i^Vl ^A-^ HARVARD UNIVERSITY SO LIBRARY OF THE Museum of Comparative Zoology Jeiiaisclie Zeitscbrift s^^t^^ ^ fiir NATURWI8SENSCHAFT herausgegeben von der medicinisch -naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. Neue Folge , Erster Band. Mit 24 Tafeln und 10 Holzschnitten. Jena, Mauke's Verlag (Hermann Dufft). 1874. S'ls-:^ Inhalt. Selt« lis Die Gastraea-Theorie , die phylogenetische Classificatiou des Thierreichb und die Homologie der Keimblatter. Von Ernst Hae eke 1 ... i ^'^ ^^ Ueber die Bedeutung phylogenetischer Methoden fiir die Erforschung lebender Wcsen. Von Dr. Eduard Strasburger .... 56 Ueber Scolecopteris elegans. Zenk. Von Dr. Eduard Strasburger. 81 Neue Apparate ziir Jiestimnuing des Hrecliungs- und Zerstreuuugsvermo- geus fester und fliissiger Korper. Vou Ernst Abbe ..... 96 Zur vergleichenden Auatomie der Hchultermuskeln. (II. Theil.) Von' Max F'tirbringer .„. Ueber elektrische Muskelreizung. Von W, Preyer ..... 281 Ueber die Nachweisbarkeit eines biserialen Archipterygium bei Selachiern und Dipnoern. Von A. Bung e 293 Ueber eine sechszahlige fossile Rhizostomee und eine vierzahlige fossile Samaeostomee. Von Ernst Hae ckel 3Qg Ueber Bau und Entwickelung der Placoidschuppen und der'zahne der Selachier. Von Dr. 0 s car Hertwig 33j Untersuchungen zur vergleichenden Auatomie der Kiemen- und Kiefer- musculatur der Fische. Von Dr. phil. B enj amin Vetter 405 Beitrage zur Kenntniss des feineren Baues der Taenien. Von P. Schief- ferdecker.... „ . 459 ^otiz uber Sipunculus und .Phascolosoma. Von Dr. R. Teuscher ' " 488 Beitrage zur Entwickelungsgeschichte der Nemertinen. VonDrGeore Dieck * Ueber Anlage und Wachsthum der Wurzeln von Lycopodium und Isoetes.' ^^ von Hellmuth Bruchmann 522 Die Gastraea-Theorie, die phylogenetische Classification des Thierreichs und die Homologie der Keimblatter. Von Erni^it Haeckel. Hierza Tafel I. Inhalt: 1. Die causale Bedeutung der Phylogcnie fiir die Ontogenie. 2. Die causale Bedeutuug der Gastraa-Thporie. 3. Die phylogenetischp Bedeutung der zwei primaren Keimblatter. 4. Die phylogenetisclie Bedeutung der vier secundaren Keimblatter. 5. Die systcmatische Bedeutung der Gastraa- Theorie. 6. Die Bedeutung der Gastraa- Theorie fiir die Homologie der Typen. 7. Die phylogenetische Bedeutung dor ontogeuetischen Succession der Organ -Systenie. 8. Die Bedeutung der Gastraa-Theorie fiir die Typen- Theorie. Anhang: Synoptische phylogenetisclie Tabellen. 1. Die causale Bedeutung der Phylogenie fiir die Ontogenie. Die Entwickelungsgeschichte der Organismen hat in jitngster Zeit eine neue Periode ihrer Entwickelung dadurch begonnen, dass sie sich von der empirischen Erforschung der von ihr verfolgten Thatsachen zu der philosophischen Frage nach den natiirlichen Ursachen derselben erhoben hat. Allerdings waren die denken- den Forscher im Gebiete der Biogenie schon seit mehr als einem halben Jahrhundert bemiiht, durch die innige Verknupfung von empirischer Beobachtung und philosophischer Reflexion sich iiber die blosse Kenntniss der biogenetischen Erscheinungeii zu einem tieferen Verstandniss ihrer Bedeutung zu erheben, und nacli „Gesetzen der organischen Entwickelung" zu suchen. Allein die ses verdienstvolle Streben konnte so lange keine causalen Erkennt nisse erzielen, so lange man ausschliesslich die Entwickelung des organischen Individuums an sich verfolgte. Vielmehr ist diese Befriedigung des wissenschaftlichen Causalitats - Bedurfnisses erst moglich geworden, seitdem wir im letzten Decennium begonnen Bd. Vm, N. F. I, 1. 1 2 Ernst Haeckel, haben, die natiirliche Entwickelung der organischen Species zu untersuchen, und durcli diese Stamraesgeschichte der organi- schen Arten die Keimesgesch ichte der organischen Indivi- duen zu erklaren. Nachdem Caspar Friedrich Wolff im Jahre 1759 durch seine „Theoria generationis'' die Epigenesis zum unerschiitterlichen Fundamente der gesarainten Entwickelungsgeschichte erhoben und nachdem auf diesem festen, iiber ein halbes Jahrhundert hindurch unbekannt gebliebenen Grundsteine Christian Pander 1817 den ersten Entwur f der Keimblatter-Theorie vorgezeichnet hatte, gelang es 1828 Carl Ernst Baer in seiner „Entwickelungsgeschichte der Thiere", die Richtung zu bestimmen und die Bahn abzu- stecken, innerhalb deren die ganze folgende Embryologie sich be- wegen musste. In diesem classischen Werke ist durch die gluckliche Verbindung von sorgfaltigster Beobachtung und philosophischer Reflexion, sowie durch die Verschmelzung der embryologischen mit der vergleichend-anatomischen und zoologisch - systematischen Forschung, die jugendliche Wissenschaft von der individuellen Ent- wickelung der Thiere zum Ausgangspunkte der gesammten wissen- schaftlichen Zoologie erhoben, zu dem centralen Knotenpunkte ge- worden, in welchem alle verschiedenen Disciplinen der letzteren wieder zusammenlaufen miissen. Die glanzenden und fruchtreichen Arbeiten von Johannes Muller und Heinrich Rathke, welche na- mentlich im Gebiete der niederen Thiere unsere Kenntnisse ausser- ordentlich erweiterten, haben sich ganz innerhalb jener Bahnen gehalten. Selbst die bedeutendste Arbeit, welche die individuelle Entwickelungsgeschichte der Thiere nachst Baer's Fundamental- Wer-k aufzuweisen hat, die hochst werthvollen „Untersuchungen iiber die Entwickelung der Wirbelthiere" von Robert Remak (1851) miissen als unmittelbare Fortsetzung der BASR'schen Forschungs-Richtung angesehen werden; ihr originelles Hauptverdienst besteht darin, die empirisch-philosophische Untersuchung der embryologischen Processe von dem organologischen Gebiete auf das histologische hinubergefiihrt und die Richtigkeit der Grundsatze, welche Baer an den Individuen zweiter Ordnung, den Organen, aufgestellt hatte, auch an den Individuen erster Ordnung, den Zellen erprobt zu haben. Durch die weitere Ausbildung, die Remak der Keimblatter- Theorie gab, wurde dieselbe zugleich zum Ausgangspunkte der Histo genie erhoben. Wenn so einerseits die klare Berechtigung und voile Gultigkeit der von Wolff und Baer in die Entwickelungsgeschichte einge- Dio Gastraea-Theorie u. s. w. 3 fuhrten Ideen, und vor alien der fundamentalen Keimblatter- Theorie, sich positiv in dem niassgebenden Einfluss zeigte, den sie auf die bedeutendsten Untersuchungen ihrer zalilreiclien Nachfolger ausiibten, so wuvde sie anderseits nicht minder negativ diirch die Ohnmacht einzelner Gegner dargethan, welche die von jenen vor- gezeichnete Bahn zn verlassen und eine neue, ganz abweichende Richtung einzuschlagen versuchten. Der pratensioseste dieser Ver- suche ging von Carl Boguslaus Reichert aus, der in zahlreichen einzelnen Schriften, besonders aber in seinem Aufsatze iiber „das Entwickelungsleben ini VVirbelthier - Reich" (1840) und in seinen „Beitragen zur Kenntniss des Zustandes der heutigen Entwicke- lungsgeschichte" (1843) die Keimblatter-Theorie und die damit zu- sammenhangenden wesentlichsten Grundprincipien der Zoogenesis verwarf, und an ihre Stelle ein wustes Conglomerat von phantasti- schen Einfailen zu setzen suchte , das nicht einmal den Namen einer wissenschaftlichen Hypothese. geschweige denn einer Theorie verdient. Wahrend die vorhergenannten Haupter der Embryologie durch klare leitende Gedanken und Aufstellung von Entwickelungs- Gesetzen Licht und Ordnung in die chaotische Fulle der embryo- logischen Thatsachen zu bringen und die verwickelten Erscheinungen durch Zuriickfiihrung auf einfache Principien zu erklaren bemiiht waren, versuchte Reichert umgekehrt, sich dadurch ein voriiber- gehendes Ansehen zu erwerben, dass er die einfachsten Thatsachen als hochst verwickelt, das Gleichartige als grundverschieden und das Zusammengehorige als ganz getrennt darstellte. Seine hochst unklaren und verworrenen Gedanken -Knoten wiirden aber wohl ebenso in der Embryologie wie in der Histologie rasch wieder vergessen worden sein, wenn er es nicht verstanden hatte, ihnen durch eine schwiilstige und niit philosophischen Kunstausdriicken verbramte Phraseologie eine bunte Hulle uberzuwerfen, und durch dieses iiusserliche Blendwerk die Leere des Innern zu verdecken. Obgleich nun dadurch nicht Wenige sich wirklich blenden und zu einer bewundernden Anerkennung seiner confusen Behauptungen hinreissen hessen, wurden dieselben doch bald durch Baer, Rathkk, Remak, Bischoff, Carl Vogt und Andere in ihrer wahren Nichtigkeit aufgedeckt, und dadurch nur urn so glanzender die fundamentale Sicherheit der Keimblatter-Theorie bewiesen , die Reichert ver- geblich zu zerstoren versucht hatte'). 1) In historischen Betrachtungen iiber organische Entwickelungsgeschichto wird nicht selteu neben und mit dcu Namcn vou Wolff, Bake, Remak u. s, w. 1 * 4 Ernst Haeckel. Den Anstoss zu einer bahnbrechenden neuen Richtung erhielt die Entwickelungsgeschichte erst hundert Jahre nach dem Er- scheinen der Theoria geiieratiojtis, als Chakles Darwin 1859 sein epochemachendes Werk uber die Entstehung der Arten veroftent- lichte und durch die darin enthaltene Selections-Theorie sine hocht. fruchtbare Reform derDescendenz-Theorie her- beifiihrte. Allerdings war diese letztere schon 1809 von Jean Lamarck in seiner tiefdurchdachten Philnsop/tie zoologique mit vollem Bewusstsein ihrer Bedeutung als wahrer Grundgedanke der „biologisclien Philosophie" liingestellt; sie wurde aber ebenso, wie Wolff's gleich bedeutende Theoria generationis ein voiles halbes Jahrhundert hindurch von der sogenannten „exacten" Na- turwissenschaft todtgeschwiegen. Lamarck hatte bereits mit voUer Bestimmtheit die geraeinsame Abstammung aller Organismen von einer einzigen oder einigen wenigen einfacbsten Urformen behaup- tet. Indem Darwin aber seine Theorie von der naturlichen Ziich- tung im Kampfe um's Dasein begrundete, und nachwies, wie unter deren Einfluss die organischen Formen einer bestandigen lang- samen Umbildung unterliegen, ging er weit liber Lamarck hinaus und lehrte uns fiir die von letzterem gelehrten Thatsachen die wahren bewirkenden Ursacben kennen: Die Wecbselwirkung der Vererbung und Anpassung. Wenn nun auch zunachst dadurch nur der Ursprung der organischen Arten erklart und eine „Ent- wickelungsgeschichte der Species" angebahnt werden sollte, so musste damit doch zugleich ein ganz neues Licht auch auf die auch derjenige von Reichert als eiues verdienstvoUen Forderes derselben ge- nannt. Dies kanu nur so verstanden werden, dass Reicheet durch seine vol- lig verfehlten und ohne jedes tiefere Verstandniss der Entwickelungsgeschichte angestellten , ebenso eitlen wie anmassenden Versuche eine krattige Reaction hervorrief. Ebenso wie er in der Histologie durch seine abenteuerlichen Au- griffe auf die Protoplasma-Theorie nicht wenig beitrug, dieselbe zu kraftigen, ebenso hat er auch in der Embryologie durch seine uurichtige Lehre von den „Umhullungshauten" , durch seine falchen „Bildungsgesetze" und durch seine giinzlich verfehlten Auschauungen von der Histogenese indirect die Wissen- schaft manuichfach gefordert. Darin liegt aber doch kein Grund, seine negativen Verdienste mit den positiven eines Baer, Rathke, Rejiak u. s. w. zu vergleichen, die auch ihrerseits sich energisch dagegen verwahrt haben. Allerdings sind in Reicheet's ausgedehnten embryologischen Untersuchungen einzehie brauchbare Beobachtungen euthalten (bekanntlich findet auch ein blindes Huhn bisweilen ein Korn); allein im Grossen und Ganzen sind sie zu den Arbeiten niedersteu Ranges zu rechnen und nur mit denjenigen eiues Donitz, Dursy, His u. s. w. zusammenzustellen. Einzelne bedeutende Ideen, die Reicheet als sein Eigeu- thum ausgiebt. hat derselbe nur von Rathke und Anderen entlehnt. Die Gastraea-Theorie u. s. w. 5 Entwickelungsgeschichte tier I n d i v i d u e n , auf die Embryologie fallen. Die innige Beziehung, in welcher diese beiden Zweige der organischen Entwickelungsgeschichte, diejenige der Arten iind die- jenige der ludividuen, zu einander stehen, konnte Dakwin nicht entgehen. Doch hat er in seinem Hauptwerke, das vor AUera die Selections-Theorie zu begrlinden hatte, und ebenso in den librigen darauf folgenden Schriften (namentlich in dem berilhmten Werke iiber die Abstammung des Menschen) der Embryologie nur einen verhaltnissiuassig geringen Raum gewidmet und ihre hohe Be- deutung mehr gelegentlich gewiirdigt In meiner „allgemeinen Entwickelungsgeschichte der (Jrganis- men'" (im zweiten Bande der generellen Morphologie, 1866) habe ich den Versuch unternommen , jenes innige Verhaltniss beider Zweige der Biogenie naher zu begriinden und seine eigentliche Bedeutung nachzuweisen. Ich habe daselbst die paliiontologische Entwickelungsgeschichte der Arten, die Phylo genie oder Stam- mesgeschichte als die wahre Ursache dargestellt, auf deren mechanischer VVirksamkeit die gesammte Entwickelungsgeschichte der Individuen, die Ontogenie oder Keimesgeschichte iiber- haupt beruht, Ohne die erstere wtirde die letztere iiberhaupt nicht existiren. Der Schwerpunkt dieses Verhaltnisses liegt darin , dass der Zusammenhang zwischen beiden ein mechanisch-causa- ler ist. Die Ontogenie ist eine kurze Wiederholung der Phylo- genie, mechanisch bedingt durch die Functionen der Vererbung und Anpassung '). Die Vererbung von gemeinsamen Vorfahren 1) In- meineu ,,Ontogeiittisclieu Thebeii" , im 20. Capitel der generellen Morphologie (Band 11, tS. 295— 300) Labe ich dieses „biogenetisch e Grund- gesetz" mit folgenden 'W orten ausgedruckt: .,Die Ontogenesis oder die Ent- wickelung der organischen Individuen, als die Keihe von f'orm-Veranderungen, welche jeder individuelle Organismus wahrend der gesammten Zeit seiner indi- viduellen Existenz durchlaul't, ist unmittelbar bedingt durch die Phylogene- sis oder die Entwickelung des organischen Stammes (Phylon) , zu welchem derselbe gehort. Die 0 n togenesis ist die kurze und schnelle Re- capitulation der Phylogenesis, bedingt durch die physiologi- Schen Functionen der Vererbung ( For tpflanzuug) und Anpas- ''ung (Ernahrung). Das organische Individuum wiederholt wahrend des raschen und kurzeu Laufes seiner individuellen Entwickelung die wichtigsten von denjenigen Formverauderungen, welche seine Voreltern wahrend des lang- samen und laugeu Laufes ihrer palaontologischeu Entwickelung nach den Ge- setzeu der Vererbung und Anpassung durchlaufen haben." Dieses wahrt ..Gruudgesetz der organischeu Entwickelung" ibt die uneulbehrliche Grundlage, auf der das ganze mnere Verstandniss der Entwickelungsgeschichte beruht. 6 Ernst Haeckel, bewirkt die typische Uebereinstimnmng in Form iind Structur der Jugendzustande jeder Klasse. Die An pas sung an verschieden- artige Existenz-Bedingungen der Umgebung bewirkt die Unter- schiede, welche die daraiis entwickelten Formen in den verschie- denen Arteii jeder Klasse beziiglich ihrer Form und Structur dar- bieten. Die Vererbung fallt als physiologische Function unter die Erscheinungen der Fortpflanzung. Die Anpassung fallt ebenso als physiologische Function in das Gebiet der Ernah rungs -Erscheinungen, wie im 19. Capitel der generellen Morphologie ausfuhrlich nachgewiesen worden ist (S. 148 — 294). Die Phylogenesis ist die mechanischeUrsache der Ontogenesis. Mit diesem einen Satze ist unsere priucipielle monistische Auffassung der organischen Entwickelung klar bezeich- net, und von der Wahrheit dieses Grundsatzes hangt in erster Linie die Wahrheit der Gastraea-Theorie ab, deren Bedeutung nachstehend entwickelt werden soil. Fitr oder wider diesen Satz wird in Zukunft jeder Naturforscher sich entscheiden miissen, der in der Biogenic sich nicht mit der blossen Bewunderung merkwur- diger Erscheinungen begniigt, sondern dariiber hinaus nach dem Verstandniss ihrer Bedeutung strebt. Mit diesem Satze ist zugleich die unausfiillbare Kluft bezeichnet, welche die altere, teleolo- gische und dualistische Morphologie von den neueren, mechanischen und monistischen trenut. Wenn die physiologischen Functionen der Vererbung und Anpassung als die alleinigen Ursachen der organischen Formbildung nachgewiesen sind, so ist damit zugleich jede Art von Teleologie, von dualistischer und metaphysischer Betrachtungsweise aus dem Gebiete der Biogenic entfernt; der scharfe Gegeusatz zwischen den leitenden Principien ist damit klar bezeichnet. Entweder existirt ein directer und causa- ler Zusammenhang zwischen Ontogenie und Phyloge- nie Oder er existirt nicht. Entweder ist die Ontogenese ein gedriingter Auszug der Phylogenese oder sie ist dies nicht. Zwi- schen diesen beiden Annahmen giebt es keine dritte ! Entweder Epigenesis und Descendenz — oder Praformation und Schopfungl In Beziehung auf diese entscheidende Alternative verdient His besondere Anerkennung, well er sich wiederholt und bestimmt gegen unser biogenetisches Grundgesetz und gegen jeden Zusam- Ich wif'dcTholf dasselbe liier, well eiiierseits soiue Aiierkeiiuuiig das Verstand- niss der iiachfolgeiiden Erortermigeu bedingt, uud well dasselbe auderseits uocii jetzt von vielen angesehenen Naturt'ortchern bekampft wird. Die Gastraea-Theorie u. s. w. 7 menhang von Ontogenie und Phylogenie ausgesprochen hat'). Er versucht statt dessen die ontogenetischen Erscheinimgen in der oberflachlichsten Weise durch Kriimmungen, Faltungen u. s. w. zu erklaren, ohne dass er aber fur diese „mechanischen" Entwicke- luugs-Processe irgend eineu weiteren Grund, irgend eine bewir- kende Ursache anzugeben weiss. Der unniitze Aufwand von raa- thematibchen Berechnungen , den His dabei entwickelt, vermag 1) His, Uutersiichuugeu iiber die erste Anlage des ^Vi^b^l'lthierleibel^. Leip- zig 1868. S. 211 tf., 223 u. s. w. Besonders characteristisch siud fiiv seine Autfassuug der Biogenic die allgemeineii Betrachtungen in der Rede ,,uber die Bedeutung der Eutwickeluugsgeschichte fiir die Auftassuug der organisclien Natur'' (Leipzig, 1870. S. 35). His sieht sicb hier ,,geu6thigt, die Auspriiche der individiiellen Entwickelungsgeschicbte gegeniiber der uberwalleuden Macht DAKWiN'scber Auscbauimgeu zu wabreu'' und meiut. „dass die sanimlliebeu, der Morphologic oder der Eiitwickekingsgeschichte eutuommeiieu Argumente „fur Dahwin" dessbalb uicbt von bevveisendev Kraft seien, weil sie als die un- mittelbareu Folgeu pbysiologischer Eutwickelungsprincipicn der Erklaruug auf dein weiten Urawege geuealogischer Verwandtschaft gar nicht bediirfen. (!) Wenu die genealogische Verwandtscliaft der organischen Wesen wirklich in jener Alles umfassendeii Ausdebimng besteht, welcbe die Theorie zu statuirea pfiegt, so erscbeiuen allerdiiigs idle typiscbeu umi entwickelungsgeschichtliclici) lipbereinstimniuugeii als ganz selbstverstiindliche (.'onsequeiizeii. (!!) Aus den lypiscbeu und enlwickelungsgeschicbtlichpu Uebereinstiinmungeii auf die Hluts- \ erwaudtscbaft zuriickzuscbliesseu. inocbte von dem Augeublick an uicbt niebr gestattet sein , da sicb Aussicbt eroffuet , die verscbiedenen Entwitkeluugs- richlungen als erscbopfende Verwirklicbungen eiues matbematiscb bestimniteu Kreises moglicher Wachstbumsweisen zu erkennen." Diese Erklaruug von His widerlegt sicli bei genauerer Prilfung von selbst. Urn aber die voUige Jlaltlosigkeil seines Staudpunktes einzuseben, braucbt man uur uaber auf die .,pbysiologiscben Entwickelungsprincipien" einzugeben. durcli w-elcbe His die outogenetiscben Vorgilnge ,,niecbaniscli zu erklilreu", die Descendenz-Tbeorie zu eliminireu und den Zusanimenhang zwiscben Ontogeuese und Phylogenese zu leugnen sucbt. Hier durfte zur Cbaracteristik derselben die Anfiihrung eiues einzigen Beispiels der Art und Weise geniigen, durch welchc His „Prin- cipien der Morpbologie als notbwendige Folgeu der mechanischen Entwicke- luiigsgescbicbte darzulegen" glaubt (a. a. 0. S. 34). His sagt : ,,\Vie einfacb gestaltet sicb die Homologie der vorderen und binteron Gliedmabsen, wenn wir erkenuen, dass ibre Aulage, den vier Ecken cines Biiefes abnlicb , bcslinimi wird durch die Kreuzung von vier den Korper umgrenzenden Falteu{!). "Wie klar wird aucb der sonst so scbwierige Vergleich des vorderen mit dem hiuteren Korperende, wenn wir aucb hier auf das Grundverbitltniss ziiritckgelien. dass der Kopf sowobl, als das bintere Korperende mit einer sicb umklappendeu Falte ihren Abscbluss tinden, und dass alle mecbaniscben Verliiihnisse, vvelche eine solcbe Faltenumklappung begleiten, vorn sowobl als hiuten zum Vorscbeiji kornmen miissen." Es diirfte schwer sein, in di^r ganzen niurpbologischeii Literatur eiu Beispiel eiuer gleicb robeu und obertiacblicbeu Aufifassung mor- phologischer Verhaltnisse zu fiuden. 8 Ernst Haeckel, nicht den Mangel jedes wahren Causal-Princips zu verdecken, und seinen paradoxen Einfallen irgend einen Werth zu verleihen. Wie ich schon in der Biologie der Kalkschwamme (S. 472) erklart habe, erscheinen solche Einfalle „nur einer humoristischen Be- leiichtung, keiner ernstlichen Widerlegung fahig. Zugleich be- weisen aber diese starken Missgriffe, wie nothwendig fiir Arbeiten auf dem schwierigen Felde der Ontogenie die Orientirung in dem Gebiete der vergleichenden Anatomic und die Beziehung der on- togenetischen Vorgange auf ihre mechanischen phylogenetischen TJrsaclien, ihre wahren causae ejjidentes ist/' Wenn His nur ein wenig mit den Thatsachen der vergleichenden Anatomie und mit der Ontogenie der wirbellosen Thiere bekannt gewesen ware, wurde er seine Versuche wohl schwerlich publicirt haben. Urn den vollen Gegensatz zwischen dieser angeblich exacten „physiologischen" Auffassung der Ontogenie und der von uns vertretenen Erklarung derselben durch die Phylogenie recht klar zu erapfinden, braucht man mit jenen verungliickten Unter- suchungen von His nur das mustergiiltige Bild der Entwickelungs- geschichte der Crustaceen zu vergleichen, welches Fritz Muller in seiner ideenreichen Schrift „Fur Darwin" geliefert hat (Leipzig, 1864). Hier ist an dem vielgestaltigen Formenkreise einer ganzen Thierklasse der unmittelbare Zusammenhang der Ontogenese und Phylogenese nachgewiesen, und die erstere durch die letztere wirk- lich erlart. Hier linden wir die beiden formbildenden Krafte der Vererbung und Anpassung als die wahren „physiologischen" Ur- sachen der Ontogenese dargelegt, und die Gesetze ihrer Wirksam- keit erkannt. Als zwei der wichtigsten Satze, welche Pmxz Muller hier ausspricht, und welche gerade fiir unser Thema besondere Bedeutung besitzen, sind namentlich folgende hervorzuheben : „Die in der Entwickelungsgeschichte (der Individuen) erhaltene ge- schichtliche Urkunde (von der Entwickelung der Vorfahren) wird allmahlig verwischt, indem die Entwickelung einen immer gerade- ren Weg vom Ei zum fertigen Thiere einschlagt, und sie wird haulig gefalscht durch den Kampf um's Dasein, den die frei leben- den Larven zu bestehen haben. Die Urgeschichte der Art (Phylo- genesis) wird in ihrer Entwickelungsgeschichte (Ontogenesis; urn so vollstandiger erhalten sein, je langer die Keihe der Jugendzu- stande ist, die sie gleichmassigen Schrittes durchlauft, und um so treuer, je weniger sich die Lebensweise der Jungen von der der Alten entfernt, und je weniger die Eigenthiimlichkeiten der ein- 9zlnen Jugendzustande als aus spateren in fruhere Lebensab- Die Gastraea-Theorie u. b. w. > 9 schnitte zuriickverlegt oder als selbststandig erworbeii sich auffas- sen lassen". (Ftir Darwin, S. 77, 81). Indem nun Fritz Muller diese Gesetze durch die Ontogenese der verschiedenen Crustaceen begriindet und aiis der gemeinsamen Nauplius - Jugendform der verschiedensten Kruster auf eine gemeinisame , diesem Nauplius wesentlicli gleiche Stammforni der ganzen Klasse zuriickschliesst, erkliirt er zugieich eine Ftille von merkwiirdigen Rrscheinungen, welche ohne diese Anwendung der Descendenz-Theorie vollig un- erklarlicli und unbegreitiicli dastehen. Daraus ergiebt sich aber uninittelbar die causale Bedeutung der Phylogenie fiir die Onto- genie. 2. Die causale Bedeutung der Gastraea-Tlieorie. Die Anwendung des generellen biogenetischen Grundgesetzes auf die verschiedenen Theile der speciellen Biologie, vor allem auf das natiirliche System der Organismen, ist eine wissenschaft- liche Aufgabe, welche zwar von der denkenden Biologie selbstverstand- lich gefordert werden muss, welche aber bei jedem Versuche ihrer (lurchgreifenden Ausfiihrung auf die grossten Hindernisse stosst. Diese Hindernisse sind zunachst durch den niederen Entwickelungs- zustand unserer biologischen Kenntnisse im Allgemeinen bedingt, namentlich durch die geringe Theilnahme, welche die Biologen bisher den beiden f undamentalen formbildenden Entwicke- lungs- Functionen der Vererbung und Anpassung gewidmet haben, ganz besonders aber durch die grosse Liicken- haftigkeit und Unvollstandigkeit der empirischen sogenannten „Schopfungs-Urkunden," welche uns die drei Disciplinen der Onto- genie, Palaontologie und vergleichenden Anatomic darbieten. Trotz dieser grossen Hindernisse und Schwierigkeiten , deren Bedeutung ich nicht unterschatzen konnte, habe ich 1866 in niei- ner generellen Morphologie den ersten Versuch gewagt, mit Hiilfe des biogenetischen Grundgesetzes die Descendenz-Theorie auf das natiirliche System der Organismen anzuwenden, und in der „Syste- matischen Einleitung in die allgemeine Entwicklungsgeschichte"' (S. XVII — CLX des zweiten Bandesj die Phylogenie zur Basis des natiirlichen Systems zu erheben. In mehr popularer Form habe ich diesen Versuch erneuert und verbessert in meiner „Nattirlichen Schopfungsgeschichte" (1868; vierte Auliage 187o). Nun haben zwar diese ersten Versuche (als welche ich sie von Anfang an ausdriickhch bezeichnet habe) mit wenigen Ausnahmen unter den 10 Ernst Haeckel, zunachst betheiligten Fachgenossen nur lebhafte Missbilligung und entschiedenen Tadel gefimden; allein keiner derselben hat sich die Miihe gegeben , mein phylogenetisches System durch ein bes- seres zu ersetzen. Diese Aufgabe liegt aber fiir Jeden vor, der liberhaupt die Descendenz-Theoiie anerkennt und nach einem cau- salen Verstandniss der organischen Fornien strebt '). Auf den nachstehenden Seiten werde ich nun den Versuch machen , jenen ersten genealogischen Entwurf des naturlichen Sy- stems wesentlich zu verbessern und mit Hiilfe des biogenetischen Grundgesetzes einerseits, der fundamentalen Keiniblatter-Theorie anderseits, eine Theorie zu begrilnden, welcher ich eine causale Bedeutung fiir das natiirliche System des Thierreichs, fiir das Ver- standniss der Entwickelung seiner „Typen" und der natiirlichen Verwandtschaft seiner Hauptgruppen beimesse, und welche ich kurz mit einem Worte die Gast rae a -Theorie nennen will. Der wesentliche Inhalt dieser Gastraea- Theorie beruht auf der An- nahme einer wahren Homologie der primitiven Darmanlage und der beiden primaren Keimblarter bei alien Thieren mit Ausnahme der Protozoen. und liisst sich kurz in folgenden Worten zusammen- fassen : „Das gauze Thierreich zerfailt in zwei Hauptabtheilungen : die altere, niedere Gruppe der Protozoen (Urthiere) und die jtinge- re, hohere Gruppe der Metazoen (Darmthiere). Die Hauptab- theilung der Protozoen oder Urthiere (Animale Moneren und Amoeben, Gregarinen, Acineten, Infusorien) erhebt sich stets nur zurEntwickelung der Thier-Individualitiit erster oderzweiter Ordnung (Plastide oderldorganj; die Protozoen bilden niemalsKeim blatter, besitzen n i e m a 1 s e i n e n wahren D a r m und entwickeln liberhaupt keine 1) Die beste Veitheidiguiig gegen die vielfacheii Augriffe, die meiu phylo- genetisches System der Orgaiiismen erlitten hat. scheint mir dariii zu liegeii, dass ich dasselbe bestandig zu verbessern und damit ein Verstandniss von dem c a u s -< [ 1 o» ?^ e .1 ia Infus or H-S « J5 ? « (Tregarinac tad .