X*^. i •' '%' ^:^f^' ^•M ^^ ^r?v^.'^-^^t ^*^ . ^^ ^i^^^fe •r% y- ^K fi'&f 5ia ;c^ i ^ -.^' ^.•^ \»^" ^^^^ M Die Autoren sind allein verantwortlich für den Inhalt ihrer Mitteilungen. Von Abhandlungen und Sitzungsberichten erhalten die Autoren auf Verlangen 25 Separat- Abzüge gratis; eine grössere Zahl gegen Erstattung der Herstellungskosten. Die verehrlichen Mitglieder des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg sind höflich ersucht, behufs richtiger Zusendung der „Jahreshefte" der Verlagshandlung von jedem Wechsel ihres Wohnortes Anzeige zu machen. Einband-Decken zu den Jahresheften. Auf mehrfaches Verlangen haben wir zu den Jahresheften Einband-Deeken in brauner Leinwand ä 70 Pf. herstellen lassen, und zwar von Jahrgang 1884 an (mit Beginn des vergrösserten Formates). Vom Jahrgang 1898 an können die Jahreshefte gleich gebunden zum Preise von M. 6. — ■ geliefert werden. Falls Sie die Decken zu haben wünschen, so bitte gef. zu verlangen. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch). K HOrBUCHDRUCKERE) 7U CUTTENBCRG. CAftL GRUNINGER, STUTTGART. JäÖRESHEFTE jr^ J) des Vereins für ^ vaterländische Naturkunde m Württemberg. Herausgegeben von dessen Redaktionskommission Prof, Dr. Eb. Fraas, Prof. Dr. C. Hell, Prof. Dr. 0. Kirchner, Prof. Dr. K. Lampert, Prof. Dr. A. Schmidt. VIERUNDFUNFZIGSTER JAHRGANG. Mit 9 Tafeln. — 'H'^'H— Stuttgart. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Nägele). 1898. r ^ ^T^aur^^i^'^ JÄHRESHEFTE des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg. Herausgegeben von dessen Redaktionskommission Prof. Dr. Eb. Fraas, Prof. Dr. C. Hell, Prof. Dr. 0. Kirchner, Prof. Dr. K. Lampert, Prof. Dr. Aug. Schmidt. VIERUNDFUNFZIGSTER JAHRGANG. Mit 9 Tafeln. -o-9-=C§<.^H|>-9.^- Stuttgart. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Nägele). 1898. Hofbuclidruckerei Zu Gutenberg (Carl Grüninger) in Stuttgart. Inhalt. I. Angelegenheiten des Vereins. Bericht über die 52. Generalversammlung am 24. Juni 1897 in Reutlingen, Von Prof. Dr. Kurt Lampert. S. I. Rechenscliaftsbericht für das Jahr 1896—1897. S. II. Wahl des Vorstandes des Ausschusses. S. III, Zuwachsverzeichnisse der Sammlungen des Vereins: A. Zoologische Sammlung. S. X. B. Botanische Sammlung. S. XIII. C. Mineralogisch-palaeontologische Sammlung. S. XV. D. Vereinshibliothek. S. XVII. Rechnungsabschluss für das Jahr 1896—1897. S. XXVI. Nekrolog des Direktors Dr. 0. v. Fr aas. S. XXIX. j, „ W. Möricke von G. Steinmann. S. XXXIV. „ „ Buchhändlers Ed. Koch von Pfarrer Dr. Engel. XXXVIH. Vorträge bei der Generalversammlung. Engel, Pfarrer Dr. in Eislingen: Petrefakten in Petrefakten. S. LH. Gussmann, Pfarrer in Eningen: Der Braune Jura von Eningen und Umgebung. S. XLV. Sitzungsberichte. Wissenschaftliche Abende des Vereins in Stuttgart. Sitzung vom 14. Oktober 1897. Lampert, Prof. Dr.: Wassertiere im Winter. S. LXIII. — Fr aas, Prof. Dr. E.: Über einige interessante Verwitterungs- erscheinungen. S. LXIV. Sitzung vom 11. November 1897. Cranz, Prof. Dr. C: Über Geschossabweichungen. S. LXV. — Eichler, Kustos: Steinnüsse aus der Südsee. S. LXVI. Sitzung vom 9. Dezember 1897. Vosseier, Dr.: Über biologische Beobach- tungen auf seiner algerischen Reise 1897. S. LXVII. Sitzung vom 13. Januar 1898. Fr aas, Prof. Dr. : Über Krankheitserscheinungen an fossilen Crinoiden. S. LXX. — Klunzinger, Prof. Dr.: Über das Formalin und seine konservierenden Eigenschaften. S. LXX. Sitzung vom 10. Februar 1898. Kirchner, Prof. Dr.: Über die Feige und ihre Befruchtung. LXXIL — Voss el er, Dr.: Über Schildläuse. S. LXXIV. Sitzung vom 29. Februar 1898. Koch, Prof. Dr. R. : Über elektrische Schwin- gungen und die Telegraphie ohne Draht. S. LXXVI. Sitzung vom 10. März 1898. Reuss, Dr. A.: Über Schusswirkung der Klein- kaliber-Geschosse auf den menschlichen Körper. S. LXXIX. — Hof mann, Prof. : Statistisches über die Haustiere in Württemberg. S. LXXX. IV Inhalt. OberschwäbischerZweigvercin. Sitzimg in Aulendorf am 2. Februar 1898. Kreuser, Direktor: Über einen Gräberfund beim Zellerhof. S. LXXXI. — Lampert, Prof. Dr.: Über die Saugwürmer. S. LXXXII. S c h w a r z w ä 1 d e r Z w e i g v e r e i n. Sitzung in Tübingen am 21. Dezember 1897. Hesse, Dr.: Über die Sehorgane des Amphioxus. S. LXXXIII. — Koken, Prof. Dr.: Über Ehamphorhyn- chus ; ferner : Über den tertiären Menschen. S. LXXXTV. — 0 o r r e n s , Dr. : Über die ungeschlechtliche Vermehrung der Laubmoose. S. LXXXV. II. Abhandlungen. Branco, Prof. Dr. W. : Die menschenähnlichen Zähne aus dem Bohnerz der schwäbischen Alb. I. Die bisher bekannten fossilen Reste menschenähn- licher Affen. IL Die im Bohnerze der schwäbischen Alb gefundenen Zähne. III. Die Frage der Abstammung des Menschen. Mit Taf. I— III. S. 1. Hü eher, Dr. Theodor, Oberstabsarzt: Synopsis der deutschen Blindwanzen (Hemiptera heteroptera, Farn. Capsidae). IIL Teil. S. 228. Philippi, Dr. E. : Die Fauna des unteren Trigonodus-Dolomits vom Hühner- feld bei Schwieberdingen und des sogenannten „Cannstatter Kreidemergels ". Mit Taf. IV— IX. S. 146. Rumm, Dr. C. : Die Giftwirkung der gegen die Peronospora viticola verwendeten Kupfervitriol-Kalkmischung (Bordeaux-Brühe) auf Spirogyra longata. S. 322. Stettncr, IL: Ein Profil durch den Hauptmuschelkalk bei Vaihingen a. d. Enz. S. 303. Erdbeben-Kommission. Bericht über die vom 1. März 1897 bis 1. 3Iärz 1898 in Württemberg und Hohen- zoUern beobachteten Erdbeben. S. 328. Kleinere Mitteilungen. Diez, Rud. : Eurycera Teucrii Host. Eine für Deutschland neue Wanze. S. 329. Holder, Dr. v., Obermedizinalrat: Eine Erwiderung auf eine poetische Licenz des Pfarrer Dr. Engel. S. 330. Eichler, J.: Picoa Carthusiana Tulasne im Schwarzwald. S. 331. ÄUG 2 nm I. Angelegenheiten des Vereins. Bericht über die zweiundfiinfzigste Greneralversammluiig am 24. Juni 1897 in Reutlingen. Von Prof. Dr. Kurt Lampert. Ein sonniger Johannisfeiertag , der echte Sommertag, führte eine bedeutende Anzahl der Mitglieder des Vereins in die alte Reichs- stadt Reutlingen. Zu den vielen Stuttgartern gesellten sich unter- wegs noch zahlreiche Freunde, so dass, als auch noch der Zug von Tübingen mehrere Mitglieder gebracht hatte , es eine stattliche An- zahl war, die sich zum Versammlungslokal, der Bundeshalle, begab, wo bereits zahlreiche Herren aus Reutlingen sich eingefunden hatten. Der grosse Saal hatte in reicher Pflanzendekoration ein festliches Gewand angelegt, das besonders Kunstgärtner Schlegel zu danken ist. Altem Brauch gemäss war auch wieder eine Ausstellung naturhistorischer Gegenstände eingerichtet, die von dem Sammeleifer in Reutlingen beredtes Zeugnis ablegte. Vor allem mochten wir hervorheben die Sammlung von Käfern und Petrefakten von Lehrer Z wiesele, die Käfersammlung von Prof. D i e z , die Schmetterlings- sammlung von Kaufmann Göbel, die Sammlung von Puppen und lebenden Raupen von Lehrer Kühner, die Sammlung von Petre- fakten aus dem braunen Jura von Pfarrer Gussmann. Lebende Reptilien, darunter auch eine Kreuzotter, hatte Lehrer Koch von Auingen ausgestellt, Hildebrand eine schöne Pentacrlnus-F\a,ite und Binder von Ehingen neue Funde von Nusplingen. Die Versammlung wurde eröffnet durch den 1. Vorsitzenden, Prof. Dr. Kirchner. Als Schriftführer fungierten Prof. Dr. A. Schmidt und Prof. Dr. E. Fr aas. Im Namen der Stadt und in Vertretung des Oberbürgermeisters begrüsste sodann Apotheker Finckh die Jalireshefta d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. a — II — Anwesenden, während Dr. Steinacker als Vorsitzender des natur- wissenschaftlichen Vereins Reutlingen der Freude Ausdruck gab, dass Reutlingen als Ort der Generalversammlung gewählt worden sei. Hierauf verlas Prof. Dr. Lampert folgenden Rechenschafts- bericht für das Jahr 1896/97. Reclienscliaftsbericht für das Jahr 1896/97. Über das abgelaufene Vereinsjahr 1896/97 habe ich die Ehre Ihnen folgenden Bericht zu erstatten : Die Generalversammlung des vorigen Jahres fand, wie Sie wissen, in Stuttgart statt und wir hatten das Vergnügen, zu den Stuttgarter Mitgliedern auch eine ziemliche Anzahl Freunde von auswärts bei uns zu begrüssen. Die dankenswerte Unterstützung mehrerer Mit- glieder hatte eine sehr hübsche Ausstellung ermöglicht, über welche Sie, wie auch über die Vorträge, die bei der Generalversammlung gehalten worden, Näheres in dem gedruckten Bericht finden werden. Eine wesentliche Aufgabe der Generalversammlung bestand in der Beratung der neuen Statuten, welche im ganzen in der Fassung angenommen wurden, wie sie aus der Kommission hervorgegangen und Ihnen seiner Zeit zur Kenntnisnahme und zu eventuellen Vor- schlägen zugestellt wurden. Wir wollen hoffen, dass auch unter den neuen Statuten, die übrigens keine durchgreifende Änderung zeigen, der Verein fernerhin gedeihe und wachse. Mit Ungeduld werden Sie das Erscheinen des Jahresheftes er- wartet haben und ich muss in diesem Punkt allerdings sehr an Ihre Nachsicht appellieren ; die löbliche Absicht, zu sparen, Hess uns zu- nächst auf nur wenig Manuskript rechnen, allein am Ende stellte sich heraus, dass das Heft doch zu dünn geworden wäre und so musste noch an die Beschaffung weiterer Manuskripte gegangen werden, was auch, vor allem dank der Bereitwilligkeit Prof. Kirch- ner's, gelang. Das Heft liegt nun gedruckt vor und wird in diesen Tagen zum Versand gelangen. In demselben werden Sie neben einer Reihe Abhandlungen aus den verschiedensten Gebieten auch die Sitzungsberichte über die wissenschaftlichen Abende in Stuttgart, die Sitzungen des ober- schwäbischen Zweigvereins und des Schwarzwaldzweigvereins finden und hieraus erkennen , dass in diesen Versammlungen ein reges Interesse herrscht. Im ganzen wurden auf allen diesen Versamm- lungen 34 Vorträge gehalten resp. Mitteilungen gemacht; es be- teiligten sich hieran und an der folgenden Diskussion 45 Redner. — III — Die starke Verspätung in der Ausgabe des Heftes hat den Missstand im Gefolge , dass der Kassier noch keinen definitiven Rechnungsabschluss machen konnte, doch kann ich Ihnen einstweilen versichern , dass der Abschluss ein zufriedenstellender sein Mrird. Nach seitheriger Übung bitte ich Sie, einen Herrn mit der Prüfung und Erteilung der Entlastung zu betrauen und möchte hierzu Herrn Dr. Beck vorschlagen. In der Zahl der Mitglieder ist der Verein wiederum etwas, wenn auch leider nur wenig gestiegen, nämlich um fünf Mitglieder, neu eingetreten sind 41 Mitglieder, welcher Ziffer aber die Verlust- zahl 36 infolge Austritts und Tod gegenübersteht. Der Tod hat wiederum viele und schmerzliche Lücken gerissen. In erster Linie ist es an diesem Platz meine Pflicht, nochmals unseres lieben Hof- rats Seyffardt mit den wärmsten Worten des Dankes in der Er- innerung zu gedenken. Volle 30 Jahre, von 1860 bis 1890, hat er das Amt des Kassiers des Vereins bekleidet, und Sie wissen alle, in welch trefflicher W^eise der unermüdlich thätige Mann für unsere Finanzen besorgt war, wie er sich die pünktlichste Erfüllung dieses freiwilligen und wahrlich nicht mühelosen Ehrenamtes zur Pflicht machte. Von der leider grossen Zahl der Mitglieder, die der Verein durch den Tod verlor, sei besonders noch des Herrn Prof. Dr. v. Wolff gedacht, von dem die Jahreshefte manchen wichtigen Beitrag ent- halten, und des erst jüngst verstorbenen Oberförsters Dr. Frank, in welchem besonders der oberschwäbische Zweigverein ein eifriges Mitglied betrauert. Dass der Verein sich der Anteilnahme der Mitglieder erfreut, dürfen wir auch wieder aus mehreren Zuwendungen ersehen, die den Sammlungen und der Bibliothek von Vereinsmitgliedern zu teil wurden. Ihre Namen finden Sie bei den Zuvvachsverzeichnissen zusammengestellt. Sie werden mir beistimmen , wenn ich nochmals allen diesen Gebern den besten Dank des Vereins ausspreche. Gegen den Rechenschaftsbericht wird kein Widerspruch erhoben. Bei der sodann erfolgten Wahl des Vorstandes und des Ausschusses ergab sich folgendes Resultat: erster Vorstand Prof. Dr. Kirchner-Hohenheim, zweiter Vorstand Prof. Dr. Lamp er t- Stuttgart. — IV — Bei der Wahl des Ausschusses wird die ausscheidende Hälfte wiedergewählt. Der Ausschuss setzt sich demgemäss folgendermassen zusammen : Neugewählte Hälfte (Ausschussmitglieder bis 24. Juni 1899): Bergratsdirektor Dr. K. v. Baur von Stuttgart, Prof. Dr. H. Hell von Stuttgart, Prof. Dr. B. Klunzinger von Stuttgart, Prof. Dr. A. Leuze von Stuttgart, Geh. Hofrat Prof. Dr. 0. Schmidt von Stuttgart, Sanitätsrat Dr. W. Steudel von Stuttgart. Im Ausschuss bleiben zurück (Ausschussmitglieder bis 24. Juni 1898): Dr. C. Beck von Stuttgart, Prof. Dr. W. v. Branco von Hohenheim, Präsident A. v. Dorr er von Stuttgart, Prof. Dr. Th. Eimer von Tübingen, Buchhändler E. Koch von Stuttgart, Prof. Dr. A. Schmidt von Stuttgart, Prof. Dr. A. Sigel von Stuttgart. Statutengemäss wurden später vom Ausschuss gewählt als Sekretäre: Prof. Dr. A. Schmidt, Prof. Dr. E. Fr aas. Kustoden der Sammlungen, und als solche Ausschuss- mitglieder : Prof. Dr. K. Lampert, Prof. Dr. E. Fr aas, Kustos J. Eichler. Als Bibliothekar: Kustos J. Eichler. Als Kassier: Buchhändler E. Koch, und nach dessen Tod Dr. C. Beck. Als Rechnungsprüfer: Dr. C. Beck, später Hofrat Clessler. Für die nächste Generalversammlung wurde allgemein gewünscht, wieder einmal in das Unterland zu gehen; es wurde Öhringen ins Auge gefasst, jedoch dem Ausschuss freie Hand gelassen, eine andere Bestimmung zu treffen. _ V — Nach Erledigung dieser geschäftlichen Angelegenheiten be- gannen die Vorträge. Den ersten derselben hielt Pfarrer Gussmann von Eningen über „Der braune Jura von Eningen und Umgebung". (Der Vortrag findet sich im vorliegenden Jahresheft abgedruckt.) Den schwarzen Jura oder Lias führte ein Vortrag von Lehrer Z wiesele vor, aus dem hervorging, wie Reuthngens Um- gebung reich ist an Fundplätzen aus allen sechs Stufen dieser geo- logischen Periode. Die umfassende, im Saal aufgestellte Sammlung von Fundstücken, die meistens das Eigentum des Vortragenden waren, bewies, was Sammeleifer hier zusammenzubringen vermag. Der Redner betonte in seinem Vortrag stets auch die praktische Verwertbarkeit der einzelnen Schichten, so besonders des Posidonien- schiefers , dessen Gehalt an bituminösen Kohlenwasserstoffen (etwa 12 7o) zu Begründung der Schieferölfabrik Reutlingen Veranlassung gab, die freilich später der Einführung des Petroleums unterliegen musste. Als dritter Redner schilderte Prof. Dr. E. Fr aas seine Streif- züge in der ägyptisch-arabischen Wüste, welche er im Frühjahr in Begleitung von Dr. Mangold von Stuttgart gemacht. In Kairo schon trat dem Redner das afrikanische Leben in seiner ganzen Farbenpracht und sinnverwirrenden Mannigfaltigkeit entgegen. Schon am zweiten Tag ging es hinaus in die Wüste, wobei sich der Vortragende der Begleitung Dr. Seh weinfurth's zu erfreuen hatte, der mit grösster Liebenswürdigkeit den Führer machte. Die Auf- gaben und Gesichtspunkte , die sich dem Geologen in der Wüste entgegendrängen, sind ganz andere, als bei uns; während bei uns das Auge des Geologen hauptsächlich palaeontologisch geübt wird, sind in der Wüste die Petrefakten zwar auch vorhanden, allein man sammelt nur, soweit es nötig ist zum Erkennen der Schichten; was in der Wüste immer und immer wieder den Geologen fesselt, ist ein Problem der dynamischen Geologie, das Problem der Wüsten- bildung. In erster Linie sind zu berücksichtigen die Trockenheit und die Hitze , und als Hauptfaktor, der in grösstem Massstab ein- wirkt, ist der Wind zu betrachten. In fesselnder Sprache schildert der Vortragende die Poesie eines Rittes in die Wüste ; in sausendem Eselsritt geht es durch den letzten bewohnten Ort, gefolgt von schreienden Eselsjungen, durch die fruchtbare Zone des Nilthals hinein in die Wüste. Der Kontrast ist verblüffend; reiches, frucht- bares Schwemmland, des Nils, und ein Schritt weiter, die nackte, kahle Wüste, nur Sand und Stein. Aber dass man auch hier sammeln — VI — kann, hat der Redner bewiesen; die sog. „Dreikanter", d. h. Steine, die durch das Sandgebläse dreikantig geschliffen sind, die gefärbten Steine und viele andere Handstücke bildeten ein wichtiges Demon- strationsmaterial zu dem interessanten Vortrag. Eingehend schilderte Redner die Bildung der Thäler, der sog. Wadi, die nicht wie bei uns sich allmählich senken, hierbei immer breiter werdend, sondern in Terrassen abfallen. Aber nicht nur der Geologe findet genug des Fesselnden bei einem Ritt in die Wüste, sondern auch die anderen Naturwissenschaften kommen zu ihrem Recht und die besonders von Dr. Mangold angelegten zoologischen Sammlungen, die erst vor ein paar Tagen im Naturalienkabinett in Stuttgart eingetroffen und noch kaum ausgepackt sind , legen hierfür sprechenden Beweis ab, wenn auch das Tierleben in der Wüste ein armes genannt werden muss. Es ist fast selbstverständlich, dass die Wüsfcentiere ihrem Aufenthaltsort prächtig angepasst sind, und der Redner führt hierfür zahlreiche Beispiele an , teils von solchen Arten , die in ihrer gelb- lichen Farbe sich ein Wüstenkleid angezogen haben, teils von solchen, die aktiv, wenn man so sagen darf, nachhelfen und sich, wie dies ein kleiner Käfer thut, mit Sand beladen, so dass sie einem wandeln- den Sandkügelchen gleichen. Als Repräsentant der Wüstenfauna machte eine lebende stattliche Warneidechse, das „Landkrokodil" Herodot's, die Honneurs, die während des Vortrags auf dem Podium hin und her spazierte. Als Repräsentanten typischer Wüstenpflanzen und ihrer Anpassung schilderte Redner die Jerichorose und die Salz- pflanzen. Auch der Archäologe kommt bei einer Forschung in der Wüste nicht zu kurz. Die Prähistorie setzt in Ägypten ein mit der prädynastischen Zeit, entsprechend unserer Steinzeit. Unzweifelhaft sind die Funde von Steinartefakten, allein Redner mahnt zur Vor- sicht und warnt, jeden Feuersteinsplitter für ein geschlagenes Arte- fakt zu halten, denn infolge des grossen Temperaturwechsels bei Tag und Nacht springen oft von Feuersteinen Splitter ab, die völlig den bekannten palaeolithischen Feuersteinmessern gleichen. Drei Wochen , die allzu rasch vergangen waren , dauerte der Aufenthalt in Kairo, da bot sich dem Vortragenden Gelegenheit zu einer höchst interessanten Reise nach Oberägypten. Der alte Plan, den Nil und das Rote Meer durch eine Eisenbahn zu verbinden, soll wieder aufgenommen werden, und Prof. Fr aas ward engagiert zu einer geologischen Untersuchung der Trace von Keneh nach Kosseir. Kaum war der Kontrakt unterzeichnet, so war auch schon die Ausrüstung besorgt, der Dragoman zur Besorgung der Kara- — YII — wane vorausgeschickt. Am 23. April brachen der Redner und Dr. Mangold auf, um nach 23stündiger heisser Eisenbahnfahrt und Nilfahrt in Keneh einzutreffen und ihre Karawane zu übernehmen, die aus 12 Kamelen, dem Dragoman, einem Koch, einem persön- lichen Diener und einer Anzahl Beduinen vom Stamm der Ababde unter ihrem Führer bestand. Voll Humor schildert der Redner die Freuden und Leiden eines dreiwöchenthchen Kamelrittes durch die gluthauchende Wüste bei einer bis 56^ Geis, steigenden Hitze. Durst und wieder Durst war die Hauptsignatur und da infolge abnormer Trockenheit die Brunnen ausgetrocknet waren , so erwies sich der mitgenommene Wasservorrat als zu klein und gestattete nur den Genuss von fünf Flaschen Mineralwasser pro Tag für die beiden Reisenden zusammen. Der Anfang der Reise gestaltete sich sehr monoton ; interessant waren nur die Luftspiegelungen, und auch als die Karawane ins Gebirge eingetreten war, zeigte sich bald wieder eine gewisse Monotonie in der immerwährenden Wiederholung des gleichen Typus der Bergformen. Hier wurden sorgfältige geologische Untersuchungen angestellt, auch Spuren altägyptischer Kultur in Form von Felseninschriften und Resten eines Tiefbaues auf Gold gefunden. In Kürze giebt der Redner eine Schilderung des Aufbaues des Gebirges, dessen Kern krystalhnischer Schiefer ist, an welche sich palaeozoische Grauwacken mit Durchbrüchen von Dioriten und jüngeren Graniten anschliessen. Am 3. Mai gelangte die Karawane in Kosseir an, wo ein zweitägiger Aufenthalt genommen wurde, um das Korallenriff zu besuchen, dessen unbeschreibliche Schönheit Redner in den glühendsten Farben schildert. Auf der Rückreise zum Nil hatte der Redner Gelegenheit, in einem furchtbaren Chamsin- sturm aus eigener Erfahrung die Macht des Wüstenwindes, der die Sandkörner mit einem Getöse ähnlich einem Hagelschauer vor sich hertreibt, und den Gipfelpunkt der Wüstentemperatur kennen zu lernen. In Luxor, bei den Trümmern des gewaltigen Ammontempels endete die Expedition, und bald führte der Dampfer die beiden Reisenden nilabwärts, die nach kurzer Rast in Kairo die Heimfahrt antraten, reich beladen mit naturwissenschaftlicher Ausbeute und voll der schönsten Eindrücke. Als nächster Redner sprach Pfarrer Dr. Engel von Eislingen über „Petrefakten in Petref akten". (Der Vortrag ist im Jahresheft abgedruckt.) Es war der Uhrzeiger schon weit in den Nachmittag hinein- gerückt, als dieses reiche wissenschaftliche Programm erledigt war — VIII — und die Teilnehmer sich zum gemeinschaftlichen Essen im oberen Saal der Bundeshalle begaben, an welchem fast 100 Personen teilnahmen. In trefflicher Rede brachte der 1. Vorstand, Prof. Dr. Kirchner, das erste Hoch auf den König aus, einen Vergleich ziehend zwischen jenen Zeiten, die man mit Unrecht die guten alten Zeiten nennt, wo die Reichsstadt Reutlingen in Fehde stand mit den Grafen von Württemberg, wo Unrecht und Gewaltthat herrschte, und unseren Tagen, wo die Gegensätze, die keiner Zeit fehlen, auf legalem Weg ihre Entscheidung finden und ein geliebter Fürst sein Scepter schirmend hält über Handel und Wandel, über Kunst und Wissenschaft. Regierungspräsident v. Bei Uno gedachte in an- erkennenden Worten der Verdienste des Vereins um das naturwissen- schaftliche Leben Württembergs und trank auf das fernere Gedeihen des Vereins. Auf die Stadt Reutlingen, wo der Verein bei seiner Wanderversammlung eine so freundliche Aufnahme gefunden, brachte Prof. Dr. Lampert ein Hoch aus. Noch manche Ansprache würzte das in angeregtester Stimmung verlaufende Mahl ; vor allem erfreute Pfarrer Dr. Engel in hohem Mass die Gesellschaft durch eines seiner launigen Gedichte; Dr. Reihlen weihte den Damen sein Glas, Kr au SS von Ravensburg brachte Grüsse von Oberschwaben und Prof. Dr. Klunzinger gedachte der Redewendungen und Anekdoten, in welchen der Volkswitz, in harmlosen kleinen Bosheiten sich ge- fallend, sich mit der alten Reichsstadt und ihren kernigen Bewohnern beschäftigt, worauf Fischer von Reutlingen in ebenso zutreffender wie humoristischer Weise diesem entgegentrat. — Nur kurze Zeit blieb noch nach Beendigung des Essens zur Besichtigung der städti- schen naturwissenschaftlichen Sammlungen, die vor allem den eifrigen Bestrebungen des naturwissenschaftlichen Vereins ihr Entstehen ver- dankten, und unter trefflicher Führung zu einem Besuch der herrlichen Marienkirche, in der eifrige Bauthätigkeit herrscht. Die meisten Gäste entführte der Zug schon allzubald, während anderen nach der Hitze des Tages der Garten des „Kronprinzen" noch ein kühles Plätzchen bot. Zuwaehs-Verzeiehnisse der Sammlungen des Vereins. Verzeichnis der Schenkgeber in alphabetischer Folge. (Die in Klammern hier und da beigefügten Abkürzungen beziehen sich auf die Abkürzungen in den Verzeichnissen.) Bader, Apotheker, Lauffen a. N. Bartholomäi, Lehrer, Gmünd. Bauer, Apotheker, Buchau a. F. IX Beck, Dr., Stuttgart. V. Biberstein, Oberförster, Rosenfeld. Binder, Dr., Arzt in Neuffen. Blezinger, Hofrat, Crailsheim. Bossler, Schullehrer, Pfallingen. Bub eck, Kaufmann, Stuttgart. Burk, Gymnasiast, Stuttgart. Dieter ich, Pfarrer, Wittlingen. Diez, Professor, Reutlingen. (Dz.) Dörr, Apotheker, Ergenzingen. Eulenstein, Frau Baurat, Stuttgart. V. Euting, Baudirektor, Stuttgart. V. Falkenstein, Ober-Amtmann, Nürtingen. Fe cht, Fräulein, Heidenheim. Feucht, Einjähr. -Freiw., z. Z. Stuttgart. Fischbach, Oberforstrat, Stuttgart. (Fschb.) Fischer, Hilfspräparator, Stuttgart. (Fsch.) Fraas, Dr., Prof., Stuttgart. Fritz, Oberlehrer, Stuttgart. Gaus, Professor, Heidenheim. Gerstner, Instrumentenmacher, Stuttgart. (Gstr.) V. Gültlingen, Premierlieutenant, Wiblingen. Gussmann, Pfarrer, Eningen. Halm, Dr., Crailsheim. Haug, A., und C. Münzenmayer, Untertürkheim. Haug, Ober-Reallehrer, Ulm. (Hg.) Haug, Reallehrer, Ravensburg. Heck, Oberförster, Adelberg. Hermann, Lehrer, Kocherstetten. Hoff mann, Dr., Verlagsbuchhändler, Stuttgart. (Hffm.) Holland, Oberförster, Heimerdingen. Jäger, Präparator, Stuttgart. Käst, Postrevisor, Stuttgart. Kerz, Präparator, Stuttgart. Klopfer, Lehrer, Stuttgart. Koch, Oberförster, Ellwangen. Kopp, Assistent, Biberach. (Kp.) Krauss, Fabrikant, Ravensburg. Kunz sen., Xylograph, Stuttgart. Lampert, Dr., Prof., Stuttgart. Lauffer, Oberlehrer, Geislingen. Mangold, W., Lauffen a. N. Mayer, Oberförster, Dornstetten. Ostertag, Kaufmann, Stuttgart. (Ostg.) Pfizenmayer, Forstrat, Blaubeuren. Probst, Dr., Kämmerer, Essendorf. Rentz, Oberförster, Tettnang. Rettich, Professor, Stuttgart. (Reh.) — X — Schaible, Lehrer, Esslingen. (Schbl.) Schrader, Feuerbach. (Schrd.) Schwendtner, Oberförster, Ochsenhausen. (Schwendt.) Simon, Reallehrer a. D., Aalen. Steichele, Apotheker, Freudenstadt. Stettner, Lehrer, Vaihingen a. Enz. Steudel, Dr., Sanitätsrat, Stuttgart. (St dl.) V. d. Trappen, Arthur, Stuttgart. (Trp.) Vo sseler, Dr., Stuttgart. Wacker, Geschäftsführer, Pfullingen. Wagner, Lehrer, Sontheim a. Brenz. Warth, Stadtpfleger, Stuttgart. (Wth.) Wurm, Dr., Hofrat, Teinach. Zell er, Dr., Medizinalrat, Winnenthal. A. Zoologische Sammlung. (Konservator: Prof. Dr. K. Lampert.) Sämtliche Tiere wurden der Vereinssammlung als Geschenk überwiesen: I. Säugetiere. Myoxus quercinus Bl. S, gemeiner Gartenschläfer, ein Exemplar von Em- berg im Schwarzwald (Dr. Wurm) und ein Exemplar von Dorn- stetten (Oberförster Mayer). Vespertilio murinus L. , gemeine Speckmaus , Schloss Berneck (Freih. F. V. Gültlingen). Mus musciilus L., Hausmaus, isabellfarbige Varietät, Stuttgart (Präpa- rator Jäger). Hirschfährten in Gypsabgüssen (Forstrat Pfizenmayer). II. VögeL Larus ridibundus L. , Lachmöve , Friedrichshafen (Oberförster Rentz in Tettnang), durch gütige Vermittelung des Herrn Oberförster Eifert in Hirsau. III. Amphibien. Bufo variabiUs Pall. , Wechselkröte , Revier Adelberg bei Schorndorf (Oberförster Heck). IV. Fische. Carassiiis vulgaris Nils. , Karausche , Rems bei Waiblingen (Xylograph Kunz). Cyprinus carpio L., Karpfen, Bärensee bei Stuttgart, Kgl. Hofjagdamt. Salmo fario L. , Forelle , in der Laute bei Freudenstadt , Missbildung wohl durch frühere Verletzung hervorgerufen (Apotheker Steichele). ioto vulgaris Fl., Treische, Neckar bei Lauffen (W. Mangold). — XI — V. Insekten'. 1. Lepidoptera. Pap. podalirius L. mit verkümmertem Hinterflügel (Kst.)- Apatura iris S., Raupe (Gymnasiast Burk). Zeuzera pyrina L., Raupe (Präparator Kerz). Eier von Arctia flavia und Lasicocampa pruni (Stdl.). Brotolomia meticulosa L., Stuttgart (V,). Gespinst von Sat. pyri statt zu einem Cocon über eine Glasscheibe ge- sponnen, Winnenthal (Medicinalrat Dr. Zeller). Cocon von Harpya vinula, Stuttgart (Bbck.). Cerostoma xylostella L., Stuttgart (Stdl.). ;, persicella F., „ „ GrapJwlitJia Woeheriana Schiff., Teinach (Stdl). Cemiostoma lahiirnella Stt., Stuttgart (Stdl.). Tortrix reticulana Hb., „ „ Lionetia primifoliella Hb., „ „ Micropteryx semipurpurella Stph., „ „ Orgya antiqua L. nebst Cocons, ,, „ 2. Coleoptera. Cicindela, Larve, Kirchheim (Reh.). Änthrenus, Larven, Puppen, Stuttgart (V.). Bembidion iibiale, Murgthal (Ostg.), neu für die Sammlung. 5, littorale Ol., Murgthal (Ostg.). „ atrocoeruleum Stph., „ „ „ fasciolatum Dft. var. coeruleimi, „ „ neu. Cepidodera ferruginea Scop., „ „ „ Äpion suhulatuni Kieby, Reutlingen (auf Lathyr. pratensis) (Dz.), neu. „ flavimanuni Gyll., „ » » „ astragali Payk., „ (auf Astrag. ghjcipliyU.) „ » „ superciliosum Gyll., Esslingen (auf Birke) „ „ „ simum Gekm., Neckarsulm (auf Hyperic. perforat.) „ „ „ xoallipes Kieby, „ (auf MercuriaL perenn.) „ „ „ spencei Kikby, Reutlingen „ „ „ gracilipes Dietb., „ (auf Trifol. medium) „ „ ;, rußrostre F., „ (auf Malva sylvestris) „ „ „ ononicola Bach., „ (auf Ononis repens) „ „ „ livescerum Schönh. „ „ „ marcliicum Hbst., Oberthal (auf Teucrium serrod.) „ „ Bendroctonus micans Duft, nebst Frassstücken, Hürbel bei Ochsenhausen (Schwendt.). Bostrychus curvidens Geem. nebst Frassstücken, Börtlingen (Fschb.). PolygrapJms puhescens „ „ (Fschb.). Cryphalus piceae Rtzb. „ „ „ Coleopteren aus Windenblüten und Minen von Salix alba, Stuttgart (Stdl.). ^ Das Verzeichnis der Insekten wurde von Herrn Dr. Vo sseler zusammen- gestellt. — XII — Carabus auratus L. var,, Stuttgart (Trp.), neu. „ irregularis F., ,, ,, „ convexus F., Böblinger Wald (Fsch.). „ canceUatus III., ,, ,, ,, Coleopteren (Doubletten), ,, „ „ 3. Hymen optera. Tenthrediniden, mehrere Arten darunter. Macrophya rustica L., Böblinger Wald (Fsch.). Tenthredo albicornis F., ,, ,, ,, „ Schaffen Kl., „ „ „ ;, cingulum K., ,, ,, ,, Ichneumoniden mit den Wirtspuppen darunter, Stuttgart (Hffm.). Exochüum circuniflexum L. Paniscus testaceus Gb. Ichneumoniden nebst Wirten, Stuttgart und Veringen (Stdl.). Li/da 2)ratensis Fab. nebst Gehäuse an Fop. tremida, Berneck (Stdl.). Nestbauten mehrerer Arten von Megachile, Hoplopus, Crossocerus, Biberach (Kp.). Eriocampa adumbrata Klg. (Kirschenblattwespe) mit Frassstücken, Nür- tingen (Oberamtmann v. Falkenstein). Ichneumonidenpuppen an einer Cara&MS-Larve, Feuerbach (Schrd.). Gimhex saliceti Zad., Ulm (Hg.). Andrena flessae Pz., ,, ,, Fezomaclms, „ ,, 4. Diptera. Verschiedene Dipteren, Murgthal (Ostg.). ,, ,, teils in Blättern von Bumex minierend, teils Para- siten von Raupen (mit den Wirten) (Stdl.). „ ,, Böblinger Wald (Fsch.). Tacfiina-Eier an Raupen von Sjjh- ligustri, Stuttgart (Gstn.). 5. Orthopteren. Ileconema variuni F., Stuttgart (Stdl.). Äcridium, Murgthal (Ostg.). Gryllotalpa viügaris L., Esslingen, Eier und Junge (Schbl.). 6. Rhynchota. Coccus vitis L. nebst davon befallenen Reben, Stuttgart (Wth.). Hemipteren und Cikaden, Böblinger Wald (Fsch.). Eurjjcera teucrii Hokst. , aus Gallen von Teucrium montan., PfuUingen (Dz.), neu für Deutschland. Neuroptera, Trichoptera. Phryganeenlarven, Esslingen (Schbl.). Ba'i'tis mit Eiern, Stuttgart (Stdl.). Stenophylax lafipennis Cubt., Veringen (Stdl.). Taeniopteryx trifasciatus Pict., Stuttgart (Stdl.). — XIII — B. Botanische Sammlung. (Konservator: Kustos J. Eichler.) Als Geschenke : Aquilegia vulgaris L., weissblühend, Ulm, an der Wilhelmsburg (v. Biber- stein). NupTiar luteum Sm., Ravensburg, im Altvfasser der Schüssen (v. Biber- stein). Barharaea intermedia Bokeau , Lauffen a. N. , an einem Wassergraben (Bader). Barbaraea vulgaris ß. arcuata Rchb,, Lauffen a. N., im Überschwemmungs- gebiet des Neckars in einem Weidengebüsch (Bader). Ärahis hirsufa Scop., Urach, an der Sirchinger Steige (Simon). „ „ var. sagittata DC, ebendaher (Simon). Garciamine impatiens L., Lauifen a. N., auf der Neckarinsel. Sisymhrium austriacum Jacq., Lauffen a. N., an der Kirchenmauer (Bader). „ columnae Jacq., Lauffen a. N., in der Nähe des Bahndamms (Bader). Farsetia incana R. Br., Pfullingen (Bossler). Viola elatior Fb., Bölgenthal OA. Crailsheim, im Ufergebüsch der Jagst (Simon). Drosera rotundifolia L., Birkhof bei Gschwend (v. Biberstein). „ longifolia L., ebendaher (v. Biberstein). Melandrium silvestre Roehling, weissblühend , Ulm , in der Friedrichsau (v. Biberstein). Trifolium ochroleucum L. , am Farrenberg bei Thalheim (v. Biberstein). Spiraea salicifolia L., verwildert, Kappel bei Buchau a. F., in der grossen Kiesgrube (Bauer). Spiraea Äruncus L., Butschhof bei Epfendorf OA. Oberndorf (v. Biber- stein). Oenothera miiricata L., an der Illermündung bei Ulm (v. Biberstein). Hippuris vidgaris L., Ulm, im warmen Wässerle (v. Biberstein). Myricaria germanica Desv. , Ulm , an der Illermündung (v. Biberstein). Rihes alpinum L., Bietigheim, in Hecken (v. Biberstein). Äsperula taurina L., Berg bei Stuttgart, im Wäldchen hinter der kgl. Villa am Abhang gegen den Kanal; Mai 1894 (Simon) (ob an- gesalbt?). CepJialaria transsilvanica Scheadee, Schnaitheim — Königsbronn, beim Eisenbahntunnel seit Jahren in Menge ; soll während des Tunnel- baues bei der Bauhütte im Wald ausgesät worden sein (Simon, Fecht). Betasites albus Gäetn. , Isingen OA. Sulz, im ,,Eich'wald" (v. Biber- stein). Aster salignus Wind., Abtsgemünd, im Ufergebüsch des Kochers (Simon). Bellidiastrum Michelii Cass. , Ergenzingen OA. Rottenburg , im Nadel- wald (Dörr). ÄcMllea nohilis L., Lauffen a. N, und Kirchheim a. N. (Bader). — XIV — Arnica montana L., Ebersberg bei Gsehwend (v. Biberstein). Pyröla chlornntha Swaktz, Ravensburg, im Hohwald (v. Biberstein). „ minor L., Mergelstetten bei Heidenheim (Fecht). „ rotundifolia L., Heidenheim, im Schlosswald (Fecht). Phacelia tanacetifoUa Bentham (Farn, der Hydrophyllaceae) , verwildert im Rommeisthal oberhalb Obernau (OA. Rottenburg) bei der Mühlenrviine (Dörr). NB. Die in Californien — Arizona gemeine Pflanze wird in Deutsch- land und Frankreich häufig als Gartenzierpflanze kultiviert, ver- wildert vielfach und ist an einigen Orten schon massenhaft auf- getreten. Echinospermum Lapjmla Lehmann, Lauffen a. N. (Bader). JMyosotis versicoJor Peks., Burgholzhof bei Cannstatt (Simon). ,, stricta Link, Lauffen a. N., im Forchenwald der Ulrichsheide (Bader) ; Aalen, im Tannenwäldle (Simon). ,, caespitosa Schultz, Lauffen a. N. , auf der Seewiese (Bader). Cerinthe alpina Kitaibel, vorübergehend bei Pfullingen am nördlichen Abhang der Wanne (Wacker). Pedicularis süvatica L., weissblühend, Engelhardtsweiler OA. Ellwangen, im Schimmeleswald (Koch). Oröbanclie minor Sutton, Bonfeld — Biberach (OA. Heilbronn) auf Triföl. prat (Feucht). Orobanche rubens Wallr., Heidenheim, im Schlosswald (Fecht). Aalen, im Langert (v. Biberstein). Sideritis montana L., Pfullingen, am Georgenberg (Bossler). Utricularia vulgaris L., Arnegg OA. Blaubeuren, im Torfstich (v. Biber- stein). Primula farinosa L., Ravensburg (v. Biberstein). Thesium montanum Ehrh. , am Farrenberg bei Thalheim (v. Biber- stein). Hippophae rhamnoides L., Oggelshauser Halde am Federsee (Bauer). Parietaria ramiflora Moench, Lauffen a. N. (Bader). Bidomus umbeUatus L. , im Altwasser des Neckars zwischen Kirchheim und Lauffen (Bader). Cppripedium Caiceolus L., Ringgenburg bei Essenhausen OA. Ravensburg (v. Biberstein). Ophrys arachnites Murr., Hohenneuffen (Binder). Farrenberg bei Thal- heim (v. Biberstein). Orchis angusüfolius Wimm., Lauffen a. N., auf der Seewiese (Bader). ,, paUens L., Aalen, im Staatswald Heuteich (v. Biberstein). Anacamptis pyramidalis Richard, Sersheim OA. Vaihingen, am Barten- berg (v. Biberstein). Coeloglossum viride Hartm., Farrenberg bei Thalheim auf einer Bergwiese (v. Biberstein). Herminium 3Ionorchis R. Br., Heidenheim, im Katzenthal (Fecht). Elymus canadensis L., vorübergehend auf einem Schutthaufen bei Urach (Dieterich). Setaria viridis P. B., Pfullingen, am Georgenberg (Bossler). — XV — Setaria glauca P. B., Pfullingen, auf Äckern des Roth und im Thalacker (Bossler). Polypodnmi vulgare L., Kirchberg OA. Sulz, am Eisenbühl (v. Biberstein). Hüdenbrandtia rivularis Bk^b., auf Steinen im Krummbach bei Ochsen- hausen OA. Biberach (Reuss). Choiromyces maeandriformis Vittadini, Revier Justingen OA. Blaubeuren (Pfizenmaier). C. Mineralogiscli-palaeontologische Sammlung. (Konservator: Prof. Dr. E. Fr aas.) Als Geschenke: a) Mineralien: Bergkrystall (gefärbt) von Sasbach (Schwarzwald), von Herrn Dr. C. Beck in Stuttgart; Doppelspate von Salmendingen, von Herrn Dr. J. Vosseier in Stuttgart; Kalkspatdruse von üntertürkheim, von Herrn Oberlehrer Fritz in Stuttgart. b) Gesteine: Hornblende-Granat-Schiefer, err. von Ravensburg, Gneissbreccie, ,, „ ,, Gault, ,, „ ,, von Herrn Fabrikant Kr aus s in Ravensburg. c) Petrefakten: Fünf prachtvolle Zähne von Mastodon angustidens aus der Molasse von Heggbach (Originale zu H. v. M e y e r), von Herrn Kämmerer Dr. Probst, Essendorf; Cbw(/ena-Bank, Miocän von Altheim, von Herrn Reallehrer Gaus in Heidenheim; Elephas primigenius, 2,50 m langer wohlerhaltener Stosszahn aus dem Lehm von üntertürkheim, von den Herren A. Haug und C. Münzenmayer, üntertürkheim; NothosaurusSchndiUze, Muschelkalk, Crailsheim. Nothosaurus Ändriani, ,, ,, Chemnitzia (vergypst), ,, ,, Spiriferina fragiUs, ,, ,, Tanystropliaeus conspiciius, ,, ,, von Herrn Hofrat R. B 1 e z i n g e r in Crailsheim ; Ceratites antecedens, Wellengebirge, Dornstetten, von Herrn Lehrer Bartholomäi in Gmünd; — XVI — reiche Sammlung aus Trias und Jura, gesammelt von j Baurat Eulen- stein ; als besonders wichtige Stücke sind hervorzuheben : Ceratites antecedens, Wellengebirge, Freudenstadt, ,, Btickii, ,, ,, Ämmonites cliscoideus, Brauner Jura ß, Gosheim, ,, coronatus, Brauner Jura d, Lauffen, ,, Wuerttembergiais, Brauner Jura e, Lauffen, Bhahdocidaris nöbiUs, Weisser Jura y, Nusplingen, Ämmonites Doublieri, Weisser Jura d, Sigmaringen, Hemicidaris crenidans Weisser Jura £, Nollhaus, von Frau Baurat Eulenstein in Stuttgart; Ämmonites Charmassei, Lias a, Vaihingen, „ fissüohatus, Brauner Jura ;', Bissingen, ,, äff. Tessonianus, ,, ,, ,, ,, Terehratula dorsoplana, „ ,, ,, ,, Fleurotomaria armata, ,, ,, ,, ,, von Herrn Prof. Dr. E. F r a a s in Stuttgart ; Ceratites nodosus (krank), Muschelkalk, Cannstatt, Ämmonites Beineckianus (mit Ohren), Weisser Jura y, Thieringen, 5, coronatus (Lobenstück), Brauner Jura d, Lauffen, von Herrn Lehrer Klopfer in Stuttgart; Eleplias antiqims (Backzahn), Diluvium, Feuerbach, Bhinoceros ticliorliinus (Zähne), ,, ,, von Herrn Schrader in Feuerbach ; Nautilus aperturatus, Brauner Jura y, Eningen, Ämmonites Gervillii, ,, ,, ,, ,, von Herrn Pfarrer Gussmann in Eningen; Spiriferina fragilis, Muschelkalk, Kocherstetten, von Herrn Lehrer Hermann in Kocherstetten ; Belodonten-Zähne, Stubensandstein, Aixheim, Muschelkalkfossilien, von Schwenningen, von Herrn Lehrer Stettner in Vaihingen a. Enz; Äpiocrinus mespiliformis und rosaceus, durch Mycostoma deformierte Kelche, Weisser Jura C, von Sontheim, Armglieder von Äpiocrinus, Weisser Jura C, von Sontheim, von Herrn Lehrer Wagner in Sontheim a. Br. ; Äpiocrinus-^i\Q\&, durch 3Iycostoma deformiert. Weisser Jura ^, Heidenheim, imn; n T. ji Das grösste Ex- 6 No. 2414, ' No. 2013, ? emplar von allen. ^ Es ist nun hinsichtlich dieser vergleichenden SIessungen allerdings her- vorzuheben, dass die Länge von Zahnkronen, welche im vollzähligen Gebisse sitzen, sich nicht ebenso genau bestimmen lässt, Avie bei unseren isolierten und intakten resp. Keimzähnen aus dem Bohnerz. Denn die im Gebiss des erwach- senen Tieres sitzenden Molaren haben, wie auch an anderer Stelle hervorgehoben, durch die Abreibung des vor und hinter ihnen stehenden Zahnes an Länge ver- loren, und das in um so höherem Grade, je älter das Tier war. Es muss also bei allen oben gemessenen Zähnen lebender Anthropomorphen die Länge der Zahnkrone etwas zu kurz, resp. der Breitenindex ein wenig zu gross erscheinen. Dasselbe wird jedenfalls wohl auch von den durch Blake gemessenen Menschen- zähnen gelten. Da indessen auf solche Weise sämtliche oben aufgeführten SIes- sungen an Zähnen lebender Formen unter diesem selben Fehler leiden, so dürfte letzterer beim Vergleiche das Bild nicht wesentlich stören ; nur erscheinen natür- lich die Bohnerzmolaren dadurch noch etwas relativ länger, als sie ohnedies sind. Eine andere Schwierigkeit ist die, dass man zwar die Breite der im Ge- bisse sitzenden Zahnkronen mit dem Schieberzirkel ganz genau bestimmen kann, dass man jedoch die Bestimmung der Länge mit dem gewöhnlichen Zirkel vor- nehmen muss, so dass Länge und Breite mit zwei verschiedenen Instrumenten — 48 - Vergleichen wir auf Grund dieser Messungen unsere Bohnerz- zähne mit denen lebender Anthropomorphen , so erhalten wir für Chimpans, Orang und Gorilla dasselbe Ergebnis, wie beim Menschen : Die Bohnerzmolaren des Unterkiefers sind, wie die des Oberkiefers, relativ schmaler, bezw. länger als diejenigen der genannten drei Affen. Denn es haben die Molaren aus dem Bohnerz einen Breitenindex von 81 — 84,5, vom Chirapanse, Orang, Gorilla einen Breitenindex von 87 — 93,3. Nur die Molaren des Gibbon machen eine Ausnahme , indem ihr Breitenindex im allgemeinen zwischen 82 und 83 schwankt, also ungefähr dieselbe relative Länge, bezw. Schmalheit besitzt, wie die aus dem Bohnerz. Abgesehen von den Dimensionen ist aber auch die allgemeine Gestalt der Krone und der Höcker bei unseren ünter- kiefermolaren aus dem Bohnerz der des Gibbon sehr ähnlich (vergl. Taf. II Fig. 3), Bei M^ und M^ in vollzähligen Gebissen ist das oft nicht so vollkommen zu sehen, weil durch die vordere und hintere Reibefläche die Länge der Krone ^ verringert erscheint. Daher kann man das an M^ verhältnismässig noch am besten erkennen, weil hier wenigstens das Hinterende des Zahnes nicht durch einen weiteren Molaren abgerieben ist. Es fällt mir namenthch auf, dass, wie ich es von unseren Bohn- erzmolaren sagte , auch bei diesen Gibbonzähnen je der vordere Aussen- und Innenhöcker, sowie je der hintere Aussen- und Innen- höcker so ziemlich einander gegenüberstehen, so dass gegenüber dem mittleren Aussenhöcker kein Höcker, sondern die breite Senke liegt, welche den vorderen und hinteren Innenhöcker von einander trennt. Dagegen beobachtete ich bei Hylohates syndadyliis ^, dass der vordere Aussen- dem vorderen Innenhöcker, dann aber der mittlere Aussen- dem hinteren Innenhöcker gegenüberliegen, so dass der hintere Innen- höcker an das Hinterende des Zahnes gerückt ist, ganz wie wir das beim menschlichen Molar und dem einzigen Milchzahn P d^ (S. 54) aus dem Bohnerz der Alb finden ; wogegen bei allen Molaren aus dem Bohnerz der hintere Innenhöcker mehr an die Innenseite ge- rückt ist. Vorgreifend möchte ich hier noch einen letzten Unterschied bestimmt wurden. Indessen auch hier trifft dies sämtliche gemessenen Molaren in gleichem Masse und nur die isolierten Bohnerzmolaren Hessen sich auch der Breite nach in den Scliicberzii-kel einklemmen. ^ Von vorn nach hinten. ^ No. 2013, Weibchen, Stuttgarter Sammlung. - 49 — unserer Bohnerzzähne von denen des Menschen erwähnen (S. 56). Dieser hegt nämhch in der abweichenden Gestalt dieses hintersten Milchbackenzahnes, an welchem das Gattungsmerkmal, die bedeutende relative Länge der Zähne, ganz besonders hervortritt. Der ent- sprechende Milchbackenzahn von Chimpanse und Orang ist relativ kürzer als der Bohnerzmilchzahn ^ Fassen wir nun das Ergebnis der Untersuchung der Frage zu- sammen, ob unsere fraglichen Bohnerzzähne einem Menschen oder einem anthropomorphen Affen angehören , so finden wir das Fol- gende für die fraglichen Bohnerzmolaren: 1. Ihre absolute Grösse stimmt im Ober- wie Unter- kiefer mit dem beim Menschen Vorkommenden überein. Nur der eine Keimzahn (Taf. 11 Fig. 1) überstieg das von Blake gemessene Maximum menschlicher Grösse noch um 1,1 mm Länge. Trotzdem werden wir für den ehe- maligen Träger der Bohnerzmolaren, da er offenbar ein Anthropomorpher war, auf eine etwas geringere Körpergrösse als die durchschnittliche des Menschen schliessen müssen (S. 34). 2. Sie sind im Ober- wie Unterkiefer verhältnis- mässig länger, bezw. schmaler als die des Menschen, des Chimpanse, Orang und Gorilla (S. 34, 43). Von leben- den Anthropomorphen sind nur die Unterkiefermolaren des Gibbon relativ ebenso lang, bezw. schmal. 3. Im Oberkiefer und Unterkiefer ist ihre Kaufläche mit Schmelzleisten bedeckt, wie wir sie bei Orang und Chimpanse finden, nur in geringerer Zahl, wie dort. Beim Menschen pflegen dieselben zu fehlen, wenn aber ausnahmsweise vorhanden, nicht so stark zu sein, wie am Oberkieferzahne aus dem Bohnerz (S. 28, 34, 42). 4. Ihre Ober- wie Unterkiefermolaren besitzen eine starke vordere und hintere Quer furche. Beim Menschen fehlt sie oder ist doch nicht an beiden Enden vorhanden (S. 41 x und ^ der Figur unter S. 42). 5. An diesen Oberkiefer- wie Unterkiefermolaren ziehen die über die Kaufläche, in den Tiefen zwischen den Höckern verlaufenden Furchen tiefer an der Aussen- ^ Über den Gibbon habe ich in dieser Hinsicht leider kein Urteil. Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 4 — 50 — und Innenseite hinab, als das beim Menschen der Fall zu sein pflegt (S. 35, 41, 42). 6. Am Oberkjefermolar mündet das Ende dieser Furchen, an der Aussen- wie Innenseite, je in einem Grübchen. Beim Menschen fehlt dieses Merkmal in solcher Ausbildung der Regel nach (S. 35, 36). 7. Im Oberkiefer ist ihr hinterer Innen höcker un- gefähr ebenso gross, wie die anderen drei Höcker. Beim Menschen pflegt er kleiner zu sein, als letztere drei (S. 34). 8. An ihren Unterkiefermolaren steht der hintere der drei Aussenhöcker noch voll und ganz an der Aussen- seite. Beim Menschen ist er halb an die Hinterseite gerückt (S. 40). 9. Die Gipfel der Höcker ihrer Unterkiefermolaren sind etwas mehr an die Aussen-, bezw. Innenwand ge- rückt und die Vertiefungen zwischen ihnen schneiden etwas tiefer ein, als das beim Menschen der Fall zu sein*pflegt. 10. Der als Pd^ gedeutete hinterste Milchbacken- zahn kann ganz unmöglich einem Menschen zugehören; in diesem Zahne liegt ebenso zweifellos der Rest eines Anthropomorphen vor, wie in den beiden Oberkieferzähnen. 11. Doch noch einen letzten Grund möchte ich an- führen, welcher gegen die Deutung dieser Molaren als Menschenzähne spricht: Beim Menschen sind die Mo- laren unter sich verschieden in ihrer Gestalt, insofern, als namentlich M^ von den beiden vorderen abzuweichen pflegt. Wenn wir nun im Bohnerz an vier verschie- denen Örtlichkeiten sechs Unterkiefer molaren von immer wieder ganz gleicher Gestalt, bei Absehen von dem Grade ihrer Abnutzung, finden, so spricht das eher da- für, dass das Wesen, welchem diese Zähne angehörten, nicht verschieden-, sondern gleichgestaltete Molaren besass, also kein Mensch war. Dieser Grund besagt nicht sehr viel, aber er reiht sich doch den anderen an ^ * Es ist derjenige, welchen allein Quenstcdt anführte, um seine Ansicht, dass doch Affenzähne vorliegen möchten, zu begründen. Aber Quenstedt über- trieb, indem er sagte, dass der Mensch sechzehnfach verschiedene Zähne habe, dieses Wesen aus dem Bohnerz jedoch nur gleiche. Selbstverständlich darf, wenn - 51 - So sehen wir also, dass unsere Molaren aus dem Bolmerze der Alb in zehn verschiedenen Punkten von dem abweichen, was an Menschenzähnen die Regel zu sein pflegt. Ein jedes dieser zehn Merkmale möchte allein für sich nicht genügen, um die Frage zu ent- scheiden, ob wir hier Zähne eines Menschen oder eines menschenähnlichen Äff en vorunshaben, denn ein jedes dieser Merkmale ist nur klein, unscheinbar und fast jedes derselben tritt hier und da auch beim Menschen auf, Ihre Gesamtheit aber liefert, wie mir scheint, den zwingenden Beweis, dass, trotz der bestechenden Ähnlichkeit mit menschlichen Molaren, dennoch ein Affe vorliegt. 12. Wir haben demnach in diesen Zähnen aus dem Bohnerz der Alb Reste eines Anthropomorphen vor uns. 13. Sowie die Unterkiefermolaren durch eine schwache Abkauung ihrer Schmelzleisten beraubt sind, gleichen sie in ihrer allgemeinen Gestalt hochgradig denen des Gibbon, wenn man nur letztere genügend vergrössert, und denen des Menschen: Auf der einen Seite ist mit dem Gibbon diese Ähnlichkeit darum noch etwas grösser, weil bei diesem auch die relative Länge der Zahnkrone ebenso bedeutend ist; mit dem Menschen dagegen dar- um ein wenig geringer, weil dessen Molaren relativ kürzer sind. Auf der anderen Seite ist wieder die Ähnlichkeit mit dem Menschen darum grösser, weil die absolute Grösse beider übereinstimmt und weil vor allem beim Menschen nicht selten auch ebensolche Schmelzleisten auftreten; mit dem Gibbon dagegen geringer, weil dieser nie solche Schmelzleisten besitzt und seine Zähne relativ viel kleiner sind. Bei den ganz intakten Bohn- erzmolaren tritt daher diese Ähnlichkeit mit dem Gib- bon zurück. 14. Unsere fraglichen Bohnerz-Ünterkief ermolaren stehen mithin zwischen denen von Mensch und Gibbon und zwar nahe an jedem der beiden; wie mir scheinen uns von diesem Wesen nur Molaren zur Prüfung vorliegen, auch vom Menschen nur die Verschiedenheit seiner Molaren, nicht aber diejenige aller Zahnarten zum Vergleiche herangezogen werden. 4* — 52 — will, aber doch noch näher am Menschen, als am Gib- bon wegen der Schmelzleisten. Ist dem aber so, dann sind es die menschenähnlichsten Molaren, welche wir bisher an einem lebenden oder fossilen Affen kennen. Würde man trotzdem aber in diesen Zähnen Reste des Menschen erkennen wollen, so hätte man in ihnen die affenähnlichsten Molaren, welche man bei Menschen — soweit meine Kenntnis reicht — kennt; zugleich auch, sehr wahrscheinlich wenigstens, Zähne eines tertiären Menschen: Ein Ergebnis, durch welches unsere Zähne aus dem Bohnerz der Alb noch viel wichtiger für die Erkenntnis der genetischen Beziehungen des Menschen werden würden, als das in ihrer Eigenschaft als Affenzähne der Fall ist. Taf. II Fig. 4. M unten rechts aus dem Bohnerz. Noch zwei andere Zähne liegen vor. Zunächst der in Taf. II Fig. 4 abgebildete Molar des rechten Unterkiefers, welcher einen ganz überraschenden Widerspruch in sich zu bergen scheint. Dieser Zahn scheint ebenfalls ein Keimzahn, da er nur aus einer Schmelzkappe besteht wie der in Taf. II Fig. 1 ab- gebildete. Gleich diesem zeigt sich auch nicht eine Spur von Dentin in dieser Schmelzkappe ; ja , der Schmelz ist sogar dünner als bei dem in Taf. II Fig. 1 abgebildeten. Trotz dieses, scheinbar keinen Zweifel übrig lassenden Ver- haltens aber hat dieser Molar vorn und hinten bereits eine starke ebene Schlifffläche , welche sicher nur durch die Reibung der vor und hinter ihm gesessenen beiden Zähne erzeugt worden sein kann. Er muss daher in der Zahnreihe bereits eine ganze Zeit lang funktio- niert haben, d. h. er kann gar nicht mehr als dentinloser Keimzahn im Kiefer gesteckt haben. Ein zweiter Grund spricht ebenfalls für eine solche Ansicht. Dieser Molar besitzt auch bereits starke Abnutzungsflächen auf seiner Kaufläche. Diese Usuren sind so stark, dass schon jede Spur von Schmelzleisten verschwunden ist. Nun könnte man ja freilich meinen, diese Abnutzung sei erst nach dem Tode des Tieres, etwa bei dem Transport, erzeugt worden. Indessen könnte das bei einem Keim- zahn sicher nicht eingetreteii sein, da dieser noch im Kiefer sitzt und geschützt ist. Wenn er aber bereits isoliert gewesen wäre, so würde ein Keimzahn dabei zerbrochen sein. — 53 - Unter solchen Umständen bleibt die einzig mögliche Erklärung die, dass man keinen wirklichen Keimzahn vor sich habe, sondern nur einen scheinbaren : nämlich nur die der Wurzeln und der ganzen Dentinfüllung beraubte Schmelzkappe eines schon funktionierenden Molaren. Dass dieser Molar sogar bereits längere Zeit in Thätigkeit war, geht, wie schon gesagt, aus der vorderen und hinteren Reibe- fläche hervor. War er aber längere Zeit in Thätigkeit, dann sind die Usuren auf seiner Kaufläche auch wirklich durch Gebrauch des Zahnes beim Kauen, nicht aber erst durch den Transport desselben nach dem Tode des Tieres entstanden. Die anscheinend schwer zu erklärende Thatsache, dass dieser abgenutzte Molar unter der Scheingestalt eines Keimzahnes auftritt, ist doch leicht zu verstehen, wenn man das Verhalten der anderen Zähne betrachtet. Unter den neun anderen Backenzähnen befinden sich zwei Keimzähne und zwei mit vollständigen Wurzeln versehene. An einem fünften sind die Wurzeln nur noch als Stümpfe vorhanden. Bei den vier anderen sind die Wurzeln bis an den unteren Rand der Schmelzkrone abgebrochen und zerstört, so dass also jetzt vier, mit Dentin gerade nur noch erfüllte Schmelzkappen vorliegen. Wie schon früher gesagt (S. 39), muss die Dentinmasse sehr erweicht gewesen sein, wenn das ganze schmelzlose untere Ende der Zähne in solcher Weise abgebrochen werden konnte, ohne dass gleichzeitig die Krone auch nur im geringsten beschädigt wurde. In der That ist das in der Schmelzkappe sitzende Dentin noch heute so weich, dass es sich mit dem Fingernagel ritzen lässt. Es war daher sehr wohl möglich, dass aus einer der Schmelzkappen das Dentin allmählich ganz herausfiel, so dass dieser Molar nun als Pseudo-Keimzahn erscheint ; und nur der Umstand bleibt auffallend, dass das Dentin so völlig, bis auf den letzten Rest, aus der Schmelz- kappe herausbröckeln konnte. Infolge der vorderen und hinteren Reibefläche ist die Länge dieses Molaren eine viel geringere als bei den anderen, wie aus folgenden Zahlen hervorgeht: Molar Taf. Fig. Länge mm Breite mm Länge : Breite wie II 4 9,6 9,3 100 : 96,9 Dem gegenüber stehen die Masse der anderen Molaren, bei welchen die Breite zwar auch meist dieselbe wie hier ist, um 9 mm herumschwankt, die Länge jedoch zwischen 11 und 12 mm sich be- wegt, so dass der Breitenindex 81 bis 84 beträgt gegen fast 97 hier. — 54 — Dieser Umstand, sowie die fast gänzliche Reduktion des dritten, hinteren Aussenhöckers, wodurch der Zahn fast vierhockerig erscheint, legen den Gedanken nahe, dass entweder der Weisheitszahn des Unterkiefers oder aber einer der beiden vorderen Molaren des Ober- kiefers vorliegen möchten. Trotzdem stehen beiden Annahmen Schwierigkeiten entgegen : Die deutlich ausgesprochene „Kreuzfurche" (S. 41) beweist unwider- leglich, dass wir hier keinen Ober-, sondern einen Unterkieferzahn vor uns haben. Die hintere starke Schlifffläche aber beweist weiter, dass letzterer kein Weisheitszahn gewesen sein kann , sondern von einem hinteren Molar gefolgt gewesen sein muss. Seine Deutung als M^ wäre daher nur statthaft, wenn man die ganz in der Luft schwebende Annahme machen wollte , dass hier noch ein M'^ vor- handen gewesen sei. Nun ist das freilich nach Selenka bei Orang gar nicht so selten der Fall (s. später) ; es wäre daher, da der Zahn für einen M^ oder M^ viel zu kurz ist, auch nicht so sehr gewagt, ihn für einen M^ zu erklären und damit zugleich das Dasein noch eines M* hinter ihm als gesichert anzusehen. Aber das bleibt natür- lich doch immer eine Annahme. Taf. II Fig. 11. Pd^ unten links aus dem Bohnerz. Der zweite der beiden Zähne, welche von den übrigen Unter- kiefermolaren aus dem Bohnerz abweichen, hat zwar die fünfhöckerige Beschaffenheit und eine ähnliche, von vorn nach hinten langgestreckte Gestalt wie diese. Aber seine absolute Grösse ist geringer und die relative Länge der Krone noch grösser, so dass der Breitenindex noch etwas geringer wird. Länge Breite Länge : Breite mm mm wie Der fragliche Zahn hat 1*0,2 8,1 100 : 79,4 Jene anderen Zähne haben 11, 12 (13) 9 (11) 100 : 81—84 Man könnte nun die geringere Grösse so deuten wollen, dass hier der Molar eines wesenthch kleineren Individuums mit entsprechend kleineren Zähnen vorläge. Dem steht jedoch entgegen, dass bei genauerer Betrachtung die Gestalt eine etwas abweichende ist von der aller anderen Molaren aus dem Bohnerz. Bei diesen ist nämhch der hintere Aussenhöcker nicht an die Hinterseite gerückt, sondern bleibt an der Aussenseite, so dass der Molar am Hinterrande nicht schmal, sondern ziemlich breit endigt. Bei dem fraglichen Zahne der Fig. 11 ist dagegen der genannte Höcker an die Hinterseite - 55 — gedrängt, so dass sich der Umriss des Zahnes nach hmten merkhch verjüngt. Unter diesen Umständen dürfte auch die von Herrn Gaddry geteilte Deutung gelten, dass wir hier keinen Molar, sondern den hin- tersten unteren Milchprämolar vor uns haben, welcher ja, wie früher (S. 30) erwähnt, bei den Menschen und Anthropomorphen ganz den Charakter der Molaren besitzt; so dass es nicht überraschen kann, wenn er einem Molar ungefähr gleicht, was sein Ersatzzahn, der Prämolar, gar nicht mehr thut. Die Abkauung dieses Zahnes ist so weit vorgeschritten, dass von Schmelzleisten nichts mehr zu sehen ist. Die vordere Querfurche ist noch deutlich zu erkennen, die hintere nicht mehr. Die Stärke der Abkauung entspricht daher ungefähr dem auf S. 38 erwähnten zweiten Abkauungsstadium der Molaren. Die beiden Wurzeln, welche Zahl ja allen unteren Molaren und Prämolaren zukommt, sind an diesem Milchbackenzahne erhalten, besitzen aber ein auffallendes Merkmal : Die hintere Wurzel ist von aussen nach innen plattgedrückt, d. h. sie hat ihren grössten Durchmesser in der Richtung von vorn nach hinten ^. Die vordere Wurzel ist umgekehrt mehr von vorn nach hinten flachgedrückt, sie hat also ihren grössten Durchmesser von aussen nach innen ^. An einem jungen Orang der Stuttgarter Sammlung zeigten sich beide Wurzeln als völlig gleich, indem beide von vorn nach hinten plattgedrückt waren ^. Andere Milchbackenzähne von lebenden An- thropomorphen standen mir jedoch nicht mit Wurzeln zu Gebote. Auf meine Bitte hatte Herr Kollege Eimer in Tübingen die Liebenswürdigkeit, den fraglichen Zahn mit den Milchzähnen der ^ Dieselbe ist in Fig. IIa rechts, in Fig. IIb links in der Zeiclinung zu sehen. " Welcher daher auf der Ebene dieser Zeichnung nicht zum Ausdruck gelangt. ^ No. 38. Erst M' war eben erschienen, daher muss wohl der vor ihm stehende Zahn noch dem Milchgebiss angehören. Ich stütze mich hierbei auf die von Hartmann (Die menschenähnlichen Affen) S. 172 gegebenen Daten über den Zahnwechsel der Anthropomorphen: Von Magitot (Bulletin soc. d' Anthro- pologie. Paris 1869. S. 113) und Giglioli (ebenda S. 83) ist gezeigt worden, dass derselbe in derselben Reihenfolge wie beim Menschen sich vollzieht. Zu- nächst von Milchzähnen erscheinen: 1. Die unteren Incisiven. 2. Die oberen I. 3. P-. 4. P^ 5. C. Der Durchbruch der bleibenden Zähne vollzieht sich dann weiter in der folgenden Reihe: 1. M^ 2. Untere I. 3. Obere I. 4. Die P. 5. C. 6. M^ 7. W. — 56 — dortigen Anthropomorplienschädel zu vergleichen und mir Wachs- abgüsse derselben zuzusenden. Das Ergebnis ging gleichfalls dahin, dass hier der hintere Milchbackenzahn eines Menschenaffen vorliegen müsse, da derjenige des Menschen eine viel mehr quadratische Krone besitzt, die hinten nicht schmäler ist als vorn. Auch sind die Wurzeln des menschlichen Milchbackenzahnes viel breiter, zudem beide unten ebenso breit wie oben, länger und beide von vorn nach hinten stark plattgedrückt ; auch divergieren sie viel stärker und haben die Neigung sich zu spalten, so dass drei bis vier Zacken entstehen. Herr Eimer betont aber die grosse Variabilität der Wurzeln, auf welche letztere mithin weniger Gewicht zu legen ist. Der Vergleich mit dem hintersten Milchbackenzahn des Chim- panse lehrte , dass die beiderseitigen Kronen ziemlich ähnlich sind, aber ebenfalls darin abweichen, dass der Chimpansezahn, wie der des Menschen, kürzer, quadratischer, hinten also nicht so spitz ist; auch besitzt er hinten zwei kleine Höcker. Mit Milchzähnen von Orang und Gorilla ist der fragliche Zahn nicht zu vergleichen. Welche Gestalt der entsprechende Milchzahn des Gibbon besitzt, war leider mangels solcher Zähne hier nicht festzustellen. Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergiebt sich das Folgende : Der fragliche Zahn ist nicht mit dem hintersten Milchbacken- zahn des Menschen, Orang, Gorilla und Chimpanse zu vergleichen; diese sind quadratischer im Umriss der Krone und beide Wurzeln, soweit bekannt, sind gleichsinnig zusammengedrückt. Dagegen ähnelt der fragliche Zahn den definitiven anderen Molaren aus dem Bohnerze (wie des lebenden Gibbon). Namentlich zeigt er sich darin denselben zugehörig, dass seine Krone dieselbe relative grosse Länge, bezw. Schmalheit besitzt, durch welche alle unsere Zähne aus dem Bohnerz, gegenüber denen des Menschen, ausgezeichnet sind. Aber er weicht von diesen anderen Zähnen doch ab : durch merkUch geringere absolute Grösse, durch noch bedeuten- dere relative Länge bezw. Schmalheit und durch das ausgesprochen spitzere Hinterende, indem der fünfte Höcker nicht mehr an der Seite steht, wie bei jenen, sondern ganz nach hinten gerückt ist. Es bleibt mithin nur übrig anzunehmen, dass dieser Zahn entweder dem definitiven Gebisse einer anderen Art bezw. Gattung von Menschenaffen angehört, als alle anderen Zähne aus dem Bohnerz, oder dass er dem Milchgebisse derselben Art und Gattung wie diese zugehört. — 57 — Die erstere Annahme ist, in Anbetracht der überaus grossen Seltenheit fossiler Menschenaffen, eine ganz unwahrscheinhche ; es ist das derselbe Grund, welchen wir schon einmal geltend machen mussten. Wenn dem so ist , dann muss wohl ein Milchzahn vorliegen ; und es kann dann nur der hinterste Backenzahn, P d\ des Milch- gebisses sein. Vergleichung der Bohnerzzähne mit Dryopithecus Fontani Lartet. Nachdem wir so die Ansicht begründet haben, dass unsere fraghchen Zähne aus dem Bohnerze der Alb nicht von Menschen herrühren können, sondern dass in ihnen wirklich der Rest eines anthropomorphen Affen vorliegt, werden wir zu prüfen haben, ob letzterer ident sei mit dem Dryopithecus Fontani Lartet von St. Gau- dens in Frankreich, wie das schon früher von Quenstedt, wenn auch ohne Beweisführung, als wahrscheinlich angenommen wurde (S. 19). Eine solche Beweisführung war aber auch so lange ganz unmöglich, als man die Zähne nicht mit denen des Dryopitltecus an Ort und Stelle verglich ; denn die von Lartet gegebene Beschreibung der- selben genügt nicht, um daraufhin eine Identifizierung zu gründen. Es ist auch mit Hilfe der in neuester Zeit von Gaudry ver- öffentlichten Arbeit über den zweiten, erst jüngst gefundenen Kiefer des Dryopithecus nicht möglich, völlig klar über diese Frage zu werden. Ja, selbst bei Gegenüberstellung der Originalien unserer Bohn- erzzähne mit denen des Dryopithecus in Paris schreibt eine Autori- tät wie Herr Gaudry, welcher die grosse Liebenswürdigkeit hatte, die Stücke zu vergleichen, dass er eine völlig sichere Entscheidung nicht geben könne. „Je partage votre embarras. L'idee qui se presente tout d'abord c'est que vos dents sont des dents humaines melangees accidentellement avec des fossiles . . . Cependant je suis porte ä penser, que vos dents ne sont pas d'un homme, mais d'un singe voisin des Dryopithe- ques . . . Ms. Boül et Verneau, Directeur de la Revue d'Anthro- pologie et Mr. Filhol ont vu vos pieces; ils croient comme moi qu'elles sont plutot d'un singe que d'un homme. Je vous presente mes observations avec toutes les reserves, . . . . craignant toujours les erreurs avec des pieces isolees. Von den in Taf. H Fig. 1 und 6 abgebildeten beiden, noch ganz unbenutzten Molaren schreibt Herr Gaudry speciell : „ elles ont l'aspect Dryopithecus."" - 58 - Um dem Leser ein eigenes Urteil, soweit das eben möglich ist, zu gewähren, gebe ich zunächst die Merkmale der Zähne des Bryo- pithecus, wie sie durch Lartet und Gaudry festgestellt wurden, wobei ich auch das über andere Zähne als Molaren Gesagte anführe, weil ich später noch über Dryopithecus zu sprechen haben werde. Nach Lartet sind die Unterkieferzähne von Bryojnthecus ge- kennzeichnet durch die folgenden Eigenschaften : 1. Die Alveolen der I sind seitlich sehr zusammengedrückt. 2. C schliesst sich hart an P^ an. Was Lartet weiter von der Canine sagt, wird durch Gaudry, welcher einen besser erhaltenen Unterkiefer beschrieb, berichtigt. 3. P^, der vorderste Prämolar, ist viel höher als P^ P^ hat zwei Höcker wie beim Menschen; nur dass diese schiefer, schräger stehen als bei letzterem. Bei den anderen Affen hat P^ nur einen Höcker; lediglich beim Gorilla findet sich bisweilen noch ein schwacher zweiter. 4. P^, der hinterste Prämolar, hat, wie bei allen Affen, vorn zwei Höcker, hinten einen Talon, bestehend aus konvexer Schneide. 5. M^ besitzt fünf Höcker. 6. M^ ist gestaltet wie M\ aber grösser als dieser. Auch tritt auf der Aussenseite an der Basis die Spur eines Basalwulstes (collet) auf, welcher bei M^ fehlt. Gaudry stellt die Unterschiede, welche die Unterkieferbezahnung des Dryopithecus von derjenigen des Menschen unterscheidet, auf Grund eines besser erhaltenen zweiten Kiefers in der folgenden Weise fest: 1. C hat eine noch einmal so lange Krone als die anderen Zähne. Er besitzt aussen am Vorderrande eine, allerdings ganz schwache Furche, welche beim Menschen fehlt. C steht in der Seitenfront der Zahnreihe, beim Menschen in der Vorderfront. 2. P^ ist grösser, länger, spitzer, höher als beim Menschen. Sein Lmenhöcker ist kaum bemerkbar, beim Menschen sehr deutlich. 3. P\ also der hinterste Prämolar, ist gleichfalls, wie P^, affen- ähnlich; d. h. er ist viel länger als breit, dagegen beim Menschen ebenso lang als breit. Das kommt daher, dass bei Bryopithecus der hintere Höcker an P"^ deutlich entwickelt ist. 4. Die M. sind verhältnismässig, d. h. gegenüber ihrer Breite, länger (von vorn nach hinten) als beim Menschen, Chimpanse, Orang und Gorilla. Ihre Höcker sind etwas höher als beim Menschen, Chimpanse und Orang. Der hinterste der drei Aussenhöcker ist — 59 — stärker entwickelt als beim Menschen und auch noch stärker als beim Orang und Chimpanse. M^ besitzt an der Aussenseite einen ganz kleinen Basalwulst (bourrelet) , welcher dem Menschen und den grossen lebenden Anthropomorphen fehlt. Die Kaufläche der Molaren ist runzeliger als beim Menschen, d. h. also sie besitzt Schmelzleisten. Stellen wir nun diesen Merkmalen des Dryopithecus diejenigen unserer isolierten Zähne aus dem Bohnerz der schwäbischen Alb gegenüber, so zeigt sich zunächst eine Verschiedenheit des beider- seitigen Materiales: Von Dryopithecus in Frankreich sind erhalten: Die Canine, Prämolaren und Molaren zweier Unterkiefer, sowie diese Kiefer. Die Zähne befinden sich einmal in wenig benutztem , das andere Mal in abgekautem Zustande. Von unseren Bohnerzzähnen liegen vor: Aus dem Unterkiefer der hinterste Milchbackenzahn und eine Anzahl loser Molaren; aus dem Oberkiefer zwei Molaren. Das beiderseitige Material deckt sich also nur in den Unter- kiefermolaren, nur diese sind direkt vergleichbar. Bei diesen aber zeigt sich die folgende Übereinstimmung: 1. Bei Dryopithecus wie bei unseren Bohnerzzähnen sind die Molaren, gegenüber ihrer Breite, länger als die ihnen sehr ähnlichen des Menschen, sowie die des Chimpanse, Orang und Gorilla. 2. Hier wie dort zeigen sich an unbenutzen Molaren auf der Kaufläche Schmelzleisten, wie sie nur ziemlich selten dem Menschen eigen sind. 3. Hier wie dort ist der hinterste der drei Aussenhöcker stärker entwickelt als beim Menschen und nicht so an die Hinterseite ge- drängt wie bei letzterem. 4. Hier wie dort ist der Typus der Molaren übereinstimmend, sehr menschenähnlich. Der untere Milchprämolar und die beiden oberen Molaren unserer schwäbischen Zähne entziehen sich dem direkten Vergleiche mit den französischen, weil diese Zahnkategorien dort fehlen. Aber sie zeigen in Bezug auf Punkt 1 und 2 volle Übereinstimmung mit dem dort erwähnten Verhalten, d. h. sie sind ebenfalls relativ länger als beim Menschen und mit Schmelzleisten versehen. Nachdem nun auf S. 51 dargethan worden ist, dass unsere Zähne aus dem schwäbischen Bohnerz mit ganz über- wiegender Wahrscheinlichkeit nicht dem Menschen, son- - 60 — dem einem Menschenaffen angehören müssen — glaube ich auf Grund der soeben aufgeführten, übereinstimmenden Merkmale weiter als bewiesen annehmen zu dürfen, dass unsere Zähne der Gattung Dryopithecus zuzurechnen sind, deren Kenntnis durch das schwäbische Material nun in etwas er- weitert wird. Eine andere Frage ist aber die, ob auch dieselbe Art wie in Frankreich vorliegt. Das ist schwer zu entscheiden, da neben dem Übereinstimmenden doch auch Unterschiede sich bemerkbar machen : Bei dem französischen Drijopitheciis zeigt sich an M^ inf. ein Basalwulst. Von einem solchen ist an unseren schwäbischen Zähnen nichts zu erkennen. Allerdings lässt sich für letztere nicht direkt erweisen, dass unter ihnen sich ein M^ befindet. Indessen wäre es ein sehr sonderbarer Zufall, wenn unsere sechs ünterkiefermolaren sämtlich nur den M^ darstellen sollten. (Für M^ möchte man sie infolge ihrer gestreckten Gestalt am allerwenigsten halten.) Vielmehr ist es doch äusserst wahrscheinlich, dass unter ihnen der eine oder andere dem M^ angehöre. Es fragt sich nun, ob ein solcher Unterschied ein genügendes Merkmal abgiebt, um eine andere Art darauf zu gründen. Hier ist einmal hervorzuheben, dass an dem einen unserer schwäbischen Ober- kiefermolaren, an Aussen- wie Innenseite, zwar kein Basalwulst, aber doch je ein Basalgrübchen auftritt, wodurch immerhin angedeutet ist, dass sich hier ebenfalls eine Neigung zu basalen Bildungen zeigt. Bei dem Gorilla tritt Derartiges ebenfalls auf. Schon Lärtet hebt zum Vergleiche hervor, dass bei diesem (1. c. Fig. 6) auch solche „vestiges de collet saillant" erscheinen. An dem Gorillaweibchen No. 2624 des Stuttgarter zoologischen Museums konnte ich an allen drei Molaren Grübchen beobachten, in welchen bei M^ und M^ sich eine Andeutung kleiner Basalwärzchen befindet. Es handelt sich hier aber wohl um Merkmale, welche der Variation fähig sind. Da- her scheint mir, dass auf diese Dinge kein so grosses Gewicht zu legen sei. Trotzdem aber wird m.an die Identität unserer fossilen Bohnerz- zälme mit denen des französischen Dryointjiecus nicht mit absoluter Sicherheit aussprechen dürfen, und wir können das um so weniger thun, als wir im Bohnerz zwei Zahngattungen besitzen, welche von dem französischen Dryopithecus bisher nicht bekannt sind, nämlich zwei Oberkiefermolaren und einen Milchbackenzahn, zudem letzteren von ganz eigenartiger Form und erstere durch besonders starke — 61 — Rauhigkeiten gekennzeichnet. Niemand aber kann sagen, ob die französische Art sich gleichgestaltet erweisen würde, wenn man von ihr diese beiden Zahngattungen fände ; ja, man kann sogar im Zweifel darüber sein, ob man die Identität der schwäbischen Gattung mit der französischen als derart genügend bewiesen erachten solle, dass man ihr den Geschlechtsnamen der letzteren geben dürfe. Ich habe aus diesem Grunde den Namen Bri/opithecus nicht im Titel dieser Arbeit angewendet. Da es aber bei der sehr grossen Seltenheit der Gattungen anthropomorpher Affen immerhin viel wahrscheinlicher sein dürfte, dass auf der Alb und in Frankreich dieselbe Gattung gelebt hat, nicht aber zwei verschiedene , so wird man wohl die Zähne aus unseren Bohnerzen als Dryointhecus sp. benennen dürfen. Ich werde daher, auch um nicht immer umschreiben zu müssen, fernerhin in dieser Arbeit unsere Zähne aus dem Bohnerz der Alb als Dryopithecus bezeichnen. III. Die Frage der Abstammung des Menschen. Die Alternative, ob der Mensch plötzlich aus dem Nichts er- schaffen sei oder sich allmälig aus niedriger stehenden Wesen ent- wickelt habe, „ist bei uneingeschränktem Gebrauch des Verstandes überhaupt nicht mehr aufzuwerfen" \ sagt Oscar Schmidt in seinem unten angezogenen Buche. Es ist in der That nicht der mindeste zoologische Grund vorhanden, dass das höchstorganisierte Lebewesen, welches auf dieser Erde besteht^, auf andere Weise ins Leben ge- treten sein sollte als alle anderen niedriger organisierten Wesen. Wenige Jahrzehnte erst sind dahingegangen, seit Darwin schrieb ; und doch hat diese seine entwickelungsgeschichtliche Lehre bereits in einem Siegeszuge sondergleichen die ganze naturforschende Welt sich unterworfen. Nur ein oder einige Menschenalter noch kann es währen, und die Entwickelungslehre ^ wird ein Allgemeingut aller Kulturmenschen geworden sein. Gegenwärtig freilich ist derselben ^ Oscar Schmidt, Die Säugetiere in ihrem Verhältnis zur Vorwelt. Leipzig 1894 bei Brockhaus. S. 269. * Auf den Planeten anderer Fixsterne mag es noch höher organisierte Wesen geben; jedenfalls wird eine Lebewelt dort nicht fehlen; aber sie Avird dort, weil andere Verhältnisse obwalten, andere Formen angenommen haben. Der Gedanke, dass unter den mindestens mehi-eren Hundert Millionen, vielleicht wirklich un- endlich vielen Fixsternen nur der eine einzige, unsere Sonne, Planeten habe, gehabt habe, haben werde, auf denen organisches Leben möglich ist, möglich war oder sein wird — dieser Gedanke würde so überaus unwahrscheinlich sein, würde von einer so beschränkten Auffassung der Welt diktiert sein, dass wir ihn kurzweg zurückweisen müssen. Wenn überhaupt Analogieschlüsse irgend- welche Berechtigung besitzen, so dürfen wir auch von den Verhältnissen in unserem Planetensystem, bez. der Erde, auf andere schliesscn. ^ Man kann nicht den Ausdruck „Darwinismus" anwenden, denn dieser umfasst nicht nur Dar win's Ansicht, dass die Organismen sich auseinander ent- wickelt haben (Entwickelungslehre), sondern auch die Erklärungsversuche, welche Darwin über die Ursachen dieser Entwickelung gemacht hat. Diese Erklärungs- versuche aber sind eben so strittiger Natiu: wie jene Entwickelungslehre allgemein aufgenommen ist. - 63 — noch ein ansehnlicher Teil der nichtnaturwissenschaftlichen Mensch- heit abhold ; und zwar, wie es scheinen will, wesentlich darum, weil hier die Ansicht verbreitet ist, die Entwickelungslehre sei unvereinbar mit dem Glauben an Gottheit und Unsterblichkeit, einem Glauben, den man sich nicht rauben lassen will. Das ist ein Irrtum. Wer an Gott und Unsterblichkeit nicht glauben will, bedurfte dazu nicht erst der Entwickelungslehre. Lange vor Darwin schon ist von diesem Unglauben ausgiebiger Gebrauch gemacht worden. Wem dagegen der Glaube an Gott und Unsterbhchkeit ein Bedürfnis ist, der wird durch die Entwickelungslehre nicht im mindesten daran gehindert; ja, im Gegenteil, er kann durch diese Lehre nur zu einer durch- geistigteren Vorstellung von der Gottheit kommen: Insofern, als für ihn an die Stelle des Schöpfers der mosaischen, richtiger assyrisch- babylonischen oder gar noch älteren Schöpfungsgeschichte, welcher sich damit begnügt, zahllose Tier- und Pflanzenarten einzeln ins Dasein zu rufen, ein Schöpfer tritt, welcher die Urzelle schafft, bezw. aus Unorganischem entstehen lässt, aber in diesen Schöpfungsakt den eines Gottes würdigen Gedanken der Entwicklung zu immer Höherem legt, bis hinauf zum Höchsten, dem Menschen, dem Träger der unsterblichen Seele. Diese Vereinbarkeit der Entwickelungslehre mit dem Glauben an übersinnliche Dinge ist schon im Anfang der siebziger Jahre durch Rudolf v. Schmid ^ gezeigt worden , zu einer Zeit, in welcher Darwin's Lehre noch jüngsten Datums und weitesten Kreisen ein Stein des Anstosses war. Wer nun aber auf dem Boden der Entwickelungslehre steht, für den wird damit der zoologische Ausblick nach den ältesten An- fängen eines jeden Lebewesens, folglich auch des Menschen, ein selbstverständlicher; der wird nach Übergangsformen suchen. Darum überrascht es, wenn Rudolf Virchow^ die Frage nach einer Über- gangsform von Tier zu Mensch eine unlogische nennt: „Ein Wesen ist entweder ein Mensch oder ein Tier. Eine Übergangsform kommt von einem Tiere her, welches sich metamorphosieren soll. Solange dieses noch nicht metamorphosiert ist, muss man es mithin als Tier betrachten. Ist es aber metamorphosiert, dann ist es ein Mensch." So etwa lautet der von Virchow ausgesprochene Gedankengang, soweit ^ Die Darwin'schen Theorien und ihre Stellung zur Philosophie, Religion und Moral. Barmen bei H. Klein. 400 S. 2 Bericht über die 27. allgemeine Versammlung der deutschen Gesellschaft für Authi-opologie, Ethnologie, Urgeschichte in Speyer. 3.-7. Awg. 1896. In der Leopoldina. März 1897. S. 46 ff. — 64 - ich denselben dem unten angeführten Berichte über seine Rede ent- nehmen kann. Auch Chapman ^ hat früher schon, wenn auch in etwas anderer Begründung, eine ähnUche Ansicht ausgesprochen: „A missing link ought not to be expected to be found;" denn unter den anthropo- morphen wie niederen Affen, lebenden und fossilen, findet sich keiner, welcher als Ahne des Menschen betrachtet werden kann, d. h. wel- cher dem Urmenschen oder dem Uraffen und noch weniger dem ge- meinsamen Vorfahren beider gleichen könnte. Alle diese Affen stammen offenbar von einer gemeinsamen Stammform ab, und ebenso rühren alle Menschenrassen von einem gemeinsamen Ahnherrn her. Diese beiden aber, der Uraffe und der Urmensch, sind wieder einer gemeinsamen Stammform entsprossen. Soviel sich das für mich verstehen lässt, handelt es sich hier doch wohl nur um ein Fechten um Worte? Insofern, als Chapman sagen will : Unter „missing link" versteht man eine Übergangsform aus dem , was man heute Mensch nennt , in das , was man heute Affe nennt. Eine solche aber hat es nie gegeben, sondern Mensch und Affe sind zwei verschiedene, in uralter Zeit einer gemeinsamen Stammform entsprossene Zweige. Diese Stammform aber kann nicht als missing link hingestellt werden, denn sie verbindet ja nicht das, was heute unter Affe und Mensch verstanden wird, sondern nur jenen Uraffen und Urmenschen. Offenbar kann man unter den Ausdrücken „Übergangsform, missing link, verbindendes Ghed" Verschiedenes verstehen und darum lässt sich streiten , ob ihnen im vorliegenden Falle ein WirkHches zu Grunde liegt. Wir wei'den unter der gesuchten Übergangsform uns ein Wesen denken , welches bereits in damaliger , längstver- gangener Zeit eine höhere Organisation besass, als sie den heute höchststehenden Tieren, den anthropomorphen Affen, zukommt. Es wird das also ein Wesen sein, welches vor allem die Merkmale eines aufrechten Ganges an sich trug und ein , im Verhältnis zu seiner Körpergrösse, nennenswert grösseres Gehirn besass, als diese. Ob man ein solches Wesen, wenn man es findet, noch als Tier bezeichnen wollte oder als Übergangsform, Bindeglied, missing link, das wäre — so scheint mir — lediglich Geschmackssache. Jeden- falls würde das an der Sache gar nichts ändern. Es wäre eben ein 'Chapman, On the structnre of the gorilla. Ebenda 1878. Phil- adelphia 1879. S. 394. — 65 — tierisches Wesen, weiter zum Menschen hin fortgeschritten, als alle lebenden. Thatsächlich hat E. Dübois nun bereits ein solches fossiles Wesen gefunden: den Pithecanthropus , von welchem weiter unten die Rede sein wird. Ich stimme hier ganz denen bei, welche in dieser Form nur einen menschenähnlichen Affen sehen ; aber es ist jedenfalls einer, der höher stand, als die heutigen Anthropomorphen, welcher näher zum Menschen hingeschritten war, als diese. Nun denke man, dass sich abermals ein fossiler Anthropomorpher fände, der noch stärker ausgeprägte menschliche Eigenschaften besässe ; und dann nochmals einer, bei welchem das in noch höherem Grade der Fall wäre ; denn das sind , da wir bereits den Plthecanthroims mit seinem für einen Affen abnorm grossen Gehirne gefunden haben, keineswegs unvernünftige, sondern ganz zulässige Annahmen. Dann wäre doch thatsächlich die anatomische Scheidewand zwischen Mensch und anthropomorphen Affen vollständig überbrückt durch eine Stufen- leiter dreier Wesen; und es wäre ganz gleichgültig, ob wir für alle drei im System eine Gruppe der „Übergangsformen zwischen Mensch und Affe" schaffen wollten; oder sie alle drei bei den Anthropo- morphen unterbrächten; oder zwei derselben noch zu diesen, den dritten, höchststehenden aber bereits zu den Menschen zählen wollten. 1. Der Grad von Monschenähnlichkeit heute lebender anthropomorpher Affen. Schon vor fast 200 Jahren hat E. Tyson ^ das ausgesprochen, was HuxLEY später bewies, indem er der Reihe nach alle einzelnen Organe der Affen und des Menschen miteinander verglich : Dass nämlich die Unterschiede zwischen Mensch und den ihm nächststehenden anthropomorphen Affen nicht grösser seien, als die- jenigen zwischen diesen höchstorganisierten und den niedriger stehen- den Affen. In ähnlicher , etwas schärfer umgrenzter Weise drückte sich dann Häckel^ aus, indem er sagte: „dass die anatomischen Ver- schiedenheiten , welche den Menschen von den höchstentwickelten Katarrhinen (Orang , Gorilla , Chimpanse) scheiden , nicht so gross sind, als diejenigen, welche diese letzteren von den niedrigsten (Meer- katze, Makako, Pavian) Katarrhinen trennen." ^ Orang-outang , sive Homo sylvestris. Londres 1699. S. 92. Siehe bei Deniker, Eecherclies anatomiques et embryologiques sur les singes anthro- poides. These presentee ä la faculte des sciences de Paris. 1886. S. 253. 2 Häckel, Anthropogenie. 1. Aufl. 1872. S. 489. Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 5 - 66 - Vielfach ist jener Ausspruch Huxley's angegriffen, vielfach ver- teidigt worden ; aber das , was Huxley festgestellt hatte , blieb im allgemeinen zu Recht bestehen. In Bezug auf die Muskiilatur hat Deniker^ gezeigt, dass Bischof unrecht habe; denn nicht, wie letzterer wollte, beträgt die Zahl der dem Gorilla, gegenüber dem Menschen, fehlenden Muskeln dreizehn, sondern nur drei. Dazu ge- sellen sich als fernerer Unterschied zwei Muskeln, welche der Gorilla besitzt, während sie dem Menschen doch wenigstens auch ausnahms- weise zukommen. Darauf aber beschränkt sich, nach Deniker, die ganze Abweichung des Gorilla vom Menschen in Bezug auf die Muskulatur ; und ganz dasselbe gilt nach ihm auch von den anderen Anthropomorphen bis auf wenige, geringfügige Unterschiede^. Auch die Unterschiede hinsichtlich der Extremitäten sind nicht derartige, wie man wohl geltend gemacht hat. Es ist darauf hin- gewiesen worden, dass der Fuss der Affen auch zum Greifen ein- gerichtet sei, während das dem Menschen abgehe. Nun ist aller- dings unbestreitbar, dass bei ersteren die grosse Zehe etwas mehr als bei letzteren absteht, indem das Cuneiforme I an seiner Innen- seite etwas anders beschaffen ist. Allein einmal verhalten sich darin, wie Herve^ zeigte, die verschiedenen Menschen recht verschieden. Es finden sich hier am Abduktor der grossen Zehe alle Übergänge von der normalen Bildung an, bei welcher sich der Abduktor erst ganz unten teilt, bis hin zu der bei den Anthropomorphen herr- schenden, bei welchen diese Teilung hoch hinaufgerückt ist. Zweitens 1 Ebenda. S. 254. ^ Chapman kommt am Schlüsse seiner Untersuchungen über den Gorilla (On the structure of the Gorilla. Proceedings of the Acad. of nat. sc. of Phil- adelphia. 1878. Philadelphia 1879. S. 384) und den Chimpanse (On the structiu'e of the Chimpanzee. Ebenda 1879. Philadelphia 1880. S. 52—64) zu dem Ergebnisse, dass der Chimpanse dem Menschen ebenso nahe steht, wie der Gorilla, dass aber beide Anthi-opomorphe in gewissen Punkten , nämlich in dem Fehlen gCAvisser Muskeln, weniger menschenähnlich sind, als selbst die niederer stehenden Affen. — In seiner Arbeit über den Orang (On the structure of the Orang ütang. Ebenda 1880. Philadelphia 1881. S. 160—175) stellte er dann fest, dass dieser wieder in anderen Punkten dem Menschen sich mehr nähert, als Gorilla und Chimpanse das thun. Während der Orang nach ihm eng mit den Gibbons ver- wandt ist, steht der Chimpanse in näheren Beziehungen zu den Makaken, und die Kluft zwischen diesen letzteren und Semnojnthecus wird überbrückt diu'ch Mesopithecus aus dem Obermiocän. ^ Les pretendus Qnadrumanes. Bulletin soc. d'Anthi'opologie de Paris. 1889. S. 680—717. Ich citiere die mir nicht zugängige Arbeit nach Schlosser 's Litteraturbcricht für Zoologie im Archiv für Anthi'opologie. - 67 — aber steht beim menschlichen Embryo die grosse Zehe immer noch ziemhch weit ab, ganz wie bei den Affen, infolge der Beschaffenheit des Cuneiforme I. So sind also auch in dieser Beziehung Mensch und Anthropomorphe durch keinerlei fundamentale Unterschiede ge- trennt. Die Hinterextremität der letzteren ist ebenso ein echter Fuss, wie diejenige der ersteren. Noch geringer sind die Unterschiede bei der Vorderextremität. Die Hand der Anthropomorphen ist von der menschlichen nicht wesentlich verschieden; in osteologischer Beziehung ist sie es gar nicht. Sogar ein bei den meisten Affen an der Hand auftretender Knochen, das Centrale Carpi, welches, dem Naviculare am Fusse entsprechend, der Hand einen Fusscharakter verleihen könnte, selbst dieser Knochen findet sich beim menschlichen Embryo. Aber auch beim erwachsenen Menschen ist er hier und da noch erhalten. Oruber hat ihn, wie Leboucq ^ anführt, unter 5000 Fällen 15 mal gefunden. Dieses Centrale Carpi ist also hier wie dort vorhanden und ein Bestandteil der typischen Hand". Gleichfalls durchaus nicht durchgreifender Natur ist ein wei- teres Merkmal, welches durch die aufrechte Haltung des Menschen seine Bedeutung erhält. Den anthropomorphen Affen fehlt nämlich am Femur der sogen, dritte Trochanter; ein Vorsprung, an welchen sich der Musculus gluteus maximus anheftet, durch den die aufrechte Haltung des Menschen bedingt wird. Dieser dritte Trochanter ist nun aber im menschlichen Geschlechte keineswegs gleichmässig ent- wickelt, sondern bei den auf höherer Stufe befindlichen Rassen soll er nach Houze häufiger auftreten als bei den auf niedrigerer stehen- den. Wundersam ist dabei freilich, dass er am häufigsten sein soll' bei dem Menschen der Rentierzeit Belgiens. Ein Schwanz fehlt im allgemeinen Menschen wie Anthropo- morphen. Hier wie dort tritt er jedoch beim Embryo auf und bleibt dann ausnahmsweise nach der Geburt (Chimpanse). Alle mensch- ^ Recherches sur la morphologie du Carpe chez les Mammiferes. Arcliives de Biologie par van Beneden et van Bambecke. 1884. T. 5. S. 52. ^ Der Regel nach verschwindet es beim menschlichen Embryo von drei Monaten. Nicht, indem es durch Atrophie verloren ginge, sondern dui'ch Ver- schmelzung, so dass man das Scaphoideum betrachten muss als entstanden aus der Vereinigung des Radiale mit dem Centrale (ebenda S. 39 u. 78), wie das schon Owen aussprach. ^ Houze, Le troisieme trochanter de l'homme et des animaux. Bulletin soc. anthropologique de Belgique, Bruxelles 1893. Ich eitlere nach dem Litte- laturberichte von Schlosser im Archiv für Anthropologie. 5* — 68 - liehen Embryonen ^ besitzen auf solche Weise im ersten bis dritten Monate ihres Lebens einen über das untere Rumpfende frei hervor- ragenden Schwanz, dessen oberes Ende wirbelhaltig, dessen unteres wirbelfrei ist, „der nicht nur äusserlich in Form und Grösse den Schwanzbildungen z. B. von Säugetierembryonen derselben Entwicke- lungsstufe völlig gleicht, sondern diesen embryonalen Säugetier- schwänzen auch völlig homolog ist." Aber auch bei ganz reifen menschlichen Früchten kommen solche schwanzförmigen Anhänge gar nicht selten vor. Sie pflegen dann sogar nach der Geburt des Kindes noch erheblich weiter zu wachsen, so dass sie die Länge und Dicke eines ausgebildeten mensch- lichen Fingers erreichen. Dabei können sie später bisweilen mehr oder weniger stark behaart werden, und in seltenen Fällen können sie sogar leichter Bewegungen fähig sein. Kurz, die Ähnlichkeit mit echten Tierschwänzen kann eine ganz auffällige werden, und wie sich für die stets vorkommenden Schwänze der menschlichen Embryonen die Homologie mit denen tierischer Embryonen nachweisen Hess, so hat man auch für diese bisweilen vorkommenden Schwänze des fertigen Menschen dargethan, dass sie homolog sind dem weichen Endstücke des Schwanzes fertiger Tiere ^. * Vergl. W. Waldey er, Die Cauclalanlmnge des jilensclien. Sitzuiigsber. d. Akad. d. Wiss. Berlin. Math.-naturw. Mitth. Berlin 1896. Heft 7. S. 349—358. ^ Es sind unter diesen beim Menschen auftretenden Caudalanhängen zwei Gruppen zu unterscheiden. Die einen, welche Virchow als „ Wirbelschwänze " bezeichnet, enthalten Wirbel oder doch Wirbelrudimente, wobei jedoch niemals- die Zahl dieser Wirbel eine grössere ist, als sie normal dem Steissbein zukommt. Die anderen, welche er „weiche Schwänze" benannte, entbehren einer solchen festen Achse. Aber, und die Untersuchungen von Waldey er und Piatnitzky ergänzten diejenigen Virchow 's, es zeigte sich doch, dass sich im Oentrum mancher solcher weichen Menschenschwänze ein axialer Strang dahinzieht, dem offenbar eine vertebrale oder spinale Bedeutung zukommt. Ausserdem liess sich nachweisen, dass diese weichen Menschenschwänze bisweilen von einer grossen Arterie, von Nervenstämmchen und gestreiften Muskelbündeln durchzogen werden. Von alters her führen die weichen Caudalanhänge des Menschen den Namen Caudae suillae; erst durch diese Untersuchungen ist jedoch die Berechtigung^ einer solchen Bezeichnung erwiesen worden. Bei den geschwänzten Säugetieren nämlich ist das äusserste distale Ende des Schwanzes ebenfalls wirbelfrei, weich und zeigt ganz diese selbe Beschaffenheit wie beim Menschen ; namentlich bei dem distalen Ende des Schweineschwanzes war die Übereinstimmung eine grosse. Mindestens gewisse Formen dieser weichen Menschenschwänze sind also zweifellos homolog den Tierschwänzen ; und ganz dasselbe gilt auch von den weichen Schwänzen, welche bei schwanzlosen Affen, Avie dem Chimpanse und dem Inuus ecaudatus auftreten können. — 69 — - Bemerkenswert ist nun , wie Deniker's ^ Untersuchungen am Fötus von Gorilla und Gibbon feststellten, dass der embryonale Gorilla sogar einen kürzeren Schwanz als der embryonale Mensch besitzt ^ Schon seit langer Zeit ist die Thatsache anerkannt, dass die Anthropomorphen in der Jugend und im embryonalen Zustande dem Menschen sehr viel ähnlicher sind als im erwachsenen'. Vom embryo- nalen Stadium an bis hin zum Durchbruch der ersten Milchbacken- zähne , also etwa bis zum vollendeten ersten Lebensjahre , ist die Übereinstimmung mit dem Menschen eine überraschende. Die Art der Entwickelung und das Wachstum des Körpers und seiner Organe erfolgen fast in derselben Weise wie beim Menschen. Erst mit dem Erscheinen der ersten Milchbackenzähne ändert sich das Bild. Das Wachstum des Schädels nach vorn und oben hört beinahe auf und beschränkt sich auf den hinteren und unteren Teil desselben. Die Zunahme des Gehirns bleibt von nun an fast gleich Null, wohl aber verlängern sich die Kiefer nach vorn und damit nimmt die Pro- gnathie reissend zu. Als Embryo fast mit dem eines Negers zu verwechseln, bis zum etwa ersten Lebensjahre noch sehr menschenähnlich, entsteht bei dem Anthropomorphen von da an schnell die Herausbildung der Eigenschaften, welche diesen vom Menschen unterscheiden*. Und diese unterscheidenden Merkmale sie gipfeln in dem Gehirn, das an Masse und Windungen bei den Anthropomorphen viel geringwertiger ist als beim Menschen. So finden wir Beziehungen der anthropomorphen Affen in dem- selben Masse nach oben, zum Menschen, wie nach unten, zu den niedrigstehenden Affen. Lässt man nun, was doch niemand bestreiten wird, diese Beziehungen als Zeichen von Blutsverwandtschaft un- * Recherches anatomiques et embryologiques sur les singes anthropoides. These presentee ä la faculte des sciences de Paris. 1886. ^ Man könnte hinzufügen, dass auch der fertige Mensch in seinen 4 — 5 Caudalwirbeln eigentlich einen längeren Schwanz habe als der Chimpanse, welchem nur deren 2 — 3 zukommen, falls man unter „Schwanz-' nicht nur eine frei aus dem Körper heraushängende, allseitig mit Integument bedeckte Bildung (Wal- deyer) verstehen wollte, sondern, wie z. B. Fol und andere, auch eine jede im Fleisch steckende Verlängerung der Wirbelsäule über das Kreuzbein hinaus (Fol, Sur la queue de l'embryon humain. Compt. rend. hebdom. Acad. d. sc. Paris. 1885. T. 100. S. 1469—1472). 3 Deniker, Ebenda S. 255, * Vergl. Teil II dieser Arbeit, „Reduktion der Zahnzahl bei Mensch und Affen." Selenka. — 70 — beanstandet gelten zwischen den höheren und den niederen Affen, so wird man genau ebenso oder noch viel mehr die Verwandtschaft dieser höheren Affen mit dem Menschen anerkennen müssen , von dem sie ja durch geringere Unterschiede getrennt sind als von jenen. Ist dem aber so, dann wird auch dem Versuche die Berechtigung nicht versagt werden dürfen, sich eine Vorstellung zu bilden von den Wegen, auf welchen etwa der Entwickelungsgang des Menschen- stammes verlaufen sein könnte, wenn wir nur dabei nicht vergessen, dass es sich um so versteckte, so entfernt von dem heute liegenden Wege, um so verwischte Fährten handelt, dass der Verfolg derselben zunächst nur in einem suchenden Umhertasten bestehen kann. 2. Welche Eigenschaft könnte vielleicht tertiären Anthropomorphen den Anstoss zu höherer Entwickelung gegeben haben? Zu irgend einer Zeit müssen einmal innerhalb der tierischen Vorfahren des Menschen Wesen entstanden sein, welche durch den Besitz gewisser Eigenschaften den Anstoss erhielten zu einem Auf- schwünge, der ihre Nachkommen hoch über alle anderen Wesen erheben sollte. Auf das Nebensächliche der Frage ist bereits im Vorhergehenden (S. 64) hingewiesen worden , welchen Namen man diesen Wesen zu geben habe, ob man sie noch als anthropomorphe Affen oder als Übergangsformen bezeichnen solle. Sehr viel wichtiger ist jedenfalls die Frage, welche Eigenschaft es wohl gewesen sein mag, die zuerst den Anstoss zu einem so gewaltigen Aufschwünge gegeben habe. Indem Rütimeyer auf die wilde Menschenfratze des erwachsenen, namentlich männlichen Anthropomorphen hinweist gegenüber dem so sehr Menschenähnlichen des jugendlichen und des weiblichen Tieres, findet er die Ursache dieser überraschenden, nach abwärts statt nach aufwärts führenden Entwickelung des Individuums in der Härte des Kampfes ums Dasein ^, welchen der männliche Anthropo- morphe in seinem Leben zu führen hat. „Und wenn wir fragen, v/elchem bösen Feinde der so schöne Anfang (d. h. die grosse Men- schenähnlichkeit des jugendlichen Menschenaffen) unterlag, so müssen wir uns sagen, dass es wirkhch gutenteils die Not des Lebens, der Kampf ums Dasein war, der diese Blüte knickte." Je mehr es für ein Tier die Pflicht des körperlichen Lebens ist, die tierischen ^ Rütimeyer, Die Grenzen der Tierwelt. Zwei Vorträge. Basel 1868 bei SCHWEIGHAUSER. S. 52. — 71 — Leidenschaften zu kultivieren, hart zu kämpfen für Nahrung, für Fortpflanzung, gegen Feinde, desto mehr wird es seine Zähne, seine Muskeln, seine Sinnesorgane kräftigen und in diesen Dienst stellen müssen; und das alles wird sich vollziehen auf Kosten der Ent- wickelung des Gehirns. Nicht der in seinen Folgen allzu viel gepriesene harte Kampf ums Dasein vermochte den Anthropomorphen auf die Höhe des Menschen zu bringen, sondern umgekehrt die Härte dieses Kampfes war es, die ihn abhielt, diese Höhe zu erklimmen. Als Prüfstein für die Richtigkeit dieses Gedankenganges könnte man wohl fordern wollen, dass durch Fernhalten dieses Kampfes, in der Gefangenschaft, aus dem jugendlichen Anthropomorphen sich ein dem Menschen näher bleibendes Wesen erziehen lassen müsse. Mit nichten! Vergeblich würde man diese Leistung vom Individuum erwarten, das ja in den Fesseln liegt, welche die vieltausendjährige Geschichte seiner Art ihm auferlegt. Das Individuum steht unter dem Zwange seiner Geburt, seiner Abstammung, seiner Artahnen. Nur wenn die Geschichte der ganzen Art, durch viele Tausende und Abertausende von Jahren hindurch , rückgängig gemacht werden könnte , würde vielleicht die Knospe , die in dem kindergleichen, jugendlichen Anthropomorphen schlummert, zum Treiben, zur Ent- faltung gebracht werden können. Der Kampf ums Dasein musste also erleichtert sein, wenn die Möglichkeit einer Entwickelung menschlicher Wesen aus tierischen gegeben sein sollte. Und diese Erleichterung, sie konnte zunächst wohl nur bestehen in einer besseren Ausrüstung zum Kampfe, durch welche das betreffende Wesen begünstigter war, als alle anderen Tiere, durch welche es in stand gesetzt wurde, sich leichter durchs Leben zu schlagen, leichter über seine Widersacher zu triumphieren als diese und endlich die Herrschaft über alle Tiere zu gewinnen. Fragen wir uns aber, in welchem Organe wohl diese Zauber- macht gelegen haben mag, so fällt der Blick auf unsere Hand. Die vom Staube des Erdbodens, von dem niedrigen Dienste eines Geh- werkzeuges befreite Hand musste geboren werden , aus dem Vier- füssler musste der Zweifüssler entstehen und der erste Anstoss zu diesem Wunder war gegeben. Von verschiedener Seite ist denn auch betont worden, dass — wie Dames kurz und treffend sich ausdrückt — der Mensch zu- erst mit den Beinen Mensch geworden sei; dass also vor allem erst auf zwei Beinen gehende Geschöpfe entstanden sein müssen, — 72 — bevor sich ihre Nachkommen überhaupt zum Menschen entvvickehi konnten ^ Das ist sehr einleuchtend ; denn erst von dem Augenbhcke an, in welchem dieses hypothetische Wesen den aufrechten Gang an- genommen hatte, waren ihm ja die Arme frei geworden zu selbständi- gem Handeln ohne Rücksicht auf die bisherige Verpflichtung zur Unterstützung des Körpers beim Gehen. Zu höherer Beschcäftigung konnten sie nun verwendet werden, und damit erst erhielt das Ge- hirn den Anstoss, nachzudenken über das Wie? dieser Verwenduno^ der Arme und der Hände. Immer neue und neue Aufgaben er- wuchsen so allmälig dem Gehirne, und im gleichen Schritte mit diesen Aufgaben wuchs die Thätigkeit des Gehirnes, bildete dieses sich aus. Denn alles, was die Menschheit mit ihren Händen schafft an Werken des Krieges, der Gewerbe, der Kunst, der Wissenschaft — das alles konnte ja erst dann erdacht werden von dem Gehirne, sowie überhaupt Hände, vom Dienste als Gehwerkzeuge befreit, vorhanden waren, es auszuführen. Aber noch in weiterer Beziehung führte diese Befreiung der Arme vom Gehdienste zu einer Befreiung jenes hypothetischen Wesens: Noch heute werden von den anthropomorphen Affen die Arme beim Gehen und Stehen mit zur Stütze des Körpers verwendet. Dazu bedürfen sie natürlich der Stützpunkte und das sind die Bäume ; ihr Leben spielt sich daher notgedrungen heute zumeist in den Wäldern ab. Als aber jene hypothetische Form ohne Hilfe der stützenden Arme völlig aufrecht gehen gelernt hatte, da war sie zugleich auch befreit von den Schranken, welche der Wald ihr setzte, da konnte sie , wie das Schlosser hervorhob ^ , wandern und sich allerorten über die Erde ausbreiten. Unter allen Säugern giebt es ausser dem Menschen nur noch ein Wesen, welchem ein Körperglied zu Gebote steht, das in der Art seiner Verwendung eine Analogie zu dem menschlichen Arme darbietet: Das ist der Elefant mit seinem Rüssel. Wie der Mensch erst durch die Befreiung seiner Arme zu einer so gewaltigen Entvvickelung seines Gehirnes gelangt ist, so hat, wie Ch. Morris hervorhebt^, auch der Elefant seine unter den Tieren hervorragende intellektuelle Entwicke- lung nur diesem, einem Arme ähnlich wirkenden Rüssel zu verdanken. ^ Vergl. Morris in der unten angeführten Ai'beit ; ferner D a m e s , Deutsche Rundschau. 1896. S. 387. 2 Litteraturbericht f. d. Jahr 1885 im Archiv f. Anthropologie. S. 289. ^ The making of man. American Naturalist. Bd. 20. 1886. S. 495. - 73 - Nehmen wir den obigen Gedankengang als richtig an, dass also in der Erwerbung des aufrechten Ganges der erste Anstoss zum Menschwerden lag, so entsteht sofort die weitere Frage nach der Ursache dieser Erwerbung; denn irgend ein Grund muss doch vor- handen gewesen sein, welcher jenes hypothetische Wesen veranlasste, seine Arme nicht zur Stütze beim Gehen zu benützen, sondern auf- recht zu gehen. Ch. Morris hat versucht, hierauf eine Antwort zu geben. Er glaubt ^ diese in zwei Dingen zu finden : In dem grossen Gewichte des Körpers und in der Kürze der Arme, welche jenen hypothetischen Wesen zukamen. Auch heute lebt der grösste Menschenaffe, der Gorilla, vorwiegend auf der Erde ; und das ist wahrscheinlich darum der Fall, weil sein bedeutendes Körpergewicht ein Leben und eine Fortbewegung auf den Ästen der Bäume erschwert. In gleicher Weise, schliesst Morris, werden jene Menschenaffen, aus welchen der Mensch entsprang, durch die Schwere und Grösse ihres Körpers veranlasst worden sein, das Leben auf Bäumen aufzugeben, welches ihre Vorfahren geführt hatten^. Auf solche Weise, mit der Übersiedelung auf den ebenen Boden, war die eine Bedingung gegeben, welche zum aufrechten Gange hinüberführte. Aber noch ein Zweites musste hinzukommen, um einen solchen zu ermöglichen oder gar zu erzwingen : die Kürze der Arme (1. c. S. 347, 348). Bekanntlich haben die heutigen • menschenähnlichen Affen z. T. längere (Gorilla, Chimpanse) , z. T. sogar sehr viel längere Arme (Orang, Gibbon) als der Mensch. Bei letzteren beiden anthropomorphen Gattungen reichen sie sogar bis an die Knöchel hinab. Mehr oder weniger (Gibbon) benutzen daher alle diese heutigen Menschenaffen ihre Arme mit als Gehwerkzeuge oder doch wenigstens als Stützen, wenn sie von ihren Bäumen heruntergestiegen sind und auf dem Boden sich fortbewegen. Jene Affen aber, von welchen die Entwickelung zum Menschen ausging, schliesst Morris, müssen bereits ähnlich kurze Arme gehabt haben wie der heutige Mensch ; denn so lange die Arme eine solche Länge besassen, dass sie überhaupt bequem zum Gehen benutzt werden konnten, wird das auch geschehen sein. Sowie aber durch die Kürze der Arme eine Benützung derselben als Gehwerkzeuge sehr erschwert, ^ C h. Morris, Frorn brüte to man. American Naturalist. Bd. 24. 1890. S. 341—350. ^ Vergl. im Gegenteil dazu die Ansicht von Kollmann (S. 112 ff.), welche umgekehrt auf kleine menschliche Ahnen hinausläuft. - 74 — fast zur Unmöglichkeit geworden war, wurden ihre Besitzer zum auf- rechten Gange gezwungen, sowie sie die Bäume verliessen, um auf der Erde zu gehen. Morris ist überhaupt der Ansicht, dass jene anthropomorphen Affen, von welchen der Mensch seinen Ursprung nahm, dem Menschen im Körperbau bereits sehr ähnlich waren, so dass also nicht der Körperbau sich wesentlich veränderte, indem aus dem Aifen ein Mensch wurde, sondern mehr das Gehirn. Durch die Schwere der Körper zum Aufgeben des Baumlebens veranlasst, auf dem Erdboden durch die Kürze der Arme zum auf- rechten Gange gezwungen, durch diese beiden Umstände zur Be- freiung der Arme vom bisherigen Dienste bei der Unterstützung des Körpers gelangt, durch diese Befreiung der Arme zu lebhafterer Thätigkeit, Entfaltung und Zunahme des Gehirnes angeregt — das wäre also die obige Schlussfolge. Dieselbe hat etwas Bestechendes. Zwar kann man einwerfen, dass unter den lebenden anthropomorphen Affen gerade der am besten Aufrechtgehende, der Gibbon ^, nicht etwa die kürzesten Arme habe, sondern umgekehrt, neben dem Orang, die längsten. Indessen lässt sich hierauf zweierlei erwidern: Einmal, dass der Gibbon vom Auf- rechtgehen doch nur selten Gebrauch macht, da er selten von den Bäumen herniedersteigt. Zweitens aber, dass der obige Gedanken- gang keineswegs behauptet, der etwas grössere oder geringere Grad des Aufrechtgehens hänge von der etwas geringeren oder grösseren Länge der Arme ab, stehe zu letzterer direkt in umgekehrtem Ver- hältnisse. Sondern er greift nur den einen extremen Fall auf und behauptet : Wenn die Arme so sehr kurz sind, dass ihre Benutzung zum vierfüssigen Gehen auf ebener Erde dem Tiere ausgesprochene Unbequemlichkeiten und Schwierigkeiten verursacht, dann wird es diese Benützung unterlassen und sich den zweifüssigen Gang an- gewöhnen. Wir werden am Schlüsse dieses Abschnittes sehen, wie Cope auch hinsichtlich des Fusses der Ansicht ist, dass derselbe bei der ^ Nach dem Gibbon kommt hinsichtlich des aufrechten Ganges wohl der Gorilla; der Chimpanse und der Orang aber dürften nur seltener denselben an- nehmen. Von Wichtigkeit ist es, dass, wie Ch. Morris (The making of man. The American Naturalist. Vol. 20. 1886. S. 493—505) hervorhebt, der Gorilla gerade wenn er angegriffen ist, stets Gebrauch von dieser Fähigkeit macht; denn welch gewaltiges Förderungsmittcl der körperlichen Entwickelung der Lebewelt im Kampfe liegt, ist ja bekannt. — (0 — gesuchten Stammform des Menschengeschlechtes bereits ebenso wie beim heutigen Menschen ein Gehfuss gewesen sei. Bisher können wir unter den fossilen Menschenaffen kein solches Wesen nachweisen, wie es Morris im Auge hat. Vielleicht, weil wir dasselbe bisher nur noch nicht gefunden haben. Das wäre sehr er- klärlich ; denn die Reste fossiler Menschenaffen sind ganz überaus selten. Von vornherein ist daher die übergrosse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Reste gerade eines derartigen Menschenaffen über- haupt noch nicht aufgefunden wären. Aber denkbar wäre es doch immerhin, dass unter den wenigen bisher bekannten fossilen Gattungen anthropomorpher Affen sich bereits die gesuchte Form verbergen könnte. Darum „verbergen" , weil wir diese fossilen Formen erst mangelhaft kennen, und von denselben noch keine ganzen Skelette, also namentlich keine zu einem Individuum gehörigen Arme, Beine und Becken gefunden haben, an welchen man das Vorhandensein dieser Eigenschaften mit Sicherheit darthun könnte (vergl. S. 13, Der Oberarm von Dryopithecus). 3. Zwei fossile anthropomorphe Affen mit gewissen, auffallend menschenähnlichen Eigenschaften. Dryopithecus. Wir haben gesehen, in wie hochgradiger Weise die Zähne einer dieser fossilen anthropomorphen Gattungen, des Dryopithecus^ denen des Menschen gleichen (S. 51). Diese Ähnlichkeit ist grösser, als bei irgend einer anderen lebenden oder fossilen Gattung der anthropo- morphen Affen. Ja, sie ist so überraschend gross, dass seiner Zeit von Autoritäten auf diesem Gebiete die isolierten Zähne unseres schwäbischen Dryopithecus für echte Menschenzähne erklärt wurden (S. 17) und dass auch mir während ihrer Untersuchung immer wieder aufs neue die Frage auftauchte, ob ich nicht Menschenzähne vor mir habe. Der Gedanke liegt daher ziemlich nahe, ob wir nicht in diesem Dryopithecus eine solche Form gefunden haben könnten, welche nicht nur im Gebiss, sondern auch in dem aufrechten Gange und der Kürze ihrer Arme, kurz im ganzen Körperbau, dem Menschen ähnlicher gewesen ist, als irgend eine andere der lebenden und fossilen Gattungen der Anthropomorphen. So ähnlich, dass man sie als den Ausgangspunkt des Menschengeschlechtes betrachten könnte. Dieser Gedanke lag um so näher, als auch von Lartet, welcher seiner Zeit einen Unterkiefer des Dryopithecus in Frankreich ge- — 76 — fanden hatte \ auf Grund der Zahngestalt, der (vermeinthchen) Kürze der Schnauze, der Steilheit der Kinnlinie und des späten Erschei- nens der Weisheitszähne, dem DryopitJieciis die erste Stelle in der Reihe aller lebenden wie fossilen Menschenaffen zuerkannt worden war. Diese Auffassung wurde allgemein geteilt; und als man nun vollends in Frankreich bei Thenay ^ in tertiären Schichten P'euerstein- splitter gefunden hatte, welche ganz den Eindruck erweckten, dass sie vom Menschen geschlagen worden seien, während doch ein Mensch in tertiären Schichten noch nicht mit Sicherheit bekannt ist — so war es erklärlich, dass man den Dryopithccus mit denselben in Ver- bindung zu bringen versuchte. Daher sprach Gaudry früher einmal die Ansicht aus ^, falls die Splitter nicht natürlich, sondern wirklich künstlich geschlagen wären, so sei die einfachste Annahme die, dass Dryopithecus dieselben erzeugt habe. In ähnlicher Weise äusserte sich auch Mortillet, indem er derartige Feuersteine und Holzkohlen im Tertiär auf irgend einen hypothetischen Menschenähnlichen zurück- führte ^ Gegenüber solchen Deutungen machte Zittel geltend, dass sich diese Feuersteinsplitter durch nichts von den, durch meteorologische Einflüsse auf natürlichem Wege zersprungenen unterscheiden, welche z. B. den Boden der libyschen Wüste meilenweit bedecken'^. Aber zugleich war auch schon Gaüdry, auf Grund eines zweiten, besser erhaltenen Unterkiefers von Dryopithecus, den man in Frank- reich fand (S. 13), zu einer Ansicht gelangt, welche der von Lartet begründeten direkt widersprach. So wurde denn Dryopithecus aus seiner herrschenden Stellung unter den Anthropomorphen völlig ge- stürzt. Hatte er bisher für den, dem Menschen ähnlichsten der- selben gegolten, so erklärte ihn Gaudry nun für den, dem Menschen unähnlichsten. Aus der ersten Stelle der Reihe kam er an die letzte. Hatte man früher die Reihenfolge mit ihm dicht hinter dem Menschen eröffnet, so ordnete Gaudry nun umgekehrt die Anthropomorphen in dieser Weise : Chimpanse, Orang — Gibbon — Pliojntheciis, Gorilla, Dryopithecus, 1 Compt. rend. Acad. Paris. T. 43. 28. Juli 1856. ^ Loire et Cher. ^ Enchainements du monde animal. Paris 1878. S. 241. * Mortillet, La prehistorique antiquite de rhomrne. Bibliotheriue des Sciences contemporaires. Vol. L Paris 1883. Ich eitlere nach dem Referat von Schlosser im Litteraturbericht f. Zoologie f. d. Jahr 1884 im Archiv für An- thropologie. ^ Handbuch der Palaeontologie. München 1893. Bd. IV. S. 719. — 77 — ZiTTEL ^ pflichtete diesem vernichtenden Urteile Gaüdry's bei. Schlosser^ dagegen hielt die LARTEi'sche Ansicht aufrecht, dass Dnjopithecus infolge seiner Zahnform in der That der menschen- ähnlichste unter den Anthropomorphen sei, wenn er auch durchaus den Gedanken zurückwies, dass er der Stammvater des Menschen sein könne. Auch Pohlig, indem er den Eppelsheimer Oberarm dem Bnjopitliecns zuschrieb (s. S. 15), erklärte sich wegen der Beschaffen- heit dieses Knochens für grösste Menschenähnlichkeit der Gattung, während wiederum E. Dubois dem schroff widersprach. Unter solchen Umständen wird es angezeigt sein, auf diese Ver- hältnisse näher einzugehen. Ich will daher zunächst die von Schlosser gegebene Begründung dieses seines Urteiles darlegen und dasselbe sodann mit der von Gaüdry gegebenen thun, welcher im Gegenteil diesen Anthropomorphen seiner grossen Menschenähnlichheit ent- kleidet. In jedem der beiden Fälle sollen darauf die Gegengründe geltend gemacht werden, welche abschwächend wirken können. Wenn Schlosser den Gedanken verneint, dass man in Bryo- pithecus eine Ausgangsform des Menschengeschlechtes erblicken könne, so stützt er sich hierbei auf die folgenden Verhältnisse : Die Kaufläche der Molaren dieses Affen zeigt eigentümliche Schmelzleisten (S. 34, 42), welche sich stets beim Chimpanse und Orang und bisweilen beim Menschen wiederfinden (S. 28). Diese Leisten sind nun aber bei dem Chimpanse und Orang sehr zahlreich und scharf, beim Menschen (Taf. 1 Fig. 5) recht selten, während sie bei Brijo- pithecus eine Mittelstellung einnehmen (Taf. II Fig. 9, 10). Nun ist diese auffallende Eigenschaft der Zähne zweifelsohne nicht etwas von ur- alten Zeiten her Ererbtes, sondern ein erst im Laufe der geo- logischen Zeiten Entstandenes, das wir bei Dryopithecus zum ersten Male unter den anthropomorphen Affen beobachten. Diese Eigen- schaft hat sich dann, nach Schlosser, weiter vererbt und gesteigert; wenigstens finden wir sie in sehr starker Ausbildung bei dem Chim- panse und Orang, so dass man wohl meinen möchte, dass diese Gattungen ihre Leisten von Dryopithecus ererbt haben, also seine Nachkommen seien. Dahingegen kann, so folgert Schlosser, schwer- lich der Mensch ein Nachkomme des Dryopithecus sein ; denn dann müsste ja auch beim Menschen diese Eigenschaft eine weitere Steige- ^ Handbuch der Palaeontologie. Bd. 4. S. 710. 2 Die Affen, Leninren, Chiropteren, Insectivoren und Fleischfresser des europäischen Tertiärs. Beiträge zur Palaeontologie Österreich-Ungarns. Wien 1887. S. 288. — 78 — rung erfahren haben, wogegen gerade umgekehrt diese Leisten beim europäischen Menschen selten und auch bei niederer stehenden Völ- kern immer noch seltener entwickelt sind, als beim Dryopitheciis. Eine solche Folgerung hat vieles für sich. Indessen kann man dagegen mehreres geltend machen: Einmal nämlich kommen aller- dings beim heutigen Menschen solche Leisten, wenn auch nicht gerade sehr selten , so doch immerhin nur als aussergewöhnliche Bildung vor. Aber gerade der Umstand, dass diese Leisten bei den wilden Völkern verhältnismässig häufiger auftreten, als bei den Kultur- lassen des Menschen, spricht — falls er wirklich genau richtig ist (S. 29) ■ — dafür, dass diese Eigenschaft jetzt allmälig verloren geht, dass sie also bei dem Menschen längstvergangener Zeiten viel häufiger gewesen sein dürfte. Nun darf man natürlich in dieser Hinsicht unseren Dryopitheciis^ welcher der miocänen Epoche angehört (S. 16), nicht vergleichen mit dem heutigen Menschen , sondern nur mit demjenigen tertiärer Zeiten (s. später). Ist es aber wahrscheinlich, dass diese ältesten Ver- treter des Menschengeschlechtes derartige Zahnleisten allgemein be- sessen haben, so würde gerade das Umgekehrte von dem sich er- geben , was Schlosser folgert : Es würden diese Leisten nicht ein trennendes Merkmal, sondern ein, dem ältesten Menschen und dem Dryopitheciis gemeinsames Band bilden, welches somit gerade um- gekehrt für die Abstammung des Menschen vom Dryopitheciis spräche. Einem solchen Gedankengange würde man allerdings wiederum einwerfen dürfen, dass diese Bildung der Zahnleisten sich dann ja bei dem einen Nachkommen des Dryopitheciis , dem Menschen, all- mälig verringert, bei den anderen Nachkommen, dem Chimpanse und Orang, dagegen allmälig verstärkt haben würde, was nicht sehr wahrscheinlich wäre. Indessen ganz unmöglich wäre das doch nicht; denn warum sollte nicht irgend eine Eigenschaft einer Stamm- form sich bei dem einen Zweige derselben abschwächen, bei dem anderen Zweige dagegen verstärken, wenn die Bedingungen, welche das bewirken , hier wie dort entgegengesetzte sind ^. Gerade wenn wirklich bei den Kulturrassen des Menschen diese Leisten seltener vorkommen, als bei den wilden Völkern, so könnte man das viel- leicht so erklären, dass durch die bei den Kulturrassen des Menschen stattfindende weichere Zubereitung der Speisen, also durch das in- * Vergl. „Über die Ursachen der Zahnreduktionen und Zahnformen" in Teil n dieser Arbeit. — 79 — folge davon sehr herabgeminderte Kaugeschäft, die Leisten sich ver- mindern. Wogegen sie umgekehrt dann bei mangehider Zubereitung der Speisen und dadurch sehr vermehrtem Kaugeschäfte sich ver- mehren müssten, was ihre Bildung bei Orang und Chimpanse er- klären würde. Es Hesse sich aber auch zweitens geltend machen, dass das Vorhandensein der Leisten bei Orang und Chimpanse durchaus nicht notwendig einen Beweis genetischer Beziehungen zwischen ihnen und Bryopitheciis gewähren müsse. In Taf. I Fig. 8, 9 ist der Molar eines den Anthropomorphen ganz fernstehenden, platyrrhinen Schweif- affen, einer Pithecia aus Brasilien, besprochen und dargestellt worden, welcher trotzdem, und zwar ganz ausnahmsweise unter den Affen, in hohem Masse diese Leisten besitzt. Offenbar hat diese Affen- gattung die Leisten doch ganz unabhängig von Dryopitheciis er- worben ; es könnte daher auch bei Chimpanse und Orang das Gleiche immerhin möglich sein. Dasselbe gilt aber auch vom Menschen; kurz, diese Schmelzleisten dürfen wohl nur mit Vorsicht für ver- wandtschaftliche Spekulationen verwendet* werden. Ob aber Schlosser nicht trotzdem das Wahrscheinlichere ge- troffen hat, wenn er meint, dass Dryopitheciis der Vorfahr von Chim- panse und Orang sei, dagegen mit dem Menschen durch kein engeres Band verknüpft würde, das ist freilich eine andere Frage. Immerhin sind diese Leisten bei Orang und Chimpanse so viel stärker als bei Dryopitheciis ausgebildet, sind infolgedessen die Höcker ihrer Zähne so sehr viel geringer entwickelt, als bei letzterem, dass man un- bestritten behaupten kann: Die Zähne des Dryo2)ithecus sind, was Leisten und Höcker, also allgemeine Gestalt, anbetrifft, denen des Menschen weit ähnlicher, als denen des Chimpanse und Orang. Soweit daher allein auf Grund der Zahngestalt die grössere oder geringere Verwandtschaft zweier Tierformen überhaupt festgestellt^ werden dürfte, könnte man in vorliegendem Falle sagen, dass Dryopithecns dem Menschen näher verwandt ist, als dem Orang und Chimpanse, dass folglich Dryopitliecus auch in der Reihe der menschenähnlichen Affen die vorderste Stel- ^ Es kann die Ähnlichkeit der Zahnform, ebenso wie die Ähnlichkeit anderer Bildungen, unter Umständen bekanntlich sehr irre führen, indem sie zwei ver- schiedenen Tiergruppen nicht durch Erbschaft des einen vom anderen, sondern durch selbständigen Erwerb überkommen ist. — so- lang, hinter dem Menschen, erhalten müsste. Diesen letzteren Teil des Schlusses spricht übrigens Schlosser, wie wir sahen, in der- selben Schärfe aus ; nur den ersteren aber verneint er. Bei solcher Betrachtungsweise ergiebt sich aber sogleich eine Schwierigkeit. Wir fanden (S. 51), dass die Zähne des Dryopitheciis denen des Gibbon ebenfalls ausserordentlich ähnlich sind ; dass mithin beide, Dri/opithecus wie Gibbon, Molaren besitzen, welche den mensch- lichen ähnlicher sind, als die der anderen Anthropomorphen. Nun gilt aber der Gibbon — trotz dieser, übrigens bisher wohl wenig beachtet gewesenen grossen Menschenähnlichkeit im Gebisse und trotzdem er mehr und besser aufrecht geht, als die übrigen Anthropomorphen — dennoch wegen anderer Eigenschaften als der dem Menschen am fernsten stehende Menschenaffe. Folglich müsste ein gleich vernichtendes Urteil auch den Dnjopltliecus treffen — falls man nicht etwa den Gibbon , wie von vereinzelten Forschern geschehen ist, doch für eine dem Menschen sehr nahestehende Form erklären wollte. So sehr bestechend es daher auch sein möchte, auf Grund der Zahnform den Grad der Verwandtschaft auch dieser Tiere festzu- stellen , so zeigt sich doch , dass notwendig auch andere Merkmale zu berücksichtigen sind. Wir wollen daher jetzt die Gründe be- sprechen , welche eine Autorität wie Gaüdry bewogen , trotz dieser dem Menschen so ähnlichen Zahnform den Dryopithecus gerade um- gekehrt für den am wenigsten menschenähnlichen der anthropo- morphen Affen zu erklären. Ich werde auch hier einem jeden der von Gaudry geltend gemachten Gründe das entgegenhalten, was sich denselben einwerfen lässt. Das Hauptgewicht legt Gaudry bei der Beurteilung dieser Frage auf die Länge der Schnauze, welche Dryopitheciis gehabt hat; also auf das grössere oder geringere Mass seiner Prognathie. Diese er- achtet er als massgebend für die grössere oder geringere Menschen- ähnlichkeit, also für die Stellung der betreffenden Gattung in der Reihe der Anthropomorphen. Lartet hatte gelehrt, dass Dryopitheciis eine ganz besonders kurze Schnauze gehabt habe. Gaudry schliesst auf das gerade Gegenteil, und zwar unter der folgenden Begründung: Mit längeren, d. h. stärker vorspringenden, Kiefern geht, ceteris paribus, Hand in Hand eine längere Zahnreihe, da diese ja die Kiefer erfüllt. Das spricht sich besonders aus in der Länge des Raumes, welchen in der Zahnreihe die Prämolaren und der Eckzahn ein- nehmen. Dieser Raum ist beim Menschen viel kürzer als selbst beim - 81 — jungen Menschenaffen , der doch noch weit menschenähnHcher ist, als der erwachsene. In noch viel besserer Weise aber lässt sich nach Gaüdry der grössere oder geringere Grad dieser Prognathie er- kennen aus dem Verhältnis zwischen Länge und Breite der ganzen Zahnreihe. Ich werde weiter unten diese Zahlen wiedergeben und will hier nur vorgreifend bemerken, dass Dryopithecus, gegenüber der Breite seiner Zahnreihe, die grösste Länge der letzteren besitzt. In solcher Weise, so schliesst Gaüdry, erkennt man am besten, dass Dryopithecus eine längere Schnauze hatte, als irgend ein anderer der Anthropomorphen. Allerdings hatte Lartet aus dem zuerst ge- fundenen Unterkiefer seiner Zeit gerade das Umgekehrte gefolgert. Indessen hob Gaüdry hervor, dass dieser erstgefundene Kiefer, wie aus dem Fehlen jeglicher Abnutzung an den Zähnen hervorgeht, von einem jugendlichen Tiere herrühre ; und solche sind bei den Affen stets menschenähnlicher als die alten ; wogegen der letztgefundene Kiefer einem alten Tiere gehöre. So ist denn beim jungen Anthropo- morphen auch die Schnauze verhältnismässig weniger vorspringend als beim alten. Zudem war noch bei dem erstgefundenen, jugend- lichen 'Kiefer das vordere Ende abgebrochen, daher eine Restauration Irrtümern ausgesetzt, welchen Lartet unterlag, während Gaüdry die- selben vermied. Auch Milne-Edwards ^ schloss sich dieser Auffassung Gaudry's an, indem er ausführte, die Prognathie sei bei diesem Affen so stark, dass man weit eher auf einen Quadru- als einen Bipeden schliessen müsse. Der Unterkiefer nähere sich mehr demjenigen des Gorilla, als dem irgend eines anderen Anthropomorphen. Man kann nun aber das Mass der Prognathie auch in der Weise bestimmen, dass man Breite und Länge nicht des Gebisses, sondern des Kiefers misst. Es ist nämhch Bonwill durch die unten näher erläuterten Messungen an mehr als 200 Schädeln von Menschen zu dem Satze gelangt, dass der normale menschliche Schädel in seinen Kiefern ein gleichseitiges Dreieck darbietet, und A. Gysi^ hat diese Untersuchungen noch weiter geometrisch konstruierend verfolgt. Wenn Bonwill freilich diese seine Entdeckung in eine Parallele bringt mit der Entdeckung des Gravitationsgesetzes, so dürfte das wohl zu viel sein und nicht anerkannt werden. Davon aber ab- 1 Compt. rend. hebd. Acad. d. sc. Paris 1890. T. 110. S. 373. ^ Vergl. in A. Gysi, Die geometrische Konstruktion eines menschlichen oberen, bleibenden, normalen Gebisses mittlerer Grösse. Schweizerische Viertel- jahrsschrift für Zahnheilkunde. Bd. 5. No. 1. 1895. 18 S. 1 Taf. Sonderabzug. Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 6 — 82 — gesehen gelangte er zu den folgenden Ergebnissen hinsichtlich des Menschen : Am Unterkiefer ist die Entfernung zwischen den Mittelpunkten der beiden Gelenkköpfe des Kiefers stets gleich der Entfernung von jedem dieser beiden Mittelpunkte bis zu dem Berührungspunkte der Schneidekanten der beiden mittleren unteren Incisiven. Ebenso ist am Oberkiefer die Entfernung zwischen den Mittel- punkten der zwei Gelenkpfannen an der Schädelbasis stets gleich der Entfernung von jedem dieser beiden Mittelpunkte bis zu dem Be- rührungspunkte der Schneidekanten der beiden mittleren oberen Incisiven. Kurz gesagt: Im Ober- und im Unterkiefer ist je ein gleich- seitiges Dreieck gegeben durch die folgenden drei Punkte : 1 . Be- rührungspunkt der Schneidekanten der beiden mittleren Incisiven. 2. und 3. Die beiden Mittelpunkte der Gelenkpfannen im Oberkiefer bezw. der Gelenkköpfe im Unterkiefer. Dabei ergab sich, dass die Seite dieses gleichseitigen Dreieckes im Durchschnitt genau 100 mm lang ist; sie schwankte bei den verschiedenen Rassen zwischen 92 und 108 mm. Da mir, wie in der Anmerkung gesagt, die bei uns seltenen Zeitschriften nicht erreichbar waren, in denen diese Arbeit veröffent- licht wurde, so kann ich nicht sagen, an welchen Menschenrassen Bonwill seine Messungen angestellt hat und ob oder mit welcher Einschränkung auf gewisse Rassen er sein Gesetz feststellt. Jeden- falls aber hat er dasselbe nur für möglichst orthognathe Schädel geltend gemacht; denn meine unten folgenden Messungen zeigen, dass das gleichseitige Dreieck sich, wie ja selbstverständlich, sofort in ein gleichschenkeliges verwandelt, bei welchem die Basis kürzer ist als jede der beiden anderen Seiten, sowie man Neger untersucht. Interessant ist, dass diese Neger sämtlich stärker prognath sind als der gleichfalls gemessene weibliche Kretin, obgleich ich nur solche Neger- schädel auswählte, bei welchen die Zähne möglichst senkrecht standen. Andernfalls, bei schräger Stellung der Zähne, wird die Prognathie scheinbar noch viel grösser, als sie dem Kieferbau nach wirklich ist, d. h. das gleichseitige Dreieck wird noch spitzer. Gysi citiert hier die mir nicht zugängliche Arbeit BonwilTs: American Sj'St. of Dent. Surv. Vol 11, p. 487. In dem mir gleiclifalls nicht zugänglichen Lippin- cott's Magazine, August 1890, gebraucht Bomvill in „Why I deny evolution" den Vergleich mit dem Gravitationsgesetz, wie ich dem Aufsatze von C aha 11 entnahm: The teeth as evidence of evolution. American Naturalist. Bd. 24. 1890. S. 224 ff. - 83 — Ich messe die Seiten des Dreiecks so wie Bonwill und ver- stehe in der folgenden Tabelle unter „Breite" die Entfernung zwischen den oben unter 2. und 3. angegebenen Mittelpunkten der Gelenk- köpfe, bezw. Pfannen, und unter „Länge" die Entfernung dieser Mittelpunkte von der in 1 angegebenen Berührungsstelle der mitt- leren Incisiven. Bei diesen Messungen ist die „Breite" stets am Unterkiefer genauer bestimmbar als am Oberkiefer, da sich von den Gelenkköpfen der Mittelpunkt leichter finden lässt als von den Ge- lenkpfannen. Ich habe daher für den Oberkiefer stets die am Unter- kiefer genauer gemessene „Breite" eingesetzt, wenn ich auch am Oberkiefer eine ein wenig abweichende „Breite" mass. Die „Länge" der Dreiecksseite am Oberkiefer ist dagegen meist wirklich eine etwas grössere als die am Unterkiefer, weil die oberen Zähne über die unteren oft übergreifen. Ich wende mich nun zuvörderst zu den oben erwähnten, von Gaudry gegebenen Zahlen für Breite und Länge des Gebisses von Anthropomorphen und Menschen. Des leichteren Überblickes wegen hebe ich die , gegenüber der Breite verhältnismässige Länge des Gebisses durch fetten Druck hervor. Breite Länge Breite : Länge des Gebisses mm mm = Bryopithecus 40 71 100 : 177 Gorilla 60 100 100 : 166 Orang 59 85 100 : 144 Chimpanse 52 70 100 : 134 Sogen. Hottentotten-Venus 56 55 100 : 98 Um aber zu prüfen , ob und wie weit etwa diese Verhältnis- zahlen bei einer und derselben Gattung variieren könnten, habe ich die folgenden Messungen an Unterkiefern gemacht, wobei möglichst in mittlerem Lebensalter stehende, also mit nur massig abgenutztem, vollzähligem Gebiss versehene Schädel genommen wurden. Da die Länge des Gebisses so sehr von der senkrechten oder schrägen Stellung der Schneidezähne, wie auch von der Art der Messung beeinflusst wird, so müssen notwendig Unterschiede gegenüber Gaudry's Angaben entstehen. Auf diese Unterschiede kommt es daher hier nicht an, sondern nur auf die Variabilität. — 84 Breite Länge Breite : Länge des Gebisses mm mm = Orangi 62 100 100 : 161 (150 im Oberkiefer) „ '' 59,5 86,6 100 : 145 „ " 58,6 83 100 : 141 Gorilla^ 67,4 98,7 100 : 146 r> ' 64,8 93',6 100 : 144| Nur bis an den „ "^ 68,4 96,9 100: 14lUlveolai'rand der „ ' 70,0 98,5 100 : 140 J Incisiven gem. Chimpanse» 52,4 70,0 100:134 ] Nl^r bis an den ^ 60,0 76,8 100 : 128 Alveolarrand der j Incisiven gem. Hylohates Uuciscus^'^ 30,5 38,3 100:125,5 Aus diesen Zahlen geht hervor, dass bei den von mir gemesse- nen Schädeln Orang und Gorilla ungefähr dasselbe Längen-Breiten- Verhältnis im Gebiss besitzen, so dass der Längenindex bei beiden ungefähr zwischen 146 — 140 schwankt. Einen Unterschied, wie Gaudry ihn zu Gunsten bezw. Ungunsten des Gorilla feststellte, zeigen mithin die von mir gemessenen Schädel nicht. Diese Verhältnisse scheinen also zu variieren. Aber ganz wie bei Gaüdry, so folgt auch bei mir Chimpanse erst hinter Orang und Gorilla, und zwar mit einem Längenindex von nur 134—128. Hinter Chimpanse kommt dann Gibbon mit 125,5. Es würde sich daher hinsichtlich der verhältnismässigen Länge des Gebisses die folgende Reihe ergeben : Mensch ; Gibbon ; Chimpanse ; Orang — Gorilla. Nachdem wir so, um einen Ausdruck für den Grad der Pro- gnathie zu gewinnen, die Länge des Gebisses in Beziehung zur Breite desselben gebracht haben, wollen wir den Grad der Prognathie doch auch noch nach der von Bonwill aufgestellten Art der Messung be- stimmen , indem wir Länge und Breite des Kiefers verschiedener Formen miteinander vergleichen (s. S. 81), ^ No. 337, Stuttgarter Sammlung. * No. 4876, Berliner landwirtschaftliche Hochschule. 3 No. 5021, „ * No. 4119, Greifswalder zoologische Sammluug. «No. 4118, ' No. 4116, ' No. 4117, ^ No. 4486, Berliner landwirtschaftliche Hochschule. ® No. 4120, Greifswalder zoologische Sammlung. " No. 675, Stuttgarter Sammlung. 85 t F n t e r k ief er '. Oberki ief er. Breite Länge Breite : Länge Breite Länge Breite : Länge mm mm = = mm mm = Bonwill's Messungen 1 100 100 100: :100 100 100 100: 100 Kretine^ . 89 98 100: 110 89 102 100: 115 Mumie aus Ägypten ^ . 98,7 109,5 100: :111 98,7 110,7 100: 112 Keger, Eunuch* . . . 98,7 111 100: 112,5 98,7 111 100: 112,5 Nago-Neger^ . . . . 87,5 105,5 100: 120 87,5 105,5 100: 120 Monbuttu-Neger ^ . — — - - 97 120 100: 124 Orang^ . 99 169 100: 170,7 99 175 100: 176,7 Hylobates leuciscus ^ . 43,8 64,2 100: 146,6 43,8 65 100: 148,4 Aus den obigen Messungen ergiebt sich das Folgende : Wenn man als normal für den Menschen den orthognathen Zustand be- zeichnen will, bei welchem der Kiefer das gleichseitige Dreieck Bonwill's darbietet, so kann man für die anthropomorphen Affen als normal den prognathen Zustand bezeichnen , bei welchem der Kiefer ein gleichschenkeliges Dreieck, mit spitzerem Winkel an der Spitze, bildet. Dieser Winkel ist bei den verschiedenen Gattungen mehr oder weniger spitz , d. h. sie haben eine mehr oder weniger vorspringende Schnauze. Am wenigsten ist das wieder der Fall bei Hylobates leuciscus. Es zeigt sich nun, dass bei den Negern der Kiefer ein so spitzes Dreieck bilden kann, dass diese Bildung fast genau in der Mitte steht zwischen dem normalen orthognathen Menschen und dem am wenigsten prognathen Menschenaffen, dem Gibbon. Fig. 3 u. 4 auf Taf. III giebt die Kiefer des oben aufgeführten Nago- Negers aus Westafrika. So ist also auch bei dieser Art der Messung Gibbon, bezw. die Art leuciscus, der mit verhältnismässig kürzestem Kiefer ver- sehene Anthropomorphe, so dass er wiederum, wie bei voriger Art des Messens, in der Reihe der Affen dem Menschen am nächsten steht. ^ 100 ist Durchschnitt; die Zahlen schwanken zwischen 94 und 108 mm. ^ Dieser Schädel einer Kretine, No. 1628 der Stuttgarter Sammlung, ent- stammt dem Leprosen-Haus zu Salzburg. ^ Muinien-Schädel No. 1627 der Stuttgarter Sammlung. * Neger No. 1625 der Stuttgarter Sammlung. ^ Nago-Neger No. 1201 der Stuttgarter Sammlung. Herr Dr. Vo sseler hatte die Liebenswürdigkeit, diesen Schädel zu photographieren ; die Figur auf Taf. III zeigt denselben. •^ Monbuttu-Neger No. 24139 der Berliner anatomischen Sammlung. Da die In- cisiven im Oberkiefer fehlen, so ist diese Messung nicht genau, sondern nur ungefähr. "' Oraug No. 337 der Stuttgarter Sammlung, Männchen, erwachsen. ® Gibbon No. 675 der Stuttgarter Sammlung, Männchen, erwachsen. - 86 — Wir erhalten also mit Hilfe dieser von Bonwill vorgeschlagenen Dreiecksmessungen des Kiefers die nachstehende Reihenfolge der anthropomorphen Affen : Orthognather Mensch. Prognather Mensch. Gibbon. Orang. Länge: 100 120-124 146 176. Dieses Ergebnis scheint mir nun von einer gewissen Bedeutung für die Frage nach der Stellung, welche dem Dryopithecus in der Reihe der anthropomorphen Affen zukommt: Denn wenn der Gibbon, also derjenige anthropomorphe, welcher nach fast allgemeiner Auffassung dem Menschen am fernsten steht, dennoch in dem Grrade seiner Prognathie dem Menschen am nächsten kommt, wenn er ihm so nahe kommt, dass in dieser Eigenschaft die prognathen Menschen nur ebenso- viel über ihm stehen, als sie unter den orthognathen anderen Menschen stehen — • dann müsste doch eigent- lich das Mass der Prognathie nur einen untergeordneten Wert für diese Frage besitzen. Diese Auffassung aber erfährt durch die folgenden Gründe noch eine weitere Unterstützung: Es gab eine Zeit, sie liegt nicht weit zurück, da glaubte man, dass unter den Menschen Prognathie der Regel nach nur bei niederen Rassen auftrete; da glaubte man, die weisse Rasse sei derart durch Orthognathie ausgezeichnet, dass prognathe Kiefer entweder eine pathologische Erscheinung oder doch nur alveolar-prognath seien ^. Je mehr aber die Schädel heutiger und früherer europäischer Ge- schlechter untersucht wurden, desto häufiger wurden die Angaben über Prognathie bei Europäern. Nicht nur die Schädel aus den an 2000 Jahre alten Franken- und Alemannengräbern, sondern auch die deutschen Schädel der Jetztzeit zeigen häufig, wie Koll- mann hervorhebt, eine Prognathie, welche ganz bedeutende Grade ^ Es giebt (verg-l. die nächste Anmerkung) zwei Arten von Prognathie : Die eigentliche Prognathie entsteht durch eine, über das Normale hinausgehende Entwickelung des Ober- und Zwischenkiefers, wozu sich ein gewisser Grad von Knickung der Basilarknochen gesellt. Bei starker Ausbildung werden alle Knochen des Gesichtsschädels und selbst die Zahnwurzeln, welche dann ganz schief in ihren Alveolen stecken, mit hineingezogen. Die uneigentliche, alveolare Progna- thie besteht darin , dass nur der Alveolarfortsatz des Kiefers schief steht , also vorgestreckt ist, in welchem unter Umständen die Zähne sogar noch gerade sitzen können. Beide Arten sind indessen derart durch Übergänge miteinander ver- bunden und dem Wesen nach so dasselbe, dass man sie nicht einander gegenüber- stellen kann. Sie sind nur dem Grade nach unterschieden. — 87 — annehmen kann \ In den Piossdorfer Reihengräbern ist nach Koll- aiANN ein Schädel mit einem Profilwinkel von 84° gefunden ; in anderen Fällen fand man solche von 80 — 86°. Das sind Zahlen, wie sie die x\ustralneger aufweisen. Das alles sind aber keineswegs etwa krank- haft veränderte Schädel, sondern im übrigen ganz normale. An 30 normalen Männerschädeln deutscher Abkunft aus der Jetztzeit hat Welker nicht weniger als 43 "/^ überhaupt prognath zu nennende gefunden, wenn man nämlich in diesem Falle einen Nasenwinkel von 59 — 66,5° als orthognath, von über 66,5° als prognath bezeichnet. Bei 2 Schädeln von diesen 30 deutschen war die Prognathie sogar grösser als bei 5 von Welker gemessenen Australnegern I In anderen europäischen Rassen gelangte man zu ganz ähn- lichen Ergebnissen. Es sind eben prognathe Schädel in allen Kultur- völkern und gar nicht so selten zu fiinden ; während umgekehrt, mitten im Herzen von Afrika, die Prognathie fehlen kann. Prognathie kommt, wie Kollmann darthut, als normale Erscheinung überall vor, bei Kultur- und Naturvölkern, in der prähistorischen Zeit wie in unseren Tagen^. Nicht also der Grad der Prognathie, sondern die relative Häufigkeit derselben innerhalb eines Volkes be- stimmt die Prognathie oder Orthognathie der betreffenden Rasse; denn dieser Grad kann ja bei einem Europäerschädel grösser sein als bei dem eines Negers. Wir sehen nach diesen Untersuchungen Kollmann's und anderer, dass zwar durch die Häufigkeit der Prognathie in einer Menschen- rasse dieser letzteren der Charakter einer auf niedriger Stufe stehen- den verliehen wird ; dass aber Prognathie an sich bei dem Einzel- individuum gar nichts beweist, da sie auch bei den höchst stehenden Rassen auftritt. Ist das nun unzweifelhaft richtig, so werden wir diesem Merk- male der grösseren oder geringeren Prognathie kein so grosses Ge- wicht beilegen dürfen, wie man das früher thun zu müssen ver- meinte. So wie das aber für den Menschen gilt, wird es da nicht auch für die menschenähnlichen Affen seine Geltung haben? Wenn wir daher bei Dryopithecus finden, dass er auf der einen Seite der am meisten prognathe der Anthropo- ^ Kollmann, Korrespondenzblatt d. deutsch. Ges. f. Antlirop., Ethnol., Urgeschichte, Jahrg. 1880. S. 152 des Sitzungsber. der 11. allg. Vers. ^ Vergl. auch Kotz ins, Sur l'etude craniologique des races humaines. Compte rendu 7 session dii congres Internat. d'Anthropol. Stockholm 1874. S. 693. Ich eitlere nach K oll mann. — 88 - morphen ist, dass er aber auf der anderen Seite unter allen Anthropomorphen die menschenähnlichsten Zähne besitzt, werden wir da nicht ebenfalls dem letzteren Merkmale einen höheren Wert für die Bestimmung der Stellung zu- gestehen müssen, welche der Gattung Dryopithecus in der Reihe der Anthropomorphen einzuräumen ist? Dazu kommt aber noch ein weiteres: Von Dryopitliems sind bisher nur bekannt : Erstens der junge, durch sehr geringe Prognathie ausgezeichnete Unterkiefer. Zweitens der alte, durch sehr starke Prognathie gekennzeichnete; beide aus Südfrankreich. Ebenso nun, wie bei den Menschen der Grad dieser Prognathie variiert, könnte das auch bei den Anthropomorphen der Fall sein. Es ist daher sehr gut möglich , dass das alte , männliche Exemplar von Dryo- pithecus^ an dessen Unterkiefer Gaudry die bedeutende Länge der Schnauze feststellte, ein besonders stark prognathes Individuum ge- wesen sein kann, welches darin seine Geschlechtsgenossen übertraf. Inwieweit ein solcher Schluss auf die Anthropomorphen statt- haft ist, wird hoffentlich recht bald entschieden werden durch die Untersuchungen, welche Selenka an einem Materiale von solcher Pieichhaltigkeit anstellt, wie solches noch nie einem Forscher auch nur annähernd zu Gebote gestanden hat; denn Selenka hat vom Orang-Utan, allein an selbstgewonnenen Schädeln, 300 mit nach Europa gebracht. Die Messungen, welche ich an den auf S. 84 aufgeführten Anthropomorphen anstellen konnte, haben jedenfalls ein gewisses, wenn auch nicht grosses Mass von individueller Varia- bilität der Prognathie ergeben. Wir haben indessen diese Frage noch nicht erschöpft, und damit in dieser Hinsicht den Vergleich des Dryopithecus mit anderen Anthropomorphen und dem Menschen noch nicht zu Ende geführt, wenn wir nicht auch noch darüber uns klar geworden sind, ob denn überhaupt Prognathie bei Menschen und Prognathie bei Tieren ihrem Wesen nach so weit dasselbe sind, dass sie zwei vergleichbare Grössen bilden. Diese Frage erscheint vielleicht überflüssig; dass sie es aber durchaus nicht ist, wird die folgende Betrachtung lehren : In seiner so inhaltsreichen Zootechnic generale geht Cornevim bei der Definition dieses Begriffes an Tieren davon aus , dass eine absolute Orthognathie auch bei keinem Menschen vorkommt. Die Menschen sind mithin sämtlich mehr oder weniger prognath und die Tiere sind das nur in einem höheren Grade als wir. Wie man aber — 89 — bei den Menschen trotzdem die geringen Grade der Prognathie als Orthognathie bezeichne, so könne man auch bei den Tieren von Ortho- gnathie reden, indem man darunter einen Zustand versteht ^, bei dem Ober- und Unterkiefer derart aufeinanderschUessen, dass die unteren Schneidezähne genau auf die oberen treffen, bezw. bei Wiederkäuern auf den Wulst des Oberkiefers, in welchem die Incisiven sitzen müssten. Prognathie dagegen trete beim Tiere ein, wenn der eine Kiefer den anderen überragt. Ist der Oberkiefer der längere, wie bei den Lepo- rinen, so habe man die seltene obere Prognathie. Ist umgekehrt der Unterkiefer länger , wie beim Buldog , so habe man die ver- hältnismässig häufigere untere Prognathie. Diese untere Prognathie entsteht aber nicht etwa durch Verlängerung des Unterkiefers, sondern durch Verkürzung, oder besser frühzeitige Wachstumsbeendigung des Oberkiefers. Bis zum Excess gesteigert muss diese Prognathie beim Tiere die Aufnahme der Nahrung so erschweren, dass dasselbe zu Grunde geht. Man sieht, dass das, was Cornevin unter Ortho- und Progna- thie beim Tiere verstanden wissen will, sich gar nicht mehr deckt mit dem Begriffe, welchen man beim Menschen mit diesen Aus- drücken verbindet; denn ein Tier, welches von Cornevin darum als orthognath bezeichnet wird, weil die unteren Incisiven genau auf die oberen treffen, kann eine sehr stark vorspringende Schnauze besitzen , also nach dem bisherigen Begriffe überaus prognath sein. Es erscheint daher nicht zulässig, diese von Cornevin vorgeschlagene Bezeichnungsweise für die Tiere anzunehmen, weil auf solche Weise Missverständnisse entstehen müssen. Aber wenn auch diese Bezeichnungsweise namentlich für ver- gleichende Zwecke störend wirkt, so ist Cornevin, nach dem Aus- gangspunkte seiner Erklärung, doch entschieden der Auffassung, dass die Prognathie am Menschen- und am Tierschädel durch dieselben Ursachen hervorgerufen werde, also dasselbe sei. Einer solchen Meinung ist Ranke ^ durchaus nicht. Er stützt sich hierbei auf die Untersuchungen, welche Virchow und Langer angestellt haben. Aus diesen geht hervor, dass beim Menschen die wahre Prognathie weniger hervorgerufen wird durch die Länge des Gaumens, also durch die Tiefe des Oberkiefers; diese varhert aller- dings, aber doch nicht so stark. Sondern dass sie viel mehr be- ^ Cornevin, Traite de zootechnic generale. Paris, Bailliere. 1891. S. 490. 2 Eanke, Der Mensch. 1894. Bd. 2. S. 246. — 90 — dingt wird durch die Entfernimg des Hinterhauptsloches vom Hinter- rande des Gaumens ; je grösser diese, desto mehr wird dadurch der Oberkiefer nach vorn geschoben, desto stärker wird also die wahre Prognathie. Diese Entfernung des Hinterhauptsloches vom Gaumen- hinterrande ist aber abhängig von der mehr oder weniger steilen Stellung des Grundteiles des Hinterhauptbeines; in der Lage dieses Knochens müssen wir daher, nach Virchow und Laxger, die Haupt- ursache der wahren Prognathie suchen ; und nur eine geringere Ursache der letzteren liegt in der Länge bezw. Tiefe des Oberkiefers selbst. Ranke ^ ist daher der Ansicht, dass die normale menschliche und die tierische Prognathie ihrem Wesen und Prinzip nach völlig verschieden seien. Die tierische ist ihm bedingt durch das Zurück- bleiben des Wachstums des Hirnschädels gegenüber dem länger an- dauernden Wachstum des Gesichtsschädels, so dass sich ein ganz flacher Sattelwinkel ergiebt. Die wahre menschliche Prognathie ist ihm dagegen bedingt durch übermächtige Gehirnentwickelung gegen- über der des Gesichtes , wodurch die Schädelbasis und der Sattel- winkel stark geknickt werden ^. Es ist nun ja in der That nicht zu bestreiten, dass bei dem Tiere , speciell hier dem Menschenaffen , das Wachstum des Hirn- schädels frühzeitig beendet wird und dass darum die weiter fort- wachsenden Kiefer sich mehr und mehr vor denselben vorschieben. Und ebenso ist sicher, dass z. B. beim Neger das Wachstum des Hirnschädels viel längere Zeit andauert. Immerhin aber wachsen beim Neger doch auch die Kiefer weiter fort und schieben sich ^ Ranke, Der Mensch. I. S. 405. 2 Der Sattel- oder Basalwinkel zeigt die Stärke der Knickung der Schädel- basis an. Sein einer Schenkel verläuft vom Vorderende des Hinterhauptsloches schräg aufwärts bis zum Mittelpunkte der Rücklehne des Türkensattels, der andere Schenkel geht in horizontaler Lage vom letzteren Punkte bis zum Mittel- punkte der Stirnnasennaht. Indem beim Menschen das Hinterhauptsloch nach unten gerichtet ist, dergestalt, dass der Schädel etwa senkrecht auf der Wirbel- säule sitzt, gewissermassen auf dieser aufgespiesst ist, läuft der erstere der beiden Schenkel des Basalwinkels scharf aufwärts, und dadurch wird der "Winkel stark geknickt, d. h. einem rechten ähnlich, nur etwas grösser. — Beim Menschen- affen dagegen ist das Hinterhauptsloch nicht nach unten, sondern mehr nach hinten gerichtet, dergestalt, dass der Schädel nach vorn von der Wirbelsäule herabhängt. Dadurch läuft der erstere der beiden Schenkel des Basalwinkels nur wenig aufwärts , mehr horizontal , wie der zweite ; der Winkel wird daher nicht stark geknickt, d. h. er nähert sich zwei Rechten, einer Geraden. (Vergl. Ranke, Der Mensch. I. S. 424 und 425, wo der Sattelwinkel an Abbildungen dargestellt ist.) — 91 — daher z. T. infolge stärkeren "Wachstums mehr und mehr vorsprung- artig vor. Wenn dieses Vorschieben auch z. T. durch das von Virchow und Langer betonte Wachstum anderer Knochen bewirkt wird, zum anderen Teil verdanken es doch die Kiefer ihrem eigenen Wachs- tum, ganz wie bei den Affen. Es will mir daher scheinen, dass menschliche und tierische Prognathie ihrem Wesen nach doch nur teilweise , nicht aber so völlig von einander verschieden seien, dass man sie gar nicht mit- einander vergleichen könnte. Ist dem aber so, dann bleibt auch die obige vergleichende Betrachtung über die Stellung des Dnjopühe- cus zu Recht bestehen. Gaudry stützt jedoch sein Urteil über die dem JDryopithecus zukommende systematische Stellung keineswegs nur auf die Länge der Schnauze. Er führt noch ein zweites Merkmal an, welches mit schwerem Gewichte in die Wagschale fällt. Es wird nämlich durch Gaudry nachgewiesen, dass bei Dnjo- pithecus auch die Breite des der Zunge zur Verfügung stehenden Raumes geringer ist als bei irgend einem anderen der Menschenähnlichen. Einmal verlaufen die beiden Zahnreihen verhältnismässig näher als bei jenen nebeneinander, so dass demzufolge auch die Zunge schmäler sein musste als bei jenen. Zweitens aber ist das Kinn, die Unter- kiefersymphyse , so dick , dass die Zunge sich auch weniger weit nach vorn und vorn-unten ausstrecken konnte. Bei der grossen Bedeutung, welche die Zunge für die Sprache besitzt, hält Gaudry dies für einen überaus wichtigen Beweis der Inferiorität des Dryoplthecus. So sehr das auch einleuchtet, so kann doch immerhin hervor- gehoben werden , dass gerade der als am niedrigststehend geltende Anthropomorphe , der Gibbon , eine weniger verdickte ünterkiefer- symphyse besitzt als die anderen , höher stehenden Menschenaffen. Gaudry giebt vergleichende Abbildungen, bei welchen das Halb- kreisförmige der Zahnreihe des menschlichen Unterkiefers in scharfen Gegensatz tritt zu dem ungefähren Parallelisraus der Zahnreihen (von M^ bis zur Canine) der Anthropomorphen und ganz besonders des Dryoplthecus. Aber auch in dieser Beziehung muss doch daran erinnert werden, dass bei vielen wilden Völkern hier eine Annäherung an den Affen- typus stattfindet. So hebt z. B. Nehring hervor, dass bei dem Sam- baqui-Schädel — welcher demjenigen des Pithecanthropus E. Dübois in einem Punkte so ähnlich ist (vergl. darüber in Teil II) — die Reihen der Backenzähne annähernd parallel verlaufen, so dass sie mit den — 92 — Schneidezähnen keinen Halbkreis, sondern einen stumpfen Winkel bilden. Dasselbe beobachtete er an dem Schädel eines Cayapö-Indianers aus Brasilien V Man wolle auch die in Taf. III dieser Arbeit ge- gebene Fig. 3 u. 4 von der Zahnreihe eines Nago-Negers vergleichen, welche Ähnliches erkennen lässt. Allerdings ist damit zugegeben, dass dieses von Gaudry hervor- gehobene Merkmal ein inferiores ist, denn das sind inferior stehende Menschenrassen. Aber dasselbe erleidet doch zugleich eine gewisse Abschwächung dadurch, dass es sich eben bei Menschen überhaupt wiederfinden lässt. Noch auf ein drittes Kennzeichen weist Gaudry hin, welches die alte Ansicht von der hohen Stellung des Dnjopühecus in der Reihe der Anthropomorphen erschüttert. Mit Hilfe einer vergleichenden Abbildung stellt er fest, dass die Profillinie des Kinnes bei Dryopitliecus ganz ebenso schräg von vorn-oben nach hinten-unten verläuft wie bei dem Chimpanse, dass also Dryopühccus gar keine grössere Menschenähnlichkeit in dieser Hinsicht besitze. Wiederum aber kann man auch hier geltend machen, dass gerade der Gibbon, wie schon Lartet beobachtete, ein senkrechteres Kinn als alle anderen Anthropomorphen besitzt. Da dieser nun als der am wenigsten menschenähnliche von allen gilt und doch das am meisten menschenähnliche Kinn besitzt, so kann der Wert dieses Merkmales kein besonders hoher sein. Dasselbe ergiebt sich aber auch daraus, dass verschiedene der lebenden, niedrigstehenden Cehus-k^en Unterkiefer besitzen, welche menschenähnlicher gestaltet sind, als diejenigen der hochorganisierten Anthropomorphen! Auch hat Ameghino sogar aus dem Eocän von Patagonien Affen beschrieben, welche den lebenden Cebiden verwandt sind und bereits ebensolche Unterkiefer von sehr menschenähnlicher Gestalt besitzen". Wenn nun auf der einen Seite niedriger stehende Affen ein ^ Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1895. S. 713. ^ Ich eitlere nach Schlosser 's Eeferat im Archiv für Anthropologie, Litteraturbericht für Zoologie f. d. Jahr 1892. S. 142. Die Arbeit Ameghino's liegt in französischer Übersetzung vor von Trouessart: Les singes eocenes de Patagonie austral d'apres M. Fl. Ameghino. Revue scientifique. Paris 1892, t. 49. S. 148, 149. Die Namen Homunciilus, Homocentrus, Anthropoi)s sollen darauf anspielen, aber sie beweisen natürlich gar nichts für eine nahe Verwandt- schaft mit dem Menschen. — 93 - menschenähnliclieres Kinn als höher stehende besitzen, so zeigt auf der anderen Seite auch der Schädel des Menschen keineswegs immer ein vorstehendes Kinn. So besitzen z. B. die beiden prähistorischen Unterkiefer aus dem Diluvium der Schipka-Höhle und von La Nau- lette ein nur sehr wenig hervorstehendes knöchernes Kinn. Sie haben ^ im Profil eine so steile Vorderfläche, dass eine Annäherung an den Affentypus gar nicht zu verkennen ist. Das sind freilich fossile Schädel. Gleiches Verhalten aber zeigen nach Hartmann bis- weilen auch die Unterkiefer heutiger Papüa-Schädel. Man sieht aus dem Gesagten, dass auch dieses, das Kinn des Dryopithecus betreffende Merkmal der Inferiorität etwas von seiner Bedeutung verliert. Doch Gaudry macht noch auf ein viertes Kennzeichen aufmerk- sam, durch welches angedeutet wird, dass man dem Dryojnthecus keine so grosse Menschenähnlichkeit zuschreiben dürfe, wie Lartet geglaubt habe: Es ist bekannt, dass die Weisheitszähne, M^, beim Menschen erst zwischen dem 18. bis 30. Lebensjahre erscheinen, d. h. erst lange, nachdem die Caninen und Prämolaren des Milchgebisses durch de- finitive Zähne ersetzt sind. Nun hatte Lartet, auch darin die grosse Menschenähnlichkeit des Dryopithecus betonend , gezeigt , dass bei diesem ebenfalls alle Milchzähne bereits ersetzt waren , bevor M' durchbrach, wogegen bei allen anderen Affen M^ umgekehrt früher erschiene, bevor die Ersatzcanine durchbräche. Beide Behauptungen Lartet's sucht Gaüdry abzuschwächen. Was zunächst den letzteren Punkt anbetrifft, so berichtigt er Lartet dahin , dass sich die Affen keineswegs , wie dieser meinte , gleich- massig verhalten^, indem M^ bei einigen gleichzeitig mit C, bei anderen später als C erscheint. Wenn ich nun aber die von Lartet an bestimmten Anthropo- morphen gemachten Beobachtungen^ mit den von Gaüdry an ganz denselben Formen angestellten vergleiche, so ergiebt sich eine Gegen- sätzlichkeit des von beiden Forschern Beobachteten. 1. Nach Owen, Lartet und Düvernoy ergab sich : ^ Eanke, Der Mensch. 2. Aufl. 1894. Teil IL S. 53. Auch Hartmann giebt eine Abbildung desselben in „Die menschenähnlichen Affen". Leipzig 1883. S. 113. Fig. 37. ^ Den Hylohates hatte Lartet selbst schon ausgenommen. 3 Compt. rend. hebd. Ac. d. sc. Paris. Bd. 43. 1846. S. 220. — 94 — Bei Orang: „ Chimpanse: Stets war M^ schon erschienen, bevor der letzte ^ Gorilla: | Milchzahn, die Canine, durchbrach. „ Semnopithectis: ] „ Hylöbates: M^ erschien nach C. 2. Nach Gaudry ergab sich: Bei Orang: M^ war noch nicht erschienen, als C bereits da war. „ Chimpanse : M^ und C erschienen gleichzeitig. „ Semnopithecus: ]VP und C erschienen fast gleichzeitig, C nur ein wenig früher. „ Hylohates: M^ und C erschienen gleichzeitig. Man erkennt mit leichter Mühe aus diesen gegensätzlichen Angaben beider Parteien, dass bei einer und derselben Anthropo- morphen-, überhaupt Affengattung, diese Verhältnisse zu variieren scheinen. Das aber wäre nicht nur nicht wunderbar, sondern von vornherein zu erwarten. Denn wenn beim Menschen M^ hier mit dem 18. Jahre erscheint, dort mit dem 30., da überhaupt gar nicht, so möchte man voraussetzen, dass diese Verhältnisse bei den Men- schenähnlichen ebenfalls variieren. In dieser Beziehung vermag, wenigstens über den Orang-Utan, niemand so sichere Auskunft zu geben , wie Selenka \ welcher in der bisher noch von keinem Forscher auch nur annähernd erreichten Lage war, an 300 Schädel des Orang untersuchen zu können. Selenka stellte am Dauergebiss die folgende Durchbruchsreihe fest: 1. M\ Dieser erscheint ausnahmslos zuerst. Darauf längere Pause, dann 2. M^, P, P, aber in wechselnder Reihenfolge. Wieder längere Pause, darauf 3. P^ und P^, auch in wechselnder Reihenfolge. Unmittelbar darauf 4. C, der aber sehr langsam wächst. Abermals längere Pause, dann 5. W. 6. und 7. Eventuell nun M^ und M^ Nach diesen Forschungen hätten wir also, mindestens beim Orang, in Bezug auf das Erscheinen von C und M^ genau dieselbe, nicht aber eine entgegengesetzte Reihenfolge wie beim Menschen: Nach dem Erscheinen von Ersatz C eine längere Pause, dann erst Dnrchbruch von M^, nur dass die Pause natürlich wohl bei weitem nicht so lange dauert als beim Menschen. * Die Rassen und das Gebiss des Orang-Utan. Sitzungsber. Akad. d. Wiss. Berlin. Math.-pbysik. Kl. 19. März 1896. S. 7. — 95 — Ein Variieren zwischen dem Erscheinen von C und ÄP scheint allerdings bei Orang nicht zu erfolgen, wohl aber ein solches zwischen dem Durchbruche von M^, I\ P und P\ P^. Von Interesse ist die von Dietlein gemachte Beobachtung, dass beim Menschen der Durchbruch der Canine sexuell verschiedenzeitig erfolgt. W, Dietlein^ hat nämlich an sehr grossem Materiale (7500 Personen) festgestellt, dass der Eckzahn der Mädchen im Ober- "wie Unterkiefer durchschnittlich um ^4 Jahre früher durchbricht als bei Knaben. Offenbar ist das eine Folge der beim weiblichen Geschlechte früher auftretenden Pubertät. Auch M^ bricht bei den Mädchen oben 6, unten 7 Monate eher durch als bei den Knaben. Nach Dietlein findet sich aber auch ein ganz analoges Ver- halten bei männlichen und weibhchen Anthropomorphen , so dass sich vielleicht dadurch gewisse gegensätzliche Angaben verschiedener Autoren erklären lassen. Auch in Bezug auf Dryopithecus zeigt nun aber Gaudry, dass Läetet nicht recht hatte, wenn er für diesen Anthropomorphen ein menschenähnliches spätes Durchbrechen des M^ annahm. Der zweit- gefundene Unterkiefer Hess nämlich erkennen, dass M^ sehr bald nach C erschienen sein muss. Ob es sich hier etwa um sexuelle Unterschiede handelt? Der von Lartet gefundene Unterkiefer, welcher nach diesem Autor eine so kleine Canine besitzen soll, gehörte viel- leicht einem Weibchen an. Auf solche Weise würde sich bei Lartet's Kiefer die kleine Canine und ihr gegen M^ früherer Durchbruch als Merkmal eines Weibchens von BnjopitJiecus erklären, bei Gaüdry's Unterkiefer das gegenteilige Verhalten als solches eines Männchens. Wie dem nun auch sei, auf alle Fälle wird bei Bryopithecns M^ nicht sehr lange nach C erschienen sein, so dass ein Unterschied gegenüber dem heutigen Menschen vollauf besteht. Aber, vergleichen wir da nicht abermals Ungleichwertiges, wenn wir den Zahnwechsel des miocänen Dryopithecus mit demjenigen des heutigen Menschen in Parallele stellen? Das würde doch nur dann ein brauchbares Er- gebnis liefern, wenn das Gebiss im Laufe der geologischen Zeiten, der Stammesentwickelung, etwas Starres, Unveränderliches geblieben wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Eine Entwickelungsrichtung geht bei den Säugern hinaus auf allmälige Verkürzung der Kiefer, also Verringerung der Zahnzahl, da in dem kürzeren Kiefer natürlich ^ Über Zahnwechsel und verwandte Fragen. Anatomischer Anzeiger. 1895. Bd. 10. S. 354-357. — 96 — nur noch eine kleinere Zahl von Zähnen Platz findet. Bei dem heutigen Menschen zeigt sich das unter anderem auch darin, dass äP, die Weisheitszähne, teilweise erst spät (18. — 30. Lebensjahr) er- scheinen, teilweise überhaupt nicht mehr zum Vorschein kommen, ganz fehlen (vergl. darüber in Teil II dieser Arbeit). Diese heutigen Verhältnisse beim Menschen sind aber erst etwas allmählich Gewordenes. Wir müssen daher annehmen, dass bei dem Menschen der Tertiärzeit M^ noch niemals fehlte und dass er bereits in früherem Lebensalter, vor dem 18. — 30. Jahre, erschien. Viel- leicht galt das schon von dem diluvialen Menschen. Freilich kennen wir den Menschen der Tertiärzeit noch nicht und Schädel des di- luvialen sind so selten , dass wir die Richtigkeit einer solchen An- sicht für den Menschen nicht direkt beweisen können. Indessen aus der Thatsache, dass M'"* beim Menschen jetzt im Verschwinden be- griffen ist, können wir doch schliesöen, dass er früher ein ebenso stetiger Bestandteil des Gebisses war, wie die anderen Zähne, dass er früher auch zeitiger erschien als jetzt, dass er also in dieser Hin- sicht keinen Unterschied gegenüber Dryopitliecus gezeigt haben mag. Wenn wir daher nach dieser Richtung hin den tertiären Bnjo- pitliecus vergleichen mit anderen Affen oder mit dem Menschen, so müssten wir eigentlich tertiäre Zahnwechselverhältnisse hier mit tertiären dort vergleichen, nicht aber tertiäre hier mit heutigen dort. Thun wir das , so ergiebt sich , dass bei Bryopitliecus die M^ ver- mutlich ähnlich frühzeitig erschienen sind, als das bei dem damaligen, bezw. bald nach ihm erschienenen Menschen noch der Fall war. Unmöglich konnte doch bei dem miocänen Dryopitheciis die Re- duction der Zahnzahl bereits so weit vorangeschritten sein, wie bei dem heutigen Menschen. Wenn nun weiter sich zeigt, dass unter den heute lebenden Affen sich hinsichtlich des Erscheinens der M^ manche menschenähnlicher verhalten, als Dri/opithecHS, so kann auch das nicht wundernehmen. Denn unter der so grossen Zahl von Affen wird die Reduction der Zahnzahl nicht zu gleicher Zeit ein- treten, sondern bei den einen früher, bei den anderen später. Ganz ebenso wie beim heutigen Menschen M^ hier schon mit dem 18., dort erst mit dem 30. Jahre, da überhaupt gar nicht mehr erscheint. Noch in einem letzten Punkte endlich berichtigt Gaudry die IjARTET'sche Auffassung von der hohen Stellung des Bryopifheciis : Lartet glaubte, auf eine geringe Grösse der Canine schliessen zu müssen, was allerdings ein hochgradig menschenähnliches Merkmal sein würde. Auch hier aber zeigte Gaudry an der Hand des besser — 97 — erhaltenen zweiten Unterkiefers, dass der Eckzahn durchaus nicht menschenähnhch kurz war, sondern dass er eine Krone besass, welche diejenige der anderen Zähne etwa um das Doppelte überragte. Es ist das ein Punkt, gegen welchen sich wenig Abschwächen- des einwerfen lässt. Man könnte nur ebenso wie bei ]\P hervor- heben , dass einerseits der Mensch der Tertiärzeit vermutlich eben- falls noch recht tierische, lange Eckzähne besessen haben wird, wie sich solche ja ganz ausnahmsweise (s. später in Teil II) auch heute noch beim Menschen finden, dass auch anderseits die heutigen anthropo- morphen Affen wohl ebenso lange Caninen, z. T. noch längere be- sitzen, als Dryopithecus. Es wird daher durch dieses Merkmal allerdings Lartet's Be- hauptung widerlegt, nicht aber bewiesen, dass Dryopitheciis auch in dieser Hinsicht die letzte Stelle in der Reihe der Anthropomorphen verdiene. Ziehen wir nun die Summe dieser Betrachtungen, so ergiebt sich das Folgende : Gaudry hält den Dryopithecus für den am wenig- sten menschenähnlichen der Anthropomorphen, weil derselbe 1. die verhältnismässig längste Zahnreihe, also relativ längste Schnauze besass ; 2. den verhältnismässig schmälsten und kürzesten Raum für die Zunge darbot; 3. durchaus nicht ein so steiles Kinn besass, wie Lartet meinte; 4. weil bei ihm M^ schon bald nach dem Wechsel des letzten Milchzahnes erschien ; 5. weil die Krone der Canine ungefähr doppelt so lang war, als diejenige der anderen Zähne. Einem jeden dieser Gründe konnten wir den Einwurf gewisser Gegengründe machen, wodurch die ersteren abgeschwächt werden. Aber trotzdem bleibt zu Recht bestehen, dass dieser Anthropomorphe nur als ein Affe und nicht etwa als eine Übergangsform zum Menschen betrachtet werden kann und dass, wie Gaudry zeigte, seine Eigen- schaften durchaus nicht so hochgradig menschenähnliche sind, wie Lartet meinte. Ob freilich dieser Affe wirklich wegen der Länge seiner Schnauze und der Schmalheit des der Zunge zu Gebote stehenden Raumes — denn das sind die entscheidenden Gründe — an die letzte Stelle in der Reihe der Menschenähnlichen zu setzen ist oder ob er nicht doch wegen der grossen Menschenähnlichkeit seiner Molaren dem Menschen näher steht, darauf möchte vv'ohl, je nach subjektivem Er- Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Katurkuado ia V.'ürtt. 1S98. 7 — 98 — messen, die Antwort verschieden ausfallen. Hoffentlich bringen fernere Erfunde weiteres Licht über Schädel und Skelettbildung dieser Anthropomorphengattung , welche durch die menschenähnlichsten Zähne ausgezeichnet ist, welche daher vor allen anderen Arten die Frage anregt, ob in mitteltertiären Zeiten nicht Menschenaffen ge- lebt haben, welche dem Menschen ähnlicher waren, als das die heutigen Vertreter dieser Affenfamilie sind. Wie berechtigt diese Frage ist, wird durch das Dasein einer zweiten fossilen, geologisch jüngeren Gattung anthropomorpher Affen bewiesen, welche abermals in einer anderen Beziehung hochgradig menschenähnlich war: der Gattung Pithecanthropus. Pithecanthropus. Bekanntlich hat E. Dübois ^ den Gattungsnamen Pithecanthropus für ein von ihm entdecktes fossiles Wesen gewählt, um anzudeuten, dass dieses die von vielen gesuchte Übergangsform vom Affen zum Menschen sei. Wohl kein anderes fossiles Wesen hat ein so allgemeines Interesse erregt, wohl nur sehr wenige haben einen so vielseitigen Austausch völlig entgegengesetzter Meinungen erweckt, wie dieser Pithecanthroinis. Von den einen gedeutet als zweifelloser Mensch, von den anderen als echter Affe, von den dritten als unbestreitbare Übergangsform zwischen Mensch und Menschenaffe, „schwankt sein Charakterbild in der Geschichte" der Palaeontologie. Ich bin der Ansicht, dass hier ein fossiler Menschenaffe vor- liegt. In einer Vereinsschrift wie der vorliegenden dürfte es aber angezeigt sein, wenn ich der Begründung dieser Ansicht einiges Er- läuternde voranschicke, welches engeren Fachgenossen natürhch be- kannt ist. Das Gestein, in welchem die Reste dieses so heiss umstrittenen Wesens gefunden wurden, wird gebildet durch lose vulkanische Aus- würflinge, welche ins Wasser gelangten und auf solche Weise ge- schichtet wurden. Diese vulkanischen Sande und Lapilli sind jedoch nicht mehr weich, sondern bereits zu festen Gesteinen erhärtet, eine Thatsache, aus welcher hervorgeht, dass dieselben schon vor recht langer Zeit abgesetzt worden sind. Ganz dieselbe Thatsache folgt aus der Lagerung dieser Schichten; denn die ursprüngliche, wage- ^ Fithecanthroinis erectas. Eine menschenähnliche Übergangsfonu aus Java. 2 Taf., 3 Textfiguren. Batavia 1894. Vergl. auch ferner: E. Dubois in Zeitschr. f. Ethnologie. 1895. Jahrg. 27. S. 723 und Anatomischer Anzeiger. 1896. Bd. 12. S. 1. - 99 — rechte Lage derselben hat sich bereits in eine von 3 bis zu 15° ge- neigte verwandelt. Beide Umstände sprechen mithin dafür, dass es sich um eine nicht mehr ganz junge Ablagerung handeln dürfte. Dieser Eindruck wird aber noch verstärkt durch die Versteinerungen, welche sich in diesen Schichten finden : Zahlreiche Reste einer kleinen , Äxis- ähnlichen Hirsch-Art; häufige Reste von Stegodon; ferner Buhalus, Leptobos , Bos elaplius (Portax), JRhinoceros , Hippopotamus ^ Sus, Felis, Hyaena. Endlich eine riesenhafte Manis ^ ein Schuppentier, welches die heute lebende Art Javas um das Dreifache an Grösse überragte. Die Vergleichung dieser Fauna lehrt, dass dieselbe Beziehungen besitzt sowohl zu der pliocänen der Siwaliks als auch zu der wohl altquartären von Narbada im westlichen Vorderindien. Dass sie jünger ist, als die pliocäne der Siwaliks, steht fest. Es kann daher nur die Frage sein, ob sie jungpliocän oder bereits altdiluvial ist. Der Unterschied ist nicht gross; aber bei der Wichtigkeit, welche diesem Wesen auf alle Fälle zukommt, wäre es immerhin von Be- deutung, wenn sich diese Frage mit Sicherheit entscheiden Hesse. Das ist jedoch sehr schwer, denn bei der Altersbestimmung von Säugetierfaunen tritt störend der Umstand hervor, dass der Ent- wickelungsgang, welchen diese höchst organisierten Tiere genommen haben, nicht auf der ganzen Erde ein gleichmässiger und gleich- zeitiger gewesen ist. Wir müssen unterscheiden zwischen wirklicher Oleichalterigkeit und blosser Gleichwertigkeit zweier Faunen, bei vv^elcher letzteren durchaus nicht zugleich auch genaue Gleichalterig- keit vorhanden zu sein braucht, sondern nur ein gleichwertiger Ent- wickelungszustand vorliegen kann, wie ich das bei anderer Gelegen- heit eingehender dargelegt habe^ E. Dübois erklärt die den Pithec- ünthropus begleitende Fauna für vermutlich älter als die Narbada- Fauna, also als jungpliocän. Dames^ ist dagegen der Ansicht, dass ■sie mit dieser gleichalterig, mithin ungefähr altquartär sei. Jeden- falls ist die Mehrzahl der Arten, welche mit Dryopitliecus zusammen gefunden wurden, bereits ausgestorben ; sogar eine Gattung und zwei Untergattungen sind schon seitdem von der Erde verschwunden. Dazu gesellt sich nun noch der weitere Umstand, dass der Er- ^ W. Branco, Über eine fossile Säiigetierfauna von Punin bei Eiobamba in Ecuador. Palaeontolog. Abhandl. von Dames u. Kaj'ser. Bd. I. Heft 2. S. 157. Berlin 1883 bei G. Reimer. 2 Deutsche Rundscliau. 1896. Heft 12. 7* — 100 - haltungszustand der Knochen ebenfalls auf ein ziemlich beträcht- liches Alter schliessen lässt; denn dieselben sind durch den Ver- steinerungsprocess schon sehr schwer und härter als Marmor ge- worden. So wiegt z. B. das Femur von F'dhecanthropns nicht weniger als 1 kg, d. h. mehr als das Doppelte eines gleichgrossen Ober- schenkelknochens vom Menschen. Alle diese petrographischen, palaeontologischen und stratigraphi- schen Thatsachen sprechen in übereinstimmender Weise dafür, dass das Alter der mit Pithecanthropiis vergesellschafteten Fauna kein ganz jugendliches sein kann. Ob es aber in die Zeiten fällt, welche vom Pliocän zum Pleistocän hinüberführen, oder ob es noch aus- gesprochen der ersteren oder schon der letzteren Epoche angehört, das dürfte schwer zu sagen sein. Inmitten dieser Fauna wurden die leider nur sehr sparsamen Reste des fraglichen Wesens gefunden : Ein Schädeldach, zwei Backen- zähne, ein Oberschenkelknochen. Auch der Umstand ist ungünstig, dass die Zusammengehörigkeit dieser drei Teile zu einem und dem- selben Individuum nicht vöUig einwandsfrei ist. Es wurde nämlich zuerst, im Jahre 1891, neben vielen Resten der obengenannten Säuge- tiere und Reptilien, ein Backenzahn gefunden. Derselbe lag in der üferwand des in das Gelände eingeschnittenen Begawan-Flusses, 12^ — 15 m unter der Erdoberfläche und ungefähr 1 m unter dem Trockenzeitpegel des Flusses. An derselben Stelle, nur einen Monat später, entdeckte man dann das Schädeldach, so dass die Zusammen- gehörigkeit dieser beiden Teile wohl unbestreitbar ist. Der Oberschenkelknochen dagegen fand sich 15 m weiter strom- abwärts. Dass er erst ein Jahr später gefunden wurde, ist natür- lich ganz nebensächlich. Wichtig dagegen ist, dass er in demselben Niveau lag wie jene, wodurch zunächst mindestens die Gleichzeitig- keit seiner Ablagerung mit derjenigen der beiden anderen Reste sicher erwiesen ist. Der Umstand nun, dass dieses Femur nicht genau an derselben Stelle lag wie jene, wird von manchen als Stütze ihrer Ansicht erachtet, dass beiderlei Reste nicht zusammengehören; dass der Oberschenkel einem Menschen, die Zähne und das Schädel- dach dagegen einem menschenähnlichen Affen zuzurechnen seien. Eine solche Schlussfolgerung wird jedoch keiner, der palaeonto- logisch zu arbeiten gewöhnt ist, gelten lassen: Nicht weniger als 400 Kisten voll fossiler Knochen sind an jener Fundstätte gesammelt worden. Alle diese Reste gehören ausnahmslos den obengenannten Huftieren, Carnivoren etc. an ; nur die in Rede stehenden vier Stücke — 101 — sind anders beschaffen; und von diesen sollte nun die eine Hälfte einem Menschen, die andere einem Affen angehören, während doch sonst weder von dem Einen noch von dem Anderen ein weiterer Rest gefunden wurde? Das wäre über alle Massen unwahrscheinlich; mit angenäherter Sicherheit kann man vielmehr schliessen , dass Schädel, Zähne und Oberschenkel einer und derselben Gattung, sogar einem und demselben Individuum angehören. Dazu kommt, dass diese Knochen an ihrer Oberfläche eine so vorzügliche Erhaltung besitzen, dass sie unmöglich bereits als ver- einzelte Knochen durch das Wasser verfrachtet worden sein können. Es handelt sich hier allem Anschein nach um einen einzigen, einst- mals im Wasser getriebenen , schon sehr stark verwesten Kadaver, von dem zuerst der Schädel, bald darauf der Schenkel losgelöst wurden, während der Rest vielleicht noch weiter schwamm. Die Frage kann also nur sein : Was war das für ein Wesen : Mensch oder Affe oder Übergangsform zwischen beiden? Bei dem Oberschenkel überwiegen die Ähnlichkeiten mit dem Menschen , bei dem Schädeldache dagegen die mit dem Affen und zwar, nach Virchow, speciell mit demjenigen Menschenaffen, welcher noch heute auf derselben Insel, auf Java wohnt, mit dem Gibbon. Die allgemeine Form des fraglichen Schädels sei ganz die eines Gibbon, wenn auch eines solchen von riesiger Grösse. Viele erklären ihn daher als den eines Affen ; und Virchow erläutert das — vergl. dar- über auf S. 106 — indem er den ümriss des fraglichen Schädels und darüber den , auf das Doppelte vergrösserten eines Gibbon zeichnet. Beide Umrisse decken sich zwar nicht völlig, haben doch aber ganz ähnlichen Verlauf. Einen so flachen und niedrigen Schädel kennt man, wie Virchow betont, bisher von keinem Menschen; selbst die beiden berühmten des Neander-Thales und von Spy, selbst diejenigen lebender Mikrocephalen sind höher. Ebenso ist die sehr starke Ein- schnürung des Schädels in der Schläfengegend völlig so wie man sie bei Affen findet. So bestechend das wirkt, die Sache ist damit doch keineswegs bereits endgültig zu Gunsten eines Affen entschieden. Einmal näm- lich hat Nehring gezeigt, dass ganz dasselbe Mass von Einschnürung auch beim Menschen auftreten kann K Zweitens aber bereitet die Grösse des fraglichen Schädels uns Schwierigkeiten, solange wir ihn für den eines Affen erklären : Selbst der Schädel eines erwachsenen ^ Über einen Sambaqui-Schädel. Sitzungsber. Ges. naturf. Freunde. Berlin. — 102 — Chimpanse ist nämlich um ein volles Drittel kürzer als der frag- liche, obgleich aus der Länge des gefundenen Oberschenkels hervor- geht, dass die Körpergrösse des Fithccanthropns ungefähr die gleiche gewesen ist wie die eines Chimpanse, also etwa die mittlere eines Menschen. Dem verhältnismässig, d. h. zur Körperhöhe, grossen Schädel des Pithecanthropics entspricht natürlich auch ein verhältnis- mässig sehr grosses Gehirn, wie man es bei keinem Affen annähernd kennt. Der Inhalt des Schädelraumes beträgt nämlich 900 cm^, während er bei den grössten Menschenaffen nur 500, ganz ausnahms- weise bis 600 cm^ misst. Darauf baut Dubois nun seine Schlussfolgerung : Man kann sich ja freilich , sagt er , einen ganz riesigen Gibbon denken , so gross, dass sein Schädel ebenfalls 900 cm^ fasst ; dann aber müsste sein Körper zwei- bis dreimal so gross sein wie der eines grossen Gorilla oder Menschen. Dementsprechend müsste auch der Kauapparat dieses Riesenaffen ein gewaltiger gewesen sein ; aber nichts an dem frag- lichen Schädel lässt die Ansatzstellen so mächtiger Muskeln sehen ; sie waren also nicht vorhanden. Es sprechen mithin sowohl die zu geringe Grösse des Ober- schenkelknochens, als auch das Fehlen gewaltiger Kaumuskeln gegen die Annahme, dass dieses Wesen eine solche Riesengestalt besessen habe, wie sie einem Affen nach der Grösse des Schädels zukommen müsste. Zudem ist das Grosshirn des Pithecanthropns nach Dubois- fast eben so hoch gewölbt wie dasjenige der beiden berühmten ur- alten Menschenschädel des Neander-Thales und von Spy. Folglich, so schliesst E. Dubois, kann dieses Wesen kein Affe gewesen sein, sondern nur ein Mensch oder eine Übergangsform zwischen beiden. Aber selbst wenn man sich trotzdem, so folgert Dübois weiter, einen so übergewaltig grossen Gibbon vorstellen wollte, welcher den Menschen zwei- bis dreimal an Grösse übertrifft, so liesse sich doch ein solches Phantasiebild mit der Lebensweise dieser Affen nicht in Einklang bringen. Ein Gibbon lebt auf Bäumen, wo er sich in rascher Flucht von einem Aste zum anderen schwingt. Unter einem solchen Riesenkörper von 3 — 4 Centner Gewicht würden aber die Äste wohl so vielfach abgebrochen sein und bei einer solchen Körper- länge von 3 — 4 m würde dieser Menschenaffe so wenig durch das Gewirr der Äste haben seinen Weg finden können, dass er ein Phantasiegebilde bleiben muss. Wir dürfen uns daher den Besitzer des fraglichen Schädels doch nur als von etwa Menschengrösse vor- stellen. — 103 — Ist dem so, dann stehen wir aber, sagt Dubois, vor der Alterna- tive , dass der fragliche Schädel für einen Menschen viel zu klein, für einen Menschenaffen viel zu gross ist, mit anderen Worten, dass er an Grösse und Gehirninhalt wieder voll Mensch, noch voll Affe ist. Gegen eine Zugehörigkeit zum Affen führt E. Dübois aber noch zwei weitere Gründe an. Wenn wir das Skelett von Mensch und Affe vergleichen, so sitzt beim Menschen der Schädel auf der Wirbel- säule fast wie ein Knopf auf einer Fahnenstange, d. h. der Schädel ist beinahe in seiner Mitte aufgespiesst auf der Wirbelsäule. Beim Menschenaffen dagegen geht, um beim Bilde zu bleiben, die Fahnen- stange nicht durch die Mitte des Knopfes, sondern sie liegt excen- trisch- Der Schädel ist hier also mit seinem hinteren Ende an der Wirbelsäule aufgehängt. Das Hinterhauptsloch liegt mithin beim Affen mehr nach hinten, beim Menschen mehr nach der Mitte der Schädelbasis zu. Vergleichen wir damit den fraglichen Schädel, so zeigt sich, dass sein Hinterhauptsloch weiter nach vorn gerückt ist, also menschen- ähnlicher liegt, als bei irgend einem Affen der alten Welt. Eine weitere Menschenähnlichkeit liegt in der starken Vorwärtsbiegung des Nackenteiles der Hinterhauptsschuppe : Eine Eigenschaft, die man beim Menschen in Beziehung bringt zu dem aufrechten Gange, die mithin bei dem fraglichen Wesen ebenfalls für aufrechten Gang spricht. So zeigt sich also in den verschiedenen Merkmalen des frag- lichen Schädels, in Umriss, relativer Grösse und den letztgenannten beiden Punkten, eine Disharmonie. Es liegen Merkmale des Menschen und des Menschenaffen vereint nebeneinander, und so erklären sich denn die vollkommen entgegengesetzt lautenden Urteile der Forscher über denselben. Während Autoritäten wie Hamann. Ten Kate, Koll- mann, W. Krause, Joh. Ranke, Selenka, Virchow, Waldeyer, v. Zittel den Schädel ganz bestimmt für den eines Affen erklären, wird er ebenso sicher für den eines Menschen gedeutet von Ctjnningham, Keith, Lydekker, Martin, Matschie, Topinard, Türner. Wenn nun so gewiegte Forscher zu derart diametral entgegengesetzten An- schauungen in dieser Beziehung gelangen konnten, so spricht in der That dieser Umstand allein schon zu Gunsten der von Dübois vertretenen Ansicht, dass eben weder Mensch noch Affe, sondern ein Mittelding zwischen beiden vorhege: Eine Ansicht, die von Männern wie E. Dübois, Dames, Häckel, Manouvrier, Marsh, Nehring, Pettit, Vernaü geteilt wird. Die beiden Zähne bringen gleichfalls keine sichere Entschei- — 104 — düng. Sie gleichen denen des Menschen, besitzen jedoch auch ab- weichende Merkmale. Wie ausserordentlich schwer es aber sein kann, isolierte Zähne des Menschen von denen eines anthropomorphen Affen zu unterscheiden, das hat die Untersuchung der Zähne des JDryopitheciis in dem ersten Abschnitt unserer Arbeit gezeigt. Zumal bei dem einen dieser beiden Zähne gestaltet sich die Sache schwierig, weil er ein Weisheitszahn ist und diese, namentlich beim Menschen, sehr stark variieren. Aus der von Dübois gegebenen Abbildung lässt sich leider in dieser Hinsicht ein eigenes Urteil nicht gewinnen, ob- gleich dieser M^ noch fast unbenutzt ist. Gerade in diesem letzteren Umstände liegt aber etwas recht Auffallendes. Die Untersuchung des fraglichen Schädels zeigt, dass er bereits verwachsene Nähte besitzt, also einem Wesen angehört, das schon ein höheres Alter erreicht hatte. Die geringe Abnutzung des Zahnes dagegen spricht umgekehrt für seine Zugehörigkeit zu einem jüngeren Wesen \ Yv^ir haben freihch in diesem Zahne einen M^ vor uns, und dieser erscheint erst später als die anderen Backen- zähne, namentlich allerdings beim Menschen (vergl. S. 93 ff.). Viel- leicht Hesse sich darin eine Erklärung finden ; aber schwierig bleibt dieser Widerspruch dennoch. Während nun das fragliche Schädeldach zu so sehr verschiede- nen Auslegungen führte, sind gegenüber dem Oberschenkelknochen die meisten Forscher darin einig, dass er dem des Menschen gleicht, bezw. letzterem auch angehört. Die Unterschiede in der Gestalt des Femur bei den verschiedenen Anthropomorphen und dem Menschen sind nur geringe. Im allgemeinen zeigt sich ein Abweichen darin, dass bei den Menschenaffen der Oberschenkelknochen fast gerade, beim Menschen aber etwas nach vorn gebogen ist, welche Biegung sich wohl allmählich durch die Last des Körpers infolge des Auf- w^ärtsgehens vollzogen hat. Der fragliche Oberschenkelknochen nun steht in dieser Hinsicht zwischen beiden, d. h. er ist nur etwas ge- bogen, wie man das aber doch auch bei manchen Menschen findet. Das könnte nun dafür sprechen, dass das fragliche Wesen sich mehr des aufrechten Ganges befleissigte : Ein Schluss, zu welchem Dubois auch durch die starke Biegung des Nackenteiles der Hinterhaupts- schuppe gelangt war. ^ Das aber um so mehr, als zwar der heutige Kulturmensch seine Zähne schont, teils mit Absicht, teils weil er zarter Zubereitetes geniesst; der Wilde aber , ebenso wie der Affe, und sicher auch jenes fragliche Wesen , nutzen ihre Zähne schonungsloser ab. — 105 — Aus dem allem ergiebt sich, wie Dames hervorhob, dass Pithec- anthropus, dieses fragliche Wesen, mit dem Schädel mehr Affe, mit den Beinen mehr Mensch gewesen ist; dass er also gerade die Vor- stellung erfüllt, welche man sich, bevor man Fithecanthropiis kannte, von dem "Wesen gemacht hat, welches den Übergang zwischen Mensch und Aife bilden würde (s. S. 64). Gewiss sind diese Gxünde bestechend. Aber es giebt doch auch andere, welche auf die Affennatur des Pithecanthropns hinweisen. Soweit es daher überhaupt statthaft ist, in einer so wichtigen Frage nur auf Grund von Abbildung und Beschreibung eine Ansicht öffentlich auszusprechen, möchte ich das Folgende geltend machen: Was den von E. Dubois abgebildeten Weisheitszahn anbetrifft \ so besitzt derselbe zunächst eine auffallend starke Einschnürung der Krone, welche Dubois auch im Texte hervorhebt. Ganz dasselbe Merkmal ist mir aber an unbenutzten Zähnen des Chimpanse und Orang aufgefallen. Dubois macht ferner die grosse Kürze des Durch- messers der Krone von vorn nach hinten geltend als Zeichen dafür, dass dieser M^ bereits eine starke Reduktion, also ein menschliches Merkmal zeige. Indessen dem gegenüber lässt sich sagen, dass bei den Menschenaffen M^ ebenfalls reduziert sein kann. Ich habe schon früher den Chimpanse der Stuttgarter Sammlung (s. S. 27) angeführt, dessen M"* oben stark reduziert ist, während M^ unten sogar zum blossen Knopfe herabgesunken erscheint. Auch das Divergieren der beiden Wurzeln dieses Zahnes ist so stark, dass man eher den ge- waltigen Kiefer eines Affen, als den eines Menschen dabei vor Augen haben möchte. Endlich aber zeigt die Kaufläche des Zahnes einige Schmelzleisten, bezw. Furchen, und das ist ein Merkmal (S. 28), welches zwar beim Menschen auch vorkommen kann, jedoch immer ein anthropomorphes genannt werden muss. Freilich, gerade beim Gibbon, an den man, wenn man Vikchow's oben dargelegter Ansicht folgen wollte , zunächst denken würde , besitzen die Zähne nicht solche Leisten. Aus der geringen Biegung des Femur glaube ich nichts weiter ableiten zu sollen, als dass dieses Wesen vielleicht den aufrechten Gang etwas mehr gepflegt hat, als die lebenden Anthropomorphen. Da nun die letzteren sich in dieser Hinsicht nicht völlig gleich ver- halten, so ist sehr gut ein Affe denkbar, der in noch höherem Grade als der Gibbon, welcher am besten aufrecht geht, diese Eigenschaft besessen hat. ' Der andere ist bereits stärker abgekaut, der Weisheitszahn aber noch intakt — 106 — Der Umriss des Schädeldaches von Pithecanthropus deckt sich, wie ViRCHOW sagt, ziemlich mit dem eines Gibbon. Beide haben auch dieselbe Heimat, die Insel Java. Wir kennen heute zwar nur sehr viel kleinere Gibbonarten. Es läge aber darin allein kein Grund, die Annahme zurückzuweisen, dass früher eine grosse Art dieses Ge- schlechtes gelebt habe ; und das um so weniger, als ja die diluviale Zeit, in welcher oder kurz vor welcher Fithecantliroims gelebt hat, überhaupt das Zeitalter riesiger Tiergestalten war. Kommt doch zusammen mit Pithecanthropus ein Schuppentier, eine 3Ianis-kvi, vor, welches dreimal so gross als die jetzt lebenden Arten ist. An und für sich also wäre ein Gibbon von etwa Menschengrösse, wie solche aus seinen Schenkelknochen ungefähr hervorgeht, nicht nur gut denkbar, sondern er würde auch in den Bahmen seiner Zeit gut hineinpassen. Ausserdem ist hervorzuheben, dass Gorilla, Orang und Chimpanse Anthropomorphengattungen sind , welche an Arten arm sind, bezw. gar nur eine einzige Art besitzen, während vom Gibbon eine ganze Anzahl von Arten bekannt ist. Auch unter den, wenn auch sehr seltenen, fossilen Anthropomorphen sind die Gibbons und ihre Verwandten verhältnismässig am häufigsten. Es würde daher der Erfund einer neuen Anthropomorphenform gerade bei oder in der Verwandtschaft der Gattung des Gibbon am ehesten voraus- gesetzt werden können. Aber die Zähne sind entschieden nicht dem Gibbon ähnlich, da sie Rauhigkeiten besitzen, welche für Orang und Chimpanse, nicht aber für Gibbon kennzeichnend sind. Auch ist das Schädeldach, wie Herr Kollege Eimer mir freundlichst nach Besichtigung des Originales mitteilte, eher einem Chimpanse ähnlich, als einem Gibbon, so dass die Hylobates-^a.tnv nicht erwiesen zu sein scheint. Auch gegenüber der Affennatur überhaupt ist der oben dar- gelegte, von DüBOis gemachte Einwurf schwerwiegend, dass ein Affe von Menschengrösse nicht annähernd ein so grosses Gehirn, wie es Pithecanthrojnis besass, haben könnte und es gilt in der That auch von anderen Tieren das Gesetz, dass die grossen Arten im Verhältnis zu ihrem Körpergewichte bedeutend weniger Gehirn