komödie“, vom Autor mit eigenem Widmungsgedicht. Fräulein Clara Steuer und Herr Oberbürgermeister a.D. Dr. Bender hierselbst haben eine grössere Anzahl älterer Jahrgänge der Gesellschafts- schriften in dankenswerter Weise der Gesellschaft überwiesen, An der Jahrhundertausstellung hat sich die Gesellschaft durch Aus- stellung der Bilder des Direktor Reiche, des Gesellschaftsstifters Müller, sowie eines Teiles der Bach-Mützelschen Sammlung beteiligt. Am 2. Mai fand die Jahrhundertfeier der Gesellschaft statt, an dem 140. Geburtstage Steffens, dem Todestage Bergers bei Großgörschen. An seinem noch erhaltenen dortigen Grab legte der Präses am Vorabend des Tages der Schlacht im Auftrage der Gesellschaft einen Kranz nieder. An demselben Abend wurde eine allgemeine Sitzung abgehalten, in der Herr Prof. Dr. Preuß über den Geist der Freiheitskriege und der Pıäses zum Gedächtnis von Henrik Steffens sowie Christian Gottlieb Bergers sprachen. 13 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Von einer im Besitz der Universität befindlichen Photographie von Henrik Steffens und von einem im Familienbesitz befindlichen Oelbilde von Christian Gottlieb Berger sind Photographien angefertigt und im Gesellschafts- hause aufgehängt worden. Die „Litteratur der Landes- und Volkskunde Schlesiens“ für die Jahre 1907—1912 fortzusetzen ist Herrn Prof. Dr. Nentwig übertragen worden. Die Chemische Sektion ist gegründet worden. Nachdem die dafür erforderliche Statutenänderung die Genehmigung des Herrn Ober- präsidenten erhalten hatte und die Satzung der Chemischen Sektion die Zustimmung des Präsidiums erfahren hatte, fand im November die erste Sitzung der Sektion stall, in welcher der Präses die Chemische Gesellschaft zu Breslau als nunmehrige Chemische Sektion im Kreise der Gesellschaft begrüßte. Durch die obengenannte Statutenänderung wurde ein Neudruck der Satzung der Gesellschaft bedingt, welcher in diesem Jahre erfolgt ist. Auch die neu hinzutretenden Mitglieder sind von der Universitäts- bibliotheksgebühr befreit worden. Die Einladungsschreiben des Vereins für Naturwissenschaft in Braunschweig zum 50jährigen Stiftungsfeste, des Kaiserlich- Russischen Botanischen Gartens von St. Petersburg zum 200 jährigen Jubiläum, der Kaiserlich-Russischen Öffentlichen Bibliothek zu St. Petersburg zum 100 jährigen Stiftungsfeste wurden durch Dank- und Glückwunschschreiben beantwortet. Der Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte der Oberlausitz in Görlitz wurden bei der Feier ihres 25 jährigen Bestehens von dem Präses, Herrn Geheimrat Foerster, die Glückwünsche der Gesellschaft ausgesprochen. Bei der 20. Hauptversammlung der Deutschen Bunsengesell- schaft, ebenso bei der Tagung Deutscher Chemiker war die Gesell- schaft gleichfalls durch den Präses, bei der Studentischen Hundert- jahrfeier der Universität, sowie bei der akademischen Feier des Regierungsjubiläums Sr. Majestät des Kaisers durch die Universität und die technische Hochschule durch den stell- vertretenden Generalsekretär, bei dem internationalen geologischen Kongreß in Kanada durch Herrn Dr. Lachmann vom hiesigen geolo- gischen Institut vertreten. Am 2. März 1913 versammelte sich das Präsidium in der Wohnung des Präses, um ihm im Namen der Gesellschaft zu seinem 70. Geburtstag herzliche Glückwünsche, sowie den Dank der Gesellschaft für seine erfolg- reiche Leitung der Präsidialgeschäfte auszusprechen. Dem Ehrenmitgliede der Gesellschaft, Herrn Hofrat Dr. Stache in Wien, wurden zu seinem 80. Geburtstage, desgleichen dem früheren Mitgliede des Allgemeiner Bericht. 118 Präsidiums, Herrn Geheimrat Sturm, zu seinem fünfzigjährigen Doktor- jubiläum die Glückwünsche der Gesellschaft durch den Präses schriftlich übermittelt. Dem Sekretär der evang.-theolog. Sektion, Herrn Probst D. Decke, überbrachte der Präses im Namen der Gesellschaft die Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstage. Bei der Einweihung einer Büste des verstorbenen Ehrenmitgliedes Geh. Archivrat Prof. Dr. Grünhagen in Trebnitz wurde ein Kranz der Gesellschaft niedergelegt. Am Sarge des verstorbenen Generalsekretärs Geheimen Med.-Rat Prof. Dr. Ponfick hat der Präses im Namen der Gesellschaft einen Kranz niedergelegt und Worte ehrender und dankbarer Erinnerung gesprochen. Bericht über die Bibliothek. Die im Austausch eingegangenen Gesellschaftsschriften und Zeitschriften lagen in der üblichen Weise im Lesezimmer des Gesellschaftshauses mehrere Wochen zur Benutzung aus und wurden dann regelmäßig von der Königlichen und Universitäts-Bibliothek übernommen. Als Geschenkgeber seien mit Dank genannt: der Landeshauptmann von Schlesien, die Schlesische Friedrich-Wilhelm-Universität, das Kuratorium der Fraenkel’schen Stiftungen, der Ausschuß des XII. Allgemeinen’ Deutschen Bergmannstages, die Bres- lauer Anwaltskammer und die Herren Privatdozent Dr, Dietrich, Dr. Fuhrmann und Dr. Gottfried Hornig hierselbst; ferner „Kosmos‘“- Gesellschaft der Naturfreunde in Stuttgart, Carnegie Endowment for International Peace in Washington und die Herren Paul Scherdlin in Straßburg i. Els., W.L. Webb in Independence, Missouri und Königl. Baurat A. Wingen in Bonn. Dem Schriftenaustausch sind im Jahre 1913 beigetreten: Verein für Rostocker Altertümer in Rostock ı.M., Geschichts- und Altertumsverein in Liegnitz, Societä Vercellese di storia ed arte in Vercelli, Istituto botanico dell’ Universitä di Pavia. 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Bericht über das Herbar der Gesellschaft. Zahlreiche Floristen haben außer dem Unterzeichneten z. T. recht wertvolle Beiträge zu unserm Pflanzenbestande geliefert, darunter auch ein Nichtschlesier, Herr Geh. Bergrat Prof. Dr. Zimmermann (Berlin), der bei seinen geologischen Arbeiten in Niederschlesien auch der dortigen Flora seine Aufmerksamkeit zugewendet hat. Ebenso erfuhr die Samm- lung von Photographien schlesischer Naturdenkmäler wieder einen erheb- lichen Zuwachs; auch manche Heimatfreunde aus entlegeneren Teilen der Provinz haben dazu beigesteuert. Diejenige der Meßtischblätter wurde im abgelaufenen Jahre nur um wenige Nummern vermehrt. Prof. Dr. Theodor Schube. Kassen-Verwaltungsbericht für das Jahr 1913. Zu dem Bestand des Geselischaftsvermögens am 31. Dezember 1912 von in bar in Wertpapieren 10 367,64 Mk. 300,— Mk. traten an Einnahmen im Jahre 1913 hinzu 23 740,67 —,— eR) ’ ” 34 108,31 Mk. 300,— Mk. Verausgabt wurden im Jahre 1913 . . 20.7833 Im —— ,„ mithin verbleiben: in bar 13.222,72.Mk& in Wertpapieren 300,— Mk. Breslau, den 31. Dezember 1913. Berve, z. Zt. Schatzmeister. Kassen-Abschluss für das Jahr 1913. Wert- Wert- itel / = . 7 papiere Bar Titel 1 apiere | Bar 2 Alloemeine Kasse. nn Fan Allgemeine Kasse. Ba in Einnahme, F3 Ausgabe. l. | Bestand am 31. Dezember 1912 300 |10 367| 64 1. [Gehälter und dauernde Unterstützungen . 2280 — 2. | Zinsen von Wertpapieren und Guthaben: 2. |Heizung, Beleuchtung und Wasserverbrauch: Div. für 1912 7Y, %, von ./6 300 Schles. Bankv.-Ant. dl 22,50 a. Koks, Kohle, Holz A 1381,68 Zinsen von Guthaben beim Schles. Bankverein . „ 570,20 592, 70 b. Beleuchtung: 3. | Mitglieder-Beiträge: Elektrisch AM 914,85 a. einheimische für 1912 (4) . AM 40,— Grat 643,04 1 557,89 b. > für 1913 (958) yes „ 9580, — c. Wasser TR 48,24 2937 81 & ER für das II. Semester 1913 (8) . 5 40,— 3. |Schreibbedarf und Materialien 168] 20 d. auswärtige für 1912 (1) e 6,— 4. TZeitungsinserate . 533| 35 e. er < „ 1 086,— 10 752) — 9. |Druckkosten EN 58355) 40 4. | Jahresbeitrag der Provinz Schlesien 3000 — 6. | Versicherungen (Neuer) se - 75, 03 5. | Jahresbeitrag der Stadt Breslau . 2.000 — 7. |Stempel, Steuergebühren, Gerichtskosten . 6| 32 6. | Außerordentliche Einnahmen: | 8. [Steuern. B 781] 21 Verkauf von Schriften, Leihgebühren ete. . 675) 82 || 9- [Kleine Ausgaben . 916) 25 7. | Einnahmen aus dem Gesellschaftshause: | | 10. | Porto-Ausgaben 1151| 21 a. durch Vermietungen . dl 4 545,— || 11. |Fernsprecher: b. Rückvergütung für Heizung „ 8319,— No. 3702 Al 196,— e. ” ‚„ Beleuchtung „ 1556,15 6720| 15 » 9475 0,0 © „ 132,50 328 50 12. | Instandhaltung des Gebäudes . 744) 03 | 13. | Postscheck-Konto. 6 78 14. | Hypothekenzinsen 3375| — 15. | Verschiedenes. eo 1676| 50 Barbestand am 31. Dezember 1913. 13 222] 72 Bestand an Wertpapieren: 300 Schlesischer Bankvereins-Anteil 300 Be 300 |34 108| 31 300 IB 108| 31 | Breslau, den 31. Dezember 1913, gez. Berve, z. Zt. Schatzmeister. Geprüft, mit den Belegen verglichen und richtig befunden. Breslau, den 26. Juni 1914, gez. Leser, z. Zt. Rechnungsrevisor. Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben der Allgemeinen Kasse für die Jahre 1914 und 1915, 1914 | ısı5 I _, Titel —_—— — I —— || Titel Einnahmen. Mark, | Mark. Ausgaben.’ 1. | Zinsen: 129 [KGenältengundWBen Stone a. vor Wertpapieren one ee . dl. 22,50 2. | Heizung, Beleuchtung und Wasser ...... ocean. P g b. von Guthaben... ........coeoeeeccceen. 2, 20 472,501 472,50 3A |USCHTEIbhedan he ee 2. | Mitglieder-Beiträge: I Zeitungsinserate aNSRiinTteimischepere ne #3 500, — 9%, | Druckkostenkrse ae ba JAUSWÄTUBEA east een „ 1000,— |10 500,—|10 500,— 6:3 Eorto-Ausgabengnl cr rer 3. | Beitrag des Provinzial-Ausschusses der Provinz Schlesien... | 3 000,—| 3 000,— 7. |'Kleine Ausgaben... 0.0. oe eteneene Ma lnBeitracgderßStadt@B res] a Er 2 000,—| 2.000, — > | meielondb rasen son ononnnune =one at. sosnunsnace 9. | Amortisation 1%, a. 90 000 Mk. vom 1,4.15 ab 5. | Außerordentliche Einnahmen: qQ a. durch Vermietung von Räumlichkeiten ... AM 3 700, — b. Rückvergütung fürHeizung undBeleuchtung ,, 1800,— 11. | Ausbesserung und Instandhaltung des Gebäudes ce. unvorhergesehene Einnahmen ...... “22 7 202,50| 5 702,50] 5 702,50||| 12. 43 FR ” » Mobiliars er A —— 1 : . | Summa der Einnahmen [21 675,—]21 675,— Summa der Ausgaben |21 675. — © [= , | | | 21 675, — Breslau, den 21. November 1913. (gez.) Be rve, 2. Zt. Schatzmeister. Ein Bücherkleinod. Vortrag in der allgemeinen Versammlung am 3. Februar 1913 gehalten von Professor D. von Dobschütz. Die schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur kann sich, wenn sie ihrem Namen Ehre machen will, schwerlich der Aufgabe entziehen, Denkmäler vaterländischer Cultur, die Schlesien besitzt, der Vergessenheit zu entreißen. Und solche gibt es mehr als man vielleicht ahnt. Was weiß man draußen in der großen Welt von unserem Breslau? Daß es ein Rathaus besitzt, dessen gotische Herrlichkeit mancher Engländer gern bewundern würde, wenn er das bei Gelegenheit einer Rheinreise abmachen könnte. Dazu kommt seit unserem Jubiläum der Ruhm der Universität als eines der besten Beispiele jesuitischen Prunkstils. Und selbst die malerischen Reize der Weißgerberohle, die vielleicht mancher Breslauer noch nie gesehen, sind im Ausland nicht mehr unbekannt. In Gelehrten- kreisen ist wohl auch die Kunde verbreitet von einer trefflichen Bücher- sammlung, die der vielversprechende, jungverstorbene Humanist Thomas Rehdiger, ein Schüler Melanchtons und Freund des Cujacius (1540 — 1576), auf seinen Reisen durch Italien, Frankreich, die Niederlande erworben und seiner Vaterstadt vermacht hat, und die unter anderem die weitberühmte, uns eben durch die von Dr. Lindner besorgte tadellose Publikation des schlesischen Vereins für Geschichte der bildenden Künste so bequem zugänglich gemachte Froissart-Chronik enthält. In allen Handbüchern zum Neuen Testament findet sich das Zeichen Rehd (= Rehdigeranus) als Sigel für eine alte Evangelienhandschrift, die einen höchst meik- würdigen altlateinischen Text der Evangelien mit ebenso merkwürdigen, uns kindlich anmutenden Verzierungen bietet; aber die Gelehrten, die sie nennen, kennen die Quelle so wenig, daß sie noch heute die Handschrift in der Elisabetlikirche, dem einstigen Aufbewahrungsorte der Rehdigerschen Sammlung, suchen statt in der Stadtbibliothek. Aber nicht von dieser Handschrift (R 169) soll heute die Rede sein, sondern von einer anderen, die dicht daneben steht (R 163), um die sich bisher so gut wie niemand beklimmert hat, und die doch, wie ich denke, ein Dokument alter deutscher Cultur ist, das zu betrachten sich lohnt: ein Bücherkleinod! Freilich, denken Sie nicht, daß es sich um eine jener Prachthandschriften handelt, wie wir sie in den Schaukästen der großen Bibliotheken bewundern, in kostbarem, Silberfiligran mit Edelsteinen, Elfenbeinschnitzerei oder Emailbilder zeigendem Einband, mit schlohweißem oder purpurgefärbtem Pergament, worauf eines Kalligraphen Hand in Gold 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. und Silber die Buchstaben mehr gemalt als geschrieben hat, mit Miniaturen und Initialbuchstaben, die durch ihre Farben unser Auge ergötzen, durch ihren Erfindungsreichtum uns in Staunen versetzen, wenn auch vielleicht die kindlich naive Art ihrer Auffassung uns bei unserer klassischen Schulung und unsrer Gewöhnung an die technische Meisterschaft der Moderne ein Lächeln abnötigt. Wer solche sehen möchte, findet sie in der unmittelbar vor der unsrigen stehenden Handschrift (R 162), einer im 15. Jahrhundert für das Schlesische Geschlecht der Bank geschriebenen Prachtbibel. Nichts von all solcher äußeren Pracht hat unser Bücher- kleinod. Es ist ein dieker Folioband in einem einfachen weißen Pergament- band des 17. Jahrhunderts, dem man das Rehdigersche Wappen ein- gepreßt hat, mit zwei grünen Bindebändern (statt der Schließen), die es garnicht vertragen, daß gesteigertes Interesse an dem Inhalt des Bandes sie öfters aus ihrer Schleifenruhe aufstört. Den Band bilden 50 Lagen gewöhnlichen Pergaments, das sich, weil nicht genug gepreßt zwischen dem weichen Pergamentband, recht faltig geworfen hat. Die Schrift darauf ist in jener im frühen Mittelalter meist angewandten Gallapfeltinte, welche heute eine hell nußbraune Färbung angenommen hat; in derselben sind auch die wenigen Zierbuchstaben mit der Feder gezeichnet, in der Manier des Bandornaments, welche durch die Iren auch auf dem Kontinent ein- gebürgert war. Einige von diesen sind wirklich kunstvoll und wirken zumal durch die ganz im irischen Geschmack angebrachte leichte Tönung mit Grün und Gelb höchst originell. Grün und Gelb sind auch auf den ersten Seiten die größeren Buchstaben im Text gefüllt, was neben dem hellen Ziegelrot der Kapitelzahlen dem Ganzen einen bunten Anstrich gibt: doch ist man mit dieser bescheidenen Ausschmückung nur bis zur 7. Lage sekommen: von Blatt 57 an sind die Seiten einförmig braun. Die Schrift ist eine zierliche Minuskel, von dem unter Karl dem Gr. besonders in der Schreibstube zu Tours entwickelten Charakter, die wir karolingische Minuskel nennen, welche die Grundlage der ganzen mittelalterlichen Schrift wurde; nur daß gewisse Anzeichen an der sauberen gefälligen Schrift uns den Schreiber erst am Ende der Karolingerzeit oder gar etwas später suchen lassen, sagen wir am Ende des 9. oder zu Beginn des 10. Jahrhunderts. Es ist wichtig zu merken, daß die Schrift selbst gar keine Spuren insularen Charakters zeigt. Hatte vor der Karolingerzeit jede Provinz ihre besondere lokale Schrift, so hatte England einen ganz eigenen Duktus, den man bis in die heutige Schreibschrift der Engländer verfolgen kann; und die auf den Kontinent herüberkommenden Mönche pflegten diesen auch hier in den Klöstern neben der sich immer mehr durchsetzenden karolingischen Minuskel. Es ist eine Vollbibel, wie wir deren aus allen Jahrhunderten eine große Anzahl besitzen, z. T. viel wertvoller als die unsrige. Worin liegt deren besonderes Interesse? Ein Bücherkleinod. 17 Als ich, angeregt durch die eben von einigen hiesigen Philologen unternommene Neukatalogisierung des lateinischen Manuskriptenbestandes, die hiesigen Bibelhandschriften durchblätterte, fiel mir auf, daß dem Psalter in dieser einen Handschrift die sog. Litanei folgte, d. h. die im Mittel- alter bei Bittgängen oft angewandte Anrufung vieler Heiligen: Sta Maria ora pro nobis. Sce Michahel ora pro nobis. Sce Gabrihel ora pro nobis u.s.f. Immer mit dem Kyrieeleison beginnend, zuerst Maria, die Erzengel, die Erzväter und die Apostel nennend, gestalten sich diese Aufzählungen im weiteren je nach der lokalen Verehrung der Heiligen recht verschieden, Sie sind oft eine wichtige Quelle, die Verbreitung eines Heiligenkultes festzustellen, oft auch ein Mittel, die Herkunft der betreffenden Hand- schrift zu erkennen. Nun fiel mein Blick sofort auf den in großen Buch- staben hervorgehobenen Namen des h. Landbertus. Lambert, Bischof von Maestricht, der am 17. September 701 von dem Grafen Dodo ermordet wurde — nach Auffassung der Legende als ein neuer Johannes der Täufer, weil er es gewagt hatte, Pipins Verhältnis zu Alpais zu strafen; nach Ansicht der neueren Kritik ein Opfer der auf des Bischofs Macht eifersüchtigen, nach ‚seinen Schätzen begehrenden Grossen — ist der Hauptpatron von Lüttich, wohin sein Nachfolger Graf Hubert den Bischofssitz von Maestricht verlegte. Zwar wies eine Randbemerkung auf Bl. 266, auf die der Katalog ausdrücklich aufmerksam macht, auf eine andere Spur. Eine Hand des 15. Jahrhunderts bezeichnet da die Handschrift als Eigentum des 8. Victor- klosters zu Xanten am Niederrhein. Und es ist durchaus möglich, daß sie damals dorthin gehörte, und daß Thomas Rehdiger, der ja längere Zeit in Köln lebte und auch in Köln starb, sie von dort her erwarb — wie, vermögen wir leider nicht anzugeben: aber damit war ja nicht gesagt, daß die Handschrift in Xanthen im Victorskloster geschrieben worden sei: die Litanei wies unfraglich auf Lüttich als Heimat, zumal der eine Name Landbertus sich umgeben fand von lauter solchen, die auf die Diözese Lüttich weisen: St. Hucbert (Lamberts Nachfolger??), St. Seruatius von Tongern, St. Vedast von Arras, St. Audmar (= St. Omer), St. Patrieius, St. Amand (647—?), St. Remaclus (c. 655), beides Bischöfe von Maestricht, St. Trudo (7 c. 698), Gründer des nach ihm benannten Klosters in dem Sprengel von Lüttich. Und bald ergab sich eine andere Beobachtung, die dieses Resultat bestätigte: im Neuen Testament nämlich fand sich ein Stück, auf das wir noch zurückkommen werden, das auf einen Schotten- mönch des 7. Jahrhunderts zurückgeht und von dem wir nachweisen können, daß es, sonst wenig verbreitet, im 9. Jahrhundert in Lüttich bekannt war. Davon hernach. Lüttich gehörte anfangs zur ErzJiözese Trier, seit Mitte des 8. Jahrhunderts aber zu Cöln; Xanthen liegt im Sprengel von Cöln. Von der Maas zum Rhein sind die Handelsbeziehungen immer lebhaft gewesen. Also wird sich unschwer erklären, wie eine Lütticher Hand- schrift später nach St. Vietor kam. 1913. 2 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Zunächst haben wir es hier aber mit Lüttich zu tun: damals eine deutsche, zu Lothars Reich (Lotharingen) gehörige Stadt Leoden, jetzt französisiert Liege. In der Merovingerzeit 559 durch Bischof Monulf von Tongern-Maestricht als Kirchemit etlichen Gehöften angelegt, war es allmählich zu einem beträchtlichen Flecken herangewachsen, als Bischof Hubert zu Anfang des 8. Jahrhunderts seine Residenz dorthin verlegte, die Gebeine seines Vorgängers, des h. Lambert, mit sich führend, und ihnen zu Ehren die Katlıedrale, St. Marien und dem h. Lambert geweiht, erbaute. Als Karl d. Gr. 770 dort das Osterfest feierte, wird Lüttich noch als offener Ort (vieus publiecus) bezeichnet; aber bald wurde es zur Stadt. Bald erlangten auch seine Bischöfe, deren mehrere der Benediktiner-Orden zu den Seinen zählt, immer reicheren Besitz und weltliche Herrschaft; allein die Abtei Lobbes, die Kaiser Arnulf 888 den Bischöfen von Lüttich zuwies, besaß 153 Dörfer und das feste Schloß Thuin. Ludwig d. Kind bestätigte das Münzrecht und den Marktzoll. Der Bischof war unmittel- barer Vertreter des Kaisers in Rechtsspruch und Lehnssachen. Lüttich war der bedeutendste Platz in dem nördlichen Teil Lothringens, dem damals so heiß umstrittenen, deutsche und französische Elemente künstlich verbindenden Mittelgliede des großen Karolingerreichs. In seinem Sprengel lag Aachen, die Kaiserstadt. Wiederholt kamen Kaiser und Könige nach Lüttich und Lüttichs Bischöfe wurden bald wichtige Große des Reichs. Bischof Franco (856—903), der die Stadt 891/2 gegen die Normannen zu verteidigen hatte — damals brannten die Kathedrale und die Peterskirche ab — und dabei selbst als Krieger focht, hatte über das vergossene Blut noch solche Gewissensbisse, daß er sich später aller geistlichen Amts- handlungen enthielt, diese einem Weihbischof übertragend. Spätere, wie Bischof Notker (980—995) — ein Schwabe, unsicherer Überlieferung nach der Sohn des Schwabenherzogs und Neffe Otto’s I., jedenfalls aber ein sehr geschickter Diplomat, hervorgegangen aus der ottonischen Reichs- kanzlei — waren durchaus kriegerische Herren. Das Kapitel von Lüttich galt weiterhin als eines der vornehmsten im Reich, in das man nur nach strengster Ahnenprobe Aufnahme fand. Lüttich hatte unter den Ottonen Beziehungen bis nach Ungarn — so daß auch damals schon eine Berührung der Cultur an der Maas mit Schlesien möglich gewesen wäre! Im Jahre 1000 starb zu Lüttich im Lorenzkloster ein griechischer Bischof aus Calabrien — dies zum Beweis, wie weit auch damals schon die internationalen Cultur- beziehungen gingen. Die Domschule zu Lüttich war sozusagen die Uni- versität für den ganzen Nordwesten Deutschlands. Uns interessiert eine etwas frühere Zeit, der Ausgang des 9. Jahr- hunderts. Lüttich hatte damals an St. Lambert und St. Peter blühende Stifter. Am Bischofshofe wurden, soweit die Unruhe der Zeiten es zuließ, eifrig die Studien gepflest. Als der gelehrte Iroschotte Sedulius 845 von der Insel nach dem Kontinent herüberkam — vielleicht im Ein Bücherkleinod. 19 Anschluß an eine irische Gesandtschaft an Karl d. Kalılen, vielleicht auch nur dem eignen Wandertriebe folgend —, da fand er mit seinen 2 Genossen freundliche Aufnahme bei Bischof Hartgar (342—855). Bald kam weiterer Zuzug aus der Heimat — die Iren haben von jeher einen starken Aus- wanderungstrieb gehabt: damals glaubten sie dem Herren das Opfer bringen zu müssen, gleich Abraham die Heimat zu verlassen und sich in fremdem Lande anzusiedeln — und so bildete sich in Lüttich eine Iren- kolonie, die an dem wohl noch vor den Toren gelegenen St. Jakob ihren Mittelpunkt hatte und ihren Einfluß bald weithin nach Rhein und Mosel erstreckte, wie Traube und sein Schüler Hellmann gezeigt haben. Sedulius, ebenso gewandt wie gelehrt, wußte nicht nur bei Hartgars Nachfolger Franco in Gunst zu bleiben, sondern auch bei den geistlichen und weltlichen Großen der Nachbarschaft, ja auch am Kaiserhofe, Be- ziehungen anzuknüpfen und Gunstbezeugungen zu erhaschen, ein echter Betteldichter, wie sie uns an den Höfen jener Zeit zahlreich begegnen, aber dabei doch ein tüchtiger Gelehrter, nach den Maßstäben jener Periode. Er hat — vermutlich für Lothar II. — einen durch seine Excerpte aus alten Autoren bemerkenswerten Fürstenspiegel verfaßt; er hat das Matthäus-Evangelium, die Paulusbriefe u. a. kommentiert. Wir werden noch sehen, wie sich der Einfluß der von ihm nach Lüttich ver- pflanzten irischen Gelehrtentradition auch in unserer Bibelhandschrift zeigt. Ich verweise einstweilen nur auf die schon erwähnte Dekoration in Bandornament mit grün-gelber Füllung. Doch zunächst lassen Sie mich die Frage aufwerfen, wie es mit der Überlieferung der Bibel bis dahin bestellt war. Es ist ein langer Wes, der zurückgelegt werden mußte, ehe eine solche Bibelhandschrift zustande kommen konnte, so lang oder länger wie der, welcher von diesen mächtigen Bibelhandschriften zu unseren heutigen Taschenbibeln führt. Wir sind daran gewöhnt, in der Bibel ein Buch zu sehen, das — je nach dem Format — auf etwa 900—1500 Seiten das Ganze enthält. Aber zunächst war es eine Büchersammlung und stellte sich, so lange man auf Papyrus schrieb, auch als eine solche innerlich dar, oder vielmehr als eine Rollen- sammlung. Im Alten 'Testament zählte man meist 22 Rollen nach der Zahl der Buchstaben des hebräischen Alphabets; das Neue Testament, bei dem wir von 27 Büchern sprechen, wurde etwa auf S—10 Rollen geschrieben: die Rollen kamen in einen runden Lederbehälter wie ein moderner Papier- korb, ein Schirmständer: so sehen wir sie auf den älteren Evangelisten- bildern neben dem Schreibenden stehen, genau wie auf antiken Autoren- bildern. Es waren die Juristen und die Christen, welche einem anderen Schreibstoff und einer anderen Buchform zum Siege verhalfen: dem aus beiderseitig bearbeiteter Tierhaut hergestellten Pergament, dessen Blätter man nicht seitwärts aneinander heftete, sondern faltete, zu Lagen zusammen- legte, die man dann zu Bänden zusammenfaßte. An die Stelle des 98 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Volumen, der Rolle {ritt der Codex, das Buch. Im Buchformat konnte mar nun viel mehr vereinigen als in Rollen: so tritt uns gleich zu Beginn der umfassenden Bibelproduktion in den Tagen Kaiser Constantins die Voll- bibel in mächtigen Exemplaren entgegen. Zwei solcher sind uns aus dem 4. Jahrhundert erhalten: der von Tischendorf wiederentdeckte Codex Sinaiticus und der seit undenklichen Zeiten in Rom bewahrte Codex Vaticanus; zwei auch aus dem 5. Jahrhundert, der Codex Alexandrinus zu London und der Codex Ephraemi zu Paris. Diese Bände von über 800 dicken Pergamentblättern waren freilich als Band kaum zu regieren und werden wohl meist wie jetzt in mehrere Bände zerlegt gewesen sein. Im frühen Mittelalter war die Regel, daß eine Vollbibel aus 8 mächtigen Foliobänden bestand: das nannte man Bibliotheke oder auch Pandektes. Weit häufiger wurden einzelne Teile für sich kopiert; besonders der Psalter, die Evangelien. Eine Vollbibel war in der Merovingerzeit eine Seltenheit: es gab reiche Klöster, die keine solche besaßen. Der h. Bonifaz muß immer wieder bei den ihm befreundeten englischen Nonnen einzelne Teile der Bibel in Abschrift bestellen. Das wurde anders bei dem Aufschwung der Zivilisation und besonders der Klostereultur unter Karl d. Gr. Vom 9. Jahrhundert an gibt es solcher Vollbibeln eine ganze Zahl, aber immer sind es, wie unsere Lütticher Handschrift, gewaltige Buchungetüme, die ein Lesepult voraussetzen und schwerlich für private Zwecke bestimmt waren. Unser Codex wiegt bei einer Höhe von 43, einer Breite von 34 und einer Dicke von 14 cm fast 10 Kilo: im alten Einband mag er noch schwerer gewesen sein! Erst das 13. Jahrhundert, die durch den Eintritt der Bettelorden aufblühenden Studien an der Uni- versität Paris und der Unternehmungsgeist der dortigen Buchhändler haben eine wirklich handliche Bibel zu verhältnismäßig billigem Preise geschaffen, die für das spätere Mittelalter maßgebende sog. Pariserbibel, auf die wir noch mehrfach zu sprechen kommen. In der Geschichte des Buchdruckes wiederholte sich der gleiche Gang: Gutenberg, Fust und Schöffer und wie die ersten Drucker alle hießen, schufen Riesenbibeln, die mehr für eine Kirche als liturgisches Gerät, denn als ein Buch zu häuslicher Lesung und privatem Studium geeignet sind: erst im 16. Jahr- hundert kam durch die verstärkte Nachfrage die Reduktion des Formates und des Preises zustande, die dann bis in die Gegenwart solche Fort- schritte gemacht hat, daß man Vollbibeln im Taschenformat für 1—2 Mk. haben kann, Bei der Zusammenordnung der einzelnen Bücher konnten sich natürlich sehr verschiedene Folgen ergeben: wir möchten uns fast über die Sorglosigkeit wundern, mit der man über die Ungleichmäßigkeit auf diesem Punkte hinwegsah, wo doch .sonst die Neigung zu kirchlicher Regelung all solcher Fragen bestand: aber wir vergessen dabei nur zu leicht, daß wir selber es kaum merken und wissen, wie z. B. die deutsche Ein Bücherkleinod. 91 Bibel Luthers, die englische Übersetzung, die französische, die Vulgata und die aus ihr geflossenen katholischen Übersetzungen verschiedene Folgen zeigen. Unser Codex folgt im Alten Testament einer bis auf Cassiodor und die altlateinische Bibel zurückgehenden Tradition, welche besonders in den Prachtbibeln der Zeit Karls des Kalhlen sich geltend macht; im Neuen Testament hat er eine seltsame, immerhin relativ ver- breitete Folge: die Paulusbriefe am Schluß hinter der Johannesoffenbarung. Diese könnte hier gegen die ursprüngliche Absicht erst durch Verbinden der einzelnen Lagen entstanden sein, sind doch die drei Teile des Neuen Testaments: Evangelien, Apostelgeschichte mit den katholischen Briefen und der Offenbarung, endlich die Paulusbriefe, je auf getrennten Lagen ge- schrieben, so daß am Schluß 1—2 Spalten leerbleiben. Da aber der Schreiber selbst oder ein gleichzeitiger diesen leeren Raum am Ende der Paulusbriefe benutzt hat, um den Anfang von Beda’s Weltchronik darauf zu schreiben — Pergament war damals rar —, so ergibt sich, daß dies von Anfang an der Schluß war, die auffallende Ordnung also tatsächlich so alt ist wie die Handschrift selbst. Pergament war damals rar und kostbar: das merkt man an unserer Handschrift, deren schöne breite Ränder, abgesehen davon, daß sie beim Neueinbinden im 17. Jahrhundert unter dem Messer des Buchbinders gelitten haben, stellenweise in ganzer Breite herausgeschnitten worden sind — vielleicht um zu irgend einer Urkunde zu dienen. Auf der Rolle hatte man den Text in schmalen Spalten geschrieben, der Bequemlichkeit halber beim Aufrollen. Die Gewöhnung wirkt auch auf das neue Format weiter: die ältesten Bibeln zeigen bei großem Format bis zu 4 schmalen Spalten neben einander auf einer Seite, also 8 bei auf- geschlagenem Buch. Für spanische Handschriften sind lange Zeit 3 Spalten charakteristisch. Aber fast durchweg hielt sich die Doppelspalte, obwohl beim Buchformat eigentlich die Ganzzeile das natürliche ist. Bei sehr großer Breite hat diese allerdings für das Auge bei schnellem Lesen Schwierigkeiten. Aber es ist weniger dieser praktische Gesichtspunkt als die Macht der Tradition, welche heute noch die Zweispaltigkeit des Druckes als ein Charakteristikum der Bibel in Unterschied von andern Büchern erscheinen läßt. Um Gleichmäßigkeit zu erzielen, linieren sich die Schreiber des Mittel- alters die Seiten, nicht mit farbigem Stift, sondern mit einem scharfen, ritzenden Instrument: senkrecht nach der Breite der Spalte, gewöhnlich mit Doppellinien, wagerecht nach der Zahl der Zeilen, in unserm Falle 53. Wir können uns eine Bibel kaum denken, ohne die Einteilung in Kapitel und Verse: es scheint vielen zur Bibel zu gehören, daß jedes Kapitel seine Überschrift hat und jeder Vers für sich gedruckt ist — bei andern Büchern gibt es das nicht; aber der Bibel scheint das eigen- tümlich. Und doch ist das eine Errungenschaft erst ganz später Zeit, : 23 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. eine Errungenschaft teilweise zweifelhaften Wertes. In der ältesten Zeit reihte man Buchstabe an Buchstabe, nicht einmal die Worte trennend. Wohl wurde hie und da ein Sinnabschnitt gemacht. Aber das Vor- lesen war wirklich eine Kunst, die man gelernt haben mußte, zu dem es eines besonderen Beistandes des h. Geistes bedurfte, nach der Anschauung mancher alten Christen. Man führte freilich nach und nach allerlei kleine Hilfen ein, setzte Akzente und Interpunktionszeichen, schrieb auch wohl die zu kirchlicher Vorlesung bestimmten Exemplare so, daß in einer Zeile grade so viel stand, als der Vorleser sinngemäß in einem Atemzug lesen sollte: daher das Aussehen vieler alter Bibelhandschriften, als seien sie in Versen geschrieben. Aber mit unseren modernen Versen hat das nichts zu tun: diese gehen erst auf den Pariser Drucker Robert Estiennes (Stephanus) zurück, der sie, wie er sagt, auf dem Ritt von Paris nach Lyon 1551 in seine Bibel eintrug: sie fehlen also in den älteren Ausgaben sowohl der Vulgata und des griechischen Textes als aueh Luthers und der gleichzeitigen Übersetzungen. Man darf sich nicht wundern, sie in einer mittelalterlichen Handschrift nicht anzutreffen: wo sie sich finden, sind sie Zutat eines späteren Benutzers. Älter sind die Kapitel: schon die christlichen Gelehrten des 4. Jahr- hunderts sahen die praktische Notwendigkeit einer solchen Einteilung ein, aber nun schuf jeder für sich eine solche auf eigene Faust und wir finden in den Handschriften die verschiedensten Systeme. Das macht grade unsere Lütticher Handschrift wichtig, daß sie uns mehrere solcher nebeneinander zeigt. Den meisten biblischen Büchern sind hier Kapitelübersichten voran- gestellt: sie geben teils knapp den Inhalt jedes Kapitels, teils die Anfangs- worte; dabei hat der Schreiber oft mitten im Satze abgebrochen, um nicht mehr als eine Zeile für jedes Kapitel zu verbrauchen. Dazu sind am Rand des Textes die Kapitelzahlen in roter Tinte vermerkt. Aber diese und jene decken sieh nicht: sie gehören eben verschiedenen Systemen an. So hat z. B. das 1. Buch Mosis, das wir in 50 Kapitel zu teilen gewohnt sind, nach der Kapitelübersicht hier 82, ebensoviel nach den Zahlen am Rande; das 5. Buch Mosis aber, statt der uns geläufigen 34 Kapitel, in der Tabelle 156, nach den Randzahlen 143; der Römerbrief, der in unsern Bibeln 16 Kapitel zeigt, nach der Kapitelübersicht 69, nach den Rand- zalılen 50. Die moderne Kapiteleinteilung findet sich daneben auch noch in schwarzer "Tinte eingetragen, von einer spätmittelalterlichen Hand: sie entstammt nämlich dem vorhin schon erwähnten Kreis Pariser Gelehrter — . unter ihnen wird der aus England stammende Stephan Langton als ihr eigentlicher Urheber genannt — und hat durch die Pariser Bibel rasch allgemeine Verbreitung, später durch den Druck die Alleinherrschaft erlangt. So kann man an unserer Handschrift die Arbeit der ver- schiedenen Jahrhunderte an der Bibel und ihrer äußeren Gestaltung beobachten. Ein Bücherkleinod. 23 Hier sollten wir noch erwähnen die auf Bischof Eusebius von Caesarea, einen Freund Kaiser Constantins, zurückgehende besondere Einteilung der Evangelien. Eusebius war ein gelehrter Herr, der nicht nur fleißig die wertvollen Dokumente der Bibliothek von Caesarea für seine Kirchen- geschichte excerpierte und unsdadurch einen unschätzbaren Dienst getan hat: er wollte auch die vier Evangelien sorgfältig vergleichen, um die Einwendungen, welche heidnische Philosophen wie Porphyrius wegen der Widersprüche derselben gegen die Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte er- hoben hatten, widerlegen zu können. Zu dem Zwecke erdachte er sich ein sehr praktisches System: er teilte die Evangelien nach dem Maß ilırer Übereinstimmung und Abweichung in Abschnitte — auf Matth. entfielen 355, auf Marc. 233, auf Luk. 342, auf Joh. 232 — numerierte diese und stellte die Zahlen vorn in Tabellen (Kanones sagen die Griechen) derart zu- sammen, daß Tafel I die Abschnitte zeigte, worin alle vier übereinstimmen, Tafel II die, worin Matthaeus, Marcus, Lukas, Tafel III die, worin Matth., Luk., Joh. übereinstimmen, u.s.f., Tafel X endlich die Stücke, die jedem für sich eigen sind. Indem er nun zu den Nummern der Abschnitte am Rande jedes Evangeliums in roter Tinte die Nummer des betreffenden Kanons setzte, ermöglichte er es dem Benutzer, sofort nachzusehen in den vorangestellten Tafeln, mit welchen Abschnitten der andern Evangelien der betreffende, für den er sich grade interessierte, übereinstimmte. Wir, durch das leichte Zitieren nach Kapiteln und Versen verwöhnt — wir wissen einfach, daß das Vater Unser bei Matthäus cap. 6 v. 9—13 und bei Lukas cap. 11 v. 2—4 steht —, können kaum ganz ermessen, welche Hilfe in diesem eusebianischen System für die Bibelleser jener Zeit lag: sie fanden in Tafel V den 43. Abschnitt des Matthäus mit dem 123. des Lukas zusammengestellt und wußten sonach, daß sie das Vater Unser außer bei Matthäus nur bei Lukas und wo sie es in diesem Evangelium zu suchen hatten. Wie dankbar man diese Erleichterung empfand, zeigt sich daran, daß sie in fast alle Bibelhandschriften ein- gedrungen ist. Auch jetzt noch wird sie neben der Kapitel- und Vers- einteilung in gelehrten Ausgaben gelegentlich abgedruckt. Dabei brachte die Folgezeit noch Verbesserungen an: um das ewige Nachschlagen in den sog. Kanonestafeln vorn zu vermeiden, setzten die Syrer auf den unteren Rand jeder Seite den betreffenden Ausschnitt aus der Tabelle, d.h. in 4 Spalten für die 4 Evangelien die korrespondierenden Abschnittsnummern; das über- nahmen die Goten: wir finden es in dem berühmten Codex Argenteus von Upsäla, aber auch in dem cod. Rehdigeranus der altlateinischen Evangelien hier. Anders die karolingischen Theologen: diese fanden es noch bequemer am Rande jedes Abschnittes die Tafelzahl umgeben von den Abschnitts- nummern aller 4 Evangelien anzubringen, so daß man sofort sieht, wo man in den andern Evangelien nachzuschlagen hat: dies System zeigt auch ınsere Lütticher Handschrift. Darüber ließ man doch die Kanones- 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. afeln nicht fort: boten sie doch ein viel zu willkommenes Mittel, der Bibel einen künstlerischen Schmuck zu geben. Sie sind oft gradezu glänzend illuminiert in der Form Bogentragender Säulen mit Guirlanden, Vögeln u.s.f. Unser Schreiber hat sich auch hier mit relativ einfachem begnügt: die Blätter mit den Kanonestafeln sind immerhin die einzigen in der Handschrift, die bunte Farbe zeigen. Das führt uns zu andern Zutaten, die wir in unserer Bibelhand- schrift finden. Wir sind nicht mehr daran gewöhnt, weil ein puristischer Geist sie aus unseren Bibelausgaben hinweggefegt hat, aber seit dem 4, Jahrhundert wird es bei der Bibel ganz üblich, wie es bei den klassischen Autoren längst Sitte war, dem Ganzen und jedem einzelnen Buch kurze oder längere Vorreden voranzuschicken, die über den Autor, die Ver- anlassung, den Zweck und manches andere orientieren. Wir finden solche so gut in der griechischen wie in der lateinischen Bibel. In letzterer gelten sie fast alle als ein Werk des Hieronymus, obwohl nachgewiesener- maßen nur eine bestimmte Zahl von diesem um die Bibeldolmetschung besonders verdienten gelehrten Vater stammt. Viele unter ihnen, das hat die neueste Forschung, an der besonders Gelehrte des Benedictiner-Ordens mit schönem Erfolg beteiligt sind, in steigender Sicherheit dargetan, haben einen höchst bedenklichen Ursprung: da geht eine Reihe kurzer Ein- leitungen zu den Paulusbriefen auf den Erzketzer Marcion oder seine Schule zurück; die fast in alle Vulgatahandschriften übergegangenen sog. Argumenta zu den 4 Evangelien entstammen nicht sowohl, wie Corßen meinte, den römisch-sektirerischen Kreisen der Monarchianer des 3., als vielmehr den spanisch-priscillianistischen Kreisen des 4. Jahrhunderts; eine Arbeit Priseillians selber über die Paulusbiiefe hat unter dem unschuldigen Namen eines Peregrinus Aufnahme gefunden. Diese Zutaten galten später so sehr als Bestandteile des Textes, daß sie gleich diesem kommentiert wurden; als einer der ersten, der dies tat, gilt der schon erwähnte Sedulius Seottus. Erst im 15. Jahrhundert stoßen wir auf eine puristische Strö- mung, die alles Beiwerk aus dem h. Texte beseitigen will, der es dabei unterläuft, daß sie die meist als Prologus bezeichneten vier ersten Verse des Lukasevangeliums mit streicht! Von ganz besonderer Bedeutung für das rechte Verständnis der Bibel hielt jene Zeit die Eigennamen. Sie war überzeugt, daß überall hinter dem Buchstaben ein geheimer höherer Sinn verborgen sei: die ganze biblische Geschichte erschien als eine große Allegorie, jeder einzelne Zug in ihr ließ mannigfache allegorische Deutungen zu. Dazu aber erschien als das vorzüglichste Mittel die große Zahl der in der Bibel vorkommenden Eigennamen: sie klangen so fremd, so geheimnisvoll, man wußte, man ahnte, daß sie in der Originalsprache etwas bedeuteten; zeigte doch die biblische Geschichte selbst durch gelegentliche Hinweise auf die Bedeutung der Namen, vor allem durch die Erzählung von Namensänderungen, daß Ein Bücherkleinod. 95 hier nieht der Zufall, nicht menschliche Willkür, sondern göttliche Vor- sehung walte. Also galt es die Bedeutung der Namen festzustellen, mit Hilfe der Etymologie aus dem Hebräischen. Daß auch griechische oder gar lateinische Namen mit dabei waren, störte nicht; sie wurden fröhlich aus hebräischen Wurzeln abgeleitet, z. P. Pilatus von pe der Mund, latas hämmern: der Mund des Hämmerers als passende Bezeichnung für den, der über Jesus das Kreuzigungsurteil sprach. Mit solcher Namendeutung hatte schon der jüdische Religionsphilosoph Philo von Alexandrien, ein Zeitgenosse der Apostel, begonnen: ÖOrigenes, der größte Gelehrte der alten christlichen Kirche, hatte das im 3. Jahrhundert für alle biblischen Bücher durchgeführt. Hieronymus übertrug das ins Lateinische, und so ist diese Deutung der hebräischen Namen in viele mittelalterliche Handbücher der Auslegungskunst, aber auch in so manche Bibelhandschriften gekommen, zunächst in der ursprünglichen Form, welche die Namen eines jeden Buches für sich in alphabetischer Reihenfolge aufführtt — ein Stückchen wenigstens davon, den Anfang zu Matth., enthält auch unsere Lütticher Handschrift, Wieder sind es die Pariser Doktoren des 13. Jahrhunderts, welche hier eine praktische Neuerung einführten, indem sie das Ganze in eine fortlaufende alphabetische Reihenfolge brachten; so finden sich diese Namendeutungen noch in neueren Drucken der Vulgata. Doch weder die äußere Form noch diese Zutaten sind bei der Bibel die Hauptsache: das Entscheidende ist ihr Text, und auch der ist nicht von vornherein fertig gewesen. Es ist eine lange, höchst merkwürdige Geschichte, in die wir wenigstens einen Blick tun müssen, wollen wir unsere Lütticher Handschrift verstehen und würdigen. Das Alte Testament war seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert von alexandrinischen Ge- lehrten aus der hebräischen Originalsprache ins Griechische übersetzt worden; das Neue Testament war von Haus aus griechisch; beide wurden wohl im Laufe des 2. christlichen Jahrhunderts aus dem Griechischen ins Lateinische übertragen, vielleicht zuerst in Nordafrika, vielleicht gleich- zeitig an mehreren Punkten. Wie es in der Geschichte der Bibelüber- setzungen fast immer der Fall ist: die ersten Versuche waren sehr frei, mehr sinngemäß als wortgetreu; das wurde bald als Fehler empfunden, und nun verbesserte ein jeder daran, so gut er es vermochte. Bald ent- stand der unleidliche Zustand, daß die Texte untereinander auf das stärkste differierten und fast jede Abschrift eine andere Übersetzung re- präsentierte. Der römische Bischof Damasus (366—384) erkannte das kirchlich Bedenkliche dieser Unordnung und veranlaßte seinen gelehrten Berater Hieronymus, durch eine Revision Abhilfe zu schaffen. Hieronymus begann 384 mit den Evangelien, bei denen er einen vorhandenen lateinischen Text nur verhältnismäßig leicht überarbeitete; dies delinte er in den folgenden Jahren auf das ganze Neue Testament aus. Schwieriger war die Sache beim Alten Testament: auch hier wollte Hieronymus zunächst 5 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ebenso vorgehen; er revidierte 384 den aitlateinischen Psalter an der Hand griechischer Handschriften; bald aber sah er, daß dies nicht genügte: so machte er sich 386—391 daran, ihn frei aus dem Griechischen zu übersetzen; endlich aber, als er die Zurückgezogenheit des Klosterlebens in Bethlehem dazu benutzt hatte, mit Hilfe jüdischer Rabbiner in die Kenntnis des Hebräischen einzudringen, da unternahm er es seit 392, das ganze Alte Testament direkt aus dem Grundtext zu überseizen und damit etwas zu schaffen, was allerdings von der altlateinischen Bibel soweit absteht wie Luthers Übersetzung von den vorlutlierischen deutschen Über- tragungen. Hieronymus’ Arbeit fand keineswegs gleich allgemeine An- erkennung, obwohl ein Mann von dem Ansehen Augustins sich über die Revision der Evangelien günstig aussprach. Es war nur zu natürlich, daß die Gemeinden den ihnen gewohnten Bibeltext nicht leichterhand gegen einen andern vertauschten. So ward zunächst die Verwirrung, der Hieronymus hatte wehren wollen, durch seine Arbeit noch vermehrt: gab es doch nun neben den altlateinischen drei Psalterübertragungen und zwei Hiobbearbeitungen von ihm selbst: das Psalterium Romanum, die 1.Revision, die noch heute in der Peterskirche gebraucht wird und lange Zeit in England herrschte, bis unter den Normannen das sog. Psalterium Gallicanum, die 2. Revision, die von vornherein in Gallien Aufnahme gefunden hatte, sich auch England eroberte; das Psalterium hebraicum, die 3., direkt aus dem Grundtext geflossene Bearbeitung, hat überhaupt nur in der Gelehrten- überlieferung ein Dasein gefristet. Wie die meisten. Bibelhandschriften, bietet auch unsere Lütticher das Psalterium Gallieanum, freilich mit z. T. höchst merkwürdigen Überschriften. So wird gleich bei Ps. 1 ‚Wohl dem der nicht wandelt im Rat der Gottlosen‘‘ gesagt, daß er sich bezieht auf Joseph von Arimathia, der Jesu Leichnam bestattete — eine Deutung, die auf sehr alte Zeit zurückgeht: wir treffen sie, wie schon Beda Venerabilis feststellte, bei Tertullian; Athanasius teilt sie, Hieronymus u.a. bestreiten sie; ist doch neben der allgemein moralischen Beziehung auf alle Menschen die weitaus beliebteste, fast herrschende Deutung die auf Christus selbst, von dem alle Psalmen handeln, der hier speziell als der 2. Adam im Gegensatz zu dem 1. Adam erscheinen soll. In dem gleichen Sinne sind andere Psalmen als Äußerungen verschiedener Personen gefaßt: Ps. 7 nach der historischen Überschrift ein Psalm Davids wegen der Worte Chusis des Jeminiten: Stimme derer, die zum Vater reden, Ps. 8 Stimme der Apostel, Ps. 9 Stimme aller, Ps. 10 Stimme Christi an den Vater u.ä m. Wie mehrfach das dem Psalterium gallicanum von Haus aus fremde Diapsalma (= Sela) an den Rand geschrieben ist, 80 zeigen kritische Zeichen wie Astericus und Obelos den Einfluß einer gelehrten Tradition. Das 5.—7. Jahrhundert stellt eine Periode des Kampfes zwischen altlateinischer und hieronymianischer Bibelübersetzung dar, der meist mit Ein Bücherkleinod. 97 einer Textmischung endete, die nicht viel besser war als die Verwirrung der vorhieronymianischen Zeit. Besonders in spanischen und in irischen Handschriften läßt sich diese Abirrung des Vulgatatextes nach dem alt- lateinischen beobachten; ein reinerer Text scheint sich in Italien und bei den von Rom aus bekehrten Angelsachsen erhalten zu haben. Hier knüpft denn auch das Revisionswerk Karls d. Gr. an, durch das dieser Kaiser der Arbeit des Hieronymus eigentlich erst zum Siege verholfen hat: seitdem erst kann man von einer Vulgata als der lateinischen Bibel der abendländischen Kirche sprechen, so gewiß es auch weiterhin nicht an lokalen Unterschieden, Differenzen zwischen den Mönchsorden und einzelnen Gelehrten gefehlt hat; erst der Universitätsbetrieb mit dem überragenden Ansehen von Paris im 13., die Erfindung des Buchdrucks im 15. und die kurialistische Zentralisation am Ende des 16. Jahrhunderts haben eine wirksame Uniformierung des Vulgatatextes ermöglicht. Karl d. Gr. erwies seine Größe, indem er auch auf eine scheinbar so geringfügige Sache wie die Bibelrevision achtete. Er hatte an der Reinheit des Bibeltextes ein gelehrt schulmännisches und ein religiöses Interesse: er wollte, daß an der Bibel die richtige Orthographie und Grammatik ge- lernt werden könne; er glaubte, es müsse Gott beleidigen, wenn man fehlerhafte Kopien seiner heiligen Schriften verfertige und in schlechtem Latein zu ihm bete. Er scheute keine Opfer, berief Gelehrte selbst aus dem Orient. Vor allem aber vertraute er das Werk seinem Freund und Berater Alchuin an, und dieser brachte die gute angelsächsische Tradition herzu: so ging aus der Schreibstube von Tours, der reichen Abtei, die Karl Alchuin verliehen hatte, der Text hervor, der wenigstens für Nord- frankreich und die angrenzenden Gebiete grundlegend wurde, während gleichzeitig Theodulf von Orleans eine mehr an die spanische Über- lieferung anknüpfende eigne Revision veranstaltete. Es ist höchst merk- würdig, zu beobachten, wie von diesen beiden an der englischen und an der spanischen Tradition orientierten Bibeltexten jeder sein großes Ver- breitungsgebiet hat: Alchuins Text im Norden, Theodulfs im Süden, aber von hier durch Waldenser u. a. übergreifend bis nach Böhmen und Ost- deutschland. So finden sich in deutschen Übersetzungen des 15. Jahr- hunderts ganz merkwürdige an altlateinisches anknüpfende Lesarten und die vorhin schon erwähnte schlesische Bibel des 15. Jahrhunderts hat mehr theodulfisches Material als unsere Lütticher. Lüttich steht natürlich unter dem Einfluß von Tours, von Alchuins Arbeit: aber es hat seine eignen, iroschottischen Beziehungen, und die verleugnen sich auch in unserem Bibeltexte nicht. Ich hatte erst gehofft, hier den Text des Sedulius selber zu finden: das hat sich aber bei genauerer Untersuchung nicht bestätigt. Wohl aber kann man den Text als einen alchuinischen mit iroschottischen Lesarten durchsetzten bezeichnen. Wir müssen uns die Schreibstube des Lütticher Klosters, wo unsere Hand- Re: Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. schrift entstand, vermutlich um die Wende des 9. zum 10. Jahrhundert, als man die durch die Brände von 891/2 entstandenen Verluste wieder zu ergänzen strebte, ausgestattet denken mit einer ganzen Reihe von Vorlagen, vielleicht verschiedenen für die einzelnen Teile der Bibel. Nur so erklärt es sich, daß unsere Handschrift bald mit einer berühmten Bibel von Corbie, bald mit der von Rosas (in Catalonien), den Evangelien von Nevers und denen von St. Genevieve Berührungen zeigt. Eine Bibel in diesem Format war nicht für die Klosterzelle eines Gelehrten, sie war zu kirchlichem Gebrauch bestimmt. Eine deutliche Spur davon zeigt der Psalter, wo wir am Rande von einer recht alten Hand zu jedem Psalm ein Kollektengebet beigeschrieben sehen. Leider haben sie bei dem Neueinbinden im 17. Jahrhundert unter dem Messer des Buchbinders stark gelitten. Diese zuerst von Kardinal Tommasi naclı römischen Handschriften abgedruckten Psaltergebete bedürfen noch einer eigenen Untersuchung. Jedes Gebet lehnt sich direkt an den Grund- sedanken des Psalıns an, und zwar in der Form des Psalterium romanum, was auf italischen oder englischen Ursprung weist, Was ich bisher fest- stellen konnte, ist, daß von den 150 Kollekten 24 sich bei Alchuin finden. Nach dem, was wir soeben über Alchuins Einfluß auf die Textgestaltung erkannten, liegt die Vermutung nahe, daß auch diese Zutat auf ihn zurück- geht. Aber ich glaube Grund zu haben, diese Annahme abzuweisen: Alchuin ist hier der entlehnende, unsere Sammlung repräsentiert offenbar eine ältere von Alchuin bereits ausgenutzte Sammlung von Kollektengebeten für die Psalmodie der Horen. Wenn noch Hauck Alchuins Messen und Einführung in den Psalter als Dokumente seiner persönlichen Frömmigkeit würdigt, so steht dem die Beobachtung entgegen, daß Alchuin in solchen Fällen nichts Eigenes, sondern Entlehntes bietet. Dafür kann ich auf Grund einer eben durch unsere Lütticher Hand- schrift angeregten Untersuchung einen überraschenden Beweis erbringen, eine allerdings für Alchuin peinliche Enthüllung. Vor den Evangelien steht, neben anderen Vorworten und Einleitungen, ein ganz merkwürdiges Stück: ohne Überschrift hebt es an mit dem Ge- danken, daß unser Herr Jesus Christus in den Patriarchen als Patriarch, in den Priestern als Priester, in den Richtern als Richter, in den Propheten als Prophet, in den Herzögen als Herzog, in den Aposteln als Apostel, in den Engeln als Engel erscheint — ein rhetorischer Gemeinplatz der Panegyriken auf Märtyrer: der Heilige wird allen Kategorien der Heiligen eingereiht und gleichgestellt. Hier aber wird das ‚in den Patriarchen‘ in einem weit spezielleren Sinne genommen: an der Hand der 40 Namen, welche die Genealogie Christi bei Matthaeus 1,1—17 um- faßt, wird gezeigt, daß jeder von ihnen Christus selber enthält, wenn man nur seinen Namen richtig versteht. So wird an die überlieferte Namens- deutung ein Bibelspruch oder mehrere angereiht, die zeigen, daß diese Ein Bücherkleinod. 39 Deutung auch auf Christus zutrifit, z. B. Abraham heißt hoher Vater: Christus hat uns sprechen gelehrt: Unser Vater in dem Himmel. Isaak heißt Lachen, Freude: von Christus sagt der Engel: Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren soll. Jakob heißt: der ein Bein stellt, niederwirft: Christus hat den Satan niedergeworfen, wie es heißt: Niemand kann des Starken Geräte rauben, wenn er nicht zuvor den Starken bindet. Juda Bekenner: Christus sagt: Vater, ich bekenne dir, d.h. ich danke dir, daß du solches den Weisen verborgen hast und hast es den Unmündigen geofienbart, u.s. w. durch die ganze Genealogie hindurch. Uns erscheint dies ein wunderliches Spielen mit Deutungen und Worten, die nichts mit einander zu tun haben. Aber jene Zeit fand das sehr geistreich und sehr erbaulich zugleich. Neben die christologische Ausdeutung trat noch eine moralische Anwendung, daß auch wir in Abraham Väter vieler und hoher Tugenden werden sollen, in Isaak reich an hundertfältiger Frucht und fröhlich selbst in Anfechtungen, in Jakob niederwerfen unsern alten Menschen, den Esau in uns, in Juda Gott loben und preisen und ihm unsere Sünden bekennen u. s. f., ziemlich breit und erbaulich ausgeführt. Ich kannte dieses Stück nicht und suchte anfangs vergeblich, bis mich mein Freund Montague Rhodes James, der Provost of Kings College in Cambridge, einer der belesensten Männer unserer Zeit, auf die rechte Spur brachte. Im 7. Jahrhundert lebte als Lehrer (wir dürften sagen Professor der Theologie) in dem altberühmten Kloster Clonard in Mittel- irland Aileran, den die bewundernde Mit- und Nachwelt Scottorum Sapientissimus nannte. Wir wissen wenig von ihm: er soll das Leben einiger älterer irischer Heiligen beschrieben haben, des h. Patrick, der h. Brigid, des h. Fechin von Fore; auf klassische Studien deutet die Erwähnung einer Rhetorik unter seinem Namen; er hat, wie Dom de Bruyne eben gezeigt hat, die eusebianischen Kanones in merkwürdige Verse ge- bracht; das einzig bekannte Werk aus seiner Feder ist diese typologische und moralische Erklärung der Genealogie Christi. Sie war bisher nur aus einer alten Handschrift zu St. Gallen bekannt, aus der sie schon im 17. Jahrhundert der Minorit Patrick Fleming bekannt machte. Eine 2, Handschrift stammt aus Reichenau. Jene Handschriit war am Schlusse defekt und wir würden die Schrift bisher nur unvoliständig kennen, wenn nicht der schon genannte Sedulius Scottus im 9. Jahrhundert sie seinem Kommentar zum Matthäusevangelium einverleibt hätte, den wir in 2 Hand- schriften, zu Wien und zu Berlin, besitzen; aus der Wiener war der Schluß durch Mac Donnell 1862 bekannt gemacht. Nach der Weise damaliger Kommentatoren setzte Sedulius seine Auslegung aus lauter Ausschnitten aus den Väterschriften zusammen, am Rand das Eigentumsrecht eines Jeden durch den Anfangsbuchstaben seines Namens wahrend: A = Augustin, H = Hieronymus u.s. f. Bei diesem Stück aber stelıt groß im Text selbst: 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. „Hier beginnt das typische und das tropologische Verständnis ebendieser Genealogie, welches der h. Aileran, der Schotten weisester, klargestellt hat.“ Sedulius schreibt dabei nicht einfach Ailerans Text ab, sondern gibt ihn verkürzt, wie das bei solchen großen Sammelwerken (Catenen, Ketten- kommentare nennt man sie) üblich war. Was wir in unserer Handschrift lesen, ist eine ganz ähnliche Verkürzung des Ailerantextes, nicht identisch mit der des Sedulius, also nicht aus dessen Kommentar geschöpft, aber nach den gleichen Prinzipien gemacht; höchstwahrscheinlich hatte der Lütticher Gelehrte, der die Vorlage zu unserer Handschrift schrieb, die- selbe Kopie Ailerans vor sich, die Sedulius benutzte, ja wir dürfen viel- leicht sagen, die Sedulius mit herübergebracht hatte nach Lüttich. Soweit wäre alles ganz gut: wir könnten Aileran’s Text mit Hilfe dieser 2 Excerpte auf eine gesichertere Basis stellen, als sie die eine Handschrift von St. Gallen bot. Aber wir sind noch nicht am Ende. Die Beobachtung bei Sedulius hatte mich auf den Gedanken ge- bracht, ob nicht auch andere der karolingischen Kommentatoren sich Ailerans für den Geschmack jener Zeit entschieden feine Idee einer solchen typologisch-tropologischen Auslegung zu nutzen gemacht hätten, und richtig: Hrabanus Maurus, der Fuldaer Gelehrte, ein Schüler Alchuins, der später Erzbischof von Mainz wurde (j 856), und Walahfried Strabo, von Reichenau (j 349), haben sie in ihre Matthaeus-Kommentare auf- genommen, beide unabhängig von Sedulius direkt auf Aileran zurück- gehend — für Walahfrid kennen wir jetzt in Augiensis CCXLIX eine Kopie seiner Vorlage — doch beide mit einer gewissen Selbständigkeit: Hraban, der sich überhaupt unter den karolingischen Kommentatoren durch etwas eignen Geist hervorhebt, führt den Gedanken durch, daß die Väter Typen Christi seien nicht nur in ihrem Namen, sondern auch in ihrem Tun, und ergänzt so Aileran durch größere typologische Ausführungen über die Patriarchen-Geschichte. Walahfrid zieht die typologische und die tropologische Deutung jedesmal zusammen, der Namendeutung gleich die moralische Anwendung beifügend. In dieser Form hat Aileran der Exegese des gesamten Mittelalters zugrunde gelegen. Aber beide, Hraban wie Walahfrid, nennen ihn nicht, ein Verfahren, das uns undankbar und unzulässig erscheinen mag, das aber damals zum Stil gehörte. Von hier aus wird vielleicht auch begreiflich, was ich die peinliche Enthüllung nannte, die bei unserer Untersuchung für Alchuin heraus- springt. Es gibt in drei Handschriften einen anonymen Traktat, der sich dem Kenner sofort als eine kürzende Bearbeitung Aileran’s darstellt: mit derselben großen Zweiteilung des spiritaliter und moraliter. Hie und da werden etwas andere Bibelworte zitiert; das Ganze ist freie Bearbeitung, aber doch nur Umarbeitung. Nun stehen am Schluß 8 Verse, die uns zeigen: es ist kein anderer als Alchuin, der dies als ein Festgeschenk für seinen königlichen Gönner und Freund bestimmt hatte. Ein Bücherkleinod. 31 Nimm, o König, so klein sie auch sei, die Gabe entgegen, die dein Albinus dir bringt, großer Liebe ein Pfand: Große Geschenke wohl bringen der weltlichen Schätze Besitzer: Meine Armut bringt dir diese zwei Scherflein nur dar: Um nicht mit leerer Hand in diesen heiligen Tagen, Ehrfurchtgebietender Herr, deinem Antlitz zu nahn, Sucht ich zu deuten der heiligen Eltern heilige Namen Aus hebräischer Sprach, dir, Lateiner, mundrecht, Bring denn, mein Pergament, in Ehrfurcht die Gabe dem Herren: Zeig in schmächtiger Form große Liebe ihm an. Das ist nicht anders zu verstehen, als daß Alchuin für Karl d. Gr. als ein besonderes Festgeschenk diesen Traktat verfaßt hat: der Witwe sich vergleichend, von der das Evangelium erzählt, daß sie zwei Scherflein, ihr ganzes Vermögen, im Tempel opferte, bringt er diese zweiteilige Erklärung der Namen der Genealogie seinem königlichen Herren dar. Was für ein Fest es war, an dem er die Gabe überreichte, können wir kaum wissen: wir würden an Weihnachten denken, wahrscheinlicher ist Neujahr oder Epiphanien, vielleicht auch das Osterfest gemeint. Nach den Versen kann man nicht anders annehmen, als daß Alchuin diese doppelte Namen- deutung als sein eigenes Werk, als seinen eigensten Gedanken Karl d. Gr. darbietet, und so ist unser Traktat bisher auch von den Literaturhistorikern und Biographen Alchuins betrachtet worden: charakteristisch für Alchuins Art der Exegese hat man ihn genannt. Wer hätte auch denken sollen, daß der gefeierte Gelehrte auf einem groben Plagiat ertappt werden könnte. Freilich, die Gelehrten jener Zeit waren nicht so empfindlich auf diesem Punkte wie wir: Originalität galt ihnen fast als be- denklich; sie hielten sich gern an die Autorität der Väter; es gibt Kommentatoren, die selbst die Überleitungsformeln zwischen den Excerpten aus den Schriften eines Augustin entnehmen, andere, die sich ausdrücklich entschuldigen, wenn sie einmal einen eignen Gedanken zu bringen wagen. Aber was uns hier vorliegt, ist doch etwas anderes: Alchuin steckt sich nicht hinter alte Autoritäten, sondern gibt das Werk eines relativ modernen als sein eigenes aus. Er rechnet offenbar damit, daß Aileran am Hofe Karls nicht bekannt war. Hoffen wir, daß die gelehrten Damen dieses Hofes, die mit so viel Verehrung zu Alchuin als dem Leiter ihrer Studien emporblickten und ihm in ihren Briefen die verfänglichsten Fragen vor- legten, nicht dahinter gekommen sind, woher Alchuin die Federn bezog, mit denen er sich schmückte! Doch wir dürfen auch nicht zu hart urteilen: es hat der Autorität eines Hieronymus nichts geschadet, daß er solche Anleihen bei griechischen Autoren in noch weit größerem Umfang gemacht hat, in seinem Schriftstellerkatalog z. B. das Ich des Eusebius fröhlich zu seinem eigenen machend. Nur daß Alchuin den Ruhm besonderer 33 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ehrlichkeit verdiene, den ihm noch Hauck zollt, wird man nicht mehr sagen dürfen. Ein Bücherkleinod — nun ja! Vielleicht sind Sie enttäuscht . .. Ich glaube auch nicht, daß Pierpont Morgan eine Million Dollars dafür gäbe. Aber sind nur solche Steine Juwelen, die in bunten Farben schimmern? Gibt es nicht auch kostbare Perlen? Ist es nicht der Reiz des Diamants, daß aus seinem einfachen Weiß so viele Strahlen hervorbrechen? Freilich, dazu muß man ihn schleifen. Und das Neueste ist, daß ein unscheinbar Weniges von Radium durch dichte Hüllen seine wunderbaren Strahlen sendet. Anders ist der Wert des Amateurs, anders der des Kenners. Anm. Das gesamte Textmaterial wird, kritisch verarbeitet, an anderem Orte vorgelegt werden. Festrede zur Feier von Richard Wagners I00. Geburtstag am 22. Mai 1913 gehalten von Max Koch. Richard Wagners Stellung in der Entwickelung der deutschen Kultur. Thomas Carlyle hat die Goethesche Weissagung, er sei eine moralische Macht von großer Bedeutung und von gar nicht abzusehender Zukunfts- wirkung durch die Arbeit seines ganzen Lebens bestätigt. Die wertvollste Gabe jedoch hat er seinen Zeitgenossen, wie allen folgenden Geschlechtern gespendet, als er 1840 in seinen Vorlesungen das Wesen von „Helden, Heldenverehrung und dem Heldenhaften in der Geschichte“ zu schildern unternahm. In den Urzeiten der Menschheit ist nach Carlyle der Held nach seinem Hinscheiden seinen Stammesgenossen zum Golt empor- gewachsen; manchen Völkern steht er bei ihrem Eintritt in die Geschichte als gesetzgebender Profet vor Augen und auch in fortgeschritteneren Zeitaltern verkörpert sich das tiefste religiöse Fühlen gesunder Nationen gelegentlich wohl wieder in priesterlichen Helden. Durch die Jahrtausende der Sage und Geschichte aber schreiten der schwertumgürtete Held, als Führer seines Volkes im Ringen um dessen nationale Güter, und der Dichter und Sänger, als der das beste und tiefste Sinnen und Sehnen der gesamten Volksgemeinschaft verkündende Held: von Arminius und dem großen Theoderich bis auf Cromwell, den Freiherrn vom Stein und Fürst Bismarck, von Homer, Dante und Shakespeare bis zu Bach, Schiller und Goethe, Beethoven und Richard Wagner. Für Carlyle hat Wagner stets die wärmste Verehrung gehegt. Unter Berufung auf des strengrichtenden Schotten hohe Meinung von der Be- stimmung des deutschen Volkes und dessen Geistes der Wahrhaftigkeit hat Wagner in der langen, leidenreichen Geschichte der im alten festländischen Stammland seßhaft gebliebenen Germanen einen Lichtblick gesehen und gerühmt. ,„Was aus dem Schoße dieses wunderlichen Muttervolkes, in- mitten seiner Not und Unfreiheit, immer wie ein Wunder emporwächst, das ist der ihm ganz eigentümliche deutsche große Mann, wie ihn in so eigenartiger, erhabener Einsamkeit nur Deutschland erzeugt hat.“ Ob uns das von Wagner eingeräumte Sonderrecht auch wirklich so ausschließlich zukömmt, mag man ja bezweifeln. Ist jemals ein Größter einsamer durch ein entbehrungsreiches Leben gewandelt, als der aus seiner heiß geliebten Vaterstadt am Arnostrande verbannte Dante Alighieri, von dem Wagner rühmte, keinem Sterblichen habe jemals eine gleich große dichterische Kraft innegewohnt, wie dem Sänger der „gött- lichen Komödie“? Wenn Wagner aber mahnt, die von Deutschland aus- gegangenen angelsächsischen Kulturvölker sollten zu einem Goethe und 1913. 3 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Beethoven erfurchtsvoll wie zu alteinheimischen Gätter- und Heldenbildern emporblicken, so ist es jedenfalls für uns Deutsche selbst nicht minder dringend geboten, den unsterblichen Geist jener ‘Heroen als Helfer an- zurufen „zu der notwendigen idealen Vollendung unserer eigenen Kultur“. Wenn die Erinnerungsfeiern an die gewaltige Volkserhebung vor hundert Jahren in diesem Frühling die Teilnahme an den Heilstagen des 18. März und 22. Mai, an denen ebenfalls vor hundert Jahren deutsche Mütter unserem Volke Friedrich Hebbel und Richard Wagner geboren haben, etwas zurückdrängen, so sollten wir doch gedenken, daß nur auf Grund der geistigen Erhebung des 18. Jahrhunderts, der Pflichtenlehre Kants, Fichtes, Schleiermachers, der Kritik Lessings, der Dichtung Klopstocks, Goethes und unseres die Jugend begeisternden Schillers die Schilderhebung gegen die Fremdherrschaft und ihr Erfolg möglich waren. Der Geist unserer Dichter und Denker schwebte den deutschen Fahnen führend und helfend voran. Zu jenen großen deutschen Heroen aber, die gleich den, einsamen Schiffern die Bahn weisenden, unverrückbaren Sternbildern unserem Volke in guten wie bösen Zeiten voranleuchten sollen, ist auch Richard Wagner selbst emporgestiegen, nachdem er gleich Alkid „in ewigem Gefechte des Lebens schwere Bahn“ gegangen. Mag gegen ihn, den im Leben als einen rastlos Strebenden ‚der Parteien Gunst und Haß“ umtobt hat, bei seiner Jahrhundertfeier der giftige Natternhaß auch noch einmal ohnmächtig auf- zischen:; in der alle Völker verbindenden Kunstgeschichte, wie in dem Bilde deutscher Kulturentwickelung wird Wagners gewaltiges, hochragendes Bild niemals schwanken. Und eben diesen tiefgegründeten Zusammenhang zwischen Wagners Wollen und Zielen, Streben und Wirken und den in Jahrhunderten sich vollziehenden deutschen Schicksalen in Volksleben und Kunst, nicht oft und zur Genüge erörterte Einzelheiten von Wagners Werken, wollen wir uns hier und heute zum Bewußtsein bringen. Im Jahre 1867 hat Wagner in der für die Einigung von Süd und Nord werbenden „Süddeutschen Presse“ in München seine ursprünglich für König Ludwig Il. niedergeschriebene Aufsatzreihe ‚Deutsche Kunst und deutsche Politik‘‘ erscheinen lassen. Beide üben, wie wenig auch ihr inniger Zusammenhang manchmal an die Oberfläche treten mag, doch eine tiefgehende Wechselwirkung auf einander aus. Und die zwei gewaltigen Vorkämpfer deutscher Kunst und deutscher Politik, die sich im verwirrenden Drange des Lebens so wenig zusammenfanden und verstehen konnten, wie einstens der große König für Klopstock, Lessing und Goethe Zeit und Ver- ständnis aufzubringen vermocht hat; sie werden als die gleichzeitigen sieg- reichen Führer der deutschen Stämme im Kampfe um ihre völkische Einigung und um eine nationale Kunst als höchsten Ausdruck nationaler Kultur nun doch in der deutschen Geschichte für alle Zeiten Beide zu- sammengehören: Otto von Bismarck und Richard Wagner. Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 35 Nicht Spiel des Zufalls war es, daß erst nach der Reichsgründung das deutsche Festspielhaus auf dem Bayreuther Hügel entstanden ist. Als nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges in Hamburg ein deutsches National- theater gegründet worden war, da rief nach dessen raschem Zusammenbruch Lessing voll Ingrimm aus: „Über den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind!“ Ich weiß recht gut — und wir würden wenig im Sinne Wagners handeln, wenn wir zu seiner Geburtstagsfeier uns zu Übertreibung und gar übler Selbsttäuschung hinreißen ließen — ich weiß recht gut, daß Bayreuth keineswegs das ideale Nationaltheater geworden ist, wie Richard Wagner es ersehnt und erstrebt hat. Es bleibt die Frage, ob die aus dem alten Athen stammende Vorstellung eines das ganze Volk vereinenden festlichen nationalen Dramas, das in den religiösen Spielen des Mittelalters in der Tat auch bei uns vorhanden war, unter den neueren Lebensverhältnissen überhaupt restlos sich verwirklichen läßt. Wie beschränkt das Verständnis für das von Wagner Gewollte noch immer ist, das hat sich gerade in diesem vielfachen Jubiläumsjahre mit nicht erwünschter Deutlichkeit in der Frage des Parsifalschutzes aufs neue geoffenbart.!) Freilich war es allzu ver- trauensselig, Verständnis für Kunstfragen von einer Volksvertretung zu erwarten, die einen Reichszuschuß für ein Goethedenkmal in Straßburg mit der Begründung abgelehnt hatte, Goethe habe damals als Student in Straßburg ja noch nichts geleistet. Das neue deutsche Reich ist sich von seinem Entstehen bis heute niemals seiner Pflichten gegenüber der großen nationalen Kunst, wie sie sich uns in Bayreuth verkörpert, bewußt geworden. Für Wagners alte, oft wiederholte Klage, daß seine Volks- genossen die Kunst und vor. allem das Theater, in dem freilich Erhabenstes und Gemeinstes mehr als auf jedem anderen Kunstgebiete miteinander sich vermengen, bloß als Unterhaltungsmittel, nicht aber als einen wichtigen Kulturfaktor gelten lassen wollten, besteht leider Gottes noch immer ungeschwächt weiter nur allzuviel Berechtigung. Indessen trotz allem dürfen wir im Hinblick auf Wagners Schaffen und dessen Bayreuther Denkmal an Lessings Wort erinnern und von Erfüllung der darin ent- haltenen Weissagung sprechen. Wagner selber hat diesen großen geschicht- lichen Zusammenhang tief empfunden, als er am 25. August 1870 seinem Schirmherrn Ludwig II, dankte für das Königswort, „dem Deutschland neu erstanden; schuf es dem Volke Siegsgewinn, mir gab das Wort Vergessen: !) Alles darauf Bezügliche ist gesammelt in dem Buche: „Mehr Schutz dem geistigen Eigentum! Der Kampf um das Schicksal des ‚Parsifal‘‘“ dargestellt von Reinhold Freiherrn von Lichtenberg und L. Müller von Hausen. Berlin 1913. 135 S. gr. 80, [) BES 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. vergraben durft’ ich manchen Schmerz, der lange mir genagt das Herz, das Leid, das mich besessen, blickt” ich auf Deutschlands Schmach dahin... Von Wotan bangend ausgesandt, sein Rabe gute Kund’ ihm fand: es strahlt der Menschheit Morgen; nun dämm’re auf, du Göttertag!‘ Ein Morgen deutscher Kunst sollte nach Wagners Sinn dem politischen Erwachen folgen. 1872 konnte endlich der Grundstein zu dem deutschen Festspielhause gelegt werden. 1876 wurden die ersten dramatischen Fest- spiele in Gegenwart des ersten Kaisers des neuen deutschen Reiches verwirklicht. Die Bedeutung des Vorganges wird nicht verkleinert, wenn wir auch wissen, daß der unter ganz entgegengeseizten musikalischen Eindrücken aufgewachsene greise Held keineswegs König Ludwigs Liebe und Verständnis für Wagners Weıke teilte. Allein es zeigt sich auch gerade darin die schlichte, wirkliche Größe Wilhelms des Siegreichen, daß er seinen persönlichen Kunstgeschmack, Neigung und Abneigung freundlich unterzuordnen vermochte angesichts einer neuen, für das nationale Leben als bedeutsam erkannten künstlerischen Erscheinung. Schwer begreiflich dagegen erscheint uns heute die Blindheit, in der man in Deutschland nach 1870 über das Ausbleiben von dramatischen Kunst- leistungen, die den Siegen und Erfolgen entsprechen sollten, klagte, während doch in einer Großartigkeit, wie sie seit den Tagen von Marathon und Salamis, die Aeschylos’ „Perser“ hervorriefen, in der Geschichte nur noch einmal nach Vernichtung der spanischen Armada in Shakespeares Dramen zu verzeichnen ist, durch Wagner die Schaffung eines gewaltigen nationalen Dramas gleichzeitig mit entscheidenden politischen Taten .des Volkes vor sich ging. Uns lehrt dieses Zusammentreffen der Erfüllung alter Hoffnungen auf ein geeintes deutsches Vaterland und des Verlangens nach einem deutschen Nationaltheater aber noch ein anderes. Wie ehrfurchtsvoll wir mit Carlyle zu den heldenhaften Führern ihrer Völker auf den verschiedensten Gebieten auch emporblicken mögen, so waltet doch in der Geschichte auch noch ein weiteres Gesetz. Auch der Gewaltigste wird sein Werk nur durchzuführen vermögen, wenn ihm die Sternenstunde günstig, die Zeit reif ist für das Inslebentreten des seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten sich durch Verfall und Neubildungen langsam Vorbereitenden. Gerade hier ziehen wir die Parallele zwischen dem mühevollen, Jahrhunderte langen Ringen, in der Entwickelung deutscher Kunst und deutscher Politik, zwischen Bismarck und Wagner, die auch beide in ähnlicher Weise lange Zeit bekämpft und angefeindet wurden, bis man ihr „heiltatvolles“ Wissen, Wollen und Handeln verstehen, ihre Größe ertragen lernte. Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 37 Wagner hat, als er aus Ludwig Feuerbachs Schrift über den vatikanischen Apollo sich mit neuer Begeisterung für Hellas durchglühte, offen bekannt: „Wir können in unserer Kunst keinen Schritt tun, ohne auf den Zu- sammenhang derselben mit der Kunst der Griechen zu treffen. In Wahrheit ist unsere moderne Kunst nur ein Glied in der Kette der Kunstentwickelung des gesamten Europa, und diese nimmt ihren Ausgang von den Griechen.“ Wie vom Beginn der Renaissance bis zum Lebendigwerden des ger- manischen Mythus im Bayreuther Festspielhaus die Kunst des westlichen Europa die antike Kunst als Muster anerkannte, zum mindesten in der Theorie es tat, so ist von den Tagen des fränkischen Karl bis auf Napoleon I. die Erinnerung an das Imperium Romanum und die römische Kaisermacht fortwirkend geblieben. Die deutschen Könige hatten Namen und Ansprüche, die Päpste die Ansprüche und Herrschaftstraditionen der Cäsaren auf den orbis terrarum überkommen. Das deutsche Volkskönigtum ist im Kampfe um die Verwirklichung dieses trügerischen Nachfolgerechts zugrunde gegangen. Ein Blick in Wagners 1850 veröffentlichte Studie ,Die Nibelungen (— Ghibellinen), Weltgeschichte aus der Sage“, wie in seinem Entwurf eines Barbarossa-Dramas läßt deutlich erkennen, wie erfüllt Wagner von diesen großen geschichtlichen Beziehungen war zur Zeit, als ervon dem Wort- drama aus dem ihm altvertrauten Hohenstaufenkreise zu einem Tondrama „Siegfrieds Tod‘ sich wandte. Hatte aber, wie Wagner in seinem Friedrichdrama darstellen wollte, der heißumstrittene Anspruch auf römische Weltherrschaft — ‚‚der Welt Erbe‘‘ könnten wir hier mit dem Nibelungenworte sagen — die zur Staufer- zeit noch mögliche Gründung eines deutschen Volksreichs verhindert, so verlor das römische Kaisertum deutscher Nation seit der Reformation, die selber freilich über unfruchtvarem Theologengezänke nur zu bald ihres völkischen Ursprungs vergaß, vollends jede Bedeutung für das nationale Leben, mit dem es immer mehr in unheilvollsten Widerspruch geriet. Im Gegensatz zum Kaisertum der seit ihrem Eintritt in die Geschichte jeder- zeit undeutsch gesinnten Habsburger mußte sich langsam aus den selbst- süchtigen Sonderbestrebungen der Fürsten ein kraftvolles neues Staatswesen auf deutscher Grundlage entwickeln. Bereits Schiller hat als Historiker erkannt und ausgesprochen, der mit der Reformation einsetzende Prozeß der Neubildung Deutschlands werde sich nicht vollenden, ehe ‚ein pro- testantisches Haupt zur Kaiserkrone sich erheben konnte“. Welche lange Reihe geschichtlicher Vorgänge war indessen nötig, bis diese Vorhersagung Schillers sich erfüllen mochte! Nicht der deutsche Fürstenbund im 18. Jahrhundert, noch der Freiherr vom Stein und das Frankfurter Parlament im 19. Jahrhundert hatten die Macht. Und doch wäre ohne die gescheiterte Einheitsbewegung der stürmischen Jahre 1848/49, an welcher der Dresdner Kapellmeister Wagner als Redner, Schriftsteller und 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Dichter?) nach seinem auf diesem Gebiete bescheidenen Vermögen sich beteiligte, es auch Bismarcks eiserner Kraft nicht gelungen, die neue Kaiserkrone im Feuer der Schlachten zu schmieden. Das Goethewort, „Wie sich Verdienst und Glück verketten,‘“ lautet eben in allen großen geschichtlichen Wandlungen: Nur der rechte Mann zur rechten Zeit. In solchem Sinne ist wirklich „bei allem irdischem Dinge Ort und Stunde“ zwar nicht das Erste und Hauptsächlichste, wie Seni meint, aber ohne sie vermag auch der Heldenwille des Führers das Glück nicht zu zwingen. Ein Luther wäre im 14. Jahrhundert, ein Cromwell in den Tagen der Königin Elisabet so erfolglos geblieben, wie Kant im 17., Wagner im 18. Jahrhundert, nicht denkbar sind. So wenig nun aber Erzbischof Berthold von Mainz und Ulrich von Hutten gegenüber dem selbstsüchtigen Kaiser Maximilian I. und dem his- panischen Karl V. die Neugestaltung des Reiches an Haupt und Gliedern durchzusetzen vermochten, ebensowenig gelang im 16. Jahrhundert die Schaffung eines lebens- und entwicklungsfähigen deutschen Dramas. In Spanien und England entwickelte sich ungestört, ja gefördert durch die neue Renaissancebildung, ein urkräftiges, volkstümliches Drama und Theater. In Frankreich wurde der Boden bereitet, auf dem dann im 17. Jahrhundert ein Ausgleich zwischen den antiken Mustern und der eigenen Bühnenkunst in einem echt nationalen Drama erfolgte, das dem französischen Geiste und der staatlichen Entwickelung so völlig entsprach, daß es alle politischen Umwälzungen siegreich zu überdauern vermochte. Der Reichtum der spanischen Romanzen und die naiven Chronikenberichte Holinsheds ersetzten Lope de Vega und Shakespeare in vollem Maße die Grundlage eines für das Drama schwer entbehrlichen nationalen Epos. Wie eng dieser Zusammen- hang zwischen dem vorangehenden Epos und dem zeitlich nachfolgenden Drama ist, darüber belehrt uns schon das Wort des alten Aeschylos, der bescheiden seine Tragödien als Schüsseln von der großen Tafel des Homer bezeichnete. Als dagegen Hans Sachs 1557 seine ‚„Tragedi vom huernen Sewfrid‘‘ reimte, legte der wackere, ahnungslose Dramatiker damit an den Tag, wie vollständig für Dichtung und Volk jede Fühlung mit der nationalen epischen Sage und der eigenen Vergangenheit verloren gegangen war. Und doch waren es verheißungsvolle Ansätze zu einem deutschen Volksdrama, die der eifrig drauflos dichtende Nürnberger Meister schuf. Wagners „Meister- singer‘‘ zeigen in einem geschichtlich treuen Kulturbild die ‚‚deutsche Art und Kunst“, — um auch hier das von Herder 1773 so glücklich geprägte 2) Über den Anteil des Dichters Wagner an der revolutionären Bewegung handelt eingehend und lehrreich Walter Dohn im 32. Bande der „Breslauer Bei- träge zur Literaturgeschichte“* (Stuttgart 1912, J. B. Metzlersche Buchhandlung): „Das Jabr 1848 im deutschen Drama und Epos“. Vgl. L. Frankensteins „Richard Wagner-Jahrbuch“ Berlin 1913 im V. Bande, Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 39 Schlagwort einzuführen — wie sie im Nürnberg Albrecht Dürers und Hans Sachsens gesund und schlicht erblühte?). Ein neuerer Dichter hat einmal geklagt: „Wenn wir bei Nürnbergs Art geblieben, Wer weiß, wir hätten’s weit getrieben.‘ Aber daß dies nicht möglich war, darin bestand eben das Verhängnis für unsere Kunst und Art, Spricht man von Richard Wagners Stellung zur deutschen Kultur, so denkt man natürlich sofort an das Kulturbild aus deutschem Bürgerleben im 16. Jahrhundert, das er in seinem deutschen Lustspiel uns geschaffen. Nur die Dichter des ‚Götz von Berlichingen‘ und der ‚‚Meistersinger von Nürnberg‘‘ haben es vermocht, Bilder aus dem deutschen Wesen im 16. Jahrhundert in voller Lebensfrische auf die Bühne zu bringen. Die verschiedenen, jetzt vorliegenden Entwürfe Wagners zu seinen „Meister- singern‘‘ gewähren einen anziehenden Einblick in sein Bestreben, nicht bloß den von den bürgerlichen Sängern selber jederzeit hochgehaltenen Zusammenhang mit den Minnesängern hervortreten zu lassen, sondern auch sonst Fäden vom 16. Jahrhundert ins Mittelalter hinüberzuspinnen. So sollte Walter von Stolzing als Sänger der alten Heldensagen auftreten, für die seine bürgerlichen Zuhörer und Richter weder Verständnis noch Teil- nahme aufzubringen vermochten. Der Ausblick in die versunkene große deutsche Dichtung läßt die von Hans Sachs vorausgesehenen „üblen Streich’, dem ins deutsche Land gepflanzten „welschen Dunst und Tand‘“, um so schmerzlicher empfinden. Der Kaiser, der in Sachsens Tagen über Deutschland herrschte, der Habsburger Karl V., erklärte Deutsch die Sprache für die Pferde zur gleichen Zeit, da englische Gelehrte ihren Gebrauch der Landessprache statt des Lateins damit rechtfertigten, daß der erste Mann im Lande sie spreche. So faßt Hans Sachs in seiner wunder- baren Schlußrede, die schwerlich in irgend einem Drama der Weltliteratur ihresgleichen hat, aber nichts destoweniger auf deutschen Bühnen un- verzeihlicher Weise oft auf ein paar Verse zusammengestrichen wird, in künstlerischer Abrundung die traurigen Vorgänge fast zweier Jahrhunderte deutscher Geschichte zusammen. Deutscher Geschichte, nicht bloß Kunst- geschichte, denn Ludwig XIV. und die französische Dichtung wurden in gleicher Weise in Deutschland das unvermeidliche Vorbild von Fürsten- höfen und Verseschmieden. Hans Sachs hatte im Drama keine Nachfolger. Die vielverheißenden Anfänge der von ihm ausgebildeten Liebhaberbühne verschwanden vor den Künsten der von einem Ende Deutschlands bis zum andern die Städte durchziehenden englischen Komödianten, wie Milizen vor geschulten Kriegs- heeren zerstieben. Die Gelehrten verblieben zunächst innerhalb ihrer 3) Max Koch, Meistersinger: Bayreuther Blätter 1890, XII, 105—117. 40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. lateinischen Schanzen, und auch als sie im 17. Jahrhundert endlich an- fingen, die deutsche Dichtung nach den Mustern derer Griechen und Römer, Holländer, Franzosen und Italiener in die Schule zu nehmen, blieb die Volksbühne den wandernden Komödiantentruppen überlassen. Wer das Theater zu den Kulturstätten zählt, wozu man angesichts des heute beliebten spekulationslüsternen Theaterbetriebes freilich kaum mehr den Mut haben mag, wird dem lange vielverspotteten und in letzter Zeit unerwartet zum Gegenstand übertriebener Verehrung emporgeschnellten Leipziger Professor Johann Christof Gottsched immerhin für die Erfüllung einer bedeutenden Kulturaufgabe Dank wissen. Hat doch Gottsched als erster zwischen dem aus den englischen Wandertruppen hervorgegangenen deutschen Theater und der ebenso hochmütig als unfruchtbar in der Gelehrtenstube vom Leben zurückgezogenen deutschen Dichtung die für beide Teile gleich unerläßliche Verbindung hergestellt. Wenn Gottsched der Oper grimmigen Krieg erklärte, so wäre Wagner weit entfernt gewesen, ihm ob solcher Feindschaft gegen die alte italienische Ärienoper gram zu sein. Gottscheds verhängnisvoller, wenn auch in seiner Lage verzeihlicher Irrtum war es aber, daß er wähnte, eine deutsche Schaubühne schaffen zu können in unfreiester Nachahmung fremder, französischer Dichtung. Daß für das Gedeihen von Dichtung und Theater eine nationale Kultur die unentbehrliche Voraussetzung sei, kam ihm nicht zu Sinn. Eine Grundlage auch für Wagners Dichten wurde in Deutschland erst geschaffen, als endlich „Wie Hebe, kühn und jugendlich ungestüm, Wie mit dem goldenen Köcher Latonens Sohn“ der jugendliche Klopstock als Bringer deutschen Fühlens und Dichtens hervortrat. In der leichter erfaßbaren Sprache verkündete seine Dichtung, was schon zwanzig Jahre vor dem Erscheinen der ersten Gesänge des ‚„„Messias‘‘ (1748) in den machtvollen Tönen von Johann Sebastian Bachs Motetten, Kantaten und Passionsmusiken erklungen war. Nicht sofort. er- wies sich diese neuerwachte deutsche Art und Kunst auch für das Drama fruchtbar. Aber nicht bloß für die wechselnden Verszeilen des Nibelungenringes und Tristans ist nach der überzeugenden Beweisführung von Franz Muncker, der als der erste an einer deutschen Universität eine Vorlesung über Richard Wagner zu halten den Mut hatte, der Nibelungen- und Tristandichter den freien Rhytlimen Klopstocks verpflichtet. Mit und durch Klopstock erwacht die wie Dornröschen in langen tiefen Schlaf ver- sunkene germanische Götlterwelt zuerst zu einem neuen, allmählich aus zarten Keimen erstarkenden Leben. Von den frühesten skaldischen Ge- sängen und Oden Klopstocks und Gerstenbergs führt der an Hindernissen und Ausblicken reiche Weg bis auf die Höhe des Walkürenfelsens und der Götterburg auf Bergesgipfel. Und auf anderem Wege wieder welche Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 41 Entwickelung der deutsch-christlichen Kunst von den beiden Christusepen der Karolingerzeit bis zu Klopstocks Messiade, von den Passionsspielen zu Bachs Matthäuspassion und dann weiter zu Wagners Entwurf eines Dramas „Jesus von Nazareth“ und dem in Wort und Ton heilvoll vollendeten Bühnenweihfestspiel ‚„Parsifal“, in dem das religiöse Drama des Mittel- alters wie die aus der Kirche in den Konzertsaal vertriebenen Oratorien zu unerwarteter gewaltigster Bühnenwirkung zeitgemäß umgestaltet wurden. Nach Wagners eigenem Urteil war aber „unleugbar die entscheidenste Wirkung des Geistes der deutschen Wiedergeburt schließlich durch die dramatische Dichtung vom Theater aus auf die Nation ausgeübt worden. Für das Theater hatte‘, wie Wagner rühmt, „Lessing den Kampf gegen die französische Herrschaft begonnen, und für das Theater hat ihn der große Schiller zum schönsten Siege geführt“. In der Tat handelte es sich in Lessings Hamburgischer Dramaturgie, jener großen Befreiungs- schlacht, im letzten Grunde keineswegs um eine strittige Auslegung des Aristoteles, sondern um die daun von Herder weiter ausgeführle und mit geschichtlichem Sinne vertiefte Erkenntnis, daß jedes Volk sein Drama und Theater aus seiner eigensten Art heraus, als Erzeugnis seiner eigenen Kultur schaffen müsse, wenn es den anderen wirklich Ebenbürtiges er- reichen wolle. In solchem Sinne hat Schiller nach Vollendung seines „Wallenstein‘‘ mit vollberechtigtem Selbstgefühl gerühmt: „Selbst in der Künste Heiligtum zu steigen, Hat sich der deutsche Genius erkühnt, Und auf der Spur des Griechen und des Britten Ist er dem bessern Ruhme nachgeschritten.‘ In solchem Sinne hatte Lessing, der große Kritiker, selber als Dichter das noch heute hellleuchtende Beispiel seiner „Minna von Barnhelm‘“ aufgestellt. Dankerfüllt hat denn auch Wagner von seinen Vorkämpfern gepriesen: ‚‚Unter der steifen Perücke eines Sebastian Bach, unter der ge- puderten Frisur eines Lessing entwarf der deutsche Geist den Wunderbau des Tempels seiner Herrlichkeit.‘ Lange Zeit gehörte es zu den beliebten Schlagworten im Kampfe gegen die ‚„‚Zukunftsmusik‘‘, den die Künste sondernden Verfasser des „Laokoon“ und den ihre Vereinigung im „Kunstwerk der Zukunft“ fordernden Wagner als Vertreter entgegengesetzter Richtungen gegen- einander auszuspielen. In Wahrheit hat Wagner selber in „Oper und Drama“ sich mit vollem Rechte auf Lessings „Laokoon‘“ berufen. „Zu meiner Entschuldigung gegen Angriffe auf mich wegen etwaiger Unrichtigkeit in Nebendingen diene mir Lessings Laokoon.“ Wie Wagner die Sonder- art von Dichtung und Musik klarstellen wollte in den beiden ersten Teilen seines theoretischen Hauptwerkes, ehe er im Schlußteil die Bedingungen ihres Zusammenwirkens im Drama der Zukunft ausmalte, so war es auch Lessings Absicht gewesen, zuerst das besondere Wesen jeder Kunst und 49 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ihre eigenartigen Wirkungsmittel deutlich zu machen, um dann in der geplanten Fortsetzung seiner Untersuchung die beste Möglichkeit ihres Zusammenwirkens zu erörtern. Ja Lessing meint nicht bloß im’allgemeinen, daß die Natur Poesie und Musik zu einer und derselben Kunst geschaffen habe, sondern will auch bereits ganz in Wagners Sinn ‚ein wesentliches Unterscheidungszeichen zwischen der französischen und italienischen Oper festsetzen‘. In der französischen Oper sei die Poesie zwar schon weniger die bloße Hilfskunst als in der italienischen, allein eine be- friedigende Verbindung, in welcher abwechselnd Poesie und Musik in freier Entfaltung ihrer Sonderart die helfende Kunst seien, wäre noch nicht zu- stande gekommen. Auffallender Weise hat Lessing weder hier noch sonstwo eine Kenntnis der von seinem Zeitgenossen Gluck ausgeführten Opernreform verraten, während doch Josef von Sonnenfels in seinen „Briefen über die Wienerische Schaubühne‘“, die man wohl gelegentlich als das österreichische Gegenstück zu Lessings Hamburgischer Dramaturgie belobigt hat, begeistert die „Alkeste‘‘ des Ritters Gluck feierte, obwohl die Reformoper vom Wiener Publikum nicht sonderlich gut aufgenommen worden war. Auf Wagners Verhältnis zu Wilibald von Gluck, die Ähnlichkeit ihrer Neuerungen und der Kämpfe zwischen den Anhängern Glucks und Piceinis mit dem durch Wagner entfesseltem Jahrzehnte langen Kriege ist von Freunden wie Gegnern des Wagnerschen Musikdramas schon früher und häufig hingewiesen worden. Wer sich die Mübe gibt, in der National- bibliothek zu Paris die dort angesammelten Streitschriften der Verfechter der französischen und italienischen Oper durchzublättern, unter deren Mitstreitern auf Gluckischer Seite sich sogar Jean Jaques Rousseau hervortat, wird in der Tat über manche Wiederholungen der Wagnergegner staunen. Man hätte in der einen oder der andern Schrift nur neuere Namen ein- zusetzen, um sie als ein Erzeugnis der fünfziger oder sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts ausgeben zu können. Lehrreicher für die Beurteilung der damaligen Stellung der deutschen zur französischen Kultur aber ist die Tatsache, daß der Streit über die Reformen des Oberpfälzers Gluck nicht in Wien, das doch bald darauf die anerkannte musikalische Hauptstadt werden sollte und wo Gluck lebte, sondern einzig in Paris ausgetragen werden konnte, Das schien ganz selbstverständlich und war auch in der Tat berechtigt. Ist es doch die französische Tragedie, die Glucks Musikdramen zugrunde liegt. Er, der Zeitgenosse Winckelmanns, wollte gleich den florentinischen Begründern des „Dramma per musica“ zur Renaissancezeit, Ottavio Rinuceini und Jakobo Peri (1597), das antike Drama wieder in seiner Reinheit herstellen gegenüber der Entartung der italienischen „Opera seria“. Aber als voll- kommenste Nachahmung des antiken Dramas stand auch vor Glucks Augen, wie bis zum Erscheinen von Lessings Dramaturgie unbestritten vor ganz Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 43 Europa die Tragedie Corneilles und Racines. Sonnenfels fand in der an die Griechen gemahnenden ‚‚Alkeste“ „nur hie und dort noch ein Fleckchen von der Erbsünde des Ariostus und Tasso“. Es ist demnach ganz folge- richtig, wenn Glucks Schule nicht in Deutschland oder Italien, sondern in Frankreich zu suchen ist: M&hul, dessen ‚Josef in Ägypten‘ Wagner als Rigaer Kapellmeister mit freudiger Teilnahme einstudierte, Cherubini, im Lobe von dessen liebenswürdigem ‚„Wasserträger‘‘ Wagner und Goethe übereinstimmten, Spontini. An Spontini, nicht wie gewöhnlich be- hauptet wird, an Meyerbeer, hat der jugendliche Schöpfer des „Rienzi‘ sich als sein Vorbild angeschlossen, nachdem er in Berlin einer Aufführung des „Ferdinand Cortez‘‘ beigewohnt hatte. Aber auch noch 1851 beim Tode des "*errischen Maöstros hat Wagner jin seinen „Erinnerungen an Spontini‘“ wit bemerkenswerter Sympathie von dem letzten Erben der Gluckschen Oper®) gesprochen, obwohl der Berliner Generalmusikdirektor sich als den bösartigsten Gegner von Wagners Liebling Weber betätigt hatte. . Zur Entscheidung über seinen „Rienzi‘‘ war auch Wagner noch 1839, wie einstens 1775 Gluck wegen seiner „Iphigenie‘‘, nach Paris gegangen, das seit der Julirevolution wieder die unbestrittene künstlerische Vorherr- schaft ausübte. Als den „Hauptplatz der Welt, wo die Kunst aller Nationen in einen Brennpunkt zusammenströmt, wo die Künstler jeder Nation Anerkennung finden“, rühmte der dort vergeblich um Anerkennung ringende Wagner in einer seiner Pariser Novellen die ihn zugleich ab- stoßende und immer wieder anziehende französische Hauptstadt. Wie dort in Glucks Tagen die von Lully und Rameau begründete alte französische Oper von der italienischen. zurückgedrängt war, so fand Wagner die ihm sympathische neuere national-französische Oper von der großen historischen Oper Meyerbeers in den Schatten gestellt. Wagner begrüßte in den französischen Spielopern, in der ‚Stummen von Portiei‘‘ Aubers, dem er noch 1871 eigene, trotz gelegentlichen Spottes nicht unfreundliche Er- innerungen widmete, den modernen französischen Geist in seiner an- ziehendsten Gestalt. Angesichts dieses Gegensatzes internationaler Mode- kunst, der italienischen, durch Rossini verkörperten Verweichlichung und der nationalen französischen Richtung trat aber der arme „deutsche Musiker in Paris‘ nicht wie ehemals Gluck einer der kämpfenden Parteien bei, sondern fühlte beim Anhören des „Freischütz“ in der großen Oper, je entstellender die Aufführung der von Weber vertonten „Natursage“ ihm erschien, mit um so schmerzlicherer Leidenschaft sich als Deutschen, als deutschen Künstler. #4) Friedrich von Raumers Studie „Gluck und Spontini‘“ im 3. Band seiner „Vermischten Schriften‘ (Leipzig 1854) wurde aufs neue abgedruckt 1855 in Nr. 4/5 der Berliner Musikzeitung ‚Echo‘. 44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Wenn man die beiden 1841 niedergeschriebenen Aufsätze ‚Der Frei- schütz in Paris“ und „Le Freischutz‘ liest, so können wir auch noch heute unmittelbar empfinden: An jenem Abend in der grand Opera wurde Wagner sich des Gegensatzes deutscher und französischer Art und der ihm selbst vorgezeichneten Aufgabe für die deutsche Kunst und Kultur in künstlerischem Glücksgefühl zum ersten Male voll bewußt. Schon hatte er in der reizend humoristischen Novelle ‚Eine Pilgerfahrt zu Beethoven“ die Umrisse einer Reform der Oper von dem über alles verehrten Schöpfer der neunten Symfonie aussprechen lassen. Aber die Frucht jenes Freischütz-Abends war ‚Der fliegende Holländer“, von dem freilich die damaligen Leiter des Münchener Hof- und Leipziger Stadttheaters in schöner Übereinstimmung urteilten, die Oper eigne sich nicht für Deutsch- land. „Ich Tor hatte geglaubt, sie eigne sich nur für Deutschland, da sie Saiten berührt, die nur bei dem Deutschen zu erklingen imstande sind.“ Allein wie bedeutsam die Einwirkung des „Freischütz‘‘ auf Wagner und nicht bloß in jener Pariser Not- und Drangzeit auch gewesen ist, so war Weber doch nur einer jener deutschen Schutzgeister, die den nach Paris gezogenen Musiker umschwebten. Zwischen Glucks und Wagners Ringen um einen Pariser Erfolg liegt die große Periode deutscher Kunst, in der unsere Kultur neu begründet wurde. Mozart hatte als Opern- komponist sich nach seinem „Idomeneo‘‘ nicht mehr an Gluck angeschlossen, sondern in der „Entführung aus dem Serail“, mit der Goethe ein unüber- trefflich Höchstes erreicht fand, und in der „Zauberflöte“ an das deutsche Singspiel, das seinen Ursprung freilich wie das deutsche Theater von den englischen Komödianten herleite. Wagners Verhältnis zu Mozart?) gehört zu den Dingen, bei: denen Basilio das Lüftchen der Verleumdung zu wirklich „gräßlichem Geschmetter‘‘ anzuschwellen verstand. Wagners tat- sächliche Stellung zu Mozart dagegen wird durch die Worte in „Oper und Drama“ klargestellt: ‚Gerade der absoluteste aller Musiker, Mozart, wäre es gewesen, der längst schon das Opernproblem gelöst, nämlich das wahrste schönste und vollkommenste Drama dichten geholfen hätte, wenn eben der Dichter ihm begegnet wäre, dem er als Musiker gerade nur zu helfen ge- habt haben würde“. Noch 1871 hob Wagner bewundernd hervor, welche große Fortschritte in dramatischer Charakteristik Mozarts ‚Don Juan‘ Gluck gegenüber aufweise. Daß Mozart imstande war, eine so ausschließlich an den Verstand und Esprit sich wendende politische Komödiensatire, wie Beaumarchais’ „Hochzeit des Figaro‘“, zum vollendeten musikalischen Lust- spiel umzugestalten, zeugt von der fast grenzenlosen musikalisch-dramatischen 5) Die ältere Sammlung „Die Musik und ihre Klassiker in Aussprüchen Richard Wagners“, 2. Auflage, Leipzig 1902, wird nun ergänzt durch das reizend aus- gestattete Büchlein von Liszts Enkelin und des Meisters Stieftochter Daniela Thode: „Richard Wagner. Aussprüche über Musik und Musiker. Für jeden Tag des Jahres zusammengesteilt.“ München, F. Bruckmann, 1911. Festrede zur Feier von Richard Waeners 100. Geburtstag. 45 Begabung Mozarts. Als in dem einzig stilvollen Rahmen des Münchener Residenztheaters der Zauberstab von Ernst von Possarts Regiekunst alle in der komischen Oper schlummernden dramatischen Möglichkeiten zu sprühendem Leben erweckte, da sahen wir ein Höchstes musikalisch- dramatischer Kunst. Aber zugleich kommt auch der ganze Gegensatz der reizvollen und frivolen internationalen Rokokokunst zu schwerfälligerer „deutscher Art und Kunst‘ uns deutlich zum Bewußtsein, wenn wir dem „folle journee‘‘ im Geiste Lessings ‚„Minna von Barnhelm“ oder gar Wagners „Meistersinger von Nürnberg‘ gegenüberstellen. Für Wagners Ausbildung der dramatischen Musik ging die in letzter Reihe entscheidende Einwirkung doch nicht von Weber und Mozart, sondern von Beethoven aus. In der zu Beethovens hundertstem Geburtstag 1870 verfaßten Fest- schrift, die freilich wie die tiefst schürfende, so auch die schwerst ver- ständliche Abhandlung Wagners ist, feiert er Beethoven als den Genius, in dem der deutsche Geist den Menschengeist von tiefer Schmach erlöst habe. Aus Beethovens Musik, wie aus Goethes und Schillers Dichtung lerne der von den Auswüchsen seiner Zivilisation abgestoßene Franzose das wirk- liche deutsche Leben kennen und damit Trost und Hoffnung für die Zu- kunft schöpfen, wie ‚der deutsche Jüngling aus Beethovens Symfonien männlichen Mut zu kühner, welterlösender Tat gewann“. Beethovens Sonaten, Quartette und vor allem seine Symfonien waren auch die Quelle der Begeisterung des Jünglings Wagner gewesen, und nach kurzer Hin- gabe an die Tagesmode während seiner Kapellmeistertätigkeit in Magdeburg und Riga, von der die Opern „Das Liebesverbot“ und ‚„Männerlist größer als Frauenlist“ wenig erbauliche Kunde geben, kehrte er beim Anhören der Beethovenschen Werke in Habeneks Pariser Konservatorium wieder zu dem Gotte seiner Jugend zurück, dem er 1872 bei der Grundsteinlegung des Festspielhauses auf dem Bayreuther Hügel mit den Worten huldigte: Was wir hier tun, solle zur Ehre Beethovens geschehen. So wurde Wagner gerade in Paris auf die Meister deutscher Tonkunst zurück- gewiesen, auf eine Entwickelung des deutschen Gefühlsausdrucks in der Musik, die eine für Gluck noch nicht vorhandene Welt eröffnete. Gluck war im Briefwechsel mit Klopstock gestanden und hatte ihm Hoffnung auf eine Vertonung der „Hermannsschlacht‘“ gemacht, um mit Hilfe der Musik das spröde Bardiet auf die deutsche Schaubühne zu bringen. Als Wagner in Paris zu Beethoven zurückkehrte, begann er an einer Faustsymfonie zu arbeiten. Er war im Vollbesitze des über- reichen Erbes der Weimarer Kulturepoche. Sein Oheim Adolf Wagner hatte mit Goethe und Schiller verkehrt, war befreundet mit Fouque, ‚dem romantischen Neudichter und ersten Gestalter einer Nibelungentrilogie aus der nordischen Fassung der Sage, deren erster Teil „Sigurd der Schlangen- töter“ (1808) noch auf Wagners ‚Siegfried‘ unverkennbar eingewirkt hat. 46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Der gelehrte Adolf Wagner hat seinem Neffen das Einleben in die Dichtung der Klassiker und Romantiker erleichtert. Der Philosophieprofessor, den man für würdig gehalten hatte, Kants Lehrstuhl in Königsberg zu be- steigen, lehrte während Wagners kurzer Studienzeit in Leipzig. „‚Kants große Idee‘ und deren Benutzung durch Schiller zur „Begründung ästhetischer Ansichten über das Schöne‘ hatten schon den Geist des jungen Richard ergriffen. In beiden Teilen der Goetheschen Faustdichtung fand er sich früh und blieb er lebenslang zu Hause. Nicht die französische Tragedie, die Gluck vor Augen gestanden, sondern die Dramen Schillers und Shakespeares, Goethes ‚Egmont‘ und ‚„Tasso* waren Wagners dichterische Welt. Mühsam und unter der spöttischen Mißbilligung der Zeitgenossen hatte Klopstock begonnen, die völlig fremd gewordenen, ver- gessenen germanischen Götternamen in seine Oden und Bardiete einzu- führen. Noch in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts klagte Wilhelm Grimm, es gebe in Deutschland kaum ein Dutzend Menschen, die den Namen Kudrun bisher gehört hätten. Aber schon bald nach dem An- fang des Jahrhunderts hatten romantische Dichter und romantisch gesinnte Gelehrte ihre Bemühungen darauf gerichtet, die verschollene Dichtung des Mittelalters, die germanische Vorzeit wieder erstehen zu lassen. Sind an erster Stelle selbstverständlich Jakob und Wilhelm Grimm zu nennen, so dürfen wir doch hier im Hause der „Schlesischen Gesellschaft für vater- ländische Cultur‘‘ mit Genugtuung daran erinnern, daß unser Gesellschafts- mitglied Friedrich Heinrich von der Hagen hier in Breslau als erster die „Volsunga-Saga oder Sigurd der Fafnirstödter und die Niflungen (Breslau 1815 bei Josef Max u. Komp.) übersetzte. Wagner hat das Büchlein nicht bloß in Dresden benutzt, sondern zur Ausarbeitung seiner „Walküre“ auch noch nach Zürich es sich nachsenden lassen. Schon 1810 war von Goethe in seinem Maskenzug ‚Die romantische Poesie‘‘ aus nordischen Fernen das kräftige Wunderbild Brunehilds beschworen worden, dem kühn zur Seite der gleiche Mann schreite, „Der ihr bestimmt war, den sie doch verlor. Für seinen Freund erkämpft er solche Beute, Durchsprengte kühn das Zauberflammentor; Wie schön das Hochzeitlager sich auch breite. Die Freundschaft zieht er streng der Minne vor: Dies Schwert, ein Werk zwergems’ger Schmiedehöhlen Schied ihn und sie! — O seltsames Vermählen.‘ So wirkte selbst der alte Goethe, der sonst einzig von der Antike wirkliche Förderung der deutschen Kultur erhoffte, dazu mit, den versunkenen Schatz und .Volkshort germanischer Frühzeit wieder ans Tageslicht zu fördern. Diese seit Glucks Tagen neu erschlossene Welt deutscher Götter- und Heldensagen, Mythen und Märchen, Epen und Lieder, aber auch deutscher Kaisergeschichte durchwanderte nun, wie er selber in „Mein Leben‘ es Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 47 erzählt, mit hingebendem Eifer und liebevollst der durch den Erfolg seines „Rienzi“ vom ersten Ruhmesstrahl getroffene Dresdener Kapellmeister. In seiner reichen Bücherei, die ebenso die Grimmschen Weistümer wie die Didaskalien Droysens, die Edda wie Aristophanes und Aeschylos und Friedrichs von Raumer in Breslau begonnene „Geschichte der Hohen- staufen‘‘, die Quelle für so viele Hohenstaufendramen des 19, Jahrhunderts, umfaßte, befreite er sich von den Trübungen der Tageswelt. An den sroßen silbernen Gestalten der Vorwelt begeisterte er sich mit Kraft und Mut ‚zu neuen Taten‘. Nur weil der Sonnengott, wie Jean Paul vor eben hundert Jahren in der Stadt Bayreuth schrieb, die bisher bloß weit auseinander stehenden Menschen zugewiesene Gabe der Dicht- und Tonkunst ihm beide gespendet hatte, nur weil die eingeborene Heldennatur, die ihm ver- liehene Nornengabe des nie zufriedenen, immer rastlos auf Neues sinnenden Geistes ihn stets vorwärts höheren Zielen entgegentrieb, ist gerade das jüngste von den neun Kindern des Leipziger Polizeiaktuars Friedrich Wagner und seiner Ehefrau Rosine eben Richard Wagner ge- worden. Das Flämmchen, das Faust-Plutus’ Wagenlenker freigebig an- sprüht, verlischt meistens traurig, ‚„eh’ man’s noch erkannt. Gar selten aber flammt’s empor.‘ Daß es bei Wagner zur starken, weithin leuchtenden Flamme sich entwickeln konnte, dazu mußte der „Stern der Stunde“ scheinen. Trotz seiner Doppelbegabung und Heroennatur würde Wagner nicht das gleiche Ziel sich gesteckt, nicht dieses Ziel alle Widerstände der stumpfen Welt überwindend siegreich erstritten haben, wenn nicht in der Entwickelung der deutschen Kultur die unentbehrlichen Vorbedingungen geschaffen gewesen wären, wenn nicht Bach und Klopstock, Lessing und Gluck, Goethe und Mozart, Schiller und Beethoven, die Brüder Grimm und Weber Wagners Wirken bahnbrechend vorangeschritten wären. Das hellenische Kunstideal, wie es durch Lessing, Winckelmann, Goethe, Schiller dem 19. Jahrhundert überkommen, und die stolze Freude an der neuentdeckten deutschen Vergangenheit mußten mit der großen Entwickelung der deutschen Instrumentalmusik zusammenwirken, um „Wagners Drama in seiner Eigenheit entstehen zu lassen. Wagner selbst erzählt, wie er zur Zeit, da er eifrig an der Ausführung der Musik des „Lohengrin‘“ arbeitete, vom Studium des Aeschylos und Aristophanes so entscheidende Eindrücke empfangen habe, daß er aus einem Zustande er- habener Erschütterung und der Entrücktheit eigentlich nie wieder gänzlich zur Versöhnung mit der modernen Literatur zurückgekehrt sei. Prüfen wir von diesem Geständnissse aus sein Lebenswerk des Nibelungenringes, Lohengrin, Tristan und Parsifal auf ihre Ähnlichkeit und Verschiedenheit mit und von dem antiken Drama. Ulrich von Wilamowitz-Möllendorff hat die Erläuterung aufgestellt: „Eine attische Tragödie ist ein in sich abgeschlossenes Stück der hellenischen 48 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. Heldensage, bearbeitet in erhabenem Stile, dargestellt von einem athenischen Bürgerchore und bestimmt als Teil des öffentlichen Gottesdienstes im Heiligtum des Dionysos aufgeführt zu werden.“ Wagner, der schon beim „Rienzi‘‘ durch das Moment des „Heroischen‘“ sich zu seinem Werke begeistert fand, hat vom „Fliegenden Holländer‘ an für alle seine Dramen die germanische Heldensage zum Inhalte ge- wählt, natürlich mit Ausnahme des Lustspiels der ‚„Meistersinger‘‘, in dem Hans Sachs als ein deutscher Held anderer Art oder wenigstens Betätigung uns entgegentrilt. Der keltische Ursprung der Tristan- und Parzivalsage, den man früher so gerne Wagner zum Vorwurf machte, ändert selbst- verständlich nichts an dieser Tatsache, denn beide sind bereits im Mittel- alter durch zwei große deutsche Epiker Bestandteile deutscher Poesie geworden. Wohl sind die meisten dieser Mythen und Sagen schon vor Wagner und erst recht wieder nach ihm von anderen Dichtern dramatisiert worden. Wilhelm Grimm, der selber in unentwegten Treuen die Zeugnisse für die deutsche Heldensage gesammelt hat, tadelte an allen diesen Erneuerungen, in ihnen sei ‚die Poesie nicht, wie sie sollte, frei geworden“. Die Mehr- zahl der Dichter und in seinen zwei geplanten Nibelungendramen selbst ein so unübertroffener Sagenforscher wie Ludwig Uhland, vermochten sich von der epischen Gestaltung, in welcher die Sagen in mittelhochdeutscher Zeit geprägt worden waren, nicht genügend loszumachen. Wie kaum lösbar die Schwierigkeiten waren, ehe das künstlerische Genie durch die Tat sie überwand, ersehen wir gerade, wenn wir des Ästhetikers Friedrich Theodor Vischer berühmten Vorschlag einer deutschen Oper, wie er ihn 1844 in seinen „Kritischen Gängen‘ machte, mit Wagners und Hebbels Nibelungen vergleichen. Vischer hatte erklärt, die Nibelungensage, die „das Moment des Heroischen in der besonderen Bestimmung des Vaterländischen“ festhalte, eigne sich zwar nicht zum bloß gesprochenen Drama, wohl aber ausgezeichnet zur Oper. Hebbel ist durch diese Behauptung angereizt worden, sie durch ein Nibelungendrama zu widerlegen, aber auch Wagner ist vermutlich durch Vischer auf den Stoff als Grundlage einer Oper hingewiesen worden. Die Nibelungen, sagte Vischer, müßten eine ganz neue gewaltige Tonwelt eröffnen, aus welcher dem Deutschen seine eigene große Geschichte in mächtigen Tönen entgegen- wogen solle. Die Musik habe ihren Schiller und Shakespeare noch nicht gehabt und gerade die Nibelungen seien geeignet, solche zu erzeugen. Diese Äußerungen dünken uns heute wie eine Weissagung auf Wagner. Allein wie kurzsichtig und unfähig erscheint uns der Theoretiker trotz seiner in „Auch Einer“ zweifellos und erfreulichst erwiesenen eigenen poetischen Begabung, sobald er daran geht, die von ihm vorgeschlagene Nibelungenoper selber zu entwerfen. Er kommt nicht über eine Ein- schachtelung der Aventüren in Akte hinaus. Alles Mythische, das Wagner Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 49 dann in den Vordergrund stellte, scheidet er als theatralisch ungeeignet aus. Und doch hatte bereits Karl Immermann, als er von den geplanten Hohenstaufendramen zu dem Merlinstoff überging, den er mit der Gralsage in Verbindung setzte, den Mythus für den Inhalt der Tragödie die Zu- kunft erklärt. Man erfaßt Wagners Größe vielleicht erst völlig, wenn man seine Nibelungendichtung vergleicht mit dem Plane, den ein mit höchster Bildung ausgerüsteter, künstlerisch. empfindender und poetisch begabter Mann wie Vischer als Grundlage einer musikalischen Gewinnung des ungeheuren Nibelungenstoffes empfiehlt. Aber sogar ein geborener, so gewaltiger Dramatiker wie Friedrich Hebbel, ließ sich durch die erschütternden tragischen Motive des mittelhoch- deutschen Nibelungenliedes verleiten, den Grundunterschied von epischer und dramatischer Gestaltung, der doch schon im Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe eingehend und warnend erörtert worden war, zu übersehen. Und so verfiel auch er dem Irrtum, er dürfe der Gliederung des Epos folgend dessen Inhalt ohne weiteres in Akte einteilen. Aber ich füge gleich hinzu, so begreiflich ja vielleicht unvermeidlich die gegenseitige Verkennung zwischen Wagner und Hebbel war, so wenig dürfen die Nachlebenden daraus oder aus Hebbels Irrtum als Nibelungendichter ein Recht herleiten, den einen der beiden im gleichen Jahre geborenen großen Dramatiker durch Verkleinerung des anderen erheben zu wollen. Wie überall hat Hebbel auch in seinen Nibelungen bewußt danach gestrebt, aus den alten Sagen einen für die Gegenwart bedeutsamen Ideengehalt zu entwickeln, während die meisten anderen Dramatiker bei solchen Stoffen den Fehler begingen und begehen, entweder ihren Zuschauern die fremdartigen Anschauungen längst vergangener Zeiten aufzuzwingen oder durch Ein- mengung moderner Bestandteile den Sagen selbst schlimme Gewalt anzutun. Die Aufgabe für jeden Dichter geschichtlicher oder sagenhafter Stoffe aber, wie Wagner sie erkannte und löste, besteht eben darin, zu prüfen, wie weit in Historie, in Mythus, Sage und Märchen, seelische Elemente vor- handen seien, welche eine den Anforderungen des modernen Menschen gemäße Weiterbildung ermöglichen, ja vielleicht sogar erfordern, ohne das innere Wesen der Überlieferung zu verletzen. Wie Richard Wagner 1851 in der „Mitteilung an meine Freunde“ selber von seinem Sehnen erzählt, ist er als hellsichtig Schauender durch die höfisch-mittelalterlichen und die nordischen Hüllen aufden urgermanischen Natur- und Menschheitsmythus vorgedrungen, bis ihm statt höfischer Recken der junge Siegfried, der urgesunde einfache Mensch entgegenstrahlte. Dem in jedem Nerve dramatisch Empfindenden war eben kein Kompromiß zwischen Epos und Drama möglich. Mit einer an Jakob Grimm gemahnenden Feinfühligkeit für das Echte und Volkstümliche wählte er aus den Ur- bestandteilen der Mythen und schuf sich so aus, ihnen sein Drama selb- ständig neu. 1913. 4 50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. „Zersponnen muß ich in Spähne es sehn: was entzwei ist, zwing’ ich mir so.“ Dieses frei-sichere Vertiefen in die Sage und untrügliche Gefühl für das Echte ermöglichten es Wagner, als Dichter wirklich weiterbildend, ja schöpferisch vorzugehen. Goethe äußert einmal: von einem Werke der großen Kunst solle niemand Komposition sagen; es sei gar nichts von außen her zusammengesetzt, sondern von innen auseinander gefaltet, gewachsen. Das trifft bei der Art und Weise zu, in der Wagner den Mythos aus ältesten Urzeiten im Drama des 19. Jahrhunderts zu einer durchaus organischen, lebendig wirkenden Neudichtung entfaltet. Wie der Baum um den alten Kern neue Jahresringe ansetzt, so wächst bei Wagner die Sage organisch von innen heraus weiter. Aus den völlig getrennten Sagen vom Sängerkrieg auf der Wartburg und vom Minnesänger Danhuser läßt er so sein streng einheitliches Tann- häuserdrama zusammenwachsen. Die vor Wagner niemals sich berührenden Sagenkreise von Sigurd und seinen Ahnen, von der Erbauung der Götter- burg durch einen friesischen Baumeister und von dem Untergang der Götter schließen sich erst unter seinem hellsichtigen Blicke und seiner gestaltenden Dichterkraft zu solchem lebensvollen Organismus zusammen, daß uns jetzt jeder Sage ein notwendiges Stück zu fehlen scheint, wenn sie in ihrer früheren Trennung vor uns auftauchen. So hat er die Sagen nicht literarisch ausgegraben, sondern wirklich zu neusprießender Lebens- kraft aus langem Schlafe erweckt. Wie man solcher höchsten Dichtertat gegenüber Wagner so lange den Dichternamen bestreiten konnte, ist nur erwähnenswert als abschreckendes Beispiel dafür, bis zu welchem Grade Parteihaß zu verblenden vermag°). Dagegen hat kein Geringerer als Wagners und Vischers Freund Gottfried Keller schon 1856 erklärt, von allen poetischen Büchern, die er seit langem gelesen, lıabe keines auf ihn so tiefen Eindruck gemacht, wie Wagners „glut- und blütenvolle Dichtung“. In diesem „Opern- buch“ der Nibelungentrilogie fand Keller „einen Schatz ursprünglicher nationaler Poesie‘. Es wehe darin eine gewaltige Poesie, urdeutsch, aber von antik-tragischem Geiste geläutert. 6) Zur Beschämung deutscher Zweifler nenne ich an erster Stelle das treffliche Werk von Henri Lichtenberger „Richard Wagner, Poete et Penseur“. Paris 1898; vierte Auflage 1907; zweite Auflage der deutschen Übersetzung „Richard Wagner der Dichter und Denker. Ein Handbuch seines Lebens und Schaffens“', Dresden 1913. Sehr gut ist auch die Studie des Schweizers Lüning „R. Wagner als Dichter und Denker“. 88. Neujahrsblatt der allgemeinen Musikgesellschaft in Zürich 1900. Einzelne treffende Bemerkungen bei Erich von Schrenck „R. Wagner als Dichter“. München 1913. Die beste Einführung aber in Wagners Dichtung bietet neben Lichtenberger noch immer das kleine Buch von Houston Stewart Chamberlain „Das Drama Wagners. Eine Anregung“. Leipzig 1892; dritte Auflage 1908. Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 51 Wagner selbst hat in dem schon 1848 vollendeten Drama ‚‚Siegfrieds Tod“, in dem Brünnhilde den freiesten Helden Siegfried aus den Flammen des Scheiterhaufens nach Walhall Allvater Wotan zuführt ‚als Bürgen ewiger Macht‘‘ des Gottes, noch gar nicht an ein Götterende gedacht. Auch er machte erst während der dichterischen Arbeit jene wunderbare Erfahrung, die der gedankentiefe Friedrich Hebbel in den wuchtigen Versen aus- sprach: „So will es der Berater Der Welt, daß in der Kunst Das Kind den eignen Vater Belehrt durch seine Gunst, Und für die heil’ge Schüssel Voll Blut, die er vergißt, Ihm dankt mit einem Schlüssel Der ihm das All erschließt.“ Wirklich um ‚das All“, von dem nach Schopenhauer einzig die Musik Abbild und Ausdruck zu geben vermag, handelt es sich bei dem Erwachsen des Einzeldramas „Siegfrieds Tod“ zum Zyklus „Der Ring des Nibelungen“, Seine genetische Rückverfolgung aus dem Schlußstücke bis zu den tiefsten Wurzeln, dem Raube des an das goldene Vließ der Argonautensage gemahnenden unheilbringenden Hortes, bietet eines der wundersamsten Beispiele für die dem künstlerischen Schaffen innewohnenden Gesetze, Freilich spielen auch hier wieder persönliche Lebenserfahrungen mit- hinein. Bei der Dichtung von ‚‚Siegfrieds Tod‘ glaubte Wagner noch an den nahen Sieg der Revolution, die eine neue gesicherte Glücksperiode der Menschheit und Kunst herbeiführen sollte. Der Flüchtling in Zürich erhoffte einzig vom völligen Zusammenbruche des herrschenden Staates und der von ihm zu Unrecht geschützten Gesellschaftsordnung, der ‚trüben Verträge trügendem Bund, heuchelnder Sitte hartem Gesetz‘, die neue Welt, in der nach den Abschiedsworten der totentschlossenen Brünnhilde, frei und zwanglos die Liebe herrschen sollte. Damit tritt aber an Stelle des hellen, lustfrohen Helden Siegfried der sinnende, düstere, schuld- beladene Wotan als Protagonist der Tragödie des Willens, die sich aus dem Einzelschicksal zum symbolischen Weltbild erweitert hat. Wie nach der in Wagners „Nibelungen“-Studie entwickelten Auf- fassung die altgermanische Vorstellung von dem das Schicksal des Stammes bestimmenden Horte sich in die Idee der die Welt überragenden, von den Hohenstaufen ruhmvollst getragenen Kaiserkrone umgesetzt hätte, so habe nach dem Untergange des herrlichsten Herrschergeschlechtes die Sage vom Nibelungenhort sich verwandelt in die vom heiligen Gral. An Stelle der Weltgüter sei als des Wunsches höchstes Ziel ein rein geistiges getreten. Und dieser schon 1849 gegebenen Sagenauslegung entsprechend reiht sich denn auch die 1857 in der Schweiz bereits begonnene, erst 1877 Ar 59 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. abgeschlossene Parzivaldichtung gleichsam ergänzend und erläuternd der im Dezember 1852 vollendeten Ringdiehtung an. Brünnhildens Vermächtnis ihres heiligsten, durch tiefstes Leid erworbenen Wissens von der Auflösung des Gesetzes durch die Liebe — eine bereits 1848 in dem dramatischen Entwurfe „Jesus von Nazareth‘ behandelte Lieblingsidee Wagners — erhält erst durch des Grales Lehre vom erlösenden Mitleid die soziale Auslegung und Anwendung. Wenn aber Parzival bei der Entsühnung des schuldigen Königs der Gralsburg ursprünglich die Worte sprach: ‚Stark ist der Zauber des Begehrenden, doch stärker der des Entsagenden‘, so hatte schon der Herr von Walhalls ragender Burg den Zauber gelernt, die stachelnde Sorge zu besiegen. Um das drohende Ende grämt den die Angst nicht mehr, dessen Wunsch es — will“. In verwandtem Sinne war bereits von Goethe in den „Geheimnissen“ die tiefe Lebenserfahrung gelehrt worden: „Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, Befreit der Mensch sich, der sich überwindet.“ Wie Wagner seinen Wotan die Schopenhauersche Lehre der Willens- verneinung aussprechen läßt, noch ehe er selber ‚Die Welt als Wille und Vorstellung‘‘ überhaupt kennen gelernt hatte, so sollte man Wagners Ver- hältnis zur Philosophie auch sonst nicht, wie so häufig geschieht, über- schätzen. Der Reihe nach entnimmt er von Hegel, Feuerbach, Schopen- hauer nur was seiner eigenen Empfindungs- und Gedankenwelt entspricht, bildet sich die fremden Ideen ganz und manchmal gewaltsam in seinem Sinne um. War er selber erstaunt ob der Übereinstimmung seiner Nibelungendichtung mit Artur Schopenhauers systematischer Lehre, so denken wir bei dieser Erfahrung an des Dichters Schiller selbstbewußte Erhebung der Kunst über die Philosophie. Was später erst „Die alternde Vernunft erfand, Lag im Symbol des Schönen und des Großen, Voraus geoffenbart dem kindischen Verstand.“ Und das nun gerade ist hohes Dichterwerk, wie Wagner aus diesen im Kindheitsalter der Menschheit enstandenen Mythen und Sagen die in ihnen schlummernden Ideen hervortreten läßt und so „Uraltes Fern‘ der Gegenwart lebendig nahe bringt als ein auf sie wirkendes, ihr durchaus faßliches Kulturelement. ,.Nicht blos zu kalt staunendem Besuche‘ von Antiquitäten lädt er ein, wie so viele Verfasser historischer Dichtungen es getan haben und weiter tun, noch drängt er gleich jenen den Gestalten der Vergangenheit ein ihnen fremdes modernes Fühlen und Handeln auf. Bei Wagner leben die alten Mythen und Sagen als eine Dichtung auf, in der alle Sorgen und Anliegen, Leidenschaften und Zweifel des modernen Menschen sich aufs wunderbarste in der alten und ewig neuen Daseins- klage — dem Grundtone aller Tragödien — tief ergreifend widerspiegeln. Das Reinmenschliche offenbart sich als das Allwaltende bei Göttern und Helden, Riesen und Zwergen, Frauen und Gralsrittern, in Kampf und Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 53 Begehren, Leiden und Entsagen. Es tönt uns aus der Klage des todbereilen römischen Tribunen und des irrenden müden Seemanns wie aus dem Abschiedsgruß des schmerzzerissenen Lohengrin und aus Tannhäusers Bericht seiner Pilgerfahrt, in des Poeten Schusterlied und des Schusters Wahnmonolog, wie aus dem Liebesfluche des todwunden Tristan und der wilden Klage des von sündigem Sehnen gequälten Amfortas, aus Parzivals Zurückweisung der Versucherin, aus Siegmunds Not und des Gottes Beichte an die geliebte, eben durch ihre Liebe bald ihm entrissene Tochter, wie aus dem ineinander verschmelzenden Weihegesang Siegfrieds und Brünnhildens. Aber wie Wagner bei Mitteilung der Wielandsage am Schlusse seiner Studie: „Das Kunstwerk der Zukunft‘ in überquellender Liebe zu seinem Deutschland in den Ruf ausbricht: ‚OÖ einziges herrliches Volk! Das hast Du gedichtet, und Du selbst bist dieser Wieland! Schmiede Deine Flügel, und schwinge Dich auf!“, so sprechen alle Werke Wagners zu uns: Das ist aus „deutscher Art und Kunst“ heraus geschaffen. Wollt ihr euch würdig bewähren dieser „höchsten Art‘ deutscher Kultur, zu der euere Geisteshelden euch den Weg gewiesen? In solchem Sinne sprach er 1876 am Schlusse der Bayreuther Nibelungenaufführungen, das vielmißdeutete, durchaus berechtigte Wort: „Wenn sie wollen, so haben wir eine deutsche Kunst.“ Die Heldensage, der Inhalt der attischen Tragödie, fanden wir so auch als den Inhalt der Wagnerschen Tragödie, jedoch die deutsche Heldensage. Den erhabenen Stil aber, in dem nach der Definition von Wilamowitz-Möllendorff, von der wir ausgingen, die Tragödie gehalten sein muß, gibt bei Wagner erst die Musik. Von Rechts wegen sollte man freilich weder von dem Musiker noch von dem Dichter Wagner getrennt, sondern einzig von dem Dramatiker _ Wagner sprechen. Wenn er seiber sich mit Vorliebe als Musiker bezeich- nete, so hat er doch andererseits auch auf der Höhe seines Könnens erklärt, er getraue wohlweislich sich nur soweit mit Musik einzulassen, als er in und mit ihr dramatische Absichten zu verwirklichen hoffen dürfe. Seine Erörterungen über das neue Verhältnis von Musik und Dichtung ziehen sich von der Pariser Novelle ‚Eine Pilgerfahrt zu Beethoven‘ durch eine lange Reihe von Werken bis zu den wichtigen drei Abhand- lungen aus dem Jahre 1879 „Über das Dichten und Komponieren‘“; „Über das Operndichten und Komponieren im besonderen“; ‚„‚Über die Anwendung der Musik auf das Drama“. Praktisch aber begann der Knabe Wagner mit Musik sich einzulassen, als er nach Anhören des Goethe-Beethovenschen „Egmont‘‘ auch sein großes Trauerspiel „Leubald‘“ mit Musik auszustatten wünschte. Da jedoch eine solche dichterisch-musikalische Doppelbegabung, wie Wagner sie be- tätigte, wirklich in der ganzen Kunstgeschichte noch niemals in Erschei- 54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. nung getreten war, so glaubten die zünftigen Musiker und Dramatiker eine solche Vereinigung auch nicht anerkennen zu dürfen. ,,‚Stets Ge- wohntes nur magst du versteh’n“. Aber wie schlimm der Stand des geborenen Meisters dadurch unter den Meistern der Zunft auch werden mochte, für den Ton- und Wortdichter war nun einmal Ausgang und Ziel die Schaffung eines nationalen Dramas durch ein neues Zusammen- wirken von Dichtung und Musik. Die Entstehung seiner Dramen aus den in ihm wie noch in keinem Künstler vereinigten Kräften ist so eigentümlich, daß Wagner selbst am 6. Dezember 1856 an Liszt schreibt: ‚Sonderbar! erst beim Komponieren geht mir das eigentliche Wesen meiner Dichtung auf: überall entdecken sich mir Geheimnisse, die mir selbst bis dahin noch verborgen blieben.“ Andererseits erschlossen sich selbst dem von Anfang an für die Vertonung dichtenden Wagner bei der musikalischen Arbeit doch gelegentlich so überraschende musikalische Ausdrucksmittel, daß er z. B. Brünnhildens bedeutsame Abschiedsrede im musikalisch ertönenden Drama weglassen zu dürfen glaubte. Die Orchestersymfonie genügte. Die Symfonie im Orchester! Die Oper, auch die Glucks, Mozarts und der deutschen Komantiker, hatte an bestimmten musikalischen Einzelformen festgehalten, denen sich der Textdichter unterordnen mußte. So kam es, daß selbst Dichter wie Goethe, Dramatiker wie Hebbel (‚Ein Steinwurf. Musikalisches Drama“, 1858 für Rubinstein geschrieben) glaubten, künstlerisch herabsteigen zu müssen, wenn sie für den Musiker geeignete Grundlagen schaffen sollten. Wagner dagegen verlangte, daß umgekehrt die Musik unter Aufgebung ihrer dichterisch nicht begründeten Einzelformen ein der dramatischen Handlung entsprechendes Ganzes bilden müsse. Die Musik erreiche die symfonisch-dramalische Einheit, wenn sie im innigsten Zusammenhang mit der Dichtung sich „über das ganze Drama erstreckt, nicht nur über ein- zelne kleinere, willkürlich herausgehobene Teile desselben. Diese Einheit gibt sich dann kund in einem das ganze Kunstwerk durchziehenden Gewebe von Grundthemen‘‘ — den vielgenannten und mißverstandenen Leitmotiven — ‚welche sich ähnlich wie im Symfoniesatze gegenüberstehen, ergänzen, neugestalten, trennen und verbinden; nur daß hier die aus- geführte und aufgeführte dramatische Handlung die Gesetze der Scheidungen und Verbindungen gibt.“ Wie Wagner bereits in seiner Beethoven-Novelle den Schöpfer der neunten Symfonie ganz ähnliche Ansichten aussprechen ließ, so glaubte er auch in Beethovens Symfonien die große einheitliche Form für das Musikdrama gefunden zu haben. Und diese symfonische Orchesterbehand- lung mußte denn auch den erhabenen Stil des neuen Dramas bestimmen, so daß hier Schillers Hoffnung von der Geburt .‚einer edlern Gestalt“ des Trauerspiels durch die Macht der Musik, wie er sie am 29. Dezember Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 55 1797 in einem Briefe an Goethe ausgesprochen hatte’), nun wirklich zur Tat wurde. „Da schwebt hervor Musik mit Engelschwingen, Verflicht zu Millionen Tön’ um Töne, Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen, Zu überfüllen ihn mit ew’ger Schöne.“ Hatten die Wagners Auftreten vorangehende Entwickelung der deutschen Dichtung und die Neuentdeckung der altgermanischen Sagenwelt im Verein mit den Schöpfungen der deutschen Musiker von Bach bis Weber zusammen- gewirkt, um auf Grund der dichterisch-wissenschaftlichen und musikalischen Errungenschaften der deutschen Kultur eine neue, von vielen Deutschen, Franzosen, Italienern längst ersehnte Art des Dramas zu erzeugen, so war in der deutschen Geisteswelt auch lebendig und Wünsche weckend der Gedanke an die besondere Vorführungsart jener attischen Tragödien die noch Wagner, wie vor ihm den Kunstfreunden der Renaissance, Gluck und Lessing, Goethe und Schiller als das Höchste im Drama galten. Wie weit und jämmerlich erschienen unsere Abend für Abend der Unter- haltungslust dienenden Theater doch entfernt von jenen festlichen Veran- staltungen des ganzen athenischen Volkes im Heiligtume des Dionysos! Aus dieser seit der Renaissance bald schwächer, bald stärker auf die Künste einwirkenden Verehrung der athenischen Bühne ist Richard Wagners Idee theatralischer Festspiele hervorgegangen. Er hat sie zum ersten Male zwischen dem 18. September und 9. Oktober 1350 in einem Briefe an seinen Dresdner Freund Theodor Uhlig, dann öffentlich 1852 in der „Mitteilung an meine Freunde‘ ausgesprochen. Begründet hat er sie in Briefen, Schriften und Reden in der Folge so oft und ausführlich, daß sie nicht erst aufs neue erörtert zu werden braucht. Wer einmal den Bayreuther Festspielen mit empfänglichem Gemüte beigewohnt hat, der hat die Begründung der Festspielidee erlebt. Aber von Wagners frühestem öffentlichem Aussprechen seines Wunsches bis zu dessen Verwirklichung im Jahre 1876 sollten noch vierundzwanzig kampfdurchtoble Jahre ver- streichen. Nach König Ludwigs hochherzigem Willen hätte das Nibelungen- theater in seiner Hauptstadt erstehen sollen. Damals ward München ‚,‚ein hehrstes Gut gegönnt‘‘ und von ihm verworfen, ohne seinen Wert zu ahnen. In Strauß-Wolzogens ‚„Feuersnot‘‘ werden wir daran erinnert, wie Meister Reichhart, ‚der hehre Herrscher der Geister‘‘ der Stadt im Isargau großen Ruhm bringen wollte. Allein ?) Erst im Augenblicke, da ich diese Rede zum Druck gebe, lerne ich nachträglich Konrad Burdachs erweiterten Vortrag bei der Schillerfeier des „Berliner akademischen Richard Wagnervereins“ am 25. November 1909 kennen: „Schillers Chordrama und die Geburt des tragischen Stils aus der Musik“: Deutsche Rundschau Februar, März, April 1910. Es ist mir eine große, freudige Genugtuung, in manchen meiner knappen Andeutungen mit den Ausführungen Burdachs in seiner ebenso reichhaltigen wie tiefgründigen Studie zusammenzulreffen. 56 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. „Sein Wagen kam allzu gewagt euch vor, Da triebt ihr den Wagner aus dem Tor.“ In jenen stürmischen Tagen selbst haben Georg Herweghs Verse das Verhalten der damaligen Münchner weniger schonend gegeißelt. Aber wenn wir heute rückwärts schauen, so war es doch für die Sache vielleicht ein Glück, daß Wagner zuletzt den stillen „deutschen Winkel“, wie er die von Bayern ausgereutete (gerodete) liebliche Stätte am roten Main gerne nannte, für sein Werk gewählt hat. In einer größeren Stadt, die man nicht einzig und allein wegen der Festspiele besucht, hätten diese niemals die gleiche künstleriscli erziehende Bedeutung gewinnen können. Was für eine nicht laute, doch im Stillen weit verbreitete und festgefugte Gemeinde der Begriff „Bayreuther Idee‘‘ und ‚Bayreuther Kultur‘ geworden ist, das hätte in München sich doch niemals in solcher Reinheit entwickeln können. In Artur Prüfers ausgezeichnetemBuche ‚Das Werk von Bayreuth‘‘®) ist Aufkeimen und Verwirklichung des Festspielgedankens, das Wesen des Bayreuther Stils, wie er in der allmählichen Rückgewinnung der ganzen Dramenreihe vom „Fliegenden Holländer“ bis zum Nibelungenring zur siegreichen Tat wurde, und der Bayreuther Kulturgedanke glänzend geschildert. Allein die Geschichte der Erbauung des Festspielliauses selbst, das König Ludwig von dem genialsten Architekten Gottfried Semper in seiner Hauptstadt aufs prachtvollste hatte errichten lassen wollen und das dann auch als bescheidener Fachbau nur unter Müh und Sorgen endlich aus- geführt werden konnte, ist wahrlich kein Ruhbmesblatt in der Geschichte unseres Volkes. Das deutsche Volk, das für weniger würdige und rasch vorübergehende Vergnügungen stets leicht die Mittel aufbringt, hat sie dem Meister nicht bloß für die Aufführung der Nibelungen, sondern sogar nach deren Zustandekommen auch noch für den „Parsival“ verweigert. Als der Meister 1877 in London Konzerte geben mußte, um den Fehlbetrag der ersten Festspiele zu decken, da hätte er wirklich mit Goethe klagen können: „Ich habe, wie schwer! meine Gedichte bezahlt!“ Aber die für Deutsche tiefbeschämende Notwendigkeit dieser Konzerte in der Fremde fühlte man im Vaterlande nicht, und ohne König Ludwigs stets erneutes Eingreifen wären der Ring und Parzival weder vollendet worden, noch hätte die Hochburg deutscher Kunst, in der allein sie das erste Mal würdig zur Darstellung gebracht werden konnten, bei Wagners Lebzeiten ihre Pforten aufzutun vermocht, Um so höher ist bei der allgemeinen Gleichgültigkeit, mit welcher Wagner zu kämpfen hatte, das treue Wirken einzelner schlichter Bürger, echter Pogner-Naluren, zu rühmen, wie das des Bayreuther Bürgermeisters Theodor Muncker, der damals gegen den Willen der Bürgerschaft 8) Vollständig umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Leipzig 1909. Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 57 Wagner die Gastfreundschaft der alten Markgrafenstadt sicherte, und Emil Heckels in Mannheim, des Gründers des frühesten Wagnervereins, in dessen Briefwechsel mit dem Meister sich die Entstehungsgeschichte des Festspielhauses widerspiegelt”). ; Von dem Bayreuther ‚Winkel‘ aus richtete der Meister von 1878 an jene Reihe ernster Mahnungen an sein geliebtes Volk, die mit der Frage: „Was ist Deutsch?‘ beginnend, über die Betrachtung des tiefsten Verhält- nisses von „Religion und Kunst“ hinführend, am 31. Januar 1883 mit der Vorrede zu Heinrichs von Stein, seines Lieblingsschülers, schönem Buche „Helden und Welt“ ihr Ende finden sollten. Der Verherrlichung des Heldentums auf allen Gebieten, von dem wir ausgegangen waren, galten so Wagners letzte Worte am Ende eines heldenhaften Künstlerlebens. Sie blieb auch ihm „der Weisheit letzter Schluß“. Gerade von diesen geschichtsphilo- sophischen Schriften der Bayreuther Zeit fällt aber auch neues helles Licht auf die mehr ästhetischen Arbeiten und Streitschriften früherer Jahre. Der Kampf um die deutsche Kunst ist Wagner immer mehr in klarem Bewußtsein der Kampf um eine echt und unverfälscht deutsche Kultur geworden. In ihren Dienst stellte Wagner, dem das europäische Weltkind Liszt das Zeugnis gab, er sei urgermanisch geboren, auch sein Kunstwerk, in dem Franzosen und Italiener früher als die Deutschen selber den ent- schiedensten Ausdruck ‚deutscher Art und Kunst‘ erkannten, erst an- feindeten, dann bewunderten. Gleich seinem Freunde Liszt fühlte auch Wagner als Künstler sich durchdrungen von dem Ernste der Schillerschen Mahnung an die Künstler: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, Bewahret sie! Sie sinkt mit Euch! Mit euch wird die Gesunkene sich heben!‘ Man hat Wagner als Vorkämpfer des Regenerationsgedankens, wie er ja von der frühen Streitschrift „Die Kunst und die Revolution“ bis zu den letzten Kundgebungen seine Arbeiten durchzieht, ebenso gefeiert wie verspottet. Wir wollen ihn auch hier in weiteren geschichtlichen Zu- sammenhang einreihen. Ehe Friedrich Schiller die mit dem ‚Wallenstein‘“ beginnende Reihe seiner unveraltenden Dramen schuf, legte er tief ergriffen von Immanuel Kants Lehren 1795 in den ‚,Horen‘“ sein ästhetisch-ethisches Glaubens- bekenntnis in den „Briefen über ästhetische Erziehung‘ nieder. Nicht der Sieg der politischen Freiheit und die Errichtung des von dem Denker und Historiker, wie von dem Dichter des Marquis Posa ersehnten Ver- nunftstaates, sondern die Entfesselung der Tierheit, welche der zur wirk- lichen Erziehung freilich seinerseits auch völlig unfähige Notstaat nur niedergehalten, nicht überwunden halte, glaubten Schiller und Goethe in der französischen Revolution und ihren Begleiterscheinungen zu erblicken. 9) Briefe R. Wagners an Emil Heckel. Zur Entstehungsgeschichte der Bühnen- festspiele in Bayreuth. Herausgegeben von Karl Heckel. Berlin 1899. 58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Seine Hoffnung auf die Erziehung eines neuen Geschlechtes, dessen Charakterstärke auch ‚zum herrlichsten aller Kunstwerke, dem Bau einer wahren politischen Freiheit‘ hinreichen würde, setzte Schiller einzig auf „die seelenbildende Kunst“. Und jener in den „Briefen über ästhetische Erziehung‘ gestellten Aufgabe der Hebung der entwürdigten Menschheit durch die Kunst glaubte Schiller am förderlichsten zu dienen, indem er mit seinen Trauerspielen die Schaubühne zur moralischen Anstalt im höchsten Sinne weihte durch Vorführung des „großen gewaltigen Schicksals, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt.‘“ Beseelt von diesem kühnen Idealismus Schillers hat auch Wagner vom Theater, in dessen Vorführungen die Kultur einer Nation ihren vollendetsten Ausdruck finden sollte, gefordert, daß es mitwirke an der Förderung dieser Kultur durch die ästhetische Erziehung des Menschen, Allein wenn er umherblickte, so gewahrte er die bestehenden Theater so völlig anderen Zwecken dienend, und vorab die deutschen Bühnen mehr als Ablagerungsstätten fremder Modeartikel denn als Pflegestätten deutschen Geistes. Der Dresdner Hofkapellmeister hatte in den vierziger Jahren von der immer stärker anschwellenden Einheits- und Freiheitsbewegung auch eine Umgestaltung der Kunst und im besonderen der Theater erhofft. In solcher Erwartung reichte er Intendanz und Landtag in Dresden seine zwei Reformentwürfe ein, in denen er statt des Hoftheaters Grundzüge für ein wirkliches deutsches Nationaltheater für das Königreich Sachsen ausarbeitete. Nachdem er in „Die Kunst und die Revolution“ stürmisch eine neue Grundlage für unseren gesamten Kunstbetrieb gefordert hatte, machte er 18351 Vorschläge für ein Volkstheater in Zürich, entwarf 1865 eine Neuordnung des Wiener ÖOperntheaters, verfaßte zwei Jahre später für König Ludwig den „Bericht über eine in München zu errichtende Musikschule“ und nach den Festspielen von 1876 den Aufruf zur Gründung einer Stilschule für dramatisch-musikalische Darstellungen, die er selber in Bayreuth leiten wollte. Von allen diesen Entwürfen, zu deren Ausführung nur guter Wille und Achtung für die Kunst notwendig gewesen wären, ist einzig der für München ausgearbeitete Plan teilweise verwirklicht worden. Wagner aber mußte bei dem Scheitern aller seiner Vorschläge, gegenüber dem noch heute uns die Schamröte ins Gesicht treibenden Stumpfsinn und der offenen Böswilligkeit sich immer ernstlicher die Frage vorlegen nach den tieferen Ursachen dieses Versagens des deutschen Volkes in wichtigsten Kultur- aufgaben, bei dem doch dem Auslande gegenüber seine eigene völkische Ehre aufs stärkste in Mitleidenschaft gezogen erschien. In „Mein Leben“ erzählt Wagner, wie er einmal ın Paris mit einem preußischen Minister ‚in nähere Besprechung meiner Tendenzen bezüglich des Verhältnisses der Kunst zum Staate geriet. Als es mir gelungen war den Minister hierüber in das Klare zu bringen, erfolgte sofort auch die Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 59 desperate Erklärung, daß mit dem Staatsoberhaupte eine ähnliche Ver- ständigung stets unmöglich bleiben werde, weil für dieses die Kunst nur in das Gebiet der Belustigung gehöre.“ Das Staatsoberhaupt dachte darin eben nicht anders, wie -— mit nur ganz wenigen Ausnahmen — die Masse seiner Untertanen. Bereits während Wagners frühesten Aufenthaltes in Paris war sein Blick von den Kunstdarbietungen selbst auf die Stellung der Kunst und Kunst- anstalten im öffentlichen Leben hingelenkt worden. Die Kritik dieses Verhältnisses mußte sich mit innerer Notwendigkeit zu einer Prüfung der ganzen Grundlage unserer modernen Kultur und ihrer Zukunft erweitern. In geschichtsphilosophischen Untersuchungen, die bei tieferer Einsichtnahme manchmal zu Rousseauschen Anklagen der vielgepriesenen neuesten Zivili- sation wurden, wollte Wagner sich selbst volle Klarheit gewinnen, um daraus für sein Volk den Weg zur Verjüngung und Erstarkung zu finden, Mit Brünnhildens Frage: ‚Wißt ihr, wie das ward?‘ verband sich dem Meister die andere, bängere: ‚„Wißt ihr, wie das wird?“ Vielen Leuten wollte es und will es vielleicht auch heute noch nicht in den Sinn, wieso der Opernkomponist Wagner denn zu Äußerungen komme, über alle möglichen Dinge, die, wie etwa die Vivisektion und die durch den ihm befreundeten Grafen Gobineau vertiefte Rassenfrage, doch nichts mit Musik und Theaterspielen zu tun hätten. Sie würden es erst recht nicht verstehen, daß der mit allen Herzensfasern an seiner Kunst hängende Wagner einmal sagte: So lange noch ein Handwerksbursche verhungern müsse, sollte nicht von Kunst, nicht einmal von unserer Kunst die Rede sein. Uns hingegen wird des Meisters tiefstes Wesen und Kulturmission klar, wenn wir ihn auf die selbstgestellte Frage: „Was ist Deutsch?‘ die Antwort geben hören: Deutsch sein heiße eine Sache um ihrer selbst willen tun; das Schöne und Edle erstreben nicht um des. Vorteils, ja selbst nicht um des Ruhmes und der Anerkennung willen. So erneuert Wagner als Gesinnungsgenosse Goethes das bedeutsame, stolze Faustwort: „Die Tat ist alles, nichts der Rubm‘. Gar manche bittere Erfahrungen haben den Meister gerade im letzten Jahrzehnt seines Lebens zeitenweise mit trübster Sorge für die deutsche Zukunft erfüllt. Aber wie ihm selbst in höchster Not immer wieder wie durch ein Wunder entscheidende Hilfe, 1850 durch Franz Liszt, den seltensten und „‚freundlichsten der Freunde“, 1864 durch König Ludwig Il. von Bayern zuteil wurde, wie edle Frauen, die „Botschafterin des Ideals‘ Mathilde Wesendonk und Liszts hochherzige Tochter Kosima, sich dem verwundeten Kämpfer tröstend und stärkend neigten — als die zwei Rasten des Jahres, an denen „treue Wandersterne“ ihn trösteten, preist er denn auch des Königs und Kosimas Geburtstage „als Sommertages helle Strahlen-Sonne, als Winter-Christnachts heil’ge Weihe-Wonne‘ — 60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. wie Wagner selbst trotz aller üblen Enttäuschungen nie seinem eigenen Streben entsagte: so vermochten auch kein Unverstand und Widerstand, ihn jemals am Heile der Zukunft seines Volkes verzweifeln zu lassen. Schreckte ihn im März 1878 die Betrachtung des „Modern“ ab, so bejahte er im Mai 1379 vertrauensvoll die in seinen „Bayreuther Blättern‘ gestellte Frage: „Wollen wir hoffen?“ Der Entartung müsse die verjüngende Wieder- geburt folgen, wie Brünnhilde sterbend sie verkündigt, wie Parzival sie der stumpf gewordenen Gralsritterschaft bringt. Im Glauben und Hoffen wie im Handeln bewährt sich Richard Wagners Heldentum. Große Taten auf allen Lebensgebieten geschehen nur, weil große Nienschen leben und wirken. Friedrich Hebbel drückt einmal sein Er- staunen darüber aus, daß den guten Deutschen der Grundgedanke jeder Lebensbeschreibung eines Künstlers nicht einleuchte. ‚Sie haben keine Ahnung davon, daß der Dichter den Menschen voraussetzt.“ Und in der Tat ist nach dem schönen Worte in der Fausterklärung unseres trefflichen zeitgenössischen Dichters Fritz Lienhard, ‚hinter den Einzel- werken die Gesamtheit und Einheit eines großen Menschentums wirk- sam, das sich in entsprechend großer Schöpferkraft künstlerische Formen prägt.“ Der oft angeführte Goethesche Vers, daß höchstes Glück der Erdenkinder die Persönlichkeit sei, sagt zugleich in Carlyleschem Sinne: nur durch große Menschen ‚‚will das Herrliche der Menschheit sich erhalten.“ Was Goethe in seiner kurzbündigen Weise in den schlagartigen Satz zusammen- faßte: „Man muß etwas sein, um etwas zu machen‘, lehrte Schiller in seiner Weise: ‚Alles was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität.“ Wagner selbst aber hat schon 1852 in der „Mitteilung an meine Freunde‘ mit schärfster Bestimmtheit erklärt: „Ist die Absonderung des Künstlers vom Menschen eine ebenso gedankenlose, wie die Scheidung der Seele vom Leibe, und steht es fest, daß nie ein Künstler geliebt, nie seine Kunst begriffen werden konnte, ohne daß er — mindestens unbewußt und unwillkürlich — auch als Mensch geliebt, und mit seiner Kunst auch sein Leben verstanden wurde, so kann weniger als je gerade gegenwärtig, und bei der heillosen Mißbeschaffenheit unserer öffentlichen Kunstzustände‘‘* — diese sind wahrhaftig heute nicht besser, sondern weit schlechter geworden — „ein Künstler meines Strebens geliebt, und seine Kunst verstanden werden, wenn dieses Verständnis und jene ermöglichende Liebe nicht vor allem auch in der Sympathie, d. h. dem Mitleiden und Mitfühlen mit seinem allermenschlichsten Leben begründet ist“. Nun ist es wohl nicht immer ganz leicht, Wagners tiefstes Wesen, das wirklich große, von manchen weniger erfreulichen äußeren Begleiterscheinungen getrennt zu halten und das, worauf zuletzt doch alles ankommt, klar zu erkennen, woraus dann schon von selbst Sympathie und Liebe fließen müssen. Die Natur hatte Wagner mit allen Kräften, ja mit aller Einseitigkeit und Rücksichtslosigkeit ausgestattet, die ihm notwendig waren, um in unaus- Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 61 gesetztem Kampfe sein hohes Ziel zu erreichen. Alles schien ihm im letzten Grunde nur Mittel zu dem einen großen Zwecke. Manches Unschöne ist durch diese Kampfstellung notwendig, oder wenigstens schwer vermeidbar, dem Ein- sichtigen aber verständlich und damit leicht verzeihlich geworden. Noch viel mehr als bei Millionen anderer heißt bei Wagner Mensch sein „ein Kämpfer sein.‘‘“ Gewiß war Wagner keine so vornehme, harmonisch abgeklärte Natur wie sein Freund und tätigster Helfer Franz Liszt!®). Aber Lizst hätte auch niemals vermocht, die Stürme von Tristan und den Nibelungen zu ent- fachen, nicht Hans Sachs in dichterischem Sinnen über den allherrschenden Wahn sich in Entsagen humorvoll lächelnd fassen zu lassen. „Alles ist nach seiner Art‘, und Heldentum nicht ohne Wunden und, meist ehrenvoll schmückende, manchmal aber auch entstellende, Narben. Unerschrocken verficht der einzelne und zeitenweise vereinsamte Mann seine künstlerische Überzeugung gegen die vermeintliche Allmacht der bis auf wenige Ausnahmen, unter ihnen sei rühmlichst des stets Wagnertreuen „Kladderatatsch‘‘ gedacht, ihn befeindenden Presse, gegen die hinterlistige Feindschaft einflußreicher Parteien, gegen die „bunte Menge‘, die ‚‚wider Willen uns zum Strudel zieht“, und mehr noch gegen die halb kalten, halb rohen Gönner der blasierten ‚Gesellschaft‘, die in der Kunst nur ein bequemes Unterhaltungsmittel sieht, der Kunst, die für Wagner das höchste Bildungs- mittel und der Ausdruck der Kultur eines Volkes ist. Und um diese deutsche Kultur, um die Seele seines heißgeliebten Volkes hat er lebens- lang den erbitterten Kampf geführt. Wahrlich, die Idee des Carlyleschen Heldentums kann nicht machtvoller verkörpert erscheinen als in der Per- sönlichkeit dieses deutschesten Meisters! Wenn wir nun am 22. Mai die hundertste Wiederkehr des Tages seiner Geburt feiern, so dürfen wir auch von ihm ‚ein nicht abzusehendes Zukunftswirken“ rühmen, wie Goethe von Carlyle solches erwartete. Ein deutsches Drama hat Richard Wagner geschaffen, dem heute alle europäischen Völker, die das Theater pflegen, mitBewunderung bei sich Gastrecht eingeräumt haben, nicht trotz seines ausgesprochen nationalen Charakters, sondern gerade durch ihn bezwungen. Lehrt doch die Geschichte, daß nur jene Werke, die tief im völkischen Grunde wurzeln und dessen Eigenart auf- weisen, auf die Dauer allgemeine Anerkennung sich errungen haben. Je weiter wir zeitlich von Wagners Werken uns entfernen, um so über- wältigender wächst, an allem seitdem Geschaffenen gemessen, ihre Riesen- größe empor. Aber damit erscheint auch zugleich des Meisters lebens- langes Ringen um die Vollendung seines Werkes erst in seiner vollen 10) Für das Verhältnis der beiden so verschieden gearteten Freunde verweise ich auf den zweiten Band meiner Wagnerbiographie. Berlin, E. Hofmann u. Comp. 1913, und auf die Erörterung „Das Problem der Wagner-Biographie“ in Kurt Singers an Anregungen reichem, vortrefflichem Buche: Richard Wagner. Blätter zur Er- kenntnis seiner Kunst und seiner Werke. Berlin 1913. 62 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Größe und Bedeutung. Neben dem Kunstwerk hat er seinem Volke das kaum weniger mächtig wirkende Vorbild und Beispiel der für ein hohes Ziel un- erschüttert kämpfenden und durch Beharrlichkeit kühn siegenden Persön- lichkeit hinterlassen, In Worten vermögen wir nicht ein Heldenleben zu schildern, dessen Kampfestaten, zwingendes Schicksal und sieghafte Ver- klärung in den machtvoll erschütternden Klängen zu Siegfrieds Leichenzug „in der Duft-Wellen tönendem Schall, in des Weltatems wehendem All, alles sagend auf sich schwingt, in uns dringt“. „Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, Bist alsobald und fort und fort gediehen, Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, So sagten schon Sibyllen, so Profeten; Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt Geprägte Form die lebend sich entwickelt.“ Die kampfesfreudigen Germanen des Nordens, deren Erzählungen von Siegfrieds und Brünnhildens und ihrer lichten Götter Schicksalen Wagner folgte, pflegten ihres Führers hehre Leiche in stolzem Waflfenschmucke zu betten auf hochbordigem Seedrachen, von blinkenden Schilden umsäumt, hoch am Maste das Schlachten- und Siegesbanner flatternd.. Und wenn dann das Schiff dahintrieb auf der heiligen Meerflut und die helle Flamme aus ihm hochlodernd aufschlug, dann begrüßte vom Strande der brausende Schild- ruf, der Schwertschlag der reisigen Mannen den aus läuternder Feuersglut nach Walhall emporsteigenden neuen Wotansgenossen. Ein Heldenende für ein Heldenleben! Aber auch wir begrüßen am hundertsten Geburtstag des Meisters Einzug in Walhalla, wenn sein Bild in dem Tempel deutscher Größe und Ehre, den König Ludwigs I. von Bayern hoher Sinn gegründet hat, in den unmittelbar vor dem Helden deutscher Kunst die Helden deutscher Politik und Waffen, Kaiser Wilhelm der Siegreiche, Moltke und Bismarck eingezogen sind, nun für immer seine Stätte findet neben den Größten der Germanen. „Gefall’'ner Helden hehre Schar umfängt dich hold mit hoch-heil’gem Gruß.“ Und so ist denn auch er selber gesellt zu jenen alteinheimischen Götter- und Heldenbildern, für die er unsere dankbare Verehrung gefordert hat. Aber diese Verehrung sollte nicht eine unfruchtbare bleiben, sondern sich um- setzen in Taten, indem wir in Wagners Sinn immer und überall nach unseren Kräften eintreten für „deutsche Art und Kunst“, Festfeiern haben einen Wert einzig dann, wenn der erhöhte Sinn der Stunde stärkend und an- eifernd nachklingt in das Einerlei des Alltags. Erst wenn wir mit diesem Festrede zur Feier von Richard Wagners 100. Geburtstag. 63 festen Willen der Nachwirkung des gewaltigen deutschen Meisters Jahr- hundertfeier begehen, dann nur „waltet sein Gedächtnis Unsterblich fruchtend um uns her. Das ist an uns sein groß’ Vermächtnis, So treu und deutsch zu sein, wie Er.“ Und nun nach dem bloßen Worte lasset noch einmal Ton und Wort vereint erklingen: „Hebt an den Sang, Ihr Zeugen dieser Stunde, Die uns so ernst, so feierlich erregt! Dem Wort, den Tönen jetzt vertrau’t die Kunde Des Hochgefühls, das unsre Brust bewegt!‘1!) 11) Die Verse „Hebt an‘ eröffnen den von Richard Wagner gedichteten und vertonten „Gesang nach der Bestattung‘ Karl Maria von Webers (16. Dezember 1844), der in unmittelbarem Anschlusse an die Festrede vorgetragen wurde, wie ihr voran- gingen Wagners Männerchöre: „Weihegruß‘“ für die Enthüllung des Denkmals König Friedrichs I. von Sachsen am 7. Juni 1843 und der Huldigungschor „Gruß seiner Treuen an Friedrich August (Il.) den Geliebten‘ aus dem August 1844. Treu ihrer durch die Verbindung mit Franz Liszt geweihten rühmlichen Überlieferung hat die alte.akademische Sängerschaft „Leopoldina“ und im Vereine mit ihr die an der technischen Hochschule neugegründete Sängerschaft „Burgundia‘ unter der stets rühmlich bewährten Leitung von Herrn Direktor Theodor Paul die drei Chöre in wirksamster Weise zum Vortrag gebracht, und haben beide dadurch in dankenswertester Art die ganze Feier stimmungsvoll eingeleitet und beschlossen. Gedächtnisrede auf Geheimrat Professor Dr. Emil Ponfick gehalten in der allgemeinen Versammlung vom 8. Dezember 1913 von Fr. Henke. Hochansehnliche Versammlung! Es ist ein wehmütiges Gefühl für den Schüler, so kurz nachdem ihm die hohe Ehre wiederfahren, der Nachfolger seines wissenschaftlichen Meisters zu werden, an seiner Bahre zu stehen, und den Verlust zu kennzeichnen, den die wissenschaftliche Welt durch seinen Hingang erlitten hat. Hatten doch seine Lieben ebenso, wie seine Freunde und Schüler gehofft, daß ihm, nachdem die offiziellen Bürden von ihm genommen, noch so manches Jahr der mehr ruhigen stillen Arbeit und der Hingabe an seine vielseitigen Interessen auch auf anderen Gebieten, im Kreise der Seinigen, beschieden sein möchte. Doch nein — für Emil Ponfick konnte man sich ein eigentliches Ausruhen von der Arbeit, den Verzicht auf rastlose wissenschaftliche Tätigkeit kaum vorstellen. War doch die angespannte Arbeit, mit Aus- nützung jeder Minute, die Triebfeder seines ganzen Seins; was er einmal angriff, verfolgte er mit zäher, keine Widerstände kennenden Energie, bis zu dem möglichen Ende. Kein Wunder, daß eine solche Konzentration geistiger Kräfte eine reiche Ernte wissenschaftlicher Ergebnisse gezeitigt hat und daß diese intensivste Versenkung, die Liebe zu dem von ihm als Lebensberuf er- wählten Wissensgebiete, die er sich bis zu seinen letzten Lebensstunden bewahrte, seine Fachgenossen und besonders seine Schüler mit immer neuer Bewunderung erfüllen mußte. Die Ergebnisse solcher schier unerschöpflich scheinender Arbeitskraft lassen es nicht verwunderlich erscheinen, daß schon in verhältnismäßig sehr jungen Jahren, Ponficks Name bald in der wissenschaftlichen Medizin einen guten Klang bekam und daß wir heute mit Stolz für unsere schlesische Alma mater es aussprechen dürfen, daß nicht nur wir, sondern die ganze wissenschaftliche Medizin aller Länder mit Emil Ponfick einen ihrer bekanntesten und bedeutendsten Vertreter verloren hat. Aber auch die wissenschaftliche Entwicklung seines Faches, die Neu- schaffung des Wesens der menschlichen Krankheiten, die soeben, auf Grund der von Schwann und Schleiden inaugurierten Zellenlehre, sich aufbaute, führten die Arbeitskraft des jungen Gelehrten in eine fruchtbare Zeit für neue Ergebnisse. Ponficks Werdegang brachte ihn Gedächtnisrede auf Geheimrat Professor Dr. Emil Ponfick. 65 in die direkte Umgebung des Mannes, dem wir die modernen Grund- lagen der in die einzelnen Organe verlegten krankhaften Veränderungen, verdanken. Es war eine glückliche Fügung, daß er schon bald nach Beendigung seiner Universitäts-Studien der Schüler Rudolf Virchow’s wurde, in der Glanzzeit des von ihm geleiteten Berliner Institutes, was bestimmend für seinen ganzen wissenschaftlichen Lebensweg geworden ist. Und später ist er mit dem anderen Heros der modernen Lehre von der Ursache der meisten Krankheiten, mit Robert Koch, in Berührung gekommen, der in seinen Anfängen aus seinem kleinen Posen’schen Kreis- städtchen nach Breslau kam, um ihm und anderen Breslauer Gelehrten seine Untersuchungen über den Milzbrand vorzulegen. Diese Anregungen mußten einen. mächtigen Impuls auf jede medizinische wissenschaftliche Arbeit, vor allem die in der Pathologie, ausüben. Ehe wir versuchen die wissenschaftliche Entwicklung Ponficks im einzelnen zu skizzieren, mögen einige Daten aus seinem Lebensgang hier ihre Stelle finden. Emil Ponfick wurde am 3. November 1844 in Frankfurt a. M. als der Sohn eines Arztes geboren. Er hat seiner Vaterstadt, der Geburtsstadt Goethes, wie alle ihm Näherstehenden wissen, stets eine be- sondere Anhänglichkeit bewahrt. 1863 finden wir ihn als Abiturienten, der zum Studium der Medizin die hohen Schulen von Tübingen und Heidelberg bezieht. Einen be- sonderen Eindruck scheint in. Tübingen der Chirurg Vietor von Bruns, der Ältere, auf ihn ausgeübt zu haben. 1867 promovierte er in Heidelberg mit einer Schrift über die „Pathol. anat. Veränderungen derinneren Organe bei tödlich verlaufendem Erysipel“. Nach einem wissenschaftlichen Wanderjahre, das ihn unter anderem in Berührung mit seinem späteren berühmten Fachgenossen Friedrich v. Reklinghausen brachte, mit dem ihn auch später wissenschaft- liche und freundschaftliche Beziehungen verbanden, finden wir ihn bereits 1868 als zweiten Assistenten am pathologischen Institut der Universität Berlin unter Rudolf Virchow. Die ihm durch das Vertrauen des Altmeisters übertragene Stelle an einer wissenschaftlichen Arbeitsstätte, die damals ein Brennpunkt aller aufstrebenden Geister in der Medizin wurde, bedeutete eine entscheidende Wendung für den jungen, erst vor 1 Jahre approbierten Arzt. Er durfte selbst gleich in verantwortlicher Stellung tätig sein, an der von dem Geiste Virchow’s durchdrungenen Forschungs- und Lehrstätte für die damals der ganzen medizinischen Welt neu verkündete Lehre, daß 1913. 5 66 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. in den feinsten Veränderungen der Zellen die eigentlichen elementaren Grundlagen der menschlichen und tierischen Krankheiten zu suchen seien. Aber auch die neu entstehende Methodik des Unterrichts in der Pathologie, die peinlich genaue Ausführung der Sektionen und sorg- fältigste Registrierung aller Krankheits-Befunde, hatte er sofort Gelegen- beit, unter den Augen des Meisters kennen zu lernen. Allein nicht nur der Zauber des überlegenen Geistes Rudolf Virchow’s nahm den jungen Assistenten gefangen, sondern auch Bande persönlicher Freundschaft wurden angeknüpft, die jahrzehntelang in ungetrübter Dauer fortbestanden haben. Auch unter den Jüngern R. Virchows, die sich um den Meister scharten, lebte ein reger wissenschaftlicher Geist. Männer, wie der kürzlich dahingegangene Edwin Klebs, Johannes Orth, Julius Cohn- heim u. a. saßen damals zu den Füßen des Meisters. Aus diesem angeregten Kreise heraus, wurde der erste Assistent Rudolf Virchows, ohne vorher formell Privatdozent gewesen zu sein, 29 Jahre alt, als ordentlicher Professor seines Faches an die Universität Rostock berufen. Nur drei Jahre vermochte ihn die damals noch kleine und wenig Studierende zählende Hochschule Mecklenburgs fest- zuhalten. Die Rostocker Zeit brachte ihm aber eine interessante Reise, die er mit dem damaligen Erbgroßherzog nach Ägypten unternahm, und die ihm reichliche Gelegenheit gab, seinen archäologischen und anthropo- logischen Interessen nachzugehen. Schon 1876 folgte er einem Rufe nach Göttingen und wieder kaum zwei Jahre vergingen und unserer schlesischen Hochschule gelang es, ihn als Nachfolger von Julius Cohnheim 1878 zu gewinnen. Hier hat Ponfick seine besten Jahre in den Dienst unserer Alma mater gestellt, und war dreieinhalb Jahrzehnte der Stolz und die Zierde der medizinischen Fakultät. — Generationen von schlesischen Ärzten sind in dieser Zeit durch seine Schule gegangen, er wurde der Gründer des neuen Institutes für sein Fach, und eine große Zahl wertvoller Unter- suchungen wurde von hier aus der wissenschaftlichen Welt vermittelt. Das wachsende Ansehen, das Vertrauen seiner Kollegen, das ihm immer mehr entgegengebracht wurde, machten es, daß ihm, inzwischen zum Geheimen Medizinalrat ernannt, die höchste akademische Würde unserer Universität für das Amtsjahr 1892/1893 übertragen wurde. Sein warmes Interesse, auch für die allgemeinen Geschäfte seiner Hochschule, hat ihn noch weiterhin zur Verwaltung verschiedenartiger ehrenamtlicher Funktionen geführt, die er, auch außerhalb des Rahmens der Universität, zu versehen für seine Ehrenpflicht hielt. Gedächtnisrede auf Geheimrat Professor Dr. Emil Ponfick. 67 Von seinen vielseitigen Betätigungen auf Gebieten, die seinem eigent- lichen Spezialfach fernlagen, sei hier in diesem Hause noch besonders seiner Verdienste für den wissenschaftlichen Mittelpunkt der Heimat seiner Mannesjahre, von Schlesien, — für die schlesische Gesellschaft für vater- ländische Cultur, gedacht. Überall verstand er es, die einmal über- nommenen Aufgaben durch die Emsigkeit ihrer Verfolgung, und, wenn nötig, durch sein beredtes Wort nachdrücklich zu unterstützen. Wenn ich nunmehr versuchen will, einen Eindruck von der Be- deutung Ponficks als Forscher zu geben, so ist das keine leichte Auf- gabe bei der großen Zahl seiner wissenschaftlichen Arbeiten und der Vielseitigkeit der Gebiete, die er in Angriff genommen hat. Wenn wir weniger chronologisch als nach der zugrunde liegenden Materie, einen Überblick zu geben suchen über das Wichtigste, so wäre zunächst eine Reihe von Untersuchungen zu nennen, die sich mit der Wirkung von Blutgiften beschäftigen, die zu einer Zerstörung und Auflösung der Blutkörperchen, zur sogen. Hämoglobinämie führen, so daß nur noch manchmal die hämoglobinfreien Körperchen zurück bleiben, die „Blutschatten“, wie heute noch der Vorgang nach- .der Ponfick’schen Bezeichnung genannt wird. Aber nicht nur solche Gift- wirkungen, wie sie z. B. bei der Morchel-Vergiftung, die er studierte, auftreten, sondern auch bei der Transfusion fremder Blutarten, bei der Zerstörung der Blutkörperchen durch Verbrennungen usw. haben ihn des weiteren beschäftigt und die Art und Weise, wie die Schlacken dieser Produkte durch die Nieren ausgeschieden werden. In ein ähnliches Gebiet gehören die Studien: „Über die Schicksale körniger Pigmente im Körper“, wie sie in den Filterapparaten des Körpers, in den Lymphknoten und in der Milz festgehalten werden. Auch der für diese Tätigkeit der Milz, alles im Blut kreisende Zerfalls-Material aufzu- halten und zu verarbeiten, gebrauchte Begriff „spodogene Tätig- keit“ der Milz, wird noch heute nach seinem Vorschlage in den Lehr- büchern der Pathologie verwendet. Angeschlossen sei hier eine Arbeit über eine seltene Form der sogenannten Aneurysmen, Erweiterungen der Blutschlagadern, die er, nach dem Befund von eingespießten kleinen Kalkstückchen in der ‘Wand der Blutgefäße als embolische Aneurysmen deutete. Daß ihn die Lehre von den Infektionskrankheiten, deren mächtigen Aufschwung er in seinen besten Jahren mit erleben durfte, wie jeden Arzt, besonders aber den zur Aufklärung der Krankheits- entstehung berufenen Pathologen im besonderen Maße fesseln mußte, darf nicht wunder nehmen. Zunächst waren es mehr die Einwirkungen der Infektion und ihrer Giftstoffe auf die Zellen des Körpers, vor allem das Knochenmark, die er y 63 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. beleuchtete; er berücksichtigte bei diesen Studien, besonders das Rück- lallfieber, den Typhus recurrens. Später hat er selbst an der Aufklärmg der Ursachen der Infektionskrankheiten mitgearbeitet. — Wenn ihm auch die spezielle Technik der spezifisch bakteriologischen Untersuchungs- methoden weniger lag, so hat er doch von Anfang an die neue Lehre mit Begeisterung aufgenommen und immer in Forschung und Lehre das neue Evangelium vom Contagium vivum verkündet. Ja er ist sogar, wie an dieser Stelle eingefügt sei, in der Übertragung dieser Vorstellungen auf andere Krankheiten, nämlich die echten Geschwülste, noch weiter ge- gangen, wie seine meisten Fachgenossen, indem er, nach meiner Kenntnis, auch für sie, jedenfalls theoretisch, einen lebendigen Erreger besonders für den Krebs forderte. — Von seinen Untersuchungen über die Infektions- krankheiten sind besonders die über die Strahlenpilz- erkrankung des Menschen bekannt geworden, die er auch in einer monographischen Bearbeitung zusammenfaßte (die Aktinomykose des Menschen, Berlin 1881). Ponfick hat das besondere Verdienst, die Identität dieser Erkrankung beim Menschen und beim Tier, wo sie schon früher bekannt war, nachgewiesen zu haben. Zudem hat er durch die genaue anatomische Analyse einer Reihe charakteristischer Fälle eine Grundlage für die damals neu erkannte Infektionskrankheit gegeben. Anknüpfend an frühere Untersuchungen ist er dann in einem zu- sammenfassenden Säkularartikel auf die Entwicklung der Entzündungs- lehre im Lichte der modernen Auffassungen über das Wesen der In- fektionen zurückgekommen. Auch mit der Lehre von der Tuberkulose hat er sich mehrfach befaßt; dabei muß besonders an seine Aufklärung mancher Fälle von seneralisierter, sog. Miliartuberkulose erinnert werden, die er gab durch den Nachweis einer älteren kaesigen Tuberkulose des Hauptlymph- sefäßes des Körpers, des Ductus thoracicus, der seine Tuberkelbazillen enthaltende Lymphe dabei direkt in die großen Blutgefäße abführt. Da- durch war für manche Fälle eine Erklärung der Überschwemmung des ganzen Körpers mit Tuberkelbazillen gegeben. Auch seine Anschauungen über die Beziehung der Skrophulose zur Tuberkulose hat er in einem Vortrage in der medizinischen Sektion der schlesischen Gesellschaft zusamenfassend dargestellt, wie er denn über- haupt an den Verhandlungen der medizinischen Sektion dieser Gesellschaft in Vorträgen und Diskussionen dauernd den regsten Anteil genommen hat. Die wichtigsten Resultate seiner Forschungen hat er hier gerne in über- sichtlicher Form dargestellt. Ein anderes Forschungsgebiet, das mit dem Namen Ponficks immer verknüpft sein wird, betrifft die Fragen des Wiederersatzes, der Gedächtnisrede auf Geheimrat Professor Dr. Emil Ponfick. 69 Regeneration der durch irgendwelche Schädigungen verloren gegangenen Teile der großen Körperdrüsen. Seine Untersuchungen betrafen vor allem die Leber; wie Podwyssozki, aber noch in viel ausgedehnterem Maße, konnte er nach Abtragung großer Teile der Leber die auch für die Folgerungen der praktischen Chirurgie wichtige Feststellung machen, daß beim Kaninchen das operativ entfernte Lebergewebe nach einigen Monaten durch Nachwachsen der Lebersubstanz wieder annähernd ersetzt worden war. Ja, er konnte es wagen, solchen Tieren bis zu ?/ „ der Leber zu exstirpieren und trotzdem trat nicht der Tod der Tiere ein, sondern der zurückgebliebene Rest wuchs auch bei diesem großen Ausfall in verhältnis- mäßig kurzer Zeit fast zum Umfange der normalen Leber wieder aus. Das war eine fundamentale Feststellung, über deren näheres Geschehen Ponfick in zahlreichen Artikeln genauere Mitteilungen machte. Dieser Gegenstand (die Rekreation der Leber) war auch der Inhalt seines Beitrages für die Festschrift zu Ehren seines großen Lehrers R. Virchow. Es sei hier angefügt die Erwähnung einer Reihe von Unter- suchungen verschiedener Art, wie die Erforschung der Ursache einer früher nicht beachteten Erkrankung, der Fettgewebsnekrosedes Pankreas, als deren Ursache er einen Mikroorganismus, das Bakterium Coli, vermutete. Weiterhin müssen seine Studien über die Beziehungen des Myxödems zur Akromegalie erwähnt werden, Untersuchungen, die ja heute sehr modern geworden sind und wobei von Ponfick, wie das schon früher beobachtet war, Geschwülste der Hypophyse als Grundlage der Erkrankung festgestellt wurden. Die Wechselbeziehungen zwischen der Schilddrüse und dem Gehirnanhang, der Hypophyse, wurden schon damals von Ponfick beleuchtet. Auch Fragen aus dem Gebiete der Geburtshilfe und Gynäkologie, z. B. über das Wesen der Placenta praevia, hat er bearbeitet. Praktisch wichtig für die Kinderheilkunde war sein Hinweis auf die außerordentliche Häufigkeit von Mittelohrentzündungen bei Neuge- borenen, die er in Beziehung brachte zu der Entstehung der in diesem Alter so häufigen Entzündungen der Lunge und z. T. auch mit der Erkrankung des Magendarmkanals. Wir sehen, wie vielseitig die Arbeitsgebiete Ponficks waren und wie er immer bestrebt war, die Beziehungen der Erkrankung der ver- Schiedenen Organe zu einander hervorzuheben, und andererseits die Nutzanwendung für die praktische Medizin zu ziehen. Auf denselben Gesichtspunkten und Überlegungen aufgebaut, fußt auch sein größtes Werk, der Atlas der medizinisch- chirurgischen Diagnostik, dessen Vollendung ihn jahrelang ") 70 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. beschäftigt hat und der 1903 bei G. Fischer in Jena erschien. Er hat in diesem Werk, das uns für den akademischen Unterricht immer ein außerordentlich wichtiges Lehrmittel bleiben wird, die von dem Leipziger Anatomen W. Braune eingeführte Technik der Anfertigung von Gefrier- durchschnitten durch die Regionen des menschlichen Körpers, auch für die Pathologie nutzbar gemacht. Er wollte gewissermaßen die Grundlagen für eine pathologisch- topographischeAnatomie schaffen, die, für den Pathologen wie für den inneren und äußeren Kliniker gleich bedeutungsvoll, die Lage- beziehungen der verschiedenen Organe zu einander in Bildern einer Ebene festhalten sollten. Namentlich für die Verdrängungserscheinungen gewisser Organe, z. B. bei Flüssigkeits- oder Luftansammlung im Thoraxraum, ist diese Methode der Darstellung in der Tat außerordentlich fruchtbar und die schönen, von der Künstlerhand Löschmanns ausgeführten Tafeln des Atlas erfüllen auch technisch mit Bewunderung. Mit berechtigtem Stolz hat Ponfick die in dem Demonstrations-Saal des Instituts aufgehängten Tafeln den anläßlich der Naturforscher- und Ärzte-Versammlung 1906 in Breslau versammelten Fachgenossen demonstriert, und auf die Bedeutung dieser Darstellungsmethode für den Unterricht und die Klinik hingewiesen. Auch im Verfolg dieser Arbeit hat er noch mehrfach Gelegenheit genommen, für solche Art topographisch-pathologischer Betrachtung und für eine auf diese Gesichtspunkte zugeschnittene Sektionsmethode eine Lanze zu brechen. Früchte dieser Studien waren auch Untersuchungen über die Lage und Gestalt des Magens unter normalen und krankhaften Veränderungen und Ähnliches. Die letzten Jahre hat seine wissenschaftliche Arbeit fast zusammen- hängend einem Krankheitsgebiet gehört, das auch in rein anatomisch- pathologischer Beziehung noch keineswegs als geklärt gelten konnte, ich meine das der Nierenentzündungen, des sogenannten morbus Brightii. Mit ungeheurem Fleiß und der Unermüdlichkeit des ernsten Forschers, hat er auf diesem schwierigen Gebiete immer wieder neue Bausteine zusammengetragen, zur Klärung des noch immer rätselhaften ätiologischen und pathogenetischen Geschehens bei dieser Krankheit. Wo er Gelegenheit hatte, dafür auch klinisches Beobachtungsmaterial zu sammeln und mit dem Befunde auf dem Leichentisch oder unter dem Mikroskop zu vergleichen, hat er diese Gelegenheit nie vorübergehen lassen. Oder es wurde durch ihn oder seine Schüler das Tier-Experiment zu Hilfe genommen, um über Fragen Auskunft zu erhalten, die die reine Betrachtung des morphologischen Präparates nicht bringen konnte. Dahin gehören Experimente über die feineren histologischen Veränderungen bei Gedächtnisrede auf Geheimrat Professor Dr. Emil Ponfick. 7ı der Entstehung der Hydronephrose, bei vollständigem oder unvoll- ständigem Verschluß des Ureters. Die erste größere Zusamenfassung über das Wesen des chronischen Nierenleidens hat Ponfick in seinem Referat über den Morbus Brightii auf der Naturforscherversammlung in Meran gegeben, wo er die pathologisch-anatomische Seite der Frage behandelte, die der befreundete bekannte innere Kliniker Friedrich v. Müller in München vom klinischen Standpunkt aus beleuchtete. Es wurde von Ponfick damals bestimmter, als das bisher geschehen war, die Wichtigkeit und Häufigkeit des Steckenbleibens von sog. Harnzylindern für das Fortschreiten und die Folgen der Erkrankung betont. Durch dieses mechanische Ge- schehen und die Behinderung des Urinabflusses in einem Teil des Kanal- systems stellen sich sekundäre Veränderungen ein, die wieder ihrerseits, wie die urprünglich primäre Schädlichkeit, zum Untergang von secernierendem Nierengewebe führen. Das kompliziert sehr die Beurteilung aer histologischen Bilder und die Vorstellungen über die sich hinter- einander abspielenden Vorgänge der Pathogenese. Zudem wollte er, auch vom anatomischen Standpunkt aus, die bis dahin wohl zu scharf betonte Unterscheidung einer parenchymatösen und interstitiellen Form der Nieren-Entzündung nicht recht gelten lassen. Diese Untersuchungen über das Wesen des chronischen Nieren- leidens haben den Dahingegangenen, man kann wohl sagen, bis zu seinen letzten Lebenstagen gefesselt. Die Vollendung einer großen umfassenden Arbeit, auf Grund des reichen in vielen Jahren in Präparaten und Ab- bildungen zusammengetragenen Materials, war das nächste Ziel, das er sich gesteckt. Es ist ihm nicht vergönnt gewesen, das Werk zu voll- enden; der Alles-Bezwinger Tod hat ihm die Feder aus der Hand genommen. Bereits hatte er, auch hier in diesem Hause, vor einigen Monaten unter Vorlegung von Darstellungen seines Materials einen orientierenden Vortrag gehalten, der aber, soweit mir bekannt, noch nicht zum Druck gekommen war. Soviel kann aber wohl schon hier mitgeteilt werden, daß Ponfick für viele chronische Nierenleiden die Auffasung begründen wollte, daß bei diesem Leiden die öftere Wiederholung der Schädlich- keiten — zuerst wohl Infektion und ihre Giftwirkung — schließlich im Laufe oft vieler Jahre zu einem Erliegen, einer Insufficienz der Nieren, führe, die dann dem entspricht, was wir auch anatomisch in dem End- stadium der Erkrankung auf dem Sektionstisch und bei der mikro- skopischen Untersuchung finden. Dieses Werk Ponficks, das wir als sein Vermächtnis betrachten können, soll auf Wunsch der Seinen als eine posthume Gabe für die deutsche Pathologie unter völliger Wahrung des I 29 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Charakters des annähernd fertig gestellten Manuskriptes demnächst veröffentlicht werden. Wenn wir nun diese Forscherarbeit Ponficks nach dem, was ich nur skizzenhaft und ohne genaue Aufzählung aller seiner Schriften vor dieser nicht nur aus Medizinern zusammengesetzten feierlichen Ver- sammlung hier vortragen konnte, betrachten, so stehen wir bewundernd vor der Vielseitigkeit der Materie, die er mit Erfolg angegriffen, vor allem staunend vor dem rastlosen Fleiß, mit dem er die Grundlagen für seine Forschungen zusammentrug, wie ihn nur eine hingebende Liebe zu seiner Wissenschaft aufbringen kann. In der Fassung der Resultate seiner Untersuchungen war er immer vorsichtig, gern bereit, den gegensätzlichen Ansichten entgegen- zukommen, das in ihnen enthaltene Richtige anzuerkennen, mehr geneigt die Beziehungen zu ähnlichen Vorgängen zu betonen, als scharfe Grenzen zu schaffen. Das trat auch in der rein äußeren Art, wie er schrieb, charakteristisch in Erscheinung. i Die Stätte aber, wo alle diese wissenschaftlichen Untersuchungen ent- standen, sein Institut war seine eigentliche wissenschaftliche Heimat, wie bei jedem im weiteren Sinne naturwissenschaftlich arbeitenden Ge- lehrten. Eine mit allem Nötigen zu solchen Forschungen eingerichtete Werkstätte ist ja das Rüstzeug, ohne das wir heutzutage nicht mehr auskommen. So ist es verständlich, daß in der heutigen Stunde des Gedächtnisses das Bild Ponficks in seinem Institut besonders lebendig vor uns tritt. Als er von Göttingen nach Breslau übersiedelte, fand er in dem städtischen Allerheiligen-Hospital, wo auch die übrigen Universitäts- kliniken zu Gaste waren, sein Institut vor, noch heute von uns als das „alte“ Institut bezeichnet, kein so stolzer Bau, wie der spätere Neubau in der Maxstraße, aber reich an wissenschaftlicher Tradition durch Namen wie Cohnheim und Weigert, die dort gewirkt. Und dauernd wertvoll blieb dieses alte Institut auch weiterhin für die Forschung unä die Lehre, da es Ponfick gelang, auch nach der Übersiedelung in den Neubau in der Maxstraße zum gegenseitigen Nutzen von Stadt und Uni- versität die Tätigkeit im alten Institut aufrecht zu erhalten und dadurch dem Breslauer pathologischen Institut ein ungewöhnlich reichliches Beob- achtungsmaterial zu erhalten. Dieses fruchtbare Zusammenwirken mit den klinischen Abteilungen des Allerheiligen-Hospitals und ihren Leitern angebahnt und jahrelang fortgeführt zu haben, halte ich für ein be- sonderes Verdienst des Dahingegangenen und die Wahrung dieses Zu- sammenhangs für eine Ehrenpflicht des Nachfolgers. Naturgemäß stellte die Organisation und Leitung der beiden Institute sroße Anforderungen, und es wurde die Einrichtung getroffen, daß der Gedächtnisrede auf Geheimrat Professor Dr, Emil Ponfick. 713 älteste Institutsassistent dauernd die Vertretung des Direktors im alten Institut erhielt. Als Ponfick 1878 in das alte Institut im Allerheiligen-Hospital einzog, mußte seine erste Sorge sein, den Unterricht besonders in der speziellen pathologischen Anatomie zu organisieren. Es galt Demonstrationsobjekte zu gewinnen für ein wirklich naturwissen- schaftliches Studium der pathologischen Veränderungen an den einzelnen Organen, wie sie sich zu den Krankheitsbildern der einzelnen mensch- lichen Krankheiten gruppieren. Daß er von solchen Präparaten zunächst so gut wie nichts vorfand, hat er öfters scherzend erzählt. Bald aber gelang es dem Organisationstalent Ponficks die Grund- lagen zu einer pathologisch-anatomischen Sammlung nach dem Vorbilde Virchows zu legen. Damit war der Unterricht in der speziellen Betrachtungsweise der einzelnen Krankheitsgruppen auf eine neue Basis gestellt, und einer seiner Schüler aus der damaligen Zeit hat mir berichtet, welche Anziehungskraft die neue Lehrmethode auf die Studierenden damals ausübte. 1892 konnte er endlich den längst gehegten Plan eines Instituts- neubaues der Vollendung entgegenführen, nachdem inzwischen mit durch seine eindringliche Befürwortung die Universitätskliniken in die Scheitniger Vorstadt in den früheren sog. Maxgarten übergesiedelt waren. Der Neubau des Instituts nach Ponficks Plänen ausgeführt, brachte in origineller Weise eine Zweiteilung des Institutsbetriebes in ein Obduktionshaus und in ein Lehr- und Arbeitsgebäude, eine prinzipielle Zweiteilung, die seither bei vielen Neubauten solcher Institute durch- geführt wurde und die sich als durchaus zweckmäßig erwiesen hat. In diesem Neubau, seiner eigenen Schöpfung, hat Ponfick über zwei Jahrzehnte gewirkt. Bei der Obduktion, am Leichentisch oder bei der Besprechung und Beurteilung der vorliegenden Fälle war es vor allem die große Genauigkeit und Exaktheit, die nichts auch anderen geringfügig Scheinendes übersah, die den Neuankommenden im Institut überraschte; dann aber der auf reichster Erfahrung beruhende Blick für den größeren Zusammenhang des pathologischen Geschehens. Die genaueste Vergleichung der ihm be- richteten klinischen Erscheinungen mit dem Befund an den Organen, machte solche Stunden gleich wertvoll für den Kliniker, wie für die Pathologen. U. a. hat er auch bei diesen Demonstrationen im engeren Kreise, immer auch die Bewertung des Traumas für die mögliche Ent- stehung von Krankheiten besonders in Rechnung gezogen, Auch auf die Studierenden schienen gerade die Demonstrationen, die den Zusammenhang der Klinik mit dem toten Objekte zu einem lebensvollen 1913. 6 74 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Bilde zu vereinigen suchten, den größten Eindruck zu machen. Durch alle seine Vorlesungen und Kurse klang als Grundton diese Beziehung der krankhaften Veränderungen zur klinischen Medizin durch. Doch nicht nur eine hohe Schule aufmerksam lauschender akademischer Hörer verstand er um sich zu scharen, sondern der Alt- meister Virchow selbst hat einmal, in seinem Archiv von der „Breslauer Schule‘ gesprochen, die sich um Ponfick sammelte. Eine stattliche Reihe von wissenschaftlichen Schülern hat er teils zu dauernder Beschäftigung mit der Pathologie begeistert und vorbereitet; andere haben das in seinem Institut Gesehene und Gelernte als wichtigste Grundlage in die klinische Tätigkeit hinübergenommen. Von seinen engeren Schülern nenne ich nur F. Marchand in Leipzig, der freilich nur kürzere Zeit sein erster Assistent war, Kaufmann in Göttingen, Lubarschin Kiel, Winklerin Posen, Davidsohn in Ber- lin; von Jüngeren R. Stumpf und Heinrichsdorff. Auch ich selbst bin stolz mich zu seinen Schülern zu rechnen. Sein erster Bres- lauer Assistent war der bekannte Psychiater Binswanger (Jena) und groß ist die Zahl namhafter Kliniker, die länger oder kürzer seine Schüler waren und auch aus fernen Ländern gesellten sich wißbegierige Schüler hinzu. Schon frühzeitig hat sich Ponfick auch im Kreise seiner engeren Fachgenossen eine angesehene Stellung zu schaffen gewußt, nicht nur durch seine wissenschaftlichen Verdienste, sondern auch durch das Interesse, das er allen Fragen, die das Fach seiner ‚Wahl äußerlich und innerlich berührten, besonders warm entgegenbrachte. Es drückte sich das auch dadurch aus, daß er es eigentlich war, der durch ein Rund- schreiben an die deutschen Pathologen die jetzige Vertretung der Pathologie, die deutsche pathologische Gesellschaft, ins Leben rief. R. Virchow stimmte zu und nach langwierigen Beratungen unter Mit- wirkung unserer angesehensten Fachgenossen wurde zunächst im Zu- sammenhang mit der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte 1898 die erste Tagung in Düsseldorf gehalten, deren Verhandlungen von Ponfick herausgegeben wurden. Ponfick, der auch I. Vorsitzender der Gesellschaft war (1904), hat der von ihm mitbegründeten Gesellschaft auch in späteren Jahren in Treuen angehangen und in Vorträgen und Diskussionen die Verhandlungen gefördert. Seine Beliebtheit bei allen, die mit ihm in Berührung kamen, war eine große. Nicht nur für seine Assistenten und Studenten war er gerne ein Helfer in ihren großen und kleinen Nöten und Anliegen; in seiner milden Art war er auch sonst immer bereit, die Gegensätze auszugleichen und zu vermitteln. Zu solchem Amt trug schon auch äußerlich bei, die Gedächtnisrede auf Geheimrat Professor Dr. Emil Ponfick. 75 vornehme Gelehrtengestalt und das beredte Wort, das ihm für schwierige Situationen ebenso, wie für die Belebung einer heiteren Tafel- runde in seinem gastlichen Hause in hervorstechendem Maße zu Gebote stand. Selbst die kleinen Schwächen des zerstreuten, ganz in wissen- schaftliche Gedanken versunkenen deutschen Gelehrten wollte man nicht gerne bei ihm missen. — Wie war es ihm gegeben durch die beliebten Referierabende in seinem Hause, neben der ernsten Wissenschaft, eine Stätte für eine freie Aussprache auch der jüngeren wissenschaftlichen Generation in der Medizin in Breslau, zu schaffen. Ganz besonders kam die allgemeine Beliebtheit und Verehrung, die junge und alte Schüler ihm entgegenbrachten, zum Ausdruck, wie er, kaum genesen von einer schweren Infektion, die er sich in der Ausübung seines Berufes zugezogen, bereits 1899 sein 25jähriges Jubiläum als ordent- licher Professor feiern konnte. Und wie er sich durch die Vorboten drohender Krankheit gezwungen sah, von dem geliebten Lehrberuf und seinem vertrauten Institut Abschied zu nehmen, da haben ihm die lodernden Fackeln der Breslauer Studentenschaft gezeigt, welche Liebe er in ihren Herzen in den vielen Jahren seiner Lehrtätigkeit entfacht hatte. Nicht lange hat er nun ganz den Seinen gehören dürfen und seinen Freunden, deren Mittelpunkt, in den Tagen des Glückes, das gastliche Haus Ponfick für edle Geselligkeit immer gewesen ist. Auch die gemein- nützigen Interessen Breslaus haben durch seinen Hingang einen schweren Verlust erlitten. Ein allen zu Herzen gehender Augenblick war es, wie wir den toten Meister aus dem Institut, das er selbst gegründet, hinausgeleitet haben, nachdem dort auf seinen ausdrücklichen Wunsch dieselben Feststellungen an seinem Körper gemacht worden waren, die er sonst vorgenommen, zur Förderung, zur Ehre seiner Wissenschaft. An sich selbst wollte er das Wort erfüllt sehen, das er über den Eingang zum Sektionssaale des neu erbauten Instituts gesetzt hatte: Haec aedes, ubi mors gaudet, succurrere vitae! In solchem Sinne kann auch der Mediziner, der sich die eigentliche praktische Behandlung kranker Menschen nicht zum Beruf erwählt hat, zum Wohltäter der Menschheit werden. Hat doch gerade auch die jüngste Entwicklung der medizinischen Wissenschaft gezeigt, daß die wesentlichsten praktischen Fortschritte für die Erkennung und Be- handlung von Krankheiten aus den stillen Laboratorien des an- scheinend theoretischen Forschers hervorgegangen sind. ‚Wir aber wollen geloben, das Andenken an Emil Ponfick immer in hohen Ehren zu halten; ein solches Wirken wird in der Geschichte Ger Breslauer medizinischen Fakultät, in der Geschichte der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität, in seiner Wissenschaft, bis in ferne Zeiten unvergessen bleiben. sehlesische Gesellschaft für vaterländische Cult Cullur. ZyKUET 91. | Il. Abteilung. Jahresbericht. Naturwissenschaften. 1913. | a. Naturwissenschaftliche Sektion. &e RT 3,9 — Sitzungen der naturwissenschaftlichen Sektion im Jahre 1913. Sitzung vom 29. Januar. Die vitale Färbung mit sauren Farbstoffen. (Ein Beitrag zur Pharmakologie hochmolekularer Arzneistoffe.) Von Dr. Herbert M. Evans, Werner Schulemann und Dr. Felix Wilborn. (Vorgetragen von Werner Schulemann.) Die im Folgenden mitgeteilten Versuche wurden von Schulemann im Herbst 1910 im Laboratorium von Herrn Professor Keibel zu Freiburg i/B. begonnen und im Herbst 1911 in der chir. Univ.-Klinik und dem pharm. Institut zu Breslau fortgesetzt. Evans hatte inzwischen im Anat. Depart. of the Johns Hopkins Univers. Baltimore, Maryland (U.S. A.) die Arbeit über das gleiche Thema begonnen und setzte dieselbe im Sommer 1912 gemeinsam mit Schulemann in Breslau fort. Die not- wendig gewordenen physiko-chemischen Untersuchungen wurden von Wilborn im Laboratorium von Herrn Professor Schenck an der kgl. techn. Hochschule zu Breslau ausgeführt. Es sei uns auch an dieser Stelle gestattet, Herrn Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Küttner, Herrn Prof. Dr. Gadamer und Herrn Prof. Dr. Schenck für stets gütig gewährten Rat und Unterstützung unseres aufrichtigen Dankes zu versichern. Da die Drucklegung unserer ausführlichen Arbeiten, die auch genaueste Angaben über das verwendete Material sowie die Versuchsprotokolle ent- halten wird, durch mancherlei Umstände immer neue Verzögerungen erleidet, so wollen wir — im Hinblick auf das momentan recht aktuelle Thema — in der vorliegenden Mitteilung kurz unsere Resultate zusammen- fassen. Mit der Begründung der Chemotherapie als Forschungszweig der Pharmakologie hat sich unter dem Einfluß von Ehrlich und seiner Schule mehr oder weniger die Überzeugung Bahn gebrochen, daß Ver- teilung und Wirkung der Arzneimittel im tierischen Körper auf Grund chemischer Gesetze geschehe. Es soll also die chemische Konstitution von direktem Einfluß auf das biologische Verhalten einer Verbindung sein. Diese Anschauungen wurden besonders von Ehrlich betont und durch biologische Untersuchungen vor allem von Farbstoffen näher begründet. Aber gerade diese grundlegenden Versuche, die eine der Hauptstützen 1913. 1 ) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. der Theorie der Immuno- und Chemotherapie bilden, weisen noch keine Übereinstimmung in weiteren Grenzen auf. Für kleinere Versuchsreihen sind die Beziehungen zwischen chemischer Konstitution, spezifischer Ver- teilung und pharmakologischer Wirkung scheinbar ganz klare. Bei einem größeren Material aber zeigt der Versuch, die Resultate zu verallgemeinern, die größten Unklarheiten. Im Anschluß an die erste Arbeit Goldmanns über vitale Färbung mit sauren Farbstoffen haben wir es unsererseits unternommen, die Be- ziehungen zwischen chemischer Konstitution und spezifischer Verteilung — denn vitale Färbung beruht auf spezifischer Verteilung — bei der Klasse der sauren Azofarbstoffe näher zu untersuchen. Von vitaler Färbung reden wir, wenn nach Einverleibung eines Farb- stoffes in das lebende Tier dieses möglichst ohne Schädigung seiner Gesundheit gefärbt wird. Diese Färbung darf aber nieht durch eine diffuse Durchtränkung aller Zellen und Gewebe mit Farblösung bedingt sein. Die Farbe soll vielmehr im Protoplasma oder Kern der lebenden Zellen für einige Zeit abgelagert werden. Das Trypanblau (Nicolle und Mesnil) und weiterhin eine große Reihe der von uns untersuchten Farben entspricht diesen Anforderungen, wobei noch zu bemerken ist, daß von Goldmann die Histologie der Färbung für die weiße Maus speziell für Isaminblau und dann auch für Trypanblau in einer ausführlichen Arbeit untersucht wurde, Die im Sinne Goldmanns vital gefärbten Tiere enthalten die Farben in Körnchenform im Protoplasma in einer Reihe ganz bestimmter Zellen, während die Mehrzahl der Zellen des Tierkörpers farbfrei bleibt. Abweichend von diesen „positiven“ Farben geben ‚negative‘ entweder eine diffuse Färbung des ganzen Tieres, die aber sehr schnell wieder verschwindet, da die Farbe von Leber und Niere ausgeschieden wird, oder der injizierte Farbstoff bleibt am Injektionsort liegen bezw. in seiner nächsten Umgebung. Diese Farben sind noch nach Monaten im Tier- körper nachweisbar, ohne daß es auch durch sehr viele Injektionen gelänge, allgemeine Vitalfärbung zu erhalten. Der Grund für diese spezifische Verteilung ist nach Ehrlich ein chemischer. Dieser Gedanke leitete auch uns zuerst, da zwischen dem Trypanblau und dem praktisch bewährten Salvarsan viele Beziehungen bestehen. Ehrlich glaubt, daß bei Arzneimitteln und Farben chemisch reaktionsfähige Atomgruppen mit entsprechenden Gruppen von Zellbestand- teilen in direkte chemische Reaktion treten. Durch diese Vereinigung der Chemoceptoren der Substanz mit denen der Zellen soll Arzneimittel oder Farbe unter Bildung einer chemischen Verbindung in der Zelle ver- ankert werden. Im Tıypanblau nahmen wir, Ehrlichs Theorie folgend, einen „Periamidonaphtoloceptor“ entsprechend seinem „Orthoamidophenoloceptor“ 1I. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 3 im Salvarsan an. Durch Variation der „Chemoceptoren‘ hofiten wir die Bedingungen der Vitalfärbung zu finden. Die Chemoceptorentheorie aber hat uns völlig im Stich gelassen. Wir erhielten Vitalfärbung bei Farben mit den heterogensten Chemoceptoren und den verschiedensten Kon- stitutionsformeln, während sich unter Farben mit gleichen Chemoceptoren „positive“ und ‚negative‘ fanden. Endlich färbten auch Substanzen vital, bei denen sich Gruppen, die man Chemoceptoren hätte nennen können, überhaupt nicht mehr fanden. Auch bei Lösungen kolloider Metalle, z. B. Silber, Palladium ete. wird man Chemoceptoren nicht annehmen können und doch folgen auch sie dem Verteilungsmodus saurer Farben. Daß chemische Reaktionen im Sinne Ehrlichs garnicht vorliegen können, läßt sich schon daraus entnehmen, daß die Chemoceptoren Ehrlichs nahezu alle Auxochrome oder Chromophore sind. Wenn sie also chemisch reagieren würden, könnte dies nach den Erfahrungen der Farbehemie nur unter Änderung der Farbnuance geschehen. Bei den vielen von uns untersuchten Farben konnten wir solche Farbänderungen nur selten feststellen. In diesen Fällen gelang es uns aber stets den klaren Nachweis zu erbringen, daß physikalische Vorgänge die Meta- chromasie bedingten. Hatten wir mit der Chemoceptorentheorie nur negative Ergebnisse, so waren wir bei den Tierversuchen doch auf Tatsachen gestoßen, die uns einen Weg zur Weiterarbeit wiesen. Es war uns aufgefallen, daß manche Farblösungen ihre biologischen Eigenschaften änderten, je nachdem man frische oder alte, kalt oder warm bereitete, 0,5 oder 1 °/, Lösungen der gleichen Farbstoffe zur Injektion verwendete. Offenbar war der Lösungszustand der Farben von größerem Einfluß auf ihr biologisches Verhalten als ihr chemischer Charakter und die Fortsetzung unserer Arbeiten in physikalischer Riehtung hat uns denn auch der Lösung des Rätsels näher gebracht. Wie aus den Arbeiten anderer Autoren zu ersehen war, rechnet man die Salze hochmolekularer Farbsäuren den Semikolloiden zu, d. h. Systemen, die im allgemeinen durch Membranen langsam diffundieren und einen beträchtlichen osmotischen Druck aufweisen. Sie stehen in der Mitte zwischen Krystalloid und Kolloid.. Da nun die Verteilung der Farben im wesentlichen durch die Diffusionsfähigkeit derselben bedingt schien, prüften wir zunächst diese. Dem Rat von Herrn Professor Schenck folgend, maßen wir die Diffusionsgeschwindigkeit der Farben in einem 2 %, Gelatinegel, nachdem eine parallel angestellte Versuchsreihe in einem Agar-Agar-Gel uns ge- zeigt hatte, daß kein Versuchsfehler durch Adsorption der Farbe an die gelbildende Substanz entsteht. Es liegen uns über 200 derartige Messungen vor und es ergab sich eine vorzügliche Übereinstimmung mit den Resultaten der Tierversuche. 1F 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Folgendes Beispiel möge dies illustrieren: Harnstoffarbenreihe. Diffusion in 2 %/, Gelatine-Gel, begonnen am 17. XI. 12. Verwendet wurden frische 0,1%, Farblösungen. Dat. 258.189 185 244 245 188 170 171 169 246 247 18. XI. Sp. 1 —_ 2 0,5 1 — —_ Sp. 1 = 19.) = 05 2 0,5 4 il e) 05 05 0,5 2 1 20. = 1 2:92. 141,5 5und. 1,5 2 05 05 1 2a 2 21. = 1 3 2 und. 2 2 1 0,5 Roeas 3 22. )= 1 3 2,5 2301 2,5 315, 0:5 3 35 4 23. = 1 4 3 3 3 2 05—1 2 & 5 24. = 1 45 4 und. 3 3 2,9 0 2 4 5 25. = 1 5 4 und. 3 4 3 1 2 5 6 26. = 1 5 4 3,9 4 3 1 25 5 6,5 27 = 1 B) 4,5 3,9 Aarıadnd 29.009 und. 28. = 1 5 4,5 4 45 und. 1,5 300055 30. = 1 5 5 4 5 und. 15 3 6 DR 1 6 und. und. 5 und. 1,5 3 6 und. all 1,5 und. und. und. 3 6,5 * Skala erst einen Tag später angesetzt. d. = diffus. und. — undeutlich. Sp. = Spur. Auf Grund dieser Versuche gelingt es nun, aus dem Verlauf der Kurven für die Diffusionsgeschwindigkeit — also aus dem Ausfall des physikalischen Versuches innerhalb gewisser Grenzen das biologische Ver- halten einer Substanz bezüglich Verteilung im Tierkörper voraus zu sagen. Weiterhin haben wir es versucht, durch Änderung des Lösungs- zustandes negative Farben zu positiven zu machen, was uns auch ohne Schwierigkeit gelang. Ebenso waren unsere Versuche mit Metalllösungen von Erfolg. Wir müssen hier noch einmal auf die Chemoceptorentheorie zurück- kommen. Wäre es nicht möglich, daß dieser physikalische Lösungs- zustand es den hypothetischen Chemoceptoren der Farben überhaupt erst ermöglicht, im Sinne der Ehrlichschen Theorie zu reagieren? Abgesehen von unseren früheren Ausführungen, welche diese Annahme wohl schon an sich widerlegen, wäre dieser Einwand nur möglich beim Übergang von den lokal liegen bleibenden Substanzen ohne Diffusionsvermögen zu den mehr oder weniger leicht diffundierenden Farben. Bei diesen negativen Farben finden wir aber, daß sie, ganz gleichgültig, welchen Chemoceptor sie haben, lokal vital färben und — soweit wir solche Ver- suche machten, ohne eine Änderung an den Chemoceptoren vorzunehmen — zur allgemeinen Verteilung gebracht werden konnten. Unverständlich müßte es aber erscheinen, daß eine weitere Verbesserung der Diffusions- fähigkeit das Vitalfärbungsvermögen wieder aufhebt. Jetzt kann doch die II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 5 Farbe besonders schnell und gut zu ihren passenden Chemoceptoren und kann unter Bildung einer Verbindung verankert werden! Ehrlich sucht den Grund darin, daß die Farben zu schnell abgeschieden werden. Stich- haltig scheint uns diese Behauptung nicht. Beläd man ein Tier mit genügenden Dosen einer schnell diffundierenden Farbe, so daß es lange Zeit eine so konzentrierte Lösung enthält, wie es sonst zur Vitalfärbung nötig ist, so tritt in der gleichen Zeit doch keine spezifische Ablagerung ein, obwohl die Farbe Zeit und Gelegenheit genug zur ‚Reaktion‘ gehabt hätte. Nach den Anschauungen, die wir uns speziell nach den außerordentlich genauen Arbeiten von Biltz „über den osmotischen Druck der Kolloide“, die zufälligerweise Farben behandeln, deren auch wir uns bedienten, von dem Lösungszustand der Färben bilden konnten, kamen wir im Vergleich mit unseren Versuchen zu dem Schluß: Partikel einer groben Suspension, suspendierte tote Zellen, Bakterien, Suspensionskolloide und Semikolloide werden alle von den gleichen Zellen und in gleicher Weise aufgenommen. Die Verschiedenheiten in der Verteilung sind im wesentlichen bedingt durch die physikalischen Eigenschaften der Substanzen. Für nahezu alle vitalfärbbaren Zellen wurde nachgewiesen, daß sie phagocytieren, worunter man die Auf- nahme toter Zellen, Bakterien, feiner Fremdkörper, z. B. Ruß versteht. Prinzipielle Unterschiede bestehen zwischen einer Aufnahme von Zellen, Bakterien, Ultramikronen und Amikronen nicht, sondern nur graduelle. Wir glauben daher die vitale Färbung mit sauren Azofarben als Phago- cytose definieren zu können, wobei der Begriff Phagocytose von der Auf- nahme von Teilchen von etwa 12 Durchmesser bis zu den Amikronen auszudehnen ist. Die Aufnahme so heterogener Substanzen, wie Zellen, Bakterien, Farbsäuren, kolloiden Metallen ete. scheint uns durch die anodische Natur derselben bedingt zu sein. Unserer Auffassung nach ist die Vitalfärbung bezw. Phagocytose zurückzuführen auf Adsorption, womit auch unsere bisherigen Beobachtungen an lebenden Zellen und bei Metachromasie übereinstimmen. Wir glauben an unserem Material zeigen zu können, daß nicht chemische Reaktionen die spezifische Verteilung hochmolekularer Stoffe bezw. der Kolloide bedingen, sondern daß hier im wesentlichen physi- kalische Vorgänge maßgebend sind. Von Einfluß auf die spezifische Ver- teilung ist die chemische Konstitution nur indirekt auf dem Umweg über die physikalischen Eigenschaften, und die physikalische Chemie verdient bei sogenannten ‚‚chemotherapeutischen‘ Arbeiten ebensoviel Berück- sichtigung wie die reine Chemie. Die Beziehungen zwischen spezifischer Verteilung einiger Stoffe und physikalischen Eigenschaften haben wir darzulegen versucht. 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Dem Bestreben, den Zusammenhang zwischen chemischer Konstitution und Lösungszustand aufzudecken, sind die gleichen Grenzen gezogen wie allen Arbeiten über chemische Konstitution und physikalische Eigen- schaften. Welche Schwierigkeiten hier bestehen, zeigt am besten der Hinweis auf die Farbenchemie. Da unsere hier erhaltenen Resultate noch keine genügend weitgehenden Schlüsse zulassen, möchten wir von einer Mitteilung hierüber vorläufig noch Abstand nehmen. Jedenfalls aber glauben wir auf einen Punkt hingewiesen zu haben, der bisher wenig Beachtung fand, von dem aus aber viele der scheinbaren Rätsel und Wunder der „Chemotherapie“ erklärbar und auf bekannte Grundlagen zurückführbar sind. Eine Kritik der Ehrlich’schen Theorien soll vorliegende Arbeit nicht darstellen, denn gerade von ihrem Schöpfer wird immer betont, daß die Chemoceptorentheorie eine Arbeitshypothese sei, und was sie als solche geleistet hat, ist ja genugsam bekannt. Da- segen hofien wir, durch unsere Ausführungen neue Wege gezeigt zu haben, auf denen es vielleicht auch möglich sein wird, Erfolge zu er- ringen, Beugung an Raumgittern mit Demonstrationen. Von Dr. Eberhard Buchwald. Im vorigen Jahre haben Friedrich, Knipping und Laue!), als sie ein dünnes Bündel Röntgenstrahlen durch einen Kristall gehen ließen, auf einem dahinter angebrachten photographischen Film eine Schwärzung nicht nur in der Verlängerung der primären Strahlen, sondern auch in gewissen seitlichen Richtungen gefunden, eine Erscheinung, die nach Laue als ein durch die Raumgitterstruktur des Kristalls hervorgerufenes Iuterferenzphänomen aufzufassen ist. Da sich die Laue’sche Theorie ohne weiteres von Röntgen- auf Lichtstrahlen übertragen läßt und da in der Optik die Verhältnisse insofern einfacher liegen, als man es mit leicht zu bestimmenden und bequem zu variierenden Gitterkenstanten und Wellen- längen zu tun hat, lag es nahe, eine optische Nachbildung der Laue’schen Röntgenphotogramme zu versuchen. Eine solche gelang durch geeignete Abänderung einer Versuchs- anordnung, die Lommel?) im Jahre 1878 zur Untersuchung der Newton- schen Staubringe angegeben hat. Als Raumgitter diente dabei die Kom- bination eines Kreuzgitters und seines Spiegelbildes. Es ergaben sich im 1) W, Friedrich, P. Knipping und M. Laue, Ber. d. Kgl. Bayer. Akad. d. Wiss. pg. 303, pg. 363, 1912. 2) E. Lommel, Pogg. Ann. Erg. Bd. 8 pg. 97. 1878. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 1 homogenen Lichte Interferenzbilder, die die charakteristischen Eigenschaften der Laue’schen Photogramme zeigen: Punktsysteme, wie sie ein einfaches Kreuzgitter liefern würde, bei denen aber gewisse symmetrisch zum Zentrum gelegene Punkte fehlen. Näheres über die Versuchsanordnung und über den quantitativen Vergleich von Theorie und Experiment soll demnächst an anderer Stelle veröffentlicht werden. Sternenglanz und Stäbchenweiß mit Demonstrationen. Von Geheimrat Prof. Dr. 0. Lummer. Veröffentlicht in der Physikalischen Zeitschrift 14. S. 97—102, 1913. Sit zunlel. vom 5. Bebhruar. Prof. Dr. Pringsheim: Nachruf für Prof. Dr. Franz. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich noch eine schmerzliche Pflicht zu erfüllen. Wie Sie alle wissen, ist am 28. Januar - das langjährige Mitglied unserer Sektion Herr Geheimrat Franz ge-. storben. Was er für seine Wissenschaft geleistet hat, das zu schildern ist heute nicht an der Zeit und dazu würde mir auch die nötige Sach- kenntnis fehlen. Ich möchte nur mit wenigen Worten daran erinnern, was er für die Sektion und was er für uns hier in Breslau gewesen ist. Seit seiner Übersiedlung nach Breslau, also seit mehr als 15 Jahren, hat er der Sektion als Mitglied angehört und er hat sie bis zuletzt als einer ihrer Delegierten im Präsidium der Gesellschaft vertreten. Dort hat er treu für das Interesse der Sektion gearbeitet. Er hat mehrfach hier Vorträge gehalten, häufig zur Belebung der Diskussion beigetragen und regelmäßig an den Verhandlungen der Sektion als aufmerksamer Zuhörer teilgenommen. Wir alle haben bei seinen Vorträgen hier von ihm ge- lernt und sind ihm dafür zu Danke verpflichtet; ganz besonders dankbar aber müssen ihm seine Schüler sein, die er mit nie ermüdender Pflicht- treue in seine Wissenschaft eingeführt hat. Ich habe häufig Gelegenheit gehabt zu hören, mit welcher Liebe und Verehrung seine Schüler von ihm sprachen. Er war ihnen nicht bloß ein aufopfernder Lehrer und Förderer ihrer wis$enschaftlichen Bestrebungen, sondern er verstand es auch sie persönlich an sich heranzuziehen, warmherzig wie er war, ihre Herzen zu gewinnen und ihnen in allen Dingen des Lebens als Freund 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. und Berater zur Seite zu stehen. Ich habe auch öfter Gelegenheit gehabt, von auswärtigen Astronomen zu hören, wie sehr seine Lehrtätigkeit in ganz Deutschland Anerkennung gefunden hat. Es ist ihm gelungen, die Tradition seines berühmten Vorgängers aufrecht zu erhalten, nach der Breslau als eine bevorzugte Pilegstätte der astronomischen Wissenschaft galt, von der sich die anderen deutschen Sternwarten mit Vorliebe ihre Mitarbeiter holten. Wenn man Franz sah, so erkannte man auf den ersten Blick, daß man es mit einem Menschen von nicht gewöhnlicher Art zu tun hatte. Er war in gewissem Sinne ein Original. Wenn er auf der Straße ging, den Blick tief zu Boden gewandt, oder wenn er die Treppen des Universitäts- gebäudes zu seiner Arbeitsstätte emporstürmte, immer sah man, daß er mit seinen Gedanken nicht bei den materiellen Dingen dieser Erde weilte, sondern fernab, häufig buchstäblich auf dem Monde. Auf ihn paßt wie auf Wenige das Wort Goethes: „Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht, Es findet uns nur noch als wahre Kinder.“ Ein wahres Kind in des Wortes bestem Sinne ist Franz bis an sein Lebensende geblieben. Selbst ohne Trug und Falsch setzte er das Gleiche auch bei allen anderen voraus, mit kindlicher Reinheit konnte er sich an den einfachsten Gaben des Lebens erfreuen, wie ein Kind wurde er nicht müde Fragen zu stellen nach allem, was ihn interessierte. Und was interessierte ihn nicht alles! Weit über die Grenzen seiner Fach- wissenschaft hinaus verfolgte er alle Gebiete der Naturwissenschaften, auch die abgelegensten, mit brennendem Interesse, alle neuen Errungen- schaften der Wissenschaft suchte er sich zu eigen zu machen, für seine Forschungen und für sein Weltbild zu verwerten, an dem er unablässig arbeitete. Von rührender Bescheidenheit war er in seinen Ansprüchen an die äußeren Güter des Lebens. Vollkommen unberührt von dem modernen Hang zum Luxus und der immer mehr überhand nehmenden Genußsucht ragt er in unsere Zeit hinein wie ein Zeuge alter vergangener Geschlechter. So steht sein Bild in unserer Erinnerung als das eines treuen und auf- rechten Mannes, eines unermüdlichen und erfolgreichen Forschers, eines wahrhaft guten Menschen. Wenn es wahr ist, daß nach dem Tode auf Erden etwas von dem Menschen zurückbleibt, das ihn überlebt, seine Werke und das Andenken, das er im Herzen der Freunde hinterläßt, und wenn es ferner wahr ist, daß der Mensch erst dann ganz stirbt, wenn der letzte Freundesmund verstummt, der sein Andenken verkünden kann, so hat Franz einen Freund zurückgelassen, der noch den fernsten Geschlechtern der Menschen von ihm Kunde geben wird, den stillen Gefährten seiner II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 9 Nächte, den bleichen Freund seiner Tage, dem er die besten Stunden seines Lebens geweiht, den er mit seinen innersten Gedanken umwoben hat. So lange noch am klaren Himmel der Mond seines nächtlichen Amtes walten wird und so lange wissenschaftlich forschende Menschen sich bemühen werden, das Geheimnis seines stillen Wesens zu entschleiern, so lange wird der Name Julius Franz lebendig bleiben. Die Zustandsgleichung der idealen Gase bei tiefen Temperaturen, Von Prof. Dr. O0. Sackur. Die Thermodynamik liefert für die Entropie eines idealen Gases, welches den Zustandsgleichungen PV=RT und EwT (E = kinetische Energie der Molekularbewegung) gehorcht, die Gleichung (1) S=e,nT+RhV-+S$ Das gleiche Resultat erhält man mit der von Boltzmann begründeten kinetisch-statistischen Methode, ohne die Zustandsgleichung vorauszusetzen, und man erhält gleichzeitig für einatomige Gase c, — °],R, für zweiatomige — °,R etc., und ferner mittels der thermodynamischen allgemein gültigen Beziehungen 0S 192205 B SELTEN ONE NT nach Planck die Zustandsgleichungen PV=RT und E= °, RT für einatomige Gase etc. Die kinetische Theorie leistet also mehr als die rein thermodynamische, da diese die empirische Kenntnis der Zustandsgleichung voraussetzt Beide Theorien sagen jedoch nichts über den Zahlenwert der Konstanten S’ aus, die den Wert der Entropie frT=1lundV=]1 darstellt und von der chemischen Natur des Gases abhängt. Die gleiche statistische Methode führt jedoch für die Strahlung zu einem Widerspruch mit der Erfahrung, nämlich zum Rayleighschen Gesetz, da sich für ein System von schwingenden Resonatoren die Entropie- gleichung S— ', RinE - const. und dementsprechend E —= 1, RT er- gibt, was nur für extrem hohe Temperaturen als Näherungsgleichung richtig, bei tieferen Temperaturen jedoch mit der Erfahrung unverein- bar ist. Es ist daher von vornherein zu erwarten, daß auch die zur Zu- standsgleichung PV = RT führende Gleichung 1 für Gase in einem ge- wissen, wenn auch sehr niedrigen Temperaturgebiet versagen wird. Die Boltzmannsche Wahrscheinlichkeitsbetrachtung geht davon aus, daß sich die einzelnen Elementarteilchen (Moleküle oder Resonatoren) nicht in völlig übereinstimmendem Zustande befinden, sondern nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung alle möglichen Werte der Energie an- 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. nehmen können, sodaß also von den N insgesamt vorhandenen Mo- lekeln n, die Energie e,, n, die Energie &, etc. besitzen. Dann gelten bei konstantem N und konstantem E die Gleichungen (2) N —ın, Ling... — 2) (3) Eine Ein, es... — ne, und N! (4) S=klnW + cons. =klIn —- const, nın,l..n Planck erkannte, daß die Konstante k eine universelle Bedeutung für alle möglichen Systeme besitzt und daß die unbestimmte Konstante fortzulassen ist, wenn man die Hypothese macht, daß die Entropie ledig- lich durch die sogenannte Wahrscheinlichkeit W des Systems bedingt ist. Ferner kann man im Anschluß an Boltzmann und Planck zeigen, daß die Anzahl n der Gas-Molekeln, deren Energie sich in einem bestimmten Zeitmoment zwischen e und e + As befindet, in stationären Zustand gegeben ist durch die Gleichung (Maxwellscher Verteilungssatz) n = aNe — Pe As worin & und B zwei Konstanten bedeuten, die nur von Zahl und Art der vorhandenen Elementarteilchen, sowie von Energie E und Volumen V des betrachteten Systems abhängig sind. Setzt man dies in die obigen Gleichungen (2)—(4) ein, so erhält man unter der weiteren Hypothese, daß die Entropie lediglich durch die Wahrscheinlichkeit der Energiever- teilung bestimmt wird!) (2a) 1=aNe-fhe, (3a) E = aNDse” Ehe, (4a) S= — kNing — kNInde + kßE. Der Absolutwert der Entropie ist also außer von den Konstanten & und ß, die ihrerseits durch die Systembedingungen gemäß den Gleichungen (2a) und (3a) gegeben sind, von der Größe des Elementargebietes Ace ab- hängig. Die ältere statistische Mechanik ließ die Größe dieses Ae unbestimmt, beziehungsweise nahm es so klein an, daß man in den obigen Gleichungen (2a) und (3a) die Summation ohne merklichen Fehler durch eine Inte- gration ersetzen kann. Dadurch wurde auch der Zahlenwert der additiven Konstante in Gleichung 1 unbestimmt gelassen. Wenn man jedoch die Hypothese macht, daß die Entropie vollständig durch die Wahrscheinlich- 1) Diese Hypothese besitzt prinzipielle Bedeutung in Hinsicht auf die Über- legungen, mit denen Boltzmann die Anwendung von Differentialen und Integralen bei der statistischen Methode rechtfertigt. (Gastheorie, II, $ 38ffl.) Boltzmann setzt eine endliche, und zwar große Zahl von Molekeln ncodV.d&.dn.dg und schließt, daß d&dnd& beliebig klein angenommen werden kann, da das Volumen- element dV beliebig groß angenommen werden kann. Setzt man dagegen n As so kann offenbar Ae für endliche n nicht mehr unendlich klein gesetzt werden, II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 11 keit der molekularen Energieverteilung gegeben ist und einen endlichen positiven Zahlenwert besitzt, so muß man auch den Größen Ae einen be- stimmten Zahlenwert zuerkennen, da für unendlich kleine As nach (4a) S unendlich wird. Diese Annahme bezeichnet Planck neuerdings als den Grund- gedanken der sog. Quantenhypothese!). Daß man die Elementar- gebiete der Wahrscheinlichkeit auch bei den idealen Gasen endlich an- nehmen muß und daß ihr Zahlenwert die Entropiekonstante der Gase be- stimmt, habe ich bereits in einer früheren Arbeit gezeigt, allerdings damals die Frage offengelassen, wie diese Elementargebiete auszuwerten sind?). Zunächst erscheint es außerordentlich befremdlich, daß man eine Energie E nicht in beliebige unendlich kleine Gebiete de, sondern nur in endliche Ace teilen darf. Es wird dies jedoch verständlicher, wenn man in Erwägung zieht, daß die statistische Berechnung der Entropie gemäß Gleichung (4) auf der Annahme fußt, daß die Elementargebiete Gebiete gleicher Wahrscheinlichkeit sein müssen, d. h. daß von vornherein jedes Elementarteilchen die gleiche Chance haben soll, sich in einem be- liebigen Gebiete zu befinden®?). Teilt man z. B. die Energie E in beliebige kleine gleiche Gebiete, so ist es ohne weiteres klar, daß die am Anfang oder am Ende der die Energie E darstellenden Strecke liegenden Gebiete nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit für sich haben werden, und es wird zum mindesten plausibel, daß es unter allen denkbaren nur eine einzige Ein- teilungsmöglichkeit in unter sich nicht notwendig gleiche Strecken gibt, die der Bedingung gleicher Wahrscheinlichkeit genügen. Es ist daher die endliche Teilbarkeit der Energie nicht notwendig als physikalische Tatsache, wie die Quantentheorie in ihrer ursprüng- lichen Form annahm, sondern nur als Rechenmethode aufzufassen, die allein die vollständige Berechnung der Entropie durch Wahr- scheinlichkeitsbetrachtungen ermöglicht. Auch die Oberfläche eines Würfels ist unendlich teilbar; sie wird aber für Wahrscheinlichkeits- betrachtungen in sechs gleiche Teile gleicher Wahrscheinlichkeit geteilt. Ich werde später eine Hypothese aufstellen, die die Berechnung der Ae für die verschiedenen Systeme ermöglicht, zunächst aber die von dieser Hypothese unabhängigen Formeln entwickeln, die durch Ausführung der Summation der Gleichungen 2a und 3a resultieren, und zwar vorläufig unter Beschränkung auf einen einzigen Freiheitsgrad der Bewegung (also z. B. für Gas-Moleküle, die sich nur längs der x-Richtung bewegen können). 1) Wärmestrahlung, 2. Aufl. 1913, S. 110 ff. 2) Ann. d. Physik (4) 36, 958 (1911). 3) Vgl. z. B. Einstein, Physik. Zeitschr. 10. 187 (1909). Planck, I. « S. 123. 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cnltur. Hier tritt zunächst die Schwierigkeit auf, daß die As nach dem eben Gesagten nicht alle gleich zu sein brauchen. Man wird jedoch keinen großen Fehler machen, wenn man einen Mittelwert aller Ace benutzt, be- sonders da ja im stationären Zustande die Moleküle sich nicht gleich- mäßig in allen Elementargebieten befinden, sondern vorzugsweise in den- jenigen, welche dem Mittelwert der Energie benachbart sind. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Summation nicht über die Werte 0, As, 2Aeg, Ae 5Ae : . sondern über die Werte DR — ... zu ertrecken ist, da ja bei end- lichem As die in einem Elementargebiet befindlichen Molekeln die N mittlere Energie e — 5 besitzen. Demnach erhalten wir aus 2a und 3a — BAe — 3BAe ENG D=aße(e 2 Le 20 1000 2 — BAe BA zu a R (2b) =uaAc:e ? E und eBäe —_ 1 — BAe €)? 2 — BA — 284 — 38B\ alt, ee... (3b) Br Setzt man zur Abkürzung —— —- = q, so folgt aus (3b) AY> N (5) a LE, 1 1 und aus (2b) «= nk ei (6) Dann erhält man aus (4a) (4) S=-ING+HYIna+H—INg—-Hing—d. Diese Gleichung gilt für alle Arten der Molekularbewegung, also für Strahlung, feste Körper, Flüssigkeiten und Gase. Der Unterschied zwischen diesen Zuständen beruht lediglich auf der Verschiedenheit der q-Werte, d. h. auf der Art und Weise, nach welcher die Elementargebiete der Energie bestimmt werden. Für Resonatoren erhält man unmittelbar die neuerdings von Planck gegebene Gleichung?), wenn man Ae=hvy, also E OR — NS setzt, Für einatomige ideale Gase sind drei gleichwertige Freiheitsgrade in Rechnung zu setzen, da die Zerlegung der Bewegung in die drei auf einander 2) ]. c. S. 139. Il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 13 senkrechten Raumkoordinaten offenbar vollständig gleichmäßig erfolgen muß. Da man jedoch bei Gasen die einzelnen Molekeln nicht nur nach ihrer Energie, sondern auch nach ihrer Bewegungsrichtung unterscheidet, so ist die Gleichung für die Entropie, wie sich leicht zeigen läßt, Freiheitsgrad um die Größe kN In 2 zu vermehren. einatomige ideale Gase die Gleichung pro Man erhält also für (40) S=3KNG+Y Ina +H—SKN—Hin( Die für alle Temperaturen gültige Zustandgleichung durch Differentiation nach der Gesamtenergie (3 E) und — 1) 3kNIn2. erhält man dann dem Volumen V, also: Da os a1 9S:dq ( og (7) 1.7 30E v.3:0g0E men "or Bacdsı.ı se 3q 3.049, 0q (8a) und daher P= avy 'ap Die nächste Aufgabe ist also, die Abhängigkeit der Größe q von Energie ' Volumen zu bestimmen. Dies ist ohne eine neue Hypothese über die Größe der Elementar- gebiete nicht möglich (vgl. $S. 3). Im Anschluß an die Überlegungen, die ich an anderer Stelle über die Beziehungen zwischen Wahrscheinlichkeit und Zeit angestellt habe!), nehme ich nun ganz allgemein an, daß die Elementargebiete umgekehrt proportional der Zeit sind, während welcher man das System beoachten kann oder muß, um bei der Summation jedes h ONE Teilchen einmal zu zählen, also Ae = = und daß der Proportionalitäts- faktor h universell, also unabhängig von der Natur des betrachteten Systems ist?2). Für Resonatoren ergibt sich nach meinen früheren Ausführungen diese Zeit' als die Schwingungszeit, also Ae —= hy, bei idealen Gasen dagegen als die Zeit, während welcher sich eine Molekel frei, d. h. ohne anzustoßen, x REN IE x also = ;, wenn & die Geschwindigkeitskomponente und x die & Raumkoordinate zwischen zwei Zusammenstößen bezeichnen. bewest, Hier ist jedoch eine Bemerkung einzuschalten. Bei der Betrachtung eines ruhenden Gases im stationären Zustande darf man dieses x nicht als die Komponente der sog. freien Weglänge betrachten, deren Größe für die Dynamik der Gase Bedeutung besitzt und z. B. die innere Reibung und das Wärmeleitvermögen bestimmt. Man muß sich vielmehr, um zu dem empirisch richtigen Resultat zu kommen, vorstellen, daß jede einzelne 1) Verh. Dtsche. Physik. Gesellsch. 14. 951, Ann. d. Physik (4) 40, 67 (1913). 2) Diese Hypothese stimmt der Dimension nach mit dem Liouvilleschen Satz überein, 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Molekel im Mittel ihren Platz behält, beziehungsweise sich nur in dem Volumen V/N ungehindert bewegt. Wie man sofort einsieht, bleiben hier- durch alle thermodynamischen Größen des Gases (Druck und Temperatur) unverändert. Demnach ist x bei der Mittelwertsbildung als die Kante des ee vi Würfels vom Volumen V/N/also x =. zu setzen. Dann erhält man Neche ER Ae=-= — und bei Bildung des Mittelwertes der Ae I x hN'3 Und HN" mob — A DIE de = Val aNT za ya; & «Ace IEe Berücksichtigt man & = 12 Ä Vs, so erhält man — BA —— — 3BA —— — 5BßAe un 1 a wei. .) Vs - 2 1 hN’B u U. um: Ble — 2 BAe —_— .er2 (1-+V v5 ) N hN’3 —-ßken=o — nßAs = .e 2 NVinfi.e v'sy m zig 2 B VL Aus (5) und (6) folgt, da e =| 2 9473 n RZ hN’3 1 NE—NCo at — um: SV Oneral VAe = Taym gar ar in 2 2 N Be ? F] Diese Gleichung stellt die Abhängigkeit des q von E und V dar; die auf Ss. 5 gestellte Aufgabe ist also gelöst, und die Zustandsgleichung der idealen einatomigen Gase ist nach (7), (8) und (9) berechenbar; durch Eliminieren von q und E erhält man eine Gleichung zwischen P, VundT. Zur Vereinfachung setzen wir noch den universellen Faktor h?N?-N’® —A und das Molekulargewicht mN=M, und erhalten schließlich A g— f(q) N- Var ' as SE Ahzraie- = |- "ME a (9a) n =o0 I Bereits ohne auf die Auswertung der Summe einzugehen, können wir aus (9a) einen wichtigen Schluß auf die Zustandsgleichung der einatomigen Gase ziehen. Es ist nämlich offenbar q nur eine Funktion von E - V?s, alsoq =F (E V25). II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 15 — et Mithin ist 1 — = F’ (E - V?/s) - V?2/s und „ =F(E- V?h). -V ‘ 2 5 also nach (8a) P = — oder E)k—= — wenn wir mitE, = 3E die Gesamtenergie der fortschreitenden Bewegung aller drei Freiheitsgrade be- zeichnen. Diese Form der Zustandsgleichung bleibt also bei allen Temperaturen bestehen, nicht aber die Gleichung PV = RT, oderE, =°/, RT. Die Beziehung zwischen E und T wird durch die Gleichungen 7 und 9a gegeben, mit deren Hilfe man für jeden beliebigen Wert von q die zusammengehörigen Werte von E und T entnehmen kann. Bei der Ausrechnung zeigt sich, daß die in 9a enthaltene Reihe für alle q > 0,5 konvergiert, für Werte q > 1 aber so schlecht, daß die Ausrechnung recht mühsam wäre. Nun gelingt es jedoch die Reihe umzuformen in eine andere, welche gerade für He Werte von q sehr rasch konvergiert, und zwar ist, wenn wir u = In 5 an = setzen n=w un DI os aan = BR 1 — 3/g v2 l.ey AU 22 Vz -u ” — —2ı . COS OT TEN) Ar 2 ass Zn nz=& = 3 1 +5. Un Moosnn. 27 2.8.5. Zn Aheos am. (2) ..)» oder, wenn wir für die konstanten Glieder die numerisch ausgerechneten Werte einsetzen n 2 ) —ıe2 h= u 1. 0,0852 — 0,0233 u... a... Man erkennt zunächst, daß für große q 9a übergeht in die Gleichung Az en E=muy® 5 2 E a2, (7a) und demnach 7 in T= Rn aa die bekannte Gasgleichung. Die Abweichungen zwischen 7 und 9a einer- seits und 7a und 9b andererseits betragen schon von q = 10 an nicht mehr als etwa 1 Promille, so daß von q — 10 an innerhalb der Genauig- keit des Experimentes die alten Gasgleichungen zutreffen. Ganz dieselben Gleichungen gelten übrigens auch für mehratomige ideale Gase, falls man wiederum unter E, nur die Energie der fortschreitenden Bewegung versteht. ı) Diese Umformung, die mir erst die Prüfung der Theorie ermöglichte, ver- danke ich Herrn Prof. Erhard Schmidt. In der Reihe folgen übrigens stets auf 2 positive Glieder 2 negative u. s. f. 2) Schon von qg > 2 an sind die folgenden Glieder zu vernachlässigen. 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Es entsteht nun die Frage, von welcher Temperatur abwärts die Ab- weichungen auftreten werden und nach welcher Richtung sie liegen. Wie man sieht, hängen sie lediglich von den Zahlenwerten von A, M und V ab, und zwar sind sie bei gleichem T um so größer, je kleiner M und V sind. Da A aus- rechenbar ist, so konnte ich berechnen, daß für alle Gase unter gewöhn- lichen Drucken bei Zimmertemperatur die Näherungsgleichungen 9b und 7a vollkommen gerechtfertigt sind, und erst bei sehr tiefen Temperaturen werden allein bei den Gasen Helium und Wasserstoff Abweichungen be- merkbar werden. Die Art dieser Abweichungen erkennt man am besten, wenn man q bis zum Werte q —= !i, abnehmen läßt. Dann wird SEN A 2 M.V’s peratur besitzen also dieidealenGase einekinetischeEnergieE, und dementsprechend auch einen Druck P,, der durch die Br — und T=0. Am absoluten Nullpunkt der Tem- 2 i s Gleichung P, = = gegeben ist. Dieses Resultat hat schon Planck, (Wärmestrahlung 2. Aufl., S. 140) aus Gl. 4b für Resonatoren erhalten. Die E—T-Kurve muß also sowohl für Gase wie für Resonatoren die folgende Gestalt haben: >T 3RT oe zeichneten gradlinigen Verlauf verlangt!). während die alte Theorie (£ = ) den in der Figur ebenfalls ge- Dies wird verständlicher, wenn man die Energie als die unabhängige Veränderliche und die Temperatur als abhängige Veränderliche auffaßt, wie es ja auch thermodynamisch gerechtfertigt ist. Dann können sowohl Resonatoren wie Gase eine gewisse Energie besitzen ohne Temperatur aufzuweisen, d. h. die Nullpunktenergie kann noch vollständig ohne Entropievermehrung in Arbeit umgewandelt werden. Erst wenn die Energie des Systems größer als E, wird, tritt der 2. Hauptsatz in Erscheinung. Es liegt dies daran, daß die Energie E, für die statistische Betrachtung noch als geordnete Bewegung aufgefaßt werden muß, weil sich alle Elementarteilchen in demselben Elementargebiet der Energie As befinden. Für Gase ergibt sich im besonderen folgende Konsequenz: Der Druck eines Gases, bezw. die durch den Druck gemessene gasthermometrische Temperatur, ist bei sehr tiefen Temperaturen größer als die thermo- dynamische, und zwar um so größer, je kleiner das Molekular-Volumen 1) Hierdurch wird der kürzlich von H. Alterthum eingeführte Begriff der „relativen Temperatur“ überflüssig. (Verh. Dtsch. Physik. Gesellsch. 15 S. 25 [1913]) Anm. b. d. Korr. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 17 des Gases ist, bezw. unter je höherem Druck das Gasthermometer bei 0°C. gefüllt wird. Die Zahlenrechnung zeigt, daß für H,- und He-Thermometer die Abweichungen bei z. B. 30° abs. nicht größer als etwa 0,1 — 0,2° sind, wenn beide Thermometer bei Atm. Druck und 0° C. gefüllt werden. Dagegen müssen bereits merkliche Abweichungen auftreten, wenn die Thermometer unter einem etwas höheren Druck gefüllt werden. Auch die idealen Gase müssen also in schwach komprimiertem Zustande bei sehr tiefen Temperaturen merkliche Abweichungen von der Gleichung RT = PV zeigen, und zwar liegen diese Abweichungen im entgegen- gesetzten Sinne, als man sie nach den Gleichungen von van der Waals und D. Berthelot erwarten müßte, da nach den Gleichungen 7 und 9a bei H, z. B. PV auch bei den tiefsten Temperaturen mit wachsendem Druck ansteigen muß, wenigstens so lange man die Attraktionskräfte vernach- lässigen kann, Diese Folgerung der Theorie läßt sich experimentell prüfen, und zu diesem Zwecke müssen neue, natürlich relativ sorgfältige Untersuchungen angestellt werden; es muß die Zustandsgleichung von H, und He bei tiefen Temperaturen und geringen erhöhten Drucken untersucht werden.?) Daß diese Prüfung den erwarteten Erfolg zeitigen wird, geht z.B, aus einer Berechnung von Eucken (Sitz.-Ber. Berl. Akad. 1912 S. 147) hervor, nach welcher die D. Berthelotsche Gleichung für komprimierten Wasserstoff bei tiefen Temperaturen vollständig zu versagen scheint. Der Druck P,, den die idealen Gase am Nullpunkt besitzen müssen, berechnet sich aus der Gleichung P, = e z. B. für ein Wasserstoff- Thermometer konstanten Volumens, das bei 0° C. und 1 Atm. Druck gefüllt wird, aus V = 2,24.10* zu 6,48.10%c.gs— 4,9 mm und für ein unter 10 Atm. Druck bei 0° gefülltes Gasthermometer schon zu 227 mm, was einer gasthermometrischen Temp. von über 8° abs. entsprechen würde. Für Helium sind die entsprechenden Werte halb so groß, für schwerere Gase noch weit kleiner, dem Molekulargewicht umgekehrt pro- portional. Diesen absoluten Zahlenwerten kann man jedoch vorläufig noch keine allzu große Bedeutung beilegen, da sie möglicherweise um einen, allerdings nicht sehr von 1 verschiedenen Zahlenfaktor falsch sind. Denn der Ab- solutwert der Nullpunktsenergie hängt in gewisser Weise von der Art der zur Berechnung notwendigen Mittelwertsbildung ab, wie man dies stets bei gastheoretischen Rechnungen beobachtet?). Die Gleichung 4b muß näm- 1) Ich beabsichtige diese Untersuchung in Angriff zu nehmen, 2) Vgl. z. B. v. Smoluchowski, Phys. Zeitschr. 13, 1069 (1912). 1913. 2 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. lich für große q-Werte in die früher von mir durch Integration gewonnene Entropiegleichung übergehen. Für große q wird aus4bS = 5kNIn2q % V+'% N-!k Y2M — 3kN, und da dann q nach Gleichung 9b = ws — he ist, v so folgt S = > InE+ kNnV— 4kNInN — 3kNInh 3 sM kN] x a) Al + 3kN und die Entropiekonstante S! — ae an ne N‘s.h?. rn’ während nach der früheren Integration!) sı _SKN ArMe En ne) Ne Diesen Wert würde man erhalten, wenn man den aus 9b folgenden 2 Wert für q mit = = 1,34 oder entsprechend die Größe A in Gleichung (9a) Made UNE : mit Are 0,56 multipliziert. Dann müßten auch die oben berechneten 4 P,-Werte mit 0,56 multipliziert werden. Nur das Experiment kann entscheiden, welcher Weg der Mittelwert- bildung den Tatsachen näher kommt. Zweiatomige Gase. Die Molekularbewegung der zweiatomigen Gase zerlegen wir in be- kannter Weise in die fortschreitende Bewegung und in eine Rotation um die beiden zur Verbindungslinie der Atome senkrechten Achsen. Das System besitzt dann 5 Freiheitsgrade, von denen die drei Freiheitsgrade der fortschreitenden Bewegung und ebenso die beiden Freiheitsgrade der rotatorischen als unter sich gleichwertig betrachtet werden sollen. Dem- entsprechend setzen wir die Gesamtenergie E = 3E;,—+ 2E, und ent- sprechend die Gesamtentropie S—= 3% + 2°8,, wenn die Größen Ex , E, etc. sich wiederum nur auf je einen Freiheitsgrad beziehen. Die ältere statistische Theorie nahm nun an?), daß nach dem Prinzip der Gleichverteilung der Energie unter allen Umständen E = E, sein müßte, doch wird dieses Prinzip durch die Erfahrung, nämlich durch das 1) Ann. d. Physik (3) 40, S. 78. 2) Der theoretische Beweis bei Boltzmann beruht auf der Annahme un- endlich kleiner Elementargebiete. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 19 bei allen Gasen auftretende Ansteigen der spezifischen Wärmen mit der Temperatur, widerlegt. Es steht jedoch auch im Widerspruch zur Thermodynamik, denn diese führt zu dem Schluß, daß im stationären Zustand die einzelnen Freiheitsgrade nicht gleiche Energie, sondern gleiche Temperatur haben müssen, wenn man die thermodynamische Temperatur als den reziproken Wert des Differentialquotienten der Entropie nach der zuge- hörigen Energie definiert. Dies läßt sich folgendermaßen zeigen: Im stationären Zustand gelten die Gleichungen OE; dE, De | Ö — — ee 2m == SE —= 35-258, — 0 355 8E+2 5 5E=0 EN N IS N os: 85-3554 25,—- 0-3 ,, öE; - 2 5m SE, —= 0 h SHE WEN OS.loEe ds, aRı Ra OR TELT EN OR or N nomior en TS EN RER Für S; und E; können wir ohne weiteres die entsprechenden Glei- chungen des vorigen Abschnittes übernehmen. Für die Beziehung zwischen E, und T gilt ebenfalls die Gleichung (7), nur muß bei der Bildung der Funktion E,=f(q), d. h. bei der für die Rotation gültigen Bestimmung des Elementargebietes As auf die speziellen Bedingungen Rücksicht ge- nommen werden, und zwar ist wiederum nach der S. 5 eingeführten h Hypothese Ae = — zu setzen. Die Bestimmung der Zeitgröße rt gelingt nach meinen früheren Aus- führungen!) auf folgende Weise: Bezeichnen wir die Energien der beiden Rotationen mit &, und g,, die Winkelgeschwindigkeiten mit u und v, so ist unter Berücksichtigung des Variabilitätsbereiches der beiden Winkel T 2 — —UuU, — =V, T% % 0 On | also &, — 3 ur, Es =, su’uv”. Führt man die Berechnung von E,= f(q) ganz analog wie auf S. 6 angegeben ist, durch, so erhält man im Mittel für jeden der als nahezu 2) Ann. d. Phys. (4) 40, 87. 9* 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur., gleichwertig zu betrachtenden Freiheitsgrade der Rotation schließlich, wenn wir für das Trägheitsmoment der aus 2 gleichen Atomen bestehende Molekel setzen, die Gleichung N:?h? ’q oa en a] Er = Fon Fe 2n 1 = gie): Va Gr an u gq+3 nn Der einzige Unterschied zwischen den Gleichungen (9a) und (9c) be- NN? steht also darin, daß an Stelle des Faktors (7) E der Faktor 5 tritt, np Für ein Gasthermometer konstanten Volumens, welches z. B. bei 0°C, ; ; 1 und Atmosphärendruck gefüllt wird, ist (N/V)’s — 10'?, IT: — 03 wenn wir den mittleren Molekularradius rund = 10-8 cm annehmen, Gleichen Werten von q entspricht daher eine wesentlich höhere Energie der Rotation pro Freiheitsgrad und daher auch eine wesentlich höhere Temperatur. Da aber im stationären Zustande die einzelnen Freiheitsgrade gleiche Temperaturen haben müssen, so kommen der Rotationsenergie wesentlich kleinere q-Werte zu, als der mit ihr im Gleichgewicht be- findlichen fortschreitenden Bewegung, oder mit anderen Worten, die Ab- weichungen von der idealen Gasgleichung E = nn (pro Freiheitsgrad) sind für die Rotationsenergie viel größer als für die Energie der fort- schreitenden Bewegung. Dies entspricht dem Befunde von Eucken, nach welchem die spez. Wärme des H, schon bei Temperaturen, bei denen die Gleichung PV= RT noch zutrifft, außerordentlich stark abnimmt. Die Gleichungen (7) und (9c) gestatten ferner die Abnahme der spez. Wärme des Wasserstoffs mit sinkender Temperatur in voller Überein- stimmung mit der Erfahrung quantitativ zu berechnen, allerdings muß man, um diese Übereinstimmung zu erhalten, für den mittleren Molekularradius p einen nicht unwesentlich kleineren Wert annehmen, als ich dies früher getan habe, nämlich p — 0,475. 10-8, anstatt 0,95.1078. Dies ist an und für sich nicht unwahrscheinlich, da sich eine Reihe von Gründen dafür angeben lassen, daß der wirkliche Molekularradius aller Gasmolekeln wesentlich kleiner ist als der Radius der molekularen Wirkungssphäre, der den früheren Berechnungen im wesentlichen zugrunde lag!). Mit diesem Werte erhält man, da dann für Wasserstoff (M = 2) N — N 4rMp? wird, die folgende Tabelle für q, E, (pro Freiheitsgrad) und T: 1) Es sind also wahrscheinlich alle früher für mehratomige Gase berechneten C-Werte zu groß. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. a1 Tabelle 1. Für Wasserstoff. SE FT num 5 — z® Oo = —— 1 u DW ATMo? (+ 3) un ae a) 2 0,5005 1,4025. 1010 74,80 18,8 .107 0,501 1,405 -1010 84,90 16,6 .10? 0,502 1,410 -1010 94,30 15,0 -10? 0,505 1,4244. 1010 1.100.9 12,3 -107 0,510 1,450 .1010 128,70 11,3. 10% 0,520 1,500 . 1010 153,70 9,75.107 0,53 1,550 -1010 173,60 8,93. 107 0,55 1,653 -1010 209,0° 7,91.107 0,57 1.765 -1010 241 7.332.102 0,60 1,927 .1010 285,80 6,74-107 0,65 2,226 -1010 362,20 6,15.107 0,70 2,540 .1010 438,20 5,80-107 Die Energie konvergiert also am absoluten Nullpunkt der Temperatur zu dem Werte E, = 1,4 10!° erg pro Freiheitsgrad der Rotation, steigt erst langsam, dann beschleunigt an und erreicht erst bei sehr hoher Temperatur den theoretischen;.Wert R2 T. —=4,16.. 107.T. Um die spezifische Wärme zu berechnen, muß man für zwei benach- barte Werte von T den Differenzenquotienten dE/dT bilden und diesen als den Wert für die wahre spezifische Wärme bei der Mitteltemperatur annehmen. Nach Umrechnung auf cal und Addition des für die trans- latorische Bewegung in dem betrachteten Temperaturgebiet noch hinreichend genauen Wert von ?/, R= 2;98 cal erhält man auf diese Weise schließlich folgende Tabelle für c,, die mit den experimentell gefundenen verglichen wird. Tabelle 22). Cy für H,. T Cy ber. Cy gef. 80° 3,10 3,14 (Eucken) 90° 3,23 3,25 - 920 3,33 Scheel u. Heuse 100° 3,42 Eucken 103° 3,41 110° 3,62 = R 1) Nach der alten Theorie stets = y >= 4,16 . 107, 2) Während ich mit der Ausarbeitung dieser Abhandlung beschäftigt war, teilte mir Herr Dr. O. Stern freundlichst mit, daß es Herrn Einstein und ihm ebenfalls unter Annahme einer Nullpunktsenergie gelungen sei, die Euckenschen Versuche theoretisch zu bereclinen. Seine Abhandlung wird demnächst in den Ann. d. Physik erscheinen. 22 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. cy fürs: T Cy. ber. Cy gef. 1190 3,67 141° 3,93 164° 4,18 192° 4,56 4,38 Scheel 1979 4,39 Eucken 243° 4,67 273 4,834 Eucken 2890 4,875 Scheel 301° 4,79 362° 4,89 Ich habe mich bemüht die recht mühsamen Zahlenrechnungen auf 1 pro mille genau auszuführen, doch kommen etwaige kleine Rechen- fehler bei der Differenzenbildung naturgemäß mit erhöhtem prozentischen Fehler in Betracht. Die Übereinstimmung ist, wie man sieht, vollauf befriedigend, so daß die oben entwickelte Theorie vorläufig als gerechtfertigt erscheinen dürfte. Nur bei höheren Temperaturen scheint die gefundene spez. Wärme etwas srößer zu sein als die berechnete, was offenbar auf die Schwingungs- energie der Atome zurückzuführen ist. Nach den bisherigen Anschauungen war man geneigt anzunehmen, daß die Schwingungen der Atome erst bei den Temperaturen beginnen, bei welchen die spez. Wärme der 2-atomigen Gase größer als °/, R wird. Nach der hier entwickelten Theorie tritt jedoch dieses Ansteigen erst ein, wenn die Energie größer als ein gewisser Grenzwert E, wird, der sich h aus der Planckschen Formel bei konstanter Schwingunsgzahl zu z pro Mol berechnet. Demnach ist anzunehmen, daß auch bei tieferen Tempe- raturen Schwingungen vorhanden sind, deren Energie von der Temperatur unabhängig ist. Die Theorie wirft daher ein neues Licht auf die Be’ ziehungen zwischen der (Quantentheorie und dem lichtelektrischen Effekt, sowie auf den Zusammenhang mit der Dissociationswärme, auf welche ich in einer späteren Arbeit einzugehen hoffe!). Es möge nur noch die Bemerkung gestattet sein, daß die Schwingungen der Elektronen in den Metallen, wie sie durch den lichtelektrischen Effekt gemessen werden, obwohl sie eine recht erheblibhe Energie repräsentieren, keinen Einfluß auf die spez. Wärme des Metalles ausüben dürfen, was ja bekannt- lich auch durch die Erfahrung bestätigt wird. 1) vel. z. B. Einstein, Ann. d. Physik (4), 37, 832 (1912), Stark, Jahrb. d. Radioaktivität und Elektronik 6, 168 (1909), Haber, Physik. Zeitschr. 12, 1035 Verh. d. Physik. Gesellsch. 13, 1117 (1911). II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 33 Untersuchungen an physikalisch-objektiven Kombinationstönen (zum Teil nach Untersuchungen von Herrn G. Mücke). Von Prof. Dr. E. Waetzmann. Beiträge zur experimentellen Bestimmung des Verhältnisses der beiden spezifischen Wärmen x — c»/c, der Luft. Von Erich Höhne. Für die experimentelle Untersuchung von c,/c, hat man mit Erfolg drei prinzipiell von einander verschiedene Wege eingeschlagen. Erstens wurde die klassische Methode von Clement und Desormes!) mehrfach?) unter teilweise erheblich veränderten und verbesserten Versuchsbedingungen zur %-Bestimmung benutzt. Als zuverlässigster Wert wurde bisher der von Röntgen?) gefundene angesehen. Den Abschluß dieser direkt auf Clement und Desormes zurückführenden Untersuchungen bildet die Methode von Maneuvrier®), die sich auf das sogen. Reech-Theorem stützt. Bei allen handelt es sich lediglich um Druckmessungen, man hat es also mit einer Druckmethode zu tun. Bei einer zweiten Gruppe von Untersuchungen legte man die bekannte Beziehung von % zur Schallgeschwindigkeit dem Experiment zugrunde und ist auch bei den verschiedensten Anordnungen dieser Schallmethode besonders neuerdings zu verhältnismäßig gut übereinstimmenden Resultaten gelangt, wie sie beispielsweise von Hebb°) durch direkte Messung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit im Freien oder großen Räumen oder von Violle und Vautier‘) durch Versuche in sehr langen Röhren oder nach Kundt und nach Quincke von verschiedenen Beobachtern?) in Röhren von kleinen Dimensionen geliefert wurden. Die dritte Methode ist die von Lummer und Pringsheim°), bei der die adiabatische Zustandsgleichung direkt der Ausgangspunkt der Unter- 1) Clement und Desormes, Journ. de Phys. 89. 321. 1819. 2) Masson, Ann. de Phys. et Chim. 53. 257. 1858. Cazin, Ann. de Phys. et Chim. 66. 206. 1862. Paquet, Journ. de Phys. 4 30. 1885. Weisbach. Ziviling. 5. 46. 1859. 3) Röntgen, Ann. 148. 580. 1873. 4) Maneuvrier, C. R. 123. 228. 1896. Ann. Chim. et Phys. 6. 321. 1895. 5) Hebb, Phys. Rev. 20. 89. 1905. 6) Violle et Vautier, Ann. de Phys. et Chim. 19. 306. 1890. Congres Int. de Phys. 1900. 1. 228. 7) Blaikley, Proc. Phys. Soc. 6. 298. 1884. J. W. Low, Ann. 52. 641. 1894. Stevens, Ann. 7. 28. 1902 u..A. 8) Lummer und Prıngsheim, Ann. 64. 555. .1898.. Wiederholt von Makower, Phil. Mag. 5. 226. 1903. Moody, Phys. Rev. 34.. 275. 1912. 24 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. suchung ist. Hier kommt es hauptsächlich, wie noch näher ausgeführt werden soll, auf eine möglichst genaue Temperaturbestimmung an. Deshalb will ich sie als die Temperaturmethode der %-Bestimmung bezeichnen. Für hohe Temperaturen fanden bisher nur die Anordnung von Maneuvrier!) (Worthing 1911) und öfters die Schallmethode?) nach Quincke Verwendung. Es schien daher wünschenswert, zu untersuchen, in welchem Maße sich auch die Temperaturmethode von Lummer und Pringsheim für die Messung bei hohen Temperaturen eignet. Einen Beitrag zu dieser Frage soll die vorliegende Arbeit liefern. Der Untersuchung zugrunde liegt die adiabatische Zustandsgleichung: ig By x 1) oder explizite für % IM lemızelspr 3 een “ wo p;, und p, zwei beliebige Drucke, T, und T, die entsprechenden absoluten Temperaturen sind, wenn das Gas von dem einen Druck auf den anderen adiabatisch übergeht. Dehnt sich also ein Gas von einem bekannten Überdrucke p--h=p, bei der bekannten absoluten Temperatur 'T, auf den Atmosphärendruck p=p, adiabatisch aus, so läßt sich die nach erfolgter Expansion durch adiabatische Abkühlung erlangte End- temperatur T, auf bolometrischem Wege messen und dadurch % be- stimmen. Die Druck- und Temperaturwerte beeinflussen nun das Resultat in sehr verschiedener Weise. Bezeichnet man die Änderungen von Pı Pa T, T,, die durch die Beobachtungsfehler entstehen können, bezüglich mit Ip Po fr, fr, so ist bekanntlich der Gesamtfehler F bei Vernach- lässigung von zweiten und höheren Potenzen dx ar a = th —— Ef. —— 4, Ef, 3 F = DD Pe 35, m Flngm, ) wobei p, auch als Funktion von p, zu berücksichtigen ist. Für m 0,018 a0] fr, = 0,005 fr, — 0,005, den Versuchsbedingungen der vorliegenden Arbeit entsprechend, erhält man 1) Worthing, Phys. Rev. 33. 217. 1911. 2) Kalähne, Ann. 11. 225. 1903. Stevens, l.c. Leduc, C.R. 126. 1800. 1898. 127. 659. 1898. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 95 ug = 77 0,000 183 d. i. 0,01 °/, Abweichung eg — + 0,000 072 d. i. 0,00%, = 4) eg — + 0,000 865 d. i. 0,06 %, 5 Ir — 2 0,000 875 d. i. 0,06% AN wobei für x der Wert 1,400 und als Überdruck 30 mm Hg bei 20° C . Anfangstemperatur und 760 mm Atmosphärendruck angesetzt ist. Die Gleichungen 4) lassen erkennen, daß die beiden Temperaturen viel empfindlicher in die Formeln für % eingehen als die Drucke, daß also bei den Versuchen auf erstere besonderer Wert zu legen ist. Den geringsten Einfluß hat, wie zu erwarten war, der Atmosphärendruck. Wichtiger ist die genaue Bestimmung des Überdruckes, die sich aber ohne erhebliche Schwierigkeit in der angenommenen Genauigkeit von 0,01 mm ausführen läßt. Der Gesamtfehler beträgt hiernach 0,14 °/,, der mittlere Fehler 0,08 %,. Es möge schon hier erwähnt werden, daß sämtliche beobachteten Werte untereinander um höchstens 0,08 °, variieren. Zur Vermeidung der Wärmeleitung von den Wänden her während einer Expansion führte man bisher die Temperaturmessung in der Mitte von möglichst großen Gefäßen aus. Die Größe der benutzten Ballons — bei Lummer und Pringsheim faßte derselbe bei einem Durchmesser von etwa 56 cm ungefähr 90 L, bei Makower sind die entsprechenden Zahlen 46 cm und 50 L und bei Moody 40 cm und 60 L — machte die Methode für die direkte Verwertung bei hohen Temperaturen nicht geeignet, Es war daher zunächst zu untersuchen, bis zu welchem Volumen abwärts diese Temperaturmethode bei geeigneter Versuchsanordnung noch brauchbare Resultate lieferte. Demzufolge teilt sich die vorliegende Arbeit in zwei Teile: -J. Die Überführung der Methode auf ein kleines Volumen. II. Die Anwendung derselben auf hohe Temperaturen, I. Für die Vorversuche stand mir, abgesehen von dem Galvanometer und den Widerständen, die von Lummer und Pringsheim benutzte Apparatur zur Verfügung. Bei den endgültigen Versuchen war die Anordnung in bezug auf die Bestimmung der Drucke und der Anfangstemperatur eben- falls die gleiche!). An Stelle des großen Kupferballons traten nach und nach immer kleinere Glasgefäße. Da diese nur eine Öffnung hatten, war die Zuleitung für die Druckluft und der Bolometerleitungen dementsprechend 1) Vgl. hierzu die Fig. bei Lummer und Pringsheim, 1. c. S. 557, 26 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. geändert (s. Fig. 1). Die Luft wurde mittels einer Handdruckpumpe P durch Hahn H, und H, in den Ballon gepumpt und passierte hierbei zwei Gefäße T mit Schwefelsäure und ein System von Chlorkalziumröhren C, an deren Enden sich als Staubfilter Glaswolle befand. Hahn H, diente als Ausflußöffnung. Durch den Kautschukstopfen K führten zwei dicke Kupferbügel L, an deren unteren Enden das Bolometer B angelötet wurde. Über das Wasserbad und die Rührvorrichtung gilt das bei Lummer und Pringsheim!) Gesagte. Mit Hilfe eines Kathetometers, das 0,005 mm abzulesen gestattete, wurde nach dem weiten Quecksilbermanometer Q) das Schwefelsäuremanometer S sehr sorgfältig geeicht und öfters nachkontrolliert. Innerhalb des Temperaturbereiches von 18 bis 21° C entsprach einem Zentimeter H,SO, 0,1316 cm Hg. Das offene Ende dieses zweiten Manometers stand wegen der hydroskopischen Eigenschaften der Schwefel- säure durch ein am Ende spitz ausgezogenes Chlorkalziumröhrchen D mit der Außenluft in Verbindurg. Für die Messungen wurde allein S benutzt. Zur Bestimmung des Atmosphärendruckes diente ein Gefäß- barometer mit Glasskala. Die einzelnen Teile des Aufbaues waren gut abgedichtet, so daß sich ein Überdruck von 0 Atmosphären oft tage- lang hielt. x Bei dem Übergang zu re a kleinerenVersuchsgefäßen war besonders darauf zu achten, daßdasBolometer möglichst genau in der Mitte des Ballons justiert war, um der zu er- wartenden Wärmeleitung von denGefäßwänden vorzubeugen. Das Platinsilberblechbolo- meter?) hat aber eine Gesamt- länge von ca. 18 cm, wovon auf den abgeätzten Teil, der allein für die Temperatur- messung in Betracht kommt, etwa 7—8 cm entfallen. Es . war daher für den beabsichtigten Zweck zu lang. Ich ersetzte dasselbe durch Figur 1. ein Bolometer aus Wollastondraht von 0,055 mm Silberdurchmesser und nur 0,004 mm Platindurchmesser. Der Draht wurde erst an den Zuleitungen befestigt und dann in der Mitte auf elektro- Iytischem Wege in der beabsichtigten Länge vom Silber befreit. Vor der Benutzung wurde er längere Zeit in Wasser gespült. Infolge des hohen Widerstandes des Platinfadens war es jetzt möglich, den DAl.4C.ES.2559: Ib (ah 157 II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 97 mittleren, vom Silber befreiten Teil wesentlich zu verkürzen und ihn dadurch den kleineren Versuchsgefäßen besser anzupassen. Bolometer von 2 bis 2,5 cm Länge des Platinfadens lieferten noch gute Resultate. Die Länge der Silberenden wurde auf Grund derselben theoretischen Erwägungen bestimmt, wie sie Lummer und Pringsheim für das Platinsilberblech- bolometer!) angestellt haben. Das Integral der Fourierschen Gleichung der Wärmeleitung für einen stationären Zustand 2 Sue hat bekanntlich die Form £ I, =, —d)e a ; 6) 00 18m wo Aloe ai r der Radius, k das innere, h das äußere Wärmeleit- vermögen, ion, für, x —0, DW 2 246) ist. Die Werte für k sind aus Landolt-Börnstein III. Aufl. 1912 ent- nommen. Neuere Bestimmungen von h existieren nicht. Nimmt man mit Lummer und Pringsheim für h (auf mm, mg, sec bezogen) den Wert 0,003 an, so erhält man die Werte der Tab. 1. Tabelle I. Wärmeleitung in einem Silberdraht, Konstanten E N % y— mm j| m td, 10°,000 C \) 10,000 25 3,122 T 0,055 mm 1 9,545 30 2,473 k 100,6 h) 7,923 39 1,959 h 0,003 10 6,277 40 1,552 2 0,04657 15 4,975 45 1,230 a 20 3,942 50 0,974 Hiernach würde erst in einer Entfernung von 50 mm die Temperatur- differenz unter 1° C heruntergedrückt sein. Zweifellos ist aber h, welches für dicke Stäbe gefunden wurde, bedeutend zu klein?), Setzt man dafür Lilien. Ss. 570. 2) vgl. hierzu 1. c. S. 571 Anm, 238 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. den wahrscheinlieheren Wert 0,06, den Cardani!) für dünne Drähte von 0,245 bis 0,565 mm Durchmesser angibt, so ergeben sich folgende Werte: Tabelle Il. Wärmeleitung in einem Silberdraht. j | Konstanten | — | u | I, — 3 12 2109000€ 0 10,000 r 0,055 mm 1 8,112 k 100,6 10 1,246 h 0,06 20 0,155 fJa 0,20827 50 - 0,019 40 0,002 Es ist anzunehmen, daß selbst diese Werte dem tatsächlichen Tem- peraturverlauf noch nicht entsprechen. Einmal sind die Drähte Cardanis immer noch fünf bis sechsmal dicker als die Silberenden des Wollastron- drahtes, und dann darf man nicht unberücksichtigt lassen, daß sich das Bolometer bei der Abkühlung in bewegter Luft befindet, daß also auch schon aus diesem Grunde die Wärmeleitung nach außen eine größere wird. Die Beobachtung hat auch ergeben, daß Bolometer mit nur 2,5 cm langen Enden vollkommen richtige Resultaie liefern. Für die endgültigen Messungen wählte ich jedoch Drähte mit ungefähr 4 cm langen Silber- enden, nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß die Widerstands- änderungen der Enden selbst bei einer adiabatischen Abkühlung so gering waren, daß sie für das Resultat nicht in Betracht kamen. Übrigens über- stieg die Temperaturänderung bei den Versuchen nie 5° C. In Tabelle III füge ich der Vollständigkeit wegen die Werte bei, die der Temperaturverlauf in dem dünnen Platindraht haben würde, wenn er direkt an den Zuleitungen befestigt wäre. Um aus der Widerstands- änderung der Bolometer auf die Größe der Temperaturänderung schließen zu können, mußte jedes einzelne genau geeicht werden. Zu diesem Zweck variierte ich die Temperatur des Wasserbades innerhalb weiter Grenzen von 5° bis 25° C und legte die den einzelnen Temperaturen entsprechenden Widerstände graphisch in großem Maßstabe fest. Alle so erhaltenen Kurven waren für das erwähnte Temperaturintervall stets mit einer Genauigkeit von 0,005° C gerade Linien, 1) Cardani, Nuovo Cimento 27. 245. 1891. Beibl. 15. 195. 1891. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 29 Tabelle II. Wärmeleitung in einem Platindraht, r = 0,002 mm; k = 16,64. — 30:06, ©, — 04, — 10°; h 0.003,99 .04.— 100: fa — 1,8989 fa — 0,4246 = 19% a - | ae, mm mın mm mm je 10,000 | 3 | 0,034 > 10,000 | 10 | 0,143 1 1,497 a 0,005 1 6,540 15 0,017 2 5 | 0.001 | oe | 20 | 0,002 0,224 | Da bei einer Expansion die Wände des Geläßes sofort Wärme an die Umgebung abgeben, wird sich ein stationärer Zustand, der erfahrungs- gemäß unmittelbar nach erfolgter Ausströmung eintritt, überhaupt nur in der Mitte ausbilden können. Die Dauer desselben ist in hohem Grade von der Größe des Ballons abhängig. Während z. B. bei dem 90 L-Ballon 10 sec vom Öffnen des Hahnes an gerechnet der stationäre Zustand noch besteht, beträgt die maximale Dauer bei einem Glasballon von 15 L Inhalt etwa 6,5 sec, bei einem solchen von 6 L 5 sec und bei einem Einliter- gefäß weniger als 1 sec. Innerhalb dieser Zeiten müssen die Ausfluß- zeiten liegen und können im übrigen beliebig, wie die Beobachtungen gezeigt haben, ohne Einfluß auf das Resultat variiert werden. Bei Be- nutzung kleiner Volumina mußte also zunächst die Ausströmung selbst möglichst beschleunigt werden, um zwischen dem Eintreten und dem Auf- hören des stationären Zustandes soviel Zeit zu gewinnen, daß eine genaue Widerstandsmessung des Bolometers erfolgen konnte. Ich suchte dies dadurch zu erreichen, daß ich nur Ausflußhähne von großer Durchbohrung (mehr als 6 mm) verwandte und mit nicht zu großen Überdrucken — im höchsten Falle betrug derselbe 60 mm Hg —- arbeitete. Bei der Kürze der verfügbaren Zeit ist nun die Einspringmethode!) von Kurlbaum für die Versuche nicht geeignet. Die günstigste Bedingung ist die, daß man den Abkühlungsvorgang des Gases mit verfolgen kann, um den Eintritt des stationären Zustandes sofort sicher zu erkennen. Sie wird erfüllt bei Benutzung des Einthovenschen Saitengalvanometers?). Es besitzt den großen Vorzug vollkommener Aperiodizität. Seine Empfindlichkeit ist von der Spannung des vergoldeten Quarzfadens, der durch ein Mikroskop beobachtet wird, abhängig und reichte hier bis 3,109 Ampere. Sie konnte jedoch nicht voll ausgenutzt werden, weil damit eine zu große Einstelldauer des Fadens verbunden war. Die Spannung des Fadens 1) 1. c. S. 565. 2) Edelmann, Phys. Z. 7. 115. 1906. NB. Das Instrument, welches mir zur Verfügung stand, war ein sogen. kleines Modell mit permanentem Magneten und 120 Ohm innerem Widerstande. 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. wurde deshalb für die meisten Versuche besonders reguliert. Für gewöhn- lich war die Einstellzeit etwa 1 sec. Sie muß stets kleiner sein als die Ausflußzeit des Gases, damit der Faden die Widerstandsänderung des Bolometers auch momentan anzeigt. Die Proportionalität der Ausschläge nach rechts und links von der Nullage hängt von der genauen Justierung des Galvanometers ab. Mit Hilfe dieses Instruments und des beschriebenen Wollastondraht- bolometers war es nun möglich, die x-Bestimmungen in wesentlich kleineren Gefäßen auszuführen. Nachdem die Rührer in Tätigkeit gesetzt und der Atmosphärendruck bestimmt waren, wurde die Luft langsam durch die Trockenapparate in den Ballon gepumpt und der am Schwefelsäuremanometer abgelesene Überdruck so eingestellt, daß die auf Null Grad C reduzierten Hg-Drucke ganze Millimeter ergaben. Für die Widerstandsmessung benutzte ich durch einen geeigneten Nebenschluß einen Strom von !/, Volt Spannung, um eine Erwärmung des dünnen Platindrahtes zu vermeiden!). Nach Ab- gleichung der Wheatstoneschen Brückenschaltung wurde nun durch Stecken einiger Widerstände im Rheostaten auf die durch die adiabatische Abkühlung etwa zu erwartende Widerstandsänderung des Bolometers ein- gestellt. Das Gleichgewicht der Brücke war also gestört, durch das Galvanometer floß ein Strom, und der Faden zeigte einen Ausschlag. Jetzt wurde Hahn H, und H, geschlossen, um nach Beendigung des Versuches den Überdruck noch einmal nachprüfen zu können und unter ständiger Beobachtung des Galvanometerfadens der Ausflußhahn H, geöffnet. Die Luft strömte aus, und der Quarzfaden des Galvanometers bewegte sich entsprechend der Abkühlung der Luft auf die Nullage zu. War nun vorher beispielsweise zu viel Widerstand im Rheostaten gesteckt worden, so erreichte er die Nullage nicht, im anderen Falle, wenn das Bolometer ‚sich mehr abkühlte, als man ungefähr erwartete, ging der Faden über diese hinaus. Bei Eintritt des stationären Zustandes stand der Faden still und blieb solange in seiner Stellung, bis durch die Wärmeleitung das Gas in unmittelbarer Umgebung des Bolometerdrahtes sich wieder erwärmte. Durch die Differenz von der Nullage konnte man nun sehr leicht den Fehler bestimmen, den man zuerst beim Stöpseln des Widerstandes gemacht hatte. Bei denselben Anfangsbedingungen und abgeglichener Brücke brauchte man nur, bevor man zum zweiten Male das Gas ausströmen ließ, festzustellen, um wieviel man den Widerstand im Rheostaten ändern mußte, bis die vorerwähnte Differenz von der Nullage sich wieder ein- stellte. Diesen Betrag zählte man dann zu dem zuerst gesteckten Wider- stande zu oder zog ihn davon ab und hatte auf diese Weise die richtige Widerstandsänderung für den betreffenden Druck. Ließ man also jetzt die Luft ausströmen, so mußte der Faden nach erfolgter Expansion genau auf 1) vgl. 1. c. S. 564. ‚II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 31 seine Nullstellung zurückgehen. Bei einiger Übung in der Ablesung der mikroskopisch beobachteten Fadenstellung gelang dies stets, und man war so der Mühe des mehrfachen Probierens enthoben. Die so gefundene Widerstandsänderung wurde dann auf der Eichkurve des Bolometers in die entsprechende Temperaturänderung ausgewertet und man hatte auf diese Weise sämtliche Bestimmungsstücke für %. Als absoluter Nullpunkt für Luft ist — 272,4° C gewählt?). Als Ausgangspunkt für die endgültigen Versuche benutzte ich zunächst einen Glasballon von 15 Litern Inhalt. Um mich davon zu überzeugen, ob für dieses Volumen noch dieselben Bedingungen galten wie für den großen Kupferballon der Lummer-Pringsheimschen Anordnung, wurde die erste Versuchsreihe mit einem Platinsilberblechbolometer angestellt. Tabelle IV gibt die erhaltenen Werte. Das Mittel aus diesen vier Werten stimmt mit dem von Lummer und Pringsheim ohne hinzugefügte Strahlungskorrektion gefundenen bis auf eine Stelle der letzten Dezimale überein. Nun ersetzte ich das Platinsilberblechbolometer durch ein solches aus Wollastondraht von ungefähr derselben Länge. Die Versuchsresultate sind in Tabelle V wiedergegeben. Wie man sieht, stimmen die aus beiden Tabellen sich ergebenden Werte gut überein. Tabelle IV. Platinsilberblechbolometer. Glasballon, ca. 15 1. Datum | W, (8) |w,(0) | °C 5 °C m el Ap \ | NE a Te Wk 2 um | mm 28./2. | 97,200 | 96,103 | 16,030 10,°54| 808,91 | 753,91] 55 | 1,4009 - [97,230 | 96,420 | 16,040] 12,018| 796,20 | 756,20| 40 | 1,3997 - | 97,200 | 86,597 | 16,030 13,009 782,71 | 752,71| 30 | 1,4007 - 197,246 | 96,023 | 16,°50| 10,027] 816,60 | 756,60! 60 | 1,3999 Mittel % = 1,4003 Strahlungskorrektion 0,0021 nn nn Resultat % — 1,4024 Tabelle V. ' Wollastondrahtbolometer. Glasballon, 15 1. "Aus- Datum |w,@) \w,@)Iwec|yec| Pı PB I fußzt.| x mm mm | sec | 6./3. | 1500,2 | 1488,5 | 17,041) 14,015| 772,28 | 742,28| ı 1,3996 - 1500,1 | 1488,4 | 17,041| 14,014| 772,37 | 742,57| 4 1,3998 P 1500,1 | 1488,4 | 17,041| 14,014| 772,37 | 742,37 | 6,5 1,3998 s 1500,1) 1488,4 | 17,°41| 14,°14| 772,38) 742,38] 6,5 | 1,3997 1) vel. 1. c. S. 579. 32 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl, Cultur. Mittel 0 3103997 Strahlungskorrektion 0,0021 Resultat % —=' 1,4018 Lummer und Pringsheim geben als Strahlungskorrektion den Wert 0,0021 an. Da derselbe von der Länge des Bolometers unabhängig ist, wurde er auch den vorliegenden Messungen zugrunde gelegt. Für alle weiteren Versuche verwandte ıch nur noch Wollastondrähte. Tabelle VI gibt eine Versuchsreihe in einem Glasballon von 5,6 Liter Inhalt. Schließlich stellte ich Versuche in einer Einliterflasche an; die Ergebnisse sind in Tabelle VII enthalten. Die Ausflußzeit schwankt hier zwischen 0,5 und 0,3 sec. Diesen Wert hatte auch ungefähr die Einstellzeit des Fadens, die sich mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit des Galvanometers nicht weiter vermindern ließ. Die Beobachtung erforderte hier wegen der Kürze des stationären Zustandes große Aufmerksamkeit und war schwierig auszuführen. Ich glaube hiermit die unterste Grenze der Ausführbarkeit mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln erreicht zu haben. Nachdem es somit gelungen ist, die Temperaturmethode auch auf kleine Volumina zu übertragen, bietet sich nun die Aussicht, auch solche Gase nach dieser Methode zu untersuchen, die bisher noch nicht in größeren Mengen zur Verfügung stehen, solange wenigstens das Wärmeleitvermögen derselben nicht erheblich besser ist als dasjenige der Luft, Besonders dürfte auch die Anwendung auf tiefe Temperaturen, soweit es sich jetzt übersehen läßt, nicht auf allzugroße Schwierigkeiten stoßen. Tabelle VI. Wollastondrahtbolometer Glasballon, 5,6 ]. FR Aus- Da- | ıy Iw. (0 0 0 Pı Pa Auß-| , tum we Wal ut mm | mm =) zeit | x | | |sec. | 9./3.| 625,30 | 620,95 | 16,010 13,095 1773,87 153.940. 1020 | 1,5 | 1,3999 „| 625,30 | 620,95 | 16,010|13,095 773,87 753,87 | 20 | 3,5 1,3999 10.029,30 615,85 16,010 72,291 783,87 1753,57 | 30 | 4,5 , 1,4002 „ , 625,30 | 616,76 | 16,°10|11,087 793,87 753,87 40 | 1,5 1,4000 N N. Strahlungskorrektion: . . . . . 0,0021, Resultat 2. 1 Sa ee BANN Il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 33 Tabelle nl. Wollastondrahtbolometer Einliter-Glasgefäß. Da- n „ce | VE Pı Pa | Ap er tum | 2 mm mm | | 12./3.| 627,13 | 622,84 |16,°70|14,056| 779,35 | 759,35 | 20 |1,4002 „| 627,13 | 618,69 |16,°70|12,049| 799,35 | 759,35 | 40 | 1,4004 5 6270018, 615,64 |16,°70|10,298| 814,35.°| 759,35 55.11.4001 627.13. 621.,00):| 16,2801113,°62 |..790,027 | .260,02,,.030,0154003 NIIT re ee 110038 Strahlungskorrektion. . . . . . 0,0021, Resultalsun.r mer ee netl en sa, A024, II. Im Folgenden sollen die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchungen bei hohen Temperaturen mitgeteilt werden. Da die Versuche in einem Einlitergefäß einen Grenzfall bedeuteten, war es zweckmäßiger, bei der Fortführung der Versuche mit etwas größeren Gefäßen von etwa 2 bis 2,5 L Inhalt zu arbeiten. Quarzgefäße von diesen Dimensionen werden zurzeit noch nicht hergestellt. Ich benutzte daher Kolben aus Schottschem Glase von dem angegebenen Volumen. Der Verwendung von Flüssigkeits- bädern setzte der Siedepunkt if Iyz der in Betracht kommenden m: My Flüssigkeiten zu enge Grenzen, T H B % so daß ich mich für eine ge- Vz | |: eg eignete Anordnung eines Luft- > 4 ’ bades entschied. Den für j _ . , & diese Zwecke konstruierten / 2 y Heizofen stellt Fig. 2 dar. / e / M Auf dem Sockel S steht / N Y v eine Chamottemuffel M von / De il 38 cm Höhe, 32 cm Breite, CHAE IE, ze 27 cm Tiefe mit abnehmbarem EN REIT Ez Deckel D, in dessen Mitte I Oo NN sich ein konisches Ansatz- E32 N n stück V befand. Der Deckel LN = war aus später zu erklären- N den Gründen mitten durch- gesägt. Im Innern der Muffel Figur 2, 1913. w 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. befindet sich der oben und unten offene Heizzylinder © aus Eisenblech von etwa 23 cm Höhe und 20 cm Durchmesser. Er ist außen mit einer Asbest- schicht umgeben, um die in Abständen von 5 mm (an den Enden etwas dichter) 0,5 mm starker Nickeldraht gewickelt war. Der Asbest war mit Wasserglas getränkt, um ein Rutschen der einzelnen Drahtwindungen zu vermeiden. Durch den Draht wurde unter Vorschaltung von Regulier- widerständen der Heizstrom von 220 bezw. 440 Volt Spannung geschickt. Für gleichmäßige Temperatur im ganzen Innern war durch zwei mit je zwei Flügeln P versehene Rührer R gesorgt, die sich diagonal gegenüber- standen. Um die Muffel erschütterungsfrei zu haben, waren diese frei durch den Boden hindurchgeführt, wie die Figur zeigt. Auf diese Weise hatte die ganze Rührvorrichtung mit dem Ofen selbst keinerlei direkte Verbindung. Die Temperatur konnte mittels eines von der Physikalisch- Technischen Reichsanstalt bis 300° C geeichten Platinwiderstandsthermo- meters T gemessen werden. Daß diese während der Tätigkeit der Rührer überall dieselbe war, stellte ich bei Zimmertemperatur durch Vergleiche mit einem geeichten Quecksilberthermometer fest, welches ich an ver- schiedenen Stellen in die Muffel einführte. Bei hohen Temperaturen glichen sich Temperaturdifferenzen zwischen dem Innern des Ballons und der Heizluft, wie es auch zu erwarten war, bedeutend rascher aus als bei Zimmertemperatur, so daß zwischen dem Widerstandsthermometer und dem Wollastondrahtbolometer sich fast nie ein Gangunterschied beobachten ließ. Alle vier Flügel der beiden Rührer waren so gerichtet, daß sie die Luft nach unten drückten, einmal, weil beim Heizen die warme Luft nach oben strömt und dann, um zu vermeiden, daß die beiden unteren Flügel durch die Öffnungen am Boden kalte Luft aus dem Zimmer ansaugten. Bei dieser Anordnung erreichte ich Temperaturen bis über 500° C. Ein stationärer Zustand stellte sich etwa 3 Stunden nach Beginn des Heizens ein. Im Verlauf der Untersuchungen hat es sich als zweckmäßig heraus- gestellt, für das Platinwiderstandsthermometer T eine besondere, vom Bolometerkreis vollkommen getrennte Brückenschaltung zu benützen, weil sonst die beim Umschalten auftretenden Öffnungs- und Schließungsströme störend wirkten und außerdem die nicht ganz zu beseitigenden Thermo- ströme eine Änderung der Nullage des Galvanometerfadens zur Folge hatten. Die bei hohen Temperaturen unvermeidlichen Schwankungen der Temperatur erschwerten auch anfangs die Messung sehr. Durch Verwen- dung eines empfindlichen, aber stark gedämpften Galvanometers gelang es jedoch, kleine, rasch vorübergehende Schwankungen ganz zu eliminieren und so einen Mittelwert der Temperatur zu erhalten. Von obenher war der 2,5 L fassende Schottsche Glaskolben A in der Mitte des Heizzylinders genau justiert. Er wurde durch eine in die Zimmerwand eingelassene Klammer U gehalten, so daß er vollkommen II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 35 frei in dem Ofen hing. Damit der Übergang von der Zimmertemperatur zu der hohen Temperatur sich außerhalb des eigentlichen Ballons ab- spielte, war der Hals des Kolbens durch ein anderes Rohr aus der gleichen Glassorte auf 235 cm verlängert. Der ganze Hals war in mehreren Lagen mit Asbestschnur umwickelt, so daß er gerade das Ansatzrohr V des Deckels ausfüllte. Wegen der besonderen Form des Kolbenkopfes mußten die beiden Teile des Deckels von der Seite eingesetzt werden. Sie waren außerdem vollständig mit Asbestpappe belegt, um die heiße Luft aus dem Innern am Aufsteigen zu verhindern. Große Schwierigkeiten bot die Abdichtung des Ballons nach außen hin. Die endgültige Form, die der Kopf nach verschiedenen vergeblichen Versuchen erhielt, ist in Fig. 3 angedeutet. Bei J befindet sich in dem Hals ein nach unten konisch verlaufender Schliff. In diesen paßt genau der Kopf O; an seinen oberen Enden trägt er drei kleine Röhrchen von 1,5 bezw. 0,3 cm Durchmesser, von denen die beiden äußeren aus glas- technischen Gründen schräg stehen. In das mittlere ist mit dünnflüssigem Siegellack ein Nickelrohr N von 1 em Durchmesser eingekittet und reicht gerade bis an den Glasballon hinab. In den beiden anderen sind an einer Stelle leicht gebogene, 5 mm starke Nickelstäbe L gleichfalls mit Siegellack befestigt!). Diese dienen als Zuleitung zum Bolometer B, das an ihren untersten Enden durch ein anzuschraubendes Nickelplättchen festgeklemmt werden kann. Teils um durch das Nickelrohr einen Kurzschluß zu vermeiden, teils um auch eine Luftzirkulation in dem Hals zu verhindern, waren Rohr- und Zu- leitungen bei Y durch ein Scheibchen aus Biskuit- chamotte geführt, von dem sie außerdem noch durch dünne Glimmerplättchen isoliert waren. OÖ ist innen vollständig mit Asbestwolle aus- gefüllt und nach unten durch eine Glimmerscheibe abgeschlossen. Zur Kühlung der drei Ansatzröhrchen und des Schliffes waren von außen am Kopfe das Kühlgefäß K, und am Hals das Kühlgefäß K, an- geschmolzen. Sie standen durch einen Schlauch G miteinander in Verbindung. Das Wasser trat Figur 3. durch Z ein und strömte in der durch Pfeile angedeuteten Weise in eine Blechwanne W. in diese tauchte das mehr- fach gebogene Glasrohr Q, das bei dem Halhın H, in ein metallisches An- satzrohr eingekittet war. Es führte mit seinem anderen Ende zu den !) Wegen der leichten Oxydation des Kupfers wurden hier Nickelzuleilungen gewählt. / 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Manometern und der Druckpumpe. Durch diese Anordnung sollte ver- mieden werden, daß die heiße Luft aus dem Ballon in das Glasröhren- system stieg. Als Ausströmöffnung diente Hahn H,. Er konnte mit dem Hebel E durch einen Schnurlauf vom Beobachtungsplatze aus geöffnet und geschlossen werden. Die beschriebene Apparatur bewährte sich bis zu Temperaturen von 500° C vorzüglich. Der etwas gefettete Schliff hielt bei 15 em Hg Über- druck absolut dicht, und durch ihn war es möglich, die Bolometer rasch und bequem auszuwechseln, was bei allen früheren Anordnungen keines- wegs der Fall war. Die für hohe Temperaturen bestimmten Bolometer hatten ungefähr 4—5 em lange Silberenden und waren in der Mitte etwa 2,5—3 cm ab- geätzt. Sie wurden zunächst bei Zimmertemperatur unter Vergleich des Platinwiderstandsthermometers und eines (uecksilberthermometers genau seeicht. Tabelle VIII S. 15 enthält die mit der beschriebenen Anordnung bei Zimmertemperatur erhaltenen Resultate. Wie man sieht, stimmen sie mit den früheren Ergebnissen sehr gut überein, und es ist wohl hierdurch erwiesen, daß die Verwendung des Luftbades bei der x-Bestimmung der- jenigen eines Flüssigkeitsbades an Genauigkeit in keiner Weise nachsteht. Beim Eichen des Bolometers auf höhere Temperaturen verfuhr ich so, daß ich stufenweise die Temperatur von 50° zu 50° steigerte, den Tempe- raturverlauf bei jeder Stufe graphisch verfolgte und gleichzeitig schon -Bestimmungen in derselben Weise, wie oben beschrieben, ausführte. Bei diesen Messungen stellte sich nun heraus, daß alle verwendeten Bolo- meter sprungweise ihren Widerstand änderten. Um mich davon zu über- zeugen, daß diese plötzlichen Widerstandsänderungen nicht an einer un- genauen Temperaturmessung, sondern am Bolometer selbst lagen, ging ich von jeder Temperaturstufe auf Zimmertemperatur zurück. Es zeigte sich auch hier, daß der Widerstand ein anderer geworden war und nicht mehr in die vorher festgelegte Eichkurve fiel. Bei den meisten wurde er größer, bei einigen nahm er zuerst ab, um nach mehrmaligem Heizen allmählich über seinen Anfangswert zu steigen. Bei allen Änderungen aber war ein eindeutiger Gang vorhanden. Zunächst schien sich der Temperaturkoeffi- zient dabei nicht zu äudern, was jedoch bei öfterem Heizen in recht er- heblichem Maße eintrat. Diese sprunghafte Änderung von Platinwiderständen bei höheren Temperaturen ist in einem Falle auch von Holborn und Henning!) bei einem 0,1 mm starken Platindrahte festgestellt worden. Jedoch scheinen auch die übrigen dort angegebenen Widerstandswerte von zwei anderen Platinthermometern dasselbe Verhalten zu zeigen?). t, Holborn und Henning, Ann. 26. 855, 1908. 2) Vel. hierzu die Tabellen I und II bei Holborn und Henning, ]. ec. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 37 Die Ursache dieser Erscheinung ist noch nicht geklärt und bedarf einer besonderen Untersuchung. Weil nun über den Temperaturkoeffizient bei den verschiedenen Temperaturstufen keine sichere Aussage zu machen war, konnten die von mir angestellten Messungen zur Bestimmung von % nicht benutzt werden. Tabelle VIII. Wollastondrahtbolometer ; Luftbad; Glaskolben, 2,5 1. Datum W, (@) | W, (@) | T, abs. a, en % 9./10. | 282,14 | 280,76 | 291,46 1289,31 781,57 761,57.\ 20 | 1,3998 Re 282,14 | 280,08 | 291,46 |288,26 1791,57 761,57 | 30 | 1,4001 se 282,17 2729,45 1.291,52 1237,29 1801,57 1761,57 | 40 | 1,3997 10.10. | 282,84 | 281,45 | 292,57 |290,41 |782,04 762,04 | 20 | 1,4006 on 282,85 | 280,79 | 292,58 |289,37 792,04 762,04 | 30 | 1,4000 s, 382,83 | 280,10 | 292,55 [288,30 [802,04 |762,04 | 40 | 1,4006 11./10. | 282,76 | 281,37 | 292,43 1290,27 781,04 761,04 | 20 | 1,4002 N 982,76 | 280,70 | 292,43 |289,22 '791,04 [761,04 | 30 | 1,3996 | 282,76 | 280,03 | 292,43 [288,18 [801,04 [761,04 | 40 | 1,4002 Hh 282,74 | 280,68 | 292,40 1289,19 BD 761,04 | 30 | 1,3997 Mittel . Rt % — 1,4001, Strahlungskorrektion: 0,0021, Kesultate. 1.00% er 022: Es möge noch eine Zusammenstellung der in neuerer Zeit veröffent- lichten x-Werte folgen: Tabelle IX. Temperaturmethode. Name Jahr | Volumen | Temperaturmessung % Lummer und Pringsheim | 1894 90 1 | Platinsilberblech- | 1,4025 | Bolometer Makower 1903 501 Platinthermometer | 1,401 Moody 1912 60 1 Thermoelement |1,4011 Höhne 1912 | Platinsilberblech- | 1,4024 Bolometer Re 1912 151 Wollastondraht 1,4018 = 1913 5,6 1 N 1,4021 5 1912 2 # 1,4022 ” 1912 ag! 44 1,4024 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Tabelle X. | | Name | Methode % | Roentgen 1875 Druckmethode 1,4053 Kayser!) 1377 Schallmethode 1,4106 Wüllner?) 1878 53 | 1,4053 Blaikley 1884 | > 1,404 Paquet 1885 | Druckmethode 1,4038 Low les Schallmethode 1,3968 Low corr. v. Stevens 1894 | hs 1,4012 Maneuvrier 1896 | Druckmethode 1539325 Leduc 1898 Schallmethode 1,4040 Violle u. Vautier 1900 Schallmethode 1,4009 Stevens 1902 % 1,4006 Hebb 1905 » 1,4003 Scheel u. Heuse°) 1911 | berechn. aus c, u.cy | 1,400 | Die vorliegende Arbeit hat folgendes ergeben: ie a1 2 3 1) Kayser, Ann. 1877, 2. 218. ) Wüllner, Ann. 4, 321. 1878. ) Scheel u. Heuse, Phys. Z. 12. 1074. 1911. Das beschriebene Wollastondrahtbolometer stellt in den angegebenen Dimensionen ein praktisch korrektionsfreies Widerstandsthermometer dar und eignet sich im besonderen gut für die Verwendung bei der Temperaturmethode. Die Kurlbaumsche Einspringmethode ist mit Hilfe des aperiodischen Saitengalvanometers durch eine bequeme direkte Meßmethode ersetzt. Es hat sich gezeigt, daß die Temperaturmethode nicht an große Volumina gebunden ist, sondern sich durch Benutzung der unter 1 und 2 erwähnten Änderungen auch auf kleine Volumina bis auf einen Liter Inhalt ohne Korrektion übertragen läßt. Die Verwendung eines Luftbades an Stelle eines Wasserbades ändert an der Genauigkeit der Methode nichts. Aus, den Messungen ergibt sich für x im Mittel der Wert 1,4002. Mit Berücksichtigung der Strahlungskorrektion 0,0021 folgt als Mittelwert 1,4023. Es ist der Versuch gemacht, die Temperaturmethode auch auf hohe Temperaturen anzuwenden; jedoch lassen sich zurzeit wegen der beobachteten sprungweisen Widerstandsänderungen der Wollaston- drahtbolometer noch keine sicheren Resultate angeben. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 9 Sitzung am 5. März. Mineralogisch-chemische Untersuchungen an Markasit, Pyrit und Magnetkies. Von Erich Arbeiter. Tees MWarkasıtzunde Byerit: Auf Anregung von Dr. A. Beutell und im Anschluß an seine Arbeiten über Arsenkies und Glanzkobalt habe ich es unternommen, den Markasit und Pyrit in ähnlicher Weise zu behandeln. Obwohl die beiden Modifikationen des Eisenbisulfids zu den mannig- faltigsten Untersuchungen Anlaß gegeben haben, ist doch verhältnismäßig wenig über ihre Konstitution gearbeitet worden. In der Literatur wird zwar eine Reihe von Konstitutionsformeln aufgeführt, doch entbehren die- selben einer sicheren Grundlage. Weinschenk!) vertrat die Ansicht, daß bei Pyrit eine Verkettung von zwei- und dreiwertigen Eisenatomen vorliege und zwar auf Grund folgen- den Versuches: Er erhitzte ein inniges Gemenge von Schwefel, Salmiak und Eisenoxyd in einem Glaskolben langsam bis zur vollständigen Subli- mation des Salmiaks. In der erkalteten, mit Wasser übergossenen Masse fand er schwere, messinggelbe Kristalle, die, wie er durch die Analyse feststellte, mit gewöhnlichem S, Fe identisch waren. Bei stärkerem Er- hitzen des erwähnten Gemenges erhielt er Magnetit, der sich schon bil- dete, während noch Schwefel im Übersehuß vorhanden war. Da es nicht wahrscheinlich sei, daß in einer Schwefelatmosphäre das Eisen von einer niederen zu einer höheren Oxydationsstufe übergehe, und da Magnetit aus demselben Gemenge entstehe, aus dem sich Pyrit bildet, schloß Wein- schenk, daß dieser, ebenso wie der Magnetit, aus einem zweiwertigen und zwei dreiwertigen Eisenatomen bestehen müsse und stellte deshalb folgende Formel für den Pyrit auf: Fe S Fe S Fe Als Stütze derselben führt er den Versuch Rammelsbergs an, welchem es gelang, Magnetit dureh Erhitzen im Schwefelwasserstoffstrom in Pyrit umzuwandeln. 1) Hintze, Handbuch der Mineralogie, Bd. 17, 714. — Groth, Zeitschrift für Kristallographie 17, 501. AO Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hier, wie bei den folgenden Formeln spielt die Wertigkeit, die dem Eisen in den beiden Mineralien zukommt, die Hauptrolle. Auch eine Arbeit von Brown!) bewegt sich in derselben Richtung. Die beiden Mineralien wurden in geschlossenen Röhren mit Kupfersulfat- lösung zersetzt und die entstandene Lösung mit Kaliumpermanganat titriert. Aus den erhaltenen Werten schließt Brown, daß im Markasit nur Ferro- Eisen, im Pyrit jedoch nur ein Fünftel davon, das übrige als Ferri-Eisen vorhanden sei. Brown nimmt daher an, daß die Pyrit-Molekel mindestens vier drei- wertige und ein zweiwertiges Eisenatom enthalten muß und stellt die fol- sende Konstitutionsformel auf: S — Ke—75 | | Fe Fe Fe Fe Ze IR FINDEN S SS De 5 8 8 S Den Markasit struiert er in folgender Weise: S LD, vel | Nachdem Stokes?) beim Nachprüfen der Brownschen Versuche ge- funden hat, daß Kupfersulfat den Schwefel des Pyrits zu Schwefelsäure und das Ferrosulfat zu Ferrisulfat oxydiert, und daß kein nennenswerter Unterschied zwischen dem Eisen im Pyrit und dem in dem Markasit besteht, sind die Brownschen Schlußfolgerungen hinfällig geworden. Es erledigt sich damit auch die Frage, welche von den Gebrüdern Asch?) aufgeworfen worden ist, ob nicht die Konstitution des Pyrits im Sinne ihrer Pentittheorie gelöst werden könnte. Meine weiter unten ausführlich behandelten eigenen Versuche bieten ebensowenig eine Handhabe für die Formulierung einer 5atomigen oder 6atomigen Formel. Später hat Groth?) ohne weitere eigene Untersuchungen für den Markasit folgende Formel aufgestellt: ea SFe N 1) Hintze, Handbuch der Mineralogie, 17, 714. — Proc. Am. Phil. Soc. 1894, 33, 18. — Groth, Zeitschrift für Kristallographie 26, 528. 2) H. N. Stokes, „On Pyrite and Marcasite“. American Journal of Science (1901.) Bd. 162. S. 414. Neues Jahrbuch für Mineralogie 1903. Bd. 1. S. 10. 3) Die Silikate in chemischer und technischer Beziehung. Berlin 1911. S. 251. 4) Hintze, Handbuch der Mineralogie, Bd. 17, 714. — Groth, Tab. Übersicht, 1898, 21. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 41 und zwar hauptsächlich, um in den isomorphen Mineralien wie Arsenkies, Löllingit nnd anderen die Vertretung des Schwefels durch Arsen (resp. Antimon und Wismut) zu ermöglichen. 8 —ı 8 As = As Bel N Fe Be me DAS — A Ns = Ar Groth weist darauf hin, daß bei der Annahme analoger Bindungs- weise der Arsen- Atome in der Pyrit-Reihe die betreffenden Arsenverbin- dungen noch in höherem Grade wie die reinen Schwefelverbindungen als ungesättigte erscheinen, womit ihre leichte Oxydierbarkeit im Einklang stehe, indem z. B. Speiskobaltpulver im Wasser bei gewöhnlicher Tempe- ratur rasch As, O, abgebe. Groth nimmt, wie aus seiner Formel hervorgeht, an, daß das ge- samte Eisen im Pyrit zweiwertig ist. Meiner Ansicht nach machen die Arbeiten von C. Doelter!) die Zwei- wertigkeit des Eisens im Pyrit sehr wahrscheinlich. Doelter hat nämlich künstlich Pyrit dargestellt, indem er Eisenspat in zugeschmolzenen Glas- röhren mit schwefelwasserstoffhaltigem Wasser erhitzte. Da nun das Eisen in diesem zweiwertig ist, so muß bei der reduzierenden Wirkung des Schwefelwasserstoffs eine Umwandlung von zweiwertigem Eisen in dreiwertiges als unwahrscheinlich gelten. Ob man die Versuche Benedek’s?), der eine direkte Bestimmung der Wertigkeit des Eisens im Pyrit anstrebte, als beweiskräftig ansehen kann, erscheint zweifelhaft. Reiner Pyrit wurde sowohl im Kohlendioxyd- als auch im Wasserdampfstrome erhitzt. Als Rückstand blieb einmal S Fe, das andere Mal Fe OÖ, woraus Benedek schloß, daß das Gesamteisen im Pyrit zweiwertig ist. In der allerneuesten Zeit ist eine interessante Arbeit erschienen von FE, T. Allen, J. L. Crenshaw und John Johnston,?) die sich mit der Synthese von Markasit und Pyrit beschäftigt haben. Die Darstellung wurde aus- geführt 1. durch Eimwirkung von Schwefelwasserstoft auf Ferrisalze oder von Schwefel und Schwefelwasserstoff auf Ferrosalze; 2. durch Addition von Schwefel aus Lösung an amorphes Ferrosulfid oder Pyrrhotin; 3. durch die Einwirkung löslicher Polysulfide auf Ferrosalze; 4. durch Einwirkung löslicher Thiosulfate auf Ferrosalze nach der Gleichung: 4M, 8,0, 47 FeX, =3M, SO, 4 Fe, + 2MX + 38. Die sämtlichen Methoden können bezeichnet werden als Einwirkung von Schwefel auf Ferrosulfid, da man bei 1 annehmen könne, daß sich )) Groth, Zeitschrift für Kristallographie, Bd. 11, S. 30. 2) Groth, Zeitschrift für Kristallographie 1911, 48, 447. — Magy. Chemiai Folyöirat 1908, 14, 85 —88. 3) Zeitschrift für anorganische Chemie. 76, 201. 42 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zuerst Ferrosulfid durch Einwirkung von Schwefelwasserstoff auf Ferrisalz bildet, und da man bei 3 wisse, daß Polysulfide zuerst ein Gemisch von Ferrosulfid und Schwefel fällen. Die Arbeiten von Doelter und von Allen, Crenshaw und Johnston sprechen unzweideutig für die Zweiwertieskeit des Gesamteisens im Mar- kasit und Pyrit, während für die Drei- oder Vierwertigkeit desselben nicht der geringste Anhalt vorhanden ist. Bei den nun folgenden Untersuchungen bin ich ausgegangen von den Formeln, die A. Beutell für Arsenkies!) und Glanzkobalt?) aufgestellt hat: Arsenkies: 8 = AR A | N a Fe/ | Fe | Y£ NR, Glanzkobalt: Asl N oder Asa Seas PA Da der Arsenkies mit dem Markasit und der Glanzkobalt mit dem Pyrit isomorph ist, kann als sicher vorausgesetzt werden, daß die Mole- keln von Markasit und Arsenkies einerseits und von Pyrit und Glanzkobalt andererseits gleich struiert sein werden. Unter dieser Annahme ergeben sich für den Markasit und Pyrit die folgenden Formeln: Markasit: | S — N Fe Fe nn A Si 8 Pyrit: Fe — S\ Fe EN N 3° SS oder S Fe S‘ S — > Die Formel für den Markasit stimmt, wie man sieht, mit der von Groth aufgestellten Formel überein. Der von mir zu den weiteren Versuchen benutzte Pyrit war ein großer Kristall von der Insel Elba. Wie sich nach dem Zerschlagen herausstellte, enthielt der Kristall eine Ader von Eisenglanz. Jedoch !) Zentralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1911. S. 316 bis 320. 2) Zentralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1911. S. 663 bis 673. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 43 wurden nur solche Teilchen zur Untersuchung benutzt, die frei davon | waren. Die Analyse ergab: Fe = 47,00 9, S — 52,50, 29,508 7: S:Te — 0,84 :1,64 = 1,0:2,0. Die Formel ist also S,Fe. Ein Stück blaues Lackmuspapier färbte sich in Berührung mit dem Pyritkristall rot, ein Zeichen für das Vorhandensein von freier Säure. Aus diesem Grunde wurde ein wässeriger Auszug hergestellt, welcher enthielt: Be 0,12%), S0, 0,27 °/, Fe: 50, = 1,0:1,3. Der wässerige Auszug bewies das Vorhandensein von Ferrosulfat, was schon mit bloßem Auge in Gestalt eines feinen Überzuges auf dem Pyritkristall zu erkennen war, sowie das Vorhandensein von geringen Mengen freier Schwefelsäure. II Zu den in der oben angeführten Analyse gefundenen 99,50%, sind demnach noch die 7 Molekeln Kristallwasser, die das SO, Fe enthält, hinzuzurechnen. Somit bestand der Pyrit aus: Fe = 46,88 |, Ss — 52,41], SSOnRes=1-77E,.0.1.0,590, 50, H3,=1.002, 93,010: Der zu meinen Untersuchungen verwendete Markasit stammte aus Jasper County, Missouri. Er war an der Oberfläche hahnenkammförmig ausgebildet, außen von grünlichgelber, innen von silbergrauer Farbe. Die Analyse ergab: NEAR EoO 82 53,05200 Asl) = in Spuren 00: S: Fe — 0,83: 1,66 = 1,0:2,0. Die Formel ist demnach $S, Fe. Auch in Berührung mit Markasit färbte sich blaues Lackmuspapier rot, was wiederum auf das Vorhandensein von freier Säure schließen ließ. Ein wässeriger Auszug enthielt: 1) As konnte erst bei der Vakuumdestillation nachgewiesen werden. 44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Fe = 0,21 In ‘0, 03720, Bie):28.0, — 1 1.072120>. Im Gegensatz zu Pyrit war hier neben Ferrosulfat kaum freie Schwefelsäure vorhanden; die saure Reaktion kann sich durch Hydroly- sierung erklären. Somit bestand der Markasit aus: Fe — 46,34 |, 8 — 52,93 |, 50, Ke 1. = os 1143 3 \10com 5proz.H20,0,%comkonzı — | 484. SZ onge| 1:2 4 \10ccm 5proz.H20,|0,2 cem konz.| — 93 Std. ne = Kn 140 5 I|10ccm 3proz.H203 0,2 com konz.| — 31/4 Std. n3 = a 1.9 6 |10cem 3proz.H>0,02cemkonz) — | aus. MSSlM| 1:0 7 |10 ccm 2proz.H303,0,2 com konz.) — 31/2 Std. ns = Dolle | 1:21,86 S | 10ccm 11/oproz.H2032 0,2 cem konz.| — 23 Std. ns = I 1:51,80 9 |5 ccm QYaproz.Ha02 5 cem vers) — | 2Std. 2 Z ae 1:17 10 |10ccm 1proz.H202|5 cem verd. _ 92 Std. : = A 12:21:80 11 |10ccm 2proz.H2032 10 cem verd., lOcem| 45 Std. r = oe 1722178 12 |10.cem 2proz.Hz031%0 ecm verd. 10cm! sr 5. FEN] 1: 1,80 13 |10cem 2proz.H30»| 5 ccm konz. |50.cem| 151% Std. "8 zn 1:1,82 14 |10cem 2proz.Hs0z| 5 cem konz. 50cem) 26 Std. "SZ 0'oga| 1: 1,79 15 | 10 ccm 1fsproz. H303190 ccm verd. 20 cem| 216 Std. "SZ gioago| 1: 1,76 16 \10cem 1proz.Hz02!20 cem verd. 70 com| 200 Std. "SZ oggeg| 1: 1,66 17 10 ccm 3/aproz.H203|20 cem verd.)50 ccm | 216 Std. Ins = Docen 1: 1,74 18 |10cem 1proz.Hz0390 cem verd. 10 ccm| 200 Std. SZ ioogg| 1: 1,72 19 | 10 ccm !/aproz.H2032 20 ccm verd.) 70 ccm | 216 Std. “ = os 1= 1,71 20 | 5cem 1proz.H2O2| 3 ccm konz. |300 cem| 336 Std. Rs ae 1 ::1,53 Fe — 0,0039 21 | 5cem 1proz.H20, 10 cem konz. 200cem 192 Std. | Ss —_ go0a7 | t : 157 1) Konz. Salzsäure vom sp. Gew. 1,126. 2) Die Berechnungen sind mit abgerundetem Atomgewicht und mittels Rechen- schiebers ausgeführt. 3) Verd. Salzsäure (1 Vol. Salzsäure vom sp. Gew. 1,126 und 1 Vol. Wasser). 4F 592 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Bei der Oxydation des Pyrits mit 1Oprozentigem bis herab zu Sprozentigem Wasserstoffsuperoxyd ergibt die Analyse das konstanteAtom- verhältnis des gelösten Eisens zum gelösten Schwefel Rer-455 17,02:52.07 d. h. es ist die ganze Pyritmolekel in Lösung gegangen, ohne daß eine Abscheidung von Schwefel nachweisbar wäre. Erst bei 2prozentigem Wasserstoffsuperoxyd beginnt die Atomzahl für den gelösten Schwefel zu sinken, weil der ausgeschiedene Schwefel nur teilweise gelöst wird. Sie nähert sich bei Verminderung der Wasserstoffsuperoxyd-Konzentration immer mehr dem Grenzwert 1,5. Daß der Grenzwert von 1,5 nicht völlig erreicht wird (der niedrigste gefundene Wert ist 1,53), liegt daran, daß auch in den verdünntesten Lösungen ein kleiner Teil des ausgeschie- denen Schwefels als SO,H, in Lösung geht. Die Annäherung ist so groß, daß aus den Versuchen geschlossen werden kann, daß die Schwefel- atome im Pyrit nicht gleichwertig sind, sondern daß !/, derselben sich schwerer oxydiert als die übrigen ?/,. Die Parallelversuche mit Markasit führten auf die folgenden Zahlen: Atomver- w koff . Gewicht des| hältnis asserstoffsuper- Dauer gefundenen des Nr. oxyd in Salzsäure |Wasser der Eisens und „gelösten Gewichts-Prozenten Einwirkung Sch Is Eisens zum chwefels | gelösten Schwefel 1 | 10 cem 10proz. H203 0,2 cem konz.) — [3 Std. 40 Min. ıs = 1.251,90 2 10 ccm 5proz.H202 0,2 ccm konz) — 35 Min. we: = eh 17271,80 3 |10 cem 5proz.H203 0,2 ccm konz. — 4 Std. "s m 12:21:80 4 |10cem 5proz.Ha03|0,2 cem konz. — 23 Std. | mm ar 1:18 5 |10cem 3proz.H5020,2 cemkonz. — | 34 Std. TE = los 1: 1,68 6 110 ccm 3proz.H202 0,2 cem konz. — 93 Std. rs = ns 1 21,69 7 |10ccm 2proz.H9050,2ecm konz| — | ip Sid. 8 = En 1:1483 8 | 10cem1!/aproz.H203 0,2 cem 1] — 93 Std. rs = ses 1: 1,36 9 Scem21jsproz. H2Oz| 5 ccm verd. öl 22 Std. Er = a 178152 10 |10 ccm 1proz.H202 5.cem verd.. | — 92 Std. es = I 14:21,30 11 110 ccm 2proz.H202) 10 ccm verd. | 10 ccm | 45 Std. Es = is Y 1,30 II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 53 Atomver- Gewicht des | hältnis Wasserstoffsuper- Dauer gefundenen des Nr. oxyd in Salzsäure | Wasser der en gelösten Gewichts-Prozenten Einwirkung SEE ekäls I ee Schwefel 12 |10 ccm 2proz.H202| 20 ccm verd. | 10 ccm 44 Std. ns =; Os 1:71,30 13 |10ccm 2proz.H202 5 ccm konz. 50 cem| 151/2 Std. ne = oe 1: 142 14 |10ccm 2proz.Hs0>|5 cem konz. |50cem| 26 Sa. "Zonen 1: 1,97 15 | 10 cem 1/aproz.HsOz) 20 com verd. | cem| 216 sid. "SZ 000i,| 1: 1,90 16 |10 ccm 1proz.H202| 20 ccm verd. | 70 ccm | 200 Std. in = a 7:11,18 Fe = 0,0081 17 |10 3/4proz.H203| 20 erd. | 50 216 Std. h 17128 ccm ?/apr02.H2 02 ccm ver ccm S — 0,0059 18 |10ccm 1proz.Hz03| 20 cem verd. 120 cem 200 Sid. "= 0s0| 1: 1,10 19 | 10.ccm Yoproz.HsOs 20 ccm verd. 70cm, 216 Sta. "8 Z | ze 20 | 5cem 1proz.H202| 3 ccm konz. 200 ccm) 336 Std. ie = oe 1: 1,19 921 | 5ccm 1proz.H2032|10 ccm konz. 200 ccm) 192 Std. nn = ur 1 1.06 Bei der Oxydation des Markasits!) mit 10prozentigem Wasserstoff- superoxyd ergibt die Analyse das Atomverhältnis des gelösten Eisens zum gelösten Schwefel ke: 57 — 11.:1.,90,, d. h. schon mit 10prozentigem Wasserstoffsuperoxyd ist nicht die ganze Markasitmolekel in Lösung gegangen, sondern es tritt schon Schwefel- abscheidung ein. Die Atomzahlen für den gelösten Schwefel nehmen auch hier bei der Verdünnung der oxydierenden Wasserstoffsuperoxydlösung Daß auch hier der wird (der niedrigste gefundene Wert daß auch in den verdünntesten Lösungen ab und nähern sich immer mehr dem Grenzwert 1,0. Grenzwert nicht völlig erreicht ist 1,06) liegt wieder daran, ein kleiner Teil des ausgeschiedenen Schwefels oxydiert wird. Die An- näherung ist jedoch so groß, daß gefolgert werden muß, daß eine Hälfte der Schwefelatome im Markasit sich schwerer oxydiert als die andere. I) Im Ganzen erhielt ich zwei oder drei Werte, die stark von den obigen abweichen. Sie wurden auf einen Fehler beim Analysieren zurückgeführt und des- halb vernachläßigt. 54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die Differenz der gelösten Schwefelatome zwischen Markasit und Pyrit ergibt folgende Werte: Wasserstoffsuperoxyd Dauer Schwe [une Nr. in Salzsäure Wasser der des Eyrits minus Gewichts-Prozenten Einwirkung Schwefelatome des Markasits 1 , 10 ccm 10proz. H2 O3 |0,2 cem konz. — 3 Std. 40 Min. 0,10 2 10 ccm ö5proz. H203 0,2 ccm konz. _ 35 Min. 0,20 3 | 10 ccm 5proz. Ha O3 0,2 cem konz. _ 4 Std. 0,20 4 | 10 ccm 5proz. H2O3 0.2ccemkonz. — 23 Std. 0,16 5 , 10 ccm 3proz. H2 O3 0,2 ccm konz. — 31/4 Std. 0,32 6 | 10 ccm 3proz. Ha02 |0.2cemkonz. — 33 Std. 0,31 7 10 ccm 2proz. H202 0,2 ccm konz. — 31/, Std. 0,43 S | 10 ccm 11/oproz.Ha O3 |0,2 cem konz. _ 33 Std. 0,44 9 5 ccm 21/aproz.H2 02 |5 ccm verd. | — Seal, 0,45 10 | 10 ccm 1proz. H30; |5ccem ver. — 23 Std. 0,50 11 | 10cem 2proz. H202 | 10 ccm verd. 10 ccm 45 Std. 0,48 12 | 10 ccm 2proz. H3O2 20 ccm verd.| 10 ccm 44 Std. 0,50 13 | 10 ccm 2proz. H202 5 ccm konz. | 50 ccm | 151/a Std. 0,40 14 | 10 ccm 2proz. H202 | 5 cem konz. |, 50 ccm 26 Std. 0,42 15 | 10 ccm !/aeproz. H2 O2 | 20 cem verd.| 20 ccm | 216 Std. 0,56 16 , 10 ccm 1proz. H2O2 |20 cem verd. 70 ccm | 200 Std. 0,48 17 , 10 ccm 3/aproz. H20; 20 cem verd.| 50 ccm | 216 Std. 0,46 1S | 10 cem 1proz. H202 |20 ccm verd.| 120 ccm 200 Std. 0,62 19 | 10 ccm Y/aproz. H2 O2 |20 ccm verd.‘ 70 ccm | 216 Std. 0,47 30 | 5cem 1proz. H20z | 3 cem konz. | 200 ccm | 336 Std. 0,34 21 | 5cem 1proz. H203 | 10 ccm konz.| 200 cem 192 Std. 0,51 Aus den obigen Tabellen ist ersichtlich: 1. daß der Pyrit leichter zersetzlich ist als der Markasit. Dieses Resultat, das mit den schon erwähnten Versuchen von Stokes im Einklang ist, erscheint auf den ersten Blick unwahrscheinlich, weil man in den Sammlungen das Gegenteil beobachtet. Wahrscheinlich erklärt sich die Erscheinung durch die poröse, zerklüftete Be- schaffenheit des Markasits, welcher in groben Stücken der Ein- wirkung der Luft eine größere Oberfläche bietet, sroßes Stück Pyrit. Im Pulver sind beide unter dieselben Be- dingungen gesetzt, und dann zeigt sich die leichtere Zersetzbarkeit als ein gleich des Pyrits. Bei starker Konzentration des oxydierenden Lösungsmittels ist die Differenz der gelösten Schwefelatome zwischen Markasit und Pyrit eine geringe. Bei Anwendung von 1Oprozentigem Wasserstoff- superoxyd gehen bei Pyrit beide, bei Markasit 1,9 Schwefelatome in Lösung. Bei beiden Mineralien löst sich also fast die ganze II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 55 Molekel, d. h. auch der anfangs ausgeschiedene Schwefel auf. Richtige Resultate sind nur zu erzielen mit Konzentrationen von 2prozentigem Wasserstoffsuperoxyd bis hinab zu der größten Verdünnung. In letzterem Falle wirkt, wenn das Wasserstoffsuper- oxyd verbraucht ist, das gebildete (SO,), Fe, als Oxydationsmittel und Sauerstoffüberträger, indem dasselbe von dem Pulver zuSO, Fe reduziert und dann durch den Luftsauerstoff wieder zu (SO,), Fe, oxydiert wird. Ganz geringe Mengen von Eisensulfat können auf diese Weise andauernd als schwaches Oxydationsmittel wirken. Die Anwendung von Wasserstoffsuperoxyd ist daher nicht unbe- dingt nötig, doch müßte in diesem Falle die Dauer der Einwirkung außerordentlich erhöht werden. 3. Bei abnehmender Konzentration nähert sich die Differenz der ge- lösten Schwefelatome immer mehr dem Werte 0,5, doch gelingt es nicht, sie unter diesen Grenzwert zu erniedrigen. Es ist somit ausgeschlossen, daß die Differenz von 0,5 Schwefelatomen nur durch eine bestimmte Konzentration erreicht werden könnte. Zwei Werte Nr. 18 und 20 fallen aus der Reihe heraus, doch ist das nicht erstaunlich, da bei den verhältnismäßig geringen Mengen, die sich gelöst haben, ein Fehler von wenigen Zehntel Milli- grammen das Verhältnis so stark beeinflußt, daß die Abweichungen von dem theoretischen Werte 0,5 sich hierdurch erklären. 4. Daß die Versuchsdauer auf die Atomverhältnisse ohne Einfluß ist, geht aus der Tatsache hervor, daß bei der verschiedensten Ver- suchsdauer immer das gleiche Atomverhältnis gefunden wurde. Von besonderem Interesse sind in dieser Beziehung die Versuche Nr. 13 und 14, welche beide mit genau denselben Mengen und genau gleichen sonstigen Versuchsbedingungen ausgeführt sind und sich nur in der Versuchsdauer unterscheiden. Die am Anfang gefundene Differenz von 0,5 für die Schwefelatome von Markasit und Pyrit ist somit durch die späteren Versuche bestätigt worden und führt, wie schon erwähnt, für eins der beiden Mineralien auf die Verdoppelung der Formel S,Fe zu S,Fe,. Doch bleibt die Frage offen, ob beide Formeln zu verdoppeln sind. Da sich die Verdoppelung der Pyritformel auf Grund der Oxydationsversuche am Pyrit bereits als notwendig erwiesen hat, so bestehen Zweifel nur noch über die Markasit- formel. Daß auch diese zu verdoppeln ist, muß aus der Isomorphie mit Arsenkies geschlossen werden. Auch ein Umwandlung von Markasit in Pyrit bei höherer Temperatur, auf die noch näher eingegangen werden wird, weist auf die gleiche Molekulargröße beider Mineralien hin, da man nicht annehmen kann, daß sich S,Fe durch Erhitzen in S,Fe, ver- wandeln wird. 56 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Was nun die Konstitution des Pyrits und Markasits anbelangt, so sind, wenn man die verdoppelte Formel als richtig annimmt, für die Sub- stanzen S,Fe, überhaupt nur die 3 folgenden Formeln möglich: 1 2 3 n — N Wi ae wi —S N nn N N IR ;z S — 8 S — 8 Keaıs Sieht man sich zunächst die Schwefelatome auf die Gleichwertigkeit ihrer Stellung an, so ist ohne weiteres zu erkennen, daß in 1 alle vier Schwefelatome gleichartig gebunden sind. In Formel 2 hingegen sind die beiden an Eisen gebundenen Schwefelatome unter sich gleichartig, jedoch verschieden von den beiden übrigen. In Formel 3 endlich sind 3 ver- schiedenartig gebundene Schwefelatome vorhanden. Das eine ist beider- seitig an Eisen, das andere beiderseitig an Schwefel gebunden, während die beiden übrigen unter sich gleichartigen sowohl an Schwefel als an Eisen gekettet sind. Die einzige Formel, die die Möglichkeit gewährt, daß ein Schwefel- atom sich anders verhält, wie die drei übrigen ist die Formel 3. Somit muß dem Pyrit die durch diese veranschaulichte Konstitution zugeschrieben werden. Da der Pyrit mit dem Glanzkobalt isomorph ist, so folgt für diesen die Konstitution: Co —S Sr > Co — $° Beutell hatte in seiner Arbeit diese Formel für die wahrscheinlichste erklärt, jedoch erschien auch die Formel Co — Co Ne Saar ne ae nicht ausgeschlossen. Weniger leicht scheint die Frage zu entscheiden zu sein, welches die Konstitution des Markasits ist. Von den drei für S,Fe, möglichen Formeln ist Nr. 3 bereits für den Pyrit in Anspruch genommen, und so kommen für den Markasit nur noch die Formeln 1 und 2 in Betracht. Da beim Markasit durch Oxydation zwei Schwefelatome abgeschieden werden, so wäre auf den ersten Blick die Formel 2 die wahrscheinlichere, weil in ihr die beiden an Eisen gebundenen Schwefelatome verschieden sind von den beiden übrigen. Es würde 8,Fe, in Lösung gehen und die beiden anderen Schwefelatome würden ungelöst zurückbleiben. Nun hat aber A. Beutell aus seinen Versuchen am Arsenkies ge- schlossen, daß sich durch Rösten bei dunkler Rotglut die Gruppe 8, Fe II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 57 abscheidet, welche bei der darauf folgenden Destillation im Kathoden- vakuum in SFe und S zerfällt. Eine derartige Spaltung ist auch beim Markasit möglich und aus Analogie mit dem Arsenkies zu erwarten. Es würde unter dieser Voraussetzung die Molekel S,Fe, bei der Oxydation in die zwei Hälften S,Fe gespalten werden, durch die Einwirkung von Wasserstoffsuperoxyd und Salzsäure SFe in Lösung gehen und aus jedem Molekel S,Fe ein Schwefelatom abgeschieden werden. Die Abscheidung von zwei Schwefelatomen aus der Molekel S,Fe, läßt sich somit auch durch die erste Formel ohne Schwierigkeit erklären. Welcher der beiden Formeln der Vorzug zu geben ist, kann nach den bisherigen Ergebnissen nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Es drängt sich unwillkürlich die Frage auf, weshalb die Unterschiede in der Bindungsweise der Schwefelatome nicht auch in der Vakuumdestil- lation zu Tage getreten sind. Nach den angeführten Konstitutionsformeln hätten bei vorsichtigem Erhitzen beim Markasit zwei Atome, beim Pyrit jedoch nur ein Atom überdestillieren müssen. Es ist zwar im Anfang beim Markasit stets bedeutend mehr Schwefel übergegangen als beim Pyrit, doch hat sich quantitativ ein bestimmtes Verhältnis zwischen den abdestillierten Schwefelmengen nicht ergeben. Möglicherweise liegen die Temperaturen, bei denen die verschieden gebundenen Schwefelatome frei werden, so nahe aneinander, daß eine quantitative Trennung!) durch Destillation nicht zu bewerkstelligen ist. Ebenso wie die beiden Mineralpulver durch oxydierende Lösungen künstlich zersetzt werden, werden sie auch in der Natur durch Luft und Feuchtigkeit angegriffen. Es bildet sich an der Oberfläche und in kleinen Rissen und Spalten Ferrosulfat, welches schon mit dem bloßen Auge als feiner Überzug zu erkennen ist. Um bei der Vakuumdestillation durch dieses Salz nicht gestört zu werden, hatte ich die Mineralpulver mit Salzsäure ausgezogen und im Kohlendioxydstrom wieder getrocknet. Es kam nun darauf an, zu untersuchen, ob sich durch Oxydation an der Luft ebenso wie durch Oxydation mit Wasserstoffsuperoxyd freier Schwefel gebildet hat. Bei der Destillation im Vakuum fand ich, daß schon bei einer Temperatur von 50 bis 60° bei beiden Mine- ralien ein Anflug von Schwefel übergegangen war, während die Subli- mation des gebundenen Schwefels aus den beiden Erzen erst bei einer Temperatur von über 400° einsetzte. Da bei dieser Temperatur (50 bis 60°) im hohen Vakuum der freie Schwefel übergeht, kann es sich such hier nur um freien ungebundenen Schwefel handeln, der sich durch 1) Wie weiter unten nachgewiesen wird, verwandelt sich der Markasit beim Erhitzen in Pyrit. Doch kann dies nicht als Grund dafür angesehen werden, daß die Destillation kein Ergebnis gezeitigt hat. Es wird auf diese Verhältnisse noch näher eingegangen werden. 58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. natürliche Oxydation der Mineralien an der Luft gebildet haben muß. Wie man sieht, stimmt dies vollkommen mit den durch Wasserstoffsuper- oxyd hervorgerufenen Veränderungen überein. Auch die Analysenresultate des wässerigen Auszuges sind mit den beobachteten Erscheinungen im Einklang. Bei Markasit ergab die Analyse keinen Überschuß von freier Schwefelsäure; offenbar wird alle gebildete Schwefelsäure zur Bildung von SO,Fe verbraucht. Es geht dies aus den Versuchen mit Wasserstoffsuperoxyd hervor, welche gezeigt haben, daß auf 2 Atome Eisen auch 2 Atome Schwefel in Lösung gehen. Bei Pyrit löst sich aber durch Oxydation mit Wasserstoffsuperoxyd S, Fe,, und da bei der Oxydation an der Luft wegen der reduzierenden Wirkung des Pyrits (so lange das Pulver in Berührung mit dem Mineral ist) immer nur SO,Fe entsteht, muß sich freie Schwefelsäure bilden, welche im wässerigen Auszuge auch wirklich nachgewiesen worden ist. Da das verschiedene Verhalten von Markasit und Pyrit bei der Oxydation eine sichere Unterscheidung der beiden Mineralien gestattet, so benützte ich die Oxydationsmethode, um eine von J. Königsberger und OÖ. Reichenheim!) entdeckte Umwandlung von Markasit in Pyrit nachzu- prüfen. Die beiden Autoren hatten gefunden, daß der elektrische Leitungs- widerstand von Markasit durch Erwärmen rasch abnimmt und bei stärkerem Erhitzen mit dem des Pyrits übereinstimmt, was auch nach erfolgtem Ab- kühlen noch der Fall ist. Sie schlossen daraus, daß sich der Markasit in Pyrit uwgewandelt hatte. Diesem Resultat stand ich im Anfang mit einigem Bedenken gegenüber, da Königsberger und Reichenheim den Mar- kasit bis auf 700° erhitzt hatten, ohne auf die Zersetzung desselben Rücksicht zu nehmen. Bei einer so hohen Temperatur muß ein Teil des Schwefels verbrennen oder abdestillieren. Damit war die Möglichkeit segeben, daß sich eine leitende Oberflächenschicht gebildet hatte, welche die Abnahme des elektrischen Widerstandes erklären würde, ohne notwendiger- weise zur Annahme einer Umwandlung von Markasit in Pyrit zu zwingen. Um dies zu untersuchen, wurde Markasit und Pyritpulver je in ein Kaliglasröhrehen von einem inneren Durchmesser von 4 mm gebracht, welches 2 eem hinter dem Pulver zu einer 20 cm langen ganz engen Kapillare ausgezogen wurde. Die Pulver wurden in dem schon vorhin beschriebenen elektrischen Ofen erhitzt, und das offene Ende der Röhre in Quecksilber getaucht, um das Eindringen von Luft zu verhindern. Auf diese Weise herrschte in den Röhren stets ein Druck von einer Atmosphäre, ohne daß eine Oxydation des Pulvers durch den Luftsauer- stoff zu befürchten war; das äußerst geringe Luftquantum, das sich von Anfang an in den Röhren befand, konnte vernachläßigt werden. 1) Neues Jahrbuch 1906. Bd. 2. S. 36. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 59 Die Pulver wurden 60 Stunden lang auf etwa 600° erhitzt. Sowohl bei Pyrit als auch bei Markasit ist Schwefel abdestilliert, und zwar von ungefähr 520° an. Das dadurch teilweise gebildete SFe wurde später aus dem Pulver mit verdünnter Salzsäure ausgezogen. Der Rest des Pulvers, welches weder SFe noch freien Schwefel ent- halten konnte, wurde mit 10 cem 2prozent. Wasserstoffsuperoxyd und 10 ccm verdünnter Salzsäure versetzt. Zum Vergleich wurden zwei frische Proben von Pyrit und Markasit auf die gleiche Weise angesetzt. Wie bei früheren Versuchen wurde das Atomverhältnis des gelösten Eisens zum gelösten Schwefel bestimmt. Ich erhielt folgende Werte: ur denenicht, erhitzten Markasit ..".. ......:Bo:S- 1.2130 iesden nicht erhitzten Pyrit . 22... "Be:'s —. 1: 1,90) ki den. auf 600° erhitzten Markasit‘ . . .. Be2S — 121,90, fürden aut 600° erhitzten' Pyrit ...%. . Ee 28 — 1 1,90. Nach 60 stündigem Erhitzen auf 600° zeigte der Markasit das gleiche Verhalten wie der Pyrit. Durch dieses Resultat ist sicher nachgewiesen, daß der Markasit sich vollkommen in Pyrit umgewandelt hatte, da er für das Verhältnis des gelösten Eisens zum oxydierten Schwefel genau denselben Wert er- sibt wie dieser, während bei den nicht erhitzten Pulvern wieder genau dieselben Zahlen gefunden wurden wie früher. Ehe ich meine Ergebnisse über die Umwandlung von Markasit in Pyrit veröffentlichen konnte, :erschien eine Arbeit, auf die im Anfang schon einmal hingewiesen ist, über „Die mineralischen Eisensulfide‘ von E. T. Allen, J. L. Crenshaw und John Johnston, die auf einem anderen Wege, nämlich mit Hilfe der Oxydationsmethode von Stokes, zu demselben Re- sultate gelangten wie ich. Im Gegensatz zu J. Königsberger und O. Reichenheim fanden sie jedoch, daß die Umwandlung sich nicht schon bei 250— 300°, sondern erst bei 450° vollzieht. Unterhalb dieser Temperatur fanden sie keine merkliche Veränderung. Da hiernach über die Umwandlungstemperatur noch keine Klarheit geschaffen war, wiederholte ich den oben besprochenen Versuch bei Temperaturen von 400° und 500° und erhielt folgendes Er- gebnis: Bei 400°: Für Markasıtın 0. ne Be.280 — 1201,4, AU BD yrit, a Dan a SS Bel. el 18T. Bei 500°: Kür Markasıt ana. 2 vun. Bes8 — 121,87, a Byrite 0 oa sn... Dei: 8, — 121,93, 60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Aus diesen Zahlen geht hervor, daß nach 45stündigem Erhitzen bei 400° noch keine Umwandlung von Markasit in Pyrit stattgefunden hat, während nach 45stündigem Erhitzen auf 500° vollkommene Umwandlung eingetreten ist. Es war dies schon an der Farbe des unzersetzten Pulvers zu erkennen. Nach dem Behandeln bei 500° sahen beide Pulver gleich- mäßig gelb aus und waren nicht mehr zu unterscheiden, während nach der Behandlung bei 400° der Markasit seine ursprüngliche graue Farbe beibehalten hatte. Merkwürdigerweise behielten die Pulver bei der Destil- lation im Vakuum, obgleich sie bis auf nahezu 500° erhitzt worden waren, ihre ursprünglichen Farben bei, sodaß im Vakuum bei dieser Temperatur noch keine Umwandlung von Markasit in. Pyrit vor sich ge- gangen war. Es kann demnach die Umwandlung von Markasit in Pyrit nicht als Grund dafür angesehen werden, daß die Destillation im Vakuum kein klares Ergebnis gezeitigt hat. Von einer Umwandlung von S,Fe in eine dritte Modifikation bei 400°, die J. Königsberger und O. Reichenheim aus ihren Versuchen an- genommen haben, konnten weder Allen, Crenshaw und Johnston noch ich etwas bemerken. II. Teil: Magnetkies. Der Magnetkies hat wegen seiner wechselnden Zusammensetzung das Interesse der Mineralogen bis zum heutigen Tage in Anspruch genommen. Es liegt zwar ein großes Analysenmaterial vor, doch hat dasselbe nicht auf eine bestimmte Formel geführt. Die Formeln S,Fe,, S,Fe;, So Fe 1, SFe spiegeln nur eine verschwindend kleine Anzahl von Analysen wieder und entbehren deshalb jeder Wahrscheinlichkeit. Lindström!) hat 1875 von 30 ausgewählten Analysen das Verhältnis von Eisen zu Schwefel be- rechnet und gefunden, daß der Schwefelgehalt, wenn man den Eisengehalt gleich 1 setzt, zwischen 1,06 und 1,19 schwankt. Da sich inzwischen die Anzahl der Analysen ganz beträchtlich vermehrt hat, ist es der Mühe wert, das ganze Material einer erneuten Sichtung zu unterziehen, um fest- zustellen, ob ein bestimmter Formeltypus vielleicht vorherrscht, oder ob sich sonst ein Anhalt für die Zusammensetzung des Magnetkieses ergibt. Zu diesem Zweck habe ich für sämtliche in Hintzes Handbuch‘) aufge- führten, sowie für die später veröffentlichten Analysen das Atomverhältnis S: Fe ermittelt. Da ein stichhaltiger Grund für die Abtrennung des so- genannten Troilits nicht vorliegt, habe ich seine Analysen denen des Magnet kieses angegliedert. Kobalt und Nickel wurden in Eisen umgerechnet. 1) Öfv. Ak. Stockh. 32 (1875) Nr. 2. S. 2. 2)ENT-214.22196. 653. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 61 Von 94 Analysen wurden 11 verworfen, weil sie von stark verunreinigtem Material herrührten. fallendem Schwefelgehalt geordnet. In der folgenden Tabelle sind die Magnetkiese nach S Fe Ni Summe inkl. S: Fe Barege, H. Pyreu Stromeyer 43,62 | 56,38 — 100 — 1,35:1,0 SıFes *Sjerra di Deesa, Meunier 42,00 , 58,00 _ 100 — 1,26 : 1,0 Copiapo, Chile Freiberg Schulze 41,67 | 56,74 1,10 100 0,49 Co 1,25: 1,01 5, Fey b. Stelzner Künstlich in einer L. Bucca 41,66 | 58,34 — —_ — 1.29: 10] Schwefelraffinerie von Catania Treseburg Stromeyer | 40,711 5999| — 100 a 1,20: 1.0 Panulcillo Domeyko 39,50 | 57,55 — 98,55 | (1,5 SiO2) | 1,20:1,0 Horbach Rammelsberg | 40,03 | 55,96 3,56 99,85 = 1.19: 1,0? Se Fez Sion Berthier 40,20 | 59,80 I 100 a 1,19:1,0 Hilsen Rammelsberg | 40,27 | 56,57 | 3,16 100 Au 1,19: 1,0 *Jeliza Meunier 39,99 | 58,94 | 0,42 99,35 _ 1,18: 1,0 *Toluca, Mexiko Meunier 40,03 , 59,01 0,14 99,18 | (Spur Cu) | 1,18:1,0 Fahlun Plattner 40,05 | 60,29 — 100,34 —_ 1,170 Auerbach Petersen 39,90 | 59,39 0,06 99,59 (0,17 Ti) 7ER Some Treseburg Rammelsberg | 39,75 | 59,23 —_ 98,98 _ FRNO Tammela Lindström 39,74 59,14| 0,09 99,54 | (0,12 Cu 17a) 8,45 SiOs) | Conghonas Plattner 40,25 | 60,20 E= 100,45 _ 1,16: 1,0 do Campo Fahlun Akerman 39,84 | 60,29 - 190,13 _ ‚15: 1,0 Freiberg Schulze 39,68 | 59,91 0,61 100,32 0,12 Co ‚19.:.1,0 bei Stelzner Fridigo, Massa Funaro 39,65 | 58,18 9,17 100 —_ 1,15: 1,0 Bodenmais Habermehl 39,48 | 60,61 _ 100,09 —_ 1,19.21:0 *Santa Maria de los Meunier 39,31 | 56,29 3,10 98,60 — 1,15:1,0 Charcas, Mexiko New-York Hahn 39,41 | 58,31 9298 100 —_ 1,1%: 1,0 Harzburg Rammelsberg | 39,17 | 60,83 — 100 _— 1,14:1,0£ SsFer Trumbull, Conn. Derselbe 39,06 60,94 — 100 — 1,14: 1,0 Kragerö Lindström 38,77 | 59,15 0,51 99,65 | 1,22 SiO2 | 1,14:1,0 Freiberg Schulze 37.22. 91,89.| 0.0356 96,18 — 1,14: 1,0 bei Stelzner Borev Nyiredy 37,66 , 57,68 — 99,76 4,42 SiO2 | 1,14: 1,0 Rodna Derselbe 37,42 | 57,30 — 99,64 ı 4,92 SiO2 | 1,14:1,0 Oravicza Derselbe 36,48 | 55,92 — 99,65 | 7,25 SiO2 | 1,1&:1,0 Piemont Toumaire 35,50 5440| 0,20 100 9,90 SiO32 | 1,14: 1,0 *Danville, Alabama Smith 39,56 | 61,11 — 100,67 — 1,13:1,0 SgFeg *) Die mit einem Stern versehenen Analysen stammen von Troilit resp. Magnetkies Meteoriten. Die Analysen sind mit abgerundetem Atomgewicht und mittels Rechenschiebers ausgerechnet, aus Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Künstl. Magnetkies Bernkastel Bodenmais Künstl. Magnetkies Mount Timbertop Howqua Künstl. Magnetkies Kongsberg Sion Sudbury, Ont Freiberg Bodenmais Schneeberg Geppersdorf Bodenmais Miggiandone bei Pallanza Fiemore, Schottl. Bodenmais Frumbull Conn, Xalostoc Xalostoc Künstl. Magnetkies Utö Gap Mine, Pa Schreiberhau Bodenmais Adolfsgrufva, Jemtl. Monroe, Conn. Bodenmais Borev Vester Silfberget Rajputana Brasilien Künstl, Magnetkies *Nenntmannsdorf Sohland Taoetsch *Knoxville-Tazewell Tenn. #VocaMuerta, Sierra de Chaco, Chile | S Fe Ni Summe | inkl. S: Fe Doelter 39,47 | 61,11 — 100,58 — 13V Baumert 39,40 | 61,00 — 100,40 _ 1,1320 Rammelsberg | 39,3£ | 60,66 —_ 100 — a) Doelter 39,21 | 60,98 _ 100,19 —_ 1.13.70 Wood bei Ulrich, 39,16 | 60,47 — 99,92 0,29 Rückstd.| 1,13 :1,0 Doelter 39,10 | 60,76 — 98,86 — 1.432210 Sy Fes Lindström‘ | 38,89 | 60,20 — 100,07 | 0,98 SiO2 | 1,13:1,0 Berthier 3 61 —_ 100 . — 1,192521:0 Mackenzie 38,91 | 56,39 | 4,66 99,96 — 1,12:1,0 bei Dana | Lindström 38,88 | 60,18 _ 99,93 | 0,57 SiOs; | 1,12: 1,0 0,30 CaCO3 Rose 38,78 | 60,52 —_ 100,12 | 0,82 SiO2 | 1,12 h Doelter 39,10 | 61,77 _ 100,87 Spur Co 1,11 1,0) Schuhmacher | 38,87 | 61,13 —_ 100 = hl 1,01 v.Leuchtenberg | 38,80 | 61,11 — 99,91 — 1,110:3170 Sıo Feo Bodewig 38,75 | 6059| — 9997 | 0,63 Co | 1,11:1, Heddle 38,54! 6030| — 100,53 | 0,15 SiO;; | 1,11:1,0 1,54% CaCOs3 Grf.Schaffgotsch| 38,83 | 61,17 — 100 == 1,10:1,0 Rammelsberg | 38,78 | 61,22 — 100 —_ 1,1010 Derselbe 38,75 | 61,25 — 100 = 1,10)51.0 Su Fein Derselbe 38,64 | 61,36 100 — 1,10: vol Doelter 38,49 | 61,01 — 99,50 == 1,10: 1,0 Lindström 38,22 | 60,83 - 100,02 | 0,97 SiO2 | 1,10: 1,0) Rammelsberg | 38,59 | 55,82 | 5,59 100 — 1,09: 1,0) Bodewig 38,56 ı 61,33 — 100,18 0,29 Co 1,09: 1,0 Derselbe 38,45 | 61,53 — 99,98 _ 1,09 :1,0 Lindström 37,77, 60,08 | 0,04 99,80 | 1,91 SiO2 | 1,09:1,0 Mackenzie 38,22 | 61,65 — 99,87 — 1,08:1,0% Sj> Feyı bei Dana Thiel 38,15 | 61,59 _ 99,74 , 0,0042 Ag | 1,08:1,0 Pälfy 38,08 | 62,04 —_ 100,12 — 1,07 :1,0 Nilsson 37,76 | 61,60 — 99,36 — 1,07:1,0 Middleton 37,131 .,02:97 _ 100 — | 1,05: 1,0 Berthier 37,358 | 62,62 — 100 — 1,04: 1,0 Lorenz 37,00|6290| — 99,90 a 1,04: 1,0 Geinitz 37,36 | 63,82 = 101,18 —_ 1,02:1,0 Schiffner 36,4 | 56,0 I60oNi+Col 98,5 10,1Cu;SpurAg| 1,02: 1,0 Gutknecht | 36,35 | 6315| — 99,50 Bi 1,01:1,0, 5 Fe bei Kenngott Smith 35,67 | 69,38 | 0,32 99,01 Spur.Cu; | 1.0::10 0,56 Si O3 Domeyko | 36,66 | 6334| — 100 2 1,0. :1,0) II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 63 S Fe Ni Summe inkl. | S: Fe ff ur 11 al ER 2ER GREEN ERBE RL BERGAB IR A 1A B END SPEER '*CosbysCreek,Tenn.| Rammelsberg | 36,64 | 61,80 1,56 100 — 1,0:1,0 ) *’Ovifak, Grönland Nauckhoff 36,56 | 57,91 5,53 100 — 1.0:1,0 *Cranbourne, Vikt. Flight 36,33 | 63,61 _ 100,02 0,08 Cu 1,0:1,0 ”Jeliza, Serbien Losanitsch 36,29 | 63,41 _ 99,70 — OSLO '"CosbysCreek,Tenn. Smith 36,28 | 63,801 — 100,08 — 1,0:1,0 | *CosbysCreek,Tenn. Derselbe 36,21| 63,48 —_ 99,69 —_ 1,0:1,0 | *Sarbanovac, Serb.' Losanitsch 36,16 | 63,84| Spur 100 —_ 1,0:1,0 Garpenberg v. Ehrenheim |, 32,05 | 57,54 — 92,59 | 3,00 SiO2 | 1,0:1,0 *Seeläsgen Rammelsberg | 35,91 | 63,35 —_ 99,26 — 1,0:1,01 *Rowton, England Flight 36,07 | 63,93 — 100 —_ 1,0::1,02 SFe '*Beaconsfield, Vikt. Cohen 36,07 | 58,07 | 4,34 100 1,52 Co 1,0: 1,02 *BearCreek, Color. Smith 36,05 | 63,55 | 0,42 100 - 1,0:1,0% '*Sikkensaare, Esthl. Schilling 35,68! 64,19| 0,13 100 — 1,0: 1,02 | *Seeläsgen Rammelsberg | 35,68 | 6224| 1,90 | 100 0,18 P 1,0: 1,09 ‚ *CosbysCreek,Tenn. Smith 35,05 | 62,21 0,16 99,49 0,56 Co; 1,0: “ 0,21 Si O3 '*CosbysCreek,Tenn.| Rammelsberg | 35,39 | 62,65 1,96 100 _ 1,0: 1,04 *Rittersgrün Winkler 35,27 | 63,00 1,02 99,96 | 0,67 SiOa | 10: 1,04) *Bemdegö, Brasilien Derby 34,72 \ 65,28| Spur 100 _ 1,0:1,08 Sıo Feuı In der Zusammenstellung fällt auf, daß die terrestrischen Magnet- kiese sämtlich über die Formel SFe einen Überschuß von Schwefel auf- weisen, während das Eisensulfid der Meteoriten fast durchweg der Formel SFe entspricht. Von 25 Analysen fallen nur 5 heraus, unter denen sich drei von Meunier ausgeführte befinden. Cohen!) beanstandet dieselben mit Recht, weil ihre Resultate von denjenigen aller übrigen Autoren ab- weichen, und weil die gefundene Zusammensetzung nicht mit den er- mittelten spezifischen Gewichten übereinstimmt. Der Grund für die ver- schiedene Zusammensetzung des irdischen Schwefeleisens und desjenigen der Meteoriten kann möglicherweise in der hohen Temperatur zu suchen sein, welcher die Meteoriten bei ihrem Eintritt in die Atmosphäre aus- gesetzt waren; der Überschuß an Schwefel wäre dann beim Erglühen der Meteorite ausgetrieben worden. Von den Magnetkiesanalysen führt eine ganze Reihe annähernd auf die Formel S,Fe, und S,;,Fe,, doch darf hieraus nicht auf die Richtigkeit derselben geschlossen werden, weil, wie aus der Tabelle ersichtlich ist, die Abweichungen für eine so komplizierte Molekel zu große sind. Es bleibt also die Tatsache bestehen, daß die Magnetkiesanalysen nicht auf eine rationelle Formel führen. Ich selbst verwandte zu meinen Untersuchungen ein kristallinisch- blättriges, ganz homogen aussehendes Stück Magnetkies von Bodenmais, dessen Analyse die folgenden Ergebnisse lieferte: 1) Meteoritenkunde. Stuttgart 1894. Bd. 1. S. 198. 64 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Fe = 60,48 °/, S — 38,00 °/, unlöslicher Rückstand = 1,03 |, 93aln: Zum Lösen des Magnetkieses war rauchende Salpetersäure verwandt worden. Der unlösliche Rückstand bestand teils aus Quarz, teils aus einem schwarzen, stark magnetischen Pulver, in welchem Eisen nach- gewiesen werden konnte; wahrscheinlich war es Magneteisen Fe, O,. Nach Abzug dieses Rückstandes und Umrechnung der gefundenen Werte ergibt sich: Fe = 61,42 |, S-— 38,58%, 100,00 °/,. S:Fe= 1,20:1,10. Die Formel wäre demnach S,. Fe,. Der Formel SFe entsprechen nur 35,1 °/, 8, sodaß 3,5 /, S im Überschuß vorhanden sind. Für die Zusammensetzung des Magnetkieses liegen nun folgende Möglichkeiten vor. Er kann bestehen: 1. aus SFe und höheren Sulfiden, von denen eine ganze Reihe. be- kannt ist, aus niederen und höheren Sulfiden und aus SFe und Schwefel. Um auf analytischem Wege Anhaltspunkte für das Vorhandensein von niederen Sulfiden zu gewinnen, wurde der Magnetkies mit Salzsäure > W gelöst. Bei Anwesenheit von höheren Sulfiden findet die Einwirkung folgender- maßen statt: SR 2201 15 -2ICL RE SH, Das Verhältnis des gelösten Metalls zu dem Schwefel des Schwefel- wasserstoffs müßte genau 1:1 sein, außerdem müßte sich Schwefel ab- scheiden. Bei Anwesenheit von niederen Sulfiden würde die Einwirkung der Salzsäure auf diese folgendermaßen vor sich gehen: SR, + 4CIH =SH, + 2H + 2CL,R Das Verhältnis des gelösten Metalls zum Schwefel des Schwefel- wasserstoffs dürfte nicht 1:1 sein. Außerdem würde neben Schwefel- wasserstoff auch noch Wasserstoff gebildet werden. Das Auflösen des Magnetkieses geschah im Erlenmeyerkolben mit Salzsäure unter Luftabschluß. In der Kälte dauert es sehr lange, ehe die Schwefelwasserstoffentwicklung einsetzt, doch färbt sich die Lösung II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 65 gelb, weil an der Oberfläche des Magnetkieses Spuren von Eisenhydro- oxyd sitzen, welche in der Salzsäure zu Cl,Fe gelöst werden. Der sich später beim Erwärmen entwickelnde Schwefelwasserstoff wurde zur Ab sorption in Kupferchlorürlösung geleitet. Um allen Schwefelwasserstoff quantitativ auszutreiben. wurde die Lösung bis fast zum Sieden erhitzt und zu gleicher Zeit ein schwacher Kohlendioxydstrom durchgeleitet. Das in der Vorlage gebildete Kupfer- sulfid wurde durch einen Goochtiegel abfiltriert, alsdann mit rauchender Salpetersäure als SO,Cu wieder in Lösung gebracht und darin die Schwefelsäure als SO, Ba bestimmt. Es waren 33,60 %/, 8 als SH, übergegangen. Der im Erlenmeyer- kolben verbliebene Rückstand wurde durch ein enges Kaliglasrohr, in dem sich ein Asbeststopfen befand, abfiltriert. Ich fand im Filtrat 59,14 °/, gelöstes Eisen, welches zur Bildung von SFe 33,80 °/, Schwefel erfordert. Der Versuch ergab also für das gelöste Eisen und den im Schwefel- wasserstoff enthaltenen Schwefel fast genau das Verhältnis 1:1. Niedere Sulfide sind demnach nicht vorhanden, dagegen können höhere an- wesend sein. Um den auf dem Asbeststopfen befindlichen schwarzen Rückstand auf freien Schwefel und in Salzsäure unlösliche Sulfide zu untersuchen, wurde er mit dem Filtrierröhrehen in ein etwas weiteres, an einem Ende geschlossenes Kaliglasrohr gebracht, welches an eine Beutellsche Queck- silberluftpumpe angeschlossen wurde. Nachdem auf Kathodenvakuum ausgepumpt war, wurde der Rück- stand mit einem elektrischen Ofen auf 60-—-70° erhitzt. Bei dieser Temperatur gingen 4,07°/,Schwefelüber. Bei einem nochmaligen Anschmelzen und abermaligem Erhitzen zeigte sich, daß schon vorher aller Schwefel quantitativ sublimiert war. Der im Rückstand enthaltene freie Schwefel betrug mithin 4,07 P],. Der nach der ersten Destillation verbleibende Rückstand wurde nun langsam auf 600° erhitzt, um festzustellen, ob noch unzersetztes Erz oder Pyrit vorhanden wäre. Weder bei der Zersetzungstemperatur des Pyrits noch bei der des Magnetkieses ging Schwefel über. Der Rück- stand wurde nun so gut wie möglich aus dem Röhrchen herausgebracht und mit dem Magneten ausgezogen. Es konnten auf diese Weise 0,1), eines schwarzen Pulvers isoliert werden, welches wahrscheinlich aus Magneteisen Fe,O, bestand. Der Rest bestand teils aus Quarz, teils aus kleinen metallisch silber- weißen Blättchen, Diese wurden mechanisch von einander getrennt und alsdann gewogen. 1913. ot 66 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Es waren a9 0 er 1,65 Io Si 0,, 1,00 °/, jener metallischen Partikelchen. Die Untersuchung ergab also insgesamt: Fe = 59,14 °|, S,==,33,00x2/0 überschüssiger Schwefel = . OR, 50, 1,639 schwarzes, magnetisches Pulver, wahrscheinlich Fe, 0, = 0,10 |, unbekannte, metallglänzende Par- tikelchen (vielleicht Eisenglanz F&,0;) = 1,00%, 99,54 915: Der Rest von 0,46 °/, bestand wahrscheinlich aus dem Pulver, das von dem Asbest nicht mehr abzutrennen war. Es kam nun darauf an, zu untersuchen, woraus jene unbekannten, metallischen Blättehen bestanden, welche das Aussehen von Eisenglanz oder Molybdänglanz besaßen. Zur chemischen Untersuchung war die Menge derselben zu gering. Aus diesem Grunde wurde auf einer rauhen Porzellanplatte zuerst ein Strich jener Substanz hergestellt, der schwärz- lich grün aussah und auf Molybdänglanz hinwies. Die Mineralblättchen waren weich und ließen sich auf der Platte leicht zerreiben. Es gelang mir jedoch nie auf chemischem Wege mit diesen Blättehen nach dem Auflösen in rauchender Salpetersäure eine sichere Molybdänreaktion zu erhalten. Dagegen zeigte es sich bald, daß das in dem Mineral ent- haltene Metall Eisen sei. Bei der später. zu besprechenden Destillation des Magnetkiespulvers im Vakuum entstand bei höherer Temperatur am Anfange des Rohres ein schwarzer Ring, der sich bei der Prüfung mit ClONa als Arsen erwies. Vielleicht stammt dasselbe aus diesen metal- lischen Blättchen, sodaß eine Eisenarsenverbindung vorläge, doch halte ich auch Eisenglanz nicht für ausgeschlossen. Hieraus erklärt sich die verschiedene Menge des überschüssigen Schwefels im Aufschluß mit Sal- petersäure und dem mit Salzsäure. Bei ersterem gehen die metallischen Blättehen mit in Lösung und erhöhen den Eisenwert, wodurch der Wert des überschüssigen Schwefels erniedrigt wird, beim Aufschluß mit Salz- säure ist dies nicht der Fall. Dadurch wäre es zu erklären, daß in der 1. Analyse nur 3,5 °/, überschüssiger Schwefel vorhanden waren und im salzsauren Aufschluß 4,0 °/, gefunden wurden. Man ersieht hieraus, wie selbst ein scheinbar vollkommen homogener Magnetkies verhältnismäßig stark verunreinigt ist. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 67 In letzter Zeit hat Max Leo!) den Magnetkies untersucht. Er hatte durch Vorversuche festgestellt, daß sich Pyrit durch Kaliumbromatlösung sehr langsam kupferrot färbt. Der von ihm als Fe,O, gedeutete Nieder- schlag läßt sich leicht wegwischen und dann kommt die ursprüngliche Naturfarbe des Minerals wieder zum Vorschein. Er fand weiter, daß der Magnetkies mit Kaliumbromatlösung sehr rasch braun wird. Doch blieben gelbe Stellen erhalten, die Leo für beigemengten Pyrit hielt, Dieser findet sich nach seinen Untersuchungen teils in Reihen zwischen den Lamellen des Magnetkieses eingelagert, teils in kleinen Knötchen und in Spalten. An einem Magnetkieskristall von Wakefield in Kanada der Münchener Staatssammlung konnte Leo makroskopisch Pyriteinschlüsse wahrnehmen. Aus diesen Tatsachen schloß er, daß Groth mit seiner Vermutung Recht behalten dürfte, daß der Überschuß an Schwefel einer Beimengung von Pyrit zuzuschreiben sei. Ich selbst habe Leo’s Versuche wiederholt, doch bin ieh zu sicheren Resultaten nicht gelangt. Ich konnte zwar auch gelbe, nicht angefärbte Stellen beobachten, doch hielt ich mich nicht für bereehtigt, dieselben als Pyrit anzusprechen. Ich hatte ähnliche Erscheinungen auch beobachtet, wenn ich Magnetkies in kalter, sehr verdünnter Salzsäure liegen ließ, doch gingen bei Verstärken der Säure diese Stellen ebenso leicht in Lösung wie andere. Die richtige Deutung der durch Anfärben erhaltenen Resultate dürfte in vielen Fällen recht schwierig sein. Gegen die Ansicht Leos, daß der Magnetkies mit Pyrit gemengt sei, sprechen die Versuche Habermehls.?) Derselbe hatte fein gepulverten Magnetkies von Bodenmais mit einem Hufeisenmagneten in Fraktionen getrennt, die er dann der Analyse unterwarf. Sie zeigten in der Zu- sammensetzung keine Unterschiede. Bei der Anwesenheit von Pyrit hätten die weniger magnetischen Anteile mehr Schwefel als die übrigen enthalten müssen. Ich wiederholte diesen Versuch Habermehls mit einem Magnetkies von Bodenmais. Der Magnet wurde mit dem Pulver nicht in Berührung gebracht, sondern in einiger Entfernung darüber hinweggeführt. Die an- gezogenen Partikelchen wurden gesammelt und später analysiert. Der Aufschluß wurde mit rauchender Salpetersäure vorgenommen. Die Analyse ergab: Fe = 60,78 |, $ — 38,00 9, unlösl. Rückstand = 1,38 |, ER 100,16 9. 1) Die Anlauffarben. Eine neue Methode zur Untersuchung opaker Eıze. Dresden 1911. S. 31. 2) Ber. Oberh. Ges. f. Natur u. Heilkunde. 18, 583. Gießen 1879. 5% {>} 68 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Es zeigt sich, daß nur der Wert für den unlöslichen Rückstand, der hier nicht aus SiO,, sondern nur aus Fe,O, besteht, gestiegen ist, während doch bei Gegenwart von unmagnetischem Pyrit eine Anreicherung von Eisen hätte stattfinden müssen. Ein einfaches Mittel, um die Anwesenheit von mechanisch beige- mengtem Pyrit einwandsfrei nachzuweisen, bietet die Destillation im Vakuum. Wenn wirklich, wie Leo annimmt, dem Magnetkies Pyrit „mechanisch beigemengt“ ist, so muß dieser bei derselben Temperatur und unter senau denselben Bedingungen Schwefel abgeben wie der Pyrit allein. Die Anordnung sowohl wie die Versuchsbedingungen waren genau die- selben wie bei der Destillation von Markasit und Pyrit. Erst nachdem auf Kathodenvakuum ausgepumpt war, wurde mit dem Erhitzen begonnen, Bei 60—70° erschien ein Anflug von Schwefel. Da die Zersetzungs- temperaturen für Pyrit und Magnetkies viel höher liegen, so kann dieser Schwefel nicht aus dem unzersetzten Mineral stammen. Es handelt sich hier vielmehr um freien Schwefel, der sich durch Oxydation des Erzes an der Luft gebildet hatte. Es stimmt dies mit Bodewigs!) Befund überein. Dieser hat nachgewiesen, daß im Magnetkies von Bodenmaiß Schwefel enthalten ist, der sich bei der Anwendung größerer Mengen Substanz durch Ausziehen mit Schwefelkohlenstoff gewichtsanalytisch be- stimmen läßt. So fand er bei Anwendung von circa 10 g Substanz 0,01—0,0213 g Schwefel. Alsdann wurde die Temperatur langsam ge- steigert. Von 380° an tritt Gasentwickelung auf, wie am Spektralrohr zu erkennen war. Erst bei 540—550° begann Schwefel zu sublimieren, nachdem die Temperatur mehrere Stunden innegehalten worden war. Im ganzen waren 1,4 °/, übergegangen. Da kein Destillat mehr nach längerem Erhitzen bei dieser Temperatur erscheint, wurde die Temperatur wiederum gesteigert. Nur sehr langsam nach tagelangem Erhitzen er- scheint bei 650° ein dunkles Destillat, in dem sich nur Schwefel naech- weisen ließ. Um den gesamten iberschüssigen Schwefel auszutreiben, würde man auf diese Weise bei 650° wochenlang destillieren müssen. Eine weitere Temperaturerhöhung vorzunehmen war bei meiner Versuchs- anordnung unmöglich, da die Kaliglasröhren, in denen die Versuche vor- genommen wurden, dies nicht mehr ausgehalten hätten. Da es haupt- sächlich auf die Temperaturbestimmung ankam, bei der der über- schüssige Schwefel überging, wurde der Versuch abgebrochen. Der Schwefel aus Pyrit sublimiert bei 420°, während derjenige aus dem Magnetkies erst bei 540° zu destillieren beginnt. Dadurch ist als sicher nachgewiesen, daß der Überschuß an Schwefel im Magnetkies mechanisch 1) Groth, Zeitschrift für Kristallographie, 1883. VI. S. 174. Il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion, 69 beigemengten Pyrit nicht entstammen kann. Ich wiederholte diesen Versuch außer mit meinem Bodenmaißer Magnetkies mit einem solchen von Teichengraben bei Kalwang in Steiermark und einem anderen von Morro Velho aus Minas Gera&s in Brasilien und zwar mit demselben Erfolg. Auch bei diesen beginnt der Schwefel erst bei einer Tempe- ratur, die 100° über der Zersetzungstemperatur des Pyrits liegt, über- zugehen. Da hiernach feststeht, daß der Magnetkies kein mechanisches Ge- menge von SFe und Pyrit ist, so bleibt nur noch die Möglichkeit übrig, daß er eine feste Lösung von Schwefel oder von schwefelreicheren Eisenver- bindungen wie Pyrit, S;Fe, oder 8,Fe, mit SFe darstellt. Die erste Ansicht wird von Allen, Crenshaw und Johnston!) vertreten. Die ge- nannten Forscher haben künstlichen Magnetkies durch Erhitzen von Pyrit oder Markasit im Schwefelwasserstoffstrome dargestellt, wobei sich ergab, daß je nach der angewendeten Temperatur schwefelreichere oder schwefel- ärmere Magnetkiese entstanden. Dieselben Resultate erhielten sie, wenn sie von Eisen und Schwefel ausgingen. Der Schwefelüberschuß schwankte zwischen 0,41 °/, S bei einer Temperatur von 1300°, 6,04 °/, S bei einer Temperatur von 600°. Die Dichte nahm mit steigendem Schwefelgehalt ab und zwar betrug dieselbe bei 0,41 °/, Schwefelüberschuß 4,755 (berechnet bei 4°), bei 6,04 °/, az 4,520. ( - = 4), Sehr auffallend ist die Tatsache, daß Allen, Crenshaw und Johnston bei einer Temperatur von 1300° noch einen Schwefelüberschuß von 2°), finden. Diese Beobachtung spricht meines Erachtens gegen die Annahme gelösten Schwefels. Daß bei 1300° in einem Schmelzfluß bei gewöhn- lichem Druck noch eine immerhin beträchtliche Menge gelösten Schwefels verbleiben kann, erscheint recht unwahrscheinlich. Auch die von mir ausgeführte Vakuumdestillation des Magnetkieses gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme gelösten Schwefels, Freier ungebundener Schwefel sublimiert ziemlich schnell bei 50—60°, während der überschüssige Schwefel des Magnetkieses erst bei 540—550° überzugehen anfängt, einer Temperatur, die noch über 100° höher liegt als diejenige, bei der der chemisch gebundene Schwefel aus dem Pyrit sublimiert. Wenn auch durch den Vorgang der Auflösung die Verdampfungstemperatur erhöht werden dürfte, so ist doch nicht anzu- nehmen, daß eine Temperaturerhöhung von 500° eintritt. Aus dieser 1) Die mineralischen Eisensulfide. Zeitschrift für anorg. Chemie. 1911. Band 76. S. 201. 70 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. hohen Verdampfungstemperatur könnte man vielmehr schließen, daß im Magnetkies eine feste Lösung einer der oben erwähnten schwefelreicheren Eisenverbindungen in SFe vorliege. Bedenkt man ferner, daß sich feste Lösungen meist nur von sehr ähnlichen Stoffen bilden, so erscheint es von vornherein wahrscheinlicher, daß sich eine Lösung zwischen zwei Sulfiden bildet, als daß eine solche von Schwefel mit einem Sulfide entsteht. Das ganze, außerordentlich umfangreiche Beobachtungsmaterial von Allen, Crenshaw und Johnston beweist nur, daß der Magnetkies eine feste Lösung darstellt. Es lassen sich ihre sämtlichen Resultate ebenso unge- zwungen durch die Annahme eines gelösten höheren Sulfids als durch die Anwesenheit gelösten Schwefels erklären. Nach den Resultaten der Vakuumdestillation ist die Möglichkeit, daß der Magnetkies Pyrit in fester Lösung enthält, nicht von der Hand zu weisen. Befremdend ist allerdings die Löslichkeit des Magnetkieses in Salzsäure. Da der Pyrit in derselben fast unlöslich ist, so muß man erwarten, daß beim Lösen des Magnetkieses im Rückstand der Pyrit übrig bleiben müßte. Die Untersuchung des Rückstandes durch die Destillation im Vakuum hat jedoch ergeben, daß Pyrit nicht vorhanden ist. Ob dieses Argument genügt, um die Gegenwart gelösten Pyrits aus- zuschließen, möchte ich bezweifeln, denn es ist möglich, daß die Löslich- keit in Salzsäure bei der feinen Verteilung, die in einer festen lösung angenommen werden muß, eine viel größere ist. Ein ernsterer Einwurf, der gegen die Annahme gelösten Pyrits zu erheben ist, ist der, daß die Dichte des Magnetkieses bei zunehmendem Pyritgehalt steigen müßte, weil der Pyrit spezifisch schwerer ist als der Magnetkies. Allen, Crenshaw und Johnston haben an ihren künstlich hergestellten Magnetkiesen das Gegenteil konstatiert. Beweisend ist zwar die abnehmende Dichte bei steigendem Schwefelgehalt nicht, denn es ist möglich, daß die Lösung des Pyrits mit einer so beträchtlichen Aus- dehnung verbunden ist, daß hierdurch die Dichte herabgedrückt werden könnte.) Da die mittlere Dichte des Troilits 4,81, die des Pyrits 5,05 be- trägt, läßt sich für eine Lösung beider die Dichte berechnen, wenn wrı annehmen, daß keine Volumenveränderung eintritt. Der von Allen, I) Ein Beispiel dafür bringt neuerdings A.L. Hyde, Journ. American. Chem. Soc. 34, 1507. Ref. Chem. Zentralblatt 1913, I, 241. p== Nitrotoluol (D = 1,2856) ergibt in Lösung von CSz (spez. Gew. 1,2660) eine starke Verminderung des spez. Gewichtes und zwar ungefähr proportional dem Prozentgehalt der Lösung an p — Nitrotoluol. Bei 25,50%, D= 1,2370; bei 97,30/, D= 1,2035. Bedeutet a den Prozentgehalt an Nitrotoluol, so gilt s — 1,2660 — 0,0013a. Es handelt sich hier- bei um keine chemische Reaktion, sondern um eine einfache Lösung. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 71 Crenshaw und Johnston dargestellte Magnetkies mit einem Schwefelüber- schuß von 6,04 °/, würde, unter der Voraussetzung, daß der über- schüssige Schwefel in Form von Pyrit vorhanden ist, folgende Zusammen- setzung haben: SFe — 77,5 %/,, %,Fe = 22,5 9),- Berechnet man die Dichte der Mischung aus den angegebenen Dichten von Pyrit und Troilit, so findet man 4,87, während die beobachtete 4,52 betrug. Die Differenz zwischen beobachteter und berechneter Dichte be- trägt mithin mehr als drei Einheiten der ersten Dezimale. Diese große Verminderung der Dichte läßt die Gegenwart von gelöstem Pyrit nicht als wahrscheinlich erscheinen. Ungezwungener ließe sich das Abnehmen der Dichte des Magnetkieses mit zunehmendem Schwefelüberschuß durch die Lösung eines höheren Sulfids mit geringerer Dichte als die des Troilits erklären. Es käme hierfür z.B. das von Rammelsberg!) dar- gestellte Sulfid S,Fe, in Frage, dessen Dichte 4,41 beträgt, doch sind auch andere Sulfide nicht ausgeschlossen, Ergebnisse: 1. Für Pyrit ist die Formel S,Fe mindestens zu verdoppeln. 2. Als Konstitutionsformel für den Pyrit ergibt sich Wegen der Isomorphie von Pyrit und Glanzkobalt ist die bereits von A. Beutell als wahrscheinlichste bezeichnete Konsti- tutionsformel für letzteren: Co — SS N en Neo —S z nunmehr sichergestellt, Die Konstitution des Markasits ist: SS — 8 Fe — Fe z N re ni Ye oder N iz LE DE 8 'S 4. Die von J. Königsberger und OÖ. Reichenheim und später von Allen, Crenshaw und Johnston erkannte Umwandlung von Markasit in © Pyrit bei höherer Temperatur ist durch meine Versuche bestätigt worden. Die Umwandlungstemperatur liegt nach meinen Versuchen 1!) Gmelin-Kraut (1897) II 1. S. 329. 72 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. und übereinstimmend mit den von Allen, Crenshaw und Johnston zwischen 400° und 500°. 5. Der terrestrische Magnetkies entspricht keiner bestimmten chemi- schen Formel. 6. Die aus Meteoriten stammenden entsprechen in ihrer großen Mehr- zahl der Form SFe; wahrscheinlich haben sie ihren Schwefelüber- schuß beim Erglühen abgegeben. Mechanisch beigemengter Pyrit ist in homogen aussehendem Magnet- kies nicht enthalten. 8. Der Magnetkies stellt eine feste Lösung von SFe mit einem höheren Eisensulfide dar und zwar kommen in erster Linie Sulfide — mit niedriger Dichte in Frage. 9. Niedere Sulfide sind nicht anwesend. 10. Die Annahme gelösten Schwefels erscheint in hohem Grade un- wahrscheinlich. Sitzung am 8. Mai. I. Theorie der Kombinationstöne an Saiten und Membranen. 