^3 Synan loebae (Ontogeni Amoebina a> ^ .2 £ i (Drth ■er Dar Ordn. Amoebae (Ontogenie: Ovulum) V ? v -i-S-: [ rt cji-i 1 e ^ 1 ti '^ k' roto ein ode Monera Mone ra (Ontogenie: Monernla) 04^2: HH Eikliiruiig der Tafel I. Schematische Illustration der Gastraea-Theorie. Die Tafel I enthiilt sclieraatische Durchschnitte durcli die Jiigc'iid-Zustaiido von Reprasentaiaten aller versclaiedenen Metazoen-Phylen , und soil die Homo- logie der bejden priixiaren Keimhlatter bei denselben, sowie den Ursprung dor vier secimdaren Keimblatter veranschaulichen. Fig. 1 — 8 sind schematische Langsschnitte, Fig. 9 — IG schematische Querschiiitte. In alien Figuren ist das primiire innere Keiniblatt (Gastralblatt, Entoderm, vegetatives Keimblatt) nebst den davon abgeleiteten Theileii diirch rothe Farbe bezeichuet; hingegeu das primare aussere Keimblatt (Dermalblatt, Exoderm, aiiimales Keimblatt) durch blaue Farbe. Die Buchstaben bedeuten iiberall dasselbe : a) Urdarm (Progaster) ; primitives Darmrohr 0) Urmund (Prostoma); primitive Mundolfnung i) Gastralblatt (Eutoderma); iuneres primiires Keimblatt: Hautblatl d) Darmdriisenblatt (Mykogastralblatt) f ) Darmfaserblatt (Inogastralblatt) e) Dermalblatt (Exoderm); ilusseres primares Keimblatt; Darmblatt m) Hautlaserblatt (Inodermalblatt) h) Hautsinnesblatt (Neurodermalblatt) c) Coelom (Leibeshohle oder Pleuroperitoneal-Hohle) n) Urhirn (MeduUarrohr) x) Axenstab oder Chorda dorsalis t) Dorsales I'armgefass (Aorta) * z) Ventrales Darmgefass (Herz) r) Dorsale Seitenrumpf-Muskeln b) Ventrale Seitenrumpf-Muskeln 1) Lederhaut (Corium) k) Keimdriisen (Anlagen der Sexual-Driiseu) u) Urnieren (Excretions-Canale). Fig. 1—8 stellen scliematische Langsschnitte der Gastrula von acht ver- schiedenen Thierformeu dar. Fig. 1. Gastrula ciuer Spongie (Olynthus). Fig. 2. Gastrula einer Coralie (Actinia). Fig. 3. Gastrula eines Acoelomen (Turbellaria). Fig. 4. Gastrula eines Tunicateu (Ascidia). Fig. 5. Gastrula eines Mollusken (Limnaeus). Fig. 6. Gastrula eines Asterideu (Uraster). Fig. 7. Gastrula eines Crustaceen (Nauplius). Fig. 8. Gastrula eines Vertebraten (Amphioxus). Ernst Haeckel. Die Gastraea-Theorie ii. s. w. 55 Fig. 9~ltj stellen schematischf (^uersclinitte durcli Keprassfntanteu von aclit verschiedenen Typen dav. Fig. 9. Quorsclmitt dureli cine eiiifachste 8poDgio (Olynthus) oder oinc. einfachste llydvonieduse (Hydra). Die Waud fles Urdarms bcstoht (wie bei der Gastniia) zeitk^btns nur aus den beideii primareu Keinibliitteru. Fig. 1(». (^>ueischuitt durch eine einfache Acalephen-Form (Hydroid). Zwischen doni Gastrablatt (i) and dem Hautsinuesblatt (h) ist das Hant- faserblatt (m) angelegt. Fig. 11. Querscbnitt durch eiueii Acoelomen-Embryo (einev Tarbellariei. Der Schnitt gelit mitten durch das Urhiru oder den oberen Schhnul- knoten (n). Zwischen dem Hautsiunesblatte (li) nnd dem Darmdriiseu- blatte (d) sind ausserdem nur die beiden Faserblatter sichtbar, welche dicht an einander liegen : das iiussere Hautfaserblatt (ni) und das innere Darmfaserblatt (f). Fig. 12. Querschnitt durch eine Ascidieu-Larve, vor der Basis des Schwau- zes, wo sich das vorderste Ende der Chorda (x) zwischen das MeduUar- rohr (n) und das Dannrohr (d) einschiebt. Zwischen Hautfaserblatt (m) und Darmfaserblatt (f) ist das Coelom sichtbar. Fig. 13. Querschnitt duixh eine Amphioxus-Larve (Vergl. Kowalevsky. Entwickelungsgeschichte des Amphioxus Taf. H, Fig. 20). Das Darm- faserblatt (f) ist noch ganzlich von dem Hautfaserblatt (m) getrennt. Der ganze Korper besteht bloss aus den vier secundaren Keimblattern. Fig. 14. Querscbnitt durch eine etwas altere Amphioxus-Larve. Das MeduUarvohr (n) hat sich vom Horublatt (h) vollstandig abgeschniirt. Das Hautfaserblatt (m) ist mit dem Darmfaserblatt (f) in der dorsalen Mittellinie (Meseuterial-Linie) verwachsen und in Lederhaut (1) und Rumpfmuskeln (r) diiferenzirt. Zwischen dem Darmrohr und dem ab- geschniirteu Medulhrrohr (n) hat sich die Aniage der Chorda (x) ge- bildet. Fig. 15. Querscbnitt durch einen Wurm-Embryo (Kopf-Segment eines Anneliden). Zwischen dorsalen (r) und veutralen (b) Langsmuskeln treten die Urnieren (Segmeutal-Organe, u) von der Hautoberfliache hin- durch in die Leibeshohle (c). Oberhalb des Urdanns (a) ist das dor- sale Langsgefass (t), unterhalb desselben das ventrale Langsgefass (z) sichtbar, beide eingeschlossen in das Darmfaserblatt (f). Fig. 16. Querscbnitt durch einen Wirbelthier-Embryo (Korpermitte eines Fisches). Zwischen dorsalen (r) und ventraleu (b) Seitenrumpf-Muskeln tritt die Urnieren-Anlage (u) von der Haut hindurch zur Lcibeshohle (c). Oberhalb des Urdarras (a) ist die primordiale Aorta (t), unterhalb desselben die Aniage des Herzens (oder des Arterienbulbus, z) sicht- bar, beide eingeschlossen in das Darmfaserblatt (f). Der einzige wo- sentliche Unterschied zwischen dem typischen Querscbnitt des Verte- braten-Korpers und des Wurmkopfes (Fig. 15) besteht darin, dass sich bei ersterem zwischen Medullarrohr (n) und Urdarni (a) die Chorda entwickelt (x). Jena, am 29. September 1873. Ueber die Bedeutuiig phylogenetischer Metho- deii fiir die Erforschung lebender Wesen. Rede gehalten beim Eintritt in die philusopliische Facultat der Universitiit Jena am 2. August 1873. Von Dr. Ediiard l§tra^biirg:er. Hochzuverehrende Versammlung ! Seit nunmehr vier Jahren habe ich die Ehre dieser Hoch- schule anzugehoren, und so wird mir die Freude nieine heutige 4ntrittsrede, in mir wohlbekanntem, ich konnte fast sagen befreun- detem Kreise zu halten. Nocli andere Bande knupfen mich aus- serdem an unsere" Universitat, an der ich das Gluck hatte die besten und schonsten Jahre meiner Studienzeit zu verleben. Ja, ich darf es wohl sagen, dass ich in geistiger Beziehung Jena angehore, wo ich als Schiiler die erste Anregung zu hoherer, all- gemeinerer Auffassung der wissenschaftlichen Aufgaben erhielt und wo es mir dann auch vergonnt war als Lehrer die ersten, wichtigeren Schritte auf selbstiindig erforschtem Gebiete zu thun. Der erste Gedanke zu einem umfassenderen Werke, welches wohl fur lange Jahre raeine ganze Richtung in der botanischen Wissenschaft bestimmen diirfte, ist in Jena entstanden und zum Abschluss gekommen »). Er kniipft auch unmittelbar an die ganze Art der Naturauffassung wie sie jetzt an unserer Hoch- schule vertreten, ja ich konnte fast sagen: an die Jenenser naturwissenschaftliche Schule an. Der Grundgedanke dieser Aultassung ist: dass nur durch phylogeuetische Behandlung die biologische Wissenschaft zu for- dern sei. Die grossartigen Ideen , durch welche, in den letzt 1) Die ('oi)ifereii uml die Giietaceeii. Eiue morphologisclK! Stuilie. Jena, 1872. Ueber die Bedeutung der phylogenetischen Methoden u. s. w. 57 verflossenen Decennien, die Thatsachen dieser Wissenschaft in causalen Zusammenhang gebracht wurden, mussten diese unsere Auffassung bestimnieu. Wenn, wie in so hoheni Grade walirscliein- lich gemacht worden, die organischen P'ornien nicht unverandert von Anfang an bestehen, sondern durch langsame Umwandlung aus einander hervorgegangen , so musste es wohl unsere nachste Aufgabe sein diese Umwandlungen zu verfolgen. Wir batten hier- mit das Recht ervNorben auf die Gegenstande unserer Forschung dieselbeu historischen Methoden anznwenden , die audi andere Gebiete, wo eine Entwickeluug langst anerkanut worden, beherr- schen: so die Geschichte unserer politischen und geistigen Ent- wickelung, so die vergieicbende Sprachforschung. Von dieseni Standpunkte aus konnen wir uns nicht mehr damit begniigen einen gegeben Organismus moglichst genau zu beschreiben: wir suchen nach den (hunden seiner Eigenschaften. So sind wir in der Ge- staltenlehre bemiiht die einfacheren Formen aufzudecken, aus denen er hervorgegangen. diese an andere noch einfachere anzu- knUpfen und so fort, bis weite Verwandtschaftsreihen gewonnen und das Product der Gestaltung in seine einzeluen Factoren zer- legt ist. Wir werden durch derartig construirte Verwandtschafts- reihen heute bereits von den coiuplicirtesten organischen Gebilden bis an die Grenzen des Anorganischen gefuhrt und so gewinnt die ganze Auffassung des Organischen ei)ie einfachere, begreitiichere Grundlage. Freilich sind wir in unseren historischen Lntersuchungen nur auf indirecte Methoden angewiesen und konnen daher die mit Hilfe derselben erhaltenen Resultate nur nach ihrem logischen VVerthe beurtheilen. Wir konnen nicht die Organismen in ihrer wirklichen phylogenetischen (d. h. historischen) Entwickeluug, die Jahrtausende in Anspruch nininit. verfolgen; doch ihre ontogene- tische (d. h. individuelle) Entwickeluug (auch kurz „Entwicke- lungsgeschichte'- genannt) vollzieht sicli unter unseren Augeu und wir haben Grund sie als eine Wiederholung der phylogenetischen Entwickelung zu deuten. Tritt doch ein jeder Organismus nicht fertig in die Erscheinung, durchliiuft vielmehr eine Keihe von Veranderiingen , die in statiger Aufeinanderfolge, ihn bis zu deni Abschlusse seiner Entwickelung geleiten. Dabei sehen wir, dass auch relativ sehr verschiedene Organismen in ihren jiingstcn Ent- wickelungszustanden mit einander ubereinstimmen ; dass auf iilte- ren Zustandtui die Uebereinstimmung nur noch fiir Organismen gilt, die wir Grund haben, fUr naher verwandt zu halten; dass 5/K Ediiard Stiasburger. endlich die spateren Eiitwickelimgszustande nur noch den nach- steii Verwandten gemeinsam sind und zuletzt erst die ganz speci- tischen Cliaraktere jeder Species auftreteu. Dann linden wir auch , dass junge Entwickelungszustande hoherer Organismen den feitigeu Zustiinden niederer entsprechen '). — linden endlich, dass paleontologische Befunde dieselbe Reihenlolge im Auftreten dei Organismen anf der ()l)ertiaehe unseres Planeten nachweisen, wie wir sie eben noch, niehr oder weniger vollstandig, in den aufein- ander folgenden Entwickelungszustanden des einzelnen Organismus sich unter unseren Augen haben abwickeln sehen. So wunderbar dieses auch scheinen mag, so findet es doch in dem von Darwin ontdeckten Gesetz der Vererbung in correspondirendem Lebens- alter seine einfache Erklarung. Es ist eine Erfahrung des tag- lichen Lebens, dass ueuauftretende Eigenschaften : etwa bestimmte Krankheiten des Menschen, bei den Nachkommen sich in derselben p]ntwickelungsperiodc zeigen . in der sie von den Vorfahren , er- worben worden sind , und nach denselben, die Vererbung beherr- schenden Gesetzen sehen wir auch in der ganzen ontogenetischen Entwickelung des Individuum's die Eigenschaften in derselben Eeihe auf einander folgen '^), in der sie wahrend der phylogenetischen Entwickelung erworben worden sind. Ich kann hier nicht alle die gewichtigen Grtinde wiederholen, die fur eine wirkliche „Ent- wickelung,, der organischen Welt sprechen^), nur gait es mir zu zeigen , dass , wenn eine solche Entwickelung angenommen wird. 1) ,.Da del' Bau des b^mbryo uus ini Allgfineineii, mehr oder weniger deut- ich . den Bau der alten noch wenig modiiicirteji fStammforniea iiberliet'ert, so sehen wir auch ein. warum alte und erloschene Lebensformen no oft den Em- bryonen der heutigon Arteu derselben Classe gleicheu. Aqasiz halt diess ftir ein allgemeines Naturgesetz; und ich hoffe es spater noch be- statigt zu sehen. So Darwin: ,,Entstehung der Arten, deutsche Ueberse- tzung, 5. Auflage, 1872, S. 525. 2) Von etwaigen spateren Veranderungen abgesehen, von denen noch die Rede sein wird. 3) Einschaltend sei hier wieder hervorgehoben , dass man die Descendenz- theorie nicht ohue Weiteres mit der Selectionstheorie , d. h. dem eigentli- chen iJarwinismus. ideutiticiren darf. Auch in dem Fall , dass Uakwin's Prin- cip nicht ausix'ichen soUte , um die Entwickelung der organischen Welt zu erklaren ja selbst dann, wenn es unbegruudet ware, konnte eine Entwickelung der organischen Welt, ja der Welt iiberhaupt, nach dem jetzigem Stande unseres Wissens nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Die ganzen, diesem Vortrag zu Grunde gelegten Erorternngen , sind aber nur auf die Descendenztheorie, nicht auf den eigentlichen Darwinismus basirt. Vergl. im Uebrigen das Na- here am Schlusse dieses Vortrages. T^ebev die HedtMitiiug flcr pliylogenetischeu Methoden u. s. w. 59 alles dahin drangt, die Ontogenie. d. h. individuelle Entwickelungs- geschichte. als eine kurze Recapitulation der Phylogenie, d. h. der paleontologischeu Entwickelung. anzuselien ' ). Lst dieses aber der Fall . so bietet uns die Ontogenie auch reale Ankniipfungspunkte iind verliossene Verwandtschaftsreihen zu reconstruiren. Das Ge- sagte ist so wahr. dass man auch schon frulier, ohne jenen Zu- sammenhang mit der Phylogenie zu ahnen, die Entwickelungsge- schichte stets zu Hilfe zog. wo es gait morphologisch - phylogene- tische Aufgaben zu losen. Man benutzte die Entwickelungsge- schichte urn Beispieiweise ein Gebilde von Iraglichem morpholo- gischem Werthe auf seine Grundform zuriickzufiihren. Man hatte drei derartige, morphologische Grundfornien fiir die hoheren Ptian- zen aufgestellt, diese waren Stamm. Blatt und Haar. Aus einer dieser Gruudformen liess sich , erfahrungsmassig jede Bildung ableiten und die Entwickelungsgeschichte kani dieser Ableitung zu Hilfe, weil in den nieisten Fallen, die gemeiusamen morpholo- gischen Merkmale der Grundfoi-men auf jiingeren Zustanden leich- ter zu erkennen waren als auf alteren. Man ahnte hierbei noch nicht, dass dieses entwickelungsgeschichtliche Verfahren im Grunde genomnien ein phylogenetjsches war. dass das Zui-uckfiihren aller Theile der hoheren Pflanzen auf diese bestimmteu Grundfornien nur deshalb gelingen konnte. weil alle diese Theile durch lang- same Umwandlung : durch Metarniorphose , aus diesen Grundfor- )iien hervorgegangen waren. und dass die Entwickelungsgeschichte nur deshalb in dieser Zuriickfilhrung uns behilflich war, weil sie uns die wirklich urspriinghcheren Zustande der metamorphosirten Theile vorfiihrte. Die Entwickelungsgeschichte war um diese Zeit, so konnte man sagen, ein nur empirisch gewonnenes Hilfsniittel, dessen ratio- nelle Bedeutung erst die Descendenztheorie aufzudecken hatte. 1) „Die Embryologie gowiimt yehi' an Interesse woiiii wir uns so d(;ii Em- I)i'yo als ein mclir oder wciiiger verblicbcues liild der gcmeiusaiiieu Stamintbrm. rntwedor in seiner erwaclisenen oder Ijaivenforni . als Glieder derselbeu gros- sen Thierclasse vorstellen." (Dabwin, Entstcbung der Arteu. deutschc Ueber- setznng, o. Antl. S. 526, ebonso 1. AiiH., 1860, S. 453.) — ,Jii der kurzen Frist weniger Wochen oder Monde fiihren die wechselnden Formen (fer Em- bryonen und Lai'ven ein inehr oder minder voDstilndigc^s. raelir oder minder Irenes Bild der Wauderungen an uns voriiber, (bircli wclche die Art im Laul'e niiziibligir Jalirtausende zu ihrein gcgenwilrtigen Stande sicb emporgerungen bat." Fritz Mullkr. iiir Darwin S. 75—76, 1864. — ,,die Ontogenie ist cine kurze Recapitulation der Pbylogenic" Haeckel, (renerelle Morpbologio, Hil. ii. S. 7. 1866. 60 Eduard Strasburger, Aehnlich zog man von jelier auch den Vergleich fiir die Lo- sung morphologischer Fragen zu Rathe. Was bei dem einen Organismus dunkel blieb, konnte an den entsprechenden Theilen eines auderen oft aufgehellt werden. Im Grunde war auch dieses Verfahren phylogenetisch , konnte seine wahre Bedeutung also auch erst durch die Descendenztheorie ge- winnen, denn durch diese wurde uns erst klar, dass wir in den sich entsprechenden Theilen der Organismen meist mit wirklich homologen Dingen, d. h. mit Dingen von gleichem Ursprung zu thun haben , dass daher das eine , weniger durch Metamorphose Veranderte, auch wirklich Licht auf die Bedeutung des anderen, mehr Veranderten, werfen konne. Bis dahin hatte aber der Ver- gleich, der von Anfang an, fiir verschieden gehaltener Objecte, nur wenig Sinn und konnte die Erkenntniss vom Wesen derselben nur wenig fordern. Nur Staunen konnte erregen: ein „gemeinsa- mer Bauplan," „gemeinsamer Grundgedanke der Schopfung" und andere lange Zeit gelaufige Auftassungen, die ihrer Art nach sicher nicht in das Gebiet der Naturwissenschaft gehorten. Die von uns angewandten phylogenetischen Methoden unter- scheiden sich im iibrigeu, was den „modus procedendi" anbetrifft. nicht von den friiheren, wir operiren immer noch mit den nam- lichen Mitteln , die nur neu werden durch den Hintergrund, den wir ihnen geben. Entwickeluiigsgeschichte und Vergleich treten uns jetzt entgegen in einem ganz anderen Gewande. Doch wenn die individuelle Entwickelung eine Wiederholung der phylogenetischen ist , dann sollte man meinen , miisste die Entwickelungsgeschichte allein geniigen, um alle morphologischen Fragen zu losen. Dem ist nun leider nicht immer so, zunachst schon nicht, well in dem Maasse als neue Charaktere von einem Organismus erworben werden, d. h. neue Glieder am Ende der Entwickelungsreihe hinznkommen, diese Reihe sich am Anfang zu- sammenzuziehen ptiegt, ja bin und wieder einige der altesten Glie- der vollig aus derselben schwinden und dann vornehmlich auch deshalb nicht, weil die jiingsten Entwickelungszustande eines Or- ganismus ebensogut anpassungsfahig , d. h. veranderungsfahig sind wie die alteren. Ja, ihrer grosseren Plasticitat wegen, waren die jiingsten Zustande wohl noch verilnderungsfahiger, wenn sie nicht meist von den alteren Theilen umgeben , geschutzt, und so den ausseren Einliiissen, weniger ausgesetzt waren. Das ist der Grund, warum uns die Ontogenie noch immer vorztigliche Dienste leistet, wenn wir auch, nach obiger Erorterung, nicht allein auf ihr Ueber die Bedcutiing dfr phylogonotischen Methoden u. s. w. p,] fussen diirfen mid so, im Voraus , gewarnt sind gegen Falle, wo diese ontogenetische Entwickelung stark verandert, ja selbst in andere Bahneii so weit gedrangt wurde, dass wir uns veranlasst sehen, eine s. g. verfalschte Entwickelung auzunehnien. Solche Falle verfalschter Entwickelung diirfen aber in keiner Weise ge- gen unsere Deutung der individuellen Entwickelung angefiilirt werden, denn sie lassen sicli durch Mittelstufen mit anderen, in den urspriinglichen Bahnen der Entwickelung verbliebenen For- men verbinden. Sie sind die Ausnahmen . die nur die Kegel be- statigen. Diese Modalitaten der Entwickelung sind bereits von Darwin angedeutet worden. „In denjenigen Fallen" schreibt er „wird das Gesetz" (dass der Bau des Embryo uns im Allgemeinen mehr oder weniger deutlicli den Bau ihrer alten noch wenig modificirten Stammform iiberlie- fert) „nicht gelten , in denen eine alte Form in ihrem Larvenzu- stande irgend einer specielien Lebensweise angepasst wurde und denselben Larvenzustand einer ganzen Gruppe von Nachkommen iiberlieferte ; denn diese werden in ihrem Larvenzustand dann kei- ner noch alteren Form im erwachsenen Zustande gleichen." 1. c. S. 526. Eine viel bestimmtere Fassung erhielt die Deutung der Ontogenie, durch Fritz Muller's geistvolle Untersuchungcn iiber die Entwickelungsgeschichte dei- Crustaceen. Ich finde in seiner „fiir Darwin" veroffentlichten Schrift (1864) bereits die wichtigsten Punkte unserer obigen Erorterung verzeichnet so auf S. 77 : „Die in der Entwickelungsgeschichte erhaltene geschichtliche Urkunde wird allmiilig verwischt, in dem die Entwickelung einen immer ge- raderen Weg vom Ei zum fertigen Thiere einschlagt und sie wird haufig gefalscht durch den Kampf unrs Dasein, den die freileben- den Larven zu bestehen haben." In vorziiglicher und immer noch einzigdastehender Art hat endlich Haeckel in seiner generellen Morphologic ') (1866) die Gesetze der Vererbung und Anpassung behandelt, und in einem reich gegliederten Systeme zum vorlauiigen Abschluss ge- bracht. Da ich diese Verhaltnisse hicr nur andeuten konnte, so erlaube ich mir im Uebrigen noch auf dieses sein Werk zu ver- weisen. Wo aber die Ontogenie uns zur Losung einer Frage nicht ausreichen will, da greifen wir zu dem Vergleich, dessen phyloge- netische Bedeutung wir eben noch besprochen; da kommen uns 1) S. 180-223. 32 Eduard Strasburger. oft auch zufallige Verbildungeii zu Hiilfe, die haufig attavistischer Art, d. h. Ruckschlags - Erscheinungen sein konneii, und mit einem Male den ganzen morphologisclien Charakter eines frag- lichen Gebildes aufdecken '). — Oft mag auch die phylogenetische Losung einer gegebenen Frage gar nicht moglich sein; dieses liegt aber nicht an der Methode, sondern am Gegenstande, der eben in jenem Falle sehr stark durch Anpassung verandert worden und nur in einzelnen, extremen Gliedern bis auf die Jetztzeit sich erhielt. Dann ist die Frage tiberhaupt nicht, oder doch wenigstens nicht fur den Augenblick zu losen, denn eine andere MogUchkeit der Losung als die phylogenetische ist unserer Meinung nach nicht vorhanden. Hier gilt es mit einer bestimmten grosstmoglichen Wahrscheinlichkeit sich zu begnugen und zu warten bis nicht etwa andere sicher gewonnene Thatsachen ein unerwartetes Streiflicht auch auf jene offene Frage werfen. Wie eine solche phylogenetische Untersuchung gefiihrt wird, mochte ich aber noch an einigen Beispielen zeigen. die ich dem Gebiet, das ich hier speciell zu vertreten habe, entnehme, und welche ich als besonders instructiv, aus der Summe der mir zu Gebote stehenden Erfahrungen, herausgreife : das erste Beispiel soil Ihnen eine verhaltnissmassig sehr vollstandig und rein erhaltene, das zweite eine liickenhafte, das dritte eine verfalschte Entwicke- lung schildern. Ich wiihle hiefur nicht die ganze Pflanze , sondern nur einzelne Theile derselben, fur welche ja die phylogenetische Untersuchung ganz in derselben Weise wie fur die ganze Pflanze gilt. Ich thue diess, um rasch zum Ziele zu gelangen und doch ausfiihrlich genug zu sein, um Ihnen eine Einsicht in die Art der Schlussfolgerung zu gestatten. An dem jungen Zapfen jeder Kiefer oder Fichte ist zu sehen, dass die Schuppen, die den Zapfen bilden nicht einfach, sondern stets je zwei (eine aussere und eine innere) zusammen stehen. Die innere ist iiber der ausseren an der Axe des Zapfens inserirt, in den Winkel, den die aussere Schuppe mit dieser Axe bildet, Oder wie man das kurz auszudrucken pflegt: sie steht in der Achsel der ausseren Schuppe. Die aussere Schuppe ist einfach blattartig ohne sonstwie auffallende Bildung; die innere ist ebenfalls an Gestalt einem Bjatte ahnlich, tragt aber an der Basis der Innenflache zwei umg'ekehrte, ihr einseitig angewacbsene Fruchtanlagen. 1) Das Nahere in meinen Conifereu und Gnetaceen S. 402—404. Ueber die Bedeutung der phylogenetischen Metlioden u. s. w. 63 Dass die aussere Schuppe auch morphologisch als Blatt auf- zufassen sei, konnte nie bezweifelt M'erden. Welche Deutung kommt aber der inneren Schuppe zuV Sie kanii kein einfaches Blatt sein , denn es gilt die alte morphologische Kegel : dass ein Blatt nicht unvermittelt in der Achsel eines anderen auftreten kanu. In ihrer Stellung stimmt sie mit einer Achselknospe iiber- ein, doch mit einer solchen hat sie im fertigen Zustande keine Aehnlichkeit. Vielleicht ist sie nur das erste und eiDzige Blatt einer Achselknospe, die: sonst nicht zur Entwickelung kommt V In welchem Verhaltniss stehen dann aber die beiden Fruchtan- lagen zu derselbenV Wir haben es hier, wie wir sehen mit einer ziemlich verwickelten Frage zu thun. und dass die Antwort auf dieselbe nicht leicht, das zeigen die vielen Deutungen, die sie erfahren. Doch was lehrt uns die Entwickelungsgeschichte V Die jungsten Zustande, die wir in Untersuchung nehmen, zeigen uns, dass die innere Schuppe ganz in derselben Weise in der Achsel der aus- seren Schuppe auftritt. wie eine Achselknospe in der Achsel ihres Deckblattes. Diese Achselknospe ist zunachst durchaus gerade und gipfelt in ihrem Vegetationskegel, sie erzeugt rechts und links je eine Blattanlage, die aber rudimentar bleibt, und in der Achsel dieser Blattanlagen je eine neue secundare Knospe, die zu der weiblichen, hier nur aus einem Fruchtknoten bestehehenden Bliithe wird. Zu- nachst sind alle Verhaltnisse vollig klar, an die gewohnlich ver- breiteten, vegetativen Falle ankniipfend ; doch zur Zeit der Anlage der beiden Blilthen zeigt sich eine Bevorzugung des Wachsthum's auf der Aussenseite, d. h. auf der dem Deckblatt zugekehrten Seite der ganzen Anlage. Unterhalb des Scheitels derselben beginnt die Axe sich einseitig auszudehnen und wachst endlich zu dem schup- penartigen Gebilde, dass wir zuvor geschildert haben, aus. Hier- bei mussen : der Vegetationskegel der Anlage , die beiden Blatt- rudimente und ihre Achselproducte auf die Innenseite der Schuppe verschoben werden und die Bliithen sich vollig umkehren. Dieses ist das Resultat der Entwickelungsgeschichte und es reicht in die- sem Falle vollig hin, urn uns uber die Natur des fraglichen Ge- bildes aufzuklaren. Die innere Schuppe des Kiefern - Zapfens ist, konnen wir jetzt sagen, eine metamorphosirte Achselknospe und zwar eine kleine, zweibluthige Inflorescenz mit rudimentiiren Blatt- anlagen und der blattartige Theil derselben eine einseitige Wuche. rung der Axe, eine sog. discoide Bildung, deren Entwickelung 64 Eduard Strasburger, eine Umkelirung der ganzen Knospe zur Folge hat. Dass die on- togenetische Entwickeluiig dieser Schuppe aber wirklich eine Wie- derholung ihrer paleontologischeii Entwickelung ist, das zeigt uns der Vergleich mit den auderen, noch existirenden Gattungen der Coniferen. Die, sich in der Entwickelung folgenden Zustande der Kiefern-Scliuppe (Umkehning der Bliithen und dergleichen), treten uns dort als eben so viele Verschiedenheiten der fertigen Zustande entgegen. Wir haben Genera mit weniger, ja mit ganz wenig ent- wickelten Schuppen, mit fast umgekehrten, lialb umgekehrten, end- lidi ganz aufrechten, nur wenig angewachsenen und ganz freien Bliitlien , bis uns als Urbild der ganzen, hier so stark modificirten Inflorescenz, dieselbe, ohne jede Verschiebung und Verwachsung, mit entwickelten Blattern und zwei achselstandigen Bliithen, bei Torreya unter den Taxineen entgegentritt. Auch sei noch erwiihnt, nur um das Bild unserer Untersuchungen zu vervollstandigen, dass wir auch verbildete Zapfen bei der Fichte und Kiefer beobachtet haben, sicher Falle atavistischer Art, wo die inneren Schuppen durch kleine vegetative Achselknospen vertreten waren. — So haben wir hier ein Beispiel kennen gelernt, wo trotz der Verschiebungen und Verwachsung im fertigen Zustande, die Entwickelungsgeschichte sich in ihren phylogenetischen Hauptmomenten erhalten hat und fur sich allein schon die Losung der gani^en Frage bringt. — Jetzt gehe ich zu dem zweiten Beispiel mit stark verkurzter, liickenhafter Entwickelung liber: Die japanische Schirmfichte (Sciadopitys verticillata) tragt in regelmassigen Abstanden reiche Wirtel flach ausgebreiteter blatt- artiger Gebilde, welche durchaus den sog. Nadeln der anderen Coniferen gieichen, und die man denn auch geneigt ist auf den ersten Blick fiir einfache Blatter anzusehen. Auch die Entwicke- lungsgeschichte dieser blattartigen Gebilde scheint zunachst diese Annahme zu stutzen, denn wir sehen sie als kleine an der Spitze, (dem fertigen Zustand entsprechend), eingeschnittene Hocker in die Erscheinung treten und, ganz wie es den Blattern der Phanero- gamen sonst eigen ist, ihr Wachsthum sofort an der Spitze einstellen und nur an der Basis, intercalar, an Lange zunehmen. In Anlage und Entwickelung sind also die Hocker nicht wohl von Blatthockern zu unterscheiden ; befremdend ist es nur, dass wir dieseiben di- rect in den Achseln anderer schuppenformiger Blatter auftreten sehen, wiihrend wir ja doch sonst wissen, dass ein Blatt nicht un- mittelbar in der Achsel eines anderen aufzutreten pflegt. Diess erregt in uns Zweifel an der auch ontogenetisch unterstutzten An- Ueber die Bedeiitung fler phylogenetischen Mothoden u. s. w. 65 sicht und wir sehen iins nach andereii Anhaltepunkten fur die Deutung um. — Wir finden zunachst, dass die ersten Blatter an der Keimpflanze dieser Scliattenficlitc, iiicht in der Achsel anderer Blatter, vielmehr vollig frei am Stamm inserirt sind, dass sie aus- serdem nicht in zwei, sondern nur in eine einzige Spitze auslaufen. Dann lehrt ims weiter der Vergleich, dass bei den verwandten Kie- fern, in den Achseln kleiner Schuppen, kurze Zweige gebildet war- den , die bei vielen Arten nur 2 entwickelte Nadeln tragen und mit diesen ihr Wachsthum beschliessen. Dieses veranlasst uns diese Kurztriebe naher zu untersuchen und wir erfahren, dass beide Nadeln bei ihrer Anlage fast vollig in der Mittellinie des Vegetationskegels des Zweiges zusammenstossen, und dass nur noch ein Schritt in der Metamorphose zu thun sei , daniit dieser Vegetationskegel vollig aus der Entwickelung schwinde und beide Nadeln sich mit ihrer Innenseite verschmolzen gemeinschaftlich er- heben. Diese Wahrn ehmung erweckt in uns die Vermutlmng, der- artige verschmolzene Nadeln konnten wohl ausnahrasweise auch bei genannten Kiefer-Arten auftreten: wir suchen nach denselben und finden derer zahlreiche in alien Stadien der Verschmelzung. Endlich fallt uns eine Stelle in Master's Teratology auf, wo ein Fall der Durchwachsung einer dieser sog. Nadeln der Schirmfichte beschreiben wird : dieselbe hatte sich in zwei Halften gespalten, zwischen diesen war eine Knospe hervorgewachsen und hatte sich weiter entwi- ckelt. Nach dem zuvor Erfahrenen konnen wir in dieser Miss- bildung nur eine Riickschlagserscheinung erblicken und das un- zweifelhafte Resultat der ganzen Untersuchung ist: dass die schein- bar einfachen Blatter der Schirmfichte in Wirklichkeit aus zwei ilirer Innenflache verschmolzenen Nadeln entstanden sind, und dass sie aus der Metamorphose eines ganzen, zweibliittrigen Kurztriebes hervorgegangen. Der Vegetationskegel des Kurztriebes ist vollig aus der Entwickelungsgeschichte geschwunden und so haben wir von Anfang an nur die beiden mit ihrer Innenseite verschmolzenen Nadeln, welche demgemiiss auch von Anfang an blattartige Ent- wickelung zeigen. Hierin liegt die P'rklarung fiir das Ycrhalten der Entwickelungsgeschichte, wahrend die phylogenetische Deutung lautet : die Schirmfichte ist ein Nachkomme kiefenihnlicher Pflanzen mit 2blattrigen Kurztrieben und ihre scheinbaren Blatter die Ho- mologa dieser Kurztriebe. Endlich bleibt mir noch das letzte Beispiel mit verfalschter Entwickelung zu behandeln. Eine solche finden wir in ausgepragter Weise an dem monocotylen Keimc. Der Keim der Monocotylen Bd. VIII, N. F. I, 1. 5 66 Eduard Strasburger, besizt, wie schon cler Name sagt, nur ein einziges Keimblatt und unterscheiclet sicli hierin von dem Keime der Dicotylen mit fast ausnahmslos 2 Keimblattern und dem Keime der Archispermen (Coniferen und Gnetaceen) mit zwei oder mehr Keimblattern. Die Entwickelungsgeschichte ist fiir Keime aus alien den drei genann- ten Abtheilungen des Pflanzenreiches von der ersten Zelle (d. h. vom Eie) aus verfolgt worden. Bei den Archispermen wird zu- nachst die Axe des Keimes gebildet; sie lauft an ihrem oberen Ende in den Vegetationskegel des Stammes, am unteren, in den- jenigen der Wurzel aus. Seitlich am Vegetationskegel des Stam- mes werden dann die Keimblatter in ganz ahnlicher Weise wie am Vegetationskegel einer gewohnlichen, vegetativen Knospe an- gelegt. Wir haben bier jedenfalls am Anfang der Phanerogamen- Reihe auch den Urtypus des Phanerogamen- Keimes vor uns, der am nachsten in seinem Verhalten an die sonst hier giiltigen, vegetativen Typen anschliesst. Bei Dicotylen wird der ganze Keim als solcber bereits durch Anpassung verandert. Statt dass, wie diess stets an vegeta- tiven Knospen und auch am Keim der Archispermen der Fall ist, der Vegetationskegel des Stammes zuerst auftrete und erst unter seinem Scheitel die Blatter sich bildeten, werden die beiden Keimblatter hier ganz ursprunglich aus der Keimanlage differen- cirt und erst nachtraglich zeigt sich der Vegetationskegel zwischen denselben; wir sehen hier somit, wie der Vergleich unzweifelhaft lehrt, die Entwickelung des Keimes durch nachtragliche Metamor- phose desselben schon theilweise verfalscht, verfalscht wenigtens in der Aufeinanderfolge der einzelnen Theile desselben. Die ubrigen Verhaltnisse stimmen noch mit den Archispermen uberein. — Was zeigt uns nun aber die Entwickelungsgeschichte des Keimes der Monocotylen ? Das einzige Keimblatt desselben wird unmittelbar aus der Keimanlage differencirt und bildet die directe Fortsetzung der Axe, der Vegtationskegel fur den Stamm wird aber nachtrag- lich und einseitig in halber Hohe des Keimes gebildet. Wollte man aus dieser Entwickelungsgeschichte allein einen Schluss auf den morphologischen Werth der einzelnen Theile dieses Keimes Ziehen, so ware es consequent (und dieses ist denn auch schon geschehen) das Keimblatt, das hier die directe Fortsetzung der ganzen Keimaxe bildet, nicht fiir ein Blatt, sondern fiir ein Axen- organ zu halten ; den nachtraglich, seitlich am Keim sich bildenden Vegetationskegel aber als eine secundare Knospe an demselben. Der Vergleich mit dem dicotylen Keime giebt uns nun freilich Ueber die Bedeutung der phylogenetischen Methoden u. s. w. 67 eine andere Deutung. Auch dort wurden ja bereits die beiden Keimblatter unmittelbar aus der Keimanlage herausdifferencirt imd der Vegetationskegel des Stammes zeigte sich erst nachtraglich zwi- schen denselben. Wir brauclien uns soniit nur ein Keimblatt des dicotylen Keimes weggefallen zu denken, ein Fall der auch bei Dicodyledonen (Cyclamen, Corydalisj vorkommt, urn ein ganz ahn- liches Entwickelungsverhaltniss wie bei Mouocotylen zu erhalten : das Keimblatt wird sich dann direct aus der Keimanlage und der Vegetationskegel des Stammes sich erst nachtraglich seitlich an dessen Basis zeigen miissen. So bietet uns also der durch fortgesetzte Metamorphose in alien seinen Entwickelungszustanden veranderte monocotyle Keim ein ontogenetisches Bild, das durchaus nicht mehr dem phylogene- tischen Ursprung desselben entspricht. Die individuelle Entwicke- lung ist hier durch nachtragliche Anpassung so verfalscht worden, dass sie uns nicht nur zur Deutung nicht verhelfen kann, sondern uns selbst auf Abwege fuhren konnte. Hier zeigen sich dann wieder die Vorzuge der phylogenetischen Methode, die bewusst ihre Hulfsmittel braucht und so allein auch die Moglichkeit gewahrt die Deutung zu einem sicheren, iiberzeugenden Abschlus zu bringen. Eine Art der ontogenetischen Entwickelung habe ich bisher ganz unerortert gelassen, weil ihre Deutung besonders schwer ist und sich zur Zeit nur annaherungsweise versuchen lasst : ich meine die Entwickelung mit sog. Generationswechsel. Diese Art der Entwickelung ist, wenn man die Bezeichnung fur alle bisher so benannten Falle zuniichst gelten lasst, nicht seltner im Pflanzenreiche als im Thierreiche, ja sie kommt dann wohl im Pflanzenreiche haufiger noch als im Thierreiche vor, denn fast von alien Pflanzen liisst sich in diesem Sinne behaupten, dass die Generationswechsel in ihrer Entwickelung zeigen 'j. Selbst bei den Phanerogamen ist der „Generationswechsel" nur dadurch zum Schwinden gekommen, dass die eine der beiden „Genera- tionen" das geschlechtlich diflferencirte Prothallium in die andere, die in Axe und Blatt differencirte ungeschlechtliche Pflanze auf- genomraen worden ist. Auch kann der sog. Generationswechsel im Pflanzenreiche in oft ausserordentiicher Mannigfaltigkeit auf- treten, denn einige Pilze, so z. B. die den Getreiderost verur- sachende' Puccinia hat nicht weniger als „vier" vorschiedene „Ge- nerationen" in ihrem Entwickelungscyclus aufzuweisen. — 1) Wobei ich von der Sprossfolge bei hoheren Gewachscn , die ja auch als Generationswechsel gedeutet worden ist, ganz absehe. 