besitzen, als die kleineren ^. Nach unseren heutigen Erfahrungen dürfte daher ein etwa menschengrosser Affe kein so grosses Gehirn besitzen, wie Pithec- ^ Wie das z. B. für die Hunde Eüdinger darlegte. Verhandl. d. aiiatom. Ges. a. d. 8. Vers, zu Strassburg. Jena 1894. S. 173—176. — 107 — anthropus es thatsächlich besass. Wer also annimmt, dass letzterer nichts weiter als ein Affe war, der muss für diesen Affen, in Bezug auf die Gehirngrösse , eine Ausnahmestellung in Anspruch nehmen ; und das ist allerdings eine missliche Sache. Aber würde denn nicht ein Wesen, welches die von vielen so sehnsüchtig gesuchte Brücke von dem Tiere zum Menschen bildet, ebenfalls eine Ausnahmestellung im ganzen Tierreiche einnehmen? Wir kennen auf der einen Seite bisher kein solches Übergangswesen, und wir kennen auf der anderen Seite bisher keinen Affen mit ver- hältnismässig so grossem Gehirne. Was ist nun, angesichts des Pithecanthropus, die weniger kühne, also die wahrscheinlichere Annahme : Dass man in ihm einen Affen mit ungewöhnlich grossem Gehirne vor sich habe, oder dass man in ihm das noch viel ungewöhnlichere Bindeglied zwischen Tier und Mensch gefunden habe? Ich glaube , man muss doch zugeben , wahrscheinlicher sei es immer noch, einen solchen abweichenden Affen zu finden, als das gesuchte Bindeglied. Zudem giebt E. Dübois selbst zu, dass unter den lebenden Anthropomorphen eine Gibbonart, Hylobates agilis, einen (zwar absolut kleineren, aber doch ausnahmsweise) ähnlich hochgewölbten Schädel besitze. Doch noch ein weiteres hätte ich geltend zu machen : Keines der lebenden Anthropomorphengeschlechter steht dem Menschen in allen Stücken am nächsten. Das eine gleicht ihm besonders in diesen Eigenschaften, das andere in jenen. Es ist daher sehr gut eine bisher noch unbekannte Anthropomorphengattung denkbar, welche dem Menschen in einer abermals neuen Beziehung, in der verhältnis- mässigen Gehirn- und Schädelgrösse, vielleicht auch in der Biegung des Femur, am nächsten kommt, ohne dass sie darum gerade ein Vorfahr des Menschen gewesen sein muss. Sie hat vielleicht wiederum in anderen Stücken dem Menschen ferner gestanden, als jene anderen Geschlechter. Ich gebe zu, dass es mehr und weniger wichtige Merkmale giebt und dass die Gehirngrösse zu den allerwichtigsten gehört. Wenn wir daher aus den lebenden und fossilen Anthropo- morphen, nach ihrer näheren oder weiteren Stellung zum Menschen, eine Reihe bilden sollten, so würden wir Pithecanthropus wohl an die Spitze dieser Reihe stellen müssen. Daraus folgt aber zunächst doch nur, dass er unter den bisher bekannten Anthropomorphen der höchststehende Affe ist, nicht dass er auch ein direkter Vorfahr des Menschen, das gesuchte Bindeglied zu diesem sein muss. — 108 — Noch einen letzten Grund möchte ich geltend machen, welcher, meiner Ansicht nach, gegen die Deutung des Pithecanthropus als der Übergangsform aus dem Affen in den Menschen spricht: Mag Tltliecantliropus in altdiluvialer oder jüngstpliocäner Zeit gelebt haben, in jedem Falle ist das, geologisch gesprochen, ein nicht sehr fernliegender Zeitabschnitt. Wenn man sich nun den unendlich langen, mühsehgen Weg vorstellt, welcher zurückgelegt werden musste, falls aus dem Affen ein Mensch hervorgehen sollte — wenn man weiter bedenkt, dass in mitteldiluvialer, ich meine interglacialer Zeit, mit Sicherheit bereits ein echter Mensch vorhanden war, so sollte man doch meinen, dass der Zeitraum vom Altdiluvium bezw. Jüngstpliocän bis hin zum Mitteldiluvium viel zu kurz gewesen sei, um eine so gewaltige Umwandlung heranreifen lassen zu können. Diese Überlegung wird aber um so zwingender, je mehr man gelten lässt, dass schon lange vor mitteldiluvialer Zeit, ja vielleicht schon lange vor Fltliecantliropus Menschen gelebt haben. Mit anderen Worten: Ich möchte meinen, dass der Übergang vom Affen zum Menschen in eine viel frühere Zeit fällt, als die, in welcher PifJicc- cmthropus lebte. Das Dasein eines Menschen bereits in tertiärer Zeit, schon lange \ov Pithecanthropus^ ist allerdings nicht erwiesen (s. später) ; aber ich habe die Empfindung, als wenn Pithecantliropus viel zu spät entstanden sei für die Rolle, welche Dubois ihm zuweist. Wenn ich das Gesagte noch einmal kurz zusammenfassen soll, so möchte ich die Ansicht vertreten: In Pithecantliropus liegt ein Affe vor, der nach den Rauhig- keiten seines Zahnes eher an Orang oder Chimpanse erinnert als an Gibbon. Die Zeit, in welcher der Mensch sich aus tierischen Vorfahren entwickelte, möchte ich lieber in eine wesentlich frühere Epoche verlegen als die war, in welcher Pithecanthropus lebte. Da jedes der jetzigen anthropomorphen Geschlechter in einzelnen Eigenschaften besonders menschenähnlich ist, so bietet auch die An- nahme eines fossilen Anthropomorphen nichts Wunderbares, der hin- sichtlich der Gehirngrösse mehr als alle anderen menschenähnlich war. Die Wahrscheinhchkeit, dass man eine fossile Anthropomorphen- gattung mit bisher nicht bekannter Gehirngrösse gefunden hat, dürfte viel grösser sein, als die Wahrscheinlichkeit, dass man das bisher nicht bekannte Bindeglied zwischen Affe und Mensch entdeckt hat. Bei der ungemein grossen Wichtigkeit für die Entwickelungs- lehre, welche das Auffinden einer Übergangsform aus dem Tiere in — 109 — den Menschen besitzen würde, will es mir endlich auch vorsichtiger und richtiger erscheinen, auf Grund so sehr mangelhafter Reste nicht das viel Unwahrscheinlichere, die Entdeckung des Bindegliedes, an- zunehmen, sondern das Wahrscheinlichere, die Auffindung einer neuen Anthropomorphenart oder -Gattung. Unsere Betrachtungen über Dryopithecus und Pithec- anthropus führten uns dahin, dass wir zwar weder den einen noch den anderen dieser fossilen Anthropomorphen als ein Übergangsglied desAffen zumMenschen betrachten können; dass aber doch in diesen ausgestorbenen Formen uns zwei Gattungen dieser Familie vorliegen, welche gewisse hoch- gradig menschenähnliche Merkmale besitzen: Dryopithe- cus die menschenähnlichsten Zähne, Pithecanthropiis den menschenähnlichsten Gehirnschädel und damit wohl auch ein entsprechendes Gehirn. Ob den genannten beiden Gattungen ausser diesen Eigenschaften noch andere von so grosser Anthropomorphie innegewohnt haben, ist bei der Geringfügigkeit ihrer Reste bisher leider nicht festzustellen. Thatsache ist, dass wir hier zwei ausgestorbene Gattungen vor uns haben, welche, jede wieder in einer anderen Eigenschaft, die heute leben- den Anthropomorphen in Menchenähnlichkeit übertreffen. Es ist daher gar nicht unmöglich, dass- in früheren Zeiten anthropomorphe Affen gelebt haben, welche dem Menschen auch im allgemeinen näher standen als die heute noch lebenden Vertreter ihrer Familie, so dass diese letztere imLaufe derZeiten einen Entwickelungsgang eingeschlagen hätte, welcher nicht höher hinauf-, sondern tiefer hinab- geführt hätte. In Teil II dieser Arbeit^ sind weitere Gründe dargelegt worden, welche für eine solche Ansicht sprechen könnten. Durchaus nicht notwendig ist die Forderung, dass diese fossilen Formen in allen Stücken dem heutigen Menschen näher gestanden haben müssten. Vielmehr, wie unter den jetzigen Anthropomorphen der Eine in dieser, der Andere wieder in jener Eigenschaft dem Menschen am nächsten kommt, so wird das auch unter den fossilen Vertretern der Fall gewesen sein. Rethiktion des Gebisses bei Aifeii. — 110 — Wir dürfen dabei zugleich nicht vergessen, dass, so- bald wir uns einmal auf den Boden der Entwickelungslehre stellen, auch der Mensch sich verändert haben muss, dass derselbe also zu tertiärer Zeit demjenigen der Jetztzeit ebenfalls in manchen Eigenschaften noch nicht gleich war. Es kann mithin eine fossile Gattung der Anthropomorphen, welche von dem heutigen Menschen in gewissen Dingen abweicht, doch dem tertiären Menschen in eben diesen Dingen wohl näher gestanden haben. Um in dem Folgenden leichter verständlich zu sein, gebe ich hier eine Wiederholung der auf S. 9 gemachten Zusammenstellung der fünf fossilen Gattungen anthropomorpher Affen : I. Asiatische Gattungen: -fPalaeopithecus sivalensis (Lyd.) E. Dubois. Indien, pliocän? FWiecanthropus erecfus E. Dubois, Java, altdiluvial oder jüngstpliocän. IL Europäische Gattungen: ■fPUopitheais antiqims P. Gervais, Frankreich, Schweiz, Steyermark, miocän, Pliohylohates eppelsheimensis E. Dubois, Deutschland, pliocän. •fDryopithecus Fontani Lartet, Frankreich, miocän. Auch aus dem Bohnerz der schwäbischen Alb. Ausser den im Obigen genannten Formen kennen wir nur noch aus den Sivalik Hills Indiens eine ganz ungenügend durch einen Eckzahn vertretene Gattung, welche nach Lydekker dem Orang ident sein soll. Natürlich ist das keine genügende Unterlage, um das Vorkommen dieser Gattung als wirklich erwiesen anzusehen. Es hat nun E. Dubois (S. 5) geltend gemacht, dass in tertiärer Zeit eine „primitive" Gruppe Menschenähnlicher gelebt habe, welcher er die drei, oben mit einem Kreuz versehenen Gattungen Pliopithecus , Dryopithecns und , als wahrscheinlich auch , Palaeo- pithemis zurechnete. Er betont ausdrücklich, dass diese primitive Gruppe gleichweit von jeder der heute lebenden Gattungen entfernt stehe, dass sie namentlich nicht dem Gibbon näher verwandt sei, als den anderen Geschlechtern. Ich habe aber am angezogenen Orte schon darauf hingewiesen, dass sich in seinen Worten ein Widerspruch findet, wenn er (1. c. S. 93) an anderer Stelle sagt, dass aus dem Zahnbau des Pliopithecus un- zweifelhaft seine Zugehörigkeit zu der Familie der Gibbons hervor- gehe. Ich glaube , dass Dubois mit diesen letzteren Worten hin- — 111 — sichtlich der Stellung des Pliopithecus dem Thatsächlichen näher gekommen ist, als mit jenen ersteren. Es hat auch schon früher Dames ^ die Ansicht ausgesprochen, dass, mit Ausnahme des Pithecanthrojms ^ ^ alle fossilen Anthropo- morphen mehr oder weniger enge Beziehungen zum Gibbon haben. Die Wichtigkeit einer solchen Thatsache sieht er im Folgenden : Der Gibbon ist der niedrigst organisierte, zugleich aber der generali- sierteste der Menschenähnlichen ; er geht trotz seiner überaus langen Arme mehr aufrecht als die anderen Affen, er tritt auch mit der ganzen Sohle auf und nicht, wie die drei anderen Gattungen, mehr mit der Aussenseite. Auch Kollmann hat sich eben dahin geäussert, Gorilla, Chim- panse und Orang seien zu sehr specialisiert , als dass von solchen Wesen die Abzweigung neuer Typen erwartet werden könnte. Hier- gegen gestatte gerade ein derartig generalisierter Gibbontypus eine Abzweigung oder Entstehung neuer Formen aus ihm heraus. Koll- mann sucht daher die Stammform des Menschen unter früheren Gibbonformen (s. S. 112 ff.). Meiner Ansicht nach trifft diese von Dames und Kollmann ver- tretene Auffassung entschieden das Richtige. Wer die Molaren des Pliopithecus betrachtet, wird zugeben müssen, dass dieselben unter allen lebenden Menschenaffen am meisten an diejenige des Gibbon sich anschliessen. Dasselbe gilt aber meiner Ansicht nach auch von den Molaren des Dryopithecus einschliesslich der hier be- schriebenen, aus dem Bohnerz der Alb stammenden Zähne^. Namentlich wenn die Zähne des Dryopithecus etwas ab- gekaut sind, tritt diese Ähnlichkeit mit denen des Gibbon scharf hervor. Im unbenutzten Zustande zeigen sie einige Schmelzleisten, was darauf hinweisen könnte, dass aus dieser alten generalisierten Gibbonfamilie sich auch Orang und Chimpanse abgezweigt haben, bei welchen die Bil- dung dieser Schmelzleisten in hohem Grade gesteigert erscheint, während sie bei den anderen Nachkommen, den heutigen Gibbons, sich ganz verloren hätte. 1 Pithecanthrojms. „Deutsche Rundschau" 1896. Heft 12. S. 381. ^ AVelchen er mit E. Ddbois als eine Übergangsform zmschen Affe und Mensch auffasst. 3 Ich habe zum Beweise dessen einen Zahn des Gibbon im vergrösserten Massstabe abbilden lassen (Taf. II Fig. 3). — 112 — Während aber durch die Gestalt der Molaren des Pllo- und des Dryoplthecus die Zugehörigkeit dieser Gattungen auf der einen Seite zu einer primitiven Familie der Gib- bons wahrscheinlich wird — so wird auf der anderen Seite durch die grosse Ähn- lichkeit dieser Molaren mit denen des Menschen auch wieder der Verdacht rege, dass die Gattung Homo dieser alten Familie der Gibbons entsprossen sein möchte oder doch mit derselben näher verwandt sein, d. h. gemeinsamer Wurzel entstammen könnte. Vielleicht wäre in Betracht zu ziehen, ob etwa auch Pithecanthropus ein Abkömmling dieser Familie von Gib- bonen sein könnte, bei welchem die Natur in der Aus- bildung des Gehirnes weiter zu dem heute Menschlichen vorstiess, als bei irgend einem anderen bisher bekannten Affen. ViKCHOW hat, wie wir sahen (S. 101, 106), diese Form ja für einen Gibbon erklärt, Eimer dagegen bestreitet das (vergl. auch das von Kollmann Gesagte im nächsten Abschnitte). 2. Die Körpergrösse des früheren Menschen. Wer mit E. Dübois den Pithecanthropus für das Übergangsglied aus dem Affen in den Menschen ansieht, der vertritt damit unaus- gesprochen zugleich auch die Ansicht, dass die ersten Menschen un- gefähr dieselbe Körpergrösse besessen haben, wie der heutige Mensch ; denn PühecantJiroptts ist ungefähr von menschlicher Grösse gewesen. In der That, wenn man sich die menschlichen Vorfahren der heutigen Menschenrassen vorstellt, so wird man unwillkürlich von der Idee beherrscht sein, dass dieselben zwar auf einer geringeren Kulturstufe gestanden haben , dass sie aber nicht von geringerer Körpergrösse gewesen seien, als der heutige Mensch. Ja, umgekehrt sogar wird man eher geneigt sein, sich dieselben mit einer höheren Gestalt begabt zu denken, indem man von der ganz richtigen Vor- stellung ausgeht, dass durch das Kulturleben und durch die starke Beanspruchung der Gehirnthätigkeit der Körper allmälig verweich- licht, geschädigt, geschwächt wurde. Auf der anderen Seite kann man freilich geltend machen, dass die Haustiere den Beweis liefern, wie nicht selten gerade durch die Kultur eine grössere Körpergestalt entstanden ist. Indessen es decken sich die Begriffe „Kultur" in diesen beiden Fällen nicht ganz. Beim Haustiere ist „Kultur" gleichbedeutend mit besserer Pflege und Er- — 113 — nährung, sowie mit Auswahl der zu paarenden Tiere. Beim Menschen dagegen liegt in diesem Ausdrucke vor allem ein Zustand höherer Gesittung, höherer geistiger Thätigkeit. Aber ein kultureller Fort- schritt nach dieser Richtung hin hat doch auch ganz denselben Fort- schritt im Gefolge, welchen die „Kultur" für die Haustiere mit sich bringt, nämlich bessere Pflege und bessere Ernährung, wenigstens für viele. Die Kultur wirkt also auf den menschlichen Körper und seine Grösse nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin ein : Teils schädigend, schwächend, verkleinernd, teils aber auch stärkend, ver- grössernd. Ob diese Richtungen sich das Gleichgewicht halten oder ob die eine, bezw. die andere obsiegt und im Laufe der Zeiten ob- gesiegt hat, das dürfte schwer zu entscheiden sein; das wird sich aber auch im allgemeinen gar nicht beantworten lassen , da es in verschiedenen Fällen sich verschieden damit verhalten wird. Nur so viel geht aus dieser Überlegung hervor, dass wir nicht ohne weiteres die Berechtigung haben , uns das menschliche Ge- schlecht von Anfang an in derselben Körpergrösse vorzustellen, welche dasselbe heute besitzt. Es wäre sehr wohl möglich, dass die ersten' Menschen von grösserer oder aber von geringerer Körpergrösse ge- wesen seien, als die heutigen. Daraus würde dann natürlich folgen, einerseits, dass die Wesen, aus welchen jene Anfänge des Menschen- geschlechtes hervorgingen, ebenfalls eine bedeutendere oder aber eine geringere Grösse besessen haben müssten ; anderseits, dass das Menschengeschlecht erst allmälig bald hier, bald dort grössere, bezw. kleinere Rassen gezeitigt hätte , so dass sich Reste dieser grösseren, bezw. kleineren Menschen möglicherweise noch bis in die heutige Zeit erhalten haben könnten. Riesenmenschenrassen kennt man bisher auf der Erde nicht, wohl aber Zwerg- oder besser Pygmäenrassen; und zwar hat man letztere sowohl unter der heutigen Bevölkerung der Erde als auch unter der früheren, der prähistorischen, gefunden. Auf diesen That- sachen fussend hat denn Kollmann die Ansicht ausgesprochen, dass die Vorfahren der heutigen Menschenrassen Europas ganz allgemein von kleinem Wüchse , Pygmäen , gewesen seien , dass wir unsere heutige Körpergrösse also erst allmälig erlangt hätten ^ Es sind ^ Pygmäen in Europa. Verhandl. d. anatom. Ges. a. d. 8. Vers, zu Strassburg, Jena 1894. S. 206—214. Pygmäen sind normal entwickelte Menschen von geringer Körpergrösse, also nicht zu verwechseln mit Zwergen, -welche eben nicht normal entwickelte , sondern degenerierte Individuen körperlich grosser Menschen sind. Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. iNatiirkunde in Württ. 1S9S. 8 — 114 — nämlich nicht nur am Schweizerbild bei Schaffhausen Reste solcher prähistorischen (neolithischen) Pygmäen von Kollmann gefunden wor- den, sondern Sergi in Rom hat auch in Sicilien, Sardinien und Süd- italien aus Schädeln das ehemalige Dasein einer solchen kleinen Menschenrasse nachgewiesen ; auch Plinius und andere klassische Schriftsteller sprechen bereits von dem Dasein derselben in Europa. So lässt sich jetzt schon die ehemalige Verbreitung dieser Pygmäen- rasse von der Schweiz zum Mittelmeer und bis in den Osten Europas feststellen. In Europa bestehen aber offenbar noch heute Reste dieser kleinen Menschenrasse weiter fort. In Itahen kommen sie überall vor; ja, Sergi giebt nach den Rekrutierungslisten an, dass sie in manchen Bezirken in der stattlichen Zahl von 13 — 16 % auf- träten. In allen Gouvernements Russlands, vom Schwarzen Meere bis zum Ladoga-See, von Kasan bis Volhynien sind sie, nach Koll- mann, zu finden. Sicher werden aber auch in den übrigen Ländern Europas wenigstens vereinzelte Reste noch vorhanden sein. Auch heute noch leben in weiter Verbreitung Pygmäen in Oceanien, Asien und Afrika. In Centralasien ist wieder ganz neuer- dings auf der Hochsteppe des Pamir ein bisher unbekanntes Zwerg- volk entdeckt worden, dessen Haustiere von ähnlich zwerghaftem Wüchse sind. Wenn indessen die Ansicht der Erforscher dieser Pyg- mäen, der dänischen Offiziere Olissen und Felipsen, richtig sein sollte, dass die zwerghafte Entwickelung dieses Volkes auf die kärg- liche Ernährung in den unwirtlichen Bergsteppen des Pamir zurück- zuführen ist — für welche Ansicht der ebenfalls zwerghafte Wuchs der Haustiere spricht — dann würde man diese Pygmäen allerdings nicht als einen Rest der kleinen ürrassen des Menschengeschlechtes zu betrachten brauchen, denn es könnte sich in diesem Falle ebenso- wohl um klein gewordene Nachkommen einer einst gross ge- wesenen Rasse handeln \ Für die afrikanischen Zwergvölker hat Schlichter^ nachgewiesen, dass nicht nur im Urwaldgebiete Pygmäen wohnen, sondern auch im waldfreien, bergigen Südostteile des Kontinentes. Könnte man sie vielleicht im Waldgebiete, wie jene des Pamir, nur für degeneriert, dem Urwaldleben angepasst hinstellen wollen, so würde eine solche Erklärung sofort fallen müssen im Hinblick auf jene Bewohner des ^ Ich entnehme Obiges nach Fertigstellung des Manuskripts dem Stutt- garter Neuen Tagblatt. 1897. März. ^ Vergl. seinen Aufsatz im Schwäbischen Merkur. 11. März 1896. S. 507 und 508 der Schwäbischen Chi-onik. — 115 — waldfreien Gebietes. Schlichter kommt so im Verlaufe seiner Unter- suchungen zu dem Ergebnisse, dass diese Pygmäen die letzten, wenn- gleich noch recht verbreiteten Keste einer ehemaligen Urbevölkerung sind, welche ausschliesslich aus Pygmäen bestand und sich vom West- sudan bis zum Osthorn Afrikas und von da bis zum Kap der Guten Hoffnung ausdehnte. Auch hier findet sich Bestätigung in den An- gaben der Schriftsteller des Altertums; denn auch wenn man von Homer, Ovid, Jüvenal und anderen Dichtern absieht, so berichten doch in zuverlässiger Weise Aristoteles, Strabo, Pomponiüs, Mela, Pliniüs, Herodot über die äquatorialen Pygmäen Afrikas ihrer Zeiten. Die Körpergrösse dieser Pygmäen schwankt zwischen 1,20 und 1,50 m Höhe. Sievers ^ giebt für die kleinsten Menschenrassen der Erde die folgenden Zahlen an: Lappen 138 — 150 cm Eskimo 140—150 „ Buschmänner 130 — 140 „ Batua 130—145 „ Akka 124—140 „ Abongo 130—150 „ Unter solchen Umständen erlangt die Ansicht eine gewisse Be- deutung, dass die ältesten Vorfahren des Menschengeschlechtes Pyg- mäen gewesen seien. Ist dem so , dann müsste natürlich auch die Affengattung, aus welcher sich diese Zwerge entwickelten, von wesent- lich geringerer Körpergrösse gewesen sein , als der heutige Mensch sie besitzt. Demzufolge würde man dann aber auch Pithecanthropus, welcher etwa die Grösse des letzteren hat, unmöglich für den Vor- fahren des Menschengeschlechtes erklären dürfen. Daher ist denn Kollmann der Ansicht, dass Pithecanthropus keine Übergangsform, «ondern ein riesenhafter Gibbon gewesen sei, welcher eben wegen dieser gewaltigen Grösse^ an der Grenze der Variabilität angelangt und ein Dauertypus geworden sei. Ein solcher aber kann nicht ein Übergangsglied bilden. Derartige Übergangsformen zwischen Mensch und Affe müssten vielmehr aus kleinen Affen hervorgegangen sein. Diese kleinen Affengestalten aber, aus welchen jene alten Pygmäen- 1 Die Zwergvölker in Afrika. 28. Bericht d. Oberhessischen Ges. f. Natur- und Heilkunde. Giessen 1892. S. 114—117. ^ Vergl. in E. Dubois, Pithecanthropus erectus, betrachtet als eine wirk- liche tJbergangsform und als Stammform des Menschen. Zeitschr. f. Ethnologie. Berlin 1895. Jahrg. 27. S. 740, die Ausführungen, welche Kollmann an Pithec- anthropus knüpft. 8* — 116 - menschen entsprangen, müssen nach ihm allerdings auch den Gib- bons angehört haben: denn die heutigen Gibbons haben nicht nur. im Verhältnis zu ihrer Körpergrösse das grösste Gehirn unter allen Anthropomorphen , sondern auch ihr Gehirnschädel entbehrt der Knochenleisten, welche bei den drei anderen, grossen Anthropo- morphengeschlechtern zum Ansatz der gewaltigen Kaumuskeln dienen und damit „eine weitere Ausdehnung des Gehirnschädels wie in eherne Fesseln schlugen". Das Gehirn jener oben besprochenen Pygmäenvölker ist natür- hch, entsprechend ihrer geringeren Grösse, auch von absolut ge- ringerem Gewichte, als dasjenige grösserer Menschen. Ihre Gehirn- kapazität schwankt zwischen 1000 und 1300 cbcm, während dieselbe bei den grossen europäischen Rassen 3 — 400 cbcm mehr beträgt. Das absolute Gewicht ist übrigens keineswegs entscheidend für die Leistung des Gehirnes. Man glaubte allerdings früher einmal, dass der Mensch das absolut schwerste Gehirn besitze. Allein diese noch im Altertum wurzelnde Meinung musste aufgegeben werden, als man bei dem Elefanten und Walfisch noch schwerere Gehirnmassen kennen lernte. Ebenso wenig haltbar erwies sich die andere Ansicht, dass dem Menschen wenigstens im Verhältnis zu dem Gewichte des ganzen Körpers das schwerste Gehirn zukomme; denn während beim Menschen das Gehirngewicht nur V35 bis Vae '^^n dem Körpergewichte beträgt, ist bei einer Anzahl von Vögeln und kleinen Säugern , namentlich Affen, das Gehirn verhältnismässig viel schwerer: sein Gewicht steigt hier selbst bis zu V^g von demjenigen des ganzen Körpers, so dass diese Tiere (gewisse Vögel) verhältnismässig dreimal so viel Gehirn- masse besitzen, wie der Mensch ^. Erst in einer dritten Beziehung lässt sich das Übergewicht der Thätigkeit des menschlichen Gehirnes auch in dem verhältnismässigen Übergewichte seiner Masse erkennen : Wenn man nämlich bei den verschiedenen Tieren das Gewicht ihres Gehirnes und Rückenmarkes miteinander vergleicht. Es leuchtet ja ein , dass der Mensch für seine tierischen Verrichtungen, Bewegung und Empfindung, wie für seine vegetativen, Ernährung und Fortpflanzung, an Rückenmark und peripherischer Nervenmasse einem ihm gleich grossen und gleich schweren Tiere, wie z. B. dem Gorilla, etwa gleichkommen wird, dass er aber für seine so viel grösseren geistigen Verrichtungen ein ent- ^ Ranke, Der Mensch. I. S. 551 — 552. — 117 — sprechend grösseres Mass von Gehirnmasse gebrauchen muss. In sehr klarer Weise hat Joh. Ranke ^ neuerdings diese Beziehungen festgestellt^ und gezeigt, dass der Mensch durch eine breite Kluft von den Tieren getrennt ist, wenn das Gewicht des Gehirnes mit dem des Rückenmarkes und der Augen verghchen wird; denn im Verhältnis zu Rückenmark und Augen als Sinnesorganen, wie zu dem ganzen übrigen Nervensystem, besitzt der Mensch unter allen Wirbeltieren das schwerste Gehirn. Es ist nämlich das Gehirn bei dem Menschen 50 mal schwerer als das Rückenmark^ „ „ Gorilla^ 20-17 „ „ „ „ „ anderen Säugern 5 — 2 „ „ „ „ „ „ „ Vögeln 10—2 „ „ „ „ „ „ dem Frosche etwa 2 „ „ « n v „ „ Schellfisch „ ebenso schwer r> r> n Ähnlich verhält es sich mit den Augen. Es ist nämlich das "Oehirn bei dem Manne etwa 100 mal schwerer als die Augen ^, bei den Säugetieren nur 8 — 6 — 1,7 mal schwerer als die Augen. Es geht auch aus diesen Untersuchungen die hier mehrfach betonte Thatsache hervor, dass sich unmöglich enge genetische Be- ziehungen knüpfen lassen zwischen dem heutigen Menschen und den heutigen anthropomorphen Affen, denn beide stehen jetzt am äussersten 1 Correspondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethno- logie und Urgeschichte. Jahrg. 26. 1895. S. 100—106. ^ Wobei von dem Gewichte der peripherischen Nerven abgesehen werden musste, wegen der Schwierigkeit, dasselbe festzustellen. ä oder Gehirngewicht : Eückenmarkgewicht = 100 : 2 Mensch 100 10 Sperling 100 : 5—6 Gorilla 100 50 Henne ( 100 22 Siebenschläfer 100 57 weiblicher Frosch t 100 47 Kuh 100 100 Schellfisch * Für die anthropomorphen Aifen sind leider derartige Bestimmungen noch nicht ausgeführt worden. Schätzungsweise aber lässt sich sagen, dass der Gorilla bei einem Rückenmarksgewichte glöich dem des Menschen, also etwa 28 g, da- gegen einem Gehirngewichte von nur 500 g (gegen 1200, 1300, 1400 g beim Menschen) ein Verhältnis von 100 : 5—6 besitzt, d. h. sein Gehirn ist nur 20- bis 17 mal so schwer als das Rückenmark. ^ oder Gehirn- : Augengewicht = 100 : 1 Mensch 100 : 18 Pferd 100 : 12 grosser Hund 100 : 21 Siebenschläfer 100 : 16 Kuh 100 : 60 Kaninchen - 118 — Ende zweier stark divergierender Zweige. Um engere genetische Beziehungen finden zu können zwischen dem Menschen und den Menschenähnhchen , dazu bedürfte es des Hinabtauchens in längst- vergangene Zeiten und des Aufdeckens fossiler Reste, nicht nur von einem, sondern von beiden, welche vermutlich hier wie dort den heute lebenden unähnlich sich erweisen würden; aber vielleicht der Mensch in sehr viel höherem Grade unähnlich als der Anthropo- morphe. Noch in jetziger, alluvialer Zeit, ja sogar noch vor verhältnis- mässig wenigen Jahrtausenden, stand auch der europäische Mensch auf der niedrigen Entwickelungsstufe , welche die heute am tiefsten stehenden wilden Völker einnehmen, wie uns das seine Geräte, seine Waffen und Kunstprodukte sowie die übrigen Spuren seiner Lebens- weise beweisen. Und dennoch hat er in dieser — geologisch ge- sprochen — kurzen Spanne Zeit sich entwickelt bis zu dem, was er heute ist. Seit gewaltig viel längerer Zeit, seit dem mittleren Miocän, kennen wir menschenähnliche Affen. Und alles spricht dafür, dass dieselben während dieser ungeheuren Zeiträume entweder auf ganz derselben Entwickelungsstufe stehen geblieben sind, oder aber, dass sie gar einen absteigenden Entwickelungsgang eingeschlagen haben; so dass dann ihre Vorfahren, oder wenigstens eine Abteilung der- selben, vielleicht begabter, entwickelungsfähiger waren, als die heuti- gen Vertreter der Anthropomorphen. Auf jeden Fall sind die beiden heutigen Endgheder dieser beiden Zweige, trotz vieler Ähnlichkeit in körperlicher Beziehung, doch in dem Wesentlichsten einander sehr unähnlich geworden. Nicht daher diese einander bereits unähnlich gewordenen Endglieder beider divergierender Zweige können uns den Aufschluss geben, welchen wir erwarten, sondern die Anfangsglieder dieser Zweige gilt es zu finden, nahe der Stelle, an welcher Beide dem Haupt- aste entsprossten. Es kann auch unmöglich zum gewünschten Ziele führen, wenn wir fossile Menschenaffen mit dem heutigen Menschen vergleichen; denn wenn wir selbst vielleicht das richtige Anfangsglied des Anthropo- morphenzweiges finden, aber dasselbe nur mit dem Endgliede des Menschenzweiges vergleichen könnten, so müssten sich selbstver- ständlich auch da noch gewichtige Unterschiede ergeben. Trotzdem bleibt uns zunächst, bis wir fossile Menschen tertiärer Zeit zum Vergleiche haben, nichts Anderes übrig, als den heutigen — 119 — Menschen zum Vergleichsobjekte zu nehmen. Nur darf man dann die sich hierbei notwendig ergebende Ungleichheit nicht als sicheren Beweis dafür betrachten wollen, dass die Kluft zwischen Mensch und Tier unüberbrückbar ist. Ich habe oben gesagt, dass Pithecanthropus auch darum nicht ein Übergangsglied zwischen Mensch und Affe zu sein scheine, weil dieser Übergang sich, wie ich annehmen möchte, bereits lange be- vor Pithecantliropus lebte, vollzogen haben dürfte (S. 108). Wenn man fragt, zu welcher Zeit zum ersten Male Wesen aufgetreten sein mögen, welche den Namen „Mensch" verdienten, so ist ja aller- dings Thatsache, dass die ältesten, ganz sicher beglaubigten Spuren des Menschen nur aus der diluvialen Epoche zwischen den beiden Hauptvergletscherungen stammen. Mit Recht daher sträubt man sich , auf Grund bisheriger un- sicherer Beweise das Dasein des Menschen zur Tertiärzeit für er- wiesen anzuerkennen. Aber an und für sich ist der tertiäre Mensch eine notwendige Voraussetzung , um die geographische Verbreitung des quartären verstehen zu können. Aus Europa, Asien, Nord- und Südamerika kennt man jetzt bereits Spuren des quartären Menschen. Wie sollte man nun, und viele haben das schon früher hervorgehoben, diese weite Verbreitung des diluvialen Menschen erklären, wenn nicht schon in tertiärer Zeit Menschen vorhanden gewesen wären und von ihren Entstehungscentren aus bereits damals in diese von einander so entfernten Gegenden gewandert wären? Denn in dilu- vialer Zeit mussten die Wanderungen durch die, Europa wie Nord- amerika bedeckenden Gletschermassen mindestens sehr erschwert werden. Nun wird freilich eingeworfen , zu tertiärer Zeit könne noch gar nicht der Mensch von heutzutage gelebt haben, da er sich seit jener Zeit ebenso wie die Tierwelt hätte verändert haben müssen. Allein dieser Einwand ist einmal nicht völlig stichhaltig, da es stets neben zahlreichen Formen von kurzer Lebensdauer, welche die Zeit einer Formationsabteilung nicht überlebten, auch solche von langer Dauer gegeben hat^ Mit Bezug darauf hebt Schlosser^ hervor, 1 Vergl. Morse, Man in the Tertiaries; The American Naturalist 1884. Vol. 18. S. 1001 — 1031. Schaafliausen, L'homme prehistoriqne ; Congres inter- national d'anthropologie et d'arclieologie prehistoriqne. Lisbonne 1884. S. 140—150. Zaborowsky, L'homme tertiaire. Revue scientitlque 1885. S. 426 — 432. - Litteraturbericht f. Zoologie f. d. Jahr 1885 im Archiv für Anthropolo- gie S. 160 sub Arcelin. — 120 — dass nicht nur die meisten heutigen Säugetiergattungen bereits zur Phocänzeit gelebt haben , sondern dass auch — nach Schlosser's Auffassung — alle anthropomorphen Affengattungen damals schon bestanden, z. T. sogar bis in das Miocän zurückgehen. Warum also nicht auch die Gattung Horno?^ Zweitens aber handelt es sich hierbei gar nicht darum, dass der heutige Mensch, die Species Homo sapiens^ bereits zu tertiärer Zeit gelebt haben soll. Es ist im Gegenteil^ viel wahrscheinlicher, dass dieser tertiäre Homo einer anderen Art, als der heutigen, an- gehört habe; einer Art, welche nicht nur in Bezug auf die den Menschen besonders kennzeichnenden, geistigen Eigenschaften noch auf einer sehr niedrigen Entwicklungsstufe stand, sondern auch in ihrem Zahn- und Knochenbau noch gewisse kleine Unterschiede vom heutigen Menschen aufwies. Ich rede absichtlich hier nur von „Unterschieden", nicht von einer „niedrigeren Entwickelungsstufe" des Knochenbaues; denn keineswegs darf man bei allen körperlichen Merkmalen des heutigen Menschen, den anthropomorphen Affen gegenüber, ohne weiteres von höherer Organisation reden. Mit Recht spricht vielmehr Schlosser von einer Degeneration des Menschen in gewissen körperlichen Eigenschaften. Freilich, von diesem pliocänen Menschen kennen wir bisher keine Knochenreste. Aber ist das auffallend? Gewiss nicht. Die Gesamtzahl aller lebenden Anthropomorphen auf Erden mag nicht sehr viele Tausend betragen^.- Noch viel dürftiger aber mag die Zahl der pliocänen Menschen gewesen sein. Winzige Reste nur sind von fossilen Anthropomorphen auf uns gekommen. Nur ein wunder- barer Zufall könnte es also sein, der uns die Reste des seltenen Menschen der pliocänen Epoche erhalten hätte. Auf tertiäre, vielleicht gar mitteltertiäre Schichten werden wir mithin unser Augenmerk richten müssen, wenn wir überhaupt ein Über- gangsglied zwischen Mensch und Affe finden wollen. Weit eher als PithecmüJiropus scheint mir daher unser mitteltertiärer schwäbischer Dryopithecus mit seinen so überraschend menschenähnlichen Zähnen, nicht etwa ein Übergangsglied zu bilden, sondern als Zeitgenosse im stände gewesen zu sein, den Menschen in statu nascendi zu erblicken. ' Ob man sich freilich der Ansicht anschliessen darf, dass die heutigen antlu-opomorphen Gattungen bereits damals bestanden, darüber vergl. S. 6 — 16. '■' Yergl. Schlosser, 1. c. S. 289. « Schlosser, 1. c. S. 289. - 121 — Einstweilen freilich kennen wir weder Überreste der ersten, „Mensch" zu nennenden Wesen, noch auch Überreste jenes höchst- organisierten Zweiges der anthroporaorphen Affen, aus welchem dieser Mensch entsprang. Ob Pithecanthroiyus etwa der letzte Nachkomme eines in der Entwickelung bergab gegangenen Seitenastes dieses höchstorganisierten anthropomorphen Zweiges ist, ob in Dyyojnfhecus nicht ein Mitglied, wohl aber ein Verwandter dieses Zweiges vor- liegt, darüber würde man erst ein Urteil gewinnen können, wenn das Skelett beider Gattungen bekannt wäre. Das aber werden wir wohl festhalten dürfen, dass die heutigen anthropomorphen Affen nur entferntere Ver- wandte des Menschen sind; dass die näheren Verwandten, die Vorfahren des Menschen unter einer längst ausgestorbe- nen Gattung der Anthropomorphen zu suchen sind, welche dem Menschen ähnlicher im Körperbau war — namentlich hinsichtlich der Kürze der Arme und des aufrechten Ganges, wohl auch der Schädelgrösse — als die heute lebenden. Bemühungen, den Stammbaum des Menschengeschlechtes zu erkennen. Ebenso , wie man versuchte , ein Bild zu gewinnen von der Gestaltung jenes Anthropomorphen , dem einst die Gattung Homo entsprang, hat man auch den Versuch gemacht, eine Vorstellung zu erhalten von dem Wege, welchen die Entwickelung der Säugetier- welt zurückgelegt haben mag seit Beginn der Tertiärzeit bis hin zu dem Punkte, an welchem sich jene hypothetische Gattung der Anthropomorphen bildete. So lange man nur festhält, dass das Ver- suche sind, noch nicht aber Beweise, kann die Sache dadurch nur gewinnen. Je verschiedenartiger die Standpunkte, von welchen aus man versucht, das Licht auf einen Gegenstand zu werfen, desto eher werden wir allmälig in den Stand gesetzt, denselben zu er- kennen. Bekanntlich sind die Affen der alten Welt von denen der neuen Welt durch gewisse Merkmale scharf geschieden. Die neuwelthchen besitzen (fast) alle ein weniger reduziertes Gebiss ^ von 36 Zähnen , eine breite Nasenscheidewand und nach aussen gerichtete Nasenlöcher, wie das ihr, auf die flache Nase hin- weisender Name, platyrrhine Affen, besagt. Die altweltlichen dagegen, die katarrhinen, haben bereits ein 1 Teil II. Abschnitt IL. B. — 122 — stärker reduziertes Gebiss von nur 32 Zähnen, eine schmale Nasen- scheidewand und nach unten stehende Nasenlöcher. Ganz diese selben drei Merkmale der Katarrhinen besitzt aber auch der Mensch. Es wird dadurch ohne weiteres wahrscheinlich, dass letzterer mit den Affen der alten Welt näher verwandt ist, mit denen der neuen Welt aber nicht. Soviel wir bisher von fossilen Affen kennen, lassen sich auch hier, bei den Katarrhinen, sogar bis ins Miocän hinab ^ ganz die- selben Unterscheidungsmerkmale beider Unterordnungen verfolgen. Wir dürfen daher wohl mit einer gewissen Sicherheit annehmen, dass bereits in der mittleren Tertiärzeit beide Unterordnungen scharf von einander geschieden waren. Daraus ergiebt sich aber weiter, dass wir nicht beide direkt auf eine gemeinsame Stammform zurück- führen können, sondern dass für jede dieser beiden Unterordnungen eine eigene Stammform bestanden haben muss, welcher sie entsprang. Da die neuweltlichen, die amerikanischen Affen selbst heute noch eine grössere Zahnzahl besitzen , so müssen wir sie als die primitiveren betrachten, welche den Formen alttertiärer Zeiten mit zahlreichen Zähnen offenbar noch näher stehen. Wogegen die euro- päisch-asiatischen, von dem vielzahnigen Urtypus bereits weiter ent- fernt, als die entwickelteren anzusehen sind, was auch im Einklang steht mit der Thatsache, dass ihnen die Menschenähnlichen ent- sprungen sind. Die Logik dieser Sätze erscheint zwingend, wir finden ihre grossen Züge wieder in dem folgenden Stammbaum (s. S. 123), wel- chen schon vor langer Zeit Häckel "^ gegeben hat. Auch Oskar Schmidt gelangt zu ähnlicher Auffassung wie Häckel. Wie dieser bestreitet er jeden näheren Zusammenhang zwischen den alt- und den neuweltlichen Affen ^. Er führt diejenigen der neuen Welt auf Insektenfresser-artige Stammformen zurück, die- jenigen der alten Welt, also auch die Anthropomorphen und den Menschen , auf Dickhäuter-artige , indem er sich auf Ähnlichkeiten der Zahnformen stützt. In der That erinnern die bunodonten Backenzähne des Menschen und der menschenähnlichen Affen an die Höckerzähne gewisser Pachydermen , namentlich der Schweine. Es gelangen aus diesem 1 Vergl. Teil 11. Abschnitt II. B. ^ Häckel, Antliropogenie. 1872. S. 478 u. 487. Natürliche Schöpfungs- geschichte. 1874. S. 571 ff. ^ Die Sängetiere in ihrem Verhältnis zur Vorwelt. Leipzig 1884. S. 2^8. — 123 Mensch Affenmensch (noch sprachlos) Gorilla Chimpanse Orang Gibhon Afrikanische Asiatische Menschenaffen Anthropomorphe Katarrhine Affen (der alten Welt) Platyrrhine Affen (der neuen Welt) Lemuren Haihaffen Grunde auch Gaudry^ und Filhol zu dieser selben Ansicht; und der von Filhol für die eocänen Pseudolemuriden gewählte Name „Pachylemuriden" soll der Vorstellung Ausdruck geben, dass zwischen Affen und Lemuren einerseits und Pachydermen, speciell Suiden, anderseits eine nähere Verwandtschaft bestehe. Demgegenüber ist aber Schlosser- anderer Meinung. Er be- tont, dass eine gleichartige Ausbildung der Zähne, sogar auch eben- falls des Schädels, nicht notwendig die Folge genetischer Beziehungen sein muss, sondern zufällig durch gleiche Nahrung entstanden sein kann. Nur weil die Nahrung der altweltlichen Affen derjenigen der Huftiere ähnlich war, entstand unabhängig von einander hier wie dort eine ähnliche Zahngestalt. Wogegen bei denjenigen Affen , welche die omnivore Lebensweise beibehielten, die Annäherung der Zahn- gestalt an den Huftiertypus eine geringere bheb. Die Verwandtschaft der Affen und Lemuren mit den Pachy- dermen besteht nach Schlosser also ledighch darin, dass beide von Insektivoren-ähnlichen Vorfahren mit trituberkularen , bezw. tuber- kularsektorialen Molaren und sehr einfachen Prämolaren, sowie fünf Zehen hervorgegangen sind. ^ Enchainements du monde animal. Paris. 2 Die Affen, Lemuren Teil I. S. 53. — 124 — Es lässt sich im allgemeinen gegen diese Erklärung nichts ein- Avenden, da es feststeht, dass übereinstimmende Organisation sich nicht selten bei zwei Tiergruppen findet, welche gar keine nähere Verwandtschaft besitzen , so dass dann diese übereinstimmenden Merkmale entschieden nicht als gemeinsames Erbteil von demselben Vorfahren erlangt sein können, sondern unabhängig von einan- der infolge übereinstimmender Lebensweise erworben sein müssen. Jene Ansicht Schlosser's ist daher im allgemeinen durchaus un- angreifbar; ob sie in diesem besonderen Falle aber auch angewendet werden darf, das wird natürlich strittig bleiben. Thatsache ist jedenfalls , dass Zähne trotz ihrer Härte offen- bar ein sehr biegsames Material sind, welches unter verschiedenen Einflüssen im Laufe der Zeiten sehr verschiedenartige Formen annahm ^ Wir stehen hier vor einem tiefgreifenden Unterschiede der Meinungen, deren jede gute Gründe für sich anzuführen vermag: Während jene jeden näheren Zusammenhang zwischen den Affen der alten und der neuen Welt in Abrede stellen, gesteht ihn Schlosser zu und bringt, gerade umgekehrt, die Anthropomorphen und damit den Menschen in genetischen Zusammenhang mit gewissen platyr- rhinen Affen Südamerikas ^ : Wenn wir, so etwa sagt er, unter den heute lebenden Affen Um- schau halten, welches die den Anthropomorphen nächst verwandten sein möchten, so wird eine Berücksichtigung der geographischen Ver- breitung uns irre führen. Gleich den Anthropomorphen gehören be- kanntlich die Cynopithecinen, also speciell auch der Pavian, der alten Welt an ; und es wird in der That vielfach eine nähere Verwandt- schaft beider angenommen. Schlosser ist jedoch der Ansicht, dass das ganz irrig sei; denn ihre Verschiedenheit sei mindestens eine ^ Vergl. Teil II in Abschnitt III, besonders sub 7. und 8. ^ Das ist nun freilich nicht so zu verstehen, als wenn, nach Schlosser, die Anthropomorphen direkt von den Platyrrhinen abstammen sollten ; sondern beide würden sich von einer gemeinsamen, noch unbekannten Stammform ab- gezweigt haben, die dann ihrerseits wieder von einem generalisierten Halbaffen mit 3:1.4.3 „'.,''„ = 44 Zähnen herrühren Avürde. (Schlosser, Die Affen, Lemuren, o . 1 . 4 . o Chiropteren, Insectivoren und Fleischfresser des europäischen Tertiärs. Beiträge zur Palaeontologie Österreich-Ungarns, red. v. Mojsisovics und Xeumayr. Bd. 6, 7 Teil I. S. 10, 54. Wien 18§7 bei Holder. Siehe auch das eigene, sehr ausführ- liche und gute Referat des Verfassers im Archiv für Anthropologie. Bd. 17, Litteraturbericht für Zoologie. S. 279—300.) — 125 — ebenso grosse, wie beispielsweise unter den Paarhufern die zwischen Hirschen und Schweinen. Viel näher dagegen sind den altweltlichen Anthropomorphen, und damit auch dem Menschen, die der Neuen Welt angehörenden platyr- rhinen Affen verwandt: Der hochgewölbte Schädel, welchen z. B. der Rollaffe, Cebus, besitzt, ist überhaupt der menschenähnlichste unter allen Affen. Bei einem anderen Platyrrhinen, dem Springaffen, CaUlthrix^ zeigt die ganze Gesichtspartie vielfache Anklänge an diejenige des Menschen. Wieder eine andere Form, der Schweifaffe, Pithecia, be- sitzt Molaren , welche in ihrem Baue sehr lebhaft an die (vergL Taf. I Fig. 8, 9) Backzähne des Chimpanse erinnern. Bei (fast) allen Platyrrhinen stehen die Höcker dieser Molaren sich alternierend gegenüber, ganz wie wir das bei den Anthropomorphen finden ; wo- gegen sie bei den Pavianen und anderen Cynopithecinen paarweise gegenüberliegen. Auch die Prämolaren reden dieselbe Sprache zu uns; denn bei den Platyrrhinen und Anthropomorphen sind diese Zähne viel kürzer, als das bei den Cynopithecinen der Fall ist. Das alles sind Züge, aus welchen, nach Schlosser, klar hervorgeht, dass den Anthropomorphen, und damit dem Menschen, die neuweltlichen Platyrrhinen viel näher verwandt sind, als die altweltlichen Cyno- pithecinen. Oder mit anderen Worten : Die Anthropomorphen, und damit der Mensch, sind nach Schlosser nichts Anderes als weiter fortgeschrittene Nachkommen von Cebus- und CaUithrix-aitigen Vor- läufern, d. h. von Platyrrhinen. Freilich ergiebt sich hier eine gewisse Schwierigkeit. Da Ame- GHiNO im Eocän von Patagonien Reste von Cebiden fand, so müssen wir daraus folgern, dass die heutigen Platyrrhinen in Südamerika,, ihrer jetzigen Heimat, auch entstanden sind. Ist dem nun so, dann würde es aber auch wahrscheinlich, dass in gleicher Weise die An- thropomorphen, welche sich in alter Tertiärzeit von jenen abgezweigt, aus jenen entwickelt haben, in südamerikanischen Schichten jener Zeit begraben liegen. Eine solche Erwartung aber ist, bis jetzt wenigstens, noch nicht durch Funde bestätigt worden. Ob nun spätere Erfunde zeigen werden, dass die Anthropomorphen dennoch in Süd- amerika ihren Ursprung genommen haben, oder ob das in einem anderen Erdteile aus dorthin ausgewanderten Platyrrhinen geschehen ist — das ist völlig unentscheidbar. Eines müssen wir indessen fest- halten : Die Herausbildung des Anthropomorphenstammes aus dem der Platyrrhinen erfolgte bereits in alttertiärer, etwa oligocäner Zeit. Die damaligen Platyrrhinen, welche die Stammväter der Anthropo- 126 morphen waren, werden mithin noch eine zum Teil andere Organi- sation gehabt haben, als die heutigen ^ Legt man sich nun aber die weitere Frage vor, welchen Ur- sprunges denn nun wieder diese eocänen Cebus-avtigen Platyrrhinen gewesen sein mögen, von denen die Anthropomorphen sich abzweigten, so werden wir von Schlosser als wahrscheinlich auf Halbaffen, Le- muren, hingewiesen, die in ältester Tertiärzeit aus dem Norden Amerikas nach dem Süden gewandert sein mögen ^ Die Ansicht Schlosser's würde sich also in der folgenden Weise als Schema darstellen : Quartär Mensch Chimpanse Orang Gorilla Gibbon Pliocän \- / Chimpanse Orang Platyrrhinae Oberes Miocän X* (Anthropo- Plio morphe pithecus Formen Unteres Miocän Oligocän Eocän x^ (Ce&tts-etc. Formen) x' (Lemurine Formen) ^ Schlosser, Über die Beziehungen der ausgestorbenen Säugetierfaunen . . . Biologisches Centralblatt. Bd. 8. No. 19. S. 628. ^ Während so die Anthropomorphen aus südamerikanischen Platj'rrhinen, CefcMS-artigen Formen hervorgegangen sein dürften, haben die ihnen vermeintlich so nahestehenden Paviane , überhaupt die Cynopithecinen , nach Schlosser (Ebenda. Biologisches Centralblatt. 1888. Bd. 8. S. 628), einen anderen Ursprung, Sie gehen nach ihm zweifellos auf pseudolemuride Formen des nordamerikanischen Puercobed (ältestes Eocän) zurück ; und zwar auf Hyopsodus-&xt\g& Formen. Allein bisher fehlt uns noch ein jedes Bindeglied zwischen beiden, so dass die — 127 — Hierbei würde x^ die lemurine Stammform bedeuten ; x^ würde die unbekannte Cebus- oder Callithr ix- artige Stammform darstellen, aus welcher einerseits der Zweig der heutigen Platyrrhinen , ander- seits der Zweig der Anthropomorphen und Menschen hervorging. Dieser letztere Zweig würde im Untermiocän, bei x^, eine weitere Gabelung erlitten haben, durch die sich der Zweig abspaltete, wel- chem der heutige Gibbon entsprang. Eine abermalige, dreisprossige Gabelung würde, bei x^, zur obermiocänen Epoche sich ereignet haben. Hier wäre nach einer Richtung hin der Gorilla entstanden. Nach der zweiten Richtung hin wäre unser Dryojnthecus hervorgegangen, dessen Nachkommen wir, nach Schlosser, in dem Orang und Chimpanse vor uns sehen. Eine dritte Richtung ist in dunkle Nacht gekleidet; in ihr würden sich Formen herausgebildet haben, denen in pliocäner Zeit der Mensch entsprang. Der Mensch, d. h. die Gattung Homo, aber damals noch keineswegs die heutige Art Homo sapiens, sondern eine andere, auf weit mehr dem Tier genäherter Stufe befindliche Art des Menschen. Wenn wir uns schliesslich zu der von E. Dubois vertretenen Auffassung wenden, so ergiebt sich dieselbe aus dem unten folgenden Schema. Er nimmt als Ausgangspunkt der Menschen und anthropo- morphen Affen ^ eine Form an, welche er Prothylohates nennt: Eine noch sehr generalisierte Form , die ebenso wie ihre noch lebenden nächsten Verwandten, die Hylohates oder Gibbon, neben mancher menschlichen Eigenschaft noch sehr viel von den Merkmalen ihrer tiefer stehenden, den Meerkatzen ähnlichen Ahnen besass. Ein Nachkomme dieses hypothetischen Prothi/hbates ist dann der in Indiens Siwalik-Schichten gefundene PalaeopitJiecus. Wie E. DüBOis auf Grund seines Studiums der Reste desselben in Cal- cutta feststellt, sind auch bei dieser Gattung Züge des Gibbon mit solchen des Menschen gemischt. In dem Pithecanthropus erecUis von Java würden wir, nach E. DuBOis, wiederum einen Abkömmling dieses Palaeopithecus zu er- blicken haben. Auch hier finden wir eine Vereinigung menschlicher Merkmale mit solchen des Gibbon ; aber es überwiegen bereits die menschlichen , die dann in den weiteren Nachkommen des Plthec- Umwandlungen, welche die Cynopithecinen hierbei erlitten, rein theoretisch kon- struiert sind. Im Obermiocän müsste jedenfalls diese Umwandlung sich schon gänz- lich vollzogen gehabt haben ; denn die aus dieser wie pliocäner Zeit bekannten fossilen Cynopithecinen schliessen sich bereits eng an den lebenden Typus derselben an. 1 Anatomischer Anzeiger. Bd. 12. 1896. Heft 1. S. 21. - 128 — anthrojnis, dem Menschen, sich mehr und mehr m den Vordergrund drängen. Unseren Dryopühecus betrachtet E. Dübois als einen erloschenen Seitenzweig, welcher noch vor dem hypothetischen Frothylobates dem Stamme der Affen entsprang. Erst später bildeten sich dann drei weitere, heute noch lebende Seitenzweige : Derjenige der Gibbons, in welchen mithin jene genera- lisierten Merkmale der Stammform sich bis auf die Jetztzeit erhalten haben; ihm gehören der fossile Pliopithecus und der fossile Fllo- Jtt/Iohates ^ von Eppelsheim an. Der zweite Zweig wäre derjenige des Orangs. Dem dritten würden gemeinsam Gorilla und Chimpanse entspringen. Die folgende Übersicht, in welcher die drei hypothetischen Formen in Klammern stehen, veranschaulicht E. Dübois' Meinung in Ergänzung der HÄCKEL'schen : PI eist 0- Cercopitheciclae Gibbon Orang Mensch Chimpanse Gorilla Platyrrhini cän \ \ \ I / Eocän (ÄrcJu- pithecus) * So benennt Dübois den fraglichen Oberschenkel von Eppelsheim, wel- cher von anderen dem Dnjopithecus zugeschrieben wird. Vergl. S. 9 dieser Arbeit. — 129 — Es wäre vermessen, jetzt bereits, wo noch so viele und ent- scheidende fossile Formen uns unbekannt sind, die eine dieser beiden entgegengesetzten Anschauungen als die entschieden richtige er- klären zu wollen. Wohl aber wird es ein gewisses Interesse be- sitzen, zu sehen, wie weit man allein auf die Zahl der Zähne hin zu einigen Wahrscheinlichkeitsschlüssen über die Verwandtschaft der in Rede stehenden Formen gelangen kann. Ich verweise zu dem Zwecke auf die folgenden in Teil II gemachten Angaben: Es haben in eocäner Epoche zwei Gruppen affenartiger Tiere gelebt : die Pseudolemuriden , welche ein Gebiss von 44 und die echten Lemuriden, welche ein solches von ungefähr 30 Zähnen be- sassen ; ferner kommen den heutigen Lemuren 36 Zähne , den neu- weltlichen Affen ebenfalls 36, den altweltlichen dagegen schon seit miocäner Epoche nur 32 zu. Da die heutigen Lemuren noch jetzt eine höhere Zahnzahl auf- weisen , als die eocänen , so geht allein schon aus diesem Grunde hervor (s. Teil IP), dass sie unmöglich die Nachkommen jener eocänen sein können. Heutige und eocäne Lemuren müssen vielmehr not- wendig zwei verschiedene Zweige eines Stammes bilden, von welchen der letztere ausgestorben sein dürfte. Wiederum allein schon aus der verschiedenen Zahnzahl geht dann weiter hervor, dass dieser eben erwähnte Stamm, welchem heutige und eocäne Lemuren entsprangen, nicht in den Pseudo- lemuriden gesucht werden darf. Denn wenn zu eocäner Epoche, also gleichzeitig, diese Pseudolemuriden mit 44 und echte Lemuriden mit etwa nur 30 Zähnen gelebt haben, so können letztere nicht wohl von ersteren abstammen. Vielmehr werden beide höchstens Zweige eines wiederum älteren Stammes sein können, von welchem der eine, die Pseudolemuriden, altertümlich blieb, der andere, die echten Le- muren des Eocän, sich schnell reducierte und dann ausstarb ^. Gehen wir zu den echten Affen über, welche teils 32, teils 36 Zähne besitzen, so ist auch hier eine Abstammung von den bisher bekannten eocänen echten Lemuren allein schon darum unmöglich, weil letztere bereits in jener uralten Zeit eine geringere Zahnzahl, ^ Die Keduktion des Gebisses und ihre Ursachen. 2 Aus anderen der Bezahnung entnommenen Gründen hat Schlosser bereits dargethan (Die Affen, Lemuren. Teil I. S. 39, 40), dass die heutigen Le- muriden genetisch nichts zu thun haben mit den eocänen. Nur die Tarsiiden bilden unter den Halbaffen nach ihm einen Anknüpfungspunkt zwischen Pseudo- lemuriden und Lemuriden. .Tahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 9 — 130 etwa 30, erlangt hatten, als die Affen sie heute noch besitzen. Aber auch schon in miocäner Epoche befand sich die 32 betragende Zahn- zahl der altweltlichen Affen auf derselben Stufe wie heute; und ebenso scheint diejenige der fossilen neuwelthchen Affen auch be- reits dieselbe wie heute gewesen zu sein, 36 ^ Wenn man nun er- wägt, dass die Pseudolemuriden bis an das Ende der eocänen Epoche 44 Zähne behielten, dass dies vielleicht noch bis in den Beginn der miocänen hinein der Fall war^, so wird aus dieser starken Ver- schiedenheit der Zahnzahl sehr wahrscheinlich, dass auch die echten Affen nicht von den Pseudolemuriden abgeleitet werden können^. Es wird daher aus der Zahnzahl wahrscheinlich, dass echte Affen, Halbaffen und Pseudolemuriden drei verschiedene Zweige sind, die einem noch unbekannten Stamme entsprangen, wie das durch das folgende Schema angedeutet werden soll. Echte Affen Quartär altweltliche neuweltliche heutige Lemuriden n. Pliocän 32 Zähne 36 Zähne 36 Zähne Miocän Eocän 32 Zähne 36 Zähne Eocäne Lemiu'iden 30 Zähne Pseudo- lemuriden 44 Zähne / Auf Grund anderer, wichtigerer Merkmale als der Zahnzahl gelangt Schlosser zu ähnlichem Ergebnisse. Halbaffen und Affen sind nach ihm auf creodonte Formen zurückzuführen*. Die Affen aber haben auf diesem Wege zuerst ein Halbaffenstadium durch- laufen ; und letzterem sind als Seitenzweig die alttertiären Pseudo- lemuriden entsprungen. Die europäischen Pseudolemuriden starben aus ; den nordamerikanischen aber entstammt die Gruppe der echten ^ Doch kennt man hier wesentlich nur jüngere Vertreter. ^ Der einzige bisher bekannte miocäne Pseudolemuride , Laopithecus , ist noch nicht völlig seinem Gebisse nach bekannt. " Wie das Schlosser ebenfalls aus anderen Gründen schon darthat (1. c. S. 10, 19). Nur die Cynopithecinen möchte er vielleicht in Beziehung zu den Hj'opsodiden, einer Gruppe der Pseudolemuriden, bringen. " Die Affen, Lemuren . . . Teil III. S. 102. - 131 — Affen, welche nach ihrem Vertreter, dem Pavian, die Cynopithecinen genannt wird ^. Wir haben früher auf S. 73 gesehen , dass Morris bei der so viel gesuchten Stammform des Menschengeschlechtes von der Vor- stellung ausgegangen war, sie habe die menschliche Kürze der Arme nicht erst erworben, sondern bereits ererbt. Es ist dort auch er- wähnt worden, dass E. D. Cope, auf dessen Anschauung wir erst an dieser Stelle eingehen können, da sie bis auf die Stammform wiederum dieser menschlichen Stammform zurückgreift, auch in Bezug auf den Fuss zu solcher Auffassung gelangte, dass dieser als Gehfuss nicht erst erworben, sondern längst ererbt gewesen sei. Es geht daraus hervor, dass Cope die Stammformen des Menschengeschlechtes sich zu keiner Zeit als auf Bäumen lebend vorstellt Bekanntlich sind bei den Affen Hand und Fuss als Greiforgane ausgebildet; bei den Menschen aber gilt das nur von der Hand, wo- gegen der Fuss ein Gehorgan ist. Nun meint Cope, bei der Stamm- form beider hätten sich Hand und Fuss in dieser Beziehung bereits ganz wie heute beim Menschen verhalten. Der Fuss sei daher beim Menschen das, was er war, ein Gehfuss, geblieben ; beim Affen aber habe er sich notgedrungen später in einen Greiffuss verwandelt, weil er durch das Leben der Tiere auf den Bäumen dazu geworden sei. In der That haben in alttertiärer Zeit Wesen gelebt, welche nach dieser Richtung hin die Bedingungen erfüllen, welche nach Cope von der Stammform des Menschen und Affen zu erwarten sind. Wesen , deren Hand ein Greiforgan , deren Fuss aber ein Gehorgan war, ganz wie heute noch beim Menschen. Es ist das die Gattung Phenacodus; und Cope glaubt nun die gesuchte Stammform beider erkennen zu müssen entweder direkt in der Gattung Phenacodus, oder doch in einem ähnlichen Geschlecht der Condylarthra ^. Es sind das Formen , welche wesentlich dem ältesten Eocän Nordamerikas , vereinzelt auch Europas , angehören ^. Sie erweisen ^ Allerdings ist das insofern schwer zu erweisen, als uns hier noch die Zwischenglieder fehlen; denn fossile Cynopithecinen kennen wiv bisher erst seit ■dem Pliocän. ^ Cope, Notes on Phenacodus. The Geological Magazine. London 1886; S. 238—239. S. auch: The American Naturalist. 1888. S. 660—663. Ebenda 1882. S. 1029 u. 334. S. auch Teil II dieser Arbeit, Abschnitt II, Perissodactyla. ^ Kütimeyer hat auch im obereocänen Bohnerz von Egerkingen bei Solothurn Backenzähne gefunden, Avelche er als zu Phenacodus gehörig bestimmen zu können glaubte. Lemoine fand im ältesten Eocän bei Reims vollständigere Eeste. 9* — 132 sich als die primitivsten Vertreter der Huftiere, erinnern dabei aber äusserlich stärker an Raubtiere, als an erstere. Aus dieser Stamm- form wären einerseits Affen und Menschen, andererseits Huftiere und auch die Carnivoren hervorgegangen, was sich schematisch in der fol- genden Weise darstellen würde: Hominidae Simiidae Cercocebidae Tarsidae Lemuridae Anthropomorphae üngulata Cebidae Adapidae -Phenacodontidae Dieser Anschauung Cope's, dass in Phenacodus die Stammform von Menschen, Affen und Huftieren vorliege, schliesst sich auch Topi- NARD ^ an. Wollte man annehmen, folgert er, dass der Mensch in letzter Linie vom Affen abstamme, so würde man zu dem wenig wahrschein- lichen Schlüsse gezwungen, dass der nur der Bewegung dienende Fuss des Phenacodus sich zuerst, beim Affenstadium, in ein Greiforgan um- gewandelt und dann, beim Menschenstadium, wieder in ein einfaches Lokomotionswerkzeug zurückverwandelt habe. Indessen Topinard bleibt nicht endgültig bei diesem Gedankengange, wie Schlosser be- tonte. Denn später gelangt er zu dem gegenteiligen Schlüsse, dass der Mensch doch von irgend einem bisher noch unbekannten Affen abstammen müsse, weil der Bau des Gehirnes bei beiden der näm- liche ist. Darin aber liege ein viel wichtigeres Moment für die Er- kennung verwandtschaftlicher Beziehungen, als in dem Bau der Be- wegungsorgane, welche sich leichter verändern können. Während so Cope die Condylarthra (Phenacodus) als Ausgangs- punkt nimmt, greift Schlosser^ auf die Creodonten, die ältesten Fleischfresser, zurück, wie sich das aus dem folgenden Bilde ergiebt: ^ Les dernieres etages de la genealogie de l'homme. Revue d'Anthropo- logie. 1888. S. 298—332. Ich eitlere nach Schlosser's Litteraturbericht im Archiv für Anthropologie, da ich das Buch nicht erhielt. ^ M. Schlosser, Beiträge zur Stammesgeschichte der Huftiere und Ver- such einer Systematik der Paar- und Unpaarhufer. Morphologisches Jalu-buch. — 133 — Hyrax Ungulata Lemuren Quadrumanen Carnivoren Insectivoren -Creodonta placental Darin liegt jedoch keinerlei Unterschied in der Auffassung, denn CoPE ist ganz derselben Ansicht, dass die Huftiere von Fleischfressern, Creodonten abstammen. Er begründet diese Ansicht nach zwiefacher Richtung hin: Einmal nämlich besitzen die geologisch ältesten Huf- tiere, besonders im Bau von Hand und Fuss, überhaupt auch im Bau der ganzen Extremitäten, viel Übereinstimmendes mit demjenigen der Fleischfresser^. Zweitens aber kann man die Zahnformen der Huftiere auf derjenigen der alten Fleischfresser ableiten^. Der Unterschied zwischen diesen beiden Ordnungen ist übrigens nicht so gross , als er scheinen könnte. Wenn nämlich auch die Creodontia als älteste Carnivoren und die Condylarthra als älteste Ungulaten in ganz verschiedene Ordnungen gestellt werden müssen, weil sie die Ausgangsglieder zweier heute so scharf getrennten Ord- nungen sind, so darf man doch nicht in den Irrtum verfallen, auch diese Ausgangsglieder sich bereits als ebenso scharf geschieden vor- zustellen. Sehr treffend sagt Zittel^ in dieser Beziehung: „Wäre es möglich, den Tiergestalten der Cernays- und Puerco-Periode Bd. 12. 1886. S. 1—136. Die oben ausgesprochene Ansicht findet sich auch in dem Referat des Verfassers über seine soeben genannte Arbeit im Litteratur- bericht für Zoologie für das Jahr 1886, Archiv für Anthropologie. S. 139. * C 0 p e , The trituberculate Type of superior Molar and the origin of the quadritnberculate. „Science." 