2. Bemerkung über die Dämpfung der Serienspektrallinien. Von Prof. Dr. Cl. Schaefer. Die Art der Entstehung von Kombinationstönen im Mikrophon-Teiephonkreise. Von Prof. Dr. E. Waetzmann: „siedetemperatur der Bogenlampenkohle“ mit Demonstrationen. Von Geheimrat Prof. Dr. 0. Lummer. Veröffentlicht in der Broschüre: „Über die Verflüssigung des reinen Kohlen- stoffs‘‘, erschienen bei Fr. Vieweg und Sohn in Braunschweig. Sitzung vom 28. Mai. Bemerkung über die Dämpfung der Ohrresonatoren. Von Prof. Dr. E. Waetzmann. M. H.! Wie Ihnen bekannt ist, besteht die Grundhypothese der Resonanztheorie des Hörens darin, daß sich im Ohre eine große Zahl ver- schieden abgestimmter Gebilde befindet. Erklingt dann im Außenraum II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. m irgend ein Ton, so schwingt in erster Linie der auf ihn abgestimmte Ohrresonator mit. Ob und wie stark auch noch die benachbarten Reso- natoren mitschwingen, das richtet sich nach der Stärke ihrer Dämpfung. Wenn wir genauere Angaben hierüber machen wollen, so müssen wir uns zunächst darüber klar sein, was wir unter „Dämpfung‘‘ verstehen wollen. Man pflegt die Stärke der Dämpfung durch die Größe des logarithmischen Dekrements zu messen. Diese Definition der Dämpfung hat man namentlich deshalb eingeführt, weil bei gleichem logarithmischen Dekrement ver- schiedener Resonatoren auch die Resonanzschärfe die gleiche ist, un- abhängig von der Eigenschwingungszahl der einzelnen Resonatoren; und haben zwei Resonatoren verschiedenes Dekrement, so verhalten sich die Resonanzschärfen umgekehrt wie die zugehörigen Dekremente. Bei dieser Definition der Dämpfung darf man sagen: Schwacher Dämpfung entspricht scharfe Resonanz, starker Dämpfung schlecht ausgeprägte Resonanz, also ein großer Resonanzbereich. Identisch mit der Aussage gleichen loga- rithmischen Dekrements zweier Resonatoren ist die Aussage, daß diese Resonatoren die gleiche Zahl von freien Schwingungen ausführen, während ihre Amplituden auf den gleichen Bruchteil ihres ursprünglichen Betrages herabsinken. Neben dem logarithmischen Dekrement spielt noch die sogenannte Dämpfungskonstante eine Rolle. Man sollte sie aber deshalb nicht zur Definition der ‚„Dämpfung‘‘ benutzen, weil die Resonanzschärfe von Resonatoren, die gleiche Dämpfungskonstanten, aber verschiedene Eigenschwingungszahlen besitzen, verschieden ist. Bei gleicher Dämpfungs- konstante ist die Resonanzschärfe verschiedener Resonatoren proportional ihrer Eigenschwingungszahl. : Identisch mit der Aussage gleicher Dämpfungs- konstanten verschiedener Resonatoren ist die Aussage, daß ihre Abklinge- zeiten gleich sind, d. h., daß ihre Amplituden bei freien Schwingungen in der gleichen Zeit auf den gleichen Bruchteil ihres ursprünglichen Betrages herabsinken. Das Gesagte ist ohne weiteres aus den bekannten Formeln über erzwungene Schwingungen zu entnehmen, wenn man sie in passender Form schreibt. Schreiben wir die Gleichung für die erzwungenen Schwin- gungen eines Massenpunktes unter Einwirkung einer sinusförmig ver- änderlichen äußeren Kraft in der Form: 2 Ss -- a — n?%x —=E sin pt, so lautet die Lösung: E — kt x ——————————— sin (pt — A,e sin (rt + d), Par ps Arp: De worin k die Dämpfungskonstante, n die Schwingungszahl des Massenpunktes bei freier, ungedämpfter und v—= Vn?—.k? seine Schwingungszahl bei freier, gedämpfter Schwingung ist. Die Amplitude der Eigenschwingung klingt ab nach dem Gesetze A = Ao e ei also bei konstantem k ist I 74 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. der Betrag = der gleiche für gleiches t; d. h., die Abklingezeiten für ver- schieden abgestimmte Resonatoren sind bei konstantem k gleich. Berechnet man bei konstant gehaltenem E das Verhältnis der Intensität des Mit- schwingens für ein beliebiges Interwall p: n zu der Resonanzintensität J. ’ welche sich für p=n ergibt, so findet man: 3) 1 A n2=/n a r | ae el: Kais 4k? G n Dieses Verhältnis ist bei gegebener, ungedämpfter Eigenschwingung n nur abhängig von dem Verhältnis p:n; d. h., .die Resonanzschärfe ver- schieden abgestimmter Resonatoren ist die gleiche, wenn für sie nicht k, sondern = konstant ist. Setzen wir für die Schwingungsanzahl n die 2 Schwingungsdauer 7, = — ein, so erhalten wir gleiche Resonanzschärfe für gleiches kt,. Das logarithmische Dekrement hat den Wert A = kr k Sa One 5 : — DT SW VYn? — k?die Eigenschwingungszahl bei gedämpfter Schwingung ist. Wenn wir also oben gleiche Resonanzschärfe mit gleichem logarithmischen Dekrement identifiziert haben, so haben wir den Unter- schied zwischen y und.n vernachlässigt, was für unsere Zwecke erlaubt erscheint, da k gegenüber n für den mittleren Tonbereich aller Wahr- scheinlichkeit nach klein ist. Falls sich ein Bedürfnis dafür herausstellen sollte, lassen sich die obigen Definitionen ja auch ohne weiteres ent- sprechend korrigieren. Während Helmholtz nun mit der Annahme operiert, daß für die Ohr- resonatoren, deren Eigenschwingungszahlen dem mittleren Bereich der Tonskala angehören, das logarithmische Dekrement konstant, also die Resonanzschärfe die gleiche ist, habe ich die Konsequenzen der experimentell begründeten Annahme geprüft, daß die Dämpfungskonstante und damit die Abklingezeit für die Ohrresonatoren des mittleren Tonbereichs die gleiche ist!). Das heißt aber, die Resonanzschärfe der Ohrresonatoren wächst proportional ihren Eigenschwingungszahlen, und das logarithmische Dekrement annähernd umgekehrt proportional. Zur Begründung dieser Hypothese hatte ich unter anderem auf einige Beobachtungen über Zwischentöne hingewiesen. Rücken zwei Primärtöne hinreichend nahe aneinander, so hört man nicht mehr diese beiden Töne gesondert, sondern nur einen Ton, dessen Schwingungszahl zwischen denen der Primärtöne liegt, eben den Zwischenton. Zwei Primärtöne werden nun schon bei um so größeren Interwallen zu einem Zwischenton vereinigt, in je tieferen I) E. Waetzmann, Die Resonanztheorie des Hörens als Beitrag zur Lehre vou den Tonempfindungen Friedr. Vieweg u. Sohn 1912, Seite 5öff. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. i 5 Lagen der Tonskala die Primärtöne liegen. Das legt den Schluß sehr nahe, daß die tiefer abgestimmten Ohrresonatoren einen breiteren Resonanz- bereich besitzen als die höher abgestimmten. Herr Prof. E. R. Neumann in Marburg teilte mir vor kurzem einige von ihm angestellte Überlegungen mit, welche gestatten, die Dämpfungs- konstante k der Obrresonatoren aus Beobachtungen an zwei schwebenden Tönen zu berechnen, unter der Voraussetzung, daß k konstant ist, und daß man einen oder zwei Töne hört, je nachdem die Kurve für die mittleren Energien der mitschwingenden Ohrresonatoren ein oder zwei Maxima besitzt. Sein vorläufiges angenähertes Resultat lautet: Solange 2 q ke k ist, wo k, ? = re ar \ - Jı + 4 oy ist, ist nur ein Maximum der mittleren Energie vorhanden; ist hingegen k < k,, wo BD np (Da. DB 8 Pı Pa p; und p, sind die Schwingungszahlen der Pıimärtöne, und zwar ist Ps > Ppı. Sein Resultat stellt Herr Neumann sehr übersichtlich in folgendem Schema dar: Man denke sich p, fest gegeben, so daß k, und k, bloße Funktionen von p, sind, das wir von p, an wachsen lassen. Die Grenze zwischen den Intervallen, wo ein oder zwei Maxima voıhanden sind, liegt also in dem mittleren Teil, wo k zwischen k, und k, liegt. Die zugehörigen Beobachtungen sind, wie ieh gleich bei den ersten Versuchen sah, außerst schwierig anzustellen. Wir haben aber begründete Hoffnung, in absehbarer Zeit vollkommen zuverlässige Resultate zu erhalten, da sich Herr Geheimrat C. Stumpf-Berlin der Sache angenommen hat. Außer- dem liegt schon eine ältere Arbeit von Karl L. Schaefer und A. Guttmann!) vor, die wir für unsere Zwecke benutzen können. Ihre Resultate sind ) ist, so sind sicher zwei Maxima vorhanden. umzeneuueerwrserse> |) 9 en ST 1) Ztschrift f. Psychol, u. Physiol. d. Sinnesorgane. 32. 87ff. 1903. 76 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. in der folgenden Tabelle angegeben, wobei die einzelnen Zahlen die Differenzen der Schwingungszahlen der Primärtöne bedeuten, und Mittel- werte von vier verschiedenen Beobachtern sind, deren Angaben teilweise ziemlich weit von einander abweichen. Schon aus der Art der Rubrizierung „beginnende Unreinheit“, „deutliche Unreinheit“, usw. ist die Schwierigkeit der Beobachtung ersichtlich. Schwingungszahl 90 | 150 | 300 | 400 | 600 | 800 | 1000 | 1200 Beginnende Unreinheit .| 11 7 h) 6 Ü 7 8 9 Deutliche Unreinheit . .| 16 10 ( 8. 9 fe) 10 11 Beginnende Zweiheit . .| 20 16 10 10 13 11 14 14 Deutliche Zweiheit .. .| 25 | 23 13 ıl 14. |. 1471620118 Über die Schlüsse, die man aus dieser Tabelle auf die absoluten Werte von k ziehen kann, möchte ich noch keine zahlenmäßigen Angaben machen, bevor die neuen Beobachtungen Stumpfs vorliegen. Ich wollte hier nur den Weg angeben, auf dem derartige Beobachtungen für die Bestimmung der „Dämpfung“ der Ohrresonatoren nıntzbar zu machen sind. Jedenfalls zeigt die Tabelle auf das deutlichste, wie mit wachsender Höhenlage der Primärtöne dielntervalle,bei denen die beiden Primärtöne unterschieden werden können, immer enger werden, die Resonanzschärfe also immer größer wird. Ich möchte noch kurz auf einen anderen Punkt hinweisen, der wohl für größere Resonanzschärfe der hoch abgestimmten Ohrresonatoren gegen- über den mit tieferen Eigentönen spricht. Es ist dies die Unterschieds- empfindlichkeit für Tonhöhen in den verschiedenen Lagen der Tonskala. Je größer die Unterschiedsempfindlichkeit, d. h. je kleiner das Intervall zweier Töne ist, deren Höhe noch als verschieden erkannt wird, um so größer dürfte die Resonanzschärfe sein. Nach Beobachtungen C. Stumpfs ergab sich für eine Differenz der Tonhöhen von 0,65 Schwingungen die Sicherheit, mit der dieser Unterschied noch erkannt wurde, in der Gegend von 200 bis 600 Schwingungen als vollkommen gleich (90 Prozent richtige Urteile) in der Gegend von 100 und 1200 Schwingungen als etwas geringer (etwa 70 Prozent richtige Urteile). Wenn wir hierfür wieder nach physikalischen Gründen suchen, so ist m. E. eben die nächstliegende An- nahme die, daß die Resonanzschärfe der Ohrresonatoren in dem mittleren 3ereich der Tonskala mit wachsender Eigenschwingungszahl zunimmt. Jedenfalls möchte ich bemerken, daß ich bisher auf keine Erscheinung gestoßen bin, die mit meiner Hypothese über die Dämpfung der Ohr- resonatoren unvereinbar wäre; im Gegenteil glaube ich mit ihr manche Beobachtung deuten zu können, die sich der Helmholtzschen Annahme nicht unterordne ll. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. RT, Die Entstehungsweise ‚‚subjektiver‘‘ Kombinationstöne. Von Prof. Dr. E. Waetzmann. Zur Herieitung des Kirchhoff’schen Gesetzes. Von Prof. Dr. E. Pringsheim. Neue Methode zur Beobachtung und Berechnung der wahren Temperatur des in einer Glühlampe elektrisch glühenden F adens. Von Otto Lummer. I. Teil. Platinglühlampe. $ 1. Einleitung und Ziel. Trotz mannigfacher Untersuchungen ist die Frage noch immer un- beantwortet, woher es rührt, daß bei den verschiedenen Glühlampen der Wattverbrauch pro Hefnerkerze oder die Ökonomie so verschieden ist. Ist es die verschieden hohe Temperatur der verschiedenen Glühfäden oder sind es die verschiedenen Strahlungseigenschaften der Glühsubstanzen ? Zur Beantwortung dieser Fragen ist es notwendig, die wahre Temperatur der Glühfäden bestimmen zu können. Kann man dies, so erlaubt eine energetische Messung der Energieverteilung im Spektrum auch einen ein- deutigen Rückschluß auf die Strahlungseigenschaften der Glühsubstanzen relativ zu denen des schwarzen Körpers und des blanken Platins. $ 2. Methode zur Berechnung der wahren Temperatur. Diese Methode beruht auf der Tatsache, daß die einem elektrisch ge- heizten Glühfaden zugeführte Joulesche Wärme oder elektrische Energie im stationären Zustande nach außen durch Strahlung und Leitung ab- gegeben wird. Bei den im hohen Vakuum glühenden Fäden der Glüh- lampen kann man die äußere Wärmeleitung vernachlässigen. Wir wollen zunächst aber auch absehen von der inneren Wärmeleitung des Glühfadens zu den Zuleitungsdrähten. Wir werden sehen, daß diese Wärmeableitung bei der vorliegenden Methode zur Berechnung und experimentellen Be- stimmung der wahren Temperatur keine Rolle spielt, wenn man genügend lange Fäden voraussetzt und die Temperatur des mittelsten Teiles be- stimmt. Unter den gemachten Annahmen wird die Joulesche Wärme durch den Glühfaden nur in ausgestrahlte Energie umgesetzt. Kennt man das Gesetz der Gesamtstrahlung der betreffenden Substanz, die Dimensionen des Glühfadens und die bei einem Glühzustand benötigte elektrische Energie, so kann man durch Gleichsetzen der Jouleschen Wärmemenge und der gesamten Se Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ausgestrahlten Wärmemenge die diesem Glühzustande zukommende un- bekannte wahre Temperatur berechnen. Es befolge die Substanz des Fadens das Gesamtstrahlungsgeselz: co en: re wo jı in absolutem Maße z. B. in Watts oder in Gramimkalorien pro cm? und Sekunde gegeben sei. Ist F die Oberfläche des zylindrisch ange- nommenen Glühfadens, J die Amperezahl, V die Voltzahl an den Enden des Fadens und T, bezw. T, die absolute Temperatur des Fadens bezw. der Glocke, so muß gelten: v..=n-F- (BT 0. ee) wenn iı in Watts gegeben ist, und: 0,2588. V.J — u .F(T,% — Ti) 2 an wenn fx in Grammkalorien pro cm? und sec. gegeben ist. Voraussetzung dabei ist, daß die strahlende Substanz das Lambertsche Kosinusgesetz der Ausstrahlung erfüllt, wie es z. B. eine absolut schwarze Fläche tut und angenähert wohl auch für blankes Platin angenommen werden kann. Übrigens sind dies auch gerade die beiden Substanzen, für welche allein das Gesetz der Gesamtstrahlung bekannt ist, und zwar was sowohl die Potenz «& betrifft, als auch, wie wir zeigen werden, was die Größe in absolutem Maße der Strahlungskonstanten u anlangt. Um die Glühtemperatur T aus der Gleichung 2 bezw. 3 bequem be- rechnen zu können, wollen wir noch die Annahme machen, daß T,* gegenüber T,” zu vernachlässigen sei. Diese Annahme ist sicher bei den relativ hohen Temperaturen T, der Glühfäden in den normal ge- brannten Glühlampen berechtigt. Auch kann man nach Berechnung von T, unter Vernachlässigung von T,* nachher mit Verwendung der voll- ständigen Gleichung 2 oder 3 den genaueren Wert von T, berechnen. Wir sehen im Folgenden hiervon ab und benutzen zur Berechnung der wahren Temperatur T des Glühfadens also folgende Gleichung: vV.J=1.F-. T* Watts/cm?’ bezw. 0,2388 V. Ju .mi.na eu Kal ee cm?.sec $S 3. Experimentelle Methode der wahren Temperatur- bestimmung. Diese Methode setzt voraus, daß man aus der Substanz des Glüh- fadens einen gleichtemperierten Hohlraum konstruieren kann, dessen Temperatur im Innern man messen und aus welcher man auf die Temperatur der äußeren Fläche des Hohlraums schließen kann. Ist dies möglich, so braucht man nur diejenige Stelle des Glühfadens, deren ll. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 79 Temperatur man bestimmen will, auf die äußere Fläche des Hohlraumes zu projizieren und die Hohlraumtemperatur solange zu ändern, bis die Flächenhelligkeit des Fadens und der äußeren Wand des Hohlraums die gleiche, d. h. bis der Faden auf der Hohlraumfläche verschwunden ist, $ 4. Gesamtstrahlungsgesetz des schwarzen Körpers. Die ersten Beobachtungen über die Strahlung des schwarzen Körpers rühren von Lummer und Pringsheim!) her und beziehen sich auf die Gesamtstrahlung. Diese wurde verwirklicht durch Herstellung gleich- temperierter Hohlräume nach Wien-Lummer), während ihre Temperatur ‚durch ein hochgradiges Thermometer bezw. durch Le Chateliersche Thermoelemente bestimmt wurde. Als Strahlungsmesser diente das mit Platinmoor geschwärzte Flächenbolometer von Lummer-Kurlbaum?). Wie genau das „Stefan-Boltzmannsche‘ Gesetz tatsächlich von der schwarzen Strahlung befolgt wird, geht aus der Tabelle 1 hervor, welche der Beobachtungsresultate von Lummer-Pringsheim wiedergibt. Die in Kolumne 1 angegebenen abs. Temp. sind bezogen auf die Tabelle 1. T abs. beob. | 0.1019 |T abs. ber. T beob.— T ber. usschlag 373,10 156 127 374,60 5 492,5 638 124 492,0 + 0,5 723,0 3 320 124,8 724,3 — 1,5 745 3 810 126,6 749,1 AR 810 5 150 121,6 806,5 —+ 3,5 868 6910 123,3 867,1 1 0,9 1378 44 700 124,2 1379 eu 1470 57 400 123,1 1468 + 2 1497 60 600 120,9 1483 + 9 1535 67 800 122,3 1531 + 4 Temperaturskala von Holborn & Dayt), bei welcher die Thermokraft des Le Chatelierschen Elementes an das Stickstoffthermometer ange- schlossen ist. Die zweite Kolumne enthält die Strahlungsenergie des schwarzen Körpers bei der beobachteten Temperatur in Gestalt des bolo- 1) O. Lummer u. E. Pringsheim, Wied. Ann. 63, 395—410, 1897 und Ann. d. Phys. 3. 159—160, 1900. 2) W. Wien und O. Lummer. 3) O. Lummer u. F. Kurlbaum, Z. S. f. Instr. Kd. Ann. 46, 204, 1892. Berl. Ber. 1894, S. 229. #) Holborn u. L. Day Ann. d. Phys. II 505—545, 1900. Wied. Ann. 56, 1895, 451. 12, 81, 1892. Wied. 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. metrisch gemessenen und auf gleiches (willkürliches) Maß reduzierten Ausschlages am Galvanometer. Die Temperatur des Bolometers war stets 290° abs. Soll also das Stefan-Bolzmannsche Gesetz erfüllt sein, so muß gelten: A —..konst. (DT? — 290°) = o - (T2— 290) 2 7% 5) falls A den reduzierten Ausschlag und T die absolute Temp. des schwarzen Körpers bedeuten. Kolumne 3 zeigt die Konstanz von o - 101° über Er- warten gut. Ein noch besseres Kriterium für die Richtigkeit des Stefan- Boltzmannschen Gesetzes erhält man, wenn man mit dem Mittelwert von o aus obiger Gleichung den Wert von T berechnet. Die in Kolumne 5 angegebene Differenz zwischen den so berechneten und den beobachteten Temperaturen läßt erkennen, daß sich die Abweichungen der Resultate vom Stefan-Boltzmannschen Gesetze schon durch relativ kleine Fehler in der Temperaturmessung würden erklären lassen. Unter Voraussetzung der Richtigkeit dieses Gesetzes hätten sie sogar dazu dienen können, eine wahrscheinliche Korrektion für die ältere Temperaturskala aufzustellen, welche von Holborn und Wien!) durch Anschluß an das Luftthermo- meter gewonnen war und welche zur Zeit unserer Messungen allein existierten. Später haben Lummer-Pringsheim?) mittels eines ‚schwarzen Kohlekörpers zeigen können, daß das Stefan-Boltzmannsche Gesetz sogar bis 2320° abs. gültig ist, so daß dasselbe als ein Naturgesetz von all- gemeiner Gültigkeit anzusprechen ist, Die Strahlungskonstante o des Stefan-Boltzmannschen Gesetzes [0,0] s- [4 Q=st a 6) o wurde in absolutem Maße zum ersten Male von Kurlbaum?°) bestimmt. Der von ihm erhaltene Wert war: > Kal. 530.10 un 1,28. 10-9 2 0) cm cm?sec Nach seinen neuesten Angaben) ist dieser t Kal. o= 5,45 . 10-2 a 1,50... 1022 =, 8.) cm? em?sec Inzwischen sind von anderer Seite neue Bestimmungen dieser wichtigen Strahlungskonstanten ausgeführt worden, welche leider von einander recht beträchtlich abweichen. In folgender Tabelle sind alle bisherigen Resultate zusammengestellt. 1) Holborn u. L. Day. Ann. d. Phys. II 505—545, 1900. 2) OÖ. Lummer und E. Pringsheim. Verh. d. Deutsch. Phys. Gesellsch. 5. 1903, 2. 3) F. Kurlbaum. Ann. 5l, 591, 1894; Ann. 65, 746, 1898. 4) F. Kurlbaum, Verh. d.D. Phys. Ges. 14, 576, 792, 1912. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 3] Tabelle 2. Beobachter 5.1022 we | em“ Kunlbaumsl)127 Im 7.220200. 9,45 Bene 0 6,50 BauerzumsMoulin 909272. 2 | 5,30 Valentiner 1912 Ba 5,98 HemausDrecq) LINE 6,51 Shakespearn LOl2 En 5,67 Gerlach] 912 1 NH a yeah. | 5,90 WELT. Westphal 1912, 7. 27. \ 5,54 Benutzen wir den Mittelwert aus allen diesen Werten, so erhalten wir also als Gesamtausstrahlungsgesetz des schwarzen Körpers: 00 S Q Watt = -/5, dA —— 5,18 “ 10-12 . T* = | o ee) gr Kal. | cm?sec ) bezw. S = 1,38 - 10-12. T# $5. Gesamtstrahlungsgesetz des blanken Platins. Die ersten einwandsfreien Versuche über die Gesamtstrahlung des blanken Platins rühren von Lummer-Kurlbaum!) her, denen es durch einen Kunstgriff gelang, die Temperatur einer strahlenden Platinfläche einwandsfrei zu bestimmen. Wegen der Wichtigkeit dieser Methode der Temperaturbestimmung für die später mitzuteilenden Versuche, die wahre Temperatur eines Platinfadens in einer Platinglühlampe zu bestimmen, wollen wir etwas genauer auf dieselbe eingehen. Es wurde ein 10 u dickes Platinblech zu einem Hohlraum in Gestalt eines „Platinkastens“ (Fig. 1) geformt, dessen vordere ebene freie Oberfläche strahlte und dessen Temperatur durch ein isoliert in den Kasten eingeführtes Thermoelement von Le Chatelier gemessen wurde. Eine Berechnung lehrte, daß bei 1700° abs. die Temperatur der strahlenden äußeren Platinfläche bis auf etwa 2° mit der Hohlraumtemperatur übereinstimmt. Zum Vergleich wurde abwechselnd die Gesamtstrahlung des blanken Platins und diejenige des schwarzen Körpers gemessen. Die so erhaltenen Resultate sind in der Tab. 3 wiedergegeben, wobei die Annahme gemacht wurde, als ob auch Platin die vierte Potenz der abs. Temp. befolgte. Sind T, bezw. T, die abs. Temp. des jedesmaligen Strahlungskörpers bezw. des benutzten Flächenbolometers und ist E die von diesem gemessene und auf gleiches Maß reduzierte Strahlungsmenge, so wurde der Quotient 1) O.Lummer u. F, Kurlbaum, Verh. d. phys. Ges. Berlin 17, 106—111, 1898. 1913. 6 mar VEN 7 32 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Be E en gebildet. Während dieser für den schwarzen Körper konstant ist (Mittel- " wert 109,3), variiert er für Platin ganz beträchtlich, ein Zeichen, daß Platin das Stefan-Boltzmannsche Gesetz nicht befolgt. Letzteres gilt 18 ' a Fisur 1 um o : u N h 4 N auch für Eisenoxyd, mit welchem der Platinkasten überzogen wurde. Hier varierte freilich der Wert von C nur von 33,1 bei 654° abs. bis 65,3 bei 1481° abs.; Eisenoxyd ist also schwärzer als blankes Platin. Tabelle 3. E Absol. Temp. u nl l Ö T,?—T,: 7; Ita Schwarz. Körper Blankes Platin 372,8 290,5 108,9 = 492 290,0 109,0 4,28 , 654 z 108,4 6,56 795 . 109,9 8,14 1108 - 109,0 12,18 1481 > 110,7 16,69 1761 > u 19,64 | Mittelwert: 109,3 II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 93 Das Beobachtungsmaterial der Tabelle habe ich für unsere Zwecke noch in zweifacher Weise verwertet. Einmal, um daraus das Gesetz zu errechnen, nach welchem Platin strahlt und ferner, um mit Hilfe dieses Gesetzes und der Beobachtungen aus dem Werte o des Stefan-Bollzmannschen Gesetzes die Strahlungskonstante des Platingesetzes in absolutem Maße zu ermitteln. Unter der Annahme, daß Platin innerhalb des beobachteten Temperaturintervalls ein einheitliches Gesetz von der Form: oO_ E = (a a=y-Te MEAN NE UA. Me LO.) befolgen sollte, läßt sich aus den Resultaten der Tab. 3 die Potenz & berechnen. In folgender Tab. 4 sind für die Werte «= 5 und & — 5,06 die relativen Werte von mitgeteilt. Tabelle 4. E Absol. Temp. = ——— sol. Temp 1 Te Te Il, 7, für, —49,00 für, & — 5:06 | 492 290 (0,0082) | — 654 z 0,0098 | 0,0066 195 - 0,0099 | 0,0068 1108 z 0,0109 0,0072 1481 - | 0,0112 0,0073 1761 - 0,0112 | 0,0071 Sehen wir vom Wert für u bei der niedrigen Temperatur 492° abs. ab, bei welcher die Strahlungsmessung relativ ungenau ist, so zeigt die Tab., daß die Gesamtstrahlung des blanken Platins proportional zur fünften Potenz der abs. Temp. angesetzt werden kann. Übrigens wird dieses Resultat auch durch die späteren Versuche von Lummer-Pringsheim!) über die Energieverteilung im Spektrum des blanken Platins bestätigt und durch neue von mir inzwischen angestellte Versuche über die Gesamt- strahlung des Platins erwiesen. Demnach folgt aus den relativen Messungen Lummer-Kurlbaums, daß in gleichem, wenn auch willkürlichem Maße, die Gesamtstrahlung einer schwarzen Fläche und einer blanken Platinfläche pro Flächen- einheit ist: 5109, 3. 1= ) und E —= 0,0111. T5 1) O. Lummer und E. Pringsheim. Verh. d. D. Phys. Ges. 1, 226—235, 1899. 6*F 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. wenn wir zur Mittelwertkildung von it im Platingesetz E — y-T? nur die Werte für das hohe Temperaturintervall (von 1108 bis 1761° abs.) heran- ziehen. Um die Strahlungskonstante des Platingesetzes in absolutem Maße zu finden, gehen wir zurück auf das Stefan-Boltzmannsche Gesetz S— oT, wo s in absolutem Maße gegeben ist und den Wert hat: " Kal Watt oo = 1,38- 10-12 ee => 9,18* 10-2 ae, 12) cm? sec cm? Demnach erhalten wir unter Benutzung der Beziehungen 11.) für die Kon- stante u des Platingesetzes: o-0,0111 a Ki en . 109,3 SL LI cm? sec 1 °-0,0111 Watt a ——- 2 — 3 ° —12 m—r— . . o . oder 093 0,000587 . 10 ED : 14.) und für das Gesetz der Gesamtstrahlung des blanken Platins schließlich: oo E — fER dx = 0,000140. 10-2. 75 SE Kal 16.) cm?sec W oder —= 0,000587 .10-22.T? u 16.) cm $6. Berechnung der wahren Temperatur des Glühfadens einer Platinglühlampe und ihre experimentelle Prüfung. Ich ließ mir zu diesem Zwecke Glühlampen aus dünnen Platinfäden herstellen, welche im hohen Vakuum glühten und bis zu hohen Tempe- raturen erhitzt werden konnten!). Zumal bei den höheren Temperaturen dürfte die Annahme erlaubt sein, die Temperatur der Umgebung zu 0 Grad abs. anzunehmen. Ist F die Oberfläche des glühenden Drahtes, J die Stromstärke, V die Arbeitsspannung an den Drahtenden, so ist die unbe- kannte Glühtemperatur T abs. gegeben durch die Gleichung: 0,23383-J-V = 0,000140.10712-.E. 75 Zee) wo J in Amp. V in Volt und F in cm? zu messen sind. Aus der Länge des Platinfadens (l = 100 mm) und der Dicke desselben (2 r = 0,111 mm) berechnet sich die Oberfläche zu F=3rr:l = 0,339 cm, uerder Tab. 5 sind für verschiedene Strombelastungen V-J die berechneten abs. Temp. T des Platinfadens angegeben. Um die Richtigkeit dieser Berechnungen zu prüfen, wurde die Glüh- temperatur des Fadens nach folgender neuen Methode experimentell ge- 1) Die Deutsche Auer-Gasglühlichtgesellschaft in Berlin hatte die Liebens- würdigkeit, solche Lampen in großer Zahl und mit verschieden dicken Platin- drähten für mich herzustellen, wofür ich ihr und ganz besonders Herrn Direktor temane zu Dank verpflichtet bin. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. s5 messen. Es wurde die Platinglühlampe L (Fig. 2) von dem in $ 5 be- | schriebenen Lummer-Kurlbaumschen Platinkasten PP montiert und so orientiert, daß der Platinfaden s sich bei Betrachtung durch das schwach vergrößernde Fernrohr F auf die ebene gleichmäßig glühende Wand des Platinkastens projizierte. Für jede gewünschte Strombelastung des Fadens wurde der Heizstrom des Platinkastens solange variiert, bis sich der Glühfaden von der Kastenwand nicht mehr abhob. Die am Thermoelement E des Kastens abgelesene Temperatur ist dann gleich der- jenigen des Glühfadens zu setzen, wenn wir von den Reflexionsversuchen etc. absehen. Hatte sich ein stationärer Zustand hergestellt, während dessen der anvisierte Teil des Fadens verschwunden bleibt, so wurden die Voltampere am Glühfaden gemessen. Es ist selbstverständlich, daß die an Kur den Zuleitungen gemessene Spannung unter Zugrundelegung des extra bestimmten Wider- A standes der Zuleitungen redu- ziert wurde, so daß die in der Tab. 5 angegebenen Volt die 2 wirkliche Arbeitsspannung an > den Finden des Glühfadens be- F deuten. Es bleibt zu erörtern, ob die Wärmeableitung im Faden £ zu den Zuleitungen unser Re- sultat fälscht. Wäre diese gleich L Null und der Faden von genau zylindrischer Gestalt, so müßte der Platinfaden auf seiner ganzen Länge die gleiche Temperatur und Flächenhelligkeit besitzen. Dies ist nicht der Fall, sondern der Faden glüht an seiner Mitte s heller als an den Befestigungsstellen. Ist der Faden aber wie in unserem Falle genügend lang und stellt man auf das Verschwinden der Fadenmitte s ein, so «dürfte die innere Wärmeleitung ohne Bedeutung und die berech- nete Temperatur diejenige der Fadenmitte sein. Die Länge des Fadens war von der Fabrik zu genau 100 mm gewählt worden. Tatsächlich stimmte die nachgemessene Länge damit überein, soweit eine solche Messung genau auszuführen ist. Die Dicke des Fadens wurde an mit- gelieferten Probestücken unter dem Mikroskop bestimmt. Nach den Messungen wurde die Lampe zerstört und die Dicke des geglühten Fadens direkt gemessen. Der Unterschied zwischen beiden Dickenbestimmungen lag innerhalb der Genauigkeit der Beobachtung (etwa 1/1000—2/1000 mm). 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. In der Tabelle 5 ist eine an einer Platinlampe angestellte Serie von Beobachtungen mitgeteilt zugleich mit der für jede Strombereitung be- rechneten und beobachteten Temperatur. Dabei sind die als beobachtet angegebenen Temperaturen unter Berücksichtigung der verschiedenen Reflexionsverluste korrigiert worden. Während die Lichtbestrahlung des Platinkastens zwei Wände der Glashülle der Platinlampe zu durchlaufen hat, erleidet die Lichtstrahlung des Platinfadens Reflexionsverluste nur an einer Glaswand. Diese Korrektion kann mit Hilfe der Messungen von Lummer-Kurlbaum!) ausgeführt werden, welche die Änderung der Helligkeit einer Platinfläche mit der Temperatur photometrisch festgestellt haben. Diese Korrektion beträgt selbst bei den niedrigsten Temperaturen nur etwa 4, °/, der Temperatur, da die Helligkeit sehr viel schneller ansteigt als die Temperatur. Tabelle 5. Temperatur T Temperatur- Volt Ampere Sal differenz | berechnet beobh. reduz. ber. — beob, 2105 0,3765 1273, a 010682 2 7801504 136 2,990 0,4835 1451 1445 1472 + 27 3,670 0,3977 1562 1554 1573 + 19 4,625 |: 0,6535 16892 2172. 1080055 92218105 — 25 5,460 0,737 7 sn 21805 194 Die Übereinstimmung zwischen Beobachtung und Berechnung dürfte als genügend zu betrachten sein, wenn man bedenkt, daß weder die Größe von 9 noch von 1 feststeht und daß auch sonst manche Vernachlässigungen eingeführt worden sind. Jedenfalls lassen die Resultate erkennen, daß die beschriebene Methode geeignet ist, bei Kenntnis der genauen Strahlungs- gleichung und Strahlungskonstante eines Körpers die wahre Temperatur desselben direkt aus den elektrischen Größen recht genau zu errechnen, was m, W. bisher nicht möglich war. Wichtiger scheint mir der um- gekehrte Weg zu sein, aus der experimentell bestimmten Temperatur das genaue Strahlungsgesetz und die Strahlungskonstante der Glühsubstanz zu ermitteln. Freilich ist das nur da möglich, wo es wie beim Platin gelingt, aus dem betreffenden Glühmaterial einen kastenförmigen Hohlraum kon- struieren zu können. Die nahezu konstanten Differenzen zwischen den beobachteten und berechneten Temperaturen ermutigen dazu, aus den Beobachtungen mit Hilfe dieser Methode die wahre Strahlungskonstante des Gesamtstrahlungs- 1) ©. Lummer und F. Kurlbaum. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 87 gesetzes von Platin (E = w.T?) zu ermitteln. Jede Beobachtung liefert einen Wert von {; weichen diese nicht allzusehr von einander ab, so kann man den Mittelwert aller w's als den wahren Wert von i betrachten und prüfen, ob dieser die Beobachtungen darstellt. Dementspechend sind die Beobachtungen der vorigen T’abelle verwertet und die Resultate in der folgenden Tabelle 6 angeführt. In ihr ist der aus jeder Beobachtung berechnete Wert von j1-10712 angegeben (Kolumne 4), während die mit Hilfe des Mittelwertes von i berechneten Temperaturen in Kolumne 5 angeführt sind. Man erkennt, daß tatsächlich die Differenzen zwischen den beobachteten und berechneten Temperaturen (Kolumne 6) innerhalb der unvermeidlichen Beobachtungsfehler liegen, so daß gemäß dieser Beobachtungsreihe und für das hierbei benutzte Platin (technisch rein, nicht chemisch rein) das Gesamtstrahlungsgesetz lautet: EB 1.702 0,000158. 175 8 al 18. cm? sec ) und somit die Formel zur Berechnung der wahren Temperatur des Platin- fadens: 0,2388. V-J — 0,000158. 10-2.p. 15 Kal 19.) cm? sec Tabelle 6. Temperatur rm Volt Ampere i £ In: 104128" Kal Benp: Feup: 2 em’sec| berechnet jber.— reduz. beob. | reduz. 2,105 0,3765 | 1273| 1268 0,000 165 1280 — 12° 2,990 0,4835 1451 | 1445 0,000 157 1445 — 2 3,670 0,5577 | 1562 | 1554 0,000 154 1547 — 17 4,625 0,6535 | 1689 | 1680 0,000 154 1675 — 17 5,460 0,757 IE ee 0,000 161 1738 + 7 Mittelwert 0,000158 - 10-12, Es ist interessant und für unser Problem, die wahre Temperatur der Fäden in den neueren Metallfadenlampen zu ermitteln, wichtig, daß das gleiche Gesamtstrahlungsgesetz für Platin mit nahezu der gleichgroßen Strahlungskonstanten (nämlich fı = 0,000157.10-12) aus der Aschkinass- schen Theorie sich ergibt, Wir wollen daher schon hier auf diese Theorie näher eingehen. $S 7. Folgerungen aus der Aschkinassschen Theorie. Die Theorie von Aschkinass!) geht aus von der für undurchlässige Substanzen (Metalle) gültigen Kirchhoffschen Beziehung 1) Aschkinass. Ann. 17, 1905. 960. 88 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 100 — Ben... in welcher R, das in Prozenten angegebene Reflektionsvermögen des Metalles und E, bezw. S, das Emissionsvermögen des Metalls bezw. des schwarzen Körpers bedeuten, sämtliche Größen bezogen auf die gleiche Wellenlänge X und die gleiche Temperatur T, Die relative Einfachheit der von Lummer-Pringsheim!) gefundenen Platingesetze ließ vermuten, daß bei ihm aueh R, in einfacher Beziehung zu A und T stehen muß. Daß man aus den Beobachtungen am Platin und am schwarzen Körper tatsächlich mit Hilfe der Beziehung 20 das Reflexionsvermögen R, errechnen kann, hat Königsberger?) in einer interessanten Studie gezeigt. Später haben Hagen und Rubens?) durch exakte und umfangreiche Untersuchungen über das Reflexionsvermögen der Metalle und einiger Legierungen gefunden, daß tatsächlich für das Reflexionsvermögen der Metalle eine einheitliche Beziehung zur Wellen- länge und Temperatur besteht, wie sie von der elektromagnetischen Theorie*) gefordert wurden. Gemäß dieser soll ganz allgemein gelten: a 21) VA wenn mit k der reziproke Widerstand des Metalles von 1 m Länge und 1 mm? Querschnitt bezeichnet wird. Hagen und Rubens beobachteten direkt das Produkt (100 — R,)-Vk — 36,5// 1, welches für jede Wellen- länge A eine ihr eigentümliche Konstante (C) sein sollte. Außerdem läßt 10 —R, — sich C = 36,5/V%X direkt berechnen. Die Hagen-Rubensschen Versuche lehren, daß die Beziehung 21 für alle Wellen größer als 4 yı als gültig anzusehen ist, während sie für kleinere Wellen vollständig versagt. Für die sichtbaren Wellen scheint nach den vielen vorliegenden Versuchen das Reflexionsvermögen von der Temperatur so gut wie unabhängig zu sein, Nimmt man gleichwohl mit Aschkinass die Hagen-Rubenssche bezw. Maxwellsche Bezeichnung 21 als allgemein gültig an, so erhält man durch Verbindung der Beziehungen 20 und 21 die Gleichung: 100 — R 0,365 & a s,| MR 222) 2 100 3 V N . k ; T und wenn man für S, die Plancksche?) Spektralgleichung für die schwarze Strahlung einsetzt: 1) O. Lummer und E. Pringsheim. Verh. 1, 226—235, 1899. 2) Königsberger. Verh. 1, 247, 1899. 3) Hagen und Rubens. Verh.5, 113, 145, 1903, Ann. 11, 873, 1903. 4) P. Drude, Phys. d. Äthers, 1894, S. 574 Formel 66 u. M. Planck, Berl. Ber. 1903, S. 278. 5) M. Planck. Verh. 2, 202, 1900. Il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 89 ) 0,365 — Ep ea} Bee 392) Vi-k ARE. | wo C und c die Konstante der Planckschen Spektralgleichung sind. Statt der Größe k wollen wir den spezifischen Widerstand des Metalls anführen und seinen Wert bei der abs. Temp. T mit sp bezeichnen. Dann wird nach Aschkinass die Strahlung seiner Metalle allgemein durch die Gleichung dargestellt: l E,T n7: C.0,365 Vsy 17595. (© Saul IE ehe us 24.) est Bildet man OE/0X — 0 so erhält man zwischen der Wellenlänge An des Energiemaximums E,„ und der abs. Temperatur das „Verschiebungsgesetz‘“; Mena —Konstansi— 25.) c 5,477 Nach den Versuchen von Lummer-Pringsheim!') ist der Wert der Konstanten e der Planckschen Spektralgleichung ce = 14600°), so daß man erhält: A — — N eo ae N) während Lummer-Pringsheim experimentell speziell für Platin Am: T = 2630 gefunden hatten. Theorie und Beobachtung stehen also über Erwarten gut miteinander im Einklang, zumal wenn man bedenkt, daß bei den Beobachtungen A von 1,4 1 bis 3,2 x variierte, entsprechend einem Temperaturintervall von 800° abs. bis 1850° abs., also in einem Gebiete von Wellen, für welche die benutzte Hagen-Rubenssche Beziehung gar keine Gültigkeit beanspruchen kann. Aber noch mehr: Macht man die Annahme, daß die reinen Metalle in bezug auf den Temperaturkoäffizienten die Beziehung erfüllen: T 7 = Sry 97.) wo s, bezw. sp der spezifische Widerstand bei O°C bezw. der abs. Temp. T Grad bezeichnen, so führt die Aschkinasssche Theorie zu den folgenden Strahlungsgleichungen der reinen Metalle: | 1 wu r rm — 90 NEN I 2 ]) Exp = C:0,0221 Vs,T ? © 4a 85) er] l) Lummer-Pringsheim. Verh. 3, 42, 1901. 2) Nach den neuesten Bestimmungen von Warburg u. Leithäuser Ann. d. Phys. 40, 609, 1913 ist der Wert e von den experimentellen Bedingungen abhängig. Ihr bester Wert ist 14370. Außerdem ist ce noch von anderen Beob- achtern bestimmt worden. 90 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. I) En — C-1,334.10, 23 Vs,-T6 0. 20. Se: (0.0) N) Je = C-4,986-10 0 V2,.75 en o wo C und ce die Konstanten des Planckschen Gesetzes sind. Tatsächlich stehen die Gesetze II und III, gemäß denen die maximale Strahlung zur sechsten und die Gesamtstrahlung zur fünften Potenz fortschreiten soll, im Einklang mit den Beobachtungen von Lummer-Kurlbaum bezw. Lummer-Pringsheim am reinen Platin. Wie Aschkinass gezeigt hat, gibt die Spektralgleichung 28.) für den Platinwert s, = 0,108 auch die Energieverteilung im Spektrum des Platins überraschend genau wieder. Was uns hier interessiert, ist die weitere Tatsache, daß diese Theorie auch das Verhältnis der Gesamtstrahlung zwischen dem schwarzen Körper und dem blanken Platin quantitativ richtig wiedergibt. Nach ihr ist nämlich: So J Air 2895 DE ma Lv, o Se) Ist T, die abs. Temp. des Strahles und T, diejenige des Bolometers, so muß demnach für Platin gelten: S ll — — 8810 en. 58% Diese Verhältuisse sind von Lummer-Kurlbaum direkt gemessen worden (vergl. Tab. 3) und zwar für die Bolometertemperatur T, = 290° abs. und bei den in der folgenden Tabelle angegebenen Strahlungstemperaturen T,, für welche nach Formel 32 die gleichen Verhältnisse S/E berechnet sind. Tabelle 7. IsWabs! beob. ber. 492 25,9 16.0) 654 16,7 132 795 13,4 10,9 1108 9,0 7,9 1481 65 5,9 1761 5,6 5,0 Es ist zwischen Theorie und Beobachtung eine überraschend gute Übereinstimmung vorhanden. Dies ermuntert uns auch, die Strahlungs- konstante ıı des Gesamtstrahlungsgesetzes von Platin aus der Aschkinass- schen Theorie zu ermitteln. I. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 91 Nach Aschkinass gilt für die Gesamtstrahlung eines beliebigen Metalls: 6,0) fun iin. fa. 330) oder mit Hilfe des Ren Gesetzes für die schwarze Strahlung: oo = fun Re EL OR Br) : 2895 Also wird das Gesetz für die Gesamtstrahlung des reinen Platins (209 10,103): [o, ©) 4 d22=.0:000L. 139.02. Ber. aa 5) o und indem wir für o den Mittelwert der bisherigen Beobachtungen ein- setzen: gr Kal. cm? sec [6 ) I: dr .0,0001572. 7 10212 2/3 36.) o Aus den Lummer-Kurlbaumschen Versuchen hatten wir für die Strahlungskonstante berechnet 0,000140 - 10-1? und aus den Beob- achtungen an den Platinglühlampen 0,000158 - 10-12. Die Aschkinass- sche Theorie ergibt also lediglien mit Hilfe des spezifischen Widerstandes des Platins einen richtigeren Wert für die Strahlungskonstante des Gesamt- strahlungsgesetzes für Platin als die Lummer-Kurlbaumschen Versuche. Es bedarf daher neuer solcher‘ Versuche und diese sind schon im Gange. Diese sollen dazu dienen, aus den Versuchen am Platin und den Platin- glühlampen den Wert der Strahlungskonstanten os im Stefan-Boltzmann- schen Gesetz der schwarzen Strahlung zu ermitteln. Zum Schluß wollen wir die mit dem bisherigen Material gewonnenen Gesetze für die Gesamtstrahlung des blanken Platins noch einmal hin- schreiben: 1) Lummer-Kurlbaum: ‚00 Kal. 3 dA =.0.000140 . lo ma 000 50) cm’Ssec [0] 2) Aschkinass: 00 E, dA —— 0,000157 ° 10-12 . > = a . ö 38.) 3) Platinglühlampen: 00 e\ = ee) 92 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die Werte von 1 und 3 beziehen sich auf technisch reines Platin; die Aschkinass’sche Theorie auf chemisch reines Platin. Je nachdem wir der Berechnung der wahren Temperatur des Platinfadens in der Platin- lampe das Gesetz 1, 2 oder 3 zugrunde legen, erhalten wir die in der folgenden Tabelle unter „berechnet“ mit 0,000140, 0,000157 oder 0,000158 angeführten Werte für die wahre Temperatur. Tabelle 8. Temp. Temperatur berechnet [Temp. (berechn. — beobacht.) Volt| Amp. |beobacht. —_ _ (reduziert) | 0,000140 0,000157| 0,0001581 0,000140 | 0,000157 | 0,000158 | } 9,10 | 0,376 | 1265 1303 | 1974 1272 +38 + 9 + 7 2.11. ,0,377 1270 1305 | 1976 127& + 35 +6 + 4 2,98 | 0,483 1444 1470 1436 1435 +96 — 8 — 9 3,00 | 0,484 1445 1473 1439 1437 +28 — 6 — 8 3,65 | 0,555 1550 1974 1538 1536 + 24 — 12 — 14 3,63 | 0,559 1552 1571 1535 1533 +19 — 17 — 19 4,59 | 0,650 1677 1700 1662 1660 +23 — 15 — 17 5,46 | 0,737 1781 1505 1764 1762 + 94 — 17 — 19 4,66 | 0,657 1683 1709 1670 1668 +26 — 13 — io 3,7% | 0,565 1561 1587 1551 1549 + 26 — 10 — 123 Subzun es am, 2:9. J ud Eine neue Atomgewichtsbestimmung des Selens. Von cand. phil. Josef Jannek. Kritisch-Historisches. Die erste Bestimmung des Atomgewichtes des Selens rührt von seinem Entdecker J. J. Berzelius!) her, der eine Hauptaufgabe seines Lebens in der genauen Bestimmung der Verhältnisse sah, nach denen sich die Elemente miteinander verbinden. Berzelius fand, daß 100 Teile Selen beim Sättigen mit Chlorgas um 179 Gewichtsteile zunehmen, nicht aber, wie V. Lenher?) und auch F. W. Clarke?) irrtümlich bemerken, daß 100 Teile Selen 179 Teile Selentetrachlorid liefern. Indem Berzelius nachweist, daß t) Pogg. Ann. 8. 1. (1826). 2) Journ. Amer. Chem. Soc. 20. 555. (1898). 3) The Constants of Nature, Part. V. A Recalculation of the Atomic Weights (1910). II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 93 hierbei das Selentetrachlorid SeCl, entstanden sein muß, berechnet er das Atomgewicht des Selens zu 494,59, bezogen auf 0 = 100. Für 0 = 16 erhält man 79,13. In der Weberschen Atomgewichtstabelle findet sich, wie OÖ. L. Erdmann!) erwähnt, die Berzeliussche Zahl 495,285. Für 0 = 16 erhält man 79,25. Clarke hat offenbar ebenfalls daraus die Zahl 79,24 berechnet. Über den Wert dieser Bestimmung läßt sich kein sicheres Urteil fällen, da nähere Angaben über ihre praktische Ausführung fehlen. Doch mag die Frage angebracht erscheinen, die auch Olarke aufwirft, ob es überhaupt möglich ist, in solcher Weise reines Selentetrachlorid zu erzielen. Schon eine Spur Selenoxychlorid SeOCl, aber würde, wenn es sich gleichzeitig bildete, das scheinbare Atomgewicht des Selens vergrößern. Die Arbeiten von E. Mitscherlich und Nitzsch?), die Alkaliselenate analysierten, brauchen, da sie überhaupt keine Bestimmung des Atom- gewichtes, sondern nur der Zusammensetzung der Selensäure bezweckten, wohl nicht näher erörtert werden, zumal da Mitscherlich selbst zugibt, daß bei der Analyse etwas Selen verloren ging. Den Arbeiten von M. F. Sacc?) liegt der gesunde Gedanke zugrunde, daß man, um das Äquivalent eines Elementes zu bestimmen, mannigfaltige Methoden anwenden müsse, da er glaubt, daß bei der Analyse ein und derselben Verbindung nach derselben Methode stets auch derselbe Fehler enthalten sein kann, und daß aus diesem Grunde auch eine größere Anzahl solcher Analysen überflüssig erscheint. Deshalb hat er seine Zuflucht zu mancherlei Methoden genommen. So hat er das Selen in „selenige Säure‘ (gemeint ist Selendioxyd), dann Selendioxyd und Selenite in Selen über- geführt und endlich verschiedene Selenite analysiert. Er reinigte das Selen, in dem sich außer Tellur noch Schwefel und Calciumsulfat vorfand, durch Aurlösen in Salpetersäure und einmaliges Sublimieren des Selen- dioxyds, aus dessen Lösung das Selen mit Ammoniumbisulfit und Salzsäure gefällt wurde, Auf den erfolglosen Versuch einer trockenen Oxydation des Selens mit Hilfe von Sauerstoff und Stickoxyden werde ich später noch zurückkommen. Bei der Oxydation des Selens zu Selendioxyd mit Salpetersäure, wobei er mit ungewöhnlich großen Mengen arbeitete (42—60 g Selen), erhielt er bei drei Versuchen wenig übereinstimmende Resultate: se, — 500,00, 506,30, 489,52, oder bezogen auf 0 — 16: Se — 80,00, 81,01. 78,52. Bei dem ohnehin sehr mangelhaften Resultat erübrigt sich wohl eine Kritik dieser Methode überhaupt. Es sei nur auf den Wider- spruch hingewiesen, der darin liegt, daß Sacc behauptet, das zu hohe Atomgewicht der beiden ersten Versuche rühre daher, daß das Selendioxyd Spuren von Salpetersäure zurückbehalten habe, während gerade umgekehrt 1) Journ. prakt. Ch. 55. 202. (1852). 2) Pogg. Ann. 9. 623. (1827). 3) Ann Chim, Phys. (3). 21. 119. (1847). 94 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. dieser Umstand eine Erniedrigung der Äquivalentzahl zur Folge hätte. Es ist vielmehr unzweifelhaft, daß beim Eindampfen zur Trockene, das offenbar in offener Schale stattfand, größere Mengen von Selendioxyd sich verflüchtigt haben, während andrerseits noch Spuren von Wasser darin zurückgeblieben sind, da es ganz unmöglich ist, wie ich weiter unten auf Grund der Dampfdruckkurven des Selendioxyds und der selenigen Säure zeigen werde, durch Eindampfen einer wässrigen Lösung von seleniger Säure absolut wasserfreies Selendioxyd zu erhalten, das nicht einmal beim Sublimieren des Rückstandes einwandfrei zu erzielen ist. Außerdem hat er hier ganz die Bildung der Selensäure außer acht gelassen. — In „weiter Linie wurde angeblich ‚trockene selenige Säure‘ (gemeint ist SeO,) durch Ammoniumbisulfit und Salzsäure zu Selen reduziert. Möglicherweise ist auch hier nur die zur Trockne gedampfte selenige Säure genommen worden, denn er erwähnt nicht, daß er den Rückstand sublimiert habe. Er verwendet 0,5, 3,5 und 5 g SeO,. Die Resultate aus drei Versuchen sind für 0 = 16: Se — 78,34, 78,08, 78,96. Das Mittel daraus ist 78,46. Dieses sehr dürftige Ergebnis sucht er durch Analysen von Baryumselenit, die bis 2%, fehlerhaft sind, zu stützen. BaSeO, wurde hierbei durch Ammoniumbisulfit und Salzsäure zu Selen und Baryumsulfat umgesetzt, welches Gemisch er zur Wägung bringt. — Weiterhin analysierte er einige Selenite. Aus Baryumselenitlösung wurde mit überschüssiger Schwefelsäure Baryumsulfat gefällt. Aus vier Analysen, zu denen er 0,2—1,0 g BaSeO, verwendete, ergibt sich als mittlerer Wert für das Atomgewicht des Selens die Zahl 78,65. — Ferner fällt er aus Silbernitratlösung mit seleniger Säure das Silberselenit Ag,SeO,. Ein Versuch, es durch Behandeln mit verd. Salzsäure quantitativ in Silberchlorid überzuführen, mißlang völlig. Schließlich behandelte er Silberselenit mit konz. Schwefelsäure und erhielt beim Eindampfen Silbersulfat, das zwar angeblich frei von Selen, jedoch stets mit metallischem Silber verunreinigt war. Aus zwei Analysen be- rechnet er hierbei das Molekulargewicht des Selendioxyds zu 694,41. Danach ist für 0 = 16 Se = 79,06. -— In derselben Weise zersetzte er Bleiselenit mit konz. Schwefelsäure und wog das geglühte Bleisulfat, das aber stets etwas Selen zurückbehalten hatte. Er berechnet aus drei sehr schlecht stimmenden Analysen, die bis 8 ®/, Unterschied zeigen, das Mole- kulargewicht für SeO, zu 676,66; für 0 = 16 erhält man Se = 78,27. Auch bei dieser Zahl, die ihm selbst viel zu klein erscheint, hält er den Fehler nicht für so gewichtig, um sie von der endgültigen Berechnung auszuschließen. — Am einwandfreiesten scheinen ihm selbst nur die teduktion des Selendioxyds zu Selen (Se — 78,46) und die Umsetzung von Baryumselenit zu Baryumsulfat (Se = 78,63). Das Mittel daraus wäre 78,55. Wenn man aber, so meint er, auch die anderen Analysen (Se: SeO,, Ag,SeO, :Ag,SO, und PbSe0, : PbS0,) in Betracht zöge, so habe man eine größere Sicherheit, der wirklichen Aquivalentzahl des Selens II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 95 nahe zu kommen, da sie sich dann der Berzelius’schen Zahl 79,13 nähere, was aber tatsächlich gar nicht der Fall ist, da das Mittel aus diesen Werten 78,31 ist. — Ich glaube, mit diesen vergleichenden Ausführungen die geringe Bedeutung dieser Arbeit für die Ermittelung der Äquivalent- zahl des Selens dargetan zu haben, und kann wohl davon absehen, die Mängel der einzelnen Methoden an sich, die übrigens nicht näher beschrieben sind, noch des Näheren zu kritisieren. Ob den Arbeiten von ©. L. Erdmann und Marchand!), denen Clarke sorgfältiges Arbeiten nachrühmt, größerer Wert beizumessen sei, steht dahin. Da die ausführlichere Arbeit nicht erschienen zu sein scheint, begnüge ich mich, die von ihm selbst in der unten genannten Zeitschrift gemachten Angaben wiederzugeben. „Mit der größten Sorgfalt dargestelltes, wiederholt sublimiertes und schön kristallisiertes Selenquecksilber‘‘ wurde mit reinem Kupfer gemischt und das Quecksilber überdestilliert, während Selenkupfer zurückblieb. Der Quecksilberdampf wurde kondensiert, wobei Spuren sich etwa verflüchtigenden Quecksilbers durch Goldschaum zurück- gehalten wurden, und das Quecksilber gewogen. Aus einer Reihe von Versuchen ergab sich als Mittelzahl 492,5; für O0 = 16 ist Se —= 78,80. Die nächsten Bestimmungen wurden von J. Dumas?) gemacht, der zur ursprünglichen Methode von Berzelius zurückkehrte. Reines Selen wurde durch Chlorgas in Selentetrachlorid übergeführt und das Verhältnis von Chlor und Selen festgestellt. Vollständige Kondensation des Tetra- chlorids wurde erreicht, indem man das überschüssige Chlor noch durch eine auf — 20° abgekühlte und dann durch eine mit Asbest gefüllte Röhre streichen ließ. Die:Resultate aus 7 Analysen, zu denen immer ungefähr 2 g Selen verwendet wurden, schwanken zwischen 79,20 und 79,66 und geben den Mittelwert 79,38. Abgesehen von der ziemlich schlechten Übereinstimmung gilt hier derselbe Einwand wie bei Berzelius, nämlich die Gefahr der Bildung geringer Mengen von Selenoxychlorid, worauf auch das ziemlich hohe Resultat hindeutet, Später haben O. Pettersson und G. Ekman°?) einige Methoden zur Bestimmung dieses Atomgewichtes erforscht. Nach vergeblichen Versuchen mit mancherlei Salzen (CaSeO, -2 H,O, MgSeO, - 6H,0, (NH,), SeO,- Al,O, (SeO,), - 24 H,O, Ag,SeO,, Ag,SeO,) bekennen sie sich zu der Ansicht, „daß nur wenige Selenverbindungen sich zu einer genauen Analyse eignen. Neben der eigentlichen Reaktion gehen nämlich andere Umsetzungen vor sich, die von Massenwirkung oder Dissoziation herrühren und einen aller- dings sehr geringen, aber doch für die Genauigkeit der Resultate verhängnis- vollen Einfluß ausüben.“ Darum wollen sie nicht einmal die Analysen des Silberselenits, die nach ihrer Angabe einen ganz normalen einwand- 1) Journ. prakt. Ch. 55. 202. (1852). 2) Ann. Chem. Pharm. 113. 32. (1860). 3) Berl. Ber. 9. 1210. (1876). SH Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. freien Verlauf nahmen, zur Berechnung des Atomgewichtes herangezogen wissen, zum Teil auch aus dem Grunde, weil ihnen die angewendeten Substanzmengen im Verhältnis zu der Größe des zu bestimmenden Mole- kulargewichtes (Ag,SeO, — 345) zu klein erscheinen. Bei 7 Analysen, die mit 5—7 g Ag,SeO, ausgeführt wurden, erhielten sie Zahlen, die zwischen 78,90 und 79,18 liegen, was freilich keine gute Übereinstimmung bedeutet. Das Mittel daraus ergibt die Zahl 79,01. Ich meinerseits halte jedoch die verwendete Menge nicht für zu klein, glaube vielmehr, daß der Grund für die schlechte Übereinstimmung und für die offenbar zu niedrigen Werte in Mängeln der Methode liegt. Sie erhitzen Silberselenit, wobei die selenige Säure von der Oberfläche der geschmolzenen Verbindung all- mählich ‚ohne Spritzen‘ verdampft, und glauben nach dem Glühen reines Silber zu erhalten. Dies ist jedoch, worauf auch Clarke hinweist, nicht der Fall, da das geschmolzene Silber immer Spuren von Selen zurück- behält, die den Atomgewichtswert verkleinern. Daß es überhaupt unmöglich ist, Silber durch Glühen selenfrei zu erhalten, hat schon Jackson!) nach- gewiesen. — Als „tadellos und vollkommen zuverlässig‘ führen sie dann 5 Reduktionen des Selendioxyds zu Selen an, das aus erwärmter Lösung durch Zusatz von Salzsäure und Einleiten von Schwefeldioxydgas ausgefällt und auf ein Glasfilter gesammelt wurde. Sie verwendeten 11—31 g SeO, und erhielten für das Atomgewicht des Selens zweimal 79,06, dreimal 79,08 und einmal 79,10, so daß sich als mittlerer Wert etwa 79,08 ergibt. Die ausführlichere Originalabhandlung, auf die in den „Berichten“ ver- wiesen wird, stand mir nicht zur Verfügung. Mag aber ihre Arbeitsweise noch so sorgfältig gewesen sein, so ist doch prinzipiell auch hier einzu- wenden, daß sie absolut wasserfreies Selendioxyd wohl nicht in Händen gehabt haben, und ein geringer Wassergehalt drückt das Atomgewicht des Selens natürlich herab. Überdies möchte ich nach meinen Erfahrungen bezweifeln, ob die Reduktion mit schwefliger Säure wirklich immer ganz quantitativ verläuft. Jedenfalls besaßen sie kein Mittel, um noch geringe Mengen nicht: reduzierter seleniger Säure im Filtrat nachzuweisen, wie das mit den beiden später beschriebenen, von mir gefundenen Methoden leicht möglich ist. Dann ist auch zu beachten, daß Selen sich schon in mäßig konzentrierter Schwefelsäure auflöst, und da sich bei diesem Reduk- tionsprozeß doppelt soviel Schwefelsäure kildet als Selendioxyd vorhanden war (H,SeO, + 2 SO, + H,O = 2H,SO, + Se), so ist es leicht möglich, daß bei Anwendung größerer Mengen von Selendioxyd (hier 11—31 g!) ein derartiger Konzentrationsgrad der Schwefelsäure erreicht wird. Als nächste Bestimmung des Atomgewichtes des Selens kommt die Arbeit von V. Lenher?) in Betracht. Er führte reines Silberselenit durch 1) Ann. 179. 8. (1875). ®) Journ. Amer. Chem. Soc. 20. 555. (1898); C. Bl.1898, 657. ll. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 97 einen Chlorwasserstoffgasstrom unter Erhitzen in Silberchlorid über, während das Selendioxyd in die flüchtige Verbindung SeO, 2 HCl (Selen- hydrooxychlorid überging und entwich. Nachdem das Silberchlorid ge- wogen worden war, wurde es im Wasserstoffstrom unter starkem Erhitzen zu Metall reduziert, und dieses wieder gewogen. Das Silber reinigte er nach der Methode von Stas, das Selen in der üblichen Weise durch öfteres Umsublimieren des Dioxyds. Das Silberselenit ist ein gut kristalli- sierendes Salz ohne Kristallwasser, und sehr beständig. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob es bei 70—80°, bei welcher Temperatur er es trocknet, wirklich alle Feuchtigkeit verliert. In diesem Falle würde ein zu hohes Atomgewicht herauskommen. Dann ist es auch fraglich, ob das Silber- chlorid wirklich selenfrei war. Daß seine Prüfung auf Selen negativ aus- fiel, besagt nichts, da es mir nicht bekannt ist, wie er überhaupt so geringe Selenmengen nachzuweisen versucht hat. Wenn dieser Einwand aber be- rechtigt wäre, so würde der dadurch entstehende Fehler verkleinernd auf die Atomgewichtszahl einwirken. Auch ist eine Prüfung des verwendeten Porzellanschiffchens beim Erhitzen im Chlorwasserstofi- und Wasserstoff- strom auf Gewichtskonstanz nicht durchgeführt worden, was mir doch nicht als ganz überflüssig erscheint. Aus 11 Umsetzungen von Ag,SeO, zu AgCl berechnete Atomgewichtszahlen schwanken zwischen 79,263 und 79,373; das Mittel daraus ist 79,329. Bei 8 Reduktionen des AgCl zu Ag, rechnete er Zahlen heraus, die zwischen 79,280 und 79,369 liegen und als Mittel daraus wiederum 79,329. Die bei derselben Analyse von Ag,SeO, nach der Umsetzung zu AgCl und nach der Reduktion zu Metall berechneten Werte sollten. bei sorgfältigem Arbeiten und einwandfreier Methode miteinander übereinstimmen. Außer in zwei Fällen ist dies jedoch keineswegs der Fall; der beste Beweis, daß diese Methode, wenn sie nicht unbrauchbar ist, so doch für Atomgewichtsbestimmungen noch bedeutend besser umgearbeitet werden muß. Die Unterschiede in den Atom- gewichtszahlen bei derselben Analyse schwanken, außer bei den beiden erwähnten Fällen, wo sie sehr gering sind, zwischen 0,049 und 0,099. — Lenher hat dann noch eine zweite Reihe von Atomgewichtsbestimmungen des Selens gemacht, indem er Ammoniumbromoselenat (NH,),SeBr, zu Selen reduzierte. Ammoniumbromid wurde durch Umkristallisieren ge- reinigt, davon 89 Teile in Wasser gelöst, mit 4 Teilen reinem Selen ver- setzt und Brom, das durch Destillation über Mangandioxyd und konz. Schwefelsäure von Chlor und organischen Bestandteilen befreit war, in geringem Überschuß zugesetzt bis zur vollständigen Lösung, aus der sich beim Eindampfen das Ammoniumbromoselenat abschied. Es wurde aus verdünnter Bromwasserstoffsäure mehrere Male umkristallisiert und nach dem Trocknen im Natronkalkexsikkator unter dem Mikroskop auf Reinheit geprüft. Die roten Kristalle enthielten keine Beimengung von weißem Ammoniumbromid. Diese Prüfung ist mehr als zweifelhaft, da das 1913. 7 98 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. Ammoniumbromid ja auch in Form von Mischkristallen in fester Lösung mit dem Bromoselenat vorliegen kann. Aus der kalten Lösung einer ge- wogenen Menge des Salzes wird nach Zusatz von etwas Ammoniak rotes Selen durch Hydroxylaminchlorhydrat ausgefällt und durch Erwärmen in die schwarze Modifikation übergeführt. Das Selen wurde auf ein Asbest- filter gebracht und nach dem Waschen und Trocknen bei 100° gewogen. Ob das Asbestfilter an sich gegenüber dem Auswaschen mit Wasser konstant blieb, wird nicht gesagt. Und doch ist es leicht möglich, (worauf schon von Jannasch und Jul. Meyer hingewiesen wurde), daß Asbestfasern mitgerissen werden. Ob das Trocknen des Salzes im Natron- kalkexsikkator und des Selens bei 100° ausreichend ist, ist auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Die Resultate, die er nach dieser Methode erzielt, schwanken bei 8 Bestimmungen zwischen 79,226 und 79,367, woraus er den Mittelwert 79,285 berechnet. Mit den beiden vorher- gehenden Resultaten vereinigt, erhält er das Generalmittel 79,314. (Ag = 107,92, Br-=: 79,95,:C1 = 35,45, 0 = 116,000, N = 14,047 H°—31008): Die beiden Bestimmungen O. Steiners!), die beiläufig zu seiner Ab- handlung über das Tellur gemacht wurden, sind von geringer Bedeutung. Im Phenylselenit (C,H,),Se wurde nach der gewöhnlichen Verbrennungs- methode die Menge des Kohlenstofis als CO, bestimmt. Er erhält so die beiden Werte 78,8 und 79,1. — Es braucht wohl nicht weiter angeführt zu werden, daß eine organische Verbrennung kaum die richtige Methode zur Bestimmung von Atomgewichten ist. Eine neuere, ausführlichere Arbeit stammt von Julius Meyer?). Von ihm ist eine neue Art der ‚Analyse des Silberselenits eingeführt worden. Er schlägt das Silber aus der Auflösung einer gewogenen Menge Silberselenit in Cyankalium mit Hilfe des elektrischen Stromes auf einer mattierten Platinschale nieder. Die Reinigung des Silbers und des Selens geschah nach den bekannten Methoden. Ein offenbarer Mangel an dieser Methode besteht darin, daß das Silber auf elektrolytischem Wege aus cyankaliumhaltiger Lösung nicht ganz quantitativ ausgeschieden wird?°). Die abgeheberten Lösungen aus fünf Bestimmungen gaben nach dem Ein- dampfen mit Salpetersäure und Wegsublimieren der selenigen Säure bei erneuter Elektrolyse noch 0,0002 g Silber. Die erhaltenen Atomgewichts- zahlen schwanken zwischen 79,17 und 79,28, das Mittel wäre 79,23. Zieht man noch die 0,0002g nachträglich ausgeschiedenen Silbers in Betracht, so erniedrigt sich die Zahl auf 79,21. Das geringe Zutrauen, das Jul. Meyer zu diesem Werte heute selbst hat, war mit die Veranlassung, das Atomgewicht des Selens neu zu bestimmen. 1) Berl. Ber. 34. 570. (1901). 2) Z. f. anorg, Ch. 31. 391. (1902); Berl. Ber. 35. 1591. (1902). 3) Nernst und Farup, Jahrb. d. Elektroch. 9. 26. (1902). II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 99 Es bleibt mir noch übrig, auf eine Arbeit von Kuzma und Krehlik hinzuweisen, die von B. Brauner in den Abhandlungen der Kgl. Franz- Josefs-Academie') in tschechischer Sprache mitgeteilt worden ist. Die von ihnen gefundene Atomgewichtszahl für das Selen 79,27 (für das Vakuum 79,26) ist in den Berichten der internationalen Atomgewichtskommission für das Jahr 1913 veröffentlicht. Sie ist das Mittel aus zehn Bestimmungen, die auf der Reduktion von seleniger Säure mit Schwefeldioxyd basieren. Es war mir leider nicht möglich, über die Arbeitsweise etwas Genaueres zu erfahren, weder in der Literatur, noch von Herrn Hofrat Brauner selbst, der nach einer schriftlichen Anfrage diese Untersuchung auch noch nicht als abgeschlossen betrachtet. Aus diesem Grunde ist eine Beurteilung der Kuzma-Krehlik’schen Werte noch nicht möglich. Die Ungenauigkeit der bisher gemachten Atomgewichtsbestimmungen des Selens kommt auch darin zum Ausdruck, daß in der internationalen Atomgewichtstabelle nur eine Dezimale angegeben wird, nämlich die Zahl 79,2. Vorarbeiten. Seit den Versuchen von Ekman und Pettersson, die nach der vorangegangenen Besprechung nicht den Anspruch auf eine Genauigkeit erheben können, wie sie bei den Atomgewichtsbestimmungen der neueren Zeit stets angestrebt wird, ist eine direkte Bestimmung des Verhältnisses Se:O nicht wieder ausgeführt worden, obwohl gerade die Überführung eines reinen Elementes in sein Oxyd oder der umgekehrte Weg als die ideale Methode der Atomgewichtsbestimmung angesehen werden darf?). Denn bei diesem Verfahren haben die Versuchsfehler, die auch bei dem sorgfältigsten Arbeiten niemals völlig zu vermeiden sind, den geringsten Einfluß auf das sich ergebende Resultat. Hierzu kommt noch der große Vorteil, daß die Überführung eines Elementes in ein Oxyd das gesuchte Atom- gewicht direkt an die Basis der internationalen Atomgewichtstabelle an- schließt, nämlich an OÖ = 16,000. Freilich bietet gerade die quantitative Ausführung der Oxydation — bei Erstrebung der allergrößten Genauigkeit — nicht geringe Schwierig- keiten, wie sich noch im Verlaufe der vorliegenden Untersuchung zeigen wird. Indessen schienen mir die Vorteile einer direkten Verwandlung des Selens in das Oxyd — in diesem Falle kam nur das Dioxyd SeO, in Frage — doch so bedeutend gegenüber den verschiedenen anderen Methoden, bei denen zur Berechnung noch andere mehr oder weniger genau bekannte Atomgewichte herangezogen werden müssen, daß ich wenigstens den Ver- such machen wollte, diese Schwierigkeiten zu überwinden; das gelang schließlich in verhältnismäßig einfacher Weise. 1) Abh. d. Kgl. Franz-Josefs-Acad. 19. Nr. 13. (1910). 3) Vergl. W. Ostwald, Lehrb. d. Allgem. Chemie, I, 21. 7* 100 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Das Problem, welches zu lösen war, bestand in einer quantitativen Überführung von Selen in Selendioxyd und in einer sich zur Kontrolle sofort anschließenden Reduktion des erhaltenen Selendioxyds zu Selen. Ein Vergleich der angewendeten und wieder zurückerhaltenen Selen- mengen läßt erkennen, ob bei dem betreffenden Versuch etwa Verluste eingetreten sind. Damit dieses eine Kriterium aber auch einwandfrei be- nutzt werden konnte, mußte erst festgestellt werden, ob Selen sich mit den angewendeten Lösungsmitteln und Reagenzien verflüchtigt, und ob es sich darin auflöst. An zweiter Stelle mußte über das Verhalten von SeO, und H,SeO, Klarheit geschaffen werden. Vor allem war festzustellen, ob selenige Säure durch genügendes Erwärmen sämtliches Wasser abgibt und in Form von chemisch reinem SeO, zurückbleibt. Denn leider war keine Methode bekannt, um Selen bei vollständiger Abwesenheit von Wasser in das Dioxyd überzuführen. Ich habe vielmehr zuerst die übliche nasse ÖOxydationsmethode benutzt, bei der aber zuerst H,SeO, und daraus durch Entwässerung SeO, gewonnen wird. Die größere oder geringere Leichtig- keit der Wasserabgabe eines Hydrates läßt sich nun aus dem Verlaufe der Tensionskurve dieses Hydrates entnehmen, so daß in mehreren Ver- suchsreihen die Tension der selenigen Säure bestimmt wurde. Hierbei liest aber die Annahme zugrunde, daß die Tension des dehydratisierten Produktes, also in meinem Falle des Selendioxyds, in dem untersuchten Temperaturintervalle verschwindend klein bleibt. Es mußte daher auch die Tension des Selendioxyds festgelegt werden, ehe die Atomgewichts- bestimmung nach der beabsichtigten Methode ausgeführt werden konnte, Die Tension der selenigen Säure. Darstellung reiner seleniger Säure. Eine größere Menge pulverförmigen Selens wurde in einer Porzellanschale auf dem Wasserbade nıit verdünnter Salpetersäure übergossen und durch allmählichen Zusatz konz. Salpeter- säure vollständig oxydiert. Dann wurde zur Trockene eingedampft, auf dem Asbestnetz bis zur beginnenden Sublimation erhitzt und die zer- schlagene Kruste aus einem größeren Porzellantiegel, der im Sandbad stand, in ein darüber gestülptes Becherglas sublimiert. Da die Kruste immer noch genug Feuchtigkeit enthält, ist es vorteilhaft, wenn das Becherglas oben eine kleine Öffnung besitzt, durch die die letzten Reste des Wassers verdampfen können. Scheint das erhaltene Produkt noch nicht rein, so wird noch einmal mit etwas Salpetersäure aufgenommen und sublimiert. Das bei sorgfältiger Arbeit, bei Ausschluß von Staub etc., rein weiße Selendioxyd wird dann mit Wasser aufgenommen und die Lösung auf dem Wasserbade so weit eingeengt, bis sie am oberen Rande aus- zukristallisieren beginnt. Das Porzellanschälchen mit dieser schon sehr konzentrierten Lösung der selenigen Säure kommt nun in einen Schwefel- II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 101 säure-Vakuumexsikkator, in dem die Lösung bald zu einer festen Kristall- masse erstarrt. Diese wird zerkleinert und solange im Exsikkator gelassen, bis die Kristalle völlig trocken erscheinen. Hierauf werden sie zerrieben, wobei man einen Kristallstaub erhält, der erforderlichenfalls noch einmal über konz. Schwefelsäure getrocknet wird. Eine Analyse dieses Kristall- pulvers zeigte, daß die reine Säure H,SeO, vorlag. 1,4535 g Substanz lieferte bei der Reduktion der wässrigen Lösung mit Hydrazinsulfat!) 0,3883 g Se. Ber.: 61,50%), Se Gef.: 61,10%, Se. Die so erhaltene selenige Säure wurde, da sie hygroskopisch ist, stets über Schwefelsäure aufbewahrt. Eine hierbei etwa eintretende geringe Dehydratation der selenigen Säure ist für die Tensionsmessungen ohne Belang. Die Tensionsmessung wurde mittels des Differentialtensimeters aus- geführt. In der Annahme, daß die Tension der selenigen Säure sehr gering sei, wurde als Manometerflüssigkeit zunächst nicht Quecksilber, sondern reines Paraffinöl verwendet, dessen spezifisches Gewicht für das Temperatur- interwall von 15 bis 90° ermittelt worden war. Temp. Spez. Gew. 159 0,8863 202 0,5794 50° 0,3746 90° 0,8692. Durch graphische Interpolation erhält man leicht das spez. Gewicht des Paraffinöls für jede beliebige Temperatur. Die Tension bei Benutzung des Öls wird auf Quecksilberdruck umgerechnet nach der Formel Pı Sp (Ü) P.7Z BER, wo p, die Tension in mm Paraffinöl, Sp (t) das spez. Gewicht des Paraffinöls bei der entsprechenden Temperatur und Sg das spez. Gewicht des Queck- silbers (= 13,6) ist. Als Trockenmittel wurde in die eine Kugel konz. Schwefelsäure gebracht. In die andere Kugel kamen 3—5 g der trockenen gepulverten selenigen Säure, die vorher noch mit etwas Selendioxyd verrieben war, um jede Spur überschüssigen Wassers auszuschließen. Dann wurde der Apparat mit der Wasserstrahlpumpe evakuiert und zugeschmolzen. Das ca. 40 cm lange Tensimeter stand während des Versuches in einem mit Paraffinöl 1) Jul. Meyer, Z. anorg. Ch. 31, 399. (1902.) 103 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gefüllten hohen Becherglase, das als Thermostat diente. Das Rührwerk wurde in einfacher Weise durch regelmäßig aufsteigende Luftblasen ersetzt unter Verwendung einer Bombe mit komprimierter Luft. Die Thermometer gestatteten eine genaue Äblesung der Temperatur bis zu 0,1°. Die Ablesung der Niveaudifferenz geschah mittels eines Kathetometers bis zu 0,1 mm Genauigkeit. Schwefelsäure als Trockenmittel sowohl, als auch Paraffinöl als Manometerflüssigkeit erwiesen sich jedoch als ungeeignet. Einmal kann beim Füllen des Apparates leicht ein wenig Öl mit der Schwefelsäure in Berührung kommen und wird von dieser unter Entwickelung gasförmiger Produkte zersetzt, wobei die Schwefelsäure sich dunkel färbt. Dann aber wirkt das Paraffinöl und seine Dämpfe auch auf die selenige Säure unter teilweiser Zersetzung, was an einer schwachen Rotfärbung der selenigen Säure zu erkennen war. Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, daß die so angestellten Tensionsmessungen sehr unregelmäßige und ungenaue Ergebnisse lieferten. Übrigens zeigte sich, daß die Tension groß genug war, um die Verwendung des viel sauberer zu handhabenden Quecksilbers zu empfehlen. Statt der Schwefelsäure aber wurde als ebenfalls saubereres und daneben wirksameres Trockenmittel das Phosphorpentoxyd verwendet. Die drei letzten in dieser Weise ausgeführten Versuche lieferten recht brauchbare, übereinstimmende Resultate. Jedoch weichen die Werte beim Abwärtsgehen mit der Temperatur von den vorher bei gleicher Temperatur erhaltenen immer mehr ab, was dadurch zu erklären ist, daß das frej gewordene Wasser nicht vollständig unter Rückbildung der selenigen Säure reabsorbiert wurde, sondern — wie die Beobachtung zeigte — sich in Tröpfehen an den Wandungen kondensierte, infolgedessen es auch einen eigenen Dampfdruck zeigte. Dann wird auch, wenn beim Erhitzen die selenige Säure durch Dehydratation in Selendioxyd übergegangen ist, das abgespaltene Wasser beim Kondensieren zuerst von der obersten Schicht der festen Phase aufgenommen, und die so entstandene selenige Säure bildet nun eine feste zusammenhängende Schicht, die die weitere Wasser- aufnahme erschwert. Infolge der Hygroskopizität der kristallisierten selenigen Säure bildet sich dann stellenweise eine mehr oder weniger gesättigte Lösung von seleniger Säure in Wasser, deren Dampfdruck je nach Kon- zentration und Tröpfchengröße verschieden sein kann. So zeigte sich beim zweiten Versuch am Schluß beim Abkühlen auf Zimmertemperatur ein größerer Dampfdruck als beim ersten Versuch. Beim dritten Versuche war das Tensimeter mit der (uecksilberluftpumpe vollständig evakuiert worden. Bei tagelangem Stehen im Thermostaten bei Zimmertemperatur war keine Niveaudifferenz zu bemerken. — Die Dauer eines Versuches betrug 10 bis 12 Stunden. — Die in den drei Versuchen beobachteten Tensionen sind in der folgenden Tabelle wiedergegeben. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. Temp. 19° 2,50, 320 3.9.0 Bra) 38,50 40° AD 44° 44,5 47° 50° Hal Haan 56° 590 6188 62° 632 66 699 a0 10,80 MORAr0 190 79:49 1039 79,40 80° 849 84,6 3.95080 88,0 89 91,20 949 9656.° 105 107.9 Tension (p) in mm Hg 3.9 8.7 15.0 39.0 nach Versuch 1 18.2 24.2 25.4 33.4 38.8 40.0 42,6 50.3 97.8 70.8 12.8 89.8 96.4 107,4 115.0 149.4 162.8 II 0 1.0 1 7.2 49.6 59.0 69.2 103 104 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Temp. I u TI 110,4 178.8 2615150 183.9 Durch graphische Interpolation erhält man die Tensionswerte: Temp. Tension in mm Hg. 20 0 30 0.8 40 2.0 50 7.0 60 20.0 70 37.0 80 60.0 90 92.0 100 127.0 110 178,0 Termochemische Untersuchungen. Aus der Abhängigkeit der Tension der selenigen Säure von der Temperatur läßt sich nach einer thermodynamischen Formel die Hydra- tationswärme berechnen, d. h. die Wärmetönung, die bei der Vereinigung von H,O und SeO, zu H,Sed, entsteht. In der Formel RT? dp ist Q gleich der Summe aus der Dehydratationswärme und der Verdampfungs- wärme des Wassers, R ist die Gaskonstante = 1,985 (rund 2), p die Tension der selenigen Säure, T die absolute Temperatur, nn die Abhängigkeit des Dampfdruckes von der Temperatur. Für ein genügend kleines Intervall dp _ Pı Pe darf man ame, logarithmische Funktion von p ausdrücken: RT dp dlnp ee a2 . 2 Diese Formeln sind jedoch infolge der Einsetzung eines Differenzen- setzen. Unser Q läßt sich durch eine einzige quotienten für den Differentialquotienten weniger genau und liefern ee dT wenig befriedigende Werte. Mit Hilfe der Nernst'schen Formel für Dampf- drucke!) läßt sich Q auf eine Form bringen, die eine bequemere Aus- wertung gestattet. Die Nernst’sche Formel lautet 1) Vergl. W. Nernst, Lehrbuch der theoretischen Chemie; 7. Aufl. 741. 1601| 1501 140 130 120 110 100 70 60| 50 40 S0 | 20 0) II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. O Versuch I, x. Versuch II, D Versuch III, &A Nach der Nernst’schen Formel berechnet. Die Tensionskurve. 70° 80° 90° 190° Rt a 106 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. WE l Da aber Inp = 2,503 Ig p, also Igp= DENE und entsprechend Ig T „oO man: ee A REN: : — 5503 ist, so läßt sich die Nernst'sche Formel in die Form bringen: B) 2,503 - A Ju} —- 2,30 In p 1,571. T — 1,751n T ‚„03 B. (4) Durch Differentiation erhält man: dInp 9,3039 Are 1.75 ATS DIT Ang 0) Kombiniert man diese Gleichung mit der Formel (2), so ergibt sich 2,303A 1,75 ) ® . 6 Nun Tr (6) Da R= 1,985 und 1,985 - 2,303 = 4,571 ist, so erhält man die einfache Gleichung: Q=RT? Q=A-+ 1,75RT. ( Die Konstante A berechne ich nach der Nernst’schen Formel: Al I (1, T, =) == 7 oe — |), A a r, 1,75 1g Zu + 1g = (8) Zur Berechnung der Konstanten A benutzte ich aus meiner Tensions- kurve die Werte T, = 517° mit p, = 35,2 und T, = 584° mit p, —-183,% Dann ergibt sich A—=15410. Daraus läßt sich Q nach Gleichung (7) für verschiedene Temperaturen T berechnen. Die Werte Q bedeuten jedoch noch nicht die Hydratationswärme, denn bei meinen Tensionsmessungen schließt sich an die Abspaltung des Wassers aus der selenigen Säure sogleich eine Verdampfung, die ebenfalls von einer bestimmten Wärme- tönung begleitet ist; und zwar muß, da wir die Hydratationswärme für ein Mol berechnen, die Verdampfungswärme eines Mol Wasser in Abzug gebracht werden. Die Verdampfungswärme des Wassers ist von Regnault und Winkelmann!), bei 0° auch von Dieterici?), bestimmt worden. Für vorliegenden Zweck wurden Mittelwerte verwendet, die durch graphische Interpolation namentlich unter Berücksichtigung des von Dieterici bei 0° festgestellten Wertes gewonnen waren. In der folgenden Tabelle sind die mit Hilfe des Wertes A= 15410 für verschiedene Temperaturen berechneten Werte für Q, ferner die mole- kularen Verdampfungswärmen des Wassers bei den entsprechenden Temperaturen (W) und schließlich die durch Subtraktion beider Werte 1) Wied. Ann. 9. 237. (1880). 2) Wied. Ann. 37. 504 (1889). II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 107 gewonnenen Hydratationswärmen (H) angegeben. Sie bilden eine fast geradlinig regelmäßig aufsteigende Kurve, Natürlich können diese theoretischen Berechnungen schon deshalb keinen Anspruch auf große Genauigkeit erheben, weil die Konstante A bei Benutzung anderer p-Werte etwas andere Werte annimmt. t Ab 16) W H(=0-W) 20.07 2937 14435,5 105624 3 873,1 50.077323, 14540,5. 10263,6 4276,9 75% 8348 14628,0 9968,4 4 659,6 10007373 14701,5 9644,4 5057,1 Experimentelle Bestimmung der Hydratationswärme der selenigen Säure. Wenn man Selendioxyd in Wasser auflöst, so resultiert eine bestimmte Wärmetönung, die jedoch nicht einheitlicher Natur ist. Sie besteht aus der Hydratationswärme und der Lösungswärme der selenigen Säure. Diese letztere können wir auch wiederum direkt messen, indem wir wasserfreie selenige Säure in Wasser auflösen. Subtrahieren wir diese Lösungwärme von der Gesamtwärmetönung bei der Auflösung des Selendioxyds, so ergibt sich die Hydratationswärme der selenigen Säure. Dies wird auch aus den folgenden thermochemischen Gleichungen klar: SeO,+aq=H, Se 0, -ag + xcal H, SeO, -aq=H;, Se 0, -aq-+ y cal Se 0, —H, Se 0, - aq=(x— y) cal Se0,--H, O=BH, Se 0, + (x — ycal Die Wärmetönung bei Auflösung eines Stoffes berechnet sich nach der Formel n»:t-M ZTTE DE EREESETETE) m wo n die Menge des als Lösungsmittel verwendeten Wassers in g, t die beim Auflösen beobachtete Temperaturdifferenz, M das Molekulargewicht des aufgelösten Stoffes und m das Gewicht desselben bedeutet. Die spezifische Wärme des Wassers und der entstehenden Lösung wurde, da es sich um eine verdünnte Lösung handelt, gleich 1 gesetzt. Das Atom- gewicht des Selens wurde zu 79,1 angenommen. Versuchsanordnung!). In ein weithalsiges Dewar’sches Gefäß, das einen Silberbelag besaß und oben verengt war, wurde eine bestimmte Menge 1) Eine genau entsprechende Versuchsanordnung ist jetzt auch von Ernest Anderson und H. A. Noyes, Jonrn. Phys. Chem. 17. 249 (1913) beschrieben und empfohlen worden. Meine Versuchsanordnung wurde bereits im Sommer 1912 benutzt, 108 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. destillierten Wassers von Zimmertemperatur mit Hilfe der Pipette gebracht, so daß das Gefäß etwa zu zwei Drittel gefüllt war. In das Gefäß tauchte ein besonders konstruierter Intensivrührer, der durch einen Heißluftmotor angetrieben wurde, und ein Beckmann’sches Thermometer, das 0,01 zeigte, so daß bis 0,001° geschätzt werden konnte. Nachdem sich unter fort- währendem Rühren eine konstante Temperatur eingestellt hatte, wurde eine bestimmte Menge Selendioxyd, bezw. seleniger Säure aus einem sehr schmalen Wägegläschen, das zurückgewogen wurde, hineingeschüttet und die Temperaturänderung während der Auflösung beobachtet. Die Auflösung war nach etwa drei Minuten beendet, nach welcher Zeit sich eine vorüber- gehend konstante Temperatur einstellte.e Da sowohl Selendioxyd, als auch selenige Säure hygroskopische Stoffe sind, so ist darauf zu achten, daß möglichst wasserfreie Präparate hierzu verwendet werden, In den folgenden Tabellen finden wir die beobachteten Wärmetönungen und die daraus berechneten molekularen Lösungswärmen des Selendioxyds und der selenigen Säure, Sc0,(m) H,0(n) t (=) 1.5719 150 — 0.089 — 944.0 1.8648 150 — 0.100° — 894.1 2.1748 160 — 0.115° — 939.7 2.8978 165 — 0.145 ° — 936.3 H, SeO,(m) H,O (n) t ey 2.3084 160 — 0.460 ° — 4116 2.5749 160 — 0.514 ° — 4123 2.5590 160 — 0,508 — 4102 Als mittlere Werte ergeben sich aus diesen Beobachtungen für die Lösungswärme des Selendioxyds — 9283 cal, für die der selenigen Säure — 4114 cal. Die Hydratationswärme der selenigen Säure berechnet sich danach zu + 3192 cal, und wir erhalten die thermochemische Gleichung: Se0, +H,0=H, Se 0, + 3192 cal Diese experimentell gefundenen thermochemischen Werte gelten für Zimmer- temperatur (20°). Der entsprechende theoretisch berechnete Wert betrug für diese Temperatur 3873 cal. J. Thomson!) gibt für die Lösungswärme der selenigen Säure den Wert — 918 cal an. Anwendung der Nernst’schen Formel auf die Tensions- messungen. Um die Abhängigkeit der Tension von der Temperatur durch eine Formel auszudrücken, bedient man sich mit sehr gutem Erfolge einer 1) Thermochemische Untersuchungen. Deutsch v.J. Traube, Stuttgart. 158 (1906). Il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 109 Formel, die sich aus der Nernst’schen Wärmetheorie ableitet und die folgende Form besitzt!): A er Re er TER JeApr — A57I-T + 1,751gT + B. In dieser Gleichung sind die Konstanten A und B auszuwerten. Aa it {N p N T,—T, mw, BI—1e — 1,7518 T. \ SUSE 4,571-T Bei der Anwendung dieser Formel auf die Tension der selenigen Säure zeigt sich jedoch, daß diese Konstanten A und B für verschiedene Temperaturintervalle ganz verschiedene Werte annehmen, und daß selbst das Mittel daraus bei der Berechnung einzelner Tensionswerte kaum be- friedigende, mit den experimentellen Daten übereinstimmende Resultate liefert. Einige aus solchen mittleren Werten (A = 10 724, B = 3,8409) berechnete Tensionswerte sind bei der Tensionskurve durch das A-Zeichen angegeben. Auch mit Hilfe der Formel Q = A -+- 1,75 RT läßt sich A berechnen. Q wird hier gleich der Summe der experimentell gefundenen Hydratations- wärme und der Verdampfungswärme des Wassers bei 0° gesetzt. Aber auch mit den so gefundenen Werten (A = 12419, B= 4,836) ist nichts anzufangen. Ein Versuch, die erweiterte Nernst’sche Formel A B ; 7R ER as Ne a ee 47T PT p 1 p. 1 ne | I 1. I + 1,78 a . pı I —T, "pp %—T; u (u En a )] Fe eo) am T,—T, I I D MT 1} urn . Bee noTı en sn Celp+ gm 1,75 1g für diesen Fall in Anwendung zu bringen, scheiterte ebenfalls, Ob die Nernst’sche Formel hier in der vorliegenden Form mit drei Konstanten versagt, oder ob in meinen Messungen kleine Versuchsfehler enthalten sind, vermag ich noch nicht zu entscheiden. Eine genauere Wiederholung der Tensionsmessungen habe ich aber zur Behebung dieser Diskrepanz nicht durchgeführt, da es mir ja für meine Zwecke vollständig genügte, die Größe der Tension angenähert zu kennen. 1) Jahrb. Elektrochemie 13, 151. (1906). 110 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, Ein Vergleich der beobachteten und nach der Nernst’schen Formel berechneten Wärmetönungen wäre übrigens nicht möglich, wenn sich bei der Dehydratisierung der selenigen Säure neben dem Wasser auch etwas Selendioxyd verflüchtigt und verdampft. Es war daher noch zu bestimmen, wie groß die Tension des Selendioxyds ist. Der Dampfdruck des Selendioxyds. Zur Messung des Dampfdruckes des Selendioxyds wurde ein aus Hart- glas gefertigtes Spiralmanometer verwendet, das nach dem Prinzip des Ladenburg-Lehmann’schen Manometers!) konstruiert war. Es besteht im wesentlichen aus einer Glasspirale, die aus einer flachen Kapillare gedreht wird, deren innerer Teil mit dem Verdampfungsgefäß kommuniziert. An das geschlossene Ende der Spirale ist ein feiner Glasstab angeschmolzen, der am unteren Ende einen Spiegel trägt, dessen Drehung mit Fernrohr und Skala verfolgt werden kann. Die Spirale samt Glasstab und Spiegel ist in ein Mantelgefäß eingeschlossen, in welchem der Luftdruck vermittelst eines seitlichen Ansatzrohres beliebig geändert werden kann. Statt nämlich die Drehungswinkel in Drucken zu eichen, zieht man vor, sie jedesmal durch Änderung des äußeren Druckes wieder auf den Nullpunkt einzustellen. Der äußere Druck, der dann dem Dampfdruck innerhalb der Spirale ent- spricht, wird direkt am Barometer mit Hilfe des Kathetometers abgelesen. Wachsender Dampfdruck im Innern dreht die Spirale auf, zunehmender Luftdruck außen im Mantelgefäß dreht sie zusammen. Die Druckempfind- lichkeit der Spirale wächst mit der Anzahl der Windungen, mit ihrer ab- nehmenden Wandstärke und mit der Abweichung ihres Querschnittes von der Kreisform. Der hier verwendete Apparat ließ Drucke von der Größen- ordnung '/), mm ziemlich gut messen. Während des Versuches stand der obere Teil des Mantelgefäßes mit der ganzen Spirale, sowie auch das Ver- dampfungsgefäß in einem Heißluftthermostaten, dessen Temperatur mittels eines Thermoregulators bis auf 0,5° konstant gehalten werden konnte. Da auch zunehmende Temperatur allein ein Aufrollen der Spirale bewirkt, mußte vorher die Abhängigkeit der Spiegeldrehung von der Tempe- ratur untersucht werden. Der Apparat wurde offen im 'Thermostaten erhitzt, und es wurde bei verschiedenen konstanten Temperaturen die Spiegeldrehung messend verfolgt. Bis 300° war keine Veränderung der Spiegellage wahrzunehmen, von da ab aber zeigte sich eine sehr starke Drehung, die beim Abkühlen nicht zurückging. Bei nochmaligem Erhitzen drehte sich der Spiegel noch um den fünften Teil des vorigen Winkels 1) Vergl. auch Johnson, Z. f. phys. Ch. 61, 457. (1907). II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 111 weiter. Diese Tatsache ließ den Gedanken aufkommen, daß durch das Erhitzen zunächst die inneren Spannungen in der Glasspirale ausgeglichen würden, so daß also bei genügend langem Erhitzen die Spiegeldrehung von der Temperatur unabhängig würde. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Vielmehr zeigte sich noch bei viel späteren Versuchen, wo Verdampfungsgefäß und Spirale evakuiert waren, eine ziemlich unregel- mäßige Spiegeldrehung, die in Rechnung gezogen werden mußte. Auf die sehr schlecht kontrollierbare Abhängigkeit der Spiegeldrehung von der Temperatur bei Spiralmanometern haben neuerdings auch G. Preuner und J. Brockmöller!) hingewiesen. Sie suchen den daraus entstehenden Fehler dadurch zu vermeiden, daß sie Verdampfungsgefäiß und Mantelgefäß mit Spirale in je einem elektrischen Ofen gesondert erhitzen und zwar derart, daß das letztere auf konstanter Temperatur gehalten wird, die höher sein muß als diejenige, bei der der Dampfdruck des zu untersuchenden Körpers Atmosphärendruck erreicht. F. M. G. Johnson?) dürfte also mit seiner Behauptung, daß die Spiegeldrehung eine geradlinige Funktion der Tempe- ratur sei, kaum im Recht sein, ausgenommen für gewisse kleinere Tempe- raturintervalle. Zur Dampfdruckmessung wurde reines trockenes Selendioxyd nach sorgfältigem Trocknen des ganzen Apparates in das Verdampfungsgefäß gebracht, das nach dem Evakuieren mit der Quecksilberluftpumpe ab- geschmolzen wurde. An diesem so hergerichteten Apparate wurde zunächst die Prüfung auf seine Druckempfindlichkeit vorgenommen, d. h. es war festzustellen, wieviel mm Quecksilberdruck einem mm der Skala entsprechen. Die Empfindlichkeit läßt sich natürlich durch Weiterrücken des Fernrohrs mitsamt der Skala noch steigern. Bei unserem Versuche betrug die Ent- fernung von Spiegel und Skala ca 2 Meter. Die Eichung wurde derart vorgenommen, daß der Druck im Mantelgefäß allmählich vermindert wurde. Es stellte sich dabei heraus, daß 1 mm der Skala 2,7 mm Quecksilber- druck entsprechen. Da die Skala auf 0,1 mm ablesbar ist, so lassen sich — wie schon erwähnt — Drucke bis zu "/, mm noch gut messen. In der folgenden Tabelle sind die beim ersten Versuch gemessenen Dampfdrucke wiedergegeben. Bei einem zweiten Versuche wurden bei niederen Temperaturen viel zu hohe Drucke gefunden, was seinen Grund möglicherweise in einem geringen Feuchtigkeitsgehalt des Selendioxyds oder vielleicht auch der Spirale hatte, die vorher gewaschen worden war und schwer zu trocknen ist. Bei höheren Temperaturen, wo sich der Dampfdruck der geringen Feuchtigkeitsmenge verhältnismäßig nicht so bemerkbar macht, findet eine starke Annäherung der Werte an die beim 1) Z. f. phys. Ch. 81. 129. (1913). 2) Z. f. phys. Ch. 61. 457. (1907). 113 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Dampfdruckkurve des Selendioxyds. | 800 | 760°7315° 600 500 300 206 160 0 30 oe 0 TE U 0 I 0 Bo L Il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 113 ersten Versuche gefundenen statt. Die angegebenen Zahlen machen natür- lich keinen Anspruch auf große Genauigkeit, die mit einem Spiralmano- meter in dieser einfachen Form wohl überhaupt schwer zu erreichen ist. Für meinen Zweck sind sie jedoch vollkommen ausreichend, da sie deutlich genug erkennen lassen, bei welcher Temperatur eine merkliche Flüchtigkeit des Selendioxyds beginnt und in welchem Maße sie sich mit wachsender Temperatur steigert. Wie die nach den angegebenen Werten gezeichnete Kurve erkennen läßt, liegt der „Sublimationspunkt‘‘ des Selendioxyds, wo also sein Dampfdruck Atmosphärendruck erreicht, bei etwa 315°. Bisher war nur bekannt, daß er unterhalb des Siedepunktes der Schwefelsäure liegt?). Eine späterhin mit dem Tensimeter ausgeführte Dampfdruckmessung des Selendioxyds bei niederen Temperaturen bis 88° gab ähnliche Werte wie die angegebenen und eine sehr gleichmäßige Kurve, die sich asymp- totisch der Tensionskurve nähert. Dieser letzten Messung ist mit Sicher- heit zu entnehmen, daß das Selendioxyd unterhalb 50° bestimmt keinen meßbaren Dampfdruck besitzt, denn bei 48° wurden noch O0 mm, bei 53° erst 1 mm Druck gemessen. { P t pP { pP t P t P 90020 84 17,0 194 25,5 210 54,0 299 450,6 00125. .94 202 181 39,0 233 67,8 311 610,9 72 14,5 109 22,0 199 40,6 260 112,7 320 849,0 Der Dampfdruck des Selens. Um festzustellen, ob beim Trocknen des Selens ein Verlust eintreten kann, war es nötig, auch dessen Dampfdruck zu bestimmen, obwohl vor- auszusehen war, daß er bei den niedrigen Temperaturen, die zum Trocknen des Selens ausreichen, kaum meßbar sein werde, jedenfalls aber praktisch zu vernachlässigen sein dürfte. Das Verfahren des H. Gruener?) bei der Messung des Dampfdruckes von Schwefel bei niederen Temperaturen anwendet, erscheint wegen der sehr primitiven Apparatur nicht einwandfrei, worauf auch O. Ruff und H. Graf?) aufmerksam gemacht haben. Der bei der folgenden Unter- suchung benutzte Apparat ist im Prinzip nach der von O. Ruff und H. Graf*) zur Dampfdruckmessung von Schwefel bei 78—210° verwendeten Apparatur konstruiert worden. Statt der sieben aneinander geschmolzenen Waschflaschen, in denen sich der Schwefel befand, begnügte ich mich mit zwei aneinander geschmolzenen U-Röhren mit seitlichen Ansatzstücken, die gekörntes, metallisches Selen (zusammen mit kleinen Glasröhrchen) ent- t) Vergl. Ladenburg, Handwörlerbuch der Chemie, Bd. X. 604. 2) Z. f. anorg. Ch. 56. 145. (1907); Jahrb. Elektroch. 14. 89. (1907). 3) Z. f. anorg. Ch. 58. 209. (1907); Jahrb. Elektroch. 14. 90. (1907). 4) Berl. Ber. 40. 4199. (1907). 1913. 8 114 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. hielten. Der obere Teil war mit Glaswolle abgeschlossen, um zu ver- hindern, daß Selenstäubchen mitgerissen würden. Der eine seitliche Ansatz endete in einem feinen, gasdichten Glasschliff, an den ein Kontroll- U-Rohr, das etwas kleiner und ebenso beschickt war wie die beiden anderen, angeschlossen war. An dieses Kontroll-U-Rohr wurde, ebenfalls durch einen sehr feinen Glasschliff, eine Kühlschlange angesetzt, die in einem Dewar’schen Gefäß durch Eiswasser auf 0 ° gehalten wurde. Die drei U-Rohre mitsamt den beiden Schliffen — also auch das eine Ende der Kühlschlange — standen, vollständig mit Öl bedeckt, in einem heiz- baren Paraffinölbad. Die Glasschliffe wurden durch je zwei Metallfedern dicht gehalten. Das Prinzip der Dampfdruckmessung ist hier folgendes: Über das ge- körnte, trockene Selen, das in der metallischen, kristallinischen Modifikation vorlag (man erhält sie durch mehrere Stunden langes Erhitzen des ge- schmolzenen und wieder erstarrten Selens auf über 100 °), werden bei kunstanter Temperatur bestimmte große Mengen eines indifferenten Gases so langsam geleitet, daß das Gas sich mit Selendampf vollkommen sättigen kann. In dem hier beschriebenen Apparate soll die Sättigung bereits in den ersten beiden U-Röhren stattfinden, so daß durch das Kontroll-U-Rohr nur gesättigte Dämpfe gehen, dieses also sein Gewicht konstant beibehalten soll, was durch die Wägung nachzuweisen ist. Der Selendampf wird sodann in einer geeigneten Kühlvorrichtung zur Kondensation gebracht und das darin abgeschiedene Selen gewogen. Vor dem Versuch wurde der Apparat sorgfältig getrocknet, indem längere Zeit trockene Luft unter gleichzeitigem Erwärmen des Apparates über 100 ® hindurchgeschickt wurde. Dann kam der Apparat in das Ölbad, das bis zu einer bestimmten Temperatur, die dann während der Dauer des Versuches konstant gehalten wurde, erwärmt wurde. Als indifferentes Gas wurde Kohlensäure ver- wendet, die einem Gasometer entnommen wurde. Sie wurde durch eine Waschflasche mit konz. Schwefelsäure getrocknet. Es wurde für einen möglichst gleichmäßigen Gasstrom Sorge getragen. Der Dampfdruck wird berechnet nach der Formel!) D K-+D’ wo B den mittleren Barometerstand während des Versuches, D das ver- flüchtigte Selen in Molen (wobei die Molekularformel Se, zur Berechnung verwendet wird) und K die Menge der durch den Apparat geschickten Kohlensäure in Molen bedeutet. Ihre Anwendung hat zur Voraussetzung daß die verschiedenen in ihr auftretenden Molekülarten unter gleichen Bedingungen gleich große Volumina erfüllen, insbesondere auch, daß das gasförmige Selenmolekül wirklich einer Formel entspricht, die im Mittel p=B- 1) Vergl. Ruff und Graf, Berl. Ber. 40. 4203. (1907). II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 115 auf Se, paßt. Die Molekelgröße des gasförmigen Selens dicht über seinem Siedepunkte bei Atmosphärendruck liegt nahe bei Se,, nähert sich mit steigender Temperatur Se, und wird bei 2070 0!) noch kleiner. Indessen ist es sehr unwahrscheinlich, daß die Molekelgröße des Selens unter den vorliegenden Verhältnissen gleich Se, oder noch größer ist. Denn bei den außerordentlich geringen Dampfdrucken, die bei meinen Versuchs- bedingungen vorlagen, werden die Selenmolekeln weitgehend dissoziiert, wie die entsprechenden Versuche beim Schwefel erwiesen haben. Es dürfte daher richtiger sein, der gasförmigen Selenmolekel die Formel Se, als Se, zuzuerteilen?). Es wurde ein Versuch bei 200 ° ausgeführt unterhalb des Schmelz- punktes des Selens, der bei 217 °® liegt, und ein Versuch, bei dem die Temperatur über den Schmelzpunkt bis 230 ° gesteigert wurde. Das ver- flüchtigte Selen setzte sich als roter Beschlag schon oberhalb der eigent- lichen Kühlschlange fest. Es ging beim nachherigen Trocknen der Spirale von selbst in die schwarze Modifikation über. Die Kontroll-U-Röhre zeigte, wie zu erwarten war, nach dem Versuch keinen Gewichtsverlust. Ver- Versuchs- CO, such&- B Dauer in Co, K Se D p Temp. in Stdn. Litern ing ing 200.09758 8 6 15.714 0.5572 0.0018 0.00001138 0.02415 230.0 757 5 6 15.714 0.3572 0.0023 0.00001453 0.05080 Die hier festgestellten Dampfdrucke zeigen einen so geringen Wert, daß sie praktisch nicht in Frage kommen. In der Tat konnte späterhin pulverförmiges Selen durch Darüberleiten trockener Luft bei einer Tem- peratur von zirka 170 ® wiederholt stundenlang getrocknet werden, ohne daß ein Gewichtsverlust eintrat. Für höhere Temperaturen ist der Dampfdruck des Selens kürzlich von G. Preuner und J. Brockmöller?) mit Hilfe eines Spiralmanometers aus Quarzglas gemessen worden. Der niedrigste von ihnen beobachtete Gasdruck ist 3 mm bei 390 ®, was mit meinen Messungen gut überein- stimmt. Über die Löslichkeit des Selens in Wasser. Um sicher zu sein, daß beim Auswaschen des durch Reduktion ge- wonnenen Selens kein Material verloren geht, wurde das Selen auf seine Löslichkeit in Wasser untersucht. Dies geschah in der Weise, daß man durch einen Neubauer -Platintiegel, in dem sich etwas pulverförmiges Selen befand, mehrmals bestimmte Mengen heißen Wassers langsam hin- durchsaugte. 1) Vergl. Wartenberg, Jahrb. Elektroch. 14. 226. (1907). 2) Vergl. die Bemerkung von Jul. Meyer zu den analogen Dampfdruckbestim- mungen beim Schwefel im Jahrb. Elektroch. 14. 90. (1907). 3) Z. f. phys. Ch. 81. 129. (1912). 8*+ 116 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Zunächst wurde festgestellt, ob der Neubauertiegel dem Waschen mit heißem Wasser gegenüber gewichtskonstant blieb. Da der Tiegel vorher zu einer Baryumanalyse verwendet worden war, mußte er erst, um die letzten Reste von Baryumsulfat, das in heißem Wasser in geringem Maße löslich ist, herauszulösen, mit heißer konz. Schwefelsäure und dann mit viel Wasser gewaschen werden. Er wurde stets im Anilinbad bei zirka 170° getrocknet. Es ergab sich für das Gewicht des Tiegels 27,48060 g; nach Waschen mit 300 ccm heißen Wassers zeigte er dasselbe Gewicht 27,48060g. Mit Selen wog er 28,04112 g. Beim Waschen mit 300 ccm heißen Wassers trat eine Gewichtsabnahme von 0,00026 auf, dann bei Wieder- holung mit derselben Menge Wassers eine solche von 0,00015 g. Die Gewichtsabnahmen sind durch geringe, wasserlösliche Verunreinigungen zu erklären; denn von da ab blieb bei wiederholtem Waschen mit viermal 300 cem das Gewicht des Tiegels samt Selen konstant. Das Selen ist also in Wasser vollkommen unlöslich. Die Bestimmung des Atomgewichtes des Selens. Das Ziel der vorliegenden Arbeit war, durch quantitative Überführung reinen Selens in absolut wasserfreies Selendioxyd das Verhältnis der Ge- wichtsmengen dieser beiden Stoffe zu bestimmen, und zur Kontrolle das erhaltene Dioxyd wiederum quantitativ zu reinem Selen zu reduzieren. Hier bot zunächst namentlich der erste Teil, die quantitative Durchführung der Oxydation des Selens zu Selendioxyd, große Schwierigkeiten. Die Reindarstellung des Selens und das Trocknen einer gewogenen Menge unter Wahrung der Gewichtskonstanz war, dank des praktisch zu vernach- lässigenden Dampfdruckes des Selens bei der für das Trocknen in Betracht kommenden Temperatur, leicht auszuführen. Dagegen bedeutet das Trocknen des Selendioxyds, das ursprünglich nach der alten, bewährten Methode durch Oxydation des Selens mit Salpetersäure und Dehydration der so er- haltenen selenigen Säure durch mehrfaches Umsublimieren gewonnen wurde, eine vollkommene Unmöglichkeit, wenn Verluste vermieden werden sollen. Bei Zimmertemperatur ist die Tension der selenigen Säure ver- schwindend klein, und das Selendioxyd erscheint demnach hygroskopisch. Bei höheren Temperaturen kann zwar eine Wasserabspaltung aus der selenigen Säure bewirkt werden. Soll die Umwandlung der selenigen Säure in Selendioxyd aber in meßbarer Zeit erfolgen, so muß die Temperatur so hoch gesteigert werden, daß sich auch das Dioxyd zu ver- flüchtigen beginnt. Völlig eine Gewichtskonstanz bei mehrmaligem Trocknen erreichen zu wollen, wäre ein ganz nutzloses Beginnen. Es war darum nötig, das sich verflüchligende Selendioxyd aufzufangen und dessen Menge genau zu bestimmen. Man könnte zunächst daran denken, es in wässriger Lösung wieder zu reduzieren und die erhaltene Selenmenge von der II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 117 ursprünglich verwendeten in Abrechnung zu bringen. Ganz abgesehen davon, daß bei einer so äußerst geringen Substanzmenge der Analysen- fehler nicht unbedeutend sein würde, ja eine Analyse bei so großer Ver- dünnung überhaupt schwer durchführbar ist, so ist dieser Weg auch schon deshalb zu verwerfen, weil man beim endgültigen Trocknen des Selen- dioxyds eine Wasservorlage wegen seiner großen Hygroskopizität nicht verwenden darf. Und aus einer Lösung von so winzigen Mengen Selen- dioxyd in konz. Schwefelsäure dieses analytisch-gravimetrisch zu bestimmen, dürfte kaum möglich sein. Handelte es sich doch gewöhnlich nur um Mengen von 0.00030—0.00040 g. Es war deswegen notwendig, wollte man mit dieser Methode zum Ziele gelangen, eine Möglichkeit aufzufinden, das verflüchtigte Selendioxyd kolorimetrisch quantitativ sowohl in Wasser als auch in konz. Schwefelsäure zu schätzen. Es gelang mir auch, zwei derartige Methoden aufzufinden, die diesen Forderungen genügten. Da es aber zunächst an einem Kolorimeter fehlte — das reichlich zwei Monate auf sich warten ließ — andrerseits die Schätzung mit dem bloßen Auge für den vorliegenden Zweck nieht genau genug war, so mußte schon aus diesem Grunde mein Bestreben darauf gerichtet sein, womöglich eine Methode zur trockenen Oxydation des Selens ausfindig zu machen. Mit- bestimmend für das Aufgeben dieser ersten Methode waren auch die mannigfachen technischen Schwierigkeiten und vor allem die Ungewißheit, ob es überhaupt möglich ist, hierbei wirklich trockenes und absolut reines Dioxyd zu erhalten. Wenn aber erst dieser Zweifel berechtigt war, so wurde auch die zweite Ergänzungs- und Kontrollbestimmung — nämlich die Reduktion zu Selen — hinfällig, selbst dann, wenn unter Mitberech- nung des geschätzten Selendioxyds dieselbe Menge Selen resultierte. — Nachdem Oxydationsversuche mit trockenem Sauerstoff und mit Ozon nicht recht befriedigend ausgefallen waren, wurde ein geradezu ideales Oxydations- mittel im Stickstofftetroxydgas gefunden, mit dem schließlich unter An- wendung geeigneter Apparaturen mit leichter Mühe ohne besondere tech- nische Schwierigkeiten einwandfreie quantitative Oxydationen ausgeführt werden konnten. Die Reduktion des so erhaltenen reinen Selendioxyds bot dann keine prinzipiellen Schwierigkeiten mehr, I. Methode. Oxydation mit Salpetersäure. Obwohl die erste Methode der Oxydation des Selens zu Selendioxyd nicht zu dem gewünschten Ziele führte, soll sie hier dennoch beschrieben werden, weil bei ihrer Ausarbeitung eine Anzahl von Beobachtungen ge- macht wurden, die mir dann bei der zuletzt gewählten Methode von großem Nutzen waren. Außerdem wurden hierbei zwei Verfahren zur Bestimmung geringer Mengen seleniger Säure ausgearbeitet, die von allgemeinem Interesse sind. 118 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Reindarstellung der Materialien. Im Verlaufe dieser ersten Methode waren an Chemikalien erforderlich: Selen, Salpetersäure, Salz- säure, Wasser und Hydrazinhydrat. Reinigung des Selens. Eine größere Menge käuflichen gefällten Selens (von C. A. F. Kahılbaum) wurde in einer Porzellanschale auf dem Wasserbade mit reiner konz. Salpetersäure oxydiert, die Lösung der selenigen Säure auf dem Sandbade zur Trockne eingedampft, mit Wasser aufgenommen undfiltriert, dann wieder zur Trockne eingedampft und der feste Rückstand aus einem großen Porzellantiegel in ein darüber gestülptes Becher- glas auf dem Sandbade sublimiert. Das aus losen Kristallen bestehende Selendioxyd, nicht aber die an der Glaswand sitzende glasige Kruste, wurde in Wasser gelöst und, wenn nötig, noch filtriert. Die so erhaltene selenige Säure wurde bei Wasserbadtemperatur zu Selen reduziert, wobei darauf zu achten war, daß dasselbe in fein verteilter Form, nicht zu Klumpen oder Krusten zusammengebacken, ausfiel. Als Reduktionsmittel dienten 1) schweflige Säure, 2) Hydrazinsulfat, 3) Hydroxylaminchlor- hydrat. Das erhaltene Selen wurde filtriert, mehrere Male mit heißem Wasser dekantiertt und so lange gewaschen, bis bei 1) und 2) die Schwefelsäurereaktion, bei 3) die Salzsäurereaktion nicht mehr eintrat. Der Selenschlamm wurde dann in eine Porzellanschale gespült und auf dem Wasserbade getrocknet. Von jedem dieser drei Präparate wurde die Hälfte nochmals mit Salpetersäure oxydiert, eingedampft, sublimiert und mit dem entsprechenden Reduktionsmittel reduziert, zuletzt wie vorhin gut ausgewaschen und getrocknet. Auf diese Weise wurden drei neue Präparate von möglicherweise höherem Reinheitsgrade erhalten. Von einer Destillation das Selens im Vakuum, die zur Reinigung häufig empfohlen und angewendet wird, wurde abgesehen, da das Umsublimieren des Dioxyds doch wohl dieselbe Gewähr für Reinheit gibt. -—— Das so er- haltene Selen ist ein graublaues bis schwarzes kristallinisches, lockeres Pulver, das bei der Oxydation durch Salpetersäure sich zu einer klaren Lösung auflöst, die beim Eindampfen einen rein weißen Rückstand hinterläßt. Prüfung der Salpetersäure auf Reinheit. Beim Eindampfen von 10 ccm reiner konz. Salpetersäure in einem Platintiegel im Luftbad bei etwa 200° wurden 0.00064 g Rückstand gefunden, der sich nach dem Glühen des Tiegels auf 0.00013 g reduzierte. Die Salpetersäure wurde daher aus einer Glasretorte ohne Anwendung von Kork oder Gummi direkt in einen langhalsigen Kolben, der mit fließendem Wasser gekühlt wurde, überdestilliert. Davon wurden wieder 10 ccm wie vorhin abgedampft, wobei ein Rückstand von 0.00068 g erhalten wurde. Nach dem Glühen betrug er nur noch 0.00017 g. — Salpetersäure, die aus Platingefäßen destilliert war, zeigte einen noch weit größeren Rückstand. BeimEindampfen von 10 ccm nahm der Platintiegel 0.00228g zu. Die Destillation von Salpetersäure unter Benutzung von Platingeräten bedeutet also eine Verschlechterung desMaterials. Dies wird II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 119 häufig nicht genügend berücksichtigt, wie z. B. eine Arbeit von Baxter!) über das Atomgewicht des Phosphors lehrt, wo Salpeteräure dadurch „gereinigt“ wurde, daß man sie durch ein Platinrohr destillierte, ohne sie auf einen möglichen Rückstand zu prüfen. — Nun wurde ein Versuch gemacht, die Salpetersäure aus Quarzgefäßen zu destillieren. 10 ccm davon, im Platintiegel eingedampft, gaben noch 0.00026 g Rückstand. Da es ausgeschlossen schien, daß Quarz von Salpetersäure in wägbarer Form aufgelöst würde, so lag der Schluß nahe, daß das Platin von der Salpeter- säure, die übrigens keine Spur Salzsäure enthielt, angegriffen werde. Darauf deutet ja auch der bei der aus Platin destillierten Salpetersäure erhaltene Rückstand hin. In der Tat war beim Eindampfen von 10 ccm der aus Quarz destillierten Salpetersäure in einem Quarztiegel nicht der geringste Rückstand wägbar nachzuweisen, während dieselbe Menge aus Platin destillierter Salpetersäure dabei noch 0.00124 g Rückstand hinter- ließ. Dies beweist, daß auch der Platintiegel selbst von der Salpeter- säure angegriffen wird. — Um nun zu sehen, ob diese endgültig reine Salpetersäure, die in einem Quarzgefäß aufzubewahren ist, auch in dem später bei der Oxydation zur Verwendung kommenden Hartglasgefäß beim Eindampfen keine Gewichtszunahme (durch Veränderung des Glases) hervor- ruft, wurden in diesem 5 ccm davon abgedampft. Das vorher blanke Gefäß zeigte nach dem Trocknen bei 180° am Boden kleine matte Kreise. Die Gewichtszunahme betrug 0.00005 g. Da bei den späteren Versuchen jedoch gewöhnlich 2 ccm verwendet wurden, die übrigens sofort zur Oxydation verbraucht wurden, so war dieser Fehler gegebenenfalls zu vernachlässigen. Die Salzsäure, von der”_verhältnismäßig nur sehr wenig gebraucht wurde, wurde ebenfalls aus Quarzgefäßen destilliert, ebenso das Wasser. Prüfung des Hydrazinhydrates auf Reinheit. Das Hydrazin- hydrat war als etwa 90 °, Lösung von Dr. F. Raschig, Ludwigshafen, be- zogen und stellte eine wasserklare Flüssigkeit dar. 5 ccm einer etwa 50 °/, Lösung wurden bei 160° im Platintiegel eingedampft. Der Rück- stand betrug 0.000351 g. Weitere 5 ccm, in demselben Tiegel eingedampft, erhöhten das Gewicht des Gesamtrückstandes auf 0.00062 g. Nach dem Glühen des Tiegels wurden noch 0.00031 g Rückstand gewogen. — Um das Hydrazinhydrat zu reinigen, wurde es aus Platingefäßen destilliert. Das Destillat, welches eine Menge kleiner Stickstoffbläschen enthielt, die von einer teilweisen Zersetzung des Hydrazins herrührten und die sich bald an den Wänden absetzten, wurde in einem Silbergefäß aufbewahrt, das in einem Natronkalkexsikkator stand, da das Hydrazin Kohlensäure aus der Luft anzieht. Dieses Hydrazinhydrat war vollkommen rückstand- frei. Sowohl Platintiegel als auch Hartglasgefäß zeigten nach dem Ab- dampfen einiger ccm hiervon nicht die geringste Gewichtszunahme. | 1) Z. f. anorg. Ch. 80. 186. (1913), 120 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die Apparatur und der Verlauf der Oxydation und Reduktion. Bei einer jeden Atomgewichtsbestimmung ist es von Vorteil, wenn man Umgießen, Filtrieren usw. vermeiden und die vorzunehmenden Um- setzungen in einem und demselben Gefäß ausführen kann. Dies war in dem vorliegenden Falle nicht allzu schwer zu erreichen. Es wurde ein Hartglasgefäß hierzu verwendet, das die Form eines beim Kegelspiel ver- wendeten Kegels hatte. An dieses Gefäß war oben ein rechtwinklig ge- bogenes Glasrohr angeschliffen, das seinerseits durch einen Schliff mit einem Dreiwegehahn in Verbindung stand, der es ermöglichte, abwechselnd ein Vakuum in dem Gefäß herzustellen oder es mit trockener Luft zu füllen. Die Luft wurde durch Chlorcaleium und konz. Schwefelsäure ge- trocknet. Von der Verwendung von Phosphorpentoxyd wurde abgesehen, da es nicht ganz rein war und gelegentlich ein reduzierendes Gas ent- wickelte, das beim Trocknen des Selendioxyds mit der darüber gefüllten Luft eine geringe Reduktion desselben bewirkte, welche durch schwache Rotfärbung kenntlich wurde. Wahrscheinlich hatten wir es mit Phosphor- wasserstoff zu tun. — Beim Trocknen des leeren und des mit Selen be- schickten Gefäßes wurde zwischen Glashahn und Wasserstrahlpumpe ein Chlorcaleiumrohr eingeschaltet. Beim Abdampfen des Wassers und der überschüssigen Salpetersäure, bezw. des überschüssigen Hydrazinhydrats wurde ein mit Wasser beschicktes Absorbiergefäß (nach Art des bei Ver- brennungen benutzten Kaliapparates) mit dem Glashahn durch Schliff ver- bunden. Nach dem Ahdampfen der Flüssigkeit wurde beim endgültigen Trocknen des Selendioxyds ein mit konz. Schwefelsäure beschicktes Absorbiergefäß verwendet. Die Verbindungen müssen durch Glasschliffe hergestellt werden, weil sowohl Salpetersäure als auch Hydrazinhydrat Gummischlauch angreifen, wodurch die Vorlageflüssigkeit trübe und für die Schätzungsreaktionen untauglich wird. — Um feststellen zu können, ob in diesen Vorlagen kleine Mengen verflüchtigten Selendioxyds sich befinden, war es von Wichtigkeit, eine möglichst empfindliche Reaktion auf selenige Säure ausfindig zu machen. Es gelang, zwei solcher Reaktionen, von denen die letztere den unbedingten Vorzug verdient, auf- zufinden und ihre Empfindlichkeit quantitativ festzustellen. I. Über den quantitativen Nachweis geringer Mengen seleniger Säure in wässriger Lösung und von Selendioxyd in konz. Schwefelsäure mittels Natriumhydrosulfit?). Das als kräftiges Reduktionsmittel bekannte Natriumhydrosulfit, das auch Donald R. Staddon?) zum Nachweis sehr geringer Mengen von Arsen und Antimon benutzt hat, ist imstande, auch aus einer sehr verdünnten !) Bereits ausführlicher veröffentlicht in 7. f. analyt. Ch. 2) Chem. News 106, 199. (1912). II Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 121 Lösung von seleniger Säure kolloidales Selen auszuscheiden, welches der Lösung eine intensive rote Farbe verleiht, wie schon Jul. Meyer!), später auch O. Brunck?) gefunden haben. Doch ist der Grad der Empfindlich- keit dieser Reaktion, sowie die Möglichkeit, bei sehr verdünnten Lösungen den Grad der Verdünnung mit Hilfe dieser Reaktion quantitativ fest- zustellen, bisher nicht untersucht worden. Zunächst ist zu beachten, daß auch schwache Säuren, ja sogar schon der Sauerstoff der Luft, an sich aus Natriumhydrosulfit die hydroschweflige Säure, die gelb bis orangegelb gefärbt ist, in Freiheit setzen. Deshalb ist es nötig, um sich in der Beobachtung namentlich sehr geringer Mengen seleniger Säure nicht zu täuschen, die hydroschweflige Säure nachher wieder zu neutralisieren, was am besten mit Soda geschieht. Die Soda darf nicht vorher zur selenigen Säure zugesetzt werden, weil diese sonst neutralisiert wird und durch Natriumhydrosulfit nicht mehr reduziert werden kann. Um die zu unter- suchenden Lösungen nicht noch mehr zu verdünnen, wurden sowohl das Natriumhydrosulfit, das in wässriger Lösung ohnehin nicht beständig ist, als auch die Soda stets in fester Form zu den Lösungen hinzugefügt. Das Hydrosulfit bildet durch Aufnahme von Sauerstoff saure Sulfite und saure Sulfate, die dann aus dem neutralen Hydrosulfit die hydroschweflige Säure freimachen; Na,S,0, + 0, 4 H,O = NaHSO, —- NaHSO,, Na,S,0, + NaHSO, 4 NaHSO, = H,S,0, + Na,S0, + Na,S0,. Zur Empfindlichkeitsprüfung wurden zuerst reine wässrige Lösungen von seleniger Säure mit 0.1, 0.02, 0.01, 0.005, 0.002, SeO, angewendet. Je 1 ccm dieser Lösungen wurde mit ca 0.1 g Na,S,0, versetzt und geschüttelt, dann etwas feste Soda zugegeben. In den ersten drei Lösungen trat eine deutlich sichtbare Ausscheidung von rotem kolloidalem Selen ein, die also 0.001, 0.0002 und 0.0001 g SeO, entsprach. Die vierte Lösung mit 0.00005 g SeO, zeigte noch eine schwach gelbliche bis orangegelbe Färbung, während bei der letzten Lösung kaum eine Färbung zu bemerken war. Die Empfindlichkeitsgrenze dieser Reaktion liegt also in der 0.005 %, Lösung. Einigermaßen starke Mineralsäuren stören diese Reaktion insofern, als sie das Natriumhydrosulfit unter Ausscheidung weißen Schwefels zer- setzen. Zwar erhält man bei Gegenwart von seleniger Säure stets eine gelbliche bis gelbe Mischung, doch ist es weit vorteilhafter, die Haupt- menge der freien Mineralsäure vorher durch Soda abzustumpfen, Hat man aber dabei den Neutralisationspunkt erreicht oder gar überschritten, so säuert man wieder schwach an. Dies mußte hier erwähnt werden, weil man in der ersten Vorlage eine salpetersaure Lösung von unbekannter Konzentration vor sich hat. Die Vorlage mit dem überschüssigen Hydrazin- 1) Z. f. anorg. Ch. 34. 5l. (1903). 2) Lieb. Ann. 336. 281. (1904). 123 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. hydrat muß ebenfalls schwach angesäuert werden, ehe man die Reaktion vornimmt, die hier wohl meist überflüssig sein wird. Die salpetersaure Lösung einzudampfen, um die Salpetersäure zu verjagen, empfiehlt sich nicht, weil hierbei auch etwas Selendioxyd sich mit verflüchtigen kann. Aus demselben Grunde ist auch das Einengen zu verdünnter Lösungen von seleniger Säure nicht recht ratsam. Auf jeden Fall ist aber das Ein- dampfen zur Trockene streng zu vermeiden und auch das Einengen nur auf dem Wasserbade vorzunehmen, wobei die Bildung von Randkrusten verhindert werden muß. Denn während sich, wie einige Versuche zeigten, aus der Lösung selbst kein Selendioxyd verflüchtigt, ist der Dampfdruck des trockenen Selendioxyds oder der selenigen Säure bei Wasserbad- temperatur bereits so groß, daß merkliche Verluste entstehen können. — Die Reaktion wird in der Kälte ausgeführt, da sich beim Erwärmen der Niederschlag zu kleinen Flocken zusammenballt, die bald schwarz werden und kaum noch sichtbar sind. Die Beobachtung, daß bei Gegenwart geringer Mengen seleniger Säure in stärker konzentrierten Mineralsäuren der sonst reinweiß ausgeschiedene Schwefel beim Natriumhydrosulfit durch das ausgeschiedene Selen gelb erscheint, bot der Hoffnung Raum, daß sich in dieser Weise auch in konz. Schwefelsäure kleine Mengen von Selendioxyd nachweisen lassen würden, Dies war in der Tat der Fall, Es ist hierbei ratsam, nicht zu- viel Natriumhydrosulfit anzuwenden, damit durch größere Mengen aus- geschiedenen weißen Schwefels die gelbe Farbe nicht verdeckt werde. Es genügt hier oft noch weniger als 0,1 g auf I ccm. Die Intensität der Gelbfärbung ist der vorhandenen Selendioxydmenge entsprechend ab- gestuft. — Zur Empfindlichkeitsprüfung dieser Reaktion und als spätere Normalvergleichslösungen wurden auch hier Auflösungen von SeO, in konz. Schwefelsäure mit 0.1, 0.02, 0.01, 0.005, 0.002, SeO, angewendet. 0.002°%, SeO, wird man nur bei gutem Tageslicht beim Vergleich mit einer Probe reiner Schwefelsäure, die einen Zusatz von Hydrosulfit erhalten hat, mit einiger Sicherheit nachweisen können. — Ein Eindampfen der konz. Schwefelsäure bei etwa zu geringen Selendioxydkonzentrationen führt nicht zu dem gewünschten Ziel der Anreicherung mit Selendioxyd, da dieses beim Verdampfen der Schwefelsäure, deren Siedepunkt oberhalb des Sublimationspunktes des Selendioxyds (ca 315°) liegt, ebenfalls mit entweicht. Die von Ferd. Schulz!) angegebene Methode zum Nachweis kleiner Mengen von Selendioxyd (auch von Selen) in konz. Schwefelsäure durch Schülteln mit raffiniertem Petroleum ist von mir nachgeprüft worden. Meines Erachtens nach sind die prozentualen Mengen des Selendioxyds jedoch nach dieser Methode nicht mit solcher Sicherheit und Genauigkeit 1) Chem. Zig. 35. 1129. (1911); C. Bl. 1911. I. 1715. II. Abteilung. Naturwissensehaftliche Sektion, 123 abzuschätzen wie bei der Verwendung des Natriumhydrosulfits, da man in der sich undurchsichtig rotbraun bis schwarzbraun färbenden Schwefelsäure Farbenabstufungen schwer erkennen kann. Noch viel weniger läßt sich nach dem Verdünnen mit Wasser, wo angeblich ein brauner Niederschlag ausfallen soll, die Menge des gelösten Selendioxyds feststellen. Eine qualitative Verwendbarkeit soll jedoch dieser in ihrem Wesen übrigens völlig unaufgeklärten Methode nicht abgesprochen werden. II. Kolorimetrische Methode zum quantitativen Nachweis geringster Mengen seleniger Säure in saurer Lösung mit Hilfe von Jodkalium und Stärkelösung. Die quantitative Schätzung des Selendioxyds in der salpetersauren Lösung sowohl, wie in der konzentrierten Schwefelsäure gelingt nach der Hydrosulfitmethode nicht mit einer solchen Genauigkeit, wie sie für die Atomgewichtsbestimmung erforderlich ist. Die reichliche Schwefelaus- scheidung einerseits und andrerseits der Umstand, daß sich das rote kolloidale Selen in stark saurer Lösung und auch bei Gegenwart größerer Mengen von Neutralsalzen, wie sie durch Sodaabstumpfung entstehen, leicht zusammenballt, machen die Reaktion recht undeutlich und zu einer genauen kolorimetrischen Messung wenig geeignet. Auch ist die Empfindlichkeit dieser Methode für den vorliegenden Zweck, wo bis auf 0.00001 g genau gewogen wird, nicht groß genug. — Alle diese Mängel treten in der folgenden zweiten Methode nicht auf. Sie beruht auf der Reduktions- wirkung von Jodkalium in saurer Lösung auf selenige Säure, im Prinzip also auf der Reduktionswirkung des Jodwasserstoffs: Se0, 4AHJ=Se-+-2J + 2H,0. Da hierbei viermal soviel Jod als Selen frei wird und das in über- schüssigem Jodkalium gelöste Jod auch in sehr geringen Mengen die Lösung noch deutlich gelb bis orangegelb färbt, wobei das wiederum kolloidal ausgeschiedene Selen den Farbton nach rot hin ändern kann, so ist es ohne weiteres klar, daß diese Methode zur kolorimetrischen Be- stimmung noch sehr geringer Mengen seleniger Säure recht gut geeignet ist. In der Tat kann man bei Lösungen mit 0.0005 %, SeO, noch eine sehr schöne Gelbfärbung beobachten. Aber auch das ist noch nicht die äußerste Grenze; denn durch Zusatz von Stärkelösung kann man die Empfindlichkeit noch mindestens um das Zehnfache steigern, also deutlich 0.0000005 g SeO, in 1 cem nachweisen. Als normale Vergleichslösungen wurden hier Auflösungen mit 0.01, 0.005, 0.002 und 0.001°/, SeO, in Wasser ver- wendet. Noch verdünntere Lösungen kamen praktisch nicht in Betracht. Die Lösungen müssen vor Gebrauch schwach angesäuert werden. Wenn die zu untersuchende salpetersaure Lösung zu stark sauer ist, muß sie mit Wasser verdünnt werden. Bei der hohen Empfindlichkeit der Reaktion, 124 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. namentlich bei Verwendung der Stärkelösung, ist dies keineswegs von Nachteil. Man kann aber auch ohne Schaden die Hauptmenge der Säure mit Soda neutralisieren. Starke Säuren, wie Salpetersäure, Schwefelsäure, können bekanntlich gelegentlich oxydierend wirken und setzen ebenfalls Jod in Freiheit; sie dürfen für diese Reaktion nicht stärker als ca. 5°/, sein. Wenn auch bei etwas stärker konzentrierten Säuren die Jod- ausscheidung nicht sofort auftritt, so hat man sich doch vor ihrer Ver- wendung hierzu zu hüten, da sie noch während der kolorimetrischen Beobachtung leicht eine Nachfärbung bewirken. Am sichersten ist es, wenn die Vergleichslösung und die zu untersuchende Lösung gleich stark sauer sind. Man verwendet auch für beide Lösungen stets die gleiche Menge Jodkaliumlösung, die man recht konzentriert wählt (etwa 1:1), und gegebenen- falls auch die gleiche Menge von Stärkelösung, die durch Auflösen von 5 g löslicher Stärke in 1 Liter Wasser erhalten wird. Diese Lösungen läßt man aus Büretten zutropfen, und zwar haben , ccm Jodlösung und 1 ccm Stärkelösung sich für eine Messung als ausreichend erwiesen. — Die Vorlage mit dem überschüssigen Hydrazinhydrat muß natürlich schwach angesäuert werden, ehe man an die Ausführung der Reaktion herantritt. Auch in konz. Schwefelsäure ist die kolorimetrische Bestimmung des darin gelösten Selendioxyds nach dieser Methode möglich. Zwar zersetzt starke Schwefelsäure — die konzentrierte augenblicklich — das Jodkalium nach der Gleichung: 2KJ -- 2H,S0O, = J, + H,SO, + K,S0O, + H,0, doch geschieht dies bei hinreichend verdünnter Schwefelsäure nicht. Bei 10%, Schwefelsäure ist eine Jodausscheidung nicht zu bemerken. Immerhin tut man gut, auch hier in höchstens 5°%,iger schwefelsaurer Lösung zu arbeiten, zu welchem Zwecke man die konz. Schwefelsäure auf das zwanzigfache Volumen verdünnt. Ist ein so starkes Verdünnen wegen gar zu geringer Mengen darin gelösten Selendioxyds nicht ratsam, so wird man auch hier in einer weniger verdünnten, vielleicht 20°, Säure, die Hauptmenge derselben durch Soda abstumpfen. Zur ungefähren Neu- tralisation von 1 cem konz. Schwefelsäure sind ca 5 g kristallisierter Soda erforderlich. Infolge dieser notwendigen Verdünnung ist die Grenze der Empfindlichkeit naturgemäß viel näher gerückt als bei wässrigen Lösungen. Selbst bei nur fünffacher Verdünnung und nachheriger Sodaabstumpfung der konz. Schwefelsäure wird man nur Auflösungen von etwa 0.00025), SeO, in der konz. Säure nachzuweisen imstande sein, d. h. etwa 0.0000025 g SeO, in I ccm H,SO,, bei zwanzigfacher Verdünnung dagegen erst 0.001), oder 0.00001 g SeO, in 1 ccm H,SO,. Für den ins Auge gefaßten Zweck wird aber auch diese Empfindlichkeit noch vollkommen ausreichen, da ja auch die direkte Wägung keine größere Genauigkeit erzielt. Starke selenige Säure, deren Konzentration nach dieser Methode natürlich nicht bestimmt werden kann, braucht selbstverständlich nicht II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 1235 erst mıt einer anderen Säure angesäuert zu werden, um diese Reaktion zu geben, Da Selensäure leicht in selenige Säure überzugehen geneigt ist, so ist es klar, daß die Jodkalium-Reaktion erst recht für diese Säure gilt: H,S0, #+6HJ=Se+3J, +4H,0. Für die Selensäure muß die Reaktion sogar noch empfindlicher sein, da hier sechsmal soviel Jod als Selen frei wird. Starke Selensäure wird wiederum ohne Zusatz einer anderen Säure durch Jodkalium zu Selen reduziert. Seltsamerweise gelingt die Reduktion von Selensäure mittels Natrium- hydrosulfit nicht, so daß hierdurch ein Weg gegeben wird, ein Gemisch von geringen Mengen seleniger Säure und Selensäure quantitativ zu analysieren und auch sehr geringe Mengen von seleniger Säure in der Selensäure nach- zuweisen und zu bestimmen, Über die Bildung von Selensäure bei der Salpetersäure- Oxydation und ihre Entfernung. Wie schon lange bekannt ist, schreitet die Oxydation bei der Ein- wirkung von konz. Salpetersäure auf Selen zum geringen Teile weiter bis zur Bildung von Selensäure. Über Selensäure und deren Verhalten beim Erhitzen liegen mancherlei zum Teil sich widersprechende Beobachtungen vor. Einmal wird sie als weiße kristallinische Masse beschrieben, die bei 580 zu einem farblosen Öl schmilzt, das bis auf 5° unterkühlt werden kann; dann wieder als eine dicke hygroskopische Flüssigkeit, die bis 285° beständig ist, und bei höherer Temperatur in SeO,, O und H,O zerfällt!). Das Hydrat H,SeO, - H,O soll bei — 38° eine feste weiße Masse darstellen, die bei 25° schmilzt und ihren Siedepunkt bei 205° erreicht. Bei den von mir zum Zwecke der Atomgewichtsbestimmung vor- genommenen Oxydationen des Selens mit Salpetersäure blieb nach dem Sublimieren des Selendioxyds eine dünne gelbliche Kruste am Boden, die selbst bei hohen Temperaturen (ca. 400°) nicht verschwand. Um einen Einblick in das Verhalten der Selensäure beim Erhitzen zu gewinnen, wurde ein wenig reine Kahlbaumsche kristallisierte Selensäure, die eine feuchte Kristallmasse darstellte, in Wasser gelöst und in eines der Subli- miergefäße gebracht, das im Luftbad erhitzt wurde. Zuerst ging das Wasser weg, das langsam abgesaugt und in einer mit Wasser beschickten Vorlage gesammelt wurde. Bei höherer Temperatur (250 — 300°) bildeten sich gelbgrüne Dämpfe, die sich im oberen Teil zu einem weißen Pulver verdichteten. Dies geschah, während am Boden noch Flüssigkeit im Kochen war. Zuletzt erstarrte alles, und bei noch stärkerem Erhitzen (400— 500°) sublimierte der größte Teil der am Boden sitzenden Masse nach den 1) Mitscherlich u. Nitzsch, Pogg. Ann. 9, 630. (1827.) 126 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. höheren kalten Teilen. Ein kleiner, gelblich aussehender Rest wollte selbst beim Erhitzen mit freier Flamme nicht vom Boden weichen. In der wässrigen Vorlage ließ sich nur selenige Säure nachweisen. Baryum- hydroxyd gab in salpetersaurer Lösung keine Fällung von Selenat. Auch das sublimierte weiße Pulver erwies sich als reines Selendioxyd. Der gelbliche Rückstand, der als dünne Kruste am Glase festsaß, war in Wasser unlöslich. Auch in konz. Salz- oder Salpetersäure oder in Königswasser löste er sich nur zum kleinen Teil auf, ohne sich jedoch zu zersetzen. Denn nach dem Eindampfen und Erhitzen sublimierte kein Pioxyd. Es ist nicht unmöglich, daß sich hier das bisher noch nicht aufgefundene Selentrioxyd gebildet hat. Daß es sich um ein Oxyd handelt, folgt aus der Unlöslichkeit in konz. Säuren und vor allem daraus, daß sich dieser Rückstand in konz. Hydrazinhydrat mit roter Farbe löst und daß aus dieser Lösung auf Zusatz einer Säure rotes Selen ausfällt!). Nun ist bekannt?), daß alle Halogenwasserstoffsäuren imstande sind, Selensäure zu seleniger Säure zu reduzieren: H;SeO, + 2HC1 = H,Se0, + Cl, + H,0. Bei der Jodwasserstoffsäure geht diese Reduktionswirkung, wie wir gesehen haben, noch weiter bis zur Bildung elementaren Selens, während Bromwasserstoff nicht stärker als Chlorwasserstoff wirkt. Eine zweite Probe von Selensäure wurde daher mit etwas konz Salz- säure eingedampft und der Rückstand erhitzt. Es sublimierte alles als Dioxyd; die Baryumselenat-Reaktion fiel negativ aus. Diese Versuche lehren, daß man, um selensäurefreies Dioxyd zu er- halten, gleich bei der Oxydation oder wenigstens vor dem Sublimieren etwas Salzsäure zusetzen muß. Auch sonst erwies sich der Zusatz von wenig Salzsäure vorteilhaft. Bei der Oxydation mit reiner Salpetersäure erhält man meist ein etwas gelbliches, mitunter sogar ins Rötliche gehendes Selendioxyd. Beim Zusatz einiger Tropfen Salzsäure bleibt stets ein rein weißer Rückstand, der sich auch beim Umsublimieren nicht im geringsten entfärbt. — Der einzige Nachteil könnte die Bildung geringer Mengen von Chlorselen oder von Öxychloriden des Selens sein, die entweichen und in der wässrigen Vorlage sich hydrolytisch zersetzen würden. Löslichkeit des Selens in Hydrazinhydrat und Alkalien. Bei der Reduktion des Selendioxyds mit Hydrazinhydrat wurde einige- male die Beobachtung gemacht, daß sich nach vollständiger Reduktion der selenigen Säure die Lösung, die dann einen nicht unbeträchtlichen Über- schuß von Hydrazin enthielt, tiefdunkelrot färbte und dickflüssig wurde. 1) Näheres darüber siehe nächsten Abschnitt. 2) Vgl. auch A. Ditte, Ann. Chin. Phys. [5]. 10. 82; C. Bl. 1876. 609. Bi II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 197 Beim Eindampfen zur Trockne verschwand die rote Farbe völlig, und es blieb nur rein schwarzes Selen zurück. Bei einem größeren Überschuß von Hydrazinhydrat war das ganze, zuerst gebildete schwarze Selen schließ- lich verschwunden und eine dicke dunkelrote Flüssigkeit, die beim Ein- dampfen sehr zum Spritzen neigt, übrig geblieben. Es hatten sich hier offenbar — analog den Ammoniumpolysulfiden — Hydrazoniumpolyselenide gebildet: 6H,N-NH,OH + 3Se= 2 (H,N-NH,), Se + (H,N-NH,), SeO, + 3H,0. An das Hydrazoniumselenid (H, N-NH,),Se lagert sich überschüssiges Selen an und bildet die rotbraunen Polyselenide: (H,N-NH,), Se,. Es ist auch möglich, daß sich bei dieser Reaktion saure Salze bilden: (H,N-NH,) HSe und (H,N-NH,) HSeO,. Übergießt man etwas Selendioxyd mit konz. Hydrazinliydrat, so erhält man sofort, schon in der Kälte, eine rotbraune Lösung. Das durch Reduktion entstandene Selen ist augenblicklich zu Polyseleniden gelöst worden. Pulverförmiges schwarzes Selen wird schon in der Kälte, besser beim Erwärmen, gelöst. Auch das kristallinisch metallische Selen, das in kleinen Stücken vorlag, wurde in der Wärme zu Polyselenid gelöst. Bei längerem Stehen, oft schon nach einer halben Stunde, oder beim Ver- dünnen mit Wasser trübt sich die anfangs ganz klare rote Lösung und man erhält eine sehr gut haltbare Lösung von kolloidalem rotem Selen. Beim Zusatz einer Säure scheidet sich das Selen in roten Flocken aus, die zu Boden sinken. Bei höherer Konzentration des Hydrazins scheint die Reaktion unter Bildung der Polyselenide bis zu einem gewissen Gleich- gewichte zu verlaufen, das durch viel Wasser, also durch Verdünnung unter Abscheidung von Selen in kolloidaler Form wieder von links nach rechts verschoben wird. Die ganze Erscheinung findet sich auch beim Schwefel wieder, ohne daß allerdings die entsprechenden Hydrazonium- polysulfide bisher isoliert werden konnten. Auch in nicht zu verdünntem Alkali löst sich das Selen in jeder Modifikation beim Erwärmen mit tiefroter Farbe auf, jedenfalls wiederum unter Bildung von Polyseleniden, denn die normalen Alkaliselenide, die man durch Einleiten von Selenwasserstoff in Alkali erhält, sind farblos bis schwach gelb. An das sich zunächst bildende Alkaliselenid 6 NAOH — 3 Se = 2 Na,Se + Na,Se0, + 3 H,O lagert sich überschüssiges Selen zum Polyselenid Na,Se, an. Diese Alkali- polyselenidlösungen lassen sich mit Wasser verdünnen, ohne daß eine Trübung eintritt. Beim Ansäuern aber fällt sofort das Selen in der roten Modifikation fiockig aus, wobei der Geruch von Selenwasserstoff auftritt, — Ammoniak, selbst konzentriertes, löst Selen auch beim Erwärmen nicht auf. Hier fehlt die Analogie zum Ammoniumpolysulid. Das normale Ammoniumselenit (aus Selenwasserstoff und Ammoniak) ist bekannt. 128 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Über die Möglichkeit der Bildung von Selenwasserstoff. Bei der Reduktion mit Hydrazinhydrat war es nicht ausgeschlossen, daß die sehr heftige Reduktionswirkung dieses Stoffes die Bildung von Selenwasserstoff veranlassen könnte. Zur Prüfung dieser Frage wurde folgender Versuch gemacht: Auf einen Rundkolben war ein Kugelkühler aufgesetzt, dessen oberes Ende durch Schlauch mit‘ zwei „Schwefelsäure- schlangen“‘ verbunden war, die eine Lösung von Bleiacetat enthielten, Neben dem Kühler ragte in den Kolben ein rechtwinklig gebogenes Trichterrohr hinein, durch den man zu der kochenden Lösung der selenigen Säure langsam ca. 10%, Hydrazinhydrat tropfen ließ, und ein drittes Rohr, das mit einer Waschflasche mit Wasser und einer mit Kaliumper- manganatlösung in Verbindung stand. Durch diese wurde vom Ende der Schlangen aus während der Reduktion ein schwacher Luftstrom gesaugt der die über der kochenden Lösung befindliche Dampfschicht durch den Kühler nach oben führte. Der Wasserdampf mußte sich im Kühler ver- dichten, während Selenwasserstoff weiter bis zu den Bleiacetatschlangen fortgeführt worden wäre. Es zeigte sich jedoch nicht die geringste Dunkel- färbung der Bleiacetatlösung, wie sie bei Bildung von noch so wenig Blei- selenid eingetreten wäre. Dagegen fiel ein geringer, rein weißer Nieder- schlag von Bleiselenit aus. Es ist sehr wahrscheinlich, daß das Dioxyd hier infolge des energischen Kochens und der stürmischen Stickstoffent- wickelung bei der Reaktion auf mechanischem Wege mitgerissen worden ist. Nach Bodenstein!) verläuft die Reaktion zwischen Selen und Wasser- stoff selbst bei großer Oberfläche des Selens sehr langsam. Bei 324° werden nach 24 Stunden 5 %, Selenwasserstoff, nach 48 Stunden 17% gebildet. Zur Erreichung des Gleichgewichtes sind nach Bodenstein und Pelabon viele Tage nötig. Da man für 10° Temperaturerniedrigung die Reaktionsgeschwindigkeit auf die Hälfte herabsetzen kann, so würde man für sie bei 100° einen außerordentlich geringen Wert erhalten, so daß der eben angeführte Versuch auch theoretisch gestützt ist, und Verluste durch Bildung von Selenwasserstoff nicht zu befürchten sind. Beschreibung einer Atomgewichtsbestimmung. Das bereits beschriebene Hartglasgefäß wurde vor dem Gebrauch mit konz. Salpetersäure und mit Wasser ausgekocht und mit Wasserdampf ausgeblasen. Nach dem völligen Trocknen, das durch Erhitzen im Luftbad bis auf 200° und abwechselndes Evakuieren und Füllen mit trockener Luft bewirkt wurde, wurde es mit einem eingeschliffenen Glasstöpsel ver- schlossen und nach dem Erkalten und längerem Verweilen in der Wage gewogen. Dann kam etwa 0,5 g pulverförmiges schwarzes Selen in das Gefäß, worauf in derselben Weise getrocknet und gewogen wurde. Die 1) Z. f. phys. Ch. 29, 429. (1899). II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 129 Temperatur wurde dabei unterhalb des Schmelzpunktes des Selens (217°) gehalten; ein Anilinbad ist als Thermostat sehr geeignet. Zuletzt wurde über den Schmelzpunkt erhitzt. -— Nun setzte man etwa 2 ccm reine konz. Salpetersäure zu und erwärmte ein wenig. Da das Selen geschmolzen war, ging die Oxydation sehr ruhig und gleichmäßig vor sich. Sofort nach dem Einfüllen der Salpetersäure wurde das Gefäß an die schon be- schriebene Apparatur angeschlossen: rechtwinkliges Glasrohr, Dreiwege- hahn, Vorlage mit Wasser, und schwach angesaugt. Nachdem die Lösung der entstandenen selenigen Säure bis auf wenige Tropfen abgedampft war, wurden nach vorherigem Abkühlen 1—2 Tropfen reiner konz. Salzsäure zugesetzt und nun zur Trockne eingedampft. Bisher hing das Gefäß in einem Luftbad, das durch ein Becherglas dargestellt wurde, um den Verlauf der Oxydation und des Abdampfens gut beobachten zu können. Zum Umsublimieren der am Boden sitzenden Kruste wurde ein niedriges Nickel- luftbad mit Asbestscheibe verwendet, in welches nur der untere Teil des Apparates hineinragte. Vorher war die Vorlage mit Wasser gegen eine Schwefelsäurevorlage ausgewechselt worden. Die Temperatur wurde ganz allmählich gesteigert, und währenddem das Gefäß abwechselnd evakuiert und mit trockener Luft gefüllt, um ein intensives Trocknen des am Boden als Kruste liegenden Selendioxyds zu bewerkstelligen. Wenn das Subli mieren begann (bei ca. 300°, wurde das Evakuieren eingestellt. Die Temperatur wurde bis etwa 400° gesteigert, Wenn die Sublimation be- endet war, ließ man den Apparat erkalten und setzte von etwa 200° ab das unterbrochene Evakuieren wieder fort. Dann wurde zurückgewogen. Nun kann noch einmal in der beschriebenen Weise das Trocknen, sowie auch das Umsublimieren wiederholt und zur Konstanz gewogen werden, die sich indes aus schon angegebenen Gründen kaum erzielen läßt. Sodann wurde in den beiden Vorlagen die Menge des verflüchtigten Selen- dioxyds nach einer der angegebenen Methoden geschätzt und zu dem er- haltenen Gewicht hinzu gezählt. In den Vorlagen befanden sich etwa 7—8 ccm. Infolge des Ausspülens mit Wasser, bezw. mit konz. Schwefel- säure wurden zuletzt ca. 15—17 ccm erhalten. Die Schätzung wurde mangels eines Kolorimeters in Reagenzgläsern mit je 1 ccm mehreremale ausgeführt. Daß diese verhältnismäßig rohe Schätzung doch ziemlich genaue Resultate geben kann, erwies sich dadurch, daß nach einem aber- maligen Trocknen und Umsublimieren des Selendioxyds mit neuer Schwefel- säurevorlage die geschätzte Menge (0.00035 g) mit der Gewichtsabnahme (0.00034 g) gut übereinstimmte. Die Reduktion des Selendioxyds wurde in demselben Gefäß ausgeführt. Als geeignetstes Reduktionsmittel wurde hierbei Hydrazinhydrat gewählt. Das Einleiten gasförmiger schwefliger Säure ist aus verschiedenen Gründen zu verwerfen. Zunächst ist zu befürchten, daß sich am Einleitungsrohr etwas Selen festsetzt und von da schwer zu entfernen ist, Dann müßte 1913. 9 130 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. der Apparat, falls nicht eine ganz andere Konstruktion gewählt würde, hierbei offen bleiben und Verluste durch Wegkochen von Selendioxyd wären unvermeidlich. Drittens ist die Umsetzung von schwefliger und seleniger Säure ohne Zusatz einer anderen Säure (Salzsäure) nur dann vollständig, wenn sie im Verhältnis 2:1 aufeinander wirken!). Bei jeder Überschreitung dieses Verhältnisses nach der einen oder anderen Seite ist die Reduktion unvollständig. Endlich ist auf die Schwierigkeit hinzuweisen, die hierbei entstandene Schwefelsäure durch Abdampfen quantitativ zu entfernen, und auch darauf, daß sich Selen in hinreichend konzentrierter Schwefelsäure mit grüner Farbe auflöst. — Die Anwendung wässriger schwefliger Säure aber ist deshalb ausgeschlossen, weil hierbei viel zu viel Flüssigkeit angewendet werden müßte. — Hydroxylaminchlorhydrat ist ein verhältnismäßig zu schwaches Reduktionsmittel. Außerdem kann auch die freiwerdende Salzsäure infolge einer möglichen Bildung von Chloriden oder Oxychloriden des Selens Fehler verursachen. Aus demselben Grunde ist auch die Verwendung des Hydrazinchlorids hierzu bedenklich. Bei Hydrazinsulfat ist die Schwefelsäure wiederum störend. — Das Hydrazin- hydrat stellt bei geeigneter Anwendung unstreitig das ideale Reduktions- mittel dar. Da es schon bei 128 ® siedet, ist auch ein Überschuß leicht zu entfernen. Seine Eigenschaft, Selen zu Hydrazoniumpolyseleniden zu lösen, ist praktisch vielleicht etwas unangenehm, da die dicke Lösung beim Eindampfen leicht spritzt. Nach dem Eindampfen zur Trockene bleibt jedenfalls reines Selen zurück. Man löst das im Gefäß befindliche Selen- dioxyd mit wenig warmem Wasser auf und fügt tropfenweise bei einer Temperatur von 70—80° etwa 20—30,iges Hydrazinhydrat zu. Es fällt augenblicklich jedesmal rotes Selen aus, das bald schwarz wird und sich meistens zu größeren Klümpchen oder einem porösen Kuchen zusammen- ball. Wenn auf erneuten Zusatz einiger Tropfen Hydrazinhydrat keine Rotfärbung mehr eintritt, so ist die Reduktion beendet. Wenn die rote Farbe dagegen überhaupt nicht mehr verschwindet, auch beim Kochen, so ist dies das deutliche Zeichen eines größeren Hydrazinüberschusses. Das Abdampfen der Flüssigkeit geschah in derselben Weise wie nach der Oxydation. In der wässrigen Vorlage wird nunmehr Selendioxyd kaum nachzuweisen sein. Man kann zur Vorsicht auch jedesmal nach dem Versetzen mit einigen Tropfen Hydrazinhydrat das Gefäß an die Apparatur anschließen, doch wird sich dies, wenn man die Reaktion nicht zu heftig werden läßt, wohl erübrigen lassen. Zum endgültigen Trocknen des Selens, das zuletzt geschmolzen wurde, ersetzte man die wässrige Vorlage durch ein Chlorkalziumrohr, worauf das Gefäß abwechselnd evakuiert und mit trockener Luft gefüllt wurde. Nach dem Erkalten wurde zurück- gewogen. 1) Ladenburg, Handwörterbuch der Chemie, Bd. X. 607. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 131 Nach dieser Methode, die verlassen wurde, ehe es noch möglich war, aller technischen Schwierigkeiten Herr zu werden, sind folgende, noch recht wenig übereinstiimmende Werte für das Atomgewicht des Selens ge- funden worden. Bei der Oxydation 79.18, 79.23, 79.20, bei der Reduktion 79.11 und 79.24. Die schlechte Übereinstimmung rührt zum Teil auch daher, daß hierbei aus praktischen Gründen nur sehr wenig Substanz verwendet werden konnte (0,2—0,5 g) und der Analysenfehler infolge- dessen ziemlich beträchtlich werden mußte. Bei 0.27555 g Se und 0.3568? g SeO, entspricht 0.00001 g in der Atomgewichtszahl der Zahl 0.007. Da die Genauigkeit beim Wägen — wie auch Richards!) zugibt, bis etwa 0.00003 geht, so würde ein einziger derartig angenommener Wägefehler, der sich nicht kompensiert, im Atomgewicht einen mutmaß- lichen Fehler von 0.02 geben. Versuche zur Oxydation auf trockenem Wege. (Sauerstoff, Ozon, Stickstofftetroxyd.) Nach meinen Dampfdruckmessungen an seleniger Säure und Selen- dioxyd sind die Tensionen dieser beiden Stoffe nicht allzu verschieden besonders bei höheren Temperaturen. Nun ist aber zur vollständigen Entwässerung der selenigen Säure eine nicht unbeträchtliche Temperatur erforderlich, wenn man auf die Dehydratisierung nicht außergewöhnlich viel Zeit verwenden will. Benutzt man aber die Temperatur, bei der die Tension der selenigen Säure ungefähr 1 Atm. erreicht, so geht die Ent- wässerung allerdings in genügend kurzer Zeit vor sich; aber nun erreicht auch der Dampfdruck des Selendioxyds derartige Werte, daß merkliche Verluste stattfinden. Versucht man die selenige Säure durch Umsublimieren zu entwässern, so wird zweifellos ein großer Teil des Wassers fortgehen; da aber das Selendioxyd bei tiefer Temperatur stark hygroskopisch ist, so wird es wiederum Wasser anziehen. Ich halte es demnach für ausge- schlossen, selbst durch mehrfaches Sublimieren ein absolut wasserfreies Produkt zu gewinnen. Der Haupteinwand also, der die oben erörterte Methode treffen kann, ist die Ungewißheit, ob wirklich reines, wasserfreies oder besser selenig- säurefreies Selendioxyd hiernach erzielt werden kann, ganz abgesehen von der Schwierigkeit, die die peinlichst quantitative Bestimmung des sich fort- während verflüchtigenden Selendioxyds in sich schließt. Darum war es mein Wunsch, mich von der bis jetzt einzig bekannten, praktisch brauchbaren Methode der Oxydation mittels Salpetersäure unab- hängig zu machen und womöglich eine Methode zur trockenen Oxydation des Selens aufzufinden. 1) Z. f. anorg. Ch. 47. 56. (1905). 9* 132 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Wenn man versucht, ein Element auf trockenem Wege zu oxydieren, wird man zunächst an den elementaren Sauerstoff denken. Selen brennt jedoch nicht wie der Schwefel an der Luft, ja nicht einmal in einer Sauerstoffatmosphäre. Im Sauerstoffstrome verbrennt es bei ziemlich hoher Temperatur unter Bildung von Dioxyd, wobei jedoch unverbrannte Selen- dämpfe mitgerissen werden, die das Selendioxyd teils rötlich, teils schwärzlich färben. Ich kann hiernach die Beobachtungen, die M. F. Sacc!) bei dem Versuch, Selen direkt mit Sauerstoff zu oxydieren, gemacht hat, nur be- stätigen. Pulverförmiges Selen mittels Sauerstoff zu oxydieren, also bei einer Temperatur unterhalb seines Schmelzpunktes, ist überhaupt nicht möglich. Wenn sich aber das geschmolzene Selen im Sauerstofistrom zu oxydieren beginnt, wobei manchmal eine bläuliche Flamme auftritt, so ist die Temperatur, vielleicht auch infolge der Verbrennungswärme schon so hoch gestiegen, daß auch das Selen anfängt zu verdampfen. Auch durch mehrmaliges Umsublimieren des schwärzlichen Dioxyds ist ein reines Pro- dukt kaum zu gewinnen. Bedeutend erfolgreicher waren die ÖOxydationsversuche mit Ozon. Schon bei schwach ozonhaltigem Sauerstoff, wie ihn eine einfache Ozon- röhre lieferte (zirka 1°/,ig), war in der Hitze eine energischere Oxydation zu beobachten. Der Versuch wurde mit einem ozonreicheren Sauerstoff- gemisch wiederholt. Eine Batterie von 5 Ozonröhren, an die ein Induktor mit 70 Volt und 8 Ampere angeschlossen war, lieferte etwa 10 %,iges Ozon. Der einer Bombe entnommene Sauerstoff wurde mit konz. Schwefel- säure getrocknet und nach der ÖOzonisierung auf den Boden eines Re- agensrohres geleitet, in dem sich etwas pulverförmiges trockenes Selen befand. Die Verbindung mit der Ozonbatterie wurde durch Glasrohr und gut schließende Korke hergestellt, da Kautschukschlauch durch Ozon sehr bald zerstört wird. . Schon bei gewöhnlicher Temperatur (zirka 25 °) war eine deutliche Einwirkung des Ozons auf das Selen erkennbar. Die Oberfläche wurde allmählich grauweiß. Dann wurde die Temperatur langsam gesteigert, wobei schließlich alles Selen oxydiert wurde und nach höheren kälteren Teilen sublimierte.e Durch zwei- bis dreimaliges Um- sublimieren wurde das anfangs etwas schmutzige und rötliche Dioxyd schließlich rein weiß. — Obwohl diese letztere, immerhin ziemlich kostspielige Methode einer trockenen Oxydation des Selens zum Zwecke der Atomgewichtsbestimmung durchaus nicht aussichtslos erschien, namentlich bei Anwendung geeigneter Apparaturen, so wurde sie doch nicht näher ausgearbeitet und praktisch angewendet, weil sich alsbald ein noch viel energischeres und dabei in seiner Anwendung geradezu ideales Oxydationsmittel im Stickstofftetroxyd- gas fand. 1) Ann. Chim. Phys. (3). 21. 121. (1847). Il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 133 Die leichte Oxydierbarkeit des Stickoxyds NO zu Stickstoffidioxyd NO, durch elementaren Sauerstoff und die Leichtigkeit des Zerfalls von NO, in NO -+ !/, O, bei höherer Temperatur ließ vermuten, daß dieses sehr bewegliche Sauerstoffatom vom Selen leicht aufgenommen werden könnte. Diese Vermutung fand ihre glänzende Bestätigung. Pulverförmiges Selen wurde schon bei gewöhnlicher Temperatur von Stickstofftetroxyddämpfen rasch angegriffen und in Selendioxyd verwandelt. Erhöhung der Temperatur wirkt beschleunigend auf den Oxydationsprozeß. Sie darf jedoch nicht über den Schmelzpunkt des Selens gesteigert werden, weil die dann sehr geringe Angriffsfläche die Oxydation außerordentlich verlangsamt. Ist das Selen einmal geschmolzen, so muß die Temperatur über den Sublimations- punkt des Selendioxyds, also bis ca. 350°, gesteigert werden. — Der Versuch jedoch, das Selen in Dampfform — es siedet bei 690° -— mit Hilfe des Stickstofftetroxydgases zu oxydieren, mußte mißlingen, da sich dieses Gas schon bei 130° merklich in NO -+ ', O0, zu zersetzen beginnt und der Dissoziationsgrad mit der Temperatur rasch wächst. Bei 520° zersetzt sich auch das Stickoxyd noch weiter zu elementarem Stickstoff und Sauer- stoff. — Schon M.F. Sacc!) hat mit Stickoxyden (,oxyde nitreux‘) das Selen zu oxydieren versucht, jedoch ohne Erfolg. Wahrscheinlich hat er gleich bei höheren Temperaturen und mit geschmolzenem Selen gearbeitet, denn er schreibt, daß ‚Selen in diesem Gase ebenso wie in Kohlensäure sublimiert werden konnte“, angeblich, ‚weil dieses Metalloid weniger Alfinität zum Sauerstoff hat als der Stickstoff.“ — Das Stickstofftetroxyd war anfangs nach den Angaben von H. Biltz?) durch Einwirkung von roher konz. Salpetersäure auf glasige arsenige Säure dargestellt worden. Die hierbei entstehenden Gase NO,, N50,, NO wurden in einer Waschflasche, die in einer Kältemischung stand, kondensiert, und in die grünliche Flüssigkeit wurde in der Kälte solange Sauerstoff ein- geleitet, bis sie hellbraun wurde und damit die beendete Oxydation der niederen Oxyde zu N, O, anzeigte. Die einzelnen Teile der Apparatur müssen aneinandergeschmolzen oder durch Glasschlfffe miteinander ver- bunden sein. Gummischlauchverbindungen müssen peinlichst vermieden werden, da das Stickstofftetroxyd sonst durch organische Beimengungen (Nitrosylverbindungen) verunreinigt wird. Es wird getrocknet durch Schütteln mit Phosphorpentoxyd, über dem man es auch am besten aufbewahrt. Das gasförmige Stickstofftetroxyd ist bei Zimmertemperatur hellbraun und färbt sich beim Erwärmen zunächst entsprechend einer fortschreitenden Dissoziation N, 0, = 2NO, dunkler. Bei stärkerem Erhitzen tritt wieder Entfärbung auf gemäß der Spaltung NO, =NO + ", O,. Bei sehr hohen Temperaturen zerfällt dann das NO in Stickstoff und Sauerstoff. 1) Ann. Chim. Phys. (8). 21. 121. (1847). 2) Übungsbeispiele aus der unorg. Exp.-Chemie. S.51. 134 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Da das Stickstofftetroxyd, bezw. das Stickstoffdioxyd bei der Oxydation des Selens nur bis zum Stickoxyd NO reduziert wird, dieses aber durch Zuführung von Sauerstoff immer wieder in Stickstoffdioxyd verwandelt werden kann, so ist man imstande, mit sehr wenig Stickstofftetroxyd und großen Mengen Sauerstoff beliebig viel Selen zu oxydieren. Das Stickstoff- dioxyd dient dann nur — wie beim Bleikammerprozeß der Schwefelsäure- fabrikation — als Sauerstoffüberträger. Wenn man für eine genügend rasche Diffusion durch Durcheinanderrühren des Gasgemisches sorgen würde, so wäre nur erforderlich, das Gefäß, in dem sich das Selen befindet, einmal mit Stickstofftetroxyd zu füllen und dann Sauerstoff einzuleiten. Da dies aber praktisch schwer durchführbar ist, so richtet man die Apparatur besser derart ein, daß ein sehr langsamer Sauerstoffstrom über das flüssige Stickstofftetroxyd, das schon bei Zimmertemperatur genügend hohen Dampfdruck zeigt, hinwegstreicht und so stets ein wenig Dampf mit sich führt. Man kann so mit wenigen ccm flüssigen Stickstofftetroxyds viele Gramm Selen oxydieren. Diese Methode der Oxydation hat gegenüber der nassen mit Salpeter- säure mehrere sehr wichtige Vorzüge. Erstens erhält man auf diese Weise endlich wirklich wasserfreies Selendioxd, da sich Stickstofftetroxyd und Sauerstoff mit Phosphorpentoxyd sehr gut trocknen lassen und bei der Reaktion kein Wasser entsteht. Zweitens erzielt man schon bei einmaligem Umsublimieren in der Stickstofftetroxydatmosphäre stets ein absolut reines, blendend weißes, aus kleinen Kristallen bestehendes hervorragend schönes Produkt. Drittens ist hierbei schon infolge der Abwesenheit von Wasser die Bildung von Selensäure, wie sie bei der Salpetersäureoxydation stets zum kleinen Teile gebildet wird, ausgeschlossen. Ebensowenig kann, wie Ren& Metzner!) nachgewiesen hat, das bis jetzt überhaupt noch nicht isolierte Selentrioxyd entstehen, da es eine endothermische Verbindung ist. (Se0, + O0 = Se0, — 14.7 cal). Endlich sind bei dieser Oxydations- methode keine Verluste an Selendioxyd zu befürchten, wie sie beim Oxydieren mit Salpetersäure schon während des Eindampfens der Lösung zur Trockne eintreten, ganz besonders aber bei dem Bemühen, das Selen- dioxyd wasserfrei zu bekommen. Man hat also hierin eine quantitative, völlig einwandfreie und sehr saubere Methode der Oxydation des Selens zu Selendioxyd, die auch zur präparativen Darstellung größerer Mengen reinen wasserfreien Selendioxyds sehr geeignet ist?). 1) C.r. de l’Acad. des sciences 123, 1061. (1896); C. Bl. 1897. I. 220. 2) Eine Abhandlung hierüber erscheint demnächst in den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 135 Il. Methode. Oxydation mittels Stickstofftetroxyds. Bei dieser sehr einfachen und bequemen Methode ist an Materialien nur reines Selen, von dem die bei der ersten Methode beschriebenen sechs Präparate noch vorhanden waren, ferner reines flüssiges Stickstofftetroxyd und Sauerstoff notwendig. Reinigung des Stickstofftetroxyds. Es stand mir eine größere Menge fabrikmäßig gewonnenen Stickstofftetroxyds aus den Höchster Farb- werken zur Verfügung. Da es beim Umfüllen wahrscheinlich mit Gummi- schlauch in Berührung gekommen war, enthielt es organische Beimengungen (Nitro- und Nitrosylverbindungen), die schon dadurch nachgewiesen werden konnten, daß sich beim Eingießen einiger Tropfen des flüssigen Stickstoff- tetroxyds in Wasser fettige Bestandteile abschieden. Es wurde von diesen Verunreinigungen dadurch mit Erfolg befreit, daß man es über schwach glühende Kupferoxydspäne destillierte und in zwei Waschflaschen, die in einer Kältemischung standen, wieder auffing. Die einzelnen Teile: Destillier- kolben (mit Glasstöpsel), Verbrennungsrohr und Waschflaschen waren zu einem Stücke zusammengeschmolzen. In das Destillat, däs eine schmutzig grüne Farbe zeigte, wurde unter Kühlung Sauerstoff eingeleitet, bis die Färbung in Rotbraun umschlug. Die Auflösung eines Tropfens Stickstoff- tetroxyd in Wasser wurde nun auf Chlor geprüft, da ja Chlor auf Selen unter Bildung von Selentetrachlorid einwirkt. Da sich in der Tat die Chlorreaktion in merklicher Stärke positiv zeigte, so wurde das Stickstoff- tetroxyd mit mehreren Gramm festen Silbernitrats geschüttelt und darüber abdestilliertt. Das Chlor war auf diese Weise, wie mehrere Kontroll- reaktionen der wässrigen Lösung zeigten, vollständig entfernt worden. Zuletzt wurde die Flüssigkeit mit Phosphorpentoxyd geschüttelt und darüber in einer großen Stöpselflasche zu ständigem Gebrauche unter Kühlung im Eisschrank oder kaltem Wasser aufbewahrt. Prüfung des Sauerstoffs auf Reinheit. Es war notwendig, daß auch der Sauerstoff, der einer Bombe entnommen wurde, rein war, insbesondere wasserstofffrei, eine Forderung, die beim Elektrolytsauerstoff bekanntlich nur schwer zu erfüllen ist. Der von uns benutzte Sauerstoff enthielt nach der Gasanalyse ca. 3—4 %, Stickstoff, aber keine gasanalytisch nachweisbaren Mengen Wasserstoff. Die geringen, möglicherweise doch vorhandenen Spuren von Wasserstoff dürften aber eine Wasserbildung nicht verursachen und keine Fehlerquelle sein, denn da unser Sauerstoff erst durch konz. Schwefelsäure uud dann durch Phosphorpentoxyd absolut trocken gemacht worden ist, so dürfte, wie die Bakerschen Versuche!) beweisen, selbst bei den angewendeten Temperaturen bis ca. 400° eine 1) Journ. Chem. Soc. 1894. 603. 136 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Wasserbildung nicht zu erwarten sein. Außerdem ist nach den Boden- steinschen Versuchen!) die Geschwindigkeit der Wasserbildung selbst unter normalen Verhältnissen selbst bei 500° noch sehr gering?), so daß die Entstehung eines Versuchsfehlers durch Wasserbildung wohl ausgeschlossen ist, selbst wenn der verwendete Sauerstoff minimale Mengen von Wasser- stoff enthalten haben sollte. Die Apparatur. Die Konstruktion des zur quantitativen Oxydation des Selers zu Selen- dioxyd bestimmten Apparates ist ohne Beschreibung aus der Figur ersicht- lich. Der Sauerstoff, der einem Gasometer entnommen wurde und durch eine Schwefelsäure-Waschflasche perlte, wurde durch den seitlichen Ansatz über der Stickstofftetroxydkugel in den Apparat geleitet, wobei er stets etwas Stickstofftetroxyd mit sich führt, das, wenn die Zimmertemperatur nicht ausreichte, durch ein Sparflämmchen mäßig erwärmt wurde. Der links- seitige sackförmige Ansatz dient dazu, bei etwaigem Abkühlen der Stick- stofftetroxydkugel und Abstellen des Sauerstoffstromes etwa zurückgesaugtes Selendioxyd aufzufangen. Ebenso haben die beiden Ansätze rechts den Zweck, bei etwa zu raschem Gasstrom aufgewirbeltes und mitgerissenes 1) Z. phys. Ch. 29. 665 (1899)e -2) Vgl. z. B. Jul. Meyer, Chem. Reaktionsgeschwindigkeit, S. 36. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 137 Selendioxyd festzuhalten. Bei sehr vorsichtigem Arbeiten und gut regulierter Gaszufuhr werden diese drei Ansätze kaum wirklich in Anspruch genommen werden. Allenfalls dürfte dann im ersten Auffangansatz rechts ein schwacher Hauch von SeO, zu sehen sein. Die beiden Phosphorpentoxydrohre dienen dazu, um einerseits den Sauerstoff samt den Stickstofftetroxyddämpfen noch einmal energisch zu trocknen, andrerseits um ein Eindringen von Luft- ‘feuchtigkeit in den Apparat zu verhindern. Beim ersten nach dieser Figur angefertigten Apparat war das Haupt- gefäß aus Hartglas, das Röhrensystem aus gewöhnlichem Glase. Da sich sein Gewicht aber unter dem Einfluß des Stickstoffdioxyds und infolge des späteren Waschens fortwährend änderte, mußte er für den vorliegenden Zweck als unbrauchbar angesehen werden. Nach zweistündigem Erhitzen des leeren Apparates mit Stickstofftetroxyddampf hatte er 0.00050 g zu- genommen, nach dem Auswaschen um 0.00076 g abgenommen. Bei den Versuchen, wo Selen oxydiert wurde, zeigte er nach dem Auswaschen mitunter noch viel größere Gewichtsabnahmen, manchmal wieder war er nahezu konstant geblieben. Daß die Gewichtszunahmen und -abnahmen jedesmal verschieden groß und deshalb ganz unkontrollierbar waren, be- wiesen die unter gleichen Bedingungen angestellten Atomgewiclıtsbestim- mungen, die Zahlen zwischen 79.046 und 79.733 gaben. Bei 6 Bestim- mungen konnten nicht zwei einigermaßen übereinstimmende Werte erzielt werden. Daß die Methode an sich einwandfrei sein müsse und kein Selen- dioxyd verloren ging, zeigte ein Versuch, bei dem das Selendioxyd mit Hilfe des weiter unten beschriebenen Reduktionsapparates wieder zu Selen reduziert worden ist, wobei das Gewicht der ursprünglich angewendeten Selenmenge genau zurückerhalten wurde. 0.45879 5 Se gaben 0.64405 SeO, (unter der Annahme, daß der Apparat gewichtskonstant geblieben ist); nach der Reduktion wurden 0.45879 g Se zurückerhalten. (Danach würde das Atomgewicht = 79.250 sein). Zu den endgültigen Bestimmungen wurde ein Apparat aus durch- sichtigem englischem Quarz verwendet. Ich versprach mir von einem Quarzapparate deswegen bessere Erfolge, weil Quarz einerseits in Wasser vollständig unlöslich ist, andrerseits auch durch Säuren und Säuredämpfe nicht angegriffen wird. Die Teile, die für das Wägen nicht in Betracht kamen, d. h. also die Phosphorpentoxydröhren und die Stickstofftetroxyd- kugel, waren aus gewöhnlichem Glase. Zum Schließen des Apparates während des Wägens waren noch zwei eingeschliffene Stöpsel aus Quarz vorhanden. — Freilich erforderte das Arbeiten mit einem derartig leicht zerbrechlichen Material, das noch dazu in so komplizierter Form vorlag, ein ungewöhnliches Maß von Vorsicht und Übung; doch bot der Apparat andrerseits den Vorteil, daß Bruchstellen leicht repariert werden konnten und jede verdächtige unsaubere Stelle selbst an Schliffen sich mit der 138 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Stichflamme ohne Mühe und Gefahr beseitigen ließ. Der Quarzapparat hatte eine Länge von 17 cm und wog rund 37 g. Prüfung des Apparates auf Gewichtskonstanz, Um mich zu überzeugen, daß der Apparat gegenüber der Einwirkung von Stickstofitetroxyd- dämpfen und dem Waschen gewichtskonstant blieb, wurde er nach gutem Reinigen, Trocknen und Wägen 1—2 Stunden mit Stickstofftetroxyddämpfen erhitzt, gewogen, dann ausgewaschen (mit Wasser, das aus Quarzgefäßen destilliert war) und wieder gewogen, und diese Operation fünfmal zu veı- schiedener Zeit wiederholt. Es zeigte sich, daß der Apparat nach dem Erhitzen jedesmal durchschnittlich 0.00011 g zugenommen hatte, während sein Gewicht nach dem Auswaschen jedesmal um ca. 0.00006 g abnahm. Die Gewichtsabnahme kam für die Berechnungen nicht in Betracht, dagegen mußten von dem Gewicht des Selendioxyds stets 0.00011 g abgezogen werden, da auch ein nach längerem Gebrauch des Apparates in dieser Weise angestellter Versuch dieselben Differenzen gab. Die Konstanz der Gewichtszunahme ist wohl kaum anders zu erklären, als daß sich ein dünnes Häutchen von Stickstofftetroxyd gebildet haben muß. Beschreibung einer Oxydation. Der gut ausgewaschene Quarzapparat (zuletzt wurde ganz reines, aus Quarzgefäßen destilliertes Wasser hierzu verwendet) wurde zunächst mit freier Flamme getrocknet und dann, nachdem beiderseits die Phosphor- pentoxydrohre angesetzt waren, ein trockener Luftstrom, der durch zwei Schwefelsäurewaschflaschen ging, langsam hindurchgesaugt. Zwischen Wasserstrahlpumpe und Apparat war ebenfalls eine Schwefelsäureflasche eingeschaltet. Der Apparat hing mit der unteren Hälfte im Nickelluftbad, das durch eine passend durchlöcherte Asbestscheibe abgeschlossen war und mit voller Flamme auf ca. 400° erhitzt wurde. Das Trocknen dauerte etwa eine Stunde. Nach dem Erkalten wurde der Apparat zugestöpselt, in die Wage gehängt und nach einer Stunde gewogen. Darauf wurde nochmals ungefähr eine Stunde in der vorbeschriebenen Weise erhitzt und gewogen. Falls noch nicht Konstanz erreicht war (die zulässige Differenz ist höchstens 0.03 mg), wurde das Trocknen wiederholt. Nachdem Gewichtskonstanz (gewöhnlich schon bei der 2. Wägung) erreicht war, wurde mit Hilfe eines trockenen Trichterrohres reines, pulverförmiges Selen, das vorher längere Zeit bei 150° getrocknet worden war, auf den Boden des Apparates gebracht, der Apparat in ein Anilinluftbad gehängt und 1—2 Stunden ebenso wie der leere Apparat durch sehr langsames Hindurchsaugen trockener Luft von den letzten etwa noch im Selen ent- haltenen Spuren Wassers befreit. Nach dem Erkalten wurde er in die Wage gehängt und nach einer Stunde gewogen. Das Trocknen und Wägen wurde bis zur Gewichtskonstanz wiederholt. Bei sorgfältig _vorgetrocknetem II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 139 Selen wurde die Konstanz sofort bei der 2. Wägung erreicht. Sodann wurde der Apparat in das Nickelluftbad gehängt, das längere Zeit bei einer Temperatur unterhalb des Schmelzpunktes des Selens gehalten, also höchstens bis 215° erhitzt wurde. Die beiden Pentoxydröhren und die Kugel mit dem trockenen Stickstofftetroxyd wurden angesetzt (s. Figur) und ein sehr sorgfältig regulierter Sauerstoffstrom (ca. 100 Bläschen in der Minute) durch den Apparat geleitet. Die Stickstofftetroxydkugel wird anfangs mit der Hand etwas erwärmt, um einen genügend hohen Dampfdruck zu erzeugen, und dann sich selbst überlassen. Falls die Zimmertemperatur sehr tief steht, wird durch ein kleines Flämmchen für fortdauerndes Erwärmen gesorgt. Der Apparat füllt sich rasch mit den roten Dämpfen, die auf der andern Seite sehr langsam wieder entweichen. Allmählich ver- wandelt sich so die obere Schicht des Selens in ein grauweißes Pulver, während im unteren Teile der Masse glitzernde Kristalle auftauchen. Wenn alles Selen oberflächlich ‚‚anoxydiert‘“ ist, was an dem kristallinischen Schimmer erkennbar ist, kann die Temperatur allmählich gesteigert werden. Hierbei verwandelt sich das ganze Selen in rein weißes Selendioxyd, das allmählich nach einem höheren Teile oberhalb der Asbestscheibe hinauf- sublimiert. Während des Sublimierens ist ganz besonders darauf zu achten, daß der Sauerstoffstrom äußerst langsam geht. Ein gänzliches Abstellen ist nicht zu empfehlen, da in diesem Falle leicht eine Verstopfung der Kapillare durch SeO, eintritt. Nach beendeter Oxydation läßt man den Apparat erkalten und saugt dann, nach Entfernung der Stickstoff- tetroxydkugel, einen sehr langsamen Luftstrom durch den Apparat, um die Stickoxyde daraus zu verdrängen. Der Luftstrom geht in derselben Richtung wie vorher der Sauerstoffstrom. Dann wird der Apparat in die Wage gehängt und nach einer Stunde gewogen. Um etwa noch vor- handene Stickoxydreste zu entfernen, löst man das sublimierte Selendioxyd mittels der Lötrohrstichflamme von der Gefäßwandung ab, läßt es durch schwaches Klopfen herunterfallen, sublimiert noch einmal und leitet nach dem Erkalten wiederum trockene Luft durch den Apparat, der nun zum zweiten Male gewogen wird. Dieselbe Operation kann bei nicht aus- reichender Gewichtskonstanz noch einmal wiederholt werden. Daß das Selendioxyd dann wirklich frei von Stickoxyden ist, wurde durch die Diphenylreaktion nachgewiesen, die noch sehr minimale, gravimetrisch gar nicht nachweisbare Spuren von N,O, durch Blaufärbung anzeigt, hier aber versagte.e. Durch den Geruch konnte N,O, nicht festgestellt werden. Zu erwähnen ist noch, daß beim Trocknen des Selens die Luft, die in den Apparat gesaugt wird, durch eine frischgefüllte Phosphorpentoxyd- röhre gehen muß, die jedenfalls noch nicht mit Stickstofftetroxyd in Berührung gekommen ist. Das Stickstofftetroxyd, das in der Pentoxydröhre oft recht lange fest gehalten wird, würde sonst eine vorzeitige, teilweise Oxy- dation des Selens bewirken, die zu großen Fehlern Veranlassung geben kann, 140 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Auch beim endgültigen Vertreiben der Stickoxyde aus dem Dioxyd wird man diese Röhre verwenden, die man für diesen Zweck von vornherein reserviert. Versuche zur Reduktion von Selendioxyd mit Hilfe trockener Gase. Es wäre sehr vorteilhaft, wenn das durch trockene Oxydation er- haltene Selendioxyd auch wieder auf trockenem Wege in demselben Apparate zu Selen reduziert werden könnte. Die Versuche, die in dieser Richtung angestellt worden sind, haben leider nicht zu dem gewünschten Ziele geführt. 1) Trockenes Wasserstoffgas reduzierte trockenes Selendioxyd, selbst beim Erhitzen bis zum Sublimieren, nicht. Mit dieser Beobachtung stehe ich im Widerspruch mit den Angaben von A. Klages!), wonach bei Ein- führung trockenen Wasserstoffs in ein Reagensrohr mit etwas „seleniger Säure‘ unter lebhafter Lichterscheinung die Abscheidung des Selens statt- findet. 2) Trockenes Schwefeldioxydgas wirkt ebenso wenig auf trockenes Selendioxyd (im Gegensatz zur wässrigen Lösung) ein, was auch schon von anderer Seite bemerkt worden ist?). 3) Auch Kohlenmonoxydgas zeigte keine Reduktionswirkung gegen- über Selendioxyd. 4) Ammoniakgas, das in wässrigen Lösungen von seleniger Säure Ammoniumsalze bildet, zeigt sich trockenem Selendioxyd gegenüber als starkes Reduktionsmittel. Bei gewöhnlicher Temperatur ist keine Ein- wirkung zu beobachten. Erst bei etwa 100° tritt im lebhaften Ammoniak- gasstrom eine sehr heftige Reaktion unter eigener Wärmeentwickelung auf, wobei das Selen sogar schmilzt. Auch kleine Flämmchen zucken dabei auf. Nach Michaelis?) verläuft die Reaktion nach der Gleichung 3Se0O, —4NH, =3Se -+4N -- 6 H,0. Führt man den Versuch recht vorsichtig in einem senkrecht stehenden Reagenrohr aus, auf dessen Boden etwas trockenes SeO, liegt und in das ein Kapillarrohr taucht, durch das ein sehr langsamer, regulierter Ammoniakgasstrom eindringt, so wird das Selendioxyd bei genügend hoher Temperatur (von ca. 100° an) sehr ruhig reduziert. Da aber bei dieser Reaktion Wasser entsteht und dieses das übrige Selendioxyd feucht macht, so hört die Reaktion bald wieder auf, bevor das ganze Selendioxyd reduziert ist. Erst wenn man die Temperatur so hoch steigert, daß die gebildete selenige Säure wieder zerfällt und das Wasser verdampft (s. Tension der selenigen Säure H,Se0, = H,O + 1) Chem. Ztg. 22. 449. (1898); C. Bl. 1898. II. 253. 2) Vgl. Ladenburg, Handwörterbuch der Chemie Bd. X. S. 607. 3) 2. [2] 6. 460. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 141 SeO,), geht die Reduktion weiter. Natürlich ist die Verwendung des Ammoniaks zur Reduktion darum auszuschließen, weil dabei so hoch er- hitzt werden muß, daß eventuell Selendioxyd entweicht. Die Bildung des Wassers wäre kein so großer Nachteil, weil ja Selen leicht ohne Verluste getrocknet werden kann. Reduktion des Selendioxyds mit Hydrazinhydrat. Um das im Quarzapparat gebildete Selendioxyd zur Kontrolle wieder zu Selen zu reduzieren, wurde es unter Beobachtung allergrößter Sorg- falt und Sauberkeit in den eigens zur Reduktion konstruierten Apparat (s. Figur) durch das Trichterrohr mit heißem Wasser hineingespült. Um sich davon zu überzeugen, ob das Selendioxyd wirklich quantitativ aus dem Quarzapparat entfernt ist, spült man noch einmal mit wenigen cem Wassers nach und macht mit 1 ccm die Jodkalistärkereaktion. Fällt diese wider Erwarten positiv aus, so schätzt man die Menge des in diesem einen ccm enthaltenen Selendioxyds und spült den Quarzapparat noch ein- 142 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. bis zweimal mit wenig Wasser aus. Der Reduktionsapparat, der mit zwei Schliffen zum Auseinandernehmen und besseren Reinigen versehen ist, ist so konstruiert, daß Selendioxyd sich nicht verflüchtigen kann. Durch das Triehterrohr, durch das man ca. 10° ,iges Hydrazinhydrat sehr langsam zu- tropfen läßt (durch Drehung des unteren Schliffes zu regulieren), kann kein Dampf entweichen, sondern muß über das Kugelventil rach der mit Wasser beschickten Vorlage, die man durch kaltes Wasser öfter kühlt. Jedenfalls muß ein Entweichen von Wasserdampf vermieden werden. Läßt man den Apparat während des Versuches mitunter etwas abkühlen, so wird die Vorlageflüssigkeit von selbst zurückgesaugt und spült dabei gleichzeitig etwa hochgespritztes Selen oder Selendioxyd aus der Röhre mit dem Kugelventil mit fort. Die Vorlageflüssigkeit muß natürlich immer wieder ersetzt werden. Das Kugelventil hat den Zweck, bei etwa zu heftig auftretender Reaktion, die ja mit Entwickelung reichlicher Mengen Stickstoff verbunden ist, das Hochspritzen von Selenteilchen zu verhindern. Man wendet verdünntes Hydrazinhydrat an, weil stärker konzentrierte Lösungen oft ein rasches Zusammenbacken des Selens zu einem sehr porösen Kuchen bewirken. Das Selen fällt im ersten Augenblick rot aus, wird aber sehr rasch schwarz, Tritt auf erneuten Zusatz von Hydrazin- hydrat keine Rotfärbung mehr auf, so ist die Reduktion beendet. In einem größeren Überschuß von Hydrazinhydrat löst sich ein Teil des Selens mit roter Farbe zu Polyseniden (vgl. S. 34), die auch bei längerem Kochen beständig sind. Durch Zusatz von wenig Salzsäure tritt augenblickliche Zersetzung ein, und man erhält eine vollständig wasserklare Flüssigkeit mit rein schwarzem pulverförmigem Selen, das in einem zur Konstanz gewogenen Neubauertiegel mit Benutzung der Saugflasche hineingespült und mit heißem Wasser gewaschen wird. Das Filtrat wurde, wie zu erwarten war, vergeblich mit Hilfe der Jodkalistärkereaktion auf eleniges Säure geprüft. Der Neubauertiegel wurde dann im Anilinbad bei ca. 170° mehrere Stunden erhitzt, nach dem Erkalten im Exsikkator in die Wage gestellt und nach einer Stunde gewogen. Das Trocknen wurde bis zur Gewichtskonstanz fortgesetzt. Obwohl nach diesem Verfahren theoretisch vollkommene Sicherheit besteht, daß man so alles Selen wiedergewinnen kann, so wird doch in- folge der mannigfaltigen Manipulationen selbst bei Beobachtung aller- größter Sorgfalt sich manchmal ein Versehen einschleichen, das gar nicht bemerkt wird und das Resultat zu niedrig ausfallen läßt. Aus diesem Grunde ist auch nur in wenigen Fällen (so auch bei dem schon er- wähnten Versuche im Glasapparate, s. S. 45) das Selen vollständig quantitativ zurückerhalten worden. Doch genügen diese wenigen gelungenen Reduktionen vollständig zum Beweis dafür, daß die hier angewendete Oxydationsmethode einwandfrei ist, zumal da sie stets sehr gut überein- stimmende Resultate lieferte. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 143 Die Wägung. Zum Wägen wurde eine von Bunge bezogene Wage verwendet, die schon von A. Ladenburg!) und Jul. Meyer zu Wägungen bei Atomgewichts- bestimmungen benutzt worden war. Sie gestattete bei Benutzung einer Fernrohrablesung, Differenzen von 0.00001 g zu bestimmen. Die Gramm- gewichte waren aus Messing und stark platiniert. Die Dezi- und Zenti- grammgewichte waren aus durchsichtigem Quarz, Die Gewichte von 0.01 bis 5 g wurden von mir nach einer von Th. W. Richards?) mitgeteilten, für unseren Gewichtssatz (1, 2, 2, 5) angepaßten Methode kalibriert. Der zu wägende Apparat war durch eine Tara von demselben Material bis zur 4. Dezimale genau austariert, der Quarzapparat durch ein Quarz- reagensrohr und einen (Juarztiegel, die mit den nötigen Mengen von Quarz- stücken gefüllt waren. Auf beiden Seiten war auch dasselbe Gewicht an dünnem Platindraht, der zum Aufhängen diente, verwendet. Auch der Neubauertiegel war durch einen anderen mit Platinstückehen austariert. Auf diese Weise waren die erforderlichen Gewichtsstücke niemals groß, und Fehler wegen der Änderungen der metereologischen Verhältnisse wurden vermieden. Die Wägung wurde stets nach derselben Zeit (einer Stunde) vorgenommen, um den Fehler, der durch etwaige Bildung einer Wasserhaut an den Gefäßen entstehen könnte, auszumerzen. Vor und nach jeder Wägung wurde die Abweichung vom Nullpunkt bestimmt und die Wägung dahin korrigiert. Zum Reduzieren der Gewichte in Luft auf Gewichte im Vakuum nach der Formel?) M = m (\ -1- - —_ a) wo m das scheinbare Gewicht in der Luft, A die Dichtigkeit der Luft, s das spez. Gewicht des gewogenen Körpers und o das spez. Gewicht der Gewichtsstücke ist, wird das spez. Gewicht des „grauen kristallinischen oder metallischen“ Selens nach Saunders‘) mit 4.30, das des Selendioxyds nach Clausnitzer mit 3.95 an- genommen. Das spez. Gewicht des Quarzes ist 2.65, das der Messing- gewichte 8.40. — Wenn keine bedeutenden Änderungen von Druck und Temperatur stattgefunden hatten, konnte die Korrektion auf das Vakuum gesetzt. werden gleich X X (Vol. von 1 g Subst. — Vol. von 1 g Gew.), also gleich m-A (=— I); Die Änderung des Luftdruckes ist ohne merk- s 1) Berl. Ber. 35. 2278. (1902). 2) Z. phys. Ch. 33. 603. (1900). 3) Vgl. Kohlrausch, Lehrb. d. prakt. Physik S. 60. 4) Journ. Phys. Chem. 4. 423. 144 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. lichen Einfluß auf die Volumenkorrektion. Denn bei den größten von mir beobachteten Barometerschwankungen von 15 mm ändert sich das Gewicht der Luft nur um rund 2 °,, und eine Änderung der Korrektion um 2°, würde in unserem extremsten Falle, wo 5 g Selen verwendet wurden, erst 0.00001 betragen, für die übrigen Fälle aber ganz zu ver- nachlässigen sein. Die Korrektion für 1 g Selen, mit Messinggewichten gewogen, beträgt —- 0.000107, mit Quarzgewichten gewogen — 0.000202. Für Selendioxyd sind die entsprechenden Korrektionen — 0.000162 und — 0.000148, Die Ergebnisse aus zehn Bestimmungen sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt: Gew. d Gew. d : ew. des ew. des A Gen. ce Gew. des red. Se für Luft für d. Vak. inf No. Gew.desSe Gew.desSe Se0s S20s in Luft imVakuum ;,„ Luft im Vakuum 1 2.32292 2.532307 3.26204 3.26249 79.140 79.132 2 2.00141 2.00162 2.831063 2.381084 79.137 79.152 3. 2.14159 . 2.141738 3.00740 -3.00789 79.1387 79.132 2347553 4 3.296058 3.296344 4.623876 4.629352 79.144 . 79.135 329610 5 2.10428 2.10447 2.95504 2.95522 79.134 79.153 6 4.852514 4.82540 6.77549 6.776355 79.168 79.148 7 2.43466 2.43479 3.41893 3.41935 79.124 79.135 2.43463 8. 5.931480 5.931515 .8.50545 8.30640 779.172 799046 9 2.952044 2.95206 4.14520 4.145835 79.173 79.133 2.95206 10 3.27460 3.274839 4.,59851 4.59907 79.1507 7793140 Das arithmetische Mittel der hier gefundenen auf das Vakuum bezogenen Atomgewichtszahlen ist 79.141, ein Wert, der von den zuletzt gefundenen erheblich abweicht, aber durch eine neuere Untersuchung von P, Bruylants und A. Bytebiert) unterstützt wird. Diese beiden bestimmten das Atomgewicht des Selens durch Fest- legung des Molekulargewichtes des Selenwasserstoffes nach der Regnault- schen Ballonmethode und fanden dabei den Wert 79.18. Untersuchungen über basische Derivate des Benzylalkohols, Diphenylmethans und Benzhydrols. Von Prof. Dr. J. von Braun. 1) Bull. Acad. roy. Belgique, Classe des sciences, 1912, 856; C. Bl. 1913, 123. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 145 Untersuchungen über ein zweidimensionales Dispersions- und Absorptionsproblem. Von Helene Stallwitz. ST. Problemstellung. Die vorliegende Arbeit soll versuchen, die Theorie der Dispersion und Absorption eines Mediums aufzustellen, in das zylindrische Hindernisse ven unendlicher Länge eingelagert sind, Wir schreiben diesen Zylindern i. A. sowohl eine Dielektrizitätskonstante, als auch Leitfähigkeit zu, und werden dann den Fall dielektrischer Zylinder sowie solcher von unendlicher Leit- fähigkeit als Spezialfälle behandeln. Wir gehen dabei zunächst aus von der Betrachtung eines einzelnen Zylinders vom Radius p, auf den elektromagnetische Wellen von der Wellenlänge X auffallen; vorausgesetzt wird, daß das Verhältnis © klein gegen 1 ist. Die von einem Zylinder hervorgerufene Störung ergibt sich in der Form einer unendlichen Reihe, die sich für kleine Argumente G) auswerten läßt. Das Problem der Beugung an einem einzelnen, und zwar an einem leitenden!), sowie an einem dielektrischen?) Zylinder, ist bereits voll- kommen behandelt worden. Im Anschluß daran haben Cl. Schaefer und und F. Reiche die Theorie eines ebenen Beugungsgitters?) aufgestellt. Sie betrachten ein Medium, in diesem Falle das Vakuum, in dem längs eine- ausgezeichneten Richtung 2 (N -- 1) unendlich lange Stäbe von beliebigem Material in einer Ebene aufgestellt sind. Es ist, wie beim Beugungsgitter ı) W. Seitz: Die Wirkung eines unendlich langen metallischen Zylinders auf Hertzsche Wellen. Ann. d. Phys. 16, p. 746, 1905, vgl. dazu die Bemerkung auf p. 6 dieser Arbeit. W. v. Ignatowsky: Reflexion elektromagnetischer Wellen an einem Draht. Ann. d. Phys. 18, 1905. W. Seitz: Die Beugung des Lichtes an einem dünnen zylindrischen Drahte. Ann. d. Phys. 21, 1906, p. 103. 2) Cl. Schaefer: Über die Beugung elektromagnetischer Wellen an isolierenden zylindrischen Hindernissen. Sitzungsbericht d. Kgl. preuß. Akademie der Wissen- schaften, 1909. Cl. Schaefer u. F. Großmann: Untersuchungen über die Beugung elektro- magnetischer Wellen an dielektrischen Zylindern. Ann. d. Phys. 31, 1910. 3) Cl. Schaefer und F. Reiche: Zur Theorie des Beugungsgitters. Ann. d. Phys. 35, p. 817, 1911. 1913. 10 146 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. natürlich, vorausgesetzt, daß die Gitterkonstante groß gegen die Wellen- länge der auffallenden Strahlung ist, so daß eine gegenseitige Beeinflussung der Gitterstäbe zu vernachlässigen ist. Wir knüpfen im folgenden an die Arbeiten von Cl. Schaefer an; der Unterschied der vorliegenden Untersuchungen gegen die letztgenannte Arbeit besteht darin, daß wir ein Medium betrachten, in dem zylindrische Hindernisse von unendlicher Länge parallel einer ausgezeichneten Richtung räumlich angeordnet sind und zwar derart, daß ihre Abstände klein gegen die Wellenlänge der sich in dem Medium fort- pflanzenden Welle sind. Dieser Umstand gestattet die Bildung der für alle Dispersionstheorien notwendigen Mittelwerte, was beim Beugungs- gitter selbstverständlich nicht in Frage kommt. Das analoge Problem für kugelförmige Hindernisse liegt bereits gelöst vor. Die Beugung an einer einzelnen Kugel hat am vollständigsten Gustav Mie!) hehandelt. Er berechnet die Intensität des durch ein kugel- förmiges Partikelchen zerstreuten Lichtes und die dadurch bedingte Schwächung des auffallenden Lichtes hinter demselben. Durch Multi- plikation des Resultates mit der Anzahl der in einer unendlich verdünnten kolloidalen Lösung suspendierten Partikel erhält er die Extinktion dieser Lösung. Das Verfahren läßt sich natürlich nur anwenden, weil der Ab- stand der beugenden Partikel von einander als groß gegen die Wellen- länge betrachtet wird, gleichzeitig aber die Meßmethoden so roh sind, daß noch Mittelwerte gebildet werden können; wäre das nicht der Fall, so würde die ganze Methode versagen. Einen Versuch, den Brecehungsexponenten einer derartigen Lösung, auch bereits für stärkere Konzentrationen, d. h. für kleinere Abstände der Partikel, aufzustellen, hat Maxwell Garnett?) gemacht. Er betrachtet ein Medium, das sehr kleine metallische Kugeln enthält, z. B. Rubinglas. Seine Ausführungen schließen sich an ältere Lord Rayleigh’s?) an. Die von M. Garnett aufgestellte Formel für den Breehungsexponenten gibt jedoch die Extinktion durch seitliche Ausstrahlung, z. B. bei dielektrischen Kugeln, nicht wieder; sie ist also nicht geeignet, die experimentell beobachtbaren Phänomene rechnerisch darzustellen. 1) Gustav Mie: Beiträge zur Optik kolloidaler Goldlösungen. Ann. d. Phys. 25, p. 377, 1908. 2) Maxwell Garnett: Colours in Metal glasses and in Metallic films. Philo- sophical Transactions of the Royal Society of London, 1904, vol. 203, p. 385. M. Garneit: Colours in Metal glasses, in Metallic films and in Metallic solutions; 1. c. 1906, vol. 205, p. 237. 3) Lord Rayleigh: Phil. Mag. 44, p. 28, 1907. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 147 Von größerem Interesse für unser Problem sind drei Arbeiten von M. Planck!.) Planck betrachtet einen isotropen Nichtleiter, den er so auf- faßt, als ob er aus Vakuum bestände, in das Hertzsche Dipole eingelagert sind. Die Abstände der Dipole sind klein gegen die Wellenlänge, die sich in dem Nichtleiter fortpflanzt. Planck berechnet die ein Molekül erregenden Kräfte mit Hilfe des dreidimemsionalen Hertzschen Vektors und findet für den Brechungsexponeuten eine Formel, die sich im wesent- lichen mit der bekannten Lorenz-Lorentzschen Formel deckt. Die erwähnte Arbeit von Mie wird schließlich ergänzt und erweitert durch R. Gans und H. Happel?). Die Verfasser dehnen ihre Unter- suchungen auch auf „homogene“ Lösungen aus, d. h. solche, in denen der Abstand der suspendierten Teilchen klein gegen die Wellenlänge der sich in dem Medium fortpflanzenden Welle ist. Gans und Happel benutzten die allgemeine Methode der Elektronentheorie von H, A. Lorenz, die auch wir bei dem vorliegenden Zylinderproblem anwenden werden. Wir werden zunächst die Maxwellschen Gleiehungen für einen ein- zelnen Zylinder aufstellen und die Maxwellschen Kräfte, d. h, die Vektoren e und h, auf ein Vektorpotential a zurückführen. Wir gehen dann von einem einzelnen Zylinder über zu einem Medium, wie wir es oben beschrieben haben: In das Vakuum seien parallel einer ausgezeichneten Richtung Zylinder vom Radius p eingelagert; sowohl p als auch der Abstand der Zylinder sei klein gegen die Wellenlänge der sich in dem Medium fortpflanzenden Störung. Außerdem sei aber auch p klein gegen den Abstand der Zylinder von einander; diese Voraussetzung, daß der von Zylindern freie Raum groß gegen den von den Zylindern eingenommen sei, ist nötig, damit wir die Maxwellschen Gleichungen auf das Medium anwenden können. Diese Annahme muß für jede Dispersionstheorie gemacht werden’), Für dieses Medium bilden wir mit Hilfe einer Mittelwertsbetrachtung ebenfalls die Maxwellschen Kräfte & und 5 und leiten sie auch von einem Vektor- potentiale X ab. Die Maxwellschen Kräfte setzen sich zusammen aus der Wirkung sämtlicher, in dem Medium enthaltenen Zylinder. Mit den Maxwellschen Kräften & und 9 vergleichen wir die og. „erregenden Kräfte‘, Darunter verstehen wir die Vektoren € und 9), ı) M. Planck: Die elektromasnetische Dispersion in insotropen Nichtleitern. Sitzungsber. der Kgl. preuß. Akademie der Wissenschaften,. 1902, I p. #70. M. Planck: Zur elektromagnetischen Theorie der selektiven Absorption in isotropen Nichtleitern. 1. c. 1903, p. 480. M. Planck: Über die Extinktion des Lichtes in einem optisch homogenen Medium von normaler Dispersion. 1. c. 1904, p. 740. 2) R. Gans und H. Happel: Zur Optik kolloidaler Metalllösungen. Ann. d. Ehys. 29, p. 277, 1909. 3) Vergl. z. B. Planck, Gans und Happel, 1. c. 10* 148 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. die einen Zylinder zu Schwingungen veranlassen. Jeder Zylinder wird offenbar durch die von allen übrigen Zylindern ausgehenden Störungen erregt, während die Störung, die er selbst hervorruft, keinen Anteil an & und $5 hat. Die erregenden Kräfte sind ebenfalls von einem Vektor- potentiale A’ ableitbar. Der Unterschied, der zwischen & und 9 einerseits, und € und 9 andererseits besteht, besteht natürlich auch zwischen den Vektorpotentialen X und %: nämlich, zu A tragen alle Zylinder bei, zu W alle Zylinder mit Ausnahme desjenigen, den wir gerade betrachten, und der durch die übrigen zu Schwingungen angeregt wird. Indem wir die Potentiale A und W vergleichen, gelingt es uns, durch einfache Differentia- tionen die erregenden Kräfte durch die Maxwellschen auszudrücken. Stellen wir nun noch auf elektronentheoretischem Wege die dielektrische Verschiebung D = € & und die magnetische Induktion 8 = u Sher, 80 erhalten wir Gleichungen für e und ı, d. h. für Mittelwerte der Dielektrizitäts- konstante und der Permeakilität, und aus diesen beiden Werten finden wir den Brechungsexponenten und den Absorptionskoeffizienten des Mediums. 82. Lösung für einen einzelnen Zylinder. Wir nehmen im folgenden an, daß das die zylindrischen Hindernisse umgebende Medium das Vakuum sei. Das Endresultat gilt für jedes be- Richtung «x ER der ein- fallenden Welle. liebige Medium, wenn man c durch v, d.h. die Fortpflanzungsgeschwindig- keit im Vakuum durch die in dem betreffenden Medium ersetzt. Wir legen einen Zylinder von unendlicher Länge und dem Radius p parallel der z-Achse, nennen die Mittelpunktskoordinaten seines Querschnittes (&, %) und lassen eine ebene polarisierte Welle in Richtung abnehmender x ein- fallen. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 149 Stellen wir hierfür die Maxwellschen Gleichungen auf, so zerfallen sie in zwei vollkommen getrennte Gruppen. Die erste umfaßt die Kom- ponenten E,, 9,, Do und entspricht der Voraussetzung, daß die elektrische Kraft parallel der Zylinderachse ist; die zweite umfaßt die Feldgrößen 97 Er, En und entspricht der Voraussetzung, daß die elektrische Kraft senkrecht zur Zylinderachse ist. Wir behandeln zunächst den ersten Fall; die Betrachtungen für den zweiten Fall ($ 10) sind vollkommen analog. Im ersten Falle lautet die Gleichung der einfallenden Welle: . x E Gr cs (: Zi *) (1) Die Maxwellschen Gleichungen lauten in Zylinderkoordinaten: o€ 4 10 1 09, e 0%, TO en Bl Dr le ur Ze zo) 2 a 1 09, 1 0%, Dame Nee Do 1 dd _ 06 ce & or) e wobei o die Leitfähigkeit, e die Dielektrizitätskonstante, e die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit im Vakuum bedeutet. Ferner ist: r?—= (x — 8)? --(y— nn)’ Die Differentiationen nach r sind so zu verstehen, daß (&, n) konstant bleibt und der Aufpunkt (x, y) sich verschiebt. Die Differentiationen nach z fallen fort, Zu diesen Gleichungen treten die Grenzbedingungen, daß die tan- gentiellen Komponenten der elektrischen und magnetischen Kräfte beim Übergange von einem Medium zum anderen, d. h. an der Oberfläche der Zylinder, stetig bleiben müssen. Bezeichnen wir die auf den Außenraum bezüglichen Größen mit dem Index 1, die dem Innenraume der Zylinder entsprechenden mit dem Index 2, so ist an der Stelle r = p: (E,), = (Ez) a 3 Soı men (Do) b @) oder wenn wir (3b) nach t differentiieren: Be Das ist nach den Maxwellschen Gleichungen (2c): Dazu tritt die ee daß im encikler die Störung ver- schwinden, also dort nur die ebene Welle vorhanden sein soll. Es ist also: en el) (4) 150 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, Differentiieren wir (2a) nach t, wobei wir der Kürze halber &, = € setzen, so erhalten wir: sate Anaoc mar, 1 9 A er ee) Dabei ist: 1 829. Ai ae Tr Oct Tatra do! 1 02 0 92 186 € er a ea 0 Also ist: e Em 1 2E, 1 re Bo a 6) Um Gleichung (5) in bezug auf den Zylinder an der Stelle (&, n) zu integrieren, setzen wir: j EN oo ou Z Q 08 mp, 0 wobei Q,, eine Funktion von r — VY&—5°-+(@—n)? allein bedeutet. Führen wir diesen Ausdruck für & in Gleichung (5) ein, so erhalten wir: 2 4 rino m? d?Q dQ n“e > | m 1 m FroU 2 2 Br el. c c en =), (6) dr? r dı SE \ m Im Außenraume ist: 2 2 el Ds Am 1 e? 12 Im Innenraume des Zylinders ist: 2 n 2 . ee 4 ring 2 Ans, 33 8 nio 2 c? e? x? cA Gleichung (6) ist die Besselsche Differentialgleichung, als deren all- gemeines Integral wir aus Gründen, die in der Literatur!) bereits klar- gelegt sind, ansetzen: near en Oo Z dp Im EI + Ay ) Km Er) — Zn ir) I» (7) wo kn (kr)? (kr)! Unakr) ln oe erg) = 2.4 (2m 2) en: KK. kd)=J, (kr) In = ee I) ist. 1) Vgl. z. B. W. v. Ignatowsky: Reflexion elektromagnetischer Wellen an einem Draht. Ann. d. Phys. 18. 1905, p. 522. Anm. gegen Seitz. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 151 Bezeichnen wir die Werte k,r durch p, — Außenraum —, k,r durch pg — Innenraum —, so folgt für den Außenraum: ;=e dr, In Bd + A Em (3) — I Ri)) Jeoamy, m (3a) für den Innenraum in € —+ = )o. in &=e Z Ds In(Pz) 4 Am Kun Pe) — 2 Im Pe) !eosmp. m (8b) Die Koeffizienten sind durch die Grenzbedingungen bestimmbar., Es ist!): = : m ®) gm Se ee 1 IT a un we In (T,) 32 7) Zu k, In (7,) wo z, und r, die Werte von p, und p, an der Zylinderoberfläche sind. Für m = 0 fällt links der Faktor 2 fort. Ferner ist: b, =], Din — 20 an > 9. Letzteres ist darin begründet, daß im Innenraume des Zylinders nur J_, brauchbar ist, da es dasjenige Integral ist, das für r — 0 endlich bleibt. Beschränken wir uns auf die Welle im Außenraume, so finden wir: in € + J) 0,00 in IR | 2 am }Km Beh N cos mp + I, (9) 1,00 (10) + 221" 7, (Pı) cos mp| ; m Nun ist?): 1,00 .izeapg=Ih@) + 2 > I Im @) cos mp. Daraus folgt: t En u Ir 2 m IR Do) cos mp Held: ©s?|.cın 1) Vgl. z.B. Cl. Schaefer u. F. Großmann: Untersuchungen über die Beugung elektromagnetischer Wellen an dielektrischen Zylindern. Ann.d. Phys. 31. p.461. 1910. 2) Vgl. Gray and Mathews; A Treatise on Bessel functions, p. 18, 1895. 192 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. In Gleichung (11) ist: in & { ( 3 r a) 6 (:+.) oPı SOEP a Is ar G ie c _ t ul) in + ) ® 6 c S = 6 = €. & ist nach Gleichung (1) die einfallende Welle. Daher ist nach Gleichung (11) die „reflektierte‘‘ Welle: & A (+ IF u )) old coa my. (12) S 3. Darstellung der Wirkung eines einzelnen Zylinders durch geeignete Anordnung von Wechselströmen. Die von einem Zylinder „reflektierte‘‘ Welle setzt sich nach Gleichung (12) des vorigen Paragraphen in folgender Weise aus einer Anzahl Partialwellen zusammen: in € -- s) 1% Q,(kır) + 2,Q, cos pP + a,Q, c0os2p +.. y (13a) Aus den Maxwellschen Gleichungen (2) folgt dann: ae ha= a t=&e 0, (kır) + a,Q, cosp + 3,Q, cos2p 4. | (3b) Die einzelnen Glieder sind einer einfachen Deutung fähig. Berücksichtigen wir nur das erste Glied, so ist in leicht verständlicher Bezeichnung: ir .ım (t + :) 6 =e 0, kn), a (14) in (t + ) do, = 1 © 9: (Kin): b Für kleine Argumente — und nur solche kommen in Betracht, da die Zylinder nach Voraussetzung sehr dicht liegen — ist: ; 1 Sn dre 5 (15) : in\t-— - lo), 2100 ( 0 ) de, kr & . Das magnetische Feld in der Nähe eines Zylinders ist also propor-. : 1 tional ES das entspricht aber dem Felde eines unendlich langen geradlinigen Stromes. Die Wirkung unseres Zylinders ist also in erster Annäherung, II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 153 d. h. bei Beschränkung auf das erste Glied, durch diejenige eines linearen geradlinigen Wechselstromes zu ersetzen. Die Achse des Stromes liegt parallel der z-Achse. Gans und Happel, die die Beugung an einer Kugel behandeln, spalten die reflektierte Welle ebenfalls in einzelne Glieder auf. Das erste Glied entspricht bei ihrem Problem dem Felde eines Dipoles, dessen Achse parallel der z-Achse liegt, wenn der elektrische Vektor parallel der z-Achse gerichtet ist. Betrachten wir das zweite Glied, so finden wir: & jo nt 2) 5 k cos op, a a, ” (kr) P (16) in € + :) do, = ia e® Q, (kn) cos g. b Für kleine Argumente ist , 1 Q = k,? r? 1 Se —); Q, cos Y k,?r2 auaaE ae) serie ) r en Te a (17) TE ‚28x k Das Glied = (-—) zeigt, daß Do, dem Felde zweier Ströme ent- AUB spricht, die um das feste Stück h gegeneinander verschoben sind, wie es die Figur 2 zeigt. Fig. 2. Das Feld zweier paralleler, aber entgegengesetzt gerichteter Ströme, deren Querschnittsmittelpunkte um h gegeneinander verschoben sind, ist nämlich proportional (O.n-0)-50» wenn wir die Differenz nach dem Taylorschen Lehrsatze entwickeln und beim ersten Gliede abbrechen. Wir führen also die zweite Partialwelle 154 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. auf einen „Doppelstrom“ zurück und erhalten wieder das vollkommene Analogon zu den Betrachtungen von Gans und Happel. Das Feld einer beugenden Kugel entspricht nämlich in zweiter Annäherung dem Felde eines „Doppeldipoles“ mit parallelen, aber entgegengesetzt gerichteten Achsen. Betrachten wir das dritte Glied, so ist: & Be oe 5 in(t | & ; Do, = —.Le ee o) für kleine Argumente ist: r — 4 Q kn)= kön Q, (kr) cs2y = SE - (eos? — sin? y) u (> a) FE kr: r? un ae _,ı (eQ_»@ BET IKEN or On 1 Ben in(t a ) @ © 2:08 G) (19) a am5° an: ya Dr, entspricht dem Felde von vier Doppelströmen, die in folgender Weise angeordnet sind: Wir haben eine zweimalige Verschiebung, sowohl in Richtung der x-, als auch der y-Achse, aber wie das wechselnde Vorzeichen zeigt, in beiden Richtungen in entgegengesetztem Sinne. Für einen Doppelstrom II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 155 1 hatten wir das Feld h = (+) gefunden. Verschieben wir zwei Doppel- ströme gegeneinander, so ist: 02 ( 0 C 0) &) ox eg r/x ox? Das Analoge gilt für die y-Richtung. Damit ist die obige Deutung von do, begründet. Figur (3) ist der Deutlichkeit halber auseinandergezogen; in Wahrheit sind die Verschiebungen infinitesimal, so daß sich die Quer- schnitte teilweise überdecken. Bim 4 h — h? B) Die Tatsache, daß wir die Wirkung eines einzelnen Zylinders auf elektromagnetische Wellen durch diejenige geeignet angeordneter, unendlich langer Wechselströme ersetzen können, gestattet uns, die Polarisation des vorliegenden Mediums zu berechnen, d. h. eines Mediums, in das Zylinder eingelagert sind. Ss 4, Der Begriff der Polarisation. Die Elektronentheorie versteht unter der Polarisation eines Mediums die Vektorsumme der Momente aller in der Volumeneinheit enthaltenen Moleküle, resp. bei einem Problem, wie es Planck und Gans und Happel behandeln, die Vektorsumme der Momente aller in der Volumeneinheit enthaltenen Dipole. Bei unserem Problem treten nun an Stelle der Dipole einzelne Ströme, Doppelströme, oder Aggregate von Doppelströmen auf. Was wir als Moment dieser Ströme aufzufassen haben, ist a priori nicht ersichtlich, wird sich aber im-Laufe der Betrachtung ergeben. Da die Zylinder parallel der z-Achse liegen, und durch geradlinige Ströme in derselben Richtung ersetzt werden können, so weist jede Ebene, die senkrecht zu den Zylinderachsen durch das Medium gelegt wird, genau den gleichen Zustand auf. Es wird also genügen, wenn wir eine dieser Ebenen, die xy-Ebene betrachten; sie enthalte pro Flächeneinheit N Zylinderquerschnitte. Wir hatten in Gleichung (15) gefunden, daß der jedem Zylinder äquivalente Strom in erster Annäherung das Magnetfeld hervorruft: ee „inle+). dp "hir Ich berechne nun den diesem Magnetfelde äquivalenten Strom J durch die Gleichung: Am wo s die Kontur einer mit einem Zylinderquerschnitt konzentrischen Kreisfläche ist, 156 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Aus Gleichung (20) folgt: 4r Und ee ya, _4in in +8) 91 I ea: Ä er) Da ich in der Flächeneinheit N Stromquerschnitte habe, so ist die „Strömung“, d. h. der Strom durch die Flächeneinheit: | N. (22) Denken wir uns diese Strömung hervorgerufen durch bewegte Elektronen, so ist nach einem Satze der Elektronentheorie'): Rn eu ö To )) NJ=ph = a o v ist der Mittelwert des Produktes aus der Dichte der Elektrizität und der Geschwindigkeit der den Strom J erzeugenden Elektronen. Dieser Mittelwert ist —= der zeitlichen Ableitung der Polarisation. Die ganz allgemein geltende Gleichung (23) benutzen wir zur Definition der Polari- sation in unserem Problem. Wir versehen ® mit dem Index O, um an- zudeuten, daß %, diejenige Polarisation ist, die durch die erste der reflektierten Partialwellen hervorgerufen wird. Da nach Gleichung (23) und (21) £ nı-'% Na, un „alt+}) (23) ot ea ist, so ist die Polarisation der Volumeneinheit, die der ersten Partial- welle entspricht: & | N’a, ın (t ;) al Aus Gleichung 24 geht hervor, daß die Polarisation proportional der erregenden Welle ist. Ist diese & oder 9, so ist die Polarisation: R= Se & oder a 9: (24a) Laut Definition ist: Bo —N do (26) d. h. = der Vektorsumme der Momente aller eine Flächeneinheit durch- setzenden Einzelströme. Wir erhalten also aus Gleichung (24) und (25) für das Moment eines Einzelstromes den Wert: ei) 6) 1) Vgl. z. B. M, Abraham: Theorie d. Elektrizität, II, 1905, p. 258. 2) Um mit der Bezeichnungsweise der Elektronentheorie in Einklang zu bleiben, bedeutet hier p die Dichte der Elektrizität; eine Verwechselung mit dem Radius p der Zylinder ist wohl ausgeschlossen. Vergl. auch p. 14 u. 15. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 157 Um die Polarisation zu finden, die dem zweiten Gliede der reflektierten Welle entspricht, müssen wir berücksichtigen, daß wir es mit zwei ent- gegengesetzt gerichteten Strömen zu tun haben, die um das feste Stück h gegeneinander verschoben sind. Es tritt daher nach der Elektronen- theorie an Stelle von p v der Ausdruck): Nov = od u (ov E = — — Npv (p ve PVELH je. Wir definieren nun folgendermaßen: OB rer Van — dl also ist: = & ov en (5 S (27) %, finden wir aus der Beziehung: I 2 J a 2) r, und r, sind die Entfernungen des Aufpunkten von den Zentren der beiden kreisförmigen Querschnitte, die dem Doppelstrome angehören. J ist der Strom, der einen dieser Querschnitte durchfließt. Da die Zentren nur um das unendlich kleine Stück h von einander entfernt sind, so ist zussetznen nn —rı; 1 rn =h. Wir erhalten also: 2J h DER ee 28 ) CET Car: 2 Aus den Maxwellschen Gleichungen (2) finden wir für hd den Wert: & ana in(t+ .) 99 h 207 EN r? & SR 23) Aus (28) und (29) folgt: Br & an in(t+. 30 —_ 63 e 0 (30) J’ ist jetzt der dem Magnetfelde des Doppelstromes äquivalente Strom. Die Strömung durch die Flächeneinheit, die wir bei Berücksichtigung der zweiten Partialwelle a ist: nn na ar St le (en Sl) rel aonen 1) Vgl. z. B. H. A. Lorentz: The Theory of Electrons. 1909, p. 16 $ 11. 158 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hieraus geht hervor: Er & OB _Nani,in(t+.): (31) ot 2 k, Aus Gleichung (31) erhalten wir durch Integration nach der Zeit die Polarisation, welche der zweiten reflektierten Partialwelle entspricht: I E on (+) (32) 1 . : ; Be in (: + 3 h Für ®, gilt das gleiche wie für ®,: an Stelle von e c/ tritt die erregende Welle & oder 9. SEN FEN, re & oder IK; 9 - (82a) Aus Gleichung (32) geht hervor, daß als Moment eines Doppelstromes zu bezeichnen ist: er lc) ds) Wir beschränken uns auf die beiden ersten Glieder, da die beiden Koeffizienten a„) der unendlichen Reihe, die die reflektierte Welle darstellt, sehr rasch abnelımen. Beispiele, die wir später anführen werden, zeigen, - daß in gewissen Fällen bereits a, klein von höherer Ordnung wird. 8 5. Methode der Darstellung der elektrischen und magnetischen Kräfte, Wir hatten im vorigen Paragraphen in Gleichung (24) und (32) gefunden: 2) N ine neo sine a, un 2k,? a Na, ä in (1 2) oe : Ferner ist 01) = —— P ot und nach einem weiteren Satze der Elektronentheorie: 2) p=—div$. (34) 1) Hier ist x wieder die Dichte der Elektrizität. 2) Vgl. M. Abraham: Theorie der Elektrizität I, $ 28, p. 259, 1905. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. #159 div® wird in unserem Falle = 0. Also ist: p=—dvp=0. (35) Wir berechnen die elektrischen und magnetischen Kräfte mit Hilfe des Vektor- und skalaren Potentials. Zu diesem Zwecke führen wir an Stelle der Maxwellschen Gleichungen die Gleichungen der Elektronentheorie ein: !) UNE Fr au R , a 09 en st I 36 rot & au b (36) dive=Anp=0, c div9—=0. di) Da ein Vektor mit verschwindender Divergenz stets die Rotation eines anderen Vektors ist, so folgt aus (36 d) in bekannter Weise, daß sich $ aus einem Vektorpotentiale ableiten läßt: H— Tot A. Aus (36 b) folgt damit: 7 rot (ee Zen, C 1 04 (s -- 2 ) ist ein Vektor, dessen Rotation verschwindet, also ein Potentialvektor, der = — grad b gesetzt werden kann, wo b ein Skalar ist. Damit gewinnen wir die bekannte Darstellung der elektrischen und magnetischen Kräfte durch das skalare und Vektorpotential: ro x Brady eo not U. b (37) In den Gleichungen (37) ist X offenbar das vektorielle, M) das skalare Potential, zu deren Berechnung aus (36) und (37) die partiellen Diffe- rentialgleichungen folgen: 21.080 = = —irp=0, a | oB \ = 1: 02 Amp a Ar Un Cure. » 1) Vgl. M. Abraham, 1. c. p. 252. 160 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Gleichung (38a) ist, weil div B==0ist, die homogene Wellengleichung. Da ihre Lösungen für uns nicht in Betracht kommen!), so können wir das skalare Potential d ohne Einschränkung der Allgemeinheit stets — 0 setzen. Es gilt also hier einfacher für die Maxwellschen Kräfte: han ee le 89) = rot A. b A ist aus Gleichung (38b) mit Hilfe der früher aufgestellten Werte P, und ®,, und zwar unter Anwendung des Greenschen Satzes zu be- rechnen. Wir kommen darauf im nächsten Paragraphen zurück. Für die erregenden Kräfte € und $, die wir in $ 1 definiert haben, lassen sich dieselben Überlegungen anwenden. Wir leiten auch sie von einem Vektor- potentiale ab, das wir mit W bezeichnen, und erhalten die Gleichungen: = — — 2 en a ce ot t (40) 9 = rot I. b_J Um den Wert von W festzustellen, bestimmen wir zunächst das Potential a, aus dem die von einem Einzelzylinder reflektierte Welle sich herleiten läßt. Berücksichtigen wir nur das erste Glied, so ist: - | Den (1 % =) (kn), cr und, wenn wir die Maxwellschen Gleichungen in kartesischen Koordinaten heranziehen: dx, age ia (+ Se rg, (kr): b = —iage 1" Ge So) Nach den Gleichungen (39) ist: © | | | (41) 1 da on | I, ie, b | (42) oa a e] 1) Vgl. z.B. H. A. Lorentz, The Theory of Electrons, Ausführungen auf p. 18 ff. und p. 238 ff. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 161 Ein Vergleich von (41) und (42) ergibt für das Vektorpotential eines Zylinders, soweit es vom ersten Gliede abhänst: U ) tu yoek a ee. (43) 1 Wir geben a, den Index 0, um anzudeuten, daß es sich auf die erste Partialwelle bezieht. Ebenso gilt für die zweite Partialwelle: na d, = rota,, E ee © 8 (k, x) cos p 1 ul (44) 1 wo ist. Der Index 1 deutet an, daß a, das Vektorpotential ist, auf das sich die zweite Partialwelle zurückführen läßt. Aus den Potentialen a, und a, leiten wir das Vektorpotential W, aus dem die erregenden Kräfte zu bilden sind, mit Hilfe einer Mittelwerts- betrachtung ab. '’ wird = 0, da für einen einzelnen Zylinder das skalare Potential = 0 wird. A finden wir auf folgende Weise!): Wir legen senkrecht zu der Achse der Zylinder eine Ebene durch das Medium und haben nun in dieser Ebene sehr viele stromdurchflossene Kreisflächen. Um das Zentrum (&, 9) einer dieser Kreisflächen, für die wir die erregende Kraft feststellen wollen, schlagen wir einen Kreis vom Radius ],, der groß gegen den mittleren Abstand zweier Zylinder, aber klein gegen die Wellenlänge ist. Der Raum außerhalb dieses Kreises kann als gleich- mäßig polarisiert angesehen werden. Die Einwirkung der innerhalb dieser Kreisfläche liegenden Resonatoren stellen wir in folgender Weise fest: wir schlagen um jeden Resonatormittelpunkt einen Kreis vom Radius |, und bringen alle diese Kreisfläichen zur Deckung. Dann entsteht ein Kreisring, dessen innerer Radius R — dem Radius p eines Resonators ist, und dessen äußerer Radius — |, ist. Der Kreisring wird gleichmäßig polarisiert sein, und zwar wird seine Polarisation pro Flächeneinheit = m® sein, wenn in der Flächeneinheit N stromdurchflossene Kreisflächen liegen, und wir m Kreisringe überlagert haben. Da wir aber wegen der 1) Vergl. die Betrachtung von R. Gans und H. Happel. Ann. d. Plıysik. 29, p. 286. 1909. 1913. 11 1623 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. m fachen Überlagerung durch m zu dividieren haben, so zeigt auch der Kreisring zwischen den Radien R und ], eine gleichmäßige Polarisation ®. Wir hatten in Gleichung (21) gefunden: JE SO NT (+2). 2K 2 Dieser Ausdruck ist nach Gleichung (26): op IN — \ olnz wo p, das Moment eines Stromes ist. Nun ist nach Gleichung (43): iu alt) ann ı = 1 2 20 : = a (kı 2) = Q, (kı rn). Da nun, wie die Mittelwertsbetrachtung ergeben hat, der Raum außerhalb eines Zylinders im Mittel eine gleichmäßige Polarisation zeigt, sich in der Flächeneinheit aber N Kreisflächen befinden, so ist die Polari- sation der Volumeneinheit: a ot ot’ also pro Volumenelement: OB, an dF. Das Vektorpotential pro Volumenelement ist daher: 2 0% ee 1 dA, en Oral) Integriert man von R bis 00, so erhält man das Vektorpotential W,‘, aus dem sich die erregende Welle ableitet. Es ist: 00 2 oB U, = vr ars Q (kn) dF R 00 E (45) tue, Un fe For ( 2) .0, (kg).R 14 Analog finden wir für das Vektorpotential U, ’‘: SEAN & 1. — ale 5 (' © 2 2 Kam (46) k,® 08 R Da db und V’ —= 0 sind, so unterscheiden sich die Maxwellschen und die erregenden Kräfte nur insofern, als sich X und W’ unterscheiden. 1) Das Volumenelement dF hat die Grundfläche dF und die Höhe h=1. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 163 Es wird sich jetzt darum handeln, A zu berechnen, was mit Hilfe des zweidimensionalen Greenschen Satzes geschieht. S 6. Lösung der zweidimensionalen Gleichung für das Vektor- potential A. a. Mathematische Hilfsbetrachtung: der zweidimensionale Greensche Satz. Um die Gleichung (38 b) zu lösen, schreibe ich sie in Zylinder- koordinaten. Es ist: — 1 10? oa no enle (3 + IE + ga Für unendlich lange Zylinder verschwinden die Differentiationen nach z. Es ist also: Son Ze ı 24 Te r or ( Or 12 9982’ so daß Gleichung En die Form annimmt: 1 924 Wo Ar ein 1 6; )+HRm- am Ein e) Ich löse zunächst u a Wellengleichung: 1 02% IMORX (48) 2 te Are und setze als Lösung an: 2 & U IR ( u) Wm (r) cosmg. Setze ich diesen Ausdruck in Gleichung (48) ein, so erhalte ich für W (r) die Besselsche Den 49 W“ (k, De SM By nn Wkn=0, e) deren Lösung für nach nen fortschreitende Wellen lautet: Wm = Qm (kı r), so daß ich erhalte: & Yu in(t u ) Om (k, r) cosmpg. Ich wähle als Hilfsfunktion für den Greenschen Satz: Ü U O4 (2) (50) und stelle für U und WV den Greenschen Satz auf: AN m 22 ON eu 51 Sasu— van a f(RN Ur )ao. 2) on on Dabei ist t ein zylindrischer Raum von der Höhe h und beliebiger Grund- fläche F, deren Kontur s ist. Aus diesem Raume schließe ich den Punkt P 11* 164 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. x=&,y = n) durch einen Zylinder von der gleichen Höhe h, aber sehr kleiner kreisförmiger Grundfläche vom Radius R aus, da in diesem Punkte U = Q, (k, r) unendlich wird. Die Oberfläche des Raumes 7 ist o, die des Zylinders um P ist 2. Fig. 4. Für den übrigbleibenden Raum tT* nimmt der Greensche Satz dieForm an: men (59) le a2 Die Integrale über Grund- und Deckfläche heben einander für un- endlich abnehmende h auf. Es kann dann gesetzt werden: dir» —»hd BE, dos hide; dar — dis wo F eine beliebige Fläche, s ihre Kontur, S die Kontur der Kreisfläche vom Radius R ist. Führen wir diese Ausdrücke in Gleichung (52) ein und dividieren auf beiden Seiten durch h, so erhalten wir den zwei- dimensionalen Greenschen Satz: fürv-vsnar flat u) a (53) a vs b) Die Lösung selbst. Wir setzen nun in Gleichung (53) den Wert von U aus Gleichung (50) ein: Um 07 (kı r). 1U= (3) = lH Mn) au a kn rk | Qo (kı P). II. Abteilung. ‘Naturwissenschaftliche Sektion. 165 Der letzte Ausdruck geht ohne weiteres aus der Besselschen Diffe- rentialgleichung hervor. Gleichung (53) nimmt jetzt die Form an: fü kALAM ar = (af ug 2 ds (a 00, UNToR 2) Rdo. Wir haben in dem letzten Integrale die Differentiation nach n durch eine solche nach R ersetzt. Es tritt dabei das negative Vorzeichen auf, weil R der positiven Normale entgegen gerichtet ist; zugleich haben wir dS = Rdp gesetzt. Wegen der Kleinheit von R darf in dem letzten In- tegrale für Q, der Wert für kleine Argumente gesetzt werden: (54) 2 oQ 1 — In er N ar a a Er ne R' Lassen wir nun R nach 0 abnehmen, so verschwindet der zweite Teil des letzten Integrales von (54), da R stärker = 0 wird, als In nn Ya unendlich wird. Der erste Teil wird: A dp B— Iru. Dieses Resultat setzen wir in Gleichung (54) ein und erhalten: 2mü=—/Qı (k, "u amar— (ag Sa (55) In dieser Gleichung ist noch der Klammerausdruck ee A) mit Hilfe der Differentialgleichung (38b) auszudrücken: R EM & a 1 0? 4 4 in (t+ y Au — >= - "P=t@ye a Wir nehmen auch X als periodisch mit der Zeit an und setzen: & ar Re in (1+ 2) any * [6 Dann ist: m nn e) In ee a 2 Y*—f(x,y) & Ang! 2 —4rpd le Ben ken in (14 1 ai, Setzen wir das in 0 (55) ein, so a wir: ae 0 U 2 — EN no (k,r) dF ea nn ) ds. (56) Das ist im wesentlichen die gesuchte Gleichung, die X aus der Polari- sation zu bestimmen gestattet. 166 Jahresberieht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Für den in der Optik meist vorliegenden Fall, daß — nimmt Gleichung (56) die Form an: oQ OU ee a ) % (57) Das ist aber nichts anderes als das Kirchhoff-Huygenssche Prinzip für ein zweidimensionales Problem?). Wir lassen nun in Gleichung (57) die Kontur s ins Unendliche rücken. Dann nimmt Q, die Form an: ne non (Gr) Q — an, lee : rkır | [ (Or 2 (), enthält den Fakt 1 2 ird also stärker = 0 a or ärker = (0, als ds = rdp unendlich wird. Wir können ferner annehmen, daß N & im Unendlichen von höherer Ordnung verschwindet, als Yr r unendlich wird. Das zweite Integral in Gleichung (56) liefert also keinen endlichen Beitrag; wir erhalten einfach: Re Y=- ı 90 (kır) dF. (98) 5 0 Für die erste Partialwelle tritt nach Gleichung (23) an Stelle von oB, oe a Por wobei p wieder die Dichte der Elektrizität bedeutet, für die zweite Partial- welle nach Gleichung (27) o>B, otdE’ so daß wir für die der ersten und zweiten Partialwelle entsprechenden Vektorpotentiale der Maxwellschen Kräfte folgende Werte erhalten: a [oe 2 OB, 9 (Kır) dF, a By BE 00 = - - le =) Q, (kr) dF. b 0 Bevor wir im Gedankengange der Arbeit weitergehen, ist es zweck- mäßig, mit diesen zweidimensionalen Ausdrücken die bekannten, in der (59) !) Vgl. z.B. P. Debye, Ann. d. Phys. 30, p. 759, 1909. Cl. Schaefer u. F. Reiche, Zur Theorie d. Beugungsgitters, Ann. d. Phys. 35, p. 843, 1911. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 167 Elektronentheorie gewöhnlich angewandten dreidimensionalen Ausdrücke zu vergleichen. Im zweidimensionalen Falle ist das Vektorpotential nach Gleichung (58) durch ein Integral über die Polarisation und die Besselsche Funktion zweiter Art Q, dargestellt. Betrachten wir nun die Lösung der dreidimensionalen Gleichung: DE U OU NO Am oR xy 022 ea dt? erol, so erhalten wir bekanntlich: OB er 1 tt —— I Are dr i PB r Das ist, weil der Ausdruck zu der Zeit t — „ genommen werden muß, ein sog. retardiertes Potential, das für kleine Werte von r in das Newtonsche Potential übergeht: Unser zweidimensionales Potential (59a) nimmt für große Argumente die Form an: RS ın kır Ye nn dt (. “ ) =: r Ms ” : (n Da ng ze} fr: dien Kı oe SE Na, Ey 1 = (nt kr) ın on I mn AElEER, = e kı ck, Vr Na MBRER Y in (i — ) 1 ve - [re el ide (60) k, nk) Fr Das Flächenpotential nimmt also für große Argumente ebenfalls die Form eines retardierten Potentiales an; für sehr kleine Argumente geht es dagegen zum Unterschied vom Raumpotentiale in das logarithmische Potential über. Es ist dann: 9 og kn? 2 2 (Wo 2 4, = eo u ykıri ir cn) 168 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 877. Der Wert des Vektorpotentiales U für die erste und zweite Partialwelle. Es handelt sich jetzt darum, U und W zu vergleichen und auf diese Weise festzustellen, inwiefern sich die Maxwellschen und die erregenden Kräfte unterscheiden. Wir hatten in Gleichung (59a) gefunden: ©. a er oo Nia, in(t+®) a el 19 J: , 9 (ar) dE 0 und in Gleichung (45): co oo = i { ‚2 fo$ N (+2) %, (Bo nar= fe” "e/Q, (kır)dF. c ot k, R R Vergleichen wir die beiden Ausdrücke, so finden wir: co E R E . . MEN I 7 1 En N ae: Ver fe | Sn r)dF k, A K Sc u an ar. (62) pr | Wir rücken e (i ) heraus und ersetzen darin & durch seinen Mittelwert x. Aufpunkt und Mittelpunkt der Scheibe vom Radius R sind wegen der Kleinheit von R so nahe aneinandergerückt, daß eine Phasen- verschiebung nicht in Betracht kommt, also in(t | ,) in(t+2) e Ie/=e e/=€ ist. Wir erhalten: R is NEL in(t+®) o k Na: = z BRLAN N (63) 1 Darin ist Q, durch seinen Wert für kleine Argumente ersetzt, was statthaft ist, weil R sehr klein ist. Der Ausdruck: 2 2 x a S E - AF stellt das innere Potential einer homogenen Kreisfläche ykı ri II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 169 dar!); es ist also: R 2) ED >| () | 1 | a 2, Se ner = [fr In RB) gt —R nes 5 0) Das setzen wir ein und erhalten: Be Ni : 1 1 IR U U — ve glje[m Ok: PRO | (64) kı Damit ist für die erste Partialwelle die Beziehung zwischen den Vektorpotentialen X, der erregenden und X, der Maxwellschen Kräfte hergestellt. Das Gleiche hat jetzt für die zweite Partialwelle zu geschehen. Wir hatten in Gleichung (59b) gefunden: oO Hanna [6] und in Gleichung (46): A’ un fen IL ı)dF. K: Nun ist nach Gleichung (82): Daher ist: DER OK € 2) ned 22 Br Na. 02 ul) en, ge dauern m Das setzen wir in Gleichung (9b) ein und erhalten: ar A, -Zufe” ( un +) Q, (kır)dF. (65) (0) Andererseits hatten wir in Gleichung (64) für einen einzelnen Zylinder gefunden: a 8 in(t +2) 20 n 3 k, 1) Vgl. A. Wangerin: Theorie d. Potentiales u. d. Kugelfunktionen. I. Bd. 1909, p. 142. 170 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Nach der Mittelwertsbetrachtung von S. 17 und 18 ist dann: -- alt ar. (66) Die Gleichung (66) zerlegen wir: we Sefel in(t+° hullaie fi: nal (+) gar, =. NEE Q, dr. (67) [6) (6) Ein Vergleich von (65) und (67) ergibt: ar u ("+ 2) 0% 0 und daraus folgt: fa) Wir gehen nun auf Gleichung (46) ein: ii lee) 07 Eee c De oo dal "n (: ai =), | dF. (68) Diese Gleichung zerlegen wir wieder: 1 = n (i u 5 or | a Safe. | a (+ o)osar a8 00 nn ra, eo ın (\ en Na, fin (i ) al fol Te) af TE) Qar. Auf diese Gleichung wenden wir die Gleichung (68) an und erhalten: R a a fl in(t-+- Jolar-isfs Eule Pe N — II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. real Nach Gleichung (65) ist: k; (0) R lit.) Q (k gar Hufen +3) Q,(un)arF R Vergleichen wir das mit Gleichung (69), so erhalten wir: "R 78 feld (k, An 5. inlt+ eo Jar R R =, fe” G ) 9 (Kı gar Na fein(t+) Q, dr 10) | e [0] -rfenttt gar inne len, Beachten wir, daß nach Gleichung (32) und (1): ist, so erhalten wir für U,’ den Wert!): dl +2R 5 =, + Tg Grad, (70) Für das dritte Glied lassen sich die Potentiale nicht in dieser ein- fachen Weise darstellen; die dann auftretenden Integrale sind nicht mehr konvergent. Es ließe sich voraussichtlich in der Weise abhelfen, daß man bei einem derartig großen Werte von —; der die Berücksichtigung des dritten Gliedes erfordert, das Feld im Innenraume der Zylinder, das hier nicht berücksichtigt zu werden brauchte, noch mit in Betracht zieht; doch muß das einer besonderen Untersuchung vorbehalten bleiben, 1) Vergl. die analoge Lösung für das dreidimensionale Problem der Kugel bei M. Abraham und A. Föppl: Theorie d. Elektrizität I, 3. Aufl. p. 163 u. 164. 1907. 172 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. S 8. Dielektrische Verschiebung, magnetische Induktion, die Maxwellschen Kräfte, die erregenden Kräfte. Wir haben im $ 7 die Potentiale W’, aus denen sich die erregenden Kräfte herleiten lassen, durch die Potentiale X ausgedrückt, aus denen die Maxwellschen Kräfte ableitbar sind. Die erregenden und die Maxwellschen Kräfte unterscheiden sich nun insofern, als sich X und X unterscheiden. Aus den Gleichungen (39) und (40) geht hervor, daß € und & einerseits, 9 und 9 andererseits in folgender Beziehung stehen: eo Tan a e ot E 1 (71) Hy == Hy = roty (U Zr A) b J Bei Berücksichtigung des ersten Gliedes ist nach Gleichung (64): a Ban 1 = T E,' Ins | 2 ee a 1 = | 2 2 Der Ausdruck auf der rechten Seite verschwindet, ebenso wie seine Ableitung nach der Zeit, wegen der Kleinheit von R? und r?. Für die Rotation gilt folgendes: = Nananıze 2 L Ey t EN 0 IR an (+3) 3: | | 2 yre rot y A, -%)= = Inf —R ee ö7 Ni an Tr >= cs N) Beide Ausdrücke werden = 0, da sowohl R? und r?, als auch (y—n) sehr klein sind. Die erregenden Kräfte sind also, wenn wir nur die erste Partialwelle berücksichtigen: u En, - (72) Hy = Hy. b Wenn wir zwei Glieder berücksichtigen, so treten an Stelle von A, und A, die Summen U, + U und WU. Aus Gleichung (70) und (71) geht heivor, daß =6& ist, denn wegen der Kleinheit von (x — 8) ist: Nı a 0) Ey Eau als ot ra Dagegen verschwindet die Rotation nicht. Wir erhalten: RS [e) r: y He) Te irne-d 1? Nia, 9% a Nia, Er DE a a n Ey, k,® Tr SEE (x &) k, 2 Z II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 13 Der erste Ausdruck wird = 0; es bleibt: ’ Nia Hy ı-— k, na. Nun ist: Nia, OR, Kir &,=2n oz so daß wir für die erregenden Kräfte bei Berücksichtigung von zwei Gliedern erhalten: 5 = &, 9 q ) or, | Dyeian Dya an ZU ne: b\ Wir drücken nun die dielektrische Verschiebung und die magnetische Induktion durch die Maxwellschen Kräfte aus. (73) Betrachten wir allein die erste Partialwelle, so ist nach einem be- kannten Satze der Elektronentheorie?): die dielektrische Verschiebung D—= € + ArW,; (74) die magnetische Induktion Dr: Ziehen wir zwei Glieder heran, so sehen wir aus den Gleichungen (73), daß ®, einer magnetischen Polarisation entspricht; andernfalls wäre Sy Tr Hy- Um das zu beweisen, erörtern wir folgendes statische Problem: Wir betrachten ein homogenes magnetisches Feld; der Vektor 9 sei parallel der y-Achse orientiert. Wir nehmen aus diesem Felde einen Zylinder vom Radius p, der parallel der z-Achse gerichtet ist, heraus. Das Feld erfährt eine Änderung; für den neuen Vektor &5', den wir aus dem Potentiale ® ableiten, gelten die Gleichungen: SE 7 — endlich = 2 Hi a0 | = p. on on | AD 0. Setzen wir D=© (r) cos g, wo 9 der Winkel ist, den der Radius- vektor mit der y-Achse bildet, so lautet die letzte Gleichung in Polar- koordinaten: „ 1 +. Die allgemeine Lösung ist: oO)=Ar +” 1) Vgl. Abraham, Theorie der Elektrizität II, p. 265, 1905. 174 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Aus den Bedingungen für ®, und ®, ergibt sich: DIA, LIC0sE0 1 ı B = (e r + ) cos Q. Für die Konstanten folgt aus den Grenzbedingungen: Ay, N ir a-—(b,)e 9y Daher ist ®; ee — r 008 9 &y = — ee Sy, el tet Das können wir aber schreiben: Sy = Hy + u Pan, Es ist also Sy’ # Sy nur, wenn & $# list, d. h., wenn eine magnetische Polarisation vorhanden ist. Ähnlich diesem Problem haben wir es in der vorliegenden Arbeit mit so kleinen Zylinderquerschnitten zu tun, daß an ihrer Peripherie noch keine Phasenverschiebungen zu berücksichtigen sind. Das berechtigt uns zu der von uns angewandten statischen Behandlung des Problems. Aus den vorangegangenen Erörterungen geht hervor, daß wir bei Berücksichtigung zweier Glieder zu folgendem Resultat geführt werden: D = € +4 B: a un eo B, (75) 3 din. b Die Aufspaltung der reflektierten Welle in zwei Glieder läßt sich also so deuten, daß das erste Glied einer adlanzaran, das zweite einer magne- tischen Polarisation entspricht. Setzen wir nun nach der Maxwellschen Theorie, wenn e und ı. Mittel- werte der Dielektrizitätskonstante und der Permeabilität unseres Me- diums sind: D=e:E&, dB=n9, so zeigt ein Vergleich mit (74) und (75), daß die erste Partialwelle eine Ände- rung der Dielektrizitätskonstante, die zweite eine Änderung der Permeabilität gegen die des Vakuums hervorruft. (76) II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion, 175 Berücksichtigen wir zunächst die erste Näherung und vergleichen die Gleichungen (74) mit den Gleichungen (72), wobei wir den Wert für ®, aus der Gleichung (24) einsetzen, so finden wir: tig + -a(ı 4 al 19=8=9. o\ Berücksichtigen wir dazu auch die zweite Näherung und vergleichen Gleichung (75) mit (73), so finden wir: :E=- 9-6 ( 4ro a , Da nn mm. = ox 2T : (78a) Nach den Maxwellschen Gleichungen ist: Ge, = Hy = $g, da 5, = 0 ist. Wir erhalten also: 2riNa ne Nun ist nach Gleichung (73): -5- -5- Also ist: 2riNa (78b) Damit sind die dielektrische Verschiebung und die magnetische Induktion durch die Maxwellschen Kräfte ausgedrückt, und hieraus ergeben sich ohne weiteres Dielektrizitätskonstante, Permeabilität, Brechungs- exponent und Extinktionskoefäizient unseres Mediums. Si), Dielektrizitätskonstante, Permeabilität, Brechungsexponent und Extinktionskoeffizient. Bei alleiniger Berücksichtigung des ersten Gliedes ergibt sich aus den Gleichungen (77): — 2% = 2aN% ,=1-+ ’ Del b (79) 176 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hieraus finden wir: R = _ — 2rNa Vz) en) le — (80) 1 Setzen wir: , =%--iß, so erhalten wir: —: 2rNi re 1 und hieraus ergeben sich für den ee. und den Extinktions- koeffizienten folgende Werte: 4ER (Fi 2rNG« r: Pu) N? 722 „|! (+ ng 3 (1-+ Er Ir Km : f 1 2r Na 1 ar N?r2 B2 | 0:28). 7a >) + 2 K, k, Berücksichtigen wir zwei Glieder, was im ae notwendig ist, so erhalten wir aus den Gleichungen (78): y„— x? — 2ivx = (81) 2 nNa En 0 1 —+ ki? , a inNa B len > , (82) „Sl 1 { | inNa >) a K: und hieraus: N inNa T en ae: — iX) =: —=(1- all Een EN...) 83 (V,, 1630,) „Ww= (1+ inNa, ( ) kr Ist die Konzentration sehr gering, d.h. N so klein, daß quadratische Glieder von N vernachlässigt werden dürfen, so ist: > 2inrNa W=1— ) k,: 2 a 2inNga v„—-i)”’=1+ & ot — 3 ! 1 Setzen wir wieder: a0 1.08) a —ıY.|. 10, so nehmen der Brechungsexponent und der Extinktionskoeffizient folgende Form an: „ll 4 8te+2)+]2 2 Mare: +)+l, er: era) ee Bl? (a) +) (34) li. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 177 310) Die elektrische Kraft ist senkrecht zur Zylinderachse. Dieser Fall ist das vollständige Analagon des ersten. Die Gleichung der einfallenden Welle lautet jetzt: RE D) ln .) (85) und die Maxwellschen Gleichungen nehmen die Form an: S 0€;, 410 5 109z ce ot c Nm do © 206%. 4 09; R SW Ras RETURN 86 oe un 2m On u) 109z 1) 19€, el a e ot Ser Öolurs 09 i Dazu kommen die Grenzbedingungen: (D ZN 0 E (9 zZ) a (87) (E Pı ze Pe» ® und: a) g (9z)r = oo e “ne j (85) Wir benutzen Gleichung (86a). Um sie zu lösen, setzen wir: &=Pe!tt, | der". Dann ist: 6. 4 n : 89 & ? Ole ER ENE int ATO inter N e 6t C Alters nr Fe Ol 1 umte en 09x ae (ine +iro) = 52? 3 {5} Inste TUN 2 a 89a 2° a ine MATT or nn Ebenso ist: oc 4 i ' 4 1 09z & T TO ıne ınt TO int EEE SEE aan a 2 NED en ; Emo. e 6 Br 2 6 ; r 09 Be (89) ! ine +4ro r 89 Die Ausdrücke (89a) und (89b) setzen wir in (86c) ein und erhalten: 3 J2Q, 1 L N Ge) Arnd DRG wo en ©. r(ine - Arno Or or " r2fine+Ano) 0% 1912. 12 178 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Wir setzen nun: in € + :) oo Due h ZQ, cs my 0 und führen diesen Wert in Gleichung (90) ein. Wir erhalten wieder die Besselsche Differentialgleichung: d’Q dQ 2 & 2 m 1l m ( € 4roıin z)Q Bau, (91) dr? rc sder e? e? r? m —— k? Für die zu benutzenden Integrale gelten dieselben Erörterungen, wie wir sie im ersten Falle durchgeführt haben. Die Lösung ist: im Außenraume: & ine t-—- = )0,00 Dr H=e (ur dig An In Di) + -Rı)|| eosng, 2a) im Innenraume: | ; & ine t-+ = Jo0,oo N B = e ) Z en Im Pe) + In | Kn (P2) 2] cosmgy. (92b) Die Koeffizienten sind: don te 25: \ J (m) k, n m ui = — K u) — ——— K (t gm k, m ( 1) Ih (T,) or 1) E FR m T 7 < . (93) u Ele ; m a) a 2 (,) Die Bedeutung von p,, Pz, 7, T, ist aus $ 2 zu entnehmen. Es vertauschen sich alle Beziehungen für & und 59 im Vergleich zu dem Falle, daß die elektrische Kraft parallel zur Zylinderachse ist. Die von einem Zylinder reflektierte Welle ist jetzt: in (t-+ )00 Dr— re ad Qn 608 mp. (94) Dabei ist: in(t+) en II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 179 im Punkte E = x. Setzen wir wieder: E Nd in(e+) Nd\. % = IR ® oe q E (95) Na, in(t+ I Na, Best er h so erhalten wir diesmal bei Berücksichtigung eines Gliedes für die dielek- trische Verschiebung und die magnetische Induktion die Gleichungen: dB=5+ 47%, a | d = 6, en und für die erregenden Kräfte: u q ER IE. b 2) Berücksichtigen wir zwei Glieder, so erhalten wir die Beziehungen: =9+4r% a oBı (98) DD — ED Air a b und: 9 Der 9 q ) Er—=NEHEN2IT a b So Setzen wir in (96) den Wert für ®, ein, und vergleichen (96) mit (97), so erhalten wir für das erste Glied: 2rt N d, 8=9(1+ a D—= €. b Setzen wir in (98) den Wert für ®, und ®, ein, und vergleichen mit (99), so erhalten wir folgende Beziehungen: 2 dy, ll en D a a wear (101) ul inNd, B 1 + Aus den Gleichungen (100) und (101) ergeben sich für die Dielektrizitäts- konstante und die Permeabilität folgende Werte: bei Berücksichtigung einer Partialwelle ist en a DR 2rNd (102 n—=1+ in b ) Daraus folgt der komplexe Brechungsexponent 2reNd (v — ix)? =Ep,—=1 a (103) ‘1 19% I) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Bei Berücksichtigung zweier Partialwellen ist: a inNd, \ ee = Be 2 EEE inNd, ’ 5 Tr (104) u 2rNd, 1 = 1 — k, 2 b und daraus folgt für den Brechungsexponenten und Extinktionskoefli- zienten: 1 inNd, u IrNd Er — 1% : — Sr, —s1-- e\ - = F (v, 1% .) Ku j k,? nr inNd, (105) j Ir SU DL: Allgemeines Resultat, Die Resultate aus $ 9 und $ 10 zeigen folgendes: 1. Ein Medium, in das zylindrische Hindernisse von unendlicher Länge eingelagert sind, ist doppelbrechend. Die Dielektrizitätskonstante und die Permeabilität sind verschieden, je nachdem der elektrische Vektor parallel oder senkrecht zu der Achse der Zylinder gerichtet ist. Wichtig ist, daß auch die Permeabilität einen von 1 verschiedenen Wert annehmen kann, obwohl die eingelagerten Hindernisse selbst nicht magnetisierbar zu sein brauchen. Das gilt natürlich nicht für statische Zustände; fürrX = © wird x = 1. Mit der Dielektrizitätskonstante und der Permeabilität ändert sich auch der komplexe Brechungsexponent (v — ix); v und % sind je nach der Polarisation der das Medium durchsetzenden Welle verschieden. 2. Außer der Doppelbrechung weist das Medium Pleochroismus auf, wie aus folgendem hervorgeht: aus den Konstanten a,, a,, d,, d, lassen sich die Eigenschwingungen eines Zylinders berechnen); sie liegen bei derjenigen Wellenlänge, für welche der reelle Teil des Nenners von a,, a), d,, d, verschwindet, wobei diese Koeffizienten aus den Gleichungen (9) und (93) auszudrücken sind. Die allgemeinen Gleichungen zeigen, daß die Eigenschwingungen im parallelen und senkrechten Fall bei verschiedenen Werten von A auftreten, was die später angeführten Zahlenbeispiele be- stätigen werden. Folglich weicht auch die Lage der Absorptionsmaxima in beiden Fällen von einander ab; das ist aber gerade die Tatsache, die den Pleochroismus charakterisiert. 1) Vgl. Cl. Schaefer und F. Grossmann: Untersuchungen über die Beugung elektromagnetischer Wellen an dielektrischen Zylindern. Annalen der Physik 31, 1910, p. 455. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 181 s 12. Spezialfälle. Die Wienerschen Formeln der Stäbchendoppelbrechung. Die Tatsache, daß in den Konstanten a,, a,, dy, d, die Materialwerte stecken, benutzen wir, um die aufgestellte Theorie auf Einzelfälle zu spezialisieren und dadurch Gelegenheit für eine spätere experimentelle Kontrolle zu geben. Für dielektrische Zylinder z. B. und kleine Werte p von > gehen unsere Endformeln über in die Wienerschen Formeln der Stäbehendoppelbrechung, die mehrfach experimentell bestätigt worden sind?). Wir hatten in Gleichung (82) gefunden: = 2rrNa =) a2 e, = BIH 1 == Rn na a 2 Das umgebende Medium ist hier das Vakuum. Für ein beliebiges anderes Medium mit der Dielektrizitätskonstante e, tritt an Stelle von c die Fortpflanzungsgeschwindigkeit v, so daß wir erhalten: x IrNa,v? re N a Mal an n? 3 & (106) Nun lauten die Koeffizienten für dielektrische Zylinder und so kleine Werte n 5, daß bereits vierte Potenzen zu vernachlässigen sind?): wobei &, die Dielektrizitätskonstante der Zylinder ist. Für ein beliebiges umgebendes Medium ist: 2) E. Ficker: Experimentelle Untersuchungen über die Dielektrizitätskonstante von Gemischen, Ann. d. Phys. 31, 1910, p. 365. 2) Vgl. Cl. Schaefer u. F. Reiche: Zur Theorie des Beugungsgitters. Ann. d. Phys. 35, 1911, p. 828. 182 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Setzen wir diesen Wert in Gleichung (106) ein, so erhalten wir: E, — rpo®N=F ist gleich der Fläche, die N Zylinderquerschnitte in der Flächeneinheit einnehmen. „= +F, —F; Be, (2 B)e, —Ö, l&s) 1,0, 1. | (107) Das ist aber die Wienersche Formel der Stäbchendoppelbrechung für den Fall, daß die elektrische Kraft parallel der Achse der Stäbchen gerichtet ist!). Wir hatten ferner unter Gleichung (104) gefunden: 1+tinNde: ’ n? oder für ein beliebiges umgebendes Medium von der Dielektrizitäts- konstante g;: (108) en 2r Nd,v Te! zu a ) N in Nd, v? B ns Si en Let ENngay® inNd, v 1 + 13 Die Koeffizienten sind, wenn das umgebende Medium das Vakuum ist?): do — 0 1 = (?8 22, —1 1 A & —- 1% Hat das umgebende Medium die Dielektrizitätskonstante &,, so ist: ve ZITEON es a no e AN I% eute avi e Setzen wir diesen Wert in Gleichung (108b) ein, so erhalten wir: & —E l-ONno 2 Solms € Fe on ER NEN; Sie: zur Be: mi e?—e . 1—Nrp? ——ı vu 5. + 5, ae. Im.) ale 8 1) Vgl. Otto Wiener: Zur Theorie der Stäbchendoppelbrechung. Bericht über die Verhandl. der Königl. sächs. Akademie der Wissenschaften. Klasse, 61, 1909, p. 113. Otto Wiener, 1. c. 62, 1910, p. 263. 2) Vgl. Cl. Schaefer und F. Reiche, 1. c. p. 828. Math. phys. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 183 e, —Fzs, =g +; F D & + 85 & T 5 .,—ı.,=F G. Fa) Eile Non a FE: Sa (109) ri 28 Damit ist auch die zweite Wienersche Formel gewonnen!). Wir haben hierzu noch zwei Bemerkungen zu machen; die erste be- zieht sich auf den Gültigkeitsbereich der Wienerschen Formeln. Wie aus dem Vorangegangenen hervorgeht, lassen sie sich nur unter gewissen Einschränkungen, d. h. für elektrostatische oder wenigstens sehr langsam veränderliche Zustände anwenden, nicht aber allgemein auch für optische Verhältnisse, wie es Wiener an einer Stelle irrtümlich behauptet?). Für derartige Vorgänge haben vielmehr die allgemeinen Formeln (85) und (105) einzutreten. Zweitens wollen wir die Beziehung der Wienerschen Formeln zu der Clausius-Mossottischen Formel und zum Laplaceschen Ausdruck herstellen. Setzen wir in (109) &, = |, so erhalten wir die Gleichung: fer Eu u = F. Const. [03] 2 Da F= Np?r, also proportional der Anzahl der in der Flächeneinheit enthaltenen Zylinderquerschnitte ist, so ist es proportional der Dichte d; wir können also schreiben: dseldn a (110) Das ist aber das Analogon zu der Clausius-Mossottischen Formel für einen aus Kugeln bestehenden Mischkörper3). Etwas Ähnliches erhalten wir, wenn wir die für den parallelen Fall geltende Gleichung (107) benutzen und darin ce, — 1 setzen. Wir finden: u, 1=Fß& —|1). Das ist aber aus den eben angeführten Gründen: e—— a 11) Damit ist das zweidimensionale Analogon des Laplaceschen Ausdruckes gewonnen‘). 1) Vgl. Otto Wiener, 1. ce. 2) Vgl. Otto Wiener, l. c. 61, 1909, p. 115. 3) Vgl. H. A. Lorentz, The Theory of Electrons, p. 145. 4) Vgl. H. A. Lorentz. 1. c. p. 144. Gl. 213. 184 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, sus, Analogon zu der Rayleighschen Theorie des Himmelsblaust). Rayleigh hat in seiner unten zitierten Arbeit gezeigt, daß in einem Medium, in dem kugelförmige nichtleitende Partikel suspendiert sind, eine Extinktion vorliegt, die umgekehrt proportional der vierten Potenz der Wellenlänge ist, was seiner bekannten Theorie des Himmelsblaus zugrunde liegt. Planck?) hat nun nachgewiesen, daß für große Wellenlängen aus seiner im Eingang charakterisierten Theorie der Dispersion und Absorption trotz des verschiedenen Ausgangspunktes im wesentlichen das Rayleighsche Gesetz folgt. Etwas Analoges zu dieser Rayleighschen Extinktion muß auch in unserem zweidimensionalen Falle stattfinden. Zur Ableitung dieser Formeln gehen wir nunmehr über, und zwar behandeln wir zunächst den Fall, daß die in das Vakuum eingelagerten Zylinder dielekrisch seien. Wir werden aber auch nachweisen, daß die- selben Überlegungen für den Fall leitender Zylinder gelten; das läßt sich ja auch bereits auf Grund der Tatsache vermuten, daß die Plancksche Theorie, trotzdem sie von Hertzschen Dipolen ausgeht, zu demselben ‚Resultat kommt, wie die Rayleighsche Theorie, die von nichtleitenden Kugeln ausgeht. Wir betrachten im folgenden nur Wellenlängen in großer Entfernung von der Eigenschwingung. : I. Die Zylinder seien dielektrisch. a) & sei paralell der Zylinderachse. Wir wählen sehr klein, dann ist der zweite Koeffizient a, gegen A den ersten a, zu vernachlässigen. Der komplexe Brechungsexponent ist nach Gleichung (93), wobei a, = 0 gesetzt ist: : > 2u Na, e° (V„, —i%)? = N 1 +, (112) a, berechnen wir nach der Formel (9): Ks 2 2) x 1 EN = K, () — I, (« a 80 (7, ) ir an I6: KANN 129) a (al) I, (n) De Jo (m) zunächst bis auf sechste Potenzen genau, um einen Überblick über die später vorzunehmenden Vernachlässigungen zu gewinnen. Es ist: 1) Lord Rayleish: On the Transmission of Light trough an Atmosphere containing small particles, and on the origin of the Blue ofthe Sky. Phil. Mag. 47, p- 375, 1899. 2) M. Planck, Über die Extinktion des Lichtes in einen optisch homogenen Medium von normaler Dispersion. Berliner Sitzungsber. 22, 1904, p. 740. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 185 one 2rnpV;, kı 1 Dre BT" EIER Ten kml ienk 72 p2 1 rt ( 1 6 ps ba) Si ro ee ; N 720 en ier3p> IM) El on Ve (a) Ser Er ne ri u, IR To E> re ones IN uosnEsn Jo (7) —1 SUSE 4 14 FE 36 )6 , Di NmeVe, , InveVs meinen Ur a A 2 23 12 25 1 1 p’ Vs NUTE 1208 red: rap: ı To: li 2 — _— rn) ( 22 a rt I Dey/ PY N2 3 ep: Ierssp® mE en, p A Tp Iso: zes K = — — ei I NR EN (0) (R, ) K, (7,) In z p Y ( N 2 13 12 7? 1 x np Bon? p3 5 np 144 7 IT p PN $ 213 Fl 36 73 Setzen wir diese Reihen in den Ausdruck für - ein, so erhalten wir: (N) T nt o* A n2o2 al an 2 &@ 2 -)-@:—1) Ir 1202 zip“ R +2, DT — 268’—4, +41) (113) 7508 N nos gsi + lege ts) ad. Wir wählen nun das Verhältnis : so klein, daß wir in dem reellen Teile von a, nur Quadrate, in dem imaginären nur die vierte Potenz von E zu berücksichtigen brauchen. Dann ist hinreichend genau: main 2 ortot »=2,—- I —2ir G—D} (114) DTINKaR A > In NA sale —1%,)’=1- I —] ——32(&8, —]1 - re a me Toe 5 (115) — 2in (el), ; Yır %=l+-Ncepe&,— 1) a N.r: o* 116 2 Yır Kr = 1 (&a AUT 1) b 186 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Vernachlässigen wir in Gleichung (116a) % gegen v, was weit außer- halb des Absorptionsstreifens geschehen kann, so erhalten wir: „"—l=rNp&,—1), A Ba 2 mN o? 3 (v2 — 1) (117) DI ange Nun ist mit Rücksicht auf Gleichung (116b) und (117): N xt pt h m. Y, %ı = 212 (& I; I): FE 332N (vn has 1) a INTERN Versen (118) OR IEN VENEN Es ist ferner: —2nyd Be N wo d die Dicke einer von der Störung durchlaufenen Schicht ist. Daraus folgt für die Energie: — 4ryıd ei a ee wo h der Bezeichnung von Lord Rayleigh entspricht. Aus Gleichung (119) folgt: ande (119) dann, Bes 2 n’ C a d5 IND Te Wir führen zum Vergleich den Rayleighschen Wert an: 32? v?—1)? 3NAt j y? i Der Unterschied beider Formeln besteht, abgesehen von einer Konstanten darin, daß im dreidimensionalen Falle die Absorption der vierten Potenz der Wellenlänge, im zweidimensionalen Falle der dritten Potenz der Wellenlänge umgekehrt proportional ist. (120) h,, == he b) € sei senkrecht zu der Zylinderachse. p Für kleines Z ist jetzt der erste Koeffizient gegen den zweiten zu A vernachlässigen. Der komplexe Brechungsexponent nimmt nach Gleichung (105) die Form an: I NIdec- N x & n? 1 (v, BD i%,) — HH a (121) = n? Wir berechnen d, nach der Formel (93): ka, I) — K a - T u ee are er I.) EReT I T = ra = J 4 1 ( 1) J; (n,) k 1 ( 1) II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 187 Wir benutzen die auf pg. 41 aufgestellten Reihen und ferner: ; 3. eo ae) N or I er a ra ; 1 Su Tanne, Denn es U ee ee are j IN I a) lo 5 =, 2 1 11 rn? po? K, a) erg ae an I, EI oe u To 36 AG Setzen wir diese Werte in die Gleichung für d, ein, so erhalten wir, wenn wir bis auf sechste Potenzen genau rechnen: de Mr np! (= a ner ne re Ka = ll = : N DE (£g n er 2 51 81 emo re, IN: nos 7 a | (122) "zpylit \,+1 au eo 1)? 1 1 5 S1lgur 5 3 5 = DES KERN aa EEE, 4 eo ans ıe 6 min an | ae ee, 1)? aamen) saenye Vernachlässigen wir in dem reellen Teile alles gegen die vierte Potenz, in dem imaginären alles gegen die Auagrals, so erhalten wir: air. ze ee Hi ar (123) Setzen wir diesen Wert in ne (121) ein, so Be sich: (124) N? ae —1 De 2 = or 2122 | ne Sl mann e +) a Nasen BER I N) 12 1— n’N?o je )- +1 ( S al, Ve ENag N“ 7 “ a ol, — Br Ener 1 N rm — n?p*N aan N en 0n e an: AuNnes tl . v2 Co m = Ne „ (125b) RER 2 2CEND 2, UN 2(nn2E er = —) 1 2rcNp?° ion 2) Sau Wir vernachlässigen wieder % gegen v in Gleichung (125a) und wählen ferner p so klein, daß p* zu vernachlässigen ist. Dann nimmt Gleichung (125a) die Form an: Yu — I ; A on 2 mp u —1 (126) & 1 188 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. und Gleichung (125b): NT ion en 2 A? & 1 ar = 1 1 — 2nNp? | P El Nach Gleichung (126a) ist: 5 = & — 1 v‚_— 2nzNp?v,? ee =ı ee 1 ONE EUR ENG 2rcNp? (e UN Wr 1 & 3 ne NE Wir setzen (127) in (126b) ein und erhalten: Wr ie Wie), 2 ee 2? ar, ZN. SUaNDE RR 4 NA? vo I u ten 8 a BON N SINE vn (126b) (127) (128) (129) Ein Vergleich von (129) und (119) zeigt den Unterschied der Ab- sorption bei verschiedener Polarisation der Wellen, die das Medium durch- setzen; beide Fälle kaben aber den Umstand gemein, daß die Absorption umgekehrt proportional der dritten Potenz der Wellenlänge ist. II. Die Zylinder mögen unendlich große Leitfähigkeit haben. Auch in diesem Falle zeigt das Medium verschiedene Absorption, je nachdem & orientiert ist, und zwar stellt sich heraus, daß in dem Falle, daß & parallel der Zylinderachse ist, wir denselben Wert für die Ab- sorption erhalten, wie unter der Annahme, daß die eingelagerten Zylinder dielektrisch seien. Das Resultat, das wir erhalten, wenn & senkrecht zur Zylinderachse ist, weicht dagegen etwas von dem für dielektrische Zylinder ab. a) € sei parallel der Zylinderachse. Es ist jetzt: Für die Reihen mit dem Argumente zw, lassen sich die Formeln für kleines, für die Reihen mit dem Argumente r, die Formeln für großes Argument anwenden. Danach ist: II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 189 r Te Te B 1 u a)=|1, R)= — 5 Jı (r,) Er 5° Jh Q)= 9 Ric) — In 2 K, — ! K ah ORW@E) yr,’ le u r 1 dn' (T5) n K, an )=— — - m) de In (T,) [77 Also .ist: do (N) zn: di (%) 1 un, ), (m) Im) m NOREE Ä ae 1 Setzen wir diese Werte in die Gleichung (9) für — ein, so er- a 0 halten wir: N l 2 —'— — ı]n 1 79 Y7a IT — 92 no en a) _% 2 A 2 Too oder, wenn wir die kleineren gegen die größeren Ausdrücke vernach- lässigen: Tı IT —=| en Ss Ma) 0 2 2 il 2 =, Yu äi it. (130) 2 2 Für den zweiten Koeffizienten ergibt sich: 1 ee EU TE AT. a, ist also gegen a, zu vernachlässigen. Nun ist: 1 2 Na) NA? _—_——nn vi? =1+ —g— =1+- : YTı it 4 ZT In son + vo8 YT IT N 32 In 5) — ) N — 1 DE iz ep (151) 2 1 a In 5 + n N In un | 2 2 A v—r—=1- Ir You 72° “| 190 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 2 . YT R rt, ist sehr klein, daher In — sehr groß, also ist angenähert: 1 De N? | VS X ” „ les Ir In YM» a T (133) NA? 2 DV R, 5 2 b meer 2 N)? N A „ | Im In Ir 1 = 2 1 Y I am NA? 9 1 . (v?— 1)?-4 rn? NO N c, 2 Den Wert aus Gleichung (134) setzen wir in (133b) ein und erhalten: N v2 —1)? 2402 11.02 2 v, WT — ; NEN NA? IT Te ea l)2 %, $, 5 ’ a DEE NA? Yır (135) h ne ee h RENNENS v, i Die Gleichung hat genau dieselbe Form, wie diejenige die wir für ein nichtleitendes Medium erhalten haben; — vgl. Gleichung (118) und (120) — natürlich stellt sie nicht denselben Wert dar, da v, in beiden Fällen ein ganz verschiedenes ist. b) & sei senkrecht zur Zylinderachse. Der Unterschied zwischen dem vorliegenden Problem und dem Falle dielektrischer Zylinder besteht darin, daß hier d, und d, von gleicher Größenordnung werden, während dort d, gegen d, zu vernachlässigen war. Wir erhalten die angenäherten Werte: le 2iToD- a N (136) RATE 4ir?o2 4 °o* day u “ nr o\ II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 191 Der komplexe Brechungsexponent hat jetzt die Form: en UNE, ER Nd, A? De ee REN N 13 u u ar | er I) a 4r Setzen wir in Gleichung (137) die Werte von d, und d, aus Gleichung (136a) und (136b) ein, so erhalten wir, wenn wir höhere als vierte Potenzen von p vernachlässigen: 4,4 1 — Nrp?— N?n 2 — Bi — v,— ir) = A Bu a32 ß (138) la on ee NT or 8 En ar. (1 NEE: Nrp?)? 2 A 123 Nm: 1 n (139) Ken a won er Vernachlässigen wir in Gleichung (139a) x gegen v, ferner die vierten Potenzen in Zähler und Nenner gegen die zweiten, so nimmt die Gleichung die folgende Gestalt an: Hape 1 — Nnp? er 1 — 2Nnp®’ und daraus folgt: N ee — —ı——_, 140 oe 0 Wir vernachlässigen ferner in (139b) ebenfalls im Nenner die vierte Potenz gegen die zweite. Dann ist: \ and 972 N?rg! 0 ONE ONTD> und, wenn wir den Wert von Nrp? aus Gleichung (140) einführen: a oe 2? —1’ ner (v,?— 1)? A E q u DNA, Y,.(2v,—1) AINEN (141) a Amen h = k A FR NA? V, (2v,°—1) | Der Unterschied zwischen h, und h, besteht hier, wie auch im Falle dielektrischer Zylinder, darin, daß bei h,, im Nenner die erste Potenz von v, bei h, die dritte Potenz von y auftritt. S 14. Zahlenbeispiele. Wir wenden die gewonnenen Resultate auf ein zahlenmäßiges Beispiel an, um das Verhalten eines Mediums, wie es das von uns behandelte ist, 192 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. bei verschiedener Polarisation der angewandten Strahlung zu zeigen. Dabei stellt sich der Fall, daß der elektrische Vektor parallel zur Zylinder- achse ist, stets als der experimentell interessantere heraus. I. Ein dielektrisches Gitter. a) € sei parallel der Zylinderachse. Wir betrachten ein dielektrisches Medium von folgender Beschaffenheit: in das Vakuum seien Wasserzylinder vom Radius p = 0,2 cm eingelagert; ihre Entfernung von einander sei = 1; also ist N= 1. Wir berechnen 1 YN die Koeffizienten a, und a, aus Gleichung (9) und finden dann v, und %, aus Gleichung (83). Es zeigt sich, daß wir bis zu einer Wellenlänge von A = 5 cm herabgehen können; für kleinere Wellenlängen wird der Koeffizient a, noch beträchtlich, so daß die Formel (83) das Verhalten des Mediums nicht richtig darstellen würde. Diese untere Grenze der Wellenlänge kann nicht dadurch herabgedrückt werden, daß man den Koeffizienten a, noch berechnet, da wir sonst mit der Bedingung, daß 1 A» YN sein soll, in Konflikt kämen. Die ersten Eigenschwingungen des Mediums berechnen wir nach der in $ 11 erwähnten Weise und finden aus dem Koeffizienten a,: 1,0 713,158 cm 1,29 —= 2,7024 cm und dem Koeffizienten a;: A Alas.cm. Wir erhalten aus Gleichung (83) folgende Werte des Brechungs- exponenten und Extinktionskoeffizienten: Tabelle I. x in cm | Yy | %, ar 2,538 7 0,8029 1,3017 10 1,6986 2,363 12 2,9164 2,5004 13 3,0053 2,848 14 3,4627 2,7589 15 3,942 2,2434 18 4,215 1,413 20 4,132 0,851 25 3.9176 0,4257 30 3,688 0,239 40 3,475 0,109 | co 3,325 II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 193 Wie Figur 5 und Tabelle I zeigen, macht sich die Eigenschwingung .bei 13,158 cm durch ein starkes Absorptionsmaximum und steil ansteigende anomale Dispersion bemerkbar. Man kann auch noch den Einfluß der Eigenschwingung bei 4,778 cm konstatieren. b) € sei senkrecht zur Zylinderachse. In dem Falle, daß die elektrische Kraft senkrecht zur Zylinderachse ist, hat das Medium folgende Eigenschwingungen: 1 — 4,018 cm 12,922 Icm Für v, und %, ergeben sich die Werte: Tabelle Il. A in cm v, | var 5 1,515 | 0,126 7 1,174 N) 10 1,151 0 12 1,133 0 20 1131 0 00 1131 ) Man merkt, wie Figur 6 zeigt, noch eben den Einfluß der Eigen- schwingung bei 4,778 cm, der Brechungsexponent bleibt nahezu konstant, die Absorption wird—=0. Figur 7 zeigt die Differenz der Brechungs- exponenten im parallelen und senkrechten Falle, die die Stärke der Doppel- brechung mißt; der Sinn der Doppelbrechung kehrt sich im Gebiet der anomalen Dispersion um. I. Ein gut leitendes Gitter. Wir betrachten ein Gitter, das aus Silberdrähten vom Radius = 1073 cm besteht; die Leitfähigkeit des Silbers ist o = 6,25 - 1017, N sei nacheinander = 10, = 50, = 100. a. & sei parallel der Zylinderachse, y„und %, berechnen wir wieder nach der Gleichung (83), zur Berechnung derKoeffizienten benutzen wir aber dieFormeln für großes und kleines Argument auf p. 45. Das ist hier gestattet, wenn A ler 20 cm angesetzt wird. Es ist: 2r-1078 Me — 2io 10 10 — Ir: | ee — 0 j3. Nm a oe ad Ley ey: Tr, ist also auch für A — 20 cm noch größer als 6, so daß die max Formeln für großes Argument noch gültig sind. 1913. 13 194 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Berechnet man a, und a, aus Gleichung (9), so stellt sich heraus, daß a, noch nicht 1%,, von a, ausmacht, also zu vernachlässigen ist. Wir erhalten daher für den komplexen Brechungsexponenten die Gleichung: 2rNa,c? (vn iz 1%)? —a —- Een und finden daraus die in Tabelle III bis V wiedergegebenen Werte von y„ und %, bei verschiedener Konzentration. Die Dispersion ist in dem ganzen Gebiete von 1 cm bis 20 cm anomal mit einer Ausnahme bei einer Konzentration von N = 10. Tabelle II. N. ..10, Ain cm | Yır a 1 0,835 0,059 0,371 1,746 0,472 4,450 15 0,800 6,662 20 0,810 8,758 Tabelle IV. N = 50 A in cm | Yı | %, 1 0,261 0,774 5 0,740 4,371 10 1,061 9,900 15 1,435 14,992 20 2,322 19,738 Tabelle V. N = 100. A in cm | y, Kr 1 0,326 1,080 5 1,034 6,260 10 1,491 14,071 15 1,935 21,178 20 2,546 27,855. Be II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 195 b) € sei senkrecht zur Zylinderachse. In diesem Falle sind die Koeffizienten verschwindend klein, so daß v‚=1,%,= 0 anzunehmen ist. Wir erhalten nämlich: 0,0000097392 0,00000000061204 ; ON ea ee Te Baar an 54 0,0000394784 , 0,00000000122408 d, = 72 1 =F SEEN Wir behalten uns vor, zum Vergleich mit dem Silbergitter die Be- rechnung für ein Kruppingitter durchzuführen; die Schwierigkeiten sind dabei wesentlich größer, da die Formeln für großes Argument nicht mehr gelten; die Leitfähigkeit des Kruppins ist o —1,56-10!°, also ist: 2-1,56 — ij ae ar 3 156 1.56 Bun. ye Ki 3% 2 3) Die Reihen für dieses Argument sind mit Hilfe des Additionstheorems der Besselschen Funktionen zu berechnen. $ 15. Schlußbemerkung. Wir haben in der vorliegenden Arbeit die Dispersionstheorie eines Mediums, das aus Zylindern aufgebaut ist, aufgestellt, und zwar unter der in der Dispersionstheorie üblichen und notwendigen Annahme, daß 074 - 2% ist, d. h. daß der Radius der Zylinder klein gegen ihren Abstand von- einander, beides aber wieder klein gegen die Wellenlänge der sich in dem Medium fortpflanzenden Welle ist. Wir haben dabei zwei Fälle unterschieden: im ersten Falle pflanzt sich in dem Medium eine polarisierte Welle in der Weise fort, daß der elektrische Vektor parallel den Achsen der Zylinder ist, im zweiten Falle ist der magnetische Vektor parallel zur Zylinderachse. Wir sind unter diesen Annahmen zu Dispersionsformeln gelangt, die sich bei Spezialisierung auf dielektrische Zylinder und lange Wellen mit den Wienerschen Formeln der Stäbchendoppelbrechung decken. Ferner haben wir ein Analogon zu den Rayleighschen Dispersionsformeln auf- gestellt und gezeigt, daß für lange Wellen die Absorption eines dielektrischen, als auch eines leitenden, aus Zylindern aufgebauten Mediums der dritten Potenz der Wellenlänge umgekehrt proportional ist. Schließlich haben wir an Zahlenbeispielen die Doppelbrechung und den Pleochroismus eines solchen Mediums nachgewiesen. 13% 196 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ein weiteres Anwendungsgebiet für die vorliegende Theorie eröffnet sich vielleicht in der Untersuchung der Braunschen Gitter). Ferdinand Braun hat sog. Zerstäubungsgitter hergestellt, indem er einen feinen Metall- draht zwischen zwei Glasplatten durch Entladung einer Leydener Batterie zerstäubte. Das Metall geht dabei in gasförmigen Zustand über, kondensiert sich, und die Partikel schlagen sich auf Linien nieder, die nach seiner Behauptung senkrecht zu der Richtung des Drahtes liegen. Braun nimmt also an, daß der Metallniederschlag nach der Zerstäubung Gitterstruktur aufweist, da sich Gitterpolarisation nachweisen ließ, die er als Hertzsche Gitterpolarisation deutet (sog. Hertz-Effekt?). Dabei ist aber voraus- gesetzt, was durch kein Experiment bisher bewiesen wurde, daß die Richtung der Gitterstäbe senkrecht zur Drahtachse ist. Es ist jedoch auch möglich, daß die beiden Richtungen parallel werden, und dann würde der sog. Dubois-Effekt vorliegen. Für einen Zylinder haben Cl. Schaefer und F. Reiche gezeigt, daß in der Tat stets Hertz-Effekt vorliegen muß, doch ist es notwendig, die analoge Untersuchung auch für ein System von mehreren Zylindern durchzuführen. Eine sehr dünne Platte eines Mediums, wie wir es in dieser Arbeit behandelt haben, würde vielleicht als Braunsches Gitter anzusprechen sein; es wäre möglich, daß sich nach Durchführung dieser Theorie eine definitive Entscheidung treffen ließe. Zeichenerklärung. a — Vektorpotential d.von einemZylinder herrührendenFeldstärken. 4 = Vektorpotential der Maxwellschen Kräfte. A —= Vektorpotential der erregenden Kräfte. ‚O8 = Maxwellsche Kräfte. E,H9 = Erregende Kräfte. = — Mittelwert der Dielektrizitätskonstante. pw = Mittelwert der Permeabilität. D=EE — Dielektrische Verschiebung. B—=1H —= Magnetische Induktion. N = Anzahl der Zylinderquerschnitte in der Flächeneinheit. %, = Polarisation d. Volumeneinheit, entsprech. d. ersten Partialwelle. Po —= Moment eines Einzelstromes. %, = Polarisation d. Volumeneinheit, entsprech. d. zweiten Partialwelle. 2%, = Moment eines Doppelstromes. Y»%, — Brechungsexponent und Extinktionskoeffizient im parallelen Falle. v,%, — Brechungsexponent u Extinktionskoeffizientim senkrechten Falle. 1) Ferdinand Braun: Der Hertzsche Gitterversuch im Gebiet der sichtbaren Strablung. Ann. d. Phys. 16, 1905, p.1. F. Braun: Über metallische Gitterpolarisation, insbesondere ihre Anwendung zur Deutung mikroskopischer Präparate. Ann. d. Phys. 16, 1905, p. 238. F. Braun: Der Mechanismus der elektrischen Zerstäubung; Zerlegung von Metallegierungen, Schmelzen von Kohlenstoff. Ann. d. Phys. 17, 1905. 2) Cl. Schaefer und F. Reiche. Annalen der Physik, 32, 1910, p. 577. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 197 = JE BrBaee zes = j -} s EEzE a er ” ci f IT Mi Bi 2 AL Ain cm Wassergitter: e=81; N=1; p=0,2 cm y und x% im parallelen Falle. 198 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Figur 6. hr EERRERHIRBIEN 34 | 5 EUER FEIERN | „RBB SEAN EN | | BEREIT | DE | _ 50 60 70 80 20 30 40 A in Wassergitter. ec —=81:, N— 1:2 9 —10,2%cm y und % im senkrechten Falle. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 199 Figur 7. fer er) [1 et N SER ce Hi 1,0 Eau zz BRNEERERIEIE tie SMS DEN IL EEE ER Ei ER a A Eu En EEE ERBE RE 50 0 10 20 30 40 60 70 80 Wassergitter:” Stärke der Doppelbrechung v,— v.. ENEEREEEERmER % incem 200 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Figur 8. Da ——f Zran: Br NANBAERE:: - BERBEETERZER EEE.) |. ZDZRBRRZBERRREEN | __ 2» en BBEn_ BE a8 ENNEUFEBENENE De EEZZERNE: _— FuEEEZ Silbergitter: o—= 6,25 - 10!" p=101° cm y und x im parallelen Falle. Ainc II. Abteilung, Naturwissenschaftliche Sektion. 901 I. Bemerkungen zu dem Vortrage von Fräulein Stallwitz. 2. Bericht über eine Arbeit des Herrn G. Neumann, Die träge Masse schnell bewegter Elektronen betreffend. Von Prof. Dr. Cl. Schaefer. Sitzung am 12. November. Die träge Masse schnell bewegter Elektronen. Von Günther Neumann. $ 1. Im Jahre 1909 veröffentlichte A. H. Bucherer eine Arbeit: Die experimentelle Bestätigung des Relativitätsprinzips!). Er bestimmte darin die spezifische Ladung ° des Elektrons als Funktion seiner Ge- m schwindigkeit an den Becquerelstrahlen eines Radiumfluoridkörnchens. Berechnet man -“- aus den Versuchen nach der Abraham’schen oder m ! 0) Lorentz-Einstein’schen Theorie, so müssen sich nach beiden verschiedene Werte ergeben. Diejenige Theorie ist die richtige, bei der © sich als m unabhängig von der Geschwindigkeit erweist. Seine Messungen ent- schieden für die Lorentz’sche Theorie. An die Arbeit knüpfte sich eine längere Polemik mit A. Bestelmeyer?), in der letzterer verschiedene Einwände machte. Es bleiben zwei Punkte zu erörtern. Bestelmeyer sagt?): „Es ist zum mindesten fraglich, ob über- haupt die Versuche eines einzigen Forschers mit einem einzigen Apparat ausreichen können, eine so wichtige Frage, wie die der Grundlagen der Theorie der Elektrizität und vielleicht selbst der Mechanik, definitiv zu entscheiden. Jedenfalls aber scheint mir in einem solchen Falle einer- seits eine detaillierte Angabe aller Messungen und . Beobachtungs- protokolle, andererseits eine ausführliche Besprechung aller Fehler- quellen nötig.“ Des weiteren vertritt Bestelmeyer*) die Ansicht, dass die maximale Schwärzung bei den photographisch fixierten ß-Strahlkurven Bucherers vielleicht nicht von den #-Strahlen desjenigen Geschwindig- keitsbereiches herrührt, für den der Versuch berechnet ist, von den soge- nannten „kompensierten“ Strahlen, sondern von ß-Strahlen benachbarter 1) s. Ann. d. Physik, 28, p. 513, 1909 und Physik. Zeitschr. 9, p. 755, 1908. 2) s. A. Bestelmeyer, Ann. d. Phys, 30. p. 166, 1909 und 32, p. 231, 1910, sowie A.H. Bucherer, Ann. d. Phys. 30, p. 974, 1909. 3) Ann. d. Phys. 30, p. 167. 4) Bestelmeyer a. a..O. p. 169 ff. 203 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Geschwindigkeitsbereiche, die auch noch die photographische Platte treffen. Er fasst seine Forderungen in dem Schlusssatze zusammen‘): „Ein Beweis durch Bestimmung der Geschwindigkeitsfunktion der Elektronenmasse aber hat eine grössere Anzahl von Versuchen, eine engere Auswahl der im einzelnen Versuch registrierten Geschwindig- keiten und ausführliche protokollarische Veröffentlichung mit eingehender Fehlerdiskussion zur Voraussetzung“. Diese Bemerkungen haben den Anlass zu vorliegender Arbeit gegeben. Es hatte zunächst K. Wolz?) unter Bucherers Leitung ein etwas Ne e Ban : modifiziertes Verfahren benutzt, um —- möglichst genau zu bestimmen. m 0 Er setzte die Ergebnisse der Bucherer’schen Arbeit als zu Recht be- stehend voraus und berechnete — nur nach der Lorentz-Einstein’schen 0 Theorie; in dem von ihm benutzten Geschwindigkeitsbereich ? = 0,5 bis P = 0,7 ergab sich dabei völlige Konstanz der spezifischen Ladung. Auf eine Untersuchung der Werte, die sich aus seinen Versuchen nach der Abraham’schen Theorie ergaben, ging er indessen nicht ein. Herr Professor Bucherer war dann so liebenswürdig, mir die von ihm und Wolz benutzten Apparate zu meinen Versuchen zur Verfügung zu stellen. Zu besonderem Danke bin ich Herrn Professor Bucherer noch dafür verpflichtet, dass er mir in entgegenkommender Weise ein Radium- fluoridpräparat lieh. Der wichtigste, in der Methode selbst liegende Streitpunkt, die Frage der nichtkompensierten Strahlen wird in S 8, Ziffer 3 dieser Arbeit untersucht werden. Die Bemerkungen Bestelmeyers über Protokolle und Fehlerangaben sollen im folgenden weitmöglichst berücksichtigt werden. Der Gang der Arbeit war der, dass zunächst bei den mir geliehenen Apparaten die Apparatkonstanten zur Kontrolle neu bestimmt und einige Aufnahmen zur Orientierung gemacht wurden. Die dabei gesammelten Erfahrungen gaben Veranlassung, einen Teil der Apparatur umzuändern oder zu erneuern. Dann wurde eine grössere Anzahl von Messungen ausgeführt, deren Resultate das endgültige Ergebnis der Arbeit darstellen. 82. Obwohl im Prinzip die Bucherer-Wolz’sche Methode beibehalten wurde, — von Wolz’ Versuchsanordnung wurde nur dort abgewichen, wo die Rücksicht auf eine bessere experimentelle Ausführbarkeit es wünschenswert erscheinen liess, — seien doch der Übersichtlichkeit halber nochmals kurz die theoretischen Grundlagen angegeben. 1) Bestelmeyer a. a. O. p. 174. 2) Kurt Wolz, Die Bestimmung von m Ann. d. Phys. 30, p. 273, 1909. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 903 Das Radiumpräparat, für dessen P-Strahlung die spezifische Ladung der Elektronen bestimmt werden sollte, sendet zunächst, da es sich im Zerfallsgleichgewicht befindet, £-Strahlen aller möglichen Geschwindig- keiten aus. Lässt man also ein ausgeblendetes Bündel der Strahlung ein Magnetfeld senkrecht zur Kraftlinienrichtung passieren, so erhält man auf einer in den Strahlengang gesetzten photographischen Platte ein magnetisches Spektrum der Strahlung, weil die vom Felde auf die Eiektronen ausgeübte elektrodynamische Kraft gleich e. H. u (wo e die Elektronenladung, H das Feld, u die Geschwindigkeit des Elektrons bedeutet), also eine Funktion von u ist. Die Strahlen werden je nach ihrer Geschwindigkeit verschieden stark vom geradlinigen Wege ab- gelenkt. Lässt man dagegen die Strahlen ein elektrisches Feld von der Stärke E, etwa das eines Kondensators, senkrecht zur Kraftlinienrichtung passieren, so wird auf alle Strahlen die elektrostatische Kraft e.. E ausgeübt. Lagert man das magnetische Feld über das elektrische, so dass Bahnrichtung der unabgelenkten Elektronen, elektrisches und magnetisches Feld, alle drei aufeinander senkrecht stehen, wie die Achsen eines rechtwinkeligen Koordinatensystems, und zwar so, dass die elektrostatische Ablenkung und die elektromagnetische entgegen- gesetzte Richtung haben, so wird auf die Strahlen aller Geschwindig- keiten die Kraft - (1) F=eE — eHu ausgeübt, und die Strahlen werden nach der einen oder anderen Seite abgelenkt, je nachdem der erste oder zweite Summand grösser ist. Es pflanzt sich nur die Strahlung gradlinig fort, für die (2) eE = eHu oder E (3) -——d = Tr ist (e Lichtgeschwindigkeit). Die dieser Gleichung gehorchenden Strahlen sind die weiter oben als „Kompensierte‘ bezeichneten. Nach Verlassen des elektrischen Feldes befinden sich die kompen- sierten Strahlen unter der alleinigen ablenkenden Wirkung des Magnet- feldes, und man misst die mit Hilfe einer photographischen Platte fixierte Ablenkung. Die experimentelle Anordnung ist folgende (Fig. 1): Das verwendete Radiumpräparat bestand aus etwa 2 mg Radiumfluorid, das an ein Stückchen Platindraht in Form eines kleinen Ellipsoides angeschmolzen war. Mit dem Platindraht wurde es auf einem Wachsklötzchen be- festigt, und dieses seinerseits an dem das elektrische Feld erzeugenden Kondensator, wie in der Figur angedeutet. Der Kondensator besteht aus 204 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zwei optisch ebenen, mit Silberbelegungen versehenen Glasplatten von rechteckigem Querschnitt. Er befindet sich in einem Solenoid, das in dem zur Verwendung gelangenden Raum ein homogenes Feld erzeugt. Auf Einzelheiten der Apparatur wird weiter unten eingegangen werden. IH "Psopgmeansnnmm (3 a Kondensator Photograph. Grundriß. Platte Die in den Raum zwischen den Kondensatorplatten gelangenden £-Strahlen werden zum grössten Teil schon innerhalb des Kondensators abgelenkt und treffen auf die Belegungen. Nur das kompensierte Strahlenbüschel verlässt den Kondensator geradlinig, um dann allein unter Wirkung des Magnetfeldes H in der in Fig. 1 angedeuteten Weise längs des Weges a abgelenkt zu werden; diese Ablenkung z von der durch die y-Strahlung repräsentierten geradlinigen Richtung wird mit Hilfe einer photographischen Platte fixiert, die zur Kondensatorebene und zur y-Strahlung senkrecht steht. Aus den Feldgrössen, sowie a und z be- rechnet Bucherer mit Hilfe der Lorentz-Einstein’schen Relativitätstheorie (a. a. O. p. 520): (4) a — 3 er H tang (are sin ß). Bei Zugrundelegung der Abraham’schen Theorie des starren Elektrons dagegen erhält er: I, jaerzHr 0A Tang 25 { wenn Zangd — B ist. Diese Formeln wären ohne weiteres anwendbar und könnten damit zu einer Entscheidung zwischen den beiden Theorien dienen, — die 9 25 — Tang 2 (5) e CZ 3 0) Tang 25 richtige Theorie muss Unabhängigkeit des Wertes für von ß er- ID, geben, — wenn der Weg a der Elektronen im Magnetfelde allein wirklich II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 205 gleich dem Abstande des Kondensatorrandes von der photographischen Platte wäre. Es findet indessen an den Kondensatorrändern eine Kraft- linienstreuung statt, deren Wirkung in erster Annäherung‘) so ist, als ob das Feld um ein Stück p homogen weiter verliefe und dann sprung- weise auf O absänke; d. h. der Weg im freien Magnetfelde ist nur a — p, so dass in (4) und (5) an Stelle von a die Grösse (a — p) zu setzen ist- Um p zu bestimmen, ist dann notwendig, einen zweiten Versuch unter denselben Versuchsbedingungen, nur mit verändertem a zu machen, und man erhält dann statt (4) folgendes Gleichungspaar zur Bestimmung der beiden Unbekannten ©) und p: 0 2 cz 2 (4a) G)=; Pt au H tang (are sin ß) nach 2 CZ, Lorentz: (Z \ 7 fans (are sin B). I, (a -P’+ 2% 2 Ganz analog sehen die nach der a schen Theorie entwickelten Formeln aus: (da) e I cz al Zn nach = [a — pP?’ + z 4B Tang 25 Abraham: (2) = 2 02 2 3 28 — Tang 2 | 0 [a —p’+z]H (4Bß XZang2d Für p ergibt sich aus (4a) und (5a) in Übereinstimmung: (6) peim a Se =) > a oa —|1 « —1ı ZuN. wo eo = -— Ist. 2» Das + Zeichen in (6) ist eingeklammert, weil die mit dem positiven Wurzelwert gebildeten Ausdrücke keinen physikalischen Sinn ergeben. In praxi lässt sich die oben gestellte Forderung der Innehaltung derselben Versuchsbedingungen unter alleiniger Änderung von a nicht durchführen, infolgedessen bekommt der Faktor % für beide Theorien verschiedene Bedeutung: Relativtheorie: & = Z Ds tg (arc sin B,) i 7 (Lorentz) Z, 9, tg (are sin ß,)’ 9) 3.25% 89208 2 9: ! | Kugeltheorie: & = 4 Bı 3925, ae (Abraham) 2, 9 SOSE | zB, 0 292%, wie oben gesagt, B = Tang ist. 1) s. Bucherer, a. a. O. p. 522. 306 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Alle Versuchspaare müssen theoretisch denselben Wert von p er- geben, da p ja den Charakter einer geometrischen Grösse, gewisser- massen einer Apparatkonstanten hat, und zwar unabhängig davon, ob es nach der Lorentz’schen oder Abraham’schen Theorie berechnet wird; da aber zur Bestimmung von p zwei Versuche notwendig sind, und man es natürlich nicht erreichen kann, das magnetische und elektrische Feld bei beiden absolut identisch zu machen (d. h. da man immer zwei etwas verschiedene Geschwindigkeiten £, und ß, hat), so gehen also in p erstens die Differenzen der beiden Theorien, zweitens die Versuchsfehler ein. Tatsächlich weisen daher die verschiedenen p-Werte Differenzen auf. Um vergleichbare Resultate zu erhalten, muss man das Mittel aus allen p-Werten zur Berechnung benutzen. Es wird auf diesen Punkt in $ 8 noch näher eingegangen werden. S 3. Der Kondensator bestand, wie schon angedeutet, aus zwei ver- silberten rechteckigen Glasplatten, deren Abstand von einander durch 4 an den Ecken dazwischen gelegte planparallele Quarzplättchen fixiert war. Es wurden dabei nicht die von Wolz benutzten Kondensator- platten verwendet, denn bei ihnen waren die Stirnflächen S (Fig. 2) matt geschliffen, so dass es nicht möglich war, den hier bei der Versilberung niedergeschlagenen Überzug nachträglich zu entfer- nen, wie ich beabsichtigte, um die Randstreuung und damit die p-Korrektur auf ein Minimum herabzudrücken. Ich liess da- her zwei neue optisch ebene FiS. 2. Platten anfertigen, bei denen sämtliche Flächen poliert waren. Die Platten hatten folgende Dimensionen: Länge 5,0 em Höhe 0,5 cm \ rund. Breite 3,0 cm Sie wurden auf ihre Güte mit dem Abbe-Fizeau’schen Interferenzapparat zur Prüfung planparalleler Platten untersucht. Die Versilberung befand sich auf der Fläche ABCD, mit deren Rändern sie scharf abschnitt; nur an der Ecke © reichte ein etwa 0,5 cm breiter Streifen über die Stirn- fläche weg bis etwa 0,5 cm weit auf die Rückseite, wo die Spannung zugeführt wurde. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 907 Die Versilberung führte ich bei den ersten Probeversuchen nach dem bekannten Zuckerreduktionsverfahren!) aus, für die späteren Versuche liess ich die Versilberung, die mehrfach erneuert wurde, von der Firma J. D. Möller, Wedel in Holstein, ausführen. Die von Bucherer und Wolz benutzten Quarzplättchen (in Kreisform; 0,5 cm Durchmesser), die den Abstand der Kondensatorplatten von einander fixieren, waren nach einer Mitteilung Bucherers nicht mehr brauchbar, da sie längere Zeit in der Nähe des Radiumpräparates gelegen hatten und dadurch leitend geworden waren. Herr Professor Bucherer übersandte mir daher 4 neue Plättchen, die er mir nebst den alten freundlichst zur Verfügung stellte. Zu ihrer Dickenmessung wurde ein Zeiss’scher Tiefentaster ver- wendet, dessen Silberskala von der Physikalisch-Technischen Reichs- anstalt zwei Mal geeicht war. Zunächst wurden die alten Plättchen zur Kontrolle der Messmethoden nachgemessen. Je 50 Messungen der drei Plättehen — eins war inzwischen, beschädigt worden —, ergaben die Dicke 0,25071 mm, während Bucherer nach anderer Methode?) gemessen hatte: 0,25075 mm und Wolz: 0,25048 mm. DieÜbereinstimmung ist also recht gut. Darauf wurden die neuen Plättchen, die ebenfalls Kreisform und 0,5 em Durchmesser hatten, gemessen. Mit jedem Plättchen wurden 50 Messungen vorgenommen, woraus sich als Mittel die Dicke d = 0,2510 mm ergab. Eine Kontrollmessung am Ende der Versuche ergab d = 0,2512 ,„, , also im Mittel: d— 0/2541 0, CE 0,5.%0)- Zum Zusammensetzen des Kondensators wurde der schon von Wolz a.a.0. beschriebene Apparat verwendet (s. a. Fig. 3a). Auf einer recht- W p eckigen, ebenen Grund- platte g sind 6 Messing- KENNT, WELT „ [1 säulen m genau vertikal INC _ MN. IR un we 3a. Fig. 3b. aufgeschraubt, und zwar so, dass an den beiden Längsseiten je 2, an den Querseiten je 1 stehen. Alle Säulen haben in gleicher Höhe über der E nl 1) s. Ostwald-Luther, Physiko-chemische Messungen, 2. Aufl. 1902, S. 330. 2) s. Bucherer a. a. O. p. 517. 308 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Grundplatte etwas dünnere Zapfen z. Der Abstand der Säulen von einander ist so gewählt, dass die Kondensatorplatten P genau zwischen die Zapfen z passen. Es wurde die eine Platte P mit der Belegung nach oben in dies Gestell gelegt, dann die 4 Quarzplatten Q auf die vier Ecken gebracht und schliesslich die zweite Platte P mit der Belegung nach unten darauf gelegt. Die in Fig. 2 mit E bezeichneten Zunger befinden sich in Fig. 3a am rechten Ende, die Zunge der unteren Platte ist nicht gezeichnet, da sie auf der vom Beschauer abge- kehrten Seite liegt. Nach An- legung von 4 Klemmen zum Zusammenhalten der Platten konnte der Kondensator aus dem Gestell gehoben werden. Es zeigte sich jedoch, dass die Säulen m nicht mehr ge- nau senkrecht {zu g standen, so dass die Ränder der Platten P bei W nicht mehr übereinander lagen, wie in Fig. 3b übertrieben gezeichnet ist. Da es aber gerade darauf ankommt, dass diejenigen Ränder der Kondensatorbelegungen, bei denen die kompensierten Strahlen austreten, möglichst genau übereinander liegen, — nur dann ist der Abstand a zwischen Kondensator und . photographischer Platte exakt zu bestimmen, — so wurde das Gestell gemäss Fig. 3c verändert. Der Zapfen zı der einen Querseite wurde so angefeilt, dass nur an der Stelle W ein kleiner Wulst stehen blieb. Gegen ihn legten sich die Platten P mit den versilberten Seiten genau an, zumal sie vom gegenüberliegenden Ende mit kleinen Keilen vor- sichtig dagegengepresst wurden. Die 4 Quarzplättchen wurden aufs sorgfältigste gereinigt und unter vorsichtigster Fernhaltung von Staub auf ihren Platz gebracht. Dann wurden die vier Klemmen Kı und K:, deren u-förmige Gestalt auf Fig. 5 (hier mit kl bezeichnet) deutlich zu erkennen ist, genau über den Quarzplättchen aufgesetzt und gleichmässig fest angezogen. Die beiden Klemmen Ks» trugen seitlich kleine Schräubehen B zum Anlegen der Potentialzuführung. Fig. 3c. Die Klemmen waren mit Glimmer überall sorgfältigst von den Kon- densatorplatten isoliert, ausgenommen die 2 Klemmen K:, die mit je einer der Zungen E in leitender Verbindung waren. Isolationsmessungen, die nach jeder Neuzusammensetzung, sowie zwischendurch vorgenommen wurden, ergaben den Widerstand des Kondensators zwischen 10 und 10'” Ohm. Er sank im Laufe der Versuche durch die Wirkung der Radiumstrahlung etwas, indessen wurde er nicht geringer als 101° Ohm. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 209 Die Justierung des Kondensators gegen die photographische Platte wurde in dem schon von Wolz benutzten Messinggehäuse ausgeführt: jedoch wurden einige Veränderungen vorgenommen, die das Justieren erleichterten; die Einrichtung war daher folgende (s. Fig. 4): der Messing- ISSSSESASSISTTISISESTESSSTISSCHÄSTHTISSERISTHESSSIN "ZIUFALEBLLIETETHIRLESLERERTTTREGERERBTELLETGLTEREIEEN > SUURTERRETOIEBO N PEBERERBEBUESLORERIERES IRNNNRNRÄANNATTRNNRNRRNÄNBNNNNENRSSRAN Ya] I m KR N z N, Bachs z Y Ü; Sa Mi A Ss m rohrstutzen i lässt sich mit Reibung in dem Rohr A verschieben; seine Stellung gegen A wird durch 2 in der Figur nicht sichtbare Schrauben fixiert, die durch zwei Längsschlitze in A hindurchgehen. p ist die kreisförmige photographische Platte von 5 cm Durchmesser, die durch die an den Rändern schwach gegen sie drückende Feder f (in der Figur nur schematisch angedeutet) in eine ringförmige Ausdrehung von A gepresst wird, so dass die Ebene von p genau senkrecht zur Rohrachse steht. Ich benutzte zunächst eine auf die Mitte der photographischen Platte drückende Feder, da es sich indessen herausstellte, dass dadurch die Platte etwas durchgebogen wurde, kam von Platte 37 an eine Feder zur Verwendung, die auf die Ränder der Platte drückte, so dass ein Durchbiegen ausgeschlossen war. In i ist ein Segment s eines Messingrohres genau eingepasst und durch drei Schrauben mit ihm starr verbunden. Auf das Segment ist die recht- eckige Messingplatte m horizontal aufgelötet; auf ihr wird der Kondensator Kı K> aufgekittet. An den 4 Ecken hat die Platte m kleine rechteckige Ausschnitte, damit die Kondensatorklemmen kl mit ihr nicht in leitende Berührung kommen können. Die Stirnfläche S des aus Segment s und Messingplatte m gebildeten Kondensatorfusses ist genau senkrecht zur Rohrachse und damit auch zur Oberfläche von m abgeschliffen. Der Kondensator wird aufgekittet, indem man die angewärmte Platte m gleichmässig dünn mit einer Mischung von Kolophonium und 1913. 14 910 Jahresbericht der Sehles. Gesellschaft für vater. Cultur. Wachs bestreicht, dann sowohl den Kondensator, als auch den Messing- fuss, mit ihrer Stirnfläche auf eine plane Glasplatte setzt und leicht an- einanderdrückt, bis der Kitt erstarrt ist. Auf diese Weise erreicht man zuverlässig, dass die Stirnfläche des Kondensators mit der Schicht der photographischen Platte parallel ist, und dass also die Kondensator- ebene auf der photographischen Platte senkrecht steht. Ein mit einem rechteckigen Spalt von 3.0,3 em Grösse versehenes Siegellackdiaphragma d ist herausnehmbar eingerichtet und wurde bei einem Teil der Auf- nahmen verwendet. Über seinen Zweck wird noch weiter unten ($ 8 S. 38) gesprochen werden. Sowohl A wie i haben mehrere Ausschnitte, die dem Zwecke dienen, das Innere des Gehäuses leichter zugänglich zu machen; sie gestatten auch das Anvisieren von photographischer Platte und Kondensatorrand bei der Ausmessung des gegenseitigen Abstandes a derselben. Diese Ausmessung fand auf einer Teilmaschine statt, deren Schraubenspindel mittels des Normalmeters der Provinz Schlesien, das mir das hiesige Königliche Eichamt freundlichst überliess, geeicht wurde. Das Messinggehäuse wurde zur Messung von a in ein passendes Gestell mit verstellbaren Fussschrauben gelegt, so dass seine Längs- achse parallel der Schraubenspindel der Teilmaschine ausgerichtet werden konnte. Zum Messen wurde eine in Höhe des Kondensatorspaltes durehschnittene photographische Platte bei p eingesetzt, so dass also der Kondensatorrand und der Rand der photographischen Platte in ein und derselben Einstellebene des Beobachtungsmikroskops lagen. Späterhin, von Aufnahme 26 an, wurde an Stelle der Glasplatte eine sorgfältig eben geschliffene Messingplatte benutzt, die ein genaueres Einstellen er- imöglichte; sie war von der Grösse der photographischen Platten und hatte einen 1,5 em breiten Ausschnitt in u-Form, dessen horizontale Kante genau in gleicher Höhe und parallel mit dem Kondensatorspalt verlief; auf diese Kante wurde eingestellt. Beim Anvisieren des Kondensatorrandes zeigte es sich, dass ein genaues Einstellen auf ihn nicht möglich war, infolge der an den verschiedenen Glasflächen auf- tretenden Lichtreflexe. Dem konnte indessen dadurch abgeholfen werden, dass ein Stückchen Klebwachs als Marke auf die Stirnfläche dieht unter den Kondensatorspalt geklebt wurde. Die Genauigkeit, mit der a gemessen wurde, war bei der Verwendung der Messingplatte eine recht gute. Der mittlere Fehler konnte durch wenige Einstellungen auf ein bis zwei Zehntel Promille herabgedrückt werden. Bei Verwendung der Glas- statt der Messingplatte war die Ge- nauigkeit geringer, deshalb wurde, wie schon erwähnt, von Aufnahme 26 an ausschliesslich die Messingplatte verwendet. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 311 Da die photographischen Aufnahmen in möglichst hohem Vakuum vorgenommen werden mussten, wurde der ganze Apparat in ein Glas- gefäss eingesetzt, wie es Fig. 5 zeigt. Die Lage des Messinggehäuses wird dabei durch 6 Messingstützen fixiert, die in zwei Kränzen zu je dreien an seinen Enden angeordnet sind. Die beiden nach oben weisenden Zapfen federn etwas, damit die Glaswandung beim Einsetzen nicht zersprengt wird. Die Ebene des Kondensators ist parallel zur Oberfläche des Fussbrettes F orientiert, seine Stirnfläche ist parallel zu der nach vorn gekehrten Kante k des Fussbrettes, die gegen die Längswandung des Solenoides mittels zweier Federn gepresst wird und so als Führung dient. Die Justierung wurde auf der Anreissplatte mit dem Höhenreisser und mit geeigneten Schablonen nachgeprüft. Die beiden in der Figur Fig. 3. mit H bezeichneten Kreissegmente wurden erst später angebracht; ihr Zweck wird weiter unten angegeben werden. Durch diese ganze, sorg- fältig ausgeführte Justierung ist also erreicht, dass erstens die Solenoid- achse durch die Kondensatorebene läuft, und zweitens die Achse des Messinggehäuses senkrecht zur Solenoidachse steht, d. h. senkrecht zu den magnetischen Kraftlinien. In die beiden Glasstutzen G sind zwei Spiral- federn eingeschmolzen, die Elektroden E. Nachdem das Gehäuse mit dem die photographische Platte tragenden Ende in das Glasgefäss ein- geführt ist, bis es sich gegen die nur wenig gewölbte Hinterwand des- selben legt, können die Elektroden mittels Pinzette aus den Ansätzen G herausgezogen und an die Klemmen kl des Kondensators angelegt werden. 14* 212 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Verschlossen wird das Gefäss durch eine sorgfältig auf S aufgeschliffene schwarze Glasplatte von 0,5 cm Dicke. Das Rohr R führt zur Luftpumpe, der Holzstiel L dient als Handgriff beim Einschieben des Apparates ins Solenoid. Um Licht von aussen fernzuhalten, sind alle Glaswände mit einem lichtdiehten Überzug versehen. S4. Zur Erzeugung des magnetischen Feldes diente zunächst dasselbe Solenoid, das A. H. Bucherer und K. Wolz zu ihren‘ Versuchen benutzt hatten. Der Rahmen bestand aus einem doppelwandigen Zinkrohr von rechteckigem Querschnitt und hatte folgende Dimensionen: Bängeme 7. sell akcm Iichtewlohesu ne a IichteeBre tego 22 äussere Höhe. 0, 14,57, äussere Breite. 22,5 , Je zwei Rohransätze an den Enden gestatteten es, während der Messungen zwischen den Doppelwänden hindurch einen Wasserstrom zur Kühlung zu leiten, doch musste der Strom unter Zuhilfenahme eines Manometers vorsichtig reguliert werden, um Deformation der Rohr- wandungen durch Wasserdruck zu vermeiden. Als das Solenoid in meine Hände kam, zeigte das Innere mehrere solcher Beulen, die auch Wolz ]. ce. schon erwähnt, wodurch ein sorgfältiges Justieren des Glasgefässes erschwert wurde. Aus diesen, wie auch aus später anzugebenden Gründen, beschloss ich, das Solenoid nur zu den Vormessungen zu be- nutzen, für die eigentlichen Versuche indessen ein neues herstellen zu lassen. Der Rahmen war mit zwei Lagen emaillierten Kupferdrahtes von i mm Dicke umwickelt. Um das Magnetfeld zu bestimmen, wurde die von Bucherer und Wolz 1. ec. erwähnte Normalspule verwendet: Auf einen genau gedrehten Marmorring von R — 20,635 cm Radius und 2b = 4,12 cm Breite waren n = 136 Windungen emaillierten Kupfer- drahtes von 0,3 mm Stärke in einer Lage aufgewickelt. Daraus folgt der mittlere Radius der Drahtwindungen Rn = 20,650 em; nach der bekannten Formel: *) 2KTEEN Hm = 77 ——— +1 ergibt sich dann dass Held VRRp: im Achsenmittelpunkt: Hm = 4,1177 Gauss für den Strom 1 elektro- magnetische Einheit. Bucherer und Wolz geben den Wert zu 4,1205 an; wie eine Nachprüfung der Rechnung zeigte, hatten sie versehentlich die Drahtdieke bei der Feldberechnung vernachlässigt. Infolgedessen ändert & a e 3 sich der von ihnen angegebene Absolutwert von — etwas; es ergibt m 0 II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 913 eo \bor. sich der Wert von Bucherer: ( -) —= 1,766 m, eo \bor. der von Wolz: ee) 1,006. m, Die von Bucherer erhaltenen Ergebnisse über die Gültigkeit der Lorentz-Einstein’schen oder der Abraham’schen Theorie werden durch diese Korrektion in keiner Weise beeinflusst. Mit dieser Normalspule wurde das Feld des grossen Solenoids aus- gemessen. Die Normalspule wurde über das Solenoid geschoben und so justiert, dass die Achsen und deren Mittelpunkte zusammenfielen. Dann wurden durch beide Spulen Ströme geschickt, die in ihnen entgegen- gesetzt gerichtete Felder erzeugten. Die Ströme wurden so lange variiert, bis die Felder sich kompensierten. Dann konnte aus einer einfachen Pro- portion das Feld des Solenoids beim Strome 1 aus dem der Normalspule berechnet werden. Als Indikator der Kompen- sation diente ein kleines Magneto- meter von folgender Konstruktion (s. Fig. 6): An dem sehr dünnen Glasstäbehen s war ein leichtes \ Galvanometerspiegelchen g befes- tigt, ferner ein sehr dünn gespal- tener Glimmerflügel d, endlich 5 S N ZU LRIEERTREETRRETEERRTETRERERDEIIDIIIITEREIDTEIITIEODIDDIIENEONNG. ZVURRTIITIDITEIRIERITIR. etwa 2 mm lange Stahlmagnete m mit gleichgerichteten Polen. Dies Gehänge war an einem Quarzfaden Q aufgehängt, der an dem aus einem Messingstäbehen hergestellten Gehängekopf k an- R AHHRBTERETRITRTTTRTITITTRVIIEEITIIERIRI gekittet war. Das ganze Sy- stem befand sich in dem Glas- rohr R, das störende Luftströ- mungen fernhalten sollte. Da die Breite des Glimmerflügels nur wenig geringer war als der Durch- messer vonR,war dieDämpfung eine recht gute. Das Rohr R war oben verschlossen durch den leicht dreh- baren Hartgummistopfen H. In ihm VZITILLILLRITILLILTELILLLITLITLILIILILEITTTLTTEITTELIITET OIU war ein Messingröhrchen F ein- gekittet, das dem Gehängekopf als 914 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Führung diente; dieser konnte darin mit Reibung gedreht, gehoben und gesenkt werden. Das Rohr R war auf den mit dem rechteckigen Grund- brett B verschraubten Zapfen Z aufgekittet. In Höhe des Spiegels trug es einen kurzen mit Spiegelglasplatte verschlossenen Tubus, der in der Figur durch einen gerissenen Kreis angedeutet ist; die Glasstäbchen a standen ein wenig hinter dem Gehänge und dienten als Anschläge. Die in Fig. 6 angegebenen Dimensionen sind die des Magnetometers, das für das neukonstruierte, weiter unten zu: beschreibende Solenoid ver- wendet wurde. Sie weichen von dem im vorliegenden Falle benutzten etwas ab. Das Magnetometer wurde im Innern des Solenoides auf einer Milli- meterpapier-Skala verschoben, die auf eine in dasselbe eingepasste Glas- platte geklebt war. Es wurde zunächst so aufgestellt, dass die Magnete sich genau im Mittelpunkt der Solenoidachse befanden; letztere war durch kreuzweise über die Endquerschnitte des Rahmens gespannte Fäden markiert. Die Stellung des Spiegels wurde mittels Fernrohr und Skala aus etwa 3 m Entfernung durch das auf den Glastubus gekittete Fenster abgelesen. Die durch die beiden Spulen geschickten Ströme wurden mittels zweier Milli-Amperemeter gemessen. Die Messungen waren recht mühsam, da das Magnetsystem durch mechanische Erschütterungen und magnetische Störungen selbst in grosser Entfernung vom Physikalischen Institut vorbeifahrender Strassenbahnen dauernde Schwankungen um die Nullage ausführte. Die Messungen wurden daher nachts vorgenommen, in der Zeit, in der die Strassenbahnen nicht fuhren. Bevor an die eigentliche Auswertung des Feldes gegangen werden konnte, musste festgestellt werden, ob auch wirklich das Magnetsystem im Mittelpunkt der Normalspule war, wenn es sich im Mittelpunkte des Solenoids befand. Gegen das letztere war es mit Hilfe der oben er- wähnten Millimeterpapier-Skala leicht zu orientieren, dagegen nicht gegen die Normalspule, die auf einer, auf den Experimentiertisch gezeichneten Skala verschoben wurde. Berechnet man die Feldstärken der Normal- spule längs deren Achse, so findet man eine sehr schnelle Abnahme beim Herausgehen aus dem Achsenmittelpunkt, wie aus der im Vergleich zum Radius sehr kleinen Länge erklärlich wird. Geht man dagegen vom Mittelpunkt aus seitlich im mittleren Querschnitt weiter, so zeigt sich eine viel geringere Feldänderung. In dieser Richtung verursachte also eine Abweichung von der wirklichen „Nullstellung‘“ selbst um einige Millimeter keinen merklichen Fehler. Um die richtige Stellung in Richtung der Achse zu ermitteln, wurde folgendermassen vorgegangen: Das Magnetometer wurde genau in den Mittelpunkt des Solenoids gestellt. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 315 Dann wurde eine Messreihe ausgeführt, indem die Normalspule zentimeter- weise von der „Nullstellung‘“ aus nach beiden Seiten in der Achsen- richtung verschoben wurde. Es werden also immer schwächere Feldpunkte der Normalspule mit dem Felde im Mittelpunkt des Solenoids zur Kom- pensation zu bringen sein, d. h. je weiter man aus dem Mittelpunkt herausrückt, um so stärkere Ströme müssen durch die Normalspule geschickt werden, um Kompensation der Felder zu erzielen. Macht man nun umgekehrt die Fiktion, dass das Feld der Normalspule längs der ganzen Achse konstant ist, so berechnet sich bei der angedenteten Messungsreihe für jede Stellung der Normalspule ein anderes Feld im Mittelpunkt des Solenoids, und zwar ergibt sich dies um so grösser, je weiter jene aus der wirklichen „Nullstellung‘“ entfernt ist. Die Kurve der erhaltenen Werte zeigte also bei der wirklichen Koineidenz der beiden Spulenmittelpunkte ein Minimum, wodurch die richtige „Null- stellung“ der Normalspule ermittelt werden konnte. Fig. 7 zeigt zwei soleherKurven, aus denen sich dieNull- 245 stellung auf 1,5 mm bestimmen liess. Nach dieser Feststellung wurde der Feldverlauf in der Achse des Solenoids ermittelt. Normalspule und Magnetometer wurden im gleichen Sinne zentimeterweise auf der Achse verschoben und die Kompensations- ströme abgelesen. Drei Messreihen 939 ergaben. im Mittel die in Fig. 8 dargestellte, ganz ausgezogene Kur- ve. Die Feldstärke im Mittelpunkt Eig7: — oyımspfad ’ Achsenpunkte Fig. 8. wurde dabei durch Häufung der Beobachtungen besonders genau bestimmt; sie ergab sich: Hm = 22,73.) (J in Amp. gemessen) mit einem mittleren Fehler von '/z oa. Nach den Seiten hin weist die 916 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Kurve merkliche Asymmetrie auf, selbst wenn man von den auf- gelagerten Schwankungen absieht. Der wahrscheinliche Feldverlauf ist durch die gerissene Kurve dargestellt, da es immerhin bei der Schwierig- keit der Justierung möglich ist, dass die kleineren Schwankungen auf Messungsfehlern beruhen. Indessen wurde auf eine genauere Feld- bestimmung keine weitere Mühe verwandt, da inzwischen schon ein neues Solenoid, wie bereits weiter oben erwähnt, für die endgültigen Messungen in Arbeit gegeben war. Unerklärlich war indessen noch die grosse Abweichung meines Wertes von dem durch Bucherer und Wolz ermittelten: Bucherer: 23,193. J. Wolz: 23,161.J. Bei näherer Untersuchung stellt sich indessen die Fehlerquelle heraus: der für die Normalspule als Träger dienende Marmorring war nur so breit, wie die Windungslage der Spule selbst, die durch zwei hölzerne Stirnbretter auf dem Ring festgehalten wurde. Eins derselben hatte sich im Laufe der Zeit etwas geworfen, und in den entstandenen Zwischen- raum zwischen Holz und Marmor war eine Drahtwindung hinunter- gefallen. Es ist anzunehmen, dass darauf die Differenz in den Resultaten zurückzuführen ist. Nach Feststellung dieser Werte wurden einige Auf- nahmen gemacht, und zwar Nr. 1—5 (s. Anhang IT), die indessen für das Ergebnis der Arbeit nicht bewertet wurden, sondern nur als Vor- übung gelten sollten. Ww Seidenisolation Seilenisolation Doppelwandune \ El url Rh III IIRÄS SS En SS Lot Sr —— on, Lot nn FT j R Kühlwasser Doppelwandung R Kühlwasser Lot w _Wasserzufluß Seidenisolation W Aufriss, Fig, 9. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion, 917 247 S 5. Inzwischen wurde das neue Solenoid in Arbeit gegeben. Es hatte, wie das Bucherer’sche, einen doppelwandigen Rahmen, der die Ver- wendung von Wasserkühlung gestattete (s. Fig. 9). Doch hatte es, um gegen Wasserdruck widerstandsfähiger zu sein, kreisförmigen Quer- schnitt und wurde aus zwei nahtlosen Präzisionsmessingrohren her- gestellt. Die Rohre wurden, wie alle andern verwendeten Materialien, mittels eines empfindlichen Magnetometers auf Eisenfreiheit untersucht. Die Dimensionen des Rahmens waren: Innerernwadıusm sn 2. .2.2.22.2.29.89.cm äusserer „, ale Stärke der Rohrwandungen . . 1,5 mm Eine el una 10H Cm: Zwischen die beiden Rohre wurden Ringe R etwa 0,5 cm von jedem Ende entfernt eingelötet; der freie Raum vom Ring bis zu den Rändern wurde mit Lot ausgefüllt. Das war deshalb nötig, weil die Spule nach dem Wickeln erhitzt wurde, um die Isolation zu trocknen; dabei traten, infolge ungleicher Erwärmung der inneren und äusseren Wandung, so starke Spannungen auf, dass ohne diese Vorsichtsmassregel die Ringe R sich los- lösten, und der Rahmen undicht wurde. Für die Wickelung wurde ursprünglich emaillierter Kupferdraht von 1 mm Stärke verwendet, um möglichste Gleichmässigkeit zu erzielen. Der blanke Messingkörper wurde zunächst zwecks besserer Isolation mit einer Lage schellackierten Papiers möglichst gleichmässig überzogen. Darauf wurde eine Windungslage Draht aufgewickelt, dann wieder eine doppelte Lage Papier, mit Schellacklösung getränkt, dann eine zweite Lage Draht. Um das Abrutschen der Windungen von den Enden zu verhindern, waren die Ringe W etwa 1,5 cm von den Enden entfernt auf den Umfang des Rahmens aufgelötet. Um den Schellack zu trocknen, wurde das Solenoid mehrere Stunden lang durch Durchleiten von Strom auf 150° erhitzt. Nach dem Erkalten zeigte sich, auch nach mehrfacher Wiederholung der Troeknung, dass die Isolation mangelhaft war. Es wurden mehrere Neu- bewickelungen vorgenommen, mit Draht von verschiedenen Firmen, ohne dass das Resultat sich besserte. So musste von der Verwendung von Emailledraht abgesehen werden, der im übrigen den Nachteil hatte, dass er infolge seiner Glätte das Wickeln sehr erschwerte. Schliesslich wurde die Spule in folgender Weise hergestellt: Dünnes naturfarbenes Seidenband — an Stelle des hygroskopischen Papiers — wurde spiralförmig in zwei Lagen auf den Messingkörper geklebt, so dass die Ränder des Bandes überall genau aneinander stiessen. Nach dem Trocknen wurde mit grösster Sorgfalt eine Lage Kupferdraht mit 1 mm 21 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. starker Ader und zweifacher naturfarbiger Seidenumspinnung auf- gewickelt. Die Lage hatte 893 Windungen bei einer Länge von 99,90 em. Darüber kam wieder eine doppelte Seidenbandwickelung. Nachdem sie trocken war, wurde die zweite Drahtlage aufgewickelt; sie hatte 904 Win- dungen. Trotz grösster Sorgfalt differierten also die Windungszahlen der beiden Lagen um 11 Windungen. Die 4 Drahtenden waren zwecks besserer Isolation auf 1 m Länge etwa noch besonders mit gewachstem Seidenband umwickelt. Die Spule wurde nun wieder mehrere Stunden auf etwa 100° geheizt. Nach dieser Zeit war der Isolationswiderstand sehr gering, nur etwa 5.10° Ohm, stieg indessen mit zunehmender Abkühlung auf 10° Ohm und wurde schliesslich noch grösser, so dass er mit dem be- nutzten Galvanometer nicht mehr messbar war. Zum Schutze gegen mechanische Verletzungen wurde die ganze Wickelung mit einer Linoleum- hülle umkleidet. Die Spule wurde schliesslich auf einem in Fig. 10 sicht- baren und in der Nord-Südrichtung orientierten Holzgestell montiert. Aus den Dimensionen wurde das Feld im Achsenmittelpunkt be- rechnet. Es war: II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 319 Länge der Windungslagen 99,90 em Radius der inneren Wickelung 11,196) cm Windungszahl der inneren Wickelung 893 Radius der äusseren Wickelung 11,304 cm Windungszahl der äusseren Wiekelung 904. Daraus berechnete sich das Feld im Achsenmittelpunkt nach der auf S. 12 angegebenen Formel für die einzelnen Lagen zu: Hm; = 109,61 -i (i in elmagn. Einh.) Ense 110,91 21.6), ” nn) undadası Gesamtfeld Hm =:,220,52 -i(i „. , ee Da jedoch nicht ausgeschlossen war, dass der Messingrahmen beim Wickeln oder Trocknen kleine Deformationen erlitten hatte; ferner, dass infolge der nicht ganz gleichmässigen Wickelung der wirkliche Feldwert von dem berechneten abwich, so wurde er auch noch auf experimentellem Wege durch Vergleichung mit einem Normalfeld, wie folgt, bestimmt. Auf einen genau abgedrehten und abgeschliffenen Marmorring von 8 cm Breite und 29,82 em äusserem Durchmesser war eine Lage 0,4 mm starken Emailledrahtes von 134 Windungen aufgewickelt. Ihre Breite war 59,5 mm. Um ein Herunterfallen der Windungen zu verhindern, war rechts und links ein etwas erhabener Rand von 1 cm Breite stehen ge- lassen worden. Der mittlere Radius der Windungen ergab sich zu 14,93 em. Aus diesen Angaben berechnete sich das Feld im Achsenmittelpunkt zu H = 55,304.i (i in elmagn. Einh.). Die Genauigkeit dieses Wertes beträgt 0,4 pro Mille. Diese Spule war zwischen zwei hölzerne Stirnbretter geschraubt und mit diesen auf einem rechteckigen Grundbrett montiert. Sie wurde über das oben beschriebene Solenoid geschoben. Das Brett glitt als Schlitten zwischen zwei Holzleisten, die an das Grundbrett des langen Solenoides angeschraubt waren (s. Fig. 10). Auf diese Weise war eine genau koaxiale Justierung und eine bequeme Verschiebbarkeit des Normals in der Achsen- richtung erreicht. Die Ausmessung des Feldes ging in derselben Weise vor sich, wie früher bei dem Bucherer’schen Solenoid (s. S. 12 ff.). Es wurde das in Fig. 6 gezeichnete Magnetometer mit den dort angegebenen Dimensionen benutzt. Das Magnetometer stand auf einem rechteckigen Tischchen, unter das als Füsse zwei in das Solenoid passende Kreissegmente, wie die in Fig. 5) mit H bezeichneten, geschraubt waren. Das Tischehen war mit Millimeterpapier überzogen; ebenso trug ein an ihm befestigter Holzstiel, der zum bequemeren Einsetzen in das Solenoid diente, eine Millimeter- skala. Um das Tischehen in horizontaler Lage zu fixieren, führte unten am Boden in der ganzen Länge durch das Solenoid eine Leiste von 220 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. rechteckigem Querschnitt, deren Enden durch Querhölzer mit dem Grund- gestell verbunden waren (das eine Verbindungsstück ist in Fig. 10 deutlich sichtbar). Diese Leiste passte in zwei rechteckige Ausschnitte der Kreissegmente (s. bei H Fig. 5) und diente so als Führung. Der Kürze halber sei gleich hier eingefügt, dass das Gestell, das während der photographischen Aufnahmen das Glasgefäss nebst Messing- gehäuse, Kondensator usw. trug (s. Fig. 5 neben $. 10), mittels zweier eben- solcher Kreissegmente in das Solenoid eingepasst wurde. Das Magnetometer wurde in der Achse des Solenoides, und damit auch in der des Normals auf die folgende Weise justiert: Aus hinreichend festem Pappkarton waren zwei Kreisscheiben geschnitten, die genau in das Solenoid passten und leicht nahe den Enden eingesetzt und heraus- genommen werden konnten. Aus diesen Kreisscheiben wurden sehr sorg- fältig zwei konzentrische Kreise von etwa 0,5 em Durchmesser aus- geschnitten. Brachte man das Auge genau in die Verlängerung der Achse, während hinter das abgewandte Solenoidende eine Lichtquelle mit Matt- scheibe gestellt wurde, so erschienen die kleinen Kreise konzentrisch in einander. Diese Augenstellung wurde durch ein mit einem feinen Loch versehenes Pappstück fixiert. Dann wurde das Magnetometer ins Solenoid gesetzt und so eingestellt, dass die kleinen Magnete genau sym- metrisch in den Kreisen erschienen. Auf diese Weise konnte eine Genauig- keit der Einstellung auf 2 bis 3 Zehntel Millimeter erzielt werden, während auf rechnerischem Wege ermittelt worden war, dass eine Abweichung im Mittelquerschnitt des Normals nach der Seite um 3 mm erst einen Fehler von 0,3 Promille verursacht. Die erhaltene Achsenstellung des Magneto- meters wurde ein für allemal auf dem Millimeterpapierüberzug des Tischehens markiert. Die Einstellung in den Mittelpunkt der Achse, also die Justierung in der Längsrichtung derselben, geschah mit Hilfe der am Griff des Tischehens angebrachten Millimeterskala. Nachdem das Magneto- meter so in den Achsenmittelpunkt des Solenoids gebracht war, wurde die Koinzidenz mit dem Mittelpunkt des Normals in genau derselben Weise geprüft, wie auf S. 13 ff. beschrieben. Nach diesen Vorbereitungen wurde der Absolutwert des Feldes im Solenoidmittelpunkt in der auf S. 12 ff. angegebenen Weise ermittelt. Nur wurde jetzt die Strommessung wesentlich genauer ausgeführt. Der durch das Normal geschickte Strom wurde konstant gehalten und mit einem am Kompensationsapparat geeichten Präzisions-Milli- amperemeter von Hartmann und Braun gemessen. Die sehr feine Faden- ablesung dieser Instrumente gestattete bei Einstellung auf einen vollen Teilstrich eine Genauigkeit bis auf Bruchteile eines Promille. Variiert wurde der Strom im Solenoid; er wurde mittels Abzweigung von einem II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 231 Normalwiderstand (von der P. T. R. geeicht) an einem Raps’schen Kom- pensationsapparat von Siemens & Halske gemessen. Hier, wie bei allen Messungen mit dem Kompensationsapparat diente als Normalelement ein von der P. T. R. geeichtes Weston-Element. Die Messungen ergaben: 221,95 221,9% 221,97 221,87 221,89 also im Mittel Hm — 221,93.1 (i in’ elmagn. Einh.). Da das Normalfeld nur auf 0,4 Promille ermittelt war, konnte diesem Resultat auch höchstens eine Genauigkeit von 0,4 Promille zukommen. Aber auch dann noch fiel die grosse Abweichung von dem auf rech- nerischem Wege zu 220,52 erhaltenen Werte auf. Ich schob diese zunächst darauf, dass die zum Evakuieren dienenden Luftpumpen, eine Quecksilber- Gaede-Pumpe nebst Gaede’scher Kapsel-Vorpumpe, also nicht unbeträcht- liche Eisenmassen, in etwa 1 m Abstand seitlich von einem Solenoidende standen. Sonst waren in drei bis vier m Umkreis vom Solenoid keine Eisenteile vorhanden. Die Pumpen waren zunächst mit Rücksicht auf ein möglichst schnelles Evakuieren in solche Nähe gestellt worden. Die Möglichkeit, dass dadurch das magnetische Feld wesentlich gestört werden könnte, veranlasste mich nun doch, die Pumpen in etwa 3—4 m Ent- fernung zu bringen. Eine Messreihe ergab jetzt für Hn: 222,11 221,97 222,09 222,00 im Mittel Hm 222,04 + 0,4 yo). Dies Resultat stimmte also innerhalb der zulässigen Fehlergrenze mit dem früheren Wert überein, ohne für die Abweichung von dem be- rechneten Wert eine Erklärung zu geben. Es war indessen noch möglich, dass diese Abweichung in der mangelhaften Konstruktion oder Justierung des Normals begründet war; daher wurde das Normal nochmals aus- einandergenommen, neu gewickelt und ausgemessen. Es ergab sich dies- mal: Windungszahl — 128 auf 59,5 mm, Windungsradius 14,94 em; und daraus Hyormal = 52,815 is de 0,3 oo). 222 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Mit dieser Spule ausgeführte Messungen ergaben für das Feld im Solenoidmittelpunkt: 222,00 222.06 ui 222,03 und im Mittel: Hm = 222,04 (+ 0,3 oo). Aus der guten Übereinstimmung mit dem Resultat der vorherigen Messungen folgt offenbar, dass die Differenz zwischen experimentellem und theoretischem Wert in Formfehlern des Solenoides selbst zu suchen ist. Jedenfalls wurde für die weiteren Messungen der soeben angegebene Wert zugrunde gelegt. Es sollte nun auch noch der Feldverlauf in dem für die Versuche benutzten Gebiet des Solenoidinnenraumes ermittelt werden. Eine punkt- weise absolute Ausmessung nach der eben angegebenen Methode wäre zu zeitraubend und schwierig gewesen. Es wurde daher die relative Ab- weichung der in Betracht kommenden Punkte vom Felde im Achsenmittel- punkt mittels einer Differential - Induktionsmethode bestimmt'). Das Prinzip ist folgendes: Bringt man in den Innenraum des Solenoids eine kleine Induktionsspule, so ist der Induktionsstrom, der beim Kommutieren eines das Solenoid durchfliessenden Stromes entsteht, proportional der Änderung des Feldes, die in dem von der Induktionsspule eingenommenen Raume herrscht. Da man immer über den ganzen Raum integriert, den die Spule einnimmt, müssen ihre Dimensionen möglichst klein sein. Will man die Feldstärken in verschiedenen Punkten vergleichen, so muss der Primärstrom ganz konstant sein. Um sich davon unabhängig zu machen, schaltet man zwei gleiche Spulen gegen einander und verfährt so, dass man die eine Spule dauernd im Mittelpunkte lässt, während die andere an die auszumessenden Feldpunkte gebracht wird. Der Induktionsstrom, der dann entsteht, ist proportional der Felddifferenz der betreffenden beiden Feldpunkte. Man sieht ohne weiteres, dass bei dieser Differential- methode kleine Schwankungen des Primärstromes keinen merklichen Ein- fluss mehr haben. Denn wenn der Primärstrom um 1°/ schwankt, so wird das Resultat, in diesem Falle also die Felddifferenz gegen den Mittel punkt, um 1° falsch angegeben, nicht das Feld selbst. Da diese Differenz an sich schon sehr klein ist, so ist der Fehler durchaus zu vernachlässigen. 1) A. Bestelmeyer, Phys, Zeitschr. XII, p. 1109, 1911. II Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 923 Die Ausführung war folgendermassen: Aus Hartgummi wurden zwei kleine Rollen gedreht; der Rollenkern hatte 1,5 cm Durchmesser und 1,6 cm Länge, er trug an den Enden 2 Scheiben von je 3 mm Stärke und 3 cm Durchmesser. Diese Trommeln wurden mit emailliertem Kupfer- draht von 0,05 mm Kupferader bewickelt, so dass der Raum zwischen den Endscheiben ausgefüllt war. Abgeglichen wurden sie, indem sie gegen einander geschaltet an zwei symmetrisch zum Mittelpunkt liegende Stellen des Solenoidinnern gebracht wurden. Sie waren an ein D’Arsonval- Galvanometer von Siemens & Halske gelegt, dessen Ausschläge auf Proportionalität untersucht waren. Seine Empfindlichkeit betrug 2.10 -10%Amp/mm bei 2,5 m Skalenabstand. Der Widerstand des In- strumentes war 200 Ohm. Beim Kommutieren des Primärstromes von 5 Amp. zeigte sich ein Ausschlag, ein Zeichen, dass die Induktions- koeffizienten der beiden Spulen nicht gleich waren. Durch Abwickeln des Drahtes von der einen oder anderen Spule liess sich der Ausschlag auf einen Betrag von wenigen Millimetern reduzieren, indessen gelang es aus rein technischen Gründen nicht, ihn gänzlich zum Verschwinden zu bringen. Das war auch nicht notwendig, da bei der folgenden Feld- ausmessung immer Doppelmessungen mit vertauschten Rollen stattfanden, wodurch der Fehler vollkommen eliminiert wurde. Der Widerstand der abgeglichenen Spulen betrug 3304 Ohm und 3317 Ohm. Die Spulen wurden auf dem schon für die magnetometrische Messung verwendeten Tischchen aufgestellt. Sie hatten rechteckige Fussplatten aus Hartgummi von 4.4 cm Kantenlänge und solcher Höhe, dass die Spulenachsen in der durch die Solenoidachse gelegten Horizontalebene lagen. Die im Achsen- mittelpunkte befindliche „feste“ Spule wurde nach - einer ähnlichen Methode justiert wie früher das Magnetometer (s. S. 19). Die andere Spule wurde mit ihren Grundbrettkanten nach der Millimeterskala des Tischehens ausgerichtet. Die Zu- und Ableitung zum Galvanometer war induktionsfrei. Die Zuleitungen wurden aufs sorgfältigste vom Solenoid und Tischehen durch untergelegte Siegellackstücke (sogen. Cammerlack) isoliert; das Galvanometer zeigte anderenfalls bei seiner hohen Empfind- lichkeit einen sehr störenden Dauerausschlag von mehreren Zentimetern, der durch die Erdströme, die durch die Isolation der Zuleitungen hin- durchgingen, verursacht wurde. Zunächst wurde die Empfindlichkeit der Methode festgestellt, indem die beiden Spulen hinter einander geschaltet und symmetrisch zum Solenoidmittelpunkt möglichst nahe bei demselben aufgestellt wurden. Beim Kommutieren eines Primärstromes von 15 Milliamp. ergab sich ein Ausschlag von 17,5 mm. Dem in der Differentialstellung verwendeten 17,5.6000 —7000mm. 5 Strom von 6 Amp. entspricht also ein Ausschlag von 224 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. =.o Die durch diese Zahl dividierten Ausschläge bei der Feldausmessung er- geben die Abweichung des betreffenden Feldpunktes vom Feldmittel- punkt. Bezeichnet man die Solenoidachse als X-Achse, die durch den Mittel- punkt gehende dazu senkrecht stehende Horizontale als Y-Achse, so wurde in der X-Y-Ebene das Gebiet x=—+ 2,y=-+6cm von 2zu2 cm ausgemessen. Für die Bestimmung der nahe dem Punkt (0 ;0) liegenden Punkte musste die „feste“ Spule aus dem Mittelpunkt entfernt werden; die erhaltenen Ausschläge wurden dafür entsprechend korrigiert. Ich glaubte davon absehen zu können, aus der X-Y-Ebene in der vertikalen Z-Richtung herausgehen zu müssen, da die Bahn der Elektronen grössten- teils in der X-Y-Ebene verläuft und selbst nahe der photographischen Platte, wo die #-Strahlen ihre grösste Ablenkung haben, diese wenig mehr als 1 cm betrug. Berücksichtigt man, dass in jedem Querschnitte des Solenoids die Kraftlinienverteilung symmetrisch oder mindestens mit sehr grosser Annäherung symmetrisch zur Achse ist, so zeigt die Feld- ausmessung in der X-Y-Ebene, dass die geringe Entfernung aus ihr ohne merklichen Einfluss auf das Resultat bleibt. Solenoidachse Fig. 11. Fig. 11 zeigt den Feldverlauf in der Solenoidachse. Der zwischen : AR : 8 BER e 3 i den gerissenen Linien liegende Teil ist der für die —- -Bestimmungen in m 0 Betracht kommende. Das Feld weicht in diesem Bereiche von dem des Punktes (0 ;0) auf der einen Seite um 0,5 Promille, auf der anderen um weniger als 0,3 Promille ab. Die grösste Feldstärke liegt nicht, wie die Theorie verlangt, im Punkte (0 ;0), sondern 3 cm davon entfernt. In I. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 325 Fig. 12 sind die Abweichungen längs der Geraden x=0,x=—+2 cm dar- gestellt. Hierbei wurde in der Zeichnung der jeweilige Wert des Feldes auf der Achse, also in den Punkten (+ 2:0) und (—2;0) gleich 1 gesetzt. Promille Fig. 12. Da die Messungen ausgeführt waren, als die Luftpumpen noch in der Nähe des Solenoids standen (s. S. 20), so glaubte ich zunächst, dass der unsymmetrische Verlauf in der Achse hierdurch verursacht wäre. Nach Umstellung der Pumpen wurden daher die Messungen wiederholt. Es zeigte sich (s. Fig. 13 und 14), dass nur das Maximum längs der Achse punkt Achsenmittel) vom Punkte (+ 3;0) nach (+ 2;0) gerückt war; im übrigen waren merk- liche Änderungen der Kraftlinienverteilung nicht zu konstatieren. 1913, 15 326 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Nimmt man aus allen Abweichungen das Mittel, so ergibt sich für das Gebiet (+-2; —+6) ein mittlerer Feldwert, der nach den ersten Mess- reihen (Fig. 11 u. 12) um 0,17 Promille grösser ist, als der Wert im Punkte (0 ;0); nach der zweiten Messreihe (Fig. 13 und 14) ergibt sich diese Abweichung zu + 0,14 Promille. Mit Hilfe dieser Zahlen ergibt sich e \ler für die Berechnung der -—- -Bestimmungen in Anwendung gekommene m 0 mittlere Feldwert aus: 222,04 (s. 8. 28) zu 222,07.i (i in elmagn. Einh.). Mit dieser Spule wurden die Aufnahmen Nr. 6 bis 36 inklusive gemacht. Aus äusseren Gründen fand zwischen Aufnahme Nr. 28 und 29 eine Pause von 3 Monaten statt (s. Tabelle Nr. II). Die Aufnahmen der neuen, mit Nr. 29 beginnenden Versuchsreihe zeigten zunächst normales Aus- sehen. Bei Aufnahme 35 und 36 waren indessen die #-Kurven sehr eigen- tümlich; sie lagen unsymmetrisch zur Nulllinie und waren stark ver- schwommen, und zwar die eine mehr als die andere. Ihr Aussehen liess darauf schliessen, dass im Solenoid zwischen der Wickelung und dem Messinekörper Kurzschluss eingetreten war. Eine Isolationsmessung ergab in der Tat einen Übergangswiderstand von nur 50 000 Ohm. Wie dieser Kurzschluss zustande gekommen war, liess sich nicht feststellen. Mög- licherweise hatte die Isolation in der langen Pause zwischen Aufnahme 28 und 29 durch kondensierte Luftfeuchtigkeit gelitten und war dann während der folgenden Aufnahmen beim Öffnen des Magnetstromes, durch die dabei auftretenden nicht unbeträchtlich hoch gespannten Extraströme, all- mählich zerstört worden. Il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 397 Leider hatte ich versäumt, vor Aufnahme Nr. 29 eine Isolations- messung vorzunehmen; es wurden daher die sämtlichen Aufnahmen 29—36 zur Sicherheit nicht zur Berechnung verwertet. In der Zukunft wurde vorsichtshalber die Isolation des Solenoids nach je 2 bis 3 Aufnahmen rachgeprüft. Es musste also die Spule nochmals neu bewickelt werden. Da ein vollkommenes Entiernen der alten Wickelung und völliges Neuwickeln aus verschiedenen äusseren Gründen sehr grossen Zeitverlust bedeutet hätte, die Versuche sich aber schon unerwartet in die Länge gezogen hatten, wurde von einer völligen Erneuerung abgesehen. Die äussere Lage hatte bei allen bisherigen Wickelungen hinreichend grossen Iso- lationswiderstand gezeigt — über 10°” Ohm —, es wurden daher die Enden der inneren Lage von den Klemmen abgenommen und isoliert und die innere Wickelung als blinde Lage auf dem Messingkörper gelassen. Auf die äussere Lage wurde dann eine dritte gewickelt aus einem, dem auf S. 17 beschriebenen ganz ähnlichen Drahtmaterial. Als isolierende Schicht wurde eine Lage gefirnisste Leinwand von 0,3 mm Stärke, wie sie beim Dynamobau verwendet wird, benutzt. Sie wurde in einem 10 cm breiten Streifen, wie früher das Seidenband, aufgewickelt. Von nun an hatte ich keine Fehlschläge infolge schlechter Isolation mehr zu verzeichnen. Gegen früher waren ja auch die Isolationsschichten wesentlich stärker, vor allem war durch die blinde Lage die innere Wickelung in einem über 1 mm grossen räumlichen Abstand vom Messingkörper gehalten. Obwohl der Umbau wegen seines provisorischen Charakters zunächst Bedenken erregte, gab der Erfolg doch recht. Die Isolation war dauernd gut; Inhomogenitäten des Feldes, die wegen der diekeren und daher weniger gleichmässigen Isolationsschichten zu erwarten waren, zeigten sich zwar bei der Feldausmessung, überschritten aber in dem in Betracht kommenden Feldbereich nicht das zulässige Mass. Desgleichen war die Wasserkühlung, entgegen meinen Befürchtungen, durchaus hinreichend. Die Wickelung zeigte, selbst bei der stärksten in Betracht kommenden Dauerbelastung von 6 Amp., eine ganz unbeträchtliche Temperatur- erhöhung, das Innere des Solenoids liess sich auf völlig konstanter Tem- peratur halten. Die Dimensionen der beiden noch in Betracht kommenden Windungs- lagen waren: Länge der Wickelungen 99,90 cm Radius der inneren Wickelung 11,304 cm Windungszahl der inneren Wickelung 904 Radius der äusseren Wickelung 11,46 cm Windungszahl der äusseren Wickelung 828 328 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Das Feld wurde in der früher beschriebenen Weise ausgemessen. Der absolute Wert im Achsenmittelpunkt ergab sich zu: ; 213,74 72 72 73 Hm = 213,73 Gauss für den Strom 1 elektro- magnetische Einheit. Die Ergebnisse der Relativausmessung des Feldes sind in Fig. 15 und 16 dargestellt analog den Fig. 11, 12; 13, 14. Der Verlauf in der r ee | t Punkte auf der _Solenoidachse im Achsenmittelpunkt x=+2cm Da on Ren Promille Achse ist wesentlich stärker unsymmetrisch als bei Figur 13, indessen tritt diese Asymmetrie erst in Punkten auf, die ziemlich weit von dem Achsen- N II. Abteilung. Naturwissenschaltliche Sektion. 999 mittelpunkt entfernt sind. In dem in Betracht kommenden Intervall x= +2cm bis x= —2 cm sind die Abweichungen von derselben Grössenordnung wie bei der früheren Ausmessung. Auch der Feldverlauf in den Spulenquerschnitten + 2 em; 0 em; — 2 cm ist etwas weniger regel- mässig, genügt indessen den Anforderungen, die an die Homogenität des Feldes zu stellen sind. Bildet man, wie früher, das Mittel für alle gemessenen Punkte im Bereichen(x - 59: y — +6), so ergibt sich ein Wert, der um 0,17 Pro- mille grösser ist als der Wert Hm = 213,73.i Gauss, eine Abweichung, die durchaus in zulässigen Grenzen liegt, da der zur Erzeugung des Magnet- feldes bei den Aufnahmen dienende Strom an sich schon eine geringere Konstanz hatte. S 6. Im verdunkelten Zimmer wurde bei sehr schwachem rotem Licht eine photographische Platte eingelegt, nachdem vorher der Ab- stand a des Kondensatorrandes von der Plattenschicht bestimmt worden war. Als Plattenmaterial diente die schon von Wolz verwendete Röntgen- platte von Westendorp u. Wehner in Köln, die von der Firma in Kreis- form mit 5 em Durchmesser geliefert wurde. Schichtablösungen im Hoch- vakuum kamen nie vor. Von Aufnahme 29 an wurden auf Spiegelglas gegossene Platten verwendet. h Nach Einsetzen der Platte wurde das Radiumpräparat mittels eines Wachsstückchens am Kondensator. befestigt, die Messinghülse in das Glas- gehäuse eingesetzt und die Zuleitungselektroden an die Kondensator- klemmen angelegt. Zum Abdichten der Schliffe diente eine Lösung von Gummi in Vaseline. Der grosse Schliff am Glasgehäuse, der die meisten Schwierigkeiten für die Erzielung eines hohen Vakuums bot, zumal er am weitesten von der Pumpe entfernt lag, wurde mit dem bei der Firma Leybold-Söhne käuflichen „Ramsay-Fett zäh“ eingeschmiert; das Fett musste sehr sorgfältig und gleichmässig aufgetragen werden, um ein gutes Vakuum zu erhalten. Gerade infolge der schwierigen Abdichtung dieses Schliffes misslangen eine Anzahl Aufnahmen, da durch die im Apparat vorhandenen geringen Gasreste die Platten oft verschleiert wurden. Auf Fernhalten von Staubteilchen und Fasern wurde besonders geachtet. Alle Schliffe wurden vor jeder Aufnahme gereinigt und neu geschmiert. Nachdem der Apparat im Solenoid in die richtige Lage gebracht war, und dessen Enden zum besseren Lichtschutz mit schwarzen Tüchern ver- hangen waren, wurde mit Evakuieren begonnen. Hierzu diente eine (Quecksilber-Pumpe von Gaede, die während der ganzen Dauer des Ver- 230 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. suches lief. Das Vorvakuum wurde mittels Kapsel-Pumpe von Gaede in etwa einer halben Minute erzeugt. Alle halben Stunden wurde die Vor- pumpe für eine Minute eingeschaltet. Vor Anlegung der Felder musste höchstes Vakuum herrschen, da sonst die photographische Platte stark verschleierte. Das Vakuum war erfahrungsgemäss hinreichend hoch, wenn in einer mit einem Induktorium betriebenen Geisler-Röhre, die nahe dem Glasgefäss an die Glasleitung angeschmolzen war, keine Röntgenstrahlen mehr erzeugt wurden. Bis so geringer Druck herrschte, verging eine bis eineinhalb Stunden. Diese lange Dauer war bedingt durch die infolge der früher erwähnten Umstellung der Pumpen sehr lang gewordene Rohr- leitung. Doch habe ich mich durch einen besonderen Versuch (Nr. 11 des Protokolls in Tabelle II) davon überzeugt, dass selbst in dieser langen Zeit keine merkliche Verschleierung der photographischen Platte auftrat, solange die Felder nicht angelegt waren. Die einzige Wirkung war, dass die von den unabgelenkten Strahlen auf der Platte erzeugte Nulllinie sehr kräftig wurde. Während des Evakuierens wurde die an den Kondensator anzu- legende Potentialdifferenz mit einem Raps’schen Kompensationsapparat gemessen, der indessen noch geeignet umgeändert werden musste. Man kann mit dem Apparat direkt nur Spannungen bis zu maximal 1,1 Volt messen, ich musste daher den von Siemens & Halske für die Messung höherer Spannungen konstruierten „Spannungsteiler“ verwenden. Bei ilım wird die zu messende Spannung über 10° Ohm geschlossen, und dann durch eine Abzweigung der 10., 100. oder 1000. Teil der Spannung, je nach deren Grösse, kompensiert. Dadurch geht aber der Vorteil des dem Apparat zugrunde liegenden Du Bois-Reymond’schen Prinzips der Spannungsmessung bei Stromlosigkeit der zu messenden Stromquelle ver- loren. In der Tat zeigte sich, dass selbst bei dem relativ hohen Vorschait- widerstand von 10° Ohm die Stromdichte in der zur Verwendung ge- langenden Hochspannungs-Akkumulatorenbatterie zu gross wurde — sie wurde in Abteilungen von 10 bis 50 Zellen gemessen —. Trotz der kurzen Dauer der Einzelmessung sank die Spannung der zu messenden Abteilung um mehrere Promille, so dass ein genaues Kompensieren unmöglich war. Dem wurde dadurch abgeholfen, dass an Stelle der im Galvanometerzweig liegenden Taste des Apparates ein Doppelschlüssel eingeschaltet wurde, derart, dass der Batteriestrom immer erst um den Bruchteil einer Sekunde vor dem Galvanometerzweig geschlossen wurde. Auf diese Weise liess sich die Genauigkeit der Messung bis auf 0,1 Promille treiben. Die Schaltung wurde von Aufnahme 37 an verwendet. Die Akkumulatoren-Batterie hatte 400 Zellen, von denen in Inter- vallen von 20 Volt abgezweigt werden konnte. Die Akkumulatoren waren \ Il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. Jaal zu je 100 in mit Paraffin ausgegossenen Kästen aufgestellt. Die Kästen wurden auf mit Vaseline bestrichene Glasfüsse gesetzt, ferner wurde jede einzelne Zelle nach dem Laden aussen mit Ammoniak abgewischt, dann abgetrocknet und endlich ebenfalls mit Vaseline bestrichen. Die Leitungen zum Kondensator bezw. zum Kompensationsapparat waren auf Glas ge- führt. Durch diese sich vorzüglich bewährende Isolation erreichte ich, dass die Spannung der Zellen sich wochenlang nahezu konstant hielt. Um die Batterie vor Kurzschluss zu sichern, wurde in die Leitung zum Kon- densator noch ein Widerstand von 10° Ohm geschaltet. War das Vakuum hinreichend hoch, so wurden die Felder angelegt und die Wasserkühlung des Solenoides angelassen. Der das Magnetfeld erzeugende Strom wurde der städtischen Leitung von 220 Volt ent- nommen; er wurde mittelst eines Präzisions-Milliamperemeters von Hart- mann & Braun mit Nebenschluss für maximal 7,5 Amp. gemessen. Das Instrument war mittelst Kompensationsapparat und Normalwiderstand' geeicht.. Da mit einem Regulierwiderstand immer auf ganze Skalenteile eingestellt wurde, gestattete das Amperemeter ein sehr genaues Ablesen. Allerdings schwankte die städtische Spannung dauernd, so dass der Strom ununterbrochen nachreguliert wurden musste. Bei den ersten Probe- aufnahmen besorgte ich die Regulierung allein. Da indessen auf die Dauer die Aufmerksamkeit des Beobachters trotz angestrengtester Konzentration doch nachlässt — die Belichtungszeiten für eine Doppelaufnahme variierten zwischen 7 und 16 Stunden —, liess ich mich später 2 stündlich ablösen. Eine Anzahl Damen und Herren, die im Physikalischen Institut arbeiten, und zwar die Damen Fräulein Benedict, Fräulein Schubert und die Herren Frankenberg, Lorenz, Gerlach, Küstner, Moser, Thilo, Fritze und Geisler halfen mir in bereitwilligster Weise bei der Stromregulierung. Ihnen allen möchte ich dafür an dieser Stelle meinen besten Dank aussprechen. Nachdem eine Kurve aufgenommen war, wurden die Felder kom- mutiert und auf dieselbe Platte eine zweite Aufnahme unter sonst gleichen Versuchsbedingungen gemacht, so dass man eine Doppelkurve erhielt, symmetrisch zur Nullinie. Dadurch wurde einmal grössere Genauigkeit beim Ausmessen der Photogramme erreicht, da die P-Linien bedeutend feinere Struktur hatten, als die Nulllinie; ausserdem brauchte das Erdfeld nicht berücksichtigt zu werden, dessen Einfluss sich bei einer Doppel- kurve heraushebt. Sofort nach Beendigung der Aufnahme wurde die photographische Platte entwickelt und zugleich das Radiumpräparat vom Kondensator ent- fernt, um ein Leitendwerden der Quarzplättchen zu verhindern. Ferner wurde sogleich nach der Aufnahme die Spannung des verwendeten Teils 332 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. der Hochspannungsbatterie nochmals bestimmt. Der Mittelwert der zu Anfang und Ende jeder Aufnahme gemessenen Spannung wurde für die Berechnung benutzt. Als Entwickeler wurde eine 17 °/sige Lösung von Hauffs „Adurol“ benutzt, der sehr kräftige Kontraste bei relativ geringer Schleierbildung gab. Die Platten wurden unter möglichster Fernhaltung jeglichen Lichtes im allgemeinen 5 Minuten lang entwickelt. Dann wurden sie mehrere Minuten in fliessendem Wasser gut gespült, da sonst beim Fixieren die Schicht eine gelbrote Färbung bekam. Fixiert wurde in einem gewöhn- lichen sauren Fixierbad. Die Temperatur der Bäder war Zimmer- temperatur, also 15 ’—20°. S 7. Der Ausmessung der Platten, d. h. der Bestimmung der Ab- lenkung z stellten sich erhebliche Schwierigkeiten in den Weg. Solange ich mich auf kleine Geschwindigkeiten der 5-Strahlung — 0,4 bis 0,6 der Licht- geschwindigkeit — und kleinen Abstand a (4 cm) der photographischen Platte vom Kondensator beschränkte, erhielt ich sehr feine, scharfe Kurven. Aber schon bei a = 5 cm wurden die Streifen für = 0,6 ziemlich ver- schwommen; für grössere Geschwindigkeiten waren sie auch bei a=4 cm schon stark verwaschen. Wie schnell die Unschärfe der Kurven mit wachsendem a und ? zunimmt, ist an den Figuren 17—21 zu ersehen. Die in den Abbildungen vorhandenen Kratzer und Flecke sind in den Ori- ginalen grösstenteils nicht vorhanden, sondern erst durch die zur Repro- duktion benötigte zweimalige Übertragung verursacht. Die Kurven zeigen übrigens im Aussehen völlige Übereinstimmung mit den entsprechenden Stücken der von Bucherer 1]. e. reproduzierten Aufnahmen. Für die feineren Linien wurde zur Ausmessung eine Kayser’sche Teil- ınaschine') aus den Werkstätten von Wolz in Bonn benutzt, die für diesen /,weck passend abgeändert wurde. Auf die Glasplatte, die als Träger des auszumessenden Photogramms dient, wurden gerade Linien geätzt, senkrecht und parallel zur Schraubenspindelachse des Apparates. Nach ihnen wurden die Photogramme orientiert, so dass man den Abstand der P-Kurven auch wirklich in senkrechter Richtung bestimmte. Der durch fehlerhafte Justierung verursachte Messungsfehler beträgt weniger als '/io Promille. Beleuchtet wurde die auszumessende Platte von unten her, indem auf den Beleuchtungsspiegel ein weisses Blatt Papier gelegt wurde, das das Licht einer Metallfarbenlampe dilfus durch die Platte schickte. Das 1) s. Kayser, Handbuch der Spektroskopie, 1900 Bd. I, S. 644/45. D II. Anteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 333 Aufn. 40 ' Fig. 17. a =42 cm B = 0,5 Aufn. 39 Fig. 18. a — 4,2 cm ß = 0,6 | Aufn. 54 Fig. 19. a=42 cm B = 0,7 Ausinard Fig. 20, a—= 42 cm B = 0,8 of Aufn. 47 Fig. 21. a = 5,2 cm B = 0,8 234 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Auge des Beobachters wurde durch einen geeigneten Schirm vor direktem Licht sorgfältig geschützt. Das am Apparat befindliche Mikroskop vergrösserte so stark, dass man die f-Linien nur noch als eine dichtere Anhäufung der Silberkörnchen in der Schicht erblickte. Schon bei zweifacher Vergrösserung begann das Plattenkorn sich störend bemerkbar zu machen. Daher wurde an Stelle des Mikroskops ein Diopter eingesetzt, der aus einem 2 cm weiten Messingrohr von 25 cm Länge bestand. Am unteren Ende, etwa ‘» mm von der Plattenschicht entfernt, war ein feines Fadenkreuz gespannt, mit seinen Armen gegen die Schraubenspindelachse liegend orientiert. Das andere Ende des Rohres war durch eine Scheibe Sammetpapier ge- schlossen, die ein zentrales kreisrundes Loch von 3 mm Durchmesser hatte. Das Innere des Rohres war sorgfältig geschwärzt und ausserdem noch mit mehreren Blenden versehen. Der bei dieser Anordnung mögliche Ein- stellungsfehler durch Parallaxe beträgt wenige tausendstel Millimeter, ist also zu vernachlässigen. Die Ganghöhe der Schraubenspindel wurde durch Vergleich mit einer von der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt geeichten Silberskala zu 0,33326 mm bestimmt und zeigte sich längs des ganzen in Betracht kommenden Teiles der Spindel sehr konstant. Es wurden bei jeder Platte, je nach der Klarheit derselben, 15 bis 20 Einzeleinstellungen gemacht. Der mittlere Fehler lag zwischen 0,3 und 0,6 Promille. Nur bei einigen weniger guten Aufnahmen, die im Anfange gemacht waren, stieg er bis auf 0,8 Promille. Wie die einzelnen Ein- stellungen übereinstimmen, sei durch eine willkürlich herausgegriffene Messreihe — es ist die Ausmessung von Photogramm 44 — illustriert. Tabelle I Zahl Zahl der Spindel- len der Spindel- Alaweihe. umdreh. | Mittel umdreh. v. Mittel 76,29 — 0,07 16597 — 0,01 76,28 _ 8 76.46 LM 76,37 A 1 76,39 SE 76,26 — 710 10,39 | JSESEEB 76,38 nn 716,500 0 76,24 — 132 16300 76,39 — 3 76,40 .| — 4 76,33 N 1 1632 | — 4 II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 335 Im Mittel erhält man 76,36 Umdrehungen, woraus folgt: z— 1,2028, cm CE 22, Promille). Ich versuchte, auch bei weniger scharfen Linien den Abstand z auf die eben beschriebene Weise auszumessen, also bei Platten, die mit B=0,6 und a=5 em, oder bei Platten, die mit # = 0,7 und 0,8 aufge- nommen waren. Es zeigte sich nach wenigen Einstellungen eine recht gute Übereinstimmung der Einzelwerte; indessen war leicht zu erkennen, dass dies nur daran lag, dass das Auge sich gewöhnte, das Fadenkreuz immer wieder auf dieselbe Stelle der #-Kurve einzustellen; ob dies aber wirklich die Stelle maximaler Schwärzung war, blieb zweifelhaft. Deshalb musste ich zur Ausmessung der Photogramme mit unscharfen Linien zu einer anderen Methode greifen; dies geschah von Aufnahme 12 an. Ich arbeitete zu diesem Zweck ein photometrisches Verfahren aus, das schon an anderer Stelle veröffentlicht worden ist‘). Es wurde in der Weise verfahren, dass die Schwärzungsverteilung auf der auszumessenden Platte in der Richtung senkrecht zum Verlauf der Nulllinie in willkürlichen Einheiten bestimmt wurde. Die Resultate wurden in hundertfach ver- grössertem Massstabe aufgezeichnet und aus dem Abstande der Schwärzungsmaxima der P-Kurven die Grösse 2z ermittelt. Betreffs Details der Anordnung sei auf die zitierte Abhandlung hingewiesen. Dort ist auch eine (bei der Ausmessung von Photogramm 29 erhaltene) Schwärzungskurve wiedergegeben. Die Zuverlässigkeit dieser Methode wurde in der Weise geprüft, lass eine und dieselbe Platte, die für die Ausmessung mittels Teilmaschine hin- reichend feine Linien hatte, sowohl photometrisch, wie mit der Teil- maschine ausgemessen wurde. Eine solche Vergleichung ergab z. B. bei Photogr. 33: Photometer: z = 0,8182 em Teilmaschine: z = 0,8169 „, A = 0,0013 cm Auch die Übereinstimmung verschiedener photometrischer Aus- messungen derselben Platte war eine genügende; die Abweichungen be- trugen ebenfalls nur ca. 1 Promille. So ergab sich für Aufnahme Nr. 29 die Grösse 2z zu: 1. Ausmessung: 1,0686 cm 2. Ausmessung: 1,0697 cm also die Differenz = 0,0011 em. 1) @. Neumann, Über eine einfache photometrische Methode zur Ausmessung der Schwärzung photographischer Platten. Phys. Zeitsch. XIV, p. 241, 1913. E 236 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Tabelle II: Protokolle 1 I 3 | Au mE 26 7 s | 9 & 103 115 125 IH |egs| ee Nr.| D a ee i S.1.| 2 10r senrees r.| Datum |Belichtg.| in 18, 8jainem) zin cm ß en = een | ISKos® TS Ga GEN ZEN Gauß zes | o|£ o|g olg o|s IE > ZEN > z 1 115.10.11| 3 Std. | 113,7 | 569,22] 4,0849) DANZETOSEL 322, 113,7 | 561,02) 4,0510) 3 118.10.11| 5 5 | 113,7 | 561,17| 4,0510 4 |20. 10. 11[4'/--44s| 113,7 | 480,27 4,0510 5 194.10. 11 | 6 10. 8.12) 43/4 +4 | 133,16) 740,79 4,0464 0,5826 T [0,7392 7 |16. 8. 12)31/a+31/2 133,16) 835,89, 4,0464 0,4192 T |0,834 s 19. 8. 12) 31/a+31/2| 133,16! 850,16) 4,6399| 0,5550 T [0,858 97082.92193 | | 10 | 9. 9. 12]41/a+41/4| 133,19) 699,09) 4,1078, 0,698 11811095519 | 12 (11. 9. 12)41/2+-41/2| 133,19) 593,10) 4,1035) 0,9173 TP[/0,59150| 1,715 | 1,635 , 1,751 | 1,670 13 j12. 9. 12/51/3+5%/3) 110,97| 423,14 4,1028) 0,9603 T |0,5065 1,718 | 1,664 | 1,755 | 1,700 14 [13. 9.12 | 15 |16. 9. 12/33/4433), 133,19, 656,04 4,1026 0,7672 TP|0,65426 | 1,716 | 1,611 | 1,754 | 1,646 16 |18. 9.12 | | 17 |19. 9. 12/31/e+3!/| 133,19) 761,66 4,8010 18 |20. 9.12 ae 133,19) 846,61, 4,8002 19 [21. 9.12 133,19, 698,74. 4,8002 90 124. 9.19 3 Las 133,19) 804,15] 4,8037) 21 |26. 9.12 | | m | 23 197. 9.12] 5+5 | 133,19) 655,69| 4,8078| 1,0734 pP 0,65391 | 1,722 | 1,617 | 1,754 | 1,646 23 | la) 1 34 1 3.10.12 4-4 | 110,97) 592,28| 5,1736| 0,8726 PP|0,70897 | 1,723 | 1,558 | 1,757 | 1,597 95 15.10.12) 4-4 | 133,19) 592,18) 4,1322) 0,9389 TP[|0,59059 | 1,724 | 1,644 | 1,765 | 1,655 26 | S.10.12]) 2-4 |110,97| 506,47|5,1496\ 1,1720 P |0,60624 | 1,732 | 1,647 | 1,765 | 1,655 97 115.10.12) 3+3 | 133,19) 654,84 n 1689 0,5000 P |0,65308 | 1,725 1,620 | 1,766 | 1,630 38 |21.10,12) 4-4 |133,19| 654,85 4 6183| 0,9854 P |0,65308 | 1,717 | 1,612 1,7583 | 1,621 939 |22. 1.1331 +31/2| 133,19) 795,60) 4.1882 0,5347 PP!0,79343 30 123. 1.13/31/a+31/2| 133,19) 732,14| 4,1882) 0,6375 P [0,73015 Sale 30] 32 | 4. 2.13/31/2+31/,| 133,19) 696,69| 4,1882) 0,7163 P 0,6948 33 | 5. 2.13/3!/a+31/4| 133,19| 651,89) 4,1882] 0,8176 TP0,65011 + |8. 2.13) £—+4 | 133,19) 607,66| 4,1882| 0,9234 T |0,60601 | 35 [10. 2. 13/41/g „41h 36 |12. 2.13151/,-451% | 37 |18. 3.13), 3-3 |128,19| 772,85| 4,1905| 0,5004 PP|0,8008 | 1,759 | 1,547 | 1,802 | 1,586 38 119. 3.13) 31/a--31/2| 128,19) 665,87| 4,1905| 0,6966 PP!I0,6900 | 1,722 | 1,599 | 1,764 | 1,638 39 120. 3.13) 2-4 | 128,19] 580,75| 4,1905) 0,8961 T |0,60179 | 1,721 1,6381 2 187622 04176777 40 |22. 3.13] 5-5 106,80 407,90! 4,1905| 0,9714 T [0,50732 | 1,736 | 1,682 | 1,778 | 1,722 41 | 9. 4.13/312--31/2| 128,19| 766,64] 4.6453) 0,6165 P 10,79440 | 1,719 | 1,519 | 1,757 | 1,553 43 110. 4. 13/3\/g-+31/2| 128,19) 678,87| 4,6453) 0,8451 P |0,70347 | 1,756 | 1,622 | 1,795 | 1,658 43 |11. 4.13] 4-4 |128,19| 591,59 4.6453) 1,0852 T |0,61301 | 1,732 | 1,644 | 1,769 | 1,679 44 112. 4.13) 5-5 | 106,80) 393,28 4.6453) 1972357 0,48133 | 1,728 | 1,679 1,764 | 1,714 45 114. 4.13) 74-7 |96,323| 284,11| 4,6453) 1,5657 T |0,39179 1,728 1,698 | 11263201732 46 (16. 4.131 S-+S |96,323| 283,92 4.2013 1,25232721 0:39 15201 21:727 1,697 1776202) 17736 47 |i8. 4.13) 4-4 | 198,19! 762,96! 5,1567| 0,7939 P |0,79058\ 1,762 | 1,561 | 1,797 | 1,592 43 |19. 4. 13/31/a-+31/g) 128,19] 676,15| 5,1567 | 1,0409 P ,0,70065 | 1,729 | 1,598 1,763 | 1,630 49 |21. 4.13) £-+-4 | 128,19) 589,05| 5,1567| 1,3635 T \0,6104 | 1,729.| 1,642 | 1,761 1,673 50 [92. 4. 13131/.--3'/2 128,19) 827,86] 5,1567 51 193. 4. 13 | | 52 124. 4. 3) 5-+-5 | 106,80) 391,66 4,2013) 1,0319 T |0,48712 1,728 | 1,679 1,769 | 1,718 53 125. 4.13) 4-44 | 198,19 588. 48! 4,2013| 0,8525 T |0,60979 | 1,724 | 1,638 | 1,766 | 1,677 54 122. 5.13) 2-44 |128,19 693,20 4,2013| 0,6427 P |0,71830 | 1,719 | 1,579 | 1,761 1,618 55 124. 5.131 4+4 |128,19| 779,08) 4,2013| 0,4892 P 0,80730 | 1,751 1,534 | 1,79& \ 1,572 II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. ( der Aufnahmen. 13 14 Entwick Verstärk s ächung ntwicklung, Verstärkung, Abschwächung, Benklnneen Ausfall der Platte Verschleiert, keine Linien sichtbar Ganz schwache $-Kurve stark verschleiert Desgl. Desgl. Wegen Aussetzen d.Vakuums völlig verschl. ‚Verschleiert, mit Blutlaugensalz abgeschw.. sehr schwach ‚Gut; ß-Kurven sehr stark verschwommen ‚B- Kurven sehr schwach und verschwommen ‚Vakuum ausgesetzt; Platte schwarz ‚Platte ganz klar, nur starke Nullinie vor- handen Vakuum ausgesetzt, Platie schwarz Verschleiert; abgeschwächt, ß-Kurven zu schwach geworden Desgl. Desgl. Desgl. Vakuum ausgesetzt, Platte schwarz Platte abgeschwächt Keine $- Kurven 7 Min. entwickelt mit Bromkalizusatz Desgl. \ $-Kurven ganz verschwommen und j asymmetrisch | 4 Min. entwickelt 4 Min. entwickelt 6 Min. entwickelt Mit Hg Cla verstärkt B-Linien sehr verwasch.,Ausmessen unmögl. 4 Min. entwickelt, etwas abgeschwächt ee tt a — Ohne Blende ‘Ohne Kommutieren ) Nur z. ersten Orientierung; Dessgl. y zur Ausmess. unbrauch- Doppelaufnahme ( bar; Magnetfeld mit dem Desgl. | Buchererschen Solenoid erzeugt. Unbrauchbar für die Be- rechnung, da sich nach- träglich einMeßfehler bei der Bestimmung von a Luftpump. umgest. S.S.20) herausstellte. Ohne Blende Neues Solenoid. Kondensator neu versilbert. Da kein gutes Vakuum zu erzielen, keine Felder angelegt. Nur benutzt z. Fest- stellen der Verschleierung beim Vor-Evakuieren. Ohne Blende. Desgl. Aufnahme abgebrochen Mit Metallblende I \ Desgl. ( Desgl. Unbrauchbar; während der Aufnahme brannte ein Vorschaltwiderstand durch. Ohne Blende. Desgl, Desgl. EineHälfle versehentl. 2Std. zu lange belichtet. Ohne Blende. Desgl. Felder falsch angelegt. Mit Siegellackblende. Desgl. a mit Metallplatte gemessen. Desgl. Siegellackblende. Desgl]. Platten nicht verwertet, da die Isolation des Sole- noids durchschlagen worden (s. S. 296ff.). Abgebr., Feld. falsch angel. 1/4 Std. früher beendet, da 1 Widerstd. durchgebr. u \um Solenoid neu gewickelt (s. S. 227 ff). Photogr. Platten auf Spiegelglas, festgehalten mit am Rande drückender Feder (S. 9). Verbesserte Ein- stellung von a. a mit Kondensator neu versilb. Bun m mn Metallpl. gemessen. Mit Siegellackblende. Ver- besserter Kompen- Abgebr.; Pumpe setzt aus sationsapparat(s.8.230ff.). 238 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. $8; 1. Es wurden im ganzen 55 Aufnahmen gemacht, deren Protokolle in der Tabelle Nr. II ausführlich wiedergegeben sind. Zur Erläuterung dieser Zusammenstellung sei noch folgendes bemerkt. In Spalte 3 sind die Belichtungszeiten in der Weise angegeben, dass die auf jeden Kurven- zweig kommenden Zeiten durch ein Pluszeichen verbunden sind. Im all- gemeinen waren sie gleich; nur bei wenigen Aufnahmen sind Differenzen vorhanden, die durch äussere Umstände bedingt sind. Der Grund ist in jedem Falle in Spalte 14 angegeben. Es wurden immer Doppelkurven aufgenommen, mit Ausnahme der Photogramme 1 und 2, die nur zür ersten Orientierung dienten. In Reihe 7 bedeutet ein T, dass die betreffende Platte mittels Teil- maschine, ein P, dass sie auf photometrischem Wege ausgemessen wurde. In Spalte 8 sind die Geschwindigkeiten der verwendeten Strahlen in Bruchteilen der Lichtgeschwindigkeit angegeben. Die Spalten 9 und 10 enthalten die Berechnung von — nach der Lorentz-Einstein’schen bezw. 0 nach der Abraham’schen Theorie, unter der Annahme, dass die Konden- sator-Randkorrektur p= 0 sei. Diese Werte können zu einer Entscheidung zwischen beiden Theorien herangezogen werden gleich den korrigierten \Verten, da die Einführung der Randkorrektur alle Werte angenähert um denselben prozentualen Betrag vergrössert. Die Spalten 11 und 12 ent- . 6 fü halten die entsprechenden Werte von —- nach Einführung der Rand- m 0 korrektion p. Von den ersten 36 Aufnahmen waren nur sehr wenige zur Berechnung verwendbar; 28, d. h. fast °/a von ihnen mussten ausgeschieden werden. Dieses ungünstige Verhältnis findet seinen Grund darin, dass mir zunächst noch die experimentellen Erfahrungen mangelten. Trotzdem wurden alle diese Aufnahmen mitgezählt, um nicht den Anschein zu erwecken, dass die zur Berechnung herangezogenen Aufnahmen willkürlich ausgewählt wären. Die Aufnahmen 1—5 hatten durchaus den Charakter orientieren- der Versuche, da besonders in der richtigen Wahl der Belichtungszeit nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten lagen. Einen ungefähren Anhalt bot mir dabei die Aufnahme des magnetischen Spektrums des benutzten Radiumpräparates, das nach einer von v. Baeyer, Hahn und Meitner‘) an- gegebenen Methode aufgenommen wurde. Aus der Strahlung des Radiumpräparates wurde durch einen Spalt von 0,4 mm Breite und 2 cm Länge ein schmales Bündel ausgeblendet, 1) Vgl. v. Baeyer und Halın, Physik. Zeitschr. XT, p. 489, 1910, II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 39 das durch ein homogenes Magnetfeld H spektral zerlegt wurde, dergestalt, dass die schnellsten Strahlen am wenigsten von der durch die %- und y-Strahlen gebildeten Nulllinie abgelenkt wurden, die langsamsten am meisten. Der Krümmungsradius po wurde aus den Apparatdimensionen für diezAnplenkungen d — 0,1; 0,25...... 1,0 cm nach der von den erwähnten Autoren!) angegebenen Formel berechnet. Unter Zugrundelegung der Relativtheorie ist: e e —_ a une B*; und da m my e Eh. er ER. e ——- H:- nn —_ Dr ist, ‚tolet:.B. — . ir — 91 Del er m .p m G n, [0 Hieraus berechnet sich: 35 N el u ll ) Hero =, ‚oder 1 — $? my e? 1 CZ — = ? (9) Bez .. e 7: mr 7 . Für — wurde der Wert 1,77.10° benutzt. Nach dieser Formel my konnte also ? als Funktion von 9, und damit als Funktion der Ablenkung d ermittelt werden. Es wurde die Schwärzung nach der schon erwähnten photometrischen Methode in willkürlichen Einheiten ausgemessen und als Funktion der Ablenkung d aufgetragen. Für die zum Schwärzungs- maximum gehörige Ordinate dynax ergab sich P = 0,83 rund. Demgemäss war die Belichtungszeit für # = 0,7 bis 0,8 am kürzesten und nahm dann für kleinere Geschwindigkeiten erst allmählich (bis ? = 0,6), dann schneller zu. Nächst der richtigen Wahl der Belichtungszeiten machte die Er- zielung eines guten Vakuums zunächst grosse Schwierigkeiten. Abgesehen davon, dass bei Vorhandensein von Gasresten die /-Strahlen auf ihrem 1) Vgl. v. Baeyer, Hahn u. Meitner, Physik. Zeitschr. XII, p. 1100, 1911. 