68 Eduard Strasburger, Die Frage ist nur; ist es wirklich iiberall echter Genera- tionswechsel dem wir im Pflanzenreich begegnen? Ich mochte diese Bezeichnung, die auf no heterogene Falle angewandt wird, zunachst pracisirt und vor Allem phylogenetisch begriindet sehen '). Man pflegt eiiie ein Mai fixirte rhytmisch sich wiederholende Entwickelungseinheit*'^) als Generation zu bezeichnen; nun fragt es sich, ob das, was man „Generationswechsel" nennt, wohl jemals phylogenetisch dadurch entstanden sei, dass zwei oder mehr auf- einander folgende Generationen d. h. zwei aufeinander folgende, sich rhytmisch wiederholende Entwickelungs - Einheiten , die sich zunachst vollig glichen, nachtraglich unglcich werdend, zu einer einzigen Entwickelungseinheit sich zusammenzogen. Auf diese Weise ware aus zwei oder mehr auf einander fol- genden genealogischen Individuen, deren jedes zunachst zur Cha- rakterisirung der Species ausreichte, eine neue genealogische Ein- heit entstanden und wiiren nunmehr die Charaktere ursprung- lich mehrerer Generationen zur Charakterisirung der Species noth- wendig: das Product einer solchen Entstehung ware meiner Auf- fassung nach allein als Generationswechsel (Metagenesis) zu be- zeichnen; wahrend ich den sog. Generationswechsel von dem sich wahrscheinlich machen lasst, dass er phylogenetisch nur durch Spaltung der urspriinglich einen Generation entstanden, als Entwi- ckelungswechsel (Strophogenesis) ^) die sog. Generationen in diesem Falle lieber als Entwickelungsglieder bezeichnen mochte. Echter Generationswechsel scheint, auch vom obigen Stand- punkte aus betrachtet, wirklich im Thierreiche vorzukommen, so bei Salpen, Nematoden, (Ascaris nigrovenosa) und wohl bei den meisten Insekten mit Generationswechsel (Aphiden, Cocciden) wahr- scheinlich auch bei den Bryozoen, Rotatorien, Daphniden, Phylo- poden*) u. s. w. Auf den echten Generationswechsel passt dann die Deutung von Haeckel (gen. Morph. Bd. II. S. 161) die er in geistvoller Weise mit Zuhiilfenahme der latenten Vererbung zu begriinden sucht. Er knupft die ganze Erscheinung an die auch 1) Vor Allem fordere ich eiiien Jeden auf, der sich ilber die schwierigen Verhaltuisse der verschiedeuen Arten der Zeugungskreise belehren will , die hierauf beziigliclien Abschiiitte in Haeckel's „Genereller Morphologie" zu leseu (Bd. II, S. 81—109). 2) Haeckel 1. c. S. 30. 3) Haeckel 1. c. S. 107 gebraucht diesen vou ihm gebildeten Terminus, in etwas anderer Bedcutung, worauf ich weiter uuten zuriickkomme. 4) Haeckul 1. c. S. 91. Ueber die Bedeutung der phylogenetischen Methoden u. s. vv. 69 beim Menschen bekannte Erfahrung an, dass Kinder so oft mehr den Grosseltern als den Eltern gleichen. Dass Charaktere, eine Oder mehrere Generationen hindurch latent bleiben konnen ohne sichtbare Uebertragung durch die mittelbare Fortpflanzung , um erst nach Verlauf derselben plotzlich wieder in einer entfernteren Generation zu Tage zii treten." Diese Erscheinung, die in deu einfachsten Fallen als Atavisnius bezeichnet wird , diirfte in der That bis in's Extreni gesteigert, den Schltissel fiir die phylogene- tische Deutung des wahren Generationsweclisel's liefern. Docli besitzen wir in diesem Sinne audi echten Generations- wechsel im PflanzenreicheV Ich meine nur in den seltensteu Fal- len und nur auf gewisse eng umschriebene Gruppen niederster Kryptogamen beschrankt. Fiir alle Ptlanzen, von den Moosen an aufwarts, ist es mir hingegen wahrscheinlich , dass wir es nur mit Spaltung ursprilnglich einer Generation, also mit Strophogene- sis zu thun haben und dass, wenn ein Entwickelungscyclus aus mehr denn einem selbststandigen lebenden, d. h. pysiologischem Individium (nach Haeckel's Definition) besteht diese Individuen ihre Entstehung nur der Individualisiruug bestimmter Glieder einer einzigen Generation verdanken, mogen diese Glieder durch An- passung an besondere Lebensbedingungen dann audi noch so differente Charaktere erlangt haben. Eine gewisse Schwierigkeit scheint dieser Deutung aus dem Umstande zu erwachsen, dass ja auch in deu letzten Fallen die verschiedenen, sich hier aufeinander folgenden Individuen von Neuem ihre Entwickehmg mit je einer Zelle beginnen. Aber auch die einzelnen Glieder (Organe) die zu einem phylogenetischen Individuum verbunden bleiben, fangen ihre Entwickelung mit einer oder wenigen Zellen an. Dass andererseits die Zellen, welche die aufeinanderfolgeuden , physiologischen In- dividuen erzeugen sollen, in grosserer Anzahl und oft in beson- deren Behaltern gebildet werden , scheint mir nur eine besondere^ weitere Anpassung bei Entstehung dieser selbststandig gewordenen Glieder zu sein, die insofern nicht ganz aus dem Geleise des sonst Gewohnten getreten ist , als wir ja auch Falle kennen , wo Knos- pen in ahnlicher Weise d. h. in grosserer Anzahl und in be- sondern Behaltern erzeugt werden (so bei einigen Lebermoosen und Laubmoosen). In ahnlicher Weise fallen dann auch diese Brutknospen ab und bilden physiologisch selbstandige Individuen. Gegen eine Deutung der hier iuKede stehendenEntwickelungs- vorgilnge im Pfianzenreiche als Generationswechsel liisst sich auch der Umstand auliuhren, dass wir im gauzeu Ptlanzeureich nicht 70 Eduard Strasburger, einen Entwickelungscyclus aufzuweisen haben in dem mehr denn ein geschlechtlicher Vorgang, mit mehr denn einmaliger Produ- ction echter Eier nachgewiesen ware '). Es ist hiermit freilich die Moglichkeit nicht ausgeschlossen, dass mehrere ungeschlechtliche, wirklich verschiedene Generationen, zu einem Generationscyclus zu- sammengetreten waren, eine derselben sich dann erst nachtraglich geschlechtlich differencirt hatte. Doch kann dieses nur fiir ge- wisse, schon angedeutete niederste Kryptogamen: z. B. die Chlo- rosporeen, Phycomyceten, denen ich auch wirklich echten Genera- tionswechsel zuerkennen mochte, nicht aber fiir die bereits ge- nannten hoheren Pflanzen gelten. Fiir eine grosse Gruppe; die der farnahnlichen Gewachse, welche ganz besonders immer als Beispiele fiir den Generations- wechsel im Pflanzenreiche angefiihrt werden, iiesse sich special noch einwenden, dass es hierbei wirklicher Zusammensetzung aus mehreren Generationen, ganz wimderbar ware, wie so es gerade die auf dem tieferen Entwickelungszustande verbliebenen Generation das thallusahnliche Prothallium ist, die geschlechtliche Differen- cirung zeigt. Gilt doch im Allgemeinen die geschlechtliche Dif- ferencirung als eine hohere, vollkommenere , spater erworbene Art der Fortpflanzung , diese miisste also auch der hoher ent- wickelten Generation angehoren. Man miisste denn annehmen, dass die in Axe und Blatt differencirte Generation nachtraglich, durch Riickbildung ungeschlechtlich geworden ware, wofiir hier aber keinerlei Anhaltepunkte vorliegen. Nicht unerwahnt will ich auch lassen, dass eine Ankniipfung der Fame an die Moose viel leich- ter werden wird, wenn die s. g. Generationen beider nur als indi- vidualisirte Glieder einer Generation erkanat werden. Bekanntlich ist bei den Moosen die in Axe und Blatt ausge- bildete Pflanze geschlechtlich differencirt, ausserdem haben die hoheren Moose in ihrer strophogenetischen Entwickelung noch 2 Glieder aufzuweisen, das s. g. Sporogonium oder Fruchtkapsel, welche ungeschlechtlich erzeugte Sporen enthalt und ein aus die- sen Sporen hervorgehendes, fadenformiges Gebilde, das Protonema, an dem durch ungeschlechtliche Knospung, die in Axe und Blatt differencirte geschlechtliche Pflanze wieder hervorgeht. Nun suchte man bei den Moosen nach Ankniipfungspunkten nicht nur fiir 1) Aus dem Thierreich hingegen konnteii wir mehrere Beispiele anfiihreu, so unter anderen : die Nematode Ascaris nigrovenosa mit 2 geschlechtlichen Generationen, die Rindenlause u. s. w. Ueber die Bedeutung der phylogenetischcu Methodeu u. s. w. 71 das in Axe unci Blatt difterencirte , ungeschlechtliche Entwicke- lungsglied der Fame, sondern audi fiir das geschlechtlich diiferen- cirte, thallusiihnliche Prothalliuni. Man musste uni Ankniipfungs- punkte fiir letzteres zu gewinnen bis zu den niedrigsten , Thal- loiden, geschlechtlich ditterencirteu Lebermoosen zuiiick greifen; doch bei diesen Lebermoosen fehlt noch volLstandig der in Axe und Blatt difterencirte Theil. der auf die geschlechtlichen Organe bei den Farnen tblgt. Bei den Laubmoosen hatte man zwar wieder eine in Axe und Blatt dift'erencirte Pflanze . doch niit Ge- schlechtsorganen ; dagegen fehlten die Gcsclilechtsorgane auf dem Protonema. an das man allenfalls das Prothalliuni hatte anreihen konnen. Wie viel einfacher wird das Verhaltniss, wenn wir uns entschliessen die Fame an die in Axe und Blatt dift'erencirten, ge- schlechtliche Laubmoospflanze anzuknupfen , wir Sporogonium und Protonema der letzteren uns weggefallen denken, dagegen annehmen, dass beim Uebergang zu den Farnen eine Spaltung der Axen-Blatt- Pflanze insofern erfolgte , als der die Geschlechtsorgane tragende Theil sich auf dem jiingsten Entwickelungszustande zu einem selb- standigen Gebilde individualisirte. Durch weitere Anpassung an die neuen Verhaltnisse mag diess Gebilde dann die bekannte Pro- thallium-Gestalt angenonimen haben, wahrend andererseits die An- fangszellen zu diesem neuen Entwickelungs-Gliede auf der Axen- Blatt - PHanze in immer grosserer Zahl erzeugt und in besondere Behalter aufgenoinmen wurden. Man verzeihe mir diese rein hypothetische Behandlung, die ja uur ein Versuch sein soil, dieses schwierige Gebiet der Erkennt- niss zuganglich zu machen. Vielleicht diirfte durch denselben doch diese oder jene neue Frage der speciellen Forschung aufge- worfen und somit auch ihre Beantwortung angeregt werden. -- Wie eine Spaltung und Individualisirung bestimmter Glieder eines Entwickeluiigskreises vor sich gegangen sein mag, konnnen wir ausserdem immer noch an den Fallen sehen, wo, wie bei den schon erwahnten Bulbillen, einzelne Theile der Ptianze abgeworfen wer- den und zu selbstandigen, physiologischen Individuen auswachsen. Solche Falle sind zunachst noch keine Strophogenesis, wenn die so erzeugten Individuen nur Wiederholungsgebilde sind, so dass auch ohne ihre Hilfe , der ganze Entwickelungskreis durchlaufen wird. Auch mochte ich nicht von Strophogenie bei der Spross- folge der hoheren Ptianzen sprechen und zwar nicht weil hier die zum Durchlaufen des ganzen Entwickelungscyclus nothwendiger 72 Eduard Strasburger, Glieder in Veibindung bleiben ^). Treten solche Glieder aber aus dem Zusanimenhange, werden sie zu selbstandigen physiologischen Individuen, so haben wir sofort auch echte Strophogenie vor uns ^). Mit dieseii Andeutungen muss ich niicli hier begntigen, lasse es tiberhaupt dahin gestellt, ob durch dieselben alle Falle des s. g. Generationswechsers ini Pflanzenreich erschopft werden, im Thier- reiche verdankt derselbe sicher sehr mannigfaltigen Vorgangen seine Entstehung. Doch hiermit wollte ich tiberhaupt nur diese schwierige Frage angeregt haben. Eine ebenso grosse Bedeutung wie fiir die morphologische Forschung kommt der phylogenetischen Methode auch fiir die physiologische zu. Mit ihrer Hilfe allein ist ein tieferer Einblick in die Lebensvorgange zu gewinnen. Wenn wir die Ideen der Lebenskraft und dergleichen ahnliche, immer wieder in den biolo- logischen Wissenschaften auftauchen sehen , so wird diess allein verschuldet durch das geringe Verstandniss , welches man so oft noch der phylogenetischen Methode entgegen bringt. Dieselbe operirt mit einem Momente, das nur selten in seiner vollen Trag- weite gewiirdigt wird: mit dem Momente der Erblichkeit. Die Erblichkeit beruht aber in der Fahigkeit, welche das Protoplasma besitzt, die Eigenschaften der Vorfahren auf die Nachkommen zu 1) Haeckel 1. c. y. 107 bezeichnet diesen Vorgang als Generationsfolge und bat fiir denselben eigeutlicb die Bezeicbnimg: Strophogeiiesis gebildet. 2) Eineu schoiieu 1^'all eiiier solcbeu gleicbsam begiiiueiiden Individualisi- rung einzehier Eutwickelungsglieder bieten in anderer Beziebung eiiiige niexika- niscbe Cuscuta- Arteu (Vergl. von Mohl , Bot. Zeit. 1870 8palte 154) welcbe steiigellos biiibeii. Man bndet die behaarteu, tiugerdickeu Stiinmie einer straucb- artigen Triunifetta im Monate Februar mit kleinen Haufen , warzenartiger Korper bedeckt , welcbe mit ibrer verwitterteu Farbe und scbuppenformigen, dachziegeligen Blattcben einem krankbafteu Auswuchse des Strauches urn so mehr gleichen , als der Stamm des letztereu iiberall, wo jene yorkommeu, ber- vorstebende Anscbwellungen besitzt, so dass man leicbt versucbt wird diesel- ben t'tir eiue durcb Insekteustiscbe veranlusste Missbildung zu balteu. Kilbere Untersucbung zeigt, dass es eine Art von Cuscuta ist. Die zusammengebauften Bliitbenknospen siiid nilmlicb auf dem Triumfetta-Stamme mit tief in dessen llinde eindringenden Saugwurzeln befestigt, und fiibren auf diese Weise ein isolirtes Blumenlebcu, indem der scbliugende Stamm vor dem Bliiben so giinz- lich verscbwindet, dass nur selten ein kleiues Fragment des verwitterteu Stengels an den Bliitbeubaufen aubilugend gefunden wird. Ueber die Bedeutung der phylogenetischen Methoden u. s. w. 73 iibertragen. Das Protoplasma ist es, dem diese Eigenschaft zu- kommt, denn mit eineni Protoplasma-Kliimpchen beginnt zimachst jedes Thier uud jede Pflanze, ein Protoplasma-Kliimpchen ist, was es zuiiachst von Vater und Mutter erhalt. Doch liier sei mir gestattet ein weuig zuriickzugreifen , so welt als es fiir das Verstandniss des Folgenden nothig ist. Wir wissen, dass die organisclien Stotie aus denen dei- Korper der lebenden Wesen aufgebaut wird, durch eine complicirte, chemische Zusammensetzung ansgezeirhnet sind , ausserdem zeigen sie eine Molecularstructur , die in ihren extremen Formen bedeutend von derjenigen anorganischer Korper abweicht. Diese Structur wird aus den physikalischen Eigenschaften erschlossen und sonach an- genommen, dass diese Korper aus kristallinischen Moleculen auf- gebaut werdeu, die von Wasserhiillen umgeben sind und so eine verhaltnissniiissig grosse ISelbstandigkeit besitzen. Jedes Thier jede Plianze sind des Wachsth urn's fahig uud dieses ist von dem Waclisthum der anorganischen Krystalle dadurch unterschieden , dass es durch Zwischenlagerung , letzte- res nur durch Auflagerung neuer Molecule vor sich geht. Im Krystall ist ein Eindringen neuer Molecule zwischen die schon fixirten nicht moglich, daher nimmt derselbe nur durch Apposition an Grosse zu, der organisirte Korper wachst dagegen durch Intussusception in seiner ganzen Masse. Durch Vermittelung der Wasserhiillen konnen immer neue Substauztheilchen zwischen die schon vorhandenen Molecule des Korpers eindringen, hier zum VVachsthum der einzelnen krystallinischen Molecule (durch Apposition) beitragen, oder zu neuen Moleculen zwischen den schon vorhandenen auskrystallisiren. Die einfacheren , chemischen Verbindungen , die in den Bau des anorganischen Krystall's eingehen, sind, ihrer Natur nach, viel stabiler als die complicirteren der organischen Korper und daher sind letztere audi in contionuirlicher Zersetzung und Umsetzung be- griflen, was in dem ganzen Organismus die Moglichkeit continuirli- cher Veranderung, einer fortgesetzten Bewegung bedingt. Dann konimt endlich noch hinzu, dass dem complicirtest gebauten der organisirten Stotfe: dem Protoplasma die Fahigkeit zukommt zu assimiliren, d. h. gewisse \'erbindungen in amlere, dem Organis- mus verwandte, iiberzutuhren und so seine Masse zu vergrossern. Dieses nur ttiichtige Bild soil uns an die complicirten molecu- laren Vorgange innerhalb der „lebeuden'' Korper mahnen, an de- nen wir dem entsprechend complicirte Vorgange sich abwickeln 74 Eduai'd Htrashnrger. sehen, — Diirch die Fahigkeit des Wachsthums ist zunachst aiich die Moglichkeit der Entwickelung gegeben und zwar sowolil die ontogenetische Entwickelung , die sich an individuellem Waclis- thum abspielt , aU auch die pliylogenetische , welche durch das Wachstlium iiber das individuelle Maass hinaus. das wir Fortpflan- zung nennen ' ), ermoglicht wird. VVie nun mit dem Wachsthum die Entwickelung fortschreitet und nach einander immer neue, niorphologische Glieder in die Erscheinung treten, so difterenziren sich in deni Maasse, auch die zunachst im Ei nur latent vorhandenen Eigenschaften , und treten uns in einer imraer grosser werdenden Summe entgegen. Es gilt fiir die physiologische Entwickelung ganz das nam- liche wie fiir die niorphologische und ist der Unterschied zwi- schen Beiden nur durch die Fragestellung gegeben , indem wir in der Morphologie zunachst nur bemiiht sind eine Gestalt aus der anderen abzuleiten ohne Riicksicht auf die physikalischen Ur- sachen der Gestaltung, hier aber nach den physikalischen Ur- sachen der uns entgegentretenden Eigenschaften (auch derjenigen welche die Gestaltung veranlasst haben) fragen. Wie die niorpho- logische Entwickelung des Individuum's eine kurze Wiederholung seiner morphologischen Vergangenheit ist, so muss auch die phy- siologische es sein, und wie die erstere nachtraglicher Verkurzung und Verkiimmerung fahig ist, so auch die letztere, hangen ja schon beide aus dem Grunde unmittelbar zusammen, als jede Gestalt- Aenderung durch physikalische Ursachen bedingt werden muss und letztere ja in das Gebiet der Physiologic gehoren. So konnten also die friiher vorgefuhrten morphologischen Beispiele auch an dieser Stelle gelten, doch greife ich noch zu einigen pragnanteren , die mir besonders geeignet scheinen auch von physiologischer Seite das ganze phylogenetische Bild zu beleuchten. Die Stellungsverhaltnisse der Blatter oder richtiger gesagt, der Ort ihres Auftretens am Vegetationskegel des Stammes wird durch Kaumverhaltnisse bedingt. Die Raumverhaltnisse . wenn wir zunachst von allem Anderen abstrahiren, bestimmten die mechanischen Vorgange, welche zur Bildung der Blatter fuhren. Wir wahlen als Beispiel den einfachsten Fall, wo je zwei Blatter in gleicher Hohe am Stamm genau um 180*^ von einander ent- fernt angelegt werden. Sind zwei solche Blatter oben am Vegetations- 1) Diese Defiuition der 1^'ortptlaiizuug ruhrt vou Haeckel her. Gen. Morph. II 8. 171. Ueber die Bedeutiing der phylogenetischen Methoden u. s. w. 75 kegel entstanden unci soUeii nun zwei neue gebildet werden, so ist es klar, dass der meiste Raum fiir diese letzteren an den zwei, mit den ersteren sich kreuzenden Stellen vorhanden sein wird. So sehen wir denn auch oft in der That die beiden, neuen Blatter in soldier Steliung auftreten. Auf diese zwei Blatter fol- gen wiederum zwei mit denselben alternirende u. s. w. Aus dem namlichen Grunde wie in dem eben angetuhrten Beispiel sehen wir auch am Zweiganfang der Coniferen die ersten beiden Blatter transversal gestellt. weil rechts und links der meiste Raum am \'egetationskegel fiir ihr Auftreten vorhanden war, wah- rend hinten und vorn die Knospe an ihr Deckblatt und an ihre Mutteraxe anlehnte. Das erste transversale Blattpaar der Knospe bestimmt dann, bei rein transversaler ('/a) Steliung, meist das Auftreten eines zweiten, medianen, d. h. vorn und hinten gestell- ten mit dem ersten Paar alternirenden Blattpaares. Man konnte in den beiden Beispielen die Ursache, welche die Blattstellung bestimmte, als noch in ihrer urspriinglichen Reinheit erhalten an- sehen. Doch ist das letztere nicht immer der Fall. An der raiinnlichen Bliithe von Ephedra z. B. tritt das erste Blattpaar, gegen die Regel, statt transversal, median auf, ungeachtet doch die Raum - Verhaltnisse die namlichen wie bei den eben geschil- derten Achselknospen geblieben sind. An der mannlichen Bliithe einer naheverwandten Piianze : der Welwitschia ist dann auch ein erstes transversales Blattpaar vorhanden und so zeigt denn der Vergleich : dieses erste Blattpaar miisse auch bei Ephedra ursprung- hch vorhanden gewesen sein und das Auftreten des jetzt als erstes sich zeigenden, medianen Blattpaares erst bestimmt haben. Hier sind uns somit die Ursachen, welche die Blattstellung veranlasst haben nur noch in verkurzter, iuckeuhafter Weise erhalten. End- iich sind nicht selten fur die Bluthenentwickelung Falle verzeich- uet worden, wo zwei aufeinanderfolgende Blatt-Wirtel statt ab- zuwechseln, scheinbar gegen das Raumgesetz der Blattstellung, vor einander auftreten und erst nachtraglich ein s. g. intercalarer Wirtel , der mit den beiden superponirten Wirteln alternirt zwi- schen dieselben eingeschoben wird. Ich meine dieser Wirtel durfte urspriinglich . wohi in den meisteu Fallen, in gewohnlicher Reihenfolge, seiner Steliung ge- mass, entstanden sein, dem entsprechend auch die Superposition der beiden jetzt gleich aufeinanderfolgenden Wirtel, nach den ge- wohnlichen Raumgesetzen der Blattstellung bestimmt haben und erst nachtraglich in der Zeitfolge seines Auftreten's „verschoben" 76 Ediiarcl Strasburger, worden sein. Wir haben es hier mit einer ganz ahnlichen Er- scheinimg wie bei cler Entwickeluiig des friilier geschilderten mo- nocotylen Keimes zu thun und konnten hier also audi von einer Verfalschung der urspriinglichen Ursachen sprechen, welche die Blattstellung bestimmen. Diese Beispiele gewahren uns dann aber auch einen tieferen Einblick in das Wesen der Erblichkeit, welche sich befahigt zeigt Wirkungen zu erhalten und in der ontogenetischen Entwickelung stets wieder zur Erscheinung zu bringen , deren Ursachen in der Vergangenheit liegen. Wirkungen, die in der Vergangenheit eine ausser ihnen liegende mechanische Ursache gehabt, die jetzt aber scheinbar spontan, d. h. als ererbte Eigenschaften in die Erschei- nung treten. Die Aufeinanderfoige in dem Auftreten dieser Ei- genschaften ist aber denselben Gesetzen wie diejenige beim Auf- treten der morphologischen Gliederung unterworfen; sie erschei- nen in der individuellen Entwickelung (von etwaigen spateren Ver- schiebungen abgesehen) urn so spater, je spater sie in der phylo- genetischen Entwickelung erworben worden sind. Die Physiologie steht, so lange sie sich an den Organismus, wie er jetzt gegeben, ausschliesslich halt einem Unbekannten gegen- iiber, dass es zwar von erster und fundamentaler Wichtigkeit ist in alien seinen Beziehungen zu den elementaren Einfliissen, zu erforschen, das aber trotzdem , als solches, stets ein Unbekanntes bleibt'), so lange wir nicht die phylogenetische Methode an das- selbe anlegen.— Freilich wird die Forschung hier auf ungeheure, oft unuberwindliche Schwierigkeiten stossen, doch es ist schon sehr viel gewonnen , wenn wir uns nur tiberhaupt der richtigen Aufgabe bewusst werden. Die Pllanze ist ,vora physiologischen Standpunkte aus betrachtet eine Sunime von ererbten physika- lischen Wirkungen ebenso wie ihre Gestalt (abgesehen von den physikalischen Ursachen derselben) eine Summe vererbter Form- anderungen ist. Auch fiir die Physiologie diirfte also die Auf- gabe sein, diese physiologische Summe in ihre einzelnen, ererbten, physikalischen Factoren zu zerlegen. Wtirde dieses gelingen, so ware der Organismus auf seine mechauischen Ursachen zuriick- gefiihrt. Seine Eigenschaften wtirden sich dann allgemein physi- kalischen Gesetzen unterordnen lassen, wiihrend zunachst nur von physiologischen UrsacUen gesprochen werden kann, die als eine Summe von Wirkungen auf die elementaren Eintliisse in 1) Vergl. auch Sachs Lelirbucii HI. Auti. ti. 681. Ueber die Bedeutung der phylogenetischen Methoden u. s. w. 77 einer Weise reagiren , die oft von rein physikalischen Reactio- nen ganz verschieden scheint. Wir begniigen uns dann einpirisch die Reaction festzustellen und zu verzeichnen, ohne die letzten physikalischen Ursachen derselben angeben zu konnen. Diejenigen Methoden, welche die Physiologic einer phylogene- tischen Behandlung zugangiich machen, sind aber die namlichen, die uns auch in der Morphologie zum Ziele fiihrten. Auch hier gilt es zuniichst vergleichend im phylogenetischen Sinne zu Werke zu gehen, dann auch die einzelnen Entwickelungszustande der Or- ganismen in physiologische Untersuchung zu Ziehen, weiter noch diese Untersuchung auf alle, auch die einfachsten Organismen aus- zudehnen, endlich auch die mechanischen ob unmittelbar oder mittelbar wirkenden Ursachen der neu auftretenden , erblich wer- denden Veranderungen zu verfolgen. Die auf den genannten Ge- bieten, mit Berilcksichtigung der Erblichkeit bereits angestellten Untersuchungen lassen fiir eine phylogenetische Behandlung der Physiologic schon das Beste hoffen und diirften bald auch noch weitere werthvolle Untersuchungen anregen. Auf merkwiirdige Abwege miissen freilich diejenigen gerathen, welche glaubten, auch ohne Inhtilfenahme der Erblichkeit ein Thier Oder eine Pflanze rein mechanisch aus unmittelbar wirkenden Ur- sachen erklaren zu konnen. Sie gaben dann mechanische Deu- tungen , die bei naherer Betrachtung meist nichts weniger als solche sind. Das Merkwiirdigste in dieser Beziehung ist vor Kurzem von einem Anatomen auf dem Gebiete der thierischen Entwickelungs- geschichte geleistet worden '). Derselbe hebt zunachst hervor, „dass alle Bildungen organischer Korper auf einem stetigen Wachsthum beruhen und glaubt nun die ganze „Entwickelungsgeschichte" me- chanisch beleuchten zu konnen. Es geht zunachst Alles ausser- ordentlich einfach vor sich: „Der Keim der Wirbelthiere, schreibt er, ist zunachst ein flaches, blattformiges Gebilde : das Wachsthum dieses Gebildes erfolgt nicht iiberall mit gleicher Energie ; es schreitet in den centralen Theilen racher als in den peripherischen vor und die nothwendige Eolge ist, dass [sich an demselben Falten bilden miissen ; mit dieser Faltung tritt dann die erste fundamentale Glie- derung, der Keimscheibe ein. — Nicht nur die Abgrenzung von Kopf und Rumpf, von links und rechts, nein auch die Anlage der Glied- 1) Ueber die Bedeutung der Entwickelungsgeschichte fiir die Auffassung der organischen Natur, von His, 1870. 78 Eduard Strasburger, maassen, sowie die Gliederung des Gehirnes, der Sinnesorgane, der priinitiven Wirl)elsaule, des Herzen's und der zueist auftretenden Eingeweide, lassen sich mit dringender Nothwendigkeit als niecha- nische Folgen der ersten Faltenentwickelung demonstiren'). Mit dieser einfachen Faltentheorie diirfte sich freilich kaum Je- mand, der die Objecte um die es sich hier handelt aus eigenerAn- schauung kennt, befriedigt fiihlen, doch, abgesehen davon, wird hierbei ja ganz ausser Acht gelassen, dass die Wachsthums-Erscheinungen, durch welche die Faltungen hervorgerufen sein soUen, auch einer Erklarung bediirfen. Wenn die Faltenbildung am Keim auch wirk- lich eine mechanische Folge ungleicher Wachsthums-Inteusitat ist, so miisste doch zunachst erwogen werden, warum an der einen Oder der anderen, (doch stets an der namlichen) Stelle des Keimes, das Wachsthum intensiver als an den iibrigen Stellen ist, und hierfur diirften sich doch wohl kaum andere als phylogenetische, d. h. ererbte Ursachen anfiihren lassen. Fin Vogel-Embryo wachst eben anders als ein Saugethier - Embryo und kein mechanischer Einfluss ist im Stande den einen in den anderen zu iiberfiihren, vielmehr wird ihre Entwickelung aus rein inneren, ererbten Ur- sachen so Oder so bestimmt, je nachdem sie von diesen oder jenen Eltern abstammen. Wir verbleiben somit .bei unserer, wenn auch weniger ein- fachen Auffassung, die ja auch eine mechanische Deutung fiir die Lebensvorgange zu gewinnen sucht — doch, wie wir meinen, auf etwas anderer Grundlage. Wir haben der ganzen vorliegenden Betrachtung die Descen- denztheorie zu Grunde gelegt, ohne Riicksicht zunascht auf diejeni- gen, die noch immer nach Beweisen fiir diese Theorie verlangen. Wir sehen dieselbe als bewiesen an, wobei wir aber nochmal hervor- heben, dass zwischen Descendenz- und Selections-Theorie wohl zu scheiden ist, dass die erstere nur eine „Entwickelung" der orga- nischen Welt behauptet, letztere hingegen die Principien behandelt, welche diese Entwickelung bestimmten. Nun lasst es sich wohl, wie schon gesagt, dariiber streiten, ob die von Darwin aufgestell- ten Principien hinreichen, um die Entwickelung der Welt zu er- klaren, eine Entwickelung der Welt uberhaupt, ist uns aber, nach dem heutigen Stand unserer Erkenntniss sicher. 