1883. Vol. 2. S. 338. Vergl. über dieses Thema auch Cope in American Naturalist. 1883. S. 407 und in Proceedings of the American Philosophical Soc. Philadelphia 1883. S. 324— 326. Siehe auch Schlos- se r ' s Litteraturbericht darüber im Archiv für Anthropologie. 1884. ^ Die ältesten tertiären Säuger, so auch die Creodonta, haben im Ober- kiefer Molaren, welche durch drei Höcker gebildet werden, nur selten durch vier. Diejenigen der Huftiere, welche letztere geologisch jünger sind, bestehen dagegen aus vier Höckern. Ein solcher Quadritubercularzahn aber kann nur hervor- gegangen sein aus einem tritubercularen, indem sich, nach Cope's Auffassung, an der Innenseite des Zahnes den drei ursprünglichen Höckern später noch ein vierter zugesellte. Vergl. den Abschnitt I in Teil 11. Auch Morris (The making of Man. The American Naturalist. 1886. S. 493 — 505) hat übrigens den Menschen in letzter Linie auf carnivore Formen zurückgeführt. ^ Handbuch der Palaeontologie. Bd. 4. S. 726. — 134 — (ältestes Tertiär) Leben einzuhauchen und sie unter unsere heutige Säugetierfauna zu versetzen, so würde vermuthch jeder Zoologe die damaligen Creodontia , Condylarthra , Pachylemuria und Amblypoda in eine einzige einheitliche Ordnung zusammenbringen." Wir sind am Ende : Wenn wir die körperliche Beschaffenheit der Menschen und Menschenaffen miteinander vergleichen, so zeigt sich eine so überaus grosse, so ins Kleine gehende Ähnlichkeit, dass diese nur in einer Blutsverwandtschaft beider ihre zoologische Er- klärung finden kann. Aber wenn wir dann das Mass dessen betrachten, was an Denken und sittlichem Empfinden solche Menschen leisten, die, leuchtenden Meteoren gleich, den Ihrigen den Weg erhellen und das vergleichen mit dem Gehirn- und Seelenleben der Menschenaffen — dann klafft eine so gewaltige Kluft auf, dass man die versteht, welche den Kopf schütteln vor dem Gedanken einer Blutsverwandtschaft. Steigen wir jedoch hinab von jenen lichten Höhen der Mensch- heit in deren Tiefen, zu den Völkern ohne Kultur, zu den Wilden, deren Sprache auf armselige, wenige Worte beschränkt ist, weil ihr Gehirn- und Gemütsleben nahe dem Nullpunkte steht, vergleichen wir diese Tiefen der Menschheit mit den Menschenaffen, dann wird die vorher so breite Kluft zu einer schmalen. Ist nun aber Fortentwickelung des Menschen Erbteil, dann müssen diese heute noch Wilden doch ebenfalls bereits avancierte Menschen sein, müssen also ihre Vorfahren zu diluvialer oder tertiärer Zeit so gut wie sprachlos gewesen seien, weil ihr Hirn- und Gemüts- leben und ihr sittliches Empfinden nur eine geringe Zahl von Be- griffen namhaft zu machen forderte. Damit sind wir aber nahe dem Anfangspunkte, an welchem die Kluft zwischen Mensch und Menschen- affe noch so flach und schmal verläuft, dass sie keine hemmende Grenze mehr bildet, sondern den Verkehr zwischen hüben und drüben gestattet. Wie diese Wesen beschaffen waren, die zuerst die Kluft übersprangen, das wissen wir nicht aus Kenntnis, das können wir bisher nur ahnen und dem haben wir im Abschnitt III Worte gegeben. Wir haben im vorstehenden versucht, über die Vergangenheit des Menschenstammes einige Vorstellungen zu gewinnen; so mag es auch gestattet sein, über die Zukunft desselben Gedanken zu hegen und auszusprechen. In Teil II ^ wird gezeigt werden, welche Vorstellung man sich * s. Teil II am Schluss des Abschnittes II. — 135 — hinsichtlich der zukünftigen Bezahnung des Menschengeschlechtes mit ziemlicher Sicherheit bilden darf. Wenigstens soweit das die nächste Zukunft desselben betrifft; denn ob man die fernere Folge- rung zu ziehen hat, dass die Zahl der Zähne sich schliesslich einmal bis zum Verschwinden aller steigern wird oder ob und wo es hier einen Haltepunkt geben muss — das entzieht sich doch zu sehr der Beurteilung ^ Es soll hier versucht werden, ob es möglich ist, von der zu- künftigen Entwickelung des Schädels und der geistigen Eigenschaften des Menschen ein Bild zu erhalten. Der einstige ,,Obermenscli". Mit der Entstehung des Menschen aus dem Tiere wurde die Grenzlinie überschritten, welche die körperliche Entwickelung der Lebewelt von der geistigen trennt. Aber, so sagt Ch. Morris^, in dem heutigen Menschen sehen wir nicht etwa schon das Endprodukt dieser geistigen Entwickelung, sondern erst den Anfang derselben, nicht bereits das Reifestadium eines vollendeten, sondern erst das Kindheitsstadium eines beginnenden neuen Entwickelungsprozesses, des geistigen in der Lebewelt : Eines Prozesses , in welchem das Gehirnorgan mehr und mehr die Überhand über den Körper erlangen wird, so dass das einstige Endprodukt ein Wesen werden muss, von dessen Bau wir uns keine rechte Vorstellung zu machen vermögen. Man gelangt auf solche Weise zu einem „Übermenschen" der Zukunft, zu dem Nietzsche in seiner philosophischen Lehre kam^ welche ja auf dem Begriffe der Entwickelung aufgebaut ist. Logisch könnte es damit vielleicht auch allmälig zu einer Umwälzung mancher Anschauungen und Empfindungen, zu einer „Umwertung aller Werte" kommen, wie Nietzsche annimmt, vorausgesetzt, dass die Entwicke- lung wirklich immer weiter nur in derselben Richtung voranschreitet und dass die Lebewelt wirklich so lange auf der Erde ihre Daseins- bedingungen erfüllt findet, bis diese neue Stufe der Entwickelung von ihr erklommen ist. Aber einer solchen Lehre und Anschauungsweise legen sich, wie mir scheinen will, zwei Schwierigkeiten in den Weg: Wenn sie den Begriff der Entwickelung in dem Sinne erfasst, dass dieselbe notgedrungen immer weiter und weiter fortschreiten muss, weil der „Wille zur Macht", der das alles bewirkt, unauf- ^ s. Teil II am Schluss des Abschnittes II. - American Naturalist. Bd. 20. 1886. S. 505. — 136 - hörlich anhält — dann heisst es doch auf halbem Wege stehen bleiben, wenn man in diesem Entwickelungsprozesse den „Über- menschen" als das einstige Endziel betrachtet. Logisch wäre es doch, auch den „Übermenschen" wiederum nur als eine der Etappen hinzustellen, welche es auf diesem Wege der Entwickelung zu immer Höherem geben müsste; einem Wege, der ein Ende nur finden könnte in der Erreichung des denkbar Höchsten, der Vollkommenheit: Vorausgesetzt, dass der Begriff der Entwickelung in dem obigen Sinne richtig definiert wäre. Aber das kann zweifelhaft sein. Das zweite, eigentlich das Hauptgebrechen einer solchen Lehre scheint mir eben in der nicht bewiesenen , daher in diesem Falle vielleicht falschen , Voraussetzung zu liegen , auf welcher die ganze Lehre sich aufbaut: dass nämlich „Entwickelung" notwendig eine immer in derselben Richtung voranschreitende Fortbildung sein müsse. In körperlicher Hinsicht lassen sich genug Beispiele dafür an- führen, dass dem nicht so ist, sondern dass die Entwickelung nach der einen Richtung hin oft nur eine Zeit lang fortschreitet, nur so lange, bis der betreffende Stamm dadurch zu Grunde gerichtet und dem Untergänge verfallen ist. Ich will als ein Beispiel nur die Gat- tung Machairodus anführen: Wenn irgend etwas den Raubtieren Macht verleiht, so ist es das Gebiss und in diesem besonders der gewaltige Eckzahn , mit dem sie wie mit einem Dolche ihren Feind nicht nur durchbohren, sondern auch an ihren eigenen Körper festnageln können. Nirgends aber im Tierreich hat dieser „Wille zur Macht", wie man diese Entwickelungstendenz der Eckzähne zu grösserer Stärke doch auch bezeichnen könnte, sich so gewaltig nach dieser Richtung hin be- thätigt, wie bei jener Löwengattung tertiärer Zeiten, welche man Machairodus^ Säbelzahn, genannt hat. Denn hier hat sich der Eck- zahn, zu einer immer fürchterlicheren Waffe anwachsend, mehr und mehr vergrössert, bis er schliesslich in Gestalt eines gewaltigen krummen Dolches zum Maule herausragte. Aber eben damit war auch das Ende dieser Entwickelungs- richtung erreicht; denn das Tier konnte schliesslich den Rachen nicht mehr weit genug aufsperren, um seinem Gegner den langen Säbel- zahn in das Fleisch zu bohren : Es ging zu Grunde offenbar an dem von ihm erreichten Übermass seiner Entwickelungsrichtung. Wir werden später in gleicher Weise den von Baume aus- gesprochenen Gedanken ablehnen, dass die auf Reduktion der Zahn- zahl hinauslaufende Entwickelungsrichtung der Säugetiere notwendig — 137 — dereinst in allgemeiner Zahnlosigkeit gipfeln müsse (Teil II am Schlüsse des Abschnittes II), Ebenso auch können wir es als unwahrscheinlich erachten, dass die auf immer grössere Ausbildung der Gehirnthätigkeit hinauslaufende Entwickelungsrichtung der Menschheit durch Millionen von Jahren hindurch anzudauern, sich zu potenzieren vermöchte. Wie dort, bei Machairodns , schliesslich der Untergang durch das Übermass jener Entwickelungsrichtung herbeigeführt wurde, so könnte auch hier, beim Menschen, sehr wohl der Untergang des Körpers, eine Unfähig- keit zu leben, sich zu ernähren, fortzupflanzen, zu verteidigen, er- zielt werden, wenn das Gehirn sich ad infinitum in den^Vordergrund drängen würde. Es ergiebt sich aus dem Gesagten das Folgende : Die Entwickelung der Lebewelt auf Erden kann notgedrungen nur eine zeitlich beschränkte und keine unbegrenzte sein, weil alle Existenzbedingungen für die Lebewelt einmal auf der Erde mit der Erkaltung der Sonne aufhören müssen. Innerhalb dieses ihr überhaupt nur zur Verfügung stehenden Zeitraumes aber besteht die „Entwickelung" keineswegs nur in dem kontinuierlichen Fortschiessen auf der einmal eingeschlagenen Bahn. Sondern, so- wie für jede einzelne der zahlreichen Entwickelungs- richtungen ein Gipfel erreicht ist, erfolgt der Abstieg, eventuell auch die Vernichtung. Ob daher für das Menschengeschle cht dieser Gipfel bereits mit ungefähr dem jetzigen Menschen erreicht ist; oder ob der „Übermensch" noch erreicht werden wird; oder ob gar nach diesem ein noch höherer Mensch sich entwickeln wird, das lässt sich schlechterdings nicht erkennen, R. Arndt ^ fasst jedes Genie, jedes Talent, jede höhere Be- gabung als ein Zeichen der Degeneration auf. Danach müsste das Menschengeschlecht seine steigende geistige Entwickelung der fort- gesetzten Entartung einer immer mehr anwachsenden Zahl seiner Mitglieder verdanken. Eine Entwickelung in jene „übermenschlichen" oder gar noch höheren Geistesverhältnisse hinein würde damit also bedeuten, dass das Menschengeschlecht mit Erreichung dieser Etappe gänzlich entartet, somit dem Untergange verfallen sein würde. ^ Artung und Entartung. Greif swald 1895. — 138 — Ganze Gattungen und Ordnungen von Lebewesen sind erloschen, indem sie ihrer Entwickelungsrichtung, in welche die Natur sie hineintrieb, nicht gerecht zu werden vermochten und auf Abwege gerieten, welche ihnen den Untergang brachten. So auch könnte der Menschenstamm vielleicht dereinst scheitern an der Grösse der Aufgabe, welche die Natur ihm zuerteilt hat, an der Höhe seiner Entwickelungsrichtung, welcher seine körperlichen Verhältnisse nicht gewachsen sein würden. Der Kampf ums Dasein, das ist das gewaltige Mittel, welches den geistigen Fortschritt der Menschheit erzwingt. Aber wenn Rüti- MEYER (S. 70) das Richtige trifft, so gilt das doch nur von einem Kampfe, welcher sich innerhalb massiger Grenzen hält. Sobald da- gegen der Kampf sich derart steigern sollte, dass unablässig alle Kraft des Individuums verbraucht werden muss zur Erfüllung seiner körperlichen Aufgaben, der Ernährung, der Verteidigung, der Fort- pflanzung — dann müssten im selben Masse auch alle zarteren geistigen Blüten wieder abgestreift werden, welche ihm von seinen Vorfahren als Erbteil überkommen waren, müsste mehr und mehr das Tier im Menschen wieder zur Herrschaft gelangen. Das wäre der Abstieg von der erlangten Höhe, an Stelle eines Aufstieges zu neuer Höhe ! Muss dieser Kampf, wenn einst die Erde von Menschen übervölkert sein würd, so erbittert sich gestalten, dass der Abstieg beginnt? Allem Anscheine nach wäre der Tag der Übervölkerung gär nicht so fern (Teil H in Abschnitt HI sub 2 b), an welchem die Menschheit erkennen kann, ob die Schroffheit dieses Kampfes wirk- lich jene Folgen zeitigt. Zwar giebt es Träumende, welche ein Bild zukünftigen ewigen Friedens umgaukelt. Aber wenn sie erwachen, werden sie sehen, dass sie Unnatürliches geträumt haben, denn der Kampf ums Dasein ist das Natürliche, liegt in der Natur begründet : Erbarmungslos herrscht er am Himmel , im Weltenraum. Je grösser die Masse, desto stärker die Anziehungskraft, so lautet dort das Naturgesetz, welches das kleinere Gestirn rettungslos in die Ge- walt des grösseren hineinzwingt. Ebenso brutal waltet er auf der Erdoberfläche, unter den Ge- steinen 5 wo das härtere , widerstandsfähigere triumphiert , während das weichere dem nagenden Zahne der Zeit unterliegt, verschwindet, weggewischt wird. Grausam wütet er unter den wilden Pflanzen der Wiese und des Waldes , unter den wilden Tieren , die eines dem anderen die .— 139 — Nahrung, die Fortpflanzung streitig machen. Aber während dieser Kampf im Weltenraum und auf der Erdoberfläche unaufhörhch weiter fort tobt, findet er bei jenen Lebewesen ein Ende: schon hat der Mensch auf weiten Länderstrecken diesem Kampfe der wilden Pflanzen und Tiere ein Ziel gesetzt, indem er sie ausrottete. Und die Zeit ist nicht ferne, da wird dieser Kampf ausgetobt haben, weil es dann keine wilden Pflanzen und Tiere mehr giebt, weil der Mensch nur noch Kulturpflanzen und Kulturtiere duldet, die er in seinen Willen, in seine Zwecke hineinzwingt. So wird für Pflanzen und Tiere sicher einst der von den Menschen so ersehnte Zustand des Friedens anbrechen, an welchem, abgesehen natürlich von den Kleinlebewesen, die sich dem Einflüsse des Menschen stets entziehen werden, der wilde Kampf ums Dasein ausgetobt hat, weil des Menschen mächtige Hand ihn verhindert. Dem Menschen selbst aber wird schwerlich der Tag nahen, an welchem auf dieser Erde sein Kämpfen ein Ende findet. Im Gegenteil, nachdem der Mensch alle Pflanzen und Tiere vergewaltigt, ihnen das Leben oder die Freiheit geraubt haben wird, muss für ihn selbst der Kampf nur um so wilder auflohen. Gesittung und Christen- tum mögen die allzu schroff'e Form desselben mildern, aber ihn ver- nichten, das können sie nicht. Zu welchem der beiden Ziele wird er den Menschen dann hin- führen; zum Aufstieg oder zum Abstieg? Wir hoffen zum ersteren, aber Hoffnung kann trügen. Doch wenn schon die Erforschung der Vergangenheit des Menschenstammes uns kaum zu bewältigende Rätsel stellt — wenn wir vermessen seine Zukunft ergründen wollen, dann legt statt jeder Anwort sich um unsere Augen eine Binde. Teil n dieser Arbeit — unter dem Titel „Art und Ursachen der Reduktion des Gebisses bei Säugern" — folgt nicht in diesen Jahresheften, sondern als Programmschrift der Akademie Hohenheim für 1897, daher in erweiterter Form. — 140 — Tafelerklärungen. Taf. I. Fossile Zähne: Fig. 1, 2, 6, 7; Tübinger Sammlung. Fig, 1. Keimzahn, linker Oberkiefermolar ; 7i \ a,. d. Bohnerz von Melchingen. 1 V. oben ; 1 a v. d. Aussenseite ; 1 b v. d. Innenseite. „ 2. Abgekauter rechter Oberkiefermolar, W oder JP; Vi) ^- ^- Bobnerz von Melchingen. 2 V. oben ; 2 a v. d. Aussenseite ; 2 b v. d. Innenseite. „ 6. Keimzahn, rechter Unterkiefermolar (abgebildet in Taf. II Fig. 1), v. d. Unterseite gesehen; 7i '> a- d. Bohnerz von Melchingen. „ 7. Keimzahn, linker Oberkiefermolar (abgebildet in Taf. I Fig. 1), v. d. Unterseite gesehen ; 7i \ ^- d. Bohnerz von Melchingen. Recente Zähne: Fig. 3, 4, 5, 8, 9. Fig. 3. M' oben links des Orang; 7i '> Naturalienkabinet Stuttgart. 3 V. oben; 3 a v. d. Aussenseite; 3 b v. d. Innenseite. „ 4. M^ oben rechts von Gibbon (Hylobaies leuciscus); Naturalienkabinet Stuttgart. 4 V. oben ; über 7i ; 4 a v. d. Aussenseite ; 4 b v. d. Innenseite. „ 5. M* oben links eines Hottentotten; 7i ; Naturalienkabinet Stuttgart. 5 V. oben ; 5 a v. d. Aussenseite ; 5 b v. d. Innenseite. „ 8. M* unten rechts von Fithecia ; 7i ; Naturalienkabinet Stuttgart. „ 9. M^ oben rechts von Pithecia ; ^i j Naturalienkabinet Stuttgart. Taf. II. Fossile Zähne aus dem Bohnerz: Fig. 1, 2, 4, 5, 6, 7, 11. a V. d. Aussenseite; b v. d. Innenseite. Fig. 1. Keimzahn, Molar unten rechts; -/i ; von Melchingen; Tübinger Sammlung. „ 2. Molar unten rechts ; -/i ; von Salmendingen ; Naturalienkabinet Stuttgart. „ 4. Molar unten rechts ; 7i '■> von Melchingen ; Tübinger Sammlung. „ 5. Molar unten rechts ; 7i > ^^n Salmendingen ; Technische Hochschule Stuttgart. „ 6. Molar unten links; 7i '> g*°z unbenutzt, von Trochtelfingen ; Tübinger Sammlung. „ 7. Molar unten links ; 7i '> von Ehingen ; Dr. Beck's Sammlung, Stuttgart. „ 11. Letzter ]\Iilchbackenzahn unten links, Pd'; 7i ; ^^n Salmendingen; Tübinger Sammlung. — 141 — Recente Zähne: Fig. 3, 8, 9, 10. Fig. 3. IP unten rechts von Hylobates leuciscus ; über ^/j ; Naturalienkabinet Stuttgart. „ 8. M' unten links vom Orang ; ^/j ; Naturalienkabinet Stuttgart. „ 9. M' unten links eines Zigeuners ; 7i 5 Naturalienkabinet Stuttgart. „ 10. M^ unten rechts eines Franzosen; 7^; Naturalienkabinet Stuttgart. Taf. m. Fossile Zähne von St. Gaudens, Frankreich: Fig. 1, 2. Fig. 1. Unterkiefer yon DryopüJiecus Fontani Laktet, Copie nach Gaudry ; Vi« „ 2. Derselbe von oben. Recente Zähne: Fig. 3, 4. „ 3. Unterkiefer eines Nago-Negers ; Vi ; Naturalienkabinet Stuttgart. 4. Oberkiefer desselben. nhalts-Verzeichnis zu Teil I. Einleitung (S. 1—3). I. Die bisher bekannten fossilen Reste menschenähnlicher Affen (S. 4), I. Asiatische (S. 6): Orang?; Palaeopithecus sivalensis (S. 7); Pithec- anthropus erectus (S. 8). II. Europäische: Pliopithecus erectus (S. 8); Pliohylobates eppelsheimensis (S. 9); Dryopithecus Fontani (S. 12). II. Die im Bohnerze der schwäbischen Alb gefundenen Zähne. Geschichtliches (S. 16). Die Variabilität der Oberkiefermolaren bei Mensch und leben- den Anthropomorphen (S. 22). a) Bei Menschen (S. 22). Die Höckerzabl kann zwischen 5, 4, 3, 2 variieren. Die Kulturvölker haben im allgemeinen die geringere Höckerzahl, die niedrigstehenden Rassen die höhere; Cope, Topinard, Schlosser. b) Bei Menschenaffen (S. 25). Die Höckerzahl ist konstanter; M* variiert aber auch hier. Die Variabilität im Unterkiefer (S. 2(3). a) Bei Menschen (S. 27). Die Zahl der Höcker kann 7, 6, 5, 4, 3, 2 betragen. b) Bei Menschenaffen (S. 27). Die Zahl kann auch hier variieren. Höhe, Oberflächen-Beschaffenheit, Wurzeln, Länge der Mo- laren bei Mensch und Menschenaffen (S. 28). Milchprae molaren bei Mensch und lebenden Menschenaffen (S.30). Pd^ gleicht M'. Die Milchbackenzähne sind bei beiden viel ähnlicher als die bleibenden Zähne. Die Milchbackenzähne ähneln aber ihren Ersatz- zähnen bei Anthropomorphen stärker, als das beim Menschen der Fall ist. Die beiden fossilen Oberkiefermolaren aus dem Bohnerz der Alb (S. 31). Vergleichung ihrer Grössenverhältnisse (S. 32). Sie sind schmäler bezw. länger als bei Mensch und anderen Anthropomorphen (S. 34). Der hintere Innenhöcker ist grösser (S. 34) , die Schmelzleisten stärker als bei Mensch (S. 35) ; die vordere und hintere Querfurche (S. 35) ; Grübchen an der Aussen- und Innenseite als Endigungspunkte der tief hinabgehenden Zahnfurchen (S. 35). Vergleichung des Keimzahnes aus dem Bohnerz mit den Oberkiefer- molaren der Anthropomorphen (S. 35). Der abgekaute Zahn aus dem Bohn- erz (S. 36). - 143 — Die acht fossilen Unterkiefer. Zähne aus dem Bohnerz (S. 38). Sieben Molaren , 1 Milchprämolar (S. 38) ; sie stammen von mindestens 3 — 4 verschiedenen Individuen (S. 40). Die Höcker. Die Kreuzfurche, die vordere und hintere Querfurche , die Schmelzleisten , die Länge des Zahnes (S. 41). Durchschnittliche Maximal- und Minimaldimensionen menschlicher Zähne nach Blake (S. 44). Vergleich mit dem Menschen (S. 46) und den lebenden Anthropomorphen (S. 48). Zusammenfassung der Ergebnisse des Vergleiches (S. 49). Die Zähne aus dem Bohnerz gehören sicher einem Menschenähnlichen an (S. 51). Der kurze Unterkiefer-Molar ein scheinbarer Keimzahn (S. 52). Der Milchzahn aus dem Bohnerz (S. 54). Vergleichung der Zähne mit denen des Dryopithecus Fontani Lartet aus Frankreich (S. 57). ni. Die Frage der Abstammung des Menschen. Einleitung (S. 62). Die Frage nach dem Bestehen von Übergangsformen zwischen Mensch und Thier (S. 63). 1. Der Grad von Menschenähnlichkeit heut lebender anthropo- morpher Affen (S. 65). Schon vor 200 Jahren lehrte Tyson, dass die Unterschiede zwischen Mensch und anthropomorphen Affen nicht grösser seien , als die zwischen letzteren und den niedriger stehenden Affen (S. 65). Gewisse Unterschiede zwischen Affe und Mensch in Muskulatur (S. 66), Fuss, Hand, drittem Tro- chanter des Femur, Schwanz, Gehirn, embryonalem Zustande (S. 69). 2. Welche Eigenschaft könnte vielleicht tertiären Menschen- affen den Anstoss zu höherer Entwickelung gegeben haben? (S. 70). Zu grosse Härte des Kampfes ums Dasein musste eine geistige Entwickelung verhindern (S. 71). Der erste Schritt auf dem Wege zum Menschen hat wahrscheinlich darin bestanden, dass eine Gattung der menschenähnlichen Affen in tertiärer Zeit den aufrechten Gang annahm. Erst später hätte sich dann das Gehirn vergrössert. Welche Ursache gab . die Veranlassung, den aufrechten Gang anzunehmen? Die Grösse des Körper- gewichtes und die Kürze der Arme, Morris (S. 73). Cope, der Gehfuss (S. 75). 3. Zwei fossile anthropomorphe Affen mit gewissen, auffallend menschenähnlichen Eigenschaften (S. 75). a) Dryopithecus. Prüfung der Frage, ob Drj'opithecus der Vorfahr des Menschengeschlechtes gewesen sein könnte (S. 75). Gaudrt, von Zittel, Schlosser verneinen dieselbe. Gründe, welche Schlosser für seine Ansicht geltend macht und was man denselben entgegenhalten kann (S. 77). Dryopithecus hat die menschenähnlichsten Zähne (S. 79), Fünf Gründe welche Gaudry dafür geltend macht, dass Dryopithecus trotz der menschen- ähnlichsten Zähne doch der dem Menschen fernstehende anthropomorphe Affe sei. Grosse Länge der Schnauze bei Dryopithecus (S. 80). In wie weit ist man berechtigt, den Grad der Prognatlüe für mehr massgebend hinsichtlich der Beurteilung des Verwandtschaftsgrades zu erachten als die Ähnlichkeit der Zähne. Bestimmung der Stärke der Prognathie: Bonwill's Dreieck (S. 81); nach Gaudry (S. 83). Der Gibbon, der am wenigsten prognathe Anthropo- morphe; gewisse Neger mitten zwischen Gibbon und den orthognathen Menschen stehend (S. 85). Vorkommen starker Prognathie bei Europäern — 144 — (S. 87). Ist Prognathie bei Mensch und bei Tieren dem Wesen nach das- selbe? (S. 88). GORNEVIN, ViRCHOW, Langer. 1. Nutzanwendung auf Dryopithecus (S. 91). 2. Geringe Breite des der Zunge zu Gebote stehenden Raumes bei Dryo- pithecus (S. 91). In wie weit verliert auch dieses Merkmal der In- feriorität etwas von seinem Gewichte? 3. Mangelndes Kinn bei Dryopithecus (S. 92). Abschwächung auch dieses Merkmales als Beweismittel für seine Inferiorität. 4. Frühzeitiges Erscheinen der Weisheitszähne bei Dryopithecus (S. 93). In wie fern auch dieses Merkmal nicht so voll beweiskräftig ist. 5. Länge der Tanine (S. 96). b) Pithecanthropus. Die Frage, ob Pithecanthropus der Vorfahr des Menschengeschlechts gewesen sein könnte (S. 98). Reste des Pithecanthropus- und Art ihres Vorkommens (S. 99). Gründe, welche Dubois für die Übergangsstellung des Pithecanthropus zwischen Mensch und Affe geltend machte (S. 102). Gründe, welche trotzdem seine Affennatur wahrschein- licher machen (S. 107). Zusammenfassung derselben (S. 108), E. Dubois' „primitive" Gruppe Menschenähnlicher aus der Tertiärzeit ist nach ihm den Gibbons nicht näher verwandt als den anderen lebenden Gattungen (S. 110). Entgegengesetzte Ansicht (S. 111); Dames, Koll- mann. 4. Die Körpergrösse des früheren Menschen und die Zeit, in welcher derselbe entstanden sein mag (S. 112). Die Frage , ob die ersten Menschen grösser oder kleiner waren , als die heutigen (S. 112). Heutige und prähistorische Pj'gmäenrassen des Menschen (S. 113); ihre Körpergrösse (S. 115). Kollmann, Die ersten Menschen waren Pygmäen. Gehirngrösse der Pygmäen (S. 116). Verhältnis des Ge- hirngewichtes zum Körper- und Rückenmarkgewichte beim Menschen (S. 116). Man darf nicht Menschenaffen der Tertiärzeit mit dem heutigen Menschen in Parallele bringen, sondern müsste sie mit gleichalterigen fossilen Menschen vergleichen (S. 118). Die Frage nach dem Menschen der Tertiärzeit (S. 119). 5. Bemühungen den Stammbaum des Menschengeschlechtes zu erkennen (S. 121). Entgegengesetzte Ansichten über die Verwandtschaft der alt- und neuweltlichen Affen; Häckel (S. 122), 0. Schmidt, Filhol, Gaudry, Schlosser (S. 123), E. Dubois (S. 127). Versuch, lediglich auf Grund der Zahnzahl gewisse Wahrscheinlichkeitsschlüsse zu erlangen (S. 129). Ansichten von Cope (S. 131) und Schlosser (S. 133) über die alttertiären Säuger, aus welchen die Stammform des Menschen entsprungen sein könnte. 6. Der einstige „Übermensch" (S. 135). Schwierigkeiten, welche sich der Annahme einer Entwickelung zum „Über- menschen" entgegenstellen. Die Fauna des unteren Trigonodus - Dolomits vom Hühnerfeld bei Schwieberdingen und des sogenannten „Cannstatter Kreidemergels". Von Dr. E. Philipp! in Berlin. Mit Taf. IV— IX. Der schwäbisch-nordschweizerische Muschelkalk erfreut sich keines sonderlich guten Rufes, sagt ihm doch einer der besten Kenner der deutschen Trias, Fridolin Sandberger, „eine grosse Einförmig- keit der Facies" nach. Gewiss ist es richtig, dass manche von den charakteristischen Bänken, die in Franken und Thüringen zur Gliederung der grösseren Abteilungen herangezogen werden, im schwäbischen Muschelkalke fehlen ; auch der Fossilreichtum und der Erhaltungszustand der Petrefakten lassen oft viel zu wünschen übrig und mancher eifrige Sammler Schwabens hat sich durch diese Gründe bestimmen lassen , dem undankbaren Muschelkalk den Rücken zu kehren, um im Jura leichtere und bessere Beute zu machen. Erfreulicherweise giebt es auch im schwäbischen Muschelkalke nicht wenige Ausnahmen von der Regel. Die Oolithe von Marbach bei Villingen , um nur einige wenige Punkte herauszugreifen , sind altbekannt und ihre prachtvollen Versteinerungen in allen Samm- lungen verbreitet. Die schönen Exemplare von Femphix Sueiirl aus den Steinbrüchen von Untertürkheim und anderen Punkten sind bei allen Sammlern berühmt. Crailsheim gilt schon längst als ein klassi- scher Punkt in der deutschen Trias. Die bekannteste und am meisten aufgesuchte Fundstelle im schwäbischen Muschelkalke ist aber wohl neuerdings das Hühnerfeld bei Schwieberdingen. Schwieberdingen liegt im Strohgäu, auf der fruchtbaren Letten- kohlenfläche, die sich im Nordwesten des Stuttgart- Cannstatter Beckens ausdehnt. Auf der leichtwelligen Ebene fehlen natürliche Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 10 — 146 — Aufschlüsse fast ganz; nur dort, wo sich die Bäche ihr Bett ge- graben haben, tritt anstehendes Gestein, zumeist der oberste Muschel- kalk zu Tage, der in zahlreichen Brüchen als Bau- und Schotter- material ausgebeutet wird. Ein solcher, übrigens seit langer Zeit schon aufgegebener Muschelkalkbruch, der den Abhang des Hühner- feldes, halbwegs zwischen Schwieberdingen und Münchingen, an- schneidet, hat die fossilreichen Schichten aufgeschlossen, deren E'auna im folgenden besprochen werden soll. Die geologische Vorgeschichte der Schwieberdinger Schichten ist eine sehr kurze ; der Fundpunkt wurde im Jahre 1865 von Oskar Fraas bei der Aufnahme des Blattes Stuttgart entdeckt und kurz beschrieben. Seitdem ist derselbe nur manchmal gelegentlich er- wähnt worden, so bei Qüenstedt, Gastropoden, S. 278, Engel, geo- gnostischer Wegweiser , 2. Aufl. S. 72 etc. , eine eingehende Dar- stellung der geologischen Verhältnisse und zusammenhängende Be- schreibung seiner Fauna ist noch nicht gegeben worden. Um so eifriger wurde dafür im Hühnerfeld gesammelt, in die staatlichen Sammlungen Württembergs und in die Hände von Privatsammlern gelangte im Laufe der Zeit ein Material, wie es reicher und besser erhalten wohl wenig andere Fundpunkte in der deutschen Trias ge- liefert haben. Auch jetzt ist die Fundstelle noch keineswegs er- schöpft; noch im Herbst 1896 habe ich in Gesellschaft von Herrn Oberförster Holland von Heimerdingen und Herrn Lehrer Stettner von Stuttgart, denen ich für ihre Unterstützung meinen besten Dank ausspreche, eine Woche lang die fossilreichen Schichten ausgebeutet und bin mit Schätzen reich beladen heimgezogen. Besonderen Dank schulde ich den Herren Prof. E. Fräas und Dr. Beck in Stuttgart und Prof. Koken in Tübingen, die mir die in ihrem Besitz befindlichen oder ihrer Obhut anvertrauten Petrefakten von Schwieberdingen bereitwilligst überliessen, ausserdem den Herren Geh, Kammerrat Dr. v. Strombeck in Braunschweig und Prof. Benecke in Strassburg i. E., die mich mit wertvollem Vergleichsmaterial ver- sahen. Bei der ziemlich schwierigen Durcharbeitung des Gastro- podenmaterials unterstützten mich ausserdem Heri; Prof. Koken und Dr. Johannes Böhm durch mannigfaltige Ratschläge. Leider war es mir nicht möglich, die Sammlungen der Stuttgarter technischen Hoch- schule zu benutzen, da Herr Prof. Dr. v. Eck durch andauernde Kränk- lichkeit verhindert war, mir das gewiss sehr reiche Material, das er durch zwanzigjährige Sammelthätigkeit zusammengebracht hat, zu übersenden. 147 Geologische Beschreibung des Fundortes am Hühnerfeld. Die ältesten Schichten, die in dem Steinbruch am Hühnerfeld anstehen, sind die sogen. Bröckelbänke des oberen Muschelkalks, dünngeschichtete , unebenflächige , blaue Kalke , die vorwiegend als Strassenschotter gebrochen werden. 'Sie werden überlagert von einer massigen, blauen Kalkbank, dem wilden Fels, der wohl als das Lager des Ceratites semipartitus anzusehen und dem Crailsheimer „Pelz" gleich zu stellen ist. Über dieser Bank folgt nach meiner Auffassung der Trigonodus-J)o\om\t oder die dolomitische Region , wie diese Schichtgruppe nach dem Vorgange der reichsländischen Geologen vielleicht besser genannt wird. Sie beginnt mit einer 30 cm mäch- tigen Bank von grauem, verwittert gelblichem Dolomit, darüber stellen sich dann die petrefaktenreichen weicheren Schichten ein, die die Lokalität Schwieberdingen rühmlichst bekannt gemacht haben. Die unterste fossilführende Schicht ist geringmächtig und enthält vor- zugsweise Gervillien, die in einem etwas thonigen Dolomitsand lose und meist in sehr schöner Erhaltung liegen. Eine dünne Lage von Dolomit, Thon und einer eigentümlichen humösen, teilweise sehr lockeren Masse, die beim Angraben einen eigentümlichen Geruch ausströmte , trennt die Gervillienschicht von der Hauptfossilschicht, die ungefähr eine Mächtigkeit von 30 cm besitzt; diese besteht fast nur aus Schalen und Schalentrümmern, die teils in gelben Dolomit verwandelt , teils verkieselt sind. Meist bilden diese Massen lose Agglomerate, nur an einigen Punkten, wo Verkieselung vorherrscht, sind die Schalen zu grossen Klumpen zusammengebacken. Hier, in der Hauptfossilschicht herrschen Myophorien, besonders laevigata vor. Die oberen ^s der weicheren Fossilschichten bildet ein Wechsel von Dolomitsanden und festen Dolomitbänkchen , der nicht übermässig reich an Petrefakten ist. Im Hangenden dieser weicheren Schichten lagert eine kompakte, ausserordentlich feste Dolomitbank von 1,30 m Mächtigkeit, die zum Teil gesprengt werden musste, um die Fossil- schichten zu erreichen. Über ihr trifft man noch einmal eine Schicht von 30 cm Dolomitsand, die 'aber nur kleine Gastropoden enthält, dann folgen bis zur Höhe des Abhanges eine ca. 80 cm mächtige kompakte Dolomitbank , ein weiteres Bänkchen von Dolomitsand ebenfalls mit Gastropoden und ca. 2 m dünn geschichtete, meist ziemlich stark zerfallene Dolomite. Die obersten Schichten des Trigonodus-T)o\om\iQs mit dem Leitfossil Trigonodu.s Sandbergeri und dem erstaunlichen Reichtum an Älyophoria Goldfussi sind am Hühner- 10* — 148 — felde nicht mehr aufgeschlossen. Erörterungen über das Alter der Schwieberdinger Fauna werden am besten an den palaeontologischen Befund anzuknüpfen sein ; hier möchte ich nur einige Worte über den Charakter der fossilreichen Schichten einflechten. Ich glaube, dass man es hier mit einer Strandbildung, mit einem, sit venia verbo, Muschelbonebed zu thun hat. Die losen Muschelagglomerate, deren Zusammensetzung von Schritt zu Schritt wechselt, in denen fest- sitzende Formen wie Austern sehr selten sind, Brachiopoden ganz fehlen , Cephalopoden nur in Bruchstücken vorkommen , in denen überhaupt die Menge der zerbrochenen die der heilgebliebenen Stücke gewaltig übertrifft, lassen kaum eine andere Erklärung zu. Eine Reihe von anderen Dingen, die wir am recenten Muschelstrande be- obachten können , tritt auch hier auf, so z. B. die ungleichartige Verteilung der rechten und linken Schalen. So finden sich von den Gervillien, soweit sie nicht in doppel- schaligen Exemplaren vorkommen, fast immer nur die linken, hoch- gewölbten Schalen, von der rechten, flachen habe ich nur ein ein- ziges, loses Exemplar gesehen. Die Vermutung liegt nahe , dass die gewölbten Klappen dem Wellenschlage mehr Angriffspunkte boten und deshalb ans Ufer ge- schleudert wurden, während die flachen glatt auf dem Boden liegend nicht mitgerissen wurden. Weniger leicht ist zu erklären, dass auch bei den gleichklappigen Myophorien die Zahl der isolierten linken Schalen die der rechten etwa um das Dreifache übersteigt. In der eingangs erwähnten schwarzen, humösen Schicht glaube ich eine An- häufung von Tangen erblicken zu dürfen, wie wir sie am Strande ja so häufig zu sehen Gelegenheit haben. Oskar Fraas glaubt in den Schwieberdinger Schichten oberen Muschelkalk, d. h. das Semipartitus- oder Nodos iis-^iveau. sehen zu müssen, der durch den überlagernden Trigonodus-Dolomit erst nach- träglich unter dem Einfluss der Atmosphärilien dolomitisiert worden ist. Ich kann mich seiner Ansicht nicht anschliessen, glaube viel- mehr, dass die Fossilschichten im echten Trigonodus-Bolomit., aller- dings in dessen unterster Abteilung liegen, wie neuerdings auch Eberhard Fraas und Engel annehmen. Nur insofern stimme ich mit Oskar Fraas überein, als ich ebenso wie er überzeugt bin, dass die Auslaugung der Schichten und der Zerfall zu Dolomitsand unter dem Einfluss der Tageswässer, die in dem zerklüfteten Trigonodus-Bohmit auch zu tieferen Schichten leichten Zutritt hatten, erfolgte; sie mussten sich an den vorher erwähnten thonigen Schichten des fossil- - 149 — reichen Horizontes stauen und hauptsächlich hier ihre auslaugende und präparierende Arbeit leisten. In der That liess sich beim Aus- beuten der Fundstelle beobachten, dass die fossilführenden Schichten stellenweise reichlich Feuchtigkeit enthielten, während die kompakten Dolomite im Hangenden naturgemäss ganz trocken waren. Erhaltungszustand der Fossilien. Weitaus der grösste Teil der Fossilien ist in gelben Dolomit verwandelt, dessen Analyse einen Gehalt von 18 "/q Magnesiaoxyd ergab; das Gestein steht also Normaldolomit, der 21,74 7o MgO enthält, bereits sehr nahe. In diesem Erhaltungszustande treten die feinsten Einzelheiten der Schalenskulptur und des Schlossbaues heraus. Auffallend ist, dass sich das Ligament bei sämtlichen doppelschaligen Formen, bei denen es ein äusseres ist, ebenfalls in krystallinem Dolomit erhalten hat. Bei den Gervillien bemerkt man in einzelnen Fetzen einen dunk- len, aus SiOa bestehenden Überzug, der gegen die hellgelbe Farbe der Schalen deutlich absticht und in dem man wohl mit Sicherheit die Epidermis vermuten darf; bei einzelnen Gastropoden ist auch die Färbung, allerdings nur in Strukturverschiedenheiten der krystallinen Substanz, die die Schale ersetzt hat, deutlich wahrzunehmen. Sehr viel ungünstiger ist der Erhaltungszustand der verkieselten Schalen, da die Kieselsubstanz Schlösser und Skulptur meist nur in den gröbsten Umrissen wiedergegeben hat. Öfters sind die Schalen teils verkieselt, teils dolomitisiert, zuweilen beobachtet man, wie die Kieselringe in die gelbe Dolomitschale eingeätzt erscheinen. Beschreibung der Fauna. Ich habe in den meisten Fällen von langen Synonymen-Ver- zeichnissen abgesehen, die bei den bekannteren Formen die Arbeit, ohne notwendig zu sein, ungewöhnlich belasten würden. Nur dort habe ich ein Synonymen- und Citatenverzeichnis vorausgeschickt, wo weniger bekannte Arten vorlagen oder wo bis jetzt getrennt ge- haltene zusammengezogen werden mussten. Spongia. Rhizocorailium Zenk. RJiis 0 c 0 r all tum jenense Zenk. Die unter diesem Namen bekannten Körper, die in grossen Mengen manche Schichtflächen des unteren Muschelkalks bedecken. — 150 — haben sich, allerdings sehr selten, auch bei Schwieberdingen gefunden. Sehr bemerkenswert ist, dass sie hier nicht an die Schichtoberfläche gebunden sind, sondern eine kompakte Dolomitbank durchwachsen und dass sich auf ihrer eigentümlich verzierten Oberfläche kleine Gastro- poden, Schalentrümmer etc. finden. Dies spricht entschieden dafür, dass das BMsocoralUum ein organischer Körper ist, wahrscheinlich ein Hornschwamm, wie Beyeich und andere Forscher anzunehmen neigten. Lamellibranehia. Ostrea L. (Terquemia Täte). Ostrea (Terquemia) complicata Goldf. Sehr selten kommt eine Auster mit zahlreichen, hohen, scharfen Rippen vor, die der GoLDFUss'schen Art am nächsten steht. Ich halte es übrigens nicht für angängig, mit vorstehender Art Ostrea difforniis Gf. zu vereinigen , wie es Alberti thut ; diese Form stellt mit ihren flacheren, gerundeten und wenig zahlreichen Rippen, die sich gegen den Wirbel hin fast verlieren, einen ganz anderen Typus dar. Zu bemerken ist übrigens, dass Ostrea crista difforniis Schloth. , unter welchem Namen Alberti die beiden GoLDFDSs'schen Arten vereinigt, ein etwas abgeriebenes Exemplar der 0. complicata Goldf. ist, wie die Besichtigung des Originalstückes leicht erkennen Hess. Um Ver- wechselungen vorzubeugen, wird man jedoch gut thun, den Schlotheim'- schen Namen ganz fallen zu lassen. Unter den deutschen Arten steht 0. complicata Goldf. der 0. montis Caprilis v. Klipst. aus den Raibler und der nahe verwandten 0. Haiäingeriana Emmr. aus den Kössener Schichten am nächsten. Placunopsis Morr. und Lyc. Placunopsis ostracina v. Schloth. sp. — Taf. VII Fig. 10. Chamites ostracinus v. Schloth., Petref. S. 215. Ostracites sessilis „ „ r> ^- ^37 (pars). Nachtr. II, S. 111. t. 36 f. la. Ostrea xüacunoides Goldf., Petr. Germ. S. 19. t. 79 f. 1. „ subcuioinia „ „ „ S. 19. t. 79 f. 2. „ ScMbleri „ „ „ S. 19, t. 79 f. 3. Serpula serpentina Schmid & Schleiden, Geogn. Verh. d. Saalth. S. 38. t. 4 f. 1. „ „ „ N. Jahrb. f. Min. etc. 1853. S. 19. Anomia (Ostrea) tenuis Dunker, Palaeontogr. I. S. 287. t. 31 f. 27 — 29. Lima concinna Dünker, Palaeontogr. I. S. 292. t. 34 f. 30. Ostrea placunoides Giebel, Lieskau. S. 12. Placunopsis plana „ „ S. 13. t. 2 f. 6, , gracilis „ „ S. 13. t. 6 f. 2. — 151 — Plaeunopsis obliqua Giebel, Lieskau, S. 13. t. 6 f. 3. Anomia Andraei „ „ S. 14. t. 2 f. 14. „ heryx „ , S. 14. t. 6 f. 5. alta „ , S. 14. t. 6 f. 6. Ostrea subanomia var. tenuis, orhica, reniformis, Sehubier i, genuina, rugifera, turpis, beryx v. Schauroth, Z. d. d. g. G. 1857. IX. S. 90—94. t. 6. f. 1—8. , ostracina v. Schloth. sp., v. Seebach, Z. d. d. g. G. 1861. XIII. S. 568. Anomia beryx Gieb., v. Seebach, ebeuda S. 570. t. 14. f. 5. Plaeunopsis plana Gieb., v. Seebach, ebenda S. 572. Ostrea subanomia Mstr., v. Alberti, Überblick. S. 66. Anomia? Beryx Gieb., v. Alb., Überblick. S. 68. Plaeunopsis plana Gieb., v. Alb., Überblick. S. 69. „ obliqua Gieb., v. Alb., Überblick. S. 70. „ gracilis Gieb., v. Alb., Überblick. S. 70. Ostrea ostracina Schloth. sp., Eck, Oberscblesien. S. 50. „ „ Schloth., Benkcke, Geognostisch-palaeont. Beitr. II. S. 42. t. 3 f. 7, 8. Terquemia ostracina Schloth. sp., Nötling, Z. d. d, g. G. 1880. XXXII. S. 322. Wie aus obigem Synonymenverzeichnis hervorgeht, ist die vor- hegende Form ziemhch vielgestaltig und hat darum die älteren Autoren veranlasst, sie bei sehr verschiedenen Arten und Gattungen unterzubringen. Zuvörderst ist festzustellen, ob der ScHLOTHEiM'sche Chamites ostracinus zu den Ostreiden oder zu den Anomiiden ge- hört. Gegen die Zugehörigkeit zu Ostrea und ihren Verwandten sprechen verschiedene Punkte. Ch. ostracinus ist häufig auf anderen Körpern aufgewachsen, aber konstant mit der kleineren, flachen Klappe wie Anomia, während bei den Austern stets die grössere Klappe aufwächst. Bei Ch. ostracinus verdickt sich die Schale am Rande und bildet einen massiven Ring, der bei aufgewachsenen Exemplaren häufig noch vorhanden ist, wenn der mittlere , dünnere Teil der Schale bereits aufgelöst ist, und der dann mit Serpula ver- wechselt worden ist. Ich glaube, dass Ch. ostracinus zum Genus Plaeunopsis zu stellen ist, das von Morris und Lycett für Anomiiden mit undurch- bohrter Unterschale und transversalem Ligament aufgestellt worden ist; hierin stimme ich mit Herrn Prof. Benecke überein, der mir seine Ansicht über diesen Punkt freundlichst mitteilte. Die Unterschale von PI. ostracina ist stets flach, auch wenn sie nicht auf fremden Körpern aufgewachsen ist. Die Oberschale ist konvex, variiert aber bezüglich ihrer Wölbung und ihres Um- risses ganz ausserordenthch. Neben sehr hochgewölbten Klappen finden sich solche, die sich nur wenig von den Unterklappen unter- . — 152 - scheiden, wie ich das namentlich an hervorragend schönen Stücken beobachtete, die von Nötling in Niederschlesien gesammelt wurden. In der Mehrzahl der Fälle finden sich die Unterschalen allein auf Fremdkörpern aufsitzend, während die Oberschalen isoliert vor- kommen. Das Museum für Naturkunde in Berlin bewahrt jedoch eine Anzahl von Stücken auf, auf denen beide Schalen im Zusammen- hang erhalten sind. Die Oberfläche der grossen Klappe erscheint bald glatt, bald mit radialen feinen Linien verziert. Giebel und einige Autoren nach ihm haben auf dieses Merkmal hin die radialgestreiften Formen als Placunopsis von Ostrea ostracina der Autoren abgetrennt. Dem- gegenüber ist zu bemerken, dass das Original von v. Schlotheim's Ch. ostracinus, das vor mir liegt, ebenfalls eine feine Radialskulptur besitzt. Die Deutlichkeit, mit der dieselbe auftritt, scheint haupt- sächlich von dem bei deutschen Triasbivalven ja bekanntlich sehr ungleichartigen Erhaltungszustand abzuhängen. Dass eine schräg über die Schale laufende Streifung, die von einigen Autoren als Artmerkmal angesehen wurde, nur vom Auf- wachsen auf gerippte Muscheln, wohl hauptsächlich Lima -Arten, herrührt, bedarf kaum der Erörterung. Die Gestalt der grösseren Klappe ist, wie gesagt, äusserst variabel, ich glaube aber nicht, dass man neben PI. ostracina eine andere Art ausscheiden kann. Nach den Prinzipien, von denen Giebel bei Aufstellung seiner Arten von Änomia und Placuno])sis ausgegangen ist, wäre die lebende Änomia ephippium in geradezu unzählige Arten zu zerspalten. Die Ligamentgrube konnte ich bei keinem meiner Exemplare mit voller Sicherheit erkennen; nach v. Seebach 1. c. S. 572 ist bei PI. plana = ostracina eine dreiseitige Bandgrube zu beobachten, wie sie nach Morris' und Lycett's Diagnose auch die jurassischen P?«- cunopsis-kxien zu besitzen scheinen. Möglicherweise ist aber über die Lage des Ligaments bei Placunopsis noch nicht das letzte Wort gesprochen. Es wurde nur ein sehr grosser, kreisrunder, subcentraler Muskeleindruck bemerkt. Das Genus Placunopsis ist noch zu wenig bekannt, um direkte Beziehungen zu den übrigen Anomiiden herleiten zu können ; viel- leicht ist Placunopsis der Stammvater von Änomia, was dadurch wahrscheinlich gemacht wird, dass bei Änomia im Jugendzustande die kleine Klappe noch un durchbohrt ist und das Foramen sich erst später durch eine Einbuchtung des Randes bildet. — 153 — Pecten Klein. Pecten laevigatus v. Schlote, sp. Ein Bruchstück. Pecten discites v. Schlote, sp. Ein verkieseltes Exemplar, das die von v. Seebach, v. Alberti u. a. besprochene feine Radialstreifung deutlich zeigt. Gervillia Defr. Die Gattung Gervillia ist von Defrance (Dict. des sciences naturelles T. 18, S. 505. 1820) für eine Kreideform (G. solenoides) aufgestellt und von Deslongchamps (Rec. Soc. Linn. Calvados I. S. 126) und d'Orbigny (Paleont. fran9. terr. cret. III. S. 48) erweitert und befestigt worden. Das Genus BaJcevellia, das King im Jahre 1848 für Zechsteinformen aufstellte, unterscheidet sich in keinem einzigen Merkmal von Gervillia. Sowohl die beiden Muskeleindrücke wie die Ciicullaea-ähnViehen Reihenzähne, die King in seiner Diagnose her- vorhebt (Perm, fossils, Paleont. Soc. III. 1850. S. 166), werden be- reits in d'Orbigny's Diagnose vom Jahre 1843 für Gervillia angeführt. Richtung und Form der Zähne ist ausserdem, selbst bei ein und der- selben Art von Gervillia, so veränderlich, wie Credner (GervilHen der Triasformation in Thüringen. N. Jahrb. f. Min. etc. 1851. S. 641 ff.) bereits gezeigt hat und wie ich bestätigen kann, dass dieses Merk- mal sogar für die Artenunterscheidung nur mit grosser Vorsicht zu gebrauchen ist. Alle anderen Kennzeichen, wie die äussere Form, die Breite der Ligamentarea, der Abstand der Wirbel von einander, sind bei Bahevellia ebenso variabel wie bei Gervillia. Es liege also keinerlei Grund vor, das Genus Bakevellia etwa auch nur als Unter- gattung beizubehalten und ich wiederhole daher die bereits von V. Grünewaldt (Verst. d. schles. Zechsteingebirges. Z. d. d. g. G. III. 1851. S. 264), von v. Seebach (1. c. S. 588) und anderen ge- stellte Forderung, das Genus BaJcevellia King aus der Litteratur, in der es sich mit Zähigkeit bis jetzt gehalten hat, endgültig ver- schwinden zu lassen. Hoernesia Laube. Im Jahre 1866 trennte Laube (Fauna der Schichten von St. Cas- sian II. Denkschr. d. Wiener Akad., math.-naturw. Klasse, Bd. 25, S. 53) das Genus Hoernesia ab, das die Bestimmung hatte, „alle — 154 — jene Arten zu umfassen , welche bisher als Gervülia des Muschel- kalks galten." Sein Hauptvertreter sollte in der deutschen Trias Gcrv. sociaUs, in der alpinen Gerv. Johannis Austriae sein. Die Unterschiede zwischen Hoernesia und den Jara- und Kreidegervil- lien wären vor allem im Zahnbau zu suchen, der bei den tria- dischen Formen im Gegensatz zu den jüngeren ein sehr kon- stanter sein sollte ; wie bereits erwähnt , ist aber gerade bei den Triasgervillien der Zahnbau aussergewöhnlich veränderhch. Ferner soll bei den Triasformen das Ligament nicht in einer schrägen Ab- dachung der Schale, sondern in einer horizontal gestreiften Rinne liegen, welche durch eine Verlängerung der Schale nach innen ge- bildet wird. Zu letzterem möchte ich gleich hervorheben, dass diese Verhältnisse ganz sekundär und von der Dicke und Wölbung der Schalen abhängig sind ; thatsächlich zeigen sehr dickschalige Exem- plare von Gerv. socialis und die sehr flache Gerv. mytiloides die- selbe Lage der Ligamentarea wie die jüngeren Formen. Das bezeichnendste Merkmal für Hoernesia soll aber, abgesehen von der Ungleichheit der Klappen und der Neigung zur Drehung der Schale, das Auftreten eines Septums im Wirbel der grösseren (linken) Schale sein, zu dessen beiden Seiten sich trichterförmige Höhlungen befinden. Stellt man dieses Kennzeichen in den Vordergrund , wie das BiTTNER, (Lamellibranchiaten von St. Cassian, Abh. d. k. k. geol. Reichsanst. XVHL L S. 81) thut, so ist von den alpinen Formen nur ein Teil, von deutschen Triasgervillien nur Gervülia subglobosa Credn. zur Gattung Hoernesia zu stellen, während Gerv. socialis danach zu Gervülia s. str. gehören müsste. Das ist aber für mich ein Beweis, dass die Fassung des Genus Hoernesia in der von Bittner vorgeschlagenen Form keine natürliche sein kann ; ich glaube, dass sich niemand so leicht der Anschauung entziehen kann, dass Gerv. socialis und suhglohosa sehr nahe miteinander verwandt sind und gegenüber sämtlichen anderen Gervillien der deutschen Trias eine Sonderstellung einnehmen. Ich halte übrigens die dreieckige Ver- dickung der Schale, die bei Gerv. socialis unter dem Wirbel liegt und die bereits Credner 1. c. S. 645 erwähnt, für ein Analogen des medianen Septums, aus dem sich dieses bei stärkerer Aufwölbung der hnken Schale entwickelte. Häufig findet sich zwischen dieser Verdickung und dem Vorderrande bei Gerv. socialis bereits eine flache Bucht; ebenso ist die Furche, welche auf der Aussenseite der linken Schale den Wirbel nahezu halbiert und die nach Bittner in Zu- sammenhang mit dem inneren Septum stehen soll, bei Gerv. socialis — 155 — öfters schon vorhanden. Ich möchte vorschlagen, die Gattung Hoer- nesia , wie dies v. Zittel thut , als Subgenus von Gervillia zu be- trachten und ihr folgende Diagnose zu geben : Formen mit stark gewölbter linker und flacher bis konkaver rechter Klappe. Wirbel der linken Klappe stark übergebogen und auf der Aussenseite durch eine mehr oder minder deutliche Furche geteilt. Die rechte Klappe mit zwei schräg nach hinten verlaufenden, verschieden stark diver- gierenden flachen Rippen. Die vorderen Zähne der linken Klappe sind durch eine schmale Leiste (Septum) oder durch eine oft spitz dreieckig nach unten verlaufende Verdickung der Schale gestützt. In der alpinen Trias: Hoernesia Johannis Äustriae Kupst. sp. „ bipartita Mer. sp. „ Sturi WöHRM. sp. „ Stoppanii Par. sp. In der deutschen Trias : „ socialis Schlote, sp. „ siibglobosa Credn. sp. Hoernesia socialis v. Schlote, sp. — Taf. IV Fig. 1 — 5. Hoernesia socialis ist bei Schwieberdingen sehr häufig, besonders in den untersten Schichten der fossilführenden Lagen. Meistens sind die beiden Klappen noch im Zusammenhang erhalten. Seltener fand sich die grössere, gewölbte Klappe einzeln. Eine einzelne, kleinere Klappe hat sich merkwürdigerweise in den Schwieberdinger Schichten bisher nur einmal gefunden. Hinsichtlich der Grösse , Dicke und Wölbung der Schalen ist H. socialis äusserst veränderlich. Inter- essanter ist es, dass auch der Schlossbau sehr variabel ist, was übrigens Credner (N. Jahrb. f. Min. etc. 1851. S. 644) bereits be- merkt hat. Bekanntlich besitzt die gewölbte linke Klappe im allgemeinen vorn zwei Schlosszähne. In einzelnen , übrigens seltenen Fällen ist der vordere dieser beiden Zähne nach vorn abwärts geneigt und bildet mit dem Schlossrande einen nach hinten offenen Winkel von 100 — 120'', mit dem hinteren Zahne einen solchen von ca. 40°. In an- deren Fällen steht der vordere Schlosszahn auf der Längsrichtung des Schlossrandes senkrecht (Taf. IV Fig. 2) und bildet mit dem Hinter- zahne einen Winkel von ca. 30*^. Meistenteils sind aber beide Schloss- zähne nach hinten gerichtet und parallel oder nahezu parallel (Taf. IV Fig. 3). Manchmal verschwindet der hintere Kardinalzahn ganz und an seine Stelle tritt eine Anzahl von flachen, schmalen Leisten, wie das bereits Credner beobachtet hat (Taf. IV Fig. 5). Über die - 156 — hinteren Seitenzähne Hegen keine Beobachtungen vor, da meist nur die vordere Hälfte der linken Klappen erhalten ist. Die Breite des Ligamentfeldes, ebenso die Breite und Form der Ligamentgruben ist wie alles andere sehr veränderlich, ob es auch die Anzahl der Liga- mentgruben ist, kann ich nicht mit Sicherheit angeben, wiewohl es mir ziemlich wahrscheinlich vorkommt. Die Yorderzähne werden durch eine massive Verdickung der Schlossplatte gestützt, die ich als das Analogon des Septums von Hoernesia subglobosa auffasse. Manchmal verschmilzt dieselbe völlig mit dem Vorderrande, meist bleibt aber eine mehr oder minder flache Bucht frei, wie dies Taf. IV Fig. 2 deutlich zeigt. Dieser Verstärkung der Schlossplatte entspricht auf der Aussenseite der grossen Klappe eine Furche, die von der Mitte des Wirbels nach der Mitte des Unter- randes verläuft und die von Bittner als charakteristisch für die Gattung Hoernesia angesehen wird. Der vordere Muskeleindruck liegt an der Hinterseite der Schlossplattenverdickung und ist an manchen Stücken, z. B. an dem Taf. IV Fig. 2 abgebildeten, sehr deutlich zu erkennen. Fast sämtliche Exemplare von H. socialis bestehen aus hell- gelber , spätiger Dolomitsubstanz ; an den meisten ist an einzelnen Stellen ein bräunlicher Überzug von Kieselsubstanz bemerkbar, der sehr scharf die Anwachsstreifung wiedergiebt. Die Skulptur tritt sogar in diesen Kieselüberzügen, die in einzelnen unregelmässigen Fetzen die Schale bedecken, deutlicher hervor als auf der Schale selbst. Ich bin überzeugt, dass man es hier mit Fetzen einer ziemlich dicken Epidermis zu thun hat; schliesslich ist es ja auch nicht so wunderbar, dass diese sich ebenfalls in einer Schicht erhalten hat, in der fast ausnahmslos das Ligament konserviert wurde. Gervillia Goldfussi v. Strome, sp. — Taf. IV Fig. 6, 7. Pterinea Goldfussi v. Strojibeck, Z. cl. d. g. G. 1849. I. S. 189. BakevelUa costata var. Goldfussii v. Schauroth, Z. d. d. g. G. 1857. IX. S. 106. t. 5 f. 5. Nicht selten ist bei Schwieberdingen eine kleine glatte Gervillia mit ziemlich stark geblähten Schalen, die nur eine zarte Anwachs- streifung aufweisen. In den Fossilverzeichnissen von Schwieberdingen bei Engel und in den Erläuterungen zu Blatt Stuttgart der Württem- bergischen geologischen Karte figuriert sie als Gerv. polyodonta^ mit der sie jedoch gar nichts zuf thun hat ; sie steht vielmehr in ihrer äusseren Form der Gerv. costata nahe. Diese glatten Gervillien vom - 157 - costata-Ty^us hat v. Strombeck P^mwaea Goldfussii gen?Lnnt; Credner (1. c. S. 649) zog diese Art als Varietät zu Gerv. costata, ebenso V. ScHAüROTH, während sie v. Alberti, Überbhck S. 89, zu Gerv. suh- costata stellt. Ich glaube jedoch, dass Gerv. Goldfussi v. Stromb. sp. eine selbständige Art ist, die sich von Gerv. costata ebenso durch den Mangel der Längsberippung, wie von Gerv. subcostata durch die ihr fehlende Radialberippung unterscheidet, Steinkerne von Gerv. Goldfussii und costata dürften allerdings nicht auseinander zu halten sein. Hinsichtlich der Wölbung der beiden Klappen ist Gerv. Gold- fussi ziemlich veränderlich, wie die Fig. 6 und 7 auf Taf. IV an- deuten sollen. Gervillia Fraasi n. sp. — Taf. IV Fig. 9. Das K. Naturalienkabinett in Stuttgart besitzt eine höchst eigen- tümliche Gervillia aus Schwieberdingen. Sie unterscheidet sich von den übrigen Gervillien der deutschen Trias hauptsächlich dadurch, dass der schmale, mittlere Teil vom hinteren Flügel sehr scharf ge- trennt ist. Gegen den Wirbel zu ist der Steilabfall, der diese beide Teile der Schale trennt, sogar ausgekehlt. Die beiden Klappen sind nahezu gleichmässig aufgewölbt, doch ist der Wirbel der linken be- deutend stärker übergebogen als der der rechten. Ein vorderer Flügel scheint fast gar nicht vorhanden zu sein. Im ganzen sind bei dieser Form, die mir nur in einem doppelschaligen Stück vorliegt, drei Ligamentgruben zu beobachten. Der Achsenwinkel beträgt ca. 35®. Die Anwachsstreifung ist sehr grob, Radialskulptur aber nicht zu beobachten. Die eigentümliche Form gehört zu den schlanksten Gervillien der deutschen Trias. Ich glaube, dass sie Gerv. costata am nächsten steht, bei der manche Varietäten bereits eine sehr deutliche Kante zwischen dem mittleren Teil und dem hinteren Flügel zeigen. Ich widme die interessante Art Herrn Prof. Eb. Fräas in Stuttgart. Gervillia alata n. sp. — Taf. IV Fig. 10. Zu demselben Typus gehörig , wie die vorige , aber noch ab- erranter, ist eine kleine Form, von der das K. Naturalienkabinett in Stuttgart zwei Exemplare aufbewahrt. Hier ist der vordere Flügel ebenfalls durch eine Furche vom Rücken getrennt, die allerdings lange nicht so tief ist wie die, welche den hinteren abtrennt. Der mittlere Teil ist schmal, hochgewölbt und in der linken Klappe stark übergebogen. Sehr eigentümlich ist der hintere Flügel ausgebildet, — 158 ~ der in eine lange Spitze ausgezogen ist, der dieser Art ganz das Aussehen mancher Avicula-Arten verleiht. Dass man es wirklich mit einer Gervillia zu thun hat, beweist die isolierte Klappe, welche vier oder fünf dichtgedrängte, senkrecht zur Schlosskante stehende Ligamentgruben erkennen lässt. Anwachsstreifung stark, auch schwache Radialskulptur zu er- kennen. Gerv. alata erinnert mit ihrem stark verlängerten Hinterflügel an Zechstein-Arten, besonders Gerv. cerafophaga Schloth. sp. (King, Permian fossils, t. 14. S. 27). Gervillia suhcostata Gf. sp. — Taf. IV Fig. 8. Nicht selten sind bei Schwieberdingen radialgerippte Gervillien, die ich wegen ihres ziemlich bedeutenden Axenwinkels und ihrer groben Berippung zu Gerv. suhcostata stelle. Öfters sind die Rippen wellig gebogen, wie man an dem schönen Exemplar das ich abbilde, erkennen kann. Ich will übrigens hier bemerken , dass das von V. Schauroth (Zeitschr. d. deutsch, geol. Ges. 1857. t. 5 f. 13) als Bahevellia lineata var. paiicisulcata beschriebene und von v. Alberti (Überbhck S. 90) zu Gerv. substriata gestellte Fossil eine echte Gerv. suhcostata ist. Modiola Lam. Ilodiola cf. triquetra v. Seeb. Taf. V Fig. 1. Modiola triquetra v. Seeb., Z. d. d. g. G. 1861. XUI. S. 559. t. 14 f. 6 a, b. „ „V. Alberti, Überblick S. 97. Bisher nur in zwei Exemplaren hat sich in Schwieberdingen eine Modiola gefunden, die in allen wesentlichen Punkten Seebach's M. triquetra so nahe steht, dass ich es nicht wage, für sie eine eigene Art zu errichten. Der Wirbel ist sehr weit nach vorn gerückt, so dass der vordere Flügel fast gänzlich verkümmert ist. Der Schloss- rand ist gerade und bildet mit dem Hinterrande einen deutlich ab- gesetzten Winkel, reicht aber nicht so tief herunter wie bei der Weimarer Form. Der Bauchrand ist wie bei jener leicht konkav, die Anwachsstreifung deutlich. An den angewitterten Stellen ist die für die Mytiliden charakteristische radialfaserige Struktur der Schale deutlich erkennbar. Das Schwieberdinger Fossil ist etwas stärker aufgebläht wie Seebach's. Ävicida acuta Goldf., t. 116 f. 8, die Al- berti zu deren Synonymen stellt, unterscheidet sich durch das sehr deutliche, breite, vordere Ohr. — 159 — Modiola myoconchaeformis nov. sp. — Taf. V Fig. 2. Nicht selten bei Schwieberdingen ist eine sonderbare Form, die ■V. Seebach's LitJwclomus rhomhoidalis nahe steht. Nach ihrem ganzen Habitus sollte man viel eher eine Myoconcha als eine Modiola ver- muten, das innere Ligament und die radialfaserige Schalenstruktur sichern ihr aber einen Platz bei den Mytiliden. Der Schlossrand ist gerade und ungefähr halb so lang als die ganze Schale, an ihn setzt sich mit scharfer Kurve, aber nicht winklich, ein ebenfalls gerader Hinterrand. Der Bauchrand ist schwach konvex und im allgemeinen dem Schlossrand, in den er durch einen stark gebogenen aber nicht winklichen Vorderrand übergeht, parallel. Der Wirbel steht weit nach vorn, von ihm verlauft zur Hinterecke die stärkste Schalenwölbung. Von Lithodomus rhomhoidalis unterscheidet sich unsere Art vorzugs- weise durch den viel kürzeren Schlossrand und geringere Wölbung. Von den übrigen Modiola-kxiQn unterscheidet sich Lithodomus rhomhoidalis wie diese Art durch die sehr starke Verbreiterung des vorderen Flügels, wodurch der Bauchrand dem Schlossrand parallel wird. Trotzdem möchte ich beide nicht zu Lithodomus stellen, da sie sich durch ihre flache Form und die diagonale Aufwölbung hinlänglich unterscheiden. Ausserdem spricht das Vorkommen der freien Schalen im Muschelbonebed von Schwieberdingen sehr gegen eitle bohrende Thätigkeit. Myoconcha Sow. Bezüglich der sogen. Myoconchen der Trias herrscht heute noch eine grosse Unsicherheit. Die ersten Arten der deutschen Trias (Goldfussii, gastrochaena , Thielaui etc.) wurden Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre aufgestellt und von den Autoren dem Genus Modiola zugewiesen, wobei jedoch schon damals auf die Annäherung an das aus Jura und Kreide bekannte Genus Myoconcha hingewiesen wurde, v. Schaüroth verglich die DüNKER'sche Modiola Goldfussii (SitzungsUer. d. Wiener Akad. 1855. XVII. 513) mit der permischen Gattung Pleuro2)horus King und fand den Schlossbau durchaus ident. Im Jahre 1859 vereinigte v. Schauroth die Gattung Fleurophorus mit der von Hall (Palaeontology of New York. 1847. I. S. 300) für eine Devon-Form aufgestellten und von Mac Coy er- weiterten Gattung GUdophonis. Fast gleichzeitig wurde der Name Myoconcha durch Berger (Verstein. d. Roth, N. Jahrb. f. Min. etc. 1859. S. 169. t. 3 f. 9) für die DüNKER'sche Modiola Goldfussii in Anwendung gebracht und wenig später suchte v. Seebach (Trias- — 160 — conchylien, Z. d. d. g. G. 1861. XIII. S. 623) nachzuweisen, dass Pleurojjhorus und wahrscheinlich auch zum grössten Teil Clido- pTiorus nur Synonyma von Myoconclia darstellen. Seitdem ist für die Arten der deutschen Trias vorwiegend die Gattungsbezeichnung Myoconcha angewendet worden, ohne dass Pleurophorus und Clido- pJionis ganz verdrängt wurden. Die Arten der alpinen Trias sind nach dem Vorgange d'Orbigny's (Prodrome, I. S. 200) allgemein zum Genus Myoconcha gestellt worden. Mittlerweile hat Hall (24*^ Report of the State Museum of New York. 1870. S. 228) selbst nachgewiesen, dass Glidoplionis Nuculidenzähne besitzt (vergl. Beüshausen, Lamellibranch. d. rhein. Devon. Abh. d. k. preuss. Landesanst. XVII. 1895. S. 100), also in einen ganz anderen Formenkreis gehört wie Myoconcha. Dies muss Waagen übersehen haben, der (Salt Range Fossils I. 1887. S. 215, 216, 225) Glidophorus in die Verwandtschaft von Pleurophoriis stellt und scharf von Myoconcha trennt. Man hat es also für die triadischen Formen nur noch mit den Gattungen Myoconcha und Pleurophoriis zu thun, über deren Be- ziehungen zu einander in letzter Zeit Beüshausen (1. c. S. 421) sich ausgesprochen hat. Dieser Autor trennt im Gegensatz zu v. Seebach Pleurophorus wieder als selbständige Gattung von Myoconcha auf Grund des Zahnbaues. Pleurophorus soll nach King's Diagnose durch zwei divergierende Kardinalzähne und durch den Besitz hinterer Seitenzähne ausgezeichnet sein, während Myoconcha nur einen Kar- dinalzahn in der rechten und eine entsprechende Grube in der linken Klappe besitzen soll, wie Sowerby bereits in seiner Diagnose von Myoconcha crassa betont. Nach Beüshaüsen's Ausführungen würde Myoconcha Thielaui v. Stromb. sp., welche nach v. Seebach (Z. d. d. g. G. 1861. XIII. t. XV f. 2, b) einen deutlichen hinteren Seiten- zahn besitzt, zum Genus Pleurophorus und zu den Cypriniden ge- hören, während andere triadische Arten bei 3Iyoconcha und den Modiolopsiden verbleiben. Das vorliegende Material gab mir Gelegenheit, näher auf diese Verhältnisse einzugehen. Es waren vornehmlich zwei Fragen, welche sich da aufdrängten : 1) Hat v. Seebach und vor ihm v. Grune- wald! (Z. d. d. g. G. 1851. III. S. 258) bei jurassischen Myo- conchen eine Ligamentleiste für einen hinteren Seitenzahn gehalten, besitzt also Myoconcha keinen hinteren Seitenzahn und entfernen sich daher die echten Myoconchen durch ihren Zahnbau weit von Pleurojyhorus und 2) welche triadischen Arten gehören, diese — 161 — scharfe Trennung vorausgesetzt, zu Fleurophorus und welche zu Myoconcha ? Die erste Frage, ob 3IyoconcJia hintere Seitenzähne besitzt oder nicht, ist sehr leicht zu entscheiden : man braucht nur einen Blick auf die Abbildung, die Zittel von der schönen Myoconcha düataia Zitt. (Bivalv. d. Gosaugebilde, Denkschr. d. math.