240 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Wege bis zur photographischen Platte gebremst werden, verschleiern die Platten bei nicht genügend hohem Vakuum stark, da die Gasreste zu leuchten anfangen. Eine Metallblende von etwa 6 mm Spaltbreite, wie sie Wolz vor den Kondensator gesetzt hatte, erwies sich als nicht zweck- mässig; bei kleineren Ablenkungen lagen die #-Kurven noch in dem von der Blende nieht geschützten Gebiete der photographischen Platte, bei grösseren Ablenkungen lagen sie nahe bei dem Abbild der Blendenränder, was für die Ausmessung noch störender wurde. Ich begann daher ganz ohne Blende zu arbeiten, indessen verschleierten die Platten, besonders bei längerer Exposition, überaus stark. So waren diese Aufnahmen meist nicht brauchbar, und ich versuchte eine Reihe von ihnen durch Ab- schwächung mit Blutlaugensalz zu verbessern, jedoch ohne Erfolg, da hierbei gleichzeitig die P-Kurven zu schwach wurden. Aus diesem Grunde mussten die Aufnahmen 17 bis 20 verworfen werden. In der Folge be- nutzte ich eine Blende von nur 3 mm Spaltbreite; diese wurde, um nicht den Weg der P-Strahlen zu stören, mit nur 2 mm Abstand vor den Kon- densatorspalt gesetzt. Da bei Metall in dieser geringen Entfernung mög- licherweise zu starke, den Feldverlauf störende Ladungen influenziert worden wären, wurde die Blende aus einer dünnen Scheibe Siegellack hergestellt. Die mit dieser Blende erzielte Schirmwirkung war zufrieden- stellend. Die ganze Reihe der Aufnahmen 29 bis 36 endlich wurde wegen Durchschlagen der Isolation beim Solenoid ausgeschlossen. Nachdem alle diese Schwierigkeiten überwunden waren, auch die Bestimmung des Abstandes a der photographischen Platte vom Kon- densator hinreichend verbessert war — Fehler bei dieser machen sich im Resultat stark bemerkbar — fielen fast alle Aufnahmen zur Zufriedenheit aus; von Nr. 37 an waren nur zwei Platten nicht verwertbar. Die zur Berechnung verwerteten Aufnahmen bilden 5 Versuchsreihen. Die erste Gruppe enthält die Aufnahmen 12 bis 28 ausschliesslich der im Protokoll als unbrauchbar bezeichneten. Die nichtkorrigierten Werte e e ER A H . (2), -olassen sich bei ihr nicht zur Prüfung der Relativ- und Kugel- 0 theorie heranziehen, da die Aufnahmen teils mit, teils ohne Blende herge- stellt worden sind, also bei verschieden starker Streuung des elektrostati- schen Feldes. Ferner lassen sich nur diejenigen unkorrigierten Werte zu- sammenstellen, die mit gleichem Abstande a aufgenommen sind. Bei den in Frage kommenden Versuchen war es aber nicht möglich, bei der Neueinstellung genau den alten Wert von a wieder zu erhalten; eine dahin- zielende Verbesserung der Apparatur wurde deshalb von Aufnahme 37 an getroffen. li. Abteitung. Naturwissenschaftliche Sektion. JAl Die Randkorrektion p für Aufnahmen ohne Blende liess sich aus Nr. 15 und 22 ermitteln, die für Aufnahmen mit Siegellackblende aus Nr. 25 und 26. Es ergaben sich die Werte: Tabelle II. Relativ- Kugel- Theorie | ohne Blende | py5)2g | 0,0455 cm | 0,0455 cm mit » P2s12s | 0,0510 „ | 0,0141 „ Da die späteren Versuchsreihen sämtlich für die Relativ- und gegen die Kugeltheorie entschieden, wurden für die Korrektionsrechnungen die Werte der ersten Kolumne herangezogen. In Tabelle IV sind die Er- gebnisse dieser Messreihe zusammengestellt, wobei die Aufnahmen nach steigenden Werten von ß geordnet sind. In Fig. 22 sind die nach beiden e hell. 2rms 1,65 d. Lichtgeschw. Fig. 22 (Tab. V), 1913. 16 242 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Theorien berechneten Werte(- jr als Funktion der Geschwindigkeit orT. my eingetragen. Der Vergleich der letzten beiden Vertikalreihen der Tabelle zeigt ein deutliches Abfallen von( le mit wachsenden Ge- KOTr m schwindigkeiten nach der Abraham’schen Thäorie, während die nach Lorentz - Einstein berechneten Werte um einen Mittelwert in kleinen Grenzen schwanken. Noch deutlicher wird dies Verhalten durch die graphische Darstellung illustriert. Tabelle IV (Fig. a Lor. Abr. |/ e\Lor. Abr. NE. p acm ß & J ker ) (> en e 3 i 1/ P= 01 u Da m,/korr. m korr. 13 | 15/22 | 4,1028 |. 0,5065-| 10°.1,718 .10°.1,664 | 10°.1,755.| 10%.1,200 25 | 25/26 | 4,1322 | 0,5906 1,724 1,644 1,765 1,655 12 | 15/22 | 4,1035 | 0,5915 1,715 1,635 1,751 1,670 26 | 25/26 | 5,1496 | 0,6062 1,732 1,647 1,765 1,655 27 | 25/26 | 4,1689 | 0,6531 1,725 1.620 1,766 1,630 23 | 25/26 | 4,6183 | 0,6531 aan 1,612 1,753 1,621 22 | 15/22 | 4,8078 | 0,6539 1,722 1,607 1,754 1,646 15 | 15/22 | 4,1026 | 0,6543 1,716 1,611 1,754 1,646 24 | 25/26 | 5,1736 | 0,7090 1,723 1,588 1,757 1,597 Die zweite Versuchsreihe wird durch die Aufnahmen 37—40 gebildet. Sie sind sämtlich bei dem Abstande a = 4,1905 cm aufgenommen worden. Leider liessen sie sich nicht zur Berechnung von p heranziehen, da nach Nr. 40 der Kondensator neu versilbert werden musste, was natürlich eine andere Randstreuung des Kondensators bedingte. Zwar war diese Änderung an sich sehr klein, da die Versilberung infolge des Freihaltens der Stirnflächen immer sehr gleichmässig ausfiel, und da auch die Zu- sammensetzung und Justierung des Kondensators nach der auf 8.10 ft. beschriebenen Methode eine sehr exakte war. Indessen machen sich selbst sehr kleine Versuchsfehler bei der Berechnung von p nach Gleichung (6) bis (8) schon sehr stark bemerkbar; weiter unten wird hierauf noch näher eingegangen werden. Die Resultate dieser Versuchsreihe, die die Geschwindigkeiten ß = 0,5 — 0,8 umfasste, sind in Tabelle IV und Fig. 23 wiedergegeben. il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 243 Tabelle V (Fig. 23). A Nr. ß © Lor. | —) br. m,/P — 0) NA 7 9 N) 40 0,20732 | 107.1,736 | 102.1,682 39 0,60180 1.7021 1,638 38 0,6900 1,722 1,599 37 0,580085 1,099 1,547 a = 4, 1905 cm. 1.50 &|o De”, As] | 1,75 1,70 1,68 1,60 1,55 - 10' sL.ols 0,75 om 0.65 o.6 055 le d Lichtgeschwindigkeit Fig. 23 (Tab. V). Die Aufnahmen 37 bis 55 bilden drei Versuchsreihen, die mit den Werten a= 4,2013 cm; 4,6453 cm; 5,1567 cm aufgenommen wurden; die Geschwindigkeiten wurden um runde Zehntel der Lichtgeschwindigkeit variiert. Bei dem grössten Abstande der photographischen Platte vom Kondensator a=5,16 cm war die untere Grenze der Geschwindigkeit durch 8=0,6 gegeben; für kleinere Geschwindigkeiten wäre die Ab- lenkung so gross geworden, daß die $-Kurven dem Rande der Platte zu nahe gekommen wären. Bei den beiden anderen Versuchsreihen ging ich bis auf #= 0,4 rund herab; ich musste davon absehen, noch kleinere Geschwindigkeiten zu benutzen, da schon bei $= 0,3 abnorm grosse 16* 944 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Belichtungszeiten benötigt worden wären. Höher hinauf als bis 0,8 bin ich bis jetzt noch nicht gekommen. Eine Aufnahme (Nr. 50) mit $ = 0,85 zeigte so breite und schwach ausgeprägte Maxima, dass es mir nicht gelang, die Ablenkung z auszumessen. Die Resultate dieser drei Reihen, die meine zuverlässigsten Versuche darstellen, sind in den Tabellen VI bis VIII und den Figuren 24 und 25 zusammengestellt worden. Tabelle VI (Fig. 24). N. | 6 © Lor. ri m/p = O\m/p = 0 45 | 0,3918 | 107.1,728 | 10°.1,698 44... 0,4891 | 1,728 1,679 43 | 0,6130 | 1,732 1,644 42 | 0,7035 | 1,756 1,622 a1 | 0,7944 | 1,719 1,519 I Einstein nach Lor.- d. Lichtgeschw. Fig. 24 (Tab. VI). 1,75 II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 945 Tabelle VII (Fig. 25). aıincem 8 ger Lor. Je Abr. Kr ol N) 46 | 0,3915 | 1,727.107| 1,697.10?| 4,2018 so 0 Asct | 1,008 1,679 53 | 0,6098 | 1,724 1,638 520 0,72083 | 1,719 1,579 „3 550 0,8073 | 1,751 1,534 & nase | L 8 & () se RS nach Lor.-|o Einstein |. ME 0,6. 0,5 0,4 d. Lichtgeschw. Fig. 25 (Tab. VII). Tabelle VII. I + Ioi8: e\Abr. m/p = 0 0,6104 107.1,729 | 107.1,642 0,7007 1.229 1,598 0,7906 1,762 1,561 a = 5,1567 cm, 246 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. orentz-Finstein | ! (=) korr rlh ate der Buchererschen Arbeit 3-10,7 an 06 Beer 05 Er Zoe Se 013 +4. Lichtgesehw. Fig 26. Sie alle zeigen, in Übereinstimmung mit den beiden anderen Reihen für die Lorentz-Einstein’sche Theorie völlige Konstanz der spezifischen Ladung ,‚ wenigstens in dem Intervall # = 0,4 — 0,7, während nach der m 0 Abraham’schen Theorie die Werte mit wachsender Geschwindigkeit rapide abnehmen. Alle bis #= 0,8 gehenden Beobachtungsreihen zeigen, mit Ausnahme der in Tabelle VI und Fig. 24 wiedergegebenen, von 8 = 0,7 — 0,8 einen auffälligen Anstieg von _° nach der Relativtheorie. Es soll hierauf noch 2, näher eingegangen werden bei Besprechung des Einflusses, den die nicht- kompensierten Strahlen auf die Versuchsergebnisse haben können. S 8; 2. Wie eingangs erwähnt, kann man den durch die Kraftlinien- streuung am Rande des Kondensators verursachten Fehler dadurch kom- pensieren, dass man eine Grösse p einführt, um die man sich das homogene elektrostatische Feld verlängert zu denken hat. Diese Grösse ist aus je einem Versuchspaar zu berechnen, das unter sonst möglichst gleichen Be- dingungen, nur mit verschiedenem Abstande a aufgenommen ist.-. Für die erste meiner Versuchsreihen standen mir nur, wie schon erwähnt, zwei solcher Paare zur Verfügung, und zwar das eine für die Aufnahmen ohne, II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 947 das andere für diejenigen mit Siegellack-Diaphragma. Die zweite Reihe konnte für solche p-Berechnungen überhaupt nicht herangezogen werden, da eine Neuversilberung des Kondensators notwendig wurde, ehe eine Parallelreihe mit verändertem Abstande a aufgenommen werden konnte. Indessen stand für die p-Bestimmung in den Versuchen 41 bis 55 reichliches Material zur Verfügung. Tabelle IX zeigt, dass 11 Paare Tabelle IX. Bla, = 42 cm |a, =4,6 cm|a, =5,2 cm 0,8 Nr. 55 Nr. 41 Nr. 47 0,7 54 42 48 0,6 53 43 49 0,5 52 44 0,4 46 45 (H in jeder Horizontalreihe Konstant). von Aufnahmen sich dazu zusammenstellen liessen, nämlich jede Auf- nahme mit jeder in derselben Horizontalreihe stehenden. Der Idealfall, alle Versuchsbedingungen in solch einem Paare eben bis auf die Grösse a ganz gleich zu machen, war zwar nicht möglich, da im Laufe der Zeit die Spannung der das elektrostatische Feld erzeugenden Batterie ein wenig sank; indessen sind diese Differenzen, und damit die Unterschiede der Geschwindigkeit 5, bei den zu kombinierenden Aufnahmen durch- schnittlich nur von der Grössenordnung einiger Prozente. Natürlich gehen in die p-Werte auch die Versuchsfehler der be- treffenden beiden Anfnahmen mit ein und verursachen Differenzen der- selben unter einander. Beim Ausrechnen der einzelnen Werte zeigte sich leider, dass diese Versuchsfehler gegenüber den verwendeten Variationen von a sich ausserordentlich stark bemerkbar machten. Während der Unterschied der Grössen a,/a, und a,/a, 0,4 cm bezw. 0,6 cm betrug, die Differenz a,/a, also etwa die doppelte Grösse hatte, wie die beiden erst- genannten, verhielten sich die Abweichungen der p-Werte unter eiu- ander, die mit a,/a, und a,/a, einerseits, mit a,/a, andererseits berechnet waren, wie 1:18. Hätte ich Werte von a verwenden können, die um 2 bis 3 cm differierten, so wäre zweifellos eine viel bessere und genauere Bestimmung von p möglich gewesen. Die Verwendung eines noch kleineren Abstandes als a, hätte aber zu kleine Ablenkungen ergeben, während bei Abständen grösser als a, die. $-Kurven übermässig ver- schwommen ausgefallen wären. Eine Zusammenstellung der erhaltenen --p-Werte ist in Tabelle--X gegeben. 348 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Tabelle X. Aufn.-Paar | p er 2 Aufn.-Paar | p N 53/49 0,02600 46/45 0,01900 aus a,/A3 54/48 0,05775 49/43 — 0,04044 55/47 0,07143 52/44 0,00189 52/43 0,08768 || aus a,/a, 47/41 0,50964 u. 29/23 48422 |— 0,38331 54/42 0,39771 55/41 | 0,43777 Wie ausserordentlich empfindlich die p-Werte gegen kleine Versuchs- fehler sind, ersieht man aus folgendem. Die zweifellos nur sehr unbe- deutende Veränderung der Randstreuung bei der Neuversilberung des Kondensators zwischen Aufnahme 40 und 41 zeigt sich darin, dass die unkorrigierten G); og verie der Versuchsreihe 2 von solchen gleicher Mo = Geschwindigkeit aus den Versuchsreihen 3—5 durchschnittlich nur um wenige Promille differieren. Dagegen ergab eine versuchsweise ange- stellte Berechnung von p aus der Kombination dieser Werte ganz un- sinnige Beträge, teils bis zu einigen Zentimetern, teils negative Werte von einigen Zentimetern. Gemäss den obigen Darlegungen glaubte ich einwandfreiere Resultate zu erzielen, wenn ich nur die drei mit a,/a, berechneten p-Werte für die Bestimmung der korrigierten Werte heranzog. Es wurde daher aus diesen drei p-Werten das Mittel genommen und p= 0,05174 cm gesetzt, ein Wert, der übrigens mit demjenigen, der sich bei Versuchreihe 1 für Auf- nahmen mit Blende ergab, nämlich p= 0,0510 cm, in guter Überein- stimmung ist. Mit dem Werte p = 0,05174 wurden auch die Aufnahmen 37 bis 40 korrigiert. Dies ist zwar nach dem oben Gesagten im strengen Sinne unzulässig; doch glaubte ich dennoch dazu berechtigt zu sein, da die © Werte, wie früher ausgeführt, ganz wesentlich unempfindlicher gegen m, kleine Versuchsfehler sind als die p-Korrektion. Die sämtlichen korrigierten Werte von _“ aller Versuchsreihen sind 2) in Tabelle XI zusammengestellt nach steigenden Werten von ß und in II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. I49 Fig. 27 als Funktion der Geschwindigkeit gezeichnet. Es ergibt sich auch hier, wenn wir einstweilen nur den Bereich 8 = 0,4— 0,7 berück- sichtigen, völlige Konstanz nach der Relativtheorie, während nach der Abraham’schen Kugeltheorie eine sehr starke Abnahme mit wachsender Geschwindigkeit eintritt. Tabelle XI (Fig. 27). Nr. 8 ( a N: ( ‚e \Abr. m,/korr. | \my/korr. 46 | 0,39152 | 107.1,767 | 107.1,736 45 | 0,39179 1,763 1,733 52 | 0,48712 1,769 1,718 44 | 0,48913 1,764 1,714 13 | 0,50650 1,755 1,700 40 | 0,50732 1,778 1,722 25 ı 0,59059 1,765 1,655 12 | 0,59150 19 1,670 3971..0,601.78 1,762 1,677 26 | 0,60624 1,765 1,655 53 | 0,60979 1,766 1,677 49 | 0,61040 1,761 1,673 43 | 0,61301 1,769 1,679 27 | 0,65308 1,766 1,630 28 0,65308 15753 1,621 22 | 0,65391 1,754 1,646 15 | 0,65426 1,754 1,646 38 | 0,68998 1,764 1,638 45 | 0,70065 1,009 1,630 42 | 0,70347 1,795 1,658 24 | 0,70897 1,757 15031 54 ı 0,71830 1,761 1,618 47 | 0,79058 1,797 1,592 41 | 0,79440 1,097 1,553 37 | 0,80085 1,802 1,586 55 | 0,80730 1,794 1,572 350 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. I En [0] H 5 $ Einstein _ | Ö > 80 sr © Buchbrer | o Nennlann b) 014 013 d Lichtgeschwindigkeit Fig. 27 (Tab. XD). Die Resultate bestätigen also durchaus die Schlüsse, die Bucherer aus seinen Versuchen gezogen hatte. Dass die Übereinstimmung eine durch- aus eindeutige ist, zeigt Fig. 27, in der die Bucherer’schen Werte mit eingetragen sind. Ganz von der Hand zu weisen waren die von Bestel- meyer geäusserten Zweifel an Bucherers Schlussfolgerungen übrigens nicht, wie Fig. 26 zeigt, in die sämtliche von Bucherer mitgeteilten Resultate eingetragen sind. Die bei 5=0,3 gemachte Aufnahme gibt Bucherer selbst als zweifelhaft an, da sie die ausserordentlich hohe Belichtungszeit von 60 bis 70 Stunden benötigte. Von den übrigbleibenden Versuchen sagen die bei 5 = 0,37 und 0,43 gemachten noch nichts für oder gegen die eine oder andere Theorie aus; Bucherer stützte sich also im wesent- lichen nur auf zwei Aufnahmen. Auch die Ergebnisse der Hupka’schen') Arbeit werden durch die vor- liegende Arbeit bestätigt und zugleich erweitert, da Hupka nur das Gebiet ß = 09,85 — 0,53 untersuchte und auch keine absoluten Werte angab. $ 853. Die Resultate sind unter der Annahme berechnet, dass die ß- Kurven auf den Photogrammen nur von den kompensierten Strahlen her- rühren; bezw., dass das Maximum der Schwärzung in den Kurven durch diese Strahlen erzeugt wird. Das heisst mit anderen Worten, dass nur Strahlen eines unendlich kleinen Geschwindigkeitsbereiches den Konden- sator verlassen, oder dass zum wenigsten die Strahlen benachbarter Ge- schwindigkeitsbereiche in zu vernachlässigender Stärke die Platte treffen. !) s. E.Hupka, Ann. d. Physik 31, p. 169, 1910. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 351 Völlige Homogenität würde verlangen, dass der Kondensatorspalt im Ver- gleich zur Kondensatorlänge unendlich schmal ist, während diese Grössen bei dem verwendeten Apparat etwa im Verhältnis 1 ::200 stehen. Infolge- dessen werden also wirklich auch nichtkompensierte Strahlen die photo- graphische Platte treffen und das Schwärzungsmaximum der ß-Kurve unter Umständen verschieben können. Bestelmeyer hat in der eingangs zitierten Diskussion der Bucherer’schen Versuche hierauf seine Haupt- einwände gegen die Bucherer’schen Resultate gestützt und kommt auf Grund von ihm angestellter Berechnungen zu dem Ergebnis, dass be- sonders bei höheren Geschwindigkeiten der verwendeten Strahlen der nichtkompensierte Anteil den überwiegenden Betrag der Gesamtstrahlung bilden könne. Er!) kommt zu dem Schluss: „Will man sich wirklich Rechenschaft geben über die Rolle der nichtkompensierten Strahlen, so muss man zunächst die allgemeine Gleichung aufstellen, für die Menge der Strahlen einer bestimmten Geschwindigkeit, die von einem Flächenelement der Strahlungsquelle ausgehen und ein bestimmtes Flächenelement der Trockenplatte treffen. Dann ist dieser Ausdruck zu integrieren über alle Flächenelemente der Strahlungsquelle, von denen Strahlung zu dem be- treffenden Elemente der Trockenplatte gelangt. Dieser Ausdruck ist zu integrieren über alle in Betracht kommenden Geschwindigkeiten; die letztere Integration kann man freilich nur vornehmen, wenn man die Intensität der ursprünglich vorhandenen Strahlung als Funktion der Geschwindigkeit kennt; das erfordert die Aufnahme des magnetischen Spektrums der Strahlungsquelle. Endlich ist die so gewonnene Intensität für die verschiedenen Punkte der Platte zu berechnen und die Intensitäts- kurve zu konstruieren.“ + Das Aussehen der Kurven gibt ihm insofern Recht, als tatsächlich bei höheren Geschwindigkeiten die $-Kurven immer verwaschener werden und etwa von 3=0,75 an der ganze zwischen Nullinie und P-Kurve liegende Plattenbereich ziemlich stark verschleiert ist, eine Verschleierung, die bei noch höheren Geschwindigkeiten immer mehr zunimmt. Nun ist es allerdings fraglich, ob die nichtkompensierten Strahlen allein die Schuld an dieser Verschleierung tragen. Es wäre beispielsweise nicht ausgeschlossen, dass durch die im Kondensator bleibende Strahlung sekundäre Strahlungsvorgänge ausgelöst werden, die diese Verschleierung wenigstens zum Teil verursachen. Indessen ist hierüber kaum etwas Sicheres auszusagen. 1) Bestelmeyer, a. a. O. p. 170, 171. 352 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Der von Bestelmeyer vorgeschlagene Weg wäre zweifellos der zuver- lässigste. Indessen stellen sich der experimentellen Durchführung erheb- liche Schwierigkeiten in den Weg. Um aus der Aufnahme des magnetischen Spektrums auf die Intensität der verschieden schnellen Strahlen schliessen und diese für die Korrektur in Anrechnung bringen zu können, müsste man für jede einzelne Strahlungsgeschwindigkeit die Abhängigkeit der Plattenschwärzung von der Belichtungszeit bestimmen, da die photo- graphische Platte bekanntlich keine Proportionalität zwischen Belich- tungsdauer und Schwärzung zeigt. Oder aber, man müsste für jede ein- zelne Platte eine Parallelaufnahme des magnetischen Spektrums mit gleicher Expositionsdauer machen. Ausserdem müssten die Entwickelungs- bedingungen für die Aufnahmen und die magnetischen Spektra ganz gleiche sein bezüglich Temperatur und Konzentration der Lösungen, sowie Ent- wickelungszeit, da hiervon die Schwärzungsverteilung in der photo- graphischen Schicht ja auch beeinflusst wird. Diese recht umständliche Arbeit ist indessen, nicht notwendig, um den Einfluss der nichtkompensierten Strahlen auf die Resultate der Messungen zu untersuchen, insbesondere ihren Einfluss auf die Sicherheit, mit der man über die Gültigkeit der beiden in Frage stehenden Theorien entscheiden kann. Ich habe vielmehr den umgekehrten Weg eingeschlagen und mich gefragt, wie gross der durch die nichtkompensierten Strahlen verursachte Fehler sein müsste, um die mitgeteilten Ergebnisse umzu- stossen, d. h. also Konstanz der nach der Kugeltheorie berechneten Resultate für alle Geschwindigkeiten zu erzielen. es : Ä e a Wie Figur 27 zeigt, nimmt — nach Abraham berechnet, im Intervail m 0 ß = 9,4 — 0,7 um 6,3°/, ab. Sollten alle Geschwindigkeiten denselben e : = : 2 A Wert von — ergeben wie 5= 0,4, so müsste also diese Grösse für = 0.7 m ) um 6,3 °/, grösser sein; für = 0,6 ist die nötige Vergrösserung gleich 3,90%, für 8=0,5 gleich 1,2°),- Die Durchrechnung ergab, dass bei £ = 9,5 der Fehler von _ von derselben Grösse ist, wie ein Fehler in der m, Ablenkung z; für grössere Geschwindigkeiten wächst der Fehler von z EAN: ie ! noch schneller als der von —., die Verhältnisse liegen dann also noch Mg, u . e En & günstiger. Berechnet man die zur angegebenen Vergrösserung von — m 0 benötigte Veränderung A z von z für die einzelnen Versuche, so ergeben sich die in Tabelle XII zusammengestellten Werte: II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 953 Tabelle X. B = 0,5 B = 0,6 07 Nr. | z (em) | Az (em) | Nr. | z (em) | Az (em) | Nr. | z (cm) | Az (cm) 1a 1,0 0,012 | 12 09 0,035 |24| 0,9 | 0,057 Al 0,012 125 | 09 0,035. | 38 | 07. | 0,044 44 153 0,016 26 162 0,047 42 0,8 0,050 52| 10 0,012 |39 | 0,9 0,085 | 48 | 1,0 | 0,063 Aa 0,043 |54 | 0,6 | 0,040 49| 1,4 0,055 53| 09 0,035 Wie man sieht, sind also ganz beträchtliche Verschiebungen der Schwärzungsmaxima notwendig, um ein der Abraham’schen Theorie günstiges Resultat zu erhalten. Für $# = 0,5 ist Az noch relativ klein, im Mittel gleich 1,3 Zehntel mm. Berücksichtigt man aber die in diesem Geschwindigkeitsbereich sich ergebende Kurvenschärfe (s. Fig. 17), so ist eine Verschiebung von dieser Grössenordnung recht unwahrscheinlich. Noch schlagender sind die Werte der letzten Vertikalreihe: eine Ver- schiebung des Maximums um einen halben Millimeter erscheint mir nach dem Aussehen meiner Aufnahmen ganz ausgeschlossen. Wie z. B. Fig. 20 zeigt, ist die ganze Breite der 5-Kurve nur wenig grösser als ' mm, und wenn in Fig. 21 die Kurve stärker verbreitert erscheint, so ist damit auch gleichzeitig ein grösserer Betrag von z und damit von A z verbunden. Bei alledem ist noch zu berücksichtigen, dass selbst ungünstigsten Falls die nicht kompensierten Strahlen nur einen Bruchteil der Gesamtstrahlung ausmachen. Die Intensität der Strahlung bei 5 = 0,7 ist aber, wie die Schwärzungskurve des magnetischen Spektrums zeigt, nicht so sehr von der der benachbarten Strahlungsbereiche verschieden, als dass Bestel- meyer mit seiner Behauptung Recht hätte, die nichtkompensierten Strahlen könnten infolge beträchtlich grösserer Intensität die Lage des Maximums sehr wesentlich beeinflussen. © mit wachsen- Mg der Geschwindigkeit der Elektronen, wie sie sich nach der Abraham’schen Theorie ergibt, auf den Einfluss der nichtkompensierten Strahlen zu schieben ist. Es ist also nicht anzunehmen, dass die Abnahme von 354 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Anders ist es, wenn wir das bisher von der Betrachtung ausge- schlossene Gebiet $ = 0,7 — 0,8 untersuchen. Hier erscheint es nach den : i e : vorliegenden Versuchen zweifelhaft, ob — nach der Lorentz-Einstein’schen u Theorie noch konstant ist. Denn von den vier Messreihen, die bis $ = 0,3 Lor. I i gehen, zeigen drei einen Anstieg von() “ (s. Fig. 27), während die Aufnahmen 41 und 42 der dritten Versuchsreihe (s. Fig. 24) sich um- gekehrt verhalten. Hier liegt der mit #= 0,7 erhaltene Wert weit höher als der für 5= 0,8. Ob dies auf Versuchsfehler zurückzuführen ist, lässt sich nicht sagen, da die beiden fraglichen Aufnahmen durchaus normal verliefen. Jedenfalls ist der Anstieg, den die drei übrigen Versuchsreihen über- einstimmend ergeben, sehr auffällig, und es fragt sich, ob dies Messungs- fehler sind, die zufällig alle nach derselben Seite fallen, oder ob sich hier der Einfluss der nichtkompensierten Strahlen bemerkbar macht. Ich hake, um dies festzustellen, eine der obigen entsprechende Berechnung an- gestellt. Gerade beim Übergange von = 0,7 zu = 0,8 zeigt sich eine starke Verbreiterung der #-Kurven; insbesondere wird bei #= 0,8 die schon erwähnte Verschleierung des Zwischenraumes zwischen $-Kurve und Nulllinie stark bemerkbar. Die Berechnung ergab, dass zur Erklärung dieses Anstiegs des Om Wertes eine Verschiebung des Maximums 0 durch nichtkompensierte Strahlen um 0,01 em im Mittel für die drei frag- lichen Aufnahmen 37, 47 und 55 genügt. Dann ist es aber nicht aus- geschlossen, dass der Anstieg auf diese Weise zustande gekommen ist. Es ist beabsichtigt, mit passend veränderter Versuchsanordnung diesen Geschwindigkeitsbereich noch zum Gegenstand einer besonderen Unter- suchung zu machen. Bildet man aus den sämtlichen zur Verfügung stehenden Werten für ker wie sie in Tabelle XI zusammengestellt sind, das Mittel, so m,/korr. ergibt sich die spezifische Ladung des Elektrons: 1,767 .10° (Elektromagn. Einh.). Mg Ich habe ferner den Mittelwert gebildet, indem ich erstens die Er- gebnisse der Versuchsreihen 1 und 2 wegen ihrer geringeren Zuverlässig- keit nur mit dem halben Gewicht bewertete und zweitens die mit $ = 0,3 erzielten Resultate ausschaltete, da sie mir aus den soeben angeführten Gründen nicht genügend sichergestellt erschienen. Dabei ergab sich: II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 355 = 1,765..10” (Elektromaen. Einh.). m, Der mittlere Fehler dieses Wertes, den ich als das Resultat meiner Absolut- messungen betrachten möchte, beträgt 1,5 Promille; der Wert ist also in der letzten Dezimale um rund drei Einheiten unsicher. Ich möchte noch erwähnen, dass die Ermittelung des Absolutwertes nicht das Hauptziel der Arbeit war. Die verwendete Methode erscheint wegen der schwierigen Bestimmung der Korrektion p für die Randstreuung des Kondensators hierzu, weniger geeignet. Immerhin ergibt sich eine befriedigende Übereinstimmung mit den Resultaten der neuesten, speziell : } e 3 zur Ermittelung des Absolutwertes von — unternommenen Arbeiten. m 0 Tabelle XII. J. Malassez!) 11911, Kath.-Strahlen Magn.Abl.u.Elekt.Spann.| 1,769. 107 A. Bestelmeyer”) 1911 Oxydkathode dto. 1,766 Alberti I) 11912 Photoelektrode dto. 1,756 Alberti II 11912 dto. dto. 1,766 G. Neumann [1915 Becquerelstr, | Magn. u. elstat. Ablenk. 11,765 Tabelle XIII gibt hiervon ein Bild, wobei die Resultate von Bucherer und Wolz nicht aufgeführt sind, da eine Übereinstimmung mit ihnen, als nach derselben Methode ermittelt, selbstverständlich erscheint. Gerade darin aber, dass meine Versuche in diesem Punkte — obwohl dies nicht das Hauptziel der Arbeit war — so gute Übereinstimmung mit den von anderer Seite erzielten Resultaten ergeben, scheint mir ein weiteres starkes Argument auch für die Beweiskraft meiner Ergebnisse über die Gültigkeit der Abraham’schen oder Lorentz’schen Formeln zu liegen, sowie dafür, dass die von Bestelmeyer gegen die Methode er- hobenen Einwände nicht stichhaltg sind. Es sei noch erörtert, welchen Einfluss die Versuchsfehler auf das Ergebnis, betreffend die Gültigkeit der beiden in Frage stehenden Theorien, haben können. 1) Annales de Chemie et Physique 23, p. 231 u. 397. 1911. 2) Ann. d. Physik. 35, p‘ 909, 1911. 3) Ann. d. Physik 39, p. 1133, 1912. Der unter I angegebene Wert ist mit den von Alberti selbst ermittelten Apparatkonstanten berechnet, der unter II mit den Konstanten, die von der Physik. Techn. Reichsanstalt für Albertis Apparate erhalten worden waren. 256 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die den Hilfsmessungen der einzelnen Aufnahmen anhaftenden Fehler sind schon an den Stellen angegeben worden, wo diese Hilfsmessungen besprochen wurden. Sie machen sich, wie die Figuren zeigen, durch ein mehr oder weniger starkes Abweichen der Einzelresultate von den aus- gezogenen Kurvenzügen bemerkbar, ohne offenbar Einfluss auf das Resultat zu haben. Indessen ist noch zu untersuchen, inwieweit diejenigen Fehler Einfluss auf das Ergebnis der Arbeit haben, die gleichmässig in alle Messungen ein- gehen, d.h. also erstens die Grösse des magnetischen Feldes und zweitens der Abstand der Kondensatorplatten von einander. Der mögliche Fehler des magnetischen Feldes ist auf Seite 20 und 21 zu 0,4 ko bezw. 0,3 "oo an- gegeben; nehmen wir den ungünstigsten Fall von 0,4 "oo an, so zeigt Gleichung 4a und 5a (S, 5), dass dadurch der Nenner bei allen Be- rechnungen um 0,4 °/oo im selben Sinne falsch würde. Es geht aber der Fehler von H auch in die Grösse 5 ein, und zwar muss sich 8 entgegen- gesetzt wie H ändern, da nach Gl. (3) BZ es müssen sich die °C Fehler von H in Zähler und Nenner addieren. Wie die Durchrechnung ergibt, ist der Fehler von tang are sin B nahezu gleich dem von ß für $= 0,4, während für # = 0,8 der Fehler des tangens-Ausdrucks gleich dem dreifachen Fehler von £ ist. Für die da- zwischen liegenden Geschwindigkeiten kann man in ersterer Annäherung annehmen, dass der Fehler von tg are sin # zwischen diesen Extrem- Fehlerwerten linear anwächst, also z. B. für $ = 0,6 gleich dem doppelten Fehler von # ist. Für den Ausdruck _- d Ir AH zug (s. 5a) 4B 2926 gilt ähnliches. Für $= 0,4 ist ein Fehler bei 5 und bei dem Klammer- ausdruck von gleicher Grösse, bei = 0,8 ist der Fehler der Klammer doppelt so gross wie bei 9; bei = 0,6 etwa gleich dem 1,5 fachen. Daraus folgt: Bei dem Maximalfehler von 0,4°/o von H würde der Weit von —- bei kleinen Geschwindigkeiten mit einem systematischen 2, Fehler von 0,8 °/o behaftet sein, für $= 0,8 würde dieser bei Zugrunde- legen der Lorentz’schen Theorie auf 1,6 °o steigen; bei Anwendung der Abraham’schen Theorie auf 1,2 °/oo. Der Abstand d der Kondensatorplatten von einander geht nur ein in den tang-Ausdruck bezw. die Klammer. Seine Genauigkeit ist auf '/;°/o angegeben. Danach würde, unter Annahme dieses Maximalfehlers, sowie unter der weiteren Annahme, dass die Fehler von H und d sich II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 957 summieren, der Wert von _° noch um weitere 0,5 °/oo falsch sein für ING ß= 0,4 in beiden Theorien. Bei 8=0,8 ergibt sich der Fehler nach Lorentz zu 1,5 °/o, bei Abraham zu 1 "fo. Fasst man all dies zusammen, so folgt: bei $= 0,8 kann nach my Lorentz berechnet, einen systematischen Fehler von 3,3 fo haben; nach Abraham berechnet, etwas weniger. In Figur 27 würde das bedeuten, dass für diese Geschwindigkeit die nach beiden Theorien erhaltenen Kurven um weniger als 0,85 mm nach oben oder unten verschoben sind. Bei # = 0,4 beträgt dieser Fehler nur etwa 0,9 °oo, was einer Ver- schiebung der Kurven an dieser Stelle um etwa 0,2 mm entspricht. Man sieht also, dass die angegebenen Maximalfehler nicht imstande sind, die Ergebnisse wesentlich umzugestalten. S 8;4. Das Ergebnis der vorliegenden Arbeit lässt sich dahin zu- sammenfassen: 1. Die Gültigkeit der Lorentz’schen Formel, die Einstein später auch aus seiner Relativitätstheorie entwickelt hat, ist im Geschwindigkeits- bereich = 0,4— 8=0,17 erwiesen. Der nach ihr sich ergebende Wert 4 ER uns ECKE von — zeigt in diesem Intervall völlige Konstanz; die einzelnen Werte m 0 \ weichen im Mittel nur um einige Promille nach beiden Seiten ab. Nach den Abraham’schen Formeln berechnet, ergeben die Versuche | PEN e mit wachsender Geschwindigkeit eine starke Abnahme des Wertes von —., mg Im Bereiche = 0,7— 8 = 0,8 ist die Konstanz von —- nach den U, Lorentz-Einstein’schen Formeln noch nicht sichergestellt, aber auch nicht widerlegt, da hier Mängel der Versuchsanordnung ins Spiel kommen können; das letztere ist sogar wahrscheinlich, und die Versuche bedürfen deshalb in diesem Punkte noch einer Ergänzung. 2. Die spezifische Ladung des Elektrons ist = 1,765.10° (Elektromagn. Einh.) + 1,5 °/o). 1913. 17 358 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Pilotballonbeobachtungen in Breslau zwecks Bestimmung der Windrichtung und Windstärke in oberen Luftschichten während der Jahre 1911 und 1912. Von Otto Fröhlich. Im Jahre 1911 wurden an der hiesigen öffentlichen Wetterdienststelle auf Ersuchen des Kgl. preußischen äronautischen Observatoriums zu Linden- berg Kreis Beeskow im Interesse des Luftfahrerwarnungsdienstes Pilot- ballonvisierungen ausgeführt. Zu diesem Zwecke wurden seiters des Observatoriums ein kleines Universalinstrument aus der Fabrik von Bernh. Bunge, Berlin SO. 26, Instrument Nr. 538 zur Verfügung gestellt, ebenso wie die Gummiballone. Zunächst wurden Ballone benutzt, die eine Auf- stieggeschwindigkeit von 60 bezw. 120 m in der Minute gestatteten, später solche, die mit einer Geschwindigkeit von 150 bezw. 200 m in der Minute stiegen. Letztere hatten durchschnittlich ein Gewicht von etwa 60 g und wurden mit Wasserstofi gefüllt, bis sie einen Auftrieb von 191 g erlangten, alsdann hatten sie die gewünschte Aufstieggeschwindigkeit von 200 m in der Minute). Die Beobachtungen litten einmal unter der Zeit, die für die Beob- achtung zur Verfüfiung stand, besonders im Anfang, wo die Steig- geschwindigkeit gering war. Ferner war ein großer Mangel das Fehlen eines geeigneten Aufstiegplatzes. Anfangs wurde die Liebichshöhe als solcher benutzt, später die Sandplätze am Weidendamm, vereinzelt auch die Holteihöhe, wohin alsdann mit dem bereits im Büro des Wetterdienstes, das damals sich noch Klosterstraße befand, gefüllten Ballon gewandert wurde. Erst vom 10. Juni 1911 ab wurden die Aufstiege ständig auf das Dach meiner damaligen Privatwohnung, Clausewitzstr. 7, und vom 1. April 1912 ab auf das Dach des Seitenhauses Tauentzienstraße 60 verlegt. Bei I) Diese Steiggeschwindigkeit ist für 120 bis 200 m Aufstieggeschwindigkeit in der Minute nach dem Gewichte des leeren Gummiballones tabuliert. Sie läßt A I 0,8 q? berechnen, wo y die Steiggeschwindigkeit der Ballone in m/sec., A der freie Auf- trieb in kg und q eine Funktion des Querschnitts, die durch die Gleichung q=(A+B) */3 gegeben ist, und B das Ballongewicht in kg bedeutet. sich aber auch nach der bekannten Hergesellschen Formel v= F( II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 959 letzterem Aufstiegplatze stört aber eine Ecke des Nebenhauses die Beob- achtung, sobald der Wind aus Nordnordost kommt. Die Beobachtnngen selbst wurden von mir unter Assistierung eines Bürogehilfen ausgeführt. Im Folgenden sind die einzelnen Ergebnisse angeführt. Dazu ist zu bemerken, daß an Tagen mit Niederschlägen, stärkerem Nebel und Dunst ebenso Sonntag nicht beobachtet wurde. Im Oktober 1912 und den Winter- monaten blieb die Zahl der Beobachtungen infolge unvorhergesehener Um- stände gering. Aus dem Jahre 1911 haben nur die Aufstiege in folgender Zusammen- stellung Berücksichtigung gefunden, die 1000 und mehr Meter relative Höhe erreicht haben. Die Zeit des Aufstieges ist etwa 8 Uhr morgens, 1912 etwa 7 Uhr morgens. Die 1911 mit * versehenen Aufstiege sind im Interesse des westdeutschen Rundfluges ausgeführt und bei der Zusammenfassung nicht berücksichtigt worden, Pilotaufstiege 1911. Re- ER Monat ‚Tag | Zeit | lative Wind- er GR Richtung Stärke Januar | 9.| 8 25|0 SSE 3 | heiter. 500 S 7.0 1000 | SSW 6.5 1500| SSW 6.5 1800| SSW | 15: |Ballon geplatzt. , 12.) 8 20:0 WSW 6 |[halbbedeckt, Ci aus SW. 500 W 7 1000 W 5 | Wolkendecke erreicht. Februar | 7.| 8 2210 WSW 1 | bewölkt, Barometer fällt. 500 W 92 1000 | WNW 5.0 starker . „ 9.82 |0 NNW 4 |zunehmende Bewölkung, Luftdruck 500 NW 9.5 | steigt. 1000 | NNW. | 10.0 1200 | NNW | 10.2 | untere Wolkengrenze erreicht. i7* 260 Monat Februar März Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Tag 11: 14. 15. 283. 10. Re- lative Wind- Richtung SSW SW w W w WNW WNW WNW Stärke still fast wolkenlos. Aufstieg abgebrochen. wolkenlos, — 160 Cels. abgebrochen nach 21 Min. Beob- achtungsdauer. zunehmende Bewölkung. wolkig. Ballon flog auf die Sonne zu. zunehmende Bewölkung. Wolkenhöhe erreicht. © alto-stratus. bewölkt, ei-str. II. Abteilung. Nat u enschaftliche Sektion. 261 Monat |Tag März April 22. Wind- Richtung | Stärke — still | heiter. SW 2.6 SW 4.0 WSW 3.4 SW Del W 3.1 | Aufstieg abgebrochen! — still AA h SE 9,0 | heiter. E 1.00. ESE 11.4 ESE 8.8 | 02 — still | © NE 3.1 [über Norden nach NW. NW 2 WNW 2.8 WNW 5.0 W 4.8 |Ciaus SSW, Aufstieg abgebrochen! E 4 |bedeckt, str. ENE | 15.6 ENE | 14.6 E 8.1 | Aufstieg abgebrochen. N 2 | halbbedeckt, Ci aus NE. NNE 4.2 NNE ) N 6.2 — still | heiter. SSE 6.4 S 3.4 S 1.8 WSW 5.0 WSW 5.2 | Aufstieg abgebrochen. E 5 | wolkenlos, Luftdruck fällt stark. S 9.9 SE 10.8 SE 8.0 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 262 Re- ; Monat ‚Tag| Zeit | lative Wind- une Richtung | Stärke Blu Bm lm April |22. 89.0 a: still 500 S 2.0 1000 | ENE 2.0 1500 | SSW 3.2 2000 W 4.8 2500| NW 4.2 3120| WNW 2.1 » 24.8 11/0 WNW 3 500 NW 5.0 1000 W 7.6 1500 | WSW 1.2 2000 | WSW 6.9 2400| WSW 6.4 „ 26.138110 SSW D) 500 | ssw | 6.2 1000| SSW 3.7 1500| NW 1.0 2000 N 3.1 2500| WNW 2.8 2640| WNW 3.0 M) 29.18 91.0 SW 4 500 ı WSW 6.0 1000 W 6.3 1500 W 10.4 Mai 108247270 ed still 500 W 1.2 1000 W 1 ”» 34182972150 SE 1 500 SE 6.0 1000| ESE 9.2 1500 | SSE 4.2 1500 S 2.0 „ 521.88 10 WNW 4.0 500 E 19 1000 E 21 1500 SE 2.4 2000| SSE 4.8 halbbedeckt. heiter, Aufstieg abgebrochen. heiter. Aufstieg abgebrochen. halbbedeckt. wolkig. heiter. heiter. Aufstieg abgebrochen. halbbedeckt, windböig. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. zunehmende Bewölkung, Ci-str. zunehmende Bewölkung, obere Wolken aus W. abgebrochen, Gewitterneigung. bedeckt, str. »o1, Drehung über Norden. bedeckt, Gewitterbildung. Wolkenhöhe erreicht. Re- : Tag | Zeit | lative Wind- Höhe Richtung ham m & 1020852 .0 SE 500 SSE 1000 SE 1500| SSE 2 278.2 10 SE 500 ESE 1000| SSE 1300. 7 2SSE 112% || ea) WNW 500 NNW 1000 E 1320| ESE 13.| 7 50,0 SE 0,5 | heiter. 500 SSE al 1000| SSE al 1500 S 5.3 2000| SSE 8.5 2500| SSE 6.2 3000| SSE 1.5 3120| SSE 4,4 14.*| 1 5010 — — p: 500 SssWw 3.9 1080 S 5.0 1628..1.0:1°0 — 500 NE 1000| NNE 1500| NNE 2000 W 2300 W 1821. 8. 15.0 NE bedeckt. 500 ENE 1000| ENE 26.| 8 2.|0 E heiter. 500 E 1000 E 1500| ESE 2000| ESE 2160 E 964 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Re- : Monat Tag, Zeit |lative ld: 2 alle Richtung Stärke h m m Mai 927.108 77.20 NNW 2 |halbbedeckt, Ci aus E. | 500 NE 2.2 1000 ENE 5.9 1500| ENE 7.0 2000 E 1.8 129 18990 E 5.0 wolkig. „ 302178=5.:0 E 4 heiter, cu aus ESE. bedeckt, Nebel. Juni 1829 1:0 NE 5 |klar, Fallböen? 500 ENE 9.0 1000| ENE 8.2 re 2.158. 143120 ENE 3 | wolkenlos, Eulengebirge gut sichtbar. 500 E 7.0 1000| ENE 7.2 1500| ENE 8.3 1800|) ENE | 10.5 > 3.]| 8 120 ESE 4 | wolkenlos. 500 ESE 7.2 1000| ESE 589 1500 E 4.0 2000 E 6.2 2500| NNE 3.0 ” 6..|.827 2150 WwWNW 1 | wolkenlos. 500 SSW 2.6 1000 SSE 3.8 1500 E 3.2 1800| ESE 6.5 | ein Haus hinderte die weitere Beob- achtung. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 365 Monat Juni Tag 0% 122* 13. 14.* 16.3 Th. p. 2h.p. Wind- Richtung | Stärke WNW 2 NW 9.0 NW 7.2 NW | 11.0 S 4 WSW 4.2 W 3.9 WNW 4.9 WNW 4.0 WNW de: WSW 10% WSW | 12.0 W 13.2 NW 1 W 4,8 W 8.0 — still WwWNW 5.9 W 6.0 W Sl) W 10.0 S 2 W 5.0 Wi 10.5 S 1.2 S 4.8 SSW 4,2 SW 6.0 SW 7,2 _ still SW 2.4 SSW 2.4 S 4,2 — still NW 3.0 NW 2 WNW | 11.0 WNW 9.8 heiter, Fernsicht sehr gut. zunehmende Bewölkung. wolkig, cu-Wolken. wolkig. bedeckt, starke Gewitterneigung. wolkig. heiter. heiter, cu. halbbedeckt. 266 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. Monat Juni Tag 17. 17. 19. 22. 22.7 23. 230 235 1 48 8 13 Tp Wind- Richtung | Stärke WNW 1 NW 3.5 WNW 6.0 WNW | 11.0 au still WNW 1.0 W 5.2 W 7.0 WN 11,0 NW 3 NW 12.2 W 4 WNW 7.0 WNW | 10.0 WNW | 13.8 NW 2 WNW 6.0 NW 5.2 NW 5.0 = still S 3.0 SW 1.8 — still NW 3.3 WNW 32 ESE 2 SSE 8.1 SE 5.2 SSE 6.0 SE 4 SSE 1.8 SSE 5.5 S 6.4 SSE 3.7 S 320. SE 4 SE 8.9 SSE 6.0 S 6.0 heiter, zunehmende Bewölkung. untere Wolkenhöhe (cu) erreicht. heiter. halbbedeckt, Zobtenkapelle mit bloßem Auge sichtbar. bezogen. Aufstieg abgebrochen. wolkenlos. Aufstieg abgebrochen. wolkenlos, Dunst. Aufstieg abgebrochen. heiter. heiter. Monat Juni Juli Tag 24. 25.* 26. 26.” 27. 29. 30, 30.* 1. I. IT. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. Zeit 8 2 50 803 758 Wind- Richtung Stärke SW heiter, heiter. heiter, zunehmende Bewölkung. aus W bedeckt, trübe. bedeckt, Regentropfen. bedeckt, Wind böig. heiter, zunehmende Bewölkung. wolkig, Ci aus W. wolkig, Ci aus SW. wolkig. Ci 368 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Monat [Tag| Zeit | lative Wind- Au Richtung | Stärke h m_ a EINER 1 Juli 4.21:.8..02..150 WNW 2 | heiter. 500 | WNW 6.2 1000| NW 6.6 1800 | WNW 7.0 n Se — still | wolkig. „ 6.8.0.0 _ still | Dunst, heiter Ci aus N. 500 N 8.2 1000 N 3.0 1500 N 3.2 2000| NNE 4,2 2200 NE 3.5 ” 6.* 6 15 0 NNW 3 bedeckt. p 500 N 2.9 1000 N 2 1500 N 2.5 2000| NNW 22 2400 N 2.0 ” 70123201990 still | wolkig, Ci aus N. 1000 Ww 0.8 1200 N 089 h RE) NNW | 3 |wolkig, Ci aus N. 500 N 123 1000| NNE 1.6 1500 N Ta! » 8. | 7 57[0 WNW 2.1 | bedeckt. 500 | NNW 6.8 1000| NW 8.9 1500| NNW 6.2 1700| NW 7.3 2) 816.020 NW 4 |bedeckt, Regen, gewitterhaft. p 900 NW 10.0 II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 369 Re- ; Monat |Tag| Zeit |lative Wind- HDnE Richtung | Stärke h m m Aula 0 1.2 1010 NW | 6 \wolkig, Wind böig. 500 | NNW | 13.8 1000|) NNW | 17.1 1200| NNW | 24.8 \ 1103700 WNW | 4 bedeckt, Fernsicht gut, Gebirge 500 NW 114 sichtbar. . 1000| NW 10.9 1200| NW 16.5 “ 1222 0.8220.02 WSW 3 | heiter. 500 | WNW 4,8 1000| NNW 6.2 1200, NNW HRD 3 1921787 1.0 NNE 1 | wolkig, stratus. 500 NE 3.0 1000 NE 3.3 1500| NNE 6.0 1700 NNE 6.2 ee 192285 10 WSW 4 | wolkenlos. 500 W 5.0 1000 W 929 ch 20.18.11:0 — still | wolkenlos »1. 500 NW 5.9 1000 W 5.5 1300 | SSW 5.5 5 2,12182.02.0 WNW 4.0 | —=1, bedeckt. 500 NW 5.4 1000 | WNW 6.5 1500 | WNW 6.7 n WNW | 72 Mr 22.18 1210 — still !halbbedeckt, Cirro stratus »?. 2500| NW 1.0 1000 | NNW 5.0 In 24.1,.8 22°..0 SSE 5.0 |halbbedeckt, ei-str., cu. 500 SsW 3.9 1000 SW 9,6 1500| SW I 2000| WSW 4.9 22001 WNW 6.0 370 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Re- i Monat |Tag| Zeit | lative Wind. nüle Richtung | Stärke h m m Juli: 125 \.8:.13..0 — still |klar, ot. 500 NNE 1.2 1000| NW 1.2 1500 | WNW 4,1 16005 NW 5.0 Y 26.| 8. 11..0 — still | heiter, Ci aus W. 500 N 3.8 1000, NW 3.5 1500 W 2.5 1500| WNW 3.2 ss 27.180 |0 SE 3 |halbbedeckt. 500 ESE 3.2 1000| ESE 1:8 1500 W J..] 2000 1 WNW 2.9 2400 | WNW 4.0 se 28.186 |0 NW 2 |abnehmende Bewölkung. 500 | NNW 3.0 1000| NNW 3.3 1500| NW 2.9 2000 W 1.9 | heiter, ci-str. ne 29.78.90 — still | wolkenlos. 500 NNE 5.0 1000 | NNE 3.0 x 31.180 ,0 ENE 2.1 | wolkenlos. 500 ENE 6.1 1000| ENE 7.6 1500 | ENE 91 1900| ENE 71 August) 1. 80 0 ENE 2.0 | halbbedeckt, ci-str. > 24128 4177 .0 = still | wolkenlos. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 371 —_e ns] Re- : Monat |Tag| Zeit | lative Wind- Höhe | Richtung! Stärke h m m August | 4.| 7 58 0 — still | halbbedeckt. 500 N 1000| NNE Sal “ 5.18 10|0 NW 2.0 | wolkig. 500 NNW 7.0 1000 | NNW | 10.9 1500| NNW 6.5 1700| NNW 6.5 br 7.180|0 NW 8 | wolkig. 500 NW le 1000 | NNW 3.5 |bei 1400 m Calme. 1500 NE el 2000| NW 3.0 2300| NW 4.8 “ 818010 N 2.2 | wolkenlos. 500 N 182 1000 N 9,0 1600 N 9,6 % IS A.O N 1 |heiter. 500 N 129 1000| N 2.6 13001 NNW 5.0 I 101787. 08 20 — still | heiter. 500 ENE 1000 ENE 10.1 1200| ENE h) an 12728..40 1:0 —= still | 2, heiter. 500 NE 45 1000 NE 5.5 Mt A 780 700 — still | wolkig, schwül, gewitterhaft, &1. 500 NE 3.2 1000| NNE 1.1 1500 N 1.4 1900| NNE 1.6 ni 798 eo) WNW 8.0 | halbbedeckt, böig. 500 | WNW | 13.0 1000 | WNW | 15.4 1400| WNW | 14.8 2723 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Monat Tag, Zeit | lative Wind- Zn Richtung Stärke h m m August |17.| 7 5810 WNW | | 7 ‚heiter, ci-str. 500 I WNW | 12.8 1000 | WNW | 12.2 1300| WNW 8.8 3 18.28.12 70 w 9 \trübe, Wind böig. 500 ı WNW | 14.5 1000, WNW | 16.2 Ikea ze 110) W 2.4 | bedeckt, kurz zuvor Regen. 500 | WNW.| 10.0 1000| WNW | 11.0 1200: WNW | 10.0 | Wolkenhöhe erreicht. > 21.18 2.10 ESE 2 | halbbedeckt, ci-str. 500 SSE 3.0 1000 WSW 2.2 1500 W 6.5 2000 W rd] 25001 W LO= ; 22.184 |O0 SSW 4 | heiter. | 500 W 8.2 | 1000 Ww 7.8 23.2.128.8.0 NW 3 | bezogen, nachts Gewitter. 500 | WNW Zieh) 1000 IW: 52 R 24.184 |0 — still | wechselnde Bewölkung. | 1500 | NNW 2.8 1000| NW 4,5 1500| NW 3.8 1650 | WNW 4.0 | Wolkenhöhe erreicht. 5 294148.22.50 SE J.0 | wolkig. 500 ESE 7.6 1000 | ESE 6.6 1500 SE 4.6 2000| ESE 3.4 2200| ESE 3.8 e 26.| 75310 — still | heiter, 000, 500 | WSW 5.0 1000 W II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. Re- : Monat |Tag| Zeit | lative Wind- m | ohe | Riehtung| Stärke August 28.1810 S 1.0 | heiter. 500 SW 4,8 1000 ı WSW 4.0 1500 W- 2.7 2000, WNW 5.0 2400 NW: 5.0 I 29 Ho.) S 5.0 | wolkenlos, 500 SSW. | 10.3 1000 | WSW 7.0 on 30% 07 52.0 NW 3,0 | Nebel, trübe. 500 NNW 4,0 1000 | WNW % Sl: 8 8.1.0 NW 3,0 | bedeckt, trübe. 800 N 6.1 1000| NW 6.5 1500| NW 6.6 Septr 21.::8 10|0 SW 3,4 | wolkenlos. 500 |: WSW 4,8 1006| WNW Dt 15001 NW 7.0 1900| NW 8.8 A 28 1.84:5..10 Sun 2. heiter. 500 W 5.0 1000 W 4.2 1500 | WNW 58 1900 | WNW 8.0 A 4. 1.7 30|0 NW 8.0 | böig, heiter. 00 NW 7.0 1000| NW 7.4 1500| WNW | 12.8 “5750 w 2.0 | bedeckt. 500 | wnw | 9.2 1000 | WNW | 11.7 1200| WNW | 11.2 1913. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 274 Re- \ Monat |Tag, Zeit |lative Wind- EINE Richtung | Stärke h m m Septbmr 77. ua 10 WNW 3.4 500 NW 10.2 110001 NW 12.9 11200| NW 12.0 Mi 8.) 7 50/0 WSW 2.0 500 | WNW 8.7 1000 | WNW 9.8 1100 W 6.8 Ir 9.) 7.58:1.0 — still 500 W 10.2 1000 | WNW | 11.4 1300 W SA) en 11. 7.550 NNW 1.2 500 NW 4.8 1000| NW 9.8 1500| NW 9.8 20005 NW 09 2400| NW 12.0 Ai 12308 .8.10 — still 500 SE 2.0 2000 N a) 2400 N 7.0 = 13.1.8020 SE 2 500 SSW 14.2 1000 | SSW 7.0 1400 SW 9.0 in 14.1880 W 2.4 500 W 6.6 1000 W 9.4 1400| WSW | 10.5 20.1: 75710 SE 2.0 500 SSE 6.8 1000 | SSW 5.0 1500 SW 6.0 1700 SW 8.2 zunehmende Bewölkung. wolkenlos, »1 heiter, &! heiter, heiter, »&1. heiter. wolkenlos. heiter, ci aus W. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 275 Re- | : Monat |Tag| Zeit | lative Wind- ne a: Richtung Stärke Septbr. |21.| 7 570 SE 4.0 | heiter. 500 SSE 4,5 1000 SE 27 1200 SSE 3.9 23.) 84 |O ESE 1.5 | wolkig. 500 E 8.0 1000 | ESE 10.0 1500| ESE 8.5 1700| ESE 6.7 Oktober | 10.1 80 0 NW 8.0 | heiter. 500 NNW | 11. 1000 | NNW | 11.5 1100 | NNW | 12.8 % 17.| 8.15 [0 SE 1.5 | wolkenlos. 500 ENE 8.1 1000 | ENE 10.1 1200) ENE | 9.0 = 19. 8 15/0 SE 1.6 | heiter, 002 500 SSW 8.7 1000| SSW 5.4 1400 |: ESE | 11.0 34 20. 8 100 — still | wolkenlos, 002 500 W 5.4 1000 W 7.4 1200 | WNW 6.8 on 21. 8 10/0 WSW 5.0 | halbbedeckt, Wogenwolken. 500 | WNW 7.1 | 1000 W 6.6 1500 | WSW | 10.8 1600 WSW | 10.5 „ 24.| 8 12 0 SW 3.4 | bezogen. 500 W 10.0 1000 W 16 1200 W 15.4 = 29.183.155. 70 SE 2.0 | heiter, oo! 500 S 8.7 1000 S 12.2 1500| SSW 89 |1700| SSW | 11.0 18* 276 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Re- : Monat |Tag| Zeit | lativ Mund Bun Richtung | Stärke hasm m Oktober | 26.| 8 160 SSW 3.0 | bedeckt. 500 W 10.4 1000 W 15.5 " 21.18-15.10 SE 5.0 | halbbedeckt, Wogenwolken, böig. 500 SSW 15.8 1000 | SSW 14.4 1400 SW 21.8 n 28.1 8.18|0 — still | trübe. 500 WNW 7.0 1000| NW 7.2 |im Nebel verschwunden. ss 30.| 8 17/0 Ww 2.0 Nebel, Schnee, Graupen. 500 W 9,0 1000 | WNW 9.4 1200 | WNW 7.5 = 31.1 8 18/0 — still | wolkig, 001 500 sw 8.0 1000 | WSW LO. Novbr. | 2.| 35 2010 SE 121,002 500 SW 4.2 1000 sw 4.2 = 44178 17.00 SSW 3.0 | wolkig, 001 500 SW Tut 1000 SW 8.7 1200 SW 6.4 " 10.| 8 24|0 — still |Nebel, aufklarend. 500 SSW 8.0 1000 SW 7.0 1500| SSW 1) 1700| SSW 11.2 & 13.| 8 16/0 SE 1.0 | heiter, Ci aus SSE und SSW. 500 S 1.2 1000 — still 1500| NW 6.4 2000 | WNW 2.6 2400| SSE 2.0 II. Abteilung. Monat Novbr. Dezbr. Tag| Zeit h m 16.| 8 14 29.| 8 16 a als) 14.1:83°18 1928 >17 118.1 815 19.| 8 23 20.| 8 20 Re- lative Höhe m Wind- Richtung | Stärke SSW WSW Ww Ww NNW mm wo oa%09% DEIHEEOIS oOOoPNM ei Serien) m ww Or 0 SDIIUSIIS DON oO »> u wm oomro Sw wıo no w Hey] Erste uWe>) Naturwissenschaftliche Sektion. 277 bezogen. bezogen, aufheiternd, —®, wolkenlos, 001 wolkig, 001, Rauhreif. wolkig. Aufstieg abgebrochen. halbbedeckt. wolkig, oo! 2378 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 1912. Re- i Monat Tag Zeit |lative Wind- on Richtung | Stärke © Januar | 4.| 8 20/0 WNW 6 | Himmel bedeckt, Barometer lang- a 500 WNW | 16.5 sam steigend. 860 NW 19.2 = 23.| 8 30/0 SE 2 |anfangs nebelig, dann aufklarend. a 500 SW 3.4 | Barometer steigend. 1000, WSW 5.2 1600| SW 8.0 . 25.| 8 15/0 calmc 0 | Barometer fallend. a 500 SSE 6.0 1000 W 5.0 1500 W 4.8 2000 | WSW 702) | 2300| WSW | 5.1 Februar | 7.| 8 24 0 E 2 | halbbedeckt. a 500 S 1.9 1000 SW 6.5 12001 WSW 4.8 > 8.1 8 .24.0 E % !Dunst, sonst wolkenlos. a 500 SSE 3.2 1000 | SSE 4.0 1500 E 5.0 2050| ESE 3.9 9 9.1.8-290 SSE 4 |heiter, Barometer fällt. a 500 S 11.4 850 SSW 11.6 52 1422371350 SSW 2 zunächst Dunst, Zunahme der Be- a 500 SW 5,4, wölkung, Cirren aus WSW. 1000 | WSW 6.5 1460 | WSW 1.2 > 1948 15 0 ‚SE 1 halbbedeckt. a |5o0o | 'ssE | 20 1000 N 1.8 1500 Ww 5.8 2000 SW 3.9 2500 W 7.2 2300 W 8.4 | II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 2379 Monat |Tag_ Zeit Februar | 23. 1. 20. 23. 27. 28. 23: Re- : lative Wind- a Richtung | Stärke 8 18/0 SE 2 |Nebel, Barometer fallend. a 500 SW 8.0 1000 W 8.2 1340 W 12.0 8 18/0 W 4 |Nebel, Barometer steigt. a 500 W 13.4 1100 W 12.2 8 1610 SW l |heiter, Barometer steht. a 500 ! WNW | 13.2 1000 W 9.4 1340 W 8.2 8 14|0 >) 4 | wolkenlos, Barometer schwach a 500 SW 17.2 ansteigend. 1000| SW 90 1500 NW 7.2 1810. WSW | 10.0 8 160 W 4 |cirrostratus, bezogen, Barometer a 500 | WNW 9,2 | ansteigend. 610 | WNW 9,0 | Aufstieg abgebrochen. 8 15/0 W 4 | bedeckt, böig. a 500 ı WNW 92 1000 | WNW 5.9 1500 | WSW 4.0 1690 W 7.0 800 calme zunächst bewölkt, später aufklärend. a 500 W 10.2 1000 W 9.2 1500 W 7.8 1690 W 4,8 8 2410 W 10 | heiter, Barometer steht, starke verti- a 500 WNW | 28.8 kale Luftbewegung. 610 W 19.0 8 120 WNW 8 | wolkig, Barometer steigt, Wind böig. a 500 | WNW | 12.5 970 | WNW | 14.0 280 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Re- ; Monat |Tag| Zeit | lative Wind. alu Richtung Isahtem m | S | | April ‚10. 11 45|0 | WNW 4 | Wolkenhönhe erreicht, Schneeflocken 6 500 | WNW 42 übergehend in starken Schnee- | 730 WNW 02 ‚schauer. „ 17.11 40/0 | E 2 | heiter, Barometer steigend. a 500 ESE 3.2 | 850 SE 7.4 „ 182 300.0 | sE 3 | wolkenlos, Barometer fallend. a 500 | E 6 | 1000 | SE 7.0 Mai |14.| 745 | 0 I WENN 6 | Wolkenhöhe erreicht, Stratusdecke. 2 021:200 | WNW 1.2 | 61977 3WNW 3.0 | B 18.7300 | WNW 4 |Wolkenhöhe erreicht, Barometer 320500 NW s.0 steigt langsam, Stratusdecke. 850 | NNW | 11.8 » 21. 730.0 E 1 | wolkig, Barometer fallend. a ..1.900 2. 2SSW. 10.2 11000 | wsw | 7.0 11500 | WSW | 6.0 120001 SW | 7.8 2170| SW 8.5 | > 22.| 7 25/0 calme | heiter, Barometer fallend. | a 1600 | S | | 1000|: 'SSE 1500| SSE | '2000| SSE |2410| SSE Ballon geplatzt! is 3038783:0250 | WNW bedeckt, Barometer steigt langsam. a 500 | WNW 1000 | WNW 1500-2 A\WVees,| 2000| W 2190, 1 2 EW: Juni 129.7.30..0 112. SE wolkenlos. sa | 500 SSE | 1000 S 11500 | WSW | 2000) WNW 1253530] NW Ballon geplatzt! Monat Juni II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 281 Tag | Zeit h m 2908,.0 a 4.| 7 30 a 5. | 7 40 a 6.1745 a 8.1745 a Re- lative Wind- Richtung Stärke 6 | wolkig, ei, ci-str., Wind böig. 15.8 | Wind böig. 17.0 16.2 15.5 15.0 — |Bewölkung zunehmend, Barometer 4.2 fallend, ci, ci-str. el ur 8.0 ) 8.8 8.8 7.2 6.0 | Ballon geplatzt! >) Cirren vorhanden, bewölkt. 0 3.9 5.0 4.6 2.8 3.2 6.5 8.0 — |heiter, Barometer steigend. 9 ü 4,8 5.0 6.1 5,6 5.5 5.4 9.0 3 wolkig, Barometer steht, ci. 6.5 10.0 7.0 13.0 12.4 14,0 16.0 383 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Monat |Tag Juni |10. >) 19. © 27. is 29. Juli 4. „ 5% 7 38 Re- lative Höhe Wind- Richtung calme ESE ESE Stärke u PD OD mo» NO no ga 00 co > ou no SDyODODInMD Bo | DISIISIETES osP%M DD oO 0 wolkig. Barometer steigt. Ballon geplatzt, Regen. zunächst bedeckt, später aufheiternd. Barometer steigend. wolkenlos. bedeckt. bezogen. abgebrochen. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. Re- 5 Monat [Tag | Zeit |lative Wind: able Richtung | Stärke h m m Juli 6.| 7 34|0 calme | — wolkenlos. a 500 | WNW 3.2 1000| NNW 2.2 1500 E 2.0 2000| ENE 6.0 2500| ENE 6.5 3000! ENE 7.9 3500| ENE 9.8 3730| ENE 10.0 ” 9.) 7 40/0 N 2 | bedeckt, später aufklärend. a /500 | NNW 4.7 1000| NNW 4.0 | 1500| NNW 4,5 2000 NNW 5.2 2500| WNW | 5.0 3000| NW 6.0 3300 W 7.2 9 2,7 33|0 calme — | bezogen, Barometer steigend. a 1500 E 3.0 1000| ESE 2.6 1500 SE 3.0 2000| ESE 2.0 2500 SE 2.0 3000 | SSW 2.0 3500 | NNW 3.0 4000, WNW 3.0 4500 WNW 5.0 5000| SW 3.0 5500 | WNW 9.3 6000, WSW 4.0 6300 W 3.0 „ 12.17.3510 calme wolkenlos, Barometer steigend. 284 Monat Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 15. 16. 18. 19. 7 44 7 50 7 40 Re- R lative Wind- on Richtung | Stärke 0 calme | — |ziemlich heiter. 500 NNE 3.0 1000 NE 4,8 1500| ENE 4,5 2000 NE 6.0 2300 NE 12 0) NNW 3 | Dunst, ci-str., Barometer steigt. 500 NNE 5.2 1000 NNE 7.0 1330 NNE 8.0 Aufstieg abgebrochen. 0 calme — heiter, Ci, ei-cu. 500 NNE PARSEN, 1000 ENE 58 1500 NE 5.0 1730| NNE 4,2 | Aufstieg abgebrochen. 0 W 2 | wolkenlos, Ci. 500 | WSW 3.0. 1000 SW 3.9 1500 >) 3.0 2000 | SSW 2.5 2500 S 2.5 3000 SE 4.0 3500 SE 5.6 4000 NE 9,0 4500| NNE 3.2 5000 NE 6.5 5500 N 1.8 5700 N 6.5 0 E 4 | wolkenlos. 1500 | SSE 2000 SE 10.4 2500 SE 11.5 bewölkt. II. Abteilung. Monat Juli August Naturwissenschaftliche Sektion. 385 Ta de} 25. 26. 27. 31. Zeit Re- lative Höhe Wind- Richtung | Stärke calme SE ESE ESE E E Sacaa| mom o& SWTOODOD DD No OS > rm mwmme | SESTSIENIINIESES SISISEDTSISERDTS en str-cu. Barometer steht. Wolkenhöhe erreicht. Wind böig, wolkig aber aufklarend. wolkenlos. Wind böig, bedeckt, zeitweise auf- klarend. wolkenlos. Ballon verloren! 286 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Re- ; Monat |Tag| Zeit | lative Wind alle Richtung | Stärke h m m August | 2.| 7 37/0 ESE 3 |zunehmende Bewölkung, ci. a 500 SSE 5.2| Barometer steigend. 1000| SSE 7.2 1500 | SSW 7.0 2000 S 6.0 2500 SE 6.0 3000 SE 5.0 3500 SSE 8.0 4000 N) 9,0 4300| SSW 1:10.5 n 7.212132.,.0 E 4 Nebel. a 500 SSE 5.0 930 SE 4.2 = 10.| 7 3610 W 9 | wolkig. a 1000 | WNW | 15.5 1500 | WNW | 14.0 20001 NW 12.9 2500| NW 13.6 30001 NW 10.2 3100 NW 13.0 2 14777.321.0 SW 3 |halbbedeckt. P\ 500 WSW 6.2 | 1000 W 7.5 1500| WSW | 12.5 2000 W 10.9 2500 | WSW 7.9 2930| WSW 8.3 s 152 2703210 calme — | zieml. heiter, ci. 500 SSW 3.5 1000 | WSW 4.0 1500 SW 5.0 2000 WSW 70.0 2500| WSW 5.0 3000 | WSW 8.0 3500 | WSW 9,8 4000| WSW | 12.8 4130| WSW | 13.0 : 22.1072561.0 SW 4 |zieml. heiter. a 500 | WSW | 10.2 1000 W 10.5 1500 W 11.5 | | 1730 W 12.2 | Ballon verloren, geplatzt? II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 287 Monat |Tag August |29. 5 31 Septbr. | 4. ” le el » 21 „> 28. 7 32 7 26 Re- Wind- Richtung WSW WNW WNW W W WNW WNW calme NW W WSW WNW NW NNW NNW S SW Stärke wolkenlos, ci. Ballon flog in Richtung der Sonne, daher mußte die Beobachtung abgebrochen werden. bedeckt, Wolkendecke erreicht, eu, ci-str. Wolkenhöhe erreicht. wolkig, Barometer steigend. Aufstieg abgebrochen. bedeckt. Wolkenhöhe erreicht. wolkig, Nebel. halbbedeckt. Nebel. 288 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Wind- Richtung | Stärke Monat Tag, Zeit | lative bedeckt, rasch aufklärend. Oktober |28.| 8 21/0 calme | a 500 SW 1000 W 1500 | WSW 2000 WNW 2500| WNW | 3000 | WNW 13150) WNW | wDmonmv Hk 0 OWDOD O0 eh ' Aufstieg abgebrochen. Novbr. | 4.184 0 NW d | halbbedeckt. a [500 NWEEN129 11000| NW | 14.0 1500| NW | 14.9 1730| NW 13.0 | Aufstieg abgebrochen. 5; 18228217..0 | so 2 | wolkenlos. a 1500 | ses) 50 ı 1000 S 5.0 SSW 4.2 1500. 11930 | SSE 7.5 5 23.|..8 2-|0 | S 3 | halbbedeckt. a 1500 SSW 3.3 1000| NW 2.0 | 1500| NW 2.8 2000| NNW 3.0 2500| NNE 5.2 12930, ESE | 8.5 | | Dezbr. | 9.| 8 1310 calme | — Dunst, ci. a 500 SW 3,0 |11000| NW 6.0 11500| NW 3.2 5 17,| 8 25!0 W | 5 |wolkig. a 500 | WNW | 11.0 11000) WNW 1500| WNW | 10.0 | 2000 wir] :9:0!] 2100 W 9,0 Aufstieg abgebrochen. [ee — [or] 289 Naturwissenschaftliche Sektion. II. Abteilung. 0 1 ve Vo Ce eo oz | or sel oma I € 9 ) 9 Zargen 0091 ) 2° 2 aogaezeg I I 9 9 9 == — ee 0LFI 9 a... nun = iz al @l el ae ko ke 20% 082 @l .2.0.2g010 v L gl vl Fl BL 8, 9°, 2 © st 21 " jaqtuajdas 9 HI r7 ig va 1022709, ,..00 209° .9% OFSI r7 2 2 sony F @l 0% 03 0a | un Ba 29, | Ger 0291 0% er el ® 8 A IR Ps lie | 58,982|29.9 7 0.0.99 | 105 02C 1 2 ee “ung F 8 Hl rl ae oe ee 0091 iz Ra SEN $ q 8 8 8 em nn 60 GL61 8 = I ıdy 8 9 L L 9 wo Former OL8L L Sa ze R q 9 9 Bi moc 70 260° 0 0891 9 > 0 enigag Tr I ° & G SE a ol ch 00FL % ee asuuer yog ur ul wu 40H | OUEH | aygH | OuoH | eyoH | sygH | ook | oueH | euem | auen | vuem |esonszny u 0007 WOOELWOOOT m00E, wog |wooozlwooceıLWwoooL woog! wo | ayyaraaıo op yeuon ur ussunmoegoag A9p [yezuy UT ONSIPUIMUISASpUL A EAGJERIUN) iyezuy "1161 Bunssejuawwesnz {er} — 1913. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 390 Zusammenstellung 1912. Mittlere Anzahl Mittlere Windstärke in Monat der erreichte | Om | 500 m [1000 m|1500 m|2000 m 2500 m|3000 m|3500 m|4000 m/5000 m Aufstiege Höhe Höhe | Höhe | Höhe | Höhe | Höhe | Höhe | Höhe | Höhe | Höhe | Höhe mn Rh, m in Sek. Januar He, 3 1587 27 8.6 9,8 6.4 7.2 del — — — — Februar A 7 1543 2.9 7.4 1.o 7.0 329 1.2 3.4 — — — März i a, 7 1246 Alle tale) 8.1 6.3 | 10.0 — — — _ — Apr). : 3 360 3.0 8.0 7.2 — —- — — — = — Mai. 5 5 1634 3.2 Tel: 7.3 5.5 6.4 3.2 — — — == Juni 5 ; 10 3182 1.9 Geil: 8.1 6.9 10) 8.0 6.7 6.5 1) — Juli . h 16 3228 156 4.7 5.3 5.1, 5.4 5.8 583 5.9 gu 5.8 August sa... „un, 9 2612 3.1 Zlall 7.0 8.4 3.0 6.8 7.6 3:92 1221:059 — September . : & 1833 2.2 Ze) 8.6 6.9 9.6 4.0 — u — Oktober FR 1 3130 0 5.8 4.0 292 11.2 210.5.2101932 — — — Noyemberze 0.2 2% 3 2197 3.8 7.0 7.0 A) 5.2 5.2 8.5 — _ — Dezember - . 2 1500 29 7.0 8.8 6.6 9,0 — u — | — — Winter 12 1597 a Zorro are Bruühyanze ee 15 1298 387 2310.1.0%6 7.8 6.4 63 3.2 — — — — Sommer. 2.2 u... 35 3058 2.1 5.8 6.5 6.4 6.7 6.4 6.3 6.5 I 9.8 Herbsera.. 2,2... 9 2101 23 6.8 7.3 6.3 6.4 6.6 | 10.4 — — — Jahr 1912 5 | ol 969515 2.6 13 12 6.3 6.6 6.3 6.7 | — | — _ | | | | 291 —_— _ — — = 82 BE | 27 9C 29 12 We ei er, Naturwissenschaftliche Sektion. IL. Abteilung. Braun. 7 - L 3) S 6 6 6 en. Sa x N ee A ee hi um) a x 9) oo m&6 arskeriu\e) 2 — an H aa m nnd cn Co aıI a 109 al m mr ao 2 on ı -— oe too oo oo." | ° a9WULOS ° aqelynıg Jajur A Aa WIIZI 19qWaAON " 199010 aaquıa)das jsnöny up dena : 1eN “ gady ° zieN aenıqadg aenuef I 1 30H A199 | oooe | ooor | oogce | oooe | ooez | 0003 | oost | ooorı | ooe | © yeuow ur uodunJyaegqoag ıap [yezuy PERS nn e—ssrrr ss ss EEE 393 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. In neuerer Zeit hat man versucht, die Ergebnisse der Wind- beobachtungen auch für die ausübende Wetterkunde verwertbar zu machen doch haben alle Versuche noch zu keinem einigermaßen sicheren Ergebnis geführt. Daher kann auch die hiesige Wetterdienststelle die Ergebnisse, die ihr aus den Pilotballonvisierungen von 16 deutschen Stationen täglich telegraphisch übermittelt werden, bei der Vorhersage zunächst nur wenig maßgeblich berücksichtigen und muß die nutzbringendere Verwertung vorläufig von der Zukunft erwarten. Die Bildung schlesischer Erzlagerstätten. Von Prof. Dr. Arthur Sachs. Der Vortragende gab zunächst einen Überblick über den petrographisch- geologischen Aufbau Schlesiens und behandelte dann die Entstehung der Lagerstätten von Schmiedeberg, Frankenstein, Reichenstein, sowie die der oberschlesischen Vorkommen. Die Magneteisenerze von Schmiedeberg sind kontakt-metamorph, die Nickelerze von Frankenstein sind magmatische Differentiationen, die goldhaltigen Arsenerze von Reichenstein gehören zu den echten Kontaktlagerstätten, die oberschlesischen Erze sind ursprünglich sedimentär, ihre Konzentration erfolgte durch herabrinnende Sickerwässer. Der Vortrag wird ausführlich im Zentralblatt für Mineralogie er- scheinen. Bestimmung des Gesamtstrahlungsgesetzes der Glühlampen- kohle. Von Geheimrat Prof. Dr. 0. Lummer. Veröffentlicht in der Elektrotechnischen Zeitschrift Dezemberheft 1913. Sitzung vom 26. November 1913. Über die Bahnen einiger in den letzten Jahren vorwiegend in Schlesien beobachteter heller Meieore. Von Dr. G. Grundmann. Unter den mir bekannt gewordenen Meteorbeobachtungen der letzten Jahre befanden sich einige, welche geeignet erschienen, als Grundlage für eine nähere wissenschaftliche Untersuchung zu dienen. In der Tat war es auch möglich, die Strahlungspunkte und einige andere Bahnelemente II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 293 der betreffenden Himmelskörper annähernd zu bestimmen; doch wird man auch bei Durchsicht der nachfolgenden Abhandlung den Wunsch gerecht- fertigt finden, daß sich behufs Erlangung genauerer Resultate noch die eine oder andere bisher unbekannt gebliebene bessere Beobachtung finden möchte, ein Wunsch, zu dessen Erfüllung vielleicht die vorliegende Ver- öffentlichung mit beitragen könnte. Allen Persönlichkeiten, welche durch Einsendung ihrer Wahrnehmungen die Inangriffnahme dieser Untersuchung ermöglicht haben, insbesondere denjenigen, die es sich nicht verdrießen ließen, auch auf wiederholte, not- wendig werdende Anfragen in bereitwilligster Weise erschöpfende Auskunft zu erteilen, sei an dieser Stelle der wärmste Dank ausgesprochen. Zu besonderem Danke bin ich den Herren Professoren von Nießl in Wien und Thomas in Kronstadt (Siebenbürgen) für die freundliche Überlassung einiger wertvoller Beobachtungen verpflichtet, welche das an dritter Stelle behandelte Meteor vom 23. Mai 1910 betreffen. Die Zeiten sind überall in mitteleuropäischer Zeit angegeben, den Ortsnamen in Klammern geographische Länge und Breite beigefügt, erstere bezogen auf den Meridian von Ferro. Meteor vom 3. August 1908, 9 Uhr 5 Min. 1. Reinerz (34°4’, 50° 24.5’). Das Meteor zog in fast horizontaler Linie von Ost nach West, hatte eine bläuliche Farbe und hinterließ einen _ kometenschweifartigen Funkenstreifen, der noch etwa 6°, nachdem es be- reits in der Mitte des Himmels erloschen war, deutlich und helleuchtend sichtbar blieb. Zeit: 9% 6M (Schles. Ztg.). 2. Glatz (34° 19.5’, 50° 26’). Meteor in südsüdöstlicher (?) Richtung. Ein heller Stern hatte hinter sich einen langen, hellen Streifen, der von der Beobachtung an in etwa 2% wieder verschwand (Herr Tierarzt Müller u. a. Beobachter). Auf Anfrage erwiderte Herr M,, daß bei der Himmels- bestimmung ein Irrtum untergelaufen sei; die Richtung war nach der Heuscheuer zu, eher noch mehr nördlich, also etwa entgegengesetzt, wie nach der ursprünglichen Angabe, Zeit: 9% 15%, Genaueres war nicht zu ermitteln. Oppeln (35% 35.5, 50/040). ‚Montag, abd4,, 9E 12m? warsbei sternklarem, dunklem Himmel eine imposante Naturerscheinung zu beob- achten. In der Richtung von der Turnhalle nach der Oder (N—S) tauchte plötzlich zwischen den beiden Pappeln an der Uferstraße ein in weißem Licht hellstrahlendes Meteor auf, einen langen, leuchtenden Schweif zurück- lassend.. Durch die starke Fluggeschwindigkeit war ein ziemlich starkes Zischen in der Luft bemerkbar. Der Kopf des Meteors fiel mit einem deutlich wahrnehmbaren Knall etwa 45 m von der kleinen Oderbrücke entfernt in den Mühlgraben. Der Schweif war sekundenlang in seiner krausen Form zu sehen, bis er langsam verlosch.“ 294 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Wie mir Herr Eichmeister Dingel, von welchem dieser in einem Oppelner Tageblatt erschienene Bericht herrührte, dann noch schrieb, ‚‚war bei dem Fall des Meteorkopfes in das Wasser ein ziemlich starkes Auf- spritzen desselben von seinem Standpunkte aus deutlich sichtbar“. Die nähere Untersuchung ergibt jedoch, wie wir sehen werden, als wahr- scheinlichsten Hemmungspunkt des Meteors die Gegend über dem Probst- hainer Spitzberge und eine derartige Lage der Bahn, daß weder Schall- erscheinungen noch auch Meteoritenfälle in der Oppelner Gegend hätten beobachtet werden können. Es handelt sich hier eben wiederum um die bekannte Täuschung mancher Beobachter, welche, unbekannt mit den wirklichen Entfernungen, diese Erscheinungen in ihrer unmittelbaren Nähe sich abspielen zu sehen glauben. Dagegen hat sich Herr D. in liebenswürdigster Weise bemüht, mir genauere Daten über die Lage des Punktes zu verschaffen, an welchem seiner Meinung nach das Meteor ins Wasser fiel, sowie über die Neigung der Bahn durch eine sehr sorgfältige Zeichnung. Hiernach würde der Endpunkt — im Wasser — in 107° Azimut unter einem Winkel von — 22.5° erschienen sein und die Bahnneigung gegen die Horizontale 24° von rechts nach links betragen haben. Meines Erachtens nun läßt sich die Täuschung des Herrn Beobachters etwa so erklären, daß ihm das Meteor am Ende der Bahn durch Bäume oder dergl. verdeckt, dagegen sein Spiegelbild im Wasser im letzten Augen- blicke sichtbar wurde, so den Eindruck hervorrufend, als sei der Kopf der Feuerkugel in das Wasser gefallen. Bei unverändertem Azimut wäre als- dann für die Höhe des Hemmungspunktes der positive Wert jener Messung, 22.5° zu nehmen, nach der ganzen Sachlage jedoch mit geringerem Ge- wichte in Rechnung zu ziehen. 4. Hirschberg (33024, 500545). Der Beobachter, Herr Järschke, sah etwa 10% nach 9® das Meteor fast genau im N (A = 180°) in 75° Höhe endigen. Dauer etwa 15°, was sich jedenfalls auf die Sicht- barkeit der zurückgebliebenen Spur bezieht. Eine nachträglich eingesandte Zeichnung gibt für die Höhe des Endpunktes nur 64° und im Widerspruch mit der Angabe „Bewegungsrichtung von etwa NE nach SW“ eine absteigende, 36° gegen die Horizontale von r. nach ]. geneigte Bahn. Für die Rech- nung war nur die Azimut- und Höhenangabe des Endpunktes verwendbar, und zwar wurde für die letztere der kleinere, aus der Zeichnung folgende Wert gewählt. Die Bahnlänge, bezw. die Länge des nachleuchtenden Streifens betrug ungefähr 9°. 5. Saarau (34°9.5’, 50°56.5). Nach der ursprünglichen Mit- teilung des Beobachters, Herrn Katzer, ‚war das Meteor nördlich vom großen Bären; der Stern war ungefähr 208 (!) am Schweif, dann fiel er herunter (!); der Schweif blieb etwa 2% am Himmel stehen“. Auf mein Ersuchen lieferte mir Herr K, noch eine Skizze der Bahn im Vergleich zu II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 295 Urs. maj., welcher zufolge das Meteor (kometenähnlich mit stark ge- krümmtem, nach hinten sich verbreiterndem Schweif gezeichnet) innerhalb der 4 Sterne &—Ö sich von unten nach oben bewegt haben würde; der Herr Beobachter gab jedoch auf eine nochmalige Anfrage zu, sich geirrt und die Bahn gerade verkehrt skizziert zu haben. So war leider auch diese Beobachtung für die Ermittelung der scheinbaren Bahnlage nicht zu benutzen und nur allenfalls für die Bestimmung der Lage und Höhe des Hemmungspunktes (A = 123°, h = 34.1°) zu verwenden. 6. Jauer (33° 52°, 5103’). „96 10m sah ich am nordwestlichen Himmel in fast senkrechter Richtung über mir eine Lichterscheinung, die sich am Himmel in vollständig wagerechter Linie als ein helleuchtender Streifen hinzog, ähnlich einem glühenden Drahte. Dabei ging durch diese Erscheinung ein lebhaftes Zittern. Nach 15° verschwand dieselbe, jedoch blieb an der nämlichen Stelle eine sich nach und nach abschwächende und immer langsamer flammende Linie zurück, die zuletzt die Form eines liegenden, umgekehrten lateinischen S zeigte; das Verschwinden währte 20=. (Herr Lehrer Elsner.) 7. Krietern bei Breslau (34° 40.3’, 51° 4.5’). Das Meteor erschien im Sternbilde des Gr. Bären und erlosch unweit und zwar vor dem Arktur im Bootes. Die ganze Erscheinung war 10° sichtbar; Dauer der Bahn- bewegung etwa 2°. Der höchste Punkt der Bahn, also ihr Anfangspunkt, lag ca. 40° westlich vom Zenit (Herr Noack). Nachträglich, jedoch erst über einen Monat später, war der Herr Beobachter so freundlich, mir auf meine Bitte eine Skizze der Bahn einzusenden, welche ihre Lage zum Gr. Bären darstellt, und der zufolge die Feuerkugel sich unterhalb der Schwanzsterne dieses Sternbildes etwa von «= 182°, © = + 50° nach & = 200% &= 22° (d.h. A = 89.5°, h = 29.2) bewegt haben würde. Zeit: 9 5m nach der Normaluhr. 8. Gräbschen bei Breslau (34° 38,6’, 51°5.6). Frau Gollub sah plötzlich gegen 9® einen hellen, aber nicht farbigen Stern auffunkeln, der nicht sehr schnell in flachem Bogen von N—S zog, so aber, daß der beschriebene Bogen als heller Lichtstreifen etwa 10—12° sichtbar stehen blieb. Erst glaubte Frau G. einen Kometen zu sehen, ‚weil vorn der strahlende Stern hing und hinten der mattere Schweif; aber eben nach kurzer Zeit verblaßte der helle Bogen immer mehr und löste sich in nichts auf.“ Die Bewegung erfolgte in der Richtung von 7) Ursae ma]. nach & Bootis, wie auch aus einer sehr sorgfältigen Skizze hervorgeht, welche für den Endpunkt der Bahn A = 87.1°, h = 41,6° und als Bahn- länge 16° ergibt. Dauer 2°. 9. Breslau (34042.6°, 51°6.4). Herr Zeichenlehrer Bautze sah die Feuerkugel von seinem Standpunkte auf der Ohlauer Straße, nahe der Stadtgrabenbrücke, sich von der Höhe über dem Bezirkskommando nach der Ecke der Neuen Gasse zu bewegen; die Länge des Weges schätzte 296 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. er auf 15—20°, die Dauer auf 2°, die Höhe des ersten Punktes auf 45 bis 60°, die des Endpunktes auf 30—45°. Das Azimut des 1. Punktes ergibt sich nach einer Zeichnung zu 122°, das des Endpunktes zu 97°. Der „Breslauer General-Anzeiger‘‘ enthielt ferner folgenden Bericht: Ein in weißem Lichte hellstrahlendes Meteor tauchte kurz nach 9% abd. plötzlich hoch am Himmel auf und nahm seine Flugrichtung von Nord nach Süd, einen leuchtenden Streifen gleich einem Schweife am dunklen Nacht- himmel zeichnend. Sekundenlang war der Streifen zu sehen, bis er lang- sam verlosch. Der Himmelskörper neigte sich im Fluge rasch und zerstob in kleine Teile, die dem Auge verschwanden; seine Fluggeschwindigkeit war so stark, daß man deutlich ein zischendes und sausendes Geräusch während der Erscheinung wahrnehmen konnte. 10. Pansdorf bei Liegnitz (330 50’, 51° 15’). „Bei klarem Abend- himmel ließ mich ein helles Aufleuchten emporsehen. Ein heller Streifen bewegte sich beinahe senkrecht über mir in der Richtung von N—S, all- mählich sich in Funken auflösend und verlöschend.“ Zeit: 9" 3m (Askenasy). 11. Gr. Bargen bei Trachenberg (34 9 27.5, 510 28.5”). Herr Pastor Sagawe befand sich zur fraglichen Zeit auf einem vor dem Dorfe von W-—-E führenden Wege, als die Gegend plötzlich wie durch einen Blitz erhellt wurde. Er wandte sich um und konnte gerade noch die erlöschende Bahn des Meteors wahrnehmen, deren ungefähre Richtung und Länge im Vergleich mit dem Gr. Bären er in einer Zeichnung einsandte. Hiernach hätte der Neigungswinkel der Bahn gegen die Horizontale 46° von r. nach 1., die Länge des nachleuchtenden Streifens 10° betragen. Die Höhe des Endpunktes folgt aus der Skizze, welche die Stellung der bekannten 7 Hauptsterne von Ursa maj. vollkommen richtig wiedergibt, zu 40.8°; das Azimut erschien dagegen erheblich zu groß, die Bahn also zu nahe an den Gr, Bären herangerückt. Auf eine Anfrage gab Herr S. auch zu, daß ihm wohl bewußt wäre, die Bahn zu nahe an diesem Sternbild ein- gezeichnet zu haben, glaubte jedoch, ohne übrigens die Möglichkeit eines Irrtums leugnen zu wollen, nicht, die Verschiebung der Bahn über den Arktur hinaus vornehmen zu dürfen. Das Azimut des Endpunktes bleibt somit unbestimmt. 12. -Köben (34.97', 510.32.5)). „Als ich am 3. August abde aus auf freier Straße ging, bemerkte ich bei sternklarem Himmel plötzlich eine blitzartige Erscheinung; ich drehte mich zur Seite und sah in südwestlicher Richtung einen hellen Streifen, der jedoch nicht glatt, wie sonst bei Stern- schnuppenfällen, sondern aus lauter kleinen Kugeln zusammengesetzt er- schien. Die Erscheinung dauerte 8—10°“, Der Mittelpunkt des lanzett- förmig gezeichneten Streifens lag fast genau in 45° Höhe. Nachträglich gab der Beobachter, Herr Ringhandt, noch durch Zeichnung die Bahn- neigung gegen die Horizontale zu 80° von r. nach ]. an, die Länge des IT. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 2397 Streifens nach Messung mittels ausgespannter Schnur zu 20.6°, wovon ?/, über, 1); unter dem Höhenwinkel von 45° lag. Der Endpunkt der Bahn war daher in etwa A = 45°, h = 38.1° anzunehmen. Als Fallzeit wurde, entsprechend der zuverlässigsten Angabe aus Krietern (7), 9% 5M angenommen. Hemmungspunkt. Für die Ermittelung der geogr. Lage des Hemmungspunktes wurden die bereits angegebenen Azimute in Oppeln (3), Hirschberg (4), Saarau (5), Krietern (7), Gräbschen (5), Breslau (9) und Köben (12) benutzt, wobei Oppeln, Hirschberg, Krietern und Breslau je das Gewicht 1, Saarau und Köben je das Gew. !/,, Gräbschen, weil die bei weitem genaueste Beob- achtung, das Gew, 9 erhielten. Die Beobachtungen an den drei sehr nahe bei einander gelegenen Orten Krietern, Gräbschen und Breslau wurden für einen mittleren Ort (34° 40.4’, 51° 5.6’) vereinigt und das Mittel der Azimute 88.2° mit dem Gewichte 11 in Rechnung gezogen. Aus diesen Richtungsangaben ergibt sich der Hemmungspunkt der planetarischen Bewegung in 33:0 25,3 43:00 m Br or nl 02.80 EA etwa 0.7 km nördlich des Probsthainer Spitzberges. Die linearen mittleren Fehler betragen daher im Parallel + 3.5 km, ım Meridian — 2.5 km. Die an die beobachteten Azimute anzubringenden Verbesserungen er- sieht man aus folgender Tabelle: Azimut AA ‚ers rn een beob. ber. ber. — beob. Orpeln (3)..°..2% 107.00 210010 12070 Hirschberg (4) . . . 180.0 186.0 + 6.0 Saaraul (lo)... 0.0. 12820 105.3 — 17.7 er Ge.-Br. (7,0, 90)3.0,88.2 88.3 + 0. Köben (12)... .... 45.0 42.2 — 2,8 Der mittlere Fehler einer Beobachtung von der Gewichtseinheit beträgt hiernach — 5.4. In Gr. Bargen (11) mußte der berechnete Endpunkt in A = 57.7 erscheinen, azimutal noch 18.9° südlich von Arktur. Fast den gleichen Wert, nämlich 58.4°, findet man aus dem Mittel der in Krietern-Gräbschen- Breslau beobachteten Höhen bei der gleichen Gewichtsverteilung wie vorhin (40.10), dem vorher benutzten Mittel der Azimute (88.2°) und der in Gr. Bargen beobachteten Höhe (40.8°). Die Bahn ist also doch erheblich weiter vom Gr. Bären anzunehmen, als der Herr Beobachter glaubte tun 298 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zu dürfen; andererseits muß wegen der guten Übereinstimmung der auf verschiedene Weise berechneten Azimute der Höhenangabe des Endpunktes ein größeres Gewicht beigelegt werden. In Gräbschen beträgt die anzubringende Korrektion -- 1.1°; dem ver- besserten Azimut 88.2° entspricht dann in dem durch & Bootis — 7) Ursae maj. bestimmten Großkreise ein Höhenwinkel von 42.2°, welcher statt des unter (83) angegebenen Wertes 41.60 mit dem Gewichte 9 benutzt wurde, während die Beobachtungen in Krietern (h = 29.2°) und Breslau (h = 37.5) mit p= 1, das Mittel aus allen dreien, 40.6°, also mit p = 11 bewertet wurden. In Oppeln kann der Höhenwinkel 22.5° mit p= !/, berücksichtigt werden; das gleiche Gewicht erhielten Hirschberg, Saarau und Köben (h rund — 40°). Dagegen wurde der weit verläßlicheren Beobachtung in Gr. Bargen das Gewicht 4 zuerkannt. Aus diesen Höhenangaben findet man als lineare Höhe des Hem- mungspunktes (H) 74.0 km — 3.3 km mittlerem Fehler. Die an die Beobachtungen anzubringenden Verbesserungen sind folgender Übersicht zu aanaan: Scheinbare Höhe Ah H beob. ber. ber.—beob. Oppeln)... 0, 22.92 24.3 — . 1.8° 67.9 km Hirschberg (4).... 64.1 0.2 -- 13.1 36.6 - Saarauı (d).0..... 34.1 54.2 — 20.1 3640, - Kr.-Gr.-Br. (7,8,9) 40.6 ) — 07 In - Gr. Bargen (11) .. 40.8 40.6 — 0.2 74,5 = Köbenr (12)... 40.0 45.5 -- 9.5 60.9 woraus für den mittleren Fehler einer Höhenangabe von der Gewichts- einheit — 5.7° gefunden wird. Die ermittelte Höhe ist, wenn auch verhältnismäßig groß, doch keines- wegs unwahrscheinlich, indem sich bei ähnlichen Bestimmungen noch weit größere Werte für die Hemmungshöhe heller Meteore ergeben haben. Auf- fälliger Weise liefern gerade die besseren Beobachtungen in Gräbschen und Gr. Bargen die höchsten Werte, die minder guten wesentlich niedrigere; doch ist, besonders mit Rücksicht auf die sehr zuverlässige Beobachtung am erstgenannten Orte, der größere Betrag als der wahrscheinlichere an- zunehmen und deshalb der weiteren Rechnung zugrunde gelegt worden. Scheinbarer Radiationspunkt. Für diejenigen Orte, welche bestimmtere Angaben zur Ermittelung des Radianten enthalten, wurde nun die scheinbare Position des soeben er- mittelten Hemmungspunktes in äquatorealen Koordinaten berechnet; man findet dieselben in der weiter unten folgenden Tabelle unter II. Wenn man in Krietern (7) die an die beobachtete Endhöhe (29.2 ®) anzubringende Korrektion von -- 10.60 auch auf den Anfangspunkt II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 399 (h = 37.5°) anwendet, die Bahn also parallel nach oben verschiebt, so wäre als Höhe desselben 48.10 zu nehmen, in besserer Übereinstimmung mit der Angabe ,‚40° Zenitalabstand“, und die durch den berechneten Endpunkt (A = 89.5°, h— 39.8%) und den Anfangspunkt (A — 126.0, h = 48.1°) bestimmte Bahn würde 29.30 gegen die Horizontale geneigt gewesen sein. In Breslau (9) beträgt die verbesserte Endhöhe 38.9 (Korr. + 1.4°) und durch Parallelverschiebung, wie vorhin, erhält man als Höhe des 1. Punktes 53.9°. Die durch diese Höhen und die aus der Zeichnung sich ergebende Azimutaldifferenz der beiden Punkte (25°) bestimmte Bahn hätte gegen die Horizontale eine Neigung von 48.8° gehabt. Das Mittel aus beiden Neigungen, 39.30, nähert sich sehr dem für Gräbschen (8) aus dem berechneten Endpunkte und 7) Urs. maj. für die Bahnneigung resultierenden Werte 37.4°, Zur Vermeidung größerer Unsicherheit erschien es jedoch vorteil- hafter, unter Beiseitelassung der Beobachtungen in (7) und (9) nur die- jenige in Gräbschen und zwar mit 9) Urs. maj. als Richtungspunkt zu benutzen. Weiterhin kommen noch die Neigungsangaben in Oppeln (3), Gr. Bargen (11) und Köben (12) in Betracht. In der folgenden Übersicht findet man unter II, wie schon erwähnt, die Positionen des berechneten Endpunktes, unter I bei Gräbschen den Ort für y) Urs. maj., bei den anderen Orten den aufsteigenden Knoten der scheinbaren Bahnen am Äquator angegeben. I II Sn Gewicht u = & & Oppeln (3)... 16.00 0%,..,184.80. 5. 1.29.00 1 Gräbschen (8). 209.6 -- 29.3 206.0 49,8 9 Gr.Bargen (11) 51.2 0 228.3 47 1), Köben (12)... 57.1 Dita 20 Zar Diese 4 scheinbaren Bahnen liefern als scheinbaren Radiations- punkt A220 420.8 &—-56.2° 4 8.8° im „Perseus“, sehr nahe dem bekannten Strahlungspunkte der Perseiden, welche ihr Maximum am 10. August erreichen und in Beziehung zu dem Kometen 1862 III stehen. In Gräbschen verläuft die verbesserte, d.h. durch den Radianten und den berechneten Endpunkt führende Bahn 0,2° unterhalb 9 urs. maj., in Oppeln ist die Neigung um -+- 2.3°, in Gr. Bargen um + 14.6°, in Köben um — 4.6° zu verbessern. Es ist von Interesse, mit obigem Resultate einige Beobachtungen zu vergleichen, welche weniger bestimmte Angaben über die scheinbare Bahn- 300 Jahresbericht der Schies. Gesellschaft für vaterl. Cultur. lage enthalten und deswegen bei der Ermittelung des Radianten unbe- rücksichtigt bleiben mußten. So erschien in Jauer (6) der berechnete Endpunkt in A = 92.6°, h= 67.2°; nimmt man nun an, daß dort ein eben so langes lineares Bahnstück gesehen wurde, wie in Gräbschen, nämlich 31.9 km, so mußte dasselbe unter einem Winkel von 19.1° er- scheinen, wovon 7° rechts, 12° links von dem Kulminationspunkt der Bahn lagen; die Bahn konnte daher wohl horizontal in großer Höhe er- scheinen und zwar, da ihr Beginn in A= 145.7°, ihr Endpunkt in A = 92.6° lag, entsprechend der Angabe, am nordwestlichen Himmel. In Pansdorf (10) lag der Endpunkt in A = 53.3°, h = 64.2°, also ebenfalls sehr hoch. Die Knoten der berechneten scheinbaren Bahn am Horizont haben 31.5°, bezw. 211.30 Azimut; die Bewegung war demnach von N 31.3°E nach S 31.30 W gerichtet. Angegeben wird N—S. J)er Beobachter in Reinerz (1) mußte den Endpunkt in 40.30 Höhe sehen, etwa entsprechend der Angabe (,Mitte des Himmels“). Der in Gräbschen beobachtete nachleuchtende Streifen erschien dort 11.9° lang und sein Anfangspunkt in h = 39.1°, die Bahn also fast völlig horizontal. Die Verwandelung der äquatorealen Koordinaten des Radianten in horizontale ergibt, daß die Feuerkugel am Endpunkte aus 206.4° Azimut, d. h. ungefähr aus NNE unter einem Neigungswinkel von 24.0° gegen die Erdoberfläche anlangte. Äußere Erscheinung; Bahnlänge; Geschwindigkeit. Die Farbe der Feuerkugel wird 3 mal als weiß, 1 mal als bläulich bezeichnet, die Helligkeit von denjenigen Beobachtern, die sich darüber äußerten, als sehr bedeutend; einige wurden durch die blitzartige Erhellung der Umgebung erst auf das Phänomen aufmerksam. Brauchbare Ängaben über die Größe des Meteors, bezw. Durchmesserschätzungen liegen über- haupt nicht vor, vielmehr ist mehrfach von einem sternförmigen Aussehen desselben die Rede. Besonderen Eindruck machte auf die meisten Be- obachter der zurückbleibende, nachleuchtende lange Sireifen, dessen Dauer verschieden lang, von 4—5° bis 2% angegeben wird. Dem Beobachter in Köben (12) erschien der aus leuchtenden Punkten zusammengesetzte Streifen länglich lanzettförmig, in der Mitte verbreitert, nach beiden Enden spitz zulaufend. Auch von anderen Beobachtern wird derselbe als Funken- streifen oder in einen solchen sich auflösend geschildert. Schon in ver- hältnismäßig kurzer Zeit zeigte die nachleuchtende Spur eine deutliche Krümmung in S-Form (Jauer); auch der Bericht aus Oppeln spricht von einer „sekundenlangen Sichtbarkeit des Schweifes in seiner krausen Form“, Diese Eigentümlichkeiten der äußeren Erscheinung lassen sich viel- leicht durch die Annahme erklären, daß unsere Feuerkugel aus einer sehr großen Anzahl sehr kleiner Partikelehen zusammengesetzt gewesen ist, II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 301 z. T. aus nicht größeren, als es die gewöhnlichen Sternschnuppen sind, z. T. aus nur staubförmiger Materie, welche sich zu einem größeren Kon- glomerat zusammengeballt hatten. Hierfür scheinen das Fehlen eines explosionsartigen Aufleuchtens im Endstadium, in welchem diese Phänomene gewöhnlich ihre größte Pracht entfalten, die auffallende Erscheinung des Schweifes und schließlich auch die große Höhe, in welcher die Hemmung auch der letzten Teilchen, welche bis dahin der Vernichtung entgangen waren, erfolgte, zu sprechen. Detonationen, die im vorliegenden Falle auch sehr unwahrscheinlich waren, wurden nicht gemeldet. Alle sonstigen Schallerscheinungen, die während des Phänomens wahrgenommen wurden, sind, wenn überhaupt reell, mit demselben nicht in Verbindung zu bringen. Einen Anhalt für die Bestimmung der Bahnlängen geben die Be- obachtungen in Gräbschen (8), Breslau (9) und Krietern (7). Dem Bogen von 16° in (8) entspricht eine Bahnlänge von 31.9 km; (9) gibt als Mittel aus Schätzung (15—20°) und Skizze (23°) 20.2° entsprechend einer Strecke von 41.7 km, endlich (7) im Mittel aus Schätzung (15°) und Skizze (27.20) einen Bogen von 21.1° oder 43.3 km. Nach dieser letzteren Bestimmung würde der Anfangspunkt der terrestrischen Bahn 92 km hoch über dem östlichen Teile des Dorfes Seebnitz zwischen Kotzenau und Lüben gelegen haben; doch ist eine größere Entzündungshöhe sehr wahr- scheinlich, da in der Regel ein Meteor erst dann auffällig zu werden be- ginnt, wenn es eine größere Helligkeit erreicht, also bereits eine mehr oder minder große Strecke innerhalb der Atmosphäre zurückgelegt hat. Die Länge des nachleuchtenden Streifens würde sich nach der Be- obachtung in Köben zu 36.4 km, also etwas größer als die aus derjenigen in Gräbschen abgeleitete Bahnlänge ergeben, aus denen in Hirschberg und Gr. Bargen dagegen nur zu 16.9 bezw. 19.9 km. Das Mittel der oben angeführten Bahnlängen, 39.0 km, liefert in Ver- bindung mit der Dauer von 2° als geozentrische Geschwindigkeit nur 19.5 km. Kosmische Verhältnisse. Die soeben gefundene Geschwindigkeit ist um den darin enthaltenen Betrag der Erdanziehung, nämlich um 3,5 km, zu vermindern, hätte also nur 16.0 km betragen; gleichzeitig verschiebt sich der scheinbare Radiant nach & = 47.9°%, 5 —= -- 49.6° oder, auf die Ekliptik bezogen, nach A=59.8° ß= -+-30,5° Die Länge des aufsteigenden Knotens der Meteorbahn ist gleich derjenigen der Sonne zur Fallzeit, nämlich gleich 131.0°% die Elongation des scheinbaren Radianten vom Apex der Erd- bewegung beträgt 35.10 und die heliozentrische Geschwindigkeit in der Entfernung der Erde von der Sonne nur 18.5 km, entsprechend einer Ellipse von der Halbaxe a = 0.633 oder einer Umlaufszeit von 0.504 Jahren. 302 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater). Cultur. Diesem Ergebnisse kann jedoch wegen seiner Abhängigkeit von der aus den Beobachtungen abgeleiteten Geschwindigkeit kein besonderes Ge- wicht beigelegt werden. Denn, wie wir wissen, wird die kosmische Be- wegung der Meteoriten bei ihrem Eindringen in die Lufthülle unseres Planeten allmählich bis zum völligen Stillstande vernichtet, weshalb auch aus den verläßlichsten Beobachtungen doch immer noch ein erheblich zu kleiner Wert für die ursprüngliche Geschwindigkeit hervorgehen muß, namentlich wenn, wie es hier der Fall gewesen zu sein scheint, das Meteor erst in einem späteren Teil seiner terrestrischen Bahn wahrgenommen wird. Auch die in der Regel nicht unerhebliche Überschätzung der Dauer dieser flüchtigen Erscheinungen muß, besonders bei kleinen Dauerwerten, auf das Resultat für die Geschwindigkeit einen stark vermindernden Einfluß ausüben. So dürfen wir auch für unsere Feuerkugel vor ihrem Eintritt in die Atmosphäre eine erheblich größere Geschwindigkeit als die oben abgeleitete annehmen, die sich sehr wohl dem parabolischen Werte genähert haben könnte. Die relative oder geozentrische Geschwindigkeit würde dann nahezu 60 km betragen haben. Wie schon erwähnt, liegt der vorhin ermittelte Radiant (@ = 42.2°, © — —+- 56.20) demjenigen der bekannten Perseiden (« = 44°, &© = + 57°) sehr nahe; ob jedoch tatsächlich ein Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen besteht oder ob der Strahlungspunkt mit einem der zahlreichen anderen in dieser Himmelsgegend nachgewiesenen identisch ist, läßt sich aufGrund des vorliegenden spärlichen und wenig verläßlichen Beobachtungs- materiales nicht sagen. Von den 4 Beobachtungen, auf welche sich die Bestimmung des Radianten stützt, geben 3 nur die Bahnneigung an; die Fehler derselben gehen, da sämtliche Bahnen, die sich überdies unter sehr spitzen Winkeln schneiden, weit entfernt vom Radianten liegen, voll auf diesen über. Nur genauere Beobachtungen, ähnlich der in Gräbschen, aus weiter westlich gelegenen Orten, an denen sich das Meteor am öst- lichen Himmel projizieren mußte, könnte diese Frage der Entscheidung näher bringen. Meteor vom 7. Oktober 1909, 5 Uhr 57 Min. 1. Bad Landeck (34° 32’, 50° 26°) 6% Nm. sehr hell strahlende, grünlich-weiß leuchtende Kugel von S—N ziehend und in Wolken ver- schwindend (v. Hauenschild). 2. Ober-Peilau I (34° 27, 50° 54.5). Sehr hell leuchtendes Meteor, birnförmig, mit dem Stiel nach unten, bezw. nach vorn gerichtet; hellgrün; es wurde ungefähr in der Mitte zwischen Zenit und Horizont bemerkt und nahm seinen Flug nach N (S. Thies). 3. Reichenbach (34° 19’, 50° 43,5). 62 Nm. war ein präch- tiges Meteor im WNW sekundenlang sichtbar, dessen Kern in bläulich- I. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 303 weißem Lichte erstrahlte, während der Schweif bedeutend heller war. Die Leuchtkugel zerplatzte ohne Detonation in mehrere Teile (Schles. Zeitung). 4. Waldenburg (33° 55.5, 50° 46). Meteor von bläulich-lila- weißer Färbung (Frau Goldhard!t). 5. Lauterbach (34° 25.5, 50° 46.5’). Die Bahn war bestimmt nicht länger als die Ausdehnung der bekannten Sterngruppierung im Großen Bären (26°) beträgt. Während der Dauer der Erscheinung konnte man ungefähr bis 5 zählen, eine Angabe, die vielleicht mit 4° zu inter- pretieren ist. Über die scheinbare Bahnlage konnte dagegen weder aus einer dem ersten Berichte beigefügten Skizze, noch aus einer später an- gefertigten Zeichnung der Bahn in ihrer Lage zum Großen Bären, welche der Beobachter, Herr Revierförster Hayn, auf meine Bitte bereitwilligst anzufertigen versucht hatte, ein Anhalt gewonnen werden. Der rötlich gefärbte, sehr lange Schweif schien aus kleinen Feuer- kügelchen zu bestehen, und ebensolche sah man beim Erlöschen nach der Erde zu fallen, sich aber bald in nichts auflösen. 6. Querseiffen bei Krummhübel i. Rsgb. (330 26’, 500 47’). Weiß glänzendes Meteor noch vor 6®, als es zu dämmern anfing und noch kein Stern zu sehen war. Es fiel senkrecht herab, vom Beobachtungsstand- punkt aus in der Richtung nach der über die Lomnitz führenden Eisen- bahnbrücke (A — 145°). Im Juli 1910, also ®/, Jahr später, nahm ich mit Herrn Kahl, dem ich diesen Bericht verdankte, noch einmal Messungen vor und fand für den Endpunkt und, da die Bahn vollkommen senkrecht erschien (,‚das Meteor bewegte sich langsam so senkrecht herab, wie ein Wanduhrgewicht“), auch für den Anfangspunkt A = 165.6, für die Endhöhe nur 5°, für die Anfangshöhe 25°. Dauer etwa 2—3°, 7. Hermsdorf u. K. (85° 17.5’, 50° 50.5’). Leuchtende Kugel 6% Nm. nach W zu von oben nach unten fallend und in viele Stücke zerplatzend (H. v. Cogho). 8. Brieg (35° 8°, 50° 51‘). Das Meteor fiel 5" 58% ziemlich steil in westnordwestlicher Richtung von links oben nach rechts unten und erlosch in ungefähr 30 ° Höhe. Helligkeit gleich der des Mars; blendend weiß. Kurz vor dem Erlöschen zeigte sich am Ende eine große Menge Sternchen, wie ein Besen von brennenden Feuerwerkskörpern (Herr Lehrer Engel). Auf briefliche Anfrage hatte Herr E. die Freundlichkeit, mir noch einige genauere Angaben zu machen. Nach Einzeichnung in eine Karte lag der Endpunkt in A = 126.5° und nach Messung mit einem mit Pendel versehenen papiernen Gradbogen in h = 22°, während die Höhe des zuerst gesehenen Punktes ebenso zu 35° bestimmt wurde. Die Neigung der Bahn gegen die Horizontale hätte nach Zeichnung 70° von l. n. r., die Dauer nur etwa 1!/,° betragen. 304 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 9. Rohrlach bei Jannowitz a. Rsgb. (33° 33°, 500 53’). Auffallend glänzendes Meteor im NNW am noch hellen blaßblauen Abendhimmel; es schien beinahe senkrecht, wie in ganz schwachem Bogen von S zu kommen und verschwand, zuletzt einige weißglühende, zerstiebende Funken ver- lierend, in einer hohen Dunstschicht. Auch seine Spitze leuchtete wie glühend, während der Hauptteil mehr blau-grün-weiß glänzte. Zeit: 5h 57m nach der Bahnhofsuhr (v. Oheimb). 10. Schönau (33° 34’, 51° 1). Gegen 6" erschien plötzlich eine im hellsten Blaugrün, z. T. auch rot leuchtende Feuerkugel und ver- schwand in stark fallender Bahn nach Skizze in A = 152° während das Azimut des Anfangspunktes 129° betragen haben würde; Dauer 5°, Weitere Angaben waren trotz wiederholter Anfragen nicht zu erlangen (Herr Lehrer Schulz). 1l. Brockau bei Breslau (34° 45’, 51° 4’). Das Meteor tauchte 5h 59m jm SE (?) in einem Höhenwinkel von 40° auf und verschwand nach Verlauf von 5° in der Richtung nach NW. Es strahlte in bläu- lichem Lichte und war heller als der Abendstern (Herr König). 12. Krietern bei Breslau (34° 40’, 51° 5’). Persönliche Erkundi- gung bei Frau Fiebach, welche nur eine kurze Notiz an die Sternwarte geschickt hatte, ergab folgendes: Standpunkt am Gondelteich; für den Endpunkt A = 122.6°%, h = 13°, für den zuerst gesehenen Punkt A= 66.8% h = 52° Die betreffenden Messungen wurden mit der Beobachterin an Ort und Stelle vorgenommen, wobei deren Sicherheit in der Bestimmung der fraglichen Punkte den obigen Angaben ein besonderes Gewicht verleihen dürfte. Dauer höchstens 3° (nach Vorzählen). Farbe grünlich. Erlöschen verbunden mit Auflösung in viele Funken. 13, "Breslau‘(340 427, 5773)! a. „Beim Heraustreten auf den Balkon meiner Wohnung auf der Augustastraße sah ich am nordwestlichen Himmel etwa in 45° Höhe eine hellblaue Leuchtkugel, die im Anfangs- sowie Endstadium ein Funken- streifen war und in etwa 30° Höhe endigte. Die Leuchtdauer konnte 5° betragen haben. Die Flugbahn war leicht gebogen und etwa 30° zu der Vertikalen im Anfangspunkte geneigt‘‘ (Herr Eisenbahnassistent Böhm). Nach einer beigefügten Skizze betrug das Azimut des Endpunktes 126°, die Bahnlänge 26°. Die Höhen sind wie gewöhnlich stark überschätzt. b. Herr Renner bemerkte 5b 50m von der Ecke der Weißenburger- und Elbingstraße aus einen von S mit rapider Schnelligkeit sich be- wegenden Lichtstreifen in Gestalt einer Leuchtkugel, welche über dem Claassenschen Siechenhause (A ungefähr 126°) platzte und sich in erst weiß, dann rot glühende Stücke zerteilte, die bis „Haushöhe“ sichtbar waren. C. „Ich ging über die Ohlauer Straße und war fast am Ringe, als ich im NNW in vielleicht 25° Höhe das Meteor aufleuchten sah; den Punkt II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 305 des Erlöschens konnte ich nicht sehen. Die Neigung der Bahn gegen den Horizont betrug etwa 30° (Name unleserlich). d. „Ich sah vom Ringe aus gegen 6® einen leuchtenden Ball mit langem Schweif hinfahren und glaubte eine Rakete zu sehen, zumal eine Teilung in lauter Kügelchen erfolgte‘ (Herr Böhnisch). e. Herr Sittenfeld salı vom Fenster seiner Wohnung auf der Kaiser-Wilhelm-Straße aus das Meteor über dem Fahrdamm dieser Straße erscheinen urd sich in großem Bogen nach WNW hinbewegen. f. Frau Armer beobachtete die Feuerkugel von derselben Straße aus von E—W, mit einer kleinen Abweichung nach N fallend. Form ähnlich einer großen elektrischen Birne; sehr hell leuchtend; unten weiß, nach oben zu gelblich werdend. g. Frau Klinge bemerkte plötzlich am Himmel eine wunderbar hell- leuchtende Kugel, die von einem Funkenregen begleitet von links nach rechts herunterfiel. h. Ein unbekannter Beobachter berichtete in der Schles. Ztg. folgendes: „Ich stand am Donnerstag Abend an dem Rondel auf der Promenade südlich der Gasanstalt, als plötzlich um 6" ein helleuchtendes Meteor gerade über der Lessingturnhalle, also im WNW sichtbar wurde. Die Erscheinung bestand aus einer Kugel mit Schweif, welche in hellem grünlichweißem Lichte erstrahlte, und dauerte 5%. Das Meteor bewegte sich ziemlich schnell in der Richtung von S—N und zerplatzte alsdann in viele Teile, worauf noch etwa 2—3° ein leuchtender Sprühregen sichtbar war.‘ 14. Cosel bei Breslau (34° 39’, 51° 8). Herr Gärtner Jakob bemerkte in nördlicher Richtung nach Wohlau zu auf einmal ein helles Leuchten und sah ‚einen Stern von noch nie gesehener Größe sich nach abwärts bewegen; gleichzeitig zerteilte sich derselbe und verschwand im nächsten Augenblick in Form eines Schweifes“. Die Dauer wird auf einen „Moment“ von 10—15° (!) angegeben, charakteristisch für die so häufige, oft außerordentlich starke Überschätzung der Dauer. 15. Von einem: nicht näher bezeichneten Standpunkte zwischen Breslau und Deutsch Lissa aus bemerkte Herr Hoflieferant Heß die hellblau leuchtende Meteorkugel, die nach seiner Meinung in anscheinend kurzer Entfernung niederging (Dresdener Anzeiger). 16. Lauban (32° 58’, 51° 7). Kurz nach 6% außergewöhnlich hell leuchtendes, in bläulich-grünem Lichte erstrahlendes Meteor, das in weitem Bogen nach NW zog und nach etwa 6° hinter dunklen Wolken verschwand (Schles. Ztg.). 17. Kohlfurt (32° 54, 51° 17.5’). Blauleuchtendes Meteor mit langem Schweif im NNW, senkrecht herabfallend. Höhe des Endpunktes gleich derjenigen des Mars am 14. Oktober 6 Abd. (Frau Welzel). 1913 20 306 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 18. Winzig (34° 17’, 51° 28°). Herr Lehrer Wilde konnte 2—32m vor 6# in der Nähe von Winzig das Meteor gut beobachten. Es überholte ihn von SE und bewegte sich mit sehr mäßiger Geschwindigkeit nach NW. Trotz der noch herrschenden bedeutenden Helligkeit war die grünlich-weiße, einen langen Schweif nach sich ziehende Feuerkugel sehr deutlich zu erkennen. Herr W. hatte die Freundlichkeit, mir später noch einige weitere Angaben zu machen, wonach der Endpunkt in A —= 115°, h — 22.9°, der Anfangspunkt in A = 25° gelegen und die Bahnneigung gegen die Horizontale 23° von links nach rechts betragen haben würde. Die Dauer wurde auf „eine gute Sekunde“ geschätzt. 19. Rawitsch in Posen (34° 30’, 51° 36’). Der Bahnhofswirt, Herr Seemann, sah um 5% 57", als eben der Zug von Posen, Richtung Breslau, in den Bahnhof einfuhr, eine helleuchtende Kugel mit Schweif schräg und schnell nach unten von S—N ziehen. Kurz vor dem Ende sah man viele kleinere helleuchtende Kügelchen von der größeren sich ablösen und in hellem, grünlich-weißem Lichte nach hinten sprühen. Dauer ungefähr 5°, Eine Skizze zeigt die Feuerkugel mit einem nach hinten sich verbreiternden Schweif von der 6—7 fachen Länge des Kugel- durchmessers; die Neigung der Axe des Schweifkegels gegen die Horizontale wäre danach zu 51.5° von |. n. r. anzunehmen. Für das Azimut des Endpunktes ergab sich ferner aus einer auf mein Ersuchen angefertigten Eintragung in eine Karte 105°, dagegen aus einer weiteren Skizze nur 86°; das Mittel wäre 95.5°. Neben dieser letzteren Beobachtung sind mir von Orten außerhalb unserer Provinz nur noch 2 ganz unbestimmt gehaltene Zeitungsberichte aus Dresden, wo das Meteor — blaugrün, von der Größe einer Billard- kugel, unmittelbar über den Erdboden sich in Feuertropfen auflösend — am noch hellen Osthimmel erschien, bekannt geworden. Alle Bemühungen um Erlangung genauerer Angaben, welchen die Redaktion des ‚Dresdener Anzeiger‘ in dankenswertester Weise ihre Unterstützung zuteil werden ließ, blieben leider erfolglos, so daß auf genauere Beobachtungen von dort, durch welche das vieles zu wünschen übrig lassende schlesische Material eine wertvolle Ergänzung gefunden haben würde, verzichtet werden mußte. Als Fallzeit wurde, den verläßlicheren Bestimmungen entsprechend, 5h 57m angenommen. Hemmungspunkt. Für die Bestimmung dieses Punktes kommen die Azimutalbeobachtungen in Querseiffen (6), Brieg (8), Rohrlach (9), Schönau (10), Krietern (12), II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 307 Breslau (13a und b), Kohlfurt (17), Winzig (18) und Rawitsch (19) in Frage. . Die in Breslau und Krietern beobachteten Azimute (126° und 122.6) wurden für einen mittleren Beobachtungspunkt (34° 41’, 51° 5)) zu einem Mittelwert, 124.9°, vereinigt, wobei Breslau das Gewicht 4, Krietern das Gewicht 2 erhielt. Für Querseiffen läßt sich aus dem Umstande, daß auch in Kohlfurt die Bahn (im NNW) senkrecht verlief, schließen, daß der Endpunkt in der Richtung nach Kohlfurt zu, d.h. in A —= 146.8° gelegen haben muß. Das einfache Mittel aus diesem und den beiden andern unter (6) ange- führten Werten wäre 152.60 — 6.6° m. F., dem das Gewicht 1 bei- gelegt wurde. In Rawitsch wurde der Mittelwert 95.50 beibehalten und, da der mittlere Fehler = 9.5° beträgt, mit dem Gewicht !/, bewertet. Die nur ganz genäherten Angaben aus Kohlfurt und Rohrlach mit 157.5° erhielten je das Gewicht "/,, diejenigen aus Brieg mit 126.5°, Winzig mit 115° und Schönau mit 152° je das Gewicht 1. Hieraus würde sich die Lage des Hemmungspunktes über der Gegend 32° 43° ö.L. v. F. und 51° 54’ n. Br., etwa 5 km südlich von Bobersberg in der Nieder-Lausitz ergeben. Bei Weglassung der 3 unsichersten Bestimmungen, (9), (17) und (19), verschiebt sich dieser Punkt nach 603205 35 =1210:0, Bao lln5er 223rd, 12 km von dem vorigen entfernt und etwa 6 km südlich von Pohlo bei Guben in der Nieder-Lausitz. Den obigen mittleren Fehlern in Bogenmaß entsprechen die linearen m. F, 4 11.4 km im Parallel und + 6.2 km im Meridian. Der zuletzt gefundene Ort soll der weiteren Rechnung zugrunde gelegt werden; man erhält alsdann die an die Beobachtungen anzubringenden Verbesserungen aus folgender Zusammenstellung: Azimut AA beob. er ber. ber.—beob. Ouerseifen. (6) ........., 152.50 156.4° 129.90 Bries, (O9)... 22008. 000126.8 126.1 0.0 Schönau)... ....... 1520 147,8 19 Breslau-Krietern (13, 12). 124.9 124.8 — 01 Wimzigatls). 2 2. 5#822110.0 116.2 4 1.2 Der mittlere Fehler einer Beobachtung von der Gewichtseinheit stellt sich hiernach auf & 2.9. Die Beobachtungen in Rohrlach (9), Kohlfurt (17) und Rawitsch (19) sind um — 5.8°, + 6.3° und + 12.1° zu verbessern. 20* 308 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Für die Ermittelung der linearen Höhe des Hemmungspunktes (H) kämen die Beobachtungen in (uerseiffen, Brieg, Krietern, Kohlfurt und Winzig in Betracht, und man erhält daraus folgendes: h H Querseitfen (6) 2: 2.2...75.0) 14.2 km Brieen (Sau 2250 92.022 Krielern 2). 00 20130 42.8 - Kohlturtz (I o)e2. 22.00.02 208221124 16.2 = Winzisiae) u ...0.10939 565 = also sehr stark differierende Resultate. Wird der Beobachtung in Krietern das Gewicht 2, allen übrigen das Gewicht 1 beigelegt, so wird das Mittel 44.1 km, während aus Krietern und Winzig allein, bei derselben Gewichtsverteilung, 47.4 km sich ergeben, welcher Betrag beibehalten werden möge. Demnach ist die beobachtete Höhe in Krietern um + 1.4 °, in Winzig um — 3.4° zu verbessern, während in Querseiffen und Kohlfurt der Hemmungspunkt 12,5°, bezw. 19.5° zu niedrig, in Brieg um 10.6° zu hoch beobachtet worden wäre. Radiationspunkt und Bahnlage gegen die Erde. In Krietern wurde das Meteor zuerst n A —= 52°, h = 66.8° ge- sehen. Allen übrigen hier verwendbaren Beobachtungen ist nur die Neigung der Bahn gegen die Horizontale zu entnehmen: Breslau (la) aus der Angabe der etwa 26° langen Bahn gegen die Vertikale im Anfangs- punkte 65.8, dagegen (lc) stark abweichend 30°, im Mittel also 47.9; Querseiffen 90°, Brieg 70°, Kohlfurt 90° Winzig 23°, Rawitsch 38.5. In der folgenden Tabelle sind unter I für Krietern die äquatorealen Koordinaten des zuerst beobachteten Punktes, für alle übrigen Orte der aufsteigende Knoten der scheinbaren Bahn am Äquator (& = 0°), unter II die scheinbaren Örter des berechneten Hemmungspunktes angegeben. I I ER Ren & 5 Gewicht Querseiffen (6) . . 304.5 u 144.0 9 —- 51.8° 4 Brieg. (8). 2... 3172 0 175.3 sl] TR Krietern (12)... 247.3 974 17.7 + 32.9 1 Breslaur (l3ar u e.). 7 286.8 0 178.5 + 32.2 un Kohlturer (a) 2. 297.6 0 141.0 —- 66,5 1 Winzig (18). . . . 246.8 ) 188.8 en Y, Rawitsch (19). . . 279.6 0 195.1 1 25.000 Mail Hieraus wurden nun die nachstehenden Koordinaten des schein- baren Radiationspunktes abgeleitet: II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 309 a N a N OWN Zee im Sternbilde des ‚Steinbocks‘“. Der mittlere Fehler einer Beobachtung der Neigung von der Gewichts- einheit beträgt —- 7.2°, und die an die einzelnen Beobachtungen anzu- bringenden Verbesserungen werden die folgenden: Querseiffen.. . 1... 1.220 W950 Briensr. 2. ee nie 39082 Krieternin.. 02 Sin Breslau. en one er 0 Kohltuett 2er se en 2172689 Winziein. Ba. 228.0 Rawalsch ».. 00.0... 0.1080 Hierbei bedeutet der Wert — 1.5° bei Krietern, daß die verbesserte Bahn um diesen Betrag unterhalb (südlich) des beobachteten Anfangs- punktes vorüberführt, während unter den entsprechenden Werten bei den übrigen Orten die Verbesserung der Bahnneigung zu verstehen ist. In Querseiffen also würde die Bahn nicht genau senkrecht, sondern um 2!/, ® von I. n. r., in Kohlfurt um fast 7° von r. n. 1. gegen die Vertikale im Endpunkte geneigt erschienen sein. Die in Brieg und Winzig beobachteten Bahnen weichen um mehr als 20°, jedoch in entgegengesetztem Sinne von den berechneten ab, so daß auch bei Ausschaltung derselben das Resultat sich nicht wesentlich ändern wird. In der Tat erhält man alsdann für den Ort des Radianten 04 4809.00 6. —8.19, welcher den weiteren Bestimmungen zugrunde gelegt werden soll. Hierbei ergeben sich folgende, in demselben Sinne wie vorhin zu verstehende Verbesserungen: Querseiffen . . . . 2,0 Krietern a... 23 3.2 2. 2.0.8 Breslau. Mr. are ee 2 Kohlfurt 2. 22. 220 22167 Rawitsch sous Bel Übrigens ergeben auch die zuverlässigsten Angaben aus Krietern und Querseiffen allein einen ebenfalls sehr nahe gelegenen Punkt, nämlich 3072.09 8 = — 95% Bei Beibehaltung des an 2. Stelle angegebenen Radianten findet man, daß die Feuerkugel am Hemmungspunkte aus 337.5° Azimut, d.h. genau aus SSE unter 26.9° Neigung gegen die Erdoberfläche angelangt ist. Aufleuchten, Bahnlänge, Geschwindigkeit. Am frühesten wäre das Meteor in Winzig (18) wahrgenommen worden, als es sich noch 142km hoch über einem 8.6 km südsüdwestlich von Trautenau in Böhmen gelegenen Punkte befand. 310 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Von hier aus nahm es seinen Lauf in ungefähr nordnordwestlicher Richtung, den Kamm des Riesengebirges nahe der Schneekoppe über- querend, bis an den oben bezeichneten Endpunkt bei Pohlo, indem es hierbei eine Strecke von rund 203 km zurücklegte. Hiermit steht die Dauerangabe von nur etwa 1Y/,° („eine gute Sekunde“), aus welcher die höchst unwahrscheinliche Geschwindigkeit von 156 km folgen würde, ganz und gar im Widerspruch. Es bedarf daher entweder die Azimutal- bestimmung des zuerst erblickten Punktes oder die Dauerschätzung oder beides einer wesentlichen Korrektion; ein plausibler Geschwindigkeitswert läßt sich jedenfalls aus dieser Beobachtung nicht ableiten. Aus der recht zuverlässigen Bestimmung in Krietern (12) erhält man als Höhe des 1. Bahnpunktes 126.1 km über 33° 24‘ Länge und 50° 44' n. Br., ungefähr 300 m nordwestlich des Rosenbergmassivs in Böhmen, nahezu südlich der Schneekoppe, als Bahnlänge 170 km und mit 3° Dauer als Geschwindigkeit 56.7 km. Wenn in Brieg (8) der zuerst gesehene Bahnpunkt in 35° Höhe ge- legen hat, so ergäbe das bei einer Bahnlänge von 119 km und 1.5° Dauer eine Geschwindigkeit von 79.3 km; wird jedoch an den 1. Punkt dieselbe Höhenkorrektion wie an den beobachteten Endpunkt (— 10.6 °) angebracht, so betrüge die Bahnlänge nur 70 km und die Geschwindigkeit 46.7 km. In Querseiffen (6) erhält man aus der Höhe des 1. Punktes (25°) eine Bahnlänge von 24.6 km und bei 2.5% Dauer nur 9.8 km Geschwindig- keit. Wird auch hier die Korrektion für den Endpunkt (-+ 12.5°) an den 1. Punkt angebracht, so wird die Bahnlänge 57 km und die Geschwindig- keit 22.8 km. In Breslau (13a) und Lauterbach (5) erschien die Bahn etwa 26° lang, entsprechend einer linearen Länge von S0.9, bezw. 87.1 km, und die Geschwindigkeit stellt sich bei 5, bezw. 4° Dauer zu 16.2, bezw. 21.5 km heraus. Schönau (10) endlich liefert aus dem Azimut für den 1. Punkt (125.8) als Bahnlänge 98.7 km und bei 5° Dauer 19.7 km Geschwindigkeit. Die folgende Tabelle enthält eine Zusammenstellung der vorstehenden Ergebnisse, wobei 1 die Bahnlänge, d die Dauer, v die Geschwindigkeit bedeuten. 1 d V Krietern (12). . 170 km 35 56.7 km Brieg (8) . . . 119(70) = 195 79.3(46.7) = Schönau (10)... 79877; 5 th ‚e Lauterbach (5) . la Fe 4 2 SE Breslau (13a) . 809 = 5 16.2 me Querseiffen (6) . 24.6(57) - 2.5 9.8 (22.8) = Il. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 311 Das einfache Mittel ergäbe 33.9 km, bei Benützung der eingeklammerten Werte 30.6 km Geschwindigkeit. Werden für Brieg und Querseiffen die kleineren Werte gewählt, so wird das Mittel 28.5 km. Fast genau das- selbe Resultat, nämlich 28,6 km, ergibt sich bei Weglassung dieser beiden Orte. Für die weitere Rechnung soll der Betrag von 28.5 km angenommen werden, mit dem Bemerken, daß mit Rücksicht auf die zuverlässigste Be- stimmung in Krietern und aus anderen bekannten Gründen eine wesentlich höhere Geschwindigkeit sehr wahrscheinlich ist, Äußere Erscheinung der Feuerkugel. Die Lichtstärke des Meteors wird fast ausnahmslos trotz der noch herrschenden Helligkeit — in Breslau war die Sonne 39W vorher unter- gegangen — als außerordentlich groß bezeichnet. Die Angaben über seine Färbung lauten, wie gewöhnlich, sehr verschieden: blau oder blau- . weiß (6 mal), grünweiß (mal), grünblau (4mal), rein weiß (2mal), gelblich- weiß und blaugrün, z. T. auch rot (je einmal). Durchmesserschätzungen liegen nicht vor, nur Angaben, wie „größer als Venus“, „Marsgröße“‘ und endlich die nichts besagende Angabe ‚Größe einer Billardkugel“. Ebenso verschieden wie die Farbe erschien den Beobachtern auch die Form des Meteors, indem die einen dasselbe als rund (Kugel, Ball), die andern als birnförmig bezeichnen. Mehrere Berichte erwähnen einen langen Schweif (‚„raketenähnlich‘), der dem Beobachter in Lauterbach (5) aus lauter Kügelchen zusammengesetzt erschien. Beim Erlöschen erfolgte Auflösung in einen Regen von Funken, die anfangs weiß, später rot glühend senkrecht herabfielen. Diese Schilderungen entsprechen also durchaus den bekannten Er- scheinungen, wie solche bei derartigen Phänomenen aufzutreten pflegen. Kosmische Verhältnisse. Bei Berücksichtigung der Erdanziehung vermindert sich der vorhin angenommene Betrag von 23.5 km für die geozentrische Geschwindigkeit auf 26.2 km, während sich zugleich der scheinbare Radiant nach « = 305.80, &—= — 11.6° oder, auf die Ekliptik bezogen, nach 305.3 ° Länge und 7.6° n. Breite verschiebt. Die Länge des aufsteigenden Knotens der Meteorbahn war 193.8°, ihre Neigung gegen die Ekliptik nur 3.7°, die scheinbare Elongation des Radianten vom Apex der Erdbewegung 158.1 (21.9 vom Antiapex), woraus für die heliozentrische Geschwindigkeit 54.8 km oder 1.85 Erdgeschwindigkeiten, als Bahnform somit’ eine aus- geprägte Hyperbel von der Halbaxe — 0.70 und der kosmische Aus- gangspunkt in 274.0° Länge und 3.6° n. Br. gefunden wird. Da indessen der oben angegebene Wert für die heliozentrische Ge- schwindigkeit doch nur einen sehr problematischen Charakter besitzt und, 3123 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. wie schon gesagt, wahrscheinlich wesentlich größer anzunehmen ist, habe ich den von der Annahme über jene Geschwindigkeit abhängigen kosmischen Ausgangspunkt noch für zwei weitere Geschwindigkeitshypothesen, nämlich für v = 2.0 und v= 2.5 (in Einheiten der Erdgeschwindigkeit) in der Erdentfernung von der Sonne berechnet. Derselbe verschiebt sich alsdann nach 1 = 2785%, b= --4.0°, bezw. nachl = 288.0% b = 14,80, Es dürfte wohl kaum einem Zweifel unterliegen, daß unsere Feuer- kugel ihren Ursprung einem Meteorstrome verdankt, welcher bereits eine größere Anzahl heller Meteore in verschiedenen Jahreszeiten geliefert, und für welchen von Nießl den kosmischen Ausgangspunkt im Mittel in l = 280.3% b = 724,60 für v = 2.0, m] — 23940, 202 20: v= 2.5 gefunden hat. Meteor vom 26. Mai 1910, Sh A9m. 1. Grojetz (36° 37‘, 50° 39). Als „Ort des Meteors am Himmel“ wird angegeben: Zwischen Drachen und Polarstern, als Abweichung der Bahn im fast am Horizent gelegenen Endpunkte gegen die Vertikale 3 Mondurchmesser, woraus auf einen fast senkrechten Fall zu schließen wäre. Eine Zeichnung gibt die Neigung größer, zu etwa 14° gegen die Vertikale von r. nach ]. an. Der kreisförmige Kopf hatte für das etwas geschwächte Auge des Beobachters ?”/, Mondgröße. Farbe hellblau; stark glänzend. Ein Schweif wurde nicht beobachtet. Zeit Sm 45m, Der Beobachter konnte Anwesende aufmerksam machen, so daß sie das Meteor noch einen Augenblick sehen konnten (Herr Lehrer Kopiez an die Sammelstelle). 2. Grottkau (35° 3.5‘, 50° 42°). Herr Amtsgerichtsrat Elster sah gegen 9% das in bläulichem Lichte strahlende Meteor aus der Richtung von E unter etwa 45° von r. n. l. nach der Erde zu sich bewegen. Dauer etwa 2—3°, 3. Querseiffen bei Krummhübel i. Rsgb. (330 26‘, 50° 47°). Meteor um 9" von blaßroter Farbe, senkrecht niedergehend. Dauer 2—3°. Nachträglich, im Juli desselben Jahres, mit Herrn Kahl, dem ich schon mehrmals wertvolle Berichte über Meteorfälle verdanke, vorgenommene Messungen ergaben für den Endpunkt A = 218.4% h = 8.0°, für den ersten beobachteten Punkt dasselbe Azimut und eine Höhe von 24.0°. 4. Hirschberg (33° 24°, 50° 54°). a. Nach einem Berichte des Ober-Primaners Zschiegner (ebenso wie b. mitgeteilt an Herrn Prof. v. Nießl durch Herrn Prof. Reimann) ging das Meteor durch den Kopf des Drachen und bewegte sich unter einer Neigung von 66.5° von r. n. ]. gegen die Horizontale in nordöst- licher Richtung fort. Seine Farbe war grünlich-gelb, während das, was am Rande abzubröckeln schien, ins Bläuliche spielte. Dauer des Falles II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 313 vom Drachenkopf bis zum Horizont etwa 2—3°; doch sah der Beobachter nicht die ganze Bahn. Wahrscheinlich bezieht sich diese Bemerkung auf den Anfang derselben, und es ist anzunehmen, daß das Meteor nicht schon im Drachenkopf selbst erblickt wurde, sondern daß seine rückwärts ver- längert gedachte Bahn diesen durchschnitten haben würde. Zeit 8h 49m, b. Steiler, unter etwa 80° Neigung, ercheint die Bahn in einer anderen, - vermutlich ebenfalls von einem Gymnasiasten herrührenden Zeichnung. Die Richtung, in der sich die Erscheinung abspielte, wird gleichfalls als NE angegeben, die Farbe als leuchtend gelb-grün. Zeit 8h 50m; Dauer 3°, 5. Ströbel (34° 22°, 50° 54.5‘). „Es war noch ziemlich heller Himmel; doch leuchtete das Meteor so hell, wie Venus am absolut dunklen Himmel. Ich beobachtete es von Bahnhof Ströbel aus um 8% 49m nach der Bahnhofsuhr im NE. Dauer 4°; kein Schweif, nur eine helleuchtende weiße Kugel. Die Bahn wurde an & Lyrae und y Cygni festgelegt, und es lag der Endpunkt etwa bei 21 18m /AR und — 46 ® Deklination. Das Meteor lief ziemlich parallel den Sternen Wega-Deneb“ (Herr Leutnant v. Buttlar). Auf Änfrage teilte mir der Herr Beobachter noch mit, daß der Endpunkt der Bahn mit «& und y Cygni ein flaches gleichschenkliches Dreieck gebildet habe mit der Spitze bei & und nur innerhalb der Grenzen & — 21h jsm bis «= 218 19m unddö = + 45° bis 4 46° gelegen haben könnte. Der Anfangspunkt wäre nach einer Zeichnung in & = 283.0°%, & —= --46.0° anzunehmen. 6. Mangschütz (35° 18‘, 50° 56.5°%). Herr Lehrer Engel sah um 8% 45m eine helleuchtende Sternschnuppenerscheinung rechts von der Cassiopeia, durch deren mittelsten Stern y nach seiner Schätzung gerade der Meridian gehen mußte, was in der Tat nahezu der Fall war. Die Sternschnuppe bewegte sich parallel zur Verbindungslinie von & und ß Cassiopeiae. Anfangs- und Endpunkt der Bahn wurden mittelst der Stern- karte, in velwa, & — 238, 5 — 160° bezw. & — Ih, © — .-1 50% bestimmt, „Auf den Horizont bezogen dürften Anfangs- und Endpunkt etwa 22°, bezw. 12° Höhe gehabt haben und etwa 15° östlich vom Nord- punkte, bezw. im Meridian gelegen haben.“ Die Dauer der Erscheinung überstieg nicht 25. Die Sternschnuppe leuchtete dabei blendend weiß und 6—8mal so hell als Jupiter zur selben Zeit erschien; sie verlor plötzlich ihren Glanz und erlosch. Eine sehr sorgfältig ausgeführte Zeichnung der Bahn in ihrer Lage zur Cassiopeia bestätigte aufs genaueste die obigen, durchaus sachgemäßen Angaben. Für den Endpunkt kann daher mit großer Sicherheit A=182.2°, h = 11.0°, für den zuerst gesehenen Punkt « = 345.0°, © = + 60.0° angenommen werden. 7. Ingramsdorf (34° 14°, 50° 58°). Ein prächtiges Meteor wurde von hier aus am Abende des 26. d.Mts. 8b 48m peobachtet. Unter einem 314 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Winkel von etwa 40° erstrahlte die Erscheinung am nordöstlichen Hori- zonte in weiß-bläulichem Lichte, einen rötlichen Schweif nach sich ziehend, und nahm ihren Lauf in anscheinend beinahe senkrechter Richtung. Dauer etwa 38 (Schles. Ztg.). 8. Breslau (349 42°, 5177). a. Einer von Herrn Zeichenlehrer Bautze, welchem ebenfalls schon öfter wertvolle Beobachtungen dieser Art zu verdanken waren, einge- sandten Skizze konnte für das Azimut des Endpunktes 203° entnommen werden. Die ursprünglich auf 20° geschätzte Höhe ergab sich aus mehr- maligen Messungen mit dem Gradbogen im Mittel zu 11.6°. Die Neigung der Bahn gegen die Horizontale betrug nach Schätzung etwa 70° von r. n. 1. Das Meteor schien auffallend langsam am nordöstlichen Himmel herunter zu gleiten und überstrahlte trotz der noch verhältnismäßig großen Helligkeit mit seinem bläulich-weißen Lichte die Dämmerung. b. Herr Baueleve Geburt beobachtete das Meteor vor dem Brause- bade auf der Sadowastraße etwa 6 oder 7 Min. vor 9b. „Es erschien eine faustgroße. intensiv grün leuchtende Kugel am nördlichen Himmel hoch über dem Horizont rechts von dem Schornstein des Hauptbahnhofes. Die Erscheinung dauerte etwa 3!/,® und verschwand am NNW-Horizont.“ Der Herr Beobachter hatte die Gefälligkeit, mir nachträglich, allerdings sehr viel später, noch einige genauere Angaben unter Beifügung einer Zeichnung zu machen, nach denen die Feuerkugel rechts von dem er- wähnten Schornstein etwa in A = 236° h = 22.5° erschien und unter 45° Neigung sich zu dem in NNW in h = 11.2° gelegenen Endpunkte zu bewegt hätte. Daß jedoch der letztere nicht westlich, sondern östlich von N gelegen haben muß, geht nicht allein aus der bestimmten und zuverlässigen Angabe unter a. hervor, sondern auch aus der sehr genauen Angabe in Mang- schütz (6), wo trotz der östlicheren Lage dieses Ortes der fragliche Punkt fast genau im N, bezw. noch etwas östlich davon gesehen wurde. c. „Von der Gabitzstraße aus sah ich kurz nach 8°/,® nördlich, in der Richtung über die Stadt eine von E — W fallende große Leuchtkugel fliegen, die einen langen, feuerroten Schweif nach sich zog und fast die Größe einer Mondscheibe zu haben schien. Die wundervolle Erscheinung war einige Sekunden sichtbar“ (—). (Ein ungenannter Beobachter in der Schles. Ztg.). 9. Deutsch Lissa,. (34° 32°; 51° 9). Das Meteor erschien 10% vor 94 und bewegte sich mit ziemlicher Geschwindigkeit in nördlicher Richtung fort. Sein sehr helles weiß-bläuliches Licht war 2—3$ sichtbar, ehe es plötzlich erlosch. Sterne waren noch nicht zu sehen. (Herr Dr. Treuenfels). 10. .Melochwitz. (34° 57’, 51%29,5)). ,„Am'26. d.Meabdsern als nur erst wenige Sterne zu erkennen waren, wurde ein der Erschei- II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 315 nung vom 23. ähnliches Phänomen, nämlich eine helleuchtende Kugel mit leuchtendem Schweif gesehen. Dasselbe schien von einem hellen Sterne auszugehen und nahm seinen Weg nach 2 am Horizont stehenden Sternen. Später erkannte ich, daß der helle Stern Deneb im „Schwan“, die andern die beiden rechts stehenden Sterne der Cassiopeia waren. Die Erscheinung war sehr hell, währte aber nur einige Augenblicke, "nämlich 6—10°“ (Herr Lehrer Becker). 11, Schlawa (33° 44’, 51° 53°). Herr Uhrmacher Polasky er- blickte 10” vor 9" ein wunderschönes Meteor in Form einer blauleuch- tenden Kugel, welche sich ziemlich langsam zur Erde senkte und hinter dem Dache eines Hausanbaues verschwand. In der Meinung, daß sich der Vorgang in allernächster Nähe abgespielt habe, verlegte sich Herr P. aufs Suchen und fand am folgenden Tage einen größeren Klumpen einer ton- artigen Masse, die seines Dafürhaltens mit dem Meteor in Zusammenhang stehen mußte, und von der er die Freundlichkeit hatte, mir ein größeres Stück einzusenden. Wie nicht anders zu erwarten, stellte sich der an- gebliche Meteorit als ein Körper durchaus irdischen Ursprunges heraus, nämlich als eine erhärtete Kitt- oder Tonmasse, die auf irgend eine zu- fällige Weise an jenen Ort gelangt sein mochte. Die Lage der aus allen Beobachtungen ermittelten Bahn unseres Himmelskörpers schließt, wie man sehen wird, die Möglichkeit des Herabfallens etwaiger fester Bestand- teile, wovon übrigens auch sonst nichts bekannt geworden ist, in der Gegend von Schlawa vollkommen aus. Im übrigen konnte trotz aller Bemühungen nur soviel festgestellt werden, daß die Feuerkugel in ungefähr östlicher Richtung senkrecht herabiiel. 12. Wilkowo bei Buck in Posen (34° 10’, 52° 24”). Herr Lehrer Schöngast sah das kugelförmige, gelblich-rote und schweiflose Meteor, dessen Durchmesser etwa !/, C betrug, um 8® 44W sich von NE—E bewegen. Der Anfangspunkt der etwa 20—25° langen, stark gekrümmten Bahn war nicht zu sehen. Höhe des 1. Punktes 45°, des Endpunktes 25° nach Schätzung. Dauer 4s (Mitteilung an die Sammelstelle). Auf meine Bitte versuchte Herr S. später noch mittelst eines Kom- passes das Azimut des Endpunktes festzustellen und fand dafür genau 270° magnetisch, d. h. 6.30 nördlich von E astronomisch. Da jedoch nach allen übrigen Beobachtungen die Lage dieses Punktes von Wilkowo aus eine ungefähr südöstliche gewesen sein mußte, ist anzunehmen, daß bei dieser Bestimmung ein beträchtlicher Irrtum untergelaufen ist. 135. Friedeberg i. d. Mark (33° 11’, 52° 52’). Hellglänzendes grünes Meteor von runder Form, 5 mal größer als Jupiter. Es bewegte sich ziemlich langsam schräg, nach Zeichnung 45° geneigt, von I.n. r, und verschwand ohne Hinterlassung einer Spur nach etwa 2° in der Gegend des „Skorpions‘“ (Herr Postsekretär Gohlke an die Sammelstelle). 316 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 14. Dresden (31° 24’, 51° 3°). Die erste mir von hier bekannt gewordene Nachricht fand ich im „Dresdener Anzeiger‘ vom 28. Mai. Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn v. Nießl wurde mir auch der ursprüngliche, in der Zeitungsnotiz etwas gekürzte Originalbericht des Beobachters (Herr Dr. B. B.) an die Redaktion zugänglich. Dieser Bericht, welchen Herr Pröf, Töpler in Dresden durch die Redaktion erhalten und Herrn v. N. zugestellt hatte, lautete folgendermaßen: ‚Donnerstag den 26. Mai beobachtete ich um SN 47" von der Brühlschen Terrasse aus am östlichen Himmel in einer Höhe von 20° ein hellglänzendes Meteor welches trotz der Dämmerung genau am Himmel verfolgt werden konnte. Das Meteor bewegte sich senkrecht herab nach dem Horizont zu in gerader Linie genau nach der Mitte der Königin Karola-Brücke. Es hatte den Anschein, als ob es in den ersten Augenblicken nur einen sternschnuppen- artigen Lichtstreifen erzeugte, der sich mehr und mehr durch tieferes Eindringen in unsere Atmosphäre zum glänzenden Meteore entwickelte. Die Zeit, in der die Erscheinung sichtbar war, dürfte nur geringes über 2° betragen haben. Die Größe der Lichtkraft des Meteors war etwa das Doppelte derjenigen Jupiters. Geräusch oder Getöse wurde nicht wahr- genommen.‘ Nach Ausmessung auf dem Stadtplane dureh Herrn Töpler würde die angegebene Richtung für den Endpunkt und, wegen der vertikalen Lage der Bahn, auch für den Anfangspunkt einem Azimute von etwa 10.5° bis 13.5° nördlich von Ost entsprechen. Eine nochmalige auf Ansuchen des Herrn v. Nießl von dem Beobachter angeblich mittelst eines Theo- doliten ausgeführte Messung lieferte dagegen in völligem Widerspruch sowohl mit der ursprünglichen Angabe als auch mit allen sonstigen Beob" achtungen für das fragliche Azimut 121°, d. h. 31° nördlich von West, für die Höhe des Endpunktes 16°, was jedenfalls viel zu hoch ist, für die des Anfangspunktes 20°. Da offenbar bei dieser zweiten Messung ein grober Irrtum untergelaufen ist, glaubte ich mich nur an die ursprüngliche Angabe halten zu müssen und von weiteren Nachforschungen absehen zu können. Nimmt man als Mitte der Karola-Brücke die Mitte des über der Elbe befindlichen Teiles, so würde nach dem Stadtplan als Azimut des End- punktes A — 254.0° folgen, während bei Berücksichtigung der ganzen Brückenlänge sich A — 250.5° ergibt. Das Mittel wäre rund 252°, dem Wert entsprechend, welcher auch aus einer dem letzten Schreiben des Herrn Beobachters beigefügten Zeichnung hervorgeht. Unter Beibehaltung dieses letzteren Wertes wurde daher für das Azimut des Endpunktes A = 252° gesetzt. Die Endhöhe (16°) ist, wie schon gesagt, offenbar viel zu hoch. Unter Voraussetzung der Richtigkeit der Anfangshöhe (20°) hätte die Bahnlänge nur 4° betragen, was auch mit der oben gegebenen Schilderung der Erscheinung wenig stimmen würde. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 317 Das Mittel aller Zeitangaben beträgt 8" 49.0m, übereinstimmend mit der verläßlichsten Angabe aus Ströbel (5) und wurde als Fallzeit an- genommen. Hemmungspunkt. Trotz des noch ziemlich hellen Himmels gelang es einigen Beobachtern, den scheinbaren Lauf der Feuerkugel in Beziehung zu bekannten Sternen zu bringen. Unter diesen Bestimmungen muß diejenige in Mangschütz (6) als die bei weitem genaueste und zuverlässigste angesprochen werden; das dort beobachtete Azimut des Endpunktes erhielt daher das größte Gewicht, nämlich p = 9. Fast ebenso hoch hätte von vornherein die Beobachtung in Ströbel (5) bewertet werden müssen. Verwandelt man indessen die dort angegebenen äquatorealen Koordinaten («& — 319.5%, &© = + 46°) für den Endpunkt in horizontale, so stellt sich das Azimut zu 218.5°, die Höhe zu 19.0 ° heraus, die letztere demnach viel zu groß, indem z. B. ia Breslau (8), welches dem Endpunkt bereits erheblich näher liegt, die Endhöhe nur etwa 11° betragen hat. Da im übrigen die Lage der dort beobachteten Bahn recht gut mit den anderen Beobachtungen harmoniert, so bliebe wohl nur die Annahme übrig, daß der letzte Bahnteil dem Herrn Beob- achter durch irgend welche Ursache, etwa durch eine Wolken- oder Dunst- schicht verborgen geblieben ist. Mit Rücksicht hierauf konnte dem obigen Azimute nur das Gewicht 1 beigelegt werden. Nach der ersten Beobachtung in Hirschberg (4a) wäre das Meteor durch den Drachenkopf hindurch gegangen, wofür etwa « = 265°, © = + 54° genommen werden kann; doch ist, wie schon erwähnt, diese Angabe wohl in dem Sinne zu verstehen, daß die nach rückwärts ver- längert gedachte Bahn durch diesen Punkt hindurchgegangen wäre. Da nun aus den Zeichnungen der beiden Gymnasiasten die Bahnneigung gegen den Horizont, die hier wegen der geringen Höhe des scheinbaren End- punktes anstatt der Neigung gegen die Horizontale in diesem Punkte gesetzt werden kann, sich zu 66.5°, bezw. 80.0° im Mittel also zu 73.2° von r.n.]. ergibt, so läßt sich nunmehr in der durch diese Neigung und den Zielpunkt im Drachen bestimmten scheinbaren Bahn nach bekanntem Ver- fahren leicht derjenige Punkt ermitteln, welcher dem in Mangschütz (6) beobachteten Endpunkte entspricht, d. h. eben die scheinbare Lage des Hemmungspunktes in Hirschberg. Man findet hierfür A = 219.4°, h = 7.8°, in guter Übereinstimmung mit der Beobachtung im nicht weit entfernt gelegenen Querseiffen (3). Das so gefundene Azimut erhielt das Gewicht 1. In gleicher Weise wurden für den Endpunkt in Melochwitz (10) in dem durch Deneb (@« = 308%, & = —+- 45°) und die Mitte der Verbin- dungslinie von & und ß Cassiopeiae (@ = 5°, ö& = -+- 57°) bestimmten 318 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Bahnbogen gefunden A = 219.0°, h = 23.6%. Diese Bestimmung von A erhielt ebenfalls das Gewicht 1. In Friedeberg endete das Meteor in der Gegend des am südöstlichen Horizont befindlichen Sternbilde des Skorpions; in Ermangelung einer genaueren Angabe wurde A = 315° mit p = ", angenommen. Dem gemessenen Azimute in Querseiffen (3), A = 218.4°, wurde das Gewicht 4 beigelegt, diejenigen in Breslau (8a) und Dresden (14), nämlich A = 203.0°, bezw. 252.00 mit p = 1 bewertet, während die ganz ungefähre Angabe aus Ingramsdorf (7) „am nordöstlichen Himmel“ bei fast senkrechtem Fall, also A etwa = 225° nur mtp—%, in Betracht gezogen wurde. Mit Benutzung der genannten Richtungen wird die Lage des Hemmungspunktes’ in 35° 18.6’ Länge und 51° 58,8’ n. Breite, rund 11 km östlich von Jarotschin in der Provinz Posen gefunden. Die an die einzelnen Beobachtungen anzubringenden Verbesserungen zeigt folgende Tabelle: Azimut AA “beob. AR ber. ber. — beob. Querseiffen (3). .. -..'.218:4 223.02 + 5,3° Hirschberg (4). .2......219.0 227.1 + 81 Ströbel (H)ar. .2..2.0.26.28.5 207.7 — 10.8 Mangschütz (6) . . . .182.2 180.3 — 1.39 Ingramsdorf (7) . . . 225.0 213.0 — 12.0 Breslau (8a)... ... 205.0 202.9 — 0.1 Melochwitz (10)... . 219.0 204.2 — 14,8 Friedeberg (13) . . . 315.0 303.5 — 11,7 Dresden (14). .... 252.0 247,6 — 4.4 Der m. F. einer Beobachtung von der Gewichtseinheit beläuft sich hiernach auf — 3.9°. Bei Ausschluß der unsichersten Beobachtungen aus Hirschberg (4), Ingramsdorf (7), Melochwitz (10) und Friedeberg (13) erhält man nur wenig verschieden den Ort, über welchem das Meteor in seinem planeta- rischen Laufe völlig gehemmt wurde, in I BR ae ra le 11,5 km ostnordöstlich von Jarotschin. Der m. F. einer Beobachtung der Gewichtseinheit stellt sich dann auf 7.8’, derjenige in Länge auf + 16.2 km im Parallel und auf — 15.6 km in Breite. Die Bestimmung kann daher als keine besonders zuverlässige bezeichnet werden. Die an die Beobachtungen nunmehr anzubringenden Korrektionen ersieht man aus folgender Übersicht: II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 319 Azimut AA beob. ber. ber. — beob. Ouexseiffen (3)... .....:,218.4.9 228.22 + 4.8 Stsobeli(d) un .n.,. 0. 218.5 208.0 — 10.5 Mangschütz (6) . . . 182.2 180.9 — 1.3 Breslau (8a), ... .. . . 203.0 202.7 — 03 Dresden dA). . u... 292.0 247.0 — 5.0 Für die Bestimmung der linearen Höhe des Hemmungspunktes können die Beobachtungen in Querseiffen (3), Ströbel (5), Mangschütz (6), Breslau (8a u. b), Melochwitz (10) und Wilkowo (12) herangezogen werden, wobei diejenige in Querseiffen (8°), weil auf (wenn auch verspäteter) Messung beruhend, das Gewicht p = 4, Ströbel (19°) aus schon an- geführtem Grunde nur p = !/,, Mangschütz (11°) p = 9, Breslau (11.5 °) p = 5, Melochwitz (22.2°) und Wilkowo (17°) jep —= !/, erhielten. Hierbei ist folgendes zu bemerken. Den beiden Angaben aus Breslau wurden die Gewichte 4 bezw. 1 gegeben, das Mittel 11.5° daher mit p = 5 bewertet. In Melochwitz entspricht der Betrag von 22.2° der Höhe desjenigen Punktes in der durch Deneb-Cassiopeia-Sterne bestimmten Bahn, welcher zu dem Azimute des berechneten Endpunktes (203.99) gehört. In Wilkowo endlich wurde die geschätzte Winkelhöhe von 25° der Erfahrung entsprechend auf °, ihres Betrages, d. h. auf rund 17° reduziert. Aus diesen Angaben wird als Höhe, in welcher das Meteor über dem vorhin berechneten, an zweiter Stelle angegebenen Endpunkte erlosch, zu 25.4 km erhalten mit einem m. F. von — 1.7 km, und man erhält die nötigen Verbesserungen aus folgender Tabelle: Scheinbare Höhe Ah H beob. "per. ber. — beob. Querseiffen.(3). ... . 8.09 6.8.9 — 12° 29.6 km Strobel (d)E 2...» 19,0 3 — 9.3 49.9 Mangschütz (6). . . . 11.0 11.8 + 0.8 24.3 =® Breslau:(8a u. b). ... (1.5 12,8 + 13 22.8 > Melochwitz (10) . . .. 22.2 21.3 — 0.9 26.2 = Nilkowor (12)... .. 17.0 15.3 — 17 28.35 = Der m. F, einer Beobachtung der Gewichtseinheit würde hiernach — 2.9° betragen. Es ist hier der Ort, noch einmal auf die Beobachtung in Ströbel zurückzukommen. Der berechnete Endpunkt mußte, wie aus dem Vorher- gehenden ersichtlich, in 208.0 ° Azimut und 9.70 Höhe erscheinen. Sucht man nun in dem dort gesehenen scheinbaren Bahnbogen den Punkt auf, welcher dem in Mangschütz beobachteten Endpunkte entspricht, so findet man dafür wenig verschieden A = 209.6°, h = 9.1°. Hieraus darf man schließen, daß in der Tat, wie schon erwähnt, die Lage der Bahn dort 320 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zwar richtig aufgefaßt, der Endpunkt in derselben jedoch erheblich zu hoch angenommen worden ist. Scheinbarer Radiationspunkt. Die Ermittelung desjenigen Punktes am Himmel, aus welchem das Meteor bei seinem Zusammentreffen mit der Erde herzukommen schien, geschah auf Grund der in untenstehender Tabelle aufgeführten Beobach- tungen, wozu bei einigen noch folgendes zu bemerken wäre. In Grojetz (1) kam das Meteor aus der Gegend zwischen Drachen und Polarstern, wofür etwa « = 270°, ö&—= + 70° angenommen werden kann. Die Angabe, wonach die Bahn am Endpunkte nur etwa 1'/,° von der Vertikalen abgewichen wäre, sowie die Zeichnung stellen die Bahn offenbar viel zu steil dar. In Hirschberg (4) schien es am zweckmäßigsten, die Beziehung auf den Drachenkopf zu benutzen und demgemäß als ersten Bahnpunkt & = 265°, & = + 54° zu nehmen. Die so bestimmte scheinbare Bahn stimmt hinsichtlich ihrer Neigung gegen die Horizontale im Endpunkte (79.5°) fast genau mit dem dafür aus der Zeichnung des zweiten Beobachters resultierenden Betrage (80°) überein. In Breslau (3a) wurde die Bahnneigung gegen die Horizontale zu 70° von rechts nach links geschätzt; die erst /, Jahr später angefertigte Zeichnung (8b) liefert dagegen nur 45° Als Mittel erhält man, dem ersteren Werte das Gewicht 1, dem letzteren das Gewicht !/, beilegend, 65°. In Me- lochwitz (10) wurde Deneb als Richtungspunkt angenommen. Für die in Frage kommenden Orte wurden nun die scheinbaren Positionen des vorhin bestimmten Hemmungspunktes (in der Übersicht unter II) berechnet und an diese die jedesmalige scheinbare Bahn, sei es nun, daß dieselbe durch einen zweiten Punkt oder durch ihre Neigung gegeben ist, angeschlossen. Unter I findet man die Position eines zweiten Bahnpunktes oder Bahnrichtungspunktes, bezw. dort, wo nur die Neigung beobachtet wurde, den $3 am Äquator (d = 0° oder bei senkrechten Bahnen das Zenit (®). I. ll. GR: R Se & © Gewicht Grojetzi(l). .. 72.20:000 2712°7270.0:9 30.70 EP AT AUED, Grottkau (2). . 230.8 ) 7.4 > AS As Querseiffen (3)* 196.5 — 50.3 322.0 + 33.2 2 Hirschberg (4). 265.0 + 54.0 318.4 + 31.8 4 Ströbel (5) . . 233.0 + 46.0 338.2 + 42.8 4 Mangschütz (6). 345.0 + 60.0 17.0 + 50.6 ) Breslau (8) . . 201.3 ) 343.9, 1 ara a Melochwitz (10) 309.6 45.0 337.0. 021 7548 2 Schlawa (11)* . 196,8 + 51.9 25.6 + 149 2 Friedeberg (13). 76.3 0 255.6 — 12.3 1 Dresden (14)*. 194,5 — 51.0 300.4 — 171 2 II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 3231 Diese 11 scheinbaren Bahnen liefern als wahrscheinlichsten Schnitt- punkt, d. h. den scheinbaren Radianten in Br a! et im „Drachen“ mit einem mittleren Fehler von — 8.0° in R und 4.1 in Deklination. Die Verbesserungen am beobachteten 1. Bahnpunkte, bezw. an dem in der rückwärtigen Bahnverlängerung angenommenen Zielpunkte werden alsdann für Grojetzalh)n. am ehe ane m ie ee 1.9509 klirschberss (Al ua. 0 nn a E19 STEODEIE Oak ee er ie ar 6.1 Mangschütz (6) . N Melochwitz (10). 7 a ee . — 12.2 während sich als Komeklionen 1 Neigunswini] gegen die Horizontale (+ im Sinne einer Vergrößerung der Neigung) herausstellen für GROHkaus nee nee era Sl 2) Querseitten (8) 7. 2.2 2 2. aa. 1956 BreslauglS) ee season ich = heine et se) Dil 2 SChlawas ID) sy. =, even een nlene 2 UED Buiedebera ll)... 2, a0 ef Dresden KIA =... 2.» EL wobei zu berücksichtigen ist, daß an den 3 erstgenannten Orten die ver- besserte scheinbare Bahn von rechts nach links, an den übrigen dagegen von links nach rechts verläuft, Die horizontalen Koordinaten des Radianten zur Zeit der Epoche ergeben als Azimut der Bahn 239.5°, als ihre Neigung 45.0°. Das Meteor langte also aus der Richtung 14.50 östlich von NE unter einem Winkel von 45° gegen die Erdoberfläche am oben bezeichneten Endpunkte bei Jarotschin an. Bahnlänge; Geschwindigkeit. Wenn die Höhenbestimmung des zuerst gesehenen Bahnpunktes in Dresden (14) mit 20° richtig wäre, woran allerdings mit Rücksicht auf die geringe Zuverlässigkeit der ganzen Beobachtung zu zweifeln ist, so würde sich hieraus für die Lage dieses Punktes die Gegend über Siecin in Russisch-Polen, ca. 15 km nordwestlich von Plock an der Weichsel, seine Höhe zu rund 1385 km und eine Bahnlänge von 221 km ergeben, woraus bei einer Dauer von nur 2° eine ganz unwahrscheinlich große Geschwindigkeit hervorgehen würde. Noch weit unwahrscheinlichere Bahnlängen und Geschwindigkeiten liefern die Beobachtungen in Ströbel (5) und Breslau (8b). Aus der letzteren könnte jedoch wenigstens ein Mindestwert für beide Größen ab- geleitet werden, wenn man annimmt, daß das Meteor nicht schon rechts 1913. 21 3233 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. von dem fraglichen Schornstein, sondern erst gerade über demselben, d.h. in A — 222.9° zuerst gesehen wurde. Man erhält dann als Mindestwert für die Bahnlänge 203 km und bei 3.5° Dauer 58.0 km Geschwindigkeit. Der sehr verläßlichen Bestimmung der Anfangshöhe des Meteors in Querseiffen (3) mit 24° entspricht eine Bahnlänge von 156.1 km und in Verbindung mit der Dauer von 2—3° eine Geschwindigkeit von 62,4 km. Die Schätzung der Anfangshöhe in Ingramsdorf (7) mit 40° liefert, der Erfahrung gemäß auf 2/, ihres Wertes, d. h. auf rund 27° reduziert, eine Bahnlänge von 135.8 km und bei 3° Dauer 45.3 km Ge- schwindigkeit. Aus der zuverlässigsten Beobachtung in Mangschütz (6) ergibt sich eine Bahnlänge von nur 67,3 km und bei 2° Dauer 33.6 km Geschwindig- keit. Offenbar ist hier das Meteor erst verhältnismäßig spät bemerkt worden. Fast ebensolang stellt sich für Wilkowo (12) die Bahnlänge heraus, nämlich zu 63.1 km, die Geschwindigkeit dagegen wegen der doppelt so großen Dauerangabe nur zu 15.8 km. Wahrscheinlich ist hier die Dauer erheblich überschätzt worden. Die folgende Tabelle enthält eine Zusammenstellung der gefundenen Bahnlängen (l) und Geschwindigkeiten (v) in km. 1 v breslaun 2 20. 8 ee an 20202,9 58.0 Querseitfens 2... 2 nn a. 150.1 62.4 Ingramsdorf u. 22. 200.202 32199.8 45.3 1 V Maneschützn.. ra N 10028 33.6 Wilkowo ..... 9! SEN 63.1 15.8 Das einfache Mittel aus äieden 5 Geschwindigkeitswerten beträgt 43 km, bei Ausschluß von Breslau und Wilkowo erhält man 47.1 km. Außerdem liegen noch folgende Dauerschätzungen vor: Grottkaus(2) a u neu auch Hirschbers-(4)2. 2.2.8. 22. Bun u 2023 Deutseh-Lissa (9). Ma. eye. 3.0 Melochwitz (10)... a2. tu. 220. 222610 Friedeberg (13) 2. 2% ER 2 = Das Mittel aus diesen und den 5 arkin angegebenen Dauerschätzungen, nämlich 3.25 Sek., liefert in Verbindung mit dem Mittel sämtlicher nach- gewiesenen Bahnlängen, einschließlich der aus der Dresdener Beobachtung abgeleiteten von 220.6 km, d. h. 141.0 km für die Geschwindigkeit 43.4 km, also fast ebensoviel wie vorhin. Bei Ausschluß der offenbar stark überschätzten Dauer in Melochwitz — es heißt dort: „ein Augen- blick von 6—10%“ _— würde das Mittel 2.823 und damit die Ge- schwindigkeit 50.0 km. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 333 En Für die weitere Rechnung soll der Betrag von 43 km beibehalten werden. ie Außere Erscheinung. Obwohl die Dämmerung erst soweit vorgeschritten war, daß die helleren Sterne anfingen sichtbar zu werden, bot nach mehreren Berichten die Erscheinung dennoch einen außerordentlich glänzenden Anblick. Ihre Helligkeit wird mehrmals mit derjenigen Jupiters verglichen und bis 8mal so groß, wie diejenige dieses Planeten geschätzt, in einem Falle derjenigen der Venus am absolut dunklen Himmel gleichgestellt. Ihre Farbe wird vorwiegend, nämlich 6mal als blau, bläulich oder bläulich- weiß bezeichnet, je 2mal als weiß, grün und gelblich-grün, je 1mal als blaßrot und gelblichrot, ihre Form durchweg als die einer Kugel (rund oder kreisförmig) geschildert, von welcher auch einige Durchmesser- schätzungen vorliegen. So ergibt die Beobachtung in Grojetz (1), ebenso wie die übrigen auf den Endpunkt als nächsten Bahnpunkt bezogen, mit etwa °/, © für den linearen Durchmesser 900 m, die in Wilkowo (12) mit Y, © nur 136 m, die in Breslau (Zeitung) mit etwa ?, C 774 m, im Mittel demnach rund 600 m, ein wegen der auch bei dem ziemlich hellen Himmel in vergrößerndem Sinne wirkenden Irradiation jedenfalls sehr problematischer Wert, unter welchem man sich natürlich nicht den Durchmesser eines einzigen Körpers, sondern eines Schwarmes sehr vieler kleiner Partikeln zu denken hat. Einige Beobachter sahen einen leuchtenden rötlichen, einer sogar einen langen, feuerroten Schweif, während andere ausdrücklich das Nicht- vorhandensein eines solchen betonen, Widersprüche, wie sie nicht selten bei Phänomenen dieser Art aufzutreten pflegen. Eine Zerteilung am Ende der Bahn oder eine Auflösung in Funken, wie solche häufig beobachtet wird, erwähnt kein einziger Bericht. Kosmische Verhältnisse, Wegen der beträchtlichen Unsicherheit, mit welcher Radiationspunkt und Geschwindigkeit behaftet sind, kann von einer Berücksichtigung der anziehenden Kraft der Erde abgesehen werden. Auf die Ekliptik bezogen werden alsdann die Koordinaten des Radianten 280.1° in Länge und 74.6° in nördl. Breite; seine scheinbare Elongation vom Apex der Erdbewegung beträgt somit 88.9°. Die meisten folgenden Resultate können, weil abhängig von der sehr unsicheren Geschwindigkeitsbestimmung, nur als sehr bedingt gelten. Die wahre Elongation würde bei Zugrundelegung der geozentrischen Geschwindigkeit von 43 km 117.8%, der Winkel, unter welchem die Meteoriten den Radiusvektor der Erdbahn schnitten, 79,0° betragen haben. Ihr Zusammentreffen mit unserem Planeten erfolgte im ab- steigenden Knoten ihrer Bahn, deren aufsteigender in 64.7° Länge gelegen 218 334 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ist. Als Bahnneigung gegen die Ekliptik findet man i = 61.5°, die Be. wegung direkt und die heliozentrische Geschwindigkeit endlich an der Stelle des Zusammentreffens zu 48.0 km, entsprechend einer Hyperbel von der Halbaxe a —= — 1.52. Der kosmische Ausgangspunkt läge als- dann in 118.2° Länge und 56.0° nördl. Breite. Einer parabolischen Bahn würde eine geozentrische Geschwindigkeit von 34.5 km zugehören, ein Betrag, der, abgesehen von dem sehr un- sicheren Werte aus Wilkowo, noch etwas unter den aus der Beobachtung in Mangschütz abgeleiteten heruntergeht. Es ist in der Tat sehr wahr- scheinlich, daß in diesem ziemlich kurzen und tiefer gelegenen Bahnteil die Geschwindigkeit wirklich nicht größer gewesen ist; es folgt aber auch daraus, daß die mittlere Geschwindigkeit innerhalb der gesamten terrest- rischen Bahn und noch mehr diejenige vor Beginn der Hemmung durch die Atmosphäre eine den parabolischen Wert weit übersteigende Größe gehabt haben, als Bahnform also eine ausgeprägte Hyperbel angenommen werden muß. Vielleicht gehört unsere Feuerkugel einem Meteorstrome an, für welchen sich in Dennings bekanntem General-Katalog eine mittlere Position in & = 271.1°%, ö = + 47.6° in der Nähe von y Draconis verzeichnet findet. Die Bewegungsform elastischer Körper unter der Einwirkung auftreffender Schallwellen. Von E. Waetzmann. Im folgenden werden einige Überlegungen und Versuche über die Bewegungsform elastischer Körper beim Auftreffen von Schallwellen mitgeteilt. Das Resultat wird dann im Verein mit dem Resultat einer früheren Arbeit!) benutzt, um eine Ergänzung, bezw. Modifikation der Helmholtzschen Theorie der Kombinationstöne (K. T.) zu geben. Diese neuen Annahmen über die Entstehungsweise der K. T. sind, soweit ich sehe, geeignet, die Diskrepanzen, die zwischen Experiment und Theorie der K. T. bestehen, zu beseitigen. S 1. Der Einfluß des Schalldrucks. Damit die Form einer Schallwelle, die aus mehreren sinusförmigen Komponenten von verschiedenen Perioden additiv zusammengesetzt ist, durch die erzwungenen Schwingungen eines von dieser Welle erregten 1) E. Waetzmann, Die Entstehungsweise von Kombinationstönen im Mikro- phon-Telephonkreis, Ann. d, Phys. 42. p. 729. 1913. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 325 Körpers getreu wiedergegeben wird, darf bekanntlich keine der Teil- perioden der auffallenden Welle in der Nähe irgend einer Eigen- periode des mitschwingenden Körpers liegen. Man pflegt deshalb als Regel hinzustellen, daß diese Eigenperioden entweder so hoch wie möglich oder so tief wie möglich zu legen sind. Im ersteren Falle tritt jedoch, abgesehen davon, daß die höher liegenden Komponenten der Welle dann immer noch bevorzugt sind, die Schwierigkeit auf, daß der registrierende Körper zu unempfindlich wird. Deshalb ist bei der Kon- struktion von schallregistrierenden Apparaten das Bestreben vielfach darauf gerichtet, Vorrichtungen mit nur einer Eigenperiode zu kon- struieren und diese so tief wie möglich zu legen. Auch das ist, wie wir sehen werden, ein prinzipiell falscher Weg. Man muß vielmehr von Fall zu Fall passende Kompromisse schließen; ganz beseitigen läßt sich der Einfluß der Eigenperioden überhaupt nicht. Wir nehmen vereinfachend an, daß wir es mit einem „physi- kalischen Massenpunkt‘“ zu tun haben, also etwa einer starren Platte, die an einer elastischen Feder mit nur einer Eigenperiode befestigt ist, so daß ihre Schwingungen dem gewöhnlichen linearen Kraftgesetz ge- horchen. Wirkt zunächst eine sinusförmig veränderliche Kraft auf die Platte, so setzt man an: Memxıt tx 1222 —fsndrept, und man pflest diese Gleichung als die mathematische Formulierung des Vorganges anzusehen, der sich abspielt, wenn eine einfache Ton- welle auf m auffällt. Jedoch stellt dieser Ansatz den physikalischen Vorgang nicht vollständig dar. Man weiß, daß eine Tonwelle, die auf eine reflektierende Wand auftrifft, neben den periodischen Druckschwankungen noch einen ein- seitigen Druck auf die Wand ausübt. Diese Druckkraft ist nach Be- rechnungen von Lord Rayleigh?’) bei einer Luftwelle gleich !/,(y-H1)e, worin ? das Verhältnis der spezifischen Wärmen und ® die sekundliche Energie, dividiert durch die Schallgeschwindigkeit, oder mit anderen Worten, die Energiedichte ist. Für eine schwingende Platte erhält der Schalldruck einen etwas anderen Wert als für eine feste reflektierende Wand, indem jetzt die Reflexionsgesetze an bewegten Spiegeln zu be- nutzen sind. Da aber die Bewegungsrichtung der Platte dauernd wechselt, ihre Elongationen klein gegen die Wellenlänge und ihre mittlere Geschwindigkeit klein gegen die Schallgeschwindigkeit ist, so wird es für orientierende Überlegungen erlaubt sein, mit dem obigen Rayleigh’schen Wert zu rechnen. 2) Lord Rayleigh, Phil. Mag. (6). 10. p. 364. 1905. 326 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Es tritt also auf der rechten Seite von Gleichung (1) additiv ein Glied D hinzu, welches den Schalldruck repräsentiert. Dieses Glied D würde nur in dem einen Fall = O werden, daß m von der auffallenden Energie erstens nichts reflektiert und zweitens die gesamte aufge- nommene Energie nach vorwärts, in Richtung der auftreffenden Welle, weitergibt. Das ist eine Annahme, die für den Verlauf einer Welle in einem homogenen Medium zutrifft. Spricht man von erzwungenen Schwingungen, und nicht von Wellen, so liegt dem immer der Gedanke zugrunde, daß eine Störung der Homogenität vorhanden ist, daß in irgend ein homogenes Medium ein fremder Körper eingebettet ist, auf den eine Welle auftrifft. Für diesen Fall hat D stets einen Wert von endlicher Größe. Ich denke also, daß, wenn Gleichung (1) als an- nähernde Darstellung für den Fall des Auftreffens einer Tonwelle auf eine am Rande befestigte Membran benutzt werden soll, auf der rechten Seite das Glied D stets hinzuzufügen ist. Ist D groß genug, so schwingt dann die von einer Tonwelle getroffene Membran nicht symmetrisch zur ursprünglichen Ruhelage, sondern um eine gegen die. Ruheebene verschobene Ebene. Zur Beurteilung der Frage, ob das Glied D in einem experimentell herstellbaren Falle je so groß werden kann, daß es einen merklichen Einfluß auf die Bewegungsform von m bekommt, sind folgende zwei Punkte zu berücksichtigen: Erstens das Verhältnis der Größe D des einseitigen Drucks zu dem maximalen Druckwert f (Gleichung 1) der periodischen Druckschwankungen; und zweitens das Verhältnis zwischen der Größe A. der einseitigen Verschiebung von m und seiner Schwingungsamplitude A,, bei gegebenem Größenverhältnis von D und f£. Was den ersten Punkt anlangt, so haben Toepler und Boltzmann?) eine Formel aufgestellt für das Verhältnis zwischen f, dem Maximum des periodisch schwankenden Druckes an einer reflektierenden Wand, und dem Atmosphärendruck. Dieses Verhältnis steht in einer be- stimmten Beziehung zur Energiedichte. Kombiniert man die Toepler- Boltzmann’sche Formel mit der oben erwähnten Rayleigh’schen, so ergibt sich ungfähr va wobei h in cm Wasser die Größe von f = 20000’ mißt. Nun hat Zernov*) bei einem kräftigen Ton von 256 Schwingungen : 1 ein h von etwa 3 cm gemessen, woraus D als etwa 5000 gr/cm? folst; Das hat Zernov We ; D . also wäre in diesem Spezialfall r gleich etwa 3) A. Toepler u. L. Boltzmann, Pogg. Ann. 141. p. 321. 1870. 4) W. Zernov, Ann. d, Phys, 21. p. 131. 1906. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 3937 experimentell bestätigt, indem er einerseits aus dem h und anderseits aus dem an einem Druckapparat gemessenen Schalldruck die Energie- dichte berechnet. Beide Methoden führten zu gut übereinstimmenden Resultaten. Da das h durch die Intensität des Tones gegeben ist und D mit dem Quadrat von h wächst, so wird - mit wachsender Amplitude und Schwingungszahl des Tones größer, also der Einfluß von D merklicher. Wir wollen für unsere Überschlagsrechnung mit dem Verhältnis & rechnen. 6000 Wir kommen nun zu dem zweiten Punkt, dem Verhältnis von A, und A,, Von vornherein ist klar, daß die Wirkung des Gliedes D un- merklich bleiben muß, wenn die Tonwelle auf eine Platte mit relativ hohem Eigenton, also starker elastischer Kraft, auffällt. A. ist gleich derjenigen (konstanten) Elongation x, welche hervorgerufen werden muß, damit die rücktreibende elastische Kraft und der Schalldruck ; 3 i D i 5 sich das Gleichgewicht halten, also A = — = 5, wobei n, die a mn Eigenschwingungszahl von m ist. Wenn wir noch die Dämpfung — übrigens zu unseren Ungunsten — vernachlässigen und vorläufig RD = f annehmen, so ist: 2 R ee &) für p Zn. ars! no Terre 2 A, & —1 [URSP Nenn: No Ist also die Periodenzahl p des erregenden Tones sehr viel kleiner als n,, so ist die Verschiebung A, welche eine konstante äußere Kraft D hervorruft, angenähert gleich der Amplitude A,„, welche durch f sin 2 cn pt hervorgebracht wird, vorausgesetzt, dass D und f gleich sind. In Wirklichkeit ist aber f der Größenordnung nach etwa 6000 mal größer als D. Infolgedessen kann der Schall- druck eine merkliche Wirkung auf eine Membran Massenpunkt) nicht. :ausüben, solange p klein ist gegenübern,. Wird aber p wesentlich größer als n,, fällt also ein sehr hoher Ton auf einen Körper von relativ kleiner Eigenschwingungs- zahl auf, so ändert sich die Sachlage vollkommen. Ist z. Bm, = 10 und p — 800, so ist, wenn D und f gleich sind, A, das etwa 6000 fache von A,, und da bei einer auffallenden Tonwelle D den ca. 6000. Teil von f beträgt, so würde in diesem Fall das Glied D schon eine 2inseitige Verschiebung von annähernd der gleichen Größe wie die Schwingungs- amplitude ist, hervorrufen. Steigt p auf das Doppelte, p = 1600, so 328 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. würde A, etwa 4mal so groß sein als A,. Man sieht also, daß fürp>n, das Glied D unter keinen Umständen ver- nachlässigt werden darf, vielmehr-eine sehr merk- iiehe, einseitige -Verschiebuns- von m herveoruHrr Je intensiver die Töne werden, um so mehr wächst noch, wie oben auseinandergesetzt ist, A, gegenüber A,. Solange eine Tonwelle von konstanter Amplitüde auf m auffällt, ist das Glied D physikalisch ziemlich uninteressant. Sobald aber eine komplizierte Schallwelle auffällt, in welcher Maxima und Minima der Amplitude mit einander abwechseln, wird D eine Funktion der Zeit. Wenn auch die Berechnungen über den Schalldruck, den eine sinusförmige Welle auf eine reflektierende Wand ausübt, nicht ohne weiteres auf eine kompliziertere Welle übertragbar sind, so scheint doch soviel sicher, daß der Schalldruck von einem Maximum der Amplitude zu einem Minimum hin abnehmen muß. Die Bewegungsform vonmwürdealsogegenüber der Form der auffallen- den Welle in dem. Sinne verändert, - dabzzsesnne Schwingungsminima nahe an der ursprünglichen Ruhelage erfolgen, die Maxima dagegen einseitig von ihr abgedrängt sind. Dabei ist vorausgesetzt, daß n, relativ sehr klein ist. Mit Rücksicht auf den allgemeinen Gedankengang dieser Arbeit ist es nicht überflüssig, zu erwähnen, daß das genau der gleiche Effekt ist, den die Eigenschaften des Mikrophons bei der Über- tragung einer Schallwelle von der Mikrophon- zur Telephonmenbran hervorbringen?). Trifft speziell eine typische Schwebungswelle auf m auf, die aus zwei Tonwellen von gleichen Amplituden und nur wenig verschiedenen Wellenlängen entstanden ist, und ist das Verhältnis p : q der Schwingungszahlen der beiden Primärtöne: (P. T.) ein solches, daß ihr größter gemeinsamer Teiler (die Periodenzahl der Resultierenden) gleich der Schwebungsanzahl ist, so ist D periodisch nach p—gq. Es würde also in der resultierenden Bewegung von m neben seiner Eigenperiode und den Perioden der P. T. p und q in erster Linie noch eine Komponente von der Periodenzahl p—q enthalten sein — ein Differenzton (D. T.) erster Ordnung! D. T. höherer Ordnung werden namentlich dann große Amplituden gegenüber dem D. T. erster Ordnung erhalten, wenn letzterer nicht von vornherein durch die Art der Periodizität bevorzugt ist, also z. B. bei einem Verhältnis p: q = 8 : 5, wobei die Amplituden der Primärtöne auch gleich sein dürfen. Wir kommen auf diesen Punkt im S 3 zurück. 5) Vgl. E. Waetzmann, 1. c. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 329 Ich denke, daß mit dem Gesagten die Möglichkeit der Entstehung vonK&K.T.infolge des Schalldrucks erwiesen ist. Es bleibt natürlich für die theoretische Physik noch die Aufgabe, die Größe und Form des Schalldrucks quantitativ festzustellen. Aus der Rayleigh’schen Theorie heraus ist das nicht ohne weiteres möglich. kayleigh geht davon aus, den zeitlichen Mittelwert der Druck- schwankungen zu berechnen, die an einer reflektierenden Wand beim Auftreffen einer Schallwelle stattfinden. Ist dieser zeitliche Mittelwert nicht gleich Null, sondern hat einen positiven Wert, so bedeutet das eben, daß auf die Wand ein einseitiger Überdruck ausgeübt wird. Für den Fall einer einfachen Tonwelle von konstanter Amplitüde weiß man damit so ziemlich alles, was zu wissen erwünscht ist. Es wäre freilich möglich, daß die periodischen Druckschwankungen derartige sind, daß sie neben dem einseitigen Überdruck und dem ursprünglichen Ton noch dessen Obertöne geben. Ein experimenteller Anhaltspunkt für diese Annahme liegt aber bisher nicht vor. Wenn dagegen eine kompli- zierte Schallwelle, z. B. eine Schwebungswelle, auffällt, so haben wir Grund zu der Annahme, daß die Größe des Schalldrucks periodisch schwankt. Dann kann aus einer Mittelwertsbildung über die Größe der Druckschwankungen nicht der gesamte Effekt des Schalldrucks erschlossen werden. Solche Mittelwertsbildung kann dann wieder nur den einseitigen Überdruck, nicht aber etwaige infolge der Schwankungen des Schalldrucks entstehende neue Töne ergeben. Hierzu muß viel- mehr der gesamte zeitliche Verlauf des Druckes berechnet werden. Diese Druckkurve muß sich darstellen lassen in einer Fourier’schen Reihe, deren Grundperiode mit der Periode der auftreffenden Welle über- einstimmt. Aus der Druckkurve und dem Eigenton unseres Massen- punktes sind dann sofort die Intensitätsverhältnisse der K. T. zu ersehen. Was die experimentelle Seite anlangt, so bedürfen meine bisherigen Versuche noch der Verbesserung und Ergänzung. Da die Beschaffung der notwendigen Hilfsmittel längere Zeit erfordert, soll über die aus- führlichen Versuche gesondert berichtet werden. Folgendes kann ich aber schon heute mitteilen: Nach einer Anzahl von Vorversuchen, mit denen ich keine sicheren Resultate erhalten konnte, wurde das Ende eines Kundt’schen Rohres mit dünnen Gummimembranen verschlossen. Die Bewegungen der Membran wurden in der üblichen Weise mit Hilfe eines kleinen Spiegels und eines Lichtzeigers beobachtet. Die Haupt- schwierigkeiten bei den Versuchen folgen aus der großen Empfindlich- keit der Membran und daraus, daß sie nicht eine, sondern eine größere Anzahl von Eigenschwingungen besitzt. Bei genügend starken und hohen Tönen wird eine Membran von genügend tiefer Grundperiode stark einseitig ausgebuchtei, 330 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ohne daß sie’ überhaupt’ merkliche erzwungsgene Schwingungen ausführt. Mit wachsender Spannung der Membran wird bei gleichbleibender Tonstärke die einseitige Verschiebung geringer, während der Lichtzeiger jetzt auch Schwingungen anzeigt. Wird die Spannung noch weiter gesteigert und die Ton- stärke oder Höhe vermindert, so verschwindet. die einseitige: Verschiebungna]lImählichr ganz Erwähnen möchte ich auch noch folgenden — bekannten — Versuch: Eine singende Flamme, die relativ sehr tiefe Eigentöne besitzt, soweit man überhaupt von ausgeprägten Eigentönen bei ihr sprechen darf, und gleichzeitig durch zwei P. T. von großer Höhe erregt wird, gibt einen K. T. von verblüffender Stärke. Mir scheint, daß sich das Auftreten desselben einfacher und einleuchtender aus den obigen Überlegungen über die Wirkung des Schalldrucks als aus der Helmholtz’schen Theorie der’ K. T. erklärt. $ 2. Die „subjektiven“ Kombinationstöne. Den Ausgangspunkt in dem berühmten Streit zwischen Helmholtz und R. König über die Entstehungsweise der K. T. bildete die Tatsache, daß zwei Primärtonwellen, die von getrennten Tonquellen her- kommen und nun im Luftraum zusammentreffen, sich „ungestört“ super- ponieren, daß alsoin LuftkeineK.T. entstehen. Gelegent- lich habe ich nachgewiesen, daß, wie zu erwarten war, in Wasser die Sache ebenso liest. Wenn man trotzdem bei getrennten Primärton- quellen K. T. hört, so können sie also erst im Ohre des Beobachters ent- stehen. R. König suchte ihre Entstehung durch die Annahme zu er- klären, daß das Ohr die Fähigkeit besitze, geeignete Amplitüden- schwankungen als Ton zu empfinden; eine Auffassung, die trotz ihrer Unvereinbarkeit mit der Resonanztheorie des Hörens auch noch in neuester Zeit nicht nur von namhaften Physiologen, sondern auch von Physikern geteilt worden ist. Der Grund hierfür liegt darin, daß die zweite, die Helmholtz’sche Theorie der K. T., die beobachteten Intensitätsverhältnisse nicht zu erklären vermag. Mir scheint im Gegensatz zu Helmholtz sowohl als auch zu König eine sehr einleuchtende Erklärungsmöglichkeit für die Entstehung der „subjektiven“ K. T., die man übrigens richtiger als „physiologisch- objektiv‘ bezeichnen sollte, in folgendem zu liegen: Wenn, woran ich richt zweifle, die Behauptung der Physiologen richtig ist, daß sich im Ohre Gebilde von sehr tiefen Eigenperioden befinden, dann müssen nach dem im vorigen Paragraphen Gesagten schon infolge des Schalldrucks im Ohre K. T. entstehen. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 331 Neben dem Trommelfell käme hierfür wohl namentlich die Membran des ovalen Fensters in Betracht, was ich mit Rücksicht darauf erwähne, dab auch Personen ohne Trommelfell und Mittelohrapparat K. T. zu hören vermögen. Ferner möchte ich noch einen anderen Punkt erwähnen, der nament- lich deshalb interessant ist, weil ihn schon Helmholtz) hervorhebt, ohne freilich die Konsequenzen daraus zu ziehen. Die beiden Gehörknöchelchen Hammer und Amboß sollen nämlich durch ein Sperrgelenk derart mit einander verbunden sein, daß bei einer Einwärtsbewegung des Trommel- fells und damit des Hammers der Amboß dieser Bewegung folgt, bei einer Auswärtsbewegung dagegen nicht. Denken wir uns also eine typische Schwebungswelle auf das Trommelfell auftreffen, so muß die- selbe bei der Übertragung zum Innenohr in dem Sinne verzerrt werden, daß die den Auswärtsbewegungen des Trommelfells entsprechenden Schwingungsanteile fortfallen, wodurch eine Einseitigkeitin der Schwingungsform des Amboß usw. entsteht, die in der Form genau analog derjenigen Unsymmetrie ist, welche der Schalldruck in den erzwungenen Schwingungen einer empfindlichen Membran her- vorruft. Deshalb müssen sich die auf diese Weise entstehenden K. T. in bezug auf Schwingungszahlen und Intensitäten genau analog verhalten wie die infolge des Schalldrucks und ebenso wie die im Mikrophon- Telephonkreise entstehenden K. T. Um Wiederholungen zu vermeiden, sollen die Intensitätsverhältnisse der physiologisch-objektiven K. T. gemeinsam mit denen der physikalisch-objektiven, die schon außerhalb des Ohres existieren, behandelt werden ($ 3). Bei der Verschiedenartig- keit und der komplizierten Art der Koppelung der einzelnen Schall zuleitenden Teile des Öhres dürfte die besprochene Möglichkeit einer Verzerrung der Schwingungen auf dem Wege zum Innenohr nicht die einzige sein’). Man könnte zunächst vielleicht denken, daß den besprochenen Unsymmetrien in den Schwingungen eben durch den Helmholtz’schen Ansatz, der die rücktreibende elastische Kraft des von den Primärtönen erregten Körpers — ax + bx? annimmt, Rechnung getragen wird. Das ist jedoch nicht richtig; wir dürfen nicht rein formal einen beliebigen Ansatz machen, der Unsymmetrie ergibt, sondern müssen erst die physi- kalische Frage entscheiden, wie die Unsymmetrie zustande kommt, und uns danach im Ansatz richten. Der Erfolg lehrt ja auch, daß der 7) Vergl. hierzu eine Arbeit von Hugo Pipping („Studien über die Funk!ion des Trommelfells“, Acta societatis scientiarum Fennicae, 42. No. 3. 1913) auf die ich an anderer Stelle zurückkomme. 332 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Helmholtz’sche Ansatz die quantitativen Verhältnisse nicht richtig wiedergibt, während sich aus unseren Annahmen, wie wir sehen werden, die experimentellen Ergebnisse befriedigend erklären lassen. $S 3. Vergleich der Leistungsiähigskeit der weuen Annahmen und der Helmholtzschen Theorie rder Kombinationstöne. Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich vorausschicken, daß ich es durchaus nicht für ausgeschlossen halte, daß K. T. in der Weise entstehen, wie es sich Helmholtz vorgestellt hat. Es ist vielmehr leicht möglich, daß sich in vielen Fällen, namentlich bei den physio- logisch-objektiven K. T., den besprochenen Entstehungsmöglichkeiten Vorgänge überlagern, die nach der Helmholtz’schen oder der von Clemens Schaefer8) gegebenen Erweiterung dieser Theorie verlaufen. Auf der anderen Seite möchte ich aber betonen, daß in den Fällen, in denen bisher K. T. beobachtet worden sind, diese Vorgänge nur eine untergeordnete Rolle in der Erzeugung der K. T. zu spielen scheinen. In bezug auf die Intensitätsverhältnisse der K. T. ergeben sich aus den obigen Vorstellungen folgende Regeln: Da die einseitige Verzerrung der durch ungestörte Superposition zweier P. T. entstehenden Kurve in allen besprochenen Fällen um so stärker ist, je größer die Amplituden und die Schwingungszahlen der P. T. sind, so muß — in Übereinstimmung mit den experimentellen Er- gebnissen — die Intensität der K. T. mit wachsenden Amplitüden und wachsenden Schwingungszahlen der P. T. zunehmen. Der ursprüngliche Helmholtz’sche Ansatz ergibt nur eine Zunahme der Stärke der K. T. mit wachsenden Ampli- tuden der P. T., obwohl gerade die Zunahme mit wachsenden Schwingungszahlen außerordentlich groß ist. Bei hohen starken P. T., z. B. den Tönen König’scher Gabeln aus der drei- und viergestrichenen Oktave höre ich die K. T. so laut, daß die P. T. kaum noch zu er- kennen sind. Dasselbe zeigen für physikalusch- objektive K. T. die Kurven auf Seite 741 meiner oben zitierten Arbeit. Y% ; Die Amplitüden -Maxima und Minima der ursprünglichen Resul- tirenden sind um so ausgeprägter, je kleiner das Intervall der P. T. ist. Hieraus folgt — wieder in Übereinstimmung mit den experi- mentellen Ergebnissen — daß bei sehr großen Intervallen, etwa von einer Oktave an, nur noch verschwindend schwacheK. T. auftreten können. Aus der Helmholtz’schen 3) Clemens Schaefer, Ann. d. Phys. 33. p. 1216. 1910. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 333 Theorie sind die entsprechenden experimentellen Resultate nicht ableitbar. Ziemlich kompliziert liegt die Frage nach dem Intensitätsverhältnis zwischen dem D. T. erster Ordnung und dem zweiter Ordnung. Es ist aber zu erwarten, daß im allgemeinen die Amplitude des D. T. erster Ordnung überwiegen wird, wenn bei gleichen Amplituden der P. T. das Verhältnis der Schwingungszahlen der P. T. ein derartiges ist, daß ihre Differenz gleich der Periodenzahl der Resultierenden ist, und daß nur bei anderen Schwingungszahlenverhältnissen der P. T., wie z. B. dem Verhältnis 8 : 5, der D. T. zweiter Ordnung etwa die gleiche oder gar eine größere Amplitude erhalten kann als der D. T. erster Ordnung?). In Mikrophon-Telephonkreise fand ich dementsprechend in den aufge- nommenen Kurven durchweg ein starkes Überwiegen der Amplitude des D. T. erster Ordnung. DBetrefis der physiologisch-objektiven („sub- jektiven“) K. T. teilte mir Herr Geheimrat ©. Stumpf mit, daß er z. B. bei den P. T. 500 .und 600 den D. T. zweiter Ordnung 400 mindestens ebenso stark, wenn nicht stärker höre als den D. T. erster Ordnung 100. Dagegen höre ich in diesem Falle den Ton 100 bedeutend lauter als 400. Diese Verschiedenheiten, die auch bei gelegentlichen gemeinsamen Beob- achtungen bestehen blieben, dürften auf subjektiven Unterschieden in der Richtung der Aufmerksamkeit, der Übung, oder etwas ähnlichem be- ruhen. Wichtig für uns ist, daß wegen der verschiedenen Empfindlich- keit des Öhres für Töne verschiedener Höhe der Ton 400 auch dann noch ebenso laut zu hören wäre wie der Ton 100, wenn seine Amplitude sehr bedeutend kleiner als die‘ von 100 ist, Abgesehen von den D. T. erster und zweiter Ordnung können nach unseren Annahmen — wieder in Übereinstimmung mit den experi- mentelien Ergebnissen — nur äußerst schwache K. T. entstehen; nament- lich kann der Summationston keine große Stärke erreichen, weil seine Periode von der Eigenperiode unseres Massenpunktes am weitesten eüutlernt liegt. Quantitative Resultate kann natürlich erst die Aufnahme und Fourier’sche Analyse einer großen Anzahl von Kurven geben, woran zurzeit im hiesigen Institut gearbeitet wird; für qualitative Überlegungen genügt aber die Betrachtung der ursprünglichen Resultierenden und der Art ihrer Verzerrung, Aus der Helmholtz’schen Theorie ist die geringe Stärke der K. T. höherer Ordnung, namentlich des Summationstones, nicht ableitbar. en ls bedarf kaum eines besonderen Hinweises, daß auch die negative Beobachtungstatsache des Fehlens objektiver K. T. in Luft bei getrennten Primärtonquellen nach unseren Vorstellungen selbstverständlich erscheint. 9) Vgl. E. Waetzmann, Physik, Zeitschr. 12. p. 231, 1911, 334 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Zusammenfassung. 1.Es werden bisher unbeachtet gebliebene Faktoren angegeben, welche auf die Bewegungsform eines von einem oder mehreren P. T. erregten Körpers äußerst starken Einfluß gewinnen können. 2. Es werden neue Überlegungen über die Entstehungsweise der K.T. mitgeteilt, die geeignet sind, die bisher bestehenden Diskrepanzen zwischen Experiment und Theorie der K. T. zu beseitigen. Breslau, Physikalisches Institut, An der Kreuzkirche 4, II. Über den flüssigen Zustand der Kohle mit Demonstrationen. Von Geheimrat Prof. Dr. 0. Lummert). Früher?) hatte ich Versuchsresultate mitgeteilt, aus denen hervorging, daß die „Verdampfungstemperatur‘‘ des positiven Kraters einer Bogen- lampe bei Atmosphärendruck tatsächlich unabhängig von der Stromstärke und der Bogenlänge ist. Es lag daher die Frage nahe, zu untersuchen, eb und wie diese „Verdampfungstemperatur“ mit dem Drucke variiere. Dies war tatsächlich der Fall, und zwar zeigten meine Versuche bei Unterdrucken?), daß. mit abnehmendem Drucke auch die Krater- temperatur abnimmt. Bei diesen Versuchen in vermindertem Luftdruck machte ich die Beobachtung, daß bei etwa !/, Atmosphäre Luftdruck der positive Krater inleicehtflüssigem, „perlenden“ oder „siedenden“ Zustand sich dar- bot. Solange diese Versuche nur an den gewöhnlichen, käuflichen Bogen- lampenkohlen angestellt waren, lag die Vermutung nahe, daß wir es nicht mit flüssigem reinen Kohlenstoff, sondern mit irgend einer Kohlen- stoffverbindung (Silikat ete.) zu tun haben. Hatte doch Moissan, der Hersteller künstlicher Diamanten „bewiesen“, daß der Kohlenstoff, wenigstens bei gewöhnlichen Drucken, in flüssiger Form nicht existieren könne. Ich ließ mir daher von den Planiawerken in Ratibor besonders reine Kohlenstäbe anfertigen und bezog auch sogen. „Graphitkohlen“ von 1) Auf die Bitte seitens unseres verehrten Präsidenten, Herrn Geheimen Regierungsrates Prof. Dr. Foerster, habe ich folgenden Bericht über meinen obigen Vortrag und die darauffolgende Diskussion geschrieben. (Breslau, den 1. März 1914.) 2) „Über die Verdampfungstemperatur der Bogenlampenkohle“, vorgetragen am 8. 5, 1913. 3) Über Versuche bei Überdrucken, die ich inzwischen angestellt hatte, habe ich absolut nichts bis zu diesem Vortrage, nichts während dieses Vortrages und. nichts nachher verlauten lassen! II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 335 der „Acheson Graphite Company“ in Amerika (Filiale Hamburg). Die erste Sendung der Planiawerke lieferte mir Kohlen mit 0,25 °/, Asche- bestandteilen, die zweite Sendung solche mit nur noch 0,150), Ver- unreinigungen. Alle drei Kohlensorten, die Planiakohlen und die Graphitkohlen, zeigten fast das gleiche Verhalten in bezug auf den Verlauf des Schmelz- pbänomens mit der Abnahme des Druckes. Namentlich zeigten sie alle bei etwa !/, Atmosphäre den positiven Krater in leichtilüssigem Zustande, wobei in der Flüssigkeit Hunderte heller als diese leuchtende „Perlen“ herumschwammen, so daß die Oberfläche des „Teiches“ den Eindruck des ‚‚Siedens“ und „Brodelns“ erweckte, ganz wie ich es zuerst bei den unreinen Kohlen beobachtet hatte. In diesem Stadium der Versuche kam mir der Gedanke, das Er- starrungsprodukt zu untersuchen, welches aus der Schmelze bei Unter- brechung des elektrischen Stromes im Moment des leichtflüssigen Zu- standes der Kraterfläche entstehen würde. Es erwies sich dem Aus- sehen nach als Graphit und schrieb auch wie Bleistift. Manchmal war der positive Krater nach dem Erstarren der Schmelze mit einem metall- glänzenden Plättchen überzogen, welches auch vom Mineralogen (Geheim- rat Hintze) als Graphit angesprochen wurde. Im Vortrag demonstrierte ich den positiven Krater in leichtflüssigem Zustande, indem von der horizontalen positiven Kohle der im Gefäß ein- geschlossenen Bogenlampe 'ein vergrößertes Bild auf dem Projektions- schirm entworfen wurde. Bei Anwendung dieser starken, etwa 40 fachen Vergrößerung, wurde zum ersten Male konstatiert, daß die im leicht- flüssigen Teich sich tummelnden helleren „Perlen“ nicht rund, sondern eckig sind und von kristallinischem Gefüge zu sein schienen®). Doch ging ich nicht näher auf diese am gleichen Tage erst gemachte Beobachtung ein. Ich schloß meinen Vortrag etwa mit den /Worten: „Ehe nicht ander- weitige Versuche gegen meine Versuchsergebnisse sprechen, möchte ich behaupten, daß ich den reinen Kohlenstoff in flüssiger Form besitze.“ In der lebhaften und ausführlichen Diskussion wurde mein Resultat stark angezweifelt. Die von mir als „Perlen“ oder feste Körperchen von eckiger Gestalt bezeichneten „Fische“ im Teiche wurden als schaum- artige Gebilde oder Schaumbläschen hingestellt, die „Flüssigkeit“ als solche nicht anerkannt. Am schwerwiegendsten war der Einwand, daß man Graphit nicht vom Ansehen etc. als solchen identifizieren könne, 4) Diese Beobachtung wurde von Herrn Dr. Höhne, Assistent am Physi- kalischen Institut, zuerst gemacht. Für seine treue und unermüdliche Mitarbeit möchte ich ihm auch an dieser Stelle danken. 336 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. sondern erst genaue chemische Analysen entscheiden müßten, ob das Erstarrungsprodukt auch wirklich Graphit und ob die darunter befind- liche Kohle auch reiner Kohlenstoff sei. Nach längerem Hin und Her der verschiedenen Redner, und obgleich ich meinen Standpunkt zu ver- teidigen suchte, so gut ich es bei dem damaligen Stande der Erkenntnis vermochte, schloß der Vorsitzende unserer Sektion, mein Freund Pringsheim, die Diskussion etwa mit den Worten: „Ich glaube nicht, daß wir durch noch längere Diskussion die Frage entscheiden können, ob mein Freund Lummer wirklich reinen Kohlenstoff in flüssiger Form hat. Erst weitere Versuche mit noch reineren Kohlen etc. können diesen Beweis erbringen. Jedenfalls danke ich ete.‘). Diese Beweise habe ich inzwischen erbracht, das Erstarrungsprodukt ist nach genauer Analyse seitens des Kollegen Professor Stock wirklich Graphit erstarrt auf reinem Kohlenstoff, so daß wir es bei meinen Ver- suchen tatsächlich mit dem flüssigen Zustand des reinen Kohlenstoffs zu tun haben und schon damals hatten. Das inzwischen gewonnene Be- obachtungsmaterial publiziere ich demnächst in einer Broschüre, die bei Vieweg & Sohn in Braunschweig erscheinen wird. Einfluss der Dämpfung auf die Beugung elektromagnetischer Wellen an einem dielektrischen Zylinder. Von Iwao Kobayashi. 5) Diesen Schlußworten habe ich nicht widersprochen, so daß es um so bedauerlicher war, daß von Laienseite noch am gleichen Abend das von mir mit- geteilte Resultat als „fait accompli“ und ohne der Diskussion zu erwähnen an das Wolff-Bureau telegraphiert und damit in alle Welt hinausposaunt wurde. II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 337 Allgemeine Übersicht der meteorologischen Beobachtungen auf der König]. Universitäts- Sternwarte zu Breslau im Jahre 1913. Mitgeteilt von Dr. @. Rechenberg. Höhe des Barometers über Normal-Null = 147,03 m. 1. Barometerstand, II. Temperatur der Luft 1913. reduziert auf 0° Celsius in Millimetern in Graden nach Celsius ı 3 ® ® {eb} n {«b] n © Monat =) 17 =) ‚> m) =) z = er 5 = ne ee :=|2:2!13|3 = ä Ei Werl E A are E mm mm mm 0 0 0 Januar ı.... 9. ‚761,91 21. | 738,4 | 751,81 9. 7,0 1 30. | —16,3i— 1,33 Februar ....| 23. | 603 | 28. | 209 | 5258| 8. | 104 | 18. |—10,9] 1,16 März acc. 9.1 61,9 | 19. | 31,8 | 49.80.| 30. | 200| 2. |—- 77] :66%4 Aprill.r... 92. | 5331| 7. | sı6 | 2567 | 37. | 1 | a. | —- a1 9,16 Male: 96. | 5741 5. | 321 | 47.99 | 30. | 2751| 6. 1,2] 13,50 Jun: I67 HI 11. | 41,3 | 49,76 3% 30,4 | 14. 6,61 16,45 Jule IT 59,6 7. | 41,7 | 46,00 15. 292.1 01. 9,2] 16,21 August ..... 97. | 549 | ı7. | 3551| as0o9| 3a | 5838| 8 7,7| 16,10 September..| 28. 5841| 17. | 39,41 49,89 1® 945 | 28. 451 13,73 Oktober ....| 14. 65,4 5. | 39,0 I 50,17 4. YE2 14. | — 1,6| 10,02 November ..|i 23. 59,4 14 | 340 I 43,70 1b 154] 93. |— 21 6,65 Dezember...| 2. 63,8 | 28. | 30,1 | 46,20 4. 11,3 | 31. | — 6.6) 9,60 = Jahr ar 17654 "98° | 730.1 | 739,06 | la’ ]-ısa] 92% 28. Ill. Feuchtigkeit der Luft, IV. Wolken- 1913. a. absolute b. relative bildung und in Millimetern in Prozenten Niederschläge 2 Be |2| |8#; > DO = E © ZAo 2 © I © Rn Vase | ES IE ea Monat Se le ee ea el ec = Sir Sl 2,05 EN ae ae & Oo es} ©o| 3 Re fe) [ el = na een en nee en er ae. Tage 22a | mm | mm| mm | | | | Januar ....[19.25.| 52| 30. |1,2] 3,55) öfter 1100| 2. 15081,3| 6 | 11 | 1%| 17,90 Februar ... 2. 16,2. 17. 1.1.2) 3/6113.28.\100) 26.271693 [28 | 13 7122.6,19 März... 0.|sia| 1. 1,8] 5,358, 24.1100 16. |38/71,6| 3 | 20 | 8| 33,10 Apr... 26. |11,7| 12. |1,7| 6,28|6.,23.1100| 12. |31169,6]| 2 | 13 | 15) 40,50 Max: 30. 13,9 7. |4,1) 7,62 20.31.|10011.10.,15.134165,7| 7 | 13 | 11/ 62,10 Juni... 5. 115,0| 15. |4,3) 8,99| 12. | 99) 10. |28163,8| 5 | 16 9, 39,50 Jule. 19° Maszal 6,6 10,09 öfter |100| 28. |36174,5| 2 | 15 | 14| 102,90 August... 29. 114,4) 13. | 6,610,39 öfter 100) 94. |37/76,8) 3 | 14 | 14| 116,40 September 1. 113,7| 28. |6,1) 9,34 öfter |100| 13. 45/7921 5 | 12 | 13) 32,15 Oktober . 4. 111,7| 14. \3,5 7,38 öfter 1100 18.21.14279,3 | 10 | 16 5| . 6,59 November .| 18. | 92| 26. |3,8| 6,32 öfter 100, 19. 6085,0| 1 | 15 | 14 50,65 Dezember .| 1. | 7,3| 31. |1,9) 4,70) öfter |100|4., 24.15883,3] — | 10 | 21] 52,41 Juni Jan.Fhr. R | Febr.\o-|-- | Jahr | 5 solar 12) 6,47 öfter 1100 San 75,0] 52 |168 1145 560,31 22 338 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft fnr vater]. Cultur. V. Herrschende Winde. Januar. Von den Winden, die im Durchschnitt nur in mittlerer Stärke auftraten, kamen Südost- und Ostwinde am häufigsten vor, Nord- winde fehlten ganz. Februar. Die Winde, die in der ersten Monatswoche stärker als gewöhn- lich auftraten, wehlen am häufigsten aus westlichen Richtungen, demnächst auch oft aus Südost, doch trat keine andere Richtung ganz zurück. März. Die Winde traten in der zweiten Monatswoche etwas stärker als gewöhnlich auf und kamen überwiegend aus Südwest, der sonst nur selten notiert wird, West und Südwest, nur sehr selten aus Nordost und Ost. April. Die Winde, die am 11. stürmisch, sonst aber durchweg nur in mittlerer Stärke auftraten, wehten am häufigsten aus Nordwest, demnächst auch häufig aus Ost und Südost, doch trat keine Richtung zurück. Mai. Die Winde verteilten sich mit Ausnahme der häufigen Nordwest- winde sehr gleichmäßig über die Windrose. Juni. Die Winde, die in der zweiten Woche des Monats stärker als gewöhnlich auftraten, wehten vorherrschend aus West und Nord- west; auch der sonst seltene Nordost wurde häufig notiert. Juli. Die Winde, die im Durchschnitt nur schwach auftraten, wehten so überwiegend aus westlichen Richtungen, daß alle anderen zurück- traten. August. Von den Windesrichtungen kamen wiederum Nordwest und West am häufigsten vor, demnächst auch häufig Südost. September. Von den Winden waren Nordwest und der sonst seltene Nord vorherrschend, demnächst kamen auch Südost- und Ostwinde häufig vor. Oktober. Südostwinde waren überwiegend, dann folgten Südwest-, West- und Südwinde; keine Richtung trat ganz zurück. November. Von den Winden, die wiederholt stärker als gewöhnlich auftraten, waren die sonst seltenen Südwinde vorherrschend; es folgten dann Südost-, West- und Nordwest-, während Nord- und Nordostwinde ganz zurücktraten, Dezember. Die Winde wehten wiederum wiederholt stärker als gewöhn- lich und wehten so überwiegend aus westlichen Richtungen, daß alle anderen zurücktraten. VI. Witterungs-Charakter. Januar. Der Monat setzte warm ein, die zweite Woche war unter Normal, die dritte wieder zu warm und erst die letzte brachte strengere Kälte. Der Luftdruck bewegte sich in der ersten Monatshälfte I. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 339 meist über dem Durchschnitt, in der zweiten darunter. Dement- sprechend war das Wetter in der ersten Monatshälfte vorwiegend ‚heiter, in der zweiten meist trübe; da aber auch in der ersten Hälfte fast stets starker Dunst herrschte, so erreichte die Sonnen- scheindauer noch nicht die Hälfte des Durchschnittswertes. Nieder- schläge, die zum größeren Teil aus Schnee bestanden, waren nicht häufig und fielen auch meist nur in geringen Mengen, so daß ihre Summe nur ?/, des Mittelwertes erreichte. Die Feuchtigkeit der Luft war annähernd normal. Die Schneedecke erreichte im Maximum nur eine Höhe von 4 cm. Februar. Die erste Hälfte des Monats war auffallend warm, die zweite März. April, Mai. bis auf die letzten Tage etwas unter Normal. Der Luftdruck bewegte sich vorwiegend über dem Durchschnitt, Das Wetter war vorherrschend heiter, so daß die Sonnenscheindauer fast das Doppelte des Durchschnittswertes erreichte. Niederschläge, die etwa zu gleichen Teilen aus Regen und Schnee bestanden, waren selten und traten nur in geringen Mengen auf, so daß ihre Summe nur den sechsten Teil des Mittelwertes betrug. Die Feuchtigkeit der Luft war zu gering. Eine Schneedecke, die vom Januar in Höhe von 2 cm übernommen wurde, verschwand schon am 1. ganz. Nur die beiden ersten Tage waren unter Normal, sonst aber war die Temperatur stets, und oft auch stark über dem Durchschnitt, so daß sich das Monatsmittel um fast 5° zu hoch stellte. Der Luftdruck bewegte sich mit geringen Ausnahmen fast beständig über dem Mittelwerte. Die Bewölkung und infolgedessen auch die Sonnenscheindauer war bei starker Veränderlichkeit im Durch- schnitt normal. Niederschläge, die noch an 5 Tagen aus Schnee bestanden, waren liäufig, fielen aber meist nur in geringen Mengen, so daß auch ihre Summe dem Mittelwerte entsprach. Die Feuchtig- keit der Luft war etwas zu gering. Auch in diesem Monat war die Temperatur nur an wenigen Tagen unter Normal und sonst recht oft beträchtlich darüber, so daß das Monatsmittel sich um 1'/, Grad zu hoch stellte. Der Luft- druck beweglie sich in meist nur geringen Schwankungen vor- wiegend unter dem Mittelwerte. Daher war das Wetter auch meist unbeständig und die Sonnenscheindauer erreichte nur ?, des Durchschnittswertes. Niederschläge, die wiederum noch an 5 Tagen aus Schnee bestanden, waren häufig und ihre Summe überstieg deshalb den normalen Wert. Die Feuchtigkeit der Luft entsprach etwa dem Mittelwerte. Am 28. wurde das erste Gewitter notiert, Die zweite und auch die dritte Monatswoche waren zu kalt, dagegen die erste und die vierte beträchtlich über Normal, so daß das 340 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Monatsmittel sich noch etwas zu hoch stellte. Der Luftdruck bewegte sich in meist nur geringen Schwankungen zumeist um den Mittelwert herum. Die Bewölkung der Luft und infolgedessen auch die Sonnenscheindauer war annähernd normal. Auch die Summe der Niederschläge, die an 2 Tagen noch als Schnee niederkamen, entsprach dem langjährigen Mittelwerte. Von elek- trischen Erscheinungen wurden beobachtet 6 Gewitter und 4 mal Wetterleuchten. Juni. Nur die erste Monatswoche war sehr warm, sonst war die Tempe- ratur fast beständig unter Normal. Der Luftdruck zeigte nur geringe Schwankungen und bewegte sich überwiegend über dem Durchschnitt. Die Bewölkung der Luft und auch die Sonnen- scheindauer war normal. ZRegenfälle waren zwar häufig, fielen aber meist nur in geringen Mengen, so daß ihre Summe nur 2, des Mittelwertes erreichte. Die Feuchtigkeit der Luft war normal. 3 Gewitter und 1 mal Wetterleuchten wurde notiert. Juli. Die Temperatur war nur an wenigen Tagen um ein Geringes über Normal, sonst darunter, so daß sich das Monatsmittel um 2 Grad zu niedrig stellte. Auch der Luftdruck bewegte sich in meist nur geringen Schwankungen vorwiegend unter dem Durchschnitt. In- folgedessen war das Wetter vorherrschend trübe, und die Sonnen- scheindauer erreichte nur ?/, des Mittelwertes. Regenfälle waren häufig und fielen auch oft in beträchtlichen Mengen, so daß ihre Summe zum ersten Male in diesem Jahre den normalen Wert um fast '/, überstieg. Infolgedessen war auch die Feuchtigkeit der Luft bedeutend über dem Durchschnitt. Von elektrischen Er- scheinungen wurden notiert 4 Gewitter. August. Die Temperatur war nur an wenigen Tagen um ein Geringes über Normal, sonst beständig darunter, so daß sich das Monats- mittel um mehr als 1"/, Grad zu niedrig stellte. Auch der Luft- druck, dessen Schwankungen mit einer einzigen Ausnahme nur gering waren, bewegte sich meist unter dem Mittelwerte. Daher war das Wetter auch vorwiegend trübe oder zum mindesten un- beständig. Regenfälle waren sehr häufig und fielen auch wieder oft in bedeutenden Mengen, so daß ihre Summe die Julisumme noch übersties.. Auch die Feuchtigkeit der Luft war wieder zu groß. Von elektrischen Erscheinunger wurden beobachtet 3 Ge- witter und 2 mal Wetterleuchten. September. Obwohl Temperaturen von 20° und darüber recht häufig waren, wurden doch oft recht niedrige Morgentemperaturen be- obachtet, so daß das Monatsmittel sich fast genau auf Normal stellte. Auch die Schwankungen des Luftdrucks waren recht beträchtlich, indessen entsprach sein Mittelwert auch dem lang- II. Abteilung. Naturwissenschaftliche Sektion. 341 jährigen Durchschnitt. Das Wetter war nur an wenigen Tagen heiter, sonst vorherrschend trübe, so daß das Mittel der Bewölkung sich zu hoch ergab. Regenfälle waren nur selten und meist auch nicht sehr ergiebig, und daher ergab ihre Summe nur °%, des normalen Wertes. Die Feuchtigkeit der Luft war um ein Be- deutendes zu groß. Ein Gewitter und 3 mal Wetterleuchten wurde beobachtet. Oktober. Auch in diesem Monat wurden noch wiederholt Temperaturen von 20° und mehr notiert; und da nur 2 mal geringe Kältegrade vorkamen, wurde der Mittelwert um fast 11, Grad zu hoch. Der Luftdruck bewegte sich allerdings auch mit beträchtlichen Schwan- kungen vorwiegend über dem Durchschnittswert; infolgedessen war das Wetter meist heiter und es wurden nur 5 trübe Tage gezählt. Die Sonnenscheindauer war um fast 50 %, zu hoch. Regenfälle waren selten und immer auch nur gering, so daß ilıre Summe nur den fünften Teil des Mittelwertes ergab. Die Feuchtig- keit der Luft war zu gering. Von elektrischen Erscheinungen wurde nur ein Gewitter beobachtet. November. Auch dieser Monat war viel zu warm; nur 3 Tage waren unter Normal, alle anderen, und oft auch beträchtlich, darüber, so daß sich das Monatsmiltel um mehr als 3'/, Grad zu hoch stellte. Die Schwankungen des Luftdrucks waren recht bedeutend. Die Bewölkung war im Durchschnitt normal. Regenfälle waren recht häufig, und ihre Summe überstieg den normalen Wert um die Hälfte. Die Feuchtigkeit der Luft war zu groß. Dezember. Die Temperatur war wieder nur an wenigen Tagen unter Normal, und daher ergab sich das Monatsmittel ähnlich wie im November um 3%), Grad zu hoch. Der Luftdruck bewegte sich in recht beträchtlichen Schwankungen vorwiegend unter dem Durchschnittswerte. Infolgedessen war das Wetter meist trübe und die Sonnenscheindauer erreichte nur die Hälfte des normalen Wertes. Niederschläge, die wegen der meist hohen Temperaturen vorherrschend aus Regen bestanden, waren häufig und fielen auch oft in beträchtlichen Mengen, so daß ihre Summe den Mittelwert um mehr als die Hälfte überstieg. Die Feuchtigkeit der Luft war etwas zu groß. Am 9. und am 31. hatte sich eine Schneedecke von je 2 cm Höhe gebildet. Am 14.und am 27. wurden Gewitter beobachtet. ee ——— \ g " \ x schlesische Gesellschait für vaterländische Cultır. 91. I. Abteilung. Jahresbericht. Naturwissenschaften. 1913. b. Zoologisch-botanische Sektion. &,c 92 AR 249) Sitzungen der zoologisch-botanischen Sektion im Jahre 1913. 1. Sitzungam9. Januar 19123. Dierr \orsitzend'e widmet dem... !es verstorbenen Mit- glieds Dr. ©. Baenitz einen Nachruf. Herr W. Arndt gab als Fortsetzung seines am 5. Dezember 1912 gehaltenen Vortrags einen weiteren Bericht über die Zoologischen Ergebnisse der ersten Lehrexpedition der Dr. ®. Schott- länder’schen Jubiläums-Stiftung. IH. ECHINODERMATA, MOLLUSCA, TUNICATA, PISCES. (Aus dem Zoologischen Institut der Universität Breslau.) Echinodermata. CRINOIDEA. Antedontenella Retzius. Asterias tenella Retzius (69). Yundort: Röberg (Tr)') 200—400 m. 10. Exempl. Skarnsund (Tr) 150— 200 m. 1 Exempl. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis Portugal und New Jersey. ECHINOIDEA. Echinusesculentus L Eckinus esculentus Linne& (46). Fuxdort: Hjertö (M) 2—5 m. 2 Exempl. Skarnsund (Tr) 150—200 m. 1 Exempl. Mekgrund (M) 120 m. 2 Exempl. — Von einem Exemplar IIerkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: Höhe 36 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans von Island bis Portugal. 1) Die Abkürzungen (M) und (Tr) bedeuten Moldefjord und Trondhjemsfjord- 1913. 1 2 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Strongylocentrotusdroebachiensis Müller. Echinus droebachiensis Müller (56). Fundort: Hjertö (M) 2—5 m. 21 Exempl. Forholm (M) i00 m. 4 Exempl. Tresfjord (M) 50—60 m. 5 Exempl. Skarnsund (Tr) 150 bis 200 ın. 1 Exempl. — Von 4 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. Gröbtes Exemplar: Höhe 18 mm, Durchmesser 35 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Kanal und Massachusetts Bay, Pazifischer Ozean südlich bis Vancouver-Isle, Korea. N F & i Echinocardiumflavescens Müller. Spatagus flavescens Müller (56). Fundort: Hafen von Molde 20—30 m. 1 Exempl. Karlsöfjord (M) 30 bis 50 m. 2 Exempl. Mekgrund (M) 30—120 m. 11 Exempl. Hjertö (M) 50 m. 1 Exempl. — Von 4 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: Länge 29 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans vum nördlichen Norwegen bis zu den Azoren, Mittelmeer. Brisaster (Schizaster) fragilis Düben u Koren Brissus fragilis Düben u. Koren (20). Fundort: Säkken (M) 40—180 m. 6 Exempl. Hjertö (M) 50 m. 3 Exempl. Tresfjord (M) 60 m. 2 Exempl. Mekgrund (M) 120 m. 5 Exempl. Bei 12 von den 14 Exemplaren der mir vorliegenden Kollek- tion ist die seitliche Fasciole, insbesondere der subanale Teil derselben, deutlich ausgeprägt. Ein Exemplar aber besitzt nur den subanalen Teil der seitlichen Fasciole und dieser ist viel weniger deutlich als bei den übrigen Individuen. Die Verbindungsstücke des subanalen Teiles der seitlichen Fasciole mit der peripetalen Fascioie fehlen bei diesem Exem- plar völlig. Bei einem anderen mit ebenfalls sehr schwach ausgeprägtem Subanalteil fehlt das Verbindungsstück nur auf der einen Seite, wogegen auf der anderen Seite ein etwa '/ cm langes Stück des proximalen Teiles der seitlichen Fasciole angedeutet ist; es steht mit der peripetalen Fasciole in Zusammenhang. Diese beiden atypischen Individuen ähneln 3 Exem- plaren der dänischen Ingolf-Expedition, die Mortensen (54) be- schreiht. Übrigens entfernen sich auch diese nicht so weit von dem Grundtypus wie Exemplare der Blake-Expedition, die Agassiz (1) erwähnt, und bei denen der Subanalteil der seitlichen Fasciole völlig fehlt. Größtes Exemplar: Länge: 69 mm. Nach Mortensen (loc. eit.) ist der größte von Bergen bekannte Brisaster fragilis nur 55 mm lang, wogegen in höheren Breiten Exemplare von 90 mm Länge vorkommen. Geogr. Verbreitung: Subarktis des Atlantischen Ozeans südlich bis zum Faröer Kanal bezw. Florida. II. Abteilung. Zoologisch-botanısche Sektion. B3 ASTEROIDEA. Pontastertenuispinus Düben u. Koren. Asiropecten tenuispinus Düben u. Koren (2). Fundort: Tautra (Tr) 100—150 m. 2 Exempl. — Von zwei Exem- plaren Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: R.!) 56 mm, r. 10 mm. Alle 4 Exemplare gehören der von Grieg (32) unterschiedenen Warmwasserform an: die dorsalen und ventralen Marginalplatten wechseln miteinander ab; die Pedicellarien sind sehr spärlich. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Golf vun Biskaya bezw. Neufundland. Biutonasterparelii Dübenu. Koren. Astropecten parelü Düben u. Koren (20). Fundort: Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. 2 Exempl. Größtes Exemplar: R. 68 mm, r. 20 mm. Beide Exemplare gehören der langarmigen Varietät an, die M. Sars (70) aus dem Christiania-Fjord beschreibt. Geogr. Verbreitung: Ostküste des Atlantischen Ozeans vom nördlichen Norwegen bis Irland. Leptoptychasterarcticus Sars. Astropecten arcticus Sars (69). Fundort: Mekgrund (M) 50—120 m. 1 Exempl. R. 21 mm, r. 10 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean an der Ostküste Amerikas von 88°—45° n. Br., an der eurepäischen Küste von Finmarken südlich vis Irland; Murmanküste. Ctenodiseuscrispatus Retzius. Asterias crispata Retzius (64). Fundort: Roivoldbugt (Tr) 50—100 m. 15 Exempl. Größtes Exemplar: R. 40 mm, r. 16 mm. seogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis Finmarken bezw. Neufundland. Astropecetenirregularis Pennant. Asterias irregularis Pennant (60). Fundort: Tresfjord (M) 180 m. 1 Exempl. Säkkenfjord (M) 70—-80 m. 1 Exempl. Mekgrund (M) 50 m. 8 Exempl. Hafen von Trondhjem 5 m. 1) R. = Armradius, r. = Scheibenralius, Ba A Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 1 Exempl. und Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. 3 Exempl. — Von 9 Exem- plaren Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: R. 26 mm, r. 3 mm. Geogr. Verbreitung: Ostküste des Atlantischen Ozeans von den Lo- fofen bis Frankreich. Psilasterandromeda Müller u Troschel. Astropecten andromeda Müller u. Troschel (55). Fundort: Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m . 77 Exempl. Größtes Exemplar: R. 87 mm, r. 24 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean vom nördlichen Norwegen bis zu den Azoren, an der Ostküste Amerikas zwischen dem 38° und 45° n. Br. Eurdra’sarsı. Dübeneu. Koren: Luydia sarsü Dübenu.Koren (20). Fundort: Hagebugt (M) 130 m. 1 Exempl. R. 66 mm, r. 7 mm. Geogr. Verbreitung: Ostküste des Atlantischen Ozeans vom nörd- iichen Norwegen bis Spanien, Mittelmeer. Pentagonastergranularis Retzius Asterias granularis Retzius (63). Fundort: Julholm (M) 90 m. 1 Exempl. Mekgrund (M) 50—120 m. 1 Exempl. Molde 30 m. 1 Exempl. Skarnsund (Tr) 150—200 m. 4 Exempl. Größtes Exemplar: R. 32 mm, r. 23 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean an der Ostküste Nord- amerikas vom 41°—50° n. Br., an der europäischen Küste von Finmarken bis Bohuslän. Hippasteria phrygiana Parelius. Asterias phrygiana Parelius (59). Fundort: Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. 1 Exempl. R. 98 mm, r. 43 mm. Geogr. Verbreitung: Subarktis des Atlantischen Ozeans von den Lo- foten bis Cornwall, an der amerikanischen Küste von Cape Cod bis Neu- fundland. Lasiaster hispidus Sars. Goniaster hispidus Sars (65). Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. 2 Exempl. Größtes Exemplar: R. 18 mm, r. 12 mm. Geogr. Verbreitung: West- und Nordküste Norwegens, Barentssee. N. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 5 Crossasterendeca Retzius. Asterias endeca Retzius (63). Fundort: Tresfjord (M) 50 m. 1 neunarmiges junges Exemplar. Rö- berg (Tr) 200—400 m. 1 achtarmiges junges Exemplar. Größtes Exemplar: R. 9 mm, r. 4 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean an der Ostküste Nord- Amerikas von Labrador und Neufundland bis Cape Cod an der europäi- schen Küste von Finmarken bis Irland. Pteraster militaris Müller. Asterias militaris Müller (56). Fundort: Nicht angegeben. 1 Exemplar. R. 21 mm, r. 9 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean an der Ostküste Amerikas von Cape Cod bis 79° 40’ n. Br., an der europäischen Küste von Tinmarken bis in den Faröer Kanal. Cribrella sanguinolenta Müller. Asterias sanguinolenta Müller (56). Fundort: Molde 20—80 m. 3 Exempl. Säkken (M) 30—180 m. 3 Exempl. Mekgrund (M) 120 m. 1 Exempl. Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. i Exempl. Röberg (Tr) 200-400 m. 2 Exempl. Tautra (Tr) 100—150 m. 1 Exempl. Skarnsund (Tr) 150—200 m. 1 Exempl. — Von 4 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: R. 65 mm, r. 10 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean an der Ostküste Amerikas von Cap Hatteras bis Labrador, an der europäischen Küste von Finmarken bis zu den Azoren. Stichaster roseus Müller. Asterias rosea Müller (56). Fundort: Molde 20—30 m. 1 Exempl. Säkken (M) 30—180 m. 5 Exempl. Tresfjord (M) 50 m. 3 Exempl. Bolsösund (M) 30—50 m. 4 Exempl. Mekgrund (M) 120 m. 2 Exempl. — Von 9 Exemplaren Her- kunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: R. 79 mm, r. 8 mm. Geogr. Verbreitung: Ostküste des Atlantischen Ozeans von den Lo- foten bis zum Golf von Biskaya. | Asterias mülleri Sars. Asteracanthion mülleri Sars (67). Fundort: Molde 20—30 m. Karlsöfjord (M) 25—40 m. Rotvoldbugt litoral. — Zahlreiche Exemplare, deren Herkunft im einzelnen nicht mehr zu ermitteln war. 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Größtes Exemplar: R. 61 mm, r. 11 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean an der Westküste Enropas von Finmarken bis zum 54°’ n. Br. AsteriasrubensLl. ‚isterias rubens Linn& (46). Fundort: Säkken (M) 30—180 m. Mordalsvaag (M) 70—80 m. Rot- voldbugt (Tr) litoral. — Zahlreiche Exemplare, deren Herkunft im Ein- zelnen nicht mehr zu ermitteln war. Größtes Exemplar: R. 133 mm, r. 26 mm. Geogr. Verbreitung: Ostküste des Atlantischen Ozeans vom Weißen Meere bis zum Senegal. OPHIUROIDEA. Ophruracıliarisık. Asterias ciliaris Linn& (46). Fundort: Mordalsvaag (M) 10—150 m. 2 Exempl. Größtes Exemplar: R. 40 mm, r. 5 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans südlich bis zu den Azoren, Mittelmeer. Ophiuraalbida Forbes. Ophiura albida Forbes (25). Fundort: Mordalsvaag (M) 10—150 m. 3 Exempl. Hjertö (M) 4 m. 4 Exempl. Kotvoldbugt (Tr) 50—100 m. 1 Exempl. Größtes Exemplar: R. 30 mm, r. 5 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans südlich bis zu den Azoren, Mittelmeer. OphiuracarneaLütken. Opkiura carnea Lütken (51). Fundort: Nicht angegeben. 1 Exempl. — Bei allen 5 Armen die Spitzen abgebrochen. r. 3 mm. Geogr. Verbreitung: Nördliche europäische Küsten. Ophiurasarsi Lütken. Opkiura sarsi Lütken (50). Fundort: Karlsöfjord (M) 30—50 m. 1 Exempl. Tresfjord (M) 50 bis 1850 m. 2 Exempl. Mordalsvaag (M) 10—150 m. 4 Exempl. Mekgrund (M) 50 m. 3 Exempl. Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. 22 Exempl. Röberg (Tr) 200—400 m. 1 Exempl. — Von 14 Exemplaren Herkunft nicht an- II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 7 gegeben. Ophiura sarsi ist im Moldefjord die häufigste Art der Gattung Ophiura. Mit Amphiura chiajeiund Ophiopholis aculeata ist sie hier die am zahlreichsten vertretene Ophiure über- haupt. Größtes Exemplar: R. 55 mm, r. 8 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean an der Ostküste Amerikas südlich bis zu 35° n. Br., an der europäischen Küste südlich bis England. Amphiura chiajer Forbes. Amphiura chiajei Forbes (27). Fundort: Karlsöfjord (M) 30—50 m. 11 Exempl. Tresfjord (M) 50 his 180 m. 4 Exempl. Mordalsvaag (M) 10—150 m. 2 Exempl. Tauterö (M) 50—100 m. 6 Exempl. — Von 3 Exemplaren Herkunft nicht an- gegeben. — Im Moldefjord außerordentlich häufig. Größtes Exemplar: R. 82 mm, r. 8 mm. Zahl der Armstacheln fast stets 5, selten 6. Geogr. Verbreitung: Westküste von Europa, Mittelmeer. Amphiura sundevalli Mülleru Troschel. Ophiolepis sundevalli Müller u. Troschel (55). Fundort: Tautra (Tr) 100—150 m. 1 Exempl. Bei allen 5 Armen die Spitzen abgebrochen. r. 2,5 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Spitzbergen, Murmanküste, Küste von Sibirien, Grönland, Beringsmeer, St. Lorenzbucht, Grinnelland. Das Vor- kommen dieser bisher nur aus der Arktis bekannten Form im Trondhjems- fjord ist auffällig. Das vorliegende Exemplar ist etwas beschädigt, stimmt aber mit der Originalbeschreibung vollständig überein. Amphilepis norvegica Ljungmann. ‚imphilepis norvegica Ljungmann (48). Fundort: Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. 1 Exempl. Bei allen 5 Armen die Spitzen abgebrochen. r. 3 mm. Geogr. Verbreitung: Nordamerikanische und europäische Küste des Atlantischen Ozeans von den Lofoten bis zur Bucht von Biskaya. Ophiacantha bidentata Retzius. Asterias bidentata Retzius (64). Fundort: Mekgrund (M) 50 m. 1 Exempl. Röberg (Tr) 200:—400 m. 9 Exempl. Tautra (Tr) 100—150 m. 2 Exempl. Skarnsund (Tr) 150 bis 200 m. 5 Exempl. Größtes Exemplar: R. 33 mm, r. 4 mm. 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis Cape Cod bezw. den Azoren. Ophiopholis aculeataLl. Asterias aculeata Linne (46). Fundort: Karlsöfjord (M) 30—50 m. 6 Exempl. Mekgrund (M) 40 bis 130 m. 10 Exempl. Mordalsvaag (M) 10—150 m. 5 Exempl. Hjertö (M) 2 m. 2 Exempl. Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. 4 Exempl. Röberg (Tr) 200—400 m. 10 Exempl. Skarnsund (Tr) 150—200 m. 8 Exempl. — Yon 21 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. — Im Molde- und Trondh- jemsfjord häufigste Art. Größtes Exemplar: R. 87 mm, r. 7 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean südlich bis Cape Cod Ben. Greßbritannien. Ophiothrix fragilis Müller. ‚Asterias fragilis Müller (57). Fundort: Karlsöfjord (M) 30—50 m. 1 Exempl. Röberg (Tr) 200 bis 400 m. 1 Exempl. — Von 5 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: R. 49 mm, r. 6 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans von Norwegen bis Frankreich, Mittelmeer. Ophroecomanıgra Müller. Asterias nigra Müller (57). Fundort: Hjertö (M) 1—4 m. 3 Exempl. «rößtes Exemplar: R. 71 mm, r. 7 mm. Geogr. Verbreitung: Küsten von Norwegen, Großbritannien, Frank- reich. q Gorgonocephaluslineki Mülleru. Troschel. Astrophyton lincki Müller u. Troschel (55). Fundort: Röberg (Tr) 200—400 m. 1 Exempl. R. 38 mm, r. 5 mm. — In der Lophohelienzone. Geogr. Verbreitung: Nördliche europäische Küsten des Atlantischen Ozeans. HOLOTHURIOIDEA. StichophustremulusGunnerus. Holothuria tremula Gunnerus (35). Fundort: Tresfjord (M) 50—180 m. 4 Exempl. — Von 18 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: L.!) 180 mm. — Außerordentlich häufige Fjord- form. | E) Da Länge. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 9 Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean vom nördlichen Norwegen bis zur Nordküste Spaniens. Mesothuriaintestinalis Ascanius. Iolothuria intestinalis Ascanius (6). Fundort: Tresfjord (M) 50—180 m. 7 Exempl. Mekgrund (M) 120 m. 3 Exempl. Tauterö (M) 90 m. 1 Exempl. — Von einem Exemplar Her- kunft nicht angegeben. Größtes Fxemplar: L. 94 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean vom nördlichen Norwegen kis zu den Azoren, Mittelmeer, Caraibisches Meer. Cueumariahyndmanni Thompson. Holothuria hyndmanni Thompson (73). Fundort: Mekgrund (M) 120 m. 4 Exempl. — Tautra 100—150 m. 4 Exempl. Größtes Exemplar: L. 22 mm. — Von 3 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans vom Trondhjemsfjord bis Spanien, Mittelmeer. Phyllophorus drummondi Thompson ? IToiothuria drummondü Thompson (78). Fundort: Tautra (Tr) 100—150 m. 1 Exempl. — L.: 20 mm. Geogr. Verbreitung: Nördliche europäische Küste des Atlantischen Ozeans. Psolusphantapus Strußenfeldt. Ilolothuria phantapus Strußenfeld (77). Fundort: Röberg (Tr.) 200—400 m. 3 Exempl. — Von 3 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: L. 19 mm. (ieogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis England bezw. Küste von Massachusets. PsolussquamatusKoren. Cuviera squamata Koren (45). Fundort: Röberg (Tr) 200—400 m. 1 Exempl. — Von 3 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: L. 55 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, nördlicher Atlantischer Ozean von Fin- marken bis Skagerak bezw. vom St. Lorenz-Golf bis St. Georges-Bank. 10 | Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Mollusca. AMPHINEURA. Polyplacophora. ChitonHanleyiBean. Chiton Hanleyi Bean (7). Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. 1 Exempl. L. 14 mm. Lepidopleurus cancellatus Sowerby. Chiton cancellatus Sowerby (73). Fundort: Mordalsvaag (M) 140 m. 1 Exempl. L. 8 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Mittelmeer. BKepıdopleurus cinereushik Chiton cinereus Linne (46). Fundort: Karlsöfjord (M) 50—130 m. Säkken (M) 180 m. 4 Exem- plare, deren Herkunft von den einzelnen Fundorten nicht mehr zu er- mitteln war. Größtes Exemplar: L. 8 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean bis Nordafrika, Mittelmeer. rachydermon ruber-!. Chiton ruber Linne (46). Fundort: Karlsöfjord (M) 50—130 m. 2 Exempl. Größtes Exemplar: L. 5 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis Spanien, arıch an der nordamerikanischen Küste. Donieella marmorea kabrrierusr Chiton marmoreus Fabricius (23). Fundort: Hansholm (M) 30—70 m. Karlsöfjord 50—130 m. 3 Expl., deren Herkunft im einzelnen nicht mehr zu ermitteln war. Größtes Exem- plar: L. 15 mm. Schale gekörnt, nicht glatt, Körperchen der Zona klein, eilienförmig, nicht wie die von Sars abgebildeten (66). Geogr. Verbreitung: Arktis eireumpolar, Atlantischer Ozean südlich bis zur Nordsee; Nordostküste von Amerika. Aplacophora Solenopus Sarsii Koren und Dan? Solenopus Sarsü Korenu. Danielssen (18). Fundort: Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. 1 Exempl. L. 70 mm, Längen- index 20. Geogr. Verbreitung: Christiania-Fjord. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. al GASTROPODA,. Patella vulgataL. Patella vulgata Linne (46). Fundort: Hafen von Molde litoral. 25 Exemplare. Größtes Exemplar: L. 48 mm. Außerordentlich häufig in der Fucus- und Ascophyllum-Zone. Geogr. Verbreitung: Arktis, europäische Küsten des Atlantischen Ozeans südlich bis zum Mittelmeer, Nord-Afrika. Teeturavirginea Müller: Patella virginea Müller (56). Fundort: Karlsöfjord (M) 30—180 m. 3 Exempl. Skarnsund (Tr) 150—200 m. 1 Exempl. Größtes Exemplar: L. 8 mm. — Eine leere Schale. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis Nord- Afrika, Mittelmeer, St. Helena. Lepeta fulva Müller. Patella fulva Müller (56). Fundort: Mordalsvaag (M) 70—100 m. Skarnsund (Tr) 150—200 m. 3 Exemplare. Größtes Exemplar: L. 5 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis und Atlantische Küsten Nordeuropas und Nord-Amerikas. Lepeta caeca Müller. Patella caeca Müller (56). Fundort: Nicht angegeben. 1 Exemplar. L. 14 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, atlantischer Ozean, südlich bis zu den Shetlandinseln, Atlantische und Pazifische Küste Nordamerikas, Japan. Puncturella noachına Ly Puncturella noachina Linne (47). Fundort: Säkkenfjord (M) 40—180 m. 1 Exemplar. L. 6 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, nördlicher Atlantischer Ozean, Pazifischer Ozean südlich bis Japan. Emargulina erassa Sowb. Emargulina crassa Sowerby (74). Fundort: Mekgrund (M) 20—130 m. Röberg (Tr) 200—400 m. — 2 Exemplare. Größtes Exemplar: L. 36 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Subarktis des Atlantischen Ozeans. 12 Jahresbericht der Schles. Gesellsehaft für vaterl. Cultur. Margarita groenlandica Chemnitz. Margarita groenlandica Chemnitz (13). Fundort: Mekgrund (M) 50—130 m. 1 Exempl. Basisdurchmesser: 8 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zu den Shetlandinseln. Margarita obscura Couthey? Margarita obscura Couthey (15). Fundort: Hansholm (M) 90—130 m. Karlsöfjord (M) 30—120 m. Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. — 12 Exemplare. Größtes Exemplar: Basisdurchmesser 4,5 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis ceircumpolar, europäische und nord- amerikanische Subarktis. Prio:chuszcımerarıus-k. Trochus cinerarius Linne (46). Fundort: Mordalsvaag (M) 130 m. Mekgrund (M) 20—130 m. Hjertö (M) 20—30 m. Skarnsund (Tr) 150—200 m. — 5 Exemplare. Größtes Exemplar: Basisdurchmesser 12 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Subarktis südlich bis Spanien. Trochus tumidus Montagu. Trochus tumidus Montagu (53). Fundort: Röberg (Tr) 200—400 m. 1 Exempl. Basisdurchmesser 9 mm. Geogr. Verbreitung: Subarktis des Atlantischen Ozeans südlich bis Spanien. = Conulus millegranus Philippi. Trochus milligranus Philippi (61). Fundort: Karlsöfjord (M) 30—150 m. Tresfjord (M) 180 m. Säkken- fjord (M) 90 m. Mordalsvaag (M) 130 m. — 14 Exemplare, 2 von Paguriden bewohnt. { Größtes Exemplar: Basisdurchmesser 14 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Mittelmeer. Velutina laevigata Pennant. Helix laevigata Pennant (60). Fundort: Nicht angegeben. 1 Exemplar. L. 9 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis eireumpolar, Atlantischer Ozean. Natieca zroenlandıca. Beck Natica groenlandica Beck (8). Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. 1 Exempl. L. 11 mm. I. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 13 Geogr. Verbreitung: Arktis circumpolar, Atlantischer Ozean südlich bis zur Doggerbank. Littorina littorea L. Turbo littoreus Linne (46). Fundort: Rotvoldbugt (Tr) litoral. Moldefjord litoral. — 28 Exempl. Größtes Exemplar: L. 30 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Europäische Küste südlich bis Spanien, Ostküste von Nordamerika. Bittorina.nudis Donovan. Turbo rudis Donovan (19). Fundort: Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. 10 Exempl. Größtes Exemplar: L. 7 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis circumpolar, Atlantischer Ozean südlich bis zum Mittelmeer, Atlantische und Pazifische Küsten von Nordamerika. Littorina obtusata L. Turbo obtusatus Linn& (46). Fundort: Säkkenfjord (M) 20—100 m. Hjertö (M) litoral. Rot- voldbugt (Tr) litoral. Skarnsund (Tr) litoral. — 76 Exempl. Größtes Exemplar: L. 14 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans südlich bis Spanien; Ostsee, Nordsee. TurrbiellassvereobrasT: Turbo terebra Linn& (46). Fundort: Hafen von Molde 30 m. 3 Exemplare. 1 mit Paguride. Größtes Exemplar: L. 37 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans südlich bis zum Mittelmeer. Asp orr.hausıpes- pele aan 12. Strombus pes-pelecani Linne (46). Fundort: Molde litoral bis 20 m. Mekgrund (M) 120 m. — 22 Exempl. Größtes Exemplar: L. 16 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans südlich bis zum Mittelmeer. Bela Mörchii Malm () Trophon Mörchü Malm (52). Fundort: Trondhjem literal. 1 Exempl. — L. 7 mm. Geogr. Verbreitung: Küste von Norwegen Mittelmeer. 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Nassa reticulata Li Buccinum reticulatum Linne (46). Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. 1 Exempl. L. 24 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, europäische Küsten des Atlantischen Ozeans südlich bis zum Mittelmeer, Schwarzes Meer. PurpuralapillusL. Buccinum lapillu Linne (46). Fundort: Mordalsvaag (M) litoral. Hjertö (M) litoral. Röberg (Tr) litoral. — 11 Exempl. Größtes Exemplar: L. 32 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis eircumpolar, Atlantischer Ozean südlich bis Spanien. Buceinum undatum L. var. typiea. Buccinum undatum Linne (46). Fundort: Hafen von Molde 30 m. Säkkenfjord (M) 50—70 m. Skarnsund (Tr) 150—200 m. — 10 Exempl. Die vorliegenden Individuen der sehr stark variierenden Art differieren in der Form zwischen var. typica und var. coerulea Sars (66). 2 Exemplare sind sogar noch schlanker und ähneln Buccinum conoideum Sars (66). 1: Exemplar. mit Podocoryne carnea,- vieles mit Eupagurus. Größtes Exemplar: L. 37 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans südlich bis Frankreich. Bueeinum undatum L. var. zetlandicum Korps Buccinum from Zetland Forbes (25). | Fundort: Säkkenfjord (M) 45 m. Tresfjord (M) 50—180 m. — 2 Exempl. Größtes Exemplar: L. 30 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean südlich bis Schottland. Bweeinum groenlandicum Chemn. var. patulaasams: Buccinum groenlandicum Chemn, var. patula Sars (66). Fundort: Röberg (Tr) 200—400 m. 1 Exempl. L. 13 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis eircumpolar, Atlantischer Ozean südlich bis Spanien, Mittelmeer, Atlantische und Pazifische Küste von Nord- Amerika. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 15 Nreptumea despecta L. var carınata Pennant. Murex carinatus Pennant (60). Fundort: Haugshoim (M) 180 m. Säkken (M) 45—180 m. Tautra (Tr) 100—150 m. Skarnsund (Tr) 150—200 m. Rotvoläabugt (Tr) 50—100 m. ii Exempl. Größtes Exemplar: L. 68 mm. — Häufig mit Adamsia pallıata. Geogr. Verbreitung: Arktis, Subarktis des Atlantischen Ozeans, Japan. Srpyhyor alaber Verkrüzen var gracilis Da Costa. Sipho gracilis da Costa (16). Fundort: Röberg (Tr) 200—400 m, Skarnsund (Tr) 150—200 m. 1 Exempl., eine leere Schale. — Mit Podocoryne carnea und Eupagurus. Größtes Exemplar: L. 44 mm. Geogr. Verbreitung: Der var. gracilis Nordsee. Scaphander lignarius L. Bulla lignaria Linne (46). Fundort: Tresfjord (M) 50—180 m. Mekgrund (M) 120 m. Rot- voldbugt (Tr) 50—100 m. — 16 Exemplare. Größtes Exemplar: L. 32 m. Sars (66) gibt die Länge von Scaphander lignarius mit nur 28 mm. an. Geogr. Verbreitung: Nördliche europäische Küsten des Atlantischen Ozeans. Lamellidoris muricata Müller. Doris muricata Müller (57. Fundort: Veö (M) 10 m. Hunderte von Exemplaren auf Lami- naria. Mekgrund (M) 50-120 m. Hjertö (M) 5—20 m. Skarnsund (Tr) 150—200 m. — Zahlreiche Exemplare. Größtes Exemplar: L. 6 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean südlich bis zur britischen Küste. Triopa claviger Müller. Doris clavigera Müller (57). Fundort: Hjertö (M) 5—20 m. 1 Exemplar. L. 11 mm. Geogr. Verbreitung: Norwegen, Küste Großbritanniens. Doto fragilis Forbes. Doto fragilis Forbes (29). Fundort: Röberg (Tr) 200—400 m. 1 Exempl. L. 9 mm. Zahl der Kiemen 16, nicht 18. Geogr. Verbreitung: Norwegen, Küste Großbritanniens. 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, Aeolis sp. Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. 2 Exempl. Größtes Exemplar: L. 9 mm. Spitzen der Kiemen weiß, Kiemen sehr zahlreich, Antennen kurz. Vielleicht Aeolis papillosa L. Dentalium entalis L. Dentalium entalis Linne& (46). Fundort: Hafen von Molde 20—30 m. Mordalsvaag (M) 80—100 m. Säkken (M) 40—50 m. Tautra (Tr) 100—150 m. — 12 Exempl. Größtes Exemplar: L. 33 mm. ; Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Kanal. Dentalium. striolata-Stimpson. Entalis striolata Stimpson (76). Fundort: Tautra (Tr) 100—150 m. 2 Exempl. Größtes Exemplar: L. 30 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zu den Shetlandinseln. LAMELLIBRANCHIATA. Anomia ephippium.k. Anomia ephippium Linne (46). Fundort: Säkkenfjord (M) 40—180 m. Mordalsvaag (M) 90 m. Röberg (Tr) 200—400 m. — 5 Exempl. Größtes Exemplar: L. 35 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean, Pazifische Küste Nord- Amerikas. Anomia ephippium L. var. squamula. Anomia ephippium Linne& (46). Fundort: Hafen von Molde 20—30 m. Mekgrund (M) 30—120 m. Röberg (Tr) 200-400 m. — Zahlreiche Exemplare. Größtes Exemplar: Durchmesser 15 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantische Küsten Europas, Mittelmeer, Schwarzes Meer. Anomia ephippium L. var. aculeata, Milben Anomiqa ephippium L. var. aculeata Müller (56). Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. 1 Exempl. Durchmesser 7 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantische Küsten Europas, Mittelmeer. II. Abieilung. Zoologisch-botanische Sektion. 17 Beeten islandieus Müller. Pecten islandicus Müller (56). Fundort: Mordalsvaag (M) 90 m. Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. — 1 Exempl. 1 Schale L. 25 mm. Höhe 28 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Subarktis des Atlantischen Ozeans südlich bis Norwegen, Japan. Becten triradıatus Müller. Pecten triradiatus Müller (56). Fundort: Mekgrund (M) 30—120 m. Mordalsvaag (M) 90 m. Tautra (Tr) 100—150 m. Röberg (Tr) 200—400 m. — 4 Exempl. 5 leere Schalen- hälften. Größtes Exemplar: L. 24 mm. Höhe 23 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans. Pieeten‘tisrinus. Müller. 2 Pecten tigerinus Müller (56). Fundort: Mordalsvaag (M) 90 m. 1 Exempl., 1 Schalenhälifte. L. 14 mm., Höhe 15 mm. Geogr. Verbreitung: . Arktis, europäische Küste des Atlantischen Ozeans südlich bis Spanien. Pecten Hoeskynsk,Korbes. Pecten Hoskynsi Forbes (26). Fundort: Mordalsvaag .(M) 90 m. Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. Skarnsund (Tr) 150—200 m. — 3 Exempl. Größtes Exemplar: L. 15 mm. Höhe 16 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis und Subarktis des Atlantischen Ozeans südlich bis Norwegen. Peceten vitreus, Chemnitz. Pallium vitreum var. papyraceum Chemnitz (14). Fundort: Mekgrund (M) 20—130 m. Röberg (Tr) 200—400 m. Skarn- sund (Tr) 150—200 m. — 5 Exempl. Größtes Exemplar: L. 19 mm. Höhe 19,5 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean südlich bis Spanien, Mittel- meer, Südpatagonien. Eıma hians Gmelın. Lima hians Gmelin (30). Fundort: Hjertö (M) 35 m. 1 Exempl. L. 16 mm. Höhe 28 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean südlich bis zu den kana- rischen Inseln, Mittelmeer. 1913. 2 i8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Lima excavata Fabricius. Ostrea excavata Fabricius (22). Fundort: Röberg (Tr) 200—400 m. 4 Exempl. Größtes Exemplar: L. 100 mm. Höhe 150 mm. Dicke 50 mm. Das Ohallenger-Exemplar ist in der Mitte glatt, die Sulei der Peripherie punktiert. Vorliegende Exemplare haben unpunktierte Peri- pheriesulei; Mitte glatt. Geogr. Verbreitung: Küste von Norwegen, Japan, Süd-Patagonien. Mytilusedulis T. Mytilus edulis Linn& (46). Fundort: Mekgrund (M) 30—120 m. Skarnsund (Tr) 150—200 m. — 3 Exempl. Größtes Exemplar: L. 30 mm. Im ganzen Molde- und Trondhjemsfjord außerordentlich häufig. Hafenpfähle und Hafenmauern werden in einer Höhe von mehreren Metern vollkommen überkleidet von einer Schicht lebender Miesmuscheln, die nach oben abgelöst wird durch die Zone der Balaniden. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Mittelmeer, Kerguelen, Neuseeland. Modiola modiolus L. Myiilus modiolus Linne& (46). Fundort: Hjertö (M) 20—30 m. Mekgrund (M) i20 m. Mordalsvaag (M) 130 m. Tautra (Tr) 100—150 m. Röberg (Tr) 39 m. Skarnsund (Tr) 150—200 m. — 22 Exempi.; meist kleine. 2 Schalenhälften. Größtes Exemplar: L. 135 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Kanal. Modiola phaseolina Philippi. Modiola phaseolina Philippi (6i). Fundort: Röberg (Tr) 200—409 m. 1 Exempl. L. 16 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean, Mittelmeer. Modiolaria nigra Gray. Modiola nigra Gray (81). Fundort: Röberg (Tr) 200—400 m. — 2 Exempl. Größtes Exemplar: L. 25 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, nördlicher Atlantischer Ozean. Leda minuta Müller. Arca minuta Müller (56). Fundort: Tautra (Tr) 100—150 m. Moldefjord. — 3 Exempl. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 19 Größtes Exemplar: L. 12 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zur Nord- see bezw. Massachusetts, Pazifische Küste Nord-Amerikas, Japan. ATCapectunculoides Scacch. Ärca pectunculoides Seacchi (72). Fundort: Tautra (Tr) 100—150 m. Skarnsund (Tr) 150—200 m. — 2 Exempl. Größtes Exemplar: L. 7,5 mm. Die 3 vorliegenden Exemplare haben vorn 3 bis 4, hinten 5 Zähne. Sie sind am Rande behaart, wie für Forma septentrionalis Sars (66) charakteristisch. Dagegen stehen sie hinsichtlich ihrer Länge der Forma typica von Sars (66) näher. Nach Sars: Forma typica 5 mm lang, vorn 3—4, hinten 5 Zähne. Forma septen- trionalis L. 11 mm, vorn 5—6, hinten 7—8 Zähne. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Mittelmeer, West-Indien. Ines na.b:omte ans Lucina borealis Linne (46). Fundort: Hafen von Molde 20—80 m. 5 Schalenhälften. Größtes Exemplar: L. 13 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Mittelmeer. Gardaumefaschatum. Montagen: Cardium fasciatum Montagu (53). Fundort: Hjertö (M) 20—30 m. Mordalsvaag (M) 90 m. Tautra (Tr) 100—150 m. — 2 Exempl., 4 Schalenhälften. Größtes Exemplar: L. 14 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis Nord- Afrika. Cardium sueceicum Reeve. Cardium suecicum Reeve (62). Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. — 1 Exempl. L. 8 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean südlich bis Großbritannien, Mittelmeer. Cyprina ıslandıca L Venus islandica Linne (46). Fundort: Mordalsvaag (M) 100 m. Kjerringssund (M) 90 m. Rotvold- bugt (Tr) 56°—100 m. — 3 Exempl. Größtes Exemplar: L. 65 mm. 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. Geogr. Verbreitung: Arktis, europäische Küsten des Atlantischen Ozeans, südlich bis Frankreich, Nord-Amerika. Astarte sulcataDa Costa. Pectunculus sulcatus Da Costa (16). Fundort: Hestholm (M) 120 m. Mordalsvaag (M) S0—120 m. Röberg (Tr) 200—400 m. Tautra (Tr) 100—150 m. — 20 Exemplare. Größtes Exemplar: L. 20 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis Spanien, Nord-Amerika. Astarte borealis Chemnitz. Venus borealis Chemnitz (14). Fundort: Röberg (Tr) 200—400 m. 2 Exempl. Größtes Exemplar: L. 26 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Ätlantischer Ozean südlich bis Schott- iand. Venus gallina L var striatula Dazcosıuz Pectunculus striatulus Da Costa (16). Fundort: Strand von Trondhjem litoral. — 5 Exempl. Größtes Exemplar: L. 26 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Mittelmeer. Mactra elliptica Brown. Mactra elliptica Brown (12). Fundort: Hafen von Trondhjem 5 m. Rotvoldbugt (Tr) 50—-100 m. — 3 Exempl. Größtes Exemplar: L. 14 mm. Geogr. Verbreitung: Küste von Norwegen und Großbritannien. Abra alba Wood. Mactra alba Wood (82). Fundort: Rotvoldbugt (Tr) 50—100 m. 5 Exempl. Größtes Exemplar: L. 9 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Mittelmeer, Schwarzes Meer. Abra prismatica Montagu. Ligula prismatica Montagu (53). Fundort: Hafen von Molde 20—30 m. 1 Exempl. L. 16,5 mm. Sars (66) gibt die Länge von Abra prismatica mit nur 14 mm an. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Mittelmeer, Schwarzes Meer. Er De II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 21 Poromya granulata Westendorp. Poromya granulata Westendorp (81). Fundort: Mordalsvaag (M) 90 m. — 1 Exempl. L. 6 mm. Geogr. Verbreitung: Subarktis des Atlantischen Ozeans südlich bis zu | den Shetlandinseln bezw. dem Goli von Mexiko. Nesera rostrata Spengler. Mya rostrata Spengler (75). Fundort: Mordalsvaag (M) 50—100 m. Mekgrund (M) 30—120 m. Tautra (Tr) 100—150 m. — 2 Exempl. 1 leere Schale. Größtes Exemplar: L. 20 mm. Geogr. Verbreitung: Arktis, Atlantischer Ozean südlich bis zum Mittelmeer. Dailkca yaa, a Ticker Mya arctica Linne (46). Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. Tautra (Tr) 100—150 m. Röberg (Tr) 200—400 m. Hjertö (M) litoral. — 12 Exempl. 1 leere Schalenhälfte. Größtes Exemplar: L. 20 mm. 2 Exemplare völlig stachellos. Häufig inMelonanchoraemphysema. Geogr. Verbreitung: Kosmopolitisch. CEPHALOPODA. Rossiapalpebrosa Owen. Rossia palpebrosa Owen (58). Fundort: Tresfjord (M) 180 m. 1 junges Exempl. Säkken (M) 40 m. 4 Embryonen. Die Unterschiede zwischen R. palpebrosa 0. und R. macrosoma D. Ch. sind außerordentlich gering. Hoyle (42) gibt an, daß bei R.palpebrosa die Flossen weiter vorn angesetzt Sind, und die Arme ausgesprochene Längenunterschiede zeigen. Diesen Unter- schieden mißt Appellöf (4) mit Recht nur eine untergeordnete Bedeu- tung bei, zumal die Stellung der Flossen ‚individuellen Variationen unterliegt“. Als neues zuverlässiges Unterscheidungsmerkmal erweist sich nach Appellöf das Größenverhältnis der Tentakelsaugnäpfe: Während bei R.macrosoma die Saugnäpfe der oberen Reihen in der unteren Hälfte der Keulen wenigstens 4—5 Mal so groß wie die unteren sind, besteht beiR.palpebrosa ein derartiger Größenunterschied nicht. Nach der Spitze zu nehmen die Tentakelsaugnäpfe bei R. palpebrosa an Größe ganz allmählich ab; sie stehen hier in 5—6 Reihen. BeiR.macrosoma erfolgt die Größenabnahme nach der Spitze zu schneller; die entsprechende 23 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Zahl der Reihen beträgt hier 9—10. Bei Berücksichtigung dieses Unter- scheidungsmerkmales können vorliegende Exemplare mit Sicherheit als Rossiapalpebrosa identifiziert werden. Kleine weißliche Rücken- papillen, wie se Appellöf von dem Exemplar der norwegischen Nord- meer-Expedition erwähnt, und wie sie — stärker ausgeprägt und zahl- reicher — für Rossia glaucopis charakteristisch sind, fehlen den von mir untersuchten Individuen aus dem Moldefjord völlig. Dagegen ist bei allen Exemplaren eine kleine membrana ombrellare vorhanden. Total- ® : Länge Länge Größte Breite L Breite ® o länge a der der Breite |d. Kopfes einschl, der der Greif- sessilen des oberhalb Tentakel | Segel Segel | Tentakel| Tentakel! Körpers 8 Augen Be 14 mm ! 3,5 mm I 2,5 mm 9 mm /5--7mm! 6 mm D mm Embryonen | 14 mm | 3,5 mm | 3,0 mm I4-5mm! 5 mm 5 mm 5 mm Die Embryonen erreichen also, abgesehen von der Länge der Tentakel, und insbesondere der Greiftentakel, die bei ihnen fast um die Hälfte kleiner sind, die Maße des ausgeschlüpften Tieres vollkommen und standen demnach wahrscheinlich selbst nur noch kurze Zeit vor dem Aus- schlüpfen. Sie fanden sich im Innern eines ziemlich großen Exemplares von Mycale lingua Bwk., in welchem sie getrennt voneinander lagen und noch von der Eikapsel umgeben waren. Diese Eikapsel besteht aus zwei selbständigen Schichten: Einer äußeren, pergamentartigen von weiber Farbe, im Innern opaleszierend, die mit dem Schwammkörper förmlich verwachsen war — nur schwer ließ sie sich von den daran haftenden Schwammnadeln befreien — und einer inneren glasartig durch- sichtigen, widerstandsfähigen, die auch bei Zerstörung der äußeren Hülle erhalten blieb. Die eigentümliche Tatsache, daß sich die Embryonen im Innern eines Schwammes fanden, ist kein Zufallsbefund. Manche Cephalopoden legen ihre Eier regelmäßig oder doch mit Vorliebe an einer und derselben Hydro- idenart oder Korallenkolonie und dergl. ab. So findetmannach Jatta (43) die Eier von Sepia orbygniana fast immer an Antennu- laria, die von Rossia macrosoma meist an Isidella elon- gata; Sepia officinalis befestigt seine Eier häufig an Gor- gonia. Auch Loligo vulgaris bevorzugt hierfür Anthozoen. Ob den jungen Cephalopoden aus der Nachbarschaft der Korallen oder Hydroiden irgend welche Vorteile erwachsen und welcher Art diese sind, entzieht sich vorläufig der Beurteilung. Anders bei einer Reihe von II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 33 Tintenfischen, die ihre Eier gewohnheitsgemäß in Schwämme ablegen. So fand Jatta die Eier von Sepia elegans in einem Schwamme (Reniera cratera?) auf. Viallanes (80) beschreibt das Gelege einer Sepia (rupellaria oder orbygniana?) in Suberites fieus: Die getrennt liegenden Eier zeichneten sich durch eine sehr dünne Eihülle aus und waren stets in gutem Zustande bezw. dem Ausschlüpfen nahe. Lönnberg (49) erwähnt das Vorkommen von Eiern und Jungen von Rossia Oweniin einer Esperia (Mycale), und G. O. Sars (66) fand bei den Lofoten Eier von Rossia glaucopis „i blöde Spongier“. Von demselben Cephalopoden entdeckte auch Appellöf (3) Eier in einem Schwamm (Chalina) und Grieg ebenfalls solche in Theneamuricata (34) undMycalelingua.!) Zweifellos gewährt diese eigentümliche Art der Eiablage den Jungen eine erhöhte Sicherheit; wir dürfen hier also wohl von einem Akt der Brutpflege sprechen. Daß wir es aber mit einer Symbiose zu tun haben, wie das Viallanes glaubt, ist unwahrscheinlich. Mit mehr Berechti- gung kann man meiner Ansicht nach hier von einem Raumparasitismus sprechen, ganz ähnlich dem der jungen Bitterlinge in Unio. Geogr. Verbreitung: Norwegische Küste, Mittelmeer. Tunicata. Während die Tunieatenfauna des Moldefjords bisher noch nicht unter- sucht worden ist, sind die Ascidien des Trondhjemsfjords durch Herd- man (41), der das MaterialvonRev.CanonNorman bestimmte, und Hartmeyer (38), der die Kollektion von Th. Mortensen bear- beitete, bekannt geworden. Insgesamt wurden von beiden Autoren für den Trondhjemsfjord 15 Arten nachgewiesen, wozu vielleicht noch 3 Arten hinzukommen, deren Bestimmung Herdman nur bis zum Genus durchführte. r Von diesen. 15 Spezies fanden sich in dem von der ersten Schott- länderiehrexpedition gesammelten Material 7 Arten wieder, nämlich Tethyumloveni (Sars), Pandociapomaria (Sav.), Znaklusıa obliqua’(Ald., Phallusia virsinea-. (Müll), eromar ıntestinalis (LE), Corella’ parallelogramma (Müll), Didemnum tenue (Herdman). Für den Trondhjems- fjord bisher noch nicht nachgewiesen ist Synoicuminerustatum (Sars). Vielleicht ebenfalls neu für den Trondhjemsfjord, möglicher- 1) J. Grieg: Invertebres du Fond. In: Philippe Duc D’Orleans” Croisiere Oceanographique Accomplie aA Bord de la“Belgica dans la Mer du Grönland 1905. Bruxelles 1907. 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. weise identisch mit der vonHerdman als Psammaplidiumsp.n. erwähnten Form ist die von mir als Aplidium sp. bezeichnete Form. Bemerkenswert ist das Fehlen von Ascidiella aspersa (Müller) in vorliegender Sammlung, da dieses Material nicht nur der tiefen Zone entstammt, wie das von Mortensen gesammelte (150 bis 300 m), sondern zum Teil auch der Litoralzone (2-50 m) entnommen wurde. Es beweist dies natürlich nicht, dad Ascidiella aspersa dem Trondhjemsfjord überhaupt fehlt. Die mir vorliegenden Ascidien aus dem Moldefjord verteilen sich auf folgende Arten: Pandocia pomaria (Sav.), Phallusia men- tula (Müll), Phallusiaobliqua (Ald.), Phallusiaconehi- lega (Müll), Phallusia virginea (Müll), Ciona inteswi- nalis (Müll), Corellaparallelogramma (Müll), Didem- num tenue (Herdm.). Die Gesamtartenzahl der von der Schott- länder-Expedition erbeuteten Tunicaten beträgt demnach 11 Arten. Einige Synasciden blieben unbestimmt. Tethyum loveni Sars. Ascidia loveni Sars (68). Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. 8 Exempl. Größtes Exemplar: Basisdurchmesser 8 mm, L. 4 mm. Alle gehören der flachen Varietät Hartmeyers (37) und Kiaers (44) an. Geogr. Verbreitung: Arktis und europäische Subarktis. Pandociapomaria Savigny. Cynthia pomaria Savisny (71). Fundort: Hafen von Molde 20—30 m. 2 Exempl. Mekgrund (M) 130 m. 2 Exempl. Skarnsund (Tr) 150—200 m. 4 Exempl. Von 4 Exempl. Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: L. 27” mm. Häufig auf Lophoheliaproli- fera und leeren Schalen von Aporrhais pes pelecani. Geogr. Verbreitung: Arktis, europäische Küsten des Atlantischen Ozeans, Mittelmeer. Corella parallelogramma Müller. Ascidia parallelogramma Müller (56). Fundort: Karlsöfjord 25—40 m. Mordalsvaag (M) 40—160 m. Tautra (Tr) 100—150 m. 3 Exempl. Skarnsund (Tr) 150—200 m. 1 Exempl. — Von 20 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: L. 25 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küste des altlantischen Ozeans, Mittelmeer, II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 35 Phallusia mentula Müller. Ascidia mentula Müller (56). Fundort: Mekgrund (M) 50—100 m. 2 Exempl. Säkken (M) 45 m. 6 Exemp!. Größtes Exemplar: L. 142 mm. Die Ingestionsöffnung liegt bei allen 8 Exemplaren terminal; die Egestionsöffnung etwa in halber Höhe nach hinten verlagert; seitlich kom- primiert. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans, Mittelmeer. Bhallısıa obliquwa Alder. Ascidia obligqua Alder (2). Fundort: Mekgrund (M) 45 m. Karlsöfjord (M) 30—45 m. Hjertö (M) 40—200 m. Röberg (Tr) 200—400 m. Skarnsund (Tr) 150—209 m. Mordalsvaag (M) 50—180 m. — 24 Exempl. Größtes Exemplar: Größter Basisdurchmesser 68 mm. Die Tiere variieren in Aussehen und Form ziemlich stark. Bei mehreren Individuen zeigt der Innenkörper rote Pigmentierung. Geogr. Verbreitung: Arktis und nordatlantischer Ozean. Phallusia conchilega Müller. Ascidia conchilega Müller (56). Fundort: Mekgrund (M) 50—130 m. — 8 Exempl. Größtes Exemplar: L. 55 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans, Mittelmeer. Phallusia virginea Müller. Ascidia virginea Müller (56). Fundort: Hjertö (M) 30 m. 6 Exempl. Mekgrund (M) 50-130 m. 2 Exempl. Säkken (M) 40 m. 2 Exempl. Mordalsvaag (M) 50-180 m. 2 Exempl. Röberg (Tr) 200400 m. 4 Exempl. — Von 4 Exemplaren Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: L. 90 mm. — Die Art ist sowohl im Trondhjems- fjord als auch im Moldefjord sehr häufig. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten des Atlantischen Ozeans, Mittelmeer. CionaintestinalisL. Ascidia intestinalis Linn& (46). Fundort: Säkken (M) 30 m. 27 Exempl. Tautra (Tr) 100—150 m. 1 Exempl. — Auf Laminaria. Größtes Exemplar: L. 60 mm. Geogr. Verbreitung: Kosmopolitisch. 26 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Didemnumtenue Herdman. ? Leptoclinum tenue Berdman (29). Fundort: Mekgrund (M) 50—130 m. Tautra (Tr) 100—150 m. Skarn- sund (Tr) 150—200 m. — 18 Kolonien. Meist in Form flacher Überzüge auf Lophohelia prolifera, Pandocia pomaria, Hy- droiden usw., gelegentlich auch keulenförmig und kugelförmig. Größte Kolonie: L. 40 mm, Breite 15 mm, Dicke 5 mm. — Die Fort- sätze der Kalkkörperchen sind wenig spitz. Geogr. Verbreitung: Europ. Subarktis des Atlantischen Ozeans, West- indien, Küste von Patagonien. Aplidium sp. Fundort: Nicht angegeben. 1 Exempl. Kolonie halbkugelförmig; größter Durchmesser 16 mm. Höhe 10 mm. Sitzend, anscheinend von der Unterlage abgerissen. Systeme: Nicht zu erkennen. Farbe: Rotviolett. Zellulosemantel: Knorpelig, ohne Kalkkörperchen, mit einzelnen kleinen Sandkörnchen inkrustiert, nicht nur oberflächlich, sondern in allen Teilen des gemeinsamen Cellulosemantels. Einzeltiere: Senkrecht zur Oberfläche angeordnet; klein: 2—3 mm. Ingestionsöffnung: 6lappig. Egestionsöffnung: Mit gelapptem Rande; nicht sehr weit von der Ingestionsöffnung entfernt. Mit dreiteiliger Analzunge. Faltung des Magens: Nicht zu erkennen. Darm: Bildet eine kurze enge Schlinge. Postabdomen: Kurz, so lang als der Thorax. Es ist möglich, daß diese Form identisch ist mit der von Herd- man (4) als Psammaplidium sp. n. bezeichneten Art. BymoLcumıncrustatumsars. Amaroueium incrustatum Sars (68). Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. 2 Exemplare auf Pandocia pomaria. Die größere der beiden kugelförmigen Kolonien hat einen Durchmesser von 8 mm. Das Vorkommen dieser Art im Trondhjemsfjord wird weder von Herdman noch von Hartmeyer erwähnt. Geogr. Verbreitung: Arktis und europäische Subarktis. Pisces. Da im Verlaufe der Expedition das eigentliche Fischnetz, abgesehen von einem einzigen Male, nicht in Anwendung kam, sondern fast aus- schließlich mit Grunddredgen gearbeitet wurde, ist die Zahl der er- II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. DHL, beuteten Fische sehr gering: 10 Exemplare, die sich auf 8 Arten ver- teilen. Es handelt sich fast bei allen um kleine, junge Individuen. Alle sind Grundbewohner. Untersuchungen des Mageninhalts wurden nicht vorgenommen. CottusscorpiusBloch. Cottus scorpius Bloch (9). Fundort: Mekgrund (M) 54 m. 1 Exempl. L. 77 mm, Zahl der Pyloruscaeca 9. Von der Beschreibung Günthers (36) weicht vorliegendes Exemplar insofern ab, als die Dorsalflosse 9/16, die Analflosse 13 Flossen- strahlen anstatt D. 10/14 A. 11—12 aufweist. Geogr. Verbreitung: Küsten von Großbritannien, Nord- und Ostsee. Gobius ruthensparri Euphrasen. Gobius ruthensparri Euphrasen (22). Fundort: Hjertö (M) 2 m. 1 Exempl. L. 45 mm. Geogr. Verbreitung: Nordsee, nördliche Atlantische Küsten. Callionymus|lyraLl. Callionymus lyra Linn& (46). Fundort: Tresfjord (M) 50 m. 1Exempl. Mordalsvaag (M) 50 m. 1Exempl. — Das eine Exemplar ist ein geschlechtsreifes Männchen mit stark aus- gebildeter Penispapille, sehr langem ersten Dorsalstrahl, vorstehendem Maul und der typischen von Günther (36) beschriebenen Färbung. Das zweite Exemplar ist anscheinend ein Weibchen, Penispapille nicht zu erkennen. Erster Dorsalstrahl nieht ungewöhnlich lang. Färbung wie bei Günther beschrieben. L. des Männchens 72 mm, des Weibchens 75 mm. Geogr. Verbreitung: Europäische Küsten ‘des Atlantischen Ozeans, Mittelmeer. Eiparnısevulearıs Rleming, Liparis vulgaris Fleming (24). Fundort: Skarnsund (Tr) 30 m. 1 junges Exempl. L. 24 mm. Geogr. Verbreitung: Atlantische Küsten des nördlichen Europa. Centronotus gunellus L. Blennius gunellus Linne6 (46). Fundort: Sundsbö (M) 10 m. 1 Exempl. L. 80 m. Weicht von der Beschreibung, die Günther (36) gibt, insofern ab, als nieht nur der Kopf und die Schwanzflosse sondern der ganze Körper mit kleinen schwarzen Flecken übersät ist. Geogr. Verbreitung: Atlantischer Ozean südlich bis Frankreich. 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Centronotus fasciatus Bloch. Centronotus fasciatus Bloch (11). Fundort: Hafen von Molde: Ebbezone. 1 Exempl. L. 108 mm. Geogr. Verbreitung: Nach Günther (86) nur Grönland. Hippoglossoides limandoides Bloch. Pleuronectes limandoides Bloch (10). Günther (86) gibt an, die Zahl der Flossenstrahlen der Dorsalflosse va- riiere von 82--87. Vorliegendes Exemplar besitzt nur 81 Dorsalflossen- strahlen, stimmt aber sonst völlig mit der Beschreibung Günthers überein. Geogr. Verbreitung: Küsten des nördlichen Europa. Glyptocephalus eynoglossus L. Pleuronectus cynoglossus Linn& (46). Fundort: Skarnsund (Tr) 150—200 m. 1 Exempl. Von einem Exemplar Herkunft nicht angegeben. Größtes Exemplar: L. 250 mm. Geogr. Verbreitung: Küsten des nördlichen Europa, Nord-Amerika. Übersicht über die Artenverteilung der von der ersten Lehrexpedition der Schottländer-Stiftung erbeuteten Echinodermen, Molluscen, Tunicaten und Fische. Gesamt- Trondh- | Gemein- | Herkunft Moldefjord! . Ä nicht an- zahl jemsfjord sam gegeben Grmoidea . . 2 1 — i — —— Echinoidea. . . 4 2 2 B) Asteroidea.... 16 9 11% 6 5 Ophiuroidea ... . 119 8 8 5 5 Holothurioidea . . 6 3 4 il 5 Amphineura .... 6 4 2 — 7 Gastropoda. . . . 33 21 23 13 2 Lamellibranchiata 29 19 24 14 — Cephalopoda.. .. ıl 1 — — — ABunicatar a. Jal: 8 8 6 4 IISCEBs in... ans 8 5 3 _— 1 we II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 39 Dank einer liebenswürdigen brieflichen Mitteilung von Herrn Kon- servator Dr. Grieg kann ich die Notiz über bisher im Moldefjord vor- senommene zoologische Untersuchungen (5) folgendermaßen ergänzen: im Jahre 1858 hielt sich Danielssen zwecks faunistischer Studien am Moldefjord auf. In seinem Bericht (17) beschränkt er sich auf die hierbei gesammelten Crustaceen, Würmer, Molluseen und Echinodermen. Im fol- senden Jahre dredgte M. Sars (69) vor Molde, brach aber seinen Aufent- halt sehr bald ab, da inm die Ausbeute hier zu wenig lohnend erschien. Sie beschränkt sich auf folgende Arten: Scaphander lignarius, Voluta tornatilis, Arca tetragona, Isocardia cor, Cirolana borealis, Onuphis tubicola, Ophiodromus vırtatus, Clymene mülleri,- Thyone fusus, Thyone Baphanus,. Cucumarıa elongata, Cueumaria hynd- names Brussopsis |yriftera, Luidia Sarsiı, Ophiura earnea3,Amphiurafiliformis,Edwardsiatuberculata. — Später haben auch Lilljeborg und G. O. Sars dort gearbeitet. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen finden sich in verschiedenen Spezial- abhandlungen zerstreut. Als letzter nahm Herdman (40), der sich während der Sammelreise der „Argo‘ einen Tag im Moldefjord aufhielt, hier einen Plankton- und einen Dredgezug vor, erbeutete aber nur einen Kophobelemnon, 6 Copepodenarten sowie Ceratium tripos. Zitierte Literatur. 1. Agassiz, A.L.: Report on the Echini, Reports on the Results of Dredging by the „Blake“. — In: Mem. Mus. Harvard, Coll. v. X. 1880. 2. Alder, J.: Observations on the British Tunicata, with description of several new species. — In: Ann. Mag. Nat. Hist. Ser. IH. V. 11. London 1863. 3. Appellöf, A.: Om Bergensfjordenes faunistike präg.. — In: Bergens Museums Aarsberetning For 1891, Bergen 1891. 4. — Bemerkungen über die auf der norwegischen Nordmeer - Expedition (1876—78) gesammelten Cephalopoden. — In: Bergens Museums Aarbog 1892. 5. Arndt, W.: Zoologische Ergebnisse der ersten Lehrexpedition der Dr. P. Schottländer’schen Jubiläums - Stiftung, I. Coelenterata, Bryozoa, Brachiopoda und Pyenogonidea. — In: Jahresbericht d. Schles. 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Im Jahre 1864 veröffentlichte Müller Argoviensis in der Botanischen Zeitung zum ersten Male seine Entdeckung, daß die Samen einer Anzahl Gattungen australischer Euphorbiaceen nicht wie gewöhnlich einen flachen, breitlappigen Embryo aufweisen, sondern mit einem meist geraden, schmallappigen Keimling versehen sind, bei dem die Kotyledonen eine halbeylindrische Gestalt besitzen und nicht oder kaum breiter sind als das Stämmchen. Diese Entdeckung, die in der Folge als richtig er- kannt wurde, ermöglichte es nun, daß die betreffenden Gattungen, deren II. Abteilung Zoologisch-botanische Sektion. 33 Stellung im System wegen starker Abweichungen bisher eine schwankende war, unter neuen Gesichtspunkten behandelt und bearbeitet werden konnten. Auch Bentham und Hooker f. nahmen die von Müller iin De Candolle’s Prodromus (Band XV. 2) durchgeführte neue Einteilung der Euphorbiaceen in Breitsamenlappige (Platylobeae) und Schmal- samenlappige (Stenolobeae) in ihrem 1883 erschienenen III. Band der „Genera Plantarum“ an. Nur beging Bentham den Irrtum, dab er eine außerhalb Australiens, in den Anden Chiles, Perus und auf der - Insel Juan Fernandez wachsende Pflanze, Dysopsis glechomoides (Rich.) Müll. Arg., den Stenolobeen zurechnete. Der Vortragende hat ver- schiedene Embryonen der kleinen Samen von Dysopsis herauspräpa- riert und mikrometrisch gemessen, wobei sich ergab, daß diese Keimlinge zwar gerade und hinsichtlich der Keimblätter kaum breiter als das Würzel- chen waren, daß sie aber, auf die Seite gelegt, stark flachgedrückt er- schienen und daher keineswegs zylindrische Gestalt zeigten. Dysopsis mußte daher zu den Platylobeae zurückgestellt werden, wo sie sicherlich unter den Mercurialinae, ihren nächsten Verwandten, Anschluß findet, zumal sie auch durch ihren schlaifen, unserm Gundermann (Glechoma) ähnlichen Habitus dem aller australischen Stenolobeen durchaus unähnlich erscheint. Das Heimatland der Stenolobeen ist somit Australien (einschließlich Tasmanien). Auf all den vielen Inseln der Südsee kommt merkwürdiger Weise keine Stenolobee vor mit Ausnahme von Neuseeland, wo 2 den australischen sehr nahe verwandte Poranthera-Arten gefunden wurden. In der Gruppe der Stenolobeen beobachtet man nun Gattungen mit je 1 oder 2 Samenanlagen in jedem der 3 Kapselfächer. Dies erscheint insofern bemerkenswert, als man bei den Platylobeae dieselbe Er- scheinung findet. Letztere gliedert man in die Unterfamilien der Phyllanthoideae mit je 2 und der Crotonoideae mit je 1 Ovulum an jedem Carpell. Es lag nun nahe, die Stenolobeen ebenso zu gruppieren, und so ergab sich 1. die Unterfamilie der Porantheroideae mit je 2, 2. die Unterfamilie der Ricinocarpoideae mit je 1 Samenanlage in jedem Fach. Die Unterfamilien beider Reihen laufen also gewissermaßen parallel. Schon 1884 sprach sich daher Pax (inEnglers Jahrb. V.S.417) dahin aus, daß die Porantheroideae mit den Phyllanthoideae und die Ricinocar- poideae mit den Crotonoideae sicherlich aus je einer gemeinsamen Wurzel stammen und daß, da die Phyllanthus-artigen als die phylogenetisch ältesten Euphorbiaceen zu betrachten sind, weil es bei ihnen noch nicht 1913. 3 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zur Ausgliederung von Sekretschläuchen gekommen ist und weil sie noch nicht zu markständigem Weichbast fortgeschritten sind, auch die Poran- thera-artigen phylogenetisch älter sein müssen als die Röcinocarpus- artigen. Demgemäß finden sich auch in den Geweben der Porantheroideae nur längsverlaufende, aus gleichen Gliedern zusammengesetzte Gerbstoff- zellreihen, während bei den Ricinocarpoideae unregelmäßig gegliederte, Gerbstoff führende Sekretschläuche auftreten. Man kann nach Pax wohl annehmen, daß in jenen fernen Zeiten, als Australien noch nicht einen isolierten Kontinent bildete, Urtypen des bereits in Zwei- und Eineiige gegliederten Euphorbienstammes dorthin gelangten, die später unter dem gemeinsamen Einfluß der ökologischen Faktoren ihre besonderen Lebenswege gingen und eine Reihe von An- passungsmerkmalen erlangten, die uns heute auffällig entgegen- treten. Zu solchen Merkmalen gehören vor allem: der schmale, stielrunde Embryo, der vorwiegend erikoide Habitus, die Ausbildung von Speicher- geweben, die reiche Gerbstoffbildung in den Blättern sowie schließlich der überall rudimentäre Hartbast in Stengeln und Zweigen. Nach dem Gesagten ist unter „Stenolobeae“ nicht eine einheitlich entstandene, sondern eine diphyletische Pflanzengruppe zu ver- stehen. Das eingehende Studium der hierher gehörigen Gattungen ergibt, daß diese ihren Ursprung in den nördlichsten mit — feuchtem Tropen- klima bedachten Gegenden Australiens fanden, und daß sie sich von dort aus, meist entlang den beiden Küsten, unter sorgfältigster Anpassung an Klima und Boden artenbildend nach dem Süden zu vorgeschoben haben. Aus diesem Grunde bieten auch manche Gattungen der Stenolobeen aus- gezeichnete Beispiele für die von Vesque zuerst geprägte „Ephar- mose“. Den von Diels in seiner „Pflanzenwelt Westaustraliens‘“ be- leuchteten diesbezüglichen Beispielen von Logania und Hibbertia lassen sich von unserer Pflanzengruppe z. B. die Arten von Ricinocarpus, Beyeria und Bertya ebenbürtig an die Seite stellen. Diese Genera haben im Norden und Nordosten Australiens noch breitblätterige, mehr hygro- phile Vertreter, die sich bis zur Höhe kleiner Bäume aufschwingen, ganz allmählich und geradezu schrittweise werden aber ihre Arten, je nachdem sie in trockenere, klimatisch abgestufte Gebiete hineingelangt sind, niedriger, xerophiler, klein- und schmalblätteriger, bis schließlich Formen vom Aussehen unseres Empetrum nigrum auftreten. Wie und wann die Euphorbiaceen nach Australien gelangt sind, läßt sich nur vermuten, da die Phytopaläontologie im Stich läßt. Wahrschein- lich benutzten die Urtypen die große breite Verbindung des Gondwana- Landes, dessen geologische Reste auch in Australien gefunden wurden. Als später im Tertiär der Indien mit Australien verbindende malayische II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 35 Landstrich unterbrochen wurde, mußten die Stawmeltern der Euphor- biaceen das grobe südliche Festland schon zum Teil besiedelt haben. Australien beherbergt jetzt neben unseren Schmalkeimblättlern noch viele Glieder der Platylobeae, fast alle — z. B. Phyllanthus, Acalypha, Claoxylon, Codiaeum — bewohnen aber nur den vom feuchten Monsum betroffenen Norden oder Nordosten. Von 18 Arten der Gattung Euphor- bia gelangten nur 2 (welche beide, E. Drummondü Boiss. und E. eremo- phila A. Cunn., aber auch im tropischen Norden vorkommen) nach Süd- westaustralien; ebenso vermochten auch nur 2 von 44 Phyllanthus-Arten dahin vorzudringen. Diese Verhältnisse dürften die oben geäußerte An- sicht über die Herkunft der Stenolobeen bestärken. Es ist nicht mehr möglich, die alte Wallace’sche Ansicht, nach welcher Südwestaustralien ursprünglich allein die Vorfahren der echt australischen Flora und der Marsupial-Fauna besessen habe und erst im Tertiär eine Überwanderung nach dem Osten erfolgt sei, ferner beizu- behalten. Das heutige Australien stellt ein ausgedehntes Hochplateau dar, das an den Rändern meist zu einem gebirgigen Saume aufsteigt, ehe es zu den weiten Küsten abfällt. Das Innere, der größte Teil des Landes, bildet eine glühende Wüste, die Eremäa, welche aber nur in den Gegenden der große Flächen einnehmenden Salzpfannen jedes Pflanzenwuchses entbehrt. Ungeheuere Strecken werden von dem ge- fürchteten, endlosen Shrub, einem aus Eucalyptus-Büschen und xerophilen Acacien gebildeten, kaum zu durchdringenden Gestrüpp ein- genommen, an dessen Bildung auch einige Stenolobeen (z. B. Beyeria cyanescens Benth.) Anteil haben. Auch die nach den Küsten zu gele- genen reinen Eucalyptus-Waldungen bieten an ihren Rändern oder in ıhrem Unterholz verschiedenen Stenolobeen einen beliebten Standort. Nach Tate’s Ansicht ist die Eremäa, in welcher jährlich kaum 20 cem Regen fallen, nachdem sie vorher von einem großen Meere ein- genommen war, seit dem Pliocän in fortschreitender Austrocknung be- griffen, wodurch ein breiter Austausch von Pflanzen zwischen Ost und West seit Jahrtausenden nur mit den größten Schwierigkeiten verknüpft wurde. Nach neueren Feststellungen hat die Eremäa überhaupt keine eigene Flora, keine selbständige Wesenheit; ihre pflanzlichen Bewohner sind von den Küsten, namentlich vom tropischen Norden in sie eingedrungen. So mußten sich denn auch die endemischen West- und Ostformen der Stenolobeen gesondert entwickeln. Naturgemäß hat die Wüste den pro- gressiven Endemismus in hohem Grade begünstigt. Auf den anatomischen Aufbau der Stenolobeen, der nament- lich von Pax und Gaucher untersucht wurde, näher einzugehen, 3% 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur, würde zu weit führen. Die Anatomie der Blätter hat der Vor- tragende selbst bei fast allen Arten studiert und dabei gefunden, dab sich die einzelnen Spezies der Gattungen durch die Epidermis mit ihren verschiedenartigen Trichomgebilden und durch die Blattquerschnitte so gut charakterisieren, daß für mehrere Genera Bestimmungs- schlüssel auf anatomischer Grundlage aufgestellt werden konnten und daß es auf diese Weise gelang, auch der natürlichen Ver- wandtschaft der Arten untereinander auf die Spur zu kommen. Wenden wir uns nun der Unterfamilie der Porantheroideae zu, welche zuerst 1890 von Pax in den „Natürl. Pilanzenfamilien“ auf- gestellt wurde; sie umfaßt die Gattungen, welche Müller Arg. 1866 zur Tribus der Caletieae vereinigt hatte. Die Glieder dieser Hauptgruppe zeichnen sich, abgesehen von mehreren Übereinstimmungen im anato- mischen Aufbau, durch die Neigung der Epidermiszellen zur Bildung horizontaler Querwände mit nachfolgender Verschleimung aus. Bei mehreren Gattungen fließen die gequollenen und verschleimten Epider- miszellen der Blätter dann derartig ineinander, daß große hypoderma- tische Schleimlakunen entstehen, welche nach Volkens als Schutzmittel gegen übermäßige Transspiration anzusehen sind. Die meist unansehnlichen Blüten der hierhergehörigen, selten krautartigen, meist halbstrauchigen oder holzigen Gewächse sind monözisch, nur in einem Falle diözisch, mit Kelch und Krone versehen, oder auch apetal; die f weisen meist ein Fruchtknotenrudiment auf, die Q erzeugen in jedem Fach der Kapsel 2 karunkeltragende Samen. Die Unterfamilie zerfällt in zwei Gruppen: 1. die Tribus der Poran- thereae und 2. die Tribus der Caletieae; beide sind aus gemeinsamer Wurzel ihre Sonderwege gegangen, wie sich besonders aus dem Bau der ‚f Blüten kund gibt. Bei der 1. Tribus, welche die einzige Gattung Poranthera umfaßt, ıst hinsichtlich der Blütenhüllen und Staubblätter die 5-Zahl durchgehend; jede Anthere weist 4 konische Pollensäcke auf, die sich in vier runden Löchern öffnen. Hierdurch ist die Gattung sofort zu erkennen. Außer- dem besitzen die 3 Blüten stets ein aus 3 keulenförmigen Körpern ge- bildetes Rudiment. Die Anwesenheit von Nektarien und die Zusammen- drängung der kleinen weißlichen Blüten zu ebenstrauß-artigen Inflores-. zenzen weist darauf hin, daß Poranthera der Insektenbestäubung bedarf. Die alternierenden Blätter sind schmal, meist eingerollt und fast nadel- artig- Da die von Cheeseman 1881 auf dem Mt. Arthur in Neu-Seeland entdeckte P. alpina in wichtigen Merkmalen stark abweicht, so hat Vor- tragender die Gattung — wohl mit Recht — in 2 Subgenera — Eupo- . II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 37 ranthera und Oreoporanthera — zerlegt. Von den 6 Euporanthera-Arten findet sich nur die kleine, teils annuelle, teils ausdauernde P. microphylia ın vielen Varietäten über das ganze von den Stenolobeen bewohnte Ge- biet zerstreut; sie ist daher wohl auch die älteste Art, von der sich die übrigen, 3 westliche und 2 östliche Arten, abgeleitet haben. Die Pflanze hat sowohl im Osten wie im Westen zur Progression geführt; ia beiden Gebieten sind die entstandenen Arten wechselseitig durch konvergierende Tendenzen so ähnlich geworden, daß man von vikariirenden Formen sprechen könnte. Die 2. Tribus — Caletieae —, bei welcher sich die Antheren in ge- wöhnlicher Weise mit 2 Längsritzen auftuen, weist entweder freie oder zu einer centralen Säule verwachsene Staubblätter auf. Die kleinen .f' oder 2, fast ungestielten Blüten stehen teils einzeln, teils zu mehreren ın den Blattachseln oder auch gebüschelt an den Zweigenden. Sie sind nach der 3-Zahl gebaut, wobei das Perianth meist 2 Kreise, die Staub- blätter 1 bis viele Kreise bilden, während die Petala unterdrückt sind. Auch bei dieser Gruppe zeigt sich — falls die Stamina frei sind — ein 3-lappiges Fruchtknotenrudiment. Nach der Zahl und der quirligen Anordnung der Staubblätter läßt sich leicht eine fortschreitende Entwicklungsreihe aufstellen. Sind die Staubblätter nicht verwachsen, so kommt es darauf an, ob die sich entwickelnde Kapsel 3-fächerig und 3—6 samig ist — in diesem Falle handelt es sich um die Gattung Micrantheum — oder ob durch Fehlschlagen nur 1 Fach mit einem einzigen Samen zur Reife ge- langt, dann liegt die Gattung Pseudanthus vor. Sind die Staubblätter, und zwar in reicher Anzahl, d. h. 9—18 oder sehr viele, zu einer Mittelsäule verwachsen, so haben wir die ebenfalls einsamige Gattung Stachystemon vor uns. Die beiden letzten Gattungen, welche vielleicht durch Arıpassung an Näahrungsmangel oder dadurch, daß während der Blütezeit viele plastische toffe zur Entwicklung der zahlreichen Staubblätter verbraucht wurden, eineiig geworden sind, zeigen somit im Andröceum wie im Gynöceum eine deutliche Progression im Vergleich zu Micrantheum. Von letzteren kommen nur 3 kleinblütige Arten in Ost- und Süd- australien vor, welche sich durch 3-zählige Blätter auszeichnen. Da Stipulae fehlen, ist anzunehmen, daß die seitlichen etwas kleineren Blätt- chen wohlentwickelte Nebenblätter darstellen, ähnlich wie bei Galium. Die Blättchen sind derb gebaut; auf dem Durchschnitt weisen sie sowohl unter dem Mittelnerven wie auch in den Blatträndern starke Hartbast- faserzüge auf; die nur an der Blattunterseite gelegenen Stomata besitzen eutieuläre Schließapparate. 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. An Micrantheum schließt sich sowohl hinsichtlich des Blatt- wie auch hinsichtlich des Blütenbaues eng die Gattung Pseudanthus mit ihren 7 Arten an. Letztere zerfallen nach dem Blütenbau in 3 Sektionen. Die Sektion Eupseudanthus ist nur durch P. pimeleoides Sieb., eine östliche Art mit 1 cm langen, schön-ziegelroten, zu Büscheln zusammen- gestellten Blüten, die 2 X 3 Staubblätter enthalten, vertreten; die 2. Sek- tion, Microcaletia, umfaßt 4 einander äußerst ähnliche, kleinblätterige, sparrige Kleinsträucher mit winzigen 6- oder auch 3-männigen Blüten, die nur im ost- oder südaustralischen Gebiete vorkommen, während es die 3. Sektion Chrysostemon, allein in Westaustralien heimisch, auf 9—18 zum Teil verwachsene Staubblätter gebracht hat. Interessant ist hiervon Pseudanthus nematophorus F. Müll., da bei ihm ein Kelchblatt in einen 10 mm langen Faden, anscheinend als Anflugstelle für Insekten, um- gebildet ist. Weiter geht die Zunahme der Zahl der Staubblätter und der Grad der Verwachsung der Filamente bis zu längeren wurmförmigen Gebilden bei der Gattung Stachystemon, deren 3 Arten auf Westaustralien be- schränkt sind. S. vermicularis Planch. kommt in Eucalyptus-Wäldern häufiger vor und findet sich daher in vielen Herbarien. Gehen wir nun zur 2., weit formenreicheren Unterfamilie, den uni- ovulaten Ricinocarpoideae über, so finden wir in ihr recht instruktive Bilder von altem, progressiven Endemismus. Die Arten sind oft so ähnlich, daß sie sich nur schwer von einander scheiden lassen. Gerade hier dürften daher beim Fehlen von Blüten die oben erwähnten Bestimmungsschlüssel auf blattana- tomischer Grundlage von einigem Werte sein. Vielfach ist die Form der Triechome für die Bestimmung von Wichtigkeit. Während die Porantheroideae z. T. ganz kahl sind, z. T. nur spärliche einfache Haare aufweisen, zeichnen sich die Blätter der Ricinocarpoidece namentlich auf den Unterseiten durch 4 dicht gestellte, recht verschieden gestaltete Haare aus. Man findet da — und zwar für jede Art kon- stant — sitzende oder gestielte vierzellige Sternhaare, kurze büschelige Stummelhaare, lange, krause Büschelhaare und keulige Büschelhaare. Außerdem zeigen viele Arten der Gruppe bald nur oben, bald auf beiden Blattseiten in die Epidermis eingesenkte Köpfehendrüsen, welche eine gerbsäurehaltige leimige Substanz in reichem Maße absondern und somit die ganze Blattfläche mit einem glänzenden Lacküberzuge ver- sehen. Es handelt sich nach Volkens bei diesen „lackierten Blättern“ wiederum um einen Transspirationsschutz. Auf der Unter- II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 39 seite der Blätter finden sich außerdem zwischen den Haaren mehrzellige keulenförmige Stieldrüsen, deren Funktion noch nicht klar ist. Diese Verhältnisse beziehen sich indessen nur auf die 1. Tribus, die der Ricinocarpeae, während die zweite, die der Ampereae, fast haarlos erscheint. Die ganze Unterfamilie, welche Sträucher und Halbsträucher, aber auch einige Annuelle umfaßt, läßt einen mannigfaltigen Blütenbau er- kennen. Beide diklinen Tribus, welche an der gemeinsamen Urwurzel nur lose zusammenhängen, lassen sich durch die Zahl und die Form der Staub- blätter leicht trennen, und zwar weisen die Ricinocarpeae zahlreiche, auf dem gewölbten oder säulenförmig erhobenen Blütenboden stehende, nur teilweise freie Stamina mit parallel verlaufenden Theken auf, während gleichzeitig die Kelchblätter eine imbrikate Knospenlage bieten; die Ampereae dagegen besitzen nur wenige, in der Zahl fixierte freie Staubblätter mit seitlich herabhängenden Theken bei valvater Aestivation. 3 Gattungen sind bei der 1. Tribus zu besprechen: 1. Ricinocarpus, der sich durch ansehnlichere, meist Blumen- blätter besitzende Blüten auszeichnet. Die in gewöhnlicher Weise auf- springenden zahlreichen Staubblätter sind — zu einer Mittelsäule verwachsen; die Griffel haben gabelförmige Gestalt. ID . Bertya, meist apetal, mit 5 petaloiden Kelchblättern und zahl- reichen, ebenfalls zu einem zentralen Mittelsäulchen verwachsenen, mit 2 Längsritzen aufspringenden Staubblättern und stark zerschlitzten Griffeln. Die Gattung ist leicht zu erkennen an den 3—8 kleinen, die Blüten wie einen Hüllkelch umgebenden grünen Bracteen. 3. Beyeria, bei welcher zahlreiche fast freie Staubblätter gewöhn- licher Form auf dem leicht gewölbten Blütenboden sitzen, während die Narben eine pilz- oder hutförmige Umbildung erfahren haben. Ihre unscheinbaren grünlichen Blüten sind fast stets apetal und frei von Diskusdrüsen. Die Gattung Ricinocarpus hier noch in ihre 4 Sektionen zu zergliedern, würde zu weit führen. Bentham beschreibt in der Flora australis 12 Arten; seitdem sind noch 3 hinzugekommen. Unter ihnen finden sich blumistisch-schöne Sträucher. Während sich im Monsumgebiet noch 2 mit breiten, ovalen Blättern versehene Arten erhalten haben, treten in den südlicheren Gegenden nur mit schmalen Rollblättern ausgerüstete Typen auf, bis schließlich der von Diels in der Eremäa aufgefundene knorrige R. stylosus Diels bei mehrfachen Abweichungen im Blütenbau es zu kurzen, stark leimigen Blattnadeln gebracht hat. Interessant dürfte sein, 40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. daß sich für Ost- und für Westaustralien 2 ganz ähnliche, parallel verlau- fende Entwickelungsreihen aufstellen lassen. Bei Bertya ist die Artenzahl seit Bentham von 9 auf 19 gestiegen; der Vortragende selbst hatte Gelegenheit, 2 neue Arten (B. polystigma und B. glandulosa) zu beschreiben. Man kann die Gattung in die Sektion der Breitblättler (Euryphylla) und die der Schmalblättler (Stenophylla) zerlegen. Letztere erinnern im Habitus vielfach an nichtblühende Ros- marinsträucher; sie sind im Blattbau und in der Form der unscheinbaren, achselständigen, monöcischen Blüten oft einander sehr ähnlich. Die Sektion macht überhaupt den Eindruck, als ob die Artmerkmale noch nicht genügend befestigt seien, so daß man zuweilen versucht ist, Bastardierung zu vermuten. Beyeria umfaßt nur 12 Arten, von dehen 11 bereits von Müller Arg. den beiden Sektionen Eubeyeria und Beyeriopsis zugeteilt wurden. Die 12. Art wurde zwar schon 1770 von Banks und Solander, den Begleitern des kühnen Seefahrers Cooke, in Queensland gesammelt, aber erst später (1866) von F. v. Müller richtig als Beyeria tristigme beschrieben und einer besonderen Sektion (Oxygyne) überwiesen. Sie stellt, wie namentlich an der teilweisen Umbildung der Narben in die er- wähnte Pilzform zu erkennen ist, eine echte Übergangsform zu Ricino- carpus dar. Zu Beyeria gehört auch die älteste bekannte, 1806 von Labillardiere als Croton viscosum beschriebene Stenolobee. Es bleibt nun noch übrig die Betrachtung der 2. Tribus der uni- ovulaten Stenelobeen, der Ampereae, welche 12 west- und 3 ostaustralische Arten umfaßt. Die kleinen Halbsträucher oder (selten) auch Kräuter besitzen in den kleinen g' Blüten 3—5 Kelchzipfel mit valvater Knospen- deckung und freie, selten unten etwas verwachsene Staubblätter, die in 2 den Kelchlappen gleichzähligen Kreisen stehen und getrennte, hängende in Längsritzen aufspringende Theken tragen. Der erotonoide Urtypus der Ampereae ist statt zur Verwachsung der zahlreichen Staubblätter zu einer Reduktion derselben mit Festlegung hinsichtlich der Zahl gelangt. Nur 2 deutlich getrennte Gattungen haben sich bei dieser Tribus herausgebildet: Die eine, Monotaxis, bewahrte sich die Blumenblätter, welche bei der 2. Gattung, Ampereae, einem Seiten- zweig der ersteren, der Unterdrückung anheimfielen. Bei Monotaxis trennten sich die Staubbeutelhälften der 8&—10 Stamina immer mehr, bis endlich ihre seitliche Aufhängung an den Enden eines wagebalkenartigen, breiten Konnektivs erfolgt war. Da auch die weißlichen Blumenblätter an der Basis mit eingerollten Öhrchen und die Griffel mit längeren Wimpern versehen sind, bieten die winzigen Blüten, welche meist in Bündeln an den Zweigenden oder in den oberen Blattachseln stehen, unter der Lupe II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 41 einen sehr zierlichen Anblick. Alle Arten sind einander daher recht ähnlich. Sind die A Blüten 4teilig und die Petala klein, so liegt die Sektion Linidion vor, sind sie teilig, während die Blumenblätter den Kelch überragen, so gehört die Art zur Sektion Hippocrepandra, Im Berliner Herbar befand sich ein bisher noch nicht beschriebenes Exem- plar, welehes mancherlei Abweichungen, unter anderem im Gegensatz zu den sonst bifacialen Blattstrukturen einen völlig isolateralen Bau der schmalen Blättehen zeigte; dasselbe erhielt vom Vortragenden zu Ehren des großen Kenners der Euphorbiaceen den Namen Monotaxis Paxü. Während manche Monotaxis-Arten rezenten Euphorbien hanituell recht ähnlich sind, findet man bei Amperea mehr rutige, ja sogar fast blatt- lose, Spartium-artige Gewächse, welche alle dichte kleine Blütenknäuel in den Blattachseln oder an den Stengelknoten tragen. Wieder sind hier schon von Müller Arg. je nach der 4—5- oder 3-Teiligkeit der Blüten 2 sicherlich recht natürliche Sektionen (Euamperea und Monotaxidium) aufgestellt worden. Die Gattung ist hinsichtlich des anatomischen Baues der Blätter scharf umgrenzt; auffallend ist die Neigung der großzelligen £pidermis zur Mehrschichtigkeit und ihr Inhalt an Idioblasten mit großen Drusen von oxalsaurem Kalk. Leicht zu erkennen ist Amperea an den zu beiden Seiten von der Spitze der Staubfäden herabhängenden, eiförmigen Theken, die sich in zierlich-purpurn-berandeten Längsritzen öffnen. Weit verbreitet (von Queensland bis Tasmanien) ist nur die durch ihre kahlen, dreikantigen Stengel auffallende Amperea spartioides Brongn. Was die Verteilung der 9 Gattungen der Stenlobeen auf die australischen Gebiete betrifft, so haben fast alle ihre Ver- treter sowohl im Osten wie im Westen, manchmal in nahezu überein- stimmenden Arten. Einzelne Spezies besiedeln in mancherlei Varietäten Ost-, West- und Südaustralien bis Tasmanien; panaustralisch ist nur die schon erwähnte Poranthera microphylla, Im übrigen ergibt eine Zu- sammenstellung, daß die angenommenen 81 Arten nicht nur im all- gemeinen, sondern auch hinsichtlich der Unterfamilien in annähernd gleicher Zahl auf beide Kontinenthälften verteilt sind. Westaustralien wird vornehmlich von Stachystemon, Beyeria, Mono- taxis und Amperea bevölkert, während im Osten mehr die Gattungen Micrantheum und Bertya zu Hause sind. Im tropischen Norden halten sich nur noch 7 Arten auf, obwohl von dort jedenfalls die Einwanderung erfolgte. Ein Nutzen für den Menschen kommt den Stenolobeen nicht zu. Nur wenige Arten haben gärtnerische Verwendung gefunden, so z. B. Poranthera ericoides Klotzsch seit 1824. In botanischen Gärten werden noch einzelne andere gezogen. 43 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, Weitere Ausführungen des oben Gesagten können in der mit 89 Einzel- bildern ausgestatteten Monographie des Vortragenden: „Euphor- biaceae — Porantheroideae et Ricinocarpoideae“, Heft 58 des Pflanzen- reichsvon A.Engler, ausgegeben am 14. 4. 1913, nachgelesen werden. 2. Sitzung am 23. Januar 1913. 2 Herr W. Limpricht cab Eine Vegetationsskizze der Tai hu-Berge (Provinz Kiangsu, China). An großen Seen ist das eigentliche China arm. Abgesehen von den Bergseen der Provinz Yünnan im Südwesten des Reiches, sind größere Wasseransammlungen nur im Bereiche der beiden Hauptströme anzutreffen. Von diesen Seen liegen drei im mittleren Kiangsu zwischen dem alten Lauf (vor 1852) des Hoangho und dem Yangtse unfern des Meeres und sind vielleicht Überreste früherer Überschwemmungen; die drei anderen folgen dem rechten Ufer des mittleren und unteren Yangtse. Von ihnen ist der westlichste, der Tung ting (hu) in Hunan, sowie der mittelste, der Poyang (hu) in Kiang si, durch die Ausflüsse der sie durchströmenden Hsiang kiang und Kan kiang mit ihm verbunden. Daher entspricht auch ihr Spiegel dem jeweiligen Wasserstande des Hauptstromes. Der dritte, der Tai hu, unweit Su tschou fu in Kiang su, ist aber in kürzester Ent- fernung durch eine Landmasse von 42 km von ihm getrennt. Obwohl durch zahllose Kanäle mit dem den Yang tse bei Tschin kiang kreuzenden Kaiserkanal, sowie mit dem an Schang hai vorbeifließenden Huang pu verbunden, ist ein Wechsel der Gezeiten an ihm nicht wahrzunehmen. Über seine Entstehung ist nichts genaueres bekannt. Nach chinesischer Auffassung, gestützt auf Berichte alter Chroniken, soll der See an Stelle eines ungeheuren Sumpfes von dem sagenhaften Kaiser Yü künstlich geschaffen sein; die zahllosen kleinen Seen in seiner öst- lichen Nachbarschaft, die etwas größeren Wasserflächen im Westen und Nordwesten, sowie der Umstand, daß eine, allerdings einmal versandete, Wasserader ihn mit Wuhu am Yang tse verbindet, lassen die Vermutung nahetreten, daß der Yang tse, ähnlich wie 1852 der Hoang ho, in früherer Zeit einmal seinen Lauf verändert hat. Dann würden diese Seen Wasser- ansammlungen im Laufe seines früheren Bettes darstellen. Die Ähnlichkeit der Landschaft um die Ufer des Tai hu mit seinen Bergen und Inseln, und der des Tschu san-Archipels an der Küste vor Ningpo ist auffallend, und vielleicht sind die heutigen Hügel und Inseln 1) Vergl. Friedrich Hirt, Reise nach dem großen See (Taihu) bei Sou chou. Deutsch. Geogr. Blätt. VII (1884), 275—287. Il. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 43 des Sees frühere Meeresinseln, zwischen denen durch die Ablagerungen der Schlammmassen des Yang tse eine Landverbindung hergestellt wurde. Die Ausdehnung des Taihu, des „großen Sees“, dessen Mitte 125 km westlich von Schang hai und 83 km südlich vom Yang tse-Bett entfernt liegt, beträgt über 3000 Geviertkilometer, d. h. die fast sechsfache Fläche des Bodensees. Seine trüben, grünlichgrauen Wassermassen lagern nur in 2—3 Meter Mächtigkeit über dem flachen Becken des Seebodens, aus dem zahlreiche kleinere, aber nur zwei größere gebirgige Inseln, Hsi Dung ding und Ma tschi san (im Ortsdialekt Mau sai), über die Oberfläche empor- ragen. Obwohl völlig in der Alluvialebene des Yang tse-Aestuars gelegen, ist doch nur das Süd- und Südostufer fiach, daher sumpfig und mit dichtem Schilf bekleidet. Die anderen Ufer, besonders an der reich ge- gliederten Ostküste, begleiten niedrige Bergzüge von durchschnittlich 300 m Höhe, oder es treten an sie, wie am sanft ausgebuchteten Nord- und Westufer, kürzere Gebirgskämme schiefwinkelig heran. Nur im Süd- westen, unweit der Stadt Hu tschou, erreicht die zusammenhängende Berg- welt der Provinz Tschekiang die Ufer; hier erheben sich die niederen Vorberge des durch seine Tempel weitberühmten, 1550 m hohen Tien mu schan (Gebirge der Himmelsaugen) in den „weißen Haarbergen‘‘, Bai- mau schan, nochmals zu 600 m Höhe und senden seitliche Fortsetzungen bis kurz vor die Gestade des Sees. Im Osten beginnt die Bergreihe mit dem langen Rücken des WSW. nach ONO. streichenden Sieben-Söhne- Berges (Tschi tse schan), südwestlich von Su ttschou. Ein kleiner Tempel und neun künstliche Erhebungen — mit Erde umwallte Grabkammern aus der Zeit, als die Chinesen ‘ihre Toten, um dem Himmel näher zu kommen, auf Bergeshöhen bestatteten —, krönen den Kamm, der, nun bedeutend niedriger werdend, kurz hinter der Pagode Schan fung schan zur Ebene abfällt. Seine höchste Erhebung, der vorletzte Totenhügel, beträgt rund 320 m.!) Er stellt für den von Schang hai durch die Flachebene Reisen- den, abgesehen von der vor Su tschon liegenden, an ikrer weithin sicht- baren Pagode kenntlichen Kalkklippe Kun schan (Quinsan) die erste Er- hebung gegen Westen dar und bildet den malerischen Hintergrund des „Paradieses auf Erden‘ der leichtlebigen Stadt Sutschou. Südwestlich von ihm ragt aus der flachen Umgebung ein ungefähr ebenso hoher Berg- rücken empor, der, früher wohl Insel, allmählieh verlandete, die Halb- insel Dung dung ding. Getrennt von dem Sieben-Söhne-Berg streicht der niedere, gegen 170 m hohe Guo fang schan von OSO. nach WNW. und berührt bei dem Ort !) Ferguson, A Map of the country round Soochou 1900—01, gibt die Berges- höhe mit 940 engl. Fuß an. Ich möchte an dieser Stelle bemerken, daß sämtliche Höhenmessungen in dieser Skizze nach Angaben meines Aneroidbarometers be- rechret sind und daher keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit machen können. 44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hsi kou (westliche Mündung) die Seeufer. Hier mündet ein Kanal von Su tschou über das Städtchen Mu tu in den Tai hu. Er bildet die be- liebteste Einfahrt für die Hausboote der Fremden von Schang hai, die ihren durch den feuchtheißen Dunst der Stadt angestrengten Lungen eine reinere Luft bieten wollen. Hinter Hsi kou, jenseits des Abfalls des Guo fang schan, erhebt sich die Hügelreihe von neuem und steigt in der Richtung SO. nach NW. allmählich an. Auf ihrem Rücken ruht in halber Höhe der höchsten Erhebung ein großes Kloster, das dem ganzen Zuge den bei den Fremden gebräuchlichen Namen ‚Monagtery hills““ gegeben hat. Die höchste Spitze der letzten Kuppe des Tsung lung schan (hoher Berg), 320,5 m, bezeichnet wiederum ein Totenhügel mit offener Grab- kammer. Der Rücken senkt sich jetzt gegen den, an einer kleinen Aus- buchtung des Sees reizend gelegenen, durch seine viereckige Pagode aus- gezeichneten Ort Kwang feng, während eine westliche Parallelkette erst in einem in den See hineinragenden Vorsprung endet und die Bucht von Kwang feng halb umschließt. Erst jenseits der nun folgenden weiten nordöstlichen Ausbuchtung des Tai hu, der „Discoverybay‘‘, setzen sich die Bergzüge weiter fort und beginnen mit dem Ting hsiang schan (Berg der militärischen Ordnung), 257,2 m; ein verfallender, unbewohnter, weiterhin nach Norden ein bewohnter Tempel, Lung wang schan, liegen auf seinem Rücken, der die Richtung Süd nach Nord innehält. Diese Hügelkette reicht, an ihrem Ende nach NW. umbiegend, einer weiteren Bergreihe die Hand, zwischen denen sich die Wasser des Sees einen Durchbruch gebahnt haben, der mit einem kleinen Vorsee in Verbindung steht. Mitten in dieser schmalen Wasserstraße erhebt sich eine niedere Insel, auf ihrer Spitze der taoistische Tempel Tien heu gong. Dieser kleine Vorsee steht durch einen Kanal in direkter Verbindung mit dem Ort Wu sih und gewährt den einfachsten und besten Zugang zum See von Nord, von der Bahnstation Wu sih her. Völlig isoliert von diesen Hügelreihen am Seeufer erhebt sich nordwestlich von Su tschou der lange Rücken des Ta yang schan (Ozeanberg) in der Richtung der sinischen Ketten von SSW. nach NNO. Der mittelste der drei Hauptgipfel ragt 350 m über die Seefläche empor und stellt somit die höchste Erhebung in der Umgebung der Stadt Sutschou dar. Niedere Hügelketten, der Feng wan schan oder Phönixberg (ca. 160 m), schließen sich seinem Süd- fuß an und ziehen nach Süden, wo sie bei dem Städtehen Mutu in dem Pagodenberg Ling yen schan ihren Zug beenden. An diesem letzten Teil besteht das Gestein, nicht wie sonst allgemein um den Taihu, aus Sand- stein, sondern aus Granit, der in einigen Steinbrüchen gebrochen und in den Dörfern an seinem Fuß zu Brückenbauten, sowie zu Gefäßen ver- wendet wird. Ein weiterer kurzer Höhenzug wendet sich als Verlängerung der Ta yang schan-Richtung gegen Kwang feng; er schließt das Hügelland von Sutschou gegen Nordwesten ab. Östlich von diesen Höhen ragt die II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 45 isolierte Klippe des Löwenberges (Schi tseu schan), gegen 100 m, weiter hin gegen Su tschou bei dem Dorfe Wang dang der niedere Höhenzug Wang schan und bei der Stadt selbst der Tiegerhügel mit der prächtigen, leider immermehr verfallenden, gleichnamigen Pagode nur wenig über die Ebene empor. Erst westlich von dem Flecken Wu sih, 40 km hinter Sutschou an der Bahnlinie Schang hai—Nanking gelegen, erhebt sich ein weiterer, etwas höherer Bergrücken, der Lung schan oder Drachenberg. Sein Kamm, gekrönt von vier Tempelanlagen, läuft von OSO. nach WNW. und erreicht in den beiden höchsten Punkten 300 bez. 350 m Höhe. Er sendet einen Ausläufer nach SSW., der bei dem Tempelchen San yuan bao dien, gegenüber der Insel Tien heu gong, den See erreicht. Die dem Drachenberg westlich benachbarten Hügelreihen ziehen von SW. nach NO,, schneiden also die Seeufer unter spitzem Winkel. Gegenüber der Insel Mau sai erreichen sie ihr Ende. An dem Westufer des Sees befinden sich, 2 Stunden Bootsfahrt n. w. von Hutschou (Tschekiang) entfernt, die höchsten schon erwähnten Berge des Tai hu, die weißen Haarberge, Bai mau schan, denen im Süden niedere von OSO. nach WNN. ziehende Ketten vorgelagert sind. In dem von OSO. nach WNW. streichenden Hauptkamm betragen die beiden, durch einen felsigen Grat verbundenen Hauptgipfel 510 m bez. 600 m; ihre letzten Ausläufer fallen im NW. als niedere Kalkhügel zur Ebene ab. Erst nach längerer Unterbrechung — 20 Stunden Bootsfahrt — schneiden das Westufer wieder Hügelketten. Vier lange flachrückige Kimme ziehen in der Richtung OSO. nach WNW.; daher ist die Umgebung des Sees von Schiangsan bis Wu chui kuei in der äußersten NW. des Taihu gebirgig. Seitenfortsätze laufen von den Bergzügen, die auch untereinander teilweise durch Querriegel verbunden sind, ebenfalls zum Seegestade und ein langer schmaler, niedriger Höhenzug schließt sich von Süden an. Auch hier wie überall auf den Taihu-Bergen, bezeichnen Grabkammern die höchsten Erhebungen. Während bei Schi ang schan die Bergeshöhe 256 m beträgt, wächst sie weiter nördlich in dem Bainischi (Weißer Mergelberg) bis zu ca. 400 mm. Hier wird in rohem Tagebau der Ton gewonnen, aus dem die Gefäße für den Hausgebrauch und den Felddünger in der Umgebung des ganzen Sees geformt werden. Ungefähr in der Gegend von Yihsing hsien, dem Zugang von NW. her, streicht der zackige, etwas höhere Rücken der vierten und letzten Hauptkette in derselben Richtung von SO. nach NW, Von jetzt an sind in der flachen Niederung des nach NW. umbiegenden Seeufers nur fünf niedere Hügelkegel zu bemerken. Bergzüge treten erst wieder im Norden, gegenüber der Insel Mau sai auf. Es sind die schon erwähnten Parallelreihen westlich des Lung schan vor Wu sih, die in einer vereinzelten Klippe ihren letzten Vorposten gegen die Ebene nördlich ausstellen. Die beiden einzigen großen unter den zahllosen kleinen Inseln des Sees sind ebenfalls gebirgig. Hsidungding(West- 46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. höhlenberg), gegenüber der Halbinsel Dung dungding (Ostböhlenberg), liegt in der südlichen Matschi schan oder Mausai in dernördlichen Seehälfte. Letzteres schließt die nördliche Bucht nahezu ab. Beide Inseln erwecken den Ein- druck, als hätten sie früher aus zwei getrennten, später verlandeten Teilen bestanden, da die Hauptrichtungen ihrer Bergzüge fast rechtwinkelig auf- einander stoßen. Der höchste Punkt Hsi dung dings beträgt schätzungs- weise von einem anderen 344 m hohen Rücken der Insel aus gegen 350 m, während Mausai nur 259 m erreicht. . Nur einige wenige Botaniker haben die Umgebung des Sees flo- ristisch erforscht. Robert Fortune?!) war der erste, der den Taihu er- blickte. Gegen Ende Juni 1854 hatte er auf seiner Bootsfahrt in die Seidengegend der Stadt Hutschou von derHöhe der Taou chang schan-Pagode einen Überblick iiber das Siidende des Sees mit seinen beiden Dung ding-Ge- birgen. 1874/75 sammelte der Franzose Poli?) in dem ebenfalls schon von Fortune besuchten Meitschi-Tal, südwestlich von Hu tschou. Die größten Verdienste um die Erforschung der Seeuferflora hat sich der Amerikaner Forbes°) erworben. Am 28. April 1879 weilte er auf der Insel Hsi dung ding als erster Botaniker; später, im April 1881, botani- sierte er in Gemeinschaft des Engländers Carles besonders um die Süd- ufer des Sees bis in die Gegend von Meitschi hin. Die 30 aus der Um- gebung des Taihu von Forbes und Hemsley*) angeführten Arten sind sämtlich auf Forbes und Carles zurückzuführen. Ihre Sammlungen, von denen Dr. Hance (7 1836 in Amoy), der botanische Garten in St. Peters- burg, sowie der Kew-Garten Doubletten erhalten haben, befinden sich seit 1856 im Besitz des British Museum in London. Der Verfasser endlich hat auf 27 verschiedenen kleineren Exkursionen, zu denen ihm meist nur die freien Sonnabend-Nachmittage und Sonntage zur Verfügung standen, und auf einer l4tägigen Reise nach der Westseite und den Inseln sämt- liche Berge, Hügel und Hauptinseln, größtenteils mehrere Male, besucht. Die von ihm gesammelten Pflanzen sind dem Herbar des Kgl. botanischen Gartens der Universität Breslau überwiesen worden, dessen Direktor, Prof. Dr. F. Pax, die Bestimmung in liebenswürdiger Weise übernommen hat. Die Flachebene am Fuße der Hügel und Berge ist durchweg Kultur- land. Weite Reisfelder, unterbrochen von Hainen künstlich verkrüppelter Maulbeerbäume auf erhöhtem Boden, nur in der Nähe der Dörfer, sowie an den Ufern der Kanäle, die ja hier in Süd-China die Landstraßen er- setzen, geringer Bestand von Laubbäumen, bieten sich dem Auge des auf _ 1) Fortune, A residence among the Chinese. London 1857, 363. 2) Nach Dr. Bretschneider, History of European botanical discoveries in China. I. u. I. London 1878, 873. S)ul.wC2 723: *) Index florae sinensis. Journ. Linn. Soc. XXIH, XXVI, XXXVI. London 1886— 1905. II. Abteilung. Zoolosisch-botanische Sektion. 47 dem schmalen, glatten Steinweg, meist am Rande der Kanäle entlang wandern- den Beobachters am Öst- und Nordufer dar; auf der Westseite treten die Reis- felder in denHintergrund, die weiteLandschaft zwischen den Höhenzügen wird von unendlichen Reihen von Maulbeerbäumen eingenommen, die, bis hart an das Seeufer tretend, erst in der Nähe der Ortschaften Obstplantagen ihren Platz abtreten. Bildet ja doch die Seidenraupenzucht den Haupt- erwerb der Bewohner des Süd- und Westgestades des Taihu und die Stadt Hutschou den Mittelpunkt für den Verkauf der Kokons. Zur Oster- zeit, der Zeit der Baumblüte, sind die Dörfer, namentlich auf dieser Seite, unter einem. Meer duftiger weißer, rosa und roter Blüten begraben, die dem Dorf am Fuße der westlichsten Hügelketten den Namen Schi ang schan, („wohlriechender Berg“) gegeben haben. Ihre höchste Entwicke- lung erreicht die Obstbaumkultur auf den beiden Hauptinseln, sowie der Halbinsel Dung dung ding, deren mildes Klima den Anbau südlicherer Arten gestattet. Als hauptsächlichste Obstsorten gedeihen Äpfel, Birnen, Pflaumen, kleinfrüchtige, säuerliche Kirschen, Pfirsiche und Aprikosen, kleine Mandarinen, Persimonen (Diospyros Kaki), Granatäpfel und sehr häuflg auf den Inseln Eriobolrya japonica, bibo genannt, die erst im Spät- herbst, bis gegen Weihnachten hin, ihre Blüten erschließt. Dazu gesellen sich überall um die Dörfer vereinzelt Kastanien, der Talgbaum (Sapium sebiferum), Melia Azedarach, Sterculia platanifolia (Wu dung) und Myrica rubra, die Yang mei der Chinesen, Buchsbaum, sowie der Verwandte des Maulbeerbaumes, die Broussonetia papyrifera hinzu. An trockenen Feld- rändern und freien Plätzen kriechen Cucurbitaceen, Kürbisse und Flaschen- kürbisse, Gurken, Melonen, ferner die „süße Kartoffel‘ Ipomoea Batatas und Dioscorea sativa umher, welche letztere häufig verwildert, oft weit von menschlichen Wohnplätzen entfernt, angetroffen wird. Zwischen dem Schilf der Seeufer, in ruhigen Buchten, künstlichen Teichen und den zahlreichen Kanälen, in deren Wasser nur durch die schwachen Nachwirkungen von Ebbe und Flut eine leichte Strömung be- merkbar wird, gedeiht im großen und ganzen dieselbe Flora wie im mittleren und südlichen Europa. Potamogeton crispus, Vallisneria spiralis und Ranunculus aquatilis fluten mit ihren langgezogenen oder zerschlitzten Blättern in dem grünlich-grauen Wasser. Näher den Ufern oder in blind endenden Kanälen und stagnierenden Tümpeln wird die Oberfläche von Salvinia natans, einer Europa fehlenden, sich im Herbst braunrot färbenden Azolla, Mcrsilia quadrifoliata, Hydrocharis morsus runae, Limnanthemum nymphceoides, Trapa natans, endlich von Lemna polyrrhiza und L. minor dicht bedeckt. Einige dieser Arten treten, verschleppt durch die künst- lichen Bewässerungsanlagen oder durch die Sommer-Überschwemmungen auf die berieselten Reisfelder über, wie Hydrocharis, Limnanthemum, be- sonders aber Azolla und Marsilia, die selbst in ausgetrockneten Gräben als Landform zahlreich ihr Fortkommen findet. Zwischen den schwim- 48 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. menden Blättern genannter Pflanzen ragen die Blüten von Oltelia alismoides (Sieben-Söhneberg), Myriophyllum spieatum, Ceratophyllum demersum empor oder schweben untergetaucht Hydrilla verticillata und Utrieularia vulgaris. Nahe dem Ufer findet sich neben Arundinaria densiflora!) und Acorus Calamus, zahlreich Sagittaria sagitlifolia ein. Nelumbo nucifera hält sich stets in der Umgebung der Tempel auf, wird aber der eßbaren Wurzel wegen auch vielfach in eigenen Teichen gehalten. Erst in der Nähe -der Dörfer wird der Uferrand der Kanäle von Bäumen eingefaßt. Liegen zwei Dörfer unweit von einander entfernt, ziehen sich die Bäume auch wohl von Dorf zu Dorf. Ihre dichten Laub- kronen scheinen sich dann über dem Wasserspiegel zu vereinen und rufen prächtige, stimmungsvolle Landschaftsbilder, zumal zur Herbstzeit, hervor. Hauptsächlich sind zu nennen: Salix babylonica, Pterocarya stenoptera, Ulmus parvifolia, Cellis sinensis, Zelkova acuminata, Broussonetia papy-- rifera, Ailanlhus glandulosa, Melia Azedarach, Sapium sebiferum, Acer tri- fidum, Evonymus europaeus var. Hamiltonianus, Sterculia platanifolia, endlich noch häufig die reizende Wistaria chinensis mit ihren über das Wasser sich neigenden Blütentrauben. Hinter den Dörfern am Fusse der Berge trifft man zunächst noch auf Kulturland, kleine Reisfelder und Maulbeerhaine, zwischen denen auf Komposthaufen die von den Chinesen zu Heilzwecken verwendete Pinellia tuberifera, sowie Datura Stramonium, Solanum nigrum, Hyoscyamus niger, ferner angebaut Solanum melongena und 9. Lycopersicum anzutreffen sind. Am Rande der Reisfelder gedeihen: sSelaginella helvelica, Commelina nudiflora, Dianithus chinensis, Cerastium triviale, Melilotus suaveolens, Astra- galus sinieus (auch angebaut), Viola Patrini und V. canina, Elaeagnus pungens (Ta yang schan), Androsace sazxifragifolia, Lysimachia candida, Thyrocarpus Sampsoni und Trigonotis peduncularis, Ajuga genevensis (hier weißblühend), Brunella vulgaris, Scutellaria indica und galericulata, Mazus rugosus, Lobelia ckinensis, Adenophora polymorpha, Gnaphalium luteo-album var. mulliceps, Senecio campestris und das überall gemeine COhrysanthemum indicum. An Gebüschen finden sich Evonymus europaeus var. Hamiltonianus, Rhamnus davuricus, Viburnum macrocephalum und vermischt mit ihnen Eupatorium japonicum ein. Bald treten die Felder zurück. Denn hier hört die Bebauung, im Gegensatz zu Nord-China, wo sie in Schansi und West-Tschili bis gegen 2500 m reicht, am Fuße der Berge auf. Ein Gürtel von Totenhainen folgt ihnen. Teils unbedeckte Holzsärge, teils Totenhügel, sogar kunstvoll aus Stein gehauene Grabmäler, vielfach in Trümmern liegende, stumme Zeugen eines früheren glänzenden Chinas, hat die Pietät der Nach- kommen mit Bäumen geschmückt. Der Bedeutung des Ortes nach sind 1) Die von Forbes und Carles in der südlichen Umgebung des Sees bereits beobachteten Pflanzen sind durch gesperrten Druck hervorgehoben. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 49 Nadelhölzer oder immergrüne Sträucher südlicherer Herkunft bevorzugt, Der einmütigen, am althergebrachten festhaltenden Sinnesart der Chinesen entsprechend, setzen immer dieselben Arten diese Friedhofsvegetation zu- sammen, zwischen denen vielfach auch wilde Kinder der Flora ein vor der Vernichtungswut der Bevölkerung geschütztes Dasein genießen. Stets sind zu finden: Juniperus rigida und J. chinensis, Pinus Massoniana, Photinia serrulata, „der Gräberbaum“ Zigustrum japonicum, ferner etwas weniger häufig Oryptomeria japonica, Thuja orientalis und Pitlosporum Tobira. Etwas später hören diese Anlagen auf, lichter Wald tritt an ihre Stelle und be- hauptet weiter hinauf, wenigstens in den Talmulden seinen Platz. Pinus Massoniana ist der herrschende Baum; zu ihm gesellen sich zwergige Formen von Juniperus chinensis, die prächtige, in ihrem Wuchs an eine Araucaria erinnernde Ounninghamia sinensis und Celtis sinensis. Den Boden bedecken niedere Bambusarten (Phyllostachys), die nur außerhalb des Baumbestandes in der Nähe der Dörfer zu hochstämmigen Beständen heranwachsen; an freien Stellen gedeihen Nephrodium lacerum, Pieris serru- lata, Lycopodium clavatum, Carex tristachya, Fimbristylis diphylla, Dioscorea saliva, Smilax Davidiana und China (gemein), Ranuneulus japonicus, Rubus corchorifolius und Thunbergii (Westseite und Inseln), Indigofera venu- losa, im Gebüsch klettert Lygodium japonicum und an abgestorbenen Baum- stümpfen oder verfallenen Grabmauern kriechen Trachelospermum jasmi- noides und Lonicera japonica entlang. Wird der Boden feuchter, dann erscheinen Cyperus-Arten, Fimbristylis ferruginea, Spiranthes australis, Platan- ihera mandarinorum (Ta yang schan), Cardamine flexuosa (Hsi dung ding), Drosera peltata, Hypericum japonicum, Stimpsonia chamaedroides, Uiri- cularia racemosa, Petasites japonicus (Bai ni schi) und sSenecio campestris. Höher hinauf, besonders an den Talhängen und Berglehnen, werden die Kiefern niedriger, erreichen nicht viel über Manneshöhe und bilden im Verein mit einer üppigen Macchienflora ein dichtes, sonst schwer zu durchdringendes Gestrüpp, wenn nicht die vielfachen schmalen, oft kaum erkennbaren Wege, die zur Kammhöhe emporführen, einen Durchgang er- möglichten. Neben Pinus Massoniana und der seltenen Ounninghamia machen Myrica rubra, Platycarya strobilacea, Quercus mongolica, gilva und Fabri, Castanea saliva, Orataegus pinnatifida, Rubus corchorifolius und Thun- bergii, Raphiolepis indica, Albiszia Julibrissin, Rhus silvestris, Symplocos caudata, cralaegoides und setschuensis (Bai mau schan) und Styrax serrulatus den Hauptbestandteil aus. Untermischt mit ihnen sind überall die drei Rhododendren des Taihu, Rh. Weyrichii, indicum und sinense anzu- treffen, die zur Osterzeit den sonst blütenarmen Bergen ein farbenpräch- tiges Aussehen verleihen. Den Reigen eröffnet das am tiefsten hinab- steigende Rh. Weyrichii, dessen hellrotviolette Blüten vor der Entfaltung der Blätter erscheinen. Ihm folgen S—14 Tage später das purpurrote 1913. 4 50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Rh. indicum und bald darauf das großblumige, gelb blühende Rh. sinense. Zu gleicher Zeit erschließen sich die Blütentrauben der überall häufigen Wistaria chinensis, von Exochorda grandiflora und Loropetalum chinense, letzteres besonders häufig auf der Westseite des Sees. An den Wegrändern, grasigen Plätzen, unter lichten Gebüschen siedelt sich Aletris japonica (besonders auf der Ostseite), Spiranthes australis, Lycoris radiata, Seilla chinensis, Liriope graminifolia, Asparagus, Arisaema ambiguum (San yüan bao dien), Ranunculus propinguus und die seltene Anemone baica- lensis (Hsi dung ding), Corydalis ineisa, Sanguisorba tenuifolia, Potentilla fragarioides und Freyniana (nur Hsi dung ding), Spiraea prunifolia, Indigo- fera venulosa, Lespedeza Jloribunda, Oxalis cornieulata, Polygala sibirica, Vaceinium bracteatum, Lysimachia Klattiana, Monochasma Sheareri und M. Savatieri, Mazus stachydifolius, Platyeodon grandiflorus (zerstreut) und Solidago virgaurea an, während die prächtige Forsythia viridissima nur auf die Bachufer der westlichen Berge beschränkt erscheint. Die Bergrücken selbst, von deren Flanken öfter Geröllhalden zungen- förmig in den Anfang der Täler hinabziehen, sind größtenteils, abgesehen von einigen wenigen Stellen mit winzigen Strauchformen, meistens Eichen und Kastanien, nur mit kurzer Grasnarbe bekleidet. Steinplatten, niedrige Felsblöcke treten sehr häufig, besonders auf den Rücken, zutage, größere Feispartien finden sich nur am Ta yang schan, Bai mau schan und dem nur gegen 100 m hohen Löwenberg. Die Flora der Höhenrücken mit ihren grasigen Abhängen und Geröll- halden setzt sich zusammen aus: Polypodium linesre, Lygodium japonicum in Zwergform, Carex tristachya, Ü. conica var. densa, Luzula campestris, Allium macrostemon, Nareissus Tazetla var. chinensis (besonders um die Häuser, Tempel und Totenhügel auf den Bergrücken, welche letztere von Rubus corchorifolius dicht umsponnen sind), Tulipa edulis (Bai mau schan), der reizenden, zwergigen Iris ruthenica var. nana (sehr häufig auf der West- seite und den Inseln, auf der Ostseite am Ting hsiang schan und Sieben- Söhneberg, hier vereinzelt im Dezember zum zweiten Mal blühend), Asarum Forbesii (sehr häufig, aber leicht zu übersehen), Thesium decurrens (ver- einzelt), Dianthus chinensis und superbus, Silene aprica und Fortunei, Stel- laria raphanorrhiza (Bai mau schan), Arenaria serpyllifolia, Isopyrum adoxoides, Corydalis (Bai mau schan), Umbilicus (gemein auf Felsen und Felsplatten, auch auf Mauern und Dächern der Dörfer), Rosa hystrix, multiflora und microcarpa, Ürataegus pinnatifida, Potentilla discolor, Prunus japonica in Zwergform, Campylotropis ciliata, Oxalis corniculata, Ilex cor- nuta, Viola Patrinii und canina, Daphne Genkwa in zahllosen Exemplaren, Ardisıa japonica, Veronica spuria, Mosla punctata, Phtheirospermum chinense, Salvia ‚japonica var. inlegrifolia, Elshollzia cristata, Oldenlandia hispida, Patrinia scabiosifulia, Adenophora verticillata und A. polymorpha, Cirsium arvense, Aster Japonicus und Solidago virgaurea. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 51 Den Kalkfelsen der Ostspitze der Insel Hsi dung ding sind Euphorbia Pallasii var. Limprichtiana, sowie Lilhospermum arvense var. caerulescens eigentümlich, während das prächtige, tiefblaue Lithospermum Zollingeri auch im Westen der Insel, sowie auf dem nördlicheren Mau sai anzu- treffen ist. Die buddhistischen Mönche legten ihre Tempelanlagen gern in den Schatten alter Bäume oder auf Bergeshöhen und haben es verstanden, den Baumwuchs in der Nähe ihrer Heiligtümer zu pflegen und vor der Habgier der Menschen zu schützen. Die häufigsten Tempelbäume sind der prächtige, oft, wie am Fuße des Lung schan bei Wusih, ungeheure Ginkgo biloba, Cryptomeria japonica, Thuja orientalis, Celtis sinensis, Quercus sclerophylla, Gleditschia sinensis und Punica Granalum. In ihrer Nähe siedeln sich Trieyrtis pilosa, Delphinium anthriscifolium, Moricandia sonchi- folia, Seutellaria galericulata, Asysiasia chinensis, Rumex pulcher, Saxifraga sarmentosa neben verwilderten Kulturgewächsen an. Außer den hier erwähnten Pflanzen sind von Forbes und Carles noch folgende Arten aus der Umgebung des Tai hu und von Hu tschou angegeben, deren Auffindung mir leider nicht gelang: Corydalis race- mosa (F.), Nasturtium officinale (F.), Oxalis strieta (F.), Actinidia chinensis (Hu tschou, F.), Gentiana Thunbergiü (Carles; bei Ningpo, Kloster Hsüe- tou sze von mir ebenfalls beobachtet), Caryopteris nep:tifolia (T.), Chlo- ranthus Fortunei (Carles), Salix Mesnyi (Carles) und Carex Hancei (Hu tschou, F.). Vergleicht man die Flora der Tai hu-Berge mit der Vegetation anderer Teile Chinas, z. B. von Ningpo oder schon dem Tien mu schan-Stocke nordwestlich Hang tschou, dessen prachtvoller, urwaldartiger Baumbestand (Pinus Massoniana, ÜCephalotaxus Fortunei, Torreya nucifera, riesige, sonst nur in Japans Bergen gesehene Cryptomeria), allerdings als Heiligtum der Tempel geschont wird, so muß man den Eindruck gewinnen, daß die kahlen, meist wasserlosen und pflanzenarmen höheren Bergrücken einst- mals wohl reicheren Bestand aufzuweisen hatten, der aber durch die Hab- gier der Anwohner immer melr der Vernichtung anheimgefallen ist. Neigt sich der Tag zu Ende, sieht der Beobachter Züge von Frauen, Mädchen und Knaben, die keuchend unter ihrer Last, die letzten Reste des Baum- und sogar Krautwuchses in ihre Behausung schleppen, um das für ihren Lebensunterhalt notwendige Feuer zu schaffen. Wird es doch wohl, wie im Norden des menschenwimmelnden China, dazu kommen, daß mit Hacke und Schaufel das spärliche, allein der Vernichtung trotzende Gras mühsam ausgeruplt wird, — in dem kohlenreichsten Lande der Erde! 4 or DD Jalıresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 3 DK ZU ano ebiralarelo: Herr F. Kern besprach Die Moosflora des schweizerischen Naturschutzparkes. Eine für den Naturfreund sehr erfreuliche Bewegung hat in den letzten Jahren in Deutschland und den angrenzenden Kulturstaaten ein- gesetzt. Man hat in weiten Kreisen eingesehen, daß, wenn der Mensch die Natur immer nur nach Nutzen und Schaden bewertet, ihre Schönheit in kurzer Zeit völlig vernichtet wird. Der Mensch hat mehr oder weniger rücksichtslos die Herrschait über alle seine Mitgeschöpfe ausgeübt, und- vielfach ist seine Herrschaft ein Fluch für die ganze Natur geworden. Und wenn er auch am ärgsten unter den Tieren gewütet, so sind auch viele Pflanzen in Gefahr geraten, ausgerottet zu werden. Überraschenderweise droht diese Gefahr sogar vielen Moosen. Ehe die jetzige Mode der Damen- federhüte einsetzte, welche unzählige Tausende der schönsten Vögel ver- nichtet, trugen die Damen kleine Gärten von künstlichen Blumen auf den Hüten. Den grünen Hintergrund zu allen diesen Blumen bildete immer ein Moos und zwar meist dieselbe Art, nämlich Thuidium tamariscinum, welches sich wegen seiner zierlichen Verzweigung zu diesem Zwecke be- sonders gut eignet. Thuidium tamariscinum wurde deswegen in sehr beträchtlicher Menge aus Frankreich importiert; die Damenhutfabrikanten hatten glücklicherweise keine Ahnung, daß dieses schöne Moos auch eine Zierde unserer feuchten Wälder bildet. Es ist aber wegen seiner Menge in Frankreich nicht ausgerottet worden. Diese Gefahr ist vorüber; es droht den Moosen aber in der Neuzeit eine viel größere, und zwar diesmal nicht von den Damenhüten, sondern von den vielen neuen Elek- trizitätswerken an den Wasserfällen. Ein klassisches Beispiel hierfür ist der berühmte Gößnitzfall in den Hohen Tauern. Der sehr wasserreiche Bach stürzt sich im Talboden rauschend in eine gewaltige Felsrotunde und erfüllt sie mit seinem Wasserstaube. Das ist nun ein Standort, der vielen Hochgebirgsmoosen die günstigsten Lebensbedingungen darbietet. Ringsum auf den triefenden Felsgalerien steht in Menge eine bryologische Selten- heit ersten Ranges, Anoectangium Hornschuchianum, in großer Fülle und üppig fruchtend; dabei andere Seltenheiten wie Bryum Reyeri, Stylostegium caespiticium und Geheebia cataractarum. Dieser berühmte Standort ist dem Verderben geweiht. An der Stelle wird ein großes Elektrizitätswerk errichtet, welches den nötigen Strom für die neue elektrische Bahn aus dem Pustertal nach Heiligenblut liefern soll. Ein anderes Beispiel, das ich in den letzten Jahren kennnen lernte, war der Maronefall am Lago d’Iseo. Durch die gewaltige Wasserentnahme des neuen Elektrizitäts- werkes hat sich der Wasserlauf zu einem schmalen Faden zusammen: II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 53 —— “ gezogen, in dem es dem Fissidens crassipes und submarginatus nur mit Mühe gelingt, am Leben zu bleiben. Die vom Wasser weiter entfernten Rasen der Marchantia palaeacea, welche sonst alle Felswände bedeckt, sind verdorrt, und Barbula Brebissoni und andere Seltenheiten sind im Begriff zu verschwinden. Es ist deswegen die Naturschutzbewegung auch für den Bryologen sehr erfreulich. Die neuen Naturschutzparke in der Lüneburger Heide sowie in Ostpreußen werden allerdings den Moosen wenig nützen, desto mehr der im Entstehen begriffene in den Hohen Tauern. Ein gewaltiges und für die Moose wichtiges Terrain hat aber die Schweiz in den letzten Jahren als Naturschutzpark eingerichtet. Es war aber auch in der Schweiz schwer, ein geeignetes Areal zu finden. Alle Gegenden, wo der große Touristenstrom hinkommt, schieden von vorneweg aus. Es mußte ein ganz ungestörtes Fleckchen Erde sein, wo ein solches errichtet werden konnte, wo also der Mensch sich die geringsten Eingriffe in die freie Natur hatte zuschulden kommen lassen. Ein solches Terrain fand sich nur im Unterengadin, dort, wo die Schweiz in einem Winkel an die österreichische und italienische Grenze stößt. Hier ist nun von den be- treffenden Gemeinden, besonders von Schuls und Zernez, ein ganz ge- waltiges Areal erworben worden. Der eine Teil hat das ganz einsame Gebirgsdörfehen Scarl zum Mittelpunkt; der andere, die Täler des Ofen- passes, das Val Cluoza und die anstoßenden am Piz Quatervals ge- hörten früher zur Gemeinde Zernez. Mit der Zeit soll das angekaufte Gebiet noch sehr erweitert werden. Die allgemeinen Verhältnisse des Gebietes sind in einem kleinen Heft von Hegi (Die Naturschutzbewegung und der Schweizerische Nationalpark, Orell Füßlis Wanderbilder, Nr. 277) näher erörtert worden. Mit Ausnahme des Munt Baseglia und der anschließenden Berge im Norden gehört das Gebiet dem Kalk an, ein für die Moosflora nicht gerade günstiges Verhältnis. Um die Erforschung der Phanerogamen dieser Täler hat sich besonders Prof. Schröter aus Zürich, sowie Herr Dr. Brunies, der Verfasser der Flora von Grau- bünden verdienstlich gemacht. - Die Sorge um die Tierwelt lag besonders den Vettern Sarrasin, bekannt durch ihre Reisen in Celebes, ob. Was dem Botaniker beim Eintritt in den Naturschutzpark auffällt, besonders wenn er wie ich über den Cruschettapaß kommt, sind die prächtigen Horste und Wälder der Arven, womit die höheren Berghänge bekleidet sind. Es sind nicht zerzauste Baumruinen, wie man sie sonst in den Hoch- tälern der Alpen trifft, sondern massige, frischgrüne Baumgestalten. In den unteren Tälern ist meist die Bergföhre (Pinus montana) der Charakter- baum. Mir war sie für meine Moosstudien nicht sehr lieb, denn wo sie dichte Bestände bildete, war der Boden trocken und von Moosen wenig zu finden. Für meine Moosforschungen hatte ich mir zuerst das kleine 54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Dörfehen Scarl zum Standquartier gewählt. Der Ort ist meilenweit von jeder anderen menschlichen Behausung entfernt und besteht nur aus wenigen Häusern. Zunächst untersuchte ich genauer das Haupttal, das Val da Scarl. In den prächtigen Zirbelwäldern konnte ich allerdings keine Beute machen. Ich habe noch nie auf einer Arve ein Moos, ein Hypnum oder ein Orthotrichum gefunden, die betreffenden Stellen sind dazu immer noch zu trocken; doch fanden sich im Talboden viele sumpfige Stellen, die einiges Interessante boten. So gab es viel Mnium ortho- rhynchum, der Vertreter der Mniumarten im alpinen Kalkgebiet, ferner die erst in den letzten Jahren aufgestellte Scapania paludosa, dann Amblyodon, und weiter oben die Encalypta microstoma.. Limpricht stellt dieses Moos als Varietät zu E. ciliata, es ist dies aber jedenfalls ein Irrtum, denn E, microstoma kommt ausschließlich in hochalpinen Lagen vor, und habe ich noch niemals Übergänge zu E. ciliata finden können. Die Pflanze ist auch beim Sammeln, ganz abgesehen von der eigentüm- lichen Kapselform, durch die auffällig ockerbraunen Cilien, sowie durch die karminrote Färbung der oberen Seta sofort zu erkennen. Wenn auch sonst auf Farbenkennzeichen wenig gegeben wird, so sind sie doch in diesem Falle durchaus konstant. Am nächsten Tage besuchte ich das nördlich abzweigende Val Sesvenna. Der untere, bewaldete Teil bot nur den eigentümlichen Trichodon cylindricus. Im obersten Teile, an der Vegetationsgrenze, lagen ungeheure Kalkblöcke, welche vom Piz Contrin herabgefallen waren. Große Decken von Leskea catenulata überzogen die Felsen, dazwischen manches Merkwürdige; so eine rotbraune Form von Barbula icmadephila, dann Encalypta rhabdocarpa v. leptodon, Ditrichum flexicaule v. densum. In einem dichten Rasen von Dicranum Mühlen- beckii krochen die haarfeinen Stengelchen der Cephaloziella myriantha (teste C. Müller), bei einer Seehöhe von 2300 m. Der nächste Tag galt dem Val Tavrü. Alle diese Scarltäler haben denselben Charakter; der untere Teil gut bewaldet, daran anschließend ohne besondere Tal- stufe die Alpenregion, dann die Schneeregion, die hier in der Kalkzone von einem breiten Gürtel der wildesten Verwüstung umgeben ist, Geröll- Ströme, Blockhaufen, absolute Vegetationslosigkeit. Der untere Teil des Val Tavrü war dicht bewaldet; es herrscht hier eine sehr feuchte Luft, welche der Vegetation sehr günstig ist. Die Stämme von Alnus viridis und anderen Sträuchern waren von vielen Moosdecken überzogen, in einer Weise, wie wi: sie häufig in unseren heimischen Gebirgen in der Sorbus- region wahrnehmen, vornehmlich Lescuraea striata und Brachythecium reflerum waren in verschiedenen Formen vorhanden. Leider war der ganze untere Teil dieses Tales von ungeheuren Lawinen arg verwüstet; der vereiste Lawinenschnee bedeckte jetzt im Juli noch in gewaltigen II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 55 Schichten den ganzen Bach. In der Alpenregion hörte aber die schöne Phanerogamenvegetation völlig auf; überall nur kurzstengliger Rasen — der Grund dafür war sofort zu sehen. Auf allen Abhängen standen Rinder- herden in den verschiedensten Lebensaltern, auch viele Pferde waren da, und man sah bald aufs klarste: Solange das Weidevieh auf den Bergen bleibt, ist an den Schutz der Alpenflora nicht zu denken. Die Moose werden allerdings von dem Schaden wenig betroffen. Große, vom Vieh zertretene Sumpfstrecken waren von den bläulichgrünen Rasen von Bryum Schleicheri latifolium ganz bedeckt, und an den höher gelegenen Felsen wuchsen seltenere Moose, so Ptychodien aus der Verwandtschaft des P. radicosum Mitten, Grimmia torquata, Encalypta commutata, Cyno- dontium torquescens und viele andere. Das letzte Scarltal, das ich be- suchte, war das Val Minger, wo noch im letzten Jahrzehnt viele Bären geschossen wurden. Dieses Tal war mit einem ganz gleichmäßigen, dichten Walde von Pinus montana bedeckt; die Bodendecke bestand aus einem ebenso dichten Walde von Erica carnea — unter solchen Umständen gibt es keine Moose. Nur im kleinen Bache wuchs eine langflutende Form von Hypnum irrigatum und daneben das merkwürdige Hypnum decipiens. Ich verließ nun die Scarltäler und begab mich nach Zernez, um den anderen Teil des Naturschutzparkes kennen zu lernen. Von Zernez aus nahm ich mir zunächst den krystallinischen Munt Baseglia vor, doch waren die Exkursionen in den höheren Regionen wegen der völligen Wegelosigkeit sehr anstrengend. Man begreift an solchen Stellen den großen ‚Segen, den der Deutsch-Österr. Alpenverein auch für die Bo- taniker stiftet. Schr häufig sah man hier oben die kleinen Rasen der Pohlia curviseta Hoppe u. Hedwig. Die Pflanze ist allerdings jetzt zu einer Varietät der Pohlia polymorpha gemacht worden; sie macht aber bei ihrem merkwürdigen Habitus den Eindruck einer guten Art. Die alten Bryologen hatten hierfür einen scharfen Blick. Außerdem wuchsen hier unter anderem Webera longicolla, das zwergige Bryum archangelicum, Plagiothecium Möilleri und Grimmien aus der von H. Loeske stark zu- sammengezogenen Sessitana-Gruppe. Sonst besuchte ich von Zernez aus noch die Ufer des Gletscherflusses Spöl. Auf den vom Wasser mehr oder weniger überspülten Blöcken hatte sich eine ganze Kolonie seltener Hoch- gebirgsmoose bei nur 1450 m Seehöhe angesiedelt, die offenbar vom Wasser von ihrem hochgelegenen Standorte heruntergerissen waren und hier wieder einen Ruheplatz gefunden hatten. Die Kolonie bestand aus Brachythecium Funkü, Orthothecium chryseum und strictum, Timmia zustriaca, Catoscopium, Chiloscyphus und vielen anderen. Merkwürdiger- weise war aber der Habitus der Arten dabei völlig verändert worden. Bei fast allen diesen Moosen kriechen die Stengel auf den Felsen hin 56 Jahresbericht der Schies. Gesellschaft für vaterl. Cultur. und bilden dicht anliegende Decken oder Matten; hier am Spöl standen aber die Stengel ganz aufrecht und dicht nebeneinander, etwa wie die Halme eines Getreidefeldes. Der Grund dafür war bald zu beobachten; jede größere, überflutende Welle wirft Gletschersand auf die Moose, und wenn sie nicht verschüttet werden wollen, so bleibt der Stengelspitze nichts anderes übrig, als stets aufwärts zu wachsen. Nun blieb mir nur ein großes Tal zu besuchen übrig, das zu erwerben die Kommission des Naturschutzparkes sehr stolz ist, nämlich das schwierig zu erreichende Val Cluoza. Jetzt führt in dieses Tal nur ein Ziegenpfad, und zwar auf der entgegengesetzten Seite des Bergkammes unten vom Spölufer bis über die obere Waldgrenze hinauf und dann die ganze Höhe wieder voll- ständig hinunter an den Cluozabach und an der jenseitigen Bergwand ein Stück in die Höhe, bis man zum Blockhause gelangt, das die Naturschutz- kommission neu gebaut hat, und welches auch Unterkunft für 'etwaige Botaniker und Zoologen bietet. Leider hat dieses Blockhaus eine für den fremden Botaniker sehr ungünstige Lage. Das Val Cluoza ist nämlich ein Tal, das fast unberührt von aller Kultur geblieben ist. So ist in diesem Tale wegen der schweren Zugänglichkeit noch niemals Holz gehauen worden; in der Waldregion ist alles völlig verwachsen. Nun liegt das Blockhaus in sehr hohem Knieholze; das pfadlose Durchzwängen durch Knieholz ist auch anderswo eine fatale Sache. Hier war es unmöglich, bei aller Anspannung der Kräfte ein größeres Stück durchzukommen, der Parkwächter war verreist und andere Wege als das Bachbett nicht vor- handen. Aber auch hier hemmten bald senkrechte Felsen den Weiter- weg. Sehr gern hätte ich die ungeheuren Felsmauern über der Hütte oder die drei wilden, schnee- und gletschergefüllten Täler des Hintergrundes besucht; aber ich mußte einsehen, ehe nicht einige Weganlagen für Fuß- gänger, also Steige, eingerichtet sind, wird man die Pflanzenschätze des Tales schwerlich erforschen können. An den Blöcken im Flußbett kam ein seltenes, alpines Kalkmoos in ziemlicher Menge vor, nämlich Cato- scopium nigritum, das beim Sammeln gleich durch die niedlichen, sehr kleinen, schwarzen Fruchtkapseln auffällt. In seiner Gesellschaft wuchsen noch Orthothecium rufecens und intricatum, Hypnum falcatum, fasti- giatum und andere Kalkmoose. Die faulenden Knieholzstämme waren von Lophozien, besonders von L, alpestris und L. guttulata bewachsen. Und so mußte ich so ziemlich unverrichteter Sache das Val Cluoza und damit den Schweizer Naturpark verlassen. Es sei mir erlaubt, noch einige bryologische Beobachtungen anzu- führen, die ich auch im Sommer 1912 in einigen Nachbargebieten des Schweizer Naturparkes gemacht habe. Schon vor drei Jahren besuchte ich das einsame Matscher Tal. auf der Südseite der Ötztaler Alpen. . Mein II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. Sr Zweck war besonders die Auffindung von Brachythecium gelidum, welches Dr. Bryhn in den Schneebergen Jotunheims in Norwegen entdeckt und als Art aufgestellt, und das ich für die Zentralalpen als neu auf den Velber Tauern gefunden hatte. Dieses Moos kommt nur unmittelbar an der Schneeregion vor, und als Unterstützungspunkt für derartiges Suchen in “solcher Gegend schien mir die im obersten Teile des Matscher Tales stehende Höllerhüte bei ihrer hohen Lage von 2640 m ganz geeignet. Leider wurde ich damals, als ich die große Höhe erreicht, von einem argen Schneesturm wieder heruntergetrieben. Da das Wetter im vergangenen Sommer günstig war, so wollte ich die Sache nachholen und wurde hier auch richtig Brachythecium gelidum entdeckt. Bei näherer Untersuchung stellte es sich allerdings heraus, daß diese Art in ziemlich naher Verwandtschaft zu Brachythecium glaciale steht. Dabei machte ich eine mir neue Beobachtung. Brach. gelidum mit dem verwandten Brach. glaciale wachsen in Gesell- schaft von Brach. latifolium und Grimmia mollis völlig untergetaucht in starken Bächen von Schneeschmelzwasser, welches eine Temperatur von nur + 2° C. hat. Sie sehen darin durchaus nicht dürftig aus, und be- sonders Grimmia mollis bildete sehr üppige, halbkuglige Rasen. Die das Schmelzwasser bildenden Schneemassen bestehen aus mächtigen Schichten, welche einer Vertiefung des Oberettesgletschers aufliegen. Es war also völlig ausgeschlossen, daß die genannten Moose noch im Laufe des Sommers in die wärmere Luft gelangen würden, und so haben wir den merkwürdigen Fall, daß es mehrere Moose gibt, diemiteinem Wärmemaximum vonnur + 2°C. fürihr Leben auskömmen und dabei noch üppig wachsen. Meines Wissens kommt dies bei keiner Phanerogame vor; wenn auch die Soldanellen, Ranunculus glacialis und pygmaeus in ebensolchen Gegen- den leben, so wachsen sie doch in freier Luft bei bedeutend höherer Wärme. Diese Moose werden in ihrem Verhalten nur von manchen Tangen übertroffen, die nach den Untersuchungen dänischer Botaniker an der Küste von Grönland im Meerwasser bei Kältegraden während der Polarnacht nicht bloß wachsen, sondern auch fruchten. Ich möchte noch bemerken, daß die genannten Moose auch außerhalb solcher Bäche vorkommen, aber immer nur an solchen Stellen, wo der Grund der Rasen vom Schneeschmelzwasser befeuchtet wird. Wie eben bemerkt, kommen diese Arten nur an der Schneegrenze vor; desto größer war meine Über- raschung in einer Felsspalte bei 2700 m eine auffallende Form von Plagiothecium derticulatum zu finden. Es war in dieser Felsspalte völlig über- und durchflossen ebenfalls von Schneeschmelzwasser von nur + 2° C.; es war allerdings nicht die typische Form der Ebene, sondern, wie mir H., Mönkemeyer gütigst mitteilte, die Varietät Donii, die 58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. bisher nur in Lappland und Sibirien gefunden wurde. Auch dieses Moos ist nicht kümmerlich gewachsen, sondern übertrifft an Größe bei weitem die typische Form der Ebene und sieht mehr wie eine Neckera aus. Nachdem ich den Schweizer Naturschutzpark verlassen, besuchte ich noch den in der Nähe gelegenen Piz Kesch, sowie den an der Grenze der Schweiz und Vorarlberg liegenden Gebirgszug der Scesaplana. Die an den beiden Standorten gefundenen, seltneren Moose sind in dem folgenden Verzeichnisse mit aufgeführt worden. Verzeichnis der von mir im Sommer 1912 im Schweizer Naturschutzparke und einigen angrenzenden Gebieten gesammelten Laub- und Lebermoose *). Hepaticae. Clevea hyalina. — Vorarlberg, Scesaplana, Felsen am Seekopf, 2200 m. — S. Wände der Sulzfluh, 1750 m. — Die Exemplare dieses Stand- orts zeigen auf den Archegonienständen sehr niedrige Wimper- büschel. Peltolepis grandis. — S. Mit voriger an der Sulzfluh, sehr sparsam, doch sofort zu erkennen an den von karminroten Hüllblättern umgebenen männlichen Blütenständen. Reboulia hemisphaerica. — S. Felsen des Seekopfes, 2200 m. Preissia commutata. — Scarl, Val Tavrü, 2300 m. Trotz der Kalkunter- lage kam diese Art im Naturschutzpark sehr selten vor. Aneura pinguis. — Auf Gletscherschlamm am Spöl bei Zernez; ein merk- würdiger Standort. — S. Wände der Sulzfluh, 1750 m. A. latifrons. — Val Tavrü, 2200 m. Metzgeria pubescens,. — S. Alvierschlucht, 700 m. Pellia epiphylla. — Munt Baseglia, 2400 m. — S. In einer Höhlenform auf feuchten Felsen der Kuhloches bei Bürs. P, Fabbroniana. — Bachufer im Val Cluoza. Gymnomitrium concinnatum. — Oberengadin, Piz Kesch, 2640 m. Alicularia scalaris, — Noch am Piz Kesch bei 2640 m. A. geoscypha. — Cruschettapass, 2300 m. — S. Wände der Sulzfluh, Fels- blöcke bei der Lindauer Hütte, Ofenpass. —- Oetztaler Höller- hütte, 2640 m. Haplozia atrovirens. — 8. Feuchte Felsen in der Alvierschlucht bei Bürs, ca. 900 m. *) Die Standorte der in der Scesaplanagruppe gefundenen Moose sind mit einem S. bezeichnet. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 59 Sphenolobus minutus, — S. Felsblöcke an der Lindauer Hütte. — Var. apiculata n. v. (Jede Blattspitze genau so zugespitzt, wie bei Marsupella apieulata, Perichätialblätter mit einigen Zähnen, hoch- alpine Zwergform.) — Klammfelsen oberhalb der Höllerhütte, 2700 m. S. exsectus, var. trilobata (Parallelform zu S. exsectiformis v. aequiloba). S. Seewies. — Alvierschlucht b. Bürs, — Felsblöcke bei der Lin- dauer Hütte, 1700 m. S. politus. — Oetzt. Alp.: Klammfelsen an der Weißkugel bei 2700 m in einer Form, bei welcher häufig die Blattlappen mit Spitzchen versehen sind. Lephozia lycopodioides. — Val da Scarl, 2000 m. — Val Tavrü, 2300 m. S. Wände der Sulzfluh c. per., 1750 m. — Kalkfelsen am Seekopf ce. per., 2000 m. — Var. parvifolia. — Felsen des Piz Kesch, 2640 m. — An Schneewasserbächen bei der Höllerhütte an der Weißkugel, 2630 m. L. Floerkei. — Feuchte Felsen am Spöl bei Zernez. L. barbata. — In Gesellschaft der vorigen. L. ventricosa, — S. Felsblöcke an der Lindauer Hütte, 1700 m. — Al- vierschlucht bei Bürs. (Durch starke Trigonen einen Übergang zu L. guttulata bildend). L. guttulata. — Auf morschem Knieholze im Val Cluoza, 1850 m. — S. Blöcke an der Lindauer Hütte. L. Wenzeli. — Val Tavrü, 2000 m. L. alpestris, — Val Cluoza, c. 1800 m. Plagiochila asplenoides. — Noch an den Wänden der Sulzfluh bei 1750 m. Pedinophyllum interruptum. — Spölufer, 1500 m. — 8. Alvierschlucht, 700 m. Chiloscyphus polyanthus. — Auf Gletscherschlamm am Spöl. Cephalozia bicuspidata. — Noch am Piz Kesch bei 2640 m, c. per. C. media. — S. Moorerde bei der Lindauer Hütte. Cephaloziella myriantha. — Kriechend in einem dichten Rasen von Dieranum Mühlenbeckii (teste C. Müller) am Piz Contrin bei 2300 m. Nowellia curvifolia. — S. Alvierschlucht. Blepharostoma trichophyllum. — Allgemein verbreitet. Lepidozia reptans. — Alvierschlucht. Scapania aequiloba. — Im Kalkgebiet ganz gemein. S. aspera. — 8. Alvierschlucht, 700 m. S. paludosa. — Munt Baseglia, 2400 m. 60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. Mastigobryum defleeum. — Val Tavrü, 2300 m. Trichocolea tomentella. — S. Alvierschlucht. Ptilidium eiliare, — Spölufer bei Zernez. Radula complanata. — Val Tavrü, 1900 m. Frullania Tamarisci. — Spölufer bei Zernez. — S. Alvierschlucht. Lejeunia serpyllifolia. — S. Alvierschlucht. Bryales. Sphagnum compactum. — Im Bache oberhalb Sulsanna am Piz Kesch. Andreaea petrophila. — Noch bei 2640 m am Piz Kesch. — Klammfelsen bei der Höllerhütte im Matscher Tal bei 2700 m. Gymnostomum rupestre, — Kaikfelsen am Spöl, 1500 m. — 8. Alvier- schlucht, 700 m. Hymenostylium curvirostre. — Kalkfelsen bei Scarl, 1800 m. — Bach- ufer im Val Cluoza, 1800 m. v. scabrum. — S. Wände der Sulzfluh, 1750 m. Weisia crispata var. alpina Breidler. — Felsen der Cruschetta, 2300 m. W. muralis. — Val da Scarl, c. fr. Dicranoweisia crispula. — Cruschetta, 2300 m. — Höllerhütte, 2630 m. Rhabdoweisia fugaz, var. subdenticulata Boulay. — Felsen des Piz Kesch, 2640 m. Cynodontium gracilescens. — Felsen im Val Tavrü, 2300 m. C. torquescens. — Glieshof im Matscher Tale. C, fallax. — Höllerhütte im Matscher Tale. Oncophorus virens. — Felsen im Val Tavrü, 2300 m. — Munt Baseglia, 1700 m. — Klammfelsen bei der Höllerhütte, 2700 m. — var. serratus. — Gletscherschlamm am Spölufer. Dicranella subulata. — Val Tavrü, 2300 m. D. squarrosa, — Quellige Stellen im Val da Scarl, 2000 m. Dicranum Starkei. — Bachufer bei Scarl, 1800 m. — Felsen des Piz Kesch bei 2640 m. Höchster Standort! D, Mühlenbeckü. — Piz Contrin, 2300 m. — 8. Felsblöcke an der Lin- dauer Hütte, c. 1700 m. D. congestum. — Val Tavrü, 1900 m. D. elongatum. — S. Blöcke an der Lindauer Hütte, 1700 m. D. albicans. — Bachufer bei Scarl, schon bei 1800 m. — Piz Kesch, 2640 m. Seligeria pusilla. — 8. Alvierschlucht. Trichodon cylindricus. — In Menge an den Abhängen des Piz Cornet im Val Sesvenna bei 2000 m. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 61 Ditrichum flexicaule. — Auf Gletscherschlamm am Spöl. — Val Cluoza. — var. densum, — Kalkblöcke am Piz Cornet, 2300 m. Distichium capillaceum,. — Im Gebiete gemein, in den höhern Lagen stets in der var. brevifolium. D. inclinatum. — Bachufer im Val Cluoza. Didymodon alpigenus. — S. Kalkfelsen des Alpgartens bei der Lindauer Hütte, 1710 m. D. cordatus. — Kalkfelsen oberhalb der Lindauer Hütte, 1800 m. D. spadiceus. — Val Tavrü. Tortella fragilis. — Cruschetta, 2300 m. Barbula convoluta. — Kalkblöcke am Piz Cornet, 2300 m. B. icmadophila. — Steril, mit voriger. B. paludosa, — S. Lindauer Hütte. — Alvierschlucht. Desmatodon latifolius. — Val Sesvenna bei Scarl. — Felsen der Crus- chetta. — Piz Kesch, 2640 m. — S. Öfenpass, 2300 m. D. glacialis. — Piz Kesch. — S. Alpverajöchl, 2300 m. — Schneewasser- bäche bei der Höllerhütte, 2630 m. Ich habe von dieser Art noch nie Übergänge zu D. latifolius finden können; die Pflanze macht stets den Eindruck einer guten Art. Tortula mucronifolia, — Aufstieg von Schluderns nach Matsch, 1500 m. T. ruralis. — Verbreitet. Die in den oberen Gebirgsteilen wachsenden Pflanzen sind häufig sehr schwer von T. aciphylla zu unter- scheiden. T. aciphylla. — Kalkfelsen. im Val Tavrü, 2300 m. — S. Öfenpass, 2300 m. — Alpverajöchl, 2330 m. — Höllerhütte an der Weißkugel, 2630 m. Schistidium alpicolum. — In Schneewasserbächen bei der Höllerhütte, 2630 m. — Mittelform von Var. rivulare und V. latifolium. Coscinodon cribrosus. — Steine am Aufstiege von Schluderns nach Matsch, 1500 m. Grimmia anodon. — Kalkblöcke im Val Sesvenna, 2300 m. G. Doniana. — Höllerhütte im Matscher Tale, 2630 m. G. ovata. — Val Tavrü, 2000 m. G. sessitana. — Munt Baseglia, 2400 m. — Piz Kesch, 2640 m. G. funalis. — Klammfelsen bei der Höllerhütte, e. 2700 m. G. caespiticia, — In Gesellschaft der vorigen. G. torgquata. — Val Tavrü, bei 2300 m. G. alpestris. — Val Tavrü, 2300 m. — Val Sesvenna bei Scarl, 2300 m — Piz Kesch, 2640 m. — Höllerhütte, 2630 m. G. mollis. — Völlig untergetaucht in Schneewasserbächen von 2° C. Wärme bei der Höllerhütte, 2630 m. 62 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Amphoridium Mougeotiü. — An Felsen des Piz Kesch, noch bei 2640 m; einer der höchsten Standorte. Orthotrichum cupulatum, var. octo-striatum Limpr. 8. Felsritzen am Seekopf oberhalb der Douglashütte, 2200 m. O. Schimperi. — Alte Zäune in Scarl, 1820 m. O. fastigiatum. — Auf Fichtenästen am Spöl. — Alte Zäune in Scarl. O. affine. — In Gesellschaft von O. speciosum und O, leiocarpum auf Fichtenästen am Spöl. O. Sturmäi, — Trockne Felsen am Munt Baseglia, 1700 m. — Val Cluoza, 1800 m. — Piz Kesch, 2640 m. Encalypta commutata. — Val Tavrü, 2300 m. — S. Alpverajöchl, 2330 m. E. ciliata. — Feuchtes Bachufer bei Scarl, 1860 m. — Glieshof im Matscher Tale. E. microstoma. — Cruschetta, 2300 m. — Neu für Graubünden. E. rhabdocarpa. — 8. Felsen bei der Lindauer Hütte. — var. pilifera. — Piz Kesch, 2630 m. — v. leptodon. — Kalkblöcke am Piz Cornet, 2300 m. E. streptocarpa. — S. Noch an den Felsen des Alpgartens der Sektion Lindau, 1710 m. Dissodon Hornschuchianus. — S. Alpverajöchl bei 2330 m. Wenn auch hier steril, so ist doch diese seltene Art durch ihre fast kreisrunden Blätter sicher von den ovalen und zungenförmigen des D. Fröh- lichianus zu unterscheiden. Anomobryum concinnatum, — Piz Kesch, bei 2640 m. Höchster Stand- ort! Pohlia curviseta. — Val da Scarl, 2000 m. — Munt Baseglia, 2400 m. — Cruschetta, 2300 m. Webera acuminata, — Felsen der Cruschetta, 2300 m. W. polymorpha. — Piz Kesch, 2640 m. W. elongata, var. macrocarpa. — Waldweg zwischen Sulsanna und Scanfs, 1800 m. W. longicolla. — Cruschetta. — Piz Kesch. — Glieshof im Matscher Tale. W. cruda. — Piz Kesch, 2640 m. — 8. Kalkfelsen des Seekopfes ober- halb der Douglashütte, 2000 m. Bryum pendulum. — Val Minger, 1900 m. B. archangelicum. — Munt Baseglia, 2400 m. — S. Alpverajöchl, 2330 m. — Kalkfelsen des Seekopfes, bei 2200 m. B. cirratum. — Val Tavrü, bei 2300 m. B. pallescens. — Punt Ota bei Brail, 1600 m. — S. Felsen des Alp- gartens bei der Lindauer Hütte. II. Abteilung.%;,;Zoologisch-botanische, Sektion. 63 B. elegans. — S. Sulztluh, 1750 m. — Lindauer Hütte, überall auf Kalk- felsen. — var. carinthiacum. — 8. Alpverajöchl, 2330 m. B. Mühlenbeckiü. — Cruschetta, 2300 m. B. alpinum. — In einer sehr zwergigen Hochgebirgsform noch an den Felsen des Piz Kesch bei 2650 m. B. turbinatum. — 8. In männlichen Exemplaren bei der Lindauer Hütte, 1800 m. B, Schleicheri var. latifolium. — Sumpfstellen im Val Tavrü und Val Minger bei 2000 m. Mnium orthorrhynchum. — Val Tavrü, 2300 m. — Val Minger, 1900 m. Val da Scarl, 2000 m. M. serratum. — Val Tavrü, 2300 m. — Auf Gletschersand am Spöl. — In einer Zwergform auf den Klammfelsen bei der Höllerkütte, 2700 m. Höchster Standort! M. medium. — Am Spölufer bei Zernez. M. subglobosum, — Quellige Stellen im Val da Scarl. Amblyodon dealbatus. — Am gleichen Standorte; hier schon von Theo- bald gefunden. Meesea alpina. — Val Tavrü. — Val Minger. — Val Cluoza. — S. Wände der Sulzfluh, 1750 m. Catoscopium nigritum. — Spölufer bei Zernez, 1500 m. — Kalkblöcke im Val Oluoza, 1800 m. Bertramia ithyphylla var. strigosa. — Felsen der Cruschetta. Plagiopus Oederi. — S. Alvierschlucht. — In einer Riesenform auf den Blöcken bei der Lindauer Hütte. Conostomum boreale. — Piz Kesch. Bei vielen Pflanzen dieses Stand- orts waren die Blätter stark gesägt. Philonotis alpicola. — Munt Baseglia, 2400 m. — Klammfelsen bei der Höllerhütte, 2700 m. Timmia austriaca. — Merkwürdigerweise auf Gletschersand am Spöl- ufer. Polytrichum piliferum, — In Gesellschaft von P. sexangulare noch auf dem Piz Kesch bei 2640 m. Myurella julacea. — Feuchte Felsen am Spölufer. — Val da Scarl. Bei manchen Exemplaren dieses Standortes erinnerten der Habitus und die untern Blätter an jwlacea, die obern Blätter und Perichätial- blätter an apiculata. — Abhänge des Piz Cornet; hier hatten die Blätter c. 39 p lange Spitzchen. Leskea catenulata. — Kalkblöcke am Pic Cornet, 2300 m. 64 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Pterigynandrum heteropterum, — Feuchte Felsen des Munt Baseglia. Piz Kesch, 2640 m. Lescuraea striata. — Aui Alnus im Val Tavrü. L. saxicola. — Felsen des Piz Kesch, 2630 m. Ptychodium plicatum. — Abhänge des Piz Cornet. — Val Tavrü. —- S. Öfenpaß. Pseudoleskea atrovirens, — Fiz Cornet. — S. Mit fast symmetrischen Blättern auf dem Alpverajöchl. — Ofenpaß. — An Schneewasser- bächen bei der Höllerhütte, 2630 m. Thuidium tamariscinum. — 8. In der feuchten Alvierschlucht hoch an den Bäumen emporkletternd. Orthothecium rufescens. — Val Cluoza. — S. Alvierschlucht. — See- kopf. — Wände der Sulzfluh. — Wie überall auf nassen Kalkfelsen. O. intricatum. — 8. Alvierschlucht. OÖ. chryseum. — Mit O. strictum auf Gletschersand am Spöl bei nur 1500 m. Offenbar aus der alpinen Region herabgeschwemmt. Brachythecium collinum. — Spärlich am Cruschettapaß, 2300 m. B. trachypodium. — S. Alpverajöchl, 2300 m. B. glaciale. — Wasserformen in Schneewasserbächen bei der Höllerhütte, bei 2630 m. B, gelidum Bryhn. — In Gesellschaft der vorigen. B. latifolium. — Mit den vorigen. Eurynchium strigosum. — Spölufer bei Zernez. — var. praecox. Felsblöcke oberhalb Zernez, 1600 m. E. cirrosum var. Funckii. — Gletschersand am Spöl, 1500 m. — S. Öfen- pab, 2300 m. — Alpverajöchl, 2330 m. — Kalkfelsen bei der Lin- dauer Hütte, 1800 m. E. Schleicheri, — S. Alvierschlucht. E. murale var. julaceum. — 8. Seekopf. — var. subalpinum Renauld (Rippe sehr kurz bis fehlend, auch gab- lig.) — S. Kalkfelsen des Seekopfes oberhalb der Douglashütte. Thamnium alopecurum. — S. An feuchtschattigen Felsen des Kuhloches bei Bürs. Sekundäre Stengel bis 19 cm hoch. Plagiothecium denticulatum, var. Donü }. nivalis (Blätter beiderseits schmal umgeschlagen bis zur Spitze, Blattspitze meist hakenförmig, Stengel robust, bis 7 cm lang, neckeraartiger Habitus). — Durch- flossen von Schneeschmelzwasser von 2° C. Wärme in einer Fels- spalte an der Weißkugel bei 2700 m. P. Roeseanum var. alpinum n. v. Ganz auffälliger Habitus, Stengel kätzchenförmig, Blätter sehr hohl; die Pflanze im Habitus ganz ähn- II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 65 lich dem Eurhynch. eirros. Funckii (Brachyth. Funckii). — Fels- ritzen des Cruschettapasses, 2300 m. P. Müllerianum. — Spölufer. — Munt Baseglia, c. 2400 m. Hypnum Halleri, — S. Öfenpaß, 2300 m. — Kalkfelsen im Val Tavrü. S. Seekopf, 2000 m. H. Sommerfelti. — Val Tavrü, 2000 m. H. chrysophyllum. — Am Wassersturz der Punt Ota bei Brail. H. protensum. — Spöl bei Zernez, 1500 m. — Val Tavrü, 2300 m. — S. Felsblöcke an der Drusenfluh, 1700 m. H. vernicosum. — Sumpfwiesen am Spölufer. H. fluitans var. submersum. — Flutend in einem Schneewasserbach unterhalb der Cruschetta, 2300 m. H. decipiens. — Abhänge des Piz Cornet, 2300 m. — Sumpfstellen im Val Tavrü, 2000 m. H. falcatum. — Bachufer im Val Cluoza. — Sumpfwiesen bei Scarl. H. subsulcatum. — Sumpfige Stellen am Spölufer, 1500 m. | H. irrigatum. — Flutend im Bache des Val Tavrü. — Val Minger. — Wasserlauf oberhalb des Sulsanna am Piz Kesch, 1800 m. — S. Überrieselte Kalkfelsen am Seekopf. — Schneewasserbäche bei der Höllerhütte, 2630 m. H. procerrimum. — S. Alpverajöchl. — Kalkblöcke unter der Drusenfluh, 1700 m. H. fastigiatum. — Val Cluoza. — S. Felsblöcke bei der Lindauer Hütte. H. Heufleri. — Kalkblöcke am Piz Cornet, 2300 m. H. Bambergeri. — S. Blockchaoten am Seekopf, 2000 m. H. hamulosum. — Spölufer bei Zernez. H. Schimperianum. — Schneewasserbäche an der Weißkugel, 2630 m. H. dilatatum. — Val da Scarl bei 2000 m. — Bach am Piz Kesch, 2600 m. Schneewasserbäche bei der Höllerhütte, 2630 m. Hylocomium pyrenaicum „— Val Tavrü, 2300 m. — 8. Öfenpaß, 2300 mı. Im Anschluß gab sodann der Vortragende ein Verzeichnis der Moosarten, die seit dem Erscheinen der Limprichtschen Werke in Schlesien entdeckt worden sind. Seit dem Erscheinen der Nachträge der Limprichtschen Moos- flora sind viele interessante Moosfunde von schlesischen Botanikern ge- macht worden, die aber noch nicht publiziert worden sind. Es ist dies jetzt aber höchst nötig, da außerschlesische Bryologen ihre Funde als neu für Schlesien ausgeben, während diese Arten schon vorher von den 1913. 5 66 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Schlesiern gefunden wurden. Die Zahl der Bryologen ist in Schlesien sehr klein; hier ist vor allen zu nennen Herr Generaldirektor Dr Rich- ters, dann außer dem Verfasser Herr Kantor Schwarz in Obernigk und Herr Amtsgerichtsrat Wegener in Trachenberg. Von außer- schlesischen Bryologen haben in unserm Florengebiet gesammelt Herr Professor Schiffner und Herr Baumgartner aus Wien, Herr Rek- tor Prager aus Berlin, vor allen aber Herr Professor Podpera aus Brünn, der besonders die südlichen Abhänge unserer Gebirge durch- forscht hat. Il. Für Schlesien neue Moosarten. 1. Riccia intumescens var. incana. — Zobten: Auf einem Kleefelde bei Tampadel. 29. 5. 87. (K.) Vergl. Müllers Lebermoose I. pg. 173. 2. Metzgeria conjugata. — Hirschbadkamm im Altvater. 1874. — Fürstensteiner Grund. — Krebsgrund bei Jauernig. — Warthaberg. (K.) — Diese häufige Art wurde früher von den schles. Bryologen mit zu M. furcata gezogen. 3. Aneura incurvata. — Dachsberge bei Sagan (Everken). — Von Karl Müller Frib. herausgefunden. 4. Sphenolobus exsectiformis. — Grüner Berg bei Friedeberg, Österr.- Schles. 19. 4. 76. — Feuchter Waldgraben am Geiersberge. — Berg- wald am Zobten. — Rotwasser, Österr.-Schles. (K.) — var. aequiloba. — Huhfall bei Waldenburg, Österr.-Schles. (K.Y 5. Lophozia Kunzeana. — Isergebirge (Schiffner, Hedw. 1908). 6. L. longidens. — Krebsgrund bei Jauernig, 6. 4. 77. — Wegabhang bei Haugsdorf im Altvater. — Huhfalltal bei Waldenburg. — Süd- abhang des Altvatergipfels bei 1500 m. (K.) 7. L. guttulata. — Zwischen Amph. Mougeotii am Huhfall im Altvater- gebirge. 20. 7. 87. (K.) 8. L. heterocolpos. — C. perianth. mit voriger. (K.) 9. L. Hatscheri. — Ruine Edelsteinschloß bei Zuckmantel, 1891. (K.) — Isergebirge, 1907. (Sch.) 10. Cephalozia pleniceps. — Weißwassergrund, auf Holzerde, 13. 7. 76. — Steinmauern in Gr. Aupa. — Wegränder am Südabhang des Alt- vaters. (K.) — — var. concinnata. — Felsen der Schneelöcher an der Brünnel- haide. (K.) 11. Cephalozia media. — Lurzgrund bei Gr. Aupa. (K.) 12. Cephaloziella integerrima. (Teste Karl Müller-Frib.) — An Grabenwänden bei Würben nahe Ottmachau, 1892, (K.). — Zweiter Standort in Deutschland! II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 21. 31. 32. C. myriantha (Jackä), — Trockener Erdboden auf der Schieferhaide im Altvater, 1876 (K.— Limpricht determ.). . C. eiegans. — Sattler bei Hirschberg (v. Flotow). -- Von Müller-Frib. herausgefunden. . Kantia sphagnicola. — Sumpflöcher der Weißen V;.iese, 1383. \K.) — Wörlichsgraben, 1904. (Sch.) . K. suecica. — Riesengebirge (Sch. Lotos, 1907). . Radula germana. — Alte Buchen und Fichten im Hunfalltale, 1887, — Bieletal unterhalb der Gabel. Beide Standorte im Altvatergeb. (K.) . R. commutata. — Felsblöcke bei Gr. Aupa, 1887. — Unterhalb des Aupafalles in männl. Exemplaren. — Kessel im Altvatergebirge. (K.) . Scapania obligqua. — Auf dem Riesengebirgskamme an mehreren Stellen. (Sch.) . Andreaea sparsifolia. — Felsrunse auf der Südseite des Schnee- koppengipfels, 16. 7. 86. (K.) Die Pflanzen stimmen mit norwegischen Exemplaren von Lille Elvedal genau überein. — Felsen oberhalb der Brünnelhaide, 1906. (Podp.) A, Huntii Limpr. — Auf Felsen unterhalb des Aupafalles, 12. 7. 90. (K.) Vom Autor der Art selbst bestimmt. — Blauhölle im Riesen- grunde, 1905 (Baumgartner). . A. falcata. — Felsen der Blauhölle, Juli 86. (K.) . Molendoa Sendtneriana. — Kessel im Gesenke in ziemlicher Menge. (Podp.) . Oncophorus Wahlenbergü. — An Gneisfelsen im Steingraben (Alt- vater) bei 1100 m reichlich fruchtend. (Podp.) . Dicranum neglectum. — Gipfel der Schneekoppe, Juli 86. (K.) . Grimmia unicolor. — Felsen unterhalb des Aupafalles. (Baumg.) . G. alpestris. — Isergebirge. (Sch.) . Orthotrichum alpestre, — An den oberen, schwer zugänglichen Graphitschieferfelsen des Kessels bei 1200 m. (Podp.) ‚ Webera carinata. — Zwischen Polytr. sexangulare in der Schnee- erube auf der Südseite des Brunnenberges. Nach Loeske ist diese Art (wie auch zweifellos richtig) eine nivale Form von W. Lud- wigii. (K.) . Bryum obliviscionis P o dp. spee. nov. — Kessel im Gesenke, aus der Verwandtschaft des B. Duvalü. (Podp.) Mnium Iycopodioides. — Quarklöcher am Glatzer Schneeberge, 1900, ec. fr. (Podp.) Philonotis seriata. — Aupafall, 1886. — Gr. Schneegrube. — Neue schles. Baude. (K.) — Kessel im Gesenke. — Glatzer Schneeberg. (Podp.) — Riesengebirgskamm an vielen Orten. (Pg.) 5* 68 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 33. Ph. alpicola. — Kessel des Gesenkes. — (Podp.) 34. Ph. Ryani. — Ausstiche bei Krietern, Breslau. — (R.) 35. Catharinea Hausknechtiü, — Längs des Weges vom Kessel nach Karlsdorf, Gesenke. — (Podp.) 36. Fontinalis dalecarlica. — Giersdorfer Wasser, Bächeltal, Riesen- gebirge. — (Pg.) 837. F. Prageri Warnst. — Am Wasser des Eulengrundes, Riesen- gebirge. — (P$.) 38. Thuidium Philiberti. — Schattiger Waldboden bei Würbental im Gesenke, Mai 99. — Sumpfwiese oberhalb Striegelmühl am Zobten. — (K.) — Kynast; Obergiersdorf. (Pg.) — Auch in den benachbarten Beskiden von Podpera gefunden. 39. Brachythecium salicinum. — An Salix, Wäldchen bei Hartlieb, Bres- lau. — (R.) 40. Hypnum Mackayi. — Bächeltal bei Giersdorf, Riesengebirge. (Pg.) er 41. Timmia bavarica. — Beskiden: Kalkfelsen am Eingang der Petre- faktenhöhle des Kotusch bei Stramberg, 5. 6. 