1) His 1. c. S. 31. Ueber die Bedeutung der phylogenetischen Methoden u. s. w. 79 Die ganze obige Erorterung ist aber nur auf die Descendenz- theorie nicht auf die Selectionstheorie basirt. Nicht verschweigen mochte ich freilich, dass ich zu deiijenigen gehore, die auch den eigentlichen Daiwinismus als sicher begriindet anselien und in dem von Darwin aufgestellten Princip der Selection, so nicht alle doch einen der wichtigsten Motoren der fortschreitenden Entwickelung erblicke. Bis jetzt reicht derselbe fur die Erklarung der meisten Entwickelungsvorgange aus und viele der eingewandten Falle, die scheinbar nach anderen Erklarungsprincipien verlangen , diirften sich noch mit der Zeit dem, nur weiter gefassten Selectionsgesetz unterordnen lassen. Beispielweise lasst auch der in „einer kriti- schen Beleuchtung der Philosophie des Unbewussten" (S. 9 u. f.) gemachte Einwand, der dem ungeiiannten Autor, sehr schwer zu wiegen scheint: dass das Entstehen gewisser Eigenschaften , die erst in ausgepragter Form dem Organismus zu Gute kommen konnen, sich durch die Selectionstheorie nicht erklaren lasse, da ja letztere verlange, dass jede der minimalen Individualabweichungen schon nutzlich sei, um sich erhalten zu konnen — noch einen Ausweg offen, den man einschlagen kann ohne den Boden der Selectionstheorie zu verlassen. Es kann namlich auch eine zu- nachst gleichgiltige Eigenschaft als Correlationswirkung mitgefiihrt und durch Verstarkung des Correlats auch so verstarkt werden, dass sie in dem Augenblicke, wo sie etwas in Ziichtung genommen wird schon als ein sehr ausgepragter Charakter vorhanden ist. So finden wir z. B. den Zapfen vieler Abietineen zur Bliithezeit auf- fallend purpurroth gefarbt und doch ist diese so pragnante Ei- genschaft ohne alien Nutzen fur die Pfianze. — Bei den hoheren Phanerogamen , den eigentlichen Bliithenpflanzen , die durch Ver- mittlung der Insekten bestaubt werden , sind die farbigen Hiillen um die Geschlechts-Organ geziichtet worden, weil sie den Insekten in die Augen fallen, dieselben gleichsam anlocken und so bei der Bestaubung von Kutzen sind. Doch die Abietineen werden mit Hilfe des Windes bestaubt; die intensiv rothe Farbung ihrer Zapfen ist eine reine Correlations - Wirkung , nur dadurch her- vorgerufen, dass als Nebenproduct des erhohten Stoifwechsels zur Bliithezeit, rother Farbstoff in den Zapfen erzeugt und ange- hiluft wird. Hier haben wir also den Fall einer priignanten Cor- relations - Eigenschaft vor uns, freilich nur chemischer Art; allein die Correlationswirkungen kommen ganz in derselben VVeise auch bei den Gestaltungsvorgangen zur Gcltung, wie dieses Darwin be- reits an zahlreichen Beispielen namentlich im 25. Capitel seiner 80 Eduard Strasburger, Ueber die Bedeutung rl. phylogenetischen u. s. w. Domestication gezeigt hat. Der Einwand, dass die Entstehung solcher Eigenscliaft, die erst in ausgepragter Form dem betreffen- den Organismus zu Gute kommen konnten , sich durch die Se- lectionstheorie nicht erklaren lasse, weil ja diese verange, dass jede der noch so geringen individuellen Abweichungen schon von Nutzen sei, um geziichtet werden zu konnen, ware also dahin zu pracisiren, dass die Moglichkeit der Entstehung auch solcher Eigenschaften sehr wohl durch Correlation gegeben sei, dass aber freilich die natlirliche Zuchtwahl nicht direkt, sondern indirekt die Correlationseigenschaften beeinflusst, indem sie nicht diese selbst sondern ihre Correlata ziichte. Ich habe es absichtlich vermieden, durch die obige Erorte- rungen gewonnenen Resultate ohne Weiteres auch auf die Ent- stehung der Mimicry, deren Erklarung dem Autor der kritischen Beleuchtung der Philosophic des Unbewussten, besonders schwierig scheint, anzuwenden, auch lasse ich dahingestellt in wie weit die hier gewonnenen Gesichtspunkte hinreichen um diese und andere noch sehwierigere Probieme der Selectioustheorie zu losen, immer. hin dtirften sie bei der kunftigen Deutung solcher Falle nicht ganz ausser Acht zu lassen sein. Wie man sich der Descendenztheorie gegeniiber auch verhalten mag, so lasst sich doch die Thatsache nicht bestreiten, dass bereits unter dem Einllusse derselben, die biologischen Wissenschaften, in ganz neue Bahnen getreten sind. Dieser ihrer neuesten Ent- wickelung durch die Descendenztheorie verdanken die Naturwis- senschaften nunmehr auch den Eintiuss, den sie auf alle Gebiete des menschUchen Denken's auszuiiben beginnen. Mit Spannung folgt die ganze geistig geweckte Welt beute ihren Fortschritten und die auf naturwissenschafthcher Basis entwickelten phylosophi- schen Systeme erfreuen sich einer beispiellosen Theilnahme. Dieses Bewusstsein ist es auch, dass uns zu immer neuer Thiitigkeit be- geistert und wenn wir Wochen und Monate der rauhsamsten Er- forschung einer einzelnen scheinbar noch so untergeordneten That- sache opfern miissen, so regt uns doch ununterbrochen der Ge- danke an : es handle sich hier um die Fundamente auf denen der hochste Bau sich aufzurichten habe, gelte es daher dieselbe fest und bis in die kleinsten Theile hinein gleich sicher zu legen. Und voran leuchtet uns der Goethe'sche Wahlspruch: „Willst Du ill's Unendliche schreiten Geh' im Endlichen nacli alien Seiten ! " Ueber Scolecopteris elegans Zenk,, einen fossilen Farn aus der Gruppe der Marattiaceen. (Mit Tafel U. und III.) Von I>r. £diiarfl j§tra^bui'g:er. In der Grossherzoglichen Petrefactensammlung zu Jena fiel mir vor kurzem ein tafelformig geschliffenes Chalcedonsttickchen auf, das verkieselte Pflanzentheile von auffallend schoner Erhaltung enthielt und daher auch den Wunsch in mir rege machte, es naher zu untersuchen. Das Tafelchen wurde mir von dem Director der Sammlung Herrn Hofrath Prof. E. E. Schmid, bereitwilligst zur Verfugung gestellt, und mir sogar gestattet von einem Theile des- selben einen Diinnschliff anfertigen zu lassen. Ein solcher wurde denn auch in vorzuglichster Weise in der optischen Werkstatt des Herrn Universitiits - Mechanicus Zeiss liierselbst ausgefuhrt. Es zeigte sich alsbald, dass das fragliche Chalcedonstuck bereits ein Mai von F. C. Zenker zum Gegenstande einer eingehenderen Un- tersuchung erwahlt worden war, und dass er dasselbe in der Lin- naea von 1837 (Bd. XI S. 509) beschrieben und auf Tab. X ab- gebildet liatte. Zenker erkannte auch richtig, dass die einge- schlossenen Pflanzenreste einem Fame, wohl einer Marattiaceae angehorten, und nannte er dasselbe Scolecopteris (von oxaltj'^, die Made) der madenformigen Figuren wegen, welche es auf der ge- schliffenen Platte bildete. „Bei naherer Betrachtung" schieibt er (a. a. 0. S. 509), „erwiesen sich die angeblichen Maden als Quer- und Langendurchschnitte von, in eine weisse Kieselmasse umge- wandelten Farnblattern, mit umgerolltem Rande und meist voll- kommen erhaltenen Kapselhaufchen auf deren Unterseite. Die gegen 1 — 2 Linien langen und '/j Linie breiten linienformigen, oben abgerundeten, an der Basis abgestutzten, abwechselnd stehen- den, fast sitzenden , mit ruckwarts gerolltem Rande versehenen Blattchen zeigen einen scharf markirten Mittelnerv mit, wie es Bd. VIII, N. F. 1. _ b go Eduard Strasburger, scheint, einfachen von demselben unter einem sehr spitzigen Winkel abgehenden Seitennerven, welche an den meisten in die zweireihigen Kapselhaufchen endigen. Einzelne losgeloste schein- bar jiingere Blattchen batten einen deutlich gezahnelten Rand in dessen Zahne Seitennerven auszulaufen schienen. Auf der Riick- seite der anderen Blattchen entspringen die aus 4 oder 5 einzelnen, eilanzettformigen, spitzigen und langsgespaltenen Kapselchen be- stehenden und mit einem kurzen gemeinschaftlichen Stiele ver- sehenen Kapselhaufchen. Auf dem Querschnitte . . . stellt sich immer mehr heraus, dass nicht etwa ein solches Kapselhaufchen im Grande nur eine einzige, aber in viele Klappen aufspringende Kapsel sei, sondern dass es wirklich seinen Ursprung einer Zu- sammenhaufung mehrerer freilich auf gemeinschaftlichem Stiele be- findlicherKapseln verdanke. So scheint zwar dieseGattung", schreibt Zenker weiter, „den genn. Gleichenia und Platyzoma R. Br. nahe zu steben, jedoch nicht zu den Gleicheniaceae gerechnet werden zu mussen, sondern eher den Marattiaceen sich anzuschliessen Oder wohl eine eigenthumliche Tribus zu begriinden. Dass aber saramtliche Blatter und Theile auch wirklich einem baumartigen Farngewachse mit vielfach zusammengesetzten Blattern angehoren, kann nicht in Zweifel gestellt werden, und leicht kommt man auf die Vermuthung, ob sie nicht zu den sogenannten Staarensteinen gehoren raochten, welche bekanntlich nichts anderes als die ver- steinerten Farnstamme oder Mittelstocke baumartiger Farnge- wachse darstellen. Dieses gewinnt urn so mehr an Wahrschein- lichkeit, als beide aus denselben oder doch ganz naheliegenden Gebirgsstraten (Porphyrgebirge und Todtliegendes) erhalten werden." Schliesslich sei noch der Vollstandigkeit wegen hinzugefugt, wie Zenker das Aussehen des ganzen Chalcedonstiickchens schildert (a. a. 0. S. 511): „Die eigentlichen Gewachstheile sind meist in eine weisse opalahnliche Masse umgewandelt und daher undurch- sichtig, wahrend die mehr oder minder durchscheinende braun- rothliche Chalcedonmasse die Zwischenraume erfiillt. Das Ganze hat daher das Ansehen, als wiiren porcellanahnliche Gewachstheile in einen durchscheinenden gelbrotlilichen etwas braunen Lack ein- geknetet worden. Weil ferner jene weisse Masse mancherlei Nuancen wahrnehmen iasst, so kann man ziemlich deutlich das Parenchym der Blatter von ihren Adern und Nerven, die Kapseln und ihren Inhalt u. s. w. unterscheiden." Ich bin auf die ZENKER'sche Schilderung ausfiihrlich eingegan- gen, urn dem entsprechend an der eigenen Beschreibung sparen Ueber Scolecopteris elegans Zpnk. 83 zu konnen. Dass aber eine erneuerte Untersuchung durch diese altere nicht uberfliissig gemacht worden, lehrten mich schon die ersten Betrachtungen der jetzt angefertigteD Diinnschliffe. Zenker hatte die geschliffene Platte niir bei auffallendem Lichte und ganz schwacher Vergrosserung untersucht; seine Zeichnuiigen , die nur die allgemeinen Contouren des Gesehenen bringen, geben hiervon Zeugniss, Die Dunnschliffe zeigten nunmelir, dass der Erhaltungs- zustand dieser verkieselten Pflanzentheile ein solcher sei, dass er eine vollstandige histologische Untersuchung derselben zulasse. Oft konnte man meinen, frisch dargestellte Querschnitte noch lebender Pflanzentheile vor sich zu sehen ! Ich hatte bisher nicht Gelegenheit gehabt, mich eingehender mit paleontologischen Unter- suchungen zu befassen und zunachst hatte ich auch hier nur die Absicht, mich zur eigenen Belehrung iiber das Object zu orientiren Der so vorziigliche Erhaltungszustand fesselte mich aber an dem- selben, und bald gewahrte es mir einen wahren Genuss, mich in die feinsten Details einer so lang verflossenen Schopfung vertiefen zu konnen. Ja waren alle fossilen Organismen so vollkommen wie dieser erhalten, liessen sich die Untersuchungen derselben auch sonst noch haufig mit derselben Sicherheit, wie in eben diesem Falle, fiihren, so wurde die Paleontologie mit noch ganz anderem Gewichte in die Entwickelung der biologischen Wissenschaften eingreifen konnen! — Die Farnblattchen unseres Untersuchungsobjectes waren nach alien Richtungen bin durch die Chalcedonmasse zerstreut und so fan den sich denn auch alle moglichen Durchschnitte derselben in einem einzigen Duunschlifte vereinigt; ausserdem liess auch die ursprungliche Platte, bei auffallendem Lichte, die Anwendung star- kerer Vergrosserung zu, so dass meine Tafeln nunmehr so detail- lirte Bilder einzelner Theile der ZENKER'schen Scolecopteris elegans bringen, wie man dieselben fiir einen lebenden Farn kaum voll- standiger verlangen konnte. Zunachst zeigt Fig. 1 auf Taf. II einen zienilich gross en Blatttheil, den grossten den ich auf der Tafel noch zusammenhangend vorgefunden, bei nur schwacher Vergrosserung (10 Mai). Die ZENKEn'sche Beschreibung passt auch auf densel- ben. Wir sehen ihn hier von der Unterseite, die Blattchen fast vollstandig von den dicht gedrangten Sori bedeckt. Der Schliff hat die oberen Theile der Sori entfernt, sie erscheinen daher ini Durchschnitt, manche etwas undeutlich, die moisten jedoch ganz vollkommen erhalten. Die Sori sind eben so haufig 4- als auch Sfachcrig. Sie lassen nur den Mittelnerv der Blattchen 6* g4 Eduard Strasburger. frei und scheinen bis an den Rand derselben zu reichen, doch er- reichen sie ihn nicht in Wirklichkeit, da dieser Rand wie Fig. 9» und 9'' zeigt, stark nach unten urageschlagen ist. Diese Umbiegung zeigt auch die Spitze der Blattchen. Sie scheint nicht erst beim Welken des Blattes eingetreten zu sein, sondern auch den frischen Zustand desselben ausgezeichnet zu haben, da, wie Fig. 1 lehrt die Blattchen so dicht an ihrem gemeinsanien Stiele inserirt sind, dass der Platz fur eine seitliche Ausbreitung ihrer Rander fehlen wtirde. Eine so starke, nachtragliche Verkurzung des Blattstieles beim Welken, wie sie nach Fig. 9 zu urtheilen, hier eingetreten sein musste, urn secundar ein solches Zusammenriicken der Blattchen zu bewerkstelligen , ist auch nicht denkbar. Auch glaube ich nicht, dass die Blattchen sich etwa urspriingiich mit ihren Randern gedeckt hatten, well auch dann die Raumverhaltnisse kaum eine solche Einrollung, wie sie in der Fig. 9 verzeichnet und wie ich sie auch sonst constant auf alien Querschnitten ge- sehen, zugelassen hatten. Unsere Fig. 2 erganzt die erste Abbildung, nur ist die Schliff- flache dem Blattchen noch naher gekommen, so dass die Sori bis auf einen von demselben entfernt wurden. Gestalt, Insertion und Nervatur der Blattchen lassen sich hier besonders klar verfolgen. Einen gezahnten Rand, von dem Zenker spricht, habe ich an den Blattchen nie feststellen konnen. Als Erganzung zu Fig. 1 mag auch die Fig. 3 dienen, die dem Diinnschliff entnommen und bei durchfallendem Lichte und zwar derselben schwachen Vergrosseruug (10 Mai) wie die beiden vorhergehenden Figuren gezeichnet ist. Sie zeigt auf zwei ziemhch vollstandig erhaltenen Blattchen, besondere schone Soridurch- schnitte. Ueber den Bau der einzelnen Sori und ihre Insertion auf dem Blatt kann uns erst eine eingehendere Betrachtung der Langsdurchschnitte belehren. Zur ersten Orientirung geniigen iibri- gens die sehon citirten, nur schwach vergrossertenDurchschnitte 9« und 9\ Die beiden Blattchen hatten senkrecht zur Schliffebene gestanden und zeigen dem gemass den reinsten Querschnitt: senkrecht zu ihrer Langsaxe. Die Sori hingegen den reinsten Langsschnitt. Sie verrathen auf den ersten Blick die Verwandt- schaft der Scolecopteris zu den Marattiaceen. Ein Langsschnitt durch einen Sorus von Marattia (Vergl. Fig. 22 Taf. III.) sieht kaum anders aus. Auf gemeinsamem Stiele vereinigt sitzen die Sporangien, die wir eben im Querschnitt gesehen, sie weichen aus gemeinsamer Basis nach dem Scheitel zu auseinander, und laufen Ueber Scolecopteris elegana Zenk. g5 hier eine jede in eine ziemlich scharfe Spitze aus. Wo der Schliff den Sorus rein halbirt, sind nur zwei Facher desselben (ein Fach rechts und eins links) zu sehen . wo der Schliff mchr an der Pe- ripherie des Sorus verblieb, erscheinen meist drei Facher, indem sich noch ein oberes zu den beiden seitlichen gesellt. An diesen Querschnitten ist auch zu sehen wie bedeutend der Vorsprung auf der Unterseite des Blattes an Stelle des centralen Nervens ist; der umgebogene Rand des Blattes lauft gleich zart zu beiden Seiten aus (Fig. 9" u. 9^) Dieses Alles finden wir schon bei auf- fallendem Lichte und nur schwacher Vergrosserung an dem ge- schliffenen Tafelchen. Doch nun gehen wir zu der Betrachtung des Diinnschliffes iiber, der durchsichtig genug ist, urn auch die Anwendung der allerstarksten Immersionssysteme zu gestat- ten. Zunachst wollen wir die Figuren 4 und 5 Taf. II uns naher betrachten, dieselben sind bei lOOfacher Vergrosserung entwor- fen; beide stellen filnffachrige Sori vor, doch ist in Fig. 4 der Sorus tiefer, in Fig. 5 hoher durch die Schliffflache getroffen; in Fig. 4 hangen die Sorusfacher noch alle seitlich und mehr oder weniger auch in der Mitte zusammen , in Fig. 5 sind die Facher in der Mitte frei und heben sich zum Theil auch seitlich von einander ab. Dieses Verhalten verriethen mir auch alle anderen sonst untersuchten Querschnitte und lehrten mich somit, dass die Sorusfacher der Scolecopteris an der Basis vollig verschmolzen sind, nach der Spitze zu sich aber mehr oder weniger von ein- ander befreien. Die Zellen der Soruswandung waren, wie die bei- den Figuren lehren, fast an alien Orten genau nachzuzeichnen. Diese Wandung liess sich somit als der Hauptsache nach zwei- schichtig (seiten einschichtig) erkennen. In einzelnen Fachern war noch eine, von sehr zarten, schwach verdickten, und stark gequol- lenen Zellen gebildete innerste Schicht nachzuweisen. Die Zellen der durchgehend erhaltenen aussersten Schicht, an der Peripherie des Sorus waren meist isodiametrisch ziemlich stark ver- dickt, ihre Aussenwand cuticularisirt und von gelbbrauner Farbe. Diese Farbe zeigen auch sonst die reifen Sporangien der Fame; so scheint es, dass uns hier auch wirklich die ursprungliche Farbung der Scolecopteris-Sori erhalten geblieben ist. Eine ahn- liche Farbung, doch geringere Verdickung, zeigen die tiachen Zel- len der zweiten Schicht, wo eine solche noch nachzuweisen; zart und farblos erscheinen die wiederum mehr isodiametrischen Zellen der dritten Schicht. In Fig. 6 habe ich ein Stuckchen solcher Wand noch starker vergrossert (240 mal) abgebildet. Fig. 7 fuhrt g^ Eduard Strasbiirger, uns endlich noch, eine einzige Zelle aus dieser Wand bei 520 Vergrosserung, mit Immersionssystem gesehen, vor. Es ist in der Membran dieser Zelle eine deutliche Schichtung zu erkennen ; die ausseren cuticularisirten und gefarbten Schichten derselben, heben auch sonst in ihrem optischen Verhalten deutlich von der inneren, farblosen, stark gequollenen Verdickungsschicht ab. Die radial ge- tichteten, somit innern Seitenwande der Sorusfacher sind schwacher verdickt und in Folge dessen meist auch weniger vollkommen er- halten, immerhin lassen sie sich in Fig. 4 deutlich bis in die Mitte des Sorus verfolgen. In dieser Figur ist je eine Seitenwand den beiden benachbarten Fachern gemeinsam. In Fig. 5 sehen wir an mehreren Stellen die Sorusfacher seitlich auseinanderweichen und dem entsprechend die Seitenwande doppelt werden, ausserdem fin- den wir im Centrum des Sorus die Wandung der Facher constant unterbrochen ; es entspricht diese Unterbrechung dem Spalte, mit dem sich ein jedes Fach des Sorus nach dieser Stelle bin offnet. Ueber den Bau des gemeinsamen Stieles des Sorus instruirt uns Fig. 8 ; derselbe ist hier im Querschnitt und zwar etwas tiber der Insertionsstelle der Facher zn sehen. Er zeigt sich aus einem ziemlich lockeren, diinnwandigen Gewebe gebildet, im Centrum ist er von etwas englumigeren Zellen durchzogen, die aber nicht scharf abgegrenzt, vielmehr meist allmalig in die grosseren mehr peripherisch gelegenen Zellen tibergehen. Auf der bei 100 maliger Vergrosserung abgebildeten Langsansicht Fig. 10 lasst sich auch an mehreren Stellen die ganze Gestalt der Soruswan- dungzellen in ihrer Flachenansicht verfolgen. Der gleich stark vergrosserte Liingsschnitt Fig. 11 gewahrt endlich noch weitere Einsicht in das Innere des Sorus ; bei etwas tieferer Einstellung konnte man auch die Zellen der hinteren Wandung in beiden Fachern desselben sehen, und sind dieselbeu in die Figur mit eingetragen. Besonders schon erhalten war endlich das Gewebe in dem, in Fig. 12 Taf. Ill, abgebildeten Falle, der uns ein Theil des. Blattes, den diesem aufsitzenden Sorusstiel, und die Basis der Facher vorfiihrt. Das Blatt wird unter der Ansatzstelle des Sorus ■ von einem Gefassbiindel durchzogen, dessen spiralig verdickten, etwas schrag durchschnittenen Gefasse hier deutlich zu erkennen sind. Der Sorusstiel selbst wird in seiner Langsaxe, von den, bei Besprechung des Querschnittes bereits erwahnten, engeren, etwas verdickten und meist deutlich porosen Zellen durchzogen, diesel- ben gehen seitlich, wie auch hier deutlich zu sehen, allmalig in die mehr peripherischen, durchschnittlich grosseren Zellen iiber. Ueber Scolecopteris elegans Zenk. 87 Zur Zeit, da die hier in Frage stehenden Farnblattchen, in Kie- selsaure haltiges Wasser hineinkamen , mogen ihre Sori schon vollig reif, entleert und dem entsprechend mit Luft angefuUt gewe- sen sein. Diese Luft ist theilweise im Innern der Facher erhal- ten geblieben und fiillt die zahlreichen feinen Risse, welche an diesen Stellen die Chalcedonmasse durchsetzen ; diesem Umstand ist somit das dunklere Aussehen des Facherinnern zuzuschreiben, in der Art etwa wie ich es in Fig. 5 angegeben. Sporen finden sich in den Fachern nur vereinzelt, hingegen zahlreich ausserhalb der Sori durch die ganze Chalcedonmasse zerstreut. „Tauscht ferner nicht Alles, schreibt Zenker 1, c, S. 511, so konnen selbst die neben einigen dieser Kapseln befindlichen staubahnlichen An- haufungen Keimkorner sein, was sicli jedoch, trotz aller Vergros- serung, nicht vollkommen ermitteln lasst." Auf meinem Diinn- schliff liess sich das Vorhandensein der Sporen nun mit aller Evidenz nachweisen, und konnte man dieselhen auf das Genaueste unter- suchen. Die besonders schon erhaltenen Sporen zeigten sogar deutlich die sonst den Farnsporen eigenen, und mit ihrer tet- raedrischen Entstehungsweise zusammenhangenden drei Leisten auf einer ihrer Seiten Taf. Ill Fig. 13. Die Sporen waren roth- lich-braun gefarbt, in der, den reifen Sporen der jetzt lebenden Fame auch sonst ublichen Weise, ihre Oberflache erschien fein poroes; auffallend war zunachst ihre verschiedene Grosse, (wie diess auch Fig. 13 wo die sanimtlichen Sporen bei einer und dersel- ben 520fachen Vergrosserung abgebildet sind zeigt) , doch auch die einem und demselben Fache von Angiopteris entnommenen Sporen zeigen sehr auffallende Grossendifferenzen, indem nur ein Theil dieser Sporen zur normalen Entwickelung kommt. Ausser- dem schienen die hier zur Beobachtung gekommenen Scolecopteris- sporen , theilweise desorganisirt zu sein , oft wie zerquetscht, ja selbst in einzelnen Kornchen aufgelost. — Aus dieser Beschreibung der Scolecopteris, geht nun wohl ihre Stellung im System mit solcher Evidenz hervor, dass sie nicht langer die Stelle unter den „Filicinae- incertae sedis," wo sie von Schimpek in der Paleontologie vegetale untergebracht worden, verdienen dtirfte. Die ZBNKER'sche Scolecopteris elegans, gehort somit ihrer Sorus- bildung nach sicher zu den Marattiaceen , und zwar schliesst sie, was die Gestalt der die Sori bildenden Sporangien anbetrifft zu- nachst an das Genus Marattia an : in der kreisformigen Zusammen- reihung dieser Sporangien niihert sie sich dem Genus Kaulfussia; darin endlich, dass die Sporangien in den oberen Theilen frei werdeu g3 Ednard Strasburger, dem Genus Angiopteris. In der Art des Oeffnens der einzelnen Sporangien, stimmt sie niit alien der drei genannten Gattungen, in vorzUglichster Weise aber wieder mit der Gattung Marattia, mit der sie entschieden aiich im ganzen ubrigen Bau der Sori die grosste Aehnlichkeit hat, tiberein. Was die Vertheilung der Sori auf dem Blatte anbetritft, so zeigen hingegen die heut noch lebenden Marattiaceen eine entscliiedene Abweicliung von Scole- copteris ; doch hierin unterscheiden sie sich auch so auffallend gegen einander, dass auf diesen Unterschied kaum ein Gewicht zu le- gen ist. Eine ganz ahnliche Vertheilung der Sori wie bei Scole- copteris, eine ganz ahnliche Grosse, so wie auch ein ganz ahnli- ches Verhaltniss derselben zum Blatte, findet sich hingegen bei einera von Goeppert beobachteten und von demselben als Astero- carpus Sternbergii beschriebenen und abgebildeten fossilen Fame (Die fossilen Farnkrauter Breslau 1836, S. 188 und Taf. VI Fig. 1—4) aus der Steinkohlenzeit. Seine Fig. 2 1. c. erinnert durch- aus (abgesehen etwas von dem grosseren Abstand der Fieder- blattchen gegen einander) an unsere Fig. 7 von Scolecopteris , ja vielleicht diirften sich beide noch einmal als zu demselben Genus gehorend herausstellen , doch hierzu ware noch eine eingehendere Untersuchung (wenn dieselbe moglich!) von Asterocarpus nothig. Die fiir Asterocarpus vorliegenden Figuren geben nur eine schwach vergrosserte Aussenansicht der Unterseite des Wedels. ,,Die Fruchthaufchen'' von Asterocarpus Sternbergii schreibt Goeppekt (1. c. S. 189) „nehmen die untere Seite des Fiederblattchens vol- lig ein, so dass Seitennerven nicht sichtbar werden. Sie scheinen durch Kapseln gebildet zu werden, die gemeiniglich zu 3—4, sel- tener zu 6 , mit den Seiten an einander fast sternformig be- festiget sind, so dass das Ganze einer 3—6 fiicherigen Kapsel nicht unahnlich ist." „Anderweitige Structur konnte ich nicht entdecken." Und dann weiter „wenn wir uns nach einem Analo- gon in der Jetztwelt umsehen, so bieten sich uns in der Gruppe der Gleichenieae und Marattiaceae verwandte Formen dar". . . (zum Vergleich werden nunmehr angefuhrt und abgebildet; Gleiche- nia polypodioides und Kaulfussia aesculifolia) .,da nur die Ver- wandtschaft mit dem ersteren (Gleich. polypod.) grosser erscheint, als mit dem letzteren (Kaulf. aescul.) , zogerte ich nicht , unsere Pflanze in die Gruppe der Gleichenieae . . . zu bringen." Nach der auffallenden habituellen Aehnlichkeit mit Scolecopteris durften wir nun freilich geneigter sein auch Asterocarpus Sternbergii den Marattiaceen zuzuzahlen. Freilich bleibt, wie schon gesagt die Ent- Ueber Scolecopteris elegans Zenk. 89 scheidung dieser Frage erst, wenn sie iiberhaupt zu losen, spate- ren Untersuchungen vorbehalten. Nach blossen habituellen Bildern und dazu von nur zweifelhafter Deutlichkeit, wie sie hier iiieist vorliegeii, lassen sicli schlechterdings Maiattiaceen und Gleiche- niaceen nicht unterscheiden , und musste ich daher den Versuch, alle bisher beobachteten fossilen Marattiaceen zusammenzustellen, nachdem derselbe mir bereits viel Zeit gekostet hatte, schliesslich aufgeben : es war eben in nur ganz wenigen Fallen moglich, Sicher- heit dariiber zu erlangen, ob die als Marattiaceen etwa bezeich- neten Fame wirklich solclie seien. Beraerken will ich nur noch, dass zu den nahen Verwandten unserer Scolecopteris audi die Gattung Hawlea Corda zu gehoren scheint. So niochte man we- nigstens aus den Abbildungen von Corda in dessen Beitragen zur Flora der Vorwelt Taf. LVII Fig. 7 und 8 schliessen. Nur eine Art: die Hawlea pulcherrima aus der Steinkohle bei Beraun in Bohmen wird von Corda beschrieben (1. c. S. 90), er selbst ver- gieicht sie mit Mertensia; auf ihre Aehnlichkeit mit Goeppert's Astero- carpus macht bereits Schimper in seiner Paleontologie vegetale S. 586 aufmerksam. Wie schlecht es noch um ein naturliches System der fossilen Fame bestellt ist, zeigt wohl hinlanglich der Umstand, dass auch noch Schimper in seinem, eben citirten, neuesten Werke sich gezwungen sieht, einem durchaus kiinstlichen, dem von Brogniart in den Jahren 1828 — 37 (Histoire des vegetaux fossiles vol. I S. 148 et 149) und 1849 (Tableau des genres de vegetaux fossiles) aufge- stellten, auf die Nervatur des Blattes basirten Systeme zu folgen *). 1) Goeppert hatte versucht in seinem Worke „Die fossilen Farnkranter 1836" die fossilen und die recenteu Fame iu ein System zu vereinigen; doch saher sich in einem spateren 1841 Begonueuen Werke: Die Gattungen der fos- silen Plianzen u. s. \v., „wegen der geriugen, im fossilen Zustande sich dar- bietendeu Kennzcichen" veranlasst, diesen Versuch autzugeben, und stellte uunmehr 5 Unterabtheilungen der fossilen Fame auf, von denen nur die bei- den ersten Abthcilungen: die Danaeaceae nnd Gleicheuiaceae „im Vergleich zu denen der jetztweltlichen Fame natiirliche genannt werden konnen, wahrend die vier letztercu : die Neuropterides , Spheanopterides und Pecopterides „sehr verschiedenartige Gattungen der Jetztwelt umfassen" und eigentlich auch nur nach der Nervatur der Wedel gebildet sind. „Wenn wir aber erwagen" schreibt Goeppert weiter, „dass es eine nicht geringe Zahl von Famen giebt, die iu den einzeluen Stadien der Entwickeiung nicht bios verschiedenartige Blatter, sondern audi verschieden gestaltete N erven besitzen . . . ., so diirfeu wir wohl zu der Ueberzeugung gelangen, dass man an diesen Zwejg der Wis- senschaft, der sich vorzugsweise der Nerveuverbreitung als leitendes Merk- mal bedieneu muss, inimer nur miissige Anspriiche auf Sicherheit der Bestim- mung wird macheu konnen." 90 Eduard Strasburger, Dass in einem solchen System e die heterogensten Fame noch durcheinanderstehen miissen, kann nicht bezweifelt werden. Die meisten Marattiaceen scheinen bei Schimper in der Abtheilung der Taeniopterideae eine Stelle gefunden zu haben, doch diirften sich dieselben auch in alien den andern Abtheilungen vorfinden: so z. B. Asterocarpus unter den Pecopterideae. Die Sori, wie sie GoEPPERT fUr Asterocarpus abbildet, seien, meint Schimper ziem- lich haufig t'iir Pecopteris und liessen sich keineswegs vergleichen: mit den „sores indusies a dehiscence stelliforme des Marattiacees ou des Gleicheniacees. Mieux que I'echantillon type de Mr. Goeppert, le Pecopteris truncata Germ, montre un indusium circulaire regu- lierement rayonne; mais il m'est impossible de trouver sur les echantillons richement fructifies que je tiens de Germar lui- meme, une dehiscence radiaire de cet orgaue, qu'on voit quel- quefois irregulierement lacere, ou meme completement enleve, ce qui prouverait qu'il n'est pas soude aux capsules" 1. c. p. 584- Ich konnte nur die Abbildung bei Germar (verst. d. Steink. von Well. u. Lebej. Fasc. IV Taf. XVII) vergleichen, finde aber diesel- ben so tibereinstimmend mit Asterocarpus ') und mit unserem Fame, dass ich trotz der ScmMPER'schen Einwande immer noch einige Neigung hatte auch diese Pecopteris truncata fiir eine Ma- rattiaceae und den niichsten Verwandten der genannten Fame zu halten , wenn es nicht weiter bei Schimper heissen mochte : „Je ferai observer encore que les figures de Germar sont consi- derablement embellies et ne rendent pas tout a fait la nature." Unsere Scolecopteris wurde von Schimper wie schon erwahnt unter den Filicinae incertae sedis behandeit (1. c. S. 680). Schim- per schreibt: „La forme, I'organisation et le mode de dehiscence des Sporanges paraissent rapprochei- ce genre des Marattiacees et parmi celles-ci du genre Angiopteris. ... La nervation rappelle celle des Goniopteris-Eugoniopteris." Schimper driickt sich sehr be- stimmt iiber den Fundort dieses Farns aus ; „Dans le gres rouge (todt- liegende) des environs de Chemnitz en Saxe." Diese Angabe ist auf die schon citirte Stelle in dem ZENKER'schen Aufsatze basirt: man kame auf die Vermuthung dieses Farngewachs gehore zu den sogenannten Staarensteinen . . . „dieses gewinnt um so mehr an Wahrscheinlichkeit, als beide aus denselben oder doch ganz nahe liegenden Gebirgsstraten (Porphyrgebirge und Todtlicgendes) 1) Auch Germak selbst meint. 1. c. S. 43 von seinem Fame: es gehore zu Asterocarpus Goepp. Ueber Scoleco|iteris elegans Zenk. 91 erhalten werden." Nahere Angaben iiber den Ursprung dieser Versteinerung waren aus den Katalogen der jenaenser Sammlung nicht zu gewinnen. Ob das von Zenker vermuthete Verhaltniss zu den Staaren- steinen begriindet sei, und ob, wie er so sicher annimmt, (Vergl. das friihere Citat S. 82) die von uns beobachteten Fiederblatt- chen einem baumartigen Fame angehorten , muss ich dahinge- stellt lassen. Um Anknupfungspunkte zur Beurtheilung der Verwandtschafts- verhaltnisse von Scolecopteris zu gewinnen, hatte ich mich veran- lasst gesehen, die heut lebenden Marattiaceen etwas eingehender zu untersuchen. Namentlich war mir dieses fur Angiopteris und Marrattia, die mir beide im lebenden Zustande zur Verfiigung standen, mogiich. Die Zeichnungen, die ich von denselben anfer- tigte, habe ich auf der Tafel III zusammengestellt ; ich glaubte dieselben konnten trotz zahlreicher friiherer Veroflfentlichung immer noch einiges Interesse beanspruchen , um so mehr, als in letzter Zeit, die Aufmerksamkeit der Forscher sich vielfach den Marattia- ceen, als den Annaherungsgliedern an die Ophioglosseen , zuge- wendet hat. Meine Zeichnungen, namentlich auch die fur Angiop- teris, diirften in einigen Punkten die friiheren erganzen. Fiir Angiopteris gelangte ich zunachst zu der Ueberzeugung, dass die einzelnen, den Sorus bildenden Sporenfacher (Taf. Ill Fig. 14) trotz ihrer Anlage aus einer grosseren Zahl von Epidermiszellen (Vergl. LuERssEN, Bot. Zeitung 1872 S. 768) noch durchaus die Bezeichnung: Sporangia verdienen; ja ich finde sogar eine Art Ring an denselben. Dieser Ring ist freilich wenig markirt. wenn auch constant in bestimmter Stellung vorhanden. Auf dem radialen (im Verhaltniss zum ganzen Sorusj Langsschnitt durch das Spo- rangium erscheint der Ring, wie in Fig. 15 zu sehen . von nur wenigen, in der Art ihrer Verdickung von den benachbarten sich unterscheidenden, Zellen gebildet; im reifen Sporangium finde ich diese Zellen meist von Luft erfullt. Am besten ist der Ring zu sehen auf Scheitelansichten, an solchen Praeparaten, wie ich eines in Fig. 17 dargestellt habe. Das Sporangium ist wie diese Fig. und auch schon Fig. 14 zeigt auf der Aussenseite abgeflacht, ja hier so- gar etwas eingedriickt; an den scharfen Rand dieser Abflachung grenzt nun auch von oben und von den Seiten her der Ring. Oben ist er am schmalsten und am scharfsten markirt nach den 92 Eduard Strasburger, Seiten lauft er breiter and weniger scharf gegen die beuachbarten Zellen abgegreiizt, aus (P^ig. 18). Am schonsten ist er zu verfolgen, wenn seine Zellen mit Luft erfiillt sind. Auf der Unterseite des Sporangium verliert er sicli vollig. Aus der Fig. 17 erklart sich nunmehr auch ohne weiteres das Aussehen des Hinges in der Fig. 16, naraentlich an dem zweiten Sporangium von links aus gezahlt: hier muss er wie eine Art Kamm am Sporangium erscheinen, ein Kamm , der iibrigens nicht iiber die Oberfiaclie der iibrigen Zellen des Sporangium's vortritt, vielmehr nur durch den etwas verscliiedenen Habitus seiner Zellen auffallt. Die Sporangien rechts, namentlich das zweite vom Rande aus, ist durch das Mes- ser noch vor dem Ringe, der Mitte des Sorus naher, getroflfen worden, die Einsenkung am Scheitel, hervorgerufen durch die Kleinheit der hier zusammenstossenden Zellen, bezeichnet die Stelle an der sich das Sporangium offnet, so wie es dann der Langsschnitt Fig. 18 zeigt. Auch die in Fig. 14 dargestellten Spo- rangien, so wie das einzelne Fig. 17 sind bereits geoffnet und wird die obere Grenze des Spaltes, wie namentlich in Fig. 17 zu sehen, durch die Zellen des Ringes bestimmt; er reicht unmittel- bar bis an diese Zellen. Ueber den Sorus von Marattia habe ich wenig hinzuzufugen , liegen ja ftir denselben die kiirzlich ver- offentlichten ausfilhrlichen Untersuchungen von Lurssen (Beitrage zur Entwickelungsgeschichte der Farn- Sporangien 1872) vor. Meine Figuren, namentlich die Figur 23 und 24 mogen hier immer- hin noch erganzend hinzugefiigt werden. Ich war friiher geneigt die Sori der Marattiaceen , ihrer Annaherung an die Sporocysten der Ophioglossen wegen, ebenfalls schon als Sporocysten zu be- zeichnen (Bot. Zeitschr. 