-naturw. Kl. d. kais. Akad. d. Wiss. Bd. XXV. t. 11 f. 16) giebt, zu vs^erfen, um sich zu ver- gewissern, dass selbst bei den jüngsten Formen von Myoconcha noch ein sehr deutlicher hinterer Seitenzahn in der linken Klappe an der- selben Stelle, wie bei Fleurophorus^ nämlich dort, wo der Oberrand zum Hinterrand umbiegt, auftritt. In der rechten Klappe beobachtet man bei Sowerby's Original (Min. Conch. t. 467) von Myoconcha crassa eine entsprechende ziemlich starke Verbreiterung des Oberrandes. Bezüghch der Schlosszähne von Myoconcha habe ich an den von mir untersuchten Stücken des Berliner Museums folgendes be- obachtet. Stark und deutlich ist nur der Hauptzahn der rechten Klappe, dem in der linken eine tiefe Grube entspricht. Zwischen dieser, dem vertieften vorderen Muskeleindruck und dem Aussen- rande liegt in der linken Klappe eine dreieckige Platte, welche sich zuweilen etwas über den Aussenrand erhebt und alsdann als Zahn aufgefasst werden darf. Über der Zahngrube verläuft dem Aussen- rande und der Ligamentstütze nahezu parallel eine lange Leiste, das Äquivalent des oberen Kardinalzahnes auf King's bekannter Abbildung (Perm. foss. t. 15 f. 16b). Genau dasselbe, nicht mehr und nicht weniger, habe ich an den schönen Schalenexemplaren von Pleurophorus costatus Brown, die Beyrich in Schlesisch-Hangsdorf bei Logau gesammelt hat, be- obachten können. Übrigens lässt auch die Abbildung, die Geinitz (Dyas, t. 12 f. 34) von Pleurophorus costatus Brown giebt, nur den einen Zahn der rechten Klappe deutlich hervortreten. W^ieweit King's Abbildung schematisiert ist, kann ich ohne Kenntnis des Originals nicht beurteilen, bei den mir vorhegenden Stücken von Pleurophorus und Myoconcha stimmen die Schlosselemente in ihrer Lage so über- ein, dass ich mit v. Grünewaldt und v. Seebach die Einziehung des Genus Pleurophorus beantragen muss. Der Zahnbau der triadischen Arten, soweit ich ihn untersuchen konnte, entspricht durchaus dem von Myoconcha. Am besten Hessen sich diese Verhältnisse an den dickschaligen Formen aus den lom- bardischen Raibler Schichten beobachten, die übrigens immer zum Genus Myoconcha gestellt worden sind. Bezüglich der äusseren Form Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 11 — 162 — und der Schalenskulptur existieren zwischen den palaeozoischen und den jüngeren Myoconchen keine wesentlichen Unterschiede. Nach dem, was ich eben über den Schlossbau der Gattung Myoconclia sagte, ergiebt sich von selbst, dass ich dieselbe zu den Heterodonten stellen muss. Sehr eng sind die Beziehungen zu Car- dita ^ speciell zu den langgestreckten Formen mit hinterem Seiten- zahn, die — ob mit Recht oder Unrecht, lasse ich dahingestellt — als Palaeocardita abgetrennt worden sind. Ein Vergleich der bereits citierten Abbildung in King's Permian fossils t. 15 f. 16 b mit Gardita crenata Goldf. (Bittner, Lamellibranch. von St. Cassian, Abh. d. k. k. geol. Reichsanst. XVIII. H. 1. t. IV f. 11) wird am besten davon überzeugen. Doch gehe ich nicht so weit, wie Deshayes (Descr. des animaux sans vertebres. 1860. L S. 752), 3Iyoconcha direkt mit Cardita zu vereinigen. Dass bei der nahe verwandten Ästarte öfters hintere Seitenzähne vom gleichen Charakter wie bei MyocoHcha und Palaeocardita auftreten, dürfte bekannt sein. Ich stelle also, um die gewonnenen Resultate zusammenzufassen, die Forderung : 1. Das Genus PleuropJiorus King zu gunsten von Myoconclia SowERBY aufzugeben. 2. Myoconclia mit Cardita und Astarte zu der Familie der Carditidae Deshayes oder Astartidae Gray (wie letzteres auch Zittel, Grundzüge S. 288, mit Pleurophorus thut) zu vereinigen. Myoconclia laevis n. sp. — Taf. V Fig. 3. Aus dem K. Naturalienkabinett liegt mir eine linke Klappe vor, die sich durch ihren Zahnbau als zu Myoconclia gehörig ausweist, durch ihren gesamten Habitus aber sich weit von allen Myoconchen der deutschen Trias entfernt. Der Hauptunterschied besteht darin, dass der Oberrand mit dem Hinterrand keinen scharf abgesetzten Winkel bildet, sondern in einer flachen Kurve in ihn übergeht. Die beiden diagonalen Kanten, die bei Myoconclia gastrochaena und Gold- fussii vom Wirbel nach dem Hinterrande verlaufen, sind nicht vor- handen, doch liegt die stärkste Aufwölbung der Klappe in der Rich- tung der unteren Schrägkante. Der Unterrand ist nicht vollständig erhalten, es lässt sich aber erkennen, dass derselbe gar nicht oder nur sehr wenig eingebuchtet gewesen sein kann. Der Vorderrand ist ebenfalls weggebrochen, der sehr stumpfe Wirbel lag augenschein- lich etwas zurück wie bei Myoc. Goldfussii. Im Inneren der Klappe ist die hintere Zahngrube sehr deutlich. Das Ligamentfulcrum nimmt — 16o — fast die Hälfte der Länge des Oberrandes ein. Die Wirbelpartie ist durch Gesteinsmasse verklebt und lässt nur noch etwas von der tiefen Hauptzahngrube beobachten. In ihren Umrissen steht ihr Myoc. Brunneri v. Hauer, namentlich die var. angulosa Salomon (Marmolata, Palaeontogr. XLII. t. 5 f. 33) am nächsten, die jedoch Radialskulptur besitzt, während unsere Form nur Anwachsstreif ung aufweist. Myoconcha gastrochaena Gieb. sp. — Taf. V Fig. 4. Mytihis gastrochaena Dunk. sp., Giebel, Lieskau S. 34. t. 5 f. 1. Myoconcha gastrochaena Dunk. sp., v. Seebach, Weimar. Trias. Z. d. d. g. G. 1861. XIII. S. 80. t. 2 f. 3 a, b, c. ■? ^ j, Dunk. sp., v. Alberti, Überblick S. 130. t. 3 f. 3. j, „ Dunk. sp.. Eck, Oberschlesien S. 57, 102. „ „ Gieb. sp., Eck, Rüdersdorf S. 91. t. 1 f. 7. Aus Schwieberdingen liegen nur drei Myoconchen von oblongem ümriss, mit zwei Diagonalkanten und ziemlich deutlicher Einbuchtung des Unterrandes vor, die nach Eck's Definition (Rüdersdorf S. 90, 91) zur Species gastrochaena gehören. Das Ligament, das an zwei derselben erhalten ist, ist lang und dünn. Die drei Exemplare weichen in ihren Dimensionen stark von einander ab. Astarte Sow. Astarte triasina F. Rom. — Taf. VH Fig. 8. Von dieser Art liegt nur ein Exemplar vor, das gut mit Römer's Abbildung (Palaeontogr. L t. 36 f 1 — 6) wie mit Stücken aus dem Oolith von Willebadessen, die ich zum Vergleiche heranzog, über- einstimmt. Trigonodus Sandb. Trigonodus praeco n. sp — Taf. VI Fig. 11. In der Sammlung des K. Naturalienkabinetts zu Stuttgart fanden sich drei flache , ziemlich unscheinbare Zweischaler unter der Be- zeichnung j^TelUna" sp. Es bedurfte keiner allzulangen Untersuchung, um zum Schlüsse zu gelangen, dass die so bezeichnete Art weder mit der recenten Tellina, noch mit den zu Tellina gestellten Trias- formen, wie edentida Gieb., etwas gemein hat. Viel schwieriger ge- staltete sich die Frage, wohin dann aber diese sonderbaren Formen zu stellen seien, und ich konnte lange zu keinem bestimmten Schlüsse kommen, bis mir die Untersuchung einer Zweischaler-Suite aus den roten Schiernplateau-Schichten die Sicherheit brachte, dass die rätsel- 11* — 164 — haften Schwieberdinger Formen zu nichts anderem gehören könnten, als zu Trigonochis. Die drei Exemplare des Naturalienkabinetts sind doppelklappig und lassen vom Schloss nichts erkennen, besitzen aber sämtliche noch das Ligament. Der Wirbel liegt noch im ersten Drittel der Schalenbreite, ist nach vorn geneigt, schw^ach eingerollt und er- hebt sich so gut wie gar nicht über den Schlossrand. Eine Lunula fehlt. Schlossrand, Vorderrand und Unterrand bilden wie bei sämt- lichen Trigonodus-Axien eine gleichmässig gekrümmte, nahezu halb- kreisförmige Kurve. Nach der Hinterecke verlauft vom Wirbel eine deutliche Diagonalkante. Der Hinterrand, von der Hinterecke bis zum $chlossrande , mit dem er einen deutlichen Winkel bildet, ist gerade. Ebenso zeigt der lange Schlossrand hinter den Wirbeln fast gar keine Krümmung. Die nicht sehr gut erhaltenen Schalen lassen nur eine grobe Anwachsstreifung erkennen. Das Ligament ist länger und schmäler als das von Myojjlioria und nimmt nahezu die Hälfte des hinteren Feldchens ein. Die Dimensionen sind bei dem kleinsten, am besten erhaltenen Exemplare : Höhe : 12 mm. Breite: 19 mm, Dicke: 6 mm; bei dem zweitgrössten : Höhe : 16 mm, Breite: 24 mm, Dicke : 5 mm (etwas verdrückt). Wenn man ohne Kenntnis des Schlosses eine Bivalve überhaupt einem bestimmten Genus anreihen darf, so muss man diese eigen- tümlichen, flachen Formen mit ausgesprochen Cardinien-artigem Umriss unbedingt zu Trigonodus stellen. Trigonodus pracco, wie ich die Schwieberdinger Art nenne, scheint unter den wenigen, sonst noch bekannten Arten der Sand- BERGER'schen Gattung die flachste zu sein. Von Tr. Sandbergeri V. Alberti, der Leitform des obersten sogen. I'rigonodus-Bolomits, unterscheidet sie sich ausserdem durch den fast gar nicht hervor- tretenden Wirbel und den geraden, mit dem Hinterrande einen deut- lichen Winkel bildenden Schlossrand. Letzteres Kennzeichen erinnert an Tr. rahlensis Gredler aus den roten Schlernplateau-Schichten (v. Wöhrmann uud Koken, Die Fauna der Raibler Schichten vom Schlernplateau. Z. d. d. g. G. 1892. XLHI. S. 184. t. 7 f. 1—8). Die alpine Art besitzt jedoch nicht die so scharf ausgesprochene — 165 — Diagonalkante der schwäbischen , ebensowenig wie den geraden Hinterrand. Ob Trigonodus mit Cardinia in enger verwandtschaftHcher Be- ziehung steht, wie v. Wöhrmann (Jahrb. d. k. k. geol. Reichsanst. 1893. S. 27) annimmt, ist mir durchaus fragUch. Wenn auch beide Gattungen in ihrer äusseren Form sich sehr nahe zu stehen scheinen, so muss doch betont werden, dass die Unterschiede im Schlossbau sehr bedeutende sind und durch keine verbindende Form überbrückt werden. Ich halte es für wahrscheinlich, dass es sich bei der nicht zu leugnenden Ähnlichkeit in der äusseren Form nur um eine Konvergenz- erscheinung handelt. Dagegen glaube ich v. Wöhrmann durchaus recht geben zu müssen, wenn er Trigonodus von Myoplwria ableitet. Trigonodus unterscheidet sich im Schlossbau eigentlich nur dadurch von Myoplwria^ dass die Verlängerung des Hauptzahns der linken Klappe nach hinten, die bei Myophoria bereits sehr deutlich hervor- tritt, bei Trigonodus zum selbständigen Zahn wird. Wie nahe sich beide Genera in der äusseren Form stehen, lehrt am besten ein Ver- gleich von Myophoria ovata mit Trigonodus rablensis. Trigonodus praeco besitzt vielleicht noch mehr Myophoria- Charaktere als die anderen Arten seiner Gattung. Das spitz aus- gezogene Hinterende, der gerade Schloss- und Hinterrand und die gut markierte Diagonalkante erinnern lebhaft an manche Varietäten von MyopJioria laevigata, wie die auf Taf. HI Fig. 5 abgebildete. Ich nenne die Schwieberdinger Art Trigonodus praeco, weil sie der Vorläufer für den weitverbreiteten und so ausserordentlich häufigen Trigonodus Sandbergeri v. Alb. ist. Ob sich Trigonodus im deutschen Triasmeere von Myophoria abzweigte und ob die drei Arten der deutschen Trias unmittelbar auseinander abzuleiten sind, erscheint mir sehr fraglich. Ich glaube, dass sowohl die Arten des Trigonodus-I)o\Qm\i^ wie die des Keupers {Tr. Hornschuhi BERa. sp.) aus einem Meere einwanderten, das auch das mediterrane Meer von Zeit zu Zeit mit Schlamm- und Uferformen versah, wenn lokale Er- eignisse, wie z. B. vulkanische Ausbrüche, Hebungen etc., dort ihnen geeignete Lebensbedingungen schufen. Myophoria Bronn. Myophoria laevigata v. Alb. sp. — Taf. VI Fig. 1 — 7. Bei weitem das häufigste Fossil der Schwieberdinger Schichten ist Myophoria laevigata; die Art variiert, wie dies bei so massen- haft vorkommenden oft der Fall ist, stark, und ich könnte nach den - 166 — Prinzipien, die für die Ammonitenbestimmung meistens Anwendung gefunden haben, mindestens 5 neue Species schaffen. Ich halte e» jedoch für zweckmässiger , die vom Typus am weitesten sich ent- fernenden Formen als Varietäten auszuscheiden. Hohe Varietäten mit spitzem Wirbel, wie Giebel (1. c. t. 3 f. 1) sie von Lieskau abbildet, sind selten. Am häufigsten sind solche, die einen Kardinalwinkel von ca. 100'', gerade Diagonalkante und massig steil abfallendes Hinterfeld besitzen, wie sie Goldfuss (Petr. Germ. H. t. 135 f. 12 a) abbildet. Diese Formen, die übrigens genau mit denen des Rüdersdorfer Schaumkalks übereinstimmen, möchte ich als den Typus bezeichnen (Taf. VI Fig. 1). Daneben treten Formen auf, die die Tendenz haben, ihre Hinter- seite stark zu verlängern; dadurch entsteht Giebel's (Ncoschisoäus) elongatus (1. c. t. 5 f. 3), den ich jedoch nur als eine Varietät an- sehen kann, die mit dem Typus durch alle Übergänge verbunden ist. Taf. VI Fig. 2 stellt eine extrem verlängerte var. elonyata dar, die mir in einigen Exemplaren vorliegt. Schwieberdingen eigentümlich scheint eine Varietät zu sein, die ich als var. elargata bezeichne (Taf. VI Fig. 3). Das hintere Feld hat sich bei ihr an- sehnlich verbreitert und bildet mit dem Vorderfelde an der Diagonal- kante einen weit flacheren Winkel, als dies beim Typus der Fall ist. Der Schlossrand hinter dem Wirbel ist gerade und schliesst mit dem Hinterrande einen deutlichen Winkel von ca. 130" ein, während bei der typischen Form beide Ränder im Bogen ineinander übergehen. Zu den flachen Formen mit breitem Hinterfelde gehört noch die var. rotunda (Taf. VI Fig. 4), welche im Habitus der vorhergehenden sehr nahe steht. Der Schloss- rand bildet bei ihr jedoch mit dem Hinterrande keinen Winkel, son- dern geht in einem flachen Bogen in ihn über. Schhesslich verschwindet die Diagonalkante fast vollständig und es entsteht eine var. ovalis (Taf. VI Fig. 5), die sich bereits der Mi/ophoria ovata sehr stark nähert. Im Zahnbau ist Myophoria laevigata meist etwas konstanter. Hier sind es vorzugsweise die Hauptzahngrube der linken, bezw. der Hauptzahn der rechten Klappe, die in ihrer Breite starken Ver- änderungen unterworfen sind. Hohe schmale Formen besitzen natur- gemäss eine schmälere, breite Varietäten eine verbreiterte Haupt- — 167 — zahngrube. Wie stark die Veränderlichkeit in dieser Hinsicht ist, wird man am besten an den Fig. 6 und 7 auf Taf. VI erkennen, wo ich zwei extreme Formen nebeneinander gestellt habe. Ziemlich variabel ist ausserdem die Stärke des vordersten Zahnes in der linken Klappe. Die Skulptur besteht durchweg, abgesehen von der Diagonal- kante und den Radiallinien des Hinterfeldes, nur aus einer mehr oder minder kräftigen Anwachsstreifung. Doppelschalige Exemplare, die übrigens selten sind, zeigen ein kurzes, aber sehr kräftiges Ligament, das mit dem der lebenden Trigonia vollständig übereinstimmt. Auf- fallend ist, dass unter den losen Klappen die Zahl der linken un- gefähr dreimal so gross ist, als die der rechten. Myophoria cardissoides v. Schlote, sp. Diese Leitform des Wellenkalkes hat sich bisher nur in einem kleinen, doppelklappigen Exemplar, das aber die Eigentümlichkeiten seiner Art sämtlich aufweist, gefunden. Myophoria vulgaris v. Schloth. sp. — Taf. VI Fig. 8. Seltener, als die vorige, kommt eine Myophoria der vulgaris- Gruppe vor, die in den Sammlungen als vulgaris^ elegans, intermedia und curvirostris liegt und bei den Sammlern meist unter letzterem Namen bekannt ist. 31. elegans unterscheidet sich durch ihre eigen- tümliche Skulptur hinlänglich von sämtlichen Formen der vulgaris- Gruppe, V. Schlotheim's M. curvirostris besitzt 6 radiale Rippen und gehört in die Verwandtschaft von 31. Goläfussii v. Alb. sp. Gold- Fuss' Lyrodoii curvirostris (Petr. Germ. H. S. 198. t. 135 f. 15) ist überhaupt zu streichen, denn er bildet unter dieser Bezeichnung eine Form der vtdgaris-GmpTpe ab, die mit 3£. intermedia bezw. vulgaris ident ist. Es fragt sich demnach nur noch, ob man auf die Schwieber- dinger 3dyoplioria den Namen vidgaris oder intermedia anwenden soll. Nach v. Seebach (Zur Kritik der Gattung Myophoria etc. Nachr. d. kön. Ges. d. Wiss. etc. zu Gott. 1867. S. 375 ff.) unterscheiden sich beide Arten durch den Abstand, den die vordere Rippe mit der Diagonalkante bildet. Das Verhältnis dieses Abstandes zur Länge der Diagonalkante, vom Wirbel aus gemessen, soll bei vulgaris = 1 : 2^4 sein , bei intermedia 1 : 4 übersteigen. Beiden Arten ge- meinsam ist eine feine Längsberippung , die bei erhaltener Schale wie auf Skulptursteinkernen zu sehen ist und die überhaupt für alle Formen der WM^^am-Gruppe charakteristisch ist. Ich habe sie ebenso wie an den beiden ebengenannten Arten bei M. simplex, pes anseris, ■ — 168 — transversa^ StrucJcmanni und Kefersteini beobachten können. Ich habe nun das von v. Seebach als ausschlaggebend bezeichnete Ver- hältnis von Rippenabstand zur Rippenlänge an einer grösseren An- zahl Schwieberdinger Myophorien gemessen und gefunden , dass in dieser Hinsicht unsere Formen in der Mitte zwischen der typischen 31. vulgaris und M. intermedia stehen, insofern als das Verhältnis bei ihnen zwischen 1 : 3 und 1 : 4 schwankt. Da es aber in den meisten Fällen näher an 1 : 3 liegt, glaube ich, die Schwieberdinger Myoplioria mit gutem Gewissen zu M. vulgaris ziehen zu dürfen. Es verdient übrigens hervorgehoben zu werden , dass Formen der vulgär is-GvM^^Q mit sehr engem Rippenabstande nicht auf Letten- kohle und obersten Muschelkalk beschränkt sind, sondern bereits im Wellenkalk auftreten, wie ein von Pröscholdt (Programm der Real- schule in Meiningen 1879) abgebildetes Exemplar beweist. Es muss nach alledem in Frage gestellt werden, ob M. intermedia noch als eigene Art oder nicht besser als Varietät von M. vulgaris aufzufassen sei. Schloss und Ligament von M. vulgaris weichen von dem von M. laevigata nicht ab. Doppelklappige Exemplare sind häufig. Ilyophoria elegans Dünk. — Taf. VI Fig. 9. Diese Art, welche sich durch ihre Berippung leicht von sämt- lichen Arten der Vtdgaris-Gxwi^'^e unterscheiden lässt, ist sehr selten bei Schwieberdingen. Sie ist bekanntlich dadurch ausgezeichnet, dass scharfe, hohe Längsrippen vom Vorderrande bis zu der Furche ziehen, welche vor der Diagonalkante verläuft. Hier werden die Rippen bedeutend schwächer und ihre Zahl verdoppelt sich. Hinter der Diagonalkante vereinigt sich jedoch ein Teil der eingeschobenen Rippen wieder mit den Hauptrippen. Schloss und Ligament an den Schwieberdinger Exemplaren nicht erkennbar. Myoplioria Goldfussii v. Alb. sp. — Taf. VI Fig. 10. Diese Art ist nach M. laevigata die häufigste Myophorie von Schwieberdingen. Sie giebt keine Veranlassung zu besonderen Be- merkungen. Pseudocorbula n. g. Wir kommen nun zu einem der heikelsten und schwierigsten Kapitel der deutschen Triasfauna, zu den sogen. Corbulen. Es sind kleine, meist schlecht erhaltene und unscheinbare Formen, die in der deutschen Trias vom Roth bis zum Gypskeuper verbreitet sind, — 169 — aber erst in der Lettenkohle und speciell im Gypskeuper durch ihr massenhaftes Auftreten wichtig werden. Die älteren Autoren standen diesen Formen ziemlich ratlos gegenüber und brachten sie bei CucuUaea, Nucula, zweifelnd auch schon bei Corbida unter. Erst V. ScHAüROTH vereinigte (Z. d. d. g. G. 1857. IX. S. 119) alle naheverwandten Formen in der Gattung Corbula und unter- scheidet drei Gruppen, die nach seiner Auffassung nur Varietäten eines Typus sind : Corhula gregaria Mstr. sp. „ incrassata Mstr. sp. „ nuculiformis Zenk. sp. C. dubia Mstr. ist, wie v. Schaüroth erkannte, nur ein Synonym für C. gregaria. In der Petrefaktenkunde (1. Aufl. S. 530. t. 44 f. 17) bildet Qüenstedt als Cyclas Keuperina eine Form ab, die, so- weit die schlechte Figur erkennen lässt, mit einer der hohen, kurzen Arten, wie gregaria und incrassata, ident ist. Dagegen bildet v. Al- berti (Überblick t. 2 f. 8 a — c) als C. Keuperina Qu. sp. eine lang- gestreckte Form ab, die sicher nichts mit der QuENSTEorschen zu thun hat. v. Alberti's C? elongata (1. c. S. 122. t. 2 f. 9) gehört wahr- scheinlich nicht zu den triadischen Corbulen. Nun noch ein Wort über „C. friasina". F. Kömer (Verst. a. d. Muschelkalk von Willebad- essen, Palaeontogr. I. S. 314 t. 36 f. 18) beschrieb eine kurze, hohe Form als C? triasina, die v. Alberti ganz mit Recht unter die Synonyma von C. gregaria stellt. Sandberger (Würzb. naturw. Zeitschr. V. S. 221) stellt jedoch v. Schaüroth's Tancreäia triasina (1. c. S. 124 t. 7 f. 1) zu Corbula. Ich habe jedoch feststellen können, dass V. Schaüroth's T. triasina nicht zu Corbula gehört. C. triasina. Sandb. sp. gehört zu den langgestreckten Cor&w/a-Typen und ist ident mit C. Keuperina v. Alb. non Quenst. Soviel über die „Arten" von Corbula in der Trias. Dass das Genus Corbula schon in der Trias vorkommt, ist von vornherein nicht sehr wahrscheinlich, denn sowohl Corbula wie ihre nächsten Verwandten repräsentieren einen ziemlich modernen Typus und haben ihre grösste Verbreitung im Tertiär und in der Gegenwart. Die Frage, ob die bei Corbula geführten Triasformen wirklich zu diesem Genus gehören, lässt sich bei der trefflichen Erhaltung des Schwieberdinger Materials leicht mit nein beantworten. Sämtliche doppelschaligen Formen — es liegen mir über 100 vor — besitzen nämlich ein äusseres Ligament und sind nahezu vollständig gleich- klappig. Zu demselben negativen Resultat führt die Untersuchung - 170 — der Schlosscharaktere. Die Gattung Corhula besitzt bekanntlich in der rechten Klappe einen massiven, nach aufwärts gebogenen Haupt- zahn, hinter dem die grosse dreieckige Zahngrube, in der sich zu- gleich das Ligament befestigt, liegt. Einige Arten, speciell die brakische Untergattung Potamoniya, besitzen auch noch einen hinteren Seitenzahn. In der stets kleineren linken Klappe liegt der Zahn hinter der Haupt- zahn- und Ligamentgrube , und bisweilen ist noch eine kleinere hintere Zahngrube vertreten. Die Zahnformel ist also bei Corhula: L (0) 10 K (1) Ol Bei den triadischen sogen. „Corbulen" besitzt ebenfalls die rechte Klappe den Hauptzahn; er ist, wie der von Corhula, ziemlich lang, massiv und nach oben gekrümmt, läuft jedoch nicht in eine Spitze aus, sondern endigt stumpf löffeiförmig. Auf der Oberseite ist er, wie ein echter Corhula-Zahn, etwas ausgehöhlt. Dieser Hauptzahn, dessen Eindruck auch auf Steinkernen öfters noch gut zu erkennen ist, war wohl für die meisten Autoren die Veranlassung, unsere Trias- formen bedingungslos zu Corhula zu stellen. Hinter dem Haupt- zahn bei den Triasformen fehlt jedoch die breite Zahngrube von Corhula vollständig, dagegen ist vor demselben eine flache runde Zahngrube sichtbar. Dementsprechend besitzt die linke Klappe eine breite Zahngrube für den Hauptzahn der rechten Klappe, und vor ihr einen kleinen runden Zahn, der dem Schlossrande unmittelbar aufsitzt. Die Zahnformel der „Trias-Corbulen" ist also; L Ol R 10 die Unterschiede der echten Corhula von den triadischen „Corbulen" sind also : Corhula. _ Trias- Cor&? -*-j -ti 1 05 Ö <-* a ~u» r/-; d iH ö CO • 1— ) O o 'S c3 Ö cö es h wei eitet. ü > CO 1 o ;h o ^ ■4J f3 *^ *^ > ^ a> Ä C J o ni o o tn • 1— 1 OJ - (\) Hl« (p .i^ (D n3 <» s "ösH CS TS o _ OJ s .S ■'-' s^ S Si <» 13 2 •S ^ -*^ ■^ S .23 C o •— ' rO cS O rH Ü Ö S g^ t/J es -S •s 5U H « a _ o 'S"© So ^ 2 I I I I I I + + + + I + I + + + + + + I I + + + + + + I +' + + I + + + + + + 1 + + + + I + + + + I + I + + + + + I + w Eh O W o cQ m OD 'S > S ."« Co ^ 'S e t 03 CO S ■'S» "^ m m . a Ol Ph CO M m K] hJ o p -^ o o o s ►Jsl S ^ &Q '— s 2 w o w o '« Ä| !- O^ C-v »H o S to ^ o CO -TS xn H CO tS CO C5 O 1-H (M T-H tH (N W (M CO CD C- CO C5 O i-H (M CM (M C<1 (M CO ec CO P4 CO CO CO ■43 g CO CO • • • * CO 33 tn Ph CO pH CO CO P3 . CO P< O" -ä? s • < •s i§ '« o > rv ?2 e • e o xonem . SS. HO CO Cq O o »^ Bf CO CO CO C- CO C5 CO CO CO 200 1^ h« CO 8 o •40 « s s 1 ö 41. Katosira solitaria n. sp. ss 42. Undiüaria scalata v. Scelote. sp. ss. . 43. Eustylus Albertii n. sp. ss 44. Protonerita spirata v. Scelote. sp. hh. 45. „ coarctata Qu. sp. hh. . . 46. Neritaria Dunkeri v. Schaur. sp. s. 47. Hologyra Eyerichi Nötl. sp. ss. . . . 48. Platychilina germanica n. sp. ss. . . 49. Ämauropsis gregaria v. Schlote, sp. s. 50. Nautilus (Temnocheilus) suevicusn.s^.ss. 51. Pleuronuutilus sp. ss 52. Ceratites nodosus de Haan var. densi- nodosus 0. Fr AAS ss 53. Ceratites semipartitus Montf. sp. ss. . — 201 — ist übrigens auch im echten Muschelkalk verbreitet ; auch der inter- essante Ceratites nodosus aus den Buchensteiner Schichten von Recoaro gehört in diese Gruppe. Ein Lobenstück von Ceratites nodosus (Typus), das in thonigem Kalk erhalten ist, stammt wohl nicht aus den eigentlichen Schwieber- dinger Schichten, sondern aus den sie unterlagernden Bänken des echten Nodosus-E^ovizontes. Ceratites semipartitus Montf. sp. Das mir vorliegende Stück von Ceratites semipartitus ist bereits von Eck (Z. d. d. g. G. XXXL 1879. S. 276—279. t. 4 f. 5) beschrie- ben und abgebildet worden. Es ist ein als Steinkern erhaltenes Loben- stück mit 5 Kammerscheidewänden ; besonders auffällig ist, dass sich auf sämtlichen 5 Kammern Spuren des Haftringes in Gestalt grubiger Vertiefungen erhalten haben. Geologische Stellung der Schwieberdinger Schichten. Die petrefaktenreichen Schichten des Hühnerfelds bei Schwieber- dingen wurden von ihrem Entdecker, Oskar Fraas, in das Nodosus- Niveau gestellt. Später hat Eberhard Fraas bei der Revision des Blattes Stuttgart der württembergischen geologischen Karte die Schwieberdinger Fauna in den Triyonodus-DoAoTmt^ und zwar in dessen untere Abteilung versetzt und Th. Engel ist ihm darin in der zweiten Auflage seines bekannten Führers gefolgt. Ich schliesse mich in diesem Punkte vollständig den Anschauungen der beiden letztgenannten Forscher an. Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, rechne ich die 30 cm mächtige Dolomitbank, die unmittelbar unter den weicheren Schwieberdinger Schichten liegt, noch zum Trigonodus- Dolomit und ziehe erst unter ihr die Grenze gegen das Semipartitus- Niveau. Von den Schichten mit Trigonodus Sandbergeri v. Alb., die die höchsten Horizonte des Trigonodus-Dolomits einnehmen und die in dem Steinbruch am Hühnerfeld selbst nicht mehr aufgeschlossen sind, werden die Schwieberdinger Schichten durch ziemlich mächtige, teilweise sehr massige Dolomite getrennt. Die berühmte Fauna von Schwieberdingen liegt also zwischen dem Horizont des Trigonodus Sandbergeri im engeren Sinne , der den Trigonodus-Dolomit nach oben abschliesst, und dem Semipartitus~^i\ ea,u; sie nimmt also das- selbe Niveau ein, wie das reiche, sogen. Muschelkalk-Bonebed von Crailsheim. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Schwieber- dinger fossilreichen Schichten durchaus den Habitus von Strand- — 202 — bildungen besitzen, wie ich bereits hervorhob, so wird man wohl der Wahrheit am nächsten kommen , wenn man in ihnen Bildungen sieht, die in ihrem g eologischen AI ter und in ihrer Ent- stehungsweise dem Crailsheimer Muschelkalkbonebed ungefähr äquivalent sind. Der Annahme, dass die Schwieberdinger Schichten über dem Semipartitus-'^iyea.u., im unteren Trigonodtis-Dolomit liegen, wieder- spricht ihre Fauna nicht. Naturgemäss kommt ein Hauptbestand- teil derselben (25 Arten von 53) bereits im oberen Muschelkalk vor. Auffällig ist immerhin das vollständige Fehlen von Terebratula vulgaris und die grosse Seltenheit mancher Arten , die im oberen Muschelkalk sehr gewöhnlich sind, wie Peden discites , laevigatus, Placunopsis ostracina u. a. Sehr bemerkenswert ist das Vorkommen von Ceratites nodosus und semiparütus , die sich allerdings nur in Bruchstücken und als grosse Seltenheiten gefunden haben; dies scheint zu bekräftigen, dass der Stamm des Ceratites nodosus im deutschen Triasbecken nicht völlig nach Ablagerung der Semipartitus- Schichten ausstarb, wie ja auch der Fund von Ceratites Schmidii im thüringischen Grenzdolomit andeutet. Dass ein sehr grosser Teil der Schwieberdinger Fauna (26 Arten von 53) bereits im unteren Muschelkalk, besonders im Schaumkalk, vorkommt, ist bei den in- nigen, faunistischen Beziehungen zwischen unterem und oberem Muschelkalk nicht verwunderlich. Dass Schwieberdingen scheinbar mehr Arten mit dem unteren als mit dem oberen Muschelkalk ge- meinsam hat, liegt an der vorzüglichen Erhaltung speciell mancher Schaumkalkfaunen, die die Aufstellung zahlreicher Arten ermöglichte, deren Auffindung bei der mangelhaften Erhaltung der Fossilien im oberen Muschelkalk dort bisher nicht möglich war. Die Fauna des Trigonodus-Dolomites im engeren Sinne steht, soweit sie bekannt ist, der Schwieberdinger ziemlich nahe, zeichnet sich aber durch das Auftreten von Trigonodtis Sandbergeri v. Alb., der im Hühnerfeld noch fehlt, und durch die grosse Häufigkeit von Myopiwria Goldfussii v. Alb. sp. aus. Neben zahlreichen weitverbreiteten und wohlbekannten Arten der Schwieberdinger Schichten kommen solche vor, die bisher aus deutschem Muschelkalk nicht beschrieben worden sind und die fast alle selten oder sehr selten gefunden wurden. Diese neuen Arten kann man zweckmässig in zwei Gruppen teilen: Erstens in solche, die wohlbekannten Species der deutschen Trias nahe verwandt sind, und die sich auch wohl in anderen Schichten finden mögen , wenn - 203 — man in ihnen mit demselben Eifer sucht wie bei Schwieberdingen. Zu ihnen gehören Gervillia Fraasi n. sp. , alata n. sp. , Modiola myoconchaeformis n. sp., Pleuromya Ecld n. sp. , Pletfromya sp., Homomya Kokeni n. sp. Die Formengruppen , denen diese Arten angehören, sind sämtlich in der deutschen Trias, z. T. durch sehr gewöhnliche Fossilien vertreten. Eine zweite Gruppe bilden die neuen Arten, die sich mehr oder minder an alpine Formen anschliessen, die teils in Sedimenten der deutschen Trias überhaupt noch nicht nachgewiesen wurden oder doch stets als Einwanderer aus dem Welt- meere betrachtet wurden. Zu ihnen gehören Myoconcha laevis n. sp., Trigonodus praeco n. sp., Tancredia Benechei n. sp., Leda BecM n. sp.,, Tretospira sulcata v. Alb. sp., striata Qu. sp., Katosira solitaria n. sp., Eustylus Alhertii n. sp. , Platychilina germanica n. sp. , Nautilus ( Temnocheilus) suevims n. sp. Diese Arten sind einzig und allein von Bedeutung für die Frage, ob der Schwieberdinger Horizont mit einem Formationsgliede der alpinen Trias in nähere Beziehung zu setzen ist. Die mit anderen Formationsgliedern der deutschen Trias gemeinsamen Arten der Schwieberdinger Schichten sind , wenn sie auch in den Alpen vorkommen , für die Entscheidung dieser Frage völlig unbrauchbar; da der untere Muschelkalk in der deutschen und alpinen Trias zahlreiche Arten gemeinsam besitzt und wie erwähnt, nicht wenig Arten des unteren Muschelkalks noch in Schwieberdingen vorkommen, würde die Hereinziehung dieser Formen zu dem Trug- schlüsse führen, dass unter den alpinen Sedimenten der Muschelkalk im Sinne der älteren Autoren (Recoaro-Stufe bei Bittner) dem Tri- gonodi(S-Do\omit zeitlich sehr nahe steht. 3Iyoconcha laevis n. sp., von der mir nur eine linke Klappe zur Untersuchung vorlag, erinnert an Myoconcha Brunneri v. Hau. sp. aus dem Salvatore-Dolomit, Esino- und Marmolatakalk, besitzt aber deren Radialskulptur nicht. Die Gattung Trigonodus ist in den Alpen auf die Raibler Schichten beschränkt (vergl. v. Wöhrmann, Über die systematische Stellung der Trigoniden und die Abstammung der Najaden, Jahrb. d. k. k. geol. Reichsanst. 1893. S. 21). Stellt man den deutschen Trigonodus- Dolomit noch zum Muschelkalk , wie es wohl am natürlichsten ist, so fehlt die Gattung Trigonodus der Lettenkohle überhaupt; denn die Leitform des Trigonodus-J)o\om\is^ Trigonodus Sandbergeri, steigt nicht in die Lettenkohle hinauf und Tr. Hornschuchi Berg, sp., den V. Wöhrmann irrtümlich (1. c. S. 24) in die Lettenkohle versetzt, liegt in der Lehrbergschicht, also noch über dem Schilfsandstein. — 204 - Jedenfalls wird man sich nicht auf das Auftreten von Trirjonoäus im alpinen und germanischen Triasmeere berufen dürfen, wenn man die Gleichalterigkeit von Lettenkohle und Raibler Schichten zu be- weisen sucht. Die Schwieberdinger Art, Tr. praeco n. sp. , steht augenscheinlich völlig isoliert und verrät weder zu alpinen noch zu ausseralpinen Formen nähere Beziehungen. Isoliert steht auch die interessante Tancredia BenecJcei n. sp. Ob sie zu demselben Genus gehört wie Teilina ? praenuntia Stopp, sp. aus dem Marmolata- und Esinokalk, konnte noch nicht mit Sicherheit festgestellt werden, sicher ist aber jedenfalls, dass sie von der alpinen Art specifisch verschieden ist. Leda Becki n. sp. steht der Cassianer L. sulceUata Mstr. sp. ziemlich nahe. Die Gastropodengattung Tretospira^ die in der deutschen Trias bisher auf die Schwieberdinger Schichten und den gleichalterigen „Cannstatter Kreidemergel" beschränkt zu sein scheint, ist in den Alpen in den Marmolata-, Cassianer und Raibler Schichten vertreten; den beiden deutschen Arten steht Tretospira midtistriata aus den Raibler Schichten vom Schlernplateau am nächsten, ohne dass sie mit einer derselben direkt identifiziert werden kann. Noch weiter verbreitet ist in den Alpen die Gattung Katosira, die in der deutschen Trias bisher nur durch ein Unikum aus Schwieber- dingen repräsentiert zu sein scheint. Diese Katosira solitaria n. sp. steht der Raibler K. fragilis Koken ziemlich nahe, mindestens ebenso nahe aber liasischen Katosiren, so dass aus dem Vorkommen dieser Art wohl keine bestimmten Schlüsse zu ziehen sind. Die Gattung Eustylus ist aus dem Marmolatakalk , den Cassianer Schichten und den Hallstätter Kalken bekannt; der Schwieberdinger EusUjlus er- innert an manche Arten aus der Gruppe des Eustylus milüaris aus den beiden erstgenannten Ablagerungen, ist aber mit keiner derselben zu identifizieren. Ebenso unterscheidet sich Platychüina germanica n. sp. von den in der ladinischen Stufe und in den Raibler Schichten weit verbreiteten Arten, wie bereits in der Speciesbeschreibung her- vorgehoben wurde. Nautilus (Temnocheilus) suevicus n. sp. endlich nähert sich dem Temnocheilus Cassianus E. v. M. , es ist aber zu bemerken, dass dieser Typus in den Hallstätter Kalken wiederkehrt. Dass die Schwieberdinger Fauna gewisse Beziehungen zu der der ladinischen Stufe und den faunistisch dieser nahestehenden Raibler Schichten besitzt, scheint durch das Auftreten der eben besprochenen Arten festzustehen; anderseits erscheint es aber als ebenso sicher, — 205 - class die Schwieberdinger Schichten auf Grund dieser Arten nicht mit einem bestimmten enger abgegrenzten Horizont der alpinen Trias in Verbindung gebracht werden können. Zur Zeit des unteren Trigonodus-BolomitH scheint eine Einwanderung von gewissen Formen in die deutsche Triassee stattgefunden zu haben, wie eine solche für den oberen TrigonocUis-Bolomit und für den Nodosus- Kalk ausser Frage steht. Da aber die neueinwandernden Arten nicht mit alpinen specifisch übereinstimmen , so ist eine direkte Einwan- derung aus dem alpinen Meere kaum annehmbar. Ich bin viel- mehr der Ansicht, dass diese Formen, wie Ceratites nodosus und Trigonodus Sandbergeri, aus einem dritten Meere stammten, das mit dem alpinen wie mit dem germanischen Meere in Verbindung stand; vielleicht war dies dasselbe Meer, in das sich die Fauna des unteren Muschelkalks in der Periode des mittleren Muschelkalks zurückzog, um zur Zeit des Trochitenkalks wieder in die germanische See ein- zudringen. Ich möchte es nicht für ausgeschlossen halten, dass uns in dieser Richtung noch Überraschungen bevorstehen, wie das äusserst merkwürdige Auftreten einer Fauna mit Tr. Sandhergeri in mecklen- burgischen Geschieben eine ist. Der Cannstatter Kreidemergel. Mitte der fünfziger Jahre wurde in Cannstatt ein Bohrloch niedergestossen, dessen Bohrregister uns dank der Beschreibung von 0. Fraas (diese Jahresh. 1857. S. 131 ff.) erhalten ist und das durch v. Alberti zu einer gewissen Berühmtheit gelangt ist. Aus einer Tiefe von ungefähr 55 m wurde nämlich ein weiches, kreideartiges Gestein emporgebracht, das von v. Alberti als „Cannstatter Kreide- mergel" bezeichnet wurde und dessen gut erhaltene Faunula nach ihm in engster Beziehung zu der Cassianer Fauna stehen sollte. Nach V. Alberti's Angaben wäre der „Cannstatter Kreidemergel" für den Vergleich alpiner und ausseralpiner Triasbildungen daher von einschneidender Bedeutung. Die Schichtenfolge im Bohrloch IV bei Cannstatt ist nach v. Al- berti (Überblick S. 21) folgende : 1. Diluvium 22,570 m. 2. Keupermergel, teils in buntem, teils in grauem Farbenwechsel, mehr oder minder sandig oder gypshaltig 35,428 m. 3. Kreidemergel in Verbindung mit vielen organischen, ver- kieselten Resten, welche z. T. ein wahres Kieselgerippe bilden (Cann- statter Kreidemergel) 2,852 m. — 206 — 4. Doloraitischer Kalk (Horizont Beaumont's) 2,570. 5. Graue Sandsteine und Thonmergel der Lettenkohlengruppe undurclisunken 6,060 m. No. 4 ist der obere Dolomit i bei v. Alberti, Grenzdolomit an- derer Autoren, der hier unrichtigerweise mit dem Horizont Beaumont's parallelisiert wird; No. 3, der „Cannstatter Kreidemergel", k bei V. Alberti, bildet also, wie der Autor auch noch weiter ausführt, die Basis des Gypskeupers. Nach v. Alberti ist der „Cannstatter Kreide- mergel" bisher an keiner Lokalität Schwabens im Anstehenden wie- dergefunden worden , was in den schlechten Aufschlüssen und Ver- rutschungen seinen Grund haben soll, unter denen der Gypskeuper mehr wie ein anderes Formationsglied zu leiden habe. Nach V. Alberti scheint somit die geologische Stellung des „Cannstatter Kreidemergels" völlig sicher und über jeden Zweifel erhaben, gehen wir aber auf 0. Fraas' Originalprofil des Bohrlochs IV zurück, so gewinnt die Sache ein ganz anderes Gesicht. Unter einer Decke von 52' mächtigen Diluvialablagerungen liegen 79' bunte und graue, gypsführende Letten; darunter wurde ein vollständiges Letten- kohlenprofil durchsunken, das ich unverkürzt wiedergebe (1. c. S. 137): 16' Thonmergel im Wechsel mit graublauem kieseligen Kalk, 4' kieselreicher Sandstein mit Mergeln, 3' dunkler mergeliger Sandstein, 4' Thonmergel, 17' helle und dunkle Mergel, 5' fester Sandstein mit Schwefelkies, 5' Thonmergel, 2' dunkler Thon (hier die Hauptquelle). Dass dies thatsächlich ein Lettenkohlen- und kein Keuperprofil ist, beweist am besten die Sauerwasserführung, die im ganzen Cann- statter Becken an die Letten der Lettenkohle geknüpft ist. 0. Fraas sagt darüber mit nicht misszuverstehender Deutlichkeit: „Die un- teren Letten der Lettenkohle sind also hier die Sauerwasser* bring er." Erst der Dolomit unter der Letten kohle enthält die Fauna des Cannstatter Kreidemergels. Fraas schreibt darüber (1. c. S. 138): „In No. IV ist der Prozess der Auslaugung noch schöner. Hier ist die 20' mächtige Dolomitbank noch deutlich zu erkennen, aber jede Spur von Kalk- und Bittererde ist verschwunden, es ist nur noch das Kieselskelett der Schichte vorhanden, daraus sämtliche Muscheln des Dolomits verkieselt zum Teil in ausgezeich- neter Pracht zum Vorschein kamen." Die Sandsteine und Mergel, — 207 — die nach v. Alberti unter dem „Cannstatter Kreidemergel" liegen und die Lettenkohle darstellen sollen, sind nach Fkaas nichts anderes als ausgelaugter oberer Muschelkalk. „Wo weiter unten Muschelkalk lagern sollte, sind wieder die Wechsel von Thonmergeln und harten Kalktrümmern, Kieselknauern , Sandkalken; mitunter ward auch die eine oder andere charakteristische Muschel (Fiisus Hehli, GervüUa socialis) heraufgefördert. " Erscheint es demnach aus rein geologischen Gründen bereits als sehr wahrscheinlich, dass der „Cannstatter Kreidemergel" im Niveau des Trigono.dus-Bolomites liegt, so wird diese Annahme durch die Untersuchung seiner Fauna vollauf bestätigt. Durch die Liebens- würdigkeit von Herrn Prof. Eb. Fraas bin ich in den Stand gesetzt, das wertvolle Material einer erneuten Untersuchung unterziehen zu können. Es hat sich dabei herausgestellt, dass die Faunula des „Cannstatter Kreidemergels" zu der Schwieberdinger ausserordentlich nahe Beziehungen aufweist, während sie gleich dieser mit der Cas- sianer Fauna nicht zu parallelisieren ist. Ich muss hier der Ansicht von Fraas und von v. Alberti ent- gegentreten, dass die Faunula des Cannstatter Kreidemergels durch- wegs verkieselt ist. Von den FossiHen, die das Bohrloch IV geliefert hat, sind nur einige wenige verkieselt, die übrigen sind wie in Schwieberdingen in spätigen Dolomit verwandelt. Auch ist, ebenso wie dort, bei den doppelschaligen Stücken nicht selten das Ligament erhalten. Abgesehen von der weiss-grauen Färbung, die die Cann- statter Petrefakten auszeichnet, stimmt also ihr Erhaltungszustand aufs beste mit dem der Schwieberdinger Fauna überein. Dass die Cannstatter Faunula auch sonst die engsten Be- ziehungen zur Schwieberdinger zeigt, ergiebt die nachstehende Revision. Zuerst führt v. Alberti 14 Arten auf, die mit Cassianer Fossilien ident sein sollen. Serpula pygmaea. Das so bezeichnete Stück fand sich nicht mehr unter den Fossilien des „Cannstatter Kreidemergels", jedenfalls war es ein sehr zweifel- haftes Objekt. Pecten di seit es. Ein Bruchstück. Diese Art kommt aber nicht bei St. Cassian vor. Gervillia socialis. Ebenfalls nicht in St. Cassian vertreten. — 208 — Area formosissima. Das einzige, aber sehr gut erhaltene Exemplar, das v. Alberti auf der Etikette als Area formosa Klipst. bezeichnet hat, ist ein typisches Macrodon Beyrichi v. Strome, sp. und hat mit Cucullaea (Macroäon) formosissima d'Orb. sp. gar nichts zu thun. Von der feinen Radialstreifung, die der Cassianer Art eigen ist, ist nichts zu bemerken, die Hinterecke ist spitz, die Hinterseite konkav eingebogen, wie das für die Jugendformen von Macrodon Beyrichi charakte- ristisch ist. Area impressa. Sicher ist die so bezeichnete Art das Fossil, das in v. Alberti's Sammlung als ,,Arca socialis? Giebel" etikettiert ist. Das Stück, das etwras schlechter als das eben besprochene erhalten ist, ist eine ältere Form von Macrodon Beyrichi. Nucula sulcellata. Unter dieser Bezeichnung fanden sich vier schlecht erhaltene kleine Bivalven, von denen zwei überhaupt unbestimmbar sind, die anderen zwei zu Pseudocorhida Sandhergeri gehören. Modiola similis. Münster's Modiola similis ist, wie Bittner (St. Cassian 1. c. S. 42) gezeigt hat, überhaupt zu streichen, da die Art auf ein ganz ungenügend erhaltenes Stück basiert ist. Die Cannstatter Form, die unter der Bezeichnung Modiola similis Münster in v. Alberti's Samm- lung liegt, ist eine neue Art, die ich Modiola. Alhertiana n. sp. — Taf. IX Fig. 8 benenne. Das einzige Exemplar, das aber vorzüglich erhalten ist, besitzt 4 mm Breite, 9 mm Höhe, S^/g mm Dicke. Der Wirbel ist spitzig. Von dem schmalen, hochgewölbten mittleren Teil setzen sich ein vorderer und ein hinterer Flügel scharf ab. Der Ligamentrand ist lang und verläuft geradlinig bis zu der scharf hervortretenden Ecke, die ihn vom Hinterrande trennt. An dieser Ecke erreicht die Form ihre grösste Breite. Die Skulptur besteht aus sehr feinen Anwachsstreifen. Unter den 3Iodiola-kvien der alpinen und deutschen Trias scheint der unserigen keine besonders nahe zu stehen; in manchen Punkten ähnelt ihr etwas Modiola gra- cilis Klipst. aus St. Cassian. — 209 — Modiola dimidiata. Modiola dimidiata Münst. ist nach Bittner „eine zweifelhafte und keineswegs genügend sicher gestellte Art" (1. c. S. 47). Jeden- falls hat die v. Alberti so genannte Form des „Cannstatter Kreide- mergels" keinerlei nähere Beziehungen zu 2IodioIa dimidiata, die nach V. Münster „an die jungen Individuen der Modiola Rillana aus dem Lias erinnert". Das einzige Exemplar dieser neuen Art gehört vielmehr einem ganz eigentümlichen Typus an, der in Schwieberdingen durch Modiola myoconchaeformis n. sp. vertreten ist. Ich schlage für sie die Bezeichnung Modiola cannstattiensis n. sp. — Taf. VI Fig. 9 vor. Das merkwürdige Unikum ist eine kleine Form von 7 mm Breite, 13 mm Höhe, 4 mm Dicke, die durch ihren stark verbreiteten Vorder- und Hinterflügel einen durchaus Myoconchen-ähnlichen Habitus erhält. Dass sie nicht zu Myoconclia gehört, beweist am deutlichsten das Fehlen einer Liga- mentarea. Modiola cannstattiensis steht in der äusseren Form Modiola myoconchaeformis sehr nahe, unterscheidet sich aber durch das Vor- handensein einer scharfen Furche, die den schmalen mittleren Teil von dem breiten vorderen Flügel trennt ; auch der Hinterflügel setzt sich vom Mittelteil deutlicher ab, als bei der Schvvieberdinger Art. Im übrigen besteht die Skulptur nur aus Anwachsstreifen, die etwas gröber sind, als bei der vorigen Art. Mytilus Münsteri Klipst. Unter dieser Bezeichnung liegen in der v. ALBERTi'schen Samm- lung drei Bruchstücke, von denen aber nur eines einem nicht näher bestimmbaren Mytiliden anzugehören scheint. Sie werden in V. Alberti's Verzeichnis nicht erwähnt. Myophoria Whateleyae. Die von v. Alberti so bezeichneten Stücke sind sicher ident mit Myophoria Goldfussii v. Alb. sp. Aiioplophora musculoides? Ich konnte dieses Stück nicht finden ; übrigens kommt die Art bei St. Cassian nicht vor. Natica pulla {Althaussii v. Klipst.). Ident mit Protonerita spirata v. Schloth. sp. Jchreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 14 — 210 — Natica gregar ia. Kommt bei St. Cassian nicht vor. Natica Cassiana. Zwei kleine, grobverkieselte Schneckchen, die vielleicht zu den Jugendformen der vorigen = pullula Quenst. gestellt werden müssen. Ausserdem citiert v. Alberti noch acht Arten, die solchen von St. Cassian äusserst nahe stehen sollen. Davon sind die kleinen Schwämme, die an Achilleum polymorphum v. Klipst. und Ach. pora- ceum V. Klipst. erinnern sollen, höchst fragwürdige Objekte, deren organischer Ursprung kaum nachzuweisen ist. Die Schalen, die v. Al- berti mit Cassianella temiistria Münst. zusammenbringt, gehören zu Gervillia suhcostata. Die mit Isocardia minuta v. Klipst. und Isoc. rostrata Münst. verglichenen Formen sind Bruchstücke von Uni- cardium SchmidU Gein. sp. Die Pleurotomaria, die mit Fleurotomaria Beaumontii v. Klipst. verglichen wird, ist eine Worthenia Leysseri GiEB. sp., Melania Koninckana Münst. = Eustylus Alherüi n. sp., wie bereits erwähnt, und endlich Melania larva v. Klipst. ist eine nicht näher bestimmbare Loxonematide. So viel über die 14 Arten, die nach v. Alberti bestimmt, und über die acht Arten, die wahrscheinlich die Mergel von Cannstatt mit St. Cassian gemein haben sollen. Wie ersichtlich, hat sich auch nicht eine dieser Cannstatter Arten bisher in St. Cassian nachweisen lassen. Über die übrigen Arten des „Cannstatter Kreide- mergels", die V. Alberti citiert, möchte ich mir noch folgende Be- merkungen erlauben: 3IyoconcJia cannstattiensis v. Alb. (Überbhck S. 133. t. 3 f. 1) ist sicher keine Myoconclia. Dass die so bezeichnete isolierte Klappe zahnlos ist, hat der Autor selbst schon hervorgehoben. Was auf seiner Figur den Eindruck einer vorderen Muskelleiste macht, ist eine zufällig bei der Verkieselung des Gehäuses entstandene Wulst. Höchstwahrscheinlich ist dieses Fossil eine Ano- XÜophora lettica Qu. sp., eine 3Tyoconcha ist es ganz sicher nicht. Ein als Nuada midata v. Klipst.? etikettiertes Fossil ist ein Unicardium SchmidU Gein. sp. Fe den Alberti i und Myoconclia gastrochaena, die citiert worden , fanden sich in v. Alberti's Sammlung nicht mehr vor; da ihr Auftreten durchaus nicht unwahrscheinlich ist, führeich sie bei der Aufzählung der Cannstatter Fossilien mit den anderen auf. 211 Ein als „Cyprina Es eher i Giebel?" etikettiertes Fossil, das in der Aufzählung nicht berücksichtigt wurde, ist wahrscheinlich ein Uni- cardium, scheint aber von Unicardium Sclimidii Gein. sp. verschieden. Kurz zusammengefasst hat also die erneute Untersuchung des „Cannstatter Kreidemergels" und seiner Fauna folgendes ergeben: 1. Die von v. Alberti beschriebene Fauna stammt aus stark zersetzten Kalken oder Dolomiten, die unter der Lettenkohle liegen. 2. Der Erhaltungszustand der Cannstatter Fauna ist durchaus derselbe wie der der Schwieberdinger Petrefakten. 3. Von den 21 mit Sicherheit bestimmbaren Arten des „Cannstatter Kreidemergels" sind 17 aus Schwieberdingen bekannt ; darunter sind zwei Arten, die sich an anderen Punkten überhaupt noch nicht gefunden haben. Mit der Cassianer Fauna, mit der v. Alberti sie in erster Linie verglich, hat die Cannstatter keine Art gemeinsam. Übersicht der Fauna des ,, Cannstatter Kreidemergels". Vorkommen Philippi V. Albep.ti, Überblick S. 286, 87 in Schwieber- dingen ? ? cf. Achilleum polymorphtim __ V. Klipst. ? ? cf. Achilleum poraceum v. Klipst. — ?? Serpula pygmaea — 1. Placunopsis ostracina V. SCHLOTH. sp. Ostrea subanomia + 2. Pecten discites v. Schloth. sp. Pecten discites + 3. „ ? Alhertii Gf. „ Albertü 4. Hoernesia socialis v. Schlote. Gervillia socialis + 5. sp. Gervillia subcostata Gf. sp. cf. Cassianella tenuistria + 6. Modiola Alhertiana n. sp. Modiola similis 7. „ cannstattiensis n. sp. ? ,, dimidiata Mytilus Münsteri — 8. 3Iyoconcha gastrochaenaGiEB. Myoconcha gastrochaena + 9. Myophoria vulgaris v.Schloth. sp. Myophoria laevigaia v. Alb. sp. Myoplioria vulgaris + 10. „ laevigata + 11. „ GoldfussÜY. Alb. s^. „ Whateleyae + 12. Pseudocorbula Sandbergeri Nucula sulcellata + 13. n. g. n. sp. Unicardium Schmidii Gein. sp. 1 „ nndata v. Klipst.? cf. Isocardia minuta v. Klipst.? cf. „ rostrata Mstr. 1 1 + 14. Unicardium sp. Cyprina Escheri Gieb. 1 — 14* 212 — Philippi V. Alberti, Überblick S. 286, 87. Vorkommen in Schwieber- dingen 15. Anoplophora lettica Qu. sp. Myoconcha cannstattiensis Anoplophora musculoides + 16. 17. Macrodon Beyrichi V. Strome, sp. Worthenia Leysseri GlEB. { sp. Area formosissima „ impressa cf. Pleurotomaria Beaumontii V. Klipst. + 18. 19. Tretospira sulcata v Eustylus Albertii n. Alb. sp. sp. Pleurotomaria sulcata v. Alb. Melania Koninckana Mstr. + + ? „ larva v. Klipst. — 20. Protonerita spirata V. SCHLOTH. sp. Natica pulla (Althausii) v. Klipst. + 21. Amauropsis gregaria V. ScHLOTH. sp. / { „ gregaria v. Schloth. sp. „ cassiana + Die Stellung des Trigonodus-Dolomits in der deutschen Trias. Über die Stellung, die man dem Trigonodiis-Bolomit zuzuweisen hat, ist man immer noch nicht einig. Die preussische und nach ihrem Vorbild die elsass-lothringische Landesanstalt stellen ihn zur Lettenkohle, und damit nach ihrer Einteilung zum Keuper, während er auf der geologischen Karte von Württemberg, im Einverständnis mit vielen unserer besten Triaskenner, zum Muschelkalk gerechnet wird. In Württemberg war es besonders Oscar Fraas, der im Gegen- satz zu QüENSTEDT die Forderung stellte, den „Malbstein" der Letten- kohle zuzurechnen. Er hat seinen Standpunkt auf S. 13 der Be- gleitworte zum Atlasblatt Stuttgart festgelegt, wo er ausführt: „Die Gründe, welche dem Verfasser die Ansicht aufdrängen, den Malbstein zur Lettenkohlengruppe zu zählen und den Hauptmuschelkalk mit den blauen Kalken abzuschliessen , sind: 1. Nach 400' einförmigen, sich durchweg gleichbleibenden Kalkgebirges stellt sich hier ein neues, ein Dolomitgebirge ein. Petrographischer Grund. 2. Mit diesem Wechsel traten neue Arten gestreifter Myophorien und schlanker Pleuro- phoren in grosser Menge auf und ziehen sich sofort durch die ganze Lettenkohle bis zur unteren Keupergrenze hin. Es reichen zwar die Krebse und Tcrebratula des Muschelkalks in den Malbstein hinein, aber kein Ceratites mehr. Zudem liegt zwischen dem Hauptmuschel- kalk und dem Malbstein an sehr vielen Orten das erste Bonebed mit Fisch- und Saurierresten, namentlich mit dem ersten Ceratodus — 213 — (Höfen), der später im Hohenecker Kalk zum leitenden Fossil der Lettenkohle wird. Palaeontologischer Grund. 3. Der Malbstein bildet in der horizontalen Verbreitung die Unterlage der Lettenkohlenflächen, an den Thalrändern die hohe Stirne. Das geognostische Bild des Ganzen träte viel plastischer hervor, wenn die Farbe der Ebene sich gegen die Farbe des Thaies abhöbe. Orographischer Grund. 4. Der Malbstein ist nur am Neckar hin unmittelbar auf die blauen Kalke abgelagert, an Kocher und Jagst tritt ein kräftiges Lettengebirge zwischen Hauptmuschelkalk und Dolomit. Reichere Bonebeds, dunkle Thone, lichtere Mergel stellen sich ein, ehe die Dolomitbänke zur Ablagerung kommen. Hier wird erst bei der Anlage der Karte die Schwierigkeit zu Tage treten, den Malbstein mit der Grundfarbe des Hauptmuschelkalks statt der Lettenkohle bezeichnet zu haben. Karto- graphischer Grund. Die Kommission war in ihrer VHL Sitzung vom 17. Dezember 1863 abweichender Ansicht und betonte namentlich die längst hergebrachte Ansicht von der Zusammengehörigkeit des Hauptmuschelkalks und des Dolomits und des sandigen Anfangs der Lettenkohle, und wurde Verfasser in Betreff seiner abweichenden Ansicht wegen der Darstellung auf der Karte überstimmt." Soweit Oscar Fraas. Dem gegenüber möchte ich betonen, dass ich seinen ersten, petrographischen, Grund nicht für stichhaltig halten kann. Die Trigonodus-Schichien besitzen eine sehr veränderliche chemische Zusammensetzung, so dass der Ausdruck „Dolomit" nicht in allen Fällen passt ; speciell bei Würzburg, von wo die Bezeichnung ^TrigonodusSchichten"^ stammt, sind dieselben rein kalkig. Gegen den zweiten , palaeontologischen , Grund möchte ich anführen , dass MyopJioria Goldfussii bereits im echten Hauptmuschelkalk vorkommt, dass die Pleurophoren, die ebenfalls dort sich schon finden, wenigstens im unteren Malbstein keineswegs häufig sind und dass die Fauna von Schwieberdingen weit mehr an die Muschelkalk- als an die Lettenkohlenfauna erinnert. Ceratiten treten, wenn auch selten, auch bei Schwieberdingen, und sogar im Grenzdolomit, noch auf. Der dritte , orographische , Grund scheint mir vielmehr gegen als für die Ansicht von Fraas zu sprechen : Der Gegensatz zwischen den im Muschelkalk und Malbstein eingerissenen Thälern zu den Letten- kohlenhochebenen tritt doch ungleich deutlicher hervor, wenn man die Grenze an den obersten Thalrand, statt in den Steilabfall hinein, verlegt. Die Lettenkohle liegt, wie Herr Prof. v. Eck mir gegenüber sehr treffend bemerkte, auf dem Trigonodus-Dolomii^ wie der unterste Lias auf dem obersten Keuper ; und es wird doch wahrlich niemanden — 214 — einfallen, aus orographischen Gründen die obere Keupergrenze in Schwaben anders ziehen zu wollen, als über dem steileren Abhang, den der Pihätkeuper bildet. Dass im nördlichen Schwaben Lettenschichten und lokal auch ein Bonebed sich häufig zwischen die als Glaukonitkalk entwickelten TrigonodusSchichten und den Hauptmuschelkalk einschieben und die Abgrenzung erschweren, soll nicht geleugnet w^erden. Ander- seits treten Schieferthone mit Estherien, wie aus dem Profil Künzelsau der Begleitworte zu den Atlasblättern Mergentheim etc. (S. 17, Eber- hard Fraas) hervorgeht, bereits im Semi23artitus-Wiyea.u auf und fehlen an der Grenze gegen die Trigonodus-lßa.nk. Es würde also eine heillose Verwirrung entstehen, wenn man diese Mergelbänke, die augenscheinlich kein konstantes Niveau einhalten, zur Abgrenzung von Lettenkohle und Muschelkalk benützen würde. Was mich ausser faunistischen und praktischen Gründen be- sonders bestimmt, die Trigonodus-Schichten noch zum Muschelkalke zu rechnen, ist folgende Erwägung: Die obersten Schichten dieses Horizontes sind durch ganz Württemberg faunistisch und öfters auch petrographisch sehr gleichartig entwickelt, ich zweifle also nicht, dass ihre obere Grenze überall dasselbe Niveau innehält. Hingegen ist ihre Mächtigkeit eine äusserst ungleichmässige, sie schwillt am oberen Neckar bis zu 30 m an und reduziert sich bei Neidenfels an der fränkischen Grenze auf 0,20 m. Diese Verhältnisse lassen vermuten, dass die untere Grenze des Trigonodus-Dolomits in sehr verschie- denen Niveaus verläuft, d. h. dass am oberen Neckar die Semipartüus- Zone und vielleicht auch ein Teil der Nodosus-Ka\ke in der Facies massiger dolomitischer Kalke oder Dolomite entwickelt sein mag. Gestützt wird meine Anschauung durch die Beobachtung von Eber- hard Fraas (Atlasblatt Mergentheim etc. S. 19), dass in der Tauber- gegend, wo die Trigonodus-J)o\om\te wieder zu erheblicher Mächtig- keit anschwellen, der Semipartitus-Uonzont fehlt. Ich glaube daher, dass es den praktischen Bedürfnissen des Feldgeologen am besten entspricht, wenn man die Grenze von Muschel- kalk und Lettenkohle über dem Trigonodns-Bolomit zieht und dass man aus faunistischen Gründen nichts gegen diese Abgrenzung ein- wenden kann. Die Grenze von Lettenkohle und Muschelkalk in den Alpen. Ich bin ursprünglich an die Untersuchung der Schwieberdinger Fauna in der Erwartung gegangen, dass die in ihr enthaltenen „al- - 215 — pinen Formen" mir erlauben würden, den Schwieberdinger Horizont in bestimmte Beziehungen zu einem Formationsgliede der alpinen Trias zu setzen. In diesen Erwartungen bin ich, wie ich oben aus- geführt habe, enttäuscht worden. Trotzdem sind die Nachforschungen, die ich in dieser Richtung anstellte, für mich nicht gänzlich erfolglos gewesen ; denn sie haben mir erlaubt, mir ein Urteil über eine Frage zu bilden, die zu den anziehendsten in der gesamten Geologie ge- hört, nämlich über die Parallelisierung der alpinen und ausseralpinen, d. h. deutschen, Triassedimente. Die Frage , wo die untere Keupergrenze in der alpinen Trias zu ziehen sei, oder, etwas anders ausgedrückt, welche Formations- glieder der deutschen Trias als Äquivalente der Cassianer und der Raibler und CarditaSchichten aufzufassen seien, ist seit über dreissig Jahren eifrig diskutiert worden. Ich muss von einer Besprechung der älteren Literatur, die über diesen Punkt existiert, absehen, und will mich auf die beiden jüngst erschienenen Schriften von Benecke (Lettenkohle und Lunzer Schichten, Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i. B. X. 2) und Bittner (Über die stratigraphische Stellung des Lunzer Sandsteins in der Triasformation, Jahrb. d. k. k. geol. Reichsanst. 1897. XXXXVII. 