97. (K.) I. Neue Standorteseltenerschlesischer Moose. Riccia sorocarpa. — Johnsbach bei Wartha. — Hartlieb und Rotkretscham bei Breslau. (K.) Grimaldia fragrans. — Kessel im Gesenke. (Podp.) Moerckia Blyttü. — Südseite des Brunnenberges. (Baumg., M. hibernica. — Wörlichsgraben. (K.) — Ziegenrücken (Velenowsky). — Aupaquelle. (Pg.) Pellia Neesiana. — Brünnelhaide (K.) — Kessel, Oppafall, Moos- weichten. (Podp.) Haplomitrium Hookeri. — Quellsümpfe des Weißwassers. (Sch.) — Die Pflanze muß auch hier sehr selten sein, denn im vergangenen Jahre gelang es mir nicht, trotz eifrigen Suchens eine Spur davon zu finden. Gymnomitrium coralloides, — Fuhrmannssteine im Gesenke. (K.) Marsupella sphacelata. — Agnetendorfer Schneegrube. (K.) — Kl. Schnee- grube. (Pg.) M. Sullivanti. — Agnetendorfer Schneegrube. (K.) — Kessel im Gesenke. (Podp.) un Haplozia caespiticia. — Skarsine. Kl. Silsterwitz am Zobten. (K.) Jamesoniella autumnalis. — Oppafall (Podp.). Lophozia Wenzelü. — Agnetendorfer Schneegrube. (K.) L. excisa, — Noch im Walde unterhalb der Agnet. Schneegr. bei 1200 m. (K.) L. Hornschuchiana. — Huhfall im Altvatergeb. (K.) II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 69 L. Iycopodioides var. parvifolia Schiffn. — Teßtal an der Brünnel- haide. (K.) Anastrepta orcadensis. — Männl. Exempl. in den Schneelöchern der Brünnelhaide. (K.) Sphagnocetis communis. — Mooswiesen am Schwarzen Berge, Riesen- geb. (K.) Lophocolea minor. — Waldboden am Hochwalde. (K.) Geocalyx graveolens. — Fichtenwald bei Waldenburg, Altvater. (K.) Cephaloziella Starkü, — Kiefernwald bei Kraschnitz. (K.) Nowellia curvifolia. — Freiwaldau, Österr. Schles.. — Jäckel bei Ober- niek. (K.) Scapania uliginosa. — Hochschar. — |Wasserbaude im Riesengeb. (K.). — Oppafall, Moosweichten, Steingraben, Kessel (Podp.). Sphagnum balticum. — Isergebirge. (Sch.) S. subbicolor, — Kessel im Gesenke. (Podp.) S. rubellum. — Oppatal (Podp.). S. medium. — Moosebruch bei Reiwiesen; hier das häufigste Torf- moos (Podp.). S. subnitens. — Moosweichten. (Podp.) — Hahnwald b. Weidenau (Hruby.). S. teres. — Mit vorigem. (Hruby.). Über die von Prager im Riesengebirge gesamelten Sphagna siehe Jahresbericht der Schles. Gesellschaft 1912, pg. 42. Andreaea alpestris. — Köpenikstein (Podp.). Phascum Floerkeanum. — Grabenwand b. Kapsdorf, Breslau. (K.) P. cuspidatum v. mitraeforme, — Sandhügel bei Trachenberg (W.) Rhabdoweisia fugax v. subdenticulata. — Kessel im Gesenke (Podp.). — Bergschmiede im Riesengeb. (Pg.) Cynodontium fallae. — Krummhübel (R.). — Schweizerei am Altvater. (Podp.) — Kl. Teich im Riesengeb. (Pg.) C. torquescens. — Fuhrmannstein (Podp.). Oreoweisia Bruntoni. — Schwedenschanze bei Pristram. (K.) — Beskiden: Hutyrofelsen. (Podp.) Dicranella curvata. — Schäferei am Altvater (Podp.). Dicranum fulvellum. — Nordabhang des Brunnenberges (K.). — Glatzer Schneeberg, Peterstein, Brünnelhaide. (Podp.) D, spurium. — Schieferbaude im Gesenke, 1350 m (Podp.). D. Sauteri. — Beskiden: auf der Gigula. (Podp.) D. majus. — Blaugrund, Agnetendorfer Schneegrube. (K.) Dicranodontium longirostre, var. alpinum. — Moosebruch bei Reiwiesen. (Podp.) — Melzergrund, Agnetendorfer Schneegrube. (K.) 70 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Fissidens ezilis. — Grabenwände bei Pleischwitz, Breslau. (K.) Trichodon cylindricus. — Granitfelsen an der Schlippe bei Friedeberg, Österr.-Schles. (K.) — Schäferei: Teßtal im Altvater. (Podp.) Ditrichum vaginans. — Schäferei im Altvater (Podp.), var. elata Hoch- schar. (Podp.) Didymodon cordatus. — Alte Hausmauer in Güttmannsdorf bei Reichen- bach. (K.) Trichostomum cylindricum. — Waldenburg im Altvater. (K.) — Quark- löcher am Schneeberge. Kessel im Gesenke (Podp.). Barbula Hornschuchiana. — Gr. Schottgau bei Canth. (K.) Schistidium apocarpum var. subalpinum Podp. — Kessel im Gesenke (Bro/d’p.): Grimmia elongata. — Simmalehne im Riesengrund (K.). — Blauhölle im Riesengrund (Baumgartner). G. incurva. — Quarklöcher am Schneeberge. (Podp.) G. elatior. — Kessel, Peterstein (Podp.). G. funalis. — Mittagstein, Handschuh im Riesengrunde Kessel im Gesenke (K.). — Peterstein (Podp.). Amphoridium lapponicum. — Köpernickstein (K.). — Peterstein (Podp.). Encalypta rhabdocarpa v. leptodon et var. pilifera. — Kessel. (Podp.) Schistostega osmundacea. — Altes Bergwerk im Riesengrund (K.). — Fuhr- mannstein, Berggeist, Teßtal (Podp.). Tayloria serrata. — Auf Hirschdung in der Agnetendorfer Schnee- grube (K.). | ya E Webera nutans var. longiseta. — Moosebruch bei Reiwiesen (Podp.). W, sudetica (Ludwigi). — In der March bei den Quarklöchern (Podp.). Webera proligera. — Skarsine (K.). — Teßtal bei Winkelsdorf; auch in den Beskiden (Podp.). W. annotina v. tenuifolia. — Steingraben, Teßtal (Podp.). Bryum Warneum. — Ausstiche bei Krietern, Breslau (R.). B. cuspidatum. — Ausstiche bei Gräbschen, Breslau (R.). B. fallax, — Altvater (Podp.). B. pallens v. arcuatum, — Mit voriger. BR. boreale. — Tebtal bei Winkelsdorf (Podp.). B. badium. — Hochschar (Podp.). Mnium punctatum v. globosulum Podp. — Quarklöcher am Schneeberge, Karlsbrunn im Gesenke (Podp.). M. medium. — Mertatal bei Wernersdorf (Podp.). M. subglobosum. — Gr. Schneegrube; Reifträger (K.). Paludella squarrosa. — Moosebruch bei Reiwiesen (K.). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 71 Plagiopus Oederi. — Kalkfelsen in Gr. Aupa (K.). — Quarklöcher am Schneeberge (Podp.). Atrichum angustatum. — Heidegegenden um Falkenberg OS. (R.). A. undulatum v. minor. — Waldrand bei Bargen (Schwarz). Polytrichum decipiens. — Melzergrund (K.). — Spindelmühl; Josephinen- hütte (Pg.). — Glätzer Schneeberg; Moosebruch bei Reiwiesen (Podp.). P. piliferum var. Hoppei. — Gl. Schneeberg (Podp.). Diphyscium foliosum. — Noch auf dem Schneekoppengipfel, aber völlig steril; deswegen habituell ganz abweichend (K.). Buxbaumia aphylla. — Oberhalb Bad Landeck bei der Hedwigsquelle (W.). B. indusiata. — Mit voriger (W.). Fontinalis gracilis. — Steingraben im Altvater (Podp.). Myurella julacea. — Peterstein (K.). Anomodon apiculatus, — Annakapelle bei Freiwaldau (K). Heterocladium dimorphum. — Peterstein (Podp.). Lescuraea saxicola. — Am vorigen Standorte (Podp.). Thuidium Blandowii. — Kesselwiese, 1200 m. höchster Standort (Podp.). Ptychodium plicatum. — Kessel, Mertatal (Podp.). Platygyrium repens. — Fasanengarten bei Ottmachau (K.). — In einem Parke bei Freiwaldau (Podp.). Orthothecium intricatum. — Wimmerstein im Aupatal (K.). — Quark- löcher am Schneeberge; Brünnelhaide (Podp.). Isothecium myurum var. tenuinerve. — Beskiden: Hutyrofelsen bei Sam- canka (Podp.). J. carpathicum Podp. — Beskiden: Schornstein (Podp.). Homalothecium sericeum var. fragilis. — Peterstein (Podp.). H. Philippeanum. — Rosengarten b. Jannowitz; Ruine Kaltenstein bei Friedeberg, Österr.-Schles. (K.). Eurhynchium confertum. — Quarklöcher am Schneeberge (Podp.). — Waldtempel bei Landeck (R.). . crassinervium. — Teßtal (K.) . Stokesü. — Lindewiese bei Freiwaldau (K.). . depressum. — Pantenmühle im Weistritztale (K.). . megapolitanum. — Südpark bei Breslau (R.). . Schleicheri. — Trebnitzer Buchenwald (R.). Plagiothecium curvifolium. — In den schlesischen Bergwäldern sehr SESu>SE SE! häufig. Die Pflanze wurde früher als eine Form von P, denticulatum angesehen und sie ist auch nichts anderes. P. Rutheanum. — Agnetendorfer Schneegrube; Handschuh im Riesengrund, Weißwassergrund (K.). — Moosweichen (Pod p.). — Rotwasser bei Weißwasser (Hruby). 2) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. F. Schimperi. — Gipfel des Schloßberges bei Zuckmantel; Gabelkreuz; Schweizerei im Altvater (K.). Amblystegium confervoides. — Quarklöcher am Schneeberge (Podp.). — Saubsdorf, Österr.-Schles. (K.). 4. subtile var. tenuissimum. — Mertatal im Altvater (Podp.). 4, radicale. — Humboldine bei Ottmachau (K.). — Kleinburg b. Bres- lau (R.). A. Fluviatile. — Olbersdorf bei Landeck (R.). Brachythecium campestre, — Kleinburg bei Breslau (R.). B. curtum. — Schloßpark in Militsch (Schwarz). Hypnum Halleri. — Fuhrmannstein (K.). — Quarklöcher am Schneeberge (Podp.). En N H. capillifolium, — Teichwiese bei Bargen (Schwarz). — Ausstiche bei Krietern, Breslau (R.). H. Wilsoni. — Teichwiese bei Bargen (Schwarz). FH. dilatatum. — Obere March am Schneeberge; Kessel im Gesenke (Podp.). — Heidelkoppe oberhalb Gostiz (K.). H. irrigetum. — In der March bei den Quarklöchern (Podp.). Kl. Kessel (Pod p.). H. purpurascens,. — Moosebruch bei Reiwiesen (Podp.). H, decipiens. — Berggeist, Seifental im Gesenke (Podp.). H. reptile var. subjulaceum. — Peterstein (Podp.). Hylocomium splendens var. alpinum. — Gipfel der Schneekoppe (K.). HA, purenaicum, — Spornhau; Kl. Kessel; Mertatal; Franzens Jagdhaus; Fuhrmannstein (Podp.). — Mit Frucht an den alten Buchen der Brünnelhaide (K.). Schließlich lieferte Herr V. Engler Beiträge zur Kenntnis der heimischen Lindenflora.!) Die Linde ist von jeher der bevorzugte Baum der Deutschen gewesen. Nur kurz sei darauf hingewiesen, welch’ große Rolle ihr im Leben unserer Altvorderen zukam. Es sei daran erinnert, wie um die Linde auf dem Dorfanger sich die ländliche Jugend zu „dörperlichen‘ Tänzen versam- melte, wie unter dem Schutz ihrer Krone die geheime Feme ihre peinlichen Urteile fällte, wie viel Ortschaften der Linde Namen und Wappen ver- danken, und mit welcher rührenden Vorliebe sie immer wieder in unzähligen Volks- und Minneliedern besungen worden ist. Noch heute ist die Vorliebe für sie nicht ganz erloschen, wenn auch die Eiche infolge 1) Zu vgl. V. Engler, Monograph. d. Gatt. Tilia. Breslau 1909. — Deorts. ausf. Literatur. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 718 des Klopstockschen Irrtums sie vielfach aus dem Herzen des Volkes verdrängt hat. Die Eiche war der Baum der Kelten, die Linde ein Wahrzeichen der Germanen, — freilich auch der Slaven. So gut nun im allgemeinen die Folkloristik der Linde bekannt ist, so wenig entspricht dieser Bevorzugung ihre botanische Kenntnis, daher es mir nicht unangebracht erscheint, die vaterländische Lindenflora Ihnen etwas näher zu führen. — Von den drei Lindenarten, die wir der heimischen Flora zuzurechnen haben, ist Tilia rubra nur auf den äußersten Süden unseres Vater- landes beschränkt. Der Süden des Wasgenwaldes gehört zu ihrem Areal, vielleicht auch der südliche Schwarzwald und von dem reichsdeutschen Anteil der Alpen das Algäu. Hier ist sie noch in einer Höhe von 1360 m gesammelt worden. Die ihr verwandtschaftlich sehr nahestehende T. platyphyllos geht viel weiter nördlich. Die Nordgrenze ihres ge- schlossenen Auftretens fällt mit der von Drude gezogenen Grenz- linie der mitteleuropäischen Wälder zusammen. Nur im Havelgebiete erfolgt ein schwacher Vorstoß nach Norden. In unserer engeren Heimat verläuft ihre Vegetationslinie in leidlicher Übereinstimmung mit der schlesisch-posenschen Provinzialgrenze. T. cordata endlich beherrscht das ganze Areal des Deutschen Reiches mit Ausschluß der atlantischen und subatlantischen Gebiete. Sie fehlt also im weitaus größten Teile von Schleswig-Holstein, in den Einzugsgebieten des Niederrheins, der Ems, der unteren Weser und an der Elbmündung. T. cordata trägt die vulgäre Bezeichnung Winter- oder Steinlinde, weil ihre Blütezeit 4 Wochen später einsetzt als die von T, platyphyllos, zum Teil vielleicht auch daher, daß ihr Laub weit ausdauernder ist als das der Sommerlinde. Es ist ja eine auch dem Großstädter genugsam bekannte Erscheinung, daß bei 7. platyphyllios schon Ende August eine auffallende Verfärbung der Laubblätter eintritt, und auch der Laubfall pflegt dann bald einzusetzen. Die Winterlinde ist schon rein habituell von ferne kenntlich. Ihre Krone ist geschlossener, die Zweige sind kürzer als bei den anderen beiden Vertretern unserer Gattung und aufwärts gekrümmt. Kurzum, die Krone ge- winnt gleichsam ein struppiges Aussehen gegenüber ihrer mehr ebenmäßigen Gestaltung bei den anderen beiden Linden, was freilich nur im Winter so recht zur Geltung kommt. Aber auch zur Blütezeit ist sie unschwer zu erkennen an der eigenartigen Insertion der Blütenstände, die nicht wie bei T. platyphyllos und wie bei T. rubra unter dem zuständigen Tragblatt herabhängen, sondern infolge einer Torsion des Blüten- standstieles über ihr Tragblatt orientiert sind. Bayer, ein hervor- ragender Lindenkenner, schildert dies Verhalten treffend mit folgenden 74 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Worten: „Quum inflorescentia super foliis porrigatur, copia florum magis in oculos cadit, siex alto despieiatur, quam sieximosuspicia- tur; quare bene dieimus, Tiliam parvifoliam floribus esse tectam, contra vero Tiliam grandifoliam floribus esse onustam“. Indes dieses Merkmal ist nicht der Art eigentümlich, vielmehr kommt es ihrem ganzen engeren Ver- wandtschaftskreise, der Subsektion Reticulares, zu. So steht es auch mit der charakteristischen blaugrünen Färbung der Blattunterseite, mit der rostbraunen Bärtelung der Blattaderwinkel, der Nervatur, und nicht zum wenigsten mit der eigenartigen Ausbildung der Fruchtform und des Pericarps. Eine Folge der oben geschilderten Orientierung des Blütenstandes ist naürlich auch eine abweichende Orientierung der Früchte. Sie sind ihrer Anlage nach zunächst radiär gebaut. Nun bildet aber ihre Längsachse mit der Vertikalen einen Winkel, der größer ist als 90°. Der reifende, und infolgedessen immer mehr an Gewicht zu- nehmende Same übt auf das Pericarp einen merklichen Druck aus, dem dieses infolge seiner für die ganze Subsektion charakteristischen zarten Organisation nachgeben muß. So erfolgt eine Aussackung des Pericarps an der dem Samen zunächst befindlichen Stelle, und die Frucht- form wird mehr oder weniger asymmetrisch. Wenn auch bei anderen fremdländischen Linden die Blütenstände nicht stets sich in einer aus- gesprochen hängenden Stellung befinden, wie z. B. bei T, tomentosa, so tritt doch aus zwei Gründen niemals eine Deformation der ursprüng- lichen Fruchtform ein. Einmal ist die Abweichung von der Vertikalen verhältnismäßig unwesentlich — die Blütenstände bleiben ja unter dem Tragblatt —, dann aber setzt auch das Pericarp vermöge seiner größeren mechanischen Festigkeit dem Drucke des Samens einen weit erheblicheren Widerstand entgegen. Hängende Blütenstände, wie sie bei 7. americana, bei T. platyphyllos und T. rubra auftreten, können naturgemäß niemals eine Asymmetrie der Fruchtform herbeiführen. Eigenartig ist auch die Nervatur der Steinlinde und ihrer näheren Verwandten. Es bilden sich zwischen den Seitennerven keine aus- gesprochen parallel verlaufenden Tertiärnerven, wie wir es bei allen anderen Lindenarten gewohnt sind, sondern der Raum zwischen den Seitennerven wird durch ein äußerst feinmaschiges Venennetz ausgefüllt, ungefähr so, wie es Ihnen von der Pappel und der Birke her bekannt ist, daher auch die Bezeichnung Reticulares für die Subsektion an- genommen worden ist. Berücksichtigen wir noch, daß T, cordata fast kahl zu nennen ist, aaß die Flügelblätter auffallend lang gestielt sind, und einen sehr all- mählich und sehr spitz auslaufenden Blattgrund besitzen, so haben wir Il. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 75 -—. reichliche und nie versagende Unterschiede gegenüber den beiden andern heimischen Linden, gegenüber T. platyphyllos und T. rubra. Diese beiden Linden sind die einzigen Vertreter der Subsektion Trabeculares. Sie lassen sich eigentlich nur durch ihre abweichende Behaarung und durch die 14 Tage auseinander liegende Blütezeit unterscheiden. Ihre Blatt- aderung gehört dem parallel-nervigen Lindentyp an. Dies besagt, dab . sehr gut differenzierte Tertiärnerven auftreten, die einander parallel gehen, aber zum Unterschiede von den übrigen parallel-nervigen Linden keinen bogigen, sondern einen gradlinigen Verlauf besitzen. Denn T. tomentosa mit ihren engeren und weiteren Verwandten, mit einem Worte die ganze Sektion Astrophilyra weist bogige, unter sich parallel verlaufende Tertiärnerven auf. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, daß bei T. rubra, die trotz aller Unterschiede ein deutliches Hinneigen zur Organisation der Reticulares zeigt, die Tendenz besteht, die parallelen Tertiärnerven in ein unregelmäßiges Adernetz aufzulösen. Gemeinsam ist beiden Lindenarten ferner die hängende Orien- tierung des Flügelblattes, ebenso seine Form wie auch die der Laub- blätter und Früchte. Spezifische Unterschiede liefert, wie schon oben erwähnt, nur das Indument der Laubblätter. T. platyphyllos trägt auf der Blattunterseite kurze, rigide, einzellige Borstenhaare, die alle — auch die tertiären — Nerven dicht bekleiden. T. rubra hat dagegen zerstreut stehende, wesentlich längere, zweizellige Gabelhaare, die für gewöhnlich übersehen werden, weil sie den Nerven — und zwar nur den Haupt- und Seitennerven — eng anliegen. Die Tertiärnerven sind im Gegensatz zu T. platyphyllos kahl. Auch die Farbe der Bärte ist zu berücksichtigen. Die Sommerlinde trägt rein weiße bis grau-weißliche, vielfach obliterierende Bärte, T. rubra dagegen mehr oder weniger bräunliche. Diese wenigen Merkmale genügen, um unsere einheimischen Linden sowie ihre Kreuzungen mit leidlicher Sicherheit zu trennen. Pflanzengeographisch beachtenswerte Varietäten und Formen fehlen. Die Variationsbreite ist bei der Gattung an sich nicht sehr bedeutend, wenn man nicht in den Fehler gewisser Autoren verfällt, Individuen oder gar Teile von solchen spezifisch abzutrennen. Wir haben zunächst zwei Hauptformen zu unterscheiden, Linden mit ausgesprochen herzförmigen Blättern neben solchen mit auffallend lang gestreckten, an der Basis gestutzten bis abgerundeten Spreiten. Dem- nächst lassen sich in diese Hauptgruppen einordnen Formen mit besonders kleinen Blättern, der „betulifolia“-Typ, oder solche mit 3—5lappiger Spreite, der ‚vitifolia“-Typ. Laciniierte Formen treten eigentlich nur bei T. platyphylios auf. Weitere Formen gründen sich auf das gegen- 76 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. seitige Größenverhältnis von Blütenstand und Flügelblatt. Panaschierte Formen fehlen nicht, sind aber recht selten. Die Zahl der Blüten inner- halb eines Pleiochasiums kann auch ganz gut zur Konstituierung von Formen herhalten. Von T, platyphyllos kennen wir auch eine Form mit dicht behaarter Blattoberseite. Im großen und ganzen kann man sagen, daß diese extremen, habituell gewordenen Abweichungen in der freien Natur recht selten sind, wenn sie auch nicht gerade fehlen. Der Haupttypus bleibt immer die Linde mit den asymmetrischen breitherzförmigen Blättern. Zum Schlusse möchte ich mir noch den praktischen Hinweis erlauben, daß zum sicheren Bestimmen von Linden blütenreifes Material aus allen Regionen der Krone erforderlich ist, zu dem alleinigen Endzweck, einen Überblick über die wesentlichen und unwesentlichen Merkmale der ein- zelnen Kategorien zu ‚gewinnen. Denn die partiellen und individuellen Abweichungen sind beträchtlich, und auch die Grenzen der Arten schwanken ungemein. Dafür ein indirekter Beweis sei Ihnen die aus- gedehnte Synonymik der Gattung im Vergleich zu ihrer geringen Arten- zahl. 4.Sitzungam20. Februar 1913. Her: W.Grosser sprach über: Krankheiten und Beschädigungen der Kulturgewächse in Schlesien im Jahre 1912. ti. Getreide. a) Pflanzliche Schädiger. Im ersten Frühjahr erhielten sich’die Saaten, abgesehen von vereinzeltem Befall durch Fusarium, der allem Anschein nach schon über Winter bestanden hatte (an Roggen: Kreis Brieg,Grünberg, Nimptsch, Gr. Stre hi u Nauıno- witz; an.Weizen: Kreis Breslau, Ratibor), ziemlichereme von Pilzbefali bis zum Eintritt der kühlen und trockenen Periode, welche bis Mitte Mai anhielt. Hier begann ein ausgedehnter Befall durch Schwärzepilze, welcher die Weiterentwickelung der Saaten fast in der ganzen Provinz erheblich beeinflußte. In der veränderlichen zweiten Hälfte des Mai begann der Getreidemeltau sich auszubreiten, dessen Entwickelung auch während der folgenden Monate kaum zum Stillstand kam. Besonders häufig trat er an Gerste (Kr. Grottkau, Habel- schwerdt,Leobschütz,Neumarkt,Schweidnitz, Tost- Gleiwitz, Waldenburg) und Weizen auf (Kreis Breslau, Frankenstein, Görlitz, Greoettkau, Guhrausr anne Lauban, Liegnitz, Kreuzburg, Neumarkt, Sasamn, II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. TEN Seniweidnitz, Sprottau, Strehlen, Groß. »strehlitz, Striegau, Trebnitz). Während des Höhepunktes der Meltauent- wiekelung setzten hier und da kleinere Rostepidemien ein. Es erschien der Gelbrost an Roggen im Kreise Grottkau und Ratibor, an Weizen in den Kreisen Bolkenhain, Goldberg-Haynau, G@rottkau, Lauban, Liegsnitz, Neumarkt, Ratibor, Tost-Gleiwitz, Schweidnitz. Die Dauer des Auftretens des Gelbrostes war verhältnismäßig kurz, es wurde bald vonBraunrost ab- gelöst, der auf Roggen und Weizen durch die ganze Provinz, ohne aber erheblichen Schaden zu verursachen, verbreitet war. Erst später von Mitte August ab begann, begünstigt durch die fortwährenden Regengüsse und durch schweres Lager, der Schwarzrost aufzutreten, der nament- lich bei Weizen und Hafer, die wegen der Witterungsungunst nicht vom Felde kommen konnten, schweren Schaden anrichtete. Besonders waren es die im höheren Vorgebirge liegenden Kreise, welche hiervon in Mit- leidenschaft gezogen wurden. Zwergrost an Gerste war nicht sehr häufig, ebenso der eigentliche Haferrost. Unter dem Einfluß des heißen und trockenen Wetters des Juli stellte sich ein plötzliches und vorzeitiges Absterben des Weizens mit den Er- scheinungen der Fußkrankheit ein. Sie war in allen Kreisen zu finden, welche Weizenbau treiben, und war stellenweise von erheblichen Verminderungen der Körnerqualität wie des Ertrages überhaupt begleitet. Wie Berichte aus anderen Teilen Deutschlands ergeben haben, war die Fußkrankheit im Berichtsjahre fast überall verbreitet. Trotz zahlreicher, in den letzten Jahren erfolgten Veröffentlichungen ist eine wesentliche Klärung der Verhältnisse über das Entstehen der Krankheit bisher noch nicht erfolgt, und über die prädisponierenden Einflüsse herrschen nach wie vor noch weitgehende Meinungsverschiedenheiten. Zunächst sprach man Frostbeschädigungen als solche an. Daß diese aber nicht immer die alleinige, prädisponierende Ursache sein können, geht aus dem Verhalten der Sommerungen des öfteren hervor. In diesen tritt bisweilen die Fuß- krankheit in stärkerem Maße auf, auch wenn während der Vegetations- periode die Temperatur überhaupt nicht unter Null gesunken war, wie bei- spielsweise im Jahre 1901 in Schlesien. Demnach kann es nicht zweifel- haft sein, daß auch noch andere Faktoren eine erhebliche Rolle spielen. Als solche kommen nach Ansicht zahlreicher Praktiker hauptsächlich in Betracht die Vorfrucht, die Empfindlichkeit der Sorte und die Lage. Als Vorfrucht sollen besonders die Leguminosen und Halmfrüchte selbst das Auftreten der Krankheit fördern. Auf hoch- und freigelegenen Feldern trat die Krankheit im allgemeinen mehr auf als auf anderen. Auch waren bisweilen die Ränder der Schläge mehr wie das 78 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Innere befallen, stellenweise trat allerdings auch das Umgekehrte in die Erscheinung. Bezüglich der Bodenverhältnisse zeigen sich die statistischen Unterlagen voll von Widersprüchen, bald sind es die schweren Böden, bald die leichteren, auf denen die Krankheit besonders hervortritt. Neuerdings wird die Krankheit in Zusammenhang gebracht mit einer gewissen Notreife des Saatgutes und ausgehend davon, daß das erste Jahr des Erscheinens der Krankheit in Deutschland auf das berüchtigte Trockenjahr 1893 folgte, sagte man voraus, daß die ungewöhnliche Trockenheit des Jahres 1911 in diesem Jahre ein stärkeres Auftreten der Fußkrankheiten zur Folge haben werde. Dem äußeren Anschein nach trifft ja diese Prophe- zeiung ein, allein die Statistik lehrt, um auf schlesische Verhältnisse zu exemplifizieren, daß auch nach nassen Jahren solche folgen Können, in denen die Fußkrankheiten über den normalen Umfang hinausgehen und umgekehrt. Das Jahre i904 war für Schlesien ein recht empfindliches Dürrejahr, trotzdem zeigte sich 1905 die Fußkrankheit nicht häufiger als 1906, obwohl der Sommer 1905 recht feucht verlief. Der Sommer 1908 war in Schlesien durchaus nicht dazu angetan, notreifes Getreide zu erzeugen, nichtsdestoweniger erschien 1909 die Fußkrankheit sehr häufig. Man sieht hieraus, daß in der Mutmaßung einer Beziehung zwischen der Witterung des vergangenen Jahres und dem Umfange des Auftretens der Fußkrankheit in dem darauffolgenden durchaus noch nicht der Schlüssel zu dem bisherigen rätselhaften Verhalten der Fußkrankheiten 1 gefunden ist. Nach Lage der Verhältnisse ist es als ziemlich sicher anzunehmen, daß nicht nur eine einzige Ursache zur Fußkrankheit disponiert, sondern daß mehrere, in wechselnder Kombination sich vereinigende Faktoren zunächst eine Schwächung der Pflanzen herbeiführen. Als derartige Fak- toren haben sich neben vorausgegangener Erkrankung durch echte Para- siten vornehmlich einseitige Überernährung, zu dichter Standsowie Verunkrautung und die daraus folgende Beschattung des Halmgrundes, ungünstige Witterung, besonders andauernde Nässe und auch Frost erwiesen. Durch ihre ungünstige Beeinflussung wird die Widerstandsfähigkeit des Organismus unter seinen normalen Grad herabgedrückt, wodurch der Befall der sicher nur als Schwäche- parasiten“ auftretenden Pilze (Leptosphaeria, Ophiobolus, Fusarium) ermöglicht wird. Daß es sich bei diesen nicht um echte Parasiten han- deln kann, erhellt aus der Tatsache, daß bisweilen Getreidepflanzen ge- funden werden, an denen trotz reichlicher Entwickelung von Leptosphaeria oder Ophiobolus eine Erkrankung nicht zu bemerken ist, und die volle Ähren tragen; auch spricht dafür, daß diese Pilze meist erst dann zu stär- kerer Ausbildung gelangen, wenn die Pflanzen der Reife nahen und der il. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 79 Transport der Nährstoffe nach den Orten des Verbrauches nahezu beendet ist. Nach dem Verlaufe der Witterung des Frühjahres 1912 gewinnt es den Anschein, als ob für die schlesischen Verhältnisse der kurze Nach- winter zu Anfang der zweiten Aprilhälfte in Verbindung mit den im März vorausgegangenen Frösten in erster Linie die Vorbedingungen für das spätere Auftreten der Krankheit geschaffen hat. Auch an Roggen war die Fußkrankheit stark verbreitet. Er- heblichere Beschädigungen fanden aber nur in den Kreisen Breslau, Glogau, Grottkau, Goldberg-Haynau, Hoyerswerda, Öls,Steinauund Tost-Gleiwitz statt. Brandkrankheiten waren im allgemeinen von geringerer Be- deutung. Gerstenflugbrand trat, wenn auch weit verbreitet, meist nur in geringen Prozenten auf, in stärkerem Maße nur in den Kreisen Grottkau, Leobschütz, Schweidnitz und Tost-Glei- witz. Hartbrand war vornehmlich auf Imperialgersten zu finden, blieb aber ebenfalls nur innerhalb weniger Prozentsätze. Auch Weizen- flugbrand war ohne wesentliche Bedeutung. Dagegen trat stellenweise der Steinbrand des Weizens häufiger als sonst auf, nicht nur auf Rustikalparzellen, sondern auch auf größeren Schlägen trotz Beizens des Samens (Kreis Breslau, Jauer, Kreuzburg, Landeshut, Leobschütz, Münsterberg, Striegau). Roggenstengel- brand fand sich in der Regel nur auf Rustikalfeldern. Von erheblicherer Bedeutung waren wiederum die von der Streifen- krankheit (Helminthosporium gramineum) hervorgerufenen Beschädi- gungen. Sie traten wie im Vorjahre bei empfindlicheren Gerstensorten, die größere Ansprüche an Bodenfeuchtigkeit stellen, nach einer Wachs- tumsstockung auf, die durch die Trockenheit des Frühjahres eingeleitet wurde. Die Krankheit war namentlich verbreitet in den Kreisen Falken- berg, Goldberg-Haynau, Grottkau, Habelschwerdt, Kreuzburg,Leobschütz,Liegnitz,Militsch-Trachen- Bienen Münsterberg,': Namslau, "Ohlau, Ratibor, Schweidnitz, Steinau, Tost-Gleiwitz, Waldenburg. Auch Helminthosporium Avenae war nicht selten, jedoch meist ohne größere Schadenwirkung. Es fand sich an Hafer in den Kreisen Deuthen, Brieg, Falkenberg, Grottkau, Kreuzburzg, Bblinitz,.. Militsch- Trachenbere, Öls, Rybnik, Sprottau,Gr. Strehlitz, Tost-Gleiwitz. Die übrigen zur Kenntnis gelangten Erkrankungen durch pflanzliche Organismen waren nur von untergeordneter Bedeutung. s0 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. b) Tierische Schädiger. Frühjahrsbeschädigungen durch das Stockälchen traten an Roggen nur verhältnismäßig selten auf (Kreis Guhrau,@Gr Wartenberg, Trebnitz), ebenso an Gerste, (Kreis Glatz, Wohlau,) und an Weizen (Kreis Brieg, Grottkau, Guhrau, Strehlen). Häufig war jedoch wieder die Hafernema- tode (Heterodera Schachtii) in den Kreisen Bolkenhain,Breslau, Bries, Bunzlau,, Grottkau, Guhrau, Kreutsbmer sh Landeshut,Lauban,Lieenitz,Militsch-Trachlembrers,, Münsterbere, Neumarkt, Ohlau, Ratibor, Kerichrern. bach,Schweidnitz,Steinau,sStrehlen, Rost Gbeswirtz, Waldenburg, Wohlau. Von Heterodera radicicola kamen nur zwei größere Beschädigunegn zur Kenntnis aus den Kreisen Landeshut (etwa 80°) und Reichenbach, (etwa 25°o). Drahtwürmer gab es im Frühjahr allerorts, meist waren die Schäden gering, erheblichere ereigneten sich im Kreise Bolkenhain, Brieg, Cosel, Frey- stadt, Grottkau,' Guhrau, Landeshut,. Ne umgaseıkıtz Ohlau:, Reichenbach, Schweidnitz, Sprottau, Strehlen, Tost-Gleiwitz. Stellenweise (Kreis Jauer, Lieg- nitz) verursachten die Larven der Aprilfliege (Bibio) bedeutenden Schaden unter der jungen Sommergerste durch Abfressen der Wurzeln. Von Schädigungen durch Getreidefliegen überwogen auch in diesem Jahre wieder diejenigen, welche durch die Sommergeneration der gelben Halmfliege (Chlorops taeniopus) an Weizen verursacht wurden. Die Halmfliege ist zwar ein seit langem in Schlesien eingebür- gerter Schädling, welcher wiederholt eine enorme Häufigkeit in manchen Jahren erreichte; früher jedoch pflegten auf Jahre, in denen eine Massen- entwicklung erfolgte, eine Reihe solcher zu folgen, in denen die Aus- breitung des Schädlings auf ein erträgliches Maß zurückging. So wird berichtet, daß im Jahre 1869 stellenweise °/s—”/s der Weizenhalme befallen waren; auch in den Jahren 1893 und 1901, sowie in dem darauffolgenden wurde über erheblichen Halmfliegenschaden geklagt. In den Dürrejahren 1904 und 1911 trat der Schädling wieder mit besonderer Heftigkeit auf, nachdem er bereits in der Zwischenzeit die unverkennbare Tendenz zur allgemeineren Verbreiterung in Schlesien gezeigt hatte. Gegenwärtig liegen die Verhältnisse so, daß ganz Oberschlesien stark unter der Plage zu leiden hat, besonders aber seine östlichen und südlichen Kreise, in denen dadurch stellenweise der lohnende Anbau von Weizen in Frage gestellt wird, daß ferner die Kreise Mittel- und Niederschlesiens, welche sich dem Gebirge vorlagern, bereits stark in Mitleidenschaft gezogen werden, während der übrige Teil Schlesiens nur mit einem stellenweise häufigen Vorkommen des Schädlings zu rechnen hat. Besonders hervorzuheben ist, daß es sich s1 II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. \ >= Businapagun II Duney ce (IM Diyneydyss ass EEE "YJeyuassew oLöl SNAIOIUBL] STOLOJLLI UOA DITDTERLEEN woy Noye 1913. 82 Jahresbericht der Schles.’Gesellschaft‘für vater]. Cultur. in allen diesen Fällen nur um Sommerbeschädigungen, also um das Steckenbleiben der Ähren in der obersten Blattscheide handelt. Beschädi- gungen an Wintersaaten während des Herbstes und Winters kommen durch die Larven der gelben Halmfliege in Schlesien nur äußerst selten vor, so daß diese Art des Befalls für Schlesien keine wirtschaftliche Bedeutung hat. Auch zeitig gesäte Winterungen bleiben selbst in den von dem Schädling am meisten heimgesuchten Gebieten ohne wesentlichen Befall. Diese Feststellung erscheint um so wichtiger, als es danach nicht etwa die zeitig gesäten Winterungen sein können, welche den Schädling sozusagen züchten und infolgedessen sein massenhaftes Auftreten im Sommer er- klären. Über die Maßnahmen, welche zur Verminderung der Halmfliegen- plage dienen können, bezw. über die Umstände und die Verhältnisse, unter denen der Schädling besonders verderblich auftritt, bestehen weit aus- einandergehende Meinungsverschiedenheiten. Eine zur Klärung der Sach- lage im Sommer 1912 veranstaltete Umfrage, aus der etwa 400 beantwor- tete Fragebogen eingingen, ergab folgende Anhaltspunkte. Der Befall ist in erster Linie abhängig von dem Eintreten von Wachstumsstörungen kurz :vor dem..Schobengzdies Weizens; je länger solche Störungen anhalten, desto mehr nimmt der Befall zu. Zeitige Winterungen und sehr zeitig bestellte Sommerungen weisen den geringsten Befali auf, wobei allerdings zu bemerken ist, daß bezüglich der Sommerung Oberschlesien eine Ausnahme macht, insofern als hier Sommerweizen immer erheblich befällt. Es hängt dies jedenfalls damit zusammen, daß entsprechend dem rauheren Klima Oberschlesiens die Frühjahrsaussaat eben nicht zeitig genug erfolgen kann. Bezüglich der Sortenfrage scheint soviel festzustehen, daß spät sich ent- wickelnde Sorten eher zum Befall neigen als frühe, vorausgesetzt, daß die angebaute Sorte überhaupt für diein Frage kommenden Bodenverhältnisse und den Kulturzustand der Scholle paßt. Es ist öfters die Beobachtung zu machen, daß Weizen noch auf Böden gebaut wird, die sich für diese Frucht nicht mehr eignen; an derartigen Orten pflegt dann der Befall am schlimmsten zu sein, und solche Schläge dienen allerdings nur dazu, zur Massenentwicklung und Einnistung des Schädlings beizutragen. Unter Zugrundelegung dieser Erfahrungen ergeben sich für Schlesien folgende Maßnahmen zur Bekämpfung der Halmfliegenplage: 1. Nicht übermäßig zeitige, aber auchnichtzuspäte Aussaat des Winterweizens, indem für Oberschlesien als spätester Termin ° etwa die ersten Oktobertage anzusetzen wären; 2. Aufgabe des Anbaus von Sommerweizen in den besonders von der Plage bedrohten Gebieten; I. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 83 3. Verwendung von früh sich entwickelndem /Winterweizen .und Be- schränkung des Weizenbaues auf die wirklichen Weizenböden; 4. Verwendung von nicht nur gut keimfähigem, sondern auch ge- sundem Saatgut. Schädigungen durch die Fritfliege traten fast nur bei Hafer auf (Kreis Beuthen,Bunzlau,Grottkau,Landeshut,Lub- linitz, Neumarkt, Ohlau, Rybnik, Gr. Wartenberg), in letzterem Kreise wurden auch hier und da Roggenschläge im Herbst be- schädigt. Im Kreise Reichenbach und Steinau litt Weizen mehr- fach durch die Beschädigungen der Blumeniliege. Die Halmwespe (Cephus pygmaeus) war häufig auf Weizen und fand sich besonders auf fußkranken Schlägen (Kreis Frankenstein, Freystadt, Glogau, Goldberg-Haynau, Grottkau, Guhmau Kreuzburg, Leobschütz, Liegnitz, Löwen. berg, Militsch-Trachenberg, Neumarkt, Neurode, Öls,Schweidnitz,Sprottau,Strehlen,GroßStrehlitz, Striecau, Tost-Gleiwitz, Wohlau). Wie in allen an Wachstumsstörungen reichen Jahren traten auch Blasenfüße in Mengen schädlich auf, an Gerste in den Kreisen: Grottkau, Liegnitz, Münsterberg, Neumarkt, Tost- Gleiwitz; an Hafer in den Kreisen: Beuthen,Brieg,Bunzlau, Ralkenberg, Kreuzburg, Landeshut, Leobschütz, Mwplenitz, Neumarkt, Ratibor, Strehlen, Striegau, Trebnitz, Waldenburg, an Roggen in den Kreisen: Bolken- haım, Breslau, Brieg, Glatz, Glogau, Grottkau, Grün- Deu Beobschütz, Neisse, Ohlau, Sagan, Siriezau,; an Weizen in den Kreisen: Frankenstein, Glogau, Grottkau, Jauer,Kreuzburg,Lauban,Löwenberg,Münsterberg, Neumarkt,Schweidnitz, Sprottau. Die Beschädigungen er- folgten in wechselnder Schwere, empfindlichere kamen besonders bei Roggen und Hafer vor. Hafermilben (Tharsonemus spirifez) waren wiederum häufig im Kreise Brieg,Cosel, Falkenberg, Grottkau,Landeshut, Bwblinitz, Neumarkt, Oppeln, Ratibor, Gr. Strehlitz, Strehlen, Waldenburg. Auch dieser Schädling scheint sich immer mehr auszubreiten, findet sich aber besonders häufig auf anspruchsvolleren Hafersorten, so daß die Vermutung naheliegt, seine Ausbreitung stehe mit der ausgedehnteren Verwendung für die Bodenverhältnisse nicht geeig- neter Sorten in Verbindung. 6* 54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 2. Rüben. Die Hauptschädigung der Rübensaat erfolgte im Berichtsjahre zu Anfang der Vegetation durch den allgemein verbreiteten Wurzel- brand. Unter Einfluß von ungünstiger Witterung nahm diese Krankheit stellenweise einen bedeutenden Umfang an (Kreis Breslau, Cosel, Glogau, Goldberg-Haynau, Grottkau, Grimmen, Habelschwerdt,-: Lauban, Leobschütz 22 mprknnktz, Nimptsch, Pleß, Trebnitz), so daß mehrfach Neubestellungen erfolgen mußten. Stellenweise gaben hierzu auch erheblichere Beschädi- gungen durch die Larven der Aprilfliege (Bibio) Anlaß (Kreis Görlitz, Guhrau, Münsterberg, Nimptsch, Sıhesentanu® Strehlen), sowie durch Drahtwürmer (Kreis Breslau, Gold- berg-Haynau, Kreuzburs, Pleß, Tarnow.ıtuz)aa uchgdie Runkelfliege (Anthomyia conformis) verursachte namentlich an Jungen Pflanzen stellenweise fühlbaren Schaden (Kreis Falkenberg, Goldberg-Haynau,. Görlitz, Grottkau, Neumsaarıkr, Schweidnitz, Striegau). Nematodenschaden (Heterodera Schachtii) war verhältnismäßig selten (Kreis Breslau, Goldberg- Haynau,Liegnitz,Militsch-Trachenberg und Guhrau), in letzterem Kreise fand außerdem noch eine ernebliche Beschädigung junger Rübenpflanzen durch die Wurzelnematode Heterodera radieicola statt. Die Hauptschädiger der Vorjahre, die schwarze Blattlaus (Aphis Papa- veris) und der Aaskäfer (Silpha opaca) traten im Berichtsjahre nur ganz unbedeutend auf. Der Schildkäfer (Cassida nebulosa) war ebenfalls viel seltener als sonst, zahlreicheres Auftreten wurde nur aus den Kreisen Guhrau, Militsch-Trachenbersgs, Gr. Wartenbleressung Wohlau gemeldet. In den Sommermonaten war die Blattflecken- krankheit (Cercospora beticola) häufig in den Kreisen Breslau, Halkenbere, Frankenstein, Görlitz, Grottkau, Guhrau, Kreuzburg, Schweidnitz, Sprottau, Tarno- witz, Tost-Gleiwitz und Wohlau; ebenso die Blattbräune (Sporidesmium putrefaciens) in den Kreisen Breslau, Franken- Stein, Grottkau,' Guhrau,. Kreuzburgs sale nerosnaktıze Münsterberg, Öls, Sprottau, ohne jedoch erheblichere Schädi- gungen herbeizuführen. Stellenweise (Kreis Grottkau, Guhrau, Lireonitz, Militsch - Traichenbierg, Münsterberg, Neisse, Nimptsch, Öls) war die Herzfäule häufig, während die Rübenschwanzfäule sich nur selten und zwar in den Kreisen Breslau, Löwenberg und Strehlen zeigte. An erwachsenen Rüben machten stellenweise Engerlinge und Erdraupen fühlbaren Schaden (Kreis Grottkau, Öls und Pleß). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 35 Die Rübenwanze(Piesma capitata) war im Berichtsjahre im Kreise Glogau weniger häufig als sonst; leider ist es bisher noch nicht gelungen, ein Bekämpfungsmittel zu finden, welches in der Praxis mit dem gleichen Erfolg anzuwenden wäre, als bei Laboratoriumversuchen. Auch die im vorigen Jahresbericht erwähnten, mehrere Meter breiten Schutzstreifen von Kartoffeln haben auf die Dauer ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg gehabt. S Kar Vormeln. Die Hauptschädigung der Kartoffeln wurde im Berichtsjahre herbei- geführt durch Schwarzbeinigkeit, die fast über die ganze Provinz in wechselnder Schwere sich verbreitete, und durch die ebenso ausgedehnte Naßfäule der Knollen, die vielfach schon auf dem Felde auftrat. Ebenso war der Schorf sehr häufig, bisweilen trat er so. heftig auf, dab die ganze Kartoffel davon bedeckt wurde und eine fast gänzliche Ver- nichtung der Augen stattfand (Kreis Falkenberg, Grottkau, Mreennitz, Militsch- Trachenberg, Tost- Gleiwitz, Trebnitz). Krautfäule machte sich nur lokal in den Kreisen Grottkau, Habelschwerdt, Landeshut und Tost-Glei- witz in erheblichem Maße bemerkbar. Dürrfleckenkrankheit (Alternaria Solani) war wiederum häufig und gab öfters Anlaß zu Ver- wechselungen mit der Blattrollkrankheit, die allerdings stellen- weise öfters beobachtet wurde, aber im großen und ganzen bezüglich schwerer Schäden auf ihr bisheriges Verbreitungsgebiet (einige nieder- schlesische Kreise) beschränkt blieb. Auch Kräuselkrankheiten hielten sich in mäßigem Umfange (Kreis Freystadt, Grottkau, Pleß, Rothenburg). Ebenso wie bei Rüben fanden auch bei den Kartoffeln im Sommer und Herbst öfters Beschädigungen durch Erd- raupen,Engerlingeund Drahtwürmer statt. AeEulsenfrüchte, Futter- und Wiesenpflanzen. a) Prlanzliche Schädiger.;‘Häufie waren bei. "Lupinen, Wicken und Erbsen Welkekrankheiten (Fuwsarium), auch die Sclerotinia Fuckeliana bei Erbsen trat hier und da auf. Bohnenrost (Uromyces appendiculatus) und Erbsenrost (Uromyces Pisi) zeigten sich stellenweise, waren aber meist ohne größere Schadenwirkung. Hin und wieder zeigte sich in kleineren Gartenparzellen der falsche Meltau der Erbse (Peronospora Viciae), Echter Meltau (Erysiphe Marti) war an Wicken, Rotklee und im Herbst an den verschiedensten Leguminosen sehr häufig. Auch Kleekrebs war häufiger als in den Vorjahren, es scheint, daß das Auftreten der Krankheit durch Verwendung von Samen ungeeigneter Provenienzen, besonders von französischen 86 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Saaten, erheblich begünstigt wird. Nichtsdestoweniger trat er aber auch an solchen Stellen auf, wo seit langen Jahren nur schlesischer Klee im Anbau war (Kreis Bolkenhain). b) Tierische Schädiger. Die Mehrzahl der Hülsenfrüchte wurde bereits im Juni stark heimgesucht durch das Massenauitreten des Blattrandkäfers (Sitona). Besonders hatten junge Erbsenpflan- zungen darunter zu leiden (Kreis Breslau, Grottkau, Neu- markt), in einzelnen Fällen so stark, daß man sich zum Ausackern ent- schließen mußte. Auch Erdflöhe machten an jungem Klee bisweilen größeren Schaden. An Wickengemengen, aber auch an Erbsen traten im Juni und Juli erhebliche Scharen von Blattläusen (Siphonophora ulmariae) auf, die namentlich bei Erbsen stellenweise fühlbaren Schaden hervorriefen. Im Kreise Strehlen vernichteten die Maden der Erbsengallmücke (Contarinia Pisi) einen großen Teil des Samen- ansatzes. Stockkrankheit bei Rotklee war verhältnismäßig selten (Kreis Bolkenhain, Groß Strehlitz). 5. Handels-, Öl- und Gemüsepflamzen Lein hatte unter der kalten, trockenen Witterung des Mai vielfach gelitten, indem sich zum Teil ausgedehnter Schwärzebefall einstellte Kreis Glogau, Grottkau, Ratibor, Schwierdemenz, Steinau), der ein Zurückbleiben der Pflanzen herbeiführte, welches auch später nicht mehr ausgeglichen wurde. Die Welkekrankheit (Fusarium Lini) fand sich nur in den Kreisen Militsch-Trachen- berg, Steinau und Trebnitz. Bei Raps kamen hauptsächlich mit Frühreife verbundene Beschädigungen des Stengels durch Baridius-Larven vor (Kreis Sagan); stellenweise war der Glanzkäfer (Meligethes) recht häufig (Kreis Leobschütz, Groß Strehlitz). Die Kohl- arten litten im Frühjahr vielfach unter Erdflohfraß und Draht- würmern, die späteren Beschädigungen betrafen fast ausschließlich nur Erkrankungen durch die Kohlhernie (Kreis Grottkau, Lub- linitz, Militsch, Trachenbere, Neiße, Ratibiom> im Kreise Landeshut wurde eine Frühkohlrabipflanzung erheblich durch den Befall von Cystopus candidus geschädigt. Gurken litten in den Kreisen Goldberg-Haynau,Leobschütz, Liegnitz, Rati- bor, stellenweise stark unter Welkekrankheit (Fusarium), auch waren in den genannten Kreisen Beschädigungen durch die von (Spori- desmium mucosum var. pluriseptatum) verursachte Blattflecken- krankheit häufig zu finden. Auf den Zwiebelmatten im Kreise Leob- schütz und Lublinitz erschien vielfach die Zwiebelfliege mit Schaden- wirkungen von 5—20°%. Auch der falsche Meltau (Peronospora II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 37 Schleideni) schädigte durch frühzeitiges Abwelken der Zwiebelröhren nicht unerheblich im Kreise Reichenbach undRatibor. 6. Obstgehölze inkl. Weinstock. Die hier aufgezählten Krankheitsfälle betreffen meist vereinzelte Vorkommnisse von nur lokaler Bedeutung. Es wurde gemeldet an Äpfeln: Schorf (Kreis Grottkau, Militsch-Trachenbers, Nrerummorde, Pleb, Sprottau, Wohlau); Nektria-Krens (Kreis Ratibor); Meltau (Oidium farinosum) Kreis Nimptsch, Wohlau); Sphaerotheca Mali (Kreis Breslau); die Blutlaus (Kreis Brieg, Lüben); der Apfelsauger (Kreis Cosel, Kreuzburg); an Birnen: Schorf (Kreis Brieg, Neurode, Tarnowitz, Woh- lau); Gitterrost (Kreis Bolkenhain, Wohlau); die Pocken- krankheit der Blätter (Eriophyes piri) Kreis Bolkenhain, Grott- kau, Jauer; Beschädigungen der Zweige durch das Blausieb (Zeuzera pirina) im Kreise Breslau und Tarnowitz; Verkrüppeln und Abfallen der jungen Früchte infolge Befalls durch die Maden von Contarinia pirivora (Kreis Goldberg-Haynau Grottkau, Nimptsch, Reichenbach); der Birnsauger (Kreis Breslau, Oppeln,Ratibor, Tarnowitz); an Pflaumen: Gallbildungen an den Blättern, verursacht durch Eriophyes padi (Kreis Liegnitz, Namslau, Nimptsch, Reichenbach); Meltau (Podosphaera) in den Kreisen Glatz, Landeshut, Münsterberg, Reichen- bach; Moniliafäule in den Kreisen Leobschütz und Rati- bor; an Kirschen: die Schrotschußkrankheit (Kreis Bres- kaunBruiee, Jauer, Kreuzbursg); an Pfirsichen; die Kräusel- krankheit (Kreis Breslau, Grottkau, Lüben, Münster- berg); an Wein der falsche Meltau (Plasmopara viticola) in den Kreisen Goldberg, Haynau, Grottikau, Lauban, Neu- merkt Ols, Ratibor. Steinau, Strehlen, Gr. Strehlitz,; Gr. Wartenberg; der Äscherig (Oidium Tuckeri) in den Kreisen Neumpesch, "Reichenbach, 'Schweidnitz, Striecau; an Johannisbeeren: Rhopalosiphon ribis in den Kreisen Brieg, Cosel, Steinau; an Stachelbeeren, wie Johannisbeeren: Blattwespen- raupen (Nematus ventricosus). Wiederum häufig und weit verbreitet war der Stachelbeermeltau (Sphaerotheca mors uvae) in den Kreisen Breslau, Brieg, Leobschütz, Lüben, Münster- biewo, Neustadt, Nimptsch, Reichenbach, Schönau, Schweidnitz, Sprottau, Steinau, Strehlen, Trebnitz, Wohlau. s85 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 1. Forst sehölze. Die Mehrzahl der hierbei beobachteten Krankheitserscheinungen be- schränkte sich auf Gallbildungen. &) Nadelhölzer. Chermes abietis und sibiricus auf Fichten; Evetria resinella auf Kiefern. b) Laubhölzer. Andricus inflator, Biorrhiza terminalis, Dryo- phanta foli, Cynips calycis, Kollari, conglomerata auf Eichen; Eriophyes brevitarsus, laevis, Nalepai aut Erlen; Schizoneura lanuginosa und Tetraneura Ulmi auf Rüstern; Hormomyia fagi und piligera auf Buchen; Eryophyes macrorhynchus auf Ahorn, Eriophyes tiliae var. liosoma auf Linden; Phyllocoptes opuli, ‘Eryophies diversipunctatus auf Espen; Pemphigus affinis und marsupialis auf Pappeln; Nematus vesicator, Rhabdopkaga saliciperda, Oligotrophus Capreae auf Weiden. Eine umfangreiche Beschädigung der Weidenkulturen um Brieg fand durch die Larven der Schaumcicade (Aphrophora alni) statt. Der Stichkanal dieser, sich in Schaumballen an den Ruten aufhaltenden Larven geht durch die Rinde bis auf den Splint. Gewöhnlich reiht sich eine ganze Anzahl solcher Stichkanäle quer zur Längsrichtung der Rute dicht aneinander, so daß sich unter der Rinde Querwülste bilden, die etwa die Hälfte des Umfanges der Rute einnehmen. Solche Verletzungen erscheinen oft in großer Zahl an ein und derselben Rute, die dadurch ungemein brüchig wird und infolgedessen technisch nicht mehr verwertet werden kann. Satzung am 0, N oS.emiblere1943: Herr F. Kern sprach über Die Moosflora des Brenta- und Adamellogebietes in Südtirol. Die Kenntnis der Verbreitung der Moosarten in den Alpen zeigt immer noch große Lücken. Einzelne Teile der Alpen sind sehr gut erforscht; von andern weiß man bryologisch wenig oder nichts. So ist die Moosflora der Hohen Tauern schon von den Zeiten der Moosväter, Hedwig und Hoppe, wohl bekannt; die bairischen Alpen sind von Holler und andern, die Steiner Alpen durch Glowacki genau erforscht worden. Sehr gut ist die Moosflora der steirischen Alpen bekannt, dank den vieljährigen Forschungen Breidlers, der, sobald der Sommer auf die Berge stieg, in die Alpenregion der Steiermark, seines Vaterlandes, zog und dort monatelang bryologischen Studien oblag. Aus andern Alpen- gebieten ist wenig oder gar nichts Bryologisches bekannt. Um einige Lücken in der Kenntnis der Verbreitung der Moose auszufüllen, beschloß ich im vergangenen Sommer die höheren Regionen der Brenta- und Ada- II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 89 mellogruppe zu besuchen, aus denen überhaupt keine Standortsangaben von Moosen vorlagen. Die Brentagruppe ist die westlichste Kette der Dolomiten, und zwar gehört sie zu den echten Dolomiten, da das Gestein magnesiahaltig ist. Auf jeden, der den Mendelpaß besucht, macht diese Kette einen mächtigen Eindruck. Das Gestein der gewaltigen Zacken und Mauern ist von rötlicher Farbe und da die Schichtung eine wage- rechte ist, so erscheinen die Wände vom Schnee weißgestreift. Merk- würdig ist es, daß diese Felsenkette so schwer zugänglich ist. Die Be- steigung ist nur von zwei Orten möglich, im Osten von Molveno, im Westen von Campiglio. Schon vor Jahren versuchte ich von Cles aus die Loverdina und die Pietra grande zu erreichen; sobald man aber an die Grenze der oberen Region gelangt, hört jede Wegespur an den kolossalen Wänden auf. Ebensowenig gelang es mir dieses Jahr, von Cavedago aus in die Höhe zu kommen. Die italienische Landbevölkerung steigt nicht auf die Berge, und der Tridentiner Alpenklub steht dem Deutsch-Österreichischen Alpenverein außerordentlich nach. So konnte ich nur von dem Modebade Campiglio nach dem auf dem Passo Groste gelegenen Rifugio Stoppani, dem italienischen Schutzhause, gelangen. Die Vegetation ist auf den untern Berghängen eine ziemlich üppige, auch die untere Alpenregion bietet noch eine reiche Flora; hingegen, etwa von 2300 m ab, kommt man in eine ausgeprägte Felsenwüste, eine Erscheinung, die ich überall in den Dolomiten gefunden habe. Von der so verbreiteten Silene acaulis keine Spur, keine Gentiane und kein Rhododendron, nur Cherleria sedoides steht ziemlich häufig an den Felsplatten und wird von den Bergsteigern allgemein als Moos angesehen. Von den richtigen Moosen ist zunächst keine Spur zu sehen; erst bei genauer Untersuchung findet man an Felsabstürzen, und nur an diesen, und zwar in tiefen Rissen Moose, welche hier doch einigermaßen Schutz vor dem rauhen Klima, besonders vor den Stürmen finden. Wohlgeschützt findet man hier zur großen Überraschung gerade sehr zart gebaute Moose, wie Mnium hymenophyllioides und die seltene Clevea hyalina. Daß hier auch die Heimat hochalpiner Kalkmoose ist, davon geben Tortella inclinata v. densa Lor., Brachythecium Funckiü, Amblystegium curvicaule und an- dere Zeugnis. Im großen ganzen ist in der ganzen Brentakette die Hoch- region dem Mooswachstum nicht günstig — die einzelnen Rasen sind auch meist sehr dürftig —; der Dolomitboden bietet keine feste Grund- lage, auf der sich die Moosrasen Jahre hindurch ungestört entwickeln können. Auf den hohen Kämmen der Brentagruppe hat man beständig die ungeheuren Gletscher des Adamello- und Presanellagebietes vor Augen. Auch die Erforschung dieses Gebietes hat seine Schwierigkeiten. Gibt 90 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. es doch in dem ganz gewaltigen Areal in der Alpenregion nur eine einzige bewirtschaftete Hütte, nämlich die Mandronhütte der Sektion Leipzig; da die italienische Landesgrenze auf den hohen Kämmen ent- langläuft, ist es auch bei den jetzigen politischen Verhältnissen miß- lich, sich in diesen Gegenden botanisierend zu bewegen, da man zu leicht Gefahr läuft, von den italienischen Carabinieri als Spion aufgefangen zu werden. So bleibt einem nur das allerdings großartige Val di Genova zur bryologischen Erforschung übrig, welches von der Sarca durch- strömt wird, die in ihrem weitern Laufe den Gardasee bildet. Vor allem sind es zwei Dinge, die dem Botaniker auffallen, sobald er das Adamellogebiet betritt. Zunächst sind alle Kalkmoose, die man alle Tage in der Brenta vor Augen hatte, verschwunden, und eine neue Welt von kalkscheuen Moosen tritt an ihre Stelle, die Folge des unter- liegenden Gesteins. Das ganze Adamellogebiet wird von Tonalit ge- bildet, genannt nach dem nahegelegenen Tonalepasse, eine Granitvarie- tät, die sich durch die außerordentliche Größe ihrer einzelnen Bestand- teile auszeichnet; die schwarzen Glimmerkrystalle haben die Größe von Erbsen. Da der Tonalit absolut kalkfrei ist, so ist er für das Moos- wachstum nicht gerade sehr förderlich. Die Moose sind da am üppigsten, wo im Gestein eine kleine Beimischung von Kalk vorhanden ist. Das zweite, was einem beim Betreten des Gebietes auffällt, sind die vielen, sogenannten rauchenden Wasserfälle, besonders der gewaltige Nardis- und der höher gelegene Laresfall. Solche rauchende Wasserfälle ge- hören sonst zu den besten Moosstandorten — ich erinnere nur an den klassischen Gößnitzfall in den Hohen Tauern. Leider liegen der Nardis- und der Laresfall noch ganz in der montanen Region und bieten des- wegen nicht allzuviel des Interessanten. Die günstige Wirkung des Wasserstaubes zeigte sich aber in den tiefen Rasen mancher Moose; so konnte ich bei Dicranum albicans bis 10 Jahrgänge, bei Anoectangium compactum bis 30 Jahrgänge zählen. — In der hochalpinen Region über- rascht die große Trockenheit der Felsen und infolge dessen die Spär- lichkeit der Moose. Zum Teil mag es an dem Gestein liegen, zum Teil aber auch an der trockenen Luft, welche alle an Italien gren- zenden Alpenländer auszeichnet. Dabei ist die Mandronhütte bei 2500 m Seehöhe ganz von gewaltigen Gletschern umgeben. In den wenigen Bächen fanden sich überall die Wasserformen mehrerer Lim- nobien, so von Hypnum alpinum, arcticum und dilatatum; in den Hoch- sümpfen traten auch seltene Sphagna auf, wie S. tenerum und subbicolor. Die Felsen boten die Typen der kalkscheuen Hochgebirgsmoose, wie Desmatodon glacialis, Encalypta microstoma und unmittelbar am Mau- drongletscher die schwarzen Rasen von Cephaloziella grimsulana. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 91 Die unmittelbar angrenzende Ortlergruppe ist teilweise bryologisch out bekannt, besonders das Sulden- und Trafoiertal, samt dem Stilfser Joch; doch manche vom Touristenstrome abgelegene Täler waren in bryologischer Beziehung noch unbekannt, besonders das Ulten- und zum Teil auch das Martelltal. Da das Wetter in den Hochregionen noch leid- lich gut blieb, so beschloß ich, diese Täler noch bryologisch zu unter- suchen. Um in das Ultental von Süden her zu gelangen, muß man erst das Rabbital durchwandern. Dies ist bryologisch gut bekannt, denn in dem hier gelegenen Bade Rabbi hat der Trentiner Bryologe Venturi mehrere Jahre zugebracht. Er hat in den dortigen Hochregionen ein merkwürdiges Limnobium entdeckt, das er durchaus passend Aypnum cochlearifolium nannte; Goulard hatte es aber schon am Maladetta in den Hochpyrenäen entdeckt, und da mußte es bei dem Namen Hypnum Goulardi bleiben. Es gelang mir auch, diese große Seltenheit in Schnee- wasserbächen am Rabbijoch zu sammeln. Das Ultental bietet nur in seinem obersten Teile bryologisches Interesse, wo die Gletscher der Eggenspitzen bis in das Wasser des großen Grünen Sees hineinragen, und wo auch die Schutzhütte der Sektion Höchst liegt. Die Gesteins- unterlage ist hier sehr wechselnd. Kalkmoose gab es vielfach, doch ganz in ihrer Nähe hatten wieder die kieselsteten Moose die Majorität. So vor allem im Ausiluß des Grünen Sees, wo es wenigstens zwei Moosen gelang, den Kampf mit dem nicht bloß sehr kalten, sondern auch von Gletscherschlamm erfüllten Wasser zu bestehen; es waren dies Hypnum alpinum und eine Wasserform von Schistidium alpicola. Das arktische Klima bezeugten Bartramia subulata und Diceranum grönlandicum. — Im Martelltale waren es auch die obersten Täler, die Abhänge des Monte Cevedale, des Mittelpunktes des ganzen Ortlerstockes, welche das meiste Interesse boten. Auch hier, wie in den Hochregionen der Dolomiten, mußten sich viele Moose, um im arktischen Klima gedeihen zu können, in den Schutz der Felsritzen und Höhlen flüchten; besonders kamen hier in solchen Höhlungen die Plagiothecien in merkwürdigen Formen vor. Eine andere Merkwürdigkeit der Moose in dieser Region, offenbar von ökologischer Bedeutung, ist die Kätzchenform vieler derselben, besonders ausgeprägt bei Heterocladium dimorphum var. compactum, Brachy- thecium Funckü und Plagiothecium Roeseanum var. alpinum. Wie es bei den Phanerogamen manche Arten gibt, die nur im Schutze anderer, besser bewehrter, gedeihen, so kommen hier auch einzelne zarte Moose vor, die im Rasen anderer Arten ihren Schutz finden, wie wir dies bei Myurella apiculata mit ihren umherschweifenden Stengeln und auch manchen Cephaloziellen sehen. 99 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Verzeichnus der von mir im Sommer 1913 im Brenta- und Adamellogebiete sowie in ‘einigen Ortlertälern gefundenen Moose. Sämtliche Standorte liegen in Tirol. Hepaticae. Clevea hyalina. — Mit jungen Früchten in Felsritzen am Passo di Groste, c. 2450 m. Preissia commutata. — Dolomitfelsen an der Bocca Tuckett, ce. 2300 m. Metzgeria pubescens. — Aufstieg zum Laresfall im Val di Genova, 1150 m. Gymnomitrium concinnatum. — Rabbijoch, 2450 m. — In einer grünen Form am großen Grünen See im Ultental. Alicularia geoscypha. — Grüner See im Ultental, 2500 m. Marsupella commutata. — Felsen am Grünen See im Ultental, 2500 m. Das Zellnetz ist so charakteristisch, daß sie nicht blos als eine Form von M. Funckü erklärt werden kann. (Siehe Rev. bryologique 1913.P2270.) M. emarginata. — Laresfall im Val di Genova bei 1200 m. Eucalyxz hyalinus. — Wald beim Bade Rabbi, 1250 m. Haplozia amplezxicaulis. — Felshöhlen am Grünen See im Ultental, 2500 m. Abhänge des Cevedale im Martelltale, 2300 m. — Mandronhütte am Adamello, 2420 m. — Nardis- und Laresfall im Val di Genova, 1200 m. Sphenolobus exsectiformis var. aequiloba, — Mandronhütte am Adamello, 2420 m. Lophozia Wenzelii. — Feuchte Felsen am Eggenspitze im Ultentale, 2500 m. L. confertifolia. — An Felsen, Passo di Groste in der Brenta, 2450 m. L. guttulata. — Auf faulem Holze am Aufstiege von Campiglio nach dem Passo di Groste, 1800 m. L. quinquedentata. — Laresfall, Val di Genova, 1200 m. L. Mülleri. — Felsen an der Pietra Grande in der Brenta, 2450 m. L. heterocolpos. — Zwischen L. quinquedentata bei der Cevedalehütte im Martelltale, 2300 m. Gymnocolea acutiloba K. M. var. heterostipoides Schiffn. — Mit Perian- thien auf den Halden des neuen Kupferbergwerks unterhalb der Cevedalehütte im Martelltal, e. 2000 m. Die Perianthien sind neu für die Wissenschaft. Sie haben viel Ähnlichkeit mit denen von G. inflata, sind aber viel kleiner. Während aber die weiblichen Hüllblätter bei G. inflata kleiner als die Stengelblätter sind, so sind sie bei G@. acutiloba viel größer. [2] II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 95 Pedinophyllum interruptum, —— In einer Form mit schwach gezähnten Blättern auf Felsen der Bocca Tuckett, 2300 m. — Felsen am Eggenspitz, 2500 m. — Höchste Standorte! Chiloscyphus pallescens. — Bergwälder bei Cavedago in der Brenta, 1500 m. Diplophyllum albicans. — Laresfall im Val di Genova. — Grüner See im Ultentale, 2500 m. Cephaloziella grimsulana. — Feuchte Felsen unmittelbar am Mandrone- gletscher, 2400 m. — Neu für Tirol! Scapania aequiloba, — Mit Gemmen in den Bergwäldern bei Cavedago, 1500 m. Auf den Dolomitfelsen der Brentagruppe ganz gemein. S. paludosa. — Mit Hypn. revolvens bei der Cevedalehütte im Martell- tal bei 2300 m .— Für diese Art ein sehr hoher Standort! S. undulata.. — In roten Formen noch in den Wasserläufen bei der Mandronhütte am Adamello bei 2400 m. Mastigobryum deflecum, — Laresfall im Val di Genova, 1200 m. Radula commutata. — Männliche Pflanzen mit Gemmen auf feuchten Felsen oberhalb der Kapelle Maria Schmelz im Martelltale, 1600 m. R. complanata. — Feuchter Wald beim Bade Rabbi, 1250 m. Frullania Jacki. — Felsen im Val di Genova bei 1400 m. Lejeunia serpyllifolia. — Rasen mit vielen Brutkörpern auf Steinmauern im Rabbitale, 750 m. Bryales. Sphagnum subbicolor. — Sumpfstellen bei der Mandronhütte, 2420 m. S. tenerum. — Mit voriger am selben Standorte; eine bisher selten ge- fundene Form der Acutifoliumgruppe. S. squarrosum. — In einer laxen Form am Laresfall. Andreaea petrophila. — In einer sehr üppigen Form in einer Fels- schlucht unterhalb der Höchster Hütte im Ultental, 2500 m. A. frigida. — Felsen am großen Grünen See im Ultental, 2500 m. Hymenostylium curvirostre. — Noch bei 2500 m an den Felsen der Eggen- spitz. Anoectangium compactum. — In hohen, sterilen Rasen, die bis 30 Jahr- gänge zeigen, am Laresfall, Val di Genova, 1200 m. Cynodontium strumiferum, — Feuchte Felsen oberhalb Kapelle Maria Schmelz. C. alpestre. — Zwischen Geröll unterhalb der Bocca Vallazza, Brenta- gruppe, c. 2300 m. Oncophorus virens. — Cima Brenta, 2450 m. — Felsen am Mandron- gletscher. — Zufrittspitz im Ultental, 2500 m. 94 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Dichodontium pellucidum var. alpinum var. nov. (Bl. klein, breit und stumpf, stark verdickte Zellen in auffälligen Längsreihen, schwarz- grüne Farbe, sehr abweichender Habitus.) — Felsritzen am Passo di Groste, 2450 n. Dicranella subulata. — Auf Erde bei der Kapelle Maria Schmelz im Ultental, 1600 m. Dicranum albicans. — In hohen, bis 10 Jahrgänge zeigenden Rasen am Laresfall im Val di Genova, 1200 m. D. elongatum. — Mit auslaufender Blattrippe, an Felsen am Eggen- spitz, 2500 m. D. Bonjeani var. latifolium var. n. (Bl. ohne jede Wellung, kurz und breit, ganz von der Form der Bl. von Grimmia mollis). — Felsen an der Höchster Hütte im Ultental, 2500 m. — Diese Form, welche ich am schönsten ausgeprägt am Madlener Haus in der Silvretta ge- funden habe, würde nach den früheren Anschauungen als gute Art betrachtet werden können; aber die Form der Blätter variiert nicht nur im selben Rasen, sondern sogar am selben Stengel. Sie steht neben der Varietät juniperifolia, hat aber viel breite Blätter, denen jede Wellung fehlt. An diese Form schließt sich eine ganze Fülle steriler Hochgebirgsdierana an, die zuweilen ganzrandige oder ge- sägte Lamellen an der Rippe tragen, und dann als Hochgebirgsformen von D. undulatum betrachtet werden können. Alle zeichnen sich aber durch eine sehr schmale Rippe und die längeren Zellen im obern Blatteile aus. Durch diese sehr schmale Rippe grenzen manche Pflanzen mit lanzettlichen Blättern ganz an D. grönlandicum. Fissidens decipiens. — Mit sehr ausgeprägten Randstreifen, am Laresfall, Val di Genova, 1200 m. Blindia acuta. — Kapelle Maria Schmelz, 1600 m. Stylostegium caespiticium. — Am kleinen Grünen See im Ultental, 2470 m. Distichum inclinatum var. tenue Br. eurp. — Felsen der Pietra Grande in der Brenta, 2450 m. Ditrichum glaucescens. — Wald beim Bade Rabbi, 1250 m. Tortella inclinata var. densa Lor, — Felsen des Passo di Groste. — Ein echtes Charaktermoos der Felswüsten der obern Dolomitenregionen und durch die graue Färbung der dichten Rasen vom Felsen schwer zu unterscheiden. Desmatodon glacialis. — Umgegend der Mandronhütte, 2420 m. Barbula reflexa. — Feuchte Kalkfelsen beim Bade Rabbi, 1250 m. B. icmadophila v. abbreviatifolia. — Pietra grande in der Brenta. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 95 Tortula aciphylia. — Dolomitfelsen auf dem Grostepasse. — Auf Tonalit an der Mandronhütte. Schistidium alpicola var. eualpicola Loeske. — Felsen des Eggenspitz, c. 2550 m. S. alpicola var. rivulare. — Die meisten Blätter mit ganzrandiger Spitze. (Vergl. Loeske, die Grimmiaceen, Berlin 1913.) — Im Ausfluß des gr. Grünen Sees, auf völlig überfluteten Blöcken, bei 2500 m. — Die Pflanze gehört mit Hypnum alpinum zu den wenigen Moosen, die in dem sehr kalten und trüben Gletscherwasser gedeihen können. S. atrofuscum. — Dolomitfelsen an der Bocca Tuckett in der Brenta, 2300 m. Grimmia alpestris var. eualpestris Loeske. — Monte Madrone im Ada- mellogebiet, auf Tonalit, 2450 m. G. alp. v. subsulcata, — Felsplatten vor der Cevedalehütte, 2250 m. G. ovata. — Nardisfall, Val di Genova, 1000 m. — Felsen im Martelltale, 1600 m. G. elatior. — Häufig auf Steinmauern im Rabbital, 1200 m. G. funalis. — Abhänge der Zufrittspitze im Martelltale, 2500 m. G. torquata. — Mit voriger am gleichen Standorte. Coscinodon cribrosus. — Steinmauern im Rabbitale. Racomitrium sudeticum. — In den höhern Lagen des Adamellogebietes auf Tonalit allgemein verbreitet. R. canescens. — In Zwergformen noch an der Schneeregion in der Brenta. R. fasciculare. — Noch an den Felsen am Grünen See, 2500 m. Orthotrichum alpestre,. — Feuchte Quarzfelsen oberhalb der Kapelle Maria Schmelz im Martelltale, 1600 m. O. rupestre. — Mit voriger. Encalypta commutata. — Dolomitfelsen der Cima Brenta, 2450 m. — Eggenspitz im Ultentale, 2500 m. — Monte Cevedale, 2300 m. E. vulgaris var. obtusa. — Felsen auf dem Passo Groste, 2450 m. Höch- ster Standort der Art! E. microstoma. — Dürre Tonalitfelsen am Monte Mandrone, 2400 m. — Felsen bei der Höchster Hütte im Ultental, 2500 m. Dissodon Hornschuchianus. — Felsplatten oberhalb der Cevedalehütte, 2300 m. Mielichhoferia elongata. — Rabbijoch, 2450 m. Anomobryum filiforme. — Felsen am Nardisfall, 1000 m. — Am Lares- fall, 1200 m, auf den Ästen eines dürren Baumes. — Die Pflanze kommt niemals auf Holz vor, deswegen war ich sehr überrascht, die Oberseite der Äste von dem Moose ganz blaugrün gesäumt zu sehen. 96 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Der dürre Baum stand noch in dem Wasserrauch des Falles (dem Abflusse des großen Laresgletschers) und das Moos als bekannter Staubfänger fängt den in den äußerst feinen Tröpfchen noch vor- handenen Gletscherschlamm auf, so daß sich unter den Anomobryum- rasen eine c. 1 em hohe Schicht Gletscherschlamm gebildet hatte, auf dem nun das Moos wohl gedieh. Webera acuminata. — Felsen am großen Grünen See. W. longicolla. — Mit voriger. W. polymorpka. — Monte Mandrone, 2420 m. — Eggenspitz, 2500 m. Bryum pallescens. — Feuchte Waldwege beim Bade Rabbi. — Felsen im Ultental bei 1600 m. B. capillare. — In üppigen Exemplaren am Laresfall. — Grüner See, 2500 m. B. Duvalü. — In einer grünen Form an der Ceredalehütte, 2300 m. B. elegans. — In der typ. Form sowie in der Var. carinthiaca auf dem Passo Groste. B. turbinatum. — Mit voriger. B. Schleicheri. — Sümpfe bei der Mandronhütte, 2400 m. Mnium punctatum var. elatum. — Laresfall, 1200 m. M. hymenophylloide. — In Felsritzen der Pietra Grande, 2450 m. Einer der höchsten Standorte. M. subglobosum. — Feuchte Felsspalten im Ultentale, 1600 m. M. undulatum. — Steinmauern bei Sct. Pankraz im Ultentale. M. orthorrhynchum. — Auf Dolomitfelsen auf den Kämmen der Brenta- gruppe bei 2000—2500 m. Meesea alpina. — Passo Groste, 2500 m. Bartramia subulata. — Felshänge der Zufrittspitze bei 2600 m. B. ithyphylla. — Mandronhütte, 2420 m. — Cima Brenta, 2500 m. Die Exemplare aus den höhern Alpenregionen nähern sich sehr der nor- wegischen Var. strigosa. Philonotis seriata. — Monte Venerocolo im Adamellogebiet, 2420 m. Ph. alpicola. — Höchster Hütte, 2500 m. — Sehr lang begrannt, Spitzen- zellen hyalin. Polytrichum alpinum. — Feuchter Wald beim Bade Rabbi. — Laresfall. — Felsen am Grünen See, 2500 m; hier in einer Hochgebirgsform, die trotz der kugligen Kapseln ziemlich hochwüchsig (bis 12 cm) ist. Neckera complanata. — Maria Schmelz, 1600 m. Myurella apiculata. — Felsen oberhalb der Cevedalehütte, 2300 m. Pseudoleskea atrovirens. — In den Hochregionen der Brenta- und Ada- mellogruppe in verschiedenen Formen allgemein verbreitet. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 97 Heterocladium dimorphum var. compactum. — Abhänge des Schran- spitz bei 2300 m. — Monte Mandrone, 2450 m. Pterigynandrum heteropterum. — Maria Schmelz. Orthothecium chryseum. — Mit O. intricatum an der Pietra Grande, 2450 m. Eurhynchium striatum. — Bergwälder von Cavedago in Formen mit scharf gesägten Blatträndern, 1500 m. E. crassinervium. — Nardisfall. E. cirrosum v. Funckü, — Cima Groste, 2600 m. — Felsen oberhalb der Cevedalehütte, 2400 m Plagiothecium denticul. — sylvaticum. — In vielen merkwürdigen For- men, oft mit ziemlich langer Haarspitze und welligen Blättern; be- besonders in Felsspalten in hochalpinen Lagen in den Ortlertälern. P. dent. sylvat. var. auritum var. nov. Vom Typus unterschieden durch stark wellige Blätter, beiderseits bis zur Spitze schmal umgerolltem Blattrand, vor allem durch außerordentlich entwickelte Blattflügel, deren große, hyaline und kuglige Zellen teilweise vom Stengel frei- stehende Ohrlappen bilden. — In Felshöhlungen oberhalb der Ceve- dalehütte, 2350 m. P. Roeseanum var. alpinum var. nov. (Blätter allseitig abstehend, sehr breit und hohl, gewellt, mit sehr kurzer Doppelrippe, die oberen Blätter mit langer, zurückgebogener Haarspitze; Stengel sehr brüchig, gedunsen kätzchenförmig, im Habitus ganz ähnlich Eurhyn. cirr. Funcki; Vermehrung durch abfallende, kugelrunde Gipfelknospen). — Feuchte Felsen oberhalb der Cevedalehütte, bei 2400 m. — Die Pflanze macht beim Sammeln durchaus den Eindruck einer sehr auf- fälligen, neuen Art; doch bei den jetzt zur Geltung kommenden An- schauungen möchte ich sie als den hochalpinen Vertreter von Roeseanum ansehen. Ich habe die Pflanze außer an dem angegebenen Standorte noch am Cruschettapasse an der Schweizer Grenze, sowie an der Seite des Morteratschgletschers in der Bernina gefunden. P. Müllerianum. — Aufstieg zum Laresfall bei 1150 m. Amblystegium curvicaule. — Felsspalten an der Pietra Grande. Brachythecium collinum. — Auf Erde in Felsritzen auf dem Groste. — Monte Mandrone, 2420 m. — Die Exemplare zeigen durchweg viel längere und schmälere Haarspitzen als in den Diagnosen an- gegeben. B. plumosum v. julaceum Breidler. — Passo Groste. — Laresfall. B. tromsöense. — Exemplare, welche in die Loeskesche Reihe B. tromsöense — glacialedovrense — reflerumsubglaciale eingereiht werden können, fand ich auf dem Passo Groste. 1913. 7 98 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. B. reflerum. — Nardisfall im Val di Genova. B. tauriscorum. — Hierher rechne ich Pflanzen, die ich eher als eine Hochgebirgsform von B. albicans als von B, glareosum ansehen möchte; ich fand sie bei der Mandronhütte, 2420 m. Dieses Moos ist mir auch von andern hochgelegenen Standorten bekannt, be- sonders vom Stilfser Joch. Es unterscheidet sich von B. albicans hauptsächlich durch die längere Rippe. B. albicans. — Unter Alpenrosen am Monte Venerocolo am Adamello bei 2400 m. — Ganz typisch, doch sind die Perichätialblätter völlig rippenlos. — Höchster Standort! B. rivulare var. longifolium Bryhn. — Cima Groste. B. latifolium forma major. Breidler. — Passo Groste. — Rabbijoch, 2450 m, zum Teil im Wasser. Hypnum Sommerfelti. — Bergwälder bei Cavedago, 1500 m. H. protensum. — Felsen oberhalb der Cevedalehütte, 2350 m. H. sulcatum. — Abhänge der Pietra Grande. H. irrigatum, — In kräftigen Exemplaren noch in Schneewasserbächen oberhalb der Cevedalehütte, 2350 m. H. revolutum var. pygmaeum. — Cima Groste. H. arcuatum. — Nardisfall im Val di Genova. H. arcticum. — In Wasserläufen am Monte Mandrone allgemein verbreitet. H. Goulardi. — In Schneewasserbächen auf der Nordseite des Rabbi- joches bei 2430 m. — In der Nähe bereits von Venturi ent- deckt. H. alpinum. — Auf Blöcken im Ausfluß des großen Grünen Sees in trübem Gletscherwasser. — Im Ausflusse des kleinen Grünen Sees in klarem Schneeschmelzwasser. H. dilatatum. — In schnellfließenden Bächen am Monte Mandrone. — Schneewasserbäche am großen Grünen See im Ultentale. Sodann sprach Herr R. Dittrich über neue schlesische Gallen und gab in Gemeinschaft mit Herrn H. Schmidt die 4. Fortsetzung des Nachtrages zum Verzeichnisse der schlesischen Gallen. Filices. Pteridium aquilinum (L.) Kühn. *#1299. Hym.? Kurzspindelige Anschwellung des Stieles einer Wedelfieder, stark hervortretend. Kattowitz O.-Schl.: Emanuelsegen (S.). Equisetaceae. Equisetum hiemale L. *#1300. Dipt.: Internodien verkürzt, weiß entfärbt. Urh. Bohr- fliegenlarve. Freystadt: Aufzug am Ufer des Schlawasees (S). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 99 Pinaceae. Pinus silwestris L. *#1301. ? Stark verlängerte und verdickte, z. T. geknäulte Nadeln. Urh. ? Freystadt; Grünberg: Blücherberg (Hg). Juniperus communis L. *=#1342. Dipt. Offene Knospengalle, 5 mm Ig., aus 2 dreinadeligen Quirlen bestehend, von denen die äußern 3 Nadeln länger, hülsenartig gefaltet und zurückgeschlagen sind. Der Galle von Oligotrophus juni- perinus L. etwas ähnlich, aber weit zierlicher und schlanker. Der innere Quirl bleibt geschlossen und umschließt die Mückenlarve. Grünberg: Halbemeilmühle (S.). *#1503. Dipt. Kleine, 3—4 mm lange, kegelförmige Knospengalle, aus 2—4 Nadelquirlen bestehend, auch in .ft Blütenständen. Äußere Nadeln schuppenförmig verbreitert und weißgelblich entfärbt. Mücke blutrot. Grünberg: Halbemeilmühle ($). ##1304. Dipt. Geschlossene, ca. 6 mm lange, schlank kegelförmige Galle, ähnlich der von Oligotrophus Panteli Kieff., aber bedeutend kleiner und hellgelblich gefärbt. Larve rötlichgelb. 3 äußere lanzettliche, scharf zugespitzte und 3 innere schmallineale, stumpfe Nadeln. Grünberg: Halbemeilmühle (S). * 1305. Phyt. (C. H. 123). Früchte mit unvollkommen verwachsenen Fruchtblättern, so daß am Scheitel Spalten bleiben. Im Innern zahlreiche Milben. Urh. Eriophyes quadrisetus Nal. Grünberg: Dorfstraße von Kühnau (8). *#*1306. Hem. Früchte verbildet, eingeschrumpft, mit grubigen Vertiefungen, in denen weiße Schildläuse sitzen. Urh. Diaspis visci (Löw) Schr. Oft mit vor. zusammen. Grünberg: Dorfstraße von Kühnau (8). Gramineae. Phalaris canariensis L. *1307. Hem. (C. H. 167?). Blattscheiden übernormal aufgeblasen. Urh. Aphis padi L.? Grünberg: Schulgarten am Lindeberge (S). Anthoxcanthum odoratum L. *#1308. Dipt. Stauchung des Halmes, z. T. Steckenbleiben der Rispe, vorzeitiges Bleichen der Rispe. Larve im Halme am Grunde des obersten Halmabschnittes. Grünberg: Rotes Wasser (S). Milium effusum L. ##1309. Hym. Schwache, gleichmäßige Halmschwellung über einem der unteren Halmknoten, mehrere cm lang, von außen ganz verborgen in den Blattscheiden. Blattscheide an den befallenen Stellen dicht an- liegend. Mehrere neben und übereinander liegende Larvenhöhlen in der 7* 100 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. mechanischen Gewebeschicht, 3 mm lang, mit je einer glasig weißen, 2 mm langen Hym.-Larve besetzt. Grünberg: Rohrbusch an der Straße nach Prittag (S). Phleum Boehmeri With. ##*1310. Hym. Stark hervortretende, bis 2 em lange, 5 mm dicke, gelblich bis dunkelbraune, glänzende, spindelförmige, einseitige Halm- anschwellung über einem der untersten (meist dem 3.) Knoten. Die be- fallenen Halme sind meist durch Wuchsstockung und Steekenbleiben der Ähre kenntlich. Urh. gehört zum Formenkreise von Isosoma lineata (nach Dr. Ruschka- Wien). 2 Fühlergeißel schwarz, kurz anliegend behaart; Körper schwarz, glänzend, zerstreut borstig; Beine schwarz, borstig bekleidet; Knie und Tarsen dunkelgelb. Marginalader kürzer als der Radius. Länge 4 mm. &' Fühlergeißel schwarz, mit langen Wirtelborsten; Kopf wie beim 2. Grünberg: Polnisch-Kesseler Straße, Schillerhöhe (S). *#1311. Hym. Sehr starke, spindelförmige, ringsseitige, lange Ver- dickung am obersten Halminternodium. Urh. /sosoma sp. Grünberg: Schillerhöhe (S). ##1312, Hym.? Kaum auffallende, schwache, unregelmäßige An- schwellung im oberen Halmabschnitt, bis 3 cm lang. Grünberg: Schiller- höhe (8). *#*1313. Dipt. Halm gestaucht, Ähren steckenbleibend, bleich. Grün- berg: Schillerhöhe (S). *#*1314. Hem. Blattscheiden etwas aufgetrieben, Blattflächen gedreht. Urh. Aphiden. Grünberg: Polnisch-Kesseler Straße (S). Agrostis vulgaris With. **1315. Dipt. Wie Nr. 1308. Grünberg (S). #=#*1316. Dipt. Zwischen Blattscheide und Halm eine orangegelbe Larve in einer schwachen Vertiefung des Halms. Urh. Lasioptera cerealis Lindr. Grünberg: Rohrbusch, Külpenau (S). Calamagrostis epigeios Roth. *#1317. Hem. Oberste Blattscheide blasig aufgetrieben, die Rispe z. T. darin eingehüllt, die befallenen Teile der Scheide entfärbt. Urh. längliche, blaßgrüne Aphiden, in der Scheide sitzend. Gleiwitz: Alt-Glei- witz (W); Grünberg: Blaubeerheide (8). *1318. Hym. (C. H. 199). Leichte Halmschwellung über dem 2. oder 3. Knoten. Urh. Isosoma calamagrostidis Schl. Gleiwitz: Alt-Gleiwitz (W). #=#1319. Hym. Zahlreiche, meist dicht aneinandergereihte, 1—1,5 cm lange, ca. 3 mm dicke Halmanschwellungen des die Rispe tragenden obersten Halmgliedes. Gallen äußerlich nicht sichtbar; Rispe meist nur lI. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 101 zum Teil aus der obersten Blattscheide heraustretend. Die Gallen selten auch im 2. Halmgliede von oben, das oberste Glied dann stark verkürzt. Urh. Zsosoma sp. Grünberg: an zahlreichen Orten (8). Calamagrostis lanceolata Roth. *1320. Dipt. Wie Nr. 1316. (C. H. 206). Grünberg: Rohrbusch (8). *1321. Dipt. Sattelgalle am oberen Halm, abgegrenzt durch kleine Knötchen, Länge etwa 1 cm. Meist aus der Blattscheide heraustretend. Grünberg: Rohrbusch (S). Holcus lanatus L. *1322. Hem. (C. H. 218) Schopfartige Blatthäufungen am Gipfel nicht blühender Sprosse. Blätter gedreht, gerollt. Urh. Brachycolus stellariae Hardy. Grünberg: an vielen Orten (S). *#1323. ? Ziemlich tiefe, spitz zulaufende, 5—7 mm lange, unter der Blattscheide verborgene Halmrinnen über einem der unteren Knoten. In ihr sitzen 2—3 mm lange, 1 mm dicke, gelblichbraune, länglich-eiförmige Gallen, vorn zugespitzt. — Die besetzten Halme äußerlich durch ge- stauchten Wuchs und steckenbleibende Rispen kenntlich. Grünberg: „Linde“; Freystadt: zwischen Neudorf und Brunzelwaldau (S). Deschampsia (= 'Aira) caespitosa P. B. **1324. Dipt. Vertiefungen des Halmes über einem mittleren Knoten, von der Blattscheide umschlossen. Besetzt mit orangegelben Mücken- larven, die zwischen Blattscheide und Halm leben, aber auch in. den 'brüchig werdenden Halm eindringen und oft in großer Anzahl vorhanden sind (auf 1,5 cm Länge bis 50 Larven). Urh. Lasioptera calamagrostidis Rübs. ? Grünberg: an vielen Orten, aber einzeln (S). Corynephorus canescens P. B. *#1325. Phyt.? Stark geknäulte Rispe. Rispenäste, mitunter auch der Halm, geschlängelt. Grünberg: Koscheberg, Weite Mühle (S). ##1326. Hym. Sehr schwache, äußerst schwer wahrnehmbare ge- streckt spindelförmige Halmanschwellung, meist ein ganzes Halmglied ein- nehmend, völlig in der Blattscheide eingeschlossen. Urh. /sosoma sp. Grünberg: an verschiedenen Orten, einzeln (S). **1327. Hym. Stärker hervortretende, kegelige, ringsseitige Halm- anschwellung in verschiedener Höhe, meist aber nur wenige cm über dem Boden, Länge 1—1,5 em, Dicke 1—1,5 mm, je nach der Stärke des Halmes. Durch eine charakteristische, knieartige, rechtwinklige oder noch stärkere Biegung des Halmes an der besetzten Stelle auch äußerlich ziem- lich leicht bemerkbar. Larve weiß, etwa 2 mm lang, im untersten, wei- testen Teile der Galle. Urh. Isosoma sp. Grünberg: an vielen Orten, häufig (S). 102 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. *#1328. Hym. Verkehrt kegelige Halmgalle, dicht unter einem der mittleren Halmknoten, äußerlich nicht wahrnehmbar, weil in der Blatt- scheide eingeschlossen. Länge 5—8 mm, Stärke 1,5 mm. Flugloch am oberen, dicksten Ende der Galle. Urh. Isosoma sp. Grünberg: Fuß des Koscheberges; sehr selten (S). Avena pubescens L. *#1329. Dipt. Wie Nr. 1308. Grünberg: an vielen Orten (8). Avena sativa L. *#1330. Phyt. ? Starke Knäuelung der Rispe, Verbiegung und Schlängelung der Rispenäste. Grünberg: Glasfabrik (S). *1331. Hem. (C. H. 228). Blattscheide und Blattfläche gedreht und eingerollt.e. Urh. Aphis padi L. (=avenae Fabr.). Grünberg: nicht selten (S). Arrhenatherum elatius Mert. et Koch. **1332. Dipt. Wie Nr. 1308. Grünberg: Marschfeld u. a. O. (8). Koeleria cristata Pers. **1333. Hym. Bis 1,5 cm lange und 4—5 mm dicke, einseitige, spindel- förmige Anschwellung des Halmes über dem untersten Knoten, meist die Blattscheide sprengend und hervortretend; mitunter schwach längs- riefig. Farbe zuletzt glänzend dunkelbraun. Hym.-Larve von 3 mm Länge (Mitte IX). Urh. /sosoma sp. Grünberg: Bahndamm bei der Weiten Mühle (8). ##1334. Hym. ? Scharf abgesetzte, walzige Halmverdickung über dem untersten Knoten, ringsseitig, 12 mm lang, 4 mm dick. Ganz von der Scheide des untersten Blattes eingehüllt und von den faserigen Resten abzestorbener Blätter verdeckt. Grünberg: Weite Mühle (S). *#*1335. Hym. Sehr wenig hervortretende Verdickung des Halmes im obersten Halmabschnitt, 12 cm über dem obersten Knoten. Grünberg: Weite Mühle, nur in 3 Stücken, eins verlassen, mit Bohrloch (S). Dactylis glomerata L. ##1336. Hym. Starke, einseitig spindelförmige Halmverdickung über dem 2. Knoten von unten, 1,5 em lang, glänzend dunkelbraun. Ganz wie die Isosoma Hieronymi-Galle an Festuca glauca: die beiden obersten Halm- abschnitte sind verkürzt, die Rispe ist dürftig entwickelt und wenig über die oberste Blattscheide heraustretend.. Nur in einem Exemplar ge- funden. Grünberg: Drentkauer Weg hinter der Barndtschen Mühle (S). *1337. Hym. ? Lange, unregelmäßig durch den ganzen 2. Halm- abschnitt sich hinziehende, wenig hervortretende Halmanschwellung. Grünberg: zwischen Külpenau und Drentkau (S). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 103 Poa annua L. *#1338. Dipt. Wie Nr. 1308. Grünberg: überall häufig (S). Festuca rubra L. **1339. Dipt. Wie Nr. 1316. Urh. Lasioptera cerealis Lindr. Grün- berg: Köhlers Spinnerei und „Säure“ (S). Festuca glauca Schr. **1340. Phyt. ? Wie Nr. 1330. Grünberg: Tolles Feld (8). (*)*1341. Hym. Ringsseitige, 2—3 cm lange, unregelmäßig geformte Halmanschwellung, meist am unteren Halmteile. Die befallenen Halm- stellen werden leicht gekrümmt und treten aus der Blattscheide heraus. Sie zeigen eine grünlichbraune, in der Jugend filzartig bekleidete, im ‘ Alter glatte, dunkelbraune Oberfläche. (cfr. C. H. 284 u. Roß 670.) Urh. Isosoma sp. Grünberg: Aumühlberg, Tolles Feld (S). *#*1342. Dipt. Wie Nr. 1308. Grünberg: Brikettfabrik u. a. O. (S). Festuca ovina L. *#1343. Hym. Wie Nr. 1341. Urh. Isosoma sp. Grünberg: Aumühl- berg, Tolles Feld, Rohrbusch (S). Bromus inermis Leyss. *#1344. Hym. An fertilen und sterilen Achsen kleine, von einem dunklen Hofe umgebene Fluglöcher. Nach Entfernung der umhüllenden Blattscheiden zeigten sich die Halme dort etwa 1 cm lang dunkel gefärbt und schwach angeschwollen. Diese Schwellungen sitzen meist über dem 5. Halmknoten von unten und zeigen sich nur selten am obersten, die Rispe tragenden Halmteil. Urh. /sosoma sp.? Grünberg: Blümelfeld (S). Bromus tectorum L. *#1345. Phyt. ? Wie Nr. 1330. Grünberg: Hatzfeldstraße—Linde- berg (S). Lolium perenne L. *#1346. Phyt. ? Wie Nr. 1330. Grünberg: Bahndamm zw. Lausitzer und Schertendorfer Straße (S). Agropyrum repens P. B. *1347. Dipt. (C. H. 323). Wie Nr. 1316. Urh. Lasioptera cerealis Lind. Grünberg: Luisental, „Säure“ u. a. ©. (S). *#1348. Dipt. Wie Nr. 1308. Grünberg: Alte Leimfabrik u. a. ©. (S). *#*1349. Hem. Blattscheide gedreht, Blattfläche spiralig eingerollt. Urh. Apkiden. (cfr. C. H. 325 A u. Roß 77). Grünberg: an verschiedenen Orten (S). Ob eine oft damit verbundene Knickung der Ährenspindel im untersten Teil derselben von den anwesenden Aphiden herrührt, erscheint zweifelhaft. Grünberg: Zw. Lindeberg und Hatzfeldstraße (S). 104 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Agropyrum caninum P. B. *#*1350. Hem. Wie Nr. 1349. Urh. Aphiden. Grünberg: Barndtsche Mühle (S). Triticum vulgare L. *1351. Hem. (C. H. 334). Blattscheiden und Blattflächen gedreht, gerollt. Ähre öfters in der obersten Blattscheide stecken bleibend. Urh. Aphis padi (=avenae) L. Grünberg: Bahndamm an der Lansitzer Straße (S). Secale cereale L. *#1352. Dipt. Wie Nr. 1308. Grünberg, häufig (S). *=#1353. Dipt. Achse der Saatpflanzen am Grunde etwas verdickt, Sproß und Blätter vergilbt, zuletzt absterbend. Der junge, zarte Halm am Grunde samt der ihn umgebenden Blattscheide zerstört, braun und leicht abbrechend. Unter der zerstörten Stelle sitzt im Innern eine etwa 5—7 mm lange weiße Dipterenlarve. Urh. Aylemyia coarctata. Grün- berg: Saatfelder am Erlbuschwege (S). ##1354. ? Treppenartige Verbiegung der Ährenspindel. Urh. ? Grün- berg: Marschfeld (S). *#*1355. Orth. Verkümmerung von Blüten, Violettfärbung der Grannen, Schlängelung derselben u. a. Mißbildungen. Urh. Thripside. Grünberg: an verschiedenen Orten (S). *#1356. Hem. Verdrehung und Verbreiterung der Spelzen und dadurch hervorgerufene Mißbildung der Ähre. Besetzt mit Psylliden- Larven und -Puppen. Grünberg: Zwischen Matthäiweg und Rohrbusch (S). Cyperaceae. Scirpus silvaticus L. ##*1357. Helm. Spindelförmige, etwa stecknadelkopfgroße Anschwel- lungen an den Nebenwurzeln. Urh. Heterodera radicicola Greeff. Breslau: Botanischer Garten (Lingelsheim). Liliaceae. Hemerocallis fulva L. (*)*1358. Dipt. (C. H. 410 ?). Knospen verdickt und verkürzt, oft gekrümmt; Perigonblätter ungleich lang, verbeult, geschlossen bleibend, mit wulstigen Windungen an der Innenseite. Hier und in dem zerstörten Innern der Knospe zahlreiche (bis 50) weißliche ca. 2 mm lange Dipteren- larven. Urh. Contarinia quinguenotata F. Löw.. ? Grünberg: in Gärten 1913 häufig (S). Asparagus officinalis L. ##1359,. Dipt. Verkrüppelung, Vergilbung, Schrumpfung und Ab- sterben der jungen Achsen, Sproßende meist hakig gebogen. Urh. Trypeta fulminans Meig. Grünberg: überall häufig (S). ll. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 105 Polygonatum verticillatum All. *#1360. ? Blätter einzelner Quirle mehr oder weniger entfärbt, ge- dreht, blasig gekräuselt. Urh. ? Gleiwitz: Labander Wald (W). Iridaceae. Crocus SP. **1361. Hem. Blätter längs gerollt, vorzeitig vergilbend und ab- sterbend. Urh. grünliche Läuse in großer Menge, besonders dicht über den Zwiebeln. Grünberg: an Topfexemplaren (8). Iris pseudacorus L. *#1362. ? Blatt längs gerollt, an der Spitze gekräuselt. Urh. ? Leobschütz: Matzdorf (B). Juglandaceae. Juglans regia L. *#*1363. Hem. Blattmittelrippe sichelartig gekrümmt, Blattfläche locker nach oben gerollt, auch schraubig gedreht. Urh. Zachnus juglandis Frisch. Grünberg: in Gärten ($). Salicaceae. Populus alba L. (*)*1364. Hem. Blätter zurückgerollt, beulig, entfärbt, zu lockeren Klumpen vereinigt, Blattstiele und Achse der Zweigspitze innerhalb der Bildung verdickt. Urh. Aphiden: a) ungeflügelte rote, diekwalzige, b) lang- geflügelte mit schwarzem Kopf und schwarzer Brust und rotem Hinter- leib, ce) ungeflügelte, halbkugelige, rotbraune und dickbestäubte (von diesen nur je eine in jeder Galle). Sehr reichlich Saft absondernd. Ob Pachypappa vesicalis Koch (C. H. 469) oder Pemphigus varsoviensis Mordw. (C. H. 470). ? Grünberg: Wittgenauer Dorfstraße (S). *#*1365. Hym. Perlschnurartig aneinander gereihte Eitaschen am Blattstiele. (Procecidium). Urh. Trichiocampus viminalis Fall. Grün- berg: Schulgarten auf dem Lindeberge (S). Populus nigra L. *#1366. Hem. Hasel- bis walnußgroße Beutelgalle an Zweigen. Mitunter fast kugelig, meist etwas flachgedrückt, Öffnung maulartig weit geschlitzt mit etwas wulstigen Rändern, bis 3 cm. Farbe grau, mitunter etwas gelb- und rotbackig. Urh. Pemphigus borealis Tullgren. Grünberg: Zwischen Erlbusch und Weite Mühle, Oderwald, selten (S). Populus italica Mönch. **1367. Hem. Vorjährige Zweige spiralig gedreht und erweitert. Urh. Pemphigus spirothecae Pass. Grünberg: Droschkau (S). 106 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Salix fragilis L. *1368. Dipt. (C. H. 585). Vergl. Nr. 173 des Nachtrages. Urh. Rhabdophaga saliciperda Duf. Gleiwitz (Cz); Schweidnitz: Kletsch- kau (Sp). Salix alba X fragilis Wimm. *1369. Hym. (C. H. 604). [Hie. 742]). Urh. Pontania proxima Lep. Wartha (D); Schweidnitz (Sp). *#1310. Dipt. (C. H. 600, [Hie. 532]). Urh. Perrisia terminalis H. Löw. Wartha (D). Saliz babylonica L. *#*1371. Lep. Spindelförmige, einkammerige, 1,5 cm lange, bis 3 mm dicke ringsseitige Anschwellung des Zweiges. In der Höhlung eine trockene Falterraupe, wohl Grapholitha Servilleana Dup. Breslau: Städtischer Schulgarten (Grüning). Salix fragilis X pentandra. *#1372. Hym. Blattrand umgeklappt. Urh. Pontania sp. Breslau: Straße vor Ottwitz (D). *#1373. Hym. ([Hie. 756]). Urh. Pontania proxima Lep. Breslau: Botanischer Garten (D). Saliz amygdalina L. *1374. Hym. (C. H. 677). Kugelige, einkammerige, glatte, gelbe, grüne oder rote Galle, an der Blattunterseite punktförmig angeheftet; oben entsprechend ein gelbrötlicher Fleck. Urh. Pontania salicis Christ. Glei- witz (W). *#1375. Phyt. Rote Beutelgallen auf den Gipfelblättern, deren Öffnung unten durch Haarschöpfe verschlossen ist. Urh. Eriophyes sp. Reichenstein (D). Saliz viminalis X purpurea Wimm. **1376. Hym. Spindelförmige Anschwellung des Blattstiels oder der Mittelrippe. Urh. Euura (Cryptocampus) testaceipes Zadd. Schweidnitz: Ober-Grunau (Sp). ##1377. Hym. DBlattrand lose umgeschlagen. Urh. Pontania Sp. Schweidnitz: Ober-Grunau (Sp). ##1378. Dipt. Einkammerige, fast kugelförmige, 1—1,5 mm breite, auf beiden Seiten vorspringende, harte, zuletzt gelbe Gallen. Urh. Oligo- trophus capreae Winn. Schweidnitz: Ober-Grunau (Sp). ##1379. Hym. (Hie. [742]). Urh. Pontania proxima Lep. Schweid- nitz: Ober-Grunau (Sp). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 107 Salie daphnoides Vill. **1380. Phyt. Blattrand eng nach oben gerollt. Urh. Eriophyes sp. Nimptsch: Gasthaus zur Wiese (D). Salix viminalis L. **1381. Hem. Randrollung der Zweigspitzenblätter nach unten, Krümmung derselben oft bis zur Kreis- oder Schlingenform, verbunden mit Entfärbung. Urh. braune und schwarze Aphiden, in großer Menge den oberen Teil der einjährigen Schößlinge bedeckend. Grünberg: Weiden- kultur bei der Bergschloßbrauerei (S). *#1382. ? Starke, krebsartige Wucherungen an der Zweigrinde, bis walnußgroß. Das Innere der Wucherungen und der dazu gehörigen Zweigstücke mit Höhlungen und Fraßspänen. Urh. nicht mehr zu sehen. Grünberg: Bergschloßbrauerei, Polnisch-Kessel (S). Salix viminalis X aurita Wimm. *=#1383. Hym. Vergrößerte und geschlossen bleibende Knospen, be- sonders am Grunde verdickt. Öffnung dicht unter der Spitze. Euura (Cryptocampus) sp. ? Grünberg: Aumühle (8). *#1384. Dipt. (Hie. [516]). Urh. Oligotrophus capreae Winn. Grün- berg: Aumühle (S). Salix caprea L. **1385. Hem. Blattrand beiderseits lang nach unten eingerollt. Urh. schwarzblaue Aphiden. Grünberg: Telegraphenberg (S). Salix caprea X purpurea Wimm. 1856. Dipt. (Hie. [513]). Urh. Oligotrophus marginemtorquens- Winn. Gleiwitz: am Sumpfe zwischen Laband und Schechowitz (W). Saliz aurita L. (*)*1387. Dipt. (C. H. 846 ?). Schwache, ringsseitige, 2—3 cm lange, 2—3 mm im Durchmesser haltende Anschwellung dünner Zweige. Zahl- reiche Larvenkammern im Holzkörper, parallel zur Achse liegend. Röt- lichgelbe, 1—1,5 mm lange Mückenlarven. Wahrscheinlich Rhabdophaga saliciperda Duf. Grünberg: Halbemeilmühle (S). *1388. Phyt. (C. H. 823 [Hie. 211]). Urh. Eriophyide. Silberberg: Raschgrund (B). Saliz silesiaca Willd. *#1389. Dipt. ([Hie. 515]). Ringsseitige Zweiganschwellung. Urh. Rhabdophaga salicis Christ. Hirschberg: Agnetendorf (D). *1390. Dipt. (C. H. 869; [Hie. 514]). Urh. Rhabdophaga rosaria H. Löw. Hirschberg: am Zacken unterhalb der Kochelmündung ein Stück (D). 108 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. *1391. Hym. (C. H. 869; [Hie. 742]). Urh. Pontania proxima Lep. Schmiedeberg: Grenzbauden (Sp). *#*1392. Phyt. Kleine beutelförmige Blattgallen. Urh. Eriophyes sp. Riesengebirge: Kleine Schneegrube (D). *1393. Dipt. (C. H. 868; [Hie. 516]). Urh. Oligotrophus capreae Winn. Schmiedeberg: Grenzbauden, Melzergrund (S). Salix aurita X caprea Wimm. ##1394,. Dipt. (Hie. [517])). Urh. Oligotrophus capreae Winn. var. major Kieff. Reichenstein (D). Saliz cinerea L. (*)*1395. Hem. (cfr. ©. H. 900). Blattränder am Grunde eingerollt. Urh. blaue Aphiden. Grünberg: Rotes Wasser (8). Salix cinerea X purpurea Wimm. #=#*1396. Dipt. ([Hie. 547]). Urh. Perrisia marginemtorguens Winn. Grünberg (D); Zobten: Tampadel (Pax). Salic caprea X. cinerea Wimm. *#*1397. Dipt. (|Hie. 524]). Urh. Oligotrophus capreae Winn. Hirsch- berg: Agnetendorf: Hummelberg (D). **1398. Phyt. Stark behaarte Beutelgallen auf den Blättern. Urh. Eriophyes sp. Hirschberg: Agnetendorf: Hummelberg (D). Betulaceae. Corylus Avellana L. (#)*1399. Dipt.? (C. H. 1060 ?). Rostrote, kreisrunde Flecken auf den Blättern. Urh. Oligotrophus coryli Kieff.? Reichenstein (D). *1400. Phyt. (C. H. 1063). Blätter fleckweise gebräunt; die befallenen Stellen etwas emporgewölbt. Grünberg: Am Augustberge (S). Corylus tubulosa Willd. *1401. Phyt. (©. H. 1065; [Hie. 80]). Urh. Eriophyes avellanae Nal. Grünberg: Am Koscheberge (S). Betula verrucosa Ehrh. *1402. Dipt. (C. H. 1067). Früchtchen angeschwollen, oft fast flügel- los. Urh. Oligotrophus betulae Winn. Grünberg: Rotes Wasser, Barndtsche Mühle (S). Betula pubescens X verrucosa. ##1403. Phyt. ([Hie. 57]). Beiderseits vortretende Blattknötchen. Urh. Eriophyes betulae Nal. Freystadt: Brunzelwaldau (Sp). Alnus glutinosa Gaertn. ##1404. Lep. 5‘ Kätzchen verbildet durch knotige Verdickungen, Einschnürungen und Krümmungen. Urh. ein 5 mm langes, schlankes, II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 109 weißrötliches Räupchen mit schwarzbraunem Kopfe, das sich von den jungen Blütenanlagen im Innern des Kätzchens nährt. Die Raupe scheint in die Erde zu gehen, da sich zur Fundzeit (X) einige mit Löchern versehene, verlassene Kätzchen fanden. An der Außenseite der Kätzchen Fraßmehl- klümpchen. (Grapholitha Penkleriana S. V.)? Grünberg: Kontopp (S). (*)*1405. Hem. (C. H. 1124 ?). Kleine Vertiefungen auf der Rinde junger Zweige. Urh. Schildlaus, vielleicht Chionaspis alni Sign. Grün- berg: Kruses Ziegelei (S). Almus glutinosa X incana Krause. *1406. Phyt. (C. H. 1142; [Hie. 31]). Urh. Eriophyes laevis Nal. Schweidnitz: Würbenschanze (Sp). *1407. Phyt. (C. H. 1144; [Hie. 32]). Urh. Eriophyes brevitarsus Fockeu. Schweidnitz: Würbenschanze, Tunkendorf (Sp). Fagaceae. Quercus pedunculata Ehrh. ##1408. Hym. ? Galle keulig-spindelförmig, 7” mm lang, deutlich ge- stielt, am oberen Ende etwa 2 mm im Durchmesser. Mit einem dünnen Stielchen auf der Blattoberseite in der Nähe des unveränderten Randes aufrechtstehend befestigt. Grünlichgelb mit mehreren grünen Längsstreifen. Umfang undeutlich kantig, Scheitel mit kurzem, braunem Spitzchen; dünn- wandig, durchscheinend. Am Standort nur ein Exemplar. Grünberg: Rotes Wasser (S). (*)*1409. Hym. ? Beiderseits wenig hervortretende Blasengalle („Fenstergalle‘‘) im Winkel zwischen zwei Blattnerven, dunkel beringt. ‚Öffnung unterseits. Später braun werdend. Ob C. H. 1352: Andricus sufflator Mayr.? Grünberg: Kreuzbach vor der Barndtschen Mühle (S). *1410. Hym. (C.H. 1347). Galle ei- bis spindelförmig, bis 3,6 mm lang und 2,5 mm dick, grün oder rötlich, — rot längsgestreift, unregelmäßig gekielt, mit breitem Grunde aufsitzend am Ende der Nerven am Blatt- rande oder in abnormen, zum Teil tiefen Einschnitten des Blattrandes. Urh. Andricus marginalis Schl. Breslau: Oswitz (D). *1411. Hym. (C. H. 1346). Länglich eiförmige, 2 mm lange, 1 mm dicke, seitlich angewachsene, blaßgrüne, dann weißgelbliche, zuerst ab- stehend behaarte, später meist kahle, dünnwandige Galle am Blattrande, der dann meist abnorm eingeschnitten ist. Urh. Neuroterus albipes Schenck. Breslau: Oswitz (sehr selten) (D), Kottwitz (D); Öls: Sybillen- ort, Klein-Zedlitz (D); Grünberg: Rohrbusch (S). *1412. Hym. (C. H. 1201 ?). Eiförmige Galle in den .f! Blütenständen, 3—5 mm lang, 3 mm dick, grünlich, oft rotbäckig oder rundum rot gefärbt. Mit 8 starken Längsleisten; kahl. Zucht leider nicht gelungen. Urh. 110 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Andricus trilineatus Hart. ? Grünberg: an einem Strauche am Fuße des Koscheberges (S). ##1413. ? An einigen Blütenständen, die mit der vorigen Nr. besetzt waren, zeigte sich die Kätzchenspindel stark länglich verdickt und hakig gebogen. Urh. ? Grünberg: Standort wie Nr. 1412 (S). ##*1414. Hym. ? Eichel klein bleibend, nicht ausfallend, von den Rändern des Fruchtbechers überwallt.e. Der freibleibende Scheitel der fast kugeligen Eichel mit mehreren kreisförmigen Öffnungen. Urh. ? Grünberg: Külpenau (S). *1415. Hem. (C. H. 1311). Wenig hohe, kreisförmige blasige Auf- treibungen der Blattoberseite, zuerst glasig hellgrün, zuletzt braun. Urh. Phylloxera acanthochermes Licht. Grünberg: Rohrbusch am Fuße des Butterberges (S). *1416. Hem. Unebenheiten an den Blattrippen der Blattunterseite; Entfärbung der Blattfläche. Urh. kleine, hellschwefelgelbe, austern- förmige Schildläuse, die am spitzeren Ende eine elliptische orangefarbige Linie haben. Grünberg: (S). Quercus sessiliflora SM. *1417. Hym. (C. H. 1180; [Hie. 646]). „Knoppern“. Urh. Cynips calicis Burgsd. Schweidnitz: Anlagen (Sp). *1418. Hym. (C. H. 1266; [Hie. 647]). Urh. Cynips conglomerata Gir. Gleiwitz: Dombrowo (W); Neustadt O.-Schl.: Buschendorf, Krei- witzer Waldrand (W). *1419. Hym. (C. H. 1322; [Hie. 651 a]). Urh. Dryophanta longiventris Hartig. Neustadt: O.-Schl. (W). *1420. Hym. (C. H. 1332; [Hie. 654 a]). Urh. Neuroterus laeviusculus Schenck. Gleiwitz (W); Neustadt O.-Schl.: Kröschendorf (W). (*)*1421. Hym. ? Wie Nr. 1409. Grünberg: Kreuzbach vor der Barndt- schen Mühle (S). Ulmaceae. Ulmus pedunculata Foug. *##1422. Hem. Lockere Rollung der Blätter nach unten, verbunden mit enger Querfältelung. Die Rollung verläuft quer über die ganze Blatt- fläche. Die Blätter bilden an den Zweigenden lockere Schöpfe. Galle Anfang VIII bereits verlassen. Grünberg: Schertendorf (S). Ulmus americana L. *1423. Hem. (C. H. 2071; [Hie. 367]). Urh. Tetraneura ulmi De Geer. Schweidnitz: Anlagen (Sp). *#1424. Hem. ([Hie. 363]). Urh. Pemphigus pallidus Hal. Schweid- nitz: Anlagen (Sp). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. JWlat Urticaceae. Urtica urens L. ##1425. Phyt. ? Weißliche, wenig ausgedehnte Haarrasen auf der Blattunterseite zwischen den Rippen, denen oben blaßgelbe Flecken ent- sprechen. Urh. Eriophyide? Gleiwitz: Schulgarten in Alt-Gleiwitz (W). Polygonaceae. Rumex crispus L. *#1426. Hem. Blätter der Länge nach nach unten eingerollt. Urh. Aphis rumicis L. Schweidnitz: Texas (Sp). Rumezx obtusifolius L. *1427. Hem. (C. H. 2124). Wie Nr. 1426. Urh. Aphis rumicis L. Schweidnitz: Texas (Sp). Gekrauste Blätter mit Aphiden und einigen weißen Cecidomyiden-Larven auch bei Alt-Gleiwitz (W). Rumex acetosella L. *#1428. Hem. Spitze der Blütenstandsachse gebogen, Blüten knäulig gehäuft. Urh. kleine grüne Läuse. Grünberg: Polnisch-Kessel (S). Polygonum amphibium L. *1429. Hem. (C. H. 2158). Sproßspitze gestaucht, Blätter gekräuselt; sowohl der Blattrand als das ganze Blatt von der Spitze an dem Stengel zu eingerollt. Urh. Aphalara maculata F. Löw. Neustadt O.-Schl.: Kröschendorf (W). Polygonum persicaria L. *#*1430. Hem. Verbildete, unregelmäßig geformte Blütenstände. Urh.: graubraune, bestäubte Läuse, weiße Wachsfäden absondernd, die zwischen den Blüten lang heraushängen. Grünberg: Kartoffeläcker am Bahndamm vor dem Rohrbusch (8). ##1431. Dipt. Blüten- St. — mißgebildet. Urh. Mücke mit schwarzem Kopf und schwarzen Fühlern, Thorax schwarz, Hinterleib gelblichrot. (Mitte VIII). Grünberg: Luisental (S). Polygonum convolvulus L. *#*1432. Hem. Sehr niedriger, gestauchter Wuchs. Blütenstand zu einem dichten Knäuel zusammengezogen. Urh. schwarzblaue Aphiden. Grünberg: Koscheberg; Christianstadt a. B. (S). *1433. Hem. (C. H. 2712). Blätter zurückgerollt, dem Stengel an- gedrückt, gekräuselt und gebeult, später gelb und rot entfärbt. Urh. sehr zahlreiche, schwarze Aphiden. Grünberg: Rohrbusch, Schützenhaus (S). Polygonum tomentosum Schrank. *#*1434. Dipt. ([Hie. 477]). Urh. Perrisia persicariae L. ? Gleiwitz: Alt-Gleiwitz (W\ 1123 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Polygonum hydropiper L. *#1435. Dipt. Wie Nr. 1434. Urh. Perrisia persicariae L. ? Gleiwitz: Koslow (W). { ##*1436. Hem. Blätter nach unten gerollt, gebeult. Urh. kleine gelbe und grüne Aphiden. Grünberg: Bergwerksschmiede, Polnisch-Kessel (S). Polygonum lapathifolium L. (z. T.). *#1437. Hem. Blätter gerollt. Urh. blaue Läuse. Grünberg: Erl- busch (S). Fagopyrum tataricum Gtn. *#*7438. Hem. Blätter zurückgerollt und zurückgeschlagen, an den Stengel angedrückt. Urh. zahlreiche schmutziggrüne und schwarze Läuse. Grünberg: zwischen Drentkauer Straße und Kruses Ziegelei (S). Chenopodiaceae. Chenopodium album L. *#*1439. Hem. Kopfartige Knäuelung der Fruchtstände und Gipfel- blätter. Urh. Zahlreiche dunkle Läuse. Grünberg: an vielen Orten (S). Chenopodium hybridum L. ##*1440. Hem. Stark zurückgerollte, querrunzelige, gekräuselte Blätter. Urh. gelbliche bis grüne und rötliche Läuse. Grünberg: Bergschloß- brauerei (S). Chenopodium glaucum L. ##1441. Hem. Blätter gerollt. Urh. Aphiden. Grünberg: „Altes Ge- birge“ (S). Atripler patulum L. (*)*1442. Hem. (C. H. 2197 ?). Zurückrollung und Verbeulung der Blätter. Urh. dunkelblaue Läuse, in großer Zahl an den Nerven auf der Blattunterseite sitzend. Grünberg: überall auf Schutthaufen (S). *#*1443. Hem. Zweig- und Blattsucht; die Pflanze bleibt kurz buschig mit unten aufgelegten Stengeln. Blätter schmal und nur wenige mit Spieß- ecken. Keine Blüten. Urh. blaue Läuse, klein, zahlreich. Grünberg: Bahndamm am „Fließ“ (S). (*)*1444. Hem. Blattrand nach unten eingerollt, gelblich und rötlich entfärbt. Urh. grüne Läuse. (Apkis atriplicis L.) ? Tarnowitz: Trocken- berg (W). Atriplex oblongifolium W. Kit. ##1447 Hem. Teile des Blattrandes, namentlich der oberen Blätter, nach oben eingerollt, am häufigsten an der Blattspitze und dem Blatt- srunde. Rollung härtlich, brüchig und oft gelblich entfärbt. (efr. C. H. 2198). Urh. Psyllide. Grünberg: Lattwiese, Langegasse, Barndtsche Mühle (S). | II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. | 113 Amarantaceae. Amarantus retroflexus L. (*)*1446. Hem. Einrollung, Runzelung und Kräuselung der Blätter: Urh. zahlreiche schwarze Läuse. (cfr. C. H. 2251). Grünberg: Lansitzer Straße, Erlbusch, Polnisch-Nettkow (S). Caryophyllaceae. Silene inflata Sm. (S. cucubalus Wigg.). *#*1447. Hem. Blüten verkümmernd, nicht aufblühend und bald ver- trocknend. Urh. rotbraune Aphiden. Grünberg: Zwischen Augustberg und Koscheberg (S). Silene dichotama Ehrh. *#1448, ? Ganze Pflanze gestaucht, Wuchs niedrig, Blüten vergrünt. Urh. ? Neustadt O.-Schl.: Kleefelder bei Kröschendorf (S). *#1449. ? Blattfläche nach unten ausgestülpt, besonders entlang der unregelmäßig verzerrten Nerven; auch die grünen Kelchrippen verzerrt. Urh. ? Neustadt O.-Schl.: Kleefelder bei Kröschendorf (S). Melandryum album Grtn. *#*1450. Hem. Blütenstände verkümmert, die meisten Blüten fehl- schlagend. Dicht mit Aphiden besetzt. Grünberg: Schwedenschanze (S). *#*1451. Hem. Blätter mit etwa 2—3 mm im Durchmesser haltenden, gelblich entfärbten Pocken. Auf der Blattunterseite in den Höhlungen der Pocken je eine kleine, gelblichgrüne Laus. Grünberg: Schweden- schanze (S). *#1452. Phyt. ? Blüten vergrünt. Urh. Eriophyide? Gleiwitz (Cz). *#1453. ? Stengel im oberen Teile stark verbreitert, dunkelbraun ge- färbt, anscheinend zusammengetrocknet, stärker abstehend behaart, weiter oben ebenso verbreitert, am Ende nicht stärker als gewöhnlich be- haarte Knospen und Blätter. Urh. ? Alt-Gleiwitz: auf Kleeäckern (W). Melandryum rubrum Grtn. *#1454. Phyt. ? Wie Nr. 1452. Urh. Eriophyide? Hotzenplotz und Leobschütz (Malende); Gleiwitz (Cz); Neustadt O.-Schl.: Würbenlehne bei Kröschendorf (W). Saponaria officinalis L. *#1455. Hem. Blätter an jungen Stengeln gerunzelt, gekräuselt und zurückgerollt. Urh. Aphiden, gelb, rötlich, grün und blauschwarz. Grün- berg: Bergschloßbrauerei (S). Stellaria aquatica Scop. (*)*1456. Phyt. ? (C. H. 2308 ?). Blüten vergrünt. Urh. Eriophyide? Alt-Gleiwitz: Dombrowa (W). 1913. 8 114 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. *#*1457. Hem. Sproßachse verkürzt. Blätter zurückgerollt. Urh. grüne Läuse. Gleiwitz: Klodnitzufer bei Lukasine (W). Cerastium arvense L. *1458. Hem. (C. H. 2344; [Hie. 291]). Urh. Trioza cerasti H. Löw. Gleiwitz (Cz). s Ranunculaceae. Clematis recta L. *1459. Hym. (C. H. 2399, 2400). Blasenförmige Anschwellungen an Blütenstielen und Stengeln. (Procecidium). Eitaschen von Rhadinoceraea ventralis Pz. Breslau: Botanischer Garten (D). Ranunculus acris L. *#*1460. Hem. Krümmungen und Verbiegungen der Blütenstands- achsen, Blütenstiele und Hochblätter. Urh. blauschwarze Aphiden. Grün- berg: Alexanderschacht, Bahnübergang an der Schertendorfer Straße (S). Thalictrum flavum L. *1461. Dipt. (C. H. 2448; [Hie. 566]). Urh. Clinodiplosis thalictricola Rübs. Freystadt: Seiffersdorf (S). Beirbieridaceae Berberis vulgaris L. (*)*1462. Hem. Blütenstände verkümmert, mißgebildet, dicht mit gelben Blattläusen besetzt. (Ob C. H. 2465): Rhopalosipkum berberidis Kalt.? Grünberg: Lattwiese (S). \ Papaveraäcezae. Papaver rhoeas L. *#1463. Hem. Blätter stark gerollt oder gekraust. Urh. dunkelblaue Läuse. (Aphis papaveris Perris?) Grünberg: Schützenhaus (S). Papaver dubium L. ##1464. Hem. Wuchs gestaucht, buschig; Blütenstiele oft schlingen- artig verbogen, Blätter gekraust und gerollt. Alle Teile der Pflanze mit schwarzen Läusen besetzt, auch die Kapseln, die sich dadurch oft einseitig krümmen. Urh. Aphiden (ob Aphis papaveris Perr. oder rumicis L.?). Grünberg: Adlerland u. a. Orte (S). Fumaria officinalis L. ##1465. Hem. Hexenbesenartige Büschel von verkürzten Seiten- achsen, Blättern und Blüten, bis zu 4 em Durchmesser. Urh. Aphiden (Ende VI nur noch die Häute der Erzeuger). Grünberg: Bahngleis am „Fließ“, Berliner Chaussee (S). a II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 115 Cruciferae. Lepidium ruderale L. ##*1466. Hem. Knäuelung im Blütenstande. Urh. Aphrophora spumaria L. Grünberg: Adlerland (S). *1467. Hem. (C. H. 6673). Blütenstand verbildet, Blüten zum Teil unentwickelt bleibend, Achse verbogen, oberste Blätter gedreht und ver- bogen. Urh. grünliche Läuse. Grünberg: Bergschloßbrauerei (S). Alliaria officinalis Andr]. *#*1468. Hem. Blätter junger Pflanzen nach unten eingerollt, gebeult, gerunzelt. Urh. schmutziggrüne Aphiden. Grünberg: Rohrbusch (S). Sisymbrium officinale Scop. ##1469. Col. Bis 15 mm lange und 8 mm dicke Anschwellung der Wurzel. Innen eine etwa 7 mm lange Larvenhöhle, mit einer weißen Käferlarve besetzt. Urh. Coleoptere. Grünberg: Mühlweg (S). Sisymbrium pannonicum Jaqu. ##*1470. Col. Rübenförmige Verdickung der Wurzel. Urh. kleine schwarze Curculionide Grünberg: Lawaldauer Straße (S). **1471. Col. Kleine, hanfkorngroße Kugelgallen am Wurzelhalse. Urh. wahrscheinlich Ceutorrkynchus pleurostigma Marsh. Grünberg: Bahn- damm an der Lansitzer Straße (S). Myagrum panniculatum L. (Neslea [Vogelia] pannicul.). ##*1472. Hem. Blätter zurückgerollt. Urh. dunkelgrüne bis schwarze Läuse auf der Blattunterseite. Grünberg: Matthäiweg (S). Diplotazis muralis D. C. ##1473. Dipt. Vereinzelte Knospen angeschwollen und geschlossen bleibend, besonders am Grunde verdickt, Färbung dunkler als bei nor- malen Knospen, Kelchblätter und Befruchtungsorgane stark verdickt. Im Innern eine weißliche Dipterenlarve. Urh. Cecidomyide. Grünberg: Polnisch-Kessel (S). Brassica sinapistrum Boiss. (Sinapis arvensis L.). (*)*1474. Hem. (C. H. 2601?). Blüten verkümmert, meist schon in der Knospenlage vertrocknend, zum Teil vergrünend. Bildung von Schöpfen aus Hochblättern und Blüten. Urh. zahlreiche Aphiden, die beson- ders die Blütenstandsachsen und die Blütenstiele bedecken. Farbe grün- lich, mit hellbläulicher Bestäubung. Aphis brassicae L. ? Grünberg: Klopsches Ziegelei (S). Brassica oleracea L. f. gongylodes L. *1475. Hem. (C. H. 2578). Blätter verbeult und entfärbt. Urh. Aphis brassicae L. Grünberg: Grüner Weg, „Linde“ (S). S* 116 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Brassica oleracea L. f. acephala D.C. #1476. Hem. Wie Nr. 1474. Urh. Aphis brassicae L. Grünberg: „Linde“ (S). Brassica campestris L. (= Br, rapa L.). *1477. Hem. (C. H. 2585). Endständiger Schopf, aus Blütenknospen und Laubblättern mit verkürzten Stielen bestehend. Urh. Aphis brassicae L. Grünberg: Bahndamm an der Lansitzer Straße (S). Brassica napus L. *#*1478. Hem. Starke Stauchung im Blütenstande. Urh. Aphrophora spumaria L. Grünberg: Bahndamm im Adlerlande (S). Barbaraea vulgaris R. Br. *1479. Dipt. (C. H. 2643). Unteres Ende der Blattstiele verdickt. Urh. Dasyneura sisymbri Schrk. Alt-Gleiwitz: Lubin (W). *#1480. Hem. Blätter gekraust, etwas eingerollt. Urh. graue, mehlig bestäubte Aphiden. Gleiwitz: Chaussee zw. Alt-Gleiwitz und Brzezinka, großer Exerzierplatz (W). *#*1481. Phyt. ? Blüten vergrünt. Urh, Eriophyes drabae Nal. ? (cfr. Cardamine pratensis L. C. H. 2656). Alt-Gleiwitz (W). Capsella bursa pastoris Mönch. ##1482, Hem. Starke Stauchung des Blütenstandes mit Verkürzung der Blütenstiele. Urh. Aphrophora spumaria L. Grünberg: Bahndamm im Adlerlande (S). Camelina microcarpa Andr). *#1483. Hem. Zurückgerollte und gedrehte Blätter. Urh. ungeflügelte grüne und geflügelte schwarze Aphiden an der Blattunterseite; Anfang VIII die letzteren in der Mehrzahl. Grünberg: Adlerland (S). Stenophragma Thalianum Cel. *#*1484. Hem. Stauchung und Knäuelung in der Blütenstandsachse. Urh. Aphiden. Grünberg: Schützenhaus (S). Erysimum cheiranthoides L. ##1485. Hem. Rollung, Drehung, Querfaltung und Runzelung der Blätter. Urh. zahlreiche kleine grünliche und schwarze und einzelne große gelblich-rötliche Aphiden. Grünberg: Schützenhaus, Schertendorfer Straße (S). Stark gestauchte Pflanzen mit Zweigsucht, die nur die Häute ihrer Erzeuger zeigten, dürften von denselben Läusen herrühren. Grünberg: Hatzieldtstraße (S). **1486,. Hem. Knäuelung und Stauchung im Blütenstande. Urh. Aphrophora spumaria L. Grünberg: Adlerland (S). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 117 Erysimum hieracüfolium L. (= E. strictum Fl. Wett.). *#1487. Dipt. Etwa walnußgroße, schwammige Galle in der Blüten- standsachse, ganz ähnlich der von Contarinia ruderalis an Sisymbrium- Arten erzeugten. Urh. Cecidomyide. Grünberg: Oderwald (8). Resedaceae. Reseda oderata L. *#1488. Hem. Beulung und Rollung der Blätter. Urh. Blattläuse. Grünberg: „Ruh“schacht (S). Crassulaceae. Sedum telephium L. ##*1489. Hem. Dichte Blätterschöpfe an der Stengelspitze, Blätter zurückgeschlagen und eingerollt. Urh. zahlreiche schmutziggrüne Aphiden. Grünberg: Löbtenz (S). Saxifragaceze. Philadelphus coronarius L. (*)*1490. Hem. (C. H. 27832). Blattflächen der einjährigen Triebe stark gekräuselt; der obere Teil der jungen Sprosse dicht mit schwarz- grauen Läusen besetzt, deren Hinterleib von der Mitte an quer weiß ge- streift ist. Gleiwitz: Anlagen (W); Breslau: Scheitnig (D). Ribes nigrum L. *1491. Hem. (C. H. 2792). Starke Blätterschöpfe an den Zweigenden, Achse der Zweigspitzen verdickt und hin- und hergebogen, Blätter ein- gerollt. Urh. Aphis grossulariae Kalt. Grünberg: Niederstraße (S). Ribes grossularia L. (*)*1492. Dipt. (C. H. 2786 ?). Blüten vergrößert, geschlossen, Kelch verdickt, fleischig, — rötlich. Urh. Contarinia ribis Kieff.? Schmiede- berg: Wolfshau (Sp). Ribes alpinum L. *1493. Hem. (C. H. 2799). Endblätter der Triebe rückwärts ge- krümmt, Blattschöpfe bildend. Urh. Macrosiphum ribicola Kalt. Breslau: Botanischer Garten (Lingelsheim); Schweidnitz: Anlagen (Sp); Grünberg: Augustberg (S). Ribes aureum Pursh. *1494. Hem. (C. H. 2810). Flachbeulige Blattpocken auf beiden Blattseiten, meist länglich-rund, bis 15 mm lang und 5 mm breit, aber auch nur stecknadelkopfgroß; gelblich grün entfärbt. Urh. Myzus ribis L. Grünberg: Lattwiese (S). 118 Jahresberichi der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Sazifraga granulata L. *#*1495. Hem. Grundblätter gekraust. Urh. Aphiden. Nimptsch: Pangelberg (D). Rosaceae. Spiraea Thunbergi Sieb. *1496. Hem. (C. H. 6745 ?). Blätter gerollt, gekraust. Urh. Macrosi- phum ulmariae Schrk. ? Breslau: Scheitniger Park (Baenitz). Ulmaria pentapetala Gilib. *#*1497. Hem. Blütenstände stark geknäult, nicht zur Entwicklung gelangend und vertrocknend. Urh. kleine blaue Läuse. Grünberg: Zwischen Ochelhermsdorf und Droseheydau (S). An einzelnen Pflanzen auch die oberen Blätter zurückgerollt, oft manschettenartig dem Stengel . angelegt. Urh. kleine blaue, gelbe und grüne Läuse. *#1498. Lep. Stengelgrund etwas verdickt. Urh. eine gelblichweiße, 1,5 cm lange Raupe; Kopf hellbraun, Rücken mit zahlreichen dunklen Punkten. Grünberg: Rohrbusch (S). *1499. Hem. (C. H. 2834). Grundblätter gerollt, kräftig gekraust. Urh. Aphis spiraeella Schout. Breslau: Lanisch (D); Reichenstein (D). *#*1500. Dipt. Kreisrunde, wenig vortretende, weißliche. innen dunkle Blasen im Blattparenchym. Urh. ? Reichenstein (D). *1501. Hem. (C. H. 2833). Blattrand lose eingerollt, rot. Urh. Macrosiphum ulmariae Schrk. Reichenstein (D). Pirus communis L. (*)*1502. Hem. (C. H. 2869 ?). Zurückrollung der Blätter, Zusammen- treten derselben zu Büscheln. Urh. Myzus mali Ferr. ? Grünberg: Maugschtgasse, Krone, Krautstraße (S). Pirus (Sorbus) aucuparia Grtn. *#1503. ? Zweiganschwellung mit leeren Höhlungen. Urh. ? Kosel: Ellguth (Sb). Pirus malus L. (*)*1504. Hem. Wie Nr. 1502. Urh. Myzus mali Ferr. ? Grünberg: Maugschtgasse u. a. O. (S). Crataegus oxyacantha L. *#*1505. Hem. Kleine Schöpfe zurückgerollter und an den Sproß an- gelegter Blätter. Urh. gelblichgrüne bis gelbe, graubestäubte Läuse, sehr zahlreich an den Sprossen und Blättern sitzend. Grünberg: Hohlweg an der Lattwiese (S). Crataegus oxyacantha X monogyna, #*1506. Hem. ([C. H. 2953]; [Hie. 314]). Urh. Myzus oxyacanthae Koch. Gleiwitz: Klodnitzdamm bei Lukasine (W); Friedland O.-Schl.: Klein-Schnellendorf (B). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 119 Rubus Idaeus L. *#1507. ? — rundliche, etwa 1 mm im Durchmesser haltende, 0,5 mm hohe, gelblich braune Erhöhungen auf der Blattoberseite mit einer nabel- förmigen Vertiefung in der Mitte; unten entsprechend eine zum Teil mit gelbbraunen Haaren angefüllte Vertiefung. Urh. ? Schweidnitz: Kletsch- kau (Sp). Rubus Bellardii X Mikani Utsch. *#1508. Phyt. ([C. H. 2969]; [Hie. 201]). Urh. Eriophyes gibbosus Nal. Mensegebirge: Wäldchen bei Falkenruh (Baenitz). Rubus compactus Utsch n. hybr. f. discolor Utsch. *#1509. Phyt. Wie Nr. 1508. Urh. Eriophyes gibbosus Nal. Mense- gebirge: Weg von Falkenhayn nach der Nesselgrunder Sägemühle (Baenitz). Rubus mikani Köhler f. serpens. *#1510. Phyt. Wie Nr. 1508. Urh. Eriophyes gibbosus Nal. Mense- gebirge: Nesselgrunder Sägemühle (Baenitz). Rubus serpens X (villicaulis X candicans). ##1511. Phyt. Wie Nr. 1508. Urh. Eriophyes gibbosus Nal. Schmiede- berg: zwischen Hohenwiese und Buchwald (Baenitz). Rubus Sprengelü X villicaulis f. viridis (det. Utsch). **1512. Phyt. Wie Nr. 1508. Urh. Eriophyes gibbosus Nal. Breslau: Obernigk (Baenitz). Rubus montanus Wirtg. **1513. Phyt. Wie Nr. 1508. Urh. Eriophyes gibbosus Nal. Görlitz: Königshainer Gebirge: Hilbersdorfer Forst (Barber). Anm.: Nr. 1508—1513 nach gütiger Mitteilung des Herrn Hermann Schulz in Kassel; Nr. 1508—1512 nach Material aus dem Herbarium europaeum. Geum rivale L. *1509. Phyt. (C. H. 3089; [Hie. 130]). Urh. Eriophyes nudus Nal. Schweidnitz: Kletschkau, Oberweistritz (Sp). *#1510. ? Rundliche Blattblasen mit hellerem Rande, beiderseits schwach erhaben. Urh. ? Schweidnitz: Kletschkau (Sp). Rosa gallica L. *#1511. Hym. ([Hie. 692]). Urh. Rhodites eglanteriae Hart. Neu- stadt O.-Schl.: Elsnig (B). Rosa tomentosa Sm. *#1512. Dipt. ([C. H. 6839]). Spindelförmige Anschwellung der Achsen. Grünberg: Anlagen hinter der Piastenhöhe (S). 120 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Rosa rubiginosa L. *1513. Hym. (C. H. 3157; [Hie. 727]). Urh. Rhodites rosarum Gir. Gleiwitz (W). *=#*1514. Hym. ([Hie. 740]). Urh. Blennocampa pusilla Klug. Glei- witz (W). Rosa canina L. *#1515. ? Zerrungen der Blattrippen, Kräuselungen der Fieder- blättchen, Einziehungen des Blattrandes. Urh. ? Grünberg: am „Hirsch- berge“, Heinersdorf, Glashütte (S). ' Rosa dumetorum Thuill. *1516. Hym. (C. H. 3205; [Hie. 699]). Urh. Rhodites spinosissimae Gir. Neustadt O.-Schl.: Kröschendorf (W). ##*1517. Hym. (C. H. 3204; [Hie. 707]). Urh. Rhodites eglanteriae Hart. Neustadt O.-Schl.: Kröschendorf (W). Rosa coriifolia Fries. *#1518. Hym. ([Hie. 741]). Urh. Blennocampa pusilla Klug. Neu- stadt O.-Schl.: Kröschendorf (W). Rosa glauca Vill. *#*1519. Hym. Wie Nr. 1518. Urh. Blennocampa pusilla Klug. Neu- stadt O.-Schl.: Kröschendorf (W). Prunus insititia L. (#)*1520. Phyt. (C. H. 3264 ? [Hie. 185 ?]). Urh. Eriophyes padi Nal. ? Flinsberg (D); Schweidnitz (Sp). *1521. Hem. (C. H. 3260). Blätter, besonders der Wurzelschößlinge, stark verkraust und eingerollt. Urh. sehr zahlreiche spangrüne, weiß- bestäubte Läuse, Aphis cerasi Schrk. Grünberg: häufig (S). Prunus avium L. *#*1522. Hem. Blätter der Zweigspitzen gerollt und schopfig ge- drängt. Urh. Aphiden. Grünberg: Maugscht, Krone u. a. 0. (S). Leguminosae. Ononis procurrens Wallr. (#)*1523. Phyt. . (C. H. 3504:?2 THie. 149 ?]). "Blüten ”yersrünt: Eriophyes ononidis Can. ? Liegnitz (Gerhardt). (*)*1524. Dipt. ([C. H. 3496]). Blüten geschlossen, aufgetrieben. Urh. Asphondylia ononidis F. Löw. Leubus: Weinberg (Uechtritz). Robinia pseudacacia L. *#1525. ? Hakige Krümmung des Blattstiels etwa in dessen Mitte, mitunter bis zur Schlingenbildung. Die gekrümmte Stelle zeigt eine deut- lich bemerkbare Verdickung und Querrunzelung. Urh. Nematoden? Grün- berg: Tolles Feld (8). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 121 Astragalus glycyphyllos L. ##1526. Dipt. ([C. H. 3640 ?]). Blättchen hülsenförmig zusammen- gefaltet. Urh. Dasyneura (Perrisia) onobrychidis Bremi? Groß-Strehlitz: Wolfsschlucht bei Groß-Stein (W). Vicia hirsuta Koch. *1527. Dipt. (C. H. 3750). Anschwellungen der Hülsen, meist am Grunde, verbunden mit Drehung und Knickung derselben. Larven hell- gelb. Urh. jedenfalls Asphondylia ervi Rübs. Grünberg: Erlbusch (S). *#1528. Hem. Rollung der Blättchen und Schopfbildung derselben. Urh. Aphrophora spumaria L. Grünberg; Bahndamm im Adlerland (S). Vicia tetraspermum Mönch. *#1529. Hem. Blätter an der Stengelspitze zurückgerollt und entfärbt. Urh. grünliche Läuse. Grünberg: Bergwerksziegelei (S). Vicia cracca L. (#)*1530. Dipt. Blüten verdickt, geschlossen bleibend, wie ©. H. 3721, aber die Larven nicht orangegelb, sondern weiß, eine dickere nicht sprin- gend, eine dünnere springend. Urh. Cecidomyide. Gleiwitz: Lukasine (W). Vicia angustifolia Roth. 1531. Hem. Lockere Schöpfe aus Blättern, Blüten und Hülsen. Urh. kleine, dicke, schwarzblaue Aphiden. Grünberg: Ochelhermsdorf (S). Lathyrus pratensis L. *#*1532. Hem. Blätter leicht gekräuselt, Urh. zahlreiche dunkel- braune Aphiden. Gleiwitz: Kalkbruch bei Laband (W). Euphorbiaceae. Euphorbia cyparissias L. *#*1533. Dipt. Kleine, aus wenigen verbreiterten Blättern gebildete, nur 2—4 mm im Durchmesser haltende Schopfgallen, die zu mehreren (bis 6) rosettenartigs am Ende der Triebspitzen angeordnet sind. Fest, eiförmig geschlossen, trübgrün, am Scheitel rötlich, von rötlichen Mücken- larven bewohnt. (Vielleicht eine Form der Perrisia capitigena-Galle). Grünberg: Maugschtgasse (S). Aceraceae. Acer pseudoplatanus L. *#1534. Hem. Lockere Blattrollung nach unten. Urh. Aphis pla- tanoides Schk. Grünberg: Piastenhöhe (S). Acer platanoides L. *#1535. Hem. Krümmungen der Blattfläche nach unten, verbunden mit Entfärbung. Urh. Blattläuse. Grünberg: Augustberg (8). 192 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Tilmarcre.are. Tilia platyphyllos Scop. *1536. Dipt. (C. H. 4138). Rundliche, grüne, 2—-5 mm im Durch- messer haltende, kaum auf beiden Blattseiten vorspringende, in der Mitte genabelte Parenchymgalle. Urh. Oligotrophus Hartigi Liebel. Schweidnitz: Säbischdorf (Sp). Tilia ulmifolia Scop. *1537. Dipt. (C. H. 4153). Wie Nr. 238. Urh. Oligotrophus Hartigi Liebel. Freystadt: Brettmühle bei Seiffersdorf (8). Tilia argentea Dest. *1538. Dipt. (C. H. 4167; [Hie. 578]). Urh. Oligotrophus Reaumurianus F. Löw. Schweidnitz: Anlagen (Sp). Malvaceae. Malva rotundifolia L. *1539 Hem. (C. H. 4187; [Hie. 330]). Urh. Aphis malvae Koch. Neu- stadt O.-Schl.: Kröschendorf (W). Malva crispa L. *#*1540. Hem. Wie Nr. 1539. Urh. Aphis malvae Koch. Neustadt O.-Schl.: Kröschendorf (W). Guttirerae. Hypericum perforatum L. *1541. Dipt. (C. H. 4213). Angeschwollene, lebhaft rot gefärbte, ge- schlossen bleibende, schuppige Knospen am Stengelgrunde. Urh. Perrisia Braueri Handl. Grünberg: Himmelbusch (S). Cistaceae. Helianthemum chamaecistus Miller. *1542. Dipt. (C. H. 4269). Eiförmige, endständige Schöpfe aus ver- breiterten, verdiekten, dicht behaarten Blättern. Urh. Contarinia helian- themi Hardy. Mährisches Gesenke: Großer und kleiner Kessel (W). Punicaceae. Punica granatum L. *1543. Phyt. (C. H. 4330). Sehr enge Blattrandrollung nach unten, manchmal über den ganzen Blattrand ausgedehnt; dann erscheint das Blatt + gedreht. Urh. Eriophyes granati Can. et Mass. Breslau: Botani- scher Garten (D). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 123 OÖnagraceae. Epilobium adnatum Gris. ##1544. Hem. Blattrollung mit Blattschöpfen an den Achsenenden. Urh. grüne Aphiden. Grünberg: Neuwaldau (S). Auch ohne Schopf- bildung, Blütenstiele stark herabgebogen und gedreht. So: Alt-Gleiwitz (W); Grünberg: Rotes Wasser (S). Epilobium montanum L. (*)*1545. Hem. (C. H. 4336°). Schötchenstiele stark gekrümmt. Urh. trübgrüne Aphiden, Aphis epilobii Kalt.? an der Innenseite der Krümmung sitzend. Grünberg: Bergwerksziegelei (S). Epilobium virgatum Fr. ##1546. Hem. Blattbeulen, Zusammendrängung der Blätter und Blüten an den oberen Sproßteilen. Urh. grüne Läuse. Grünberg: hinterer Erlbusch (S). Epiüobium angustifolium L. *#*1547. ? Blütenstand verbildet durch Zweigsucht und Vergrünung. Urh. ? Riesengebirge: Riesengrund (Grüning). **1548. Hem. Blütenstand stark verkümmert, verkürzte Blüten klein, geschlossen bleibend. Urh. schwarze Läuse. Isergebirge: Iserkamm unterhalb des Hochsteins (D). Oenothera biennis L. **1549. ? Blüten vergrünt, ohne Kronenblätter. Urh. ? Gleiwitz: zwischen Ellguth und Gröhling (W). Umbelliferae. Anthriscus silvestris Hoffm. *1550. Hem. (C. H. 4390). Blätter stark gekräuselt, Endtriebe ver- bildet. Urh. Aphis anthrisci Kalt. Alt-Gleiwitz (W). Bupleurum rotundifolium L. **1551. ? Rundliche, flache Gruben auf der Blattoberseite; Ränder der Blätter nach oben schmal eingerollt. Urh. ? Breslau: Botanischer Garten (D). Conium maculatum L. *#1552. Hem. Fiederblättchen gedreht und gekräuselt. Urh. Aphiden. Grünberg: Flora’s Ruh (S). Chaerophyllum hirsutum L. *1553. Dipt. (C. H. 4381). Blätter gekraust, nicht entfaltet, ver- dickt. Urh. Macrolabis corrugans F. Löw. Reichenbach: Langenbielau (Sp). Berula angustifolia Koch. *#1554. Hem. Zurückgekrümmte und zusammengeklumpte Fieder- blättchen. Urh. Aphrophora spumaria L. Grünberg: Barndtsche Mühle (S). 154 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Sium latifolium L. #=#1555. Hem. Wie Nr. 1554. Urh. Aphrophora spumaria L. Grün- berg: Boothes See’chen (8). Pimpinella magna L. *1556. Hem. (C. H. 4444). Blattzipfel gefaltet, — gedreht und ent- färbt. Urh. Aphis anthrisei Kalt. Peiskretscham: Chaussee nach Tost (W). Aegopodium podagraria L. *#1557. Hem. Wie Nr. 1554. Urh. Aphrophora spumaria L. Grün- berg: mehrfach (S). Selinum carvifolium Vill. #=#=1558. Phyt.? Wuchs gestaucht, Blüten vergrünt, bisweilen zu neuen Döldchen auswachsend. Urh. Eriophyide? Gleiwitz: Bahn nach ‚Schechowitz (W). Peucedanum oreoselinum Mönch. **1559. Dipt.? Geknäulte Döldchen. Einzelne Blüten mit stark ge- röteten, verdickten Blütenblättern, die eingerollt bleiben. Blüten bald vertrocknend. Wohl Mückengalle, zu vergl. mit der von Contarinia Niko- iayi Rübs. (C. H. 4509) an Heracleum sphondyl. Grünberg: Weinschloß (S). *#1560. Hem. Wie Nr. 1554. Urh. Aphrophora spumaria L. Grün- berg: Rohrbusch (S). Peucedanum officinale L. *#*1561. Dipt. ([Hie. 470]). Urh. Schizomyia pimpinellae F. Löw. Breslau: Botanischer Garten (D). Anethum graveolens L. =#*1562. Hem. Starke Einrollung der Blattzipfel, besonders am unteren und mittleren Teile der Pflanze. Urh. kleine, dunkle Aphiden. Grünberg: zwischen Erlbusch und Alexanderschacht (S). Pastinaca sativa L. =#*1563. Dipt.? Stark geknäulte Blütendolden. Wie Nr. 1559. Grün- berg: „Linde“ (S). *#*1564. Dipt. ([cfr. C. H. 4442]). Stark hervortretende, keulige An- schwellung am Grunde der Döldchen-, seltener der Doldenstiele, weiß, fleischig, fest. Im Innern in einer kleinen Höhlung eine orangefarbene Mückenlarve. Grünberg: Naumburger Straße (S). ##1565. Hem. Wie Nr. 1554. Urh. Aphrophora spumaria L. Grün- berg: Krampe (S). Heracleum sphondylium L. *#*1566. Hem. Dolden verkümmert. Urh. hellgrüne Läuse mit dunkel- grünem Rückenstreifen. Grünberg: „Säure“, Lawaldauer Straße (S). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 125 ##1567. Hem. Wie Nr. 1554. Urh. Aphrophora spumaria L. Grün- berg: Luisental u. a. O. (S). *#1568. Hem. Durchwachsung der Dolden. Urh. Aphrophora spu- maria L. Gleiwitz: Brzezinka — Klüschau (W). ##1569. Hem. Vergrünung, starke Vergrößerung der Kronenblätter. Urh. zahlreiche Läuse an den Doldenstrahlen. Silberberg (B). Daucus carota L. *#1570. Hem. Vergrößerung der Hüllblättchen, Verbildung der Früchtchen und Blüten. Urh. zahlreiche schwarzblaue Läuse an den unteren Stengelteilen. Grünberg: Alte Straße nach Schloin (S). Ericaceae Ledum palustre L. *#1571. Lep. Oberster Teil der Sproßachse etwas verdickt, ausgehöhlt, mit einem Räupchen besetzt. Die Raupe spinnt außerdem die Gipfelblätter zu einem schmalen, kegelförmigen Schopfe zusammen. Urh. Argyroploca lediana L. (nach Herrn Stadtrat Meiß-Karlsruhe). Grünberg: Obra-Ufer vor Aufzug am Schlawäa-See (S). Calluna vulgaris L. (#)*1572. Hem.? (C. H. 4575 ?). Zweigsucht an einzelnen Stellen, Verbildung und Entfärbung. Urh. Mytilaspis pomorum Bouche? Riesen- gebirge: Brunnberg (Grüning). Plumbaginaceae. Armeria vulgaris Willd. *#*1573. Orth. Blütenkrone entweder unten im Kelch stecken bleibend oder nur wenig darüber hervortretend und geschlossen bleibend. Blumen- blätter im unteren Teil grün, Staubgefäße und Griffel oft weit über den Kelchsaum hervorragend. Viele Blüten kommen gar nicht zur Entwick- lung; mitunter vertrocknen ganze Blütenstände. Urh. Thrips-Larven, die in großer Zahl in den Blütenköpfen wohnen. Grünberg an vielen Orten (S). Gentianaceae. Erythraea centaurium L. *#1574. Phyt.? Blüten vergrünt. Urh. Eriophyide? Gleiwitz: Preis- witz (W). Gentiana asclepiadea L. *=#*1575. Hem. Wuchs gestaucht, Blätter — rundlich, gekraust. Urh. Aphropkora spumaria L. Riesengebirge: Kleiner Teich, Riesengrund (Sch.) 126 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Borraginaceae. Myosotis palustris L. **1576. Phyt. ? Blüten vergrünt. Urh. Eriophyide? Gleiwitz (Schmartosch). (*)*1577. Hem. (C. H. 4737 ?). Blätter der Länge nach eingerollt. Urh. Aphiden. Rauden: Barglowka (W). *#*1578. Hem. Lockere Schöpfe aus vertrocknenden Blütenwickeln und gebräunten Blättern. Urh. Monanthia humuli (nach Herrn Schu- macher-Berlin).. Grünberg: Zw. Lawaldau und Polnisch-Kessel (S). Myosotis hispida Schld. (= M. arvensis Lk.). - *#1579. Hem. Wickel verkümmert. Urh. hell- bis dunkelgrüne Aphiden, zahlreich an den Blütenständen. Grünberg: Halbemeilmühle (S). Anchusa arvensis L. **1580. Hem. Eingerollte und gekräuselte Blätter, verkümmerte Blüten und Blütenstände. Urh. Monanthia echi Fabr. Grünberg: Halbe- meilmühle — Ochelhermsdorf (S). Anchusa officinalis L. **1581. Dipt. Blütenknospen angeschwollen, geschlossen bleibend. Die Blütenkronenröhre erweitert sich eiförmig und bildet eine Art Kapsel, die von dem verwelkenden Kronensaume gekrönt wird. Innenraum glatt, Wände schwarz, Griffel und Staubgefäße zerstört. Im Innern eine braun- gelbe, glänzende Mückenpuppe, 3 mm lang, deren Zucht leider mißlang. Grünberg: Lawaldauer Straße (S). Echium vulgare L. *#*1582. Hem. Wie Nr. 1580. Urh. Monanthia echi Fabr. Grünberg: Bergschloßbrauerei u. a. ©. (S). Labiatae. Scutellaria galericulata L. *#*1583. ? Schmale Blattrandrollung nach unten, besonders an den Sproßenden; ohne Erineum. Urh. ? Grünberg: Kreuzbach vor der Barndt- schen Mühle (S). Ballota nigra L. **1584. Hem. Blätter gerollt und gekraust. Urh. Aphiden. Grün- berg: Breslauer Straße (S). Origanum majorana L. **1585. Phyt. ([Vergl. C. H. 4901]). Blüten vergrünt, geknäult. Urh. Eriophyes Thomasi Nal. var. origani Nal. Gleiwitz: Dombrowa (W). Mentha arvensis L. **1586. Hem. Wuchsstauchung, starke Rollung und Runzelung der Blätter. Urh. Aphrophora spumaria L. Grünberg: Ochelhermsdorf — Droseheydau (S). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 127 Serofulariaceae. Verbascum Iychnitis L. **1587. Hem. Blattrollungen, Absterben der Triebspitzen. Urh. zahlreiche gelbgrüne Läuse. Grünberg: Zwischen Polnisch-Kessel und Jany (S). Linaria vulgaris Mill. **1588. Hem. Blätter kraus. Urh. Aphrophora spumaria L. Tost: Kottlischowitz (W). Veronica chamaedrys L. **1589. ? Etwa 1 cm lange, 2 mm starke, ringsseitige, spindelförmige Verdickung am untersten Stengelteile.. Urh. ? Grünberg: Rohrbusch (S). Veronica anagallis L. *#*1590. Hem. Rollung der Blätter am Achsenende und Kräuselung derselben. Urh. grüne Aphiden. Grünberg (S). Digitalis ambigua L. 1591. Dipt.? Zahlreiche braune, °/a bis 1 mm im Durchmesser hal- tende, beiderseits deutlich hervortretende Bläschengallen der Blätter. Kleine kreisrunde Ausgangsöffnungen oberseits. Zahlreich auf jedem Blatte. Grünberg: Schloßberg bei Bobernigk (Hg). Plantaginaceae. Plantago lanceolata L. *#1592. Hym. Kleine, —+ zylindrische, sich scharf abhebende braune Gallen zwischen je zwei benachbarten Leisten des Blütenschafts. Ober- halb der etwa 2 mm langen Gallen ist auf eine kurze Strecke hin die Epidermis des Schaftes emporgehoben und gespannt, so daß die Ver- tiefung zwischen den Leisten an dieser Stelle ausgeglichen ist. Urh. kleine Hymenopteren. Einige aus denselben Stengeln gleichzeitig ausgeschlüpfte kleine Rüßler (Mecinus sp). haben mit dieser Galle nichts zu tun. Grün- berg: Bahndamm am Schützenplatze (S). Campanulaceae. Jasione montana L. *#1593. Orth. Verbildete, verkümmerte, unregelmäßig erblühende Köpfe. Urh. Thrips sp. Grünberg: Zietenstraße u. a. O. (S). Compositae. Achillea millefolium L. (*)*1594. Dipt. (C. H. 5682? 5683?). Schwache, aber deutlich wahr- nehmbare, 2,5—3 cm lange Anschwellung der Wurzel. Urh. Fliegenlarve, Kopfende wenig schwächer als Hinterleibsende, deutlich gegliedert. Grün- berg: Erlbusch (S). 128 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. *#1595. Hem. Wuchsstauchung, Blütenstände vorzeitig vertrocknend. Urh. Aphiden. Grünberg: vielfach (S). Artemisia vulgaris L. *#1596. Lep. Unterster Stengelteil und Wurzelstock angeschwollen und mit Fraßgang versehen. Urh. eine im unteren Teile sitzende gelbliche, 9 mm lange Raupe: Grapholitha foenella L. (nach Herrn Stadtrat Meiß- Karlsruhe). Grünberg: Erlbusch (S). Der Falter nach Wocke in Schlesien verbreitet und nicht selten. *#1597. Dipt. Triebspitze mit kleinen, offenen Schöpfen von wenigen gefalteten, gedrehten und gekräuselten Blättern. Urh. wenig zahlreiche, hellrotgelbe Mückenlarven. Grünberg: Bergschloßbrauerei (S). Senecio vernalis W. K. *#*1598. Hem. Blattrandrollungen. Urh. Trübgrüne Aphiden. Grün- berg: Wilhelmshöhe (S). Senecio jacobaea L. *#*1599. Hem. Randrollung der Fiederblättchen nach unten, Kräuse- lung der Blätter, Brüchigkeit der Blattstiele, Verkrümmung und Bräunung vieler Blüten. Urh. zahlreiche düstergrüne bis schwarze Läuse. Grünberg: Grüner Weg (S). Senecio viscosus L. #=#1600. Hem. Blattrollungen, Verkümmerung der Blüten. Urh. Aphiden. Grünberg: Große Fabrikstraße (S). Cirsium lanceolatum Seop. ##1601. Lep. Blütenboden angeschwollen. Urh. meist einzeln lebende, ca. 1 cm lange, fleischrote Raupen mit dunkelbraunem Kopf und zwei, durch einen schmalen Zwischenraum getrennten hellbraunen Chitinplatten auf dem 1. Körpersegment. Grünberg: Polnisch-Kessel (S). ##1602. Hem. Blattränder schmal nach unten eingerollt, ganze Blatt- fläche außerdem zurückgerollt, absterbende Sproßenden. Urh. sehr zahl- reiche trübgrüne bis schwarze Läuse. Orünberg: Rohrbuschziegelei u.a.0.(S). 1603. Dipt. (C. H. 5908, 09, 10). Blütenköpfe auffällig verdickt, geschlossen bleibend; Blütenboden stark angeschwollen, hart. Urh. Bohr- fliegenlarven. Grünberg: Alexanderschacht I (S). Cirsium arvense Scop. (*)1604. Helm.? ([C. H. 5930?]). Starke Stengelstauchung mit Knie- bildung und Anschwellung der Achse. An der befallenen Stelle Blatt- und Zweighäufung. Urh. Tylenchus? Grünberg: Bergschloßbrauerei (S). Silybum marianum (L.) Gtn. #=#=1605. Hem. Kräuselung und Abwärtsrollung der Blätter; Biegungen der Blütenstandsachse, Verkümmerung der Blüten. Urh. Aphiden. Grün- berg. Lindeberg (S). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 129 Centaurea rhenana Boreau. #*1606. Dipt. Früchte zum größten Teil nicht entwickelt. Rest der Kronen der Scheibenblüten nicht abfallend, sondern kappenartig sitzen- bleibend. Urh. Clinodiplosis ciliaris (nach Ew. H. Rübsaamen). Grünberg: an mehreren Stellen (S). Arnoseris minima Lk. ##*1607. ? Blütenstiele mit langer Anschwellung, oft mehrere em lang. Urh. ? Rauden: Sandäcker bei Barglowa (W). *#*1608. Hem. Stengelverbiegungen, hakiges Herabkrümmen der Blütenstiele unter den Köpfchen. Urh. Aphiden, an der Innenseite der Krümmungen sitzend. Grünberg, Eisenbahndamm an der Lansitzer Straße (S). Tragopogon orientalis L. ##1609. ? Blüten vergrünt und durchwachsen. Urh. ? Tost: Kott- lischowitz (W). Tragopogon pratensis L. *#1610. Hem. Blütenköpfe — weniger verbildet. Urh. dunkle, im Innern der Köpfe sitzende Läuse. Grünberg: Augustberg (S). Taraxacum officinale Wiggers. #*1611. ? Blüten gestielt, vergrünt, Milben nicht beobachtet. Urh. ? Tost: Kottlischowitz (W). ##1612. Orth. Köpfe mißbildet, seitlich zusammengedrückt, Hüll- kelch über dem Achenen meist etwas eingeschnürt, so daß die Köpfe ver- kürzt erscheinen. Pappusstiele gedreht, ungleich diek, Pappus meist nicht zur Entfaltung gelangend, daher Blütenköpfe geschlossen bleibend. Urh. Thysanopteren-Larven (Thrips sp.?). Grünberg: 1913 häufig (S). Sonchus asper Vill. | *#1613. Hem. Blütenstände geknäuelt, Blütenstiele herabgebogen. Blätter gelblich, entfärbt, vorzeitig vertrocknend. Urh. grüne Aphiden. Grünberg (S). Sonchus oleraceus L. ##1614. Hem. Blattabschnitt eingerollt, manschettenähnlich an den Blattstiel angelegt. Urh. zahlreiche grünlichgelbe Läuse. Grünberg: an mehreren Stellen (S). Crepis virens L. **1615. Dipt. Blütenköpfe wenig verdickt. Urh. weißliche Fliegen- larven. Grünberg: Lansitzer Straße (S). Hieracium cymosum L. *1616. Hym. Starke, längliche Anschwellung des Stengels, ver- bunden mit Krümmung desselben in der Gegend des Blütenstandes, wo- durch dieser stark zusammengedrückt ist. Urh. wohl Aulacidea hieraci Bouche. Silberberg: Hartelehne des Spitzberges (B). 1913. eo 130 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 6. Sitzung am 20. November 1913. Herr H. Winkler spricht über: Bildungsabweichungen bei Gentiana asclepiadea. Bei Gentania asclepiadea L. sind weißblühende Stöcke bekannt. Von Formabweichungen gibt Penzig an, daß dreigliedrige Blattwirtel nicht selten vorkommen, und daß viergliedrige Blüten oft mit den normalen vermischt auftreten. Er selbst hat eine eigentümliche Synanthie, d. h. seitliche Verwachsung zweier Blüten, mit Reduktion der Blütenteile ver- bunden, beschrieben. In einer aus dem östl. Teil des Riesengebirges stammenden Sen- dung von @G. a., die mir Herr Prof. Hinsberg in diesem Sommer schickte, fand ich einige in der Blütenregion stark gestauchte Stengel, die zuweilen eine leichte Zwangsdrehung und sonst Anomalien aufwiesen. Folgende fand ich in der Stellung der Blätter und Blüten. Zwei Blattpaare waren so dicht aneinander gerückt, daß sie fast einen vier- gliedrigen Wirtel bildeten. Erstreckt sich die Zusammenziehung auf mehrere Blattpaare, so kann an der Spitze des Stengels eine fast köpfige Bildung entstehen. Umgekehrt werden, wenn Zwangsdrehung eintritt, die Blätter eines Wirtels häufig getrennt, so daß sie einzeln spiralig stehen; oder es kommt dabei zu scheinbar dreigliedrigen Quirlen. Ein solcher zeigte eine ganz normale Blüte in der Ächsel des einen der drei Blätter, und ihr gegenüber, zwischen den beiden übrigen Blättern, eine anormale, die leicht auf Synanthie — verschmolzen aus zwei achsel- ständigen Blüten — zurückzuführen ist. An die dichasiale Verzweigung, wie sie bei anderen Gentiana-Arten vielfach auftritt, erinnerte ein Fäll, in dem an einem sonst ganz regelmäßigen, kaum merklich zwangsge- drehten Stengel ein Blattwirtel mehr als zweiblütig war; das eine Blatt des Wirtels trug in seiner Achsel drei Blüten, das gegenüberstehende eine mittlere und eine seitliche Blüte. Die mittlere war in beiden Fällen die älteste. Die Gipfelblüte ist bei G. a, echt endständig. Meist zeigen die Achseln des obersten Blattpaares zwei allerdings ganz winzige Blüten- knospen, wodurch auch hier das Dichasium in die Erscheinung tritt. Nicht selten fehlen aber eine oder auch beide Seitenknospen. Die zwischen den beiden obersten Blättern gewöhnlich sitzende Endblüte ist zuweilen gestielt und trägt dann an dem Stiel, in abwechselnder Stellung mit dem Blattpaar noch ein meist kleineres Blatt, offenbar der Rest eines Blatt- paares, dem wir Vorblatt-Wert beilegen können. Einmal fand ich dieses Blatt dem Kelch vollständig angewachsen. Im Blütenbau treten mancherlei Abnormitäten auf. Wie schon er- yähnt, beobachtete auch ich den von Penzig beschriebenen Fall der II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 131 Synanthie, nur daß dabei keine Reduktion, sondern im Gegenteil eine Vermehrung der Blütenteile erfolgte. Unmittelbar kenntlich war die Synanthie an dem Vorhandensein zweier getrennten, transversal stehenden Gynözeen. Beide bestanden aber nicht aus zwei, sondern je aus 3 Fruchtblättern. Die übrigen Formationen der beiden zusammen- getretnen Blüten waren, jede unter sich, ganz regelmäßig zu einem Kreise vereinigt, und zwar die Staub- und Kronenblätter ohne jede Zahlenver- minderung; beide bestanden also aus zehn Gliedern. Dagegen war der Kelch fünfteilig wie bei einer normalen Blüte. Sonst wurden noch folgende Bauabweichungen beobachtet: 1. Im Kelch: Hexamerie statt Pentamerie. Oft mehr oder weniger tiefe einseitige Schlitzung, zuweilen mit Reduktion der Kelchzipfel bis aut drei. 2.InderKrone: Verminderung der Kronenblätter habe ich nur ein einziges Mal gefunden, und zwar auf drei; statt eines vierten stand, regel- recht im Kreise der übrigen Kronenblätter, ein Staubblatt mit sehr breitem Filament, zu dessen beiden Seiten die Kronenröhre natürlich tief geschlitzt war. Recht häufig war eine Vermehrung der Kronen- blätter auf sechs, die gewöhnlich mit — tiefer, meist bis an die Ansatz- stelle der Staubblätter oder noch weiter reichender einseitiger Spaltung der Röhre verbunden war. Einmal zeigte auch eine regelmäßige fünf- zählige Krone solche Spaltung; bei sechsteiliger Krone kam es auch vor, daß sie durch zwei tiefe Spalten in zwei Teile zerlegt wurde. Zu- weilen waren nicht sechs gleiche Zipfel ausgebildet, sondern der eine der fünf normalen zeigte nur an der Spitze eine mehr oder minder deut- liche Zweiteilung. 3. Im Andrözeum war einmal von den fünf regelmäßigen Staub- blättern eins tiefer inseriert als die übrigen, ein anderes Mal eins kürzer, so daß es nicht bis in die durch seitliches Verkleben gebildete Antheren- röhre der übrigen vier hineinragte. Nur selten findet im Andrözeum eirfach Vermehrung oder Verminderung der Gliederzahl statt, meist stellen sich zugleich Verwachsungen innerhalb des Staubblattkreises oder mit den benachbarten Kreisen ein. Unter sich verwachsen fand ich einmal zwei Staubblätter (außerdem drei ganz regelmäßige); mehrmals je zwei (außerdem drei regelmäßige, von denen einmal eins einen kürzeren Staubfaden hatte). Einmal hatten von sechs sonst ganz regelmäßigen Staubblättern zwei je zwei Antheren. Der Fall, daß ein Staubblatt gänzlich in den Kronenkreis einrückt, wurde schon erwähnt. Im ausgewachsnen Zustande ließ sich nicht mehr fest- stellen, ob hier ein metamorphosiertes Blumenblatt oder ein einbezognes Staubblatt vorlag, vermutlich aber das letzte. In einer Blüte blieb von 9* 132 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. vier vorhandnen Staubblättern das eine etwas kürzer und war mit dem ganzen Filament der Krone angewachsen, die neben diesem tief gespalten war. Noch weiter ging die Verwachsung mit dem einen freien Rande einer geschlitzten Kronenröhre in einem andern Falle, in dem noch die eine Theke bis zur Hälfte verbunden war. Von Verwachsungen von Staubblättern mit dem Gynözeum wurden folgende beobachtet. Ein Staubblatt mit nur einer Theke war im unteren Teile des Filaments normalerweise der Krone angewachsen, an der Stelle wo jenes sich loslöste, einmal ziekzackförmig geknickt, so daß sich die Theke dem Fruchtknoten anlegte und mit ihm verschmolz. Von ihr lief dann noch eine filamentartige Bildung flügelartig am Fruchtknoten herab, so daß hier im Gegensatz zu den vorhin geschilderten Fällen der Ver- wachsung zweier Staubblätter wohl Spaltung eines einzigen vorliegt. Was aus der zweiten Antherenhälfte geworden ist, bleibt unklar. Vielleicht ist sie zu einem Fruchtblatt umgewandelt; denn das Gynözeum bestand nicht aus zwei, sondern aus drei gut ausgebildeten Fruchtblättern, von denen ich allerdings keines aus der fehlenden Antherenhälfte herleite; denn die Blüte zeigte durchweg Vermehrung der Glieder: in Kelch und Krone sechs, im Andrözeum gar sieben, von denen vier mehr oder weniger regel- mäßig ausgebildet, zwei unter sich verwachsen waren und das siebente unser monothezisches war. Das Auftreten von drei Fruchtblättern statt zwei würde also der allgemeinen Gliedervermehrung dieser Blüte ent- sprechen. Außerdem aber fand sich an der Seite des Fruchtknotens, dem das Staubblatt mit seiner Theke angewachsen war, die Andeutung eines vierten verkümmerten Fruchtblattes in einem narbenförmigen Spitzchen, das etwas tiefer stand als die drei übrigen. Daß diese Deutung möglich ist, beweist ein andrer Fall, in dem die eine Hälfte eines Staubblattes regulär ausgebildet war, die andre etwa doppelt so lang am Filament herablief (im unteren Teil mit dem Frucht- knoten verschmolzen), offen war und statt des Pollens Samenanlagen ent- hielt. Während die normale Antherenhälfte dünnhäutig war, zeigte die andre fleischig-ledrige Konsistenz, wie die Fruchtknotenwand, und ging nach unten zu auch direkt und unvermittelt in sie über. Das ist ein weiterer Fall, der darauf schließen läßt, daß das Geschlecht nicht in den generativen Zellen von vornherein festgelegt ist, sondern daß die Ent- scheidung über männlich oder weiblich im Soma vor sich geht und also äußerer Beeinflussung unterliegt, wie auch Diels kürzlich seine Befunde bei der Siphocoryne-Galle von Lonicera gedeutet hat. Bei dieser Ge- legenheit möchte ich aber gleich betonen, daß Herr Prof. Hinsberg irgend welche abnormen Wachstumsverhältnisse für die gesammelten Pflanzen nicht gefunden hat, und daß ich keine Anzeichen habe feststellen II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 133 können, wonach die hier beschriebene Bildungsabweichung auf Vergallung zurückzuführen wäre. 4.ImGynözeum zeigt sich bei unsrer Pflanze eine zweifache Ten- denz, die zur Vermehrung der Fruchtblätter und zur Trennung. Sehen wir davon ab, daß in dem erwähnten Fall der Synanthie die beiden Frucht- knoten für sich bestehen geblieben sind, so finden wir schon hier beide nicht aus zwei — wie normal —, sondern aus drei Fruchtblättern zu- sammengesetzt. Das tritt überhaupt ziemlich häufig ein; selten treten sie dann am Gipfel in drei gleichlange Spitzchen — die Narben — aus- einander, sondern das eine ist meist kürzer. Schon bei normalen Blüten sind die beiden Fruchtblätter durch Auseinanderziehen leicht zu trennen, sind eigentlich an der Spitze, wo sie als Narben auseinandertreten, gar nicht ganz geschlossen. Bei einigen dreigliedrigen Fruchtknoten reichte schon im Knospenzustande die Trennung der Fruchtblätter bis zur Hälfte ihrer Länge herab, so daß die Samenanlagen von außen sichtbar waren, man also von Gymnospermie sprechen konnte. Die Fruchtblattspitzen waren hier auch nicht griffelartig ausgebildet. 2 Sitzung, am!’4 Diezember:. 1913. Herr Th. Schube sprach über die Ergebnisse der Durchforschung der schlesischen Gefäßpflanzenwelt im Jahre 1913. Bei der diesjährigen Zusammenstellung hatte ich mich wieder der ‚Unterstützung zahlreicher schlesischer Floristen zu erfreuen, insbesondere der Herren Alt-Bunzlau (A), Barber-Görlitz (Ba.), Buchs- Frankenstein (B.), Burda-Reichtal (Bu), Czmok-Gleiwitz (Cz.), Droth-Breslau (D.),, Figert-Liegnitz (F.), Frömsdorf-Dirsdorf (Fr.),, Kiese-Klenowe (K.), Knappe-Liegnitz (Kn.), Kruber- Hirschberg (Kr.), Dr. Lachmann-Landeck (L.), H. undB.Malende- Leobschütz (M.),, Schalow-Militsch (Sl.), Prof. Schimmel-Kreuz- burg (Sch), Hugo Schmidt-Grünberg (H. S.), Dir. Schöpke- Schweidnitz (Sp.), Dr. Schröder-Breslau (Sr.), Schubert- Boris- lawitz (Sb), Schwarz-Obernigk (Sw.),, Tischler-Rodeland (T.), Hugo Ulbrich- Warmbrunn (U.), Walter-Freiburg (Wa.), Wege- haupt-Haunold (Wg.) und Werner-Gleiwitz (W.); eine größere An- zahl Notizen und Belegstücke lieferte auch Herr Geh. Bergrat Prof. Dr. Zimmermann-Berlin (Z). Wie man sieht, sind auch diesmal zahl- reiche Arten für einzelne Bezirke neu (durch Sperrsatz gekennzeichnet), völlig neu (fett gedruckt) sind außer einigen Formen und Bastarden wieder nur eingeschleppte und verwilderte Arten. Hoffentlich macht 134 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. man es mir nicht zum Vorwurfe, daß ich unter letzteren einige auf- genommen habe, die mancher wohl höchstens als halbverwildert gelten lassen wird; es ist eben recht schwer, bei derartigen Arbeiten allen Wünschen gerecht zu werden. — Eine umfangreiche Sammlung von Beleg- stücken für seine Brombeerforschungen hat Herr Barber dem Herb. siles. überwiesen; leider traf sie erst so spät ein, daß sie für diesen Bericht nicht mehr verwertet werden konnte. Die Sichtung der übrigen Brom- beeren hat wieder H. Prof. Spribille (Spr.) besorgt; ihm, wie auch allen übrigen Mitarbeitern, herzlichen Dank! Aspidium Dryopteris. Kieferstädtel: Neudorf; Gleiwitz: Koslower Forst und in der Dombrowa (W.)! A. Phegopteris. Juliusburg: Weißensee, unweit des Königsteiches!; Kieferstädtel: bei Neudorf mehrfach, Rachowitzer Schweiz (W.)! A. Filix mas f. furcatum. Charlottenbrunn: Lomnitz (Z.)! A. lobatum. Bolkenhain: Pfaffenberg im Prädelwald (Z.)! Blechnum Spicant. Lähn: Hußdorf (Z.); Kr. Rosenberg: Jaschinne (Sch.)! Asplenium Trichomanes. Kr. Rosenberg: Mauerreste der Wasser- mühle bei Voßhütte (Sch.)! A. Ruta muraria. Kreuzburg: Mauer der evang. Kirche (Sch.)! A. septentrionale X Trichomanes. DBolkenhain: Niedermühle bei Leipe (Z.)!; Riesengebirge: unterhalb der Kaiser Wilhelm-Baude bei Saalberg (F.)!; Silberberg: zwischen dem Hahnvorwerk und dem Donjon (Sp.)! Polypodium vulgare f. auritum. Frankenstein: Kleutschberg (B.)! Osmunda regalis. Neumittelwalde: nördl. von Fürstl.- Niefken, früher zahlreich (W.), jetzt infolge Niederlegung des Waldes. anscheinend verschwunden! Ophioglossum vulgatum. Juliusburg: Bukowintke (Sr.)!; Nimptsch: Skalitz (Wa.); Leobschütz: Wolfsteich (M.). Botrychium Lunaria. Lähn: Wünschendorfer Kalkberg (Kr.); Rauden: rechts der Gleiwitzer Heerstraße, zahlreich (W.)! mit spär- lichem f. incisum (W.). B. Matricariae. Neumittelwalde: Klenowe gegen Poln.-Steine! (K.) Equisetum variegatum, Cosel: Pogorzelletzwiesen bei Rogau (M.). Lycopodium Selago. Cosel: Heide bei Goschütz (W.). L. annotinum. Neumittelwalde: Annental! L. inundatum. Gleiwitz: zwischen Laband und Schechowitz (W.)! L. chamaecyparissus. Bunzlau: Greulich (Thomas t. Kr.)!; Trebnitz: Kl.-Graben (Sr.)!; Gr.-Wartenberg: Rev. Distelwitz, beim Breiten Stein! II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 135 Taxus baccata. Bolkenhain: am Töppichberge (Kr.); Habelschwerdt: Kol. Ranserberg, an 2 Stellen, auch ein Baum in Neu-Lomnitz! Typha latifolia f. ambigua. Nimptsch: zwischen der Koppenbank und dem Spitzberg (B.)! P. natans f. prolicus. Gleiwitz: Tatischau (W.). P. fluitans. Gleiwitz: in der Klodnitz bei Tatischau, mit P, pecti- natus (W.)! P. alpinus. Gleiwitz: Schechowitz (W.). P. acutifolius. Gleiwitz: Tümpel im Koslower Forst (W.). Triglochin palustris. Lähn: Mauer (Z.). Stratiotes Aloides. Gr.-Wartenberg: zwischen Distelwitz und Ra- dine (Wa.). + Phalaris canariensis. Hirschberg: Schuttplätze (Kr.); Franken- stein: Schloßmühle (B.)! Anthoxanthum odoratum [. villosum. Frankenstein: gegen den Kalk- berg; Reinerz: Seefelder (B.)! Calamagrostis villosa. Kupferberg: Münzetal bei Jannowitz (Kr.). C. epigeios f. glauca. Friedland O.S.: Puschine; Leobschütz: |Wolfs- teich (W.)! C. arundinacea. Brieg: Forst Rogelwitz, am Gestell vom Stumpfe der Königsfichte zur Straße!; Nimptsch: Spitzberg (B.)!; Friedland O.S.: Quitschelle bei Wiersbel (W.)! Aira caryophyllea, Neustadt: Eichberg bei Kröschendorf (W.)! Trisetum flavescens f. glabratum. Tost: Straße gegen Peiskretscham; um Alt-Gleiwitz mehrfach (W.)! Avena pratensis. Frankenstein: Neu-Grochau, Gumberg (B.)!; Nimptsch: Gorkauer Berg! 4A. pubescens f. glabra. Frankenstein: Protzan (B.)!; Nimptsch: Strachau (Sp.)! Arrhenatherum elatius f. biaristatum. Münsterberg: mehrfach (B.)!; um Alt-Gleiwitz desgl. (W.)! Koeleria cristata f. pyramidata. Frankenstein: Gumberg und gegen den Kalkbruch (B.)!; Habelschwerdt: Woliskoppe bei Ullersdorf! Catabrosa aquatica. Neumarkt: Teichrand bei Nimkau (F.)! Melica ciliata. Hohenfriedeberg: Höllenberg bei Quolsdorf (Z.). M. uniflora. Langenbielau: Herrleinberg (Sp.)!; Silberberg: Herzogs- walde, Kammweg westl. von Briesnitz (B.)!; Leobschütz: Zigeunerberg (M.); Gleiwitz: Koslow (W.)!; Jägerndorf: Burgberg (M.). Poa Chaixi. Kleiner Schneeberg (B.)! Glyceria nemoralis. Silberberg: südl. vom Herzogswalder Steinbruche (B.)! 136 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Festuca myurus. Bunzlau: Kiesgrube hinter dem neuen Schießhaus (A.)!; D.-Lissa: Weiberkränke (Sp.)!; Ohlau: Kl.-Mühlatschütz (T.)!; Strehlen: Marienberg (Sp.)! F. glauca. Liebau: Einsiedelei bei Ullersdorf (Sp.)! F. heterophylla. Nimptsch: Kl.-Ellguter Tal (B.)! F. rubra v. subcaespitosa. Frankenstein: Kleutschberg (B.)!; Glei- witz: Bahnstrecke vor Laband (W.)! F. gigantea v. triflora. Schönau: Mühlberg bei Kauffung (Kr.); Glei- witz: in der Dombrowa (W.)! x F. elatior f. pseudoliacea. Gleiwitz: Labander Kalkbruch, bei Alt- Gleiwitz mehrfach (W.)! F. arundinacea. Gleiwitz: Labander Kalkbruch (W.)! Bromus asper. Münsterberg: Moschwitzer Wald (B.)! B. ramosus. ‚Münsterberg: Moschwitz; in den Nimptscher Bergen mehrfach (B.)!; Hotzenplotz: Burg Füllstein (W.)! B. erectus. Lüben: Michelsdorf (F.); Schweidnitz: Schönbrunner Ziegelei (Sp.)!; Camenz: im Schloßpark; Frankenstein: unweit des Wasserturmes; Silberberg: Brandhäuser, am Kammwege gegen Giersdorf mehrfach (B.)!; f. villosus Gleiwitz: vor Laband (W.)! B. inermis f. aristatus. Frankenstein: beim Wasserturm (B.)! B. tectorum f. glabratus. Gleiwitz: Bahnhof Laband (W.)! B. racemosus. Gleiwitz: Gartenland u. Fortunawiesen bei Alt- Gleiwitz (W.)! | B. mollis f. leptostachyus. Tost: Kottlischowitzer Kalkberg; La- bander Steinbruch (W.)! Lolium perenne X Festuca elatior. Grünberg: Köhlers Spinnerei (H7S.)! Agropyrum repens f. glaucescens. Katscher: Dirschel (B. M.)!; ©. caesium Ohlau: Rodeland (T.)!; Wartha: gegen Giersdorf (B.)!; Glei- witz: Labander Kalkbruch, Gartenland in Altgleiwitz (W.)! Hordeum europaeum. Silberberg: am Kammwege gegen Giersdorf mehrfach! (B.); Gesenke: in Kl.-Mohrau (W.)! Eriophorum alpinum. Bolkenhain:im Krummbach bei Merzdorf, leider durch Dränierung sehr gefährdet (Z.). Scirpus radicans. Alt-Patschkau: an der Neiße (B.)! S. compressus. Schömberg: am Teufelsstein bei Görtelsdorf (Sp.)! Carex Davalliana. Bolkenhain: Streckenbach, gegen die Bleiberge (F.)!; Schömberg: Görtelsdorf (Sp.)!; an beiden Stellen mit ©. pulicaris; Neumarkt: Nimkauer Bruch (F.)!; Gleiwitz: Waldvorwerk bei Koslow (W.)!, hier mit f. Siberiana (W.). ©. virens. Hotzenplotz: bei Füllstein mehrfach (W., auch M.)! II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 137 C. paradoza f. gracilis Aschs. u. Gr. Alt-Gleiwitz: Fortunawiesen ©. panniculata f. simplicior. Gleiwitz: Ziegelei Fortuna (W.)! C. teretiuscula. Leobschütz: Badewitz (M.)! C. caespitosa. Leobschütz: Brechwitz (M.)! C. tomentosa. Strehlen: Eisenberg, gegen Forsthaus Spähne (SL)! C. ericetorum. Neustadt: Eichberg bei Kröschendorf (W.). C. montana. Gnadenfrei: Hahnbusch (Sp.)!; Nimptsch: Leipitz (Wa.), Strachauer Eichberge (Sp.)!; Leobschütz: Löwitz (M.)! C. pilosa. Nimptsch: in der Mersine bei Kl.-Johnsdorf (Wa.)!; Rati- bor: Kuchelna (M.). C. filiformis. Friedland O.S.: in den Quitschellen bei Ellgut-Fried- land (W.)! ©. caespitosa X stricta. Neumarkt: Nimkauer Bruch (F.)! C. canescens X panniculata. Steinau: Gurkauer Hügel, mit C. can. X remota (F.)! C. panniculata X remota. Lüben: Michelsdorf; Alt-Schönau (F.)! Arum maculatum. Leobschütz: Frauenwald bei Branitz (M.). Juncus tenuis. Breslau: Spielwiese zwischen Tiergarten- und War- deinstraße (Spr.)!; Kieferstädtel: Waldwege in der Rachowitzer Schweiz (W.)! ’ J. alpinus. Riesengebirge: zwischen Ob.-Giersdorf und Saal- berg (F.). Luzula nemorosa. Strehlen: Teichdamm bei Eisenberg (S1.)!; Bauer- witz: vor Knispel; Ratibor: Aussicht (M.). L. pallescens. Nimptsch: Strachauer Eichberge (Sp.)! Veratrum album. Gleiwitz: Koslow (W.)!; Hotzenplotz: zwischen der Matzdorfer Mühle u. Scharfenberg (M.)! Colchicum autumnale. Liegnitz: zwischen Rotkirch und Gassendorf (Kn.); Rauden: spärlich, zw. Rennersdorf u. Jankowitz (W.); f. vernale Jägerndorf: Hegerbach (M.)! Gagea minima. Frankenstein: Kl.-Belmsdorf (B.)! Allium ursinum. Liegnitz: in der Nähe der Crayner Eichen (Kn.); Bolkenhain: Siegelwald bei Kunzendorf (Kr.); Camenz: Pilzwald!, Schloßpark; Reichenstein: Schlackental (BI; Öberglogau: Leschnig (M.)! A. oleraceum f. complanatum. Frankenstein: Dinterbüschel bei Dürr- harta; Eulengebirge: „Haferladen‘ in der Forst Giersdorf (B.)! A. Scorodoprasum. Ottmachau: Fürstenvorwerk (B.)! + A. Schoenoprasum. Grünberg: in einem Hohlwege (H. S.)! (+?) Lilium bulbiferum. Hirschberg: Tümmlerberg bei Rohrlach (Kr.). 138 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. L. Martagon. Goschütz: im Jagen 87!; Nimptsch: um Dirsdorf mehr- fach! (U.), in der Mersine bei Kl.-Johnsdorf! (Wa.); Habels chwerdt: an der Wolfskoppe gegen Herrnsdorf!; Leobschütz: Steubendorf (M.); Gieiwitz: zwischen Rudzinitz und Plawniowitz (W.)! (+?) Tulipa silvestris. Leobschütz: Wiesendamm bei Brechwitz (M.)! Ornithogalum umbellatum, Neumittelwalde: zwischen Kenchen und Niefken (Wa.); Wartha: Johnsbach, mit O. tenuifolium (B.)! Streptopus amplezifolius. Landeck: anscheinend sehr selten, nur am unteren Wege nach Karpenstein! (L.); Gleiwitz: Neudorfer Forst (W.)!; Nicolai: Althammer (W.). Polygonatum verticillatum. Gleiwitz: Koslow (W.)!, : Neudorfer Forst (W.). P. ojficinale. Schönau: Willenberg; Bolkenhain: Seitenberg, Gr. Hau (I): Köben: Nährschütz!; Silberberg: Spitzberg (B.)!, Annawarte!; Glatz: Wolfskoppe bei Ullersdorf!; Leobschütz: Löwitz (M.); Gleiwitz: wie vorige. Galanthus nivalis. Camenz: Pilzwald!; Nimptsch: Dirsdorf! (U.), Mersine bei Kl.-Johnsdorf!; Leobschütz: Kreuzwald; Hotzenplotz: Stuben- dorf (M.)! Leucoium vernum. KReisicht: Scheibels Wiese am Hammerbruche bei Samitz (A.)!; am Probsthainer Spitzberg unter typischen Stücken eine Form mit langen, schmalen Perigonblättern (F.). + Narecissus poeticus. Goldberg: auf Schotter der Katzbach bei Hermsdorf (Z.)! Iris sibirica. Priebus: Ob.-Hartmannsdorf (Ba.)! Gladiolus imbricatus. Freystadt:. Seiffersdorf (Apoth. Hampel t. H. S.)!; Bolkenhain: Kunzendorf (Z.); Jauer: Stadtwald, Mochau, hier mit f. parviflorus (Z.)! Cypripedilum Calceolus. Bolkenhain: beim Kalkwerk Töppich (Z.); Schmiedeberg: Neudorf (Heinrich t. Kr.). Orchis ustulata. Schönau: Hohenliebental (Kr); Camenz: am Pilzwalde (Roman t. Fr.)! O. sambucina. Leobschütz: Nesselgrund bei Löwitz (M.)! O. incarnata. Riesengebirge: zwischen Ob.-Giersdorf und Saalberg; dort auch O. latifolia X maculata (F.). O. maculata f. candidissima. Eulengebirge: oberhalb Neubielau (B.)! Coeloglossum viride. Schönau: Galgenberg bei Seiffersdorf (Z.), Kapelle bei Tiefhartmannsdorf (Kr.); Hohenfriedeberg: Schollwitz (Z.); Schömberg: Görtelsdorf (Sp.)! Platanthera chlorantha. Hohenfriedeberg: Möhnersdorf (Z.)!; Nimptsch: um Forsthaus Hochwald mehrfach (B.)!; Strehlen: Louis- dorf (Sl.). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 139 Cephalanthkera grandiflora. Bolkenhain: Neu-Röhrsdorf (Z.). ©. ziphophyllum. Breslau: Kottwitz (Forstmeister Hühner)!, neu für den Kreis; Gnadenfrei: Girlachsdorfer Berge (B.)!; Nimptsch: Strachauer Eichberge (Sp.)!; Leobschütz: Burgstädtel (M.). Epipactis rubiginosa. Grünberg: Gebüsch vor der Halbemeil- mühle (H. S.)!, neu für die niederschlesische Ebene. E. palustris. Freystadt: Seiffersdorf (Apoth. Hampel t. H. S.)! Spiranthes spiralis. Liebenthal (Hoppe t. Kr.); Bolkenhain: Leipe (Z.)! Neottia Nidus avis. Neumittelwalde: Pawelau (Wa.). Coralliorrhiza innata. Liebental: Stadtwald (Hoppe t. Kr.); Bolken- hain: Kalkwerk Töppich, Alt-Röhrsdorf (Z.); Rauden: an der linken Seite der Gleiwitzer Heerstraße (W.)! Salix pentandra. Schönau: Ketschdorf; Hohenfriedeberg: Quolsdorf (Z.)!; Strehlen: Karisch (Kr.); Gleiwitz: mehrfach (W.)! (+?) S. nigricans.. Gleiwitz: im Fasanengarten der Dom- browa (W.)! S. amygdalina X aurita. Gleiwitz: wie vor. (W.)! S. amygdalina X viminalis. Gleiwitz: Labander Steinbruch (W.)! S, aurita Xrepens. Gleiwitz: vor Laband (W.)! S. caprea X purpurea. Gleiwitz: zwischen Brzezinka u. Klüschau (W.)! S. caprea X viminalis. Gleiwitz: Fasanengarten der Dom- browa (W.)! S. cinerea X silesiaca. Gesenke: oberhalb Karlsbrunn (M.)! S. fragilis X pentandra. Haynau: um Vorhaus mehrfach, vielleicht infolge von Stecklingvermehrung (F.). Betula pubescens X verrucosa Neustadt: Kröschendorf (W.)l Almus incana. Gleiwitz: zwischen Brzezinka u. Klüschau (W.)! 4A. glutinosa X incana. Hotzenplotz:nördlich von Glemkau (W.)! Quercus Robur X sessiliflora. Wartha: Felslehne an der Giersdorfer Straße (B.)! + Cannabis sativa. Grünberg: Lessener Straße (H. S.)! Viscum album. Die Tannenmistel scheint sich bei uns neuerdings erheblich auszubreiten; z. B. Gr.-Wartenberg: Gr. Gahle, Annental, Rudelsdorf; Strehlen: Louisdorf; Reichenstein: um die Molchkoppe; Wartha: Alter Kammweg! + Aristolochia Clematitis. Parchwitz: Heerstraßengraben bei Läst (Kn.); Neumittelwalde: Charlottenfeld! Rumex sanguineus. Frankenstein: Niederwald bei Gallenau (B.)! R. Acetosella f. multifidus. Frankenstein: Lämmelberg (B.)! R. alpinus X obtusifolius. Riesengebirge: im Bächeltale zwischen Hain und den Baberhäusern (F.)! 140 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Chenopodium Vulvaria. Reichenbach: Ob.-Langenbielau (B.)! + Atriplex hortense. Wartha: in einem Kartoffelacker (B.)! + Kochia Scoparia. Breslau: an der Alten Oder (Kn.). + Amarantus panniculatus. Grünberg: Erlbusch (H. S.)! — Die früher als A. melancholicus bezeichnete Pflanze ist nach Thellung zu A. Dinteri Schinz v. uncinatus zu stellen. Agrostemma Githago f. gracile. Um Frankenstein und Silberberg nicht selten (B.)! Silene dichotoma. Frankenstein: vielfach (B.)!; Freiburg: Adels- bach (Z.). S. gallica. + Breslau: am Nadelwehr des Umgehungskanals (Kn.); Landeck: zwischen Olbersdorf und Herzwald! + S. Armeria. Frankenstein: Schräbsdorf, Heinersdorf (B.)!; Gleiwitz: zahlreich im Ufergebüsche des Hüttenkanals (Cz.)! S. Otites. Raudten: Kammelwitz (F.). Melandryum album, rotblühend. Frankenstein: Schloßmühle (B.)! Cucubalus baccifer. Lüben: zwischen Gr.-Reichen und Petschken- dorf!; Hotzenplotz: vor Füllstein (W.)! Tunica prolifera. Bolkenhain: Ob.-Baumgarten (Z.)! + Vaccaria parviflora. Liegnitz: Langenwaldau (Kn.); Franken- stein: bei der Friedrich Wilhelms-Halle (B)!; Schweidnitzer Bergland: Talsperre bei Breitenhain (Sp.)! + Dianthus barbatus. Frankenstein: Kleutschberg (B.)!; Lan- deck: hinter dem Moltkefelsen (L.)!; Gesenke: Waldenburg (S1.)! D. superbus. Bolkenhain: Altreichenau (Z.)!, Nd.-Quolsdorf (Z.); Strehlen: am Drachelgraben bei Lorenzdorf (Sl.); Ratibor: Kuchelna (M). Cerastium anomalum. Neusalz: oberhalb der Oderbrücke (A.)! Stellaria Friesiana. Kohlfurt: am Nordrande des Torfbruchs und Rev. Wohlen, Jag. 71 (Ba.)! Spergula vernalis. Liebental: Fritzenshöhe (Hoppe t. Kr.). Herniaria hirsuta. Bei Ellgut-Zabrze (Cz.)! Illecebrum verticillatum. Juliusburg: Steinholunder (Sr.)!; Namslau: Forst Niefe (T.)! Trollius europaeus. Bolkenhain: Gr. Hau (Kr.), Nd.-Kunzendorf (Z., auch Kr.)!, Altreichenau (Z.); Reichtal: Karlshof (Bu.)!; Frankenstein: Heinersdorf (B.)!; Nimptsch: bei Dirsdorf mehrfach! (U.), Kunsdorf!, Gollschau!, zwischen Kl.- und Gr.-Jeseritz! + Eranthis hiemalis.Liebau: Wihards Park (Patschowski t. Kr.). + Nigella damascena. Bunzlau: Schuttplatz bei der Kessel- scheune (A.)! II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 141 lIsopyrum thalictroides. Camenz: Pilzwald, äußerst zahlreich!; Nimptsch: Wonnwitz (Wa.), in der Mersine bei Kl.-Johnsdorf! (Wa.); Silberberg: Feldtor (Barbara Buchs)!; Glatz: Mühldorf, gegen Poditau! Actaea spicata. Neumittelwalde: Korsarenberg bei Ossen (Wa.); Nimptsch: in der Mersine!, zwischen Dirsdorf und Kunsdorf!; Gleiwitz: Koslow! Aquilegia vulgaris. Mariaschnee (Sp.)!; Kieferstädtel: Neudorf (W.)! Anemone memorosa f. purpurea. Liegnitz: vor der Furtmühle bei Bienowitz (F.)! A. pratensis. Neumittelwalde: unweit Marienhof (Wa.); Juliusburg: Steinholunder, dort „Faule Magd‘ genannt (Sr.)! Ranunculus circinatus. Frankenstein: im Pausebache (B.)! R. fluitans. Lähn: im Bober (Kr.). R. auricomus f. fallac. Ohlau: Laskowitzer Schloßpark (Graf Saurma-Jeltsch t. T.)! R. platanifoliu. Bolkenhain: Südseite des Neu-Röhrsdorfer Grundes (Z.). R. lanuginosus. Neumarkt: Stusa (F.). R. nemorosus. Kieferstädtel: Neudorfer Forst (W.)! Thalictrum aquilegifolium. Juliusburg: Bartkerei, am Südende der Fürstenbrunnlinie!; Nimptsch: in der Mersine! Th. minus. Neumittelwalde: Ossen (Wa.); v. silvaticum Gr.-Warten- berg: Distelwitzer Revier!; Obernigk: gegen Riemberg! Berberis vulgaris. Bolkenhain: Alt-Röhrsdorf (Kr.); Nimptsch: Kl.- Ellguter Tal (B.)!; + Strehlen: Lorenzberger Wald, unweit des Forst- hauses Spähne (S1.)!; Tost: Kottlischowitz (W.)! Chelidonium majus f. laciniatum. Freiwaldau Ö.S.: Adelsdorf (Sh.)! + Corydalis solida. Liegnitz: unkrautartig wuchernd in einem un- gepflegten Garten an der Ecke der Schützen- und Viktoriastraße (Kn.). C. intermedia. Frankenstein: Heinersdorf; um Silberberg mehr- fach (B.)! Cardamine impatiens. Silberberg: mehrfach; Reichenstein: Schlacken- tal (BJ)! C. parviflora. Neusalz: bei der Bürstenfabrik (A.)! C. hirsuta. Landeck: nahe der Hedwigsquelle (L.)! C. silvatica. Würbental: Mitteloppatal (M.)! C. amara f. hirta. Gleiwitz: Tatischau, Koslow; Kiefernstädtel: Neu- dorf; Nicolai: Bor-Neudorf (W.), Jamnatal (W.)! Dentaria enneaphyllos. Bolkenhain: Sattelwald, gegen Altreichenau (Z.)! 142 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. D. bulbifera. Bolkenhain: bei Einsiedel mehrfach; Kauffung: am Mühlberg (Z); Camenz: im Pilzwalde, bei der Kaiserbuche!; Schnee- gebirge: oberhalb Klessengrund (M.). Arabis hirsuta. Reichenstein: Schlackental (B.)! A. arenosa. Liegnitz: Bahndamm hinter Pahlowitz (Kn.); Glatz: am Wachberge gegenüber Poditau, am 22. II. blühend! A. Halleri. Eulengebirge: Eulbaude; Schneegebirge: Kl. Schneeberg (B.)!, Puhu (Sp.)! Hesperis matronalis. Goldberg: massenhaft auf Kies der Katzbach (Z.); Patschkau: Neißegebüsche (B.)! + Sisymbrium Sinapistrum. Liegnitz: an der Bahn (F.)! und an der Katzbach (Kn.); Gleiwitz: Bahnhof Laband (W.)! + Conringia orientalis. Patschkau: Kiesbank unterhalb der Neißebrücke (B.)! + Diplotaxis muralis. Obernigk: bei der Kirche (Sw.)!; Nimptsch: Bahnhof Dirsdorf (B.)!; Gleiwitz: Labander Bahnhof und Kalkbruch (W.)! Lunaria rediviva. Bolkenhain: Alt-Röhrsdorf (Kr.); Charlottenbrunn: Hirschberg bei Reimsbach, Reimswaldauer Riegel (Z.). Berteroa incana. Hirschberg: Arnsdorf (Kr.). Teesdalea nudicaulis. Lähn: Tschischdorf (Kr.). Thlaspi alpestre. Lähn: Wünschendorf, Matzdorf (Kr.); Camenz: Pilzwald u. a.!, auch am ‚Pausebachviadukte; Silberberg: Wiltsch (B.)!; Reichenstein: Hemmersdorfer Sägemühle! Coronopus Ruelli. Bunzlau: an dem älteren Standorte verschwunden, dagegen spärlich an der Kesselscheune (A.)! + Bunias orientalis. Gleiwitz: Hüttendamm (D.)! Reseda lutea.. Camenz: Neißeufer (Fr.)!; + Nimptsch: Skalitz (Wa.); Patschkau: Kiesbank unterhalb der Neißebrücke (B.)! Drosera rotundifolia. Strehlen: Eisenberg (S1.)! + Sedum spurium. Wartha: Felslehne unterhalb des Friedhofes (B.)!; Freiwaldau Ö.S. (Sb.)! S. refleeum ist am Jägerndorfer Burgberge noch zahlreich vor- handen (W.)! Sempervivum soboliferum. Juliusburg: Winkelmühle bei Gr.- Graben (Sr.)!; Leobschütz: Peterwitz (M.). Sazifraga tridactylites. Schömberg: Neuen (Sp.)!; Landeck: auf Gartenland (L.)! + S. umbrosa. Hirschberg: an Mauern in Boberröhrsdorf (Kr.). Ribes Grossularia. Neumittelwalde: Poln.-Steiner Wald!; Nimptsch: Kunsdorf!, in der Mersine bei Kl.-Johnsdorf!; um Würbental vielfach, gegen Karlstal auch ®. glandulososetosum (M.)! II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 143 R. nigrum. Frankenstein: Gläsendorf (B.)!; Leobschütz: Frauenwald bei Branitz (M.); Kieferstädtel: Rachowitzer Schweiz (W.). + R. alpinum. Leobschütz: Geppersdorf (H. M.)! + Spiraea salicifolia. Freystadt: Ufer der Schwarza zwischen Seiffersdorf und Hartmannsdorf (2. S.)!; Hirschberg: an der Lomnitz bei Arnsdorf und Zillertal (Kr.); Jägerndorf: Burg Branitz (M.). Aruncus silvester. Hohenfriedeberg: Hohenpetersdorf (Z.); Nimptsch: Dirsdäorf! (U.); Leobschütz: Hauberg bei Dobersdorf (M.)!; Jägerndorf: zwischen Sauberg und Pfaffenberg (M.). Pirus Malus. Lähn: Kalkberg bei Tschischdorf (Kr.); Strehlen: Eisenberg (S1.). Ulmaria Filipendula. Tost: Kottlischowitz (W.)! Rubus!) saxatilis. Liegnitz: Stadtheide (F.); Strehlen: Lorenzberger Wald (S1.)!; Nimptsch: Eichberge bei Strachau (Sp.)!, Karlsdorf!; Ober- glogau: Schönau (M.)! R. nitidus. Gr.-Wartenberg: Stadtforst und um Stradam mehrfach; Öls: wie vor.; Namslau: an der Heerstraße gegen Wind.-Marchwitz; Sibyllenort (Spr.)! R. vulgaris v. rhamnifolioides. Namslau: wie vor. (Spr.)! R. thyrsoideus (ssp. ihyrsanthus). Steinau: Gurkauer Hügel (F.); Hirschberg: Boberröhrsdorf (Kr.); Gr.-Wartenberg: zwischen Stradam und Schleise, um Bahnhof Gimmel; Namslau: wie vor. (Spr.)!; Nimptscher Berge (B.)!; Tost: unweit Gr.-Kottulin (Spr.)!; Jägerndorf: Burgberg (M.)!; ssp. candicans f. roseolus Müller Lähn; ssp. constrictus Lähn: Tschischdorfer Kaikberg (Kr.); ssp. incisiserratus: Gleiwitz: zwischen Boitschow und Klüschau (W.)! R. macrophyllus. Steinau: Gurkauer Hügel (F.); Goldberg: Gröditz- berg und vor Georgenthal; Jauer: Jakobsdorf (Kr.); Stroppen: gegen Striese; Gr.-Wartenberg: zw. Stradam und Schleise, Bahnhof Gimmel, Stadtforst; Namslau: gegen Windisch-Marchwitz, Saabe (Spr.)!; Obernigk: Zechelwitz (Sw.)! R. macrostemon. Schönau: Willenberg (Kr.). R. tabanimontanus. Jannowitz: Bleiberge (Kr.). R. rhombifolius v. pyramidiformis. Gr.-Wartenberg: am Bahnhof Gimmel mehrfach, auch an der Heerstraße nach Alt-Ellgut; Namslau: gegen Wind.-Marchwitz; Gr.-Strehlitz: Kottuliner Wald zwischen Blottnitz und Pluschnitz (Spr.)! R. oboranus. Gr.-Strehlitz: wie vor., Blottnitzer Wald (Spr.)! 1) Uber Brombeeren aus Österr.-Schlesien sind noch zu beachten die Aufsätze Sabranskys in der Österr. Bot. Z., LXIII u. XLIV. 144 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. R. Schummeli. Namslau: gegen Wind.-Marchwitz (Spr.)! R. siemianicensis. Namslau: wie vor., Saabe; Gr.-Strehlitz: zw. Blott- nitz und Pluschnitz mehrfach, auch im Blottnitzer Walde (Spr.)! R. chaerophylloides. Gr.-Wartenberg: Rippin; Juliusburg: nördl. vom Bahnhofe (Spr.)! R. Sprengeli. Kieferstädtel: Waldrand bei Neudorf (W.)! R. radula. Lähn: Langenau, Mühldorf; Hirschberg: Falkenberge (Kr.); Gr.-Wartenberg: um Stradam mehrfach; Namslau: gegen Wind.-March- witz, Saabe (Spr.)!; Neustadt: Eichberg bei Kröschendorf (W.)!; Gr.- Strehlitz: zwischen Blottnitz u. Pluschnitz (Spr.)! R. capricollensüs. Leobschütz: Stadtwald (M.)! R. posnaniensis. Namslau: zw. Hönigern und Saabe; Gr.-Strehlitz: wie vor (Spr.)! R. Koehleri. Lähn: Langenau, Mühldorf; Hirschberg: Falkenberge (Kr.); wahrscheinlich auch Gleiwitz: zwischen Klüschau und Boitschow (W.)! R. apricus. Tost: Kottuliner Forst zwischen Blottnitz u. Pluschnitz (Spr.)!; wahrscheinlich auch Neustadt: Kreiwitz (W.)! R. ligniciensis. Gr.-Strehlitz: zwischen Blottnitz u. Pluschnitz, zu- gleich mit R. Schubei und R. Schleicheri (Spr.)! R. Bellardi. Namslau: zwischen Hönigern u. Saabe; Gr.-Strehlitz: Wald rechts der Bahn nach Tost (Spr.)! R. hirtus. Gr.-Strehlitz: Wie vor.; ssp. hercynicus Trebnitz: Wiese (Spr.)!; ssp. nigricatus v. fallaciosus Kieferstädtel: Neudorf (W.)! R. Güntheri. Bolkenhain: Gr.:Hau; f. interruptus Lähn: Harteberg bei Mauer; Bleiberge bei Jannowitz (Kr.). R. serpens. Kieferstädtel: Rachowitzer Schweiz (W.)! R. pruinosus. Gr.-Wartenberg: Wald bei Bahnhof Gimmel (Spr.)! R. orthacanthus Focke. Gr.-Wartenberg: um Bahnhof Gimmel mehr- fach, Stadtforst, zw. Stradam und Schleise (Spr.); Obernigk: Zechelwitz (Sw.)! R. oreogeton. Lähn: Tschischdorf; Hirschberg: Boberröhrsdorf (Kr.). R. dollnensis. Gleiwitz: zw. Blottnitz und Pluschnitz mehrfach (Spr.)! R. Spribillei. Trebnitz: Wiese, Schönellgut (Spr.)! R. polycarpiformis. Gr.-Wartenberg: um Stradam mehrfach; Nams- lau: gegen Wind.-Marchwitz; Reichtal: an d. Kempener Heerstraße (Spr.)! R. serrulatus. Gr.-Wartenberg: zw. Bahnhof Gimmel u. Alt-Ellgut (Spr.)! R. commiztus. Grünberg: Bergwerkziegelei (H. S.)!; Strehlen: Crum- mendorf mehrfach (Spr.)! I. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 145 R. memorosus. Strehlen: wie vor. (Spr.)!; f. serrulatus Kupferberg: Rolfengrund (Kr.). R. centiformis. Gleiwitz: Ziegelei Fortuna (W.)! R. ciliatus. Bunzlau: Drüsselberg (A.)!; Gr.-Wartenberg: zw. Stra- (dam u. Schleise; Namslau: gegen Windisch-Marchwitz; Strehlen: zw. Crummendorf u. dem Rummelsberge (Spr.)! R. caesius X idaeus. Neustadt: um Kröschendorf mehrfach (W.)! Potentilla supina. Zobten: Ströbel!; Frankenstein: Sandgrube am Bahnhofe, Tarnau, Stolz, Heinersdorf (B.)! P. norvegica. Frankenstein: nördl. vom Bahnhofe (B.)!; Hotzenplotz: Füllstein (M.)! P. rupestris. Liegnitz: zwischen Wildschütz und Kosendau (Kn.). P. recta. Bolkenhain: Alt-Röhrsdorf (Kr.); Silberberg: Spitzberg, Herzogswalde (B.)!; Leobschütz: Neustift (M.)! + P. intermedia. Görlitz: Südausgang der Kummerau (Ba.)! + P. pilosa.. Jauer: im Profener Parke (D.)!; Hohenfriedeberg: nördl. von Fröhlichsdorf (Z.)! P. canescens. Bolkenhain: beim Bahnhof Alt-Röhrsdorf (Z.); Franken- stein: Stolzer Lehne (B.)!; Strehlen: Louisdorf, gegen Schönbrunn (SL.)!; Hotzenplotz: Füllstein (M.)! P. Wiemanniana. D.-Wartenberg: Straßenrand und Weißer Berg bei Bobernig (A.)! P. arenaria. Neusalz: Sportplatz (A.)!; Katscher: Liptin (M.)! P. verna. Sprottau: Nonnenbusch (A.)!; f. pilosa Frankenstein: Harte- berg (B.)! P. procumbens. Kupferberg: Rohnau (Kr.); Gleiwitz: hinter Ellgut von Gröhling, Neudorf; Rauden: Barglowka (W.)! P. erecta X procumbens. Bei Alt-Gleiwitz (W.)! Agrimonia odorata. Gleiwitz: Brzezinka; Peiskretscham: Klein- Patschin (W.)! Rosa canina f. hispida. Leobschütz: Nesselgrund bei Löwitz (B. M.)!; f. scabrata Leobschütz: zwischen Sabschütz und der Steinmühle (M.)! R. glauca v. myriodonta. Hirschberg: Zillertal; Kupferberg: Kreuz- wiese (Kr.)! R. dumetorum f. eriostyla. Freudental: Alt-Vogelseifen (M.)!; v. pu- bescens Bunzlau: Kiesgrube beim neuen Schießhause (A.)!; Leobschütz: Graudener Wald (M.)! R. corüfolia. Tost: Kl.-Wilkowitz; Hotzenplotz: vor Füllstein; f. glan- ‚dulosa Gleiwitz: Fortuna (W.)! 1913. 10 146 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. R. affinis. Nimptsch: zwischen Dirsdorf und Kosemitz (B.)!; Leob- schütz: zw. Sabschütz und Leisnitz (M.)! R. elliptica. Leobschütz: zwischen Löwitz und Saliswalde (B. M.)!, Comeise (M.)!; Hotzenplotz: vor Füllstein (W.)! R. rubiginosa. Bolkenhain: Töppich, Neu-Röhrsdorf (Kr.)!; Strehlen: Riegersdorf, gegen Mückendorf (S1.)! R. micrantha. Lähn: Kalkberg bei Tschischdorf, Kuttenberg (Kr.)! R. villosa f. umbelliflora. Schömberg: Kindelsdorf (Sp.)! R. alpina f. quinquefolia. Eulengebirge: unterhalb der Zimmermanns- baude (B.)! + R. cinnamomea.. Wartha: Johnsbach; Patschkau: vor dem Wäldchen (B.)! Prunus avium. Leobschütz und Hotzenplotz mehrfach; Gesenke: Mitteloppatal (M.)! Genista pilosa. Rauden: an der Kleinbahnstreeke (W.)! Cytisus nigricans. Gleiwitz: bei Laband mehrfach; Hotzenplotz: „Schöne Lene“ (W.); Jägernäorf: Schellenburg (M.)! ©. capitatus. Reichtal: Kaulwitz (Bu.)!; Langenbielau: Herrleinberg (Sp.)!; Strehlen: Oberecke, Louisdorf (S1.)!; Jägerndorf: Horzinatal bei Bransdorf (M.)! C. ratisbonensis. Rauden: Zamosche (W.)! Ononis spinosa. Troppau: Gilschwitz (M.)! O. hircina. Silberberg: Feldweg gegen Herzogswalde (B.)! + Medicago hispida. Goläberg:an der Bahn vor Bad Hermsdorf, zusammen mit M. arabica (Kn.)! Melilotus altissimus. Leobschütz: Eichwald bei Casimir (B. M.)! Trifolium rubens. Goldberg: Geiersberg; Schweidnitz: am Gatter des Rehgartens bei Ob.-Bögendorf (Z.)! T. ochroleucum. Liegnitz: vor Rosenig; + Breslau: am Nadelwehr des Umgehungskanals (Kn.); Friedland: an einer Lehne bei Raspenau (Wg.)! Anthyllis Vulneraria. Lähn: Wünschendorfer Kalkberg (Kr.). Astragalus arenarius. Öls: Sandau (Sr.)! Onobrychis vicifolia. Bolkenhain: Gr. Hau (Kr.); bei Franken- stein und Camenz mehrfach, wenigstens z. T. sicherlich ursprünglich (B.)!; Tost: Kottlischowitz (W.); Jägerndorf: Burgberg (M.)! + Vicia pannonica. Liegnitz: vor Lindenbusch und am Kinderheim in der Jauerstraße (Kn.). i V. lathyroides. Strehlen: Eisenberg (S1.)!; Rauden: rechts von der Gleiwitzer Heerstraße (W.)! II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 147 V. cassubica. Nimptsch: Kl.-Johnsdorf!, Gorkau, Leipitz (Wa.). V. silvatica. Lähn: Tschischdorf (Kr.); Frankenstein: Kl.-Belmsdorf; Nimptsch: am Spitzberg und am Alten Berg (B.)! V. pisiformis. Wartha: Kapellenberg, besonders am Hintersteig (B.)! V. dumetorum. Neumittelwalde: Ulbersdorf (Wa.); Frankenstein: Brandmühle (B.)! + Lathyrus Aphaca. Liegnitz: vor Lindenbusch (Kn.); Lüben: in einem Roggenfelde bei Buchwäldchen (F.)! L. tuberosus. Bolkenhain: Altreichenau (Z.)!; Frankenstein: beim Brüderkirchhof (B.)! + L. kirsutus. Liegnitz: vor Lindenbusch (Kn.). L. montanus. Hirschberg: Prudelberg (Kr.); Juliusburg: Bartkerei!, Steinholunder (Sr.)! Geranium phaeum. Lähn: Hußdorf; Bolkenhain: Gießmannsdorf (Z.), Streckenbach (F.); Nimptsch: Schmitzdorf (Sp.)!; Freiburg: Liebersdorf (Z.)!; Leobschütz: Frauenwald bei Burg-Branitz (M.)! G. silvaticum. Nimptsch: Karlsdorfer Wald! G. sanguineum. Hohenfriedeberg: Quolsdorf, Wiesenberg bei Scholl- witz (Z.); Nimptsch: wie vor.! G. pyrenaicum. Gmnadenfrei: gegen Haunold (B.)!; Bauerwitz: vor Knispel (M.); Leobschütz: Ochsenkapelle (M.)!, Münzerei (W.). G. molle. Neusalz: Bobernig (A.)!; Frankenstein: Zadel (B.)! Mercurialis perennis. Juliusburg: südlich vom Königsteich bei Weißen- see, außerordentlich zahlreich! Euphorbia dulceis. Nimptsch: in der Mersine bei Kl.-Johnsdorf, um Dirsdorf mehrfach!; Strehlen: Lorenzberg (S1.)! E. palustris. Neusalz: Oderdamm (A.)!; Guhrau: im Bartschgebiet verbreitet (D.). E. exigua. Bolkenhain: Altreichenau (Z.)! Acer platanoides. Leobschütz: Frauenwald bei Burg-Branitz (M.). A. campestre. Gleiwitz: Schechowitz (W.). 4A. Pseudoplatanus. Nimptsch: in der Mersine!; Leobschütz: Stadt- wald, Frauenwald (M.); Kieferstädtel: Rachowitzer Schweiz (W.). Impatiens parviflora. Lauban: in einem Bahneinschnitte (Z.). -+ Ampelopsis quinquefolia. Jägerndorf: im Horzinatale (M.). + Malva moschata. Strehlen: Kryhnewiesen bei Eisenberg (S1.)!; Wartha: Waldrand bei Giersdorf (B.)!; Patschkau: Kläranlage (B.)! M. rotundifoia. Hotzenplotz: Füllstein, mit M. neglecta X rotundifolia (W.)!; diese auch Ottmachau: Bahnhof (B.)!; Leobschütz: Gröbnig (M.)! 10* 148 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Lavatera thuringiaca. Leobschütz: Kl.-Berndau (B. M.)! + L. trimestris. Frankenstein: Kartoffelacker bei Protzan (B.)! Hypericum montanum. Freiburg: an der Zeisburg (Z.); Katscher: Fasanerie bei Nassadel (M.)!; Ratibor: Kuchelna (M.). H. hirsutum. Ratibor: Lensczok (M.). H. perforatum f. veronense. Nimptsch: Koppenbank (B.)! H. quadrangulum X tetrapterum. Hotzenplotz: Matzdorf (M.)! Helianthemum Chamaecistus. Eulengebirge: unweit der Kuhkuppe oberhalb Giersdorf (B.)! Viola mirabilis. Münsterberg: Moschwitzer Wald (B.)! V. arenaria X Riviniana. Saabor: zwischen Hammer und Loos (H. S.)! Daphne Mezereum. Neumittelwalde: Klenowe! (K.); Nimptsch: in der Mersine! (+?) Epilobium Dodonaei. Schömberg: Trautliebersdorf (Z.)! E. collinum. Nimptsch: Koppenbank (B.)!; Kieferstädtel: Alt- hammer (W.)! E. adnatum. Neustadt: Bahnhof Dittersdorf (W.). E. Lamyi. Nimptsch: Koppenbank (B.)! E. obscurum. Rauden: Barglowka (W.)! E. adnatum X parviflorum. Katscher: zwischen Hubertusruh und den Gipsgruben (M.)! E, adnatum X roseum. Gleiwitz: Ostroppa (W.)! E. collinum X montanum. Leobschütz: Eichberg bei Co- meise (M.)! E. Lamyi X montanum. Nimptsch: Koppenbank (B.)! E. obscurum X palustre. Leobschütz: zwischen Wolfsteich und Steinbruch (M.)! E. parviflorum X roseum. Leobschütz: Wolisteich (M.)!; Alt- gleiwitz (W.)! Circaea intermedia. Neumittelwalde: spärlich im Poln.-Steiner Walde, mit äußerst zahlreicher €. alpina!; diese auch: Bolkenhain: Kreglerforst (Z.). Myriophyllum spicatum. Troppau: zwischen Gilschwitz und der Kommerauer Mühle (B. M.)! Sanicula europaea. Lüben: Petschkendorf (Matzker). Astrantia major. Freystadt: Seiffersdorf (Hampel t. H. S.)!; Hotzen- plotz mehrfach (M.). Falcaria vulgaris. Reichtal: in einem Rübenfeld (Bu.), für den Kreis Namslau neu und vielleicht nur vorübergehend eingeschleppt; Bauer- witz: Tschirmkau (M.). II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 149 Pimpinella Saxifraga f. dissecta. Gleiwitz: Bahndamm bei Laband (W.). P. magna. Leobschütz: Kaltenhausen (M.)! u. a. (M.); Ratibor: Lensezok (M.). + Bupleurum rotundifolium. Grünberg: Patzgall (Lehrer Pfeiffer 14H. ;S.)! Conium maculatum. Eulengebirge: unweit der Kuhkuppe (B.)! Myrrkis odorata.. Mittelwalde: Alt-Neißbach (B.); Landeck: Kamnitz (B.)! Chaerophyllum kirsutum. Nimptsch: Dirsdorf, gegen Kl.-Ellgut! Ch. bulbosum. Lähn: anscheinend selten (Kr.); Patschkau: an der Neiße (B.)! + Anthriscus Cerefolium. Hirschberg: Wegränder (Kr.). 4A. nitidus. Nimptsch: Kunsdorf, gegen den Spitzberg!; Silberberg: Wiltscher Scheibe; Reichenstein: Schlackental (B.)!; Leobschütz: Steuben- dorf; Oberglogau: Leschnig (M.); Tost: Fasanerie (W.). Seseli coloratum. Jauer: Mochenwald (Z.). S. Libanotis. Bolkenhain: Krähendörfel (Z.)! Sülaus pratensis. Bolkenhain: Reichenau (Z.). Peucedanum Cervaria. Liegnitz: Spitzberg bei Nicolstadt (Kn.); Hotzenplotz: „Schöne Lene“ (W.)! P. Oreoselinum. Naumburg a. Q.: auf einer Wiese im Queis- tale (Z.)! + Coriandrum sativum. Bunzlau: bei der Kesselscheune (A.)! + Cornus stolonifera.. Rauden: am Bache bei Barglowka (W.)! Pirola uniflora. Bolkenhain: Kreglerforst (Z.); Schönau: Mühlberg bei Kauffung (Z.)!; Juliusburg: am Südende der Fürstenbrunnlinie der Forst Bartkerei! P. media. Bolkenhain: Gr. Hau (Kr.). Vaccinium Ozycoccus. Greiffenberg: gegen Krummenöls und Gr.- Stöckigt (Z.): Primula officinalis. Freystadt: Herwigsdorf (A.)!; Neumittelwalde: Ossen (Wa.), Annental u. a.! P. elatior. Nimptsch: gegen Gr.-Wilkau, um Dirsdorf mehrfach!; Kieferstädtel: Schierakowitz (W.). P. elatior X officinalis. Silberberg: Spitzberg (B.)! + Lysimachia punctata. Kupferberg: Bolzenschloß (Kr.). L. nemorum. Kieferstädtel: Rachowitzer Schweiz (W.). Trientalis europaea. Haynau: Vorhaus, an einer Stelle äußerst üppig (F.); Greiffenberg: Roter Saum (Kr.); Leobschütz: Schönauer Wald (M.)! 150 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. + Oyclamen europaeum. Kauflung: nahe dem Gipfel des Mühl- berges (Kr.). Armeria vulgaris. Bolkenhain: Wernersdorf (Z.). Ligustrum vulgare. Tost: bei Kottlischowitz mehrfach (W.)! Gentiana Pneumonanthe. Neusalz: Tschiefer (A.)!; Freystadt: Seiffers- dorf (Hampel t. H. S.)!; Leobschütz: Löwitz (B. M.)! G. cruciata. Lähn: Tschischdorf (Kr.). G. ciliata. Bolkenhain: Heinzewald und Halbendorf, Nußhügel bei Baumgarten (Z.), hier in sehr reich- (bis 30-) blütigen Stücken (Z.)!; Schönau: Poln.-Hundorf (Z.); Glatz: Wolfskoppe bei Ullersdorf!; gelblich blühend bei Lähn: Mauer (Z.). G. Amarella. Bolkenhain: Petersgrund (Z.)!, Habelschwerdt: zw. Melling und Herrnsdorf, mit äußerst reichblütiger f. pyramidalis! G. germanica. Neurode: Hausdorf gegen Centnerbrunn (Sp.)! G. campestris. Reinerz: Waldstein (Sp.)! Menyanthes trifoliata. Bolkenhain: östl. von Ob.-Baumgarten (Z.); Strehlen: Spanwiesen bei Louisdorf (S1.)! Vinca minor. Lähn: Tschischdorf; Hirschberg: Straupitz (Kr.); Goschütz: Revier Gahle, spärlich im Jagen 71; sehr zahlreich im J. 87!; Strehlen: Louisdorf (S1.); Silberberg: Aufstieg zur Festung (B.)!; Reichen- stein: in den „Buchen“ bei Maifritzdorf u. a.! + Polemonium coeruleum. Hirschberg: Boberbett bei Hartau (Kr.). + Collomia grandiflora. Schweidnitz: Neumühlwerk (Sp.)!; Gnaden- frei: an der Bahnstrecke bei Haunold! (Wg.) + Phacelia tanacetifolia. Lähn: Lehnhaus (Kr.)! Cynoglossum officinale. Gr.-Wartenberg: Rippin (Wa.): Lappula Myosotis. Bunzlau: Kesselscheune (A.)!; Grünberg: Erl- busch (H. S.)!; Nimptsch: Neudeck, Maimühle (B.)! Myosotis sparsiflora. Neusalz: Alte Mühle (A.)! + Teucrium Botrys. Breslau: am Nadelwehr der Alten Oder (Kn.). T. Scordium. Guhrau: im Ober- und Niederwalde (D.)! + T. Scorodonia. Fürstenstein: nahe der Alten Burg (Wa.). Melittis Melissophyllum. Jauer: Profen (D.)!; Hohenfriedeberg: Pradel- berg bei Schollwitz (Z.)!; Zobten: an Leuchtscherbelwege!; Camenz: Schloß- park (B.)!; Nimptsch: Eichberg bei Strachau (Sp.)!; Leobschütz: Löwitz (M.). Galeopsis speciosa. Liegnitz: zw. Gassendorf und Rotkirch (Kn.). Chaeturus Marrubiastrum. Neumittelwalde: Kotzine (Wa.). Salvia pratensis. Leubus: vor Gleinau! II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 151 5. verticillata.. + Breslau: Nadelwehr der Alten Oder (Kn.)!; + Strehlen: Lorenzdorfer Wald bei Forsthaus Spähne (Sl.)!; Landeck: Leuthen (L.)! + Satureja hortensis. Grünberg: auf Schutt mehrfach (H. S.)! + Hyssopus officinalis. Bolkenhain: auf Diabasfelsen bei Baum- garten (Z.)! Origanum vulgare. + Bunzlau: Dobrau, an einem Zaune (A.)!; Silberberg: am Kammwege gegen Wartha mehrfach (B.)!; Jägerndorf: ‚Pfaffenberg (M.)! + Nicandra physaloides. Liegnitz: Panten (Kn.). Atropa Belladonna. Bolkenhain: Rudolfshöhe (Z.); Glatz: am Mühl- graben bei Mühldorf! Verbascum silesiacum. Frankenstein: Wachberg, Harteberg (M.); Jägerndorf: Schellenburg (M.)!, Horzinatal, Melzerberg (M.). V. thapsiforme f. cuspidatum. Hotzenplotz: Steinbruch vor Ruine Füllstein (W.). V. phoeniceum. Katscher: zw. Liptin und Annahof (M.)! V. Blattaria. Ohlau: vor Gr.-Tiergarten! V. Lychnitis X phlomoides. Gleiwitz: Labander Kalkbruch, sehr zahlreich (W.)! V. nigrum X phlomoides. Gleiwitz: hinter Ellgut von Gröh- ling (W.). + Linaria Cymbalaria. Hirschberg: Reibnitz (Kr.); Leobschütz: spärlich an der Kirchhofsmauer (Mücke); Freiwaldau: Gemäuer (Sb.)! L. arvensis. Jägerndorf: Pfaffenberg (M.)! Scrofularia Scopoliü. Oppeln: Przywor! S. alata. Namslau: am Giesdorfer Bache (Bu.)!; Frankenstein: Heiners- dorf (B.)!; Nimptsch: Mersine bei Kl.-Johnsdorf!; Münsterberg: Mosch- witzer Wald (B.)!; Leobschütz: Kittelwitz (H. M.)! Mimulus luteus. Sagan: am Boberufer (D.)!; Hirschberg: Lomnitz (Kr.); Wartha: Giersdorf (B.)! + M. moschatus. Jauernig: kurz vor der Grenze gegen Ottmachau (Niedenzu)!, hier von Rektor Kern schon vor 40 Jahren beobachtet. Gratiola officinalis. Guhrau: in der Mummertheide (D.)! Veronica montana. Gr.-Strehlitz: Scharnosin (D.)! V. Chamaedrys f. lamüfolia. Bunzlau: Friedhof der Pflegeanstalt (A.)!; Schönau: Mühldorf (Kr.); Jägerndorf: Baderspiel \M.)! V. Teucrium. Nimptsch: Lehne der Bahn südöstl. vom Schlosse (B.)! Digitalis ambigua. Reichtal: unweit des Bahnhofs Butschkau (Bu.)! 152 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. + D. purpurea. Klitsehdorf: Queisufer gegen Borgsdorf (Heinz- mann)! Euphrasia curta. Kupferberg: Rotenzechau (Kr.)!; Silherberg: Festungswerke (Sp.)!; v. coerulea Schmiedeberg: Dittersbacher Paß (Kr.)!; Schömberg: Görtelsdorf, Kindelsdorf (Sp.)! Utricularia vulgaris. Strehlen: zw. Rosen und Lorenzbeis; /Sl.). U. neglecta. Ohlau: Garsuche (T.)!; Falkenberg: Qritschelle (W.)! Hierher gehören jedenfalls auch Exemplare, die Hermanr: Schmidt 1881 in derselben Gegend und Dr. Aderhold 1899 beim Prschyschetzteiche (Proskau) sammelte. Lathraea Squamaria. Neumittelwalde: Össen (Wa.). Plantago arenaria.. Troppau: Gilschwitz (B. M.)! Asperula Aparine. Cosel: Porgorzelletzwiesen bei Rogau (M.); Rauden: Barglowka (W.); Troppau: Gilschwitz (M.). + 4. orientalis Boiss. et Hohenacker. Leobschütz: auf Garten- land eingeschleppt (M.)! Galium Cruciata, Hirschberg: auf Wiesen (Kr.); Nimptsch: Dirs- dorf (U.). G. vernum. Reichenbach: Hahnbusch bei Gnadenfrei (Sp.)!; Nimptsch: Strachau! (Sp.); Schweidnitz: Ob.-Kunzendorf, Leutmäannsdort (Sp.)}l; Eulengebirge: um die Annawarte! G. silvestre, Leobschütz: Löwitz (M.); Hotzenplotz: vor dem Polen- walde (M.)! G. Mollugo X verum. Jägerndorf: Burgberg (M.)! Sambucus Ebulus. + D.-Lissa: am Bahnübergange nach Kl.-Heidau (Sp.); Frankenstein: Forst Lampersdarf, am Doktorweg unweit. des Glase- erundes!; Silberberg: im Herbstgraben (B.)!; Jägerndorf: Kahlberg bei Kronsdorf (H. M.). S. racemosa. Strehlen: beim Forsthause Spähne (S1N!; Le»bschütz: Löwitz (M.)! Lonicera Xylosteum. Leobschütz: Löwitz (B. M.)!, Steubendorf (M.); Jägerndorf: mehrfach (M.). + L. tatarica. Jägerndorf: Frauenwald bei Burg Branitz (M.)! L. nigra. Nicolai:im Jamnatale bei Althannzer, 2 Sträncher (W.)! + Symphoricarpus racemosa. Grünberg: Schuttplatz zwischen Lawaldauer Straße und Schwedenschanze (H. S.)! Valeriana dioeca. Leobschütz: Badewitz (M.)! V. polygama. Leobschütz: sehr spärlich am Wolfsteiche (M.). V. tripteris. Gesenke: Hoher Fall (2p.)! II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 153 Campanula Cervicaria.. Freystadt: Seiffersdorf {H. S.)!; Bolken- hain: Altreichenau (Z.)!; Landeck: Herzwald (L.)! Eupatorium cannabinum. Kauffuug: Ritzelbers; Jannowitz: Münze- tal (Kr.). Solidago serotina.. Eulengebirge: Neubielau; Patsehkau: Neiße- gebüsche (B.)!; Gnadenfeld: in der Erlen ıB. M.)!; Gleiwitz: hinter Östroppa (W.). + Aster Novi Belgü. Hotzenplotz: Füllstein (M.)! Erigeron annuus. Frankenstein: Friedhofsmauer in Stolz (B.)! Gnaphalium luteoalbum. Katscher: Fasanerie bei Nassiedel (M.). + Inula Helenium. Lüben: Petschkendorfer Dorfbach (Kn.); Jauer: Malitsch (D.)! I. salicina. Freystadt: Seiffersdorfer Brettmühle (H. S.)!; Bolken- hain: zw. Baumgarten und Würgsdorf (Z.); Gnadenfrei: Hahnbusch; Frei- burg: Fröhlichsdorf (Z.)!; Eulengebirge: am Hummrich bei Wiltsch (Sp.)!, bei den „Haferladen‘“ (B.)!; Glatz: Wolfskoppe! I. vulgaris. Freiburg: Nd.-Adelsbach (Z.); Glatz: Wolfskoppe! Xanthium strumarium. Peiskretscham: Bahnhofstraße (W.). Rudbeckia laciniata. Reichenbach: Güttmannsdorf; Nimptsch: Vogel- gesang (B.)!; Gogolin: Ottmuth! + R. hirta. Primkenau: Kl.-Heizendorfer Wiesen (Forstmeister Klopfer)! Anthemis tinctoria. Neusalz: Neu-Tschau (Fiebig t. A.)!; Goldberg: Geiersberg (Z.); Reichtal: Waldrand bei Butschkau (Bu.)!; Gnaden- frei: Hahnbusch; Silberberg: Bahnhof Festung (Sp.)!; Kreuzburg: an der Bahn bei Gottersdor£ (Sch.)! An einigen der Fundorte vielleicht nur vor- übergehend eingeschleppt. Matricaria discoidea. Bolkenhain: Altreichenau (Z.)!, Quolsdorf (Z.); Landeck: Bahnhof Seitenberg!; Kreuzburg: Felder bei der Zuckerfabrik (Seh.)!; Cosel: in Brzezietz!; Gogolin: Ottmuther Gutshof! Chrysanthemum corymbosum. Leobschütz: Amaliengrund (B. M.)! Artemisia campestris. Frankenstein: Tarnau (B.)!; Nimptsch: mehr- fach! (B.), z. B. bei Altstadt (Sp.)! Petasites officinalis. Kieferstädtel: Pohlsdorf (W.). Homogyne alpina. Bolkenhain: Heidelberg bei Gießmannsdorf (Z.)!; Landeck: Karpenstein (L.)! Doronicum austriacum. Landeck: Kamnitzgrund! (B.) Senecio vernalis. Lähn: Tschischdorf (Kr.); Bolkenhain: Wiesauer Heerstraßenhaus (Z.). 154 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. S. barbaraeifoliu. Jauer: Wiese am Profener Weinberge (D.)!; Leobschütz: Steubendorf (M.)}; Hotzenplotz (B. M.)!, z. B. an der Zucker- fabrik (W.). S. nemorensis. Cosel: Lenschütz (M.). S. Fuchsi. Frankenstein: Thielaukoppe, Heinersdorfer Büschel (B.)!; Nimptsch: in der Mersine bei Kl.-Johnsdorf!; Strehlen: Louisdorf (Sl.); Gleiwitz: Koslow, Neudorf (W.). S. fluviatilis. Jauer: östlich vom Profener Parke (D.)!; Cosel: Czissek, Kol. Belk! S. crispatus. Reichtal: Karlsdorf (Bu.)! + Echinops sphaerocephalu. Patschkau: östlich der Stadt mehrfach (B.)!; Jägerndorf: Gr.-Raaden (M.)! Carlina acaulis. Ratibor: Sezepankowitz (M.); Leobschütz: Stadt- wald, im höheren Teile des Kreises verbreitet (M.); f. caulescens Goldberg: Wolfsberg (Z.). ©. vulgaris f. longifolia. Silberberg: Herbstgraben (B.)! Arctium nemorosum. DBolkenhain: Töppich (Kr.); Silberberg: Brand- häuser; Wartha: Kleiner Höllengrund (B.)! Carduus nutans. Lähn: anscheinend selten, bisher nur Tschisch- dorf (Kr.). C. crispus. Friedland O.S.: Plieschnitzer Wald (W.). Cirsium heterophyllum. Bolkenhain: Merzdorf (Z.); Gnadenfrei: Hahnwald (Sp.)!; Freiburg: Fröhlichsdorf (Z.). C. rivulare. Freystaät: Seiffersdorf (H. S.)!; Gnadenfrei: mehrfach; Nimptsch: Strachau (Sp.)! ©. palustre f. seminudum. Kontopp (H. 8.)!; Friedland O.S.: Quit- schellen u. a. (W.)!; Neustadt: Kröschendorf (W.); Leobschütz: Katerberg bei Peterwitz (M.). C. arvense X lanceolatum. Grünberg: Oderwald gegen Tschicher- zig (H. S.)!; Ohlau: Neuvorwerk (T.)! C. arvense X oleraceum. Leobschütz: unweit der Münzerei (W.). C. canum X oleraceum. Gleiwitz: Koslow (W.). C. oleraceum X palustre. Grünberg: Haltestelle Schertendorf (H. S.)!; Kieferstädtel: gegen Schierakowitz (W.) C. palustre X rivulare. Schömberg: Kindelsdorf, Görtelsdorf; Ob.- Peilau (Sp.)! Serratula tinctoria. Hohenfriedeberg: Quolsdorf (Z.); Leobschütz: Saliswalde (M.)!, Neustift (M.). Centaurea rhenana. Troppau: Gilschwitz (M.). Il. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 155 + €. solstitialis. Liegnitz: an der Katzbach (Kn.); Breslau: Loheufer bei Hartlieb (D.). Hypockoeris glabra. Hotzenplotz: „Schöne Lene“ (W.)! H. maculata. Leobschütz: Löwitz (M.). Trapogon orientalis. Frankenstein: mehrfach, z. B. bei der Schloß- ruine, Olbersdorf (B.)! Scorzonera humilis. Priebus: zwischen Ob.-Hartmannsdorf und Ob.- Ullersdorf (Ba.)!; Grünberg: Barndtsche Mühle (H. S.)!; Frankenstein: Bautze, Neu-Grochau (B.)!; Nicolai: Jamnatal bei Althammer (W.)! Chondrilla juncea. Strehlen: Riegersdorf (S1.); f. latifolia Grünberg Patzgall (H. S.)! Lactuca Scariola. Frankenstein: mehrfach; Wartha: gegen Giers- dorf (B.)! Prenanthes purpurea. Leobschütz: Katerberg bei Peterwitz (H. M.)! Crepis succisifolia. Schönau: Ludwigsdorf; Hirschberg: Rohnau (Kr.); Schömberg: Kindelsdorf; Gnadenfrei: mehrfach (Sp.)! Hieracium floribundum. Leobschütz: Eichberg bei Comeise (M.)! H. aurantiacum. Kupferberg: Rotenzechau (Kr.). H. praealtum f. fallax. Gleiwitz: Labander Kalkbruch (W.)! H. Auricula X Pilosella. Alt-Gleiwitz: Viehhutung (W.)! H. flagellare X Pilosella. Wie vor. (W.), zugleich mit H. flagellare X pratense (W.)! H. floribundum X Piülosella. Leobschütz: Eichberg bei Comeise (M.)! H. Pilosella X praealtum,. Alt-Gleiwitz: Viehhutung, auch von H. praealtum v. Bauhini (W.)!; Jägerndorf: Pfaffenberg (M.)! H. Pilosella X pratense. Gleiwitz: wie vor. (W.)! Dann berichtete Herr Th. Sehube über Phaenologische Beobachtungen in Schlesien im Jahre 1913. Wenn ich in diesem Jahre — wie es auch in den nächstfolgenden geschehen soll — nicht die vollständige Liste aller Beobachtungen bringe, so beruht dies nicht etwa, wie vielleicht mancher glauben möchte, darauf, daß sie wegen des so unregelmäßigen Verlaufs der Pflanzen- entwickelung von den Mittelwerten z. T. stark abweichen; es müssen selbstverständlich auch die Anomalien berücksichtigt werden. Ich möchte nur, einem wiederholt geäußerten Wunsche gemäß, erst nachdem sich das Material aus mehreren Jahren angesammelt hat, dieses in einer größeren Übersicht zusammenstellen. Ich hoffe, daß die Herren Mit- arbeiter sich mit dieser Abänderung einverstanden erklären werden; 156 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. neue Formulare werde ich ihnen jedesmal mit einem kurzen Berichte zu- senden. Die mir eingesandten Blätter werden sorgfältig beim Herbar der Schles. Gesellschaft aufbewahrt werden. Es haben sich im letzten Jahre beteiligt die Herren Lehrer Höhn (Hoyerswerda), Rakete (Rotwaser OL), .Klemt (Bunzlan), Liersch (Haynau), Seminarlehrer Hoppe (Liebental), Privatlehrer Rühle (Wigandstal), Oberlehrer Kruber (Hirschberg), Oberinspektor Nitschke (Rawitsch), Lehrer Pfeiffer (Steinau a. O.), Landwirt- schaitslehrer Zahn (Brieg), Garteninspektor Kiekheben (Breslau), Hausbesitzer Rösner (Bad Langenau), Stadtförster Elsner (Reinerz), Lehrer Höflich (Sorowski,, Kotschy (Belschnitz, Heimann (D.-Krawarn), Hüttenobermeisterr Czmok (Gleiwitz) und Lehrer Tischbierek (Beuthen); ihnen sei auch hier für ihre Mühewaltung bestens gedankt! Die Witterung zeigte, wie schon oben angedeutet, ganz ungewöhn- liche Wechselfälle. Die schon in der 2. Hälfte des Februar und nament- lich in der 1. des März wiederholt erheblich über den Durchschnitt hin- ausgehende Wärme wurde abgelöst durch beträchtliche Kälte: so sah ich z. B. am 8. III. auf einer Reise nach Frankenstein in der Umgegend von Nimptsch überall blühende Primula elatior, noch während der Fahrt aber setzte heftiges Schneetreiben ein, so daß am nächsten Tage auf den tief verschneiten Wegen ein Ausflug undurchführbar war. Doch bald danach trat wieder ein Umschlag nach der andern Seite in extremst®r Weise ein: ein so wunderbar schöner Ostersonnabend, wie ihn uns der 22. IH. brachte (ich beobachtete an ihm bei Wartha u. a. blühende Arabis arenosa!), dürfte in den meteorologischen Annalen noch nie vor- her verzeichnet worden sein. Die um den 10. IV. einsetzenden Nacht- fröste richteten daher schon großen Schaden an, recht bedauerlich waı auch, daß auf die erneut überhohe Temperatur der 1. Maihälfte nochmals — gerade zur Eröffnung der Jahrhundertausstellung — regnerisch kühles Wetter eintraf. Auch Juli und August waren nur an wenigen Tagen regenfrei und von normaler Wärme, so daß sogar bei Breslau in den ersten Septembertagen noch Weizenfelder des Schnittes harrten. Selbst die Verfärbung ging sehr ungleichmäßig vonstatten; höchst auffallend war, daß schon in der 2. Augusthälfte in den verschiedensten Teilen der Provinz Ahornbäume (vorwiegend Acer platanoides, doch auch einige der häufig gepflanzten Nordamerikaner) an einzelnen Ästen — meistens, doch durchaus nicht immer, an der Südseite der Krone — prächtig um- gefärbt waren, während die Hauptmenge ihrer Blätter das Grün bis in den Oktober hinein bewahrte. Die plötzlich gegen den 11. X. einsetzende II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 157 Kälte brachte ziemlich reichlichen Laubfall, doch hielt wegen der ver- hältnismäßigen Milde und Feuchtigkeit der beiden letzten Monate viel- fach die Belaubung bis zur Weihnachtzeit aus. Zum Schluß gab Herr Th. Schube Nachträge zum Waldbuch von Schlesien. Daß der vorliegende Bericht wieder einen recht stattlichen Umfang angenommen hat, beruht zum nicht geringen Teil auf einer Unterstützung durch Seine Exzellenz den Herrn Oberpräsident Dr. von Günther. Im Auftrage des Schles. Bundes für Heimatschutz hatte ich bei Herrn Ober- baurat Nakonz, dem Oderstrombaudirektor, wegen Beschützung der im Oderüberschwemmungsgelände selegenen „Naturdenkmäler“ vorge- sprochen, die bei strenger Innehaltung der Vorschriften sämtlich be- seitigt werden müßten. Er legte meine ihm auf seinen Wunsch gemachte Eingabe dem Herrn Oberpräsidenten, als dem Chef der Oderstrombau- verwaltung, vor, und dieser hat nun nicht allein uns tunlichste Be- schützung alles in Betracht Kommenden zugesagt sondern auch durch die Wasserbauämter ein umfangreiches Verzeichnis der in ihrem Ver- waltungsbereiche vorkommenden Objekte ausarbeiten lassen und mir im Februar d. J. zugesandt. Es sei mir gestattet, Seiner Exzellenz auch hier für dieses Eintreten für den Naturschutz — unsere Strombauverwaltung geht damit, soweit ich in Erfahrung bringen konnte, allen übrigen der Monarchie voran! — den aufrichtigsten Dank auszusprechen. Obgleich jenes Verzeichnis manchen alten Bekannten enthielt, waren (darin doch auch zahlreiche Stücke genannt, von denen ich bisher nichts wußte. Freilich konnte ich diese Mitteilungen nicht ohne weiteres für den vorliegenden Bericht verwerten, denn einerseits waren die Angaben über Größe und sonstige Eigenschaften der Bäume meistens recht un- bestimmt gehalten, andererseits waren diejenigen über die Lage nur für Benützer von Schiffahrtgelegenheit, nicht aber für „Landratten“ ver- wendbar. Bekanntlich sind dem Laufe der Oder entlang von ihrem Ein- tritt in unser Land an gerechnet von Kilometer zu Kilometer Pfähle mit Querlatten aufgestellt, aus deren Nummern die zurückgelegte Strecke ersichtlich ist; auf diese, von denen ein großer Teil vom gegenüberliegen- den Ufer aus, zumal bei weit zurückliegendem Deich und bei Überflutung des Zwischengeländes, nicht zu erkennen ist, waren die Lageangaben be- zogen. Nun habe ich mir zwar auf dem Hydrographischen Bureau unter mir gütigst bewilligter Benützung der dortigen Karten die Lage der in Betracht kommenden Signallatten auf meinen Meßtischblättern usw. ein- getragen, doch blieben — allein schon hinsichtlich der Auffindung — 158 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Schwierigkeiten genug übrig. Hierzu kam noch, daß ich gerade während der Hauptwanderzeit wochenlang ans Krankenlager gefesselt uni während der noch weit längeren Genesungszeit zu größeren Ausflügen unfähig war, sowie, daß hierauf bis in den Oktober hinein günstiges Wetter kaum einmal zwei Tage lang aushielt. Nun, ich habe trotzdem fast alles Mitgeteilte besichtigt und dabei noch mancherlei Übersehenes aufgefunden, außerdem aber noch viele Exkursionen außerhalb des Odergeländes ausgeführt, endlich auch wert- volle Unterstützung durch ältere und neue Freunde dieser meiner Arbeiten für die Heimat erhalten. Indem ich auch ihnen allen herzlich danke und zugleich um weitere Hilfe bitte, möchte ich noch mitteilen, daß ich auch den 2. Teil der hierher gehörigen Tätigkeit, das Abhalten von jeweils passend gewählten Vorträgen zugunsten der Förderung des Verständ- nisses unserer „Naturdenkmäler“ und ihrer allgemeineren Wertschätzung, nicht außer Augen gelassen habe: meine Glasbildersammlung, jetzt auf rund 1000 Stück angewachsen, wurde auch im verflossenen Jahre viel- tach, darunter auch achtmal in verschiedenen Städten der Provinz be- nützt; einige dieser Vorträge sind auch im Druck erschienen, außerdem auch mehrere andere auf den schlesischen Naturschutz bezügliche Auf- sätze, besonders in der Zeitschrift unserer Landwirtschaitskammer. S. 14. Brieg. Auf der Mühleninsel ansehnliche Pappeln, die beiden größten (Umfang 41/, bezw. 4 m), mit prächtiger Kronenentfaltung, im östlichsten Teile. Ss. 14. Carlsmarkt. Auf dem rechten Stoberufer, gegen Kalk- berg, mehrere Dutzende starker Eichen, die meisten von 3—4 m U., eine erheblich stärkere unmittelbar beim Eisenbahnübergange; die stärkste (U. fast 5 m) ist eine der westlichsten. S. 14. Mangschütz. Auf einigen der Birken an der Heerstraße: gegen Leubusch zahlreiche, z. T. recht ansehnliche Hexenbesen. S. 15. Camenz. Die *,Sultaneiche‘“ hat jetzt 5,15 m U.; an der: fleerstraße gegen Dörnäorf steht nicht weit von ihr ein Eichenzwiesel von 5,50 m Umfang. Im Pilzwalde, ganz nahe dem Wege südlich vom Haupt- wege, die „Königsbuche‘“ (U. 3,30 m); im Park, unweit des Mausoleums, mächtige Kiefern, die * stärkste hat reichlich 2 m U. und eine sehr regel- mäßige Krone. S. 15. Giersdorf. Im Langen Grunde schöne Fichten; etwas: unterhalb des oberen Ausgangs vor Nd.-Eichau ein Granitfindling von etwa 1/, cbm Inhalt. Auf dem rechten Ufer des Höllenbachs, dicht an der Grenze gegen Gabersdorf, eine herrliche *Trauerfichte von 32 m Höhe und. ».17 m Umfang. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 159 S. 15. Heinrichswalde. Am Wege gegen die Molchkoppe Mistel auf Tanne. S. 15. Johnsbach. Gegenüber der Zellulosefabrik einige statt- liche Fichten; auf dem Grundstücke Nr. 30 zwei wohl ursprüngliche Eibenbäumchen. S. 15. Lampersdorf. Im Garten des Pfarrhofes eine "Linde, entstanden aus 7 am Boden und teilweise bis in 21/, m H. verwachsenen Stämmen von 2—3!/, m U., vielleicht den Stockausschlägen eines uralten Baumes. — Auf der Westseite des Schloßparkes zahlreiche alte Linden, unweit seines Nordrandes (beim Lindenturm) die *,Fleischerlinde‘“, eine Winterlinde, die einst 5 m U. gehabt haben muß, von der aber fast der ge- samte Holzkörper und große Stücke des Rindenmantels verloren gegangen sind; 2 Adventivwurzeln im Innern unterstützen den Rindenrest im Tragen der noch ziemlich ansehnlichen Krone. Im Parke u. a. 2 etwa 150-jährige Eiben, aus der Forst stammend, in der die Art früher viel- fach vertreten war. An dem Wasserlaufe, der unweit des Kirchhofes ins Weigelsdorfer Wasser mündet, zahlreiche Kopfweiden, von denen * eine, etwa 500 m vom Dorfrande entfernt, eine Eberesche von 5 mH. und !/, m U. trägt. — Unweit des Steins 15,0 der Volpersdorfer Heer- straße führt nordwärts ein Weg nach dem Steinbruch am Maulberg; an ihm steht, kaum 100 m nach seinem Beginn, eine *Fichte von 31), mÜ. und reichlich 40 m H. sowie 150 Schritt weiterhin eine sehr schöne Tanne von 21/, m Umfang. Am Kretschamberg (südlich vom Böhlergrund), an einem alten Hüterwege, 2 ansehnliche *Buchen, die in 8m H. durch einen starken Ast unter einander zusammenhangen. S. 15. Maifritzdorf. Die „Buchen“ sind ein für die jetzigen Forstverhältnisse ganz ungewöhnlich ausgedehnter reiner Buchenbestand, die meisten scheinen 40—50 Jahre alt zu sein, doch finden sich auch Stämme von reichlich 2 m Umfang. Ss. 16. Wartha. Am Rammelsweg, im oberen Teile, wenig ober- halb der Abzweigung des Mittelweges, eine schöne Buche von 3,08 m U.; am Neuen Kammweg (kurz nach seinem Beginn, linkerhand) eine *Harfentanne; am Alten Kammwege Mistel auf Tanne. S. 18. Mühldorf. Am Wege vom Rabensteingasthaus gegen Poditau, bald nach dem Eintritt in den Wald, eine Buchengruppe mit Stamm- und Astverwachsungen, daselbst auch einige starke Kiefern. S. 19. Poditau. Im Gutshofe sind 3 fast kugelige Sandstein- blöcke (nicht Findlinge, sondern dem Heuscheuergebirge oder — wahr- scheinlicher — den Kieslingswalder Schichten entstammend), darunter 2 von fast 1 m Durchmesser, aufgestellt worden, die unweit Morischau. 160 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. aus den alten Neißeschottern ausgegraben wurden. Am Steilhange des rechten Neißeufers, wenig Östlich von der Straßensprengung oberhalb der Neißebrücke, eine *Buche von etwa 3 m U. mit einer mächtigen Maser. S. 21. Ullersdorf. An der Straße nach Neu-Waltersdorf, etwa 100 m vor dem Bahnübergange, rechts vom Wege, eine Kopfweide mit zahlreichen Himbeersträuchern als Überpflanzen. S. 21. Austen. Hart an der Oder, gegenüber der Bartscher Latt- ecke, eine schön gewachsene Linde. Ss. 22. Karpenstein. Unterhalb des Forsthauses, unweit des Weges nach Herzwald, eine *Linde von 4 m U., innen hohl, mit eigen- tümlichen Rindenzerfall, der ihre Benützung für Jagdzwecke ermöglicht. S. 23. Landeck. Eine der Linden der Allee zwischen Albrecht halle und Morgenpromenade trägt einen Tintenbeerenstrauch (Lonicera nigra), die südlichste der großen Urlen an der Kurpromenade einen Hirschholderstrauch als Überpflanze; kleine Ebereschen kommen vielfach in ähnlicher Lage vor. Ss. 25. Neu-Lomnitz. Auf der 2. Besitzung abwärts von der Abtrennungsstelle des Pohldorfer Weges eine schön gewachsene Eibe von 5t/, m H. und 0,55 m U.; an der westlichen Begrenzungshecke des süd- westlichsten Grundstücks (unmittelbar an Kol. Ranserberg angrenzend) eine andere von 6 m H. und ?/, m Umfang. S. 25. Nesselgrund. Im Distr. 285, ein wenig oberhalb des „Krummen Eichweges‘“ eine prächtige *Buche von 3 m Umfang. S. 25. Neubrunn. Die im vorigen Berichte genannte *Kopi- weide, auf der sich die Birke (von 5 m H. und reichlich !/, m U.) befindet, steht ganz nahe dem Fußpfade am Bach im unteren Teile des Dorfes. S.25. Pohldorf. An der Kreuzung des westlichen Dorfweges mit dem vom Neugebauerschen Gute (auf dem die große Eibe steht!) kom- menden Feldweg steht eine Kopfweide, die eine Winterlinde als Über- bäumchen trägt. S. 25. Ranserberg. Auf dem untersten Grundstück (Exner) einige Eiben aus gemeinsamem Stocke, darunter 3 starke Stämme (der stärkste hat fast 2 m U.); am Waldrand oberhalb des Gehöftes stand bis 1866 eine sehr große Eibe, deren nach Fällung verbliebener Stock mehrere neue Ausschläge getrieben hat. Unterhalb des Gehöftes, am Steige nach Neubrunn, ein starker Feldbirnbaum. S.26. Seitendorf. Vor dem westlichsten Gehöft eine vollkronige *Urle von reichlich 3 m Umfang. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion, 161 S. 838. Militsch. Am Wege von der Heubrücke (an der Bade- anstalt vorbei) nach dem Bahnhof eine Eiche von 5t/, m Umfang. 2 S. 37. Wallkawe. Unweit des Forsthauses, dicht am Wege von Karlstadt nach Zwornogoschütz, ein Haselbaum von 0,70 m Umfang. S. 88. Belmsdorf. Südlich vom Dorfe, auf der Wiese gegen Marienhof, und an dem nördlich angrenzenden Damme zahlreiche statt- liehe Eichen, die * stärkste (auf der Wiese) hat 5 m U.; an der dortigen Brücke über die Studnitz 2 *Silberweiden von 4 bezw. 3!/, m U., die eine mit mehreren Ebereschen, die andere mit einem Faulbaum als Überpflanze. Unter den Eichen in dem nördlich angrenzenden Gehölz hat eine 5!/, m Umfang. S. 45. Dirsdorf. Auf einer Wiese an der Lohe, hart an der Grenze gegen Kunsdorf, eine *Pappel von 5,12 m Umfang. S. 45. Kl.-Ellgut. Rund um den Gutshof zahlreiche alte Bäume, am beachtenswertesten die Erlen, von denen die * stärkste 3,70 m Ü. aufweist. S. 47. Mittel-Mühlatschütz. Auf einer anmoorigen Wiese nördlich vom Dorf ist ein granitischer *Findlingblock von fast 2 cbm Inhalt ausgegraben worden; er soll an die nahe Straße nach Laskowitz geschafft und als Denkmal der Jahrhundertfeier verwendet werden. S. 47. Stradam. Einige 100 m südlich vom Gutshof Ob.-Str., auf freiem Feld, eine Gruppe von dicht beieinander stehenden Rüstern, 12 größeren (die stärkste hat 3 m U.) und zahlreichen kleineren, die zu- sammen ein äußerst imposantes Kronendach ergeben. In Mitt.-Str., beim Straßenstein 2,5, eine Winterlinde von reichlich 5 m U.; etwa 100 m süd- lich vom Straßenstein 3,7 eine *Bruchweide von 31/ Ss. 47. Wiesegrade. Unter den zahlreichen hochgewachsenen Bäumen des Gutsparkes sind besonders einige Erlen (bis zu 3 m U.) hervorzuheben. S. 49. Ohlau. Unterhalb des Mühlgrabens, fast gegenüber dem Kilometerzeichen 216, eine stattliche Rüster (U. reichlich 3 m, wegen üppigen Stockausschlages nicht genau festzustellen). Knapp 100 m ober- halb Schleuse I eine *Pappel von 6!/, m U., deren Stamm, obgleich schwer beschädigt, doch noch eine dichte Krone trägt. An der Südwest- ecke des Wäldchens im Nordwesten der neuen Schleuse eine *Bruchweide von 41/, m Umfang. S. 49. Gr.-Tiergarten. Beim Gebäude des Strombauwarts eine ungewöhnlich schöne Eiche (U. vorläufig allerdings erst etwa 21/, m). S. 49. Bertholdsdorf. Am Eingange zum kathol. Kirchhot eine Linde von 5,80 m U., mit sehr ausgedehntem Wurzelanlauf. 1913. Kl m Umfang. D) y- 169 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. S. 49. Langenbielau. Um die Kaiser Wilhelms-Höhe (Stein- häuser) mehrfach Mistel auf Tanne. S. 49. Langseifersdorf. Im. Gutshofe, südlich von der Schloßruine, eine Silberpappel von reichlich 4 m Umfang. S. 50. Schmiedegrund. Bei der Försterei (früher Gasthaus), in den ehemaligen Anlagen, fast genau gegenüber dem Straßenstein 11,5, cine Buche, von der ein Ast, bogig gekrümmt, wieder in den Stamm ein- gewachsen ist. S. 55. Bartsch. Zwischen den Kilom.-Zeichen 359 und 360 an- schnliche Eichen (bis zu 4 m U.); unterhalb 360, in der „Steurige‘, beim Grenzgraben zwischen Bartsch und Urschkau, die „Schafeiche“ (U. 5,63 m, am Wurzelhals über 7 m). Am Wege nach Kulm große Linden. S. 56. Borschen. An der Wohlauer Heerstraße, bei Stein 5,2, eine hübsche Waldstelle mit Eichen bis zu 4 m U., ein freundliches Bild in dieser Kieferneinöde. Ss. 56. Brödelwitz. Auf der Höhe westlich der Straße nach Kulm eine jedenfalls sehr alte * Kiefer von sonderbarem Wuchs; bei kaum 6 m H. hat sie 2,10 m U. und eine ungewöhnlich breite Krone. S. 56. Dieban. Die * größte der Eichen an der Ostseite des Sees (ein wenig nördlich von seiner Mitte) hat 7,10 m Umfang. S. 56. Gurkau. Etwa 500 m westlich von G., vom „Mittelweg“ (nach Weissig) 100 m nördlich, auf einer Schonung 2 Findlingblöcke, die „Adlersteine“; der größere, quarzitisch, ragt mit etwa 6 cbm aus dem Boden, der kleinere, von rotem Granit, liegt nur 17 Schritt davon entfernt. S. 56. Kl.-Gaffron. Sowohl am West- wie am Ostende des Dorfes je eine sehr stattliche Kiefer; die letztere hat reichlich 3 m Umfang. S.56. Lampersdorf. Zwischen dem Forsthause „Waldvorwerk“ und dem Deich eine anscheinend als Überhälter ausersenene Eiche von 4 m Umfang. S. 56. Ransen. An der Straße nach Zedlitz, an der Ostseite des Waldes, eine Eiche von reichlich 4 m U., leider teilweise ausgebrannt, am Westrande 2 etwas schwächere, aber gut erhaltene; aus dem Parke sind noch stattliche Rüstern, Silberpappeln und eine Robinie von fast 4 m U. zu erwähnen. :» S. 57. Steinau. Am Westrande des großen Angers, halbwegs vor dem Schäfer-Forsthaus, die *,Umgehkiefer“; der bedeutende Umfang (reichlich 23/, m) wäre noch erheblich größer, wenn nicht der Stamm auf der einen Seite — wohl durch Eisgang bei Überschwemmungen — stark beschunden wäre. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 163 Ss. 57. Wilhelminental. Die große *Eiche (am Wege vom Vorwerk gegen die Oder), deren Umfang ich früher — von der Nistitzer Lehne aus — nur auf reichlich 6 m geschätzt, hat fast genau 8 m; sie trägt einen Rosenstrauch als Überpflanze. Näher dem Vorwerk ein Feld- birnbaum von 21/, m U.; an der Lehne hinter dem Hause eine alte Kiefer mit freigelegtem Wurzelwerk (ähnlich der Krüppeltanne von Sawade (vgl. Jahrg. 1910). 1. Abb. Riesenwacholder im „Kohlholz‘ ‚bei Rauscha. S. 57. Zedlitz. An der Dorfstraße große Linden (bis 41/, m Ü.) und Roßkastanien, unter den letzteren eine mit mächtigen Kropi- bildungen; am Ostende des Dorfes, unweit des Weges nach Ransen eine schöne Eiche von 4 m Umfang. 8.58. Lorenzberg. Im nordwestlichsten Teile des Waldes ragt hoch aus dem übrigen Bestand eine *Tanne von reichlich 30 m H. und 2,80 m U. heraus; sie steht etwa halbwegs zwischen dem iWestrand und der südwärts gerichteten Hauptlinie. | 164 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. S. 61. Willme. Im Gutspark eine Eiche von 33] licher Krone. S. 68. Distelwitz. An der Ostseite des *,Breiten Steins“, der hier fast senkrecht abfällt, ist neuerdings durch weitere Ausgrabung in fast 4 m Tiefe der untere Rand erreicht worden. Am U. mit herr- S. 68. Fürstl.-Niefken. Im nordöstlichsten der zusammen- hangenden Gehöfte (es folgen nordwärts noch 2 einzeln liegende) starke küstern, darunter eine von fast 5 m Umfang. Ss. 69. Kraschen. Im Gutspark im nördlichen Teil eine *Silber- pappel von 5 m U., im südlichen starke Eichen, darunter eine von 5 m und ein Zwieselbaum von fast 6 m Umfang. S. 70. Jaeckel. Am Südrande des „Neuen Teiches“, am Wege von Liebenau nach Riemberg, 2 stattliche Eichen nahe bei einander, die * größere hat fast 5 m Umfang. S. 73. Leubus. Fast 500 m südlich von der Viehbrücke, gegen- über der Südostecke des Klostergeländes, dicht bei einander 2 mächtige “Eichen, Andreas- (U. 51/, m) und Marieneiche (U. fast 5 m). Ss. 81. Rosenthal. Im Garten des Stellmachers (Pohl) ein Spindelbaum mit einem Stamm von 0,63 m U. in 1 m H.; dicht darüber beginnt die Kronenbildung. S. 83. Klautsch. In dem Oderwalde, etwa 50 m vom Ufer und 100 m abwärts vom Stromsignal 385, die *,„Kronenkiefer“, mit hohem Schafte (U. 3,10 m), der sich leider in 8m H. zwieselt; trotzdem herrliche Kronenbildung! Am besten zu erreichen, wenn man vom Deichstein 5.2 aus sich auf dem schmalen Steige südostwärts durchschlägt. Daß ich sie trotz der Dichte des umgebenden Laubwaldes und der Überschwemmung seines größten Teils aufgefunden und trotz Mückenplage sogar eine leid- liche Aufnahme erzielt habe, ist „ein wahres Wunder“. Herr Direktor Wolff (Glogau) hat mir nachträglich eine noch bessere Aufnahme ver- schafft. S.83. Rietschütz. In der sonst recht kläglichen Mühlheide beim Eintritte des Weges nach Raudten eine als Überhälter belassene Kiefer von reichlich 2 m Umfang. S. 85. Rauscha. In Ob.-R., im „Kohlholz“ (Grundstück Nr. 13), ein riesiger *"Wacholder, H. 81/, m, U. des jedenfalls aus mehreren ver- schmolzenen Trieben entstandenen Stammes dicht über dem Boden reich- lich 2 m (wegen der Dichte des Geästs nicht genau fesstellbar). (1. Abb.) S. 86. Haynau. In den Anlagen unweit des Bahnhofs 2 Hain- buchen von f. querecifolia (vgl. Waldbuch, S. 157); sie stammen vielleicht von einem spontanen Exemplar beim nahen Dorfe Petersdorf ab. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 165 S. 86. Petersdorf. vgl. vor. Außerdem ist zu nennen eine *Eiche von 61/, m U., zwischen dem Dominium und der Rackwitzmühle. S. 89. Kleinitz. Bei der (ehemaligen!) Fähre zahlreiche Riesen- eichen, darunter 5 von mehr als 6 m, die westlichste von 7,15 m U.; dabei auch starke Pappeln, diese auch im nahen „Radziwilltal“ (hier bis zu fast 6 m U.), woselbst auch Rüstern bis zu reichlich 4 m Umfang. Eine andere starke Rüster (U. 3,60 m) beim Deichsteine 2,78. Ss. 89. Loos. Am Fuße des Brauereibergs zwei ungewöhnlich schöne Pyramidenpappeln; einige derjenigen an der Heerstraße nach Saabor sind auffallend spannrückig: die größte Leiste (an einem Baume dieht vor Loos) hat 2,20 m H., 1,30 m Länge am Erdboden und in der Mitte eine Dicke von etwa 12 cm, 2. Abb. Holzapfelbaum in der Oderniederung gegenüber Vorwerk Marienhof. S. 89. Prittag. Fast gegenüber dem Vorwerk Marienhof, bei dem Deichstein 3,75, ein **Holzapfelbaum von 4 m U.; selbst der stärkste mir aus der Literatur bekannte (Nußdorf bei Vaihingen) übertrifft ihn nur um ein geringes. — Um ein Beispiel für die Schwierigkeiten zu geben, die bei Feststellung entlegener Objekte bisweilen zu überwinden sind, möchte ich ausnahmeweise einen kurzen Bericht über meine Erkundi- 166 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gungsfahrt (am 17. IX.) geben, der ersten nach fast dreimonatiger, durch schwere Krankheit aufgenötigter Ruhezeit. Wetter klar, doch starker Ostwind; die Wege auf dem rechten Oderufer wegen Durchweichung un- brauchbar, daher fast ausschließlich Fahrt auf den begrasten Deichen. Eisenbahnbenützung bis Nittritz, dann Radfahrt über Saabor zur Looser Fähre. Bei Lodenberg (vgl. Jahrgang 1910) gelang die Aufnahme der “Rieseneiche (U. 8!/, m) an der Südseite des Vorwerks. Nunmehr zu der Apfelbaumstelle; die Rückfahrt nach Lod. und die Weiterfahrt zur Rleinitzer Fähre (s. 0.) durch Gegenwind sehr erschwert. Daselbst höchst unangenehmer Aufenthalt durch vergebliches Nachforschen nach der (eingegangenen!) Überfahrtgelegenheit; die doppelte Einzeichnung auf dem Meßtischblatt erwies sich als besonders unheilvoll. Daher mußte ich den geplanten Besuch der Rieseneiche beim Lippvorwerk, von der ich 1910 (um 12 h) der ungünstigen Belichtung wegen nur unvollständige Photographien erreichen konnte, diesmal aber (um 3h) ein Vollbild hätte erzielen können, aufgeben und durfte froh sein, mit dem Umweg über Milzig, wo ich endlich für ein Weilchen Ruhe fand, noch den Nachmittag- zug nach Glogau und dort den Schnellzug nach Breslau zu erreichen. Recht fatal war, daß ich, infolge der langen Entwöhnung etwas ungewandt geworden, beim Absteigen in Kleinitz ausglitt und mir eine Verstauchung des Schlüsselbeingelenks zuzog, die sich monatelang fühlbar machte. Ob- gleich die Radfahrt kaum 50 km ausmachte, war es doch eine der an- strengendsten, die ich durchgeführt; man begreift leicht, daß mir das schlechte Wetter der nächsten Tage gleichgültig war, da ich doch nichts hätte unternehmen können. Die nächste Exkursion, eine Fußwanderung von 40 km, fand am 27. statt: von Przywor über Chorulla, Rogau, Krappitz und Ottmuth nach Gogolin und von Kandrzin über Pogorzelletz, Alt-Cosel, Landsmierz und Belk nach Birawa (s. u.). S. 89. Saabor. Am Wege nach Ludwigstal („Schwarzer Weg‘) außer den großen Pappeln auch Rüstern, darunter solche von 31/,—83#], m U.; am Waldrande westlich von Saabor eine Esche von 4,18 m Umfang. S. 90. Giersdorf. Am Nordabhange der „Kippe“ (unweit der Linkemühle) ein #Wacholder von reichlich S m H., bis 2 m H. astrein, U. in Brusthöhe 0,50 m. S. 90. Grunau. Die *Eberesche auf der Kopfweide im 2. Wiesen- tälchen nördl. am Orte, hat 51/, H. und fast !/, m U., auch eine der obersten Kopfweiden im 1. Tälchen trägt eine schwache Übereberesche von 11/, m H.; dasselbe gilt von der *,Kosakenlinde“, die jetzt 5,15 m. U. aufweist. an der 1. Wendung (von unten) Am Spitzberg trägt eine kleine Buche des Touristenweges — eine auffällig große Maser. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. le S. 94. Reibnitz. Im Tiefen Grund, am westlichen Rand einer kleinen Waldparzelle östlich von der Galgenhöhe, 200 Schritt westlich vom Bache (bei Z. 364 des Meßtischblattes), steht auf einer Kopfweide ini m H. eine *Fichte von 7 m H. und 0,55 m Umfang. S. 95. Seidorf. Bei der Försterei an der Annakapelle eine schöne *Urle (U. 3,70 m), außerdem alte Fichten und Tannen. Ss. 95. Nd.-Steinseiffen. Halbwegs gegen Harthe (Gansberg) steht auf freiem Feld eine *Eiche von 5,52 m U., die größte des Riesen- gebirgslandes. 3. Abb. Weide in der Oderniederung bei Chorulla. S. 98. Trautliebersdorf. Auf dem Lehngut, dem untersten Gehöfte des Dorfes, eine prachtvolle *Linde von 61/, Umfang. S. 106. Leschwitz. Die zahlreichen Findlingblöcke der Gemar- kung, darunter mehrere von fast 1 cbm Inhalt, sind, unter reger Beteili- gung der Gemeindemitglieder und mit Unterstützung seitens des Guts- herrn, auf dem Wüsten Berg zusammengebracht und zu einer *Pyramide 1653 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. von 3!/, m H. vereinigt worden, die, einer von mir in der Zeitschr. der Landw.-Kammer gegebenen Anregung entsprechend, als Denkmal der Jahrhundertfeier bezeichnet worden ist. Ss. 106. Flachenseiffen. Auf dem Vorwerksgehöft eine *Pappel von 5,20 m Umfang. S. 109. Langenau. Beim Schlosse mehrere große Linden, über- wiegend Winterlinden, die stärkste (U. 4,50 m) an der Nordostecke des Grundstücks; auf einer an der Westseite des Baues hat sich Wilder Wein als Überpflanze eingenistet. Auf dem katholischen Kirchhofe dicht bei- einander zwei *Linden, eine Sommerlinde von 6,15 m U. mit 3 kräftigen Adventivwurzeln im Innern des hohlen Stammes und eine Winterlinde von 4,40 m Umfang. — Im „Hopfen“, einem Waldstreifen im Osten der Straße nach Flachenseiffen, zahlreiche hochschäftige Buchen, viele von 2—3 m U., die *stärkste (U. 3,50 m) an dem in halber Höhe der Lehne hinführenden Fußwege, unweit der Dampfziegelei. Daneben auch Eichen und Linden mit ungewöhnlich hohem und schlankem Stamme, namentlich die letzteren hierdurch von sehr auffälligem Wuchse. S. 111. Waltersdorf. Die große *Pappel (U. 4,85 m) steht beim Straßenstein 14,8. Im Schloßpark ansehnliche Eichen, die stärkste (U. fast 5 m) an der westlichen Umfassungsmauer. S. 111. Klaptau. Am Wege nach Schwarzau 2 in 3!/, m Höne durch einen Querast verbundene *Kiefern. Ss. 111. Gr.-Krichen. Vom Gutshof ostwärts führt eine Allee schöner alter Linden; unweit der Abzweigung des Weges nach Oberau ragt aus dem Gehölz eine Linde von 4 m U. heraus. Die große *Eiche von Kl.-Krichen, „Ernsteiche“ (U. 61/, m), steht unmittelbar an der Straße. Ss. 112. Ossig. Am Wege nach Brauchitschdorf, an der 1. Weg- abzweigung links (nach Fauljoppe) ein *Feldbirnbaum (U. 2,50 m) mit breiter Krone; am Wege nach Gr.-Krichen, unweit des Malerbergs, 2 sehr 4 ausgeprägte Armleuchterfichten. S. 112. Gr.-Rinnersdorf. Im Walde, am westlichen Wege vom Gutshofe zur Stadtziegelei, kurz vor dessen Einmündung in den Hauptweg zu ihr, ein granitischer *Findlingblock von etwa 50 cbm, viel- leicht der größte aller schlesischen. S. 112. Horka. Auf dem Kirchhofe von Ob.-H. eine hohle, an der Seite aufgebrochene, aber noch gut bekronte *Linde von (über den Spalt gemessen) 7 m U.; die eine Seite der Kirchhofmauer wird vom Laubwerke von *2 Efeusträuchern bekleidet, von denen besonders der eine einen ganz ungewöhnlich starken Stamm (U. am Grunde gegen 1 m!) besitzt. II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 169 S. 118. Mittel-Falkenhain. Im Dorfe, weithin sichtbar, eine prächtige Pappel (zu der öfters angepflanzten Populus monilifera X nigra gehörig) von 4,85 m Umfang. i 8.118. Jannowitz. Im Parke (Ostrand, am Wege) eine mächtige Rüster von 3!/, m U. mit einem ansehnlichen Hirschholder als Überpflanze; gegen den Rosengarten einige ungewöhnlich schöne Ebereschen, lie stärkste mit 1,58 m Umfang. 4. Abb. Pappel bei der Tworkauer Oderfähre. Ss. 118. Kammerswaldau. Unter den : Buchen des Parkes zeichnet sich besonders die „Schöne Buche‘ (U. fast 3 m) durch prächtige Kronenbildung aus. 8. 125. Alt-Cosel. Am Damme gegen Brzezietz zahlreiche schöne Eichen, von denen allerdings vorläufig selbst die stärksten nur wenig über 3 m U. hinausgehen. Am Deiche, dicht beim Vorwerk, 100 nı 1913, 12 E \ 3 a \ 170 Jahresbericht der Schies. Gesellschaft für vaterl. Cultur. stromabwärts von der Fähre, ein *Feldbirnbaum von 3,80 m U., etwa 250 m weiterhin stattliche Eichen, darunter eine von reichlich 5 m Umfang. S. 125. Grauden. Am Hegerhaus eine prächtige Buche von 3,40 m Umfang. S. 125. Pogorzelletz. Südöstlich vom Dorf, an einem gegen Brzezietz führenden Damme, zahlreiche stattliche Eichen, darunter mehrere von etwa 5 m Umfang. Ss. 125. Slawentzitz. Am Klodnitzkanal beim Stein 13,9 eine Pappel von 6,75 m Umfang. Ss. 126. Falkenberg. Der größte der von mir 1911 angegebenen Findlingsteine („Praschmastein‘“) ist in die Stadt geschafft und dort als Denkstein an die Freiheitskriege aufgestellt worden. S. 132. Branitz. Bei Burg-Branitz eine Pappel von 4,90 m Umfang. S. 132. Hochkretscham. An der Südseite des Dorfes eine ®Linde von 6,4 m U., die in5 m H., an der Hauptverästelungsstelle, noch erheblich stärker angeschwollen ist. S. 132. Leobschütz. Im Stadtwald, auf einer Kopfweide am Wolfsteiche, kommt Heckenkirsche (Lonicera Xylosteum) als Überpflanze vor, auf derjenigen am Bachlauf in der Nähe der Jägerndorfer Heerstraße mehrere z. T. einige m hohe Ebereschen und eine Ahlkirsche; im J. 14, aus dem schon im Waldbuche kletternder Efeu angegeben wurde, sind neuerdings an einer Stelle gegen 50 blühende Exemplare, bis zu 20 m hoch, beobachtet worden. S. 135. Chorulla. Bei der Fähre mächtige Pappeln und Weiden, besonders auffällig eine **Bruchweide von 4,80 m U., stark ausgehöhlt, doch noch recht vollkronig. (3. Abb.) Abwärts vom Gutshofe gleich- falls ansehnliche Pappeln und Weiden, diese z. T. mit Ebereschen als Überbäumcehen, auch auf freiem Feld unweit des Deiches eine prächtige Eiche von 4!/, m Umfang. 5.141. Rogau. Im Parke außer der — jetzt z. T. ausgemauerten — "Luiseneiche noch andere starke Eichen, eine besonders schöne (U. 4!/, m) am westlichen Eingange. S. 143. Lensezok. Von den Eichen am Rande des Waldes hat die größte 5,90 m U., es folgt eine von 5,50 m, die übrigen bleiben unter 5m. S. 143. Tworkau. Zahlreiche ansehnliche Eichen, besonders !n der Umgebung des „Eichwaldes‘‘ (dieser selbst enthält fast nur Jungholz!). Am Damme vom Bahnhofe gesen die Waldmühle (auch an dem gegen das Dorf verlaufenden) mehrere von 4—5 m U., an der Wegabzweigung nach 3enkowitz Feine von 5,10 m. Ganz nahe der Fähre (südlich von ihr, am II. Abteilung. Zoologisch-botanische Sektion. 171 Deiche) eine **Pappel von 7,10 m U. und reichlich 30 m Höhe. (4. Abb.) — Auch an dem wenige km aufwärts auf dem andern Ufer gelegenen Damme bei Bukau soll nach Angabe des Wasserbauamtes (s. 0.) eine mächtige Eiche stehen; leider reichte meine Zeit nicht zu ihrem Besuch aus, und meine wiederholten Anfragen bei Tworkauern und Bukauern (z. T. mit Antwortpostkarte) sind — gleich zahllosen andern — unbeachtet geblieben. 5. Abb. Die Grenzrüster bei Ujest. S. 145. Bad Jastrzemb. Von der K. Wilhelm - Buche ist nur noch der Stumpf des abgesägten Baumes vorhanden; in seiner unmittel- baren Nähe 2 andere schöne Buchen, die als Ersatz erhalten bleiben möchten. Unter den Fichten des Kurparks ist eine mit armleuchter- artigem Astwerke; schöne Fichten auch im nahen Annatale. 1.72 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater). Cultur. S. 146. Orzupowietz. An einer Waldwiese, links von der Raudener Straße, halbwegs gegen Chwallentschütz, dicht beisammen 3 Eichen von durchschnittlich 31/, m U.; 2 davon sind am Grunde und wieder in 1!/, m durch einen Querast unter sich verbunden. 4 S. 149. Gr.-Strehlitz. Eine prächtige *Pappel von reichlich 5 m am westlichen Ausgange des Parkes; auf mehreren Gehölzarten kommt Mistel vor, auffallend reichlich auf einer *Robinie im östlichen Parkteile. S. 149. Ujest. Am Grenzzaune des Schloßparkes die prächtige #*Grenzulme, mit 5,50 m U. der bisher als größte Schlesiens angesehenen vom Lippvorwerke (s. Jahrg. 1910) gleichkommend, an Schönheit ihr bei weitem überlegen. (5. Abb.) —o>2—- — — schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur. 91. II. Abteilung. Jahresbericht. Naturwissenschaften. 1913. c. Sektion für Obst- und Gartenban. &x METER BR) Bericht über die Tätigkeit der Sektion für Obst- und Gartenbau im Jahre 1912. Erstattet von den Sekretären Felix Rosen und Jelto Hölscher. Im Vordergrunde des allgemeinen Interesses stand im Berichtsjahre, in dem die Sektion 6 Sitzungen abhielt, die von der Stadt Breslau ver- anstaltete Ausstellung zur Jahrhundertfeier, mit der die großzügig und glänzend verlaufene Gartenbauausstellung verbunden war. Beteiligte sich die Sektion als solche an ihr auch nur in geringerem Maßstabe, so waren doch viele ihrer Mitglieder als beratende und beschließende Mitglieder der verschiedenen Ausschüsse tätig, das große Unternehmen nach Kräften fördern zu helfen. Mit berechtigtem Stolz können Veranstalter und Aussteller auf das gelungene Werk zurückblicken, das von der gesamten Fach- und Tagespresse rückhaltlose Anerkennung fand. Auf allen Gebieten des Gartenbaues wurden ganz hervorragende Leistungen zur Schau gebracht, und die Ausstellung gab ein recht erfreuliches Bild ven der hohen Entwickelung der Gartenkunst, des Gartenbaues und der Blumenzucht. Neben der Dauerausstellung von Mai bis Oktober fanden, meist im Ringbau der neuen monumentalen Jahrhunderthalle, verschiedene kurz- zeitige Ausstellungen statt, bei denen farbenprächtige Pflanzen und die verschiedenartigsten Erzeugnisse gärtnerischer Kunst in durchweg vor- züglicher Kultur vorgeführt wurden. Besonderer Wert wurde bei allen Sondervorführungen auf die künstlerische Anordnung des Ausgestellten gelegt. Hierbei erwiesen sich die zur Verfügung stehenden Räumlich- keiten der Jahrhunderthalle überaus brauchbar, die angestrebten Be- ziehungen zwischen Raum und Dekoration, zwischen Ausstattung und Blumenschmuck zur rechten Geltung zu bringen. An der in der Zeit vom 11. bis 19. Oktober veranstalteten großen Obst- und Gemüseschau beteiligte sich die Sektion mit einer kleinen Kollektion Äpfel- und Birnensorten aus ihrem Garten in Klettendorf, auch wurde von hier gutes Gemüse vorgeführt, das mit der silbernen Medaille der Landwirtschaftskammer aus- 1912. N 2 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gezeichnet wurde. Für das ausgestellte Obst wurde der Sektion neben der bronzenen Medaille der Landwirtschaftskammer noch ein Ehrenpreis von 100 Mark zuerkannt. — Über die Anpflanzungen im Sektionsgarten kann im allgemeinen Er- freuliches berichtet werden, trotzdem der heiße, trockene Sommer des Jahres 1911 und sein naßkalter Nachfolger die Ernteergebnisse recht . ungünstig beeinflußten. Die auch in diesem Jahre mit neueren Äpfel- und Birnensorten be- reicherten Versuchsquartiere entwickelten einen herrlichen Blütenflor, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. Leider richteten aber die veıspäteten Nachtfröste und das bis zum August anhaltende kalte, regnerische Wetter in den Obstkulturen großen Schaden an, so daß die Obsternte ihrer Menge und teilweise auch ihrer Güte nach nur gering ausfiel. Immerhin brachten einige widerstandsfähige Sorten noch eine gute Mittelernte. Kirschen lieferten fast gar keine Erträge, wie das Steinobst, mit Ausnahme der Pflaumen, vollständig versagte. Einen gewissen Ersatz bot die sehr ergiebige und auch qualitativ gute Erdbeer- und Himbeerernte. Der Klettendorfer Garten wurde im Laufe des Sommers wiederholt von Vereinen und Obstbauinteressenten besucht, wobei dem Sektions- gärtner vielfach Gelegenheit geboten wurde, über zweckmäßige An- pflanzungen und empfehlenswerte Sorten Auskunft zu geben. Der Verkauf von Obstbäumen war im großen und ganzen recht be- friedigend; die Abnehmer waren meistens Privatbesitzer. — Um die Be- arbeitung der einzelnen Quartiere mit dem Pferde zu ermöglichen, ging man zu einer anderen Pflanzweise über, die sich auch auf andere Quartiere erstrecken soll, deren Durchführung allerdings noch etwa 2 Jahre in An- spruch nehmen wird. Von den in den letzten Jahren ausprobierten Obstsorten bewährten sich von Äpfeln insbesondere Ontario, dessen blaßgelbe, auf der Sonnenseite leicht rot verfärbten Früchte sich bis zum Monat Juni halten. Der Baum hat mittelstarken Wuchs und ist sehr reichtragend. Eine vor- zügliche amerikanische Sorte, die allgemeine Beachtung ver- dient, ist: VonZuccalmagliosReinette, eine gegen Fusicladium voll- ständig immune Sorte, die eine ausgezeichnete mittelgroße Frucht liefert. Der sehr wüchsige Baum trägt früh und besonders reich. Unter den Birnen erwiesen sich nachbenannte Sorten für unsere klimatischen Verhältnisse geeignet: „nSolaner“, eine böhmische Lokalsorte, welche regelmäßig trägt. Sie ist eine hervorragende Frühbirne, deren Früchte von ausgezeichneter II. Abteilung. Obst- und Gartenbau-Sektion. 3 Qualität sind. Der Baum hat einen gesunden Wuchs, gedeiht aber nicht auf Quitte veredelt. Auch „Eva Baltet“, eine fran- zösische Züchtung, verdient eine größere Verbreitung. In der Beschaffen- heit der Früchte ähnelt sie der holzfarbigen Butterbirne, ist aber be- deutend würziger. Von den bislang sehr wenig bekannten Sorten ist „Madame Bonneford‘ hervorzuheben, deren Reifezeit in den De- zember fällt. Sie ist eine hochfeine Tafelfrucht, die sich auch zum Kochen vortrefflich eignet. Für kleinere Formen bewährte sich namentlich „Premices de Marie Lesueur“, eine Sorte von außerordentlicher Fruchtbarkeit. — Über die einzelnen Sitzungen ist folgendes zu berichten: In der am 20. Januar abgehaltenen I. Sitzung sprach Herr Professor Dr. Th- Schube über: „Ästhetisch und biologisch Beachtenswertes aus der Gehölzwelt Breslaus‘“ Vortragender zeigte an der Hand von vielen, zum Teil farbigen Bildern, welchen Reichtum an Formenschönheit die Baumwelt unserer Stadt und des Landkreises Breslau, dessen Grenzen nur wenig über- schritten wurden, bietet und wie an zahlreichen Objekten dem nachdenk- licheren Naturfreunde biologische Probleme entgegentreten. Die Reihen- tolge der Bilder erinnerte an des Verfassers „Breslauer Wald- büchlein“ (W. G. Korn), indem er mit seinen Zuhörern in Gedanken solche Spaziergänge in der Stadt ausführte, auf denen man möglichst viele Naturdenkmäler zu Gesichte bekommen kann; doch konnten auch manche sehr interessante Stücke gezeigt werden, die erst in allerneuester Zeit durch andere Naturfreunde entdeckt worden sind. Das botanisch und biologisch Wertvollste unter diesen dürfte ein Spindelbaum (Evonymus) im Dorfe Cosel bei Breslau sein, der mit 1 m Stammumfang und 5 m Kronendurchmesser wohl einzig in seiner Art dasteht. Der Redner schloß seine Ausführungen mit dem Wunsche, daß die noch vorhandenen Baumschätze möglichst lange erhalten bleiben und Neu- schöpfungen in Baumanlagen u. dergl. tunlichst dem ursprünglichen Charakter des Landschaftsbildes angepaßt werden möchten; wenn hierbei Verschönerungsverein und Heimatschutzbund Hand in Hand gingen, sei zu hoffen, daß die Wertschätzung unserer engsten Heimat und die Liebe zu ihr eine erhebliche Steigerung erfahren würde. In der I. Sitzung, die Montag, den 24. Februar, statt- fand, sprach Herr Königl. Gartenbaudirektor Brodersen, Garten- direktor der Stadt Berlin, über das Thema: 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. „Der Baum im Stadt- und Landschaftsbilde“. Vortragender wies einleitend darauf hin, daß die im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts forceierte Ausnutzung des Bodens und die rück- sichtslose Vernichtung von Garten- und Parkflächen im Innern der großen Städte eine berechtigte Gegenbewegung erzeugt habe, die auch im Innern der Städte eine freie Bauweise mit Anpflanzungen verlange, außerdem in unmittelbarer Nähe der Städte die Erhaltung von Wald- und Wiesen- flächen anstrebe. In der zweiten Richtung bewege sich besonders die Arbeit der Verschönerungsvereine, von denen der Breslauer durch seine erfolgreiche Tätigkeit weit über seine Heimatstadt hinaus bekannt sei. Für die Friedhöfe habe man schon seit den achtziger Jahren die park- artige Gestaltung gefordert. Wenn es sich nun darum handelt, für Bäume in der Stadt zu sorgen, so ist es, wie der Redner ausführte, in erster Linie wichtig, das Vorhandene zu erhalten. Schöne alte Bäume dürfen nicht, wie es früher geschah, einfach bei der Bebauung beseitigt werden, sondern die Bebauungspläne müssen auf ihre Erhaltung Rücksicht nehmen. Neue Bäume in der Stadt zu erziehen, ist keineswegs leicht, weil zahlreiche Einflüsse das Gedeihen des jungen Baumes nachteilig be- einflussen. Es mangelt an gutem Boden und frischer Luft, die Hitze irn Sommer ist zwischen den Häusern größer als im Freien, dazu kommen Staub, Beschädigungen, ungenügende Nahrungszufuhr, Verunreinigung des Bodens mit schädlichen Stoffen, die in Breslau erst kürzlich als den Gartenanlagen wenig freundlich bezeichneten Hunde, unterirdische Rohr- leitungen verschiedener Art; über der Erde werden der Astentwickelung Schranken gesetzt durch die Oberleitungen der Straßenbahnen, hohe Omnibusse, Möbelwagen u. dergl. Infolgedessen eignen sich nicht alle Bäume zum Anpflanzen in der Stadt, und zum Teil gerade nicht die ein- heimischen, denn die natürlichen klimatischen Verhältnisse Deutschlands sind eben in den Städten nicht mehr zu finden. Darum fühlen sich einige ausländische Bäume in unseren Städten noch verhältnismäßig am wohlsten und haben sich in ihnen Heimatrecht erworben, so die Akazie, die Kastanie, der Götterbaum, die Platane u. a. m. Unsere schöne deutsche Linde dagegen verträgt leider die Stadt nicht gut und verliert im Sommer schon sehr früh ihre Blätter. Vor allem sollten darum in den Städten Platanen, Akazien und Götterbaum gepflanzt werden. Die Platane ist an erster Stelle zu nennen, weil sie am meisten aushält und den ganzen Sommer hindurch ein helles, freundliches Grün trägt. Für die inneren Teile der Stadt sind alle Bäume, die größere Früchte bringen, ungeeignet, weil durch die am Boden liegenden Frucht- schalen Unfälle entstehen können oder z. B. die Jugend Unheil anrichten kann, wenn sie die Früchte vom Baume mit Steinen herunterwerfen will. IL Abteilung. Obst- und Gartenbau-Sektion. 5 Das gilt für Kastanien, Eichen, Nußbäume, noch mehr für Maulbeer- bäume, deren zertretene Früchte das Pflaster schlüpfrig machen würden. Dagegen sind alle diese Bäume zu empfehlen und von reizvollster Wirkung, wenn sie in Vorgärten stehen. Gegen Pyramidenpappeln und Weiden macht man ihre Brüchigkeit als Einwand geltend; diese Baum- arten können jedoch wegen ihrer malerischen Wirkung ebenso wie Kiefern und Fichten für Außenstraßen verwendet werden. Obst- bäume, von denen Redner besonders die gefüllten japanischen Kirschen empfahl, kommen besonders auf dem Lande in Betracht. Jedes Be- schneiden der Bäume soll nach Möglichkeit vermieden werden, nur bei Hecken ist es berechtigt. In einer langen Reihe von Lichtbildern ver- anschaulichte der Vortragende die verschiedenen Möglichkeiten der Be- pflanzung von Straßen und Plätzen mit Baumalleen, je nach dem ver- fügbaren Raum, mit und ohne Rasenflächen, sowie die Wirkung einzelner stattlicher Bäume im Stadtbildee Zum Schluß kam der Redner noch kurz auf die Bedeutung vollkommen gewachsener Bäume für die freie Landschaft zu sprechen und gedachte der vorbildlichen Be- strebungen des Herrn von Salisch auf Postel, für die Forstästhetik. Im Anschluß teilte Gartendirektor Richter mit, daß es in Breslau bereits in mehreren Fällen gelungen sei, hervorragend schöne alte Bäume, deren Fall nach den Bebauungsplänen vorgesehen war, noch zu retten. Die Platanen haben sich in Breslau infolge des rauheren Klimas nicht so kewährt wie in Berlin; junge Bäume erfroren, nur dort nicht, wo sie im Rasen standen. I Sitzung, den 19%, M3rz. Herr F. Schwabe, Leiter der staatlichen Musterstation für Vogel- schutz in Seebach, hält einen Lichtbildervortrag, bei dem Herr Pro- fessor Rosen einleitend darauf hinweist, daß die Ausstellungsleitung beschlossen habe, in der bevorstehenden Jahrhundert-Ausstellung auch die Bestrebungen des Vogelschutzes in den Ausstellungsrahmen hinein- zuziehen. Herr Schwabe, der nunmehr das Wort ergriff, betonte, daß er aus diesem Grunde nach Breslau gekommen sei, um die ersten Vor- arbeiten in Angriff zu nehmen. —- Von den drei Vorführungsarten des praktischen Vogelschutzes: Schaffung von Nistgelegenheiten, Winterfütterung und Verfolgung der Vogelfeinde, bezeichnete Vortragender die erste als die weitaus wichtigste. Sobald geeignete Nistgelegenheiten vorhanden sind, vermögen die Vögel sich selbst dort zu halten, wo sie stark verfolgt werden. Will der Mensch den Vögeln Niststätten schaffen, 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. so hat es keinen Sinn, hierfür irgend etwas Neues zu „erfinden“ —., sondern dem Vogel muß geboten werden, was er von Natur gewöhnt ist. Das gilt zunächst für die als Insektenvertilger besonders wertvollen Höhlenbrüter, für die Frhr. von Berlepsch nach dem Vorbilde leerer Spechthöhlen, die von ihnen mit Vorliebe benutzt werden, Nist- höhlen in verschiedenen Größen hergestellt hat. Sie stellen in Wahr- heit eine ideale Lösung der Wohnungsfrage für diese gefiederten Schäd- Iingsvertilger dar. Bei der Anlegung von Schutzgehölzen für Breibrüter ist es erforderlich, durch Verschneiden der Sträucher für stärkere Ver- zweigung zu sorgen. Das Schneiden ersetzt die Wirkung des Wild- verbisses, der Beschädigung durch Windbruch u. dergl., welche in den künstlich angelegten und durch Dornenhecken umfriedigten Gehölzen ausgeschaltet ist. Die dicken Quirle, die durch wiederholtes Ver- schneiden entstehen, werden von den Vögeln besonders gern mit Nestern besetzt. Im weiteren Verlauf ließ sich Vortragender über Winter- fütterung und Vogelfeinde aus, wobei er besonders die Schädi- gungen durch wildernde Hauskatzen hervorhok. Zum Schluß wies Redner noch in eindringlichen Ausführungen auf die für einige der schönsten Vertreter der Vogelwelt verhängnisvolle Mode des Tragens von Vogelfedern auf Hüten hin und forderte zu ihrer Bekämpfung auf. Der durch zahlreiche gute Lichtbilder illustrierte Vortrag wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Auf eine Frage des Vorsitzenden, wie der Vortragende die Nesträubereien der Amsel beurteile, antwortete Herr Schwabe, daß Nesträubereien bei der Stadtamsel zwar gelegent- lich vorkämen, sie seien aber nur als individuelle Ausnahmen zu be- trachten. Abgesehen davon, sei jedoch einem zu starken Überhand- nehmen dieses Vogels, durch den andere wertvolle Singvögel beunruhigt und verdrängt würden, zu steuern. Am besten erreiche man das durch Verringerung der Zahl der Weibchen, die infolge der Spätbruten oft die der Männchen übertreffe. Durch diese Maßnahme, zu der die polizeiliche Genehmigung erforderlich sei, werde auch der Gesang der Männchen verbessert. Die IV. Sitzung fand am 10. November statt, sie wurde kombiniert mit der Schlesischen Gesellschaft von Freun- den der Photographie. Das Thema des Abends lautete: II. Abteilung. Obst- und Gartenbau-Sektion. 7 „Unsere Gartenbau-Ausstellung im Farbenbilde“. (Vorführung von Autochromen). Herr Prof. Rosen eröffnete die überaus zahlreich besuchte Ver- sammlung und betonte in einer kurzen Einleitung, daß man in Breslau wiederholt versucht habe, eine große Gartenbau-Ausstellung zu veran- stalten. Leider wären die Bemühungen in den letzten Jahren stets ge- scheitert, da man früher zu schlechte Erfahrungen gemacht habe. Anders sei dies in der Nachbarstadt Liegnitz gewesen, wo insbesondere der ver- dienstvolle Gartendirektor Stämmler mit den besten Erfolgen große Ausstellungen durchführte. Aus diesem Grunde habe man sich auch bei unserer Ausstellung seine reichen Erfahrungen zunutze gemacht. Vor etwa 2 Jahren sprach Herr Stämmler an derselben Stelle über die Ver- anstaltung größerer Gartenbau-Ausstellungen und erläuterte im Anschluß hieran eine Reihe von Lichtbildern der Rosen-, Dahlien- und Schlesi- schen Gartenbau-Ausstellung in Liegnitz. Die farbenprächtigen Bilder, die hierbei gezeigt wurden, erregten damals allgemeine Bewunderung, und so sei der Plan entstanden, auch die von unserer Ausstellung an- gefertigten Bilder einem größeren Publikum vorzuführen. Diese Bilder —- durchweg Autochrome nach dem Lumi£reschen Verfahren — seien von Amateuren hergestellt, unter denen besonders Herr Sanitätsrat Dronvesenfeld, Herr Hugo Pringsheim und Herr Dr. med. Urban zu nennen seien. Die Auslese war hervorragend schön! Die Farbenpracht der Ausstellung in all ihren Phasen von der Frühjahrs- (Tulpen-) bis zur Herbst- (Dahlien-) Ausstellung, die Staudengärten, die historischen wie die neuzeitlichen Gärten, der japanische Garten, die Pergola mit dem See und .der Jahrhunderthalle sowie dem Gebäude der historischen Ausstellung im Hintergrunde zogen in wundervollen Bildern am Auge der entzückten Zuschauer vorüber. Nach Vorführung einer Serie ließ man eine kleine Pause ein- treten, die Herr Sanitätsrat Dr. Riesenfeld dazu benutzte, das Zustandekommen von Farbenphotographien zu erläutern, wobei er zum Schluß betonte, daß es leider noch nicht gelungen sei von diesen Platten Positive herzustellen. Die Möglichkeit, ein derartiges Verfahren noch einmal zu erfinden, glaubte Vortragender nicht bezweifeln zu sollen. Jedenfalls wäre hiermit noch viel Geld zu verdienen und für einen Er- finder die Möglichkeit gegeben, ein großes Kapital zu heben. Die Zu- hörer folgten auch den weiteren Serien, die nunmehr zum Teil auch in Einzelbildern (Aufnahme von einzelnen hervorragend schönen Pflanzen) vorgeführt wurden, in äußerster Spannung und dankte für die schöne Erinnerung an die Gartenbau-Ausstellung mit wiederholtem lebhaftem Beifall. 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. NV. Sıtzunge, Montae,.den.s>Dieizemiprer Herr Oberlehrer Dr. G. Dittrich gibt „Nachträge zur Pilzflora Schlesiens‘‘ (im Anschluß an die Ausstellung in der Gartenkunsthalle). Die aus Anlaß der Breslauer Jahrhundertfeier veranstaltete Pilz- ausstellung währte vom 21. August bis 10. September und um- faßte über 120 Arten, von denen etwa die Hälfte dauernd durch frische Exemplare ersetzt werden konnte. Gegen die Fäulniserscheinungen, die namentlich bei den Boleten schnell fortschritten, bewährte sich Be- sprühen mit einer schwachen Formalinmischung; dieses Verfahren er- möglichte es auch, Mutinus caninus und Ithyphallus impudicus auszu- legen. Für die einzelnen Spezies ist die Verwendung billiger Pappteller empfehlenswert; sie ermöglichen eine schnelle und bequeme Beseitigung der verfallenen Pilze und verhindern den Übergang der Fäulniskeime und besonders der pilzzerstörenden Larven, die im letzten Sommer recht zahl- reich auftraten, auf die neu ausgelegten Stücke. Wenn viele der ausgestellten wie der vorher oder nachher ge- fundenen Arten von Stellen stammten, für die sie von Schroeter nicht verzeichnet sind, so ist das nach keiner Richtung hin auffallend, viel- mehr selbstverständlich für die Gegenden Schlesiens, in denen während der siebziger und achtziger Jahre nicht oder nur wenig gesammelt worden ist. Manche Örtlichkeiten boten damals überhaupt noch nicht die Vor- aussetzungen für das Gedeihen größerer Pilze, so der heutige Südpark von Breslau, der jetzt bereits eine ganze Anzahl in der nachfolgenden Zusammenstellung auch aufgeführter Formen beherbergt. An mehreren Plätzen freilich, so namentlich in der Umgegend von Öbernigk, Trebnitz, Sibyllenort und Deutsch-Lissa, ist offenbar schon zu Schroeters Zeiten sehr eifrig nach Pilzen gesucht worden, und es ist mir daher erst im letzten Sommer, der übrigens hierfür nicht einmal besonders günstig war, gelungen, auch dort eine Reihe weniger verbreiteter Pilze aufzufinden, die in der Kryptogamenflora von Schlesien noch nicht für jene Gegenden aufgeführt werden. Für Arten, die allenthalben vorkommen, neue Fundstellen zu ver- zeichnen, halte ich im allgemeinen für überflüssig und zähle daher weiter unten nur die Spezies auf, die nicht schon bei Schroeter durch „Wohl überall“ oder ähnliche Zusätze charakterisiert oder doch, wie Boletus badius, nach meinen Erfahrungen sehr gewöhnliche Erscheinungen sind. Fine Ausnahme von dieser Regel empfiehlt sich bei Funden in den Park- anlagen der Provinzialhauptstadt und den in ihrer nächsten Umgebung II. Abteilung. Obst- und Gartenbau-Sektion. 9 gelegenen Waldungen (Strachate, Oswitzer Wäldchen), da eine möglichst vollständige Kenntnis ihrer Pilzflora für Zwecke der Materialbeschaffung wie auch zu Beobachtungen über die Vegetationsbedingungen der ein- zelnen Formen erwünscht ist. Über den letzteren Punkt läßt sich soviel sagen, daß mehrfach Pilze an einer Stelle auftraten, an der sie in einem früheren Jahre unter günstigsten Bedingungen nicht wuchsen. So fand ich 1912 in Scheitnig grüne Exemplare von Amanita phalloides an einem Platze, an dem zwei Jahre vorher bestimmt weder diese noch eine andere Varietät des Knollenblätterpilzes vorgekommen ist. Gleichfalls im Scheitniger Park, am Finkenweg, zeigte sich im letzten Jahre der seltene Mutinus caninus, der ebenso auf dem verhältnismäßig eng begrenzten Raume neu erschienen ist und vielleicht bei den mannigfachen Um- änderungen, die das Ausstellungsgelände erfuhr, dorthin verschleppt sein mag. Ähnliches kann über das Vorkommen von Psalliota coronilla auf einer neu angelegten Rasenfläche an der Uferzeile vermutet werden. Neu für Schlesien sind unter den größeren Pilzen, auf die ich mich im folgenden beschränke, fünf Arten: Boletus regius Krombh. Russula sardonia Fr. Lactaria blennia Fr. Psalliota coronilla Bull. Amanita junquillea Quel. Viele von den folgenden Nachträgen beziehen sich auf die Wälder um Reichwald, Kreis Wohlau, wo Fräulein Stein mit großem Eifer und viel Erfolg gesammelt hat; die Funde bei Neubielau, Kreis Reichenbach, sind Herrn Lehrer Henkel zu verdanken, der dort auch im „Goldenen Sieb‘ eine Pilzausstellung veranstaltete. Aus den Wal- dungen um die Teiche von Schmark-Ellguth und bei den Schlottauer Mühlen, Kreis Trebnitz, hat Herr Rektor Langner in Breslau mehrere wertvolle Beiträge geliefert. Die von Skarsine verzeichneten Arten sammelte Herr Prof. Dr. Türk bei einem Schul- ausfluge; aus Brückenberg sandte Fräulein Behuneck schöne Exemplare; eine Anzahl der von Nippern angeführten Pilze fand Herr Obergärtner Strehle. Ich selbst habe, zum Teil von Schülern unterstützt, hauptsächlich bei Obernigk und Sibyllenort, daneben auch im Breslauer Südpark und in Scheitnig, zwischen Oswitz und Ransern, um Gellendorf, Schmark-Ellguth, Wohnwitz, Trebnitz, Oels (Waldmühle), im Jeltscher Forst und am Zobten gesammelt. Wo nichts anderes vermerkt ist, wurden die Pilze im August und September 1913 gefunden, 1913. 2 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. Hie livzelkllarcierern. Leotia gelatinosa Hill. Neubielau. Morchella rimosipes DC. Strachate, Mai 1908. Helvella Infula Schaeff. Neubielau. Helvella erispa Scop. Schmark-Ellguth, September-Oktober 1913. Pezizaceen. Peziza aurantia Müll. Pavelschöwe bei Schmark-Ellguth. Otidea leporina Batsch. Schmark-Ellguth, Reichwald. Sclerotinia tuberosa Hedw. Alljährlich im April und Mai im Os- witzer Walde und in der Strachate. Thelephoraceen. Thelephora palmata Scop. Reichwald. Craterellus cornucopioides L. Zobtenberg, Neubielau. Clavariaceen. Clavaria argillacea Pers. Reichwald. Clavaria Ligula Schaeff. Schlottauer Mühlen, Wartha. Clavulina cinerea Bull. Reichwald, Neubielau. Clavariella strieta Pers. |Waldmühle 1910, Zobten, Schmark-Ellguth. Clavariella flaceida Fr. Reichwald. Sparassis ramosa Schaeff. Obernigk. Hydnaceen. Hydnum cyathiforme Schaeff. Neubielau. Hydnum melaleucum Fr. Brückenberg. Hydnum repandum L. Schmark-Ellguth. Polyporaceen. Polyporus confluens Alb. et Schw. Neubielau. Polyporus ovinus Schaeff. Brückenberg. Polyporus betulinus Bull. Groß-Wartenberg, nahe dem Wasserturm; Reichwald. Polyporus arcularis Batsch. Reichwald. Phaeoporus applanatus Pers. Skarsine. Fomes lucidus Leyss. Reichwald. Ceriomyces albus Corda. Reichwald, Minken. Suillus eyanescens Bull. Reichwald. Tylopilus felleus Bull. Reichwald, Brückenberg. Boletus luridus Schaeff. Nippern, Schmark-Ellguth; Scheitnig 1912. Ein empfehlenswerter Speisepilz; vom Satanspilz unterscheidet ihn der rote, flockig-schuppige Stiel. IT. Abteilung. Obst- und Gartenbau-Sektion. 1l Boletus Satanas Lenz. Zwischen Sibyllenort und Lossen; Schmark- Ellguth. Boletus pachypus Fr. Neubielau. Boletus regius Krombh. Schmark-Ellguth. (Neu für Schlesien.) Boletus piperatus Bull. Engelberg bei Zobten. Boletus granulatus L. Obernigk. Boletus cavipes Opat. Obernigk; Jeltscher Forst. Agaricaceen. Lentinus carneo-tomentosus Batsch. Reichwald. Lentinus cornucopioides Bolt. Neubielau. Marasmius achyropus Pers. Neubielau. Paxillus atrotomentosus Batsch. Reichwald, Neubielau. Paxillus acheruntius Humb., var. panuoides. Obernigk. Coprinus atramentarius Bull. Breslau-Südpark. Coprinus porcellanus Schaeff. PBreslauu, am Lutherkirchplatz; Obernigk, am Bahnhof. Gomphidius glutinosus Schaeff. Schmark-Ellguth. Hygrophorus conicus Scop. Obernigk, Stroppen, Zobten. Hygrophorus ficoides Bull. Sibyllenort. Hygrophorus caprinus Scop. Reichwald. Limaeium Vitellum Alb. et Schw. Sibyllenort. Limacium agathosmum Fr. Schmark-Ellguth. Lactaria volema Fr. Nippern. Lactaria mitissima Fr. Sibyllenort, Neubielau. Lactaria subduleis Bull. Oswitz. Lactaria flexuosa Fr. Schmark-Ellguth. Lactaria pyrogala Bull. Reichwald. Lactaria glyciosma Fr. Skarsine, Reichwald. Lactaria piperata Scop. Scheitnig. Lactaria torminosa Schaeff. Breslau-Südpark, Gellendorf, Schmark- Ellguth. Lactaria vieta Fr. Trebnitzer Buchenwald, Reichwald. Lactaria blennia Fr. Skarsine. (Neu für Schlesien.) Lactaria chrysorrhea Fr. Nippern. Lactaria scrobiculata Scop. Reichwald. Russula fragilis Pers. Brückenberg, Reichwald. Russula cyanoxantha Schaeff. Wohnwitz. Russula Linnaei Fr. Reichwald, 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Russula virescens Schaeff. Skarsine. Russula adusta Pers. Reichwald. Russula sardonia Fr. Gellendorf, Reichwald. (Neu für Schlesien.) Psalliota viridula Schaeff. Breslau-Südpark, Reichwald. Psalliota arvensis Schaeff. Sibyllenort, Schmark-Ellguth, Oelser Fasanerie. Psalliota silvatica Schaeff. Breslau-Scheitnig, Schmark-Ellguth. Psalliota coronilla Bull. Breslau, Rasen an der Uferzeile. (Neu für Schlesien.) Cortinarius armillatus Fr. Sibyllenort, Obernigk. Pholiota radicosa Bull. Schmark-Ellguth. Rozites caperata Pers. Schmark-Ellguth. Der Pilz wird in Oppeln regelmäßig, einmal im letzten Sommer auch in Breslau, auf den Markt gebracht. Clitopilus prunulus Scop. Schmark-Ellguth, Wohnwitz. Agaricus nidulans Pers. Minken, November 1913. Agaricus fusipes Bull. Gorklücke am Zobtenberg. Agaricus macrourus Scop. Ransern, Reichwald. Agaricus ostreatus Jacqu. Breslau-Kleinburg, Akazienallee. Agaricus flaceidus Sow. Wildschütz 1910; Oswitz. Agaricus inversus Scop. Skarsine, Schmark-Ellguth. Agarieus odorus Bull. Skarsine, Reichwald. Agaricus elavipes Pers. Laskowitz, Neubielau. Agaricus nebularis Batsch, „Michaelipilz“. Breslau - Südpark, Schwedenschanze bei Oswitz, Sibyllenort, Wohnwitz, Reichwald, Schmark- Ellguth. — Als Speisepilz sehr zu empfehlen. Agaricus bicolor Pers. Breslau-Südpark, Skarsine, Reichwald, Schmark-Ellguth. Agaricus sulfureus Bull. Skarsine, Schmark-Ellguth. Agarieus saponaceus Fr. Gellendorf, Neubielau. Agaricus terreus Schaeff. DBreslau-Südpark, Heidekretscham bei Klein-Zediitz. Agaricus flavo-brunneus Fr. Nippern, Schmark-Ellguth. Agaricus portentosus Fr. Obernisk. Cortinellus imbricatus Fr. Gellendorf. Armillaria robusta Alb. et Schw. Neubielau. Lepiota Carcharias Pers. Skarsine, Zobten, Reichwald. Lepiota elypeolaria Bull. Trebnitzer Buchenwald. Lepiota excoriata Schaeff. Sibyllenort, Reichwald. II. Abteilung. Obst- und Gartenbau-Sektion. 13 Lepiota rhacodes Vitt. Scheitnig, Ransern (im Hof des am Walde gelegenen Gasthauses), Sibyllenort, Schmark-Ellguth, Reichwald. Die safrangelbe Färbung der Lamellen bei Druck und des Fleisches im Bruch kommt dieser Art zu. Lepiota procera Scop. Strachate, Schmark-Ellguth. Amanita umbrina Pers. Gellendorf. Amanita bulbosa Bull. (Amanita viridis Pers.) Scheitnig 1912. Amanita bulbosa Bull. (Amanita Mappa Batsch.) Schmark-Ellguth, Neubielau. Amanita junquillea Quel. Mohauptmühle bei Schawoine, Kreis Trebnitz. (Neu für Schlesien.) Phallaceae. Mutinus caninus Huds. Im Scheitniger Park an zwei Stellen. Lycoperdaceae. Lycoperdon saccatum Fl. Dan. Sibyllenort. Lycoperdon echinatum Pers. Zobten, Skarsine. Lycoperdon uteriforme Bull. Sibyllenort. Lycoperdon caelatum Bull. Schmark-Ellguth. Globaria bovista L. Am städtischen Hafen in Breslau. Geaster fimbriatus Fr. Neubielau. Sclerodermaceae. Scleroderma verrucosum Bull. Sibyllenort. Pisolithus arenarius Alb. et Schw. Dyhernfurther Park. Herr Schatzmeister Max Müller gibt den definitiven Kassen- abschluß über die Ein- und Ausgaben des verflossenen Etatsjahres und legt gleichzeitig den Voranschlag für 1914 vor, der, da besondere Vor- schläge auf Abänderung nicht gemacht werden, angenommen wird. Mit herzlichem Dank für die langjährige, aufopfernde Tätigkeit wird dem verehrten Schatzmeister durch Herrn Professor Dr. Rosen Ent- lastung erteilt. Für die diesjährige Gratisverteilung von Sämereien werden die er- forderlichen Mittel bewilligt, auch erklärt sich die Sektion auf Antrag Müller damit einverstanden, daß dem Sektionsgärtner Frost der Bar- betrag von 100 Mark, den die Sektion für das im Herbst ausgestellte Obst erhielt, überwiesen werde. Herr Direktor Richter regt an, die der Sektion verliehenen Medaillen auf spätere Rechnungsformulare drucken zu lassen, wogegen sich kein Widerspruch erhebt. 1913. 3 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Vielfachen Wünschen entsprechend, wiederholten die beiden veran- staltenden Vereine die Demonstration der Farbenphotographien in einer VI. Sitzung am 15. Dezember, wobei auch prächtige Aufnahmen gezeigt wurden, die auf Veranlassung der Städtischen Gartendirektion von Herrn Gartentechniker Schädel angefertigt worden waren. Besuch und Auf- nahme waren wieder sehr befriedigend. sehlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur. Ey 9. II. Abteilung. Jahresbericht. Geschichte u.Staatswissenschaften. 1913. a. Historische Sektion. 9 = se SE NAHE — RM —%9 Sitzungen der historischen Sektion im Jahre 1913. In der Sitzung am 15. Januar 1915 hielt Herr Archivar Dr. Loewe einen Vortrag: Zur Geschichte der preußischen Staatsverträge des i8. Jahrhunderts. 1913. Schlesische Gesellschaft für vaterländische Caltır. VS 91. | 1l. Abteilung. Jahresbericht. Geschichte u.Staatswissenschaften. 1913. ı b. Staats- u. Rechtswissenschaftliche Sektion. us £ RI Bro) Sitzungen der Sektion für Staats- und Rechtswissenschaft im Jahre 1913. STtz une amade, Januar. Vortrag des Amtsrichters Dr. Neugebauer über Das internationale Eheschließungsrecht nach dem Haager Abkommen vom 12. Juni 1902. Der Vortragende führte aus, daß das Haager „Abkommen zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze auf dem Gebiete der Ehe- schließung‘“ nicht etwa ein wirkliches internationales Eheschließungs- recht darstelle. Es will vielmehr nur die Normen vereinheitlichen, die den Anwendungsbereich der einzelnen innerstaatlichen Vor- schriften über die materiellen Voraussetzungen und die Form der Ehe- schließung abgrenzen. In der materiellen Regelung des Eherechts sind die Vertragsstaaten völlig frei. So kann ein Vertragsstaat z. B. die Zivil- ehe einführen, die er bisher verboten hatte — ein Vorgang, der sich jüngst in Portugal abgespielt hat, wo nach der Konstituierung der neuen Staatsform im Jahre 1911 die Zivilehe, übrigens auch die Scheidung, eingeführt worden ist. Die Idee, ein für alle Völker gleichmäßig geltendes Recht zu schaffen, ist eben bisher nur zu einem kleinen Teil verwirklicht: im Weltverkehrs- recht, im Eisenbahn- und Postrecht. Ein Weltwechselrecht steht bevor, und ein Weltscheckrecht wird wohl nicht lange auf sich warten lassen. Die revidierte Berner Übereinkunft zum Schutze von Literatur und Ton- kunst vom 13. November 1908 und die jetzt dem Reichstag vorliegende Pariser Übereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums in der Washingtoner Revision vom 2. Juni 1911 sind ebenfalls Zeichen fort- schreitender Vereinheitlichung des Rechts, fortschreitender Zusammen- schließung der Kulturvölker zu einer großen Friedens- und Rechtsgemein- schaft. Ob gleiche Bestrebungen auf dem Gebiete des Familienrechts und vornehmlich des Eherechts möglich und ersprießlich wären, könne unerörtert bleiben; man müsse schon zufrieden sein und: es als einen großen Fortschritt gelten lassen, daß eine Vereinheitlichung lediglich von Sätzen des internationalen Privatrechts erfolgt sei. Das Haager 1913. 1 > Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cuitur, Abkommen gilt nur für die Vertragsstaaten, die es nicht nur unter- zeichnet, sondern auch ratiüiziert haben. Es sind dies Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Ru- mänien, Schweden, Schweiz, Ungarn mit Kroatien und SIavonien, aber ausschließlich Bosnien, und England. Österreich und Spanien haben das Abkommen zwar gezeichnet, aber noch nicht ratifiziert, doch ist die Ratilikation wenigstens von seiten Österreichs wohl zu erwarten. Das Abkommen enthält 12 Artikel, deren erster, in gewisser Beziehung grund- legender, lautet: „Das Recht zur Eingehung der Ehe bestimmt sich in Ansehung eines jeden der Verlobten nach dem Gesetze des Staates, dem er angehört (Gesetz des Heimatsstaates), soweit nicht eine Vorschrift dieses Gesetzes ausdrücklich auf ein anderes Gesetz verweist“. Der Vortragende gab nun eine eingehende Erläuterung der 12 Artikel des Abkommens, verdeutlichte die praktischen Konsequenzen an Beispielen und besprach auch die bei der recht verwickelten Materie zahlreich auftauchenden Zweifelsfragen. Ebenso wies er auf die mannigfachen Lücken des Ab- kommens hin, die dadurch entstanden seien, daß man zur Herbeiführung einer Einigung allzu erhebliche Eingriffe in das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten vermeiden mußte. Es fand eine Besprechung statt, an der der Oberlandesgerichts- präsident Dr. Vierhaus, Herr Professor Dr. Schott, Herr Professor Dr. Heilborn und der Vortragende teilnahmen. Sıtzune.am Hskebruar Vortrag des Rechtsanwalts und Notars Geheimer Justizrat Feige Über Gleichstellung deutscher und österreichischer Notariatsurkunden unter besonderer Berücksichtigung der Vollstreckbarkeit. Der Vortragende kam mit seinen Ausführungen zu folgendem Er- gebnis: Die rechtliche Gleichstellung der in Österreich oder in dem Deutschen Reich errichteten Notariats- und gerichtlichen Urkunden kann und soll in beiden Reichen unter der Voraussetzung eines Über- einkommens der beiden Staaten über folgende Bestimmungen erzielt werden: 1: Die nach den Gesetzen des Errichtungsortes ausgestellten gericht- lichen und notariellen Urkunden und Beurkundungen sind ohne weitere Beglaubigung in beiden Staatsgebieten hinsichtlich Echtheit und Beweis- kraft (ihres öffentlichen Glaubens) gleichzuhalten. III. Abteilung. Staats- und rechtswissenschaftliche Sektion. 3 “) Ze Die nach den Gesetzen des Errichtungsstaates vollstreckbaren ge- richtlichen und notariellen Urkunden sind wechselseitig vollstreckbar, wenn darin eine Schuld an Geld oder anderen vertretbaren Sachen fest- gestellt ist, die Person des Berechtigten, des Verpflichteten, der Rechts- grund, der Gegenstand und die Zeit der Leistung genau bestimmt sind, sofern sich der Verpflichtete in der Urkunde der sofortigen Zwangsvoll- streekung unterworfen hat. Aus der Urkunde muß hervorgehen, daß die Urkundsperson den Verpflichteten entweder persönlich kennt, oder daß und wie sie sich die Gewißheit über seine Persönlichkeit verschafft hat. Vollmachten, auf Grund deren eine solche vollstreckbare Urkunde errichtet werden soll, müssen entweder öffentliche Urkunden oder gericht- lich oder notariell beglaubigt sein. 3. Die Zwangsvollstreckung ist zu verweigern, wenn dadurch ein Rechtsverhältnis zur Anerkennung oder ein Anspruch zur Durchsetzung gelangen soll, welehem durch das Gesetz des Vollstreckungsstaates aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit oder Klagbarkeit versagt ist. 4 Die in Österreich errichteten vollstreckbaren Urkunden sind auf Antrag des Gläubigers von demjenigen Deutschen Amtsgericht mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, in dessen Bezirk die Zwangsvoll- streckung stattfinden soll. Die Vollstreckungsklausel soll in der Regel nur für die erste, deshalb als solche vom österreichischen Gericht oder Notar kenntlich zu machende Ausfertigung erteilt werden. Auf ihre Zustellung findet $ 7502 der Deutschen ZPO. Anwendung. Dasselbe Gericht entscheidet über Erteilung weiterer Vollstreckungs- Klauseln auf Ausfertigungen gemäß $ 733 ZPO. 5. Die vollstreekbaren Urkunden (Ausfertigungen), auf Grund ‚deren (die Zwangsvollstreckung stattfinden soll, sind den Gesetzen des Errichtungs- staates entsprechend auszustellen und dem Antrag oder Auftrag zur Zwangsvollstreckung beizufügen. Sind die Urkunden nicht in deutscher Sprache abgefaßt, so ist eine von einem vereidigten Dolmetscher angefertigte Übersetzung beizufügen. 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 6. Die Zwangsvollstreckung findet nach den Gesetzen des Vollstrek- kungsstaates statt. Einwendungen, welche den durch die vollstreckbare Urkunde fest- gestellten Anspruch betreffen, sind vom Schuldner im ‚Wege der Klage entweder vor den Gerichten des Vollstreckungsortes oder vor denjenigen Gerichten geltend zu machen, welche für die Klage auf Erfüllung des beurkundeten Rechtsgeschäftes zuständig sein würden. Der Schuldner muß in der von ihm zu erhebenden Klage alle Ein- wendungen geltend machen, welche er zur Zeit der Erhebung der Klage geltend zu machen imstande war. ie Eine doppelte Belastung von Rechtsgeschäft und Urkunde in Form von Stempeln und sonst immer Namen habenden Angaben darf nicht erfolgen. Es fand eine Besprechung statt, an der die Herren Justizräte Sachs und Lemberg sowie der Vortragende sich beteiligten. Sitzung am 24 Februar. Vortrag des Herrn Dozenten an der Technischen Hochschule Dr. Otto Fischer über Den Kurs der deutschen und französischen Staatsanleihen und die neueren Vorschläge zur Hebung des Kurses der deutschen Staatsanleihen. Für den Kapitalisten — so führte der Vortragende aus — sind bei der Wahl der Kapitalsanlage zwei Gesichtspunkte maßgebend: die Höhe der Rente und die Sicherheit der Anlage. Bei Anlagen, die gleiche oder wenigstens annähernd gleiche Sicherheit zu bieten scheinen, wird naturgemäß die rentablere vorgezogen; nach Papieren mit geringerem Zinsfuß besteht weniger Nachfrage, und der Ausgleich stellt sich bei Anlagen mit fester Rente durch ein Sinken des Kurses wieder her. Nun ist seit Mitte der 90er Jahre ein starkes und stetiges Sinken der deutschen wie der französischen Rentenkurse zu verzeichnen, und deshalb erklärt man bei uns, wo diese Erscheinung am stärksten auftrat, den Rentenkurs für zu niedrig und will ihn durch gesetzliche Maßnahmen heben. Der Vortragende wies darauf hin, daß z. B. am 31. Januar 1913 der Kurs unserer 3proz. Reichsanleihe 77,75, der Zinssatz der Reichsbank 6 Proz. betrug, der Kurs der 3proz. französischen Rente dagegen 88,65, der Zinssatz der Banque de France 4 Proz., und stellte einen Vergleich an, ob diese zu unseren Ungunsten bestehende IH. Abteilung. Staats- und rechtswissenschaftliche Sektion. 5 Kursdifferenz sich aus wirtschaftlichen, nicht zu beseitigenden Ursachen erkläre, oder aber aus solchen, die man zu beseitigen suchen müsse. Die französische Regierung wirkt, um den Rentenkurs zu stützen, darauf hin, daß die Bank von Frankreich ihren Zinsfuß möglichst niedrig hält; die Deutsche Reichsbank ist nicht in der Lage, ihren Goldschatz entsprechend den steigenden Anforderungen des wirtschaftlichen Lebens zu vergrößern, und hat deshalb den Zinssatz fast stetig erhöhen müssen. Aber nicht diese geldtechnischen Gründe sind die Hauptsache, sondern das Verhältnis zwischen Kapitalsnachfrage und Kapital- angebot. Frankreich ist ein „Rentierstaat‘‘, Deutschland ein „Arbeits- staat“; die erwerbstätige Bevölkerung Deutschlands hat sich ‘in den letzten 12 Jahren um etwa 40 Proz. vermehrt, in Frankreich ist eine wesentliche Änderung nicht eingetreten. Für den Zuwachs müssen Ar- beitsgelegenheiten geschaffen werden, und das setzt also Kapital- investitionen voraus, zu denen frühere Ersparnisse verwendet werden müssen. Die Schaffung von Arbeitsgelegenheit und die Er- höhung des Sparkapitals bilden einen Gegensatz. Weiter kommt in Be- tracht, welche Ansprüche in den letzten 30 Jahren die Staatenan den Kapitalmarkt gestellt haben. Frankreich hat eine an sich etwas höhere Staatsschuld als wir, und sie ist auch weit unwirtschaftlicher als die unsrige, da in unseren Anleihen etwa 14 Milliarden Eisenbahn- anleihen stecken, während in Frankreich außer den Staatsanleihen noch 18 Milliarden Eisenbahnwerte existieren. Unsere Staatsanleihen sind also vielsichererfundiert als die französischen. Aber in Frankreich sind die Staatsschulden in den letzten 20 Jahren die gleichen ge- blieben, während sie in Deutschland eine außerordentliche Steigerung erfahren haben, und dieses Moment ist als das ausschlaggebende an- zusehen. Während der französische Staat den Kapitalmarkt im wesent- lichen in Ruhe gelassen und bisweilen sogar Geld zurückgezahlt hat, war in Deutschland das Gegenteil der Fall, und dadurch kommt zugleich ein gewisses Moment der Unruhe in den Kapitalmarkt, der ja stets fürchten muß, daß ihn bald wieder eine neue Anleihe überraschen und das größere Angebot den Kurs drücken werde. Ferner aber stellen bei uns auch die Kommunen ungleich größere Ansprüche an den Kapitalmarkt. Weiter hat bei uns die Notwendigkeit der Wohnungsbeschaffung für den Bevölkerungszuwachs und einer inten- siveren Bearbeitung des landwirtschaftlich genutzten Bodens eine er- heblich höhere Inanspruchnahme des Hypothekenkredits verur- sacht. Ebenso sind die Ansprüche von Handel, Verkehr und Industrie an den Kapitalmarkt enorm gestiegen. Die Zunahme der Gewerbetätiekeit hat naürlich auch deren Kreditfähigkeit und Kredit- R 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. bedarf gesteigert, auch die Statistik der Aktiengesellschaften ergibt eine aauernd steigende Zunahme von Aktienkapital. Ein Gesamtbild er- gibt sich aus einem Vergleich der in beiden Ländern an der Börse notierten Werte Der Mangel an Industriepapieren in Frankreich entspricht der geringeren großkapitalistischen Entwicklung, der geringere Kurswert der Dividendenpapiere läßt auf eine ge- ringere Rentabilität schließen. Der auffallende Überschuß an aus- ländischen Renten- und Dividendenpapieren zeigt, daß Frankreich daheim gar nicht genug Kapitalsanlagen findet, während Deutschland Mühe hat, die eigenen Staatsanleihen zu verdauen. Geringeres Kapitalsangebot bei uns und geringere Kapitalsnachfrage in Frankreich erklären also den Unterschied im Zinsfuß zwischen Deutsch- land und Frankreich. Bei Zugrundelegung dieses Zinstußes — 41/, bezw. 3,15 Proz. — wäre die 3proz. Rente in Deutschland nur 66,66 wert, die französische 95,20. Daraus ergibt sich, daß die französische Rente in der Zeit von der Balkankrisis den normalen Stand hatte, während unsere Anleihen eigentlich noch 18 Proz. über dem Normalsatz standen. Das erklärt sich namentlich aus der größeren Sicherheit unserer Papiere und aus der Hoffnung, wieder einmal zu einem Zinsfuß von 4 Proz. zu ge- langen, so daß man den jetzigen Kurs von 77 Proz. als einen angemessenen bezeichnen kann. Der Franzose ist also bei weitem nicht so wie der Deutsche in der Lage, sein Geld besser anzulegen als in Staatsanleihen. Bei uns erhält man für Depositengelder und Hypotheken, sowie besonders beiden Aktiengesellschaften höhere Zinsen, und die in Deutsch- land weit erheblichere Steigerung der Lebensmittelpreise nötigt auch dazu, Wert auf höhere Zinserträgnisse zu legen. Anderer- seits macht in Frankreich einebesserausgebildete Emissions- technik den Erwerb von Staatspapieren leichter, und die Zinserträge aus Staatsanleihen sind dort steuerfrei. Die Klagen der deutschen und preußischen Regierung. über den niedrigen Stand der Staatsanleihen sind also eigentlich unbe- gründet. Die kleinen Rentiers, auf die dabei als auf die besonders Geschädigten exemplifiziert wird, leiden nicht unter dem niedrigen Kurse, denn es zwingt sie niemand zum Verkauf, sondern vielmehr unter der gesunkenen Kaufkraft der Zinserträgnisse. Aber natürlich liegt es im Interesse des Staates und somit aller Steuerzahler, daß der Staat bei der Emission von Anleihen möglichst wenig einbüßt, und deshalb wird man Bestrebungen auf Hebung der Kurse sympathisch begrüßen müssen. Auf die Ursache des höheren Zinsfußes, die manselnde Liquidität, die mit der Bevölkerungsvermehrung III. Abteilung. Staats- und rechtswissenschalftliche Sektion. —| zusammenhängt, kann der Staat nicht einwirken. Am ehesten könnte er etwas gegen zu reichliche eigene Anleihen und Anleihen der Kommunen unternehmen. Was die Staatsanleihen anlangt, so darf man hoffen, daß das bisherige Tempo ihrer Vermehrung erheblich ermäßigt wird und man vielleicht sogar zu einer allmählichen Entschuldung kommt. Be- züglich dr Kommunen ist schon häufig gesagt worden, daß sie zu- rücekhaltender in der Übernahme gewerblicher Unternehmun- gen und sparsamer in der äußeren Ausstattung von Bauten sein könnten; die für 1913 angekündigten 500 bis 1000 Millionen Mark neuer Kommunalanleihen bereiten schon jetzt den Bankleuten leise Angst- zustände. Andererseits aber können wir gerade auf die Leistungen der Kommunen auf dem Gebiete der Bildungs- und Wohlfahrts- pflege stolz sein. Frankreich verwendet alte Kirchen, Schlösser und Klöster als Krankenhäuser, Kasernen und Schulen, während bei uns zweckmäßig und gesund eingerichtete Häuser dafür gebaut werden. Mit der geringeren Zunahme der Bevölkerung dürfte auch das Tempo der ländlichen Bodenverschuldung langsamer werden, und der städti- schen Bodenverschuldung ließe sich etwas Einhalt tun, wenn wir unser Hypothekenrecht, das Grund und Boden den beweglichen Sachen eleichstellt, mehr nach dem Muster des französischen gestalten wollten. Auch Handelund Gewerbe dürften für die nächste Zeit wohl mit geringeren Ansprüchen an den Kapitalmarkt herantreten; die Rente der Industrie scheint auf dem Gipfelpunkt angelangt zu sein, und auch der Reiz zur Beteiligung dürfte sich also bald mindern. Endlich aber ist anzunehmen, daß dieErsparnisse bei uns weit schneller als in Frank- reich wachsen und sich dann wieder mehr den festverzinslichen Anleihen zuwenden werden. Nach alledem darf man hoffen, daß wir allmählich wieder zu einem niedrigen Zinsfuß kommen werden. Diese natürliche Entwickelung will aber die Regierung nicht abwarten. Sie nimmt gern die Vorteile des zunehmenden Reichtums im Lande hin, möchte aber nicht den Vorteil eines hohen Anleihekurses missen. Sie will “die Nachfrage steigern, indem sie verschiedene Vermögensträger — die Landesversicherungs- anstalten, Feuerversicherungsanstalten, Pfandbriefinstitute, Sparkassen — durch gesetzliche Maßnahmen zwingt, bestimmte Teile der von ihnen ver- walteten Kapitalien in Staatsanleihen anzulegen, und diese Maß- nahme noch auf weitere Vermögensträger ausdehnen. Hierbei besteht die Gefahr, daß bei der vermehrten Nachfrage zunächst solche Renten- besitzer die Gelegenheit zum Verkauf benutzen, die dann lieber Divi- dendenpapiere für das Geld nehmen, um sich für die an den Staats- papieren erlittenen Verluste zu entschädigen. Die Menge der unter- 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. gebrachten Anleihen würde also dadurch nicht steigen. Weiter kommt in Betracht, daß viele Unternehmungen ihre Reservefonds nicht liquid halten, sondern im Betriebe mitarbeiten lassen oder in Hypotheken anlegen. Müssen sie mehr Staatspapiere und können sie deshalb weniger Hypotheken erwerben, so werden sich die Geldbedürftigen direkt an den Kapitalmarkt wenden müssen; die Folge ist Steigerung des Zinsfußes und ein Sinken der Rentenkurse. Da die Reserven als Rückhalt für be- sondere Notfälle und namentlich für den Kriegsfall dienen sollen, würden dann im Falle solcher Ereignisse zunächst große Mengen Staatspapiere aufdenMarkgeworfen werden, den Kurs drücken und dem Staate die Beschaffung billigen Geldes durch Anleihen unmöglich machen. Weiter kommen privatwirtschaftliche Gegengründe in Betracht. Der durch die Anlage erheblicher Beträge in Staatspapieren entstehende Ausfall an Einnahmen würde die Versicherungs- gesellschaften zu Prämienerhöhungen zwingen und ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Auslande schwächen. Den Aktien- gesellschaften würden große Kapitalien entzogen werden, die jetzt im Betriebe mitarbeiten, hier erheblich höhere Erträge bringen und — da größere Betriebe ökonomischer arbeiten als kleine — verbilligend auf die Produktion und die Warenpreise wirken. Die Aktiengesellschaften hätten also dann kein rechtes Interesse mehr, einen höheren als den gesetzlichen Reservefonds zu sammeln, sondern würden lieber die Divi- denden erhöhen. Auch für die Erhöhung der Liquidität bei den Spar- kassen bildet — wie der Vortragende eingehend auseinandersetzte — die neuerdings gesetzlich vorgeschriebene Anlage bestimmter Vermögens- teile in Staatspapieren kein ganz unbedenkliches Mittel. Der Vortragende faßte sich dahin zusammen: Der niedrige Kurs ist auf den hohen Zinsfuß zurückzuführen, und dieser ist ein Produkt der starken Kapitalnachfrage bei uns. Wir brauchen uns also des niedrigen Kurses keineswegs zu schämen. Die Vorschläge zur Hebung der Kurse gehen aber nicht organisch und logisch, d. h. gegen die Gründe der Erscheinung vor, sondern erstreben nur eine andere Notierung an der Börse, und gegen ihren dauernden Erfolg sprechen mancherlei Argu- mente. Zudem würden den davon betroffenen Vermögensträgern daraus verschiedene nicht unerhebliche Nachteile erwachsen. Der Staat sollte von weiterengesetzlichenMaßnahmenabsehen und sich mit dem Troste begnügen, daß die Verhältnisse, die den niedrigen Kurs bedingen, zur dauernden Hebung des Reichtums und der Steuerkraft im Lande beitragen, und daß er das, was er an Zinsen zuviel zahlt, an Steuern und Verkehrseinnahmen mehrfach wieder einbekommt, und damit die III. Abteilung. Staats- und rechtswissenschaftliche Sektion. 9 Mittel erhält, die er zur Erhaltung seiner 'Weltmachtstellung und zur Erfüllung seiner Kulturaufgaben braucht. Es fand eine Besprechung statt, an der Herr Geheimer Regierungs- rat Prof. Dr. Julius Wolf und der Vortragende sich beteiligten. Sitzung am 5. Mai. Vortrag des Herrn Geheimen Justizrats Professor Dr. Leonhard: Zur Entwicklungsgeschichte des englischen Rechts. Der Vortrag bildete zugleich eine Besprechung des Buches „The Genius of the Common Law“ von Sir Frederick Pollok, einem hervor- ragenden englischen Rechtsgelehrten. Das Buch ist nicht, wie man nach dem Titel vermuten könnte, ein Seitenstück zu Montesquieus „Geist der Gesetze“ oder zu Iherings „Geist des Römischen Rechts“. Der Verfasser, der wissenschaftliche und poetische Darstellungsweise seltsam durch- einander mischt, versteht unter „Genius“ den antiken „Schutzgeist‘“, und : das „Common Law‘ — das den angelsächsischen Nationen gemeinsame, nicht kodifizierte Recht — wie alles Recht überhaupt ist für ihn eine Art Persönlichkeit, ein lebendiger historischer Faktor. So schildert denn ‘sein Buch zugleich mit der Entwicklung des Common Law, wie ein guter Genius dieses bisher vor nach seiner Ansicht schädlichen Veränderungen, nämlich vor einer Angleichung an die Rechtssysteme des Kontinents be- wahrt hat. Solche Änderungen, denen das Buch entgegenwirken will, werden jetzt in Amerika vielfach begehrt, und u. a. hatte auch Roosevelt während seiner Präsidentschaft sich dem Vortragenden gegenüber dafür ausgesprochen. Dieser kam zu dem Schlusse, daß die über Europa lie- gende „rechtswissenschaftliche Kontinentalsperre‘ auf die Dauer nicht haltbar sei, und daß wir auch das englische Recht prüfen und mit dem unsrigen vergleichen müßten, um durch Aneignung seiner Vorzüge unser eigenes Recht vollkommener zu gestalten. Sitzung am 26. Mai. Vortrag des Herrn Professors Dr. Georg Buch über Schuld und Haftung im geltenden Recht. Der Vortragende wies zunächst darauf hin, daß die durch historische Forschungen im Gebiete des deutschen Rechts ausgebaute Unterschei- dung von Schuld und Haftung trotz einer gewissen Gegnerschaft nach der herrschenden Ansicht für die Durchdringung unseres heutigen Privat- rechts noch lange nicht hinreichend nutzbar gemacht sei. Er erörterte dann an einer langen Reihe von Instituten des geltenden bürgerlichen 1913. 2 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Rechts und des Handelsrechts die grundsätzliche Frage nach der dog- matischen Verwertbarkeit jener Unterscheidung. Dabei führte er aus: Schuld ist das Leistensollen des Schuldners, dem als Korrelat die Forderung des Gläubigers, das Bekommensollen gegenübersteht. Im Schuldverhältnis ist außerdem regulär mit umschlossen das Einstehen- müssen des Schuldners, die Haftung und zwar die persönliche Haftung, die nach Beseitigung der Personalexekution eine Haftung mit dem Ver- mögen ist; sie hat eine Gebundenheit des Haftungsobjekts zur Folge und gibt dem Gläubiger als Korrelat die Zugriffsmacht mit dem End- zweck der Befriedigung; ihre Realisierung ist nicht Erfüllung der Schuld, sondern ein Surrogat dafür. Die Differenzierung der Haftungsverhältnisse ergibt die Frage, ob die Schuld dann auch immer in gleicher Weise diffe- renziert ist oder ob da Ungleichheiten vorkommen. Regelmäßig treten Schuld und Haftung in gleichem Umfange nebeneinander auf, auch bei der Mehrheit von Schuldnern oder Gläubigern.. Wo außerdem das Gesetz an irgend einen Tatbestand als Folge eine persönliche Haftung für eine fremde Schuld knüpft, wird der Haftende zugleich Schuldner (Haftung für Organe und Beamten, Haftung des Aufsichtspflichtigen, des Bürgen u. a.). In den Fällen der beschränkten Haftung (z. B. mit dem Nachlaß, mit dem Schiffsvermögen) liegt trotzdem volle Schuld, also eine Ungleich- heit von Schuld und Haftung vor. In den Fällen der reinen Sachhaftung ist Haftung ohne Schuld zu finden, z. B. beim Mobiliarpfand oder der Hypothek für künftige Forderungen; bei der Grundschuld schlechthin. Endlich liegt in den Fällen der sogenannten Naturalobligation (Spiel- schuld u. dergl.) Schuld ohne Haftung vor. Außerdem untersuchte der Vortragende noch eine Reihe weiterer Rechtsverhältnisse, um zu zeigen, daß die Unterscheidung von Schuld und Haftung in vielen Fällen nur noch Erkenntniswert für latente Rechtsbegriffe hat und darum nicht in überwiegendem Maße herausgekehrt werden sollte, daß sie aber in gewissen anderen Fällen für Institutionen des geltenden Rechts zum vollen Verständnis unentbehrlich ist. Er schloß den Vortrag mit einigen Bemerkungen gegen die jetzt manchmal beliebte Verur- teilung konstruktiver Jurisprudenz. Bei der darauf folgenden Diskussion sprachen Oberlandes- gerichtspräsident Dr. Vierhaus, Geh. Justizrat Prof. Dr. Leonhard und Prof. Dr. Herbert Meyer. Sitzungam3. November. I. Wahl eines Sekretärs an Stelle des ausgeschiedenen Geh. Reg.-Rats Fıofessor Dr. Julius Wolf. II. Abteilung. Staats- und rechtswissenschaftliche Sektion, 11 Herr Prof. Dr. von Wenckstern wurde durch Akklamation gewählt und nahm die Wahl an. Il. Vortrag des Herrn Professors Dr. von Wenckstern über Hegel und Marx. An der Diskussion beteiligten sich Herr Mathematiker Dr. Wagner, Oberlandesgerichtspräsident Dr. Vierhaus und Geheimer Justizrat Professor Dr. Leonhard. Sitzungam 13. November. Vortrag des Herrn Geheimen Justizrat Professor Dr. Fischer Rechtsquellen und Rechtsfindung im internationalen Privatrecht. Geheimrat Fischer erläuterte zunächst die Grundbegriffe des inter- nationalen Rechtes. Solches durchsetzt alle Rechtsgebiete: das Strafrecht, das Privatrecht, das Verwaltungsrecht, in dem die internationalen Verkehrsbeziehungen — neuerdings namentlich die Luftschiffahrt — internationale Schwierigkeiten öffentlich-rechtlicher Natur entstehen lassen, und das Kirchenrecht. Nicht verwechseln darf man inter- nationales Recht mit dem gemeinsamen Recht, das in Verträgen festgelegt ist oder auf gemeinsamer Gesetzgebung beruht. Das Überein- kommen über den Eisenbahnfrachtenverkehr z.B. ist kein internationales Recht, sondern es enthält nur gemeinsam geltende Rechtssätze.. Was ferner sehr oft mit dem internationalen Recht verwechselt wird, ist das „Fremdenrecht der einzelnen Staaten, in dem der Staat, und zwar ausschließlich von sich aus bestimmt, wie der Ausländer im Inlande behandelt werden soll. Ebenso gehört nicht zum internationalen Recht das Völkerrecht im engeren Sinne, das zunächst nur die Bezie- hungen der Staaten zu einander regeln will. Das Vergeltungs- recht dagegen enthält sowohl Normen, die lediglich dem Fremdenrecht, als auch solche, die dem engeren internationalen Privatrecht angehören und sagen, in welchen Fällen kein ausländisches Recht zur Anwendung kommt. Internationales Privatrecht im eigentlichen Sinne sind nur die sogenannten Kollisionsnormen, die bestimmen, welches von den mehreren Rechten, für die ein Rechtsverhältnis Anknüpfungspunkte bietet, auf den Fall anzuwenden ist. Ein Beispiel einer solchen Kollisions- norm ist die Bestimmung im Artkel 7 des Einführungsgesetzes zum Bür- gerlichen Gesetzbuch: „Die Geschäftsfähigkeit einer Person wird nach den Gesetzen des Staates beurteilt, dem die Person angehört.“ Bei allen solchen Kollisionsnormen kommen Anknüpfungspunkte an sinn- lich wahrnehmbare Momente in Betracht, die zudem Rechtsverhält- nis in Beziehungen stehen, also Räume, Personen, Sachen, Handlungen 13 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. C*"tur. usw.; für Personen kommen namentlich in Betracht Staatsangehörig- keit, Wohnsitz, Aufenthalt. Nach einer Definition der verschiedenen Arten von Kollisionsnormen ging der Redner auf die Frage nach den Quellen des internationalen Privatrechts ein. Als solche kommen zunächst in Betracht das Völker- recht und dann das innerstaatliche Recht. Die einzige ge- schriebene Quelle des Völkerrechts sind die Staatsverträge. Diese Verträge, die jetzt so reichlich vorliegen, und die Haager Kon- ventionen enthalten eine ganze Menge internationaler, vom völker- rechtlichen Standpunkt geregelter Kollisionsnormen. Weiter wird auch das Bestehen eines Völkergewohnheitsrechtes in verschie- denem Umfange behauptet. Aber hier handelt es sich, wie der Vor- tragende eingehend ausführte, nur um Theorien, die sich nicht schon in wirkliches Gewohnheitsrecht mit völkerrechtlicher Bindung umgesetzt haben. Auf dem Gebiete des eigenen staatlichen Rechtes ist die Haupt- quelle das Einführungsgesetz zumBürgerlichs, Sesetz- buch, das eine Reihe wichtiger Regeln enthält, aber in dieser Be- ziehung doch sehr lückenhaft gelassen worden ist — teils aus politischen Gründen, die zur Zeit seiner Entstehung maßgebend waren, teils weil damals die Materie für eine abschließende Gesetzgebung noch nicht ge- nügend geklärt erschien. Will man dann auch das inländische Gewohn- heitsrecht auf seine Eignung als Rechtsquelle betrachten, so muß man in jedem Falle erst sorgfältig prüfen, ob wirklich ein durch die allgemeine Praxis anerkanntes Gewohnheitsrecht entstanden ist. Aber selbst wenn man es in weitestem Maße heranzieht, bleiben noch große Lücken. Früher war das Allheilmittel bei Lücken die Gesetzes- und die Rechtsanalogie. Aber auch damit sind die Lücken im Kol- lisionsrecht nicht auszufüllen, und der Versuch, dies durch Aufstellung gewisser schematischer Theorien zu erreichen, hat auch nicht zum Ziele geführt. Wie kommt man nun weiter? Hier zeigt den richtigsten Ausweg der Grundsatz, der im ersten Satze des neuen schweizerischen Gesetzbuches folgenden Ausdruck gefunden hat: „Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht, und wo ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetz- geber aufstellen würde.‘ Letzten Endes gilt es also die freie Rechts- findung, die Entscheidung nach Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit. Zum Schlusse behandelte der Redner noch die Frage, ob bei Verträgen das maßgebende Recht durch Parteivereinbarung bestimmt werden könne. Das Reichsgericht scheine das anzunehmen, und wenn man das zugebe, liege eventuell auch im Vertrage der Parteien eine neue Quelle der Rechtsbestimmung. a, Br = II. ‚Abteilung. Staats- und rechtswissenschaftliche Sektion. 13 An den nachfolgenden Erörterungen beteiligten sich Oberlandes- gerichtspräsident Dr. Vierhaus, Herr Professor Schott, Herr Ge- heimer Justizrat Professor Dr. Leonhard, Herr Justizrat Dr. Lem- berg, Herr ÖOberlandesgerichtsrat Geheimrat Simon und der Bericht- erstatter selbst. Gemeinsame Sitzung der Rechts- und Staatswissen- schaftlichen und der Philosophisch-Psycehologischen Sektion am 3. Dezember. Vortrag des Herrn Professor Dr. William Stern über Die psychologische Vorbildung der Juristen. Mitberichterstatter war Geh. Justizrat Professor Dr. Leonhard. Der Berichterstatter führte aus: Auch die Rechtswissenschaft und ‚die Rechtspflege bedürfen der psychologischen Wissenschaft. Man ‚erkennt. ‚wohl heutzutage bereits an, daß der Richter, der Staatsanwalt, der Rechtsanwalt auch Psychologen sein müssen, weist jedoch darauf hin, daß die Psychologie des Juristen weniger auf wissenschaftlicher Forschung, als vielmehr auf einer Art künstlerischer Intuition, fein- fühliger Menschenkenntnis und auf der langjährigen praktischen Er- fahrung beruhe. Aber der Jurist muß schon bei Beginn der Praxis das Material kennen, an dem er arbeiten soll, darf also nicht auf die erst durch die Praxis zu gewinnenden Erfahrungen angewiesen sein, und mit intuitiver Menschenkenntnis ist nicht jeder genügend begabt. Auch der sogenannte gesunde Menschenverstand reicht hier nicht aus, denn der psychologische Laie neigt doch leicht dazu, sein eigenes Seelenleben als einen Normalmaßstab anzusehen und andere nach sich zu beurteilen. Ein erst in der Entwicklung begriffener Zweig der Psychologie, die diffe- rentielle Psychologie, zeigt, wie infolge der geschlechtlichen Differenzen, der Standes- und Bildungsverschiedenheiten usw. eine un- endliche Mannigfaltigkeit der psychischen Sinnesart besteht, und macht vorsichtig im Schließen von dem eigenen Seelenleben auf das anderer. Die Kriminal-Psychologie wiederum zeigt, daß die Lehren eines Lombroso eine zu schroffe Abgrenzung zwischen dem verbrecherischen und dem Normalmenschen vornehmen, daß eine bloß psychopathologische Betrachtungsweise nicht ausreicht und die normalpsychologische Be- trachtungsweise zeigt, wie das sogenannte Verbrechertum in tausend Ab- schattierungen vom Normalmenschen bis zum ausgesprochen kranken Menschen reicht. Für jugendliche Delinquenten sind bereits Me- thoden einer Intelligenzprüfung geschaffen worden, die dem ‚Jugendrichter sehr wertvoll sein können, und auf dem Gebiete der 1913. 3 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Psychologie des Verdächtigen ist eine Methode in Arbeit, die durch gewisse psychische Prüfungen den, der einen Tatbestand zu ver- heimlichen sucht, dazu bringen kann, ihn unbewußt zu verraten. Die Bedeutung der Psychologie der Aussage und der Zeugenverneh- mung hat schon eine gewisse Anerkennung gefunden und wird auch bereits auf zivilrechtlichem Gebiete beachtet. Auch die wissenschaft- licheRechtskunde sollte psychologisch orientiert sein, schon wegen der grundlegenden Rolle, die hier das Willensphänomen mit seinen Neben- phänomenen spielt, und ebenso können bestimmte Probleme der Gesetz- sehbung ohne Berücksichtigung psychologischer Momente nicht in wün- schenswerter Weise behandelt werden; so werden z. B. in einer neuen Strafprozeßordnung die Ergebnisse der Aussage-Psychologie Berück- sichtigung finden müssen. Danach müsse also die Bedürinisfrage einer psychologischen Ausbildung der Juristen wohl bejaht werden. Hinsichtlich der Ge- staltung dieser Ausbildung befürwortete der Redner als das zunächst wohl erreichbare die Einrichtung bestimmter Universitätsvorlesungen über forensische Psychologie sowie von Fortbildungskursen für die praktischen Juristen; die Unterrichtserteilung erfordere ein Zusammenarbeiten des Strafrechtslehrers, des Psychologen und des Psychiaters. Der Mitberichterstatter Geh. Justizrat Prof.Dr. Leonhard trat dem Vortragenden im wesentlichen bei, indem er die These aufstellte: „Eine Annäherung der Rechtslehre an die Lehren der Psychologen vom Fach ist zurzeit dringend erwünscht.‘ Doch erachtete der Redner eine Ausbildung der Juristen nicht nur in der Psychologie, sondern in der ganzen exakten Philosophie für angebracht. An der Debatte beteiligten sich Herr Rechtsanwalt Dr. Sturm, Herr Geheimrat Fischer, Herr Rechtsanwalt Dr. Steinitz, Ober- landesgerichtspräsident Dr. Vierhaus, Herr Geheimer Justizrat Prof. Dr. Leonhard, Herr Professor Dr. von Wenckstern. Schlesische Gesellschaft für vaterländische Gultır. ZEIGE 91. IV. Abteilung. Jahresbericht. a. Philologisch-archäologische 1913. | Sektion. &ur men 2u® Sitzungen der philologisch-archäologischen Sektion im Jahre 1913. Sitzung am 5. Februar 1913. Herr Dr. Markowski hielt folgenden Vortrag: Eine Studienreise nach Chalki und Patmos'). Zur Untersuchung von Handschriften auf Briefe Prokops von Gaza und des Theophylaktos Simokattes hin führte ich in den Monaten Juni und Juli 1912 mit Hilfe des mir von der Breslauer philosophischen Fakultät bei der erstmaligen Vergebung verliehenen Hertz-Stipendiums eine Reise nach Chalki bei Konstantinopel und nach Patmos aus. Auf Chalki weilte ich vom 20. Juni bis zum 16. Juli. Ich benutze hier gerne die Gelegenheit, um dem Direktor der oyoAY) tuv 'EAAyvwv £uröpwv, Herrn Konstantinos Papazachariu, und Sr. Hochwürden, dem Direktor der YeoAoyıxy) oyoAy, Herrn Dr. Germanos Strinopulos, meinen herz- lichen Dank auszusprechen für das Entgegenkommen, mit dem sie mir die Benutzung der Handschriften in den Bibliotheken der ihnen unter- stellten Schulen gestattet haben. I. In den 176 Hss. der Handelsschule finden sich keine Briefe des Gazaeers. Von Theophylaktos Simokattes enthält nur die im Jahre 1774 geschriebene Hs. 162 von Bl. 55"—78Y insgesamt 29 Briefe (s. weiter unten 8. 6). Der größte Teil der Codices sind Schriften des A. u. N. T.?), der Kirchenväter, Menaia (Hs. 98 —115. 124), Typika (Hs. 116. 118. 119), Gebet- und liturgische Bücher (Hs. 117. 120. 123. 125. 126). Von den noch nicht öffentlich beschriebenen Handschriften ?) sind für die klassische Philologie hauptsächlich folgende 7 Papierhss., fast alle jüngern und jüngsten Alters, von einigem Interesse: 1) Die vorliegende Fassung enthält vieles, was beim Vortrage nicht oder anders behandelt worden ist. 2) C.R. Gregory, Prolegomena8 S. 1420 verzeichnet 21 Hss. (schölses 3) Summarische Angaben über den Inhalt der Hss. finden sich bei Bap%o- Aopatog KovrAovpovsıavös, "Inönvyna loropinöv repi ig Hard wv XaAayv hovig zig Beoröxov.... Konstantinopel 1846 und bei E. A. Moye&, ‘H &v XaArj "EAAven- roptxy) oxoAr), Konstantinopel 1875. Nur handschriftlich vorhanden ist in der Schule der Katalog des jetzigen Bibliothekars, Herrn Antonios Rhotas: Hepıypapmög 1913. 1 [89] Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hs. 24, 0,32 X 0,23 m, 123 Bl., XVIII. Jahrh., ohne Anfang und Schluß; sie enthält Reden des Demosthenes mit den ürodos:s des Libanios: 1. Bl. 1 beginnt mit den Worten aus der Rede 2, 24 u£v nor © Avöpss Adıvaloı üntp rWv "Eiinvirov dmalwv dveipare und schließt mit den Worten aus der Rede 19, 344 is Eößorwv @ddorplav; ic Meyapa zpunv ÖAlyou; tis Onßal... 2. Bl. 2!—11” ’OAuviraxös y’ 3. Bl. 111237 xara Dillnnou « 4. Bl. 23”—29 nepl Tüg elprivng 5. Bl. 29Y—36° xara Puinnou Aoyog PB’ 6. Bl. 36Y—457 nepl Adovvyjoou Acyos 7. Bl. 45Y—59" nepl tüv &v Keppovwiow Aoyog 8. Bl. 59,— 737 “ara Pulinnov Aöyos y’ 9. Bl. 73v—877 xara Dilinnou Aöyos 10. Bl. 877 Überschrift: “Yrödeotg Tod Evdexdtou Acyou. Anf. Tev avro npös Admvalous.... Es “Poötwy Esudrepiag bis Bl. 947 SDHHAyıROV AANDEVTL TOAELLOV folgt dann die Rede 15 üntp 11. Bl. 95—167" nepl otepavou 12. Bl. 167’— 2447 nepl napanpeoßelas. ip Tüs Hs. 68, 0,18 x 0,25 m, 246 Bl., XIV. Jahrh., am Anfang verstümmelt; sie enthält auf Bl. 1-—129Y einen Auszug aus dem Lexikon des Zonaras, zum Teil mit Änderungen in der Reihenfolge und im Texte der Lemmata; der An- KarkAoyog TÜV xeıpoypapwv tig &v XKadlxı "EAANvirfs Epropixtig oXoAfig ovvrexteig Ind Avrwv.Pota &ni tig dteuduvoewg T. A. AravonovAovn xard Adyouotov 1887. — Genauer beschrieben sind die Hss. 157. 158. 159 von A.Papadopulos-Kerameus, ‘0 2» Kwvoravuvounörsı "EAANvEXöS piloAoyıxös oVAAoyos. DaAaroypapınöv deAtiov. Ixp&prnna tod ıorT tonov, Konstantinopel 1885, die Hs. 157 auch von J.iBidez et Fr. Cumont, Recherches sur la tradition manuscrite des lettres de l’empereur Julien [M&moires couronnes et autres memoires publies par l’academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique. Collection in — 8%, — Tome LVI, Brüssel 1898] S. 88—87 und von J. Mansion, La tradition manuscrite du discours VIII de l’empereur Julien d’apres deux manuscrits de la bibliotheque de Chalc& [Revue de l’instruction publique en Belgique t. 41, 1895] S. 246—255, die Hs. 158 auch von R. Foerster, Libanii opera V S.222 und von W. Fritz, Die hand- schriftliche Überlieferung der Briefe des Bischofs Synesios [Abh. der K. bayer. Akad. d. Wiss. I. Kl. 23. Bd. 2. Abt. 1905] S. 353. Die 40 aus dem Kloster Johannes des Vorläufers auf einer bei Sozopolis im Schwarzen Meere liegenden Insel im Jahre 1626 nach Chalki gebrachten Hss. verzeichnet A. Papadopulos-Kerameus, Bugavziva xpoviıxa VII 1900 S. 670—679. Die 16 Hss. mit Heiligenleben beschreibt Jos. Boyens, Catalogus codiecum hagiographicorum Graecorum bibliothecae monasterik Deiparae in Chalce insula [Analecta Bollandiana t. XX, Brüssel 1901 S. 45—70]. 1V. Abteilung. Philologisch-archäologische Sektion. 3 fangsbuchstabe jedes Artikels ist rot geschrieben; die Überschrift fehlt, ebenso wie der Anfang des Buchstabens A. Die Abweichungen der Hs. von dem Vulgattexte mag die Zusammenstellung einiger Proben mit dem Texte bei Jo. Aug. Henr, Tittmann, Johannis Zonarae Lexicon, Lipsiae 1308, veranschaulichen: : Hs. Bl. 1° beginnt mit @ßpös' ... aBAnTa Hanoßinrov. mapd To Beßinrar. Alveraı 5: SL& Tou Tos KT. Auf Bl. 56" schließt der Buch- stabe A: AWpPW' To aloyw. dwpl: Tap& xaıpov Y) Ave tod dxal- Pwg xal mapıa Tov ÖEova XaLpov. Mit roter Tinte: Apyy od Bijr« META TOD Q. Die ersten 10 bei Tittmann stehen. den Lemmata sind fortgelassen. Batvölvns’ Baduratag Exwv Bodc. Baxavrınos' 5 pi) napancvov To rp&ynarı adtod, Ad oyoldkwv. BatuyAwocog' eüyAwocog' Aoyot- | Log. B&xmdos' peyas Ev Avonrog xal yuvamoloyos Aal TETWNEVOS TÖ alöotov. Bartıvos nal Barartıvog‘ eidog ris XyTpac. Bl. 67" Schluß des Buchstabens B: Bwooov' Bondymoov oörw Kparivas. BwpoAoyesvoaıro' dvri ob Ayo- paidv rı elmor 7) eüreläs oürwg Aptoropavns. | BatuyAwocoı. Tittmann. Sp. 7 ABırjra. nanoßAntov. napd To Beßinrar. Alverar SE dd Tod ZOCKEN. ABO... Sp. 368 Aupo. To KAoyW al ou opovıißw. Es folgen. die in der Hs. fehlenden Lemmata ’Awrevetv, Auto, Awreik, Awryostev, "Aw, dann: (Eridönge.) Awpt. To napa aıpov 1) dvri Tod dralpwg Y TTaP& TV BEoVTa naLpov. Sp. 367 Tö B yera tov A. (Apoevıxov.) | Sp. 369 [Batvölvas. boas Batu- zarag Eywv.] eöyAwrrot, EANO- Yınot. Die folgenden Lemmata Baxxatot, Baxıs, Baryurtöng, Baxyvpıs fehlen in der Hs. Baxdvrımos. Ö jr) Tapapevwv TW rpaynarı autol, AAAL oyoldlwv. Baxmkıos. pe£yas, dvontog, yuvar- Kung, 7) 6 TerimeEvos TO alöolov. [otovet Braumdog tig av. Evdrev nal KAWV, 6 GUvouglastixög, Kal To «alöotov. | Bäxıvos N Baßarxıvos. XVTpa<. Sp. 414 [BwpoAoyevcarro.| Avıl od ayopatov ıl eimor T züteAtc. ourws Aptoropavns. Es folgen Sp. 415 die Lemmata Bwoeote, Buoavı., Bwoöpeta, Bworpeiv, 1* eldog 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hs. Tittmann. Es folgt mit roter Tinte: dann: Buwocov. Boyjdnoov. oötwg Kparivas. Die letzten 6 Artikel vom Buch- KT staben B fehlen in der Hs. Toy pera Tod aiya. ToT werd tod A. Die ersten 3 Lemmata fehlen. Tarastas' To Ev ıw oöpavo pos | Taraklac. KATI YORTa. OTEp Hal dvamıaoıs YWrög NALaxoD. (Apoevınov.) To Ey TO oUpavo pug KATA NV vun, Ömep Eotıv Avd- KARDLS PWTÖg YALaXoD, N) RATa- AGLLTOWEYWY TWV Kotepwv. Auf Bl. 129” schließt der Buch- | Sp. 1900 Tö ’Q werd zoo W. stabe @. Die Überschrift ist wie "OU. 5 dotirnöc. al xAlverar Wrrog überall mit roter Tinte geschrieben: (Tittmann wWxdg.) &b &, Y vww, Tö w nera toö d. LRpEY. Bd" 6 Ordens al xAlverar Too "Obav. eidov, EBlebav. WTCQ. ’Adbıope£vov. Bpadtwg Yıvanevov. Öbav' eidov. "Qdbiodm. EBpaöuvev. Wbwvınaores‘ webwvloavres al Abwvnxörtes. Olbwvrioavtes ÖE, inpd. LIXPOY. Bbtlodn' EBpaöuvev. Den Gesamtinhalt der Hs. gibt Rhotas mit den Worten an: „Astıxöv tor ouAAoyi) Stapöpwv Akkewv Aypaßnrırds, Opolwg Epkmvesv dtapopwv Örjtwv rol eünyyeilov, Stapopwv loropınv nal Epumvendv, Erı d& tig Iadiaras rat Neas Aadıjang nal mepinondv dtapöpwv Adywv dylwv TaTEpwv Aal Epuunveıwv Stapopwv YeoAoyınav Avrıxein£vwy Kar Epwranoxpraw.‘ Hs. 148, 0,21 x 0,15 m, 299 Bl., im Jahre 1717 geschrieben, mit Erklärungen zwischen den Zeilen; die Blätter 1. 18—20. 182. 201. 202. 238 sind un- beschrieben; sie enthält: 1. Bl. 2°— 17" too Aouxıavoo nos Hadlwg mioteuerv Th SraßoAN] 2. Bl. 21”—28° Anpnooh&vous ’OAuvdranös Aöyos pWrtog 3. Bl. 29°—677 Tod autod (sie) HAovrapyou nepl Köoieoylag 4. Bl. 68"—93Y oO 2v ayloıs narpös yuöv Baoılelou Too Meyakou Karsapeios Kannadornlas ps Tols vous önws Av &r av "EAAnvırav Wperolvro )öywv rrapalveaıs 5. Bl. 94"—110Y zus Avdpwros Um Eydpou Wperotto 6. Bl. 111!—138V tod Ev ayloıs narpös Yuwv Baoılelov Apyeent- oronou Katroapelas Kannadoxias tod Meyadou öpıdla, Otı 00x Eottv Altos TWy XarWv 6 Vreög IV. Abteilung. Philologisch-archäologische Sektion. 5 10. Bl. 13’—181Y 7. &.&.n.%. Baoıelov d.K.K. obpavopavropog tod MeyaAov Enıorolal 17 Bl. 183"—214Y BaoıAelou tod MeyaAou Aoyog repl Tod u) poo- nAwodar Tols Biwmrinois nal mepl Tod yevonevou Zunpnopod ZEwlrev is EnrAnolag Bl. 215"—237Y önidla dern terdpen ward cov HEILOVTWY Bi. 239"—299Y r. 2. rept Tg Ev napvreveia Meltrne. . nm. f. Bacıdelou d. K. K. too Meyadou & ANdoüg döraptopeias npös Antdiov Enlornonov Hs. 149, 0,22 x 0,16 m, 195 Bl., XVI. Jahrh.; die Blätter 69—72. 138. 157—161. 188—195 sind leer; der Text ist großenteils mit Scholien versehen; in der Hs. sind enthalten (zum Teil nach den Angaben bei Rhotas): 1. Tonyoplov tod BeoAcyov Aoyar 9 xal EntoroAat 30 Aouxıavod vexpwmol Stadoyor 19 von Blatt 103Y ab m V y Batwy eite Ev Aöyw elite Ev mpaeet. p% [} 1} - Hs. IA4, 0,22 x 0,14 m, 374 Bl., XV. Jahrh., mit Erklärungen zwischen den Text- zeilen und an den Rändern; enthalten ist: “Opvipov ’IAıks von B 538 ab, ’Odvooelac a bis v. 371. Hs. 145, 0,20 x 0,14 m, 399 Bl., zusammengebunden aus mehreren Teilen ver- schiedenen Alters, XIV./XV. Eh, : es lassen sich 5 Hände unterscheiden; vgl. Foerster, Iulnanit opera V S. 224—225, wo auch der Inhalt ange- geben ist, und VII S. 581; am ne sind 6 Blätter vorgeklebt aus einem Buche, das ‚„Evetimorwv Erer TO Ano Tüg Evoapxov olxovonlag ‚aptö, puvi oerteßpin €’ gedruckt worden ist; diese Blätter enthalten einen Brief an Philipp Melanchthon, EI agpmpodusvog G pYlvovrog ‚apuy', Evetinot, und vier Verse eis Kovrapnvov Tov aldeouwWrarov xapöıvalıy. Hinter dem gedruckten Texte steht der metrische Eigentumsvermerk des Metrophanes,. In der Hs. selbst sind Bl. 119. 284. 341. 369. 375 unbeschrieben, Der Schreiber des ersten Teiles nennt sich selbst auf Bl. 285"; „Dogo- AAEoUg PiAoscpov TEAog TÜs TEXvNs, Yyovv Ts Ypilooopias Eypaıb (sic) "Toavns leponovayos SoöAog“ (möglicherweise identisch mit dem ’lwavvns feponövayos, der nach M. Vogel u. V. Gardthausen, Die griechischen Schreiber des Mittelalters und der Renaissance, 1909 S. 209, die Grammatik des Theodoros Gazes im cod. Neap. II. D. 10, XV. Jahrh., geschrieben hat). Auf Bl. 285Y steht das Epigramm: „Lig Enepnv YuLvöc. Yupvös Ö ent Yazy Amerpt Kai Ti narmv poxdo yupvov öpwv TO TEioc“; (Anthol, Gr. X 58 ed. Jacobs II 1814 p. 298). Außer den von Foerster a. a. O. angegebenen Stücken enthält die Hs. auf Bl. 67"—70" insgesamt 122 Verse aus dem Lehrgedicht eines Anonymos, deren erster „Ei 6 Yeös voos &o9”, ws TWv Aoylwy rUdo- neoda“, deren letzter „Hy ze xal Epxavimv Erepor öLepnpigavco‘ lautet; Se) IV. Abteilung. Philologisch-archäologische Sektion. vor diesem Lehrgedichte stehen auf Bl. 58"—66Y aus Hesiods "Epya xal Ywepaı die Verse 1—352, hinter ihm auf Bl. 71”—94" die Verse 353—828. Von Briefen oder Briefbruchstücken des Libanios finden sich in der Hs. auf Bl. 370"—399Y insgesamt 68, nieht, wie Foerster a. a. O. angibt, 61. Der Schreiber hat ursprünglich versucht, die Briefe nach den Anfangs- buchstaben alphabetisch zu ordnen; auf Bl. 370"—374" stehen Briefe, die mit dem Buchstaben E beginnen, auf Bl. 376"— 379" solche, die mit A an- fangen; dann ist die Ordnung etwas gestört; Bl. 5385"—392Y enthält wieder Briefe mit dem Anfangsbuchstaben E; neben 6 Briefen finden sich von jüngerer Hand griechische Ziffern einer Numerierung. Bl. 380 ist ein Stück aus des Chorikios Deklamation „Uarpoxiog“, von den Worten „oooıg nev yap EIarıwv Y Övvanıc“ bis „aurd wanonpaylas Wvelötsev, Nietepov“ (Reiske u. Boissonade Yiuaxprov— — Libanii sophistae orationes et deela- mationes rec. Jo. Jac. Reiske IV 100,8—102,10; Chorieii Gazaei orationes declamationes fragmenta cur. Jo. Fr. Boissonade, Parisiis 1846 8. 266,15 bis 269,9). Unter den Libaniosbriefen findet sich auf Bl. 384" hinter dem Briefe 408 (Wolf) an Themistokles &Aıv 6 copös nap’ yniv... ein Teil eines Briefes tod oopwWraToun xal Aoywratrou Öyjtopos tod Kwvoravrivou' repl nalöwv dywyiis 9. Aöyos &yawpıaorixös tig Aylac Alnateptvng 10. nepl naudelag 11. nach 2 leeren Blättern „EEnyyYosıs TWV ERLGTOA@YV TOD oopw- zarov DZuveslou.“ Es werden die Briefe 1—67 neugriechisch paraphrasiert. 2 DD. Hs. 66, 0,21 x 0,15 m, 210 Bl., XVII. Jahrh.; sie enthält einen Alexanderroman: Bios tod AXsEdvöpov, tod BaoılEwgs twv Maxaudovwv (Biel), Aal 6 ulög zod PyAlnou (sie) rat Tris Odupntidöos. IV. Abteilung. Philologisch-archäologische Sektion. L! Hs. 83, 0,27 x 0,19 m, 193 Bl, XVII. Jahrh.; der Inhalt, ein theologisches Flori- legium, ist nach der Angabe auf Bl. 191Y gesammelt „Ex naAatorarwv BißAwy Ev Tu Ayla "Oper &v TY povf od Atoyuolov xard zo ‚abod” Eros unvi öexepnBptw“. Viele Blätter sind unbeschrieben; auf Bl. 1 steht unten nach manchen Kritzeleien der Eigentumsvermerk: ‚co mapöv BıEinov (sie) ÜTAPXEL Aria Epod TOD leponovayou Noppwviou“ (sic). Die Lemmata tragen die Namen folgender Autoren: Adavasiov, Aranlov, Adebavöpou, Avaoraclouv tod AIwvalou, Avıı- öxov, AroAıvaplou, Aptorotelous "Hdtrwv, Acrteplou, Auyouotivon, Barloanwvos, EE wv elomxev 6 delos Bapdlaayı Srddorwv röv Inacam, Bapoavouplou, ToD neydrov Baoılelov, Baorrelou Neisuxeiac, ’Iw- oyipou Bpvevviou, Tevvaötou, T'’ewpylou Keöpnvoo, Tewpylou Koptocon, Tewpytov Ilayupepous, Tewpyiov Zuyxeidou, Tonyoplouv tod BsoAc- yov, T’pmyoplov Nusons, I'pnyoplouv tod Iaran&, Ardupov, Arodmpon, Atovuotou Lepopavropos, Arovvolov Tod Apsıonayltouv, Aootparlou ntponoiitou Nıxaias, Elpmvatou, "Enipaviou, Evyeviov, &x rWv Tod Eöosßtov tod Happurou, Eöotadtiou ’Avrıoyelas, "Eppalı, Zwvape, Oaraoclou, Oeoöwpritou, Oeoöwpovn Barsanoo, Oeoöwpou ToD Ztovöttov, Er wv Tod Oeopuraxrou, Tepwvupov, ’TovAtavod Adınap- vacoswc, "Tovorivou, ‘Innolutou, Iotöwpou, "Iwavvov Aanaonyvo, Tod Xpuvoootönov, "Iwoyipouv, Kiripevros, KuptAdou, Meaxaptou, Ma&inov tod OpoAoyntoö, Mererwvos, Neidov, "Odugn- rtoöwpou, Iloruypoviov, Ilpoxoniov, Lepantwvos, Leumptavod, Deuyjpou, &x tWv TOD Iwmrparougs, Bilwvos "Eßpalou, ’pıyevous. Hs. 87, 0,25 X 0,19 m, 42 Bl., geschrieben 1873, Katalog der Bibliothek des Klosters auf Patmos, von Jo.Sakkelion, latuıaxn) BeBA:odNjAY, Athen 1890 8.0—ı5 nicht erwähnt; Titelblatt: Karaloyos intronos AIpaßmtınös TWv &v m dep& Baodın Harpiapyın) nal Itauponnyiartj mov ob aylou ’Iwa&vwvov od OeoAöyov ü &v Ü wiew Iaruw Evrunwy te nal Wv Ev nenßpavy xal ydprı yeıpoypdpwv, Avrypazels ix tod &v Ertadcet nutaloyou ov Evrunwv nad Ötarakıv tig lepäs Zuvdöon xal tod av &v nenßpavy Kal yapın yeıpoypdpwv, Erolnou Övrog npös Exdoarv, Uno tod Brßltopulaxog iepodov ieponovayov Diwpidov. Ev 17 xark Harov iept nal euayel wovij od dylov "Iwavvon zoo OeoAdyov, 7 7. "Oxzwßplov ‚awoy”, Hs. 102, 0.22 x 0,15 m, 484 Bl., geschrieben 1785; enthalten sind: 1. Tonyoplov NaGtavimvoo od BeoAöyov dmoroynunos Ts eis zöy Ilovrov puynis Evexev 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 2. Tonyoplov Natıavinvau eis Baotkeov Enlononov Karsapelas Konna- Soxlas Entrdptog 3. &imyvjosıs eis zöv I'pnyoplov Natıavimvod Enırapıov Aoyov Toy rrpüg zöy Eaurod Aderpov Katsapeiov neptövrwv Erı tov yovimv aurod 4. &önyrjosis eis To Eyxwpıov Tod peyarov Adavaalov dpytenioxdrou AdsEavöpelas 5. &ömyvosis to dnoAoynumrod Aoyov tod I'pmyoptov Nattavimvoo tüsg eis röv llovrov puyrfis Evenev 6. Ebnymors eis Toüg Tod AnmoodEvoug "OAuvdhtaxods Aödyousg 7. ToD mepl otepavou Aoyov Tod AnpocodEvoug tod fytopos, Av xal (SEN 7 (end 64 G N) r ünep Kryoıpwvros xadoüoıv, anal Eiyymoes. Hs. 103, 0,21 x 0,16 m, 305 Bl., XVIIL Jahrh.; enthalten sind: . a . 1 2 3 4, 9. 6. 7. d. 9% 10. E% 12. 15. 14. 15. 16. 17% Tpnyoptou Tod OeoAöyou Yywnorloyla TETPXOTIXog Tonyoplov rept tWv ad” Enurov Emm repl napdeviag Eros eis ta tod Hudayopou alviypara Ebyiymars AoıBy) Tod Ouyyapıotinod TuroU repl Tod bexrtinoö Tunov TEpL ÖLALPEGEWS TWYV EntotoAwWv Tpnyoptlov Toü BeoAoyou XpLoTög ndaoywv Tpmyoplov anoroyntnds ig eis töv Lloveov puyris Evexev Aöyog eis tiv Bpaduriita nat eis Tö Ixoya Aöyos eis iv Aytav Ievinxooriiv eis Ta Ocopavın repl pilontwyxlas IHıvöcapou öAvurıa Avuxöppovos KaixıöEws Kaooavöpe Beoyirlouv Tod Kopvdaldswg TOD Vorepov ÖLd TOD Welou xal novayıxod oyıjmaros Oeodooiou nErovonaodevros Exteots TEPL Ent STOALLWV TUTWY OElaca Tod a Br, a xal 00 elöoug, Hs. 113, 0,23 x 0,16 m, 153 Bl., abgeschrieben von Cheimonios 1574 nach seiner Angabe am Schlusse: "Avreypapı) &% To npwrorunou Un’ Eunod ou BtBico- Imnaplov is Ev Karufj VeoAoyintis oyoAris Kwvoravtivon Kernwvlon TW 1874 W 129 Anpıklov, Ypepg mapaoreuyj. Die Hs. ist laut Titel: Tr Ev Oeooadla iepäg Tod Aouoxou poviis orevoAöytov. mepiypapy) Tod povaoınplov al Toü vaod xal 6 nardloyos rwv BıßAtwv Ev auch TW noväl, anpıBoroyndevra Und Tod marpıapyınod EEdpyov Apyınavöpttou I'pnyopiov Puwrewvoö. 1872. IV. Abteilung. Philologisch-archäologische Sektion. 13 Nach diesem Kataloge befinden sich in der Bibliothek des Klosters zob Aouoxou in Thessalien 74 Membran-, 282 Papierhss., 685 gedruckte Bände’). Als für die klassische Philologie in Betracht kommende Hss. habe ich mir folgende aus dem Kataloge gemerkt: N r m x [£ Hs. 77 ypapnarımy) Arovuolou toö Opaxös nArjpns Hs. 152 Ztnmiırlov eis Tüg Toö Apıorortloug Xarnyoplas Hs. 269: 1. npoykareicı els Ta morijpare Tod Oprjpov 2. mAoDrog tod Aprotopavoug, Text und Scholien, 3. “"Exaßm tod Edpıniöoug, ebenfalls, 4. Arebavöpa Aunoppovog tod Kaırıöiwg, ebenfalls, 5. ‚5 elöm Ilıvöapou Ana twy OAuuniuv 6. Avtındrpou tö Trepuytov 7. To ounBoAov is nlotewg. Hs. 277 "lTovotivon ToDd naprupos Avarpony) Aptotoreiirwv Soypatwv. Hs. 278 ‘Exaßn vo ’Hrextpa, Text und Erläuterungen. Hs. 282 „BıBAlov Ansparov repieyov Ta nelneva nal tag Epivelag zwv Tpaywäwv Alavros xal "Hiextpas To Zopoxrkkoug, AloyvAou töv Ilpoundea, "Ente Ent Onßas.“ Hs. 1i8, 0,23 x 0,16 m, 288 Bl., XV./XVI. Jahrh., in grünem Schweinsledereinband; auf jeder Seite 12 Zeilen, breit auseinander, dazwischen Erklärungen des Textes; der Anfang jedes neuen Stückes ist mit farbigen Vignetten und Initialen gesehmückt; enthalten sind: I* Bl. 17—23Y Xpvoootonou Aoyor 3: 1) Bl. 1!— 7 zept npooeuyifs, 2) Bl. 8'—17Y nepl toü Kowtou, 3) Bl. 187—23V eis zöv Adayı Bl. 24'— 297 Baoıdelou Nedleuxeing Adyog eis To „Ev Apxl Erolmoev 6 Oeös Töv oüpavov xal wiv yıv“ Bl. 30"—104Y xuavcvss Bl. 105'—120Y Baoıketou tod Meyadov Y Tipög Toüg vEoug önws Av Er twv "EAANverW@v Wpeiolvro Aöywv mapalveatg Bl. 121”— 140° oO adtod (sie) Zmırdprog eis Karoaperov Töv autod AÖEAPOV TEPLÖVTWV Eri TWVv Yovanv Bl. 1417—164° . nd > r ‚2 [4 r a ‚ 6 Ev rw Edapim 1 Avapeponevos Kataloyog T) iva Dwriov TaTpıapyov xard rwv vis mars Poing, Ötı Ex novou tod Iarpös Ermopeverar 6 Ilveüpa To Ayıov, AAN odyl xanr Tod Yioö 3 r 67 > [4 2 - Ce \ 52 ei ATOPFErHATE TOMTWVv Stapopwv Er TWV X” Yihäs nal tuv EEw oopWv EIN EniotoAwv Apıotorsioug dnopdernara Avaotaslou tod Ilanaßaoılonovrov tod && ’Iwavvivav avvarbıg veviay) ig Aoyınls EEews orevaala 6Lous OXLAAKoUD KaTacreuYN WEANVog Aplorou repl TWV TEvre TOD AvdpwWrnou alodyoewv EEwrepinuv TE Aal Eow- TepLnwWy Tepeplov narpıapyov Kwy|norewg ypazyıpa, Sl 00 natapeitat tig lepwouvng lepeüg tig Myytpopavns Aalounevos © Eyadrara Ev To ypXpparı Entujeve. Hs. 147. 0,23 x 0,16 m, 712 Bl., geschrieben 1771; einzelne Blätter sind un- beschrieben; sie enthält neugriechische Paraphrasen alter Schriften oder alte Texte stets mit neugriechischen Worterklärungen: ie . eg Bl. 11— 1647 2Eyyynors eis Tdg pvg' ToD ooywraton Iuvsolou Ent- OTOAAG Bl. 165"—180Y Baoılelou tod Meyadou xara ray öpyıLopevav Bl. 1817— 1877 Aouxıavoo Weuöooopiomis 7 Lodormtorig. — Auxtvog Bl. 188"—225Y IRovrapyov Xaıpwv&us nepl nalöwv dywyiis Bl. 228’"—245° II. X. nepl tod rag det ypfodar Ty mo Bl. 245’— 256° II. X. nepl noAunpaypoouvns Bl. 2607— 3557 &Eyiymaıs tov Tod npwWrou tönou EntoroAwv (nämlich Jo. Patusa, "Ernundonaudeie erAoAoyiay) I), und zwar sind „erklärt‘‘ auf Bl. 306"—334T &u Wv tod FeopıAaarrou (Bie) SyoAastızod ToD ornorndrou, auf Bl. 334/349 &x T@v tod npoxonlou Toü oopLoTod, 16 Jahresbericht der Schles. (sesellschaft für vaterl. Cultur. 8. Bl. 357'— 3717 "Iooxparoug Adyos TMaraixös eEnyndels TAPA Aavına Iarıiov tod Kepanzus — nur die „einymarc“ 9. Bl. 373"— 432° Eiyyynois av Anopdernarwv tod IAourapyouv Spumvendeloa apa TOD oopwAoyLWratou Kplorou YWv ÖLöuordAou Aavına ou Ilatuiou 10. Bl. 433"—436V der Schluß von Tpnyoplov tou OeoAoyou eis toüg Aöyous al eis tüv EEiswrijv "IovAtavov, von „tol rpooWmoU Cnv ratanplvouca‘ ab, ıl. Bl. 457"—448Y od aurod eis toüg Manxaßaloug — Text und „eriiynars“ 12. Bl. 449"—482Y der Anfang von Nr. 10° 13. Bl. 483"”— 505" IXourdpxov Xaıpwviws repl nalöwy Aywyiis — Text und „einynars“ 14. Bl. 507"— 5127 ’Io&yvou tod XpuoootölLou Acdyog mepl Tpoo- euyTis — Text und „einymars“ 15. Bl. 515"— 522! od autod Zyxulutov eis Toüg dylous navrag Tolg Ev MW TO XOOUW ApTUpYoavtag 16. Bl. 523'—532Y Baoıdkelou Neieuxelag Acdyog eis Tö „Ev px Ernoinoev 6 eos Töv oüpavov nal myv yıv“ 17. BI. 533"—538Y Basıdelou tod Meyaiou Aoyog eis Bapkaayı Tov PTUPR 18. Bl. 5397—548V toü aurod Aöyog eis töv &yıov AncoroAov Hauiov 19. Bl. 549'—5649 tod ourod Aöyos els Toüs Ayloug TEGOAPAaXovra hAPTUPAS 20. Bl. 565"—582' tod adrod önıla eis Tö „Kadeio ou Tas Anodynas nal nellovas olmodonnow“ 21. Bl. 583"—603" od adtod (sie) eis tiv mapaßoAYv repl ToD dowrou 22. Bl. 605"—617° od adrod (sie) eis röv Ada. 23. Bl. 619'—639Y Tpmyoplov tod Ozoxöyou eig tous Aoyous xal eis röy &drowerv "TouAtavov 24. Bl. 640"—657" tod auroD eis toog Manxaßaious 25. Bl. 6597—687Y Baoıkelou to Meyadov Tpög ToUg veoug OnwWg av Er rwv "EAAnvırWv Wperoivro Aoywv mapalveots 26. Bl. 691— 7127 Tod aurod xard nedvovrwv. Hs. 148, 0,21 x 0,17 m, 692 Bl., geschrieben 1872, ein Schullesebuch, nach der Angabe im Kataloge des Cheimonios: ZuAAoyr) xeunevwv EEE Yvwy ouyypapkwv xal nerappaats AUTWv als TiVv Radononevmv HETE TivWv ypapparızav oypeiWoewy. Es enthält: IV. Abteilung. Philologisch-archäologische Sektion, 17 1. nach einer Lebensbeschreibung Theophrasts Stücke aus seinen Charakteren: repl nolaxelas, ancıplas, dmioriaz, ninpopıXoriniag, aveleunreptas, Beiiias, 2. nach einerLebensbeschreibungLukians seinen Tiuwv 7) noavdpwrog und repl öraßorrs, 3. Stücke aus Xenophons Hellenika (II 1,15—II 3) und den Aropvmpoveunare, 4. nach einer Lebensbeschreibung des Lysias seine Rede xar "Epatoovevoug, 5. nach einer Lebensbeschreibung Plutarchs seinen Oeworoxifg, Apıstelöng, Ampoodevng und die Schrift nug dv ıs im Eydpav opekoito, 6. nach einer Lebensbeschreibung des Isokrates seinen Ilavyupxög und ‘Apstonayırıncg, 7. Basileios des Großen npög Toüg veous önws üv &n zwv "EAMM- virWv Wpelolvro Aoywy mapalveotg, 8. Platons droXoyia Zurparous und Kpitwyv nebst einem Blog IMatwvos und der eloaywyr) eis töv HAxtwva, 9. einen TUMog euyaptotmplov dvapopds TW Olnaunevixd TaTpLapy ÜnEP Storxntov. Hs. 157, 0,21 X 0,17 m, 81 Bl, XVII. Jahrh.: Hpoyvwotxöv 9) Bpovroröyiov 1) oeAnvoöpapıov 1) ZoAwpovemm). Hs. 159, 0,22 x 0,16 m, 208 Bl., geschrieben 1702 u. 1703; enthalten sind: 1. emropimy texvm, 2. ovvorıis Teyvns Örropinnis nord relotv xal dmoaptarv. Hs. 161, 0,22 x 0,16 m, 169 Bl., XVII. Jahrh.; enthalten sind: 1. TOD 00pWTaTou xal Aoytwratou neyarou Örjtopos Ts MeyYaäng EraiN- alas xuplou AAsErvöpou iatpod te Aplorou ol &r Kwvoravrıvou- moiewg ouvorbis TEXVNS Prtopinfis Kata meloLy Aal Amoxptatv . TEPL TPONWV Hal OyYynatwv Ypammarınav Kal PntopınWv GUvrayııa Arovuolouv Aoyyivov (sie) repl Üdoug Aoyou . To rpoolmov Eyxwplov eis tov dnöorolov 1lxüdov. » a IV. Nach Patmos gelangte ich von Smyrna aus wegen der Besetzung durch die Italiener erst mit Erlaubnis des italienischen Divisionskomman- deurs Ameglio in Rhodos auf dem Umwege über Rhodos und über Tigani 1913. 2 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschart für vaterl. Cultur. auf Samos; von hier aus erreichte ich mein Ziel in sechsstündiger Segel- bootsfahrt. Die Gastfreundschaft des Klosters genoß ich vom 24. bis zum 27. Juli. In dem geräumigen Fremdenzimmer mit seinen unvergleichlichen Fernblicken wurde ich bei den bereitwilligst zur Verfügung gestellten Handschriften ohne jede Aufsicht gelassen; meinen photographischen Apparat hatte ich jedoch vor der Benutzung der Hss. abgeben müssen. Der Zweck des Ausfluges nach Patmos war in erster Linie die Ver- gleichung der Briefe Prokops von Gaza in der Hs. 706 aus dem XII. Jahrh. (vgl. Sakkelion a. a. O. 8. 274—275). Zu der jüngsten Beschreibung dieser Hs. von Paul Maas, Zu den Beziehungen zwischen Kirchenvätern und Sophisten. I. Drei neue Stücke aus der Korrespondenz des Gregorios von Nyssa. Sitzungsber. der Berl. Akad. 1912. XLIII. S. 988—992, mögen einige Berichtigungen und Ergänzungen hier Platz finden. Insgesamt enthält die Hs. jetzt noch 366 Blätter; manche, besonders am Anfang und Ende, sind nur noch Fetzen; die Größe der heilen Blätter ist 0,29 x 0,21 m; jedes Blatt hat 25 eingepresste Zeilen. Die beiden — unechten — Briefe Ex wv EntoroAwy ’TouAtavod Tod rapaßarou, die jetzt auf 2 losen Blättern vor der 8. Gruppe, 7], vor den &nıotoAat ötdopopor ’Avtwviou aATpLaXpyOoL Trpüg Töv Baoıda, stehen, tragen die Nummer %, folgten also ursprünglich auf diese Briefe. Der Wert der Hs. für die Textgeschichte der Julianbriefe ist von J. Bidez und Fr. Cumont a.a. 0. 8. 92—94 gewürdigt worden; ihre Unter- suchungen sind Maas entgangen. Die Überschrift &rıstoial öLdpopor gilt nicht für die folgenden Gruppen von Briefen verschiedener Autoren, deren erste die des Antonios bilden sollen, sondern für die verschiedenen Briefe des Antonios, da nur dann die Numerierung der &rntorolat npoxonlou soprotod yalng mit ıy und der äntorolal yvwotixod tıvog mit ıö in der Hs.') verständlich wird. Die ursprünglichen, jetzt bei den Überschriften fehlen- den Nummern der dazwischen liegenden Briefgruppen sind m. E.: CD Enısrolal lwayvou MOVayoD öpoug ToD Adtpoug, Qua) Enısroin Ws &r Tod Baorktws Kwvoravıivou too Toppupoyzvvyjton oysdtacheloan nal Anootaleloa wm neyaiw Tonyopio tu BeoAoyw Yvixa advexonißero (ed. Jo. Sakkelion, AcAttov Tis lorop. xal.EdvoA. Eraipelas Ti EAAados II 1885 8. 264—265), eine Briefsammlung, deren Überschrift und Anfang durch Wurmstiche unleserlich geworden ist; ich habe mir folgende Adressaten und Briefanfänge notiert: mavounA rarpırlw‘ Anf. © tig &pfis Tuyng, 00 PEpW av sunpopwWv TO nANdog.. . . Schl. ovvievar da Tov Tonov. 1) Jo.Sakkelion, Athenaion IX 1880 S. 285 gibt fälschlich den Briefen Prokops die Nummer ıö, den Briefen des Gnostikers die Nummer ıs. IV. Abteilung. Philologisch-archäologische Sektion. 19 Ne I, BEN - m x £) r T [2 niXamA Tw d6EeApPW" Anf. Toig ev Övelpoıs aüpaı Mpeporev E72 er o SS. » > > > , aöpaıs .... Schl..ourw &nAasr) Tuv Kyadıwv Kyadıdc. Re) 4 € r \ c r \ e [A Y [4 iwavvn Ooatıapiw‘ Anf. Tov Yıyspova, Tüv lepea, Tov YLAaKa ... Schl. aateß&donev Te nal naraßaddonev. Die Briefe der Gruppe :ö, die EntstoAat Yvworxoü tıvos, sind nicht alle adressiert an „Nikephoros Uranos, waytorpos ’Avrioysiag“, sondern haben verschiedene Adressaten; der erste Brief hat die Überschrift‘ wo virnpopw nal arıya Melımvng To Badevrı Televrioavtog ToU vLoD auToU‘ olöx Ws al auris von Kadyibaro .. . Schl. T& xad” Tilds olxovonovcav. Dann folgen 3 Briefe to ratpızpyn) Avtoyelzg und nach diesen erst die 6 von Sakkelion, Athenaion IX 1880 S. 285—300 herausgegebenen Briefe an Nikephoros Uranos. Hinter der Gruppe :ö ist die ursprüngliche Anordnung der Briefe gegenwärtig verwirıt; es befinden sich hier die zum Teil von Sakkelion, Aeittoy I S. 657—666, II 8. 39—48. 385—409 herausgegebenen Briefe tod narpıxlou Beoöwpou aut Enapyov Tod Aupvomarou Ws Ex rpoowrou Buorelou!) und die von Sakkelion, Athenaion IX 1880 S. 290 bis 291 mit dem Texte bei Johan. N. Baletta, ®wrlouv To) oopwraTou Kal Aoyıwratou narpıapyov Kuwvaravevouroiewg ErtoroAat, London 1864; verglichenen Briefe des Photios. Von Prokop von Gaza enthält die Hs. nach den Nummern bei Hercher a. a. O. 8. 555—598 nur die Briefe 3. 62. 63. 4. 5 bis zu den Worten En’ &uol napeozevacev. Mit denselben Briefen beginnt die Samm- lung der rporoniov oopıorod als ErtoroAat im cod. Vindobonensis philos. et philol. Gr. 321 (Nessel IV S. 155) des Augier Gislen de Bus- beque, XIV. Jahrh., auf Bl. 316 u. 314.?) Dieselben Briefe eröffnen die Reihe der Prokopbriefe im cod. Mediceus Laurentianus XXXI 33, XV. Jahrh.,, auf Bl. 176° fl. Diese 4'/, Briefe bilden also den Anfang einer Sammlung von Prokopbriefen, und der Schreiber oder Re- daktor des cod. Patmiacus 706 hat sich mit der Abschrift dieses Anfangs begnügt. Den Wert dieser Hs. für die Textgestaltung der Prokopbriefe mag eine Zusammenstellung seiner Lesarten mit denen des cod. Vindob. und bei Hercher veranschaulichen: 1) Den von Sakkelion, AsArtiov II. S. 38 angeführten schriftstellerischen Arbeiten des Theodoros Patrikios Daphnopates läßt sich noch eine von ihm zusammengestellte Blütenlese aus Johannes Chrysosiomos hinzufügen, die nach dem Katalog des Kyriakides im cod. Chalcenus S. Trinitatis 107, XIV. Jahrh., ent- halten ist: ’Iw&vvov apyıenisxonov Kwv | niiewg Acywv aravdlopara ovAAsyevra apa zod narpınlov Enapyov Hupod Beodwpou tod Aupvonaron zöv apıdıov 33. 2) Die Blätter 314. 315. 316. in dieser Hs. sind L. Galante, Studi ital. di filol. class. IX 1901 S. 221—222 entgangen. Wie in andern Teilen sind auch in den Prokopbriefen die Blätter der Hs. arg durcheinander geraten; die ursprüngliche Reihenfolge der Blätter in den Prokopbriefen war: 316. 314. 35—38. 315. 39—42. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hercher Brief38.533,17 33 Br. 62 S.553,37 40 41 42 43 Hvdayöpas ö Darıos aAN” oUOE TOUTOV PaoLv WG BExpL Eywv Ent Aoyoug, Hal nereßaidovro EOLWTLWV r zT N Kalos TE Y al r Ötaıevn ÖE oUTE al r EPWvUL@ zwv Alyuntiov xopyyov TWv olöev Exeivog OUOEYV ArtlLoTepav 44—45 YWpav QU- 8.954,1 17 19 27 29 30 TWy Erttppewv 1) 6 naraı Il- Yayopas nev EAoyılopyv Eruröröoug, TO (Ev TpWTov Yaud- Lwv aAAov Tyv orjv marplda aurng oupBatver Yipdv TeTpaYWÖöNTat coL KONOUON) npav AL RAN TE oE TOV Kal vORPpNG TEpLEYEdaL TouTo 31—32 add Onwg "Aypoötty) YiXov xal "Epwaorv. Ep- PWoo, Xul oe cod. Vindob. 321 Ivdayöpas © odu- 05° TOUTOV Waolv eg od!) neypt Eywv En Aöyous zal hETEBAANETO ELTA xarös TE Örapever SE oUTE Adressat fehlt zolg alyuntlotg Xopyyov, TWv olöev Exeivog WS ÖE Hal druwripav YAupav aurols Entp- p£ov N nalaı nudayopas ein tal nEv EAoyılömv Ertöoüg TO EV TIPW- zov EraupaLov 690800) wmv rapide AUTE [A sunBatver üniv (aus Yjiv ver- bessert) ErpayWöntal aoL LOX.OUON) hanpav Avanarels. ToUTO os WS xal Tis vulpng mepLEpyeodat TaÖN” OUTWE &ppo- ten PN val Epw- at. a Hal 0: cod. Patm. 706 TudayYöpas 6 autos’ AAN” OVOE TOUTOV palmv Ws pExpı aywv Ent Aöyous xal nereßalNovro ELWrWVv xaurog TE ÖL LEvY NE) Ö odtE ein ai “Te [4 epwvulLm tols alyuntlorg xopnyov Tov Exeivos olöev oU8EV ArtuLwWrepav xwpav ovrols Einıp- pewv 1) nadaı nudayöpas \ er 2 r nEv oüv EdoyıLonmv Entördoüg TO TTOWTOV VavpaLwv AN oU Tv natplön aurois sunBatverv Öl Erpaywöntat coL AroucN WINPaV Avanradkeis' Tov xal TG vun TEPLEXEODEL Tat" OUTWS Kppo- Sn pin al Ep- pPwoo' Kal o& toüro o& it) wg od ist von erster Hand über n£xpı übergeschrieben. IV. Abteilung. Philologisch-archäologische Sektion. 21 Br.63 8.554,34 8.534,3 Br. 5 8. 534,18 Hercher Il,sto 35 El got us 36 Wavdaverv 40 Iludwöe 41 KXOUVELy 42 TAvYTWg EV VON 43 apa 45 aUTaIG AVEiLEvov 47 AvoyeL 48 TOLWOaEVoS TPETOVOAYV olıat 50 —51 o0UTw 52 Öpiv 8.555,1—2 Ttoüg Aöyoug auToug, TW Ye 6 Emeoreilav 6—7 Erben 8 EBouAömv Br. 48.533,38 "Ooov ol aya- Vol... auTWv öcoL 5 TOoOUTOU 7 TOGoUToV ND- ppave 10 To0TO ÖE xal 13 Önepßardwv auTo On) 19 aötrolmv 20 TYV VIRWoav SuNV 21 TOV vOv 21—22 xarıyopov' OOTW 23 Bpayxd ti oe TpAYa cod. Vindob. 321 117240) Ei not rıs avraveLv TOIWOE Axoveı TAvTWg (Ev WON dpa die betreffende Zeile fehlt avayeı TOWOALEvVoS olpaı oOTW Yipv x [4 ’ ee r TW AoyW aUTOD [i)- TWTE ne (aus yo we verbessert) EnEoteiAav el [L Erßater YiBovAöumv "Oovov ayadol.... aurToL 6ooL TOOOUTOU TOGOy EÜPPaLVE zoüto al c \ ünepßarwv To oöv On) > [4 KÖLNELYV BEYV TiVv vIRWonv TOv vOouv Karıyopov’ oürw cod. Patm. 706 to Ivdto OT pol tig nardetv ud Ö& Aroueıv MÄvTE {EV MON) TA“ aveınevov autals ayeı TOTAWEVOS TpETOU- av olpaL oUTog öpiv x r tous Aöyoug WYinw pe auToug ATEOTELANV EerBain EBouActmv "Ooov ot ayadol... AUTEV 1.0) CTOSOL TOSOUTOY | Toooütov Nüppave rodro al örepBarmv To oov N) Aötnoinv y \ - BR Trv vir@oav zo vOv Karılyopov OUTWg Bpayd ti oe npayna Bpayu os mapaöeıy- ua Außer der gleichen Reihenfolge weisen also auch gewisse charakte- ristische Fehler in den 4/, Briefen des cod. Patmiacus 706 und des cod. Vindobonensis 321 auf einen gemeinsamen Archetypus hin. Doch sind auch die Abweichungen zwischen beiden Hss. bedeutend. Die mannig- 22 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. fachen Fehler des cod. Patm. in den Prokopbriefen bestätigen das Urteil von J. Bidez und Fr. Cumont über diese Hs. und zeigen, daß sie für die Textkritik ebenso vorsichtig zu verwerten ist wie für die Entscheidung von Echtheitsfragen. Aischylos 13 Akakios 11 Alexander d. Gr. 10 Alexander Rhetor 14.17 Anastasios, Kaiser 8 Anastasios Gordios 14 Anastasios Papabasi- lopulos 15 Anastasios Sinaites 11 Anonymos, philos. Lehr- gedicht 8 Anonymos, rept ovY- racsws 5 Antiochos 11 Antipater 13 Antonios, Patriarch 13 Apollinarios 11 Aristophanes 5. 13 Aristoteles 11. 13. 15 Asterios der Arianer 11 Athanasios 11. 12 Augustinus 11 Baletta, Jo. N. 19 Balsamon 11 Barlaam u. Joasaph 11 Barsanuphios 11 Basileios d. Gr. 4. 5. 7. 2112. 19.119.16:4007 Basileios von Seleukia 11. .köl 16 Bidez, J. 2. 18. 22 Boissonade, Jo. Fr. 9 Boyens, Jos. 2 Bryennios, Jos. 9. 11 Busbeque, Augier Gislen de 71. 19 Namenverzeichnis. Cavalieri, Pius Franchi de 7! Cheimonios, Const. 7.10. | 12. 16 Chorikios 9 Coxe, H. ©. 7! Cumont, Fr. 2. 18. 22 Daniel Kerameus Patmios 10. 14. 16 Demosthenes 2. A. 5. 12. 14 Didymos 11 Diodoros 11 Diogenes Laertios 5 Dionysios Areopagita 11 Dionysios Hierophantor 11 Dionysios od. Longinos 17 Dionysios Thrax 13 Dostratios 11 Eirenaios 11 Ephraim der Kreter 14 Ephraim der Syrer 9. 11 Epiphanios 11 Eugenios von Bulgarien 10. 11 Euripides 13 Eusebios von Pam- phylien 11 Eustathios von An- tiochien 11 Foerster, Rich. 2.8.9. 14 Fritz, Wilh. 2 Galante, L. 191 Gardthausen, V. 8 Gennadios 11 Georgios Kedrenos 11 Georgios Koressos 11 Georgios Pachymeres 11 Georgios Synkellos 11 Gerlach, Stef. 6 Gregor von Nazianz 5. 6.7.9. 11.122153. 14. 15.10. 18 Gregor von Nyssa 8. 11.18 Gregor Palamas 11 Gregory, C. R 17 le). Hercher, Rud. 6. 19 Hesiod 9 Hieronymus 11 Hippolytos 11 Homer 5. 8. 13 Irenaeus 11 Isidor von Pelusion 6.11 Isokrates 16. 17 Jeremias, Patriarch von Kpel. 15 Johannes Chrysost. 6.7. 9.11.0413. los 192 JohannesDamaskenos11l JohannesHieromonachos (6) Johannes Hostiarios 19 Johannes Monachos vom Berge Latros 18 Joseph 11 Joseph Bryennios 9. 11 Julian d.Abtrünnige 8.18 JulianvonHalikarnassi11 Justinus Martyr 11. 13 Klemens 11 Konstantinos d. Große 3 Konstantinos Porphyro- gennetos 18 Konstantinos Rhetor 9 Konstantios I., ökumen. Patriarch 7! Kontarenos, Kardinal 3 Kosmas 6 Kutlumusianos, Barthol. 13 Kyriakides, Theod.7.19' Kyrillos 11 Kyrillos V., Patriarch von Kpel. 10 Legrand, Emile 6! Libanios 2. 9. 14 Lietzmann, Jo. 7! Longinos s. Dionysios Lukian 4, 5. 6. 15. 17 Lykophron 12. 13 Lysias 17 Maas, Paul 18 Makarios 11 Mansion, J. 2 Manuel Patrikios 18 Maximos d.Bekenner 11 Maximos Margunios 10 Melanchthon, Phil. 8 IV. Abteilung. Philologisch-archäologische Sektion. 93 Meletios Pegas 10 Meleton 11 Metrophanes 6. 71. 8 Mog£, X.D. 1? Neilos 11 Nikephoros Basilakes 5 Nikephoros Uranos, Ma- gister v. Antiochien 19 Olympiodoros 11 Origenes 11 Papadopulos- Kerameus, A. 2 Patusa, Jo. 7. 15 Philon 11. 14 Photios 15. 19 Pindar 8. 12. 13 Platon 17 Plutarch 4. 10. 14. 15. OT Polychronios 11 Prokop von Gaza 1.7. 11. 15. 18—22 Pythagoras 12 Reiske, Jo. Jac. 9 Rhotas, Antonios1?.4.5 Sakkelion,Jo. 11.18.19 Serapion 11 Severianos 11 Severos 11 Simplikios 13 Sokrates 11 Sophokles 8. 15 Sophronios, Hieromo- nachos 11 Synesios 5. 6. 10. 14.15 Thalassios 11 Theodoretos 11 Theodoretos, Verf. eines Briefstellers 14 Theodoros Balsamos 11 Theodoros Gazes 8 Theodoros Patrikios EparchosDaphnopates 19 Theodoros Studites 11 Theodosios d. Jüngere 8 Theokrit 5 Theophanes Kerameus 10 Theophilos Korydalleus 12 Theophrast 17 | Theophylaktos von Bulgarien 11 Theophylaktos Simo- kattes 1. 6. 7. 15 Tittmann,Jo.Aug.Henr.3 Valens, Strategos von Melitene 19 Valetta s. Baletta, Jo.N. Vogel, Marie 8 Wyss, A.v. 7! Xenophon 17 Zenon, Kaiser 8 Zonaras 2. 11 Daran schlossen sich Mitteilungen des Herrn Geheimrat Foerster und Anfragen des Herrn Professor Dr. Cohn, die der Vortragende be- ‚antwortete, 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Sitzung am 30. Juni 1913. Herr Professor Dr. R. Foerster sprach über die Frage: Ist die Feder oder das Lotosblatt Attribut des Hermes? An der folgenden Besprechung beteiligten sich die Herren Professor Kroll, Professor Ziegler, Dr. Roeder, Dr. Landsberger, Land- gerichtsrat Goldfeld, Geheimrat Thalheim und Fräulein Dr. Renz. Sehlesische Gesellschaft für vaterländische Cultır. ZELTE 91. IV. Abteilung. Jahresbericht. b. Orientalisch-sprachwissen- 1913. | schaftliche Sektion. ERS - RICH Sitzungen der orientalisch-sprachwissenschaftlichen Sektion im Jahre 1913. Sitzung am 2, Dezember 1913. Herr Dr. Roeder hielt einen Vortrag über Neues aus der Aegyptologie. Alsdann hielt Herr Professor Dr. Paul Diels folgenden Vortrag: Über das indogermanische Passivum. Ein Titel, wie ich ihn meinem Vortrage gegeben habe, enthält, wie Sie sehen, bereits eine These, eben die These, für die ich hier einiges beibringen möchte. Die Frage, ob in indogermanischer Zeit schon eine Passivflexion existiert habe, pflegt verneint zu werden, und zwar verneint mit Gründen, die zunächst viel Gewicht zu haben scheinen. Ich zweifle dennoch, ob sie das Rechte treffen und möchte meine Zweifel im Folgenden begründen. Das gewichtigste Argument, das die Sprachvergleichung gegen die Existenz eines idg. Passivs beizubringen vermag, ist dies: Die Ausdrücke für den Passivbegriff, die in. den idg. Einzelsprachen in reicher Fülle auf- treten, lassen sich auf keine gemeinsame Wurzel zurückführen: die Passiv- bildung des Germanischen ist eine andre als die des Lateinischen, wieder eine andre die des Slavischen, wieder anders die altindische usw. Diese Linien laufen offenbar nicht zusammen. Eine Übersicht der vorkommenden einzelnen Ausdrucksweisen soll das zeigen. Wohl die weiteste Verbreitung, wenigstens in den europäischen Sprachen, hat heute die Umschreibung durch ein Partizip mit dem Hilfszeitwort sein oder werden. Eine allgemeine Verbreitung kann man aber selbst diesem Mittel nicht nachsagen, und die Umschreibung lag und liegt so nahe, daß sie ganz wohl an verschiedenen Orten entstanden sein kann. Jedenfalls führt nichts darauf, ihr schon für die Ursprache eine typische Bedeutung zuzuschreiben. Im Grunde das gleiche gilt von der Zusammensetzung des Verbs mit dem Reflexivpronomen, die für das Slavische und Baltische charakteristisch ist. Dann die Umschreibung mit gelangen zu und einem Verbalsubstantiv, - die bei uns in einzelnen Verbindungen ein Äquivalent des Passivs darstellt, z. B. die Mitgliederliste gelangte zur Verteilung. Stellenweise, z. B. in tech. Dialekten, hat sich daraus ein Ausdruck für passiven Sinn entwickelt. 