1873 S. 84), ich bin von dieser Bezeich- nungsweise jetzt zuriickgekommen. Ungeachtet bei Entstehung der Sporenbehalter von Angiopteris ganze Epidermiszellgruppen sich betheiligen, (Luerssen Bot. Zeit. 1872. S. 768.) ja bei Ma- rattia selbst die unter der Epidermis liegende Zellschicht in die Bildung des Sorus eingeht, so kann ich doch nicht umhin in den beiden Gebilden noch Trichomgebilde '), in dem morphologischen Sinne des Wortes, zu erkennen. Zu dieser Ueberzeugung fiihrte mich die oben geschilderte, eingehendere Untersuchung von Angio- pteris in deren Sporenfachern uns noch unzweifelhaft die ganzen 1) Bekaniitlich ist in letzter Zeit vielfach eine alinliche Entstehungsweise fjir verschiedene Trichomgebilde (die man wohl auch als Emergenzen bezeich- net hat), nachgewiesen worden. Uober Scolecopteris elegans Zenk. 93 Sporangien der anderen Fame erhalten sind '), Die Sori von Ma- rattia verdanken aber ihre Entstehung nur einer weitergehenden Verschmelzung soldier Sporangien, und sind daher von dem namli- chen morphologisclien Werthe. Ich habe es daher vorgezogen in dieser Abhandlung von Sori, statt von Sporocysten zu sprechen, und wende diese Bezeichnung in Zukunft nur auf die Ophioglossen und Lycopodiaceen an, bei deuen der trichomwerthige Theil der Sori wirklich in dem Blattgewebe aufgegangen ist. Da mir Kaulfussia und Danaea nur im getrockneten Zustande zur Verfugung standen, so habe ich auf die Abbildung ihrer Sori, da letztere keine befriedigende histologische Behandlung zu- liessen, verzichtet. Ich verweise somit auf altere Figuren^) und erinnere nur noch zum Schlusse, um das Bild der heut lebenden Marattiaceen zu vervollstandigen , dass Kaulfussia mit ihren Sori sehr nahe an Marattia anschliesst ; dieselben unterscheiden sich der Hauptsache nach nur dadurch von Marattia, dass die Facher gleich- massig im Kreise stehen und sich, im reifen Zustande, in eineu, nicht spaltenformigen , sondern becherformigen Raum offnen ; die Facher der Sori von Danaea erinnern in ihrer Anordnung mehr an Angiopteris, doch sind die einzelnen Sori noch mehr lang ge- zogen, ausserdem die Sporangien sogar noch vollstandiger mit einander verschmolzen als bei Marattia und Kaulfussia, selbst die Bildung eines gemeinsamen mittleren Spaltes unterbleibt, und jedes Fach offnet sich mit einem besonderen scheitelstandigen , runden Porus nach aussen. Diese Poren laufen, der Stellung der Facher entsprechend, in zwei parallelen Reihen auf jedem Sorus ^). 1) Zu dieser Ueberzeugung werde ich vor allem durcli den Vergleich mit den Gleicheniaceeu gefiihrt . die ich fiir die nachsten Verwandteu der Marat- tiaceen halte. 2) Namentlich in W. J. Hookee's Genera Filicum und Species Filicum. 3) Vergl. im Uebrigen METTEimis: Filices horti botanici lipsiensis S. 118 u. 119, 1856. mrkiaruug der Tafel 11. and III. Fig. 1 — 13 von Scolecopteris elegans Zenk. Sammtliche Figiiren sind mit der Camera lucida entworfen. Wo nicht anders angegeben sind sie bei durchfallendom Lichte gezeichnet.) Fig. 1. Ansicht eines dicht mit Sori bedeckten Blatttheils von der Unter- seite. Die Hpitzen der Fiederblattchcn links sind frei erganzt. Bei auifallen- dera Lichte. Vergr. 10 Mai. Fig. 2. Ein Fiedertheil ebenfalls von der Unterseite; die Sori durch den Schliff entfernt, die Nervatur der Bliittchen deutlich zu sehen. Bei auffallen- dem Lichte. Vergr. 10 Mai. Fig. 3. Zwei Fiederblattcheu mit Sori. "Vergr. 10 Mai. Fig. 4 und 5. Querschliffe durch die Sori bei starkerer Vergrosserung der Sorus Fig. 4 an einer tieforen, der Sorns Fig. 5 an einer hoheren Stelle getroffen. Vergr. 100 Mai. Fig. 6. Ein Theil der Wandung eines Sporangium's noch starker vergros- sert. Vergr. 240 Mai. Fig 7. Eine einzelne Zelle aus einer solchen Wandung. 520 Mai vergr. Fig. 8. Querschliff durch den gemeinschaftlichen Stiel des Sorus etwas iiber der Insertionsstelle der Facher. Vergr. 240 Mai. Fig. 9» u. 91). Querschliffe durch zwei fej-tile Fiederblattchen. Bei auf- fallendem Lichte. Vergr. 10 Mai. Fig. 10. Ein Sorus von der Seite gesehen. im liuken FacheSporen. Ver- grossert 100 Mai. Fig. 11. Ein eben solcher Sorus im Laugsschnitt. Vergr. 100 Mai. Fig. 12. Ein Laugsschnitt durch den Sorus-Stiel, die Facherbasis und die Insertionsstelle des Sorus-Stieles am Blattchen. Ve)'gr. 240 Mai. Fig. 13. Sporeu. Vergr. 520 Mai. Fig. 14 — 19 von Angiopteris evectaHoffm. Fig. 14. Ein Sorus mit reifen Sporangien. Vergr. 20 Mai. Fig. 15. Langsschnitt durch den Sorus (Schmale Seite). Vergr. 50 Mai. Fig. 16. Langsschnitt durch den Sorus (Breite Seite). Vergr. 50 Mai. Fig. 17. Oberer Theil eines Sporangiums, Scheitelansicht. Vergr. 100 Mai. Fig. 18. Langsschnitt (tangential im Verhaltniss zum ganzen Sorus) durch ein Sporangium. Vergr. 100 Mai. Fig. 19. Sporen. Vergr. 520 Mai. Ed. Strasburger, Ueber Scolecopteris elegans Zenk. 95 Fig. 2 0—24. Marattia Kaulfussii J. Sm. Fig. 20. Der ganze Soius. Vergr. 20 Mai. Fig. 21. Querschnitt nahe der Basis. Vergr. 20 Mai. Fig. 22. Liingsschnitt durch den Sorus (Schniale Seite). Vergr. 50 Mai. Fig. 23. Laugsschnitt durch den Sorus (Breite Seite). Vergr. 50 Mai. Fig. 24. Querschnitt diuch den Sorus, hoher iiber der Basis als in Fig. 21. Vergr. 50 M^il. Neue Apparate zur Bestimmung des Brechungs- und Zerstreuuiigsvermogens fester und fliissiger Korper. Von EriifSit Abbe. (Mit Tafel IV. und 7 Tiguren im Text.) Vorbemerkiing. Seit mehreren Jahren mit Arbeiten beschaftigt, welche sehr zahlreiche Bestimmungen der dioptrischen Constanten sowohl an festen Korpern — an Glasproben — wie auch an Fliissigkeiten und halbfliissigen Substanzen nothig machten , habe ich nicht nur reichliche Veranlassung gehabt, mich um die Vereinfachung der Methoden und die Verbesserung der Instrumente fiir derartige Be- obachtungen zu bemiihen, sondern auch Gelegenheit genug, die fiir diesen Zweck versuchten Neuerungen griindlich auf die Probe zu stellen. Im Folgenden beschreibe ich die neuen Verfahrungs- weisen und Apparate , die sich mir bei jenen Arbeiten ergeben und in langerem Gebrauche bewahrt haben ; in der Meinung, dass die Ausfuhrung genauer dioptrischer Messungen durch dieselben ausserordentlich erleichtert und damit das hauptsachlichste Hin- derniss beseitigt werde, welches bisher einer ausgiebigen Verwer- thung solcher Maassbestimmungen fiir viele wissenschaftliche und technische Zwecke im Wege gestanden hat. Die von Fraunhofer zuerst gelehrte Methode , nach welcher die Minimalablenkung der Strahlen je einer bestimmten Farbe in einem Prisma von gemessenem Winkel beobachtet wird, ge- niigt, was die erreichbare Sicherheit und Pracision der Resultate anlangt, ohne Zweifel alien Anspruchen, die fur irgend einen Zweck gestellt werden mogen; und fiir den Physiker von Fach stehen auch ihrer Ausubung keinerlei ernstliche Schwierigkeiten entgegen, Neue Apparate u. s. w. 97 seit der all zu schwerfallige Apparat Fkaunhofer's durch zweck- raassig eingerichtete Instrumente — Spectrometer — wie Meyer- stein, Steinheil u. a. construirt habeii , ersetzt ist. Dagegen ist uicht zu verkennen , dass audi uiit diesen Instrumenten die Aus- fiihrung der in Rede stehenden Messungen iiiuner noch ein um- standliches uiid sehr subtiles Geschaft hleibt, welchem nur ein geschickter Beobachter recht gewacbsen ist. Die Construction dieser Spectrometer ist an sich schon ziemlich verwickelt; die richtige Justirung der einzelnen Stiicke, welche theilweise bei jeder Messung von Neueni ausgefiihrt werdeii muss, erfordert Mani- pulationen, die auch fur einen Getibten liistig und zeitraubeud bleiben. Die Messung selbst, d. i. die Ermittelung des brechenden VVinkels und der Minimalablenkung, setzt sich aus niehreren un- gleichartigen Operationen zusammen, welche bei einigen Construc- tionen sogar unter wesentlich veranderter Zusammenstellung des Apparates auszufuhren sind. Zu dem Allen kommt noch der Urn- stand, dass schon die gewohulichsteii Bedurfnisse der Praxis, wenn das praktisch so wichtige Element, die Farbenzerstreuung, in einer nur Massigen relativen Genauigkeit erhalten werdeii soil, eine sehr feine Kreistheilung nothig machen, welche wegen der dadurch be- dingten feineren Construction anderer Theile die Handhabung sol- cher Instrumente viel zu difficil macht, als dass sie alien Denen zu gute konimen konnten, fur welche die Ausfuhrung genauer optischer Maassbestimmungen von Nutzen sein wurde. In der That hat denn auch die FRAUNHOFER'sche Methode ausserhalb der physi- kalischen Laboratorien eine ausserordentlich geringe Verbreitung gefunden. Die ausubenden Optiker namentlich behelfen sich in der Mehrzahl nach wie vor mit viel einfacheren aber auch hochst mangelhaften Verfahrungsweisen ; und eine fur die Optik sehr wichtige Hilfsindustrie , die Glasschmelzekunst, — an deren Fort- schritten mittelbar mehrere Wissenschaften lebhaft interessirt sind — ist, wie es scheinen muss, von dem Beispiel Fraunhofer's so gut wie unberuhrt geblieben '). 1) Die Fabrikaiiton optischer Glaser cliaracteiisirou bis heute ihre Er- zeugnisse, wie wenu sie zu Schiiisballast btstimmt wareu, durch das spocitische Gewicht. Da hierbei di*' entscheidenden optischen Merkmale der Glasarteii in ihren feineren Abstufungen vollig verhullt bleiben . so giebt es daranf bin weder eine sichere Verstandiguug zwischen dem praktischcn Optiker und dem Glasfabrikanten, noch hat dieser selbst in jenen Hestimmungon eine sicbere Controle uber die Qualitat und die Gleichtormigkeit seiner Fiodukte. Vollends aber ist jede Hoffnung ausgeschlossen, dass die Glasschmelzekunst — so iange Bd. VUI, N. F. I, 1. 7 ag Ernst Abbe, Noch fiir mehrere andere teclmische und wissenschaftliche Interessen ist die Moglichkeit genauer Bestimmung der dioptri- schen Constanten wohl nur wegeii der Beschwerlichkeit ihrer Ausfuhrung beinahe unfruchtbar geblieben. So ist es keinem Zwei- t'el unterworfen, dass Brechungsexponent und Dispersion fiir viele Aufgaben der Teclmik, fur Unterscheidung und Priifung mancher Substanzen u. dergl. recht wohl verwerthbar sein wtirden. Des- gleichen ist durch zahlreiche Untersuchungen — von Landolt u. A. — hinlanglich dargethan, dass diese optischen Constanten ver- raoge ihrer Abhangigkeit von der chemischen Zusamniensetzung der Korper fiir die Chemie eine ahnliche Bedeutung haben wie die anderen physikalischen Merkmale, Siedepunkt, Dampfdichte, speci- fische Warme u. dergl. Solchen Anwendungen gegeniiber kommen vorwiegend die Hiilfsmittel zur Untersuchung fliissiger Korper in Betracht; und man darf hoffen, dass eine wesentliche Erleichte- rung dieser Untersuchung fur diese angefiihrten Gebiete nicht ohne Folgen bleiben wird. Im Nachstehenden wird zunachst uber die Messung des Bre- chungsexponenten und der Farbenzerstreuung mittelst Prismen ge- handelt werden. — - Fiir die Combination der darzulegenden Be- obachtungsmethode und des zu beschreibenden Spectrometers sind folgende Riicksichten maassgebend gewesen: 1) moglichste Vereinfachung des Instruments durch Besei- tigung aller irgend entbehrhchen Theile; 2) Leichtigkeit und Sicherheit der Justirung , mit dem An- spruch, dass alle dem Instrument dauernd zugehorigen Theile, einmal regulirt, ihre richtige Lage unverandert beibehalten , die zu untersuchenden Prismen aber, was auch ihre Gestalt und Grouse sein mag, durch wenige Handgriffe in die verlangte Stellung ge- bracht werden konnen; kein rationelleres Verfahren Eingang gefunden hat - iiber bios hergebrachte Ziele hinausgehen und selbstandig versuchen werde , dem Bedurfniss det praktischen Optik nach neuen Glasarten entgegenzukommen. Wie die Theo- rie auf das Bestimmteste nachweist, bangt die weitere Vervollkommnung der meisten optischen Instrumento durchaus nicht ab von der Evzengung immer schwererer Flintglaser, sondirn vielmehr von der Herstellung solcher Glasfliisse, bei welchen der mittlere Brechungsindex und die Dispersion andere Ver- bal tn is se haben als bei den gangbaren Arten von Crown und Flint. Wie sollte aber ein Fortschritt in dieser Richtung moglich oein, wenn die Betheilig- ten sich nicht in den Stand setzen, die optischen Merkmale im Einzelueu stu- diren zu konnen? Neue Apparate u. s. w. ,09 3) ErmitteluDg aller zu einer vollstandigen Messung erforder- lichen Data ohne jede Veranderung des Instruments ; 4) Ermittelung der zur Dispersionsbestinimung erforderlichen Data unabhangig von dei- Winkelniessung am Theilkreise , durch eine einfache und leicht zu handhabende Mikrometervorrichtung, damit die Kreistheilung nicht feiner, die Construction und der Ge- brauch des Instruments nicht subtiler zu sein braucht als die fiir die absoluten Werthe des Brechungsindex verlangte Genauig- keit fordert; endlich 5) bequeme Benutzung des Sonnenlichtes ohne die Htilfe eines selbstthatigen Heliostaten. Die Grundlage des Beobachtungsverfahrens ist die von 0. LiTTRow 'j erdachte Methode: die in das Prisma gelangten Strah- len an der hinteren Prismenfiache im Innern der brechenden Substanz so reflectiren zu lassen, dass die Richtung des Austritts rait der des Eintritts zusamraenfallt. Auf Grund einer solchen Combination wird es moglicli, die soust erforderlichen beiden Stucke, Collimator und Beobachtungsrohr, ganzlich zu verschmel- zen, indem man den liclitgebenden Spalt im Ocularfelde des Be- obachtungsrohrs selbst anbringt und die eine Halfte desselben, an Stelle eines Fadenkreuzes , zur Einstellung der Bilder ver- wendet. Diese Einrichtung, in Verbindung mit einer bequemen Mechanik zur Application und Justirung der Prismen und mit einem Mikrometerapparat zur Messung kleiner Winkelunterschiede, eriaubt den oben geltend gemachten Anforderungen in vollem Umfang zu geniigen. Im zweiten Theile dieser Abhandlung wird ferner eine Me- thode entwickelt, welche den Brechungsexponenten und die Disper- sion von Fliissigkeiten ohne die Messung prismatischer Ab- lenkung und demnach ohne Hilfe eines Spectrometers zu bestimmen gestattet, und zwar in einer Genauigkeit, welche das mittelst des Hohlprismas zu erreichendcn nicht wesentlich nachzustehen braucht. — Wenn schon die Yereinfachung, welche das hier beschriebene Spectrometer fiir dioptrisclie Messungen herbeifuhrt, auch der Mes- sung an einem Hohlprisma ungeschmiilert zu gute kommt, so ist dadurch doch noch keineswegs diejenige Erleichterung erzielt, die man im Hinblick auf die oben erwiihnten Anwendungen wiinschen miisste. Die Verwerthung dioptrischer Maassbestimmungen fiir 1) Sitzuugsber. der math. - phys. (I. il. Wioner Akad. XLVll, 2, ^>. 26. Vergl. Steinheil, bitzuiigsber. d. Miiuclnuor Akad. 1863, 1, S. 47. 7* jQQ Ernst Abbe, technische Zwecke und als Hilfsmittel der chemischen Unter- suchung wird iiicht erheblich gefordert sein, so lange sie ange- wiesen bleibt auf den Gebrauch eines wenig handlichen Instruments und so lange jede einzelne Messung wenigstens drei Einstellungen und drei Theilkreis - Ablesungen niit einer nachfolgenden , wenn auch leichten Rechnung notbig macht; gar nicht zu gedenken der Hindernisse, welche viele fltissige und halbfliissige Substanzen der Beobachtung in einem Hohlprisma entgegen setzen. — Sehr viel weiter gehenden Anspruchen an die Vereinfachung des Apparates und an die Abkiirzung der erforderlichen Operationen kann aber in der That bei Flussigkeiten geniigt werden, wenn die ganze Mes- sung gegriindet wird auf Beobachtung der Totalreflexion , welche die betreffende Fliissigkeit, in sehr diinner Schicht zwischen Pris- men aus starker brechender Substanz eingeschlossen, an durch- fallenden Strahlen ergiebt. Ich habe diese Methode — welche mittlerweile iibrigens, in anderer Art angewandt, auch von Chri- stiansen') angegeben worden ist — seit dem Jahre 1869, zuerst zur Bestimmung von Balsamen und Harzen, benutzt und zu ihrer bequeraen Anwendung besondere Apparate — Refractometer — construirt, durch welche es moglich gemacht wird, bei jeder flus- sigen Oder halbflussigen Substanz den Brechungsexponenten und, wenn nothig, auch die Dispersion durch die allereinfachsten Manipulationen zu bestimmen. Dabei geniigt ein einziger Tropfen der betreffenden Fliissigkeit, die in dickeren Schichten beliebig undurchsichtig sein kann. Die ganze Beobachtung besteht in einer einzigen kunstlosen Einstellung und in der nachfolgenden Ablesung an einem Gradbogen oder an einer Mikrometerscala, welche Ablesung den gesuchten Brechungsexponenten unmittelbar, d. h. ohne jede Rechnung ergiebt. Im Folgenden gebe ich die ausfuhrliche Beschreibung dieses Refractometers in drei von einander abweichenden, verschiedenen Zwecken angepassten Formen ^j. Schliesslich sei noch bemerkt, dass a lie in diesem Aufsatz beschriebenen Apparate in der optischen Werkstatt des Herrn C. Zeiss in Jena zu wiederholten Malen ausgefuhrt und die mei- sten davon auch schon seit einigen Jahren, sowohl von mir wie von Anderen, im wirklichen Gebrauch erprobt worden sind. 1) Poggendoeff's Annalen, Bd. CXLIII, S. 258. (1871). 2) Eine kurze Mittheilung uber diese Instrumente hat schon auf der 45. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Leipzig statt gehabt und ist aus deren Sectionsberichten in einige Zeitschriften ubergegangen. Neue Apparate u. s. 101 Fig. 1. Die Bestimraiing; der dioptrischen Constanten mittelst Prism en. 1. Das Priucip der Beobachtungs-Melhode. Die Grundidee, auf welch er die darzulegende Beobachtungs- methode beruht, und welche in dem zu beschreibenden Instrument realisirt ist, erlautert sich durch folgende Betrachtung. Sei A B (Fig, 1) ein Prisma mit einem brechenden Winkel « und stelle 5 ein Biindel paralleler Strahlen von einerlei Brechbarkeit vor, welches in der Ebene eines Hauptschnittes verlaufend, mit der brechenden Flache B einen sol- chen Einfallswinkel ^ bildet, dass die gebrochenen und in das Prisma eintretenden Strahlen die zweite (hintere) Flache A gerade senkrecht treffen. — Soil diese Forderung erfuUt sein, so muss der Winkel, den die gebrochenen Strahlen im Innern mit dem Ein- fallslothe bilden, dem brechenden Winkel a gleich sein und demnach, wenn n den Brechungsindex vorstellt, der Einfallswinkel ^ der Bedingung geniigen sin (i=:z n. sin « — was so lange immer moglich ist, als n. sin a < 1, d. h. so lange « kleiner als der Grenzwinkel der totalen Reflexion fiir das betreffende Medium genommen wird. Diese Verhaltnisse als hergestellt angenommen, wird das in das Innere des Prisma's eingetretene Bundel paralleler Strahlen an der hintern Flache A in der Richtung der Normalen reflectirt und tritt nach wiederholter Brechung an der Flache B wieder aus — offenbar in genau derselben durch den Winkel ^ fixirten Rich- tung riickwarts verlaufend, in welcher die Strahlen vor der ersten Brechung anlangten. Ist nun, wie in der Figur angedeutet, das Strahlenbiindel erhalten durch Vermittelung eines Fernrohrobjectivs ./, in dessen Hauptbrennpunkt F ein leuchtender Punkt angebracht, 102 Ernst Abbe. und dessen Axe im Hauptschnitt iiach dem Winkel ^ orientirt ist. so werden die riickkehrenden Strahlen, wie keiner weitern Erlau- terung bedarf, sich im Focus F wiedev vereinigen und demnach ein mit dem Lichtpunkte selbst genau zusammenfallendes Bild desselbeu erzeugen. Ganz das Niimliche wild auch eintreten, werm die Axe des Fernrohrs und daniit die Richlung des aus dem Ob- jectiv austretenden Strahlenbiindels zu einer der Prismenflachen senkrecht gerichtet wird, indem alsdann die einfache Spiegelung an dieser Flache unmittelbar bewirkt, was in dem vorher betrach- teten Falle die Spiegelung in Verbindung mit den beiden Bre- chungen that. Diese Coincidenz von Object nnd Bild in der Focalebene jenes Fernrobrobjectivs kann nun umgekehrt als Kriterium dafiir benutzt werden, dass die Axe des Fernrohrs eine der beiden Lagen gegen das Prisma einnimmt: entweder, entsprechend der ersten Voraus- setzung, mit der Normalen der vorderen Prismenflache den Win- kel /S bildet, welcher der Gleichung sin (i:=:n . sin a geniigt, oder entsprechend der zweiten Annahme . zu einer der Prismenflachen normal gerichtet ist. — Vorausgesetzt also, dass diese Coincidenz eines im Focus eines Fernrobrobjectivs ange- brachten Lichtpunktes mit seinem durch die riickkehrenden Strah- len erzeugten Bilde in geeigneter Art wahrnehnibar gemacht wer- den kann , so wird ihre Beobachtung unter den angenommenen Verhaltnissen das Mittel bieten 1) zur Bestimmung des Winkels « zwischen den Normalen der beiden Flachen A und B\ indem man die Drehung misst, welche bei unverandert bleibender Rich- tung der Fernrohraxe von der Coincidenz des Spiegelbildes der einen Flache zu der des Spiegelbildes der andern tuhrt; und 2) zur Ermittelung des Winkels ^, der in Verbindung mit dem eben gemessenen auf den Brechungsindex // fuhrt ; indem man die weitere Drehung bestimmt, welche von der Coincidenz des von B gelieferten Spiegelbildes hinfiihrt zur Coincidenz desjenigen Bildes, das durch iiinere Spiegelung an der Flache //, unter Ver- mittelung der beiden Brechungen zu Stande kommt. Um zu iibersehen, wie diese Mcthode praktisch zu realisircn ist, d. h. wie die in Frage konimenden Coincidenzen zur Wahr- nehmung zu bringen sind , betrachte man — immer noch unter Voraussetzung homogenen Lichtes — an Stelle des vorher in F angenommenen Lichtpunktes eine leuchtende Linie, senkrecht ste- Neue Apparate u. s. w. 103 hend zur Fernrohraxe unci zur Ebene cles diese enthaltenden Hauptschnittes '). Fasbt man nun zwei Punkte dieser Linit in's Auge, von denen der eine um ebeu so viel unter, wie der andere iiber der Fern- rohraxe (Oder iiber der Ebene des sie enthaltenden Hauptschnittes) liegt, so ist unmittelbar ersichtlich, dass beide wie der vorher be- trachtete aut' der Axe liegende Punkt durch das Objectiv dem Prisma je ein Biindel paralleler Strahlen zusenden, welche beide Strahlensysteme jedoch zur Ebene des Hauptschnittes nach ent- gegengesetzten Seiten um gleichen Winkel geneigt sind, Wenn daher das Prisma dem Objectiv entweder mit einer zur Fernrohr- axe normal gerichteten, oder mit einer gegen diese unter dem Winkel ^ orientirten Flache gegeniibersteht, so muss jedes der beiden Strahlenbiindel eine Reflexion erfahren, — entweder direkt, oder nach vorheriger Brechung, an der hintern Flache des Pris- mas. Demnach muss jedes der beiden Biindel in derjenigen Rich- tung zuriickkehreu, in welcher das andere anlangte, so dass also die Richtungen beider nach der Reflexion unter einander ver- tauscht erscheinen. Indem nun das Objectiv diese zuriickkehrenden Strahlen wieder in seiner Focalebene inPunkten vereinigt, welche die Bilder der vorher betrachteten Punkte der Focalebene darstel- len, fallt das Bild des unter der Axe liegenden Punktes auf den iiber derselben liegenden und umgekehrt. Wendet man diese Be- trachtung auf alle Punkte der oben vorausgesetzten Lichtlinie an, so ergiebt sich, dass in jeder der beiden charakteristischen Stel- iungen des Prismas die zuruckkehrenden Strahlen von jener Licht- linie in der Focalebene des Fernrohrs ein mit ihr selbst zusam- menfallendes aber umgekehrtes Bild entwerfen. Demnach liegt das Bild des untern Theils der Lichtlinie von der Axe nach oben, so dass es als die Fortsetzung jenes untern Theils erscheint; und umgekehrt. Diese Bemerkung fuhrt direkt auf die Einrichtung hin, durch welche die fraglichen Coincidenzen, die zurErmittelung der Winkel « und (i dienen sollen, in aller Leichtigkeit und Schiirfe beobachtbar werden. Man denke sich jene Lichtlinie zuuiichst durch ein Paar S'GRAVESANo'sche Schneiden dargestellt, welche, wie bei den ge- wblmlicheu Spectralapparaten. von der Axe des Rohrs nach oben und uuten gleichweit sich erstrecken, und denke nun die eine, 1) Sie muss also iu Fig. 1 ini Punkte F zur Ebene des Papieres senk- recht stehend gedacht werdeu. 104 Ernst Abbe, z. B. die obere Halfte hinweggenommeii, so dass auf dieser Seite der Axe die Focalebene frei wird. Es inuss alsdann das Bild der anteren, stehen gebliebenen Halfte, wenn diese in geeigneter Weise von hinten eiieuclitet wild, in dem frci gelegten Theile der Focal- ebene zuni Vorschein koninien uud hier wie jedes Fernrohrbild beobachtet werden konnen, wenn hinter der Focalebene eine Lupe in Form eines RAMsoEN'schen Oculars angebracht wird. — Um dabei die Coincidenz erkennen, d. h. prtifen zu konnen, ob das oben erscheinende Bild genaii in der Fortsetzung der untern Spalthalfte liegt, reicht es aus, diese Fortsetzung direkt sichtbar zu machen, indem man die Backen des Spaltes in der Nahe der Schneiden um ein weniges iiber die Axe des Rohrs hinaus in die freigelegte Halfte der Focalebene hereinragen lasst, so dass ihre Kanten gleichzeitig niit dem zu beobachtenden Bilde ini Sehfeld des Oculars erscheinen. - Die Beleuchtung der wirksam bleiben- den Spalthalfte muss naturlich durch seitlich einfallendes Licht bewirkt werden , indem man dieses durch ein hinter dem Spalt zwischen Ocular und Focalebene angebrachtes Refiexionsprisma in die Axe des Rohrs fiihrt. Die Anwendung weissen Lichtes modificirt selbstverstandlich nur die Erscheinung desjenigen Bildes, welches durch Vermittelung der beiden Brechungen und der Reflexion an der hintern Flache des Prisma's zu Stande kommt. Denkt man , um den Erfolg in diesem Falle zu iibersehen, die vordere Prismenflache (Fig. 2) unter einem solchen Winkel fi gegen die Axe eingestellt, dass Licht von einem be- stimmten Brechungsindex n den vorher betrachteten Verlauf nimmt, also die zweite Prismenflache senk- recht triff't, sd wird ein Strahl von abweichender Brechbarkeit, dessen Index n -f dn gesetzt wird, im Innern des brechenden Me- diums mit der Normalen der ersten Flache einen Winkel a — d bililen, und es wird „ 1 silt (i , sin n dn d zn -. • dn := n^ cos u cos a n Dieser Strahl trifft nun die zweite Prismenflache unter diesem Neue Apparate u. s. w. 1Q5 Winkel d unci kehrt daher nach der Reflexion zuruck zur Flache B unter eineni Einfallswinkel ti zzza -\- d. Da nun der Austrittswinkel (i' zzz (i -\- dfi durch die Bedingung sin (i' =z. (n -\- dn) sin a bestimmt ist, so folgt, unter Beriicksichtigung der vorausgehenden Gleichungen und unter Vernachlassigung der Glieder hoherer Ordnung, schliesslicli d(i==2 '"'''.dn cos (i Das so bestimmte d(i ist aber der Winkel, den die nach der Reflexion aus dem Prisma austretenden Stralilen der betreffenden Farbe mit der Axe des Collimators bilden, welcher Winkel dem- nach, wenn er fur die dem Werthe n entsprechende Farbe Null ist, fill' die starker brechbaren Strahlen nach der einen, fiir die schwacher brechbaren nach der andern Richtung bin in dem Maasse stetig wachst, als die Abweichung in dem einen oder dem andern Sinne zunimmt. Das Dispersiousphanomen tritt daher bei der hier betrachteten Combination ganz in der gewohnten Form auf. Das Objectiv des Fernrohrs, indem es die Strahlen von verschie- dener Richtung in verschiedenen Punkten der Focalebene vereinigt, entwirft eine Reihe neben einander liegender farbiger Bilder des lichtgebenden Spaltes, welche ein dem Hauptschnitte des Prismas parallel sich erstreckendes, je nach den Umstanden continuirliches Oder discontinuirliches Spectrum bilden. Von diesem Spectrum fallt auf die Fortsetzung des lichtgebenden Spaltes stets diejenige Stelle, deren Strahlen die zweite Prismenflache ira Innern des Prismas genau senkrecht treff"en, deren Brechungsindex also durch den Werth sin S wzr: - -~ sin a bestimmt ist. Durch das Vorstehende ist das Verfahren zur Bestimmung des Brechungsexponenten fur Strahlen einer bestimmten Farbe in der Hauptsache hinreichend bezeichnet. Wird das zu untersuchende Prisma auf einem um eine ver- ticale Axe drehbareu Theilkreis so angebracht, dass die brechende Kante dieser Drehungaxe genau parallel steht, und das Collimator- Fernrohr von der oben betrachteten Einrichtung in unverriickbarer Lage mit dem festen Theil des Stativs excentrisch verbunden, in der Art, dass seine optische Axe senkrecht zur Drehungsaxe des 106 Ernst Abbe, Theilkreises steht, so wird eine Drehung des Kreises das Prisma successive in die oben iirs Auge gefassteu Lageii bringen. Es werdcn bei einer solchen Drehung der Reihe nach zwei Spiegel- bilder des Spaltes und ebenso zwei Spectra durch das Gesichts- feld des Oculars hindurch passiren. Zur Kenntniss des Winkels a und des einer bestimmten Farbe entspreclienden Werthes von ^ wird man demnach gelangen, indem man der Reihe nach die bei- den Spiegelbiider und die betreffende Farbe eines der beiden Spectra genau auf die im Sehfeld sichtbare Fortsetzung des Spal- tes einstellt, wobei man uatiirlich die FKAUNHOFERSchen Linien Oder die hellen Linien eines Metall- oder Gasspectrums zur Fixi- rung bestimmter Farben benutzen wird. Die Ablesung des Theilkreises ftir jede der drei Stellungen ergiebt nun ohne Weiteres die gesuchten Winkel a und (i, mit deren Hilfe der Brechungsindex fur die fragliche Farbe durch die einfache Rechnung sin (i n sill a gefunden wird. — Das Vorbeiftihren des Spectrums vor den Spalt- schneiden durch allmaliges Weiterdrehen und das successive Ein= stellen auf zwei oder mehrere Stellen gibt in unmittelbarem An- schluss an eine derartige Bestimmung auch die Data fiir die Dis- persion, d. h. fur die Differenz der Brechungsexpoiienten zweier bestimmten Farben; wobei es gleichgtiltig bleibt. in welcher Weise diese Angaben erhalten und zur Berechnung jener Differenz ver- wandt werden mogen. Die Vergieichung der vorstehend entwickelten Beobachtungs- weise mit der von Fraunhofer erfundenen, lasst sogleich erkennen, dass alle niaassgebenden Bedingungen bei beiden tibereinstim- raend werden, wenn statt des Prismas mit senkrecht refiectirtem Strahl ein solches von doppelt so grossem Winkel mit durchgehen- dem Strahl in der Stellung der Minimalablenkung gesetzt wird. Beide Combinationen stellen Gleichheit des Eintritts- und des Aus- trittswinkels her und unter der gemachten Annahme ist auch die Grosse dieses Winkels bei beiden dieselbe. Wahrend aba- bei der FRAUNHOFERSchen Anordnung die Gleichheit beider Winkel nur indirect, niimlich durch das Kriterium der Minimal-Ablenkung her- beigefuhrt werden kann, wird dieselbe hier direct durch die Coin- cidenz des ruckkehrenden Strahls mit dem eintretenden erhalten. — Dass auch die Winkelausbreitung des Spectrums bei beiden Combi- nationen gleiche Grosse hat, wenn dem hier betrachteten Prisma mit Neue Apparate u. s. w. 107 dem Winkel « eiu solches mit dem Winkel 2« fiir durchgehende Strahlen substituirt wird, kanD eben so leicht nachgewiesen werden. 