3) beschränken, die fast ausschliesslich diesem Gegenstande gewidmet sind. Die von Benecke vertretene Ansicht ist kurz zusammengefasst folgende: Die Fauna des Muschelkalks überdauert die Lettenkohlenperiode und tritt im Grenzdolomit der Lettenkohle noch einmal mit allen ihren charak- teristischen Eigentümlichkeiten auf. Die faunistische Grenze zwischen Muschelkalk und Keuper verläuft also oberhalb des Grenzdolomits. Mit dieser Grenzlinie, nicht mit der unteren Grenze der Lettenkohle, ist die untere Keupergrenze in den Alpen zu vergleichen, die von einigen Forschern, hauptsächlich Bittner, zwischen der mittleren, kalkarmen (Lunz-Raibler) Gruppe und der unteren Kalkgruppe (Wetter- stein-Esinokalk etc.) angenommen wird. Die Flora der Lettenkohle hingegen ist eine Keuperflora im allgemeinen, und die Lunzer ist ebenso mit der des Schilfsandsteins wie mit ihr in Beziehung zu setzen. Für die Auffassung von Benecke spricht mit Entschiedenheit das von Weiss (Z. d. d. g. G. 1877. S. 257) und anderen beobachtete Gesetz, dass im allgemeinen die Floren der Faunen voraneilen, dass z. B. die Zechsteinfiora bereits mesozoischen, die Rhätflora bereits basi- schen Habitus besitzt. Tritt also eine Keuperflora schon unterhalb der Keupergrenze auf, so beweist sie danach eigentlich nichts anderes, als dass die Keupergrenze richtig gezogen ist. Auch muss ich ge- — 216 — stehen , dass es meinem persönlichen Empfinden besser entspricht, die Lettenkohle zum Muschelkalk statt zum Keuper zu stellen. Eine andere Frage ist, ob die untere Keupergrenze , wenn man sich auf den rein faunistischen Standpunkt stellt, dann bereits unmittelbar über dem Grenzdolomit zu ziehen ist. Hierin muss ich von Benecke's Anschauung entschieden 'abweichen. Ich glaube nicht, dass die Fauna des Gypskeupers neu eingewanderte Elemente enthält, sondern möchte annehmen, dass sie sich aus den letzten Vertretern der aussterbenden Muschelkalkfauna zusammensetzt. Wohlbekannte Muschelkalkformen, wie Myophoria laevigata, vulgaris, elegans und Goldfussii steigen in den Gypskeuper hinauf, was E. E. ScHMm (Jahrb. d. k. preuss. Landesanst. 1883. S. 291) nachgewiesen hat. Cyclas Keuperina, die Benecke mit Myoplioriopis Bostliorni Boue sp. vergleicht, ist nach meiner Auffassung zu dem in den Alpen nicht vertretenen Genus Fseuäocorhula zu rechnen , und kommt bereits im Muschel- kalk vor. Von den Gastropoden scheint, wie Blanckenhorn (Trias am Nordrande der Eifel, Abhandl. z. geol. Specialk. v. Preussen. VI. 2. S. 107) nachweist, besonders die im Muschelkalk verbreitete Gruppe der Amauropsis (Natica) gregaria v. Schloth. sp. vertreten zu sein. Die Arten von Anoplophora und Pleuromya, die im Gyps- keuper noch vorzukommen scheinen, sind wenig charakteristisch, dürften aber am leichtesten auf Arten der Lettenkohle zurückzuführen sein. Endlich Myophoria Kefersteini Mstr. = BaihJiana Boue sp. Es ist eine Thatsache, dass eine Myophoria, die mit der Myoph. Kefersteini aus den Raibler Schichten ident oder äusserst nahe ver- wandt ist, im Gypskeuper vorkommt; hätte ich daran früher ge- zweifelt, so hätten mich die Abgüsse der v. SANDBERGER'schen Originale davon überzeugen müssen, die Herr Prof. Benecke mit gewohnter Liebenswürdigkeit mir übersandte. Ganz unbedingt wäre das Vor- kommen von 3Iyoph. Kefersteini Mstr. von ausschlaggebender Be- deutung, wenn nicht in der Lettenkohle in Myoph. transversa Strückm. eine sehr nahe verwandte Form existierte, die E. E. Schmid (1. c. S. 291) sogar mit ihr identifizieren will. Ich muss gestehen, dass ich, bei den engen Beziehungen zwischen 3Iyoph. transversa Struckm. zu 31yoph. Kefersteini Mstr. aus dem Gypskeuper, ebenfalls zu der Ansicht neige, dass die letztere aus der in der Lettenkohle häufigen Art hervorgegangen, bezw. dass sie nur eine Varietät derselben sei; jedenfalls scheint mir eine Notwendigkeit, eine Einwanderung aus dem alpinen Meere in diesem Falle anzunehmen, durchaus nicht vor- zuliegen. Ich glaube daher, dass man durch faunistische Gründe — 217 — nicht dazu geführt werden kann, den Gypskeuper mit den Raibler Schichten in Parallele zu stellen, dass im Gypskeuper keine alpinen Arten einwanderten, sondern dass in ihm die alte Muschelkalkfauna allmählich erlosch. Ich bin daher der Ansicht, dass mit der Verschiebung der un- teren Keupergrenze , wie sie Benecke vorschlägt , für den Vergleich alpiner und germanischer Triassedimente nicht viel gewonnen ist. Erstens, weil die faunistische Grenze des Muschelkalks noch höher zu liegen scheint als sie von Benecke angenommen wird, und zweitens, weil es wohl behauptet, aber keineswegs bewiesen ist, dass die untere Keupergrenze in den Alpen mit der Grenze der unteren Kalkmasse (Esinokalk-Schlerndolomit) gegen die Raibler oder CarditaSchichien zusammenfällt. Bei diesem Punkte angelangt, jnüssen wir uns den Anschauungen von Bittner zuwenden, die am schärfsten in folgenden Worten seiner letzten Arbeit ausgesprochen sind. „Und da diese natürliche Fünfteilung der alpinen Trias den heute noch allgemein angenommenen, ebenfalls natürlichen fünf Haupt- gruppen der deutschen Trias aufs beste entspricht, so glaubte und glaube ich hinreichenden Grund zu haben zur Annahme, dass diese Übereinstimmung keine zufällige, sondern ebenfalls eine in natürlichen Verhältnissen begründete sei Da sich nun die natürliche mittlere, kalkarme Gruppe der alpinen Trias , die Lunz-Raibler Gruppe , mit der ebenso natürlichen mittleren Gruppe der deutschen Trias, der Lettenkohlengruppe, auf dem Wege dieses Vergleiches zu decken scheint, somit die schon von Stur behauptete und mit Gründen be- legte Anschauung von der Äquivalenz der Lunzer Sandsteine mit der Lettenkohle auch auf diesem Wege als zunächstliegend zu Tage tritt, habe ich darin einen wesentlichen Stützpunkt für deren Richtigkeit zu erkennen geglaubt und — ganz so wie Stur — daraus sofort auf den Muschelkalkcharakter sämtlicher in den Alpen darunter liegenden ohnehin aufs engste miteinander verknüpften Ablagerungen der unteren Kalkgruppe geschlossen." (Jahrb. d. k. k. geol. Reichs- anst. 1897. XXXXVII. 3. S. 431.) Zuerst ein Wort über die Fünfteilung der alpinen und ausser- alpinen Trias. Die Fünfteilung der alpinen Trias, wie sie Bittner nach vorwiegend lithologischen Gesichtspunkten vorgenommen hat (wie die Bezeichnungen untere, mittlere, obere kalkarme, untere und obere Kalkgruppe besagen) , besitzt den Vorzug grosser Einfachheit und passt sich im allgemeinen den natürlichen Verhältnissen gut an. Jedenfalls kann mit diesen Bezeichnungen der mit alpinen Verhält- — 218 — nissen nicht vertraute Geologe einen gewissen Begriff verbinden, was ich bei den älteren und jüngeren Namen, mit denen uns v. Mojsisovics überschüttet hat, für ausgeschlossen halte. Die Fälle, in denen z. B. die untere Kalkgruppe überwiegend aus kalkarmen Gesteinen, die mittlere und obere kalkarme Gruppe aus Kalken und Dolomiten be- steht, dürfen immerhin als Ausnahmefälle gelten und werden der Verbreitung der BiTXNER'schen Einteilungsweise nicht im Wege stehen. Nach eben diesen lithologischen Momenten kann man aber in der deutschen Trias nur drei Stufen unterscheiden, Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper. Den Gegensatz der alpinen und ausser- alpinen Trias in lithologischer Beziehung und die Beziehungen der deutschen Triasglieder zu einander hat wohl Süess am schärfsten mit den Worten charakterisiert: „Die klastischen und sublitoralen, lacustren und salinaren Ablagerungen treten in der deutschen Trias weit mehr hervor, und in ihrer triadischen Anordnung, Buntsandstein, Muschel- kalk und Keuper, stellt sich diese Entwickelungsform als das Beispiel eines Cyklus mit der Linse von Kalkstein in seiner Mitte dar." Die Abgliederung des Rhät in der deutschen Trias erfolgte aus rein faunistischen , nicht aus lithologischen Gründen. Hätte man in den Mergeln und Sandsteinen der obersten Keuperschichten nicht eine besondere, mit der des offenen Weltmeeres wieder über- einstimmende Fauna aufgefunden, ich glaube, es wäre niemandem eingefallen, hier eine besondere Stufe abzugliedern. Die faunistische und floristische Unselbständigkeit der Lettenkohle ist von Benecke u. a. bereits hervorgehoben worden, in lithologischer Beziehung bietet sie ebenfalls kaum etwas Eigenartiges. Die Bonebeds und Estherien- bänke kommen im Muschelkalk bereits vor, letztere wiederholen sich bekanntlich auch im Gypskeuper, der Lettenkohlensandstein ist manch- mal im Handstück vom Schilfsandstein nicht zu unterscheiden und der Grenzdolomit steht Muschelkalkgesteinen (mittlerer Muschelkalk) lithologisch sehr nahe. Aber selbst wenn die Lettenkohle ein litho- logisch, floristisch und faunistisch vollständig selbständiges Gebilde wäre, könnte man sie stratigraphisch nicht den grossen Formations- gliedern, wie Muschelkalk und Buntsandstein, gleichstellen, sondern nur Unterabteilungen derselben, etwa mittlerem Muschelkalk etc. Gesetzt nun den Fall, es existierten wirklich in der deutschen wie in der alpinen Trias fünf ungefähr gleichwertige lithologische Gruppen, so müsste, wenn „diese natürliche Fünfteilung der alpinen Trias den heute noch allgemein angenommenen, ebenfalls natürlichen fünf Haupt- gruppen der deutschen Trias aufs beste entspricht", die Reihenfolge — 219 — der Gruppen in der deutschen Trias dieselbe sein wie in der alpinen, d. h. es musste hier wie dort ein Alternieren kalkreicher und kalk- armer Gruppen stattfinden. Thatsächlich folgt auf die untere kalk- arme Gruppe auch in der deutschen Trias eine untere Kalkgruppe (Buntsandstein und Muschelkalk). Die Lettenkohle im Gegensatz zum Muschelkalk als mittlere kalkarme Gruppe zu bezeichnen, kann Bedenken erregen, mag aber noch hingehen. Darüber sollte nach Bittner's Schema eine obere Kalkgruppe kommen, es folgt aber der bekanntlich sehr kalkarme Keuper. Die obere kalkarme Gruppe, das Rhät, ist in manchen Gegenden Deutschlands gegenüber dem Keuper noch als kalkreich zu bezeichnen. In der oberen deutschen Trias stimmt also Bittner's der alpinen Trias entnommene Fünfteihmg nicht mehr. Die, nach lithologischen Momenten gezogene Grenze zwischen III und IV, zwischen Lunzer Schichten und Opponitzer Kalk, besagt, dass auf kalkärmere Sedimente wieder kalkige folgen. Die Grenze zwischen Lettenkeuper und Gypskeuper aber besagt, dass hier ver- hältnismässig kalkarme Schichten von noch viel kalkärmeren über- lagert werden. Wie diese beiden Grenzlinien, nur nach der Gesteins- beschaffenheit, miteinander identifiziert werden können, ist mir un- verständlich. Wenn der Inhalt und die Grenze von III und IV in der alpinen und in der deutschen Trias einen so grundverschiedenen Charakter besitzen, so wird es mir Bittner nicht verübeln, wenn ich mich gegen die Grenze von II und III, die vielumstrittene untere Keupergrenze, etwas skeptisch verhalte. Nach dem eben Besprochenen kann ich die Notwendigkeit nicht einsehen, mit der die Grenze von Muschelkalk und Lettenkohle (die, wie erwähnt , bei den deutschen Geologen recht verschieden gezogen wird) mit der lithologischen Grenze der unteren Kalkgruppe gegen die mittlere kalkarme Gruppe in den Alpen zusammenfallen muss. Weswegen soll gerade hier, während das in anderen Triasschichten nicht der Fall ist, .die Ände- rung der Sedimentation im gleichen Sinne und gleichzeitig im Welt- meer und im germanischen Becken erfolgen. Sehen wir doch, dass Ereignisse, die die germanische See in der fühlbarsten Weise treffen, wie die Bildung von Gyps- und Steinsalzlagern und ä(ie zeitweilige Unterbrechung fast allen organischen Lebens zur Zeit des mittleren Muschelkalks , sich im alpinen Meere , wo sie sich zwischen den Brachiopodenschichten des Muschelkalks und den Buchensteiner Kalken bemerkbar machen mussten, in keiner Weise verfolgen lassen. Mir scheint aus allen diesen Punkten hervorzugehen, dass die germanische und alpine Trias , vom unteren Muschelkalk an , litho- — 220 — logisch inkommensurabel sind; was aber für einen Vergleich ihrer Sedimente noch mehr ins Gewicht fällt, ist, dass sie vom unteren Muschelkalk an auch faunistisch inkommensurabel werden. Der alpine Muschelkalk im älteren Sinne, d. h. bis zur TrinodosiisStuie inklusive, steht, wie schon oft hervorgehoben, dem deutschen unteren Muschel- kalk sehr nahe. Dass im Muschelkalk von Recoaro die meisten Formen mit Arten des deutschen Wellenkalkes ident sind, ist längst bekannt; aber auch die Fauna des übrigen alpinen Muschelkalkes steht der deutschen Wellenkalkfauna nahe genug. Ich wähle zum Vergleich den lombardischen alpinen Muschelkalk , weil dessen Fossilien vor kurzer Zeit durch Tommasi (La Fauna del calcare conchigliare [Muschel- kalk] di Lombardia. Pavia 1894) einer erneuten Bearbeitung unter- zogen worden sind. Wir finden da, um nur einiges herauszugreifen, Terebratula vulgaris, Lima lineata und striata, Hinnites comptus, Peden discites und laevigatus, Macrodon Beyrichi, Myophoria vul- garis, Goldfiissi elegans, AnopJopliora omisculoides, Lucina Schmidt, Thracia mactroides, Natica Gaillardoti und gregaria u. a. m. Von 86 Arten des lombardischen Muschelkalks finden sich nach Tommasi 38 im deutschen Muschelkalke wieder! Speciell ein Teil der Cephalopoden des alpinen Muschelkalkes taucht, wenn auch nur in wenigen und seltenen Arten, im deutschen unteren Muschel- kalk auf. Vertreter der Gruppe des Ceratites hinodosus und trino- dosus und der Gattungen Äcrochordiceras und Ptychites sind in Deutschland nachgewiesen worden. Man darf behaupten, dass zur Zeit des unteren Muschelkalkes die Fauna des alpinen Meeres, wenn sie auch viel reicher war, mit der des deutschen Triasmeeres in wesentlichen Punkten Übereinstimmung zeigte. Das ändert sich aber in der darauffolgenden Periode, der ladinischen Stufe Bittner's, der alten norischen Stufe v. Mojsisovics'. Die Muschelkalkfauna wird allmählich aus dem alpinen Meere verdrängt, am raschesten weichen die Cephalopoden, am zähesten scheinen sich die Brachiopoden und Bivalven gehalten zu haben. Diese letzteren besitzen im Marmolata- kalk und vielleicht auch im Esinokalk noch vorwiegend Muschel- kalkhabitus, wiewohl ihre Arten meist nicht mehr mit Muschelkalk- arten identifiziert werden können. In den Cassianer Schichten treten hingegen zahlreiche neue Formenkreise auf, gegen die die wenigen Gruppen, die freilich mit abgeänderten Arten aus dem Muschelkalk persistierten, vollständig zurücktraten. Thatsächlich konnte bisher auch nicht eine einzige Zweischalerart des deutschen Muschelkalks in der überaus reichen Fauna von St. Cassian nachgewiesen werden. — 221 — Die nahen Beziehungen der Raibler Fauna zur Cassianer sind be- kannt; wenn aber Bittner auf Grund dieser anerkannten That- sache behauptet: „Wir haben auch über den Lunzer Schichten eine Muschelkalkfauna" (1. c S. 444), so ist das unrichtig, denn die Cassianer Schichten beherbergen, wie gesagt, eben keine Muschel- kalkfauna. Dass die Cassianer Fauna über den Lunzer Schichten noch einmal auftritt, ist ein sehr interessantes und bemerkenswertes Faktum, das aber in keinerlei Zusammenhang steht mit der That- sache, dass die Muschelkalkfauna in der deutschen Trias bis zum Grenzdolomit und noch über ihn hinaus persistiert. Während nach Ablagerung der Recoaro-Stufe im alpinen Meere die Fauna sich mehr oder weniger rasch veränderte, lebte im deut- schen Muschelkalkmeere nach einer kurzen Unterbrechung zur Zeit des mittleren Muschelkalks die Fauna des unteren Muschelkalks in ihren wesentlichsten Bestandteilen fort. Eine direkte Einwande- rung aus dem alpinen Meere scheint nicht stattzufinden, wenigstens stimmen die in das Meer des oberen deutschen Muschelkalks ein- wandernden Formen fast ausnahmslos nicht specifisch mit alpinen überein, wenn sie auch alpinen Gattungen angehören. Dies scheint zu beweisen, dass sie entweder einen sehr weiten Weg von ihrer alpinen Heimat bis zum deutschen Muschelkalkmeere zurücklegten oder dass sie aus einem dritten Meere stammten, das dem alpinen und dem germanischen Meere zwar gleiche Gattungen, aber nicht idente Arten lieferte. Jedenfalls sind diese Einwanderer zur genauen Parallelisierung alpiner und ausseralpiner Horizonte nicht geeignet. Die alpine und die germanische Triasfauna schlagen nach der Zeit des unteren Muschelkalks ganz andere Entwickelungsrichtungen ein und sind nicht mehr direkt miteinander vergleichbar. Dies zeigt deutlich die verhältnismässig reiche Fauna von Schwieberdingen, die vage Beziehungen zur Marmolata-, Cassianer und Raibler Fauna zu- gleich zeigt. Unter diesen Verhältnissen ist der von Tornqüist ge- machte Fund von Ceratites nodosus bei Recoaro von besonderer Bedeutung, da er darauf hindeutet, dass die Grenze von Lettenkohle und Muschelkalk in den Alpen nicht allzu hoch über den Buchen- steiner Schichten und wahrscheinlich noch innerhalb der unteren Kalkmasse Bittner's verlaufen mag. Da für einen Vergleich dieser alpinen und ausseralpinen Sedi- mente die tierischen Versteinerungen fast völlig versagen , so hat man versucht, durch eine Vergleichung der pflanzlichen Fossilien zum Ziele zu kommen. Ganz besonders Stur war es, der in den Pflanzen — 222 — der Lunzer Schichten Äquivalente der deutschen Lettenkohlenflora erblickte, und Bittner schloss sich ihm aufs engste an. An Stür's Ansichten ist gar nicht zu zweifeln, wenn man die Sätze liest, die er in einer seiner letzten Publikationen (Die obertriadische Flora der Lunzer Schichten und des bituminösen Schiefers von Raibl, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 1885. IIL Bd. S. 7) diesem Gegenstande widmet: „Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass diese Flora der Lunzer Schichten in den nordöstlichen Alpen vollkommen ident und gleichwertig ist, mit jener Flora vorerst, die Heer in seiner Urwelt der Schweiz (1865. p. 47) , ferner in seiner Flora fossilis Helvetiae (1877. 2. Abt.) von der „Neuen Welt" an der Birs bei Basel aus- führlich beschrieben hat," und wenige Zeilen weiter: „Ferner unter- liegt es keinem Zweifel, dass die Flora der Lettenkohle in der Um- gegend von Stuttgart, wie Haidinger schon vor vielen Jahren erkannt hatte, ident ist mit der Flora unserer Lunzer Schichten." Trotz dieser so bestimmt ausgesprochenen Ansicht eines so sorgfältigen Arbeiters wie Stur halte ich die Frage der Altersgleichheit oder Verschiedenheit für Lettenkohle und Lunzer Schichten noch nicht für definitiv gelöst. Stur giebt in seiner eben angeführten Publi- kation ein Verzeichnis der Lunzer Pflanzen, in dem er 17 Gattungen mit 58 Arten citiert. Unter diesen 58 Arten der Lunzer Schichten sind 45 von Stur neu benannt. Die neueste Übersicht der Letten- kohlenflora hat Benecke (1. c. S. 21) zusammengestellt. Ein Ver- gleich derselben mit Stür's Verzeichnis ergiebt folgendes Resultat: Von den 17 Gattungen der Lunzer Schichten werden nur sechs aus der Lettenkohle citiert, von den 58 Arten aber im ganzen nur vier: Danaeopsis marantacea Presl sp. , Equisetnm arenacenm Jag. sp., Pterophylhtm longifolinm Jag. und brevipenne Kurr. Dagegen haben, nach den SiuR'schen und BENECKE''schen Verzeichnissen, die Lunzer Schichten und der Schilfsandstein ebenfalls vier Arten gemein- schaftlich , nämlich : Eqiiisetum arenaceum Jag. sp. , Clathropteris reticulata Kurr, Pterophyllum brevipenne Kurr und FteroplujUmn longifolium Jag. So sieht also an der Hand der neuesten Fossillisten die weitgehende Übereinstimmung zwischen Lettenkohle und Lunzer Schichten aus! Aus diesen Daten scheint mir mit Sicherheit hervorzugehen, dass die Flora der Lunzer Schichten wie die der Lettenkohle und des Schilfsandsteins einer gründlichen Revision unterzogen werden muss, ehe man über die näheren Beziehungen dieser Floren zu ein- ander auch nur ein Wort verlieren kann. Dies ist auch die An- — 223 — schauung eines durchaus unparteiischen Beurteilers, des Herrn Dr. PoTONiE in Berhn, der mir auf mein Befragen in der liebens- würdigsten Weise Auskunft gab. Meine Anschauung über die Beziehungen zwischen alpiner und germanischer Trias ist ungefähr folgende, wenn ich das vorher Ge- sagte kurz zusammenfassen darf. Den fünf natürlichen, lithologischen Gruppen der alpinen Trias stehen die drei alten lithologischen Gruppen der deutschen Trias gegenüber. Von den Grenzlinien, die, wohl- verstanden nach lithologischen Gesichtspunkten, gezogen werden können, ist nur die Buntsandstein-Muschelkalkgrenze für alpine und germanische Trias gemeinschaftlich durchzuziehen. Dass die Grenzen, die in der oberen Trias in den Alpen wie in Deutschland nach lithologischen Momenten abgesteckt wurden, auch nur in einem Falle miteinander übereinstimmen , ist unwahrscheinlich , zum mindesten unbewiesen. Auch die Faunen geben keine genügenden Anhalts- punkte für einen Vergleich der alpinen und germanischen oberen Trias; denn sie haben sich, von der Zeit des unteren Muschelkalks an, in ganz verschiedener Weise entwickelt, ohne sich gegenseitig direkt zu beeinflussen oder Formen direkt auszutauschen. Eine Ausnahme scheint bis heute nur Ceratites noäosns zu machen. Ob so nahe Beziehungen zwischen den Floren der Lettenkohle und der Lunzer Schichten bestehen , dass man mit Stür und Bittner ein gleiches Alter dieser Ablagerungen annehmen kann, bedarf noch des Beweises; die bisherigen Daten er lauben j edenfalls einen so weitgehenden Schluss nicht. Ich stehe in der Frage der Parallelisierung alpiner und ausser- alpiner Sedimente auf dem Standpunkt, den Benecke vor dreissig Jahren einnahm, als er in seiner bekannten Schrift „Über einige Muschelkalk-Ablagerungen der Alpen" (Geogn.-pal. Beitr. IL S. 62) sagte: „Unter allen zwischen alpinen und ausseralpinen Triasbildungen gezogenen Parallelen hat keine eine gleiche Anerkennung gefunden, als die von Oppel und Süess zuerst ausgesprochene Gleichstellung der Kössener Schichten und der obersten Keuperschichten Schwabens. Mit Recht bezeichnet man auch das Jahr 1856 als ein epoche- machendes in der Geschichte der Alpen-Geologie. Seitdem sind mancherlei weitere Versuche gemacht worden, auch die tiefer liegen- den Schichten in Übereinstimmung zu setzen, ohne dass man jedoch viel weiter gekommen wäre, als die drei ausseralpinen Glieder der Trias im grossen und ganzen wiederzuerkennen. Auch dies gilt eigentlich nur von dem bunten Sandstein und dem Muschelkalk, — 224 — denn der alpine Keuper trägt in sich selbst nur wenig Kennzeichen, welche an ausseralpine Bildungen gleichen Namens erinnern." In den dreissig Jahren, die verflossen sind, seitdem Benecke diese Worte niederschrieb, hat sich unsere Kenntnis, speciell der alpinen Triasfaunen, ganz ausserordentlich erweitert. Aber gerade durch die neuen und eigenartigen Gestalten, die die alpine Trias in reicher Fülle geliefert hat, ist die Kluft zwischen ihr und der ger- manischen Trias nicht überbrückt, sondern im Gegenteil vertieft worden. So lange man für einen Vergleich alpiner und ausseralpiner Keuperschichten nicht mehr Anhaltspunkte besitzt, als heute , muss man sich begnügen, in den Alpen „die drei ausseralpinen Glieder der Trias im grossen und ganzen wiederzuerkennen" und ist es vor- läufig, wie vor dreissig Jahren, nicht möglich, „auch Unterabteilungen des Keupers der beiderseitigen Gebiete schärfer miteinander in Ver- gleich zu ziehen." Erklärung zu Tafel lY— IX. Tafel IV. Fig. 1. Hoernesia socialis v. Schloth. sp., von der linken Seite. S. 155. „la. „ „„„ „ von der Oberseite. „Ib. „ „ „ „ „ von der rechten Seite. „2. „ „ „ „ „ Schloss der linken Klappe. Vorderer Kardinalzahn senkrecht zur Längsrichtung der Ligamenttläche. Innere Stütze der Schlossplatte und Bucht davor deutlich. , 3 u. 4. Hoernesia socialis v. Schlote, sp. , Schloss der linken Klappe, die beiden Kardinalzähne annähernd parallel. S. 155. „ 5. Hoernesia socialis v. Schloth. sp., Schloss der linken Klappe, der hintere Kardinalzahn in „Cucnllaeenartige" Reihenzälmclien aufgelöst. S. 155. „ 6. Gervillia Goldfussi v. Strome, sp. , flaches Exemplar, von der linken Seite. S. 156. „ 6a. Gervillia Goldfussi v. Strome, sp., von der Oberseite. j,6b. „ „ »n » '^'on der rechten Seite. j, 7. „ „ „ „ „ geblähtes Exemplar, von der linken Seite, vergrössert. S. 156. „ 7 a. Gervillia Goldfussi v. Strome, sp., von der Oberseite. „8. „ suhcostata Gf. sp., linke Klappe. S. 158. „9. , Fraasi n. sp., von der linken Seite, vergrössert. S. 157. „9 a. „ „ „ „ von der Oberseite, vergrössert. „9 b. „ „ „ „ von der rechten Seite, vergrössert. „ 10. „ alata n. sp., von der linken Seite, vergrössert. S. 157. „10 a. „ „ „ „ linke Klappe von innen, vergrössert. Die Originale der Fig. 1—5 und 7 befinden sich in der Tübinger Uni- versitätssammlung, die der Fig. 6, 8—10 im K. Naturalienkabinett in Stuttgart. — 225 — Tafel V. Fig. 1. Modiola cf. triquetra v. Seeb., von der linken Seite, vergrössert. S. 158. ,, 1 a. „ „ „ » j) '^OD der Hinterseite. „ 2. „ w?/oconcÄfflf/ö?-»iis n. sp., von der rechten Seite, vergrössert. S. 159. ,, 2 a. „ „ von der Hinterseite. „ 3. Myoconcha laevis n. sp., linke Klappe, Aussenseite. S. 162, „ 3 a. „ ,, „ „ linke Klappe, Innenseite. ., 4. „ gastrochaena Gieb. sp., von der rechten Seite. S. 163. ,, 4 a. „ ., .. ., von der Oberseite. ,, 5. Pseudocorhula Sandbergeri n. g., n. sp., von der linken Seite, vergrössert. S. 171. ,, 5 a. Pseudocorhula Sandbergeri n. g., n. sp., von der Oberseite. „ ob. „ „ „ „ „ „ von der Vorderseite. „6. ,, ,, ,, „ „ „ var. ^rje^aroiVZes von der linken Seite, vergrössert. S. 173. ,, 6a. Pseudocorbula Sandbergeri n. g., n. sp., von der Oberseite. „ 6 b. „ „ „ „ „ „ von der Vorderseite. „ 7. „ „ „ ,, „ „ Schloss der linken Klappe, ver- grössert. S. 170. ., 8. Pseudocorbula Sandbergeri n. g. , n. sp. , Schloss der rechten Klappe, Vorderansicht, vergrössert. S. 170. „ 8 a. Pseudocorbula Sandbergeri n. g. , n. sp. , Schloss der rechten Klappe, Seitenansicht. „ 9. Unicardium Schmidii Gein. sp., von der linken Seite. S. 175. „ 9 a. „ „ „ ,, von der Oberseite. ,, 9 b. ,, ,, ., „ Innenseite. Die Originale der Fig. 1 — 3 und 8 befinden sich in der Tübinger Uni- versitätssammlung, die der Fig. 4, 5, 7, 9 im K. Naturalienkabinett in Stuttgart; von Fig. 6 in der Sammlung des Herrn Dr. Beck in Stuttgart. Tafel VI. Fig. 1. Mgoplioria laevigata v. Alb. sp. , Typus, von der linken Seite. S. 165. „ la. „ „ „ „ „ Typus, von der Oberseite. ,, 2. ,, „ „ ,, „ var. elongata, linke Klappe. S. 166. 3. ,, „ „ „ ,, var. elargata , linke Klappe. S. ,166. 4. „ „ „ „ „ var. rotunda, linke Klappe. S. 166. 5. „ „ „ „ „ var. ocalis, rechte Klappe, vergrössert. S. 166. „ 6. Myoplioria laevigata v. Alb. sp. , Schloss der linken Klappe, mit sehr schmaler Hauptzahngrube. S. 167. ,, 7. Myoplwria laevigata v. Alb. sp. , Schloss der linken Klappe , mit sehr breiter Hauptzahngrube. S. 167. ,, 8. Myoplwria vulgaris v. Schlote, sp. , von der linken Seite, vergrössert. S. 167. „ 8 a. Myoplwria vulgaris v. Schloth. sp., von der Oberseite. ., 9. ,, elegans Dünk., linke Klappe, vergrössert. S. 168. „ 10. „ Goldfussii v. Alb. sp. , linke Klappe , vergrössert. S. 168. „ 10 a. „ ,, ,, ,, „ von der Oberseite. Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 15 5) — 226 — Fig. 11. Trigonodus praeco ii. sp., von der linken Seite, vergrüssert. S. 163. „ IIa. „ „ „ „ von der Oberseite. „ 12. Tancredia Beneckei n. sp., von der linken Seite, vergrössert. S. 173. „ 12 a. „ ., „ ,, von der Oberseite. Die Originale der Fig. 1 — 7 und 10 befinden sich in der Tübinger Uni- versitätssammlung, die der Fig. 8, 9, 11 und 12 im K. Naturalienkabinett in Stuttgart. Tafel VII. Fig. 1. Leda BecTci n. sp., von der linken Seite, vergrüssert. S. 176. ,, la. ,, ,, „ „ von der Oberseite. ,, 2. Komomya KoJceni n. sp., von der linken Seite. S. 179. „ 2 a. „ „ ,, ,, von der Oberseite. ,, 3. Pleuromya n. sp., von der rechten Seite. S. 179. „ 3 a. „ „ „ von der Oberseite. „ 4. „ Eclci n. sp., von der rechten Seite. S. 178. „ 4 a. „ „ „ „ von der Oberseite. „ 4 b. „ „ „ „ von der Vorderseite. „ 5. Anoplopliora lettica Qüenst. sp., von der rechten Seite. S. 175. „ 5 a. „ „ ,, „ von der Oberseite. „ 6. Macrodon Beyrichi v. Strome, sp., rechte Klappe. S. 177. „ 7. Nuciila Goldfussü v. Alb., von der linken Seite. S. 176. „ 7 a. ,, ,, ,, ,, von der Oberseite. „ 8. Ästarte triasina F. Eöm., von der linken Seite. S. 161. ,, 8 a. „ ,, „ von der Oberseite. „ 9. Thracia mactroides v. Schloth. sp., von der rechten Seite. S. 177. „ 9 a. „ „ „ ,, ,, von der Oberseite. „ 10. Blacimopsis ostracina v. Schloth. sp. , rechte Klappe, Aussenseite ver- grössert. S. 150. „ 10a. Placimopsis ostracina v. Schloth. sp., rechte Klappe, Innenseite. Die Originale der Fig. 1, 3, 6, 8, 9 befinden sich in der Tübinger Uni- versitätssammlung, der Fig. 2, 4, 5, 7, 10 im K. Naturalienkabinett in Stuttgart. Tafel VIII. Fig. 1. Tretospira sulcaia v. Alb. sp., vergrüssert. S. 181. „ 2. „ striata Quenst. sp. , vergrüssert. Original zu Quenstedt, Gastropoden. t. 200 f. 27 a. S. 181. „ 3. Loxonema Johannis Böhmi n. sp., Mündungsseite. S. 185. ,j 3 a. „ „ „ „ ,, Rückenseite. „ 4. „ Schlotheimü Qüenst. sp. S. 182. „ 5. „ sp. S. 186. „ 6. ,, (Heterocosmia) Hehlii v. Ziet. sp., S. 186. ,, 7. Katosira solitaria n. sp., Mündungsscite, vergrössert. S. 187. „ 7 a. „ „ „ „ Rückenseite, vergrössert. „ 8. Undularia scalata v. Schloth. sp. S. 189. „ 9. Enstylus Alhertii n. sp., Mündungsseite. S. 190. ., 9 a, ,, ,, ,, ,, Rückenseite. „ 10. Protonerita spirata v. Schloth. sp., Mündungsseite. S. 192. — 227 - Fig. 10a. Protonerita spirata v. Schlote, sp., Oberseite. S. 192. „ 11. „ „ ,, „ „ aus Schaumkalk von Niederschlesien) Mündungsseite. S. 192. „ IIa. Protonerita spirata v. Schlote, sp., Oberseite. „ 12. ,, „ ,, ,, ,, Original des Neritites S2yiratus V. ScELOTBEiM, Petrefaktenkunde S. 110, aus Schaumkalk der Arensburg in der Hainleite. S. 192. „ 13. Protonerita spirata v. Schlote, sp., Steinkern, Oberseite. S. 192. ,, 14. ,, ,, „ ,, ,, Naturpräparat, zeigt die Resorption der inneren Windungen. S. 192. „ 15. Protonerita spirata v. Schlote, sp., mit Farbenstreifen. S. 192. Die Originale der Fig. 2, 5, 6, 10, 13, 14, 15 befinden sich in der Tübinger Universitätssammlung, die der Fig. 1, 3, 4, 7, 8, 9 im K. Naturalienkabinett in Stuttgart, 11 und 12 in der palaeontologischen Sammlung des Museums für Natur- kunde in Berlin. Tafel IX. Fig. 1. Protonerita coarctata Qüenst. sp., Mündungsseite. S. 193. „ la. „ „ ,, „ Rückenseite. „ Ib. „ „ „ ,, Oberseite. „ 2. Neritaria Bimkeri v. Schaur. sp. , Mündungsseite, vergrössert. S. 193. „ 2 a. „ „ „ „ „ Rückenseite. „ 2 b. „ „ „ „ „ Oberseite. „ 3. Holo(jijra EyericM Nötl. sp., Mündungsseite, vergrössert. S. 194. „ 3 a. ,, „ „ „ Rückenseite. „ 3 b. „ „ „ „ Oberseite. „ 4. Amauropsis gregaria v. Schlote, sp., Jugendform = Ampullaria pullula QuENST., Mündungsseite, vergrössert. S. 195. ,, 4a. Amauropsis gregaria v. Schlote, sp., Rückenseite. „ 4 b. „ „ „ „ „ Oberseite. „ 5. Platycliilina germanica n. sp., Mündungsseite, vergrössert. S. 194. „ 5 a. „ „ „ ,, Rückenseite. „ 5 b. „ „ „ „ Oberseite. ,, 6. Nautilus (Temnocheilus) suevicus n. sp., von der Seite. S. 196. „ 6 a. „ „ „ „ „ vom Rücken. „ 6 b. „ „ „ „ „ Querschnitt. „ 7. Ceratites nodosus de Haan var. densinodosus 0. Fraas , von der Seite. S. 197. „ 7 a. Ceratites nodosus de Haan var. densinodosus 0. Fraas , vom Rücken. „ 8. Modiola Albertiana n. sp., von der rechten Seite, vergrössert, „Cannstatter Kreidemergel ". S. 208. ,, 8 a. Modiola Albertiana n. sp., von der Hinterseite. „ 9. Modiola cannstattiensis n. sp., von der rechten Seite, vergrössert, „Cann- statter Kreidemergel". „ 9 a. Modiola cannstattiensis n. sp., von der Hinterseite. Die Originale der Fig. 1, 3, 4 befinden sich in der Tübinger Universitäts- sammlung, die der Fig. 5, 6, 7, 8, 9 im K. Naturalienkabinett in Stuttgart, 2 in der Sammlung des Herrn Dr. Beck in Stuttgart. 15* Synopsis der deutsehen Blindwanzen (Hemiptera heteroptera, Farn. Capsidae). Von Dr. Theodor Hüeber, Oberstabsarzt in Ulm. III. Teil. Div. Bryocoraria*. Leib klein, glänzend. Scheitel hinten leicht ausgerandet. Kopf- schild stark vorragend. Augen an ihrer Innenseite nicht ausgerandet, völlig parallel, das Pronotumende nicht berührend. Fühler nahe dem Augenende, innseits, eingefügt. Pronotum vorne schmal aber deutlich eingeschnürt, am Grunde wie abgestutzt, an den Hinterecken zu- gespitzt. An den Halbdecken ist die Cubitalader über die Mitte hinaus tief eingedrückt, weiterhin abgebrochen. Die Flügelzelle ist ohne Haken. Die hinteren Hüften stehen von den Epipleuren ab. Hinter- schenkel weder verdickt noch verlängert. Schienen abgestutzt. Das letzte Tarsalglied verdickt. Diese Tiere leben auf Farnkräutern. Reuter. A. Schnabel dick, fast bis zum Ende der Mittelbrust reichend, sein erstes Glied beinahe kürzer als der Kopf. Pronotum stark in die Breite gehend, dicht punktiert. Hinterbrust glänzend. Leib kurz eiförmig, fast kahl. Gattung 1, Monalocoris Dahlb. AA. Schnabel dick, nicht über die Mitte der Mittelbrust reichend. Pronotum länglich-trapezoidal, mit dunkler Einschnürung an der Spitze. Hinterbrust glanzlos. Leib sparsam und fein behaart. Gattung 2, Bryocoris Fall, (nach Reütek). Monalocoris Dahlbom. Eiförmig, glänzend, punktiert, scheinbar kahl, jedoch mit spär- lichen anliegenden gelben Härchen besetzt. Kopf stark abschüssig. * Nach Reuter. Ecvis. critic. Capsinar. praec. Scand. et Fenn. 1875. I. p. 84 und II. p. 79. — 229 — in die Quere gezogen, zwischen den Augen 3— 4 mal so breit wie ein Augendurchmesser. Fühler etwas länger als der halbe Leib. Der dicke Schnabel überragt kaum die Mittelhüften. Pronotum (Vorder- rücken) breiter als lang (1,5 : 1), trapezförmig, gewölbt, dicht punktiert, nach vorne verengt und mit einem schmalen glatten Qiierstreifen versehen; der Vorderrand deutlich, wenn auch nur schmal, abgeschnürt, Seiten und Grund leicht abgerundet. Ansatz des Schildchens vom hinteren Pronotumrand überragt. Mittelbrust kurz, nach hinten aus- gebuchtet. Hinterbrust gewölbt, mit höckerigen Luftlöchern. Halb- decken ausgebildet, wenn auch etwas kurz, seitlich abgerundet, gleich dem äusseren Piande des Cuneus (Keil), welcher vom Corium durch einen tiefen Einschnitt abgesetzt ist. Membran mit nur einer Zelle. Beine schlank, massig lang. Nicht dimorph. — Die Nymphe breit eiförmig. 18 (414) filicis LiNNE. Cimex filicis abdomine membranaceo depresso, elytroruni api- eibus capite pedibusque lividis, corpore nigro. Linne. P. filicis piceus nitidus: capite, pedibus elytrorumque margine pallidis. Fallen. Eiförmig, heller oder dunkler pechbraun (d. h. gelblichbraun bis schwarz) , glänzend , fein gelbbraun behaart. Der gelbrötliche Kopf an der Spitze schwarz, Scheitel vom Hals durch eine rundliche Furche geschieden, die schwarzen Augen kugelig vorspringend. Das gelbliche Grundglied der Fühler etwa von Kopfeslänge, ihr zweites Glied 272 mal ^^ ^Siwg als das erste, hell, mit dunkler Spitze, ihr drittes Glied länger als das vierte, letztere beide dunkel und ziemhch behaart. Pronotum (mit Ausnahme seiner blassen Hinterecken) schwarz, gewölbt, glänzend und tief punktiert ; vorne quer eingedrückt, hinten aufgeworfen, an den Seiten gerade, am Grunde abgerundet; Schildchen dreieckig. Die dunkeln Halbdecken punktiert, fein behaart mit blass- gelblichem Seitenrande. Membran rauchbraun. Beine blassgelb, fein behaart; Hinterschenkel mit dunklem Fleck. Länge 2 — 2^4 mm. Nach WoLFF ist die junge Larve grün, je älter sie wird, desto bräuner wird ihre Farbe. Die noch junge Wanze hat eine braungelbe Farbe, die mit dem Alter immer dunkler wird, so dass am Ende das ganze Tier ausser den Füssen und Fühlhörnern schwarz ist. Cimex filicis Linne, Syst. Nat. Ed. X, 1758, 443, 16. — Faun. Suec. 1761, 247, 919. — Houttuin, Nat. Hist. 1765, I, X, 342, 16. — P. Müller, Linn. Nat. 1774, V, 483, 20. — 230 — Acantliia filicis Wolff, Icon. Cimic. 1801, II, 46, 43, fig. 43. Lygaens filicis Fallen, Monogr. Cim. Suec. 1807, 92, 74. Fliytocoris filicis Fallen, Hemipt. Suec. 1829, 108, 61. — Hahn, Wanz. Ins. 1834, II, 86, fig. 172. Capsus filicis Herrich-Sciiäffer, Nom. entom. 1835, p. 51. — Meyer, Schweiz. Rhynchot. 1843, p. 71, 43. — F. Sahlberg, Monogr. Geoc. Fenn. 1848, 113, 50. — Kirschbaum, Rhynchot. Wiesbadens, 1855, 70, 76. — Flor, Rhynchot. Livlands, 1860, I, p. 539, 39. — Thomson, Opusc. entom. 1871, 433, 55. Bryocoris filicis Kolenati, Melet. entom. 1845, II, 129, 115. Monalocoris filicis Dahlbom , Anmärk. öfver Ins. in Vet. Ak. Handl. 1851, 209 ut typus. — Fieber, Criter. z. gener. Theilg. d. Phytocor. 1859, 12. — Europ. Hemipt. 1861, 238. — Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 279, 1 and pL X, fig. 2. — Reuter, Rev. crit. Caps. 1875, 79, 1. — Rev. synon. 1888, 284, 256. — Saunders, Synops. of. Brit. Hemipt. Het. 1875, 278, 1. — Snellen van Vollen- hoven, Hemipt. Neerland. 1878, 146. — Püton, Cat. 1886, p. 46, 1. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, p. 40. — Saunders, Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, p. 229. Bayern: In Wäldern auf Farnkraut (Polypodium felix, mas. et fem. Linne), im Sommer in hiesiger (Nürnberger) Gegend gar nicht selten. Hahn. — Bei Bamberg in Wäldern auf Farnkräutern. Funk. — Württemberg. Roser. — Bei Beuron 7. 97 gefunden. Hüeber. — ■ Elsass-Lothringen : Sur les fougeres des Vosges , de la foret de Vendenheim, de Saint-Avold. Commun. Reiber-Püton. — Nassau : M W bei Wiesbaden, hin und wieder, z. B. am gewachsenen Stein, in Menge auf Fteris aquilina L. , nur einmal auf Äsplenium filix fem. Bernh. gefunden; 6 — 9. Kirschbaum. — Westfalen: Im Hochsommer und Herbst an schattigen Lokalitäten auf Pteris nicht selten. Westhoff. — Schleswig-Holstein : In Laubwäldern auf Farn- kräutern nicht selten. Wüstnei. — Mecklenburg: In Wäldern auf Farnkräutern vom Juni bis Ende August sehr zahlreich. Raddatz. — Thüringen : Bei Gotha überall nicht selten. Kellner-Breddin. — Schlesien: Gewöhnlich in Gemeinschaft mit C. Ptcridis Fall, auf Aspidiuni filix fem., weniger, wie es scheint, auf Aspid. filix mas. Meist in hügelichen Gegenden und im Gebirge; von Mitte Mai bis Anfang August. Schultz; — in der Ebene und im Gebirge, auf Aspid, filix fem., im Juli und August ziemlich häufig. Assmann. — Provinz Preussen. Brischke. — 231 — Diese kleine Wanze lebt auf dem männlichen und weiblichen Farnkraut {Polypodium filix mas. et folminä Linne) in Europa. Sie ist kaum so gross als ein Floh. Wolff. Auf Poli/podium ßlix mas., Pteris aquilina und anderen blühen- den Farnen im August, September in Wäldern und Hainen. Wohl durch ganz Europa. Fieber. Habitat in Pteridi aquilina, Polysticho et Asplenio sat frequens. Europa tota. Reuter, [Schweiz: Eine sehr weit verbreitete, obschon nicht überall vorkommende Art; erscheint schon vor Mitte Mai bis gegen Ende August gesellschaftlich auf Farnkraut {Polypoäium felix Linne) an lichten Waldabhängen. Meyer. — In Wäldern und an Waldsäumen auf blühenden Farnkräutern von Anfang Mai bis im Oktober wohl über die ganze waldige Schweiz verbreitet, von der Ebene bis zu 4000' s. M. Stellenweise gesellschaftlich. Frey-Gessner. — Grau- bünden : Auf Farnkräutern am Bergabhang von Cavorgia bei Sedrun gefunden. Killias. — Tirol : Auf Farnen bis fast zur subalpinen Region , Sommer. Auf der Stamser Alpe u. s. w. Gredler. — Steiermark: Auf Polypodium , Pteris u. s. w. häufig. Eberstaller. — Nieder- Osterreich: Bei Gresten auf Farnen häufig. Schleicher. — Böhmen: In schattigen Wäldern auf verschiedenen Farnkräutern, namentlich Aspidium filix mas. und Pteris aquilina, überall nicht selten; 7—9. Duda. — Livland : Auf Äspid. filix häufig, im Juni, Juli, September. Flor.] Bryocoris Fallen. In beiden Geschlechtern dimorph und dabei einander äusserlich sehr unähnlich: die geflügelten, sehr seltenen Tiere gestreckt, mehr eiförmig ; die ungeflügelten (bezw. mit gekürzten Decken versehenen) Individuen mehr birnförmig, ohne Keil und ohne Glashaut. — Leib sehr fein behaart. — Der kurze dreieckige , hinten gewölbte Kopf fällt nach vorne fast senkrecht ab, ist also stark geneigt und zwischen den Augen zweimal so breit als lang. Der vorne glatte und gewölbte Scheitel ist nach hinten zu aufgebogen ; das gewölbte Kopfschild durch eine Vertiefung von der Stirne getrennt. — Der Schnabel ist kurz und dick, seine Spitze ragt nur wenig über das erste Hüften- paar hinaus. — Die Fühler sind beim S etwas länger, beim $ etwas kürzer als der Körper; ihr erstes Glied ist Vl^xndX so lang als der Kopf, das zweite zweimal so lang wie das erste und sich nach der Spitze zu langsam verdickend, das dritte und vierte Glied ist faden- — 232 — förmig, ersteres länger als das vierte, beide zusammen länger als das zweite. — Das Pronotum ist länglich trapezoidal, und zwar bei der entwickelten (geflügelten) Form breit, und nach den geraden Seiten zu gewölbt, vorne gerade, mit deuthcher Einschnürung; in seiner Mitte zwei Schwielen ; bei den ungeflttgelten (brachypteren) Tieren ist das Pronotum weniger geneigt, weniger gewölbt und nach vorne zu auch weniger verschmälert. — Die Halbdecken (Hemielytren) sind entweder vollständig entwickelt (bei beiden Geschlechtern), die Spitze des Hinterleibs überragend, glatt, durchscheinend, ziemlich parallelseitig und mit sehr grossem Keil (Cuneus), aber nur einer Grundzelle versehen, oder — bei der häufigeren, unentwickelten Form — gewölbt, verkürzt, einen Teil des Hinterleibs unbedeckt lassend, fein und deutlich punktiert, ohne Keil und ohne Membran. Die Beine sind lang und dünn. 19 (415) x)teridis Fallen. Bryocoris Pteridis corpore nigro ovato : ano albo ; elytris pallidis Fallen. Niger, antennis pronoto scutello elytris pedibus anoque pallidis. Long. Vs'"- Bukmeister. Dunkelglänzend, fein gelblich behaart; After gelblich; ebenso die 1. Hälfte der Fühler, d. h. das 1. und ^3 des 2. Gliedes; Beine lang, schlank, hell, mit fein gelblich behaarten Schienen und schwarzem letzten Fussglied. Die makroptere (geflügelte) Form ist schmal; das vorne ver- tiefte Pronotum runzelig punktiert. Innerer Augenrand hell. Die durchscheinenden langen gelbbraunen Decken zeigen fein punktierten dunklen Clavus, dunkeln Keilrand und dunkeln Fleck am Ende des Coriums; die hellbraune Membran hat einen, oft auch zwei glashelle Flecken. Das bei dieser Form stärker gewölbte und stark geneigte Pronotum ist nach vorne zu sehr verschmälert, abgeschnürt und dunkel. Länge 3 — 4 mm. Bei der brachypteren Form sind die gewölbten sehr fein punk- tierten Decken kürzer als der Leib, ohne Clavus, Cuneus und Mem- bran, und nach der Spitze zu verbreitert und abgerundet ; ihre Farbe ist schmutzig hellgelb, und zwar bei den $ meist einfarbig, bei den S mit dunklem Clavus, dunklem Aussenfleck und ebensolchem mitt- leren Längsstreif. Das Pronotum ist hier weniger gewölbt, weniger geneigt, nach vorne kaum verschmälert, und zeigt einen dunkeln, glatten, etwas wulstigen Querstreif hinter seinem Vorderrand; das - 233 — Schildchen ist hier nicht so dunkel wie bei der langfiügeligen Form. Länge 2 — 3 mm. Capsus Pteridis Fallen, Monogr. Cimic. Suec. 1807, 105, 20. — Germar in Ahrens Faun. Ins. Europ. 1813, fasc. X, tab. 13. — Meyer, Schweiz. Rhynchot. 1843, 114, 109. — Flor, Rhynchot. Liv- lands, 1860, I, 540, 40. — Thomson, Opusc. entom. IV, 434, 56. Halticus Pteridis Bürmeister, Handb. d. Entom. 1835, IL 278, 6. Bnjocoris Pteridis Fallen, Hemipt. Suec. 1829, 152, 1. — Zetterstedt, Ins. Lappon. 1840, 266, 1. — F. Sahlberg, Monogr. Geoc. Fenn. 1848, 124, 2. — Kolenati, Melet. entom. 1857, II, 129, 116. — Fieber, Europ. Hemipt. 1861, 238. — Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 277, 1 and plate X, fig. 1 und 1*. — Saunders, Synops. of Brit. Hemipt. Het. 1875, 278, 1. — Reuter, Rev. crit. Caps. 1875, 80, 1. — Püton, Cat. 1886, 46, 1. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 4L — Saunders, Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 228. Bayern : Bei Bamberg auf den Adlerfarnen im Hauptsmoore. Funk. — Württemberg : Bei Ulm, im Wiblinger Staatswald, Spätsommer ; ein langflügeliges Exemplar auf der Böfinger Halde, 8. 7. 93. Hüeber. — Baden : Bei Fahrnau, im September, gefunden von Hartmann. — Elsass-Lothringen : Sur les fougeres des forets vosgiennes. Pas rare, mais toujours brachyptere. — Supplement : Un ex. macroptere. 7. Foret de Remiremont (F.). Reiber-Puton. — Westfalen: Ein weibliches Stück, 7. 10. 77, bei Wolbeck im Tiergarten gekätschert von West- hoff. — Schleswig-Holstein : Wie M. ßlicis L. auf Farnen und stellen- weise nicht selten. Wüstnel — Mecklenburg: Von Anfang Juni bis Ende September auf Farnkräutern in Wäldern sehr häufig; solche Männchen, welche vollkommen ausgebildete Flugorgane haben, fand ich nur in geringer Anzahl. Raddatz. — Thüringen : Bei Gotha überall nicht selten. Kellner-Breddin. — Schlesien : Sehr häufig auf Asindium filix fem. Scholtz. — In hügelichen Gegenden und in den Vorbergen auf Aspid. filix fem., im Juli und August, ziemlich häufig. Assmann. Auf Pteris aquilina in Wäldern, durch ganz Europa. Fieber. Habitat in Pteride aquilina, Polysticho et Asplenio minus fre- quens. Europa praecipue borealis. Reuter. [Schweiz : Bis jetzt nur in der nördlichen Schweiz in hohen Bergwäldern aufgefunden. Meyer. — Auf Pteris aquilina in höher — 234 — gelegenen Wäldern oft zahlreich, im August und Oktober, bis nahezu 3000' s. M. Frey-Gessner. — Graubünden: Auf Adlerfarnen, bei Sedrun gefunden. Killias. — Tirol : In Nord-Tirol und um Bozen in höhern Waldungen einigemal beobachtet; auf Ft. aqnllina. — Bei Vils. Gredler. — Steiermark : Auf Pt. aqinlina in Waldständen. Eberstaller. — Nieder-Österreich : Bei Gresten auf Farnen in Wäl- dern. Schleicher. — Böhmen : In Wäldern auf Farnkräutern , be- sonders Pt. aquilina^ ziemlich selten ; ich habe diese Art aus Pisek (makroptere Form) und Teplitz (brachypter) ; auch bei Eger, 7. Duda. — Livland : Sehr zahlreich auf Farnkräutern in schattigen Gebüschen, von Juni bis Ende September; geflügelte und ungeflügelte. Flor.] Div. Capsaria*. Kopf senkrecht oder geneigt, nur äusserst selten gerade vor- gestreckt, die Zügel (Lorae) nicht abgeschieden, der Scheitel nur selten mit Längsfurche (in welchem Falle dann das erste Fussglied niemals länger als das zweite ist) ; die Augen weichen an ihrem Innenrand gegen die Spitze zu auseinander, und sind häufig aus- gebuchtet; der Schnabel läuft gegen sein Ende allmählich spitz zu; der Vorderrücken (Pronotum) ist durch eine ringförmige Einschnürung an der Spitze scharf gezeichnet, seine Seiten sind meist abgestumpft und nur sehr selten gegen die Spitze zu gerandet (in welchem Falle der Kopf senkrecht steht oder das erste Fussglied nicht länger als das zweite ist) ; die Halbdecken der geflügelten (makropteren) Form zeigen einen wohlausgebildeten Keil (Cuneus) und eine Membran mit zwei Zellen; die Flügelzelle ist ohne Haken (^= klauenartiges Ende der Nebenader) ; der Fortsatz (Xyphus) der Vorderbrust ist ausgehöhlt oder eben und an seinen Seiten meist gerandet; die Hinterhüften stehen von den Epipleuren der Halbdecken massig weit ab; an den Füssen ist das dritte Glied nicht verdickt; die Klauen zeigen freie, grosse, auseinanderstehende Haftläppchen; der Geschlechtsabschnitt (Genitalsegment) des Männchens ist unten gewölbt, sein Endlappen zugespitzt, nach oben gebogen und dort geöffnet, sowie links in eine mehr oder weniger tiefe Bucht ausgezogen. Reuter**. Anm. Bei dieser Division ist der mit Scheitellängsfurche ver- * Von hier ab hält sich meine kompilatorische Bearbeitung an den kürzlich erschienenen 5. Band von 0. M. Eeuter's Hemiptera Gymnocerata Europae, Helsing- fors 189(5. — Die Keihenfolge ist (s. Vorrede) umgekehrt, bezw, absteigend. H. ** 0. M. Reuter, Hern. Gj'mn. Eur. V. tom., 1896, p. 5, (Aus dem Latein übertragen.) H. - 235 — sehene Kopf niemals vorgestreckt und dabei gleichzeitig das erste Fussglied lang; hierdurch unterscheiden sich die Capsaria von den Miraria; von den Myrmecoraria unterscheiden sie sich dadurch, dass die Halbdecken der makropteren Form einen Keileinschnitt und eine zweizeilige Membran aufweisen; von den Bryocoraria unterscheiden sie sich durch die zweizelHge Membran und durch die an ihrer Spitze nicht erweiterten Fussglieder; von den Pilophoraria dadurch, dass am Kopf kein Zügel (Lora, unterer Wangenteil) abgesondert ist, dass die Flügelzelle keinen Haken hat und dass die hinteren Hüften von den Epipleuren der Halbdecken nur wenig abstehen; von den Myrm-e- cophyaria, Hypseloecaria , Laboparia, Cremnorrhinaria etc. dadurch, dass das Pronotum vorne abgeschnürt ist; von den Dicypharia und Cyllocoraria durch die grossen, an ihrem Ende blattartig erweiterten und auseinandergespreitzten Haftläppchen der Klauen. Reuter. Übersicht der Gattungen der Division Capsaria nach Reuter (Hemipt. Gymn. Europ. V. tom. p. 347 — 356). 1. (36.) Leib auf der Oberseite (mit Ausnahme des Kopfes) einschliess- lich der Halbdecken [bei der Gattung Stethocomis letztere nur schwach] getüpfelt oder fein punktiert, am Schildchen jedoch meist nur schwach ; auch das Pronotum ist nur äusserst selten weitläufig punktiert, in welch letzterem Falle Clavus nebst Corion gegen ihren Ansatz hin ziemlich kräftig punktiert und der Cuneus kürzer ist als an seinem Grunde breit. Scheitel meist gerandet. Leib bisweilen mit dichtem, polsterartigem Gitterwerk (Haarflaum) überdeckt, nach dessen Entfernung sich jedoch eine deutliche Punktierung zeigt; Pronotum manchmal dicht und tief gefurcht. 2. (3.) Membran mit flaumartigen liegenden Härchen bedeckt. Halb- decken des Weibchens oft stark gekürzt, ohne Membran. Kopf kurz, hinter den vorspringenden Augen eingeschnürt. Pronotum stark vertieft punktiert, mit queren, ineinanderfliessenden, glänzen- den niederen Schwielen, deren Ränder scharf eingegraben. Schild- chen mit einem mehr oder weniger deutlichen Längskiel versehen. An den hinteren Füssen ist das erste Glied erheblich länger als das zweite. Leib lang behaart. Bothynotus Fieb. 3. (2.) Membran glatt, unbehaart. 4. (5.) Schildchen zeigt sich als schmaler, hoher, hinten gekrümmter Kamm. Kopf kurz, hinter den Augen eingeschnürt. Pronotum stark vertieft punktiert, mit nur wenigen zerstreuten Schwielen, an seiner Spitze zu einer grossen halsförmigen Einschnürung ver- engt. An den Hinterfüssen ist das erste Glied deutlich länger als das zweite. Halbdecken dünn, seitlich erweitert. Leib lang behaart. Stethocomis Fieb.* * In Deutschland bis jetzt noch nicht gefunden!? H. — 236 — 5. (4.) Schildchen nicht zu einem hohen Kamm erhoben, jedoch oft mehr oder weniger gewölbt. 6. (7.) An den Hinterfüssen ist das erste Glied so lang wie die zwei letzten zusammengenommen. An den Fühlern sind die letzten Glieder nur kurz. Scheitel gerandet. Leib oben vertieft punktiert, nebst Fühlern und Beinen zart behaart. AUoeotomus Fieb. 7. (6.) An den Hinterfüssen (Tarsen) ist das erste Glied deutlich, meist sogar um viel kürzer als die beiden letzten zusammen. 8. (9.) [Leib oben mit einem dichten, bräunlich schimmernden Polster überzogen. Pronotum dicht vertieft querreihig punktiert oder gefurcht, ziemlich wagerecht. Scheitel breit, beim Männchen deut- lich gerandet. Kopf, von der Seite gesehen, kürzer als hoch, mit ineinanderfliessender Stirn und Kopfschild , sowie hohen Wangen, von oben gesehen ungefähr ^/^ — ^/^ schmäler als das Pronotum. Halbdecken des Weibchens verkürzt. Farbe schwarz. Die von F. Sahlbeeg auf den Inseln Bering und Sitka ge- fundene Gattung Irhisia Reut.] 9. (8.) Pronotum getüpfelt oder fein punktiert, selten tief quergerunzelt und in diesem Falle von grüner Farbe. 10. (19.) Scheitel nur an den Seiten fein oder undeutlich gerandet, oft ganz ungerandet. Leib niemals einfarbig grün. 11. (12.) Kopf dick, deutlich breiter als der Grundteil des Pronotum. Wangen hoch. Augen nach vorne stark auseinanderweichend, ihr innerer Rand ziemlich gerade. Pronotum am Grunde ab- gestutzt, seine Winkel abgerundet. An den Hinterfüssen ist das erste Glied nur wenig länger als das zweite. Capsus Fabr. 12. (11.) Kopf etwa ums Doppelte oder noch mehr schmäler als das Pronotum. 13. (14.) [Kopfschild kaum vorspringend. Kopf senkrecht, etwa zwei- mal schmäler als der Ansatz des Pronotum , von vorne gesehen kaum kürzer als samt den Augen breit. Scheitel abgeflacht, schmal. Das erste Fühlerglied überragt die Spitze des Kopf- schilds nur wenig, die beiden letzten sind zusammengenommen länger als das zweite. Pronotum stark vertieft punktiert. An den Füssen sind zwei Glieder dem jeweils ersten an Länge ziem- lich gleich. Die nur in Griechenland lebende Gattung SaundersieUa Reut.] 14. (13). Kopfschild (Clypeus) mehr oder weniger vorspringend. Kopf geneigt und meist schmäler als der Grundteil des Pronotum. 15. (18.) Pronotum stark vertieft punktiert. Halbdecken kräftig punk- tiert. An den Hinterfüssen ist (mit Ausnahme von CaniptohrocMs punctulatits) der untere Rand des ersten Gliedes meist deutlich länger als jener des zweiten. An den Fühlern sind die beiden letzten Glieder zusammengenommen meist kürzer als das zweite. 16. (17.) Das erste Fühlerglied überragt erheblich die Spitze des Kopf- schilds. Letzteres selbst springt stark vor. Das Pronotum ist am Grunde fast dreimal breiter als an der Spitze. Die Augen sind wenig ausgebildet. Die Klauen sind an ihrem Grunde meist gezähnt. Deraeocoris Stal. — 237 — 17. (16.) Das erste Fühlerglied überragt die Spitze des Kopfschildes nicht oder doch nur wenig. Kopf kurz und in die Quere ge- zogen. An der Membran ist die Brachialader stark gebogen, Camptobrochis Fieb. 18. (15.) Pronotum sparsam und ziemlich schwach punktiert. Halb- decken fein getüpfelt. An den Hinterfüssen ist der untere Rand des zweiten Gliedes ebenso lang wie jener des ersten. Die zwei letzten Fühlerglieder sind zusammen länger als das zweite. Liocoris Fieb. 19. (10.) Scheitel hinten vollständig gerandet, der gekielte Rand bis- weilen in seiner Mitte etwas niedriger, äusserst selten findet sich auf den Seiten nur eine zarte vertiefte Querlinie, in welch letz- terem Falle der Leib einfarbig grün ist. 20. (25.) Leib oben wie unten mit einem dichten Polster von zarten, leicht abreissbaren, goldenen, erzfarbenen, silbernen oder weissen Härchen bedeckt. 21. (22.) Leib hoch gewölbt, auf der Oberseite kräftig vertieft punk- tiert. Kehle kurz. Pronotum mit starker Einschnürung an seiner Spitze. Öffnungen der Hinterbrust (Metastethium) deutlich sicht- bar. Die zwei ersten Glieder der Hintertarsen gleich lang. Qiaragochilus Fieb. 22. (21.) Pronotum und Halbdecken ziemlich fein punktiert. Kehle massig lang. Pronotum mit ziemlich feiner Einschnürung an der Spitze. Die Öffnungen der Hinterbrust bilden einen zarten Spalt und sind kaum wahrnehmbar. Das zweite Glied der Hintertarsen ist deutlich länger als das erste. 23. (24.) Kopfschild weniger vorspringend. Pronotum vollständig schwarz , an seinem Grunde wenig mehr als halb so breit wie lang. Halbdecken des Weibchens ziemlich stark gerundet-erweitert, auch jene des Männchens an den Seiten geschweift, Keil nicht oder nur wenig länger als am Grunde breit. Poli/merus Hahn. 24. (23.) Kopfschild ziemlich stark vorspringend. Pronotum wenigstens mit blassem Saum am Grunde. Halbdecken des Männchens mit parallel laufenden Seiten und mit einem Keil, der meist deutlich länger ist als an seinem Grunde breit. Foecüosci/tus Fieb. 25. (20.) Leib wenigstens auf der Unterseite ohne zarte, zerbrechliche goldene, erzfarbene, silberne oder weisse Härchen, fein flaumhaarig oder ziemlich kahl. 26. (35.) An den Hinterfüssen ist das zweite Glied mindestens am unteren Rande wenig oder kaum länger als das erste, das dritte länger als das zweite , oft ganz erheblich. Die Augen ragen weniger weit über die Wangen vor. 27. (28.) [Hinterschenkel viel dicker und länger als die übrigen. Kopf von der Seite gesehen hoch, fast zweimal so viel als lang. Scheitel gleichmässig gerandet. Wangen , besonders beim Weibchen , er- höht. Zweites Fühlerglied viel länger als der Kopf breit. Halb- decken an den Seiten abgerundet. Keil stark geneigt. — 238 — Drei nur im südlichen Europa lebende Arten der Gattung Cyplwdcma Fieb.*] 28. (27.) Hinterschenkel kaum oder nur wenig länger und dicker als die vorderen. Kopf von der Seite gesehen weniger hoch, min- destens nicht ganz zweimal so lang als hoch. Keil nur massig schräg. 29. (30.) [Fühler deutlich am unteren vorderen Augenrand innseits eingefügt. Kopf wenig mehr als Ys so schmal als das Fronotum an seinem Grunde, von vorne gesehen kaum quer. Scheitel gleich- massig gerandet. Fronotum mit dunkler Einschnürung an der Spitze. Öffnungen der Hinterbrust nicht sichtbar. Nur eine, in Schweden lebende palaearktische Art der Gattung Zyijimus Fieb.*J 30. (29.) Fühler so ziemlich oberhalb des vordem Augenendes innseits eingefügt. Fronotum mit glatter, glänzender, vorderer Einschnü- rung. Öffnungen der Hinterbrust deutlich. 31. (32.) Fronotum zwischen den Schwielen bis zur vorderen Ein- schnürung vertieft punktiert. Kopf nur etwa Y. — Nassau: M W bei Wiesbaden; auf Eichen und auf Erlen, nicht selten ; 7 — 8. Kirschbaum. — Westfalen : Wie longipennis Flor ver- breitet und wohl fast gleich häufig. Sie lebt vornehmlich auf Eichen, dann aber auch auf Corylus , Betida und Tilia; die Form typicus Reut, kaum bei uns ausgebildet, signatus Reut, die Normalform. Var. ferrugineus (= Var. c Reut.) selten. Var. cretaceus Reut, nicht so selten ; bei Münster an Lindenbäumen im August und September. Var. maculosus ein Stück, 8. 80, bei Münster auf Querciis gefunden. Westhoff. — Schleswig-Holstein : An Lindenstämmen oft nicht selten. Wüstnei. — Mecklenburg : Von Anfang August bis Anfang Oktober in Gärten und Laubwäldern einzeln. Raddatz. — Schlesien: Th. populih. mit ß Var. tiliae F. (weisslich oder gelbrötlich und russigschwarz gefleckt ; die mannigfachsten Übergänge in der Färbung zur Stamm- form zeugen gegen ihre Artgültigkeit) : Von Ende Juli bis Ende August auf Weiden und Pappeln, auch auf Linden. Schultz. — Provinz Preussen : Brischke. Durch ganz Europa einzeln. An Eichen, Erlen, Linden. Fieber. Habitat in Tilia!, Queren!, Populo!, Acere (P. Loew), Alno (Credler) , Corylo et Betula (Westhoff) , Ulmo (Norman , Spitzner, DuBOis) , Salice (Frey-Gessner , Gredler) , Pruno ceraso (Spitzner), Castanea vesca (Ferrari), Lauro nobili (Horvath) : Norvegia (Toeien) ; Suecia (usque ad Stockholm !) , Fennia meridionalis (Abo !) , Livonia (Kokenhusen) , Dania, Schlesvigia-Holsatia, Mecklenburgia, Borussia, Batavia, Belgium, Britannia tota, Gallia, Nassovia, Bavaria, Bohemia, Moravia, Helvetia, Tirolia, Hungaria, Halicia, Lusitania, Liguria, Graecia! Reuter (1896). [Schweiz : Im Mai, Juni und Juli noch unausgebildet ohne Decken, dann von Ende Juh an bis gegen Mitte Oktober fast allenthalben entwickelt; aber stets nur einzeln, in Schächen und schattigen Orten, • — 272 — auf Weiden-, Pappel- und Eschengesträuchen. Variiert in Farbe und Zeichnung ausserordentlich vom Weisslichen bis ins Dunkelmoosgrüne. Die ziemlich seltene Var. tüiae Fabr. ist russigschwarz , mit hell- oder gelbrötlich bleibenden Stellen (Taf. 7 Fig. 4). Meyer*. — P. tüiae Fab. (= Meyer, Taf. 7 Fig. 4, ist aber zu schön grün illu- miniert) auf Weiden, Pappeln, Linden und anderen Bäumen und Ge- sträuchen nicht häufig. Frey-Gessner. — Tirol: Auf Weiden, Pappeln und Linden; Strasse im Unterinnthal, an Erlen im Juli. Gredler. — Böhmen: Auf Lindenstämmen in Anlagen und Alleen, seltener auf anderen Bäumen, wohl überall verbreitet, doch in manchen Jahren recht selten. Duda. — England: On limes and other trees, not rare and generally distributed. Saünders.] 24 (420) longipennls Flor. Länger, schmäler, blässer (und glanzloser gefleckt) als die an- deren Arten, fast gleichbreit, ziemlich sparsam und nur schwach dunkel (grau, schwarzbraun, schwärzlich) gezeichnet, unten heller als oben : dabei mit wirrem hellem Flaum und dazwischen, besonders auf den Halbdecken, mit bald anliegenden, bald aufgerichteten schwarzen Haaren besetzt. Von der ganzen matten Oberfläche zeigt höchstens das Pronotum manchmal leichteren Glanz. Beine, Fühler und Halb- decken sind sehr lang. — Kopf stark geneigt, fast senkrecht, etwa ^3 so breit wie der Grund des Pronotum, von oben gesehen quer, von der Seite gesehen ziemlich kürzer als hoch, von vorne gesehen so lang ($) oder etwas kürzer (d) als breit; dabei (wie bei Fh. tüiae) ohne dunklere Zeichnung, einfarbig gelblichbraun. — Kopfschild wenig vorspringend, von der stark geneigten Stirne kaum abgegrenzt. — Scheitel beim Männchen sehr schmal , nur etwa halb so breit wie das sehr grosse und stark gewölbte Auge (beim Weibchen höchstens Vs breiter). — Der blassgelbe, an seiner Spitze schwarze Schnabel reicht bis zum dritten Bauchabschnitt. — Die grauen Fühler lang, länger als das ganze Tier; ihr schlankes, helles, dunkel getüpfeltes und mit ziemlich langen, silberweissen , aufrechtstehenden Haaren besetztes erstes Glied ist so lang wie Kopf und Pronotum zusammen ; das zweite und dritte Glied ist am Grunde schmal weiss (beim zweiten meist noch ein breites gelbes Band unterhalb der Mitte); das dritte Glied etwa ^/^ so lang wie das zweite ; das vierte nicht oder nur wenig kürzer als das dritte ; die beiden letzten Glieder zusammen * Nach Reuter (Rev. synon. 