1913, $) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Auf die umstrittene Frage, ob das r-Passiv resp. -Mediopassiv des Lateinischen und Keltischen in die Urzeit zurückgeht, will ich hier nicht eingehen, da ich zu ihrer Beantwortung keine neuen Tatsachen beizu- bringen weiß. Um einen typischen Passivausdruck kann es sich für die Urzeit in keinem Falle handeln. Endlich die Vertretung des Passivs durch das Medium; da hierin das Griechische und das Iranische zusammentreffen und die germanischen Reste des Mediums sogar nur passivischen Sinn haben, so mag vielleicht — ich will das nicht bestreiten — der Gebrauch schon indogermanisch sein. Um einen charakteristischen Ausdruck passiver Bedeutung handelt es sich aber auch da, wie Sie sehen, nicht. Die einzige indogermanische Sprachgruppe, die über ein organisches Mittel zum Ausdruck des Passivums zu verfügen scheint, ist das Inde- iranische. Es gibt im Altindischen wie im Avestischen bekanntlich eine besondere Präsensstammform, die von der Wurzel durch Anfügung eines im Altindischen betonten -yd- gebildet wird, also ai. Ariyäte „wird ge- macht“ zum Aktivum karoti, krmöti, ai. chidyäte zum Aktivum chindtti „er spaltet‘, ai pacyäte zum Aktivum päcati „er kocht“. Diese Passivbildung ist vom altind. Standpunkt aus, wenigstens vom vedischen Standpunkt aus, eine ganz für sich stehende Formenkategorie, ein betontes -ya- als Mittel zur Bildung von Verbalstämmen existiert außerhalb der Passivbildung nirgends. Die Bildung des Passivums läßt sich also aus den sonst be- kannten stammbildenden Elementen nicht ohne weiteres herleiten. Es ist ferner aus den wenigen angeführten Beispielen schon klar, daß sie zur aktiven Präsensbildung der betreffenden Verba in keiner angebbaren Be- ziehung steht. So sind im Altindischen kriyäte, chidyäate, pacyäte ganz gleich gebildete Formen, während die zugehörigen Aktiva krnöti (kardti), chinätti, päcati weit auseinandergehen und weder unter sich noch mit den Passivformen etwas gemeinsames haben. Auf die Feststellung, welche Verben im Indischen und lranischen ein solches Passivum bilden, kann ich mich hier nicht einlassen; eine prin- zipielle Beschränkung scheint nicht zu existieren, und die Grenzen, die etwa der Usus gezogen hatte, sind nicht ganz fest; sie sind offenbar im Laufe der Entwickelung teils erweitert worden: die altindische Passivbildung gehört zu den produktiven Formengruppen, teils verengert: das ist das Bild im Iranischen, Die im Veda belegten Formen sind zuletzt wohl zusammengestellt von Macdonell in Vedie Grammar, $ 444—448, die avestischen von Reichelt, Awestisches Elementarbuch $ 615 anm. Es ist ziemlich allgemein üblich, das indoiranische Passivum als eine sekundäre Entwickelung anzusehen, man betrachtet die indischen Passiv- bildungen auf betontes -y4- als identisch mit den nicht passivischen Präsensbildungen auf -ya-, die die Wurzel betonen. Zwischen den os IV. Abteilung. Orientalisch-sprachwissenschaftliche Sektion. beiden Kategorien bestehen Unterschiede der Bedeutung und der Form, ‘wie man sieht; beide Unterschiede sucht man hinwegzuschaffen, als sekundär zu erweisen, durch den Nachweis gewisser tatsächlich vorhandener Schwan- kungen. Echte Passiva begegnen gelegentlich auch mit dem Akzent auf der Wurzelsilbe, ein großer Teil der Verba mit betonter Stammsilbe hat eine intransitive Bedeutung und unterscheidet sich also von den Passiv- bildungen nur dadurch, daß keine zugehörige Aktivbildung existiert und ein eigentlicher Agens der Handlung weder erwähnt noch gedacht wird. Endlich enthält die Klasse mit betontiem Suffix seit ältester Zeit ein Verbum, das kaum als eigentliches Passivum aufgefaßt werden kann: mriyäte „er stirbt“. Ebenso vielleicht dhriyate ‚‚er hält stand, lebt fort, hält sich still‘ usw. Es ist formell ein richtiges Passivum und könnte im Gegensatz zu- mriyäte auch seiner Bedeutung nach so erklärt werden. Doch gebraucht die Sprache kein einfaches Aktivum, das dem Passivum dhriyäte entsprechen würde, sondern ersetzt eine etwa einmal vorhanden gewesene Aktivform durch das causativ gebildete dharäyati, sodaß wir nebeneinander als korre- spondierende Bildungen finden dhriyate: dhäräyati, wie mriyate: märäyati. Das sind in großen Zügen etwa die Argumente, mit denen man die Trennung zwischen der stammbetonten -ya-Klasse und der suffixbetonten Passiv-Klasse als unursprünglich zu erweisen glaubt. Die allgemeine An- erkennung, die sich diese Beweisführung erworben hat, sollte immerhin nicht darüber täuschen, daß wir uns hier auf einem fast ungangbaren Boden befinden. Ich will die geschilderten Annahmen samt ihren Beweisen nicht gerade bestreiten, weil ich nichts besseres an ihre Stelle zu setzen weiß. Irgendwie genügend sind sie aber nicht. Denn wir haben nicht die geringste Vorstellung, in welcher Weise sich ein Akzentunterschied der besprochenen Art sekundär herausbilden konnte. Ein Akzentunter- schied zweier sonst identischer Worte kann sich herausbilden, wenn im Paradigma Formen mit verschiedenem Akzent wechselten, es konnte da- runter eine Form sein, oder einige Formen, die aus inhaltlichen Gründen vorwiegend in einer bestimmten Bedeutung vorkamen, und es konnte dann mit der Zeit der Akzent dieser Formen charakteristisch werden für eine bestimmte Bedeutung. Eine Erklärung dieser Art können wir in unserem Fall nicht anwenden, denn wir haben nicht so ohne weiteres das Recht, im Paradigma der genannten Präsentia einen Akzentwechsel vorauszusetzen. Oder zweitens: es könnte der Akzent der stammbetonten -ya-Formen das alte sein, die Passivbetonung das Sekundäre. In diesem Falle müßte man methodischerweise fordern, daß irgendwo im indischen Verbalsystem eine Form aufgezeigt werde, die den Akzent von altersher auf dem Suffix trug und die durch ihre Bedeutung die Passiva beeinflussen konnte. Eine solche Form existiert aber meines Wissens nicht, denn die sog. 6. Klasse hat in der Bedeutung nichts mit den Passiva gemein. Außerdem widerspricht die Annahme, es sei die Betonung des Stammes das ursprüngliche gewesen, 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. den Ablautverhältnissen, denn alle Verba der -ya-Klasse, nicht nur die Passiva, haben die sog. schwache Gestalt der Wurzel, die auf ursprüng- liche Betonung des Suflixes weist. Und so bliebe endlich drittens nur die Annahme, es sei vielmehr die Suffixbetonung der Passiva das ursprüng- liche, sie müßte dann bei den übrigen Verben der -ya-Klasse aus irgend einem Grunde. durch Stammbetonung ersetzt sein. Welcher Grund hier gewirkt haben sollte, läßt sich aber wiederum nicht sagen. Meines Erachtens bleiben nur folgende Annahmen möglich; 1. Die suffixbetonte -ya-Klasse oder Passivklasse hat mit der stamm- betonten -ya-Klasse nichts zu tun: es sind zwei ganz getrennte Kategorien, die nur sekundär gelegentlich einmal durcheinander gemischt werden. 2. Die beiden Klassen sind im Grunde identisch: dann muß man die Annahme wagen, daß sekundär die eine Klasse von der anderen differen- ziert worden wäre, und daß der Akzent dabei eine primäre Rolle als Träger eines Bedeutungswechsels gespielt habe. Dafür fehlt es nicht ganz an Analogien, die aber doch schließlich ganz andersartig sind und uns kaum ein Recht verleihen, hier zu diesem äußersten, gänzlich außerhalb aller Erfahrung liegenden Mittel zu greifen?). Aber wir können diese Frage: ob die Klasse der Passiva mit der Klasse der Intransitiva ursprünglich identisch sei usw., hier beiseite lassen, da sie für das, was ich hier vortragen möchte, nur eine nebensächliche Bedeutung hat. Es könnte ja die Entwickelung einer besonderen Passiv- flexion in der Tat etwas sekundäres sein; aber selbst damit ist noch lange nicht gesagt, daß sie eine spezifisch indoiranische Neuschöpfung sei. Äußerlich genommen ist ja richtie, daß keine europäische Sprache etwas bietet, das der indoiranischen Passivflexion mit -ya- auch nur von ferne gleicht. Es fragt sich aber, was man daraus für Schlüsse ziehen soll. Meist wird wohl der Schluß gezogen, diese Passivbildung mit -ya- sei eine indoiranische Neuerung. Die Tatsachen lassen sich aber, glaube ich, auch anders ordnen. Es ist längst bemerkt worden, daß die mit -ya- gebildeten indischen Passivstämme z. T. auch in Europa als Präsensstämme, allerdings nicht in passivischer Geltung, vorkommen. Ohne sich über das gegenseitige Ver- 1) Die bekannte Unterscheidung zwischen echten io-Präsentien und --Prä- sentien trägt zur Lösung dieser Fragen nichts bei und wird deshalb von mir nicht weiter berücksichtigt, zumal ich es im folgenden zumeist mit dem Indo- iranischen und Griechischen zu tun habe. Für die ind. Intransitiva mit -ya- ist allerdings durch mehr als eine Etymologie wahrscheinlich, daß sie der Gruppe der baltisch-slavischen i-Präsentia entsprechen, für die ind. Passivklasse pflegt man ebenfalls die -i-Präsenlia als Ausgangspunkt zu betrachten; die folgenden Bemerkungen, soweit sie sich auf slav. und lit. Worte beziehen, werden aber dartun, daß und warum ich die Passiva eher an die echten -i0-Präsentia anknüpfen möchte. IV. Abteilung. Orientalisch-sprachwissenschaftliche Sektion. 5 hältnis der Bedeutungen auszusprechen, reiht man den europäischen Prä- sensstamm mitsamt dem entsprechenden indischen Passivstamm formal ein unter die Kategorie der mit -io- gebildeten Präsensstämme. Delbrück hat dies Verfalıren beanstandet: die betr. Passivbildung sei eine indoiranische Neuschöpfung und im Indischen produktiv, es sei also für die einzelne indische Form kein höheres Alter gesichert, die Übereinstimmung mit europäischen Präsensstämmen könne also auf Zufall beruhen; er schiebt aber damit dem Zufall doch wohl zu viel zu. Eines oder das andere mag ja Zufall sein, aber gewiß nicht alles. Es handelt sich um folgende Übereinstimmungen: chid- „spalten“ bildet im Altindischen das Präsens Aktivi regulär mit infigiertem n: chinatti usw., dazu ist ein -ya-Passiv belegt im Atharvaveda in der 3. sg. chidyate. Im Griechischen entspricht dem genau die Stamm- bildung von oxilw. An die im Indischen vorliegende Bildung des Präsens Aktivi erinnert im Griechischen, wie bekannt, nur das weitergebildete Substantivum oxwwdaluoc. pac- „kochen‘ bildet im Altindischen das Präsens Aktivi thema- vokalisch: päcati, dazu ist die Passivbildung mit -ya- mehrfach im Veda belegt: 3sg. pacyäte, 3pl. imperf. apacyanta, part. pacyamäna-. Wiederum entspricht dem das griechische nz£00w. Auch mauc- „loslassen‘‘ usw. bildet sein Präsens activi mit -n- Infix, thematisch: muncäti (neben mucäti), dazu ist ein Passivum mit -ya- mehr- fach im Veda belegt: mucyäase, mucyäte, mucyasva, mucyalam, amucyala, Wenn das gr. drrouvoow „die Nase schneuzen‘“ dazu gehören sollte, wie vermutet wird, so stimmt wiederum die griech, Präsensbildung mit der indischen Passivbildung überein. Ebenso bildet tuj- „schlagen‘‘ das Präsens activi tunjati neben tujätı. Dazu wieder das Passivum mit -ya-: tujydte, tujyamäna. Wenn dazu griech. ervlo „in Schrecken setzen“ gehört, was allerdings bestritten wird, so steht die griech. Präsensbildung auch hier der indischen Passiv- bildung nahe. Endlich ein Fall, der über das Gebiet des Griechischen hinausführt. han - „schlagen, treffen“ bildet im Indischen das Präs. Aktivi in der Regel ohne Bindevokal känti. Daneben kommt eine reduplizierte Form vor. Dazu bildet das Indische ein ya- Passivum, das im Veda reichlich belegt ist: hanyäte, hanyänte, hanyatam, hanyantam, hanyämäna-. Wieder findet diese -ya-Bildung ihre Parallele in dem griechischen (poet.) Präsens Ssivo, freilich diesmal keine genaue Parallele, denn wenn auch hanyäte usw. im Grunde zweideutig ist und sowohl die Vollstufe wie die Reduktionsstufe der Wurzel repräsentieren kann, so muß doch nach Analogie der anderen indischen ya- Passiva geschlossen werden, daß es sich um die Reduktionsstufe handelte, während griechisch Jeivo nur 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. die Vollstufe darstellen kann. In diesem Falle tritt das Zeugnis des Slavischen hinzu, slav. Zeti:zıno zeigt das Fortleben der - ya - Flexion dieser Wurzel in den europäischen Sprachen ebenso wie griech. JFeivo, aber es stimmt genauer als dieses zu der Ablautstufe des Altindischen. Von den im Avesta erhaltenen Passivpräsentien könnte man eines hierherziehen: Zu yaz- „verehren‘‘ ist mehrfach belegt ein av. Paisivum yazya- und yezya-. Die Präsensbildung von gr. &ouwcı stimmt damit un- mittelbar überein, doch ist das allerdings vielleicht nur eine zufällige Übereinstimmung, da das Verbum im Griech. nur einmal als Aktiv, sonst stets nur als Medium begegnet, und zwischen dem med. &Loueı und dem pass. av, yazya- eine schwer überbrückbare Kluft der Bedeutung be- steht, selbst wenn man ganz absieht von den Bedenken, die Kretschmer und Meillet gegen diese Etymologie überhaupt geltend gemacht haben. Dies die Tatsachen, die ich hier nur noch einmal zusammen ge- ordnet habe; wie soll man sie deuten? Soll nıan das Zusammentreffen im Sinne Delbrücks für einen Zufall halten, oder soll man die formale Gleichheit als einen Beweis des Zusammenhanges annehmen und somit bei den genannten Wurzeln für die idg. Zeit eine neben anderen Prä- sensstammbildungen herlaufende -io-Bildung annehmen, die im Ind. aus irgend einem Grunde als Mittel für die Bildung einer besonderen Passiv- konjugation verwendet wurde? Beides ist möglich, aber noch ein drittes ist möglich und mir persönlich wahrscheinlicher. Die Passivbildungen, die wir im Indischen finden, mögen bei einigen transitiven Verben in die Urzeit, wenigstens in die voreinzelsprachliche Zeit zurückreichen, es mag schon in jener Zeit neben einem aktiven *skhinetti ein passivisches ®shhidjetai mit bewußter Unterscheidung zweier Genera Verbi gelegen haben, ebenso neben p£egketi ein pegX%jetai usw. Als Mittel zum Ausdruck der Passivfunktion konnte sich diese Bildung medial flektierter 20-Präsentia mit Suffixbetonung in den europäischen Sprachen nicht behaupten, einfach deshalb, weil dort teils (wie im Griechischen) der charakteristische Akzent- unterschied unterging, teils (wie im Slavischen) die mediale Flexion. Wir dürfen also gar nichts der indischen Passivbildung ähnliches in Europa erwarten, und das Fehlen einer solchen Bildung in Europa be- weist somit nichts für die Urzeit. Nehmen wir also an, es habe eine der indoiranischen entsprechende Passivflexion schen in der Urzeit gegeben, so ist zwar einerseits klar, daß diese Flexion als typischer Ausdruck des Passivs in den europäischen Sprachen untergehen mußte, es folgt aber daraus noch nicht, daß die einzelne Passivform unbedingt dem Untergang geweiht war. Die euro- päischen Sprachen kennen zwischen Aktivum und Passivum keinen Unter- schied in der Stammbildung, die beiden Genera Verbi werden vom gleichen Stamm gebildet, mag die Unterscheidung nun noch mit Hilfe der alten IV. Abteilung. Orientalisch-sprachwissenschaftliche Sektion. 7 Medialendungen erfolgen oder durch Anfügung reflexiver Pronomina oder sonstwie, Das ist richtig, und des weiteren wird auch richtig sein, daß die gemeinsanıe Stammform in der Regel, ja in den meisten Fällen, aus der Form des Aktivs gewonnen wurde, es könnte aber bei transitiven Verben, deren passive Formen relativ häufig vorkamen, auch einmal der umgekehrte Fall eingetreten sein: daß die Stammbildung des Aktivums ersetzt wurde durch die des Passivums. Und eben das scheint mir bei den griechischen oyilw, nesow, anouvcow, &TVLo, Jeivo und beim slavischen Z7no der Fall zu sein. Es handelt sich hier m. E. um alte passive Stammbildungen, die das zugehörige Aktivum ver- drängt haben, d. h.: die Passiva nzesostaı, oyilscar sind vielleicht ohne weiteres identisch mit den altind. Passiven pacyäte chidyäte, und von neoostaı, oxileroı wäre die Bildung eines neuen Aktivs zu2oow, eyilw ausgegangen usw. Warum in diesen Fällen das Akiivum durch das Passi- vum verdrängt wurde und nicht etwa umgekehrt, das ist eine andere Frage: es braucht sich da gar nicht um eine zahlenmäßige Überlegenheit der Passivformen zu handeln, — eine solche war wohl nirgends vor- handen —, sondern einfach darum, daß die urspr. Aktivformen der Sprache aus irgend einem Grunde unbequem waren resp. wurden: es braucht nur darauf verwiesen zu werden, daß das Griechische die Stammbildung der Klasse altindisch chinatti, d. h. die Präsentia mit Nasalinfix so gut wie völlig ausgemerzt hat, und man versteht, warum in drstwooo, oxiLo, ervlm die Passivformen siegten. Dasselbe gilt mutatis mutandis für Jeivo, auch da handelt es sich um den Ersatz für eine dem Untergang geweihte Aktivflexion. Es muß bemerkt werden, daß die genannten fünf Verba des Grie- chischen diejenigen sind, für die wir eine solche Entstehung der ö0-Flexion durch Vergleich mit entsprechenden altindischen Formen direkt wahr- scheinliich machen können. Die besprochene Erklärungsmöglichkeit — Ersatz einer alten, der Sprache aus irgend einem Grunde ungemäßen Aktivform durch die Stammbildung des zugehörigen io-Passivs — gilt aber natürlich in ganz gleicher Weise für Dutzende von andern griech. to-Verben transitiver Bedeutung, ohne daß wir für das einzelne Verbum den Keim der Flexion in einem ind. Passiv aufzeigen können. Auch beschränkt sich die Anwendbarkeit unserer Erklärung nicht etwa auf das Griechische; von slavisch 27%g war schon die Rede, und es darf vor allem auch an die Tatsache erinnert werden, daß die lit. thematischen io-Präsentia fast alle transitiver Bedeutung sind; auch hier kann mit einer ähnlichen Entwickelung gerechnet werden. Und auch da könnte wohl eine und die andere speziellere Überein- stimmung genannt werden, etwa kurid, kürti in der Bedeutung „ein Haus bauen“ als Fortsetzung des Passivs in altind. kriyäfe, kriyänte, kriyamäna-, av. kiryeinte „sie werden errichtet‘, kiryeiti „er wird ge- g Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. macht“; oder etwa lit. girik gürti als Fortsetzung des Passivs in av. äyairyat „wird gepriesen werden“, allerdings besteht hier ein Unterschied in der Wurzelstufe. Daß in allen idg. Sprachen echte z0-Präsentia andrer Entstehung be- gegnen, soll damit natürlich nicht in Zweifel gezogen werden. Aber in einigen Punkten ist die vorgetragene Anschauung vielleicht doch geeignet, die Geschichte dieser Stammbildung und die zwischen den einzelnen Sprachen obwaltenden Unterschiede in etwas aufzuhellen. Sie mag uns z. T. erklären, wie es kommt, daß -?o- in den euro- päischen Sprachen so vielfach gerade zur Bildung transitiver Präsentia benutzt wird, und daß die Zahl der transitiven -io-Präsentia im Griechischen und Litauischen so groß geworden ist, ganz im Gegensatz zu dem, was das Ältindische lehrt: dort ist die Klasse der Worte wie vidhyati klein und durchaus unproduktiv. — s.P$—- schlesische Gesellschaft ‚für vaterländische Gultur. N 91. Jahresbericht. Ä r Abteilung. ' 1913. Ki Sektion für neuere Philologie, &,e IE 2u® Sitzungen der Sektion für neuere Philologie im Jahre 1913. Die Sektion hielt im abgelaufenen Jahr nur eine Sitzung ab am 11. Dezember, in welcher Herr Privatdozent und Gymn.-Oberlehrer Dr. A. Hilka einen Vortrag hielt: a. Beiträge zur mittelalterlichen Fabelliteratur. Unstreitig gebührt Leopold Hervieuxr das Verdienst, in seinem großen Sammelwerk (Les fabulistes latins depuis le siecle d’Auguste jusqu’ä la fin du moyen äge, t. I—-IV Paris 1884; 2e ed. t. I 1893, t. II 1894) die bedeutendsten Gruppen der umfangreichen und weitverzweigten Fabel- literatur des Mittelalters bis zur Renaissance hin verfolgt und eine kritische Sichtung der Texte angestrebt zu haben. Dass ihm manche Mängel an- haften, ist von der Fachkritik wiederholt betont worden; man darf aber nicht vergessen, daß er von Haus aus kein Philologe gewesen ist, sondern lediglich einer besonderen und kostspieligen Liebhaberei für die Fabelwelt nachhing. Hervieux war von Phaedrus ausgegangen und sah sich dann beim Durchforschen des Fabelmaterials in den bedeutendsten Bibliotheken einer großen Zahl von Fortsetzern und Nachahmern gegenüber, und so reifte in ihm der Plan, auch diese Ausläufer näher zu untersuchen und vor allem den Wortlaut dieser Texte zu edieren. So sehen wir, wie gegen- über der antiken Überlieferung doch eine recht stattliche Reihe neuer Fabeln das Volk durch das Mittel der mündlichen und später schriftlichen Tradition fortgeerbt hat, so daß jene umfangreichen Fabelsammlungen gegen Schluß des Mittelalters ein neues und eigenartiges Gepräge auf- weisen und mitunter den klassischen Mantel ganz abgelegt haben. Nicht selten wurden sie in den Dienst moralisch-theologischer Kreise gestellt, also der Predigtliteratur, wie dies schon die vor die Fabel und hinter sie gestellten Moralisationen andeuten. Es fehlen Beweise dafür, daß etwa zur Zeit der Kreuzzüge griechische Einflüsse auf die Fabelliteratur des lateinischen Abendlandes sich geltend gemacht haben, und auch das Ver- hältnis der Antike zum Vordringen der fabulae extravagantes ist noch immer nicht geklärt; es tauchen da Probleme auf, die noch auf eine sehr lange Zeit hinaus die freilich recht spärlichen Forscher auf diesem Gebiete beschäftigen werden. Zuvörderst gilt es allerdings, die Sammelarbeit fort- 1913. 1 ) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zusetzen, etwa ein Verzeichnis sämtlicher Hss., Inkunabeln und Drucke, auch der Monographien aufzustellen, um enceyklopädisch den gewaltigen Stoff zu meistern. Ob der Plan G. C. Keidels an der Johns Hopkins Uni- versity verwirklicht werden kann, muß abgewartet werden; was von ihm bisher erschien, ward nicht gerade recht beifällig aufgenommen (A manual of Aesopic fable literature, first fascicule, Baltimore 1896; The history of French fable mss., in Publ. of the Modern Language Association of America, t. XXXIV (1909), p. 207—219; Problems in medisval fable literature, in Studies in honor of A. Marshall Elliott, vol. I (1911), p. 281—803). Zur Sammeltätigkeit muß aber das Herstellen kritischer Texte hinzutreten, damit man auf festerer Grundlage denn bisher die Geschichte bestimmter Gruppen und Typen verfolgen und die Verwandtschaftsverhältnisse der vielen Zweige untereinander feststellen kann. Sind wir auch von beiden Zielen heute noch weit entfernt, so kann doch jeder Fabelhistoriker für seinen eigenen bescheidenen Teil segensreich wirken und sein Scherflein beitragen zum großen, abschließenden Zukunftswerk: ein System erfordert eben gar viele geduldige Kleinarbeit. Dieser sollen die folgenden Zeilen dienen. Sie knüpfen sich zunächst an die Abzweigungen des sogen. Romulus, dem namentlich die Forschungen von H.Oesterley (Romulus, die Paraphrasen des Phaedrus und die äsopische Fabel im Mittelalter, Berlin 1870), Hervieur und @. Thiele (Der lat. Aesop des Romulus und die Prosafassungen des Phaedrus, Heidelberg 1910) gewidmet gewesen sind. Gerade die Prosa- versionen des Romulus sind dazu bestimmt, den oft verderbten Text des Phaedrus zu beleuchten und zu ergänzen. Hervieux hat folgende Abarten der indirekten Phaedrusnachahmungen unterschieden: Romulus vulgaris (83 Fabeln) und dessen Ableger in 4 Gruppen: 1) Romulus bei Vincenz von Beauvais (29 Fabeln), 2) Romulus der Oxforder Hs. Corpus Christi College 86 (45 Fabeln), 3) Romulus der Münchener Hs. 5337 (39 Fabeln) und 4) Romulus der Berner Hs. 679 (47 Fabeln). In einer gehaltvollen Schrift hat Bruno Herlet (Beiträge zur Geschichte der äsopischen Fabel im Mittelalter, Progr. Bamberg 1892, p. 92—113) nicht nur einen neuen Text der Hs. der Breslauer Kgl. und Univ.-Bibliothek mit der Signatur I Fol. 180, fol. 62v— ir (Mitte des XIV. Jhdts.) hervorgeholt, der zum Romulus Monacensis in gewisser Beziehung steht, sondern auch gezeigt, daß beide Texte nebst dem Berner Codex und Steinhöwels Fabulae extravagantes auf dieselbe Sammlung zurückgehen müssen. Die jetzigen Textabdrücke von Romulus 3 und 4 bei Hervieux (t. II, p. 262—290; 302—315) zeigen eine bedauerliche Verwilderung der Sprachformen, Lücken und Fehler (offen- bar hatte er ganz unvollkommene Vorstellungen vom Mittellatein), so daß eine Neuedition wünschenswert bleibt. IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 3 I. Der Berner Romulus (vgl. Hervieux, t. I, p. 468—471) enthält 47 Stücke (angehängt sind gleichviele Fabeln aus dem Liber parabolarum des Odo de Ceritonia, die also einem fremden Kreise zugehören). Obwohl stark gekürzt, stellen sie in der Form vielfach eigenartige Neuschöpfungen dar, dienen zur Ergänzung des Münchener Romulus und bereichern die Ge- samtgeschichte der Romulustexte da, wo keine weiteren Parallelen sich nachweisen lassen. Seinen kläglichen Text weiß freilich Hervieux (t. I, p. 471) mit folgendem Hinweis zu rechtfertigen: „Malheureusement quelque chose diminue leur valeur philologique: c’est la defectuosit& de leur texte. La copie contenue dans le ms. 679 est probablement due & un scribe, qui avait sous les yeux un modele difficile & lire et qui, ignorant la langue latine, ne pouvait substituer aux mots illisibles pour lui que des mots bar- bares n’ayant du latin que l’apparence. On ne peut s’expliquer autrement les fautes grossieres dont le ms. pullule“. Abgesehen davon, daß Hervieux seine Hs. öfters unsicher gelesen hat, kann jetzt auch Wandel geschaffen werden, da ich eine Schwesterhs. in der Hs. Tours 468 entdecken durfte, deren Compilatio singularis exemplorum bisher als Unikum dastand (Vgl. meine Mitteilungen im 90. Jahresbericht unserer Gesellschaft, IV. Ab- teilung; Sektion für neuere Philologie). Auch dieser Codex schiebt diese Fabule Ysopi in die Predigtexempla ein, jedoch nur unseren Romulus, der auf 61 Stücke angeschwollen ist. Es fehlt zwar nr. 45 (Geschenk des Fuchses an den Wolf), dafür aber haben wir Stücke, die mit dem Münchener Romulus zusammengehen und dem Berner Codex völlig abgehen. Es sind dies die sieben Fabeln Tours 11 — M(onac.) 31 (Fuchs und Katze); Tours 12 — M 32 (Bock und Wolf); Tours 14 = M 36 (Wolf farzt); Tours 21 = M 12 (Bache und Wolf); Tours 25 = M 23 (Esel und Löwe); Tours 30 = M 30 (Bauer und Drache); Tours 33 = M 37 (Hase und Pflüger). Von weiteren acht Plusstücken sind anzuführen: die Nummern 38 (Fuchs und Adler), 46 (Wolf und Bock Salmo = Robert, Fables inedites, Paris 1825, t. I, p. 474), 47 (Adler, Krähe und Reiher), 48 (Wolf und Krähe), 56 (Igel und Hase), 59 (Pflichttreuer Löwe, aus Hieronymus), 61 (Löwe, Wolf und Fuchs: Beuteteilung — Odo 20). Im folgenden teile ich die wichtigeren Sinnesvarianten der Hs. Tours mit, ferner sämtliche Zusatzfabeln gegenüber der Hs. Bern. Beide Texte scheinen lediglich die Übertragungen einer franz. Überlieferung zu sein, wie eingestreute frz. Sätze und zahlreiche Gallizismen (huare, hurtare, panerium, pasmus, valletus, cassa, andollia u. a.) beweisen. Die Ent- stehungszeit des Originals ist das XIII. Jhdt. Hier wie in dieser Studie überhaupt passe ich die Texte der modernen Orthographie an, lediglich ae, oe sind vermieden, um nicht den Anschein eines codex diphthongatus hervorzurufen. 1* 10. 11. 12. 13. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. (Bern 1). Lupus et agnus. nundum] nondum — praefuit] fuit iam. (Bern 2). Aquila et eius filia. et magis appropinquans sol aliqua vice: gravavit vos, multo fortius nos debiliores — maritetur — aperius] a parvis. (Bern 3). Vulpes et corvus. cantavit] clamavit. (Bern 47). Canis os petens a domino. Habebit, inquit, qui citius p. — immensum] imminens — ponerem] exponerem — sequeretur me — querere] inquirere. (Bern 46). Asinus domino blandiens. servicium] officium. (Bern 4). Leo senex, aper, taurus et asinus. fugiebant a facie eius — destitutus viribus et unguibus et luminibus iacuit — cum dente ei dil. ventrem. (Bern 5). Leo et mus. saciatus et dormitans in silva — Actum] Attamen — leonem in silva captum — mutuum] multum. (Bern 6). Lupus, bubulcus et venatores. querentes bubulcus osten- debat — n. verbo non esse hie, et verterunt ultra — criestles ieux]) te eriet les yeulz — duplices et bilingues. (Bern 7). Asinus et leo. eundens] ostendens — ad usum] ad esum — Et Asinus: Permitte. (Bern 8). Vulpes et mulus. nomen est] n. eius — impositum — scribi in ealce et ibi inveniret. Qui advertens fraudem. (fehlt Bern; = M 31). Vulpes et catus. Vulpis obvians cato petiit, quam artem haberet ad evadendum. Qui ait: Unicam, videre et ascendere- arborem. Et vilipendit eum. Tum catus vulpi: Et tu quam artem habes? Ego, inquit, habeo centum. Et cum loquerentur, viderunt rusticum cum canibus. Qui cum appropinquaret, catus ascendit et liberatus est; vulpis insecutus et interfectus est nec sibi aliquid va- luerunt artes sue. —Et docet hie non confidere de proprio ingenio: nec de propriis viribus. (fehlt Bern; = M 32). Hircus et lupus. Hircus offensus fuit et obsessus: a lupo. Tandem lupo recedente ad cancellam, descendit hircus ad aquam et, cum bene potasset, respexit cornua sua et tybias in aqua et ait sibi: Vere, pulchra habes cornua et tybias fortes et grossas; si insurget in te lupus, defendes te. Et statim affuit et eum mor- dens tenuit. Tune hircus: Domine mi, non indignemini de verbis meis, quia, cum hircus ad satietatem bibit, statim parabolizare in- eipit. — Et docet non loqui nee audaciam nimiam aceipere contra potentem. (Bern 9). Leo aegrotans, lupus et vulpes. Leo infirmatus ceusto- diebatur a lupo et multi visitantes non redibant — compulsus (statt complutus) — visitaverit vos — plateas lutosas — nune studerel IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 5 nee st. — Quid, inquit, defieit mihi, ut habeam? Certe, epar lupi VH annorum — Amicus vester Ys. vobis fidelis — vobis non de- ficiet — non sum nisi ser annorum — ad opus] ad epar. 14. (fehlt Bern; = M 36). De infortunio lupi. Lupus in mane extendens pedem vidit in dextra calce per sortem et sortilegium ipsum deliciis ipsa die debere esse satiatum. Et incedens invenit vietum casu cecidisse mercatoribus, et noluit comedere, quia nimis impingeret cor suum. Iterum incedens latus invenit poreinum, et non comedit, quia nimis salsum. Iterum invenit equam cum pullo in prato, et gratias agens de tantis deliciis et beneficiis salutavit equam, dicens se velle habere pullum. Que ait: Placet mihi, domine, sed rogo vos quod faciatis mihi gratiam auferendo ante spinam de pede. Qui ait: Libenter. Elevans autem pedem ita fortiter eum percussit, quod se pasmavit. Ipsa autem fugiens cum pullo in domo domini se recepit. Item incedens invenit duos arietes in prato luctantes. Quos salutans ait se unum velle habere. Qui consenserunt: Sed ante faciatis nobis unum iudicium, cuius sit istud pratum, quia fuit antecessorum nostrorum et propter hoc habebamus conflietum. Qui ait: Qualiter? Dixit unus: Ibimus ad caput prati et curremus ad vos; qui primus affuerit, habebit pratum; ultimum comedetis. Quo consentiente cucurrerunt et ei quatuor costas fregerunt, et fugerunt et in domo domini recepti sunt. Item incedens invenit suem cum porcellis et ait: Volo unum habere. Que ait: Placet mihi, sed quia nullus fuit adhuc baptizatus, rogo quod baptizetis unum eorum. Et adducens ad canalem molendini impegit lupum sub rota et fugit cum porcellis. Item incedens venit iuxta villam et videns multas capras super furnum ait se unam velle aceipere. Que consenserunt, ita tamen quod primo celebraret eis missam, cum ad hoc venissent. Qui incepit cantare et ululare. Quod homines audientes, cum baculis magnis accurrentes eum mirabiliter leserunt. Tandem nemus intrans et sub arbore re- cumbens, in qua homo erat securim tenens et ramos ascendens, in- cepit lamentari et dicere: Per superbiam refutasti vietum, item ba- conem, quia nimis salsum; item quis dyabolus feeit te medicum, quia volebas extrahere spinam de pede? item quis dyabolus te iudicen, quia volebas esse iudex arietum, cuius eorum esset pratum? item quis dyabolus feeit te clericum, ut baptizares porcellum? item quis feeit te sacerdotem vel episcopum, ut celebrares missam caprarum? In omnibus his merito male aceidit tibi. Utinam descenderet se- euris, que te statim interficeret! Et statim homo existens in arbore emissa securi percussit eum in capite iuxta votum suum, et post 15. 16. ı 76 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 2a. 28. 29. 30. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. pasmum ait surgens: Deus meus, quam exaudibiles reliquie sunt in arbore ista! — Et docet non querere nimias delicias nee confidere in sortilegiis. (Bern 10). Mus et rana. ut ei vitam subr. — contenderent viribus. (Bern 11). Ovis, canis, lupus, milvus et accipiter. Et hoc valet c. illos. (Bern 12). Canis per fluvium carnem ferens. Et hoc valet c. cupidos. (Bern 13). Vacca, capra et leo. ut leo et dominus — quia omnes] contra 0. — qui acceperit, eum reputo inimicum. (Bern 14). Milvus aegrotans. sed vereor, quis omnia p. a. — de- honestaverunt] dehonestati erunt. (Bern 15). Canis fidelis. Recedas aut a. (fehlt Bern; = M 12). De scropha et de lupo. Ad ern parientem venit lupus, promittens obstetrieis officium et solacium. Ad quem scropha: Da mihi honorem, habuisti matrem. Et sic recedens evasit et ei eredidit. — Et docet non esse credendum fallaciis. (Bern 16). Vulpes et ciconia. sorbidas non] sorbiles nec. (Bern 17). Cervus ad fluvium. a ven. currens dicitur ev. Tandem s. petens — ait: Utiliora vituperavi et deteriora laudavi. (Bern 18). Graculus superbus et pavo. spernens et ornans se pennis p. multos iniuriose terruit et immiscens se — nud. est non t. — COr- reptus — A suis contemptus] Quodsi suis contentus fuisset. (fehlt Bern; = M 23). De leone et asino. Asinus leoni occurrens ait: Eamus in cacumen montis, et ostendam tibi, quantum me timent multi. Qui subridens ait: Eamus. Quo clamante vulpes et lepores fugerunt. Ait leo: Vox tua poterat me terrere, si non scirem, quis esses. — Et hoc valet contra terrentes verbis, cum nihil possint facere. (Bern 19). De cycada et formica. ait formica indicens frumentum: Estate ec. — c. pigros et improvidentes. (Bern 20). Verris et porci. ex ind. fugiens ad a. — fortitudinem] fero- eitatem — ce. suo statu debito. (Bern 21). Yulpes et gallus. ad gallinam] ad gallum — d. hom. Vulpis g.n. p. Audi, i. gallus, dom. — evasit dicens — Si loc. non fuisses, predam non amisisses. (Bern 44). Lepores et ranae. consilium inierunt — submergendo in summum] s. in fluvium. (fehlt Bern; = M 30). De dracone et de rustico. Draco nutritus in flumine aqua recedente remansit. Quem rusticus ad preces eius ligavit et super asinum ad domum portavit, et aurum et argentum promisit. Quo soluto a vinculis petebat promissum. Quem draco IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 7 conquerens se ligatum fuisse ab eo volebat comedere. Et cum rusticus diceret sibi ab eo reddi malum pro bono, affuit vulpis iudex, audiens causam, et ait: Stulte egisti ligans eum; vero ostende, quomodo ligasti. Qui iterum ligatus fortiter stringebatur de consilio vulpis. Et reduxit eum ad pristinum statum et locum. Modo, inquit, te non comedet. — Et valet contra ingratos. 31. (Bern 22). Lupus et asinus. se eum velle comedere — ligaret asinum 32. DD 38. 34. 3. 36. 37. 38. 39. 40. 41. per pectus ut servum, asinus lupum per collum ut dominum — per- eipiens fraudem vellet r. (Bern 23). Vulpes et lupus. e. piscem accedens petebat — decens te ce. — vade piscari cum panerio ligato — p. lap. in panerio. Ipse autem cr. pisces capere et dum p. — Qui venientes — torsiones — med., videlicet pellem calidam vulpis vive excoriate, positam ad v. — posse accedere pr. eius n. i. — et calidus poneretur — Leo hoc feeit — stans in oceultum] stans in altum — et certum] et cercum (H. vermutet: sertum) — aliis, qui non recedunt impuniti. (fehlt Bern; = M 37). De venatore et aratore. Venator sequens le- pusculum cum canibus venit per aratorem; qui percutiens leporem abscondit in sabulo. Ad quem venator: Vidisti, inquit, lepusculum? Respondit: Nescio. Tune venator incedebat et dicebat: O quam bonus fuisset cum pipere! Bubuleus cantans et instigans boves ait: OÖ quam bonus erit cum sale! — Et docet non plangere, quod non est habitum nec querere delicias. ” (Bern 24). Mus et rana prandentes. it. rana invitavit murem. (Bern 25). Canis et lupus et homo avarus. Canis c. d. gregem eusto- diens ovium macer erat nimis et t. — comp. dedit ei consilium quod agnum raperet — darent ei satis ad ec. — lupus v. et dicens se ei dedisse bonum consilium acc. agnum — inc. et quod non est cre- dendum omnibus. (Bern 26). Natus claustrum quaerens. N. voluit — in caplera] in cassa — in balistica] in balista pendentem — rel. cum divitiis et deliciis. (Bern 27). Simia, eius foetus et ursus. et inferens ignem combussit eum. (fehlt Bern und M). Vulpes, eius foetus et aquila. Vulpis habebat fetum iuxta nidum aquile, aquila cepit eum et pullis dedit. Absente aquila vulpis congregavit herbas et ligna et ignem supponens extinxit pullos aquile. — Et docet quod qui malum faecit, malum reeipit. (Bern 28). Canis et dominus interfectus. currens] eucurrit — esse fideles et naturales. (Bern 29). Canis et puer in flumen lapsus. Jordani (!)] Rhodani — cum dentibus capiens extraxit eum — homines multo fortius sibi inv. (Bern 30). Leo et pastor. in lacu positus est — de beneficiis exhibitis. 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 42. (Bern 31). Aries et dominus calvus. nutritus a domino instr. est. Quadam vice in sero dom. — dormitare — Et valet contra deliciosos, quos acies, id est caro, dueit ad mortem. 43. (Bern 32). Vulpes et avicula. 44. (Bern 33). Lupus et vulpes famelica. vulpem famelicam. 45. (fehlt Bern und M). Vulpes et lupus in fundo putei. Vulpis veniens bibere ad situlam putei, et intrans eam descendit ad fundum. Post veniens lupus et videns vulpem repercutiente luna in puteo ait: Quid facis? Respondit: Ego comedo de uno magno caseo albo — et erat repercutio lune. Qui ait: Quomodo descendam in situla? Inquit illa: Descende sieut ego descendi in ista. Qui descendendo elevavit vulpem in alia. Qui ait obviando: Quo vadis, renarde? Ita est, ille inquit, in hoc mundo: Zes uns vont, les autres viennent. — Et docet non credere inimieis. 46. (fehlt Bern und M). Lupus et aries Salmo. Lupus infirmus iuravit et vovit se de cetero non comedere carnes. Quod audiens aries letus incedebat per silvam et securus. Quadam die cum lupus esset fa- melicus, obviavit arieti dieens: Domine Salmo, salvet vos dominus! Qui respondit se non esse Salmonem, sed arietem. Cui lupus: Salmo, mihi videmini pro salmone; vos comedam!). — Sie multi non querunt nisi occasiones ledendi per falsitates et mendacia mala. 47. (fehlt Bern und M). Aqguila, bubo et ardea. Aquila vocavit aves ad parlamentum, et cum bubo defuisset, vocavit eum per nuntium. Qui excusavit se et venire renuit. Tune misit ardeam, preeipiens ut eum adduceret vellet nollet. Qui adhuc renuit; et cum ardea extenderet collum ad eum capiendum, bubo tune cum unguibus extraxit ei scorium de capite, ita dure quod stercora emisit. Qui fugit, et cum a quodam de genere suo inereparetur quod non redisset, ait: Non ausus fui propter confusionem et quod tam vilis avis ita me tractasset; et ideo volo fugere ad extremas partes, ubi non sum eognitus. Tune ait alius: Nonne portabis culum tuum tecum, qui te eonfundet ibi sieut hie? — Et valet ad hoc quod qui fatuus est, hie fatuus erit ultra mare. 48. (fehlt Bern und M). Zupus et pica. Lupus videns picam super ovem picantem ait: Video mirabile: Ista pica tota die est super ovem et eam satis ledit et, Deus meus, si ego oscularer eam de pace, totus mundus me huaret. — Et docet cavere a fraudulentüs. 49. (Bern 34). Ciconia infidelis. cum masculo alieno — servare fideli- 9 u tatem matrimoni. 1) Ähnlich das Wortspiel salmo-Salomo vgl. Not. et extr. des mss. t. XXIX, p. 356 und Matheolus, Lamentationes 2594. IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 9 50. (Bern 43). Rana rupta et bos. 51. (Bern 35). Ranae regem petentes. 52. (Bern 36). Aries et lupus. dieitis vos hoc propter me. 53. (Bern 37). Vulpes et simia infirma. andoilliam — de culo tuo — ut hab. bonas recr. et comedunt andolliam. 54. (Bern 38). Canis et sus. resp. ab aliguo — nisi in terrenis. 55. (Bern 39). Leo, lupus, vulpes et asinus. Leo tenuit capitulum. Lupus, vulpes et asinus affuerunt. Acc. se — ramum salive. 56. (fehlt Bern und M). Ericius et lepus. Hericius et lepus altercantes invicem sibi dicebant convicia: Hericius lepori dicebat quod timidus erat, et lepus hericio quod non poterat se movere. Qui accepit cursum cum lepore die statuto et veniens ad socios ait se sic fecisse. Et unus antiquior herieius congregavit alios et posuit et ordinavit illos unum post alium iuxta sepem, ubi debebant currere. Qui moventes, respiciens lepus vidit iuxta sepem herieium et eitius eurrens invenit alium, et tandem invenit alium ad terminum cursus. Qui ait: Lucratus sum. — Et docet querere consilium ab amicis ne6 attemptare impossibile. 57. (Bern 40). Mus et eius filia, gallus et catus. Quoniam tremente] Quam trementem — m. inveniens, matri narravit. 58. (Bern 41). Gallus, eguus et dominus. ita correxit eam, quod de cet. — subditos nee permittere dominari. 59. (fehlt Bern und M). De leone custode, qui amisit asinum et adduzrit camelos. Jeronimus narrat quod in collegio suo veniens leo, habens spinam in pede, ostendit fratri. Et cum amovisset, recedere de cetero noluit, sed ibi manens deputatus est custodie cuiusdam asini, qui deferebat eis necessaria. Quadam die dormiente leone juxta asinum in pascuis venerunt mercatores euntes ad oleum in Egiptum cum multitudine camelorum, qui amiserant asinum suum, ducem camelorum, quod talis est natura cameli, quod oportet quod habeat bestiam aliquam ante se ducem. Hi tulerunt asinum collegii et ducem fecerunt. Cum autem leo evigilasset et asinum non in- venisset, clamans et rugiens requirebat et cum non invenisset, secundum modum suum confusus rediit, habens caudam inter pedes. Et fugabant eum, imponentes quod asinum comedisset; et imposuit Jeronimus officium asini, quod omni die explebat afferens ligna seu alia necessaria; nihilominus ibat omni die ad locum, ubi asinum amiserat, rugiens et clamans. Quadam vice vidit asinum pre- cedentem camelos redeuntes de Egypto et oleo honeratos. Qui asinum cum camelis adducens ad collegium, blandiens cum cauda 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. fratribus quod asinum non comedisset. Quo viso mercatores illi constituerunt illi collegio de oleo perpetuo providere. 60. (Bern 42). Mulotus coniugium inire volens. se cons. et pulchrum se estimans — Sol resp. quod non e. fortior, sed nubes, quod obum- brat eius elaritatem. Et iterum accedens ad nubem voluit ei nubere tanquam fortiori. Que respondit quod non erat fortior, sed ventus — Et sie tandem veniens ad murem — conviviis (!) potentibus] cum nimis pot. 61. (fehlt Bern und M). Leo, lupus et renardus praedam partientes. Leo, lupus, renardus iverunt predari et ceperunt bovem, vaccam et vitulum. Tune ait leo lupo: Fac partes! Vos, inquit, habebitis bovem, ego vaccam, renardus vitulum. Qui percussit eum de pede et abstraxit totum corium de capite et ait vulpi: Fac partem! Domine, inquit, habebitis bovem, domina leonissa vaccam, leoneulus vitulum. Quis, inquit, vos docuit sic partiri? Respondit: Iste probus homo cum almucia rubea. — Et docet non habere societatem cum fortiori. lH. Der Münchener Romulus (vgl. Hervieux t. I, p. 464-467) umfaßt 2 Teile: die ersten 25 Fabeln gehen auf den Romulus vulgaris zurück, der Rest umfaßt Extravaganten, von denen Nr. 30, 32, 34, 36, 37 ganz originell sind. Gerade dieser II. Teil muß also unser besonderes Interesse erwecken, wie schon Jacob Grimm sah, als er acht davon nach dem Ulmer Druck in seinem Reinhart Fuchs, Berlin 1834, p. 421—431 veröffentlichte. Auf die Parallelhs. der Breslauer Kgl. u. Univ.-Bibl. I Fol. 180 ward ich bei der Ausgabe der Diseiplina clericalis aufmerksam, noch bevor ich auf die Ausführungen von Herlet (l. ec. p. 93 ff.) stieß. Herlets Urteil über diesen Text trifft im allgemeinen zu: Der Kopist ist meist eher ein gewandter Paraphrast als Abschreiber, seine Varianten bedeuten im Vergleich zur Münchener Hs. sowie zu Steinhöwels Druck teils eine Verschlechterung, teils aber enthalten sie auch viel Ursprüngliches und Wertvolles, so daß man Herlet beistimmen kann, wenn er betont, daß wegen der Menge von Besonderheiten und Abweichungen des Breslauer Mscr. es der Mühe wert wäre, den Text desselben ganz abzudrucken. Zwar besitze ich eine Kopie hiervon, muß mir aber letzteres gleichfalls im Hinblick auf den Raum versagen. Immerhin teile ich einiges aus diesen Paraphrasen der Fabulae extravagantes mit, was textlich wichtig ist. 22. (M 26). De vulpe et de mulo. unde responsa aceipiant — non fuerint] nondum fuerint — Mulus quidam pascua carpebat in prato iuxta silyram. Ad quem cum vulpes ex silva progressa fuisset, mirabatur in aspectu forme ipsius, quia nunguam mulum aliquem viderat — Non hoe interrogo — (lupus) accessit retro ad pedem muli et cepit IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 1ıl sordes diligenter emundare, cupiens nomen eius legendo cognoscere. Continuo mulus elevato pede percussit eum fortiter in fronte ac oculos eius excutiens a cerebro semivivum in terram cadere feecit. Vulpecula autem, que stabat retro et omnia que lupo contigerant perspexerat, cum derisione et exprobratione plaudens manibus sub- sannando lupo dicebat: ... tu cum nescires litteras, quomodo legere temptabas? Per meam dexteram, recto es iudicio percussus. Et hec dicens gaudens silvarum confestim latibula repetebat. 23. (M 36). De infortunio lupi. Lupus quidam stultus s. dil. de cubili con- surgens, cum soporata extenderet membra, pedonem emisit!) et spe deceptus inani talia dixit: Gr. ago Deo, quia in hae die deliciosis epulis saturabor; hoc enim sonus quem emisi nunc portendit. Et factum est, dum iret per viam — iterantibus] itinerantibus — m. visc. m. inferres et que necessitas mihi esset, ut de te satiarer, cum hodie melioribus eibis atque delicatis epulis sim reficiendus? — salitum] salsicum — sed oro te, quia medicum te esse scio, ut prius spinam — lupum semivivum reliquit. Lupus deinde recuperato spiritu dixit — preliantes in prato et frustra exhilaratus dixit intra se. (Rest ganz frei.) 24. (M 39). De cane et lupo et de homine avaro. Tertia vice vocem emisit terribilem et omnis familia audiebat et dicebat: Lupus in cellario est. Et accurrentes omnes cum contis et fustibus lupum usque ad mortem percusserunt et proiecerunt. 25. (M 27). De verre. inflatus superbia dixit de se ipso: Cur non esses princeps — vertebat] verrebat — fulminando] spumando — atque illuc. Ac verrus superbia deceptus stans in medio eorum dixit: Hic decet me stare, quia hie mihi congruus honor exhibetur: hic me ir. o. fugiunt — vereor ab omnibus] veneror ab 0. — et dum iret, casu devenit — Tune stans verrus in medio grege porcorum dolore gravatus et verecundia perfusus dixit. 26. (M 28). De vulpe et gallo. et cum venisset, vidit gallum valde superbum et die. — pater tuus — fellones] stulti — percutiens maxillam suam. 27. (fehlt M). De cyconia stercorata (abgedruckt bei Herlet p. 112). 28. (M 29). De leporibus ei ranis. el. mortem: eamus cum str. et saltibus et imp. m. proieciamus nos in flumen — moriamur. Quod consilium plac. o. et statim cum str. — ad fl., ut se mergerent. Rane autem et bufones iacebant in litore ad calorem solis — Vna] Vnde — quam quod nos int. Et ita disc. ine. 1) Unsere Hs. bietet also das Ursprüngliche, während in M (und im Berner Text) der pedo und der posterior durch einen pes posterior verschleiert wurden. 29. S0. 31. 32. 33. 34. 30. 36. IT. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. (M 30). De dracone et de rustico. ac revocavit eum] et reduxit eum — et imo] et ideo — quia qui bene ligat, fortiter disligat (Hervieux: distigat, lege: distringit (!). 8 (M 31). De vulpe et cato. Vulpes ait: Per meum caput, non est tibi utilis vita tua, que ita insipiens est et incauta, ut audio — quantas artes scias — pascere et de plurimis eruere — salus perpetua] s. per- fecta. — Vulpes vero evadere non potuit, sed canes eum ceperunt et membratim discerpserunt. (M 32). De hirco et lupo. raperet — in ripam] in rupem (falsch) — Amodo, per meam barbam, resistam ei. Et accedens retro ad eum et arripiens per coxam ei dixit: Quid loqueris, frater hirce? Hircus autem sentiens se captum ait: Delietum meum ego agnosco, culpa- bilem me proclamo, nam hircorum morum est quod, cum aliquan- tulum leteficati fuerint cibo vel potu, multa loquuntur, que non debuerunt loqui. (M 33). De lupo et asino. redortas] torgues — inferiora] interiora. — ad fores] ad atrium — ineidit torquem quam circa collum habebat, et ita lJupus evasit. As. autem solutus a lupo cepit gaudere atque gaudenter magnas v. em. — stans super montem, audiens asinum, dicebat: Certe, noli tantum gaudere, quia non ligabis me amplius ad te. (M 34). De serpente et rustice. ibat mane serere a. suum — calcavit super serp. — concalcasti me — non confidas in illum, cui male fecisti — fiebant pluvie — ne aridam s. h. — magna estas] magnus estus — et ostende ei foramen illud et fac eum ponere illuc. — Für panarium, das auch im Romulus des Hs. Tours (panerium) steht, finden wir hier als sicher ursprüngliche Lesart penalum (Art Netz für Kaninchen-, Vogel- oder Fischjagd, vgl. Ducange s. v. penellum, pennellus). (M 35). De vulpe et de lupo. esurieris] esuries — statis, quid tardatis — Lupus vero nimia angustia compulsus cauda r. ev. — vulpes matrona valde superba — et erue pellem ab ea] et abscide pedem unum ab ea ita tamen, ut viva possit evadere — in ipsa rupe — cueurrit vulpes et volutabat se in luto — indicavit. (M 37). De venatore et aratore. Ven. autem sequebatur a longe et cl. — Ac venator celangens buceina (schlecht für: ven. plangens) ait: OÖ quam b. esset, si bene piperatus esset. B. autem instigatis bo- vibus ait: Ite. (M 38). De mure et rana. non cavens dolum] nesciens fraudem rane. (fehlt M). De canibus et bobus (abgedruckt bei Herlet, p. 104). IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 118 III. Zusamenstellung der Fabelhss. der Breslauer Kgl. und Univ.-Bibliothek. Romulus. I Fol. 180, Bl. 62—71 s. oben. Gualteri Anglici Romuleae fabulae. 1) II Qu. 33, fol. 253—823. XV. Jhdt. mit deutschem Kommentar. 2) IV Qu. 4, fol. 118—127. XV. Jhdt. Enthält noch De capone et accipitre und De lupo et pastore (app. 1 und 2 bei Hervieux). Dahinter steht eine Prosaauflösung der Nr. 1—32. 3) IV Qu. 64, fol. 28—46. XV. Jhdt. Mit Glossen und Randkommentar. 4) IV Qu. 81, fol. 494—542 (geschr. 1459). Mit ausgedehntem Kom- mentar. z 5) IV Qu. 88, fol. 155—187. XV. Jhdt. Mit Kommentar, schließt mit Nr. 56 (De symia et vulpe). Avianus, IV Qu. 88, fol. 189—208. XV. Jhdt. (Rustica deflenti parvo iuraverat olim (falsch bei Hervieux, t. III, p. 265: deflentem paruum 1uN20.). IV Qu. 126, fol. 120—152, XV. Jhdt. Odo von Cheriton. 1) IV Qu. 9, fol. 148—160, XIV. Jhdt. Umfaßt die Nummern (nach der Liste von Hervieux, t. IV, p. 41) 25. 39. 19. 2, eine fremde Fabel Volucres invenerunt nidum de rosis et floribus aromatum —= IV. Qu. 126 derselben Bibliothek, Nr. 5 u. Hervieux RVep291) 3. 4.42. 5.6.7.8. 9. 11. 29. 38219, 16. 23. 23.8, 2) IV Qu. 126, fol. 310—355. XV. Jhdt. Umfaßt 61 Fabeln, vgl. Hervieux, t. IV, p. 53. E. Voigt, Kleinere lat. Denkmäler der Thier- sage. Straßburg u. London 1878, p. 7 u. 37. 3) IV Qu. 168, fol. 191—205. XIV. Jhdt. Umfaßt die Nummern 2. 66. 334. 44.59.6. 7. 8.910,.11.)13:54; 57. 29.,32.34. 38.40. 48h. 15. 16. 19. 23. 23a. (dahinter eingeschoben Nr. 1. 3. 4. 6. 11. 20. 24 aus den Fabulae breviatae des Romulus vulgaris). 61. 25. 26. 33. 35. 39. 42a. 69. Kleinere Tiergedichte: De lupo. IV. Qu. 126, fol. 13—18. Vgl. Voigt, 1. c. PL (Rext'p. 58): Brunellus. IV Qu. 126, fol. 182—193. Vgl. Voigt, 1. ce. p. 26 (Text p. 81). Guidrinus. IV. Qu. 126, fol. 29—106. Vgl. Voigt, 1. e. p. 51 (Auszüge p. 139). Ferner Fabula de cornice et accipitre. IV Fol. 42, fol. 118—120. XV. Jhdt., die ich hiermit zum Abdruck bringe, da sie mir sonst nicht begegnet ist. Sie scheint einem franz. Original nach- gedichtet zu sein. Bemerkenswert ist die poetische Anrede an den Tod 275 ff. 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Fabula de cornice et accipitre. Breslau, Kgl. und Univ.-Bibl., IV fol. 42. Juxta suum libitum posuerunt multi Carmina subtilia, fuere qui suffulti Pegaseo nectare in iugo Eliconis, Muse quos fareiverant gratiarum donis. Iste in bucolieis, hie in comediis, Ille in satirieis, is in tragediis, Alter in heroieis lascivit, hie in threnis, Hic in epithalamis, hie in epicenis; Huie elegiaca dieta libuerunt, Hunc apologitica non fastidierunt. Multa licet talia patule noscatis, Nova tamen querere semper affectatis. Hine me iuvat edere fabellam curtam satis, Quam pro pellendo tedio quandoque legatis. Nec est ita nugula, quin quid veritatis Intus latet abditum, testam si tundatis. Aceidit hoc tempore, quo ver in palestra Sevum vineit yemem et celi fenestra Phebi gratos radios nostris pandit oris, Abdicantur glacies, tyma fraglat floris, Nebulas quo dissecat aeris mansuetudo, Prata, campos induit graminis viredo, In nemorum apice frons quo iuvenescit Et seges premortua in vitam turgeseit, Quo disiuncte volucres demum combinantur Et dulei commercio sibi copulantur, In agris et mericis quedam tenorisant, Amplantes guttura quedam citarisant, Quo queque nidificat jiuxta suum morem: Hec yma petit, alia locum altiorem. In fago accipiter nidulum compegit Multis ex viminibus, passim que collegit, Suis ut temporibus enixis ex ovis Fetibus consuleret cautius et novis. Inter duas alias cornix nidum pleectit De spinis, vicinius quas argute flectit, Ramos eircum arborum sperans profuturum, Pulsis suis emulis multum obfuturum. 10 15 20 30 35 fol. 118v IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 15 Hoc ut ille pereipit, cornicem affatur: „Struendi hie auctoritas unde tibi datur? Mallem, ut distantius consepires nidum, Emergat ne deterius, tempus est ibi dum; Tuis nam clamoribus caput mihi frangis Et vastum tuis mihi vocibus coangis Mihique te commorandi instigat vesania Mentem aut que tuam miror confricat insania. An neseis quod grata quies et tumultatio Nequeunt eiusdem loci potiri consortio? Hinc te traduc tempestive consuloque moneo, Crocitatus nempe tuos perferre non valeo; Et si tibi indulgerem, te sequerentur alie Consobrineque, sorores ac amice varie. Forsitan et educabis pullos brevi spatio, Quorum importunus clamor mihi foret tedio.‘“ Heec cornix humi pressa et submissis oculis Ore lente reserato, fel immiscens poculis, Captiose respondisse fertur: „Pie domine, Vos conservet diu Deus sub felici omine! Non vos exacerbet rancor erga vestram famulam, Quam amor, non livor facit vestre domus emulam! Confisa de bonitate et vestro presidio Prope vos exstruxi domum hoc nunc in exilio, Ut sub vestri munimenti et asili robore Emulorum truces ungues queam subterfugere. Per Ercle et Castor iuro et contestor Edepol, Numina cuncta deorum, beatum simul Nicol: Ora nunquam relaxabo, ni vocata fuero Per te preamande princeps, viam nec docuero Hunc ad locum consobrinas, sorores nec exteras, Ne turberis quoquo modo tedia vel perferas; Et nec ego neque mea proles in perpetuum Obfuturi vobis erunt, exsequentur sed tuum Presto prorsusque mandatum nec dabunt consilio Aures, quod te versus erit, sed toto auxilio Adherebunt vobis semper vestris et sequacibus, Erit donee vita comes venis in vivacibus.“ Ile credit sic allectus, mali nil coniciens, Simulatis verbis flexus nec falsum perecipiens- Inquit: „Verba mihi placent, si concors est veritas. 40 50 55 60 65 70 75 fol. 118vb 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Inter nos pax firma crescet, parilis et caritas; 80 Huie silve si non esset arbor nisi unica, Impartirer tibi locum nidique mei tunica, Ut vestiret una mecum fetusque contegeret Nostros simul et, ut posset, quisquis illic tegeret. Iuxta me nidificandi en tibi potentia 8 Et pro posse te defendam, ne qua violentia Per quem tibi inferatur; hoc certe polliceor: Abs timore sta, in voce tantum fias mitior.“ Illa refert multas grates: „Grates, pie domine; Vos per longum salvet Deus pro suo sancto nomine!“ 90 Post non longum intervallum ovandi tempus has vocat, Ovat utra et in nido suo queque collocat Bis duo pregrata ova, quibus queque incubet; Expedit, ut sibi gratos inde fetus excubet. Urgente famis tedio nidum linquit accipiter, 95 Vasta busei circumgirans predam querit sagaciter. Interim cornix ad nidum sie venantis advolat, Ova rite contemplatur et nidum circumpedat. „O quam pulchra sunt hec ova, mea non sunt talia!“ Ait illa, „‚si me pati oporteret, qualia 100 Capti fures patiuntur, me oportet demere Unum, tamen nemo videt; quis me volet prodere?“ Mox affectum prave mentis mancipat effectui: Unum demit, suum illie locat, ut respectui Illudat advenientis, ut moris est gentibus 105 Obvelare suum nephas uteumque nitentibus. Hie spe vero defrustratus, escam non inveniens Redit domum tristis. Ovum mutatum reperiens Petiit viecinam cito: „Dic, queso, carissima, Audisti seu vidisti quemquam? Die, precor, fidissima!“ Ait hee: In fide data, nullum vidi penitus Nec audivi; mihi causam pande tui fremitus! Mihi pande, care pater, causam acrimonie! Plus me angit tuus dolor quam vis cause proprie.“ „Eya, predileeta soror, miror, quis abstulerit 115 Mihi ovum,“ dieit ille, „‚miror, quis hie fuerit.‘“ Statim ex fallaci corde conflat hee mendacium Dicens: „‚Certe, nullum vidi, nam per totum spatium Hic dormivi et dormirem, ni tua vocatio Dormientem excitasset. Talis defraudatio 120 fol. 119ra 110 1913. IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 17 Displicet pro certo mihi, nam egit perpessime Hoc qui fecit et est dignus morte fortissime.“ „Die queso, dileceta soror, cuncta numquid retines Tua ova vel non cuncta; te precor, dinumeres!“ „Certe cuncta,“ dieit illa, „extra nullas nam fui; Nisi demon abstulisset, perdere nil debui.“ Inquit ille: „Cara soror, veni et intuere, Meo quid sit actum nido, num possum iuste luere.“ Heec ut videt, hune disquirit, fraudis velut neseia, Ova quot fuere pridem. Ille cum mestitia: „Quatuor fuere mea, sed unum ademptum est Et alius speciei eius loco datum est. In tuo nido videamus, siquid huius actum sit. Eventus diffortunii evitare nemo seit.“ Hee ut dieit, intra nidum cornieis visum dirigit, Ovum suum querit, illuc quomodo pervenerit, „Iua fides quam sit firma et quam rata veritas, Jam patens exemplum dat: en senum auctoritas Non mentitur, sed iam liquet, quia hostis nocivior Familiaris nescit esse ullus vel immitior.‘“ Illa vero furis more amplius exaggerat Nugas; per quas expiare scelus dum desiderat, In furorem plus accendit perpessi molestiam: „Dienam, ausculta, pater, meam innocentiam: Noviter dum evolares venatum tuo more Et dum irem spatiatum, repperi sub arbore Istud ovum, quod portavi mecum in hospitium. Credo quod inventum furti non cadit in vitium.“ At ille tantum diserimen vix inultum sustinens Et a eita ultione ungulas vix continens: „O me tantas potes nugas qualiter compluere! De tam alto nunguam ovum potuisset ruere Inconfractum; aut quomodo tuum ovum potuit Huc venire te nolente? Mentiri quis te docuit? Juro per solem et lunam et per cuncta numina: Inimieus tibi ero, sol dum dabit lumina.‘ Illa mox furoris metu nidum intra properat, Inter densas quem argute arbores contexerat, Turgidis hine verbis fatur: „Domine aceipiter, 125 130 135 140 145 150 155 Vestre, precor, cessent mine! Quodsi magnus presbiter, Imperator, dux vel comes, quodsi regis filius fol. 119rb 160 13 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Magna conatur et nil facit quod est indecentius! Cessa, bone, cessa, si vis, verbis a minacibus, Hic bene salvor a tuis ungulis rapacibus. Quodsi libet expugnare meum castrum utique, Attemptasse te pigebit, nam cognosces optime, Si que vires insunt mihi; nam si fores strutio, Unam ficum pro te darem. Dic, unde tibi ratio Aut facultas expellendi? Esnum forestarius Dominusve silve huius? Informer nisi clarius, Propter te hine non recedam. Face mihi deterius, . Quidquid potes, tuas minas expavescat alius!“ Ey, quam furit et ad cotem linguam et rostrum acuit, Caudam laxat, pedes tendit, alte cercum erigit, Collum girat, ungues premit pennas et discriminat, Visum torquet, pectus flectit, alas sed et ventilat! Membra sie adaptat bello et linguam procaciter, Lacessendo sic relaxat: Veniat accipiter, Quidquid lucri reportabit, inde sibi nundinet Sal, modo cornieis vires, ut placet, examinet; Distrahetur ut gallina. „Meus eum fortis pes Si tenebit, supererit nulla sibi fuge spes.“ Huc non longe super ramum nisus casu venerät. Hoe ut audit, anxiatus corniei improperat Dicens: „Eya, soror cornix, si tu recte saperes, Tanta contra tuum herum nequaquam dissereres. Antiquata neseis adhuc quod lingua vaniloqua Detestatur a discretis et lingua stultiloqua Capitis est inimica? Ergo linguam cohibe Veniamque obtentura sis! Ablatum redibe! Supra dorsum fabricabit tuum suus malleus, Aut si forsan precavebit a suo pede te Deus, Nati certe penitebunt stulte matris scelera Nee vos inter quis valebit reformare federa. Stulta, erede crede mihi: fuisset consultius Tacuisse, huius rixe si librasses exitus. Finis quidem metiendus est, quam quis precipiet; Secus autem si quis aget, se ipsum deeipiet. In castro confidis nimis et in tuis sentibus. Aliquando, si exibis, crede, tedes litibus.“ „Eece venit,“ inquit illa, „qui duellum sopiet. Qui te timet, una secum longius diffugiet. 165 170 175 185 190 fol. 119va 195 200 IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. Si iam forem impudica et honoris nescia, Proderem nunc, qualis esses et tua convicia. Nunguam tibi quid donavit, ut ipsum magnifices Et comedi more decus ipsius amplifices, Sed blandiris sibi iure, hero velut famulus. Adulator es et prede nunquam satur cumulus.“ In propinquo pica sedens et rixantes audiens Pre rancore semineecis ad se tandem rediens Ait: „Nunquam, bone nise, mea soror aliquid Tibi mali fecit; unquam vel tenetur tibi quid? Sibi gratis cur minaris et pompose garrulas? Posset dies prosperari, quod in tuas scapulas Noster ensis copiosas ultiones redderet Et fraudis commentatorem nephas suum tederet. Infidelis raptor, refer: quando diffidaveras Me sororemque meam, et tamen volueras Capere nos sine culpa, nunc est dies tertius, Nisi nobis precavere scivissemus certius? In vepres et densas spinas oportebat fugere Ambas nos et nostras vitas sic latendo tegere. Ob hoc Deus tibi mala donet decem milia Et concedat nobis fatum uleiscendi talia!“ Hec ut audit, anxiatur et dolet accipiter, Tribulato corde dieit: „Nise, care compater, Anxior nunc pro te magis quam meis negociis, Pro me quod nune obiurgaris talibus conviciis. Non transibit totus annus, ni mors interceperit; Sciet cornix, quis sim ego quemque blasphemaverit. Velit nolit suum vile disrumpam tugurium Et ipsius fetus meis erunt in edulium; Sed si properante casu ipsam solam rapiam, Copiosam ultionem de te, iuro, faciam. Corpus, quod nunc procerabat, redigam in spericum, Subter meos pedes canet carmen, sed non liricum. Hoc promissum nemo tollet nec iurabo irritum. Perfidum sub meis vomet ungulisque spiritum; Nec hoc tantum satis erit, ipsam sed diripiam Membratim ex ipsaque ventrem meum farciam. Care nise, non sit tibi tolerasse talia Pro me grave et, si habes operari qualia, Vade sub conduetu Dei! Non erunt multi dies, 19 205 fol. 119vb 210 215 220 225 230 235 240 I* Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Rescies pro certo nova, que libenter audies.‘ Cui nisus valedieto transvolat sub ethera, 245 Hunec precando, cum cornice ineat ne federa. Dierum non multa post hoc transeunt curricula. fol. 120ra Ovorum, quis incubavit, resolvuntur vincula, Aceipiter, et ecce pulli tres de testis prodeunt Vivi, pulchri, quorum mores maternis obediunt. 250 Interim bis duos pullos excubat cornicula. Qui ut lucem vident, statim voce clamant cracula. „Cra, cra!““ elamant, „era“ resumunt, „era“ frequenter replicant Et sub brevi hore tractu hoc ipsum centuplicant. Quorum importunus clamor grande parat tedium 255 Vieino, cor eius pene finditur per medium. Audit ille, tacet, furit cauteque dissimulat, Optat tempus, ut refundat illi, que nunc tribulat. Quodam mane dum torquentur cornices esurie, Perstrepunt yantes ora, ora velut furie. 260: Quare mater tediosa et pro natis anxia Sorti pullos commendat et recedit saucia In agros, sequens aratra grana legit segetum, Quibus fame ructuantes ventres pascat vegetum. Hisque copiose lectis domum mox accelerat, 265 Pullos querit, quos iam inde vieinus abstulerat. Ipse nam absente matre cornices extraxerät, Suis pullis devorandos prorsus demembraverat. Illa, postquam suos fetus in nido non repperit, Statim censet, inimicus eos quod receperit, 270 „O me,‘ inquit „infeliceem, o me semper flebilem, OÖ me tristem, o infautam, o me detestabilem! O mi pulli predilecti, albiores ebore, OÖ quod non sum maledicta, suspensa in arbore! OÖ Mors, vitam nunc dissolve, o Mors, ubi latitas? 275 Aspernaris cur petentem? Doce, quorsus habitas, Ut te possim invenire! Tolle, Mors, indutias Et tuo eruento ense, precor, me percutias! Frustra voco Mortem, namque obturat auriculas. Per celum terramque iuro quod vindicte faculas 280 Non extinguam versus illum, donee ultrix non ero. Tam diu sub grata pace dormire non potero.“ Apparent sibi mille anni quos habeat acecipiter. Exit ille et venatur per silvam sagaciter. IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 91 Interim cornix ad nidum illius accelerat, 285 Ultionis in vindictam furibunda properat. Inimiei sui natos aceipit per tybias; Trahit illa, obstant illi, repellunt insidias fol. 120rb Inimice, sie remordent et crampunt viriliter, Prout possunt, malignanti reluctantur fortiter. 290 Eos tamen peremisset cornix mox immaniter, Nisi eito revenisset senior aceipiter. Quam ut cernit preliantem ipsius cum fetibus, Rapit parum repugnantem. Ac illa cum fletibus Eum rogat, ut dignetur sibi dare veniam. 295 „TIuam, iuro, in eternum non turbabo gratiam, Nunquam tui contraibo mandati generibus, Tibi semper sed parebo et tuis heredibus. Ergo, mi preclare princeps, da misericordiam Tue serve, quare Deus tuam salvet animam!“ 300 „Frustra garris,“ inquit ille, „iam tua mendacia Proderunt nil, certe, tibi verba nec minacia. Moriendo nunc exsolves, que teneris debita; Propter te mea non fient iuramenta irrita. Cuncta discant tua nece, qualiter sit Deus 305 Venerandus et timendus.“ Hanc discerpit comminus. b. Altiranzösische Sprichwörter. Sehr ergiebig und noch lange nicht ganz gehoben ist der Schatz volks- tümlicher Spruchweisheit während des Mittelalters, obwohl bereits manch treffliche Vorarbeiten und Sammlungen des Materials, das uns teils in latein. Form, teils in den Volkssprachen überliefert ist, zu verzeichnen sind. Ein systematisches Verzeichnis (498 Nummern) aller Publikationen über die franz. Sprichwörter lieferte Carl Friesland in der Zeitschr. f. franz. Sprache und Liter. XXVIII! (1905), p. 260—287. Für das franz. Mittelalter haben namentlich Leroux de Lincy und Tobler in seinem klassischen Buch über die Sprichwörter des gemeinen Mannes Dauerndes geschaffen, während für die Untersuchung der mittellatein. Sprichwörter und Sentenzen noch viel zu tun übrig bleibt. Hier sind besonders E. Voigt (Proverbia rustiei und Fecunda ratis) und J. Werner (3. Heft der Samm- lung mittellat. Texte, 1912) zu nennen. Zweisprachige Sammlungen treten uns schon aus dem Beginn des XIII Jhdts. entgegen. Bemerkenswert sind 22 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. die Proverbia magistri Serlonis, die P. Meyer aus der Hs. Oxford, codex Digby 53 mitgeteilt hat. Dazu gab E. Stengel Ergänzungen und druckte aus der Hs. Oxford, Rawlinson C 641 weitere lat. Paraphrasen altfranz. Sprüche ab. In denselben Kreis gehört die reiche Sammlung im cod. Voss. lat. 31. F. der Leidener Univ.-Bibliothek, die bereits 1859 J. Zacher veröffentlichte; ferner Paris, Bibl. nat. lat. 8653 A, die U. Robert abgedruckt hat. Hinzufügen kann ich jetzt die Kompilation zwei- sprachiger Sprichwörter und Sinnsprüche, die in der As. Tours 468, fol. 178r—186r, an die Exempla angeschlossen sind. Die Mehrzahl unter ihnen geht sicher auf das XIII. Jhdt. zurück und ein Teil, der große Ver- wandtschaft mit den Proverbia magistri Serlonis sowie mit der lat. Hs. Paris, Bibl. nat. 6765 (Ende des XI. Jhdts., vgl. Haureau, Notices et extraits de quelques mss. latins, I (1890), p. 302 ff. und J. Werner, Lat. Sprichwörter und Sinnsprüche des Mittelalters, Heidelberg 1912, p. VI) aufweist, gehört unstreitig mit zu dem ältesten Grundstock beim Volke selbst. Dadurch dürfte der vorliegende Abdruck gerechtfertigt sein. Für die angehängten Nachweise, die nur den Zweck haben, den neuen Text in die bisherige Über- lieferungsgeschichte einzureihen und auf Vollständigkeit keinen Anspruch machen, benütze ich folgende Darstellungen, die bequem weitere Parallelen bieten, unter Anwendung abkürzender Titelköpfe: Fehse = E. Fehse, Sprichwort und Sentenz bei Eustache Deschamps und Dichtern seiner Zeit. Diss. Berlin 1905. Leroux = Leroux Je Liney, Le livre des proverbes francais, seconde &d., I Paris 1858, II Paris 1863 (nur in Ausnahmefällen zitiert, da in allen Studien bereits verwertet). Mey. = Paul Meyer, in Archives des missions scientifiques et litteraires, Ile serie, t. V (1868), p. 174—183. Ro. = H.Robert, in Bibl. de l’Ecole des Chartes XXIV (1873), p. 38—46. Schepp = F. Schepp, Altfranz. Sprichwörter und Sentenzen. Diss. Greifswald 1905 (p. 36ff. stehen Varianten von 31 Sprichwörtern). Ste. =E. Stengel, Die beiden Sammlungen altfranz. Sprichwörter in der Oxforder Hs. Rawlinson C 641, in Ztschr. f. frz. Spr. u. Liter. XXI1 (1889), p. 1—21 (mit wichtigen Anmerkungen). To. = A. Tobler, Li proverbe au vilain. Leipzig 1895. Ulr. = J. Ulrich, Die altfranz. Spruchsammlung Proverbes ruraux et vulgaux, in Ztschr. f. frz. Spr. u. Liter. XXIV1 (1902), p. 1—35 (mit wertvollen Parallelen und einem alphabet. Verzeichnis). Er benutzt auch die späte große Sammlung der Hs. Regina 1429 (798 franz. Sprichwörter), die E. Langlois in Bibl. de l’Ecole des Chartes, t. LX. (1899), 569 bis 601) nebst trefflichen Anm. ediert hat. Voigt = E. Voigt, Egberts von Lüttich Fecunda ratis. Halle 1889. We. = J. Werner, Lat. Sprichwörter und Sinnsprüche des Mittelalters, Heidel- berg 1912. Za. = J. Zacher, Altfranz. Sprichwörter, in Haupt’s Zeitschrift XI (1859), p. 114—144. IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. Incipiunt proverbia et versus proverbiorum. 1. Male bouche doit l’en soef loer. 10. 11. 12. 13. 14. 15. Os nequam mulce, ne quid sapiat nisi dulce. Munera compescant linguam, ne iurgia crescant. Qui bien aime, a tart oublie. Cuius amor verus, SOopor est in pectore serus. Non absentatur cordi vero, quod amatur. Si quis amat bene quid, immemor esse nequit. . Pour soffrete de prodomme maint un foul en chlai]ere. Occupat indignus sedem, cum non prope dignus. . Ainsi fiert, qui ne voit. Sic seit percutere, quem scimus luce carere. Sie illi feriunt, qui cassi lumine fiunt. . Mieulx vault paille en dent que ne fait nient. Da paleam denti plus quam nihil hoc sit edenti. . Qui mieulz ne puet, o sa vielle se dort. Cui non posse datur melius, vetule sociatur. Baucidis in gremio dormit, qui non habet Yo. . Qui ne fet quant il (ne) puet, co ne fet quant il veult. Non faciet, quod vult, qui, quando potest, ea non vult. . Au vespre loe l’en le jour. Vespere detur ei, si laus est danda diei. . „Dahez aient tant de mestres!“ dist le crapaut a la herce. Ad traham dixit „Pereant tot“, bufo, „magistri!“ Bufo trahe fatur: „Ve turbe, cui dominatur!“ Promesse sanz don, c’est a foul conforter. Re sine promissa stulto solacia missa. Si stulto spondes, gaudet, quamvis sibi mordes. Letificat stultum, qui ait promittere stultum. Qui tout me donne, tout nie, tout me toust. Qui nihil excepit, promissio fallere cepit. Qui en jeu entre, en jeu consente. Ludus ut intratur, ludo favor exhibeatur. D’autrui cuir large corroie. De cute non propria prodiga corrigia. Ou n’a feu, n’a fumee. Cum locus (ms. focus) igne caret, iam fumus non ibi paret. Cum procul ignis abest, non prope fumus adest. Tout est ale, quanque Berte fila. Usus delevit, quod Berte dextra nevit. 23 24 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft. für vaterl. Cultur. Chascun prestre loe ses reliques. Presbiter omnis amat sua sacra verendaque clamat. Mal atent, qui pent. Expecto meste, dum suspensi ruo peste. Expectat misere, cui mortem crux dat habere. Qui prent baiart en denteüre, si veult tenir tant come il dure. Quem domo, mos pullo veniens (ms. dedero) deest tempore nullo. Touz jours sent le pot la saveur. Quod nova testa capit, inveterata sapit. Son loer pert, qui mauves sert. Hoc amisisti, quod iniquis exhibuisti. La force pest le pre. Vis paseit pratum, vis prati fert dominatum. Pratum pasecit ovis, si demere tu prius non vis. Besoing fet vielle troter. Fert indefesse vetule (ms. vetulam) currendo necesse. Cogit anus esse veloces sepe necesse. Mieulz vault pres junchiere que ne fait loing praije]re. Junci, qui prope sunt, pratis, que non prope, presunt. Juncetum prato superest affine remoto. N’est pas preste viande (ms. vienge) que lievre en genestay. Esca spei modice lepus est sub fronde mirice. Ens inter ve(s)pres non est lepus esca gule pres. Ventre saoul jeue, non pas cotelete nueve. Venter farsitus ludit, non veste politus. Dum venter plenus, est illi Judus amenus. Venter letatur, quando fit ille satur. Qui est garniz, si n’est honni2. Qui premunivit bene se, non dampna subivit. Qui sibi precavit, non casus eum superavit. L’en dit en reprovier que touz jours aime amis. Sie usus clamat: „Semper amicus amat.“ L’ese fait le larron. Commoditas causa, quod mens ad furta sit ausa. Tune fit fur homo, cum rem audet atque locum. Mieulx vault un „tien“ que dous „tu avras“. Plus valet omne datum modo quam cras geminatum. Plus valet in dextra munus quam plurima extra. Plus valet a per „habe‘‘ quam per „habebis‘ a b. Plus valet „hoc tribuo“ quam „tribuenda duo“. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. IT. 38. 39. IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 35 Qui ne (ms. me) donne que aimme, ne prent que desire. Nolens cara dare non cara mereris habere. Laus tibi, erede, dari condicione pari. Non capit optatum, qui non largitur amatum. Il n’est plus hardie rien a mal faire que fame. Est nihil in scelere peius nequam muliere. Segon ton lit extent ton pie. Infra mensuram lecti tu porrige furam. Au besoing voit l’en, qui amis est. Semper amores se monstrant, quando necesse. Cum pauper fueris, tibi caros experieris. Semper egestate dileetio noseitur a te. Te quis amat vere, scis, cum te constat egere. Semper habendo rarum cognosces tu tibi carum. Omnis homo, sibi cum sit opus, cognoseit amicum. De beau chanter s’ennuie len. Cantus formosus est multotiens honerosus. Fit quandoque sonus consonus auris honus. Est sonus ingratus quandoque, licet moderatus. Semper sonus suavis constat in äure gravis. Apres labour est bon repous. Persone fesse requies duleis solet esse. Cuique fatigato requiescere dulce putato. Gratam scito fore requiem preeunte labore. Au soir loe l’en le jour, et au matin la nuit. Lucem sero cane, laudem nocti mane. Trop parler nuist. Qui plus quam debet, loquitur, dampnum sibi prebet. Si nimium faris, tu tibi dampnum garris. Verborum ventum nimium sequitur nocumentum. Grandeloqui bene quid absque nocere nequit. Mieulz vaut engin que force. Est mens subtilis melior quam dextra virilis. Tu superas vires, si vir in arte vires. Qui bien aime, a tart oublie. Oblivisci cum quis amat, bene neseit amicum. Ex zelo vero veniunt oblivia sero. Vir-sum, quando memorem, quam bene diligo rem. Si quis amat bene quid, immemor esse nequit. 26 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. an. 48. 49. 50. 51. 52. 58. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. A chascun oiseau son nit semble beau. Cuigque suus placidus consuevit avi fore nidus. Est volucri placidus suus omni tempore nidus. Nidus avi cuique suus pulcher extat ubique. Voy en quanque feras la fin, a que en vendras. Quicquid agas, operis semper finem mediteris. Quicquid agas, sapienter agas, sed respice finem. Qui son nes taille, sa fache conchie. Si nasum cedat aliquis, faciem sibi fedat. Dum nasum ledor, heret in ore pudor. Les faiz se pruevent. Facta probant hominis extremi tempora finis. A large [ame aver mari. Femina larga mari parco debet sociari. Petit fes longe voie couste. Pondere deprimitur vir parvo, si procul itur. Ponderibus raris, si sit via longa, gravaris. Parva nocet scapulis sarcina, si procul is. La table ostee, doit l’en laver et boire. Mensa submota prius ablue, postea pota. Ce fet vin que ne fait eve. Vina iubent ea, que non facit haustus aque. L’en fait en un jour que l’en ne fait en un an. Non faciunt anni, quod facit una dies. Quod donare mora nequit annua, dat brevis hora. Segont son gab dit len son voir. Multi nugando verum dicunt aliquando. „A Vuis, a Puis, qui n’a point d’argent!“ Qui caret argento, petat hostia non pede lento. Mieulx vault oeuf donne que oeuf mengie. Ovum preberi plus prodest quam retineri. Ovum donatum libato plus scio gratum. Assez ottroie, qui mot ne sonne. Si tu non loqueris, satis consentire videris. Qui bien est, ne se remue. Si qua sede sedes et sit tibi congrua sedes, Illa sede sede nec ab illa sede recede. Si qua sede sedes, non mutetur tibi sedes. Si bene stas alibi, non loca quere tibi. 54. 55. 56. ST. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. . 66. 67. 68. 69. 70. IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 937 Aussi bien sont amoretes soubz bureaus come soubz brunetes (ms. buretes). Diligit eque gens et locuples et egens. A courte chauce longe laniere. Si brevis est caliga, sit tibi longa liga. A colomb saoul cereses li sunt ameres. Ori columbarum saturo cerasum fit amarum. Qui a compaing, si a mestre. Huic subiectus eris, aliquem si tu comiteris. Soef garde son perier qui ne trueve qui i giet. Ille pirum servat leniter, quam nemo protervat. Sunt pira tuta piro non repetita viro. Il (n) a male lime, qui a male fame. Huic mala lima datur, mulieri qui sociatur. Tant come le jeu est beau, le doit on lessier. Dum pulchre ludis, memor esto recedere ludis. Que ne menjue Saint Martin, si menjue son pelerin. Quod non Martinus, hoc manducat peregrinus. Qui a fame a compaignie, si a assez tencon. Lite fatigatur, mulieri qui sociatur. L’en scet bien, quant (que) l’en vet (ms. voit), mes l’en ne scet, quant l’en revient. Cum foras itur, seitur; non quando reditur. Metez foul par soy, il pensera de soy. Stultus non societ, quis sollieitus sibi fiet. L’en dit que le jeu est bon, ou l’en pert une noiz. Dieitur: Est bonus ietus, in quo perditur una (ms. homo) nus. Grant marche trait argent de bourse. Excitat emptores data pro parvo pretio res. Res placet emptori pro levitate fori. Ami, parent, se ai (ms. as) si pren; se tu n’as que le mien, si di que tu n’as rien. Aceipe, cognate, quod habeo, depropria te; Si tua fit mea res, proprietate cares. A tart ferme s’estable, qui a perdu son cheval. Rapto quadrupede sera sero ponitur ede. Sero serat se, qui furta probavit equi. Mal norrit qui n’asaveure. Frustra nutrio rem, cuius non tempto saporem. Li prestres soit honni qui blame ses reliques. Dampnetur flamen, qui sacra culpat. amen. 13. 74. 76. 20. 78. Te} S0. 81. 82. 83. 86. 87. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. . Ne gras poulein, ne saige Breton, ne prodomme de Limosin. Nec pinguis pullus nee Brito providus ullus. . Bien est larron qui a larron enble. Dum furi tu res furaris, tu bene fur es. Si furis legis, es fur; sapiens satis es. Il est bien heure de coucher. Se sompno donet, ceuilibet hora monet. La soursomme abat lasne. Excedens equum sarcina sternit equum. Somma superflua dat hoc, ut a sella cadat. . Tout a temps vient, qui male novele aporte. Fama repleta malis velocibus evolat alis. Sero vero venit sera fama ferenda fera. Ille nimis celer it, qui mala verba gerit. Tristitie preco perpete fertur equo. La ou est le mal, si est la main. Illue pono manum, quo me non sentio sanum. Apres grant joie grant pleur. Letitie metas terminat anxietas. A la parole quenoist len homme. Verbo, quod dixit, bene cognitus est homo, quis sit. Aseür boit, qui son lit voit. Secure potat, qui sua strata notat. Potat ad affeetum (ms. effectum), qui prope videt sibi lecetum. A mauveis chien [la] queue luy vient. Magna cauda cani natura crescit inani. Sepe canis tepidi caudam succrescere vidi. Apres mengier assez cuilliers. Post finem cene veniunt coclearia plene. Chascun avance le sien. Quisquis suo noto dat opem conamine toto. Moult est faulce norrice, qui plus aime que mere. Est nutrix ista zelans plus matre sophista. . Nul ne scet que a l’ueil lui pent. Que res pendeseit oculo, quivis homo nescit. . La mort n’espargne nulluy. Nullus tam fortis, cui parcent vincula mortis. De petit a lecheour aide. Scurram sanare leviter potes ex juvare. De novelle chousse novel conseil. Consilium renova re veniente nova. 88. 89. 9. 91. 92. 9. 94. 9. 96. I. 98. 92. 100. 101. 102. 103. IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 39 En pel de berbiz ce que vielx, si escriz2. Omnia grata tibi possunt ovis in cute scribi. En lit a chien ne querez ja sain. Quicquam pingue canum est lectis querere vanum. Fame veult touz jours faire ce que l’en luy vee. Quod vetitum fuerit, femina sepe querit. Herbe que l’en cognoist, doit l’en lier a son doy. Ditibus admota propriis sint gramina nota. Il fait mal tensser ou plus riche de soy. Pauper cum divite contendit nemo perite. Ce cuide li lere (ms. c. lierre) que tuit soient si frere. Qui reus est, alios non credit esse pios. Le riche ne set que il convient au povre. Ignorat plenus, quam vitam ducat egenus. La ou est le tressor, si est le cuer; la ou est le mal, si est la main; la ou est l’amour, si est l’oeil. Se comitantur amor oculus, manus angor. Gaza cor, et digitos morbus, amor trahit os. Il demeure moult de ce que foul pense. Proponit multa mens sine carentia stulta. Tout n’est pas or quanque reluist. Non reor, nude nitor prodit, ut omne sit or. Auri non gerit ens, quod patet omne nitens. Ne me chaut que Dieuw me coust, mes que je laie. Det Deus optanti se, non curo mihi quanti. Sumptus non timeo se mihi dante Deo. Bon pain et bon vin, c’est viande a pelerin. Panis cum vino cibus est aptus peregrino. Utar pane, mero, cum peregrinus ero. Petit homme abat grant chesne. Sepe manu minima cadit ardua quercus ad ima. Sepe brevi percussa manu cadit ardua quercus. Parvi vis hominis dat robora magna ruinis. Qui bien voit et mal prent, male goute li criet l’oeil. Lumen hie amittat, mala qui capit et bona vitat. Qui meliora videt et deteriora sibi det, Ultio digna Dei lumina deviat ei. Qui plus se haste, noiant fait. Parva (ms. Pravus) ipse geres, si nimium celer es. Qui ne peche, si encort. Delinquentis honus fert aliquando bonus. 30 104. 105. 106. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 76 118. 119. 120. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Qui a mal voisin, si a mal matin. Multis mane gravabile dat vicinia propianea (!). Pravi contiguis dant male mane suis. Qui bien fera, bien trouvera. Vita translata bonus inveniet sua fata (ms. facta). Qui premier prent, ne se repent. Primo sumpsisse nullum puto penituisse. Qui a mauvays serjant, si a bon devin. Pigrum mancipium dat satis augurium. Qui petit me donne, si veult que je vive. Qui mihi dat minime, vita vult longa frui me. Qui folie dit, folie veult oir. Turpia si loqueris, tibi turpia queris. Quant avoir vient, et cuer fault. Huic cor tabesecit, cui rerum copia creseit. Telle est la mere, telle est la fille. Cum sit venalis mater, sie filia talis. Insequitur leviter filia matris iter. Tel menace, qui a grant paour. Sepe minas fundit, cui cor formido retundit. Tout voir ne fet [bien] a dire. Sepe nocet verum cunctarum dicere rerum. Trop grant debonnaire nuist. Multis mittesse quandoque viris nocet esse. Toute parole ne fait [bien] a croire. Non in sermone cuicumque fidem mihi pone. A moul pastour lou li chie laine. Raptor oves vastat pastoris, qui piger astat. Pastori vano lanam lupus egerit ano. Opilio piger officio, dum spernit herile, Depositum lupus ad libitum predatur ovile. A bon jour bon[e] heure. Omnis persona, fac bene luce bona. A tel seigneur telle mesgnie. Est mos servorum iuxta morem dominorum. Bonne parole bon liew tient. Quis bona narrando multum prodest aliquando. Qui tout covoite, tout li chiet. Tu tibi cum queres omnia, nulla feres. Qui cunctis plenus fore vult, cunctis fit egenus, 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. Amittit totum, qui prodit ad omnia votum. Cuncta fluunt propere cupienti cuneta tenere. Qui captat cuncta, totum perdit sive cuncta. La est [la] langue ou la dent deult. Quo dolor est dentis, versatur lingua dolentis. Lingua totum tangit, in quo dentem dolor angit. Meres et filles donanz et pre(g)nanz sont amies. Munera dando vice sunt filia, mater amice. L’en ne doit ja home loer davant luy. Laudem nulli des, quem stare prope vides. Tant vet la bue a l’eve quelle se brise la teste. Frangitur ad latices vas itinerando vices. Ad vada tam vadit olla, quod ipsa cadit. Pire est gabeiz de povre que le mal que il a. Est misero peius derisio quam dolor eius. Petite pluie abat grant vent. Ex pluvia minima venit ingens ventus ad ima. Vis venti sternitur ymbre brevi. Qui de/s] bons est, des bons se tiengne. Frag[r]rat persona, cuius origo bona. Il n’est si grief chousse come d’avoir male fame. Nil magis est grave quam iungi cum coniuge nequam. Autant vault moulin qui ne meuli comme four qui ne chauffe. Profieiunt eque furni cessando moleque. Equa mole stantis lucra sinit furnique vacantis. Blanche berbiz, noire berbiz, Autant m’est se tu muer(e)s comme se tu vie!). Alba bidens nigrave, si tu vis, vive migrave. Vivis, ovis vel obis, eadem sunt omnia nobis. Albe nigreque me casus ovis movet eque. Alba bidens vel nigra, si non vis vivere, migra. Qui rien n’o luy porte, riens ne luy chiet. Qui sine re vadit, res sibi nulla cadit. Qui se muert et se remue, n’a amy. Non est post funus solum, qui diligat unus. Perdit decedens dileetum sive recedens. Quant je sere mort, si me fetes chaudel. Plus dabitur sero, quando sepultus ero. sl 1) Vgl. Altfranz. Zaubersprüche, in Ztschr. f. roman. Phil. XXXVIE (1913), p. 460. 32 134. 135. 186. 197. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, Qui est loing de som escuelle, si [est] pres de son dommaige. Cui lanx longinqua, sunt illi dampa propinqua. Tant grate chievre, que mal gist. Tam pede capra ferit, quod mala strata gerit. La pire roe de la cherrete bret touz jours. A peiore rota sunt semper iurgia nota. Quant se mue le menton, se se doit muer li hom. Mutato mento mentem mutare memento. Il n’est mestier de pendre campane a coul de foul. Non opus est follo suspendere tympana collo. Qui me aime, aime mon chien. In cane monstratur, quantum possessor amatur. Dahe ait la dent qui mort son parent. „ve denti!‘ dico, qui morsus donat amico. Dente qui carum mordet, amicus (ms. amico) parum. Qui a mestier de feu, ou son doy le vet querre. Querit seintillam digito, qui non habet illam. Qui autel sert, d’auter doit vivre. Si colis altare, vivas hoc, quod datur are. Qui doyt pendre, ne puet noyer. Debeo pendere, submergi non queo vere. Si quis suspendi debet, nequit in mare mergi. Qui s’aquite, ne s’encombre. Premia solvendo solvenda mihi requiem do. Foul si despent et gaste quanque gaingne li saige. Vastat inops mentis, quod cura sapientis. ; Quicquid lucratur sapiens, stultus populatur. Aux neuz des geneiz, a la croez, aux monceauz des pierres congnoist len les chemins. Ostendunt eipice calles, crux, petra, mirice. Sint tibi saxa, eruces, torta mirica duces. Par le regart et par le ris que fist la belle, m’a conquis. Per visum, risum, quod fecit pulchra, sui sum. Nul ne veult jeune morir, et nul ne veult vieil devenir, Ne nature ne puet souffrir longuement vivre sanz vieillir. Non iuveni placita mors, senium neque vita. Durat natura semper senio caritura. Toute religion s’acorde a bon vin. „4 bon vin cor do“ concordat quilibet ordo. Omnis sincerum diligit ordo merum. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. Or poez chier, se quatorze ne viennent. Nune potes agere (ms. egere) proprio de corpore fecem, Ne veniant propere quatuor atque decem. La mort me mort, quant (ms. quanque) la recort. Mors in me morsum facit, eius quando memor sum. Oncques Deus ne fist tel mariage come de paires et de formage. Coniugium mirum caseus atque pirum. Par vin, par fame et par dez Si vient tost homme a povrete2. Per vinum miser es, per talos et mulieres; Hec tria si sequeris, semper egenus eris. Je aime loialment, ne ne suy mie aime; Par faulce amour ay deceü este. Fidus amo nec amor; sic me fallit amor. De tant comme home est plus estret, De tant est mal en luy plus let. Quando potior aut per genus aut per honores, In te tanto res vitiose sunt graviores. Autant vault qui pie tient come qui escorche. Pellem tollenti par pena pedemque tenenti. Quant que en fait par mesure, Si [est] parfait (ms. prophete) et dure; (Et) Quant qu'en (ms. que) fait sanz raison, Vet a perdicion. Sicut in omne quod est, mensuram ponere prodest, Sic sine mensura deperit omne quod est. Ma dame me commande [a] travoiller et filer, Et je suy si jeune(te) que ne puis endurer. Jussio cogit ere filum traducere vere, Sed quia sum iuvenis, nequeo me subdere penis. Malle chauce et deschauce. Calciat, ac si dem: si non discaleiat idem. Bonte autre requiert et colee sa per. Reddi res data rem vult colaphusque parem. La ou est l’avoir, est le cuer. Sunt individue mens tua resque tue. De torte bouge (ms. buche) fait l’en beau feu. Ex tortis lignis pulcher componitur ignis. Anguille morte vin demande, et vive eve en habundance. Vult anguilla lacum vivens, sed mortua bacum. Auca petit Bacum mortua, viva lacum. 1913, 3 33 34 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 174. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Langue n’a point de ous, Et si troncele grous. Lingua loquax grossa, que non habet, atterit ossa. A goupil rous n’avient pas touz jours genille blanche. Vulpi deest ulla vice rufo candida pulla. N’a foul paller, n’a four (ms. foul) baer. Nec fatuo fatus nee furno fertur yatus. Il n’a mie troys jours que suy marie, et si vouldroie ja que mon mari Just mort. Nec triduo nupta, iam vellem federa rupta. ‘Opto viri cessum, nec per tres dies nupta sum. Se bech y a, faucille seit. Si sit cum rostro, sit falx ydiomate nostro. Si corrastretur, fas est, ut falx vocitetur. Pour la soef qui fut et qui est et qui avenir doit, len doit boevre trois foiz. Que fuit, est et erit sitis, hec tria pocula querit. Tant doit l’en blandir le chien, qu'en ait (ms. quant n’ait) passee la voye. Mastino faveas, tutus ut ire queas. Mastino blandire viam ratione meandi. Qui n’a cheval, si vait a pie. Qui portet te, si desit equus, pedes i. A deus, trois (ms. trues trais) groy [es] (et) pour la terre qui est dure. Pro terra solida gemina (ms. gemine), tria rosta sui da. Foul ne voit en sa folie se sen non. Ineipiens „‚ens, um, fert‘‘ non reperit nisi sensum. Tant a home, tant est prise. Sum quod habere putor, sollempni voce salutor; Sed recessante fit vox ferialis ut ante. 00 Anmerkungen. 1. Mey. p. 181 (M. buche deit l’um luer). Ste. p.2 (M. buche doit l’em lower) u 331. Za.89 (M. b. doit. l’en sorlouer). — 1a Mey.p. 181. We. 0.82, — 1b Ste. p. 2. We.M85. 2. Mey.p. 181 (Ki bien eimet tart le ublie). Ro. p.45. Za. 141.— 2a Mey. p- 181. We. 156. — 2b We. M 100 (Non a. a visu quidquid a... — 2e Za.141. 3. To. 46 (Pour soufraite de proudome asiet on fol en ch.) Mey. p. 174 (Pur suffreite de prudhume met l’um fol en banc). Za. 4 (set fol en rene). Ulr. p. 19 (En leu de saige met on fol en ch... — 3a Mey. p. 174. We. O 14. 4. Mey. p. 174 (Si fert ki.ne veit). Ulr. p. 19. — 4a Mey. p. 174. We. S 133. — 4b Mey. p. 174. We. S 130. 5. To. 268 (que nient). Mey. p. 174. (que nient). Ste. 56 (que neent). — 5a Mey. p. 135 (n. hec fite.. We. D 1 (n. hoc fit). 6. To. 152. Mey. p.175 (Ki meuz ne pot a sa veille se dort). Ste. 175. Za. 159. Ulr. p. 29. — 6a Mey. p. 175. We, C 174. 7. Mey. p. 175 (Ki ne fait quant il poet ne feit quant il volt). Ro.p.39. Ste. 89. Ulr. p. 30. Fehse p. 31. — 7a Mey. p. 175. We. N 165. 8. To. 12 (fügt hinzu: au matin son oste). Mey.p.175 (Al vespre deit l’um loer le jor). Za.117 (= To.). Vgl. Schepp p. #1. — 8a Mey. p. 175. We. V 25. 9. Mey. p. 175. Ste. 1. 203. Zum Stoff dieser Fabel (Odo de Ceringtonia, parab. 55 = Hervieux II 640. IV 497) vgl. Voigt zu Fecunda ratis 727. — 7b Mey. p.175 (B. crate f. Ve turba quibus d.). Ste. 1 (= Mey.). 10. To. 181 (De bele parole se fait fous tout lie). Mey. p. 176 (Bel prometre e nient donner fait fol conforter). Ste. 6 (= Mey.). Ulr. p. 26 (Promettre sans donner est a fol c.. — 10a Mey. p. 176. Ste. 6. We. R 28. 11. To.30 (Qui tout me done tout me viee). Mey.p.181 (Ki tut me promet ne me promet). Ste. 209 (d. tot me neye). Za. 223 (d. tot me nie). — 11a Mey. p. 181. 12. Mey. p. 176. Ste. 9 (en gieu se c.). Za. 146. Ulr. p. 29 (= Ste.). Haureau, Not. et extr. de quelques mss. latins II (1891) p.281. — 12a Mey. p. 176. Ste. 9. We. L 73. 13. To. 131. 238. Mey. p. 176. Ste. 12. Za. 108. Ulr. p. 18. Haureau 1. c. I 280. Vgl. Voigt zu Fee. ratis 271. — 13a Mey. p. 176 (pr. fit bona c.). Ste. 12 (maxima c.). We. D 26 (= Ste.). 14. Mey. p. 177 (U fu n’est n’est fumee). Ste. 13. — 14a Mey. p. 177. We. C 173. — 14b Mey. p. 177. Ste. 13 (nec prope). We. C 183. 15. Vgl. Leroux de Lincy, Prov. fr. 2II 28: Ce n’est plus le temps que Berthe filoit. Du temps que la reine Berthe filait. — 15a Vgl. Voigt zu Fee. ratis 241: Hoc quoque cum multis abiit, quod Bertheca (Glossa: proprium nomen operatricis femine; et cum omnia mundana transeant, etiam suorum operum nihil inconsumptum remansit) nevit. 16. Mey. p. 177. Ste. 19. Haureau l. ce. I 280. — 16a Mey. p. 177. We. P 99. 1%. Mey. p. 177. Ste. 20. — 17a Mey.p. 177 (dum suspendo tua p.). We. E 146. — 17b Mey. p. 177. Ste. 20. We. E 144, 18. To. 115 (Qu’ aprent poulains en denteüre („Zähmung, Dressur“), tenir le veut t.c.il d.). Leroux I 194 (= To.). Ste.275 (Que prent bayart en danteüre, co volt tenir a jor que dure). Za. 88 (vgl. To.). Haureau 1. c. Il 282 (Que prent cheval).— 18a We. 049. Vgl. Voigt zu Fec. ratis 653. 19. Vgl. Fehse p. 27: Tous- jours sent le mörtier les aulx. Ro. p. 43. — 19a We. Q 204. Vgl. Horaz, Ep. 12, 69— 70. 20. Mey. p. 177 (Sun tens pert ki felun sert). Ste. 25 (Sa entente pert, kia malvais hume sert). — 20a Mey. p. 177. Ste. 25. We. H 23. 21. To. 121. Mey. p- 177. Ste. 27. Ulr. p. 22. Fehse p. 23..— 21a Mey. p. 177 (prato). Ste. 97 (prati vis). We. V61. 22. Mey. p. 178. Ste. 32. Za.2. Ulr. p. 16. Fehse p. 32. — 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 23a Ste.p.1. We.F.27. 23. To. 236 (que loing perriere). 266 (que lointaine perriere), vgl. Anm. Natürlich kann es sich nur um praiere „Wiese“, nicht um perriere „Steinbruch“ handeln, was übrigens Tobler aus der lat. Übersetzung erkannte, obwohl ihm auch perriere annehmbar schien. Ste. 33 (de pres junchire que de luin praere). Za. 157 (pres jonchier que loin praer). — 23a Ste. 33 (lies: presunt für prosunt). We. J 145. — 23b We. J 144. Vgl. Voigt zu Fec. ratis 183: Juncea longinquis melior vieinia pratis. 4. Leroux I 178 (Ce n’est pas viande preste que lievre en genestay, ms. du. XVes.). Ste. 35 (Preste v. l. en genest, also unrichtig nebst lat. Übersetzung: Vepribus inclusus lepus ecce presto fit usus). Za. 136 (l. en fugere). 35. Ste. 211 (Ventre saol joue, vieut cote nove). — 25a We. V 10 (fareitus). 26. Mey. p. 182. Ste.41. Haureau ].c. II 96. 279. Vgl. To. 28. — 26a Ste.41. We. Q 111. — 26n Mey.p.182. We.Q 125 (p. non illum sors mala stravit). 2%. Ste. 42 (Tut dis ami [sie] amis). — 27a We. S 136. 28. Ro.p.40. Ste. 182. Za. 179. 29. To.48 (Mieuz ain). 245. Mey.p. 178. Ste. 31. Ulr. p. 24. Za. 142. — 99a Ste.31 (Unum malo datum quam promissum geminatum = We. U90). Za. 142 (Presens malo d. quam promissum gem.) 29b Za. 142. 30. To. 124. Mey. p. 178. Ste. 30. Ulr. p. 30. Za. 32. — 30c Za. 32 (Non capit optatum munus qui non dat.a.). We.N 120. 33. T0.72. Ro.p.40. Ulr.p.15. Za. 118. Fehse p. 15. 34. To.189 226 (Biaus chanters enuie). Ste. 196. Ulr. p. 16. Za. 29. Vgl. Schepp p. 41. Fehse p. 27. 36. Vgl. To. 12. Ste. 65. 3%. Ulr. p. 33. Fehse p. 20. 38. Ulr. p. 19. Haureau ]. c. IL 280. Voigt zu Fec. ratis 216. 39. Mey. p. 181 (Ki bien eimet tart le ublie). Ste. 309. Leroux II 496. Ulr. p. 28. Za. 141. Fehse p. 14. — 39b u. d Za. 141. 40. Ulr. p. 14. Za. 34. — 40c Za. 34 (Est avi cuique nidus formosus ubique). 41. Ulr. p. 18 (De la chose que tu feras garde a quel fin tu en venras). — 41a We. Q 164. — 41b klassisch. 42. To. 258 (Qui son nes coupe, sa face deseneure). Ste. 323 (Qui son nes trenche, sa face desonore). Ulr. p. 31. Vgl. Schepp p. 44. Fehse p. 11. 4%. To. 136. Ste. 218. 48. Vgl. Schepp p. 54 (S’avient en un jor que n’avient pas en cent ans). Fehse p. 31. — 48b Ste. 5 We. Q 19. 51. To. 113. Za. 153. 52. To. 6 (Asez otrie, qui se taist) Ste; 236. :Ulr..p. 15. 53. To. 253 (ne se mueve). , Haureau! I. c. 112.28. 54. Leroux II 156 (sous buriaus cum sous brunetes, ms. du Xllle s.). 55. To. 82. Ste. 165. Ulr. p.1# (A courtes hoeses longues lanieres). 56. To. 3 (v. 1.). Za. 73. Haureau 1. c. 1I 279. 57. Ulr. p. 27. 58. Ulr. p. 14 (A aise g.)._ 61. To. 183. Leroux I 49 (Ce que saint Martin ne menjue, ce menjue ses asnes). Za. 95. Ulr. p. 31. — 61a Za. 95 (Quod non Martinus comedit, comedit peregrinus). We. 0 203 (Quod non M. comedit, suus hoc per.). Der Sinn dieses Sprichworts war schon Tobler (vgl. s. Anm.) nicht klar. 63. Za. 103. 64. Za. 85. 66. Leroux II 138 (Bons marchie6s trait a. de borse, ms. du Xllle s.). Ro.p.39. Ulr.p.17. 6%. Vgl. To. 154: Parent parent; dolent celui qui n’a nient. 68. To. 49 (A tart ferme on l’estable, quant li chevaus est perdus). Ste. 132 (quant li cheval est emblez). Ulr. p- 27 (= Ste.). Za 267 (A tart est l’uis clos, quant li chival en est hors). — Vgl. We. S 54: Sero paras (lies: seras?) stabulum tauros iam fure trahente. 69. To. 170 (Mal noure, qui n’asavoure). Ste. 279 (Mal nuirre, qui n’asavore). Ulr. p. 23. Za. 19 (Ki ne norit, n’asavore\. Haureau 1. c. II 155 (Qui nourrist, si assaveure). 0. Ulr.p. 21 (Fous est li pr. qui blasme ses rel.). Vgl. nr. 16. Fehse p. 23. @2. To.146 (Il est bien lere),. @4. Ulr. p. 22. Za. 156. Vgl. Fehse p. 10. <5. Ro.p.41 u. Ulr. p.33 (Trop tost vient). Ste. 134 (Trop vient tost). Fehse p. 32. 76. Vgl. Ste. 14. %9. To. 56. Mey. p. 182 (Asurement beit). Ste. 37. Ulr. p. 15. Za. 143. — 79a Za. 143. — 79b Ste. 37 u. Za. 143 (effectum). 80. Leroux I 166. 81. Ro.p.39 (tualie). Ulr,p. 15 (nappe). Vgl. Voigt zu Fec. ratis 821: Post epulas tarde in mensis mensalia sternis. 83. Ulr. p.29 (Qui mieus aimme de mere, c’est IV. Abteilung. Sektion für neuere Philologie. 37 fainte nourice). 84. Ulr. p. 17 (Chascuns ne set qu’a l’eul li pent). Fehse p. 31. 85. To. 105 (Encontre mort nul resort). Vgl. Schepp p. 37. Fehse p. 12. 86. Za. 46 (Petit fet bien a lecheor). Vgl. ibd. Parva leccatori bona sunt, si sit sapor ori. 8%. Za. 186 (De n. parole). 88. Leroux I 152 (ms. du XIlle s.). 89. Leroux I 168 (ne quiers ja soyn, ms. du XIlle s.). Ulr. p. 20. 91. To.173 (doit on metre a son ueil). Za. 165 (doit ’en lier a sun oil). Leroux I 76 (on la doit bien lier a son doigt, Adages francais du XVlIe s.). 93. To. 23. Ulr. p. 22. 94. To. 182 (Ne set li riches qu’est au povre). Ulr. p. 31 (Riches ne set que li povres sent). Fehse p.29 (Ne seit riche que povre fait). — 94a We. J 10. 95. a) biblisch. b) = nr. 76 klassisch, vgl. Voigt zu Fecunda ratis 13 (Glosse: Ubi dolor, ibi frequens manus herebit). c) Vgl. Voigt zu Fee. ratis 12 (Glosse: Ubi amor, ibi oculus). 96. To. 37 (Mout remaint). Ste. 289 (= To.). Ulr. p. 22 (Il remaint assez). Za. 15% (Mout remeint). Fehse p. 20, 9%. To. 229 (N’est mie tout ors quanqu’il luist). Vgl. Voigt zu Fec. ratis 121. Schepp p. 42. Fehse p. 6. 99. Haureau ]. c. 11 280. 100. Ulr. p. 26. Leroux I 62. 101. To. 168 (Qui bien set et le mal prent, fous est tresnaivement). Ulr. p. 29 (il se folie a esciant). Za. 258 (— Tours). Haureau II 283 (il se dechoit a escient). — 101b Za. 258 (Qui bona cuncta videt...... lumina tollat ei, 102. Vgl. Ste. 44 u. Ulr. p. 23: Mieus vaut bonne attente que mauvaise haste. 103. Za. 193. Haureau 1. c. II 88. 280 (Glosse: Contingit enim quandoque quod pater redimit pignus quod filius obligavit et solvit pretium vini quod filius bibit). 104. To. 104, Ulr. p. 27. Za. 178. Haureau 1. c. II 282. 106. To. 53 (Qui avant prent). Ste. 230, Ulr. p. 30. Za. 145. Haureau 1. c. II 283. 108. To. 17. Za. 24. 109. Za. 163 (doit or). 110. Fehse p. 29. 144. Vgl. Voigt zu Fee. ratis 30. 112. Vgl. Leroux II 396. 116. To. 26. Ste. 118. Ulr. p. 14. Za. 170. Vgl. Voigt zu Fec. ratis 174. Fehse p. 9. 118. Haureau 1. c. II 280 (A sage seignor sage mesnie). 383 (selon le segnor la mesnie). Fehse p. 26. 120 To. 222 (tout pert). Ste. 315 (— To.). Za.69 (= To.). — 120e Za. 69 (qui mittit). We.A 72 (=Za.). Vgl. Schepp p.43. Fehse p. 21. 121. Ro.p.39 (Lai vait). Za. 201 (La vet). — 121a Za. 201. 122. To. 196 (Donant et prenant sont fille et mere bien). Ulr. p. 20 (Filles et meres donnans et prenans sont amees). Za.41. Voigt zu Fec. ratis 352 (Glosse: Dando et recipiendo mater et filia inter se fiunt amice). 124. To.216 (Tant va li poz a l’iaue qu’il brise le col). 231 (Tant va li poz a liaue qu’il brise). Ulr. p. 31 (Tant va li pos a Viaue quil brise). Za. 135 (Tant vet le pot a l’eve que il pece). Fehse p. 27. — 124b Za. 135 (vadit urna). 126. To. 67 (A petite pluie chiet granz venz). Ste. 190. Za. 169. Haurcau 1. e. II 281. Ulr. p. 15 (A pou de pluie chiet grans vens). Vgl. Schepp p. 54. Fehse p-6. 12%. Vgl. Haureaul. c. II 281 (Glosse: Saepe enim fit quod filii, probitatem et largitatem antecessorum attendentes, ad simile provocantur). Ulr. p. 28 (Qui de bones est, souef flaire). 130. Leroux I 152 (ms. du Xllle s.). 131. Vel. To. 108. Ulr. p. 30. 133. Ulr. p. 27 (si me feras chaudel). Leroux II 481 (si me faites candeles, ms. de Cambridge). 134. Ste. 221. Za. 119. — 134a Za. 119 (Si lanx longinqua fuerit, sunt d. pr... 185. Vgl. To. 61. Ulr. p. 31. Fehse p. 10. 136. To. 33 (Ades brait la pire ruee dou char). Ulr. p. 32 (dou char). Za. 238 (dou char). — 136a Za. 233 (Deteriore rota). We A 5 (semper sunt murmura nota). Voigt zu Fec. ratis 287. Vgl. Schepp p. #7. Fehse p.27. 138. Ro. p. 43 (Li fou est coneus sans campene). — 138a. We. N 215. 139. To. 162. Ro. p-: 45. Za. 45 (Qui m’eime, e mun chien). Ulr. p. 29. 141. To. 147 (a son doi [1] e quiert). Ste. 137 (= To.). Ulr. p. 27 (= To.). Za. 253 (a son doit le [va] querre). Haureau Il. c. I 93 (= To.). 142. To. 73. Ste. 224. Ulr. p. 28. 144. To. 122. Ste. 192. Za. 147. Haureau |. c. II 280. 156. Ulr. p. 15 (Asses 1913. & 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. escorche qui le pie tient). Vgl. Schepp p. 55. — 156a We. P 39 (Pellem tondenti par pena pedemque tenenti). 15%. Vgl. Schepp p. 38 (Mesure dure). — 157a We. S 137 (Sie sine mensura non prosunt omnia iura). 159. Vgl. Leroux II 345: Mauvaise chausse est dechaussee, ms. du XVes. 160. To. 39. 223. Mey. p. 175. Ste. 3. Ulr. p. 17. Haureau |]. c. II 284. Fehse p. 17. 162. Leroux I 69 (De torte buche fait l’en droit feu, ms. du Xllle s.). Ste. 265 u. Ulr. p. 32 (Torte busche fait droit feu). 253b. We. A 128. 164. Ste. 141 (Langue n’a os, mes ele fraint dos). 186. Ste. 252 (Ne a forn baer, ne a fol tencier). Haureau Il. c. 11 281 (N’a fol [l. forn] baer, n’a fol tensier). 16%. Vgl. Matheolus, Lamentationes 953: Dum iacet in feretro coniunx, uxor lacrimando Cogitat ante, retro, cui nubere, quomodo, quando Post spatium tridui poterit; mos est mulierum. In franz. Übersetzung 851: C’est coustume, quant elle pleure, Apres trois jours n’attent que l’eure. 17%. To. 144. Ulr. p. 31. Za. 36 (que l’en soit passe). 141. To. 193 (voist). Ulr. p. 29 (se voist. 1%3. Leroux I 237 (Adages francais, XlVe s.). 174. Vgl. Schepp p. 36 (Tant as, tant valz, et jo tant taim = Ste. 127). - De ——— nn Schlesische Gesellschaft für vaterländische Gultur. gs wa nn V. Abteilung. Jahresbericht. { 1913. a. Mathematische Sektion. O,c aRsE EN Sitzungen der mathematischen Sektion im Jahre 1913. Im Jahre 1913 wurde eine Sitzung abgehalten am 26. Februar, Herr Prof. Dr. Hessenberg trug vor: Über Rechenmaschinen. Kneser. 1913. Fr * nn BEE no) SE 15a ade ited schlesische Gesellschaft für vaterländisehe Cultur. ZT 91. | V. Abteilung. Jahresbericht. ı b, Philosophisch - psychologische 1913. | Sektion. &uc NEMRRSREER, ef au N 2,98 Sitzungen der Philosophisch-psychologischen Sektion im Jahre ıg13. Sitzung am 29. Mai 1913. 1. Vortrag des Herrn Privatdozenten Dr. Julius Guttmann: Natorps allgemeine Psychologie nach kritischer Methode. 2. Diskussion, Sitzung am 3. Dezember 1913 (gemeinsam mit der rechts- und staatswissenschaftlichen Sektion): 1. Vortrag des Herrn Professors Dr. William Stern: Über die psychologische Vorbildung der Juristen. 2. Korreferat des Herrn Geh. Justizrates Professor Dr, R. Leonhard. 3. Diskussion. 1913. he: Eh IM Ba GYS were Sehlesische Gesellschaft für vaterländische Gultur. 91. Jahresbericht. i ” ende ; 1913. c. Sektion f. katholische Theologie. oc EI 2, Sitzungen der Sektion für katholische Theologie im Jahre 1913. Am 14. Januar sprach Pfarrer Rohn aus Frömsdorf über Streifzüge durch das kirchliche Erziehungswerk in Italien. Im Jahre 1911 war der Vortragende nach Italien beurlaubt, um dort zu Studieren, wie die Kirche der Schwierigkeiten Herr zu werden sucht, die durch die Trennung von Kirche und Schule entstanden sind. In den italienischen Schulen kann Religionsunterricht erteilt werden, wenn die Eltern es wünschen und wenn ein geeigneter Lehrer vorhanden ist. Beide Bedingungen sind selten erfüllt. Somit kommt alles auf den Religions- unterricht an, den die Geistlichkeit am Sonntag erteilt. Hier liegt alles an dem guten Willen der Eltern und an der Anziehungskraft, die der Geistliche seinem Religionsunterricht zu geben weiß. Aber beide ver- sagen fast völlig. Zwangsmittel für den Besuch dieses Sonntagsunter- richtes fehlen der Kirche. .Somit ist die Lage des Religionsunterrichtes in Italien auf einem Tieistand angelangt. Lichtpunkte fehlen diesem Schattenbilde freilich nicht, besonders manche religiösen Genossenschaften leisten Staunenswertes, z. B. Don Boscos Salesianer, und ihre Erziehungs- arbeit bildet den Glanzpunkt der kirchlichen Erziehungsarbeit in Italien; ihre Schilderung bildete auch den Glanzpunkt des Vortrages. Die Besprechung ergab noch manche Ergänzung der im Vortrage geschilderten Licht- und Schattenseiten. In der Sitzung am 11. Februar gab Kuratus Kasperczyk Beiträge zur Sexualpädagogik. Der Vortragende gab einen Überblick über die Geschichte der Sexual- pädagogik von den biblischen Zeiten bis auf unsere Tage, deren Literatur eine eingehende Würdigung erfuhr. Alsdann zeichnete der Redner die Aufgaben, die eine weitblickende Sexualpädagogik an den verschiedenen Altersstufen zu lösen hat. Wie die Sexualpädagogik zu gestalten ist, soll ' ein eigener Vortrag zeigen. Dem Vortrage folgte eine lebhafte Erörterung. 1913. 1 9 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, Am 25. Februar sprach Professor Dr. Renz über Die katholischen Moralsätze bezüglich der Rationalisierung der Geburten. In geistreicher, fesselnder Weise erörterte der Vortragende den Zweck der Ehe und wies aus Naturgesetz und Offenbarung die Unzertrennbarkeit des Sexualtriebes vom Zeugungstriebe nach, so daß nach katholischen Grundsätzen eine Rationalisierung der Geburten nur auf Grundlage der Abstinenz möglich ist. In der Besprechung wies Geheimrat Prof. Dr. Wolf darauf hin, daß die katholische Kirche nicht nur gegen den Abortus, sondern auch gegen den Präventivverkehr energischer vorgehen möchte, damit es nicht den Anschein gewinnt, als stehe die katholische Kirche in dieser Frage auf dem Standpunkt des Gehenlassens. Professor Dr. Triebs wies auf die Tätigkeit im DBeichtstuhll hin, die der “ Außenwelt verborgen bleibt. Öberlehrer Hoffmann zeigte, was die Kirche auf diesem Gebiete tut, und betonte die Bedeutung sozial- ethischer Motive in dieser Frage. Der Vortrag ist abgedruckt im Schlesischen Pastoralblatt 1913 und unter dem gleichen Titel als eigene Schrift erschienen (Breslau, Aderholz). Professor Dr. Siekenberger sprach am 6. März 1913 Zur Frage nach dem Todestage Jesu. Der Todestag Jesu war kein Feiertag. Andererseits hätte Jesus, wenn das Abendmahl am 13. Nisan stattfand, kein wirkliches Paschamahl halten können, da die Paschalämmer erst am 14. Nisan geopfert wurden. Doppelte Kalenderrechnungen sind schwer denkbar. Möglicherweise hat in diesem Jahre eine Translation der Solemnität des 15. Nisan auf den unmittelbar darauf folgenden Sabbat stattgefunden. Pesachim VII, 10 beschreibt die Konstellation, die nach der sog. synoptischen Theorie im Todesjahr Jesu statthatte. Dem Vortrage folgte eine ausgedehntere Besprechung. Der Vortrag ist gedruckt bei Seppelt, Kirchengeschichtliche Festgabe, Anton de Waal zum goldenen Priesterjubiläum dargebracht. Freiburg 1913. Am 5. Juni hielt die Sektion eine Wanderversammlung in Sur @ ln R2R Privatdozent Dr. Seppelt sprach über Strehlitz und seine Kirche im Mittelalter. Bezüglich der Malereien schloß er sich der Meinung Michaels an, der sie dem 13. Jahrhundert zuschreibt. Privatdozent Pfarrer Dr. Ziesche& fV. Abteilung. Sektion für katholische Theologie. 3 machte noch nähere Mitteilungen über die Malereien seiner Kirche. Unter seiner Führung fand eine eingehende Besichtigung derselben statt. An die Besichtigung schloß sich eine Wanderung über Qualkau nach Gorkau, von wo die Rückfahrt erfolgte. An der Wanderversammlung hat auch der Präsident der Gesellschaft teilgenommen. Die Sitzung am 25. November, mit der die Sektion ihre Winterarbeit aufnahm, eröffnete der erste Sekretär, Professor Dr. Nikel, mit einem Nachruf auf den am 2. Juli verstorbenen Mitbegründer der Sektion, Dom- herr Professor Dr. Sdralek, dessen Andenken die Versammlung durch Erheben von den Plätzen ehrt. Dann spricht Privatdozent Dr. Karge über die Frage: Hat die babylonische Religion und Mythologie einen Einfluß auf das Neue Testament ausgeübt? Durch die modernen Forschungen im Orient, besonders durch die Ausgrabungen, kam auch eine Fülle ganz neuer und wichtiger Einzeltatsachen religionsgeschichtlicher Art zum Vorschein. Eine große Zahl religiöser Texte vom grauesten babylonischen und ägyptischen Altertum bis hinab zu den griechischen Papyri im Sande Ägyptens, ganze Epen, Hymnenbücher, mythische Erzählungen und sonstige ‚Werke der religiösen Literatur wurden uns bekannt. Wir lernten, namentlich durch die fortschreitende Entzifferung der Keilschriftliteratur, in diesem reli- giösen Material des höchsten Altertums zahlreiche Mythen, Gedanken und Vorstellungen kennen, die solchen ähnlich waren, die man bisher nur aus viel späterer Zeit und bei anderen Völkern kannte. Dadurch wurde man vertrauter mit den orientalischen Mythen und religiösen Überlieferungen, man drang durch die Einzelformen zum religiösen Gehalt vor, erkannte die in ihnen steckenden Gedanken und deren Entwicklung durch die Jahrhunderte. Man lernte auch die griechisch-orientalischen Mysterien- religionen, welche alle die Erlösung des einzelnen durch sakramentale Riten zum Ziel hatten, genauer kennen. Man erblickte in den Anhängern der Mysterien religiös interessierte Kreise, die nach Vervollkommnung und Erlösung von menschlicher Schwäche und Schuld rangen. Verglich man den Inhalt des A und NT mit den neuen religionsgeschichtlichen Tatsachen, dann ergaben sich an einzelnen Punkten scheinbar weitgehende Ähnlichkeiten; bei näherem Studium schienen ganze Reihen von Parallelen zwischen dem Judentum und Christentum einerseits und den orientalischen Religionen andererseits vorhanden zu sein. So entstand die Frage der gegenseitigen Beein- flussung. Daß dabei die alte babylonische und assyrische 1* 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater. Cultur. Religion bald eine große Rolle spielte, ist erklärlich. Sie enthüllt die religiösen Vorstellungen und Mythen eines den Israeliten stammver- wandten Volkes, das durch seine hohe Kultur bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. auf Vorderasien wirkte und bis in die Perserzeit einen großen Einfluß ausübte, ja das mit seiner Astrologie und Mythologie noch weiter- hin vorbildlich war. In der babylonischen Mythologie und Religion fanden sich scheinbar die Quellen und Ursprünge so vieler religiöser Ideen und Vorstellungen in den vorderasiatischen Religionen. Man brauchte nur die Parallelen zu ziehen, so schien es, um die Zusammen- hänge mit den Händen greifen zu können. Überall, so schloß man vor- eilig, zeigte sich das Christentum als das spätere, das aus all den benach- barten Religionen geschöpft hatte und sich auch viel babylonisches Gut angeeignet hatte. Zur Hilfe nahm man noch den in den Mysterienreli- gionen zweifellos wirksamen Synkretismus, d. h. das Bestreben, einen religiösen und kulturellen Ausgleich auf hellenistischer Grundlage zu schaffen. Die Mysterienreligionen übernahmen alte kultische Handlungen und die ihnen zugrunde liegenden Mythen; durch Erneuerung derselben erhofften sie Erlösung. Die Erlösung aber war immer nur eine, und so galten auch die vielen Erlösergottheiten und Erlösungsriten im Grunde als identisch und nur als Vermittlerinnen und Trägerinnen derselben Wahrheit. Das Christentum ist nun auch eine Erlösungsreligion. Es ist, das war bald die Überzeugung der religionsgeschichtlichen Theologen, historisch nur begreiflich aus der Gesamthesntugdeer religiösen Ideen des Orients um die Wende unserer Zeit- rechnung. Das NT könne nur religionsgeschichtlich verstanden werden, d. h. als natürliches und innerlich notwendiges Pro- dukt der religiösen Entwicklung des Orients. Damit war der übernatürliche Faktor ausgeschaltet und eine rein natürliche Ent- wicklungsreihe konstruiert. Aus den orientalischen Mythologien also sollte das Christentum geschöpft haben. Die Religionshistoriker unter den protestantischen Theologen glaubten nachweisen zu können, daß der wesentliche Inhalt der Christologie sich aus dem vorchristlichen orien- talisch-gnostischen Glauben an sterbende und auferstehende Gottheilande (wie Adonis, Tammuz und Marduk) erkläre. Diese Vorstellungen gehen aber, wie schon die Namen Tammuz und Marduk) beweisen, auf baby- lonischen Ursprung zurück. Die christlichen Sakramente wurden aus den sakramentalen Riten der Mysterienreligionen abgeleitet. Bald sprach man von einer vorchristlichen Erlösergottheit ‚dem Christus‘, die mit allen passenden Wundern und Legenden baby- lonischer Herkunft ausgestattet gewesen sein soll; dieser vorchristliche Gott Jesus soll nach dem Glauben seiner Anhänger wunderbar geboren V. Abteilung. Sektion für katholische Theologie. 5 worden sein, große Wundertaten verrichtet haben, für sie gestorben und auferstanden sein. Dieses Idealbild des Christus habe man dann auf die historische Person Jesus von Nazareth übertragen, weil seine Jünger und Anhänger ihn für den in der Welt erschienenen Christus hielten. Weil Jesus nun einmal im Glauben seiner Anhänger der Messias war, mußte er auch aus einer Jung- frau geboren sein und alle Wunder gewirkt haben, die vom Christus ausgesagt wurden. Vor allem mußte er von den Toten auf- erstanden sein. So wurde der Mensch Jesus zum Christus, der arme jüdische Rabbi zum Gott. Christus war also nach dieser Anschauung präexistent; er war da vor Jesus und unabhängig von Jesus. Demnach wäre also nach Ansicht dieser Religionshistoriker das Urchristentum aus zwei Faktoren entstanden, aus dem historischen Menschen Jesus, dem Rabbi von Nazareth, und aus der orientalisch- gnostischen Erlösergottheit des Christus. Jüdisch-syn- kretistische Kreise sollen zur Zeit Jesu im Geheimen aus Furcht vor den Pharisäern Anhänger jener orientalischen Christusgottheit gewesen sein. Aus diesen synkretistischen Kreisen sollen sich auch die Jünger Jesu re- krutiert haben und Jesus mit der Christusgestalt verchmolzen haben. Hier haben wir klar den Weg vorgezeichnet, auf welchem baby- lonische Mythen in das Christentum eingedrungen sein sollen. Die vor- christliche Christusgestalt der gnostisch-synkretistischen Kreise, welche das Hauptmaterial der christlichen Christologie geliefert haben soll, war ja im wesentlichen babylonischen Ursprungs. Auf diesem indirekten Wege also mit Hilfe des Synkretismus sollen babylonische Vorstellungen auf das Christentum bestimmend eingewirkt haben. Nicht nur die Hauptlehren der ntl. Christologie sollen so in weit- gehendem Maße von der babylonischen Mythologie beeinflußt worden sein, sondern auch die ganze traditionelle und in den Evangelien nieder- gelegte Geschichte des Lebens Jesu. Seine Geburt zu Bethlehem aus der Jungfrau, die Anbetung durch die Hirten und Magier aus dem Morgen- lande, seine Wunder, Leiden, Tod und Auferstehung sei nichts als eine Reproduktion uralter babylonischer Vorstellungen, die mit der Erlöser- gottheit von jeher eng verbunden gewesen sein sollen. Diesem ganzen Komplex von kühnen Behauptungen können wir nur durch strenge wissenschaftliche Einzeluntersuchung begegnen. In jedem einzelnen Falle haben wir, falls überhaupt Beweise für diese Behaup- tungen vorgebracht werden, diese nachzuprüfen und die angeblichen babylonischen Einflüsse zu untersuchen. Im folgenden kann dies wegen Raummangels nur an einigen wichtigen Beispielen gezeigt werden. 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die israelitisshe und babylonische Heilandserwartung. Der von den Juden erwartete Messias und Gottheiland soll im Grunde genommen niemand anders gewesen sein, als die israelitisch um- gebildete Gestalt des Marduk, des babylonischen Gottes der Frühlings- sonne. Durch den religiösen Synkretismus des Spätjudentums seien diese heidnischen Anschauungen von einer Erlösergottheit wieder in Israel eingeströmt, hätten die prophetischen Zukunftshoffnungen mit fortgerissen und so die urchristliche Bewegung eingeleitet. „Von fernher gekommen,“ sagt Gunkel, „hatte dieses Bild des himmlischen Königs die Menschen im Judentum jetzt so gefangen genommen, daß sie nicht wieder los- kommen konnten“!). Und dieses Bild vom himmlischen Christus, das sich in vielen Zügen mit dem babylonischen Erlösergott Marduk deckte und von ihm abgeleitet war, soll man dann auf den Menschen Jesus über- tragen haben. Die Idee und Erwartung eines Heilbringers ist allerdings bei den Ägyptern, Babyloniern und anderen orientalischen Völkern seit alter Zeit bekannt, aber nicht nur bei diesen, sondern ist über die ganze Erde, auch bei Naturvölkern, verbreitet. Es ist also eine ethnologisch gesicherte Tatsache, daß die ganze Menschheit einen Heiland erwartet, der das ver- lorene glückliche goldene Zeitalter wiederbringen wird. Naturgemäß ist der Inhalt der Heilserwartung im einzelnen je nach dem Kulturkreise recht verschieden, aber die Hauptgedanken sind dieselben. Wir müssen daher erwarten, daß das Volk Israel eine Heilshofinung gehabt haben wird und es gar nicht nötig gehabt hat, seine Messiasidee von den Baby- loniern zu entlehnen. Jedenfalls müßte diese Entlehnung durch auf- fällige Übereinstimmung in zahlreichen Einzelheiten zwischen der baby- lonischen Heilserwartung und der israelitisch-christlichen Messiasidee nachgewiesen werden. AllgemeineÄhnlichkeitenbeweisen hier kein Abhängigkeitsverhältnis. Auch im hellenisti- schen Kulturkreise spielte der Heiland (Söter) eine große Rolle. Herr- scher, Städtegründer, die sich um das \Wohl der Menschheit verdient ge- macht hatten, ehrte man durch den Beinamen „Heiland“. In der Friedens- zeit unter Kaiser Augustus glaubte man das goldene Zeitalter gekommen. So wird auf den bekannten Inschriften von Priene und Halikarnaß der Geburtstag des Kaisers als der Anbruch einer neuen Zeit und er selbst als der „Heiland aller Menschen“ gefeiert’). Wie man sieht, handelt es sich bei dem Heilbringer meist um einen seroßen König, der zwar, wie jeder gute Fürst, von den Göttern 1) Vgl. Gunkel, Zum religionsgeschichtl. Verständnis des N. T., Göttingen 1903, S. 93. 2) Vgl. A. Jeremias, Babylonisches im N. T., Leipzig 1905, S. 57 ff, V. Abteilung. Sektion für katholische Theologie. 7 gesandt wird und direkt von seiner Göttin erzeugt und genährt wurde (wie es so oft in ägyptischen und babylonischen Inschriften heißt!), aber trotz dieser Ausdrücke eben doch ein Mensch blieb. Man erwartete also einen großen gerechten König, der sein Volk („die Menschen“) gerecht regieren, die Feinde besiegen und unter allgemeiner Wohlfahrt ein neues goldenes Zeitalter einleiten würde, dessen irdisches Glück in glühenden Farben geschildert wird?2). Auf diesen Inhalt beschränkt sich auch die babylonische Heilserwartung. Auch sie blieb durchaus auf der Erde. Der Heilszeit geht in babylonischen Texten gewöhnlich eine Zeit der Not und des Unglücks voraus (Fluchzeit). Diese schlimme Zeit wird in baby- lonischen Texten immer formelhaft geschildert als eine Zeit, in der alles verkehrt geht, überall Zwietracht entsteht und alle Bande der natürlichen Ordnung zerstört sind (vgl. KAT? S. 392 f.). Auf die Unheilszeit folgt durch einen von Gott berufenen großen König (als solcher wird von den Hofpoeten jeder gepriesen) eine allgemeine Segenszeit (vgl. KAT? S. 380 ff... Als Bahnbrecher einer neuen glücklichen Zeit wird z. B. Assurbanipal in einem Briefe geschildert (KAT S. 380 £.): „Lage des Rechts, Jahre der Gerechtigkeit, reichliche Regengüsse, ge- waltige Hochwasser, guter Kaufpreis. Die Götter sind wohlgeneigt, Gottesfurcht ist viel vorhanden, die Tempel sind reichlich versehen .... . Die Greise hüpfen, die Kinder singen, die Frauen und Mädchen heiraten .... geben Knaben und Mädchen das Leben .... Wen seine Sünden dem Tode überantwortet hatten, den hat mein Herr und König am Leben ge- lassen. Die viele Jahre gefangen saßen, hast du freigelassen, die viele Tage krank waren, sind genesen. Die Hungrigen sind gesättigt, die Aus- gemergelten sind fett geworden, die Nackten sind mit Kleidern bedeckt worden.“ Ganz ähnliche typische Schilderungen der Segenszeit sind schon aus der ältesten babylonischen Zeit bekannt: es handelt sich also um feststehende Formeln des Hofstils. Der König wird ge- wöhnlich aus der Verborgenheit durch die Muttergöttin Ischtar oder durch Marduk oder einen andern Gott zur Regierung berufen; oft wird gesagt, daß er vaterlos sei und die Göttin selbst ihn hervorgebracht habe. Diese Schilderungen der Königsberufung sind formelhaft, die konkreten Um- stände, auf welche angespielt wird, sind Fiktionen, so die Verborgen- heit oder Niedrigkeit der Herkunft, die Zeugung durch die Muttergöttin, die Ernährung usw. Dahin gehört auch die bekannte Geburtslegende 1) Vgl. Zimmern und Winckler, Die Keilinschriften und das Alte Testament (abgekürzt: KAT3) 3. Aufl. Berlin 1913, S. 379. 2) Vgl. zur Gestalt des Erlöserkönigs bes. Jeremias, l. e. S. 27£6: 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Sargons I., der durch Istar aus der Verborgenheit wunderbar zur Königs- würde geführt wird!). Bei der babylonischen Heilserwartung handelt es sich also um das Kommen eines großen irdischen Königs. Es liegt auf der Hand, daß solche Zukunftshofinungen jedem Volke von selbst nahelagen und nicht erst entlehnt zu werden brauchten. Offenbar hängt auch die israelitische Messiashofinung mit der Gestalt des babylonischen gerechten Heilbringer- königs zusammen. Es sind zwei ursprünglich ähnliche Vorstellungen, die sich aber ganz verschieden entwickelt haben. Während die babylonische Heilskönigerwartung mehr theoretisch blieb, sich eigentlich inhaltlich gar nicht änderte und daher mehr eine althergebrachte Huldigung des neuen Königs war, jedenfalls uns nur in ganz formelhaften Wendungen über- liefert ist, ist die Messiashoffnung durch gotterleuchtete Männer immer weiter vertieft worden und immer mehr in das Zentrum der israelitschen Religion getreten. Dabei hat sie den rein irdischen Inhalt sofort abgestreift. Der Messiaskönig ist nicht nur mehr ein nationaler Heldenfürst aus dem Hause Davids, sondern er wird zum Bringer ethischer und religiöser Güter, zum Erlöser von Sündenschuld. Die Fluchzeit, welche dem messianischen Reiche vorhergeht, wird sittlich motiviert, und die Heilszeit durch Über- windung der Sünde und der gottfeindlichen Macht auf Erden herbei- geführt. Vollends im NT, in der Erfüllung, hat das messianische Reich nichts mehr gemein mit dem Inhalt der babylonischen Heilskönigerwar- tung. Es liegt auf der Hand, daß die atl. Messiashoffnung nicht von den ganz anders gearteten, rein materiellen und zudem, wie es scheint, nur theoretischen Heilserwartungen, die man als rethorische Schmuckstücke auf babylonische Herrscher übertrug, abgeleitet sein kann. Es liegt der entgegengesetzten Annahme@ wieder die falsche Voraussetzung zugrunde, daß das Volk Israel überhaupt keine eigenen Gedanken gefaßt und kein geistiges Leben geführt haben könne. Sollte es diesem geistig so Teg- samen und selbständigen Volke daran gefehlt haben? Die Messias- hoffnung ist sein individuelles Eigentum und ist von ihm immer tiefer aufgefaßt worden, während die babylonischen Formeln durch Jahr- tausende die gleichen und nur Worte blieben. Die Juden sollen nun, indem sie aus ihrem Messiaskönig den über- weltlichen Erlösergott Christus machten, auf ihn Züge des babylonischen Heilgottes Marduk in weitem Umfange übertragen haben, teils direkt, teils auf dem Umwege über Jahwe, so daß Marduk zunächst die Gestalt Jahwes beeinflußt hätte und Christus dann Jahwe nachgebildet worden t) Vgl. H. Gressmann, Altorientalische Texte u. Bilder I, S. 79. A. Jere- mias, Das A, T, im Lichte des Alten Orients?, Leipzig 1906, S 410£. V. Abteilung. Sektion für katholische Theologie. 9 wäre (KAT? S. 377 ff.). Als Sonnen- und Lichtgott und Sohn des Gottes Ea (des Herrn der Weisheit) ist Marduk am babylonischen Götter- himmel vor allen andern Göttern auch der Heilgott bei Krankheiten und Behexungen. In allen Beschwörungen der Dämonen, welche nach baby- lonischer Vorstellung die Krankheiten verursachen, spielt er daher neben dem Sonnengott Schamasch eine große Rolle. Als Sohn Eas ist Marduk der Kluge und der Weltschöpfer. Er hat also die ständige Funktion des Heilgottes, der die Gewalt der Dämonen über die Menschen bricht, ist der Gott der ordnungschaffenden Klugheit, der bildenden, schöpferischen Frühjahrssonne. Die Heilserwartung der Babylonier hatte jedoch nie ein Kommen oder eine besondere Veranstaltung Marduks zum Gegenstande. Man erhoffte trotz des Heilgottes Marduk die ‚Wieder- kehr der goldenen Zeit durch einen großen König. Marduk war also kein Gottheiland, der die ganze Welt durch eine große Heilstat erlösen und Frieden und Segen bringen sollte, sondern er war ein Himmelsgott wie andere, von dessen Tätigkeit besonders die helfende Seite hervorgehoben wurde. Zwar hatte er einst die Welt geschaffen, wie er noch jedes Früh- jahr über die dunklen Wintermächte siegte. Daß Marduk jedoch auch in der Endzeit als Erlöser kommen sollte, um eine neue glückliche Weltzeit einzuleiten, davon wissen die babylonischen Texte nichts. ‘Wenn auch sein Sohnesverhältnis zu Ea öfters erwähnt wird, so tritt doch sein Cha- rakter als göttlicher Sohn nicht als wesentliche Eigenschaft hervor. Im ganzen genommen ist Marduk in der späteren Zeit nicht so sehr Sonnen- gott und göttlicher Sohn — diese Züge treten zurück — sondern wie Bel Himmelskönig und Weltgott, der alles erschaffen hat, erhält und regiert, das Haupt des babylonischen Pantheons. So spielt Marduk, wenn wir diesen Vergleich ziehen wollen, durchaus die Rolle Jahwes. Gewisse Züge allerdings hat er als der Heilgott und der Sohn mit Christus gemein. Aber diese ähnlichen Züge haben bei Marduk eine total andere Be- deutung als bei Christus. Die Heilstätigkeit Marduks in Krankheiten hängt mit seinem Charakter als Sonnengott zusammen; dieselbe Tätigkeit übt auch der Sonnengott Schamasch aus. Christus dagegen ist Heiland, indem er durch eine Erlösungstat ein für allemal die ganze WeltvonSchuld und Sünde (nicht nur in gelegentlichen Einzel- fällen von Krankheit und Leid) erlöst und zwar durch Selbsthingabe. Die Heilstätigkeit Marduks ist lediglich Deutung eines regelmäßig sich wiederholenden Naturvorganges. Die christliche Erlösungslehre ist etwas davon so Verschiedenes und Erhabenes, daß an Entlehnung aus der Marduktheologie im Ernste nicht gedacht werden kann. Die vorhandenen Ähnlichkeiten erklären sich aus dem gemeinsamen Charakter Marduks und Christi als Gottheilande. Neben der sittlichen Erlösung wirkte ja 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Christus auch als Segenspender und Überwinder der Dämonen. Das lag in der naturgemäßen Aufgabe des Erlösers, dazu brauchte man keine Anleihe bei Marduk zu machen. Marduk war von Natur aus gar kein „Sohn“, sondern wurde von seinen Priestern erst künstlich zum Sohne Eas, des Gottes der Weisheit und der Beschwörungen gemacht. Dadurch gingen alle Eigenschaften des Weisheitsgottes Ea auf Marduk über und dieser wurde zu seinem „Sohne“ wie Nebo zum Sohne Marduks. Daher spielt der Sohnescharakter Marduks hauptsächlich bei den Beschwörungen eine Rolle, die das Werk Eas waren, nun aber vom Sohne Marduk im Auftrage Eas vorgenommen wurden. Es liegt auf der Hand, daß dieses „Sohnesverhältnis“ nicht die Quelle der Gottsohnschaft Christi bilden kann, der seinem Wesen nach Sohn ist und als solcher von Ewigkeit her gezeugt ist durch den Vater. Während Ea als Vater hinter Marduk völlig zurücktritt — denn Marduk ist der oberste Gott und Herr und Leiter aller Dinge —, wirkt Christus als Sohn nur durch den Vater. Auch das Leiden und der Tod des Messias soll bereits in der vorchristlichen Christologie eine große Rolle gespielt haben. Jesus mußte leiden und sterben, weil man das schon von Christus wußte und aussagte. Die Quelle dieser Anschauungen vom Leiden und Sterben des Christus soll hauptsächlich die babylonische Astralreligion gewesen sein!). Da Christus ein Abbild Marduks, des Gottes der Frühlingssonne, sein soll, nahm er auch teil an dem Leiden und Sterben aller astralen Götter. Das Untergehen, das Verdunkeltwerden der Astralgottheiten bedeutet ihr Sterben. So leidet und stirbt auch die Sonne, wenn sie während der Winterszeit am tiefsten steht, und sie steht siegreich wieder auf, wenn sie über das Dunkel der winterlichen Regenzeit siegt, und führt eine neue Segenszeit ein. Aber nicht nur Marduk, sondern auch die analogen Vor- gänge bei den andern Astralgottheiten (Mond, Venus-Ischtar, Schamasch, Tammuz, Sirius) haben nach Zimmern möglicherweise auf das Leiden des Messias eingewirkt (KAT? S. 384). Die Zeit der Unsichtbarkeit des Mondes vor dem Neumond, besonders vor dem Frühlingsneumond am Anfang des babylonischen Jahres, soll eine wichtige Rolle dabei ge- spielt haben. Allein die Lichtgottheiten starben eben nicht. Man konnte ihre Verdunkelung als Leiden auffassen und ihr Wiederaufstrahlen als sieg- reiches Hervorgehen aus dem Kampfe. Zimmern muß selbst zugeben, daß die Idee vom Tode des Marduk in babylonischen Texten nicht be- 1) Vgl. Zimmern, KAT, S. 3S4ff. — Gunkel, Verständnis, S. 78. — H. Gressmann, Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie 1905, S. 321 ff. V. Abteilung. Sektion für katholische Theologie. 11 zeugt ist; er vermutet sie nur (S. 371); daraus geht schon hervor, daß gerade sein Tod in der Marduktheologie keine sehr große Rolle gespielt haben kann. Immerhin ist es möglich, daß man in späterer Zeit in der babylonischen Religion von einem Sterben Marduks in der Winterzeit gesprochen hat, wie ja auch Ischtar in die Unterwelt hinabstieg (aber deswegen noch nicht starb). Aber ist dieses rein bildliche „Sterben“, diese Umschreibung eines sich ständig wiederholenden Natur- vorganges der Ursprung für die Idee gewesen, daß der erwartete Erlöser durch einmaliges, freiwillig übernommenes, Stellvertretendes Leiden und Tod die Sündenschuld aller Menschen sühnt, sie dadurch erlöst, mit Gott versöhnt und so die gestörte Harmonie der Schöpfung für immer wiederhergestellt? Das sind doch total verschiedene Dinge! Dazu hängt Marduks segen- spendende Tätigkeit mit seinem „Leiden“ im Winter in keiner Weise zusammen, im Gegenteil, sie wird gerade dadurch verhindert und kann erst wieder wirken, wenn das „Leiden“ (die Verdunkelung) vorbei ist. Bei Christus dagegen besteht die Erlösertätigkeit in erster Linie im Leiden, er erlöst und sühnt durch sein Leiden. Analogien zwischen christlichen Wahrheiten und Lehren der baby- lonischen Religion bedingen also keine Abhängigkeit des Christentums von außerchristlichen Ideen. Bei näherer Nachforschung ergibt sich regel- mäßig, daß es sich nur um allgemeine Ähnlichkeiten handelt, die nicht ver- wunderlich sind; denn die Babylonier versuchten in ihrer Religion die- selben großen Menschheitsfragen von Sünde, Leid, Tod und Ewigkeit zu lösen, deren endgültige Lösung dann das Christentum brachte. Das Christentum hat sich nicht eine gänzlich neue Formensprache geschaffen, sondern wurzelte in der orientalischen Denk- und Anschauungsweise und knüpfte schon aus praktischen Gründen an das Vorhandene an. Es hat sich ähnliche Formen der religiösen Rede und Darstellung bedient, wie sie zu seiner Zeit üblich waren. Das Christentum konnte seiner Über- zeugung Ausdruck geben, daß in ihm die Erfüllung der heidnischen Er- wartungen und auch der heidnischen Mythen gegeben war. Deshalb treffen wir als Mittel der religiösen Belehrung im NT. auch uralte, im Orient von jeher gebräuchliche mythologische Formeln und Motive. Solche finden wir namentlich in der Apocalypse, die ja ihrem Charakter nach besonders auf die Verwendung uralter Bilder und“ Symbole ange- wiesen war. Bei manchen war man sich wohl der ursprünglichen mythischen Bedeutung nicht mehr bewußt; sie waren zu gegebenen Begriffen und Rede- figuren geworden, wie Wasser des Lebens, Brot des Lebens, Buch des Lebens usw. So handelt es sich bei allen Ähnlichkeiten und Parallelen, die zwischen biblischen und babylonischen Erzählungen nachgewiesen 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. worden sind, immer um solche der Form. Diese Fäden, welche das NT. mit der Umwelt mannigfach verknüpfen, können aber nicht die Tatsache verdunkeln, daß das NT. inhaltlich etwas wesentlich Neues ist, die Erfüllung der Erwartungen der alten Welt. Der durchaus nüch- terne, klare und antimythische Charakter des ntl. Schrifttums ist von größter Bedeutung. Das Christentum ist eben kein mit volkstümlichem Material aufgebautes Lehrsystem babylonischer oder sonstiger Priester- schulen; es ist eine historische Religion, die ausgeht von ge- schichtlichen Tatsachen, von seinem gottmenschlichen Gründer Jesus Christus, seinem auf Erden allen sichtbar vollbrachten Erlösungswerk und seiner unerreicht klaren, zu den Herzen der Menschen dringenden Lehre. An der ausgedehnten Besprechung beteiligten sich Prof. Nikel, Prof. Renz, Privatdozent Dr. Roeder und der Vortragende. Am 10. Dezember sprach Privatdozent Dr. Wagner über die Frage: Ist die christliche Moral eudämonistisch? Eine der Hauptwaffen im Kampf der modernen Philosophie gegen das Christentum ist der Vorwurf, daß die christliche Moral und Moralität nur eine Form von Eudämonismus, also im Grunde von prinzipiellem Egoismus darstelle. Sowohl die Moral des Evangeliums selbst als die von der katholischen Theologie daraus entwickelte Sittenlehre mache zum letzten Ziel und somit zum Prinzip alles sittlichen Handelns die ewige Seligkeit des Individuums, und die hauptsächliche Triebfeder im Leben des Christen, besonders des Katholiken, sei daher das Streben nach Glückseligkeit, also etwas durchaus Egoistisches. Schon im Evangelium sei häufig vom jenseitigen Lohn die Rede und die christliche Predigt suche diesen Lohn recht lockend auszumalen, um das Verlangen danach zu steigern und zu einem wirksamen Motiv des sittlichen Verhaltens zu machen. Nach Lohn zu streben aber sei selbstsüchtig und moralisch wert- los. Die modernen Ethiker nennen dies die Lohnsucht der christlichen Moralität. Zugleich werde im Evangelium und in der kirchlichen Predigt sehr wirksam an die Furcht der Hörer appelliert durch Androhung und Ausmalung der ewigen Strafen für den Fall des Ungehorsams gegen Gott. Ein Handeln aus Furcht vor Strafe aber sei erst recht egoistisch, ja niedrig und unwürdig. Die wahre Sittlichkeit tue das Gute allein um des Guten willen, und meide das Böse, weil es bös ist, aus reiner Achtung vor dem Sittengesetz. Sie fordere vom Menschen, daß er nicht sein eignes Glück suche, weder hier noch drüben, sondern in erster Linie das Glück des Mitmenschen, ja daß er sich selbst und sein Glück diesem opfere, V. Abteilung. Sektion für katholische Theologie. 13 daß er für ideale, überpersönliche Ziele lebe und, wenn es sein muß, sterbe. Jene Vorwürfe sind nicht erst von den modernsten Ethikern erhoben worden. Sie finden sich schon bei den englischen Moralisten des be- ginnenden 18. Jahrhunderts, besonders bei Shaftesbury. Dieser be- hauptet, daß Tugend in Hoffnung auf jenseitigen Lohn nur ein profitabler Tausch, ein „gemeiner Judenhandel“ sei. Aus Furcht vor der Hölle oder aus Liebe zum Himmel das Gute zu tun, widerspreche der Tugend wie der wahren Frömmigkeit. Die christliche Lehre von Himmel und Hölle sei darum ein Hindernis für die Sittlichkeit!). In Deutschland war es dann besonders Kant, welcher, scheinbar um die Ethik von allem Eudämonismus zu säubern, in Wahrheit um sie von der Religion loszureißen, das christliche Moralprinzip des göttlichen Willens und damit alle religiösen Motive, alle Rücksicht auf das Jenseits als eudämonistisch verwarf. Er bezeichnet es als das gerade Widerspiel der Sittlichkeit, wenn das Prinzip der eigenen Glückseligkeit, in welcher Form es sei, zum Bestimmungsgrund des Willens gemacht wird, und macht dabei keinen Unterschied zwischen irdischer und ewiger Glück- seligkeit?), ja er stellt das christliche Moralprinzip auf eine Stufe mit dem epikurischen °), MR Das Ansehen Kants hat dann in diesem wie in so vielen andern Punkten auf die ganze spätere philosophische Ethik in Deutschland beherrschend und beirrend eingewirkt, so daß es ihr zu einer Art Dogma geworden ist, daß religiöse Motive eudämonistisch seien, jede Rücksichtnahme auf Gott und das Jenseits das Handeln egoistisch mache. Sie erzeuge nur Legalität, nicht Moralität. Am schroffsten hat dies schon Fichte ausgedrückt; er sagt: „Das System, in welchem von einem übermächtigen Wesen Glück- seligkeit erwartet wird, ist das System der Abgötterei und des Götzen- dienstes, welches so alt ist als das menschliche Verderben“ ?), Er denkt sich dabei, wie die übrigen Ausfühurngen zeigen, die ewige Seligkeit als sinnlichen Genuß und imputiert diese Vorstellung den Theologen, die er bekämpft. Später hat Schopenhauer die Hoffnung auf jenseitigen Lohn unter die egoistischen, ja antimoralischen Triebfedern des Handelns gerechnet. Er sagt: ‚Wie sollte von Uneigennützigkeit die Rede sein können, wo mich Belohnung lockt, oder angedrohte Strafe abschreckt? Eine fest- 1) Vgl. Ph. Kneib, Die Jenseitsmoral, S. 113. 2) Kritik der prakt. Vernunft, Ausg. v. Rosenkranz, Bd. 8, S. 147. 3) Ebd. S. 155. 4) Appellation an das Publikum gegen die Anklage des Atheismus. Werke 18152 B. V. Ss. 219. 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. geglaubte Belohnung in einer anderen Welt ist anzusehen wie ein voll- kommen sicherer, aber auf sehr lange Sicht ausgestellter Wechsel. Die überall so häufige Verheißung befriedigter Bettler, daß dem Geber die Gabe in jener Welt tausendfach erstattet werden wird, mag manchen Geizhals zu reichlichen Almosen bewegen, die er, als gute Geldanlegung, vergnügt austeilt, fest überzeugt, nun auch in jener Welt sogleich wieder als ein steinreicher Mann aufzuerstehen‘L), ’ Das Stärkste in dieser Art Mißdeutung und Entwertung der christ- lichen Moral hat sich wohl E. v. Hartmann geleistet. Er stellt in seinem Buch über das sittliche Bewußtsein, welches die verschiedenen im Laufe der Zeit in Religion und Philosophie aufgetretenen Moralprinzipien dar- legt und kritisiert, die Moral des Evangeliums als eine Form egoistischer Pseudomoral an die erste und unterste Stufe aller Formen des sittlichen Bewußtseins. Er weist hin auf die vielen Lohnverheißungen und Straf- androhungen in den Reden des Herrn und bezeichnet daraufhin die evan- gelische Sittenlehre als bloße Klugheitsmoral. Ja er setzt sie noch tiefer als die irdische Glückseligkeitsmoral des Epikur. Er sagt: „Unbedingt irrig ist die auch heute noch in der Theologie vielfach vertretene Ansicht, als ob die Spekulation auf himmlischen Lohn gleichsam eine noblere Serte von Egoismus sei als die Spekulation auf irdischen Vorteil. Dies wäre nur dann der Fall, wenn aller irdische Egoismus sinnlicher, aller transzendente Egoismus übersinnlicher Natur wäre.“ Jenes sei aber nicht der Fall, auch im Epikuräismus nicht, dagegen sei „der transzendente Egoismus allemal mehr oder weniger sinnlich gefärbt; die Strafen, die er in Aussicht stellt, sind sinnliche Qualen und Martern, die Seligkeit, die er sich ausmalt, setzt sich aus sinnlichen Genüssen zu- sammen‘“?), Er beruft sich dabei auf Aussprüche J. Christi selbst. Nun wir werden sehen, was von solchen Behauptungen zu halten ist. Ähnliche Vorwürfe gegen die christliche Moral kehren dann bei den meisten modernen Ethikern wieder. Statt vieler sei nur einer zitiert. Th. Lipps nennt jeden Gehorsam gegen fremde, sei es menschliche oder göttliche, Gebote „ein kluges Geschäft“, die dementsprechende Tugend eine egoistische Klugheit, da sie nur dem Gedanken an eigene Vorteile oder Nachteile entspringe. Ja der Gehorsam gegen Gott aus Rücksicht auf jenseitigen Lohn oder jenseitige Strafe sei noch eine gesteigerte Klugheit gegenüber dem Gehorsam gegen irdische Autoritäten, weil der Lohn ja ein viel größerer sei, und somit auch ein größerer Egoismus darin liege 3). 1) Grundlage der Moral. Ausg. v. Grisebach. B.3. S. 583. 2) Das sittliche Bewußtsein. 2. Aufl. S. 39. 3) Grundfragen der Moral. 191?. S. 113£. V. Abteilung. Sektion für katholische Theologie. 15 Diese und ähnliche Angriffe auf die christliche Moral sind immerhin geeignet, auf manchen Laien beirrend oder wenigstens verwirrend ein- zuwirken, und es ist deshalb von Wichtigkeit, solchen mit schlagenden Gegengründen zu Hilfe kommen zu können, und jene Angriffe überzeugend zurückzuweisen. Was haben wir also zu erwidern? Nun die nächstliegende und einfachste Zurückweisung des Vorwurfs, daß die christliche Moral eudämonistisch sei, liegt in der Feststellung, daß das oberste Prinzip der christlichen Sittenlehre keineswegs das Streben nach der Seligkeit ist, sondern die Verherrlichung Gottes. Schon die katholische Dogmatik lehrt in Übereinstimmung mit der heil. Schrift, daß dies die Bestimmung des Menschen wie der ganzen Schöpfung sei. Und erst in Unterordnung unter diesen höchsten Zweck und bedingt durch ihn, ist die Beseligung der vernünftigen Kreatur von Gott gewollt und von der Menschheit anzustreben. Der Mensch hat also in erster Linie nach Verherrlichung Gottes zu trachten, all sein Handeln diesem Zwecke unterzuordnen, und wenn er dies tut, soll er die Seligkeit im ewigen Leben erlangen. Gott verherrlichen heißt aber ihn ehren, ihn über alles lieben und seinen Willen tun. Indem der Mensch dement- sprechend lebt, wirkt er zugleich für seine dereinstige Beseligung. Einem solchen Lebensprinzip kann man unmöglich den Vorwurf des Eudämonis- mus, oder gar des Egoismus machen. Gott verherrlichen heißt zugleich nach Heiligkeit, nach Vollkommen- heit streben. „Eure Heiligung, das ist der Wille Gottes,“ sagt die hl. Schrift. Und das oberste Gebot des Christentums heißt: „Du sollst Gott deinen Herrn lieben aus deinem Herzen, deinem ganzen Gemüt und allen deinen Kräften“. Gott lieben aber heißt wesentlich seine Gebote er- füllen, deren wichtigstes das Gebot der Nächstenliebe ist, und zwar soll das in erster Linie um Gottes willen geschehen, um Gott zu ehren. Die reine Achtung vor dem Gebote Gottes ist also die hauptsächliche Triebfeder des Christen. Diese ist somit vollkommen uneigennützig, sie schöpft aber ihre Kraft aus dem Gefühl der Liebe, das dem Christen zugleich mit der Gnade des Glaubens ins Herz gegossen wird und das jederzeit, besonders durch’s Gebet, wieder erneuert werden kann. Das lebendige Durchdrungensein von der Größe und Güte Gottes erzeugt immer von neuem die Liebe und diese wird dann von selbst in Werken fruchtbar. Die Liebe ist aber das Gegenteil des Egoismus und seine Überwindung. Hiermit ist im Grunde der ganze Vorwurf, die christliche Moral sei eudämonistisch, schon widerlegt. Nun ist jedoch andrerseits zuzugeben, daß wir im Evangelium sehr häufig gemahnt werden, mit allen Kräften nach dem ewigen Leben, also nach der Seligkeit zu streben, und daß die 16 Jahresberieht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. kirchliche Predigt allezeit eine Hauptaufgabe darin erblickt hat, die Gläubigen in diesem Streben zu bestärken. Aber was heißt denn das? Es heißt nichts anderes, als nach Heiligkeit streben, um ewig Gott an- schauen, ihn preisen und verherrlichen zu können. Wer das Heil seiner Seele sucht, der trachtet nach ewiger Vereinigung mit Gott und zeigt damit, daß er Gott über alles liebt, ihn allen andern Gütern vorzieht und dadurch verherrlicht er ihn. Es ist also garnicht möglich, nach dem Heil seiner Seele, nach dem ewigen Leben zu trachten und dafür zu wirken, ohne damit zugleich Gott zu verherrlichen. Nur Handlungen, die Gott wohlgefallen, die seinen Willen ehren und in denen irgendwie die Liebe zu ihm mitwirkt, sind geeignet, dem eigenen Seelenheil zu dienen. Wer das eine tut, tut eben dadurch auch das andere. Und das ist nicht etwa blos theologische Doktrin, die dem gläubigen Laien verborgen wäre, sondern es ist jedem Gläubigen unmittelbar bewußt. Jeder weiß und fühlt, wenn er in Rücksicht auf Gott etwas Gutes tut oder eine böse Versuchung überwindet, daß es sowohl zur Ehre Gottes als zum Heil seiner Seele ist. Und beide Rücksichten sind in der Regel mit einander verbunden; der Gedanke an Gott, wenn er unser Handeln bestimmt, enthält beide. Nun kann es allerdings geschehen, daß beim Gedanken an die künftige Seligkeit uns mehr das subjektive Glücksgefühl als der Grund desselben, die Anschauung Gottes, vorschwebt, und das wird sogar, besonders beim theologischen Laien, sehr häufig der Fall sein. Dadurch wird dann das Trachten nach dem Seelenheil in erster Linie ein Streben nach himm- lischer Glückseligkeit, welches jedoch das Verlangen nach Gott und nach seiner Verherrlichung immer in sich schließt. Dies nennt die Theologie die unvollkommene Liebe Gottes. Sie besteht eben darin, daß man Gott mehr um des Glückes, das man von ihm erwartet, als um seiner selbst und seiner Vollkommenheit willen liebt — eine Unterscheidung, die schon den Kindern im Katechismusunterricht beigebracht wird. Auch diese un- vollkommene Liebe reicht aber nach katholischer Lehre aus, sein Seelenheil zu wecken, weil eben das Glück, das wir von Gott erwarten, aus ihm selbst herfließt und nicht aus irgend welchen von ihm verschie- denen Gütern. Auch wer dergestalt mit unvollkommener Liebe nach der Seligkeit trachtet, liebt Gott über alles; denn er erwartet sein Glück nur vom Besitz Gottes selbst und ordnet diesem Gut alles andere unter. Hieraus wird aber zugleich deutlich, daß auch gegen ein solches Seligkeitsstreben der Vorwurf des Eudämonismus sich nicht erheben läßt. Dieser Vorwurf hat nur einen Sinn, wenn er sich gegen ein Trachten richtet, welches in vergänglichen, geschöpflichen Gütern, sei es hier oder im Jenseits, die Glückseligkeit sucht, denn irgend welches Glücksstreben 4 V. Abteilung. Sektion für katholische Theologie. I ist vom Willen des Menschen und allen seinen Äußerungen unzertrennlich; der 'Wille will stets sein Ziel und seine Befriedigung erreichen, und darin findet der Mensch sein Glück. Dies wird von allen Psychologen zu- gegeben. Eudämonismus aber bedeutet ein: verkehrtes, selbstisches und trügerisches Glücksstreben, welches eben auf Güter gerichtet ist, die kein wahres Glück bieten können, für die der Mensch nicht erschaffen ist, die er nur gebrauchen, aber nicht genießen soll. Dieser Art sind alle irdischen Güter, geistige wie sinnliche, und alle dem analogen, die er sich etwa im Jenseits erträumt. Dagegen sein Glück von dem wahren, höchsten unvergänglichen Gut, das allein das Herz des Menschen ausfüllen, und das nur durch Streben nach Heiligkeit erlangt werden kann, erhoffen — wenn man dies Eudämonismus nennt, dann ist alles Trachten und Handeln des Menschen eudämonistisch. Auch wer für die idealsten, überpersönlichen Ziele wirkt, erwartet davon und sucht in der Arbeit dafür eine Befriedigung seines Willens, also eine Art von Glück, nur daß auch dieses Glück, wenn er sein Streben nicht darüber hinaus auf das ewige Gut richtet, sich ihm als trügerisch erweisen wird. Die Glückseligkeit, die der Christ im Jenseits vom Besitze Gottes erwartet, beruht zugleich auf völliger Loslösung des Begehrens von allen irdischen Gütern und Genüssen, also auf Überwindung aller Selbstsucht und aller Leidenschaften, kurz, von allem ungeordneten Glücksstreben. „Wer nicht allem absagt, was er hat, kann nicht mein Jünger sein,“ sagt der Heiland. Ja, eben diese innere Freiheit der Seele von der Anhäng- lichkeit an alles Vergängliche ist schon ein Teil der Seligkeit, den wir hier schon unvollkommen antizipieren können, gleichwie die Unseligkeit auf Erden von der unordentlichen Anhänglichkeit an die Güter und Genüsse des Lebens herkommt. Die Heiligkeit der Seele selbst, welche die Bedingung für den Eintritt ins Himmelreich ist, schließt schon die Seligkeit, wenn auch erst unvollkommen, in sich. Durch die übernatür- liche Anschauung Gottes freilich wird sie unendlich erhöht. Diese aber ist ein reiner Erkenntnisakt, dem nichts Sinnliches beigemischt ist. Darum ist eben das Streben nach der ewigen Seligkeit seiner Natur nach etwas völlig anderes, als das Streben nach irdischer Glückseligkeit. Man muß das letztere auf- gegeben‘ haben, um das erstere zu ergreifen; denn es führen die entgegengesetzten Wege zu beiden Zielen. Es ist Unsinn, die jenseitige und die diesseitige Glückseligkeit als gleichartig und blos graduell ver- schieden zu betrachten, wie die angeführten Philosophen es tun. Es wäre dann in der Tat das Trachten nach dem jenseitigen Glück nur eine Sache größerer Klugheit, indem man das Geringere für das Größere her- gäbe. In Wirklichkeit aber ist es Sache des guten Willens, während das 2 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. andere Sache des bösen Willens ist. Denn wer ein irdisches Glück, sei es welcher Art immer, ‚sich zum letzten Ziele setzt, dessen Wille hat sich von Gott, seinem wahren Ziele, abgewandt, ist also böse. Auch kann man das ewige Glück nur mit guten Mitteln erreichen; das irdische auch mit schlechten. Wer zum ewigen Leben eingehen will, muß nach all- seitiger Heiligkeit streben; wer nur vergängliches Glück sucht, sei es Ruhm, Reichtum, Genuß oder was immer, wird eine Beute der Leiden- schaft die auf dieses Gut gerichtet ist, er wird notwendig lasterhaft. Und wer in einem idealen, aber vergänglichen Gut sein höchstes Ziel sucht, braucht hierfür nur sehr einseitige und unvollkommene Tugenden, er wird daher die übrigen, die für sein Ziel entbehrlich sind, notwendig vernachlässigen. Dies können wir bei den gerühmtesten ungläubigen Idealisten bestätigt finden. Nun könnte man aber einwenden: ja, ist diese rein geistige Natur der jenseitigen Seligkeit allen Christen bekannt? Stellen sich nicht wenigstens die einfachen Leute aus dem Volk vielleicht meistens das himmlische Paradies ganz anders vor, in Bildern sinnlichen Glücks, ewig wechselnder herrlicher Freuden, analog den irdischen, nur unendlich gesteigert? Stellt nicht der Heiland selbst das ewige Leben unter dem Bilde eines Gastmahles dar? Stellt er uns nicht ein Reich der Freuden in Aussicht, das Gott von Ewigkeit bereitet hat? Spricht er nicht in immer neuen Formen vom himmlischen Lohne? Nun daß dies alles nur Bilder geistiger Dinge sind, lernt jeder Katholik schon im Religions- unterricht und durch den Katechismus wird er belehrt, daß die Seligkeit wesentlich in der Vereinigung der Seele mit Gott liegt und accidentell freilich auch in der Gemeinschaft mit den Engeln, Heiligen und Seligen des Himmels, sowie in der Liebe, die alle mit Gott und untereinander vereinigt. Und jeder Gläubige wird hinreichend belehrt, daß die Freuden des Himmels völlig anderer Art sind als die der Erde. Daß wir uns die jenseitige Welt mehr oder wenig sinnlich, d. h. körperlich, anschaulich vorstellen, liegt in der Natur unseres endlichen Geitses. Aber es ist nicht das sinnliche Element in diesen Vorstellungen, was uns die Selig- keit verspricht. Zudem ist es so unmöglich, uns deutliche Vorstellungen vom Jenseits zu machen, wir wissen über die Beschaffenheit des himm- lischen Glückes auch aus der Offenbarung so wenig, daß schon deshalb die Vorstellungen, die wir uns mit Hilfe der Phantasie machen, kein starkes Reizmittel sein können und unserem Sehnen nach dem Himmel- reich keinen eudämonistischen Charakter geben. Und dies gilt auch von den Gedanken, die wir uns von dem Reich Gottes, in das die Auserwählten nach der Auferstehung eingehen sollen, machen. Insofern die Auferstandenen mit Sinnen ausgestattet sind, wird V. Abteilung. Sektion für katholische Theologie. 19 es für sie dann auch sinnliche Freuden geben; aber diese sind doch völlig anderer Natur als die jetzigen. Der verklärte Leib ist ein anderer als der irdische. ,„Gesät wird ein tierischer Leib, auferstehen wird ein geistiger Leib“ (1. Kor. 15, 44). Wir können uns auch davon so wenig eine deutliche Vorstellung machen, daß in diesem Glauben kein sinnlicher Antrieb liegt. Und mögen wir uns das neue Jerusalem so herrlich, wie wir wollen, vorstellen, wir werden der Wirklichkeit nicht nahe kommen; es gibt in den irdischen Freuden keine Analogie dafür und so hat die Hoffnung darauf keine Ähnlichkeit mit der Sehnsucht nach irdischem Glück. Das Wesentliche wird auch dort die Vereinigung mit Gott und seinen Heiligen sein und vor allem ein Leben in Heiligkeit. Dies weiß auch der Laie und so hat die Seligkeitshoffnung bei ihm keinen anderen Charakter als beim tiefer Unterrichteten. Freilich ist ein wesentliches Element in dieser Hoffnung immer die Aussicht auf ein schmerzloses Dasein, ein Leben frei von physischen wie seelischen Leiden, kurz auf Seelenruhe. Aber diesen Wunsch kann kein Mensch ablegen; am Ziel aller menschlichen Wünsche steht immer, wenn nicht positive Glückseligkeit, so doch Freiheit von Schmerzen; auch der Ungläubige hofft diese wenigstens im Grabe zu finden, ja es ist sein einziger Trost in den Beschwerden seines Lebens. Indes hiermit berühren wir bereits eine neue Seite unseres Problems, die eine eingehende Besprechung erfordert und aus der sich ein gewich- tiger Einwurf gegen den Wert der christlichen Moralität herleitet. Ist nicht ein Motiv von der mächtigsten und ausgedehntesten Wirksamkeit bei jedem gläubigen Christen die Furcht vor der Verdammnis, vor der ewigen Verwerfung und den ewigen Strafen der Hölle? Hat nicht sowohl das Evangelium als die christliche ‚Predigt allezeit mächtig an diese Furcht apelliert? Und ist dieses Motiv nicht eigennütziger, egoistischer Art? So wird von den Gegnern gefragt, ja direkt behauptet. Ein Han- deln aus Furcht vor Strafe, sagen sie, hat keinen sittlichen Wert. Wir achten niemanden, der eingestehen würde, daß er bloß aus Furcht vor Gefängnisstrafe kein Verbrechen begehe. Die Furcht vor ewiger Strafe aber sei kein edleres Motiv als die vor zeitlicher Strafe, und die Furcht vor der Verdammnis sei zudem sehr sinnlicher Natur. Es ist in der Tat nicht bloß die Furcht, der Seligkeit verlustig zu gehen, was die Gläu- bigen schreckt, sondern die Furcht vor den Strafen der Hölle, vor dem ewigen Feuer, von dem im Evangelium häufig die Rede ist. Wenn auch über die Bedeutung dieses Ausdrucks dogmatisch nichts festgelegt ist, so hat doch die allgemeine Glaubensvorstellung der Christenheit den Ausdruck meistens wörtlich, keineswegs bloß bildlich verstanden. Und gerade diese Auffassung war immer sehr wirksam und ist auch in der kirchlichen Predigt und Seelsorge meist aufrecht erhalten worden. 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Andrerseits können wir nicht leugnen, daß die Furcht der Selbstliebe entspringt und insofern ein eudämonistisches Motiv ist. Und daß sehr viele Handlungen und Unterlassungen im Leben des Christen diesem Motive, eben der Furcht vor der Verdammnis wie auch vor zeitlicher Strafe im Jenseits entspringen, brauchen wir ebensowenig zu leugnen. Also wie stellen wir uns zu diesem Vorwurf? Nun, wenn auch die Furcht der Rücksicht auf den eigenen Nutzen entspringt, so ist sie deshalb doch noch kein eigennütziges, selbstsüch- tiges Motiv. Dies wird sie erst, wenn sie ungeordnet ist und zu unsitt- lichem Verhalten führt — denn Eigennutz, Selbstsucht ist unge- ordnete Selbstliebe. An sich ist die Furcht nichts Schlechtes. Und die Furcht vor jenseitiger Vergeltung kann nie zu unsittlichem Handeln führen, sondern wirkt dem gerade entgegen. Sodann: wenn unser ganzes Tun und Lassen nur aus Furcht ent- spränge, so daß wir nur aus Furcht die Gebote Gottes hielten und das Böse mieden, ohne Liebe zum Guten und mit innerer Anhänglichkeit an das Böse, so hätte unser Gehorsam keinen sittlichen Wert, könnte uns aber auch nicht retten. Ist dagegen jene Furcht mit Abscheu gegen die Sünde und mit Liebe zum Guten (zum Gesetz Gottes). verbunden, so ist sie ein wertvolles Hilfsmittel im: Kampf um das Heil. Vollends aber, wenn sie der übernatürlichen Liebe zu Gott entspringt und dadurch hauptsächlich zur Furcht, ihn zu beleidigen, wird, so verliert sie ihren eudämonistischen Charakter ganz. In der vollkommenen Liebe hört die Furcht auf, wie der Apostel Johannes sagt (1. Joh. 4,18). Im Leben des wahren Christen nun ist die Furcht nie das aus- schließliche Motiv des Handelns. Wer durch den Glauben an Christus wiedergeboren ist, der liebt Gott und sein Gesetz und erfüllt es nicht bloß aus Furcht. Und so lange er in der Gnade ist, ist er auch in der Liebe. Hat er durch schwere Sünde die Gnade verloren, so kann er wohl zunächst durch die Furcht zur Buße getrieben werden, aber es wird sich die Liebe, entweder schon vor der Buße oder durch die Buße, wieder einstellen und seine Haupttriekfeder werden. Also die Furcht wird in der Regel bloß ein Hilfsmotiv sein, das Hauptmotiv des Christen ist die Liebe; und das um so mehr, je vollkommener der Christ ist. Ein solches Hilfsmotiv aber ist durchaus notwendig. Der Mensch bleibt im irdischen Leben stets der Gefahr des Falles ausgesetzt und die Liebe ist nicht immer stark genug, ihn davor zu bewahren; da muß die Furcht mithelfen. Stets aus reiner Liebe zu Gott zu handeln, bleibt das Ideal. Aber, so lange dies nicht erreicht ist, kann uns die Furcht als wirksamer Zügel der Leidenschaften dienen. Es ist doch wahrlich besser, aus Furcht vor der Verdammnis schwere Sünden meiden, als V. Abteilung. Sektion für katholische Theologie. 91 ohne diese Furcht sie begehen; besser etwas Gutes, eine harte Pflicht aus Furcht erfüllen, als ohne Furcht sie versäumen. Wenn die Fureht auch ein Motiv ist, das der Rücksicht auf das eigene Wohl entspringt, so ist sie deswegen noch kein schlechtes. Wer aus Gottesfurcht den Zorn unterdrückt und eine Beleidigung des Nächsten unterläßt, hat etwas Gutes getan, sowohl dem Akt wie dem Motiv nach. Außerdem ist, psychologisch betrachtet, die Furcht Gottes stets von der Ehrfurcht begleitet und schon deswegen etwas Gutes. Bei dem, der die Liebe Gottes im Herzen trägt, ist sie weit mehr Furcht, Gott zu verlieren, als Furcht vor der Hölle. Ohne alle Motive des eigenen Nutzens, allein aus Liebe zum Guten kann kein Mensch auf die Dauer das Gute vollbringen und die Sünde meiden. Das kann der Christ nicht, und der Ungläubige erst recht nicht. Denn lieben kann das Gute nur der, der Gott liebt, und das tut nur der gläubige Christ; er vollbringt daher das Gute aus Liebe zu Gott und das heißt zugleich aus Liebe zum Guten — freilich nicht immer, die Hoffnung muß oft mithelfen, und die Furcht muß ihn be- gleiten, um alle Versuchungen zur Sünde zu überwinden. Aber jegliche Mitwirkung solcher Motive verwerfen, heißt die menschliche Natur ver- kennen, heißt die Schwäche, die ihr infolge der Erbsünde anhaftet, übersehen, denn „Der Mensch ist zum Bösen geneigt von Jugend auf“. (Gen. 8. 21.) Und, wer da von sich glaubt, er handle stets oder meist aus reinem Pflichtgefühl, aus bloßer Achtung vor dem Sittengesetz, er tue die Pflicht bloß um der Pflicht willen, wie Kant verlangte, der lebt in gewaltiger Selbsttäuschung. Ohne die Gnade Gottes und ihren über- natürlichen Beistand vermag kein Mensch auf die Dauer schwere Sünden zu meiden. Dem Christen ist dies nur möglich, wenn er mit der Liebe zu Gott zugleich eine heilsame Furcht und Wachsamkeit und eine lebendige Himmelshoffnung im Herzen trägt. Wie sollte es da dem Ungläubigen, der bloß auf die eigene Kraft angewiesen ist, möglich sein, ohne alle Motive der Selbstliebe, aus bloßem Pflichtgefühl, dauernd den Weg der Tugend einzuhalten! Und so verlangen es Kant, Fichte und andere moderne Philosophen. In Wirklichkeit werden daher beim Ungläubigen statt der übernatürlichen Hofinung und heiligen Furcht Gottes ganz andere und weit eigennützigere Motive mithelfen müssen, damit er seine Pflicht wenigstens der Substanz nach erfülle. Es mag ihn nicht selten das reine Pflichtgefühl bestimmen, aber sehr häufig wird auch das irdische Interesse, die Furcht vor Not und Schande, 30 wie die Hoffnung auf Gewinn, Ehre und Genuß sein Beweggrund sein. Wir wollen nicht leugnen, daß auch im Handeln des Christen solche natürlichen Motive vielfach mitwirken; sie sind ja an sich noch nicht B 39 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. schlecht, werden es erst, wenn sie die Herrschaft gewinnen. Aber je lebendiger der Glaube, je größer die Frömmigkeit, desto mehr werden diese Motive durch übernatürliche verdrängt, durch den Gedanken an Gott und die Liebe zu ihm. Kurz, die Mitwirkung der Selbstliebe, wie sie in den Motiven der übernatürlichen Hoffnung und Furcht enthalten ist, kann die Moralität des Christen keineswegs entwerten, zumal sie durch das jenseitige Ziel des Strebens geheiligt wird. Der Vorwurf des Eudämonismus gegen die christliche Moral ist also unbegründet. Er beruht auf Unverständnis, auf völliger Unkenntnis des religiösen Lebens. Schon die Ausdrücke, in denen jene Philosophen das christliche Seligkeitsstreben zu charakterisieren suchen durch Vergleiche mit den prosaischsten irdischen Angelegenheiten — „kluges Geschäft“, „Spekulation mit Wucherzinsen‘“, „gemeiner Tauschhandel“ und dergl. — zeigen, wie fremd ihnen das Seelenleben des Christen ist. Sie reden eben von diesen Dingen wie der Blinde von der Farbe. Daß man Gott lieben, auch das Schwerste, eben weil es Gott geboten, gern erfüllen kann, also aus Liebe zum Guten, davon haben sie keine Ahnung; sie können sich als Motiv dafür nur Hoffnung auf Lohn und Furcht vor Strafe denken. Und „Lohn“, meinen sie, sei uns Belohnung mit sinnlichen Ge- nüssen. Aber solchen Lohn erwarten wir Christen im Himmel nicht. „Jch selbst werde dein überschwänglicher Lohn sein,‘ hat Gott zu Abraham gesagt, und dieses Wort drückt auch am tiefsten und vollständigsten das Wesen der christlichen Seligkeitshoffnung aus. In der Besprechung wird zwischen Professor Renz und dem Vor- tragenden die Frage erörtert, ob die Liebe nur Motiv oder das Guttun selber ist. Prof. Renz sieht nur in der letzteren Formulierung die Möglich- keit, Kants Vorwurf zu überwinden. Privatdozent Dr. Karge meint, der Vorwurf richte sich mehr gegen die christliche Praxis, als übersehe das Volk leicht die höheren Motive und handle zumeist aus Furcht und Hoffnung. Prof. Renz schreibt der Predigt einen großen Teil der Schuld zu. Prof. Nikel betont, wie eudämonistisch die unvollkommene Moral des alten Testamentes gegenüber der des neuen ist. schlesische Gesellschaft ‚für Yaterländische Gultur, | 91. V. Abteilung. Jah b icht. | ; N ee, h | d. Evangelische Theologie, ug r & x Sitzungen der evangelisch-theologischen Sektion im Jahre 1913. Sitzung am 14. Januar. Vortrag des Herrn Prof. D. von Walter: Zur Christologie des Hermas. Sitzung am. [1], Rebruar. Vortrag der Herren Pastor Lillge und Pastor Müller (Magdalenen): Der Narr in Christo von Gerhart Hauptmann. Sitzung am 6. März. Vortrag des Herrn Kircheninspektor D. Decke: Über den Roman von Zorr: „Dein Reich komme“. Sitzung am 22. Mai. Vortrag des Herrn Prof. D. Wobbermin: Theologie unä Religionswissenschaft. Sitzung am 5. Juni. Vortrag des Herın Pastor Jakob: Joh. Gottl. Rahn, ein Breslauer Pastor in der Zeit der Freiheitskriege. Sitzung am 5. November. Vortrag des Herrn Prof. D. Rothstein: Das hohe Lied, seine formale und inhaltliche Auffassung. 1913. 9 Jahresbericht der Schles: Gesellschaft für vaterl. Cultur. Sitzung am 4. Dezember. Vortrag des Herrn Kirchenrat Froböß: Die persönliche Stellung des Königs Friedrich Wilhelm III. zu den Maßregeln gegen die Altlutheraner 1830—1840. An Stelle des nach Halle a./S. berufenen Herrn Prof. D. von Dobschütz wurde Prof. Wobbermin zum ersten Sekretär und Delegierten gewählt. Zum zweiten Sekretär wurde Herr Kircheninspektor Propst D. Decke wiedergewählt. sehlesische Gesellschaft für valerländische Gultır. ZT 91. VI. Abteilung. Jahresbericht. 1913. a. Technische Sektion. &ı N Re u® Sitzungen der Technischen Sektion im jahre 1913. Es wurden im Berichtsjahre 2 Sitzungen abgehalten. Sitzung am 1. Dezember 1913. Vortrag des Herrn Dipl.=Sng. Carl Wasserberger: Überblick über Holzbearbeitungsmaschinen, im besonderen über Sägemaschinen. Einleitend wies der Vortragende auf die in der kurzen Zeit von zwei Jahrzehnten erreichte hohe Entwicklungsstufe der Metallbearbeitungs- maschinen hin, die nur durch die vollständige Kenntnis der Arbeitsvorgänge bei der Metallbearbeitung bezüglich aller hierbei in Frage kommenden Faktoren erklärt werden kann. Dagegen existieren über die Arbeits- vorgänge bei der Holzbearbeitung wohl wertvolle theoretische Untersuchungen, aber keine systematisch durchgeführten experimentellen Untersuchungen zur Nachprüfung der ersteren. Der Vortragende zeigte durch Angabe von statistischen Zahlen, daß für die Holzbearbeitungsmaschinen eine solche Vernachlässigung ganz ungerechtfertigt ist. Nach Erwähnung der bisher bekannten theoretischen und praktischen Untersuchungen an Holzbearbeitungsmaschinen gab der Vortragende Er- klärungen über den Arbeitsvorgang beim Sägen im allgemeinen. Schließlich wurden einige typische Konstruktionen von Sägemaschinen in Lichtbildern vorgeführt, die von diesen Maschinen zu erfüllenden Auf- gaben besprochen und kritisch die Art und Weise der Lösung dieser Aufgaben beleuchtet. Bei der darauffolgenden Diskussion machte insbesondere Herr Fabrik- besitzer Hofmann (Firma F. W. Hofmann, Holzbearbeitungsmaschinen- fabrik in Breslau) interessante ergänzende Mitteilungen über Gatter- und Bandsägen und gab auch bemerkenswerte Anregungen für vorzunehmende Versuche und Konstruktionsverbesserungen an Holzbearbeitungsmaschinen. 1913. I Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Sitzuns am 17. Dezember 1913. Vortrag des Herrn Professor Schilling: Neuzeitliche Meßmethoden in der Metallverarbeitung und ihr Einfluß auf gie Grundrißentwicklung. Redner erläutert die Entstehung des Fabrikbetriebes aus der alten handwerksmäßigen Art der Maschinenerzeugung: Zunächst wurde selbst bei größeren Betrieben, die alte Grundrißform grundsätzlich beibehalten, bei welcher die Herstellung des Produktes und damit die Aufstellung der Bearbeitungsmaschinen in abgegrenzten Bezirken in der Weise erfolgte, daß ein Schlossermeister oder Vorarbeiter für die Ablieferung eines be- stimmten Teiles der zu erzeugenden Maschine verantwortlich war. Bei dem Bestreben, zur billigeren Fabrikation die Maschinen serienweise zu einer einheitlichen mechanischen Werkstatt gegliedert nach Fräserei, Hobelei, Dreherei usw. zusammenzustellen, hinderte die alte Art des Maschinenbaues, einen Maschinenteil in den anderen einzupassen. Es war nötig, neue Meßmethoden mit dem Ziel zu entwickeln, zwei zueinander- gehörige Maschinenteile getrennt herzustellen. Eine solche Methode wurde in dem Toleranzlehrensystem gefunden, dessen Wesen, Vor- und Nachteile eingehend erläutert werden. —— Hl — schlesischt Gesellschaft für vaterländische Culur. ZEIGE Ze VI. Abteilung. Jahresbericht. 1913. b. Sektion für Kunst der Gegenwart. SO. nn ER 2,8 Sektion für Kunst der Gegenwart. - Die Vorträge des Jahres 1913 begannen mit dem Mittwoch, den 29. Januar gehaltenen Vortrage des Herrn Dr. Robert Corwegh-Leipzig: Antike Menschenbildner in neuer Zeit. anläßlich der Sascha Schneider-Ausstellung in der Galerie E. Arnold. Der Vorsitzende Architekt Henry, begrüßte als Gäste die Mitglieder des Museum-Vereins und hatte Herrn Gutbier aus Dresden zu danken, daß er mit der Sascha Schneider-Ausstellung in der Galerie Arnold die Möglichkeit gab, uns mit diesem Künstler zu beschäftigen, und das nach- zuprüfen, was der Vortrag bringen werde. Herr Dr. Corwegh-Leipzig sprach in seinem Vortrage als intimer Freund des Malers und betonte ausdrücklich, daß er für ihn und seine Kunstleistungen „durch dick und dünn gehen“ werde, was er auch tat, für die Persönlichkeit und für die Werke Sascha Schneider’s. Der Vortragende behandelte einleitend kurz Carstens und Genelli, die Gestalter des erwachenden Helenentums. Dr. Corwegh sieht in Sascha Schneider den Fortführer und Vollender der Lebensarbeit dieser beiden Künstler. Er berührte kurz die frühere Schaffenszeit Sascha Schneider’s, dessen Werke auch schon damals nichts anderes suchten als ein Schön- heitsideal des menschlichen Körpers. Seiner Eigenart folgend stellte der Künstler dafür den Manneskörper voran, den er nach Messungen an über 1200 Knaben, Jünglingen und Männern zu einem Kanon durchzubilden strebe. Die immer klarer zutage tretende Vereinfachung der Darstellung führte sein Schaffen hinüber zum bildnerischen. Sascha Schneider wurde Plastiker. Der Vortragende zeigte eine große Zahl der besprochenen Werke im Lichtbilde. Er schloß seinen Vortrag mit der Hoffnung, dab es ihm gelungen sein möge vorzubereiten für gerechtere Beurteilung des Meisters auf Grund seiner z. Zt. hier ausgestellten Werke. Der Vortrag wurde mit dem Beifall der sehr zahlreich Erschienenen ausgezeichnet. 1913. i 2 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die zweite Sitzung Donnerstag, den 13. Februar 1913 war veranstaltet Zur Feier von Richard Wagner 30. Todestage. Vortrag Wagner’scher Originalkompositionen für Klavier (Professor Dr. Otto Kinkeldey), Lieder (Frau Hedwig Mützel und Herr Ober- lehrer Ließ aus Schweidnitz), einer Arie (Fräulein Irene Gitzler). I. Zur Einführung (Prof. Dr. Max Koch). — II. Fantasie Fismoll 1831. Polonaise für vier Hände. Cdur; Sonate Bdur 1832. — III. Große Arie aus der Oper „Das Liebesverbot‘“ 1834. — IV. Lieder: Der Tannenbaum 1839; Schlaf ein; Die Rose; Erwartung 1840. — V. Die beiden Grenadiere 1840. — VI. Ein Lied ohne Worte 1840. — VII. Albumsonate Asdur; Vielliebehenwalzer Esdur 1853. — VII. Ankunft bei den schwarzen Schwänen. Asdur 1861. — Zwei Albumblätter Cdur 1861 und 1875. Die Anzahl der Zuhörer entsprach der Bedeutung dieser Gedächtnis- feier, die den Reiz hatte, unbekannte Jugendarbeiten Richard Wagners und einige reifere Schöpfungen, die nur ganz selten gehört werden, vorzuführen. Beide Säle langten kaum aus, die Menge der Erschienenen zu fassen, die Herrn Prof. Koch, von dem der Gedanke und die Vor- bereitung ausging, für seinen Vortrag „Zur Einführung“ und die Aus- führenden für die Darbietungen mit reichem Beifall lohnten. Die dritte Sitzung Freitag, den 28 Februar 1913 brachte den Vortrag des Herrn Universitäts-Professors Dr. Kautzsch: Betrachtungen über die deutsche Baukunst der Gegenwart (mit Lichtbildern). Die Sitzung leitete Architekt Henry, der eingangs Mitteilungen zu den Arbeiten der Sektion gab. Anwesend waren gegen 180 Zuhörer. Der Vortragende begann seine Betrachtungen mit dem Gegenbeispiele einer mit größtem Aufwande erbauten, burgenartigen „Villa“ aus einer der westlichen Städte und führte dann über die Schöpfungen, die das „malerische Ausgestalten“ betonen, hinüber zu den Bauten, an denen er vor allem die ehrliche Gesinnung der Schaffenden hervorhob. Er betonte wiederholt, daß er als Nichtfachmann spreche und vermied „als nicht zur Sache gehörig“ die Nennung der. Künstlernamen, deren Werken er meistens seinen ungeteilten Beifall aussprechen konnte. — Die von strengster Verurteilung alles Unechten in der Baukunst erfüllten und mit tiefem Ernste vorgetragenen Betrachtungen des Redners machten Eindruck und erhielten reichen Beifall. Eine Besprechung fand nicht statt. VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 3 Die vierte Sitzung Montag, den 17. März 1913 war wiederum dem Gedächtnis, einer Jahrhundertfeier gewidmet. Herr Universitäts-Professor Dr. Karl Drescher hielt folgenden Vortrag über: Otto Ludwig und Friedrich Hebbel zu ihrem 100. Geburtstage. Das Jahr 1913 bringt uns eine Reihe der hochbedeutsamsten Zen- tenarien, denn das Jahr 1813, dem sie gelten, ist einer der wichtigsten Abschnitte in unserer gesamten Geschichte. Es begann hier zunächst jene gewaltige politische Erhebung, welche die Taten Friedrichs des Großen vor Augen und vorbereitet durch eine neue, aus der Romantik heraus geborene Entwicklung, zum ersten Male in unserer Geschichte von einem das gesamte Volk durchflutenden deutschen National- gefühle getragen war. Es brachte aber auch zugleich auch führende Männer ans Licht, denen es bestimmt war, auf geistigem Gebiete unsere Entwicklung aufs mächtigste zu fördern und ihr als einer Entwick- lung deutschen Geistes neue Pfade zu weisen. Vor allem ist hier Richard Wagner (geb. 22. Mai) zu nennen, den wir als einen Befreier von dem Joche fremder Kunst und als den Schöpfer eines im Bunde mit der Musik geschaffenen deutschen nationalen Dramas zu feiern haben, dann Friedrich Hebbel!) (geb. 18. März), der größte nach- klassische deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts, und der am 11. Februar geborene Otto Ludwig?. Ihn soll die Betrachtung dieser Stunde mit Hebbel einen, wie er auch den Zeitgenossen als neben Hebbel stehend erschien, als sein Rivale, der als Gleichstrebender mit ihm um den Kranz zu ringen sich bemühte. Wir aber, als rückschauend historisch Betrachtende, müssen doch gleich im Anfange hier betonen, daß das „Vergleichbare bei Beiden doch im Unvergleichbaren‘ beruht, daß eigent- lich nur die Ausgangspunkte sich gleichen, von denen Beide zu ganz andern Entwicklungen sich fortbewegten. Nur die allgemeinen Ten- denzen der Zeit, unter denen sie stehen, weist sie zusammen, diese müssen wir daher zunächst kurz mit einigen Worten erörtern. Um die Wende des 18. Jahrhunderts, noch während unserer klassischen Blütezeit, bereitete sich eine neue Weltanschauung vor, die sich ab- kehrend von dem allgemeinen Menschen- und Bildungsideal der Antike den einzelnen Menschen, das Individuum als solches, das 1) Vgl. die Monographie von R. M. Werner: Hebbel. Sein Leben und Wirken Geisteshelden Bd. 47/48, Berlin 1913 und die zusammenfassende Charakteristik von K. Strecker: Friedrich Hebbel, Volksbücher der Literatur Nr. 77, Bielefeld und Leipzig. 2) Vgl. Ad. Stern: Otto Ludwig, Leipzig 1906. — Zusammenfassend: H.H. Borcherdt: Otto Ludwig, Westermanns Monatsh. Febr. 1913. = 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Subjekt, zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtung machte, mit dem Ver- langen des Individuums, von sich aus die Welt zu begreifen und zu er- schöpfen, mit dem Verlangen nach Gleichberechtigung und freier Ent- wicklung der Einzelnen. Auf drei großen Gebieten unsres Kulturlebens kamen schon damals diese Tendenzen zum Ausdruck, in der fran- zösischen Revolution auf politischem, in Fichtes Wissenschaftslehre (1794) auf wissenschaftlichem und in Goethes Wilhelm Meister (1795) auf literarischem Gebiete, und Fr. Schlegel hat darum mit Recht diese drei Erscheinungen als die größten Tendenzen seines Jahrhunderts be- zeichnet. Es war die Romantik, welche diese Tendenzen in Literatur und Leben zur Herrschaft zu bringen suchte und fruchtbarste Entwick- lungskeime überall hin ausstreute. Und wie der Einzelne als etwas für sich Gewordenes, zu Bewertendes und zu Erhaltendes erschien, so auch eine ganze Nation, die sich ja aus lauter solch einzelnen In- dividuen zusammensetzte, — es war der innere treibende Gedanke der Befreiungskriege! Und aus dem Gedanken der nationalen Freiheit quoll dann naturgemäß weiter auch der Gedanke der nationalen Einigung. Da- durch aber mußte dann auch noch nach den Befreiungskriegen das politische Moment wirksam bleiben, nicht zum wenigsten in der Literatur, die ja stets als das Spiegelbild der treibenden Ideen einer jeden Zeit erscheint, und das um so mehr, als drückende Reaktion die freiheitlichen Errungen- schaften wieder in Frage zu stellen schien. In der politisch getränkten Tendenzpoesie des jungen Deutschlands, in der politischen Lyrik der 40er Jahre, in all den Dramen, in denen der Freiheitsgedanke mehr oder weniger klar zum Ausdrucke kam, half man literarisch die Revolution bereiten, die dann in den Kämpfen des Jahres 1848 politisch, tatsäch- lich ihren blutigen Ausdruck fand. Neben einer dieser politisch sich gebenden und politisch sich er- schöpfenden Tendenzpoesie geht nun noch eine zweite literarische Ent- wicklung her, stiller, noch mannigfach übertönt vom politischen Lärm des Tages, nicht als herrschende und doch deutlicher als jene erste ringend mit dem Problem der Zeit, deutlicher als jene erste darnach strebend, über die Romantik hinaus zu einem neuen, aus der subjek- tivistischen Weltanschauung mit Notwendigkeit hervorgehenden künst- lerischen Realismus zu gelangen, der in der schärferen Betrachtung von Welt und Menschen neue Kunstmittel gewinnt. Wir sehen bei Kleist die zukunftweisenden Elemente, wir erkennen in Grillparzers späteren — frei- lich nicht gleich an die Öffentlichkeit tretenden — Werken die Wendung zu einem kräftigeren Realismus, wir sehen, teilweise ausgehend von den späteren Werken Tiecks, zwei Generationen sich mühen um den neuen Stil und gelangen — einsam steht die wunderbar kraftvolle Annette Droste — VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 5 über Immermann und Alexis zu Gotthelf; wir gelangen weiter über sie hinaus zu O. Ludwig und, alle weit hinter sich lassend, zu Fr. Hebbel. Dies ist die literarische Stelle, von der aus beide die Probleme ihrer Zeit zu meistern suchen, freilich mit verschiedenen Kräften, in ver- schiedenem Boden wurzelnd, mit verschiedenem Gelingen und ver- schiedener Wirkung auf die Nachwelt. Otto Ludwigs Heimat war das kleine Städtchen Eisfeld im Herzen des sagenumwobenen Thüringen, wo das Volkslied blühte; es war eine Umgebung, so recht, um Träumer zu erziehen. Nach dem frühen Tode des Vaters wuchs er unter der Obhut einer Mutter auf, die ihn verhätschelte und lieber auf einen regelmäßigen Gymnasialunterricht verzichtete, als den Jungen von sich ließ. Jahrelang tätig in dem Laden seines Oheims, dessen traurige Familienverhältnisse ihm zuerst einen Einblick in menschliche Leidenschaften gewährten, suchte er sich selbst nebenher weiterzubilden und verfiel dadurch einem weichlichen Auto- didaktentum, das ihn sogar über seine eigene Begabung in Selbst- täuschung geraten ließ. Er hält sich für einen Musiker, er dichtet und komponiert Singspiele, die ihm eine billige lokale Berühmtheit ver- schaffen, ohne Beziehung zur Außenwelt. Und als er sich end- lich 1839 entschließt, zum Studium der Musik nach Leipzig überzusiedeln, da sind acht kostbare Jahre dahin, und noch hat der Sechsundzwanzigjährige seinen rechten Weg nicht gefunden. Wie anders Hebbel! Freilich er stammte aus einem wetterharten Volksstamm vom Gestade der rauhen Nordsee und war außerdem noch hineingeboren in dürftigste äußere Verhältnisse. So hatte der Maurerssohn aus Wesselburen nicht die weiche Jugend O. Ludwigs. Der Vater, durch die kümmerliche Lage verbittert, war ein Freuden- hasser, und die Mutter hat manchmal beim Essen sich mit dem Zu- sehen begnügt, damit die beiden Buben — Johann, der ein Bauer ward, und Friedrich, unser Dichter, — sich sättigen konnten. Und so ent- wickelte sich aus Anlage und unter äußerem Druck bei Hebbel schon frühe das, was O. Ludwig zu seinem Schaden erst so spät gewinnen sollte und doch nie ganz errungen hat, eine scharfumrissene, gefestigte Per- sönlichkeit. Als Vierzehnjähriger kam Hebbel dann zu dem Kirchspiel- vogt Mohr als Schreiber; er mußte mit dem Gesinde essen, mit dem Kutscher schlafen, er wurde ausgenutzt, wie sein harter Herr ihn brauchte, der die Begabung des phantasievollen Knaben nicht erkannte oder nicht erkennen wollte. Als aber Mohr sich später dennoch dem be- rühmt gewordenen Hebbel gegenüber als der Wohltäter der Jugend auf- spielen wollte, da hielt Hebbel selbst jenes bekannte Gericht über ihn und schrieb von Marienbad aus, den 15. Juli 1854 (Br. V, 174f.): 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. „Ich habe es mit einem Pseudowohltäter zu tun, der behauptet, daß ich in seinem Hause „aufgewachsen“ sei und dadurch zu ver- stehen gibt, daß er Ansprüche an mich habe, und den muß ich zu- rechtweisen, denn der könnte gehört werden. ... Für meine Bildung taten Sie gar nichts, wenn Sie es Sich nicht etwa als Verdienst anrechnen, daß Sie mir Ihre paar Bücher nicht gerade- zu aus der Hand rissen, und auch später trugen Sie zu meinen Studien nicht das Mindeste bei... sie brauchten mich, unbekümmert um meine Zukunft, wozu ich eben gut war ... Nein, Herr Mohr, ich stehe nicht in Ihrer Schuld, wohl aber Sie in der meinigen, denn Sie haben Sich schwer an meiner Jugend versündigt.‘ Durch diese Verhältnisse mußte nun auch Hebbel zu einem Autodidakten- tum gelangen, aber es war nicht zersplittert und verschwommen, wie das OÖ. Ludwigs, sondern mit sicherer Hand schöpfte er aus dem dünnen Ge- riesel geistiger Bildung in dem armseligen Orte das für ihn Geeignete sich heraus. Nach 7 Jahren, als Zweiundzwanzigjährigem, winkt ihm endlich Erlösung: die Romanschriftstellerin Amalie Schoppe war durch seine Gedichte auf ihn aufmerksam geworden und veranlaßte ihn, nach Hamburg überzusiedeln. Und auch hier wieder welch ein Unterschied zwischen Ludwig und Hebbel! Hilflos steht Ludwig der großen Welt gegen- über; er wird Schüler Mendelssohns, ohne ihm innerlich nahe zu kommen, noch weniger fühlte er sich zu Schumanns Kreise hingezogen, und auch Lortzing lernte er nicht kennen. Einsiedlerisch lebt er in seiner kleinen Wohnung, oft tagelang kein Wort sprechend. Aufs heftigste quält ihn das Heimweh und die Sehnsucht nach seinem Garten, der ihm als teuerstes Erbteil überkommen war, den er sein ganzes Leben mit rührender Zähigkeit sich zu erhalten bemühte und den er doch mit tiefem Schmerz gegen Ende seines Lebens seiner finanziellen Lage opfern mußte. 18. Mai 1840, Tagebuch: „Nur nicht in der Fremde sterben! Werd’ ich denn je wieder meinen Garten sehen? ... Das einzig Schöne in meinem Leben. Alles bezieht sich auf ihn ... Nur in ihm lebe ich ein ganzes Leben. Überall außer ihm hin ich fremd und ungern.“ — Im Herbst desselben Jahres kehrte er wieder nach Eisfeld zurück. Hebbel dagegen treibt es in die Welt, und überraschend schnell findet er sich in den großen Verhältnissen in Hamburg zurecht. Seine Lebens- anschauung ist gefestigt, er weiß, was er sich gilt, und der Zweiund- zwanzigjährige beginnt sein Tagebuch mit den berühmten Worten: „Ich fange dieses Heft nicht allein meinem künftigen Biographen zu Gefallen an, obwohl ich bei meinen Aussichten auf die Unsterb- lichkeit gewiß sein kann, daß ich einen erhalten werde.“ VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 7 Und unerschütterlich bleibt Hebbel das Gefühl seiner hohen Bestimmung auch in den verzweifeltsten Kämpfen der folgenden Jahre. Er lernt die 9 Jahre ältere Elise Lensing kennen, die Tochter einer Quartier- geberin, die Hebbel jetzt mit Hingebung ihrer ganzen Persönlichkeit unterstützte. Wenn Hebbel in dem Kampfe der folgenden Jahre nicht erlag, so ist es Elise Lensing zu verdanken. Mit ihren letzten Ersparnissen ausgerüstet, geht er, die Lücken seiner Bildung auszu- füllen, nach Heidelberg und München zu mehrjährigem Aufenthalte, dort so sparend und darbend, daß er — einen Sommer ausgenommen — in 2'/s Jahren nichts Warmes zu sich nahm. Am Ende seiner Mittel, treibt ihn die Not zu Fuß mit seinem treuen Hündchen nach Hamburg zurück, wo er erschöpft und abgerissen ankommt und in schwere Krankheit fällt. Die Entbehrungen jener Zeit hat Hebbel nie ganz überwunden, sie haben mitgewirkt an seinem späteren Leiden und frühen Tode. Mit unendlichen Opfern hält Elise ihn über Wasser, sie plättet und stickt, und wie es Hebbel selbst damals oft zumute war, zeigt sein Gedicht (Werke VI, 238): Der Baum in der Wüste. Es steht ein Baum im Wüstensand, Der Einzige, der dort gedieh; Die Sonne hat ihn fast verbrannt, Der Regen tränkt den Durst’gen nie. In seiner falben Krone hängt Gewürzig eine Frucht voll Saft, Er hat sein Mark hineingedrängt, Sein Leben, seine höchste Kraft. Die Stunde, wo sie, überschwer Zu Boden fallen muß, ist nah’, Es zieht kein Wanderer daher, Und für ihn selbst ist sie nicht da. Aber dann schrieb er seine „Judith“ (Winter 1839/40) und war mit einem Schlage ein berühmter Mann, im gleichen Jahre, als O. Ludwig, in den Augen seiner Mitbürger fast ein Gescheiterter, nach Eisfeld zurückgekehrt war, der Musik entsagend und mit dem Entschlusse, sich der Dichtkunst zu- zuwenden, mit einigen Dramenentwürfen, darunter Agnes Bernauer, in der Tasche, innerlich zwar gereift an Urteil und Kunstanschauung, durch hohe Ansprüche an seelische Vertiefung, Lebenswahrheit und Lebens- fülle beim Schriftsteller, aber noch ohne feste Aussicht, diese Forde- rungen in sich selbst befriedigen zu können. — 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Mit Hebbel ging es nun rasch in die Höhe. Das glückliche Gelingen der „Judith“ gab ihm Kraft und Mut: „Meine Zukunft steht jetzt vor mir wie eine nene Welt, die ich erobern soll“ (Tgb. I, 423). Das Jahr 1840 brachte noch „Genoveva“. Aber materieller Erfolg wollte sich immer noch nicht einstellen, und als Elise ihm auch noch ein Söhnchen geboren hatte, da ward seine Lage wieder drückend. Aber der jetzt Berühmte erhielt nun von seinem Landesherrn, dem König von Däne- mark, ein Stipendium von 600 Rtlr. auf 2 Jahre, und glückselig ruft er aus: „Klingt es nicht fabelhaft? Friedrich Hebbel und 1200 Reichs- taler, wer hätte gedacht, daß die jemals zusammen kommen könnten?“ (Br. I, 262). Er geht zu weiterer Ausbildung nach Paris, wo ihn Nachrichten über die trostlose Lage Elisens und den Tod des Söhnchens treffen und tief schmerzlich ergreifen, und wo er „Maria Magdalena“ vollende, von da nach Rom. — „Ein Trauerspiel in Sizilien“ und die Skizzierung der „Julia“ sind Früchte des italienischen Aufenthaltes. Die Reiseeindrücke jener Jahre sowie die innere Entwicklung, die er jetzt genommen, hatten aber dazu geführt, Elise ihm allmählich zu entfremden. Zwar reiste er auf ihr Drängen nach Deutschland zurück; aber Wien hielt ihn hier gleich wieder fest. Er lernt hier die Hofburgschauspielerin Christine Enghaus kennen, und nur in der Verbindung mit ihr sieht er die Möglichkeit künftigen Glückes und künftiger Weiterentwicklung, während die Heirat mit Elise ihm jetzt die künstlerische Vernichtung bedeutet. Mit rück- sichtsloser Offenheit schreibt er ihr, in Hamburg bliebe ihm nur die Pistole: „Das mußt Du doch fühlen, daß die Verhältnisse von ehemals jetzt unmöglich sind und daß mein Leben entweder einen höheren Schwung oder — ein Ende nehmen muß. So steht die Sache, täusche Dich nicht. Alle meine Gedanken sind jetzt auf Wirkung gerichtet, von allen Arten der Sehnsucht kenne ich nur noch die eine nach Taten, und nichts kann Pflicht für mich sein, was diese verhindert, weil es mich und alle meine Kräfte vernichtet‘ (Br. III, 294 f.). Und an Bamberg schreibt er das bekannte Wort: „Jedes Opfer darf man bringen, nur nicht das eines ganzen Lebens, wenn dies Leben einen Zweck hat außer dem, zu Ende geführt zu werden“ (Br. III, 339). So reißt er sich von Elise los und schreitet zur Verbindung mit Christine Enghaus. Man hat Hebbel diesen Schritt schwer verdacht, und zweifellos hat nach unsern Begriffen Hebbel Elisen gegenüber eine Schuld auf sich ge- laden, wie es seiner Zeit Goethe in Sesenheim tat. Aber Hebbel hatte die sichere Überzeugung, daß eine Ehe mit Elisen ihn vernichten würde, und weil er dies fühlte, riß er sich los. Elise Lensing hat sich durch ihre Treue und ihren Opfermut für Hebbel den Dank der Kultur- Dr VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 9 menschheit verdient, ohne sie wäre Hebbel zugrunde gegangen; aber wie die Verhältnisse lagen, müssen wir doch die Frage aufwerfen, ob das Genie dann doch wieder an ihr hätte zugrunde gehen sollen? Was wog schwerer. für die Menschheit, Elisens persönliches Schicksal oder Hebbels künstlerische Zukunft? Es zeigen diese Vorgänge mit krasser Deutlichkeit, daß für das Genie eben doch gelegentlich ein anderer Maßstab der Beurteilung gefunden werden muß. Tief hat Hebbel selbst das Tragische dieser ganzen Vorgänge empfunden, so sehr sein Handeln für ihn auch innere Notwendigkeit gewesen war, und zweifel- los haben sie auch später auf die Ausgestaltung seiner tragischen Probleme gewirkt. Er schreibt in sein Tagebuch: „Große Menschen werden immer Egoisten heißen. Ihr Ich verschlingt alle andern Indi- vidualitäten, die ihm nahe kommen, und diese halten nun das Natürliche und Unvermeidliche, das einfach aus dem Kraftverhältnis hervorgeht, für Absicht“ (Tgb. II, 1). Aber andrerseits hat Hebbel auch wieder alles getan, sein menschliches Unrecht gut zu machen, und Christinens ergrei- fende Güte half die peinlichen Verhältnisse einer harmonischen Lösung zu- führen. Sie lädt Elisen in ihr Haus und in ihre Ehe, und nach dem Tode auch des zweiten Söhnchens verlebt Elise °/a Jahre bei Hebbel und Christine, und es entsteht, freilich nicht ganz ohne gelegentliche schmerzliche Entwicklung, ein harmonisches, gereinigtes, neidlos-ver- trauendes Verhältnis, so daß bei ihrer Rückkehr nach Hamburg, August 1848, sie als eine Versöhnte schied. Man gab ihr sogar Christinens Sohn Karl mit, da sie an ihm Mutterstelle zu vertreten bereit war. Inzwischen waren die revolutionären Bewegungen an den ver- schiedenen Orten zum Ausbruche gekommen, und Hebbel in Wien fühlte sich von ihnen aufs tiefste ergriffen. Denn hier in diesen Kämpfen sieht er in Wirklichkeit, was ihn bisher nur in seiner Phantasie bewegte. Der Kern von Hebbels ganzem Denken — wie später nur mit anderen Folge- rungen bei Ibsen — war das Verhältnis des Einzelnen zur Außenwelt, und zwar zum einzelnen Nebenmenschen wie zur Gesamtheit, die ent- weder als Familie, als Gesellschaft, als Staat erschien. Und es sieht jetzt Hebbel eine große gewaltsame Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Faktoren sich vollziehen. „Ich wüßte kein Jahrhundert zu nennen, in dem ich lieber wollte gelebt haben, als in dem meinen, denn wir leben mit und in der Geschichte, wir erleben sie, wir brauchen sie nicht erst zu lernen“ (Gespr. mit Frankl). Und so jubelt er am 15. März 1848 (Tgb. III, 298): „Ich lebe jetzt in einem andern Österreich. . ., wo Preß- freiheit proklamiert ....., eine Konstitution versprochen ist“, wenn er auch bald gegen die Auswüchse der neugewonnenen Freiheit, gegen Kommunismus und Anarchie sich wendet. Er gehört zu der Wiener 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Schriftstellerdeputation, welche in Innsbruck die Rückkehr des ge- flohenen Kaisers Ferdinandsl. erbitten will, und entwickelt in 28 Berichten aus Wien an die Augsburger Allgemeine Zeitung vom Jahre 1848 Gedanken über die politische Gegenwart und Zukunft, so voll von modernen Ideen, daß sie sogar zu einem Aufsatze „Hebbel als Prophet Bismarcks“ Veranlassung geben konnten. Er will eine gesunde Koloni- sation, wie schon einst Goethe es ausgesprochen: Daß wir uns auf ihr zerstreuen, Darum ist die Welt so groß, und ruft aus (Werke VI, 303 ff. Str. 6): Die Erde und der Mensch. Noch nie ist mir ein Kind aus Not gestorben — Dies war ihr Spruch — denn jede war zu wenden, Und sind auch ganze Völker schon verdorben, Man konnte fernhin übers Meer sie senden, Dort hätten sie sich Heil und Glück erworben Und mich zugleich geschmückt mit fleiß’gen Händen; Ich band die Bäume nur an ihre Schollen, Die Menschen nicht, weil diese wandern sollen. Er ist überzeugt von der Unhaltbarkeit eines absoluten Königtums, das immer an der menschlichen Mangelhaftigkeit des Trägers der höchsten Gewalt scheitern müsse, er wünscht Österreichs Anschluß an Preußen, er wünscht die Einigung des engeren Deutschland und zürnt: „Aber was an Preußen zu tadeln ist, daß sein jetziger König keine Energie hat. Gebt mir nur auf ein halbes Jahr seinen Thron, und ich will eutschland einig machen.“ Tief empfindet er die geringe Schätzung der Deutschen im Auslande und erhebt in seinem Epos „Mutter und Kind“ 1859 eine Klage, die man seit dieser Zeit noch des öfteren hat hören können, daß nämlich die Regierungen anderer Staaten oft energischer für ihre Untertanen eintreten als gerade die deutsche [der Tischler über Amerika] (Werke VIII, 342): Es ist noch ärger da drüben, Und wir Deutsche besonders, wir müssen uns ducken und drücken Wie die Hunde bei uns! Denn wäre der Schmied nur ein Franzmann Oder ein Beefsteak-Fresser, so würden schon ganze Armeen Über die See geschickt, doch auf der Leiche des Deutschen Legt der Mörder sich schlafen, und keiner stört ihm die Ruhe, Wenn er nicht selber niest und sich weckt... Wir haben uns drüben VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 11 Wie in Ägypten die Juden vermehrt und werden wie diese, Weil sie uns fürchten und hassen, gehetzt und vertilgt. In Europa Mußt du stehlen, bevor man dich hängt; dort wirst du gehangen Eh’ du gestohlen hast! So war natürlich, daß diese Revolutionserlebnisse einen tiefen Ein- druck bei Hebbel auch in seiner Dichtung hinterließen und manchem seiner dramatischen Probleme erst volles Leben gaben. Die Revolution ward für den Künstler Hebbel, was das Studium Kants für Schiller, das Schopenhauers für Rich. Wagner geworden ist. Wir haben eine Reihe von Entwürfen aus jener Zeit, deren bedeutendster der Entwurf zu „bin Todesurteil“ ist: Das absolute Königtum kommt hier zum Bewußtsein seiner Unzulänglichkeit, der Einzelne muß sich der Gesamt- heit beugen. Aber wenn auch dieser Entwurf nicht zur Ausführung kam, der Gedanke der Unterordnung des Einzelnen ging über in ein anderes Drama: „AgnesBernauer“ (1851). Im Jahre 1850 erschienen noch „Julia“ und das Künstlerdrama „Michel Angelo“, in dem sich Hebbel künstlerisch mit seinen Kritikern auseinandersetzte. Das grandiose Molochfragment fand leider keinen Abschluß; Ende 1851 brachte dann neben dem „Rubin“ und „Agnes Bernauer“ noch „He- rodes und Mariamne“. — Hebbel stand auf :der Höhe seines Ruhms! — Was aber hat nun das verflossene Jahrzehnt, das, wie wir sahen, Hebbel zur Höhe führte, Otto Ludwig gebracht? Zwei Jahre verlebt er zunächst in stillem Weiterbilden und schriftstellerischer Tätigkeit zu Hause, geht dann wieder — als Dichter — nach Leipzig, dann nach Dresden und lebt in der Folgezeit an verschiedenen kleineren Orten des thüringisch-sächsischen Landes, bis Dresden sein dauernder Wohnsitz wird. Es entstehen zunächst Novellen und Erzählungen wie „Maria“ (1840), „DiewahrhaftigeGeschichtevondendreiWünschen‘, noch stark unter E. T. A. Hoffmanns Einfluß, wenn auch der künftige Rea- list sich schon deutlich regt. Es entsteht das frische Spiel „Hans Frei“ (1843), die Trauerspiele „RechtedesHerzens‘“ (1844/45) und „Die Pfarrose“ (1845), das prächtige Vorspiel zu einem Drama Fried- tich II. „Die Torgauer Heide‘ (1844), und ferner sehen wir ihn seit 1840 mit dem Stoffe der Agnes Bernauer beschäftigt, den er bis 1845 in drei stark von einander abweichenden Fassungen behandelte, auch unter verschiedenem Titel, erst als „Der Liebe Verklärung‘, dann als „Der Engel von Augsburg“. Der erste der Entwürfe steckt noch tief im Romantischen, mit Ahnungen, Träumen, Visionen, Zaubereien, ein bloßes Intrigenstück, der zweite wenig besser, während der dritte Entwurf schon einen bedeutenden Fortschritt aufweist. Der 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Gang seiner inneren Entwicklung zeigt ein allmähliges Loslösen von den Fesseln der Romantik, ein allmähliches Hinwenden zu schärferer Natur- betrachtung und mehr charakteristischer Herausarbeitung seiner Per- sonen. Aber auch diese Stücke gelangten nicht auf die Bühne und, wenn er Friedrich I. als einen Helden plant, der unter den schwierigsten Ver- hältnissen aufrecht bleibt, so sind Beziehungen auf sein eignes Leben und seine Enttäuschungen nicht zu verkennen. Das Jahr 1848 brachte „Das Fräulein v. Scudery‘“, nach E. T. A. Hoffmanns Novelle, aber noch immer dauert es zwei volle Jahre, bis er sich mit einem andern Stücke die Bühne eroberte, noch immer mußte den Grübler, den sein tiefstes Bedürfnis innerer Sammlung stets von den allgemeinen Wegen abführte, das stets deutlicher sich erhebende persönliche Ge- fühl entschädigen, daß er jetzt auf dem rechten Wege sei, einen eigenen Stil zu finden. Daß bei einem Geiste, dessen Streben so auf das Innere führte, wie bei O. Ludwig, dann auch das Verhältnis zu den revo- lutionären Ereignissen ein ganz anderes sein mußte, als bei Hebbel, ist ohne weiteres klar. Zwar hat er auch zunächst die Revolution mit einem Jauchzen der Hoffnung in einigen — nicht eben bedeutenden — Gedichten begrüßt und seiner Sehnsucht nach Größe, Ehre, Einheit des Vaterlandes Ausdruck gegeben, aber bald verfiel er wieder trauriger Hoffnungslosigkeit. Aber ein Motiv hat doch in seine Dichtung hinein- geklungen: unter den Eindrücken der Pariser Februarrevolution ward 1849 eine schon mehrfach umgearbeitete „Waldtragödie“, die erst den Titel die „Waldburg“, dann ,„Wilm Berndt“ führte, zum „Erb- förster“ gewandelt. Mit Schrecken hatte er die Instinkte der Menge gesehen, die sich nur von ihrem naiven Rechtsgefühle leiten ließen, er sah die Auswüchse und Irrungen, die hieraus sich ergaben, und jetzt ward ihm mit einem Schlage die Gestalt klar, die sein Stück beherrschen sollte: der eingesessene Erbförster mit seinem Pochen auf sein vermeint- liches Recht. Das Stück sollte, wie er selbst sagt, ein „Warnungsbild“ sein vor dem naiven, instinktmäßigen Rechtsgefühl, das vor dem festge- gründeten, geschriebenen Rechte doch immer unterliegen muß. Inzwischen hatte Ludwig nun auch einen Freund gefunden, der glücklich treibend und heilsam kritisch fördernd auf seine Produktion einwirkte; es war Eduard Devrient, der Dresdner Regisseur und Schau- spieler. Er trieb den „Erbförster‘“ zur Vollendung, er setzte die Auf- führung in Dresden durch, und jetzt endlich war das Martyrium des Beiseitestehens zu Ende, jetzt endlich war auch für Ludwig die Öffent- lichkeit erschlossen, jetzt war auch er berühmt; jetzt stand auch er da, wo Hebbel schon 10 Jahre früher, nach der Aufführung der „Judith“, ge- standen hatte. Welch ein Unterschied des Lebensganges und des Er- VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 13 folges — ein Unterschied aber, der sich eben aus dem Unterschied der Persönlichkeiten fast mit Notwendigkeit ergibt! Und auch der Bühnen- erfolg des „Erbförsters“ ist nur ein kurzer gewesen, wie überhaupt das Werk niemals das große Publikum gewinnen wird, da trotz meister- haftester Einzelheiten das ganze in seiner Entwicklung für eine gemütliche Erfassung viel zu sehr gekünstelt erscheint und die Gewaltsamkeit der Katastrophe — die ungewollte Erschießung der geliebten Tochter durch den Vater — doch zu kraß und zu wenig notwendig erscheint. Das Stück wird nur noch zu besonderen Gelegenheiten und jetzt im zweiten Säkulum noch weniger als bisher auf der Bühne erscheinen. Je mehr nun aber Ludwig sich die Öffentlichkeit erobert hatte, desto mehr trat die Tragik seines Wesens in Erscheinung, die schließlich zur Tragik seines Lebens ward! Noch einmal schafft 0. Ludwig ein großes Werk, „DieMakkabäer“ (1852), das größte, was ihm dramatisch ge- lungen, und deren zweiter Akt mit zu dem Besten gehört, was im deut- schen Drama überhaupt geschaffen worden ist. Aber auch dieses Werk steht im Zeichen verschiedener Umarbeitungen: es hieß erst „Die Makka- bäerin“, dann die „Mutter der Makkabäer“, dann erst erhielt es den jetzigen Titel. Jetzt ist Judah der Held, aber seine Mutter Leah, die Makkabäerin, die ursprünglich die Heldin war, ist nicht eigentlich von ihrem Platze zurückgedrängt, und dieser Dualismus beeinträchtigt die einheitliche Wirkung des großgedachten Werkes. Dann aber gelang dem Dichter kein Drama mehr. In unaufhörlichem Grübeln sucht er seine Probleme immer und immer wieder zu vertiefen, immer aufs neue die Natur in all ihren Einzelheiten zu belauschen, immer macht er neue Ent- würfe, und jeder folgende erscheint ihm besser als der vorhergehende, der dann verworfen wird, bis ein wahrer Scherbenberg von Fragmenten und Entwürfen sich anhäuft. Und um ganz sich künstlerisch selbst ge- nug zu tun, wendet er sich an das höchste Muster realistischer Dar- stellungskunst, das wir kennen, — an Shakespeare; mit diesem Augen- blicke aber ist er verloren! Was Hebbel vielleicht gekonnt hätte in der schroffen Selbständigkeit seines Wesens, dem anschmiegenden, schwächeren O. Ludwig ward es zum Verderben. Jahrelang vertieft er sich aufs liebevollste in das Studium Shakespeares, immer in der Hoff- nung, einen neuen tragischen Stil zu finden, immer wieder wälzt er 10 Jahre lang, 1854—64, den Stoff der Agnes Bernauer hin und her und hat 37 verschiedene Entwürfe davon hinterlassen; immer näher glaubt er in tragischem Irrtum seinem Ziele zu kommen, während er in Wahrheit ihm immer ferner rückt, immer mehr seine eigene künst- lerische Persönlichkeit verliert. Würden diese Entwürfe alle gedruckt, sie würden gegen 100 Bände füllen! Und wie er die eigene Indi- 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. vidualität verlor, war er nicht mehr imstande, die fremde entgegen- gesetzte richtig zu beurteilen; als Realist, als der er sich fühlte, konnte er nicht mehr der idealistischen Kunst Schillers gerecht werden und hat in seinen „nhakespearestudien gegen Schillers Wallenstein, dem freilich auch Hebbel von seiner realistischen Kunstübung aus nicht gerecht geworden ist, die schärfsten und ungerechtesten Angriffe gerichtet, in- dem er die großangelegte Katastrophe bei Schiller verwarf und die volle Darstellung aller historischen Begebenheiten verlangte. Und so ist schließlich O. Ludwig im Grunde durch Mangel an Selbstvertrauen, das ihn an einen Größeren — Shakespeare — sich verlieren ließ, als Dramatiker gescheitert. Und wie es tragisch war, daß er dieses Ziel nicht er- reichte, so war es tragisch, daß O. Ludwig seine zweite besondere Ver- anlagung gar nicht voll erkannte: die epische. Seine materielle Lage trieb ihn zur epischen Produktion, aber während Hebbels Erzählungen und Novellen keinen hohen Rang beanspruchen können, sind O. Lud- wigs größere Erzählungen „Die Heiterethei“ und vor allem die prachtvolle Dachdeckergeschichte „äwischen Himmelund Erde“ Leistungen von höchstem Werte. Die Liebe zu Einzelheiten, die im Drama gelegentlich störend sich bemerkbar macht, hier trägt sie nur dazu bei, die Wirkung des Ganzen zu runden und zu erhöhen, und Paul Heyse schrieb dem Dichter nach der Lektüre von „Zwischen Himmel und Erde“: „Ich kann mich noch jetzt, wenn ich der Höhepunkte Ihres Werkes gedenke, sogar physisch auf die Erschütterung zurückbesinnen, mit der mich das wunderbare Schicksal anrührte. Wie Orgelmusik ... durchdröhnte mich’s feierlich und gewaltsam und melodisch zugleich. Dergleichen ist wohl in Prosa nie erschaffen worden.“ Der Dichter aber, der dies geschaffen, verzehrte seine Kräfte in unendlichen Dramenent- würfen! Und schließlich ist auch die menschliche Existenz O. Lud- wigs von tiefer Tragik erfüllt. Dem träumerischen, einsamen Grübler ist es nicht gelungen, Not und Sorge von sich fern zu halten, so daß er gegen Ende seines Lebens mit tiefem Schmerze seinen heißgeliebten Garten sogar dahingeben mußte, den er freilich seit 16 Jahren nicht mehr gesehen. Jahrelang hat schweres Siechtum seine Kräfte unauf- haltsam zerstört; er mußte, wie Heine, das Absterben der Glieder am eigenen Leibe erleben. Ergreifend ist es, wie der Abgezehrte noch bis zuletzt, von seinen Problemen erfüllt, stets voll neuer Hoffnung sich fühlt; wir wissen längst, daß alles vergeblich sein mußte. Mit knöchernem Finger weist er auf Ludwig Richters „Johannisfestbild“: „... nie ein Strich zu viel, nie einer zu wenig. Das ist die echte Bescheidenheit in der Kunst.‘‘ Unter den letzten Entwürfen beschäftigte ihn ein ‚„Tiberius Gracechus‘“; einzelne Stellen daraus gehören zum Schönsten, was Ludwig VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 15 gedichtet hat, und fast für sich selbst hat er die Abschiedsworte des Tiberius geschrieben: Noch einmal, eh’ ich gehe, laßt das Haus, Wo meine Wiege stand, mich grüßen, dann Wie Kinder plaudern wir von frühern Tagen; So gleit’ ich wie ein welkes Blatt vom Zweig, Das eben unter Schwestern noch geflüstert, Das niemand fallen sieht. Dorthin gewandt Steht Ihr und dahin scheid’ ich mit der Sonne. Kurz darnach, am 25. Februar 1865, ist der Dichter gestorben. Eine der reinsten, edelsten Naturen, aber zu weich, zu grüblerisch und zu wenig selbstvertrauend. Er erlag dem Leben und dem fremden Genius, dem er sich anvertraute, er erlag als Künstler und er erlag als Mensch, ein Leben, dessen innere Tragik mindestens ebenso groß war als das eines Heinrich von Kleist. Zwei Werke nur werden dauernd bleiben: „Zwischen Himmel und Erde‘ und die nach seinem Tode von seinem Freunde M. Heydrich herausgegebenen glänzenden „Shakespearestudien“, durch die Otto Ludwig sich selbst als schaffender Künstler zu Tode gerungen hatte. — Endete so O. Ludwigs Leben in künstlerischer und menschlicher Tragik, so führte Hebbels Weg weiter zur Höhe: wieder ein Beispiel, daß sich die Welt vor einer starken Persönlichkeit noch immer ge- beugt hat. In seiner Ehe fand er, wie auch Ludwig, heißersehntes menschliches Glück, das die starren Kanten seines Wesens liebevoll mil- derte; es gelang ihm noch ferner das Epos „Mutter und Kind“ (1859), sein innerlich bedeutendstes Werk „ayges und sein Ring“ und in siebenjähriger Arbeit sein größtes Werk „Die Nibelungen“. Hohe Ehren und Anerkennung, Fürstengunst ward ihm zuteil, wenn er auch die Gegnerschaft Laubes, des Herrschers am Burgtheater, gerade in Wien schwer empfinden mußte. Hatte er früher sehnend ausgerufen (Werke VI, 367 £.): Conditio sine qua non. Götter, ich fordre nicht viel! Ich will die Muschel bewohnen, Aber ich kann es nur dann, wenn sie der Ozean rollt, so rief er: Zwölf Jahre später. Götter, öffnet die Hände nicht mehr, ich würde erschrecken, Denn ihr gabt mir genug: hebt sie nur schirmend empor! Nach schwerem Leiden ist Hebbel, nur 50 Jahre alt, am 13. Dezember 1863, 1'/a Jahre vor Ludwig, gestorben. — 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Wir sind in der glücklichen Lage, Hebbels Wesen bis in seine innersten Tiefen erkennen zu können durch einen besonderen Schatz, den Hebbel uns hinterließ, durch seine Tagebücher. In diesen sehen wir, wie tag- täglich ein Großer mit den höchsten Problemen der Menschheit ringt und sich unter gewaltigen geistigen Kämpfen zur Klarheit führen will. Man hat nicht mit Unrecht gesagt, diese Tagebücher in ihrer Gesamt- heit sind Hebbels allergrößtes Werk. Hier sehen wir die Weltanschauung entstehen, die Hebbel in seinen Dramen dann niedergelegt hat, und ist Hebbel der geborene Dramatiker, so sind seine Tagebücher die Kommentare zu seinen Dramen. Die allgemeine Zeitentwicklung, die den Einzelmenschen in seinen gesamten Beziehungen zur Außenwelt in den Mittelpunkt der Betrach- tung stellte, traf in Hebbel auf einen Menschen, dem schon frühe dieses Verhältnis zum konfliktreichen Erlebnis wurde, der in früher Jugend schon gezwungen ward, den schärfsten Kampf um seine Persönlichkeit zu führen. Und gerade aus diesem Zusammentreffen allgemeiner und persönlicher Entwicklung scheint mir die Schärfe und Deutlichkeit zu entspringen, mit welcher eben die Zeittendenzen in Hebbels Schaffen ihren Ausdruck finden, und man hat mit Recht gesagt, daß wir in Hebbel den „prägnantesten dichterischen Ausdruck des ringenden deut- schen Geistes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ zu erkennen haben. (Karl Zeiß, Hebbel Ausg. des Bibl. Instituts Leipzig.) „Das Ich mit seinem Drang ... nach Selbstentfaltung und Welteroberung, in seinem Verhältnis zu andern Gewalten, seien diese Einzelpersönlichkeit, Weib oder soziale Gemeinschaften, Familie, Klasse, Staat — das ist das leitende Motiv... das Hebbels ganzem Denken und Dichten die Einheitlichkeit gibt.“ (Theod. Poppe, Hebbel und sein Drama. Palaestra VIII. Berlin 1900). Wir sind in die Welt gestellt, jeder als Individuum neben andern gleichberechtigten Individuen, jedes Individuum aber will sich durchsetzen, jedes hat den Willen zur Macht. Aber diesem Drange steht das Sittengesetz der modernen Welt gegenüber, das vor 1800 Jahren schon die christliche Religion ausgesprochen hatte in dem Gebot: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ und das jetzt wieder von Kant in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1785) also lautend formuliert worden war: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als auch in der Person eines jeden andern, jederzeit zu- gleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“, d. h. brauche nie die andern bloß als Mittel für deine eigensüchtigen Zwecke und verletze so deren Individualität. Und in tiefster Übereinstimmung hiermit schreibt Hebbel in sein Tagebuch (I. 363, 1839): „Einen Menschen zum bloßen Mittel herabzuwürdigen: ärgste Sünde“. Aber gerade dieses sündhafte 33 VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 17 Streben ist etwas von uns Unzertrennliches, und so tun wir alle aus unserer innersten Natur heraus etwas, was wir nicht tun dürften, und Tragik als Welt- und Lebensgesetz lastet auf unserem Willen. Und dabei ist es einerlei für die Beurteilung, ob dieses Streben an und für sich gut oder schlecht sei. Genoveva in ihrer heiligenhaften Reinheit, Agnes Bernauer in ihrer überragenden Schönheit wirken beide nur zum Unheil ihrer Nebenmenschen. Und die Größe, das Überragende steht gerade ganz besonders unter dieser Tragik, denn gerade der große Mensch kann sich ja eben nur durchsetzen auf Kosten der andern; er muß also stets, wenn er sich in seinem Wesen betätigen will, gegen dieses Sittengesetz verstoßen, und Hebbel selbst hat ja, wie wir wissen, in seinem Verhältnis zu Elise Lensing die Tragik der Größe tief an sich selbst erlebt. Aus diesem Verhältnis der Einzelnen zu einander er- wächst nun Hebbels Anschauung vom Verhältnis des Einzelnen zur Ge- samtheit. Diese muß dem Einzelnen gegenüber stets recht behalten, denn „das Leben ist der große Strom, die Individualitäten sind Tropfen“ (Tagebächer II, 239). Hierdurch wird die Gesamtheit in ihrem historischen Gewordensein etwas Unantastbares für Hebbel gegenüber dem radikaleren Ibsen, der sonst in wesentlichen Anschauungen an Hebbel unmittelbar anknüpft. Und so ruht nun das tragische Problem bei Hebbel in dem Verhältnis des einzelnen, individuellen Willens zum Welt- willen, zum Gesamtwillen, gegen den der Einzelne in seinen persönlichen Bestrebungen sich stets aufzulehnen bereit ist. Dieses Verhältnis aber erscheint besonders deutlich an den Wendepunkten großer Epechen, und so wählt Hebbel gerne Stoffe, die an solchen Wendepunkten spielen, die Befreiungskämpfe der Juden gegen Nebukadnezar in der „Judith“, die Zeit der Kreuzzüge in „Genoveva“, seine eigene Zeit, die ja nach seiner Auffassung ebenfalls einen solchen Wendepunkt darstellt, in „Maria Magdalena“, den Kampf des Heidentums mit dem Christen- tum in den „Nibelungen“, den Kulturwendepunkt, den uns der „ayges“ zeigt, etc. Und so plante er auch einen großen Zyklus einer dramatischen Geschichte der Menschheit, deren erstes Stück das gewaltige Fragment „Moloch“ sein sollte. In solche Zeiten hinein legt nun Hebbel die einzelnen Probleme, die sich an seinen eigenen Lebens- und Entwick- lungsgang anknüpfen. In der Zeit, da er Elise Lensing gegenüberstand, beschäftigte ihn das Verhältnis der Individuen als freies Verhältnis des Mannes zum Weibe, so in „Judith“, „Genoveva“, „Maria Mag- dalena“ Judith begeht eine Sünde an ihrer Individualität, als sie sich in unbewußtem Drange, unter der Einwirkung ihrer früheren, kurzen, jungfräulichen Ehe in die Gewalt des Holofernes begibt, des Tyrannen, der nichts weiß von Achtung vor fremder Individualität, dem 1913. 2 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. alle andern eben nur Mittel sind und keiner Zweck, denn es drängt Judith sich auch zu dem Manne Holofernes hin, sie wirft. ihre Schön- heit als Angel hin für ihr Befreiungswerk, und so muß sie schließlich die Tat der Volksbefreiung vollziehen als. persönliche Rache für ihre verletzte weibliche Ehre. Und ebenso erregt gerade Genovevas überragende Reinheit und tiefste Weiblichkeit, fast die Verkörperung eines Ideals, das als solches ja nach Hebbels Anschauung nur Unheil stiften kann, tatsächlich in Golo die rasenden Liebesflammen, die ver- herend schließlich auf Genoveva selbst zurückschlagen. Auch in „Maria Magdalena“ stehen sich Mann und Weib gegenüber, aber hier ist ihr Schicksal angeknüpft an ein anderes Problem, das Verhältnis des Einzelnen zu einer Einrichtung der Allgemeinheit, zur Familie, und Meister Anton, nicht Clara, ist der eigentliche Held des Stückes. Er ist nicht der biedere Mann von altem Schrot und Korn, für den man ihn zum Schaden für das Verständnis des Stückes so lange gehalten hat, er ist, wie Holofernes der Tyrann der Völker, der Tyrann des Hauses, der in seinem Egoismus sich schwer an den Angehörigen seiner Familie versündigt, und Hebbel schreibt in seinem Tagebuch 1837 (Tgb. I, 150): „Es gibt keinen ärgern Tyrannen als den gemeinen Mann im häuslichen Kreise.“ Die Mutter wird zermürbt und stirbt über einen augenblicklichen Schrecken, den Sohn treibt er aus dem Hause in die Fremde, die Tochter treibt er in den Tod. Als dann aber Hebbel selbst in glücklicher Ehe lebte, da faßte er das Problem von Mann und Weib innerhalb der Ehe, so in„Herodesund Mariamne“und„Gyges“. Auch Herodes ist ein Tyrann und mißachtet die Individualität seiner Gattin, die er doch liebt. „Ich bin ihm nur ein Ding und weiter nichts,“ ruft Mariamne aus, Worte, die so auch Ibsens Nora sprechen kann. Die Menschheit achtet Mariamne in sich geschändet, und so reizt sie den Tyrannen, bis er ihr Todesurteil ausspricht, und rächt sich so durch ihren eigenen Tod an Herodes, den sie doch liebt, der sie wieder liebt und der, als er zu spät die Wahrheit erfährt, innerlich zusammenbricht. Und auch Kandaules hat an der Gattin gefrevelt, als er sie in eitler Besitzesfreude nachts hüllenlos dem Freunde gezeigt. Darum muß er fallen und Gyges, zugleich der Repräsentant einer neuen Zeit, an seine Stelle treten. Das Verhältnis des Einzelnen zum Staat aber zeigt sich uns in „Agnes Bernauer“ Albrecht von Niederbayern hat die schöne Baderstochter von Augsburg zu seiner Gemahlin gemacht, aber die Unebenbürtigkeit. der Ehe bringt Kampf und Krieg um die Nach- folge, und das Blut von Tausenden wird fließen. So ist es die Tragödie der Schönheit, die sich hier vor uns abspielt. Bloß durch ihre Existenz ist Agnes eine Gefahr für die Allgemeinheit und muß fallen. Auf Befehl VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 19 des regierenden Herzogs wird sie in der Donau ertränkt, sie muß fallen als Opfer der Allgemeinheit. Aber auch Albrecht muß ein Opfer bringen, er muß sich unterordnen, er muß die Handlung des Vaters als berech- tigt im Staatsinteresse anerkennen, und Hebbel selbst hat es gesagt, daß er hier „einfach das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft dargestellt‘ habe, ... des Individuums, das, „wie herrlich und groß, wie edel und schön es immer sei, sich der Gesellschaft unter allen Umständen beugen muß“ (Br. IV, 358). Und wieder stehen sich Mann und Weib gegenüber in den „Nibelungen“, Sieg- fried und Brunhild, überragende Wesen, die ein wahlverwandter Drang zu einander treibt. Gelingt ihre Vereinigung, so wird ein Geschlecht entstehen, das die Welt aus den Angeln hebt und eine schwere Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet. Diese aber wehrt sich und stellt ein zweites Weib von menschlichen Maßen, Kriemhild, neben Siegfried. Gelingt es noch einmal, den Übergewaltigen zu fesseln, dann ist die Gefahr von seiten jener Überragenden vorüber, sie sind dem Untergange verfallen. Aber auch Kriemhild muß ihr Schicksal teilen, denn sie — und das ist das tragische Problem des zweiten Teiles —, obwohl äußerlich Christin, lebt doch noch im heidnischen Empfinden, das von Vergebung nichts weiß; ihre persönliche Rache stellt sie höher als die Achtung vor der fremden Individualität. Und ebenso fesselt auch die Burgunden ihr heidnisches Empfinden, so daß selbst die Bewährung der höchsten Treue, die sie zueinander beseelt, ihnen zum Unheil ausschlagen muß und ihren Untergang bringt, bis schließlich Etzel, tief erschüttert durch die gewaltige Ernte des Todes, die Weltherrschaft an Dietrich abgibt, den Vertreter der christlichen Idee, der die Herrschaft über- nimmt: „Im Namen dessen, der am Kreuz erblich.“ So sehen wir denn, wie bei Hebbel Erlebnis, Entwicklung und Weltanschauung aufs engste verknüpft, sich in der Gestaltung seiner tragischen Probleme widerspiegeln. Und darum gewinnt, wie dann auch bei Ibsen, das Wort, ja der Buchstabe eine besonders erhöhte Be- deutung. War somit Otto Ludwig hauptsächlich ein ästhetischer Bildner, so wird bei Hebbel das Wort zur Waffe, zum „geistigen Donnerkeil“ (Werke VII, 144): Mir ward das Wort gegeben, Daß ich’s gebrauche frei Und zeige, wie viel Leben Drin eingeschlossen sei; Ich will ihn mutig schwingen Den geist’gen Donnerkeil, Und kann er’s mir nicht bringen, So bringt er andern Heil. sv Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Aus Hebbels Werken redet nicht nur der produzierende Künstler zu uns, sondern auch der Mensch in seinem Kämpfen und Ringen; so redet seine Sprache doppelt zu uns, und so ist denn auch besonders auf ihn anzuwenden das Wort, das Fichte einst vom großen Schriftsteller ge- sprochen hat und Ad. Stern auf Otto Ludwig anwenden wollte: „Un- abhängig von der Wandelbarkeit spricht sein Buchstabe in allen Zeit- altern an alle Menschen, welche diesen Buchstaben zu beleben vermögen, und begeistert, erhebt und veredelt bis an das Ende der Tage.“ Sonntag, den 2. März, bis Montag, den 10. März fand die Atelier-Ausstellung von Fräulein Marie Spieler statt, zu der die Mitglieder der Sektion besonders geladen waren. Die Künstlerin, deren fleißige Hände jetzt für immer ausruhen, führte in der Ausstellung, die sehr zahlreich besucht wurde, selbst und erzählte bei einzelnen Bildern von den Erlebnissen der Reise-Stunden, an denen ihr die Natur so liebendes Herz hing. — In der fünften Sitzung Freitag, den 28 März 1913, hielt Herr Regierungs- und Baurat Dr. Burgemeister einen Vortrag mit Lichtbildern über Das schlesische Bürgerhaus. Dem Vortrage war angeschlossen eine Ausstellung von Auf- nahmen schlesischer Bürgerhäuser, die für das vom Ver- bande Deutscher Architekten und Ingenieur-Vereine herauszugebende Werk über: „Das Deutsche Bürgerhaus“ aus unserer Provinz zusammen- gebracht worden sind. Die Sitzung leitete Architekt Henry. Es werden 180—200 Zuhörer gegenwärtig gewesen sein. Den Vortrag begleiteten Lichtbilder. Es waren die für das Werk „Das Deutsche Bürgerhaus“ ge- schaffenen zeichnerischen Aufnahmen, deren schöne Originale in den räumen des Gesellschaftshauses ausgestellt waren. Schlesien zeigte in ihnen die guten Beispiele seiner vornehmen bürgerlichen Baukunst — ein Stück hohen künstlerischen Könnens —, und der Vortrag gab aus berufenstem Munde fesselnde Erläuterung zu diesem Teile vaterländischer Kultur. Donnerstag, den 25. September öffnete wiederum die Galerie Arnold, Breslau-Tauentzienplatz 1, durch die Güte des Mitgliedes der Sektion Herrn Gutbier aus Dresden seine VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 91 Ausstellungsräume der Sektion. Herr Privatdozent Dr. Landsberger hielt seinen Vortrag: Führung durch die Ausstellung der Werke von Edvard Munch. Der Vortragende nahm diese Ausstellung von graphischen Arbeiten Edvard Munch’s zum Anlaß, diesen bereits fünfzigjährigen und doch noch wenig bekannten Norweger zu würdigen. Er begann seine Führung bei den Lithographien zumeist wilder Tiere, Löwen, Bären, Affen, die in raschen Strichen mit einer an die japanische Kunst erinnernden Knappheit und Sicherheit das Charakteristische ihres Aussehens und ihrer Bewegung wiedergeben. Weiterhim zeigte Herr Dr. Landsberger eine Reihe von Porträts in Lithographie und Radierung. Ob sie ähnlich seien, Könne der Vor- tragende nicht sagen, da ihm die Modelle unbekannt seien, aber ähnlich erscheinen sie jedenfalls, und das ist im Porträt, wenn man es vom künstlerischen Standpunkte aus betrachtet, doch das Entscheidende. Die Frage nach der wirklichen objektiven Ähnlichkeit ist rein praktischer Natur und hat persönliche oder wissenschaftliche Bedeutung; sie zu fordern, ist das gute Recht des Bestellers. Für die künstlerische Be- urteilung kommt diese Forderung nicht in Betracht. Wohl aber eine ästhetische Forderung ist es, daß ein Porträt ähnlich erscheine, d.h. daß wir bei seiner Betrachtung das Erlebnis einer individuellen Menschen- gestalt haben. In diesem Sinne sind Munch’s Porträts hervorragend ähnlich. Jedesmal wird uns dieses Erlebnis zuteil, und sieht man genauer zu, so erkennt man, daß bis in die Technik des einzelnen Striches hinein, alles aufgewendet wird, einen besonderen Charakter wiederzugeben. Weich und flaumig und mild in den Übergängen von Licht und Schatten ist das Porträt des Dichters Mallarme6e, scharf und präzis das Angesicht van de Welde’s, stürmisch im Kampf von dunkien und hellen Partien der Kopf des ewig rebellierenden Strindberg. Erst jetzt, nachdem der Beschauer durch zugänglichere Werke für Munch gewonnen war, ging der Vortragende dazu über, auch die problematische Seite seiner Kunst dem Verständnis näher zu bringen. Gegenüber den impressionistischen Tierzeichnungen kann man die Kunst, der sich die Betrachtung nunmehr zuwandte, mit dem modernen Schlag- wort „expressionistisch“ bezeichnen. Worin liegt der Unterschied dieser beiden Stile? Im verschiedenen Verhältnis der Nutzbarmachung der Außenwelt für das Kunstwerk. Der Impressionist entzündet sich vor der Natur; er lauscht den Dingen der Welt ihre Seele ab; zwischen die Natur und seine momentane Empfänglichkeit soll kein Medium treten, rein will er den Eindruck festhalten und bewahren. Der Expressionist hingegen 23 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. hat seine Erlebnisse nicht unmittelbar vor und von der Natur empfangen; hier haben sich mancherlei physische Prozesse zwischen den momentanen Eindruck und das eigentliche künstlerische Erlebnis geschoben. Ja, die Entzündung hat wohl auch außerhalb der gerade darzustellenden Gegen- stände stattgefunden und der künstlerische Gehalt strömt erst nach- träglich in die Erscheinungen hinein. Linie und Farbe, Licht und Schatten werden dann nicht als Mittel der natürlichen Darstellung wichtig, sondern nur soweit, als sie Träger psychischen Gehaltes werden können. Die Darstellung der Natur wird dem Expressionisten Mittel zum Zweck. Er will durch die Porträts seelischen Gehalt vermitteln, wo der Impressionist das seelische Erlebnis im Anschauen der Natur wiedergab. Auf dieser Basis suchte der Vortragende die phantastischen Litho- graphien Munch’s wie „Die Angst“, „Der Vampyr“, „Das Sterbezimmer“, „Das Gefühl der Anziehung“ u. a. m. zu würdigen und ihre Abweichungen von der Natur als notwendig zu erweisen. Ihre Wirkung beruhe durch- aus nicht auf dem logischen Verstehen des Inhaltes oder auf den Ideen- assoziationen, die sich daran knüpfen. Munch’s Kunst ist eben nicht literarisch, wie es zunächst den Anschein haben könnte; alle Wirkung wird auf rein künstlerische Weise durch Vermittlung des Auges erzielt. Die Betrachtung einiger Holzschnitte des Meisters, in denen sich sein Stil zu Monumentalität erhebt, bildeten den Schluß der Führung. Sonnabend, den 1. November warArbeitssitzung der Sektion. Der Vorsitzende, ArchitektHenry, berichtete eingangs über die schwebenden Verhandlungen in den Arbeiten der Sektion, gab eine Übersicht über sie und besprach, was erreicht wurde, was unerreicht blieb. Er regte an, das innere Leben der Sektion reicher auszugestalten, was freilich nur möglich sei durch die Mitarbeit der Mitglieder. Wir müssen aus der Arbeit für Unter- haltungsabende heraus. Kunst selbst können wir in der Sektion nicht treiben, im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Sektionen, in welchen wissenschaftlich gearbeitet wird. Da widersprechen die offen zutage liegenden Gründe aus dem Wesen der Kunst. Wir können nur zum Ver- ständnis der Kunst der Gegenwart führen wollen und können erfolgreich nur die Mitglieder und später die Öffentlichkeit für die Beurteilung der Tagesfragen der Kunst, und dabei auch für die der Künstler selbst, auf- klären. Dies muß neben den sehr gut besuchten Vorträgen durch Be- sprechungsabende geschehen. Für diese sollten Thesen vorher den Mitgliedern zur Vorbereitung mitgeteilt werden. So könnte dafür vielleicht lebendiges Interesse und Mitarbeit erweckt werden. Es wird VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwatt. 23 zum mindesten für die Geschichte der Sektion von Bedeutung sein, festzustellen, welche Formulierung dann die mitgeteilten Thesen er- halten haben. Es brauchen dies nicht die letzten Fragen der Kunst zu sein, sondern nur die bedeutsamen Kunstfragen der Gegenwart; es können daraus ‚auch klar formulierte Forderungen in Tages- fragen künstlerischer Tätigkeit und für künstlerische Aufgaben der Stadt, der Provinz oder des Landes werden. Der Vorsitzende wies darauf hin, welche ernste, große Fragen gegenwärtig für die Stadt zu lösen sind und erinnerte an die Domumgestaltung, die Ringbaudenfrage, das Heß-Denkmal, Stadthausbau, an die Stadtbilder in ihrer grausamen Ver- schandelung, an die Theaterfrage, vor allem an die Festhalle mit ihrem Einfluß auf die Darstellungen aller Kunst in ihr. So flute un- gedämmt die Menge der Anregungen heran, darunter die ernstesten Pro- bleme der Gegenwartskunst, deren Betrachtung und Formulierung wohl Aufgabe der Sektion wäre. Die Mitglieder der Sektion beteiligten sich lebhaft und zustimmend an der Besprechung. Von den Erschienenen erklärten sich die Herren Dr.-ing. Friedenthal, Privatdozent Dr. Landsberger, Maler Laboschin und Dr. Lindner bereit, im gedachten Sinne mitzuhelfen. Die achte Sitzung der Sektion fand statt: Sonnabend, den 22. November. Vortrag des Herrn Königlichen Gartenbaudirektor Erbe: Errungenschaften und Bestrebungen auf dem Gebiete der Friedhofskunst unter Berücksichtigung der diesjährigen Friedhofskunst-Ausstellung. N Die Sitzung leitete der Vorsitzende, Architekt Henry. Er begrüßte die Erschienenen und teilte ihnen die Beschlüsse der Sitzung vom 1. November mit. Zum Vortrag waren etwa 150 Zuhörer erschienen. Der Vortragende gab einen Überblick über das Erreichte, über die Ziele der neuzeitlichen Bestrebungen in der Friedhofskunst und ließ dann die Versammlung unter seiner Führung in Lichtbildern noch einmal die diesjährige Friedhofskunstausstellung durchwandern. Es war augen- scheinlich, daß seine klaren Ausführungen Eindruck machten. Über den Kreis der Sektionsmitglieder waren eine große Reihe derer geladen und erschienen, die auf diesem Gebiete führend und ausführend arbeiten. Der Vorsitzende forderte zur Diskussion auf und unterstrich, da sich nie- mand zum Wort meldete, die ernsten Mahnungen des Vortrages mit einigen Worten, in denen er sieh warnend auf Breslauer Beispiele bezog. 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, Vom 30. November bis 7. Dezember einsche fand die Atelier-Ausstellung des Mitgliedes der Sektion, Herrn Maler Laboschin, statt, zu welcher die Mitglieder besondere Einladung erhalten hatten. Die neunte Sitzung Freitag, den 5. Dezember brachte den Vortrag des Herrn Maler Carl Kayser-Eichberg: Der Rhythmus in der bildenden Kunst (mit Lichtbildern). Anwesend waren gegen 150 Mitglieder der Sektion und Gäste. Die Sitzang wurde geleitet von Architekt Henry, der die Erschienenen be- gıüßte, Herr Kayser-Eichberg schilderte zunächst kurz die Stellung der Kunst in der Kultur der Gegenwart, die eine technische zu nennen sei. Er rührte an die letzten Geheimnisse der Kunst und fragte: „Was ist Schönheit?“. Seine Antwort war: „Rhythmus in der Kunst.“ Was Rhythmus als Begriff ist, wurde nicht geklärt, dagegen ein Beispiel aus dem Leben gebracht, um das Erleben im Bilde oder allgemein im Kunst- werk zu erklären. Das Gleichnis war die Durchführung eines Schiffes durch eine Schleuse. „Wir sehen“, sagte der Vortragende, „das Schiff oder den Kahn, ferner den Schleusenmeister und weiter abseits am Rand der Schleuse vielleicht eine Gruppe Neugieriger.“ Diese drei Bestand- teile eines „Erlebnisses‘ gliederte er und benannte sie: Der Kahn ist die Pointe, der Schleusenmeister ist die Hauptepisode, die Neugierigen sind die Nebenepisode. Diese drei Hauptmomente, führte er an, müssen in jedem Bilde im richtigen Verhältnis „rhythmisch“ zueinander stehen. Als erstes Beispiel gab er im Lichtbild Rembrandt’s Selbstporträt, auf dem er das Gesicht als die „Pointe“, die Hände als „Hauptepisode“, die anderen „Angelegenheiten“ des Bildes als die „Nebenepisode“ benannte. Es folgte mit rühmendster Hervorhebung Liebermann’s Selbstporträt und dann dessen Ziegenbild. Auf sie und auf alle folgenden Bilder wurde die Dreiheit des Erkennens nach Pointe, Haupt- und Nebenepisode an- gewendet, unter mehrmaliger Betonung, daß es wohl möglich sei, daß sich die Maler selbst des Rhythmus unter diesen dreien nicht unbedingt bewußt zu sein brauchten. „Erst malen, dann messen“, war eines der oft wiederholten Worte. Auffallend blieb das Neuartige der Wort- wahl. So wurde bei Landschaft und Architekturstück von den rechten, linken, oberen, unteren und seitlichen „Angelegenheiten“ des Bildes ge- sprochen. Es kamen die nicht allgemein zu verstehenden Begriffe der Kom- positionslehre in den Vortrag hinein, ohne bedeutungsvolle Erklärung zu finden. „Diagonal-Komposition“, „Gittermotiv“, „gestörtes Gleichgewicht“, VI. Abteilung. Sektion für Kunst der Gegenwart. 95 „Interessendreieck“, „einfaches Kranzmotiv“, „Kranzmotiv mit Schleife“, „offener Kranz“, leuchteten auf und verschwanden eben so schnell, bis dann nach Vorführung lichtempfindlicher Aufnahmen der Vogtländer- schen Kunstdrucke der Vortragende in besonders warmherzigem Eintreten für den Künstler und die Kunstkultur im allgemeinen schloß. Der Vorsitzende fragte in dringlichster Form, ob niemand eine Gegen- frage habe. Als, wohl auch in Rücksicht auf die Stunde, kurz vor 10 Uhr, das Wort zur Anfrage nicht genommen wurde, wies er auf den Beifall hin, mit dem der Vortrag aufgenommen worden war, und dankte dem Redner für seinen aus warmer Künstlerbegeisterung gehaltenen Vortrag. Der Vor- sitzende hatte in seinen Schlußworten zum ersten Mal Gelegenheit ge- nommen, daran zu erinnern, daß wir eine mitarbeitende Sektion der Gegen- wartskunst seien, nicht blos die kritiklos aufnehmende Zuhörerschaft eines öffentlich gehaltenen Vortrages. Er erinnerte, daß die Bedeutung des gewählten Themas, das für die meisten überraschend und neuartig an- gefaßt worden war, bedeutungsvoller Stoff für einen Diskussionsabend sein werde. Die letzte Sitzung fand statt Dienstags, den-9 Dezember in der Atelier-Ausstellung des Herrn Malers Laboschin, Tauentzien- platz 1b, mit dem Vortrage des Herrn Laboschin: Wie entstehen unsere Kunstblätter? Die Sitzung leitete Architekt Henry. Erchienen waren in der Woh- nung des Vortragenden gegen 90 Mitglieder der Sektion. Der Vortragende zeigte und erklärte zunächst die Instrumente des Graphikers in allen Einzelheiten und zeigte die Platten der verschiedenen Druckverfahren: Holzschnitt, Linoleumschnitt, Stahlstich, Kupferstich, Radierung und Farbdruck in dem verschiedenen Zustande ihrer Bearbeitung. Er enthüllte eine ganze Reihe von Werk geheimnissen und verweilte bei in- teressanten geschichtlichen und technischen Einzelheiten. Er beantwortete während des Vortrages die zahlreich an ihn gestellten Fragen und führte zuletzt in zehnter bis elfter Stunde das Druckverfahren selbst vor, indem er eine Radierung und ein Aquatinta-Blatt vor den Erschienenen druckte. So gestaltete er die Sitzung zu einer überaus anregenden und lehrreichen. Der Vorsitzende dankte dem Vortragenden für die liebenswürdige Hin- gabe an die Aufgabe, die fast allen Erschienenen bislang wohl ziemlich fremd gewesen war. Außer den genannten Sitzungen fanden noch 2 Sitzungen der Sekre- täre als Vorstandssitzungen statt. Henrv. te — ———— 1913. MG) schlesische Geselischait für yalerländische Cultur. FESTE 91. VI. Abteilung. Jahresbericht. ‚ 6. Sektion für Geologie, Geographie, 1913. | Berg- und Hüttenwesen. &c B — ER — N EIG) Sitzungen der Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen im Jahre 1913. Sitzung am Freitag, den 17. Januar. Herr Dr. Spitz, Wien: Uber Längsbewegungen an der Grenze von Ost- und Westalpen. Herr Dr. R. Lachmann: Kritische Übersicht über einige neuere Bauformeln der Alpen. Sitzung am Freitag, den 31. Januar. Alan: Professor Dr. H. Klaatsch: : Fossile Reste des prähistorischen Menschen, mit Rücksicht auf geologische Fragen. Herr®Dr. C.’Renz: Neue Fossilfunde aus dem Ebersdorfer Devonkalk. Das Ebersdorfer Oberdevon-Vorkommen gehört mit zu den am ersten untersuchten Aufschlüssen der Clymenienkalke und ist eines der bekanntesten Fossilfundorte Schlesiens. Obwohl schon Generationen diesen Fundort ausgebeutet haben, findet sich doch immer noch Neues. Im Folgenden sollen einige neue Ammoneen-Arten des Ebersdorfer Clymenienkalkes beschrieben werden, die ich teils im Laufe der letzten Jahre selbst gesammelt, teils aus den reichen Schätzen des Breslauer Universitäts-Museums zur Bearbeitung erhalten habe. - Es handelt sich um folgende acht, teils neue, teils von Ebersdorf aid nicht bekannte Arten oder Varietäten, nämlich: ’ Cyeloclymenia Helenae Renz, Cyeloclymenia Minervae Renz, Cycloclymenia Pasquayıi Renz, Eycloclymenia glaucopis Renz, Oxyclymenia striata Münster var. silesiaca Renz, .Oxyelymenia ornata Münster var. sudetica Renz, Genucelymenia hexagona Wedekind, Praeglyphioceras cf. moravicum Rzehak. Bis vor kurzem war das Ebersdorfer Clymenienkalk-Vorkommen das einzige seiner Art in Schlesien, unlängst hat G. Gürich noch einen zweiten Aufschluß im Flußbett der Polsnitz oberhalb Freiburg ee) entdeckt. 1913. 1 I Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die hier beschriebenen Arten und Varietäten stammen ausnahmslos aus den Ebersdorfer Clymenienkalken. Neben einer sicher bestimmbaren Genuclymenia hexagona Wedekind, einem zweifelhaften Praeglyphioceras moravicum Rzehak, einer grobrippigen Abart der Oxyclymenia striata Münster und einer aus- geprägten skulpturierten Oxycelymenia ornata Münster beanspruchen besonders die 4 neuen Cycloclymenien Interesse. Die Gattungsbestimmung meiner vier neuen Arten: Cycloclymenia Helenae Renz, Cyeloclymenia Minervae Renz, Cycloclymenia Pasquayi Renz, Cyeloclymenia glaucopis Renz, ist allerdings noch recht problematischer Natur, da bei keinem meiner Stücke der Verlauf der Lebenlinie und die Sipholage zu erkennen ist. Die neuen Typen schließen sich daher entweder den Clymenien oder den Geplhyroceren an. Unter den ersteren käme Cycloclymenia solarioides Buch in Betracht, mit der zusammen die neuen Arten eine besondere Gruppe mit vorgewölbter Außenseite oder mit einem Kielband, wie ich es nannte, bilden könnten. Andererseits besitzen die neuen Arten in der Form ihres Gehäuses und ihres Externteils auch große Ähnlichkeit mit einigen etwas älteren Gephyroceren, wie Gephyroceras (Manticoceras) retrorsum Buch var. tripartita Sandberg. und Gephyroceras (Manticoceras) tubereulatum Holz., sodaß man bei vorausgesetzter Lobengleichheit und übereinstimmender Sipholage meiner neuen Species an eine direkte Stammesverwandtschaft denken und die letzteren als Nachkommen der angeführten Gephyroceren-Arten deuten könnte. | Bis zu erlangter Kenntnis der Lobatur und Sipholage meiner neuen Spezies ist daher ihre Vereinigung in einer besonderen Gruppe Cyeloclymenia nur als provisorisch zu betrachten, wenn auch noch ein weiterer Punkt, auf den ich gleich kommen werde, für eine dement- sprechende generische Stellung sprechen dürfte. Die hier beschriebenen neuen, vorläufig zur Gruppe Cycelocly- menia gestellten Arten und die in dieselbe Sektion gehörige Cyclocly- menia solarioides Buch fehlen bis jetzt in den altersgleichen Ab- lagerungen des Fichtelgebirges, von Brünn und Cabrieres usw, Nur aus den Clymenienkalken der karnischen Alpen ist noch eine Art bekannt, die möglicherweise meiner Formengruppe anzugliedern ist. (Vel.ıS2.19.) Eine der Cycloclymenia solarioides ganz ähnliche, aber nicht weiter beschriebene Art soll sich nach Buch bei Dittenburg gefunden haben. (Vgl. L. Buch, Über Goniatiten und Clymenien in Schlesien, Berlin 1839, S. 9.). Nähere Angaben fehlen. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 3 Es handelt sich demnach, soweit unsere heutige Kenntnis reicht, bei den vorliegenden neuen Arten um Typen, die im wesentlichen der Ebers- dorfer Clymenien-Fauna eigen sind. Dieser Umstand läßt mit darauf schließen, daß die Entstehung der Cycloclymenia solarioides Buch und meiner neuen Arten auf eine spontane Artbildung zurückzuführen ist und zwar könnten hierbei die gerippten Formen in einem ähnlichen Verhältnis zu den entsprechend skulpturierten Clymenien stehen, wie Oxyelymenia bisulcata Münster zu Oxycelymenia undulata Münster. Ihrer Lebensweise nach waren es wohl kleine Grundbewohner, die nicht weiter flottierten. Oxyelymenia bisulcata kommt nun allerdings in mehreren Ober- devongebieten vor. Nur bei Ebersdorf dürfte aber eine der einseitigen Differenzierung der Oxyc!ymenia undulata entsprechende Variations- tendenz auch bei anderen Angehörigen der Clymenienfamilie zur weiteren Art- bildungund zur Entstehung von eigenartigen selbständigen Formen geführt haben. Falls es sich bei den neuen Typen lediglich um die oberdevonische Nachkommenschaft der im unteren Oberdevon allgemeiner verbreiteten Gephyroceren, wie Gephyroceras (Manticoceras) tuberculatum Holz. und Gephyroceras (Manticoceras) retrorsum Buch var. tripartita Sand. handeln würde, wäre wohl ihre weitere geo- graphische Verbreitung zu erwarten. Die allgemeinen geographischen Veränderungen zur oberen Devonzeit und die Vertiefung der europäischen Devonmeere hat zweifellos, wie auch F. Frech betonte, die spontane Artbildung und Differenzierung der ober- devonischen Ammoneen begünstigt. Die stratigraphische Stellung der Ebersdorfer Clymenienkalke und ihre Lagerungsverhältnisse sind schon ausgiebig erörtert worden, eine nochmalige Darstellung erübrigt sich somit im Hinblick auf die allgemein bekannten Arbeiten über dieses Gebiet. Ich hätte somit nur noch Herrn Professor F. Frech für die Über- lassung des Materials, soweit es sich im Breslauer Museum befindet, auch an dieser Stelle meinen besten Dank auszusprechen. Gruppe Cyeloclymenia Hyatt emend. Renz (hierzu der Nachtrag auf Seite 17—13). Cyeloclymenia Helenae Renz (nov. spec.). Textfiguren 1 und 2. Der äußeren Form des Gehäuses nach besitzt die neue Art die größte Ahnlichkeit mit Goniatites solarioides Buch), der den Typus der von F. Frech wieder eingezogenen Hyatt’schen Gattung Cycloclymenia dar- stellt. (Vgl. F. Frech: Über devonische Ammoneen. Beiträge zur 1) Über Goniatiten und Clymenien in Schlesien. Berlin 1839. Fig. 5, 8.9. 1* 4 Jahresbericht der Schles, Gesellschaft für vaterl. Cultur. Palaeontologie und Geologie Österreich-Ungarns und des Orients Bd. 14, 8.43% Taf. Al, Big, Aasyb)2): Das ebenfalls von Ebersdorf stammende Buch’sche Orsnafeer scheint jedoch nur eine schwach rippenförmige Skulptur?) zu haben (auf der der Art zugrunde liegenden Abbildung Frechs ist hiervon nichts zu sehen), wärend meine neue Art eine kräftige Lateralornamentierung aufweist. Die Abbildung, die E. Tietze°®) von der Elymenia solarioides liefert, unterscheidet sich wesentlich von dem von Frech neu präparierten und abgebildeten Original der Buch’schen Art. Die Frech’sche Abbildung ist jedenfalls als Originaltypus der Cyelo- elymenia solarioides Buch zu betrachten. Vorausgesetzt, daß die Ausbildung des Rückens ident ist!) könnte das Original Tietzes eventuell die inneren Windungen meiner Cyclocly- menia Helenae oder vielmehr einer hiermit nahe verwandten, feiner und engergerippten Varietät darstellen. Das Gehäuse des Tietze’schen Originales dürfte auch wesentlich flacher sein, als das der Cyclocly- menia Helenae, Das Original Tietzes scheint aber eher einen abgeflachten Rücken zu besitzen und wäre in diesem Fall als neue, der Clymenia acuticostata Braun (= Ülymenia aegoceras Frech) sehr nahe verwandte Art oder Varietät zu betrachten, die auch die Stammform der Clymenia paradoxa Münster sein würde. Nach der Darstellung Münsters hat Clymenia paradoxa einen flachen Rücken ohne jegliche Andeutung eines Kielbandes; das Originalexemplar Münsters ist aber leider verloren gegangen. Dagegen liegt mir von Ebersdorf ein Handstück mit mehreren Exemplaren der Clymenia paradoxa vor, unter denen sich neben ausgesprochen dreieckigen Formen auch ein Stück mit unregelmäßiger Rundung (Beginn der Dreiecksbildung) befindet, das sich sonst in der Berippung, Involution etc. vollkommen den daneben liegenden Dreiecks- formen anschließt und auch sonst mit der völlig runden Tietze’schen Figur der Clymenia solarioides Tietze (non Buch bezw. Frech) übereinstimmt. Die dreieckige Clymenia paradoxa ist jedenfalls eine explosive Variationserscheinung der normal eingerollten, sonst vollkommen identen Stammform, die ihrerseits der Clymenia acuticostata Braun (= Clymenia aegoceras Frech) sehr nahe steht. 1) Es handelt sich hierbei um eine Neuzeichnung des schlecht reproduzierten Buch’schen Originalexemplares. Aus der gänzlich unbrauchbaren Abbildung Buchs lassen sich die wesentlichen Merkmale in keiner Weise ersehen. 2) Mit den Falten, von denen Buch spricht, scheinen die sichelförmigen Anwachsstreifen gemeint zu sein; die Buch’sche Abbildung ist absolut unbrauchbar. 3) E. Tietze: Über die devonischen Schichten von Ebersdorf. Cassel 1870. Taf. I, Fig. 13, S. 54. 4) Es ist nur eine Seitenansicht gegeben und auch im Text fehlt jede Angape hierüber. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 5 Das Hauptmerkmal, das das Buch’sche Original der Cyeloclymenia solarioides nach der maßgebenden Abbildung Frechs mit meinen vier neuen Spezies vereint, ist das äußerst prägnant hervortretende reifartige Kielband, das überdies, wenn auch nicht in ganz so starkem Maße bei Oxycelymenia bisulcata (z. T. auch bei Oxycelymenia ornata) wiederkehrt. Bei meinen neuen Arten lassen sich nun leider der Suturverlauf und die Sipholage ebensowenig erkennen, wie bei Cycloclymenia solari- oides Buch. Gerade diese Merkmale liegen aber der bisherigen Clymenien-Systematik zugrunde. Der charakteristischen Ausbildung des Rückens nach gliedern sich meine neuen Spezies, im Verein mit der Buch’schen Art, der Oxycelymenia bisulcata an, leider muß es vorerst dahingestellt bleiben, ob auch der Bau der Kammerscheidewände und die Lage des Siphos übereinstimmen. Gesetzten Falles Loben und Sipholage wären gleich, wofür vielleicht auch die nur zur Hälfte sichtbare einfach bogenförmige Sutur der Cyclo- 'clymenia solarioides Buch spricht, so könnte die Gruppe der Oxy- elymenia bisulcata infolge ihres eigenartigen Rückenbaues innerhalb der Gattung Oxyclymenia als besondere Sektion ausgeschieden werden, für die alsSektionsbezeichnung der Hyatt’sche Gattungsname „Cyeloclymenia“ (Typus Cyceloclymenia solarioides Buch) Verwendung finden kann. - In dieser Sektion oder Gruppe Cyceloclymenia wären dann gerippte und glatte Typen zu unterscheiden, wobei natürlich daran zu denken ist, daß sich die gerippte Nebengruppe (Cyeloclymenia Helenae etc.) als explosive Varietät mit der gleichen Entwicklungstendenz auch von einer der gerippten ÜUlymenienformen abzweigen könnte. Hierfür kämen neben anderen gerippten Typen vor allem Clymenia acuticostata Braun bezw. die runde Stammform der Clymenia paradoxa Münster in Betracht, während die glatten Spezies sich an Oxyclymenia bisulcata Münster anschließen könnten. Bei derartigen Abstammungsverhältnissen würden dann allerdings noch die übrigen Unterscheidungsmerkmale zwischen den Stammformen bezw. einer eventuellen weiteren Clymeniengattung hinzutreten. In diesem Falle wäre dann. natürlich auch nochmals eine weitere Teilung der Gruppe Cyeloclymenia erforderlich. Dieser gleiche spontane Entwicklungsvorgang, der der Entstehung des Kielbandes zugrunde liegt, könnte daher, wie gesagt, bei mehreren Zweigen der Clymenienfamilie gleichzeitig eingetreten sein. Beobachtet man doch sogar bei oberdevonischen Ammoneen, die sich viel entfernter stehen, explosive Wachstumserscheinungen gleicher Art. So kennen wir von den Aganiden Dreiecksformen (Aganides paradoxus Tietze, Aganides subtriangularis Frech, Aganides distortus Tietze), wie von den Clymenien (Clymenia paradoxa Münster). 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ich nehme zunächst einmal an, daß meine vier neuen Arten, ebenso wie im Äußeren, auch hinsichtlich der Lobenentwicklung und Sipholage ein und derselben Gruppe angehören. Bei gleicher Lobatur und Sipholage wäre ich dafür der Seitenskulptur in diesem Fall keine zu große Wichtig- keit beizumessen. Soilten indessen die generischen Grundbegriffe, wie die Loben, zwischen den Oxycelymenien bezw. den anderen als Stammformen in Betracht kommenden Arten und meinen vier neuen Arten incl. der Buch’schen C. solarioides bei interner Sipholage verschieden sein, so wäre einerseits die Möglichkeit geschaffen, die letzteren fünf Arten als jüngere Gruppe von einer der älteren hierfür in Betracht kommenden Clymenienarten abzuleiten (Enkeberg) oder es würde sich überhaupt um eine unabhängige Gattung handeln, für die dann der Hyatt’sche Name Cycloclymenia ebenfalls beizubehalten wäre. Sollte aber schließlich neben der Lobatur auch noch die Sipholage ver- schieden, nämlich extern sein, so käme der weiter bereits erwähnteFall, d.h. die eventuelle Abstammung von Gephyroceras in Frage, falls nicht über- haupt eine ganz neue Gattung in Betracht käme. Da es sich hierbei aber dann nicht mehr um eine Clymenia handeln würde, hätte die Bezeich- nung Cycloclymenia keinen Sinn, sondern müßte durch einen neuen Namen ersetzt werden. Bei den meinen vier Arten äußerlich nahestehenden Gephyroceren käme zunächst Goniatites bisulcatus Roemer aus dem Iberger-Kalk (Palaeontographica Bd. 3, Taf. 6, Fig. 8, S. 39) in Frage. Dieser Ge- phyroceras zeigt in der Ausbildung des Rückens der inneren Windungen eine frappante Ähnlichkeit mit unseren Formen. Man könnte bei Außer- achtlassung der bei meinen Stücken an sich schon unbekannten Lobatur und Sipholage an eine evolutere und schlankere Varietät der weiter unten beschriebenen Cycloclymenia glaucopis Renz denken. Nach Holzapfel dürfte das Roemer’sche Original als Mantico- ceras bisulcatum!) zu bezeichnen sein (Holzapfel, Die Cephalopoden des Domanik im südlichen Timan (S. 29); F. Frech stellt es als var. tripartita Sandberg. zu Gephyroceras retrorsum Buch (Lethaea palaeozoica (Bd. 1, S. 178)?). Das Original Roemers ist leider nicht mehr vorhanden. Doch liegen in der Breslauer Universitätssammlung zahlreiche typische Exemplare aus dem unteren Oberdevon von Marten- berg bei Adorf. Hinsichtlich der Dicke und Ausbildung des Rückens variieren diese Stücke erheblich, wie das bei einer in lebhafter Entwick- lung begriffenen Formengruppe auch nicht anders zu erwarten ist. 1) Manticoceras — Untergattung von Gephyroceras (Gruppe des G. in- tumescens). 2) Vgl. auch @. u. F. Sandberger, Die Versteinerungen des rheinischen Schichtensystems in Nassau. Taf. 8, Fig. 7. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 7 Während sich meine neuen Arten Pasquayi, Minervae bezw. slaucopis bei übereinstimmender Sutur und Sipholage somit von Ge- phyroceras (Manticoceras) retrorsum Buch var. tripartita Sand. (aus dem unteren Oberdevon) herleiten ließen, käme für meine neue Spezies Helenae bei Lobengleichheit die Abstammung von Gephyroceras (Manticoceras) tuberculatum Holz.!) (ebenfalls aus dem unteren Oberdevon) in Frage. In letzterem Falle weisen auch die Seitenskulpturen große Ähnlichkeit auf. Das reiche Vergleichsmaterial des Breslauer Museums gestattete einen direkten Vergleich dieser Gephyroceren mit Cycloclymenia Helenae und in der Tat ist die Ähnlichkeit meiner Art mit manchen besonders inneren Windungen des recht variierenden Gephyroceras tubercu- latum bei Außerachtlassung der Sipholage und Lobatur sehr bestrickend. Die externe Kielwulst ist allerdings bei diesen Gephyroceren nicht so scharf- kantig abgesetzt, wie bei den meisten meiner Typen; immerhin könnte aber die schärfere Akzentuierung und Weiterentwicklung der in Frage kommen- den Merkmale olıne weiteres zu den bei meinen neuen Arten beobachteten Erscheinungen führen. Im obersten Devon fehlt zurzeit noch eine Überlieferung der Weiter- entwicklung der Gephyroceren, meine neue Gruppe würde somit gegebenen- falls diese Lücke in wünschenswerter Weise ausfüllen und zu den jüngeren Nachkommen von Gephyroceras hinaufleiten (Nomismoceras, Tha- lassoceras). Unter den jüngeren Goniatiten besitzt Goniatites mixolobus Phillipps aus dem Kulm eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit Cyelo- celymenia Helenae. Wie ich in der Einleitung schon sagte, läßt sich aber das lokal be- schränkte Vorkommen meiner neuen Typen auf Ebersdorf eher mit einer explosiven Artentwicklung nach Art der Entstehung der Oxycelymenia bisulcata aus Oxyclymenia undulata in Einklang bringen; ich habe daher die neuen Arten zunächst mit Cycloclymenia solarioides Buch zusammen als besondere Gruppe Cycloclymenia ausgeschieden. Sollte sich diese letztere Auffassung nach erhaltener Kenntnis der Sutur und des Siphos als richtig erweisen, so würde es sich bei meinen neuen Typen und den hier angeführten Gephyroceren um eine augenfällige Konvergenz handeln. Man sieht aber hieraus, zu welch total verschiedenen Stammbäumen derartige Konvergenzerscheinungen führen können. Eben deswegen möchte ich nicht versäumen, im Anschluß hieran noch auf die Ähnlichkeit in der ı) Vgl.G.u.F. Sandberger, Die Versteinerungen des rheinischen Schichten- systems in Nassau. Tat. 4, Fig. 1 und Taf. 8, Fig. 2 und G. Holzapfel, Die Goniatiten-Kalke von Adorf in Waldeck. Palaeonto- graphica Bd. 28, Taf. III (Taf. 46), Fig. 7, 8. S. 244 (Goniatites tuberculatus). 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ausbildung der Externseite bei Tornoceras auris Quenst. und auch bei Maenoceras terebratum Sandberger hinzuweisen. Die Parallelität der Rückenentwicklung bei meinen neuen Typen Bd bei manchen Tornoceren speziell bei Tornoceras auris ist jedenfalls auffallend. In beiden Fällen passen sich die gleichgebogenen Anwachs- streifen dieser Skulptur an, d. h. die scharf akzentuierten Umbiegungs- stellen zur rückwärtigen Externausbuchtung fallen mit den Einknickungs- furchen zusammen. Zusammenfassend ist daher die systematische Stellung der vier neuen Arten: Cyeloclymenia Helenae Renz, Cyceloclymenia Minervae Renz, Cyeloclymenia Pasquayı Renz, Cycloclymenia glaucopis Brenz AR folgendermaßen zu formulieren: Sie gehören jedenfalls mit der schon bekannten Buch’ schen Cyclo- celymenia solarioides, wie sie von F. Frech dargestellt wurde, ein und derselben Gruppe an. Ihre Lobatur und Sipholage, d. h. die für die generische Klassifi- zierung wichtigsten Merkmale sind zurzeit noch unbekannt. Für die Gattungsbestimmung sind vornehmlich zwei Möglichkeiten nach zwei vollständig verschiedenen Gesichtspunkten zu erwägen: 1. Die Vereinigung in einer Gruppe Cycleclymenia d. h. überhaupt Zugehörigkeit zu den Clymenien. Es bleibt hierbei allerdings zweifelhaft, ob meine neuen Arten sich einheitlich entweder an Oxyclymenia bisuicata oder an gewisse gerippte Clymenien anschließen, wobei den Skulpturunterschieden nur eine sekundäre Bedeutung als Trennungsmerkmalen zukäme oder ob die glatten und gerippten Typen von verschiedenen Stammformen herzuleiten sind. In letzterem Falle wäre die Gruppe Cyceloclymenia nochmals zu teilen. Ferner wäre auch die Äbstammung von einer der älteren, als Vor- läufer geeigneten Clymenien zu erwägen. (Vergl. u.a. S. 20.) 2. Die Abstammung von Gephyroceras, wobei als Vorfahren beson- ders Gephyroceras (Manticoceras) retrorsum Buch var. tripartita Sand. und Gephyroceras (Manticoceras) tuber- culatum Holz. in Betracht kämen. Ich habe mich vorläufig für die erste Annahme entschieden, haupt- sächlich auch aus dem. Grunde, weil es sich vorwiegend um Ebers- dorfer Lokaltypen handelt und sonach spontane Artbildung zunächst in Frage kommen könnte, zumal die als Grundbewohner gedeuteten kleinen Formen ihre Sitze am Meeresgrunde nicht weiter verändert haben dürften. Die vier neuen Arten und ÜCycloclymenia solarioides unter- scheiden sich voneinander lediglich durch die Einrollungsverhältnisse und VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. _ 9 ihre verschiedene Lateralskulptur; die Entwicklung des Kielbandes bleibt sich bei allen Spezies gleich. Nach der Lateralskulptur lassen sich zwei Formenreihen festhalten, die sich durch ausgeprägte Berippung auf der einen und fehlende Skulptur auf der anderen Seite auszeichnen. Zu den glatten, bezw. auf der Schale gestreiften Typen!) gehören: Cycloclymenia solarioides Buch, Cyceloclymenia glaucopis Renz, in der gleichen Reihe der gerippten Formen stehen: Cycloclymenia Helenae Renz, Cyeloclymenia Pasquayı Renz, Cycloclymenia Minervae Renz. In jeder Sektion konvergieren wiederum einerseits die schlank-evoluten, andererseits die globosen Vertreter, in diesem Punkte entspricht Cycelo- elymenia solarioides Buch der Cycloclymenia Helenae Renz; Cycloclymenia glaucopis Renz ist das Seitenstück der Cyclo- clymenia Minervae Renz bezw. Cycloclymenia Pasquayı Renz, Nach dieser allgemeinen Darlegung der generischen Position der Cyceloclymenia Helenae Renz, die auch für die übrigen zu ihrer Gruppe gehörigen Arten (Cycloclymenia Pasquayi Renz, Cyelo- celymenia Minervae Renz, Cycloclymenia glaucopis Renz) gilt, schreite ich zur speziellen Beschreibung der interessanten Arten. Cycloclymenia Helenae Renz besitzt eine sehr graziöse evolute Form; nichtsdestoweniger weisen aber die Umgänge eine erhebliche Breite auf. Die Breite des Querschnittes verhält sich zur Höhe etwa wie 2:1, Die Maximalbreite der Windungsröhre liegt auf halber Höhe der Umgänge. Die Flanken sind gleichmäßig gewölbt und mit sehr kräftig ent- wickelten Rippen verziert, die der Art, von der Seite gesehen, ein Arieten-artiges Gepräge verleihen. Die groben Rippen, die einen ziemlichen Abstand voneinander ein- halten, stoßen radial auf die Win- dungsnaht. Auf der äußeren Winduns; die wohl schon der Wohnkammer angehört, endigen die Rippen bei der Rundung der Flanken zum Externteil mit einem merklichen Schwung nach - vorwärts. Diese Schwingung derRippen i : Fig. 1u.2. CycloclymeniaHelenae ıst besonders am vorderen Ende des Ä 5 2 Renz aus dem oberen Clymenien- äußeren Umganges gut wahrnehmbar. kalk des Oberdevons von Ebersdorf. 1) Eine gerippte Art, wie die weiter unten beschriebene Mittelform zwischen Cyeloelymenia Pasquayi und C. Minervae, besitzt an ihrer Schale deutliche Anwachsstreifen. Die Schalen der anderen gerippten Formen dürften daher eben- falls mit Anwachsstreifen versehen gewesen sein. 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hier stehen die Rippen auch etwas gedrängter und verjüngen sich deutlich gegen den Nahtabfall zu; diese Partie dürfte wohl nicht weit hinter dem Mundsaum liegen. Auf dem vorliegenden Steinkern ist nicht der mindeste Schalenrest mehr erhalten. Da jedoch eine zum nächsten Verwandtschaftskreis der Cyeloclymenia Pasquayi bezw. Cycloclymenia Minervae gehörige gerippte Varietät eine mit Auwachsstreifen versehene Schale zeigt, kann. man wohl mit Recht folgern, daß auch die nahverwandte und evolutere Cycloclymenia Helenae die gleiche gestreifte Schalenoberfläche besessen haben wird.. Es handelt sich hierbei um Sichelstreifen, die den gleichen Verlauf nehmen, wie bei Oxyclymenia bisulcata. Leider ist bei meinem sonst gut erhaltenen Steinkernexemplar keine Spur der Lobatur mehr zu entdecken, wodurch, wie schon zu wiederholten Malen erwähnt, begreiflicherweise auch eine sichere Gattungsbestimmung recht illusorisch wird, Auf der Mitte des breiten, flachen Rückens erhebt sich das breite, schon mehrfach erwähnte, reifartige Kielband, das je nach der Spezies eine mehr oder minder kantig begrenzte Vorwölbung der Außenseite. darstellt. Bei einzelnen Arten, wie bei Cycloclymenia Pasquayı Renz, ist das Kielband noch etwas gerundet, im vorliegenden Fall, bei Cycelocly- menia Helenae Renz, ist es ziemlich kantig. Diese kielartige Erhöhung setzt sich auf der breiten Externfläche in ‘scharfer Begrenzung ab, ohne daß indessen besondere Kielfurchen zum Ausdruck kommen würden. C. W. Gümbel!) hält die Verwölbung der Außenseite oder die kiel- artige, durch zwei seichte Seitenfurchen abgegrenzte Verschmälerung in der Externfläche, d. b. das Kielband, das er zunächst nur bei Oxyely- menia bisulcata Münster (sowie bei Oxyclymenia ornata Münster) wahrnehmen konnte, für eine Mißbildung der Oxyelymenia undulata Münster, da die Erscheinung bei den von ihm beobachteten Exemplaren bereits auf der nächst tieferen Windung verschwindet. Schon in Anbetracht des häufigeren Vorkommens dieser kielartigen Bildung bei zahlreichen Exemplaren, dürfte es sich indessen nicht um eine Mißbildung handeln. Auch nach F. Drevermann?) darf eine so konstant wiederkehrende Eigentümlichkeit nicht als Mißbildung gedeutet werden. Die von mir hier neu beschriebenen Arten der Gruppe Cyeloclymenia beweisen jedoch ferner, daß es sich bei einem derartigen Kielband nicht um einen pathologischen Vorgang, sondern um individuelle Variabilität und spontane, sprunghafte Artbildung handelt. 1) Palaeontographica Bd. 11, S. 141. 2) F. Drevermann, Die Fauna der oberdevonischen Tuffbreccie von Langenau- bach bei Haiger. Jahrb. d. preuß. geol. Landesanst. 1900, Bd. 21 S. 136. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 11 Die Behauptung Gümbels, daß sich das Kielband bei Oxycelymenia bisulcata erst auf den äußeren Windungen entwickelt, ist zweifellos richtig, wie ich auch an den zahlreichen mir vorliegenden Exemplaren dieser Art von Ebersdorf feststellen konnte, bei Cycloclymenia Helenae ist das Kielband jedoch schon auf den innersten Kernen, von denen mir zwei vorliegen, ausgebildet. Die spontane Entwicklung eines Kielbandes zeigt sich deutlich bei Oxyclymenia bisulcata, bei ihr entwickelt sich sozusagen explosiv ein Kielband, das bei meinen neuen Arten (Cycloclymenia glaucopis Renz, Cycloclymenia Helenae Renz, Cycloclymenia Pasquayi Renz, Cyeloclymenia Minervae Renz und der Frech’schen Figur der Cyclo- clymenia solarioides Buch), bereits ein konstantes Merkmal ist. Es erhebt sich hierbei die Frage, ob man Oxyclymenia bisulcata sozusagen als Anfangsglied in die Gruppe Cycloclymenia einbeziehen soll oder nicht; das Rückenband entwickelt sich bei ihr, wie bemerkt, erst im Alter. Die Entscheidung der ganzen generischen Frage hängt aber, wie schon öfters betont wurde, in erster Linie von der noch nicht bekannten Lobatur und Sipholage der Cycloclymenien ab. Eine ähnlich vorgewölbte Außenseite, wie die Angehörigen der Gruppe Cyeloclymenia, zeigen, abgesehen von den schon erwähnten anderen, älteren Arten, auch die aberrant gestalteten dreieckigen Aganiden (Aga- nides paradoxus Tietze und Aganides subtriangularis Frech), die ebenfalls im Ebersdorfer Clymenienkalk auftreten. Es handelt sich bei beiden generisch getrennten Typen (die Drei- ecks-Aganiden einerseits und meine neuen Arten andererseits, wohl um einen Entwicklungsvorgang gleicher Tendenz (Konvergenz), Man könnte anstatt von einer kielartigen Vorwölbung der Außenseite auch von zwei der Übergangsgrenze zwischen Flanken und Rücken folgenden spiralen seichten Einkniekungen oder Einknickungsfurchen sprechen. Es handelt sich bei den Angehörigen der Gruppe Cycloclymenia, wie bei den älteren zum Vergleich herangezogenen Typen wohl um einen ersten, noch etwas plumpen Ansatz zu einer Kielanlage. Solche spontane oder explosive Variabilitätsversuche tragen daher bereits die, wenn auch an sich wieder absterbenden, Keime einer späteren differenzierteren Entwicklung in sich. Wie bereits erwähnt, besitzt Cycloclymenia Helenae Renz in der Gestalt des Gehäuses eine große Ähnlichkeit mit Cyeloclymenia solarioides Buch. Die Form ist vielleicht eine Spur involuter und der Rücken breiter und weniger gewölbt, als bei dem flacheren Original Buchs. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Arten liegt aber in der Berippung, die bei Cycloclymenia Helenae unverhältnismäßig kräftiger ent- wickelt ist, 19 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hinsichtlich der Seitenkulptur ergeben sich noch Berührungspunkte mit Pseudoarietites silesiacus Frech. Bei letzterer Gattung und Art ist jedoch ein richtiger, von zwei Furchen flankierter, schmaler Kiel vorhanden, der, wie schon der Name sagt, sehr an die Kielanlage der Arietiten erinnert. Ich konnte mich durch direkten Vergleich der Originale von den wesentlichen Unterschieden überzeugen. | In der Seitenskulptur und der Involution hat auch die schon erwähnte Clymenia acuticostata Braun (= Clymenia aegoceras Frech) einige Ähnlichkeit mit der neuen Art, doch ist die Exsternseite der Clymenia acuticostata gänzlich verschieden. Die inneren Windungen der Clymenia Pompeckji Wedekind!), Clymenia brevicosta Münster, sowie Genuclymenia hexagona Wed.!), erinnern in ihrer Skulptur ebenfalls an Cycloclymenia Helenae, doch ist das Kielband bei den beiden ersteren Arten nicht einmal an- deutungsweise vorhanden, während der Querschnitt der G. hexagona besser passen würde. Eine gewisse oberflächliche Ähnlichkeit in der Seitenansicht besitzen ferner noch die inneren Windungen der Clymenia annulata Münster, ihre Rippen zeigen jedoch einen wesentlich stärkeren Schwung nach vor- wärts. Das charakteristische Merkmal der neuen Art, der stark vorge- wölbte breite Rückenkiel, fehlt ihr vollkommen. Eine weitere entfernte Ähnlichkeit in der Lateralberippung ergibt sich schießlich noch mit den inneren Windungen der Clymenia Kras- nopoldski Tschernyschew°), während Clymenia americana Ray- mond°) eine in der Grundanlage sehr ähnliche, aber weiter stehende Be- rippung aufweist; allen diesen ähnlich berippten Clymenien fehlt jedoch das Rückenkielband. Ich führe diese in der Skulptur konvergierenden Ölymenien und be- sonders auch Pseudoarietiten deshalb hier an, weil bei meinem neuen Stück die Loben und auch die Sipholage unbekannt und daher, wie schon mehrfach erwähnt, seine generische Stellung und Abstammung unsicher ist. Vorkommen der Cycloelymenia Helenae Renz: In den roten oberen Ölymenienkalken von Ebersdorf in Schlesien. Sammlung C. Renz, Anzahl der untersuchten Stücke: 1 nebst 2 kleinen inneren Kernen. 1) R. Wedekind, Die Cephalopodenfauna des höheren Oberdevon am Enke- berge. Neues Jahrb. f. Min. ete. Beil.-Bd. 26 Taf. 43 Fig. 3, 3a, 4, #a. 5, 7, 7a. 2) Th. Tschernyschew, Die Fauna des mittleren und oberen Devons am Westabhange des Urals. Memoires du Comite geologique St. Petersburg. Bd. 3 bare 210213 0.019: 3) Percy E. Raymond, Upper Devonian Fauna with Clymenia. American Journal of Science 1907. Bd. 23 S. 118 Textfig. 1. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 13 Cyeloelymenia Pasquayi Renz (nov. spec.). | Textfiguren 3, 4 u. 5. Cyelocelymenia Pasquayi!) ist mit der vorstehend beschriebenen Cyeloclymenia Helenae sehr nahe verwandt, es handelt sich lediglich um das involutere und dickere Glied der gerippten Nebengruppe. Doch lassen sich auch sonst noch einige durchgreifende Unterschiede festhalten. Die Berippung ist an und für sich, wenigstens auf den inneren Windungen, feiner und vor allem auch enger gestellt, als bei Cyclo- clymenia Helenae. Bei dieser mehr kugelisen Form tritt die starke Vorwölbung des breiten Rückenkieles besonders augenfällig hervor. Das Kielband zeigt hier eine größere Rundung und nicht die kantige Be- grenzung, wie bei Cycloclymenia Helenae oder gar bei Cyclo- clymenia Minervae und Öycloclymenia glaucopis. Die Form des Kielbandes ähnelt mehr der bei Cycloclymenia solarioides beobachteten Ausbildung, doch fehlt jegliche Andeutung von Kielfurchen. In der Form des Gehäuses hat die neue Art auch einige Ähnlichkeit mit einem von E. Kayser unter dem Namen eines Goniatites delphinus Kayser (non Sandb.) in der Zeit- schrift der Deutsch. geol. Ges. Bd. 25 Taf. 20 Fig. 4 abgebildeten Goniatiten, abgesehen natürlich von dem Fehlen des Rückenbandes und dem Vorhanden- Figuren 9, 4 u. 5. Cyeloclymenia Pasquayi Renz aus dem oberen : Clymenienkalk des ÖOberdevons von Vergleich angezogenen Art. Ich er- Ebersdorf wähne dieses Beispiel natürlich nicht, um hier irgendwelche verwandtschaftlichen Beziehungen zu konstruieren, sondern lediglich als Beispiel der Seitenkonvergenz und der Gehäuseform. Eine gewisse entfernte Ähnlichkeit in :der Berippung und der Ent- wicklung der Externseite zeigt auch Clymenia Philippsi Wedekind. Neben dem in Textfig.3, 4 u.5 abgebildeten Original der Cyeloclymenia Pasquayi sammelte ich in den roten Ciymenienkalken von Ebersdorf noch ein Bruchstück auf, das einer weiteren neuen mit Cycloclymenia Pasquayı nahe verwandten Varietät angehört. Die Erhaltung ist zu einer genaueren Charakteristik und Fassung einer Varielät zu schlecht. Die Berippung des Steinkernes ähnelt der Skulptur der Cycloclymenia Pasquayi, doch sind die Rippen etwas feiner und dürften mit unregelmäßigen Abständen von einander im allgemeinen gedrängter stehen. Das Fragment ist jedoch insofern interessant, als sich auf dem Steinkern noch Schalenreste befinden. . Die Schale dieser Varietät, also vermutlich auch der Cycloc/ymenia Pasquayi und Cycloclymenia Helenae ist mit feinen Streifen ver- Fig. 3. sein von Einschnürungen bei der zum t\ Ich benenne die neue Art zu Ehren meines Großvaters Carl Pasquay. 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ziert, die in ihrem Verlauf mit der Schwingung der Streifen der Oxy- clymenia bisulcata übereinstimmen. In beiden Fällen fällt auch die Umbiegungsstelle der sich auf dem Kielband nach rückwärts tief aus- buchtenden Anwachsstreifen mit der zu beiden Seiten des Kielbandes be- findlichen Einknickungsfurche zusammen. Der Verlauf der stark gebogenen, besonders auf dem Rücken schärfer akzentuierten Anwachsstreifen dürfte somit auch die Skulptur beeinflußt haben, jedenfalls schmiegen sich die Anwachsstreifen der Skulptur an. Es sei noch erwähnt, daß bei der betreffenden, der Cycloclymenia Pasquayi nahestehenden, bis jetzt nur fragmentär erhaltenen Varietät zu beiden Seiten des Kielbandes verhältnismäßig deutliche Furchen wahr- nehmbar sind. Zu dieser zwischen Cyeloclymenia Pasquayı und Cycloelymenia Minervae stehenden Varietät gehört auch das gleichfalls schlecht erhaltene Original des von E. Tietze aus den Ebersdorfer Clymenienkalken zitierlen Goniatites bisulcatus Tietze (non Roemer). Das betreffende Stück wäre als Cycloclymenia Pasquayi Renz var. oder vielleicht besser noch als Cyceloclymenia Minervae Renz var. zu bezeichnen, Vorkommen der Cyceloclymenia Pasquayi Renz: In den oberen Clymenienkalken von Ebersdorf in Schlesien. C. Renz legit. Privatsamm- lung des Verfassers. Anzahl der untersuchten Stücke: 1. Cyeloclymenia Minervae Renz (nor. spec.). Textfiguren 6 u. 7. Cyeloclymenia Minervae steht der Cycloclymenia Pasquayi Renz recht nahe, unterscheidet sich aber von letzterer Art durch die Berippung, sowie durch ihre abweichenden Einrollungsverhältnisse. Cyclocelymenia Minervae ist noch involuter, als C. Pasquayi; sie ist das involuteste Glied der skulpturierten Formenreihe Cycloclymenia Helenae— Cycloclymenia Pasquayi— Cycloclymenia Minervae. Die Skulptur des mir vorliegen- den einzigen Exemplares der Cyclo- clymenia Minervae weist eine gute Erhaltung auf. Der äußerste Um- gang ist mit scharf ausgeprägten, nach vorwärts geschwungenen und kurz vor der Erhebung des reifartigen Kiel- bandes auslaufenden Rippen verziert, Figuren. 6 u. 7. Cycloclymenia u N : Gm Meere haltenkdiezrippengemen ziemlich un- oberen Clymenienkalk des Oberdevons regelmäßigen Abstand von einander, von Ebersdorf. Insofern gleicht die Berippung des VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 15 äußeren Umganges in mancher Hinsicht der Skulptur eines als Varietät von Cyeloclymenia Pasquayi bereits oben beschriebenen Bruchstückes, ‚eine Vereinigung desselben mit Cyclocelymenia Minervae erschien jedoch in Anbetracht seiner fragmentären Erhaltung nicht ratsam. Die Rippen der inneren Windungen der Cycloclymenia Minervae sind etwas gröber und weiterstehend, als bei Oycloclymenia Pasquayi. Das die Externseite reifartig umziehende kantige Kielband gleicht voll- ständig der externen Wulst der übrigen Arten der Gruppe Cycloclymenia. An der Mündung des mir vorliegenden vollständigen Stückes verschmälert sich das Kielband durch eine beiderseitig deutlich ausgeprägte seitliche Einschnürung, wie sich überhaupt die Mündung im Ganzen etwas verengert. Das einzige Stück meiner Sammlung ist ein Steinkern, auf dem gegen die Mündung zu noch spärliche Schalenreste erhalten sind. Die sehr dünne Schale läßt hier jedoch keinerlei Skulpturierung mehr erkennen. Im Anschluß an die Darstellung der CGycloclymenia Minervae möchte ich noch auf eine von M. Gortani als Clymenia (Cyrto- elymenia) angustiseptata Gortani (non Münster) bestimmte Art aus dem Öberdevon der Karnischen Alpen hinweisen, die der dürftigen Abbildung nach zu schließen meiner Cycloclymenia Minervae sehr nahesteht und wohl auch zu der betreffenden Gruppe gehört. (Vergl. M. Gortani, Contribuzione allo studio del Paleozoico Carnico Il. La Fauna a Climenie del Monte Primosio. Mem. R. Accad. de Scienze dell’Inst. dir Boloena, 1907. Ser. VI. Bd. IV. Taf. 6 Eig. 19a u. 195, Ss. 20). Das Gortani’sche Stück ist der Cycloclymenia Minervae und auch der Cyceloclymenia Pasquayi in der äußeren Form, wie in der Skulptur recht ähnlich, die Einrollungsverhältnisse sind indessen ver- schieden. Die Loben und die Sipholage sind bei dem Exemplar Gortanis gleichfalls unbekannt. Obwohl man nach dem äußeren Anblick und nach der Einrollung auch an eine Art aus der Gruppe des Aganides paradoxus denken könnte, reihe ich das karnische Stück vorläufig als var. italica der Cyceloclymenia Minervae an; auf jeden Fall bleibt aber die Bestimmung Gortanis als Clymenia angustiseptata unzutreffend. | Vorkommen der Cyeloclymenia Minervae Renz: In den oberen Clymenienkalken von Ebersdorf in Schlesien. Sammlung des Verfassers. Anzahl der untersuchten Stücke: 1. Cycloclymenia glaucopis Renz (nov. spec.). Textfiguren 8, 9, 10 u. 11. Die hier abgehandelte, zunächst noch provisorische Gruppe Cyclo- elymenia enthält, wie schon angegeben, neben den vorwiegenden skulp- turierten Typen auch eine glatte Nebenform, nämlich C, glaucopis. 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die glatten Formen sind möglicherweise, interne Sipholage und Loben- gleichheit vorausgesetzt, auch von den ÖOxyclymenien (Oxyclymenia bisulcata) abzuleiten. Die skulpturierten Arten zweigen sich jedoch, ab- gesehen von den bereits oben angegebenen weiter in Betracht kommenden Abstammungsmösglichkeiten, eventuell von einer der gerippten Clymenien ab. In diesem Falle würden dann zwischen den gerippten und glatten Typen meiner Gruppe dieselben weiteren Unterschiede bestehen, wie zwischen ihren Stammformen, d. h. die Gruppe Cycloclymenia wäre nochmals zu teilen. Wir hätten unter dieser Voraussetzung sprunghafte Ent- wicklungsvorgänge gleicher Tendenz bei mehreren Ülymeniengattungen. Vorläufig lasse ich aber bis zur genaueren Kenntnis der Lobatur und Sipholage meine äußerlich so ähnlichen Formen in einer Gruppe bei- sammen, indem ich den Skulpturmerkmalen einen geringeren Trennungs- wert beilege. Die neue Art Cycloclymenia glaucopis Renz präsentiert sich als äußerst globose, involute, niedermündige und unskulpturierte Form, bei der daher das breite, scharf eckig abgesetzte, reifartige Kielband besonders deutlich in die Augen fällt und wohl das Extrem seiner Entwicklung dar- stellt. Der Nabel ist treppenförmig tief eingesenkt. - Fig. 8. Fig. 9. Figuren 8, 9, 10 u. 11. Cycloclymenia glaucopis Renz aus dem oberen roten Clymenienkalk des Oderdevons von Ebersdorf. Während Cycloclymenia Pasquayi, Cycloclymenia Minervae und Cyelocelymenia solarioides bisher nur in je einem Stück vorliegen und von Cyeloclymenia Helenae, abgesehen von dem schönen abgebildeten Exemplar, nur noch einige kleine schlecht erhaltene Windungskerne vorhanden sind, scheint Cycloclymenia glaucopis in den Ebersdorfer Clymenienkalken relativ häufig zu sein. U Im Breslauer Museum befinden sich im ganzen 6, allerdings meist nur schlecht konservierte Exemplare, ich selbst sammelte in Ebersdorf noch ein weiteres Stück hinzu. Das in Fig. 11 dargestellte größere Original- exemplar liegt in einem Handstück zusammen mit Oxyelymenia undu lata Münster und Oxyclymenia striata Münster. Die abgebildeten beiden Stücke (Fig. 8, 9, 10] u. 11) sind Steinkerne, an manchen Exemplaren finden jedoch auch noch unbedeutende Schalen- VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen 17 reste, die andeuten, daß auch die Schale der neuen Art vollkommen glatt war. Vorkommen der Cycloclymenia glaucopis Renz: In den oberen Clymenienkalken von Ebersdorf in Schlesien. Breslauer Museum und Privatsammlung Carl Renz. Anzahl der untersuchten Stücke: 7. Nachtrag während des Druckes. Während der Drucklegung dieser Abhandlung erhielt ich durch die Freundlichkeit des Herrn Geheimrat Branca aus Berlin die Buch’schen Originale des Goniatites solarioides, d.h. das eine eigentliche Original und ein weiteres beiliegendes, von Buch gleichfalls als Goniatites sola- rioides bestimmtes Stück. Ich war bei Abfassung meiner Arbeit der Meinung, daß die schlechte und unbrauchbare Abbildung Buchs und die nach einer Neupräparation hergestellte Abbildung Frechs ein und dasselbe Exemplar zur Vorlage hätten. Dies ist jedoch nicht der Fall, sondern die Abbildungen von Buch und Frech geben zwei verschiedene Individuen wieder. Buch lagen bei Creierung seines Goniatites solarioides, wie gesagt, zwei Stücke vor. Das eine kleinere ist von Buch in Fig. V seiner dies- bezüglichen Abhandlung stark vergrößert dargestellt und bleibt somit als Goniatites bezw. Cycloclymenia solarioides Buch bestehen, denn auf dieses Original hat auch Hyatt seine Gattung Cycloclymenia bezogen. Dieser eigentliche Originaltypus Buchs stimmt auch gut mit dem mir gleichfalls vorliegenden Original der Clymenia solarioides vonEE. Tietze überein. Clymenia solarioides Buch — die hierauf gegründete Hyatt'sche Gattung Cycloclymenia dürfte sich wohl nicht aufrecht erhalten lassen — ist in dieser Begrenzung ein naher, feiner gerippter Verwandter der Clymenia acuticostata Braun und die Stammform der dreieckigen Cly- menia paradoxa Münster, die eine explosive Varietät hiervon darstellt. Ganz anders verhält es sich mit dem zweiten der beiden Buch’schen Exemplare. Das betreffende Stück wurde zwar von Buch glvichfalls als Goniatites solarioides bezeichnet, aber nicht abgebildet. Dieses von Buch nicht abgebildete Exemplar wurde von F. Frech neu präpariert, wobei der Rücken mit dem Kielband blosgelegt wurde und auf Taf. III Fig. 4a u. b seiner Clymenienmonographie als Buch’sches Original unter dem Namen einer Clymenia solarioides Buch dargestell. Das eigentliche Buch’sche Original der Clymenia solarioides hat indessen einen flachen Rücken, wie Clymenia paradoxa oder Clymenia acuticostata. 1913. p) 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ein direkter Vergleich des Frech’schen (nicht Buch’schen) Originales mit meiner neuen, oben als Cycloclymenia Helenae Renz beschrie- benen und abgebildeten Art beweist, daß die beiden Stücke jedenfalls der gleichen Gattung angehören und sich auch spezifisch sehr nahestehen. Das Original Frechs ist nur flacher; eine der ©. Helenae ähnliche Be- rippung war scheinbar vorhanden gewesen, die Oberfläche der Frech’schen Clymenia solarioides (non Buch) ist aber abgerieben oder abgewittert. Ich betrachte daher das Frech’sche Original der Clymenia sola- rioides als Varietät meiner ©. Helenae und bezeichne diese Varietät als var. silesiaca. Da sich die Gattung Cycloclymenia auf das Buch’sche Original der Clymenia solarioides gründet, kann dieser Hyatt’sche Namen natürlich nicht für meine neue Gruppe übernommen werden; ich wähle als neuen Gruppennamen die Bezeichnung Glatziella. Hierzu gehören demnach bis jetzt folgende Arten und Varietäten: Glatziella Helenae Renz. Glatziella Helenae Renz var. silesiaca Renz. Glatziella Pasquayi Renz. Glatziella Minervae Renz. Glatziella Minervae Renz var. italica Renz. Glatziella glaucopis Renz. Der provisorische Charakter dieser Gruppe infolge der mangelnden Kenntnis der Lobatur und Sipholage ist bereits hinreichend besprochen worden. Oxyelymenia ornata Münster var. sudetica Renz (nov. var.). Textfigur 12. Eine hinreichende Charakterisierung der neuen Varietät wird leider durch die schlechte Erhaltung des einzigen mir vorliegenden Stückes vereitelt. Die Lobatur ist gänzlich unbekannt. Der Externteil konnte nur un- vollständig freigelegt werden. Es handelt sich um einen Steinkern, so daß sich auch über die Schalenskulptur nichts sagen läßt. Charakteristisch sind aber die scharf akzentuierten Steinkernfurchen. Diese Steinkernfurchen, von denen sich 5 auf einem halben Umgang befinden, schwingen von der Naht aus mit leichter konkaver Beugung nach vorwärts und biegen sich etwa bei Be- ginn des oberen Flankendrittels wieder nach rückwärts. Die Knickungsstelle läuft in einen aus den oberen Clymenienkalken des vorwärts gerichteten zungenförmigen Oberdevons von Ebersdorf. Fortsatz aus. Figur 12. Oxycelymenia ornata Münster var. sudetica Renz VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 19 Die Steinkernfurchen der neuen Varietät konvergieren daher in ihrer Grundanlage mit den Furchen des vie] jüngeren mitteljurassischen Phyllo- ceras Zignoi Orb. Der einzige Unterschied der Seitenansicht liegt in der Involution und in der verschiedenen Höhe der Umbiegungsstelle der Furchen?). Von paläozoischen Typen besitzt Glyphioceras reticulatum Phill. ähnliche Furchen. Die Ebersdorfer Varietät der Oxycelymenia ornata stimmt in der Einrollung, soweit es sich nach der fragmentären Erhaltung des mir vor- liegenden Exemplares beurteilen läßt, etwa mit dem Typus überein; der Unterschied liegt vor allem in der ausgeprägteren Skulptur der Varietät. Vorkommen der Oxyelymenia ornata Münster var. sudetica Renz: In den oberen roten Clymenienkalken von Ebersdorf in Schlesien. Breslauer Museum. Anzahl der untersuchten Exemplare: 1. Oxyelymenia striata Münster var. silesiaca Renz (var. nov.). Textfigur 13. Die vorliegende Varietät zeigt ein recht grobrippiges Exemplar der ziemlich variierenden Clymenia striata. Die Skulptur des vorliegenden Stückes von Ebersdorf ist dermaßen scharf ausgeprägt, daß eine Abtrennung als Varietät gerechtfertigt erscheint. Die Skulptur erinnert zunächst an Oxycelymenia semistriata Münster (Beitr. zur Petrefaktenkunde I ]2. Autl.]| S. 9 Tat 3a Bie=4), die von Gümbel?) mit Oxycelymenia striata vereinigt wurde, aber wohl besser ebenfalls als Varietät beibehalten werden würde. Diese var. semistriata ist eine Mittelform zwischen meiner Varietät und dem Typus. Meine Ebersdorfer Va- rietät zeigt, abgesehen von den in srößeren Abständen wiederkehrenden scharfen Furchen, feinere Falten- rippen mit der üblichen Schwingung. Diese Rippen sind aber nicht wie bei der var. semistriata nur an der R ! a Figur 13. Oxycelymenia striata 2 5 : Münster var. silesiaca Renz aus drittel entwickelt, sondern überziehen en Clymenienkalken des Oberdevons Externseite und im oberen Flanken- die ganze Seitenfläche. von Ebersdorf. 1) Die Knickungsstelle der Furchen liegt bei Phylloceras Zignoi auf halber Seitenhöhe. 2) C. W. Gümbel, Über Clymenien in den Übergangsgebilden des Fichtel- gebirges. Palaeontographica (1863) Bd. 11 S. 144—147. 9* 30 ekaskertan: der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Münster meint, daß die var. semistriata nur die Steinkernskulptur der Oxycelymenia striata bilde. Mein reichhaltiges Material aus Ebersdorf beweist jedoch, daß die Steinkernskulptur bei dem Typus der C. striata lange nicht so ausgeprägt ist, wie bei der neuen var. silesiaca. Das Zusammenwirken der engstebenden Faltenrippen und der in mäßigen Abständen wiederkehrenden, namentlich am Rücken tiefeinge- rissenen Furchen, verleiht der Oberfläche der neuen Varietät ein sehr rauhes Aussehen. Der Verlauf der Schwingung der Furchen stimmt nicht ganz mit der Münster’schen var. semistriata von Schübelhammer im Fichtelgebirge über- ein; die schlechte Abbildung Münster s ist vielleicht aber etwas verzeichnet. Es bleibt noch zu erwähnen, daß der Typus der Oxycelymenia striata, wie er mir in zahlreichen Exemplaren von Ebersdorf und von anderen Vorkommen vorliegt, etwas dicker ist, als die neue Varietät, Vorkommen der Oxycelymenia striata Münster var. silesiaca Renz: In den oberen roten Clymenienkalken von Ebersdorf in Schlesien. Breslauer Museum. Anzahl der untersuchten Stücke: 1. Genuelymenia hexagona Wedekind. 1908. Genuclymenia hexagona Wedekind, Die Cephalopodenfauna des höheren Oberdevon am Enkeberge. Neues Jaährb. für Min. ete. 1908. Beil. Bd. 26. 5619 Taf 8E1g.77,12. Ein bei Ebersdorf aufgesammeltes Stück dieser interessanten Art gleicht in seiner charakteristischen Berippung und im Querschnitt der Windungen vollkommen dem von Wedekind dargestellten Original vom Enkeberge. Der Querschnitt der Umeänge erinnert in gewisser Hinsicht an meine neue Gruppe Glatziella (vergl. S. 18), doch fehlt ihr das scharf ausgeprägte reifartige Kielband. Die Lobatur ist an meinem Stück von Ebersdorf nicht sichtbar, die habituelle Übereinstimmung der Ebersdorfer und Enkeberger Stücke ist aber sonst so groß, daß ich an ihrer beiderseitigen Identität nicht zweifeln kann. Am Enkeberge liegt die Art tiefer und erscheint bereits in den unteren Clymenienschichten mit Prolobites delphinus. Sie geht daher einer- seits unverändert höher und könnte andererseits auch als Vorläufer meiner Glatziellen in Betracht kommen. Vorkommen der Genuelymenia hexagona Wedekind: In den oberen roten Clymenienkalken von Ebersdorf in Schlesien. C. Renz leg. Privatsammlung des Verfassers. Anzahl der untersuchten Stücke: 1. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 91 Praeglyphioceras ef. moravicum A. Rzehak. 1910. Praeglyphioceras moravicum A. Rzehak. Der Brünner Clymenienkalk. Zeit- schrift d. Mährischen Landesmuseums. Brünn 1910. Bd. X. S. 195. Taf. II. Bie46512 7. Diese Bestimmung ist, um es gleich vorauszuschicken, recht proble- matischer Natur, da das mir vorliegende Fragment eine schlechte Erhaltung aufweist und die in Frage kommenden Speziesmerkmale nur unvollkommen erkennen läßt. Dazu kommt noch, daß auch die von Rzehak aufgestellte Spezies aus dem Brünner Clymenienkalk infolge ungünstiger Erhaltung der dem Autor zur Verfügung stehenden Materialien an sich nur unvoll- kommen bekannt ist. Das wesentlichste Merkmal, das sich an meinem Bruchstück aus dem Ebersdorfer Clymenienkalk erkennen läßt, ist eine deutlich hervortretende Spiralstreifung, die auch auf dem Steinkern gut wahrnehmbar ist. Die Spiralstreifung ist auch auf dem Steinkern von Praeglyphioceras moravicum vorhanden; es hat sich übrigens an meinem fragmentären Exemplar auch ein spiralgestreiftes Schalenrestchen erhalten, Von den übrigen Kennzeichen des Praeglyphioceras moravicum, von den Loben oder von den Labialwülsten bezw. deren Eindrücken und auch von den schwachen Anwachsstreifen der Schale ist an meinem Bruch- stück nichts zu beobachten. Die Bestimmung des Ebersdorfer Fragmentes als Praeglyphioceras moravicum ist zum mindesten zweifelhaft, da noch andere gleichfalls spiralgestreifte und auch äußerlich ähnlich gestaltete Typen aus dem Clymenienkalk bekannt sind. Ich erinnere nur an Goniatites Ungeri Münster!) aus dem Clymenienkalk des Fichtelgebirges. Immerhin ist das vorliegende Stück nicht ohne tiergeographisches Inter- esse, da es zeigt, daß auch bei Ebersdorf derartig spiralgestreifte Typen vorkommen. Vorkommen des Praeglyphioceras cf. moravicum Rzehak: In den oberen Clymenienkalken vor Ebersdorf in Schlesien. Breslauer Museum. Die Art ist sonst noch aus den Brünner Clymenienkalken (Mähren) bekannt. Anzahl der untersuchten Exemplare: 1 Bruchstück. Herr G. Berg, Berlin: Über eine Talzäpfung bei Liebau in Schlesien. Bei dem Dorfe Tschöpsdorf, unweit südwestlich von Liebau an der schlesisch-böhmischen Grenze, findet sich ein Fall von Talzäpfung, der allerdings sehr einfach liegt, aber gerade durch diese Einfachheit außer- ordentlich übersichtlich erscheint. 1) Münster, Beiträge zur Petrefaktenkunde III. S. 107. Taf, 16 Fig. S. 2% Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die Situation ist folgende (vgl. die beigegebene Kartenskizze): Der Bober durchbricht oberhalb Buchwald die widerstandsfähigen Konglomerate des obersten Kulms in einer Talenge, die zum Bau einer Sperrmauer ver- wendet wurde, und tritt dann in ein weites, ebenes Talbecken, welches sich vom Orte Buchwald bis an die ersten Häuser von Liebau und nord- wärts bis zu den ersten Häusern von Blasdorf erstreckt. Gleich nach seinem Durchtritt durch die erwähnte Buchwalder Pforte mündet von rechts in ihn ein breites, ebenflächiges Tal, das nur von einem winzigen Karbon Mafsstab 1:25000 Rinnsal durchströmt wird. Man sieht sofort, daß dieses Tal früher einem stärkeren Bach gedient haben muß, und wird in dieser Ansicht bestärkt durch das Vorhandensein einer kleinen Stufe am Austritt des Tales. Zeigt uns diese doch, daß die jetzige Wasserführung nicht mehr imstande war, mit der Vertiefung des Bobertales Schritt zu halten. Das jetzt noch im Tale fließende Wasser strömt ihm zumeist aus kleinen, steilen Muldungen zu, die südwestlich vom sog. Ziegenrücken herabkommen. Nach Süden aber setzt es sich als eine weite flache Talmulde fort, die keinen Bach auf- weist, sondern nur von feuchten Wiesen erfüllt ist. °/, Kilometer weiter VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 23 südwärts, bei den untersten Häusern von Tschöpsdorf, löst sich diese Mulde in eine Anzahl flacher Einsenkungen auf, die nach verschiedenen Richtungen an den umgebenden Bergen emporstreben. Das Ganze gibt das Bild eines ziemlich ausgereiften, verzweigten Talsystems, welches also am Südende von Tschöpsdorf seine Quellbäche sammelte und dann nördlich und weiter stromab westlich gegen die Buchwalder Talsperre zu abfloß. Nun führt aber von einem anderen Punkte, von der Südostecke der Großen Bobertalaue, ein ganz jugendliches, steil eingeschnittenes kurzes Tälchen, der sog. Kuhbach, bis in das Herz des beschriebenen älteren Systems und raubt aus den Quellmulden desselben die Wasserabflüsse, die ihm in kleinen aber ebenfalls steilgeschnittenen Rinnen zuströmen. Ein kleiner Seitenbach der Talaue hatte also bei rückschreitender Erosion die Vereinigung der Quellmulden des älteren Systems erreicht und ist zu einem scharf einge- schnittenen Tal herangewachsen, welches nun alle Wasser im Oberlauf des alten Systemes an sich zieht und den Mittellauf zur Rolle einer wasser- losen Mulde zwingt. Übrigens ist diese Mulde nicht etwa isoklinal, wie dies bei manchen ähnlichen flachen Hohlformen der Umgegend der Fall ist, sondern sie durchläuft die Schichten quer zu ihren Streichen, muß also sicher durch eigentliche Talerosion entstanden sein. Darüber, wie dieser jüngere Bach dazu kam, das ältere Talsystem zu zäpfen, kann man übrigens ebenfalls ziemlich bestimmte Vermutungen äußern. Wie schon gesagt wurde, mündet er in einem südöstlichen Winkel der großen Aue zwischen Buchwald und Liebau übrigens gemeinsam mit einem andern, von der böhmischen Grenze aus Süden herkommenden Bach. Die große Talweite ist aber natürlich durch Ausmäandrieren vom Bober gebildet worden. Wenn der Fluß aber die Seitenwände seines Tales nach außen verschiebt, so verkürzt er dadurch den Lauf seiner Seitenbäche und regt ihre Erosionskraft von neuem an. Da der Ein- mündungspunkt des neuen Baches von der Einmündung des alten Tales strom- abwärts sich befindet, so liegt die Erosionsbasis des ersteren also um einige Meter tiefer als die des letzteren, ganz abgesehen von der kürzeren Wegstrecke, die der neue Bach vom Vereinigungspunkte der Quellmulden aus zu durchlaufen hat, und die natürlich auch eine Ersparnis an nötigem Gefälle bedeutet. So mag also der Bober, als er einst durch eine große, nach Süden konvexe Flußschlinge die Südostecke seiner jetzigen Talebene ausnagte, die Erosion des von der Grenze kommenden Baches, und besonders auch des damals noch ganz kurzen Kuhbachlaufes, neu angeregt haben. Er gab ihm dadurch die Möglichkeit, sein Bett rückwärts zunächst bis an den Rand des früheren Seitentales zu verlängern. Sobald der Kuhbach hierdurch das Wasser einer Quellmulde des alten Systemes an sich gezogen hatte, war es ihm natürlich durch größeren Wasserreichtum ein leichtes, auch die anderen Wasserzuflüsse sich zu gewinnen und seinem Tal die Form einer tief eingeschnittenen steilwandigen Erosionsform zu geben, 24 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Sitzung am Mittwoch, den 12. November. Vortrag des Herrn Dr. Ing. R. Wohlin: Beiträge zur Kenntnis der thermischen Analyse von Tonen, Bauxiten und einigen verwandten Körpern. Einleitung. Wenn Tone steigenden Temperaturen ausgesetzt werden, so treten Ver- änderungen auf, die sich insbesondere durch Gewichtsverluste kenntlich machen. Alle Tone, seien sie nun Kaoline, feuerfeste plastische Tone, Schiefer-, Ziegel-, Mergeltone enthalten Konstitutionswasser, das beim Erhitzen entweicht, wodurch ein Gewichtsverlust hervorgerufen wird. Dieses Wasser wird als Konstitutionsbestandteil der allen Tonen gemeinsamen Grundsub- stanz angenommen. Diese letztere ist ein Tonerdesilikat von der empirischen Zusammensetzung Al,O, 2SiO,. 2H,O. Betreffs der Konstitutionsformel ist man noch zu keiner einheitlichen Ansicht gelangt, doch wird den Formeln, die eine symmetrische Anordnung der Atome im Tonsubstanzmolekül an- nehmen, der Vorzug gegeben. Von den vielen dieser Konstitutionsformeln sei die von P. Groth aufgestellte herausgegriffen: HO— AlI—-0 — Ssi=0O 1:04 an HO Ho, Dieses wasserhaltige Tonerdesilikat kommt auch als Mineral, doch ziemlich selten, in der Natur vor und heißt, wenn schuppig, Pholerit, wenn dicht, Nakrit. In den Tonen ist dieses Silikat durch verschiedene andere Silikate, wie z. B. durch Feldspat, Nephelin, dann besonders durch Quarz. ferner auch durch Karbonate, Eisenkies usw. verdünnt. In den Kaolınen tritt es uns in reinster Form entgegen, teils kristallinisch, teils amorph. In ersterer Form wird es allgemein als Kaolinit bezeichnet. H. Stremme!) definiert Kaolinit folgendermaßen: ,„Kaolinit ist die kristallinische Modifi- kation des reinsten Feldspatrestes, entsprechend der Theorie der Entstehung der meisten Tone durch Verwitterung von Feldspat.‘ Für die amorphe Modifikation wird von den Amerikanern manchmal der Ausdruck Clayit gebraucht. Die Tonsubstanz wird als der Träger der hervorstechendsten Eigenschaft der Tone, der Plastizität, angesehen. Doch ist ihre Größe keinesfalls von dem Gehalt eines Tones an Grundsubstanz abhängig. Gerade die Kaoline sind im Vergleich zu den mehr Eisenoxyd und organische Sub- stanzen enthaltenden plastischen Tonen viel weniger bildsam. Seger gab uns durch Ausarbeitung der rationellen Analyse ein Mittel in die Hand, die 1) H. Stremme, Feldspatresttone und Allophantone. (Sprechsaal 1910, S. 89.) VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 25 Tonsubstanz von Quarz und Feldspat auf chemischem Wege zu trennen. Für technische Zwecke genügt diese Art der Analyse vollkommen, doch für exakte Untersuchungen ist sie nicht immer anwendbar, da durch konzentrierte Schwefelsäure auch andere Silikate, wie z. B. Nephelin, angegriffen werden. Durch Schlämmen im Schöne’schen Schlemmapparat können wir die Grund- substanz auf mechanischem Wege zum großen Teile aus den Tonen heraus- bekommen. Die Grundsubstanz ist kurz jenes Glied, das dem gewaltigen Heere all der verschiedenartigsten in der Natur vorkommenden Tone den eigentlichen Zusammenhang gibt. Über die Temperatur, bei welcher die Zersetzung der Tonsubstanz und damit meistens Verlust der Plastizität eintritt, herrschte lange Unklarheit. Erst in den letzten Jahren sind diesbezüglich eingehendere Studien betrieben worden. In dem Lehrbuche von Granger, „Die industrielle Keramik‘ ist auf Seite 73 angegeben, man könne Tone, um sie schnell von Feuchtigkeit zu befreien, auf 2—300° erhitzen, da das Konstitutionswasser erst bei 600° entweicht. Rohland!) gibt an, das Hydratwasser entweiche bei 900—1000°, Lefevre?) behauptet, daß bei Tonen bereits von 120° an ein Gewichts- verlust konstatierbar sei, der bei 750° sein Maximum erreicht. Roß C. Purdy und ]J. K. Moore?) finden, daß das chemisch gebundene Wasser zwischen 500°—600° entweiche, und zwar meist vor der Oxydation organischer Bei- mengungen. Dabei treten auch Änderungen im spezifischen Gewicht ein. Manchmal findet man die Ansicht, die Austreibung des Konstitutionswassers erfolge in 2 Stadien. Hundeshagen*) glaubt aus dem Verhalten von Kaolınen gegen Farbstoffe den Schluß ziehen zu können, daß wir es im Kabolınit- molekül mit freien Aluminiumhydroxylen und freien Siliziumhydroxylen zu tun haben. Die ersteren werden bei höheren Temperaturen als die letzteren zersetzt. Dementsprechend gibt er die folgende Konstitutionsformel als möglich an: sl BD Al (OH) (6) Ve Sa (OH) OH E. Löwenstein?) behauptet, ein Teil des Wassers sei an Kieselsäure gebunden. Es läge also in den Tonen hydratische Kieselsäure vor, die 1) Rohland, Die Tone. S. 66. 2) Lefevre, Les Industries Ceramiques p. 17—1S. 3) Roß C. Purdy und J. K. Moore. (Transactions of the American Chemical Society. Bd. 9, S. 204—214.) 4) Hundeshagen, Über die Anwendung organischer Farbstoffe zur diagnostischen Färbung mineralischer Substrate. (Zeitschr. f. angew. Chemie 1908, S. 2405 u. S. 2454.) 5) Löwenstein, Über Hydrate, deren Dampfspannung sich kontinuierlich mit der Zusammensetzung ändern (Ztschr, f. anorg. Chemie 63, S. 69 1909). 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. meist etwas über 100° zersetzt würde. Der andere Teil des Wassers ent- weiche erst bei hoher Temperatur. Le Chatelier!) versuchte eine Klassi- fiierung der Tone durch Bestimmung der Entwässerungstemperaturen bei rascher Erhitzung. Er nahm als erster Erhitzungskurven auf. Dabei fand er, daß im Augenblicke der Entwässerung eine Verlangsamung der Temperatur. zunahme eintritt und daß bei verschiedenen Tonen diese Wärme-Absorption auch bei verschiedenen Temperaturen stattfindet. Das Wasser wird also bei verschiedenen Tonen bei verschiedenen Temperaturen ausgetrieben. Auf dieses unterschiedliche Verhalten der Tone beim Erhitzen gründet er eine Einteilung derselben in 5 Gruppen. ! 1. Hailoysit, Verlangsamung zwischen 150° und 200°, eine starke Ver- langsamung bis 700°. SiO, 2Al,O, 2H,O ag. . Allophan: Verlangsamung zwischen 150° und 200°. SiO, Al,O, aq. Kaolin 2SiO, AL,O, H,O. Pyrophyllit 4SiO, Al,O, H,O. . Montmourillonit. Verzögerung gegen 200°, eine zweite weniger starke bei 770° und eine dritte unsichere bei 950°. 4SiO, Al,O, aq. Unter Aqua versteht er einen in seiner Menge wechselnden Wasser- r» ww [Br gehalt, der an Kieselsäure gebunden sein soll und bei niederer Temperatur ausgetrieben wird. Diese Einteilung hat in der wissenschaftlichen Keramik jedoch keinen festen Fuß gefaßt. Rieke?) nimmt mit einer Reihe verschiedenartigster Tone bis etwa 800° Erhitzungskurven auf. Er findet bei allen Tonen von ungefähr 500° an eine Verzögerung im Temperaturanstieg; besonders stark ist diese stets zwischen 560—s80°. Nur einige Ziegeltone zeigen ein abweichendes Verhalten. Weiterhin untersuchte er die Abhängigkeit der Größe des Gewichtsverlustes von der Höhe der Temperatur. Unter 450° sind diese Verluste auch bei langer Einwirkung der Temperatur gering. Von da an aber wird die Zer- setzung stärker, zwischen 550 und 600° ist sie am stärksten; die letzten Reste des chemisch gebundenen Wassers werden erst in hohen Temperaturen entfernt. Irgendwelche Anzeichen für ein verschiedenes Verhalten einzelner Hydroxyl-Gruppen, welche auf eine ungleichartige Bindung dieser Gruppen ım Kaolınitmolekül hinweisen könnten, konnte er nicht bemerken. J. Mellor und D. Holdcroft?) finden in einem, an organischen Ver- bindungen sehr armen, reinen Kaolın bereits bei 300° einen merklichen Gewichtsverlust, der bei 500° schon 10°, des Gesamtglühverlustes erreicht. Zwischen 500° und 600° ist die stärkste Zunahme des Gewichtsverlustes. Bei vermindertem Druck finden sie die Gewichtsverluste bedeutend größer 1) Le Chatelier, Bulletin soc. min. Paris 1837. 2) Rieke, Einige Beobachtungen über den Glühverlust von Kaolinen und Tonen. (Sprechsaal 1911 S. 637 u. 653.) 3) J. Mellor und D. Holdcroft, Über die chemische Konstitution des Kaolinit- moleküls. (Transactions of the englislı Ceramic-Society Part I, Vol. X, 1910—11.) VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 27 als bei Atmosphärendruck bei derselben Temperatur, was auch zu erwarten ist. Auch konnten sie in zum Teil entwässerten Tonen durch Erhitzen mit Wasser in Autoklaven bei 300° und 200 Atm. wieder Wasser einführen, das erst bei höherer Temperatur ausgetrieben wird, also sich wieder wie chemisch gebundenes Wasser verhält. Weiter nahmen sie Erhitzungskurven auf, die später eingehender erörtert werden. Sokoloff!) findet ebenfalls bereits bei 200° in einem sehr reinen Kaolin minimale Zersetzung, die zwischen 500 und 600° die stärkste Zunahme zeigt. Parallel mit der Steigerung des Gewichtsverlustes steigt auch die Löslichkeit der Tonerde des Tones in verdünnter Salzsäure und zwar so, daß zwischen dem Gewicht des ausgetriebenen Wassers und der in Salzsäure gelösten Tonerde das mole- kulare Verhältnis 2:ı herrscht. Der Autor zieht daraus den Schluß, daß beim Erhitzen der Tonsubstanz ein Zerfall derselben in freie Tonerde, freie Kieselsäure und Wasser eintritt. Der Wärmeabsorption zwischen 500° und 600° steht eine Wärme- entwicklung in höheren Temperaturen entgegen. Le Chatelier wies in seiner bereits zitierten Arbeit zum erstenmal auf eine stürmische Wärmeentwicklung bei etwa 1000° hin. Er fand diese bei allen Tonen mit Ausnahme der Montmourillonitgruppe. Er glaubt diese Wärmeentwicklung durch eine Zustandsänderung hervorgerufen, durch welche der Ton in Säure un- löslich wird. J. M. Knote?) untersucht die Abhängigkeit der spezifischen Gewichte einiger Tone von der Temperatur. Bei 950°, wo, wie er beiläufig bemerkt, eine Wärmeentwicklung stattfindet, findet auch ein plötzliches Steigen des spezifischen Gewichtes statt, also eine Volumenverminderung. Auch in anderen Eigenschaften tritt bei 950° eine Änderung ein, so z. B. zeigen Tone, wenn sie bis 900° erhitzt und dann mit !/, des Gewichtes an Kalk gemischt werden, hydraulische Eigenschaften, die aber verloren gehen, wenn die Tone auf 950° erhitzt werden. Auch konstatiert er, daß entwässerte, nicht über 900° erhitzte Tone an verdünnte Salzsäure viel Tonerde abgeben. Ferner gibt er einige Hypothesen über den Zerfall der Tonsubstanz bei der Ent- wässerung und über die Vorgänge, die bei 950° vielleicht eintreten, an. Er glaubt, daß bei 950° chemische Umsetzungen stattfinden. In der kurz vorher zitierten Arbeit von Mellor und Holdcroft wird die Erhitzungskurveeines sehr reinen China-Clay angeführt. Die Aus- führung der Kurven-Aufnahme geschah folgendermaßen. Etwa 50 g des getrockneten Tones wurden in einen Liebig’schen Schmelztiegel von 20 ccm Inhalt eingefüllt, dieser wurde dann in einen etwa 50 ccm fassenden 1) Sokoloffl, Zur Frage des molekularen Zerfalls des Kaolin im Anfangsstadium des Glühens. (Tonindustriezeitung 1912, S. 1107.) 2) J. M. Knote, Einige chemische und physikalische Veränderungen in Tonen, welche durch den Einfluß der Hitze hervorgerufen werden. (Transactions nf th American Society of Ceramic XI, p. 217—264 1910. 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Schmelztiegel gesteckt, der Zwischenraum zwischen beiden Tiegeln wurde mit kalziniertem Quarz ausgefüllt. In die Mitte des Tones wurde die Lötstelle eines Thermoelementes eingesteckt, und ebenso ein Thermoelement in den Quarz. Das Ganze wurde in einen Mekerofen eingelassen und nun äußerst rasch erhitzt, so daß in kaum 20 Minuten 1200° überschritten waren. Aus der resultierenden Erhitzungskurve folgern sie, daß bei etwa 500° Wärme- absorption stattfindet unter Bildung von freier Kieselsäure, freier Tonerde sowie Wasser, welch’ letzteres entweicht. Bei 800° soll eine exothermische Reaktion eintreten, hervorgerufen durch Polymerisation der freien T'oonerde. (Eine solche exothermische Reaktion fand auch Le Chatelier bei etwa 850° in einer Tonerde, die durch Erhitzen von Tonerdenitrat hergestellt war; er führte diese Reaktion auf eine Polymerisation zurück.) Ferner finden sie bei 1200° eine starke Wärmeabsorption, die sie auf die Wiedervereinigung der bei 500° entstandenen freien Kieselsäure und freien Tonerde zurück- führen. Zunächst untersuchte ich den Fortschritt der Zersetzung bei verschiedenen Tonen mit steigender Temperatur. Zur Erhitzung diente eine Muffel mit Platinwiderstandsheizung. In zwei Platintiegeln wurden je 2 g der bei 120° getrockneten Substanz eingewogen. Einer dieser Tiegel wurde in die Muffel gestellt und ein 'Thermoelement, in Quarzglasschutzrohr befindlich, durch das Loch der Muffel derart gesteckt, daß die Lötstelle über dem Tiegel zu liegen kam. Zunächst wurde auf 150° erhitzt und zwar derart, daß diese Temperatur etwa 5 Minuten einwirkte. Nun wurde der Tiegel heraus- genommen, der andere an dieselbe Stelle der Muffel gestellt. Der erste Tiegel blieb 5 Minuten im Exsikkator, dann wurde er in die Wage gestellt. Unterdessen wurde der die Muffel erwärmende Strom so geregelt, daß die Temperatur in etwa 10 Minuten auf 200° stieg, dann wurde etwa 5 Minuten auf dieser Temperatur gehalten. Indessen war der erste Tiegel gewogen worden. Nun wurde der in der Muffel befindliche Tiegel herausgenommen und der erste eingesetzt. Tiegel 2 blieb 5 Minuten im Exsikkator, dann wurde er wieder in die Wage gestellt, wo er wieder 10 Minuten verblieb. worauf er schnell gewogen wurde. Indessen war Tiegel I in derselben Weise wie vorher auf 250° erhitzt worden. In der Art erhitzte ich bis auf 750° oder 300° und glühte schließlich vor dem Gebläse. Aus diesen Versuchen ging hervor, daß bereits bei 200° ein wenn auch sehr geringer Gewichtsverlust zu konstatieren ist, der 0,1 °/, meistens nicht übersteigt. Eine Ausnahme machen Tone, die reich an organischen Sub- stanzen sind. Bei 500° beträgt der Gewichtsverlust meist schon 10°, des Gesamtglühverlustes. Zwischen 550 und 600° war stets die größte Zunahme des Gewichtsverlustes zu konstatieren, was mit den Resultaten Riekes voll- kommen übereinstimmt. Die bis 800° erhitzten Tone zeigten entweder VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen 29 ' keinen, oder einen nur sehr geringen weiteren Gewichtsverlust vor dem Gebläse. Derartige Untersuchungen haben jedoch nur einen relativen Wert, Erstens ist es unmöglich, in einer solchen Muffel die» Temperatur so zu regeln, daß die Erhitzung bei allen Proben in genau gleicher Weise statt- findet. Und die Zersetzung ist, besonders von 500° ab, von jedem Temperatur- grad abhängig. Überhaupt ist der Gewichtsverlust an folgenden Faktoren gebunden: I. Höhe der Temperatur, . Der herrschende Druck, unter dem die Zersetzung vor sich geht, . Dauer der Einwirkung der Temperatur, . ob die Erhitzung in ruhender oder strömender Atmosphäre vor sich geht. $ & nv Im ersteren Falle wird infolge des sich bildenden größeren Dampf- druckes die Zersetzung eine geringere sein. Es ist also aus diesen Gründen unmöglich, eine genaue Temperatur anzugeben, bei der die Zersetzung beginnt. Unter 500° geht die Zersetzung bei normalem Druck nur langsam vor sich und auch bei sehr langer Einwirkung dieser T'emperatur ist eine vollkommene Zersetzung schwerlich zu erzielen. Bei 600° jedoch ist die Zersetzung schon sehr weit vorgeschritten, doch sind bei dieser Temperatur die letzten Reste des Konstitutionswassers sehr schwer aus- zutreiben. Doch nicht etwa, daß der letzte Rest des Wassers deswegen schwer zu entfernen sei, weil er vielleicht in irgend einer anderen Weise im Kaolinitmolekül gebunden sei, als das schon ausgetriebene Wasser. Es spielen hier hauptsächlich mechanische Einflüsse mit. Es ist anzunehmen, daß besonders die zu unterst liegenden Teilchen, die noch nicht ganz ent- wässert sind, von bereits ausgeglühten okkludiert werden, so daß die letzten Spuren Wasserdampf nur schwer entweichen können. Rieke z. B. fand in den Tonen, mit denen er die bereits erwähnten Erhitzungskurven bis etwa 800° aufgenommen hatte, vor dem Gebläse noch einen weiteren Gewichts- verlust, der manchmal 2°, erreichte. Jedenfalls wäre m. E. die Zersetzung vollkommener gewesen, wenn die Tone längere Zeit auf 800° erhitzt worden wären und wenn die Luft allseits Zutritt gehabt hätte, sodaß die großen Mengen des gebildeten Wasserdampfs hätten sofort entweichen können. Bei Glühverlustbestimmungen empfiehlt es sich jedoch, trotzdem auch bei niederer Temperatur vollkommene Zersetzung erzielt werden kann, lieber kürzere Zeit vor dem Gebläse zu glühen, um alle noch wasserhaltigen Teilchen zu ent- wässern. Ausführung der Aufnahme der Erhitzungskurven. Die Aufnahme der Erhitzungskurven ging wie folgt vor sich. Zur Er- hitzung diente ein kippbarer Röhrenofen von Heraeus mit Platinwiderstands- heizung, für 220 Volt und etwa ı8 Amp. eingerichtet, von 60 cm Länge und 5 cm Rohrquerschnitt. Die zu untersuchende Substanz, etwa 20 g sehr fein zerkleinert, wurde in einem Platintiegel von etwa 25 ccm Inhalt 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. eingeschüttet und dicht gerüttelt. Der senkrecht stehende Ofen wurde soweit hochgezogen, daß der röhrenförmige Untersatz frei wurde und der Tiegel darauf gestellt werden konnte. Zunächst wurde die Ofenkurve auf- genommen, wobei der Tiegel leer blieb. Hierbei wurde die nackte Lötstelle eines Platin-Platinrhodiumelementes von 0,6 mm Drahtdicke, dessen einer Schenkel durch ein Marquardtsches Kapillarrohr durchgezogen war, und dessen anderer frei blieb, so ın den Ofen eingebracht, "daßrfsiehi-dıe Lötstelle in der Mitte des Tiegels befand. Darauf wurde der Ofen herab- gelassen und zwar derart, daß der Tiegel genau in die Mitte sowohl .des Querschnittes als auch der Länge des Ofens kam. Auf das obere Ende des Ofens kam ein Deckel aus Chamottematerial mit einer Öffnung in der Mitte, durch welche das Element herauskam. Bei Aufnahme der Ofenkurve wurde das Element mit einer Klemme festgehalten. Bei Aufnahme der Erhitzungskurve irgend eines Materials kam die nackte Lötstelle wohlmöglich in die Mitte desselben. Hierauf wurde der Deckel möglichst dicht mit Chamottemörtel verschmiert. Die freien Enden des Elementes wurden an ein selbst registrierendes Galvanometer von Siemens & Halske, dessen Papierstreifen sich um 6 cm in der Stunde abrollt, angeschlossen. Nach längerem Experiment nahm ich die Erhitzung folgendermaßen vor. Ich begann stets mit I2 Amp. Stromstärke, hielt zunächst 5 Minuten auf der- selben; genau am Anfang der 5. Minute ging ich zu 121, Amp. über, hielt wieder 5 Minuten auf dieser Stromstärke, genau in der ı0. Minute steigerte ich auf 13 Amp. und hielt wieder 5 Minuten darauf. So ver- stärkte ich alle 5 Minuten den Strom um Y/, Amp. und hielt die jeweilige Stromstärke stets 5 Minuten bei. So erreichte ich in der 60. Minute ıS Amp., auf welcher Stromstärke ich dann noch ı5 Minuten lang hielt. Insgesamt dauerte also jede Erhitzung 75 Minuten und sie erreichte etwa 13002. Wie schon erwähnt, nahm ich zunächst eine Ofenkurve auf. Um die erhaltenen selbsttätig aufgezeichneten Kurven leichter in das übliche Ordi- natensystem übertragen zu können, las ich außerdem jede Minute die Temperatur ab. Durch Anwendung des selbsttätig registrierenden Galvano- meters hatte ich den Vorteil, insbesonders die exothermischen Reaktionen sehr deutlich zu erkennen. Die erhaltene Ofenkurve ist auf Bild I, Tafel I übertragen. Zunächst steigt die Temperatur etwas langsam an, da die entwickelte Wärme Zeit braucht, um bis zur Lötstelle vorzudringen, so daß in der 5. Minute erst 70° erreicht werden. Von da an steigt sie rasch an, in der ıo. Minute ist bereits 270° erreicht, in der 25. Minute ist sie bis auf 710° fortgeschritten, von da ab steigt sie ziemlich gleichmäßig bis zu etwa 1300° in der 75. Minute. Von 700° ab steigt die Temperatur durchschnittlich um ı2° in der Minute, während sie vorher in jeder Minute stärker ansteigt. Wie Bild ı jedoch zeigt, gibt es in der Kurve keine scharfen Übergänge. Indem ich am Anfang, ungefähr in der Mitte und VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 31 am Schluß meiner Experimente je eine Ofenkurve aufnahm, überzeugte ich mich von dem stets gleichen Verlauf der Erhitzung. Bezüglich der Erhitzungskurven der verschiedenen Materialien ist zu- nächst zu bemerken, daß die Temperatur besonders am Anfang gegenüber der der Ofenkurve zurückbleibt, ohne daß auf besondere Vorgänge inner- halb des Materials geschlossen werden kann. Denn die von der Ofen- wandung kommende Wärme braucht Zeit, um durch das Material bis zu der in der Mitte befindlichen Lötstelle durchzudringen. Nach und nach gleicht sich dann die Temperatur zwischen Ofenwandung und Tiegel aus, doch bis zum Schlusse bleibt die Temperatur im Material um 10°—15° hinter der Ofenkurve zurück. Erhitzungskurven verschiedener Tone. ı. Rohkaolıin von Halle. Gesamtanalyse: 8,74 °%, Glühverlust, 65,97 » SiO,, 24,20, 150», 0,75,0 HesO;, LORIOR Spuren MsO. Rationelle Analyse: 61,25 °, Tonsubstanzen, 38,070. Quarz; 0,68 ‚„ Feldspat. Bei der mechanischen Schlämmanalyse im Schöne-Apparat erhielt ich 61,5 %, Tonsubstanz. Erhitzungskurve Bild 2, Tafel I. Zunächst bleibt die Temperatur aus den vorher erwähnten Gründen gegen die der Ofenkurve etwas zurück, doch stärker als in einem Körper, in welchem keine Wärmeentwicklung mehr stattfindet, wie später deutlich gezeigt werden wird. Von etwa 525° ab beginnt eine deutliche Verzögerung im Anstieg, die zwischen 570° und 590° am stärksten ist. Der Anstieg von 525° bis 600°, in welchem Intervall die Verzögerung liegt, dauert 8 Minuten, der Anstieg von 570° bis 590° beinah 5 Minuten. Von 600° steigt dann die Temperatur wieder etwas an, von 630° ist ein starkes Nacheilen der Temperatur erkennbar. Es hat nämlich die stark zurückgebliebene Temperatur des Materials infolge der vorher- gehenden Wärmeabsorption, das Bestreben, die Ofentemperatur einzuholen, Bei 960° tritt plötzlich eine bedeutende Temperatursteigerung ein, so daß in der nächsten Minute etwa 1030° erreicht sind. Diese plötzliche Tem- peratursteigerung kann nur die Folge einer exothermischen Reaktion im Material sein. Bei 1035 ° bleibt die Temperatur etwas stehen, steigt dann langsam an, um dann ziemlich parallel mit der Ofenkurve zu verlaufen. E 33 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 32. Erhitzungskurve der aus Halle’schem Rohkaolin im Schöne-Apparat ausgeschlämmten Tonsubstanz. Bild 3, Tafel I. Anfangs Anstieg wie beim Halle’schen Rohkaolin, bei etwa 520° Ver- zögerung im Anstieg, die wieder von 570° bis 590° stark ausgeprägt ist. Zwischen 575° bis 580° bleibt die Temperatur 5 Minuten stehen. Die Verzögerung von 540° bis 600° erstreckt sich über insgesamt 12 Minuten; hierauf von 615° ab Nacheilen der Temperatur; bei 960 ° spontaner Sprung auf 1060°, dann sinkt die Temperatur in den nächsten 2 Minuten um 15°. Hierauf langsames Ansteigen, so daß in der 70. Minute erst 1080 ° erreicht ist, während 5 Minuten früher die Temperatur schon auf 1060° gestiegen war. Es ist also die Wärmeentwicklung infolge der exothermischen Reaktion so stark, daß die Temperatur des Materials die des Ofens überholt hat, und sich infolgedessen dann ein Zurückgehen der Temperatur im Material zeigt, bis ein Ausgleich zwischen Material und ÖOfenatmosphäre eingetreten ist. Es kann also das Zurückgehen der Temperatur nach der plötzlichen Wärme- entwicklung nicht als eine Wärmeabsorption gedeutet werden. Von 1080° Anstieg ziemlich parallel der Ofenkurve. 3. Geschlämmter Kaolin von Zettlitz (Böhmen). Bild 4, Tafel 1. Gesamtanalyse: 12,38 °, Glühverlust, 46,99 „ SiO,, 38152, ALO,, 0,75 „Fe,O,, 0,192 ,,.€a0; Spuren MsO, Rest K,O- Rationelle Analyse: 97,12 °/, Tonsubstanz, 0,56 ,„, Quarz, 2,52 ,, Feldspat. Hier verläuft die Verzögerung im Anstieg etwas verschwommener als bei den beiden vorhergehenden, doch ist das nicht auf ein verschiedenes Verhalten der Tonsubstanz zurückzuführen, sondern die Wärmeabsorptionen fallen nicht immer ganz gleichmäßig aus, was an der Art der Versuchs- ausführung liegt. Zwischen 570° und 590° ist auch hier die Verzögerung im Anstieg am deutlichsten. Das Nacheilen nach der Wärmeabsorption ist hier nicht so deutlich wie bei den beiden vorhergehenden. Bei 960° plötzlicher Sprung auf etwa 1050°. In der 59. Minute, als 1070° erreicht war, brach ich die Erhitzung ab. Nachdem der Ofen abgekühlt war, nahm ich eine Erhitzungskurve der nun gebildeten Chamotte auf. Auf Bild 4 in Tafel I sind sowohl die Erhitzungskurve des 'ungebrannten wie des ge- brannten Kaolin an derselben Stelle aufgezeichnet. Daraus ist sofort zu ersehen, daß die Temperatur in bis 1070° gebranntem Kaolin schneller VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 33 ansteigt, als die im ungebrannten. Es findet also schon von 200° ab eine, wenn auch geringe Wärmeabsorption im rohen Kaolin statt, doch bleibt die Temperatur in der Chamotte gegenüber der Ofenkurve ebenfalls zurück aus den schon erwähnten Gründen der Wöärmeleitung. Bei 960° überholt dann die Temperatur des Rohkaolins die des Chamottes. Aus dem Bilde sieht man dann deutlich, wie die Temperatur nach der Wärmeentwicklung sich mit der Ofentemperatur auszugleichen sucht. 4. Feuerfester Ton von Niederschlesien. Bild 1, Tafel II. Gesamtanalyse: 12,89 °/, Glühverlust, 47,40 „ SiO,, 3689 NOS 2,29 „ Fe&,O,, 34 SE Die Gesamtanalyse läßt auf sehr viel Tonsubstanz schließen. Erhitzungskurve: Ganz ähnlich den vorhergehenden. Zwischen 545 bis 605° Verzögerung im Ansteigen, die besonders deutlich um 580° ist. Der Anstieg von 545 bis 605° dauert 7 Minuten. Bei 960° Sprung bis 1038, dann wieder Ausgleich mit der Ofentemperatur, schließlich paral- leles Ansteigen mit der Ofenkurve. 5. Schieferton von Rakonitz (Böhmen). Bild 2, Tafel 1. Gesamtanalyse: 15,00 %, Glühverlust, 45.10 , SQ), 38,10, ALO,, 0,69 „ F&O,, 0,46 „ MgO, 36 sK. Erhitzungskurve. Hier ist die Wärmeabsorption sehr scharf ausgeprägt. Zwischen 570 bis 585° bleibt die Temperatur 4!/, Minuten stehen. Von 625° starkes Nacheilen, bei 960° Sprung auf 1050°; dann fällt die Tem- peratur um 15°, um langsam wieder anzusteigen. 6. Plastischer Ton von Meissen. Bild 3, Tafel II. Dieser enthält viel Sand, der Glühverlust ist 6,54 °/,, es ist also etwas weniger als die Hälfte an Tonsubstanz vorhanden. Die Wärmeabsorption von 560 bis 590° dauert hier nur 3Y, Minuten, bei 960 ° Sprung auf 1000°, 7. Fetter Ton von Rauske. Bild 4, Tafel 11. Gesamtanalyse: 14,00 °, Glühverlust, 47.00. 510% 35,00 „ ALO,, Damen es05, 0,15: „x. CaO, 0,19%, MeO, 35 SK. 1913. 3 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Erhitzungskurve: Deutliche Wärmeabsorption von 560° bis 595°; Dauer 5 Minuten, bei 960° Sprung auf 1035°, 8. Ziegelton von Breslau. Bild 1, Tafel II. Szhr reich an F&,O, und FeS,, frei von CaCo,. Erhitzungskurve: Von 555° bis 585° kurze Wärmeabsorption etwa 2!/, Minuten, die Wärmeentwicklung bei 960° nicht sicher konstatierbar. Nach der mit den anderen Tonen identischen Wärmeabsorption ist zwar auf das Vorhandensein von Tonsubstanz zu schließen, doch ist diese sicher durch die anderen Beimengungen so verdünnt, daß, wenn eine Wärme- entwicklung bei 960° überhaupt vorhanden, diese nur mit ganz feinen Apparaten konstatiert werden könnte. Zusammenfassung der bisherigen Resultate. Diese 8 verschiedenen untersuchten Tone zeigen ungefähr bei derselben Temperatur mehr oder weniger andauernde Verzögerungen im Anstieg, die besonders zwischen 570° und 590° deutlich sind. Hier wird das Konsti- tutionswasser der Tonsubstanz ausgetrieben. wozu Wärme verbraucht wird. Dies deckt sich vollkommen mit den Resultaten in Riekes Arbeit. Je mehr Tonsubstanz vorhanden, desto deutlicher ist die Wärmeabsorption. Daß die Erhitzungskurven nicht ganz genau übereinstimmen, liegt wohl nicht an einem etwas verschiedenen Verhalten der Grundsubstanz der Tone, sondern in der Versuchsausführung. Bei 960° tritt ein plötzliches Emporschnellen der Temperatur ein, das, wie ein Vergleich zwischen Rakonitzer Schieferton und z. B. plastischem Ton von Meißen zeigt, um so bedeutender ist, je länger die Wärmeabsorption bei etwa 580° dauert, also je mehr Ton- subztanz vorhanden. Es ist eben die Stärke der Wärmeentwicklung an den Gehalt an Tonsubstanz gebunden. Die erhaltenen Resultate stehen im scharfen Widerspruch zu denen von Holdcroft und Mellor. Jedenfalls ist die Hauptquelle des Unterschiedes der Resultate in der verschiedenen Art der Erhitzung zu suchen. Nach meinen Erfahrungen möchte ich deren Erhitzungskurve von China-Clay, die auf Bild 4 Tafel 3 gemäß der Originalarbeit aufgezeichnet ist, folgendermaßen deuten. Zwischen 500° und 600° findet Wärmeabsorption statt, wie jene sie auch annehmen, was sie jedoch bei 800 ® als eine Wärmeentwicklung ansehen, kann ich nach meinen bisher erwähnten und den folgenden Beobachtungen nur als ein Nacheilen der Temperatur im Material deuten, die infolge der Wärmeabsorption gegenüber der Temperatur der Ofenatmosphäre stark zurückgeblieben war. Zwischen 1100° und 1200° schließen sie auf eine Wärmeabsorption, die infolge der Wiedervereinigung der bei etwa 500° bis 600° gebildeten freien Kieselsäure und freien Tonerde hervorgerufen wird. Nach meinen Resultaten kann ich jedoch nicht eine Wärmeabsorption annehmen, sondern nur ein VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 35 Ausgleichen der Temperatur des Materials, die infolge der Wärmeentwick- lung bei 960° stark gestiegen war mit der der Ofenatmosphäre. Um sicher zu sein, daß bei 800° eine Wärmeentwicklung nicht konstatierbar ist, er- hitzte ich Zettlitzer geschlämmten Kaolin längere Zeit auf 600°, um alles Konstitutionswasser zu entfernen. Mit diesem entwässerten Material nahm ich nun die Erhitzungskurve auf. Selbstverständlich entfiel die Wärme- absorption bei 580° und der Anstieg war ähnlich der der erwähnten Zettlitzer Chamotte. Hier hätte ich also, falls eine Wärmeentwicklung bei 800 vorliegt, diese bemerken müssen, da die Temperatur infolge des Wegfalls der Wärmeabsorption ähnlich wie die Ofenkurve ansteigt. Es trat jedoch bei 800° nichts Bemerkenswertes ein, bei 960° jedoch wieder die schon bekannte exothermische Reaktion. Entsprechend den Versuchen von Holdcroft und Mellor erhitzte auch ich recht schnell in einem feuerfesten Tiegel etwa 50 g Zettlitzer geschlimmten Kaolın, und zwar in einem Mekerofen, so daß in einer Y/, Stunde über 1000° erreicht waren. In der Mitte des Materials befand sich die nackte Lötstelle eines "Thermoelements. Die resultierende Erhitzungskurve zeigte zwischen 500° und 600° eine deutliche Wärmeabsorption, aber infolge der schnellen Erhitzung ließen sich weitere Schlüsse aus ihr nicht ziehen, da Nacheilen und Wärmeentwicklung zusammenfielen. Es zeigen also Tone bei nicht zu schneller Erhitzung bei 580° eine Wärmeabsorption und bei 960° eine Wärmeentwicklung. Der Eintritt der exo- thermischen Reaktion scheint jedoch von der Dauer der Erhitzung abhängig zu sein. Dies geht aus folgendem Versuch hervor. Ich erhitzte einen Würfel von ungefähr 91, cm Kantenlänge aus 4 Teilen Halleschem Rohkaolin und 3 Teilen hochgebrannter Chamotte, aus demselben Rohkaolin hervor- gegangen, langsam in einem großen Gasmuffelofen. In der Mitte des Würfels war die Lötstelle eines Elements eingelassen. Hier war die Wärmeabsorption bei ungefähr 580° sehr deutlich. Nach 4l,stündiger Erhitzung war 940° erreicht und hier setzte bereits die exothermische Reaktion ein. Also bei lange andauernder Erhitzung setzt die Wärmeentwicklung um einige Grade früher ein. Im Anschluß hieran nahm ich die thermische Untersuchung eines wasser- freien Tonerdesilikates vor und zwar eines Sillimanitess von Horcajuelo (Spanien). Bild 2, Tafel II. Sillimanit ist Al,O,-SiO, und kristallisiert rthombisch. Weder endothermische noch exothermische Reaktionen waren konstatierbar. Auch die Erhitzungskurve eines norwegischen Feldspats bis etwa 1200° zeigte keine deutlichen besonderen Reaktionen. Es ist also die Wärmeentwicklung nur in wasserhaltigen Aluminiumsilikaten konstatierbar, deren typische Vertreter die Tone sind. Nun nahm ich die Erhitzungskurve eines Pyrophyllits von Spaa auf. Bild 3, Tafel IN. Pyrophyllit ist ebenfalls ein wasserhaltiges Aluminium- silikat, dessen empirische Formel mit Al,O, 4SiO, H,O angegeben wird, 3* 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Gesamtanalyse: 4.96 Glühverlust, 66,02 SIiO,, 28,14 AL,O,, — F&O,, — Ca0, i i MgO nicht bestimmt. Resten RO. Zwischen 560° und 590° kurze Verzögerung im Anstieg, Dauer 3 Minuten. Bei 960° ganz schwache Wärmeentwicklung. Es ist also die Erhitzungskurve ganz ähnlich der eines Materials, das wenig Tonsubstanz enthält. Es scheint also nach dem Resultate der Pyrophyllit nichts anderes als ein mit viel freier Kieselsäure verdünntes Aluminiumsilikat Al,O, 2SiO, 2H,O zu sein. Nun legte ich mir die Frage vor: 1. Treten derartige exothermische Reaktionen auch bei anderen tonerde- haltigen Körpern auf? 2. Worin liegt die Ursache dieser Wärmeentwicklungen? Unter der Annahme, daß die Wärmeentwicklung bei Tonen bei 960° nicht durch eine Wiedervereinigung der freien Tonerde und freien Kiesel- säure, die bei der Wasserabgabe gebildet werden sollen, hervorgerufen wird, müßten doch entweder die Tonerde allein oder die Kieselsäure allein diese Wärmeentwicklung geben. Nach Sokoloffs bereits erwähnten Untersuchungen läßt sich in Tonen, in denen das Konstitutionswasser eben ausgetrieben, die Tonerde mit verdünnter Salzsäure herauslösen, während die Kieselsäure zurück bleibt. Ich erhitzte dementsprechend Zettlitzer geschlämmten Kaolın längere Zeit bei 600 bis 650°, so daß beinah alles Wasser ausgetrieben wurde. Den so erhitzten Kaolin behandelte ich längere Zeit mit heißer ver- dünnter Salzsäure und löste so den größten Teil der Tonerde heraus. Die erhaltene Lösung untersuchte ich durch Eindampfen auf Kieselsäure. Diese war nicht mehr nachweisbar, es wird also bei dieser Art der Auflösung der Tonerde mit HCl Kieseläure nicht in Lösung gebracht. Mit der zurück- gebliebenen Kieselsäure aus dem Kaolin, die ich zunächst bei 120° trocknete, nahm ich eine Erhitzungskurve auf. Es war an dieser nichts besonderes zu bemerken. Es kann also die exothermische Reaktion der Tone bei 960° von der Kieselsäure für sich allein nicht herrühren. Die Tonerde als solche unverändert aus dem Ton herauszubringen, kann nicht gelingen. Wenn auch die Kieselsäure mit Flußsäure entfernt werden kann, so wird dabei aber auch die Tonerde in Aluminiumfluorid verwandelt und damit ist das Alu- miniumoxyd in ein Salz verwandelt. So lag der Gedanke nahe, von einem Aluminiumhydroxyd auszugehen. Als solches wählte ich ein Aluminiumhydroxyd von Kahlbaum. Nach Mit- teilung der Firma ist dieses durch Fällung hergestellt und im Vakuum bei VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 37 100° getrocknet. Es enthält nur 63%, Al,O, statt der theoretischen 65,4%). Der letzte Rest von Wasser sei absichtlich darin gelassen, denn bei stärkerem Trocknen könnte das Aluminiumhydroxyd leicht in Säure unlöslich werden. Nach meinen Untersuchungen beginnt das Aluminiumhydroxyd sein Wasser sehr bald zu verlieren. Bei zweistündigem Trocknen zwischen 95° bis 100° war schon 9,7°, Gewichtsverlust konstatierbar. Bei zweistündigem Trocknen bei 120° 11,7%,,, nach weiteren 2 Stunden 13,2%). Es geht also bei der üblichen Trockentemperatur schon !/, des Wassers weg. Die Bestimmung der Gewichisverluste von 50° zu 50° nach der eingangs erwähnten Methode ergaben: bei 150° 13,25%, 300% — 450% — 600° 37.0°),, 20092216,43),,.350%28,95%,1..5002.35,419/, 2 650% — „2500 25,42,, 400° 33,66 „ 5500 36,63, 700° — Diese Zahlen haben nur relative Bedeutung, doch zeigen sie ganz gut das Fortschreiten der Wasseraustreibung. Über das Tonerdehydroxyd sei noch folgendes bemerkt: Wenn man Aluminiumsalze mit Alkalıbasen fällt, so erhält man Tonerdehydrate mit wechselndem Wassergehalt und in kolloidaler Form. Nach ]J. M. van Bem- melen!) absorbiert das Tonerdehydrat je nach der Konzentration der zu seiner Herstellung benutzten Lösung mehr oder weniger Wasser und zeigt auch diesbezüglich verschiedenes Verhalten, ob es kürzere oder längere Zeit an der Luft ist, in welcher Temperatur usw. Wir haben es also bei den Tonerdehydraten im allgemeinen mit keiner bestimmten Verbindung zwischen Tonerde und Wasser zu tun, wie bei den in der Natur vorkommenden Mineralien Diaspor Al,O, -H,O und Hydırargillit Al,O,-3H,O. Kolloide Ton- erdehydrate verlieren beim Erhitzen ungleiche Wassermengen. Bei 250° bis 300° sollen sie alle ungefähr die Zusammensetzung Al,O,-H,O haben. Le Chatelier?) fand bei einem Tonerdehydrat, als er damit eine Erhitzungs- kurve aufnahm, bei 200° eine Verzögerung im Temperaturanstieg, ent- sprechend der Austreibung von Wasser, und eine zweite, welche bei 360° aufhörte. Bei 850° fand er in dem bereits entwässerten Kolloid eine Wärme- entwicklung, die er auf eine Zustandsänderung der Tonerde zurückführt. Zunächst nahm ich eine Erhitzungskurve mit dem Aluminiumhydroxyd von Kahlbaun auf. (Bild 1 Tafel 4) Von Anfang an ein sehr verlangsamter Temperaturanstieg. In der 10. Minute ist erst 80° erreicht, von da an wird die Verzögerung sehr deulich, so daß in der 15. Minute erst 98° erreicht sind. Dann steigt die Temperatur wieder etwas schneller an, doch immer noch eine bedeutende Wärmeabsorption anzeigend. Bei 270° ist wieder eine kleine stärkere Verzögerung konstatierbar, die sich bis 310° erstreckt und 4!/, Minuten dauert. Von da ab beginnt immer stürmischer werdendes ») J. M. van Bemmelen, Die Absorption, S. 44. 2) Le Chatelier, Bull. Soc. chim. 47 p. 303. 