2. Bescbieibuug des Spectrometers. Das Vorstehende giebt das Schema, nach welchem die vveseiit- licheii Theile des Apparates sich anordneii. mid zugleich die Grund- zuge des Beobachtungsverfahrens. Zu erortein bleibt, ausser den Einzelheiten der technischeii Ausfuhruiig, Einrichtuug imd Gebrauch etlicher Hilfsapparate . welche theils zur sichern mid bequemen Orientirmig der verschiedenen Theile, namentlich des Prismas nothig sind. theils zur Erreichung grosserer Scharfe, zumal fiir die Dispersionsmessmig . dieiien. Alles dies verbindet sich am Einfachsten mit der Beschreibung eines wirklich ausgefiihrten In- struments, welche denn unter Beihilfe der nach einer Photographie gezeichneten Abbildung, auf Tafel IV, hier zunachst folgen mag. Ein gusseiserner Dreifuss J tragt, wie bei jedem Theodolith, die Bttchse, in welcher der Verticalzapfen eines (scheibenformigen) Theilkreises B sich dreht und, mit dieser Biichse verbunden, ein T-formiges Metallstuck C auf dessen beiden einander gegentiber- stehenden Arraen die Nonien /' befestigt sind, wiihrend an das Ende des dritten ein nach oben gabeltormiger Trager D senkrecht angeschraubt ist. In dieseni hangt zwischen zwei starken Schrau- benspitzen, c, die durch Gegenmuttern festgestellt werden konnen, das Colhmator-Fernrohr J. Es wird in hoiizontaler Lage gehal- ten durch einen nach unten gehenden Arm A', dessen Ende luit- telst einer ReguUrschraube d gegen die Vorderflache des Tragers D sich stutzt. Der geranderte Kopf der Regulirschraube steht» der Hand des Beobachters leicht zuganglich, frei vor und niacht es bequem, wahrend des Durchsehens die Neigung des Rohrs zu verandern, wahrend eine Zugschraube e die Stellung nach vollbrach- ter Kegulirung auch vollstandig zu tixiren erlaubt. Diese Befesti- gungsweise hat sich als ebenso sicher wie bequem erwiesen. Selbst wenn das Rohr zum Zwecke leichterer Verpackung des Instruments nach dem Gebrauch abgenommen und spater wieder eingehangt wird, stelit sich die richtige Lage der Axe so genau, als fiir die Messungen iiberhaupt nothig ist, von selbst wieder her, wenn man die Vorsicht gebraucht, die Regulirschraube inzwischen nicht zu verstellen. Was das CoUimator-Fernrohr anlangt, so ist bei Ausfiihrung der oben im Allgemeinen erorterten Einrichtung darauf Bedacht genommen, das Gesichtsfeld des Oculars moglichst frei zu halten, 108 Ernst Abbe, damit das Auffinden der Bilder vor der vollkommenen Regulirung von Beobachtungsrohr und Prisma nicht crschwert werde. Es ist deshalb das Diaphragma im Focus des Objectivs wie bei einem gewohnlichen Fernrohr kreisformig ausgeschnitten (Taf. IV Fig. 2) und die Backen des Spaltes sind durch ziemlich schmale Stahl- streifen k dargestellt, welche von beiden Seiten in diese kreis- tormige Oeffnung hineinragen und, in der Mitte mit genau gerich- teten Schneiden zusammenstossend, den Spalt bilden. Die eine Backe ist fest, die andere zwischen Coulissen verschiebbar in die Diaphragm aplatte eingelassen, so dass die eine Scbneide mittelst Schraube (6) und Feder (/) der andern beliebig geuahert werden kann. — Dabei ist der Spalt so justirt, dass der vom Prisma be- leuchtete und dadurch dem Ocular verdeckte Theil, der als Licht- quelle wirksam wird , moglichst genau in der Mjtte des Dia- phragma's, also in der Axe des Eohrs endet; die Schneiden aber sind iiber die Mitte hinaus verlangert und bilden oberhalb einer kleinen kreisformigen Ausbohrung — wie die Zeichnung erkennen lasst — einen ganz kurzen, im Ocular sichtbaren Spalt, welcher zur Einstellung des Bildes dient. Er soil die genaue Fortsetzung der unteren Schneiden reprasentiren, was bei einiger Sorgfalt in aller Scharfe ausfuhrbar ist. Bei dieser Einrichtung bleibt nicht nur die obere Halfte der Focalebene, sondern auch der grossere Theil der unteren der Beobachtung frei zuganglich; nur ein schmaler horizontaler Streifen unterhalb der Mitte wird durch die Backen des Spaltes verdeckt. Um aber bei den Operationen zur Orien- tirung des Instruments ein Bild auch dann nicht zu verfehlen, wenn es gerade in der Hohe dieses Streifens in das Gesichtsfeld treten sollte, so ist in der beweglichen Backe eine kreisformige Durchbohrung angebracht, durch welche hindurch es wenigstens im Vorbeipassiren bemerkt werden muss. — Um die Beleuchtung des unter der Axe liegenden Spaltes zu bewirken, ohne storendes Licht in das Sehfeld einzulassen, ist das hinter den Spalt gestellte niedrige Reflexionsprisma rn durch ein parallelepipedisches Glas- stiick, mit dem es ein Ganzes ausmacht, verlangert, wodurch die Kathetenfliiche, durch welche die seitlich einfailenden Lichtstrahlen eintreten sollen, ganz an den Rand der Diaphragmaplatte rtickt. Auf diese Weise verschliesst sie die ihr dicht gegenuber in der Wand der Ocularhiilse angebrachte Oeffnung; und wenn die iibri- gen Seitentiiichen des Glasstucks mit schwarzera Lack iiberzogen sind, die Hypotenusenflache aber durch ein Metallplattchen ver- deckt ist, bleibt das Sehfeld selbst vollkommen dunkel. Neue Apparate u. s. w. 109 Die Diaphragmaplatte bildet, urn ihr den zur Befestigung der S'GRAVESAND'schen Schneiden erforderlichen Durchmesser geben zu konnen, den Deckel einer flachen Trommel, auf deren cylindrisch abgedrehten Rand die das Ocular tragende Messinghiilse aufge- schoben wird. Die Schraube 6 zur Regulirung des Spaltes bleibt ausserhalb derselben der Hand des Beobachters zugiinglich. Das Ganze, Trommel mit Spalt und Ocular, bildet den Kopf eines Aus- zugs am Collimatorrolir, durcli dessen Verschiebung die Einstel- lung des Spaltes in den Brennpunkt des. Objectivs bewirkt wer- den kann. Mit dem Theilkreis des Instruments ist an dem hier beschrie- benen, fiir genauere Messungen bestimmten Exemplar ein kleinerer Hilfskreis E ohne Theilung, zur Repetition derWinkel, verbunden. Zu dem ZNvecke tragt die stiihlerne Drehungsaxe des Theilkreises einen zweiten kiirzeren Conus iiber der Fliiche des Kreises her- vorstehend. Auf ihm ist der Kreis E mittelst conischer Biichse aufgesteckt, so dass er sich unabhangig vom Hauptkreis um die gemeinsame Axe drehen aber auch nach Bediirfniss durcb eine Klemme mit Feinschraube fest mit jenem verbinden lasst '). Auf diesen Hilfskreis ist hier — in derselben Weise, wie es bei kleineren Instrumenten unter Wegfall der Repetitionsvorrich- tung uumittelbar auf dem Hauptkreis geschehen konnte — die Vorrichtung aufgesetzt, welche zur Aufnahme und zur Regulirung der Prismen dient. — Ihre Construction weicht wesentlich ab von dem sonst iiblichen Tischchen mit Schraubenfiissen. In geringer Hohe iiber der ebenen Flache des Kreises liegt zunachst, dieser parallel, eine Metallplatte F in Form eines gleichseitigen Dreiecks, deren eine Seite zwischen zwei Schraubenspitzen a wie in einem Charnier sich dreht, wahrend in der Nahe der gegeniiberstehenden Ecke eine Schraube b mit gerandertem Kopfe einen stellbaren Fuss bildet. Durch eine federnde Platte — unter dem Kopf einer durch das Dreieck hindurchgefiihrten Zugschraube — wird dieser Fuss fest gegen die Kreisfiache angedriickt, wobei fiir die Be- wegung der Fussschraube noch hinreichender Spielraum bleibt, Auf dieser dreieckigen Platte erhebt sich nahezu iiber der Mitte des Theilkreises ein senkrechter Stander G und triigt in einer cylindrischen Hiilse von ca. 6 Cm. Weite eine ringformige Scheibe H von ca. 10 Cm. ausserem Durchmesser, welche sich unter mas- 1) Die Klemmvorrichtung ist der Dcutlicbkcit wegen in der Zeicbnung fort- gelassen. 110 Ernsi Abhp. siger Reibung aber ohne Spielraum in jeuer Hiilse rund umdrehen lasst. Die iiussere ebene Flache dieses Ringes liegt parallel dem Charnier der Grundplatte und sehr nahe in der Axe des Theil- kreises, wahrend die Visirlinie des Beobachtungsrohrs diirch seinen Mittelpimkt gelit. Der bequeinen Drehung wegen ist der aussere Umfang des Ringes H gerandert, seine Flache aber tragt nahe am Rand zwei Klemmfedern, so wie solche beim Mikroskop zum Festhalten der Objecte im Gebrauch sind, mit deren Hilfe das zu untersuchende Prisma, angekittet an eine geschwiirzte runde Messingscheibe von 2 — 3 Mm. Dicke und etwa 9 Cm. Durchmesser, auf dem Ring be- festigt wird. Die an der Messingscheibe anliegende Flache des Prisma's bleibt dabei durch eine centrale Oeffnung von passen- der Grosse in jener Scheibe, zuganglich. Als letzter Bestandtheil des Instrnments bleibt noch die ein- fache Mikrometervorrichtung zu beschreiben, welche dazu dienen soil, kleine Winkeldiflferenzen unabhangig voni Theilkreis, und zwar genauer zu messen, als es die Ablesung der Kreistheilung erlauben wiirde. Um eine solche herzustellen, ohne dem Instrument Theile zufugen zu miissen , die ausserdem entbehrlich waren , ist die auf alle Falle erforderliche Vorrichtung zur Feststellung und feinen Be- wegung des Kreises in einer Form ausgefiihrt, welche erlaubt, die Schraube zur feinen Bewegung zugleich zur Messung dieser Bewe- gung zu verwenden. Zu dem Ende ist die Drehungsaxe unmittel- bar unter der Scheibe des Theilkreises auf die Lange von 10 — 15 Mm, cylindrisch abgedreht und zwischen Kreis und Biichse ein massiver Ring eingelegt, der mittelst eines in seine Wand einge- fiigten Keiles und einer diesen bewegenden Druckschraube fest an die Axe angeklemmt werden kann. Von diesem Ring geht, von der Scheibe des Theilkreises bedeckt, ein hinreichend steifer Arm h in radialer Richtung ab und tritt mit sammt der unter ihm hin- laufenden verlangerten Spindel jener Druckschraube durch einen Ausschnitt im Trager D hindurch, vor desseu vorderer Wand er endet, wahrend der geranderte Kopf g der Schraube einige Cm. weiter vorsteht. Eine sorgfiiltig geschnittene Mikronieterschraube / deren Mut- ter an dem Trager D seitlich vomAusschnitt befestigt ist, schiebt einen stablemen Anschlag am Ende des Amies h vor sich her, wahrend dieser durch eine kraftige Feder ihr entgegengedriickt wird. — Die Bewegung, welche die Mikronieterschraube dem Theil- kreis mittheilt, wenn der Arm U durch Anziehen des Schrauben- Neuo Apparate ii. a. w. HI kopfes g an die Axe angeklemmt ist. wird in der bekannteu Weise mittelst einer getheilten Trommel gemessen, deren scharfer Rand zugleich zuin Abzahlon dor ganzen Umdrehungen an einer kleiiien auf dem feststelienden Index angebiachten Theilung dient. i. JiistiriiDg desi Spectroiufters. Was den Gebrauch des im Vorstehendeu beschriebenen In- strunientes anlangt, so mogen znnachst die Operationen betrachtet werden, welche zur \'orbereitung der eigentliclien Messungen er- forderlidi sind. Als solche kommen ausschliesslich in Frage: 1) die Justirung des Collimator-Fernrohrs, in Hinsicht auf die Stellung des Spaltes und die Richtung der Axe; 2) die Orientirung des Prisma's; und — wenu man die, ein fiir alle mal auszufiihrende Ermittelung einer const.anten Reductions- zahl zu diesen Operationen rechnen will, 3) die Bestimmuug des Winkelwerthes eines Umgangs der Mikrometerschraube. Was die Justirung des Rohrs anlangt, so wird der erste Schritt darauf zu richten sein, die S'GRAVESAND'schen Schneiden in dem Diaphragma des Ocularauszugs genau in den Focus des Ob- jectivs zu bringen. Dies geschieht am zweckmassigsten, indem man irgend eine gut geschliifene Planflache (etwa an einem Prisma) auf das Instrument bringt und das von ihr entworfene Bild des Spaltes aufsucht. Da eine Abweichung der Liclitquelle vom'Brenn- punkt des Objectivs eine gleich grosse des Bildes in entgegenge- setzter Richtung nach sich zieht, die Langenabweichung zwischen Spalt und Bild also doppelt so gross wird, so gibt das Erscheinen eines scharf begrenzten Bildes, welches zwischen die Schneiden eingestellt, keine Parallaxe zeigt, ein sehr empfindliches Kenn- zeichen fiir den richtigen Ort des Spaltes. — NatUrlich wird man bei dieser Operation letztern hinreichend intensiv beleuchten, aber zugleich auch darauf Bedacht nehmen, dass das ganze Objectiv wirksam ist. Desshalb eignet sich hierzu directes Sonnenlicht nicht, weil bei dem geringen Winkeldurchmesser der Sonne nur sehr enge Strahlenkegel vom Spalt zum Objectiv gelangen, wohl aber eine helle Wolke oder eine, nahe am Instrument stehende Lichtflamme. Den Auszug des Fernrohrs beim Befestigen von Zahn und Trieb so zu reguliren, dass der Spalt senkrecht zur Ebene des Theilkreises zu stehen kommt, ist fuglich Sache des Mechanikers 112 Ernst Abbe, und hat fur diesen aiich keinerlei Schwierigkeit. Aus nahe liegen- den Griindeii liraucht diese Anforderuno nur annahernd erfiillt zu sein. Die Einstellung der Axe des Collimator-Fernrohrs senkrecht zur Drehungsaxe des Instruments wird sehr einfach mittelst einer planparallelen Platte ausgefiihrt die man auf den Ring H des Prismentragers aufbringt. Angenommen zunachst, die Platte sei schon der Drehungsaxe parallel oder zum Theilkreis senkrecht so wttrden die Bilder, welche beide Flachen bei Umdrehung des Kreises urn 180** geben, jedenfalls in derselben Hohe durch das Gesichtsfeld passiren, wofern das Rohr nur so steht, dass sie liber- haupt innerhalb desselben auftreten. Man brauchte alsdann nur durch Drehung der Schraube d das Rohr so weit zu neigen, dass jene Bilder, wenn sie in die Mitte des Gesichtsfeldes gebracht werden, gerade die Fortsetzung des verdeckten Theils vom Spalt bilden, ihr unteres Ende also innerhalb der kreisformigen Oeffnung knapp den Rand dieser beriihrt. Steht aber — wie in diesem Stadium der Regulirung anzunehmen — die Planplatte der Dre- hungsaxe nicht parallel, so bilden die von der einen Flache re- flectirten Strahlen mit den von der andern reflectirten einen Win- kel der gleich dem doppelten Betrag jener Neigung ist; und es erscheinen demuach die von beiden Flachen entworfenen Spiegel- bilder in ungleicher Hohe im Gesichtsfeld des Oculars. Man wird nun zunachst die Platte justiren, indem man durch Drehen der Fussschraube b das eine Bild dem andern um den h alb en Ab- stand entgegenfuhrt; wonach dann das Fernrohr wie angegeben berichtigt wird. — Selbst bei einem vollstandig derangirten In- strument wird es nach einigen Versuchen gelingen, zunachst ein Bild in das Gesichtsfeld zu bringen, um dann durch weiteres Pro- biren mittelst der beiden Schrauben auch das von der andern Seite der Platte zu erhalten; sind aber beide erst sichtbar, so ist das Weitere Sache weniger Handgriffe, die schnell und sicher sich aus- liihren lassen. Die hierbei gemachte Voraussetzung einer parallelflachigen Platte braucht in Wirklichkeit keineswegs erfiillt zu sein. Viel- mehr kann jedes beliebige Stuck Spiegelglas dieselben Dienste thun, selbst wenn es nur unvollkommene Bilder gewahrt. Denn die kleine Abweichung beider Flachen vom Parallelismus, die im- mer nur wenige Minuten betragt, kann unschadlich gemacht wer- den, wenn man die Kante des Keiles, den eine solche Platte repra- sentirt, zur Ebene des Theilkreises senkrecht stellt. Dazu aber Neue Apparate u. s. w. jj3 bietet die Beobachtung selbst die Hand. Denn jede Seite der Platte giebt in diesem Falle zwei Bilder des Spaltes — das eine durch directe Spiegelung an der vorderen Flache, ein anderes durch Reflexion der in das Glas eingetretenen Strahlen an der Hinter- flache, letzteres ganz dem Spectralbild eines Prisma's entsprechend. In Folge des kleinen brechenden Winkels treten beide gleichzeitig im Gesichtsfeld auf, meistens sehr nahe neben oder ubereinander, je nach der Stellung des Keiles. Dreht man nun, ein solches Doppelbild im Auge behaltend, den Ring des Prismentragers bis beide Bilder gleich hoeh neben einander stelien, so hat der Keil die verlangte Lage, und man kann nun diese Doppelbilder genau so wie die einfachen einer Parallelplatte zur Regulirung verwenden. Die Justirung eines Prisma's fordert den Parallelismus seiner beiden Flachen mit der Drehungsaxe des Kreises, damit der Haupt- schnitt des Prisma's der Ebene der Kreistheilung parallel sei und die Visiriinie des Collimatorfernrohrs in sich enthalte. Sofern man immer die letztere als sclion berichtigt, d. h. zur Drehungsaxe senkrecht gestellt annimmt, wird das Kennzeichen fur die richtige Orientirung des Prisma's, dass durch Drehung des Kreises beide Flachen nacheinander senkrecht auf die Visiriinie sich stelien lassen und dass also die von ihnen entworfenen Spiegelbilder, wenn sie in die Mitte des Sehfeldes kommen, genau die Fortsetzung des Spaltes bilden. — Die oben beschriebene Einrichtung des Prismen- tragers gewahrt nun nicht nur den Vortheil, Prismen jeder Grosse und Form, Krystalle, Bruchstiicke von unregelmassiger Gestalt, ohne alle Vorbereitungen am Apparat anbringen zu konnen, da man sie nur mit etwas weichem Wachs oder dergl. an eine Scheibe mit passendem centralen Ausschnitt anzudrucken und diese Scheibe an den drehbaren Ring anzuklemmen hat, sondern sie macht auch die in Rede stehende Regulirung sehr viel leichter ausfuhrbar, als es mit dem sonst ublichen Tischchen zumal dann der Fall ist, wenn nicht eine gut justirte Grundflache die Stellung des Prisma's von Anfang an nahezu richtig macht. Wird namlich das zu unter- suchende Stiick mit einer der wirksamen Flachen auf die ausge- schnittene Scheibe und sammt dieser auf den Ring des Prismen- tragers gebracht, so kann die in der Ringebene liegende Flache ausschliesslich durch Bewegung der Fussschraube b die richtige Stellung erhalten. - Wie nun auch die zweite Flache dabei stehen mag, jedenfalls reicht jetzt die Drehung des Ringes hin, auch sie zu reguliren ohne die erste wieder zu verandern, da ja deren Normale mit der Axe des Ringes zusammenfallt. Man wird, von Bd. Vm, X. F. 1. 114 Ernst Abbe, einer nach Augenmaass gewahlten Stellung ausgehend, den King mit der einen Hand langsam imd stetig fortdrehen, wahrend das Auge durch das Fernrohr sieht und die andere Hand den Theil- kreis oder den Hilfskreis liln und her bewegt, bis das Spiegelbild im Gesichtsfeld aufblitzt. Jetzt wird man den Theilkreis stehen lassen und, das Spiegelbild im Auge behaltend, durch eine letzte kleine Drehung des Ringes die Justirung rasch und sicher voll- enden. — Auf diese Art erhalt man die richtige Stellung des Prisma's durch zwei von einander unabhangige Schritte, von denen jeder einen Theil der Regulirung sogleich definitiv vollzieht; und jeder macht zu dem nur einen einzigen Handgriff nothig, der wahrend der Beobachtung der Bilder am Fernrohr in aller Be- quemlichkeit ausfiihrbar ist. Fur gewohnlich indess, d. h. beim wiederholten Gebrauch eines schon regulirten Instruments, wird jenes Geschaft noch weiter ver- einfacht, wenn man beim Befestigen des Prisma's an einer der ausgeschnittenen runden Scheiben auf ein gleichmassiges Anliegen der befestigten Flache Bedacht nimmt. Ist alsdann die Ringebene einmal der Drehungsaxe des Kreises parallel gerichtet, so wird die an sie angelegte Flache des Prisma's immer von selbst regulirt sein, hochstens einer ganz geringen Nachhilfe noch bediirfen. . Die ganze Vorbereitung, die nach dem Aufbringen des Prisma's nothig jst, reducirt sich also auf die Drehung des geranderten Hinges. Uebrigens ist, in Hinsicht auf diese verschiedenen Berichtigun- gen im Allgemeinen zu bemerken, dass fiir ihre Ausfiihrung auch bei den hochsten Anspriichen an die Genauigkeit der Messungen nur eine vergleichsweise geringe Scharfe beansprucht wird. Denn die Fehler, welche durch Abweichungen der Visirlinie oder der Prismenfliichen in die am Theilkreis gemessenen Winkel gebracht werden, sind, wie man sich leicht liberzeugt, sammtlich von der Ordnung des Quadrats jener Abweichungen. Betriige der Fehler der Visirlinie oder die Neigung des Hauptschnittes selbst einen halben Grad, so wurde der daraus entspringende Fehler im un- gunstigsten Falle doch nur wenige Bogensecunden ausmachen, also selbst bei einem fein getheilten Kreise kaum aus den Grenzen der Ablesungsfehler heraustreten. In Anbetracht dieser geringen Empfindlichkeit erscheint es nicht nur ganz unverfanglich , dass bei der hier angegebenen Construction des Collimator-Fernrohrs die optische Axe der Hohe nach nicht sehr scharf im Gesichtsfeld markirt ist, sondern man wird sich sogar der vollstandigen Aus- gleichuug kleiner Hohenabweichungen ganz entschlagen dtirfen. Neue Apparate u. s. w. 115 Wenn — wie bei dieser Einrichtung der Fall ~ die ganze Hohe des Spaltbildes oder die ganze Breite des Spectrums, wegen der geringeii Laiige des Spaltes, kaiim V2*' betragt, so wird die Eegu- lirung hinreicliend geiiau sein, wenn die verschiedenen Bilder iiber- haupt nur zwischen die sichtbaren Schneiden treten, so dass ihre Einstellung moglich wird, auch wenn dabei das eine etwas hoher, das andere etwas tiefer liegt. Grosseres Gewicht dagegen ist auf die genaue Justirung des Focus zu legen, weil schon eine klcine Abweichiing der Spaltebene von ihm, abgesehen von der geringeren Deutlichkeit der Bilder, Anlass zu parallactischen Fehlern gibt, zumal dann, wenn in Folge zufalliger Aenderungen in der Beleuchtung abwechselnd andere Theile der Objectivoifnung in Wirksamkeit treten. Die Ermittelung der lieductionsconstante fur die mikrometri- schen Bestimniungen setzt Nichts weiter voraus, als dass man irgend einen Winkel, dessen Grosse anderweitig genau bekannt ist und in den Grenzen des Mikronieters liegt, mittelst der Schraube ausmisst und aus der Vergleichung beider Aufgaben den Winkel- werth eines Trommelumgangs ableitet. Die Data fiir eine solche Vergleichung konnen selbstverstiind- lich ohne Weiteres durch den Theilkreis selbst erlangt werden, wenn man an diesem unmittelbar den Winkel abliest, um welchen der Kreis durch eine gewisse Anzahl Umdrehungen der Schraube fortbewegt wird. Wiederholt man diesen Versuch, den ganzen Spielraum der Mikrometerschraube benutzend, hinreichend oft, so wird das Mittel die Reductionsconstante schon so genau ergeben, dass die Unsicherheit der Mikrometermessung bei kleineren Win- keln, die nur einen Bruchtheil des ganzen Spielraums betragen, auf einen geringen Theil von der Unsicherheit der Kreisablesung reducirt ist. Auf bequemere Weise und mit noch grosserer Sicher- heit liisst sich die fragliche Bestimmung indess ausfiibren, wenn das Instrument eine Vorrichtung zur Repetition der Winkel be- sitzt. Man befestigt alsdann zwei kleine Stiicke gut geschliffenen Spiegelglases. deren eine Seite mit schwarzem Lack iiberzogen ist, mit Hilfe eines haltbaren Kittes dicht nebeneinander auf einer Glasplatte in der Art, dass die spiegelnden Fliichen einen kleinen Winkel, etwa dem Umfang der Mikrometerschraube entsprechend, unter einander einschliessen. Diesen Winkel misst man nach dem- selben Verfahren wie den Winkel eines Prisma's, aber untor viel- maliger Repetition, mittelst des Theilkreises aus, so dass man sei- nen Werth bis auf einen kleinen Bruchtheil des Ablesungsfehlers 116 Ernst Abbe, sicher erhalt. Hierauf wiederholt man die Messung mehrere Male mit der Mikrometerschraube. Die Vergleichung beider Resultate gibt den Werth des Schraubenumganges in jeder nur irgend wun- schenswerthen Genauigkeit, abgesehen naturlich von etwaigen Feh- lern der Schraube und von denjenigen Differenzen, die bei grosse- ren Winkeln aus dem Mangel vollstandiger Proportionalitat zwi- schen Winkel und Schraubenbewegung entspringen '). 4. 9u Verfahreii hei der Messung. In Bezng auf die Ausfiihrung der Messungen bleibt, sofern zunachst nur die Beobachtungen an festen Prismen in Eede stehen, kaum etwas Weiteres zu erortern iibrig als einige Vorsichtsmaass- regeln und einige zur Erleichterung der Arbeit niitzliche Handgriffe. Wenn das Collimator-Fernrohr und das Prisma nach dem be- schriebenen Verfahren regulirt sind, so werden bei Drehung des Theilkreises nicht nur die Spiegelbilder von beiden Flachen, son- dern auch zwei Spectra in der richtigen Hohe durch das Gesichts- feld des Oculars hindurch passiren. Zu einer vollstandigen Be- stimmung des Brechungsexponenten gehort aber ausser der Ein~ stellung auf die Spiegelbilder nur die auf eines der Spectra; und es wiirde fiir die Messung durchaus gleichgiltig sein, welches man wahlt, wofern das Prisma sehr vollkommen plane Flachen besitzt. Wenn dies aber nicht der Fall sein soUte — und man wird immer wohl thuen in dieser Beziehung nicht zu viel voraus zu setzen — kann ein merklicher Fehler daraus entspringen, dass bei den ver- schiedenen Stellungen, in welche das Prisma durch die Drehung gefiihrt wird, andere Punkte seiner Flachen in die Verliingerung der Fernrohraxe fallen und daher fiir das Zustandekommen des Spectralbildes nicht genau diejenigen Flachentheile wirksam sind, an welchen der brechende Winkel gemessen wird. Diese Fehler- quelle, deren Vorhandensein sich auch bei sonst ganz brauchbaren Prismen oft genug constatiren lasst, und welche bei anderen Spectrometern nur schwer ausgeschlossen werden kann, ist mit dem hier angewandten Beobachtungsverfahren ohne Weiteres beseitigt, 1) Eine kloiue Erleichterung bei der Reduction der Mikrometerangabeu erzielt man, wenn der Schraubenunigaiig nahezu eine ganze Anzahl Minuteu betragt, etwa fi oder 10; was sich ohne alio Schwierigkeit ausfuhren lasst. Die Theilung der Trommel wird dann so eingerichtet, dass die Ablesung unmittel- bar auf Minuten und Secunden lautet, die unvermeidliche kleiue Abweichung aber wird durch eine Correction an deu abgelesenen Zalilen beriicksichtigt. Neue Apparate u. s. w. Ijy wenn eine Flache des Prisma's nahehiii in die Drehungsaxe ge- bracht und nur das Spectralbild von der Seite dieser c e n t r i r t e n Flache b e n u t z t w i r d. Denn eine einfache Ueber- legung zeigt, dass dann — und audi nur dann — die Fernrohr- axe, also die Mittellinie des wirksamen Strahieubiindels , bei der Einstellung der zwei Spiegelbilder die Prismenflachen in denselben Punkten trifift, welche bei der Einstellung auf das bezeichnete Spectralbild die Mitten der wirksamen Flachentheile bilden. Bei der oben beschriebenen Construction des Prismentragers ist diese Maassregel darin vorgesehen, dass die Ebene des Ringes in die Drehungsaxe des Kreises gelegt ist. Es wird dabei voraus- gesetzt, dass man das Prisma dem Innern des Ringes zugekehrt aufbringt, der Art also, dass die in die Ringebene fallende Flache nach der Seite der Fussschraube 6 hin frei liegt, weil nur in die- sem Falle auch bei grosserem Brechungswinkel und dadurch be- dingter sehr schiefer Incidenz die Beobachtung doch nie durch die dicke Wand des Ringes behindert sein wird. Die eben erwahnte Vorsichtsmaassregel, welche nie ausser Acht bleiben darf, wenn es sich urn grosse Genauigkeit der Messungen handelt, lasst bei Beobachtungen mit directem Sonnenlicht noch eine kleine Erganzung zu, urn zu verhindern, dass nach einander andere Theile des Fernrohrobjectivs in Wirksamkeit treten und dadurch die erwahnte Fehlerquelle, freilich in sehr viel geringerem Spielraum, wieder eroffnet werde. Fuhrt man namlich dem Spalt durch Verniittelung des Retiexionsprisma's und irgend anderer ebener Spiegel Sonnenlicht zu, so geht von jedem Punkte des Spaltes ein Strahlenkegel von nur '/jO Winkeloffnung aus. Da aber das Fernrohrobjectiv doch immer 4—5 Grad Oeffiiungswinkel haben wird, so nimmt dieser Strahlenkegel nur einen kleinen Theil der Objectivoffnung, und damit auch nur einen kleinen Theil des ihr entsprechenden Umfangs der Prismenflachen in A.spruch- und zwar immer andere Theile, wenn die Einfallsrichtung der Strahlen um ein Weniges wechselt. Einen solchen Wechsel, der sich direct kaum verhindern oder auch nur controliren lasst, auszuschliessen Oder doch auf beliebig enge Grenzen einzuschranken, genugt das emfache Mittel, ein fur alle mal einen bestimmten Theil der Ob- jectivoffnung durch eine Blendung abzugrenzen; und man erreicht hierdurch, wenn man diese Begrenzung nicht aussen vor dem Ob- Jectiv, sondern durch ein geschwarztes Diaphragma im Innern des Rohrs bewirkt. noch den weitern Gewinn, storende Reflexe von den Flachen des Objectivs verhindern zu konnen, welche sonst •Jig Ernst Abbe, beimArbeiten mit Sonnenlicht die Beobachtimg der lichtschwachen Theile eines Spectrums leicht beeintrachtigen. Die iur Sonnenlicht freibleibende Oeffnung kann in dieser Art ohne irgend eine Ver- rainderung der Lichtstarke recht wohl auf weniger als den vierten Theil des Diirchmessers reducirt werden , da ja unter alien Um- standen doch nur ein noch kleinerer Theil des Objectivs that- sachlich wirksam ist; nur wird es nattirlich etwas schwieriger, die voile Beleuchtung fest zu halten, wenn sich die Einfallsrich- tiing der Strahleu andert. Unter Beobachtung dieser Caiitelen reicht selbst zu genauen Messungen schon ein kleines Prisma von gerin- ger Vollkommenheit aus, sofern sich an ihm nur einander corre- spondirende hinreichend plane Stellen von V2 bis 1 Quadratcenti- meter Flache finden. Ftir die Beobachtung ist in den meisten Fallen eme weitere Zurichtung der Prismen nicht erforderlich. Nur wenn es darauf ankommt, die Untersuchung der Dispersion auch auf die licbt- schwachen Theile des Sonnenspectrums oder auf die femeren und schwieriger erkennbarenFRAUNHOFER'schenLinien auszudehnen, wird es nothig, die Reflexion an der hintern Flache durch eine Metall- belegung zu unterstiitzen, die sich mittelst Zinnfolie und Queck- silber leicht herstellen lasst ')■ Man kann diese Belegung vor der Messung des brechenden Winkels schon bewirken, muss in diesem Falle aber — um nicht die Beobachtung des einen Spiegelbildes unmoglich zu machen — einen Theil der Glasflache frei lassen. Fiir die Beleuchtung des Spaltes genugt bei alien Beobach- tungen, die nicht der scharfen Fixirung einzelner Farben bediirfen, das Licht einer seitiich vom Ocular aufgestellten Lichtflamme Oder das dift'use Tageslicht, welches man von einer weissen Flache, Oder mittelst eines Spiegels vom Wolkenhimmel auf den Spalt leitet. — Wie aber zum Zweck der iibrigen Messungen BuNSEN'sche Flammen'''), der Inductionsfunke oder das Sonnenlicht zu ver- 1) Man tuhrt diese Manipulation jeder Zeit in wenigeu Augeubhcken aus, indem man ein Htreifchen Stanniol auf einer ebeneu Unterlage glatt streicht, ein paar Tropfen Quecksilber dariiber giesst und nacbdem das Oxydbautchen abgestrichen ist, die gereinigte Glasfiarhe vom Rande aus langsam aufscbiebt. Uruckt n,an das Prisma dann mit dem Finger fest auf und streicbt das an- hangeude Stanniol rund herum ab, so ist die iielegung fertig und zu augenbhck- lichem Gebraucb bereit. , 2) Zur Messung des Brecbungscoefiicienteu der dem FRAUNHOFERScben if entsprecbenden Strablen reicbt ubrigens scbon die mit Kocbsalz gefarbte Spi- ritusflamme vollkommen aus. Neue Apparate u. s. w. jjg wenden sind, braucht hier nicht erortert zu werden, da die Ver- fahrungsweisen hier die namlichen bleiben, wie bei der Benutzung jedes andern Spectralapparates. Nur darauf sei hingewiesen, dass die Reguliiuiig und die Controle der Beleuchtung in alien Fallen am sichersten und einfachsten bewirkt wird, indent man durch das Objectiv des Collimatorfernrohrs nach deni Spalte hinsieht und darauf achtet, dass er im ganzen Umfaug der Objectivoffnung hell erleuchtet erscheine. In Bezug auf die Benutzung des Sonnen- lichtes aber sei noch bemerkt, dass das Zusammenfallen von Col- limator und Beobachtungsrohr bei dem beschriebenen Instrument einen selbstthatigen Heliostat leicht entbehrlich macht. Ein klei- ner, in zwei Richtungen drehbarer Planspiegel, so wie er an Mi- kroskopen benutzt wird, auf einem passenden Stativ seitlich vom Ocular aufgestellt, so dass er der Hand des Beobachters zu steter Nachhilfe wahrend der Beobachtung bequem zuganglich ist, reicht unter alien Umstanden vollkommen aus, die Beleuchtung hinreichend constant zu erhalten, namentlich wenn man zur Unterstutzung an der gegeniiberliegenden Wand die Stelle markirt, auf welche der Schatteu der Ocularhiilse beini richtigen Einfall treffen muss. -' Selbstverstandlich wird man bei derartigen Beobachtungen nicht nur das Auge, sondern auch das Instrument durch geeignete Schirme gegen directes Licht schiitzen, — den Prismentrager am besten mit einer auf den Kreis gestellten cylindrischen Hiilse aus geschwarzter Pappe, welche nur in der Hohe des Objectivs einen passenden Ausschnitt hat. Wenn es sich darum handelt, die Messungen am Instrument zu vervielfaltigen, um den Einfluss sowohl des Ablesungs- wie des Einstellungsfehlers zu verminderu, so bleibt ausser der einfachen Wiederholung der namlichen Reihe von Einstellungen noch die Wiederholung in umgekehrter Lage des Prisma's zur Verfugung. Man dreht zu dem Zweck den Ring mit dem Prisma um 180", wo- bei die in der Ringebene liegende Flache von selbst justirt bleibt, wahrend die andere durch Einstellung des Spiegelbildes oder des Spectriims neu regulirt wird. Besitzt das Instrument indess den bei der Beschreibung erwahnten liilfskreis, so wird die Verviel- faltigung der Messungen am zweckmassigsten durch Repetition der Winkel « und ^ nach dem bei Theodolithen iiblichen Repetitions- verfahren bewirkt. indem man nach Durchlaufen des betretfenden Winkels auf dem Hauptkreis, diesen feststellt und das Prisma mittelst des Hilfskreises auf die anfangliche Stellung zuriickfiihrt, um hierauf dieselbe Drehung von Neuem mit dem Hauptkreise J 20 Ernst Abbe, wiederholen zu konnen. — Dasselbe Verfahreii kann natiirlich auch bei der mikrometrischen Messung verwandt werden, weiin der zu bestiramende Winkel so klein ist, dass ein Vielfaches von ihm in den Grenzen des Mikrometers bleibt. 