250, 220) entspricht jedoch nur die Abbildung SIeyer's Taf. 7 Fig. 1 der Ph. tiliae Fabr. H. — 273 — so lang wie das zweite Glied. — Pronotum (gleich den Halbdecken) wechselnd graulich schwarzbraun gezeichnet, anderthalbmal so breit wie lang, vorne (hinter der Einschnürung) nur halb so breit wie hinten , mit gebuchteten (leichtkonkaven) Seiten , mit nach vorne ziemlich geneigter Fläche und mit langen, etwas angedrückten schwärz- lichen Haaren. — Die langen, parallelständigen Halbdecken überragen (beim Männchen um die Hälfte, beim Weibchen um ein Drittel ihrer Länge) den Hinterleib, haben nur schwache dunkle Zeichnung und an ihrer Spitze einen glänzenden (im vorderen Winkel schwarz ab- gegrenzten) Rautenfleck. Der blass-gelbhchgraue , oft auch etwas röthch angeflogene Cuneus ist gegen sein Ende dunkelbraun oder schwärzlich bestäubt und an seiner Spitze lehmfarben. Die glashelle (hyaline) Membran ist sparsam graubraun getüpfelt und besitzt weiss- liche Adern ; nur die Cubitalader ist schwarzbraun. — Die sehr langen, dünnen, blassgelben, mit langen, halbaufgerichteten feinen weissen Haaren versehenen Beine haben blasse, erst gegen ihre Spitze zu dunkel getüpfelte Schenkel und dreifach schwarzgeringelte (ge- bänderte) Schienen (besonders deutlich am hintersten Beinpaar) ; dabei sind die dunklen Ringe erheblich schmäler als das dazwischen- liegende Weiss ; ausserdem sind die Schienen noch mit langen, blass- bräunlichen, dornartigen Haaren besetzt; auch die (etwa siebenmal länger als breiten) Hinterschenkel sind mit langen angedrückten Haaren versehen. Die Tarsen sind gelbbraun. — Der Geschlechts- abschnitt des Männchens ist linkseits der Öffnung abgestutzt. — • Länge 6^4 — 772 '^™- Diese Art unterscheidet sich von Fh. tiliae durch ihren schmäleren Bau und durch die nicht breit und nicht scharf schwarz-gesäumten Seiten des Pronotum. — Von Ph. popuU durch die Zeichnung des ersten Fühlerglieds. — Von Ph. dimidiatus Kirschb. (dessen Var. y dieser Art an Farbe sehr ähnelt) ausser dem blassen Kopf durch die längeren Fühler. — Von Ph. intricatus Flor (dem sie durch den schmäleren Scheitel des Männchens ähnelt) ist sie dadurch unter- schieden, dass dieser noch schmäler, blässer, mehr ins Weissgelbliche spielend und sein erstes Fühlerglied länger ist. Reuter (Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 259 ff.) unterscheidet: Var. a, typica : Oberseite weisslich ; Kopf gleichfarbig und nicht gezeichnet; Pronotum an seinem Grundrande mit 4 — 6 schwarzen Strichen ; Schildchen gegen die Spitze zu mit zwei schwarzen, aus- einanderweichenden kleinen Streifen ; Halbdecken spärlich schwarz oder dunkelbraun getüpfelt, vor der Spitze mit zeichnungsfreiem Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 18 — 274 - rautenförmigem Fleck, der nach vorne zu einen schmalen schwarzen Saum hat. Var. ß, signata Reut. : Wie Var. a, jedoch sind die Seiten und der Grundrand des Pronotum nur undeutlich und verschwommen dunkelbraun oder bräunlich; am Schildchen sind die Grundwinkel und zwei bindenartige Flecke schwarzbraun ; die Halbdecken sind dichter schwarz- oder dunkelbraun marmoriert, der an der Spitze befindliche, nicht gezeichnete Rautenfleck besitzt nach vorne zu einen erheblich breiteren schwarzen Saum und oft noch vor seiner Mitte einen queren Fleck; am Kopfe finden sich bisweilen schmale bräun- liche Striche auf der Stirne und ebensolche Flecke auf dem Kopf- schild, sowie gleichfarbene Linien auf den Zügeln (Lorae). Phytocoris Fopuli Kirschbaum, Rhynchot. Wiesbadens, 1855, 38, 16. Wahrscheinhch ! Fhytocoris dimidiatus Fieber, Europ. Hemipt. 1861, 260, 9. — Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 307, 4. Capsus longipennis Thomson, Opusc. entom. 1874, IV, 418, 5. Fhytocoris longipennis Flor, Rhynchot. Livlands, 1860, H, 601, 6. — Reuter, Rev. crit. Caps. 1875, 24, 4. — Hemipt. Gymnoc. Sc. et Fenn. 40, 4. — Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 16, 5, t. 7. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 259, 16. — Saunders, Synops. of Brit. Hemipt. Hat. 1875, 264, 2. — Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 236. — Püton, Cat. 1886, 47, 5. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 65. Württemberg: Bei Ulm, an Waldrändern von Sträuchern und Bäumen (Laubholz) geklopft (Klosterwald, Illerholz, Wiblinger Staats- wald); 8; selten. Hüeber. — Elsass-Lothringen: Vosges: Remiremont. Strasbourg : Forets de Walbourg, sur le charme et le chene ; a. c. en juilles. Rhin: Sur le saule; 8. Reiber-Puton. — Westfalen: Um Münster besonders auf Eichen, dann aber auch auf Linden und an- deren Laubhölzern verbreitet und besonders im Herbst (August bis Oktober) nicht selten. Die Form longipennis Flor (= decolorata Reut.) bei Münster einmal von mir gefangen. Var. signatus Reut. (= Fopidi Kirsche., dimidiatus Fieb., longipennis Thoms.) um Münster die Stammform und überall nicht selten; unter Linden, auf Eichen u. 8. w. ; 8. 9. Westhoff, — Schleswig-Holstein: longicornis Flor auf Gebüsch in Wäldern stellenweise nicht selten. Wüstnei. — Mecklenburg : Fk. longipennis Flor, Thoms. (= popnli Fall. Kirsche.) - 275 — von Ende Juli bis Mitte September in allen Laubwäldern auf den Blättern der Haselgebüsche und anderer Sträucher häufig. Raddatz. Aus Deutschland (von Dr. Förster als Fhyt. tiliae). Fieber. Habitat in Quercu (Westhoff, ipse), Fago. Tilia (J. Sahlberg, Westhoff) , Corylo (Saunders) , Populo (Dübois , Lethierry) , Pruno domestico, Platano et Acere, Salice (Dübois) : Suecia (Skane !), Fennia meridionalis! (usque ad 61° 30'); Livonia (Kokenhusen), Danial, Schles- vigia-Holsatia , Mecklenburgia , Batavia, Belgium, Iria, Scotia! et Anglia ! , Gallia ! , Helvetia ! , Bohemia , Hungaria , Halicia , Moldavia. Reuter (1896). [Schweiz: Wie Jiirsutulus Flor bisher als bleiche Varietät mit populi vermischt. Einige Exemplare in Meyer's Sammlung aus Burg- dorf. Frey-Gessner. — Livland: Zwei W, Mitte August. Flor.] 25 (421) Fopuli Linne. L. oblongus albus fuscoque nebulosus. Fabricius. P. populi pallescens albo fuscoque nebulosus. Fallen. Ph. Populi. Viridi-pallens sub-pubescens, antennis elytris pedi- busque nigro-variegatis. Long 3'". Bürmeister. P. Populi L. pallescens, pubescens, albo- et fusco-variegatus ; antennis et pedibus pallidis, fusco-irroratis , femoribus basi albidis, antennarum articulo secundo et tertio annulo ad basin albo; mem- brana hyalino-nitente, extus maculis didymis albis. Long. SYg'". Sahlberg. Länglich-eiförmig, fast gleichbreit, glanzlos, auf der Oberseite schmutzig blass, grauweiss oder ockerfarben und mehr oder weniger dunkelbraun oder schwarz gescheckt, selten grösstenteils schwarz (Var. distindus), dabei mit zartem Flaumhaar bedeckt. — Kopf sehr stark geneigt, von oben gesehen quer, von der Seite gesehen kürzer als hoch, von vorne gesehen so lang wie breit, dabei bräunlichgelb und mit verschiedenen kleinen schwarzen Fleckchen und Strichelchen gezeichnet. — Kopfschild leicht vorragend, von der abschüssigen Stirne nur durch einen verschwommenen Eindruck geschieden. — Scheitel beim Männchen kaum von Augenbreite, beim Weibchen etwas breiter. — Die stark vorspringenden Augen, zu beiden Seiten des Kopfes fast senkrecht gelegen, sind bei beiden Geschlechtern gross, gewölbt und die Scheitelfläche überragend. — Der Schnabel reicht bis zum vierten Bauchabschnitt. — Die dunklen, schlanken, faden- förmigen Fühler sind etwa 74 länger als der Körper; ihr erstes Glied ist so lang als Kopf und Pronotum zusammen, fast so lang wie das 18* — 276 — dritte, ganz leicht verdickt und (bei Annahme hellen Grundes) mit drei schwarzen Längsstreifen versehen (Saunders) oder, was dasselbe, auf schwarzem Untergrund mit zwei durchlaufenden, langen, weiss- lichen, oft sehr schmalen Streifen besetzt (Reuter), dabei noch mit wenigen langen borstigen weisslichen Haaren besetzt ; das zweite Glied ist doppelt so lang wie das erste, und, gleich dem dritten, am Grunde schmal weisslich ; bisweilen hat das zweite Glied auch noch einen weisslichen Ring unterhalb der Mitte ; das vierte Glied ist kaum kürzer als das dritte; die beiden letzten zusammen so lang wie das erste. — Das trapezförmige Pronotum hat leicht gebuchtete (konkave) Seiten, ist vorne ums Doppelte schmäler als am Grunde, daselbst auch mehr oder weniger breit weissgelblich oder weissrötlich, und hinten sowie auf den Seiten wechselnd breit schwarz ; der Grund- rand ist wieder weisslich. — Das etwas gewölbte dunkle Schildchen hat feine blasse Seitenstreifen und einen sich nach vorn erweiternden weisslichen Mittelstreif. — Die hellen Epipleuren der Vorderbrust zeigen zwei schwarze Flecke; die Mittelbrust ist fast ganz, die Hinter- brust an den Seiten schwarzbraun ; die Offnungen weisslich. Der Hinterleib ist oben (Rücken) schwarz, unten (Bauch) beim Männchen schwarz und v/eiss gerandet, beim Weibchen weisslich mit schwarz geflecktem Rande. Der Geschlechtsabschnitt des Männchens ist auf der linken Seite der Öffnung abgestutzt. — Die Halbdecken sind mehr oder weniger schwarz gefleckt, mit feinem silbernen Flaumhaar bedeckt, zwischen welchem sich halbniederliegende schwarze Haare vorfinden; am Ende des Corium ein heller glänzender viereckiger Fleck ; die glashelle (hyaline) grau getüpfelte Membran hat weissliche Adern, doch ist die Cubitalader vollständig und oft auch die Brachial- ader an ihrem Ansatz schwärzlich. — Von den blassgelben, schlanken langen Beinen ist das hinterste Paar das längste ; die Schenkel sind schwarz gesprenkelt, aber nicht besonders dicht oder ausgebreitet; die hinteren haben vor ihrer Spitze eine schiefe blasse Binde und vereinzelte längere abstehende Haare; die Schienen sind schwarz geringelt und mit langen weisslichen feinen Dornen besetzt. — Länge 6 — 7Y2 Toam (das Weibchen etwas länger als das Männchen). Diese Art ist von allen Verwandten durch die Zeichnung des ersten Fühlerglieds (hellgelblich - längsstreifig auf dunklem Grunde, ein oberer und zwei untere seitliche helle Längsstreifen) leicht zu imterscheiden. Reuter (Hemipt. Gymnoc. Europ. V, 261, 17) unterscheidet neuerdings vier Spielarten : — 277 - Var. a: Halbdecken schwarz; mehrere Randflecke, die Kom- missur, ein grösserer ziemlich abgerundeter Fleck in der Mitte und ein zweiter rautenförmiger vor der Spitze, sowie zahlreiche zerstreute kleinere Fleckchen weisslich. Var. /5: Halbdecken mit einem verschwommenen Fleck in der Mitte. Var. y (intennedius Reut.) : Halbdecken fast vollständig schwarz, nur 6 — 7 kleinere Fleckchen am äusseren Rande und ein Fleck vor der Spitze ziemlich hell. Var. d (distinckis Dougl. et Sc): Halbdecken, mit Ausnahme eines rautenförmigen Flecks vor der Spitze, vollständig schwarz; Fühler manchmal fast ganz schwarz; an der oberen Hälfte der Schiene zwei oft zusammenfliessende Ringe. Cimex Poptdi Linne, Syst. Nat. Ed. X, 1759, 449, 73. — Faun. Suec. 1761, 257, 963. — Houttüin, Nat. Hist. 1765, I, X, 370, 73. — P. MüLLEB, Linn. Nat. 1774, V, 503, 109. — Fabriciüs, Syst. Entom. 1775, 727, 154. — Donovan, Nat. Hist. of Brit. Ins. 1798, VH, 95, t. 202 f. 2. — Shaw, General Zoology, 1806, 166. Lygaeus Populi Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IV, 174, 138. — Syst. Rhyng. 1803, 237, 171. — Fallen, Monogr. Cim. Suec. 1807, 79, 39. Miris j^opuli Latreille, Hist. Nat. 1804, XII, 225, 16. Phytocoris distindus Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 302, 1. Capsus Popidi Thomson, Opusc. entom. 1871, 419, 6. Phytocoris intermedüis Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 14, 2, t. VII. Phytocoris Popiü'i Fallen, Hemipt. Suec. 1829, 84, 16. — Herrich-Schäffer, Nom. entom. 1835, 47. — Burmeister, Handb. d. Entom. 1835, II, 268, 9. — Westwood, Introd. of the mod. class. of ins. 1840, II, Syn. 122, ut typus. — F. Sahlberg, Monogr. Geoc. Fenn. 1848, 90, 1. — Kirschbaum, Rhynchot. Wiesbadens, 1855, 38, 16. — Flor, Rhynchot. Livlands, 1860 (I, 413, 1, teilweise, und) II, 594, 3. — Fieber, Europ. Hemipt. 1860, 260, 8. — Reuter, Hemipt. Gymnoc. Sc. et Fenn. 37, 2. — Rev. crit. Caps. 1875, 20, 1. — Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 15, 3, t. 7. (14, 1, t. 7, t. 2 f. 1). — Revis. synon. 1888, 249, 218. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 261, 17. — Saunders, Synops. of Brit. Hemipt. Het. 1875, 264, 3, teilweise! — Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 235. — PüTON, Cat. 1886, 47, 3. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 66. - 278 — Bayern : Bei Regensburg gemein. Kittel. — Bei Bamberg. Funk. — Württemberg: Roser. — Bei Ulm sehr selten; Glacis, Lauter- thal, je 1 Stück ; 8 und 9. Hüeber. — Elsass-Lothringen : Deux ex. ä Remiremont (franz. Vogesen !) en juillet 1877, sur un grand saule de riviere (P.). Reiber-Pdton (Suppl.). — Nassau: M W bei Wies- baden; auf Eichen nicht selten; 7. Kirschraum. — Westfalen: Bei Münster sehr selten. Westhoff. — Schleswig-Holstein : Nicht selten an Pappel- und Weidenstämmen , Juni bis August. W^üstnei. — Mecklenburg: Im Juli an den Stämmen alter Kopfweidenbäume selten. Raddatz. — Schlesien : popidi L. mit Var. tiliae F. : in der Ebene und im Gebirge, von Mitte Juni bis Ende August auf Pappeln, Weiden, Eichen, Birken und Linden, mitunter auch auf Obstbäumen. Assmann. — Provinz Preussen. Brischke. Überall häufig in Gärten, Gebüschen, auf Wiesen. Burmeister. An Weiden und Lindenstämmen in den Rissen der Rinde; durch ganz Europa, einzeln. Fieber. Habitat in Populo balsamifera, Salice caprea et Sorbu aucuparia rarius; Europa praecipue media. Reuter (1875). Habitat in Populo, Salice, Sorbu, Alno incana, Ulmo et Acere (ipse), Fraxino (Frey-Gessner), Tilia (Thonless); Fennia meridionalis! (usque ad 61*^), Suecia (Stockholm!), Norvegia (usque ad Dovre, Throndhjem), Germania borealis, Guestphalia, Batavia, Gallia, Nas- sovia, Bavaria, Bohemia, Silesia, Moravia, Tirolia!, Helvetia, Carinthia!, Austria, Hungaria, Halicia, Moldavia; Sardinia, Sicilia, Graecia! Reuter (1896). [Schweiz: populi L. = Mey. Rh. Taf. 7 Fig. 1*, in dieser Ab- bildung nur durch die langen Fühler in Verbindung mit der dunklen Farbe als solcher von den sehr nahe verwandten Species zu erkennen. Im Mai, Juni und Juli noch unausgebildet ohne Decken. Dann von Ende Juli bis gegen Mitte Oktober entwickelt fast allenthalben in Schächen, auf Weiden, Pappel- und Eschengebüschen vorkommend, doch stets einzeln. Frey-Gessner. — Nieder-Österreich : Bei Gresten auf Birken, sehr selten. Schleicher. — Böhmen: Auf Stämmen alter Linden , Pappeln und Weiden , infolge seiner Farbe und Zeichnung manchmal recht schwer zu finden; 7 — 8 überall nicht selten. Duda.] Phirsutulus Flor. Länglich-eiförmig, fast gleichbreit, blass gelblichgrau mit schwarzer Zeichnung (unterseits hellgelb mit braun), glanzlos, mit wirrem weissem * Diese Figur gehört (Reuter, Eev. syn. 1888, 250) zu Ph. tiliae Fab. H. — 279 — Flaumhaar und dazwischen halb anliegenden schwarzen Haaren be- deckt, ähnlich wie bei Fh. mtricatus, aber stärker als bei Ph. populi. — Kopf stark geneigt, schmutzig blassgelb, nur wenig gezeichnet, Kopfschild und Stirne nur durch einen ganz schwachen Eindruck geschieden. Scheitel von Augenbreite. Augen ($) stark vorspringend (wie bei Ph. populi $). Schnabel bis zum dritten Hinterleibsabschnitt reichend. — Pronotum vorne, hinter der Einschnürung, etwa um die Hälfte schmäler als am Grunde, seine Seiten gerade, vorne gelblich, hinten schwarz, die Seitenränder (fast bis vorne) gleichfalls schwarz ; der Hinterrand schmal blass gesäumt. Das helle Schildchen zeigt zwei sich einander nähernde schwarze Längsflecke und je einen schwarzen Fleck im Grundwinkel. — Die blass-gelbgrauen Hälbdecken sind unregelmässig dunkelbraun und schwarz gescheckt, gegen den inneren Coriumrand zu dichter. Die glashelle Membran ist grau ge- tüpfelt und hat schwarze Adern. — Die grauschwarzen Fühler sind erheblich länger als der Körper; ihr erstes, weissgetüpfeltes Glied ist etwas länger als das Pronotum und mit dichten langen Borsten- haaren besetzt; das zweite Glied ist etwa zweimal so lang wie das erste; das dritte ^5 kürzer als das zweite; Glied 2 und 3 sind am Grunde schmal hell gesäumt; die beiden letzten Glieder zusammen sind kaum länger als das zweite. — Die Beine ähnlich wie bei Ph. longipennis ; die Schenkel ziemlich lang (abstehend, hell) be- haart, sparsam schwarz und dunkel gescheckt; die Hinterschenkel etwa siebenmal länger als an der dicksten Stelle breit; die Schienen schwarz geringelt (wie bei Ph. populi) und mit kleinen Dornen be- setzt. — Länge ($) etwa 5 mm. Diese Art soll sich von Ph. Populi durch eine weniger satte (d. h. hellere) Färbung, durch andere (dichtere) Behaarung, durch kürzeres und anders gezeichnetes erstes Fühlerglied (nach Flor durch geringere absolute und relative Länge desselben) unterscheiden. — Reuter hält diese Art für ähnlich mit Ph. confiisus Reut., nur dass, bei geringerer Körpergrösse, das erste Fühlerglied kürzer, das zweite länger ist bezw. sei, und die Augen (des Weibchen) stärker vor- springen. Reuter selbst (und ihm stand wohl viel Material zur Verfügung) kennt diese Art nicht aus eigener Anschauung! — Flor gründet seine Beschreibung auf ein einziges , Ende August im Gras unter einem Eichbaum bei Nitau in Livland gefundenes Weibchen! — Raddatz will im August in einem mecklenburgischen Laubwald ein hierher gehöriges Männchen gefangen haben ! — Ich persönlich wage - 280 — nicht zu entscheiden, ob ein solcher einmaliger Einzelfund (zumal bei so wenig abweichenden Merkmalen) zur Annahme und Aufstellung einer neuen Art berechtigt, und ob Jiirsutidus Flor denn nicht bloss eine seltene Spielart von Fh. populi sein sollte? Phytocoris hirsutulus Flor, Rhynchot. Livlands 1861, II, 597, 4. — Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. (Spec. Gener. Phyt), Ser. V, 1877, 32, tab. 7. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 264, 19. — Puton, Cat. 1886, 47, 7. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 64. Mecklenburg : Ein Männchen, welches ich zu dieser Art ziehen muss, fing ich im Laubwalde bei Schlemmin am 4. August. Raddatz. Habitat in Quercetis (Flor) ; Livonia (Flor) ; Mecklenburgia, sec. D. Raddatz. Reuter (1896). [Schweiz: Wurde bisher als bleiche Varietät mit P. populi zusammengeworfen ; scheint bei uns häufiger zu sein als populi L. und an den nämlichen Orten vorkommend ; Juli und August. Frey- Gessner. — Livland : Ein W Ende August , im Grase unter einem Eichbaum. Flor.] 26 (422) dwiidiatus Kirschb. Ph. dimidiatus S $: S^/^'" long., ^e'" ^^^- ■> oblongus, ochro- leucus, nigro-maculatus aut nebulosus, laevis, parum nitens, nigro- pilosus, pallide pubescens; antennis corpore longioribus, articulo 1 capitis cum pronoto longitudine ; prothoracis dimidio posteriore nigro , margine albido ; scutello striis tribus fuscis ; hemielytris fere nigris (d) aut albido-nigroque-nebulosis ($). Kirschbaum. Dark or pale grayish-yellow , clothed with depressed, curled, silverwhite hairs, intermixed with somewhat erect black ones. An- tennae: 2°^ Joint brownish, with a broad pale band in the middle; tibiae with 3 brown bands. Douglas and Scott. Länglich, blass weisslichgelb oder graugelblich, dabei mehr oder weniger schwarz gescheckt (das S dunkler als das $), mit weissem, filzigem Flaumhaar bedeckt, zwischen welchem sich bald abstehende, bald anliegende (Corium) schwarze Haare vorfinden. Pronotum und Schildchen besitzen mehr oder weniger Glanz, die Halbdecken sind matt. — Der stark nach unten geneigte Kopf ist von der Seite ge- sehen viel kürzer als hoch, von vorne gesehen so lang wie breit, von gelblicher Farbe und mit feinen dunkelbraunen Querlinien auf dem leicht vorspringenden, von der Stirne nur schwach geschiedenen Kopfschild gezeichnet. Der Scheitel hat beim Männchen etwa Augen- — 281 - breite, während er beim Weibchen erheblich breiter ist. Die fast senkrecht gestellten, etwas vorspringenden Augen ragen (beim Männ- chen mehr) über die Scheitelfläche vor. Der blasse Schnabel hat eine schwarze Spitze. — Das trapezförmige, glänzende, nach vorne ziemlich stark geneigte Pronotum zeigt am Vorderrande den ringförmigen Wulst, deutliche Schwielen und schwarze Behaarung; dabei ist es etwa Vs kürzer als an seinem Grunde breit und in seiner hinteren Hälfte schwarz oder schwarzbraun, gleichwie die leicht- konkaven Seiten, während der Grundrand selbst mit drei nach vorne vorspringenden Ecken oder Zipfeln (zwei stumpfe seitlich, ein spitzer mittlerer) hell ist. Das gelbbraune, schwarz behaarte Schildchen zeigt drei dunkelbraune Längsstreifen und bräunliche Vorderecken, während seine Spitze hell ist. Die Seiten der Vorderbrust sind oben schwarz, unten hell. Die Mittelbrust ist schwarz, ebenso der Hinter- leib des Männchens. — Die glanzlosen Halbdecken sind im allge- meinen schwarz mit helleren bräunlichen Tüpfeln und anliegenden schwarzen Haaren; vor ihrer Spitze findet sich ständig ein blasser, glänzender, rautenförmiger Fleck; beim Weibchen sind die Decken durchgehends heller. Die glasartige, helle, graubraun getüpfelte Membran hat weissliche Adern, nur die Kubitalader und meist auch der Grund der Brachialader ist schwarz. — Die dünnen, schwarzen Fühler sind länger als der Körper und fein anliegend behaart; ihr erstes , verhältnismässig dickstes Glied ist so lang wie Kopf und Pronotum zusammen, schwarz gescheckt auf blasser Grundfarbe (nicht mit langen schwarzen Linien !) und ziemlich dicht mit langen steifen, weissen und braunen aufrechtstehenden Haaren besetzt; das dunkle zweite und dritte Glied ist am Grunde schmal gelblichweiss ; das zweite zeigt meist noch einen weissen Ring unterhalb der Mitte, ist (länger als bei tiliae!) etwa doppelt so lang wie das stärkere erste, jedoch kürzer als die beiden letzten Glieder zusammen; das dritte Glied ist 75 — V4 kürzer als das zweite ; das vierte wenig kürzer als das erste ; das dritte und vierte zusammen länger als das zweite ; das zweite, dritte und vierte Glied fein anliegend behaart. — Die langen dünnen graulichweissen Beine sind mit zarten , etwas ab- stehenden weissen Härchen bedeckt ; ihre Schenkel sind gegen die Spitze zu schwarz marmoriert, die Hinterschenkel etwa siebenmal länger als an ihrer dicksten Stelle breit. Die Schienen (besonders die vorderen) sind dreifach geringelt und mit feinen blassen Dornen besetzt. Die Fussglieder sind bräunlich. — Länge bei beiden Ge- schlechtern 6^3 — 7 mm. — 282 - Nach Kirschbaum steht Pli. dimidiatus zwischen popidi und tiliai\ hat mit beiden die bedeutende Länge des ersten Fühlergliedes gemeinsam, unterscheidet sich aber von populi durch den breiteren Zwischenraum der Augen und durch die etwas kürzeren Fühler wie Fühlerglieder; von tüiae durch das längere zweite Fühlerglied; von beiden aber durch seine Zeichnung und Färbung, besonders durch die stets dunkle Hinterhälfte des Vorderrückens (Pronotum) und durch seine merklich glänzendere Oberfläche. Nach Reuter unterscheidet sich Ph. dimidiatus leicht von den nächst verwandten Arten durch sein glänzendes Pronotum; ausserdem von Ph. populi L. durch die Zeichnung des ersten Fühler- gliedes, durch die beim Weibchen weniger vorspringenden Augen und durch den (zwischen den Augen) etwas breiteren Scheitel; von Ph. longipennis Flor durch kräftigeren Körperbau, durch kürzere Fühler und Beine, durch den erheblich breiteren Scheitel des Männ- chens, durch die beim Männchen weit kleineren und auch, beim Weibchen weniger gewölbten und weniger vorragenden Augen, sowie durch die blassen Ringel der Mittelschienen, welche hier nicht breiter als die schwarzen Zwischenräume sind; von Ph. Beuten Saunders durch den etwas grösseren Körper, durch das längere erste und das deutlich kürzere vierte Fühlerglied*; von Ph. intricatus Flor durch das etwas längere erste Fühlerglied und das erheblich kürzere zweite, während das vierte deutlich kürzer als das erste, der Scheitel bei beiden Geschlechtern erheblich breiter, der Körperbau etwas kräftiger ist und die Färbung meist mehr ins Schwarze geht; von Ph. pini Kirsche, und dessen nächsten Verwandten unterscheidet er sich durch den Bau der Fühler (indem das erste [Grund-] Glied so lang wie Pronotum und Kopf zusammen ist) und durch die längeren Hinter- schenkel. Häufig scheint diese Art gerade nicht zu sein: Iürschbaum kannte nur zwei, bei Wiesbaden im Juli auf Eichen gefangene Exemplare (S und $) ; Douglas und Scott gründeten ihre (besonders nach Färbung und Zeichnung) sehr eingehende Beschreibung des Ph. dubius auf ein einziges im Juni auf einem Pflaumenbaum bei Darenth Wood (England) gefundenes Exemplar, auf dessen Besonder- heit sie von Fieber aufmerksam gemacht wurden ; auch in den deutschen Lokalfaunen nahm Pit. dimidiatus bisher eine recht be- * Nach Saunders ist Ph. dimidiatus auch bedeutend schlanker, mehr gefleckt, weniger braun gefärbt, hat ein verhältnismässig kürzeres drittes und längeres erstes Fühlerglied, letzteres deutlich länger als das vierte. — 283 — scheidene Stellung ein, wobei allerdings die Möglichkeit in Betracht zu ziehen ist, dass diese Art von den einzelnen Sammlern u. s. w. vielfach nicht als solche erkannt und vielleicht mit ihren nächsten Verwandten verwechselt wird. Neuerdings werden allerdings von Reuter (siehe unten) zahlreiche Fundorte namhaft gemacht. Phytocoris dimidiatus Kirschbaum, Rynchot. Wiesbaden, 1855, 39, 17 und 122, 2. — Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, VII, 1877, 17, 6. — Medd. Soc. F. et Fl. Fenn. V, 167, 51. — Rev. synon. 1888, 249, 219. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 265, 20. — PüTON, Cat. 1886, 47, 6. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 64. — Saunders, Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 237. Fhytocoris diibius Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 305, 3. Vielleicht gehören noch hierher: Cimex umbratilis Linne, Syst. Nat. 1758, Ed. X, 448, 61. — Faun. Suec. 1761, 254, 951. — Cimex inquinatus Fabriciüs, Mant. Ins. 1787, 304, 250. — Ly- gaeus inquinatus Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IV, 1794, 173, 134. • — Syst. Rhyng. 1803, 236, 161. — Miris inquinatus Latreille, Hist. Nat. Xn, 1804, 222, 11. — ? Elsass : Remiremont (franz. Vogesen !) un exemplaire. Reiber- PuTON. — Nassau: Scheint selten, nur einmal (W) bei Wiesbaden, 7, gefangen. Kirschbaum. — Westfalen : Sehr selten ; 30. 9. 79 bei Münster ein einzelnes Individuum unter Eichen gekätschert von Westhoff. — Mecklenburg: Ich fing nur zwei Weibchen zu Anfang August bei Markgrafenheide. Raddatz. Habitat in Quercu (Kirschbaum, Saunders, Westhoff, ipse), Pruno domestica (Douglas et Scott), Populo [etiam in Pino, forsitan cum Ph. intricato confusus] (Dubois) : Fennia meridionalis (Helsing- fors!, Kimito!), Suecia (Helsingborg!), Mecklenburgia, Batavia, Scotia!, Angha !, Gallia, Nassovia, Thueringia, Bohemia, Helvetia, Hispania (?), sec. D. Prof. Bolivar, Austria (Lipiza!). Reuter (1896). [Schweiz: Zwei Exemplare in Bremi's Sammlung unter populi und ein Stück in Meyer's Sammlung aus Burgdorf, wo die Art auf Erlen alljährlich vorkommt. Frey-Gessner. — Graubünden: Selten; einmal bei Chur. Killias.] 27 (423) intricatus Flor. Länglich-eiförmig, fast gleichbreit, glanzlos, blass grüngelb oder graugelblich, mit schwarzen Flecken wechselnd marmoriert. Die — 284 — Behaarung ist sehr verschieden : während die Unterseite des Körpers einschl. Beine fein hell behaart ist, finden sich auf der Oberseite dreierlei Sorten von Haaren: kurze, helle, anliegende, leicht glänzende als wirres Flaumhaar; ziemlich lange, helle, aufgerichtete Haare (besonders an Kopf und Pronotum) ; schwarze halbliegende Haare (besonders auf dem hinteren Teil der Halbdecken). — Der fast senk- recht stehende Kopf erscheint von oben gesehen quer, von der Seite gesehen weit kürzer als hoch; er ist gelbbraun gefärbt und dabei (auf Stirne, Scheitel, Kopfschild, Zügeln) mit dunkelbraunen oder schwarzen Punkten, Streifen und Flecken wechselnd gezeichnet. Das nur wenig vorspringende Kopfschild ist von der Stirne kaum ge- schieden. Der Seheitel ist beim Männchen schmaler als ein Augen- durchmesser, beim Weibchen etwas breiter als ein solcher. Die schwarzen, gekörnten, zu Seiten des Kopfes fast senkrecht liegenden, beim Männchen sehr grossen Augen erheben sich kaum ($) oder merklich (S) über die Scheitelfläche. Die dunklen Fühler sind länger als der Leib ; ihr erstes Glied ist schlank, so lang wie das Pronotum, weiss getüpfelt [nach Flor gelblich mit zahlreichen braunen unter- einander sich hier und da fast maschig verbindenden Sprenkeln an der Ober- und Innenseite] und mit zahlreichen blassen Borstenhaaren besetzt ; das zweite und dritte Glied ist am Grunde schmal weiss- lich, das zweite bisweilen in seiner Mitte breit blass und zweimal länger als das erste Glied; das dritte Glied ist nur halb so lang wie das zweite ; das vierte kaum kürzer als das erste ; die beiden letzten zusammen kaum länger als das zweite. Der schmutzig-gelbe, an seiner Spitze schwärzliche Schnabel reicht bis zum dritten oder vierten Bauchabschnitt. — Pronotum graulich, nach vorne zu heller, mit schwarzer, bisweilen gebrochener Binde vor dem Grundrand, auf der vorderen Einschnürung zwei graue oder leicht rostfarbene Flecke; es ist etwa l^gi^al so breit wie lang und hat schwach gebuchtete (konkave) Seiten. Schildchen mit zwei dunklen Flecken in den Vorderecken und zwei dunklen, nach hinten zu auseinanderweichenden Längsstreifen. Mittelbrust braun oder schwarz. Pleuren weiss mit bräunlichen Flecken. Bauch an den Seiten fast ganz schwarz, nur in seiner Mitte schmal schmutzig weissgelb ; beim Männchen herrscht die dunkle Färbung vor. — Halbdecken lang, blass graugelb, wech- selnd und unregelmässig schwarz oder dunkelbraun getüpfelt, an der Spitze stets mit einem blassen, fast rhombischen, am Grunde schwarz gesäumten Fleck. Membran glashell, wechselnd unregelmässig schwarz- grau gefleckt, mit blassen Nerven ; nur die Kubitalader ist vollständig — 285 — und die Brachialader an ihrem Grunde schwärzlich. — Die hellen Beine sind mit ziemlich langen blassen Haaren besetzt ; die Schenkel schwarz gescheckt, am Grunde blass ; die Hinterschenkel etwa sieben- mal länger als an der dicksten Stelle breit. Die Schienen zeigen ziemlich breite schwarze Ringel (bei den mittleren so breit wie die weissen Zwischenräume) und feine gelbbraune zarte Dorne. — Länge bei beiden Geschlechtern 6V2 — 7 mm. Nach Flor hat diese Art eine dem Fh. pini Kirschbaum sehr ähnliche Färbung, unterscheidet sich jedoch scharf durch die ver- schiedene Länge der Fühler und ihrer einzelnen Glieder, sowie durch die auf dem Scheitel einander beträchtlich mehr genäherten Augen. Nach Reuter unterscheidet sich Fh. intricatus Flor durch folgende Merkmale : von Fh. Feuteri Saunders durch etwas grösseren Leib , schmäleren Scheitel , grössere Augen (besonders beim Männ- chen), erheblich anders gestaltete Fühler (zweites Glied sehr lang); von Fh. dimidiatus Kirschbaum durch das kürzere erste Fühlerglied, durch das erhebhch längere zweite , durch den schmäleren Scheitel beim Männchen und durch das weniger glänzende Pronotum; von Fh. hirsnhäus Flor durch den grösseren Körperbau und durch die beim Weibchen über die Scheitelfläche weniger vorspringenden Augen; von confusus Reuter durch den Bau der Fühler, die mehr grauliche Färbung und den schmäleren Kopf; von longipennis Flor durch die mehr grauliche Färbung, durch das kürzere erste Fühlerglied, durch die weniger vorstehenden Augen, durch den beim Männchen etwas breiteren Scheitel und durch die breiteren schwarzen Ringel an den Schienen; von Fh. pini Kirschbaum durch den Bau von Kopf und Fühlern, durch das vorne mehr verschmälerte Pronotum, durch die längeren Halbdecken und durch die längeren und schlankeren Schenkel. Fhytocoris intricatus Flor, Rhynchot. Livlands, 1861, H, 603, 7. — Reuter, Hemipt. Gymnoc. Sc. et Fenn. 41 , 5. — (Rev. crit. Caps. 1875, 25, 5.) — Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 18, 8, tab. 7. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 267, 21. — Puton, Cat. 1886, 47, 9. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 65, Schleswig-Holstein : In einigen Stücken in Madskov bei Sonder- burg von Gebüsch geklopft, August 1891. Wüstnei (Nachtrag, 6. Stück). Habitat in Abiete excelsa (ipse) : Suecia (Stockholm !) , Fennia meridionalis ! (usque ad 62° 20'), Livonia; Schlesvigia-Holsatia ! , Bel- gium (Bruxelles). — Sibiria occidentalis (Tjumen!) D. Dr. Sundman. Reuter (1896). - 286 — * Beut er i Satjnders. Diese, in Deutschland bis jetzt noch nicht gefundene Art hat nach Reuter (analyt. Tabelle in H. G. E. V, 385) als von den nächst Verwandten abweichende Merkmale: „Erstes Fühlerglied wenig länger als das Pronotum, zweites Fühlerglied etwa 7$ — ^U länger als das erste; Scheitel so breit wie das Auge (c?) oder ungefähr ^j- — ^/g breiter ($). Oft dicht dunkel gescheckt." — Die Färbung scheint sehr zu. wechseln , denn Reuter beschreibt eine Varietät a , /J , / (p. 268). — Diese Art unterscheidet sich nach Reuter (p. 269) weiterhin von Ph. dimidiatus Kirschbaum durch die weniger vor- stehenden Augen, durch das glanzlose Pronotum, durch die kürzeren Fühler, deren letztes Glied fast so lang wie das erste und durch die kürzeren Hinterschenkel ; von Ph. intricatus Flor durch die weit weniger gewölbten Augen, durch den breiteren Scheitel, durch ihr zweites Fühlerglied und durch die weit kürzeren Halbdecken und Schenkel; von Ph. pini Kirschraum durch das etwas längere erste, durch das deutlich nicht ganz doppelt so lange (wie das erste) zweite Fühlerglied, durch die etwas schlankeren Hinterschenkel und durch die dunklere Färbung, Nach Saünders (Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 236), der dieser englischen Art (in Trans. Entom. S. London, 1875, 265) den Namen gab, nachdem dieselbe schon von Douglas and Scott (Brit. Hemipt. 1865, 309, 5) als Ph. crassipes (nicht zu verwechseln mit Ph. crassipes Flor, Rhynchot. Livlands, 1861, H, 606 , 8 !) be- schrieben worden war, ist sie „kleiner, kürzer und dunkler als Ph. longipennis Flor ; ihr erstes Fühlergrundglied ist kürzer als Kopf und Pronotum, das zweite Fühlerglied ungefähr lV4nial so lang als das dritte , das vierte so lang wie das erste ; das Pronotum ist an Seiten und Grund (manchmal auch noch mit einer Rückenlinie nach dem Grund zu) dunkler; das Schildchen hat an seiner Spitze einen blassen Strich, manchmal ist es auch vollständig blass; die Halbdecken sind braun mit helleren Tönen marmoriert, manchmal aber auch fast ganz dunkel; Cuneus dunkel; Corium mit dem ge- wöhnlichen blassen Fleck; Beine mit marmorierten Schenkeln und geringelten Schienen , wobei am mittleren Paar die dunklen Ringe breiter als die hellen Zwischenräume sind. Länge 6 mm. Lebt auf Obstbäumen u. s. w." — Douglas und Scott glauben, dass dieses Tier von den verschiedenen Sammlern bisher für den sehr ähnlichen Ph. popidi gehalten wurde ; ihre Tiere wurden von Fieber geprüft, sie selbst fanden solche nie mit anderen Arten zusammen, aber (in - 287 — England) ziemlich häufig beim Streifen, im August, auch auf Apfel- bäumen. Douglas und Scott gaben ihr nachfolgende (allerdings auch auf die anderen Phytocoris- Arten mehr oder weniger passende) Diagnose: „Dunkelgrau oder dunkelgelbgrau, bedeckt mit anliegenden, gekräuselten, weissen Härchen, zwischen welchen sich einzelne auf- rechtstehende schwarze Haare finden ; zweites Fühlerglied in seiner Mitte mehr oder weniger deutlich blass ; Schienen mit drei schwarzen oder bräunlichen Ringen." Phytocoris crassipes Douglas et Scott, Brit. Hemipt. 1865, 309, 5 (nee Flor!). Phytocoris Eeuteri Saunders, Synops. of Brit. Hemipt. Het. 1876, 265, 5. — Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 236. — Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 17, 7, tab. 7. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 268, 22. — Püton, Cat. 1886, 47, 8. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 67. Habitat in Pyro (Douglas), Ulmo (Lethierry), Populo (Horvath) : Anglia!, Batavia!, D. Fokker; GaUia (Lille!) D. LEiraERRY; Hungaria (Novü, Dänos!), D. Dr. Horvath; Romania (Bucarest!), Dr. Montan- don. Reuter (1896). Danach scheint diese Art nicht mehr, wie bisher angenommen, specifisch englisch zu sein und könnte möglicherweise auch bei uns gefunden werden. 28 (424) pini Kirsche. Ph. pini, S 9 2V2 — 3'" long., 7^'" lat., oblongus, laevis, opacus, dilute flavo-ferrugineus nigricanti-ferrugineoque-adspersus aut nebu- losus, nigro-pilosus, pallide pubescens; antennis corporis longitudine, articulo 1 prothoracis longitudine, 4 quam 3 breviore ; capite valde declivi. Kirschbaum. Länglich gebaut und dabei doch ziemlich kurz, glanzlos, ver- schwommen weisslichgrau oder gelbrötlich bei schwarzer, bräunlicher oder roströtlicher Scheckung und Tüpfelung ; Unterseite grösstenteils braun ; dabei mit weissem filzigen Flaumhaar und dazwischen auch mit längeren, mehr abstehenden weissen oder auch schwarzen Haaren bedeckt (letzteres, jedoch ziemlich niederliegend, auf der hinteren Hälfte der Halbdecken). — Kopf stark geneigt, von oben gesehen leicht quer, von der Seite gesehen viel kürzer als hoch, mit braunen oder rostroten Punkten, Stricheln und Flecken. Kopfschild wenig vorragend, von der Stirne kaum, wohl aber von den Wangen ge- — 288 — schieden. Scheitel beim Männchen von Augenbreite, beim Weibchen noch um V3 breiter. Der blasse, an seiner Spitze schwarze Schnabel reicht bis zum dritten Bauchabschnitt. Die schwarzen länglichen Augen ragen nur wenig vor. — Das trapezförmige, stark geneigte und schwarz behaarte Pronotum ist vorne breiter als bei den meisten anderen Arten dieser Gattung, l^s so breit wie lang, hat gerade Seitenränder, vorne einen ringförmigen Wulst mit deutlichen Schwielen und ist daselbst gelbbraun mit einzelnen rostroten Tupfen, während seine hintere Hälfte grau ist mit unregelmässigem (mitunter in sechs dunkle Querstriche geteilten) schwärzlichem Querstreif; der Hinter- rand selbst ist wieder gelblich. Das gelbbraune Schildchen hat rote, oft (besonders beim Männchen) auch schwärzliche Zeichnung, meist in beiden Vorderecken und jederseits nahe der Hinterecke. Die Seiten des Vorderbruststückes (Epipleuren) sind gelblich mit ver- schwommenen rotbraunen Längsstrichen ; beim Männchen oben dunkel- braun, unten hell. Die Mittelbrust und die Seiten der Hinterbrust sind schwärzlich, ebenso wie der Hinterleib des Männchens. — Die Halbdecken überragen den Hinterleib massig und sind weissgraulich oder verschwommen schmutzig-gelblich und dabei dicht und unregel- mässig dunkelbraun oder schwärzlich gescheckt, wobei die dunkle Färbung (besonders gegen die Spitze des Coriums zu) manchmal überwiegt; oft erscheinen sie auch hellbräunlich mit dunkelrotbraunen, beim Männchen schwärzlichen Punkten, letztere, in Fleckenform, besonders am Aussenrande der Halbdecken und an der Membran- naht; vor der Spitze findet sich der nahezu rautenförmige blasse Fleck. Die Adern der glasartigen, grau und braun getüpfelten Mem- bran sind weisslich, die Kubitalader jedoch ist verdickt und voll- ständig schwarz. — Die grauschwarzen dünnen Fühler sind etwa von Körperlänge; ihr erstes, verhältnismässig dickstes Glied (dicker als bei den anderen verwandten Fhytocoris-kxten) ist ebenso lang als das Pronotum, weiss getüpfelt (oder, bei hell angenommener Grundfarbe, dunkelrotbräunlich zusammenfliessend gesprenkelt) und mit einigen braunen steifen Haaren besetzt; das zweite Fühlerglied ist etwa zweimal so lang (beim Männchen noch mehr) als das erste und hat einen blassen Ring hinter seiner Mitte; überdies ist es, gleich dem dritten Ghede, an seinem Grunde schmal weisslich; das dritte Fühlerglied ist fast ^4 so lang als das zweite; das vierte so lang wie das erste , kürzer (^3) als das dritte ; die beiden letzten Glieder zusammen so lang wie das zweite. — Die langen dünnen Beine (wie bei longipennis) sind ziemlich kurz behaart; ihre — 289 — Schenkel sind schwarz oder dunkelrotbraun gescheckt, besonders gegen die Spitze zu, an ihrem Grunde weisslich ; die Hinterschenkel sind etwas kürzer und dicker als bei den anderen verwandten Arten, nur etwa fünfmal länger als an der dicksten Stelle breit, vor ihrer Spitze mit weisslicher Binde; die Schienen (besonders die vorderen) sind ziemlich breit schwarz geringelt und mit zarten gelbbraunen Dornen (länger als die Schenkel dick) besetzt; an den mittleren Schienen sind die dunklen Bänder erheblich breiter als die blassen Zwischenräume. Die Fussgheder (Tarsen) sind bräunhch. Länge : Männchen 574, Weibchen 6V2 mm. Diese Art unterscheidet sich von den bisher beschriebenen (vorstehenden) Phytocoris- Alten durch ihre kürzeren Halbdecken, durch ihren weniger länglichen (kürzeren, stämmigeren) Körperbau, durch das auffallend kürzere und weniger starke erste Fühlerglied, sowie durch ihre kürzeren Schenkel (besonders am dritten Beinpaar). In Zeichnung und Färbung ähnelt sie dem PJi. Eeuteri, in der Be- haarung dem Ph. intricatus. Phytocoris Populi Zetterstedt, Ins. Lappon. 1840, 273, 9 (aus- schliesslich Synonyme). Phytocoris crassipes Flor, Ehynchot. Livlands, 1861 , II, 606, 8. — ? Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 309, 5. Capsus (Phytocoris) minor Thomson, Opusc. entom. IV, 1871, 418, 3. Phytocoris Pini Kirschbäum, Rhynchot. Wiesbadens, 1855, 40, 21 und 123, 3. — Fieber, Europ. Hemipt. 1861, 261, 11. — Dou- glas and Scott, Entom. Monthl. Mag. XI, 144. — Saunders, Synops. of Brit. Hemipt. Het. 1875, 265, 6. — Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 237. — Reuter, Hemipt. Gymnoc. Sc. et Fenn. 42, 6. — Rev. crit. Caps. 1875, 26, 6. — Ann. Soc. Entom. Ser. V, 1877, 19, 10, tab. Vn. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 269, 23. — PüTON, Cat. 1886, 47, 12. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 66. Elsass-Lothringen : Sur les sapins. Vosges : Remiremont , La Vancelle, Hohkoenigsbourg ; assez commun. Metz. Reiber-Puton. — Nassau : M W bei Wiesbaden und Mombach ; auf Kiefern, im Schier- steiner Wald , besonders im Mombacher Wald , nicht selten. 7 bis Anfang 9. Kirschbaum. — Westfalen : Einzeln bei Münster auf Pinus silvestris gefangen; 7. 77 auf der Coerheide. Westhoff. — Thüringen: Im Thüringer Wald, selten. Kellner- Breddin. — Mecklenburg: Von Jalireshefte d. Vereins f. vaterl. Katurkunde in Württ. 1898. 19 - 290 — Mitte August bis Mitte September auf Kiefern in den Barnstorfer Tannen, Cramonstannen und auf der Föhre nicht selten. Kaddatz. In Deutschland. Fieber. Habitat in Pino silvestri (Kirschbaum, ipse) et P. austriaca (P. LoEw), Abiete excelsa (Püton, Horvath), etiam in Junipero (Nor- man) : Lapponia, sec. Zetterstedt, Suecia (Stockholm !), Fennia meri- dionalis (usque ad 61° 30'), Livonia, Mecklenburgia, Batavia!, Bel- gium, Scotia!, Anglia, Gallia!, Nassovia, Thueringia, Bohemia, Hel- vetia ! , Tirolia , Austria inferior ! , Hungaria , Halicia , Moldavia, Hispania (?), sec. D. Chicote, Sicilia! Reuter (1896). [Schweiz : crassipes Flor hat sehr viele Ähnlichkeit mit dimi- diatus Kirschbaum. Ausschliesslich auf Föhren im September einzeln und nicht gerade selten , im ganzen Jurazug bei Aarau , soweit die Föhrenzone reicht. Frey-Gessner. — Graubünden: Bei Sedrun auf Pinus picea. Killias. — Tirol: crassipes Flor auf dem Ritten, einzeln auf Föhren. Gredler. — Nieder-Österreich: Bei Gresten auf Fichten und Lärchen, selten. Schleicher. — Böhmen: In Wäldern auf Kiefern und Fichten; um Wartenberg, 7 — 8, ziemlich gemein, auch aus Chodau; sonst wenig beobachtet. — Bei Königgrätz, 7, auf Fichten einzeln. Duda. — Livland: 2 W Ende Juli, Mitte Au- gust. Flor.] *jumperi Frey-Gessner. Lang gestreckt-eiförmig, fast gleichbreit, die Weibchen etwas kürzer und gedrungener als die Männchen, glanzlos, graugelblich oder graurötlich mit dunkelbrauner bezw. schwarzer Zeichnung ; öfters neigt die Färbung mehr ins Blutrote, die Zeichnung ist dann rot- braun ; dabei mit feinen blassen Haaren besetzt , zwischen welchen sich (besonders auf dem Pronotum) auch mehr oder weniger schwarze Haare verteilt finden. — Der gelbliche, rostbraun gezeichnete Kopf erscheint von oben gesehen leicht quer, von der Seite gesehen etwas kürzer als hoch. Der Kopfschild ragt stark vor; der Scheitel ist beim Männchen um ^j^, beim Weibchen um ^4 breiter als das Auge. Die Augen selbst erscheinen, besonders beim Männchen, von oben gesehen fast kreisrund. — Das Pronotum ist breiter als lang, matt, geradseitig und mit ziemlich starken zerstreuten schwarzen Haaren besetzt ; von Farbe ist es grau bis rötlichbraungelb , vorne heller, nach hinten zu allmählich dunkler werdend; vor dem hellen Hinter- rand findet sich eine (oft unterbrochene, mitunter in sechs ineinander- fliessende Flecke aufgelöste) schwarze Querbinde. Halsring (vordere - 291 - Einschnürung) braungelb mit zwei dunklen Flecken. Unterseite des Pronotum braun mit unregelmässigen hellen Flecken. Vorderbrust (um die Hüften) gelblich; Mittel- und Hinterbrust schwarz; Hinter- leib hell und dunkel gefleckt, seine einzelnen Abschnitte schwarz gerandet. Schildchen mehr oder weniger schwarzbraun oder rostrot gezeichnet und gefleckt. — Halbdecken grau bis braungelb mit sammetartigen braunschwarzen Flecken (besonders am Aussenrand von Corium , Cuneus , an der Membrannaht u. s. w.). Die graue, auch gelbbraune, mannigfach getüpfelte und gefleckte Membran hat gelbhche, teilweise auch rötliche Nerven; die Cubital-Ader ist bräun- lich, an der Spitze manchmal blutrot. Die schwarzbraunen Fühler sind von Körperlänge ; ihr erstes, leicht verdicktes Glied ist so lang wie das Pronotum hinten breit, dabei dunkel mit weisslicher Scheckung und zerstreut abstehend behaart; das zweite Glied ist doppelt so lang ($) oder noch länger (6) als das erste, bräunlich, sein Grund und ein Ring in der Mitte hell ; das dritte Glied ist 7* so lang als das zweite und an seinem Grunde ziemlich breit weiss; das vierte braunschwarze Glied ist fast so lang wie das erste, — Die Beine sind, im Verhältnis zu den anderen Phytocoris-kvten, kräftig gebaut und von gelber Grundfarbe; die Schenkel dicht schwarzbraun oder rostbraun gescheckt, ihre Innenseite meist blass; die Hinterschenkel sind überwiegend schwarzbraun, nur ihr Grundviertel ist weisslich. Die Vorderschienen sind gelblichweiss mit schwarzbraunen Punkten und Binden, die Hinterschienen in ihrer Grundhälfte gelblichweiss mit breitem schwarzem Ring nahe dem Grunde , in ihrem oberen Teil braungelb mit dunkler Fleckung und Ringelung. — Länge 5 bis 672 °^^5 ^^^ Männchen immer grösser als die Weibchen. Phytocoris Juniperi Frey-Gessner, Mitteil. d. Schweiz. Entom. Ges. 1865, I, 302. — Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. VH, 1877, 22, 14, t. 2 f. 4. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 277, 30. — PüTON, Cat. 1886, 47, 16. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 65. Habitat in Junipero communi (Frey-Gessner), Calycotome spi- nosa PuTON (in der Rev. d'Entom. irrtümlich als Ph. femoralis auf- geführt): Helvetia(Jura!, 2000—2500' Aarau!, Vallis!); Gallia (Saint- Baume!, Saint-TropezI, Lamalou!, Saint-Antonin!, Amelie!, Nyons!, Rennes le Bains!, Var, Beziers, D. D. Püton et Lethierry; Dal- matia (Lesina!), D. Novak; Herzegovina (Bilek!), Illyria (Görz !), D. Dr. Hensch. Reuter (1896). [Schweiz : Auf Juniperus communis in lichten Föhren- Wäldern. 19* — 292 — An sonnigen trocknen Halden des Jura 2000—2500' ü. M. Bei Aarau von Mitte Juli bis Mitte August ziemlich selten. Frey-Gessner.] 29 (425) tdmi Linne. Lygaeus floralis supra obscure griseus elytris apice puncto rubro, femoribus posticis elongatis nigris. FABRicros. Lygaeus viridus obscurus elytris obscure ferrugineis : punctis duobus apicis albidis. Fabriciüs. Miris ülmi supra rubiginosus elytris striis sanguineis, alis postice albo fuscoque variis. Fabriciüs. Miris longicornis ferrugineus , elytris macula apicis sanguinea, femoribus posticis elongatis variegatis, membrana nigra albo-punctata. WOLFF. Lygaeus ülmi supra rubiginosus pubescens: corpore nigro; membrana, articulo antennarura primo pedibusque nebulosis; puncto apicis elytrorum et nervo membranae sanguineo. Fallen. Phytocoris longicornis luteo-ferrugineus , sub-pubescens, supra fusco-irroratus, femoribus posticis apice tibiisque fusco-nigris. Bür- meister. Lang-eiförmig (das Weibchen mehr oval, mit kürzeren Decken, und deshalb scheinbar etwas verhüttet), mit fast parallelen Seiten, sehr fein gelblich (fleckig) behaart, dazwischen (Oberseite) mit ein- zelnen längeren, mehr abstehenden, schwarzen Haaren. Oberseite rötlich oder bräunhchrot (zimmtfarben) , und in gleicher Farbe ge- scheckt (marmoriert). Unterseite etwas dunkler bis schwarz. — Der einfarbig rostrote Kopf ist geneigt, leicht in die Quere gezogen, von oben gesehen etwa V4 kürzer als das Pronotum, von vorne gesehen wenig länger als breit, von der Seite gesehen, so lang wie hoch. Die ziemlich abfallende Stirn ist leicht gewölbt und vom vorspringen- den Kopfschild durch einen tiefen Eindruck geschieden. Der Scheitel ist beim Männchen um Vs ^ beim Weibchen um V2 breiter als der Augendurchmesser. Die schwarzbraunen Augen stehen beim Männchen ziemlich vor, erscheinen von oben gesehen kreisrund und erheben sich über die Scheitelfläche, letzteres beim Männchen noch mehr als beim Weibchen. Der gelbbraune Schnabel reicht mit seiner schwarzen Spitze bis zum vierten Hinterleibsabschnitt. — Das ziem- lich gleichfarbene Pronotum ist vorne eng, etwa V5 kürzer als hinten breit (beim brachypteren Weibchen fast so lang wie breit), vorne be- haart und hat rückwärts, kurz vor dem schmal rotgelben Hinterrand, einen dunkelbraunen oder schwarzen Querstreif; seine Fläche neigt — 293 — ziemlich nach vorn und seine Seiten sind leicht gebuchtet. Das helle, rotgelbe, einfarbige Schildchen hat an der Spitze manchmal 2 schiefe strichartige braune Fleckchen. Der blass behaarte Bauch ist gleichfalls rotbraun; die Öffnungen sind blassgelblich; der Ge- schlechtsabschnitt des Männchen linkerseits der Öffnung ist ab- gestutzt. — Die langen gleichbreiten Halbdecken überragen beim Männchen ziemlich weit den Hinterleib ; bei dem Weibchen sind sie kürzer, doch giebt es, nach Reuter, auch langflügelige Weibchen. Die Decken sind ziemlich gleichfarbig rötlich mit leichterer oder stärkerer heller und dunkler Tüpfelung, bezw. durchscheinenden hellen Fleckchen und einem hellen trapezförmigen Fleck im hinteren Winkel des Corium ; der Aussenrand ist braun gescheckt ; der Clavus meist dunkler als das Corium und an seinem äussersten Ende schwarz; der Seitenrand (gegen die Spitze zu), sowie die äussere Hälfte des Cuneus ist blutrot, sein Grund blass, weisslich glasartig. Die Adern der graumarmorierten Membran sind gleichfalls rot. — Die sehr langen dünnen Fühler sind blass gelbbraun und mit zerstreuten kräf- tigen schwarzen Borstenhaaren besetzt; ihr schlankes erstes Glied ist etwa so lang wie das Pronotum, blass mit rostroter Tüpfelung und mit langen, steifen Haaren besetzt (welche länger sind als das Glied selbst dick ist) ; das zweite Glied ist etwa doppelt so lang wie das erste und an seinem Grunde blass ; das dritte Glied etwa ^/g kürzer als das zweite ; das vierte kaum kürzer als das erste ; die beiden letzten zusammen von bräunlicher Farbe und kaum länger als das zweite. — Die ziegelfarbenen Beine sind an den Hüften blassgelb ; ihre Schenkel sind mehr oder weniger dicht und dunkel- rotbraun gescheckt (marmoriert), die Spitze hell ; die Schienen sind im allgemeinen blass mit Ausnahme des dunklen Grundes ; die Vorder- schienen sind vorne braun und haben überdies noch zwei ver- schwommene bräunliche Ringe; die Hinterschienen sind an ihrem Grunde rötlich oder bräunlich und dabei gelblichweiss gefleckt. — Länge 6V4 — ^^/g mm, die Männchen im allgemeinen grösser als die Weibchen. Nach Reuter unterscheidet sich diese Art von der früher viel hiermit verwechselten (vergleiche Synonyme !) folgenden {varipes Boh.) durch den Bau von Kopf, Fühlern und männlichem Geschlechts- abschnitt; am Kopf und vorne am Pronotum finden sich hier keine blassen Flecke, die Zeichnung der Halbdecken ist eine andere und der Keil (Cuneus) an seinem Grunde auswärts weisslich-glasartig. Nach Saunders unterscheidet sich ulmi L. von varipes Boh. — 294 — durch die fein gescheckten, dichter behaarten nnd von dunklen Linien freien Halbdecken. Nach Douglas und Scott sind bei der hier nächstfolgenden (mit der eben beschriebenen häufig verwechselten) Art die Fühler bedeutend kürzer, Kopf und Thorax haben eine blasse Linie unter ihrer Mitte, das Corium hat einen deutlichen, grossen, blassen, rhom- boidalen Fleck neben dem Cuneus, und die hinteren Schenkel haben stets zwei breite gelbweisse, unregelmässige, fast bindenartige Streifen. Cimex JJlmi Linne, Syst. Nat. Ed. X, 1758, 449, 74. — Faun. Suec. 1761, 257, 964. — Houttuin, Nat. Hist. 1765, I, X, 370, 74. — P. Müller, Linn. Nat. 1774, V, 503, 110. — Fabriciüs, Syst. Entom. 1775, 727, 155. Cimex ßoralis Fabriciüs, Mant. Ins. 1787, 303, 248. Lygaeus ftoralis Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IV, 171, 127. — Syst. Rhyng. 1803, 235, 156. Miris ulmi Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IV, 188, 16. — Latreille, Hist. Nat. 1804, XII, 229, 40. Lygaeus vividus Fabriciüs, Syst. Rhyng. 1803, 237, 170. Capsus Ulmi Fabriciüs, Syst. Rhyng. 1803, 256, 17. — Thomson, Opusc. entom. 1871, IV, 418, 1. Miris longicornis Wolff, Icon. Cimic. 1804, IV, 155, 149, fig. 149. Miris floralis Latreille, Hist. Nat. 1804, XII, 221, 3. Miris vividus Latreille, Hist. Nat. 1804, XII, 224, 15. Lygaeus Ulmi Fallen, Monogr. Cimic. Suec. 1807, 82, 47. Fhytocoris longicornis Bürmeister, Handb. d, Entom. 1835, II, 269, 10. Phytocoris divergens Meyer, Stettin. Entom. Zeitg. 1841, II, 87. — Schweiz. Rhynchot. 1843, 44, 3. — Kirschbaum, Rhynchot. Wiesbadens, 1855, 39, 19. — Fieber, Criter. z. gener. Theilg. d. Phytocor. 1859, 18. — Europ. Hemipt. 1861, 259, 6. — Flor, Rhynchot. Livlands, 1860, I, 415, 2 und 1861, II, 594, 2. — Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 311, 6. — Snellen van Vollenhoven, Hemipt. Neerland. 1878, 178. Fhytocoris ßoralis Stal, Hemipt. Fabr. 1868, I, 87, 1. Phytocoris Ulmi Fallen, Hemipt. Suec. 1829, 89, 25. — Herrich- ScHÄFFER, Nom. entom. 1835, 47. — Saünders, Synops. of Brit. Hemipt. Het. 1875, 266, 8. — Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 237. — Reuter (Hemipt. Gymnoc. Sc. et Fenn. 43, 7). Rev. crit. Caps. — 295 — 1875, 28, 7. — Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 24, 17, tab. 7. — Rev. synon. 1888, 250, 221. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 281, 33. — PüTON, Cat. 1886, 47, 20. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 68. Bayern: Bei Regensburg gemein; bei Bamberg, Nürnberg, Augs- burg , Freising. Kittel , Funk. — Württemberg : Roser. — In der Umgebung Ulms nicht selten. Hüeber. — Elsass-Lothringen : Region vosgienne surtout; pas rare. 6 — 8. REffiER-PuTON. — Nassau: diver- gens Meyer M W bei Wiesbaden; auf Eichen und mit Ulmi L. im Gras auf Waldblössen zwischen jungen Eichen, z. B. hinter dem Turnplatz, nicht selten. 7—8. Kirschbaum. — Westfalen: Ulmi L., Fäll, nee Fab., H. Schäffer (= äivergens Meyer) überall um Münster auf Laubholz (Eichen, Corylus, Ulmus) häufig von Juli bis September in Alleen, an Waldrändern, in Hecken u. s. w. Sehr selten auf Nadelholz heimatend. Form, brachypt. $ seltener; bei Münster ge- sammelt von Westhoff. — Schleswig-Holstein : Auf verschiedenen Pflanzen im Laubwalde und in den Knicks häufig. Wüstnei. — Mecklenburg : In den Gärten der Vorstadt (Rostock) und am Walle von Anfang Juli bis Mitte August häufig. (Die uhni Kirsche., Flor, welche ich aus dem südlichen Deutschland besitze, habe ich hier noch nicht gefunden.) Raddatz. — Thüringen : Nicht selten. Kellner- Breddin. — Schlesien: äivergens Meyer mit Ulmi, doch 14 Tage bis drei Wochen später, auf Weiden- und Birkengebüsch, Nesseln u.s.w. Scholtz. — In der Ebene und im Gebirge, im August, auf Pappeln, Weiden, Birken, Nesseln und Spiraea salicifolia, stellenweise häufig. Assmann. — Provinz Preussen. Brischke. Wie Ph. Populi in Gärten, Gebüschen, auf Wiesen, aber seltener, mehr im mittleren und südüchen Deutschland, nicht in Schweden. Burmeister. In Gärten auf Pibes rubrum, in Waldblössen auf jungen Eichen, auch auf Weiden und Pappeln. Fieber. Habitat in Ulmo (Linne, Westhoff), Acere (P. Loew), Pruno (Spitzner, Duda), Alno incana (Flor), Quercu (Fieber, Schioedte, West- hoff, Lethierry, Dubois etc.), Betula (Assmann, Schioedte, Duda), Corylo (Westhoff, Duda), Crataego (Duda), Salice (Assmann, ipse), Spiraea salicifolia (Assmann), interdum etiam in Coniferis (Horvath), in Pino silvestri (Kolbe), in Junipero (P. Loew) ; per totam fere Eu- ropam usque in Fennia meridionali (Abo!). Reuter (1896). [Schweiz: äivergens ist weit allgemeiner verbreitet als ulmi — 296 — und findet sich fast allenthalben ; erscheint stets 14 Tage bis drei Wochen früher als ulmi und findet sich mehr auf Weiden- und Pappelgesträuchen, in Schächen und grossen Gärten als auf wilden Anhöhen. Meyer. — Allgemeiner verbreitet als ulmi und findet sich fast allenthalben, sowohl an trockenen Burglehnen als in Schächen, längs der Flüsse und Bäche der Ebenen, erscheint stets ein paar Wochen früher als tdmi. In den Schächen um Aarau und im Jura bis 3000' s. M. häufig. Frey-Gessner. — Graubünden: Malans, Chur, Tarasp. Killias. — Tirol: Nicht weniger häufig als « S-i ^ '1^ a • ^^ Lichtdruck der Hofkunstanstalt von Martin Romme! &: Co., Stuttgart. Jahresheffe d. Vereins f. vaterländische Naturkunde 1898. Tafel UI. Fig. I und 2 : Unterkiefer von Dryopithecus Kontani nach Gaiidrv. l''ig. 3 und 4: Unter- und Oberkiefer eines Nago-Negers ; Naturalienkabinet Stuttgart. J.iL-litdnici: der n<.fl:mi5luii(,tült v.m fllurtin Ilommcl £l V.o.. Stuttgan. Sahresheße d. Vereins f. vaierländische TLaturkunde 1898. Tafel n: //,. ■4- Ja ■ ..,..: ^-V.i-äa8fc ;::; 7. I 9b. ! Ü''' ßa. 10 a. lU. E Okmaitadel. et litk. Drucker P. Bredel, B erlin . Sahresheße d. Vereins f. vaterländische Tlaturkunde 1898. Tafel \. '»^ W -'-^ I 1 .»«**». 9. I -s^f ^ .^4 i-.Oa. /;/,. E OhaTLanadel. et litli . /y// Druck\r P. Bredel, P - Sahresheße d. Vereins f. vaterländische Tlaturkunde 1898. Tafel Y\. ^^ ^ { V, 5*^ ^ *^.. /^ II. Uli. /!^k in,, ■^ r#i, I2a. 12. E.Ohmajia del eL liüi- Druck vp. Bredel/Berlin Sahresheße d. Vereins f. vaterländische Tiaturkunde 1898. Tafel \1I ■---^":^--'.r^i"- r4s,:;^r;^i ■ A-S 'm. 'Ib. ^ Sa. Ä-V«- .;»'?>>.- lih,. \ ■*'-.S!;S.-it-cs:-,5S8»---' .ai_-. ael -L lltll Di-Tj.ck\rP Bredel, Eeriin. Jahresheße d. Vereins f. vaterländische Tlaturkunde 1898. Taie] MW. EOhrrLaimdel. et iiLh. Lr-ackv P Bredel, Berhri.. Jahresheße d. Vereint f vaterländische Tlaturh^nds 1898. Taiel L\. "^ //> ,.c^^ m-'5'- ,^^- %j!^ 3b. '4 a .^ift-füä^ Ha. \ . h^ im 1- E.Ohmanii del. et litK. *l AJ I Druckvr P. Bredel, B erlirL . f Die Autoren sind allein verantwortlich für den Inhalt ihrer Mitteilungen. Von Abhandlungen und Sitzungsberichten erhalten die Autoren auf Verlangen 25 Separat -Abzüge gratis; eine grössere Zahl gegen Erstattung der Herstellungskosten. Die verehrlichen Mitglieder des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg sind höflich ersucht, behufs richtiger Zusendung der ,. Jahreshefte" der Verlagshandlung von jedem Wechsel ihres Wohnortes Anzeige zu machen. EinTDand-Decken zu den Jahresheften. Auf mehrfaches Verlangen haben wir zu den Jahresheften Einband-Deeken in brauner Leinwand ä 70 Pf. herstellen lassen, und zwar von Jahrgang 1884 an (mit Beginn des vergrösserten Formates). Vom Jahrgang 1898 an können die Jahreshefte gleich gebunden zum Preise von M. 6. — ■ geliefert werden. 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