1887. * il shi „ 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Nacheilen der um etwa 375° zurückgebliebenen Temperatur gegenüber z. B. den Versuchen mit Zettlitzer Chamotte in derselben Zeit; die Temperatur steigt beim Nacheilen z. B. in der nächsten Minute um beinah 80°. Bei 960° ungefähr ist die Ofen-Temperatur endlich eingeholt. Bei 10609 etwa setzt ein plötzlicher Temperaturanstieg ein, so daß 1 Minute später 1160° erreicht ist. Nun tritt dasselbe ein wie nach den exothermischen Reaktionen bei Tonen. Die Temperatur geht einige Grade zurück, da sie der Temperatur der Ofenatmosphäre vorausgeeilt ist; schließlich steigt die Temperatur parallel der Ofenkurve bis 1280° in der 75. Minute an. Es kann sich also bei dem plötzlichen Temperaturanstieg nur um eine exothermische Reaktion handeln. Um sicher zu sein, daß ich die Wärmeentwicklung, die Le Chatelier bei 850° in einem Tonerdehydrat gefunden hatte, nicht übersehen, erhitzte ich das Kahlbaumsche Tonerdehydrat längere Zeit bei 600°. Mit dem so entwässerten Aluminiumoxyd nahm ich eine Erhitzungskurve auf. Natürlich entfiel jedwede Wärmeabsorption und ich erhielt ein Ansteigen wie etwa bei Zettlitzer Chamotte. Bei 1060° stellte sich wieder die heftige Wärme- entwicklung ein. Holdcroft und Mellor behaupten in ihrer schon öfters erwähnten Arbeit, in dem aus Aluminiumnitrat durch Erhitzen bei niederen Temperaturen her- gestellten Aluminiumoxyd eine bedeutende Wärmeentwicklung bei 850° gefunden zu haben wie Le Chatelier. Durch Erhitzen von Aluminiumnitrat bei etwa 600° erhielt ich ein Aluminiumoxyd frei von Salpetersäure, mit dem ich ebenfalls eine Erhitzungskurve aufnahm. Bild2, TafelIV. Zu bemerken wäre noch, daß dieses so erhaltene Aluminiumoxyd äußerst voluminös war, so daß ich in den etwa 25 ccm fassenden ‚Platintiegel, in welchem das Material behufs Aufnahme der Erhitzungskurve eingeschüttet wurde, nur etwa 12 g hinein- bekam. Zwischen 800 und 900° bemerkte ich nichts Auffallendes. Bei 1060° setzt wieder eine Wärmeentwicklung ein, die aber derart heftig ist, daß die Temperatur in der nächsten Minute bis 1215° heraufschnellt, also einen Sprung von 150° macht. Dadurch ist die Temperatur in der Tonerde derart der Temperatur der Umgebung vorausgeeilt, daß sie um volle 40° wieder heruntergeht und daß sie 5 Minuten später, nachdem plötzlich 1215° erreicht waren, nur noch 1185° beträgt. Von da ab steigt dann wieder die Temperatur parallel der Ofenkurve an. Es scheint die Wärmeentwicklung in der aus Aluminiumnitrat hergestellten Tonerde viel größer zu sein, als in der aus Tonerdehydrat, wie sich aus den dreimal wiederholten Versuchen ergab. Nun untersuchte ich Tonerde, durch Erhitzen von Tonerdesulfat hergestellt. Zunächst nahm ich die Erhitzungskurve von Tonerdesulfat auf. Von Anfang an eine sehr bedeutende Verzögerung, bei, 100° bleibt die Temperatur etwa 4 Minuten stehen, entsprechend der Austreibung des Kristallwassers. Dann beginnt ein stürmisches Nacheilen, bei etwa 750° beginnt eine starke Wärmeabsorption, die zwischen 850° und 860° besonders stark ausgeprägt ist. Von 875° beginnt dann wieder ein starkes Nacheilen- 3 VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 39 Während dieser Wärmeabsorption wird die Schwefelsäure ausgetrieben; dies deckt sich mit den Ergebnissen K. Friedrichs!). Eine Wärmeentwicklung konnte ich im weiteren Verlauf der Erhitzungskurve nicht konstatieren. Um sicher zu sein, daß ich eine derartige Wärmeentwicklung nicht übersehen, erhitzte ich Tonerdesulfat längere Zeit zwischen 850 bis 900°, so daß alle Schwefelsäure ausgetrieben wurde. Das zurückgebliebene Aluminiumoxyd war wieder sehr voluminös, In der resultierenden Erhitzungskurve konnte ich keine Wärmeentwicklung wahrnehmen. Es ist also das Auftreten der Wärmeentwicklung je nach dem Ursprungsmaterial der Tonerde verschieden. In manchen Aluminiumoxyden sind die exothermischen Reaktionen sehr heftig, wie in den aus Aluminiumnitrat hergestellten; in den aus Aluminium- sulfat hergestellten scheinen sie ganz zu fehlen. Die Ursache der Wärme- entwicklung kann, da reine Tonerde vorliegt, nur in einer Zustandsänderung der Tonerde zu suchen sein, Es liegt die Vermutung nahe, daß sich diese Zustandsänderung in einer Änderung des spezifischen Gewichtes zeigen wird. Ich untersuchte daher das spezifische Gewicht des Aluminiumoxyds, das ich aus Kahlbaumschen Aluminiumhydroxyd hergestellt hatte, und welches ich vorher bei verschiedenen 'Temperaturen erhitzt hatte. S [I Temperatur Dauer = Gewicht, AIl,O, 900° I), Stunde 3,02 " 1000° a 3,03 en) 1200° il, Minute 3,70 1300° 10375 3,12 r 1400° 1 Stunde 3,99. Aus den resultierenden Ergebnissen der spezifischen Gewichte folgt, daß nach der Wärmeentwicklung ein beträchtliches Steigen des spezifischen Gewichtes wahrnehmbar ist. Es fällt also die Wärmeentwicklung mit einer starken Volumenverminderung zusammen. Wir haben mithin hier dieselbe Erscheinung wie bei Tonen. Diese geben bei 960° eine thermische Reaktion, die, wie J. M. Knote gezeigt hat, mit einer Volumenverminderung verknüpft ist. Aus diesem ähnlichen Verhalten bezüglich der Wärmeentwicklungen von Tonen und reinen Aluminiumoxyden lassen sich Schlußfolgerungen ziehen, die später eingehender erörtert werden sollen. Nun ging ich zur thermischen Untersuchung der in der Natur vor- kommenden Tonerdehydroxyde über. Diese sind: 1. Diaspor, ein nicht zu häufiges, rhombisch kristallisierendes Mineral, das in seinen reinsten Varie- 1) K. Friedrich, Über ein einfaches Verfahren zur 1. Orientierung beim Studium der thermischen Dissoziation und der Konstitution leicht zerlegbarer Mineralien, (Zentralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1912, Nr. 6 u. 7.) *) Hier wurde die Tonerde im Heraeusofen wie üblich erhitzt, bis die Wärme- entwicklung grade vorüber war; die Temperatur war etwa bis auf 12000 gekommen. 40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. täten der Formel Al,O, H,O entspricht. Nach St. J. Thugut!) soll das Wasser in zwei Stadien ausgetrieben werden. Sonst gibt es keine exakten Angaben bezüglich der ‘Temperatur, wann das Wasser ausgetrieben wird. In mineralogischen Lehrbüchern ist angegeben, daß das Wasser erst bei starkem Erhitzen entweicht. 2. Hydrargillit oder Gibbsit; kristallisiert monoklin und kommt sehr selten als gut ausgeprägtes Mineral vor. Seine chemische Zusammensetzung ist Al,O, 3H,O. 3. Bauxite. Das sind im wesentlichen Verwitterungsprodukte derselben Gesteine, aus denen Tone entstanden sind, nur daß bei den ersteren die Zerseszung —- vielleicht. unter Mitwirkung von Kohlensäure und erhöhter Temperatur — weiter als bei den Tonen vor sich ging. Sie sind ein weißes, bis gelbliches, mit wachsendem Eisenoxydgehalt immer rötlicher werdendes, sehr feinerdiges, wie dichter Ton erscheinendes Material. Sie bilden manchmal, besonders in Südfrankreich mächtige, für die Aluminium- industrie sehr wichtige Lager. Klockmann?) bezeichnet Bauxite als das Gel der Hydragillitsubstanz, vermischt mit anderen Gelen, wie z. B. Limonit oder Opal, dann Hydrargillit, Kaolin, Quarzsand. Die chemische Zu- sammensetzung schwankt zwischen 50—70°, Al,O,, 3—25%, F&O;, 12—40 °/, H,O, 2—50 °/, SiO, und bis 3%, TiO,. Dieser nie fehlende Titansäuregehalt ist für Bauxite charakteristisch. Es liegt also im Bauxit hauptsächlich ein Tonerdehydroxyd vor, für das z. B. Klockmann die Formel Al,O,-3H,O annimmt. Im Treadwell?) findet man für Bauxite die Formel Al,O,-2H,0. H. Lienau?) teilt die Bauxite auf Grund von Ana- lysen nach dem Verhältnis der Tonerde zum Glühverlust, der hauptsächlich chemisch gebundenes Wasser ist, in drei große Gruppen ein: 1. Bauxite vom Typus Al,O,-H,O, dem Mineral Diaspor entsprechend. Diese finden sich besonders in Südfrankreich, im Departement Var, Herault und Ariege, Der durchschnittliche Glühverlust ist 12—14 %,. 2. Bauxite vom Typus Al,O,-2H,0O. Nach Berthier?) sind dies die wahren Bauxite, Sie finden sich besonders im Distrikt von Les Baux (Departement Bouches de Rhöne). Solche Bauxite sollen auch die hessischen und irischen sein. Der durch- schnittliche Glühverlust ist 20—24 %,. 3. Bauxite vom Typus Al,O,.3H,O, dem Gibbsit entsprechend. In Südfrankreich sind solche selten. Hierher soll besonders der amerikänische Bauxit von Georgia gehören. Glühverlust 27—35 °,. Das im Bauxit stets vorkommende Eisenoxyd ist nach ihm Hämatit, also wasserfreies Fe,O,, die nie fehlende Kieselsäure nimmt er teils armorph (Opal), teils kristallinisch an; also im freien Zustande, nicht 1) St. J. Thugut, Mineralchemische Studien, Ztschr. f. anorg. Chemie Bd. II S. 113, 1892. 2) Klockmann, Lehrbuch der Mineralogie 1912, S. 406. %) Treadwell, Kurzes Lehrbuch der analytischen Chemie 1911, S. 90. #) H. Lienau, Analysen französischer Bauxite, Chemikerzeitung 1903, S. 422. 5) Berthier, Annales des mines Bd, VI, S. 531, 1831. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 41 als Silikat. Weiterhin gibt H. Lienau in einer späteren Arbeit!) an, daß Bauxite vom Typus Al,O,-H,O, bei 100° getrocknet, dann auf 200° erhitzt, keinen merklichen Gewichtsverlust zeigen, während solche vom Typus A,O,-2H,O, bei 100 ® getrocknet, dann auf 200° erhitzt, bereits bis 4, °/, Gewichtsverlust ergeben. Er schließt daraus, daß die letzteren früher ihr Konstitutionswasser verlieren als die ersteren, und vielleicht der Verbindung Al,O,-H,O zustreben. Aus Versuchen zeigt er ferner, daß entgegen anderen Ansichten Bauxite zur Austreibung der Feuchtigkeit auf 110° erhitzt werden können, ohne daß Entweichung vom Konstitutionswasser zu befürchten wäre. Dieses gehe erst von 150° an weg. Arsandaux?) kommt auf Grund chemischer Analysen SiO, -reicher Bauxite zum Resultate, daß die Kieselsäure stets als Silikat Al,O, -2SiO, 2H,O also Tonsubstanz, in diesem enthalten ist, seltener als Quarzsand; das Eisenoxyd sei wasserfre. Al,O,-H,O hält er für die beständigste Form der Bauxite und als Endprodukt der Zersetzung von Feldspaten. Cornu und K. A. Redlich?) definieren die Bauxite als ein Gemenge von a) Tonerde-Gelen und zwar 1. A,O, H,O, das sie Kliachit & Cornu, 2. Al,O, 3H,O Kliachit ß Cornu nennen. b) Kristalloide: 1. Diaspor Al,O, H,O und 2. Hydrargillit Al,O, 3H,O. E. Dittler und C. Doelter‘) kommen durch Anfärbung verschiedenster Bauxite zu folgender Einteilung: 1. Echte Bauxite, d. s. solche, welche aus Kolloiden, nicht plastischen Substanzen zusammengesetzt sind. 2. Gemenge von Gelen und Kristalloiden, welche das Kolloid in geringerer Menge ent- halten und neben viel Eisenhydroxyd größtenteils aus kristallisierten Ton- erdehydraten bestehen. 3. Solche, welche sich nach den Eigenschaften ihrer Plastizität als zum großen Teile aus eisenhaltigem Ton zusammen- gesetzt zeigen. Es werden die Bauxite eben in neuester Zeit als auf der Grenze zwischen Kristalloid- und Gelnatur stehend, angesehen. Über die Temperatur, bei welcher das Wasser aus den Bauxiten aus- getrieben wird, gibt es keine bestimmten Angaben, höchstens die, daß das Konstitutionswasser bei starkem Glühen ausgetrieben werde. Bei diesem Glühen macht sich zugleich eine sehr starke Schwindung bemerkbar, welche manchmal erst nach wiederholtem Erhitzen ihr endgültiges Ende findet. 1) H. Lienau, Feuchtigkeit und Konstitutionswasser von Bauxiten, Chemikerztg. 1905, S. 1280—81. 2) Arsandaux, Sur la Composition de la bauxite (Comptes rendus de l’Academie des Sciences Rd. 148, S. 936—38, 1115—1118, 1909. 3) Cornu u. K. A. Redlich, Ztschr. f. Chemie und Industrie der Kolloide Bd. IV, S. 90, 1908. 4) E. Dittler und C. Doelter, Die Anwendung der Kolloidchemie auf Mineralogie und Geologie; Bauxit ein natürliches Tonerdehydrogel. Ztschr. f. Chemie und In- dustrie der Kolloide Bd, IX, S. 282, 1912. 42 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Diese Schwindung ist also Tonen und Bauxiten gemeinsam. Je tonerde- reicher Tone sind, desto größer ist auch ihre Brennschwindung. Dies ist für ihre Verwendung in der feuerfesten Industrie bekanntlich eine unan- genehme Nebenerscheinung, wodurch der Anwendung derartiger Tone und Bauxite, die an und für sich das feuerfesteste Material darstellen, gewisse Schwierigkeiten entgegengesetzt sind. Zunächst nahm ich die Erhitzungskurve eines reinen Diaspor von Chester (Pennsylvanien) auf. Bild 1, Tafel V. Gesamtanalyse: 14,84 %, Glühverlust, 0,31 ,,Sı05, 83,56 „ ALO,, 0,85 „ Fe,O,, Spur TiO,. Erhitzungskurve, Bis 540° nichts Bemerkenswertes, von da an beginnt eine bedeutende Wärmeabsorption, die sich bis 565 0 erstreckt. Das Zurück- legen dieses Temperaturintervalls von 25° dauert 7 Minuten. Von da an rascheres Ansteigen, das sich nach und nach verstärkt bis Ausgleich mit der Temperatur der Ofenatmosphäre eingetreten ist. Im weiteren Verlauf der Erhitzung war eine exothermische Reaktion bei zwei Versuchen nicht ersichtlich. Die bedeutende Wärmeabsorption von 540—565° kann nur von einer Austreibung des chemisch gebundenen Wassers herrühren. Dies geht auch aus der Bestimmung der Gewichtsverluste von 50 zu 50° hervor: 150° 0,02%, 300° 0,22%, 450° 1,40%, 600% 14,42% 200-=2:0,102,,.,35052..0,2225,23 900 6,62 „ 650 14,47 „ 250 : 0,10 „400% 0,32%, :..950:° .12,09:7,. 00 E52 Vor dem Gebläse 14,84 °/,. Bei 150° also ein minimaler Gewichts- verlust, der zunächst mit steigender Temperatur, wie bei den Tonen, nur um wenig größer wird. Bei 450° steigt er plötzlich auf etwa 9 °, des Gesamtglühverlustes, bei 500° ist er schon beinahe 40 °, desselben. Zwischen 500° und 550° zeigt er entsprechend der Erhitzungskurve die größte Zunahme. Bei 600° hat der Gewichtsverlust beinahe das Maximum erreicht. Aus demselben Grunde wie bei Tonen ist vor dem Gebläse noch eine weitere Zunahme konstatierbar, die aber sehr gering ist. Wir können also als die Zersetzungstemperatur des Diaspor zu ungefähr 540° bei nor- malem Druck annehmen. Auch hier ist natürlich die Größe der Zersetzung abhängig von der Höhe der Temperatur, der Dauer ihrer Einwirkung, dem herrschenden Druck und der Art der Ofenatmosphäre. Eine Erhitzungskurve von Hydrargillit aufzunehmen war mir leider nicht möglich, da dieses seltene Material nicht in gentigender Menge be- schafft werden konnte. spe VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 43 Erhitzungskurven verschiedener Bauxite. 1. Weißer Bauxit von Brignoles. Bild 2, Tafel V. Gesamtanalyse: 14,75 °/, Glühverlust, 3,99 „ SIO,, Im3L ,..A1,O,, 3.022, Res®,, 3:82, 10% Wenn wir den Glühverlust als an Tonerde gebundenes Wasser an- nehmen, so ergibt sich ziemlich genau das Verhältnis Al,O, H,O. Dieser Bauxit ist also arm an Kieselsäure und arm an Eisenoxyd. Erhitzungskurve: Bei 515° setzt eine starke Verzögerung im Anstieg ein, die von 530—565 ® besonders ausgeprägt ist. Das Zurücklegen des Inter- valls beansprucht 8 Minuten, von da an wteder wie gewöhnlich immer stärker werdendes Nacheilen. Bei 1070° beginnt ein etwas stärkeres Ansteigen, das zwischen 1150 und 1200° ziemlich deutlich sichtbar wird. Es ist dies in jedem Fall eine Folge einer schwachen exothermischen Reaktion, die an jene von Tonerde aus Tonerdehydrat erinnert. Die Wärmeabsorption ist vollkommen gleich derjenigen des Diaspors. Es geht also hier das chemisch gebundene Wasser weg, wie auch die Bestimmung der Gewichtsverluste von 50 zu 50° zeigt. 15902.0,05 95.3000 70,4 9574509 72,89%, 600% 13,90.% 20002.0,20,, 350: . 0,66 „500 6,40 650 14,06 „, 2309210,30,, 400° 77,012, 77550. 713,29 200.2 714.29, vor dem Gebläse 14,75 %,. Auch hier zeigt sich bei bereits niederen Temperaturen eine Zersetzung, die entsprechend der Erhitzungskurve zwischen 500 und 550° die stärkste Zunahme zeigt. Es liegt also die Zersetzungstemperatur in derselben Höhe wie die des Diaspors. 2. Bauxit von Südfrankreich. Bild 3, Tafel V. (Näherer Fundort nicht bekannt.) Gesamtanalyse: 12,80 °, Glühverlust, 3,020, 2S10,, 64,86: ,,. ALO;, 13,38... E50, 3.074, iO, Es liegt also hier ein kieselsäurearmer, doch eisenoxydreicher Bauxit vor. Das Verhältnis zwischen Tonerde und Wasser ist ungefähr 1:1. Erhitzungskurve: Bei 510° beginnt eine Wärmeabsorption, die zwischen 525 bis 540° besonders deutlich ist. (Dauer dieses Intervalls 4 Minuten.) Die Gesamtverzögerung von 5i0 bis 570° erstreckt sich über 7 Minuten, Bei 1080 beginnt ein beschleunigter Temperaturanstieg, der sich bis etwa 1150° erstreckt. Wir haben es hier also mit derselben exothermischen 44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Reaktion wie bei der Tonerde aus Tonerdehydrat zu tun, doch kommt sie beim Bauxit nicht so zur Geltung wie bei der Tonerde. Die Wärme- absorption liegt beinahe bei derselben Temperatur wie beim vorhergehenden Bauxit. 3. Bauxit von Istrien. Bild 4, Tafel V. Gesamtanalyse: 12,00 °/, Glühverlust, 0,032, 5105, 58,97, ALO,, 25,20.,, Ee&0,, 3,40 ,, 110.. Es ist dies also ein sehr kieselsäurearmer und ein sehr eisenoxydreicher Bauxit. Die deutiiche Verzögerung im Temperaturanstieg setzt wieder bei 510° ein und ist zwischen 520 bis 540° besonders ausgeprägt. Dieses kurze Intervall von 20° wird in 7 Minuten zurückgelegt. Die ganze Wärmeabsorption von 510 bis 560° dauert 9", Minuten, dann wieder das übliche Nacheilen. Bei 1060 setzt eine sehr deutliche Wärmeentwicklung ein, die die Temperatur innerhalb 1Y, Minuten auf 1135° treibt. Hier bleibt sie dann ein wenig stehen, bis sich die im Bauxit vorausgeeilte Tem- peratur mit der der Ofenatmosphäre einigermaßen ausgeglichen hat. Hieı ist also die exothermische Reaktion ganz analog der der Tonerde aus Tonerdehydrat. 4, Bauxit von Ungarn. ‚Bild 1, Tafel VE. Getamtanalyse: 12,06 %, Glühverlust, 3sul., 5105, 58,23 „ ALO,, 22,52 „ .F&0O,, 2,930,,1,.1103. Erhitzungskurve: Eine scharfe Verzögerung im Temperaturanstieg setzt bei 530° ein und ist zwischen 540 bis 560° besonders deutlich (Dauer 4), Minuten). Im weiteren Verlauf der Erhitzung ist hier eine Wärme- entwicklung nicht konstatierbar. Es ist hier also die Wärmeabsorption genau so wie beim Diaspor, nur etwas kürzer. 5. Bauxit von Südfrankreich. Bild 2, Tafel VI. (Näherer Fundort nicht angegeben.) Gesamtanalyse: 12,63 %, Glühverlust, 0,66 „ SIiO,, 19,020. 42A1,05; 10,908, He,O,} 1,008, O3: Erhitzungskurve: Wärmeabsorption genau so wie beim Bauxit von Brignoles, nur etwas kürzer, Wärmeentwicklung bei 1080° sehr deutlich. Die Temperatur wird innerhalb einer Minute auf 1120° heraufgetrieben. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 45 6. Bauxit von Cettes (Südfrankreich). Bild 3. Tafel VI Gesamtanalyse: 14,26 °/, Glühverlust, 24,45 „ SiO,, 55,92 „ ALO,, 3,14.,, F&O,, 2:03? ,, TIO,. Ein sehr kieselsäurereicher und eisenoxydarmer Bauxit. Hier ist die bei 510° beginnende Verzögerung im Temperaturanstieg sehr deutlich. Bei 560°, wo sonst bei den vorhergehenden Bauxiten die Wärmeabsorption meist ihr Ende erreicht hat, ist noch eine weitere Verzögerung, die sich bis 590° erstreckt, bemerkbar. Bei 960° plötzlich eine spontane Temperatur- steigerung auf 1000°. Eine weitere Wärmeentwicklung ist im Verlauf der Erhitzung nicht konstatierbar. Wir sehen also, daß bei diesem kieselsäure- reichen Bauxit dieselbe exothermische Reaktion wie bei Tonen vorliegt und sie kann daher auch nur durch im Bauxit vorhandene Tonsubstanz hervor- gerufen sein. Die bei 560° noch weitere stattfindende Verzögerung im Temperaturanstieg ist eine Folge der Wasseraustreibung aus der Ton- substanz. 7. Bauxit von Villevoyrac. Bild 4, Tafel VI. Gesamtanalyse: 12,63 °/, Glühverlust, 20,41%), SIOS; 61,902, A105, 1,509, ResO%, 2:89.54. 110; Dieser Bauxit ist ebenfalls sehr kieselsäurereich und eisenoxydarm. Erhitzungskurve: Die bei 510° beginnende Wärmeabsorption deckt sich vollkommen mit der beim vorhergehenden Bauxit. Bei 960° die exo- thermische Reaktion der Tonsubstanz, die die Temperatur spontan auf 1010° treibt. Eine weitere exothermische Reaktion ist nicht konstatierbar. 8. Bauxit von St. Chainien (Südfrankreich). Bild 5, Tafel VI. Gesamtanalyse: 14,56%, Glühverlust, 21,26 „ SiO,, 6141, ALO,, 0,80, He,O,, 2,02, iO, Auch dieser Bauxit ist wieder sehr kieselsäurereich und eisenoxydarm. Erhitzungskurve: Ihr Verlauf ist genau derselbe wie bei den beiden vorhergehenden Bauxiten und zeigt ebenfalls die exothermische Reaktion bei 960° sehr deutlich. Die bei diesen 3 Bauxiten durch thermische Analyse erhaltenen Resultate bestätigen die von Arsandaux auf chemischem Wege gefundenen, daß nämlich die SiO, in Bauxiten oft als ein Bestandteil von Tonsubstanz vorhanden ist. 46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 9. Bauxit von Georgia (Nordamerika.) Bild 1, Tafel VI. Gesamtanalyse: 32,89%, Glühverlust, 1,63>,, SiO,, 61,51, ALO,;, 1,10%, Fe&O,, 2,45 „ TiO,. Es liegt also hier ein kieselsäure- und eisenoxydarmer Bauxit vor. Unter der zulässigen Annahme, daß der Glühverlust fast nur chemisch gebundenes Wasser ist, beträgt das Molekularverhältnis von Tonerde zu dem chemisch gebundenen Wasser 1Al,O,:3,03 H,O. Erhitzungskurve: Von 100° ab ist bereits ein weitaus langsamerer Temperaturanstieg als bei den vorhergehenden Bauxiten konstatierbar. Bei 270° wird die Verzögerung im Temperaturanstieg sehr deutlich und ist besonders zwischen 300 und 330° scharf ausgeprägt. Das Zurücklegen dieses Intervalles von 30° dauert volle 11 Minuten. Die ganze Wärmeabsorption von 270 bis 340° dauert 15 Minuten. Von da ab beginnt ein äußerst stürmisches Nacheilen der um beinahe 400° gegenüber der Ofenatmosphäre zurückgebliebenen Temperatur, so daß manchmal pro Minute 80° zurück- gelegt werden. Bei 1060° setzt eine exothermische Reaktion ein, die die ‘Temperatur spontan auf 1140° treibt. Hier bleibt die Temperatur 4 Minuten stehen, bis sie sich schließlich einigermaßen mit der der Ofenatmosphäre aus- geglichen hat. Es liegt also hier dieselbe exothermische Reaktion vor wie bei Tonerde aus Tonerdehydrat. Die Wärmeabsorption liegt hier bei einer viel niedrigeren Temperatur als bei den vorhergehenden Bauxiten. Er unter- scheidet sich von dem vorhergehenden auch dadurch, daß er dem Typus Al,O, 3H,O entspricht, während die anderen dem Diasportypus ähneln. Die Gewichtsverlustbestimmung von 50 zu 50° ergab: 150% 0,199, 3000 , 11,7. 9% 450% 230010. 200 0,65 „ 350 25,17 „ 500 31,35 „ 250 1,69, 400 28,81 ,, 990 31,65 „. Vor dem Gebläse 32,89%,. Hier ist also bei 150° schon ein merk- barer Verlust eingetreten, der bei 250° schon 5°), des Gesamtgewichts- verlustes beträgt. Zwischen 300 und 350° ist die Zunahme des Gewichts’ verlustes entsprechend der Erhitzungskurve am größten. Es liegt also die Zersetzungstemperatur dieses Bauxites vom Hydrargillittypus bei ungefähr 320° gegenüber der der Bauxite vom Diasportypus hei 540°. 10. Bauxit von Hessen, Bild 2, Tafel VI. Gesamtanalyse: 27,03 °/, Glühverlust, 0,84 , SIO,, 53,26 ,„ Al,O,, 17,02,,,. E&0,, 2,40 „ TiO,. VI Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 47 Dieser Bauxit ist kieselsäurearm und eisenoxydreich. Erhitzungskurve: Auch hier bereits von 100° ab ein geringerer Temperaturanstieg als bei den Bauxiten vom Diasportypus. Von 270° an starke Wärmeabsorption, die sich bis 350° erstreckt. Dieses Intervall wird in 12 Minuten zurückgelegt. Wieder ist die Verzögerung im Temperatur- anstieg besonders von 300° bis 350° ausgeprägt (7!/, Minuten). Eine exo- thermische Reaktion ist nicht mit Sicherheit konstatierbar. Der Verlauf der Wärmeabsorption ist derselbe wie beim Bauxit von Georgia, und wir haben es hier, wie auch schon der Glühverlust zeigt, mit einem Bauxit von Hydrargillittypus zu tun. 1l. Bauxit von Südfrankreich. Bild 3, Tafel VII. (Näherer Fundort nicht bekannt.) Gesamtanalyse: 20,15, Glühverlust, 15,81... SiO;, 588, ALO,;, 1,06 5, 850,; 3,42 ,,.110,. Dieser Bauxit ist ziemlich kieselsäurereich und eisenoxydarm. Erhitzungskurve: Von 100° ab bereits ein geringerer Temperaturanstieg ‘ als beim Bauxit vom Diasportypus. Von 280° ab starke Verzögerung im Temperaturanstieg, die besonders zwischen 310° bis 330° deutlich ist und sich bis 350° erstreckt. Es ist also hier dieselbe Verzögerung wie beim Bauxit von Georgia und von Hessen, nur daß sie viel kürzer ist, etwa db Minuten. Von 350° ab rapides Ansteigen, so daß 3 Minuten später 510° erreicht ist. Hier setzt nun eine neue Wärmeabsorption ein, die genau mit der bei Bauxiten vom Diasportypus zusammenfällt. Der Anstieg von 510° bis 555° dauert 6 Minuten. Daran schließt sich eine kleine Verzögerung an, die mit der von Tonsubstanz korrespondiert. Von 610° an rapides Nacheilen der Temperatur. Bei 960° setzt eine exothermische Reaktion ein, die die Temperatur in 1 Minute auf 1010° treibt. Es ist also in diesem Bauxit viel Tonsubstanz vorhanden, wie auch aus der chemischen Analyse hervorgeht. Eine weitere exothermische Reaktion ist nicht deutlich sichtbar. Wir haben es hier also mit einem Bauxit zu tun, der, wie die beiden Wärmeabsorptionen genau zeigen, aus einem Gemisch von Al,O,-H,O und Al,0,-3H,O besteht, Die Gewichtsverluste von 50° zu 50° ergaben: 15002 0,15%, 300072 5,469, 4500 711,36 %,: 6002. .19,19.9,, 200 0,35 , 350 9568... 900 ; 15.51.,5. 690° 519,60 ,, a0 141 .5400).,10,26 „550° 18,78, ..200:....19,80.,,. Vor dem Gebläse 20,15 %. Auch hier ist bei 150° deutliche Zersetzung wahrnehmbar. Bei 350° ist bereits beinahe die Hälfte des Wassers ausgetrieben. Die Menge dieses 48 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Wassers entspricht dem Hydrargillitanteil des Bauxits. Zwischen 500° und 550° ist dann wieder eine neue starke Zunahme des Gewichtsverlustes ein- getreten, entsprechend des Diasporanteiles des Bauxits. 12. Bauxit von Irland... Bild 4, Tafel VI. Gesamtanalyse eines Durchschnittes: 20,83%, Glühverlust, 110,38... SiO,, 61.79, ALOs 33202, EesO,, 3,02 ,„ 1O,: In einem Stücke, das 14°, Glühverlust ergab, zeigte sich bei Auf- nahme der Erhitzungskurve eine ganz kurze Wärmeabsorption bei 300°, ent- sprechend Hydrargillit, dagegen eine sehr bedeutende Wärmeabsorption entsprechend Al,O,-H,O. Wie auch schon aus dem Glühverlust ersichtlich, haben wir es hauptsächlich mit Al,O,-H,O zu tun. Ein anderes Stück dagegen verhielt sich wie Bauxit von Georgia, indem die Temperatur zwischen 270° und 350° besonders lange stehen blieb. Dieses Stück verhielt sich also ganz wie Al,O,-3H,0. Nun nahm ich aus dem gesamten, mir zur Verfügung stehenden Bauxit eine Durchschnittsprobe, um beide vor- genannten Typen neben einander zu haben und nahm die folgende Erhitzungs- kurve mit dieser Probe auf: Erhitzungskurve: Hier zeigte sich so wie beim vorhergehenden Bauxit eine Wärmeabsorption entsprechend Hydrargillit und eine solche entsprechend Diaspor. Außerdem bei 960° eine schwache exothermische Reaktion, einen geringen Gehalt an Tonsubstanz im Bauxit anzeigend, und eine ganz schwache exothermische Reaktion bei etwa 1100° entsprechend freier Tonerde. Nach den Ergebnissen der Erhitzungskurven der Bauxite kann eine Ein- teilung derselben leicht getroffen werden und zwar nach der Höhe der Temperatur, bei der sie ihr Wasser, das hauptsächlich an Tonerde gebunden ist, abgeben. 1. Bauxite, die ihr Wasser bei ungefähr 540° abgeben. Sie lassen sich leicht daran erkennen, daß ihr Gesamtgewichtsverlust 12—14°], beträgt. Sie verlieren ihr Wasser so wie der Diaspor und haben dieselbe Zusammen- setzung des 'Tonerdehydrats wie dieser, nämlich Al,O, H,O. 2. Bauxite, die ihr Wasser bei ungefähr 310° verlieren. Ihr Gewichts- verlust ist 27 bis 35%). Das in ihnen enthaltene Tonerdehydroxyd hat die Zusammensetzung des Hydrargillits, nämllich Al,O, -3H,0. 3. Bauxite, die einen Teil des an Tonerde gebundenen Wassers wie Hydrargillt und den anderen Teil wie Diaspor verlieren. Ihr Gesamt- gewichtsverlust beim Glühen beträgt ungefähr 20%. Es gibt also keine Bauxite, in denen ein Tonerdehydroxyd von der Zusammensetzung Al,O,-2H,O vorkommt, wie dies von Berthier und Lienau angenommen VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 49 wird. Sie stellen vielmehr ein Gemenge von Al,O,-H,O und Al,O,- 3H,O vor. Daher verlieren sie, wie Lienau richtig beobachtete, bereits von 150° ab merkliche Mengen an Konstitutionswasser. Weiter geht aus den Erhitzungskurven klar hervor, daß die Bauxite vom Hydrargillit- typus beim Erhitzen ihr Wasser nicht derart abgeben, daß sie schließlich die Zusammensetzung Al,O,-H,O haben, also dem Diasportypus zustreben, sondern daß sie ihr Wasser innerhalb eines bei 310° liegenden geringen Temperaturintervalls abgeben. Es ist also eine scharfe Grenze bezüglich der Zersetzungstemperatur zwischen Al,O, -H,O-Bauxiten und Al,O, -3H,0O- Bauxiten gegeben. Weiter zeigen kieselsäurereiche Bauxite bei 960° die typische exothermische Reaktion der Tonsubstanz; es ist also die Kieselsäure zum größten Teil als Al,O, -2SiO, -2H,O darin enthalten. Zum Teile konnte ich bei den Bauxiten dieselbe exothermische Reaktion wie bei der Tonerde aus Tonerdehydrat, die bei ungefähr 1070° einsetzt, konstatieren. Manchmal war diese Wärmeentwicklung sehr deutlich, manchmal geringer oder sie fehlte ganz. Doch muß die Frage offen bleiben, ob diese Verschiedenheit betreffs der exothermischen Reaktion in einem prinzipiellen Unterschiede der Bauxite untereinander gelegen ist, da diese Versuchsausführung die thermischen Reaktionen nicht genügend scharf und sicher anzeigt. jedenfalls geht aber aus den Versuchen die interessante Tatsache hervor, daß Tonen und manchen Bauxiten, die beide beim Erhitzen auf hohe Temperaturen starkes Schwinden zeigen, exothermische Reaktionen gemeinsam sind, die von einer Volumenverminderung, also Schwindung, begleitet sind. Ferner wäre noch zu bemerken, daß das durch Fällung hergestellte, kolloidale Tonerdehydrat sich bezüglich der Zersetzung ganz anders als die Bauxite verhält. Das Wasser wird bereits von 90° ab abgegeben. Doch ist es auffällig, daß bei der Temperatur, bei der die Zersetzung des Hydrar- gillits eintritt, auch hier eine kleine Verzögerung in der Erhitzungskurve konstatierbar ist; es scheint also ein ganz geringer Teil des Wassers als Al,O,-3H,O an Tonerde gebunden zu sein. Es ist auch nach den ganzen Untersuchungen nicht anzunehmen, daß kolloidale Tonerdehydroxyde zwischen 250° bis 300° die Zusammensetzung Al,O,-H,O haben, sonst würden sie einen bedeutenden Teil des Wassers bei ungefähr 540° verlieren, wogegen aber der Verlauf der Erhitzungskurve spricht. Indem nun festgestellt ist, daß derartige exothermische Reaktionen nicht nur bei Tonen, sondern auch bei anderen, ihnen verwandten Materialien eintreten, kann der Frage nach der Ursache der Wärmeentwicklung, die zweifellos an das Vorhandensein von Tonsubstanz gebunden ist, näher getreten werden. Bis jetzt galt bezüglich der Vorgänge beim Erhitzen von Tonen die Auffassung, wie sie Mellor und Holdcroft aus ihren Arbeiten gewonnen, und wie sie bereits eingangs der Arbeit erwähnt ist. Ich fand bei 960° eine starke Wärmeentwicklung, welche auch bei Tonerde, doch um etwa 100° später, eintritt. Bei beiden Körpern ist die Wärmeentwicklung 1913. & 50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater!. Cultur. von Volumenverminderung begleitet. Wenn wir mit Mellor und Holdcroft und mit Sokoloff annehmen, daß bei der Entwässerung von Tonen freie Kieselsäure und freie Tonerde entsteht, so muß die letztere für sich Wärme- entwicklung geben. Sehen wir von der sehr geringen Möglichkeit ab, daß Tonerde und Kieselsäure aus der Tonsubstanz sich schon bei 960° unter Wärmeentwicklung wieder zu einem Silikat verbinden, was bei dieser niedrigen Temperatur höchst unwahrscheinlich ist, so ist es auffallend, daß bei Tonen die exothermische Reaktion präzise bei 960° eintritt, während sie bei freier Tonerde und manchen Bauxiten sich um 100° später und weniger präzise einstellt. Der etwaige Einwand, daß der Umwandlungspunkt der Tonerde durch die anwesende Kieselsäure heruntergedrückt wird, kann nicht stich- haltig sein, da in Bauxiten trotz der anwesenden anderen Körper, wie Eisenoxyd und Kieselsäure, die Wärmeentwicklung nicht vor 1060° sich einstellt. Um bezüglich dieser Frage sicher zu sein, mischte ich Kieselsäure- anhydrid, das aus bei 600° erhitztem Kaolin, aus dem die Tonerde mit Salzsäure entfernt war, hergestellt war, mit der gleichen Menge bei 600° entwässerten Aluminiumoxyds, hergestellt aus Aluminiumhydroxyd von Kahl- baum. Die Wärmeentwicklung trat wieder bei 1060° ein, doch viel schwächer, da die Tonerde mit Kieselsäure verdünnt war. Ferner ist es auffallend, daß die Wärmeentwicklung bei Tonen so bedeutend ist, trotzdem das Aluminiumoxyd in entwässerten Tonen höchstens 46%, ausmacht, also sehr stark mit Kieselsäure und anderen Oxyden verdünnt ist. Diese Betrachtungen stehen der Annahme entgegen, daß beim Entwässern freie Tonerde gebildet wird. Daß vom Konstitutionswasser befreite, nicht zu hoch erhitzte Tone an verdünnte Salzsäure Tonerde abgeben, ist noch kein vollgültiger Beweis dafür, daß freie Tonerde gebildet wird. Der Annahme, daß sich gleich- zeitig mit dem Austritt des Wassers ein leichter lösliches Silikat bildet, steht nichts entgegen. So nahmen schon R. Sachse und A. Becker!), die zuerst die Eigenschaft der Tone entdeckten, nach dem Erhitzen auf schwache Rotglut viel Tonerde an Salzsäure abzugeben, die Bildung eines leichter löslichen Silikates bei schwacher Rotglut an. Die Löslichkeit des Tones in Salzsäure wird aber, wie Sokoloff gezeigt hat, von 800° ab immer geringer, da auch die Tonerde an und für sich von 800° in Salzsäure immer schwerer löslich wird. Bei 900° hört die Löslichkeit der Tonerde und daher auch die der entwässerten Tonsubstanz ganz auf. Die exothermische Reaktion bei 960% kann also keine Änderung der Löslichkeit des Tones in Salzsäure mit sich bringen, da das Unlöslich- werden schon zwischen 800 bis 900° eingetreten ist. Es ist daher die Vermutung von Le Chatelier, daß die von ihm bei 1000° gefundene exo- thermische Reaktion bei Tonen ein Unlöslichwerden in Salzsäure hervorruft, 1) R. Sachse und A. Becker, Die Kaolinbestimmung im Ackerboden (Land- wirtschaftl. Versuchsstation Bd. 11. S. 245—250. 1892. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 51 nicht zutreffend, da schon vorher dieses Unlöslichwerden eingetreten ist. J. M. Knote nimmt an, daß beim Entwässern eine Spaltung in Al,O, SiO, + Al,O,-3SiO, — 4H,O eintritt, entgegen anderen Vermutungen, die ein Zerfall in Al,O, -SiO, —+ SiO, + 2H,O annehmen. Knote nimmt diesen etwas komplizierten Zerfall an, weil. er in entwässerten Tonen das spezifische Gewicht niedriger fand als in rohen und hochgebrannten Tonen. Die Bildung des Silikates Al,O, -SiO, nimmt er deswegen an, weil in hoch- geglühten Tonen dieses Silikat, das nichts anderes als Sillimanit ist, kon- statiert wurde. Doch schließt er die Möglichkeit nicht aus, daß die exo- thermische Reaktion durch die Bildung eines Silikates Al,O, -2SiO, hervor- gerufen wird. Nachdem ich aber bei der Tonerde eine ähnliche Wärme- entwicklung gefunden habe, ist leicht anzunehmen, daß bei 960° in Tonen ebenfalls eine Zustandsänderung eintritt, die sich hauptsächlich durch eine Volumverminderung kenntlich macht. Diese Zustandsänderung rührt aber nicht von freier Tonerde her, sondern von einem Silikat, das sich bei der Entwässerung gebildet. Es ist also nicht anzunehmen, daß die exothermische Reaktion durch eine Neubildung eines Silikates hervorgerufen wird. Die wichtigsten Daten bezüglich der thermischen Analyse von Tonen und Bauxiten sind also folgende: 1. Tone: eine mehr oder weniger starke Wärmeabsorption bei etwa 580° und eine Wärmeentwicklung bei 960°. (Vergleiche Rieke, 1. c.) 2. Bauxite vom Diasportypus: mehr oder weniger starke Wärme- absorption bei etwa 540°. 3. Bauxite vom Hydrargillittypus: mehr oder weniger starke Wärme- absorption bei etwa 310°. Die beiden letzteren zeigen bei 1070° manchmal mehr oder weniger starke Wärmeentwicklung. Mit Hilfe vorstehender Daten können wir diese Körper mittels ther- mischer Analyse in anderen Materialien konstatieren, falls ihre Menge nicht zu gering ist. Derartige Untersuchungen nahm ich bei 3 Lateriten vor. Laterite sind nach Rinne!) lebhaft rote oder rotbraune, also viel eisen- oxydhaltige Verwitterungsprodukte, die manchmal tonig sind, oder aus Aluminiumhydroxyden bestehen. Besonders die Geologie hat sich mit diesen merkwürdigen Verwitterungsprodukten, die hauptsächlich in den Tropen zu finden sind, vielfach befaßt. Bezüglich ihres Gehaltes an Ton- substanz und Aluminiumhydroxyden gehen die Ansichten auseinander. M. Bauer?) gibt an, die Lateritsubstanz sei nicht, wie bisher angenommen war, ein wasserhaltiges Aluminiumsilikat, sondern Tonerdehydrat und zwar hauptsächlich Al,O, -3H,O, auch Al,O,. H,O, Eisenoxyd sei mechanisch 1) Rinne, Praktische Gesteinskunde 1908, S. 237. 2) M. Bauer, Beiträge zur Kenntnis der Geologie der Seyschellen, insbesondere des Laterits, Neues Jahrbuch für Mineralogie II, S. 263—290. 1898. 4r 52 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. beigemengt. ]J. M. van Bemmelen!) fand mittels chemischer Analyse in verschiedenen Lateriten hauptsächlich Hydrargillit, seltener Diaspor. Th. Holland?) gibt an, Laterite seien ein Gemisch von wasserhaltigem Aluminiumoxyd und zwar Al,O, - 3H,O und Al,O, - H,O mit verschiedenen Eisenhydroxyden. H. Arsandaux?) kommt auf Grund geologischer und chemischer Untersuchungen zu dem Schluß: Laterisierung besteht in’ einer Hydratation der Feldspäte, welche mit einer Trennung der Tonerde der- selben in zwei Teile endigt, und zwar einem Silikat und einem Hydroxyd. Ersteres ist Kaolin und letzteres Hydrargillit. Ich konnte mir leider nur 3 Laterite beschaffen und diese nur in geringen Quantitäten. 1. Laterit von St. Thomas (Kleine Antillen). Bild 1, Tafel VI. Gesamtanalyse: 4,04 °, Glühverlust, 74,91, SiO5; 1212,,0A1,0,, BEL TiO,, 1,33 ,,: Fe,O;; Rest Alkalı. Das ist merkwürdigerweise ein sehr eisenarmer Laterit mit hohem SiO,-Gehalt. Erhitzungskurve: Bei 550 ° deutlich bis 590° sich erstreckende Wärme- absorption, bei 960° eine schwache Wärmeentwicklung, sonst normaler Verlauf. Die Erhitzungskurve zeigt also nur Tonsubstanz an. Dieser Laterit besteht ‚mithin aus viel freier SiO, und wenig Al,O, 2SiO, 2H,O. 2. Laterit (unbekannter Herkunft). Bild 2, Tafel VII. Gesamtanalyse: 12,39 %, Glühverlust, 39,49 „ SIO„ 21,452,,0A1,0,, 6 Dos 293,41... H6&,0;: Rest Alkalı. Erhitzungskurve: Bei 510° ungefähr deutliche, bis 560° währende Absorption einsetzend. Es ist also dieselbe Wärmeabsorption wie beim Diaspor. Bei 840° ungefähr setzt eine neue, bis 920° währende, exo- thermische Reaktion ein. Nach dieser bleibt die Temperatur beinah 1) J. M. van Bemmelen, Beiträge zur Kenntnis der Verwitterungsprodukte der Silikate in Ton-, vulkanischen und Lateritböden. Ztschr. f. anorg. Chem. 42, S. 265 bis 324. 1904. 2) Th. Holland, Über die Konstitution, Entstehung und Entwässerung des Laterits, Ztschr. f. Kristallographie 41, S. 397—98. 1905. 3) H. Arsandaux, Neue Beiträge zum Studium der Laterite. C. R. de L’Academie des Sciences, 150 p. 1698—1701. 1910. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 53 4 Minuten stehen, um dann normal anzusteigen. Da ich über kein weiteres Material verfügte, konnte ich dieser noch nie beobachteten Wärmeentwick- lung nicht weiter nachgehen. Dieser Laterit enthält also, wie die thermische Analyse deutlich zeigt, größere Mengen Al,O,- H,O und viel freien Quarz, 3: Laterit von Cotoja. Bild 3, Tafel VII. Gesamtanalyse: 11,77 °/, Glühverlust, 31,90%. 5:0, 32,09 „ ALO,, 20,10 „ F&O,, 0.80%, 0}, Rest Alkalı. Erhitzungskurve: Bei etwa 280° Beginn einer Wärmeabsorption, die bis etwa 340° anhält und innerhalb 4’/, Minuten verläuft. Um 580° herum eine ganz kurze neue endothermische Reaktion. Sonst war im Verlauf der Kurve nichts Besonderes bemerkbar. Es zeigt also dieser Laterit die typische Wärmeabsorption des Hydrargillits. Er enthält daher bedeutendere Mengen von Al,O,-3H,0. Ferner zeigt er, aber nur sehr verschwommen, die typische Wärmeabsorption der Tonsubstanz. Jedoch ist diese Tonsubstanz in so geringen Mengen vorhanden, daß die Wärme- entwicklung bei 960° nicht konstatierbar ist. Es geht also aus diesen drei Erhitzungskurven hervor, daß Laterite sowohl Tonsubstanz, als auch Al,O,-H,O und Al,O,-3H,O enthalten können. Zusammenfassung der wichtigsten Resultate der Arbeit. 1. Es ist bei verschiedenen Tonen festgestellt worden, daß sie bei Erhitzung nur 2 thermische Reaktionen zeigen; eine exothermische und eine endothermische. Beide waren schon früher bekannt, doch fehlten bis jetzt diesbezüglich zusammenhängende Untersuchungen, 2. Tonerde zeigt bei etwa 1060°, je nach ihrem Ursprunge, eine mehr oder weniger heftige Wärmeentwicklung, die mit einer Volumen- verminderung verknüpft ist. Es gibt 2 wesentlich von einander verschiedene Bauxit-Arten: I. solche, welche bei etwa 540° ihr chemisch gebundenes Wasser abgeben, II. solche, welche bei etwa 310° ihr chemisch gebundenes Wasser abgeben; © die ersteren entsprechen der Zusammensetzung Al,O, H,O, die letzteren entsprechen der Zusammensetzung Al,O, -3H,0. Dann finden sich Bauxite, die eine Mischung dieser 2 Arten vorstellen; in ihrer chemischen Zusammensetzung nähern sie sich Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 94 108 Tafel IF sm 75 20° 25 Nınutea Erkifzungskurre von Keolinıf noch Holdcrost und Melior. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 55 IT ee er Eee Let BEEREISIERBELRELSIESEZELTEILEIENE = 56 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. dem Typus Al,O,-2H,O, in Wirklichkeit sind sie, wie schon gesagt, ein Gemenge von Al,O,-H,O und Al,O, - 3H,0. 4. Auch manche Bauxite zeigen bis 10600 mehr oder weniger starke Wärmeentwicklungen entsprechend reiner Tonerde. Vorlage einer Arbeit von Herın Bergreferendar Dr. H. Quiring: Über das Goldvorkommen bei Goldberg in Schlesien und seine berg- männische Gewinnung im 13. und 14. Jahrhundert. Einleitung. An mehreren Punkten Niederschlesiens ist, wie nicht allein durch urkundliche Nachrichten bezeugt wird, sondern wie auch spätere Unter- suchungsarbeiten im Gebiete der ausgedehnten Halden- und Pingenzüge dargetan haben, vor etwa 700 bis 800 Jahren ein bedeutender Gold. bergbau umgegangen. 1. Bei Bunzlau, an der Strasse von Bunzlau nach Löwenberg. 2. Bei Löwenberg a) zwischen Plagwitz, Höfel, Zobten, Petersdorf, Lauter- seifen, Deutmannsdorf und Ludwigsdorf, b) zwischen Hohlstein, Gehndorf, Giersdorf, Dürr-Kunzen- dorf, Gross -Walditz, etwa von 1200 (?) bis 13001). 3. In der Umgegend von Goldberg a) zwischen Goldberg, Kopatsch und Kosendau, b) zwischen Geiersberg und Seiffenau, etwa von 1180 bis 1370. 4. Bei Nicolstadt a) zwischen Wahlstatt, Niecolstadt und Strachwitz, b) bei Gross- und Klein-Wandris, etwa von 1340 bis 1370. Mehrmals sind Versuche zur Wiederaufnahme des Bergbaues, zuletzt in den Jahren 1775 bis 1784, 1842 bis 1845 und 1853 bis 1854 angestellt worden. Sie haben jedoch zu kräftigeren Untersuchungsarbeiten: nur in den Pingengebieten von Goldberg (Kopatsch), Nicolstadt und Wandris geführt. Die Pingengebiete von Löwenberg und von Geiers- berg sind fast gänzlich unbeachtet geblieben. Aber auch die Unter- suchung der erstgenannten Gebiete hat nur insofern ein einigermassen befriedigendes Ergebnis gezeitigt, als die durch Tiefbau von den Alten abgebaute Lagerstätte bei Kopatsch erreicht, die Art des Vorkommens erkundet und der Goldgehalt festgestellt werden konnte. Dagegen gelang es trotz der bedeutenden Kosten, die man namentlich 1844 bis 1) Wahrscheinlich ist der Goldbergbau bei Löwenberg der älteste. Nach allerdings ungenügend verbürgten chronikalen Nachrichten soll er bereits im 11. Jahr- hundert eingesetzt haben. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 57 1845 auf die Erschürfung der Lagerstätten bei Nicolstadt und Wandris verwandte, nicht, bis zu den dort ebenfalls durch Tiefbau einst ge- wonnenen und sicherlich reichsten der Goldvorkommen vorzudringen, sO- dass noch jetzt darüber Zweifel bestehen, ob die zwischen Wahlstatt und Gross-Wandris liegenden gewaltigen Halden- und Pingenzüge das Produkt eines Seifen- oder eines Gangbergbaues darstellen. Der Versuch des Verfassers, kurz unsere heutige Kenntnis von dem Vorkommen des Goldes in der Nähe von Goldberg und Kopatsch zu skizzieren, kann vor allem darin seine Begründung finden, dass wir über die Verhältnisse der dortigen Lagerstätte fast kaum unterrichtet sind und dass in der einzigen eingehenderen Arbeit über das Vorkommen des Goldes bei Goldberg, einer Arbeit v. Dechens?), die Ergebnisse der zweifel- los wichtigsten Versuchsarbeiten aus den Jahren 1842 bis 1845 und 1853 bis 1854 keine Berücksichtigung gefunden haben. Die nachfolgende Beschreibung wird, anknüpfend an einen ge- drängten Überblick über die Geschichte des alten Bergbaues und die Wiederaufnahmeversuche, an Hand der bei diesen Versuchen gemachten Aufschlüsse ein Bild der Lagerstätte und des alten Bergbaues entwerfen. Allgemeines. Bei Goldberg, dort wo die Katzbach die nördlichen Ausläufer des niederschlesischen Berglandes, des Katzbachgebirges, verlässt und hinaus- tritt in das vorgelagerte Hügelgebiet, liegen, hart am Rande des sich unter die diluviale Schuttmasse senkenden mesozoischen und paläozoischen Grundgebirges eine grosse Anzahl von Pingen und Halden. Sie verteilen sich in der Umgebung von Kopatsch auf eine Fläche von etwa 21/, km Länge und 1 km Breite, treten z. T. allerdings nur undeutlich hervor. Die Karte auf S. 89 gibt einen Überblick über die noch heute sichtbaren Spuren des alten Bergbaues. Am leichtesten erkennbar sind sie am Bürgerberge und an den Abhängen der Hochfelder, die sich bis zu €0 m über den Katzbachspiegel erheben. Wenn die Höhe der Hochfelder selbst von Pingen frei ist, so ist das nur dadurch zu erklären, dass hier die Pingen ebenso wie auch an anderen Stellen infolge der landwirt- schaftlichen Nutzung eingeebnet sind. Von den Hochfeldern ziehen sich die Pingen und Halden über die Katzbach hinweg bis zu der jenseitigen Liegnitzer Höhe, die noch jetzt im Volksmunde den Namen „Die Zeche“ führt. 2), v. Dechen, Über das Vorkommen des Goldes in Niederschlesien. Karstens Archiv f. Min. usw., Berlin 1830, S. 209 ff, 58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Eigenartig ist, wie wir noch später sehen werden, dass auch im Tale der Katzbach, bei den „Sieben Bütten“, anscheinend Bergbau umgegangen ist; ja, wenn wir den Chronisten Glauben schenken sollen, ist hier der Bergbau am ergiebigsten gewesen. Die Halden und Pingen führen in der Hauptsache wohlgerundete Geschiebe von weissem Quarz. Daneben findet man aber auch Bruch- stücke von Basalt, Quadersandstein, Tonschiefer, Kieselschiefer, Granit, Gneis, Glimmerschiefer und Porphyr. Eine gewisse Abweichung zeigen die Geröllmassen, welche in den Pingen auf der Liegnitzer Höhe auftreten. Sie setzen sich vornehmlich aus zahllosen scharfkantigen Bruchstücken von weissem Quarz zusammen. Die urkundlichen Nachrichten?), die uns aus der Zeit, in welcher der Bergbau bei Goldberg umgegangen ist, vorliegen, berechtigen zu dem Schlusse, dass die erste Ausbeutung der Goldlagerstätte durch deutsche Goldwäscher noch vor der Stadtwerdung von Goldberg, d. i. vor dem Jahre 1211 stattgefunden und aller Wahrscheinlichkeit nach etwa um 1190 eingesetzt hat. Der Name des Dorfes Kopatsch (Kopacz — Gräber) scheint sogar darauf hinzudeuten, dass schon vor der Einwanderung Deutscher das Ausgehende des Goldvorkommens durch die slawische Urbevölkerung im Tagebau gewonnen worden ist. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass Kopatsch auf dem nordöstlichen Ausbiss des Goldsandlagers liegt und gerade dort eine Entdeckung des Vorkommens verhältnismässig leicht war. Die Blüte des Bergbaues ist für die Zeit von 1200 bis 1230 anzu- nehmen. Wie sich aus den erhaltenen Urkunden mit Sicherheit ersehen lässt, ist in der Hauptsache Tiefbau geführt und die Wasserlösung vor- nehmlich durch Stollen bewirkt worden. Jedenfalls’ hatte man in den 3) Der grösste Teil der in Betracht kommenden Urkunden (von 1211 an) ist abgedruckt in dem vorzüglichen Werk von K. Wutke, Schlesiens Bergbau und Hüttenwesen, Urkunden. Cod. dipl. Sil. Bd. 20 und 21, Breslau 19C0—1901. Auch Steinbeck hat in seiner „Geschichte des Schlesischen Bergbaues usw. Breslau 1857“ einzelne dieser Urkunden auszugsweise mitgeteilt. An besonderer Literatur zur Geschichte des Goldberger Bergbaues ist kein Mangel. Der grösste Teil beschränkt sich jedoch auf eine verschwenderische und wirklich billige Kritik der in chronikalen Nachrichten vorhandenen und überhaupt nicht ernst zu nehmenden Übertreibungen des Umfanges des Bergbaues und der Höhe der Goldausbeute. Auf die allein entscheidenden tatsächlichen Verhältnisse, wie sie uns durch die neueren Versuchsarbeiten vermittelt worden sind, geht kaum eine der Arbeiten ein. Zu welch absonderlichen Ansichten Forscher gelangen können, welche lediglich aus geschichtlichem Material schöpfen, ergibt sich daraus, dass in einer von „Fachgenossen“ als kritisch gelobten Abhandlung aus dem Jahre 1840 (also 10 Jalıre nach dem Erscheinen der Dechenschen Arbeit) in allem Ernst behauptet wird, dass möglicherweise kein Gold, sondern vielleicht Bern- stein bei Goldberg gefördert worden sei. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 59 letzten hundert Jahren des Betriebes nach Erschöpfung der leichter zu gewinnenden Teile und beim Übergehen zu Abschnitten, welche unter dem Grundwasserspiegel lagen, mit grossen Schwierigkeiten in der Wasser- haltung zu kämpfen. Das endgültige Erliegen des Bergbaues ist uns aus dem Jahre 1404 bezeugt. Danach sind die letzten Baue etwas vorher, wahrscheinlich um 1370, aufgegeben worden. Wohl sind sehr bald darauf und späterhin noch mehrfach auf Be- treiben der Herzöge von Liegnitz, welchen der Fortfall der Einkünfte aus dem Goldbergbau nicht gleichgültig sein konnte, Versuche zur Wieder- aufnahme des Bergbaues gemacht worden, doch ohne nennenswerte Erfolge zu erzielen. Soweit unsere Kenntnis reicht, war es erst den Untersuchungsarbeiten, die auf Veranlassung des grossen Königs von 1775 bis 1777 und weiterhin von 1781 bis 1784 von der preussischen Bergverwaltung vorgenommen wurden, vorbehalten, die einstmals gebaute Lagerstätte aufzuschliessen. Nachdem man an vielen Punkten den zutage anstehenden Sand mittels des ungarischen Sichertrogs auf Gold einer Voruntersuchung unterworfen und das Vorhandensein von Gold festgestellt hatte, teufte man an ver- schiedenen Stellen Schürfschächte ab. Zwar erreichte man, zumeist wegen der nicht zu haltenden Wasserzugänge, nur an zwei Punkten (im Pingen- gebiet der Hochfelder und in der Nähe der Ziegelei am Bürgerberge) die von den Alten gebaute Lagerstätte, doch genügten schon diese Auf- schlüsse, um über die Art des Vorkommens im wesentlichen klar zu werden. Die Lagerstätte erwies sich als eine goldführende, ungefähr horizontal gelagerte Sandschicht, die in der Hauptsache grössere ge- rundete Geschiebe von Quarz enthielt. Die untersuchten Proben, meist von dem Goldsandlager unter der Ziegelei, ergaben zum Teil einen zwar nicht geringen Goldgehalt, doch wechselte scheinbar dieser Goldgehalt so stark, und war im Durchschnitt bei Zugutemachung grösserer Sandmassen so gering, dass man glaubte, auch unter Voraussetzung der Auffindung frischen Feldes, nicht auf einen lohnenden Abbau rechnen zu dürfen®). Durchgreifender und mit bedeutenderen Mitteln in die Wege geleitet waren die Untersuchungen, die in den Jahren 1842/43, ebenfalls auf Rechnung des Staates, im Goldberger Pingengebiet ausgeführt wurden. 4) Insofern sind diese Versuche in technischer Beziehung von besonderem Interesse, als man neben dem Waschprozess auch das Amalgamationsverfahren bei der Extrahierung des Goldes anwandte. Man gelangte zu dem Ergebnis, dass bei der Verquiekung zwar ein höheres Ausbringen erzielt wurde, daß jedoch der Unter. schied nicht so erheblich war, dass hierdurch die Ausblicke auf einen lohnenden Abbau wesentlich verbessert worden wären. 60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ausser an der Ziegelei erreichte man noch an drei Punkten (in der Nähe der Nikolaikirche bei Goldberg, auf den Hochfeldern und auf der Lieg- nitzer Höhe) den alten Mann bezw. die Goldsandlage. Bei der Zugute- machung des gewonnenen Goldsandes bediente man sich lediglich der Wascharbeit, doch suchte man durch Anwendung von Setzmaschinen und Herden das Gold möglichst vollständig aus dem Haufwerk zu gewinnen. Trotzdem wurden aus einer Tonne, selbst des reichsten Sandes, der auch diesmal, wie schon bei den früheren Versuchen, bei der Ziegelei an- getroffen wurde, im Durchschnitte nur etwa 0,22 g Rohgold erhalten, das noch durch Quarz und metallische Beimengungen stark verunreinigt war. Man gab also auch diesmal die Versuche auf. Etwa 10 Jahre später, im Jahre 1853, ging man nochmals an eine Erschürfung des Goldsandes. Die in Reichenstein 1850 eingeführte Ex- traktion des Goldes durch Chlor hatte gezeigt, dass man aus goldhaltigen Abbränden, aus denen man früher weder durch Wascharbeit noch durch Amalgamation das Gold hatte herausziehen können, durch den Chlo- rierungsprozess den Goldgehalt vollständig und unschwierig gewinnen konnte. Der Kaufmann W. Güttler, der das Verfahren zuerst angewandt hatte, erklärte sich im September 1853 bereit, gegen Erstattung der baren Aus- lagen Goldberger Goldsand in Reichenstein mittels Chlor entgolden zu lassen. Man teufte nochmals an der Ziegelei einen Versuchsschacht ab und liess etwa 100 Ztr. Goldsand, der durch Aushaltung der grösseren unhaltigen Geschiebe konzentriert worden war, in Reichenstein dem Chlorierungsprozess unterwerfen. Die Proben ergaben ein überraschendes Resultat. Aus 116 Ztr. rohen Sandes erhielt man — im einzelnen wird noch weiter unten darüber zu sprechen sein — nicht weniger als 5,336 g Feingold, also 0,915 g in der Tonne. Güttler legte daraufhin Mutung ein auf die im Kreise Goldberg- Haynau und Löwenberg belegenen Goldvorkommen. Es wurde ihm am 12. Dezember 1856 ein Goldsand-Distriktfeld verliehen, das diese Kreise umfasste. Soweit bekannt, ist jedoch niemals ein Betrieb eröffnet worden. Am 30. März 1868 wurde das Bergwerkseigentum des Distriktfeldes durch Beschluss des Kgl. Oberbergamtes zu Breslau aufgehoben. Eine Erschürfung des Goldsandes hat seitdem nicht mehr statt- gefunden, VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 61 Das Goldsandlager unter den Hochfeldern. 1. Bei der Ziegelei am Bürgerberge. Beginnen wir mit dem Punkte, der bei allen Untersuchungsarbeiten nicht nur am eingehendsten untersucht worden ist, sondern an welchem auch das Goldsandlager am goldhaltigsten sich erwiesen hat, mit dem Teile, der unter der Ziegelei am Bürgerberge liegt. Hier wurden 1775 bis 1777 vier Schürfschächte, 1781—1784 6 Schächte, 1842/43 und 1853 je ein Schacht abgeteuft. Man wählte anfangs diesen Punkt vor- nehmlich aus dem Grunde, weil wegen der Ziegeltongewinnung bereits ein Teil des Deckgebirges (etwa 10 bis 12 m) abgedeckt war und man deshalb glaubte, rascher zum Goldsandlager zu gelangen. An dem auf der Übersichtskarte mit I bezeichneten Punkte wurden, bei Ergänzung der bereits abgedeckten Schichten, im Jahre 1842 durchsunken: Profil 15) m 12. Dammerde und grauer Sand 4,2 11. feinkörniger, gelblichweisser Sand 2,1 10. Geschiebe von Quarz, Tonschiefer, Granit,*) Basalt und Diabas 0,8 9. gelblich-weisser Sand mit Geschieben 3,1 8. brauner eisenschüssiger Letten 0,3 7. dunkelgrauer Ton mit Bruchstücken bituminösen Holzes und Bernsteinstückchen (Ziegelton) 7,0 6. rötlichgrauer Sand mit Geschieben 1,0 5. weisser sandiger Letten 0,15 4. gelber loser Sand mit Quarzgeschieben (Goldsand) 2,2 3. gelber Letten 1,3 2. roter Letten 0,8 1. gelber Letten und zersetzter Tonschiefer 10,2 33,15 5) Die Bezeichnungweise der einzelnen Schichtenglieder entspricht der bei der damaligen Aufnahme geübten Art der Benennung. Die geringe Durchbildung dieser stratigraphischen Bezeichnungsweise ist sehr zu bedauern. So dürfte unter Berücksichtigung der heutigen Nomenklatur für Letten bisweilen Ton, bisweilen Mergel, für Lehm bisweilen Löss zu setzen sein. Leider sind auch nicht in allen Fällen die Geschiebe näher bezeichnet. Die in Lachter und Zoll angegebenen Mächtigkeitszahlen sind in m umgewandelt worden. Hierbei ist ein Lachter = 2,1 m, ein Zoll = 2,6 cm gesetzt worden. 6) Die Granit- und Basaltgeschiebe erreichen in den über dem Ton liegenden Schichten ansehnliche Grösse (bis zu 60 cm Durchmesser). 62 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Mit der untersten Lage hatte man den paläozoischen steilstehenden Tonschiefer erreicht und stellte darum das weitere Abteufen ein. Die Schichten waren im allgemeinen söhlich gelagert. Eine Sicherprobe ergab ausser für die Goldsandlage 4 auch für die Sandschicht 6 einen, wenn auch wesentlich geringeren Goldgehalt. In den übrigen Schichten war durch Sichern Gold nicht nachzuweisen. Wasserzuflüsse stellten sich erst unterhalb des Goldsandes in der untersten Schicht ein?). Ein etwas abweichendes Profil ergab der Schürfschacht aus dem Jahre 1853, den man etwas weiter nach Osten hin niederbrachte. Es wurde unter dem dort 5,70 m mächtigen Ziegelton angetroffen: Profil 1a. 6. rötlichgrauer Sand mit Geschieben 0,5 5. hellgelber, plastischer Letten 0,05 4. dunkelrotgelber Sand mit Quarzgeschieben (Goldsand) mit eingelagertem bankigem Konglomerat, bestehend aus durch Eisenoxyd verkittetem Sand mit Geschieben (Eisenmann) 1,1 3. gelber Letten 1,05 a Trotz der Ähnlichkeit der Schichtenfolge in beiden Profilen zeigt schon die verschiedene Mächtigkeit der Schichten, dass wir es mit ausser- ordentlich wechselnden Ablagerungen zu tun haben. Ganz deutlich wird dies, wenn wir das Profil eines Schachtes vergleichen, der im Jahre 1781 an dem auf der Karte mit II bezeichneten, also etwa 80 m westlich von I gelegenen Punkte niedergebracht worden ist. Es wurde unter dem Ziegel- ton durchsunken: Profil I m Ta. graugelber Letten 0,3 6b. gelblichgrauer Sand mit Letten vermischt; im unteren Teile mit kleinen Quarzgeschieben 1,5 6a. brauner Sand mit kleinen Quarzgeschieben 0,35 4. hellgelber Goldsand mit Geschieben 1,05 3. 2. 1. roter und gelber Letten 3,6 7,3 ?) Im Gegensatz zu allen übrigen untersuchten Punkten scheint in dieser Be- ziehung der Westabhang der Hochfelder recht günstig gestellt zu sein. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Keographie, Berg- und Hüttenwesen. 63 Das Hangende der Goldsandlage liegt somit, bei Betrachtung der Profile von Westen nach Osten, also vom Bettelbach zu den Hochfeldern hin 2,65 m, 1,15 m und 0,55 m unter dem Ziegelton. Hieraus jedoch auf ein allgemeines Ansteigen der Goldsandlage zu schliessen, geht nicht an. Vielmehr muss dieses scheinbare Ansteigen auf rein örtliche Ver- hältnisse bezw. auf ein Fallen des Liegenden des Tonlagers zurück- geführt werden. Wie sich beim Auffahren von Strecken ergeben hat, wechseln nicht nur die begleitenden Schichten, die rasch auskeilen und sich wieder an- legen, stark, sondern auch der Goldsand selbst schwankt schon auf geringe Entfernung hin erheblich in seiner Mächtigkeit und Ausbildung. So stellte man bei den Versuchsarbeiten von 1774 bis 1784 für die Um- gebung von II fest, dass sich vielfach in dem Goldsand nicht nur der sogenannte Eisenmann (vergleiche Profil II) als Mittel einschob, sondern auch eine bis zu 1,5 m mächtige Lettenbank, sodass die Goldsandlage in zwei Teile (in einem Falle von 30 und 15 cm Mächtigkeit) zerfiel®). Bei dem letzten Versuche im Jahre 1853 verschwand in einer Strecke die Goldsandlage ganz und wurde durch das durch Eisenoxyd fest verkittete und zu einer Mächtigkeit von 1 m anwachsende Konglomerat des „Eisen- mannes“ völlig ersetzt. Wie bereits hervorgehoben, trägt das erwähnte Ansteigen der Gold- sandlage nach Osten nur örtlichen Charakter. Im Gegenteil stellte man im Jahre 1842 beim Auffahren einer 45 m langen Strecke von Schacht I aus nach Osten fest, dass der im Durchschnitt 2 m mächtige Sand fast söhlich mit einem geringen Einfallen von 5 Grad nach Osten gelagert war. Der Goldsand ist ein verschieden gefärbter, meist gelber, hellgrauer bis weisser, feiner bis grobkörniger Sand, der nur wenige Lettenteilchen 8) Bei Weigel, Beschreibung von Schlesien, Teil 5, S. 31, findet sich ein „all- gemeines“ Profil durch die Goldsandlagerstätte von Goldberg, das sowohl Williger (B.- u. Hüttenm. Ztg., 1881, S. 67) als auch Sachs (Die Bodenschätze Schlesiens, 1906, S. 7) abdruckt. Er unterscheidet bei sehr summarischer Schichtenangabe, nicht weniger als drei Goldsandlagen. Ich kann mir nicht erklären, wie er zu einem derartigen allgemeinen Profil gekommen ist. Keins der bei allen Versuchs- arbeiten erschlossenen Profile weist 3 von den Alten abgebaute Goldsandlagen auf. Es ist vielmehr zu betonen, dass von den Alten nur ein Goldsandlager gebaut worden ist, das allerdings, jedoch nur an örtlich ganz beschränkten Stellen, in 2 Bänke durch Lettenmittel geteilt ist. Die von Weigel angegebene Gesamt- mächtigkeit des Goldsandes (einschliesslich der Mittel) von 8 m wird ebenfalls durch kein bei den Versuchsarbeiten aufgeschlossenes Profil gestützt. Zwar kommt an mehreren Punkten über dem Goldsande eine schwer von ihm zu scheidende mächtigere Sandschicht vor, sie ist aber durchaus geringhaltig an Gold, das über- dies in allen Sanden und Tonen in der Umgebung von Goldberg in Spuren vor- handen ist, 64 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. führt. Als Geschiebe treten in ihm wohlgerundete und Kindskopfgrösse erreichende Stücke von weissem Quarz auf. Daneben erscheinen unter- geordnet mehr eckige Bruchstücke von Tonschiefer und Diabas und seltener Stücke von Porphyr. Eigentümlich ist, dass trotz der Nähe der Basaltkuppen des Wolfsberges und Flensberges Basaltstücke fehlen. Auch das Gold tritt als Geschiebe in Form von kleinen, bis erbsengrossen Körnern, Blättchen und Schüppchen auf, an denen kleine Quarzteilchen haften. Als beständiger Begleiter des Goldes, der sich auch mit dem Golde aus dem Sande wegen des hohen spezifischen Gewichtes bei der nassen Aufbereitung absondert, finden sich ansehnliche Mengen von abge- schliffenen Magnet- und Titaneisenerzkörnchen (Iserin). Sie bildeten die Hauptmenge des bei der ‘Wascharbeit entstehenden schwarzen Schlieges. Dieser Schlieg erwies sich bei den Versuchen zum Teil ebenfalls als gold- haltig, da er das fein verteilte Gold — den Goldstaub — enthielt. Ausser- dem führt der Sand unter kleinen wasserhellen und gefärbten Quarzen eine Reihe von Edelsteinen, in meist abgeschliffenen und abgerundeten, viel- fach auch mikroskopisch kleinen Kristallbruchstücken: 1. Korund (Rubin, Saphir), 2. rote und blaue Spinelle, 3. Zirkon (Hyazinth; neben Iserin am häufigsten), 4 Topas, 5. Cyanit, 6. Granat?). Man unterschied bei der nassen Aufbereitung 1842 Graupengold und Waschgold, wobei zu Graupengold alle die goldhaltigen Quarzteilchen bezw. Goldkörnchen gerechnet werden, die man durch Sieben gewinnen konnte, d. h. die einen Durchmesser von 0,5 bis 0,7 mm hatten. Es ergab sich ein Verhältnis von Graupengold zu Waschgeld wie von 1 zu 3,71. Während bezüglich des Gehalts an Waschgold im Sande sich keine grossen Verschiedenheiten feststellen liessen, war das Graupengold, d. h. vor allem die grösseren Körner sehr ungleich im Sande verteilt. Es schien, als wenn die grösseren Körner dort vorkämen, wo auch grössere Quarzgeschiebe auftraten!P). Über die Zusammensetzung des Goldsandes an der Ziegelei nach der Korngrösse ergab sich 1843, dass von dem Haufwerk 36°) eine Korngrösse über 6'/; mm OF; = zwischen 0,8 und 6‘. mm 14/0, r unter 0,5 mm besass. 9) Vgl. Websky, Jahresber. d. Schles. Ges. f. vaterl. Kultur, 1867, S. 26—27. 10) Das größte bei den Untersuchungen im Jahre 1842 gefundene Goldkorn hatte einen Durchmesser von 5 mm. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hütlenwesen. 65 Ein Quadratmeter lieferte bei den Versuchsarbeiten von 1842 etwa 5 t Sand. Über das Goldausbringen geben nachstehende Tabellen Aufschluss: Tabelle 1.1) Versuchsarbeiten im Jahre 1777. SoR = 5 B Gewicht des | Ausgesiebtes Roheold m Art der Zugutemachung aufbereiteten [u, gewaschen. = nn, = des Sandes Sandes Rohgold 2 t g g 1. | Durch Sieb- und Wascharbeit 136,3 16,5 0,121 2. desgl. 124,2 21,7 0,175 3. desgl. 220,5 31,0 0,140 481,5 69,2 0,144 Tabelle 1I auf Seite 67. Wird zunächst nur das Ausbringen von Rohgold durch die nasse Aufbereitung berücksichtigt, so schwankte es (bei Vernachlässigung der Ergebnisse der Versuchsarbeiten aus dem Jahre 1777, die bei recht unzu- reichenden Waschvorrichtungen vorgenommen worden sind) zwischen 0,2 und 0,7 g in der Tonne Sand, und betrug insgesamt in einer auf- bereiteten Sandmasse von ungefähr 300 t im Mittel 0,21 g in der Tonne. Dieses durch den Sieb- und Waschprozess gewonnene Rohgold war noch sehr unrein. So schwand, wie die Tabelle II zeigt, auf der Kapelle das Rohgold bei der Sandmasse Nr. 1 auf etwa '/-, bei Nr. 4 auf etwa '/ı und bei Nr. 6 sogar auf "/is1?) des ursprünglichen Gewichts. Lassen wir diese letzte Sandmasse ausser Betracht, so erhalten wir ein Feingoldausbringen von 23°) aus dem Rohgold. Aus insgesamt 65'/: t Masse betrug das Aus- bringen an Feingold durch die nasse Aufbereitung 0,06 & in der Tonne, dem ein Ausbringen durch den Amalgamierungsprozess aus 50'/ t von 0,1 g in der Tonne gegenübersteht. 11) Zur Aufstellung der Tabellen sind die s. Zt. bei den Versuchen zugrunde gelegten alten preussischen Gewichte in Tonnen und Gramm umgerechnet worden. 12) Es ist bezüglich dieser letzteren Zahl kaum zu begreifen, dass das Rohgold derartig unrein gewesen oder dass ein so grosser Teil in die Kapelle gegangen sein sollte. Ich möchte vermuten, dass hier ein Versehen vorliegt. Überdies ist bei der 1913. 5 .66 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Tabelle III. Versuchsarbeiten im Jahre 1842. Nr. Be N Gewonnenes : auibereileten der Art der Zugutemachung Bandes Rohgold Probe t g neadat | L, Sieb-, Setz- und Wascharbeit 90 19,8 0,22 2. desgl. 36 10,97 0,505 > desgl. HA * 9,75 0,180 1—3. 180.07 40,52 0,22 Bei diesen Versuchsarbeiten verzichtete man auf eine Untersuchung der Schliege, nachdem man bei einer Vorprobe aus den Schliegen der Masse Nr. 1 insgesamt nur 0,04 g Feingold erhalten hatte. Das Ausbringen von 0,22 g Rohgold in der Tonne kann wohl als das Äusserste angesehen werden, was überhaupt aus dem aufbereiteten Sande bei alleiniger An- wendung der Setz- und Wascharbeit zu gewinnen sein dürfte. Gewinnung und Konzentrierung der Sandmengen Nr. 6 und 7 nicht mit der Sorg- falt vorgegangen worden, wie bei Nr. 1 bis 5. Das Abtreiben des reinen Goldes ist in der Berliner Münze vorgenommen worden. Es mag hier bemerkt werden, dass Dechen, vermutlich infolge eines Ver- sehens, einige unrichtige Zahlen in seiner Arbeit (Seite 222) bringt. Seine Angaben sind wie folgt zu berichtigen; S. 222, Zeile 17: durch Amalgamation ist aus 3560 Zentnern 1471/yogge Lot Gold. . ‚» » 21: aus 1010 Zentnern 1333/4096 Lot Gold... . » » 26: welche 37/024 Lot Gold aus Korngold und 5/soge Lot aus Schlieg lieferte. Die gesamte Masse des Sandes von 9620 Zentnern (Der Goldgehalt von etwa 700 Zentnern ist überhaupt nicht genauer ermittelt worden. D. V.) gab 4814/yoge Lot Gold ..... „223, » 10: war noch sehr unrein. 4570 Zentner lieferten 32/8 Lot Korn- gold, und hieraus wurde auf der Kapelle nur 637/goga Lot reines Goldene: Die von Dechen angegebenen Verhältniszalilen ändern sich entsprechend. Festenberg-Packisch teilt in seiner Notiz „Die neuen Goldfunde zu Löwen- berg in der Provinz Schlesien“, Ztschr. f. prakt. Geol., 1897, S. 157, ebenfalls un- richtige Zahlen über den Goldgehalt des Goldberger Goldsandes mit. Wie leicht zu erkennen ist, beruhen seine fehlerhaften Angaben auf einem Versehen. Seine Zahlen von 14,4 g bezw. 21,9 g in der Tonne sind in 0,144 g bezw. 0,219 g ab- zuändern. Sie entsprechen dann genau den oben berechneten Schlussresultaten der Versuche von 1777 (Tab. I) und von 1842 (Tab. I). „22 23 tO WS Eh) Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 67 VI. Abteilung. + P'T3 98700 ° * * "purg Jgounelg eg IP 'T 3 07000 ua] dojoı pun aoqjas & 1'P 1 8 06700 ° pues doneı3 yarqfos qg TPrU3 7E850 = = 2 = npuespjon y rP'T3 69800 ° " ° °. ° -uoypeäalz ı yoyrluLI? oersöpjosute J-9pu9s[oF 'g "zZ UEPInM uUaDIUIS UAUASSOJUISAFNE „ II 1qdepPsjanyds uap yaınp oıp ang 'NIP4S98I597 Neyaspfon Aop uajyung uUadspue ue one uUN»puos '19[9391Z dop ue ınu au uoyaLy>S = ussıqn BIp any yone IyoIMaN UMDUU9Z g UOA USTOALT SUre]y yaınp [8ZIT Sayep wı uopınMm osejpuespjon oIp any aofny (er +00 ce‘ol Zi = == — — 897g |: uonewesjewy pun yoqaegaıs | »+e — ands 0200 | Frer | 020 Her | hsaa | ° ° Moqmeypseq pun -qais | 94-F == = ands Ze Eu 18°0 ‘ol 124 © 7° Negqtetpsen pun -qaıs | °8 0800 ae z En er > SZ sıl ° uonewesfeuy pun yrqaegaıs | *, = Se ands 110°0 er 030 9'7g sıl 2 3 apgaeygdseM pun -geis:ı "9° KR) or’e — — — — — 8,08 ° uonewesjewy pun jroqaegaıg | "c == EEE roooro | 2°0°0 609'7 050 001 108 "1959p 7 = == & 160°0 LSFO —z — q [sap ‘© = = ands 0900 | 8630 Br nz q "1359p X = = GE00°0 90L.O 87C'0 eL 0 g'E G " yoqaegpsey pun -qaıs yang | "I | | | Ip Ts 3 ni: ar o proswag | proäurpg | FPT3 [rPpr3 3 1'P 13 ä 1 = u L 5 SSDUEN Honor Aneruon SE produro,g ur pIo3yoy sopues o SIoTMoN worporg [HR Meuod | yoypeyao opfodey aop 3 ÜEJEIIEREN| Zuuydemaynanz dp IV 2 -Sunıdsın sop 001/, yne -pjodute,g ura s9usypsemadsne pun : — Noqargaıg np es opan wadoryag[ I? TOTONTV IND sojqaısaäsn a S uonewespewuy yoangg [Une uopuf Ppınm snerorm n I eu) ° (er F82I— 1821 uoıyer uop NENEHERPESURLERCHN “II eII3qeL 68 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Alle drei Versuchsgruppen gemeinsam betrachtet, zeigen, dass das durch einfachen Waschprozess unschwierig zu gewinnende Rohgold ira Sande verhältnismässig unregelmässig verteilt ist und, wenn nur die auf- bereiteten Massen über 10 t in Betracht gezogen werden, von 0,12 bis 0,31 g in der Tonne schwankt. Wenn wir diesen leicht durch Wascharbeit zu gewinnenden Gold- gehalt von im Mittel 0,2 g Rohgold = 0,04 bis 0,05 g Feingold als den Gehalt betrachten, der auch von dem alten Bergbau erfasst wurde, und uns die ungünstigen Verhältnisse der Lagerstätte dazu vor Augen halten, so müssen wir sagen, dass die Alten durch Tiefbau hier ein Goldvor- kommen ausgebeutet haben, das zweifellos heute, trotz der grossen tech- nischen Fortschritte in der Zugutemachung, auf dem Wege der nassen Aufbereitung keinen Gewinn abwerfen dürfte. Entweder haben nun die Alten sich mit diesen geringen Goldausbringen begnügt, oder aber — und das ist nach vielen Anzeichen als wahrscheinlicher anzusehen — der Goldsand an der Ziegelei ist weniger goldhaltig, als der in dem von den Alten abgebauten Teile des Vorkommens. Wir werden hierauf noch weiter unten einzugehen haben. Tabelle IV. Versuchsarbeiten ım Jahre 1853. a) Zugutemachung in Reichenstein. Gewicht Nr. Gewicht des er- der | Art der Zugutemachung 5 wol haltenen Feingoldes Probe aus RS t g Reit 1. | Konzentrierung des Sandes auf 0,107 1,640 14,90 9. 46%, durch Siebarbeit und 0,107 0,289 2,51 q, Behandlung des konzentrierten 0,538 2,592 4,61 k Sandes mit Chlorwasser. 1,077 0,360 0,33 5. 0,538 0,000 0,00 6. 0,861 0,240 1,28 tl 0,861 0,076 0,09 8. 1,723 0,140 0,08 ee LL——__ EEE 5,812 5,337 | 0,915 — | Se VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 69 b) Zugutemachung in Friedrichshütte. Nr. ee, Gewicht des er- o r D der Art der Zugutemachung Sandes |[haltenen Feingoldes Probe t g gi.d.t 1. Wie in Reichenstein. 0,645 0,368 0,57 2. 0,197 0,019 | 0,09 as 0,107 0,004 | 0,04 A, 0,049 0,012 | 0,35 5. 0,538 0,338 | 0863 6. | 0,107 0,054 | 0,51 | 1,643 0,796 | 0,484 Ganz abgesehen von dem bei einzelnen Proben erzielten, ausser- ordentlich hohen Goldausbringen, das durch die Kleinheit der Proben und durch die ungleichmässige Verteilung des Goldes, im Sande ohne Schwierigkeit zu erklären ist, hat sich doch bei dem Chlorierungsprozess gezeigt, dass der Goldberger Goldsand zweifellos reicher ist, als das Waschverfahren ergeben hattel®). Die Zusammensetzung des Rohgoldes, die wegen der oben erwähnten grossen Unreinheit zu kennen von Wichtigkeit wäre, ist leider niemals durch Analysen festgestellt worden. Nur einmal (1783) wird bei einem von der Breslauer Münze vorgenommenen Amalgamationsversuch er- wähnt, dass das Gold silberhaltig sei. Der Gehalt wird aber nicht an- gegeben. Bei allen Versuchen hat sich herausgestellt, dass, trotzdem das Gold zu den grossen Quarzgeröllen in Beziehung steht, die grösseren Quarzgeschiebe völlig unhaltig sind. Mehrfach sind diese Quarzgeschiebe zerkleinert und dem Waschprozess, der Amalgamation und auch der Behandlung mit Chlorwasser ausgesetzt worden, ohne dass jedoch irgendwie ein Goldausbringen zu erzielen gewesen wäre. Einen eigenartigen Begleiter des Goldsandlagers am westlichen Ab- hange der Hochfelder stellt der „Eisenmann“ dar. Seine petrographische Eigenart ist bereits bei Wiedergabe der Profile erwähnt worden. Nach- zutragen wäre, dass er in seiner Festigkeit schr schwankt. In einzelnen 14) Dieser grosse Unterschied ist anscheinend dadurch zu erklären, dass durch das Waschverfahren das im Goldsande vorhandene, äusserst fein verteilte, staub- förmige Gold, nicht erfasst wurde, sondern einesteils mit dem Waschwasser ab- ging, andernteils in den Schliegen zurückblieb. 70 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Fällen erschwerte er den Streckenbetrieb wegen seiner Härte ausser- ordentlich, in anderen Fällen zerfiel er bei der Gewinnung. Unter den 1842 gewonnenen Goldsandmassen aus Schacht I machte der Eisenmann 1° des Gesamtgewichts aus. Der Goldgehalt des Konglomerats ent- spricht, wie verschiedentlich Untersuchungen dargetan haben, etwa dem Gehalt des Goldsandes. Dies wird ohne weiteres dadurch verständlich, dass das Konglomerat eben nur aus zusammengekitteter Lagermasse be- steht. Die größeren Geschiebe, auch des Eisenmannes, waren unhaltig. 2. Am Südabhange der Hochfelder. Für den südlichen Abhang der Hochfelder, den Abhang zum Langen Graben, stehen nur Profile von Schürfschächten aus dem Jahre 1776 zur Verfügung. _In einem inmitten der alten Pingen bei II niedergebrachten Schurfe wurden folgende Schichten durchsunken: Profil II En 7. brauner Letten mit grossen Geschieben 4,2 6. brauner eisenschüssiger Sand mit Feuersteinen 2,6 5. gelber Letten 14 4. dunkelgrauer Ton 5,2 3. gelber Letten 0,3 2. grober weisser Sand mit runden Kieseln 12,6 1. Alter Mann (Goldsand) — 26,0 Die bereits abgebaute Goldsandlage traf man demnach 26 m unter der Oberfläche. Weitere Untersuchungen konnte man nicht anstellen, da der nicht in Zimmerung gesetzte Schacht zusammenzugehen drohte. Zweifellos haben wir es bei der Schicht 4 mit demselben „Ton“ zu tun, der am westlichen Abhange der Hochfelder zur Ziegelfabrikation ver- wandt wird. i Ein zweiter Schurf wurde in dem Hohlwege des Langen Grabens bei IV angesetzt, also ausserhalb der Pingen. Es wurden aufgeschlossen: Profil IV N 3. grober wasserreicher Sand 16,7 2. grober Letten 2,6 1. anstehender Tonschiefer — 19,3 VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 71 Man fand also den Goldsand nicht, obwohl man bis zum anstehenden Gestein vorgedrungen war. Wird berücksichtigt, dass der grobe Letten augenscheinlich das auch am westlichen Abhange bei der Ziegelei an- getroffene Zersetzungsprodukt des Tonschiefers darstellt und dass dort der Goldsand diese Lettenschicht unmittelbar überlagert, so liegt es nahe anzunehmen, dass der grobe wasserreiche Sand der Schicht 3 den Gold- sand enthält, wenn auch nicht mit einem solchen Goldgehalt, dass er den Alten zum Bergbau lohnend erschien. Diese Ansicht wird sehr wahr- scheinlich, wenn wir berücksichtigen, dass die Schicht 2 in Profil III, die dem Goldsand als Decke dient, augenscheinlich der Schicht 3 des Profils IV entspricht. Es ist allerdings auch möglich, dass im Langen Graben das Goldsandlager überhaupt fehlt und der grobe wasserreiche Sand eine jüngere Bildung ist. Ähnliche Verhältnisse, wie im Langen Graben, traf man, ebenfalls ausserhalb der Pingen, südwestlich bei IVa, in der sogenannten Jauer- gasse an. Dort erreichte man den anstehenden Tonschiefer 11,5 m unter einer Lage desselben groben Sandes wie bei IV. In der Nähe des Schurfes IVa brachte man im Jahre 1843 bei der Suche nach frischem Felde auf dem Langen Berge bei Goldberg bei V einen Schürfschacht nieder. Profil V m 8. Dammerde 0,5 7. gelber sandiger Lehm 5,0 6. gelblich-grauer feinkörniger Sand 3,6 5. gelblich-grauer Sand mit Geschieben 2,0 4. grauer Letten 0,15 3. gelblich grauer Sand mit Geschieben 1,3 2. brauner eisenschüssiger Sand mit Geschieben (Goldsand) 15,2 T. zersetzter anstehender Tonschiefer — 27,75 Obwohl ausserhalb der Pingen, fand man nicht nur in den Schichten 5 und 7 einzelne Goldblättchen, sondern einen nicht unwesentlichen Gold- gchalt in der Schicht 2, der in einer untersuchten Sandmenge von 27 t 0,915 g, also 0,034 g in der Tonne betrug. Wie es scheint, handelt es sich jedoch nicht um dasselbe Vorkommen wie bei der Ziegelei. 0 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 3: Am.ÖOstabhangerder-Hochfelder: Am östlichen Ende der Hochfelder, an dem nach Kopatsch hinunter- führenden Fahrwege auf mittlerer Höhe, teufte man 1783 an einer Stelle, wo man wegen Mangels an alten Pingen frisches Feld anzutreffen hoffte, zwei Schächte im Abstande von etwa 50 m voneinander ab. Im ersten wurde durchsunken: Profil VIa m 6. gelber Letten 6,3 5. schwarzer Ton 2,1 4. grauer, grober, wasserreicher, etwas goldhaltiger Sand 14,7 3. roter und gelber Letten 6,3 2. grünlicher Ton ze 1. anstehender Tonschiefer — 31,5 Man musste jedoch den Schacht verlassen, ohne grössere Sandmengen zur Untersuchung gewonnen zu haben, da die sehr erheblichen Wasser- zuflüsse nicht zu halten waren. Der andere Schacht musste ebenfalls verlassen werden, nachdem man 7,4 m abgeteuft hatte. Ein dritter Schacht am gleichen Abhang, jedoch etwas höher, wurde 1843 bei VI angesetzt. Es wurde durchteuft: Profil VI m 12. Lehm mit Geschieben von Granit und Basalt 3,0 1ib. gelber feinkörniger Sand 0,15 11a. hellbrauner Sand 11 10. blauer Letten 0,55 9. gelber Sand 0,15 8 blauer Letten 0,0%} 7. grau- und gelbweisser, wasserführender Sand 2,1 6. brauner eisenschüssiger Letten 0,15 5. dunkelgrauer Ton mit bituminösem Holz 2,7 4b. rötlich-grauer, etwas goldhaltiger Sand 10,9 4a. grauer Sand mit Geschieben (Goldsand) 2 | 3. gelber Letten 1,2 VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 73 Ein Vergleich des vorstehenden Profils mit dem Profil VIa zeigt ohne weiteres, dass die Schichten 3, 4 und 5 identisch, dass dagegen die darüber liegenden Schichten nicht ohne weiteres wiederzuerkennen sind. Wie wir das schon bei den Verhältnissen bei der Ziegelei hätten erwähnen können, sind anscheinend die liegenden älteren Schichten, vornehmlich der Ton und der Goldsand einigermassen im Streichen aushaltend, jeden- falls aber bedeutend gleichmässiger gelagert, als die hangenden Letten- und Sandschichten. Ein Vergleich der Profile an der Ziegelei, des Profils III am Süd- abhange und der Profile VI und VIa am Ostabhange der Hochfelder zeigt mit Sicherheit, dass die Goldsandlage unter den Hoch- feldern, also dort wo der bedeutendste Bergbau umgegangen ist, etwa 20 bis 30 m unter der Oberfläche liegt und, ge- gerernunkterdurch’ ein”mehr oder weniger starkes san- diges.oder lettiges Zwischenmittel, von dem grauen bis grauschwarzen bituminösen Ton überdeckt wird. Wie man durch Auffahren kurzer Strecken im Goldsande von Schacht VI aus feststellte, war der Sand sehr unregelmässig gelagert, auch schwankte er in seiner Mächtigkeit, die bis zu 1 m herunterging, ausserordentlich. Alten Bau traf man hierbei nicht. Anscheinend war, wie das nachstehende Ergebnis der Untersuchung des Goldgehaltes zeigt, den Alten die Goldsandlage nicht reich genug. Die Wasserzuflüsse waren nur unbedeutend und betrugen in 24 Stunden etwa 1'/s cbm. Bei Verwaschung von 54 t Sand aus der Goldsandlage erhielt man nur 3,04 & Korngold, demnach aus einer Tonne 0,056 g. Trotzdem kann es keinem Zweifel unterliegen, dass es bei der Schicht 4a sich tatsächlich um denselben Sand handelt, der von den Alten unter den Hochfeldern abgebaut worden ist, wie sich nicht nur. aus den ähnlichen Verhältnissen bei der Ziegelei und Schacht III ergibt, sondern auch aus w. u. noch zu erwähnenden Gründen. 4, Am Nordabhange der Hochfelder. Der Versuchsschacht VII, den man in der Nähe von Kopatsch am nördlichen Abhange der Hochfeider 1842 niederbrachte, erreichte leider wegen nicht zu haltender Wasserzuflüsse weder den Ton noch den Gold- sand. Es ergab sich folgendes 74 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Profil VII m 8. Quarzgerölle 1,1 7. Dammerde 11 6. grauer Sand mit grossen Geschieben von Ton- schiefer und Basalt 0,5 5. blauer Ton mit gleichen Geschieben 0,5 4. gelblich-grauer Lehm 1,75 3. grober Sand mit Basaltgeschieben und Ton- schieferstücken 3,75 2. grauer Letten mit Braunkohle 149 1. grauer Sand 0,15 10,75 Bei 3 m Teufe erhielt man bereits die ersten Wasser. Die Zuflüsse stiegen bis zu 9 cbm in 24 Stunden, sodass man das Absteufen ein- stellen musste. Bei VIIa, ausserhalb der Pingen an der Strasse Goldberg—Liegnitz, traf ein 1776 niedergebrachter Schurfschacht schon bei 6 m Teufe den anstehenden Tonschiefer, ohne Schichten mit nennenswertem Goldgehalt zu durchsinken. Der Golidsand im Tal der Katzbach. 1. In der Nähe der Nikolaikirche. In den Nikolaiberg, auf dem der Goldberger Kirchhof liegt, führt vom Mühlgraben her, einem Nebenarm der Katzbach, ein verfallener Stollen. Dieser Stollen steht jedoch, wie, beiläufig erwähnt, auch aus vorhandenen Urkunden aus dem 17. Jahrhundert hervorgeht, in keiner Beziehung zum Goldbergbau, da er in Tonschiefer und Diabas getrieben ist15). Auch ist auf der Höhe des Nikolaiberges, unmittelbar über dem Stollen, der Goldsand nicht vorhanden. An dieser Tatsache wird auch dadurch nichts geändert, dass die Sage geht, die Toten Goldbergs ruhten im Golde. Dieser Fabel ist es zuzuschreiben, dass der erste Schürfschacht, der überhaupt angesetzt wurde, 1776 in der Nähe der Nikolaikirche nieder- gebracht wurde, mit dem Ergebnis, dass man schon in 1,5 m Tiefe unter 15) Man hat mit diesem Stollen 1660 einen Kupfererzgang aufschliessen wellen, der 1658 wieder entdeckt worden war. Das Kupfererz soll nach einer Untersuchung aus dem Jahre 1661 einen Gehalt von 1/a Lot Silber und 2 Pfund Kupfer im Zentner besessen haben. Zu einem Abbau grösserer Mengen ist es jedoch nicht gekommen. (Nach Urkunden in den Akten des Kgl. Oberbergamts zu Breslau.) VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 75 weissem und gelbem Sande das anstehende feste Gestein traf. Das gleiche Ergebnis hatte ein Schurf im Jahre 1842, der am südöstlichen Abhange des Nikolaiberges bei VIIb niedergebracht wurde. Man traf 2,60 m unter gelbem sandigem Lehm mit sehr geringem Goldgehalt den anstehenden Tonschiefer. Mehr Glück hatte man südwestlich der Nikolaikirche mit Schacht VII. Das z. T. bereits abgeräumte Deckgebirge besass folgende Schichtenfolge: Profil VII m 4. grauer Sand mit Geschieben 4,2 3. brauner Sand 3 2. hellgrauer Sand mit Geschieben (Goldsand) 2,1 1. anstehender zerklüfteter Diabas 1,0 10,4 Das Hangende des Goldsandes, der das Grundgebirge somit unmittel- bar überlagerte, lag danach etwa 7 m unter der Oberfläche. An- scheinend haben wir es bei diesem Punkte mit einer kleinen Goldsand- insel zu tun, die mit der Goldsandlage der Hochfelder in keinem Zu- sammenhange steht. Diese Anschauung wird auch dadurch gestützt, dass im Goldsand der Nikolaikirche die Geschiebe weniger zahlreich und auch nicht so gross sind, wie auf den Hochfeldern. Jedenfalls sind auf der Goldsandlage No. 2 bei der Nikolaikirche, wie eine Untersuchung durch Strecken dartat, früher ebenfalls Baue umgegangen, die jedoch nur als Versuchsbaue angesehen werden können. Man unterwarf 54 t des aus Lage 2 geförderten Sandes der nassen Aufbereitung und erhielt 10,06 & Rohgold. Die Tonne Sand brachte demnach 0,186 & Rohgold, d. h. ein Ausbringen, das dem bei der Ziegelei erzielten nur wenig nachsteht. 1781 teufte man bei IX in der Nähe des Schiesshauses nordwestlich des Bürgerberges einen Schacht ab. Man durchsank: Profil IX m 3. grauen feinen Sand mit Lettenteilchen vermischt 1,6 2. gelben Sand mit Lettenteilchen 0,8 1. gelben Letten 0,9 3,3 Es stellten sich jedoch derartig bedeutende Wasserzuflüsse ein, dass man von einer weiteren Untersuchung absehen musste. Die Schichten 76 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. hatten zwar alle einen Goldgehalt, der jedoch 0,02 g in der Tonne nicht überstieg und sich damit in den Grenzen bewegte, die für den Gehalt der alluvialen Ablagerungen der auch zurzeit noch goldführenden Katzbach ungefähr angenommen werden können. Man hatte somit den eigentlichen Goldsand nicht erreicht. 2 Inder Niederaue: In demselben Jahre teufte man im Katzbachtale in der Niederaue drei Schächte ab, von denen jedoch 2 über eine Teufe von 2 m bezw. 4,2 m nicht hinauskamen, da man mit ausserordentlichen Schwierigkeiten in der Wasserhaltung zu kämpfen hatte. Auch der dritte Schacht er- reichte aus demselben Grunde nur eine Tiefe von 8,5 m. Die aufge- schlossenen Schichten waren: Profil IXa. m 1. Sand mit groben Kieseln und gelben eisenschüssigen Lagen 3,15 6. schwarzer Sand mit groben, schwarz angelaufenen Kieseln 0,4 5. brauner, eisenschüssiger Sand mit kleinen Kieseln 0,25 4. zäher, gelblichgrauer Letten mit braunen Sandschnüren 0,25 3. roter, eisenschüssiger Sand mit groben Kieseln 0,5 2. schwarzbrauner Sand mit groben Kieseln 1,6 1. brauner, klarer Sand mit wenigen Kieseln 2,39 8,5 Der Goldgehalt überstieg in keiner Schicht die Höhe von 0,07 & Korn- gold in der Tonne und war am bedeutendsten in der Schicht 1 mit 0,0689 g in der Tonne. Da aus den uns zur Verfügung stehenden Angaben leider nicht zu ersehen ist, in welchem Teile der Niederaue die drei Schürfe niedergbrachi worden sind, so dass wir auch nicht wissen, ob sie im Bereich der auch in der Niederaue vorhandenen Spuren des Bergbaues abgeteuft sind oder nicht, kann leider nicht gesagt werden, ob das Goldsandlager überhaupt unter diesen durch die Schächte aufgeschlossenen Schichten sich befindet. Es ist nämlich sehr fraglich, ob überhaupt in der Niederaue der Goldsand angestanden hat, wenn wir nicht annehmen wollen, dass er dort an der Tagesoberfläche gelegen hat. Dasselbe gilt für die „Sieben Bütten“, wie noch gezeigt werden wird. Es hat sich jedenfalls bei einer 1841 in der Nähe des Brückenkretschams (an der Brücke der Liegnitzer Strasse über die Katzbach) niedergebrachten Brunnenbohrung ergeben, dass in 3,75 m VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 77 Teufe das Grundgebirge, und zwar Aphanit anstand, ohne dass eine Gold- sandlage mit Geschieben durchteuft worden wäre. Das aufgeschlossene Profil war: Profil X. m 1. Dammerde 0,95 2. gelblichgrauer Sand 0,30 3. gelber Lehm 2,50 4. Aphanit 5,0 8,75 Der Goldsand auf der Liegnitzer Höhe und bei den „Sieben Bütten“. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Quarzgerölle, welche den Südabhang der Liegnitzer Höhe, also die „Zeche“ bedecken, nicht nur gerundet, wie in anderen Teilen des Pingengebietes, sondern grössten- teils scharfkantig sind. Ausserdem unterscheiden sich die Pingen hier auch dadurch, dass sie ausserordentlich gut erhalten sind und eine be- deuteude Grösse besitzen, so dass die Vermutung naheliegt, dass die Alten hier in bedeutender Teufe gebaut hätten. Schon 1783 brachte man an einem nicht näher zu bezeichnenden Punkte einen Schürfschacht bis zu etwa 19 m Teufe nieder, doch ohne die Lagerstätte zu finden. Es wurde aufgeschlossen: Profil Xa. m 6. Dammerde und gelber Letten 6,3 5. grauer Letten 2,1 4. roter Letten 2,1 3. grobe Kiesel 1,0 2. gelber Letten 2,1 1. feiner, weisser Ton 5,2 18,8 Die Schichten waren vollständig goldfrei. Bedeutende Wasserzuflüsse verhinderten das weitere Abteufen. Erfolgreicher war ein Versuch 1843. An dem Punkte XI, 25 m über dem Spiegel der Katzbach, teufte man inmitten alter Pingen einen Ver- suchsschacht ab, in welchem durchsunken wurde: 78 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Profil XI. m 16. Dammerde und Lehm mit Geschieben 3,3 15. weisser Letten 0,15 14. grauweisser Sand 2,8 13. weisser Letten 0,15 12. grauweisser feinkörniger Sand 0,8 11. grauweisser Sand mit Geschieben 2,9 10. grauweisser Sand, abwechselnd grob- und feinkörnig 3,0 9. grauweisser Sand mit schwarzen Sandschnüren 5,1 5. grau- und gelbweisser Sand mit nach Nordosten einfallenden schwarzen Streifen : 3,6 7. weisser und hellgrauer Sand mit Geschieben (Goldsand) 0,65 6. weisser, sandiger Letten 0,4 5. gelblichweisser, lettiger, wasserführender Sand 1,6 4c. dunkelgrauer Letten 4,2 4b. roter Letten 2,1 4a. grüner Letten 15,2 3. feiner, weisser Ton 1,6 2b. weisser, sandiger Letten 2,6 2a. gelber Leiten 2,1 1. zersetzter, lettiger, grüner, steilstehender Tonschiefer 1,05 53,3 Das Hangende der als Goldsandlager erkannten Schicht lag in 22 m Teufe, also wie zu erwarten war, verhältnismässig tief. Die Schichten 8 bis 16 lagen söhlich, 4 bis 7 nach Norden, 2 bis 3 nach Süden geneigt. Bei Nr. 6a, also unter der Goldsandlage, erhielt man die ersten stärkeren Wasserzuflüsse. Bei 42 m Teufe machten sich schlechte Wetter und brennbare Gase bemerkbar, die den Lettenklüften entströmten. Dieselbe Beobachtung hatte man bereits in dem über dem Goldsande liegenden Ton an der Ziegelei und bei Kopatsch gemacht. Der Grund dürfte in den bituminösen Einschlüssen der betreffenden Schichten liegen. Vergleicht man die beiden vorstehenden Profile, so wird offensichtlich, dass man 1783 den Schurf unter dem Ausgehenden der Goldsandlage am Abhange angesetzt hatte, so dass man also die Goldsandlage gar nicht erreichen konnte. Vom Schachte XI aus fuhr man im Goldsande Strecken gegen Westen und Norden auf. Mit der ersten traf man auf einen alten Schacht VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 79 von runder Form, der ohne Zimmerung noch unter den Goldsand ab- geteuft war. Von diesem Schacht aus war die Goldsandlage 4 m nach allen Seiten hin gewonnen worden. Die durchschnittliche Mächtigkeit des Goldsandes betrug 50 cm. Er lag im allgemeinen söhlich, besass jedoch bisweilen, so vor allem im Ausgehenden am südlichen Abhang der Zeche — wie man durch einen Schürfstollen bei XIa feststellte — stark wellenförmige Lagerung. Das Liegende war überall der Letten Nr. 11. Das Hangende bestand durchweg aus einem sehr losen Sande, so dass Getriebezimmerung notwendig wurde und die Sande schwer auseinander zu halten waren. Der Goldsand war von hellgrauer Farbe mit einzelnen dünnen eisenschüssigen Lagen. Nur an einigen Punkten, dann aber sehr bedeutend, war er mit grossen Geschieben aus Quarz, Granit, Tonschiefer, Diabas und Quadersandstein durchsetzt. Mit dem Schürfstollen XIa, den man etwa in Höhe des Goldsandes angesetzt hatte, schloss man den Goldsand zunächst stark verdrückt und wellenförmig gelagert auf. Beim weiteren Auffahren wurde er mäch- tiger, doch traf man sehr bald alten Bau. Der Goidgehalt des aus Schacht XI gewonnenen Sandes war nicht sehr bedeutend. Es erklärt sich somit ohne weiteres, dass die Alten diese Teile nicht gebaut haben. Auch die Beobachtungen an dem über- fahrenen alten Schacht, der entgegen der sonstigen Feststellung noch unter die Sandlage abgeteuft war, zeigen, dass es sich lediglich um einen alten Schürfschacht gehandelt haben kann. Dass nach Art des Duckel- baues rings um den Schacht Sand abgebaut war, wie festgestellt wurde, erklärt sich vielleicht dadurch, dass auch dieser Sand lediglich zu Unter- suchungszwecken gewonnen worden ist. Man untersuchte im Jahre 1843 zweimal grössere Goldsandmassen. Einmal erhielt man aus 33 t Sand 5,5 g Rohgold, also 0,166 g i. d. t, das zweite Mal aus 36 t Sand nur 0,55 g, also 0,015 gi. d. t. Es zeigte sich also auch hier, wie überall, ein ausserordentlicher Wechsel im Gold- gehalt. Auch hier war offenbar, dass die grösseren Goldkörner in der Nähe der grösseren Geschiebe auftraten. Der Umstand, dass das Goldsandlager am südlichen Abhange der Liegnitzer Höhe ausgeht, somit nicht etwa unter der Katzbach durch- setzt — wie sich ja bereits aus dem Bohrloch am Brückenkretscham ergeben hat — lässt es zweifelhaft erscheinen, ob die nur wenig über dem Spiegel der Katzbach gelegenen, zur Zeit der Versuchsarbeiten noch sehr deutlichen Pingen bei den „Sieben Bütten“ wirklich Pingen dar- stellen oder nicht vielleicht lediglich infolge der Sieb- und Wascharbeit am Flusse entstandene Halden. Da sicherlich jedoch von den Alten das grobe Haufwerk bereits an Ort und Stelle der Gewinnung über Tage aus- s0 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gehalten wurde, und eine Anhäufung derselben bei den „Sieben Bütten“ nicht recht verständlich wäre, da nur der Sand am Flusse verwaschen wurde, so muß angenommen werden, dab sie das Produkt eines dort um- gegangenen Bergbaues bilden, also auch z. T. als Pingen anzusehen sind. Anscheinend hat also das im Tal der Katzbach wellenförmig gelagerte Goldsandlager bei den „‚Sieben Bütten“ an der Oberfläche oder wenig darunter angestanden und ist dort vielleicht durch Tagebau gewonnen worden. Die Angabe der Chronisten, dass dort das Lager am ergiebigsten gewesen sei, erlangt dadurch gewisse Wahrscheinlichkeit, da zweifellos die Gestehungskosten erheblich geringer gewesen sind, als bei den durch Tiefbau zu gewinnenden Teilen. | Versuchsarbeiten bei den „Sieben Bütten“ sind nicht unternommen worden, hätten auch wohl kaum ein befriedigendes Ergebnis gehabt. Die scharfkantigen Stücke auf der Liegnitzer Höhe sind zweifellos als Bruchstücke der von den Alten bei der Gewinnung, wahrscheinlich zwecks leichterer Förderung, zerkleinerten Quarzgeschiebe zu betrachten. Eine andere Deutung kommt schon deshalb nicht in Frage, weil tatsächlich in den Pingen wohlgerundete grosse Quarzgerölle auftreten und bei den Versuchsarbeiten im Goldsande nur gerundete Geschiebe gefunden worden sind. Geoiogische Zusammenfassung. Bei dem Goldvorkommen bei Goldberg handelt es sich, wenn wir seine geologische Stellung kurz skizzieren wollen, um eine normale fluviatile Seife, die aus erodierten, talabwärts transportierten, auf- bereiteten und in einer Terrasse abgesetzten Trümmern einer präexistieren- den Quarzgoldlagerstätte besteht. Der fluviatile Charakter der Seite prägt sich ausser in der Rundung der Geschiebe in dem gleichmässigen Abfall der Lagerstätte nach Nordosten aus (man verg). das auf S. 89 ge- brachte Profil, das von der Ziegelei über die Hochfelder, die „Sieben Bütten“ zur Liegnitzer Höhe gelegt ist). Die goldführende Terrasse liegt danach bei der Ziegelei wenig über 200 m Meereshöhe und fällt an der Liegnitzer Höhe bis unter 180 m Meereshöhe. Der Gesamtabfall beträgt etwa 30 m auf 2 km Entfernung. Das Schotterlager ist somit von einem Strome abgesetzt worden, der in nordöstlicher Richtung geflossen ist und dessen Bett heute von der etwa 20 m tiefer liegenden Katzbach bei Kopatsch gekreuzt und angeschnitten wird. Da sich das im Nikolaiberge anstehende Grundgebirge über die Terrasse um ungefähr 15 m erhebt, so hat das alte Strombett weiterhin südlich des Nikolaiberges gelegen, so dass es wahrscheinlich wird, dass VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 81 die von den Alten abgebaute und etwa 3 km südwestlich gelegene Gold- sandlagerstätte bei Geiersberg und Seiffenau zu derselben Terrasse gehört. Wie die Einzelprofile gezeigt haben, überlagert der Goldsand in der Nähe der Nikolaikirche und unter den Hochfeldern fast unmittelbar und nur durch die an Ort und Stelle entstandenen Zersetzungsprodukte des anstehenden Tonschiefers getrennt das paläozoische, wahrscheinlich silurische Grundgebirge. Die im Gegensatz zu dem annähernd horizontal liegenden Schottern meist steil einfallenden Schichten dieses denudierten Rumpfes bestehen aus versteinerungsleeren, graugrünen Tonschiefern mit eingelagerten Kieselschiefern und Diabasen. Hierdurch wird erklärlich, dass Bruchstücke dieser Gesteine in der Goldsandlage auftreten. Wohl schieben sich im östlichen Teil des Gebietes, im Tal der Katzbach sowie auf der Liegnitzer Höhe zwischen das anstehende Gestein und die Terrasse einige Tonlagen ein, doch dürften auch diese als nicht weit ver- frachtete Denudationsprodukte des umgebenden Schiefergebirges aufzu- fassen sein. Wir gelangen somit zu dem wichtigen Ergebnis, dass die Goldsand- terrasse den ersten postmesozoischen Absatz in diesem Ge- biete darstellt. Über das genaue Alter des Schotterlagers sind sichere Angaben nicht zu machen. Verschiedene Anzeichen weisen jedoch daraufhin, dass wir eine tertiäre Ablagerung vor uns haben. Hierfür sprechen vor allem die grossen Quarzgerölle. Der darüber liegende „Ton‘ ist allerdings wohl trotz seiner humosen Einschlüsse als diluvialern Geschiebemergel aufzu- fassen. Auf ein prädiluviales Alter des Goldsandes deutet überdies das Fehlen des Basalts in den Geschieben des Goldsandes hin16), Die jüngere Erosion der Katzbach und des Bettelbaches hat die alte Terrasse zerrissen und z. T. mit Schuttmassen verkleidet. Die durchschnittliche Gesamtmächtigkeit des Sandlagers, das sich bisweilen durch ein einschiebendes Tonmittel teilt, beträgt 2 m. Nach der petrographischen Zusammenstellung des Goldsandes haben wir es mit dem Zertrümmerungsprodukt eines in einem kristallinen Ge- stein aufsetzenden Quarzgang zu tun. Die weitaus vorwiegenden Quarz- gerölle und auch die massige Verwachsung des Rohgoldes mit Quarz zeigt an, dass auf der primären Goldlagerstätte der Quarz die primäre Gangart darstellt. Auf den kristallinen Charakter des Mutter- 16) Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass bisher der Goldsand von der Mehr- zahl der Forscher als diluvial angesehen worden ist. Der einzige, der bisher für ein tertiäres Alter des Goldsandes — im Löwenberger Gebiet — eingetreten ist, ist Williger (a.a.0.$.68) dafür. Für Löwenberg scheint dies nun gerade nicht zuzutreffen. Dort handelt es sich wohl um diluviale Seifenlagerstätten. 1913. 6 83 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gesteins der präexistierenden Lagerstätte lässt die petrographische Zusammensetzung des Goldsandes schliessen. Wo diese ehemalige Lagerstätte zu suchen ist, kann nur angenähert angegeben werden. Das umgebende Tonschiefergebirge, sowie das weiter südlich sich ausdehnende mesozoische Grundgebirge und die dieses durel- brechenden Basaltkuppen können nicht in Betracht kommen, einesteils weil sie nicht kristallin sind, anderesteils, weil Bruchstücke dieser Ge- steine im eigentlichen Goldsande nur spärlich auftreten. Dagegen dürften die häufiger erscheinenden Geschiebe von Granit darauf hinweisen, dass die primären Quarzgänge im granitischen Gestein aufgesetzt haben. Als nächster Granitstock wäre derjenige von Hirschberg—Schmiedeberg—- Kupferberg somit als das Ursprungsgestein zu bezeichnen. Allerdings ist hierbei vorausgesetzt, dass die Terrasse einem Flusse angehört, dessen allgemeine Richtung etwa mit der der Katzbach zusammenfällt, und nicht etwa einem solchen, der in ostwestlicher Richtung von Löwenberg her geflossen ist. Umfang und Wesen des alten Bergbaues. Alle Schürfschächte, die im Bereich der alten Pingen die Goldsand. lage erreichten, haben alten Bau angetroffen. Manche Strecken aber, so am Westabhang der Hochfelder, sind bis zu 40 m Länge aufgefahren worden, ohne dass man von den Alten abgebautes Feld durchörtert hätte. Es entsteht nun die Frage, worauf zurückzuführen ist, dass die Alten den Abbau so ausserordentlich unrein geführt haben, dass derartig starke Pfeiler stehen bleiben konnten. Bei allen Versuchen hat man sich aus leicht begreiflichen Gründen mit dieser Frage beschäftigt und ist zu dem Schlusse gekommen, dass es der Art des Abbaues des alten — dem Duckelbau — zuzuschreiben sei, wenn solche starke Pfeiler zurückgeblieben wären. Andererseits wird aber auch in einem Gutachten aus dem Jahre 1784 behauptet, dass am Westabhang der Hochfelder sich die Alten vor dem Wasser des Bettel- baches gefürchtet hätten, das sie nicht hätten in ihren Bau ziehen wollen. Infolgedessen hätten sie einen starken Pfeiler gegen den Bach stehen gelassen. Beide Ansichten treffen nicht das Richtige. Die zweite Annahme muss schon von vornherein als völlig haltlos angesehen werden, weil ja gerade bei der Ziegelei die Wasserzuflüsse geringfügig sind und ausserdem der Bettelbach unter der Goldsand- lage liegt. Das Irrige der ersten Anschauung ergibt sich aus Folgendem: Bei den Versuchsarbeiten im Jahre 1842 überfuhr man mit einer Strecke unter der Ziegelei zwei alte Schächte. Beide waren von rundem Quer- schnitt, hatten 1,3 m Durchmesser und waren bis zur Sohle der Gold- sandlage abgeteuft. Überreste von Zimmerung waren nicht vorhanden V1. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 83 Eigenartig war, dass bei beiden Schächten nur die Schachtscheibe ab- gebaut worden war. Dies zeigt mit untrüglicher Gewissheit, dass beide nur Schürfschächte darstellen, welche die Alten zur Untersuchung nieder- gebracht haben. Da ihnen die Goldsandlage als nicht genügend gold- haltig erschien, haben sie davon abgesehen, nach Art des über die Schachtscheibe ausgreifenden Duckelbaues grössere Goldsandmassen zu gewinnen. Aber auch andere Beobachtungen sprechen dafür, dass von den Alten gerade unter der Ziegelei das Lager zum Abbau nicht als abbauwürdig be- trachtet wurde. Mit verschiedenen Strecken, die man im Jahre 1783 zur Gewinnung von 500 t Goldsand auffuhr, durchörterte man mehrfach schmale, von den Alten aufgefahrene Strecken, die zweifellos als Unter- suchungsstrecken und nicht etwa als Abbaustrecken aufgefasst: werden können. Dass wirklich auch abgebautes Feld in der Nähe der Ziegelei vor- handen ist, ist daraus zu erkennen, dass eine Strecke etwa 40 m östlich von Schacht I 7 m in völlig abgebautem Alten Mann vorgetrieben wurde, ohne wieder auf einen Pfeiler zu stossen. In diesem Alten Mann fand man roch Stücke eingebauten Fichtenholzes. Es ist demnach kein Zweifel, dass die Alten den Teil des Goldsand- lagers unter der Ziegelei wohl untersucht haben, jedoch nicht zum Ab- bau als goldhaltig genug erachteten. Es wäre auch kaum zu begreifen, warum die Alten Pfeiler von einer Stärke von 40 m unabgebaut hätten stehen lassen sollen, wo doch Schwierigkeiten sich dem Abbau kaum entgegenstellten. Es handelt sich demnach bei den nicht abgebauten Teilen des Goldsandes sowohl an der Ziegelei, wie auch auf der Liegnitzer Höhe nicht um „Beine“ zwischen Bauen im bergmännischen Sinne, sondern um unabbauwürdige Stellen. Es ist demnach von den Alten Raubbau mit Vernachlässigung der geringhaltigen Teile der Sandlage geführt worden. Dieser Schluss deckt sich auch mit der Beobachtung, dass der bei den Versuchsarbeiten gewonnene Goldsand viel weniger Quarzgeschiebe ent- hielt, als man nach dem Befunde der alten Halden und Pingen hätte erwarten müssen. Wird nämlich dagegen die bereits erwähnte Beziehung gehalten, dass das Korngold im Sande entsprechend dem Gehalt an grösseren Quarzgeschieben wächst, so ergibt sich, dass die von den Alten gebauten geschiebereicheren Teile auch grössere Korngold- (Graupen- gold-) Mengen enthalten haben. Haben wir für die von den Alten zurückgelassenen Teile der Gold- sandlage den durch einfache Wascharbeit gewinnbaren durchschnittlichen Korngoldgehalt zu 0,2 & und im einzelnen bei grösseren Sandmengen bis 0,3 g in der t festgestellt, so ist zweifellos für die von den Alten ab- gebauten Teile ein erheblich höherer Gehalt anzunehmen. Wie hoch er 6* 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gewesen ist, lässt sich nur mit geringer Sicherheit schätzen. Bei einer Berechnung des Inhalts der Lagerstätte tritt nämlich noch ein zweiter schwankender Faktor auf: Es ist das Verhältnis des durch Waschen ge- winnbaren Rohgoldes zu dem hieraus resultierenden Feingold nur an- genähert anzugeben. Wie wir gesehen haben, schwankt dieses Verhältnis des ausgebrachten Feingoldes zum Rohgold von 1:18 bis 1:4, wobei allerdings der Verlust an Gold beim Abtreibeverfahren berücksichtigt ist. Versuchen wir, trotz dieser Unsicherheit den Inhalt der abgebauten Lagerstätte an Feingold, soweit es von den Alten durch Wascharbeit zu gewinnen war, zu ermitteln, so würde ein derartiger Versuch von folgenden Voraussetzungen auszugeben haben. Wird angenommen, dass in dem auf der Übersichtskarte eingezeichneten Pingengebiete und auch unter der Höhe der Hochfelder das Goldsandlager abgebaut worden ist, so würde diese Fläche etwa 0,5 qkm betragen. Bei einer durchschnitt- lichen Mächtigkeit des Goldsandlagers von 2 m hätten demnach fast 4 Millionen cbm Masse angestanden, die bei einem mittleren Ausbringen an Korngold von 1 g17) in der t und einem Abbauverlust von ungefähr 25° 3000 kg Rohgold und etwa 750 kg Feingold!S) geliefert haben würde, dessen Wert nach heutigem Gelde auf etwa 2,1 Millionen Mark zu veranschlagen wäre. Hierzu wäre noch der Silbergehalt des Rohgoldes zu rechnen, dessen Höhe jedoch nicht anzugeben ist. Bei dieser Berechnung ist, wie überhaupt in der ganzen vorliegenden Arbeit die Goldsandlagerstätte von Seiffenau und Geiersberg unberück- sichtigt geblieben. Der Ausdehnung der Pingen nach zu urteilen, dürfte die dortige Lagerstätte erheblich rascher abgebaut worden und zum Erliegen gekommen sein. Die Menge des abgebauten Goldsandes kann nur höchstens die Hälfte des bei Kopatsch gewonnenen betragen haben. Insgesamt ist demnach die Förderung an Edelmetallen bei Goldberg dem Werte nach auf mindestens 3 Millionen Mark zu veranschlagen. Eine obere Grenze lässt sich noch schwerer angeben, doch dürfte ein durchschnittliches von den Alten erzieltes Ausbringen von 2 g Roh- gold i. d. t wodurch der Wert des geförderten Gutes auf das Doppelte steigen würde, nach dem Ergebnis der Untersuchungsarbeiten als die oberste noch mögliche Grenze zu bezeichnen sein*). 17) Dieser Gehalt dürfte meines Erachtens den Mindestsatz darstellen, bei dem von den Alten ein Gewinn noch zu erzielen war. 18) Bei dem Verhältnis von Rohgold zu Feingold wie 4:1. *) Es ist aus der vorstehenden Berechnung zu ersehen, wie außerordentlich von den Chronisten die Höhe der Goldausbeute der Alten überschätzt worden ist. Soll doch nach der Tradition im Jahre 1212 die Ausbeute wöchentlich 150 Mark Goldes, d.s. nach heutigem Gelde rund 66500 Mark, betragen haben. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 85 Über das Wesen des Bergbaues ist nur wenig zu sagen. Tiefbau ist unter den Hochfeldern und auf der Liegnitzer Höhe geführt worden. Tagebau wohl nur bei den „Sieben Bütten“ und in der Niederaue, wo der Goldsand zu Tage anstand oder nur von sehr wenig mächtigen Schichten überdeckt war. Trotzdem die grosse Anzahl und die Form der Pingen, weiter aber auch die Beobachtung beim Überfahren von altem Bau darauf hinweist, dass beim Tiefbau, wie schon erwähnt, Duckelbau betrieben worden ist, bei dem das Sandlager nur in beschränktem Umkreise um die zahlreichen Schächte abgebaut wurde, möchte ich annehmen — schon auf Grund der, an der Ziegelei gemachten Beobachtung, wo wirkliche Strecken überfahren wurden — dass auch regelrechter Abbau in den reicheren Teilen des Sandlagers unter Auffahrung von Förderstrecken stattgefunden hat. Die Schächte der Alten waren, wenn sie nicht lediglich der Er- schürfung dienten, sog. Reifenschächte. Im Jahre 1840 wurde ein der- artiger Schacht in der Tongrube bei der Ziegelei sichtbar. Er war zylindrisch, besass 1,3 m Durchmesser und war mit kiefernen Brettern ausgekleidet, die durch Reifen von runden Weidenholzstäben!?) von 3!/s em Durchmesser gehalten wurden. Die Wasserlösung wurde, wie eingangs bemerkt worden und wie zweifelsfrei durch Urkunden bezeugt ist, durch Stollen und Wasserhebe- maschinen — „wassernot, do man mit redern buwet“, wie es in einer Urkunde aus dem Jahre 1342 heisst — nach dem Bettelbach und der Katzbach hin bewirkt. Daneben benutzte man zur Lösung geringerer Wassermengen Röschen. Bei den Untersuchungsarbeiten im Jahre 1777 traf man in einer Strecke unter der Ziegelei eine solche alte Rösche zum Bettelbach hin an. Sie war mit Eichenholz ausgezimmert, die Türstöcke waren mit Kappen versehen und standen auf Grundsohlen. Der schon von Dechen erwähnte eigenartige lange Graben bei den „Sieben Bütten“ harrt noch jetzt der Deutung. Er ist bereits auf einem Plane aus dem 17. Jahrhundert aufgetragen. Er beginnt bei den „Sieben Bütten‘ und legt sich in spitzem Winkel unterhalb von Kopatsch an die Katzbach an. Anscheinend hat er der Wasserlösung der Teile der Lager- stätte auf der Liegnitzer Höhe gedient. Es ist auch möglich, dass an ihm die Wäsche der Alten für diesen Teil des Baues gestanden hat. Die länglichen Pingen am Nordabhang der Hochfelder dürften ebenso wie die scharfen Einschnitte auf der Liegnitzer Höhe als Überreste von Tag- 19) In der Gegend von Nikolstadt hat man auch eiserne Reifen gefunden, ebenso Gezähestücke. Auch Hufeisen sind gefunden worden, eigentümlicherweise aber nur solche, die auf eine sehr kleine Pferderasse” schliessen” lassen, 86 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. röschen anzusprechen sein?2°), d. h. soweit diese scharfen Einschnitte nicht als Hohlwege zu deuten sind. Der Goldsand ist sicherlich durch Sieb- und Wascharbeit aufbereitet worden. Man beschränkte sich wohl allein auf die Gewinnung der gröberen Körner, also des Graupengoldes. Dies ergibt sich daraus, dass auch die Halden noch einen — wie sich bei Untersuchung der Halden von Nikolstadt im Jahre 1853 gezeigt hat — nicht geringen Goldgehalt aut- weisen. Das Staubgold, das einen grossen Teil des Goldgehalts ausmacht, musste von den Alten schon aus dem Grunde vernachlässigt werden, weil eine Extraktion dieser feinsten Teilchen bei den damaligen Hilfsmitteln nicht möglich war. Besser unterrichtet sind wir über die bergrechtlichen Verhältnisse. Eine Urkunde aus dem Jahre 1342 entwirft uns von dem damaligen Gold- recht ein verhältnismässig anschauliches Bild. Die Urkunde ist aus- gefertigt auf eine Anregung der Herzöge Wenzeslaus und Ludwig von Lieenitz. Sie hatten die Bürger von Liegnitz, Goldberg und Haynau aufgefordert, zu berichten, was ihnen „wissentlich sy von goltwerks rechte zcu dem Goltberge‘“. Nach der Auskunft, die die „eldesten Goldner“ und angesehensten Bürger Goldbergs gegeben haben, hatte sich folgender Rechtszustand, sei es durch Übertragung fremden Rechts, sei es durch Entstehung örtlicher Rechtsnormen ausgebildet: Der Herzog von Schlesien war der „oberste liher“, also der Regal- herr, der das Recht, Bergbau zu treiben, zu verleihen hatte. Zu seinem Stellvertreter, d. h. Richter und Verwaltungsbeamten für das Revier, hatte er einen „Wassermeister zcu goltwerkes recht“ bestellt, der die Erlaubnis zum Schürfen und die Verleihung von Bergwerkseigentum auszusprechen hatte. Bei der Vergebung des Bergwerkseigentums hatte zwar der Grund- besitzer die Vorhand, doch musste er zulassen, falls er selbst nicht bauen wollte, dass ein fremder Schürfer auf seinem Grundstück Schürf- und Gewinnungsarbeiten vornahm, allerdings nur dann, wenn der Wasser- meister das Feld dem betreffenden Schürfer verliehen hatte. Sehr streng waren die Vorschriften, die das ununterbrochene Bauen zum Ziele hatten. So ging derjenige, der drei Tage lang seine Grube unbetrieben liegen gelassen hatte, oder der als Angehöriger einer Gewerk- schaft drei Tage lang keine Zubusse gezahlt hatte, ohne weiteres seines 20) Die Schlackenhalde in der Nähe des Wehrs am Brückenkretscham ist wohl nicht zum Goldbergbau, sondern vielmehr zu dem ebenfalls bei Goldberg (in der Nähe von Prausnitz), jedoch später (15. und 16. Jahrhundert) umgegangenen Kupfer- erzbergbau in Beziehung zu setzen. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 87 Rechts zu bauen verlustig. Diese scharfe Bestimmung wird erklärlich, wenn man bedenkt, wie schwierig es in dem wasserreichen Deckgebirge sein musste, den Bau offen zu halten. Der herzogliche Zehnt (ein Zwölftel der Ausbeute) war wöchentlich am Montag in Goldberg bei den herzoglichen Einnehmern (den Urbarern) zu entrichten. Der Grundbesitzer erhielt, falls er nicht selbst baute, ein freies Achtel der Ausbeute. Erbstollen und Wasserhaltungsmaschinen waren dieser Grundbesitzerabgabe nicht unterworfen. Bei Nichtzahlung des Zehnts trat Pfändung, bei Hinterziehung Geld- busse ein. Gegen Übergriffe des Wassermeisters, der mitbauen durfte, war Vorsorge getroffen. In dem Falle, dass das Bergwerk ausgebeutet war und durch die Pingenbildung beim Zusammengehen der Schächte und Baue dem Grund- besitzer ein Schaden erwuchs, wurde er dadurch entschädigt, dass die von ihm zu leistenden herzoglichen Abgaben um soviel erlassen wurden, als der Schaden durch seine Nachbarn geschätzt wurde. Bemerkenswert ist die am Schluss von den Goldbergern angegebene Tatsache. dass der Herzog ihnen ein für allemal das Recht verliehen hatte, alle Erbstollen zu treiben und „zcu wassernot reder zce hengen, veld derzeu zce lyhen und zu grenicz“ (begrenzen). Es ist danach anzunehmen, dass die Stadt auch das Recht hatte, die für diese Wasserhaltung entstehenden Kosten auf die einzelnen Gruben, deren Wasser gelöst wurde, umzulegen. Einige Namen der alten Bergwerke bei Goldberg sind uns noch über- liefert. So werden in einer Urkunde von 1320 ein Bergwerk „Die weisse Zeche“, von 1331 ein Bergwerk „uff der huben“, von 1404 ein Berg- werk „zum Guldenslag adir zum Guldenrade“ sowie Bergwerke „in der Owe‘ (Aue) und „in dem Vohswinkel“ (Fuchswinkel) erwähnt. Schlußbetrachtung. Wir haben gesehen, dass die Alten einen für damalige Zeiten recht ergiebigen Bergbau auf ein wahrscheinlich tertiäres Goldsandlager ge- führt haben. Wenn wir berücksichtigen, dass noch an verschiedenen anderen Punkten des Herzogtums Liegnitz Goldseifenbergbau getrieben wurde, so erkennen wir, dass dieser nicht nur zur wirtschaftlichen Er- starkung dieses Teiles Schlesiens beigetragen hat, sondern dass auch durch den Bergbau die Besiedelung Schlesiens durch Deutsche eine wesentliche Beförderung erfahren hat. An anderer Stelle, wo ich auf die historischen Verhältnisse des Goldberger Goldbergbaues näher eingegangen bin, ist von mir die Ansicht vertreten worden, dass die deutsche Be- S3 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. siedelung Schlesiens durch den Zug deutscher Goldwäscher nach Nieder- schlesien zuerst in Fluss gekommen ist. Zum Schluss mag noch die Frage kurz berührt werden, ob eine Wiederaufnahme des Bergbaues, sei es bei Goldberg oder Nikolstadt Aus- sicht auf Erfolg bietet. Auch wenn der Goldgehalt der von den Alten zurückgelassenen Sand- massen, entsprechend den von Güttler 1853 angestellten Proben, fast 12 reines Gold in der t beträgt, — ein Goldgehalt, der z. B. bei einer durch Tagebau zu gewinnenden Seife bei den heutigen Hilfsmitteln an sich wohl einen lohnenden Abbau gestattete — so würde doch wegen der Gering- fügigkeit der noch gewinnbaren Sandmengen und wegen des Umstandes, dass dieser Sand durch Tiefbau gewonnen werden müsste, es ausge- schlossen sein, dass die Gewinnungskosten von dem Wert des gewonnenen Goldes getragen würden. Dies gilt auch für Nikolstadt. Obwohl ver- schiedene Anzeichen dafür sprechen, dass die dortigen Lagerstätten im allgemeinen goldreicher?!) sind, als die Lagerstätte von Goldberg, muss auch bei ihnen berücksichtigt werden, dass die Alten sicherlich die reich- haltigsten Abschnitte im Raubbau abgebaut haben, und uns nur bleiben würde, die von ihnen zurückgelassenen ärmeren Teile zu gewinnen. 21) Zwar sind wir über die Verhältnisse der Nikolstädter Lagerstätten nur sehr wenig unterrichtet, doch muss schon aus dem Grunde der Goldgehalt der 3 oder 4 Vorkommen bei Wahlstatt, Nikolstadt und Wandris höher angesetzt werden, weil Proben von den dortigen Halden bei Untersuchungen im Jahre 1853 einen Goldgehalt ergeben haben, der demjenigen des Sandes aus der Goldsandlage bei der Ziegelei am Bürgerberg nicht oder nur wenig nachsteht. Literatur. v. Dechen, Über das Vorkommen des Goldes in Niederschlesien. Karstens Archiv f. Min. usw., Berlin 1830, S. 209 ff. Kretzmüller u. G. Rose bei Roth, Erläuterungen zur geologischen Karte Niederschlesiens, 1867, S. 381. Websky, Über die verschiedenen Mineralien, welche sich als kleine Geschiebe im Goldsande von Goldberg in Schlesien vorgefunden haben. Jahresber. d. Schles. Ges. f. vaterl. Cultur, Bd. 45, 1867, S. 26. v. Festenberg-Packisch, Metall. Bergbau Niederschlesiens, 1881, S. 40—43. G. Williger, Die goldführenden Schichten Niederschlesiens und der Bergbau auf dieselben im 11. bis 14. Jahrhundert. Berg- und Hüttenm. Zeitung, 1831, Ss. 65—69. F. Posepny, Die Goldvorkommen Böhmens und der Nachbarländer. Arch. f. prakt. Geol. Bd. I. Freiberg 1895, S. 312 ff. v. Festenberg-Packisch, Die neuen Goldfunde zu Löwenberg in der Provinz Schlesien. Zeitschr. f. prakt. Geol., 1897, S. 157. Hintze, Handbuch der Mineralogie I, 1898, S. 244—245. A. Sachs, Die Bodenschätze Schlesiens, Leipzig 1906, S. 6—10. Akten des Königlichen Oberbergamts zu Breslau. Fe VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 89 Übersichtskarte des Goldvorkommens bei Goldberg. ZEICHENERK mae= VERBREITUNG DES GOLDSANDLAGERS, SOWEIT ES VON DEN ALTEN GEWONNEN UND UNTER- SUCHT WURDE. AUSSERHALB DIESES GEBIETES ERKENNBA- N REODER AUF KARTEN AUS DEM TBJAHRHUN- DERTAUFGETRAGENE SPUREN D.ALTEN BERGBAUES SCHURFSCHACHTE AUS DEN JAHREN TTT6-83, UND 1842-44 GOLDWÄSCHE 1775-84 GOLDWASCHEN 1842-45 PROFILLINIE ü STOLLEN IN DEN NIKOLAIBERG A.DEM JAHRE 1660 Masstab 1 : 35000. FROFL DURCH DIE GOLDFÜHRENDE TERRASSE BEI GOLDBERE Längenmasstab 7 :25000 Erlau rerung. Ilus»r Versuchsschächte en Jonlager unter den Hochfeldern a u u boldsandlage ZA ans tehendes Gestein/[pabozorsche SW e Im N Vonschiefer u. Diebase ) Hochfelder Nd. liegnitzer Kopatsch NEN The m aulenen) - h 3 Ar "hoszbach „Sieben Bötten XI? 7 II, ra re Zu en 90 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Sitzung am Mittwoch, den 10. Dezember. Herr Dr. Karl Olbricht: Neue Forschungen im schlesischen Diluvium. Bei der Frage nach der Gliederung des schlesischen Diluviums handelt es sich um folgende Hauptfragen: 1. Bis wohin hat die Würmvereisung, d. h. die dritte Eiszeit der nord- deutschen Geologen, gereicht? 2. Ist südlich dieser jüngeren Vereisung eine weitere Gliederung der diluvialen Schichten möglich? 3. Welches ist die Stellung der Lösse? 4. Wie ist der schlesische Landrücken entstanden? I. Die erste genauere Festlegung eines der Würmvereisung zu- gehörigen äußersten Moränenwalles verdanken wir den Arbeiten von OÖ. Tietze und Behr (IV, V u. VI des Literaturverweises), die einen Moränenwall beschreiben, der im Süden das an langgestreckten Seen reiche Gebiet der jüngeren Vereisung abgrenzt. Beide Geologen verfolgten diesen Moränenwall von der Warthe an über Lissa und Schlawa bis an die Oder. 0. Tietze nimmt an, daß sich westlich der Oder diese End- moränen in der Richtung über Grünberg und Guben weiter fortsetzen. Dieser Ansicht kann ich mich nicht anschließen; ich ziehe vielmehr von den Grünberger Höhen aus die Grenze des Würmeises nach Südwesten, schließe daran den gewaltigen Muskauer Moränenwall und die von Keil- back (IX) beschriebenen Endmoränen nördlich von Senftenberg. Zu diesen Abweichungen gelange ich auf Grund mehrerer Erwägungen. Einmal ist es m. E. nötig, daß der südlichste Moränenwall der Würmvereisung auch annähernd die Südgrenze des an Seen reichen Gebietes bildet und nicht — wie die von O0. Tietze angenommene Linie — mitten durch dasselbe hindurchgeht. Ferner aber deckt sich meine Anschauung auch besser mit den Angaben Keilhacks, wonach die südlichsten Ausläufer des oberen wenig verwitterten Geschiebemergels bis in die nördliche Um- sebung Senftenbergs reichen (Karte in IX). Dieser Moränenwall dürfte auch ungefähr die Südgrenze des Würmdiluviums bilden. Bei Senftenberg reichen die jüngeren Grundmoränen nur etwa 10 km weiter nach Süden, bei Muskau nach meinen Begehungen die jüngeren Sande beinahe eben- soweit. Weiter östlich fehlen genaue Fixpunkte, doch dürfte hier der äußerste Rand des Würmeises sich auch nicht sehr viel weiter von den End- moränen entfernt haben. Erst das genaue Studium der Verwitterungs- erscheinungen dürfte hier endgültig Klarheit schaften. II. Die diluvialen Schichten im Süden dieser Jungendmoränenwälle sind durchwegs sehr stark eisenschüssig verwittert. Den tiefsten Auf- VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 91 schluß in dem eisenschüssig verwitterten Diluvium fand ich bei Bautzen, wo bis zum Grunde der über 12 m tiefen Gruben diese Schichten reichen. Als Andeutungen von Klimaschwankungen beschreibt Tietze (IV) Dreikanter aus diluvialen Kiesen bei Seiffersdorf in der Nähe von Ohlau. Ich selbst fand bei meinen Begehungen im letzten Jahre ebenfalls solche Dreikanter an verschiedenen Stellen der Umgebung Breslaus. Da es aber leicht möglich wäre, daß solche Dreikanter auch bei lokalen Schwankungen der Gletscher entstehen könnten, so scheint es zur- zeit noch nicht geraten, ein übertriebenes Gewicht auf ihre Bedeutung zu legen. Gagel erwähnt in seiner Zusammenstellung über die norddeutschen Interglazialfunde (III S. 469) auch die Fundstätten von Ingramsdorf und Rauske; das Profil von Ingramsdorf bildet Frech (VII. 8. 103) ab. Zu oberst liegen dort Lösse mit einer Dreikanterbasis, darunter diluviale Sande und Kiese, darunter (vielleicht unter einer Erosionsdiskordanz?) die interglazialen Ablagerungen mit einem nicht näher bestimmbaren Rhinoceros, dem tartarischen Ahorn und einer durchaus gemäßigten Flora. Darunter folgt wieder ein mächtiges Diluvium. Ich glaube, daß diejenigen, welche sich überhaupt mit der Bedeutung der Interglazialzeiten abgefunden haben, hier ein richtiges Interglazialprofil erkennen müssen, umsomehr, als manche Andeutungen dafür sprechen, daß die Ingramsdorfer Schichten nach ihrer Ablagerung noch durch jüngeren Eisdruck etwas gestaucht wurden und das hangende Diluvium nach seiner Ablagerung schon stark abgetragen wurde. Mächtige interglaziale Flußschotter beschreibt als Zwischenlagerungen ausgedehnter Grundmoränen Keilhack (IX.) aus der Niederlausitz bei Rauno unweit Senftenberg. Meine eigenen Untersuchungen in der Umgebung von Breslau führten zur Auffindung von zwei großen Endmoränenzügen (vgl. Kärtchen), von denen der westliche nur in Resten vorhanden ist, der östliche dagegen in großer Breite und Längserstreeckung als kuppiges Hügelland von Ott- machau an der Neiße bis Lossen bei Brieg sich verfolgen läßt und sich auch nördlich der Oder noch etwas fortzusetzen scheint. Daß diese Moränenwälle auch nicht mit der Südgrenze der Findlinge parallel zu verlaufen brauchen (vgl. Karte in ID, ist selbstverständlich, da ja dem Eise durch die Sudeten eine künstliche Grenze aufgezwungen wurde. Daher kommt es auch, daß in der Lausitz die Würmendmoränen so nahe an die Südgrenze der westlichen Findlinge treten, um sich weiter im Osten so weit von ihr zu entfernen. An mehreren Stellen gelang es mir nun, Lösse mit Lößkindeln unter den diluvialen Schichten nachzuweisen. Bei Oels sind diese älteren Lösse ins Diluvium eingefaltet im Süden der Stadt aufgeschlossen (1 der Karte). 99 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Bei Wohlau stehen am Rande einer längst verlassenen Grube (2 der Karte) unter diluvialen Sanden Lösse an, an derselben Stelle sind auch unter Diluvium Lößkindel erbohrt! Mehr als 12 m mächtige, durch Eisdruck stark gefaltete und dis- kordant von Glazialdiluvium überlagerte Lösse stehen bei Klein Jeseritz (3 der Karte) in den Sandbergen an. Näheres darüber wird Herr Dr. Lachmann gelegentlich mitteilen. Bei Deutsch Lauden (östlich von Jeseritz) endlich ist die ganze Grundmoräne stellenweise lößartig und mit Lößkindeln durchspickt, also offenbar durch Umarbeitung älterer Lösse zu einer „Lokalmoräne‘“ umgeformt. Große Erosionsdiskordanzen mit Blockpackungen finden wir bei Tscheschdorf, sowie in der Umgebung von Görlitz, wobei aber in allen Fällen die Beobachtungen nicht derartig sind, um sichere Schlüsse aus ihnen ziehen zu können. Aus den eben mitgeteilten Beobachtungen ist zu ersehen, daß in der Umgebung Breslaus eine Zweiteilung des Diluviums vorhanden ist. Zwischen beide Abteilungen schieben sich Jösse, die Ingramsdorfer Schichten und wahrscheinlich die zahlreichen Vorkommen von älteren Dreikantern. Diese Beobachtungen stehen zugleich in auffallender Über- einstimmung mit den Erfahrungen in Nordwestdeutschland, die ebenfalls zu einer Zweiteilung des älteren eisenschüssigen Diluviums geführt haben. Ich persönlich bin der Ansicht, daß diese auffallend eisenschüssige Verwitterung des älteren Diluviums ein Ausdruck anderer Klimaverhält- nisse ist, als sie heute herrschen und verweise auf die eingehende Zu- sammenstellung Blanks (XD), die gut über diese Fragen unterrichtet. Die Forschungen in anderen Gebieten haben ergeben, daß die vor- letzte Eiszeit (Riß) weniger ausgedehnt war, wie die ältere sogenannte „erste‘“ Vereisung (Mindel). In Schlesien läßt es sich noch nicht ent- scheiden, wo die äußerste Grenze der Rißeiszeit zu suchen ist. Mehrere Gründe sprechen dafür, den Moränenwall zwischen Ottmachau und Brieg als Grenze zu nehmen und die vorgelagerten Täler der Neiße und des Bober als Eisrandtäler zu deuten. Die außerordentlich mächtigen Lösse Öberschlesiens, die als gewaltige Decke ein vor ihrer Ablagerung zer- taltes, aus Diluvium aufgebautes Hügelland überkleiden, wären alsdann mit den unter den Schichten der Rißvereisung mehrfach vorhandenen Lössen zu parallelisieren, wobei noch bemerkenswert ist, daß letztere bei Klein Jeseritz eine Mächtigkeit erreichen, wie sie die dem Glazialdiluvium aufgelagerten Lösse derselben Gegend nirgends besitzen. Auch die Lösse des Annaberges wären dann vielleicht schon diesen älteren Lössen zu- zurechnen. Nach den Forschungen Michaels (X) ist auch in den östlich der Oder gelegenen Teilen Oberschlesiens eine Zweiteilung des Diluviums zu VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 93 erkennen, so daß dann die Rißvereisung außerordentlich nahe an die Süd- grenze der nordischen Geschiebe heranreichen würde. Eine endgültige Feststellung der Südgrenze des Rißdiluviums läßt sich noch nicht geben, so lange aus den zwischenliegenden Gebieten nicht eingehendere Beob- achtungen vorliegen. III. Lösse sind sowohl in Oberschlesien südlich der Oder, wie auch in Mittelschlesien, der Lausitz und im Trebnitzer Katzengebirge weit verbreitet. Ihre Mächtigkeit ist verschieden. In Mittelschlesien ist sie gering, in Oberschlesien sind 8 m die Regel, auch im Katzengebirge und in der Lausitz kommen lokal ähnliche Mächtigkeiten vor. Lößkindel werden häufig gefunden; zwischen Bohrau und dem Katzengebirge läßt sich ein allmählicher Übergang der Lösse in Flugsande verfolgen. Ero- sionsdiskordanzen und Dreikanterzonen sind im Liegenden der Lösse mehr- fach nachweisbar. Eine Gliederung der Lösse hat sich bisher nirgends erweisen lassen, doch ist es überaus wichtig, daß das Vorhandensein von interglazialen zwischen glazialen Schichten eingeschalteten Lössen nicht sut bestritten werden kann. Auch die oben erwähnten Funde von Drei- kantern unter glazialen Schichten gewinnen so eine größere Bedeutung. Schon an anderer Stelle (VII S. 56) habe ich darauf hingewiesen, daß die Lösse nur Reste einst viel ausgedehnterer Aufschüttungsdecken sind, die nur an besonders günstigen Stellen erhalten wurden, Wir brauchen nur die Lößverbreitung auf der beiliegenden Karte zu betrachten, um zu sehen, daß die Lösse überall an solchen Stellen vorkommen, die durch Höhenzüge gegen Nordwestwinde geschützt sind. Als solche kommen namentlich der Zobten und seine umliegenden Hügel, das Trebnitzer Gebirge, der Annaberg und die äußersten Ausläufer der Sudeten in Betracht. Auch die mächtigen interglazialen Lösse bei Klein- Jeseritz liegen im SO des Zobtengebirges und lassen uns,ahnen, daß nicht nur in den Zwischeneiszeiten ein großer Teil der Lösse wieder abgetragen wurde, sondern auch ähnliche Windverhältnisse wie die heutigen herrschten. Die äolische Entstehungsweise des Löß ist wohl in Geologenkreisen bis auf wenige Ausnahmen angenommen; noch unentschieden ist dagegen die Frage, ob die Lösse glazialen oder interglazialen Alters sind. Die Lagerung des Lösses auf Erosionsdiskordanzen der liegenden diluvialen Schichten spricht durchaus dagegen, daß der Löß „zweifellos“ glazialen Ursprungs ist, anderseits folgert man wiederum aus dem Fossilgehalt der Lösse seine glaziale Entstehungsweise, wobei wir aber über die Lebens- weise vieler Tiere und namentlich über ihre Anpassungsfähigkeit so wenig wissen, daß es übereilig wäre, auf Grund der Fauna allein diese Fragen entscheiden zu wollen. Ich persönlich glaube, daß hierbei die strati- graphische Methode einst den Ausschlag geben wird. 94 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Auf Grund dieser müssen wir für Schlesien zwei verschieden alte Lösse annehmen, die teils unter, teils über glazialen Schichten lagern und mehrfach durch nicht unbeträchtliche Erosionsdiskordanzen getrennt sind. Eine genauere Gliederung der Lösse durch Laimenzonen (d. h. verlehmte Verwitterungsrinden) ließ sich bisher nicht vornehmen, da beide Lösse häufig Kindel führen und auch in ihrem Erhaltungszustand — meist stark entkalkt — kleine Verschiedenheiten aufweisen. Ich betrachte die unter den glazialen Schichten lagernden Lösse einschließlich der so ab- norm mächtigen oberschlesischen als mindelriß, die jüngeren als rißwürm, dabei eine z. T. noch jüngere Entstehungsweise nicht in Abrede stellend. Die jüngeren Lösse können auch in Flugsande übergehen, oder durch solche vertreten werden (Wohlanu). IV. Eine eigenartige Stellung nimmt das Katzengebirge, wie über- haupt der niederschlesische Landrücken ein. Leverett hält ihn auf Grund sehr flüchtiger Kenntnisnahme für Moränenwälle, Keilhack nimmt ihn als solche in seiner Karte der Urstromtäler auf und Werth erblickt in ihm sogar die Jungendmoränen- wälle der Würmeiszeit (L.). Wer von N. oder von 8. her das Katzen- gebirge anschaut, hat durchaus den Eindruck eines Moränenwalles, der aber sofort schwindet; wenn wir das Gebirge durchwandern. Da dehnen sich ausgedehnte, von tiefen Tälern durchschnittene Erosionshügel vor unserem Auge aus, es fehlt jede Spur von Moränenwällen; ein mächtiger Löß reicht bis tief in die Täler herab und unter dem eisenschüssigen! Diluvium lagern mehrmals gestauchte tertiäre Schichten. Umgekehrt ist wieder nicht zu verkennen, daß wenn auch die Einzel- gliederung nur einem ganz flüchtigen Beschauer Endmoränen vortäuscht, die große Anordnung sowohl der Trebnitzer Hügel, wie auch der sich im Osten anschließenden Festenberger und Groß Wartenberger Höhen eine gewisse Bogenform, die auch auf der Höhenkarte gut zum Ausdruck kommt, nicht verkennen läßt. Sprechen so alle Ergebnisse einer Detailuntersuchung, namentlich auch der Verlauf des Hügellandes im Vergleich zu den bekannten Moränen- wällen, die auch auf der Höhenkarte sich ganz anders — man möchte sagen zierlicher — ausnehmen, gegen die Endmoränen (und namentlich Jungendmoränennatur!)!) des Katzengebirges, so ist doch ein gewisser Zusammenhang mit der Vereisung nicht zu verkennen. Ich nehme daher an, daß ein großer /(tektonischer?) Aufwölbungsrücken mehrfach durch Eisdruck gestaucht und mit Diluvium bedeckt, hierbei seine bogenförmige 1) In der erwähnten Arbeit zeichnet Werth nicht nur von Gagel als „greisenhafte Endmoränen!“ bezeichnete Erosionshügelländer der Lüneburger Heide als „Jungendmoränen‘“ ein, sondern sogar die große, von Mooren bedeckte Hoch- fläche des Lüß mit ihrem steilen Nordabfall wird zu einer Jungendmoräne. VL Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 95 Gestalt erhielt und endlich nach starker Vertalung mit Löß überschüttet wurde. Nach allen unseren Erfahrungen ist dieser an Kindeln reiche Löß ganz sicher nicht postwürm, sondern älter als die Würmvereisung, im Verein mit dem Verlaufe der Endmoränen, dem Fehlen von Seen und der Ausgeglichenheit der Landstraßformen ein weiterer Beweis für das höhere Alter des schlesischen Diluviums. Bezüglich des schlesischen Diluviums komme ich also z. T. in völliger Übereinstimmung mit anderen Geologen zu folgenden Anschauungen: 1. Eine älteste (Mindel) Vereisung reichte bis zur Südgrenze der nordischen Gebiete. Ihre Ablagerungen sind stark eisenschüssig und die in ihnen erhaltenen Geschiebe oft morsch und in Gries ver- wandelt. |) Wahrscheinlich in der darauf folgenden Zwischeneiszeit entstanden mehrfach Lösse, Lößlehme und Dreikanter. Auch die Ablagerungen von Ingramsdorf müssen in diese Zeit gesetzt werden, wie die zwischen Grundmoränen liegenden Schotter der Lausitz. 3. In einer jüngeren (Riß) Vereisung erstreckte sich das Eis nicht mehr bis zur Südgrenze der Erratika. Das Neißetal scheint mit dem ihm westlich vorgelagerten Moränenwall eine Grenze gebildet zu haben, während im O. der Oder Oberschlesien nach den Forschungen Michaels noch vor dieser Vereisung überdeckt worden ist, damals wahrschein- lich niedriger als heute liegend. . Auch die Ablagerungen dieser Jüngeren Vereisung sind eisenschüssig verwittert. 4. Die Oberflächenformen des älteren Diluviums sind ausgeglichen und flächenhaft verebnet. Infolge langer Erosion ist das Diluvium mehr- fach völlig abgetragen, so daß in weiter Erstreekung auch im Flach- lande die präglazialen Schichten anstehen. Letzteres gilt namentlich von der oberschlesischen Platte und ‚dem schlesischen Landrücken, die wahrscheinlich eine große flache tektonische Aufwölbung darstellen, die an den Stellen, wo sie aus weichen tertiären Schichten besteht, mehrfach durch Eiswirkung um- gestaltet wurde, 5. Es folgt die Aufwehung neuer ebenfalls an Kindeln reichen Lösse, die aber später bis auf wenige geschützte Stellen wieder abgetragen wurden und mehrfach in Flugsande übergehen. 6. Die jüngste Vereisung mit ihrem an Seen und welligen Formen reichen Hinterlande stauchte ihre Moränenwälle namentlich im Westen unserer Provinz auf und erreichte weiter östlich wahrscheinlich den südlichsten Zipfel der Provinz Posen nicht mehr. Die hier noch ausstehende Verfolgung der Verbreitung eisenschüssig verwitterter Ablagerungen dürfte noch nähere Einzelheiten ergeben. 96 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Auf diese jüngste Vereisung folgende Lösse sind in Schlesien un- bekannt, oder von älteren nieht zu trennen. Wir werden uns wohl aber überhaupt mit dem Gedanken vertraut machen müssen, daß nieht zu allen Zeiten an denselben Stellen Lösse aufgehäuft wurden, sondern ein Übereinanderlagern verschieden alter durch Laimenzonen setrennter Lösse zu den Ausnahmen gehört. Verschieden alte Lösse konnten sich an solchen Stellen halten, die durch Höhenrücken an möglichst vielen Stellen geschützt sind. Deshalb sind Thüringen, die oberrheinische Tiefebene und das Neuwieder Becken durch klassische Lößprofile ausgezeichnet. Noch gar nicht einmal berührt ist hierbei die Frage, ob nicht in den Gebieten, wo — wie in Schlesien — die Lösse offenbar in so großem Umfange abgetragen wurden, naturgemäß zuerst die zu oberst liegenden Laimenzonen der Abtragung anheimfielen und so äußerlich einheitlich ausschauende Lößbildungen als Summierung der Aufwehung und Abtragung verschiedener Zeiten zustande kamen. Ich persönlich halte es für nieht unwahrscheimlich, daß die obersten oft kindellosen Teile der schlesischen Lösse ein Äquivalent der jüngsten Lösse (Bördelöß) sind, ohne daß sich dies bisher exakt beweisen läßt. Das ausgedehnte Vorkommen von Schwarzerde- bildungen in der Umgebung Breslaus wird vielleicht später einmal für diese Frage von Bedeutung werden, Literatur. . Werth. Äußerste Jungendmoränen in Norddeutschland. Zeitschrift für Gletscherkunde 1912 S. 250 usw. . Olbricht. Die Einteilung und Verbreitung der glazialen Ablagerungen in Norddeutschland. Centralblatt £. Miner. usw. 1911 S. 507 usw. . gagel. Die Beweise für eine mehrfache Vereisung Norddeutschlands usw. Geologische Rundschau 1913 Heft 6 und 7. . Tietze. Die geologischen Verhältnisse der Umgebung von Breslau. Jahrb. d. L. Anstalt 1910 S. 258 usw. . Tietze. Die Endmoränen zwischen Oder und Neiße usw. Ebd. 1911 S. 160. . Behr und Tietze. Über den Verlauf der Endmoränen bei Lissa usw. Ebd. 1911 S. 60 usw. . Olbricht. Neue Beobachtungen im Diluvium der Umgebung von Hannover. Centralblatt £. Min. 1913 S. 51 usw. . Frech. Schlesische Heimatkunde Band I S. S2—108. . Keilhack. Geologische Geschichte der Niederlausitz. Cottbus 1913, vgl. auch den geologischen Teil in der Festschrift der Grube Ilse bei Senftenberg. . Michael. Zur Kenntnis des oberschlesischen Diluviums. J. d. L. A. 1913 S..383 usw. . Blanck. Beiträge zur regionalen Verwitterung der Vorzeit. Mitt. d. land- wirtsch. Institute der Universität Breslau 1913 S. 619 usw. 97 Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. VI. Abteilung. asauglowpuy — — uaja9pnS Jap PUeY eessoca feizej1sjuf sojajnunsa % Zy11j0190 ir goTa..8r Fr Ze Er: I Zıageuay / | : Va es Fe ujeddo | ur Rr 2 7 ON . {>} \ N ” % IQ L R KA E % WERE SEE E78 Y% 0 N : Ve AN % 4 De M DDR ET rn 0 BE + N) . 4, 1} % Dar l N % Y 5 DI p7 ia N. Ä no ALNZ : u I % als N Sag S x Re 3 G ST 2, ee S . u) ei ' . . [2 \ X (} N.) blaasızun S.S z \ N: 7 NZ an 7 le B .J- y EN nv’1S3 ‘ 7, ZLIIBQY SION v 927 H BR: ee \ 77 j eg: ] zyyugeı]:“: ar | een Zisqusyuag n83aI9 f\ \ onusy+ N nB10g 3 ee 3 ı ur, % — 0 gm an £ a s : &e e [e2) et =mme\, ° = eo amt 98 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Herr Dr. Bruno Dietrich: Morphologie der Rhön. (Der Abdruck erfolgt im Jahresbericht für 1914.) Sitzung am Mittwoch, den 17, Dezember. Nachdem die Mitgliederzahl der Sektion 100 überschritten hat, wird auf Vorschlag von Herrn Professor Dr. Frech zum dritten Delegierten in das Präsidium Herr Geheimrat Professor Dr. Supan von allen Anwesenden einstimmig gewählt. Herr Dr. R. Lachmann: Vorlage einer Arbeit von Dr. Heinrich Arndt-München über Gesteine des Simplon. I. Die Kontaktzone am Nordhang des Pizzo Teggiolo im Val Gairasca. 1907. C. Schmidt, Buxtorf, Preiswerk: Führer zu den Exkursionen der deutschen geologischen Gesellschaft 1907, pag. 45. 1907. C. Schmidt: über die Geologie des Simplongebietes und die Tektonik der Schweizer Alpen, pag. 506. 1908. C. Schmidt, Buxtorf, Preiswerk: Exkursionsberichte, Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft; Band 60, Heft 2, pag. 161. 1908. C. Schmidt und H. Preiswerk: geologische Karte der Simplongruppe (1:50000); im Text genannt: „geologische Simplonkarte‘“. 1908. C. Schmidt und H. Preiswerk: Erläuterungen zur geologischen Karte der Simplongruppe, pag. 18—19. 1910. G. Klemm: über die Tessinergneise; Monatsberichte der deutschen geo- logischen Gesellschaft 1910, pag. 722. 1911. G. Klemm: über die genetischen Verhältnisse der Tessiner Alpen; Monatsberichte der deutschen geologischen Gesellschaft, Heft 8/10, pag. 468. 1912. A. Rothpletz: zur Stratigraphie und Tektonik des Simplongebietes, ionatsberichte der deutschen geologischen Gesellschaft 1912, pag. 218. 1912. J. Koenigsberger: über Analogien zwischen der ersten Zone der West- alpen und benachbarten Massiven; Geologische Rundschau 1912, Heft 5/6, pag. 322—323. 1913. H. Preiswerk: die metamorphen Triasgesteine im Simplontunnel; Ver- handlungen der naturforschenden Gesellschaft Basel. Auf der geologischen Simplonkarte von C. Schmidt und H. Preis- werk finden sich Konglomerate im Lebendun- und Valgrande-Gneis, in den Serizit-Gneisen des Aar- und Gotthard-Massivs, in triadischen kristall- linen, zum Teil dolomitischen Kalken und in jurassischen Kalkphylliten verzeichnet. Eine von diesen Konglomerat-Zonen ist durch den Besuch der deutschen geologischen Gesellschaft im August 1907 weiteren Kreisen bekannt geworden und hat auch in der Literatur schon mehrfach Er- wähnung gefunden. Es ist dies die Konglomerat-Zone, die sich auf der Nordseite des Pizzo Teggiolo nach der Alpe Lavin zu erstreckt. Es finden sich dort Gerölle von Antigoriogneis in der darüberliegenden transgressiven Trias. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 99 Die bis jetzt vorhandenen Literaturberichte sind in Kürze folgende: In den Erläuterungen zur geologischen Simplonkarte heißt es von dieser Stelle: „Am Kontakt der jurassischen Kalkschiefer mit dem Gneise treten mit erstaunlicher Regelmäßigkeit auch in den kleinsten Mulden helle, kristalline, dolomitische Kalke (Marmor) auf, die der Trias zuzurechnen sind. Als transgredierende Schicht enthalten diese Kalke da und dort gerollte Stücke der Unterlage,‘ In seiner Arbeit ‚über die Geologie des Simplongebietes und die Tektonik der Schweizer Alpen“ schreibt C. Schmidt bei. der Besprechung der Abgrenzung des Mesozoikums gegen die altkristallinen Schiefer Folgendes: „Am klarsten ist die Grenze zwischen Mesozoikum und Alt- kristallin zu erkennen, wo mit dem Marmor basale Konglomerate sich verbinden. Wir finden solche Stellen namentlich über dem AMBISOTIOENEIS. son. nee en nee ee nchsen am Nordostabhang des Meesi0lo... ... 0... in Bei den Exkursionen der deutschen geologischen Gesellschaft im August 1907 wurde auch von der Alpe Lavin aus die Konglomerat-Zone besucht. Der Exkursionsbericht darüber lautet: „Bei Lavin traf man von neuem auf dieselben Triasschichten, die hier steil aufgerichtet, die Antigoriogneisantiklinale umfassen. Ganz besondere Aufmerksamkeit wurde der wichtigen Erscheinung geschenkt, daß die Triasmarmore an ihrer Basis unmittelbar über dem Kontakt mit dem Antigoriogneis zahlreiche größere und kleinere gerundete, konglomeratartige Stücke von Antigoriogneis enthalten. Sie sind eingebettet in quarzreichen Marmor, aus dem sie, ausgewittert, deutlich sichtbar hervortreten. In gleicher geo- logischer Situation finden sich solche Konglomerate noch an mehreren Punkten des Simplongebietes. Sie liefern einen Beweis für das vortriadische Alter des Antigoriogneises.‘ In dem Führer zu den Exkursionen der deutschen geologischen Gesellschaft im Jahre 1907 wird von ‚‚Gneisgeröllen in Marmor“ ge- sprochen. J. Königsberger erwähnt bei Besprechung der Paralleltextur der Aplite auch die Gerölle von Lavin: „Die Trias am Piz Teggiolo zeigt eine schwache Parallel- textur, entsprechend der des umgebenden Antigoriogneises, und doch hatte dieser, wie seine Gerölle gerade in der Basis der Trias zeigen, schon früher eine Paralleltextur.‘* G. Kiemm, kommt in seiner Arbeit über die Tessinergneise auch auf die Gerölle von Lavin zu sprechen und schreibt von ihnen bei Behandlung der Altersfrage des in den „Tessiner-Gneis‘‘ übergehenden 7F 100 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. „Antigoriogneises‘‘, „daß die sogenannten »Gerölle von Antigoriogneis« aus dem Triasmarmor des Cairascatales bei Varzo eben keine »Gerölles, sondern granitische Intrusionen sind.“ Derselbe Autor erwähnt in seiner späteren Arbeit über ‚die gene tischen Verhältnisse der Tessiner Alpen‘ noch einmal die „Gerölle* von Antigoriogneis auf der Alpe Lavin und stellt fest, daß „die Geröll- führung des Triasmarmors nur scheinbar statt hat“ Des weiteren kommt er zu dem Resultat, „daß die Gerölle des Antigorio- gneises gar keine Gerölle, sondern aplitische Adern sind, die deutlich im Zusammenhang mit einander stehen. Schlägt man ein solches »Gerölle« ab und untersucht es im Dünnschliff, so erkennt man, daß es zahlreiche, kreuz und quer verlaufende, in einer Marmorgrundmasse auf- setzende Aplitäderchen enthält, die, weil sie schwerer verwittern als der Marmor, als knollige Partien bei der Verwitterung des Gesteines heraustreten und so »Gerölle« vortäuschen. Das Vorkommen von der Alpe Lavin beweist also gerade das Gegenteil der Schmidt'schen Behauptung, nämlich das posttriadische Alter des »Antigorio- und des Tessiner-Gneises«.“ Zwei Meinungen hinsichtlich der Entstehung jener „‚Konglomerate‘“ oder „Gerölle‘“‘ stehen hier in schroffem Gegensatz, der an Schärfe noch gewinnt, wenn man die Schlußfolgerungen in Betracht zieht, die sich daraus ergeben; indem die eine, die die „Geröllnatur‘“ befürwortet, von einem prätriadischen Orthogneis ausgeht, während die andere, die die „Gerölle‘“ als aplitische Adern ansieht, einen posttriadischen Gneis an- nimmt. Diese viel umstrittene Zone ist daher für die Altersbestimmung des Antigoriogneises von größter Wichtigkeit. Die bei eingehender Unter- suchung gemachten Beobachtungen seien im Folgenden mitgeteilt. Lavin. Von dem auf dem rechten Ufer der Cairasca führenden Saumweg zweigt ungefähr da, wo auf der geologischen Simplonkarte die Grenze zwischen Trias und Antigoriogneis angegeben ist, ein schmaler, von Ziegen ausgetretener Pfad ab, der auf dem Gneis-Trias-Kontakt der geo- logischen Karte über den Gehängeschutt steil nach oben führt. Daß er auf die „Geröllzone‘‘ zustrebt, darauf deuten schon die vielen mit „Kon- glomeraten‘‘ durchspickten Blöcke hin, die überall verstreut sowohl hier, wie auch auf den darunterliegenden Wiesen von Lavin liegen. Der Weg verliert sich nach oben zu im Gestrüpp kurz unter der Steilwand, an der die „Konglomerat-Zone‘‘ aufgeschlossen ist. Der Kontakt zwischen Anti- goriogneis und Marmor ist ziemlich scharf. Der Gneis, der in weiterer Entfernung vom Kontakt einen ausge- sprochenen Zweiglimmergneis darstellt, nimmt gegen den Kontakt zu ein VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 101 aplitisches Aussehen an. Der Muskovit tritt fast gänzlich zurück und der Biotitgehalt äußert sich nur noch in einzelnen Glimmerschüppchen. Der Marmor am Kontakt ist hochkristallin, grobkörnig und von gelblicher Farbe. Er ist vollkommen mit quarzigem Material durchsetzt, wie sich aus dem Abfärben des Hammers beim Darüberstreichen leicht konstatieren läßt. Eine Bank von ca. 40—50 cm vom Kontakt aus ge- rechnet ist „geröllfrei“. Die „Geröllzone“ setzt erst über ihr ein. Auf der NÖ-Seite der Steilwand fand sich eine kleine Apophyse, die direkt vom Gneis in den Marmor hinübersetzte, jedoch schief eindrang, sodaß ihr Ende sich nicht feststellen ließ. Der sichtbare Teil der aplitischen Apophyse betrug ungefähr 25 cm. Dies aber war der einzige derartige, direkt vom Kontakt aus in den Marmor hinübersetzende Gang, den ich finden konnte. 10) W n Aufschluss an der „Geröllzone“ NR von Lavin. N N Maaßstab 1: 1000. Gn — Antigoriogneis. M = Marmor u. marmori- sierter Kalkschiefer. G = „Geröllzone‘., A = aplitische Apophyse. —+ = aplitische Randzone des Gneises. Die „Geröllzone‘ verläuft ohne scharfe Grenze über der Marmor- bank. Die „Gerölle‘“ selbst lassen sich schon makroskopisch als Aplit bestimmen, doch gelingt dies nur sehr leicht an den Stellen, wo sie herausgewittert sind. An Blöcken mit frischem Bruch können sie kaum von der Marmorgrundmasse unterschieden werden. Der Marmor ist in der „Geröllzone‘‘ stark durchsetzt mit feinerem aplitischen Material. Die „Gerölle‘‘ selbst haben gegen den Marmor keine scharfe Grenze, sind auch nicht gerollt oder haben Eindrücke, die durch gegenseitige Aneinander- pressung entstanden sein könnten. Sie liegen nicht aufeinander, sondern scheinen vielmehr in der Marmorgrundmasse zu schwimmen. Unterein- ander hängen sie oft perlschnurartig zusammen, Oft schießen aus ihnen apophysenähnliche, dornartige Gänge heraus, die, wenn sie an einem „Geröll‘“ mehrfach auftreten, demselben ein gegabeltes Aussehen geben (siehe Tafel 1,g). Die elliptisch-linsenförmigen Gebilde, als welche sie im .102 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cnltur. Querbruch erscheinen, keilen sich zu dünnsten Äderchen aus, um in einiger Entfernung zu einer neuen Linse anzuschwellen. Auf solchen Bruchflächen wittern dann die Aplite butzenförmig aus dem weicheren Marmor heraus und erwecken den Anschein von „Geröllen“. Schon oben am Kontakt läßt sich an einzelnen Stellen konstatieren, daß die „Gerölle“ im Längsbruch nicht eine ähnliche Form besitzen wie im Querbruch, wie anzunehmen wäre, sondern daß sie dort als langgezogene, apophysen- ähnliche Gebilde verlaufen (Fig. 1, Taf. II). Besser als am Kontakt selbst läßt sich d.s an einigen abgestürzten Blöcken unten auf einer Wiese der Alpe Lavin sehen; von vorn zeigt ein solcher Block das herausgewitterte „Geröll“, das, von der Seite be- trachtet, in einen fast 1 m langen, sich allmählich auskeilenden Dorn verläuft. Fig. 2 (Taf. II) zeigt einen Marmorblock der Alpe Lavin, der von zwei Aplitgängen durchsetzt wird und mitten unter den anderen „Geröllblöcken“ der vorher erwähnten Wiese liegt. Die ‚„Geröllzone‘“ hat eine schwankende Mächtigkeit, im Durchschnitt ca. 3 m. Der Marmor über der Zone ist immer noch etwas Quarz- und stark Muskovit-führend. Die lagenweis an- geordneten Glimmerblättchen wittern aus und geben dem Marmor ein eigentümliches geschichtetes Gepräge. Noch weiter von der Zone weg wird der Marmor rein weiß und die Quarz- und Glimmer-Führung läßt sich makroskopisch nicht mehr nachweisen. Die sichtbare Länge der Zone mag ungefähr 100 m betragen. Nach beiden Seiten hin verschwindet sie im Gehängeschutt. Valle, Steigt man von Lavin her im Bachbett des Rio Valle aufwärts bis fast unter die Häuser von Vall&, so kommt man an zwei Moränenhügeln vorbei, hinter denen, auf der Teggiolo-Seite, die ziemlich steil einfallenden Kalkschieferbänke sich vom Schichtverbande losgerissen haben. Die herab- gestürzten Blöcke liegen hier überall verstreut. Unter diesen Blöcken, die aus einem grünlich-blauen, stark glimmerhaltigen Kalkschiefer bestehen, fand sich einer von ca. 1 cbm Größe, in den ein Gneiskeil hineinsetzt, wie aus Fig. 1 (Taf. III) ersichtlich ist. Die Begrenzung zwischen Gneis und Kalkschiefer ist scharf. Der Gneiskeil besteht aus typischem geschichteten Zweiglimmergneis. Die Länge der aufgefundenen Apophyse beträgt unge- fähr 60 cm. Trotz eifrigen Suchens konnte weder die Abrißstelle, noch ein zweiter ähnlicher Block gefunden werden. Daß er aber von dieser Stelle stammt, geht schon aus der vollkommenen Übereinstimmung mit dem anstehenden Gestein hervor; auch trägt er keine Spur an sich, als ob er schon einen weiteren Transport hinter sich habe. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 103 Petrographischer Teil. Lavin. Die mikroskopische Untersuchung der fraglichen „Gerölle‘“‘ der Alpe Lavin lieferte folgendes Resultat: Der Antigoriogneis, der bei Lavin mit den Sedimenten in Kontakt tritt, gehört zu dem quarzärmeren, glimmerreichen Typus (Typus 2), den C. Schmidt bei diesem Gneise unterscheidet. Am Kontakt selbst tritt, wie schon gesagt, fast reiner Aplit mit dem Marmor in Berührung. Der Aplit besteht vorwiegend aus Quarz, Feldspat und Glimmer. Der Quarz löscht stark undulös aus und ist fast stets mit den benach- barten Gesteinsbestandteilen innig verzahnt. Von Alkalifeldspäten tritt Mikroklin am häufigsten im Gestein auf. Fast ebenso häufig lassen sich Plagioklase nachweisen. Mikro- pegmatitische Durchwachsung von Orthoklas und Quarz ist weit weit verbreitet. Glimmer tritt fast gänzlich zurück. Biotit ist in einzelnen, meist stark korrodierten Fetzen noch vorhanden. Muskovit nur noch in Spuren. Die Struktur des Gesteins ist granulitisch, an manchen Stellen mikro- pegmatitisch. Als accessorische Gesteinsgemengteile treten hinzu: Apatit in rundlichen Körnchen, Titanit, Rutil, Pyrit, zum Teil stark ver- rostet, grüne Hornblende in vereinzelten Individuen, Diese Gesteinszusammensetzung kennzeichnet die aplitische Randfacies des Antigoriogneises gegen die „Geröllzone‘“ hin. Der Marmor ist ein ziemlich reiner, stark kristalliner Marmor, dessen Kalkspäte unter dem Mikroskop eine vollkommen unregelmäßige Ausbildung zeigen. In den der ,Geröllzone“ und dem Gneiskontakt benachbarten Teilen ist er, wie schon bei der Beschreibung der Zone erwähnt, stark quarzreich. Im Dünnschliff zeigen sich in den einzelnen Kalkspatindividuen meist gerundete Quarzkörner eingelagert; doch ist auch Feldspat in solcher Lagerung zu treffen. Muskovit ist im Marmor in der „Geröllzone“ und in dem nach dem Gneiskontakt zu liegenden Teile nur in vereinzelten, teil- weise mikrolithenähnlichen Fetzen vorhanden. In dem der „Geröllzone‘ aufgelagerten Teile ist die Ausbildung der Muskovitblättchen eine voll- kommene. Sie zeigen in der caleitischen Grundmasse eine lagenweise, parallele Anordnung und häufen sich oft zu geschichteten Paketen zu- sammen. Hierbei tritt dann sehr häufig Klinozoisit auf, der mit stark anomalen Interferenzfarben in vereinzelten Individuen den Glimmern zwischen gelagert ist. An manchen Stellen ist der Marmor stark Turmalin führend. Die Kristalle sind fast schon zu den Mikrolithen zu rechnen, lassen sich aber bei starker Vergrößerung deutlich als schön zonare grüne 104 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Turmaline erkennen. - Korrosionserscheinungen zwischen Quarz und Caleit sind vorhanden, doch im Vergleich zu den nachher zu beschreibenden Aplitadern aus der ‚Geröllzone‘“ hier nur minimal. Sagenitbildung läßt sich zuweilen feststellen. Das die „Gerölle“ bildende aplitische Material stimmt in seiner petro- graphischen Zusammensetzung fast völlig mit dem Aplit der Randzone überein. Die granulitisch-mikropegmatitische Struktur hat sich auch hier erhalten. Die einzelnen Komponenten sind dieselben geblieben, lokal an- gereichert ist Muskovit und Pyrit. Der Aplit durchsetzt in Adern und feinsten Äderchen die caleitische Grundmasse, ohne irgend eine scharfe Grenze gegen diese. Calcit und Aplit greifen vielmehr beständig inein- ander über; Bestandteile des einen finden sich verwoben mit denen des andern. Die Aplite sind oft intensiv mit calcitischem Material angereichert, das sich in Mikrolithen fast in jedem einzelnen Gesteinskorn findet. Diese resorptive Fähigkeit der Aplite ist derartig hochgradig, daß kaum ein ein- ziger idiomorpher Bestandteil in ihnen zu beobachten ist. Ein siebartiges Aussehen ist für diese Partien typisch. Die im Marmor verstreut liegen- den Quarze und Feldspäte können teils losgelöste Partikel der Aplitadern sein, teils Neubildungen. Parallelverwachsungen zwischen Quarz und Feld- spat gehören nicht zu den Seltenheiten. Eine mechanische Deformation der Kalkspäte macht sich hier und da an den mitunter stark gestauchten Lamellen bemerkbar. Diese Erscheinungen treten meistens in den randlichen Teilen der Aplite auf. Neubildungen von Calcitrhomboedern in Quarz oder Feldspäten lassen sich hin und wieder finden. In der Mitte der Aplitgänge ist die Anreicherung mit Pyrit am stärksten. Der Pyrit scheidet sich dann hier oft in Kristallform aus. Am gewöhnlichsten sind Würfel und Kubo-Oktaöder. Zonare Rosthöfe treten bisweilen um die Pyrite herum auf. Valle. Der Gneis des Gneiskeils von Valle und der teilweise marmorisierte, mit ihm in Berührung stehende Kalkschiefer zeigen sich unter dem Mikroskop folgendermaßen zusammengesetzt: Der Kalkschiefer besitzt eine typische Pflasterstruktur in den der Apophyse entfernter liegenden Teilen. Quarz in gerundeten Körnern findet sich überall in den Kalkspäten verstreut liegend. Diese Erscheinung nimmt umsomehr zu, je näher wir dem Gneise kommen. Der pflasterstruktur- ähnliche Habitus macht einem unregelmäßigen Gefüge der Kalkspäte Platz. Stauchungserscheinungen der Lamellen, sowie anomale Interferenzfarben treten hier in den Vordergrund. Die Stauchungserscheinungen treten oft so stark auf, daß die Lamellierungen geknickt, manchmal abgerissen und ver- worfen sind. Von sonstigen Mineralien sind in diesen randlichen Zonen VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 105 außer den schon open erwähnten überall eingelagerten Quarzen noch zu erwähnen: Turmalin, in vereinzelten Nestern und von schmutzig grüner Farbe. Tremolit, weit verbreitet, in nadelig-strahligen Büscheln. Ferner Zoisit, Biotit und Muskovit, stark korrodiert, Apatit in rund- lichen Körnchen, Zirkon (?), wenig Pyrit, Skapolith. Eine scharfe Grenze des Kalkschiefers gegen den Gneis, wie sie sich anscheinend makroskopisch zeigt, läßt sich im Dünnschliff nicht feststellen, Der Gneiskeil zeigt sich in der Hauptsache zusammengesetzt aus Quarz, Feldspat und Glimmer. Quarz: meist stark undulös auslöschend und weit verbreitet. Feldspat: von Alkalifeldspäten Mikroklin, daneben ebenso häufig Plagio- klase. Glimmer: Biotit und Muskovit reichlich auftretend. In den dem Kalk benachbarten Teilen macht sich durch das ganze Gestein hindurch eine starke Anomalität der einzelnen Bestandteile be- merkbar, die jedoch in den zentral gelegenen Teilen der Apophyse ab- nimmt und einer rein granitisch-mikropegmatitischen Struktur Platz macht. Die Anordnung der Gesteinskomponenten in den randlichen Teilen des Keils ist vollkommen strukturlos und weist auf eine weitgehende Zer- trümmerung und Ineinanderpressung hin. In den zentralsten Teilen macht sich eine parallelstruierte Anordnung bemerkbar, jedoch unter Wahrung der granulitischen Struktur. Hier tritt auch wieder eine Anreicherung von Pyrit auf, der sich oft in ausgesprochenen Kristallformen nach- weisen läßt. Die petrographische Beschaffenheit der Apophyse erweist sie als Gneis. Folgerungen. Lavin. Die sich aus den Beobachtungen an der „Geröllzone‘‘ von Lavin er- gebenden Folgerungen sind: Der Antigoriogneis wird gegen die „Geröllzone“ hin aplitisch und ent- sendet eine Apophyse in den Marmor. Die Apophyse ist demnach jünger als die zunächst aufgelagerten Sedimente. Die als „Gerölle“ oder „Konglomerate‘‘ angesprochenen Bildungen haben sich als Aplit erwiesen. Gegen die Geröllnatur spricht: Jegliches Fehlen gerundeter oder gerollter Stücke. Das Fehlen einer scharfen Abgrenzung des Aplites gegen den Marmor. Die Formen der Aplitlinsen, die selbst durch mechanische Veränderungen nicht aus gewöhnlichen Geröllen geschaffen worden sein können (z. B. jene erwähnten gegabelten Linsen). 106 "Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die Lagerung der Aplite in Marmor; denn bei echten Ge- röllen wäre eine direkte Aufeinanderlagerung, zum Teil Zu- sammenbackung und Verkittung mit feinerem Material voraus- zusetzen. Für die intrusive Natur dieser Bildungen spricht: Die in unmittelbarer Nähe am Kontakt befindliche Aplitapophyse. Die vollkommen verschwommene Grenze der Aplitlinsen gegen den Marmor. Das resorbierte Kalkmaterial im Aplit und die Quarz- und Feldspatanreicherung im Marmor. Die linsenförmigen, langgezogenen Aplitgänge, die oft untereinander im Zusammenhang stehen durch schmale apli- tische Verbindungsglieder. Die ım Dünnschliff sichtbaren kreuz und quer verlaufenden Aplitäderchen. Jegliches Fehlen typischer geroliter Stücke. Der Gneiskeil von Valle. Er stellt das abgerissene Ende einer Apophyse des Antigoriogneises in den Kalkschiefer dar. Der Gneis hat den Kalkschiefer teilweise mar- morisiert und es ist zur Ausbildung typischer Kontaktmineralien ge- kommen. Typischer Antigoriogneis ist als Geröll bis jetzt nicht nachgewiesen worden. Es scheinen daher diese Zonen nur bei aplitischer Randfacies des Gneismassivs aufzusetzen, die, wie schon gezeigt, Apophysen in das Neben- gestein entsendet. Ein solcher aplitischer Nachschub erfüllt infolge seiner Leichtflüssigkeit bis in die feinsten Spalten hinein das Gestein mit apli- tischem Material, während die größeren Spalten zwischen den Schicht- flächen lagerartig von ihm ausgefüllt werden. Nachträgliche tektonische Veränderungen ergeben dann diese pseudogeröllartigen Gebilde, die, da sie meist im Querschnitt angeschnitteu sind, leicht Gerölle vortäuschen. (Näheres darüber im Abschnitt V). Die Behauptung, daß die ,„Gerölle“ durch Transgression der Trias über den Antigoriogneis entstanden seien, ist damit hinfällig geworden. Daß die Marmorisierung der Sedimente am Kontakt großenteils durch das eruptive Magma hervorgerufen ist, ist zweifellos; dafür spricht schon das Auftreten einer Reihe kontaktmetamorpher Mineralien. Inwieweit auch Dynamometamorphose dazu beigetragen hat, bedarf weiterer Untersuchung. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 107 ll. Die Kontaktzone im Tal von Zwischenbergen. 1907. C. Schmidt, Über die Geologie des Simplongebietes und die Tektonik der Schweizer Alpen. 1908. C. Schmidt und H. Preiswerk, Geologische Karte der Simplongruppe (1:50000) (im Text: „Geolog. Simplonkarte‘‘). 1908. C. Schmidt und H. Preiswerk, Erläuterungen zur geologischen Karte der Simplongruppe, pag. 18. Zwischenbergen. Das Zwischenbergental oder Val Varia beginnt bei Gondo an der Simplonstraße, kurz vor der italienischen Grenze, und erstreckt sich in SSW-Richtung, bis es an den Gletschern des Portjengrades und des Weiß- mies (Bergen des Saas-Fee-Gebietes) seinen Abschluß findet. Die geologische Simplonkarte zeigt den Aufbau des Tales bis kurz hinter die Häuser von Zwischenbergen. Bis Zwischenbergen bildet Anti- goriogneis den Hauptbestandteil des anstehenden Gebirges. Nur zwischen Belleg und Serra wird er von jenem schmalen Bande des Lebendun-Gneises unterbrochen, das sich, vom schwarzen Balmen kommend, über Gabi im Süden des Antigoriogneismassives hindurchzieht. Die geologische Karte bezeichnet in der Sedimentzone zwischen Antigoriogneis und Lebendun-Gneis, die aus Marmoren und jurassischen Kalkschiefern besteht, bei Belleg eine kurze „Geröllzone“. Die geologische Untersuchung erstreckte sich auf das Gebiet zwischen Serra und Belleg, wo die schönsten natürlichen Aufschlüsse gegeben waren. Die „Geröllzone‘‘ von Belleg ist sehr leicht auffindbar und liegt fast direkt am Wege. Kommt man von Gondo herauf, so passiert man zuerst Stalden mit seinen verlassenen Minengebäuden, gelangt dann zu einer Holz- säge und schließlich zum Schulhaus des Tales, das rechts am Wege liegt. Von dort sind nur noch wenige Minuten bis zu jener Zone. Sie ist ca. 20 m über dem Wege recht gut aufgeschlossen und fast gänzlich be- gehbar. Ihre Mächtigkeit beträgt im Maximum 4 m. Die rein äußerliche Ähnlichkeit mit den Pseudokonglomeraten von der Alpe Lavin ist auf- fallend, nur sind die angeblichen Gerölle hier nicht in der Größe aus- gebildet, wie dort. Ihre geologische Lagerung ist fast die gleiche, wie die auf Lavin. Der glimmerreiche Antigoriogneis (Typus 2) besitzt gegen den Marmor hin eine schmale aplitische Randzone, die, soweit die „Geröll- zone‘ aufgeschlossen ist, zwei Apophysen in ihn enisendet. Am Kontakt machen sich mehrfach im Gneis große Quarzknauer bemerkbar, die mit ihm in Verbindung stehen. Quarzadern setzen deutlich sichtbar, besonders auf Kluftflächen, in den Marmor hinüber. Die Breite dieser Adern beträgt in den meisten Fällen nicht mehr als 1 cm. Die Kontaktlinie zwischen Gneis und Marmor ist fast immer haarscharf und genau verfolgbar. Die Apophysen sind nur wenige Meter von einander entfernt und gehen von 108 Jahresbericht der Schles. Geseilschaft für vaterl. Cultur. der aplitischen Randzone des Gneises aus. Der Gneis bekommt hier ein bedeutend helleres Aussehen und verliert viel von seiner gebänderten Struktur. In einer Entfernung von wenigen Dezimetern davon besitzt er jedoch noch seine typische Schichtung. Die eine Aplitapophyse liegt an leicht zugänglicher Stelle, oberhalb des Weges. Die schon erwähnten großen Quarzknauer im Gneis, sowie die in dem Marmor hinübersetzenden Quarzadern, die „Gerölle‘“ mehrfach verwerfen, sind ihr benachbart. Die makroskopische Gesteinsbeschaffenheit der Apophyse weist auf einen grob struierten, an manchen Stellen noch Biotit führenden Aplit hin. Die Grenze gegen den Marmor läßt sich deutlich feststellen, doch ist sie nicht ausgesprochen scharf. Die Apophyse tritt ungefähr 30 cm weit in die „‚Geröllzone“ hinein. Fig. 2. gie u ee = o oa o .. == = FR = IT“ EL TIL Geröllzone = = EA, — HE rn SD ie ee > —_ —- oe — Fig. 2. Maßstab ca. 1:10 (Geröllzone stark verschmälert). Q = Quarzknauer. Apophyse II ist weiter rechts am Beginne der Steilwand aufgeschlossen zwischen einer Lärche und einer kleinen Quelle. Ihre Länge beträgt ca. 40 cm. Sie zeigt in ihren äußersten Teilen ebenfalls einen grob struierten Habitus. Gegen den Marmor hebt sie sich deutlich ab, doch kann auch hier von keiner scharfen Grenze gesprochen werden. Am Kontakt treten in der Nähe der Apophyse ziemlich große Quarzknauer im Gneis auf. Die ‚Geröllzone‘‘ selbst setzt sofort über dem Gneiskontakt, ohne aplitfreie Marmorzwischenlage, wie eine solche bei Lavin vorhanden ist, ein. Die Aplitlinsen, die teilweise, wie sich aus ihrer rötlichen Ver- witterung zeigt, starken Eisengehalt besitzen, erreichen hier nur eine mäßige Größe. In ihrer Längsausdehnung gehen sie kaum über 10 cm hinaus. Eine scharfe Grenze gegen den stark quarzreichen Marmor läßt sich nicht feststellen. Perlschnurartige Reihen, Zusammenhänge durch dünne Äderchen und meist ausgesprochene Linsenform sind für sie bezeichnend. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 109 Irgendwie gerollte Stücke oder typischer Antigoriogneis treten nicht in dieser Zone auf. Die vom Kontakt in den Marmor hinübersetzenden Quarzadern verwerfen die Aplitlinsen öfters und sind daher jünger als die Linsenform der Aplite. Die Längsachse der Pseudokonglomerate, sowie ihre ganze Anordnung in der Zone ist eine der Kontaktlinie konkordante, Nach rechts hin biegt die Marmor-Aplit-Bank (,‚Geröllzone‘“) in die Anti- goriogneissteilwand hinauf und verschwindet sehr schrell. Nach links hin verliert sie sich unter Schutt dicht über dem Wege. Ihre Maximallänge beträgt, soweit sie aufgeschlossen ist, ca. 100 m. Der Marmor der Aplitbank geht darüber in einen immer noch quarz- führenden, stark muskovitreichen Marmor über. Die Glimmeranreicherung verleiht ihm ein eigentümliches Gepräge, da die parallelgelagerten Musko- vite ausgewittert den Eindruck einer Schichtung hervorrufen. Die Lage der Glimmerblättchen ist in der Hauptsache parallel der Gneis-Marmor- Kontaktlinie.e Die Muskovitführung verliert sich jedoch sehr schnell und ein rein-weißer, stark kristalliner Marmor folgt, der allmählich in den Kalk- schiefer übergeht. Der Übergang in den Kalkschiefer stellt sich als eine Mischzone von beiden Gesteinen dar, die meist stark zerrüttet ist. Der Kalkschiefer ist in seinen randlichen Teilen sehr eisenhaltig und zersetzt und hat neben kleineren dolomitischen und blauen marmorartigen Partien Granatglimmerschiefer eingelagert. Die Mächtigkeit der ganzen Kalk- schieferzone beträgt ungefähr 100 m. Gegen den nun folgenden Lebendun- Gneis steht sie nicht im scharfen Kontakt, sondern eine mehrere Meter breite Zone von Mischgesteinen schiebt sich dazwischen. Sowohl Kalk- schiefer als Gneis blättern stark auf und sind reichlich mit Quarz durch- setzt. Der Lebendun-Gneis, der in diesen Teilen noch große Kalkschiefer- fetzen führt, geht bald in seinen normalen Habitus über. Parallelstruktur ist nicht immer vorhanden, doch wo sie auftritt, finden parallel der Schieferung sich große Quarzgänge eingelagert. An der gegen Serra zu gelegenen Sedimentzone zwischen Lebendun- und Antigorio-Gneis wieder- holt sich fast der gleiche Gesteinswechsel, nur in umgekehrter Reihenfolge. Der Lebendun-Gneis geht ohne scharfen Kontakt (zwischengelagert ist wieder eine Mischzone von Gneis und Marmor) in sehr quarzreichen weißen Marmor über, der nur an ganz wenig Stellen quarzfrei ist. Darauf kommt eine Granitschieferlage von nur wenigen Metern Mächtigkeit. Der Granatschiefer wird weiterhin vom Kalkschiefer begrenzt, der weiße, ziemlich mächtige dolomitische Einlagerung besitzt. Auf den Kluftflächen des Dolomites hat sich Tremolit in großen Nestern gebildet. Eine sehr quarzreiche, zermürbte Mischzope von dolomitischem und kalkigem Gestein führt in reinen blauen Kalkschiefer hinüber, in dem große Quarzlinsen weit verbreitet sind. Bisweilen wird er von schmalen, weißen Marmor- bändern durchsetzt. Auch ist der Kalkschiefer selbst an manchen Stellen blau marmorartig. Im Süden der Sedimentzone schließt sich nun nach 110 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. einem den bisher beschriebenen analogen Übergang des Kalkschiefers in den Gneis ein stark serizitisierter Gneis an, der quer über das Val Varia hinwegschreitet und eine lokale Ausbildung des normalen Zweiglimmer- (Antigorio-)Gneises ist. ; Petrographie. Die mikroskopische Untersuchung beschränkte sich auf die „Geröll- zone‘ bei Belleg und die diese zunächst begrenzenden Gesteine. Der Gneis gehört dem Typus 2 des Antigoriogneises an. Quarz bildet den Hauptbestandteil des Gesteins. Er löscht undulös aus und ist stets mit benachbarten Gesteinspartikeln stark verzahnt, Feldspat. Alkalifeldspäte und Plagioklase treten in ungefähr gleicher Verteilung auf. Mikropegmatitische Verwachsungen von Quarz und Feldspat sind ziemlich häufig. Glimmer: sowohl Biotit als Muskovit. Vorherrschend Biotit in großen korrodierten Partien. Muskovit in Mikrolithen und kleineren fragmentarischen Stücken. Die Aplitapophysen zeigen sich zusammengesetzt aus: Quarz, der stark undulös auslöscht. Feldspat: Alkalifeldspat (Mikroklin) und Plagioklase. Mikropegmatitische Verwachsungen von Quarz und Feldspat. Glimmer, der fast gänzlich zurücktritt. Biotit in vereinzelten angefressenen Blättchen. Muskovit in Mikrolithen. Als accessorische Mineralien sowohl für den Gneis als auch die Aplitapophysen kommen noch in Betracht: Granat, in Gestalt sechsseitiger Querschnitte, eingelagert meist in andere Mineralien. Orthit, der in den Intrusionen in großen Zwillingen beobachtet werden konnte. Außerdem Titanit, Rutil, Apatit, Zoisit, ferner Hornblende (Chlorit). Besonders diesen Intrusionen ist eine mikropegmatitische Struktur eigen, während der Gneis sonst einen rein granulitischen Habitus im Dünnschliff zeigt. Der Marmor der ‚Geröllzone“ kennzeichnet sich durch starke Ver- drückung und Verstauchung der einzelnen Kalkspatlamellen. Die Lagerung der einzelnen Calcite ist vollkommen richtungslos. In der ganzen Marmor- grundmasse liegen teilweise gerundete Quarz- und Feldspat-Partikel ver- streut, die manchmal zerbrochen und ineinandergepreßt sind. Ihrerseits haben sie wieder in sich Caleitteilchen eingeschlossen. Quarz und Feld- spat sind bisweilen in parallele Stücke verdrückt. Die dadurch ent- standenen Spalten sind durch Kalkspat wieder ausgeheilt. Die im Marmor VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 11 liegenden aplitischen, geröllähnlichen Butzen zeigen eine Gesteinzusammen- setzung, die denen von Lavin äußerst ähnlich ist. Quarz, stark undulös. Feldspäte: Alkalifeldspäte und Plagioklase. Glimmer: Biotit und Muskovit in ganz untergeordneter Menge. Teilweise mikropegmatitische Verwachsungen, Einzelne Aplitadern verlaufen regellos in der Grundmasse ohne scharfe Abgrenzung gegen den Marmor. Abgerissene Fetzen von ibnen liegen losgetrennt von den Hauptintrusionen darin. Resorptionserschei- nungen in diesen Apliten durch Aufnahme von Kalkspat und die dadurch bedingte siebartige Struktur sind oft anzutreffen. Von accessorischen Gesteinsbestandteilen ist Pyrit, Rutil, Titanit und sehr wenig Epidot zu erwähnen. Die Struktur der Aplite ist verzahnt- granulitisch. Die Marmorzone der großen Aplitlinsen geht in einen noch immer quarzführenden, sehr muskovitreichen Marmor über. Die Glimmer liegen, genau wie bei dem analogen Vorkommen von Lavin, paketartig zusammen- gehäuft in der calcitischen Grundmasse. Zoisit tritt als hauptsäch- lichstes accessorisches Mineral dabei auf, Daneben noch Turmalin und Titanit. Darauf folgt ein rein kristalliner, gänzlich glimmerfreier weißer Marmor. Folgerungen. Die sich aus den Untersuchungen zwischen Serra und Belleg, speziell aber aus der „Geröllzone‘‘ von Belleg ergebenden Folgerungen sind: 1. Bei Belleg besitzt der Antigoriogneis eine aplitische Randfazies und entsendet zwei Apophysen in den Marmor. Ihre Intrusion muß also jünger sein als der Marmor selbst; also mindestens post- triadisch, 2. Die „Geröll“- oder „Konglomerat“-Zone ist als solche nicht be- wiesen. Die „Gerölle‘“ sind vielmehr Aplitlinsen, die, wie das mikroskopische Bild zeigt, in wirrem Durcheinander ohne scharfe Abgrenzung im Marmor liegen. Es fehlt ihnen das. gerollte Aus- sehen, wie ein solches für Gerölle anzunehmen ist; ferner sind die durch dünnste Aplitäderchen hergestellten Zusammenhänge, sowie die oft seitlich aus den größeren Aplitlinsen herausschießenden, dornartigen Apophysen ein Faktor, der gegen die Geröllnatur spricht. Dies beweist schon zur Genüge, daß es sich hierbei nicht um irgendwelche mechanische Deformationserscheinungen von Ge- röllen handelt. Am Marmor wird die intrusive Natur der Aplite durch die intensiven Verstauchungen der einzelnen Kalkspatlamellen gekennzeichnet, sowie .112 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. durch die allenthalben in der Grundmasse verstreut liegenden aplitischen Bestandteile. Durch Kontaktmetamorphose entstandene Mineralien fehlen in makro- skopischer Ausbildung vollständig. Inwieweit die Höhe der Kristallinität des Marmors als Gradmesser für die Kontaktmetamorphose dienen kann, läßt sich nicht feststellen, da spätere dynamometamorphe Veränderungen bei der Gebirgsfaltung jedenfalls nicht spurlos vorübergegangen sind. Doch würden genauere Studien in dieser Richtung positivere Resultate ergeben; für die Tremolitnester im Dolomit, sowie die beiderseits des Lebendun-Gneises auftretenden Granatglimmerschiefer und die teilweise Marmorisierung des Kalkschiefers ließe sich eine auf Kontaktwirkung basierende Entstehung wohl denken. Für die Entstehung der Aplit-Intrusionen bei Belleg gilt genau das- selbe, was schon bei Lavin erwähnt ist. Die aplitischen, posttriadischen Nachschübe des Antigoriogneises in den Marmor lassen ein prätriadisches oder sogar archäisches Alter des Gneises unwahrscheinlich erscheinen. Damit wird aber die Wahrscheinlichkeit der Annahme junger alpiner Granite wieder näher gelegt. Ill. Die Kontaktzone von im Stafel bei Eisten im Gantertal. 1907. C. Schmidt: Über die Geologie des Simplongebietes und die Tektonik der Schweizeralpen. 1907. H. Preiswerk: Die Grünschiefer in Jura und Trias des Simplongebietes. 1908. C. Schmidt und H. Preiswerk: Geologische Karte der Simplongruppe (1:50000). 1908. C. Schmidt und H. Preiswerk: Erläuterungen zur geologischen Karte der Simplongruppe. Eisten. In den Erläuterungen zur geologischen Simplonkarte werden bei Be- handlung der Trias die in diesem und im folgenden Abschnitt zu be- sprechenden ‚Gerölle‘“ von Eisten an der Simplonstraße erwähnt. Um an die „Geröllzone‘“ von Eisten zu gelangen, geht man am besten von Brig aus auf der Simplonstraße hinauf. Die Straße läuft in ihrem unteren Teile in Gehängeschutt und älteren Moränen und setzt bald nach Refugium I in jurassische Sedimente ein, die der Bedrettomulde, der Hauptmulde des Kartengebietes angehören. Es sind das dunkle, glimmerige Kalkphyllite, die oft auf das Intensivste gefältelt und dort fast nie in frischem Zustande anzutreffen sind. Auffallend ist die enorme Anreicherung mit quarzigem und caleitischem Material, das in Gestalt von Gängen und VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 113 Linsen das Gestein in weitem Maße erfüllt. Unterhalb der Häuser von Eisten verläßt die Straße die Kalkschieferzone und tritt in die Region des Gneises ein, in der sie nun fast stets bis zur Simplonpaßhöhe verläuft. Bei Telegraphenstange wird der Eistengneis von der Straße an- 91 To geschnitten. Die Kalkschiefer weisen in Kontaktnähe große Quarzlinsen auf und gehen näher gegen den Gneis hin in eine stark schiefrig ausge- bildete Rauchwacke über. Im Kalkschiefer, fast an der Grenze gegen die Rauchwacke, liegen große, brotlaibartige Aplitknauer eingebettet. Der Kalkschiefer ist stark zermürbt und die Aplitknauer liegen im Streichen desselben. Jenseits der Straße am Abhang gegen die Saltine lassen sie sich noch ein Stück weit verfolgen; an der Straße selbst sind sie nur ganz kurz aufgeschlossen, da alles stark verschüttet ist. Der Übergang von Kalkschiefer in die Rauchwacke vollzieht sich allmählich. In der Rauch- wacke liegen in ihrem Streichen große Stücke Augengneises eingelagert, von denen das oberste 80 cm lang, das mittlere 40 cm lang ist, während das untere, soweit es sichtbar ist, einem großen, unregelmäßig gestalteten Klotz gleicht. Diese Gneispartie halte ich für eine zerrissene Apophyse des Eistengneises in die Rauchwacke, hauptsächlich deshalb, weil sie mit dem anstehenden Eistengneis im Gesteinsmaterial vollkommen übereinstimmt. Eine etwaige Geröllbildung für ihre Entstehung anzunehmen, dazu fehlen Beweise. Die langgestreckte Form der Einlagerungen, sowie ihre Lagerung parallel den Schichtfugen der Rauchwacke, lassen eine lagergangähnliche Apophyse des Eistengneises nicht unwahrscheinlich erscheinen Daß die Annahme einer solchen wohl möglich ist, läßt sich aus Fig. 3 entnehmen. Der Eistengneis grenzt gegen die Rauchwacke scharf ab. Auch am Abhang gegen die Saltine ist die Gneis-Rauchwackengrenze deutlich verfolgbar; doch läßt sich da eine apophysenartige Abzweigung des Gneises in die Rauchwacke nicht konstatieren. Es ist immerhin noch die Möglichkeit vorhanden, daß an dem von der Straße bedeckten Teile des Kontaktes die Abzweigung der Apophyse zu finden wäre, Der Eistengneis selbst ist ein typischer, zweiglimmeriger Augengneis, nach Schmidt einer granitoporphyrischen Randfacies der granitischen Masse des Ofenhorn-Gantergneises angehörend. Petrographische Zusammensetzung der „Gerölle“. Die erst besprochenen ‚„Gerölle‘“‘, welche bei der schon erwähnten Telegraphenstange im Kalkschiefer auftreten, haben ihrem äußeren Habitus nach fast gar keine Ähnlichkeit mit denen von Lavin oder Zwischenbergen, da ihnen jegliche Zusammenhänge untereinander fehlen und auch das Material, in dem sie einglagert sind, ein vollkommen anderes ist. Ihrer makroskopischen Beschaffenheit nach sind es Aplite, 1913. 8 114 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. = ° Aufschluß bei Eisten an der Simplonstraße. Schutt N „Geröllzone“ im Kalkschiefer Simplonstraße Simplonstraße . 9 127 Telegraphenstange m ; Eistengneis, aufgeschlossen am Abhang gegen die Saltine. Stark verkürzt gezeichnet: Länge des Aufschlusses 20 m, Höhe 8 m. Fig. 3. Unter dem Mikroskop zeigen sie sich aus folgenden Bestandteilen zu- sammengesetzt: Quarz: er bildet einen der Hauptbestandteile des Gesteins, löscht fast stets undulös aus und ist mit den benachbarten Partien in inniger Verzahnung. _ Feldspäte: als solche treten sowohl Alkalifeldspäte, wie auch Plagio- - klase auf. Muskovit (Serizit): er ist in zahlreichen, stark korrodierten Fetzen und Mikrolithen im Gestein verstreut, zum Teil in Quarz und Feldspat, woraus sich auf ein nachträgliches Hinzutreten dieses Bestandteiles schließen läßt. Biotit und Hornblende sind nur in ganz untergeordnetem Maße vor- handen und ebenfalls in stark korrodiertem Zustande. Meist sind sie von einer Zone von Titanit umgeben. Caleitisches Material ist in der Grund- masse überall verstreut in Gestalt kleiner Fetzen und Mikrolithen, in denen sich Quarz teilweise neugebildet hat. Die strukturelle Ausbildung des Gesteins ist verzahnt-granulitisch. u VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 115 „Im Stafel.“ „Im Stafel‘“ ist von der Simplonstraße aus auf zwei Wegen bequem zu erreichen, wovon der eine Weg bei der vorhin erwähnten Telegraphen- 91 ; 3 N stange 157 abzweigt und an den Häusern von Eisten vorbei über Unter- und Oberschmidtmatten dahin führt. Von Berisal aus erreicht man ‚‚Im Stafel‘‘, dessen weiße Kapelle hell von der jenseitigen Höhe herunterleuchtet, am schnellsten über Steinenalp und den Saurerrück. Letzterer Weg über- quert kurz unter ‚Im Stafel“ eine Wasserleitung, die für die hier zu er- örternden Fragen treffliche Aufschlüsse liefert und auf die noch mehrfach zurückzukommen sein wird. Im N und NO ist das Gebiet von einem Kranz von Bergen umgeben, die ihre Wasser in zum Teil tiefen Erosions- furchen dem Hauptbache des Tales, dem Schießbache, zusenden. Für diese Besprechung kommen nur die vom Faulhorn (2725 m) herab- kommenden Bäche in Betracht, die stellenweise hervorragende Aufschlüsse geschaffen haben. Preiswerk hat seiner Arbeit: „Über die Grünschiefer in Jura und Trias deS Simplongebietes“ ein Profil beigegeben, das im Bachbett südlich Punkt 2905 des 'Tunnetschhornes die gesamte Schichten- folge zeigt. Für die folgenden Untersuchungen war aber hauptsächlich das Bachgebiet des von Roßwaldalp herabkommenden Baches in Betracht zu ziehen. Der die verschiedenen kleineren Wasser sammelnde Hauptbach soll im Vorliegenden mit dem Namen „Stafelbach‘ belegt werden. Die größere der beiden „Geröllzonen“, die bei ‚Im Stafel“ an der Gneis- Kalkgrenze verlaufen, liegt am Kontakt mit dem Gantergneis, die kleinere am Kontakt mit dem Eistengneis, unterhalb der Prasinitlinsen bei Roß- waldalp. Ein Profil, in der Richtung des Stafelbaches vom Schießbach angefangen, gibt das klarste Bild über die Lagerungsverhältnisse der „Geröllzonen‘“. Der Gantergneis stellt in Kontaktnähe einen schiefrigen Biotitgneis dar, der in scharfem Kontakt mit einem kristallinen bläulichen Marmor steht. Der Gneis ist an dieser Stelle aufs Intensivste verfältelt, und als Zwischen- lagerungen treten große Quarzlinsen auf. Der Marmor streicht N 60° O und fällt 65° NW ein. Diese Feststellung ist allerdings nicht direkt an der Einmündung des Staffelbaches in den Schießbach gemacht worden, da Moräne und Gehängeschutt dort alles verdeckt, sondern etwas weiter oben, bei dem Brückchen am Weg nach Steinenalp. Der Marmor scheint aber unter dem Schutt auszukeilen und macht einem rauchwackenähnlichen Dolomit Platz, der mit Salzsäure etwas aufbraust. Gegen den darüber liegenden Kalkschiefer treten im Dolomit dünne Quarzlinsen auf. Der Übergang in den Kalkschiefer vollzieht sich allmählich; auffällig ist die Glimmeranreicherung in ihm, und zwar lassen sich Muskovit und Biotit er- kennen. Der Kalkschiefer geht dann nach ca. 1 m in die „Konglomerat- Zone“ über. Die „Gerölle‘‘ hier entsprechen makroskopisch denen von g* .116 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Eisten an der Simplonstraße. Ihre Größe ist aber bedeutend geringer. Sie sind ebenso im Streichen des teilweise arg zermürbten Kalkschiefers eingelagert und bilden eng aneinander liegende aplitische Linsen. Weiter nach oben zu erhält der Kalkschiefer sein normales Aussehen. Ein zweiter Marmorzug quert dann den Stafelbach, der von dem dritten darüber liegenden, an Wasserleitung 1 aufgeschlossenen, durch Schuttlagen getrennt ist. Etwas weiter nordöstlich vom Stafelbach sind bessere Aufschlüsse, die als Zwischenlagerungen der drei Marmorzüge Kalkschiefer erkennen lassen. Ein wenig unter der Wasserleitung 1 ist die Grenze zwischen Kalkschiefer 2 und Marmor 3. Der Marmor hat eine schwankende Mächtig- keit, durchschnittlich 10 m. Ihm ist dann einige Meter über der Wasser- leitung 1 typischer Augengneis aufgelagert. Die Kontaktgrenze zwischen Marmor und Gneis ist keine scharfe; es läßt sich vielmehr eine ungefähr 5 m breite Schieferzone dazwischen feststellen. Der Übergang ist folgender: Der Marmor nimmt gegen den Gneis hin einen helleren, glimmerigen, schiefer- ähnlichen Habitus an, noch näher gegen den Gneis reichert er sich mit viel Biotit an und geht dann in den Augengneis über. Der Augengneis ist ein Muskovit- und Biotit-führender Gneis mit Augen von ca. 1 cm Länge und 0,5 cm Breite und ist wohlgebankt. Seine Mächtigkeit beträgt ungefähr 30 m. Überlagert ist er von einem ungefähr 40 m mächtigen Dolomit, in dem der Stafelbach zwei Wasserfälle WI und W2 bildet. Der Dolomit hat teilweise Zellendolomitstruktur und ist an manchen Stellen stark zer- mürbt. Hellere gelbliche Partien wechseln mit dunkleren von bläulicher Farbe. Unterhalb Wasserfall 2 (dem oberen Wasserfall) sind in ihm zwei Einlagerungen dunkler phyllitähnlicher Schiefer zu beobachten, die nur an einer Stelle einen etwas kompakteren Habitus annehmen. Das ganze Gestein scheint tektonisch arg mitgenommen zu sein, wie aus zahl- reichen Rutschflächen zu schließen ist und auch aus den im Schiefer kreuz und quer verlaufenden Spalten, die eine spätere Ausheilung durch Kalk- spat erfahren haben. Die starken Verrostungserscheinungen, die das Gestein hauptsächlich in seinen weniger kompakten Partien zeigt, sind auf den reichen Pyritgehalt des Schiefers zurückzuführen. Der Dolomit bildet einen starken Quellenhorizont. Mehrere mächtige Quellen entströmen ihm. Nach oben zu macht sich am Dolomit ein deutliches Hackenwerfen bemerkbar. Zwei quarzitische Einlagerungen setzen in den schwarzen Schiefern auf, sind aber nur kurz und schlecht aufgeschlossen. Die kleinere von ihnen tritt unten im Bachbett zwischen den Phylliten eingekeilt nur für ein kurzes Stück zu Tage, die größere mächtigere liegt über den schwarzen Schiefern und läßt sich fast bis zur Höhe des Bergrückens verfolgen, wo sie auszukeilen scheint, was sich aber infolge der Ver- schüttung nicht mit Sicherheit bestimmen ließ. Auf der anderen Seite des Rückens ist jedenfalls nichts mehr von ihr zu bemerken. Weiter auf- wärts im Bachbett folgt auf den Dolomit wieder Kalkschiefer. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 117 Die auf der geologischen Karte eingetragene obere ‚Geröllzone‘“ ver- läuft so ziemlich an der Grenze von Dolomit und Kalkschiefer. Im Parallelbach zum Stafelbach läßt sie sich noch etwas nachweisen und ist dort gleichfalls an jene Schichtgrenze gebunden. Sie führt teilweise große Quarzknauer, die denen der unteren ‚„Geröllzone‘“ sehr ähnlich sind. Linsenförmig liegen Marmor und Dolomit darin eingebettet. Gegen den Dolomit hin sind häufig Quarzgänge in ihr zu beobachten, die diskordant die Zone durchsetzen. Weiterhin läßt sie sich dann erst in den vom Tunnetschhorn herabkommenden Bachrunsen wieder auffinden. Preiswerk erwähnt sie in seinem Profil südlich Punkt 2905. Sie verläuft auch hier im Streichen des Kalkschiefers und des Dolomites auf der Grenze zwischen beiden und bildet dort das Bachbett; sonst ist sie meist verdeckt. Im Stafelbach selbst ist die ‚„Geröllzone‘“ nur ganz kurz aufgeschlossen, und neben den diesen Zonen eigentümlichen aplitischen Linsen wurde noch Folgendes dort beobachtet: Kalkschiefer und Dolomit bilden eine kleine Terrasse, auf der im Bachbett rechts ein großer herabgestürzter Block liegt, der gerade noch etwas vom Anstehenden sehen läßt. Er liegt in der zwischen beiden Ge- steinen befindlichen Mischzone, dicht bei der ,„Geröllschicht“., Der Kalk- schiefer ist hier wieder etwas dolomitisch und großenteils verschüttet. Unter diesem Block sieht man, wie das dolomitische Gestein durch einen S-förmig gebogenen Gang, der aus granit-aplitischem Material besteht, durch- setzt wird, wobei auch der Dolomit zugleich stark mitgefaltet ist. Der Übergang von Dolomit in Kalkschiefer über der „Geröllzone 2° ist nur ein ganz allmähliger. Marmorartige blaugraue Bänder mit dünneren Lagen Prasinites wechsellagern mit Dolomit. Auf diese Weise vollzieht sich der Übergang in den Kalkschiefer. Die ganze Gesteinsserie ist stark verwittert, so daß es kaum möglich ist, ein einigermaßen gutes Handstück von dort zu bekommen, Wenige Meter über dem Dolomit wird der Kalk- schiefer von einigen bedeutenderen Prasinitlagen durchsetzt, die zwischen 10 und 40 cm mächtig sind. In ihrer Nähe setzen vereinzelt talkartige Schlieren im Kalkschiefer auf. Der Prasinit selbst ist stark Pyrit-führend und reichlich von Quarzlinsen durchsetzt. Auf seinen Schichtflächen wittern die Hornblendenadeln oft deutlich heraus. Glimmer, sowohl Muskovit wie Biotit, sammelt sich häufig auf seinen Schichtfugen an. Der Kalkschiefer, der hier zum Teil marmorisiert ist, wird in gleicher Lagerung von Dolomitbändern durchsetzt, in deren Nähe die Farbe des Prasinites eine hellere wird. Über die Prasinite und die anderen Grünschiefer des Mesozoikums hat Preiswerk bereits in seiner schon erwähnten Arbeit Ausführlicheres berichtet. Sie werden als Umwandlungsprodukte von Gabbro- und Diabas- ähnlichen Gesteinen angesehen. Die einzigen Aufschlüsse bietet auch hier das Bachbett, da die beiderseitigen Hänge verschüttet oder bewachsen sind 118 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. und so der geologischen Forschung hemmend entgegentreten. Weiter nach oben zu hören die Prasinitlagen auf; es folgt über ihnen Kalkschiefer in seiner gewöhnlichen, typischen Ausbildung, meist stark eisenschüssig, reich an Muskovit und von helleren Caleitadern reichlich durchsetzt. Ober- flächlich zeigt er überall eine schmutzig braune Verwitterung, Geht man von ‚Im Stafel‘“ her auf dem Weg nach Steinenalp bis zu dem ersten Brückchen, auf dem der Fußweg die Wasserleitung 1 über- quert, so trifft man hier auf den vom Schießbach heraufstreichenden Gantergneis. Der Gneis ist ein feinschiefriger, biotitreicher Gneis, der von Quarz- bändern durchadert wird, die parallel seiner Schieferung verlaufen. Gegen den folgenden Marmor 1 hin wird er weiß und blättrig, der Biotit tritt an manchen Stellen fast ganz zurück und Quarzadern bis zu 8 cm Dicke durchsetzen ihn parallel seiner Schieferung. Einzelne Stellen zeigen eine deutliche Verrostung, doch bleibt in der Hauptsache der Charakter des Gneises gewahrt. Zwischen Gneis und Marmor schaltet sich eine ungefähr 60 cm breite Zone Phlogopit-führenden, ganz zermürbten Kalkschiefers ein, auf den dann wechsellagernd Kalkschiefer und Dolomit folgt. Folgen wir nun der Wasserleitung 1, die bis in den Eistengneis hinein die Schichtserie durchschneidet und eine Reihe wichtiger Auf- schlüsse liefert! Auf den Gantergneis folgt blaugrauer kristalliner Marmor (1); darauf Kalkschiefer mit eingelagerten Dolomitlinsen, den die Wasserleitung fast im Streichen schneidet und dessen Mächtigkeit daher sehr groß erscheint. Der Weg zur unteren Brücke gibt dieselben Aufscehlüsse. Noch im Kalkschiefer, bevor man an den Marmor 2 gelangt, liegen langgestreckte Gnmeislinsen im Streichen des Schiefers eingelagert. Sie lassen sich sowohl über als auch unter der Wasserleitung 1 bis an den Weg hin verfolgen. Ihrer Lagerung nach müssen sie zu der auf der geologischen Karte ver- zeichneten unteren „Geröllzone‘‘ gerechnet werden, haben aber ihrem petrographischen Habitus nach mit den am Schießbach bei der Brücke am Weg nach Steinenalp aufgefundenen ‚‚Geröllen‘ gar nichts gemeinsam, Makroskopisch lassen sie sich als granatführender, serizitisierter, typischer Gneis bestimmen. Der Kalkschiefer ist in ihrer Nähe stark aufgeblättert und führt viele und große Quarzknauer. Die oft in einer Richtung dicht hintereinander liegenden Gneisstücke, die durch kurze Zwischenräume von einander getrennt sind, erwecken auch hier, ganz analog denen von Eisten an der Simplonstraße, den Eindruck, als seien sie die auseinander ge- rissenen Teile einer größeren Gneisapophyse in den Kalkschiefer. Die Zone, in der diese Bildungen auftreten, ist 3—4 m breit, zuweilen etwas mehr. Auf Marmor 2 folgt an der Wasserleitung, wo die ganze Schicht- serie gut aufgeschlossen ist, Kalkschiefer, zum Teil mit dolomitischen Ein- lagerungen. Dann, gegen den Eistengneis hin zieht Marmor 3 herauf, der allmählich im Verlaufe der schon erwähnten Schieferzone in den Gneis VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 119 übergeht. Die Mächtigkeit der ganzen Zone zwischen Gantergneis (Schieß- bach) und den Prasinitlinsen im Stafelbach ist auf der geologischen Karte viel zu groß angenommen worden. Sie beträgt bis zur oberen Wasser- leitung (2), die auf der Karte nicht eingezeichnet ist, ca. 150 m. Die oberste Prasinitlinse ist im Bachbett des Stafelbaches ungefähr 120 m über der Einmündung des Stafelbaches in den Schießbach aufgeschlossen, während sie auf der geologischen Karte ca. 390 m über dem Schießbach- bett eingetragen ist (Fig. 7). Petrographie. Die petrographisch-mikroskopische Untersuchung der ,„Gerölle“ der unteren und oberen ‚‚Geröllzone‘‘ von „Im Stafel‘‘ zeigt, daß sich an ihrer Zusammensetzung genau dieselben Mineralien beteiligen, wie bei denen an der „Geröllzone“ von Eisten. Es sei daher auf das dort Gesagte ver- wiesen. Kurz erwähnt sei nur der mikroskopische Befund einiger Schliffe, die der S-förmig gebogenen Linse unterhalb Wasserfall 2 im Stafelbach ent- nommen sind. Als Hauptgesteinsbestandteile kommen in Betracht: (Juarz, stark undulös auslöschend. Feldspat: Alkaliteldspäte (vorherrschend Mikroklin), Plagioklase. Glimmer: Muskovit und stark verrosteter und korrodierter Biotit. Accessorisch beigemengt sind Titanit, Rutil, Apatit; Sagenitbildung ist ziemlich häufig in Biotitnähe zu beobachten. Die quarzitischen Einlagerungen in den schwarzen Schiefern bei Wasserfall 2 im Stafelbach sind folgendermaßen zusammengesetzt: Das diese Grundmasse. bildende Gestein besteht fast nur aus Quarz, der äußerst undulös auslöscht. Darin finden sich Dolomitreste (Ankerit), von denen die Verrostungserscheinungen ihren Ausgang nehmen. Bisweilen lassen sich Neubildungen von Dolomit oder Caleit in Quarz in Gestalt von Rhomboödern beobachten. Chlorit und Hornblende sind nicht selten. Die Hornblende bildet lange, schlierenartige Züge, die sich oft knotenartig ver- dicken. Ihr Auftreten ist in den anscheinend am stärksten beanspruchten Teilen der Einlagerung, ihrem oberen Ende gegen den Bergrücken zu am häufigsten; sie erscheinen da zerbrochen und verbogen. Sowohl Horn- blenden, als auch Biotite sind meist von einem Rande von Erzen umgeben. Serizit und Biotit, in letzterem die Anfänge-von Sagenitbildung, liegen in meist paralleler Lagerung in der Grundmasse. Turmalin tritt hier und da, und dann in schön zonarer großer Ausbildung auf. In Gestalt von Mikrolithen konnte er nicht nachgewiesen werden. Accessorisch beigemengt sind ferner noch dem Gestein in geringer Menge: Apatit, Rutil, Titanit, Zirkon, Pyrit. Die sowohl über als auch unter der Wasserleitung 1 auftretenden Gneis- einlagerungen im Kalkschiefer lassen unter dem Mikroskop sich als einen 120 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 2400 ne a Be N Le nn ; 3 SI 7 % 7 es no —— 2290 A u EN le" Rosswald-Alpe ‚ / 2 oo De 2220 Fig. #. Kartenskizze zu „Im Stafel‘“. 11: 7800, KS = Kalkschiefer., P = Prasinit. Do = Dolomit. EG = Eistengneis (Augengneis). Mı—3 = Marmor 1-3. KSd = Kalkschiefer mit dolomitischen * Zwischenlagen und “ Gneiseinlagerungen. GG = Gantergneis (Zweiglimmergneis), VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 131 stark Pyrit-haltigen Biotit-Muskovit-Gneis bestimmen. Feldspäte der Alkali- und Natron-Reihe sind vorhanden. Von Glimmer wiegt Serizit vor. In den feineren mörtelstrukturartigen Partien macht sich eine Parallelstellung der Glimmer bemerkbar. Größere, äußerst verzahnte Quarzpartien trennen die feineren. Granat liegt in großen vereinzelten Individuen in der Grund- masse eingebettet. Dolomit ist in Fetzen überall im Gestein verstreut und zeigt auch zuweilen Neubildungen in Quarz oder Feldspat. Die meist an Dolomit gebundene starke Verrostung läßt auf Ankerit schließen. Horn- blende tritt weniger häufig auf. Das Gestein ist von zahlreichen Mikro- lithen durchschwärmt und zeigt eine granulitische Struktur. Titanit, Zoisit, Apatit und Turmalin sind accessorisch beigemengt, Letzterer läßt sich aber nur in Mikrolithen erkennen. Folgerungen. Durch die Untersuchungen bei Eisten und ‚Im Stafel‘‘ ist nachgewiesen, daß größere Gneispartien sowohl bei Eisten an der Simplonstraße, als auch an der Wasserleitung 1 bei „Im Stafel‘“ im Streichen der Kalkschiefer liegen. Die einzelnen Gneispartien hängen untereinander nicht zusammen. Gerölle können es nicht sein, da sie gar keine Kennzeichen solcher an sich tragen. Vermutlich werden es nachträglich zerrissene Apophysen des Gneises in die Schiefer sein. Direkte Zusammenhänge mit dem anstehenden Gneis konnte ich an ihnen nicht feststellen, Die mikroskopisch-petrographische Untersuchung der die ‚Geröllzonen“ von „Im Stafel‘‘ zusammensetzenden Gesteine ergab stets Aplit. Auch hier konnten keine wirklichen Gerölle aufgefunden werden. Die jenen Zonen entnommenen Gesteine hatten wohl oft ausgesprochen Linsenform, trugen aber keine weiteren Kennzeichen von Geröllen an sich. Der S-förmig ge- bozene Aplitgang, sowie der mit ihm gleichsinnig gefaltete Dolomit, sind Erscheinungen, die sich mit einer Geröllbildung nicht vereinbaren lassen. Sowohl am Gantergneis, wie auch am Eistengneis konnte ich eine aplitische Randfacies nicht nachweisen, ebensowenig ließ sich ein direkter Zusammen- hang einer dieser beiden ‚‚Geröllzonen‘“ mit einem der Gneise feststellen. Deshalb ist es doch nicht ausgeschlossen, daß diese Zonen lagergangarlige Apophysen der Gneise in die Schiefer sind. Die Lagerung im Streichen der Schiefer, das Fehlen typischer beweisender Gerölle, der S-förmige Aplitgang, jegliches Fehlen von „Geröllen“, die entweder als Gestein den Gantergneis oder den Eistengneis repräsentieren, scheint Grund genug zu sein, eine Geröllbildung durch Transgression für diese Punkte zu ver- neinen, 122 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. IV. Die Kontaktzonen im Val Antigorio und Val Formazza. 1872. B. Studer: Index zur Petrographie und Stratigraphie der Schweiz. 1894. M. Bertrand: Alter des Antigoriogneises. Congr. geol. int., Compte rendu, Zurich, pag. 163. 1903. P. Termier: Alter des Antigoriogneises. Congr. geol. int., Gompte rendu, Vienne. 1904. P. Termier: Alter des Antigoriogneises. Bull. soc. g&ol. de France, T. IH, pag. 711. 1905. C. Schmidt: über die Geologie des Simplongebietes und die Tektonik der Schweizeralpen. Eclog. geol. Helv., Vol. IX, Nr. 4, pag. 504, Anm. 2. C. Schmidt: Erläuterungen zur geologischen Karte der Simplongruppe. 1913. H. Preiswerk: die metamorphen Triasgesteine im Simplontunnel. Basel. Val Antigorio. Die Kontaktzone bei Baceno. Im Osten des Simplongebietes hebt sich eine orographische Furche deutlich hervor, das Toce-Tal. Der untere Teil desselben heißt Val Anti- gorio, der obere Val Formazza. Das Antigoriotal ist fast in seiner ganzen Ausdehnung in den Anti- goriogneis eingeschnitten, von Crodo bis über Premia hinaus jedoch noch tiefer bis auf die Bacenoschiefer und den darunter liegenden Verampio- granit, der diese Schiefer fensterartig durchbricht. Der Antigoriogneis tritt in seiner typischsten Ausbildung auf als ein stark Biotit- und Muskovit-führender Augengneis, der sich jedoch hin- sichtlich seiner Ausbildung in gewissen Grenzen bewegt (vgl. Erläuterungen zur geol. Simplonkarte, pag. 8). Die Bacenoschiefer sind granatführende, stark metamorphe Glimmer- schiefer. Der Verampiogranit ist ein noch schiefrige Struktur zeigender Zweiglimmergranit, der an der Straße nach Baceno am Kontakt mit den darüber liegenden Schiefern wohl aufgeschlossen ist. Ihn sieht C. Schmidt als „das tiefstliegende tektonische Element des Simplongebietes‘ an und gibt von ihm in den Erläuterungen zur geologischen Simplonkarte eine eingehendere petrographische Beschreibung. Ob ein genetischer Zusammen- hang zwischen Verampiogranit und Antigoriogneis besteht, läßt sich nicht nachweisen; daß aber beide sehr verwandte Gesteine sind, geht aus ihren Analysen hervor. G. Klemm geht in seinen Behauptungen sogar noch weiter, wenn er den Verampiogranit als magmatisch differenzierte Fazies des Antigoriogneises betrachtet. Er hat den Verampiogranit im Sommer 1910 besucht und in den Monatsberichten der deutschen geologischen Gesellschaft 1911 besprochen. Er glaubt den Beweis für ein postjurassisches Alter des Granites gefunden zu haben. Rothpletz hatte diese Überzeugung schon 1909 dort gewonnen, und bei unserem gemeinsamen, Besuche dieser E VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 123 Stellen im Sommer 1912 kamen wir zu demselben Ergebnis. Das eigentüm- liche apophysenartige Eindringen des Granits in den Schiefer läßt sich unmöglich als eine spätere Einpressung des Granits in den Schiefer ansehen, da sich an den Sedimentbestandteilen keine besonderen Störungen mehr feststellen lassen (Fig. 5). Die Kontaktlinie ist zwar stellenweise sehr gut + + + + m + m ++ = + + En ui + ent + nz —— en ee + +.+ + -- > + —. +. bon nd — nn — + + » +, Veramip 2-6rani ER ee ars N re SE a Br ende Re Fig. 5. (Maaßstab ca. 1:20). aufgeschlossen, zum Teil aber durch Moräne verdeckt, die in der Hohl- kehle, die sich an der Grenze beider Gesteine gebildet hat, liegen geblieben ist (Fig. 2, Taf. III und Fig. 1, Taf. IV). Nicht weit hinter Premia beginnt wieder der Antigoriogneis zu beiden Seiten des Toce in hohen Steilwänden aufzuragen. Bei Foppiano, wenige Schritte hinter dem Albergo, liegt an der Berglehne viel abgestürztes Gneismaterial, das einen deutlichen Einblick in die Gneisstruktur des oberen Antigoriotales gewährt. Der Gneis ist noch in seiner typischen Ausbildung hier vorhanden, nur wird er oft auf ziemliche Erstreckungen hin von schnurgerade verlaufenden Aplitgängen durchsetzt, die bis zu einigen Dezimetern mächtig sind. Im Absturzmaterial sind verschiedene solcher Blöcke aufzufinden, die die aplitische Natur jener Gänge sehr schön erkennen lassen. Hin und wieder fanden sich auch Anhäufungen von Biotit, die den Resorptionserscheinungen des Gneises in Schiefernähe sehr ähneln, in diesem Falle jedoch nur rein lokale Glimmeranreicherungen vorstellen. Hier beginnt die ca. 250 m hohe Talstufe, die das Val Antigorio von dem Val Formazza trennt. Val Formazza. Der obere Teil des Toce-Tales heißt Val Formazza und zeichnet sich dadurch aus, daß der Talboden von Fracchie (Staffelwald) herauf bis Al Ponte (Zumsteg) ganz eben ist; denn auf eine Entfernung von 5 km steigt er nur um 60 m an. Beiderseits ragen die Gehänge steil auf und bestehen herauf bis Tuffwald nur aus Antigoriogneis. Weiter wechseln dann bis Zumsteg und noch auf der nächsten kleineren Talstufe, welche vor .124 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. der großen des Tosafalles kommt, Schiefer, Quarzit und Dolomit auf beiden Seiten des Tales miteinander ab. Am Tosafall steht Lebendun-Gneis an, der. die 143 m hohe Felswand bildet. Dann weiter talaufwärts folgen nur noch Dolomit und Kalkschiefer, und bei Kehrbächi streicht das Tal nach NW, während Val Toggia über die Häuser von „Im Moos‘ heraufführt. Der Dolomit bei Tuffwald. Tuffwald gegenüber ist auf der geologischen Karte ein Zipfel Trias verzeichnet, der, in den Jura eingekeilt, auch den Gneis tangiert. An dieser Stelle waren deshalb wichtigere Aufschlüsse zu erwarten. Das Gebiet zwischen dem Lebendunbach und dem Weg nach C. Canala einerseits, sowie zwischen Tuffwald und dem Bedriolbach andererseits, wurden eingehender untersucht. Die geologische Karte weist hier einige kleine Unrichtigkeiten auf, die aber wohl auf die mangelhafte topographische Grundlage zurückzuführen sein dürften, worauf ich später noch zu sprechen kommen werde. Die Steilwände Tuffwald gegenüber sind großfeldspätiger Augengneis, der auf den Schieferungsflächen Anhäufungen von Muskovithäuten führt. An manchen Stellen ist er von aplitischen Linsen und Gängen, ferner von Quarzknauern in weitem Umfange durchsetzt; jedoch setzen erstere nicht mit der Regelmäßigkeit hindurch, wie bei den Blöcken hinter dem Hötel in Foppiano. Die Umgrenzung des Gneises ist hier unrichtig, einerseits unten zu weit nach Norden vorgezogen, so daß es aussieht, als ob der Dolomit im Streichen von ihm abgeschnitten wäre, andrerseits aber im Gehänge zu weit hinauf gezogen; denn die auf der Karte eingezeichnete Felswand besteht schon aus Gneis. Die Gneisfelsen bei der Quelle am Anfang des Weges nach C. Canala sind noch anstehend. Gegen den Dolomit hin geht der Anligoriogneis in einen dunklen, biotitreichen Gneis über, der nicht mehr die großen Feldspataugen zeigt und stark von Quarz- gängen durchsetzt ist. Der Dolomit selbst ist zuckerkörnig und von gelb- licher bis blaugrauer Färbung. Direkt am Kontakt mit dem Gneis findet sich sehr viel Tremolit, der oft ganze Nester bildet. Skapolith konnte ich nur im Dolomitbruch nachweisen und zwar dort auch nur in den dem Gneis benachbarten Partien, zusammen mit Tremolit und Phlogopit. Den Dolomit durchadern viele Quarzschnüre, die deutlich herauswittern. Über ihm nimmt der Gneis einen etwas quarzitischen, deutlich geschichteten Habitus an. Der Gneis-Dolomit-Kontakt selbst ist an den westlich von dem eben erwähnten Bruch gelegenen Dolomitfelsen am besten auf- geschlossen. Der Übergang von Dolomit in Kalkschiefer verläuft über einen stark kristallinen weißen, zum Teil blauen Marmor, der auf seinen Schichtflächen äußerst viel Phlogopit in Lagen führt, neben zahlreichen kleinen nesterartigen Einlagerungen von Tremolit. Der Kontakt mit dem Gneis ist aber nur an den wenigsten Stellen aufgeschlossen. Die Fort- VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 195 setzung des Dolomites nach dem Rio Felti zu und seine Einlagerung im Kalkschiefer, wie es die Karte darstellt, beruht auf Konstruktion; denn sie ist tatsächlich durch Moräne und Gehängeschutt ganz verdeckt. Auch die Topographie ist hier nicht fehlerfrei. Der kleine Bach, der zwischen dem Dolomitbruch und dem Rio Felti dem Toce zuströmt, ist nicht ein- gezeichnet, statt dessen ist eine Abzweigung des Rio Felti nach SO ein- getragen, die gar nicht existiert, und in der Gabel steht auf einem kleinen Hügel ein Haus, das ebenfalls nie da war. In seinem unteren Teil ist der Rio Felti in Moränen und Aufschüt- tungsinaterial eingegraben; der Kalkschiefer ist das erste anstehende Gestein. Doch ist er nicht so mächtig, wie auf der geologischen Karte angegeben. Es ist ein ungemein stark gefältelter und aufgestauchter Kieselkalk, dessen härtere, quarzreichere Partien herauswittern und jene Fältelung daher aus- gezeichnet zeigen (Fig.2, Taf. IV). Weiter nach oben zu verliert der Kieselkalk seinen quarzitischen Habitus, führt aber noch viele Quarzknauer und wird von aplitischen Intrusionen durchsetzt. Leider lassen sie sich nicht weiter verfolgen, sondern verschwinden nach 4—5 m im Bachschutt. Auch sie sind von vielen Quarzknauern begleitet und stark Biotit-führend. Steigt man im Kalkschiefer noch weiter herauf, so bemerkt man besonders auf der linken Seite, daß er ziemlich große, linsenartige, dolomitische Ein- lagerungen besitzt. Diese sind vielleicht das Ende des Dolomitzuges, der vom Weg nach C. Canala hier herübersetzt. Wenig höher und auf der- selben Seite fallen zwei dunkle, den Kalkschiefer durchsetzende Bänder auf, die eine Mächtigkeit von ca. 60 cm besitzen und an ihm Stauch- wirkungen hervorgebracht haben (Fig. 1, Taf. V). Es sind Biotit-führende Aplite. Eine Kalkbedeckung darüber konnte ich auf dieser Seite des Baches nicht konstatieren, doch ist sie wahrscheinlich hier durch Erosion entfernt; denn auf der anderen Bachseite, wo die aplitischen Einlagerungen nicht in solcher Mächtigkeit auftreten, liegt darüber noch Kalkschiefer. Der Gneis ist am Kontakt ungefähr 40 cm weit schiefrig entwickelt und biotit- reich, geht aber dann sofort in reinen Antigoriogneis über. Die Mächtig- keit des Gneises mag ungefähr 25—30 m betragen, und zwar ist er typischer Antigoriogneis. Dann aber machen sich die Einflüsse des über- lagernden Amphibolits geltend. Der Gneis geht in einen fein struierten Biotitgneis über, zahlreich durchsetzt von kleineren Quarzknauern und Quarzgängen und wird Hornblende-führend. Sodann folgt rascher Über- gang in Amphibolit, der zuerst noch besonders große Biotite führt, all- mählich aber einen feineren Habitus annimmt. Die Amphibolit-Zone ist sehr breit und geht nach oben zu in der gleichen Weise, wie oben be- schrieben, in den Gneis über, Im Gneis setzen vereinzelt pegmatitartige Gänge auf. Da das ganze Gebiet intensiv bewaldet und verschüttet ist, sind gute Kontaktaufschlüsse selten. Die quarzitische Zone, die unter dem Gneis liegt, tritt gegen den Lebendunbach hin hervor. Sie besteht aus -126 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. mächtigen reinen Quarziten, die nur lokal und ganz vereinzelt sandstein- artig entwickelt sind. Sie spalten häufig in Säulchen von rhombischem Querschnitt. Ein ähnlicher Quarzit steht auf der anderen Talseite zwischen Tuff- wald und dem Bedriolbache an, aber der Dolomit fehlt hier gänzlich. Gleich hinter Tufiwald, wenige Schritte hinter dem Gemeindewaschhaus, steht ein echter Kieselkalk an. Darüber ragen die Quarzitfelsen schroff empor. Die Quarzitwand ist unten bequem begehbar und zeigt eine Ausbildung, wie ich sie sonst nirgends mehr im Simplongebiete getroffen habe. Die Absonderungsformen des Quarzites unterliegen an der hohen Fels- wand einem eigentümlichen Wechsel (Fig. 2, Taf. V). Vorn, in der Mitte, fallen bis 1 m große schalige Kugeln auf, auf der rechten Seite herrscht eine großplattig-schalige und auf der linken eine kurzklüftige Absonderung vor. Zwischen den Kugeln laufen festere bandartige Lagen, abwechselnd mit solchen eines porösen, sandsteinartigen Quarzites. Der Kontakt zwischen Kalk und Gneis ist zwischen Tufiwald und dem Bedriolbach nirgends gut aufgeschlossen. Die Wände im Bedriolbachbett sind zu steil und manchmal so dicht bewachsen, daß es unmöglich ist, an den Kontakt heranzukommen. Doch nach den abgestürzten Blöcken zu schließen, wird der Quarzit, der weiter nach oben zu wohl gebankt ist, noch vom Kalk überdeckt. Über diesem liegt dann erst der Anligoriogneis. Die angeblichen Gerölle vem Tosafall. Aplitische geröllähnliche Bildungen, wie diejenigen von Lavin oder Zwischenbergen, fehlen im Antigoriotale vollständig; im Val Formazza hin- gegen treten im Lebendun-Gneise meist an der Grenze gegen die Sedimente Bildungen auf, die sich als aplitische linsenförmige Einlagerungen im Lebendungneis bestimmen lassen. C. Schmidt schreibt darüber in seinen Erläuterungen pag. 12—13: „Charakteristisch für den Lebendun-Gneis in seiner Gesamtheit sind Einlagerungen, die an Konglomerate erinnern. Diese im Durchschnitt meist elliptischen Einschlüsse werden oft mehrere Dezimeter lang. Sie häufen sich lagenweise. Ihr Gestein ist aplitartig. Manchmal sind diese geröllähnlichen Bildungen von Glimmer flaserig umsäumt, manchmal ver- schmelzen sie mit dem Nebengestein.“ Ich kenne diese Bildungen aus eigener Anschauung von der Zone zwischen Capella del Cropalla und Alpe Ciamporino, dem Pizzo Teggiolo gegenüber, ferner die zwischen Thälihorn und Kastelsee liegende und die hier zu besprechende Zone, die unter dem Hötel am Tosafall quer über den Weg streicht. Der Lebendun-Gneis ist unter dem Tosahötel ein ausgesprochener Zwei- glimmergneis, der tektonisch stark beeinflußt sein dürfte, da sich im Gneis deutlich Streckungserscheinungen erkennen lassen. Damit dürfte dann VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 197 aber auch die Form einzelner Aplitlinsen in Zusammenhang gebracht werden, die spindelförmig, lang geschwänzt und gedreht erscheinen. Diese aplitischen Einlagerungen im Lebendun-Gneis, z. B. zwischen Thälihorn und Kastelsee, die das Gestein in weitem Maße durchsetzen, in Sediment- gesteinen hier aber nirgends auftreten, könnte man, nach den Eintragungen auf der geologischen Karte, für die gleichen oder doch sehr ähnliche, geröllartige, aplitische Einlagerungen halten, wie bei Lavin oder Zwischen- bergen. Jedoch dürften sie ganz anderer Entstehung sein, wie diese. Die Lagerung der aplitischen Linsen im Lebendun-Gneis ist hauptsächlich in der Richtung der Schieferung. Ihre Umsäumung mit Glimmerhäuten er- innert an eine ähnliche Erscheinung im Antigoriotale, wo die schon er- wähnten Aplitgänge hinter dem Hötel in Foppiano den Antigoriogneis auf weite Erstreckungen hin durchsetzen. In den dortigen abgestürzten Blöcken zeigte sich, daß einzelne der Aplitadern salbandartige Glimmerausschei- dungen auf beiden Seiten des Ganges aufwiesen, Neben den Aplitgängen lassen sich im Gneis oft starke Glimmer- anreicherungen beobachten, als Umrandung der Gänge meist Biotit; es er- innern diese Erscheinungen lebhaft an die Resorptionsgneise der Alpen. Über ihren weiteren Zusammenhang müßten genauere Untersuchungen Auf- schluß geben; jedenfalls scheint der Name „Konglomerate‘ für diese Aplit- linsen im Lebendungneise unzutreffend zu sein. Was nun ihre Entstehung anbetrifft, so läßt sich schwer etwas Posi- tives darüber sagen. Es können teils magmatische Differenziationserschei- nungen im Gneise sein, teils aber auch nachträgliche aplitische Intrusionen in den Gneis, die in den dünnschichtigen Lebendun-Gneis eingedrungen und infolge der Inhomogenität des Gesteins zu solchen vereinzelten linsenartigen Bildungen umgeformt wurden. A. Stella hat diese ‚„Konglomeratgneise“ eingehend behandelt (Cenni geologici sulle nuove linee ecc. 1906). Die Gneisapophyse bei „Im Moos‘. Geht man von Oberfrut (Tosafall) aus auf dem Wege nach dem San- Giacomo-Paß, so verläuft dieser, nachdem er bei der unter Punkt 2270 liegenden Triaslinse die höchste Höhe vor den Häusern von ‚‚Im Moos‘ er- reicht hat, eben weiter bis zu den dort befindlichen wenigen Hütten. Auf der geologischen Karte ist hier eine für die Altersbestimmung des Gneises wichtige Stelle nicht eingetragen worden. Wo auf der geologischen Karte die schmale Triaslinse eingezeichnet ist, stehen in Wirklichkeit Schiefer an, in denen jedoch ab und zu schmale Marmor- und Gypslager eingeschaltet sind. Gerade an der Nordspitze dieser Linse tritt in die Schiefer der Gneisgang hinein, den die nebenstehende Figur darstellt. Der Gneis ist ungeschichtet und schließt auch Lagen von großen Bier kristallen ein, die mit Quarz und Feldspat zusammen sich zu großen peg- 123 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. matitähnlichen Butzen verbinden und an der Gneis-Glimmer-Grenze große Cyanitknauer umschließen, wie auf Fig. 6 zu sehen ist (Fig. 6 u. 7). Der Gneis weist in vielen Fällen eine feine Fältelung auf; in der Nähe der Apophyse bei „Im Moos“. Kalkfreier Quarzglimmerschiefeı Weg Fig. 6 u. 7. Cyanitknauer ist er außerordentlich feinschiefrig und sehr biotitreich und zeigt dann gerade in diesen Lagen besonders schön jene Stauchungen. Die Ausbildung des pegmatitischen Teiles ist ein wirres Gefüge der schon erwähnten Mineralien. Der Biotit zeigt hier meist Neigung zur Chloritisierung. An der Wegbiegung nach „Im Moos‘ zu verschwindet die Apophyse, sich verschmälernd, im Schutt und war nicht mehr aufzufinden. Ihr Liegendes bildet gleichfalls Quarzglimmerschiefer, unter dem dann ein ca. 1 m mächtiges Gypslager folgt, das wohl zu der auf der Karte verzeichneten, schon erwähnten Triaslinse gehören dürfte. Ober- halb steht der Lebendun-Gneis an, und es wäre denkbar, daß der Gneis- gang eine Apophyse desselben ist. Indessen ist dadurch nicht bewiesen, daß der Gang petrographisch dasselbe ist, er zeigt nicht so gut ausgebildete Bänderung. Aufalle Fälle haben wir es mit einem Gneisgang zu tun, der in die Schiefer eingedrungen, also jünger wie diese ist. Petrographie: Val Formazza. Die mikroskopische Untersuchung der Gesteine des Formazzatales beschränkte sich nur auf einige wenige Vorkommen, da die dort auf- tretenden größeren Gesteinsgruppen schon in den Erläuterungen zur geologischen Simplonkarte petrographisch zur Genüge klar gestellt sind. Der Gneis am Kontakt mit dem Dolomit Tuffwald gegenüber enthält außerordentlich viel Biotit. Der Biotit tritt im Gestein in großen, stark VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 129 korrodierten Fetzen auf und ist neben Quarz und Feldspat der vor- wiegendste Bestandteil. Sein Pleochroismus ist verschieden. Meist von hell- nach dunkelbraun. Manche Blättchen zeigen fast gar keinen Pleo- chroismus. Muskovit ist in kleineren Partien im Gestein überall verstreut. Quarz und Feldspäte sind die hauptsächlichsten Gesteinskomponenten, Der Quarz löscht immer stark undulös aus. Die Feldspäte, sowohl Alkali- feldspäte wie Plagioklase, zeigen öfters Neigung zu mikroperthitischen Strukturen. Die Ausbildung des Gesteines ist eine granulitische. Als accessorische Bestandleile kommen vor allem Titanit, Rutil, Epidot und Pyrit in Betracht. Der Dolomitmarmor, der dicht daneben ansteht, führt sehr viel makroskopisch schon sichtbaren, rötlichbraunen Phlogopit. Der Phlogopit zeigt unter dem Mikroskop einen schwachen Pleochroismus von farblos nach lichtbräunlich. Er ist meist lagenweise im Gestein angeordnet. Als weitere schon makroskopisch sichtbare Übergemensteile lassen sich Tremolit und Skapolith nachweisen. Der Tremolit bildet lange, strahlige Nadeln, die sonnenartig angeordnet den Marmor oft ganz verdrängen, Mit dem Tremolit zusammen tritt fast stets Skapolith auf, der makroskopisch in wohl ausgebildeten, randlich in Glimmer umgewandelten Kristallen häufig vorkommt, Zoisit tritt ab und zu auf. (Quarz findet sich im Marmor in einzelnen Körnern. | Der Marmor selbst, in dem die geschilderten Übergemengteile liegen, ist fein bis zuckerkörnig, gegen den Gneis hin oft ausgesprochen grob- kristallin. Seine Farbe schwankt zwischen weiß-cr&mefarben und blaugrau. Das häufig beobachtete Fehlen der Zwillingslamellierungen den Kalkspat- individuen berechtigt zur Annahme eines Dolomitmarmors; ein Aufbrausen des Gesteins mit verdünnter Salzsäure konnte nicht festgestellt werden. Von weiteren Gesteinen zwischen Valdo und Tuffwald wurden nur noch die Quarzite in wenigen Schliffen untersucht. Im Quarzit von Tuffwald, der durch seine kugeligen Absonderungs- formen so auffallend ist, konnte ich makroskopisch Turmalin in grünen, bis 3 cm langen Kristallen nachweisen. Im Dünnschliff zeigt sich dieser Quarzit als ein äußerst fein struiertes Gefüge von Quarz und Feldspäten beider Gruppen, unter denen Mikroklin besonders hervortritt. Muskovit in Mikrolithen und schlierenartigen Zügen erfüllt das ganze Gestein. Hornblende ist neben Muskovit in den Schlierenzügen der Hauptbestandteil. Pyrit kommt ziemlich häufig vor und verursacht die Verrostungserschei- nungen im Gestein. Neben Titanit und Rutil tritt Kalkspat in einzelnen Kristallen auf. Im Quarzit von Valdo herrscht eine andere Gesteinsausbildung vor. Das Gestein besitzt ausgesprochene Pflasterstruktur und besteht fast nur aus Quarz, der durchweg undulös auslöscht. Dazwischen setzen zuweilen 1913. 9 130 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. vollkommen zertrümmerte Partien auf, die durch dolomitische Lösungen ausgeheilt sind, da sich an den Kristallen der Ausfüllungsmasse ein Mangel der Lamellen nach — !/; R. bemerkbar macht. Titanit tritt in großen Nestern auf. Feldspäte ließen sich nicht nachweisen. Biotit kommt ver- einzelt vor, Muskovit in kleineren Blättchen von im Allgemeinen paralleler Anordnung, beide zum großen Teil auch als Mikrolithe. Rutil und Pyrit sind weitere sicher bestimmbare accessorische Bestandteile. Als unsicher möchte ich das Auftreten von Turmalin, Granat und Apatit ansehen, da die Untersuchungen nur an äußerst kleinen Partikeln vorgenommen werden konnten, Der Amphibolit über Valdo ist ein ausgesprochenes Hornblende- Biotitgestein. (Juarz und Feldspat treten fast gänzlich zurück, und neben Hornblende und Biotit herrschen hauptsächlich Mineralien der Epidot- gruppe vor. Daneben noch Titanit und Rutil, wobei sich der Titanit als Kern eines im Feldspat liegenden Kalkspates einige Male beobachten ließ. An die Grenze zwischen Amphibolit und Gneis wären die pegma- titischen Gesteine zu stellen, die sich auf der Seite von Valdo finden, Es sind stark Biotit-haltige Pegmatite. Muskovit tritt sehr zurück. Quarz und Feldspäte beider Gruppen zeigen fast durchweg Mikropegmatitstruktur. Titanit und Rutil sind neben Pyrit die einzig sichtbaren accessorischen Bestandteile. Wegen der mikroskopischen Untersuchung der „Lebendun-Konglo- merate‘‘ muß ich auf die erwähnte Arbeit von Stella verweisen, da mir kein Schliffmaterial von diesen Zonen zur Verfügung stand. Die Gneisapophyse von ‚Im Moos‘ zeigt sowohl Alkalifeldspat wie auch Plagioklas. Biotit und Quarz sind in der pegmatitischen Grundmasse die Hauptvertreter. Muskovit herrscht überall im Gestein in Form von Mikro- lithen vor, war in größeren Partien jedoch nicht nachweisbar. Epidot und Rutil sind hier und da zu finden. Als hauptsächlichster accessorischer Bestandteil kommt aber Cyanit in Betracht, der schon makroskopisch sroße Knauer in der Apophyse bilde. Im Dünnschliff ist er schwach bläulich gefärbt, und nur einzelne Partien zeigen stärkere Färbung. Einschlüsse in ihm fehlen fast vollständig. V. Über die Entstehung und Bedeutung der Gneisapophysen und -einschlüsse in den Kalkgesteinen. Zwei Arten von „Geröllen‘“ sind, abgesehen von den Lebendun-Gneis- konglomeraten, in den vorigen Abschnitten besprochen worden; es erübrigt hier nur noch einmal auf ihre Entstehung zusammenfassend einzugehen. Die aplitischen angeblichen „Gerölle“ von Lavin und Zwischenbergen bilden die eine, die bei Eisten an der Simplonstraße und die zwei „Geröllzonen“ bei „Im Stafel‘“ bilden die andere Gruppe. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 131 Lavin und Zwischenbergen. Sowohl bei Lavin als auch bei Belleg konnten Apophysen nachge- wiesen werden, die aus der aplitischen Randfacies des Antigoriogneises in den Marmor hinübersetzen. Die Entstehung der „Geröllzonen‘‘ wird wohl in der Hauptsache auf größere aplitische Intrusionen zurückzu- führen sein, während kleinere Nachschübe allenthalben am Kontakt noch stattfanden. | Die bei Lavin am Kontakt eingeschaltete „geröllfreie‘‘ Marmorbank legt die Vermutung nahe, daß hier lagergangähnliche Bildungen in Frage kommen. Neben den zur Entstehung eines Lagerganges notwendigen Bedingungen bespricht F. von Wolff in seinem Buche ‚‚der Vulkanismus“ auch den Intrusionsmechanismus eines Lagerganges solchen: „Zum Zustandekommen eines intrusiven Lagerganges müssen vor allem zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens muß das Gestein, das einen Lagergang aufnehmen kann, bestimmte Eigenschaften besitzen. Seine Homogenität muß durch Unstetigkeitsflächen oder Flächen geringsten Widerstandes unterbrochen sein, in welche das Magma eindringen und wie ein Keil auseinandertreibend wirken kann. Alle Gesteine mit Struktur- ebenen, wie Sedimente mit ihren Schichtflächen, Schiefer mit ihren Schieferungsflächen, eignen sich zur Aufnahme eines Sills ganz besonders. Die zweite Vorbedingung zur Bildung eines Lagerganges ist eine bestimmte Leichtflüssigkeit des intrudierenden Magmas.“ Inwieweit diese Bedingungen für die „Geröllzonen‘‘ von Lavin und Belleg in Betracht kommen, soll im Nachfolgenden ausgeführt werden. Das leichtflüssige aplitische Magma ist in kleineren Gängen durch die überlagernden nächsten Sedimentschichten hindurchgestiegen und hat sich dabei teilweise schon auf der dem Aplitrand am nächsten benachbarten Schichtfuge des Sedimentes, sowie in den darüber liegenden lagerartig ausgebreitet. Durch die inhomogene Zusammensetzung des Sedimentes, d. h. durch Schichtfugen mit größerer oder geringerer Plastizität, sowie durch Ein- und Aufschmelzen von Teilen desselben durch den Aplit, wird eine unregelmäßige Gestaltung des Lagerganges bedingt, so daß er in an- und abschwellenden Partien verläuft. Die zwischen den größeren aplitischen Linsen verstreut liegenden kleineren Partikel können zum Teil als Neu- bildung im Sediment infolge magmatischer Exhalationen aufgefaßt werden. Gerade die auf Tafel I mit g bezeichnete gegabelte Linse läßt sehr deut- lich den intrusiven Charakter dieser aplitischen Bildungen erkennen. Nach- trägliche tektonische Vorgänge, z. B. Gebirgsfaltungen können noch an der Veränderung der Aplite insofern mitgewirkt haben, als sie dieselben weiter ausquetschten und zusammendrückten. Die Aplite liegen, von mini- malen Diskordanzen abgesehen, im Allgemeinen im Streichen der Sedimente 9* 132 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Eisten-,Im Stafel“, Die andere ‚Geröllgruppe“, die die Zonen von Eisten und Im Stafel umfaßt, unterscheidet sich von den beiden eben besprochenen sehr wesentlich. Das Material dieser Zonen stellt, wie schon erwähnt, einen sehr sauren Aplit dar, bei welchem sich jedoch nirgends einen direkten Zu- sammenhang mit dem Gmneis nachweisen ließ. Die ,‚‚Gerölle“ sind zum Teil große, brotlaibartige Formen, so bei Eisten im Kalkschiefer, zum Teil sind es aplitische Linsen in oft enger Aneinanderlagerung. In der oberen Zone, die quer über den Stafelbach hinwegstreicht, fand ich eines dieser angeblichen Gerölle stark S-förmig gebogen, während die andern meist eine langgestreckte Linsenform besaßen. Die Zonen verlaufen hier in einem an der Oberfläche stark zermürbten Kalkschiefer, und zwar im Streichen desselben. Es fehlt ihnen der kontinuierliche Zusammenhang einzelner Linsen durch dünnere aplitische Verbindungsglieder. Das Fehlen dieser Erscheinungen führe ich auf die Verschiedenheit des Sediment- materials zurück. Bei Lavin und Zwischenbergen, wo der Aplit in einem fast reinen Marmor auftritt, sind die Zusammenhänge der einzelnen Linsen untereinander deutlich sichtbar. Bei Eisten und ‚Im Stafel‘‘, wo diese Zonen im Kalkschiefer aufsetzen, fehlen sie vollständig. Ich erkläre diese Erscheinung folgendermaßen: Die urprünglichen Sedimente wurden beim Aufsteigen des granitischen Magmas kontaktmetamorph verändert, in der Weise, daß rein kalkige Sedi- mente Marmor ergaben, die kalkig-mergeligen in Kalkschiefer umgewandelt wurden. Der Marmor setzte dem eindringenden Aplit einen größeren Widerstand entgegen und ließ das aplitische Magnıa erst durch Einschmelzen in den Schichtfugen einen Weg sich bahnen. Der Kalkschiefer hingegen verhielt sich dem Eindringen des Aplits gegenüber weit elastischer infolge der Inhomogenität seiner Zusammensetzung und ließ das aplitische Magma fast durchweg in gleicher Mächtigkeit eindringen. Die laibartigen Formen können teilweise durch Erkaltungserscheinungen bedingt, teilweise durch gebirgsbildende Vorgänge hervorgerufen sein. Die bisherige Annahme, diese ,„Gerölle“‘ seien durch Transgression entstanden, läßt sich für die „Geröllzonen“ von Lavin und Belleg nicht festhalten; dagegen liefert die mikroskopische Untersuchung zu deutliche Gegenbeweise, Für die Zonen Eisten-,,Im Stafel‘‘ mindestens ist sie auch sehr in Frage gestellt. Es läßt sich an letzteren Orten am Gneis nirgends eine aplitische Randfacies nachweisen, ebenso fehlen in diesen Zonen gerollte Stücke typischen Gneises vollständig. Der Gneis selbst trägt meist eine vollkommen frische Oberfläche zur Schau, die nicht auf ein langes Fest- landsdasein schließen läßt, wie ein solches Voraussetzung für eine Geröll- bildung wäre. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen, 133 Zu erwähnen ist hier noch das Vorkommen geröllähnlicher, typischer Gneispartien im Kalkschiefer von Eisten an der Simplonstraße und von der Wasserleitung 1 bei ‚‚Im Stafel‘“, wo die langgestreckten Gneislinsen im Streichen der Kalkschiefer eingebettet liegen.‘ Sie sind als nachträglich bei der Gebirgsbildung zerrissene Apophysen des Gneises in die Sedimente anzusehen. Vielleicht sind es auch, da die auseinandergesprengten Stücke fast immer im Streichen der Schiefer liegen, lagergangartige Bildungen. Die Gneisapophyse bei „Im Moos“, bei der ein direkter Zusammenhang mit dem Lebendun-Gneis nicht nachzuweisen war, sowie die aplitischen Pseudokonglomerate von Lavin und Belleg und die geröllähnlichen Gneis- einlagerungen im Kalkschiefer von Eisten und der Wasserleitung 1 bei „Im Stafel“ sind insofern für die Altersfrage des Simplongneises von Be- deutung, als durch sie bewiesen wird, daß der Gneis Apophysen in die Sedimente entsendet. Daher ist sein Alter nicht als prätriadisch, sondern als posttriadisch anzunehmen. VI. Über die Entstehung der Kontaktmineralien. F. Zirkel: Lehrbuch der Petrographie. C. Doelter: Handbuch der Mineralchemie, I, pag. 323—400. U. Grubenmann: Die kristallinen Schiefer. U. Grubenmann: Mineral- und Gesteinsbildung auf dem Wege der Meta- morphose. Handwörterbuch der Naturwissenschaften, VI, pag. 934—944. 5. F. Becke: Über Mineralbestand und Struktur der kristallinen Schiefer. I. Denkschrift der Wiener Akademie, 7. Mai 1903. ; 6. J. H. L. Vogt: Der Marmor in Bezug auf seine Geologie, Struktur und seine mechanischen Eigenschaften. Zeitschrift f. prakt. Geologie, 1898, pag. 4 und 49. 7. B. Lindemann: Über einige wichtige Vorkommnisse von körnigen Carbonat- gesteinen mit besonderer Berücksichtigung ihrer Entstehung und Struktur. pag. 267 ff. S. E. Weinschenk: Grundzüge der Gesteinskunde. 9. E. Weinschenk: Über Mineralbestand und Struktur der kristallinen Schiefer. 10. E. Weinschenk: Vergleichende Studien über den Kontaktmetamorphismus. Zeitschr. d. deutsch. geol. Ges. 1902, Bd. 54, pag. 441—479. “1. H. Preiswerk: Die metamorphen Triasgesteine im Simplontunnel, 1913. u un Eine Reihe von Tatsachen wurde im Verlaufe der vorliegenden Arbeit beigebracht, um das jugendliche Alter der Gneise zu beweisen. Unter anderem wurde besonders auf eine Reihe von Kontaktmineralien hin- gewiesen, die zum Teil bereits makroskopisch sich nachweisen lassen. In Kürze seien sowohl die makroskopisch wie mikroskopisch bei der Untersuchung gefundenen Kontaktmineralien nochmals zusammengefaßt: Granat, Tremolit, Skapolith, Epidot, Zoisit, Klinozoisit, Turmalin, Titanit, Rutil, Staurolith, Disthen, Apatit, Phlogopit, Hornblende, Muskovit (Serizit), Biotit, Quarz, Chlorit. 134 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Zwar ist nach älterer Auffassung mit dem Worte Kontaktmineral das Altersverhältnis zwischen dem Gestein, das die Mineralien birgt, und dem Bringer der Mineralien bereits festgelegt. Trotzdem ist im vorliegenden Falle die Frage, welche von diesen Mineralien auf Kontakt- und welche auf Dynamometamorphose zurückzuführen sind, eigens zu besprechen. Denn die Legende der geologischen Simplonkarte erklärt den in diesem Gebiete auftretenden Gneis als einen prätriadischen, teils Ortho-, teils Para- Gneis. Für unsere Arbeit kommt nur der Kontakt zwischen Orthogneisen und Jura- oder Triasgesteinen in Betracht. Die Annahme, daß die Sedimente jünger, und zwar bedeutend jünger als der Gneis sein sollen, schaltet ohne weiteres den Gedanken an Kon- taktmetamorphose aus; er wird auch von den Herausgebern der Simplon- karte abgelehnt. In seiner letzten Arbeit hat Preiswerk diesen Gesichts- punkt sogar noch ganz besonders betont und auch begründet; er schreibt: „Lypische Kontakthöfe vermögen nur dann sich zu bilden, wenn solche Eruptivmassen ihre regionalmetamorphe Hülle verlassen und in höhere, wenig metamorphe Teile der Erde empordringen. Der dem Dioritstock von Traversella consanguine Tonalit der Ada- mellogruppe liefert dafür ein schönes Beispiel. Gerade solche Erscheinungen fehlen aber dem Simplongebiete vollständig, und wir müssen aus geologischen Gründen die Be- zeichnung ‚„Kontaktmetamorphose‘“ für die Umwandlungserschei- nungen in den Triassedimenten des Simplontunnels, trotz der Auf- findung sogenannter „Kontaktmineralien‘“, ablehnen.‘ Hiermit wird zugegeben, daß sich Mineralien finden, die man früher als typische kontaktmetamorphe Mineralien zu bezeichnen pfleste; doch spricht ihnen Preiswerk jede entscheidende Bedeutung ab, Ich glaube in den vorhergegangenen Kapiteln gezeigt zu haben, daß für eine Anzahl von Stellen ein prätriadisches Alter des Gneises sich nicht mehr behaupten läßt, sondern daß der Gneis, da er in die Sedimente Apo- physen und wohl auch Lagergänge entsendet, ein mindestens posttriadisches Alter besitzen muß. Da er nun jünger als die ihn zunächst überlagern- den Sedimente ist, so liegt die Wahrscheinlichkeit sehr nahe, daß er die Sedimente kontaktmetamorph beeinflußt hat und daß es hierbei zur Bil- dung kontaktmetamorpher Mineralien gekommen ist. Die Gründe, die Preiswerk veranlassen, von der Einwirkung der Kon- taktmetamorphose abzusehen und nur Dynamometamorphose für die Um- wandlung der Sedimente anzunehmen, sind folgende: 1. Der prätriadische Orthogneis kann unmöglich Trias- und Jurasedi- mente kontaktmetamorph beeinflußt haben; für die Umwandlung dieser Sedimente kommt also nur Dynamo-(Regional-)metamorphose in Betracht. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 135 2. „Die Metamorphose der gesamten Region vom Rhönetal bis zum Amphibolitzug von Ivrea kann nicht als Kontaktwirkung der nur sanz im Süden auftretenden jungen Eruptivmassen angesehen werden. Wir haben vielmehr in dieser Region Resultate einer all- gemeineren Metamorphose, deren Produkte in verschiedene, nach Tiefenstufen zu gliedernde Zonen sich scheiden. Sie muß als Regional-Metamorphose bezeichnet werden.‘ Der letzten Annahme widersprechen die Untersuchungen B. Linde- manns am Marmor von Crevoia, nördlich von Domodossola. Der Marmor gehört nach der geologischen Simplonkarte der Trias an und bildet, zu- sammen mit granatführenden, hornfelsartigen, jurassischen Schiefern, die Sedimentbegrenzung der Wurzelregion des Lebendun-Gneises. In diesem Marmor hat Lindemann typische kontaktmetamorphe Mine- ralien gefunden; z. B. Tremolit, Phlogopit, Zoisit, Rutil u.a. m. Gerade von Tremolit und Phlogopit, die nach Ansicht Beckes und Grubenmanns in die mittlere und obere Zone der Dynamometamorphose zu stellen sind, sagt Lindemann: „Das Vorherrschen von Phlogopit, sowie das gelegentliche Auf- treten von Zoisit, Jichtem Augit und Tremolit, beweist eine Ein- wirkung kontaktmetamorphischer Agentien auf den Dolomit von Crevola, eine Tatsache, die schon infolge seiner Lage mitten zwischen den vom Simplongranit metamorphisierten und injizierten Schiefern keinen Zweifel mehr zuläßt.“ Nun ist aber der Marmor von Crevola ein Teil jenes ‚schmalen Trias- bandes, das die jurassischen Kalkschiefer mit erstaunlicher Regelmäßig- keit auch in den schmalsten Mulden an ihrer Grenze gegen die Gneise begleitet‘. | Die jurassischen Kalkschiefer sind fast durchweg hornfelsartig und granathaltig, Tatsachen, deren Entstehung eher auf kontaktmetamorphe Einwirkungen als auf Dynamometamorphismus zurückzuführen ist. Ein Vor- kommen von hornfelsartigen Kalkschiefern, die durch Dynamometamorphose entstanden sind, ist mir nicht bekannt. Granat ist eines der häufigsten kontaktmetamorphen Mineralien. Er entsteht jedoch auch durch Dynamometamorphose. Sein Auftreten in hornfelsartigen Gesteinen macht seine Entstehung auf kontaktmetamorphem Wege zugleich mit der Entstehung der Hornfelsstruktur für wahrscheinlieh. Ein Analogon zum Marmor von Crevola bleibe hier nicht unerwähnt. Derselbe Trias-Jura-Zug läßt sich am Lebendun-Gneis entlang weiter nach Westen zu verfolgen und bildet die den Lebendun-Gneis zwischen Serra und Belleg begrenzenden Sedimentzüge gegen den Antigoriogneis hin. Neben den dort auftretenden angeblichen Geröllen, die ich als lagergang- ähnliche aplitische Intrusionen des Gneises in die Sedimente zu erklären versucht habe, sowie neben zwei aplitischen Apophysen in den Marmor, 156 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. läßt sich, wie schon im zweiten Abschnitt erwähnt, Tremolit in großen Nestern nachweisen; ferner geben die stark umgewandelten, granatführenden, horn- felsartigen Juraschichten Zeugnis von einer sehr heftigen Metamorphose, für die man, analog zu der von Lindemann über den Marmor von Crevola abgegebenen Erklärung die Deutung als Kontaktmetamorphose geben kann. Der Gedanke eines jüngeren Alters der Simplongneise wurde schon vor einer Reihe von Jahren geäußert, hat seitdem auch immer mehr An- hänger gefunden. Was die mesozoischen Sedimente anbetrifft, die im Simplongebiete auftreten, so schreibt Preiswerk in seiner Arbeit über ‚Die metamorphen Triassteine im Simplontunnel‘ Folgendes über sie: „Besonders ist zu betonen, daß die von uns als ‚‚mesozoisch‘ gedeuteten Sedimente mit den Gneisen überall so in Kontakt treten, daß den Gneisen ein höheres Alter zukommen muß. Jede Erschei- nung der typischen Kontaktmetamorphose in Gestalt von Kontakt- höfen um nachweisbare Eruptivzentren fehlt in dieser Region voll- ständig.“ Beweise, die sich gegen ein höheres Alter der Gneise gegenüber den mesozoischen Sedimenten im Simplongebiete richten, wurden im Verlaufe der Arbeit durch den Nachweis von Apophysen und Lagergängen der Gneise in die Sedimente beigebracht. Die Trennung zwischen Trias und Jura, die auf der geologischen Simplonkarte markant hervortritt, wurde in den allermeisten Fällen dadurch herbeigeführt, daß die Höhe der Kristallinität der umgewandelten Sedimente als Gradmesser für die stratigraphische Bestimmung diente. Die dem Gneis am nächsten liegenden Sedimente weisen meistens einen höheren Grad der Metamorphose auf (und zwar einer dynamo-regio- nalen Metamorphose im Sinne von Schmidt und Preiswerk), als die weiter von ihm entfernt liegenden, die unter geringerem Druck von oben durch überlastende weitere Sedimente nicht so stark umgewandelt wurden. Auf diesem Unterschiede in der Umwandlung baut sich, wie schon gesagt, in den meisten Fällen die Trennung zwischen Trias und Jura auf. Paläontologisch einwandfrei nachweisen durch bestimmbare Fossilien ließ sich die Trias im Simplongebiet bis jetzt noch nicht. An den Stellen, wo sie als Gips, Rauchwacke oder Dolomit auftritt, analog ähnlichem Vor- kommen in benachbarten Gebieten, können es wirkliche triadische Ab- lagerungen sein. Aus dem Grade der Umwandlung eines Gesteins aber läßt sich ohne paläontologische Stützpunkte ein Formationswechsel nicht fes(stellen. Daß gerade am Kontakt mit dem Gneis die Sedimente am meisten kristallin und metamorph auftreten, sche'nt mir, unter der Annahme eines Gneises von jüngerem Alter als das der Sedimente, Beweis für eine Kontaktmetamorphose zu sein. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 137 Vogt äußert sich über ähnliche Erscheinungen folgendermaßen: „Am weitesten entfernt von der Eruptivgrenze ist der ge- wöhnliche kristalline und etwas unreine Kalkstein stärker bituminös, wie sonst in dem Distrikt; etwas näher der Grenze, jedenfalls in einigen Fällen in einer Entfernung von rund !/, km, ist die kohlige Substanz mehr oder weniger zu Graphit umgewandelt worden; noch näher der Grenze verschwinden der Graphit und die übrigen kohligen Bestandteile nach und nach, und in der intensivsten Kontaktzone selbst (mehrmals rund 0,1 km Breite, bisweilen auch darunter) ist der Marmor oft gänzlich schneeweiß geworden, ohne jede fürs Auge nachweisbare Spur von kohliger Substanz, jedoch auch hier wahrscheinlich nicht absolut chemisch frei von einer letzteren spurenhaften Beimischung einer organischen Verbindung.“ Dieses Zitat bezieht sich auf ein norwegisches Marmorvorkommen, hat aber für die stratigraphische Beurteilung der Sedimentschichten im Simplon- gebiete eine gewisse Bedeutung. An vielen, nicht an allen Gneis-Sediment- Kontakten konnte ich die Beobachtung machen, daß die Kalkschichten in rein weißen, zum Teil auch blaugrauen, kompakten Marmor umgewandelt waren. In diesen, direkt an den Gneis angrenzenden Zonen wurde das Auftreten kontaktmetamorpher Mineralien am häufigsten beobachtet. In einiger Entfernung vom Kontakt geht der kompakte Marmor in den meist blätterigen Kalkglimmerschicfer über, in dem jedoch vereinzelt reine Marmor- einlagerungen vorkommen. Aus der Höhe der Kristallinität der Sedimente am Kontakt mit einem jüngeren Eruptivgestein läßt sich, wie schon oben erwähnt, ohne paläon- tologische einwandfreie, bestimmbare Funde, eine Trennung zweier For- mationen nicht durchführen; viel wahrscheinlicher ist es hingegen, daß die am stärksten kristallinen Partien der Sedimente, die fast stets am Gneiskontakt auftreten, als die Kontaktzone des Gneises anzusehen sind, umsomehr deswegen, als in ihnen Mineralien gefunden wurden, die bis jetzt als zweifellose Indikatoren einer Kontaktmetamorphose gegolten haben, nämlich: Tremolit, Phlogopit, Skapolith, Turmalin, Disthen, Granat, Orthit. Diese Auffassung führt dann in den meisten Fällen zur Eliminierung der Trias, sodaß mit dem Gneis nur jurassische Ablagerungen in Kontakt treten, mit Ausnahme der Stellen, wo eine Annahme der Trias als Rauch- wacke, Gips oder Dolomit als berechtigt erscheint. Daß an einigen Stellen die jurassischen Kalkschiefer ohne Zwischen- schaltung des „gelben Triasbandes“, also einer Zone höherer Kristallisation, mit dem Gneis in Kontakt treten, kann als Beweis für das Fehlen typischer Kontakthöfe, das Preiswerk am Schlusse seiner mehrfach genannten Arbeit betont, gedeutet und als Negierung einer Kontaktmetamorphose angesehen werden. 138 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Es sind jedoch Fälle bekannt, daß Granite nach einer Seite hin aus- gesprochen kontaktmetamorph gewirkt kaben, nach einer anderen gar keinen derartigen Einfluß ausgeübt haben. Zirkel erwähnt in seiner Petrographie Band I, pag. 587, ‚das Granitmassiv von Huelgoat in der Bretagne, welches im Silur und Devon nur auf der Ostseite Veränderungen hervorbrachte, die selbst bis auf 3 km Entfernung reichen, während auf der Westseite sich nichts dergleichen zeigt. Um den Granit des Elsässer Belchen sind im Grauwackenschiefer Kontakterscheinungen bisher nicht nachgewiesen worden.“ Über solche Vorkommnisse schreibt Weinschenk allgemein in seinen „vergleichenden Studien über Kontaktmetamorphose“, daß bei der Metamorphose von Tonschieferkomplexen neben Schichten, welche das höchste Stadium der Metamorphose erreicht haben, sich gleich solche finden lassen, welche auf einer scheinbar niedrigeren Stufe der Metamor- phose stehen geblieben sind. Oft sind auch Zwischenlagerungen vor- handen, welche überhaupt keine Spur von Umwandlung erkennen lassen, Daß die Bedingungen, unter denen eine Eruptivmasse sich kontakt- metamorph am Nebengestein äußern kann, von einer Reihe von Faktoren abhängig sind, die in ein und demselben Magma Unterschiede zeigen können, ist eine hinlänglich bekannte Tatsache. Daß es ferner nicht immer zur Bildung solch ausgesprochener Kontakthoferscheinungen kommen muß, wie sie Preiswerk vom Dioritstock von Traversella oder dem Tonalit des Ada- mello erwähnt, läßt sich vielleicht am besten aus einer Stelle aus der eben erwähnten Arbeit Weinschenks entnehmen. Es heißt da: „Im Allgemeinen werden wir zwar einen gewissen Zusammen- hang zwischen der Ausdehnung der Kontaktzonen und der Mächtig- keit des Intrusivgesteins nicht verkennen dürfen, doch ist derselbe weit entfernt davon, wirklich gesetzmäßig zu sein. Wir können uns denken, daß eine enorm mächtige Masse, die verhältnismäßig arm an Mineralbildnern war und in der Temperatur der Kristallisation schon ziemlich nahe stand, als sie zwischen die Schichten eindrang, in wenig intensiver Weise und nur auf geringe Entfernungen hin kontaktmetamorphisch verändernd einwirkte, während ein viel weniger umfangreiches Magma, das überladen mit mineralbildenden Agentien in stark überhitztem Zustande empordrang, sehr viel weitergehende Umwandlungen hervorbrachte.‘ In wie vielen Fällen nun im Einzelnen das Auftreten de Kontakt- mineralien dynamometamorpher oder kontaktmetamorpher Entstehung ist, kann ich nicht entscheiden; in den Fällen aber, wo kontaktmetamorphe Mineralien neben Erscheinungen auftreten, die auf Kontaktmetamorphose zurückzuführen sind und bis jetzt als Ausdruck dieser Metamorphose gegolten haben, kann ich an eine Dynamo- oder Regionalmetamorphose nicht glauben. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 139 Schließen aber möchte ich mit einem Worte Weinschenks, das gerade für das Simplongebiet gemünzt zu sein scheint: „Ein Gestein, welches den Habitus des „Gneises‘‘ besitzt, ist häufig genug ebensowohl eruptiven Ursprungs, wie irgend ein richtungsloser Granit, und dann kann der ,„Gneis“ unter den sämtlichen Gesteinen des betreffenden Gebietes, trotzdem er zu unterst liegt, das jüngste sein, welches die andern durchbrochen oder doch wenigstens aufgerichtet hat. Infolge seiner intrusiven Entstehung gestaltet sich dann häufig der Kontakt mit den durch- „brochenen Gesteinen zu einem im höchsten Grade komplizierten, und die fast unentwirrbaren Profile, welche die Forschungen in solchen Gebieten ergeben haben, stehen in gar keinem Verhältnis zu der Einfachheit, welche tatsächlich vorhanden ist. Wieviel Verwirrung in der Geologie hat nicht schon das einzige Wort „Gneis‘ angerichtet?“ Nachtrag. Diese Arbeit wurde am 30. Juni 1913 abgeschlossen. Die erst später erschienene Arbeit Wilhelm Freudenbergs: ‚Der Trias-Gneis-Kontakt am Ostrande des Adulamassivs (Graubünden). Ein Beitrag zur Altersfrage der alpinen Zentralmassive und Massengesteine. Mit Tafel VIII—XIl. Neues Jahrbuch 1913. DBeilage-Band XXXXVI, pag. 232—331“, konnte infolge- dessen nicht mehr berücksichtigt werden, Herr cand. geol. John K. Charlesworth: Bilder aus dem englischen Diluvium. —ltd— Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 140 Tafel [. Ä Aplitische Injektionen, sog. „Gerölle‘ im Marmor von der Alpe La vin « i 0023 VORESEREOEN EESEESNN SEE: ER => o a3 a b e l te Aplitlinse. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 141 VI. Abteilung. Tafel II. uraer] 9dıvy A9p UOA "© OH p) 1 JOTAT]9:199 ks "uraer] odjy A9p UOA „N9OLATTOAaH“* = Sa 30H I Jorq oYd 142 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. A9J9TJISOUDDL o1LUBIa A TUBLSOIC 4 Tafel II Bier. Phot. Prof. E. Hugi. Fie. 9. Kontakt zwischen Verampiogranit und Bacenoschiefer. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 143 Tafel IV. Phot. Prof. E. Hugi. Bıg1, Kontakt zwischen Verampiogranit und Bacenoschiefer. (vgl. Schmidt, Buxtorf, Preiswerk: Führer zu den Exkursionen der deutschen geolog. Gesellschaft, August 1907, etc. Seite 50, Fig. 47: „Verampiogranit unter den Bacenophylliten (Trias) hervortretend im Antigoriotal unterhalb Baceno“). Fig. 2. Gefältelter Kieselkalk im Bachbett des Rio Felti. 144 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Cultur. Tafel V. Fig. 1. Gefältelteı Kieselkalk im Bachbett des Rio Felti. Quarzitkugeln vom Tuffwald, Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 145 Tafel VI. VI. Abteilung. "X 98 SUnIBggASIOA x ge SUnIegasıa A -uraerg odıy “anpynasyyeundodoagim dep U921410A1OF pun J9p JouLleN WI „so]lgaon" '30s sour Zuesnpdy zien() We UOSUNUTBLISIHSUOLSOALION “une odıy Top UOA Joule U „sa][g109“ ‘Sos saure aopeyıpdy 10 1913. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. '146 Tafel VI. (Juarzreicher Marmor aus der „, bei Alpe Lavin. Vergrößerung 36 X. Ger öllzone“* Muscovitreicheı . Marmor über der „Geröllzone‘ bei Alpe Lavin. Vergrößerun o [>] 36 X. VI. Abteilung. Sektion für Geologie, Geographie, Berg- und Hüttenwesen. 147 Tafel VII. un 3ojog "X ge JunIsgo1sıaa "[ejussısquayyosImnz uoA aouney um „gang“ 30s ‘Zuesnpdy "x 98 ZunIaggasaa "[eJussaoquaydsimz wt So][eg UOA „Suoz[a1ag“ aop sne soduesnjdy s9ul9 9UEN Jap ur uojjpwepedsypey oyyaneısan 0 = Bazense url hlur- ee red sehlesische Gesellschaft für vaterländische Cuklur. ZEIGE 91. VI. Abteilung. Jahresbericht. d. Chemische Sektion 1913. | (Chemische Gesellschaft zu Breslau). ORG — ER 2,8 Sitzungen der Chemischen Sektion (Chemische Gesellschaft zu Breslau) im Jahre 1913. Sitzung am 7. November 1913. Der Präses der Gesellschaft, Geheimrat Foerster, eröffnet die erste Sitzung der neu begründeten Sektion, indem er sie im Namen des Prä- sidiums begrüßt und ihren Arbeiten den besten Erfolg wünscht. Daran schloß sich ein Vortrag: Die Entstehung und Bedeutung der Alkaloide in den Pflanzen von J. Gadamer. Sitzung am 12. Dezember 1913. Die Metallographie im Dienste der Praxis von K. Friedrich. 1913. im ee Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur. 91. Jahresbericht. Nekrologe. 1913. &c SET ER 2,® Nachrichten über die im Jahre 1913 verstorbenen Mitglieder der Schlesischen Gesellschaft für vaterl. Cultur. Alphabetisch geordnet. Geheimer Medizinalrat Dr. Sigismund Adler, Kreisarzt a. D. in Brieg, starb nach längerem Leiden am 6. Dezember 1913. Er war am 26. November 1832 in Neustadt OS. geboren, besuchte das Gymnasium in Leobschütz, bezog 1851 die Universität Breslau, erwarb sich 1855 den Doktorgrad, erlangte 1856 die Approbation als Arzt und 1862 als Kreis- physikus. Aus dürftigen Verhältnissen mit kräftigem, gesundem Körper hervor- gegangen, brachte er eisernen Fleiß und große Tatkraft für den Kampf ums Dasein mit, half sich während der Studienzeit mit’ Stundengeben durch, studierte fleißig, gönnte sich aber auch die harmlosen Freuden der schönen Jugendzeit. Durch seinen Lehrer Frerichs, den er bis an sein Lebensende hoch verehrte, in der klinischen Untersuchung und kritischen Beobachtung der Kranken aufs beste ausgebildet, ließ er sich am 1. Mai 1856 in Brieg als praktischer Arzt nieder. Sein bescheidenes und menschenfreundliches Wesen, seine Ruhe und sichere Bestimmtheit, seine Selbstlosigkeit und unermüdliche Hilfsbereitschaft, nicht zum wenigsten aber auch der durch seine scharfe Beobachtungsgabe und sein umfangreiches Wissen begründete ärztliche Erfolg verschafften ihm bald ein sehr großes Feld ausgedehnter Tätigkeit. Erwägt man noch, daß er das Berufsgeheimnis unter allen Umständen aufs äußerste wahrte, so ist es kein Wunder, wenn seine Kranken für immer mit unbegrenztem Vertrauen, mit größter Dankbarkeit und Liebe an ihm hingen. Dabei ließ er sich nie vom Kranken beherrschen. Abhold jeder Vielgeschäftigkeit und vieler Worte, traf er seine wohl- durchdachte Anordnung; einen Widerspruch gegen diese duldete er nicht. Großen Mut und Eifer bewies er in der Bekämpfung der Choleraepidemie im Jahre 1866. An den Feldzügen 1866 und 1870/71 — an diesem als Stabsarzt — nahm er ehrenvollen Anteil. Dauernd beriet er unentgelt- lich die Schwestern des St. Marienstiftes und viele Unbemittelte. Lange 1913. 1 => Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Jahre war er Arzt des Gerichtsgefängnisses, Impfarzt, 40 Jahre lang Arzt der Kgl. Strafanstalt, mehrere Jahre Seminararzt. Diese Vertrauens- stellungen gab er nach und nach wegen Abnahme der körperlichen Rüstigkeit auf. Im Alter von 70 Jahren zog er sich von der Praxis ganz zurück. Eine sehr segensreiche Tätigkeit entfaltete er auch als beamteter Arzt, als langjähriger Kreiswundarzt, seit 1883 als Kreisphysikus und seit 1901 als Kreisarzt. Seine Kenntnis der Verhältnisse und Bedürfnisse des Lebens war seiner amtlichen Tätigkeit in hohem Maße förderlich. Be- sondere Verdienste erwarb er sich um die Kanalisation von Brieg, die im wesentlichen nach seinem Plane ausgeführt wurde. Die Beweise der Anerkennung seiner Tätigkeit blieben nicht aus. 1878 wurde ihm von Allerhöchster Stelle der Titel als Sanitätsrat verliehen, 1898 als Geheimer Sanitätsrat, 1902 beim Ausscheiden aus dem Amte der Rote Adlerorden IV. Klasse. Wenn auch Beruf und Amt seine Kräfte bis zum äußersten in An- spruch nahmen, behielt er doch Zeit für die Förderung des Allgemein- wohles und für die Wissenschaften übrig. Er war Stadtverordneter, Mit- kegründer des Brieger Gewerbevereins, Mitglied der Philomathie und des Vorstandes der jüdischen Gemeinde. Überall im öffentlichen und nicht- öffentlichen Leben wurden seine selbständige Meinung und sein sicheres, scharfes Urteil sehr geschätzt. Daher wurde er auch durch die Er- nennung zum Ehrenmitgliede der Philomathie und des Gewerbevereins ausgezeichnet. Adler lebte seit 1864 in äußerst glücklicher Ehe mit Anna, einer Tochter des von ihm oft vertretenen Kollegen Ehrlich. Er war für sie der Mittelpunkt ihrer Liebe, ihrer Bewunderung, ihres Handelns, sie war für ihn die geliebte Mutter der Kinder, für sie war ihm kein Opfer zu schwer. 6 Söhne entsprossen der Ehe, alle blieben am Leben und be- finden sich in angesehenen Lebensstellungen: 3 sind Spezialärzte, 1 Zahn- arzt, 1 Ingenieur und Fabrikbesitzer, 1 Diplomingenieur. Die wohl- geratenen Söhne waren die Freude der Eltern und der Sonnenschein seines Lebensabends. Denn trotz körperlicher Gebrechen blieb sein Geist klar und rege. Sein Verhältnis zu den Ärzten des Kreises ließ nichts zu wünschen übrig. Vorübergehende unberechtigte Anfeindungen trug er nicht nach. Er gehörte zu den Begründern des Vereins der Ärzte des Kreises Brieg, dessen Vorsitzender er lange Jahre war und zu dessen Ehrenvorsitzenden er ernannt wurde. In den Vereinssitzungen und auch sonst im geselligen Verkehr brach nicht selten ein guter Witz hervor. Er war ein Arzt von idealer Gesinnung, dem in erster Linie das Wohl der Kranken, dann aber auch das Ansehen und die Wohlfahrt seines Standes am Herzen Nekrologe. 3 lag. Der Ärzteverein sagt treffend in seinem Nachrufe: „Ein gefeierter Arzt, ein verehrungswürdiger Mensch und ein lieber Kollege ist mit ihm dahingegangen.“ Medizinalrat Dr. Rieger, Breslau. Am 6. März 1913 starb in Berlin Paul Friedrich August Ascherson. Er wurde als Sohn des geschätzten Arztes Geh. Sanitätsrat Dr. Ferdinand Moritz Ascherson am 4. Juni 1834 in Berlin geboren. Hier studierte er 1850—55 Medizin und Naturwissenschaften, hauptsächlich Botanik, promovierte 1855 zum Dr. med. und bestand im Jahre darauf die ärztliche Staatsprüfung. Von 1860 bis 1884 war Ascherson Assistent, später Kustos am botanischen Garten und Museum in Berlin. Inzwischen war er 1869 von der Universität Rostock zum Dr. phil. hon. ce. ernannt worden. In den Lehrkörper der Berliner Universität trat er 1873 als außer- ordentlicher Professor ein; 1908 wurde er ordentlicher Honorarprofessor. Ascherson bereiste einen großen Teil von Mitteleuropa, 1863 die Insel Sardinien, 1896 Norwegen, mit dem bekannten Afrikaforscher Rohlfs 1873—74 die libysche Wüste, mehrere Mal Ägypten und Unternubien. In Rohlfs „Drei Monate in der libyschen Wüste“ bearbeitete Ascherson mehrere Kapitel, ebenso den botanischen Teil in dessen goßem Reisewerk „Quer durch Afrika und Kufra“. Mit seinem Freunde Schweinfurth zu- sammen veröffentlichte er 1887 „Illustration de la Flore d’Egypte“. Für Frank-Leunis ‚‚Synopsis der Botanik“, 3. Aufl., schrieb er die Pflanzen- geographie, für Neumayers „Anleitung zu wissenschaftlichen Beob- achtungen auf Reisen“ die geographische Verbreitung der Seegräser. Aschersons Hauptverdienst liegt in der floristischen Durchforschung Mitteleuropas, als deren Frucht sein Hauptwerk „Synopsis der mittel- europäischen Flora“ (zusammen mit Paul Graebner) anzusehen ist. Seit dem Erscheinen seiner „Flora der Provinz Brandenburg“ (1864) ist Ascherson der Mittelpunkt der deutschen, besonders norddeutschen Floristik gewesen. Mit den meisten norddeutschen Sammlern, Lokal- und Provinzialfloristen ist er in beruflichen oder persönlichen Verkehr ge- treten. So hat ihn auch mit den um die schlesische Flora am meisten verdienten Männern der letzten Jahrzehnte, mit Uechtritz, Fiek, Fritze, Baenitz, Schube z. T. enge Freundschaft verbunden. Mehrmals hat er das Riesengebirge selbst besucht. Verschiedene seiner zahlreichen Aufsätze behandeln die schlesische Flora. In den Jahren 1870 und 1874 ist er Mitarbeiter des Jahresberichts der Schlesischen Gesellschaft für vater- ländische Kultur gewesen. 1875 hat er über Taraxacumalpestre auf der Schneekoppe geschrieben. Hubert Winkler. 1* ee: Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Am 3. Januar 1913 starb in Breslau durch Herzlähmung Dr. Carl Gabriel Baenitz im 76. Lebensjahre. Er wurde geboren am 28. Januar 1837 in Marienwalde, Provinz Brandenburg. 1857 absolvierte er das Lehrerseminar in Neuquelle mit dem Prädikat „Sehr gut‘, war dann in Sommerfeld, Görlitz, Bromberg und Königsberg i. Pr. im Schuldienst tätig. 1867 bestand er in Königsberg die Prüfung als Rektor und pro- movierte 1871 in Rostock auf Grund einer Dissertation „Beiträge zur Flora des Königreichs Polen‘ zum Dr. phil., nachdem er schon 1861 eine „Flora der Niederlausitz‘“ herausgegeben hatte. Baenitz hatte einen scharfen Blick für systematische Unterschiede und hat verschiedentlich neue Pflanzenformen beschrieben. Großes Interesse hatte er stets für die Wirtsbäume der Mistel, über die er mehrere Aufsätze geschrieben hat, in denen zahlreiche neue Nährpflanzen aus Ostpreußen und besonders aus der mistelreichen Umgebung Breslaus aufgezählt werden. Infolge von Kränklichkeit, und um mehr seinen wissenschaftlichen Arbeiten leben zu können, trat Baenitz am 1. Oktober 1892 in den Ruhestand. Jetzt widmete er sich ganz der Aufgabe, seine alle naturwissenschaftlichen Disziplinen umfassenden Schul-Lehrbücher, die Jahrzehnte lang in immer neuen Auf- lagen außerordentlich verbreitet waren, stets dem neuesten Stande der Wissenschaft anzupassen. Seine Hauptzeit aber verwendete er auf die Herausgabe seiner Herbarien, die in den botanischen Instituten aller Welt- teile verbreitet sind. Von 1868 bis 1900 erschien das „Herbarium Euro- paeum‘“ in 122 Lieferungen, für das er auf Reisen, z. B. nach Norwegen und Dalmatien, reiches Material selbst zusammenbrachte. Auf Schwierig- keiten stieß das „Herb. americanum“, das nur 20 Lieferungen erreichte. Wie sehr Baenitz mit dieser segensreichen Arbeit verwachsen war, zeigt der Umstand, daß er, als er 1900 „wegen zunehmenden Alters“ das europäische Herbar beschlossen hatte, doch bald eine neue Veröffent- lichung plante, das „Herb. dendrologicum“, von dem bis 1913 noch 36 Lieferungen erschienen. Besondern Anklang fand seine Ergänzung durch die 1908 begonnene Herausgabe der „Keimpflanzen“ der Holz- gewächse. Bei diesem Unternehmen erfreute sich Baenitz der regsten Unterstützung der Breslauer Gartenverwaltung, hat durch sie aber auch die Kenntnis der schönen und wertvollen Baumbestände unserer Prome- naden und Parks über die Grenzen Deutschlands hinaus verbreitet. Man muß mit ihm einmal durch den Scheitniger Park gewandert sein, wo er mit seinem fliegenden Mantel und Schlapphut jeden Tag als Charakter- figur zu treffen war, um sein Interesse für die Natur, zumal die Baum- welt, haben bewundern zu können. Und das Gesammelte wurde dann mit der größten Peinlichkeit präpariert. Baenitz war noch einer der Alten, mit der andächtigen Liebe zum Objekt, die jener Generation eigen war. Nekrologe. 5 Der Verstorbene war seit 1895 Mitglied unserer Gesellschaft und hat ohne zwingenden Grund die Sitzungen der zoologisch-botanischen Sektion nie versäumt, deren Arbeiten er durch Vorträge förderte. Hubert Winkler. Magnus Biermer wurde am 22. November 1861 in Bern geboren, wo sein Vater, Anton Biermer, als Professor der Medizin damals tätig war. Er besuchte von 1867 bis 1874 die Volks- und Kantonschule in Zürich, wohin sein Vater 1867 berufen wurde, dann, nach Übersiedlung seiner Eltern nach Breslau, von 1874 bis 1882 das Johannesgymnasium daselbst. Von 1882—1886 widmete er sich juristischen und national- ökonomischen Studien in Breslau, München, Berlin und Göttingen und promovierte 1886 in Jena zum Dr. jur. mit einer Dissertation über Frist und Verjährung (Berlin 1887). Von 1886 bis 1890 beschäftigte er sich ausschließlich mit nationalökonomischen Arbeiten in Berlin und Bonn, wo insbesondere Erwin Nasse auf ihn einwirkte. Er promovierte hier 1890 auch zum Dr. phil. mit einer Schrift: „Die Organisation der Handels- kammern.“ Im Jahre 1891 erhielt er einen ministeriellen Auftrag an der Technischen Hochschule in Aachen, volkswirtschaftliche Vorlesungen zu halten, gab aber schon nach einem Semester seine Lehrtätigkeit auf und folgte einem Rufe als Syndikus der Handelskammer für den Regierungs- bezirk Münster. Hier wurde er 1894 zum etatsmäßigen außerordentlichen Professor an der Akademie Münster i. W. ernannt. Im Frühjahr 1898 lehnte er von drei verschiedenen Berufungen die an die Technische Hoch- schule in Darmstadt und an die Universität Königsberg ab und nahm die nach Greifswald an, wo er im Herbst desselben Jahres zum Ordinarius ernannt wurde. Im Jahre 1900 folgte er einem Rufe nach Gießen als Nachfolger von E. Laspeyres. Hier ereilte ihn der Tod, nachdem er noch im Jahre 1912 zum Geh. Hofrat ernannt worden war, unerwartet am 26. Februar 1913 infolge eines Herzleidens. Er war mit Margarete Soetbeer, Tochter des bekannten Nationalökonomen Adolf Soetbeer in Göttingen ver- mählt und hinterließ zwei Töchter. Biermer veröffentlichte an selbständigen Schriften außer den schon genannten: Die preußische Staats- und Gemeindesteuerreform, Münster 1892. Die Abzahlungsgeschäfte und ihre gesetzliche Regelung, Münster 1893. Leitsätze zur Beurteilung der gegenwärtigen Währungssituation, Berlin 1896. Die Goldwährung, Münster 1896. Die neueste Entwickelung der britischen Arbeiterbewegung, Münster 1898. Die deutsche Handels- politik des 19. Jahrhunderts, Greifswald 1899. Fürst Bismarck als Volks- wirt, ebenda 1899. Der Streit um die russischen Finanzen und die neue Milliardenanleihe, Gießen 1906, 2 Auflagen. In Gießen gab er 1906—1912 in 2 Bänden die „Sammlung nationalökonomischer Aufsätze und Vorträge“ 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. heraus, die sämtlich von ihm selbst verfaßt sind (20 Hefte). Im Hand- wörterbuch der Staatswissenschaften und im Wörterbuch der Volkswirt- schaft hat er eine Reihe von Artikeln besonders über Streiks, Gewerk- vereine, Arbeitslohn und Arbeitszeit, Arbeiterschutz und Gewerbepolitik bearbeitet. Seine letzte Arbeit: Die finanzielle Mobilmachung, wurde nach seinem Tode von Liefmann herausgegeben (Gießen 1913). Biermer besaß einen klaren Blick für volkswirtschaftliche, nament- lich wirtschaftspolitische Probleme und wußte sie in sehr geschickter und ansprechender Form zur Darstellung zu bringen. Sein Interesse galt allen aktuellen Fragen der Wirtschaftspolitik; zur Abfassung größerer syste- matischer Arbeiten fehlte ihm aber die nötige Konzentrationsfähigkeit. Besonders hat ihn zeitlebens das Geld- und Kreditwesen beschäftigt, er war auch an der Gründung der Hessischen Landeshypothekenbank be- teiligt und dann in ihrem Aufsichtsrat tätig. Auch kommunale Probleme interessierten ihn, und er hat mehrere Jahre hindurch in Gießen als Stadt- verordneter gewirkt. Viele seiner Vorträge sind auch in den Mitteilungen des Mittelrheinischen Fabrikantenvereins erschienen, in dem er alljährlich einen Vortrag hielt. Biermer war im persönlichen Verkehr ein Mann von großer Liebenswürdigkeit und gewinnenden Umgangsformen, ein gewandter Redner und vorzüglicher akademischer Lehrer. Die Offenheit seines Wesens und ein gewisses Draufgängertum in der Verfolgung dessen, was er einmal für Recht erkannt hatte, machten ihm viele Feinde, so daß er sich in den letzten Jahren sowohl vom öffentlichen Leben als auch von wissenschaftlichen Veranstaltungen, Kongressen u. dgl. mehr zurückzog. Bekannt sind seine sich jahrelang hinziehenden Prozesse mit dem Ab- geordneten Köhler-Langsdorf und dem Sachverständigen des Bundes der Landwirte, Professor Ruhland, die aus Bestrebungen hervorgingen, in Gießen eine agrarische Professur zu errichten. Biermer hat auch eine aktenmäßige Darstellung dieser Prozesse veröffentlicht. . Prof. Dr. Liefmann. Georg von Caro, welcher am 22. September 1913 in Schloß Wilken- dorf bei Strausberg, Mark Brandenburg, im Alter von 65 Jahren ver- storben ist, gehörte der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur seit dem Jahre 1877 als wirkliches Mitglied an und hat den Bestrebungen der Gesellschaft stets ein reges Interesse bewiesen. — In Breslau am 6. Juni 1849 geboren, besuchte er bis Michaelis 1867 das Maria Magdalenen-Gymnasium. — Von Michaelis 1867 an bezog er die Universität Heidelberg. — Von Michaelis 1868 bis Michaelis 1869 studierte er in Breslau und diente gleichzeitig als Einjähriger im Leibkürassier-Regiment. — Michaelis 1869 ging er nach Berlin und Nekrologe. 7 machte, nachdem er von Juli 1870 bis April 1871 am Feldzug gegen Frankreich teilgenommen hatte, in Greifswald sein juristisches Doktor- examen. — Nach Ablauf des Krieges 1872 wurde er zum Leutnant der Reserve des Leibkürassier-Regiments befördert. — Nach absol- viertem Doktorexamen trat Georg von Caro, da inzwischen sein Vater, der Hüttenbesitzer Kommerzienrat Robert Caro, erkrankt war, in das väterliche Geschäft, die bereits von seinem Großvater im Jahre 1807 begründete Großeisenhandelsfirma M. J. Caro & Sohn, Breslau, ein. — Nach dem im Jahre 1875 erfolgten Ableben seines Vaters übernahm Georg von Caro die alleinige Leitung des damals in Breslau domizilierenden Eisengeschäftes der Firma M.J.Caro & Sohn, während er den ober- schlesischen industriellen Unternehmungen der Hinterlassenschaft seines Vaters, deren Führung sein jüngerer Bruder Oscar übernommen hatte, ein reges und einflußreiches Interesse bis zu seinem Lebensende zugewendet hatte. Georg von Caro erwarb in Gemeinschaft mit seinem Bruder Oscar das Hochofenwerk Julienhütte bei Beuthen, welches im Zusammenhang mit dem väterlicherseits ererbten Eisenhüttenwerk Herminenhütte bei Laband und einer in Gleiwitz gelegenen Draht- und Nägelfabrik im Jahre 1887 in Gemeinschaft mit den industriellen Werken des Kommerzien- rats Wilhelm Hegenscheidt, nämlich der Baildonhütte in Kattowitz und den Hegenscheidtschen Draht- und Nägelwerken in Gleiwitz zu der Ober- schlesischen Eisenindustrie Aktiengesellschaft für Bergbau und Hütten- betrieb zusammengeschlossen wurde. — Dieser Gesellschaft ebenso wie der von ihr ins Leben gerufenen Eisen- hütte Silesia Actiengesellschaft gehörte Georg von Caro von der Be- gründung der Unternehmungen an bis zu seinem Tode als Aufsichts- rat an. — In vornehmlichster Weise hat sich indessen Georg von Caro auf dem Gebiete des Eisenhandels betätigt und in Gemeinschaft mit Herrn Kom- merzienrat Leo Lustig, welcher seit dem Jahre 1904 als Sozius der Firma M.J.Caro & Sohn angehört, letzterer unter Angliederung einer großen Anzahl vornehmlich im Osten Deutschlands domizilierender Eisenhandels- firmen eine gewaltige Ausdehnung gegeben. — Von dem Prinzip geleitet, daß bei der umfangreichen Ausgestaltung der deutschen Montanindustrie nur ein in sich einiger, nicht aber ein sich gegenseitig befehdender Großhandel die ihm zufallende bedeutungs- - volle wirtschaftliche Aufgabe erfolgreich leisten könne, führte Georg von Caro in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern eine Organisations- arbeit durch, welche schließlich in der am 1. Januar 1910 erfolgten Schaffung der Deutschen Eisenhandels-Aktiengesellschaft Ausdruck fand. — 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die Deutsche Eisenhandels-Aktiengesellschaft umfaßt die eisen- geschäftlichen Unternehmungen der Firma M. J. Caro & Sohn, Berlin, der Firma Eduard Lindner, Breslau, und der Firma Jacob Raven&e & Söhne, Berlin, sowie über 40 deutsche Filialfirmen, wobei außerdem seitens der Deutschen Eisenhandels-Aktiengesellschaft ein umfangreicher Export deutscher Eisenfabrikate betrieben wird. — Die Deutsche Eisenhandels-Aktiengesellschaft arbeitet mit einem Kapital von 23 Millionen Mark bei 7!/, Millionen Mark Obligationen und verfügt über einen jährlichen Umsatz von über 120 Millionen Mark. — Die warme Teilnahme, welche seitens der Führer der deutschen Montanindustrie bei Georg von Caros Ableben in Erscheinung trat, be- weist, wie sehr die von dem Verstorbenen innerhalb des deutschen Eisen- handels geleistete Organisationsarbeit anerkannt wurde. — An staatlicher Anerkennung hat es dem Verstorbenen nicht gefehlt. — Ihm wurde in seiner Eigenschaft als Fideikommißbesitzer der in der Mark Brandenburg gelegenen Rittergüter Wilkendorf und Gielsdorf 1906 der erbliche Adel verliehen, und er wurde unter anderem im Jahre 1910 durch Verleihung des Kronenordens II. Klasse ausgezeichnet. — Im Umgang liebenswürdig, übte er eine reiche Wohitätigkeit und es wird dem Verstorbenen bei allen, die ihn gekannt und ihm nahestanden, ein ehrendes Andenken erhalten bleiben. — Kommerzienrat Leo Lustig. Julius Cohn wurde am 26. April 1854 in Breslau geboren als Sohn des Bankiers Moritz Cohn und dessen Frau Caroline, geb. Peierls. Er besuchte das Gymnasium zu St. Maria-Magdalena und trat 1873 als Lehrling in das Bankhaus Gebr. Guttentag, dessen Mitinhaber sein Vater war, ein. 1875 verließ er seine Vaterstadt, um nach kurzem Aufenthalt in Berlin seine Ausbildung in Dresden und Frankfurt a. M. zu vervoll- ständigen. Namentlich in der westdeutschen Handelsmetropole hat er vielfache Anregungen innerhalb und außerhalb seines Fachgebietes ge- funden. Im Jahre 1878 kehrte er nach Breslau zurück, wurde bald Prokurist im väterlichen Geschäft und 1893 Mitinhaber. Seit dem Tode seines Bruders Siegmar im Jahre 1901 hat er dann allein die Leitung der Breslauer Hauptniederlassung innegehabt, bis ihn am 21. Juli 1913 ein früher Tod nach kurzer Krankheit dahinraffte. Genau 40 Jahre hat der Verstorbene im kaufmännischen Berufe ge- standen, dem er in stets gleich bleibender Liebe und strenger Pflicht- erfüllung die Treue hielt. Mochte es sich um das Wohl der Firma handeln, mochten die vielseitigen Interessen der Kundschaft in Frage stehen, immer war er bemüht, seine spezielle, peinlich gewissenhafte Auffassung von Nekrologe. 9 der „Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns“ in die Tat umzusetzen. Auf diese Weise hat er in einer Zeit, die an sich der überkommenen Betriebs- form seines Erwerbszweiges feindlich oder mindestens mißtrauisch gegen- überstand, den ererbten Ruf des Hauses zu wahren und zu mehren gewußt. In nahem Zusammenhang mit seiner engeren Berufsarbeit stand sein Wirken als Mitglied des Aufsichtsrats bei einer Reihe angesehener in- dustrieller Unternehmungen Schlesiens. Dieses Feld seiner Tätigkeit war ihm beonders lieb wegen der mannigfachen Einblicke in das Getriebe des heimischen Wirtschaitslebens, welche sich ihm hier in bunter Fülle boten. Auch auf dem Gebiete des öffentlichen Lebens hat sich Julius Cohn betätigt, wenn er auch nach außen weniger hervorgetreten ist. Er war Mitglied der Zulassungsstelle für Wertpapiere an der Breslauer Börse, ferner Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses der Breslauer Bankier- vereinigung, auch gehörte er der Gemeindevertretung zu Klein Mochbern an. Endlich hat er künstlerischen und insbesondere sozialen Bestrebungen seine Förderung angedeihen lassen. Bei aller Anerkennung, die ihm zuteil wurde, — die ihren beredtesten Ausdruck freilich erst in den Kundgebungen der Teilnahme bei seinem Hinscheiden fand —, ist persönliche Zurückhaltung und Bescheidenheit vielleicht das hervorstechendste Kennzeichen des Verstorbenen gewesen. Am 25. Januar 1913 starb Herr Professor Dr. Alfons Dierschke, Leutnant a. D., Amts- und Gemeindevorsteher in Brockau, Privatdozent in der juristischen Fakultät der Breslauer Universität, seit 1909 wirkliches Mitglied der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur. Ungewöhnlich waren Lebensgang und Persönlichkeit. Geboren ist Dierschke am 28. Mai 1872 in Rogasen. Im Elternhause — der Vater war damals Kreisrichter — erhielt Dierschke seine Erziehung, seine Schulbildung auf den Gymnasien in Oppeln und Krotoschin. Er begann nach väterlichem Wunsch das juristische Studium, ging aber nach einem Semester zur Offizierslaufbahn über. 7!/, Jahre war er Offizier, zuerst in Glogau beim Inf.-Regt. 28, dann in Aachen beim 5. Westfäl. Inf.- Regt. Nr. 53, während dieser Zeit zur Kriegsakademie kommandiert. Wegen eines Asthmaleidens nahm er 1898 den Abschied. Er begann abermals, nun schon verheiratet und Vater eines Kindes, das juristische Studium, hörte Vorlesungen in Breslau und Berlin, bestand 1901 die Referendarprüfung und promovierte zum Dr. juris. Sein Streben ging zur Dozentenlaufbahn. Nach kurzer Tätigkeit im Gerichtsdienst, während- dem er über seine Zulassung als Privatdozent in Greifswald und Breslau verhandelte, wurde er besoldeter Amts- und Gemeindevorsteher im Bres- lauer Vorort Brockau. Seit 1907 gehörte er der juristischen Fakultät in 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Breslau an, 1911 erhielt er den Professorentitel. Das alte Asthmaleiden, das sich zuletzt als schwere Herzkrankheit erwies, brachte ihm am 25. Januar 1913 den Tod. Zähe Willenskraft und glänzende Vielseitigkeit bezeichnen Dierschkes Lebensgang und Persönlichkeit, besonders im beruflichen Wirken. Als er nach Brockau gewählt wurde, war ihm Gemeindeverwaltung, wie überhaupt das Verwaltungsrecht, völlig fremd. Wichtige Aufgaben drängten auf ihre Lösung: die Grundwasserversorgung und Kanalisation des Ortes, der Straßenausbau mußten bald erledigt, Bebauungsgrundsätze aufgestellt werden. Denn Brockau war damals ein Großstadtvorort un- angenehmster Art: neben den alten bäuerlichen Besitzungen in dörflicher Bauart standen fünfstöckige unschöne Mietskasernen in engen, schmuck- losen Straßen, überall klafften Häuserlücken mit kahlen Brandgiebeln. Und wie das Äußere, so die Bewohner: unverträglich nebeneinander die alten Bauern, die zahlreichen zugezogenen Eisenbahnbeamten und -Arbeiter, eine kleine Gruppe nur dem Geldvorteil bedachter Häuser- spekulanten. Dierschke mußte versöhnen, das alte Ortsbild mit dem neuen, die feindlichen Einwohnergruppen. Er legte den Grund zur Ver- schönerung des Ortes, indem er schon frühzeitig abgestufte Bauzonen — die gegenwärtig allgemeine Forderung unserer Städtebauer — verordnete und so den Übergang von den Mietskasernen zur alten Dorflage und zu den neuen Wohnvierteln anbahnte, er brachte es fertig, eine große Villen- kolonie in dem als verräuchert verschrieenen Eisenbahnvorort erstehen zu lassen, größere Grünanlagen ohne Grunderwerbskosten zu schaffen, und sicherte dieses Neue, wie den alten Dorfteil und die Umgebung des unter ihm erbauten Rathauses vor Verunstaltung durch ein Ortsstatut. Mit der allmählich fortschreitenden Verschönerung des Ortes zog auch ein einheitliches Heimatsgefühl in die drei bisher feindlichen Einwohner- gruppen ein, für Dierschke ein um so größerer Erfolg, als die nahe Er- reichbarkeit der Großstadt einem starken eigenen Heimatgefühl der Brockauer sehr entgegenwirkte. Der Bau zweier schöner Kirchen und die hierbei geradezu vorbildliche städtebauliche Verwendung des geringen, der Gemeinde überhaupt gehörigen Grundbesitzes waren des Städtebauers Dierschke letztes Werk. Von seinen anderen Plänen und Erfolgen für sein Brockau seien nur genannt: die Erwirkung der zahlreichen Vororts- züge von und nach Breslau, die Einführung der Fortbildungsschule und einer Mittelschule mit Oberklassen — ein finanziell und verwaltungs- technisch besonders interessanter Versuch der- Zusammenarbeit von Ge- meinde und Privaten — der Bau einer gleislosen elektrischen Bahn Breslau—Brockau, die Einführung der Elektrizität, der Plan einer Klein- hauskolonie für Arbeiter. Nekrologe. 11 Aber Dierschkes regem Geist war die Betätigung in der einen Ge- meinde nicht genug. Er erkannte, daß die besonderen Bedürfnisse der Großstadtvororte auch ihre eigene Vertretüng im Öffentlichen Leben er- heischten und dab diese Vertretung wirksam gegenüber den Großstädten und der Staatsverwaltung und -Gesetzgebung nur werden konnte durch den Zusammenschluß möglichst aller Großstadtvororte. So brachte er zunächst eine lose Vereinigung weniger Vororte im Östen und Westen zustande. Der später festere „Verband preußisch-deutscher Vororte‘“ wuchs rasch und gewann Einfluß. Dierschke war die Seele des Ver- bandes und weit darüber hinaus begehrte Auskunftstelle in allen Vororts- fragen. Neben dieser reichen Tätigkeit in der Verwaltungspraxis war Dierschke vielfältig literarisch tätig. Seine Doktordissertation betraf „Die Verlegung von Sachen nach dem BGB.“, eine weitere Schrift (1907) be- handelte „ortsstatutarische Bauverbote“. Über Vorortsverwaltung, die Verwaltungsreform in Preußen, über Patronatsrecht hat Dierschke größere Abhandlungen, über die verschiedensten Tagesfragen kleinere Beiträge veröffentlicht, hauptsächlich im Preußischen Verwaltungsblatt, dem Kom- munalarchiv, der Kautzschen Zeitschrift für Polizeibeamte und der Schlesischen Zeitung. Als Hochschullehrer war es sein Bestreben, dem Verwaltungsrecht auch im Unterricht der Universität die Stellung zu verschaffen, die diesem Rechtszweig nach seiner Bedeutung fürs Leben gebührt. Deshalb schloß er an die theoretischen Vorlesungen praktische Übungen an mit Be- sichtigungen von Verwaltungseinrichtungen aller Art. All seine glänzen- den Gaben, den umfassenden Scharfblick, spiegelten seine Vorlesungen wieder, sie waren, obwohl freiwillige, besonders beliebt und besucht, und nicht bloß von Studierenden. So kam es, daß der Breslauer Regierungspräsident alljährlich Dierschke an der Ausbildung der Regierungsreferendare beteiligte. So sammelten sich um ihn alljährlich Assessoren, Referendare und Verwaltungs- anwärter, die teils ihren Bildungskreis für den Richter- und Staats- verwaltungsdienst erweitern wollten, teils sich zum Kommunaldienst vor- bereiteten. Eine Anzahl Bürgermeister kleinerer Städte, sowie der Unter- zeichnete danken Dierschke die Einführung in die kommunale Tätigkeit. Solch vielseitiges Wirken konnte auch in weiteren Kreisen nicht unbemerkt bleiben. Die Leitung der Kommunalakademie Düsseldorf war ihm 1912 angetragen worden, er lehnte ab. Noch auf dem Sterbebette traf ihn die Aufforderung, als ordentlicher Professor an die Handelshochschule in Köln und gleichzeitig an die dortige Kommunalhochschule zu kommen. 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Das Bild von Dierschkes Persönlichkeit wird vollkommen durch das rein Menschliche. Wie er seine Krankheit und sein Sterben trug, in tiefer Religiosität und Pflichttreue aushaltend, wie er allzeit ein liebevoller Gatte und Vater, ein heiterer, geistreicher Gesellschafter, ein stets bereiter Freund war, das macht ihn allen tief verehrungswert, die ihm nahe stehen durften. Oppeln, Januar 1914. Stadtrat Werner, Oppeln. In den Morgenstunden des 28. Januar 1913 verschied in Breslau der Direktor der Kgl. Sternwarte und ordentliche Professor der Astro- nomie Dr. Julius H, G. Franz. Er wurde geboren am 28. Juni 1847 in Rummelsburg (Pommern), wo sein Vater als praktischer Arzt und Kreisphysikus tätig war. Bis zu seinem zwölften Jahre besuchte er die Schule in Neustettin und dann das Gymnasium in Köslin, welches er im Jahre 1867 mit dem Zeugnis der Reife verließ. Auf der Universität Greifswald, wohin er sich zuerst wandte, be- gann er seine Studien in Mathematik und Naturwissenschaften; er ging dann nach Halle und von da nach Berlin, wo er sich unter Leitung von Königsberger, Kummer und Weierstrass fast ausschließlich mit reiner Mathematik beschäftigte. Nach einer kurzen Tätigkeit als Hilfslehrer am Wilhelmssymnasium in Berlin 1873 wandte er sich, durch Vor- lesungen und auch durch persönlichen Verkehr mit Tietjen angeregt, der Astronomie zu. Er beschäftigte sich zunächst mit theoretischer Astro- nomie, entfaltete aber im nächsten Jahre auch eine ersprießliche Tätig- keit als Beobachter unter Leitung von Förster. 1874 ging er als Assi- stent an die Sternwarte in Neuchätel, wo ihm hauptsächlich der Zeit- dienst oblag. Dort blieb er zwei Jahre und ging dann als Observator nach Königsberg. 1882 wurde ihm die Leitung der Expedition über- tragen, welche das Deutsche Reich zur Beobachtung des Venusdurch- ganges nach Aiken in Süd-Carolina ausrüstete. Seine Beobachtungen dort sind niedergelegt in dem großen Werk der Bearbeitung der Venus- durchgänge von Auwers. 1889 wurde Franz Privatdozent in Königsberg und wurde 1892 zum außerordentlichen Professor ernannt. 1897 be- kam er einen Ruf als ordentlicher Professor nach Breslau, wo er als Galles Nachfolger Direktor der Sternwarte wurde. Seine ersten Arbeiten behandelten noch das Gebiet der reinen Mathematik und der Mechanik, später wandte er sich neben seiner um- fassenden Lehrtätigkeit fast ausschließlich der Astronomie und besonders Nekreologe. 13 der Mondforschung zu, und zwar sowohl theoretisch als auch praktisch. Die astronomischen Nachrichten geben von Band 86 an fast ununter- brochen Kunde von seiner erfolgreichen Arbeit. Nach seinen klassischen Untersuchungen der Libration des Mondes, zu denen Bessel und andere Astronomen der Königsberger Sternwarte den Grund gelegt hatten, be- gann er durch jahrelang ausgedehnte Beobachtung der Oberfläche des Mondes diesen von der Astronomie bisher stark vernachlässigten Himmels- körper aufs genaueste zu erforschen. Er bestimmte den Ort des kleinen Kraters Mösting A aus den zahlreichen Beobachtungen, die Schlüter am Heliometer angestellt hatte, und zeigte dann, daß nach genauer Be- stimmung des Ortes dieses Objektes die Mondbeobachtungen an Schärfe ganz wesentlich zunehmen, wenn an Stelle der bisherigen Randbeobach- tungen nun Beobachtungen von Mösting A träten, da dieses Objekt von nur -6“ Durchmesser die Einstellung im Fernrohr fast in derselben Schärfe gestattet wie ein Fixstern. Nach weiteren Untersuchungen über die Figur des Mondes, durch die er nachwies, daß die vermutete Verlängerung dieses Himmels- körpers nach der Erde zu nur äußerst gering sein könne, ging Franz an sein Hauptwerk, die Topographie des Mondes. Dieser Arbeit legte er neben Beobachtungen am Fernrohr zahlreiche Original-Negative der Sternwarten Paris, Lick, Bonn und Potsdam zugrunde. Nachdem er außer dem oben genannten noch 8 Krater, je 2 in den vier Quadranten des Mondes durch Heliometer-Anschluß an Mösting A möglichst genau bestimmt hatte, erweiterte er die Anzahl dieser Fundamentalkrater zu- nächst in Band I der Mitteilungen der Breslauer Sternwarte um 141 neue, die möglichst gleichmäßig auf der Mondoberfläche verteilt sind. So hatte er stets eine größere Anzahl gut bestimmter Objekte zur Verfügung bei der Erforschung der oft nur schmalen Mondsicheln. Die Verwertung der Negative wurde mit einem Repsoldschen Koordinaten-Ausmesser durchgeführt, der von der Kgl. Akademie in Berlin zur Verfügung ge- stellt wurde. Es wurden ausschließlich rechtwinklige Koordinaten ge- messen, obwohl das Instrument auch die Messung von Polarkoordinaten gestattete. In Anerkennung seiner erfolgreichen Mondforschung wurde Franz zum Associate der Royal Astronomical Society in London und zum Mitglied der internationalen Kommission für die Nomenklatur des Mondes gewählt, die außer ihm noch aus Loewy, Newcomb, Saunder, sowie Turner, Puiseux, W. Pickering und Weiss bestand. Leider sind auch die ersten drei genannten Astronomen bereits verstorben. Während Saunder die mittleren Gegenden des Mondes für die Beobachtung und Reduktion übernommen hatte, hatte sich Franz die 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Randlandschaften des Mondes gewählt, die wesentlich schwieriger zu be- obachten sind, da diese immer nur bei günstiger Libration mit Vorteil auszumessen sind. Kurz vor seinem Tode hatte er die Genugtuung, seine Arbeit fast bis zum Ende zu führen; sie liegt jetzt vor unter dem Titel: Die Rand- landschaften des Mondes, Halle 1913. Diese Arbeit enthält mehr als 1300 Objekte, meist Krater, die zum weitaus größten Teil auf 2 und auch mehr Platten vermessen sind. Auch hatte Franz in seinen letzten Jahren eine Durchmusterung der Randpartien des Mondes angefangen, die wiederum mehr als tausend Objekte umfaßt, und die möglichst alle nur einigermaßen deutlich wahrnehmbaren Krater und Meeresteile ent- halten sollte. Diese Durchmusterung ist zwar noch nicht vollständig fertig; sie wird aber, da die Hauptarbeit bereits getan ist, von der Bres- lauer Sternwarte im Sinne von Franz zu Ende geführt werden. Auch als Lehrer war Franz außerordentlich erfolgreich, wie die große Anzahl seiner jetzt als Astronomen tätigen Schüler beweist. In seinem Beruf war er stets unermüdlich. Wenn er allein oder mit seinen Schülern arbeitete, kannte er, sehr oft zum großen Leidwesen seiner trefflichen Gattin, die ihm 4 Kinder schenkte, keine Zeit und ließ sich weder durch Mahlzeiten, noch durch vorgerückte Nachtstunde ablenken, das zu Ende zu führen, was er sich vorgenommen hatte. Dabei war er im persönlichen Verkehr immer von herzgewinnender Freundlichkeit, auch besonders allen Studenten gegenüber, die mit Eifer ihren Studien oblagen; allerdings war er auch imstande, sich mit er- quickender Gradheit und Offenheit zu äußern, wenn er sich obstinater Gleichgültigkeit gegenübergestellt sah. Von seiner unermüdlichen Tätig- keit ruhte er auch nicht aus, als in seinen letzten Wochen der Arzt ihm strenge jede Arbeit verbot. Da er durch seine zunehmende Krank- heit verhindert war, seine Wohnung zu verlassen, ließ er sich sein Lieb- lings-Instrument, den Ausmesser, in seine Wohnung schaffen und arbeitete an ihm fast bis zu seinem Ende. Sein Wissen war auch auf ferner liegenden Gebieten der Natur- kunde bedeutend. Besonders interessierte er sich für Zoologie und Botanik, und bei Spaziergängen mit Studierenden setzte er diese oft durch seine ins einzelne gehende Kenntnis von Tieren und Pflanzen in Erstaunen. Alles Kleinliche war ihm fremd und er ließ sich auch sein stets heiteres Wesen nicht durch das beständige Fehlschlagen seiner Hoffnung auf Erneuerung der Breslauer Sternwarte verbittern. Seine Freunde, Mitarbeiter und Schüler werden sein Andenken immer in hohen Ehren halten. G. Rechenberse. Nekrologe. 15 Am 6. September d. Js. verschied in Breslau nach einem arbeitsreichen und verdienstvollen Leben der Königliche Oberbergamtsmarkscheider a. D. Carl Gaebler im Alter von fast 75 Jahren, in allen bergbaulichen und geologischen Kreisen bekannt durch seine Forschungen und literarischen Arbeiten über das oberschlesische Steinkohlenbecken. Gaebler war im Jahre 1838 als Sohn eines Militärarztes in Neiße geboren, woselbst er im Alter von 18 Jahren das Abiturientenexamen ablegte. Er wandte sich zunächst dem höheren Staatsbergfach zu und wurde vom Oberbergamt in Breslau dem Bergamt in Tarnowitz über- wiesen, das ihn auf dem Steinkohlenbergwerk König zur Erlernung der praktischen bergmännischen Handarbeiten anlegte. Da er aber körperlich der anstrengenden Grubenarbeit noch nicht gewachsen war und sich die Aussichten in der Staatsbeamtenlaufbahn überdies als recht schlecht er- wiesen, ging er zum Markscheiderfach über. Im Frühjahr 1860 bestand er zunächst die Feldmesserprüfung vor der Königlichen Regierung in Oppeln und zwei Jahre später vor dem Oberbergamt in Breslau die Mark- scheiderprüfung mit dem Prädikat „gut“. Inzwischen hatte er auch seiner Militärpflicht als Einjährig-Freiwilliger bei dem Infanterie-Regiment Nr. 22 in Neiße genügt. Nach dem Examen beteiligte er sich vorerst in Ermangelung mark- scheiderischer Beschäftigung an den Grundsteuerregulierungsarbeiten in Beuthen O.-S., erhielt aber bald einen markscheiderischen Wirkungskreis auf den Bergwerken des Grafen Ballestrem und der Oberschlesischen Eisenbahn-Bedarfs-Aktien-Gesellschaft. Seinen Wohnsitz nahm er in Tarnowitz. Am Kriege gegen Österreich im Jahre 1866 nahm er als Vize- Feldwebel bei dem 63. Infanterie-Regiment teil; zum Offizier befördert, kehrte er nach Tarnowitz zurück. Nach einigen arbeitsreichen Jahren war ihm der Wunsch seiner Auftraggeber nahegelegt worden, seinen Wohn- sitz nach Myslowitz zu verlegen. Mitten in den Umzugsarbeiten traf ihn die Einberufung zum Kriege gegen Frankreich. Dem Infanterie-Regiment Nr. 94 zugeteilt, zog er mit Begeisterung abermals ins Feld und dieselbe Begeisterung erfüllte ihn jedesmal und strahlte aus seinen Augen, wenn er an die glorreichen Waffentaten, an denen er regen Anteil genommen hatte, im späteren Leben erinnert wurde. Nicht lange vor seinem Tode noch erzählte er auf die Frage, warum er keinen Trauring trage, daß er ihn auf dem Schlachtfeld von Sedan verloren habe, wo er von seinen durch die Anstrengungen der gewaltigen Märsche abgemagerten Fingern geglitten sei. In der dreitägigen Schlacht von Orleans vom 2. bis 4. De- zember wurde er leicht verwundet; am 12. Januar 1871 erlitt er vor Le Mans eine schwere Verwundung, die ihn zum Militärinvaliden machte und, mit dem Eisernen Kreuze geschmückt, dem sich später noch das 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ritterkreuz I. Klasse des Großherzoglich Sächsischen Ordens vom weißen Falken mit Schwertern hinzugesellte, zur Rückkehr nach Myslowitz zwang. Hier blieb er noch 9 Jahre, geehrt von seinen Mitbürgern, die ihm die Ämter eines Magistratsmitgliedes und eines Lokalschulinspektors über- trugen. Im Jahre 1880 nach Kattowitz verzogen, gab er nach weiteren acht Jahren seine Stellung bei der Gräflich Ballestremschen Verwaltung auf, weil sein durch die Feldzüge und die Verwundungen geschwächter Körper die Anstrengungen des Grubendienstes nicht mehr vertrug. Von nun an widmete er sich hauptsächlich der geognostischen Erforschung seines heimatlichen Bergbaugebietes. Er begann oder setzte vielmehr in um- fassenderer Weise wie bisher seine Sammeltätigkeit über die Lagerungs- verhältnisse des oberschlesischen Steinkohlenbeckens fort und dehnte sein Wirken auch auf die russischen und österreichischen Anteile aus. Wo er nur einen Aufschluß erlangen konnte, fügte er ihn seiner Sammlung bei, die er in Aufsätzen und Karten weiter verarbeitete. Ende 1892 als Oberbergamtsmarkscheider an das Oberbergamt in Breslau berufen, fand er hier ein ergiebiges Feld und eine reiche Be- friedigung seines Forschertriebes.. In dem südlichen Beckenteil Ober- schlesiens hatte der Fiskus eine rege Bohrtätigkeit für Mutungszwecke entfaltet, die ein großartiges Material zur Erkennung der Lagerungs- verhältnisse lieferte. Gaebler benützte dieses Material für weitere literarische Arbeiten, Flözprojektionen u. dgl. und, als er am 1. Januar 1900 aus dem Staatsdienst schied, war soviel erreicht, daß die nunmehr in intensiver Weise beginnenden Arbeiten an den oberschlesischen Flöz- kartenwerken des ÖOberbergamtes auf eine ausreichende Kenntnis der Lagerungsverhältnisse im Gesamtbecken aufgebaut werden konnten. Auch im Ruhestande setzte Gaebler seine Forschungen fort und teilte deren Ergebnisse den interessierenden Kreisen in den Fach- zeitschriften mit. Sein letztes und Hauptwerk erschien im Jahre 1909 unter dem Titel: „Das oberschlesische Steinkohlenbecken“; es stellt eine Zusammenfassung seiner Einzelabhandlungen dar, ein Testament, wie er es zu bezeichnen pflegte. Manche Anfeindung ist ihm zuteil geworden, aber auch große Wert- schätzung hat er gefunden. Die von der offiziellen geologischen Welt anerkannte Stratigraphie des Oberschlesischen Steinkohlenbeckens ist das in fleißiger Arbeit errungene Resultat seiner Forschungen. Viele Ge- sellschaften haben ihn mit Gutachten betraut. Der Rote Adlerorden IV. Klasse und der Kronenorden III. Klasse fügten sich als Zeichen obrigkeitlicher Anerkennung den vielen für Kriegsverdienste erlangten Auszeichnungen bei. Seine literarischen Arbeiten aber werden auch über Nekrologe. 17 den Tod hinaus seinen Namen lebend erhalten und ihm ein Denkmal sein — aere perennius. Es war Gaebler nicht vergönnt, in seiner Ausbildungszeit eine Hochschule zu besuchen; um so mehr sind seine Leistungen als Forscher anzuerkennen. Sie zeigen, daß der Markscheider auch auf geologischem Gebiete berufen ist, dem Bergbau sehr wertvolle Dienste zu leisten. Wir Fachgenossen sind stolz auf den Verewigten und werden ihm ein dank- bares Gedenken bewahren. 13. 14. Wissenschaftliche Arbeiten Gaeblers. . Welchen Kohlenreichtum besitzt Oberschlesien im Liegenden der Sattelflöze? (Zeitschrift des Oberschles. B.- u. H.-Ver. 1891.) . Über die Schichtenverjüngung im oberschlesischen Steinkohlen- gebirge. 1892. . Über das Vorkommen von Kohleneisenstein in oberschlesischen Stein- _ kohlenflözen. (Zeitschr. für Berg-, Hütten- u. Salinenwesen 1894, Bd. XLI.) . Zur Frage der Schichtenidentifizierung usw. (G. Siwinna, Kattowitz.) . Die Sattelflöze und die hangenden Schichten auf der nördlichen Er- hebungsfalte des oberschlesischen Steinkohlenbeckens. (Zeitschr. für Berg-, Hütten- u. Salinenwesen 1896, Bd. XLIV.) . Nachtrag zu dieser Abhandlung. (Z. f. B.-, H.- u. S.-W., Berlin 1898, Bd. XLVL.) . Das oberschlesische Steinkohlenbecken und die Verjüngungsverhält- nisse seiner Schichten. (Zeitschr. f. prakt. Geologie von M. Krah- mann, 1896, Dezemberheft.) . Die Oberfläche des oberschlesischen Steinkohlengebirges. (Zeitschr. f. prakt. Geologie von M. Krahmann, 1897, Dezemberheft.) . Die Hauptstörung des oberschlesischen Steinkohlenbeckens. („Glück- auf“ Essen, Heft 22, 1899.) . Die Schatzlarer Schichten des oberschlesischen Steinkohlenbeckens. (Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinenwesen 1900.) . Neues aus dem oberschlesischen Steinkohlenbecken. (Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinenwesen 1903, Bd. 51, Berlin.) . Die Karwiner (Schatzlarer) Schichten D. Stur’s. („Glückauf“ Essen, Jahrg. 1904, Heft 40.) Die Orlauer Störung im oberschlesischen Steinkohlenbecken. („Glück- auf“ 1907, Nr. 42.) Das oberschlesische Steinkohlenbeeken. Monographie (300 8.) mit 4 Tafeln und 2 Anlagen. (Verlag Gebr. Böhm, Kattowitz.) Orban. 1913. 3 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Am 24. April 1913 verstarb nach kurzem schwerem Leiden das Mit- glied unserer Gesellschaft, der Senatspräsident bei dem Oberlandesgericht, Johannnes Heidermanns, Nur wenig über zwei Jahre amtlichen Wirkens in Breslau waren ihm beschieden. Er entstammte der Rheinprovinz; am 24. Februar 1856 war er in Roedingen, Kreis Jülich, geboren. Nach seiner Vorbildung auf dem Gymnasium in Neuß studierte er 1875 bis 1878 in Leipzig, Bonn und Tübingen und wurde nach bestandener Prüfung am 24. Dezember 1878 als Referendar verpflichtet. Am 7. Juli 1889 bestand er die zweite juristische Prüfung. Nach einigen Jahren der Beschäftigung als Assessor, während denen er sich das eigene Heim gründete, wurde er am 16. Fe- bruar 1887 zum Amtsrichter in St. Wendel ernannt und von dort am 1. Juli 1892 nach Düsseldorf versetzt, wo er nahezu zehn Jahre verblieb. Seit dem 1. Juli 1897 führte er bei dem großen Amtsgericht in Düsseldorf die Dienstgeschäfte mit einer Umsicht und Tatkraft, die seine Begabung zur Verwaltung auf das glänzendste hervortreten ließ. Seit 1. Juni 1902 war er Landgerichtsdirektor in Saarbrücken, seit dem 1. Februar 1911 Senatspräsident bei dem Oberlandesgericht in Breslau. Heidermanns verband in glücklichster Weise die freie großzügige Auf- fassung und Handhabung des Rechts, wie sie den Richtern französisch- rechtlicher Schule eigen war, mit gründlicher juristischer Bildung. Voller Interesse für alle Probleme der modernen Rechtsentwickelung hat er auch an den Sitzungen der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Sektion unserer Gesellschaft häufigen und regen Anteil genommen. Seine große Liebens- würdigkeit und die frische, vorurteilslose Art, mit der er Menschen und Dingen begegnete, hatten den Sohn des Rheinlands rasch in Schlesien heimisch werden lassen. Die Hoffnung, ihn lange unter uns wirken zu sehen, ist leider jäh zerstört worden; aber auch die kurze Zeit seiner hiesigen Tätigkeit hat ihm ein Andenken in unseren Kreisen gesichert. Dr. Vierhaus. Sanitätsrat Dr. Max Heilborn ist am 23. August 1845 als Sohn eines angesehenen Kaufmannes in Ratibor geboren. Er genoß die Elementar- und Gymnasialbildung an den Schulen seiner Heimatstadt und verließ dieselbe, nachdem er im Jahre 1864 das Zeugnis der Reife erlangt hatte, um sich zum Studium der Medizin nach Berlin zu begeben. Mit Unterbrechung eines Semesters, während dessen er in Leipzig Vorlesungen hörte, verblieb er während der ganzen Studienzeit in Berlin. Dort legte er auch sein Staatsexamen ab und wurde am 8. August 1868 auf Grund einer Dissertation „Über 37 im pathologischen Institut zu Berlin in der Zeit von 1859 bis zum 1. August 1868 vorgekommene Fälle von Krebs der Harnblase‘ zum Doktor der Medizin promoviert. Nekrologe. 19 Hierauf ließ er sich in Beuthen OS. als praktischer Arzt nieder, wo er sich bald großer Beliebtheit erfreute und eine namhafte Praxis gewann. Am 21. September 1875 vermählte er sich mit der Tochter des Kohlenwerks- und Hüttenbesitzers S. Hammer in Kattowitz. In demselben Jahre begab er sich zum Zwecke weiterer Ausbildung, insbesondere behufs Erlangung spezialistischer Kenntnisse über Hautkrankheiten nach Wien und hörte Vorlesungen und Kurse bei Hebra und Kaposi. Da die allgemein ärztliche Tätigkeit in Beuthen ihm nicht volle Genüge geboten hatte, verlegte Heilborn im Jahre 1875 seinen Wohnsitz nach Breslau, um daselbst neben der allgemeinen Praxis auch mit spezialistischer Tätigkeit in Hautkrankheiten sich zu befassen. Sein tadel- loser Charakter, sein liebenswürdiges, ruhiges Wesen, seine unermüdlich treue Hingabe an seine Pflichten, sein ‚Wissen und seine Erfahrung machten ihn zu einem sehr geschätzten Arzt. In seiner jahrelangen Tätig- keit als städtischer Armenarzt und als Kassenarzt zeigte er sich vom Geiste edelster Menschenliebe beseelt und gewann dankbare Verehrung. Seine im Jahre 1909 erfolgte Ernennung zum Sanitätsrat wurde daher allgemein als wohlerworbene Anerkennung wirklicher Verdienste aufgenommen. Für alle ärztlichen Standes- und Vereinsinteressen zeigte Heilborn lebhafteste Teilnahme. Er war ein eifriger Besucher der Sitzungen der medizinischen Sektion der vaterländischen Gesellschaft, in welcher er am 29. Juni 1877 einen mit vielem Interesse aufgenommenen Vortrag „Über experimentelle Beiträge zur Wirkung subkutaner Sublimat-In- jektionen“ hielt. Mit lebhaftem Interesse verfolgte er besonders alle Forschungen im Gebiete der Bakteriologie und der Hautkrankheiten und war Mitglied der schlesischen dermatologischen Gesellschaft in Breslau. Im Sommer 1913 wurde Heilborn von einer schweren Appendieitis befallen und mußte sich einer Operation unterziehen. Kaum hatte er die Folgen derselben überwunden und die alte Arbeitskraft wieder- gewonnen, als ihn ein schwerer Unfall betraf. Am Abend des 1. No- vember 1913 wurde er beim Passieren einer Straße von der Straßenbahn erfaßt und weggeschleudert und trug schwere Verletzungen davon, denen er am 3. November 1913 erlag. Mit ihm ist einer der selbstlosesten und opferwilligsten Menschen aus dem Leben geschieden, welcher nur für seine Familie und für seinen Beruf lebte, seinen Stand hoch hielt und der aufrichtigen Wertschätzung seiner Kollegen sich erfreute. Dr. Steinschneider. 9* 30 Jahresbericht der Schies. Gesellschaft für vaterl. Cultur. — Am 28. Dezember verschied plötzlich an einem Herzschlage der Sanitätsrat Dr. Adalbert Heimann in Breslau. Geboren am 20. Februar 1847 zu Bernstadt i. Schl. als Sohn des dortigen Sanitätsrates Dr. Heimann, mußte er frühzeitig das Elternhaus verlassen, um in Breslau auf dem Magdalenen-Gymnasium seine Bildung zu erhalten. Im Jahre 1866 kam er zur Universität und studierte in Breslau und Würzburg, wo er, als 1870 der Krieg auch die jungen Kollegen zur Hilfe rief, im 8. Semester ein Notexamen machte, um der Division Kummer zugeteilt zu werden. Als Assistenzarzt machte er den Krieg von Anfang bis zum Ende mit, hat in den Schlachten um Belfort und an der Lizaine gegen Bourbacki mitgewirkt und ist dann nach Beendigung des Krieges zum Doktor promoviert. Nach kurzer Tätigkeit als Militärarzt in Tegel ließ er sich zuerst in Bernstadt nieder, um dem bejahrten Vater in seiner umfangreichen Praxis zur Seite zu stehen. Im Jahre 1876 über- siedelte er nach Breslau, wo er in unermüdlicher und segensreicher Tätig- keit bis zu seinem Tode wirkte. Er war der Hausarzt vom alten Schlage, nicht nur der ärztliche Berater, sondern auch der treu sorgende um- sichtige Freund der seiner Fürsorge anvertrauten Familien. Eine be- sonders aufopfernde Tätigkeit entfaltete er in seiner Stellung als Kassen- arzt der Freiburger Bahn, die er länger als ein Menschenalter hindurch unter großer Liebe der Arbeiterschaft und unter vollster Anerkennung seitens der Königlichen Verwaltung innehatte. Seine große Herzensgüte und liebenswürdige Hilfsbereitschaft, auch im außerberuflichen Leben hat ihm allseitige Sympathien gewonnen. Ob- gleich schon vor einigen Jahren ein leichter vorübergehender Schlaganfall das erste Zeichen "beginnender Gefäßveränderungen war, legte er sich keine Schonung auf und arbeitete weiter, bis eine plötzlich einsetzende Thrombose der Coronararterie seinem Leben ein Ziel setzte. Sanitätsrat Dr. Rosenstein. Mit aufrichtiger Trauer sahen wir am 20. Mai unseres Berichtsjahres in dem Geheimen Sanitätsrate Dr. Adolf Neisser, früher in Liegnitz, ein langjähriges, hochgeschätztes Mitglied unserer Gesellschaft dahin- scheiden. An der äußersten Grenze der Lebensskala angelangt, verstarb er im 88. Jahre in Berlin, wo er von einer 43 jährigen umfangreichen ärzt- lichen Tätigkeit in Liegnitz ausruhte, bis zuletzt noch ungewöhnlich lebens- frisch und lebensfreudig, erfüllt mit den Idealen des wahren Arztes und getragen von der Hochachtung aller. Geboren am 4. November 1825 in Schweidnitz, studierte er in Breslau und erwarb dort im Jahre 1849 mit seiner Dissertation ‚„‚De Cholera morbo“ die medizinische Doktorwürde, der 1850 ebendort die ärztliche Staats- prüfung folgte. Noch in demselben Jahre ließ er sich in Liegnitz nieder Nekrologe. 91 und gewann schnell das Vertrauen aller Bevölkerungskreise. Noch heute rühmt man dort seine Aufopferung und Selbstlosigkeit, die keinen Unter- schied der Person kannte, und seine ärztlichen Erfolge. Sehr bald widmete er sich auch eifrig den städtischen Angelegenheiten und war Jahrzehnte lang ein hervorragendes Mitglied der Stadtverordneten- Versammlung. Die hygienischen Einrichtungen der Stadt erfreuten sich unter seiner Mitwirkung einer wesentlichen Förderung. Namentlich erhielt Liegnitz damals schon eine zentrale Wasserversorgung und eine Voll- kanalisation. Auf die ärztlichen Verhältnisse hatte Neisser andauernd einen führenden, einigenden, die ethischen Gesichtspunkte der ärztlichen Tätig- keit besonders betonenden Einfluß. Es war sein Verdienst, daß das ärzt- liche Vereinswesen in Liegnitz schon in frühen Jahren die besten Erfolge erzielte. Während des französischen Krieges leitete er ein Reservelazarett in Liegnitz. Im Jahre 1878 erhielt der Verstorbene den Sanitätsratstitel, und sein 80.. Geburtstag bıachte ihm die Ernennung zum Geheimen Sanitätsrat. Seine stattliche, liebenswürdige und feinsinnige Gattin ging ihm leider schon vor einer Reihe von Jahren voran. Sie hat es in hohem Grade verstanden, den eigenartigen Pflichten einer Arztfrau zu genügen und ihr Haus der bevorzugten Stellung ihres Gatten anzupassen. Der Ehe entsprossen zwei Kinder. Mit und neben dem Heimgegangenen entstand aber allmählich die in der medizinischen Wissenschaft so hochbedeutende und erfolgreiche Gens Neisser, deren Mitglieder sämtlich in nächsten Verwandtschaftsverhält- nissen mit dem Verstorbenen stehen. Auch sein Sohn, Spezialarzt für Haut- und Geschlechtskranke in Beuthen OS., ist der Familientradition rühmlichst gefolgt. Leider war es dem Vater nicht vergönnt, sich der drei Monate nach seinem Tode erfolgten Ernennung des Sohnes zum Sanitätsrat zu erfreuen. Die Tochter ist an einen Justizrat in Berlin verheiratet. Wenn der Lebensgang Neissers auch nicht mit größeren, für die Öffentlichkeit bemerkbaren Ereignissen erfüllt war, so ist mit ihm doch ein Mann von hervorragenden Eigenschaften dahingegangen, der nach der Art des pflichttreuen, uneigennützigen Arztes im stillen allen denen, die seiner Hilfe bedurften, stets freudig genuggetan und sich bei ihnen ein Denkmal gesetzt hat — aere perennius. Geh. Medizinalrat Dr. La Roche. Am 15. Juni 1913 starb Frau Toni Neisser, die durch ihren Gatten schon lange mit der Vaterländischen Gesellschaft verbunden, seit dem Jahre 1908 auch deren selbständiges Mitglied war. Geboren am 92 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 29. Januar 1861 zu Tannhausen i. Schl. als Tochter des Textilindustriellen, Fabrikbesitzers Julius Kauffmann und seiner Gattin Anna, geb. Frieden- thal, war sie seit dem Jahre 1883 verheiratet mit unserm Breslauer Derma- tologen Albert Neisser. Wer dieser Frau nahegestanden hat, der weiß, daß das Dasein für sie die. Forderung des Wirkens enthielt, und wer sie auch nur flüchtig kannte, der ahnte zum mindesten, wie reich ihr Leben war, eben deshalb, weil sie es so empfand und weil sie immer und immer wieder bis an die Schwelle des Todes die Kräfte aufzubringen wußte, es so zu gestalten. Die Art, in der sie für ihren Gatten sorgend für ihn lebte, an seinem Schaffen teilnehmend und an seinen Erfolgen, die nie aussetzende Tätig- keit für ihr in großem Stile geführtes Haus, erforderten bei steter Bereit- schaft eine Arbeitsleistung, die allein für manche begabte und tatkräftige Frau eine schwer zu bemeisternde Lebensaufgabe gewesen wäre. Sie ließ sich daran nicht genügen. Unter der straffen, zielbewußten Zucht, der sie sich selbst unablässig unterwarf, die ihrer tatsächlichen Über- legenheit alles Gewollte nahm, weil sie sich selbst den Maßstab gab, schuf sich ihre rastlos tätige Natur von selbst den weiteren Wirkungskreis. Ihre Wohltätigkeit nicht minder als der warme, verständnisvolle Anteil, den sie am Werden und Sein so Vieler nahm, die ihren Rat und ihre fördernde Nachsicht suchten, entsprang dem tiefinnerlichen Interesse, das alles Menschliche in ihr auslöste, man kann geradezu sagen, alles Lebendige; denn die liebevolle Sorgsamkeit, die sie für die Tiere und Pflanzen hatte, von denen sie stets umgeben war, war ein echtes Gegen- stück zu der hohen Auffassung, mit der sie Beziehungen zu einer FüNe von Menschen pflegte, die ihr das Leben nahe gebracht hatte. Was all ihrem Tun den besonderen Wert verlieh, war die seelische Hingabe, die nirgends sichtbarer in Erscheinung trat als dort, wo es für sie galt, die Anregung, die sie der Kunst als solcher verdankte, dem künst- lerischen Schaffen, insbesondere dem der Heimatprovinz wieder zugute kommen zu lassen. Ihr Wirken und ihre Bedeutung auf diesem Gebiet hat Prof. Masner im 3. Heft des 7. Jahrganges der Zeitschrift „Schlesien“ in warm empfundener Darstellung geschildert. Ihren weiblichen Wert aber kennzeichnet nichts besser, als daß sie unter dem Schatten des Todes in reifster Auffassung des Daseins es bitter empfinden konnte, wie vielfach ihr Leben lang ihr Verstand auf Kosten ihres Herzens überschätzt worden ist. In schwerster Prüfung hat sie tapfer ausgeharrt, einzig bestrebt, den Rest der schwindenden, nie geschonten Kräfte der Sorge für den Gatten zu erhalten. Mit ihm vereinen sich in trauerndem Andenken an diese Frau Menschen der verschiedensten Art aus mannigfachen Berufen und Ständen. Wer immer ihr in dankbarer Verehrung, in Freundschaft oder Nekrologe. 23 in Liebe verbunden war, jedem hat sie etwas Eigenes bedeutet, allen ist sie zu früh dahingeschieden. Zwei Tage vor Vollendung seines 43. Lebensjahres verschied jäh und unerwartet der Spezialarzt für Hautkrankheiten Dr. med. Paul Oppler. Keiner von seinen nächsten Angehörigen und Freunden, mit denen er noch den letzten Abend froh und heiter verbrachte, konnte ahnen, daß dieser auf der Höhe seines Lebens stehende Mann den Todeskeim in sich trage, als ihn in der Nacht zum 14. Februar 1913 eine plötzlich einsetzende Herzschwäche überfiel und ihn rasch dahinraffte — viel zu früh nicht nur für sein junges Weib und seinen sechs Wochen alten Sohn, sondern auch für die vielen anderen, die ihm in aufrichtiger Freundschaft nahe standen und ihn von ganzem Herzen liebten. Als Sohn einer alten Breslauer Kaufmannsfamilie besuchte er von 1876—88 das hiesige Magdaleneum. Nach absolviertem Abiturium zog es den naturfrohen Studenten nach dem Süden Deutschlands, und er ver- brachte einen Teil seiner Semester in Freiburg in Baden. 1890 bestand er das Physikum und im Winter 1892/93 das Staatsexamen in Breslau, wo er alsbald Assistent an der Poliklinik des Herrn Prof. Dr. Gottstein (Laryngologe) wurde. Nachdem er in Leipzig promoviert hatte, war er von 1894 bis Oktober 1896 Assistent an der dermatologischen Abteilung des Allerheiligen-Hospitals unter Prof. Dr. Jadassohn. Während dieser Zeit erschien von ihm in Gemeinschaft mit Dr. Max Dreysel eine Arbeit: „Beiträge zur Kenntnis des Eleidins in normaler und pathologisch ver- änderter Haut“, außerdem eine Abhandlung „Über Sterilisation elastischer Katheter mittels Formaldehyddämpfen“. Ferner lieferte er Beiträge zum Neisserschen Stereoskopischen medizinischen Atlas über „Syphilis subcerosa“ und „Cancroid mit zentraler Abheilung“. Zur weiteren Ausbildung in seinem Spezialfache begab er sich im Winter 1896/97 nach Paris, wo er an den Hospitälern Neiker, St. Louis und St. Lazare arbeitete. Hier fand und nutzte er auch reichlich die Gelegen- heit, sich in das Studium der bildenden Künste zu vertiefen; ursprünglich hatte er gehofft, sich ihnen ganz widmen zu können. Noch viele Jahre später war es ein Vergnügen, den interessanten und amüsanten Plauderer von seiner Pariser Zeit erzählen zu hören. Der an und für sich lebens- frohen Natur Paul Opplers hatte diese Zentrale der Lebenslust unendlich viel Anregung geboten, und daran sollten seine Angehörigen und Freunde immer wieder teilnehmen. Denn alle, die ihm nahe standen, sollten mit ihm froh sein, mit ihm die schönen Seiten des Lebens kennen lernen. In fast jedem Jahre zog er mit befreundeten Menschen hinaus in die weite Welt, und ob es nun Spanien, Holland, Frankreich oder der Süden Deutschlands war, wer mit ihm zog, der lernte nicht nur Land und Leute J4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. kennen, sondern auch die Kunstschätze der Gegenden in eingehendster Weise würdigen. Kehrte man aber nach Hause zurück, so brachte man . noch das frohe Gefühl mit, einen Freund fürs Leben gewonnen zu haben, über dessen Freundschaft man glücklich sein konnte, — so wuchs er einem ans Herz bei näherem Zusammensein. Darum umgab ihn auch ein Kreis von Freunden, denen sein Urteil in künstlerischen Dingen maß- gebend war, und die er immer wieder zum Interesse und zur Teilnahme an allen künstlerischen Veranstaltungen in unserer Stadt anregte. Über ein Jahrzehnt lang konnte er auch für eine hiesige Zeitung Kunstkritiken schreiben, die sich durch ein reifes Urteil und einen schönen Stil aus- zeichneten. So wirkte er in unserer Stadt, geschätzt als Arzt, gewürdigt als Kunstkenner und geliebt von seinen Freunden, und so wird Paul Oppler nicht nur seinen Angehörigen fehlen, auch wer mit ihm befreundet war, wird auf Schritt und Tritt merken, was er an ihm verloren hat, — und ihn nie vergessen. Dr. Wasbutzki. Am 29. Januar 1913 verschied zu Breslau im Alter von 83 Jahren Constantin Gotthardt Grai von der Recke-Volmerstein auf Dammer, Kreis Militsch. Geboren am 16. November 1829 wurde er im Hause seiner Eltern durch Hauslehrer bis zu seinem Abgange auf die Universität unterrichtet, studierte 1849 und 50 die Rechte und Kameralwissenschaften in Leipzig und Berlin und trat bei der Mobilmachung 1850 in die Armee. Am 11. März 1852 zum Leutnant im Kaiser-Alexander-Grenadier-Regiment ernannt, diente er bis Oktober 1857 und nahm später an den Feldzügen 1864, 1866 und 1870, zuletzt als Hauptmann teil und erwarb sich das Eiserne Kreuz. Er schied mit dem Charakter eines Majors aus dem Heere. Graf Recke wurde infolge Ministerialerlaubnis bei der Königlichen Regierung zu Breslau beschäftigt und mit der Verwaltung von Landrats- ämtern betraut, bis er von den Ritterschaften der Niederschlesischen Fürstentümer zu ihrem Repräsentanten bei der Generallandschaft Weih- nachten 1862 erwählt wurde. Dieses Amt hat er bis 1906 verwaltet; bei seinem Austritt wurde er zum Ehrengenerallandschaftsrepräsentanten ernannt. Besondere Verdienste hat sich Graf Recke auch durch Mit- wirkung bei wohltätigen und gemeinnützigen Veranstaltungen erworben. So war er der Präses des Kuratoriums des Deutschen Samariterordens- stiftes zu Kraschnitz, des Diakonissenmutterhauses und der Ersten Schle- sischen Diakonissenanstalt zu Kraschnitz, sowie Mitglied des Vorstandes des Evangelischen Vereinshauses und des Vereins für innere Mission zu Breslau, ebenso Vorsitzender der Bezirksabteilung Schlesien der Deutschen Adelsgenossenschaft. Politisch war er ein Förderer der konservativen Nekrologe. 25 Partei, und war Gründer, sowie Erster Vorsitzender des Deutsch-konser- vativen Vereins für die Stadt Breslau. Seit 1870 war er Mitglied, seit 1872 Vorsitzender des Repräsentanten- Kollegiums der Georg v. Giescheschen Bergwerksgesellschaft. Seit 1882 war er Kgl. Kammerherr, außerdem Rechtsritter und Konventsmitglied des Johanniterordens. An seinem 80. Geburtstage wurde er zum Wirk- lichen Geheimen Rate mit dem Titel Exzellenz ernannt. Am 13. Juni 1913 verschied das Mitglied unserer Gesellschaft Herr Landgerichtsrat a. D. Siegbert Schmula aus Oppeln. Sein Leben hat trotz des hohen Alters, das er erreichte, sich in engen Bahnen bewegt. Geboren am 3. März 1834 in Krappitz, hat er nach Vorbildung auf dem Gymnasium in Oppeln, in Breslau studiert, und am 18. Mai 1855 die erste, am 12. Juni 1857 die zweite und im Mai 1862 die dritte juristische Prüfung abgelegt. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Assessor wurde Schmula 1866 Kreisrichter in Oppeln. Dort wurde er 1875 Kreisgerichtsrat, 1879 Landgerichtsrat und trat am 1. Januar 1892 — nach 26 jähriger Tätigkeit in derselben richterlichen Stellung in den Ruhestand. Er war unver- mählt geblieben. Unserer Gesellschaft hat er seit 1893 angehört. Wir werden dem Mann, der vorbildlich in treuer Pflichterfüllung ein schlichtes, nur durch Teilnahme an den Feldzügen von 1866 und 1870/71 unter- brochenes, aber von lauterer Gesinnung erfülltes Leben voller Pflicht- treue führte, in gutem Gedächtnis behalten. Dr.-Vierh aus. Maximilian Sdralek. Unter dem Schutze der Madonna von Raphael Schall, in der Domherrengruft der Breslauer Kathedrale, ruht seit dem ersten Julisonnabend des Berichtsjahres Max Sdralek und wartet auf seinen Ostertag. Seine Erdenwanderung begann am 11. Oktober 1855 in Woschezytz, Kreis Pleß. Schon acht Tage später erhielt er durch die fromme Sorge seiner Eltern, des Lehrers und Organisten Lukas Sdralek und dessen Ehe- frau Amalie aus der Familie Drischel, in der Kirche seines Geburtsortes das Bürgerrecht im Gottesreiche und die Namen Max Lukas. Deutsches und slawisches Blut und die Gnade Gottes waren die Talente, mit denen er 58 Jahre lang arbeitete. Sein Schwesterlein Amalie, die nach ihm auf die Welt kam, fand ihn als einen immer heiteren, guten und sehr ordnungsliebenden Jungen. Mit dieser schwesterlichen Ein- schätzung stimmt seine eigene Erinnerung an die Jugendzeit und das spätere Bild seines Charakters, dessen Hauptmerkmale immer die drei genannten Eigenschaften waren. Er teilte sie mit allen seinen Ge- schwistern, empfand aber selbst, daß die beherrschende unter den drei 26 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Gaben, die Ordnungsliebe, die beständige Korrektheit im inneren wie im äußeren Leben war. Daher erklärt es sich, daß er die härtesten Vor- schriften seiner Religion und seines Standes nie als Last und Druck empfand, sondern als naturgemäße Bahn und Führung. Alles Außer- gewöhnliche unterwarf er erst einer strengen Prüfung, ehe er sich damit befreunden konnte. Die Wahl des geistlichen Standes erschien ihm indes nicht als etwas Außergewöhnliches. Sie lag vielmehr mitten auf seiner Fährte und bereitete ihm darum weder Schwierigkeiten noch Sturm. Mit Hilfe seines zwölf Jahre älteren Bruders, des Rybniker Kaplans Julius Sdralek, der ihn mit zwei anderen Knaben für die Quinta vorbereitete, konnte er die Gymnasien in Gleiwitz bis zur Untersekunda und in Breslau bis zur Erlangung des Reifezeugnisses besuchen. Als der Kulturkampf die Pforten des Breslauer Knabenkonviktes schloß, in welchem Sdralek als Gymnasiast eine Freistelle und als Student der Theologie das Amt des Präzeptors innehatte, kam seine Studienlaufbahn in ernstliche Gefahr, bis die Verleihung größerer Stipendien dem Mangel an Mitteln ein Ende machte. Da aber auch nach Vollendung des theo- logischen Studiums der Friede zwischen Staat und Kirche noch nicht geschlossen und die Erlangung der Priesterweihe in Breslau nicht möglich war, riet ihm sein väterlicher Freund, Professor Hugo Laemmer, der die glänzende Veranlagung des jungen Studenten längst erkannt hatte, einstweilen auf die Universität Freiburg zu ziehen und dort die Forschungen über Papst Nikolaus 1. fortzusetzen, zu welchen er ihn schon in den ersten Semestern angeregt hatte. Unterdessen war aus dem „heiteren, guten und sehr ordnungslieben- den Jungen‘ ein feiner Student geworden, der Schmuck der Winfridia, deren Senior er wurde, überall bewundert wegen seines vornehmen Auf- tretens, seiner Prinzipientreue und seines sprühenden Geistesreichtums. Mitten im Studentenleben hatte er seine Seele und seine Ehre makellos bewahrt für den erwählten Beruf. Und die Ordnungsliebe, die angeborene Korrektheit, offenbarte sich nicht nur in den feingeschriebenen Kolleg- heften, die wie die Handschrift Sdraleks überhaupt geradezu einen ästhetischen Genuß gewähren, sondern noch viel bedeutsamer in der Art des selbständigen wissenschaftlichen Arbeitens. Ohne in Pedanterie aus- zuarten, wurde sie zu der ruhigen, sicheren, zuverlässigen Methode, welche Sdraleks wissenschaftliche Arbeiten auszeichnen und welche zu den ersten Forderungen gehörte, die der spätere akademische Lehrer an seine Schüler stellte. Zu diesen alten, angeborenen Talenten, die während der Breslauer Studienjahre teils ausgeprägt, teils umgeprägt wurden, hatte er ein neues erhalten, mit welchem er später am meisten gewuchert hat. Von Professor Laemmer hatte er gelernt, daß der akademische Lehrer mit Vorlesung und Nekrologe. an Forschung seiner Aufgabe nicht voll genügt. Er sah, wie Laemmer zahlreichen jungen Studenten Anregung und Anleitung zu selbständigem Forschen gab. Bildete sich auch keine eigentliche Schule um ihn, — bei der großen Seelsorgernot jener Zeiten war es dem jungen Theologen nicht möglich, weit über die Ziele einer Doktorarbeit hinaus der wissen- schaftlichen Forschung Zeit und Kraft zu weihen, — so war es doch der Anfang einer Tradition, welche Sdralek in überaus glücklicher Weise fortgesetzt hat. Während des Freiburger Studienjahres reifte dem jungen Gelehrten in regem Verkehr mit dem dortigen Professor der Kirchengeschichte Franz Xaver Kraus, die erste Frucht seiner Forscherarbeit. Schon in Breslau hatte er erkannt, daß eine Monographie über Nikolaus I. weit über die Grenze der Möglichkeit hinausging. Noch waren zu wenig Vor- arbeiten geleistet, noch waren die meisten Dokumente aus der Zeit dieses großen Papstes weder genügend publiziert, noch genügend durchforscht. Nur einige Partien waren von Laemmer, Roßteutscher und Otto be- arbeitet. Ganz konsequent erkannte Sdralek in der Bearbeitung einer weiteren Einzelfrage seine nächste Aufgabe. Ja auch diese Einzel- frage, der Ehestreit des Karolingers Lothar II. bot noch zu viel Probleme, so daß er sich auf die Durchforschung des kanonistischen Gutachtens Hinkmars von Rheims über die Ehescheidung des Königs Lothar 1. beschränkte. Mit einem Teile dieser Abhandlung, welche er erst im Herbste 1880, nach seiner Rückkehr nach Breslau, in den Druck gab, erwarb er sich in Freiburg den theologischen Doktorhut. Gern erzählt er, daß er im Freiburger Rigorosum von Alban Stolz geprüft worden sei, der be- zeichnenderweise von dem Kirchenhistoriker nicht nur gute Kenntnisse über den Ritus der Glockenweihe, sondern auch eine Predigtdisposition für das Fest Christi Himmelfahrt verlangte. Von großer Bedeutung für Sdraleks Entwickelung scheint der Verkehr mit Franz Xaver Kraus gewesen zu sein. Vermochte er auch den kirchenpolitischen Anschauungen dieses Mannes nicht auf die Dauer oder gar nicht zu folgen, so verstärkten sich doch jene Anlagen, die er mit diesem Manne gemeinsam hatte, so vor allem der Sinn für historische Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit und die Kunst der schönen Darstellung. Für die Leiden und Kämpfe des fernen Lehrers bewahrte er die innigste Anteilnahme. Sein Bild stand immer in der Nähe seines Schreibtische». Nach einiger Zeit asketischer Vorbereitung in dem herrlichen Sankt Peter bei Freiburg erhielt Sdralek von Bischof Lothar Kübel die Priesterweihe am 13. Juli 1880. Noch immer bestanden die gesetzlichen Vorschriften über die Ausübung priesterlicher Verrichtungen, so’daß der Neugeweihte sein erstes heiliges Opfer in seiner Heimatskirche hinter 33 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. verschlossenen Türen darbringen mußte. Es war nicht seine Art, sich über diese Umstände seiner geistlichen Hochzeit zu beklagen, aber er erzählte doch gern und humorvoll, wie sich eine Anzahl Katholiken, um seinem Erstlingsopfer beiwohnen zu können, über Nacht in der Kirche einschließen ließen und während der ganzen Feier hinter den Bänken versteckt hielten. Wenn bei seinem Begräbnisse die Meinung atısgesprochen wurde, er habe nie etwas anderes sein wollen als ein ganzer deutscher Professor, so mag hier zur Ergänzung gesagt werden, daß er dies als ganzer katho- lischer Priester sein wollte. Er hat den Altar ebenso geschmückt wie den Katheder. Wohl war er nicht für die praktische Seelsorge berufen, die er nur als Vertreter seines geistlichen Bruders in Groschowitz und eine Zeitlang als sehr gesuchter, seelenkundiger Beichtvater der Theologie- studierenden ausübte, aber er sah in seiner Lehrtätigkeit, im getreuen Dienste der historischen Wahrheit eine echt priesterliche Funktion. Nur seine vertrauteste Umgebung weiß, wie er sich wissenschaftlich und asketisch auf seine gottesdienstlichen Verrichcungen vorbereitete. Die Würde seines kirchlichen Auftretens fesselte alle, die ihn beobachteten. Ergriffen wurden alle, wenn er Hostie und Kelch erhob und nach der Nennung des Namens Jesus Christus die Worte sprach: „Per ipsum et cum ipso et in ipso est tibi Deo Patri omnipotenti in unitate Spiritus sancti omnis honor et gloria.“ Nach der Drucklegung der Abhandlung über das kanonistische Gut- achten Hinkmars von Reims erhielt Sdralek auf Antrag der Bres- lauer theologischen Fakultät vom Kultusminister ein Stipendium, welches ihm im Sommer 1881 eine Forschungsreise in die Bibliotheken von Wien, Budapest, Klosterneuburg, Melk, Göttweig, St. Florian, Kremsmünster, Lambach, Admont, Salzburg und München ermöglichte. Das Ergebnis dieser Bibliotheksreise waren zwei Publikationen kleineren Umfangs: 1. Handschriftlich-kritische Untersuchungen über eine Gruppe von Briefen Papst Nikolaus’ I. (Archiv für kath. Kirchenrecht. Mainz 1882 S. 177 bis 215) und 2. die Habilitationsschrift „De S. Nikolai P.P. J. epistolarum codieibus quibusdam manuscriptis.“ Vratislaviae 1882. Am 1. Februar 1882 habilitierte sich Sdralek an der Universität Breslau für Kirchenrecht und Kirchengeschichte. Da das Kirchenrecht seit 1837 keinen Vertreter mehr in der katholisch-theologischen Fakultät hatte, öffnete sich dem neuen Privatdozenten ein weites Arbeits- gebiet. Aber schon im Jahre 1884 erhielt er einen Ruf als Ordinarius für Kirchengeschichte an die Akademie in Münster. Nur ungern und in der Hoffnung auf baldige Rückkehr verließ Sdralek seine schlesische Heimat und ihre Hauptstadt. Zwölf Jahre lang mußte er in Münster bleiben. Er machte sich dort ebenso unver- PERS Nekroioge. 29 geblich, wie er selbst seine Heimat nicht vergessen konnte. Diese Stimmung liegt im Hintergrunde seiner Schilderung wandernder Philo- sophen der altchristlichen Zeit: „Es galt als Regel, welche man bei der Wahl des Berufs in Betracht zog, daß, wer sich der Wissenschaft ergeben, Vaterland und Familie verlassen und in die Fremde ziehen müsse, und zwar nicht bloß für die Jahre des Lernens, sondern auch für die des Lehrens.“ Sdralek war ein akademischer Lehrer ohnegleichen geworden. Er verschmähte es nicht, Meisterwerke historischer Darstellung bald zur Grundlage, bald zum Ornament seiner Vorträge zu wählen, aber erst nachdem er selbst mit der ihm eigenen gnadenvollen Intuition geschaut, was jene Werke darstellten. Er hatte einen sicheren Blick für das Bleibende im raschen Wachstum der historischen Forschung. Gern ließ er die dunklen Talgründe ungeklärter Fragen, aber die auch lockend lichten Täler zu Seiten des Entwickelungsganges unbetreten. Er begnügte sich, diese Probleme nur kurz zu kennzeichnen, um die sparsam be- messene Zeit zur Mitteilung des gesicherten Wissens über die Wege zu benutzen, welche die „königliche Frau“, die katholische Kirche, durch- schritten hat. Dazu ward ihm eine glänzende Diktion beschieden. Alles hing an seinen äußerst lebhaften Augen, wenn er zu reden anfing. Es bedurfte nur einiger Worte, und schon waren die Zuhörer in den fernen Zeiten und Räumen, von denen er sprach. Greifbar rückten die histo- rischen Gestalten nahe, so deutlich schilderte er ihre Charaktere und Bilder. Aber sein höchstes Ziel erblickte er in der „Erfassung der Ideen und Rechtsanschauungen, die um den Sieg gerungen, in der Erkenntnis der geistigen Mittel und Waffen, mit welchen die welterschütternden Kämpfe ausgefochten, der Leidenschaften, mit welchen sie vergiftet waren.“ Genaueres über seine Auffassung der Aufgaben eines Kirchen- historikers erzählt einer seiner jüngsten Breslauer Schüler, Dr. Felix Haase, in den ersten Nummern des Schlesischen Pastoralblattes von 1914. In Münster verließ Sdralek sein erstes spezielles Arbeitsgebiet, auf dem auch sein nächster Fachkollege H. Schrörs in Bonn tätig war, und die Monographie über den großen Nikolaus I. blieb bis heute un- geschrieben. Die Erforschung des nächsten großen Pontifikates, Gregors VII., wollte sich Sdäralek als Lebensarbeit wählen. Die erste Frucht dieser Studien reifte im Jahre 1890, die Abhandlung über „Die Streitschriften Altmanns von Passau und Wezilos von Mainz“. Über die schon hinlänglich festgestellten Tatsachen hinweg sucht Sdr alek vor- zudringen in den Bereich der öffentlichen Meinung, der moralischen Ein- drücke der großen Kämpfe, der Motive, welche den Handlungen der Parteien zugrunde lagen, in das Innerste der führenden Persönlichkeiten, 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zu deren Individualisierung die „eigentlich historischen Quellen“, die Annalen, nur sehr wenig Material geboten hatten. „Hoffnungen auf Funde kostbarer Art“, erwacht bei der Lektüre der Wolfenbüttler Handschriftenkataloge, lockten Sdralek nach der Stadt Lessings. Dort wurde er zwar in seinen höchsten Erwartungen getäuscht, aber er konnte doch eine ganz ansehnliche Sammlung von „Wolfenbüttler Fragmenten“ edieren, die eine Bereicherung des kirchengeschichtlichen Quellenmaterials bedeuten, darunter neun unbekannte Briefe des Papstes Paschalis II. und mehrere Streitschriften aus den Zeiten des Investitur- streites. Unterdessen war in ihm der Plan reif geworden, zusammen mit den Professoren Knöpfler und Schrörs ein Publikationsorgan für „Kirchen- geschichtliche Studien“ herauszugeben, da es damals noch an einem solchen für katholische Forscher fehlte. Das Unternehmen wurde inner- halb der katholischen Welt mit lebhafter Freude begrüßt, fand aber auch in den weitesten Kreisen der wissenschaftlichen Welt ehrliche An- erkennung. Von einem Schüler Sdraleks, Paul Funke, mit der vor- trefflichen Monographie des Papstes Benedikt XI. eröffnet, wurde es bald fast ausschliesslich zum Organ der immer mehr wachsenden Schule Sdraleks, dessen wissenschaftliche und finanzielle Kraft und Auf- opferung fast ganz allein die Fortdauer bis zum Jahre 1903 ermöglichten. Unter dem neuen Namen „Kirchengeschichtliche Abhandlungen‘ lebte das Unternehmen weiter bis zum Tode Sdraleks, obwohl unterdessen eine ganze Reihe ähnlicher Publikationsorgane entstanden waren. Die Arbeiten, welche in den Studien und in den Abhandlungen zur Veröffentlichung kamen, atmen fast alle Sdraleks Geist und enthalten zum Teil ein gut Stück Sdralekscher Arbeit. So ganz war Sdralek Lehrer und Meister, daß er seine liebsten eigenen Forschungen zurücktreten ließ hinter der Sorge für die Arbeiten seiner Schüler. Dank seiner vornehmen Erscheinung, seiner geistreichen Unter- haltungsgabe und seiner echt schlesischen Gütigkeit, die nie zur Ver- trauensseligkeit und erst nach langer Prüfung zu wahrer Freundschaft wurde, gewann Sdralek die Herzen der Münsteraner so sehr, daß fortan auch andern Schlesiern der Zutritt zu diesem Herzen leichter wurde. Er war bis zum Tage seines Todes ein überall gern gesehener Gast. In der Akademia vom 15. August 1913 hat einer seiner vertrautesten Kollegen, der Breslauer Professor Triebs, diese Seite seines Wesens ganz meister- haft geschildert. „Es lag in ihm jene stille, dem einfachen Lehrerssohne von Gott mitgegebene Autorität, mit welcher er, ganz ungewollt, allen, mit denen er zusammentraf, imponierte, ihnen allen stille Gewalt antat. Aber wenn nun erst der sprühende, nimmermüde, immer arbeitende, denkende, kombinierende Geist sich äußerte, wenn er begann zu reden, Nekrologe, 31 da war Sdralek der Herr der Gesellschaft. Man riß sich um Sdralek, ihn zu Gast zu haben, denn dann standen wohltuende Unterhaltungs- stunden bevor, wenn er erschien.“ Mit ganz besonderem Glanze vertrat er akademische Würden und Ämter. Da verzehrte ihn sein Eifer. Und nicht ohne Grund führt man auf seine Rektorats- und Dekanatsjahre die schwere Erkrankung zurück, die ihm den Tod brachte. Erst 32 Jahre war er alt, als ihn die König- liche Akademie von Münster zum Rector magnificus wählte. Bei der Antrittsfeier am 15. Oktober 1887 hielt er eine Rede, in welcher er die ganze Großartigkeit seiner Auffassung von der kirchlichen Wissenschaft dartat. Er war sich bewußt, in einer Zeit zu leben, in welcher die Ge- schichte zur Hegemonie der Wissenschaften emporgestiegen war, „ge- schmeichelt durch die allgemeine Gunst und gehoben durch ein wirk- sames Verhältnis zum Leben“. Nach großzügigen Ausführungen über ‚die Stellung der Geschichte der Philosophie und Naturwissenschaft“ wagt er die Hoffnung auszusprechen, es könne vielleicht durch die Ver- ständigung über die höchsten Fragen der Geschichte, welche alle Denken- den angehen, die wachsende Entfremdung zwischen den exakten und den spekulativen Disziplinen beseitigt werden, die täglich weiter geöffnete Kluft zwischen der materialistischen und supranaturalistischen Welt- anschauung sich schließen.“ Und am Schlusse bekennt er sich zu dem alten Worte: „Die Geschichte ist des freien Menschen Tat, aber geführt von unsterblichen Gewalten.“ In sein Rektoratsjahr fielen die Todestage der deutschen Kaiser Wilhelms I. und Friedrichs III. Da wurde es wahr, was ein Ausländer gesagt, „daß es an den Hochschulen Deutschlands ist, wo das Herz Deutsch- lands schlägt, wo seine Seele wächst, sich erhebt.“ „Ein Jahrtausend wenigstens,‘ äußerte sich Sdralek in seinem Rektoratsberichte, „müsse man in der Geschichte zurückgehen, um auf Ereignisse zu stoßen, die mit gleich schmerzlicher Teilnahme von einem großen Volke und mit gleich tiefem Interesse von allen Kulturvölkern empfunden worden.“ Das war die Grundstimmung der Rede, welche Sdralek bei der akademischen Gedächtnisfeier am 22. März 1888 über „Deutschlands und Europas Trauer beim Tode Kaiser Wilhelms I, des Schöpfers des neuen Deutschen Reiches“, hielt. Was Sdralek über Vaterland und Deutschtum, über Krieg und Frieden dachte, offenbart diese Rede, die allen, welche ihn kannten, wie ein Herzensbekenntnis klingt. Obwohl auf diese ehrenvolle Weise der Sohn Oberschlesiens Mund und Herz der Münsterer Akademie geworden war, konnte er doch seine Sehnsucht nach der schlesischen Heimat nicht zum Stillschweigen bringen. Von Jahr zu Jahr wartete er auf die Zurückberufung an seine Heimats- universität. Er hatte ja Versprechungen erhalten, auf die er sich ver- 392 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. lassen konnte. Zwar war die Kirchengeschichte in Breslau eine heiß- umworbene, da sowohl Sdraleks Lehrer, Prälat Laemmer, wie auch der damalige Privatdozent Nürnberger und Professor Frantz kirchen- geschichtliche Vorlesungen hielten. Als am 25. Januar 1893 die „Post“ eine Nachricht verbreitete, daß Professor Sdralek einen Ruf an die Universität in Breslau angenommen habe, entstand hier große Aufregung. Die „Schlesische Volkszeitung“ übernahm gemäß ihrer Überzeugung die Vertretung der gegnerischen Interessen. Sdralek erwiderte in ruhigster Weise, daß die ihm zugedachte Ersatzprofessur einstweilen noch gar nicht geschaffen und darum auch noch niemand verliehen worden sei, und daß Herr Prälat Laemmer seit Jahren die Zurückberufung seines ehe- maligen Schülers nicht nur gewünscht, sondern auch gelegentlich be- antragt habe. Die Polemik der Presse gegen die Ersatzprofessur dauerte indes noch monatelang. Man appellierte an die Abgeordneten gegen „das Schoßkind ministerieller Fürsorge“ und brachte schließlich am 20. März ganz resigniert die Nachricht: „Leider ist die Ersatzprofessur eine be- schiossene Sache, an welcher das Votum der Fakultät nichts mehr ändert. Herr Professor Dr. Sdralek in Münster kommt als Ersatzprofessor nach Breslau.