5. Die InteiSHchung vod Fliissigkeiteii m Hohlprisma. Bei der Beobachtung einer Fltissigkeit, die in einem Hohl- prisma eingeschlossen ist, bleibt das Verfahren in alien wesent- lichen Stucken das namliche wie bei Beobachtung tester Prismen. Zu erortern ist daher nur die Einrichtung des zu verwendenden Hohlprisnia's und die Ausfiihrung einiger Hilfsmessungen, welche in diesem Falle, der unter Urastanden erforderlichen Correctionen wegen, nothig werden konnen. Was das erste anlangt, so scbeinen mir die Anspriiche, welche in Bezug auf Leichtigkeit der Filllung und des Verschlusses, Spar- samkeit ini Substanzverbrauch. Bequemlichkeit der Reinigung und Einfachheit der Application zu stellen sind , durch die folgende Einrichtung mit verhaltnissmassig geringen Mitteln erfullt. — Der Korper des Hohlprisma's ist ein keilforraiger Abschnitt von einer dickwandigen Glasrohre, die ca. 12 Mm. inneren und ca. 22 Mm. ausseren Durchmesser besitzt. Von den beiden gut plan geschlif- feneii und polirten Schnittflachen steht die eine senkrecht zur Axe der Rohre, wahrend die andere gegen sie unter dem Winkel ge- neigt ist, den das Prisma haben soil (24— -27"). In die cylindrische Wand des Rohrenabschnittes sind an zwei gegenuberliegenden Stellen schmaleRinnen, parallel mit der zur Axe geneigten Grund- flache, eingeschliffen. Der Verschluss erfolgt durch zwei runde, 3-4 Mm. dicke und beiderseits voUkommen plane Crownglas- platten von ca. 30 Mm. Durchmesser. Von diesen ist die eine test in eine geschwarzte Messingscheibe gefasst, wie zur Application der gewohnlichen Prismen gebraucht wird. Auf die eine Flache der anderen Platte werden an gegenilberliegenden Stellen nahe am Rande zwei schmale Glasleistchen aufgekittet , so dass die kreis- formige Basis des Prismenkorpers zwischen ihnen gerade Platz hat; ihre zweite Flache wird mit einem 8--10 Mm. breiten Strei- fen Folie belegt. Beim Zusammenfugen wird der keilformige Korper des Prisma's mit seiner elliptischen Flache auf die in der Metallscheibe be- festigte Glasplatte aufgelegt und durch eine gabelformige federnde Klammer, welche in die vorher erwahnten Rinnen in der aussern Neue Apparate n. s. w. 121 Wand eingreift und iiiittelst einer kleinen Schraube gegen die Mes- singscheibe angezogen werdeii kann, mit massigem Druck ange- presst. Hierauf fuUt man den Hohlraum . wahrend seine obere Oetfnung horizontal gehalten wird. mit der betreffenden Flussigkeit so weit, bis ein flacher Meniscus iibersteht, und schiebt endlich die zweite Planplatte vom dickeren Theile des Prisma's her vor- sichtig auf. — Einer Befestigung dieser Deckplatte bedarf es nicht; bei gut geschlitfenen und sorgfaltig gereinigten Flachen bewirkt die Adhasiou eiuen vollkommen sichern Schluss, wofern nur das Herabgleiten der Platte — durch die angekitteten Glasleistchen — verhindert ist. Mit Hilfe der ruuden Scheibe wird das so hergerichtete Hohl- prisuia, dessen Zusanimensetzung auf Taf. IV Fig. 3 skizzirt ist, genau in derselben Weise, wie fur gewohnliche Prismen beschrie- ben, am Spectrometer befestigt . so dass die foliirte Deckplatte nach deni Innern der Ringes am Prismentrager zu liegen kommt. Auch die Justirung der beiden ausseren Flachen so wie die Eiii- stellung auf die Spiegelbilder des Spaltes und auf das Spectrum kehrt in derselben Fonn wieder. Nur fur den Fall, dass die bei- den Planplatten nicht vollkommen parallelflachig sind, bedarf es . noch einiger Hilfsbestimmungen, um die wegen dieser Abweichung erforderlichen Correctionen ausfuhren zu konnen. Unter der Voraussetzung, dass die Abweichung vom Paralle- lismus bei beiden Flatten nur einige Bogenminuten betragt. reicht OS fiir jenen Zweck vollkommen aus, wenn nach Justirung der beiden ausseren Prismentlachen noch die Winkel bestimmt werden, welche die Normalen der beiden innern Flachen, in der Projection auf die Ebene des Theilkreises, mit den Normalen jener ausseren Flachen einschliessen, well alle Ablenkungen, welche in der Rich- tuug senkrecht zur Ebene des Hauptschnittes eintreten, so lange dieselben klein sind, auf die Messung keinen Einfluss gewinnen. Die verlangteu Winkel aber lassen sich bei der Beobachtung der Spiegelbilder der ausseren Flachen sehr leicht mit bestimmen, in- dem man auf die zwar lichtschwachen aber doch immer sichtba- ren') Nebenbilder des Spaltes, welche die Reliexion an den (Jrenz- fiachen zwischen Glas und Flussigkeit ergiebt, beilaufig mit ein- stellt. Misst man mittelst des Mikrometers am Instrument den 1) .^olltf aber der Brcclmugsimlex der t'liissigkeil deni des Crowiighises so uahc liegeii, dass diefce iselieiiljildrr imsicLtbar bleihen , so wiirdp audi jede Correction uimothig seiu. 1 22 Ernst Abbe , Winkel r. um welchen je eines dieser Nebenbilder von dem ihni benachbaiten Reilexbilde der aiissern Pribmentlache abliegt. so steht der gefimdene Betrag zu dem gesuchten Winkel «, den die Ijetreftende Platte vermoge ihrer Keilform in die Ebene des Theil- kreises einfiihrt, in der Beziebung sin V z^ V sin n wo )■ den Brecliungsindex des angewandten Glases bedeutet. — Wegen der Kleinheit von «. und v wird man aber ohne wahrnehm- baren Fehler, wofern Crownglas vorliegt, »' — L5 setzen und statt der Sinus die Winkel selbst verwenden durfen, so dass also ein- fach 2 das gesuchte Datum ergiebt. — Nach welcher Seite aber die in- nereFlacbe einer Platte gegen die aussere geneigt ist, ergiebt sich sogleicb indem man auf die gegenseitige Lage der beiden zusam- mengeborigen Spaltbilder im Gesicbtsfelde des Beobacbtungsrohrs achtet ; und zwar gilt dabei die leicht abzuleitende kurze Kegel : der di'ckere Rand der Platte liegt nacb derjenigen Seite, nach welcher im Fernrohr das Nebeubild des Spaltes erscheint. In dieser Weise sind die zur voUstandigen Berechnung der Messungen erforderlicben Data jederzeit wahrend der Messung selbst zu gewinnen. Da es indess keinerlei Schwierigkeiten findet, Flatten von den bier in Rede stehenden Dimensionen bis aul wenige Bogensecunden genau paralleWachig herzustellen, so wer- (ien bei einem gut gearbeiteten Apparat derartige Hilfsbestim- mungen iiberhaupt nicbt vorkommen. Wo jedocb die Abweichun- gen nicbt zu vernachlassigen sind, lasst sich die Ermittelung der Correctionsdatanoch erheblich vereinfachen, wenn man die Winkel der Flatten vor der Zusammensetzung des Hohlprisma's ein fur alle mal bestimmtundVorkehrungentrifft, dass die Abweichungen vom Parallelismus immer in derselben Weise zur Geltung kommen. Zu dem Zweck ist nichts weiter erforderlich , als dass an dem Korper des Prisma's und an jeder Platte derjenige Durchmesser, in welchem der Winkel liegt, sichtbar markirt werde, damit beim Zusammensetzen die Hauptschnitte der drei keilformigen Stiicke stets nahehin parallel gerichtet werden konnen. Wegen der immer vorauszusetzenden Kleinheit der Platten-Winkel ist alsdann ieder von ihnen stets mit seinem vollen Betrag als wirksam anzu- nehmen, selbst wenn die Hauptschnitte der Flatten in Wirklichkeit um mehrere Grade von dem des Prisma's abweichen sollten. Neue Apparate u. s. w. 123 Die Neigung der Flachen einer keilforinigen Platte und die Lage des Keiles wird man nattirlich am Spectrometer bestimmen. Man bringt die betreffende Platte ganz wie ein Glasprisma auf den Prismentrager , stellt auf das Reflexbild der vordern Flache ein und dreht den Ring so weit. bis das daneben auftretende durch Reflexion an der hintern Flache entstandene Spaltbild (welches bei grosserem brechenden Winkel offenbar als das Spectrum erschei- nen wurde) genau in gleicher Hohe im Gesichtsfeld auftritt. Der- jenige Durchmesser der Platte, welcher jetzt der Ebene des Theil- kreises parallel steht, entspricht der Richtung des Keiles. Der Neigungswinkel aber wird auch in diesem Falle wieder am leich- testen und genauesten erhalten, indem man den Winkel zwischen den beiden nebeneiuander auftretenden Spaltbilderu mikrometrisch misst und seinen Betrag durch den Brechungsindex des Crown- glases dividirt. Die hier beschriebene Construction des Hohlprima's ist gegen- iiber den sonst gebrauchlichen Formen, was die Leichtigkeit der Herstelluug und die Bequemlichkeit der Handhabung anlangt, ent- schieden ira Vortheil, dagegen darin im Nachtheil, dass bei ihr die Temperatur der Flussigkeit nicht durch ein in das Prisma selbst eingelassenes Thermometer bestimmt werden kann. Indess ist hierbei zu bedenken, dass genaue Temperaturmessung doch nur moglich ist. wenn die Temperatur an dem betreftenden Object stationar, also auch mit derjenigen der nachsten Umgebung gleich geworden ist. Alsdann aber braucht man auch keinen merklicheu Fehler zu befurchten, wenn das Gefass des Thermometers dicht neben dem Prisma innerhalb eines den ganzen Prismentrager uberdeckenden Behalters — am besten aus Metall — angebracht wird. Beilaufig sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass fur Untersuchungen an Fliissigkeiten die hier zu Grund gelegte Beob- achtungsweise noch andere Combinationen zulasst, welche in Hin- sicht auf manche specielle Aufgaben erhebliche Vortheile darbie- ten wurden. — Wenn es sich z. B. darum handelt, die Verande- rung des Brechungsexponenten einer Flussigkeit bei wechselnder Temperatur genau zu bestimmen, so wurde es offenbar von gros- sem Nutzen sein, wenn alle zur Berechnung dieser Veranderung nothigen Data, also sowohl der brechende Winkel des Prisma's wie auch dieAblenkung derStrahlen, in ihren Differenzen von einer Beobachtung zur andern , selbstandig durch mikrometrische Messung erhalten werden konnten. In der That ist diess moglich, 124 Ernst Abbe. wenn man ein Hohlprisma mit reflectirender hinterer Flache so construirt, dass die gebrochenen und an der letzten Flache retiec- tirten Strahlen nach ihreni Austritt nahehin in der Richtung der Normalen zur vordersten Flacbe verlaufen, und wenn ausserdem eine andere spiegelnde Flache. die dem Beobachtungsrohr gleich- zeitig mit der Vorderflache zuganglich ist und deren Normale ebenlalls jene Richtung hat, in unveranderliche Verbindung mit der Hi nter flache gebracht wird. Beiden Anforderungen kann offenbar geniigt werden , wenn man die betreffende Flussigkeit zwischen einer Planplatte und ein em festen Prisma von angemes- senem Winkel einschliesst, der Art, dass letzteres dem Collimator- Fernrohr zugewandt ist, die aussere Flache der Platte dagegen die spiegelnde Ruckwand bildet. Auf dieser Platte aber miisste an der dem Fernrohr zugewandten Seite ein zweites Prisma, test aulgekittet so angebracht werden, dass seine freie Flache der Vorderflache des andern nahehin parallel steht und neben ihr von einem Theile des Fernrohrobjectivs Strahlen emptangt. Es wiir- den alsdann. nach gehoriger Justirung, in geringem Winkelab- stand von einander drei Spaltbilder, zwei durch einfache Reflexion, das dritte durch Brechung und Reflexion erzeugt. sichtbai- werden. Die mikrometrische Messung der Winkel zwischen ihnen wurde die Veranderungen sowohl des brechenden Winkels der Flussigkeit wie auch der an der Trennungsflache von Glas und Flussigkeit eintretenden Brechung ergeben, wenn durch vorausgehende Beob- achtungen der Winkel zwischen der freien T'lache des Hilfspris- ma's und der Ruckwand der Platte so wie der Winkel des wirk- samen Prisma's ein fiir alle mal bestimmt worden ist. Ein derartig zusammengesetztes Fliissigkeitsprisma - dessen Herstellung keinerlei Schwierigkeiten bieten wurde — konnte aller- dings nicht ohne Weiteres in der oben beschriebenen Weise an dem Spetrometer angebracht werden. Indess wurde auch gar kein Grund vorliegen, es mit einem Theilkreise zu ,verbinden, da die erforderlichen mikrometrischen Messungen in dieseni Falle viel zweckmassiger mit einem bewegiichen Fadenkreuz neben dem licht- gebenden Spalt im Collimator-Fernrohr auszuluhren waren. Ein nach diesem Princip zu ccmstruirendes Variations- oder Dit- ferential-Spectrometer wurde daher nur ein eintaches testes Gestell fur die Prismencombination und ein davon uuabhangig auf- zustellendes Collimator-Fernrohr mit Ocular-Schraubenmikronieter nothig machen. — Nach derselben Methode konnte ubrigens auch die Temperaturvariation im Brechungsexponenten eines Glaspris- Neue Apparate u. s. w. 12^ ma's in grosser Genauigkeit ermittelt werden, wenn man auf die dem Fernrohr zugewandte Prism enflache ein zw^eites kleineres Prisma von solchem Winkel befestigt, dass das von ihm herruh- rende Spiegelbild sich auf das gleichzeitig im Gesichtsfeld er scheinende Spectrum projicirt. 6. Die BpiechuiiHg der ittessuugsresultate. Die Ableitung des Brechungsindex irgend einer Farbe aus den an einem festen Prisma gemessenen Stiicken, den beiden Winkeln n und /?, ist nach dem Friilieren von selbst erledigt. Dagegen bedarf die Reduction der Beobachtungen an einem Hohlprisma mit keilformigen Schlussplatten noch einer naheren Erorterung. — Sei a wieder der Winkel zwischen den beiden aussern Fla- Chen des Hohlprisma's und /i/, wie friiher, der Winkel. den die Axe des Collimators bei der Einstellung auf irgend eine Stelle des Spectrums mit der Normalen der vordersten Flache bildet; ?/^ und v^ seien die kleinen Winkel, welche die Flatten im Haupt- schnitt des Prisma's ergeben , positiv gerechnet, wenn der betref- fende Keil ebenso liegt wie der Korper des Prisma's; v endlich bezeicline den bekannten Brechungsindex des angewandten Glases, n denjenigeu der Flussigkeit fur die eingestellte Farbe. ~ Die drei brechenden Flachen im Prisma seien, von der hintersten aus- gehend, durch die Zahlen 1, 2, 3 unterschieden und die Winkel, welche der Strahl mit der Normalen zu jeder von ihnen bildet seien wj, li^ — r/j, ^2 — «3, h ~ in derjenigen Reihenfolge, in welcher sie nach der Reflexion an der Riickwand auftreten. — Alsdann ergiebt sich der Verlauf eines Strahles durch folgende Rechnung. Erstens folgt aus der Bedingung, ^h- i- dass der eingestellte Strahl die Ruck- wand des Prisma's senkrecht treffen muss, 1) a,=:M,. Weiter ist V 2) sin Sy z=: sin u, : 71 und 3) a2=a~(ui-j-U2)-]-(i, 4) sin (iq sin u^. Unter der Voraussetzung, dass die bei- ,og Ernst Abbe, den Winkel u, und n., klein genug seien , urn ihre Cosinus ohne Fehler diircli die Einheit und ihre Sinus durch die Bogen ersetzen zu konnen, folgt hieraus und waiter n fi i ^' \ \ \ sin 1^2==- «"* " ""7 ^'^^^ " ■ V"^ — w^ ^^' '^^' Aus dem beobachteten Austrittswinkel (i^^z^ folgt andererseits 1 • ^ 5) ««?« «3 —-sin p und 6) §i = «3 — W2- Beides verbunden ergiebt sin i^o :=: - s/n /!/ — cos 0:3 . 7^2 rr:^^ 6m |i — l/l - ^2 ««^''^ } ' "^ Setzt man beide iul dnh erhaltenen Ausdrucke einander gleich, so folgt nach einigen leichten Umformungen n z=. .^'^ 4- (w — v) . cot a . m, + ^^-^ „ In diesemTusdrucke stellt das erste Glied offenbar denjenigen Werth ftir n dar, der sich ergeben wurde, wenn die Flatten des Prisma's genau parallelflachig waren ; die zwei andern Glieder aber bestimmen die den Winkeln u, und n, proportionalen Correc 10- nen Den zu ihrer Berechnung erforderlichen Werth des n ha man naturlich in dem Naherungswerthe, welchen das erste Glied fur sich ergiebt, , 1 t) 1 Die Berechnung der Beobachtungen hach obenstehender Kegel wird tibrigens dadurch sehr erleichert, dass bei einem gegebenen Apparat, unter Voraussetzung gleichformiger Zusammensetzung der Theile, die Grossen v. a, u, und u, stets dieselben Werthe be- halten. Man kann daher die ganze Correction ein f^r jille mal fur eine Reihe von Werthen des n - etwa fiir die Zahlen l.dO, 1 35 1 40 1 45 ... — zum Voraus ausrechnen und m Form emer kleinen Tafel zusammenstellen. Aus dieser wird sich alsdann der Betrag der Correction fiir den einzelnen Fall durch eme leichte Interpolation mit dem durch das erste Glied der Formel erhalte- nen Naherungswerth des n entnehmen lassen. In wie weit die Correction ins Gewicht fallt und unter welchen Neue Apparate u. s. w. 127 Umstanden sie iiberhaupt Beriicksichtigiing verdient, lasst sich auf Grund obiger Formel leicht beurtheilen , wenn man den Betrag fiir den imgiinstigsten Fall, der etwa vorkommen kann, ausrech- net. Setzt man z. B. am 24° und nimmt v^rzl.b, fiir w aber einen Werth, der unter den bei Fliissigkeiten moglicher Weise vorkom- menden von jenem am weitesten abliegt — etwa 1,3 oder 1.65 — , so geben beide Correctionsglieder zusammen doch bochsten 3 Ein- heiten der vierten Decimalstelle fiir je eine Bogenminute Abweiehung der Vei'sdilussplatten (?<=:: 0,00029); wobei iiberdiess angenommen ist, dass beide Keile gleiche Lage baben. Man erkennt hiernach, dass Abweicbungen, die unter einer halben Minute bleiben, zumal wenn bei der Zusammensetzung des Prisma's auf entgegengesetzte Lage der Flatten Bedacbt genommen wird, fast bei alien Unter- suchungen vollig vernachlassigt werden diirfen. Aber auch bei vie] grosseren Winkeln der Verschlussplatten wird man wenigstens von der Veranderung absehen konnen, welche die Correction fiir verschiedene Stellen des Spectrums erfahrt; und man wird dem- nach die zur Dispersionsbestimmung dienenden Unterschiede im Winkel ^ ganz so verrecbnen, wie wenn dieselben an einem ein- fachen Prisma beobachtet worden wiiren. Die Ermittelung der Dispersion wiirde nur in einer mehr- fachen Wiederholung dieser Rechnung besteben, wenn man die den verschiedenen Farbstrahlen entsprechenden Werthe des W. ^ einzeln messen, oder auch mit Hilfe der mikrometrischen Hilfs- messung aus einem Werthe des ^ ableiten wollte. Es ist aber — aus naheliegenden Griinden — zweckmiissiger, die Differenz der Werthe des n fiir verschiedene Farben mimittelbar zu berechnen aus den mikrometrisch gemessenen Winkeldifferenzen, die zwischen ihren Einstelhmgen liegen ; wozu sich folgendes Verfahren ergibt: Bezeichnen n^ und «2 dJ^ Brechungsindices zweier Farben und /?,, ^2 die ihnen correspondirenden Einstellungen , wahrend A<2 — /«i = A// und (i., — |ii — A/^ gesetzt wird, so ist Anz > ^ sin a __' •" 2 COS '^~^~ . sin h ~ ij T sin a 2 cos[^] srn(~ ji m sin a Weil die Winkeldifferenz A^ in der Praxis immer nur sehr klein ^28 Ernst Abbe, sein wircl, kann 2 sin I A/i durch sin Ati oder A(i ohne jedeu Fehler ersetzt werden. Es wird daher schliesslich Sin a wobei bezeichnet ist und offenbar den Mittelwerth beider Einstellungen Oder den Einstellungswinkel ftir die Mitte des Intervalls zwischen beiden Farben bedeutet. 7. Die Genauigkeitsgrenzeu be! der beschriebeuen Beobachtiingsmethode. Wenn es sich darum handelt, ein Urtheil zu gewinnen iiber den Grad der Sicherheit, mit welcher die dargelegte Beobachtmigsweise die gesuchten Grossen zu bestimmen erlaubt, so ist in Erwagung zu Ziehen einerseits die den einzelnen Bestimmungen gesetzte Ge- nauigkeitsgrenze, andererseits der Einfluss, welchen Fehler in den einzehien Messungsdaten auf das schliessliche Resultat tiben. Die Betrachtung muss sich also sowohl auf die aus der Construction des Apparates und aus der Art seines Gebrauchs fliessenden Feh- lerquellen richten, wie auch auf das Princip, nach welchem die Herleitung der gesuchten Werthe aus den Daten der Beobachtung erfolgt. Die hier in Rede stehende Methode unterscheidet sich, wenn man zunachst nur auf die Auffassung der optischen Phanomene im Gesichtsfeld des Beobachtungsrohrs achtet, von den sonst zu ahnlichen Zwecken iiblichen Verfahrungsweisen kaum anders als darin, dass zur Fixirung einer bestimmten Visirrichtung an Stelle des iiblichen Fadenkreuzes ein Paar kurzer Schneiden verwandt wird. Nach den Erfahrungen des Verfassers an den in der Werk- statt des Herrn C. Zeiss ausgefiihrten Instrumenten steht diese Vorrichtungj in Hinsicht auf Sicherheit und Scharfe der gewohn- lichen nicht im Geringsten nach. Bei der Beobachtung eines Spie- gelbildes oder eines discontinuirlichen Spectrums, welches sich aus einer Reihe monochromatischer Spaltbilder zusammensetzt, er- scheint, unter Voraussetzung genauer Regulirung des Auszugs und vollkommener Form der spiegelnden und brechenden Flachen, das Bild des Spaltes genau von gleicher Breite mit dem Abstand der sichtbareu Schneiden, so dass diese jenes Bild grade zwischen Neue Apparate u. s. w. 129 sich fassen ; wobei offeubar die Bediiigungeii fiir eine scharfe Ein- stellung so giinstig wie nur immer mogiich sein nmssen. Handelt es sich andererseits urn ein continuirliches Spectrum mit Fkaunho- FER'schen Linieii, so hebt sich selbst in den lichtschwachen Theilen der vollkommen dunkle Korper des Spaltes sehr deiitlich auf deni farbigen Hintergrunde ab, und es ist leicht, eine der Fraunhufek'- schen Linien genau in die Mitte zwischen die sichtbaren Schneiden zu bringen, zumai diese bei derartigen Beobachtungen immer ziem- lich eng gestellt sein werden. Die Scharfe der Einstellung wird dabei — was namentlich der mikrometrischen Messung zwischen den einzelnen Theilen des Spectrums zu Statten kommt — sehr unterstUtzt durch die Leichtigkeit , mit welcher die Stellschraube am Ocular wahrend der Beobachtung selbst die Spaltweite der Helligkeit und den sonstigen Umstanden anzupassen erlaubt. Dem entsprechend geht bei gut begrenzten Bildern, wenn das Beobach- tungsrohr etwa 8 — 12fache Vergrosserung gibt, der Einstellungs- fehler nie uber den Betrag von 2—3", wie man mittelst der Mikro- meterschraube leicht controliren kann. — Nur gegeniiber den Ur- sachen, welche die Reinheit des Spectrums beeintrachtigen konnen, ist die vorliegende Beobachtungsweise etwas empfindlicher und in sofern ungunstiger als die FuAUKHOFEK'sche Methode, weil alle Ab- weichungen sowohl in der Substanz des Prisma's, wie namentlich in der Form der Flachen hier, verglichen mit ihrem Einfluss auf ein hindurch tretendes Strahlenbiindel, verdoppelt zur Wirkung kommen. Neben der Scharfe der Einstellung ist fiir die Genauigkeit der Messungsdata noch maassgebend: erstens die correcte Wirkung der beiden goniometrischen Apparate, Theilkreis und IMikro- meter, und zweitens die Sicherheit, mit welcher die Construction des Instrumentes unregelmitssige wie constante Fehlerquellen aus- schliesst. — In Betreff des Theilkreises ist hier Nichts zu erortern, da Construction und Handhabung in keinem Punkte sich von dem Gewohnten und Bewahrten entfernen. Ueber die Mikrometervor- richtung jedoch mogen, da die hier beschriebene Einrichtuiig sich nicht in demselben Falle befindet, einige Frliiuterungen hier noch Platz finden. Den Urn fang der Messungen bei einem Mikrometer dieser Art bestimmen einerseits die technischen Hiiulernisse , welche der ge- nauen Ausfuhrung liingerer Schrauben entgegenstehen , aiulerer- seits auch die Riicksicht auf Sicherheit und Bequemlichkeit des Gebrauchs, die beide jedenfalls wesentlich beeintrachtigt wurden, Bd. Vlll, ^. F. 1, 1. g •iQQ Ernst Abbe, wenn die Messung iiber die Grenze liinaus fuhren sollte, bis zu welcher einfache Proportionalitiit zwisclien der Bewegimg der Schraube und der Grosse der bewirkten Drehimg angenommen warden kann. Beide Umstande lassen es gerathen erscheinen, den Spielraum fiir die Anwendung der Schraube auf ca. 5 Grad zu beschranken - urn so mehr, als bei dem hier beabsichtigten. Gebrauch kaum das Bediirfniss eines weiteren Umfangs eintritt. Innerhalb dieser Grenzen kann einerseits , wie die Untersuchung ausgefiihrter Instrumente dem Verfasser gezeigt hat, der Apparat einen solchen Grad technischer Vollkommenheit erhalten, dass die Fehler der Messung vollstandig duvch die unvermeidlichen Ein- stellungsfehler verdeckt bleiben, wie andererseits audi die Ab- weichung von der Proportionalitat ausser Acht gelassen werden darf. Denn bedenkt man, dass die Fortbewegung der Schraube der Tangente der Drehung proportional ist, und zwar von der- jenigen Stellung aus gerechnet, bei welcher die Axe der Schrauben- spindel zu dem Radius des Contactpunktes senkrecht steht, so wird die Differenz fiir einen Winkel von 4» ca. 6", fiir einen Winkel von 50 ca. 12" betragen, wenn die Messung so erfolgt, dass die Mitte des Intervals, wenigstens nahezu, auf die Normalstellung trifft. Das Maximum des Fehlers, der aus diesen Differenzen ent- springt, reducirt sich aber von selbst auf den vierten Theil der angegebenen Grossen, wenn man die Werthe des Schraubenumgangs, den man der Reduction zu Grunde legt, aus der Messung eines Winkels von der Grosse des ganzen Intervalls ableitet. Legt man also der Ermittelung der Reductionsconstante etwa einen Winkel von 40 zu Grunde, so werden alle Mikrometerangaben, bei welchen die Schraube nicht um mehr als 2° aus ihrer Normalstellung ent- fernt wird, also bis zum Umfang von 4«, hochstens um IV2" fehler- haft sein; und diese Fehlergrenze wird auch fiir diejenigen Mes- sungen noch nicht iiberschritten, bei welchen die Abweichung der Schraube um '/a" weiter geht. Man sieht, dass fiir einen Ge- sammtumfang der Mikrometermessungen bis etwa 50 die Reduc- tionsfehler unbedenklich ausser Acht gelassen werden durfen, wenn bei der Construction darauf Bedacht genommen ist, die Stellung der Schraubenspindel so zu reguliren, dass sie in der Mitte des Spielraums ihrer Bewegung nahehin senkrecht zum Hebelarm der Drehung steht. Dieses Verlangen stosst so wenig auf ernsthche Hindernisse, wie die anderweitigen Anspriiche, welche neben der Fordcrung gleichiormiger Ganghohe an die technische Ausfuhrung zu stellen sind. Denn die Vorrichtung verlangt zur correcten Neue Apparate u. s. w. iqi Functionirung sonst Nichts, als class die Coiitactflaclie am Ende des Arnies hinreichend giatt inul in der Richtimg nach dem Mittel- punkt des Kreises liiii gut geebnet sei , und dass die Schrauben- spindel in einer Wolbung von starker Kriiniinung endige, die wahrend der Drehung keine merkliche Seitenbewegung erfahrt: — was bei sorgfaltiger Ausfuhrung recht wohl in aller Vollkonimen- lieit zu erreichen ist. Zur Prufung des Mikrometers in Beziig auf die letzterwahnten Anspriiehe eignet sich die auf Seite 115 erwahnte Hilfsvorrichtung zur Erinittelung des Reductionsfactors. nur dass man in diesem Falle den Winkel zwischen den beiden spiegelnden Fliichen auf einen Betrag von 1— 2o vermindern muss, damit er innerhalb des Umfangs der Schraube mehrmals durclimessen werden kann. Auch das Doppelbild, welches ein schwacli keilformiges Stiick gut polir- ten Spiegelglases gewahrt, kann fiir diesen Zweck benutzt werden. Der todte Gang der Schraube wird hinreichend durch den Druck der auf den Arm wirkenden Feder anfgehoben; und wenn man — was allerdings notliig — beim Gebrauch die Vorsicht ubt, zusammengehorige Einstellungen stets mit derselben Dre- hungsrichtung auszufiihren , um dadurch den Einfluss einer wech- selnden Spannung der Theile auszuschliessen '), so gewahrt diese einfache Construction des Mikrometers die Pracision, welche nothig und ausreichend ist, um die Genauigkeit der Wahrnehmungen fur die Messung vollstandig auszunutzen. Seine Verwendung er- setzt also, wenigstens fur einen wichtigen Theil der Beobachtungen eine Vollkommenheit des Theilkreises , die bei Instrumenten von massigen Dimensionen uberhaupt nicht moglich ist, und die, soweit sie zu erreichen ware , nicht nur den Apparat sehr viel k'ostspie- iiger, sondern auch seinen Gebrauch schwieriger und umstandlicher machen mtisste. Eben so wesentlich wie die Correctheit des Messapparates ist ferner die Ausschliessung von constanten oder unregelmassigen Fehlerquellen , welche die strenge Identitiit der wirklich gemes- senen Grossen mit den nach dem Princip der Methode zu mes- senden aufheben. Die Beseitigung derartiger Abweichungen deckt sich aber offenbar rait der vollkommenen Erfullung der verschie- denen Postulate, auf welche die Theorie des Beobachtungsverfah- 1) Man win! also, falls beim Eiiistellen der richtigp Puiikt uboischritteii ist, die Schraube erst wieder um einen kleinen Wcg hinter das Ziel zuriick- dvehen, um es zum zweiten mal in der fruheren Richtung zu erreichen. 9* TQo Ernat Abbe, rens sich griindet; unci sie wild daher urn so grosserer Sicherheit tahig sein, je weniger solche Postulate vorliegeii und je besser die einzelnen ' durch die Construction des Intrunientes gewahrleistet sind. Im vorliegenden Falle kommen nun keine Voraussetzungen in Frage ausser den folgenden: 1) dass die Visirlinie des Collimatorrohrs wahrend je emer Reihe zusammengehoriger Einstellungen eine unveranderliche Lage gegen die festen Nullpunkte der Winkelmessung behalte; 2) dass sie gleichzeitig mit dem Hauptschnitt des Prisma's zur Drehungsaxe des Theilkreises senkrecht stehe; und 3) dass diejenigen Theile der Prismenflachen , welche bei den zusanimengehorigen Einstellungen abwechselnd spiegelnd und bre- chend wirken, in unveranderter Lage zum Theilkreis bleiben. Die Anforderungen unter Punkt 2) und 3j kehren ganz in derselben Weise bei alien anderen Beobachtungsmethoden wieder; und aus der oben gegebenen Beschreibung des Justirungsverfahrens ist ohne Weiteres ersichtlich, dass sie in jeder nur wiinscllens^verthen Genauigkeit und Sicherheit erfullt werden konnen. In Bezug aut Punkt 1) dagegen gibt die hier betrachtete Einrichtung selbstver- standlich gunstigere Bedingungen als die bisher in Gebrauch be- findlichen Instrumente, insofern das vollkommene Zusammentallen von Collimator und Beobachtungsrohr die Anforderungen in dieser Richtung vereinfacht und zudem ihre mechanische Erfiillung da- durch erleichtert, dass die Visirlinie unbeweglich mit dem festen Theile des Intrumentes verbunden ist. Ausserdem aber bildet einen wesentUchen Vorzug der Methode das Hinwegfallen jeder besonderen Bedingung fiir den Verlauf der Strahlen im Prisma, wie sie beim FRAUNHOFEE'schen Verfahren in der Forderung der Minimalablenkung gegeben ist, und wie solche in anderer Form bei alien Verfahrungsweisen wiederkehren muss, bei welchen Ein- tritt und Austritt der Strahlen in zwei von einander unabhiingigen Richtungen erfolgen. — Hier wo die Construction des Apparates beide Richtungen absolut identisch macht, ist mit der Einstellung des Spectrums die der Minimalablenkung durchgehender Strahlen entsprechende Bedingung, namlich die Gleichheit des Incidenzwin- kels beim Eintritt und Austritt, fiir die jeweilig eingestellte Farbe eo ipso erfullt. Neue Apparate u. s.w. IBS S, Der Eiuiluss der Beobachtuogsfeliler auf die Resiiltate der Messung. Zum Schluss bleibt noch der Einfluss zu betrcachten, welchen die Fehler der einzelnen Messungsdata vermoge ihrer mathema- tischen Verkniipfung auf das schliessliche Resultat ausiiben. Un- tersucht man darauf bin zunachst die Bestimmung des Brechimgs- exponenten, so folgt aus der Kegel fur dessen Berechnung sin 8 n=: . sin a sogleich der Ausdruck fur die Aenderung dn seines Werthes durch beliebige (kleine) Abweichungen da und d(i in den Werthen der Winkel « und li; namlich j„_cos/!; sin (i. cos a an — , -dp , , • dct sin a sin ^a =: n (cotg ^ .d^~ cotg a . da). Dieser Formel zufolge gewinnen die moglichen Fehler beider Win- kel welche durch da und d^ reprasentirt sind, ungleiches Gewicht gegeniiber deni zu bestimmenden Werthe. Denn co/gp' ist noth- wendig immer kleiner als cotg a, und nahert sich mit wachsender Schiefe der Incidenz der Grenze Null, wahrend der Verminderung von cotg a dadurch eine untere Grenze gesetzt ist, dass « jeden- falls kleiner als der Grenzwinkel der Totalretlexion fur das be- treftende Material bleiben muss. — Man sieht also auf der einen Seite, dass die Bedingungen fiir die Genauigkeit des Resultates unter sonst gleichen Umstanden immer giinstiger werden, je naher der brechende Winkel des Prismas dem moglichen Maximum ge- bracht wird; andererseits aber. dass unter alien Umstanden und namentlich mit der Annaherung an diese Grenze, die auf die Mes- sungen verwandte Sorgfallt (z. B. wiederholte Messung oder Re- petition) beim Winkel « dem Resultate mehr als beim Winkel [i zu Gute kommen wird. Was ferner die Bestimmung der Dispersion nach dem oben erorterten Verfahren betrifft, so gibt die auf Seite 128 aufgestellte Gleichung fur ihre Berechnung aus dem Werthe von A(i, fiir zwei beliebige Farben die Aenderuug des An durch kleine Abweichun- gen der Messungsdata Sin a ^ wenn man die iibrigen Glieder, die wegen der Kleinheit von A/S von zweiter Ordnung sind, vernachlassigt. Dieser Ausdruck lasst erkennen, dass ein Fehler in der Be- J 34 Ei*nst Abbe, stimraung der Winkeldifferenz A^i auf den Werth von Aw ganz in dcr niimlichen Art einwirkt, wic bei der Ermittelung des Bre- chungsexponenten ein Feliler in i'i auf dessen Werth. Zugieicli aber ist ersichtlich , dass etwaige Fehler in a und ini absoluten Werthe von (i oder [^] auf den Werth der Dispersion k ein en nierklichen Eintluss gewinnen — es sei denn, dass ihre Grosse deni Betrag von (A^) selbst nahe kommen sollte. In Anbetracht des geringen praktischen Interesses, welches eine allgemein durch- gefuhrte theoretische Discussion der fraglichen Beziehungen haben wiirde, mag die quantitative Bestimnnmg des Fehlereinflusses an specielle numerische Annahmen, wie sie den gewohnlichen Vor- kommnissen entsprechen , gekniipft werden. — Wird z. B. ein Crownglasprisma von 30 « vorausgesetzt, so ergiebt sich, den Werth von n zu 1,5 angenommen, dn— 1.