“ Aber bis zu dieser heiß ersehnten Rückkehr an die Heimatsuniversität dauerte es noch ganze drei Jahre. Neue wissenschaftliche Pläne und Arbeiten verkürzten diese Wartezeit. Einem der edelsten Päpste, Cölestin V., der aus seiner wilden, verborgenen Einsiedelei in den Abruzzen auf den Stuhl Petri geführt worden war, aber in der Erkentnis seiner Unzulänglichkeit und des unüberbrückbaren Gegensatzes zwischen Einsiedleridealen und den Herrscherpflichten eines Papstes auf die päpst- liche Würde verzichtete, wollte Sdralek in einer Monographie ein würdiges Denkmal setzen. Deshalb reiste er im Jahre 1905 nach Rom und von da aus mit seinem getreuen Freunde Paul Maria Baumgarten über Subiaco in die Abruzzen, nach Sulmona zur Einsiedelei des Petrus von Murrhone, des späteren Cölestins V., und nach Aquila. Ein frischer Bericht über diese Reise und ihr Ziel aus der Feder Baumgartens steht in der „Kölnischen Volkszeitung‘ in den Nummern 37, 41, 48 und 49 des Jahrganges 1905. Der wissenschaftliche Ertrag der Reise ist als ein kost- bares Erbe in die Hände des Breslauer Privatdozenten Dr. Seppelt über- gegangen, aus dessen bevorstehender Publikation der Coelestiniana zu ersehen sein wird, wie weit Sdralek seinen Plan ausführen konnte. Am 15. August 1896 kam endlich die Zurückberufung nach Breslau zustande, wo unterdessen der Privatdozent Nürnberger zum Extra- ordinarius ernannt worden war und zugleich mit dem Prälaten Laemmer Vorlesungen über allgemeine Kirchengeschichte hielt. Darum entschloß sich Sdralek, zunächst nur christliche Literaturgeschichte und Archäo- Nekrologe. 33 logie anzukündigen, und übernahm den ganzen kirchengeschichtlichen Kursus erst im Herbste 1897, als Professor Laemmer seine kirchen- geschichtlichen Vorlesungen einstellte und sich ganz allein dem Kirchen- recht widmete. Bald entfaltete er in Breslau dasselbe Persönlichkeitsbild wie in Münster. Die große Mehrheit der Theologiestudierenden hörte bei ihm nicht nur die Pflichtvorlesungen über allgemeine Kirchengeschichts, sondern auch die anderen über Patrologie, Archäologie und christliche Literaturgeschichte des Mittelalters. Sein Seminar war bald überfüllt. Stundenlange Privatissima gewährte er denen, die unter seiner Leitung selbständige Forschungen unternahmen. Da hatte seine Geduld kein Ende. Der letzte Band der „Kirchengeschichtlichen Studien‘ und 10 Bände der „Kirchengeschichtlichen Abhandlungen“ füllten sich mit den Arbeiten seiner Breslauer Schüler. Manche Abhandlungen fanden auch in anderen Publikationsorganen und Zeitschriften Aufnahme. Darin sieht man mit Recht den Erklärungsgrund dafür, daß Sdralek nicht mehr dazu kam, „seine Größe in eigenen Meisterwerken“ zu ver- ewigen. Weder die Cölestinforschungen vermochte er weiterzuführen, roch sein Versprechen einzulösen, für die Sammlung „Weltgeschichte in Charakterbildern“ die Geschichte Gregors VII. und seiner Zeit zu schreiben, obgleich er diese letzte Aufgabe schon so weit gefördert hatte, daß er auf der XXVI. Generalversammlung der Görresgesellschaft in Breslau 1902 ein Charakterbild Gregors VI. entwerfen konnte, welches wesentlich günstiger und zuverlässiger wirkte als das von Hauck in der Kirchengeschichte Deutschlands gezeichnete. Dazu kam noch, daß er im Herbste 1910 das sogenannte Professoren- kanonikat erhielt. Am 19. Oktober wurde er feierlich als Residierender Domherr an der Kathedrale von Breslau installiert. Die Verpflichtung zum Chorgebet an den Festtagen, zur Teilnahme an den feierlichen Hoch- ämtern, an den regelmäßigen Sitzungen des Kapitels, mancherlei Sorgen, die ihm anvertraut wurden, z. B. die für den Organistenverein, für den er als pietätvoller :Sohn eines Organisten das meiste Interesse hatte, nahmen den Rest seiner Zeit in Anspruch, so daß wir aus den folgenden Jahren nur noch einige kurze Aufsätze und Reden aus seiner Feder be- sitzen. Davon verdienen das Grab der Tageszeitung, aus welchem es nur selten eine Auferstehung gibt, ganz gewiß nicht die Gedächtnisrede auf Leo XIIH., die er bei der Trauerfeier in Breslau am 28. Juli 1903 hielt (als Separatabdruck der „Schlesischen Volkszeitung“ in geringer Zahl verbreitet), ferner die Festrede zum goldenen Priesterjubiläum Pius’ X. („Schlesische Volkszeitung“ 1908. Nr. 527.) In der „Deutschen Gedenkhalle“ (Bilder aus der vaterländischen Geschichte, hgg. von J. von Pfluck u. Harttung, H. v. Tschudi und M. Herzig, Berlin-Leipzig 1913 3 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, 1905) finden sich zwei Aufsätze von Sdralek über „Die Kreuzzüge“ (S. 18—85) und „Huß und die Hussiten“ (S. 128—135). Den letzten und vornehmsten Anlaß zu einer rednerischen Leistung bot ihm der 15. Oktober 1906. Wie 19 Jahre vorher in Münster, so hatte ihm in diesem Jahre in Breslau das Vertrauen seiner Kollegen die höchste akademische Würde des Rector magnificus eingebracht. Wochenlang trug er sich damals mit dem Gedanken, bei der Antrittsfeier durch einen Vortrag über „Vorsehung und Kirchengeschichte“ das Eingreifen Gottes in die Entwicklung der Kirche nachzuweisen und damit einen historischen Gottesbeweis zu liefern. Da aber dieses Thema den Rahmen einer Fest- rcde sprengte, zog er es vor, „über die Ursachen, welche den Sieg des Christentums im römischen Reiche erklären“, zu sprechen. Weit über die Wände der Aula Leopoldina hinaus weckten seine Ausführungen über die sieghafte Kraft des Christentums ehrlichen Beifall. Wäre es nach seinem Willen gegangen, so hätte ein großartiges Bau- werk sein Rektoratsjahr unvergeßlich gemacht. Die Universität hätte den von ihrem Meister ursprünglich geplanten Hauptturm über dem Kaiser- tore erhalten. Leider gehörte dieser Plan zu den Gedanken, die durch Bedenken überstimmt werden. Zum Türmebauen war Sdralek nicht auf die Welt gekommen. Sein eigenes Leben brach vorschnell ab, ehe es die von Menschengedanken erdachte Vollendung erreichte, gleich jenen großen Domen, die in der Not der Zeit mit einem armseligen Schutzdach gekrönt wurden und un- vollendet bleiben mußten, oft um der Großartigkeit ihrer Anlage willen. Zur Pfingstzeit des Jahres 1909, nach einem Ausflug in die Gottes- schönheit des Grafschafter Berglandes, wurde er im Hause seines Bruders, des Pfarrers von Patschkau, vom Schlage getroffen. Nur „wie durch ein Wunder‘ konnte sein Leben unter der Kunst seiner Ärzte und unter der Pflege seiner Getreuesten noch vier Jahre lang erhalten werden. Noch einmal, im Jubelsemester der Breslauer Universität, bestieg er den Katheder und hielt das ganze Semester tapfer aus. Dann aber versagte seine Kraft. Aus seiner Zettelsammlung ergibt sich, daß er auch in diesen Jahren den Fortschritt seiner Fachwissenschaft gewissenhaft ver- folgte. Manchem Schüler stand er noch mit seinem Rat zur Seite. Aber als seine wichtigste Aufgabe erkannte er die innere Vorbereitung auf die ernsteste Stunde seines Lebens. Seinen Freunden hat er in diesen Jahren den ganzen Reichtum seines Herzens und die ganze Kraft seiner Seele gezeigt. Zu Beginn des Sommers 1913 fuhr er wieder in die Landecker Berge, deren kräftige, würzige Luft ihm zwei Jahre zuvor neue Kraft und neue Hoffnung eingeflößt hatte. Und alle, die ihn kannten, teilten sein Ver- trauen. Aber am 2. Juli starb er in Landeck. Nekrologe. 395 So fern er als Mann der Wissenschaft den weiteren Kreisen der Be- völkerung Breslaus auch anscheinend gestanden hatte, so klagte doch das ganze katholische Breslau zusammen mit der akademischen Bürgerschaft um ihn. Beim Begängnis feierte ihn der damalige Rektor der Universität, Professor Arnold, als einen Mann, der nichts anderes sein wollte, als ein echter deutscher Professor. Die anderen schwiegen, dem alten Gesetz des Domkapitels gehorchend, daß die Trauerfeier von kirchlicher Seite ohne Rede bleiben solle. Aber in aller Herzen drang das schönste Lob von den Lippen des studentischen Sängerchors: „Bist treu gewesen bis in den Tod, Das soll Dir lohnen der liebe Gott!“ Joseph Wittig. Am 28. Dezember 1913 entschlief in früher Morgenstunde nach zwei- monatlicher Krankheit in Breslau die bekannte und beliebte Porträt-, Genre- und Landschaftsmalerin Fräulein Marie Spieler. Geboren am 14. Januar 1845 in Breslau auf dem Werder, wo ihr Vater Beamter war, ver- lebte sie dort eine sehr glückliche Jugend mit der um einige Jahre jüngeren Schwester. Schon in der Schule zeigte sich ihre große Begabung, be- sonders für Sprachen und Zeichnen, welches ihre Lieblingsbeschäftigung war, und später durch Maler Bräuer, dessen Einfluß sie immer dankend anerkannte, sehr gefördret wurde. Dem Wunsche ihrer Eltern folgend, legte sie nach Vorbereitung durch Oberlehrer Bättig die Lehrerinnenprüfung in Münsterberg ab, unterrichtete eine Zeitlang privatim, widmete sich dann aber ganz der Malerei. Sie ging zu diesem Zwecke 1872 nach Berlin in das Atelier von Fräulein Volkmar, 1873 nach Düsseldorf, wo sie unter Leitung von Pro- fessor Gebhardt studierte, 1874 nach München, 1880 nach Paris, wo sie auch viel im Louvre kopierte. Nach Breslau zurückgekehrt, begann sie eine emsige Tätigkeit im Porträtieren und Unterrichten. Fast in jedem Jahre unternahm sie dabei längere Studienreisen. Zuerst und zumeist lockte es sie nach Italien 1883, 1889, 1899, 1902, 1906, 1911, zuletzt im Herbst 1913, von wo sie leidend zurückkam, wohl mit dem Keim der Krankheit, die ihr Leben so über- raschend schnell schloß. Reisen nach England 1893, 1907, 1909, Schottland, Frankreich, Belgien, Holland, Engadin, wiederholt Tirol, Dalmatien, Herzegowina und Bosnien (1912) unternahm sie zwischendurch, überall geschichtlich und künstlerisch studierend, mit Pinsel und Feder die Schönheiten der Natur und Kunst schildernd. Ihre letzten Reiseberichte: „Reise- bilder aus der Herzegowina und Bosnien“ und „Brügge“ sind im Sommer 1913 erschienen. N 36 Jahresbericht der Schies. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Nieht nur im Ausland, in ganz Deutschland suchte und fand sie Schönes, es blieb ihr wohl kaum eine interessante Stätte fremd. So brachte sie auch aus Danzig, Königsberg, Lübeck, Hela, Quedlinburg, Hildesheim, Rothenburg o. T., Münster, Nürnberg u. a. m. viele Studien und Bilder mit, von denen die meisten durch Ausstellungen bekannt wurden. Von ihren größeren Genrebildern sind viele durch Hanfstängel in München vervielfältigt. Den Besuchern ihres Ateliers, sowie den Lesern der Schlesischen Zeitung hat sie durch viele Jahre großen Genuß geboten, indem sie sie teilnehmen ließ an dem von ihr mit offenen Augen und warmem Herzen Aufgenommenen. Wie sehr verstand und liebte sie Natur und Kunst! Aber auch die Menschen! Auf ihre vielen Schülerinnen wirkte sie stets anregend und fördernd mit größter Hingabe, wofür diese auch in Verehrung an der Meisterin hingen. Wer das Glück hatte, zu ihrem Freundeskreise zu gehören, dem werden die festlich schönen Stunden im Heim von Marie Spieler stets un- vergessen bleiben! Die allgemeine Trauer bei ihrem Hinscheiden ist eine tief empfundene, weil ein edler Mensch hinging. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, dies Wort hat sie erfüllt als Tochter, Schwester, Freundin und Kollegin! Breslau, den 18. Januar 1914. E. Neesv. Esenbeck. Am 29. November 1913 starb in seiner Vaterstadt Breslau der Ge- heime Sanitätsrat Dr. Philipp Steuer, der unserer Gesellschaft seit dem Jahre 1873 angehört hat. Mehr als 50 Jahre hat er in Breslau eine weit- verzweigte ärztliche Praxis erfolgreich ausgeübt und sich auf vielen Gebieten des öffentlichen Lebens große Verdienste erworben. Im Jahre 1859 ließ er sich in Breslau, wo er auch seine Studien absolviert hatte, als Arzt nieder und nahm bald, unterstützt durch eine ungewöhnliche Rednergabe, regen Anteil an der Erörterung allgemeiner Fragen. Seine Tätigkeit wurde nur zeitweilig unterbrochen durch die Teilnahme an den Feldzügen von 1866 und 1870, aus denen er als Stabsarzt und Ritter des Eisernen Kreuzes heimkehrte. Dann wirkte er jahrzehntelang erst als Stadtverordneter, später als Stadtrat und Dezernent der städtischen ärzt- lichen Angelegenheiten im Dienste der Stadt Breslau. Unter seiner hervor- ragenden Mitwirkung wurden die städtischen Krankenhäuser stark er- weitert. Seinen Bestrebungen war die Ausdehnung der spezialistischen Behandlungsweise in den Krankenhäusern zu danken, besonders die Be- gründung der Ohren- und Frauenabteilungen im Allerheiligen-Hospital. Steuer hat ferner durch moderne Einrichtungen, insbesondere auf Ge- Nekrologe. 37 bieten der Volksbäder und der Desinfektion die Gesundheitspflege ge- fördert. Sein Wirken für die Stadt Breslau fand, als er im Jahre 1902 den städtischen Dienst verließ, Anerkennung durch seine Wahl zum Stadt- ältesten. Als langjähriger Vorsitzender der ärztlichen Unterstützungs- kasse betätigte er sein warmes Interesse für die Angehörigen des ärzt- lichen Standes. Der Turnsport fand an ihm einen kräftigen Förderer. Seine Verdienste um das Turnen wurden durch Verleihung der Ehren- urkunde der deutschen Turnerschaft an ihn gewürdigt. Eine Stiftung zur Pflege des Jugendturnens trägt seinen Namen. In unserer Gesellschaft hat er sich lebhaft an den Verhandlungen beteiligt und ist lange Jahre der Sekretär unserer hygienischen Sektion gewesen. Wohlwollend und _ liebenswürdig im persönlichen Verkehr, war er stets bereit, mit Rat und Tat zu helfen und zu fördern. Nach langer Krankheit ist er im Alter von 77 Jahren gestorben. Seine Verdienste um das allgemeine Wohl sichern ihm ein dauerndes Andenken. Am 29. Dezember 1913 verstarb auf seinem Rittergute Hartau, Kreis Sprottau, der Wirkliche Geheime Rat Dr. Georg Graf Stosch, Vor- sitzender des Provinzial-Ausschusses der Provinz Schlesien, Ehrenmit- glied unserer Gesellschaft seit deren hundertjährigem Jubiläum im Jahre 1903. Geboren zu Hartau am 14. März 1836 als Sohn des am 18. Juni 1795 geborenen Felix Grafen Stosch und seiner, am 27. August 1806 geborenen Gemahlin Louise geb. von Grolmann stammte er einerseits aus einer alten schlesischen, ursprünglich böhmischen, Familie ab, und konnte er andererseits in dem Vater seiner Mutter, dem Komman- dierenden General des V. Armeekorps, von Grolmann, einen hervor- ragenden Helden der Freiheitskriege als Vorfahren verehren. Seine Jugend verlebte er zunächst auf dem väterlichen Rittergute Hartau, das 598 ha groß, seit dem Jahre 1721 im Besitz der Familie steht. Das schlichte, altertümliche Wohnhaus (,Schloß“) des Gutes, in welchem sämtliche Vorbesitzer von Hartau aus Ölgemälden auf den Knaben herabschauten, liest im Zusammenhang mit dem gleichnamigen Dorf, das, eine alte deutsche, wahrscheinlich fränkische Siedelung, bei ca. 550 Einwohnern eine sehr verschiedenartige, altertümliche Besitz- verteilung aufweist: Groß- und Kleinbauern, Groß- und Klein-Gärtner und Häusler. Einzelne Bauerngeschlechter des Ortes sind bis ins Mittel- alter zurück im Dorfe nachzuweisen. Kennzeichnend für Niederschlesien ist es, daß die Ortsbevölkerung dem evangelischen Bekenntnis angehört, die mitten im Ort gelegene Kirche dagegen und die große, verpachtete „Pfarrwidemut“ katholisch sind. Die Kirche ist unter diesen Verhält- 38 Jahresbericht der Schles. Geseilschaft für vaterl. Cultur. nissen zur dachlosen Ruine geworden, und nur das dem anliegenden kommunalen Friedhof dienende Glockengeläut erhält einzelne Teile des Kirchengebäudes. In dieser Umgebung wuchs der Knabe heran, in Gesellschaft von vier Geschwistern, zwei älteren Schwestern: Ida, später verehelicht mit Oberstleutnant von Prittwitz auf Schmoltschütz, die im Jahre 1907 starb, und Hedwig, langjährige Oberin des Frankensteiner Diakonissen- Mutterhauses, und zwei jüngeren Brüdern, Karl Dietrich, gefallen als Hauptmann im 39. Füsilier-Regiment bei Gravelotte, und Otto, der 1866 als Student in Hartau starb. Graf Stosch besuchte demnächst die Ritterakademie in Liegnitz und, nachdem er hier zu Ostern 1854 das Reifezeugnis erlangt hatte, studierte er vom Herbste 1854 bis 1857 in Berlin, Halle und wieder in Berlin die Rechte. 1857 arbeitete er als Auskultator bei den Kreisgerichten in Glogau und Hirschberg, ging dann zum Appellationsgericht Breslau über, bestand am 14. März 1863 die Assessorprüfung mit dem Prädikat „gut“, arbeitete als Assessor in Hirschberg und Lauban und wurde am 22. Dezember 1866 als Kreisrichter in Lauban angestellt. — Am 1. April 1868 schied er aus dem Justizdienste aus, um das väterliche Gut zu übernehmen. Inzwischen hatte er vom 1. Oktober 1854—1855 als Ein- jährig-Freiwilliger beim Garde-Schützenbataillon gedient; am 6. No- vember 1858 wurde er zum Sekondeleutnant der Landwehr 1. Auf- gebots im 2. Niederschlesischen Landwehrregiment Nr. 7 ernannt, 1866 zur Kriegsbereitschaft eingezogen, am 15. Januar 1867 zum Premier- Leutnant der Landwehr 2. Aufgebots ernannt, am 1. Januar 1868 zum neu- gebildeten 47. Landwehr-Regiment versetzt und am 9. Juni 1868 zum 1. Niederschlesischen Landwehrregiment Nr. 46, bei dem er — am 17. Juli 1870 einberufen — den Feldzug gegen Frankreich mitmachte. Er nahm insbesondere am Gefecht bei Diedenhofen und an der Belagerung von Metz tele. Am 11. März 1873 wurde er zum Hauptmann und Kompagnieführer der Lanäwehr ernannt, und am 11. Februar 1886 er- hielt er den Abschied unter Verleihung des Charakters als Major mit der Erlaubnis zum Tragen seiner bisherigen Uniform. Schon als Gerichtsassessor i. J. 1864 hatte er sich vermählt mit Mathilde von Gilgenheimb, aus alter schlesischer Familie. Mit ihr, die vom katholischen Bekenntnis später zu dem evangelischen des Gatten übertrat, hat er in fast fünfzigjähriger glücklichster Ehe gelebt, aus der vier noch lebende Kinder — zwei Töchter und zwei Söhne — entsprossen. Das Leben im Hartauer Hause war im besten Sinne patriarchalisch, streng geregelt, schlicht, heimatfreudig, gastfrei, ohne allen Prunk, ge- Nekrologe. 39 tragen von altevangelischer Frömmigkeit und von konservativ-vater- ländischer, königstreuer Gesinnung. Graf Stosch begann sein Tagewerk um 6 Uhr und schloß es um 9 Uhr; so regelmäßig und pünktlich, daß er damit vielen im Dorfe die Uhr ersetzte. Mit besonderer Liebe las er täglich früh, vor der Arbeit, römische und griechische Klassiker, und leidenschaftlich hing er an der Musik. Als Kreisrichter in Lauban wirkte er eifrig in einem bürgerlichen Instrumental-Quartett mit, und bis in sein hohes Alter spielte er fast täglich eine Stunde lang Klavier vom Blatt, lediglich zu seiner eigenen Befriedigung. Bald nach Übernahme des Rittergutes Hartau trat Graf Stosch in das öffentliche Leben vor, zunächst im Kreistage des Kreises Sprottau, bald auch in dessen Kreisausschuß und als Amtsvorsteher und — durch mehr als 30 Jahre — als Kreisdeputierter (Vertreter des Landrats). Sein lebhaft kirchlicher Sinn führte ihn ferner in die Kreis- und Pro- vinzial-Synode, wo er als einer der Führer der konfessionellen Partei mehr im stillen wirkte. Als am 1. Januar 1876 die Provinzialordnung in Kraft trat und die Provinz damit wichtige Verwaltungszweige zur Selbstverwaltung überwiesen erhielt, erschien er im neuen Provinzial- Landtage als Abgeordneter des Kreises Sprottau, und er wurde auch in den ersten Provinzial-Ausschuß gewählt, zunächst als stellver- tretendes, bald jedoch als wirkliches Mitglied. Am 24. April 1882 wurde er sodann zum Vorsitzenden des Provinzial-Ausschusses gewählt, und er hat dieses Amt bis zu seinem Tode, über 31 Jahre lang, ver- waltet: immer einstimmig: wiedergewählt und getragen von dem un- begrenzten Vertrauen des Provinzial-Landtages ohne Unterschied der Parteien. Wohl liest die Verwaltung der Provinz, zumal nach außen, zunächst in der Hand des Landeshauptmanns; allein, da dieser im wesentlichen die Beschlüsse des Provinzial-Ausschusses vorzubereiten und auszu- führen hat, so übt der Vorsitzende des Provinzial-Ausschusses, der das Vertrauen seines Kollegiums und das des Landtages besitzt, einen tiei- gehenden Einfluß aus, nicht nur auf die einzelnen Geschäfte, sondern auf den ganzen Geist und auf die Kraft der Verwaltung. — Graf Stosch hat diesen Einfluß im höchsten Maße geübt, obwohl er, wo irgend möglich, vermied, persönlich hervorzutreten. — Er, der in der langen Zeit seiner Amtsführung kaum eine einzige Sitzung des Provinzial-Ausschusses versäumt hat, ging rein repräsentativen, bloß ‚fest- lichen Veranstaltungen gern ganz aus dem Wege; den Geschäften selbst aber widmete er seine ungewöhnliche Arbeitskraft mit einer Hingebung und Treue, die alle seine Mitarbeiter mit Bewunderung erfüllten. Er war 40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. auch im kleinen peinlich gewissenhaft. Aber ganz besonders zogen ihn die grossen Aufgaben an, die von der Provinzial-Verwaltung — in Schlesien mehr noch, als in anderen Provinzen — zu erfüllen waren; denn zu den gesetzlichen Aufgaben, wie dem Chaussee- und Kleinbahn- bau, den Landes-Meliorationen, der Sorge für Geisteskranke, Fürsorge- Zöglinge, Blinde, Taube, Idioten usw., den Landwirtschaftsschulen, dem Provinzialmuseum, der Denkmalspflege, ferner der Feuerversicherung, der Provinzial-Hilfskasse usw. traten hier bald und ganz besonders die Schutzbauten an den Gebirgsflüssen und demnächst auch am Oderstrom, dazu die Verbesserung der Oderwasserstraße und der Bau und Betrieb großer Elektrizitätswerke an den Talsperren. Als der Staat große Mittel für diese Strombauten bewilligte, diese Bewilligung aber von einer Beteiligung der Provinz abhängig machte, die weit über die ursprünglichen Aufgaben der Provinzial-Verwaltung hinaus- ging, zögerte Graf Stosch keinen Augenblick, seinen ganzen Einfluß für die Erfüllung dieser Bedingung einzusetzen, um so, wenn auch mit großen Kosten, unser Schlesierland von den furchtbaren Wassersnöten zu befreien und seinen Wohlstand durch die große Wasserstraße und durch billig arbeitende ‚Kraftwerke an den Talsperren des Gebirges zu heben. Die Entschlossenheit, womit der sonst so vorsichtige und schein- bar zurückhaltende Mann hier, wo es das Wohl des geliebten Heimat- landes galt, zugriff und die ganze Provinz den notleidenden Teilen dienstbar machte, ist für sein ‚Wesen kennzeichnend. Er selbst äußerte einst, daß er sich die tria praecepta juris zur Richtschnur seines Lebens gemacht habe: honeste vivere, neminem laedere, suum cuique tribuere. — In der Tat war er vor allem und im besten Sinne ein gerechter Mann und eine feste Stütze der Ehrlichkeit und der guten Ordnung im Lande. Nicht umsonst war er Richter ge- wesen, bevor er zu verwalten begann. Bei aller Festigkeit des eigenen Urteils war er stets bereit, sich mit guten, sachlichen Gründen über- zeugen zu lassen, selbst gegen das eigene Wünschen, Mit Recht er- nannte ihn darum die Breslauer Juristen-Fakultät im Jahre 1906, bei seinem siebenzigsten Geburtstage, zu ihrem Ehrendoktor. Allein er war mehr, als nur sachlich und gerecht. — Ein klarer, durchdringender Verstand und ein warmes, gütiges Herz vereinigten sich bei ihm mit tiefer allgemeiner Bildung, mit umfassenden Kennt- nissen auf den verschiedensten Lebensgebieten und mit großer Arbeits- kraft und Arbeitsfreudigkeit. Seine kraftvolle, in sich geschlossene und dabei doch gewinnende Persönlichkeit war getragen von ruhiger Würde, deren Wirkung erhöht Nekrologe. 41 wurde durch die zurückhaltende Bescheidenheit und Selbstlosigkeit, die bisweilen fast den Schein kühler Ablehnung annehmen konnte. So wird es begreiflich, daß er sich, wie — nach dem Nachruf des Kreisausschusses Sprottau — in seinem heimatlichen Kreise, so auch in der ganzen Provinz, eine einzigartige Stellung gewann, und daß überall, wo er auftrat, sein ruhiges, klares, meist in knappster Form gegebenes und in tiefen, männlichen Tönen erklingendes Wort überzeugend und ent- scheidend wirkte. Gern hat er seinen Einfluß geübt, als es galt, für Schlesien eine technische Hochschule zu erringen. — Dem Schlesischen Provinzial- Museum war er ein wohlwollender Gönner, der Universität, — z. B. bei Errichtung des Jubiläums-Stipendiums —, ein hilfsbereiter Freund. Unsere Gesellschaft aber ist ihm zu besonderem Dank verpflichtet für die Bereitwiligkeit, womit er bei ihrem hundertjährigen Jubiläum die Provinzial-Verwaltung zu einem großen Beitrage für den Bau des Gesellschaftshauses bestimmte. Die Ehrenmitgliedschaft der Gesell- schaft, die ihm beim Jubiläum verliehen wurde, war indessen doch mehr, als der Dank für dieses Geschenk. Sie galt den großen Ver- diensten, die Graf Stosch sich um unsere Provinz und das Vaterland erworben hatte und sollte ihn als erfolgreichsten Förderer von Werken und Bestrebungen zur Hebung der vaterländischen Kultur feiern. Als solcher wird er in Schlesien uns unvergessen bleiben. Seine Verdienste um Provinz und Staat wurden selbstverständlich auch vom Könige vielfach anerkannt, nicht nur durch hohe Ordens- Auszeichnungen, sondern auch — beim Krönungsfeste 1901 — durch seine Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rat. — Erfreut hat ihn wohl am meisten der telegraphische Glüchwunsch, den der Kaiser ihm zum siebzigjährigen Geburtstage sandte. Dr. Bender. Hermann Traube. Ihm durfte bei seiner Geburt in Ratibor in Oberschlesien am 24. September 1860 unter denkbar günstigsten inneren und äußeren Verhältnissen des Elternhauses wahrlich nach menschlichem Ermessen das Horoskop eines Glückskindes gestellt werden. Sein Vater war der hervorragende Chemiker Dr. Moritz Traube, später korrespon- dierendes Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin, in dessen gastlichem Hause nach seiner Übersiedelung nach Breslau sich gern die Naturforscher und Mediziner der Universität zusammen- fanden. Seine Mutter Bertha, geb. Moll, war eine hochgebildete, feinsinnige und warmherzige Frau. Als selbstverständlich galt, daß der junge Hermann ein Gelehrter werden sollte. Früh wandte sich seine Neigung der Mineralogie zu. Nachdem er auf dem Breslauer Magdalenäum zu 423 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ostern 1880 das Reifezeugnis erlangt, studierte er auf den Universitäten Leipzig, Heidelberg, Breslau, Greifswald. Bei den Vorstudien zu seiner Doktor-Dissertation über Gabbros, Amphibolite und Serpentine des Nieder- schlesischen Gebirges (Greifswald 1884) wurde Hermann Traubean dem als die Steinberge bezeichneten Hügelzug, der sich von Naselwitz, östlich von Zobten, gegen Jordansmühl (wie Naselwitz zum Kreise Nimptsch gehörig) hin erstreckt, wesentlich aus Serpentin besteht, und westlich von Jordansmühl in unmittelbarer Nähe der nach Zobten führenden Chaussee in einem Steinbruch aufgeschlossen ist, auf ein ungewöhnlich hartes Material aufmerksam, das durch nähere Untersuchung als Nephrit erkannt wurde. Das war aber eine Entdeckung von eminenter Bedeutung, welche den jungen Traube mit einem Schlage bekannt machte, und zwar nicht nur unter den Mineralogen, sondern auch Ethnographen und Prähistorikern der ganzen Erde. Zum Verständnis dieser Bedeutung bedarf es einiger Worte über die „Nephritfrage‘“. In den ersten Anfängen der Kulturentwickelung suchten die Menschen nach Steinen, nicht nur um sich damit zu schmücken, sondern besonders zu Zwecken der Selbsterhaltung, zu Waffen und Ge- räten. Die auf uns gekommenen Objekte in Gestalt von Beilen, Meißeln, Kornreibern usw. zeigen, wie praktisch dabei das Material bevorzugt wurde, welches nicht nur hart, sondern besonders auch fest und zähe war, also dauerhaft, und da steht in erster Reihe der Nephrit. Dieser hat seinen Namen von der mittelalterlichen Bezeichnung als Nierenstein, Lapis Nephriticus (von veppos, Niere), weil dem Stein eine Heilkraft gegen Nierenschmerzen zugeschrieben wurde*). Besonders hoch- geschätzt und verarbeitet seit alter Zeit bis zur Gegenwart wird der Nephrit in China, dort Yü genannt. Solche Arbeiten aus Nephrit (und auch Jadeit, vgl. unten die Anmerkung) wurden in Europa in weiteren Kreisen erst bekannt nach der Plünderung des Sommerpalastes bei Peking, die dem Siege der Franzosen und Engländer unter General Cousin-Mon- tauban bei Palikao (daher der Name Graf Palikao) am 21. September 1860 folgte. Da wurden herrliche Sachen, wie Idole, Amulette, Messer, Schwert- griffe, Schalen, Tassen, durchbrochene Dosen, Gürtelschnallen, in einander hängende Ringe u. a. in großer Zahl „gerettet“. Auch auf Neuseeland *) Ebenso wie der Piedra de la Yjada (ijada = hijada, Weiche), eingehend vom spanischen Arzt Monardes in seiner Geschichte der Medizin Westindiens (1569) besprochen. Meist wurden dann beide Steine verwechselt oder identifiziert. Aus ijada entstand durch Umbildung in Frankreich das Wort jade als Bezeichnung für Nephrit und die ihm ähnlichen Mineralien. Der französische Mineralchemiker Damour zeigte 1863, daß unter diesen Dingen zwei verschiedene chemische Ver- bindungen vorkommen, die gewöhnlichen von wesentlich Kieselsäure, Magnesia und Kalk, welcher der Name Nephrit verblieb, und eine zweite von Kieselsäure, Thonerde und Natron, welche Damour nun Jadeit nannte. Nekrologe, 43 wird der Nephrit unter dem Namen Punamu noch heute sehr geschätzt und von den eingeborenen Maoris seit langer Zeit verarbeitet. Ungleich ausgedehnter jedoch war in prähistorischer Zeit, wie vorhin schon an- gedeutet, die Verbreitung des Nephrits, besonders als Material von kleinen Beilchen. Rätselhaft aber mußte es erscheinen, daß trotz der Funde ver- arbeiteter Nephrits über beinahe die ganze Erde nur wenige Fundpunkte im Fels anstehenden Nephrits bekannt wurden. Rohmaterial auf seiner ursprünglichen Lagerstätte war bis vor etwa 35 Jahren mit Sicherheit nur in Zentralasien und in Neuseeland gefunden worden. Es lag also die Vermutung nicht fern, daß das Material auch zu den in Europa und Amerika gefundenen Geräten von jenen Fundstätten, besonders aus Zentralasien stammen könnte. Professor Heinrich Fischer in Frei- burg i. B. gründete darauf eine Theorie von ausgedehnten Handels- verbindungen und Völkerwanderungen, die in interessanter Weise z. B. die Herkunft der in besonders großer Menge in den Pfahlbauten der Schweiz, am Bodensee, Züricher, Bieler und Neuenburger See gefundenen Nephrit- objekte erklären sollte. Als die entschieden geistvolle Hypothese Fischers (eingehend dargelegt in seinem 1875 erschienenen Werke „Nephrit und Jadeit“) sich ziemlich allgemeiner Anerkennung erfreute, stand natürlich auch der Nephrit im Zenit seines Ruhmes bei den Ethnographen. Bald aber setzten drei Entdeckungen die „Nephritfrage“ in neue Beleuchtung. Nachdem von verschiedenen Forschern, besonders von unserem schlesischen Landsmann Adolf Kenngott, weiland Professor in Zürich, die Zugehörigkeit des Nephrits zur Gruppe der Hornblenden mehr oder weniger bestimmt vermutet‘ worden war, zeigte Berwerth in Wien 1879, daß der Nephrit seinem ganzen Wesen nach nichts anderes als ein dichter feinfilziger Strahlsteinschiefer ist, und wies auf die Möglichkeit und Wahr- scheinlichkeit hin, den Nephrit bezw. „nephritischen Strahlsteinschiefer“ auch in Europa anstehend zu finden, besonders in den Alpen wegen der Häufigkeit der in der Schweiz gefundenen Nephritwerkzeuge. Weiter konstatierte Andreas Arzruni (1883 bis 1884 außerordentlicher Professor in Breslau) in einer ganzen Reihe sorgfältiger Arbeiten, wie die Nephrite bei Gemeinschaftlichkeit eines gewissen Strukturcharakters der eigentüm- lichen Verfilzung doch mikroskopisch so typische und konstante Struktur- merkmale darbieten, daß daraus die Herkunft der Stücke bestimmbar wird. Besonders sind danach die Nephrite aus Neuseeland, aus Sibirien und die Schweizer Pfahlbaunephrite zu unterscheiden, so daß die letzt- genannten sicher weder aus Sibirien, noch aus Neuseeland herstammen. Von der allergrößten Bedeutung war nun offenbar die dritte, gewisser- maßen den Ring schließende Entdeckung, eben die Hermann Traube gelungene Entdeckung anstehenden Nephrits bei Jordansmühl in Schlesien, der ersten sicheren dieser Art in Europa. Zwar hatte schon Linne Lapis ka 36 Jahresbericht der Schies. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Nicht nur im Ausland, in ganz Deutschland suchte und fand sie Schönes, es blieb ihr wohl kaum eine interessante Stätte fremd. So brachte sie auch aus Danzig, Königsberg, Lübeck, Hela, Quedlinburg, Hildesheim, Rothenburg o. T., Münster, Nürnberg u. a. m. viele Studien und Bilder mit, von denen die meisten durch Ausstellungen bekannt wurden. Von ihren größeren Genrebildern sind viele durch Hanfstängel in München vervielfältigt. Den Besuchern ihres Ateliers, sowie den Lesern der Schlesischen Zeitung hat sie durch viele Jahre großen Genuß geboten, indem sie sie teilnehmen ließ an dem von ihr mit offenen Augen und warmem Herzen Aufgenommenen. Wie sehr verstand und liebte sie Natur und Kunst! Aber auch die Menschen! Auf ihre vielen Schülerinnen wirkte sie stets anregend und fördernd mit größter Hingabe, wofür diese auch in Verehrung an der Meisterin hingen. Wer das Glück hatte, zu ihrem Freundeskreise zu gehören, dem werden die festlich schönen Stunden im Heim von Marie Spieler stets un- vergessen bleiben! Die allgemeine Trauer bei ihrem Hinscheiden ist eine tief empfundene, weil ein edler Mensch hinging. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, dies Wort hat sie erfüllt als Tochter, Schwester, Freundin und Kollegin! Breslau, den 18. Januar 1914. E. Neesv. Esenbeck. Am 29. November 1913 starb in seiner Vaterstadt Breslau der Ge- heime Sanitätsrat Dr. Philipp Steuer, der unserer Gesellschaft seit dem Jahre 1873 angehört hat. Mehr als 50 Jahre hat er in Breslau eine weit- verzweigte ärztliche Praxis erfolgreich ausgeübt und sich auf vielen Gebieten des öffentlichen Lebens große Verdienste erworben. Im Jahre 1859 ließ er sich in Breslau, wo er auch seine Studien absolviert hatte, als Arzt nieder und nahm bald, unterstützt durch eine ungewöhnliche Rednergabe, regen Anteil an der Erörterung allgemeiner Fragen. Seine Tätigkeit wurde nur zeitweilig unterbrochen durch die Teilnahme an den Feldzügen von 1866 und 1870, aus denen er als Stabsarzt und Ritter des Eisernen Kreuzes heimkehrte. Dann wirkte er jahrzehntelang erst als Stadtverordneter, später als Stadtrat und Dezernent der städtischen ärzt- lichen Angelegenheiten im Dienste der Stadt Breslau. Unter seiner hervor- ragenden Mitwirkung wurden die städtischen Krankenhäuser stark er- weitert. Seinen Bestrebungen war die Ausdehnung der spezialistischen Behandlungsweise in den Krankenhäusern zu danken, besonders die Be- gründung der Ohren- und Frauenabteilungen im Allerheiligen-Hospital. Steuer hat ferner durch moderne Einrichtungen, insbesondere auf Ge- Nekrologe. 37 bieten der Volksbäder und der Desinfektion die Gesundheitspflege ge- fördert. Sein Wirken für die Stadt Breslau fand, als er im Jahre 1902 den städtischen Dienst verließ, Anerkennung durch seine Wahl zum Stadt- ältesten. Als langjähriger Vorsitzender der ärztlichen Unterstützungs- kasse betätigte er sein warmes Interesse für die Angehörigen des ärzt- lichen Standes. Der Turnsport fand an ihm einen kräftigen Förderer. Seine Verdienste um das Turnen wurden durch Verleihung der Ehren- urkunde der deutschen Turnerschaft an ihn gewürdigt. Eine Stiftung zur Pflege des Jugendturnens trägt seinen Namen. In unserer Gesellschaft hat er sich lebhaft an den Verhandlungen beteiligt und ist lange Jahre der Sekretär unserer hygienischen Sektion gewesen. Wohlwollend und liebenswürdig im persönlichen Verkehr, war er stets bereit, mit Rat und Tat zu helfen und zu fördern. Nach langer Krankheit ist er im Alter von 77 Jahren gestorben. Seine Verdienste um das allgemeine Wohl sichern ihm ein dauerndes Andenken. Am 29. Dezember 1913 verstarb auf seinem Rittergute Hartau, Kreis Sprottau, der Wirkliche Geheime Rat Dr. Georg Graf Stosch, Vor- sitzender des Provinzial-Ausschusses der Provinz Schlesien, Ehrenmit- glied unserer Gesellschaft seit deren hundertjährigem Jubiläum im Jahre 1903. Geboren zu Hartau am 14. März 1836 als Sohn des am 18. Juni 1795 geborenen Felix Grafen Stosch und seiner, am 27. August 1806 geborenen Gemahlin Louise geb. von Grolmann stammte er einerseits aus einer alten schlesischen, ursprünglich böhmischen, Familie ab, und konnte er andererseits in dem Vater seiner Mutter, dem Komman- dierenden General des V. Armeekorps, von Grolmann, einen hervor- ragenden Helden der Freiheitskriege als Vorfahren verehren. Seine Jugend verlebte er zunächst auf dem väterlichen Rittergute Hartau, das 598 ha groß, seit dem Jahre 1721 im Besitz der Familie steht. Das schlichte, altertümliche Wohnhaus (,„Schloß‘“) des Gutes, in welchem sämtliche Vorbesitzer von Hartau aus Ölgemälden auf den Knaben herabschauten, liegt im Zusammenhang mit dem gleichnamigen Dorf, das, eine alte deutsche, wahrscheinlich fränkische Siedelung, bei ca. 550 Einwohnern eine sehr verschiedenartige, altertümliche Besitz- verteilung aufweist: Groß- und Kleinbauern, Groß- und Klein-Gärtner und Häusler. Einzelne Bauerngeschlechter des Ortes sind bis ins Mittel- alter zurück im Dorfe nachzuweisen. Kennzeichnend für Niederschlesien ist es, daß die Ortsbevölkerung dem evangelischen Bekenntnis angehört, die mitten im Ort gelegene Kirche dagegen und die große, verpachtete „Pfarrwidemut“ katholisch sind. Die Kirche ist unter diesen Verhält- 38 Jahresbericht der Schles. Geseilschaft für vaterl. Cultur. nissen zur dachlosen Ruine geworden, und nur das dem anliegenden kommunalen Friedhof dienende Glockengeläut erhält einzelne Teile des Kirchengebäudes. In dieser Umgebung wuchs der Knabe heran, in Gesellschaft von vier Geschwistern, zwei älteren Schwestern: Ida, später verehelicht mit Oberstleutnant von Prittwitz auf Schmoltschütz, die im Jahre 1907 starb, und Hedwig, langjährige Oberin des Frankensteiner Diakonissen- Mutterhauses, und zwei jüngeren Brüdern, Karl Dietrich, gefallen als Hauptmann im 39. Füsilier-Regiment bei Gravelotte, und Otto, der 1866 als Student in Hartau starb. Graf Stosch besuchte demnächst die Ritterakademie in Liegnitz und, nachdem er hier zu Ostern 1854 das Reifezeugnis erlangt hatte, studierte er vom Herbste 1854 bis 1857 in Berlin, Halle und wieder in Berlin die Rechte. 1857 arbeitete er als Auskultator bei den Kreisgerichten in Glogau und Hirschberg, ging dann zum Appellationsgericht Breslau über, bestand am 14. März 1863 die Assessorprüfung mit dem Prädikat „gut“, arbeitete als Assessor in Hirschberg und Lauban und wurde am 22. Dezember 1866 als Kreisrichter in Lauban angestellt. — Am 1. April 1868 schied er aus dem Justizdienste aus, um das väterliche Gut zu übernehmen. Inzwischen hatte er vom 1. Oktober 1854—1855 als Ein- jährig-Freiwilliger beim Garde-Schützenbataillon gedient; am 6. No- vember 1858 wurde er zum Sekondeleutnant der Landwehr 1. Auf- gebots im 2. Niederschlesischen Landwehrregiment Nr. 7 ernannt, 1866 zur Kriegsbereitschaft eingezogen, am 15. Januar 1867 zum Premier- Leutnant der Landwehr 2. Aufgebots ernannt, am 1. Januar 1863 zum neu- gebildeten 47. Landwehr-Regiment versetzt und am 9. Juni 1868 zum 1. Niederschlesischen Landwehrregiment Nr. 46, bei dem er — am 17. Juli 1870 einberufen — den Feldzug gegen Frankreich mitmachte. Er nahm insbesondere am Gefecht bei Diedenhofen und an der Belagerung von Metz teile Am 11. März 1873 wurde er zum Hauptmann und Kompagnieführer der Landwehr ernannt, und am 11. Februar 1886 er- hielt er den Abschied unter Verleihung des Charakters als Major mit der Erlaubnis zum Tragen seiner bisherigen Uniform. Schon als Gerichtsassessor i. J. 1864 hatte er sich vermählt mit Mathilde von Gilgenheimb, aus alter schlesischer Familie. Mit ihr, die vom katholischen Bekenntnis später zu dem evangelischen des Gatten übertrat, hat er in fast fünfzigjähriger glücklichster Ehe gelebt, aus der vier noch lebende Kinder — zwei Töchter und zwei Söhne — entsprossen. Das Leben im Hartauer Hause war im besten Sinne patriarchalisch, streng geregelt, schlicht, heimatfreudig, gastfrei, ohne allen Prunk, ge- Nekrologe. 39 tragen von altevangelischer Frömmigkeit und von konservativ-vater- ländischer, königstreuer Gesinnung. E Graf Stosch begann sein Tagewerk um 6 Uhr und schloß es um 9 Uhr; so regelmäßig und pünktlich, daß er damit vielen im Dorfe die Uhr ersetzte. Mit besonderer Liebe las er täglich früh, vor der Arbeit, römische und griechische Klassiker, und leidenschaftlich hing er an der Musik. Als Kreisrichter in Lauban wirkte er eifrig in einem bürgerlichen Instrumental-Quartett mit, und bis in sein hohes Alter spielte er fast täglich eine Stunde lang Klavier vom Blatt, lediglich zu seiner eigenen Befriedigung. Bald nach Übernahme des Rittergutes Hartau trat Graf Stosch in das öffentliche Leben vor, zunächst im Kreistage des Kreises Sprottau, bald auch in dessen Kreisausschuß und als Amtsvorsteher und — durch mehr als 30 Jahre — als Kreisdeputierter (Vertreter des Landrats). Sein lebhaft kirchlicher Sinn führte ihn ferner in die Kreis- und ‚Pro- vinzial-Synode, wo er als einer der Führer der konfessionellen Partei mehr im stillen wirkte. Als am 1. Januar 1876 die Provinzialordnung in Kraft trat und die Provinz damit wichtige Verwaltungszweige zur Selbstverwaltung überwiesen erhielt, erschien er im neuen Provinzial- Landtage als Abgeordneter des Kreises Sprottau, und er wurde auch in den ersten Provinzial-Ausschuß gewählt, zunächst als stellver- tretendes, bald jedoch als wirkliches Mitglied. Am 24. April 1882 wurde er sodann zum Vorsitzenden des Provinzial-Ausschusses gewählt, und er hat dieses Amt bis zu seinem Tode, über 31 Jahre lang, ver- waltet: immer einstimmig ' wiedergewählt und getragen von dem un- begrenzten Vertrauen des Provinzial-Landtages ohne Unterschied der Parteien. Wohl liest die Verwaltung der Provinz, zumal nach außen, zunächst in der Hand des Landeshauptmanns; allein, da dieser im wesentlichen die Beschlüsse des Provinzial-Ausschusses vorzubereiten und auszu- führen hat, so übt der Vorsitzende des Provinzial-Ausschusses, der das Vertrauen seines Kollegiums und das des Landtages besitzt, einen tief- gehenden Einfluß aus, nicht nur auf die einzelnen Geschäfte, sondern auf den ganzen Geist und auf die Kraft der Verwaltung. — Graf Stosch hat diesen Einfluß im höchsten Maße geübt, obwohl er, wo irgend möglich, vermied, persönlich hervorzutreten. — Er, der in der langen Zeit seiner Amtsführung kaum eine einzige Sitzung des Provinzial-Ausschusses versäumt hat, ging rein repräsentativen, bloß ‚fest- lichen Veranstaltungen gern ganz aus dem Wege; den Geschäften selbst aber widmete er seine ungewöhnliche Arbeitskraft mit einer Hingebung und Treue, die alle seine Mitarbeiter mit Bewunderung erfüllten. Er war 40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. auch im kleinen peinlich gewissenhaft. Aber ganz besonders zogen ihn die grossen Aufgaben an, die von der Provinzial-Verwaltung — in Schlesien mehr noch, als in anderen Provinzen — zu erfüllen waren; denn zu den gesetzlichen Aufgaben, wie dem Chaussee- und Kleinbahn- bau, den Landes-Meliorationen, der Sorge für Geisteskranke, Fürsorge- Zöglinge, Blinde, Taube, Idioten usw., den Landwirtschaftsschulen, dem Provinzialmuseum, der Denkmalspflege, ferner der Feuerversicherung, der Provinzial-Hilfskasse usw. traten hier bald und ganz besonders die Schutzbauten an den Gebirgsflüssen und demnächst auch am ÖOderstrom, dazu die Verbesserung der Oderwasserstraße und der Bau und Betrieb großer Elektrizitätswerke an den Talsperren. Als der Staat große Mittel für diese Strombauten bewilligte, diese Bewilligung aber von einer Beteiligung der Provinz abhängig machte, die weit über die ursprünglichen Aufgaben der Provinzial-Verwaltung hinaus- sing, zögerte Graf Stosch keinen Augenblick, seinen ganzen Einfluß für die Erfüllung dieser Bedingung einzusetzen, um so, wenn auch mit großen Kosten, unser Schlesierland von den furchtbaren Wassersnöten zu befreien und seinen Wohlstand durch die große Wasserstraße und durch billig arbeitende Kraftwerke an den Talsperren des Gebirges zu heben. Die Entschlossenheit, womit der sonst so vorsichtige und schein- bar zurückhaltende Mann hier, wo es das Wohl des geliebten Heimat- landes galt, zugriff und die ganze Provinz den notleidenden Teilen dienstbar machte, ist für sein Wesen kennzeichnend. Er selbst äußerte einst, daß er sich die tria praecepta juris zur Richtschnur seines Lebens gemacht habe: honeste vivere, neminem laedere, suum cuique tribuere. — In der Tat war er vor allem und im besten Sinne ein gerechter Mann und eine feste Stütze der Ehrlichkeit und der guten Ordnung im Lande. Nicht umsonst war er Richter ge- wesen, bevor er zu verwalten begann. Bei aller Festigkeit des eigenen Urteils war er stets bereit, sich mit guten, sachlichen Gründen über- zeugen zu lassen, selbst gegen das eigene Wünschen, Mit Recht er- nannte ihn darum die Breslauer Juristen-Fakultät im Jahre 1906, bei seinem siebenzigsten Geburtstage, zu ihrem Ehrendoktor. Allein er war mehr, als nur sachlich und gerecht. — Ein klarer, durchdringender Verstand und ein warmes, gütiges Herz vereinigten sich bei ihm mit tiefer allgemeiner Bildung, mit umfassenden Kennt- nissen auf den verschiedensten Lebensgebieten und mit großer Arbeits- kraft und Arbeitsfreudigkeit. Seine kraftvolle, in sich geschlossene und dabei doch gewinnende Persönlichkeit war getragen von ruhiger Würde, deren Wirkung erhöht Nekrologe. 41 wurde durch die zurückhaltende Bescheidenheit und Selbstlosigkeit, die bisweilen fast den Schein kühler Ablehnung annehmen konnte. So wird es begreiflich, daß er sich, wie — nach dem Nachruf des Kreisausschusses Sprottau — in seinem heimatlichen Kreise, so auch in der ganzen Provinz, eine einzigartige Stellung gewann, und daß überall, wo er auftrat, sein ruhiges, klares, meist in knappster Form gegebenes und in tiefen, männlichen Tönen erklingendes Wort überzeugend und ent- scheidend wirkte. Gern hat er seinen Einfluß geübt, als es galt, für Schlesien eine technische Hochschule zu erringen. — Dem Schlesischen Provinzial- Museum war er ein wohlwollender Gönner, der Universität, — z. B. bei Errichtung des Jubiläums-Stipendiums —, ein hilfsbereiter Freund. Unsere Gesellschaft aber ist ihm zu besonderem Dank verpflichtet für die Bereitwiligkeit, womit er bei ihrem hundertjährigen Jubiläum die Provinzial-Verwaltung zu einem großen Beitrage für den Bau des Gesellschaftshauses bestimmte. Die Ehrenmitgliedschaft der Gesell- schaft, die ihm beim Jubiläum verliehen wurde, war indessen doch mehr, als der Dank für dieses Geschenk. Sie galt den großen Ver- diensten, die Graf Stosch sich um unsere Provinz und das Vaterland erworben hatte und sollte ihn als erfolgreichsten Förderer von Werken und Bestrebungen zur Hebung der vaterländischen Kultur feiern. Als soleher wird er in Schlesien uns unvergessen bleiben. Seine Verdienste um Provinz und Staat wurden selbstverständlich auch vom Könige vielfach anerkannt, nicht nur durch hohe Ordens- Auszeichnungen, sondern auch — beim Krönungsfeste 1901 — durch seine Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rat. — Erfreut hat ihn wohl am meisten der telegraphische Glüchwunsch, den der Kaiser ihm zum siebzigjährigen Geburtstage sandte. Dr. Bender. Hermann Traube, Ihm durfte bei seiner Geburt in Ratibor in Oberschlesien am 24. September 1860 unter denkbar günstigsten inneren und äußeren Verhältnissen des Elternhauses wahrlich nach menschlichem Ermessen das Horoskop eines Glückskindes gestellt werden. Sein Vater war der hervorragende Chemiker Dr. Moritz Traube, später korrespon- dierendes Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin, in dessen gastlichem Hause nach seiner Übersiedelung nach Breslau sich gern die Naturforscher und Mediziner der Universität zusammen- fanden. Seine Mutter Bertha, geb. Moll, war eine hochgebildete, feinsinnige und warmherzige Frau. Als selbstverständlich galt, daß der junge Hermann ein Gelehrter werden sollte. Früh wandte sich seine Neigung der Mineralogie zu. Nachdem er auf dem Breslauer Magdalenäum zu 42 Jahresbericlit der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ostern 1880 das Reifezeugnis erlangt, studierte er auf den Universitäten Leipzig, Heidelberg, Breslau, Greifswald. Bei den Vorstudien zu seiner Doktor-Dissertation über Gabbros, Amphibolite und Serpentine des Nieder- schlesischen Gebirges (Greifswald 1884) wurde Hermann Traubean dem als die Steinberge bezeichneten Hügelzug, der sich von Naselwitz, östlich von Zobten, gegen Jordansmühl (wie Naselwitz zum Kreise Nimptsch gehörig) hin erstreckt, wesentlich aus Serpentin besteht, und westlich von Jordansmühl in unmittelbarer Nähe der nach Zobten führenden Chaussee in einem Steinbruch aufgeschlossen ist, auf ein ungewöhnlich hartes Material aufmerksam, das durch nähere Untersuchung als Nephrit erkannt wurde. Das war aber eine Entdeckung von eminenter Bedeutung, welche den jungen Traube mit einem Schlage bekannt machte, und zwar nicht nur unter den Mineralogen, sondern auch Ethnographen und Prähistorikern der ganzen Erde. Zum Verständnis dieser Bedeutung bedarf es einiger Worte über die „Nephritfrage‘“. In den ersten Anfängen der Kulturentwickelung suchten die Menschen nach Steinen, nicht nur um sich damit zu schmücken, sondern besonders zu Zwecken der Selbsterhaltung, zu Waffen und Ge- räten. Die auf uns gekommenen Objekte in Gestalt von Beilen, Meißeln, Kornreibern usw. zeigen, wie praktisch dabei das Material bevorzugt wurde, welches nicht nur hart, sondern besonders auch fest und zähe war, also dauerhaft, und da steht in erster Reihe der Nephrit. Dieser hat seinen Namen von der mittelalterlichen Bezeichnung als Nierenstein, Lapis Nephriticus (von veopcs, Niere), weil dem Stein eine Heilkraft gegen Nierenschmerzen zugeschrieben wurde*). Besonders hoch- geschätzt und verarbeitet seit alter Zeit bis zur Gegenwart wird der Nephrit in China, dort Yü genannt. Solche Arbeiten aus Nephrit (und auch Jadeit, vgl. unten die Anmerkung) wurden in Europa in weiteren Kreisen erst bekannt nach der Plünderung des Sommerpalastes bei Peking, die dem Siege der Franzosen und Engländer unter General Cousin-Mon- tauban bei Palikao (daher der Name Graf Palikao) am 21. September 1860 folgte. Da wurden herrliche Sachen, wie Idole, Amulette, Messer, Schwert- griffe, Schalen, Tassen, durchbrochene Dosen, Gürtelschnallen, in einander hängende Ringe u. a. in großer Zahl „gerettet“. Auch auf Neuseeland *) Ebenso wie der Piedra de la Yjada (ijjada = hijada, Weiche), eingehend vom spanischen Arzt Monardes in seiner Geschichte der Medizin Westindiens (1569) besprochen. Meist wurden dann beide Steine verwechselt oder identifiziert. Aus ijjada entstand durch Umbildung in Frankreich das Wort jade als Bezeichnung für Nephrit und die ihm ähnlichen Mineralien. Der französische Mineralchemiker Damour zeigte 1863, daß unter diesen Dingen zwei verschiedene chemische Ver- bindungen vorkommen, die gewöhnlichen von wesentlich Kieselsäure, Magnesia und Kalk, welcher der Name Nephrit verblieb, und eine zweite von Kieselsäure, Thonerde und Natron, welehe Damour nun Jadeit nannte. Nekrologe. 43 wird der Nephrit unter dem Namen Punamu noch heute sehr geschätzt und von den eingeborenen Maoris seit langer Zeit verarbeitet. Ungleich ausgedehnter jedoch war in prähistorischer Zeit, wie vorhin schon an- gedeutet, die Verbreitung des Nephrits, besonders als Material von kleinen Beilchen. Rätselhaft aber mußte es erscheinen, daß trotz der Funde ver- arbeiteter Nephrits über beinahe die ganze Erde nur wenige Fundpunkte im Fels anstehenden Nephrits bekannt wurden. Rohmaterial auf seiner ursprünglichen Lagerstätte war bis vor etwa 35 Jahren mit Sicherheit nur in Zentralasien und in Neuseeland gefunden worden. Es lag also die Vermutung nicht fern, daß das Material auch zu den in Europa und Amerika gefundenen Geräten von jenen Fundstätten, besonders aus Zentralasien stammen könnte. Professor Heinrich Fischer in Frei- burg i. B. gründete darauf eine Theorie von ausgedehnten Handels- verbindungen und Völkerwanderungen, die in interessanter Weise z. B. die Herkunft der in besonders großer Menge in den Pfahlbauten der Schweiz, am Bodensee, Züricher, Bieler und Neuenburger See gefundenen Nephrit- objekte erklären sollte. Als die entschieden geistvolle Hypothese Fischers (eingehend dargelegt in seinem 1875 erschienenen Werke „Nephrit und Jadeit‘‘) sich ziemlich allgemeiner Anerkennung erfreute, stand natürlich auch der Nephrit im Zenit seines Ruhmes bei den Ethnographen. Bald aber setzten drei Entdeckungen die „Nephritfrage“ in neue Beleuchtung. Nachdem von verschiedenen Forschern, besonders von unserem schlesischen Landsmann Adolf Kenngott, weiland Professor in Zürich, die Zugehörigkeit des Nephrits zur Gruppe der Hornblenden mehr oder weniger bestimmt vermutet ‘worden war, zeigte Berwerth in Wien 1879, daß der Nephrit seinem ganzen Wesen nach nichts anderes als ein dichter feinfilziger Strahlsteinschiefer ist, und wies auf die Möglichkeit und Wahr- scheinlichkeit hin, den Nephrit bezw. „nephritischen Strahlsteinschiefer“ auch in Europa anstehend zu finden, besonders in den Alpen wegen der Häufigkeit der in der Schweiz gefundenen Nephritwerkzeuge. Weiter konstatierte Andreas Arzruni (1883 bis 1884 außerordentlicher Professor in Breslau) in einer ganzen Reihe sorgfältiger Arbeiten, wie die Nephrite bei Gemeinschaftlichkeit eines gewissen Strukturcharakters der eigentüm- lichen Verfilzung doch mikroskopisch so typische und konstante Struktur- merkmale darbieten, daß daraus die Herkunft der Stücke bestimmbar wird. Besonders sind danach die Nephrite aus Neuseeland, aus Sibirien und die Schweizer Pfahlbaunephrite zu unterscheiden, so daß die letzt- genannten sicher weder aus Sibirien, noch aus Neuseeland herstammen. Von der allergrößten Bedeutung war nun offenbar die dritte, gewisser- maßen den Ring schließende Entdeckung, eben die Hermann Traube gelungene Entdeckung anstehenden Nephrits bei Jordansmühl in Schlesien, der ersten sicheren dieser Art in Europa. Zwar hatte schon Linne Lapis 44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur, Nephriticus aus Schlesien angegeben, und zwar von Reichenstein und dem Zobtengebirge; jedoch ist damit wahrscheinlich nur der im Zobtengabbro häufige Saussurit gemeint, der auch als magerer Nephrit bezeichnet wurde. Tatsächlich wurde übrigens dann echter Nephrit von Traube auch bei Reichenstein entdeckt. Wenn auch der schlesische Nephrit an Schönheit des Materials nicht mit dem in China verarbeiteten wetteifern kann, So beweisen doch Traubes Funde die Möglichkeit lokaler Herkunft des Materials der sonst in Europa gefundenen Nephritwerkzeuge. Nach seiner Doktorpromotion wurde Hermann Traube Assistent bei Geheimrat Ferdinand Roemer am Mineralogischen Museum der Uni- versität Breslau und begann hier auf Veranlassung Roemers eine zu- sammenhängende Bearbeitung der schlesischen Mineralvorkommnisse und geognostischen Untersuchungen in Schlesien, — eine Aufgabe, der sich Traube auch weiter ohne Unterbrechung widmete, als er im Herbst 1886 als Assistent von Prof. Dr. Joh. Lehmann nach Kiel ging, sich an der Kieler Universität zu Ostern 1887 unter dem Rektorat des gegenwärtigen Präses der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur, Herrn Geheimrat Prof. Dr. Richard Foerster, als Privatdozent für Mineralogie und Petrographie habilitierte und vom Unterrichtsministerium während des Wintersemesters 1887/1883 mit der Vertretung des erkrankten Professors Dr. Arzruni an der Technischen Hochschule in Aachen betraut wurde. So konnte Traube sein fertiges Werk „Die Minerale Schlesiens“ am 5. Januar 1883 seinem verehrten Lehrer Ferdinand Roemer als Widmung zur 70. Geburtstagsfeier überreichen. Wenn man von dem Mineralreichtum eines Landes spricht, so kann damit zweierlei gemeint sein. Entweder soll ausgedrückt werden, daß das betreffende Land große Massen von gewissen, vielleicht von nur drei bis vier verschiedenen Mineralarten birgt, — dann wird man gewiß den Nebengedanken verbinden, daß es sich um nutzbare Mineralien handelt, womöglich um wertvolle Erze, — oder aber man versteht unter dem Mineralreichtum das Vorkommen einer großen Anzahl verschiedener Mineralarten, von denen vielleicht keine einzige in einer der Ausbeutung lohnenden Menge sich findet. Der Standpunkt des ersten Begriffs ist der technische resp. volkswirtschaftliche, der des zweiten Begriffs der wissenschaftliche. Es ist genügend bekannt, wie mineralreich vom technischen Standpunkte aus manche Gegenden unserer Heimatprovinz sind. Aber nicht nur ebenbürtig dem technischen Mineralreichtum Schlesiens, sondern wohl noch viel großartiger ist sein Mineralreichtum vom wissenschaftlichen Standpunkte aus. Nur wenige der durch- forschten Gegenden auf der ganzen Frde bieten auf demselben Raume wie unser Schlesien eine solche Fülle der verschiedensten Mineral- Nekrologe. 45 vorkommen, deren einige zu den schönsten ihrer Art überhaupt gehören. Eine so zu sagen statistische Vorstellung von Schlesiens Mineralreichtum im wissenschaftlichen Sinne ermöglicht die Tatsache, daß ein reichliches Drittel aller überhaupt bekannten Mineralien auch in Schlesien beobachtet worden ist. Man versteht deshalb die Bedeutung von Traubes Buch, das nicht nur von den wissenschaftlichen Mineralogen als lexikalisches Nachschlagewerk, sondern auch vom Liebhaber und Sammler zu seiner Orientierung dankbar begrüßt wurde. In ununterbrochener Reihe ließ Traube dann eine große Zahl wissenschaftlicher Arbeiten folgen, wie das angeschlossene Verzeichnis zeigt; und zwar in ungewöhnlicher Vielseitigkeit aus den verschiedensten Gebieten der Kristallographie, Mineralogie und Petrographie. Außer den Mineralien zog Traube besonders auch im Laboratorium dargestellte Kristalle, sowohl anorganischer als auch organischer Verbindungen in den Kreis seiner Untersuchungen, speziell auch zirkularpolarisierende Sub- stanzen. Im Anschluß an die Untersuchung von Hüttenprodukten be- schäftigte sich Traube auch mit Vorliebe mit der künstlichen Dar- stellung, mit der Synthese von Mineralien. Da diese wissenschaftliche: Spezialität gegen Ende des vorigen Jahrhunderts besonders von fran- zösischen Gelehrten gepflegt wurde, brachte Traube deshalb das Winter- semester 1891/92 mit einer Reiseunterstützung seitens der preußischen Regierung zum Studium der Mineralsynthese in Paris zu, von wo aus er eine zusammen mit Leon Bourgeois ausgeführte Arbeit „sur la repro- duction de la dolomie‘ publizierte. In bezug auf den äußeren Lebensgang Traubes ist noch nachzu- tragen, daß er aus Anlaß der Verzögerung vom Bau und Neueinrichtung des mineralogischen Instituts der Universität Kiel und der dadurch be- schränkten Arbeitsmöglichkeit Kiel zu Ostern 1889 verließ und sich im Sommer 1889 an der Universität Berlin für Mineralogie und Petrographie neu habilitierte. Hier führte er seine Arbeiten teils in dem unter Leitung von Geheimrat Carl Klein stehenden mineralogischen Institut, teils im zweiten chemischen Institut der Universität bei Geheimrat Landolt und dann dessen Nachfolger Geheimrat Nernst aus. Im Jahre 1897 wurde ihm der Professortitel verliehen; 1903 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur ernannt, In Anbetracht seiner wissenschaftlichen Leistungen und Erfolge wurde natürlich auch wiederholt bei der Besetzung von Professuren der Mine- ralogie seiner in ehrenvoller Weise gedacht, doch war er 45 Jahre alt geworden, als er endlich in eine etatsmäßige Professur, in das Extra- ordinariat in Greifswald im Herbst 1905 einrückte. Inzwischen aber hatte leider sein Gesundheitszustand die Widerstandsfähigkeit verloren. Nach- dem er schon mehrfach vorher hatte ein milderes Klima aufsuchen müssen, 46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. vermochte er das von Greifswald nicht mehr auf die Dauer zu ertragen, legte er schon im Herbst 1906 sein Amt nieder und kehrte nach Berlin zurück. Trotz seiner angeborenen Liebenswürdigkeit und Lebensfreudigkeit gehörte Hermann Traube nicht zu den sich leicht anschließenden Naturen. Nur wer ihn länger und näher kannte, vermochte Einblick in sein Innenleben zu gewinnen. Keineswegs waren seine geistigen Inter- essen auf seine Fachwissenschaft beschränkt, sondern umfaßten außer den anderen Naturwissenschaften auch alles, was man unter allgemeiner Bildung im besten Sinne des Wortes zu verstehen pflegt, nicht nur die klassische, sondern auch die neue und neueste Literatur, nicht nur die deutsche, sondern auch die französische und englische, die Kunstgeschichte und die Musik. Wie angenehm berührte dabei seine Bescheidenheit. Wahr- scheinlich wäre sein äußerer Lebensgang erfolgreicher geworden, wenn es ihm gegeben gewesen wäre, dem Schicksal abzutrotzen, „was es dem Bittenden verweigern wollte“. Versagt war ihm die suggestive Kraft des Glaubens an sich und sein Recht, um die der Menschenkenner Ibsen in den „Kronprätendenten“ den Jarl Skule seinen glücklicheren Nebenbuhler beneiden läßt. Sein durch und durch nobler Charakter bewahrte ihn vor Verbitterung über viele unerfüllt gebliebene Hoffnungen, ließ es ihn aber um so dankbarer empfinden, wo ihm in Freundschaft Anerkennung und Aufmunterung entgegengebracht wurde. Ein wahrhaftes Glück wurde ihm noch zuteil, indem er 1903 Frau Elise van Tienhoven, geborene Ninck Blok als Gattin heimführte, eine edle, hochgesinnte, feingebildete Frau, die in allen ihren vortrefflichen Charaktereigenschaften so ganz zu ihm paßte. Geradezu rührend war es für teilnehmende Freundesaugen zu beobachten, wie zartfühlend er stets besorgt und bemüht war, der liebe- vollen Gattin die beängstigende Zunahme seines Leidens zu verbergen. In der Frühe des 29. Januar 1913 machte ein Blutsturz seinem Leben ein Ende. Hermann Traubes nachfolgend zusammengestellte Arbeiten sind zumeist erschienen im Neuen Jahrbuch und in dem Zentralblatt für Mine- ralogie, Geologie und Paläontologie, in Groths Zeitschrift für Kristallo- graphie und Mineralogie, sowie in der Zeitschrift der Deutschen Geolo- gischen Gesellschaft. 1. Beiträge zur Kenntnis der Gabbros, Amphibolite und Serpentine des Niederschlesischen Gebirges. Inaug.-Diss. Greifswald 1884. Über den Nephrit von Jordansmühl in Schlesien. 3. Mineralogische Mitteilungen (Laubanit, ein neuer Zeolith, Eisenglanz, Laumontit, Skoleeit, Apatit, Baryt, Aragonit). 4. Über einen neuen Fund von anstehendem Nephrit bei Reichenstein in Schlesien. 1) Nekrologe. 47 . Über Plumbocaleit von Tarnowitz in Oberschlesien. . Mineralogische Mitteilungen (Kalkspat, Bleiglanz, Quarz). 7. Die Minerale Schlesiens (mit 30 Zinkographien, 18 Bogen) 32. 33. Breslau 1884. Zinnober und Kalomel vom Berge Avala bei Belgrad in Serbien. . Zinkhaltiger Aragonit von Tarnowitz in Schlesien. . Über ein Vorkommen von Eklogit bei Frankenstein in Schlesien. . Untersuchungen an den Syeniten und Hornblendeschiefern zwischen Glatz und Reichenstein in Niederschlesien. . Über pleochroitische Höfe im Turmalin. . Pyrargyrit von Kajänel in Siebenbürgen. Über den Molybdängehalt des Scheelits und die Trennung der Wolframsäure von der Molybdänsäure. . Über die Kristallform des Milchzuckers. Über den Pseudobrookit vom Aränyer Berge in Siebenbürgen. . Über die Kristallform einiger Lithiumsalze (erste Mitteilung). . Sur la reproduction de la dolomie, zusammen mit L. Bourgeois. . Über die Kristallformen optisch einaxiger Substanzen, deren Lösungen ein optisches Drehungsvermögen besitzen (zwei Mit- teilungen). . Über flächenreiche Chlornatrium-Kristalle. . Über die Kristallform einiger weinsaurer Salze (zwei Mitteilungen). . Über die Drehung der Polarisationsebene des Lichtes im geschmolzenen und kristallisierten Maticocampher. . Über das wasserfreie Natriumchromat und das Hydrat Na, CrO, +4H,0. . Über die Isomorphie des Natriumcarbonats mit dem Natriumsullfit. . Über die Darstellung wasserfreier kristallisierter Metallsilikate. . Über die Kristallform einiger Lithiumsalze (zweite Mitteilung). . Über die Isomorphie von Sulfaten, Selenaten, Chromaten, Molybdaten und Wolframaten. . Über die Doppelsalze des weinsauren Antimonoxyd-Bleis und Baryums mit salpetersaurem Kali. . Über die künstliche Darstellung der Barylils. . Über die pyroelektrischen Eigenschaften und die Kristallform des Prehnits. . Über die chemische Zusammensetzung und Kristalliorm des künst- lichen Zinkoxyds und 'Wurtzits. Beiträge zur Mineralogie Schlesiens. Über die Isomorphie von Nitraten, Chloraten, Bromaten (Jodaten) zweiwertiger Elemente. 48 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 34. Eine einfache Verdunkelungsvorrichtung für das Goniometer mit horizontalem Teilkreis. 35. Beiträge zur Kenntnis des Nephelins und des Davyns. 36. Kristallographische Mitteilungen (Bromsaures Kali, Suceinimidjodid, Bromshikimilacton, über die der Drehung der Polarisationsebene des Lichtes im Maticocampher und im Laurineencampher. 37. Über das optische Drehungsvermögen von Körpern im kristallisierten und im flüssigen Zustande. 38. Über die Kristallformen regulärer und optisch einaxiger Substanzen, deren Lösungen ein optisches Drehungsvermögen besitzen. 39. Über die Ätzfiguren einiger Minerale. 40. Beiträge zur Kenntnis der chemischen Zusammensetzung und Kristall- form der äpfelsauren Salze. 41. Die pyro&lektrischen Eigenschaften des Titanits und des Strontium- bitartrats. 42. Über das optische Drehungsvermögen von Körpern im kristallisierten und im amorphen Zustande (zwei Mitteilungen). 43. Über die Kristallformen optisch einaxiger Substanzen, deren Lösungen ein optisches Drehungsvermögen besitzen. 44. Kristallographische Untersuchungen (Über die Kristallform einiger Diisonitraminester). 45. Kürzere Originalmitteilungen und Notizen (mikrochemische Notizen). 46. Über künstliche Darstellung von Mineralien durch Sublimation. CarlHintze. Am 27. März 1913 verstarb der Königliche Ökonomierat Herr Paul Ziegert aus Breslau, Fürstlich Plessischer Landwirtschaftsdirektor a. D., nachdem derselbe seit dem Jahre 1910 ein Mitglied unserer Gesellschaft und eifriger Förderer ihrer Bestrebungen gewesen war. Geboren am 29. April 1841 in Tarnowitz OS. genoß er seine erste Erziehung in Breslau. Mit besonderer Passion von Jugend auf zum land- wirtschaftlichen Beruf ausgestattet, ergriff er diesen frühzeitig und blieb während seiner Ausbildung auf den verschiedensten Gütern der Provinz in Stellung. Im Alter von 27 Jahren pachtete er das der Stadt Breslau gehörige Gut Friedwalde, sowie das fiskalische Gelände des ehemaligen Karlo- witzer Schießplatzes; später die Güter Nisgawe und Stanschen im Kreise Wohlau. Mit Eifer widmete sich der Verstorbene der Bewirtschaftung dieser Güter. Im Frühjahr 1880 erschien er auf der großen Provinzial- tierschau in Breslau mit seiner in Nisgawe gezüchteten silbergrauen Hol- länder Rinderherde, welche den ersten Preis erhielt und durch ihre schönen feinen Formen bei allen Züchtern und Kritikern so reiche An- Nekrologe., 49 erkennung fand, daß sein Ruf als Züchter in weiten Kreisen der Provinz begründet war. Er wurde dann Vorsitzender des landwirtschaftlichen Vereins seiner Heimat und nahm als dessen Delegierter an den Arbeiten des Zentralkollegiums des landwirtschaftlichen Zentralvereins für Schlesien teil. Bei dessen Beratungen zeichnete er sich durch sachgemäße, scharf- sinnige und energisch vorgetragene Ausführungen so aus, daß seinen Ansichten immer mehr Gewicht beigelegt wurde. In dieser Zeit faßte man im Zentralverein auf Anregung des Grafen Pückler-Burghauß den Beschluß, die Landesrinderzucht in der Provinz, mehr als bisher zu pflegen, dadurch, daß man versuchen wollte, in bäuer- lichen Kreisen eine einheitliche Rinderhaltung einzuführen. Man beschloß im Jahre 1885, die Zucht eines einheimischen Schlages zu fördern, welcher die kleinen Besitzer in den Stand setzen sollte, brauchbare Zugochsen zu liefern und ein Vieh mit mittleren Milchleistungen und Genügsamkeit im Futter zu züchten. War schon bei der Verfolgung dieses Gedankens Ziegerts Rat mit maßgebend geworden, so fiel, als man einen sachkundigen und für das Ziel mit voller Liebe sich hingebenden Zuchtleiter für diese Zuchtbestrebung suchte, die Wahl auf ihn. Mit Eifer widmete er sich dieser Aufgabe, er war es, der das damals sogenannte „Schlesische Land- vieh“, später „Schlesisches Rotvieh‘‘ genannt, als Rasse einführte, indem er das Zuchtziel nach Form und Leistung bestimmt und klar umschrieb, die passenden Herden auswählte und deren Zucht mit Energie leitete. Er brachte im Jahre 1888 auf der großen landwirtschaftlichen Ausstellung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft eine so imponierende Kollektion dieses Viehes zustande, daß dessen Ruf und Bedeutung mit einem Male reiche Anerkennung fand, die durch seine Ernennung zum Königlichen Ökonomierat öffentlich zum Ausdruck kam. Im Herbst des Jahres 1888, während er noch kürzere Zeit Pächter von Nisgawe blieb, wurde er von Sr. Durchlaucht dem Fürsten von Pleß zur Leitung seiner großen im Kreise Pleß gelegenen landwirtschaftlichen Besitzungen berufen, ein Amt, das er mehr als 20 Jahre inne hatte und in welchem er mit seinem reichen Wissen und scharfen, praktischen Blick, seiner unermüdlichen, nie ruhenden Tatkraft große Erfolge erzielte. Aber auch von hier aus leitete er weiter die Zucht des Schlesischen Rotviehs in der Provinz als Beauftragter des landwirtschaftlichen Zentralvereins und der Landwirtschaftskammer, deren Mitglied er später selbst wurde und in deren Ausschuß für Rindviehzucht er bis zu seiner Pensionierung eifrig tätig war. Seiner Anregung ist die Einrichtung des Schlesischen Zuchtviehmarktes in Breslau im Jahre 1893 durch den landwirtschaftlichen Zentralverein für Schlesien zu danken, der seitdem bis in die heutige Zeit alljährlich in Breslau abgehalten wird. Durch seine beharrlichen, ziel- bewußten Arbeiten, durch Vorträge und literarische Veröffentlichungen 1913, 4 a. mn rn 50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. sowohl, als namentlich durch ständige Überwachnug der Herden, durch Einrichtung und Führung der Zuchtregister und durch persönliche Leitung der Zucht in den Ställen hat er das schlesische Rotvieh- zu einer jetzt allgemein anerkannten Bedeutung gehoben, wodurch er der bäuerlichen Rindviehzucht Schlesiens hervorragende Dienste geleistet hat. Bei Übernahme der Leitung der Fürstlich Pleßschen Begüterung trat noch eine andere auch für ihn neue Aufgabe hinzu, die seine Arbeitskraft in hohem Maße in Anspruch nahm. Bei der Herrschaft Pleß waren ungeheure große Flächen Moor vor- handen, die einen ganz geringen oder gar keinen Nutzen brachten. Mit der Melioration solcher Moorflächen waren überall im Deutschen Reiche die günstigsten Resultate erzielt worden und, wenn auch Se. Durchlaucht der Fürst von Pleß im Jahre vorher schon eine kleine Fläche hatte melio- rieren lassen, so ist es doch hauptsächlich der Tätigkeit des Verstorbenen zu verdanken, daß im Laufe der nächsten Jahre rund 4000 ha dieser Flächen zu üppigen Äckern und Wiesen umgewandelt wurden. Fest durchdrungen von der Erkenntnis des Werts derartiger Meliorationen und des Vorteils für die ganze Landwirtschaft, verstand er es, seinen fürstlichen Herrn von der Notwendigkeit und Rentabilität der großen kostspieligen Meliorationen zu überzeugen und zu der Hergabe der auf rund 1!/, Mill. Mark allmählich anwachsenden Kosten zu bewegen. Noch während seiner Amtstätigkeit hatte er die Freude, zu sehen, wie gute Früchte diese Arbeit brachte und wie sie allseitig anerkannt wurde. Der ganze Plesser Kreis profitierte hiervon, und eine große Reihe kleinerer und kleinster Besitzer nahm sich die mustergültigen Arbeiten zum Vorbild. Die Verleihung des Roten Adlerordens IV. Klasse und des Kronenordens III. Klasse belohnten ihn für seine Bemühungen. Auch in Pleß wurde er bald nach seinem Amtsantritt Vorsitzender der landwirtschaftlichen Kreiskommission und des landwirtschaftlichen Kreisvereins des Kreises Pleß, den er 20 Jahre hindurch leitete. Bel seinem Übertritt in den Ruhestand am 1. Oktober 1909 wurde er von diesem Verein als Dank für seine langjährige opfermütige Tätigkeit zum Ehren- mitglied ernannt. Auch in Breslau, wohin Ziegert nach seiner Pensionierung zog, gönnte er sich noch keine Ruhe. Er behielt die Oberaufsicht über mehrere größere Güter und nutzte auch hier seine reichen Erfahrungen weiter aus. Nach kurzem Kranksein wurde er dann im Jahre 1913 abberufen. Sein biederer Charakter und liebenswürdiges Wesen hatten ihm viel Freunde erworben, die sein Andenken stets in Ehren halten werden. Fürstl. Pless. Landwirtschaftsdirektor Dr. Gotzhein. Er En 57 1. enzelie ‚Schriften. Zwei Reden, gehalten von dem Reg.-Quartiermstr. Müller und des S gstages der Gesellschaft zur Beförderung ‚der; ‚Na ö am 17. Dezember 1804, 8% 48 Seiten. 3 : An die Mitglieder der Gesellschaft zur Beförderung der N: sämtliche ‚Schlesier, von Bectur‘ Reich er 1809. 8. 3 rl. ı ihres Stiftungsfestes. 80, 408 Joh. George Thomas, Handb. ‚der ee . Schles, Beiträge zur a verfasst von den Mitgliedern der Die schles. Bibliothek der Schles, Gesellschaft v.RG.No Denkschrift der Schles, Gesellschaft zu ihrem 50jähr. Bestehen, e Gesellschaft und zur Nasur. un a ae Tafeln. 49, n- Ss. ‘ j ; Dr. ER Kühn, Die zweckmägigste ee Rindvieh 1858. Dr. H. Lebert, Klinik des akuten Gelenkrheumatismus Gratulations chri Jubiläum des Geh. San.-Rats Dr. Ant. Krocker, Erlangen 1860 . Dr. Ferd. Römer, Die: tossile Fauna der silurischen Diluvialgeschiebe Schlesien, mit 6 lithogr. und 2 Kupfer-Tafeln, 1861. 40. 08. Lieder zum Stiftungsfeste der entomologischen und botanischen Sekti d Manuskript gedruckt. 1867. 8. 928. a © Verzeichnis der in den Schriften der Schles, Gesellschaft von 1804-1868 inkl. enthal alphab. Ordnung von Letzner. 1868. 83%, Fortsetzung der in den Schriften der Schles, Gesellschaft für a 1 enthaltenen Aufsätze, geordnet nach den Verfassern in alphal General-Sachregister der in den Schriften der Schles. Gesellschaft für inel. enthaltenen Aufsätze, geordnet in alphab. Folge von Dr. Sc Die Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur. L Die Hunde: der Gesellschaft (149 8.). Breslau 1904. ; 2. Periodische Schriften. Er Verhandlungen der Gesellschaft f. Naturkunde u, Industrie Schlesiens. 112 S. 1806. Desgl. Bd. II, 1. Heft, 1807. : Correspondenzblatt der Schlesischen Gesellschaft für yaterländische Cultur Jahrg. I, 1810, 96 8, ... FJahrg. II, 1812. 96 8. ‚Jah = I, 1811, do. IV, 1813, Bft. 1 u.2jesss.| - Correspondenz der Schles, Gesellschaft £. vaterl. Cultur. 30, Ba. L Desgl. Bd. II (Heft I), 80 S, mit Abbild,, 1820. ‚Bulletin ne naturwissenschaftl. Sektion der Schles. ‚ Gesellschaft 1-1, 1822, do. 1—10, 184 Übersicht der Arbeiten (Berichte sämtl. Sectionen) u, Veränderungen ’der Se eur 1824, 55 Seiten 40, (are 1860. 202 Seiten 4. Jahrg, : 1825. 64 . 40, i 1861.18 =. 8 nebst RL TABEG OB TATEN Abhandl. 492 Seiten. . 1827. 79 . 40, ur 1862. 162 Seiten 30, nebst „1828. 9 ° - TEE SEE ' Abhandl. 416 Seiten. « 1829. 72 . 40, £ s 1863. 156 Seiten 89, « 1830. 95 . 48, : . 1864. 266 Seiten 380, N e 77531881, 96: Dia A EARn Abhandl. 266 Seiten. » 1832. 103 - ENAAERE . 1865. 218 Seiten 80, nebst | « 1833. 106 “ 40, ab Abhandl. 69 Seiten. =. 1834. 143 . 49, - 1866. 267 Seiten 80, nebst - 1835.146 - 4, Abhandl. 90 Seiten. 2421896. 197 2182,40) « 1867. 278 Seiten 8%. nebst » . 1837. 191 . 40, \ Abhandl. 191 Seiten, -» 1838. 14 - 40, . 1868, ir Seiten 80, nebst . 1839, 226 = 40, bhandl. 447 Seiten, » 1840, 151 v 4, a ‚1869, En Seiten 80, nebst .»:. 1841.18 - 40, Abhandl. 236 Seiten. =» 1842. 226 . 40, » . 1870. 318 Seiten 80, nebst| -» 1843. 272 40, nebst| . 0 Abhandl. 85 Seiten. AS. Aiaisssol, Bean: 1844. 232 Seiten 40, » 1845. 165 5 40, nebst 52 8. meteorol. Beob. » 1846. 320 Seiten 40, nebst 74 S. meteorol.Beob. - 1847 404 Seiten 40, nebst 44 S. meteorol. Beob. - 1848, 248 Seiten 49, » 1849. Abth.I, 180 8. 11,398. | n.448. ıneteorol. eob, » 1850. Abth.I, 2048.11, 368. «1851. 19 Seiten 40, »..1852. 212 = 40, :1871. 357 8.80. n. Abh, 2528, ‘1872. 3508.80, n.Abh. 1718. | 1873. 2878.80, n. Abh. 1488. 1874. 294 Seiten. 80, 1875.36 = ...80, 1876. 394 . 8. 1877. 428 ERSER :R 1878, 31 » 80, 1879. XX. W473 BER 1880, XVI u. 291 . 80, 1881. XVI u.424 ..8%. 1882. XXiV 1.432 «80, 1883. XVI w4a3 »- 1884. XLI w.402 80, “ . En Ben BT nm Bu U Rn En . 1853.35 =» 4, 1885. XVI u 44 Seiten 9. “1854.28 « 4% n. Erg.-Heft. 121 8. 80, 1855. 286 “ 4, » 1886. XL u. 327 Seiten 80. 1856.42 - 40, n. Erg.-Heft 121 8. 80, a. 1857. 347 . 40, » - 1887, XLII u. 411 Seiten 80, « .1858. 224 . 40, - 1888. XX u. 317 Seiten 8%, i . 1859,22 - 4, © 1888. XLiVu 287 Seiten 80, ER Mitglieder-Verzeichnis in 8° von 1805 und seit 1810 alle zwei Jahre ers jenen. _ Einundneunzigsier or J ahr es-bericht & = | . od | _Schlesischen Cosellächeft 2 für edle klar G a 1913. oo IL. Band. en: ee Breslau. 6. BE Aderholz’ Buchhandlung. — ) rf Finumdmeunzigster Jahres-bericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Gultur. 1913. Breslau. G. P. Aderholz’ Buchhandlung 1914. Inhalts -Verzeichnis des II. Bandes des 91. Jahresberichtes. Berichte über die Sektionen. I. Abteilung: Medizin. a. Sitzungen der N ederikaschen Sektion. (Die römischen Zahlen zeigen den Teil, die arabischen die Seitenzahlen an.) Asch, Robert: Zum Vortrage (T. I. S. 6) von Klaatsch . — Über das Erbrechen von Se necen . Berliner, Max: Über die Beeinflussung der Tuberkulose durch en Bessau, Georg: Über den diagnostischen und prognostischen Wert der Wiederholung lokaler Tuberkulinreaktionen. . Biberfeld: Über Atophan . . B Bittorf: Zum Vortrage (T. I. S. 9) x von Hürthle ß Bleisch: Augenveränderungen bei disseminierter Myelitis Brade: Drei Fälle von Pancreasoperation . N Er Braendle: Tuberkulöse Affektionen der Knochen, Gelenke und Drüsen Bruck, C.: Neue therapeutische und diagnostische Methoden bei Gonorrhöe und ihre Komplikationen Goenen: Tätigkeit und Erlebnisse wareend HN Balkankiide es in then — Demonstrationen: ’ 1. Schultergelenkschuss. . 2. Traumatische Jackson’sche Hbilepeie 5 a 3. Rechtsseitige quere Wangenspalte und Misshildung der rechten ÖOhrmuschel und Hypoplasie der ganzen rechten Gesichtshälfte — Bericht über die Hilfsexpedition im zweiten Balkankriege in Saloniki — Zum Vortrage (T. I. S. Si) von Dreyer. . RENNER RE — Traumatische Be durch S-Geschoss. — Fascientrans- plantation : & Dreyer: BE hiningische rgebniese des Ballen 1913713 3 Eisenberg: Über sogenannte Mutationen (Sprungvariationen) beiBakterien Ephraim: Zum Vortrage (T.-I. S. 37) von Langenbeck — Beiträge zur ln Diagnostik und ih Eee racischer Tumoren ; Forschbach: Zum Vortrage (r. L. S. 78) \ von R Oel, Foerster, O.: Zum Vortrage (T. Il. S. 28) — Zuın Vortrage (T. I. S. 27) von Ziesche — Demonstrationen: 1. Vorderseitenstrangdurchschneidung im Rückenmark zur Beseiti- gung von Schmerzen . . .. . DES TELN N LAUNE LS ae . Primärer Tumor der Wirbelsäule. Paraplegie der Beine, ope- rative Entfernung 5 5 08 : 3. Intraspinaler Tumor in der Höhe es 1. Dörsslsegmenis #4. Hämatomyelie im Bereiche des Halsmarks . to Seite 119 10255 Il 68 I 74 Il Ir 1230 I 48 193 1.61 1537 . 158 u. 60 . 158 u. 60 I 58 I 62 181 I 82 I 3 12.90 17939 1.2: 1.79 1) I 29 I 45 I 47 1 47 I 47 IV Inhalts- Verzeichnis. Foerster, O.: Das phylogenetische Moment in der spastischen Lähmung Frank, E.: Zum Vortrage (T. I. S. 16) von Biberfeld . 5 — Über biologische Carcinomdiagnose — Erfahrungen mit der en halden’schen Fermentreaktion beim Carcinom . Fraenkel, L.: Geburt nach operativer Vereinigung doppelter Gebärmütter — ÖOvulation, Menstruation, Conception und Schwangerschaftsdauer . — Zu den Vorträgen (T. Il. S. 93 u. 105) von Simon und Weckowski Fuchs, R. F.: Die physiologische Funktion der Pigmentzellen Goerke: Zum Vortrage (T. 11. S. 28) von O. Foerster Groenouw: Fibrosarkom der Augenhöhle . Harttung: Lues des Schädels — Hauttuberkulose : Sup: — Demonstration eines Falles von Sbontaneangtan ae Zeigefingers und über. Raynaud'sche Gangramer 2 ze Heimann, Fritz: Über biologische Careinomdiagnose — Erfahrungen mit der Abderhalden’schen Fermentreaktion beim Carcinom — Erfolree der Mesothorium- und Röntgenbehandlung beim Carcinom — Zur Strahlenbehandlung der Uteruscarcinome Henke: Zum Vortrag (T. I. S. 64) von Königsfeld . 5 Herzberg: Zum Vortrag ıT. I. S. 35) von E. Frank und F. eins Hinsberg: Über die funktionelle Untersuchung des Ohrlabyrinthes Hirt: Demonstration von Nierensteinen und eines Blasensteines. . Hürthle: Über Anzeichen einer Förderung des Blutstromes durch aktive pulsatorische Tätigkeit der Arterien — Zum Vortrage (T. I. S. 37) von Langenbeck IST: — Über elektrische Erscheinungen bei pulsatorischer Dehnane toter Artenieneensa. es gr lee re Kaposi: Demonstrationen: 1. Revolvergeschoss in der Wirbelsäule . . . » 2. Carcinomatöse Zerstörung des 2. und 3. renden mb s 3. Bericht über einige schwere Schädelverletzungen . Klaatsch: Die Einwirkung der aufrechten Körperhaltung und ihre Folgen für. den. menschlichen Organismus’ „u 122%. Ser WIEN ErEr Koenigsfeld: Zum Vortrage (T. I. S. 37) von Langenbeck. — Experimentelle ee über die Entstehung von Geschwulst- metastasen. Krampitz: Zu den Vorträgen cr. II. S. 93 u. 105) von Simon und Weckowski : : Küstner: Zum Vortrage (T. 1. > 55) von Robert Asch — Zu den Vorträgen (T. ll. S. 93 u. 105) von: Simon und W eekogski hüttner: Vier Fälle von ee ö — Der gegenwärtige Stand der Lehre von der Transplantetion 5 — Zum Vortrage (T. Il. S. 62) von Coenen Kuznitzky, E.: Mesothorium bei Carcinomen der Haut und anderer Organe en SDOER Sinai .ETh; Landois: Zum ar Lage e (T. L. S. 42) von Küttner . LO to 92 92 I 48 135u 1279 154 Ne76 17765 18735 Need I 48 IE I 38 I 58 19395 18296 Iie226 IS 1239 I 64 17% I 4 I 69 1249 I 42 I 64 et 149 Inhalts- Verzeichnis. V Seite Lange: Zu den Vorträgen (T. II. S. 93 u. 105) von Simon und Weckowski 19265 Langenbeck: Die akustisch-chromatischen Synopsien (farbige Gehörs- empfindungen) 1037 Leopold: Über Nervensymptome bei Frühlues . 5 1299 Levy, Richard: Tabische Spontanfraktur der Dendenuinbelsarle 0 I 34 Loewenstein, Hans: Zum Vortrage u Il. S. 68) von Max Berliner . I 43 Maiss: Fall von Gynatresie SER Ne RAR RE RL 33 Mann, Ludwig: Zum Vortrage (T. IL. © 938) von O. Foerster IGEES — Familiäre Myotonie mit Muskelatrophie und Kataraktbildung . I 234 — Zum Vortrage (T. I. S. 27) von Ziesche 299 Markus,N.: Untersuchungenüberdie Verwertbarkeit der Abderhalden’schen Fermentreaktion bei Schwangerschaft und Carcinom ea RD Meissner, R.: Über die Bindung des Arsenwasserstoffes in Blut . . . I 18 1 Demonstrationen: . Tabes dorsalis . 114 2). Oesophagusbronchialfistel ee 1 1% 3. Fettstühle von einem Falle von eng : I 14 — Zum Vortrage (T. l. S. 16) von Biberfeld 13 — & n (221285278), „. Kosenfeldn. E79 Moos: Zu den Vorträgen (T. U. S. 93 u. 105) von Simon und Weckowski 10072 Muthmann: Induratio penis plastica ; 1293 Pfeiffer, R.: Zum Vortrage (T. I. S. 78) von Aosenieldr- I 80 Pohl, J.: Demonstration über die Wirkung der Balsamiea. Il — Über Kombination des Methylalkohols mit anderen Alkohöien | — Zum Vortrage (T. 1. S. 1S) von R. Meissner . .. 1,30 Ponfick: Über die ärztliche Versorgung in den deutschen Kolonien . 35 Pringsheim, Josef: Über den diagnostischen und prognostischen Wert der Wiederholung lokaler Tuberkulinreaktionen . 1) Renner: Übergrosse Mammatumoren bei einer Jugendlichen I 61 Röhmann: Die Antigenwirkung der Kohlehydrate ER US Rosenfeld: Zum Vortrage (T. II. S. 68) von Max Berliner ... . I 43 — Beobachtungen über Entfettungskuren Be 78 — Zum. Vortrage (T. 1. S. 78)... I s0 Rosenthal, Felix: Experimentelle ee über das Wesen und die Genese des Recidivs Ws I 14 — Zum Vortrage (T. I. S. 35) von E. Blank und. F. Heilmann aeg I 36 Schwenke, Johanna: Über den diagnostischen und prognostischen Wert der Wiederholung lokaler Tuberkulinreaktionen . . 10 za Silber, Max: Zum Vortrage (T. II. S. 65) von Max Berliner . . 1 44 Simon: Demonstrationen: = Kuotitersche#@perationsit u 2. na ee 150 . Darmresektionen. . . . REN ERBE ERBE 1293 —_ Di Behandlung der Inoperablen Ceschwnlete 110593 — Zum Vortrage (T. Il. S. 9) . 6 72 Strassburger: Zum Vortrage (T. I. S. 9) von Hürthle. 105 Tietze: Schädelbasisfraktur und Gehirnnervenverletzung — Zum Vortrage (T. II. S. 28) von O. Foerster . Be aa, — a % (INS A2)2T eRküllnereae se 1012 — Bi ss (D1.2S.249) 7.0. Koerstert. I 47 VL Inhalts -Verzeichnis. Tietze: Demonstrationen: 1. Milzexstirpation bei Banti’scher Krankheit . 9. Hepaticusverletzung — Zum Vortrage (T. I. S. 48) von alles n „ I: (T. II. 5-93 u. 105), von Simon al ko. Traugott: Zum Vortrage (T. I. S. 37) von Langenbeck .. Uhthoff: Zum Vortrage (T. I. S. 1) von Tietze — = en (T. I. S. 24) ,, Ludwig Mann. —_ Kr In GRST.2S2 50) 5. Bleischr, : Wallfisch: Zwei Fälle von Spätexantlıemen —krernthrombosenter. ae N Walliczek: Demonstrationen: 1. Fall von Verbrennung des Trommelfelles 9. Angeborener knöcherner Choanalverschluss. ... . . . 2. Weckowski: Radiumbehandlung maligner Geschwülste Ziesche: Demonstrationen: 1. Kongenitaler Herzfehler mit Aneurysma der linken Arteria poplitea 2. Progressive Muskelatrophie (neuraler Typus) . 3. Neuritische Muskelatrophie — Zum Vortrage (T. 1. S. 30) von Biisch, Sekretärwahl:. b. Sitzungen der hygienischen Sektion. Prausnitz: Die neueren Methoden der Isolierung ansteckender Kranker, insbesondere nach den Erfahrungen Englands —n—_— 1 OD — Te BE u nn BE m Da a a HurHm- Seite [0.0) w wor N oO UT Da N DD [&S} ww 93 32 105 an w io 8 ID BESTRISEN Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur. ID Ya 91. I. Abteilung. Jahresbericht. Medizin. 1913. a. Medizinische Sektion. Que afıa 2,© Sitzungen der medizinischen Sektion im Jahre 1913. Sitzung vom 10. Januar 1913. Vorsitzender: Herr Rosenfeld. Schriftführer: Herr Partsch. Hr. J. Pohl: 1. Demonstration über die Wirkung der Balsamica. (Vgl. Therapeutische Monatshefte, 1912, H. 12.) 2. Ueber Kombination des Methylalkohols mit anderen Alkoholen. Die letzten Massenvergiftungen mit Methylalkohol haben aufs neue die Aufmerksamkeit auf diesen durch Eigenart, Dauer und Schwere seiner Wirkung besonders verhängnisvollen Stoff gelenkt. Da die Berliner Asylisten meist notorische Gewohnheitstrinker, Schnapsbrüder gewesen, so wäre an dem so rasch zum Tode führenden Verlauf vielleicht die Kombination mit anderen Alkoholen schuld. Herr cand. med. Asser hat deshalb eine Reihe von quantitativen Versuchen über die variierende Oxydation des Methylalkohols nach gewissen Zusätzen ausgeführt, ins- besondere mit Bestimmung der Formiatausscheidung im Harn. Ueber- raschenderweise ergab es sich, dass Aethylalkohol, Amylalkohol, Aceton die Formintausscheidung im Harn herabdrücke, die Alkoholoxydation also steigert. Gegenüber der beliebten Verallgemeinerung, dass Alkohol die Oxydationen hemme nach Analogie mit der durch ihn bedingten Störung der Benzoloxydation zu Phenol, ein nicht uninteressanter Be- fund! Die analytischen Belege sowie die Erfahrungen mit an Alkohol gewöhnten Tieren werden in der Dissertation des Genannten veröffent- licht werden. Hr. Tietze: Schädelbasisfraktur und Gehirnnervenverletzung. Vortragender bespricht den Mechanismus der Schädelbasisbrüche und schildert an der Hand von Zeichnungen eine Reihe von Experi- menten, die er bezüglich dieser Frage vorgenommen hat. Die Wirkung einer auf den Schädel gerichteten Gewalt wird leicht verständlich, wenn man sich dieselbe nach dem Gesetz von dem Parallelogramm der Kräfte in ihre Komponenten aufgelöst denkt. Die Richtung, in welcher die Gewalt wirkt, bildet dann die Achse eines Kraftkegels, dessen Kraft- linien nach allen Seiten ausstrahlen. Besonders wertvoll wird diese Vorstellung zur Erklärung der am Gegenpol beobachteten Erscheinungen, d. h. also zur Erklärung und Demonstrationen „der Frakturen durch Contrecoup“. Vortragender hat zu diesem Zwecke folgendes Experi- ment angestellt: Um die Wirkung der „Kraftlinien“ sichtbar zu machen, wurde ein mit gefärbter Gelatine bis zu dem offenen Hals (bei ge- schlossenem explodiert er) gefüllter Kolben beschossen. Tesching 6 mm Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1913. I. 1 2 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. 32 Schritt. Der Schuss traf den Kolben fast genau in der Mitte, die Kugel prallte ab und perforierte das Glas nicht, vielmehr fand sich an der Aufschlagstelle eine zierliche Sternfraktur mit mehlartig zerstäubtem Centrum, durch welches nur eine feine Präpariernadel in die Gelatine eindringen konnte. Genau in geradliniger Verlängerung durchsetzte ein Sprung die Gelatine bis zur gegenüberliegenden Glaswand. An dieser fand sich nun, nur etwas vergröbert, ein fast genaues Spiegelbild der gegenüberliegenden Fraktur, aber hier fand sieh im Centrum ein etwas grösseres Loch, die Glassplitter waren leicht nach aussen gebogen. Ausserdem fanden sich einige grobe Sprünge in der Glaswand, nament- lich an der Rückwand, und einige Risse in der Gelatine abseits von dem medialen Kraftstrahl. Der Stoss, den eine unipolare Kraft auf den Schädel ausübt, ist also nicht am Angriffspunkt erschöpft, sondern setzt sich noch weiter durch den Schädel fort, eventuell- bis zur Gegenwand. Ob eine Leistung durch diese Kraft erzielt wird, hängt von ihrer Stärke ab. Es werden dadurch besonders die Hirnverletzungen am Gegenpol verständlich: Das Gehirn prallt an den starreren Schädel an. (Demon- stration von Abbildungen des Experiments in natürlicher Grösse.) Uebri- gens ist ja jede Kugel, die in den Schädel eindringt, eine deutliche Marke für die Richtung und Wirkung der „Kraftstrahlen“. Redner ver- weist auf die experimentellen Arbeiten-von Tilmann. Im zweiten Teil seines Vortrages gibt Redner einen Ueberblick über Art der Entstehung, pathologische Anatomie und Symptomatologie der Gehirnnervenverletzungen bei Schädelbasisbrüchen. Letztere wird an der Hand von Abbildungen namentlich für den ÖOptieus und Facialis er- läutert. Unter 150 Schädelbasisbrüchen des Allerheiligenhospitals fanden sich in 40 Fällen Verletzungen eines oder mehrerer Gehirnnerven. Auch hier waren Opticus und Facialis am häufigsten betroffen. Diskussion. Hr. Uhthoff geht vom ophthalmologischen Standpunkte auf die Schädigungen des Optieus und Augenbewegungsnerven bei den Schädel- frakturen näher ein und verweist besonders auf eine jüngst erschienene Bearbeitung des Themas durch seinen Assistenten Herrn Dr. Boehm (Inaug.-Dissertation), in der ein grösseres Material von Schädelfrakturen aus der Breslauer chirurgischen Universitätsklinik und aus der Universitäts- Augenklinik sorgfältig verarbeitet worden ist. Er verweist ferner auf seine früheren Mitteilungen über Sehnervenscheidenhämatom und tempo- rale Hemianopsie bei Schädelfrakturen, die zum Teil schon weit zurück- liegen. Auch auf die Lähmung der Augenbewegungsnerven bei Schädel- brüchen geht Redner noch etwas näher ein und speziell auf die Abducenslähmung als die häufigste der hierbei vorkommenden Augen- muskellähmungen. Sitzung vom 17. Januar 1913. Vorsitzender: Herr Neisser. Schriftführer: Herr Partsch. Hr. Hürthle: Ueber Anzeichen einer Förderung des Blutstromes durch aktive pulsatorische Tätigkeit der Arterien. Der Vortragende teilt das Ergebnis von Versuchsreihen mit, die alle zugunsten der Hypothese verwertet werden können, dass auch die Arterien durch aktive pulsatorische Tätigkeit an der Bewegung des Blut- stromes beteiligt sind. Ein Teil der Versuche wird demonstriert. Da aber bei einzelnen Versuchen die Möglichkeit einer anderen Deutung I. Abteilung. Medizinische Sektion. 3 nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann und auch einzelne widersprechende Befunde vorliegen, hält der Vortragende den ein- wandfreien Nachweis der Richtigkeit der Hypothese nicht für erbracht. Die erste Versuchsreihe bildet eine Fortsetzung der vom Vortragenden schon veröffentlichten Versuche über die Beziehung zwischen Druck und Geschwindigkeit des Blutes in den Arterien, in der neue Versuche mit Lähmung und Erregung der Gefässwand an- gestellt wurden. Die Lähmung erfolgte durch mehrstündige Absperrung der Blutzufuhr, die Erregung durch Adrenalin, Pituitrin und Digitalis. Dabei ergab sich, dass nach Lähmung der Gefässe die registrierte Strom- kurve sehr gut mit derjenigen übereinstimmt, welche unter der Voraus- setzung berechnet wird, dass die Stromstärke vom arteriellen Druck, den Widerständen und der Elastizität der Bahn abhängt. Nach Anwendung der erregenden Mittel aber weicht die registrierte Stromkurve von der berechneten sehr stark in der Richtung ab, dass die systolische Strom- stärke grösser, die diastolische kleiner ist als die berechnete, An der Grenze von Systole und Diastole tritt eine deutliche rückläufige Be- wegung des Blutstromes auf. Dieser Rückstrom lässt sich auch in den Arterien des Froschmesenteriums nach Anwendung von Adrenalin bei mikroskopischer Beobachtung feststellen. In einer weiteren von Herrn cand. med. Schäfer durchgeführten Versuchsreihe werden die bei künstlicher Durchströmung unter konstantem und rhythmischem Druck durch die Gefässe der Hinterbeine des Frosches getriebenen Flüssigkeitsmengen verglichen. Während diese ohne weitere Eingriffe merklich gleich gefunden werden, ändern sie sich beim Zufügen erregender Substanzen zur Durch- strömungsflüssigkeit in der Richtung, dass bei pulsatorischer Strömung unter gleichem mittleren Druck erheblich mehr durchfliesst als bei konstantem. Ein ähnliches Ergebnis erhält man am lebenden Hund bei Registrierung von Druck und Stromstärke in der Arteria cruralis, wenn man die pulsatorische Druckschwankung durch Einschaltung einer Blende und eines Windkessels in den Blutstrom ab- dämpft; das systolische Stromvolum wird relativ kleiner. Da durch diese Versuchsreihen die Möglichkeit einer aktiven pulsatorischen Tätigkeit der Arterienwand nahegelegt wird, wurde nach Zeichen einer solchen, zunächst nach Aktionsströmen gesucht. Tat- sächlich gelang es, kurze systolische Bewegungen der Saite des Galvano- meters zu registrieren bei künstlicher rhythmischer Durchströmung des Froschkörpers nach Entfernung des Herzens, an ausgeschnittenen Arterien vom Hund, sowie am Hinterbein des lebenden Hundes. Da aber noch keine Kontrollversuche angestellt werden konnten, kann nicht als sichergestellt angenommen werden, dass die Saitenbewegungen durch Aktionsströme veranlasst sind und keine andere Ursache haben. Während die genannten Versuche in einer aktiven pulsatorischen Tätigkeit der peripheren Arterien eine einfache Erklärung finden würden, spricht eine letzte Versuchsreihe für die Möglichkeit einer solchen Funktion bei den centralen Arterien: Die Verfolgung der auf- fallenden Erscheinung, dass die Druckschwankung in der Crural- arterie grösser ist als in der Carotis, ergibt nämlich, dass das Verhältnis der beiden Pulsamplituden experimentell inner- halb weiter Grenzen abgeändert werden kann. Setzt man die Aplitude in der Carotis = 1, so beträgt die beim gleiche Pulse in der Cruralis registrierte im Mittel etwa 1,4, erhebt sich aber bei Anwendung gefässerregender Mittel auf 2 und darüber und sinkt andererseits nach Anwendung lähmender Mittel unter den Wert 1, d.h. es wird in diesem Falle die bei Anwendung der Wellenlehre auf den Blutstrom zu er- I * 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. wartende Dämpfung der Welle tatsächlich beobachtet. Da aber die Möglichkeit zugegeben werden muss, dass beim Zustandekommen dieser Erscheinung Wellenreflexion beteiligt ist, kann die Tatsache vorläufig gleichfalls nicht als einwandfreier Beweis für eine aktive Tätigkeit der Gefässe angesehen werden. Das gemeinsame Ergebnis der Versuchs- reihen aber, dass durch ganz verschiedene Methoden Tatsachen fest- gestellt sind, welche sich durch die Annahme einer aktiven pulsatorischen Tätigkeit der Arterien relativ einfach verstehen lassen, fordert zu einer weiteren und ernsten Prüfung der Hypothese auf, Diskussion. Hr. Bittorf hat völlig unabhängig vom Vorredner, zum Teil von anderen Voraussetzungen ausgehend, nach Erwerb eines Saiten- galvanometers durch die medizinische Klinik im Sommer 1912 mit diesem ebenfalls die aktive pulsatorische Betätigung der Arterien nachgewiesen. Seine zuerst am Menschen (Normalen unter verschiedenen Ver- suchsbedingungen, Herz-Nierenkranken) angestellten Versuche fielen zwar noch meist negativ oder wenigstens zweifelhaft aus, jedoch erhielt er in einzelnen Fällen sicher positive Resultate und pulsatorische Fadenaus- schläge: Elektroangiogramm (Demonstration Kurve 1, oben Elektro- angiogramm, unten Pulskurve). Kurve 1. Die längst beabsichtigten Tierversuche wurden später ausgeführt, und zwar zeitlich nach einem Gespräch mit Herrn Hürthle, in dem Bittorf von seinen bereits seit längerer Zeit durchgeführten Untersuchungen am Menschen erzählte und von seinen beabsichtigten Tierversuchen und deren Methodik sprach. Dabei erfuhr er von den gleichgerichteten Untersuchungen und Resultaten des Herrn!Hürthle ohne Kenntnis von dessen Versuchsanordnung zu erlangen. Es wurden bei seinen Tierversuchen von der am lebenden Tiere (Kaninchen und Hunden) freigelegten und isolierten Femoralarterie mit unpolarisierbaren Elektroden abgeleitet und Kurven gewonnen, die ebenfalls eine Aenderung des Erregungszustandes der Gefässmuskulatur bei jedem Pulse zeigten (Demonstration Kurve 2, oben Elektroangio- gramme, unten Pulskurve). I. Abteilung. Medizinische Sektion. 5 Kurve 2. Es scheint ihm damit die aktive pulsatorisch erfolgende Tätigkeit der Arterien bewiesen. Hr. Strassburger weist auf die klinische Bedeutung der vom Vortr. behandelten Frage hin. So gewinnt die vasomotorische Kreislauf- insuffizienz ein anderes Ansehen, wenn man ihr Wesen nicht nur in einer übermässigen Erweiterung des Gefässsystems, sondern auch in dem Ausbleiben einer aktiven rhythmischen Fördertätigkeit desselben sieht. In der Hydrotherapie spielt weiterhin vielfach die Vorstellung eine Rolle, dass man durch Kaltwasserprozeduren mit guter reaktiver Gefässerweiterung eine aktive, der Vorwärtsbewegung des Blutes dienende Tätigkeit der Blutgefässe erhöhen und damit den Kreislauf verbessern könne. Irgend- welche Beweise für diese Annahme haben bis jetzt gefehlt. Ferner macht Redner darauf aufmerksam, dass bei der Annahme ryhythmischer, mit dem Puls zusammeegehender Kontraktionen der Arterien die Druckamplitüde des Pulses hierdurch bedingte Verände- rungen erleiden muss. Will man also aus der Höhe des Pulsdruckes Rückschlüsse auf das Schlagvolumen des Herzens machen, so muss man mit der Möglichkeit rechnen, dass ausser der Weitbarkeit des Gefäss- systems auch noch der genannte Faktor das Resultat beeinflussen kann. Es ist dies wieder ein Hinweis darauf, dass ‘es erforderlich ist, bei Druckmessungen, soweit sie über das Verhalten des Herzens Auskunft geben sollen, die Messung so nahe als möglich am Herzen vorzunehmen. Man sollte eigentlich meinen, dass pulsatorische Kontraktionen am deutlichsten an denjenigen Arterien zum Ausdruck kommen müssten, welche im Verhältnis die meiste Muskulatur enthalten. Es sind dies die kleinsten peripher gelegenen Arterien, und im Anschluss hieran sollte man schon normalerweise, oder nach kalten Bädern, Diagitalis usw. das Vorhandensein eines im Bereich der Capillaren sichtbaren Pulses er- warten. Ein Capillarpuls tritt aber bekanntlich beim Menschen gerade unter anderen Verhältnissen auf. 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Sitzung vom 24. Januar 1913. Vorsitzender: Herr Minkowski. Schriftführer: Herr Rosenfeld. Hr. Klaatsch: Die Einwirkung der aufrechten Körperhaltung und ihre Folgen für den menschlichen Organismus. Der Vortr. fasst die Ergebnisse seiner bis auf ein Jahrzehnt zurück- reichenden Forschungen über das Gebiet zusammen, besonders mit Rück- sicht auf die neueren Arbeiten von klinischer Seite (Klapp-Berlin, Hasebrock-Hamburg), die bereits praktische Konsequenzen aus den neuen Anschauungen gezogen haben. Obwohl zum Teil an die Arbeiten des Redners sich anlehnend, haben sie doch in manchen Punkten den Sachverhalt unrichtig aufgefasst. So geht Klapp von der Vor- stellung aus, dass eine horizontale Knickstellung der aufrechten Haltung unmittelbar vorangegangen sei, und lässt daher seine Patienten eine solche einnehmen. Nach den Untersuchungen des Redners ist diese Vor- aussetzung unzutreffend, denn die vergleichenden Untersuchungen über die Gliedmaassen des Menschen, der anderen Primaten und der Säugetiere im ganzen zeigen, dass eine halbaufrechte Kletterhaltung den Vorfahren- zustand der Hominiden darstellt. Greiforgane an beiden Extremitäten- paaren — ein quadrumaner Zustand ist das Ursprüngliche. Schon die ältesten Spuren — Abdrücke von Hand und Fuss von Landwirbeltieren (Tambacher Fährten aus dem Perm, Cheirotherien der Trias) — zeigen dies Verhalten, von dem aus erst der quadrupede Zustand der meisten Säugetiere unter Rückbildung von Fingern und Zehen entstanden ist. Bezüglich der ganzen Literatur des Problems und der Lehre des Vortragenden über die Heranbildung der ganz aufrechten Körperhaltung des Menschen sei auf dessen zusammenfassende Darstellung in Abder- halden’s Fortschritten der naturwissenschaftlichen Forschung!) verwiesen. Der Hauptpunkt der Ergebnisse des Vortragenden ist gegeben durch seinen neuen Erklärungsversuch der Eigentümlichkeiten des Menschenfusses. Während man früher geneigt war, den Stützfuss als einen Folgezustand des aufrechten Ganges zu betrachten, hat Redner nachgewiesen, dass bei der ursprünglichen kletternden Lebensweise der Menschenvorfahren ein bestimmter Faktor vorhanden gewesen sein muss, der die Umwand- lung des hinteren Greiffusses in den Gangfuss veranlasst hat. Dieser Faktor muss den inneren Fussrand betreffen und den Verlust der Oppositionsfähigkeit der Haltung bei gleichzeitiger Vergrösserung des-- selben bewirkt haben. Redner findet dieses umwandelnde Moment in der eigentüm- lichen Kletterweise der primitiven Menschheit, wobei der Fuss als Ganzes zum Abrollen beim Ersteigen von Baumstämmen benutzt wird, die teils mit natürlichen Kerben, teils mit künstlichen Einschnitten versehen sind. Die Verschiedenheiten des Kletterns beim Menschen und Menschen- affen — die sekundäre Verlängerung der Arme bei letzterem, die dem Menschen niemals eigen war — wird von dem Vortr. durch zahlreiche Lichtbilder erläutert, ebenso das Klettern der Australier an glatten hohen Baumstämmen. Der Mensch besitzt eine gymnastische Fähigkeit von solcher Mannigfaltigkeit, wie kein anderes Wesen. Diese ist dank des Kletterns an einzelstehenden Bäumen entstanden, ebenso die spe- zifisch menschliche Ausprägung der Schulter- und Glutäalmuskulatur, die nur durch Klettermechanismen verständlich wird. Diese Umwand- 1) Klaatsch, Die Entstehung und Erwerbung der Menschenmerk- male. 2. Teil. Der Menschenfuss und der aufrechte Gang. Abderhalden’s Fortschritte, 1912, S. 210—268. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 7 lungen haben in ihrer vererbten Wirkung die aufrechte Haltung auf ebener Erde erleichtert und so den aufrechten Gang ermöglicht. Die niederen Menschentypen haben in ihrem Skelett noch eine Fülle von Restzuständen, die auf die ehemalige Kletterhaltung hinweisen. Erst allmählich haben sich die sekundären Anpassungen an die neue Körper- haltung eingestellt, die wir besonders bei Europäern ausgeprägt sehen. Am Skelett ist es besonders die Umformung der unteren Extremität, die sich deutlich verfolgen lässt, selbst individuell in den verschiedenen Altersstufen. Das Europäerkind vor der Pubertät wiederholt noch die alten Zustände des Unterschenkelskeletts. An der Wirbelsäule lässt sich die Anpassung an die aufrechte Haltung deutlich nachweisen. Das Volumen der Wirbel im ganzen ist bei den Europäern relativ grösser als bei Australiern, besonders aber hat die Lendenwirbelsäule sich ver- stärkt, womit erst die Abknickung gegen das Sacrum in Form des Pro- montoriums sich ausprägte. Die Wirkungen der Erwerbung sind überwiegend günstig gewesen, besonders die Möglichkeit der Balancierung des Kopfes hat für die Fort- entwicklung des Menschenhirns neue Bahnen eröffnet. Andererseits aber lässt sich nicht verkennen, dass der neue Modus, durch den der Mensch sich über das Tierreich erhebt, auch schwere Opfer gekostet hat. Die Anpassung der unteren Extremität an eine übertriebene Streck- stellung bat erst die Disposition zu Hernien bedingt. Der Locus mi- noris resistentiae, der durch den Hoden-Descensus schon in früheren Perioden der tierischen Vorgeschichte des Menschen entstanden war, ist durch die aufrechte Haltung aufs neue verhängnisvoll geworden. Die Veränderung der Fascienbedeckung des Öberschenkels liess die Mög- lichkeit der Schenkelbrüche hervorgehen. Die bedeutenden Umwand- lungen der Circulationsverhältnisse in der Beckenregion und am Bein wurde Anlass zu krankhaften Störungen mannigfacher Art, wie der Varicen. Der Naturmensch ist von diesen Schädigungen noch nicht betroffen, da er in einem niederen Zustand verharrt, und da seine überaus straffen Gewebe noch nicht jene Ermüdung und Erschlaffung der Stützsubstanzen zeigen, auf die Bier bei Europäern mit Recht hingewiesen hat. Hr. 0. Förster: Phylogenetische Gesichtspunkte bei Erklärung der spastischen Lähmungen. (Siehe Teil II.) Die Diskussion wird vertagt. Sitzung vom 31. Januar 1913. Vorsitzender: Herr Neisser. Schriftführer: Herr Minkowski. Diskussion zu dem Vortrage des Herrn Foerster. ‘Hr. Tietze: M. H.! Der Gedanke, den Herr Foerster in seinem Vortrage ausgesprochen und in interessanter Weise entwickelt hat, näm- lich, dass ein Teil der bei spastischen Lähmungen beobachteten Kon- trakturen auf atavistische Rückschläge zu beziehen und durch diese zu erklären sei, lässt sich, wie es scheint, noch auf ein anderes Gebiet übertragen, nämlich auf dasjenige der bei manchen chronischen Gelenk- erkrankungen zu beobachtenden Verkrümmungen. Ich möchte Ihnen, m. H., über eine Reihe gemeinsam mit Herrn Foerster bei ver- schiedenen Formen von Gelenkkrankheiten angestellter Beobachtungen berichten, die allerdings mit grosser Reserve mitgeteilt werden müssen, 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. da es sich vorläufig nur um Hypothesen handelt. Immerhin ist das Material doch so weit durchgearbeitet, dass es erlaubt erscheint, in der Diskussion davon Gebrauch zu machen. M. H.! Dass bestimmte Gelenk- erkrankungen ganz bestimmte und typische Kontrakturen zur Folge haben, ist eine sehr geläufige Tatsache. Das einfachste Beispiel ist das der tuberkulösen Coxitis. Hierbei liegen nun allerdings die Verhältnisse sehr kompliziert. Schmerz, Eiterung, Destruktion des Gelenkes beein- flussen das Bild derartig, dass man gut daran tut, zum Studium und zur Erklärung dieser Vorgänge einfachere Verhältnisse zu wählen. Wir gingen von jenen Erkrankungen aus, die allerdings mit einem schlecht ge- wählten und nichts sagenden Namen als chronischer Gelenkrheumatismus bezeichnet werden, die auch unter dem Namen der Arthritis pauperum gehen und sich im wesentlichen als ein atrophischer Prozess an den Gelenkenden mit mässiger Verdickung der Kapsel, hochgradiger Atrophie der Muskulatur darstellen. Zu der deformierenden Arthritis (Arthritis hypertrophicans nach Jacobsohn) stehen sie in einem scharf aus- geprägten anatomischen Gegensatz. Durch die Liebenswürdigkeit von weil. Geheimrat Jacobi und des Herrn 0.S. Freund habe ich Gelegenheit gehabt, viele Fälle dieser Art am Claassen’schen Siechenhaus zu beob- achten und mehrere auch anatomisch zu untersuchen. Bei dieser Er- krankung, die an grossen und kleinen Gelenken, namentlich.auch Hand und Fingern auftritt, beobachtet man nun höchst eigentümliche Kon- trakturen, die schon lange die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen haben und auch lebhaft beschäftigten. Ursprünglich glaubte ich die Erklärung in bestimmten Abschleifungen der Gelenk- enden oder in desmogenen oder myogenen Kontrakturen suchen zu müssen, aber die anatomische Präparation ergab dafür keinen Anhalt. Als ich diese Formen dann Herrn Foerster zeigte, machte er mich auf die Aehnlichkeit dieser Vorstellungen mit bestimmten Formen der spastischen Lähmungen aufmerksam. Und in der Tat ist diese Aehn- lichkeit eine ganz auffallende und weitgehende (Redner demon- striert eine ganze Anzahl von Lichtbildern).. Als einen Haupttypus hat man zu betrachten die Abduktionsstellung von Zehen und Fingern, aber auch an den Fingern eigentümliche Kombinationen zwischen Hyper- extension und Flexion: Grund- und Mittelphalanx hyperextendiert, Nagelphalanx gebeugt — eine ganz typische Form der Fingerbewegung beim Little und von mir auch bei einem normalen Individuum beob- achtet. Diese Stellung der Glieder bei gewissen chronischen Gelenk- erkrankungen ist nach meinen bisherigen Untersuchungen rein funktio- nell, und es liegt also die Tatsache vor, dass durch den vom Gelenk aus wie auch immer gesetzten Reiz ganz bestimmte Muskelkombinationen in Szene gesetzt werden, die denen bei spastischen Lähmungen sehr ähnlich sehen. Früheren Autoren ist das natürlich nicht entgangen, es wurden zur Erklärung gesetzmässiges Auftreten von Muskelatrophien herangezogen. Das Interessanteste der von Herrn Foerster auch auf die Gelenkkontrakturen übertragenen Theorie scheint mir eben zu sein, dass er für diese Gesetzmässigkeit nach einer Hypothese sucht. Wie weit dieselbe sich als stichhaltig erweisen wird, ist abzuwarten. “Die Tatsachen als solche glaubte ich hier schon festlegen zu dürfen. Hr. Ludwig Mann: Die Ausführungen des Herrn Foerster und die von ihm vorgeführte Bilderreihe haben mich nicht vollkommen von der Richtigkeit seiner Hypothese überzeugen können, sc geistreich die- selbe auch ersonnen und durchgeführt ist. Es scheint mir zur Er- klärung der spastischen Lähmungen und Kontrakturen nicht notwendig, auf einen phylogenetischen Gesichtspunkt zurückzugehen; dieselben er- scheinen mir vielmehr aus dem Bewegungsmechanismus, wie wir ihn beim Menschen vor uns sehen, erklärbar. Bekanntlich beschränkt sich I. Abteilung. Medizinische Sektion. 9 die Lähmung bei allen Läsionen der Pyramidenbahn auf ganz be- stimmte Muskelgruppen, während andere Muskelgruppen relativ intakt bleiben. Ich habe zuerst im Jahre 1895 im Anschluss an eine Beob- achtung meines Lehrers Wernicke diesen Lähmungstypus studiert und habe darauf aufmerksam gemacht, dass einerseits die gelähmten, anderer- seits die intakten Muskelgruppen bestimmte funktionell zusammen- gehörige Bewegungskomplexe darstellen, und dass speziell beim Gange diejenigen Muskeln gelähmt sind, welche in dem Zeitabschnitt, zu welchem das Bein vorwärts schwingt, dasselbe „verkürzen“, während diejenigen intakt bleiben, welche dasselbe beim Aufsetzen vom Boden abstossen, also die Extremität „verlängern“. Dieser Wechsel von Ver- kürzung und Verlängerung liegt im Grunde genommen in verschiedenen Modifikationen allen lokomotorischen Funktionen unserer Extremitäten zugrunde. Die typischen hemiplegischen Lähmungen und ebenso die Spasmen kommen nun dadurch zustande, dass der eine Teil der Musku- latur ausfällt, der andere Teil erhalten bleibt und dieser dadurch das Uebergewicht erhält. Es resultiert daher eine fehlerhafte, unzweck- mässige Haltung und Bewegung, gewissermaassen ein Zerrbild der normalen menschlichen Bewegung, aber meiner Ansicht nach nicht ein Rückschlag in eine frühere Bewegungsform. Die von Herrn Foerster besonders hervorgehobene Supination des Fusses kann meiner Ansicht nach dadurch erklärt werden, worauf ich schon früher hingewiesen habe, dass der M. tibialis anticus von dem gesamten, der Dorsalflexion dienenden Muskelkomplex der am leichtesten erregbare ist und infolgedessen relativ am besten erhalten bleibt. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse an der oberen Extremität; ich kann jedoch auf die Einzelheiten hier nicht eingehen. Zu den Bildern von Herrn Foerster möchte ich ferner bemerken, dass die gezeigte Beugekontrakturstellung durchaus nicht die Regel bei den spastischen Lähmungen bildet, dass vielmehr am Bein, jedenfalls bei den Lähmungen der Erwachsenen die Streckkontraktur das durchaus regelmässige und typische ist. Die Beugekontrakturen kommen gerade bei den infantilen Lähmungen häufig vor; überhaupt finden sich hier viel mehr Abweichungen von dem regelrechten Typus, und dies ist meiner Ansicht nach darauf zurückzuführen, dass beim Kinde noch nicht die festen, funktionell zusammengefügten Muskelsynergien bestehen, welche der Erwachsene bei der Erlernung seiner zweckmässigen Bewe- gungen allmählich erworben hat. Infolgedessen treten bei der infantilen Hemiplegie viel wechselndere Bilder auf, als bei den Lähmungen der Erwachsenen. Es scheint mir schon aus diesem Grunde nicht angängig, wie Herr Foerster will, alle spastischen Lähmungsformen, ganz gleich von welcher Art und welcher Lokalisation die Läsion der Pyramidenbahn sei, auf seinen phylogenetischen Gesichtspunkt zurückzuführen. Was nun die interessante Mitteilung des Herrn Tietze anbetrifft, so scheinen mir die von ihm angeführten Beobachtungen durchaus nicht in das in Rede stehende Gebiet zu gehören. Es handelt sich hier offenbar um Muskelatrophien im Zusammenhang mit Gelenkleiden, soge- nannte arthropathische Muskelatrophien, und es ist schon seit langem bekannt und experimentell nachgewiesen (Charcot, Vulpian), dass diese Muskelatrophien neurogenen Ursprungs sind, und dass sie erzeugt werden durch Reizung des sensiblen Anteils des durch die Vorderhörner hindurchgehenden spinalen Reflexbogens. Dass von diesen Atrophien ganz bestimmte Muskeln überwiegend betroffen werden, und dass da- durch typische Kontrakturstellungen zustande kommen, scheint mir recht bemerkenswert, und es entspricht der auch sonst in der Nervenpathologie zu beobachtenden Tatsache, dass bestimmte Anteile eines nervösen 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Kultur. Apparates einer gewissen Schädlichkeit gegenüber vulnerabler sind als andere. Die Aehnlichkeit mit der Extremitätenhaltung der kletternden Affen scheint mir jedoch nicht charakteristisch genug, um danach diese Muskelatrophien auf eine Unterdrückung des Pyramidenbahneinflusses und Rückfall in die „Grundkomponenten des Klettertypus“ erklären zu können. Hr. Goerke: Den interessanten Ausführungen des Herrn Vor- tragenden kommt nicht bloss eine speziell-neurologische oder chirurgische Bedeutung zu, sondern auch eine viel weitergehende allgemein-patho- logische. Sie geben eine vorzügliche Illustration zu der schon mehrfach erörterten, aber vielleicht doch noch zu wenig bekannten Erscheinung, dass phylogenetisch jüngere Organe viel leichter erkranken, toxischen und infektiösen Einwirkungen gegenüber viel weniger widerstandsfähig sind als phylogenetisch ältere Organe. Ein prägnantes Beispiel hierfür bietet uns das Öhrlabyrinth. In diesem ist die Schnecke phylogenetisch wesentlich jünger als die Pars superior (Utrieulus mit Bogengängen). Während sie bei den Fischen einen unbedeutenden Appendix des Sacculus, die sogenannte Lagena bildet, zeigt sie eine immer weiter fortschreitende Entwicklung, je höher man in der Wirbeltierklasse empor- steigt; erst bei den Reptilien lässt sie eine deutliche Spiraldrehung sowie die Ausbildung einer Papilla acustica erkennen, während das Corti’sche Organ erst bei den Säugern seine höchste vollendete Diffe- renzierung aufweist. Demgegenüber hat die Pars superior bei der höchst entwickelten Klasse der Wirbeltiere den Höhepunkt ihrer Ausbildung bereits überschritten, ist dagegen in den niederen Wirbeltierklassen mächtig entwickelt. Die Pars inferior (Schnecke) ist nun unleugbar weniger widerstands- fähig als die Pars superior. Bei den meisten toxischen und infektiösen Erkrankungen ist es die Schnecke, die vorwiegend oder auch isoliert erkrankt, während die Pars superior labyrinthi intakt oder nahezu un- berührt bleibt; ich erinnere an die Erkrankungen durch bestimmte Gifte (Chinin, Salieyl), an die toxischen Erkrankungen des Labyrinths bei Tuberkulose, Typhus usw. Auch Entwicklungsstörungen treffen die Schnecke viel eher und viel intensiver als Vorhof und Bogengänge; was ohne weiteres sich aus der Tatsache erklärt, dass erstere auch onto- genetisch das jüngere Gebilde darstellt. Die vom Herrn Vortragenden beigebrachten Tatsachen bilden einen weiteren Beleg für die Annahme, dass phylogenetisch jüngere Organe vulnerabler sind als phylogenetisch ältere, die gewissermaassen schon zum eisernen festen Besitztum des Organismus geworden ist. Ueberhaupt ist meines Erachtens diese Betrachtungsweise geeignet, dem Pathologen manche Erscheinung (Disposition bestimmter Organe, Systemerkrankungen usw.) auf ansprechende Art zu erklären. Hr. Foerster (Schlusswort): Ich habe ja in meinem Vortrag aus- drücklich hervorgehoben, dass durch die hier herangezogenen phylo- genetischen Gesichtspunkte keineswegs sämtliche Erscheinungen der spastischen Lähmung erklärt werden können oder sollen. Das paretische Moment, die Reflexsteigerung, die Spastizität der Muskeln im allgemeinen bedürfen alle dieser Gesichtspunkte nicht. Insoweit richten sich also die Ausführungen, die Herr Mann soeben gebracht hat, gegen Dinge, die von mir gar nicht behauptet worden sind. Ich habe ja auch ausdrücklich hervorgehoben, dass keineswegs alle Kontrakturstellungen bei den spastischen Lähmungen ohne weiteres von diesen Gesichts- punkten erklärt werden sollen. Für einen Teil der Kontrakturstellungen, besonders am hemiplegischen Bein der Erwachsenen ist sicher einfach die passive Lagerung der Schwere entsprechend maassgebend, sodann I. Abteilung. Medizinische Sektion. 11 kommt für die Kontrakturstellung in Frage die Verteilung der willkür- lichen Lähmung. Es sind das ja Dinge, auf die ich so und so oft schon ausführlich hingewiesen habe. Das Gros der Kontrakturstellungen kann aber durch diese Momente nicht erklärt werden, so die Beugekontraktur der Beine und die Supinationsstellung des Fusses in Fällen von schwerer spastischer Paraplegie mit totaler willkürlicher Lähmung der Beine, in allen Fällen von Diplegie, von infantiler Hemiplegie, die Kontraktur- stellung des Armes in Beugung, die Pronation der Hand und Flexion der Finger, die ebenfalls bei totaler willkürlicher Lähmung vorkommt. Um diese Dinge kann Herr Mann doch einmal nicht herumkommen. Natürlich muss die Stellung der Kontraktur von Fall zu Fall variieren, weil ja eben verschiedene Faktoren nebeneinander und zum Teil gegen- einander wirken. Wenn aber Herr Mann meint, dass der von mir geschilderte Typus nicht der Regel entspräche, so ist dem entgegenzuhalten, dass der Typus sich sogar in jedem Fall zum mindesten angedeutet findet und nur mehr oder weniger stark hervortritt, je nachdem auf die definitive Aus- gestaltung der Kontraktur verschiedene Faktoren zusammenwirken. So befindet sich selbst am hemiplegischen Bein des Erwachsenen, das die einzige Ausnahme darstellt, die Herr Mann anbringt, in der Mehrzahl der Fälle die grosse Zehe in Dorsalflexion, der Fuss in Supination, das Knie zeigt in einer grossen Anzahl von Fällen auch eine leichte Flexions- stellung, die etwas grösser ist, als es der normalen Ruhelage entspricht, worauf alle Autoren, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben, bereits hingewiesen haben. An der oberen Extremität kommt in der Tat Extensionsstellung des Handgelenks manchmal vor, das ist aber bei weitem seltener als die Flexionsstellung. Vor allen Dingen aber sind die von mir genau bezeichneten typischen Bewegungen und Reflex- synergien nicht, wie Herr Mann will, aus dem normalen Bewegungs- vorgange des Menschen zu erklären. Wenn Herr Mann darauf hinweist, dass die synchrone Beugung von Hüfte und Knie und Fuss und umgekehrt Streckung von Hüfte, Knie und Fuss bereits die Grundkomponenten des menschlichen Ganges darstellen, so ist dagegen nichts einzuwenden, und wenn unser Erklärungsbedürfnis mit dem Fusse aufhören dürfte, soweit es sich einfach um Dorsal- und Plantarflexion handelt, so hätte Herr Mann recht. Aber welcher normale Mensch setzt denn seinen Fuss in Supination auf den Boden und krallt seine Zehen beim Aufsetzen in den Boden ein? Dies ist derartig un- zweckmässig und schmerzhaft, dass es für viele Spastiker ein reguläres Crux darstellt. Noch ein anderes Beispiel dafür, wie unrichtig die Be- hauptung von Herrn Mann ist. Beim normalen Gange schwingt mit dem rechten Bein gleichzeitig der linke Arm nach vorn, wenn ein Kranker mit rechtsseitiger Hemiplegie sein rechtes Bein beim Gange hochzieht, so flektiert er dabei auch seinen rechten Arm, und Fälle von spastischer Diplegie beugen sogar alle vier Extremitäten synchron, wie ich dies in zahlreichen Bildern demonstriert hatte. An der oberen Ex- tremität hatte ich besonders auf die Unzweckmässigkeit der Pronations- bewegung am hemiplegischen Arm hingewiesen, die so viele Verrichtungen durchkreuzt und unmöglich macht. Gerade also das Gegenteil von dem, was Herr Mann sagt, ist der Fall. Die Bewegungssynergien bei spasti- schen Lähmungen können nicht aus den normalen Bewegungsvorgängen erklärt werden. Dagegen ähnelt sie den Kletterbewegungen der Affen in bezug auf die Grundkomponenten in einer ganz auffallenden Weise. Das ist unabstreitbar. Es braucht ja niemand den von mir heran- gezogenen Gesichtspunkt zu acceptieren, aber jedenfalls ist das sicher, dass bisher niemand eine bessere Erklärung gegeben hat. Die von Herrn Mann gegebene ist absolut unzureichend. 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Hr. Ephraim: Beiträge zur endoskopischen Diagnose und Therapie endothoraeischer Tumoren. (Siehe Teil I.) Diskussion zu dem Vortrag des Herrn Klaatsch: Die Einwirkung der aufrechten Körperhaltung und ihre Folgen für den menschlichen Organismus. Hr. Asch: In seinen ausserordentlich interessanten Ausführungen über die Folgen des aufrechten Ganges beim Menschen hat Herr Klaatsch schon eines pathologischen Vorkommnisses Erwähnung getan, das nur beim Menschen vorkommt und vorkommen könne: der Hernien. Ich möchte hier noch auf einige andere Erkrankungsformen hinweisen, die lediglich Folge der aufrechten Haltung sind und den Kliniker im allgemeinen, den Frauenarzt ganz besonders interessieren müssen, die mich seit langen Jahren beschäftigen und über die ich in Aerztekursen und bei ähnlichen Gelegenheiten oft gesprochen habe. Vergegenwärtigt man sich, dass beim vierfüssig laufenden, höheren Wirbeltier das Beckenende meist den höchsten Punkt des Rumpfes dar- stellt, mindestens viel höher als das Herz gelegen ist, so kann man leicht begreifen, dass die vom Becken zum Kreislaufeentrum führenden Venen die Klappen leicht entbehren können. Es bedarf für den gleich- mässigen Blutabfluss hier keiner Rückstauventile. Anders beim Menschen: Hier macht sich der Mangel solcher Stützpunkte für die Blutsäule er- heblich bemerkbar. Zwei Drittel der Lebenszeit muss das Blut in den grossen Venen, die es von den Beckenorganen zum Herzen führen, zu- meist fast senkrecht gepumpt werden und damit ist die Anlage zur Ausbildung von Hämorrhoidalknoten, Venenerweiterungen in den Genital- plexus, Varieocelen gegeben. Wir haben oft Gelegenheit, solche Varico- celen auch an den inneren Beckenorganen, in den Ligamentis latis als Krankheitserscheinungen zu beobachten, die erhebliche Störungen ver- ursachen. Jede weitere Stauung im Abdomen, der schwangere Uterus, Tumoren usw. erhöhen diese ätiologischen Momente, deren hauptsäch- lichstes aber eben in der physikalisch ungünstigen Anordnung liegt. Den Mangel der Klappen tragen wir als altes Erbstück aus einer Zeit, wo es noch kein Mangel war, von Vorfahren, die die Klappen hier noch nicht brauchten; an einen Ausgleich durch Variation und Auslese im Kampf ums Dasein ist noch nicht zu denken. Am meisten leidet die schwangere und gebärende Frau unter der aufrechten Haltung. Schon unter den Vorläufern der Säuger, bei den Beuteltieren, ver- sucht eins der jetzt noch lebenden, das Känguruh, mit Erfolg die auf- rechte Haltung; stark entwickelte hintere Extremitäten bilden den Gegensatz zu den zierlichen, fast zum Handgebrauch freigewordenen vorderen. In der mehr sitzenden als stehenden Stellung kann es seinen Schwanz, stark entwickelt, zur Stütze gebrauchen; seine Genitalien leiden unter der senkrechten Anordnung wenig, weil es seine Jungen in so frühem Stadium der Entwicklung legt, dass eine Schwierigkeit beim Ge- bärakt kaum eintreten kann. Anders beim Menschenweibchen: Die aufrechte Haltung erfordert hier eine Verwendung der Reste der Schwanz- muskulatur als Stütze der sonst dem Herabsinken ausgesetzten Genitalien. Schatz hat das einmal in geistreicher Weise erwähnt: „Die Menschen mussten ihren Schwanz gehörig einkneifen, um ihre Scheide und Gebärmutter am Herausfallen zu hindern.“ Aber auch das höhere Säugetier leidet nicht an den Folgen des Geburtsvorganges und der Geburtsverletzungen. Einerseits ist das Ver- hältnis der Jungen zum Muttertier, zu dessen Becken und Weichteilen noch ein viel günstigeres als beim Menschen; wird das Kalb noch leicht mit beiden Vorderbeinen neben dem Kopf geboren, so ist der Schädel I. Abteilung. Medizinische Sektion. 13 des vollentwickelten Menschenkindes schon bei der Geburt so gross, dass er knapp das Becken passieren kann, dass Weichteilzerreissungen zu den häufigen Erscheinungen gehören und die Grenze des physio- logischen vom pathologischen Vorgang hier schon verwischt ist. Aber auch wenn der Damm, die Stützmuskulatur beim vierfüssigen Säugetier, zerrisse, die Folgen wären keine besonders schweren. Anders beim aufrechten Homo sapiens; der nun fehlende »Stütz- apparat lässt die Scheide herabsinken, die Gebärmutter ihre Lage ver- ändern, ein Vorfall ist die Folge, die eine Menge anderer Krankheits- erscheinungen nach sich zieht, Cystocelenbildung, Rectocele u. a. m. Sehen wir doch von der veränderten Beckenstellung bei nicht genügen- der Neigung, einem infantilen oder besser atavistischen Zustande, Pro- lapse der Genitalien auch bei Nulliparen, ja bei Virgines auftreten, selbstverständlich nur möglich durch den aufrechten Gang. Auch an den höherliegenden Organen, den Baucheingeweiden, macht sich dieser Mangel, den wir mit den Vorteilen der aufrechten Haltung in Kauf nehmen müssen, bemerkbar. Mögen die Bauchdecken eines Vierfüssers durch wiederholte Schwangerschaften noch so gedehnt, die Organe durch den mangeln- den Halt an diesen oder durch Schwund der Fettpolsterung noch so beweglich geworden sein, immer finden sie an der oberen Begrenzung, dem festen Zwerchfell mit seinem starken Widerhalt am Thorax und dessen Inhalt ihre Stütze. Sind aber die an sich nicht allzustark entwickelten Bauchwand- muskeln durch häufig oder schnell sich folgende Schwangerschaften bei der Frau gedehnt, auseinandergewichen, so vermögen sie den Bauch- eingeweiden nicht mehr genügenden Halt zu gewähren. Die Saugkraft der capillären Peritonealräume, die Dupplikaturen des Bauchfells selbst und die Bandapparate sind nicht mehr imstande, der Schwere der Organe genügend entgegenzuwirken, und wir seben das Bild der Entero- ptose sich entwickeln, ein rein „menschliches“ Elend. Störungen in der Funktion der Organe, zum mindesten heftige Beschwerden durch die Zerrung sind die unliebsamen Folgen. Beim höheren Kulturweib sind nicht einmal Schwangerschaften notwendig, um diesen Symptomenkomplex in Fällen schwach entwickelter oder vernachlässigter Bauchmuskulatur hervortreten zu lassen. Auch an die übrige Rumpfmuskulatur stellt die aufrechte Haltung erhöhte Ansprüche, die bei schwächeren Individuen nicht erfüllt werden. Heftige Kreuz- und Rückenschmerzen, wie sie bei jungen oder ge- schwächten Individuen so häufig vorkommen, sind oft nichts als der Ausdruck dauernder Uebermüdung der überanstrengten Muskelgruppen, die den Oberkörper in seiner Balancelage zu unterstützen gezwungen sind. Ganz besonders treten diese Beschwerden in den Vordergrund, wenn nach überstandenen Erkrankungen der Wirbelkörper Verkrümmungen oder Verbiegungen der Wirbelsäule das Balanzieren des aufrecht zu er- haltenden Oberkörpers einzelnen, einseitigen Muskelgruppen zufällt. Ich bin überzeugt, dass manches von dem, was ich hier in aller Kürze vorgebracht habe, den Aerzten schon vielfach aufgefallen ist; es hat aber meiner Meinung nach bisher zu wenig Beachtung gefunden; es ist nicht nur von erheblichem, theoretischem Interesse im Sinne des von Herrn Klaatsch hier erörterten Themas, sondern dürfte auch in bezug auf die klinischen Erscheinungen, deren Deutung und Behandlung nicht unterschätzt werden. Die Aufmerksamkeit der Kollegen mehr, als es bisher der Fall war, auf diese Verhältnisse zu lenken, durch sie zur Aufklärung der unter diesen Bedingungen Leidenden beizutragen, war der Grund zu meinen Bemerkungen. 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Sitzung vom 7. Februar 1913. Vorsitzender: Herr A. Neisser. Schriftführer: Herr Ponfick. Hr. Minkowski demonstriert vor der Tagesordnung a) einen Fall von Tabes dorsalis mit Spontanfrakturen der Wirbelsäule und des Unterkiefers. Erstere trat beim Heben eines erwachsenen Mannes, letztere beim Beissen auf eine harte Brotkruste ein. Erst mehrere Jahre später machten sich die tabischen Bewegungsstörungen bemerkbar; b) das Röntgenbild einer Oesophagusbronchialfistel. Man sieht deutlich die Anfüllung des Bronchialbaums nach dem Verschlucken einer Bismutaufschwemmung; c) Fettstühle von einem Falle von Pankreaserkrankung vor und nach Verabfolgung von Pankreon. Gegenüber einer Angabe von Albu, dass Entleerungen eines flüssigen Oels, das nach der Abkühlung er- starrt, zuerst von Ury und Alexander im Jahre 1894 als patho- gnomonisch für Pankreaserkrankungen beschrieben seien, weist Redner darauf hin, dass bereits Bright im Jahre 1833 eine sehr charakteristische Beschreibung der eigenartig öligen und fettähnlichen Entleerungen gegeben hat, die er in mehreren Fällen von Pankreaserkrankungen beobachtet hatte. Schon vorher (1820) ist von Kuntzmann Abgang von Fett mit dem Stuhl in einem Falle von Pankreasinduration beschrieben worden. Nach der Totalexstirpation des Pankreas beim Hunde treten nach reich- licher Fettfütterung regelmässig ähnliche Entleerungen auf, wie das Redner schon 1389 bei seinen mit Abelmann ausgeführten Untersuchungen beobachtet hat. Das Eigenartige ist, dass das Fett nicht emulgiert ist; die Fettspaltung vollzieht sich auch nach vollständiger Aus- schaltung des Pankreas. Nach Darreichung von Pankreon erschien das Fett, das zwar in geringerer, aber immer noch in beträchtlicher Menge entleert wurde, nicht mehr in ölartiger, sondern in fein verteilten Formen wie bei den gewöhnlichen Fettstühlen der Icterischen. Die Störung der Pankreasfunktion konnte in dem vorliegenden Falle übrigens auch durch die Abwesenheit von Trypsin im Darminhalt nachgewiesen werden. Hr. Felix Rosenthal: Experimentelle Untersuchungen über das Wesen und die Genese des Reeidivs. Es liegt in der praktischen Seite des Infektionsproblems begründet, dass im Vordergrunde der Immunitätsforschung stets das Studium der Abwehrmaassregeln des erkrankten Organismus gestanden hat. So wird es verständlich, dass die Immunitätsvorgänge, wie sie sich auch im Para- siten unter dem Einfluss der bakterieiden Wirkungen der Körpersäfte abspielen mögen, bisher nur wenig in den Kreis der experimentellen Untersuchungen gezogen worden sind. Dass auch der Mikroorganismus den Antikörpern des infizierten Organismus gegenüber nicht untätig bleibt, zeigt schon die grob sichtbare Eigenschaft einer ganzen Reihe pathogener Bakterien, im Tierkörper Kapseln zu bilden, in denen eine wichtige Schutzvorrichtung der Mikroorganismen zu erblicken sein dürfte. Es sei weiter an die Umwandlung der Darmamöben in Cysten er- innert, ferner an die Unempfindlichkeit von Typhusbacillen gegen spezifische Agglutinine, wie man sie häufig bei frisch aus dem Blute von Typhuskranken gezüchteten Stämmen beobachtet. In grosser Fülle und Mannigfaltigkeit drängten sich die Phäno- mene der Selbstwehr der Mikroorganismen gegen sie bedrohende Schädlichkeiten der Beobachtung auf, als es der experimentellen Therapie gelang, durch Auffindung optimal wirksamer chemischer Verbindungen I. Abteilung. Medizinische Sektion. 15 die Trypanosomeninfektion im Laboratoriumsversuch willkürlich zu beherrschen. Ehrlich, der diese Erscheinungen zuerst erkannte und sie mit seinen Mitarbeitern eingehend studierte, fasst sie unter dem Namen der Arzneifestigkeit zusammen. Was das Wesen der Vor- gänge betrifft, die zur Arzneifestigkeit führen, so rechnet sie Ehrlich zu den Mutationen im Sinne von de Vries. Es vollziehen sich in den Mikroorganismen unter dem Einfluss des chemotherapeutischen Agens tiefgreifende biologische Veränderungen, die sich als Mutationen charakterisieren erstens dadurch, dass die er- worbenenen Eigenschaften der Arzneifestigkeit in der Tat ganz neue sind, wie sie ursprünglich auch nicht einzelnen Individuen der betreffenden Mikroorganismen zukamen, und zweitens dadurch, dass diese erworbenen Eigenschaften wie die einer selbständigen Art erblich bleiben. Wie in dem Kampfe zwischen den’ Mikroorganismen und den sie schädigenden chemotherapeutischen Agentien spielen sich auch in dem Kampfe zwischen den Mikroorganismen und den spezifischen Antikörpern des erkrankten Organismus analoge Prozesse ab. Ist es dort die Arzneifestigkeit, so ist es hier die Serumfestigkeit, die Unempfind- lichkeit gegen die Schutzstoffe des Wirtsorganismus, in der die Selbst- wehr der Mikroorganismen in die Erscheinung tritt. Auch hier hat Ehrlich die fundamentalen Richtlinien gewiesen. Derartige Umsetzungen innerhalb der Mikroorganismen spielen nun eine ganz besonders grosse Rolle bei dem Phänomen des Recidivs. Die Genese des Frührecidivs, das in deutlich verfolgbarem Zu- sammenhange mit der früheren Krankheitsperiode auftritt, aber doch von ihr durch eine scheinbar krankheitsfreie Zeit getrennt ist, ist bisher schwer verständlich gewesen, da wir auf Grund unserer heutigen Kennt- nisse zu der Annahme berechtigt sind. dass im Blute des Genesenden Schutzstoffe gegen die Erreger der abgelaufenen Krankheit meist in grosser Menge kreisen. Es sei z. B. an die von Jürgens mitgeteilten Typhusfälle erinnert, wo bei hohem bakterieiden Titer des Blutserums sich trotzdem Recidive einstellten. Hier ergibt sich die für die Genese des Reeidivs entscheidende Frage, warum in den Fällen, in denen die Rekonvaleszenz durch das Erscheinen des Recidivs unterbrochen wird, die in der Circulation vor- handenen Schutzstoffe den Kranken vor einer zweiten Attacke der eben niedergekämpften Infektionserreger nicht zu bewahren vermögen. Die bisherigen Erklärungsversuche für das Zustandekommen des Recidivs, soweit sie überhaupt diesen Namen beanspruchen dürfen, werden kurz gestreift (Henoch, Wolff-Eisner, Bungart, Menzer). Für das Studium der an die Heilung der Infektion sich an- schliessenden Vorgänge, deren Wechselspiel schliesslich das Auftreten des Recidivs bewirkt, bietet die Febris recurrens und vor allem die Trypanosomeninfektion besonders günstige experimentelle Bedingungen dar. Die experimentelle Analyse des Recidivs wird dadurch auf breitester Basis ermöglicht, dass auch bei Uebertragung auf das Tier, z. B. das Meerschweinchen, die Infektion spontan in exquisit reeidi- vierender Form verläuft, und ferner bei den Tieren, bei welchen der Reeidivtypus spontan nicht hervortritt, wie z. B. bei der Maus, die gerade auf dem Gebiete der Protozoenerkrankungen so erfolgreiche Chemotherapie dem Experimentator die Mittel gibt, das Recidiv künstlich auszulösen und willkürlich zu beherrschen. Die geschilderten Versuche, welche an das zuerst von Ehrlich bei Trypanosomen-Recidivstämmen erforschte Phänomen der Serumfestigkeit anknüpfen, wurden mit einem Naganastamm (Trypanosoma Brucei) aus- geführt. Behandelt man mit Trypanosomen infizierte Mäuse mit zur völligen Heilung ungenügenden Dosen trypanocider Agentien, so treten 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. nach einiger Zeit Recidive auf (Demonstration. Die nun wieder im Blut erscheinenden Reecidivtrypanosomen unterscheiden sich durch die Immunitätsreaktion von den ursprünglich zur Infektion verwendeten so, als ob es sich um eine andere Art handle (Demonstration von Tabellen). Von derartigen Recidivstämmen, selbst wenn sie von dem gleichen Ausgangsstamm sich ableiten und unter der gleichen chemotherapeutischen Behandlung entstehen, ist eine Vielheit möglich (Neumann, Ehrlich, Braun und Teichmann, Vortragender). Die so erzeugte Abänderung der Parasiten ist nicht oberflächlicher Natur, sondern kann durch viele Monate und Jahre bei Passagen durch normale Tiere fortgeführt werden, sie ist erblich (Ehrlich, Röhl und Gulbransen). Doch kommt es auch vor, dass im Verlaufe der Passagen der Recidivstamm sich allmählich zum Ausgangsstamm zurück- bildet (Neumann, Mesnil und Brimont, Braun und Teichmann, eigene Erfahrungen). Auch durch Einwirkung eines Immunserums in vitro, und zwar in äusserst kurzer Zeit kann diese Serumfestigkeit eintreten (Ehrlich, Roehl und Gulbransen, Levaditi und Mutermilch, eigene Ver- suche). Nach Ehrlich vollzieht sich die Bildung des Reeidivstammes aus dem Ausgangsstamm in der Weise, dass bei Anwesenheit ge- nügender, aber nicht letaler, spezifisch gegen den Ausgangs- stamm gerichteter Antikörpermengen ein Umschlag der Trypanosomen in einer Richtung erfolgt, die die Erhaltung der Rasse auch unter den neuen Lebensbedingungen ermöglicht. Nach den vom Vortragenden demonstrierten Reagenzglasversuchen erscheint das recidivstammbildende Vermögen des Immunserums weit- gehend unabhängig von der Trypanocidie des Serums. (Demonstration von Tabellen.) Trypanocidie und Reeidivstammbildungsvermögen sind hiernach nicht Funktionen eines einzigen Serumsubstrates, sondern mit Wahrscheinlich- keit Eigenschaften differenter Serumkörper (trypanocide Immunkörper und Recidivkörper). Versuche, welche für eine Trennung der trypano- ciden Körper von den „Recidivkörpern“ sprechen, werden demonstriert. Nicht als das Spiel von Zufallsmomenten, sondern als die Resultate wohl definierbarer biologischer Prozesse, die die grossen fundamentalen Lebensprobleme der Vererbung und der Umwandlung der Arten aufs innigste berühren, muss das Wesen des Frührecidivs begriffen werden. Nieht in einem Aufhören der Immunität des Wirtsorganismus, sondern in der gerade unter dem Einfluss dieser Immunität sich vollziehenden biologischen Wesensänderung der Parasiten zu Individuen mit neuen Artcharakteren liegt die Genese des Frühreeidivs begründet. Die Ausblicke, welche möglicherweise diese experimentellen Er- gebnisse für die Klinik des Frührecidivs eröffnen, werden im einzelnen bei den Reeidiven der Pneumonie, des Typhus, des Scharlachs, der Masern, der Syphilis und dem Reeidiv maligner Tumoren geschildert. (Die Arbeit erscheint ausführlich in der Zeitschrift für klinische Medizin, 1913. Weitere Ergebnisse werden in der Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten mitgeteilt.) Hr. Biberfeld: Ueber Atophan. Die wesentlichste Wirkung der Phenylchinolincarbonsäure, des Atophans, nämlich die Vermehrung der Harnsäureausscheidung beim Menschen, wird verschieden gedeutet; von Weintraud und seinen Schülern wird als eine selektive Wirkung des Mittels auf die eine Funktion der Niere, eben die U-ausscheidung, angesehen; Starken- stein dagegen hat auf Grund seiner Tierversuche, in denen er eine I. Abteilung. Medizinische Sektion. 17 Verminderung der Allantoinausscheidung festgestellt hatte, eine Störung des Purinstoffwechsels angenommen, die sich beim Menschen in einer Steigerung des Zerfalls der zum Abbau reifen Harnsäurevorstufen äussert. Eine reine Nierenwirkung würde plausibler erscheinen, wenn es gelänge, noch andere gleich gerichtete Wirkungen des Atophans festzu- stellen. Der Vortragende hat deshalb untersucht, wie Atophan die Aus- scheidung eines anderen Purinkörpers, des Hydroxycoffeins, beeinflusst; diese Substanz wurde gewählt, da sie den menschlichen und tierischen Organismus unverändert passiert, während die meisten anderen Purine quantitativ im Stoffwechsel nicht verfolgbar sind. Am Menschen und Tier zeigte sich nun, dass die Substanz unter Atophanwirkung keines- wegs schneller, sondern eher langsamer sezerniert wurde. Ferner wurde das Schicksal in grosser Menge subcutan injizierter Harnsäure beim Hunde untersucht. Im normalen Stoffwechsel scheiden alle Tiere nur sehr geringe Mengen von U aus, da sie diese zu Allantoin weiter oxydieren. Führt man aber grössere Mengen von Harnsäure subeutan ein, so kann der Körper nicht die Gesamtmenge bewältigen und die U-ausscheidung im Harn wächst infolgedessen an, aber unter Atophan- wirkung nicht mehr als ohne dieses. Eine spezifische Nierenbeeinflussung war somit an Purinsubstanzen nicht zu erweisen. Weiterhin versuchte der Vortragende, ob eine sicher auf die Niere beschränkte pharmako- dynamische Wirkung, die des Phlorhizins, sich durch Atophan beein- flussen lasse; auch hier war das Resultat für die Weintraud’sche Auf- fassung nicht günstig; durch Atophan wird die Zuckerausscheidung ver- zögert und auch quantitativ vermindert. Von verschiedenen Beobachtern wird angegeben, dass Atophan beim Menschen keine Vermehrung der Phosphorsäureausscheidung bewirke; das wurde gegen die Anschauung verwertet, dass Atophan eine Beschleunigung des Nucleinzerfalls ver- ursache. Dieses Argument beweist nicht viel, da die beim Entstehen von beispielsweise 0,5 g U aus Nucleinsäure freiwerdende Phosphor- säure noch nicht einmal ebensoviel beträgt und eine relativ so geringe Menge sich im menschlichen Stoffwechsel kaum nachweisen lässt. Ausserdem ist es möglich, dass Atophan wohl eine schnellere Aus- scheidung von Phosphorsäure in den ersten Stunden nach seiner Dar- reichung hervorufe, dass diese aber in dem bisher allein bestimmten Tagesharn nicht in Erscheinung trete. Versuche an Hunden zeigten, dass Atophan tatsächlich eine Beschleunigung der Ausscheidung sub- cutan injizierter ionaler und nicht ionaler Pz0, (Natrium glycerino- Phosphoricum) erzeuge. Diskussion. Hr. E. Frank: Ein französischer Autor, Fauvel, hat sich bereits vor mehreren Jahren die Frage vorgelegt, ob auch Purine, die im Organismus nicht zu Harnsäure werden, eine Steigerung der Ausschei- dung erfahren in Fällen, in denen die Harnsäure vermehrt ausgeschieden wird. Er glaubt das für das Theobromin bejahen zu dürfen. Er be- diente sich allerdings zur Steigerung der Harnsäureausfuhr nicht des Atophans, sondern des Natrium salicylicum. Das ist aber, wie ich glaube, im Prinzip das gleiche, denn die lange schon bekannte steigende Wirkung der Salieylsäure auf die Harnsäureausfuhr ist wohl mit der des Atophans identisch. Wenigstens suggerieren mir diese Ansicht neue Untersuchungen, die Fräulein med. pract. Pietrulla auf der hiesigen medizinischen Klinik ausgeführt hat. Bei Verwendung von 6g Acidum salicylicum pro die zeigte sich, dass (bei geringfügiger Leukocytose) die Vermehrung der Harnsäureausscheidung ganz die gleiche ist wie durch Atophan, und dass nach Aussetzen des Mittels ganz der gleiche tiefe Absturz zu konstatieren ist wie beim Atophan. In einem Falle stieg Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1913. I. 2 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. die Harnsäure von einem endogenen Werte von 0,26g bei purinarmer Kost unter Acid. salicyl. auf 0,58, 0,63, 0,601 g während der drei Tage, die das Mittel gegeben wurde, dann fiel sie auf 0,444, 0,11, 0,09, 0,05 g. In einem zweiten Fall fand sich ein Anstieg von 0,226 auf 1,001g. Danach hat es den Anschein, als ob die Gruppe der Nervina, Anti- pyretica, Antirheumatica doch ganz gesetzmässig eigenartige Beziehungen zur Harnsäure hat, nur dass beim Athophan diese Wirkung schon bei viel geringeren Dosen imponierend wird als bei Salicylsäure. Was nun die Frage nach dem Angriffspunkt des Atophans betrifft, so lässt sich mangels eines Einblicks in den feineren Mechanismus seiner Wirkung eine endgültige Antwort nicht geben; nur die Alternative, ob primärer Nucleinzerfall oder primäre Begünstigung der Harnsäure- elimination, lässt sich wohl sicher zugunsten der letzteren Vorstellung beantworten. Wie sollte man sich sonst die auffallende Heilwirkung beim Gichtanfall, wie das Schwinden der Tophi erklären. Wie wäre es sonst zu verstehen, dass eine Beschleunigung und Vermehrung der Harn- säureausscheidung unter Atophan stattfindet, gleichgültig, ob man Nucleinsäure, Hypoxanthin oder Harnsäure selbst einverleibt. Speziell, dass injizierte Harnsäure auch vom Gichtkranken, der Atophan nimmt, rasch und quantitativ ausgeschieden wird, beweist, dass die Harnsäure selbst, d. h. die günstigere Gestaltung ihrer Eliminationsbedingungen das eigentliche Wirkungsbereich der Substanz darstellt. Hr. Minkowski bemerkt ergänzend, dass die von Herrn Frank erwähnten Untersuchungen des Fräulein Pietrulla nicht mit Atophan ausgeführt wurden, sondern mit dem Ester, der neuerdings als „Aeitrin“ in den Handel gebracht wird. Redner ist von Anfang an der Ansicht ge- wesen, dass die Wirkungen des Atophans auch auf die Harnsäure nur graduell von denen der Salicylsäure verschieden sein könnten. Vieles spricht dafür, dass es sich um eine Einwirkung auf die Elimination der Harnsäure handelt. Aber ob diese die primäre Wirkung und ihrer- seits die Ursache für die Besserung der gichtischen Erscheinungen ist, oder umgekehrt eine Einwirkung auf die dem Purinumsatz zugrunde liegenden Stoffwechselvorgänge erst indirekt die Harnsäureausscheidung beeinflusst, ist noch nicht entschieden. Die Hauptfrage bei der Gicht ist ja auch: warum wird die im Ueberschuss vorhandene Harnsäure nicht eliminiert? Wenn man von einer „Dichtigkeit des Nierenfilters“ spricht, so ist das zunächst nur eine Umschreibung der Tatsache. Es liegt kein Grund für die Annahme vor, dass die Durchlässigkeit der Nieren nur speziell für eine ganz bestimmte Substanz geändert werden könnte. Wahrscheinlich handelt es sich bei der Gicht und wohl auch bei der Wirkung des Atophans um eine Beeinflussung von gewissen Stoffwechsel- vorgängen bei dem Abbau der Purinverbindungen. Es könnte ja sein, dass sich diese Vorgänge auch in der Niere abspielen, nur ist es dann nicht nur die „Durchlässigkeit“ der Niere, auf die es ankommt. Wahr- scheinlicher ist es, dass die entscheidenden Prozesse sich diesseits des Nierenfilters abspielen. Sitzung vom 14. Februar 1913. Vorsitzender: Herr Neisser. Schriftführer: Herr Röhmann. 1. Hr. R. Meissner: Ueber die Bindung des Arsenwasserstoffes im Blut. In Anlehnung an eine vonLockemann,RecklebenundEckardt!) 1) Zeitschr. f. analyt. Chemie, Bd. 46, S. 671. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 13 ausgearbeitete qualitative Arsenwasserstoffanalyse versucht Verf. der Be- antwortung der Frage näher zu kommen, zu welchen Bestandteilen des Blutes Arsenwasserstoff die grösste Affinität habe, zu den Lipoiden (wie Aether und Chloroform), zum Serum, zum Stroma oder zum Hämoglobin. Die hier in Frage kommenden Blutbestandteile wurden rein dargestellt und in demselben Verhältnis, wie sie im Blute vorhanden sind, in ge- eigneten Flüssigkeiten gelöst oder suspendiert. Für die Lipoide werden folgende Werte erhalten: 1. Reines Chloroform band a nr 32tup&t: Chloroform 4 Cholesterin band . . . 33,3 —-Leeithin band . . .... 31,3 2. Reine Gummisuspension band . . .710 „ Gummisuspension 4 Leeithin band . . 71,0 „ —- Cholesterin band . 64,0 „ 3. Physiol. Nacı- Tösungs band aumr. 463,005 5 —+ 20 g Menschen- hirnbrei band Dana ae 269,0 4. Reiner Aether band . . ! 92,0 Aether+ Cholesterin + Lecithin Ar Fett- säuren 1 Rettelband" I. 1.0,.2229..91,0° 5, Nach diesen Zahlen besitzen Lipoide kein Starkes Bindungsvermögen zu AsHg;. Ebenso verhielt sich Serum und Stroma (in den verschiedensten Konzentrationen) Dagegen ergab reines Hämoglobin (nach Hoppe- Seyler dargestellt und von Merck bezogen) in wiederholten Analysen folgende Zahlen: Reine physiologische NaCl-Lösung band . . . . .44ptt. NaC1(0,92pCt.) + Hämoglobin in normalenMengenband 82 „ Diese Werte zeigen deutlich, dass im Blute das Hämoglobin allein den Arsenwasserstoff energisch zu binden vermag. Es konnte ferner festgestellt werden, dass die Hämatincomponente des Hämoglobins — wie bei der CO-Intoxikation — auch bei der AsH;- Vergiftung stark beteiligt ist; denn Hämatin vermag AsH, stark zu ab- sorbieren, wie folgende Zahlen lehren: Reine NaH (1:500) band . ; 70 pCt. Reines Hämatin (nach Küster) zu 10, 1 pe inNaÖH 1:500 gelösst band .. . ID Auch die Gegenwart des Eisens scheint De dieser Bindung nicht ohne, Bedeutung zu sein, da im Vergleich zum Hämatin das eisenfreie Hämatoporphyrin (rein nach Esehbaum) 23 bis 26 pCt. in den gleichen Konzentrationen weniger absorbierte. Verschiedene Blutarten untereinander in ihrer Absorptionsenergie, gegenüber dem AsH, verglichen, zeigen keine wesentlichen Differenzen. Galle band etwas weniger als Blut. Eine grössere Reihe Entgiftungsversuche führten deshalb nicht zum Ziele, weil AsH; im Blute sehr schnell in eine andere As-Verbindung umgewandelt wird. Vergiftet man Tiere mit AsH, und infundiert ihnen darauf schnell eine in vitro stark AsH, bindende Substanz, so wirkt dieselbe im Tierkörper nicht AsH, entgiftend, weil freies AsH; hier schon nach ganz kurzer Zeit nicht mehr vorhanden ist. Denn dieses Blut gibt keine Reaktion auf AsH,;. Fügt man ihm aber ein reducierendes Agens (H, aus HCI + Zn) zu, so entsteht wieder freies AsH,. Da ein Re- duktionsmittel zur Wiederherstellung unseres Gases hier nötig ist, so wird es beim Zusammentreffen mit Blut möglicherweise in irgendeine Oxydationstufe übergeführt. Dieser Prozess: Aufnahme, Bindung und Ueberführung des AsH; im Blute in diese noch nicht analysierte As-Verbindung geht sehr schnell 9* 20 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. vor sich; ich möchte ihn als erste Phase der AsH;-Intoxikation be- zeichnen. Die zweite verläuft langsamer: sie endet mit der Hämolyse. Die Arsenwasserstoffhämolyse hat zwei auffallende Symptome: 1. Sie wird erst nach längerer Zeit sichtbar. 2. Sie tritt nur bei bestimmten AsH3;-Konzentrationen ein. Setzt man eine hämolytische Skala an, so zeigt sich beim Hinzu- fügen ganz geringer AsH;-Mengen keine Hämolyse und keine Verfärbung des Blutfarbstofis; ei den folgenden ÄsH; - Konzentrationen tritt Hämolyse ein, teils ohne, teils mit Verfärbung. Beim Zusatz von noch mehr AsH, tritt keine Hämolyse mehr ein; der Blutfarbstoff wird jetzt unter Verfärbung (graubraun-graugrün) völlig gefällt. Diese Farbenveränderung erinnert an die Erscheinungen, die man beim Zusammentreffen von Blut und SH, beobachtet. Der sich hierbei bildende Körper, das Sulfmethämoglobin, hat ein typisches Spektrum. Auch Arsenwasserstoff gibt mit Blut ein konstantes Spektrum, wenn man AsH, im Ueberschuss hinzufügt. Man erhält es am besten, wenn man einen Tropfen Blut, Blutkörperchenbrei oder Hämoglobin mit 10 bis 15 cem physiologischer Kochsalzlösung mischt, die AsH,; in grosser Menge absorbiert hat. Es tritt dann ausser einem Streifen (reduziertes Hämo- globin) oder zwei Streifen im Grün (Oxyhämoglobin) noch ein Streifen im Rot konstant auf. Diskussion. Hr. Pohl: Die Gesamtwirkung des Arseniks wird vielfach dahin zusammengefasst, dass man sagt, er sei ein Protoplasmägift, das heisst nicht viel mehr als er wirkt, weil er wirkt. Gegenüber dieser Phrase scheint es mir ein wirklicher Fortschritt, dass in der ÄArsengruppe als Ursache einer cellulären Wirkung — hier die Schädlichkeit des Arsen- wasserstoffes für das rote Blutkörperchen — eine chemische Reaktion, eben die Affinität zwischen dem Eisenkern des Hämoglobins und dem Arsenwasserstoff andererseits, festgestellt ist. 2. Hr. Eisenberg: Ueber sogenannte Mutationen (Sprungvariationen) bei Bakterien. Die Erblichkeits- und Variationserscheinungen bei Bakterien sind nicht ohne weiteres mit denjenigen bei höheren Lebewesen zu analogisieren, da hier zunächst der Generationsbegriff ein ganz anderer ist. Es darf eine Zellgeneration der Mikroben nicht einer Individualgeneration der Vielzelligen gleichgestellt werden, sondern nur eben einer Zellgeneration in ihrer Entwicklung — ein Correlat einer Individualgeneration eines höheren Lebewesens, die viele Zellgenerationen umfasst, wäre auch erst in einer Reihe von Zellgenerationen bei Bakterien zu suchen, also etwa in einer Agar- oder Bouillonpassage.. Das Fehlen der Amphimixis, die sehr beschränkte Möglichkeit, Eigenschaften einzelner Keime zur Anschauung zu bringen, die ungenügende Kenntnis der biologischen Bedeutung vieler Merkmale sind alles Faktoren, die eine gesonderte Betrachtung dieser Er- scheinungen bei Bakterien und grosse Vorsicht bei ihrer Anreihung an sonstige Variationserscheinungen geboten erscheinen lassen. Eine Sonderstellung kommt zweiffellos der Erscheinungsgruppe des B. coli mutabile zu, die wegen ihres ausgesprochen adaptiven Charakters am besten vielleicht als sprungweise Adaption bezeichnet wird. Ob bei der Entstehung der anderen „Mutationen“ adaptive Vorgänge mit im Spiele sind, lässt sich zurzeit kaum entscheiden, da wir über die bio- logische Bedeutung des Wachstums in längeren oder kürzen Verbänden, der Schleimproduktion, der verschiedenen Bakterienfarbstoffe, der tryp- tischen Fermente (Gelatinasen), der vermehrten Tyrosinbildung, der Fähig- keit zur. relativen Ana&robiose und anderer Merkmale, die die zutage I. Abteilung. Medizinische Sektion. 21 tretenden Unterschiede bedingen, nur mangelhaft oder gar nicht unter- riehtet sind. Eine sprungweise Entstehungsweise sensu strietissimo, d.h. ein Umschlag von einer Zellgeneration zur anderen, ist bis jetzt nur in einem Fall festgestellt worden, nämlich bei Aussaat aus jahrelang auf- bewahrten Milzbrandsporenfäden wachsen neben typischen sporogenen Kolonien auch atypische asporogene — hier hat die Umstimmung wohl eine lange Zeit beansprucht. — aber nur eine einzelne im Zustand latenten Lebens befindliche Generation betroffen, unter Ausschluss von Vermehrung und Wachstum. Die Konstanz der resultierenden Formen ist eine recht verschiedene; es gibt solche, die monatelang in successiven Passagen den einmal er- worbenenr Typus festhalten, es gibt welche, die nach Tagen bis Wochen einen teilweisen Rückschlag zur Vorsprungsform aufweisen, es gibt ferner auch solche, die immer wieder rückschlagen und nur durch ständige Auslese festzuhalten sind („Ever sporting varieties“). Endlich bekommt man ab und zu quasi eruptive Perioden zu sehen, wo binnen kurzer Zeit immer neue Formen zum Vorschein kommen. Also eine gewisse Analogie zu den „Mutationsperioden“ von De Vries. Was die Ursache der beobachteten Umschläge betrifft, stehen wir erst am Anfang der Forschungsarbeit und können meist kaum über Ver- mutungen hinaus. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Stoffwechselvorgänge dabei eine hervorragende Rolle spielen, daneben wohl auch die Art der Sauerstoffzufubr, der Wassergehalt des Mediums, die darin enthaltenen Salze, osmotische Verhältnisse usw. Die Versuche, willkürlich durch be- kannte Faktorer den Typus umzuprägen (Seiffert, Penfold und Vortr., Erzeugung asporogener Mutanten beim Milzbrandbaeillus durch Kultur auf Glycerinagar oder bei 42° C), werden bei weiterem Ausbau vielleicht erlauben, in den Mechanismus dieser Vorgänge tiefer einzudringen, und stellen wohl die wichtigste Aufgabe zukünftiger Forschung auf diesem Gebiete dar. Es wird augenblicklich wohl kaum möglich sein, die Bedeutung ab- zuschätzen, die die in Rede stehenden Spaltungsvorgänge für die Frage nach der Entstehung neuer Bakterienarten besitzen. Wenn auch eine grosse Anzahl der beschriebenen Erscheinungen Verlustvariationen dar- stellen und zweifellose Fälle von Auftreten ganz neuer Eigenschaften noch nicht ganz sicher festgestellt sind, so sei doch die Möglichkeit solcher durchaus nicht auszuschliessen. Es verdient betont zu werden, dass in manchen Fällen nicht ein Merkmal, sondern eine Gruppe von verschiedenen Merkmalen correlativre Abänderung zeigt, sodann aber, dass die in unseren Kulturen auftretenden Varietäten zum Teil mit solchen über- einstimmen, die an natürlichen Standorten gefunden werden. Jedenfalls wird die genaue Erforschung der Variationsbreite jeder Spezies zur exakten Artumgrenzung und zur Erkenntnis verwandschaftlicher Be- ziehungen zwischen den Bakterien manches beitragen können. Praktisch wird uns dadurch die Möglichkeit gegeben, vorkommendenfalls auch atypische Formen richtig zu diagnostizieren. Anderseits wird angesichts der grossen Plastizität der Bakterien grosse Vorsicht geboten bei Be- nutzung von Elektivnährboden, die durch ihre spezifischen Zusätze leicht wichtige Aenderungen der auf ihnen gezüchteten Bakterien bewirken, ander- seits aber manche atypische Formen unterdrücken können. Im Anschluss an die Ausführungen wurden verschiedene Abarten von Choleravibrionen, B. prodigiosum, B. Kieliense, B. pyocyaneum, B. fluorescens liquef. und non liquef., B. violaceum, Sarcina tetragena, Kapselbakterien, ein eigener Stamm von B. typhi mutabile demon- striert. 233 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Klinischer Abend vom 21. Februar 1913. Vorsitzender: Herr Harttung. Hr. @roenouw stellt einen 21jährigen Kranken vor, dem vor fünf Wochen ein Fibrosarkom der Augenhöhle mittels der Kroenlein’schen Operation entfernt wurde. Die früher vorhandene Stauungspapille ging zurück, das Auge besitzt jetzt 1/, Sehschärfe. Hr. Harttung demonstriert einige Fälle von Lues des Schädels. 1. Eine periost-ostale Erkrankung am Stirnbein aus dem Frühstadium, die mit schweren Störungen einhergeht und sich auf jede Behandlung, auch auf das Salvarsan, als refraktär erweist. Der Vortr. betont dabei die Notwendigkeit eventueller chirurgischer Eingriffe bei diesen Knochenherden, die für die allgemeine Therapie schwer zugänglich seien. Das beweisen auch der 2. und 3. Fall, die gleichfalls vorgestellt werden, und bei denen es sich um dieselbe Er- krankung im Spätstadium handelt. Beide haben sich zu schwerer Zer- störung der Knochen entwickelt und beide sind der allgemeinen Be- handlung insofern nicht zugänglich, als das örtliche Leiden durch die Allgemeintherapie so gut wie gar nicht beeinflusst wird. Fall 2 ver- weigert eine lokale Behandlung. In Falld ist der Krankheitsherd aus- gemeisselt und die Dura abgekratzt worden. Es hat sich aber eine neue Sequestration in der Randzone entwickelt. Hr. Harttung demonstriert an Stelle des erkrankten Hrn. Urban unter Vorzeigung mikroskopischer Präparate und mehrfacher Lumiere- Photogramme eine Anzahl von Fällen von Hauttuberkulose. Der Vortr. geht dabei auf die Stellung der sogenannten Tuberkulide ein. Er zeigt 1. einen Fall von Scrofuloderm neben drei Fällen von Erytheme Bazin, 2. zwei Fälle von Tuberculosis verrucosa cutis, 3. zwei Lichen scrofulosorum in der Reaktion, 4. einen Folliclisfall, 5. ein Boeck- sches Sarkoid, 6. zwei Lupus erythematodes-Fälle, 7. einen Fall von Acnitis Barthelemy. Schliesslich zeigt der Vortr. noch einen Fall von serpiginösem Lupus neben einem tuberösen Syphilid von fast gleicher Ausdehnung, unter Hervorhebung der differentialdiagnostischen Momente. Hr. Leopold: Ueber Nervensymptome bei Frühlues. 50 Fälle von frischer Lues I und II wurden an der Hautabteilung des Allerheiligenhospitals zu Breslau (Prof. Harttung) vor der Behand- lung genau auf Nervensymptome untersucht und lumbalpunktiert. Das Lumbalpunktat wurde auf Nonne-Spelt’sche Reaktion, Wassermann’sche_ Reaktion und auf Spirochäten geprüft, der Eiweissgehalt nach Essbach wurde festgestellt und die Zahl der Lymphocyten im Kubikzentimeter mit der Fuchs-Rosenthal’schen Zählkammer ausgezählt. Unter 40 Fällen von sekundärer Lues fand sich 25 mal ein positives Lumbalpunktat, unter 10 Fällen primärer Lues 5 mal ein positives Lumbalpunktat. Die genaue Untersuchung des peripheren Nerven- systems ergab 7 mal positives Babinski’sches Phänomen, in 10 Fällen positives Oppenheim’sches Phänomen, 6 mal Pupillendifferenz, 6 mal Romberg’sches Phänomen, 12 mal Fuss- oder Patellarelonus, 4 mal Sensibilitätsstörungen. An subjektiven Nervensymptomen fanden sich in 10 Fällen Kopfschmerz, Schwindel und Öhrensausen. Auffallend waren bei allen Patienten die lebhaften und zum Teil gesteigerten Periost- Sehnenreflexe. Die stärksten positiven Nervenbefunde fanden sich bei den Fällen mit auch sonst stark ausgesprochenen Luessymptomen. Die Untersuchungen bestätigen die Ansicht Ravaut’s, der die frische Lues für eine Art Septikämie hält, welche mit Vorliebe die äussere Haut und das Nervensystem befällt. Die Affektion des Nervensystems dokumentiert sich einerseits durch den pathologischen Liquor, andererseits durch die I. Abteilung. Medizinische Sektion. 23 oben beschriebenen mehr oder weniger starken Veränderungen im peri- pheren Nervensystem. Hr. Wallfisch stellt zwei Fälle von Spätexanthemen nach intra- venöser Salvarsaninjektion vor. In dem ersten Falle handelt es sich um eine Patientin, die 3 Tage nach einer Injektion von 0,4 Salvarsan unter Schwellung der Halsdrüsen, Magen, Kopfschmerzen und Erbrechen von einem maculösen Exanthem am Stamm, den Extremitäten und im Gesicht befallen wurde. Gleichzeitig bestand eine geringe Schwellung der Lider, der Lippen und eine leichte Oyanose des Gesichts. Bei der anderen Patientin trat S Tage nach einer Injektion von 0,3 Salvarsan unter allgemeinem Unwohlsein, Schnupfen, Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Druckgefühl in den Augen ein an den Unterarmen beginnendes Exanthem auf, das sich bald über den ganzen Körper ver- breitete und nach seinem Aussehen so sehr an Masern erinnerte, dass im Verein mit dem Schnupfen und der Conjunctivitis die Differential- diagnose Morbilli ernstlich in Betracht kam. Hr. Wallfisch stellt einen Fall von Fernthrombose nach intra- venöser Salvarsaninjektion vor. Im Laufe von 8 Tagen nach einer intravenösen Salvarsaninjektion in die Vena media cubiti entwickelte sich ein Abscess auf dem Musculus vastus latus, der dasselbe Bild darbot, das früher bei Abscessen nach intramusculärer Salvarsaninjektion beobachtet wurde. Da die von dem Abscessinhalt angelegten Kulturen steril blieben, andererseits aber As chemisch in ihm nachgewiesen wurde, kann nur angenommen werden, dass das Salvarsan auf embolischem Wege diese Nekrose ausgelöst hat. Hr. Braendle berichtet über günstige Erfahrungen, die mit Röntgen- bestrahlungen allein, bzw. in Kombination mit Quarzlichtbestrahlungen bei tuberkulösen Affektionen der Knochen, Gelenke und Drüsen er- zielt wurden. Die Beobachtungsresultate sind ähnlich denen, die aus der chirurgischen Klinik zu Basel von Iselin publiziert wurden. Die Röntgenbestrahlungen werden bei diesen Affektionen in Form der Tiefenbestrahlungen ausgeführt: Harte Röhre, grosse Focushaut- distanz, Filter l mm dickes Aluminium. Die Quarzlichtbestrahlungen werden mit der von Nagelschmidt angegebenen Modifikation der Kromayer’schen Quarzlampe gemacht. Die günstige Einwirkung der Bestrahlungen dokumentiert sich durch teilweise ganz erhebliche Gewichtszunahme der Patienten. Diese Ge- wichtszunahme tritt ein trotz der häufigen nach den Bestrahlungen ent- stehenden Temperatursteigerungen. Bei tuberkulösen Lymphomen wirken die Röntgenstrahlen ebenfalls bei den meisten Fällen sehr günstig, bei offener Drüsentuberkulose müssen nach Beobachtungen des Redners die Röntgenbestrahlungen mit Quarzlichtbestrahlungen kombiniert werden. Hr. Muthmann stellt einen 39 jährigen Arbeiter mit einer Induratio penis plastica vor, der in seiner Anamnese Gonorrhöe (1892) und Lues (1894) hat. Zwei antiluetische Kuren 1894 und 1900. November 1911 beobachtet Pat. ganz plötzlich eigentümliche Ver- härtungen in seinem Gliede, die bis heute unverändert geblieben sind und nie Schmerzen verursacht haben. Bei Erektion geringe Abweichung des Penis nach oben. Der Coitus wird ohne Schmerzen und Störungen vollzogen. Pat. bekam Jodkali intern. Status: Kräftiger Mann. Innere Organe gesund, ebenso das Nervensystem. Keine luetischen Symptome. Wassermann’sche Reaktion des Blutes negativ. 24 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Im linken Corpus cavernosum, dicht neben der Medianlinie ein bleistiftdicker derber Strang, der gegen die Glans zu allmählich in das Corpus cavernosum übergeht, gegen die Symphyse einen haselnussgrossen Knoten deutlich isolieren lässt. Von der Mitte des Stranges geht noch ein lakenförmiger Fortsatz nach abwärts. Die Penisschafthaut ist unver- ändert und zeigt normale Verschieblichkeit. Urin ist klar und enthält Flocken (mikroskopisch: Schleim, Leuko- cyten, keine Bakterien). Zucker und Eiweiss negativ. Urin centrifugiert: Plattenepithelien und spärliche Leukocyten. Die Urethra ist ohne weiteres für eine Sonde (Charriere Nr. 24) passierbar; endoskopisch lässt die Urethralschleimhaut nichts Patho- logisches erkennen. Es handelt sich hier um ein Induratio penis plastica. Alle durch lokal entzündliche und allgemeine Prozesse bedingten Indurationen lassen sich als ätiologische Faktoren ausschliessen, auch die Gonorrhöe, die etwa 20 Jahre zurückliegt, und die Lues. Es kämen hier nur gummöse Prozesse in Betracht. Die Konstanz der Affektion auch bei Jodtherapie spricht gegen einen gummösen, also luetischen Prozess. Die Aetiologie der Induratio penis plastica ist unbekannt. Histologisch ist auffallend die Aehnlichkeit des Bildes mit der Dupuytren’schen Kontraktur, ferner das häufige Zusammentreffen mit Gicht. Die Prognose ist quoad sanationem infaust. Indes sind auch Fälle von Spontanheilung beobachtet (Jadassohn, Schäffer und Callomon. Die Therapie, lokale und allgemeine, ist machtlos, auch Fibrolysin- kuren. Die chirurgische Therapie ist auch erfolglos, da Recidive auf- treten. Sitzung vom 28. Februar 1913. Hr. Hinsberg: | Ueber die modernen Funktionsprüfungsmethoden des Ohrlabyrinths. (Siehe Teil IL.) Klinischer Abend vom 7. März 1913. Vorsitzender: Herr Ziesche. Hr. Ludwig Mann stellt zwei Fälle von familiärer Myotonie mit Muskelatrophie und Kataraktbildung vor. Die beiden Brüder sind bereits vor 10 Jahren (am 6. März 1903) von Herrn Uhthoff in unserer Gesellschaft vorgestellt worden, und ich habe damals über den Nervenbefund berichtet. Inzwischen sind sie in das hiesige St. Josephs-Krankenhaus zur Untersuchung gekommen, und ich bin Herrn Zieseh@ dankbar, dass er mir Gelegenheit gegeben hat, den damaligen Befund nachzuprüfen. Bei dem älteren Bruder, dem jetzt 46 jährigen Patienten, ist im Jahre 1896 die Kataraktoperation in der Kgl. Augenklinik ausgeführt worden. Damals fanden sich noch keine myotonischen Erscheinungen; dieselben sind erst später hinzugetreten und noch später ist die Muskel- atrophie hinzugekommer. Bei dem jüngeren, jetzt 40 jährigen Bruder sind die Krankheits- erscheinungen genau in dem gleichen Lebensalter und in derselben IT. Abteilung. Medizinische Sektion. 25 Reihenfolge aufgetreten. Im Jahre 1905 Kataraktoperation, damals myotonische Erscheinungen nur angedeutet, erst später weitere Ent- wicklung derselben und erst in den letzten Jahren Entwicklung von Muskelatrophie. Die Lokalisation und Ausbreitung der myotonischen sowohl wie der myotrophischen Störungen stimmen in beiden Fällen in einer geradezu frappanten Weise überein. Vollkommen atrophisch sind in beiden Fällen nur die Daumenballen und die ersten Interossei. Die übrige Musku- latur zeigt zwar im ganzen ein verringertes Volumen, aber es findet sich nirgends ein vollständiger Schwund irgendeines Muskels. Eine auf- fallende Kraftlosigkeit, aber keine Lähmung, besteht beiderseits im Facialisgebiet, worauf bereits damals Herr Uhthoff hingewiesen hat. Die myotonischen Erscheinungen sowohl bei Willkürbewe- gung wie bei mechanischer und elektrischer Reizung sind ebenfalls in beiden Fällen in ganz übereinstimmender Weise in den gleichen Muskelgruppen lokalisiert, nämlich in den Finger- und Handgelenks- beugern und in den Masseteren. In der übrigen Muskulatur, auch an den unteren Extremitäten findet man zwar einige Andeutung der myo- tonischen Bewegungsstörung, sie ist aber nirgends so ausgesprochen, wie in den Fingerbeugern, in welchen sich das Phänomen der Nachdauer der Kontraktion jederzeit sehr schön beim Faustschluss produzieren lässt. Erscheinungen der Tetanie, die wir vor 10 Jahren neben der Myo- tonie andeutungsweise beobachteten, sind jetzt nicht mehr vorhanden; insbesondere fehlt das Facialisphänomen. Ich habe auch bereits damals die Fälle mehr der Myotonie wie der Tetanie zugerechnet. Die vollständige Uebereinstimmung der beiden Fälle in bezug auf Verlauf und Lokalisation der Symptome ‘und die Entstehung in genau dem gleichen Lebensalter zeigt in höchst eklatanter Weise, dass es sich hier um ein der Gruppe der familiären Muskelerkrankungen auf heredi- tärer Basis zugehöriges Leiden handelt. Die Entstehung durch eine Störung der inneren Sekretion, die für manche derartige Fälle ange- nommen wird (auch beiden vorgestellten Patienten betonten wir da- mals eine Hypoplasie der Schilddrüsen), scheint wenig wahrscheinlich. Diskussion. Hr. Uhthoff hebt zunächst hervor, dass die Prognose der Operation von Katarakt mit Tetanie bei relativ jungen Menschen nicht ungünstiger sei als bei anderen Kataraktkranken. Auch in diesen Fällen seien damals die Operationen ganz normal verlaufen. Er hält den jetzigen Befund von ausgedehnter Muskelatrophie be- sonders bei dem einen der Kranken für sehr bemerkenswert und fragt den Vortragenden, ob er diesen Muskelschwund für rein peripher be- dingt hält oder eine Affektion der Vorderhörner des Rückenmarks an- nimmt? Eine Parallelstellung dieses Befundes mit der Thomsen’schen Krank- heit halte er nicht für angängig, auch habe er Kataraktbildung bei der Thomsen’schen Krankheit nicht beobachtet. Hr. Kaposi (demonstriert): 1. Röntgenphotographie, welche ein Revolvergeschoss in der Wirbelsäule zwischen 6. und 7. Brustwirbel erkennen lässt. Patient hatte sich beim Einstecken des Revolvers in die rechte Brustseite angeschossen. Einschuss vorn unterhalb des rechten Schlüsselbeines. Keine Lungenerscheinungen, aber totale Para- plegie vom 6. Segment ab, Blase, Mastdarm gelähmt, Reflexe erloschen. Durch Laminektomie das Geschoss aus dem Rückenmark, das völlig quer zerstört war, entfernt. Nach der Operation keine Besserung; Exitus aber erst nach ®/, Jahr. 26 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. 2. Röntgenplatten, darstellend eareinomatöse Zerstörung des 2. und 3. Lendenwirbels und kyphotische Kniekung. Patient seit einem Jahre „rheumatoide“ Schmerzen in den Beinen; jetzt deutliche Parese beider Beine neben ischiadischen Schmerzen, Schwäche von Blase und Mastdarm. Es findet sich eine sehr druckschmerzhafte kyphotische Lenden- wirbelsäule. Kleines, gut bewegliches, bisher ganz unbeachtet ge- blebenes Carceinom der rechten Mamma mit harten Achseldrüsen. Zerstörung der Wirbel zweifellos metastatisch. 3. Bericht über einige schwere Schädelverletzungen. . a) Mann, 14 Tage nach Kopfbieb anlässlich eines Wirtshausstreites somnolent eingeliefert. Seit der Verletzung soll linker Arm, Bein und linkes Gesicht geschwächt sein. Somnolenz seit einem Tage rasch zu- nehmend. Ausser der linken Lähmung und Somnolenz findet sich doppelseitige Stauungspapille und Druckpuls. Rechts über dem Scheitel- beine 2 cm lange Narbe. Wegen Verdachts auf Hirnabscess Trepa- nation; beim Aufklappen des Knochens wird mit diesem zugleich eine abgebrochene im Knochen feststeckende Messerklinge aus dem Gehirn herausgeholt. Nekrotische, eitrige Hirnmasse stürzt nach; in ihr ein Knochensplitter und ein ausgesprengtes Stück des Messers. Entfernung des Knochens samt Messer. Drainage. Somnolenz weicht völlig, Lähmung bleibt. Nach 4 Wochen Meningitis und Exitus. b) 16jähriger Junge mit Hirnerschütterung durch Hufschlag. Zertrümmerung des linken Schläfenbeines, Zerreissung der Arteria meningea media. Trepanation. Unterbindung der Meningea. 8 Tage bewusstlos, dann allmählich Besserung, jetzt geheilt und voll arbeitsfähig. c) 20jähriger Mann. Automobilzusammenstoss. Schwere Zer- trümmerung der Nasenwurzel, des Stirnbeines mit Frei- legung des Gehirnes, Abriss des Sinus, Fissur in die Orbita. Knochensplitter entfernt, Sinus longitudinalis unterbunden. Heilungs- verlauf völlig reaktionslos. d) 1Ojähriger Junge, vom zweiten Stock gesprungen, weil er versehentlich vom Vater in die Wohnung eingeschlossen war und zur Schule musste. Zertrümmerung des Stirnbeines dicht über dem rechten Auge. 6 Tage post Trauma noch somnolent eingeliefert, Splitter ent- fernt, grösserer extraduraler Abscess. Glatte Heilung. e) Fast die ganze Schläfenbeinschuppe bildende Knochensplitter, entfernt bei einem 6 jährigen Jungen 3 Wochen nach schwerer Ueber- fahrung, extraduraler Abscess, grosser Hirnprolaps, nach mehreren Monaten epithelisiert. Deckung nicht gestattet. f) Zwei Fälle, die gleich nach der Verletzung aufgenommen und durch Entfernung der Knochensplitter in kurzer Zeit geheilt wurden. Vortr. bespricht kurz an der Hand der vorgestellten Fälle die chirurgische zutreffende Therapie der sofortigen Operation bei jeder schweren mit Splitterung und Depression einhergehenden Schädel- verletzung und weist auf den Gegensatz zwischen dem Heilungsverlauf der frisch eingelieferten und der verschleppten Fälle hin. Zum Schluss Demonstration des Schädeldaches einer überfahrenen Patientin, die an septischer Phlegmone des Beines zugrunde gegangen war. Intra vitam keinerlei schwere, cerebrale Symptome, nur Klagen über zeitweise Kopfschmerz, post mortem zeigt sich eine 26!/, cm lange, fast das ganze Schädeldach durchsetzende Fissur der ganzen Schädeldicke. Hr. Ziesche: 1. Demonstration eines Falles von kongenitalem Herzfehler mit Aneurysma der linken Arteria poplitea. 12jähriger Knabe, Familienanamnese ohne Besonderheiten. Das I. Abteilung. Medizinische Sektion. 27 Kind hat immer blass ausgesehen und stets nach stärkeren körperlichen Bewegungen über Atemnot geklagt. Vor zwei Monaten erkrankte er mit Fieber und Appetitlosigkeit, wobei ein Herzleiden konstatiert wurde. Sehr schmächtiger und schlecht genährter Knabe von blasser Hautfarbe, mit mässig starker-Oyanose des Gesichts. Sinnesorgane ohne Besonder- heiten. Mässige Schwellung der submaxillaren Drüsen beiderseits. Herzgegend leicht prominent, Lunge frei von Veränderungen, Herzaktion regelmässig, verstärkt, Puls 100—120. Herzspitzenstoss im 5. Inter- costalraum ausserhalb der Mamillarlinie. Epigastrische Pulsation. Herz nach allen Seiten stark vergrössert, auscultatorisch Geräusch wie bei einer Aorteninsuffizienz und Stenose. Röntgenologisch typisches Bild eines kombinierten Aortenfehlers. Leber und Milz vergrössert; keine Oedeme, kein Ascites. Sehr deutlich ausgeprägte Trommelschlegelfinger und -Zehen. Blut: Erythrocyten 4000000, Leukocyten 6700, Hämo- globin 55 pCt., Blutdruck 106. Wassermann zweifelhaft. Andauernd Temperaturen um 38°. Es liegen also die Erscheinungen eines seit frühester Jugend be- stehenden kombinierten Aortenfehlers mit frischen endocarditischen Er- scheinungen vor. Vor einer Woche plötzlich ausserordentlich heftige Schmerzen im linken Unterschenkel unterhalb der Kniekehle, die auch durch Morphium nur ganz vorübergehlnd gemildert werden. Im Verlaufe der nächsten Tage bildet sich eine hühnereigrosse, prallgespannte, auf Druck ausser- ordentlich schmerzhafte Geschwulst dieht unterhalb der Kniekehle aus, die ein sehr starkes systolisches Rauschen hören und fühlen lässt. Später infolge Druckes auf die Venen Oedem des linken Fusses und Unterschenkels. Klinisch handelt es sich nach den vorliegenden Symptomen sicher um ein Aneurysma der Arteria poplitea bzw. der Arteria digitalis fausteria. Die Entstehung ist schwer zu erklären. Man kann an die Verschleppung eines septischen Embolus mit nachfolgender Erweichung ‘der Gefässwand denken. 2. Demonstration eines Falles von progressiver Muskelatrophie (neuraler Typus). 53jähriger Mann, Familienanamnese ohue Belang. Es leiden eine Tante und eine Kusine an ganz ähnlichen Krankheitserscheinungen wie der Patient selbst. Vor acht Jahren Brustfellentzündung, vor zwei Jahren Kontusion der Unterschenkel, Juni 1912 Kontusion des Kopfes und des rechten Oberarms. Nach dem zweiten Unfall wurden bei der klinischen Beobachtung nervöse und muskuläre Störungen an den unteren Extremitäten gefunden, die man zunächst als Folgen des Unfalles auf- zufassen geneigt war. Eine genaue Anamnese ergab jedoch, dass Patient bereits im Anfang dieses Jahres derartige Störungen am Bein bemerkt hatte. Die Kräfte des Beines nahmen ab, komplizierte Bewegungen konnten nicht mehr exakt ausgeführt werden. Manchmal hatte er das Gefühl des Eingeschlafenseins im linken Bein. Bis Mitte Juli nahm das Schwäche- gefühl selbst nicht zu. Erst als der Patient nach dem zweiten Unfall das Bett verlassen wollte, war die Schwäche erheblich stärker ge- worden. Es fiel dem Patientes auch auf, dass das Bein dünner ge- worden war. Jetzige Beschwerden: Schwäche besonders im linken Bein, mitunter stechende Schmerzen in beiden Beinen. Auch im rechten Arm hatte Patient mehreremale krampfartige Zusammenziehungen der Musku- latur, früher (vor zwei Jahren) auch Kribbeln und Ameisenlaufen im rechten Arm. Organbefund normal, keine Veränderungen an den Augen und am Augenhintergrund. Es findet sich jetzt eine starke Atrophie des linken 28 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Beines, besonders am Unterschenkel (Mm. gastrocnemius, soleus, peronei), gleichmässige geringe Atrophie des Oberschenkels ohne Bevorzugung einzelner Muskelgruppen; keiner der atrophischen Muskeln ist völlig paretisch. Herabsetzung der groben Kraft. Starke Deformation des Fusses im Sinne eines Pes equinovarus mit starker Hyperextension der Zehen, insbesondere der grossen Zehen, deren Grundphalanx überstreckt ist, während die Endphalanx sich in Beugestellung befindet. Achilles- sehne stark verkürzt, entsprechend starke Beschränkung der Dorsal- flexion des Fusses. Fussgelenk fast ankylosiert. Sensibilität nicht ge- stört. Starke Verdickung der rechtsseitigen Wadenmuskulatur. An den oberen Extremitäten sind bisher Atrophien nicht wahrzunehmen. Keine Herabsetzung der tiefen Sensibilität und der Vibrationsempfindung. Elektrisch besteht partielle Entartungsreaktion, auch in der verdickten rechtsseitigen Wadenmuskulatur deutlich ausgesprochen, die sich da- durch als Pseudohypertrophie erwies. Reflexe: Bauchdecken- und Cremasterreflexe positiv. Patellarreflexe gesteigert, Patellarclonus, Achillessehnenreflexe nicht auslösbar, Babinski stark positiv. Im Bereiche der Unter- und Oberschenkelmuskulatur und ebenso auch an beiden oberen Extremitäten, rechts mehr als links, fibrilläres Muskelzittern. Wassermann’sche Reaktion negativ. Der etwas atypische Fall erinnert auch durch das Vorkommen einer Pseudohypertrophie sehr an einen anderen, den Oppenheim in seinem Lehrbuch beschrieben hat. 3. Demonstration eines Falles von neuritischer Muskelatrophie. Der Name „neuritische Muskelatrophie“, der nicht ganz zutreffend ist, ist gewählt worden, weil die Erscheinungen unter dem Bilde einer Neuritis begannen. Die weitere Entwicklung des Falles hat ergeben, dass es sich auch hier um das Krankheitsbild der neuralen progressiven Muskelatrophie handelt. Es handelt sich um ein 30jähriges Mädchen, dessen Familien- anamnese obne Belang ist; nur soll auch hier eine Kusine unter ganz ähnlichen Erscheinungen krank sein. Patientin hatte als Kind Masern, später starke Bleichsucht, mit 25 Jahren Nierenentzündung. Anfang Oktober begannen Schmerzen in den Knien und ein starkes Schwäche- gefühl in den Beinen, so dass die Beine beim Laufen einknickten; sie ist auch einigemale hingefallen. Vor drei Wochen Ameisenlaufen in den Waden und auffälliges Einschlafen der Beine. Dieser Zustand besserte sich allmählich. Vor ungefähr fünf Wochen Schmerzen in den Knie- kehlen. Patientin gibt jetzt noch an, dass schon vor Beginn der Krank- heit die Beine an Umfang abgenommen hätten. Früher will sie immer gut gelaufen sein und nie Schmerzen in den Beinen gehabt haben. In den letzten Tagen, sonst niemals, Erbrechen. Stuhlgang regelmässig, Wasserlassen ohne Besonderheiten. Morbus sexualis negatur. Kein Trauma, keine nachweisbare toxische Schädigung. Erste Menstruation mit 13 Jahren, stets regelmässig; angeblich niemals Ausfluss. Kräftiges Mädchen in gutem Ernährungszustande, mit im allgemeinen schwach entwickelter Muskulatur. Augen frei von jeglicher Veränderung, Augenhintergrund, Augen- muskelbewegung normal. Die rechte Nasolabialfalte ist weniger scharf ausgeprägt als die linke. Der Mundwinkel hängt nicht herab. Nase, Ohren, Rachenorgane ohne Besonderheiten. Keine Schwellung der peri- pheren Drüsen. Lungen ohne Besonderheiten, bis auf eine ganz leichte Schall- verkürzung links hinten oben bis zur Spina scapulae. Auscultatorisch ohne Besonderheiten. Herz von normaler Grösse, Herzaktion regel- I. Abteilung. Medizinische Sektion. 29 mässig, Puls regelmässig, voll, nicht beschleunigt. Abdomen und Ab- dominalorgane unverändert, Bauchmuskulatur kräftig. Nervenstatus: An den Armen Muskulatur schwach, motorische Kraft beiderseits gleich, nicht herabgesetzt. An den Beinen starke Atrophie der Unterschenkelmuskulatur beiderseits, besonders der Peronealgruppe, sowie der Adduktoren des Oberschenkels auf beiden Seiten. Aktive und passive Beweglichkeit in den Kniegelenken normal. Die Füsse stehen beiderseits in Supinationsstellung mit Einwärtsdrehung und Erhebung der inneren Fussränder, rechts mehr als links; beginnende Hyperextension der Zehen, besonders der grossen Zehe. Hohes Fuss- gewölbe mit stark prominentem Fussrücken und Verkürzung der Achilles- sehne beiderseits. Die aktive Plantarflexion der Füsse schwach, ]. >r. Passive Bewegungen in beiden Fussgelenken sehr schwach, r. > 1. Gang allein wegen der Peroneuslähmung unmöglich, mit Unterstützung unbe- holfen, schmerzhaft. Reflexe: Bauchdeckenreflex beiderseits vorhanden, lebhaft; Patellar- reflexe, Achillessehnenreflexe, Fusssohlenreflexe, Babinski fehlen; kein Fusselonus. Sensibilität: Muskelsinn beiderseits stark herabgesetzt, 1. > r. An beiden Beinen, von den Knien nach abwärts Berührungsempfindung am stärksten, weniger stark die anderen Qualitäten; an der medialen Hälfte des rechten Unterschenkels stärker als auf der lateralen, links auf der Aussenseite stärker als auf der Innenseite. Stärker noch ist die Herabsetzung der Sensibilität auf dem Fussrücken beiderseits; an den Zehen ist dieselbe ganz erloschen. Diese Sensibilitätsstörung hat sich vom Tage der Aufnahme stetig zurückgebildet, so dass sie jetzt nicht mehr nachweisbar ist. Vibrationsgefühl erhalten. Die elektrische Untersuchung ergibt partielle Entartungsreaktion. Fibrilläres Muskelflimmern ist hier nicht beobachtet worden. Nach diesen Erscheinungen scheint die oben gestelllte Diagnose berechtigt. (Die später vorgenommene Wassermann’sche Reaktion ver- lief positiv.) Diskussion. Hr. 0. Foerster fragt, wie es mit dem Nachweis von Wassermann im Blut und Liquor in den demonstrierten Fällen steht. Es ist das deshalb wichtig, weil die chronisch-progressive Muskelatrophie häufig auf spinalluetischer Basis beruht. Redner selbst hat drei Fälle beobachtet, die genau so lokalisiert waren, wie der eine hier vorgestellte, und die luetischer Genese sind. Die Frage der Beziehung zwischen Lues und chronisch-progressiver Muskelatrophie ist auch deshalb interessant, weil sie die Beziehungen, die zwischen Tabes und Muskelatrophie in ätio- logischer Hinsicht bestehen, betrifft. Es gibt bekanntlich Fälle von Tabes mit Muskelatrophie, Fälle von reiner Muskelatrophie mit vereinzelten tabischen Symptomen und endlich Fälle von ausschliesslicher Muskel- atrophie ohne jedes tabische Symptom. Zur Erkrankung der Vorder- hörner kann aber auch eine luetische Seitenstrangerkrankung treten, dann bestehen spastische Symptome neben den atrophischen. Das gibt sich unter Umständen nur durch Babinski, manchmal durch richtige spastische Paraplegie zu erkennen. Derartiges hat Redner auch mehr- fach beobachtet. Die Therapie muss eine lange und intensive sein. Hr. Ludwig Mann: Ich möchte eine so enge Beziehung zwischen Tabes und progressiver Muskelatrophie, wie Herr Foerster meint, nicht annehmen. Dagegen spricht meines Erachtens die doch sehr grosse Seltenheit des Vorkommens der Muskelatrophie bei der Tabes dorsalis. Auch wenn man Gelegenheit hat, Tabesfälle in sehr grosser Zahl über Jahre und Jahrzehnte hinaus zu beobachten, sieht man doch exceptionell selten das Hinzutreten von Muskelatrophie. 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Hr. Bleisch demonstriert einen Fall von Augenveränderungen bei disseminierter Myelitis. Diskussion. Hr Ziesche&: Es handelt sich bei dem vorgestellten Kranken um einen 33jährigen verheirateten Mann, dessen Familienanamnese ohne Belang ist. Mit elf Jahren war er wegen eines Augenleidens drei Wochen im Krankenhaus. Frau gesund, keine Fehlgeburten, drei gesunde Kinder, ein Kind jung gestorben. Bei der ersten Untersuchung, als der Patient noch auf der Augenabteilung lag, waren Motilität und Sensibilität völlig intakt, vor allem ist die Bauchmuskulatur kräftig, so dass sich der Kranke ohne Hilfe schnell aufsetzen kann. Patellarreflexe gesteigert, rechts > links, Achillessehnenreflexe lebhaft, Oppenheim beiderseits vor- handen, Babinski angedeutet. Wassermann’sche Reaktion negativ. Am 27. II. Klagen über Schwäche und Schmerzen in den Beinen, Patellarreflexe gesteigert, Babinski beiderseits lebhaft, Bauchdeckenreflexe fehlen. Aktives Aufrichten aus liegender Stellung unmöglich. Sensi- bilität auch dort, wo über Schmerzen geklagt wird, intakt. Stuhlgang und Blasenentleerung stets frei von Veränderungen. Am 1. III. Ischurie mit hochstehender, bis an den Nabel reichender Blase. Entleerung durch Katheter. Deutliche Schwäche der Beuge- und Streckmuskulatur der Ober- und Unterschenkel, Patient kann die Beine nicht mehr heben. In einer Gürtelzone vom Rippenrand bis zum Nabel scheint die Sensibilität für spitz und stumpf etwas herabgesetzt zu sein. Babinski deutlich, Patellar- und Achillessehnenreflexe gesteigert, rechts Fussclonus. Bauchdeckenrefliexe fehlen, Lähmung der Bauchmusklatur. 4. III. Blasenlähmung besteht fort, es besteht jetzt das typische Bild einer Querschnittsmyelitis mit vollständiger Lähmung der unteren Extremitäten und Fehlen der Sehnenreflexe. Bis in die Höhe des 12. Brust- wirbels vollkommene Anästhesie für alle Qualitäten, rechts darüber eine handbreite hyperästhetische Zone. Andeutung von Halbseitenläsion. Leukocyten 5000. Temperatur ist seit zwei Tagen ständig gestiegen und bewegt sich um 39°. Puls 100—120. 6. III. In den beiden letzten Tagen klagt Patient über sehr heftige Schmerzen in den Beinen und dem Rumpf, die allmählich aufwärts ge- stiegen sind und den rechten Arm ergriffen haben. Empfindungslosig- keit heraufgegangen bis in die Höhe des 5. Brustwirbels, gleichmässig für alle Qualitäten. Beide unteren Extremitäten vollständig gelähmt, ebenso Blasen- und Bauchmuskulatur sowie auch die Intercostalmuskeln und die Muskulatur des Schultergürtels. Starke Parese aller Muskeln des rechten Armes, nirgends Atrophie. Bauchdecken- und Cremaster- reflexe fehlen, ebenso sämtliche Haut- und Sehnenreflexe. Es besteht jetzt das deutliche Bild einer disseminierten Myelitis. Interessant ist, dass in einem Stadium der Erkrankung der Patient alle Zeichen einer multiplen Sklerose darbot. Dadurch und ebenso in dem weiteren Verlauf nähert sich der Fall einem Symptomenkomplex, der aus der Nonne’schen Abteilung als akute multiple Sklerose beschrieben und auch autoptisch erhärtet wurde. Hr. Uhthoff bemerkt, dass er den Fall auf Veranlassung von Herrn Bleisch auch untersuchen konrte, und er hält die Deutung des Vortragenden für richtig, dass es sich hier um einen der seltenen Fälle von Myelitis mit akuter retrobulbärer bzw. Neuritis optica handele. Die Sehstörungen und die ophthalmoskopischen Veränderungen an sich würden sich ja allenfalls auch mit dem Krankheitsbild der multiplen Sklerose in Zusammenhang bringen lassen, aber das Bild der spinalen Erscheinungen (motorische und sensible Paraplegie der unteren Ex- tremitäten, Blasenlähmung, Lähmung der Bauchmuskulatur usw.) lasse I. Abteilung. Medizinische Sektion. öl schon keine andere Diagnose als die einer Myelitis über den ganzen Rückenmarksquerschnitt zu. Hr. Walliezek: 1. Ueber einen Fall von Verbrennung des Trommelfelles links. Der Patient, der sich mir heute zur Demonstration zur Verfügung gestellt hat, erkrankte am 15. IX. 1912 an einem akuten Schnupfen und Mittelohrkatarrh linkerseits. Am 16. IX. verordnete ich dem Kranken Eingiessungen von Menthol-Naphthol-Glycerin, die erwärmt dreimal täg- lich vorgenommen werden sollten. Am 20. IX. fand ich am linken Trommelfell eine erbsengrosse, die hintere und untere Hälfte der Membran einnehmende Blase, die mit gelblichseröser Flüssigkeit gefüllt war. Auf meine Frage, wie diese plötzliche Verschlimmerung entstanden sei, er- klärte Patient: er habe am Tage vorher den Einguss wie vorgeschrieben im Reagenzglase über der Lampe erwärmt, aber ohne Nachprüfen ins Ohr gegossen. Der ausserordentliche Schmerz, der momentan im Ohr entstand, liess ihn sofort die Flüssigkeit herausschütten. Aber der Nach- schmerz sei noch äusserst heftig und anhaltend gewesen. Es handele sich in der Tat um eine Verbrennung mit Blasenbildung am Trommelfell, während der (sehörgang ausser einer geringen Rötung eine Veränderung kaum aufwies. Durch diesen Befund wird die auch von Passow beobachtete Tat- sache wieder bestätigt, dass das Integument des Gehörganges gegen Ver- brennungen viel widerstandsfähiger ist als das des Trommelfelles. Da- gegen habe ich bisher die von Passow in seinem Buche „Verletzungen des Gehörorgans“ behauptete Tatsache, dass auf dem Trommelfell Blut- blasen entstehen, wenn das Spülwasser zu kalt temperiert ist, noch nie- mals bestätigt gefunden. Bei der Häufigkeit der calorischen Labyrinth- prüfung müssten aber doch bei der Kaltwasserprüfung solche Blutblasen sehr oft beobachtet werden. Es wäre daher nicht uninteressant, zu er- fahren, ob in anderen Kliniken solche Trommelfellreizungen als Folge calorischer Prüfung beobachtet wurden. Ich möchte eher annehmen, dass für das Entstehen von Blutblasen am Trommelfell bzw. Gehörgang wohl,eher ein zu tiefes Hineinführen der Ohrenspritze in den Gehörgang schuld ist, als etwa die geringen Gradunterschiede nicht genügend temperierten Wassers. Ich kehre zu unserem Fall zurück. Die Blase wurde geöffnet; sie zersprang beim Einlegen eines Adrenalin-Cocaintampons. Die Nach- behandlung mit Perhydrol konnte nicht verhindern, dass einige Tage später eine grosse Perforation in der Gegend der Blase entstand. Die Perforation wurde absolut sicher festgestellt. Eine eigentliche Eiterung entstand nicht. Das Ohr wurde nach einiger Zeit deshalb trocken be- handelt, und die Perforation heilte überraschend schnell in einigen Wochen zu. Jetzt kann man das Trommelfell völlig geschlossen sehen; man er- kennt auch noch vorn unten eine linsengrosse atrophische Stelle, während hinten unten und oben das Trommelfell schwach getrübt ist. Das Hörvermögen für Flüstersprache ist annähernd normal. Auch in diesem Fall zeigt es sich wiederum, dass bei einer relativ ausgedehnten Zerstörung des Trommelfells, wenn dieses bisher gesund war, schnell eine Regeneration der Membran bzw. Verschluss der Zer- reissung erfolgt, vorausgesetzt, dass keine interkurrente Eiterung den Heilprozess verhindert. Das sonderbarste in dieser Beziehung sah ich vor 12 Jahren bei einem Waldenburger Bergmann, der damals durch eine Dynamitexplosinn eine Zerreissung beider Trommelfelle erlitten hatte. Während das eine nur einen Riss aufwies, zeigte sich das andere völlig zerfetzt und die Fetzen des Trommelfells schienen eingerollt. Der 32 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Hammergriff ragte gerade in die Pauke und schien frakturiert. Ich reponierte den Hammergriff und behandelte das Ohr im übrigen trocken. Nach etwa vier Wochen stellte sich mir der Kranke mit völlig verheiltem Trommelfell und relativ gutem Hörvermögen wieder vor. Solche Fälle sind wohl grosse Seltenheiten, sind aber auch anderweitig beobachtet worden. 2. Angeborener knöcherner Choanalverschluss. Die Patientin, die ich Ihnen vorzustellen mir erlaube, ist ein klassisches Beispiel einer einseitigen kompletten Nasenverstopfung, näm- lich ein Fall von rechtsseitiger, angeborener, knöcherner Choanalatresie. Solche Fälle sind nach zwei Richtungen interessant; einmal sind sie an und für sich Seltenheiten, die schon deswegen ein erhöhtes medizinisches Interesse beanspruchen, und dann sind uns gerade die Fälle angeborener Nasenverstopfung die berufensten Zeugen in der Frage, ob die Wachs- tumsstörung und Missgestaltung des Oberkiefers und Nasengerüstes eine Folge der behinderten Nasenatmung ist, wieKörner Waldow behauptet, oder ob diese Missgestaltung durch intrauterine Veranlagung hervor- gerufen wird und mit Rasseneigentümlichkeiten des Schädels in Ver- bindung zu bringen ist, wie Siebenmann und Fränkel lehren. Ich möchte auf diese Streitfrage des Näheren nicht eingehen, sondern nur kurz meine persönliche Auffassung in der Frage dahin äussern, dass beide Parteien recht haben, d. h. dass sowohl die eine, wie die andere Möglichkeit in einer Reihe von Fällen nachweisbar ist. Da aber von den 80 in der Literatur veröffentlichen Fällen nur sehr wenige genaue Gesichts- und Gaumenmessungen aufweisen, so dürften die hier gefundenen Maasse ebenfalls interessieren. Nach Siebenmann-Fränkel beträgt der Ä h Breite mittlere Gaumenindex =. X 100 = 46 Höhe Breite R Nasenindex aan 100 = 47 f : Höhe „ Obergesichtsindex IBreitel x 100 = 50,1 In unserem Falle + Höhe 1,6 cm der Gaumenindex — AH — Breite 3,5 cm Breite 2,3 cm „ Nasenindex An 54,7 . } Höhe 5,2 cm 59 der Obergesichtsindex = Bretson Da die Messung des Gaumens in vivo wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten sehr ungenau ist, habe ich einen Gipsabdruck desselben vornehmen lassen und diesen in der vorgeschriebenen Weise gemessen. Unter etwa 45000 Patienten, die ich während meiner Tätigkeit untersucht habe, habe ich nur drei Fälle von Choanalatresie beobachtet, und zwar 1 doppelseitigen bei einer Köchin, 1 rechtsseitigen und 1 linksseitigen je bei einem Mädchen. Die Patientin mit der doppel- seitigen Choanalatresie ist alsbald aus der Behandlung fortgeblieben, als sie den Vorschlag einer Operation hörte. Genauere Daten fehlen deshalb. Den linksseitigen Verschluss habe ich im Jahre 1900 operiert, doch liess der Erfolg zu wünschen übrig. Die hier vorgestellte Patientin ist 13 Jahre alt und hat seit ihrer Jugend eine einseitig verstopfte Nase. Vor Jahren wurden ihr hier in I. Abteilung. Medizinische Sektion. 33 Breslau von anderer Seite Nasenpolypen, A. V. und vergrösserte Mandeln entfernt. Zugleich wurde der Vater auf die später notwendig werdende Operation der Nasenverwachsung hingewiesen. Wenn man die Nasenmuschel mit Cocainadrenalin zur maximalen Schrumpfung bringt und den in der rechten Nasenseite massenhaft an- gesammelten Schleim entfernt hat, sieht man durch Rhinoscopia anterior, wie sich links das Gaumensegel beim U-Sagen hebt, und der Reflex der hinteren Pharynxwand tritt deutlich hervor. Rechts dagegen sieht man in geringerer Tiefe die Nase hinten durch eine frontale Wand abge- schlossen. Misst man die Tiefe der Nase mit einer graduierten Sonde, so gelangt man links S!/; cm und rechts nur 6cm tief. Misst man nun die Tiefe der Nasenscheidewand durch eine an der Spitze senkrecht ab- gebogene Sonde, so erhält man einen Abstand von 6!/; cm von der Nasenspitze. Es beweist dies also den Abschluss der Nasenöffnung in der Ebene der Choane. Giesst man Wasser in die rechte Nasenseite, so fliesst nichts nach dem Rachen, während es links glatt nach dem Rachen abfliesst und ge- schluckt wird. Bei Rhinoscopia posterior sieht man beide Tubenmündungen deut- lich; wärend aber links die Choane und die Nasenmuscheln deutlich zu erkennen sind, ist rechts nur eine glatte Wand bemerkbar, die in der Mitte eine linsengrosse Einziehung aufweist. Bei Palpation mit dem Finger und der Sonde wird ihre Konsistenz als knochenhart fest- gestellt. Geruchssinn ist rechts nicht vorhanden; Ohrbefund und Hörver- mögen beiderseits normal; Augenbefund ebenso. Die rechte Gesichts- hälfte scheint etwas kleiner zu sein, als die linke. Die rechte Nasolabial- falte etwas verstrichen, Mund rechts etwas schief. Zähne recht schlecht und unregelmässig gestellt. Gaumen mässig hoch, die Raphe ist an- scheinend etwas nach rechts verschoben. Sonst ist eine Anomalie am Kopf nicht wahrnehmbar. Therapeutisch beabsichtige ich hier mit einem elektromotorisch be- triebenen Rundbohrer die Membran zu durchlochen und von der Oeffnung aus die ganze Knochenwand fortzustanzen, bis eine annähernd normale Choane entstanden ist. Die Operatien soll unter Lokalanästhesie aus- geführt werden. Hr. Maiss berichtet über einen Fall von 6Gynatresie bei einem 16 jährigen Mädchen (hochsitzende Scheidenatresie mit Hämatocolpus und doppelseitiger Hämatosalpinx ohne Hämatometra). Das Mädchen klagte seit zwei Jahren über Schmerzen im Leibe, die anfangs in 4 wöchigem Intervall auftraten und ein bis zwei Tage anhielten, seit etwa 5 Wochen aber fast kontinuierlich fortbestehen. Anamnestische Angaben über voraufgegangene Infektionskrankheiten fehlen. Derber, druckempfindlicher Tumor bis handbreit über die Symphyse reichend, nach links die Mittellinie zwei Querfinger überschreitend, nach rechts bis an den Darmbeinkamm sich erstreckend, mit sattelförmiger Einsenkung. Vulva schliesst; Hymen fehlt; an Stelle des Introitus leichte Einziehung. 5 cm oberhalb des Sphincter ani tastet man einen Tumor, der die Vorderwand des Rectums vorwölbt und in den obigen Tumor übergeht. Nach Querschnitt zwischen Harnröhre und Anus und teils stumpfer, teils scharfer Trennung der obturierenden Schicht Eröffnung des Blut- sackes und Entleerung schokoladefarbener, zäher Flüssigkeit. Nach Mobilisierung der Schleimhaut werden die Ränder des Restes des Scheiden- schlauches heruntergezogen und an die äussere Haut angenäht. Es resultiert eine gut für ein Finger passierbare Scheide. Man fühlt jetzt einen dick- wandigen Uterus ohne Inhalt mit rechtsseitigem, faustgrossem, adhärentem Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur, 1913. 1. 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Adnex und linksseitig fingerdicken beweglichen Hämatosalpinx. Nach suprasymphysärem Fascienquerschnitt Entfernung des rechtsseitigen Tumors (Demonstration) und Entleerung des linksseitigen Hämatosalpinx mit nachfolgender Salpingostomie. Glatte Rekonvaleszenz. Pat. isst, hat sich recht gut erholt und ist regelmässig menstruiert. Die Scheide ist ziemlich geschrumpft, zurzeit, 5 Monate nach der Operation, für kleinen Finger knapp passierbar. Bei eventueller Verheiratung der Pat. käme dieserhalb eine Nachoperation in Frage. Kritik der zurzeit herrschenden Anschauungen über Aetiologie und Therapie der Gynatresien. Nach Ansicht des Vortr. findet die Nagel-Veit’sche Theorie durch obigen Fall eine neue Bestätigung. In Fällen von Gynatresie mit kom- plizierender Hämatosalpinxbildung ist in gleicher Sitzung mit Eröffnung des Blutsackes die Hämatosalpinx in Angriff zu nehmen. Ob man die Operation vaginal oder abdominal beginnt, ist irrelevant. Bei doppel- seitiger Hämatosalpinx ist der Versuch der Erhaltung der Conceptions- möglichkeit durch Salpingostomie zu machen. Sitzung vom 14. März 1913. = Vorsitzender: Herr A. Neisser. Schriftführer: Herr Röhmann. Vor der Tagesordnung. Hr. Richard Levy demonstriert einen 35 jährigen Mann mit tabi- scher Spontanfraktur der Lendenwirbelsäule. Der Pat. wusste über Entstehung des Gibbus nichts anzugeben. Völlige Zertrümmerung des zweiten und dritten Lendenwirbels, trotzdem kann der Mann bei gestreckten Knien extreme Rumpfbeugung ausführen. Hypotonie der Hüftgelenke kommt hierbei wohl allerdings auch in Be- tracht. (Siehe Figur 1 und 2.) Figur 1. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 35 Figur 2. Tagesordnung. Hr. Ponfick: Ueber die ärztliche Versorgung in den deutschen Kolonien. HHr. E. Frank und F. Heimann: Ueber biologische Careinomdiagnose. — Erfahrungen mit der Abder- halden’schen Fermentreaktion beim Careinom. Hr. Frank gibt einen Ueberblick über die wichtigeren Versuche, das Careinom serologisch zu diagnostizieren (Erhöhung des antitrypti- schen Titers nach Brieger-Trebing, Zellreaktion nach Freund- Kaminer und Neuberg, Komplementablenkungsmethode nach v. Dungern, Meiostagmiereaktion nach Ascoli-Azar). Hr. Heimann berichtet sodann über die Resultate gemeinsamer Studien über die Verwendbarkeit der Abderhalden’schen Fermentreaktion für Carcinomerkennung. (Siehe Teil II.) Diskussion. Frl. Herzberg: Im Anschluss an den Vortrag des Herren Frank- Heimann möchte ich über die Resultate berichten, die wir mit derAbder- BE 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. halden’schen Schwangerschaftsreaktion an der Prof. L. Fraenkel’schen Frauenklinik erzielten. Vorausschicken will ich, dass nur die Fälle berücksichtigt wurden, in denen genau nach den Angaben Abder- halden’s unter peinlichster Beobachtung aller Kontrollproben gearbeitet wurde. Die Versuche datieren von Ende Oktober 1912 an, von welcher Zeit ab zugleich die Biuret- und Ninhydrinprobe angestellt wurde. Frühere Resultate blieben unberücksichtigt. Von diesem Termine an stellten wir bei 44 Frauen die Abderhalden’sche Reaktion an und zwar hauptsächlich bei jungen Graviditäten von 6—8 Wochen — denn nur in dieser Zeit wäre eine sichere Schwangerschaftsdiagnose von praktischem Wert — und bei zwei Tubargraviditäten. 24 mal stimmte der klinische Befund mit der Reaktion überein: bei Gravidität positiv, bei Amenorrhöe aus anderen Ursachen negativ. Auch die beiden Tubargraviditäten gaben positiven Befund. Andererseits war bei 9 weiteren jungen Graviditäten von 6—S Wochen die Reaktion negativ und bei 8 nicht graviden Frauen positiv. Unter die letzt- erwähnten Fälle fälit ein Myom. Es handelte sich um eine 29 jährige IIpara. Letzter Partus 1909. Menstruation nie ausgeblieben. Seit 3 Monaten bemerkt die Frau ein Stärkerwerden des Leibes und sucht deswegen die Poliklinik auf. Die Differentialdiagnose schwankte nach Berücksichtigung aller Momente zwischen erweichtem Myom und Gravidität von etwa 20 Wochen. Abderhalden positiv. Die klinische Beobachtung sprach dann doch für Myom, so dass laparotomiert wurde. Es handelte sich um ein ganz erweichtes Myom. Die Abderhalden’sche Reaktion hätte uns hier irre- führen können. Nach unseren Erfahrungen ist also die Abderhalden’sche Reaktion immer mit zu berücksichtigen bei der Diagnose, jedoch sind die Resultate noch zu schwankend, als dass man sich auf sie allein verlassen könnte. Zweimal gebrauchten wir Abortplacenten: Hier kamen wir zu dem interessanten Resultate, dass sie von Schwangerenserum, das mit anderen Placenten sicher positive Reaktion gab, nicht abgebaut wurden. Eklampsieplacenten verhielten sich hinsichtlich der Reaktion wie normale Placenten. Zusammenfassung: 44 Fälle. 24 mal Abderhalden +: Gravidität 6.—8. Woche NE > : 5 6.8 3 er +: nicht gravid (davon 1 mal Myom) ömal Biuret — Ninhydrin +: Gravidität 6.—8. Woche BD „7 2 —+: 4malGrav. 6.—S. Ve nl D=Mon. mit abgestorb. Fötus. Weiterhin stellt Prof. Fraenkel gegenwärtig Versuche darüber an, ob in den verschiedenen Schwangerschaftsmonaten Corpus lut. verum lösende Fermente im Blute kreisen. Hr. F.Rosenthal berichtet über zurzeit noch nicht abgeschlossene, mit Frank gemeinsam ausgeführte Versuche an Hunden und Kaninchen über die Spezifität der Abderhalden’schen Fermente. Nach den bis- herigen Ergebnissen scheint eine gewisse Artspezifität der Fermente zu bestehen, doch scheint innerhalb der Organe die Placenta eine gewisse Sonderstellung einzunehmen. Hr. Marcus: (Die Diskussionsbemerkung ist im II. Teil abgedruckt.) I. Abteilung. Medizinische Sektion. 97 Sitzung vom 25. April 1913. Vorsitzender: Herr Rosenfeld. Schriftführer: Herr Röhmann. Hr. Langenbeck: Die akustisch-chromatischen Synopsien (farbige Gehörsempfindungen). Führt die Reizung eines Sinnesorgans neben der hierdurch ausge- lösten Sinneswahrnehmung gleichzeitig zu einer zweiten, im Bereich eines anderen, primär gar nicht gereizten Sinnesgebietes gelegenen Mitempfin- dung, so wird dieser Vorgang allgemein als sekundäre Empfindung oder Synästhesie, und, sofern er visueller Art ist, als Synopsie bezeichnet. Am auffallendsten sind die durch Gehörseindrücke hervorgerufenen Farbenempfindungen: Klangphotismen oder audition coloree, Farbighören oder akustisch-chromatische Synopsien genannt. Von einer Reihe bekannter Musiker und Schriftsteller (Liszt, Wagner, Schumann, Meyerbeer, Raff, v. Bülow, Tieck, Mö- rike, Hoffmann, Heine, Gerstäcker, Ganghofer u. a.) wird an- gegeben, dass sie teils musikalische Eindrücke, teils Geräusche ver- schiedener Art mit Farbenempfindungen verbanden. In der wissenschaft- lichen Literatur sind seit Nussbaumer (1375) durch Bleuler und Lehmann, Flournoy, Hennig, Hilpert, Kaiser, Maierhausen, Stelzner, Thorp, Wallaschek u. a. zahlreiche einwandfreie Beob- achtungen derartiger Synopsien niedergelegt. Der Vortragende kann durch Selbstbeobachtung zur Kenntnis der Farbenempfindungen für Vokale und Zahlen beitragen. Jeder Vokal und jede Zahl wird durch eine bestimmte z. T. kombinierte Farbennüance repräsentiert, wodurch jede Silbe nach dem Wortklang einen charakte- ristischen farbigen Abglanz erhält; ebenso jede Zahl, deren Farben jedoch unabhängig von denen für Vokale sind. Zur Erklärung sind zahlreiche Theorien versucht worden. Man nahm an, dass gewisse Schalleindrücke den Sehnerven in Mitschwingung ver- setzen oder dass einzelne Fasern des Acusticus sich in die Sehbahn ver- irren könnten; ferner dass bei nebeneinander verlaufenden Sinnesnerven- bahnen ein Reiz von der einen zur anderen übergehen, oder dass durch Assoziationsfasern oder auch durch vasomotorische Einflüsse die Erregung von einem auf ein anderes Centrum übertragen werden könne. Ferner wurde an die Möglichkeit einer direkten Umsetzung von Tonwellen in Liehtwellen gedacht und schliesslich auch an Darwin’sche Prinzipien, nach denen es sich um Reste der Doppelleistungen des früheren Gesamt- sinnesorgans handeln sollte. Der Vortragende lehnt diese Theorien, insbesondere auch jede patho- logische Deutung der Erscheinungen als unwahrscheinlich und unbewiesen ab und vertritt eine psychologische Erklärung der synoptischen Phänomene, die durch Assoziationen der verschiedensten Art bedingt sein können, z. B. a = schwarz, e = gelb, bedingt durch das Vorkommen des Vokals in der betr. Farbenbezeichnung. Häufiger als diese habi- tuellen sind zufällige Assoziationen, z. B. eu = grau, bedingt durch den Eindruck, den die Eule in Bilderbuch oder Fibel erweckt. Aehnlich ist die Deutung in allen Fällen, in denen Vokale, Zahlen, Wochentage, Eigennamen, Monate, Geräusche usw. farbig empfunden werden. Für die durch musikalische Klangwirkung hervorgerufenen Farben- empfindungen wird diese psychologische Erklärung jedoch von fast allen Autoren abgelehnt. Der Vortr. findet in den in der Literatur mitge- teilten Fällen dieser Art jedoch gleichfalls zahlreiche Anhaltspunkte für einen assoziativen Zusammenhang, z. B. Blechmusik als gelb, Violine als violett, bedingt durch den Gleichklang der Vokale; oder Flöte als blau, bedingt durch die Vorstellung Flötenspiel der Hirten in blauer Ferne; 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. oder C-dur als weiss, bedingt durch die Tastatur des Klaviers, oder F-dur als grün, bedingt durch die Vorstellung des ländlichen Grüns (Pastorale F-dur von Beethoven) u. a. m. Werden die einzelnen Töne der Ton- leiter als farbig empfunden, so ist anzunehmen, dass absolutes Gehör vorliegt. Es liegt somit kein Grund vor, an dem bisher geübten Dualismus der Erklärungen in physiologisch und psychologisch bedingten Synopsien festzuhalten, es lässt sich vielmehr eine einheitliche Erklärung in dem Satze zusammenfassen: Zufällige, meist in der Jugend entstandene Asso- ziationen, deren Ursprung durch die zahllosen wechselnden Eindrücke des Lebens bald verwischt und später meist völlig vergessen wird, bilden die Grundlage der synoptischen Erscheinungen. Diskussion. Hr. Hürthle wendet sich gegen die Ansicht des Vorsitzenden, dass es sich bei den „akustisch-chromatischen Synopsien“ um physiologi- sche Vorgänge handle. Die physiologischen Assoziationen bilden sich in der Weise aus und sind dadurch charakterisiert, dass durch ein Ob- jekt oder einen Vorgang eine Anzahl verschiedener Sinnesorgane affıziert wird, dass sich zwischen diesen Sinneserregungen Assoziationen ausbilden und damit zur Bildung des Begriffes führen, welcher die sämtlichen durch unsere Sinne wahrnehmbaren Eigenschaften des Objektes oder Vor- ganges umfasst. Diese Begriffsbildung ist für alle Individuen überein- stimmend. Bei den farbigen Synopsien handelt es sich dagegen um Assoziationen, welche nicht durch verschiedene Wirkungen des Objektes auf verschiedene Sinnesorgane hervorgerufen werden und bei verschie- denen Personen nicht in derselben Weise. Wenn z. B., wie es von einem der Anwesenden angegeben wird, mit den verschiedenen Wochen- tagen verschiedene, bestimmte Farbenvorstellungen verbunden sind, so sind eben diese Farben weder objektive Eigenschaften der Wochentage, die ja abstrakter sind, noch bei allen Personen in gleicher Weise auf- tretende Vorstellungen. Es handelt sich also bei den farbigen Synopsien nicht um gesetzmässige, sondern um zufällige, rein subjektive Vorgänge im Nervensystem. Sie können als Beweis dafür angesehen werden, dass beim jugendlichen Individuum Assoziationen zwischen allen möglichen Sinneserregungen vorkommen, dass aber nur ein Teil derselben durch Bahnung auf Grund gesetzmässiger Wiederholung der Erregungen zu physiologischen Assoziationen wird. Hr. Traugott hält ebenso wie Herr Langenbeck die Theorie von der assoziativen Entstehung der Synopsien für zutreffend, meint aber aus dem Umstande, dass die Synopsien — wenigstens wenn man die sehr zahlreichen Fälle ausschalte, die offenbar nur eine Folge von Sug- gestionen und Autosuggestionen seien — doch im ganzen recht selten sich finden, eine Lücke in dieser Theorie herleiten zu müssen: denn wenn wirklich die Assoziationen die Grundlage der Synopsien sind, so müssten doch eigentlich die letzteren ganz allgemein, nicht aber so selten sich finden. Redner glaubt, dass es vielleicht angehe, diese Lücke auszufüllen, wenn man von der Erwägung ausgehe, dass die Menschen in bezug auf ihre Denktätigkeit und ihr Empfindungsleben sich in zwei Kategorien scheiden: in auditiv und in visuell veran- lagte. Bei den letzteren — insbesondere bei Künstlern, Technikern — bei denen alles Gedachte und Empfundene die Neigung habe, sich in plastische Anschauung umzusetzen, dürfte sich vornehmlich die Fähigkeit bzw. Eigentümlichkeit finden, auch Töne in der Form visueller Empfin- dung zu perzipieren. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 39 Hr. Ephraim: Dass gelegentlich erworbene Assoziationen den hier besprochenen Phänomenen in der Hauptsache zugrunde liegen, wie der Herr Vortragende ausgeführt hat, kann wohl kaum einem Zweifel unter- liegen. Indes sind wohl diese Assoziationen schon von vornherein in gewissem Sinne eingeschränkt. Wir sprechen ja alle von durklen und hellen Vokalen, von grellen und zarten Farben, ebenso wie von grellen und zarten Tönen. Und wir werden bei einer grellen Tonempfindung kaum jemals die Vorstellung einer zarten Farbe und vice versa haben. lch möchte daher glauben, dass bei den Synopsien das dynamische Moment eine gewisse, wenn vielleicht auch nur nebensächliche Rolle spielt. Hr. Koenigsfeld teilt mit, dass er bei den Namen der Wochen- tage ausgesprochene Farbenempfindungen hat, die in den letzten Jahren etwas abgeblasst sind. Sitzung vom 9. Mai 1913. Vorsitzender: Herr Neisser. Schriftführer: Herr Tietze. Hr. R. F. Fuchs: Die physiologische Funktion der Pigmentzellen. Da die Darwin’sche Schutzfärbungshypothese uns keine Erklärung für das Zustandekommen der Tierfärbungen vermittelt, so muss eine physiologische Erklärung für die Entstehung der Tierfärbungen gesucht werden, welche abseits steht von allen selektionistischen Ueberlegungen, weil die Selektionstheorie jede Antwort schuldig bleiben muss auf die Frage: wann erlangt ein Organ Selektionswert und warum erlangen in anderen Fällen homologe oder sogar gleiche Organe keinen Selektions- wert? Von einer grossen Reihe von Färbungen kann gezeigt werden, dass sie eine Schutzfärbung überhaupt niemals zu bieten imstande sind, wie z. B. das Vorkommen von Pigment in den inneren Organen. Dagegen können wir die Existenz der Chromatophoren und der in ihnen vor- handenen Pigmente wohl verstehen, wenn wir die Pigmente als Produkte des Stoffwechsels betrachten, die ohne jede Rücksicht auf einen Schutz- färbungszweck gebildet werden. Durch die Versuche von Tappeiner und seinen Schülern sowie von E. Hertel wurde gezeigt, dass Farbstoffe bzw. die Chromatophoren- pigmente als Sensibilisatoren für Licht dienen können, also zur Aus- nutzung einer Energieform, die sonst von den tierischen Organismen beim Fehlen entsprechender Sinnesorgane nicht pereipiert werden können. Diese Versuche führten den Vortragenden dazu, zu untersuchen, ob die Chromatophorenpigmente als Sensibilisatoren für thermische Strahlen eine Bedeutung haben, und ob das Chromatophorensystem ein Organ der physikalischen Wärmeregulation darstellt. Bereits vor mehr als 30 Jahren hat Max Weber eine solche Hypo- these aufgestellt, ohne aber auch nur im geringsten ein Beweismaterial für die Richtigkeit seiner Anschauung zu erbringen. Ebensowenig hat Menke die von ihm modifizierte Weber’sche Hypothese zu einer brauch- baren Arbeitshypothese auszugestalten vermocht. Redner ist denn auch von ganz anderen Auschauungen ausgehend zur Entwicklung seiner Hypothese gelangt. Wenn die Schutzfärbung für das Zustandekommen der Tierfärbungen von causaler Bedeutung wäre, dann wäre die hierzu notwendige Voraussetzung, dass die Tiere Farben als Farben unterscheiden. Ist diese Grundvoraussetzung nicht er- wiesen, dann muss die ganze Lehre der Farbenanpassung an die Um- 40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. gebung fallen, weil dann eine Anpassung an die Helligkeiten den gleichen Wert hätte wie eine Farbenanpassung. Alle bisherigen Versuche, ein Farbensehen der Wirbellosen nachzuweisen, haben keinen positiven Erfolg gezeitigt, ebensowenig ist es bis heute möglich, von einem Farbensehen der Fische zu sprechen. Dagegen sind wir auf Grund der Versuche von Hess berechtigt, anzunehmen, dass die Säugetiere, Vögel, Amphibien und Reptilien Farben sehen, jedoch mit der Einschränkung, dass die Vögel und Reptilien infolge der in der Netzhaut vorhandenen Oelkugeln die kurzwelligen Lichter vom Blaugrün ab nicht oder nur sehr unvoll- kommen wahrzunehmen vermögen. Daraus würde nun folgen, dass alle Beutetiere der Vögel und Reptilien eine rote bis grüne Schutzfärbung aufweisen müssen, wenn die Farbenanpassung die einzige oder nur die hauptsächlichste Funktion der Chromatophoren wäre. Trotzdem die Chromatophoren von den Spongien an bis zu den höchsten Wirbeltieren nachgewiesen sind, kommt ein durch Chromato- phoren bedingter Farbenwechsel erst bei Pteropoden vor, er erreicht einen Höhenpunkt bei den Kephalopoden, er ist vorhanden bei Krebsen, fehlt aber bei den übrigen Arthropoden. Von den Vertebraten zeigen einen durch Chromatophoren bedingten Farbenwechsel die Fische, Am- phibien und Reptilien, dagegen fehlt er bei Vögeln und Säugern. Man könnte darauf hinweisen, dass bei den beiden letzten Vertebratenklassen eine Schutzfärbung durch Chromatophoren überflüssig sei, weil die Federn und Haare eine viel bessere Schutzfärbung gewähren als die Chromato- phoren. Dann müssten aber die Chromatophoren bei diesen Tieren als rudimentäre Organe der Rückbildung unterliegen, um endlich ganz zu verschwinden. Dagegen spricht aber die unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen bei diesen Tierklassen zu beobachtende gesteigerte Pigmentbildung. Andererseits kennen wir aber auch Fälle von abnormer, verringerter oder ganz fehlender Pigmentbildung. Aber alle diese Erscheinungen werden verständlich, wenn wir daran fest- halten, dass das Pigment ein Stoffwechselprodukt ist, das unabhängig von jeder Schutzfärbungsbestimmung gebildet wird. Die innigen Beziehungen zwischen Pigmentbildung und Stoffwechsel haben gerade die Arbeiten von Keeble und Gamble, sowie Bauer nachgewiesen. Ja, in Bauer’s Versuchen wurde gezeigt, dass der diffuse blaue Farbstoff der Crustaceen aller Wahrscheinlichkeit nach ein inter- mediäres Produkt des Fettstoffwechsels ist. Ferner konnte Ogneff zeigen, dass beim Hungern ein weitgehender Zerfall von Chromatophoren eintritt. Man könnte gegen die bisher vertretene Meinung vielleicht ein- wenden, dass bei Vögeln und Säugetieren die Pigmentzellen keine echten Chromatophoren seien, weil ihnen die Formveränderlichkeit fehlt. Aber auch dieser Einwand ist hinfällig, denn einmal zeigen die Retinal- chromatophoren Pigmentverschiebungen, und bei den übrigen Chromato- phoren sind sie nicht mit Sicherheit auszuschliessen. Endlich hat Leydig gezeigt, dass zwischen echten Chromatophoren und unpigmentierten sowie pigmentierten Bindegewebszellen eine scharfe Grenze nicht be- steht. Es muss unbedingt auffallen, dass alle Tiere, welche einen durch Chromatophoren bedingten Farbenwechsel besitzen, poikilotherme Tiere sind, denen nach Rubner die chemische Wärmeregulation fehlt. Da aber diese Tiere doch unter sehr verschiedenen Aussentemperaturen leben, ohne dadurch geschädigt zu werden, so liegt es nahe, anzunehmen, dass diesen Tieren wenigstens eine physikalische Wärmeregulation zu- kommt. Diese Funktion kann nur die physiologische Aufgabe des Chro- matophorensystems sein, indem es die Wärmeabsorption und Strahlung der Tiere zu verändern vermag. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 41 Während bei Warmblütern die physikalische Wärmeregulation durch die Behaarung, Befiederung, Hautgefässsystem und Schweissdrüsen (Wasserverdampfung) genügend gesichert ist und hauptsächlich Faktoren aufweist, die der Entwärmung dienen, fehlt bei den im Wasser lebenden poikilothermen Tieren der mächtigste Faktor der physikalischen Wärme- regulation, nämlich die Wasserverdampfung. Und gerade die im Wasser lebenden Poikilothermen besitzen ein Chromatophorenspiel. Bei den Arthropoden haben nur die im Wasser lebenden Krebse einen raschen Farbenwechsel, während die am Lande lebenden Arthropoden, welche Trockenwohner sind, keinen solchen Farbenwechsel besitzen. Dafür be- sitzen aber die Tracheaten die Möglichkeit, ihre Temperatur durch Wasserverdampfung in den Tracheen zu regulieren. Bei den Reptilien als landlebenden Lungenatmern fehlt gleichfalls die Wasserverdampfung von der Hautoberfläche aus, da sie in ihren verhornten und beschuppten Integument keine Drüsen besitzen. Dafür zeigen sie aber einen deut- lichen Farbenwechsel. Bei den mit einem raschen Farbenwechsel be- gabten Amphibien ist für die Existenz des Farbenwechsels anzuführen, dass sie während ihrer Entwicklungsstadien dauernd an das Wasser ge- bunden sind und später während des Landlebens sich an feuchten, schattigen Plätzen aufhalten, wo wegen der feuchten Atmosphäre eine genügende Wasserverdampfung von der Haut aus nicht stattfinden kann. Gerade bei den Amphibien spielen Temperatur und Feuchtigkeitseinflüsse die wichtigste Rolle für den Farbenwechsel, wie wir seit den Unter- suchungen von Biedermann wissen. Die Anhänger der Schutzfärbungstheorie führen zur Stütze ihrer Anschauung an, dass das ganze Farbenspiel unter der Herrschaft des Centralnervensystems steht und vom Auge aus reguliert werde, so dass also die optischen Eindrücke als das Maassgebende für den Farben- wechsel zu betrachten seien, und daraus schliessen sie wieder, dass die Chromatophorenfunktion der Schutzfärbung diene. Gegen diese Auf- fassung spricht, dass auch geblendete Tiere auf nicht optische Reize Farbenwechsel zeigen, also muss das Auge erst sekundär einen Einfluss auf den Farbenwechsel gewonnen haben. Nimmt man an, dass das Chromatophorensystem der Wärmeregulierung dient, dann erklärt sich der Einfluss der Augen auf den Farbenwechsel dadurch, dass für das freilebende Tier die Einwirkung von Wärme und Licht stets gleichzeitig stattfindet, so dass die Wärmeeinwirkung an der gleichzeitigen Licht- einwirkung gemessen wird und dann das Chromatophorenspiel sekundär unter die Herrschaft des lichtpereipierenden Sinnesorganes gekommen ist. Ausserdem ist darauf hinzuweisen, dass auch an vollkommen ge- blendeten Tieren durch das Licht koloratorische Effekte hervorgerufen werden. Das ist nur möglich, wenn die Augen erst sekundär einen Einfluss auf den Farbenwechsel erlangt haben. Auch die Anpassung der Tierfarbe an die Helligkeit des Grundes kann als thermoregulatorische Erscheinung gedeutet werden, ausserdem spielen die Tastempfindungen, welche vom Untergrund ausgelöst werden, eine wesentliche Rolle bei diesen sogenannten Farbenanpassungen. Eine weitere Stütze dafür, dass die Chromatophoren ein Organ der physikalischen Wärmeregulierung darstellen, ist in dem Innervations- typus gegeben, der vollständig dem der Hautgefässe, Schweissdrüsen und Arrectores pilorum der Warmblüter entspricht. Alle diese Organsysteme dienen der Wärmeregulation und stehen unter der Herrschaft des auto- nomen Nervensystems, dagegen spielt das Grosshirn bei diesen Funktionen keine Rolle, es ist auch kein koloratorisches Centralorgan. Sollten aber die Chromatophoren der Farbenanpassung dienen, dann müsste bei Tieren ein Farbenunterscheidungsvermögen vorhanden sein, das nur durch das Grosshirn vermittelt werden könnte. Dann müsste aber auch 42 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. das Grosshirn eine wichtige koloratorische Centralstation sein, was aber gar nicht zutrifft. Auch das Hochzeitskleid lässt sich teils aus den gesteigerten Stoff- wechselprozessen, teils durch innere Sekretion, teils als Wärmeregulations- prozess erklären. Die ausführliche Mitteilung ist erschienen unter dem Titel: Die physiologische Funktion des Chromatophorensystems als Organ der physikalischen Wärmeregulierung der Poikilothermen. Von R. Fuchs- Breslau. (Sitzungsbericht der physikal.-med. Societät in Erlangen, 1912, Bd. 44.) Sitzung vom 23. Mai 1913. Vorsitzender: Herr Neisser. Schriftführer: Herr Tietze. Vor der Tagesordnung. Hr. Küttner stellt vier Fälle von Spontanfraktur vor: Eine typische Querfraktur der Ulna an der Grenze von mittlerem und oberem Drittel bei Syringomyelie, eine Spontanfraktur des Femurs bei osteomyelitischer Totalnekrose, je eine Fraktur des Humerus durch Knocheneyste und periostales Sarkom. Diskussion. Hr. Tietze: Unter den von Herrn Küttner vor- gestellten Fällen erscheint mir besonders der erste interessant. Hier fand sich eine Fraktur der Ulna im oberen Drittel ohne Luxation des Radius. Das ist sonst eine sehr häufige Komplikation, allerdings kommt diese Verletzung in der Regel dadurch zustande, dass zunächst das Radiusköpfchen luxiert und dann die Ulna, ausserstande, die Körperlast zu tragen, nachträglich an der bezeichneten Stelle bricht. Um so deut- licher trägt der von dem Herrn Vortragenden gezeigte Fall den Charakter einer Spontanfraktur. Tagesordnung. ‘Hr. Küttner: Der gegenwärtige Stand der Lehre von der Transplantation. Eingehende Darstellung des heutigen Standes der Frage mit Demon- stration von Patienten, Präparaten, Wandtafeln, Photographien und Röntgenbildern. (Der Vortrag erscheint ausführlich in den „Naturwissenschaften“.) Diskussion. Hr. Landois berichtet über experimentelle Untersuchungen, die er über die Transplantation der Epithelkörperchen sowie der quergestreiften Muskulatur ausgeführt hat. Seine Versuche über die Epithelkörperchentransplantation stellte er an Hunden an, bei denen er die äusseren Epithelkörperchen in die Vena jugularis brachte, und sie vom Blutstrom in den Kreislauf schleudern liess. Bei der autoplastischen Uebertragung der kleinen Organe heilten diese fast ausnahmslos funktionstüchtig ein, die Tiere bekamen keine Tetanie, gingen aber nach Wochen an einer parathyreopriven Kachexie allmählich zugrunde. Ganz schlechte Resultate erzielte Vortr. bei der homoioplastischen Implantation nach demselben Modus. Die Tiere starben entweder schon nach 24 Stunden oder gingen an Tetanie zugrunde. Wenn es erlaubt ist, diese Resultate auf den Menschen zu übertragen, so ist die Epithelkörperchentransplantation zur Heilung der aus- gebrochenen Tetanie wertlos. In Betracht kommt, dass die Parathyrecid- I. Abteilung. Medizinische Sektion. 4 © drüsen im strömenden Blute die günstigsten Bedingungen zur Ernährung und zur Einheilung finden konnten. Bei der Transplantation der quergestreiften Muskulatur verfuhr Vortr. so, dass er beim Kaninchen Muskelstücke autoplastisch frei übertrug und diese dann nach dem Vorschlage von Jores täglich zwei- mal mit dem faradischen Strom reizte, um den fehlenden nervösen Impuls künstlich zu ersetzen. Die quergestreifte Muskulatur wurde nekrotisch, und über die Hälfte der Tiere starben. Vortr. hält daher die freie Muskeltransplantation nicht nur für zwecklos, sondern geradezu für gefährlich, weil durch die aseptische Nekrose Giftstoffe entstehen, die das Tier durch Autointoxikation zugrunde richten. In einer zweiten Serie übertrug Vortr. Muskelstücke im Zusammen- hang mit den motorischen Nerven. In einer grossen Anzahl von Fällen blieb die Nekrose aus, die Muskelfasern verfielen aber einer einfachen Atrophie, und schliesslich wurde das ganze transplantierte Muskelgewebe durch eine derbe fibröse Schwiele ersetzt. Ein Erfolg ist nur dann zu erwarten, wenn Muskulatur im Zusammenhang mit Nerven und Gefässen übertragen wird. Sitzung vom 30. Mai 1913. Vorsitzender: Herr Minkowski. Schriftführer: Herr Tietze. Hr. Max Berliner: Ueber die Beeinflussung der Tuberkulose durch Balsamica. (Siehe Teilll.) Diskussion. Hr. Rosenfeld: Die Erfahrungen, welche ich mit der Therapie desVortr., Menthol in Ol. derieini gelöst, gemacht habe, sind den seinen ziemlich konform. Zunächst ist eine immer auffallende Tatsache, wie das Menthol durch das Ol. derieini seine Reizwirkung verliert. Als mir einmal bei einer Injektion ein grösseres Quantum 40 proz. Menthol- derieinöl ins Auge spritze, blieben Cornea und Conjunctiva ohne jede Schmerzempfindung, sowie ohne jede Reizung. Anfangs habe ich 5 cem einer 40 proz. Menthollösung subeutan in die Bauchhaut alle 5 Tage eingespritzt. Dass dabei einmal eine Art Embolie vorkam, die durch das Kältegefühl der Pat. am Kopf charak- terisiertt war, war nicht störend, denn sie war nach wenigen Minuten verschwunden, wohl aber die gelegentlichen Infiltrate und ein Abscess, den ich beobachtete. Darum gab ich diese Subeutantherapie, in der ich in zwei Momenten, Menge und Ort der Applikation, unzweckmässig von der Methode des Vortr. abgewichen war, auf und liess das Menthol in 12 proz. Lösung mit Ol. derieini in der Menge von 5 cem pro die per anum applizieren. Mit dieser Behandlung habe ich bei nicht allzu schweren Fällen von Phthise eine Reihe ganz guter Erfolge gesehen, so dass ich von diesem Mentholverfahren den Eindruck hatte, es sei keines- wegs weniger — eher mehr — wert als irgendeine andere Phthisentherapie. Hr. Hans Loewenstein hat die Injektionen nach Vorschrift des Vortr. seit 11/, Jahren in 15—20 Fällen angewandt. Die einfache Technik ge- stattete die Durchführung der Kur auch in besetzter Sprechstunde. Schmerzen nach den Injektionen oder sonstige Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Was das therapeutische Ergebnis anlangt, so war, auch bei strengster Kritik, eine günstige Beeinflussung des Krankeits- prozesses unverkennbar, nicht nur in leichten, sondern ebenso in vor- geschrittenen Fällen. Besonders angenehm war die stets prompt ein- tretende beruhigende Wirkung der Injektionen auf den quälenden Reiz- 44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. husten. Redner kann die Anwendung der Kur des Vortr. gerade ou Allgemeinpraktikern aufs wärmste empfehlen. Hr. Max Silber: Der von Herrn Minkowski erhobene Einand dass doch wohl eine von einer öligen Flüssigkeit herbeigeführte Embolie nicht so ganz harmlos verlaufen könnte, veranlasst mich zu bemerken, dass ich in dieser Hinsicht die gleichen Erfahrungen gemacht habe wie Herr Berliner. Verhältnismässig oft, in einem halben Jahre etwa sechs- bis siebenmal, ist es mir passiert, dass die Patienten plötzlich unmittelbar nach der Injektion den geschilderten, hier mit Embolie be- zeichneten Zustand erlitten. Niemals hat das dabei eintretende Frost- gefühl länger als 1—2 Minuten gedauert, das Aussehen der Patienten hat sich niemals irgendwie verändert, und ich konnte sie immer wenige Minuten nach dem Zufall beruhigt aus der Sprechstunde entlassen. — Besonders interessant und der Erwähnung wert, erscheint mir der von Herrn Berliner bereits angedeutete Fall von tuberkulöser Coxitis. Seit Jahren bestand eine schwere, übelriechende Eiterung aus mehreren tiefen Fisteln, das ganze Bein war unförmlich angeschwollen, konnte nicht bewegt werden, und der ganze Organismus des 7jährigen Knaben war so herabgekommen, dass schon lange vor meiner Behandlung ein operativer Eingriff als aussichtslos und unlohnend abgelehnt worden war. Nach acht Spritzen war das Allgemeinbefinden schon deutlich besser geworden, und nach weiteren zehn Spritzen hatte sich das Kind so weit erholt, dass die recht schwere Operation gewagt wurde. Nach einigen Wochen chirurgischer Behandlung wurden die Injektionen wieder auf- genommen. Unter ihrem Einfluss liess die Sekretion rasch nach, und alle Fisteln bis auf zwei, die noch bestehen, aber nur wenig absondern, schlossen sich. Die Schwellung des Beines hat mehr als um die Hälfte abgenommen, das Gewicht des Kindes, das jetzt lustig und guter Dinge ist, nimmt stetig zu, so dass sich das Gesamtbild recht erfreulich ge- staltet. Völlige Heilung ist allerdings, wie gesagt, noch nicht ein- getreten, doch ist der Knabe bereits imstande, das Bein, das er jahre- lang unbenutzt gelassen hatte, etwas zu gebrauchen. Er benutzt es bereits unbedenklich als Stütze, wenn er sich am Bettpfosten aufstellt. Hr. Robert Asch: Ueber das Erbrechen der Schwangeren. (Siehe Teil 11.) Diskussion. Hr. Küstner: Das Brechen ist ein Symptom so vieler ver- schiedener Affektionen, dass die Analyse, auf welche es zu beziehen ist, nicht immer ganz einfach ist. Deshalb werden an meiner Klinik alle Schwangeren, bei denen sich Emesis oder Hyperemesis findet, genau auf Magenfunktionen und andere möglicherweise in Betracht kommende Momente untersucht, je nachdem unter Zuziehung der internen Klinik. Dabei wird die Erfahrung gemacht, dass nicht ganz selten somatische Magenerkrankungen vorliegen, chronischer Katarrh, Ulcusnarben, Dilatation usw. Aber auch in solchen Fällen liegen die Verhältnisse meist so, dass mutmasslich die Affektionen schon vor Beginn der Schwangerschaft, aber ohne Erbrechen bestanden haben, die dazu- kommende Schwangerschaft erst das Symptom ausgelöst hat. Dennoch ist dann die Behandlung der Magenaffektion häufig auch dem neuen Symptom gegenüber erfolgreich. Wegen Hyperemesis den Abort einzuleiten, habe ich kaum, sicher in ganz verschwindend seltenen Fällen, die Indikation finden können. Nicht selten kommen Gravide mit der Diagnose der Hyperemesis. Die klinische Beobachtung ergibt, dass das Erbrechen ein gewisses Durch- schnittsmaass nicht überschreitet, mit relativ einfacher Therapie zu beschränken oder zu beseitigen ist. Unter diesen befinden sich nicht 1 | N | | I. Abteilung. Medizinische Sektion. 45 selten Gravide, denen die Beseitigung der Schwangerschaft aus anderen Gründen erwünscht wäre. Ein Fall begegnete mir kürzlich, bei welchem ich zunächst bereute, die Schwangerschaft nicht unterbrochen zu haben. Die Schwangere war nur kurze Zeit auf der Klinik in Beobachtung, sie starb, ehe der Plan der Schwangerschaftsunterbrechung zur Ausführung kam. Die Sektion ergab eine schwere Leberaffektion im Typus der akuten gelben Leber- atrophie. Hier war die Hyperemesis entweder ein Symptom dieser, oder die Leberaffektion und das Erbrechen waren beide Folgen einer Intoxi- kation, vielleicht vom Intestinaltractus ausgehend. Keinesfalls glaube ich annehmen zu können, dass die Leberaffektion Folge der Hyper- emesis war. Die Kranke wäre also durch die Aborteinleitung nicht von der tödlichen Erkrankung gerettet worden. In zwei anderen Fällen meiner Erinnerung, in welchen im Gefolge von Hyperemesis Exitus eintrat, erwies die Sektion Nephritis. Dass gelegentlich die Schwangerschaftsunterbrechung durch Hyper- emesis streng indiziert sein kann, möchte ich keinesfalls in Abrede stellen. Aus früherer Zeit sind mir Fälle in der Erinnerung, wo das Bozeman’sche Verfahren Erfolg hatte. Das heisst die foreierte Dilatation der Cervix. Das waren dann Fälle, die eigentlich schon die Abort- einleitung indizierten, und bei denen man sie mit in den Kauf ge- nommen hätte, wenn die Dilatation der Cervix dazu geführt hätte. Ich kenne aber Fälle, wo die Dilatation das Brechen beseitigte und die Schwangerschaft weiter getragen wurde. Die Dilatation machte ich nicht mit Quellmitteln, sondern durch successive Einführung zweier stöpselartiger Uterusdilatatoren. Für die Auffassung des Herrn Vortr., dass die Hyperemesis gravidarum eine Blüte von Hyperkultur sei, gewinne ich in meiner Er- fahrung kaum Anhaltspunkte. Doch scheint es, als ob die Hyperemesis in den gutsituierten Bevölkerungsschichten häufiger vorkomme als in den anderen. Jedenfalls wird man in ersteren deswegen häufiger kon- sultiert als in letzteren. Dass bei Naturvölkern die Hyperemesis völlig unbekannt sei, ist mir nicht bekannt. Es ist wohl von den Aerzten, die in den Kolonien maassgebende Beobachtungen darüber machen konnten, bisher darauf wenig geachtet worden. Entsprechende Erhebungen können ja wohl unschwer mit kompetenter Beweiskraft nachgeholt werden. Klinischer Abend vom ®. Juni 1912. Vorsitzender: Herr Tietze. Hr. 0. Foerster: 1. Vorderseitenstrangdurchschneidung im Rückenmark zur Beseitigung von Schmerzen. Es handelt sich um einen Fall von Tabes dorsalis, bei dem ausser- ordentlich schwere gastrische Krisen im Vordergrund des Bildes standen. Diese Krisen hatten sich im Laufe der Zeit zu einem schweren Status eriticus entwickelt, bei dem die Kranke zum Skelett abgemagert war. Von übrigen Symptomen bestand reflektorische Pupillenstarre, lanci- nierende Schmerzen, Ataxie, fehlende Patellar- und Achillesrefiexe, leichte Blasenstörungen. Wassermann im Blut und Liquor positiv, starke Lymphocytose, Eiweissvermehrung, positiver Nonne. Energische spezifische Kuren (Salvarsan + Hg) vollständig erfolglos. Da die Krisen auch allen anderen Versuchen einer symptomatischen 46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Behandlung völlig trotzten, wurde im August 1910 von Herrn Tietze und dem Vortr. die beiderseitige Resektion der 6. bis 12. hinteren Dorsalis ausgeführt. Die Krisen waren darauf im wesentlichen beseitigt. Es stellten sich aber noch Schmerzen ein, die vom unteren Wundwinkel ausgingen, einen gürtelartigen Charakter zeigten und besonders in die untere Bauchgegend lokalisiert wurden. Gelegentlich kam es dabei auch wieder zu Erbrechen. Wir beabsichtigten, zur Beseitigung dieses Zu- standes noch die 1. und 2. Lendenwurzel, die an der sensiblen Ver- sorgung des unteren Abdominalgebietes beteiligt sind, zu resezieren. Es wurde in den unteren Wundwinkel eingegangen; dabei stiessen wir auf nekrotische, putride Massen im unteren Teil der alten Öperations- stelle, die offenbar Schuld an den Schmerzen gewesen waren. Diese Massen wurden ausgekratzt und dabei die Dura an einer Stelle ein- gerissen. Es kam zwar zu keiner Entleerung von Liquor, und es wurde auch der intraarachnoideale Raum nicht eröffnet, da eine dünne Lamelle von Arachnoidea stehengeblieben war. Wir fürchteten aber, dass es durch diese dünne Lamelle hindurch zu einer Infektion der Meningen kommen würde, und strichen deshalb etwas Jodtinktur auf die Dura an der eingerissenen Stelle auf, in der Absicht, eine möglichst rasche Ver- klebung zu erzielen. Zur Infektion der Meningen kam es nicht, aber es folgte diesem Vorgehen der Jodisierung ein schwerer Uebelstand. Es kam offenbar zu einer intensiven Reizung der Arachnoidea, und die Folge waren ganz unerträgliche Schmerzen im ganzen linken Bein. Die Jodisierung war erfolgt etwa in der Höhe des 12. Brustwirbels, also in der Höhe der Lendenanschwellung. Dazu gesellte sich eine rasch zu- nehmende Atrophie und lähmungsartige Schwäche des linken Beines. Die Schmerzen waren von ganz intensivem Charakter, dauerten Tag und Nacht an und wären nur durch sehr hohe Morphiumdosen einigermaassen zu lindern. Die Kranke verlangte ganz kategorisch Abhilfe von diesem unerträglichen Zustand durch eine erneute Operation. Eine nochmalige Freilegung des Rückenmarks an der operierten Stelle und eine Durch- schneidung sämtlicher Lumbosacralwurzeln linksseitig im Bereich der Anschwellung des Marks hielt ich wegen der zu erwartenden Ver- wachsung für technisch schwer ausführbar, und ich schlug deshalb die Durchschneidungdes gekreuzten rechtenVorderseitenstrangs des Rückenmarks, der ja die Schmerzfasern für das linke Bein führt, vor. Die Operation wurde im Bereich des oberen Brustmarks im Dezember 1912 von Herrn Tietze und mir ausgeführt. Ich habe mir den Vorderseitenstrang in der Weise zugänglich gemacht, dass ich das Rückenmark an einer vorderen Wurzel etwas um die Längsachse auf mich zudrehte und mit einer sehr feinen Messerspitze hart vor dem Ligamentum denticulatum einstach und nun nach vorn und medial das Rückenmark durchschnitt und etwas medial von der Arteria spinalis anterior wieder mit der Spitze des Messers herauskam. Der Einstich muss vor dem Ligamentum stattfinden, damit die Pyramidenbahn nicht verletzt wird. Die Arteria spinalis anterior muss selbstverständlich ge- schont werden, damit keine Paraplegie entsteht. Der Erfolg war ein verblüffender. Wie mit der Schärfe eines Experiments waren die Schmerzen im linken Bein beseitigt. Es bestand Analgesie der linken Körperhälfte bis etwa zur Höhe der linken Mamilla. Die Berührungs- empfindung war durch die Operation in keiner Weise beeinflusst. Es bestand nicht die geringste Parese im rechten Bein, nicht einmal Babinski war an den Beinen nachzuweisen. Vorübergehend bestand Blasenschwäche, die aber rasch wieder wich. Die Schmerzen im linken Bein sind seitdem dauernd beseitigt geblieben. Es bestanden aber bald nach der Operation Schmerzen im rechten Bein, die allerdings mehr den Charakter von laneinierenden Schmerzen trugen. Dieselben sind I. Abteilung. Medizinische Sektion. 47 allmählich wieder gewichen. Interessant ist, dass die Kranke auch heute noch, wenn sie lancinierende Schmerzen bekommt, dieselben immer nur rechts hat. Die Krisen sind auch dauernd beseitigt. 2. Primärer Tumor der Wirbelsäule. Paraplegie der Beine, operative Entfernung. (Vergleiche den Bericht der Sitzung der Breslauer neurologisch- psychiatrischen Vereinigung vom 26. Mai 1913.) 3. Intraspinaler Tumor in der Höhe des 1. Dorsalsegments. Operative Entfernung durch Schlitzung der Hinterstränge. (Vergleiche den Bericht der Sitzung der Breslauer neurologisch- psychiatrischen Vereinigung vom 26. Mai 1913.) 4. Hämatomyelie im Bereiche des Halsmarks. (Vergleiche den Bericht der Sitzung der Breslauer neurologisch- psychiatrischen Vereinigung vom 26. Mai 1913. Siehe Berliner klin. Wochenschrift, 1913, Nr. 28.) Diskussion. Hr. Tietze: M. H.! Sie werden alle unter dem Eindruck stehen, dass es sich bei der eben vorgetragenen Operation um eine grosse Leistung handelt. Ich darf das ganz ruhig sagen, weil ich bei derselben nur insofern beteiligt bin, als ich die grobe Arbeit an derselben ver- richtet habe. Der Plan der Operation stammt von Herrn Foerster, die Durchschneidung am Rückenmark hat er, wie ich ganz besonders hervorheben will, selbst vorgenommen. Gerade aber, weil ich immerhin etwas mit der Operation zu tun gehabt habe, halte ich mich zu einer Kritik für berechtigt, da diese ja eine Selbstkritik bedeutet. Da erhebt sich nun bei so subtilen Eingriffen die Frage, sind sie berechtigt, handelt es sich hier wirklich um eine Operation oder um ein physio- logisches Experiment? Es könnte jemand den Einwand erheben: Mit dieser Operation, auch selbst wenn sie gelingt, ist der Patient nicht geheilt, er bleibt ein Schwerkranker nach wie vor. Eine Spritze Morphium verrichtet dasselbe wie diese gefährliche Operation. Nach dieser Richtüng ist nun zu sagen, dass wir mit Herrn Foerster noch einmal dieselbe Operation gemacht haben. Es handelt sich gleichfalls um eine Frau mit Tabes. Hier hatten wir einen glatten Versager; die Schmerzen waren in keiner Weise beeinflusst. Die Patientin ging nach kurzer Zeit an einer Pyonephritis zugrunde, und es zeigte sich, dass die Durchschneidung nicht ausgiebig vorgenommen worden war. Also der Eingriff ist an sich gefährlich und technisch schwierig. Das braucht uns aber nicht zu hindern, wenn nur das Prinzip richtig ist, und das glaube ich bejahen zu dürfen. Dass man bei tabischen Schmerzen mit Morphium einen erträglichen Zustand schafft, ist nieht richtig. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt, mit einem Tabiker wochenlang zusammen zu sein, der von Morphium reichlich Gebrauch machte, und konnte beob- achten, was das trotzdem für ein unerträglicher Zustand war. Wenn man einen Rückenmarkskranken durch eine Operation von seinen Schmerzen befreien kann, so ist diese berechtigt, auch wenn sie gefähr- lich ist; denn schliesslich kann man gerade betonen, weil ein Tabiker eine vernichtete Existenz ist, so bedeutet für ihn der Einsatz seines ganzen Lebens nicht dasselbe wie für einen anderen rüstigen Mann; und dass nun durch die von Foerster vorgenommene Seitenstrangs- durchschneidung bei der hier vorgestellten Frau der Zustand ein ganz ausserordentlich gebesserter ist, das konnte ich selbst beobachten, und das gibt die Patientin ohne weiteres zu. Ich halte trotz aller Schwierig- keiten die Vorderseitenstrangsdurchschneidung für eine durchaus zu billigende Operation. 48 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Hr. Harttung: Demonstration eines Falles von Spontangangrän des Zeigefingers und über Raynaud’sche Gangrän. (Siehe Teil II.) Hr. Tietze: 1. Milzexstirpation bei Banti’scher Krankheit. Vorstellung des von der Operation geheilten Patienten und kurze Besprechung der Symptome. In dem Zustand desselben ist eine erheb- liche Besserung eingetreten. 2. Hepatieusverletzung. Bei seinen Gallenblasenexstirpationen hat der Vortragende 3 mal das Versehen begangen, den Hepaticus quer zu durchschneiden. Zwei- mal handelte es sich um äusserst schwierige Operationen bei fast un- durchtrennbaren Verwachsungen. In einem Falle wurde die Verletzung sofort bemerkt, der Hepaticus cirkulär genäht, was zu primärer Heilung führte. In den beiden anderen Fällen wurden Plastiken gemacht, von denen die eine Erwähnung verdient, weil es sich dabei um ein beson- deres Vorgehen handelte. Nachdem eine Reihe von plastischen Ver- suchen fehlgeschlagen waren, hatte sich schliesslich nach Heilung der Wunde eine lange, röhrenförmige Fistel gebildet. Vortragender um- schnitt die Mündung der Fistelöffnung an der Haut und präparierte das derbe, bindegewebige Fistelrohr bis zu seiner Ausmündung in die Gallen- wege heraus. Dann wurde dieser Kanal umgekippt und in den Dünn- darm eingepflanzt bei gleichzeitiger Entero-Anastomose. Die Einheilung in den Darm erfolgte wieder mit Fistelbildung, doch schloss sich die- selbe allmählich, so dass für eine Zeit lang alles geheilt erschien. Patient ging an einem Leberabscess zugrunde, welcher durch direkte In- fektion vom Darm aus zu erklären ist. Das Verfahren hat sich also nicht bewährt, wenn es auch anfangs vielversprechend erschien. Hr. Hirt: Demonstration von Nierensteinen und eines Blasentumors. Diskussion. Hr. Tietze demonstriert im Anschluss an den Vor- trag eine Reihe grosser Nierensteine, welche zum Teil doppelseitig be- obachtet worden waren. Hr. Brade: Drei Fälle von Pancreasoperation. M. H.! Ich stelle Ihnen hier 3 Patienten vor, die wir wegen Er- krankung ihrer Bauchspeicheldrüse operiert haben. Der erste ist ein 3ljähriger Mann, der am 31. Dezember 1910 in unsere Behandlung kam. Er war nachts vorher im Anschluss an den Genuss von Paprikafleisch mit sehr heftigen Schmerzen in der Magen- gegend erkrankt und wurde mit der Diagnose Bauchfellentzündung ins Hospital geschickt. Den letzten Stuhlgang hatte er regelrecht tags zuvor gehabt, Blähungen waren seit abends nicht mehr abgegangen. In den letzten 5 Jahren hatte er mit grossen Pausen an heftigen Schmerzanfällen im Leibe zu leiden gehabt, die unter Bettruhe und Um- schlägen immer wieder schwanden. Die Diagnose der ihn behandelnden Aerzte schwankte zwischen Gallensteinleiden und Blinddarmentzündung. Im Wesentlichen hatte er sich wohlgefühlt und nur scharf gewürzte Speisen schlecht vertragen. Bei der Aufnahme klagte der sehr fettleibige Patient über unerträg- liche Schmerzen im Leibe. Die Temperatur betrug 37°, der Puls 100. Der Bauch war wenig aufgetrieben, im Epigastrium stark gespannt, be- sonders linkerseits und sehr druckempfindlich. Eine Resistenz war nicht fühlbar. Darmsteifungen waren nicht zu sehen. Der Mann hatte starkes Aufstossen, erbrach aber nicht. Das zu Hause Erbrochene soll Speisereste enthalten haben und gallig gewesen sein. Der Urin enthält 2,3 pCt. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 49 rechtsdrehenden hefevergärenden Zucker, etwas Eiweiss, keine Zylinder, kein Blut. Es wurde die Diagnose auf akute Pancreatitis gestellt und deswegen noch an demselben Tage zur Operation geschritten. Die Bauchhöhle wies kein Exsudat auf, die Vorderfläche des fettreichen Netzes war un- verändert. Dagegen bestanden auf der Hinterfläche zahlreiche bis hanf- gerngrosse Fettgewebsnekrosen, die sich auch im Mesenterium teilweise mit hämorrhagischem Hofe umgeben fanden. Der Versuch, das Pancreas durch das Lig. gastrocolicum freizulegen, gelang nicht wegen des Fett- reichtums. Dagegen gelang es durch einen Längsschnitz im Mesocolon einen Ueberblick über den grössten Teil der Drüse zu gewinnen, die äusserlich normal aussah, sich aber im Ganzen hart anfühlte. Nach Spaltung der Kapsel drängte sich das Drüsengewebe etwas vor, sah aber im Wesentlichen unverändert aus. In die Drüse selbst wurde nicht ein- gegangen, sondern drainiert und tamponiert und die Bauchwunde bis auf die Tamponadeöffnung vernäht. Pat. machte nun ein sehr langes Krankenlager durch. Die Schmerzen waren sofort nach der Operation verschwunden, dagegen hielt das Aufstossen noch tagelang an. Der Zucker verschwand drei Tage nach der Operation aus dem Urin. Es bildete sich allmählich eine Fistel aus, durch die sich Teile nekrotischen Pancreasgewebes abstiessen und die ausserordentlich reichlich sezernierte. Ferner machte Pat. noch eine linksseitige Pleuritis durch, die zu wieder- holten Punktionen zwang. Er magerte sehr stark ab und wurde schliess- lich auf seinen Wunsch Ende Februar aus dem Hospital entlassen. Er ist dann von Herrn Dr. Sackur und Herrn Prof. Most noch monate- lang weiterbehandelt worden, bis sich schliesslich die Fistel schloss. War dieser Patient ein Beispiel akuter Pancreatitis, wie sie sich plötzlich nach mehreren vorhergehenden Schmerzattacken einstellt, so sind die beiden nächsten Patienten Beispiele von chronischer Erkrankung der Bauchspeicheldrüse. Der nächste ist ein 64 jähriger Mann, der Anfang Dezember 1912 zu uns kam. Im August 1912 war er bereits mit Erbrechen und Schmerzen im Leibe erkrankt, die etwa 8 Tage anhielten. Seitdem fühlte er sich ganz wohl, nur war der Appetit nicht recht in Ordnung. In der Nacht vom 23. zum 24. November stellten sich ganz plötzlich wieder heftige Schmerzen in der oberen Bauchhälfte ein; dabei bestand leb- haftes Erbrechen, das in den folgenden Tagen ebenso wie die Schmerzen zunahmen. Ausserdem stellten sich noch Durchfälle ein. Es handelte sich wieder, wie meist bei Pancreaskranken, um einen fettleibigen Mann, der reichlich aufstiess, aber nicht erbrach. An den inneren Organen war ausser mässiger Bronchitis nichts Krankhaftes nachzuweisen. Die Oberbauchgegend war deutlich gespannt, im Ganzen schmerzhaft, ohne dass eine Resistenz fühlbar war. Der Unterbauch war frei. An Leber und Gallenblase liess sich nichts nachweisen. Der Urin war zuckerfrei, der Stuhl sehr fetthaltig, enthielt kein Blut. Der Diastasengehalt des Blutes nach Wohlgemuth’scher Probe ergibt normalen Wert von 8. Da sehon 10 Tage seit Beginn der Erkrankung vergangen waren, sprach das nicht sicher gegen eine Pancreasaffektion, die von uns angenommen wurde. Obwohl der Zustand sich eher etwas zu bessern schien, ent- schlossen wir uns doch zur Operation, bei der man sofort nach Eröffnung des Peritoneums zahlreiche Fettgewebsnekrosen findet. Besonders zahl- reich sind diese Nekrosen im Lig. gastro-colicum, indem man an einer Stelle einen kraterförmigen, in, die Tiefe führenden Gang sieht. Beim Einführen einer Kornzange in diesen entleert sich fettiger Detritus in mässiger Menge. Durch Spreizen der Kornzange bekomnt man in ziem- licher Ausdehnung Ueberblick über das Pancreasgewebe. Doch entsteht beim weiteren Manipulieren eine profuse venöse Blutung, welche weiteres. Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1913. I. 50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Suchen verbietet und zur Tamponade zwingt. Auch hier war, wie zu er- warten, der Heilungsverlauf ein sehr langwieriger. Es bildete sich eine stark sezernierende Pancreasfistel aus, die sich erst im April d.J. schloss. Auch hier stiess sich nekrotisches Pankreasgewebe ab. Das Fistelsekret enthielt reichlich Pancreasdiastase. Die Fettstühle ver- schwanden allmählich. Die mehrfach angestellte Cammidge-Reaktion war stets negativ. Im dritten Falle handelte es sich um einen sechsjährigen Knabn der zu uns Anfang Februar ds. Js. von derinneren Abteilung verlegt wurde. Die Eltern des Kindes sollen beide an Tuberkulose verstorben sein; die Pflegeeltern des Jungen geben an, dass er seit 14 Tagen über Schmerzen im Leibe klage, während gleichzeitig der Leib dick wurde. Der recht intelligente Knabe selbst erklärt allerdings, sein Bauch sei schon seit langer Zeit, mindestens seit vorigem Sommer, dick. Es handelte sich um einen schwächlichen Knaben in schlechtem Ernährungszustande. Der Bauch war im ganzen gespannt und stark vorgewölbt. Ueber die allge- meine Hervorragung sah man noch eine besonders starke Vorwölbung der linken Bauchseite und eine etwas kleinere im Epigastrium. Diese beiden besonderen Vorwölbungen haben gedämpften Klopfschall. Schräg über diese gedämpfte Partie läuft eine Zone tympanitischen Schalls von der Mitte des linken Rippenbogens nach dem Nabel zu. Der Form nach entspricht sie dem Magen und kommt bei Aufblähung des Magens noch viel deutlicher zum Vorschein. Palpatorisch fühlt man einen der Dämpfung entsprechenden Tumor, der sich nach unten zu umgreifen lässt. Der Tumor selbst zeigt überall Fluktuation, Milz und Leber sind nicht abgrenzbar, das Quercolon lässt sich bei Aufblähung unterhalb des Tumors nachweisen. Das Blutbild war normal, ebenso der Urin für die üblichen Untersuchungsmethoden. Die Diagnose schwankte zwischen Pankreascyste und Hydronephrose. Auf Stoffwechseluntersuchung musste wegen des schlechten Allgemeinzustandes verzichtet werden. Bei der Operation wurde durch Laparotomie die Tumor- bzw. Cysten- wand freigelegt und punktiert. Es entleerten sich 21/, 1 graugelber, trüber Flüssigkeit mit einigen Fibringerinnseln. Am Netz waren einige Fettgewebsnekrosen zu sehen. Der Cysteninhalt enthielt reichlich Ei- weiss und Trypsin. Es wurde nur die Cystenwand in die Bauchwunde eingenäht und tamponiert. Zunächst erholte sich der Junge gut, dann kam es durch vorzeitiges Verkleben der Cystenöffnung zu einer erneuten Flüssigkeitsansammlung, die eine zweite Operation notwendig machte. Auch diesmal wurde die Cyste nur wieder eingenäht, dabei aber ein Stückchen Wand zur histologischen Untersuchung entfernt. Der Cysten- inhalt war diesmal viel klarer, enthielt reichlich Eiweiss, aber kein Trypsin und keine Diastase. Der Junge hat sich gut erholt, macht jetzt einen völlig gesunden Eindruck. Die Operationswunden sind beide geschlossen bis auf eine Fadenfistel an der ersten. An der Stelle der ersten Laparotomie scheint sich auch ein Bauchbruch zu entwickeln. Hr. Simon: 1. Ueber Ruotte’sche Operation. M. H.! Ich möchte Ihnen zunächst über eine Patientin berichten, bei der wir wegen enormen Ascites infolge von Lebercirrhose mehrere operative Eingriffe vorgenommen haben. Die Chirurgie kennt ja mehrere Methoden, um die Flüssigkeits- mengen, die sich bei Stauungszuständen im .Pfortadergebiete in die Bauchhöhie ergiessen, zu beseitigen. Auf die Bauchpunktion brauche ich hier nicht näher einzugehen, sie charakterisiert sich als ein palliativer Eingriff, dessen Erfolg meist ein sehr vorübergehender ist. Von den eigentlichen operativen Eingriffen ist die Talma’sche Operation wohl die I. Abteilung. Medizinische Sektion. 5l bekannteste und am meisten geübte; ihr Prinzip besteht darin, dass das Netz mit der Bauchwand in Verbindung gebracht wird und dadurch Gefässbahnen entstehen, durch die das Blut des Pfortadergebietes in den grossen Körperkreislauf abfliessen kann. Mit der Talma’schen Ope- ration sind in einer Reihe von Fällen schöne Erfolge zu erzielen, in anderen Fällen pflegt die Methode im Stiche zu lassen: ein Nachteil haftet ihr immer an, dass nämlich der Erfolg immer mehrere Wochen ‚auf sich warten lässt, da die Ausbildung der Gefässbahnen so lange Zeit in Anspruch nimmt. Infolgedessen ist man, speziell in der letzten Zeit, dazu über- gegangen, andere Methoden anzuwenden, die teilweise ebenso wie die Talma’sche Operation von dem Bestreben ausgingen, die Blutgefässe des Pfortadergebietes mit denen anderer Gebiete in Verbindung zu setzen, teilweise aber auch versuchten, der im Abdomen angesammelten Flüssig- keitsmenge selbst Abfluss zu verschaffen, also gewissermaassen eine Dauerdrainage des Ascites herzustellen. Von der ersten Gruppe von Verfahren möchte ich nur kurz die so- genannte Eck’sche Fistel erwähnen, die in einer direkten Gefässanastomose zwischen Vena portae und Vena cava inferior besteht. Diese Operation ist naturgemäss technisch schwierig und vor allem nicht ungefährlich, ' sie ist, soweit mir bekannt ist, noch nicht sehr häufig am Menschen aus- geführt worden. Für die andere Art von Vorgehen, die Dauerdrainage des Ascites, bieten sich zwei Wege, einmal die Ableitung der Flüssigkeit in das Unterhautbindegewebe, um sie hier zur Aufsaugung zu bringen, dann aber die Herstellung eines direkten Abflusses des Bauchhöhleninhaltes in die Gefässbahn. Die Ableitung der Flüssigkeit in das Unterhaut- bindegewebe hat Franke-Braunschweig, der auf dem vorjährigen Chirurgenkongresse eine Zusammenstellung aller hierher gehörigen Me- tboden gegeben hat, und dem auch ich die Anregung zu dem im vor- liegenden Falle geübten Verfahren verdanke, so zu bewerkstelligen ver- sucht, dass er einen Silberdrahtbügel unter die Haut einführte, der die Verbindung der Bauchhöhle mit dem Unterhautbindegewebe offen halten sollte. Andere Autoren haben dasselbe durch Einführung einer Glas- oder Gummidrainage zu erreichen gesucht. Ein Beispiel für die Ab- leitung des Ascites in die Gefässbahn aber bietet die Operation nach Ruotte, die in dem vorliegenden Falle Anwendung gefunden hat. Ueber die Patientin selbst möchte ich kurz berichten, dass sie uns von der inneren Abteilung überwiesen wurde, um von ihrem im Gefolge von Lebereirrhose aufgetretenen enormen Aseites befreit zu werden. In der letzten Zeit war sie sehr häufig, mindestens einmal wöchentlich, punktiert worden. Ich bin nun in folgender Weise vorgegangen. Zunächst wurde an der Innenseite des rechten Oberschenkels die Vena saphena magna auf eine grosse Strecke hin freipräpariert. Etwa 15 cm unterhalb ihrer Ein- mündungsstelle in die Vena femoralis wurde sie abgebunden. Das centrale Stück wurde sodann nach oben geschlagen und durch einen stumpf ge- bohrten, -subeutanen Tunnel unter der Haut der Leisten- und Unter- bauchgegend nach oben gezogen. Hier wurde nun eine kleine, para- rectale Laparotomieöffnung gemacht und die Vena saphena in den untersten Winkel derselben eingenäht. Der übrige Teil der Laparotomie- wunde wurde sodann wieder geschlossen. Es soll also die Aseitesflüssigkeit direkt in die Vena saphena und aus ihr in die Vena femoralis einfliessen. Da ich bei dem Verfahren, das ich, wie oben erwähnt, nur aus der beiläufigen Erwähnung Franke’s kannte, des Erfolges doch nicht ganz sicher sein konnte und der Patientin unter allen Umständen durch die 52 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Operation einen Nutzen bringen wollte, habe ich in der gleichen Sitzung eine Talma’sche Operation in der üblichen Technik hinzugefügt. Der unmittelbare Erfolg der Operation war zunächst ein mässiger;. der Ascites sammelte sich wieder an, ohne indes so enorme Ausdehnung anzunehmen wie vor der Operation. Ich habe dann wenige Tage später die Ruotte’sche Operation auch auf der linken Seite gemacht. Neben der Empfindung, dass eine gewisse Besserung doch zu verzeichnen war, für die der Talma doch nicht in Frage kommen konnte, liess. ich mich. dabei von dem Gedanken leiten, durch die in kurzem Intervall wieder- holte Laparotomie auf das Peritoneum vielleicht einen Reiz ausüben zu können, der zur Aufsaugung des Ascites beitragen könnte. Schliesslich hoffte ich, mich von der linken Laparotomieöffnung aus über den Zustand der Oeffnung in der rechten Pararectalgegend vergewissern zu können, was sich allerdings dann aus technischen Gründen als nicht befriedigend ausführbar erwies. Beide Eingriffe wurden von der Patientin gut überstanden, sie hat sich dann in der Folge glänzend erholt. Der Ascites hielt sich in sehr mässigen Grenzen. Punktionen waren anfangs nur in sehr grossen Intervallen notwendig, schliesslich konnten sie überhaupt unterbleiben. So ist die Patientin von Anfang Januar bis Ende April überhaupt nicht mehr punktiert worden (die Operationen hatten in den ersten Tagen des. Oktober v. J. stattgefunden). Ende April ist die Patientin verstorben. Nach der Mitteilung der Angehörigen ist sie aus völligem Wohlbefinden heraus ganz plötzlich collabiert und im Verlaufe einer Viertelstunde zum Exitus gekommen; da dabei Erscheinungen im Vordergrunde standen und im Hinblick auf die Natur des Grundleidens möchte ich eine Lungenembolie annehmen. Eine Sektion hat, da die Patientin zu Hause starb, leider nicht stattgefunden. Wir haben also in diesem Falle einen immerhin bemerkenswerten Erfolg zu verzeichnen gehabt. Es ist natürlich schwer, zu entscheiden, welcher der beiden Operationen, der Talma’schen oder der nach Ruotte der Erfolg zuzuschreiben ist. Gewiss wird behauptet werden können, und ich kann dem auch nicht absolut entgegentreten, dass die Talma’sche Operation den Erfolg herbeigeführt hat; da derselbe in vollem Umfange erst allmählich eintrat, hat in der Tat diese Auffassung manches für sich. Es lässt sich ja gegen das Prinzip der Ruotte’schen Operation einiges vorbringen. Der gewichtigste Einwand dürfte wohl in der Be- fürchtung liegen, dass das enge Lumen der V. saphena sich sehr bald verschliesst; es bildet sich ein Thrombus, dieser wird organisiert und das Gefässlumen ist obliteriertt. In dieser Hinsicht war mir nun eine Beobachtung ausserordentlich interessant, und diese erscheint mir wichtig genug, dem Falle ein mehr als kasuistisches Interesse zu verleihen. 3 Monate nach der zweiten Operation entstand bei der Patientin in der linken Cruralgegend eine kleinapfelgrosse, scharf begrenzte, prall elastische und deutlich fluktuierende Vorwölbung. Ich habe dieselbe punktiert und gewann dabei klare Flüssigkeit, deren Ascitesnatur durch Nachprüfung von internistischer Seite festgestellt werden konnte. Dass diese Flüssigkeit etwa neben der Vene herabgesickert sein könnte, glaube ich ausschliessen zu können; in diesem Falle hätte sie sich wohl nicht in der geschilderten, scharf abgegrenzten Weise angesammelt, wäre in dem lockeren Gewebe wohl überhaupt zur Aufsaugung gelangt. Auch hätte ich nicht, wie es der Fall war, mit einem einzigen Spritzenzuge die Ansammlung entleeren und die Vorwölbung zum Verschwinden bringen können. Ich bin vielmehr fest überzeugt, dass ich die stark erweiterte Vene, vermutlich vor einer Knickung, die ja eine weitere: Gefahr des Verfahrens darstellt, punktiert habe. Ich glaube daher den I. Abteilung. Medizinische Sektion. 95 Nachweis geliefert zu haben, dass in diesem Falle tatsächlich die Aseites- flüssigkeit in die Vene und in ihr bis nahe an die Einmündungsstelle in die Femoralis geflossen ist. Damit scheint mir weiterhin bewiesen zu sein, dass es tatsächlich gelingen kann, die Flüssigkeit aus der Bauch- höhle direkt in die Blutbahn abzuleiten. Die Ruotte’sche Operation stellt also meines Erachtens nach einen Eingriff dar, der in geeigneten Fällen — und dazu sind im Gegensatze zu der Talma’schen und Eck’schen Operation, die nur bei Stauungen im Pfortadergebiete in Betracht kommen, alle Fälle von starkem Asecites zu rechnen — wohl eines Versuches wert ist. 2. Veber Darmresektionen. . M. H.! Ich möchte Ihnen ausserdem einige Patienten vorstellen und die zugehörigen Präparate demonstrieren von Fällen, bei denen wir teilweise ausgedehnte Darmresektionen vorgenommen haben. Zu- nächst möchte ich Sie auf eine Tabelle verweisen, auf der ich, ohne auf Einzelheiten einzugehen, die Fälle von Darmresektion zusammengestellt habe, die seit Oktober 1905 auf der chirurgischen Abteilung des Aller- heiligenhospitals und in der Privatklinik von Herrn Herrn Tietze aus- ‚geführt wurden. Darmresektionen wegen Verletzungen . . . . 2, davon primär gestorben 2, geheilt 0 HRuberkuloser u 20. 2 (82%, an = >, a 5 ESS Sn a ee el 5, & ” 1% . 5 Eingeklemmter Hernien 35, „ ke an 18, DW INumoren) ar 3 & a 9, RD26 zusammen 92, davon primär gestorben 39, geheilt 53. Nicht in Betracht gezogen sind dabei die Operationen am Mastdarm, die eine besondere Technik und eigene Verlaufsart haben. Auch die Magenresektionen sind in der Technik nicht enthalten, nur zwei Fälle haben unter Rubrik „Tumoren“ Aufnahme gefunden: in beiden Fällen handelte es sich um die Resektion sehr grosser Magentumoren, die bereits auf das Mesocolon übergegriffen hatten, so dass wir bei der Exstirpation dieses und wegen der zu befürchtenden Gangrän auch einen Teil des Quereolons hatten mitresezieren müssen. Beide Patienten haben den Eingriff gut überstanden, den einen kann ich Ihnen hier vorstellen (Demonstration des Patienten und des Präparates). In der letzten Zeit sind bei dem Patienten übrigens recht heftige Schmerzen im Abdomen aufgetreten, von denen wir noch nicht ganz sicher wissen, ob sie auf Narbenzug zu beziehen sind oder ein beginnendes Recidiv ankündigen; zurzeit ist von einem solchen jedenfalls nichts nachweisbar. Die Ope- ration hat am 4. II. 1913 stattgefunden. Weiterhin möchte ich Ihnen folgendes Präparat demonstrieren, das wir bei der Operation einer 45jährigen Frau gewonnen haben. Vor der Operation war die Diagnose auf Strangulationsileus gestellt worden. Es fand sich nun folgender interessante Befund. Unmittelbar medial von dem Coecum bestand eine grosse Bauchfelltasche, also ein sogenannter Recessus pericoecalis. In diesen war nun eine Dünndarmschlinge hinein- geschlüpft und dort ziemlich stark stranguliert worden. Gleichzeitig war sie noch um 180° torquiert. Beide Schnürfurchen waren sehr stark geschädigt, so dass die eine bei der Entwicklung der Schlinge einriss (Figur). Die Operation wurde in der Weise beendet, dass die Schlinge selbst samt einem grossen Stück des zuführenden Darmes, der sehr starke Stauungserscheinungen zeigte, reseziert wurde. Der periphere Dünndarmabschnitt wurde blind verschlossen, der centrale Stumpf in das Quercolon End bei Seit implantiert. Ich kann Ihnen das Präparat, l 54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Kultur. an dem Sie die Torsion der eingeklemmten Schlinge noch sehr gut er- kennen können, hier demonstrieren. Es handelte sich also um eine innere Einklemmunng einer Dünndarmschlinge in einen pericoecalen Recessus mit gleichzeitiger Torsion der Schlinge. Die Patientin überstand zwar die Operation zunächst verhältnis- mässig gut, sie ist aber etwa 3 Wochen später doch noch gestorben. Bei der Sektion fand sich eine geringe Peritonitis, die die Patientin, wie aus dem schleichenden Verlaufe zu ersehen, unter anderen Verhältnissen vielleicht hätte überstehen können. Es hatte sich aber bei ihr etwas eingestellt, was wir bei Ileocolostomien nicht selten finden, nämlich starke Diarrhöen; es scheint eben doch nicht ganz belanglos zu sein, grosse Darmabschnitte aus der Verdauung plötzlich auszuschalten, namentlich wenn dies das Coecum betrifft, in dem wohl die Eindickung des Kotes durch Wasserresorption hauptsächlich vorgeht. In der Regel nimmt diese Störung indes keine grosse Ausdehnung an und geht schnell vorüber, in diesem Falle war dies nicht der Fall, und selbst durch peinlichste Regelung der Diät war der Zustand nur wenig zu bessern. Schliesslich kam noch eine Pneumonie hinzu, der die enorm geschwächte Patientin erlag. Der Patient, den ich Ihnen nunmehr vorstellen möchte, besitzt in- sofern ein klinisches Interesse, als er wieder einmal illustriert, was sich mitunter unter dem Bilde einer Appendieitis verbergen kann. Er kam am 4. November 1912 mit dieser Diagnose zur Aufnahme und Operation. Wir fanden bei der Operation eine grosse Abscesshöhle in der Blind- darmgegend. Da der Wurmfortsatz nicht sofort sichtbar wurde, wurde er naeh der bei uns in solchen Fällen herrschenden Gepflogenheit nicht gesucht. Die tamponierte Wunde heilte aus. Im Januar dieses Jahres kam er wieder zur Aufnahme. Diesmal war ein Tumor deutlich fühl- bar. Bei der Operation fand sich ein eirculär stenosierndes Carcinom am Uebergang des Coecums in das Colon ascendens. Ich habe die unterste Dünndarmschlinge, das Coecum, Colon ascendens und I. Abteilung. Medizinische Sektion. 55 einen Teil des Quercolos reseziert und den Dünndarm mit dem Quer- colon anastomosiert, diesmal nach blindem Verschluss Seit zu Seit. Der Patient hat sich, wie Sie sehen, glänzend erholt und an Körper- gewicht beträchtlich zugenommen. Ich kann Ihnen das Präparat hier demonstrieren, ebenso ein Röntgenbild, das wir einige Wochen nach der Operation anfertigten, und das durch Wismutfüllung per os und per anum die Konturen des Darmes besonders in der Nähe der Ileocolo- stomie sehr schön erkennen lässt. Auffallend war in diesem Falle noch, dass vor der zweiten Operation Erscheinungen von Darmstenose nicht vorhanden waren, was man bei der Betrachtung des Präparates mit dem fast absolut obliterierenden Tumor kaum glauben möchte. Der nächste Patient, den ich Ihnen hier vorstellen kann, bot bei der Operation einen zwar nicht sehr seltenen, aber immer wieder inter- essanten Befund. Von dem Blinddarm, dessen Wurmfortsatz mässige chronische Veränderungen zeigte, weswegen er gleichzeitig entfernt wurde, entsprang ein straff gespannter dünner Strang, der medial und oben ver- lief und am Mesenterium inserierte. Unter diesen Strang war ein Paket Dünndarmsehlingen geschlüpft und wurde hier ziemlich stark strangu- liert, so dass deutliche Zeichen beginnender Gangrän vorlagen. Es handelte sich also um einen typischen Strangulationsileus, ver- ursacht durch intraabdominelle Strangbildung vermutlich im Gefolge einer abgelaufenen Appendicitis. Nach Sachlage kam nur die Resektion mit folgender Enteroanastomose in Betracht. Ich habe dann auch etwa 1m Dünndarm reseziert und den Darm Seit bei Seit wieder vereinigt. Ich kann Ihnen hier den Darm, an dem man noch jetzt die Zeichen beginnender Gangrän erkennen kann, demonstrieren. Bemerken möchte ich noch, dass die Länge des resezierten Stückes keinerlei Be- sonderheit darstellt, da wesentlich grössere Dünndarmpartien schon mit Erfolg reseziert worden sind. Das Präparat, dass ich Ihnen nunmehr zeigen möchte, erklärt sich selbst, es handelt sich um einen sehr schönen Fall von Dünndarm- invagination, der von.Herrn Tietze operiert worden ist. Auch dieser Patient hat die Operation überstanden. Wenn ich nun zum Schluss nochmals auf die Tabelle mit der Zu- sammenstellung unserer Resultate aufmerksam machen darf, so möchte ich speziell auf die guten Erfolge, die wir bei Tumoren erzielt haben, hinweisen. Da an denselben doch wohl im gewissen Grade die hier ge- übte Technik Anteil hat, so möchte ich ganz kurz dieselbe skizzieren. Fast ausschliesslich handelt es sich ja um Tumoren des Diekdarmes — Dünndarmtumoren sind bekanntermaassen sehr selten. Unser Vorgehen besteht bei Tumoren des Coecums und Colon ascendens in der primären Resektion mit folgender Ileocolostomie. Handelt es sich aber um Tumoren des Quercolons, Colon desecendens oder der Flexur, so ziehen wir die zwei- oder richtiger dreizeitige Operation vor. In der ersten Sitzung wird der Tumor mobilisiert und vorgelagert, in einer zweiten, frübestens am nächsten, spätestens am übernächsten Tage abgetragen, dann resultiert zunächst ein widernatürlicher After, der nach einigen Wochen geschlossen wird. Dieses Verfahren ist kräftesparend und sehr sicher, da die nach dem ersten Eingriffe die Bauchhöhle abschliessende Verklebung keine Infektion derselben zulässt. Der Anus praeternaturalis aber stellt durch die schnelle und gründliche Entleerung der mitunter enormen Kotmassen für die Patienten eine grosse Erleichterung dar. Ich kann Ihnen hier eine Patientin zeigen, ‘bei der wir in dieser Weise vorgegangen sind. Es handelte sich um einen stenosierenden 56 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Tumor des Quercolons, den ich Ihnen hier gleichzeitig demonstrieren kann. Herr Brade lagerte den Tumor am 16. Februar 1913 vor, am 18. Februar wurde er abgetragen, der Anus praeternaturalis am 26. April geschlossen. Sitzung vom 13. Juni 1913. Vorsitzender: Herr A. Neisser. Vor der Tagesordnung. Hr. L. Fraenkel: Geburt nach operativer Vereinigung doppelter Gebärmütter. M. H.! Ich habe mir die Erlaubnis erbeten, Ihnen eine Patientin ausserhalb der Tagesordnung zeigen zu dürfen, weil sie in den nächsten Tagen in ihre Heimat zurückkehrt. Sie suchte mich vor 21/, Jahren auf, weil sie ihre Kinder nicht auszutragen vermochte und 3mal Fehl- bzw. Frühgeburten lebensunfähiger Kinder erlitten hatte. Der Ehemann war gesund; als einzigen Befund hatte sie eine Verdoppelung der Genital- organe, derart, dass der Uteruskörper vollständig getrennt, während ein äusserlich einfaches Collum durch eine mediane Scheidenwand ebenfalls in 2 Höhlen geschieden war. Ausserdem bestand ein Scheidenseptum. Man durfte annehmen, dass die Kinder in jedem der beiden halbent- wickelten Uteri nicht bis zum Ende der Tragzeit getragen werden konnten. Ich habe daher der Patientin, allerdings ohne ihr bestimmte Versprechungen machen zu können, aber als einzige Möglichkeit eine rationelle Therapie, die Verschmelzung der beiden Tragorgane zu einem einzigen vorgeschlagen. Diese Operation ist von Strassmann empfohlen und ausgeführt worden, hat aber, wie es scheint, bisher noch nicht viel Anklang gefunden. Ich habe das Scheiden- und Collumseptum vaginal exzediert, sodann per laparotomiam einen grossen Keil aus den beiden Uteri ausgeschnitten, so dass beide Höhlen breit eröffnet wurden und die Spaltung bis tief hinunter ging; dazu musste die Blase abgelöst werden und die Spitze des Keiles bis tief in das Oervixbindegewebe greifen. Die Blutstillung während der Exeision und Naht erfolgte wie beim Kaiserschnitt nach Möglichkeit durch Kompression der beiden Seitenkanten der Uteri. Die Nahtlinie hatte zum Schluss eine sehr grosse Ausdehnung; doch resul- tierte nahezu ein normal formiertes, ziemlich grosses, einfaches Organ. Der Verlauf war glatt, die Heilung erfolgte per primam intentionem. Ich habe dann von der Patientin 2 Jahre lang nichts gehört, bis ich durch einen ähnlichen Fall an sie erinnert, mich nach ihrem Ergehen erkundigen liess. Die Antwort lautete, es ginge ihr gut; sie wäre jetzt von neuem schwanger, und zwar über jene Zeit hinaus, zu der sie früher ihre Fehl- geburten gehabt hatte. Da sie nun in einem ganz kleinen Ort Polens wohnt, die Narbe zweifellos keine rein muskuläre, sondern hauptsächlich eine bindegewebige sein musste, und dadurch der Gefahr des Platzens an dem stark wachsenden und namentlich kreissenden Uterus ausgesetzt schien, liess ich sie nun dringend ersuchen, in der Klinik zu entbinden. Vor 9 Tagen ist die Geburt dieses über 6 Pfund schweren Kindes spontan und ausserordentlich leicht und schnell erfolgt; auch die Placenta löste sich von selbst und zeigte keinerlei Besonderheiten. Der Wochenbetts- verlauf war glatt, gestern schon hat Patientin meine Klinik verlassen. Nach dieser Erfahrung würde ich nunmehr an einen ähnlichen Fall mit mehr Zuversicht herangehen. Dazu bietet sich schon jetzt Gelegenheit, indem vor kurzer Zeit eine Entbindung bei doppeltem Uterus von uns beobachtet wurde, bei welcher es sich hochinteressanterweise um Zwil- linge, und zwar je ein Kind in je einem der ganz getrennten Uteri I. Abteilung. Medizinische Sektion. 57 handelte. Das eine lag in Querlage mit Nabelschnurvorfall vor Beginn der Geburt, das andere (zuerst geborene) hatte Placenta praevia. Beide waren lebensunfähig, und wiederum hatte auch diese Frau 3mal ihre Kinder nicht austragen können. Nach dem erfreulichen Resultate des soeben demonstrierten Falles halte ich mich berechtigt, auch dieser Patientin die operative Verschmelzung der Uteri vorzuschlagen, welcher sie sich in nächster Zeit unterziehen will. (Anmerkung bei der Korrektur: Ist inzwischen geschehen.) Tagesordnung. Hr. Coenen hält einen Vortrag über seine Tätigkeit und Erlebnisse während des Balkankrieges in Athen, wohin er mit einer Abordnung des deutschen Roten Kreuzes geschickt war. Er versorgte mit Dr. Thom und Dr. Cilimbaris (Athen) 2 Reservelazarette und demonstriert an Diapositiven und Röntgenbildern eine grosse Anzahl von wichtigen Kriegs- verletzungen, unter anderen diametrale und tangentiale Schädelschüsse, Rückenmarkschüsse, glatte Durchschiessungen des Thorax und Bauches, sehr oft mit Beteiligung des Armes, die häufigen Hand- und Waden- schüsse und schwere Kriegsphlegmonen und Erfrierungen. Aus den grossen Schlachten bei Sarantaporon, Elassona, Janitza, Bizani werden photographische Aufnahmen während der Schlacht demonstriert. Zum Schluss werden thebanische Knochen aus der Schlacht bei Chäronea gezeigt, an denen man noch die Spuren der makedonischen Waffen deutlich erkennen kann. Der Vortragende spricht seine Verwunderung darüber aus, dass die grossen kriegerischen Leistungen der Griechen hier zu Lande so wenig bekannt und sympathisch beurteilt wurden. Sitzung vom 4. Juli 1913. Vorsitzender: Herr A. Neisser. Schriftführer: Herr Ponfick. Vor der Tagesordnung. Hr. Fritz Heimann: M. H.! Die aufsehenerregenden Erfolge der Mesothorium- und Röntgenbehandlung beim Careinom sind in der letzten Zeit von der gesamten medizinischen Tagespresse und wiederholt Gegenstand lebhafter Erörterungen gewesen. Auch wir sind natürlich an der Klinik mit diesen Versuchen seit einer Reihe von Monaten be- schäftigt, und ich möchte mir erlauben, Ihnen zwei Patientinnen zu zeigen, die Ihnen ein Urteil über die Beeinflussung durch diese Therapie geben sollen. Ich möchte besonders hervorheben, dass die Befunde mit der grössten Vorsicht und Zurückhaltung aufgenommen werden müssen; auf die Gründe komme ich bald kurz zu sprechen. Aus den Krankengeschichten bitte ich nur folgendes bemerken zu dürfen. Beide Patientinnen sind 45 Jahre alt. Sie wurden am 3. bzw. 7. April d. J. wegen eines ÜCervixcarcinoms laparotomiert. Bei der Operation konnte folgender Befund erhoben werden. Das Carcinom (Fr. M.) ist bereits hinten nahe am Durchbruch oder sogar schon durch- gebrochen, die Parametrien sind stark infiltriert, daher ist eine Radikal- operation ausgeschlossen, das Abdomen wurde wieder geschlossen. Ein ähnlicher Befund wurde bei der anderen Patientin (Fr. W.) erhoben. Das linke Ligamentum latum stark infiltriert, das Careinom ebenfalls nahe am Durchbruch. Auch hier ist eine Radikaloperation nicht mehr möglich. Der Bauch musste wieder geschlossen werden. Selbst- 58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. verständlich handelt es sich bei beiden Patientinnen ausserdem um sehr jauchende, eiternde und stark blutende kraterförmige Primäraffekte. Aus diesem Grunde wurde bald nach der Operation mit der Strahlen- behandlung und zwar selbstverständlich mit der kombinierten Methode — Mesothorium und Röntgen — begonnen. Bis zum heutigen Tage haben diese Patientinnen ca. 6000 mg Lichtstunden Mesothor- und ca. 200 X-Röntgenstrahlen erhalten. Das Mesothorium, das hier in einer Menge von 30 mg in einer 0,2 mm dicken Silberkapsel eingesetzt wurde, wurde noch mit 2—4 mm dickem Blei gefiltert. Was den heutigen Befund anlangt — ich darf wohl bitten, dass die sich interessierenden Herren sich selbst im Nebenzimmer über- zeugen —, so sehen wir, dass Blutung und Ausfluss vollkommen auf- gehört haben. Wir finden eine völlig oder fast völlig epithelialisierte Portio, die selbst mit dem scharfen Löffel Gewebsfetzen kaum mehr ent- fernen lässt. Ueber den Zustand der Parametrien möchte ich mir zu- nächst kein Urteil erlauben. Natürlich ist von einer Heilung keine Rede, aber wir können uns auf Grund dieser Befunde selbstverständlich nicht der ausserordentlich günstigen Einwirkung der Strahlentherapie ver- schliessen. Ein mikroskopisches Präparat des Primäraffektes habe ich aufgestellt. Es ist bis jetzt keine Exzision mehr gemacht worden. Es wird dies noch geschehen; der Befund ist vorauszusehen, wir werden natürlich noch Krebszellen finden, die aber vielleicht von starken Binde- gewebszügen eingeschlossen sein werden. Wir stehen, wie gesagt, am Anfang unserer Versuche. Die nächsten Jahre müssen die Entscheidung bringen, welchen Wert die Strahlen für die Careinombehandlung haben werden (Demonstration zweier Patientinnen). Hr. Coenen demonstriert a) einen griechischen Hauptmann mit einem Schultergelenkschuss durch eine Mauserkugel, die er in der Schlacht bei Sarantaporon erhielt. Es bestehen jetzt die Zeichen einer traumatischen Osteomyelitis mit Fistel, so dass eine ausgiebige Frei- legung und Ausräumung des erkrankten Knochenmarkes und der Nekrosen nötig ist. Zu diesem Zwecke ist der Verwundete aus Athen hierher gekommen, ebenso wie b) ein griechischer Feldwebel mit einer traumatischen Jackson’schen Epilepsie infolge eines diametralen Schädelschusses durch ein S-Geschoss, das ihn vor dem Fort Bizani traf. c) Ein 8 Jahre altes Kind mit einer rechtsseitigen queren Wangen- spalte (Makrostomie) und Missbildung der rechten Ohrmuschel und Hypoplasie der ganzen rechten Gesichtshälfte (siehe Figur auf S. 59). Offenbar rührt diese Missbildung von ausgiebigen amniotischen Adhäsionen her, die sich auf der rechten Seite zwischen dem Ober- und Unterkiefer- fortsatz und an den Ohranlagen gebildet haben. Einen ähnlichen Fall stellte der Vortr. in der Berliner medizinischen Gesellschaft am 18. Januar 1905 vor!). Tagesordnung. Hr. Hürthle: Ueber elektrische Erscheinungen bei pulsatorischer Dehnung toter Arterien. Zu Beginn dieses Jahres (Sitzung vom 17. Januar) habe ich eine Reihe verschiedener Tatsachen mitgeteilt, welche übereinstimmend in dem Sinne gedeutet werden können, dass der Blutstrom durch aktive pulsatorische Tätigkeit der Arterien gefördert wird. Zu diesen Tat- sachen gehörte auch das Auftreten elektrischer Ströme an den Arterien im Rhythmus des Pulses, das als Zeichen aktiver Tätigkeit der Gefäss- 1) Diese Wochenschr., 1905, Nr. 5, S. 133. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 59 Quere Wangenspalte (Makrostomie) mit Missbildung des Öhres und Hypoplasie der rechten Gesichtshälfte. muskeln aufgefasst werden kann. Ich habe aber schon damals hervor- gehoben, dass es „nicht als sichergestellte angenommen werden kann, dass die Saitenbewegungen des Galvanometers durch Aktionsströme veranlasst sind“, und dass dies erst durch weitere Versuche entschieden werden muss. Von solchen Versuchen konnte ich leider bisher nur einen an- stellen, da mir ein brauchbares Saitengalvanometer nicht dauernd zur Verfügung stand. Trotzdem will ich diesen Versuch schon jetzt mit- teilen, da er positiv ausfiel, und da es von anderer Seite als erwiesen angesehen wird, dass die pulsatorischen elektrischen Erscheinungen Aktionsströme sind. Der Versuch war folgender: Von einem eben getöteten Hunde wurden die Carotiden auspräpariert und in ihren natürlichen Dimen- sionen an der Luft getrocknet. Drei Tage nach der völligen Trocknung wurde eine Carotis in Ringer’scher Lösung aufgeweicht und mit gewöhn- lichem Wasser pulsatorisch durchströmt. Bei der Ableitung von zwei Punkten der Oberfläche mit unpolarisierbaren Elektroden traten auch bier elektrische Schwankungen auf, ähnlich denen der lebenden und überlebenden Arterien und von gleicher Grössenordnung (Demonstration der Kurven). Da die Muscularis durch das Trocknen und Quellen als vollkommen abgetötet betrachtet werden darf, muss die Entstehung elektrischer Ströme bei der rhythmischen Durchströmung dieser Arterien durch physikalische oder physikalisch-chemische Ursachen veranlasst 60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. sein und gehört vermutlich in das Gebiet der elektro-osmotischen Er- scheinungen. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass die an den lebenden Arterien beobachteten elektrischen Schwankungen neben der physika- lischen noch eine physiologische Ursache haben, doch muss der Beweis hierfür erst durch weitere Versuche erbracht werden. Hr. L. Fraenkel: Ovulation, Menstruation, Conception und Schwangerschaftsdauer. Seit der durch des Vortragenden Experimente gewonnenen Erkenntnis, dass das Corpus luteum die prägraviden und prämenstruellen Verände- rungen auslöst. kann an einer zeitlichen Beziehung zwischen Ovulation und Menstruation nicht mehr gezweifelt werden. Vortragender hat unter 193 Laparotomien bei gesunden Genitalien (extragenitalen Tumoren, Hernien, Appendektomien, Sterilisierungsoperationen, Prolaps, Senkungen, Retrodeviationen) 60 mal ein ganz frisches Corpus luteum beobachtet, und zwar immer in der Mitte oder zweiten Hälfte des Intermenstruums, niemals während der Menstruation. Diese Beobachtung wird bestätigt durch gleich oder ganz ähnlich lautend auch mikroskopische von Villemin, John Miller, Seitz, Schröder, Robert Meyer, Ruge. Demnach findet die Ovulation etwa in der Mitte von zwei Menstruationen statt, da zwischen Ovulation und Corpus luteum-Bildung bekanntlich nur wenige Tage liegen. Die Conception könnte nun trotzdem erst nach der nächsten Men- struation erfolgen. Diese Möglichkeit, die wenig Wahrscheinlichkeit hat, wird durch folgende Beobachtungen widerlegt: Wenn man zwei Gruppen von Frauen, die nach einer längeren Amenorrhöe- zeit concipieren, miteinander vergleicht und zwar die- jenigen, die ohne jede Menstruation schwanger werden, und solche, die nach einer einzigen Menstruation concipieren, So kann die erste Gruppe nur nach der Ovulation und vor der Menstruation gravid geworden sein, während die zweite Gruppe verschiedene Fälle einschliessen wird, nämlich eben- falls solche, die nach der Ovulation, und zwar nach der zweiten Ovulation coneipiert haben, und eventuell solche, die wirklich gleich nach der Menstruation befruchtet worden sind. Obwohl nun in die zweite Gruppe alle nur denkbaren Spielweiten und Distanzen zwischen Tastbefund und Anamnese mit hineingenommen wurden, um die Statistik in keiner Weise zu beeinflussen, so hat den- noch die erste Gruppe, die keinen einzigen zweifelhaften Fall enthalten kann, mehr als doppelt so viele Fälle auf- gewiesen (74:35). Daraus kann man schliessen, dass im all- gemeinen nach der ÖOvulation die Conception stattfindet; da sie nun, wie F. ausführte, ungefähr in die Mitte des Intermenstruums fällt, so ist die Schwangerschaftsdauer 10—14 Tage kürzer, als bisher allgemein berechnet wurde. (Erscheint ausführlich in der Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynä- kologie.) Sitzung vom 17. Oktober 1913. Vorsitzender: Herr A. Neisser. Schriftführer: Herr Tietze. Hr. Coenen demonstriert die beiden am 4. Juli 1913 vorgestellten griechischen Soldaten aus dem ersten Balkankrieg in geheiltem Zustande (s. diese Wochenschr., 1913, Nr. 34). a) Ein griechischer Hauptmann hatte in der Schlacht bei Saranta- I. Abteilung. Medizinische Sektion. 61 poron beim Angriff auf die türkische Artillerie und Maschinengewehr- abteilung von seinen 62 Mann 50 verloren und selbst einen Schuss in das Schultergelenk bekommen. Es hatte sich eine traumatische Osteo- myelitis des oberen Humerusteiles entwickelt, die eine Fistel hinterliess. Zur Heilung war eine ausgiebige Freilegung und Säuberung der grossen Knochenhöhle mit Abflachung der Knochenränder nötig, damit die Weich- teile sich hineinziehen konnten. Jetzt ist der Patient ausgeheilt und die Bewegung des verletzten Armes gelingt, obwohl ein Gelenkschuss vorlag, doch bis zur Horizontalen. b) G. Ph., 27 Jahre alter, griechischer Feldwebel der 1. Batterie. des 2. Artillerieregiments, verwundet am 20. Dezember 1912 vor dem Fort Bizani (Epirus) durch ein S-Geschoss, welches hinter der linken motorischen Region in den Schädel einschlug und den linken Scheitel- lappen, rechten Hinterhauptslappen und die rechte Kleinhirnhemisphäre durchbohrte und dann in den rechtsseitigen Nackenmuskeln liegen blieb. Ein Vierteljahr später entwickelte sich eine traumatische Epilepsie von Jakson’schem Typus, die in der rechten Hand begann, auf den Arm, dann auf das gleichseitige Bein und den gleichseitigen Facialis über- ging. Diese Anfälle wiederholten sich jeden Monat in typischer Weise, bis zum Juli d. J. fünfmal. Am 8. Juli 1913 wurde der Patient in der Breslauer chirurgischen Klinik, die er inzwischen aufgesucht hatte, trepaniert (Prof. Coenen). An der Einschussstelle fand man eine dicke callöse Duranarbe, die mit der Hirnrinde und dem Knochen fest ver- wachsen war. Es folgte die Ausschneidung der ganzen callösen Dura und die freie Transplantation eines handtellergrossen Fascien- lappens vom Oberschenkel. Nach diesem Duraersatz trat kein Anfall mehr auf, so dass der Patient jetzt gerade so lange von den epi- leptischen Anfällen befreit ist, wie diese vorher bestanden haben (ein Vierteljahr). Hr. €. Bruck: Neue therapeutische und diagnostische Methoden bei Gonorrhöe und ihre Komplikationen. (Ist anderweitig erschienen.) Sitzung vom 31. Oktober 1913. Vorsitzender: Herr A. Neisser. Schriftführer: Herr Tietze. Vor der Tagesordnung. Hr. Renner: Uebergrosse Mammatumoren bei einer Jugendlichen. Vortr. demonstriert die Präparate eines Falles von Mammahyper- plasie, der in dreifacher Hinsicht von hohem Interesse ist. Die Patientin war erst 15 Jahre, die Hyperplasie betraf beide Mammae und war eine aussergewöhnlich hochgradige. Die abnorme Entwieklung begann bei der Patientin, in deren Familien- und persönlicher Anamnese nicht die geringsten Anhaltspunkte nachweisbar waren, vor einem Jahre und wurde im letzten halben Jahre exzessiv. Patientin kam selbst mit dem Wunsch, von den sie ausserordentlich belästigenden Geschwülsten radikal befreit zu werden. Die Amputation gelang sehr leicht; die linke Brust wog 3300, die rechte 2500 2. AR Sonstige Entwicklungsstörungen fanden sich bei der Patientin nicht; sie war aber noch nicht menstruiert. Es handelte sich um eine bindegewebige Hyperplasie mit teilweiser hyaliner Entartung. 62 Jahresberieht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Hr. Coenen erstattet Bericht über die von ihm von Breslau aus im Auftrage der Königin Sophie von Griechenland organisierte Hilfs- expedition für den zweiten Balkankrieg, die mit den Aerzten Dr. S. Weil- Breslau, Privatdozent Dr. Brandes-Kiel, Dr. Hauke-Breslau und Dr. Cilimbaris-Athen am 18. Juli 1913 in Saloniki das Hospital des Roten Halbmonds bezog und hier bis zum 26. August 1913 wirkte. Da der zweite Balkankrieg den Griechen gleich in den ersten Tagen 10 000 Verwundete brachte, und da der Krieg in Saloniki eröffnet wurde und die erste grosse Areitägige Schlacht bei Kilkis und Lachanä in der Nähe von Saloniki fiel, so waren alle Hospitäler mit frischen Ver- wundeten überfüllt. Im Hospital des Roten Halbmonds lagen die Kopf- schüsse und Bauchschüsse reihenweise nebeneinander. Während von den letzteren nur ein Soldat, der in das Colon pelvinum getroffen war, an Peritonitis zugrunde ging, die übrigen aber heilten, starb von den Kopf- schüssen etwa die Hälfte an Hirnabscess oder Meningitis. Von diesen waren allerdings die meisten vorher von anderer Seite trepaniert worden. Unter den Weichteilschüssen, von denen die meisten komplikationslos und ohne Eiterung heilten, zogen einige die Aufmerksamkeit durch die lang andauernden Schmerzen auf sich. In solchen Fällen findet man in der Regel eine grössere Arterie verletzt, und es kann sich mit der Zeit ein Aneurysma bilden. Es ist daher wichtig, bei Weichteilschüssen mit starkem Hämatom und besonders hervorstechenden Schmerzen auf die Entwicklung eines Aneurysmas zu fanden. Zwei Patienten hatten je einen Schuss durch die vordere Achselfalte, der jedoch bei dem einen um einige Millimeter tiefer lag. Bei diesem entwickelte sich ein Aneu- rysma der Arteria axillaris mit Radialislähmung, bei letzterem nur diese, weil das Geschoss etwas höher eingeschlagen und so die Arterie verschont hatte. Das Axillaraneurysma des ersteren Verwundeten wurde exstirpiert und die dadurch verlorengegangene Gefässstrecke durch ein mit der Gefässnaht eingepflanztes Stück der Vena saphena über- brückt. Ein Patient mit einer schrägen Durchschiessung des Rumpfes und Öberschenkels, in dessen Schusskanal der Musculus ileopsoas lag, hatte alle klinischen Zeichen des Psoashämatoms, wie es in typischer Weise bei starken Traumen auf hämophiler Grundlage gesehen wird. Bei einem anderen Soldaten hatte eine krepierende Granate eine Hand abgerissen und ausserdem den grössten Teil der Bauchmuskulatur bis auf das Peritoneum abgeschält, so dass die Bauchhöhle nur von dem schlaffen Sack des granulierenden Peritoneums umschlossen war. Bei den Blasenschüssen brauchte eine besondere Wundbehandlung nicht angewendet werden, der Katheter fiel, wenn möglich, fort, denn die Blasenwunden schlossen sich von selbst, selbst wenn ein Teil der Sym- physe und vorderen Bauch- und Blasenwand mit fortgerissen war und der ganze Urin aus der Ausschusswunde am Rücken ausfloss. Von den traurigen Rückenmarksschüssen gingen die meisten an schwerem Deecubitus, Infektion der Harnröhre und Eiterfieber zugrunde. Operativ angegriffen wurde keiner dieser Patienten. In den letzten Schlachten des Krieges, vor allen Dingen nach der Schlacht bei Dzumajä, häuften sich die schweren Kopfverletzungen mit starken Zerreissungen der Weichteile, Zerstörungen der Augen und vollständigen Zerschmetterungen der Kiefer und Orbitalwandungen. Diese schweren Zertrümmerungswunden waren offenbar in vielen Fällen durch Steine geschlagen worden, indem die streitenden Parteien bei Dzumajä mit Steinen aufeinander losgingen, als ihnen die Patronen ausgegangen waren. Handschüsse wurden in diesem Kriege nach dem Material des deutschen Hospitals weniger oft gesehen, als im ersten Balkankrieg in Athen. Unter ihnen waren einige Selbst- schiesser, aber im Vergleich zu den übrigen Schussverletzungen der Extremitäten wenig. Obwohl die Cholerakranken in der Regel nicht bis I. Abteilung. Medizinische Sektion. 65 nach Saloniki transportiert wurden, sondern in den Feldlazaretten blieben, so brach doch die Cholera wiederholt bei Verwundeten des Hospitals vom Roten Halbmond aus. Auffallend war bei diesen Patienten, von denen einer schon eine Woche im Hospital war, der plötzliche Ver- fall der Gesichtszüge, die Eintrocknung und die subnormale Temperatur. Im Feldlazarett zu Demir Hissar starben von 354 Cholerakranken 20 pCt. Von den Toten war die Hälfte nicht geimpft, ein Drittel nur einmal und ein Sechstel zweimal vaceiniert worden. Die Cholera- vaccination verleiht also einen guten, aber nicht absoluten Schutz. Er- staunlich ist, wie Verwundete trotz schwerer Verletzungen sich noch stundenweit zurückziehen können. Beispielsweise wich ein griechischer Neger aus Kalamata (Peloponnes) nach einer schweren Schusswunde des Unterschenkels mit Zersplitterung des Wadenbeins, auf dem Gesäss und auf den Händen rutschend, über. 5 Stunden zurück. Auch in diesem Kriege hat der Vortragende wieder die Beobachtung gemacht, dass der Prozentsatz fortschreitender Phlegmonen bei guter Wundbehandlung gering war, obwohl es sich doch um meist schwere und frische Schuss- verletzungen handelte, welche in den ersten Schlachten von der mazedonischen Ebene direkt nach Saloniki hereingetragen wurden, und obgleich später aus dem Strumatal die Verwundeten schon nach 3 bis 4 Tagen, oft auch noch eher ankamen. Unter 800 Verwundeten brauchte doch nur im ganzen dreimal eine grössere Amputation gemacht werden. Die meisten aller Schussverletzungen heilten, wenn sie regelmässig und sauber verbunden und ausgiebig geschient wurden, ohne jeden Zwischen- fall. In einem Falle, nach einem Weichteilschuss des Unterschenkels, trug die Phlegmone ausgesprochenen gangränösen Charakter, die Muskulatur wurde schwarz und weich wie Butter ohne jede Eiterung, aber unter allgemeinen septischen Erscheinungen und septischem Ieterus. Die hohe Oberschenkelamputation erhielt den Patienten am Leben. Im ganzen betrug die Mortalität noch nicht 1 pCt. Da auch in anderen Hospitälern und auch in vielen Krankenhäusern des ersten Balkankrieges nach den Mitteilungen der schwedischen Roten Kreuz - Expedition die Mortalität nicht viel höher war, da aber die Verluste der Griechen, namentlich im letzten Kriege, sehr gross waren, so muss man schliessen, dass der Tod auf dem Schlachtfelde dort, wo noch keine geregelte ärztliche Tätigkeit sich entfalten kann, enorm aufräumt, dass aber diejenigen, die zurücktransportiert werden, in der Regel am Leben bleiben. > Die kriegschirurgische Tätigkeit ist ausserordentlich dankbar und einfach und setzt vor allem eine gute und geregelte Verbandtechnik mit grossen Verbänden und ausreichenden Schienungen voraus, während die operative Tätigkeit eine untergeordnete Rolle spielt. In der Schienung der Extremitätenschüsse blieb aber im allgemeinen zu wünschen übrig, indem die meisten Schussfrakturen, insbesondere die schweren Ober- schenkelschüsse, ohne Schiene und mit viel zu kleinen notdürftigen Ver- bänden übernommen wurden, während fast alle Schädelschüsse trepaniert waren und im ganzen nicht günstig verliefen. Die Tätigkeit der deutschen Aerzte fing daher damit an, dass in den ersten Tagen von morgens bis abends gegipst wurde, um die vielen Oberschenkelbrüche, die sich bereits im Hospital befanden, etwa 40—50, zu immobilisieren. Der Hauptwert der kriegschirurgischen Tätigkeit liegt eben nicht in der operativen Seite der ärztlichen Tätigkeit, sondern in der Versorgung der Wunden, in der Verbandtechnik und in der Organisation, die den Massentraumaticismus in geregelte Wege leiten muss. Was die freiwillige Krankenpflege im Kriege betrifft, so hat der Vortragende bei den Griechen damit die besten Erfahrungen gemacht, und die deutschen Aerzte haben die-Dienste der vaterländischen Frauen 64 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. und Mädchen in Saloniki sehr gern angenommen und wären ohne deren Hilfe wohl kaum in den ersten Tagen fertig geworden. In diesem Kriege war die Zahl der Verwundeten gleich von Anfang an ungewöhn- lich gross. Die ausländischen Expeditionen vom Roten Kreuz konnten nicht gleich zur Stelle sein, und die einheimischen Berufsschwestern reichten bei weitem nicht aus. So war es ein dringendes Bedürfnis, das die griechischen Frauen und Mädchen erfüllten, als sie sich in den Dienst der Verwundeten stellten. Diese Erfahrung, dass anfangs im Kriege alle Hilfsmittel fehlen, dass aber einige Wochen später, wenn die fremdländischen Roten Kreuzabordnungen eingetroffen sind, oft ein Ueberfluss daran vorhanden ist, dürfte in jedem Kriege gemacht werden. Man wird daher niemals ohne die freiwillige Krankenpflege auskommen und deren Hilfeleistung, besonders in den ersten Tagen und Wochen, dankbar annehmen, zumal, wenn sie sich in solch sachlichen Grenzen hält, wie in Griechenland, wo die freiwillige Krankenpflege der Ausdruck war der allgemeinen panhellenistischen Volksbewegung am Mittelmeer. Diskussion. Hr. Küttner bestätigt die Uebereinstimmung der vom Vortragenden mitgeteilten kriegschirurgischen Beobachtungen mit seinen eigenen in der Türkei, in Südafrika und Ostasien gemachten Erfahrungen. Die vom Vortragenden betonte günstige Prognose der Bauchschüsse war die auf- fälligste Beobachtung des Burenkrieges; sie kontrastierte mit allen früheren Erfahrungen, so auch mit denen des Redners in dem noch mit Blei- geschossen geführten griechisch-türkischen Kriege 1897. So günstig aller- dings, wie es nach den in den Lazaretten erzielten Resultaten scheint, ist die Prognose der Bauchschüsse nicht, denn der Prozentsatz der an diesen Verletzungen, vor allem durch Verbluten, auf dem Schlachtfelde und bald nachher Sterbenden ist ein recht hoher. Leider ist die recht- zeitige Laparotomie nicht durchführbar. Was die Häufigkeit der Hand- schüsse anlangt, so ist sie eine, jedem Kriegschirurgen geläufige Er- scheinung. Die Nahschüsse sind fast stets auf „Selbstschüsse“ zum Zweck künstlicher Invalidisierung zurückzuführen, sie waren in Südafrika auf burischer Seite ganz besonders häufig. Auch die Nahschüsse durch das dicke Muskelfleisch der Wade haben meist diese Aetiologie. Redner be- richtet über zwei Fälle, in denen die Selbstschiesser von der schweren, aber gerechten Strafe ereilt wurden, denn der eine taxierte die Lage des Oberarmknochens falsch und kam so um seinen Arm, der andere aber durchschoss sich die Art. femoralis, nachdem er das Bein zur Vermei- dung der Pulververbrennung mit einem Sack umwickelt hatte, und ver- blutete in wenigen Minuten. Im Anschluss an die Bemerkungen des Vortragenden über Blasenschüsse berichtet Redner, dass am Paarde- berge auf burischer Seite eine Häufung dieser Verwundungen beobachtet wurde. Das Rätsel löste sich nach der Kapitulation: die auf englischer Seite kämpfenden freiwilligen kolonialen Scharfschützen hatten einen Sport daraus gemacht, den zum Urinieren austretenden Buren nach dem Penis zu schiessen. Königsfeld: Ki pertimantelle Untersuchungen über die Entstehung von Geschwulst- metastasen.!) Von manchen Pathologen wird immer noch jede Analogie zwischen den Mäusegeschwülsten und der Krebskrankheit des Menschen abgelehnt. Als Hauptunterschied wird angeführt, dass die ersteren nicht infiltrierend wachsen und keine Metastasen bilden. Ein deutliches infiltrierendes 1) Die Untersuchungen werden ausführlich im Centralbl. f. Bakteriol. veröffentlicht. ra 322 4 I. Abteilung. Medizinische Sektion. 65 Wachstum ist bei subeutaner Impfung allerdings nicht festzustellen, wohl aber, wenn der Tumor in das Innere parenchymatöser Organe geimpft wird. Auch Metastasen wurden von verschiedenen Autoren beobachtet. Der Vortragende sah ebenfalls bei drei verschiedenen Mäusetumoren öfter makroskopische Metastasen spontan auftreten. Relativ häufig sind nach neueren Untersuchungen, besonders von Borrel und Haaland, mikroskopische Metastasen zu finden, die sich nicht zu makroskopischen Metastasen entwickeln. Als Grund für dieses Verhalten nimmt Vortr. an, dass zwischen den embolisch verschleppten Geschwulstzellen und den Abwehrstoffen des Körpers ein Kampf stattfindet. Der Organismus unterliegt in diesem Kampfe, wenn er geschwächt ist, oder wenn die verschleppten Zellen besonders bösartig sind. Es müsste dann möglich sein, durch elektive Weiterimpfung von spontan aufgetretenen Metastasen cinen Tumor zu gewinnen, der besonders bösartige Zellen enthält und in einem hohen Prozentsatz Metastasen bildet. In drei Versuchsreihen mit 40 Mäusen und 2 Tumorstämmen wurden spontan aufgetretene Me- tastasen subcutan verimpft: 8 Tiere starben interkurrent in den ersten Tagen nach der Impfung, bei einem Tier ging der Tumor nicht an und von den anderen öl Tieren wiesen 21 Metastasen in den Lungen und manchmal auch in deu Bauchorganen auf. Das Wachstum der Metastasen . ist infiltrierend. Histologisch zeigen die Metastasen den gleichen Zell- aufbau wie der Primärtumor. Diese Anschauung über die Entstehung der Metastasen bildet eine weitere Analogie zwischen den Mäusegeschwülsten und den menschlichen Krebsen: gerade Tumoren, die sehr virulente Zellen enthalten, neigen zur Metastasenbildung, im Gegensatz zu der Theorie der athreptischen Immunität von Ehrlich, nach der gerade das Fehlen von Metastasen das Zeichen eines besonders bösartigen Tumors sein soll, während nur relativ gutartige Tumoren Metastasen bilden können. Diskussion: Hr. Henke spricht über die Analogie des Mäuse- krebses mit dem menschlichen Careinom. Sitzung vom 7. November 1913. Vorsitzender: Herr A. Neisser. Schriftführer: Herr Partsch. Vor der Tagesordnung widmet der Vorsitzende Worte ehrenden Ge- denkens dem verstorbenen Sekretär der medizinischen Sektion und General- sekretär der Gesellschaft, Herrn Geheimrat Prof. Dr. E. Ponfick. Hr. Simon: Die Behandlung der inoperablen malignen Geschwülste. Hr. Weckowski: Ueber Radiumbehandlung maligner Geschwülste. (Beide Vorträge erscheinen im II. Teil.) Die Diskussion wird vertagt. Sitzung vom 14. November 1913. Vorsitzender: Herr A. Neisser. Schriftführer: Herr Partsch. Diskussion zu den Vorträgen der Herren Simon und Weckowski: Behandlung maligner Geschwülste. Die Diskussionsbemerkungen des Herrn Kuznitzky sind im II. Teil abgedruckt. Hr. Lange: M. H.! Zu den Ausführungen des Herrn Wegkowski möchte ich bemerken, dass es zwar sehr wünschenswert ist, möglichst Schlesische Gesellsch. f. vaterl, Kultur. 1913. I. 5 ‘66 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. grosse Mengen radioaktiver Substanzen zu besitzen, dass aber infolge der durch die grosse Nachfrage gesteigerten Anschaffungskosten dies nur wenigen vergönnt ist. Wir müssen der Röntgentherapie den gleichen Rang einräumen und dürfen nicht einseitig nur die Vorzüge des Meso- thoriums und Radiums preisen. Da wir aber beiden Strahlungsarten gewisse qualitative und quantitative Unterschiede zugestehen müssen, werden wir sie mit Erfolg kombiniert verwenden können, und, wenn wir noch die Operation hinzunehmen, werden wir jetzt eine Methode zur Behandlung maligner Tumoren baben, die uns gegen früher grössere Erfolge bringen wird. In diesem Sinne werden in der hiesigen Ohren- klinik die malignen Tumoren der Nase und ihrer Nebenhöhlen, des Rachens und des Kehlkopfes einer kombinierten Behandlung unter- worfen. Die Röntgenbestrahlung wurde in der hiesigen Hautklinik von Herrn Kuznitzky in liebenswürdiger Weise vorgenommen. Ebenso wurden uns des öfteren nachts 55 mg Mesothorium von der Hautklinik bereitwilligst überlassen. Zur intralaryngealen und intranasalen Meso- thoriumbestrahlung wurden die der Ohrenklinik gehörigen 5 mg ver- wendet, wo auch die operativen Eingriffe stattfanden. So glänzende Resultate, wie sie der Herr Vorredner bei malignen Hauttumoren zu verzeichnen hat, können wir freilich nicht aufweisen. Denn erstens haben wir alle Fälle der Bestrahlung unterworfen, bei denen wir selbst von vornherein keine Hoffnung auf Erfolg hatten. Zweitens haben die Tumoren, wenn sie in unsere Behandlung kommen, leider meist eine solche Ausdehnung und schwierige Zugänglichkeit in ihren letzten Ausläufern, da sie infolge ihrer anatomischen Lage zu Nachbarorganen, grossen Gefässen und Nerven in unliebsame Be- ziehungen treten, dass eine totale operative Entfernung häufig nicht möglich ist. Und drittens, m. H., nicht alle Tumoren von gleichem klinischen und histologischen Befunde reagieren günstig auf Bestrahlung. Woran das liegt, wissen wir nicht; wir können es auch bis jetzt einem Tumor nicht ansehen, ob der sich unter Bestrahlung zurückbilden wird oder nicht. Ich halte es für wichtig genug, nochmals auf diesen Um- stand hinzuweisen. Von den 11 Fällen, die wir im letzten 3/, Jahr länger behandelt haben — von denen, die sich kurz nach Einleitung der Behandlung dieser aus irgendwelchen Gründen entzogen haben, kann natürlich nicht die Rede sein —, konnten wir in fünf Fällen trotz Operation, Be- strahlung, intravenöser Verabreichung von Arsacetin und Thorium X keinen Erfolg erzielen. Ein Sarkom des Öberkiefers reagierte im Gegen- teil mit einem ganz rapiden Wachstum, ein Verhalten, wie es auch Czerny und Caan erwähnen. Ein Oberkiefercarcinom, das schon in das Siebbein gewuchert war und das Nasenseptum perforiert hatte, ist augenblicklich ohne makro- skopisch nachweisbaren Tumor, im klinischen Sinne geheilt, während ein Parallelfall trotz intensiver Bestrahlung von einem wahrscheinlich bei der Operation zurückgebliebenen Tumorrest ein schnell wucherndes Recidiv bekam, dem gegenüber wir vollständig machtlos waren. Die übrigen Fälle weisen eine ganz wesentliche Besserung auf; ob wir bei allen vollständige Heilung erzielen werden, ist zweifelhaft. Jedenfalls waren es teilweise so trostlose Fälle, aie in früheren Zeiten schon längst ad exitum gekommen wären. Dass wir diesen Patienten das Leben verlängert haben, ist immerhin gegen früher schon ein Gewinn, M. H., wir sind uns der Grenzen der Strahlentherapie wohl bewusst und stehen daher auf dem Standpunkt, dass operable Tumoren unseres Spezialgebietes stets operativ angegriffen werden müssen. Während der Nachbehandlung aber, auch wenn die totale Entfernung geglückt ist, I. Abteilung. Medizinische Sektion. 67 setzt die Strahlenbehandlung ein, die auch fortgesetzt wird, wenn klinische Heilung eingetreten ist. Inoperable Tumoren oder solche, die aus anderen Gründen nicht operiert werden können, unterwerfen wir gleich der Strahlenbehandlung und haben damit in einem Fall eine derartige Verkleinerung des Tumors erreicht, dass wir dann noch operiert haben. Die Patientin kam mit einem Carcinom zu uns, das in der Mundhöhle die linke Hälfte des harten Gaumens in eine über 1 cm dicke Tumorenmasse verwandelt hatte. In der Nase sah man links unter der Mitte der unteren Muschel einen Tumorzapfen, die faciale linke Kieferhöhlenwand war stark ver- dünnt und federte auf leichten Druck hin, unterhalb des inneren Augenwinkels fand sich ein mit dem Tumor in Verbindung stehendes fistelndes Ulcus. Unter kombinierter Röntgen- und Mesothoriumbehand- lung schloss sich diese Fistel, der Knochen wurde wieder fest, in der Nase verschwand der Tumor, und die Geschwulst im Munde wurde kleiner. Eine Drüse am Halse verkleinerte sich ebenfalls und ist jetzt geschwunden. Bei der Operation wurde die Nase durch einen Schnitt vom linken inneren Augenwinkel bis zum Nasenflügel aufgeklappt und von hier aus parallel dem Lippenrand ein Schnitt nach der Wange zu geführt ohne Eröffnung der Mundhöhle, um die Wangenweichteile zurück- klappen zu können. Diese wurden umgeschlagen, durch Naht fixiert. Nach Entfernung der bis ins Siebbein reichenden Tumormassen entstand dann eine grosse Höhle, in die die Lokalisatoren zur Röntgenbestrahlung und die Mesothoriumkapseln bequem eingeführt werden konnten. Nach beendigter Bestrahlung wurde die Wunde sekundär durch Naht ge- schlossen. Ich habe vor einigen Tagen zwei Probeexzisionen an Stellen gemacht, denen Tumor vorher aufsass, und habe keine Tumorzellen mehr gefunden, womit natürlich nicht ausgeschlossen ist, dass sich anderswo doch noch solche befinden. Jedenfalls geht es jetzt der . eigentlich verlorenen Patientin gut und wir wollen hoffsn, . dass der Er- folg noch recht lange anhalten wird. Das, was wir in diesem Falle erreicht haben, ist aber nur dem Umstand zu verdanken, dass wir einen Tumor vor uns hatten, der sich günstig durch Bestrahlung beeinflussen liess. Weitergehende Schlüsse daraus ziehen, dürfen wir nicht. Die Diskussionsbemerkungen des Herrn Heimann sind im II. Teil abgedruckt. Hr. Tietze: M. H.! Sie haben aus dem Vortrage von Herrn Simon gehört, dass wir uns Mühe gegeben haben, die modernen Be- handlungsmethoden bösartiger Geschwülste möglichst gründlich zu er- lernen. Trotzdem sind die Erfahrungen, die ich mit der im Vordergrund stehenden Bestrahlungstherapie maligner Tumoren gemacht habe, im grossen und ganzen durchaus traurige. Allerdings beziehen sich die- selben hauptsächlich auf Röntgenanwendung, da die Menge des uns zur Verfügung stehenden Mesothoriums zurzeit gering ist. Wohl kenne ich aus eigener Anschauung sowohl wie aus der Literatur Fälle genug, die geheilt schienen oder gebessert waren, aber das hat an dem Gesamt- eindruck nichts geändert. Und ich muss hinzufügen, dass ich auch Gelegenheit gehabt habe, das Schicksal von Patienten zu beobachten, welche gerade an den zurzeit führenden Instituten behandelt worden sind. Der Erfolg ist aber in diesen Fällen wenigstens um nichts besser geworden als bei den von uns behandelten. Ich kann auch nicht sagen, dass ich von den Resultaten von Herrn Weckowski einen sehr günstigen Eindruck empfangen habe, obgleich ich dessen Bemühungen, über die ich noch sprechen werde, natürlich in keiner Weise herabsetzen will, aber eigentlich waren es doch nur zwei Fälle, das Mammacareinom von Herrn Winkler und der Parotistumor von Herrn Küttner, 5* 68 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. in denen wirklich bemerkenswerte Erfolge erzielt worden sind. Ich meine, wir müssen das bei aller Wertschätzung persönlicher Leistungen doch ganz schonungslos feststellen, weil wir uns selbst Rechenschaft über die augenblickliche Leistungsfähigkeit der Metbode abzulegen, und weil wir auch eine ernste Pflicht gegenüber Aerzten und Laien zu er- füllen haben. Es ist, zum Teil genährt durch eine kritiklose Publizistik, vor allen Dingen der Tagespresse, ein solcher Optimismus eingerissen, dass ein Rückschlag, vielleicht im Sinne einer völlig verzagten Resignation, gar nicht zu vermeiden ist. Das Wort „unheilbar“ wird gegenüber dem Krebsleiden von Laien zurzeit gar nicht mehr anerkannt, und wenn man bei diesen Unglücklichen das verzweifelte Auflehnen gegen ein un- erbittliches Schicksal verstehen kann, so ist es viel schwerer wiegend, dass auch viele Aerzte die ruhige Kritik in dieser Frage vollkommen verloren haben. Das betrachte ich als eine grosse Gefahr, auch gegen- über der Methode, weil dadurch deren ruhige und überlegte Aus- gestaltung, überhaupt die wissenschaftliche Arbeit gestört wird. Nun ist allerdings gegen meine eigene Statistik mancherlei einzuwenden: Erstens bekommen wir oberflächlich gelegene Tumoren des Integuments, z. B. Hautcarcinome, welche für die Bestrahlungstherapie vielleicht be- sonders geeignet sind, relativ selten zu Gesicht, und dann habe ich überhaupt alle Tumoren, welche dem Messer zugänglich waren, auch sofort operiert. Dabei ist gewiss mancher Fall mit untergelaufen, der auch auf nichtoperativem Wege hätte geheilt werden können. Solange aber die Resultate der Bestrahlungstherapie noch so unsicher sind, halte ich mich für verpflichtet, diejenige Behandlungsmethode zu wählen, die vorläufig noch die schnellste und sicherste Heilung verspricht. Und meine Anschauungen sind nicht nur theoretischer Natur. Zweimal habe ich in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt, Cancroide der behaarten Kopfhaut zu exstirpieren, welche monatelang, der eine sogar annähernd 2 Jahre, von durchaus kompetenten Sachverständigen mit Röntgen be- strahlt worden waren. Der eine der beiden Tumoren hatte bereits das Periost ergriffen, der zweite zeichnete sich durch seine Grösse aus: er war über handtellergross. In beiden Fällen brachte die Operation in kurzer Zeit Heilung, welche in dem einen Falle über 2 Jahre als dauernd konstatiert ist, während wir von der anderen Patientin nichts mehr gehört haben; sie hat sich aber auch nicht mehr als krank ge- meldet. Wenn man bedenkt, dass diese durch Bestrahlung nicht ge- heilten Patienten ihr Careinom noch jahrelang weitergetragen haben, so muss man die Behandlungsmethode in diesen Fällen als direkte Gefahr bezeichnen, und die Berechtigung, Bestrahlungstherapie bei an sich operablen Tumoren anzuwenden, ist meines Erachtens nur dann gegeben, wenn erfahrungsgemäss diese Tumoren nur langsam wachsen und keine grosse Neigung zu Metastasen haben. Zu dieser Gruppe gehören aller- dings die Cancroide der ebengenannten Art. Eine zweite Berechtigung, die Operation abzulehnen oder diesen Versuch zu wagen, liegt in der eventuellen Gefahr einer Verstümmelung, so z. B. bei den Carcinomen der Augenwinkel, in der Nähe des Tränenapparats. Ich glaube aber, dass in erster Linie die Rücksicht auf die Heilbarkeit und nicht die Kosmetik stehen soll. Ob diese Anschauungen zu modifizieren sind, wenn wir über Radium oder Mesothorium grössere Erfahrungen besitzen, weil dadurch die Be- strahlungszeit vielleicht abgekürzt wird, lasse ich dahingestellt. Es kommt noch hinzu, dass die Methode an sich nicht ganz harmlos ist. Fälle von Carcinomentwicklung sind zu bekannt, als dass sie noch besonders erwähnt zu werden brauchten; ich habe aber neuerdings auch ein Spindelzellensarkom beobachtet, das aus einer hypertrophischen Narbe, einem Keloid, nach Bestrahlung mit Quarzlampe seitens -eines I. Abteilung. Medizinische Sektion. 69 hervorragenden Spezialisten entstanden und mir von diesem zur Operation zugesandt war. Herr Simon wird diesen meines Erachtens sehr bedeutungsvollen Fall ausführlich publizieren. Ich persönlich beschränke also die neuen Methoden nur auf inoperable Tumoren und will da keinen Augenblick leugnen, dass sie einen grossen Fortschritt bedeuten, wenn ich auch selbst sehr wenig von Erfolg gesehen habe, denn gegen unsere Misserfolge kann man immer noch einwenden, dass uns nicht genügende Mengen radioaktiver Substanzen zur Verfügung gestanden haben. Die beiden von Herrn Wesgkowski in Moulagen gezeigten Fälle, mögen sie auch vereinzelt sein, ermutigen doch sehr, und dasselbe lehrt die Literatur. Schliesslich habe ich auch selbst zwei Fälle Herrn Wegkowski zugewiesen, ein operables Mamma- und ein ebensolches Rectumcarcinom, bei welchen sich die Behandlung sehr wirksam gezeigt hatte, wenn auch Heilung nicht erfolgt war. Ich erinnere auch an den Fall von Mammacareinom, den Kolaczek in dieser Gesellschaft einmal hatte ‚vorstellen lassen, in dem unter Röntgen zahllose Metastasen fast völlig verschwunden war. Ich glaube also, dass der ruhig abwägende Standpunkt des Herrn Simon der einzig richtige ist; wir hoffen viel von der Methode, aber wir überschätzen sie nicht; auf operable Tumoren wenden wir sie nur unter bestimmten Voraussetzungen an. Hr. Küstner: Ich möchte die Vergunst eines Wortes nur benutzen, um eine Aeusserung des Herrn Heimann, der über die Erfahrungen, die an unserer Klinik mit der Strahlentherapie (Mesothorium und Röntgen) gemacht worden sind, berichtete, zu unterstreichen. Ich habe mich bis- her noch nicht für berechtigt gehalten, operable Uteruscarcinome aus- schliesslich der Strahlentherapie zu unterwerfen; diese werden an meiner Klinik nach wie vor operiert. Als der Gynäkologenkongress zu Pfingsten in Halle tagte, waren “unsere Erfahrungen mit Mesothorium noch gering. Ueber diese berichtete auf diesem Kongress auch Herr Heimann. Keinesfalls wagte ich da- mals eine Stellungnahme zur Frage der ausschliesslichen Strahlen- behandlung noch operabler Krebse. Unterdessen sind unsere Erfahrungen grösser geworden, und wir haben gesehen, dass die Beeinflussung der Careinome durch die neue Behandlungsmethode sehr beträchtlich ist. Ich kann es verstehen, wie jemand sich in der Weise captivieren lassen kann, dass er zu dem Standpunkt gelangte: „Ich behandele überhaupt kein Careinom mehr operativ, unterwerfe sie alle der Strahlenbehand- lung.“ Dieser Standpunkt ist verfrüht. Ob ein Carcinom durch ÖOpe- ration definitiv geheilt ist oder nicht, das zu entscheiden, dazu gönnen wir uns zum mindesten fünf Jahre. Die Mesothoriumbehandlung ist noch kein Jahr in Gebrauch; wir könnten, selbst bei der günstigsten Beeinflussung, heute darüber noch nicht aburteilen, ob die Heilung eine radikale war oder ob sie es nur scheinbar war. Würde sich das letztere erweisen, dann wäre die Strahlenbehandlung nur ein missglückter Ver- such gewesen, die günstige Zeit für die Operation wäre verpasst worden; das wäre einem lebensgefährlichen Leiden, wie es das Üareinom ist, gegenüber nicht zu rechtfertigen. Das Beobachtungsfeld, welches uns die nicht mehr operablen Oarei- nome bieten, ist reichlich gross genug. Man wird, wie es geschehen ist, Beobachtungen machen können, ob durch die Strahlenbeeinflussung als unoperierbar erkannte Carcinome in ein operables Stadium übergeführt werden können; dann könnte diese eine vorteilhafte Vorbehandlungs- methode darstellen, welehe zudem den Nutzen erbrächte, dass eine keimtragende Geschwürsfläche in eine sterile oder keimarme Narben- fläche verwandelt würde. 709 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Unser Verfahren bleibt das bisher eingeschlagene. Ausser den völlig desolaten Uteruscareinomen wird bei allen das Abdomen eröffnet, der Befund von der Bauchhöhle aus betastet und besichtigt und im günstigen Falle operiert, im ungünstigen geschlossen und der Strahlenbehandlung anheimgegeben, wie denn auch für die Operierten eine Strahlenbehand- lung vorbehalten wird. Vor kurzem erschien in der Frankfurter Zeitung ein Artikel aus der Feder Hofmeier’s, in welchem er das breite Lesepublikum vor allzu optimistischer Auffassung der neuen Krebsbehandlung warnt. Er führt aus, dass zurzeit das Laienpublikum, dieses ganz besonders, sich in einer Art Rausch befinde, in welchem die Urteilsfähigkeit beeinträchtigt sei, und dass die folgende Ernüchterung doch leicht einem Katzenjammer mit bitterer Enttäuschung gleichen könne. In diesem Artikel sagt Hof- meier auch, dass wir auch schon früher nach Behandlungsmethoden, die das Carcinom von der Oberfläche aus in Angriff nahmen, in geeigneten Fällen ähnlich gute Resultate beobachtet hatten, wie jetzt ‘bei der Strahlenbehandlung. Dem kann ich nicht völlig beipflichten. Wir haben doch, in früherer Zeit häufiger als in den letzten Jahrzehnten, mancherlei Methoden probiert, die sich zur Aufgabe setzten, örtlich ein Careinom zu beeinflussen, zu heilen. Alle haben Lobredner gefunden, mancher wurde eine Art elektiver Wirkung auf das Carecinomgewebe zugeschrieben. Kauterisation mit Ferrum actuale, mit chemischen Agentien, starken und schwachen, Injektionen von Mitteln in das Careinom hinein, alle haben ihre Zeit gehabt, um dann früher oder später wieder dem Kreise des Interesses zu entschwinden. Bei keiner dieser Methoden, bei keinem dieser Mittel aber habe ich jemals etwas Aehnliches gesehen, wie nach der Strahlen-, besonders der Mesothoriumbehandlung. Dieses allmähliche, spurlose, stille, reaktionslose Verschwinden des kranken, das konsekutive Anseinestelletreten von gesundem Gewebe ist bisher bei keiner Behand- lungsmethode des Careinoms je gesehen worden. Das ist einzig in seiner _ Art dastehend. Das ist frappant, das ist auffallend und das eröffnet — wie weit, wird sich erst ausweisen — Perspektive. Hr. Ossig berichtet über ein Sarkom des Sternum. Nach zwei- maliger Operation wurde der Kranke im elenden Zustande wegen in- operablen Reeidivs im Frühjahr 1908 bestrahlt. Es erfolgte rasche Heilung, die zunächst von einigen Recidiven in der früheren Operations- narbe unterbrochen wurde, aber nach etwa dreimonatiger Behandlung definitiv bestehen blieb. Der so behandelte Mann verrichtet seit dem Sommer 1908 andauernd schwere Arbeit und ist völlig gesund. Es handelt sich also um eine Dauerheilung (5!/, Jahr) eines inoperablen Sarkoms durch Bestrahlungen. Der Tumor muss sehr radiosensibel ge- wesen sein, denn die verabreichte Dosis betrug nur etwa 50x. Gelegentlich dieser Mitteilung macht Redner darauf aufmerksam, dass Sarkome wegen ihrer verschiedenen Strahlempfindlichkeit sich nicht zur Beurteilung des Wertes einer neuen Bestrahlungsmethode eignen. Er macht ferner darauf aufmerksam, dass ein Vergleich der Strahlen- dosen in einfachen Angaben nach x nicht möglich ist, da nach der Grösse der Einstrahlungsfelder die Ueberkreuzung in der Tiefe sehr ver- schieden ist. Redner fasst schliesslich seine Erfahrungen bezüglich der Behand- lung von malignen Tumoren dahin zusammen, dass operable Tumoren zunächst operiert, dann prophylaktisch bestrahlt werden sollten; dass im Falle der Ablehnung der Operation oder bei inoperablen Tumoren die Bestrahlungsbehandlung angewendet werden solle; dass Hautcarci- nome zunächst bestrahlt werden sollten, falls sie darauf aber nicht bald reagieren, besser operativ behandelt werden sollten. I. Abteilung. Medizinische Sektion. ı Hr. Küttner vermisst in der bisherigen Besprechung die Erwähnung der schweren allgemeinen Störungen nach Bestrahlung mit hohen Radiumdosen. Er beobachtete sie in bedrohlicher Weise bei zwei Patienten mit inoperablem Rectumcareinom, deren Tumor durch die Bestrahlung nicht im geringsten beeinflusst wurde. Hr.L.Fränkel: Zur Anfrage von Herrn Küttner nach der Wirkung hoher Dosen von Radium auf das Allgemeinbefinden möchte ich meine Erfahrungen mitteilen: Dosen nahe an 200 mg Radiumbromid wurden teilweise sehr schlecht vertragen. Die Patientinnen kamen in einen Allgemeinzustand, wie er dem Carcinomstadium durchaus nicht entsprach. Das Aussehen war sehr angegriffen, Puls und Temperatur zum Teil ge- steigert, heftige Schmerzen, Diarrhöen, Abgeschlagenheit, mitunter fast psychopathische Zustände. Selbst Frauen, trotzdem sie die Schwere ihres Leidens kannten und vom Radium Gutes gehört hatten, baten ge- legentlich dringend, von der Weiterbehandlung abzusehen. Da zudem die örtlichen Resultate bisher auch nicht befriedigten, werde ich zu der heute warm empfohlenen Methode übergehen, kleinere Dosen viele Tage lang liegen zu lassen. In dem von dem Vortragenden angeführten Falle habe ich mich von der Spezifität der Wirkung allerdings überzeugen können: Bei der Laparotomie diffuse Aussaat grosser Carcinommetastasen, vom Övarial- neoplasma ausgehend, und viel Ascites, der abgelassen wird. Während der Wundheilung intensive Radiumbebandlung, ohne fühlbare Verände- rung der Tumoren, bei neu anwachsendem Ascites. In die Heimat ent- lassen, tritt schwerster ileus- oder peritonitisartiger Zustand ein mit Erbrechen grosser Mengen von Flüssigkeit, die der äusserst geringfügigen Nahrungsaufnahme nicht entsprechen konnte. Nach Besserung dieses akuten Zustandes kommt Patientin zur nochmaligen Radiumbehandlung zurück, nunmehr ist der Ascites verschwunden, die Knoten nicht mehr palpabel, aber das Abdomen leicht aufgetrieben mit diffuser, sich weich anfühlender Resistenz wie bei Exsudation oder schleichender Peritonitis. Allgemeinbefinden äusserst reduziert und kurz darauf Exitus, meines Erachtens nicht an intereurrenter Ursache, sondern am Carecinom oder Radium. Wenn das Radium die Carcinomzellen spezifisch angreift, so geschieht das doch mit einer nach der Tiefe ab- nehmenden Kraft. Das erreichen unsere bisherigen Methoden der pallia- tiven Tumorbehandlung ebenfalls, wenn auch wahrscheinlich in keiner so intensiven Art. Aber Heilerfolge haben wir auch durch Auslöffelung, Verschorfung der Careinome schon früher erzielt, bei den Hautcarei- nomen ganz gewiss, beim tiefliegenden Uteruscareinom gelegentlich auch. Ich selbst beobachte zwei Frauen mit sieben- bzw. zwölfjähriger Gesund- heit nach Palliativoperation!). Ich fürchte, im günstigsten Falle wird das Radium nicht viel mehr wie unser bestes Palliativum werden. Die Spezifität des Radiums gegen Carcinomzellen wird dahin er- läutert, dass es besonders die jugendlichen Zellen seien, auf die Radium- strahlen besonders einwirken. Auf der Wiener Naturforscherversammlung habe ich über Versuche berichtet, bei denen ich für 1—14 Stunden 10—133 mg Radium oder Mesothorium auf den Ovarien, am Uterus, in der Vagina mit teilweiser sehr schwacher Filterung befestigte. Trotz der in die freie Bauchhöhle applizierten ungeheuren Dosis, der zwei- maligen Laparotomie, der Versenkung voluminöser Fremdkörper: (am zweiten Ovarium wurde zur Kontrolle ein an Form und Schwere ähn- licher Gegenstand befestigt) hatten die Tiere den glattesten Verlauf, und 1) Anmerkung bei der Korrektur: Die eine ist unterdessen, 76 Jahre alt, gestorben; die Sektion ergab, auch mikroskopisch, kein Carcinomgewebe. 2 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. fand sich in der Bauchhöhle bei der Sektion nach 8 Tagen oder später nichts Pathologisches.. Von vier tragenden Tieren haben zwei weiter normal getragen, die Jungen waren unbeschädigt; bei den beiden anderen, denen über 130 Milligrammstunden das Radium an dem einen Ovarium befestigt wurde, waren die Eikammern zurückgebildet; das kommt aber auch sonst nach Manipulationen an den Eierstöcken vor. Das Ovarium war in dem einen Fall normal, in welchem 10 mg Mesothorium 13 Stunden gelegen hatten, im anderen Falle — mit 133 mg Radiumbromid für eine Stunde — war alles äusserlich und innerlich sezernierende Ovarial- parenchym in höchster Rückbildung, das ganze Organ auf ein Drittel verkleinert und sehr viel grosse Schollen ‚vorhanden, die offenbar aus Follikeln entstanden waren. Das Resultat ist durch diese Tatsache be- merkenswert, ferner durch die geringe Einwirkung auf die gesamte Bauch- höhle und auf das fötale Gewebe. Hr. Krampitz: Wir haben an der Ohrenabteilung des Allerheiligen- hospitals seit über einem Jahre mit Mesothorium gearbeitet und im ganzen das heute hier Gesagte bestätigt gefunden. Leicht zugängliche Tumoren von geringem Umfange liessen sich durch die Bestrahlung oft gut beeinflussen, während sich bei vorgeschrittenen Tumoren des Pharynx und Oesophagus meist keine wesentliche Besserung erzielen liess. Ich will von den mehr als 30 behandelten Fällen nur einen be- sonders erwähnen, bei dem uns das Mesothorium sehr gute Dienste ge- leistet hat. Es war ein histologisch sicher gestelltes und chirurgischer- seits als inoperabel erklärtes Sarkom, welches fast den ganzen Nasen- rachenraum erfüllte. Durch die Bestrahlung allein ist es gelungen, den Tumor zum Verschwinden zu bringen, so dass seit ca. 2 Monaten nichts mehr von ihm zu sehen ist. Der Patient kam vor etwas über einem Jahre in Behandlung und’ wurde zunächst alle 3—5 Wochen bestrahlt — wegen der Möglichkeit einer Schädigung von Nachbarorganen zunächst nur 20 Minuten, später 1—2 Stunden. Die Verkleinerung des Tumors ging so vor sich, dass sich einige Wochen nach der jedesmaligen Bestrahlung grauweisse Schorfe, bisweilen mit Gewebsstückchen, abstiessen und allmählich eine Schrumpfung des gesamten Tumors eintrat. Um die Wirkung des Mesothoriums richtig zu bewerten, muss man überlegen, dass es sich in diesem Falle um einen inoperablen Tumor handelte, der nach seiner histologischen Be- schaffenheit erfahrungsgemäss spontan nicht heilt. Hervorheben möchte ich noch, dass es hier mit 10 mg Mesothorium, nach einer Bestrahlungsdauer von im ganzen nur 12!/, Stunden gelang, den Erfolg zu erzielen. Hr. Moos: Ich werde wenige Worte über die Methode der Strahlen- therapie, wie sie an der Frauenabteilung des Allerheiligen-Hospitals ge- handhabt wird, berichten, ohne dabei auf unsere Fälle im einzelnen ein- zugehen. Nur will ich bemerken, dass wir bisher ausschliesslich in- operable Tumoren derartig behandelt haben, und dass wir alle operablen Fälle nach wie vor chirurgisch angreifen. Die Röntgentiefentherapie fübren wir im wesentlichen im Sinne der Freiburger Klinik durch und benutzen dazu einen von Siemens & Halske aufgestellten Apparat. Als Röhren stehen Penetrans und Gundelach’sche im Gebrauch, die wir jeweils mit 3—4 Milliampere belasten, bei einer Fokushautdistanz von 20 cm und bei einer Filterung durch 3 mm dickes Aluminiumblech. Da wir leider nicht über einen Stockel’schen Pendel- apparat verfügen, der in idealster Weise die Forderung der Vielfelder- bestrahlung erfüllt, teilen wir Nabel und Symphyse in 16—20 quadra- tische Felder mit je 5cm Seitenlänge ein, den Rücken in 6—8 eben- solche Felder. Auf jedes Feld applizieren wir 10—18X, gemessen I. Abteilung. Medizinische Sektion. 73 nach Sabouraud-Noire. Damit gelingt es uns in einem Bestrahlungs- turnus, den wir in 5—7 Sitzungen erledigen, bis zu 300X zu verab- reichen. Den Turnus wiederholen wir nach 4—5 Wochen wieder. In der Zwischenzeit machen wir neuerdings noch vaginale Bestrahlungen, und zwar bestrahlen wir ein um den andern Tag und geben jedesmal 30—40X. Das Einstellen des Kraters resp. der careinomatösen Wuche- rungen an der Portio in den verschieden geformten, den einzelnen Fällen angepassten Bleiglasspecula gelingt meist ohne Schwierigkeit, muss aber geschickt und genau geschehen, so dass das Careinom direkt und all- seitig den Strahlen ausgesetzt ist. Aehnlich verfahren wir übrigens auch bei Reetumcareinomen, die wir rectal: ebenso direkt bestrahlen. Da nun die Vaginalschleimhaut bedeutend grössere Dosen erträgt als andere Körperstellen, so können in einem Turnus viele 100X verabreicht werden. Nur muss dabei dem äusseren Genitale vollständiger Schutz vor Verbrennung gewährleistet werden, was wir dadurch erreichen, dass das Speculum in das strahlensichere Stativ gut hineinpasst, und dass es ausserdem noch in einem bis zu den Schenkeln und oben bis über die Symphyse reichenden Bleischild steckt. Die Wirkung, die wir erzielten, ist kurz gesagt die, dass nach an- fänglicher Auflockerung und etwas gesteigerter Sekretion diese nach etwa 2—3 Wochen nachlässt, und dann der Tumor derber wird und zu schrumpfen beginnt, was meist zu narbiger Verengerung führt. In fast allen Fällen haben wir vorher oder gleichzeitig mit dem uns zur Verfügung stehenden Mesothorium, etwas über 20 mg, behandelt. Wenüu wir uns auch bewusst waren, hiermit keine so intensiven Tiefen- wirkungen erzielen zu können, wie sie von anderen Seiten berichtet werden, so versuchen wir es doch, um eventuell Minimalwerte für die ausreichende Wirkung notwendig strahlender Mengen feststellen zu können. Ausreichend für eine Heilung, um dies vorweg zu nehmen, ist diese geringe Menge nicht. Was wir erzielten, ist folgendes: Leicht blutende, sezernierende Portiocarcinome überdecken sich nach wenigen Milligrammstunden. mit einem gelblichbraunen Schorf, der sich langsam abstösst oder unschwer abziehen lässt. Unter ihm überhäutet sich die Portio, so dass sie nach etwa 5—800 Milligrammstunden epi- thelialisiertist. Wird eine solch frisch überhäutete Portio intensiv Röntgen- strahlen ausgesetzt, so ulceriert die leichte Epitheldecke anfangs wieder, ohne dass dadurch aber eine erhebliche Sekretion oder die früher ge- schwundenen Blutungen wieder auftreten. Gleichzeitig mit der Epi- thelialisierung wird die Portio ebener, und kann ein deutlicher Rückgang der Wucherungen konstatiert werden. Bei stark jauchenden und blu- tenden Careinomkratern sahen wir ein ziemlich schnelles Aufhören der Jauchung und der Blutungen und gleichzeitig eine deutliche Hebung des Allgemeinzustandes. Unannehmlichkeiten oder Störungen des Be- findens haben diese kleinen Mengen nie gezeitigt. Die Applikation des Mesothoriums geschah in Kratern ohne jede Filterung, was bei 20 mg, um nicht allzuviel Strahlen zu verlieren, mög- lich ist. Bei anderen Fällen, bei denen die oberflächliche Schicht durch a-Strahlen genügend beeinflusst war, wurde mit 0,05—0,1 mm dickem Silberblech gefiltert. Das Präparat blieb von 12 bis zu 2mal 24 Stunden liegen, so dass wir in 4 Wochen jeweils auf ca. 4000 Milligrammstunden gekommen sind. Irgendwelche lokale Beschwerden, etwa in Blase oder Mastdarm, oder eine schädliche Wirkung auf die gesunde Schleimhaut haben wir nicht gesehen. Wir können als Resultat unserer Beobachtungen feststellen, dass sich mit diesen kleinen Mengen keine sehr weitreichende Tiefenwirkung, sondern im wesentlichen nur eine Besserung durch Öberflächenwirkung erreichen lässt. In Verbindung von Mesothorium ‘und Röntgenbehand- 74 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. lung lässt sich aber doch bei Fällen, die an der Grenze der Operabilität stehen, eine genügende Mobilisierung für eine Operation erzielen, wobei dann durch die vorhergegangene Üeberhäutung viel günstigere Be- dingungen geschaffen sind, vor allem dadurch, dass die Gefahr einer In- fektion durch die Beseitigung der in den ulcerierten Oberflächenschichten am reichlichsten vegetierenden Keime doch auch bedeutend herab- gesetzt ist. Hr. Simon (Schlusswort): M. H., ich möchte nur dem Vorwurfe be- gegnen, dass ich die Tiefenwirkung der Röntgenstrahlen bestritten hätte. Ich habe nur von einer relativ beschränkten Tiefenwirkung gesprochen und gerade darauf hingewiesen, dass alle Bestrebungen der Radiothera- peuten darauf hinausgehen, diese — tatsächlich vorhandene — Tiefen- wirkung zu erhöhen. Zusammenfassend darf ich wohl sagen, dass wir alle den Eindruck gewonnen haben, dass mit den geschilderten Behandlungsmethoden zur- zeit grosse Erfolge noch nicht erzielt worden sind, namentlich was Dauer- heilungen anbetrifft. Teilweise liegt der Grund darin, dass dieselben noch nicht genügend lange in Anwendung sind, was namentlich für die Tiefentherapie gilt, über die wir ein abschliessendes objektives Urteil deswegen heute noch nicht fällen können. Schliesslich dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass auf diesem Gebiete selbst kleinste und kleine Erfolge Grosses bedeuten. Gerade weil der Krebs in seiner inoperablen Form auch heute noch ein in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle zum Tode führendes Leiden ist, be- deutet jeder einzelne geheilte Fall eine absolute Lebensrettung. Weiter- hin dürfen wir Besserungen, selbst vorübergehender Art, nicht zu gering bewerten, namentlich wenn sie — wie so oft — mit dem Verschwinden lästiger Symptome einhergehen; ja, wir sind für unsere Mühe schon dann belohnt, wenn es uns gelingt, von diesen Kranken das Odium des Un- heilbaren, das entsetzliche Gefühl des Aufgegebenseins zu nehmen. Man muss gesehen haben — wie es mir beispielsweise in Heidelberg am Samariterhause unter Czerny vergönnt war, wie diese Kranken wieder aufleben, sobald sie eine energische, jede Einzelheit ihres vielgestaltigen Krankheitsbildes berücksichtigende Therapie an sich gewahren. Schon aus diesen Erwägungen heraus sind wir verpflichtet, auch an den Kranken dieser Gattung, die früher nach der therapeutischen Seite hin doch etwas zu kurz kamen, sinngemässe Therapie zu treiben und ihnen so alle Chancen der Heilung zu bieten, die der heutige Stand der Wissenschaft uns an die Hand gibt. Sitzung vom 21. November 1913. Vorsitzender: Herr A. Neisser. Schriftführer: Herr Partsch. HHr. Georg Bessau, Josef Pringsheim und Frl. Johanna Schwenke: Ueber den diagnostischen und prognostischen Wert der Wiederholung lokaler Tuberkulinreaktionen. Nebst Beiträgen zur Frage nach dem Wesen der Tuberkulinempfindlichkeit. HHr. Bessau und Frl. Schwenket): Von der Anschauung ausgehend, dass die Fähigkeit des Organismus, auf gewisse Substanzen des Tuberkel- baeillus mit Entzündung zu reagieren, einen Schutz gegenüber dem lebenden Erreger bedeute, suchten die Verf. die lokale Tuberkulinüber- empfindlichkeit durch Einbringung kleiner Tuberkulinmengen in die Haut 1) Erscheint im Original im Jahrbuch für Kinderheilkunde. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 75 zu steigern. Die Versuche wurden an dem poliklinischen Material der Breslauer Kinderklinik ausgeführt. Es wurde nun — übereinstimmend mit bereits vorliegenden Angaben — die Beobachtung gemacht, dass die Steigerung der lokalen Tuberkulinüberempfindlichkeit nur in einem Teil der Fälle gelingt, und zwar im wesentlichen gerade bei klinisch gesunden Kindern. Daraufhin wurde systematisch untersucht, ob die Feststellung der Steigerung bzw. Nichtsteigerung der lokalen Tuberkulinüberempfind- liehkeit einen Anhalt hinsichtlich der Aktivität des tuberkulösen Pro- zesses gewähre, ob ihr also diagnostische Bedeutung zukomme. Die Prüfung geschah ausschliesslich mit der intracutanen Methode, die Injek- tionen wurden in Stägigen Pausen wiederholt. An einem Untersuchungs- material von 153 Fällen ergab sich, dass im allgemeinen klinisch aktive Tuberkulosen keine Steigerung der lokalen Reaktionsfähigkeit erkennen lassen; wo eine aktive Tuberkulose vorliegt und sich trotzdem eine Stei- gerung der lokalen Tuberkulinüberempfindlichkeit erzielen lässt, scheint die Prognose günstig zu sein. Ausbleibende Steigerung braucht nicht eine schlechte Prognose zu bedingen, mahnt aber zur Vorsicht. Klinisch gesunde Kinder lassen in der Mehrzahl der Fälle (76 pCt.) eine deutliche Steigerung der lokalen Reaktionsfähigkeit erkennen. Für die praktische Tuberkulindiagnostik ergibt sich: Im Kindesalter bedeutet eine starke lokale Tuberkulinüberempfindlichkeit (intensive Reaktion bei intracutaner Verabreichung von 0,1 com Tuberkulin, verdünnt 1: 10000) meist einen aktiven Prozess, sehr starke Reaktionsfähigkeit spricht für einen klinisch günstigen Fall (Entzündung bedeutet eine Abwehrmaassregel des Orga- nismus). Schwache lokale Reaktionen weisen entweder auf einen pro- gredienten oder andererseits auf einen abgeklungenen Prozess hin. Hier erweist sich die Wiederholung der lokalen Tuberkulinreaktionen als recht wertvoll: starke Steigerung der lokalen Empfindlichkeit schliesst einen aktiv progredienten Prozess mit sehr grosser Wahrscheinliehkeit aus. Fernerhin wurde der Modus der Steigerung der lokalen Tuberkulin- überempfindlichkeit genau studiert und die Resultate mit dem Eintritt und der Steigerung der lokalen Serumüberempfindlichkeit verglichen. Es ergaben sich zeitliche, quantitative und qualitative Differenzen: zeit- lich: die Steigerung der lokalen Tuberkulinüberempfindlichkeit ist im Gegensatz zur Serumüberempfindlichkeit an kein Inkubationsstadium ge- bunden, dasselbe kann vollständig fehlen; quantitativ: die Steigerung der lokalen Tuberkulinüberempfindlichkeit kann ganz allmählich er- folgen, die Steigerung der lokalen Serumempfindlichkeit erfolgt plötzlich, sprungweise; qualitativ: bei den lokalen Tuberkulinreaktionen liegt das Maximum der Entzündungserscheinungen stets im Centrum, die Re- aktion klingt nach der Peripherie zu ab, auch in den Stadien stärkster Steigerung der lokalen Tuberkulinüberempfindlichkeit; bei den lokalen Serumreaktionen liegt das Maximum der Entzündungserscheinungen nicht selten in der Peripherie, gerade in der Phase starker Steigerung der Serumüberempfindlichkeit können als Ausdruck eines neuen Antikörper- schubes um bereits abklingende Reaktionen an der Peripherie erneut Entzündungserscheinungen auftreten (Phänomen der Kranzbildung nach Bessau). Diese Differenzen lassen eine einheitliche Genese der lokalen Tuberkulin- und Serumüberempfindlichkeit fast ausgeschlossen erscheinen: die Tuberkulinüberempfindlichkeit beruht nicht auf der Existenz anaphy- laktischer Reaktionskörper. Ein Parallelismus zwischen der Stärke der intracutanen lokalen und der subcutanen allgemeinen Reaktion wurde im Einklang mit Rolly vermisst. Hr. Pringsheimt): Die Untersuchungen über den Ausfall der wieder- holten endocutanen Tuberkulinreaktion an Erwachsenen wurden haupt- 1) Erscheint im Original in der Münchener med. Wochenschrift. 76 Jahresberieht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. sächlich von zwei Gesichtspunkten aus angestellt. Erstens können wir, wie Herr Bessau auseinandergesetzt hat, bei Erwachsenen stärkere Aus- schläge erwarten, weil die Versuchszeit nicht so häufig wie bei Kindern in das Stadium der abklingenden Erkrankung fallen wird. Zweitens wurde beabsichtigt, beim Erwachsenen die prognostische Bedeutung der Reaktion eingehender zu studieren. Die Untersuchungen an Erwachsenen betreffen 124 Patienten aus dem klinischen Material der medizinischen Abteilung B des Allerheiligen- Hospitals. Die Patienten — es wurden ausschliesslich Männer unter- sucht — standen im Alter von 20—60 Jahren. Die Versuchstechnik und die Beurteilung der Resultate waren die gleichen wie bei den Versuchen an Kindern. Unter 124 Fällen fand sich nur einer, der weder auf wiederholte Endocutanreaktion — bis 0,1 einer Verdünnung von 1:100 — noch auf subeutane Injektionen — bis 9 mg — reagierte, der also als nicht mit Tuberkulose infiziert angesehen werden muss. Die übrigen Fälle wurden nach ihren Erkrankungen in 4 Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe — 41 Fälle — umfasst ausschliesslich Lungen- tuberkulosen mit positivem Bacillenbefund. Von diesen zeigten 32 Fälle (= 78,5 pCt.) keine Steigerung a0 (37 2pCh)tragliche x 5 (= 11,9 pCt.) deutliche . 1 Fall 9.4 pCt.) starke Der Ausfall der Versuche deckt sich fast genau prozentualiter mit den bei Kindern gewonnenen Resultaten. Die zweite Gruppe — 30 Fälle — umfasst die Fälle von chro- nischer Lungenerkrankung ohne Tuberkelbaeillenbefund im Auswurf, bei denen die Diagnose der Tuberkulose durch einen einwandsfreien klinischen Befund oder, wenn ein solcher nicht erhoben werden konnte, durch den positiven Ausfall der subeutanen Tuberkulinprobe gestellt wurde. Von diesen zeigten 8 Fälle (= 24 pCt.) keine Steigerung DE No ne)Aragliche R 10 „ (=30ptt.) deutliche - 10 „ .e 30pCt.) starke Die dritte Gruppe — nur 4 Fälle umfassend — enthält Fälle fraglicher Lungenaffektionen, bei denen aus äusseren Gründen eine Klärung der Diagnose durch subeutane Tuberkulininjektion nicht möglich war. Die Gruppe weist naturgemäss die grössten Differenzen auf. Es zeigten 1 Fall (= 25 pCt.) fragliche Steigerung 2 Fälle (= 50 pCt.) deutliche e 1 Fall (= 25p(Ct.) starke „ Die vierte Gruppe — 48 Fälle — umfasst die klinisch tuber- kulosefreien Fälle; in ihr sind sowohl akute Erkrankungen (Lungen- entzündung, akuter Gelenkrheumatismus, Typhus usw.) als chronische Affektionen (Tumoren, chronischer Gelenkrheumatismus, Herzleiden, Lebereirrhose usw.) vertreten. Von diesen zeigten 5 Fälle (= 12,5 pCt.) keine Steigerung 23 „ (= 44,3 pCt.) deutliche m 19. „..&41,7.pCt.) starke = Wenn wir zunächst die Fälle der Gruppe IV — klinisch tuber- kulosefreie Fälle — betrachten, so sehen wir, dass die Mehrzahl (etwa 90 pCt.) deutliche oder starke Steigerungen zeigen. Fragliche Steigerungen I. Abteilung. Medizinische Sektion. 77 fehlen völlig. Von den fünf Fällen, welche eine Steigerung vermissen lassen, betreffen vier schwerkranke und kachektische Personen (2 Fälle von Sepsis, 1 Fall von schwerer Herzinsufficienz mit starken Oedemen und ] Fall von Sarkomrecidiven). Diese vier Patienten erlagen ihren Leiden etwa einen Monat nach Anstellung der Reaktion. Der 5. Fall ist ebenfalls eine Herzinsufficienz, welche sich aber zur Zeit des Ver- suches noch in leidlichem Zustande befand. Wir haben in diesem Fall keine Erklärung für das Fehlen der Steigerung finden können; auch die Autopsie — der Patient starb nach ca. einem Vierteljahr — hat keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, dass während der Versuchszeit eine aktive Tuberkulose bestanden haben könnte. Im Gegensatz zu Gruppe IV zeigt die Gruppe I, welche die bacillären Lungentuberkulosen umfasst, überwiegend (ca. 85 pCt.) fehlende oder frag- liche Steigerung. Die 5 Fälle, welche eine Ausnahme bilden, sollen bei Besprechung der Prognose ausführlich behandelt werden. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass sich bei 3 von diesen Fällen Tuberkel- bacillen nur im Tierversuch nachweisen liessen, dass diese also den Uebergang zu Gruppe II bilden. Zusammenfassend können wir aus dem Vergleich der Gruppen I und 1V folgern, dass Fälle mit bacillärer Lungentuberkulose bei Wieder- holung der endocutanen Reaktion meist keine Steigerung zeigen, während sich eine solche bei der Mehrzahl der klinisch tuberkulosefreien Fälle findet. Eine Ausnahme machen schwer kachektische Individuen, welche, auch wenn sich klinisch keine Tuberkulose nachweisen lässt, eine Steige- rung vermissen lassen. Die Stärke der ersten Reaktion steht in vielen Fällen in keinem Parallelismus zu dem Resultat der Wiederholung. Insbesondere finden sich sowohl unter den Tuberkulosen als unter den klinisch Tuberkulose- freien Fälle, bei welchen die erste intracutane Injektion selbst von 0,1 ccm Tuberkulin 1: 1000 keine oder nur eine fragliche Reaktion aus- gelöst hat. In diesen Fällen scheint der Wiederholung der Intracutan- ‚reaktion ein besonderer Wert zuzukommen. Die klinisch tuberkulose- freien Fälle zeigen — wenn man wieder von den schwer kachektischen Patienten absieht — meist eine Steigerung, während Tuberkulöse sie vermissen lassen; bei unserem Material zeigten von 23 klinisch Tuber- kulosefreien mit negativer oder fraglicher erster Reaktion 21 eine deut- liche Steigerung, während sich von 22 ebensolchen Tuberkulosefällen nur 2 steigerten. In solchen Fällen gibt also die Wiederholung der intra- cutanen Reaktion darüber Aufschluss, ob der negative Ausfall der ersten Reaktion durch die Schwere oder durch Inaktivität des tuberkulösen Prozesses bedingt ist. Die weiteren Beobachtungen erstrecken sich darauf, ob sich bei Tuberkulose aus dem Ausfell der wiederholten Endocutanreaktion ein Rückschluss auf die Diagnose ziehen lässt. Wir haben deshalb die Pa- tienten der Gruppe I und II ca. alle 6—8 Wochen zur Nachuntersuchung wiederbestellt und in den Fällen, in denen dies nicht angängig war, schriftliche Erkundigung von den Patienten selbst oder von Kranken- häusern oder Heilstätten, in denen der Patient in Behandlung stand, eingezogen. Die Beobachtungen erstrecken sich wenigstens auf 6, höch- stens auf 9 Monate nach Anstellung der Reaktion. Von 32 Fällen der Gruppe I, welche keine Steigerung zeigten, müssen wir 3 Fälle ausscheiden, welche in schwerem Zustande einge- liefert wurden und innerhalb 4 Wochen nach der Reaktion ad exitum kamen. Bei diesen könnte der negative Ausfall der Reaktion allein durch die Kachexie bedingt sein. Es bleiben also 29 Fälle mit fehlender Steigerung übrig. Von diesen sind 20 gestorben, 4 stark progress, 4 sind zum Teil nach vorübergehender Besserung annähernd stationär. Alle 73 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater]. Kultur. 6 Fälle, welche eine deutliche oder starke Steigerung zeigten, sind we- sentlich gebessert oder klinisch geheilt. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Gruppe II. Die 20 Fälle mit deutlicher oder starker Steigerung sind sämtlich gebessert oder geheilt. Von 9 Fällen mit fehlender oder fraglicher Steigerung ist einer gestorben, 2 verschlechtert, 3 stationär und 3 gebessert bzw. klinisch geheilt. Am deutlichsten treten die Beziehungen zwischen dem Ausfall der Reaktion und dem weiteren Verlauf der Erkrankung hervor, wenn die Fälle der Gruppe I und II (im ganzen 70 Fälle) zusammengefasst werden. Von den Fällen mit Steigerung sind sämtliche klinisch geheilt oder gebessert, von denen mit fehlender Steigerung 7,7 pCt. gebessert, 17,8 pCt. stationär, 15,4 pCt. verschlechtert und 59,1 pCt. gestorben. In praktischer Hinsicht ist also aus unseren Versuchen zu folgern, dass bei Lungentuberkulose deutliche oder starke Steigerung der endo- cutanen Reaktion zu einer günstigen Prognose berechtigt, während frag- liche oder fehlende Steigerung zwar nicht gleichbedeutend mit einem ungünstigen Verlauf ist, aber doch zur Vorsicht in der Prognosenstellung mahnt. In vielen Fällen stimmte die aus dem klinischen Befund zu stellende Prognose mit dem Ausfall der Endocutanreaktion überein, indem Fälle, welche dem I. Stadium angehörten, im allgemeinen eine Steigerung zeigten, während die des II. oder III. Stadiums eine solche vermissen liessen. Wir verfügen aber auch über einige Fälle mit fehlender Steige- rung, die klinisch zunächst günstig erschienen, sich aber im weiteren Verlaufe als progressiv oder wenigstens stationär erwiesen, andererseits über Fälle im IIL.—III. Stadium mit vorhandener Steigerung, welche wider Erwarten stationär blieben oder sich besserten. Wir glauben daher, dass die wiederholte Endocutanreaktion für die Prognosenstellung von Bedeutung ist. (Autoreferat.) Hr. Rosenfeld: Beobachtungen über Entfettungskuren. Vortr. gibt zunächst einen ausführlichen Speisezettel der Kartoffel- kur, besprieht ihre Schonung der Nerven, das mit ihr einsetzende Er- leichterungs- und Erfrischungsgefühl. Da die Patienten nicht hungern und nicht dürsten müssen, auch nicht im geringsten zu Muskel- anstrengungen angehalten werden, im Gegenteil jede Schonung und Ruhe geniessen können, ist einer Entstehung von Nervosität vorgebeugt, die früher oft das Resultat der Entfettungskuren störte. Um nur Fett-, nicht aber Eiweiss- und Wasserverlust zu erzielen, bedarf es nicht grosser Eiweissmengen. Der Umsatz ist 10—16g N gewöhnlich = 65—100 g Kiweiss. Allzuviel Wasser wirkt diuretisch. - Die Gewichtsverluste gehen bei manchen Kuren mit der Wasseraus- scheidung ganz parallel. Auch die Chlorkurve ist oft ganz parallel, mit- unter aber auch divergierend. Die Indikationen der Kartoffelkur sind sehr weit, jede Fettleibigkeit, auch die geringen Grades, jede Folge der Ueberernährung, ausserdem Emphysem, Gicht, besonders Herzleiden und Nephritis. Herzleiden bei Fettleibigen werden sehr gebessert und Nieren- leiden besonders günstig beeinflusst. Von Unterstützungsmitteln der Entfettung hat Redner das Leptynol in drei Fällen, die schwer zu ent- fetten waren, angewendet: im Fall I war keinerlei Gewichtsabnahme (da- bei Albumen) der Erfolg, bei Fall II schwere gastroenterititische Störung und dadurch Abnahme, im Fall III keine Abnahme in dreimaligen Kuren. Stets traten Infiltrationen an den Injektionsstellen auf. In mehrfachen Stoffwechselversuchen zeigte sich, dass das Leptynol weder auf den Stick- stoff- noch auf den Chlorumsatz noch auf die Wasserausscheidung einen wesentlichen Einfluss ausübte. Im Fall III wurde 42 Tage lang die Kur mit dem Bergonie’schen Elektrisationsstuhl angewendet: es war keinerlei Erfolg zu beobachten, 1. Abteilung. Medizinische Sektion. 79 wie auch bei Berechnung der Arbeitsgrösse nur ein unbedeutender Fett- verbrauch zu erwarten war. Diskussion. Hr. Forschbach: Ich verfüge zwar noch über zu wenig Versuchs- material, um ein definitives Urteil über den Wert des Bergoni&’schen Apparates bei Entfettungskuren fällen zu können. Einer von zwei jüngeren Kollegen, die in mittlerem Grade fettleibig sind, hat unter 10 tägiger Behandlung etwa 1!/, kg, der andere in gleicher Zeit etwa 1 kg abgenommen. Dabei habe ich absichtlich die Herren — im Gegensatz zu der Anordnung des Herrn Rosenfeld — bei ihrem üblichen reichlichen Kostmaass belassen. Solche Resulate sind ja unter der Diäteinschränkung allein natürlich auch zu erzielen. Aber man darf doch die Mitwirkung einer kräftigen Muskelarbeit bei Entfettungs- kuren nicht zu gering einschätzen. Dass in dem Bergoniä’schen Apparat eine kräftige Muskelarbeit geleistet wird, zeigte sich mir, als ich die Patienten mit einem Respirationsapparat von Benedict in Ver- bindung brachte: der Gasumsatz erhob sich auf das Dreifache ‘ des Grundumsatzes. Man kann also die so geleistete Arbeit etwa mit einer leichten Steigarbeit gleichsetzen. Es ist natürlich an sich ganz gleichgültig, ob der Fettsüchtige zur Erhöhung seines Umsatzes weite Gänge auf ebener Strasse macht, Berge steigt oder schliesslich im Bergonie’schen Apparat Muskelarbeit verrichtet. Aber wir wissen aus Erfahrung, dass die Fettsüchtigen de facto freiwillige Arbeit nur mit Mühe und Abneigung leisten. Hier, glaube ich, ist der Bergoni&’sche Apparat ein wertvoller Ersatz, weil durch ihn die Muskelarbeit ohne Aufwand persönlicher Energie verrichtet wird. Man wird bei Fortsetzung der Versuche noch zeigen müssen, ob nicht die Uebungen auch zu einer wohltätigen Muskelmast führen. Damit wäre auch viel für die Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Fettleibigen gewonnen. (Die weitere Diskussion wird vertagt.) Sitzung vom 98. November 1913. Vorsitzender: Herr Minkowski. Schriftführer: Herr Rosenfeld. Fortsetzung der Diskussion über den Vortrag des Herrn Rosenfeld: Ueber Entfettungskuren. Hr. Minkowski: Es ist nicht angängig, den Energieverbrauch bei dem Bergoni@’schen Verfahren nach der durch Hebung der Belastung geleisteten mechanischen Arbeit zu berechnen, da bei der gleichzeitigen Reizung antagonistischer Muskelgruppen der mechanische Nutzeffekt ein sehr geringer ist. In der Tat zeigt die Beobachtung des respiratorischen Stoffwechsels, dass die Steigerung der oxydativen Prozesse durchaus nicht der Höhe der Belastung parallel geht. Gerade die übermässige und unökonomische Muskelarbeit, bei der fast sämtliche Muskeln des Körpers in Aktion treten, bedingt es, dass der Stoffverbrauch bei der Bergoni@’schen Behandlung grösser ist als bei irgendeiner willkürlichen Körperarbeit, die man sich bemüht, mit dem Minimum des Energie- verbrauchs zu leisten. Es lassen sich durch die Behandlung nach Bergoni& erhebliche Gewichtsabnahmen ohne Einschränkung der Diät erzielen. So verlor z. B. ein 140 kg schwerer Mann, der bei 800 Calorien Nahrungszufuhr noch keine Gewichtsabnahme gezeigt hatte, in einer Woche 2 kg, als er nach Bergoni& behandelt wurde, obgleich er dabei bis 2500 Calorien täglich zuführte. 80 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Die Bedeutung der Muskelarbeit bei Entfettungskuren darf nicht unterschätzt werden, wenn es auch richtig ist, dass durch weitgehende Nahrungsentziehung selbst Bettlägerige entfettet werden können. Selbst- verständlieh kann Fettansatz nur stattfinden, wenn mehr Nahrung ein- geführt wird als gebraucht wird; aber es gibt doch zweifellos Menschen mit abnorm geringem Bedarf. In letzter Linie handelt es sich bei diesen stets um abnorm niedrigen Stoffverbrauch in der Muskulatur, mag diesem auch nur eine Erniedrigung des Muskeltonus und eine Ver- ringerung des Bewegungstriebes durch geringere Erregbarkeit des Nerven- systems oder durch Funktionsstörungen endokriner Drüsen zugrunde liegen. In solehen Fällen kommt es darauf an, den Stoffverbrauch zu heben. Das kann, wie ich im Gegensatz zu Herrn Rosenfeld hervor- heben möchte, in vielen Fällen auch mit sehr gutem Erfolge durch Ver- abfolgung von Schilddrüsenpräparaten geschehen. Am wichtigsten aber ist es, den Stoffverbrauch durch Muskelarbeit zu steigern. Denn nur durch Muskelarbeit kann Wahrung des Eiweissbestandes und Kräftigung des Körpers erreicht werden. Durch den Bergonie’schen Apparat vermag man eine sehr erhebliche, mit gesteigerter Oxydation einhergehende Muskelarbeit auch bei solchen Patienten zu erreichen, die auf andere Weise nicht zu ausreichender Muskelarbeit veranlasst werden können. Und so muss zugegeben werden, dass dieser Apparat für viele Fälle ein brauchbares Unterstützungsmittel bei Entfettungskuren bildet, wenn auch die Regelung der Diät für solche Kuren stets die Hauptsache bleiben wird. Hr. R. Pfeiffer: Obwohl ich auf dem Gebiete des Stoffwechsels mich keineswegs für kompetent erklären will, möchte ich doch darauf hinweisen, dass mir die von Herrn Rosenfeld vorgeschlagene Behand- lung der Fettleibigkeit durch Diätbeschränkung bei gleichzeitiger Bettruhe aus allgemeinen hygienischen Gründen anfechtbar erscheint. Sind doch bei derartig hochgradig fettsüchtigen Personen fast regelmässig Schwäche- zustände der Allgemeinmuskulatur und besonders auch des Herzmuskels vorhanden. Eine Kräftigung der Muskulatur ist aber nur durch vor- sichtig gesteigerte Tätigkeit und Uebung zu erzielen. Das ist der Grund, weshalb mir bei jeder Entfettungskur die Steigerung des Stoffwechsels durch Muskelarbeit als durchaus notwendig und .als die vom pbhysio- logischen Standpunkte wichtigste therapeutische Maassregel erscheint. Ich würde es bedauern, wenn durch eine missverständliche Auslegung des Rosenfeld’schen Vortrags der Praktiker dazu verführt würde, alles Heil der Fettsüchtigen in der Beschränkung der Calorienzahl zu suchen und darüber die bedeutungsvolle Rolle, welche wir der Steigerung- der Muskelaktion zuzuerkennen haben, zu vergessen. Hr. Rosenfeld (Schlusswort): Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man bei einer Kost, die für die Ruhe gerade zureichend ist, an Körperbestandteilen abnehmen muss, wenn bei dieser Ruhekost gearbeitet wird. Nun ist die Frage, wieviel Arbeit durch den Bergonie’schen Stuhl geleistet wird. Berechnet man die minimalen Hebungen, wie ich es ge- macht habe, so erhält man einige winzige Gramm Fett als Arbeits- äquivalent, und wenn man die Hebung der Muskelmasse rechnet, so würden sich auch nur geringe Verbrauchsgrössen ergeben. Daran ändern die so kurzen Erfahrungen der Herren Minkowski und Forschbach kaum etwas. Denn die O,-Steigerung bis zum respiratorischen Koeffizienten von 1, wie Bergoniö gefunden hat, zeigt, dass zunächst Kohlehydrat verbrennt — das ist schliesslich im Effekt dasselbe, wie wenn Fett ver- brennen würde —, aber zunächst verbrennt eben Kohlehydrat, Glykogen, und dessen Verbrennung geht mit dem vierfachen Verlust an Wasser parallel, so dass die Gewichtsabnahmen viel grösser erscheinen, als I. Abteilung. Medizinische Sektion. sl der Einbusse an Fett entspricht, wie ja die Abnahmen, die Herr Min- kowski berichtet hat, sicherlich grossenteils Wasserverluste sind. Was nun meine Beobachtung betrifft, so hat sie ein wesentliches Steilerwerden der Entfettungskurven in der Zeit der Bergonie-Uebung nicht gezeigt. So muss ich abwarten, ob an anderen Fällen sich Vor- teile des Bergonie’schen Verfahrens für die Fettabgaben zeigen. Den einen Vorteil möchte ich dem Verfahren zusprechen, dass es Arbeit er- möglicht anscheinend ohne Nervosität und ohne Hungererhöhung. Denn das ist ja der Grund — was ich dem Herrn Pfeiffer antworten möchte —, weswegen ich die Ruhe bei Entfettungskuren der Bewegung vorziehe: Bewegungen, wie Spazierengehen, werden in der Entfettungs- wirkung überschätzt und in der Appetiterregung unterschätzt. Der Patient muss sich mehr überwinden, dass er nicht seine Ration über- schreitet, und das macht leicht nervös, ebenso wie etwa ein auf- gezwungenes Wandern durch viele Stunden. Herrn Minkowski gegenüber möchte ich bemerken, dass ein N- Ansatz so gut in der Ruhe wie in der Bewegung möglich ist, dass dazu selbst die Bewegung entbehrt werden kann, sowie dass in Fällen von schwieriger Entfettung das Thyreoidin mich ganz im Stich gelassen hat, während in leichten Fällen eben alles hilft. Hr. Röhmann: Die Antigenwirkung der Kohlehydrate. Ein Beitrag zur Kritik des Zweckmässigkeitsbegriffs in der Immunitätslehre. (Siehe Teil II.) Sitzung vom 5. Dezember 1912. Vorsitzender: Herr A. Neisser. Schriftführer: Herr Röhmann. Bei den Neuwahlen. der Sekretäre für die Jahre 1914/15 wurden als 1. Vorsitzender Herr .Uhthoff, als 2. Vorsitzender Herr Pohl, als Sekretäre die Herren Partsch, Tietze, Rosenfeld, Röhmann, Min- kowski gewählt. Hr. Dreyer: f Kriegschirurgische Ergebnisse des Balkankrieges 1912/13. (Der Vortrag wird an anderer Stelle ausführlich veröffentlicht.) Diskussion. Hr. Coenen bemerkt, dass auf der griechischen Seite die eigen- tümliche spontane Balkangangrän nicht bekannt geworden ist. Es handelte sich hier immer um echte Erfrierungen der Füsse und Hände während des epirotischen Festungskrieges in dem Berggelände von Bizani und Janina. Die gangränösen Phlegmonen sind ätiologisch von der spon- tanen Balkangangrän ganz zu trennen. Vortr. zeigt an einer Lumiere- photographie eine schwere gangränöse Phlegmone des Unterschenkels nach einem Weichteilschuss, der die Gefässe nicht verletzt hatte. Unter schweren septischen Erscheinungen, hohem Fieber, schnellem Puls, trockener Zunge, schneller Abmagerung und lIeterus der Konjunktiven breitete sich von der Schusswunde her in centripetaler und centrifugaler Richtung eine schwarze Gangrän des grössten Teiles der Unterschenkel- muskeln und Haut aus, so dass diese, ohne zu eitern, sich in weiche, schwarze Massen auflösten, in die man mit der Pinzette leicht tief ein- dringen konnte. In der Umgebung war gar keine Reaktion, vor allen Dingen gar keine Eiterung und Verflüssigung des (Gewebes, dagegen zeigte die weiter von der Gangrän entfernt gelegene Muskulatur eine Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1913. TI. 6 32 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. vollständige wachsartige Entartung, so dass der Muskel wie gekochtes Fischfleisch aussah. Nach hoher Oberschenkelamputation erfolgte Heilung. Bezüglich der Mortalität spricht sich Coenen dahin aus, dass diese auf griechischer Seite in den meisten Kriegshospitälern gering war. In den von C. geleiteten 3 Kriegshospitälern in Athen und Saloniki be- trug diese durchschnittlich 1 pCt.; eine ähnliche Mortalität bestand in den Hospitälern in Kozani, in Veria und in Elassona (nach den Mit- teilungen der schwedischen Expedition und nach Dr. Mermingas). Selbst wenn man nun auch in manchen Hospitälern, so z.B. nach Dreyer’s Mitteilung im Gülhan&-Krankenhaus in Konstantinopel eine höhere Mortalität von 13 pCt. antrifit, so muss man doch sagen, dass angesichts der grossen Kriegsverluste diese Mortalitätsziffern gering sind. Hieraus kann man den Schluss ziehen, das gleich hinter der Front in dem von den Kugeln noch bestrichenen Gebiet, in welches kein Arzt und kein Krankenpfieger kommt, eine ungewöhnlich hohe Mortalität herrschen muss, dass aber diejenigen Verwundeten, die einmal aufge- lesen und zurücktransportiert werden, mit geringen Verlusten die Chance haben, am Leben zu bleiben. Bei der Wirkung der modernen Feuer- waffen muss dies berücksichtigt werden, sonst könnte man leicht eine falsche Vorstellung bekommen. Bedenkt man weiter, dass das Artillerie- feuer erheblichere Verletzungen setzt als früher, und dass die moderne Infanteriekugel in der Nahzone explosiv wirkt und in grösseren Ent- fernungen da noch verwundet, wo früher noch keine Verwundungen statt- fanden, so muss man den vielfach herrschenden Glauben an die Humanität der modernen Feuerwaffen aufgeben. Hr. Dreyer: Schlusswort. scllesische besellschaft für vaterländische Aullr. FEIS 91. I. Abteilung. Jahresbericht. Medizin. 1913. a. Medizinische Sektion. @,c afıa © Vorträge der medizinischen Sektion im Jahre 1913. IR Beiträge zur endoskopischen Diagnostik und Therapie endothoracischer Tumoren. Von Dr. A. Ephraim in Breslau. Im Laufe des vergangenen Winters erlaubte ich mir, Ihnen die Radiogramme und histologischen Präparate einiger Lungen- tumoren zu demonstrieren, deren Diagnose nur auf dem Wege der bronchoskopischen Untersuchung möglich gewesen war!). Heute möchte ich Ihnen über zwei weitere Fälle berichten, die ich zwar auf der vorjährigen Versammlung deutscher Laryngologen schon ganz kurz erwähnt habe, die mir jedoch einer etwas genaueren Beschreibung wert erscheinen, nicht nur, weil sie wiederum die Ueberlegenheit der endoskopischen Methode für gewisse Fälle dartun, sondern weil sie auch in allgemein klini- scher Hinsicht Interesse verdienen. 1. Echinococeus oder Tumor der Lunge? Clara U., 59 Jahre alt, trat am 9. V. 1912 in meine Beobachtung. Vor 23 Jahren ist sie wegen Gewächses im Leibe, im Jahre 1904 wegen Gebärmutterblutung operiert worden. Beginn der jetzigen Krankheit im Herbst 1909 mit Husten. Im Juni 1911 plötzliche Entleerung einer grossen Menge Blut per os, dessen Herkunft nicht sichergestellt werden konnte. Die Blutung wiederholte sich zunächst nicht, der Husten blieb trotz ärztlicher Behandlung, Badekuren usw. Am 1. XI. 1911 wiederum starke Blutung per os, die eine halbe Stunde dauerte und sich nach einigen Stunden noch einmal wiederholte. Die Untersuchung des Magens durch einen Magenspezialisten ergab ein negatives Resultat; auch sind bisher Magenbeschwerden niemals aufgetreten. In der letzten Zeit wieder öfters geringe Blutmengen im Auswurf, Husten ständig vorhanden, neuerdings auch dauernde, wenn auch nicht sehr erhebliche Atemnot, bisweilen Nachtschweisse. Schmerzen nicht vorhanden. Status praesens: Atmung mässig, bei leichter Anstrengung stark beschleunigt; die linke Seite bleibt zurück. Leichte Skoliose der Brust- wirbelsäule nach rechts. Temperatur normal. Perkussion: Links hinten normal, dagegen zeigt die ganze Axillargegend starke Dämpfung, die in die Herzdämpfung übergeht. Rechts normaler Schall bis auf eine geringe Dämpfung dicht an der 1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 25. Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1913. I. 1 2 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Wirbelsäule vom 4. bis 9. Brustwirbel; wegen der bestehenden Skoliose kann sie nicht als krankhaft angesehen werden. Das Atemgeräusch ist rechts vorn normal, rechts hinten leicht verschärft, ueben der Wirbelsäule schwach bronchial, links ist das In- spirium durchweg sehr abgeschwächt, dabei etwas verschärft, exspira- torisch Giemen. Der Spitzenstoss befindet sich in der linken vorderen Axillarlinie, die Herzdämpfung ist nach rechts normal, links geht sie in die grosse seitliche Dämpfung über. Herztöne rein und kräftig, Kehl- kopf normal, keine Stimmbandlähmung, Bauchorgane normal. Das Röntgenbild zeigt eine Skoliose der Brustwirbelsäule nach rechts. Diese scheint einem grossen Schatten zu folgen, der fast die ganze linke Brusthälfte einnimmt. Dieser Schatten zeichnet sich durch seine fast kreisrunde Gestalt sowie durch seine Grösse aus; er reicht von der Wirbelsäule bis an die äussere Brustwand und von der vierten hinteren Rippe bis an das Zwerchfell; somit schliesst er den als solchen nicht erkennbaren Herzschatten ein. Die seitlich und unten ganz scharfe Kontur muss jedoch nicht auf den pathologischen Schatten, sondern, wie ein Vergleich mit der anderen Seite ergibt, auf den sehr ausgesprochenen Mammaschatten bezogen werden. Indes ist auch die Kontur des pathologischen Anteils, der im oberen Abschnitt sichtbar ist, auffallend scharfrandig. Ferner findet sich rechts in der Höhe des sechsten hinteren Intercostalraums ein gleichfalls scharf konturierter kreisförmiger Schatten; medial und etwas aufwärts von diesem ein ern an der medialen Seite gleichfalls scharfrandiger kleinerer chatten. Die Diagnose begegnete in diesem Fall grossen Schwierig- keiten. Gegen Aneurysma sprach die Form des linksseitigen Schattens, das Fehlen von Geräuschen, Pulsationen, Stimmband- lähmung usw. Gegen einen Tumor sprach vor allem die aus- gesprochene Schärfe der Konturen. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 3 Vielmehr nahm sowohl Herr Geldner, der Hausarzt der Patientin sowie Herr Goetsch, der die Röntgenaufnabme ge- macht hatte, Lungenechinococeus als höchst wahrscheinlich an, zumal Patientin Jahre hindurch einen Hund gehalten hatte. In der Tat stimmt das Röntgenbild des vorliegenden Falles ganz ausserordentlich mit solchen überein, die als für Lungen- echinococeus charakteristisch veröffentlicht worden sind. Ist deren Zahl auch nur gering — es liegen bisher nur 16 Beobachtungen vor (Rosenfeld, Levy-Dorn, Zadek, Wadsack, Holz- knecht, Krause, Mollow [3 Fälle], Albers-Schönberg, Axhausen, Weber und Behrenroth [4 Fälle]) —, so stimmen sie, wenn auch nicht durchweg, so doch zum grösseren Teil darin überein, dass sie ein- oder beiderseitig einen kreis- oder scheiben- förmigen, bald helleren, bald tieferen, jedoch ganz scharf kon- turierten Schatten zeigen, von dem Holzknecht besonders her- vorhebt, dass er eine Verdrängung des Lungegewebes beweise und eine Substituierung desselben ausschliesse. Diese Erschei- nungen finden sich nun in dem vorliegenden Röntgenbilde so aus- gesprochen, dass die Diagnose mit Recht auf Echinococcus ge- stellt wurde, zumal auch die klinischen Erscheinungen ein- schliesslich der Lungenblutungen und die Anamnese damit übereinstimmten. Da hiermit die Frage der operativen Behandlung auftauchte, war es ganz besonders erwünscht, die Diagnose möglichst zu sichern; und da die Komplementbindungsmethode sich bisher nicht als zuverlässig erwiesen hat, wurde ich zur Vornahme der broncho- skopischen Untersuchung aufgefordert. 10. V. 1912. Bronchoskopie: Trachea normal, Bifurkations- steg von normaler Konfiguration, schräg von rechts vorn nach links hinten; im Inspirium bewegt er sich nach rechts vorn (Zeichen einer verminderten Beteiligung der linken Lunge). Der rechte Bronchus ist im oberen Teil normal, in der Tiefe zeigen sich jedoch die Teilungsstellen der kleineren Bronchien ver- breitert, vorgewölbt und auffallend weiss. Der linke Bronchus zeigt sich 11), cm unter der Bifurkation durch rötliche Massen so ausgefüllt, dass nur ein kleines, annähernd centrales Lumen bleibt. Das Bild erinnerte sehr stark an eine Zeichnung in Schrötter’s Klinik der Bronchoskopie, die eine Stenosierung des linken Bronchus bei Aortenaneurysma darstellt!); ein Fall, in dem Schrötter, in der Meinung, einen Tumor vor sich zu haben, die Probeexzision vornahm und dabei das Unglück hatte, das Aneurysma mit der Folge des sofortigen Exitus zu er- öffnen. Obwohl mir das hier in genaue Erinnerung kam, so ent- schloss ich mich doch zur Probeexzision. Vor allem, weil die klinischen Erscheinungen sehr stark gegen Aneurysma sprachen; ferner, weil andererseits aus der blossen Betrachtung kein Schluss auf die Art der vorliegenden Erkrankung gezogen werden konnte. 1) Tafel I, Figur 12. 1% 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Kommen ja doch auch bei allen verdrängenden Prozessen, so auch beim Lungenechinococeus, sekundäre fibrinöse Entzündungen der Bronchien vor, die einen derartigen Befund ergeben können, Immerhin beschloss ich, jede Gewaltanwendung zu vermeiden, und ging mit einer stumpfen (sogenannten Bohnen-)Zange ein. In der Tat fasste diese, ohne dass von einem eigentlichen Zuge die Rede sein konnte, ein Stück des ganz weichen Gewebes, worauf ich den Tubus entfernte. Blutungen oder sonstige Zufälle folgten dem Eingriff nicht. Die histologische Untersuchung des exzidierten Stückes ergab nun, dass es sich nicht um fibrinöse Massen, sondern um einen grossen, soliden Tumor handelte, und zwar wahrscheinlich um ein Endotheliom, worauf besonders eine Stelle hinweist. (Demonstration.) So wurde auf bronchoskopischem Wege der nach dem Röntgen- bilde anzunehmende Echinococeus ausgeschlossen, dagegen die Diagnose eines Tumors der linken Brusthälfte gesichert; wegen seiner Grösse und Lage wurde von einem operativen Eingriff Ab- stand genommen. Ueber die Schatten der rechten Seite gab die Bronchoskopie keine Aufklärung; hier waren, wie erwähnt, zwar Verdrängungserscheinungen, nicht aber die verdrängende Ursache selbst zu sehen. Indes müssen wir wohl, falls wir nicht zwei ganz verschiedene Affektionen in den Lungen der Patientin an- nehmen wollen, nunmehr auch die rechtsseitigen Schatten trotz der scharfen und kreisförmigen Kontur als den Ausdruck von Tumoren betrachten; und wir dürfen das um so eher, als Weil!) neuerdings einen Fall beschrieben hat, in welchem ein gleichfalls ganz scharfrandiger und kreisförmiger Schatten als Lungenechino- coccus gedeutet wurde, bis die Sektion — eine bronchoskopische Untersuchung war hier nicht erfolgt — einen soliden Tumor aufdeckte. Vor kurzem hat Hampeln?2) davor gewarnt, das Röntgen- bild des Lungenechinococcus als ganz charakteristisch zu be- trachten und darauf hingewiesen, dass unter Umständen ein ganz gleiches durch ein Aortenaneurysma hervorgerufen wird. Der Fall von Weil wie auch der oben angeführte zeigen die Be- rechtigung einer derartigen Warnung auch mit Rücksicht auf die Verwechslung mit Tumoren, da eben die Röntgenbilder derselben alle für Echinococeus als charakteristisch geltenden Merkmale haben können. Andererseits fehlen diese Merkmale einer ganzen Zahl der bisher publizierten Röntgenbilder von Lungenechino- coccus, wie deren Durchsicht ergibt. So sagt Otten?) ganz aus- drücklich, dass die bisher (1910) beobachteten Fälle von Lungen- echinococcus keinen charakteristischen Röntgenbefund ergaben. Das erklärt sich ja ohne weiteres aus den sekundären Ver- änderungen, die das Bild sehr modifizieren können. 1) Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen, Bd. 19. 2) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 25. 3) Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen, Bd. 15. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 5 Reicht also das Röntgenverfahren nicht aus, um in allen derartigen Fällen die Diagnose zu sichern, so zeigt die vor- stehend beschriebene Beobachtung ebenso wie die schon früher mitgeteilten, dass uns dann die bronchoskopische Methode die gewünschte, für die Therapie manchmal unbedingt nötige Klarheit schaffen kann. Ganz besonders gross ist ihr Wert bei denjenigen Prozessen, die sich im Bereich des Mittelschattens abspielen. Es ist daher schwer verständlich, dass für die Diagnose von Lungen- tumoren und ähnliche Erkrankungen das Röntgenverfahren noch immer als das allein in Betracht kommende bezeichnet wird. 2. Lokales Amyloid der unteren Luftwege. Die zweite Beobachtung, über die ich Ihnen heute berichten möchte, ist deswegen bemerkenswert, weil sie in pathologischer Hinsicht eine Rarität vorstellt, und weil sie nicht nur in diagnostischer, sondern auch in therapeutischer Beziehung Interesse verdient. Die jetzt 37 jährige Frau Emma Kr. konsultierte mich zum ersten- mal am 14. VI. 1901 wegen einer seit zwei Jahren bestehenden, an- geblich nach Influenza entstandenen Heiserkeit. Keine Abmagerung oder Nachtschweisse, etwas Hüsteln, keine Halsschmerzen. An den Lungen nichts Abnormes, Gaumen sehr blass, das rechte Taschenband stark infiltriert, blassrosa, bedeckt das rechte Stimmband völlig. Diagnose: Tubereulosis laryngis. 18. VI. Entfernung des Infiltrats mit der Landgraf’schen Curette; versehentlich werden die exzidierten Stücke entfernt, so dass eine histo- logische Untersuchung unterbleibt. Nachbehandlung mit Phenol. sulfo- ricinic. 29. XI. Kontrolluntersuchung: Das rechte Taschenband ist völlig restituiert, glatt, aber noch.etwas breiter als normal und leicht gerötet. Das normale rechte Stimmband ist sichtbar. 5. III. 1912. Bis vor einem Jahre ist es der Patientin gut gegangen. Seitdem besteht jedoch wieder Heiserkeit, ferner starker quälender Husten, spärlicher, schleimiger Auswurf. Vor allem klagt Pat. über häufige, erstickungsartige Zustände, die besonders beim Husten auftreten. Häufige abendliche Temperatursteigerungen. Seit längerer Zeit steht Pat. mit der Diagnose eines Lungenleidens in anderweitiger ärztlicher Behandlung. Kehlkopf: Grosser, lappiger, rötlicher Tumor, der die vorderen zwei Drittel des linken Taschenbandes einnimmt. Das rechte Taschenband ist in ungefähr gleichem Zustande wie bei der letzten Untersuchung im Jahre 1901; Stimmbänder und Kehlkopfhinterwand sind normal. Lungen: Der ganze linke Oberlappen zeigt deutliche Dämpfung, das Atemgeräusch über ihm ist verschärft, jedoch frei von Geräuschen. Der spärliche schleimig-eitrige Auswurf ist frei von Tuberkelbacillen und lässt keine Besonderheiten erkennen. 6. III. Entfernung des Tumors des linken Taschenbandes mit schneidender Pinzette. Seine histologische Untersuchung ergab nichts, was für Tuberkulose sprach, vielmehr war Amyloid wahrscheinlich. Allerdings gelangen die spezifischen Farbreaktionen nicht, was aber darauf beruhen mochte, dass die Stücke längere Zeit in Formalin ge- legen hatten. Da die Diagnose der Lungenaffektion nicht zu stellen ist, nahm ich am 15. II. 1912 die bronchoskopische Untersuchung vor. Hierbei fiel zunächst die Beschaffenheit der Trachea auf. Ihre Schleim- 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. haut sah nämlich durchweg ganz glasig, wie ödematös aus. An einigen Stellen befanden sich kleine graue Gebilde, die wie Schleimpolypen aus- sahen und im Atemstrom flottierten; ein Bild, wie ich es bisher weder gesehen noch beschrieben gefunden habe. Bei der Berührung durch den Tubus blutet die Schleimhaut leicht, so dass die Orientierung etwas er- schwert ist; jedoch lässt sich an der linken Seite der Bifurkation ein grösserer, bei der Atmung flottierender grauer Tumor erkennen. Der Versuch, ihn an dieser Stelle zu ergreifen, misslingt, weil er wiederholt der Zange entgleitet; dagegen gelingt es, ihn bei Eingehen in den linken Bronchus zu fassen, und mit leichtem Zuge wird ein graues derbes Stück (13:8 mm) zutage gefördert, das teilweise von Schleimhaut ent- blösst ist (vermutlich war diese bei den vorangegangenen Extraktions- versuchen abgelöst worden); darauf wird der Tubus entfernt. Schon nach wenigen Minuten gab die Patientin ganz spontan an, dass sie jetzt viel leichter atmen könne; und die sogleich vorgenommene Perkussion zeigte jetzt eine wenn auch nicht vollständige, so doch sehr erhebliche Aufhellung der Dämpfung im Bereich des linken Oberlappens. Danach konnte es nicht zweifelhaft sein, dass es sich um eine Ver- legung des linken Oberlappenbronchus gehandelt hatte, die durch den soeben entfernten Tumor verursacht worden war. Die Untersuchung des letzteren ergab nun, dass es sich in der Tat um Amyloid handelte. Zunächst zeigte sich das mit Evidenz durch den positiven Ausfall der spezifischen Farb- reaktionen mit Jod und Methylviolett. Aber auch das histo- logische Bild ist völlig eindeutig: bis an das Epithel sehen Sie die Tumormasse heranreichen, die aus rundlichen oder mehr länglichen strukturlosen Schollen besteht. Es lässt sich, wie das auch sonst angegeben ist, verfolgen, wie das Amyloid sich um Blutgefässe und Drüsengänge bildet, so dass diese durch die neu- gebildeten Massen immer mehr komprimiert werden; und man ist wohl berechtigt, die einzelnen Konglomerate als das End- stadium eines derartigen Umschnürungsprozesses anzusehen. Das Verhältnis des Amyloids zu den noch vorhandenen strukturierten Gewebsteilen lässt sich am anschaulichsten an Präparaten ver- folgen, die nach van Gieson gefärbt sind. Ueber den weiteren Verlauf ist folgendes zu berichten: 17. III. 1912. Husten viel geringer als bisher, Atem ganz frei. Die Dämpfung des linken Oberlappens ist ganz geschwunden. Die Brust- organe geben überhaupt einen völlig normalen Auskultations- und Per- kussionsbefund. Eine jetzt vorgenommene Röntgenaufnahme ergibt einen eircumscripten wimpelförmigen Schatten in der rechten Hilusgegend, der sich unmittelbar an den Mittelschatten anschliesst. 4. VI. 1912. Pat. hat sich dauernd wohl gefühlt, Husten kaum noch vorhanden, Heiserkeit sehr gering. Die Taschenbänder — in- zwischen hatte eine Nachbehandlung mit Höllensteinpinselungen statt- gefunden — sind glatt, leicht gerötet. Da der Perkussionsschall jetzt auf der rechten Seite auffallend tympanitisch klingt, nochmalige Bronchoskopie: Die Trachealschleimhaut - gegen die erste Untersuchung unverändert; es lässt sich jetzt deutlich erkennen, dass die Bifurkation stark verbreitert (Schwellung der intrabifurkalen Drüsen) und ihre Schleimhaut leicht ödematös ist. Im linken Bronchus finden sich dicht unter der Bifurkation einige kleine graue Exereszenzen (Amyloid), die mit der Zange entfernt werden; im rechten Bronchus dicht unter der Bifurkation eine ringförmige, durch zartgrauen Saum gebildete Stenose, die das Lumen auf kaum die Hälfte verengt. I. Abteilung. Medizinische Sektion. nl 8. VI. 1912. Die Stenose des rechten Bronchus wird durch Spreizen der Hohlkörperzange erweitert und ein etwas dünnerer Tubus durch- geschoben, es zeigt sich, dass in der Tiefe alles normal ist. 13. VI. 1912. Nach dem letzten Eingriff hat Pat. leichte Atem- beschwerden, auch etwas Rasseln gehabt; seit 3 Tagen ist aber alles wieder in Ordnung. Von jetzt an: Arsen in Form von Sol. Fowleri. 14. VIII. 1912. Pat. nimmt noch Arsen. Es geht ihr dauernd gut, Temperatur dauernd normal, Atem frei, Husten ganz gering. Taschen- bänder leicht gerötet und verdickt, aber glatt. Lungen perkutorisch und auskultatorisch normal. Die bronchoskopische Kontrolluntersuchung ergibt: Die Trachea zeigt bis auf diffuse Rötung ein ganz normales Bild, das glasige Aussehen ist ganz geschwunden. Die Bifurkation ist nach wie vor stark verbreitert. Am linken Bronchus nichts Abnormes, im rechten ist die oben beschriebene Stenose noch nachweisbar, aber deut- lich geringer als vorher. Eine Nachuntersuchung im Januar 1913 ergab unveränderten Befund. Eine Zusammenfassung der vorstehenden Krankengeschichte ergibt: ie 5 Eine 37 jährige Frau erkrankt 9 Jahre, nachdem sie wegen eines für tuberkulös gehaltenen, aber histologisch nicht unter- suchten Tumors des rechten Taschenbandes mit gutem Erfolg operiert worden ist, wieder an Heiserkeit, ferner an Husten mit schleimig-eitrigem Auswurf und Atembeschwerden. Nach etwa 1 Jahr wird ein tumorartiges Infiltrat des linken Taschenbandes, Dämpfung und verschärftes Atmen über dem linken Oberlappen festgestellt, Sputum ohne besonderen Befund. Das Röntgenbild zeigt einen kleinen rechtsseitigen Hilusschatten. Der Tumor des Kehlkopfs wird entfernt. Die Besichtigung der tieferen Luftwege ergibt ödemartige Beschaffenheit der Trachealschleimhaut, Ver- breiterung des Bifurkationssporns, eine Stenose des rechten Bronchus, die aber so gering ist, dass sie keine erheblichen Er- scheinungen macht, und einen Tumor des linken Bronchus, nach dessen Entfernung die Atembeschwerden sogleich nachlassen und die Dämpfung über dem linken Oberlappen verschwindet. Die histologische Untersuchung der entfernten Tumoren ergibt Amyloid. Der Mechanismus der Lungenerscheinungen bedarf kaum einer weiteren Erläuterung. Denn es ist nach dem Verlauf klar, dass diese in der Hauptsache durch den Tumor hervorgerufen waren, der, im oberen Teil des linken Hauptbronchus inserierend, diesen in geringem Grade, die Mündung des Oberlappenastes jedoch sehr stark verlegt und zu Atelectase sowie sekundärer Bronchitis mit gelegentlicher Temperatursteigerung geführt hatte. Die beim Husten aufgetretenen Erstickungsbeschwerden sind jeden- falls darauf zurückzuführen, dass der Tumor durch den Husten- stoss nach oben geschleudert wurde und so den ganzen linken Bronchus, vielleicht auch den untersten Teil der Trachea obturierte. Mit Rücksicht auf die Seltenheit des hier vorliegenden patho- logischen Prozesses dürfte es angebracht sein, hervorzuheben, dass dieser mit den bekannten sekundären Amyloidosis der Bauchorgane, soweit bekannt, nichts zu tun hat, sondern dass es sich hier um das seltene, sogenannte lokale Amyloid handelt. 3 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Kaufmann unterscheidet in Uebereinstimmung mit anderen Autoren eine infiltrierende Form desselben, wie sie besonders in der Harnblase, im Darm und der Conjunctiva beobachtet worden ist, und eine knotige, in Form von Tumoren auftretende, bei der wiederum eine solche, bei der es sich um amyloide Umwandlung echter Geschwülste handelt, von der zu trennen ist, bei der die amyloiden Tumoren primär auftreten. Anlässlich eines eigenen Sektionsbefundes hat P. Seckel!) vor kurzem die in der Literatur niedergelegten Beobachtungen zusammengestellt, und zwar von der ersteren, sekundären Form 20, von der primären 26 Fälle (einschliesslich seines eigenen), von denen übrigens bei 15 die Affektion erst bei der Sektion gefunden wurde. Abgesehen von 3 Fällen, in denen das Knochenmark bzw. Urethra und Schild- drüse betroffen war, handelte es sich ausschliesslich um Lokali- sationen an der Zunge und den Luftwegen. Einmal war der Pharynx, 9mal die Zunge, 13 mal der Kehlkopf erkrankt. In 2 von diesen 13 Fällen war zweimal auch die Trachea und in einem dieser beiden letzteren waren auch die Bronchen mit- ergriffen. Auffallend ist es, dass von allen 11 klinisch beob- achteten Fällen die richtige Diagnose intra vitam nur einmal ge- stellt worden sein soll. In unserem Fall hat es sich anscheinend um eine Kom- bination der infiltrierenden Form [an der Trachealschleim- haut, in gleicher Weise von Balser?) beschrieben] mit der pri- mären Tumorform (Kehlkopf, Bronchen) gehandelt. Während das lokale Amyloid hauptsächlich bei Männern über 50 Jahre beob- achtet wurde, betraf es hier eine etwa 30 jährige Frau. Aber die wesentliche Bedeutung unseres Falles liegt wohl darin, dass es vermittels der endoskopischen Methode hier zum ersten Male möglich gewesen ist, eine derartige Erkrankung in den tieferen Luftwegen nicht nur in vivo festzustellen, sondern auch sie wie die ernsten Folgeerscheinungen zu beseitigen; ein Erfolg, der des- wegen um so höher zu veranschlagen ist, als die Neigung dieser Tumoren zur Recidivierung sehr gering ist, soweit die bisherigen, allerdings sehr beschränkten Erfahrungen annehmen lassen. Bemerkenswert ist ferner der günstige Einfluss, den das Arsen gehabt zu haben scheint, ein Punkt, über den bisher keine An- gaben vorliegen. 1) Archiv f. Laryngol., Bd. 26, H. 1. 2) Virchow’s Archiv, Bd. 91. II. Ueber Erfahrungen mit der Abderhalden’schen Fermentreaktion beim Carcinom. Von Dr. Erich Frank und Priv.-Doz. Dr. Fritz Heimann. So interessant die in neuerer Zeit angegebenen Carcinom- reaktionen vom theoretisch-biologischen Standpunkte aus sind, so umstritten ist ihre praktische Verwertbarkeit. Die Hemmung tryptischer Fermentwirkungen durch Carcinomseren pflegt erheb- lich stärker zu sein als durch normale Sera, Krebszellen werden vom Serum des Gesunden aufgelöst, von dem des Krebskranken nicht; aber in der vorliegenden Form ist von diesen beiden Feststellungen die erste, der erhöhte antitryptische Titer nach Brieger-Trebing (1) zur Diagnose überhaupt nicht, und die zweite, die Zellreaktion. nach Freund-Kaminer (2) noch nicht recht geeignet; ebenso wird noch zu entscheiden sein, ob die neue Gestalt, die von Dungern (3) seiner Komplementablenkungs- reaktion gegeben hat, sich bewähren wird. Günstig schneidet bis jetzt die Meiostagminreaktion nach Ascoli-Izar (4) ab, aber auch hier werden noch weitere Bestätigungen abzuwarten sein; ausserdem ist die Anstellung dieser Reaktion recht subtil. Unter diesen Umständen ist jeder neue Weg, der sich gang- bar erweist, zu beschreiten: Die Abderhalden’sche Ferment- reaktion, die sich für die Schwangerschaft bewährt hat, auf das Careinom anzuwenden, liegt nahe, und Abderhalden hat bereits in seinen ersten Veröffentlichungen das Verhalten maligner Tumoren unter den Anwendungsgebieten, für die sich die Me#hode möglicherweise werde ausbauen lassen, genannt. Die Technik, deren wir uns bei der Carcinomreaktion bedienten, war im wesentlichen die bei der Schwangerschaftsdiagnostik ge- übte, doch haben sich seit unserer letzten Publikation!) über die biologische Schwangerschaftsreaktion mit zunehmender eigener Erfahrung und auf Grund einer Reihe weiterer Arbeiten Abder- halden’s die technischen Schwierigkeiten, die häufig das Gelingen der Reaktion in Frage stellten, beseitigen lassen. Wir hatten 1) Diese Wochenschr., 1912, Nr. 36. 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. damals schon auf die Unzuverlässigkeit der seinerzeit als Dialysier- schläuche angewendeten Fischblasen aufmerksam gemacht und besonders die Schwierigkeiten der Beurteilung der Biuretreaktion betont. Abderhalden hat die gleichen Erfahrungen gemacht: er hat aus diesem Grunde als Reagens das Triketohydrindenhydrat oder Ninhydrin empfohlen, das die Abbauprodukte im destillierten Wasser in recht einfacher Weise erkennen lässt. Auch wir haben uns dieses Reagens bedient und uns bei unseren vorliegenden Untersuchungen streng an die Abderhalden’schen Vorschriften ge- halten. Die hierfür verwendete Placenta wurde in vorgeschriebener Weise zubereitet; als Dialysierschläuche wurden die Hülsen der Firma Schleicher & Schüll benutzt, die uns wirklich aus- gezeichnete Dienste verrichteten. Jede Hülse wurde vor ihrer Inanspruchnahme auf Durchlässigkeit usw. geprüft und erst, wenn sie den Ansprüchen in genügender Weise gerecht wurde, zu den Versuchen verwendet; wir möchten hierbei hervorheben, dass man doch von Zeit zu Zeit die Hülsen erneuern soll, da trotz Aus- kochens und Aufhebens unter Toluol sich Fäulniserscheinungen bemerkbar machen können, die dann natürlich den Ausfall der Reaktion fälschen. Das zu untersuchende Serum wurde durch Öentrifugieren gewonnen und vorsichtig abpipettiert, damit es völlig ohne Blutkörperchen verwendet werden konnte. Hämolytisches Serum wurde nicht benutzt. Selbstverständlich wurde auch als Kontrolle bei diesen Versuchen stets das Serum ohne Zusatz von Placenta geprüft, um eventuell darauf zu achten, ob das Serum allein schon Abbauprodukte enthält. Die Aussenflüssigkeit und das Serum wurden mit Toluol überschichtet und etwa 16 Stunden im Brutschrank belassen. Erst dann wurde auf Abbauprodukte ge- prüft, und zwar so, dass 10 ccm des toluolfreien destillierten Wassers mit 0,2 ccm einer 1 proz. Lösung des Triketohydrinden- hydrates eine Minute lang gekocht wurde. Bei positivem Ausfall tritt dann eine Blauviolettfärbung, bei negativem Ausfall eine schwache Gelbfärbung ein oder die Lösung bleibt farblos. Zunächst wurde nun diese Reaktion bei Schwangeren an- gewendet, und wir haben die Sera einer grossen Anzahl von Graviden aus allen Stadien der Schwangerschaft zur Untersuchung herangezogen. Die Ninhydrinreaktion hat sich hierbei ausgezeichnet bewährt. Es kam zuweilen vor, dass das Dialysat des Serums allein sich färbte; selbstverständlich konnten derartige Sera keine Aus- kunft über eine eventuell vorliegende Gravidität geben; in solchen Fällen muss man eben auf eine biologische Diagnose der Schwanger- schaft verzichten. Schliesslich möchten wir noch erwähnen, dass stets eine Kontrolle angesetzt wurde, die in der Hülse nur Placenta und physiologische Kochsalzlösung enthielt, um zu zeigen, dass die Placenta allein keine dialysablen Abbauprodukte mehr abgab. Es war, wie bereits erwähnt, von grösstem Interesse, diese Ver- hältnisse beim Careinom zu studieren, worauf bereits Abderhalden selbst aufmerksam gemacht hatte. Wir haben uns mit dieser Frage eingehend beschäftigt, und unsere Untersuchungen erstrecken I. Abteilung. Medizinische Sektion. 11 sich bisher auf 46 maligne Tumoren, und zwar 30 Uteruscarcinome und 16 andere Üarcinome bzw. Sarkome. Als abzubauendes Substrat wurden hier Öarcinommassen gewählt, die in unserem Fall von Uteruscareinomen stammten und in derselben Weise vorbereitet wurden, wie die Placenta. Auch hier wurde stets als Kontrolle das Careinomserum allein angesetzt, schliesslich wurde auch noch Placenta statt des Öarecinoms genommen, um zu sehen, ob das Careinomserum auch Placenta abbaut. Infolge dieser Ver- suchsanordnung war es natürlich von Interesse zu erfahren, wie sich das Schwangernserum Öarcinom gegenüber verhält, und so wurden stets neben Öarcinomseren auch sichere Schwangerenseren mit Carcinom angesetzt. Auf die Resultate bei normalen, also sicher Nichtschwangeren und Nichtcarcinomkranken, kommen wir bald zu sprechen. Unsere Untersuchungen reichen lange Zeit zurück; wir haben also bereits die Reaktion angestellt, ehe Abderhalden sein Ninhydrin empfohlen hatte; infolgedessen wurden die ersten Untersuchungen noch mittels der Biuretreaktion geprüft; wir müssen übrigens hierbei hervorheben, dass auch die von Abder- halden selbst angegebenen Resultate über die Carcinomdiagnose, die meistens negativ ausfiel, nur vermittels der Biuretreaktion erzielt wurden. Diese negativen Ergebnisse wären nach Abder- halden vielleicht darauf zurückzuführen, dass es sich meist um inoperable Carcinome handelte, bei denen der mit Metastasen überschwemmte Organismus nicht mehr imstande wäre, Schutz- fermente zu bilden. Von urs wurden auf diese Weise sechs Carcinomsera und zwei Schwangerensera untersucht. Das Resultat war, dass bei den Carcinomen nur in einem Falle eine positive Reaktion insofern zu verzeichnen war, als das Serum Carcinom und Placenta abbaute; das Serum allein war negativ, in sämt- lichen übrigen Fällen war die Reaktion stets negativ. Bei den Schwangerenseren war in beiden Fällen Serum mit Careinom und Placenta positiv, das Serum allein negativ. Wir möchten hierbei erwähnen, dass der einzige positive Fall ein sehr schlechtes, be- reits inoperables Uteruscarcinom war, wir haben also hier wie übrigens auch später die oben erwähnte Hypothese Abder- halden’s nicht bestätigen können. Bei späteren Untersuchungen haben wir dann die Biuret- mit der Ninhydrinreaktion verglichen und konnten uns den Angaben Abderhalden’s, dass der Ausfall der Reaktionen nicht parallel geht und die Triketohydrindenhydrat- reaktion im allgemeinen schärfer anzeige als die Biuretreaktion, anschliessen. In der Mehrzahl der Fälle sahen wir nämlich, dass die Biuretreaktion bei den Careinomseren sowohl mit Careinom wie mit Placenta negativ war, während die Ninhydrinreaktion hierbei positiv ausfiel. Aehnlich verhielt es sich mit den Schwangerenseren. Schwache positive Reaktion bei Biuret, starker positiver Ausfall bei Ninhydrin und zwar sowohl bei Zusatz von Placenta wie von Careinom, allerdings erstere in viel stärkerem Grade. Aus diesem Grunde hatten wir uns entschlossen, in Zukunft von der Anwendung der Biuretreaktion völlig abzusehen und nur 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. die Ninhydrinreaktion in Betracht zu ziehen. Und daher wurden sämtliche folgenden Seren nur auf diese Weise untersucht. Die Erfahrungen, die wir hierbei gemacht haben, sind nun folgende: Sämtliche Uteruscarcinome boten das gleiche Ergebnis: die Sera zeigten mit Carcinom zusammen positive Reaktion, und dasselbe fand sich häufig sogar noch stärker, wenn statt des Carecinoms Placenta verwendet wurde. In einigen wenigen Fällen baute auch das Serum allein schon ab, diese Fälle wurden natürlich von der Betrachtung ausgeschlossen, sie können eben gerade wie bei der Schwangerschaftsdiagnostik biologisch nicht verwendet werden. Wir haben bereits erwähnt, dass auch Schwangerenseren mit Carcinom angesetzt wurden, und auch hierbei fanden wir, ab- gesehen von zwei Fällen, stets positive Reaktion, allerdings war hier der Ausfall bei Zusatz von Placenta ein wesentlich stärkerer als bei Hinzufügung von Carcinom. Natürlich wird auch hier stets eine Kontrolle: Carecinom und pbysiologische Kochsalzlösung angesetzt. Die Untersuchung der 16 Seren von Patientinnen, die an Carcinomen anderer Organe; Mamma, Magen, Oesophagus, Ovarien usw. litten, ergab folgendes Resultat: 14mal war die Reaktion positiv; 2mal liess sie im Stich, bzw. der Aus- fall war so schwer zu erkennen, dass man ihn nicht verwerten konnte. Es handelt sich um ein Gallenblasencareinom und um ein Sarkom, ausgehend vom Mesenterium; bei allen übrigen malignen Tumoren war die Reaktion so, wie wir sie beim Uterus- carcinom sahen, also bei Zusatz von Placenta und Carcinom positiv, Serum allein negativ. Vielleicht lässt sich der negative Ausfall so erklären, dass man als Abbausubstrat Uteruscareinom gewählt hat. Tumorgewebe des in diesem Falle betroffenen Organs hätte vielleicht einen positiven Ausfall der Reaktion ver- anlasst. Bei der Untersuchung der Normalseren handelte es sich um Patienten, die an leichten Erkrankungen ohne Temperatur- steigerung litten. In einem Fall aber fand sich bei einem Mann eine positive Reaktion, ohne dass Anhaltspunkte für ein Oarcinom vorlagen. Dreimal löste das Serum allein eine positive Reaktion aus, selbstverständlich war dies dann auch bei Zusatz von Placenta und Careinom der Fall, in allen übrigen Fällen war die Reaktion negativ. Bevor wir auf die Schlüsse, die wir aus diesen Beobachtungen ziehen können, eingehen, wollen wir noch einige Zufälle, die wir beim Anstellen der Reaktion erlebten und die häufig die Resultate trüben können, eingehen. Es ist unbedingt notwendig, dass man sich genau nach den gegebenen Vorschriften richtet, da geringste Aenderungen sofort auch Aenderungen im Ausfall der Reaktion zur Folge haben können. Wir haben z. B. in der ersten Zeit zu- weilen nur 5 ccm des destillierten Wassers genommen und dazu 0,1 ccm einer 1 proz. Lösung Ninhydrin gegeben. In solchen Fällen hatten wir eine negative Reaktion. Wurden nun noch I. Abteilung. Medizinische Sektion. 13 0,1 ecm hinzugefügt und noch einmal gekocht, so wandelt sich die negative Reaktion in eine positive um; dasselbe konnten wir auch erleben, wenn das Kochen länger als eine Minute fort- gesetzt wurde, auch hierbei konnten wir beobachten, dass eine zuvor negative Reaktion in eine positive umschlug. Allerdings sehen wir hierbei niemals diese schöne blauviolette Färbung, sondern es kam mehr ein schmutzig graublauer Farbenton heraus. Hierunter hatten wir übrigens eine ganze Zeitlang zu leiden, und solche Resultate können natürlich nicht verwendet werden. ÖOb- wohl genau auf Zubereitung des Serums, steriles Arbeiten usw. geachtet wurde, obwohl die Placenta und das Carcinom dasselbe war, mit dem wir einige Tage vorher die schönen Färbungen erhalten hatten, war plötzlich der Ausfall der Reaktion stets ein fraglicher geworden und trotz eifriger Bemühungen war es uns nicht möglich, den Fehler zu entdecken. Wir haben in solchen Fällen das Carcinom bzw. die Placenta frisch zubereitet und eine neue Lösung anfertigen lassen und konnten uns dann wieder auf die Reaktion verlassen. Man sieht daraus, wie dringend nötig es ist, seine Reagentien stets nachzuprüfen. Ferner muss auch darauf geachtet werden, dass die Brut- schranktemperatur streng innegehalten wird. Durch einen un- glücklichen Zufall passierte es einmal, dass 37° erheblich über- schritten wurden, und der Erfolg war, dass sämtliche Reaktionen negativ waren. Aus alledem geht hervor, dass es mitunter nicht ganz leicht sein kann, die Resultate, die die Reaktionen ergeben haben, abzulesen. Es gehört auch hier namentlich bei schwach positivem Ausfall Uebung und Aufmerksamkeit dazu, um nicht Irrtümern zu begegnen. Wir haben schliesslich noch fragliche Uteruscarcinome — eine Frage, die doch für die Frühdiagnose eine wesentliche Rolle spielt — zur Untersuchung herangezogen und konnten bis jetzt in 3 Fällen den Ausfall der Reaktion später mit dem mikroskopischen bzw. makroskopischen Befund bei der Operation vergleichen; auch hier hat die Reaktion bisher nicht im Stich gelassen. Fassen wir unsere Ergebnisse noch einmal zusammen, so können wir folgendes sagen: Die Ninhydrinreaktion hat bei Schwangerschaft stets richtige Resultate — auch in frühesten Monaten — ergeben; allerdings wurden auch positive Reaktionen erhalten, wenn statt der Placenta Carcinom gewählt wurde. In derselben Weise sehen wir stets Carcinomseren Carcinom wie auch Placenta abbauen, vorausgesetzt, dass es sich um Üterus- carcinom handelt; bei anderen malignen Tumoren war der Ausfall ganz überwiegend positiv. Dies Resultat zunächst besagt, dass wir biologisch Carcinom und Schwangerschaft nicht unterscheiden können; in gewissem Sinne ist dadurch die Spezifität der Reaktion in Frage gestellt. Dieser Parallelismus in biologischer und chemischer Hinsicht ist übrigens lange Gegenstand eifrigster Studien gewesen. Salomon und Saxl (6) konnten sowohl im Harn von Graviden 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. wie in dem von Krebskranken eine gesteigerte Ausscheidung der Oxyproteinsäure feststellen. Falk und Hesky (8) fanden im Harn von Schwangeren, allerdings erst in späteren Monaten, eine Vermehrung der Polypeptide, und dieselben Eigenschaften konnten Falk, Salomon und Saxl (7) für Krebskrauke nachweisen. Aber auch serologisch hat das Blut von Schwangeren und Krebskranken grosse Aehnlichkeiten aufzuweisen. Freund und Kaminer konnten beobachten, dass das Serum gesunder Menschen menschliche Krebszellen löst, während dies das Serum von an Üareinom erkrankten Menschen nicht tut. Durch Kraus und v. Graff (9) wurde nun das Serum schwangerer Frauen bezüglich dieser Eigenschaft untersucht, und diese Autoren konstatierten, dass Serum von Frauen am Ende der Gravidität bzw. unter der Geburt menschliche Krebszellen nicht löst, also sich genau wie Üareinomserum verhält, während in frühen Monaten das Seram Gravider sich wie das Serum Gesunder ver- hält, also Careinomzellen löst. Auch bezüglich des Verhaltens der Blutkörperchen gegen Kobragift bei Schwangeren und Tumor- trägern sind von einigen Untersuchern (10) Aehnlichkeiten ge- funden worden; auch das Verhalten embryonaler Zellen gegen die Seren der oben erwähnten Kategorien ist berücksichtigt worden; wir wollen noch auf eine Reaktion aber ausführlicher zu sprechen kommen, das ist die Aktivierung der Kobragiftpferdeblut- hämolyse durch Serum von Schwangeren und Krebskranken. Bauer und Lehndorff (12), später Heynemann (13), Graff und v. Zubrzycki (14) u. a. haben die von Calmeite als spezifisch für Tuberkulose angegebene Reaktion in der Schwangerschaft nach- geprüft und fanden ziemlich übereinstimmend, dass die Reaktion in den ersten zwei Monaten sehr selten positiv war, vom dritten Monat an begann und vom vierten Monat an stark positiv war. Zur Frühdiagnose war also die Reaktion nicht geeignet. Schon Heynemann hatte das Serum von Öarcinomkranken für diese Untersuchungen herangezogen, aber mit negativem Erfolge. Diese Studien wurden später von Kraus, Ranzi, Graff und v.Zubrzycki (5,14) in ausgedehntem Maasse wieder aufgenommen, und diese Autoren fanden, dass die Oarcinomsera in über 20 pCt. der Fälle die Kobragiftpferdebluthämolyse aktivieren, aber auch Normalsera und Sera andersartig Erkrankter tun dies in etwa 10 pCt. der Fälle; damit ist nach ihnen die Reaktion dia- gnostisch nicht zu verwerten, da z. B, wie Graff und v. Zubrzycki angaben, auch operierte, jahrelang recidivfrei ge- bliebene Frauen eine positive Reaktion geben. Schliesslich möchten wir noch erwähnen, dass sowohl bei graviden Frauen wie bei Carcinomkranken eine starke An- reicherung des Blutes mit antitryptischen Substanzen gefunden wurde und dass die Meiostagminreaktion bei Schwangeren häufig positiv ausfällt. Wenn wir jetzt noch einmal unsere Resultate beim Carcinom zusammenfassen, so hat sich ergeben, dass von 46 Garcinomen 45, d. h. 97,8 pCt. der Fälle positiv reagierten, während I. Abteilung. Medizinische Sektion. 15 von 20 Normalseren 19 — 95 pCt. der Fälle negativ rea- gierten. Hier muss nochmals betont werden, dass wir bisher nur Uteruscarcinome als Substrat verwendet haben, dass es sich für die allgemeine Carcinomdiagnose empfehlen dürfte, mit Carcinomen verschiedener Organe zu arbeiten. Unsere Ergebnisse sind nur als Vorstudien aufzufassen: soll eine brauchbare Öarcinomdiagnostik daraus entstehen, so müssen folgende Fragen, mit deuen wir zurzeit noch beschäftigt sind, beantwortet werden: 1. Wie verhält sich die Reaktion beianderen Erkrankungen(Tabes, Lues, Kachexien, akuten Infektionskrankheiten, Basedow usw.)? 2. Ist das Substrat ein spezifisches oder kann es durch andere Proteine (Leber, Muskel usw.) ersetzt werden? 3. Fällt die Reaktion auch in den frühesten Stadien der Oarcinomentwicklung positiv aus? Anmerkung bei der Korrektur: Abderhalden hat in Nr. 8 und 9 der Münchener med. Wochenschrift neue Anforde- rungen an die Zubereitung der Placenta gestellt, von denen früher nicht die Rede war, die er aber neuerdings für unerlässlich hält, wenn die Resultate verwertbar sein sollen. Wir haben unsere Ergebnisse auf Grund der Vorschriften gewonnen, auf deren Basis Abderhalden seine Schwangerschaftsreaktion proklamiert hat, und die er auch im Handbuch der biochemischen Arbeits- methoden, Bd. VI (Dezember 1912), gibt. Er fordert jetzt, dass 5 ccm des Kochwassers der Placenta, mit 1 ccm 1proz. Ninhydrinlösung gekocht, keine Blaufärbung mehr geben dürfen, während es vordem genügte, wenn 10 ccm des Kochwassers mit 0,2 ccm der 1 proz. Ninhydrinlösung keinen Ausschlag mehr geben. Bei diesem Vorgehen reagierten, wie er kursorisch mitteilt, 15 Fälle von Careinom nur mit Carcinom- gewebe und liessen sich 20 Fälle von Carcinom scharf von Schwangerschaft unterscheiden. Wir haben alsbald auch mit dieser neuen Methodik ge- arbeitet; naturgemäss ist die Anzahl der untersuchten Fälle noch klein; immerhin verfügen wir bereits über ein Material von 19 Beobachtungen (10 Schwangere und 9 Öarcinome). Der Aus- fall der Reaktion war der gleiche wie in unseren früheren Ver- suchen: Die ÜCareinomsera bauten Carcinomgewebe, aber auch Placenta (und zwar gar nicht unerheblich) ab, die Sera der Schwangeren sowohl Placenta als auch Carcinom (letzteres aller- dings in deutlich geringerem Grade als Placenta); Placenta wurde also stets deutlich abgebaut. Wir möchten demnach unsere oben aufgestellten Behauptungen aufrecht erhalten. Wir verfügen mithin jetzt über 54 Careinome mit 53, d.h. 98,2 pCt. positiver Reaktionen. Literatur. 1. Diese Wochenschr., 1908, Nr. 22. — 2. Biochem. Zeitschr., 1910, Bd. 26, S. 312. — 3. Münchener med. Wochenschr., 1912, S. 2854 bis 2856. — 4. Münchener med. Wochenschr., 1910, Nr. 8, 22 u. 41; 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Wiener klin. Wochenschr., 1912, S. 1957 u. 1938. — 5. R. Kraus, E. v. Graff, E. Ranzi, Wiener klin. Wochenschr., 1911, Nr. 28. — 6. Salomon und Saxl, Beitr. z. Careinomforsch., 1910, Bd. 2. — 7. Falk, Salomon und Saxl, Med. Klinik, 1910. — 8. Falk und Hesky, Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 71. — 9. R. Kraus und E. v. Graff, Wiener klin. Wochenschr., 1911, Nr. 6. — 10. R. Kraus, O0. Pötzl, E. Ranzi und H. Ehrlich, Wiener klin. Wochenschr., 1909, Nr. 20. — 11. E. v. Graff und J.v. Zubrzycki, Archiv f. Gynäkol., 1912, Bd. 96. — 12. Bauer und Lehndorff, Folia serologiea, 1909, Ba.3, S.87. — 13. Heynemann, Archiv f. Gynäkol. u. Geburtsh., 1910, Bd. 90. — 14. E.v. Graff und J. v. Zubrzycki, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 11. III. Untersuchungen über die Verwertbarkeit der Abderhalden’schen Fermentreaktion bei Schwangerschaft und Carcinom. Von Dr. N. Markus. Die grosszügigen Untersuchungen Abderhalden’st) über die Schutzapparate, welche der Organismus bei dem Eindringen blut- fremder Substanzen in die Circulation in Aktion treten lässt, haben schliesslich zu der praktisch bedeutsamen Fragestellung geführt, ob sich während der Schwangerschaft proteolytische Fer- mente in der Blutbahn finden. Im Verlaufe eingehender Untersuchungen gelang es Abder- halden schliesslich, den Nachweis zu führen, dass das Serum von schwangeren Menschen und Tieren Fermente enthält, die Placenta abzubauen vermögen. Was die Technik anbetrifft, mit der dieser Nachweis geführt wird, so dürfte es wohl genügen, auf die bekannten Publikationen Abderhalden’s zu verweisen, in denen er seine Anschauungen eingehend begründet und de- taillierte Angaben über das bei der Fermentreaktion, insbesondere der Schwangerschaftsreaktion zu beobachtende Verfahren macht. Soweit Erfahrungen von Abderhalden selbst, von Frank und Heymann, Franz und Jarisch, Henkel vorliegen, hat die Schwangerschaftsreaktion, sofern Erkrankungen anderer Organe mit Sicherheit auszuschliessen waren, niemals versagt. Dagegen sind in letzter Zeit von Engelhorn?) aus der Erlanger Frauenklinik Bedenken über die Zuverlässigkeit der Schwangerschaftsreaktion gsäussert worden, der dem Abderhalden’schen Verfahren eine diagnostische Bedeutung abspricht. Desgleichen berichtet Herzberg) über Untersuchungen in der Fränkel’schen Privat- klinik in Breslau, nach denen der positive Ausfall der Schwanger- 1) Abderhalden, Münchener med. Wochenschr., 1912, Nr. 24 12 Nr: 3651913, Nr. 8. 2) Engelhorn, Münchener med. Wochenschr., 1913, Nr. ul, 3) Diskussionsbemerkung zum Vortrag Frank und Heymann in der Sitzung vom 14. März 1913 der medizinischen Sektion der Schlesi- schen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau. Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1913. I. 2 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. schaftsreaktion mit dem klinischen, zum grossen Teil autoptischen Befunde nicht übereinstimmte. Sie berichtet unter anderem über ein Myom, bei dem eine positive Schwangerschaftsreaktion nach- zuweisen war, bei sicherem Ausschluss einer etwaigen Gravidität. Ich habe mich bald nach dem Erscheinen der Abder- halden’schen Arbeiten mit der Nachprüfung der Schwanger- schaftsreaktion beschäftigt und hieran auch Versuche über das Verhalten des Serums von Careinomkranken gegen Placenta und Carcinomgewebe geknüpft. Der Gedanke, das Verhalten von Careinomserum gegen Oarcinom zu prüfen, ist von Abderhalden bereits in seinen ersten Arbeiten in den Kreis der experimentellen Untersuchungen gezogen worden. Es lag naturgemäss nahe, nach- dem im Serum Schwangerer Fermente gegen Placenta nach- gewiesen waren, auch im Serum Carcinomkranker nach ähnlichen Fermenten gegen Carcinom zu suchen. Abderhalden selbst hat bereits über günstige Resultate in dieser Richtung mitgeteilt und gibt in seinen letzten Arbeiten an, dass seine Schutzfermente einen gewissen spezifischen Charakter aufweisen, indem er stets einen Abbau von Carcinom durch Careinomserum, nicht aber z. B. einen Abbau des Careinoms durch Schwangerenserum und umgekehrt einen Abbau von Placentargewebe durch Carcinom- serum beobachten konnte. Die Methodik, die Abderhalden bei der Anstellung der Ferment- reaktion vorschreibt, ist im Verlaufe der Zeit vielfachen Modifikationen unterlegen. So gibt Abderhalden in seinen ersten Publikationen und auch weiter im Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden noch an, dass es zur Anstellung der Reaktion genüge, Placentargewebe mit der zehnfachen Menge Wassers so lange zu kochen, bis 10 cem der Wasch- flüssigkeit mit 0,2 cem einer 10 proz. wässrigen Ninhydrinlösung keine Blaufärbung mehr ergeben. Neuerdings hält Abderhalden diese Methode anscheinend nicht mehr für einwandsfrei, da er verlangt, dass die bereits vorher in der üblichen Weise ausgekochten Placentarstück- chen vor der Anstellung der Reaktion nochmals mit der fünffachen Wassermenge so oft gekocht werden, bis l ccm einer 1 proz. Ninhydrin- lösung zusammen mit 5 ccm des Waschwassers keine Reaktion mehr zeigen. ich habe mich in meinen Versuchen peinlichst an die Abder- halden’schen Vorschriften gehalten und muss entsprechend den Wandlungen, welche die Abderhalden’sche Methodik im Laufe der Zeit erfahren hat, auch meine Versuche in zwei grosse Abschnitte teilen. Ich habe meine ersten Versuche nach der ursprünglichen Methode Abderhalden’s angestellt und nach diesem Verfahren 15 Gravide bzw. Puerperae fast ausschliesslich unmittelbar nach der Geburt untersucht. Bei diesen liess sich überall mit Hilfe der Abderhalden’schen Fermentreaktion die Diagnose Schwanger- schaft mit Sicherheit stellen. Unter den von mir untersuchten Fällen verdienen besonders vier ein weitergehendes klinisches Interesse, da sie meiner Ansicht nach geeignet sind, über die Grenzen Aufschluss zu geben, innerhalb deren man mit einem positiven Ausfall der Schwangerschaftsreaktion rechnen kann. So habe ich einen Fall acht Tage nach dem Ausbleiben der Menses untersucht, zu einer Zeit, wo sich noch nicht der geringste Pal- I. Abteilung. Medizinische Sektion. 19 pationsbefund erheben liess, und in diesem Fall einen starken Abbau der Placenta durch das Serum feststellen können. Weiter ‚habe ich es mir andererseits zur Aufgabe gemacht, auch den Zeitpunkt des Verschwindens der Reaktion zu bestimmen, und habe dabei gefunden, dass eine Wöchnerin noch 10 Tage post partum, eine andere 18 Tage usw. positiv reagierte, während bei bei einer dritten 4 Wochen nach der Geburt die Schwangerschatts- reaktion negativ war. Es tritt somit die Abderhalden’sche Schwangerschaftsreaktion bereits 8 Tage nach dem Ausbleiben der Menses auf und ist etwa 4 Wochen nach dem Partus ver- schwunden. In drei Fällen von Extrauteringravidität war die Schwanger- schaftsreaktion immer positiv. Die Extrauteringravidität wurde jedesmal durch die Operation bestätigt. Zur Kontrolle habe ich 18 nicht schwangere Frauen, zum Teil ganz gesunde, zum Teil Frauen mit ÖOvarialtumoren, gonorrhoischen Anexitiden untersucht und in keinem der 18 Fälle eine positive Schwangerschaftsreak- tion gesehen. Es hat somit in keinem Falle die Schwangerschafts- reaktion, nach der ursprünglichen Methode Abderhalden’s ange- stellt, ein irreführendes Resultat ergeben, und ich möchte es dahingestellt sein lassen, ob nicht schon in dieser Form die -Abderhalden’sche Fermentreaktion eine brauchbare klinische Unter- suchungsmethode darstellt. Ich muss allerdings sofort einschränkend bemerken, dass nach dieser Methode auch fünf Sera von Carcinomatösen eine positive Reaktion bei Verwendung von Placenta ergaben, wobei es frei- lich noch dahingestellt bleiben muss, ob nicht hier die auch sonst bekannten biologischen Analogien zwischen Schwangerschaft und Oarcinom zum Ausdruck gelangen. Als dann Abderhalden mit Nachdruck die Anwendung seiner neuen Vorschriften zur Anstellung der Schwangerschafts- reaktion bzw. zum eventuellen Fermentnachweise bei Tumorkranken verlangte, habe ich mich in meinen weiteren Untersuchungen nur an diese gehalten. Ich bin hierbei zu einer fast vollständigen Bestätigung der Abderhalden’schen Befunde gelangt. In sämt- lichen Fällen von Gravidität (20 Fälle) habe ich stets eine posi- tive Schwangerschaftsreaktion auch nach der neuen Methode be- kommen. Dieselbe fiel auch positiv aus, allerdings nur schwach positiv, bei einer Frau, 10 Tage nach dem Ausbleiben der Menses. Ich habe weiter 11 Careinomsera, darunter Oesophaguscarcinome, Pharynx-, Uterus- und Magendarmcarcinome auf ihr Verhalten gegen Placentareiweiss geprüft und habe hierbei in 7 Fällen eine absolut negative Reaktion und in 4 Fällen einen sehr schwachen Abbau der Placenta durch Carcinomseren gefunden. Es scheint somit, wenn auch Abderhalden seine Schutz- fermente nicht als spezifisch bezeichnet hat, doch eine gewisse Spezifität zu bestehen, die in meinen Versuchen darin hervortritt, dass bei Anwendung der neuen Abderhalden’schen Methode Placenta stets stark und deutlich von Schwangerschaftsserum ab- gebaut wird, während Carcinomserum im allgemeinen keine placentaabbauenden Fähigkeiten besitzt. Worauf die Differenz in 9 20 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. den Ergebnissen von Frank und Heymann!) und meinen, die sich mit den Abderhalden’schen Befunden fast völlig decken, be- ruht, lässt sich natürlicb nicht ohne weiteres sagen. Möglicher- weise spielen da individuelle Differenzen in der Zusammensetzung der verschiedenen Placenten eine gewisse Rolle. Ich habe weiterhin Versuche über das Verhalten von Carcinomserum gegen Üarcinomgewebe bzw. Schwangerenserum gegen Carcinomgewebe angeknüpft und bin hierbei zu folgenden Resultaten gelangt: Als abzubauende Substanz benutzte ich Uterus- carcinom, das nach den neuesten Abderhalden’schen Vorschriften behandelt wurde. Von 8 Carcinomseren, darunter Portio- carcinome, Öesophagus - Magendarmcareinome reagierten 5 mit Uteruscarcinomgewebe positiv, 3 negativ. In diesen 3 Fällen handelte es sich ausschliesslich um das Serum von Magendarm- carcinomen. Von 7 Schwangerschaftsseren reagierten 5 völlig negativ; in 2 Fällen ergab jedoch das Dialyast mit Ninbydrin eine schwache Blaufärbung. Fasse ich meine Resultate zusammen, so hat sich in sämt:- lichen untersuchten Fällen die Schwangerschaftsreaktion als eine sichere diagnostische Untersuchungsmethode erwiesen. Dagegen erfordert die Beurteilung der Schwangerschaftsreaktion bei Tumor- verdacht eine gewisse Vorsicht, da wir, wenn auch nur in einer geringen Anzahl von Fällen und auch dann nur schwach, immerhin einen Abbau der Placenta durch Tumorserum nachweisen konnten. Inwieweit die Abderhalden’sche Fermentreaktion bei sicherem Ausschluss von Schwangerschaft für die Carcinomdiagnose ver- wertbar ist, darüber möchte ich mich auf Grund meiner Erfah- rungen vorläufig mit Reserve aussprechen. So weisen vor allem meine Versuche darauf hin, dass, wenn auch Carcinomserum häufig Carcinomgewebe abbaut, der negative Ausfall der Reaktion nicht mit Sicherheit gegen das Vorhandensein von Carcinomen spricht. Es muss natürlich abgewartet werden, ob sich nicht die Re- sultate durch Verwendung verschiedener Careinome entsprechend den zu untersuchenden Fällen verbessern lassen. Hierfür sollen weitere bereits im Gange befindliche Untersuchungen Aufschluss geben. 1) Frank und Heymann, Vortrag, gehalten in der Sitzung vom 14. März 1913 der medizinischen Sektion der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau. IN Ueber die funktionelle Untersuchung des Ohrlabyrinthes. Von Prof. Dr. Hinsberg. M.H.! Kein Gebiet der Otologie hat in den letzten Jahren so eingehende Bearbeitung gefunden, keins hat aber auch so interessante Resultate geliefert wie die funktionelle Untersuchung des Labyrinthes. Während es in der Hauptsache zunächst rein praktische Fragen waren, die den Anstoss zu diesen Unter- suchungen gaben — vor allem die Diagnostik der Labyrinth- eiterungen — kam bald eine ganze Reihe von allgemein wichtigen und interessanten Gesichtspunkten hinzu, so dass heute die Re- sultate dieser Forschungen auch für die Gesamtmedizin von Be- deutung sind. Da die Ergebnisse dieser Arbeiten bisher in der Hauptsache in otologischen Fachzeitschriften publiziert und deshalb der All- gemeinheit schwer zugänglich waren, glaube ich, Ihr Interesse heute für eine kurze Uebersicht über dieses Gebiet in Anspruch nehmen zu dürfen. Bekanntlich sind im Labyrinth die Endapparate zweier ganz verschiedener Sinnesorgane vereinigt: der des Gehörorgans in der Schnecke und der eines mit zur Regelung des Körpergleich- gewichts dienenden Organs im Vorhof-Bogengangsapparate. Die funktionelle Untersuchung des Hörorganes ist Ihnen in ihren Grundzügen wohl bereits bekannt; Sie wissen, dass wir durch den Rinne’schen Versuch, die Feststellung der unteren und oberen Ton- grenze, den Schwabach’schen Versuch u. a. m. meist in den Lage sind, festzustellen, ob eine Erkrankung der Schnecke bzw. des Acusticus vorliegt. Ich will deshalb auf diese Fragen nicht näher eingehen und mich auf die Untersuchung des statischen Teiles des Labyrinths beschränken. In der Hauptsache interessieren uns dabei die Bogengänge, die bekanntlich halbkreisförmige Kanäle darstellen, die ungefähr in den drei Ebenen des Raumes angeordnet sind. Die Nerven- endorgane, die Cristae ampullares, liegen in einer Erweiterung 22 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. des Kanals, der Ampulle. Sie bestehen aus einer Bindegewebs- leiste, auf der mit Haaren versehene Sinneszellen liegen; diese Haare ihrerseits sind von einer homogenen Masse, der Cupula, eingeschlossen. Die pbysiologische Reizung dieser Sinneszellen geschieht nun dadurch, dass der flüssige Inhalt des Bogenganges, die Endo- Iymphe, in Bewegung gerät, d. h. sich gegen die Bogengangs- wand und damit auch gegen die Oupula vorschiebt. Diese wird dadurch verbogen, und diese Biegung oder Zerrung bildet offen- bar den adäquaten Reiz für die Sinneszellen. Physiologisch kommt diese reizauslösende Liquorströmung dadurch zstande, dass zu Beginn einer Drehung des Kopfes die Flüssigkeit infolge des Trägheitsgesetzes zurückbleibt, nach Be- endigung sich weiterbewegt. Das lässt sich sehr schön an diesem Modell beobachten. (Demonstration.) Diese Vorgänge, die sich natürlich beim Menschen nicht direkt sichtbar machen lassen, sind durch Physiologen, vor allem Flourens, Breuer und Ewald durch Tierexperimente bis in die feinsten Details studiert worden. Dabei wurde nun festgestellt, dass durch eine be- stimmte Strömung der Endolymphe stets und ganz gesetzmässig be- stimmte Augenbewegungen ausgelöst werden. So z. B. sehen wir bei einer Bewegung des Liquor im rechten horizontalen Bogengang zur Ampulle hin (also ampullopetal), dass beim narkotisierten Tier beide Bulbi nach links abweichen, also nach der nicht gereizten Seite, und dort stehen bleiben, solange der Reiz andauert. Beim wachen Tier tritt dagegen im Moment der Reizung Nystagmus auf, und zwar nach der gereizten Seite hin. Die nystagmusartigen Zuckungen der Bulbi lassen stets zwei Kom- ponenten unterscheiden: eine langsame, die in ihrer Richtung der beim narkotisierten Tier beschriebenen Deviation entspricht, und eine schnelle, die ihr entgegengesetzt ist. Da letztere die auffälligere ist, wird die Richtung des Nystagmus nach ihr benannt, d. h. wir sprechen von Nystagmus nach rechts, wenn die schnelle Komponente nach rechts gerichtet ist. Ein weiteres charakteristisches Merkmal dieses Nystagmus besteht darin, dass er bei Blick in der Richtung der schnellen Komponente stärker, bei Blick nach der anderen Richtung schwächer wird oder verschwindet. Wir lassen deshalb, wenn wir auf Nystagmus nach rechts fahnden, den Patienten stets nach rechts sehen. Diese Augenbewegungen sind auch beim Menschen in gleich gesetzmässiger Weise mit den Liquorbewegungen verknüpft, auch beim Menschen sehen wir bei Reizung in Narkose oder bei Be- wusstseinsstörung Deviation der Bulbi, am nicht narkotisierten Nystagmus. Auf der Beobachtung dieses Nystagmus unter be- stimmten Verhältnissen beruhen unsere ganzen modernen Unter- suchungsmethoden, auf der Arbeit der Physiologen basiert die der Otologen. Bei den ersten Versuchen ging man davon aus, dass man die Liquorströmung in den Bogengängen auf physiologische Weise, also durch aktive oder passive Drehung des Kopfes oder des ganzen Menschen, auslösttee Am zweckmässigsten bedient I. Abteilung. Medizinische Sektion. 23 man sich dabei eines Drehstuhles, wie Sie ihn hier sehen. (Demonstration.) Dieser Weg hat sich in der Tat auch als gangbar erwiesen, und es gelingt mit dieser Methode häufig, Defekte in der Funktion des ganzen Bogengangssystems oder einzelner Bogengänge auf einer oder auf beiden Seiten nachzuweisen. Ich kann Ihnen das am besten an einem konkreten Beispiel klar machen. Wenn wir einen Menschen bei aufrechter Kopfstellung um seine Längsachse drehen, dann liegen die beiden horizontalen Bogengänge annähernd horizontal, sie werden also sehr stark erregt, während in den beiden anderen Bogengängen, die vertikal stehen, kaum eine Flüssigkeits- bewegung stattfinden wird. Bei Beginn der Drehung bleibt in beiden horizontalen Bogengängen die Flüssigkeit zurück. Es entsteht also, da bei beiden die Ampulle vorne liegt, im rechten eine Strömung zur Ampulle hin, also eine ampullopetale, im linken eine von der Ampulle fort, also ampulio- fugal. Nun löst, wie Ewald nachgewiesen hat, eine ampullopetale Störung Nystagmus in der Richtung nach der gereizten Seite aus, eine ampullo- fugale Nystagmus in der Richtung nach der anderen Seite. In unserem Fall also erzeugt die Drehung im rechten horizontalen Bogengang Nystagmus nach rechts, die im linken ebenfalls; beide Reize wirken im gleichen Sinne, es resultierte Nystagmus nach rechts. Nach Aufhören der Drehung entsteht, wie ich bereits er- wähnte, eine Liquorströmung im umgekehrten Sinne, die selbst- verständlich auch Nystagmus im umgekehrten Sinne erzeugt, den sogenannten Nachnystagmus. Da dieser aus praktischen Gründen sich viel leichter beobachten lässt als der Nystagmus während der Drehung, ihm im übrigen völlig gleichwertig ist, wird er von uns aus Bequemlichkeitsrücksichten fast ausschliess- lich verwertet. Zu erwähnen ist nun endlich noch, dass nach einer bestimmten Anzahl von Drehungen der Nystagmus in der Regel eine bestimmte Dauer hat. So dauert er nach 10 Drehungen um die Vertikalachse meist 20—40 Sekunden. Was geschieht nun bei Rechtsdrehung, wenn der horizontale Bogengang einer Seite, sagen wir z. B. der der rechten, funktionsunfähig ist? Es wird dann nur noch das linke Labyrinth, in dem die ampullo- fugale Strömung entsteht, gereizt. Nun wissen wir aber durch die klassischen Plombierungsversuche Ewald’s, dass die ampullofugale Strömung nur einen halb so starken Reiz ausübt als die ampullopetale. Dementsprechend ist auch der den Augenmuskeln zugeleitete Reiz nur halb so stark, und der Nystagmus dauert bei dieser Versuchsanordnung erheblich kürzere Zeit, etwa 5—15 Sekunden. Bei Drehung nach links dagegen entsteht im noch erhaltenen linken Bogengang die stärker wirkende ampullopetale Strömung, der Nystagmus ist demnach auch von normaler Dauer. Sie sehen demnach, dass wir aus dieser Differenz in der Nystagmusdauer bei Rechts- und Linksdrehung ohne weiteres die Ausschaltung des eine Bogenganges schliessen können. Nun können wir aber durch Veränderung der Kopfhaltung auch die anderen Bogengänge in die für die Reizung durch 24 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Vertikaldrehung günstige horizontale Lage bringen, wir können also auch diese einzeln untersuchen. Die Drehversuche haben, so interessante Resultate sie liefern, einen Nachteil: es wurden stets beide Labyrinthe gleichzeitig gereizt, und da einige Zeit nach der Zerstörung eines Labyrinthes häufig eine anscheinend central bedingte Kompensation eintritt, werden die Resultate verwischt; nach einer gewissen Zeit können wir deshalb vermittels der Drehung die Zerstörung eines Laby- rinthes oft nicht mehr nachweisen. Es war deshalb, speziell für die otologische Praxis, von grösster Bedeutung, dass Baräny vor sieben Jahren eine Methode angab, die die Reizung jedes Labyrinthes allein gestattete. Sie hat sich-seitdem als „calorische Reizung“ allgemein eingeführt und bewährt. Es war schon früher wiederholt Physiologen und Ötologen aufge- fallen, dass bei Ausspülung des Gehörganges mit kaltem Wasser bzw. bei Belastungsversuchen am Trommelfell mit Wasser oft Schwindel, manchmal auch Uebelkeit und Erbrechen auftreten. Ueber die Ursachen war man sich aber nicht recht klar, man dachte an einen abnormen Druck, abnorme Reizbarkeit des betreffenden Individuums oder ähn- liches. Bäräny konnte nun aber einwandsfrei feststellen, dass Labyrinth- reizerscheinungen, vor allem aber Nystagmus — und das macht gerade die Methode so wertvoll — sich stets gesetzmässig bei jedem Individuum mit normalem Labyrinth hervorrufen lassen, sobald man das Trommel- fell bzw. die mediale Paukenhöhlenwand, die ja zugleich die laterale Labyrinthwand ist, entweder abkühlt oder erwärmt. Als einfachstes Mittel zur Auslösung dieses „calorischen Nystagmus“ wird in der praktischen Otologie fast allgemein Ausspülung mit Wasser angewandt, dessen Temperatur höher oder niedriger ist als die des Körpers; doch lässt sich derselbe Effekt auch durch Einblasen von kalter Luft, Ein- führung kalter Gegenstände ins Ohr oder ähnliche Manipulationen er- reichen. Bärany gab nun auch gleich bei seiner ersten Publikation eine Erklärung des Phänomens, die heute fast allgemein anerkannt und wohl zweifellos auch richtig ist. Da die die Labyrinthhohlräume vom Mittelohr trennende Knochen- schicht an verschiedenen Stellen von sehr verschiedener Dicke ist, muss dort, wo sie am dünnsten ist, zuerst eine Abkühlung der Endolymphe stattfinden. Dadurch wird, das bedarf wohl keiner weiteren Erörterung, ein Endolymphstrom erzeugt, da sich die kühleren Endolymphteile senken, die wärmeren in die Höhe steigen. Es entsteht also ein Endolymph- strom in bestimmter Richtung, ebenso wie bei der Drehung, die selbst- verständlich auch genau so auf die Cupula wirkt. Da nach der anatomischen Konfiguration der horizontale und der obere Bogengang der Paukenhöhlenwand am nächsten liegen, kommen diese für die calorische Reizung am meisten in Betracht, und zwar lässt sich durch Veränderung der Kopfhaltung bald der eine, bald der andere in die für die Erzeugung des Temperaturgefälles günstigste Stellung, die „Optimumstellung“*, bringen. Da der Zusammenhang zwischen Richtung der Endolymphströmung und Nystagmus selbstverständlich ebenso gesetzmässig ist, wie der bei der rotatorischen Prüfung, kann ich mich hier auf das früher Gesagte beziehen. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 25 Um nur ein Beispiel anzuführen, so entsteht bei Kaltwasser- spülung des rechten Ohres rotatorischer Nystagmus nach links, bei Warmwasserspülung, bei der das Temperaturgefälle ja umgekehrt sein muss, Nystagmus nach rechts. Durch Veränderung der Kopfstellung lässt sich auch die Richtung des Nystagmus gesetzmässig beeinflussen. Ich will Sie aber nicht mit der Anführung weiterer Details ermüden und verwirren, m. H., und nur noch so viel sagen, dass wir durch die Prüfung des calorischen Nystagmus fast ausnahms- los imstande sind, festzustellen, ob der horizontale und der obere Bogengang einer Seite überhaupt erregbar ist. Nun wäre es sehr wünschenswert, wenn wir auch über den Grad der Erregbarkeit Aufschluss erhalten könnten, da Beob- achtungen an pathologischen Fällen die Annahme nahe legen, dass die Erregbarkeit gesteigert oder herabgesetzt sein kann. Man hat versucht sich darüber Klarheit zu verschaffen, indem man entweder feststellte, wie lange der Nystagmus nach Beginn der Erre- gung andauerte, oder indem man die Menge des Wassers und damit die angewandte Kälte- bzw. Wärmemenge maass, die zur Auslösung des Nystagmus verbraucht wurde. Für letztere Zwecke hatBrünings einen sehr handlichen Apparat konstruiert (Otocalorimeter), der anscheinend praktisch brauchbare Resultate liefert. (Demonstration.) Physiologisch interessant und praktisch richtig ist ferner ein anderes Experiment, das uns über das Vorhandensein von Fisteln in der Labyrinthwand, wie sie bei Mittelohbreiterungen nicht selten sind, Aufschluss gibt. Komprimiert man mittelst eines Gummi- ballons die Luft im Gehörgang, so wird die Drucksteigerung durch die Fistel auf die Endolymphen übertragen und dadurch eine stossartige Endolymphbewegung erzeugt. Auch hier wieder sehen wir typische Augenbewegungen, und swar eine langsame Abweichung der Bulbi bald nach der gereizten, bald nach der anderen Seite, in einzelnen Fällen auch Nystagmus. Dass sich die Richtung der Augenbewegung im einzelnen Falle nicht vorher berechnen lässt, wie bei der calorischen oder rotatorischen Prüfung, liegt wohl daran, dass die Richtung der Endolymphbewegung (ob ampullo- fugal oder ampullopetal) von der uns ja unbekannten Lage der Fistel und vielleicht auch von Veränderungen im Lumen des Bogenganges ab- hängig ist. Das Phänomen, meist als „Fistelsymptom“ bezeichnet, ist vor allem für die Indikationsstellung für Operationen wichtig. Praktisch weniger wichtig ist zurzeit noch die galvanische Untersuchung des Labyrinths, und das ist auch der Grund dafür, dass ich diese historisch ältere Untersuchungsmethode erst jetzt erwähne. Wir sind über Angriffspunkt (Nerv oder Labyrinth?) und Wirkungsweise des galvanischen Reizes noch zu wenig orientiert, um gerade für die praktisch uns am meisten interessierenden Fragen exakte Schlüsse ziehen zu können. Ich will deshalb auf die Schilderung der an sich sehr inter- essanten Fragen verzichten, um den Rest der Zeit noch auf eine andere Frage zu verwenden, die neuerdings mit viel Erfolg be- 26 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. arbeitet wird: die Reaktionsbewegungen des Körpers oder ein- zelner Muskelgruppen bei Labyrinthreizung. Bekannt ist ja, dass bei stärkerer Labyrinthreizung neben den eben besprochenen Erscheinungen noch weitere auftreten: subjektiv Schwindel, oft Uebelkeit, objektiv Gleichgewichts- störungen, eventuell Erbrechen. Diese Gleichgewichtsstörungen, die ja schon durch die klassischen Versuche von Flourens bekannt waren, und die früher fast die einzigen bekannten Symptome der Labyrinth- erkrankungen bildeten, sind höchst wahrscheinlich auf eine Störung des von den beiden Labyrinthen der Körpermuskulatur zuge- leiteten Tonus zurückzuführen. Vor der Einführung der vorhin geschilderten Untersuchungs- methoden versuchte man, mit ihrer Hilfe Störungen im Bereich der Labyrinthfunktion festzustellen, und ich konnte Ihnen vor einigen Jahren an dieser Stelle an Patienten zeigen, dass in der Tat nach einseitiger oder doppelseitiger Labyrinthzerstörung auch nach dem Abklingen der stürmischen Gleichgewichtsstörungen, die den Einbruck des Eiters im Labyrinth regelmässig begleiten, noch Defekte vorhanden sind. Auch dann, wenn die Patienten sich unter den Bedingungen des täglichen Lebens wieder an- scheinend normal bewegen, lässt sich noch feststellen, dass bei Ausführung komplizierterer Uebungen, z. B. Hüpfen mit ge- schlossenen Augen, Koordinationsstörungen vorhanden sind. Das wurde von v. Stein in Moskau und von Krotoschiner in meiner Klinik einwandfrei bewiesen. Da die Ergebnisse dieser Prüfungen jedoch an Exaktheit weit hinter denen der calorischen Reizung zurückbleiben, wurden sie zu deren Gunsten allgemein verlassen. Dafür haben wir aber gelernt, diese Störungen des Muskel- tonus in anderer Richtung diagnostisch zu verwerten. Man fand nämlich, dass bei einigermaassen starker Reizung eines Labyrinthes Falibewegungen auftreten, und dass die Fallbewegung ganz ge- setzmässig in einer Richtung erfolgt, die der des gleichzeitig er- zeugten Nystagmus entgegengesetzt ist. Diese Beziehung zwischen Richtung des Nystagmus und Kopf- stellung ist so konstant, dass wir, wenn sie nicht vorhanden ist, wenn z. B. bei Nystagmus nach links bei aufrechter Kopfstellung Fall nach links eintritt, mit Bestimmtheit sagen können, dass die Fallbewegung nicht vestlbulär ausgelöst ist, sondern dass es sich entweder um eine cerebellare Erkrankung oder um Hysterie, vielleicht auch um traumatische Neurose handelt. Ausserdem können wir aber auch, wie Bäräny gezeigt hat, nachweisen, dass durch die Labyrinthreizung in den einzelnen Extremitäten deutliche und gesetzmässige Koordinationsstörungen auftreten. Am besten lässt sich das am sogenannten „Zeigever- such“ demonstrieren. Der zu Prüfende wird aufgefordert, z. B. bei ausgestrecktem Arm mit seinen Fingerspitzen die des Untersuchers zu berühren, dann den Arm zu senken und die Fingerspitzen des Untersuchers wieder zu berühren. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 27 Der Normale bringt das mit offenen und geschlossenen Augen prompt fertig. Wenn man nun aber den Versuch wiederholt, nachdem man experimentell Nystagmus erzeugt hat, tritt regel- mässig eine Abweichung des Armes in der dem Nystagmus ent- gegengesetzten Richtung ein, der Patient „zeigt vorbei“. Ein Ausbleiben der Zeigereaktion bei normalem Nystag- mus beweist eine Störung im Üerebellum oder eventuell im Acusticus. Ich kann auf die Erklärung der Erscheinung und auf weitere Details nicht mehr eingehen, möchte nur noch erwähnen, dass sich der Versuch vor allem für die Diagnostik der Kleinhirnerkrankungen als eminent wichtig erwiesen hat. M. H.! Ich bin am Schluss meiner theoretischen Aus- führungen und möchte mir nur noch erlauben, Ihnen die ge- schilderten Versuche zum Teil wenigstens zu demonstrieren, so weit das in einer grösseren Corona möglich ist. Zur Demonstration habe ich ausser einen normalen jungen Mann Fälle gewählt, die Ihnen interessante pathologische Verhält- nisse zeigen. Bei diesem Patienten hier ist das Fistelsymptom ausser- ordentlich leicht auszulösen. Es ist das dadurch zu erklären, dass durch ein Cholesteatom anscheinend die Kuppe des horizon- talen Bogengangs abgeschliffen wurde, so dass das Endost des Bogengangs freiliegt, ohne dass aber das Labyrinth selbst er- krankt ist. Ebenso wie durch die Luftverdichtung lässt sich durch Berührung der Bogengangsgegend mit einer Sonde leicht Schwindel auslösen. Bei dem zweiten Patienten lässt sich durch die geschilderten Untersuchungsmethoden einwandfrei feststellen, dass der Vesti- bularapparat auf beiden Seiten vollständig gelähmt ist; auf der einen Seite ist auch die Hörfunktion stark herabgesetzt, während sie auf der anderen fast normal erhalten ist. Da bei dem Patienten nicht nur die rotatorische und calo- rische, sondern auch die galvanische Erregbarkeit vollkommen geschwunden ist, möchte ich annehmen, dass es sich nicht nur um eine Erkrankung des Labyrinthes, sondern mehr um patho- logische Vorgänge in den Nerven bzw. in ihren Kernen handelt. Die Ursache ist vielleicht ein Trauma. Ohne die exakte Vesti- bularuntersuchung würde Patient leicht in den Verdacht der Simu- lation gekommen sein. Bei dem dritten Patienten endlich sind dauernd auffallende Erscheinungen beim Zeigeversuch vorhanden: er zeigt dauernd nach aussen bzw. nach oben vorbei. Wir haben diese Erscheinungen ganz zufällig gefunden, und eine Erklärung dafür hat die neurologische Untersuchung nicht ergeben. Dafür, dass es sich wahrscheinlich nicht um rein funktionelle Störungen handelt, spricht der Umstand, dass sich das Vorbeizeigen nicht durch die Erzeugung von Nystagmus be- einflussen lässt, wie das sonst fast stets der Fall ist. IV: Das phylogenetische Moment in der spastischen Lähmung. Von 0. Foerster-Breslau. An die Symptomatologie der spastischen Lähmungen knüpfen sich eine Reihe interessanter Probleme. In erster Linie gilt dies von den spastischen Kontrakturen. Zwei Fragen interessieren dabei besonders, erstens warum werden überhaupt die Glieder durch abnorme Muskelspannung fixiert? und zweitens, warum werden sie oft in so merkwürdigen Stellungen fixiert, die von der Ruhelage der Glieder in der Norm erheblich abweichen. Das Grundgesetz, welches die Entstehung der spastischen Kontrakturen beherrscht ist die Tatsache, dass diejenige Muskel- gruppe der spastischen Kontraktur verfällt, deren Insertionspunkte angenähert sind, während ein Muskel, der stark gedehnt ist, zu- nächst nicht davon ergriffen wird. Befindet sich ein Glied in der Mittellage zwischen zwei Endstellungen, so werden beide Muskelgruppen in annähernd gleichem Grade spastisch. Die Spannungsentwicklung im Muskel beruht, wenn dessen Insertions- punkte angenähert sind, auf einem durch periphere sensible Reize veranlassten subcorticalen und spinalen Innervationsvorgang, einem subcorticalen Fixationsreflex. Da also die Lagerung der Glieder maassgebend für die Verteilung der Kontrakturen ist, fragt es sich nur, welche Momente im einzelnen als stellunggebende Fak- toren in Betracht kommen. Zum Teil ist dies einfach die passive Lagerung der Glieder, wie sie durch die Schwere bedingt wird. Wenn sich aus einer schlaffen hemiplegischen Lähmung heraus allmählich die Kontrakturen entwickeln, so kommt es am Bein zu einer Kontraktur der Plantarflexoren des Fusses, weil dieser sich der Schwere entsprechend in extremer Streckung befindet; es kommt zur Kontraktur des Quadriceps, weil die Streckstellung im Knie die natürliche Ruhelage des gelähmten Beines ist; es entsteht Kontraktur der Adduktoren, weil das gelähmte Bein ganz von selbst neben dem anderen gelagert ist. Am Arm kommt es zur Kontraktur der Adduktoren des Oberarmes, weil dieser in der Regel der Schwere entsprechend zur Seite des Oberkörpers liegt. In der Mehrzahl der Fälle von spastischer Lähmung spielt N I. Abteilung. Medizinische Sektion. 29 tatsächlich die Schwere für die Verteilung der Kontrakturen eine nicht unerhebliche Rolle. Aber sie ist keineswegs der einzige stellunggebende Faktor. Im Gegenteil sehen wir, dass die Kon- trakturstellungen vielfach gerade der Schwere entgegengerichtet sind. Als stellunggebender Faktor kommt hierbei aktive Muskel- tätigkeit in Betracht, und zwar werden die Glieder zum Teil durch willkürliche Bewegungen in bestimmte Stellungen geführt, aus denen sie wegen der Lähmung der Antagonisten nicht wieder herausgebracht werden können und in denen sie dann kontrak- turieren. In der Hauptsache ist es aber sicher eine ganz un- willkürliche Muskeltätigkeit, welche die Glieder in diese Stellung führt. Denn wir sehen dieselben Kontrakturstellungen auch dann, wenn eine vollkommene Lähmung der willkürlichen Bewegung besteht, wir sehen sie bei der Hemiplegie bereits auf- treten, ehe eine willkürliche Beweglichkeit eingekehrt ist. Die unwillkürliche Muskeltätigkeit, welche als stellunggebender Faktor für die Kontrakturen in Betracht kommt, beruht auf Innervationen, die von den subcorticalen Centren und dem spinalen Grau den Muskeln zugehen, und welche veranlasst werden durch den sen- siblen Zustrom von der Körperperipherie zu den subcorticalen Centren, wie ich das in zahlreichen früheren Arbeiten näher dar- getan habe. Die Frage ist nur, warum dieser centripetal ange- regte Innervationsstrom gerade vorzugsweise bestimmten Mus- keln zugeht. Bevor wir darauf näher eingehen, müssen wir die typischen Kontrakturstellungen bei den spastischen Lähmungen Revue passieren lassen. Bei den angeborenen spastischen Diplegien (Figur 1), bei denen die Be- wegungsstörung im wesentlichen über den ganzen Körper ausgebreitet ist, befinden sich die Beine bekanntlich fast durchweg in Beugekontraktur in Knie und Hüfte, die Füsse in einer mehr oder weniger ausgesprochenen Supinationsstellung, zumeist mehr in Plantarflexion, manchmal aber auch mehr in Dorsalflexion. Die grosse Zehe steht zumeist in Dorsal- flexion, ihre letzte Phalange ist oft flektiert; die übrigen Zehen befinden sich in Flexion, wenn der Fuss nicht gerade ganz in Plantarflexion steht; im letzteren Falle sind die Zehen meist alle gestreckt, wenigstens im Grundgelenk, die Mittel- und Endphalangen sind oft auch dabei noch gebeugt. Der Grad der Beugestellung in Knie und Hüfte variiert ungemein. Bei extremer Flexion sind die Strecker von Hüfte und Knie nicht wesentlich spastisch. Je mehr sich aber die Stellung der Streckung nähert, um so mehr erweisen sich gleichzeitig auch die Extensoren der Hüfte und des Quadriceps als spastisch. Dabei besteht gleichzeitig Kontraktur der Adduktoren und Innenrotatoren des Oberschenkels, die bei extremer Beugestellung nicht so stark hervortritt. An der oberen Extremität ist der Oberarm immer etwas, manchmal sogar extrem abduziert; im letzteren Fall ist er auch auswärts rotiert. Der Vorderarm ist gebeugt, die Hand steht in Pronation, Flexion und Ulnaradduktion; die Finger befinden sich in Flexion; nur in leichteren Fällen, in denen eine leidliche willkürliche Bewegung vorhanden ist, be- finden sich die Finger auch in Streekung. Derselbe Typus der Kontrakturstellung besteht auch dann, wenn nur einzelne Körperabschnitte von der spastischen Lähmung ergriffen sind. So führt auch die erworbene spastische Paraplegie der Beine bei 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. den Erwachsenen in letzter Linie fast immer zur Beugekontraktur in Knie und Hüfte, zur Supinationsstellung des Fusses und zur Dorsal- flexion der grossen Zehe, bei Flexion der letzten Phalange und Flexion der übrigen Zehen. Anfangs zeigen allerdings viele spastische Para- plegien eine Streckkontraktur, aber auch dabei besteht Supination des Fusses und Dorsalflexion der grossen Zehe usw. Und, wie gesagt, all- mählich gehen fast alle Fälle in Beugekontraktur über, um so schneller, je mehr die willkürliche Beweglichkeit sinkt. Wir kommen zur Hemiplegie. Bei der infantilen Hemiplegie treffen wir am Arm auch wieder auf mehr oder weniger ausgesprochene Ab- Figur 1. Spastische Diplegie. Beugekontraktur der Beine, Supination des Fusses, Abduktion des Oberarms, Flexion des Vorderarms, Pronation und Flexion der Hand, Beugung der Finger. duktion des Oberarms, Flexion und Ulnaradduktion der Hand und Beu- gung der Finger; die Streckung derselben sehen wir nur dann, wenn die Fingerstreckung willkürlich erhalten ist. An der unteren Extremität finden wir in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Beugekontraktur in Knie und Hüfte, Supination des Fusses, Dorsalflexion in der grossen Zehe, bei Flexion der übrigen. Bei der Hemiplegie der Erwachsenen bestehen am Arm ganz ana- loge Verhältnisse, mehr oder weniger leichte Abduktion des Oberarms, Flexion des Vorderarms, Pronation und Flexion der Hand, immer Flexion der Finger. Am Bein dagegen überwiegt die Streckkontraktur, nur der ae dd u RR I. Abteilung. Medizinische Sektion. öl Fuss zeigt deutlich die Supinationsstellung, oft auch die Dorsalflexion der grossen Zehe, und gar nicht so selten ist im Knie wenigstens die Kontraktion der Beuger angedeutet. Wenden wir uns nunmehr zur Betrachtung der Bewegungen bei den. spastischen Lähmungen. Die willkürlichen Be- wegungen eines Gliedabschnittes oder der einzelnen Extremität sind nicht mehr möglich, statt dessen erfolgen immer ganz typische, zusammengesetzte Bewegungen aller Gliedabschnitte der betreffenden Extremität, ja unter Umständen aller vier Extremitäten, des Rumpfes und des Kopfes zusammen. Man bezeichnet diese zusammengesetzten Bewegungen als Synergien. Eine Anzahl derselben sind von Strümpell, Mann, Schüller und vom Vortragenden selbst bereits früher beschrieben worden. Figur 2. Spastische Diplegie. Versuch, ein Bein willkürlich zu erheben, dabei Beugung beider Beine, Supination der Füsse, Streckung aller Zehen, Abduktion der Oberarme, Flexion der Vorderarme, Pronation und Flexion der Hand, Beugung bzw. Streckung der Finger. An der unteren Extremität haben wir zunächst eine Beuge- synergie (Figur 2, 3, 4), bestehend in gleichzeitiger Flexion in Hüfte, Knie- und Fussgelenk, dabei abduziert sich das Bein und rotiert nach aussen, der Fuss wird supiniert, alle Zehen, besonders die grosse, werden dorsal- flektiert (Figur 2), wobei sich die grosse Zehe auch manchmal abduziert. Die Abduktion und Aussenrotation des Beines gehört zur Beugesynergie, sie tritt allerdings wegen der meist unüberwindlichen Adduktions- spasmen, die in der Ruhe bestehen, nicht gleich zutage; wenn aber durch Wurzelresektion die Spasmen gemindert sind, ist die Abduktion beim Beugen des Beines manchmal ganz auffallend ausgesprochen (Figur 4). Auch bei der Hemiplegie ist oft die Abduktion bei der Flexion des Beines sehr deutlich. Nun zeigt die Beugesynergie des Beines noch einige Variationen, welche die Zehen betreffen. Es wird nämlich unter Um- ständen nur die grosse Zehe dorsalflektiert und eventuell abduziert, während die 2. bis 4. Zehe stark flektiert werden (Figur 3 und 5); oder es werden alle Zehen einschliesslich der grossen Zehe flektiert (Figur 4; A 32 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. allerdings ist dabei manchmal die erste Phalange der grossen Zehe noch dorsal- und nur die zweite Phalange stark plantarflektiert. Die zweite Synergie an der unteren Extremität ist die Streck- Figur 3. Spastische Diplegie. Willkürliche Beugung eines Beines; es erfolgt dieselbe Synkinesie wie in Figur 2. Besonders zu beachten ist die Supination der Füsse, die Extension der Grosszehen, die Pronation der Hand. Figur 4. Spastische Diplegie. Versuch, eın Beın zu beugen nach der Wurzel- resektion. Es erfolgt die typische Beugesynergie aller vier Extremitäten. Besonders zu beachten ist die Abduktion der Beine. synergie. Sie besteht in Streckung in Hüfte und Knie und Plantar- fiexion des Fusses, dabei wird das Bein adduziert und innenrotiert, der Fuss zeigt wie bei der Beugesynergie Supinationsstellung, aber in I. Abteilung. Medizinische Sektion. 33 Plantarflexion; die Zehen werden dorsalflektiert und zumeist mehr oder weniger gespreizt; manchmal ist dabei die Abduktion der grossen Zehe ganz auffallend stark (Figur 6). Figur 5. # Spastische Diplegie. Willkürliche Beugung eines Beines, der Fuss stark supiniert, die Grosszehe extendiert, die anderen Zehen flektiert. Figur 6. r « Streckung der Zehen und Abduktion der Grosszehe beim Ausstrecken des Beines. Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1913. II. 3 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. An der oberen Extremität stossen wir auch zunächst wieder auf eine Beugesynergie; sie besteht in Abduktion des Oberarms unter gleichzeitiger Erhebung und Rückwärtsziehung der Schulter, Flexion des Vorderarms, Pronation, Flexion und Ulnaradduktion der Hand und Oeffnung der Finger. Allerdings zeigt auch diese Synergie wie die Beugesynergie am Bein die Variation, dass manchmal. die Finger fiektiert werden. Die Flexion der Finger ist bei der Hemiplegie der Erwachsenen oft mit einer Extension der Hand vergesellschaftet, bei der infantilen Hemiplegie und bei den Diplegien dagegen überwiegt in den schweren Fällen entschieden die Flexion der Hand. Der Beugesynergie steht die Strecksynergie des Armes gegenüber, sie besteht in Senkung und Vorführung der Schulter, Adduktion und leichter Vorwärtsbewegung des Öberarmes, Extension des Vorderarmes, Pronation, Flexion und Ulnaradduktion der Hand und Extension der Finger; oder die Finger bleiben auch in Flexion. Bei der Hemiplegie verknüpft sich nun auf der gelähmten Seite die Beugesynergie des Armes mit der Beugesynergie des Beines und umgekehrt, die Strecksynergie des Beines mit der Streck- synergie des Armes. Bei den spastischen Paraplegien verknüpft sich die Beugesynergie des einen Beines mit der des anderen und um- gekehrt, die Strecksynergie des einen Beines mit der Strecksynergie des anderen, und endlich bei den Diplegien sehen wir einerseits die Beuge- synergie an allen vier Extremitäten zusammen auftreten, wobei auch Rumpf und Kopf noch in Beugung geraten, oder andererseits führen alle vier Extremitäten die Strecksynergie aus. Genau dieselben Synergien sind nun auch bei Reflex- bewegungen anzutreffen. Es sei nur an den sogenannten Beugerefiex der unteren Extremi- täten erinnert, bei dem sich Ober- und Unterschenkel beugen, der Fuss sich dorsalflektiert und supiniert, die grosse Zehe sich dorsalflektiert, manchmal unter deutlicher Abduktion; die übrigen Zehen begeben sich ebenfalls in Extension, zumeist unter Spreizung; manchmal aber führen sie auch umgekehrt eine Plantarfiexion aus; gelegentlich sieht man bei starken Reizen auch eine starke Plantarflexion sämtlicher Zehen, ein- schliesslich der grossen. Der Babinski’sche Grosszehenreflex und der Oppenheim’sche Tibialisreflex sind jedenfalls nur interessante Einzel- heiten, die aus der geschilderten grossen Reflexsynergie herausgegriffen sind. Reizungen der oberen Extremitäten, besonders Beklopfen des Periost des Vorderarmes, rufen Beugung des Armes, Pronation der Hand und Flexion der Finger hervor; manchmal kommt es dabei auch zu einer leichten Abduktion des Oberarmes; diese letztere ist besser zu erzielen durch Beklopfen der Spina oder Basis scapulae; dabei erfolgt nicht selten auch Beugung des Vorderarmes und Pronation der Hand. Es besteht also auch am Arm die Beugereflexsynergie wie am Bein. Bei den spastischen Diplegien sehen wir nun auch wieder, dass bei Reizung eines Beines reflektorisch sowohl die beiden Beine wie die beiden Arme die geschilderten Beugesynergien ausführen, und bei vielen Fällen von Hemiplegie sehen wir bei Reizung der Fusssohle, am Bein und Arm der hemiplegischen Seite die Beugesynergie reflektorisch auf- treten. Weniger bekannt sind die reflektorischen Strecksynergien. Bei Beklopfen der Achillessehne oder der Planta pedis erfolgt manchmal Streckung des Fusses, des Knies und manchmal auch des Oberschenkels, nicht selten auch Adduktion des Oberschenkels, bei Paraplegien sogar Kontraktion des gekreuzten Adduktors. Sehr bekannt ist ja die Kon- traktion des Adduktors der gekreuzten Seite bei Beklopfen der Patellar- sehne. Bei Beklopfen der Sehne des Triceps brachii erfolgt oft neben I. Abteilung. Medizinische Sektion. 35 Streckung des Vorderarmes auch Adduktion des Oberarmes. Endlich treten auch bei passiver Bewegung einzelner Gliedteile analoge Synergien auf. Bei passiver Flexion eines Oberschenkels beugt sich sehr häufig auch das Knie, der Fuss supiniert sich, die Zehen geraten in Dorsal- flexion; aber auch der gegenüberliegende Fuss führt eine Beugung aus, und besonders die gekreuzte grosse Zehe gerät in Dorsalflexion. Bei schwerer Diplegie führt passives Erheben eines Beines manchmal zur gleichzeitigen Beugung des gegenüberliegendes Beines und zu den oben geschilderten Beugesynergien an beiden Armen. Passive Streckung eines Beines in Hüfte und Knie führt meist zu ausgesprochener Adduktion des Beines, zur Plantarflexion des Fusses und zur Streckung und Spreizung der Zehen, wobei die grosse Zehe sich manchmal abduziert; manchmal führt dabei auch der gegenüberliegende Fuss eine Plantar- flexion und die grosse Zehe der anderen Seite eine Dorsalflexion aus. Die Reflexsynergien und das Auftreten der Synergien sogar bei passiver Bewegung erweisen, wie innig fest gefügt diese Synergien sind. Die typischen Kontrakturstellungen und die beschriebenen typischen Bewegungssynergien und Reflexsynergien bei den spastischen Lähmungen werden zusammen mit der Steigerung der Sehnenreflexe und der Spastizität der Muskeln im allgemeinen auf eine gesteigerte reflektorische oder, wohl richtiger ge- sagt, peripherogene Erregbarkeit der subcorticalen Centren und des Rückenmarksgraus infolge des Fortfalls des Pyramidenbahneinflusses zurückgeführt. Durch den fortge- setzten sensiblen Zustrom werden die subcorticalen Centren und das Rückenmarksgrau allmählich geladen und in einen Zustand erhöhter Erregbarkeit versetzt. Bei Ausfall der Pyramidenbahn gelangen jedenfalls die subcorticalen Oentren und das spinale Grau zu einer gesteigerten Tätigkeit. Dadurch wird die Steigerung der Reflexe und die Spastizität der Muskeln, die einen einfachen Fixationsreflex darstellt, im allgemeinnn wohl ohne weiteres er- klärt. Nicht erklärt wird aber dadurch, warum die Glieder fast durchweg in bestimmten typischen Stellungen, die von der Ruhelage in der Norm doch so sehr abweichen, kon- trakturieren und ferner werden nicht erklärt die eigentümlichen typischen Bewegungssynergien, die, wenn man alle Einzelheiten zusammen berücksichtigt, den normalen menschlichen Bewegungen nicht zugehören, sondern im Gegenteil für dieselben oft sogar sehr unzweckmässig sind. Wohl aber finden sich genau dieselben Kontrakturstellungen und dieselben Be- wegungssynergien beim neugeborenen Kinde sowie beim Kinde während der ersten Lebensmonate. Ich habe bereits in viel früheren Arbeiten auf die grosse Aehnlichkeit der Kontrakturstellungen bei spastischen Lähmungen mit den Stellungen der Glieder beim neugeborenen Kinde hin- gewiesen, und für die angeborene spastische Diplegie und infantile Hemiplegie die Kontrakturstellung einfach aus einem Persistieren der kindlichen Gliederhaltung erklärt. Ich habe die Kontraktur- stellungen und die Bewegungssynergien als die spezifische subcorticale Lage und spezifische subcorticale Kinetik bezeichnet. Beide, die spastischen Lähmungen und das neu- geborene Kind, haben gemeinsam das Fehlen der Pyramidenbahn. 3* 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Nun ist die Pyramidenbahn phylogenetisch eine ganz junge Bahn und erst beim Menschen zu ihrer vollkommenen Entwicklung gelangt. Umgekehrt sind die subcorticalen Bahnen, speziell das Monakow’sche Bündel und die Vierhügelvorderstrangbahn beim Menschen gegenüber dem Tiere in deutlicher Rückbildung be- griffen. Ihre Funktionen sind beim Menschen sehr reduziert und von der Pyramidenbahn und eventuell anderen corticospinalen Leitungsbahnen verdrängt und übernommen. Sie nehmen aber bei Pyramidenbahnfortfall wieder eine gesteigerte Tätigkeit an. Diese gesteigerte Tätigkeit dokumentiert sich unter anderem auch darin, dass sie die Muskeln sowohl in der Ruhe als auch be- sonders bei Bewegungen gerade in einer solchen Gruppierung innervieren, wie es ihrer ursprünglichen Aufgabe im Dienste der Lokomotion bei den Tieren entsprochen hat. Die von mir so benannte spezifische subcorticale Lage und die spezi- fischen subcorticalen Bewegungen der Glieder, die wir beim neugeborenen Kinde und bei den spastischen Lähmungen antreffen, haben eine phylogenetische Be- deutung. Klaatsch hat darauf hingewiesen, dass die Haltung der Glieder des Kindes in ihrer Form an Entwicklungsphasen in der Stammesgeschichte erinnert, in denen unsere Vorfahren quadrumane Kletterer waren. Es liegt also der Gedanke nahe, auch die Kontrakturstellungen und die Bewegungen bei den spastischen Lähmungen von diesen phylogenetischen Gesichts- punkten aus zu betrachten. In der Literatur finden sich hierfür nur ganz spärliche Hinweise. Der Engländer Thomson, Bittorf und der Hamburger Orthopäde Hasebroock sind die einzigen, welche für die Erklärung einzelner Kontrakturstellungen und gewisser Bewegungssynergien phylogenetische Gesichtspunkte herangezogen haben. Sie greifen aber nur zum Teil auf die Kletterbewegungen der Affen zurück, zum anderen Teil auf die Quadrupeden ganz allgemein, ja auf Vögel, Fische und Frösche. So hat Thomson die symmetrischen Mitbewegungen bei spasti- schen Lähmungen mit dem Hüpfen des Frosches und der Vögel sowie auch mit dem Galopp der Pferde in Beziehung gebracht. Später hat dann Bittorf die Beugesynergie an der unteren Ex- tremität mit dem einen Akt einer Greif- oder Kletterbewegung, wie wir sie an den Hinterfüssen der Affen sehen können, ver- glichen. Im übrigen greift aber auch Bittorf auf die Beuge- stellung der unteren Extremität der Vierfüsser im allgemeinen zurück. Endlich hat dann noch Hasebroock eine Reihe von Eigentümlichkeiten der spastischen Lähmungen auf Vorfahren- charaktere zurückgeführt, die mit denjenigen einer kletternden Lokomotion zusammenhängen. Er hat dabei besonders die Pro- nation des Schultergürtels, das Ueberwiegen der Beuger sowohl an der oberen wie an der unteren Extremität und endlich die Innenrotation der Beine im Auge. Diese spärlichen Hinweise in der Literatur befassen sich aber bisher nur mit einigen Einzel- heiten der spastischen Lähmung. Der Versuch, ganz prinzipiell die Kontrakturen und Bewegungen bei der spastischen Lähmung I. Abteilung. Medizinische Sektion. 37 von einem bestimmten phylogenetischen Gesichtspunkte zu ana- lysieren, ist bisher noch nie unternommen worden. Betrachten wir nun, nachdem wir vorhin die typischen Kon- trakturstellungen bei spastischen Lähmungen geschildert haben, einmal jetzt die Stellungen der Glieder, wie sie die Affen, die sich in Kletterhaltung in der Ruhe befinden, darbieten. Auch hierbei stossen wir durchweg an den unteren Extremitäten auf Beugung im Hüft- und Kniegelenk und auf die Supinationsstellung des Fusses und die Flexion der Zehen; das Metatarsale des Daumens ist abduziert, die Endphalange flektiertt. An der oberen Extremität stossen wir auf die Abduktion im Schultergelenk, auf die Flexion im Ellenbogen, auf die Pronation und Flexion der Hand sowie auf die Beugung der Finger. Es kommt ja auch vor, dass die Hand gelegentlich etwas weniger proniert ist oder sich in Extension befindet, wenn die äusseren Umstände diese Gliederstellung verlangen. Der weitaus häufigere Modus Stenops graecilis in Kletterhaltung in der Ruhe. ist aber jedenfalls die Flexion und Pronation. Figur 7 zeigt bei einem Halbaffen Stenops graeilis im Schlaf in Kletterhaltung. Ausser auf die charakteristische Stellung der Extremitäten mache ich besonders noch auf den runden Rücken aufmerksam. Figur 8 zeigt einen Lemur varius am Gitter in Kletterstellung hängend. Die Tiere verharren oft stundenlang so. Wir sehen nun bei einem Vergleich, dass die spastischen Kontrakturen die Kletterhaltung der Affen in der Ruhe Glied für Glied nachahmen; die Gliederhaltung zeigt bei beiden im wesent- lichen die gleichen Komponenten. Was die grosse Zehe anlangt, so entspricht der Abduktionsstellung beim Affen die Extension der ersten Phalange beim Menschen. Manchmal steht übrigens bei angeborenen Diplegien die grosse Zehe tatsächlich abduziert. Wir sehen also, dass der Innervationsstrom, welcher bei spastischen Lähmungen den Muskeln von den sub- corticalen Centren und dem Rückenmarksgrau zugeht, 33 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. und der die Kontrakturstellungen schafft, diejenigen Muskeln bevorzugt, welche beim Affen in der ruhigen Kletterhaltung innerviert werden müssen. Man beachte nur die Beuger der Finger. Dieser Innervationsstrom ist auch beim Affen offenbar ein ganz subcorticaler, da er sogar im Schlaf fortbesteht und dabei durch die sensiblen peripheren Erregungen unterhalten und reguliert wird. In der analogen Innervationswahl bei spastischen Lähmungen geben die subcorticalen Centren beim Menschen ihre durch die Pyramidenbahnentwicklung zurückgedrängte phylogenetisch begründete Beziehung zur Kletterstellung wieder zu erkennen. Lemur yarius in Kletterhaltung in der Ruhe. Wir begreifen nun auch, warum der Beugetypus der Kontraktur- stellungen bei den schweren angeborenen Diplegien und infantilen Hemiplegien am schönsten zutage tritt. Beim Neugeborenen sowie bei den angeborenen Diplegien unterstehen die Muskeln mehr oder weniger ausschliesslich dem subcorticalen Einfluss, und bei den infantilen Hemiplegien erwacht derselbe leicht wieder und entsinnt sich rasch seiner alten Hegemonie. Im Laufe der Entwicklung des normalen Einzelindividuums wird mit der Entwicklung und dem funktionellen Eintreten der Pyramidenbahn der subcorticale Ein- fluss mehr und mehr zurückgedrängt, die corticale spezifisch menschliche Strecktendenz gewinnt an den Extremitäten die Ober- hand, die Kletterhaltung der Glieder des Kindes verschwindet successive. Das sehen wir auch zum Teil bei infantilen Diplegien I. Abteilung. Medizinische Sektion. 39 und Hemiplegien, die anfangs ausgesprochenen Beugetypus bieten, bei denen aber nicht selten im Laufe der Jahre allmählich corti- cale Einflüsse zum Teil erwachen; die Streckfähigkeit der Glieder nimmt dann allmählich zu, die ursprüngliche Beugestellung nimmt ab, bleibt aber doch, sehr oft wenigstens, angedeutet. Beim Er- wachsenen ist durch den lange bestehenden Einfluss der Pyramiden- bahn der subcorticale Einfluss auf die Muskeln ganz verdrängt, die spezifisch menschliche Strecktendenz hat völlig die Oberhand gewonnen. Der Kampf zwischen Pyramidenbahn und subcorti- calen Centren, der sich in jedem Einzelindividuum im Laufe der Jahre abspielt und der den phylogenetischen Entwicklungsgang vom quadrumanen Klettern zum aufrechten Gang widerspiegelt, hat längst mit dem vollen Siege der ersteren geendet. Wenn nun ein Erwachsener hemiplegisch wird, so genügt der Fortfall der einen Cortexhälfte nicht, um am Bein die Strecktendenz wieder verschwinden und den alten subcorticalen Einfluss wieder sofort hervortreten zu lassen, weil auf das Bein auch die gleichzeitige Hemisphäre vermöge ihrer ungekreuzten Fasern erheblichen Ein- fluss hat. Darum kommt es beim Erwachsenen zur Streck- kontraktur, um so mehr, weil auch die Lagerung des Beines im Stadium der schlaffen Lähmung in demselben Sinne wirkt. Der Ansatz zur Beugekontraktur ist übrigens, wie oben schon er- wähnt, bei vielen Hemiplegien der Erwachsenen in der Dorsal- flexion der Grosszehe, der Supination des Fusses und einer leichten Beugestellung des Knies gegeben. Auf den Arm hat die gleich- seitige Hemisphäre viel weniger Einfluss; daher ist auf ihn bei einer hemiplegischen Lähmung auch der subcorticale Einfluss als- bald viel stärker, und es entwickelt sich an ihm ein mehr oder weniger deutlicher Beugetypus, der um so stärker ist, je mehr die Streckkraft gelähmt ist, um so geringer ist, je besser die Streckfähigkeit erhalten. Die Entwicklung des aufrechten Ganges aus der Kletterhaltung verlangt aus begreiflichen Gründen für das Bein eine viel bedeutendere Ausschaltung der subcorticalen Einflüsse als für den Arm; darum die stärkere doppelseitige Ver- tretung des Beines in der Rinde gegenüber dem Arm. Fällt der Einfluss beider Hemisphbären fort, wie das bei den Paraplegien der Fall ist, so kommt der subcorticale Einfluss auch allmählich wieder am Bein ganz zum Siege; nachdem anfangs noch die Streck- tendenz vorherrscht, endet das Bild doch mit der Entwicklung der vollen Beugekontraktur. Ebenso haben nun die Bewegungssynergien bei den spastischen Lähmungen entschieden in ihrer Form eine grosse Aehnlichkeit mit den Kletterbewegungen der Affen. Wir treffen bei letzteren an der hinteren Extremität auf dieselbe Beugesynergie, bestehend in Flexion des Oberschenkels, Unterschenkels und Fusses (Figur 9 und 10); das Bein wird dabei fast immer mehr oder weniger stark abduziert und aussen rotiert; der Fuss zeigt neben der Dorsalflexion stets ausgesprochene Supination. Die Beugesynergie sehen wir, wenn das hintere Bein, nachdem es den einen Ast verlassen hat, sich frei durch die Luft bewegt, den nächsten Ast ergreift und ihn um- 40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Figur 9. | Schimpanse beim Klettern (Beugesynergie aller vier Extremitäten, Ab- duktion der Beine, Supination des Fusses, Pronation und Flexion der Hand usw.). Figur 10. Gibbon im schnellen Klettern. Zeigt dieselben Einzelheiten wie Figur 9. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 41 klammert hält. Andererseits führt das Bein, nachdem es in Beugung den Ast umklammert hat und sich nun abdrückt oder dem Körper den für den Klettersprung erforderlichen Stoss erteilt, eine Streckung in Hüfte, Knie und Fuss aus; dabei wird es adduziert und innen rotiert. Die äusserst charakteristische Abduktion erscheint besonders interessant, weil wir sie bereits oben als ebenfalls zur Beugesynergie bei spastischen Lähmungen gehörig beschrieben haben (Figur 4). Besonders interessant wird der Vergleich, wenn man noch den kletternden normalen Menschen heranzieht (Figur 11). Wir stossen hier auf dieselbe Abduktionsbeugesynergie; die Füsse zeigen dieselbe Supination wie bei den Affen und wie bei den spastischen Lähmungen. Interessant ist die Bewegung der Zehen während Figur 11. N ; a re Kletternde Singhalesen nach Klaatsch. dieser beiden einander folgenden Kletterakte der hinteren Extremität. In der Ruhe hält die in Beugestellung befindliche hintere Extremität des Affen den Ast mit den Zehen umklammert (Figur 10). Nimmt nun aber der Affe durch Streckung der Extremität in Hüft-, Knie- und Fuss- gelenk den Absprung vor, so werdeu dabei die Zehen geöffnet, und die grosse Zehe wird stark abduziert. Die Streckung des Oberschenkels, Unterschenkels und Fusses ist stets vergesellschaftet mit einer aus- gesprochenen Streekung der Zehen und einer gleichzeitigen Spreizung derselben. Genau dasselbe Verhalten hatten wir oben bei der Streck- synergie des Beines bei spastischen Lähmungen beschrieben. Die grosse Zehe, die sich beim Affen stark abduziert, ist beim Menschen infolge 42 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. ihrer Fixationsstellung in Adduktion im allgemeinen zu einer Abduktion gar nicht fähig. Aber in einer grossen Anzahl von Fällen spastischer Diplegie tritt beim Ausstrecken des Beines und der damit vergesell- schafteten Streekung und Spreizung der Zehen auch eine ausgesprochene Abduktion der Grosszehe ein (Figur 6); manchmal steht diese, wie ich dies oben bereits erwähnte, sogar in der Ruhe abduziert. Der Extensor hallueis, der auf der Stufe der phylogenetischen Entwicklung, bei welcher die Grosszehe noch in voller Abduktion stand, der eigent- liche Abduktor war, ist beim Menschen infolge der Adduktionsstellung der Grosszehe erst ein wirklicher Extensor geworden und verdient eigentlich erst beim Menschen diesen Namen mit Recht. Die Ex- tensionsbewegung der Grosszehe, welche wir bei der Strecksynergie bei den spastischen Lähmungen ganz regelmässig auftreten sehen, ist das Aequivalent der Abduktionsbewegung des Hallux beim Affen während des Klettersprunges, gerade wie wir oben schon erwähnten, dass die Extensionsstellung der Grosszehe in der Ruhe bei spastischen Lähmungen das Aequivalent der Abduktionsstellung des Hallux beim Affen in ruhiger Kletterhaltung darstellt. Verfolgen wir nun die Bewegungen der Zehen, während der Klettersprung ausgeführt wird, weiter. Nachdem durch Streckung der Abdruck zum Sprung erfolgt ist, begibt sich das ganze Bein, während es sich durch die Luft bewegt, sofort in Beugung, der Fuss in Beugung und Supination, um den erstrebten Ast zu ergreifen; dabei sind sämtliche Zehen zunächst noch extendiert und die Grosszehe abduziert. Für diese Phase besteht also die Synergie: Beugung der hinteren Extremität, Supination des Fusses, Streckstellung der Zehen unter Abduktion der Grosszehe, genau dieselbe Synergie, welche wir oben bei den spastischen Lähmungen beschrieben hatten; nur ist aus dem oben erörterten Grunde die Grosszehe beim Menschen nicht abduziert, sondern dorsal extendiert. Geht nun der Fuss in dem Moment, wo er den Ast ergreift, dazu über, denselben zu umklammern, so schliessen sich die Zehen durch Beugung um denselben; die Grosszehe aber bleibt dabei zunächst noch abduziert. Wir haben also in dieser Phase die Synergie: Beugung des Beines, Supination des Fusses, Beugung der Zehen, Abduktion der Grosszehe, eine Synergie, welche wir ebenfalls nicht selten bei spastischen Lähmungen antreffen. Dann legt sich nun zunächst die letzte Phalange der Grosszehe um den Ast bei noch fort- bestehender Abduktion des ersten Metartasale, eine Synergie, deren Analogon wir ebenfalls oben bereits erwähnt haben, und zuletzt kann sich auch die ganze Grosszehe um den Ast legen, wobei das erste Metartasale in Adduktion gerät (Figur 10). Dieser vollständigen Um- klammerung entspricht beim Menschen die volle Flexion aller Zehen, ein- schliesslich der grossen, auf die ich oben ja auch schon hingewiesen hatte. Die vordere Extremität des Affen zeigt ebenso wie die hintere beim Klettern einerseits wieder die Beugesynergie (Figur 9 und 10), bestehend aus: Abduktion und Erhebung des Oberarmes unter gleich- zeitiger Schulterhebung, aus Flexion des Vorderarmes, Pronation, Flexion und Ulnaradduktion der Hand und Extension der Finger, so lange der Arm durch die Luft bewegt wird; im Moment des Zugreifens werden dann die Finger um den Ast geschlossen. Es kommt auch vor, dass, wenn der Affe sehr hoch hinaufgreift, er dabei an dem hoch erhobenen Oberarm den Vorderarm ziemlich ausgiebig streckt; gelegentlich ist auch die Hand etwas mehr supiniert, manchmal auch gestreckt, wenn äussere Umstände dies erheischen. Aber der Grundtypus ist Pronation der Hand — der Affe klettert mit Aufgriff —, Flexion derselben und Ulnaradduktion. Umgekehrt erfolgt beim Absprung: Ad- duktion des Oberarmes, Streckung des Vorderarmes, Pronation und Flexion der Hand, Streckung der Finger. Wir erkennen in diesen Kletter- I. Abteilung. Medizinische Sektion. 43 bewegungen der Affen sofort die Beugesynergie und Strecksynergie des Armes bei spastischen Lähmungen wieder. Ich möchte noch auf zwei Eigentümlichkeiten in der Fingerbewegung hinweisen. Die Zehen der Affen, besonders die vieler Halbaffen, befinden sich beim Aufsetzen und Zugreifen in einer deutlichen Krallenstellung. Diese Kralle ist besonders zweckmässig, sobald es sich um das Umgreifen etwas dickerer Aeste handelt. Eine Krallenstellung der Finger finden wir nun nicht selten in Fällen von spastischer Diplegie, in denen eine periphäre Lähmung der Interossei nicht vorliegt. Längst bekannt ist ja bei den an- geborenen spastischen Diplegien und bei der infantilen Hemiplegie die starke Spreizstellung, welche die Finger jedesmal bei der Extension an- nehmen. Sie erinnert an die Spreizung, welche die Zehen der vorderen Extremitäten vieler Halbaffen beim Klettersprunge zeigen. Nachdem wir nunmehr die Kletterbewegungen der hinteren und vorderen Extremität für sich betrachtet haben, müssen wir ihre kombinierte Tätigkeit beim Klettern selbst ins Auge fassen. Es bestehen zwei Modi des Kletterns. Bei dem einen, dem rubigeren Modus entspricht der Beugesynergie der einen vorderen Extremität die Strecksynergie der gleichseitigen hinteren Ex- tremität, der Strecksynergie der gekreuzten vorderen und der Beugesynergie der gekreuzten hinteren Extremität; mit anderen Worten, diese Form ist asymmetrisch, sowohl in bezug auf die beiden vorderen Extremitäten unter sich und die hinteren Extremitäten unter sich, als auch in bezug auf vordere und hintere Extremität derselben Seite. Beim raschen, lebhaften Klettern sehen wir aber einen anderen Typus auftreten. Gehen wir aus von der Ruhelage, in welcher der Körper durch die Beugestellung aller 4 Extremitäten an den Aesten angeklammert gehalten wird. Zunächst wird nun durch Streckung und Adduktion aller vier Extremitäten dem Körper ein starker Abstoss gegeben und dadurch der Sprung auf den nächst höheren Ast eingeleitet. Unmittelbar nach dem Absprung werden alle 4 Extremitäten gebeugt und abduziert, sie bleiben gebeugt im Sprunge und ergreifen in Beugung und Abduktion den Ast, um dann wieder durch Streckung aller Viere den nächsten Sprung zu vollführen. Bei den Halbaffen kommt dieser gleichsinnige Wechsel aller 4 Extremitäten beim Klettern besser zutage als bei allen anderen Affen. Für sie ist der Klettersprung die typische Lokomotionsart. Aber selbst bei den Anthropoiden — besonders beim Gibbon und Orang — tritt er oft ganz besonders schön zutage (Figur 9 und 10). Wenn wir uns nun vergegenwärtigen, dass bei den spastischen Diplegien ebenfalls alle 4 Extremitäten gleichzeitig einerseits die Beuge-Abduktions-Synergie (Figur 2, 3, 4), andererseits die Streck- Adduktions-Synergie zeigen, und dass bei der Hemiplegie ebenfalls Arm und Bein der gelähmten Seite die homologe Synergie darbieten, so führt uns diese Synergie, wenn wir die Kletterbewegungen der Affen zum Vergleich heranziehen, auf die Stufe zurück, auf welcher der symmetrische Klettersprung die Grundform der Lokomotion darstellt. Das ist der Fall bei den heutigen Halbaffen. Dass die Halbaffen auch sonst viele von den Merkmalen bewahrt haben, die die gemeinsamen Vorfahren von Menschen, Affen und Halb- affen besessen haben, ist nach den Untersuchungen von Klaatsch wahrscheinlich. Jedenfalls ist die Aehnlichkeit der Bilder 2, 3, 4 44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. einerseits mit den Affen 9 und 10 und den kletternden Menschen (11) andererseits eine grosse. Die Uebereinstimmung zwischen den Stellungen und Be- wegungen der Glieder bei spastischen Lähmungen und der Kletter- haltung und den Kletterbewegungen der Affen tritt noch deutlicher zutage, wenn wir das Liegen, Sitzen, Stehen und Gehen bei spastischen Lähmungen ins Auge fassen. Die gewöhnliche Haltung der Glieder im Liegen haben wir vorher in den typischen Kon- trakturstellungen kennengelernt. Es gibt nun aber unter den Fällen von angeborener Diplegie eine Anzahl, bei denen es auf- fällt, dass sie nicht auf dem Rücken liegen können, sondern mit Vorliebe auf dem Bauche liegen. Figur 12. Spastische Diplegie. Beim Lagern des Kindes auf den Rücken fahren alle vier Extremitäten in die Luft und führen der Kletterbewegung ähnliche Bewegungen aus. Dreht man solche Fälle künstlich auf den Rücken, so gewinnt man sofort die Ueberzeugung, dass diese Lage ihnen höchst unangenehm ist und nicht die gewöhnliche Ruhelage bedeutet. Es fahren dabei regel- mässig alle vier Extremitäten in die Luft, die Arme beugen sich unter Abduktion oder werden hoch erhoben; die Hände werden stark proniert, die Finger extendiert usw., die Beine geraten in Beugung und Abduktion, die Füsse in Supination. Das Bild (Figur 12) zeigt entschieden eine gewisse Aehnlichkeit mit Kletterbewegungen. Man hat angesichts dieser Bewegungen den Eindruck, als bestände die Tendenz, aus der un- bequemen Lage herauszuklettern oder sich an etwas festzuhalten. Wir kommen zum Sitzen. Wenn der Affe freisitzt (Figur 13), so fällt uns einmal der runde Rücken auf, sodann aber die Beugestellung der unteren Extremitäten, die Supination der Füsse, die Flexion der Zehen. Auch die oberen Ex- I. Abteilung. Medizinische Sektion. 45 tremitäten zeigen die Abduktion und Beugung, Pronation und Flexion der Hand usw. Die oberen Extremitäten sind eben selbst beim Frei- sitzen, sozusagen in Kletterstellung, immer bereit, sofort zum Kletter- griff überzugehen, wie wenn der Affe noch einer Stütze durch sie bedürfe. Vergleichen wir nun damit die Form des Rückens und die Haltung der Glieder beim Sitzen in Fällen von an- geborener spastischer Diplegie. Figur 13. Gorilla im Sitzen. Zu beachten ist die Beugung der Beine, Supination des Fusses, Flexion der Zehen, Abduktion des Oberarms, Flexion des Vorderams, Flexion der Hand und Finger usw. Figur 14. Spastische Diplegie. Beim Aufsetzen erfolgt Flexion der Beine, Supination des Fusses, Flexion der Zehen, Abduktion des Oberarms, Flexion des Vorderarms, Pronation und Flexion der Hand, Flexion der Finger. Zu beachten ist der runde Rücken. Wenn solche Kranken zunächst den Versuch machen, sich aus der Rückenlage aufzusetzen (Figur 14), sei es allein, sei es mit Hilfe, so führen dabei regelmässig Beine und Arme die Beugesynergie aus, die Arme werden erhoben, die Hände proniert und flektiert, die Finger meist ausgestreckt oder auch wohl flektiert, während sich Rücken und Kopf in starke Rundung rollen. Auch bei der Hemiplegie beugt sich beim Auf- 46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. setzen Arm und Bein auf der kranken Seite. Kommt der Kranke nun zum freien Sitzen, so ist der runde Rücken hierbei für die Diplegien absolut typisch, ebenso die Beugestellung der unteren Extremitäten, die Supination des Fusses, die Flexion der Arme, die Pronation und Flexion der Hand usw., wie bei den sitzenden Affen. Höchst interessant sind solche Fälle, die unfähig sind, frei zu sitzen, und die, wenn sie hingesetzt werden, sofort mit allen vier Extremitäten in die Höhe fahren (Figur 15), genau als wollten sie mit denselben Aeste in der Luft ergreifen und sich daran festhalten, statt sich an der Unterlage festzuhalten. Das Bild (Figur 16) zeigt, wie der Knabe unter Beugung, Abduktion und Supination seine Füsse gegen mein Bein einstemmt und es regulär umklammert Eält. Figur 15. Spastische Diplegie beim Sıtzen, Flexion der Beine, Supination des Fusses, Flexion der Zehen, die Arme fahren in die Luft unter Pronation der Hände, die Finger extendieren und spreizen sich. Es zeigt ferner sehr schön die Abduktion und Flexion der Arme, Pronation der Hände, Flexion der Finger. Wir sehen bei vielen Kranken, die an sich vollkommen frei und sicher sitzen, doch dass die Arme Mitbewegungen dabei aus- führen, die der Beugesynergie des Klettergriffs entsprechen. Wir kommen zum Stehen. Wenn man schwerste Fälle von spastischer Diplegie auf den Boden stellt, so gewahrt man oft, dass dieselben nicht stehen können. Alle vier Extremitäten geraten in eine ausgesprochene Beugung, die Beine schnellen sehr oft stark empor, oder wenn die Kranken nicht I. Abteilung. Medizinische Sektion. 47 genügend emporgehalten werden, so schnappen sie im Knie zusammen; die Füsse stellen sich in starke Supination; die oberen Extremitäten gehen unter Beugung in die Höhe, die Hände pronieren und beugen sich, die Finger schlagen sich ein oder strecken sich. Figur 17 zeigt die Verhältnisse. Es wird also hier beim Versuch der aufrechten Körper- haltung, die unmöglich ist, statt dessen eine richtige Kletter- stellung eingenommen. Dabei rundet sich auch der Rücken. Ganz besonders interessant erscheint mir, was ich allerdings nur in extremen Fällen und selten antreffen konnte, dass, wenn man Figur 16. & a R ß | Spastische Diplegie beim Sitzen. Der Knabe stemmt die Beine unter Abduktion und unter Supination der Füsse gegen das Bein ein, auf dem er sitzt, die Arme beugen sich unter Pronation, die Finger flektieren sich krampfhaft. solche Fälle loslässt, sie dann in sich zusammen zu Boden sinken und nun in einer richtigen Hockstellung am Boden lieger bleiben. Die Fälle bleiben in dieser Position lange Zeit ruhig liegen. Nun verhalten sich aber lange nicht alle Fälle beim Stehen so, wie eben beschrieben. Sondern in der Mehrzahl geht eine Streekintention, die ja zum aufrechten Stehen erforderlich ist, den Beinen zu. Dabei zeigt sich interessanterweise wieder die oben beschriebene Strecksynergie aller drei Seg- mente beider Beine ‚unter Adduktion wie beim ersten 48 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Akt des Klettersprunges. Daher kommt es, dass diese Fälle auf den Fussspitzen stehen und die Beine in starker Adduktion aneinander klemmen oder über- kreuzen und innenrotiert sind. Die Zehen sind wie beim ersten Akt des Klettersprunges extendiert und gespreizt, die Grosszehe sogar manchmal abduziert. Die Hüft- und Kniebeugung, welche in der Ruhelage besteht und der Kletterstellung der Affen entspricht, kann natürlich durch die Strecktendenz zumeist nicht ganz überwunden werden. Figur 17. Spastische Diplegie beim Stehen. Beide Beine geraten in Flexion, die Füsse in Supination, die Zehen in Flexion, die Arme in Abduktion, Flexion, die Hände in Pronation und Flexion, die Finger in Flexion. Wir kommen zum Gehen. Auch hier treffen wir wieder auf genau dieselben Erscheinungen. Wenn ganz schwere Kranke versuchen einen Schritt zu machen, so ge- raten beide Beine in Beugesynergie und entweder fahren sie mehr oder weniger synchron in die Luft, wenn der Kranke genügend gehalten wird, oder der Kranke bricht in den Knien zusammen. Gleichzeitig gehen die Arme in Beugesynergie in die Luft; wobei sich die Finger entweder strecken oder flektieren. Es erfolgt also auch hier statt der Beuge- bewegung eines Beines eine Massenbewegung aller Glieder, die die Kom- ponenten des zweiten Aktes des Klettersprunges der Halbaffen enthält. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 49 Dadurch ist zunächst natürlich noch eine Lokomotion nicht möglich. Wir beobachten aber interessanterweise in einem Teil dieser schweren Fälle, dass die Kranken plötzlich unter synchroner Streckung aller Ab- schnitte beider Beine und unter Streckbewegung der Arme einen richtigen Sprung vollführen, genau wie ich dies oben von dem ersten Akt des Klettersprunges der Halbaffen beschrieben habe. Dieses Hüpfen solcher Fälle hat etwas ungemein Charakteristisches. In einem Teil der Fälle gelangt, wie ich dies oben für das Stehen dargestellt habe, ein Streckimpuls in die Beine, dabei strecken sich beide unteren Extremitäten in allen drei Gelenken, der Kranke kommt auf die Fuss- spitzen zu stehen und gleichzeitig werden die Beine überkreuzt oder Figur 18. Spastische Diplegie beim Gange. Es erfolgen die charakteristischen Mitbewegungen der Arme (Abduktion, Flexion, Pronation usw.). aneinander gepresst gehalten. In solchen Fällen sehen wir nun auch beim Gange am Stützbein die Strecksynergie in allen Einzelheiten auf- treten, ohne dass die Beugestellung im Knie und Hüftgelenk ganz über- wunden wird. Der Kranke flektiert nun das hintere Bein, um es vor- zusetzen, wobei es sich etwas in Abduktion begibt und auf diese Weise hinter dem vorderen Beine vorkommt. Zum Aufsetzen des Buines muss es aber im Knie wieder vorgestreckt werden, dabei gesellschaftet sich wieder die unvermeidliche Abduktion und Innenrotation hinzu und die bekannte Ueberkreuzung der Beine beim Gange ist die Folge. Interessant sind die Mitbewegungen, die die Arme beim Gange bei den angeborenen Diplegien und bei der infantilen Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1913. II. 4 50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Hemiplegie ausführen; sie führen stets beim Vorführen eines Beines eine mehr oder weniger ausgesprochene Beugesynergie aus (Figur 18 und 19), sie geraten in leichte Abduktion und in Beugung, die Hand wird proniert und flektiert, die Finger strecken oder beugen sich. Auch bei der Hemiplegie finden wir diese Mitbewegung des Armes wieder. Sie tritt beim gewöhnlichen Gange nicht immer deutlich hervor, wohl aber, wenn der Kranke absichtlich das Bein stark emporzieht. Streckt nun der Hemiplegiker das Bein wieder aus, was ja zum Aufsetzen auf den Boden erforderlich ist, so sehen wir dabei auch wieder die synchrone Mitstreckung Figur 19. Spastische Diplegie. Zeigt die typische Mitbewegung der Arme beim Gehen (Abduktion, Flexion, Pronation, Flexion der Finger usw.). des Armes, also auch hier die typische Massenbewegung. Das Verhalten der unteren Extremität beim Gange und die charakte- ristischen Mitbewegungen der Arme bei spastischen Lähmungen fordern direkt zum Vergleich mit dem Gange der Anthropoiden heraus. Auch bei diesen sehen wir, dass eine alternierende Tätigkeit zwischen Stützbein und Schwungbein vorhanden ist. Am Stützbein besteht die Strecksynergie, die Ferse ist sogar meist vom Boden abgehoben, das Stützbein ist adduziert und innenrotiert. Aber überwunden wird die gewöhnliche Beugestellung der Kletterhaltung keineswegs ganz, das Stützbein bleibt im Hüftgelenk und Kniegelenk gebeugt, der Fuss I. Abteilung. Medizinische Sektion. öl supiniert. Das Schwungbein zeigt die ausgesprochene Beugesynergie mit deutlicher Supinationsstellung des Fusses, besonders auch während der- selbe dem Boden aufgesetzt wird, wobei sich die Zehen jedesmal deutlich in Flexion begeben, gerade als wollte der Affe mit dem aufge- setzten Fusse in den Boden greifen, wie beim Klettern; die Grosszehe ist weit abduziert. Die Arme sind beim Gange in die Luft erhoben, im Ellenbogen fiektiert, die Hand proniert und gebeugt, sozusagen in dauernder Bereitschaft, aus dem noch unvollkommenen aufrechten Gange wieder zum Kletterakt überzugehen bzw. durch Zugreifen an die Aeste der mangelnden aufrechten Haltung mehr Stütze zu geben (Figur 20). Interessant ist, dass wir genau dasselbe beim Kinde sehen, wenn es laufen lernt. Es zeigt am Stützbein die Strecksynergie, es geht auf den Fuss- spitzen, die Zehen sind extendiert und gespreizt, die Grosszehe sogar oft Figur 20. Gibbon, aufrecht gehend. Zeigt besonders schön-die Haltung der Arme usw. deutlich abduziert, das ganze Bein ist adduziert und innenrotiert. Andererseits wird zu Anfang am Stützbein die in der Ruhe vorhandene Beugestellung in Knie und Hüfte nicht voll überwunden. Das Schwung- bein zeigt die Beugesynergie, die Supination des Fusses, das Greifen der flektierten Zehen in den Boden, die Mitbewegungen der Arme. Diese Supination des Fusses am Schwungbein ist ein ganz - besonderes Characteristicum der spastischen Lähmung. Jeder Hemi- plegiker und Paraplegiker zeigt sie, so dass der Fuss mit dem äusseren Fussrande dem Boden aufgesetzt wird. Fassen wir die Bewegungen der Zehen noch einmal näher ins Auge. Beim normalen Gange des Menschen werden die Zehen in dem Momente, wo die Fussspitze mit dem Boden in Berührung kommt, durch Wirkung der Interossei gestreckt gehalten, und die Wirkung der Interossei hält während der ganzen Zeit, wo das Bein als Stützbein fungiert, an. Ich habe oben hingewiesen auf 4* 52 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. die Beziehungen zwischen der Streckung der unteren Extremität beim aufrechten Stehen und am Stützbein beim Gange des Spastikers einerseits und der Strecksynergie bei dem 1. Akt des Klettersprunges andererseits, bei dem Fuss-, Knie- und Hüftgelenk gleichzeitig gestreckt werden. Dabei werden, wie dargetan, die Zehen ex- terdiert und gespreizt, die Grosszehe abduziert. Dieselbe Be- wegung der Zehen gehört, wie ferner dargetan, auch zur Streck- synergie des Beines bei spastischen Lähmungen; wir finden sie dementsprechend auch beim Stehen und beim Gehen am Stütz- bein, manchmal ist dabei die grosse Zehe sogar weit abduziert, für gewöhnlich aber nur extendiert. Die Streckung der Zehen findet sich auch in den Fällen, welche sich tatsächlich durch kleine Sprünge fortbewegen; auch hierbei sieht man Abduktion der Grosszehe. Gerade so wie sich nun beim Affen nach dem Abdruck das Bein bei der Bewegung durch die Luft in Beugung begibt und dabei sämtliche Zehen am supinierten Fuss extendiert und die Grosszehe abduziert sind, sind auch bei spastischen Läh- mungen am Schwungbein am supinierten Fuss sämtliche Zehen dorsal extendiert, die Grosszehe manchmal abduziert. Und wie der Affe beim Umklammern des Astes die Zehen flektiert, aber die Grosszehe noch in Abduktion hält, geraten beim Aufsetzen des Fusses auf den Boden bei spastischen Lähmungen die Zehen in Flexion, und die Grosszehe bleibt oft zunächst noch extendiert, manchmal wohl auch etwas abduziert, gerade wie der Gibbon beim Gange seine Zehen beim Aufsetzen des Fusses auf den Boden flektiert, während die Grosszehe abduziert bleibt. In letzter Linie flektieren sich dann alle Zehen einschliesslich der grossen, sie krallen sich förmlich in den Boden ein, während die Sohle des supinierten Fusses in ganzer Ausdehnung auf dem Boden ruht (Figur 21). Dieses Einkrallen der Zehen in den Boden ist bei allen spastischen Lähmungen eine sehr störende Komplikation. Es handelt sich dabei offenbar um eine sehr hartnäckige Reminiscenz an den Rlettergriff. Denn wir sehen sie selbst da noch auftreten, wo viele der anderen Einzelheiten, die als Reminiscenz an das Klettern aufzufassen sind, nicht beobachtet werden, in denen sonst - ein guter aufrechter Gang möglich ist. Man sieht die Krallen- stellung der Zehen beim Aufsetzen des Fusses auf den Boden eintreten und manchmal während der folgenden Stützphase des Beines noch verharren. Wir sehen also, dass auch die Bewegungsvorgänge bei den spastischen Lähmungen im weitesten Umfange die phylo- genetische Reminiscenz an den Kletterakt zum Ausdruck bringen. Diese beruht auch wieder auf dem funktionellen Wieder- erwachen der subcorticalen Centren infolge des Pyramidenbahn- fortfalls. Zwar genügen die subcorticalen Bahnen allein nicht zur Vermittlung willkürlicher Bewegungen, sie stehen aber durch besondere cortico-subeorticale Bahnen mit der Hirnrinde in Ver- bindung, so dass corticale Willensimpulse in ihre Wege gelangen können; die subeorticalen Bahnen sind aber nicht zur Vermittlung von Einzelbewegungen befähigt, sie vermitteln Bewegungssynergien, mie VERN I. Abteilung. Medizinische Sektion. 53 eine Massenbewegung, die der Kletterbewegung in ihren Komponenten gleicht. Höchst interessant erscheint in dieser Beziehung die Tatsache, dass die Bewegungssynergien auch bei den Reflex- bewegungen zum Ausdruck kommen, da ja beim Klettern die einzelnen Phasen wenigstens zum grossen Teil rein reflektorisch ausgelöst und abgelöst werden. Die Beugesynergie setzt beim Klettern ein, wenn durch die Strecksynergie die Fusssohle gegen den Ast gedrückt wird bzw. über ihn geschoben wird, und da- durch in ihr sensible Reize entstehen. Das Analogon ist bei den spastischen Lähmungen der durch einen Strich oder Druck gegen die Fusssohle ausgelöste Beugereflex der Beine mit allen Figur 21. Hemiplegia infantilis dextra. Zeigt die Supination des Fusses und das Einkrallen der Zehen in den Boden beim Aufsetzen des Beines auf denselben. seinen Einzelheiten, der Supination des Fusses, der Dorsalflexion der Grosszehe, der Extension der anderen Zehen. Andererseits werden auch die beschriebenen Modifikationen des Beugereflexes, welche in Flexion der Zehen bei Dorsalflexion der Grosszehe oder in Plantarflexion aller Zehen einschliesslich der Grosszehe be- stehen, verständlich, sie entsprechen der Abduktion der Gross- zehe und Beugung der anderen beim Anlegen der Fusssohle an den Ast und der Flexion aller Zehen beim Umklammern derselben. Die Bewegungssynergien sind ein noch feineres phylogeneti- sches Reagens als die Kontrakturstellungen; sie finden sich bei allen spastischen Lähmungen auch am Bein des erwachsenen 54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Hemiplegikers, an dem, wie wir sahen, in der Ruhe die spezifisch menschliche Strecktendenz überwiegt. Wohl aber neigt beim Stehen und Gehen in dem Kampf zwischen Klettern und auf- rechtem Gang, zwischen subcorticalem und corticalem Einfluss das Zünglein der Wage bald mehr nach der einen, bald nach der anderen Seite, je nach dem Grade der Ausschaltung der Pyramidenbahn und je nach dem Alter, in dem sie erfolgt. Ge- wisse Reminiscenzen an das Klettern aber finden sich fast immer auch in solchen Fällen spastischer Lähmung, bei denen im wesent- lichen der aufrechte Gang erhalten ist. Das gilt, wie oben ge- sagt, vor allem von der Supination des Fusses, von der Krallen- stellung der Zehen, von der Innenrotation und Adduktion des Beines beim Vorstrecken von den Mitbewegungen der Arme und von manchen anderen Einzelheiten. VI: Ueber das Erbrechen der Schwangeren. Von Robert Asch. Unter all den krankhaften oder, besser gesagt, störenden Er- scheinungen, die eine Schwangerschaft häufig mit sich bringt, hat wohl kaum eine so viele verschiedene und doch wenig be- friedigende Frklärungen gefunden, wie das Erbrechen der Schwangeren. Zum Teil liegt das daran, dass die Mehrzahl der Autoren für diese quälende Störung des Wohlbefindens nach einer gemeinsamen Ursache suchten, während wohl als sicher ange- nommen werden kann, dass diejenigen recht haben, die glauben, dass gerade dieses eine Symptom von den verschiedensten ursäch- lichen Momenten ausgelöst werden könne. Im Laufe der Jahre haben auch hier Modeanschauungen mehr oder weniger geherrscht, je nachdem neugefundene Tatsachen dazu anregten, auch für die Hyperemesis gravidarum diese zur Erkläung heranzuziehen oder wenn irgendein besonders anerkannter Autor sich für die eine oder andere Theorie ausgesprochen hatte. So wird der gestörte Chemismus der Magenfunktion, Toxämie durch „retention men- struelle“, Vergiftung durch fötale Produkte, mangelhafte Ent- giftung durch Leberschädigung, ungenügende Ausscheidung der Toxine, vor allem Neurosen des Sympathicus, in neuerer Zeit Störungen in der Harmonie der inneren Sekretion zur Erklärung herangezogen. Vielfach werden psychogene Momente als ursäch- lich betont, und immer wieder kommt man auf die Behauptung Kaltenbach’s zurück, die Hyperemesis gravidarum sei eine Hysterie. Widerstrebt es schon dem logisch und allgemein medizinisch denkenden Arzte, an das so plötzliche Auftreten eines so distinkten Krankheitsbildes bei oft keineswegs disponierten Individuen zu glauben, bei denen in vielen Fällen jedes andere, sonst postulierte Stigma fehlt, so fällt es um so schwerer, sich dieser Anschauung anzuschliessen, wenn man an das plötzliche Aufhören der suppo- nierten Krankheit oder an eine spontane Heilung nach Verlauf einer gewissen Zeit denkt. Dazu kommt, dass man sich hier mit dem Gedanken befreunden müsste, dass die Erscheinungen durch einen an sich physiologischen Vorgang, den natürlichsten von der Welt: die Schwangerschaft, bedingt sein sollten. 56 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Wenn einige dieser Einwendungen durch die Beobachtung der Eklampsie scheinbar entkräftet werden könnten, so lässt doch weder das allmähliche noch das plötzliche Auftreten ohne Be- seitigung der Schwangerschaft diese Parallele zu. Aber auch die bisher so vielfach geteilte Auffassung einer Reflexneurose scheint mir nicht am Platze. Das Erbrechen ist im Grunde genommen überhaupt keine Krankheit an sich, sondern ein Symptom, das wohl bei manchen Erkrankungen auftreten kann, aber auch recht häufig nur der Ausdruck einer an sich zweckmässigen Entledigung des für den gegebenen Zeitpunkt unbrauchbaren Mageninhalts ist. Es ist viel häufiger eine Abwehr gegen Schädlichkeiten zur Er- haltung der Gesundheit. Wir finden es schon in der Tierreihe bei allen Angstzuständen, bei Schreck, bei Unlustgefühlen, zum Teil mit einer ebenso reichlichen wie unvorbereiteten Entleerung des Darminhalts verbunden. Wenn es bei Schreck, bei passiven, schwindelerregenden Bewegungen, wie Schaukeln, Karussellfahren auftritt, so stellt es wohl einen Reflex dar, kann aber kaum mit Recht Neurose genannt werden. Wollen wir nun das Bild der Hyperemesis uns recht ver- ständlich machen, so müssen wir zunächst von den schweren, lange bestehenden Formen absehen und uns zu den einfacheren Erscheinungen, wie sie die Schwangerschaft mit sich bringt, wenden. In diesem Sinne ist wohl Winter’s Auffassung die richtige, dass die anatomischen Befunde bei an Hyperemesis zugrunde Ge- gangenen als sekundäre zu deuten sind: Nausea, Erbrechen kann, falls es unaufhörlich andauert, zu solch schweren Zuständen von Inanition führen, dass die bekannten Leberbefunde, Gehirn- blutungen usw. als Ausdruck dieser natürlichen, manchmal unab- sehbaren Folgeerscheinung erklärlich sind. Wenden wir uns nun zu den geringeren Schwangerschafts- erscheinungen, den bekannten Gelüsten und Abneigungen: Bei ersteren ist schon von vielen Seiten der Nachweis versucht worden, dass sie ein natürlicher Ausdruck, ein — sit venia verbo — instinktives Verlangen nach Nahrungsmitteln darstellen, die der Schwangeren zuträglich sind. Hier sehen wir schon Instinkte wieder auftreten, die dem Menschen, besonders dem Kultur- menschen, im Laufe der Zeit verloren gegangen sind. Bei den Abneigungen tritt dies fast noch klarer zutage. Be- obachtet man genauer die oft kürzeste Zeit nach der Conception auftretenden Aversionen, so kann man zunächst feststellen, dass sie häufig gegen Gifte gerichtet sind, gegen die der Naturmensch, wie das Kind, die gleiche Abneigung empfindet, die er aus hier nicht näher zu erörternden Gründen mit Mühe und im Laufe der Zeit überwindet. So findet sich ein oft ungeheuer stark auf- tretender Ekel vor Tabaksrauch bei Frauen, die bis zur Zeit manchmal selbst gewohnheitsmässig rauchten und die später wieder mit Vergnügen sich diesem Genusse hingeben. Ebenso häufig tritt eine Aversion gegen Alkohol, gegen Kaffee auf. I. Abteilung. Medizinische Sektion. Bl Jedes Kind, jeder Mensch, der zum ersten Male raucht, Alkohol geniesst, empfindet diese Abneigung. Wer nicht an Kaffee gewöhnt ist, spürt dessen giftige Wirkung. Nur die Gewöhnung an derartige Schädlichkeiten lässt uns allmählich die Abwehr- reflexe, die sie sonst hervorrufen, unterdrücken, ihre Folgen er- tragen lernen. Wollten wir für das Auftreten solcher Reflexe bei Individuen, die sie schon zu unterdrücken gelernt haben, eine Erklärung suchen, so bleibt fast keine andere übrig, als dass die neu wachsende Zelle, das befruchtete Ei, hier noch die Instinkte des von der Kultur noch unverdorbenen Individuums aufweisen und bei der Trägerin zur Geltung zu bringen, so stark oft, dass sie vom mütterlichen Organismus erst wieder mit Mühe und nach längerer Zeit, manchmal überhaupt nicht, solange sie das Kind trägt, überwunden werden können. Was die Kultur für den Menschen, das bedeutet die Dressur, die Erziehung beim Haustier; so sehen wir bei solchen ähnliches: Eine gut erzogene Hündin kann, wenn sie trächtig geworden ist, ihre wieder erwachende oder zunehmende Fressgier nicht mehr durch die Erinnerung an die erhaltenen Schläge unterdrücken und stiehlt, ja raubt alle erhaschbaren Nahrungsmittel, sie folgt wieder Instinkten, die sie zu unterdrücken erlernt hatte; auch hier überwiegt unter dem Einfluss der neu sich bildenden Nach- kommenschaft der damit neu erwachende Instinkt über die ange- lernte Unterdrückung ganz natürlicher Vorgänge und Reflexe. Unter Instinkt sind hier die ererbten, durch die Mneme der Zelle überkommenden Gewohnheiten und Eigenschaften zu verstehen. Sehen wir so bei den Schwangeren gewisse instinktive Neigungen wieder auftreten, so ist doch die alte Kultur des Menschen in mancher Beziehung zu stark, um die angelehrten und angewöhnten Unterdrückungen der Reflexe wieder fallen zu lassen, wie des weiteren erörtert werden soll. Auch das Menschenweibchen hat in der Schwangerschaft ein erhöhtes Nahrungsbedürfnis; wie in der Zeit schnelleren Körper- wachstums oder in der Pubertät oft eine ganz auffallende, durch die nach aussen geleistete Arbeit nicht erklärliche, erhöhte Ess- lust auftritt, so bedarf auch die werdende Mutter für den Aufbau des Fötus ein Mehr an Ernährung. Baisch fasst dies als eine zweckmässig zu nennende Steigerung der centralen Erregung auf. Wo dieses körperliche Mehrbedürfnis auch mit einer erhöhten Esslust einhergeht, sehen wir bei stärkerer Nahrungsaufnahme keinerlei Störungen, kein Erbrechen auftreten; dafür sprechen auch die wichtigen Beobachtungen Diesing’s!) an primitiven Völkern; das sieht jeder Arzt bei weniger kultivierten, einfacheren Menschenklassen. J. M. H. Martin hat besonders darauf hin- gewiesen. Aus diesem Grunde scheint auch die Tatsache erklärlich, dass in Kliniken, Krankenhäusern und Polikliniken im grossen ganzen weniger Fälle dieser Art zur Beobachtung gelangen. Im 1) Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol., Bd. 29, S. 817. 58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. wesentlichen ist es die Klientel der Privatpraxis, die das Material für derartige Erfahrungen stellt. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass weniger exakte Forschungen, weniger genaue Beobachtungen und Kranken- geschichten hierüber existieren. Es hat jeder Arzt, der sich da- für interessierte, mehr aus seiner Erinnerung und seiner Erfahrung seine Eindrücke geschildert. Wohl kommen hie und da die schweren Formen zur Aufnahme und genaueren Erforschung, die leichten bleiben auf die Konsultationsstunden beschränkt oder gehören in den Funktionsbereich des Hausarzies. Bei der Vielseitigkeit der Beobachtungen, bei der grossen Fülle von Mitteilungen und Arbeiten über die perniciöse Form der Hyperemesis gravidarum findet man nun eine grosse Anzahl von Fällen, die für die vorliegende Erörterung nicht herangezogen werden können. Auszuscheiden sind alle hyperemetischen Graviden, bei denen Magenerkrankungen Jleichterer oder schwererer Art, Ulcus, Garcinom, Dilatation in viva oder post mortem fest- gestellt worden sind. Hier bildet die Schwangerschaft nicht die eigentliche Ursache, sondern allerhöchstens die Gelegenheits- ursache. Bei solchen Kranken bleibt naturgemäss das Erbrechen auch nach der Beseitigung der Gravidität bestehen. Ebenso sind Tuberkulose, Hirnkrankheiten nicht für die Er- forschung der Gründe des Erbrechens geeignet. Auch müssen Uebelkeiten und Brechneigung bei Nephritis hier ausgeschaltet werden. Sehen wir nun, weswegen bis dahin völlig gesunde Frauen in diesen bemitleidenswerten Zustand gelangen, so kommt ein psychisches Moment noch in Frage, das zwar auch nicht eigent- lich hierher gehört, aber leider allzu oft, weil übersehen oder absichtlich verschwiegen, zu irriger Auffassung verleitet. Das ist der Wunsch mancher Frauen und Mädchen, der Schwangerschaft ein vorzeitiges Ende bereitet zu sehen. Sieht man aber auch von derartig zu motivierenden Ueber- treibungen des Zustandes, nicht nur in der Mitteilung, sondern in der Ausführung selbst ab, so bleibt doch für diese Fälle gerade ein ursächliches Moment bestehen, das aber auch weder als Hysterie noch als Neurose bezeichnet werden kann, sondern sich im Rahmen physiologischer Gesetze bewegt. Unlustgefühle, Schmerz, Trauer, Schreck unterdrücken sofort, bei frisch reagierenden Individuen mehr, als bei kulturell, gesell- schaftlich erzogenen oder besser verzogenen den Appetit und die Möglichkeit der Magentätigkeit. Ich muss hier auf die bekannten Untersuchungen Pawlow’s über die Absonderung des psychischen oder Appetitsaftes hin- weisen. Die Erregung der Sinnesnerven durch Vorhalten von Speisen ruft eine Sekretion von Verdauungssaft hervor; diese hört aber beim Hunde z. B. sofort auf beim Anblick einer Katze oder auf ähnliche, Unlustgefühle erweckende Reize. Wenn ein hungriger, zum Essen geneigter und vorbereiteter Mensch durch einen Schreck, eine plötzliche traurige Nachricht überrascht wird, so schwindet seine Appetenz, ja sein Hunger- EIBU I. Abteilung. Medizinische Sektion. 59 gefühl sofort; bei recht reagiblen Individuen, bei Kindern, jungen Frauen kommt es sogar leicht auch zum Erbrechen, wenn die Einwirkung nach der Nahrungsaufnahme erfolgt. Derartige psychische Reize sind aber oft vorhanden bei Frauen oder Mädchen, denen die Schwangerschaft unerwünscht kommt, oder die aus berechtigten oder unberechtigten Gründen in der Schwangerschaft ein Unglück, in der zu erwartenden Ent- bindung eine zu fürchtende Gefahr erblicken. Auch hier wiederholen sich oft nach einmaligem Misserfolg die Folgezustände ohne erneute offensichtliche Ursache durch Er- innerungsbilder. Das Erbrechen wird zur Gewohnheit, auch wenn das Angst- gefühl nicht mehr in gleicher Stärke, sei es durch Belehrung, sei es durch Gewöhnung, auftritt. Dieser Zustand, der durch Ernährungsstörung zum Circulus vitiosus wird, kann auch unbewusst, wenigstens ohne volle Er- kenntnis für die Betreffende, eintreten. So entwickelt sich auch aus diesem Erbrechen manchmal beim Mangel ausreichender Belehrung die perniciöse Form der Hyperemesis. Können wir hier bei ursprünglich erhaltener Ess- lust Erbrechen beobachten, so kommt noch ein anderer Zustand in Frage, der eine Reihe, und zwar eine überwiegend grosse An- zahl von Fällen von Emesis erklärt. Ich habe oben erwähnt, dass die Esslust nicht in gleicher Weise steigt, wie das dem Körper notwendige Nahrungsbedürfnis. Mehr Hunger, mehr Appetit fehlen! Hier tritt oft der vielleicht nicht glücklich mit Heisshunger bezeichnete Zustand des über- gangenen Hungers ein. Der gesunde Mensch empfindet Hunger bei leerem Magen, der Hunger steigert sich allmählich, und seine endliche Befriedi- gung findet einen wohlvorbereiteten und zur Verarbeitung des Genossenen geeigneten Magen. Diese Funktion kann schon beim Gesunden durch allzulange Ausdehnung des Hungerns gestört werden. Es tritt der Zustand des Ueberhungertseins auf, der sich in Abneigung vor Nahrungs- aufnahme bei verschiedenen Menschen individueli recht verschieden zeigt. Ja, auch nach endlich genossener Mahlzeit kann hier Er- brechen eintreten. Hierfür dient sowohl das rasche Verschlingen ohne genügende Vorbereitung durch Kauen zur Erklärung, als auch die Nahrungsaufnahme ohne genügenden Appetit, die ebenso oft zum ungenügenden Kauen und damit zu einer schwereren Be- wältigung im Magen führt; die Appetitlose isst aus Pflichtgefühl oder Gewohnheit; auch das führt zur Herabsetzung der Magen- funktion. Dieser Zustand kann bei sogenannten Anämischen, bei jugend- lichen Individuen, aber auch bei abgearbeiteten Menschen beob- achtet werden. Auch übertriebener Sport, Radfahren, Bergsteigen zeitigen solche, allerdings meist vorübergehende Zustände bei sonst Gesunden. Wiederholt sich aber, weil unbewusst, unbeob- achtet, durch keine Belehrung verhütet die Ursache stetig und 60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. häufig, so geht auch der Zustand nicht vorüber, sondern wird zu immer bedenklicherer Gewohnheit. Wie nun die Steigerung der Körperarbeit, die zufällige Aus- dehnung der Nahrungspause beim gesunden Menschen zum Ueber- hungertsein führen kann, wie diese Steigerung nicht allzu stark, die Pausen bei Geschwächten nicht allzu ausgedehnt sein brauchen, um die ungünstigsten Folgen zu zeitigen, so kann dieser Zustand bei einer Schwängeren, bei erhöhtem Nahrungsbedürfnis und zu- gleich vermindertem oder fehlendem Empfiuden dafür, leicht und häufig eintreten. Das Missverhältnis zwischen Gemeingefühl und Bedürfnis gibt hier die Ursache für die Störung ab. Behält die Schwangere ohne Kenntnis, ohne Empfinden einer gesteigerten Notwendigkeit der Nahrungszufukr die gewohnten Nahrungspausen bei, so ist sie schon zu einer Zeit überhungert, zu der sich sonst der Hunger erst einzustellen pflegt. Dazu kommt oft noch an Stelle einer vermehrten Nahrungsmenge eine Ver- minderung durch falsche Belehrung seitens Angehöriger oder zu Unrecht befragter kluger Frauen. Auch das leichter eintretende Sättigungsgefühl kann der Mahl- zeit ein vorzeitiges Ende setzen. Am auffälligsten tritt dieser Zustand in Erscheinen bei der nächtlichen Pause. Während beim wachenden Menschen ungefähre Pausen von 5 Stunden den Funktionswechsel im Verdauungstrakt eintreten lassen, vermögen wir ohne Schaden oder Unbequemlichkeit schlafend Pausen von 12 Stunden und mehr zu ertragen. Das ändert sich schon, wenn nach der Abendmahlzeit noch eine längere Zeit ungewohnter Arbeit bis zum Einschlafen erfolgt: dann tritt noch vor dem Schlafengehen oft ein sonst zu so später Nachtzeit nicht gewohntes Hungergefühl ein. Wird dieses gestillt, so ist am Morgen keinerlei Unbehagen zu spüren. Eine genügende Stillung wird durch geringe Mengen oft nicht eigentlich „ernäh- render“ Substanzen erreicht. Ist die Arbeit nun zwar um so lange Zeit ausgedehnt, dass ein Mehrverbrauch stattgefunden hat, die Zeit des Hungergefühls beim Einschlafen aber noch nicht erreicht, so kann dieser Zeit- punkt verschlafen werden, und man erwacht überhungert. Auch hier finden natürlich individuelle Verschiedenheiten statt; häufig aber findet sich bei solchen Vorkommnissen morgens eine Ab- neigung gegen das Frühstück oder wenigstens eine viel zu geringe Essneigung. Als Zwischenstufe können wir solche Menschen ansehen, die dann „unruhig schlafen“; sie erwachen öfters, schlafen allerdings vielfach nach einiger Zeit wieder ein; oft beobachtet man in solchen Fällen Träume, die „Essen“ zum Inhalt haben. Das Ge- meingefühl macht sich auch im Schlafe bemerkbar. Bei der Schwangeren dagegen wird nun die ungewohnte Ausdehnung des Wachens nach der Abendmahlzeit ersetzt durch das erhöhte, aber nicht zum Bewusstsein kommende Nahrungs- bedürfnis. Vielleicht, ja wahrscheinlich durch die Weiterarbeit u I. Abteilung. Medizinische Sektion. 61 am Wachstum der werdenden Frucht, verbraucht sie die genossene Nahrungsmenge der Abendmahlzeit schon während der Schlafens- zeit, verspürt im Schlafen keinen Hunger und erwacht überhungert mit dem Widerwillen gegen Nahrungsaufnahme, ja sehr häufig mit Brechneigung oder gar Erbrechen beim Aufsetzen. Hier zeigt sich deutlich die Wirkung der Gehirnanämie des Hupgernden. Ich erinnere an die Seekrankheit, bei der ja gerade die Blutleere im Gehirn zum Erbrechen führen soll. Auch hier sehen wir den Zustand im Liegen vielfach gebessert. Ich habe diese Form des Vomitus matutinus gerade häufig bei solchen Frauen beobachten können, die infolge der ja erklärlichen Müdig- keit lange und fest schlafen konnten. Bei andern wieder wird auch der oben gekennzeichnete unruhige Schlaf beobachtet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch eine Ansammlung von zu viel Verdauungssaft im Magen, wie er dem Beginn der Ver- dauung nicht zuträglich ist, während der langen Schlafenszeit bei Schwangeren stattfindet; es würde dadurch das morgendliche Er- brechen massenhafter, dünner, saurer Flüssigkeit erklärlich sein. Die Untersuchungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen. Gesteigert wird dieser Zustand durch den oft unvernünftigen Rat befragter oder unbefragter Personen, befugter oder unbefugter Ratgeber, ja recht zeitig am Abend zu essen. Gerade dabei sehen wir den Zustand morgendlichen Erbrechens sich oft hochgradig verschlimmern. Zur Begründung dieser Auffassung muss ich hier schon kurz auf die Therapie eingehen. Viele Frauen helfen sich selbst, wenn sie durch Beobachtung gemerkt haben, woran das Uebelbefinden am Morgen liegt; sie essen vor dem Schlafengehen noch etwas oder nehmen in der Nacht bei öfterem Erwachen Kleinigkeiten zu sich. Manchmal genügt schon Trinken bei öfterem Aufwachen. Gerade die Hilfe, die man solchen Frauen, hat man erst durch genaues Eingehen auf ihre Lebensgewohnheiten diesen einen Grund als vorliegend erkannt, durch den Rat, auch die Nacht- pausen der Magenfüllung zu verkürzen, erweisen kann, zeigt, dass es sich hier nicht um blosse Theorien, sondern um wirklich vor- handene Missverständnisse in der Lebensführung handelt. Nicht Suggestion beseitigt hier eine Hysterie, sondern Er- fahrung die natürlichen, unangenehmen Folgen falscher Lebens- weise Unerfahrener oder unrichtig Beratener. Es ist das Verdienst Schwarzenbach’s!), schon einmal, aller- dings ohne dass seine Ideen genügende Verbreitung finden konnten, auf diese zu ausgedehnten Nahrungspausen aufmerksam gemacht zu haben. Er verknüpfte damit die Vorstellung einer Ausschei- dung von Schwangerschaftsgiften in den Magen. Es sei hier noch bemerkt, dass es nicht nötig ist, calorien- reiche, wirklich ernährende Mahlzeiten einzuschalten, sondern dass gerade oft unverdauliche oder schwer assimilierbare, aber leicht sättigende Nahrungsmittel genügen. 1) Correspond.-Blatt f. Schweizer Aerzte, 1908, Nr. 14. 62 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Diesen Fehler allzulanger Nahrungspausen findet man nun auch während des Tages bei Schwangeren, leicht erklärlich durch das mangelnde Hungergefühl, durch die fehlende Appetenz. Deswegen kommt es auch während des Tages, manchesmal gerade nach der ersten Nahrungsaufnahme nach längerer Pause zum Erbrechen. Gesteigert wird im Laufe der Zeit das Erbrechen auch durch Erinnerungsbilder, genau wie es beim normalen Menschen durch ekelerregende Vorstellungen hervorgerufen werden kann. Ein Mensch, der mit der Suppe Haare verschluckt, erbricht, wenn er es merkt; aber auch, wenn man ihm nach dem Suppen nur einredet, er habe Haare mit verschluckt, kann es leicht zum Erbrechen kommen; deshalb ist der Betreffende noch nicht hysterisch; hier handelt es sich wohl um einen Reflex, aber nicht um eine Reflexneurose. Erst lange Schulung, durch Vernunft und Ueberlegung er- langte Ueberzeugung, dass kein Grund zum Erbrechen vorliege, kann den an sich normalen Reflexakt unterdrücken. Ich möchte also zusammenfassend über diese Form des Er- brechens feststellen: Das erhöhte Nahrungsbedürfnis in der Schwangerschaft ist völlig normal; es findet sich bei Tieren wie bei unkultivierten oder noch natürlich lebenden und empfindenden Menschen. Das mangelnde Gemeingefühl des Hungers, die fehlende Ess- lust beim Kulturmenschen ist erklärlich aus der durch lange Gewohnheit, Erziehung und Vererbung hergeleiteten Unterdrückung normaler Reflexe. Das Missverhältnis zwischen der angeborenen und der er- worbenen Eigenschaft ruft häufig Ueberhungertsein mit seinen auch an anderen Objekten zu beobachtenden Folgeerscheinungen hervor. Es besteht kein essentieller Unterschied zwischen Schwangeren und anderen Individuen in dieser Beziehung. Man kann also die Hyperemesis weder als Reflexneurose noch als Hysterie auffassen; zum Suchen nach einer Vergiftung als Ursache des Erbrechens liegt kein Grund vor. Erst bei, längere Zeit hindurch bestehender Hyperemesis treten die schweren Schädigungen des Organismus ein, die eher durch Inanition ais durch primäre Vergiftung erklärlich sind; Ver- giftungserscheinungen müssten dann weniger von den fötalen Elementen als vom Darm oder Mageninhalt ausgehen; hier trägt auch die durch Inanition hervorgerufene Leberschädigung zur mangelhaften Entgiftung sekundär bei. Das im einzelnen so vielfach verschiedene Bild des Er- brechens der Schwangeren macht es aber verständlich, dass auch hierfür verschiedene Ursachen bestehen. Nicht für alle Fälle können die bisher gegebene Erklärung und die dagegen erfolgreich anzuwendenden Maassnahmen Aufschluss geben. Vor allem sind es die mit einem Schlage sozusagen zu heilenden Fälle von Hyperemesis, die eine andere Aetiologie haben. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 63 Aufgabe des unermüdlich beobachtenden und eingehend be- ratenden Arztes ist es stets, sich Klarheit über die Ursachen im einzelnen zu verschaffen und den Heilplan danach aufzustellen. Die groben Veränderungen an den Genitalorganen, Retro- flexio, Myome usw. möchte ich hier ebensowenig besprechen, wie pathologische Vorgänge; bei Hydramnios oder übermässiger Dehnung durch Zwillingsschwangerschaft oder Blasenmole liegt es auf der Hand, dass mechanische Insulte, übermässige Span- nungen des peritonealen Ueberzuges verantwortlich zu machen sind, und es ist bekannt, dass mit deren Wegschaffung oft so- fortiges Sistieren des Erbrechens eintritt. Aber es gibt wohl einen Reizzustand, der wahrscheinlich vom inneren Muttermund ausgeht, der durch Krampf in der Ring- muskulatur das Erbrechen auslöst. Der Anlass hierzu ist durch die Schwellung der Cervicalschleimhaut gegeben. Auch hier handelt es sich um Reflexe, die keineswegs die Annahme einer bestehenden oder plötzlich zutage tretenden Hysterie erforderlich machen. Auch von einer Intoxikation ist hier nicht die Rede. Erstens kommen ganz ähnliche Reaktionen ohne Gravidität bei der menstruellen Schwellung vor und zweitens wird Erbrechen auch bei krampfartigen Kontraktionen an anderen Organen in gleicher Weise beobachtet. Oder will man einen Mann, der unter dem Einfluss einer Ureter- oder Gallenkolik erbricht, plötzlich für hysterisch geworden erklären? Auch hier die reaktive, an sich gesunde, weil körperlich nicht schädigende Mitkontraktion der Pylorusmuskulatur, die mit Hilfe der Bauchpresse zur Ent- leerung des Magens führt. Hierher gehören die den Fachkollegen reichlich bekannten Heilerfolge durch Dilatation des Oervicalkanals. Ich habe nicht nur selbst eklatante Beispiele hiervon ge- sehen, sondern es liegt eine reiche Kasuistik vor: Laminaria- dilatation, digitale Erweiterung, Ablösung des unteren Eipols, Gazeausstopfung sind von verschiedenen Autoren, auch ohne dass dadurch künstlicher Abort erzielt wurde, angegeben. Dass auch der vollendet ausgeführte künstliche Abort gleiche Wirkung habe, ist einleuchtend. Es muss hier aber gegen einen therapeutischen Vorschlag protestiert werden. Wenn nach Misslingen aller sonstigen Maass- nahmen bei bedrohlich gewordenem Zustande der Schwangeren schliesslich doch der Entschluss zur künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft gereift ist, so kann ich die Beseitigung des Schwangerschaftsprodukts in einer Sitzung nicht gutheissen. Man dilatiere und warte den Erfolg ab. Vielfach hört das Erbrechen, auch ohne dass Abort die unbedingte Folge sein muss, auf, und die Schwangere erholt sich und kann austragen. Ich habe solche Fälle gesehen. Sie sind oft fälschlich so gedeutet worden, dass die Sug- gestion hier Heilung erzielt habe; zumal bei Frauen, die an Hyperemesis litten, ohne dass der Wunsch nach Unterbrechung bei ihnen bestand. Vorsichtige Beurteilung des Grades der Hyper- emesis kann ja nicht genug zur Pflicht gemacht werden; der 64 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. leise gehegte und wohlweislich verborgene, wie der offen aus- gesprochene Wunsch nach Unterbrechung muss für den be- urteilenden Arzt von erheblicher, wenn auch nicht stets von aus- schlaggebender Bedeutung sein. Fast stets spielten solche Momente in den Fällen von sug- gestiver Heilung durch vorgetäuschte Laparotomie (H. W. Freund) mit. Dilatationserfolge habe ich in Fällen erwünschter, aber durch Hyperemesis kaum erträglicher Schwangerschaft gesehen. Ebenso wie von der Oervixmuskulatur können auch Schwanger- schaftswehen, die kaum als solche empfunden werden, reflektorisch zum Erbrechen führen; bei Geburtswehen sehen wir das ja recht häufig eintreten. Geht hier der Reflexreiz zum Erbrechen von einem Abdominal- organ aus, so muss nun noch einer dritten Art des Ur- sprungs für den Brechreiz Erwähnung getan werden, die ver- hältnismässig häufig vorkommt und oft mit der erst erwähnten Aetiologie verwechselt werden kann. Andeutungsweise findet sich schon bei H. W. Freund als Ausgangspunkt die Schwellung der unteren Nasenmuschel er- wähnt. Es sei nicht bestritten, dass diese sich mehrfach bei Schwangeren findet, ebenso wie die noch häufiger beobachtete Schwellung des Zahnfleisches. Die Hypertrophie der Nasen- muschel führt wohl zu Asthmaanfällen, löst aber an sich kein Erbrechen aus; derartige Beobachtungen aber hätten auf den rechten Weg führen können. Wenn man auch nicht geneigt wäre, alle Konsequenzen aus den Mitteilungen von Fliess zu ziehen, so bleibt doch ein Zu- sammenhang der Vorgänge in den Genitalschleimhäuten und denen der oberen Luftwege bestehen. Dafür gibt es genug einwandfreie Beobachtungen. Ganz abgesehen von der menstruellen Rötung und Schwellung in der Nase, von gelegentlichem Hüsteln bei Sondierung des inneren Muttermundes, ist die Schwellung der Nasenrachen- schleimhaut zugleich mit dem Schwangerschaftsödem an den Genitalien für viele Fälle sicher festgestellt. Untersucht man nun bei Schwangeren, die an Hyperemesis leiden, die obere und hintere Pharynxwand, so wird man manchmal einen Katarrh mit zähem, festanhaftendem Schleim finden. Auch diese Frauen leiden an morgendlichem Erbrechen. Das Erbrechen stellt sich aber bei dieser Aetiologie nicht beim Aufsitzen im Bett, selten beim ersten Frühstück, sondern fast stets bei der Morgentoilette ein. Der „Kampf mit der Zahn- bürste“ — um einen treffenden Ausdruck, der bei anderer Gelegenheit gefallen ist, zu eitieren — tritt hier deutlich in Er- scheinung. Beim Reinigen der seitlichen Zahnreihen, beim Gurgeln tritt Würgen, Brechneigung und Erbrechen ein. Hier schafft die Beseitigung der Pharyngitis noch sicherer Heilung als Cocainisieren der Nasenmuschel. Einpträufeln von Argentumlösungen genügt oft bei ein- bis zweimaliger Anwendung, um den Schleimpfropf zum Gerinnen und Abstossen zu bringen. a OL JE Ä 3 ö | I. Abteilung. Medizinische Sektion. 65 Dabei ist oft keinerlei Rötung am Gaumensegel, keine Angina wahrzunehmen. Den Laryngologen sind diese Vorkommnisse im Epipharynx mit ihrem bis zum Erbrechen gesteigerten Würgen geläufig und ihr Auftreten bei Trinkern und Rauchern bekannt; auch hier nehmen schwangere Frauen keine Sonderstellung ein; nur dass die Schwangerschaft eine besondere Aetiologie für diese Er- krankungsform abgibt, ist noch wenig besprochen und, soweit mir bekannt, nicht beschrieben. Diese Fälle lassen sich leicht schon beim ersten Kranken- examen, wenn über Erbrechen geklagt wird, aussondern, eben durch eingehendes Befragen nach dem genaueren Zeitpunkt des Vomitus matutinus. Aus dem bisher Gesagten folgernd muss ich also betonen: Eine Behandlung des Erbrechens, vor allem in den. Früh- stadien ist geboten, weil so am besten der Eintritt schwerer Hyperemesiszustände vermieden wird. Möglichst muss der Grund für das Erbrechen im Einzelfalle festgestellt werden; das Haupt- kontingent stellen die oben beschriebenen Zustände falscher Er- nährungsart. Hier hat eine geeignete Belehrung, die nicht besonders suggestiv gehalten zu sein braucht, aber erklärend und deshalb eindringlich wirksam sein muss, einzusetzen. Die Regelung der Diät muss sich nicht auf besondere Nahrungsmittel, sondern mehr auf die Art und Weise der Zufuhr erstrecken. Es ist interessant, den Gegensatz festzustellen, der sich z.B. zwischen den Vorschriften Winkel’s und Olshausen’s, zweier so überaus erfahrener Berater, finde. Während Winkel Milch- diät in kurzen Pausen anrät, gibt Olshausen feste, ja derbe Kost. Ich habe nun in vielen Hunderten von Fällen die Erfahrung gemacht, dass der Magen Schwangerer, wie Anämischer oder Ueberarbeiteter, Heruntergekommener, besonders jugendlicher Frauen flüssige und feste Kost, bei einer Mahlzeit zugleich ge- nommen, schlecht verträgt. Sei es, dass die allzu grosse Verdünnung des Magensaftes, besonders des anfangs abgesonderten, die Verarbeitung der festen Nahrung hindert, sei es, dass die Fortschaflung der Flüssigkeit für den Magen erschwert ist, so lange noch unverdaute, wo- möglich schlecht verkleinerte, feste Nahrungsmittel im Magen liegen, die Beobachtung lehrt, dass dieselben Individuen eine flüssige Mahlzeit ohne feste Bestandteile ebensogut vertragen, wie eine trockene ohne Getränk; beides zugleich wird nicht vertragen und macht Beschwerden. Man gebe also in kurzen, etwa 21/, stündigen Pausen kleine Mahlzeiten, abwechselnd flüssig und fest. Man kann kleine Fruchtmahlzeiten, Nüsse, Backpflaumen, Feigen, Obst „pour tromper l’estomac“ einschalten. Man lasse spät abends vor dem Schlafengehen ein kleines Nachtmahl nehmen; kalte Speisen, Gebäck, Pfefferkuchen, alles mögliche ist, je nach Geschmack der Betrefienden, zu versuchen Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1913. I. 5 66 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. es ist ja bekannt, dass die einen Abneigung vor Süssigkeiten, die anderen gegen salzige oder gewürzte Nahrung haben; erstere herrscht vor. Es gehört oft viel Findigkeit und Bekanntschaft mit der Materie dazu, um das Richtige zu finden; die Mühe wird aber meist durch den Erfolg belohnt. Schläft die Schwangere unruhig, d.h. wacht sie des öfteren auf (meist in der zweiten Hälfte der Nachtruhe), so lasse man auch dann Kleinigkeiten essen: Öakes, Schokoladenwaffeln, dünn geschnittene Kuchenscheiben; man muss darauf achten, hier nicht zu harte Dinge anzuraten, weil die Frauen durch das Kauen zu munter werden und der Schlaf sich dann schlecht wieder ein- stellt. Also nicht Zwieback oder Obst. Tritt trotzdem morgens Brechneigung beim Aufsitzen ein, so lasse man im Liegen vorbeugend eine Tasse Milch, Schokolade, Kakao, Milchkaffee, Tee, Suppe oder ähnliches aus einer Schnabel- tasse, eventuell aus gebogenem Glasrohr nehmen und darauf noch 15—20 Minuten liegen; besteht anfangs auch dagegen zu grosse Abneigung, so genügt zur Einleitung des Verfahrens ein Glas heissen Vichy’s oder Öarlsbader Mühlbrunnens. Tritt das Erbrechen erst bei der Mundreinigung ein, so tritt die Behandlung des Rachenkatarrhs in ihr Recht. Tagsüber die oben erwähnten kurzpausigen, kleinen, ab- wechselnd festen und flüssigen Mahlzeiten nehmen, z. B. eine Stunde vor dem Mittagessen eine Tasse Bouillon, dagegen direkt vor dem Essen keine Suppe; zum Essen möglichst nichts trinken. Die während der Schwangerschaft besonders notwendige Flüssigkeitszufuabr braucht dabei nicht beschränkt zu sein. Im Gegenteil muss man, wie überhaupt den meisten Frauen, so be- sonders Schwangeren, zur Einnahme von mindestens 11/,—2 Liter Flüssigkeit zu geeigneter Zeit zureden. Dabei wird am besten der so häufig beobachteten Obstipation, vielleicht auch bedenklicher Konzentration des Urins vorgebeugt. Frauen begnügen sich ja oft mit so unendlich kleinen Flüssig- keitsmengen, dass die Speisereste gehörig ausgelaugt werden müssen, um auch nur die normale Urinmenge herzugeben. Die ausgetrockneten Reste müssen dann immer erst wieder im Mast- darm durch Eingiessungen erweicht werden, um herausbefördert werden zu können. Schlackenreiche Kost und genügende Mengen Wassers helfen hier mehr als alle Abführmittel, die durch Ge- wöhnung nur schädigen. Im übrigen schliesse ich mich natürlich auch den Rat- schlägen, die grösseren Mahlzeiten im Liegen nehmen zu lassen, bei schweren Fällen an; auch nachheriges Liegenbleiben, Ver- wendung von Thermophoren usw. unterstützt oft die Unterdrückung der Brechneigung. In einem recht fortgeschrittenen, schon recht verzweifelt aussehenden Falle sah ich Erfolg von fast 14 tägiger Ernährung ausschliesslich mit festgefrorenen Nahrungsmitteln. Hier waren gekühlte Getränke, wie alles andere erbrochen worden; nur festes Eis wurde behalten. 10—12 Portionen gefrorener I. Abteilung. Medizinische Sektion. 67 Milch, Milchkaffee (Hag), Milchtee, Wasserkakao, Apfelmuss, Speiseeis usw. hielten die Schwangere über Wasser, bis sie das Verlangen nach einem Beefsteak empfand und es mit Appetit verzehrte, um sich von da an normal und ausreichend ernähren zu können. Auch gegen die psychische Beeinflussung ist nach dem oben Gesagten nichts einzuwenden. Die Unlustgefühle hervorrufenden Stimmungen können durch Belehrung vermindert werden; die klare Darlegung, dass eine Schwangerschaft keine Krankheit, eine Entbindung nach aller Voraussicht keine Gefahr bedeute, wird dazu beitragen; vor allem warne man vor dem reichlichen Be- fragen und Anhören der stets ratbereiten, erfahrenen Frauen der näheren und ferneren Umgebung. Jede Frau glaubt aus der eigenen, oft kleinsten Erfahrung jeden Fall beurteilen und beraten zu können, und die oft über- triebene Schilderung eigener Leiden, der durchgemachten Schmerzen und Gefahren trägt nicht zur seelischen Beruhigung der Be- troffenen bei. Unter diesem Regime wird man Fälle von unstillbarem Er- brechen kaum noch zur Beobachtung bekommen; hilft all das nicht, oder kommt die Hyperemetische schon im perniciösen Stadium in Behandlung, so entschliesse man sich nach etwaiger, durch Beratung festgestellter Notwendigkeit der Unterbrechung der Schwangerschaft doch erst zu einer probeweisen, vorsichtigen Erweiterung des Halskanals und warte dessen meist genügende Wirkung ab. So wird die Opferung des kindlichen Lebens auch aus der immer noch aufrecht erhaltenen Indikation des unstillbaren Er- brechens immer seltener werden. [noi } VER Ueber die Beeinflussung der Tuberkulose durch Balsamica. Von Sanitätsrat Dr. Berliner - Breslau. M. H.! Wenn ich jetzt nach so geraumer Zeit wieder Ge- legenheit nehme, vor dieser Corona über das Thema der Tuber- kulosebehandlung mich auszulassen, so lag der Grund meiner Zurückhaltung in dem Wunsche, die Beurteilung der Verwend- barkeit der von mir angegebenen Methode den Kollegen zu über- lassen, denn die meisten Praktiker haben wohl in Erfahrung ge- bracht, dass häufig Urteile und Kurbestrebungen als unfehlbar und unübertroffen in die Welt hinausposaunt werden, die nach kurzer Zeit als unrichtig und unwirksam sich erweisen und in die medizinische Rumpelkammer geworfen werden. Ich darf jetzt, wo ich selbst mich mehr als 10 Jabre mit der Beobachtung befasst, wo andere ihr kompetentes und be- achtenswertes Urteil abgegeben haben, mich mit einiger Berechti- gung über dieselbe ergehen. Ausserdem hat mir die hochinteressante und bedeutsame Vorführung der experimentellen Ergebnisse des Herrn Geheimrat Pohl über die Wirkung der Balsamica in dieser Versammlung, die ich gewissermaassen als eine Bestätigung der Zweckmässigkeit der von mir angewendeten Ingredienzen betrachten kann, die weitere Anregung zu dem Vortrage gegeben. Im Institut des Herrn Geheimrat wurde vor einigen Jahren die entzündungs- widrige Wirksamkeit der Balsame durch Messung festgestellt. Die Leistungsfähigkeit derselben ist auf folgende Momente zurück- geführt worden: Sıe hemmen die Entzündung, die Exsudation, sie steigern die Resorption und fördern die Lebenstätigkeit der Leukocyten. Herr Geheimrat, der nachträglich die Erzielung des pleuritischen Exsudats durch sein Verfahren der Injektion mit Hefesuspension noch verbesserte, hat vor allem ein Mittel in An- wendung gezogen. das eine ganz phänomenale Reduktion der Exsudatmenge erzielte, das ist: das Menthol. Dieses Mittel habe ich in erster Reihe für die Behandlung der Tuberkulose empfohlen. Als ich meine ersten Tierexperimente im I. Abteilung. Medizinische Sektion. 69 Laboratorium des Herrn Prof. Rosenfeld anstellte, war das Moment der Sekretionsbeschränkung nicht der ausschlaggebende Faktor, denn diese Eigentümlichkeit war damals noch nicht erwiesen. Die ausser- ordentliche Desinfektionskraft des Pfefferminzöls auf Spaltpilze und die erfolgreichen Ergebnisse, die in einzelnen Fällen bei Larynxtuberkulose durch die Inhalation erreicht wurden, gaben mir die Anregung, das Präparat, das innerlich verabreicht, nicht lange Zeit vertragen werden konnte, weil es zu schweren Indigestionsstörungen führte, es in anderer Form dem Körper einzuverleiben. Nachdem ich auf Grund meiner Er- fahrungen mit Jod und Brom in Verbindung mit Fetten, die ohne Schädigung als Injektion verwendet werden konnten, das Menthol in den Kreis meiner Versuche hineinzog, kam ich zu dem Resultat, dass man es in Lösung von Ricinusöl in intraglutäaler Form am zweckmässigsten dem Organismus zuführen könnte. Ich habe mit dieser Lösung recht gute Erfolge bei der Phthise erzielt. Die Veränderlichkeit des Rieinusöls veranlasste mich statt seiner das gleichmässige, der Zersetzung nicht unterworfene Dericinöl als Vehikel zu verwenden. Das Bestreben, nach Möglichkeit die Wirkung des Effekts zu ver- stärken, brachte mich auf den Gedanken, eine Kombination mit Eucalyptol, das bei der Inhalation und innerer Darreichung eine wesentliche Einschränkung der Sekretion herbeiführt, vorzunehmen. Nach einiger Modifikation stellte ich im Laufe der Zeit die Formel zur Injektion folgendermaassen auf: Menthol 10,0 Eucalyptol 20,0 Ol. Derieini 50,0. S. Ds; äusserlich, Zweckmässigerweise löst man das Menthol im Eucalyptol auf, ohne es erst zu erwärmen, setzt das Dericinöl hinzu und nimmt dann eine gründliche Durchschüttelung vor. In den meisten Fälle mache ich die ersten 10 Injektionen, je I cem, täglich, die folgenden zehn mit ein- tägiger und die letzten mit zweitägiger Pause. Wiewohl ein Kollege aus einer Goerbersdorfer Lungenheil- stätte in ‘seiner Veröffentlichung zugestand, dass er bei einer Reihe von Patienten, die durch die Anstaltsbehandlung keine Besserung erfahren hatten, mit meiner Methode gute Erfolge er- zielt habe, so gab er sie wegen Schmerzhaftigkeit auf. Wenn man, die von mir angegebenen Präparate aus zuverlässiger (Quelle bezieht!), so lassen sich die Injektionen ohne die geringste Schmerzhaftigkeit durchführen, wie ich das auch nach dem Material aus dem hiesigen Allerheiligen-Hospital bestätigen konnte. Bisweilen treten bei den ersten Injektionen Druckempfindungen in der Glutäalgegend auf, doch diese verlieren sich bald, die weiteren werden meist ohne die geringsten Beschwerden vertragen. Ausnahmsweise kommt es vor, dass sich eine leichte Infiltration bildet, die sich durch Applikation von Umschlägen mit Alkohol oder essigsaurer Tonerde, oder durch Thermophor schnell beseitigen lässt. Vielfach macht sich unmittelbar nach der Injektion der Balsamgeruch in der Exspirationsluft subjektiv und objektiv geltend, während derselbe bei der Verabreichung per vias natu- rales nicht wahrgenommen wird. Vielleicht bedingt gerade die 1) Eucalyptol von Schimmel & Co., Leipzig; Ol. Derieini medicinale von Dr. Noerdlinger - Floersheim a.M. 70 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Resorption der Balsame durch die Blut- und Lymphgefässe eine wesentlich bessere Ausnutzung und hochgradigere Wirksamkeit. Eigenartig muss auch die Bemerkung des Kollegen berühren, dass die eucalyptusgeschwängerte Exhalationsluft eine Belästigung für die Umgebung involvierte bei der ungemessenen Ausdehnung des Gebrauches der Eucalyptusöle als Inhalationsmittel für Tuber- kulose. Es wird Sie interessieren, das Urteil eines anderen Kollegen kennen zu lernen, der mein Verfahren in etwa 4 Jahren in mehr als 100 Fällen in Anwendung gezogen hatte, als er seinen Auf- satz in der klinisch-therapeutischen Wochenschrift!) als kritischer, kompetenter, langjähriger Praktiker zur Veröffentlichung brachte. Der Kollege namens Vohryzek fasste seine Anschauungen in folgenden Worten zusammen: „Um kurz zu rekapitulieren, betone ich nochmals, dass die Besse- rung des Allgemeinbefindens bei Mentholinjektionen alle heutigen Be- handlungsmethoden in den Schatten stellt, und dass die den tuberku- lösen Prozess begleitenden katarrhalischen Erscheinungen bei Anfangs- fällen rasch zum Verschwinden gebracht werden. Ein Mittel, welches derartige Erfolge in kurzer Zeit mühelos und ohne besondere Kosten bietet, ist nicht zu verwerfen, ich kann es den Kollegen mit bestem Ge- wissen empfehlen.“ Das Krankenmaterial, das sich mir zuwendet, hat gewöhnlich schon mehrfach anderweitige Hilfe in Anspruch genommen. In den seltensten Fällen gehört es dem Anfangsstadium an; die geringste Zahl besteht aus solchen, die unbedeutende oder gar keine lokalen Veränderungen aufweisen. Fast überwiegend sind es Kranke mit ausgedehnten Prozessen, nicht bloss solche mit einfacher Schallverkürzung und katarrhalischen Geräuschen in der Spitze, sondern auch mit ausgebreiteter Dämpfung, bisweilen auf beiden Seiten mit Bronchialatmen, einzelne mit Üavernen- symptomen, die meisten mit Tuberkelbacillen im Auswurf. Fieber gehört mit zu den häufigsten Erscheinungen, ebenso wie erhöhte Pulsfrequenz. Bei dem proteusartigen Bilde der Phthise spielen häufig Imponderabilien mit, die eine zweifelhafte Prognosestellung nicht immer genehmigen. Die Injektionen haben vielfach auch in den schwersten Fällen eine ausserordentlich antispasmodiscke und sedative Wirkung. Patienten, die von den heftigsten Husten- attacken heimgesucht werden, die trotz ihrer Zuflucht zur Morphiumflasche immer und immer wieder von ihren Paroxysmen geplagt werden, können meistens nach einigen wenigen Injektionen auf die Narcotica verzichten. Die Folge des Hustennachlasses ist naturgemäss eine bessere Nachtruhe mit den unmittelbar daraus sich ergebenden Konsequenzen des grösseren Wohlbehagens, des Kraft- und Muskelgefühls. Der Appetit bessert sich gleich- falls, und ihm folgt vielfach eine Gewichtszunahme, die sich manchmal allerdings in engen Greuzen hält, worauf es bei der Ausheilung absolut nicht ankommt. Eins der lästigsten Momente, die Nachtschweisse, werden meist in kurzer Zeit behoben. Die Expektoration wird eine leichtere, die Menge des Sputums ver- 1) Klinisch-therapeut. Wochenschr., Jahrg. 18, Nr. 14. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 7ı ringert sich, und das Aussehen desselben ändert sich gleichfalls. Das eitrige Sekret geht allmählich in ein rein schleimiges über und schliesslich wird auch dieses so spärlich, dass man nichts mehr vom Patienten zur Untersuchung erhalten kann. Die Tuberkelbacillen verschwinden in den meisten Fällen, und auch die Bacillenflora, welche die Mischinfektion manifestiert, hält der Behandlung gegenüber nicht stand. Bei einigen tuberkulösen Frauen, die an übermässigem Vaginalausfluss litten, wurde dieser in kürzester Zeit zum Stillstand gebracht. Ob die Ingredienzen die verminderte Reaktionskraft des Körpers zu heben, den nor- malen Tonus herzustellen imstande sind, wie es nach der bis- weilen schnellen Veränderung in dem Befinden des Patienten den Anschein erweckt, ob sie den Existenzboden für die Bacillen bloss verschlechtern oder sie nach Maassgabe ihrer antifermentativen Eigenschaft vernichten, ob der Einfluss auf die Sekretreduktion der ausschlaggebende Faktor ist, das zu entscheiden dürfte nicht ganz leicht sein. Andauernd zu hohe Temperatur ist gewöhnlich schon ein malignes Zeichen, doch ist es mir trotzdem in einzelnen Fällen gelungen, die Patienten wieder vollkommen herzustellen. Vor 1!/, Jahren trat ein junger Mann in meine Behandlung, der reguläre Abendtemperatur bis 40° hatte; beide Pulmones waren in ibren oberen Teilen stark angegriffen, Cavernen allerdings nicht nachweisbar. Patient war ungeheuer abgemagert, anämisch, appetitlos und kaum im- stande, sich zu bewegen. Die Injektionen führten eine auffallende Besse- rung herbei. Die Temperatur erreichte allmählich normale Höhe. Das Allgemeinbefinden hatte sich ganz wesentlich gehoben. Ich schickte den jungen Mann noch auf einige Zeit nach einem schlesischen Bade und brachte ihm nachher noch einige Injektionen, im ganzen 40, bei. Die Gesamtkonstitution des Patienten hatte sich so geändert, dass er im Sommer vorigen Jahres zum Militär ausgehoben wurde und wahrschein- lich nur auf Grund meines Attestes nicht eingestellt wurde. An den Lungen war damals nichts mehr nachweisbar, doch ist eine weitergehende Schonung natürlich unbedingt erforderlich. Vor zwei Jahren war eine Dame in meiner Behandlung, die gleich- falls so hohe Temperaturen aufwies, mit weitgehenderen Veränderungen an den Pulmones. Der Zustand war durch die gleiche Anzahl In- jektionen fast normal geworden, doch schonte sich die Person so wenig, dass nach einigen Monaten der Prozess wieder von neuem einsetzte und sie nach ungefähr einem halben Jahre ad exitum kam. Ich möchte hier noch einen diesbezüglichen Fall anführen, der mich im Sommer 1912 konsultierte. Er wies eine leichte Dämpfung in den oberen Teilen beider Lungen und eine ganz geringfügige subchordale Infiltration im Larynx auf. Da er mir erklärte, dass ihm empfohlen worden sei, nach einer Heilstätte zu gehen, so war ich vollkommen damit einverstanden. Nach viermonatigem Aufenthalt kehrte er zurück und präsentierte sich mir, ohne dass er imstande war, sein Sprachorgan zu gebrauchen. Im Flüster- tone erzählte er mir, dass er dort im Kehlkopfe kauterisiert worden sei, dass er wiederholt dort erhöhte Temperatur gehabt. An den Pulmones war der Prozess auf der linken Seite etwas tiefer gegangen. Im Larynx waren ausgedehnte Ulcera und Granulationen an den Ligamentis, die Taschenbänder intensiv gerötet und gedunsen. Wie mir der Patient nachträglich eingestand, sollte er nochmals von einem hiesigen Spezial- kollegen kauterisiert werden. Die Temperatur war zeitweilig über 38°. 72 Jahresbericht der Scehles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Der Patient konnte anfangs seinem Berufe nicht nachgehen. Trotz der Schwere der Erscheinungen besserte sich der Zustand durch die In- jektionen in auffallender Weise, so dass die Ausheilung im Larynx nach ungefähr 25 Injektionen erfolgt war. Es trat später allerdings für einige Tage noch eine Erhöhung der Temperatur ein, so dass ich dem Patienten noch weitere Injektionen erteilte, im ganzen 45. Das Stimmorgan war im Klange zwar etwas tief, aber laut und verständlich, so dass der Beamte seine frühere Funktion wieder in vollstem Maasse versehen konnte; die Ligamenta waren glatt ausgeheilt und auch die Lungen- affektion nahm einen normalen Verlauf. Die Bedenken, die bei Hämoptöe gegen die Injektionen sich erheben könnten, sind nicht gerechtfertigt. Ich habe kurze Zeit nach dem Ausbruch bei einer grösseren Anzahl von Patienten die Kur begonnen, ohne dass sich im Verlaufe derselben und auch im Anschlusse daran je Blutspuren gezeigt haben. Bei einer Patientin, die mit einer umfänglichen Tuberkulose, mit einer Caverne auf der rechten oberen Seite und mit schwerer Dyspnöe sich bei mir eingestellt hatte, trat nach fünf Jahren eine leichte Blutung wieder ein. Da ihr die erste Kur ausgezeichnete Dienste geleistet hatte, beanspruchte sie eine zweite, die ich ohne Bedenken inszenierte und die absolut keine Störungen verursachte. Allerdings kommt es vor, dass Patienten, die schon vorher ziemlich regelmässig an Hämoptöe gelitten, auch während der Kur davon betroffen werden können. Doch bildet diese im allge- meinen keine Kontraindikation. Ich wurde im letzten Halbjahre von einem Gynäkologen zu einer graviden Phthisica zugezogen, die an starker Hämoptoe litt. Bevor der Abort eingeleitet wurde, begann ich schon mit den Injektionen und un- gefähr nach einer Woche hörte die Blutung vollständig auf und machte sich auch später nicht mehr bemerkbar. Ich unterlasse es, worauf ich in einer früheren Arbeit hin- gewiesen, auf die Wirkung bei chronischen Bronchialkatarrhen und Bronchiektasien aufmerksam zu machen, nur möchte ich empfehlen, die Methode bei der Pneumonie, wenn ein Rückgang schwer zu erreichen, anzuwenden. Die Stasen lassen sich in kurzer Zeit damit zurückbringen. Möglicherweise spielt dabei als wesentlicher Faktor das Moment mit, das Herr Prof. Rosenfeld herausgefunden, dass das Menthol einen günstigen Einfluss auf die Herzaktion ausübt. Eine Patientin, die im ganzen 400 Tuberkulininjektionen anderweitig erhalten hatte, wies, als sie in meine Behandlung trat, neben einer tuberkulösen Veränderung im oberen Teile der rechten Lunge eine um- fängliche Infiltration der linken hinteren unteren Lungenpartie auf, die durch die Mentholeucalyptolinjektionen sich in kurzer Zeit vollständig aufhellte. Die Schmerzhaftigkeit, die damit verbunden war, verlor sich ebenso. Ich habe die Methode auch in einzelnen Fällen von Bronchial- asthma, wo ich mit dem endobronchialen Novocain-Adrenalinspray keinen Erfolg erzielte, mit Erfolg verwendet; es genügten meist acht aufeinanderfolgende Injektionen. Die entzündungswidrige Eigenschaft des Jods und die leichtere Lösung des Schleimes durch geringere Joddosen veranlasste mich, I. Abteilung. Medizinische Sektion. I) statt des Dericinöls in einer Anzahl von Fällen das 25 proz. Jodipin!), das langsam resorbiert wird, zu gebrauchen. Mir schien es, dass die Temperatur durch diese Komposition etwas schneller zurückging. Die Formel für diese würde also lauten: Menthol 10,0, - Eucalyptol 20,0, Jodipin (25 proz.) 50,0. D.S.: Zur Injektion. Es muss darauf geachtet werden, dass das Präparat recht hell ist, da es sonst ein stärkeres Brennen verursacht. Ich unterlasse es hier, ausführlicher auf die unberechtigten Ein- wendungen des Herrn Bernheim aus Paris gegen meine Auslassungen über das Dioradin, das sogenannte radioaktive Jodmenthol einzugehen. Lokale oder allgemeine Inkonvenienzen, die Möglichkeit der Jodvergiftung, die in Form von Schnupfen und Diarrhöe zum Ausdruck kommt, auf die der Entdecker des Dioradin aufmerksam macht, traten bei meinen In- jektionen absolut nicht auf. Das Radium hat nach den Untersuchungen verschiedener Autoren keine spezifische Wirkung auf die Tuberkelbaecillen und die infizierten Tiere. Ausserdem hat der Kollege Orszäg?) fest- gestellt, dass die durch die Radiumkur verursachten Druckschwankungen die kranken Gefässe der kranken Lunge nicht unbeeinflusst lassen und jede Blutung verstärken. Ich war im vergangenen Jahre in zwei Fällen, da die auswärtigen Patienten sich nicht lange Zeit hier aufhalten konnten, gezwungen, die Injektionen hintereinander täglich vorzunehmen. Der eine, ein Student aus Berlin, der in der rechten Supraclavieulargegend und hinten oben Dämpfung und etwas Rasseln aufwies, sowie Abend- temperaturen von 37,6° hatte, vertrug die 30 Injektionen ohne die ge- ringste Störung. Die Temperatur war unter 37° nach der 13. Spritze heruntergegangen. Das Körpergewicht hatte in den 4 Wochen um 6 Pfund zugenommen. Die Rasselgeräusche hatten sich verloren. Der Patient hatte mir die Aeusserung seines behandelnden Arztes, dem er sich wieder vorgestellt hatte, mitgeteilt; sie lautete: „Er war jetzt er- staunt über die Veränderung, die mit mir vorgegangen ist und kon- statierte eine gewaltige Besserung.“ Der andere Patient, ein Offizier, kam mit leichter Dämpfung an der hinteren oberen rechten Thoraxpartie und mit etwas verschärfter In- spiration. Links oben etwas abgeschwächte Atmung mit leichten Rassel- geräuschen. Patient hatte früher zeitweilig Hämoptyse. Die Temperatur 37,3°. Patient bekam im ganzen 21 Injektionen. Nach der 16. war die Temperatur vollständig normal. Die rechte Seite wies keine Anomalie mehr auf; links war noch leichtes Klingen bemerkbar. Nach der 21. war nichts Pathologisches mehr erkennbar. Das Gewicht war um 5 Pfund gewachsen. Der Pat., der nachher auf 11/, Monate in ein Erholungsheim ging, schrieb mir, dass der leitende Chefarzt ihm bei der Untersuchung nach seiner Ankunft eröffnet habe, er sei vollkommen wieder hergestellt. Wenn eine Nierenreizung besteht, muss man vorsichtig vor- gehen, vielfach kann es sich um amyloide Degeneration handeln. Es empfiehlt sich dann, zunächst kleinere Dosen zu verwenden, und wenn eine Steigerung des Albumen, kein Rückgang eintritt, die Injektionen zu unterlassen. Ich möchte noch auf einen Punkt aufmerksam machen, der in der letzten Zeit Berücksichtigung gefunden hat, d. i. die Verwendung von Injektionen bei Gelenk- tuberkulose. 1) Von E. Merck - Darmstadt. 2) Zeitschrift f. Tuberkulose Bd. 18, H. 6. 74 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. In einer früheren Arbeit hatte ich erwähnt, dass ein Patient am Mittelfinger der rechten Hand eine durch eine Tuberkulinkur unbeeinflusst gebliebene ödematöse, tuberkulöse Schwellung des zweiten Gelenkes auf- wies, die nach viermonatigem Bestehen zu einer Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit der Hand geführt hatte. Es trat nach meinen In- jektionen eine vollständige Abschwellung und nach einiger Uebung fast unverminderte Gebrauchsfähigkeit des Gliedes wieder ein. Herr Michaelis schreibt in der Einleitung seines Aufsatzes in der Berl. klin. Wochenschr.!): „Angeregt durch die Veröffentlichungen Berliner’s über die Anwendung des Jodmenthols bei Tuberkulose habe ich dieses Mittel bei einer grösseren Anzahl Patienten injiziert. Ueber die Erfolge will ich später berichten, da sie noch nicht abgeschlossen sind — nur so viel will ich jetzt bemerken, dass das körperliche Be- finden und die objektiv nachweisbaren Veränderungen sich erheblich ge- bessert haben.“ Er verwandte das Präparat auch bei einem 10jährigen Knaben, welcher an Knochen- und leichter Lungentuberkulose litt. Nach der zweiten Injektion trat eine akute Nephritis ein, die sich langsam wieder zurückbildete.e Nach meinem Dafürhalten war die Menge der Injektionsflüssigkeit an dem Hervortreten dieser Affektion schuld. Ich hatte früher darauf hingewiesen, dass man bei Kindern mit kleinen Dosen beginnen muss am zweckmässigsten mit einem, Teilstrich und geht allmählich in die Höhe. Schädigungen habe ich so nie auftreten sehen, und ein hiesiger Kollege teilte mir vor einiger Zeit mit, dass er bei einem sechsjährigen Kinde mit Öoxitis tuberculosa einen überraschenden Erfolg gehabt habe. Wenn ich es vermieden babe, einen auf präzise Kranken- geschichten sich stützenden Vortrag zu halten, sondern mich fast ausschliesslich auf die Angaben unparteiischer Kollegen und auf kontrollierte Fälle beschränkte, so geschah es absichtlich in der Erwartung, dass die Methode gerade durch die Resultate, die andere damit erzielt haben, einen weitgehenden Eingang finden könnte. Nach meiner Erfahrung genügt es, täglich 1 ccm der Lösung, und zwar intraglutäal, am zweckmässigsten oben seitlich, zu injizieren. Hämopto@ö, hohe Temperatur bildet keine Kontra- indikation, nur Nephritis. Dass die Schonung der Kräfte, die Einschränkung oder das Aufgeben anstrengender Tätigkeit, gute Ernährung unsere Heil- bestrebungen wesentlich unterstützen, unterliegt keinem Zweifel. Je mehr nach dieser Richtung geschieht, desto mehr nützen wir unseren Kranken. Ich halte es auch für ganz erspriesslich, wenn der Patient noch zur Nachkur auf einige Zeit in eine staubfreie und anregende Atmosphäre kommt. Es liegt mir durchaus fern, für meine Methode den Vorzug des Allheilmittels zu beanspruchen, doch möchte ich glauben, dass wir manchem die sorgenvolle und bisweilen erschöpfende Krisis seiner materiellen Verhältnisse ersparen können. Trotz der ununterbrochenen Vermehrung der Wohlfahrtsein- richtungen, trotz der erspriesslichen Heilstättenbewegung scheitern unsere Bemühungen leider häufig an der Unmöglichkeit, die un- erlässlichsten Anforderungen zu erfüllen. Zu diesen gehört in erster Reihe die Notwendigkeit, die Patienten so früh wie mög- 1) Diese Wochenschrift 1912, Nr. 26. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 75 lich in Behandlung zu bekommen. Gewöhnlich suchen sie den Arzt erst auf, wenn unerträglicher Husten sie permanent plagt, oder Gewichts- und Kräfteabnahme sie beunruhigen und in der Ausübung ihres Berufes hindern. Darum wird es zu den Haupt- aufgaben der Prophylaxe gehören, die Aufklärung über die pri- mären Symptome in die weitesten Kreise zu tragen und die Mah- nung anzubringen, bei dem Hervortreten derselben den Arzt so früh wie möglich zu Rate zu ziehen. M. H.! Ich bin gewiss nicht einen Augenblick im Zweifel darüber, dass die hygienischen und prophylaktischen Anforde- rungen einen Hauptfaktor gegen die Tuberkulose darstellen, doch fühle ich mich auf Grund langjähriger Erfahrungen und gestützt auf die Beobachtungen, die eine nicht geringe Anzahl ernster und gut beobachtender Kollegen mir mitgeteilt hat, und die experi- mentellen Ergebnisse des Herrn Geheimrats Pohl berechtigt, Ihnen meine Methode der Injektion von Balsamieis zum Versuche zu empfehlen, zumal sie gerade wegen ihrer Einfachheit, Bequem- lichkeit, Unschädlichkeit und ambulanten Durchführbarkeit vor mancher anderen Methode den Vorzug verdienen dürfte. vn. Zur Strahlenbehandlung der Uteruscarcinome. Privatdozent Dr. Fritz Heimann. M. H.! Bereits im letzten Sommersemester hatte ich Gelegen- heit, Ihnen zwei Patientinnen zu zeigen, die an einem inoperablen Uteruscarcinom litten und durch die Mesothorium- und Röntgen- bestrahlung ganz auffallend gebessert wurden. Ich kann Ihnen heute über weitere 16 Fälle berichten. Auch bei ihnen handelt es sich sämtlich um inoperable Uteruscarcinome, so dass ich jetzt über eine Erfahrung von 18 Fällen verfüge. Ich gehe hier natür- lich auf die physikalischen Eigenschaften der Strahlen nicht ein, nur möchte ich im Gegensatz zu anderen Autoren betonen, dass ich vor allen Dingen den y-Strahlen den starken therapeutischen Einfluss, soweit es sich ums Uteruscareinom mit seinem jauchigen, blutigen Fluor handelt, zuschreibe. Ich habe das auch in der Anwendung der von mir geübten Technik zum Ausdruck gebracht, etwas, was übrigens auch schon von anderer Seite immer betont worden ist. Wir verfügen an der Klinik bis jetzt nur über eine Menge von 30 mg Mesothor. Inzwischen haben wir weitere 50 mg erhalten. Ich konnte Ihnen jedoch schon damals zeigen, dass unsere Erfolge die gleichen sind, wie sie andere Kliniken mit 200 und 300 mg erreicht haben, und werde Ihnen auch heute an einer mikroskopischen Demonstration die ausge- zeichnete Beeinflussung unserer Carcinome vorführen hönnen. Auf die Anwesenheit der betreffenden Patientinnen, die heute den gleichen Befund darbieten, wie die seinerzeit gezeigten, habe ich verzichtet. Gelegentlich einer Diskussionsbemerkung in der hiesigen gynäkologischen Gesellschaft habe ich betont, dass jede Schule ihre eigene Technik anwendet, auf Grund derer sie ihre Erfolge verzeichnen kann. So haben auch wir, nach einer allerdings noch nicht allzugrossen Erfahrung, eine eigene Technik ausgearbeitet. Die 30 mg Mesothor befinden sich in einem mit 0,2 mm dickem Silber belegten Röhrchen, das eine Länge von 30 mm und einen Durch- messer von 2 mm besitzt. Hierdurch werden bereits sämtliche @- und die weichen #-Strahlen abgefangen, so dass nur die harten #- und die y-Strahlen zur Wirkung kommen. Im Anfang unserer Versuche haben wir nur das Silberfilter verwendet, wir sind aber wegen der sehr heftig einsetzenden Sekretion, der Temperatursteigerung, die ich auf eine Re- sorption der stark zerfallenden Careinommassen zurückführe, völlig da- I. Abteilung. Medizinische Sektion. AR von abgekommen und filtrieren jetzt ausserdem noch mit einem 3 bis 4mm dicken Bleifilter. Diese Metallfilterung hat nach der letzten Publikation von Christoph Müller noch einen weiteren, sehr grossen Vorteil. Die y-Strahlen haben eine sehr intensive sekundäre Emission, und durch das Aufprallen der y-Strahlen auf die Metallkapsel entsteht eine sekundäre Strahlung, die hier durch ß-Strahlen dargestellt wird. Diesen sekundären #-Strahlen kommt eine sehr grosse therapeutische Wirksamkeit zu. Die Anwendung wenig oder schwach filtrierten Meso- thoriums hätte einmal die grosse Gefahr der Verbrennung, zweitens würde aber auch der therapeutische Effekt erheblich verinindert werden. Wie ich bereits erwähnte, erstrecken sich meine Erfahrungen nur auf das Uteruscarecinom. Ich kann also nicht beurteilen, ob man beı anderen Careinomen, z.B. denen des Magens oder der Haut, eine andere Filtration bevorzugen muss. Jedenfalls bin ich nicht der Ansicht, dass das Ausschalten der primären ß-Strahlen ein schwerer Fehler ist, wie es von mancher Seite ausgesprochen wurde. Ich gehe daher von dieser Filterung auf Grund meiner Erfahrung vorläufig nicht ab. Diese mit 3mm dickem Blei gefilterten 30 mg werden nun der Patientin 7 Tage hindurch Tag und Nacht eingelegt, also 168 Stunden hintereinander; selbstverständlich kann man sich nicht der Ansicht ver- schliessen, dass es besser ist, eine grosse Menge kürzere Zeit einwirken zu lassen, doch trifft das beim Mesothorium eigentlich nur für ganz grosse Dosen zu, da ich selber Fälle gesehen habe, die mit mittelhohen Dosen, ca. 150 mg, 15—20 Stunden ohne Erfolg behandelt wurden, und wo doch bei der von mir geübten Methode ein Erfolg eingetreten war. Es ist natürlich nicht dasselbe, ob man 1 mg 100 Stunden oder 100 mg eine Stunde einlegt, keineswegs ist jedoch der Unterschied bei mittel- hohen Doson, z. B. bei 30 und 100 mg, in seiner Wirkung sehr bedeutend. Das Bleifilter wird aus Gründen der Sauberkeit in einen Gummifinger- ling gehüllt, und nun die Hülse, die noch mit einem am Oberschenkel zu befestigenden Seidenfaden armiert ist, um sich gegen Verlust zu schützen, direkt in den Krater eingeführt. Ich habe früher einen Tupfer in die Scheide gelegt, um das Röhrchen an Ort und Stelle zu fixieren, bin aber jetzt davon abgekommen, weil der sich bald mit dem Sekret vollsaugende Tupfer, obwohl er alle 24 Stunden gewechselt wurde, heftige Reizerscheinungen hervorgerufen hat. Ich benutze jetzt ein kleines Instrument, das ich Ihnen hier zeige, eine Art Sterilett. wobei die Platte das Röhrchen im Krater festhält, mit gutem Erfolge. Während der Mesothorbehandlung bleiben die Patientinnen zu Bett liegen, nach den 7 Tagen wird eine Pause von 3—6 Wochen gemacht, dann noch einmal 7 Tage bestrahlt und eventuell nach weiteren 3—6 Wochen noch ein drittes Mal. Dass während der Bestrahlung strengste Kontrolle auf Ver- brennungen, Druckusuren usw. notwendig ist, brauche ich nicht erst hervorzuheben. Wenn auch die Bezeichnung Milligrammstunde für die applizierte Mesothoriummenge nicht sehr präzis ist, so sind doch die neueren Berechnungen ziemlich umständlich und kompliziert. Nach der alten Bezeichnung Milligrammstunde sind meine Patientinnen zwischen 6000 und 14000 Milligrammstunden stets unter Anwendung von 3 mm dicken Bleifiltern bestrahlt worden. Unterstützt wird die Mesothor- behandlung durch intensivste Röntgenbestrahlung, ein Punkt, der, wie von allen anerkannt wird, von allerhöchster Wichtigkeit ist und gar nicht genug betont werden kann. Die Technik der Röntgenbestrahlung beim Careinom, wie wir sie zurzeit an der Klinik üben, stellt sich folgendermaassen dar: Vor allen Dingen wird vaginal bestrahlt, erst wenn der Krater sich in eine feste Narbe umgewandelt hat, werden die Strahlen auch von oben her verabreicht, indem dann besonders die Para- metrien rechts und links therapeutisch beeinflusst werden. Bei der 78 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. vaginalen Bestrahlung, die, wie auch sonst üblich, mit einer harten Röhre und einem 3 mm dicken Aluminiumfilter vorgenommen wird, halte ich mich nicht an eine Maximaldosis, sondern verabreiche in jeder Sitzung etwa 40—50 X. Bei der abdominalen Bestrahlung dagegen werden die vorgeschriebenen Bestimmungen streng innegehalten, einem Hautbezirk nicht mehr als höchstens 25 X in einer Sitzung zu verab- reichen. Der Krater wird mit einem Milchglas oder Hartgummispeculum freigelegt, und in dieses wird dann, direkt bis auf den Krater gehend, das Bleiglasspeculum, das die Scheide vor Verbrennung schützt, ein- geschoben. Auf diese Weise werden den Carcinomen etwa 400—800 X verabreicht, und zwar erhalten die Patientinnen diese Dosen vor oder nach der jedesmaligen Mesothorbestrahlung. Ein Punkt interessiert noch besonders. Das ist die Frage, wann die ersten sichtbaren Erfolge beim Carcinom auftreten. Vom Herrn Vortragenden ist ein Fall erwähnt worden, bei dem bereits eine Woche nach dem Beginn der Behandlung der Krater eines carcinomatösen Geschwürs sich geschlossen hat. Das habe ich bei meinen Fällen niemals gesehen. Die erste Behandlungs- serie, wenn ich so sagen darf, dauert bei uns etwa 14 Tage bis 3 Wochen — 7 Tage Mesothorium, die übrige Zeit Röntgen- bestrahlung. Nach Ablauf dieser Frist sehen wir gewöhnlich kaum eine Besserung. Die Blutungen haben zwar nachgelassen, doch ist noch immer eine mehr oder weniger starke Sekretion vorhanden. Ebenso ist von einer Verkleinerung des Kraters noch keine Rede, höchstens, dass die Wände etwas fester geworden sind, nicht mehr so bröcklich und krümlich, wie man es sonst beim unbehandelten Carcinom findet. Jetzt wird, wie bereits er- wähnt, bei uns eine drei- bis vierwöchige Pause gemacht, und erst danach, wenn die Patientinnen sich wieder vorstellen, sind die ersten sichtbaren Erfolge zu konstatieren, eine Beobachtung, die übrigens auch Sigwart an der Bumm'’schen Klinik ge- macht hat. Ich komme jetzt auf die Patientinnen selbst zu sprechen. Es handelt sich, wie ich schon sagte, nur um Üteruscareinome, und zwar möchte ich noch einmal besonders hervorheben, dass sämtliche Fälle inoperabel waren; bei der Mehrzahl wurde das Abdomen noch geöffnet und auch von innen her die Inopera- bilität konstatiert. Einige waren bereits so vorgeschritten, dass man ihnen auch diesen Eingriff ersparen wollte. Ich verfüge zurzeit über eine Erfahrung von 18 Fällen (auf ganz frische, erst in den letzten Tagen in die Behandlung eingetretene Fälle gehe ich nicht ein), fünf sind von vornherein auszuschalten, und zwar haben sich drei allerdings schon sehr weit fortgeschrittene Carei- nome refraktär verhalten, d. h. eine sichtliche Besserung war nicht zu konstatieren, und diese Patientinnen sind auch während der Behandlung zugrunde gegangen. Vielleicht hängt das Ver- sagen der Methode mit dem allzu desolaten Zustande der Patientinnen zusammen. Im übrigen ist ein refraktäres Verhalten von Öarcinomen der Strahlenbehandlung gegenüber auch von anderen Kliniken beschrieben worden, die über recht grosse Mengen Mesothorium verfügen, so dass nicht unsere immerhin geringe Menge Mesothor dafür angeschuldigt zu werden braucht. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 79 Es reagieren eben nicht alle Carcinomzellen in gleicher Weise auf die Strahlen; bei einer vierten Patientin trat eine Metastase im Magen auf, eine hat sich der Behandlung entzogen. Von den übrigen dreizehn Patientinnen sind sechs ausgezeichnet beeinflusst worden, so dass man heute statt eines jauchenden Kraters eine epithelialisierte kaum narbig veränderte Portio findet. Die übrigen sieben Patientinnen befinden sich noch in Behandlung. Auch bei ihnen ist eine sehr erhebliche Besserung zu konstatieren. Die Blutungen haben vollkommen sistiert, die Sekretion ist gering, in manchen Fällen überhaupt nicht mehr vorhanden. Der Krater hat sich verkleinert, wenn nicht schon vollkommen geschlossen. Bei allen ist eine erhebliche Gewichtszunahme, zuweilen bis 20 Pfund, und eine ausserordentliche Besserung im subjektiven Befinden zu konstatieren. Im übrigen habe ich niemals bei der von mir angewandten Technik irgendwelche üble Erscheinungen, Abbildung 1. Vor der Behandlung, zahlreiche Krebsnester. so Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Abbildung 2. Q\ Nach der Behandlung 520 X-Röntgenstunden (Kienböck), 6200 Milli- grammstunden Mesothor. Nichts mehr von Careinomzellen zu sehen. Verschlechterung des Allgemeinbefindens, vermehrte Blutungen Darmstörungen usw. gesehen. Auf einen Punkt muss noch eingegangen werden: Wann soll man mit der Bestrahlung aufhören bzw. wann kann man es wagen, eine grössere Pause, z. B. von mehreren Monaten, zu machen? Sämtliche auf diese Weise behandelten Carcinome sind, wie gesagt, inoperabel gewesen, da wir auf dem Stand- punkt stehen, die operablen Fälle nur der Operation zu unter- ziehen. Die Mehrzahl ist, zum Teil sogar in hohem Maasse, günstig beeinflusst worden. Von einer Heilung kann vorläufig natürlich nicht gesprochen werden, obwohl wir bei ihnen ein Öareinom an den der Untersuchung zugänglichen Stellen nicht mehr konstatieren konnten. Doch wir wissen ja bisher noch nichts von einer Tiefenwirkung der Strahlen. Die letzte Publi- kation über diesen Punkt von Haendly aus der Berliner Klinik ist auch nicht recht beweisend, da seine Untersuchungen an Üteri 2 I. Abteilung. Medizinische Sektion. sl vorgenommen worden sind, die teils von operierten, also erfolglos bestrahlten Frauen, teils von an der Kachexie zugrunde ge- gangenen Patientinnen stammen. Beweisend würden nur Prä- parate sein von Patientinnen, die man klinisch als geheilt, wenn ich mir diesen Ausdruck erlauben darf, bezeichnet hätte. Leider haben wir bisher noch keine Gelegenheit gehabt, eine solche Operation vorzunehmen. Wir dürfen danach unsere Patientinnen, die wir mit Erfolg behandelt haben, in den nächsten Jahren nicht aus den Augen verlieren. Wir werden zwar nach Erreichung des gewünschten Zieles eine Bestrahlungspause von vielleicht drei bis vier Monaten eintreten lassen können, wir werden aber auf Nach- untersuchungen, eventuell auf eine erneut einsetzende Strahlen- behandlung sehr viel Wert legen müssen. Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir in der Strahlen‘ therapie, und zwar in der kombinierten Methode Mesothor plus Röntgen ein ausgezeichnetes Verfahren haben, um Carcinome günstig zu beeinflussen. Die Zeit ist aber noch zu kurz, um sich einem allzu weitgehenden Optimismus hingeben zu können. Demonstration von mikroskopischen Präparaten (Exzisionen aus der Portio vor und nach der Strahlenbehandlung). Schlesische Gesellsch. f. vaterl. Kultur. 1913. II. IX. Traumatische Rindenepilepsie durch S-Geschoss. Fascientransplantation. Von Prof. H. Coenen, Oberarzt der Kgl. chirurgischen Universitäts-Rlinik in Breslau. Die chirurgische Behandlung der traumatischen Epilepsie ver- spricht auf dem von M. Kirschner!) zuerst experimentell be- gangenen und von Körte?) und von von Eiselsberg?) u. a. beim Menschen erprobten Wege des Duraersatzes. durch die frei überpflanzte Fascie des Oberschenkels in ein aussichtsreicheres Stadium zu treten als zuvor. Unter den vielen in letzter Zeit zum Ersatz der harten Hirnhaut ausgeführten Fascientransplan- tationen sind daher die bei traumatischer Epilepsie unternommenen von sehr beachtenswertem Erfolge begleitet gewesen®). Wenn man nun auch bei dieser Krankheit, bevor man die Heilung verkündet, ganz besonders vorsichtig sein und erst nach einem langfristigen Zeitraum von mehreren Jahren urteilen soll, so liegt es doch im Interesse des nachstehenden Falles, diesen schon jetzt bekannt zu geben und eventuell in einer späteren Notiz das Dauerresultat zu erhärten. Georg Ph., 27 Jahre, griechischer Feldwebel der I. Batterie des 2. Artillerie-Regiments. Verwundet vor Bizani (Epirus) 20. XII. 12. I. Aufnahme in das Maraslion Chimion in Athen am 5.1. 13. Entlassen 7. III. 13. II. Aufnahme in die Kgl. chirurgische Klinik in Breslau am 15. IV. 13. Entlassen 17. X. 13 in die Heimat. Gehirnschuss mit Epilepsie. Anamnese: Ph. begleitete am 20. XII. 12 in Epirus einen Zug Maultiere, die mit Geschützteilen beladen waren. Da wurde von dem Fort Bizani ein Schuss abgegeben, der ihn in den Kopf traf. Sofort 1) M. Kirschner, zusammenfassende Arbeit in Bruns’ Beitr., Bd. 86, H. 1. 2) Körte, eit. bei Kirschner. 3) von Eiselsberg, Wiener klin. Wochenschr., 1912, und Chir.- Kongr. 1913. 4) Lucas, Chir.-Kongress 1911 und bei Kirschner l.c. Reh- ds a zur Fascientransplantation. Diese Wochenschr., 1911, 892 2 I. Abteilung. Medizinische Sektion. 83 stürzte er hin und verlor das Bewusstsein. Sein Bruder, der aus Amerika herübergekommen und mit anderen amerikanischen Griechen ein Frei- scharerkorps gebildet hatte, hörte im Feldlager von der Verwundung und fand den Bruder spät abends in schwerem, bewusstlosem Zustand auf der Wahlstatt. Mit einem Maultierwagen brachte er ihn durch die Nacht nach Philippiada ins Feldlazarett. Nach etwa 30 Stunden wachte der Verwundete auf, hatte gar keine Schmerzen, sondern fühlte sich ganz zufrieden; seinen Bruder erkannte er. In den folgenden Tagen schlief er viel, hatte aber niemals irgendwelche Klagen. Am meisten inter- essierte ihn die Kriegslage vor Bizani, wonach er sich zuerst nach dem Erwachen aus der Bewusstlosigkeit erkundigte. Status: 5.1.13. Auf dem linken Scheitelbein, gerade vorn die Linea retromastoidea tangierend und 6 cm oberhalb der linken Supra- Abbildung 1. Ro Georg Ph., diametraler Schuss durch den Hirnschädel. Röntgenaufnahme ‚nach der ersten Trepanation; in der Mitte des Knochenlappens der helle Fleck der Einschussöffnung. S-Geschoss an der Schädelbasis. orbitallinie sieht man eine fast vernarbte Einschussöffnung, die dem Eindruck eines Fingernagels gleicht. Nach dem Röntgenbild liegt eine Spitzkugel, mit der Spitze nach unten gerichtet, an der Basis der rechten Hinterhauptschuppe tief in den Nackenmuskeln der rechten Seite. Dem- nach ist das S-Geschoss an der hinteren Grenze des linken Parietalhirns zwischen oberem und mittlerem Drittel etwa eingedrungen ‚und, das Marklager des rechten Hinterhaupts-, bzw. Schläfenlappens passierend, an der Basis des letzteren ausgetreten und in den dieken Nackenmuskeln der anderen Seite unter der Hinterhauptsschuppe stecken geblieben. (Siehe Röntgenbilder, Abbildung 1 und 2.) Beim Gehen schwankt der Verwundete stark nach links, besonders beim Umdrehen. Nach dem Befunde von Dr. Oikonamakis-Athen 6* 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. war eine nur leichte sensorisch-aphasische Störung bemerkbar, da Fragen und Aufforderung grösstenteils verstanden wurden. Dagegen bestand eine ausgesprochene Störung der Wortfindung und eine komplette Alexie, während das Schreiben nur in geringerem Grade beeinträchtigt war. Die genaue Aufzeichnung des Gesichtsfeldes (Dr. Valettas-Athen, 7.1.13) ergab eine absolute, aber nicht ganz totale doppelseitige Hemi- anopsie für beide obere Quadranten und rechtsseitige Hemiachromatopsie. (Siehe Abbildung 3.) Abbildung 2. Dasselbe von vorne. Nach diesen Befunden waren in Gestalt der aphasischen und hemi- anoptischen Erscheinungen Herdsymptome vorhanden. Daher wurde der Verwundete der Operation unterworfen. 10. I. 13. Trepanation in Lokalanästhesie mit 100 cem 1/, proz Novocainlösung, dem 15 Tropfen Adrenalin zugesetzt sind. Bildung eines handtellergrossen Hautperiostknochenlappens, in dessen Mitte die Einschussöffnung liegt. Nach der Aufklappung sieht man ein 2 cm langes schlitzförmiges Loch in der Dura mater, das den Anfang des Schuss- kanals darstellt. In der Tiefe fühlt man Knochensplitter. Da dieselben durch den Duraschlitz nicht einfach extrahiert werden können, so wird die harte Hirnhaut lappenförmig eröffnet. Jetzt erblickt man deutlich den zerfetzten Schusskanal im Gehirn, dessen Rinde einen pfennigstückgrossen . Abteilung. Medizinische Sektion. Abbildung 3. L I BWIN Bunamm vo_L;o. ken RILTIT TA ANDI II T S USER! LEI NT ®a “BUNNNERZ NERWNK: NN N IN ON TEN Su Ss6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Substanzverlust hat. - Aus demselben werden zwei bohnengrosse und ein zweimarkstückgrosses Knochenstück entfernt. Darauf folgt vollständiger Nahtverschluss der Dura. Am Knochendeckel wird die stark gesplitterte Tabula interna gesäubert, und dann die Schädelkapsel mit der Naht geschlossen. 11.1. Der Operierte klagt über Parästhesien in beiden Händen, der Patellarreflex ist rechts deutlich gesteigert. Abends bemerkt man ein starkes Oedem des linken Auges. Aus der Einschussöffnung wird spontan klare Lymphe ausgepresst. 13.1. Nachmittags 5 Uhr wird eine Lähmung der rechten Hand bemerkt; um 6 Uhr abends treten leichte Krämpfe im rechten Arm auf. Um 7 Uhr hat der Pat. einen typischen epileptischen Anfall mit weiten reaktionslosen Pupillen, Zuckungen des ganzen Körpers und des Gesichts und Bewusstlosigkeit. Dieser Anfall ist von so bedrohlichem Charakter und von einem so langen Atemstillstand begleitet, dass die Annahme einer Blutung gerechtfertigt erscheint, und sofort die Wunde wieder er- öffnet wird. Beim Zurückklappen des Knochendeckels findet man auf der Dura eine I—2cm dicke Blutcoagelschicht, die mit dem scharfen Löffel ab- gekratzt wird. Als Quelle der Blutung sind zerrissene Piagefässe des Schusskanals und auch einige Gefässe der Kopfschwarte anzusehen, die bei der ersten Trepanation durch die zu starke Adrenalinwirkung ver- schlossen waren. Nach Wiedereröffnung des Duralappens wird keine weitere Blutung entdeckt, das Gehirn pulsiert, so dass die Dura wieder verschlossen werden kann. Darauf entsteht aber bei dem ohne Narkose operierten Patienten eine schwere schnarchende Atmung, die auf Hirn- druck hindeutet. Aus diesem Grunde wird die Duranaht wieder eröffnet und der Duralappen nur locker auf die Hirnoberfliäche gelegt und die Haut exakt vernäht. 14. I. Ueber Nacht vielfache epileptische Anfälle mit langen Atmungspausen von bedrohlichem Charakter. Diese Anfälle traten bis morgens 11 Uhr fast alle Viertelstunde auf und begannen im rechten Arm und gingen dann auf den ganzen Körper und das Gesicht über. 15. I. Morgens früh noch ein Anfall, dann nicht mehr. Dagegen hat der Patient jetzt eine vollständige Hemiplegie auf der rechten Seite mit deutlicher Beteiligung des rechten Facialis. Der rechte Arm ist stärker gelähmt als das rechte Bein. Die aphasischen Erscheinungen sind stärker geworden, betreffen jetzt auch hauptsächlich das motorische Gebiet. 16.1. Krämpfe sind nicht mehr aufgetreten. Die Lähmungen gehen zurück. 21. I. Lähmungen vollständig verschwunden. Die Sprache ist er- heblich besser geworden. 5. II. Motilität normal. Sehnenrefliexe etwas erhöht. Es besteht noch Hemianopsie und leichte motorische Aphasie mit Agraphie und Alexie. 7. I. Wesentliche Besserung der Sprache und Vergrösserung des Gesichtsfeldes. 7. III. Von der motorischen Aphasie sind nur noch Spuren ange- deutet. Der Gang ist vollständig normal, ohne das geringste Schwanken. Das einzige noch zurückbleibende Symptom ist die leichte Aphasie. Entlassen. Am 10. III. war eine fortschreitende Erweiterung des Gesichtsfeldes vor sich gegangen und eine Rückkehr des Farbensinnes in den rechts- seitigen Gesichtsfeldhälften. (Siehe Abbildung 4.) Nach völligem Wohlbefinden bekam der Rekonvaleszent am 31. März 1913 einen kurzen epileptischen Anfall, der im rechten Bee A ee 1 Abbildung 4. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 87 Ä SH Zangag = eier Sg SÄRSIT N =) NER WIN I 88 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Arm begann, auf das rechte Bein überging und dann den rechten Facialis in Mitleidenschaft zog. Dieser Anfall wiederholte sich am 5. April 1913. Nach diesem Anfalle, der in Athen von Prof. Katzaras beobachtet wurde, reiste der Patient nach Deutschland und wurde am 15. April 1913 in die Breslauer chiurgische Klinik auf- genommen. 8. V. Der dritte epileptische Anfall. Beginn in der rechten Hand. Darauf schleudernde Bewegungen des ganzen Arms, dann Zucken der rechten Gesichtshälfte und des rechten Beins und starker Krampf der Kaumuskeln. Der Patient ist darauf bewusstlos mit weiten, reaktions- losen Pupillen. Nach einigen Minuten kehrt das Bewusstsein langsam wieder. 27.V. Extraktion der Kugel tief aus den Nackenmuskeln der rechten Seite. 10. VI. Vierter, von einer Aura eingeleiteter epileptischer Anfall, ähnlich den früheren. 15. VI. Fünfter Anfall. 18. VI. Das dritte Gesichtsfeldschema weist nur noch eine An- deutung der doppelseitigen Hemianopsie nach, namentlich einen Ver- lust der Farbenempfindung in den linken oberen Gesichtsfeldquadranten (Kgl. Augenklinik in Breslau). (Siehe Abbildung 5.) 8. VII. Nach dem Verlauf ist die Freilegung der linken Parietal- region in der Nähe des linken Armcentrums indiziert, und es wird am 8. VII. der Schädel zum dritten Male eröffnet, wieder in Lokalanästhesie. Der nur fibrös eingeheilte Knochendeckel wird vorsichtig an den Schnitt- rändern mobilisiert und dann langsam aufgeklappt. Dabei offenbart sich im Bereich der Einschussöffnung eine breite callöse Narbe, die den Knochen, die Dura und die Hirnrinde miteinander verlötet. Unter lang- samem Lüften des Deckels wird das Gehirn vorsichtig von der callösen Narbe abgeschoben, so dass diese an der Dura haftet und die Hirnrinde ohne wesentlichen Substanzverlust zurückbleibt. Bei diesem Manöver kommt es zu leichten Zuckungen in der rechten Hand. An der Stelle des Einschusses hat die Hirnrinde eine leicht bräunlich verfärbte fünf- pfennigstückgrosse Eindellung. Eine Cyste ist nicht da. Da die Dura mater auch ausser der dicken callösen Narbe im Bereich der Schuss- wunde stark verdickt und geschrumpft ist, so wird sie in der ganzen Ausdehnung, also etwa in Handflächengrösse, exzidiert. Darauf wird unter Lokalanästhesie am linken Bein durch eine bogenförmige Schnitt- führung ein überhandflächengrosses Stück der Oberschenkelfascie ex- zidiert und dieses frei in die Schädelhöhle transplantiert. Die Knochen- ränder wurden mit der Luer’schen Zange noch etwas fortgebissen, bis man überall normale Dura vor sich hatte, dann wurde die Fascie mit ihrem Rand unter die Dura geschoben und so mit Nähten fixiert. Es folgt Zurückklappung des Hautknochenlappens und vollständige Hautnaht. Gleich nach der Operation raucht der Patient eine Zigarette. 9. VII. Geringe, vorübergehende Schwäche der rechten Hand. 15. VII. Nach einmaligem Temperaturanstieg am zweiten Tage nach der Operation auf 390 vollständige reaktionslose Heilung der Schädel- wunde und der Beinwunde. 17.X. Seit 3 Monaten ist kein Anfall mehr aufgetreten. Der Patient reist in seine Heimat zurück. Nach einem Brief vom 5. Dezember 1913 geht es dem Patienten gut; er hat keinen Anfall mehr gehabt. Medizinische Sektion. 1. Abteilung. ‘< Zunpgggy 90 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. In kriegschirurgischer Hinsicht lehrt der Fall, dass das nach dem russisch-japanischen Kriege von v. Zoege-Manteuffel angenommene Schema, man solle tangentiale Schädelschüsse trepanieren, diametrale aber abwartend behandeln, eine be- stimmte Interpretation erfahren muss. Wir geben zu, dass infolge der viel stärkeren Splitterung des Knochens und der damit ver- bundenen Hirnverletzung die tangentialen Schädelschüsse in der Regel aus vitaler Indikation der frühzeitigen Operation zu unter- werfen sind, während die diametralen Schädelschüsse, die nicht töten, zunächst eines Eingriffes nicht bedürfen. Das v. Zoege- Manteuffel’sche Schema hat also unbedingt für die mit be- schränkten Mitteln arbeitenden Feldlazarette und Etappenlazarette Gültigkeit, nicht aber für die mit allen Hilfsmitteln ausgestatteten Reservelazarette. Auch die in diametraler Richtung in das Ge- hirn dringende Kugel kann, wie unser Fall dartut, grosse Knochen- splitter mitreissen bis an wichtige ÖOentren und diese dadurch schädigen, so dass die Ausräumung durch die Trepanation geboten ist. Wir fanden daher bei unserem verwundeten Feldwebel die bis zweimarkstückgrossen Splitter tief im linken Parietallappen. Nach dem v. Zoege-Manteuffel’schen Schema ist demnach wohl in den Feldlazaretten und Etappenlazaretten zu verfahren, es muss aber für die gut eingerichteten Reservelazarette erweitert werden. In diesen erfordern auch die diametralen Schädelschüsse die Trepanation, wenn ausgesprochene Herdsymptome auf die Läsion eines bestimmten, erreichbaren Bezirks des Gehirns hin- deuten. Das durch die Kugel erzeugte Symptomenbild, also vor der ersten Operation, ist ganz durchsichtig. Das aus dem Bergfort Bizani aus der Höhe abgefeuerte Spitzgeschoss, das sich übrigens nicht überschlug, obwohl dies oft der Fall zu sein pflegt, hatte in schrägem Verlaufe von links oben nach rechts unten den linken Parietallappen und das Marklager des rechten Hinter- haupts- bzw. Schläfenlappens durchschlagen und das Gehirn an der Basis des letzteren verlassen. Bei dieser Richtung des Schuss- kanals konnte die Sehstrahlung beiderseits und das sensorische Sprachcentrum gefährdet werden. So erklärte sich die doppel- seitige Hemianopsie und sensorisch-aphasische Störung. Die be- sonders hochgradige Beeinträchtigung des Lesens findet ihre Er- klärung in dem Umstande, dass ausser einer Läsion des Sprach- centrums auch die Verbindungen desselben mit der optischen Sphäre teilweise unterbrochen waren. (Gegend des Gyrus angu- laris.) Das Taumeln nach links dürfte als eine Folge a Läsion der linken Hemisphäre zu bezeichnen sein. Die Läsion des Gehirns, die man als Ursache der mannig- fachen Erscheinungen annehmen muss, ist mit grösster Wahr- scheinlichkeit eine ausgedehnte Blutung im Marklager, die aber nicht zur völligen Zerstörung der Sehstrahlung und des sensori- schen Sprachcentrums geführt hat, da die Herdsymptome sich bis auf geringe Reste zurückbildeten. Neben der Blutung haben aber offenbar auch die in den linken Parietallappen eingespiessten grossen Knochensplitter durch Druck auf die Nervenelemente | I. Abteilung. Medizinische Sektion. 91 oder durch das von ihnen unterhaltene traumatische Oedem zu den Hirnstörungen beigetragen, insbesondere vielleicht auch zu den aphasischen Erscheinungen. Die operative Entfernung der Knochensplitter durch die Trepanation war daher angezeigt. Kompliziert wird unser Fall durch die nach der ersten Trepanation langsam auftretende Nachblutung, die die schwersten epileptischen Erscheinungen auslöste und eine Ausräumung des Hämatoms erforderte, womit dann zunächst völlige Heilung mit fast völligem Rückgang der Ausfallserscheinungen am Hirn eintrat. Durch die Vernarbung des Schusskanals aber, insbesondere der Einschusswunde an der Rinde des linken Scheitellappens, Abbildung 6. Georg Ph. nach der 3. Trepanation. Die Trepanationslinie ist kaum sichtbar. entstand eine neue Gefahr. Dadurch, dass die Hirnrinde, harte Hirnhaut und der Knochen an der Einschussstelle in eine dicke callöse Narbenmasse umgewandelt wurde, waren die Bedingungen für die traumatische Epilepsie gegeben, die in klassischer Weise nach dem Jackson’schen Typus von dem nicht weit vor dem Schusskanal liegenden Centrum der rechten Hand eingeleitet wurde, das sich zu einem epileptogenen Centrum ausbildete. Ein Vierteljahr nach der Verwundung trat diese Epilepsie zum ersten Mal, von da ab pünktlich jeden Monat auf in stets gleichem Typus und wurde sofort coupiert, als die Grosshirnrinde, der drückenden Narbenmassen beraubt, eine gesunde, glatte, membra- nöse Bedeckung aus der Oberschenkelfascie erhielt. 92 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Was die Heilung betrifft, so soll, wie eingangs bemerkt, hierüber das Endurteil erst später gesprochen werden. (Siehe Abbildung 6.) Immerhin glauben wir es als einen beachtenswerten Erfolg an- sprechen zu müssen, dass nach der jetzt ein halbes Jahr zurück- liegenden Operation die Epilepsie ausgeblieben ist, und wir glauben, dies auf die freie Fascienüberpflanzung beziehen zu müssen. Unter allen unseren Gehirnschüssen, die wir im ersten und zweiten Balkankriege behandelten, einigen zwanzig unter etwa anderthalbtausend Verwundeten, war dies der einzige Fall, in dem wir eine traumatische Epilepsie sich entwickeln sahen. Wenn wir hieraus nun auch nicht die Seltenheit eines derartigen Vorkomm- nisses herleiten wollen, da ja die Beobachtungszeit des Kriegs- chirargen eine viel zu kurze ist, so erhöht dies doch für uns das Interesse des Falles. a ) 1 2 1 ne En a na | X. Die Behandlung der inoperablen Geschwülste. Dr. med. Hermann Simon. Die Behandlung der inoperablen Geschwülste gehörte bis vor kurzem zu den aussichtslosesten und deshalb am wenigsten be- friedigenden Aufgaben des Arztes. Den unglücklichen Kranken möglichst lange bei guter Laune zu erhalten, um später seine meist beträchtlichen Beschwerden vorübergehend zu lindern, war das einzige erreichbare Ziel, das mindestens in seinem letzten Stadium mit der mehr oder weniger reichlichen Handhabung der Morphiumspritze zusammenfiel. Wenn wir heute den inoperablen Tumoren doch nicht mehr ganz so ohnmächtig gegenüberstehen, so ist dies einigen der Behandlungsmethoden zu verdanken, die gerade in letzter Zeit gegen die Geschwülste ausgearbeitet worden sind. Weitere Fort- schritte sind für die Zukunft, und zwar für die allernächste, zu erwarten, da manche dieser Verfahren, denen bis heute praktische Resultate versagt geblieben sind, hinsichtlich ihrer theoretischen Grundlage sowohl als der Ergebnisse der Tierexperimente bei entsprechendem Ausbau mancherlei zu versprechen scheinen. Ich beschäftige mich im Allerheiligen-Hospital auf Anregung von Herrn Prof. Tietze mit tumortherapeutischen Versuchen dieser Art und wollte mir deshalb heute erlauben, Ihnen einen kurzen orientierenden Ueberblick über die wichtigsten dieser Ver- fahren zu geben. Ich beginne mit der Schilderung der Versuche, die man als Bakteriotherapie der Tumoren bezeichnen kann. Wir ver- stehen darunter die Einverleibung von Bakterien oder ihrer Pro- dukte in den geschwulstkranken Körper. Zugrunde liegt dabei die Hoffnung, das unheilvolle Wachstum der Geschwülste durch dieselben hemmend oder rückbildend zu beeinflussen. Aus diesem interessanten Kapitel der Geschwulsttherapie sind am bekanntesten die Versuche, bei denen die Erreger des Erysipels zur Verwendung kommen. Es ist ja eine verhältnis- mässig alte Beobachtung, dass ein intercurrentes Erysipel bösartige Geschwülste mitunter günstig zu beeinflussen, ja sogar dauernd zu heilen vermag. Manche diesbezüglichen Angaben besonders der älteren Literatur sind gewiss mit Vorsicht aufzunehmen. 94 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Trotzdem hat die kritische Nachprüfung ergeben, dass in einzelnen Fällen ein solcher kurativer Einfluss unverkennbar war. Es handelte sich dabei fast ausschliesslich um Sarkome, während Carcinome wenig oder gar nicht beeinflusst werden; ich möchte gleich erwähnen, dass dieser Unterschied sich auch bei den auf die geschilderte Beobachtung aufgebauten Behandlungsmethoden bemerkbar macht. Schon Fehleisen, der Entdecker des Erysipelerregers, hatte vorgeschlagen, diese ihm bekannte wachstumshemmende Eigen- schaft der Streptokokken im Kampfe gegen die Geschwülste zu verwerten. Dass diesem Vorschlage zunächst ausgedehntere Folge nicht gegeben wurde, war in der begreiflichen Scheu begründet, die Erreger selbst, virulente Streptokokken, zu übertragen. Erst die Fortschritte, die die Bakteriologie seit jenen Tagen gemacht hat, scheinen eine Lösung des Problems auf eine weniger un- angenehme und vor allem ungefährliche Weise zu ermöglichen. Es bieten sich heute zwei Möglichkeiten, dem geschwulstkranken Körper die Erysipelwirkung mit Vermeidung der lebenden Er- reger zugute kommen zu lassen: wir können einmal nur die Toxine benutzen — dieser Weg erscheint dann angezeigt, wenn wir in der Giftwirkung der Bakterien das heilende Agens zu sehen geneigt sind — oder wir können mit Vermeidung auch dieser Toxine nur die Stoffe anwenden, die erfahrungsgemäss jeder Organismus gegen die Toxine zu bilden pflegt, also die Antitoxine. Letzteres Verfahren empfiehlt sich dann, wenn wir annehmen zu dürfen glauben, dass erst die Reaktion des Körpers auf die ausgebrochene Infektion den heilenden Einfluss in sich birgt. Beide Wege sind begangen worden. Von den Versuchen, die Toxine zu verwenden, ist am bekanntesten das Verfahren Coley’s geworden, dessen Präparat „Coley’s fluid“ bereits ausgedehnte Anwendung erfahren hat. Da demselben vereinzelte Erfolge nicht versagt geblieben sind, so besitzt es auch heute noch ein wenn auch sehr beschränktes Anwendungsgebiet. Auf die Einzelheiten der Herstellung kann ich hier nicht eingehen. Die Reaktion des Organismus auf die Einspritzungen ist in der Regel eine starke: Temperaturanstiege auf 39 und 40° sowie die übrigen bekannten Allgemeinerscheinungen geben Kunde von der schweren Infektion, die dem Organismus zugefügt worden ist. Diese schweren Allgemeinerscheinungen, die in einzelnen Fällen sogar zum Exitus geführt hatten, schienen vermeidbar, wenn man sich der Antitoxine bediente, die im Tierversuch ja leicht zu gewinnen waren. Auf diesem Gedanken basiert ein Verfahren, das Emmerich und Scholl ausgearbeitet haben. Auch hier kann ich auf Einzelheiten nicht näher eingehen. Es genüge zu wissen, dass letztere Methode die auf sie gesetzten Erwartungen vollkommen getäuscht hat; einmal schien die Sterili- sierung nicht einwandfrei zu gelingen, da Nebenerscheinungen von der Art der bei Coley’s Erfahrungen beobachteten nicht I. Abteilung. Medizinische Sektion. 95 ausblieben?), andererseits fehlten demselben sogar Erfolge von der bescheidenen Ausdehnung des Ooley’schen Verfahrens. Das Fiasko, das also diese Art von Bakteriotherapie im wesentlichen gemacht hat, macht es uns schwer, an eine spezifische Wirkung der Streptokokken auf die Geschwülste zu glauben. Es scheint vielmehr, als ob jede schwere Infektion hin und wieder einen hemmenden Einfluss auf das Geschwulstwachstum ausüben könnte. Wir können uns in der Tat leicht vorstellen, dass zu einer Zeit, wo der ganze Organismus leidet, wo alle Lebens- vorgänge gestört sind, gerade das Geschwulstgewebe, das er- fahrungsgemäss sehr empfindlich gegen Schädigungen jeder Art ist, hervorragend in Mitleidenschaft gezogen wird. Im Ein- verständnis mit dieser Auffassung steht auch die Tatsache, dass hin und wieder auch andere Infektionskrankheiten, z. B. die Malaria, in ähnlichem Sinne zu wirken scheinen, wobei natürlich dieser Einfluss ebensowenig ein spezifischer ist, wie meiner An- sicht nach beim Erysipel. Für unser therapeutisches Handeln dürfte der Standpunkt wohl der sein, dass in geeigneten Fällen, etwa beim Extremitätensarkom, vor der Amputation ein Versuch der Ooley’schen Behandlung nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist, Im übrigen dürfen wir uns wohl darauf be- schränken, bei unseren operativen Eingriffen an Geschwülsten eine eintretende Infektion oder den Ausbruch eines Erysipels etwas weniger unangenehm zu empfinden, als es sonst der Fall ist, weil darin vielleicht eine minimale Verbesserung der Dauer- heilungsaussicht liegen kann. Wir werden uns natürlich hüten, in das von mancher Seite vorgeschlagene Extrem zu verfallen und deshalb alle derartigen Wunden mit Streptokokken zu in- fizieren. Wenn ich die soeben geschilderten Bestrebungen noch einmal kurz zusammenfassen darf, so beschränken sie sich darauf, einen hin und wieder zu beobachtenden günstigen Einfluss einer inter- currenten Krankheit nachzuahmen. Die Behandlungsversuche, denen ich mich jetzt zuwenden will, gehen dagegen dem Uebel viel direkter und damit, theoretisch genommen, auch mit mehr Aussicht auf Erfolg zu Leibe. Ihnen allen gemeinsam ist der Gedanke, den Körper gegen die Geschwulstbildung zu immuni- sieren. Auf die Grundlagen der Immunitätslehre brauche ich hier ja nicht einzugehen. Wichtig dagegen ist für uns die Frage, ob wir bei den Geschwülsten von Immunisierungsversuchen über- haupt einen Erfolg erwarten dürfen. Diese Frage deckt sich zum allergrössten Teil mit der anderen, ob wir berechtigt sind, in der Erkrankung an malignen Geschwülsten einen Prozess zu sehen, der als eine Infektion aufzufassen ist, also durch die Ein- führung belebter Erreger verursacht wird. Diese Frage ist viel- leicht die souveränste in .der ganzen Krebsforschung. Wie Ihnen 1) In einem Falle kam sogar ein echtes Erysipel zum Ausbruch, das sogar auf die Wärterin des Kranken übergriff, an Virulenz also nichts zu wünschen übrig liess. 96 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. bekannt ist, wird dieselbe von den Forschern verschieden be- antwortet, sowohl die parasitäre wie die nichtparasitäre Theorie der Geschwülste zählt namhafte Anhänger. Czerny, selbst ein Anhänger der parasitären Theorie, tasst den heutigen Stand der ätiologischen Krebsforschung treffend dahin zusammen, dass zwar noch kein Beweis für die parasitäre Natur der Geschwulstbildung gefunden wurde, dass aber auch keine Tatsache vorliegt, die un- bedingt dagegen spräche. Nur so viel über diese Frage, die ich deshalb berührte, weil naturgemäss der auf dem Boden der parasitären Theorie Stehende die Möglichkeit einer Immunisierung gegen Geschwülste a priori zugeben muss, während die Gegner derselben von den in dieser Richtung angestellten Versuchen nicht allzu viel erwarten werden. Ganz ausgeschlossen wäre übrigens auch von letzterem Stand- punkte aus ein Gelingen der Immunisierungsbestrebungen nicht, ist es doch auch möglich, gegen tierische Gifte, gegen Fermente, gegen Organextrakte künstlich zu immunisieren, also alles Prozesse, bei denen Parasiten keine Rolle spielen. Von den bisher empfohlenen Immunisierungsmethoden gegen Geschwülste möchte ich nur einige als Typen herausgreifen. Ein verhältnismässig primitives Verfahren haben Richet und Heri- court empfohlen, indem sie operativ gewonnenes Tumormaterial zerrieben, mit Wasser versetzten und dann Tieren injizierten, deren Serum nach einiger Zeit den zu behandelnden Geschwulst- kranken injiziert wurde. Es handelt sich also um den Versuch einer passiven Immunisierung. Wie man sieht, haben diese Autoren die Frage nach dem Geschwulsterreger zu umgehen gesucht, indem sie einfach Tumor- brei verwandten, von dem sie annahmen, dass er die eventuellen Erreger schon enthalten werde. Viel zweckmässiger konnten natürlich die Forscher vorgehen, für die der Erreger bereits ge- funden war, und es ist nicht nur verständlich, sondern auch durchaus konsequent, wenn all die zahlreichen Autoren, die in den letzten Jahren den eifrigst gesuchten Geschwulsterrreger ge- funden zu haben glaubten, dieser Entdeckung alsbald Immuni- sierungsversuche mit demselben haben folgen lassen. Von den in dieses Kapitel fallenden Präparaten ist besonders von zweien in den letzten Jahren häufig die Rede gewesen: einmal von dem sogenannten Antimeristem, das Schmidt in Cöln ange- geben hat, dann von den Präparaten, die der bekannte französische Chirurg Doyen ausgearbeitet hat. Bevor ich auf diese beiden Behandlungsarten kurz eingehe, muss ich eine Tatsache registrieren, die das Vorgehen beider Autoren zu erklären geeignet ist. Das emsige Suchen nach den Geschwulsterregern hat als sicher er- geben, dass in Geschwülsten, auch wenn sie oberflächlich nicht zerfallen waren, ziemlich regelmässig Mikroorganismen vorkommen. An dieser Tatsache kann nicht gezweifelt werden; falsch ist meines Erachtens nach nur, den bis jetzt bekannten Formen eine ätio- logische ‘ Bedeutung für die Entstehung der Geschwülste zuzu- schreiben, in denen sie meines Erachtens nach ein verhältnismässig harmloses Schmarotzerleben führen. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 97 Nunmehr zum Antimeristem. Es war Schmidt gelungen, in den Geschwülsten zwei Formen von Mikrokokken nachzuweisen, die nicht verschiedenen Arten, sondern nur zwei verschiedenen Entwicklungsstadien desselben Organismus entsprechen sollen. Die eine derselben gedeiht nur auf einem niederen Pilz, dem Mucor racemosus. Den natürlichen Infektionsmodus stellt sich nun Schmidt so vor, dass die in der Luft suspendierten Sporen des Pilzes Mucor racemosus auf die ulcerierten Geschwülste fallen und hier durch den Krebserreger infiziert werden. In diesem Zwischenwirt, dem Pilz, macht dann der Mikroorganismus seine Entwicklungsperiode durch, um nach Abschluss derselben durch Luft, Wasser usw. dem tierischen Körper zugeführt zu werden und hier unter günstigen Bedingungen Geschwulstbildung zu veran- lassen. Diesen Vorgang sucht Schmidt dann zu Immunisierungs- zwecken nachzuahmen, indem er den aus den Geschwülsten ge- züchteten Kulturen die Sporen des Pilzes Mucor racemosus beifügt. Das sterilisierte Produkt beider ist das Antimeristem, mit dem in langsam steigender Dosis, mit etwa 1/,oo mg beginnend, aktive Immunisierung versucht wird. Ueber die Wirkung des Antimeristems waren zunächst die Urteile geteilt. Neben einzelnen Berichten über schöne Erfolge wurden sofort zahlreiche Mitteilungen über vollkommenes Versagen der Methode bekannt, die sich ausserdem durch ihre grosse Schmerzhaftigkeit und monatelange Behandlungsdauer auch nicht gerade empfahl. Mit der Zeit hat sich mit zunehmender Sicher- heit ergeben, dass nennenswerte Erfolge nicht zu erzielen sind. Ich möchte hier beifügen, dass neuerdings von seiten der Firma ein anderes Präparat vertrieben wird, dem bessere Wirkungen zugeschrieben werden. Ohne mir allzu grosse Hoffnungen zu machen, habe ich mich doch verpflichtet gefühlt, neue Versuche mit demselben anzustellen, die bis heute noch nicht abge- schlossen sind. Ueber das Verfahren Doyen’s kann ich mich kurz fassen; es geht von ähnlichen Grundlagen aus und fusst auf der Ent- deckung des sogenannten Mikrococcus neoformans, der von manchen für identisch mit dem Schmidt’schen Parasiten gehalten wird und der zu aktiver und passiver Immunisierung Verwendung findet. Bezüglich der Erfolge gilt ungefähr das Gleiche wie beim Anti- meristem. In der vorliegenden Form ist dem Präparat jedenfalls ein nennenswerter therapeutischer Effekt abzusprechen. Trotzdem den bisher angegebenen Immunisierungsverfahren praktische Erfolge bisher nicht beschieden waren, dürfen wir meiner Ansicht nach die Hoffnung nicht völlig aufgeben, auf diesem Wege vorwärts zu kommen. Eine Tatsache müssen wir uns immer wieder vor Augen halten, dass es nämlich schon heute gelingt, Tiere — die gewöhnlichen Laboratoriumstiere — gegen Geschwülste zu immunisieren. Man ist neuerdings — in Uebereinstimmung mit den auch auf anderen Gebieten der Immunitätsforschung erhobenen Forde- rungen — geneigt, nicht einen beliebigen Tumor zur Immunisierung Schlesische Gesellseh. f. vaterl. Kultur. 1913. II. 7 \ 98 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. zu benutzen, sondern eine möglichst gleichartige Geschwulst zu verwenden. Am idealsten wäre es natürlich, in jedem Falle den von dem betreffenden Patienten selbst stammenden Tumor zu be- nutzen!). In diesem Sinne sind auch Delbet u.a. vorgegangen, die den bei der Operation gewonnenen Tumor sofort bearbeiteten und noch während derselben Narkose dem Kranken injizierten. Ob mit dieser Autovaccination in der Folge bessere Resultate zu erzielen sind, wird die Zukunft lehren. Man wird natürlich verlangen müssen, dass das Material vorher hinsichtlich seiner Wucherungsfähigkeit abgetötet wird, was an sich aber keine tech- nische Unmöglichkeit darstellt. Dass diese Forderung unerlässlich ist, beweisen mehrere Fälle, bei denen bei ähnlichem Vorgehen nicht nur Recidive an den Öperationsstellen, sondern auch Tumoren an der Injektionsstelle entstanden. Ich gehe nunmehr zur Ohemotherapie, d. h. zur Be- sprechung der rein chemisch wirkenden Mittel gegen die Ge- schwülste über. Ein uraltes Krebsheilmittel ist das Arsen. Es wird behauptet, dass schon die alten Inder und Aegypter die Wirkungsweise des Arsens nach dieser Richtung hin gekannt hätten. Auch der Cosme’schen Salbe, die schon vor Jahrhunderten zu gleichen Zwecken sich grosser Beliebtheit erfreute, sei hier gedacht. Es ist überhaupt interessant, zu verfolgen, wie von Zeit zu Zeit immer wieder das Arsen in irgendeiner Form als Krebsheilmittel auftaucht. So ist es erst im vorigen Jahre wieder in Form der Zeller’schen Paste, die im wesentlichen aus Arsen und Zinnober besteht, in den Vordergrund des allgemeinen Interesses gerückt worden. Die unbestreitbaren Erfolge all dieser Anwendungsformen des Arsens zeigen, dass dasselbe eine gewisse spezifische Wirkung gegen das Tumorgewebe besitzt. Zwar beschränkt sich dieselbe in der Hauptsache darauf, dass das Arsen bei lokaler Applikation das Krebsgewebe elektiv, d.h. mit Schonung der gesunden Nach- barschaft zu zerstören imstande ist. Damit aber sind bereits die Grenzen des Verfahrens gegeben. Wir werden das Arsen mit Erfolg verwenden können bei oberflächlichen, meist schon ulce- vierten Tumoren, die weder ein grosses Tiefenwachstum noch eine allzu bedeutende Flächenausdehnung besitzen. Eine tiefergehende Wirkung oder gar eine solche auf Metastasen, etwa durch Re- sorption, darf in der Regel nicht erwartet werden. Ich will aller- “dings nicht verschweigen, dass sich doch in der Literatur einige Berichte finden, die für eine weitergehende Wirkung des Arsens zu sprechen scheinen. So hat Lassar 1893 3 Patienten mit Hautcarcinomen vorgestellt, die er durch innerliche und subeutane Anwendung von Arsen geheilt hat. 1901, also 8 Jahre später, konnte derselbe Autor .berichten, dass sämtliche 3 recidivfrei ge- blieben waren, und gleichzeitig eine Patientin vorstellen, bei der er ein linsengrosses, mikroskopisch festgestelltes Cancroid an der Nase durch alleinige Medikation von 1000 Pill. asiaticae geheilt 1) In diesem Sinne haben schon vor Jahren Leyden und Blumen- thal experimentiert. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 99 hatte. Diese Beobachtungen bieten zweifellos einen weiteren Beweis für die Spezifizität des Arsens gegen die Geschwülste, werden aber vermutlich in der Praxis ebenso vereinzelt bleiben, wie sie es in der Literatur geblieben sind. Bevor ich das Arsen verlasse, möchte ich noch mit einigen Worten auf die Zeller’'sche Krebsbehandlung zu sprechen kommen, die ja im vorigen Jahre sehr viel hat von sich reden machen. Dieselbe ist eine Kombinationsbehandlung. Neben der lokalen Applikation der Paste, der Zeller den Namen Cinnabarsan ge- geben hat, wird Kieselsäure in einer Nakasilicium genannten Form gegeben; letzteres soll auch nach erfolgter Heilung noch mindestens ein Jahr lang weitergenommen werden. Erwähnen möchte ich, dass die Applikation der Paste mitunter sehr schmerzhaft ist. Die von Zeller selbst mitgeteilten Erfolge sowie die anderer Beobachter betreffen fast ausschliesslich Geschwülste der äusseren Bedeckung. Gerade die bösartigen Formen, vor allem die Krebse des Magendarmkanals, fehlen dabei so gut wie vollständig. Schon dieser Punkt wird uns dahin führen, als die wirksamse Komponente die Arsenpaste anzusehen, deren Wirkung uns ja nach dem Ge- hörten nicht weiter überraschen wird. Zeller selbst hält aller- dings die Kieselsäure für ausserordentlich wesentlich bei seiner Behandlung, müsste indessen den Beweis dafür erst noch liefern. Dem Verfahren fehlt jedenfalls eine nennenswerte Fern- oder Tiefenwirkung; dieses war auch im wesentlichen das Resultat einer von Schwalbe veranstalteten Umfrage bei den Direktoren der chirurgischen Universitätskliniken im ganzen deutschen Sprach- gebiete. Ich wende mich nunmehr zu einer Gruppe von chemisch wirkenden Mitteln, durch deren Finführung in die Behandlung der Geschwülste die Chemotherapie derselben eigentlich erst richtig begründet worden ist. Es sind dies die Metalle. Die Ein- führung derselben verdanken wir in erster Linie Wassermann, der Ende 1911 mitteilen konnte, dass es ihm gelungen sei, durch intravenöse Einspritzung von Seleneosin den Mäusekrebs in fast lückenlosen Serien zu heilen. Man darf sich nicht verhehlen und hat dies auch nicht getan, dass dieses Ergebnis, so interessant es an sich auch ist, für die Behandlung der menschlichen Ge- schwülste zunächst keine allzugrosse praktische Bedeutung besitzt. Ich will hier indes nicht darauf eingehen, wie weit wir über- haupt berechtigt sind, Ergebnisse der Forschung und Therapie bei den Tiertumoren auf menschliche Verhältnisse zu übertragen. Darüber haben wir ja erst vor 8 Tagen von berufener Seite einiges gehört. Ich beschränke mich darauf, dass auch ich auf dem Standpunkte stehe, dass, um das viel zitierte Wort Hansemann’s zu gebrauchen, „der Mäusekrebs zwar kein Menschenkrebs ist“, dass ich aber in ihm eben die entsprechende analoge Erkrankung der Maus erblicke.e Was uns Wassermann’s Arbeit Neues brachte, das liegt darin, dass hier erstmals ein Mittel gefunden war, das, von der Blutbahn aus wirkend, die Geschwülste in einer Weise angriff, abbaute und heilte, die an Elektivität nichts zu wünschen übrig liess. Diese Resultate Wassermann’s wurden Tr 100 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. von Caspari und Neuberg bestätigt und noch dahin erweitert, dass nicht nur das Selen in dieser Richtung wirke, sondern dass mit einer ganzen Reihe anderer Metallverbindungen dieselbe, ja noch stärkere Einwirkung auf die Geschwülste erreicht werden konnte. Gerade diese Tatsache aber, dass nämlich die Beein- fussung der Tumoren von der Blutbahn aus eine vielen Metall- verbindungen zukommende Eigenschaft ist, lässt uns die Hoffnung hegen, dass schliesslich auch für den menschlichen Krebs sich unter den Metallen ein Heilmittel finden werde. Es ist begreiflich, dass diese Tierexperimente sofort Veran- lassung gegeben haben, eine ganze Reihe von Metallpräparaten auch beim Menschen zu versuchen. Keines derselben hat bisher nennenswerte Resultate zu verzeichnen gehabt. Die Schwierig- keiten, die sich der Verwendung der Metalle gegen die mensch- lichen Geschwülste entgegenstellen, liegen einmal darin, dass, wie der Tierversuch zeigt, die wirksame Dosis der meisten der- selben sehr nahe an der tödlichen liegt, und dass ausserdem auch bei der Heilung so giftige Abbauprodukte entstehen, dass Leben und Gesundheit bedroht erscheinen. Sollte es uns aber glücken, hier ein geeignetes Präparat zu finden, dann dürfte der Erfolg meines Erachtens nach alles bisher Erreichte weit übersteigen, da dieses Mittel, von der Blutbahn aus wirkend, nicht nur den primären Herd, sondern auch alle nahen und fernen Metastasen in einer Weise angreifen würde, die die doch nur lokale Wirkung der Bestrahlung weit überträfe. Als Abschluss der Chemotherapie will ich noch ein Präparat erwähnen, das durch Werner und Exner in die Therapie der bösartigen Geschwülste eingeführt worden ist, das Cholin. Gelegentlich der experimentellen Untersuchung der Radium- wirkung auf tierische Gewebe hat Werner gefunden, dass Lecithin, welches mit Radium bestrahlt worden war, intracutan injiziert, genau dieselben Hautveränderungen hervorrief, wie die lokale Applikation der Radiumkapsel selbst. Es schien darin eine Be- stätigung der schon anderwärts ausgesprochenen Ansicht zu liegen, dass das Radium vorwiegend durch Zersetzung des Leecithins _ wirke. Es galt nunmehr noch, die Zerfallsprodukte des Leeithins zu untersuchen, um womöglich die wirksame Substanz zu finden. Das Ergebnis war eben das Cholin, ein Zersetzungsprodukt des Leeithins. Mit ihm schien das Mittel gefunden, die Strahlen- wirkung chemisch nachzuahmen. Der Fortschritt, den eine solche chemische Imitation der Strahlenwirkung bringen kann, liegt auf der Hand; die Wirkung der Strahlen selbst auf das Geschwulstgewebe ist unbestritten, beeinträchtigt wird dieselbe nur dadurch, dass wir die Strahlen meist nur lokal applizieren können. Dieser Nachteil verschwindet, sobald wir ein Mittel besitzen, mit dem wir die Strahlenwirkung in die Tiefe, ja von der Blutbahn aus sogar über den ganzen Körper verbreiten können. Ich will nicht verschweigen, dass die Ergebnisse Werner’s und Exner’s nicht unangefochten geblieben sind. Die grund- legende Ansicht, dass die Strahlen durch Leeithinzersetzung wirken, I. Abteilung. Medizinische Sektion. 101 darf überhaupt als widerlegt gelten. Trotzdem werden wir auch dieses Mittel vor allem nach seiner Wirkungsweise zu beurteilen haben. Es wäre ja schliesslich nicht das erste Mal in der Medizin, dass aus falschen Prämissen höchst brauchbare Resultate ge- wonnen worden sind. Ich wende mich nunmehr den Behandlungsmethoden zu, die auf physikalischer Grundlage beruhen. Die wichtigste derselben ist die Behandlung mit Strahlen, und zwar kommen sowohl die Röntgenstrahlen als auch die von den sog. radioaktiven Körpern ausgesandten Strahlungen gegen die Geschwülste in Betracht. Ich kann mich hier besonders kurz fassen: die radioaktiven Sub- stanzen werden in dem folgenden Vortrage ausgedehnte Be- sprechung finden, so dass ich auf sie gar nicht näher eingehen will, die Röntgenbehandlung der Geschwülste darf ich aber wohl andererseits in ihren allgemeinen Grundlagen als genügend be- kannt voraussetzen. Ich will mich daher darauf beschränken, nur die Bestrebungen zu schildern, durch die man in letzter Zeit versucht, die Röntgenstrahlenwirkung auf die Geschwülste zu erhöhen. Das grösste Hindernis für eine intensive Ausnutzung der Röntgenstrahlen liegt in der verhältnismässig geringen Tiefen- wirkung derselben. Wir sehen daher das Bestreben aller Radio- therapeuten darauf gerichtet, diese Tiefenwirkung zu verstärken. Schon die Verwendung harter, besonders penetrante Strahlen aus- sendender Röhren entsprang dieser Absicht. Eine weitere Ver- stärkungsmöglichkeit bietet das sogenannte Kreuzfeuerverfahren, wobei von verschiedenen Stellen aus konzentrisch bestrahlt wird, so dass die Strahlenwirkung in der Tiefe sich summiert, während die Hautpassage immer nur einmal in Auspruch genommen wird. Ferner suchte man dem Uebel dadurch näherzukommen, dass man durch entsprechende Vorrichtungen die Strahlen in Körper- höhlen einführte, wenn diese den Sitz des Tumors bildeten. Um- gekehrt hat man auch versucht, den Tumor selbst an die Ober- fläche zu bringen. So wurden schon öfters Magentumoren operativ vorgelagert, um sie der Röntgenwirkung recht unmittelbar und ohne Rücksicht auf die sie bedeckende Haut zugänglich zu machen. Einen grossen Fortschritt brachte ferner die Erkenntnis, dass die Verwendung geeigneter Filter nicht nur die bedeckende Haut schützt, sondern auch die Strahlenwirkung selbst verstärkt. Eine harte Strahlung wird durch entsprechende Filterung noch härter. Am naheliegendsten war schliesslich die Verstärkung des wirksamen Agens der Röntgenstrahlen selbst. Sie wissen, dass dies nach zwei Richtungen, sowohl hinsichtlich der Inten- sität als der Dauer der Bestrahlung geschehen ist. Diese Röntgentiefentherapie ist in jüngster Zeit besonders von gynäkologischer Seite ausgebaut worden. Besonders viel Aufsehen haben die aus der Freiburger Klinik erschienenen Publikationen von Krönig und Gauss gemacht. Ich muss daher diese „Freiburger Technik“ kurz skizzieren. Verwendet wird eine harte Strahlung, die durch ein 3 mm diekes Aluminiumfilter noch verstärkt wird. Ausserdem findet das Kreuzfeuerverfahren Anwendung, indem durch systematische 102 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Einteilung der entsprechenden Körperteile zahlreiche bis zu 40 Felder abgegrenzt werden, die getrennt bestrahlt werden. Eine weitere Eigentümlichkeit besteht darin, dass der Abstand der Röntgenröhre von der Haut bis zu 20 cm verringert wird. Der wesentlichste Punkt aber liegt in der enormen Erhöhung der Röntgenlichtdosis selbst. Erinnern wir uns, dass man früher unter einer Volldosis etwa 10 Einheiten verstand, dass auch heute noch die meisten Röntgenologen mit 20—40-—-100 Ein- heiten auskommen, dann wird man verstehen, was es bedeutet, wenn Gauss bei seinen Bestrahlungen bis zu mehreren 1000 Ein- heiten geht, die er ausserdem noch in wesentlich kürzerer Zeit, wie es früher üblich war, verabreicht. Diese sogenannte Intensivbestrahlung ist heute stark um- stritten. Dass sie im Verein mit der ebenfalls intensiven Ver- wendung der radioaktiven Substanzen tatsächlich Erfolge erzielt, die alles bisher Gekannte übersteigen, kann nach den letzten Publikationen von Bumm und Döderlein nicht mehr bezweifelt werden. Sie wissen, dass dieselben auf Grund ihrer Beobach- tungen sogar dazu übergegangen sind, gut operable Tumoren nicht mehr der Operation, sondern dieser intensiven Strahlentherapie zu unterwerfen. Ich möchte hier erklären, dass wir im Aller- heiligen-Hospital uns noch nicht für berechtigt balten, diesen Standpunkt zu teilen. Vorläufig wird bei uns jeder Tumor, der sich als operabel erweist, der Operation unterworfen. Wir dürfen aber vertrauen, dass Männer wie Krönig, Bumm und Döderlein sich der hohen Verantwortung wohl bewusst waren, als sie den oben geschilderten Standpunkt einnahmen, und werden abzuwarten haben, wie weit es ihnen gelingt, durch ihre Erfolge die Be- rechtigung desselben nachzuweisen. Von den übrigen physikalischen Behandlungsmethoden möchte ich nur noch zwei erwähnen, die Fulguration und die Dia- thermie. Beide arbeiten mit hochfrequenten hochgespannten Strömen, auf nähere Details der Technik kann ich mich indes hier nicht einlassen. Die Fulguration oder Beblitzung erstmals gegen die Ge- schwülste angewendet zu haben, ist das Verdienst Strebel’s. Allgemeiner bekannt ist die Methode dann allerdings erst durch den Franzosen de Keating-Hart geworden, mit dessen Namen das Verfahren dann meist verknüpft wurde. Durch eine be- sonders konstruierte Elektrode werden elektrische Funken von erheblicher Länge (10—20 cm) auf den Tumor geleitet. Betont sei, dass de Keating-Hart sein Verfahren nur in Verbindung mit operativen Eingriffen angewendet wissen will. In einer Sitzung wird zunächst fulguriert, um das Gewebe lockerer und zur Ausschneidung geeigneter zu machen, dann wird operiert und danach noch eine ausgiebige Fulguration des Wundbettes vorge- nommen. Auf diese Weise soll auch das Operieren knapp an den Grenzen der Geschwulst oder sogar innerhalb derselben eventuell noch Erfolg versprechen, da der Funken bis zu einer gewissen Tiefe auf das Gewebe wirkt. Die gute Heilungstendenz der fulgurierten Wundflächen wird von allen Seiten gerühmt. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 103 Die Fulguration hat zwar die speziell in Frankreich auf sie gesetzten weitgehenden Hoffnungen nicht erfüllt, darf aber immer- hin als eine wertvolle Ergänzung des operativen Eingriffes gelten. Neuerdings wendet man die Fulguration häufig als sogenannte Dunkelfulguration an, wobei die längsten und schmerzhaftesten Funken durch eine Kieselglashülle abgefangen werden. In dieser Form kann die Elektrode auch in Hohlorgane eingeführt werden. Die Schmerzlosigkeit dieser Behandlungsform gestattet Öftere An- wendung und Verzicht auf die Narkose, die bei der ursprüng- lichen Form des Verfahrens nicht entbehrt werden konnte. Auf etwas anderen Prinzipien beruht die Diathermie, die von Zeynek und Nagelschmidt in die Therapie eingeführt worden ist. Sie wissen, dass jeder Leiter von hohem Widerstande — in unserem Falle der Körper — beim Durchtritt elektrischer Ströme Wärme (sogenannte Widerstandswärme, Joule’sche Wärme) ent- stehen lässt. Im Prinzip müsste es genügen, den Körper in einen Gleichstrom einzuschalten, wir müssten aber dann zur Erzielung nennenswerter Temperaturerhöhungen Stromstärken anwenden, die der Körper nicht verträgt. Anders verhält es sich mit Wechsel- strömen, von denen wir wissen, dass sie mit steigender Frequenz für den Körper erträglich, ja schliesslich unmerklich werden. Die Diathermie arbeitet also mit Wechselströmen von einer Schwingungs- zahl von einer bis mehreren Millionen in der Zeiteinheit, die jenseits der Perceptionsfähigkeit unseres Nervensystems liegt. Der grosse Fortschritt, den uns die Diathermie gebracht hat, liegt darin, dass es damit zum ersten Male gelingt, den Körper gleichmässig zu durchwärmen. Bei der grossen Bedeutung, die die Wärme besonders in der inneren Medizin besitzt, ist es ver- ständlich, dass das neue Verfahren bereits ausgedehnte Anwendung, z. B. bei Gelenkerkrankungen usw., gefunden hat. In der Be- handlung der Geschwülste benutzen wir aber weniger diese gleich- mässige Durchwärmung des Körpers oder einiger Körperteile, sondern versuchen das Gewebe durch Erhitzung bis zur Coagulations- nekrose zu zerstören. Wir wenden dabei Elektroden verschiedener Grösse an; je kleiner die Oberfläche derselben, desto intensiver ist die entwickelte Wärme. Wir können nun beide Elektroden etwa bei einem über das Niveau sich erhebenden Tumor an zwei entgegengesetzten Punkten der Oberfläche ansetzen, häufiger aber arbeiten wir nur mit einer kleinen Elektrode, während die andere in Form einer wesentlich kleineren Blei- oder Kupferplatte unter dem Rücken des Patienten liegt und nur die Aufgabe hat, den Stromkreis zu schliessen. Benutzen wir als Elektrode ein nadel- oder lancettförmiges Instrument, das wir in kurzer Entfernung über die Gewebe hinführen, so werden dieselben durch den ent- standenen elektrischen Lichtbogen durchschnitten, ohne dass eine nennenswerte Schorfbildung zu entstehen braucht. Mit einiger Uebung lässt sich dieses Instrument wie ein Messer handhaben; es ist dies die sogenannte de Forest’sche Nadel; ähnliche Instru- mente benutzen Üzerny und Doyen zu ihrer Lichtbogenoperation. Der Hauptvorzug der Diathermie, besonders in der zuletzt geschilderten Anwendungsform, liegt in der Vermeidung der ope- 104 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. rativen Verschleppung der Keime. Es kann dabei nicht vor- kommen, dass, wie ein Autor sich irgendwo ausdrückt, „die Krebskeime sogar die Schneide des Messers, das sie entfernen sollte, zur Weiterverbreitung benutzen“. Bestätigt sich fernerhin die Annahme, dass die Tumorzellen wärmeempfindlicher, thermo- labiler als die normalen Körperzellen sind, so wäre auch die Mög- lichkeit einer Beeinflussung der Geschwulstreste über die Grenzen des Öperationsgebietes hinaus durch die Diathermie gegeben. Die Zusammenstellung der Geschwulstbehandlungsmethoden nicht operativer Art konnte weder hinsichtlich der Zahl der Mittel noch bezüglich der Schilderung der einzelnen Methoden eine vollständige sein. Trotz dieser Beschränkung haben Sie aus dem Gesagten wohl doch ersehen, welch enormes Maass von Arbeit auf diesem Gebiete geleistet worden ist und fortwährend noch geleistet wird. Es ist ja kein Zweifel, dass von all diesen Verfahren bisher die Strahlentherapie bei weitem die grössten praktischen Resultate zu verzeichnen hatte. Trotzdem erwarte ich die Therapia magna sterilisans der Geschwülste nicht von dieser Seite, da die Strahlenwirkung mehr oder weniger stets lokal sein wird, die Geschwülste aber gerade dann uns in ihrer schlimmsten Form gegenübertreten, wenn sie diese, ihr zunächst gezogene lokale Begrenzung überschreiten und sich im Körper verallgemeinern. Demgemäss muss in diesem Stadium die Be- handlung auch eine allgemein angreifende sein. Hier scheinen mir die von der Blutbahn aus wirkenden chemotherapeutischen Methoden oder noch besser, die eine Zustandsänderung des ganzen Körpers veranlassenden Immunisierungsbestrebungen eher berufen, zum Ziele zu führen. Jeder, der auf diesem zunächst so trost- losen, andererseits aber auch in seinen kleinen Erfolgen so dank- baren Gebiete arbeitet, hat neben einer gesunden Dosis Kritik auch ein bisschen Optimismus dringend vonnöter. Aber auch abgesehen davon haben Sie doch vielleicht aus meinen Dar- legungen den Eindruck gewonnen, dass wir bezüglich beider ge- nannten Behandlungsarten wenigstens auf einem gangbaren Wege sind, und dass es vielleicht nicht zu weitgehend ist, wenn wir uns der Hoffnung hingeben, dass es noch unserer Generation be- schieden sein dürfte, den grossen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte die neue zuzugesellen, auch die bösartigen Ge- schwülste, diese furchtbare Geissel der Menschheit, der Heilung entgegenzuführen. xl. Radiumbehandlung maligner Geschwülste. Von Dr. Weckowski- Breslau. Bei einer so verhältnismässig neuen und noch unaus- gearbeiteten Behandlungsmethode, wie es die Radium- bzw. Meso- thoriumbestrahlungstherapie zur Zeit noch ist, kann es im Anfange derselben an Misserfolgen und Enttäuschungen nicht fehlen, wenn man mit übermässigen Erwartungen und Forderungen an sie herantritt. Dies ist heute ohne Zweifel der Fall. Wir befinden uns augenblicklich in einem Stadium der wider- sprechendsten Beobachtungen und eines heftigen Für und Wider, das der Radiumtherapie und insbesondere der Krebstherapie einen schweren Schaden zufügen kann. Während auf der einen Seite tatsächlich verblüffende Veränderungen bei inoperablen bös- artigen Geschwülsten zu verzeichnen sind, hört man auf der anderen Seite von einem anscheinenden Versagen der Methode, für das ohne weiteres ‘eine Erklärung nicht abgegeben werden kann, weshalb das negative Resultat von vielen schlechterdings auf das Schuldkonto des Radiums gesetzt wird. Dieses Schuldkonto, das von Beginn der Therapie an stark belastet war, schien mit einem Male gestrichen zu sein, als man in Halle von den mit grossen Mengen Mesothorium bestrahlten Fällen hörte, von denen die einen klinisch geheilt waren, die anderen einer solchen Heilung entgegengingen. Das Einführen der grossen Bestrahlungsmenge nach dem Vorbild der Halle- schen Kongressredner schien die Methode ausserordentlich zu ver- einfachen, indem man sich der grossen Menge nur zu bedienen und dicke Bleifilter anzuwenden brauchte, um des Erfolges sicher zu sein. Es schien, als ob derselbe nur das Produkt der Bestrahlungs- quantität und der dicken Bleifilter wäre. Der Rückschlag dieser ganz einseitigen Auffassung der Be- strahlungstherapie musste unabwendbar folgen, und er ist heute zweifellos da. Mit der Benutzung der grossen Radiumquanten sind die Schwierigkeiten der Bestrahlungstechnik durchaus noch nicht überwunden, wenn auch die Aussichten auf Erfolg ganz bedeutend gehoben worden sind. Die Technik ist es, welche die grössten Schwierigkeiten bereitet. 106 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Diese Technik, die dem Fernstehenden und Uneingeweihten so ausserordentlich einfach erscheint, indem sich dieser die Hand- habung als einfaches Auflegen des Präparates auf den erkrankten Körperteil vorstellt, ist in Wirklichkeit höchst kompliziert und in der Hauptsache verantwortlich zu machen für den biologischen Effekt. Die grossen Bestrahlungsdosen brachten es mit sich, dass man aus Furcht vor schädlichen Oberflächenwirkungen sich dicker Bleifilter von 1, 2, ja sogar 3 und 4 mm bediente, um nach Möglichkeit nur die ultrapenetrierenden Strahlen wirken zu lassen. Zugegeben, dass diesen ultrapenetrierenden Strahlen in der Therapie der Geschwülste eine hohe Rolle zukommt, darf man nicht aus dem Auge lassen, dass sie durch Einschaltung von zu dicken Filtern an Menge und Wirksamkeit ausserordentlich ein- büssen. Neuere Forschungen (Keetmann) lehren, dass bei Ver- stärkung des Bleifilters von 1 auf 4 mm 20 pCt. der y-Strahlen verloren gehen, die hinter einem Bleifilter von 1 mm vorhanden waren. i Ja, nach Becquerel und Matout beträgt der Verlust in der Bleischicht von O bis 1 mm vielleicht noch mehr. Ich glaube hiermit zur Genüge angedeutet zu haben, dass jede unnötige Verstärkung des Filters einen grossen Verlust an der y-Strahlung bedeutet, und zwar findet dieses Verhalten seine Erklärung in der Tatsache, das die y-Strahlen ebensowenig homo- gener Natur sind, wie die #-Strahlen. Ausserdem ist die prinzi- pielle Ausschaltung der ?-Strahlen, die mit dem 1 mm und stärkeren Bleifiltern Hand in Hand geht, ein schwerer Fehler, der in der biologischen Beeinflussung des pathologischen Gewebes sich unbedingt geltend machen muss. Von der Gesamtmasse der Strahlen wird ein Teil, sei es durch die Fixierungsmittel, sei es durch die Umhüllung, bereits abgefangen, so dass er nicht zur biologischen Wirkung gelangt. Das sind die a-Strahlen. Ein anderer Teil ist derart durchdringend, dass er das Ge- webe wieder verlässt. Auch dieser Teil kann für den biologischen Effekt nicht unmittelbar in Frage kommen. Es sind dies die härtesten 7-Strahlen. Alle Strahlen, die nach Ausschaltung dieser beiden Arten übrig bleiben, werden vom Gewebe absorbiert und sind deshalb für die Wirkung in erster Linie verantwortlich zu machen. Alle #- und der grösste Teil der y-Strahlen. Diese Gesamtmasse bildet das Rüstzeug des Radiotherapeuten, dessen Ideal es sein muss, sie alle zur Verwendung gelangen zu lassen. Je mehr er sich von diesem Ideal entfernt, desto kleiner ist die Masse der absorbierten Strahlen, desto geringer muss ceteris paribus die Wirkung ausfallen. Hierin liegt ein wichtiges Moment für das eventuelle Ausbleiben eines therapeutischen Heileffektes. Abgesehen von den soeben geschilderten Schwierigkeiten ist auch das scharf umrissene Prinzip noch festzustellen, nach welchem die Indikationen für Bestrahlung in Zukunft zu stellen sind. I. Abteilung. Medizinische Sektion. 107 Aehnlich, wie seitens der Öhirurgen operable von inoperablen Tumoren streng zu unterscheiden sind, werden in Zukunft die Radiologen bestrahlungsgeeignete und bestrahlungsungeeignete Fälle streng voneinander zu trennen haben. Die Richtschnur, nach der in dem einen und dem anderen Falle die eben er- wähnte Klassifizierung zu geschehen hat, ist von derjenigen der Chirurgen ganz verschieden. Es gehören inoperable Tumoren bisweilen zu den für die Bestrahlung geeigneten Fällen und um- gekehrt. Um an einem Beispiel zu erläutern. Ein operables Magencareinom ist für Bestrahlung an sich nicht geeignet, hingegen ein inoperables Magencarcinom, das operativ vorbereitet, d. h. vorgelagert worden ist, kann unter Umständen ausserordentliche Aussichten auf Erfolg bieten. Arders beim Mammacareinom. Hier können vielleicht auch operable Carcinome in den Bereich der Indikationsstellung ge- zogen werden. Da die Frage der letzteren heute noch nicht ent- schieden ist, werden noch alle sogenannten aussichtslosen ope- rablen Fälle unterschiedslos zur Bestrahlung überwiesen — für die Urteilsbildung des Fernstehenden, der nur absolute Heilungen sehen will und gelten lässt, ein ungünstiges Moment, für die Radiotherapie ein Umstand von grosser allgemeiner Bedeutung, denn er ermöglicht, allmählich die Grenzen der neuen Heil- methode zur erkennen. Nunmehr will ich auf einige Fälle, die mir selbst über- wiesen worden sind, des näheren eingehen und an ihnen die mehr oder weniger ausgeprägte Wirkung der Radiumbestrahlung de- monstrieren. Im Winter d. J. trat in meine Behandlung eine Patientin mit mul- tiplen Carcinomreeidiven. Sie ist 1910 wegen Mammacareinom links radikal operiert worden, aus der rechten Brust wurde ein verdächtiger Knoten heraus- genommen. Ein Jahr später recidivierte der Tumor auf der radikal ope- rierten Seite. 1912 traten disseminierte Knötchen auf der primär er- krankten Seite längs und in der Umgebung der Narbe auf. Zwei von ihnen, die entlegensten, eins über dem Brustbein, ein anderes in der linken Achsel- höhle, wurden herausgenommen. Es blieb eine Aussaat von vielen linsen- grossen Knötchen auf der radikal operierten Seite, ausserdem ein recidi- vierter Knoten in der rechten Brust von etwa Kirschengrösse. In der Folge wurden die Drüsen in der rechten Achselhöhle und in beiden Supraclaviculargruben schmerzhaft und deutlich fühlbar. Der recidivierte Knoten in der rechten Brust hatte Pflaumengrösse erreicht. Die Aus- saat auf der linken Seite zeigte 40—50 linsen- bis bohnengrosse Knötchen, die zum Teil ineinander übergingen. In diesem Zustande trat die Patientin in die Behandlung ein. Während und kurz nach der Be- strahlung war eine Aenderung des Zustandes nicht offensichtlich. Diese trat erst nach Ablauf eines Monats deutlich zutage. Zunächst war der pflaumengrosse Knoten der rechten Brust vollkommen geschwunden, ausserdem waren die Achsel- und Supraclaviculardrüsen schmerzlos ge- worden. Zugleich hatte sich die Aussaat deutlich verringert. Die Be- strahlungen wurden fortgesetzt, und nach vier Monaten seit Beginn der Bestrahlung ergab sich folgendes Bild: Auf der Seite der Aussaat eine glatte, weisse Narbe, die Aussaat selbst verschwunden, der Knoten in der rechten Brust desgleichen, Drüsenmetastasen nicht wahrzunehmen. Die Patientin hat zugenommen, fühlt sich wohl und versieht ihre häus- 103 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. F lichen Arbeiten wie früher. Eine Kachexie ist nicht eingetreten. Die Beobachtungszeit beträgt jetzt 8 Monate. In einem zweiten Falle handelte es sich um einen Patienten mit einem exulcerierten Parotiscarecinomrecidiv. Vor 3 Jahren wurde dem- selben ein Tumor (Plattenzellencareinom) unter dem linken Ohr entfernt. Ein halbes Jahr später trat ein Reeidiv auf von Bohnengrösse. Dasselbe wuchs langsam, aber stetig, exulcerierte und wurde zweimal operiert. Trotzdem weiteres unaufhaltsames Wachsen des Tumors. Eine energische wochenlange Röntgenbestrablung erwies sich als ebenfalls ergebnislos. Daraufhin Ueberweisung zwecks Radiumbestrahlung. Bei der Aufnahme bestand ein inoperabler Tumor von der Ausdehnung beinahe einer Hand- fläche, davon eine weit über fünfmarkstückgrosse, tiefe Ulceration, aus der beständig Blut und eine Menge Eiter abgesondert wurden, das übrige des Tumors ein fester derber Wulst, zum Teil hinter dem Ohr gelagert, zum Teil das Öhrinnere verlegend. Trotz der Schwere des Falles und verhältnismässigen Aussichtslosigkeit (wegen des grossen Umfanges) ge- staltete sich der Verlauf in auffallend günstiger Weise. Schon nach Ab- lauf der ersten Woche hörte die Blutung auf, und die Ulceration nahm an Umfang ab. Die Veränderungen gingen in der Folge ausserordentlich rasch vor sich, so dass nach drei Wochen das Geschwür um die Hälfte verringert war. Fünf Wochen später war von der Ulceration noch ein kleiner, etwa l cm langer Spalt übrig; der mächtige feste Wulst, der ausser der Ulceration vorhanden war und der hinter dem Ohr sass, hatte sich beinahe bis zum Verschwinden unter dem Bilde der Verflüssigung verkleinert. Es war hierbei die Beobachtung zu machen, dass sich an der tiefsten Stelle des Wulstes eine winzige Fistel bildete, durch die eine klare Flüssigkeit abfloss im Grade, wie sich der Wulst verflüssigte; eine Erscheinung, die ich nur an diesem einzigen Falle zu beobachten Ge- legenheit hatte. Bemerkenswert ist es, dass die grosse Ulceration sich schloss, ohne dass eine Narbenbildung zustande kam. Die Stelle machte den Eindruck, als ob dort nichts Geschwüriges vorher gewesen wäre. zur Zeit besteht noch im Gehörgang und in der Muschel eine Intumeszenz, die bis dahin verhältnismässig wenig bestrahlt worden ist und demnächst in Angriff genommen werden wird. Ein dritter Fall betraf eine Patientin mit Peritonealcarecinomatose, die von einem Ovarialecareinom ausgegangen war. Es ist eine Probe- laparotomie gemacht worden, wobei eine ausgedehnte carcinomatöse Aus- saat im Netz im visceralen und parietalen Peritoneum festgestellt worden war. Insbesondere im linken Epigastrium war eine faustgrosse carcino- matöse Metastase vorhanden, die trotz des hochgradigen Ascites durch die Bauchdecken hindurch gut fühlbar war. Die Patientin befand sich in extremis. Eine Radiumbestrahlung sollte nur versuchsweise ange- wendet werden. Ich hebe diesen Fall besonders hervor, weil er meiner Meinung nach für die Frage der Filtertechnik recht bedeutungsvoll ist. Die Patientin ist mittels zwei verschiedener Filter bestrahlt worden, mittels eines verhältnismässig dünnen von 1/; mm Blei und einem starken von 2 mm Bleidicke. Und zwar wurde in einer Sitzung im Epigastrium an erster Stelle über dem Tumor, der wegen seiner Grösse zunächst zur Behandlung aufforderte, ein 54 mg RaBrs-Präparat 12!/, Stunden lang appliziert mittels des eben genannten Filters von !/; mm Blei. Am nächsten Tage Applikation in gleicher Weise von etwas kürzerer Dauer, 8 und 6 Stunden an anderen Stellen des Epigastriums; daraufhin am folgenden Tage Reaktionen in der Haut, weswegen eine weitere Be- strahlung an dieser Stelle nicht mehr verabreicht werden konnte. Nach zwei Monaten war von dem darunter liegenden Tumor nichts mehr zu fühlen. Durch die heftige Hautreaktion veranlasst, wandte ich an anderen Stellen, wo desgleichen Tumoren, jedoch kleinere, zu fühlen waren, Filter I. Abteilung. Medizinische Sektion. 109 von grösserer Dicke, 2 mm Blei, und eine Bestrahlungsmasse von 187 mg RaBr, an; und zwar habe ich mich hierbei, wie noch in vielen anderen Fällen, von der Anschauung leiten lassen, die nach Halle all- gemein war: grosse Bestrahlungsmasse und dicke Filter. Die nach zwei Monaten stattgehabte Untersuchung ergab palpatorisch im Gegensatz zu der obigen ein scheinbar wenig verändertes Verhalten der in eben be- schriebener Weise bestrahlten Tumoren. Innerhalb der zwei Monate, die auf die Bestrahlung folgten, wurde seitens des behandelnden Arztes folgende Beobachtung gemacht: Die Diurese, die trotz Digitalis, Di- ceretin und anderer Maassnahmen nur 400 cm betrug, steigerte sich nach einiger Zeit von selbst unter gleichzeitigem Auftreten von Schüttelfrösten. Der bedeutende Aseites wurde erheblich geringer, die fühlbaren Tumoren wurden deutlich kleiner, die zunehmende Kachexie konnte trotzdem nicht aufgehalten werden, und die Patientin erlag ihr vierzehn Tage später. Den Verlauf dieses Falles vor Augen, komme ich jetzt epi- kritisch zu der oben ausgearbeiteten Auffassung, im Wieder- holungsfalle dünnere Filter zu gebrauchen, unbekümmert um die daraus entstehenden Oberflächenwirkungen, die, wie ich jetzt viel- fach gesehen habe, stets gutartig verlaufen. Aus der Menge der in letzter Zeit von mir bestrahlten Fälle möchte ich einen noch besonders herausgreifen, weil er geeignet ist, besondere Bedeutung für sich in Anspruch zu nehmen. Es handelte sich um einen Patienten, der im April d. J. wegen eines Magencarcinoms laparo- tomieıt worden war. Im Laufe der Wundheilung kam es zu einer Art Vorlagerung des inoperablen Tumors und carcinomatöser Magenfistel. Die Wand des Fistelkanals bestand aus blutenden und eiternden Gewebemassen. Neben der ÖOeffnung sass ein Tumor von ca. Pflaumengrösse. Innerhalb der ersten Bestrah- lungswoche hörten die Blutungen auf, und der Kanal fing an, sich von den Eitermassen zu säubern. Der sichtbare Tumor ver- schwand innerhalb dreier Wochen, der Fistelkanal hat sich in der folgenden Zeit bedeutend verengert. Von dem Tumor ist nichts zu sehen, auch palpatorisch nichts Bestimmtes nachzuweisen. Ich habe den Patienten vor 14 Tagen zum letzten Male gesehen. Er hatte einige Pfund zugenommen, fühlte sich verhältnismässig wohl und hatte nicht das Aussehen eines Kachektischen. So in die Augen fallend, wie in den herausgegriffenen Fällen, ist die bio- logische Wirkung der Radiumstrahlen nicht immer. Ein gut Teil der Schuld liegt vielleicht noch in der Applikationsmethode, ein anderer Teil in der Filterfrage — die nächste Zeit wird das auf- zuklären haben. Uleerationen und Tumoren, die manchmal nach wenigen Sitzungen verschwinden, verlangen dringend der regelmässigen Nachprüfung in regelmässig wiederkehrenden 2—3 wöchentlichen Intervallen. Des ofteren ist Gelegenheit, zu beobachten, wie Stellen, die makroskopisch nichts Pathologisches mehr aufweisen, wieder ulcerieren, wenn sie längere Zeit unbehandelt geblieben sind. Eins sieht man beinahe stets eintreffen, nämlich dass Blu- tungen aus carcinomatösen Neubildungen nach der ersten Bestrah- lung vollkommen aufhören. Es ist erstaunlich, wie schnell und 110 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. ohne jegliche Nebenerscheinungen in manchen Fällen der Auf- lösungsprozess der Tumoren vor sich geht. So war bei einem Patienten mit wahrscheinlich Iymphosarko- matösen Drüsen am Halse der Umfang der letzteren in einer Woche beinahe um 3 cm verkleinert. In einem anderen Falle von etwa faustgrossem derben Mammacareinom ging dieses in 7 Wochen um 3/, seines ursprünglichen Umfangs zurück. Von derartigen Erscheinungen könnten noch mehrere andere angeführt werden. Nennenswerte schwere Allgemeinsymptome konnten nicht festgestellt werden, dagegen örtliche, besonders bei Bestrahlung von Rectumcarcinomen. Vereinzelt traten mehrtägige Temperatur- erhöhungen ein, in einem Falle bis 40°. Der Dosierung ist meine in dieser Wochenschrift veröffent- lichte Absorptions- und Dosierungstafel zugrunde gelegt. Somit ergab sich im Fall I die Dosis: D= 10mg RaBr, mal 96 Stunden J O/I + 173 mg RaBr, mal 38 = IX. Im Fall II die Dosis: D = 187 mg RaBr, mal 42 Stunden J XVI. + 54mg RaBr, mal 28 ” Jul: Im Fall III die Dosis: D = 176 mg RaBr, mal 55 Stunden J XXI. + 54mg RaBr, mal 121), „ J VI. —+ 54mg RaBr, mal 24 = J XV. Im Fall IV die Dosis: D = 187 mg RaBr, mal 57 Stunden J XVII. + 54 mg RaBr, mal 34 S IT. Zum Schluss noch einige Betrachtungen: 1. Die radioaktiven Stoffe Radium und Mesothorium üben auf carcinomatöses Gewebe eine zerstörende Wirkung aus, wie eine solche mit äbnlicher Regelmässigkeit seitens eines anderen Heil- verfahrens zur Zeit nicht bekannt ist. 2. Der Einfluss der bisherigen Röntgenstrahlen ist von dem der Radiumstrahlen verschieden, ob qualitativ oder quantitativ, steht noch dahin. Carcinome, die Röntgenbestrahlungen gegen- über Widerstand leisten, können durch Radiumbestrahlung in hohem Maasse beeinflusst werden. 3.,Das gute Endresultat ist von vielen Faktoren abhängig, von denen die Filterung, die Menge der radioaktiven Maasse und die Entfernung des Radiumpräparates vom Tumor die wichtig- sten sind. X. Mesothorium bei Carcinomen der Haut und anderer Organe.') Von Dr. E. Kuznitzky. M. H.! Ich möchte Ihnen ganz kurz über die Erfahrungen der Breslauer Klinik mit der Mesothoriumtherapie beim Haut- carcinom berichten. Ich glaube, mit einer gewissen Berechti- gung von „Erfahrung“ sprechen zu können, da wir das Meso- thorium wohl mit am längsten in Deutschland in Händen haben: Wir wenden es schon seit ungefähr 21/, Jahren an und Baumm hat bereits im Jahre 1911 in einer vorläufigen Mitteilung darüber berichtet. Die Resultate sind als sehr günstig zu bezeichnen. Ich befinde mich zwar hierbei in einer glücklichen Lage insofern, als der zu bekämpfende Krebs an der Haut in den meisten Fällen eine Lokalerkrankung darstellt und ohne Metastasenbildung verläuft, allein, wie Sie ja wissen, kommen oft genug auch Formen dabei vor, welche sich nicht nur mit der Infiltration der oberflächlichsten Schichten begnügen, sondern mehr Tiefen- als peripheres Wachstum zeigen, Knorpel und Knochen durchwachsen können und Drüsenmetastasen bilden. Es gelingt mit Leichtigkeit, durch eine einmalige hinreichende Bestrahlung des Lokalisationsortes an der Haut einen ober- flächlichen Krebs völlig oder fast völlig klinisch zu be- seitigen. Sollten nach der ersten Bestrablung noch Reste zurück- geblieben sein, so verschwinden sie fast ausnahmslos nach der zweiten Bestrahlung. Schwieriger sind die tieferen Krebse zu behandeln, besonders wenn sie mit darunter liegendem Knochen oder Knorpel in feste Verbindung getreten sind, wie z.B. an der Nase, Stirn, am Jochbein usw. Aber auch hier vermag man durch energische Bestrahlungen die Infiltration zu beseitigen und eine weiche glatte Narbe an der Stelle des Krebses zu erzielen. M. H., mehr lässt sich heute nicht sagen. Obwohl wir auf diese Weise Fälle durch 2 Jahre hindurch recidivfrei erhalten haben, die also heute noch klinisch geheilt sind, möchte ich doch 1) Diskussionsbemerkungen zu den Vorträgen der Herren Simon und Weckowski. 112 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. von einer definitiven Beurteilung gegenwärtig absehen, und zwar veranlasst mich dazu ein Fall, den wir neulich beobachten konnten, und der dem von Brieger aus der Lassar’schen Klinik mitgeteilten ausserordentlich ähnelt. Es handelt sich hier um ein Carcinom in der Gegend des rechten inneren Augen- winkels, welches im Jahre 1905 mit Radium bestrahlt worden und hier in der Vaterländischen Gesellschaft als geheilt vorgestellt worden ist. In diesem Jahre nun, also nach 8 Jahren Pause, kam der Patient mit einem Recidiv an derselben Stelle wieder. Er wurde von neuem bestrahlt, diesmal mit Mesothorium, und ist zurzeit carcinomfrei. Ein solcher Fall mahnt natürlich zur Vor- sicht bei Feststellung von definitiven Resultaten. Wir können heute noch nicht von absoluten Dauer- heilungen, sondern nur von klinischen Heilungen sprechen, wir können eben nur sagen, dass wir Erfolge haben, die sehr nahe an Heilungen herankommen. Es ist leicht möglich, dass wir heute mit der ganz veränderten Technik viel mehr erreichen werden, als wir früher mit unzureichenden Quantitäten und zu kurzer Bestrahlungszeit erzielt haben. Auch unser Fall wird dem wohl berechtigten Einwand nicht entgehen können, dass die seinerzeit bei ihm verwandte Radiummenge viel zu gering war. Wenn wir bei unserer heutigen Technik die Mesothorium- quantität gesteigert haben, so geschah das hauptsächlich aus zwei Gründen: 1. weil durch die Filtrierung strahlende Substanz verloren geht und 2. weil die zur Krebsbehandlung vorwiegend herangezogenen harten Strahlen ihrem physikalischen Verhalten nach durch die menschlichen Gewebe nur schwer absorbiert werden. Wir sind natürlich gezwungen, wenn Strahlen im Körper nur wenig zurückgehalten werden, möglichst viel davon hineinzusenden, und dies wiederum ist nur möglich, wenn wir hohe Quanti- täten von strahlender Substanz benutzen, da durch das Ab- schirmen der weicheren #-Strahlen der Verlust enorm ist. Die Auswahl des Filters ist daher, wenn man nicht zuviel Energie verlieren will, von entscheidender Bedeutung. Es muss so beschaffen sein, dass es möglichst alie 7- und die harten ß-Strahlen hindurchlässt und dabei selbst sehr wenig sogenannte Sekundärstrahlung besitzt. Diese entsteht durch den Aufprall von ß- und 7-Strahlen auf ein Hindernis, hier also auf das Filter und ist immer weicher als die primäre Strahlung, d. h. so be- schaffen, dass sie in den oberflächlichen Schichten absorbiert wird und daher die Haut in unerwünschter Weise alterieren kann. Ein solches ideales Filter ist noch nicht gefunden, und man muss deshalb je nach der Art der Erkrankung und nach ihrem Sitz mit der Filtertechnik individuell variieren. So sind wir beim Hautcarcinom zu einer Verwendung von 20 bis 25 mg Mesothorium, auf einer Fläche von 10 bis 15 mm Durchmesser verteilt, gelangt, die wir beim Schleimhautcarcinom, I. Abteilung. Medizinische Sektion. 113 z. B. im Munde, durch Anwendung des Kreuzfeuerverfahrens — Bestrahlung von innen und gleichzeitig von der äusseren Haut her — noch gesteigert haben. Diese Quantitäten genügen aber auch für das Hautcarcinom völlig, besonders wenn man sich dabei der Methode bedient, dass nach erstmaliger Bestrahlung und Abheilung des Krebses sofort eine, wie ich sie nennen möchte, „prophylaktische“ Bestrahlung angeschlossen wird. Bei dieser muss sorgfältig darauf gesehen werden, dass die Rand- stellen des alten Lokalisationsortes und die anliegende gesunde Haut energisch mitbestrahlt werden. Ich muss hier bekennen, dass ich mit grosser Vorliebe bei den oberflächlicheren Haut- krebsen auf die Filtrierung völlig verzichte, d. h. also, mich ausser der y-Strahlung der gesamten ß-Strahlen mit Ausnahme des durch das Glimmerplättchen der Kapsel absorbierten weichsten Anteils derselben bediene. Dabei ist die Ausnutzung eine ziemlich vollkommene: Die harten /-Strahlen ähneln in der Wirkung den y-Strahlen und die weicheren verursachen, sei es im Krebs selbst, sei es auf der anliegenden gesunden Haut eine energische Nekrotisierung, welche ihrerseits wieder zu einer Entzündung und demarkierenden Eiterung führt. Diese reaktive Entzündung halte ich für ausserordentlich wichtig, weil durch sie eine kräftige Bindegewebsneubildung angeregt wird, welche zu einer Ueber- wucherung, Abkapselung und Beseitigung etwa noch vorhandener Tumorzellen führen kann. In dieser eben beschriebenen Weise gehen wir, das möchte ich ausdrücklich betonen, nur bei den oberflächlichen Hautkrebsen vor, indem wir mit voller Absicht neben der spezifischen, zell- zerstörenden Wirkung der harten Strahlung den auxiliären Effekt der Entzündung mit ausnutzen. Ganz anders ist es natürlich — und das möchte ich Herrn Weckowski gegenüber hervorheben — bei den tieferliegenden Hautkrebsen und bei den malignen Tumoren der anderen Organe. Hier sind Härte der Strahlung und bio- logischer Effekt gleichbedeutend; und wenn auch die Strahlen- wirkung selbst der härtesten Röntgen- und y-Strablen möglicher- weise letzten Endes nur eine sekundäre A-Strahlenwirkung dar- stellt — auf die Gründe, weshalb dies der Fall sein könnte, gehe ich hier nicht ein —, so ist diese doch an das Aussenden von harter 7- oder Röntgenstrahlung gebunden. Wir werden also bei den tiefer liegenden Hautkrebsen, bei der vorhin erwähnten prophy- laktischen Bestrahlung und bei Carcinomen anderer Organe nicht um die Anwendung harter, also gefilterter Strahlen herum- kommen. Die Resultate mit unserer Behandlungsmethode lassen sich folgendermaassen bewerten: Es sind im ganzen 74 Careinome der Haut bestrahlt worden. Davon scheiden 14 Fälle von der Beurteilung aus, die sich nicht wieder vorgestellt haben und auch brieflich nicht erreichbar waren. 20 Fälle befinden sich zurzeit noch in Behandlung und können sämtlich als gebessert bezeichnet werden. Ein geringer Teil von ihnen kam mit inoperablen Careinomen solcher Ausdehnung und Schlesische Gesellsch; f. vaterl, Kultur. 1913. IL 8 114 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. stellenweise derart schwerer Zugängigkeit, z. B. an Auge und Nase, in die Klinik, dass von vornherein auf eine Ausheilung ver- zichtet werden musste. Die Patienten werden intermittierend be- strahlt, jedesmal wenn sich ein neues Knötchen bemerkbar macht. Unter den übrigbleibenden 40 Fällen hat sich bei 4 Fällen der Krebs der Bestrahlung gegenüber völlig refraktär verhalten. 3 Fälle haben nach beendeter klinischer Ausheilung sonst ‚gut reagierender Carcinome Recidive im bestrahlten, anscheinend geheilten Bezirke bekommen. Diese wurden wieder bestrahlt, die Patienten sind bis heute recidivfrei. 33 Fälle sind klinisch geheilt, d. h. es ist heute an die Stelle des früheren Krebses eine glatte feine Narbe getreten, welche keine Spur einer Infiltration mehr aufweist. Die Beobachtungs- zeit dieser Fälle nach der letzten Bestrahlung verteilt sich folgender- maassen: Es sind recidivfrei geblieben bei einer Beobachtungszeit bisyzust/ar Jahr. 22.2220. 2085. Kalle vonl/abis2/s Jahr 3 20.00. 3. 10008; ” Ua ” 1 ” ST TE n® 7 ” lee lssJahren = Sue ” 11); ” 2 3 2 davon 2 Jahre hindurch, Sehr merkwürdig und eigentlich nicht recht erklärlich ist das refraktäre Verhalten. mancher Hautkrebse der Strahlen- therapie gegenüber. Man ist in solchen, ja nicht häufig vor- kommenden Fällen erstaunt, dass bei gleichem klinischen Aussehen und gleicher Technik der eine Krebs leicht ab- heilt, der andere nicht die geringste Heilungstendenz zeigt, sondern sich im Gegenteil anscheinend rascher als vorher auszubreiten beginnt. Auch eine in verstärktem Maasse vorgenommene Be- strahlung vermag daran nichts zu ändern. Wir waren geneigt, solche Misserfolge zuerst auf einen Fehler in der Technik zurück- zuführen, aber es bleiben doch, wie das besonders bei der Be- strahlung von Careinomen änderer Organe vorkommt, noch Fälle übrig, bei denen man feststellen muss, dass sich die mensch- lichen Krebse desselben Organes und derselben mikro- skopischen Struktur therapeutisch völlig verschieden verhalten können. M. H., hiermit komme ich auf die nichtoperative Behand- lung maligner, tiefsitzender Tumoren zu sprechen, die ich zusammen mit Herrn Kollegen Lange von der Hinsberg’schen Klinik durchgeführt habe. Ueber die Resultate wird Ihnen gleich Herr Kollege Lange berichten, nur über die Technik einige Worte: Es handelte sich um ziemlich schwer zugängliche, meist inoperable Tumoren, bei denen eine Beeinflussung durch die Strahlentherapie allein von vornherein nicht zu erwarten war. Wir haben demgemäss möglichst alle uns zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden mit der Strahlentherapie kombiniert und I. Abteilung. Medizinische Sektion. 115 dieses Verfahren bei jedem Krebskranken, wenn irgend möglich, durchgeführt. So wurde der Krebs z. B, wenn er operabel war, erst operiert und das Öperationsfeld hinterher energisch bestrahlt. Oder: Der völlig inoperable Tumor wurde durch Be- strahlung zu verkleinern gesucht, dann operiert und hinterher nochmals bestrahlt. Die Bestrahlung geschah mit harten, durch 3 mm, in letzter Zeit auch durch 4 mm dicke Aluminiumfilter geschickte Röntgen- strahlen in einer Focus-Hautdistanz von 20 cm, wobei jede Stelle 10—20X auf einmal erhielt.e Die Röntgenbestrahlung konnte nach 2 bis 3 Wochen, spätestens nach 4 Wochen ohne Schädigung für die Haut wiederholt werden. Auf die Röntgen- bestrahlung folgte oft eine Mesothoriumbestrahlung derart, dass wir die uns zur Verfügung stehenden drei Kapseln von im ganzen 53 mg in die Wunde legten. Die Filtrierung der Meso- thoriumstrahlen geschah durch 0,5 mm Silber, in letzter Zeit durch 0,5 mm Messing und Nickel. Da nun 53 mg für solche Zwecke leider nur eine minimale Quantität darstellten und uns für aus- gedehntere Bestrahlungen meist nur die Nachtzeit zur Verfügung stand, wurde das Mesothorium ab und zu auch, wenn keine Rück- sicht auf eine eventuelle Hautschädigung zu nehmen war, unge- filtert eingelegt und mehrere Nächte liegen gelassen. Ich möchte an dieser Stelle einige Worte zu dem Simon- schen Vortrage bemerken, welcher vielleicht in einem Punkte zu einer missverständlichen Auffassung führen könnte. Herr Simon sprach den Röntgenstrahlen eine grössere Tiefenwirkung ab und sagte dann weiter, die Strahlentherapie hätte nur eine lokale Wirkung. Im ersten Punkte muss ich ihm widersprechen, da die Tiefenwirkung der Röntgenstrahlen, besonders der stark gefilterten, eine ziemlich erhebliche sein kann, was schon aus der Durch- strahlung des Abdomens oder des Schädels für photographische Zwecke hervorgeht. Allerdings sind die den Röntgenstrahlen analogen 7-Strahlen des Mesothoriums dnrchdringender. Im zweiten Punkte stimme ich mit Herrn Simon überein, nämlich, dass die Wirkung der Strahlentherapie eine lokale ist, d. h. wenn er meint, dass sie nicht nur unmittelbar am Orte der Applikation zustande kommt, sondern überhaupt an allen Stellen, wo eine Absorption stattfindet. Applikations- und Ab- sorptionsort können natürlich je nach der Tiefenwirkung der aus- gesandten Strahlen mehr oder weniger weit voneinander entfernt liegen. Wenn es also gelänge — was theoretisch nicht ausge- schlossen ist — die Strahlen überall dort in der Tiefe zur Ab- sorption zu bringen, wo man bestrahlt, so stände ja nichts im Wege, ein beliebig grosses Feld, dem Weg der Metastasenbildung nachgehend, lückenlos zu bestrahlen. Dies scheitert leider prak- tisch heute noch teils an der Schwierigkeit, Röntgen- oder y-Strahlen in genügender Menge in der Tiefe zur Absorption zu bringen, teils an der Unvollkommenheit der Technik, ganz ab- gesehen davon, dass wir den Sitz der Metastasen klinisch sehr oft gar nicht erkennen können. 8* 116 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. Es wäre andererseits auch denkbar, gleichzeitig zum Schutz der gesunden, lebenswichtigen, leicht lädierbaren Drüsenorgane, die Tumorzellen selbst gegen die eindringende Strahlung empfindlicher zu machen, ich denke hier, an die Sensibili- sierung durch gewisse photodynamische Stoffe oder Metallverbin- dungen. Diese letzten haben ja, wie bereits Herr Simon aus- geführt hat, manchmal sogar selbst tumorheilende Wirkung, wie z. B. die Arsenverbindungen, und so haben wir, von diesen Ge- sichtspunkten ausgehend, unseren Patienten u. a. auch intra- venöse Arsacetineinspritzungen verabfolgt. Auch Thorium X, ein Zerfallsprodukt des Mesothoriums, haben wir manchen Patienten intravenös injiziert, und zwar 1000 e. s. E. pro Injektion, in wöchentlichen Pausen, im ganzen 4000—6000 e. s. E. Von Thorium X allein haben wir keinerlei Heilwirkung auf Tumoren konstatieren können, in Verbindung mit den anderen Behandlungsmethoden jedoch schien es uns ein ganz gutes Unter- stützungsmittel zu sein. (Demonstration von Lichtbildern und Kranken.) sehlesische beselchal für valerlänisch Kl, Ta 91. | T. ee Jahresbericht. Medizin. 1913. b. nssenische Sektion. Qu & Nee 3 Ua 1 er) Sitzung der hygienischen Sektion im Jahre 1913. Sitzung vom 28. Februar 1912. Hr. Prausnitz: Die neueren Methoden der Isolierung ansteckender Kranker, ins- besondere nach den Erfahrungen Englands. Die Isolierung ansteckender Kranker erfolgt in England vorwiegend in besonderen, meist kommunalen Isolierspitälern. In London wurden z. B. im Jahre 1911 etwa S4 pCt. aller gemeldeten Fälle ansteckender Krankheiten in den entsprechenden Spitälern behandelt. Für die Mehr- zahl der dort behandelten Fälle genügt die Bereithaltung besonderer Pavillons für die hauptsächlichen Infektionskrankheiten (wie Scharlach, Diphtherie usw.). Indessen erfordert das nicht seltene Vorkommen von Fehldiagnosen seitens der einsendenden Aerzte sowie von Mischinfektionen besondere Maassregeln für derartige Fälle. Hierfür kommen zwei Ver- fahren in Betracht: einmal die verschiedenen Formen des Boxen- systems, wobei durch mehr oder weniger weitgehende räumliche Trennung der einzelnen Patienten voneinander die Luftübertragung durch Tröpfeben, Stäubchen usw. vermieden wird. Diesem System steht gegen- über die sogenannte Bettisolierung, bei der die Kranken zwar in gemeinsamen Räumen liegen, aber durch peinlichste Durchführung der fortlaufenden Desinfektion am Krankenbett vor Kontaktinfektion behütet werden, während gleichzeitig durch besonders intensive Lüftung eine Verdünnung der in der Luft schwebenden Keime bezweckt wird. Bei dem Boxensystem werden die einzelnen Krankenzellen entweder nach dem Lesage’schen Verfahren durch halbhohe Seheidewände im unteren Teile oder nach dem Vorgehen des Höpital Pasteur vermittels durchgehender Glaswände völlig voneinander abgetrennt. Ein Nachteil dieser Methoden scheint insbesondere in der Schwierigkeit ausreichender Lüftung der Boxen zu liegen. In den Londoner Krankenhäusern hat sich das Boxensystem nicht besonders gut bewährt. Die noch so sorgfältige Isolierung der den Patienten umgebenden Luft genügt demnach anscheinend nicht, um mit Sicherheit eine In- fektionsübertragung zu verhüten. Es lag nahe, die hierbei auftretenden Versager auf kleine Fehler des Personals zurückzuführen, und anderer- seits der Luftübertragung bei den in Frage kommenden Krankheiten eine untergeordnete Rolle zuzuschreiben. Von diesem Gesichtspunkte ging Biernatzki aus, als er eine Isolierung einzelner Kranker im all- gemeinen Krankensaal durch eine einfache Barriere ausführte: mit Er- folg, denn Uebertragungen blieben aus. Wesentlich weiter gingen auf diesem Wege Rundle und Burton in Liverpool, die an allen möglichen Infektionskrankheiten leidende sowie auch nichtinfektiöse Patienten in gemeinsamen Räumen behandeln. Das einzige Verfahren, wodurch sie J Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur. sich bei dieser „Bettisolierung“ gegen Krankheitsübertragung schützen, besteht in einer äusserst rigorosen Durchführung der laufenden Des- infektion und peinlichster Sauberkeit. Ihre Methode ist denkbar einfach und hat in 2 Jahren, wobei 741 Patienten (davon 527 infektiöse) den Sammelpavillon passierten, nur zwei Versager gezeigt. In beiden Fällen handelte es sich um Scharlach. Auffallend war das Fehlen der Ueber- tragung von Varicellen, Keuchhusten und Masern. Die Erklärung der hierbei erzielten Resultate ist wohl in der aus- gezeichneten Beschaffenheit des Pfliegepersonals zu suchen. Die Erfolge der englischen Kollegen dürften auch für die deutschen Verhältnisse von Interesse sein und zu einer Nachprüfung hierzulande Anregung bieten. Versuche, in dieser Richtung die Schulung und Zuverlässigkeit unseres Pflegepersonals zu heben, dürften sich sehr empfehlen. (Der Vortrag ist ausführlich erschienen in der D. Vrtljschr. f£. Gesdhtspfl., 1913, Bd. 45, H. 3.) Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. a | Ver eichnt een sämtliche Ton ik Schles, Gesellschaft für vaterl, Caltur gen Serie. 1. Einzelne Schriften. ® Zwei Reden gehalten von dem Reg.-Quartiermstr. Müller und Prof. Reiche bei. der een Feier des Stiftungstages der Gesellschaft zur Be tue der. Naturkunde und Industrie Schlesiens am 17. Dezemher 1804. 80%. 48 Seiten. An die Mitglieder der Gesellschaft zur aan der Naturkunde und Industrie Schlesiens. und an sämtliche Schlesier, von Rector Reiche, 1809, 89, 28. Oeffentlicher Aktus der Schles, Gesellschaft f. vaterl. Cultur, gehalten am 19. Dezbr. 1810 zur Feier be ‘ ihres Stiftungsfestes,. 83%, 408. Joh. George Thomas, Handb. der Literaturgesch. V, Schles,, 1824. 80, 312 S., gekrönte Preisschrift. Beiträge zur Entomologie, verfasst von den Mitgliedern der entom, ‘Sektion, mit 17 Kpft. 1829. 80, Die schles. Bibliothek der Schles. Gesellschaft v.K. G. Nowack. 30 1855 oder später erschienen. Denkschrift der Schles. Gesellschaft zu ihrem 50jähr. Bestehen, enthaltend die Geschichte der Schles. Gesellschaft und Beiträge zur Natur- und Geschichtskunde Schleatens: 1853. nr 10 lithogr. Tafeln. 40, 282 8. Dr. J. A. Hoennicke, Die Mineralquellen der Provinz Schlesien. 1857. 8°. Dr. J. & Gaile, Grundzüge der schles, Klimatologie, 1857. 40. 197 8.03% Dr. J. Kühn, Die zweckmäßigste Ernährung des Rindviehs, 1859. 3% 242 nn en Preisschrift, \ Dr. H. Lebert, Klinik des akuten Gelenkrheumatismus, Gratulationsschrift zum 60jähr. Doktor- ; ‚Jubiläum des Geh. San.-Rats Dr. Ant. Kro cker, Erlangen 1860. 80, 149 8. $ Dr. Ferd. Römer, Die tossile Fauna. der silurischen Diluvialgeschiebe von Sadewitz bei Oels in Schlesien, mit 6 lithogr. und 2 Kupfer-Tafeln, 1861. 40. 10. 8. Lieder zum Stittungsfeste der entomologisehen und botanischen Sektion den Schles. Gesellschaft, ‚als Manuskript gedruckt. 1867. 80. 92 S. Verzeichnis der in den Schriften der Schles. Gesellschaft von 1804—1863 inkl. enthaltenen Aufsätze in alphab, Ordnung von Letzner. 1868. 8%, Fortsetzung der in den Schriften der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur von 1864 bis 1876 inkl, enthaltenen Aufsätze, geordnet nach den Verfassern in alphab. Ordn. von Dr. Schneider. General-Sachregister der in den Schriften der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur von 1804 = 1876 inel. enthaltenen Aufsätze, geordnet in alphab. Folge von Dr. Schneider. Die Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur. I. Die Bu le un 8). I. Geschichte i ° der Gesellschaft (149 8.). Breslau 1904. : : \ 106 8, "s gekr. Preisschrift 2. Periodische Schriften. Verbandluugön der Gesellschaft £. Naturkunde u Industrie Schlesiens. 80. Bd. a Hit, 1, 218 S., Hit. 2, ; 112 S. 1806. Desgl. Bd. II, 1. Heft. 1807, Correspondenzblatt der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur, 40, Jahrg. I, 1810, 96 S. Jahrg, III, 1812. 96 S. . | Jahrg. V, 1814, Hit, 1u. 2je 96 8. „IE 1810, do, > IV, 1813, Hft.1 u.2je968.| „ VI, ı1s15, Hft. 1, 96.8. Correspondenz. der Schles. Gesellschaft 3 vaterl. Cultur. 80% Bd. TI, 362 8. mit Abbild, 1819 u. 1820, in Ce Bd. II (Heft I), 80 8. mit Abbild., 1820, Bulletin x BRTUED SEHEN EU: Sektion der Schles. ee i—11, 1822, 80. io, 1834. 80, Übersicht der Arbeiten (Berichte sämtl. Sectionen) % Vernderungen ’der Schl. Ges, % vat. Cultur: Jahre, 1324. 55 Seiten 49, ta 1860. 202 Seiten 49. Jahrg. 1890. VII u. 329 Seiten 80- 1825. 64 . 40, 1861. 148 = 80, nebst n. Erg.-Ieft 272Seit. 8%. » 18936. 65 » 40, Abhandl. 492 Seiten. ». 1891. VI, u. 481 Seiten 89. . 1827. 79 « 49, ; «: 1862. 162 Seiten 80%. nebst . n.Erg.-Heft 928eit, 80% » 1828. 97 ° 40, = Abhandl. 416 Seiten. | _- 1892, VII u. 361 Seiten 8%. « 1829. 72 » 49, « 1863. 156 Seiten 80, - n. Erg.-Heft 160 8. 80. »...1830. 95 . 49, . 1864. 266 Seiten 8%. nebst| -. 1898. VII u. 392 Seiten 89, »..1831, 96 . 40, Abhandl. 266 Seiten. ». 1894. VII u. 561 Seiten 80, - 1832.18 -» 40, 5 1865. 218 Seiten 8%. nebst ). n. Erg.-Heft 265 S. 80, « 1839. 106 . 40, Abhandl. 69 Seiten. » 1895. VII u. 560 Seiten 80, » 1834. 143 « 40, « 1866. 267 Seiten 89, nebst » n. Erg.-Heft57 Seit. 80, : 185.16 - 49, Abhandl. 90 Seiten. | - 1896. VIII u.4748,80n. Erg,- . 1836: 157 “, 49, D 1867. 275 Seiten 80%. nebst A Heft V, 56 Seiten 80, : 1897. 191 - 40, ... Abhandl. 191 Seiten. «1897. VIILU.4868. 80 n.Erg- » 1838, 184 ” 40, . 1868. 300 Seiten 80, nebst Heft VI, 64 Seiten 80. » 1839. 226 D 40, ; Abhandl. 447 Seiten. « 1898. VIII u. ’492 Seiten 80, ». 1840. 151 » 48, » 1869. 371 Seiten 80%, nebst » 1899. VIIu. 3808,89, n. Erg.- » 1841. 188 . 40, Abhandl. 236 Seiten. Heft VIL 85 Seiten 8%, » 1842. 226 . >» 40, 1870. 318 Seiten 8%, nebst . 1900. VEIT u. 668 Seiten 80, « 1843. 272 40, nebst Abhandl. 85 Seiten. n. Erg.-Heit 36 Seit. 80, 41 S: SEEN aN Beob. 1871. 357 8.80, n. Abh. 2528. 1901. IX u. 562 Seiten 80, 1844. 232 Seiten 40, 1845. 165 . 40, nebst 52 8. meteorol. Beob. 1846. 320 Seiten 49%, nebst 74 8. meteorol.Beob. 1847 404 Seiten 40, nebst 44 8. meteorol. Beob, 1872. 350 8.80, n. Abh. 1718. 1873. 287 8.80. n. Abh. 1488, 1374. 294 Seiten, 80, 1875. 326 - 80, 1876.34 >» 80, 1877.48 -» 8, 1878. 31 > 80. 1902. VIII u. 564 Seiten 89, 1903. VIII u, 601 Seiten 80. 1904. X u. 580 8. 80%. n. Erg.- ; HeftVIIL 152 Seiten 80. 1905. VIT u. 730 Seiten 80, 1906. VIIl u.664 8.80 n. Erg.- Heft VIII, 186 Seit. 80, .: 1848. 248 Seiten 40, 1879. XX,. u. 413 Seiten 80, « 1907. X und 600 Seiten 89, » 1849. Abth.I, 180 8., IL, 398. 1880.XVI u.291 » 80, » 1908. XI und 650 Seiten 80, n.449. meteorol. eob. 1831.XVI u.44 . 80, » 1909. X und 844 Seiten 89, 1850. Abth. I, 2048, II, 368. 1882. XXiV W432 ..380 . 1910. Bd. I: VI u. 332 80, -» 1851. 194 Seiten 4), 1883. XVI 413 . 8, » II: VII u. 472 8, « .1852, 212 » 40, : 1884, XLI u.402 OD 80, . 1911. Bd.I: VI u. 518 8%, 1858, 345 » 40, 1885. XVI u.44 Seiten 80, - II: VIII u. 210 80, -». 1854. 288 » 40, N n. Erg.-Heft, 121 8. 80, ce 1912. Bd.I: VI u. 602 80, » 1855. 286 D 40, «. 1886. XL u. 327 Seiten 80, « II: VI u. 250 80, 836,242, : 140, | n. Erg.-Heft 1918. 8.| - 1913. Bd.I: VI u. 954 80. »..1857. 347 D 40, \ D 1887, XLII u, 411 Seiten 80, e II: VIlu 200 80, 1858. 224 . 4, . 1888. XX u. 317 Seiten 80, + 5x : 1859.22 - 8, «= 1889. XLIV u. 287 Seiten 80. er Mitglieder-Verzeichnis in 8° von 1805 ang seit 1810 alle zwei Jahre erschienen, „MR u New York Botanical Garden Libra NN | 3 5185 00263 6 ea ee Eee re buradhras u - s h h wre De} seh ne 5 ira 5 y E det Aa ro : Dr bagsargeaener" er Kaca kn rinueng h a UNERRRNTERITERLT nn rer INTERRBURRERTTTE LTE EZ ET Lakesel I DRDUTWURETITLE LE Dasiermtete bee ) E rennen a heteleimIabeDeeserbeh an Dseereen, je . BURVTEIFT nie ET aeschebehehe f eat Lumen Eee ERTFRPERENT FEN nn ERORERTT IN Le nee ER UNUNUN ehrleheh Bester nern NE En Eis eat DEP 277 arm MINERSIEI ET, TEN DOREEN ET rn PRREPER PETE TEERU nn nat kahl % E 4 . 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