^2(1^ — 2m da d(An) — l.S2d(Ali) Fiir schweres Fhntglas von 1,7 mittlerem Brechungsindex und dem namlichen Winkel wiirde dagegen werden dn— 1.06 d(i — 2.95 da d(An)^l.Ood(A^) Wiirde aber bei beiden Materiaiien der Winkel « dem Grenz- winkel der Totalrefiexion soweit nahe gebracht, dass der mittlere Einfallswiukel [(i\ etwa 75 « erreicht — was indess nur bei sehr vollkommener Form der Prismentiachen zulassig ist — so geben die Formeln fiir das Crownglas {u — 'iO^ o') dn=-O.^Od^—l.lbda d(An)^:-0.iOd(A^} und fur das Flintglas (« :=: 34 « 40' j betreffenden Strahlengruppe der Punkt Q in der Focalebene, so wird letztere von dieser Stelle an nach der einen Seite hin vollkommen verdunkelt, nach der andern hin erleuchtet sein. Beobachtet man nun unter Benutzung eines passenden Oculars die Lage der Grenz- linie zwischen Hell und Dunkel an einer in der Focalebene angebrachten mikrometrischen Scala, so giebt der gefundene Abstand von der Axe bei bekannter Brennweite des Ob- jectivs die vollstandige Bestimmung des Win- kels, den das der Grenze entsprechende pa- rallelstrahlige Buschel vor dem Objectiv mit der Axe des Fernrohrs bildet und darauf hin, wenn die constante Lage der Vorderflache des Prisma's A gegen die Axe gegeben ist, den Winkel ;', mit dessen Hilfe, der gesuchte Brechungsindex der Fliissigkeit nach der auf Seite 139 ausgefuhr- ten Rechnung erhalten wird. (Viertes Verfahren.) Wollte man die beiden zuletzt entwickelten Verfahrungsweisen ohne Weiteres mit weissem Licht in Anwendung bringen, so wurde der Umstand hindernd in den Weg treten, dass die Totalreflexion im Allgemeinen nicht fur alle Farben bei derselben Stellung der Trennungsflache oder mit demselben Neigimgswinkel der Strahlen gegen die Fernrohraxe beginnt. Nur bei ganz bestimmten Ver- haltnissen zwischen der Farbenzerstreuung des Glasprismas A und derjenigen der Fliissigkeit konnten alle Srahlen ein und desselben parallelstrahligen Buschels gleichzeitig ausgeloscht werden und ta NeiiP Apparatp u. s. w. I43 nur in diesem Falle wtirde in der Focalebene des Objectivs wieder eine scharfe Grenzlinie zwischen Hell und Dunkei sich hcrstellen. Im Allgemeinen aber wild die tliissige Schicht fiir die violetten Strahlen einer bestimmten Richtung schon undurchsichtig sein, wahrend sie fiir die rothen derselben Richtung noch durchganglich ist — Oder umgekehrt; und es wird demnach die Grenze zwischen deni hellen und dem dunklen Theile des Sehfeldes im ersten Falle als ein rother, im andern Falle als ein blauer Saum von grosserer Oder geringerer Breite erscheinen. — Wie dieser Umstand nicht nur fiir die Anwendung der beiden letzten Methoden zu genauen Beobachtungen unschiidlich gemucht sondern sogar als Hilfsraittel der Dispersionsbestimmung vortheilhaft verwerthet wei'den kann, wird im Folgenden noch erortert werden. 10. Die Bfstimmung- der Farbeiizerstreuiiiig. Urn naher festzustellen , in welcher Weise die Dispersion bei den vorher betrachteten Phanomenen zur Geltung kommt und wie sich an ihnen die Data zur quantitativen Bestimmung derselben gewinnen lassen, ist zuniichst zu untersuchen, wie der Incidenzwin- kel a der totalreflectirten Strahlen an der vordersten Flache des Doppelprisma's mit der Veranderung des Brechungsindex variirt. Seien die Brechungsexponenten des Glasprisma's und der Fllissigkeit fiir eine P'arbe v und «, fiir eine andere Farbe v-\-dv und n-\-6n, wobei dv und dn, die Maasse der Dispersion fiir das betreifende Farbenintervall , als so klein vorausgesetzt werden konnen, dass ihre hoheren Potenzen ausser Acht bleiben diirfen, — Dann folgt aus der Gleichung des Grenzwinkels n V fiir die Aenderung des Grenzwinkels y tier Totalreflexion beim Uebergang von der ersten zur zweiten Farbe: >. ()w n ., . i dn dv~\ 1) cosydvrr — ^-ov -=:sinv\ — I V v^ \.n V J Da nun der Winkel |t/, unter welchem der total reHectirte Strahl im Innern des Glases zur Flache // gelangt stets := y — w ist, so bleibt 2).,=.v=«sr(';:'-f) Endlich aber ergibt die Gleichung sin u::^ r . sin (i 144 Ernst Abbe, die Veranderung da des Incidenzwinckels desselben Strahles an der aussern Seite der Flache // 3) cos a .daiizzr . cos ^d^-\- sin (i . dr, woraus unter Berucksichtiguug der vorausgehenden Bestimmungen nach einigen nahe liegenden Abkiirzungen schliesslich folgt , . cos (i . dn — sinw . dr 4) d(x=z "^ cos (X . COS )• Diese Gleichung liefert im Hinblick auf die zwei ersten Methoden unmittelbar die in Bogenmaass ausgedriickte Drehung, welche das Prismenpaar erfahren muss, wenn die Strahlen beider Farben in ein und derselben Austrittsrichtung, namlich in der Axe des Collimators, der totalen Reliexion nach ein an der unterliegen sollen. Es ergiebt sich aus ihr im Besondern, dass gleichzeitige Totalreflexion dann eintritt, wenn 6n sin w dv cos^ in welchem Falle daher, bei den zwei ersten Methoden, das Spec- trum des Spaltes momentan verschwindet , bei den zwei andern die Grenzlinie farblos bleibt -— beides in soweit das Verhaltniss der Dispersionen fiir andere Theile des Spectrums nicht merklich abweicht von demjenigen , welches fiir das der Berechnung zu Grunde gelegte Intervall besteht, — In welchem Verhaltniss die Dispersion der Fliissigkeit zu der des Glasprisma's stehen muss, damit die Totalreflexion in solcher Weise achromatisch sei, hangt hiernach iibrigens vom absoluten Brechungsindex ab, da der Werth von cos^ ausser durch w und »', auch durch die Grosse von 71 bedingt ist. Aus der Gleichung 4) folgt .s ., Cits a .cosy , sinw .. cos^ ^ cos li wonach denn aus der beobachteten Drehung d!<, welche die Aus- loschung von einer Stelle des Spectrums zur andein ftthrt, die Dispersion der Fliissigkeit zu berechnen ist, wenn die auf das Glas- prisma beziiglichen Daten u\ r und dr bekannt sind und ausser- dem fiir die zum Ausgangspunkt gewiihlte Farbe der Winkel « (aus welchem sich (i und y dann ableitenj gemessen ist. Die hier mit da bezeichnete Grosse gibt aber zugleich die Richtungsdififerenz an, welche nach Maassgabe der Werthe von dn, di', w, r und w die Strahlen zweier bestimmten Farben aus- serhalb der Flache A besitzen miissen, wenn sie gleichzeitig, d. h. bei derselben Stellung der Prismen , der totalen Refl^exion unterliegen sollen; und diese Bemerkuug fiihrt noch auf einen Neue Apparate u. a. w. 145 zweiten Weg zur experimentellen Bestimmung der Dispersion, der namentlich der letzten beiden Methoden wegen ein Interesse ge- winnt, weil er zugleich das Mittel ergiebt, die Totalreflexion auch bei vielfarbigem Licbt achromatisch zu erhalten. Man betrachte zunachst wieder ein Biischel der Axe paral- leler Strahlen, welche von eineni ini Punkte F — Fig. 4 auf Seite 137 — befindlichen leuchtenden Spalt ausgehend, aus dem Objeetiv J austreten und nehme an, dass unter ihnen die zwei Farben, fiir welche die Dispersion in Frage ist, vertreten seien. Denkt man nun die Strahlen der einen Farbe, auf welche sich die Werthe n und V beziehen, uach wie vor in der Richtung der Axe die Flache ^ treffend, die der andern Farbe aber, fiir welche w-j-Jw und I'-fdi- gelten, auf ihrem Wege zwischen dem Objeetiv und dem Prisma auf irgend eine Weise gerade um den durch Gleichung 4) bestimmten Betrag du in der Ebene des Hauptschnittes abge- lenkt, so wird jetzt die Totalreflexion fiir beide Farben gleich- zeitig, d. h. bei der namlichen Stellung der Prismen, erfolgen; und wenn die Strahlen der tibrigen Farben, mit denen der Spalt leuchtet, ahnliche Ablenkungen erfahren, proportional den ihnen entsprechenden Werthen von dn und dv, so wird jetzt das Bild des Spaltes , von P aus angesehen . momentan verschwinden miissen. Auch diesem Verhalten gegenuber lasst sich die Umkehrbar- keit des Strahlenganges geltend machen. Wenn alle von einem Punkt der Focalebene ausgehenden Strahlen verschiedener Farbe gleichzeitige Totalreflexion erfahren, dann — und auch nur dann — geschieht das Gleiche mit alien Strahlen, welche, in der ent- gegengesetzten Richtung verlaufend, in jenem Punkte der Focal- ebene zusammentrefl'en. Die eben betrachtete Ablenkung der ein- zelnen Farbstrahlen zwischen Objeetiv und Prismen vorausgesetzt, wird demnach bei dem Versuch nach der dritten und vierten Me- thode die Ausloschungsgrenze im Ocularfeld auch mit weissem Licht achromatisch bleiben ; und umgekehrt wird der Eintritt einer farblosen Grenzlinie zwischen Hell und Dunkel das Kriterium da- fur sein, dass verschiedenfarbige Strahlen zwischen Prisma und Objeetiv solche der Gleichung 4) conforme Richtungsanderungen erlitten haben. Es hat nun keine Schwierigkeiten , das hier Vorausgesetzte experimentell in aller Vollkommenheit zu verwirklichen. Rich- tungsdifferenzen zwischen den farbigen Bestandtheilen eines paral- lelstrahligen Biischels, und zwar solche, welche den Abstufungen Bd. Vm, N. F. 1. 10 146 Ernst Abbe, des Brechungsexponenten proportional gehen, liefert die Dispersion jedes beliebigen Prisma's. Der daneben gestellten Bedingung, dass der Strahl einer bestimmten Farbe dabei ohne Ablenkung bleibe, geniigt ein zusammengesetztes geradsichtiges Prisma von der Art, wie solche fiir spectroskopische Zwecke vielfach iniGebrauch sind. Das dritte Verlangen aber, dass die Grosse der einzufiihrenden Zerstreuung willkUrlich regulirt und fiir jede Fliissigkeit den durcb Gleichung 4) bestimmten Winkeiunterschieden der total reflectir- ten Strahlen angepasst werden konne, ist leicht zu erfiillen durch eine Combination von zwei solchen geradsichtigen Prismen, die, hintereinander angebracht, um eine gemeinsame Axe nach ent- gegengesetzten Richtungen drehbar sind. Es seien — um dies weiter zu erlautern — in Fig. 7 /? und S zwei genau gleiche AMici'sche Prismen, in hintereinander liegende cylindrisdie Hiilsen eingesetzt und mit diesen um deren gemeinsame Axe drehbar, Diese Prismen seien so construirt, dass Strahlen einer bestimmten Farbe D ohne Ablen- kung durch jedes hindurchtreten, Strahlen einer andern Farbe F aber in jedem Prisma gegen erstere um einen Winkel k in der Richtung des betreifenden Hauptschnittes abgelenkt werden. Durch einen geeigneten Mecha- nismus ') sei die Drehung der Prismen so regulirt, dass von der in der Figur dargestellten Anfangslage aus — bei welcher beide Hauptschnitte parallel und die brechenden Kanten nach derselben Seite gelegen sind — stets gleiche Winkel nach entgegengesetzter Seite durchlaufen werden, so dass also die zwei Hauptschnitte stets symmetrisch zur Anfangsebene geneigt bleiben. Dann werden die Hauptschnitte wiederum zusammenfallen nach einer Drehung um je 90°, 180" U.S. f., mit dem Unterschiede jedoch, dass nach der ersteren Drehung die brechenden Kanten gegeneinander gerichtet sind, nach der zweiten Drehung aber diese brechenden Kanten, 1) Es seien z. B., wie Fig. 7 schematisch andeutet, die einander zugekehr- ten Rander p der beiden Hiilsen mit iibereinstimmender Verzahnung ausge- stattet und zwischen beide Zahnkriinze (sin Trieb t eingefugt, durch welchen die Hiilsen stets gleichzeitig und \\m je gleiche Winkel nach entgegengesetzten Seiten bcwegt werden. Neue Apparate u. s. w. 147 wieder gleich gerichtet, gerade entgegengesetzt zur Aiifangslage liegen u. s. f. Es ist durcli eine einfache Ueberlegung einzusehen, dass iinter den gemachten Voraussetzungen 1) Strahlen der Farbe D diesc Prismencombination in jeder Stellung oline Ablenkung passiren; 2) dass allc ubrigen Faiben stets nur innerhalb derjenigen Ebene Dispersion erleiden, in welcher die beiden Prismen unter sich gleichgerichtet zusamnientreffen und welche oben als Anfangs- lage angenommen wurde; 3) dass wahrend der Drehung die Grosse und der Sinn der Dispersion innerhalb jener Ebene fiir irgend zwei Farben so va- riirt wie die Diagonale eines Parallelogramms , dessen Seiten der Dispersion k der einzelnen Prismen proportional und niit der je- weiligen Richtung der Hauptsclinitte iibereinstimmend construirt werden. Deninach verhalt sich die beschriebene Prismencombination in alien Stiicken wie ein einziges, fiir die Farbe I) geradsichtiges Prisma, mit constantem Hauptschnitt aber variabeler Disper- sion innerhalb desselben ; und zwar ist fiir jede Stellung, welche durch eine beiderseits gleiche Drehung um den Winkel z herbei- gefiihrt ist, der Betrag der wirksamen Dispersion fiir das ange- nommene Farbeninterva.il (und fiir alle andern Intervalle propor- tional) X ::= 2 At . cos 2, wonach also dieser Betrag alle Werthe zwischen -2k und -\-1k annehmen kann. — Sieht man durch eine derartige Prismencom- bination nach einer zur Mittelebene der Hauptschnitte senkrecht stehenden Lichtlinie bin, so dehnt sich diese wahrend der Drehung der Prismen in ein immer langer werdendes Spectrum aus, wel- ches sich bei fortgesetzter Drehung wieder zu einem farblosen Bild zusammenzieht, um von da aus in ein wachsendes Spectrum mit entgegengesetzter Farbenfolge iiberzugehen u. s. f. Die Verwendung der eben beschriebenen Yorrichtung als Compensator der Farbenzerstreuung fiir den vorher bezeichneten Zweck bedarf keiner weiteren Erklarungen. Wird er in irgend eine der friiher betrachteten Combinationen in solcher Art zwi- schen Object! V und Doppelprisma eingeschaltet, dass die Axe der AMici'schen Prismen mit der Axe des Objectivs zusammenfallt und zugleich die constante Mittelebene der drehbaren Prismen mit dem Hauptschnitt des Prisma's A parallel liegt, so muss sich stets 10* 148 Ernst Abbe, eine Stellung des Compensators finden lassen, bei welcher die von ihm herbeigefiihrte Dispersion zwischen den zwei Farben D und F gerade der Richtungsdifferenz gleich ist, welche Gleichung 4) fiir gleichzeitige Totalrefiexion dieser beiden Farben erfordert. Soweit nun die Dispersion des Compensators auch fiir die iibrigen Farben derjenigen des Prisma's A und derjenigen der Fliissigkeit proportional geht, d. h. abgesehen von den — meist kleinen — Abweichungen, welche der ungleichformige Gang der Farbenzer- streuung in verschiedenen Substanzen herbeifuhrt, werden jetzt alle Strahlen gleichzeitiger Totalrefiexion unterliegen, welche in ein und derselben Stelle der Focalebene des Objectivs ihren Sam- melpunkt haben. Durch die so ausfuhrbare Achromatisirung der Totalrefiexion wird es einestheils moglich, die beiden letzten Methoden zur Er- mittelung des Brechungsexponenten mit weissem Licht genau in derselben Weise in Ausfiihrung zu bringen, wie vorher fiir ein- farbiges Licht beschrieben wurde — nur mit der Einschrankung, dass die Beobachtung allein diejenige Farbe betrifft, fiir deren Strahlen der Compensator genau geradsichtig ist; anderntheils aber gewahrt dieses Verfahren zugleich ein neues Hilfsmittel zur Bestimmung der Farbenzerstreuung. Denn beobachtet man die Drehung z des Compensators, durch welche die Achromatisirung der Totalrefiexion herbeigefuhrt wird, so gibt, wenn die Dispersion k der AMici'schen Prismen fiir ein bestimmtes Farbenintervall be- kannt ist, der Ausdruck X =i2.k . cos z die zur Berechnung der Gleichung 5) erforderliche Winkeldiiferenz 6a fiir dieses Intervall; und es kann daraufhin die Dispersion dn der untersuchten Fliissigkeit nach der Formel „. „ - , cos a. COSY . cos z , sinw . 6) dn = 2 . At . '- • 6v cosp ^ cosp direct berechnet werden. Sollte iibrigens die Achromatisirung mit sehr kleiner Disper- sion ausfiihrbar sein, so kann der Compensator ohue Nachtheil auch mit einem einzigen geradsichtigen Prisma hergestellt werden. Wenn dessen Hauptschnitt mit demjenigen des Prisma's A einen Winkel z bildet, so ist die im letzteren Hauptschnitt wirksame Dispersion Kzzik , cos z Hierbei tritt zwar gleichzeitig eine dem Sinus von z propor- tionale Dispersion in der Richtung der brechenden Kante von A Neue Apparate u. 9. w, 149 auf, welche die der Axe parallel verlaufenden farbigen Strahlen seitlich ablenkt; so lange aber k klein ist, diese Ablenkung also fiir die verschiedenen Farben in engen Grenzen bleibt, entspringt daraus kein merklicherFehler in denjenigen Bestimmungen. welche zur Ableitung der Werthe von n und dn dienen. H. Die Geuaaigkeit der Methode und dei' iiiafluss der Beobachtuugsfehier auf die Resuitate. Ehe dazu ubergegaugen wird, die experimentelle Ausfuhrung der oben schematisch entwickelten Beobachtungsmethoden und die Einrichtung der dazu dienenden Apparate zu beschreiben, sollen zunachst die Chancen , welche diese Methoden fiir die Erlangung exacter Maassbestimmungeu bieten, einer Discussion unterzogen werden, well deren Ergebnisse, abgesehen von ihrem unmittelbaren luteresse, zugleich die Richtschnur fiir die zweckmassige Wahl der instrumentellen Hilfsmittei enthalten. Hierbei bleibt in Betracht zu Ziehen, einestheils, welche Gren- zen fiir die Genauigkeit der unmittelbaren Beobachtung durch die Natur der zu beobachtenden Erscheinungen gesetzt sind; an- derutheils, welchen Einfluss die unvermeidlichen Beobachtungs- fehler vermoge des theoretischen Zusanimenhangs unter den sammt- lichen Bestimmungsstiicken auf die Resuitate gewinnen. Was zunachst die Bestimmung des absoluten Brechungsexpo- nenten anlangt, so koniuit bei alien Verfahrungsweisen der Einfluss derjenigen Grossen, welche das angewandte Glasprisnia A charac- terisiren , in ganz gleicher Weise zur Geltung. — Wie etwaige Fehler bei der Bestimmung dieser Constanten w und v wirken, ergiebt die folgende Entwickelung . bei welcher die auf Seite 139 eingefiihrten Zeichen wieder benutzt und ausserdem di<, dv und dn zur Bezeichnung der angenommenen Fehler verwandt sind. Aus den Gleichungen 3) und 2) auf Seite 139 folgt zuerst dn = sin y -dv-^-v cos y . (dw -\- d(i) Gleichung 1) aber ergiebt cos (t.d8=- ^8ina.dv=:z — sin 8. Demnach wird der Ausdruck fiir den Fehler im Werthe des ge- suchten Brechungsindex dn=:y — tg^ . cos y ) . dv-\- i' . cos y . dw ji Kraft des Prmcips der Methode ist stets ein achter Bruch; V 160 Ernst Abbe, und da, wie das Folgende zeigen wird, bei ihrer Anwendung der Winkel (i niemals den Betrag vou 12 — 15" ilberschreitet , so ist der Coefficient des dv aiich im ungiinstigsten Fall nur wenig gros- ser als die Einheit. Ein Fehler im Brechungsexponenten des Glasprismas .1 zieht also niemals einen andern als einen beilau- fig gleich grossen Fehler in dem Brechungsindex der Fliissigkeit nach sich. — Der Werth von y ferner geht bei Ausfiihrung der in Rede stehenden Beobachtungen niemals unter 45 <> herab, daher denn selbst bei hohem Werthe des v der Coefficient von dw in obigem Ausdruck gleichfalls die Einheit nicht merklich iiberschrei- ten kann. Ein P'ehler im Winkel w tritt also ebenfalls nur mit einem seiner Grosse (im Bogenmaass) nahehin gleichem Betrag in das schliessliche Resiiltat ein — was fiir einen Fehler von einer ganzen Minute nur ca. 3 Einheiten der vierten Decimalstelle austragen wurde. In Anbetracht der grossen Sicherheit, mit welcher an einem Glasprisma die Werthe von w und v bestimmt werden konnen, diirfen demzufolge die Fehler dieser Constanten fiir den vorlie- genden Zweck als vollig unschadlich angesehen werden. — Aus- serdem ist aber noch ausdriicklich hervorzuheben, dass die Be- schaffenheit des zweiten Prisma's, welches die titissige Schicht nach der andern Seite hin begrenzt, fiir die Messung durchaus ohne Einfluss bleibt. Denn die Ableitung des gesuchten Brechungsindex griindet sich ausschliesslich auf das Verbalten der Strahlen an der dem Objectiv zugewandten TrennungsHiiche zwischen Glas und Fliissigkeit ; wie das Licht jenseits dieser Flache verlaufen moge, tangirt weder die Beobachtung der Totalretlexion noch die zu be- stimmende Stellung jener Grenzflache gegen die Fernrohraxe — wofern nur keine Abblendung der nicht reflectirten Strahlen ein- tritt. Dass beide Prismen zusammen eine planparallele Platte ohne Ablenkung bilden, ist ausschliesslich im Interesse bequemerer Be- obachtung, weil andernfalls bei jeder andern Stellung des Prismen- paares entweder die eintretenden oder die austretenden Strahlen eine andere Richtung verfolgen wiirden. Diesem Zweck ist aber vollstandig geniigt, wenn der Brechungsindex und der brechende Winkel des zweiten Prisma's den entsprechenden Grossen beim ersten auch nur annahernd gleich sind ')• 1) Bei denyeuigcn Verfalireii, bei wclcheni ein Spalt im Brcuupiuikt des Objectivs durch das Prismeupaar biudurch zu beobachteu ist, muss natiirlicb vorausgesetzt werden, dass das zweite Prisma die Scbarfe des Bildes nicht be- Neue Apparate u. s. w. 151 Zweitens steht in Frage, wenn es sich uii\e,die Feststellung der Genauigkeitsbedingungen handelt, welchen Einfluss ein Fehler in der Bestimniimg des Incidenzwinkels «, d. h. der Stellung des Prisma's A zur Fernrohraxe, gewinnt. Urn diesen Einliuss zu beurtheilen, ist der Zusammenhang zwischen dn imd d«, unter Voraussetzung unverauderlieher Wertlie ftir alle librigen Bestim- mungsstiicke, aufzustellen. — Nun ergeben die auf Seite 139 aufge- stellten Gleichungen dn=:zv . cos y . dy, dr=zd^, cos S d8:=:z cos a . da, V woraus folgt , cos a . cos y , dn =: -,— * • da cosp Da der aussere Incidenzwinkel a nothwendig imnier grosser sein muss als derjenige im Innern des Glases, so ist stets cos « ^ , cos^^ und nur im Falle senkrechter Incidenz gleich der Einheit. Setzt man nun , da in der That bei den spater zu beschreibenden Ap- paraten die Incidenz an der ersten Prismentiache stets mit kleinen Winkeln erfolgt, diesen ersten Theil des oben auftretenden Coeffi- cienten schlechthin gleich Eins, so bleibt das Verhaltniss zwischen dn und da nur noch von cosy abhaugig. Es ist aber cosy- l/l-0^ wonach man dieses Verhaltniss ftir die vorkomnienden Falle leicht berechnen kann. — Gabe man z. B. dem Glasprisma den sehr hohen Brechungsindex j^ = l,70, so wurde fur den niedrigsten bei Flussigkeiten vorkommenden Werth von n, 1,33, obiger Ausdruck 0,6 ergeben; unter der Voraussetzung eines Crownglasprisnia's {v=: 1,51) wurde aber bei n=:l,'6'6 nur 0,47 folgen. Der niedrigste Werth von n entspricht aber dem ungunstigsten Fall; liegt die Fliis- sigkeit dem angewandten Glase naher, so ergeben sich merklich kleinere Zahlen. Hiernach lasst sich die Empfindlichkeit der Methode ermes- sen. Sehr kleinen Unterschieden im Brechungsindex entsprechen relativ grosse Unterschiede in der Stellung der Prismen oder im oiiitraclitige. Bei den anderu Metliodeu, wo in der Focalebeno des Objectivs beobachtet wird, fallt sogar dieser Anspruch hinweg. 152 Ernst Abbe, ausseren Incider^^"'inkel der Strahlen. In den beiden ungiinstigsten Fallen wiirde, wenn da=:l Bogenminute, d. h. —0,0003 ca. ge- setzt wird, die zugehorige Differenz dn in dem einen 18, im andern nur 14 Einheiten der f tin ft en Decimale ausmachen, dem- nach unigekehit ein Unterschied gleich der Einheit der dritten Decimale beilaufig S'/j, bezuglich 7 Bogenminuten Unterschied in dem zu messenden Winkel herbeifuhren. Die hinreichend genaue Beobachtung der Einstellungswinkel, sei es an einer Kreistheilung, sei es — wie das vierte Verfahren voraussetzt — an einer mikro- metrischen Scala im Sehfeld des Fernrohrs, kann also niemals die geringsten Schwierigkeiten finden. Im Gegentheil werden fur die Ausubung der in Rede stehenden Methode sehr viel grobere Theilungen und viel rohere Einstellungs- und Ablesungsvorrichtun- gen wie bei der Untersuchung von Prismen, ausreichend sein; was der Herstellung einfacher und handlicher Apparate fiir jenen Zweck besonders zu Statten kommt. Das Vorstehende giebt zugleich Gewahr dafur, dass sowohl diejenigen kleinen Richtungsdifferenzen, welche bei den zwei ersten Beobachtungsweisen durch die Breite des erforderlichen Spaltes ein- gefuhrt werden, wie auch kleine unregelmassige Ablenkungen, welche die Strahlen erleiden mochten, die Genauigkeit der Messungen nicht beeintrachtigen werden. Solche unregelmassige Ablenkungen treten ein. wenn z. B. das Objectiv nicht vollkommen frei von spharischer und chromatischer Aberration ist und namentlich, wenn die Beobachtung — sei es mit Spalt oder mit freiem Sehfeld — nicht genau in der Focalebene des Objectivs erfolgt. Beide Fehler bewirken, dass diejenigen Strahlen, die ein und demselben Punkt der Einstellungsebene entsprechen, vor dem Objectiv nicht vollkommen parallel verlaufen und daher kleine Unterschiede im Incidenzwinkel haben. Bei nur einigermaassen richtiger Construction und Orientirung durfen solche Fehler als vollkommen unschadlich angesehen werden. — Gleiches gilt von denjenigen Abweichungen, zu welchen bei den zwei letztbeschriebenen Verfahrungsweisen die Compensator-Prismen Anlass geben, wenn dieselben nicht beide fur die bestimmte Farbe, fur welche der absolute Brechungsindex der Flussigkeiten bestimmt werden soil, ganz genau geradsichtig sind. Selbstverstandlich ist diese Anforderung nicht in aller Strenge zu erfulUen. Bei kunstgerechter Anfertigung solcher Auici'scher Pris- men lasst sich indess die Ablenkung einer vorgeschriebenen Farbe z. B. des Natronlichtes , in der Richtung des Hauptschnittes mit Sicherheit unter einer Bogenminute halten ; und da der Verfertiger Neue Apparate u. s. w. I53 leicht darauf Bedacht nehmen kann, nicht Prismen mit Fehlern gleichen Sinnes zu verbinden, so braucht die ini Hauptschnitt wirk- same Ablenkung auch fur die ganze Combination niemals den Be- trag von einer Minute, der hieraus zu befiirchtende Fehler im Brechungsindex also auch im ungiinstigsten Falle niemals zwei Ein- heiten der vierten Stelle zu erreichen. — Wichtig ist abei- fiir die Verwendung dieser Vorrichtung, dass der bei der Construction zu- sammengesetzter Prismen viel schwieriger zu vermeidende Pyrami- dalfehler, durch welclien Ablenkung in der Richtung der brechenden Kanten entsteht, bei den Beobachtungen vollstandig eliminirt werden kann. Denn jede Grosse der Dispersion, die zur Achromatisirung der Totalreflexion erfordert wird, kann mit dem auf Seite 146 be- schriebenen Compensator bei zwei Stellungen, denen entgegenge- setztes Vorzeichen der Drehung 2 entspricht, herbeigefiihrt werden. Man iiberzeugt sich leicht, dass die in die Richtung der resultiren- den Dispersion fallenden Componenten der etwaigen Seiten-Ablen- kung bei diesen zwei Stellungen in entgegengesetztem Sinne wirken, daher denn bei der einen Einstellung der Incidenzwinkel der Strahlen an der Flache J um ebenso viel vergrossert wie er bei der anderu verkleinert wird. Beobachtet man also in beiden Stellungen, so ist das Mittel aus den erhaltenen Ablesungen vom Einfluss des Pyramidalfehlers frei. Drittens endlich ist bei Beurtheilung der in Rede stehenden Methoden maassgebend, welcher Scharte die Beobachtung der be- ginnenden Totalreflexion fahig ist. Hierbei kommt einestheils die Moglichkeit constanter Fehler, andenitheis die grossere oder ge- ringere Sicherheit in der Aufiassung der zu beobachtenden Er- scheinung in Betracht. Constante Fehler anlangend, so ist bei der Einfachheit und Unanfechtbarkeit der theoretischen Grundlage, auf welcher die Ableitung des Brechungsexponenten aus der Totalreflexion beruht, kaum eine andere Gefahr vorhanden als die, dass bei Ausfiihrung des Experiments gewisse Bedingungen nicht gehorig erfiillt sein konnten, welche das Princip der Methode fordert. Solcher sind aber nur zwei ; eine geometrische : dass solche Strahlen, die iiber- haupt bei der Beobachtung in Betracht kommen, durch kein an- deres Hinderniss ausser der totalen Reflexion der Flussigkeit am freien Durchtritt durch das Doppelprisraa verhindert seien; und eine physikalische : dass die optischen Eigenschaften der unter- suchten Substanz durch das Einbringen derselben zwischen die Glasprismen keine Veranderung erleiden. 154 Ernst Abbe, Es ist nicht iiberfliissig, die in Rede stehenden Combinationen auf beide Punkte bin genauer an zu sehen, weil beide in der That zu Bedenken Anlass geben konnten. Da die fliissige Schicht zwischen den Prismen doch jedenfalls eine gewisse, wenn auch sehr geringe Dicke haben muss und in ihrer Flachenausdehnung nicht nnbegrenzt gross sein kann, die der totalen Rellexion nahen Strahlen in diese Schicht aber mit sehr grossem Incidenzwinkel — beinahe streifend — eintreten, so ist in der That eine Abblendung vor der wirklichen Totah-etiexiou, durch die Begrenzung der lliissigen Schicht, unvermeidlich ; und es bedarf einer besonderen Untersuchung, um den Einlluss dieser Nebenwir- kung festzustellen. ~ Zu diesem Zwecke werde angenommen, dass, wahrend der wirklichen Totalreflexion ein Incidenzwinkel =90'' innerhalb der Fliissigkeit entspricht, ein Incidenzwinkel von 90 " — ^ den Durchtritt eines Strahles durch die Schicht schon unmoglich mache, indem dabei der betreffende Strahl deren iiussere Begren- zung friiher als die gegeniiberliegende Prismenfiache erreiche. Als- dann ist — unter Beibehaltung der friiher gebrauchten Zeichen — der zugehorige Incidenzwinkel desselben Strahls im Glase, dem Brechungsgesetz nach, durch die Gleichung gegeben: sin Y =::: - • sin (90 - §) =:= • cos $ Wird nun dieser Strahl fiir total reliectirt genomnicn und deni- nach der Winkel y' statt des wahren Grenzwinkels y der Bercch- nung des Brechungsindex der Fliissigkeit zu Grunde gelegt, so erhiilt man, wie leicht zu sehen, an Stelle des wahren Werthes n den Werth n = n cos ^ Oder annahernd wonach also der einem Abblen dungs winkel ^ entsprechende Fehler im Brechungsindex betragt. Wiirde nun fiir § z. B. P angenommen, also vorausgesetzt, dass die fliissige Schicht undurchgangig sei fur alle Strahlen, die starker als um 89 " gegen die Normale geneigt in ihr verlaufen, so ergiibe sich eine scheinbare Verminderung des Brechungsexponenten um 0,00015. w, was auch bei den grossten fur n vorkommenden Wer- Neue Apparate u. s. w. 155 then nur wenig iiber zwei Einheiten dcr vierten Stelle austragen wiirde. — Sollte aber audi die Dicke der Scliicht auf 0,1 Mm. steigen, so wiiide der Abblendungswinkel die angenommene Giosse doch erst dann erreichen konnen, wenn der von der Einfallsstelle des Strahles bis zimi Rand der Schicht frei bleibende Wcg weni- ger als 6 Mm, betriige. Es ist aiis diesem Beispiel zu entneh- men , wie leicht die Gefalir einer scliadlichen Abblendung der Strahlen innerhalb des Doppelprisma's beseitigt werden kann. Audi der zweite Punkt, die Moglichkeit einer Veranderung des Brechungsvermogens einer Substanz durch das Einbringen derselben zwisclien Glasprismen, erledigt sich leicbt. Denu obwohl es kaum zweifelhaft sein kann, dass die Flussigkeit in unmittel- barer Nahe an den Glastiachen in ihrer molecularen Beschaffen- heit mehr oder . minder verandert sein wird, so ist doch a priori weder wahrsdieinlich, dass die verandernde Einwirkung der Glas- masse bis zu einem merklichen Abstand von der Beriihrungsflache reichen, nodi viel weniger aber, dass sie in einer Erniedrigung des Brediungsvermogens der Flussigkeit sich aussern werde. Der Grenzwinkel der totalen Retiexion bestimmt sich aber offenbar stets nach dem niedrigsten Brechungsexportenten , der innerhalb der fiiissigen Schicht vorkommt, und kann daher einen andern Werth als der normalen Beschaffenheit der Fliissigkeit entspricht, nur dann gewinnen , wenn entweder die inoleculare Veranderung die tiiissige Schicht durch ihre ganze Tiefe trifft, oder wenn unmittel- bar an der Glasflache eine Verminderung des Brechungsexponenten eintritt. Demnach ist zu erwarten, dass die in Rede stehende Ein- wirkung unschiidlich bleiben wird, so bald die Schicht dick genug ist, um in der Mitte derselben die moleculare Veranderung als unmerklich annehmen zu diirfen. Welche Dicke dieser Bedingung geniigen wird, ist allerdings nicht theoretisch zu bestimmen. Die Versuche aber, die ich mit den verschiedenartigsten Fliissigkeiten angestellt habe, lehren, dass der Grenzwinkel der totalen Refle- xion stets dem im Hohlprisma bestimmten Brechungsindex genau entspricht, sobald uberhaupt eine genaue Beobachtung der totalen Reflexion nach der liier betrachteten Methode moglich ist; was — spater zu erwahnender Hindernisse wegen — erst bei einer Dicke von 0,03 — 0,05 Mm. eintritt. Was ferner die Sicherheit anlangt, mit welcher der Eintritt der Totalreflexion zu beobachten ist — woriiber natiirlich nur die Erfahrung Auskunft geben kann — so lehren Experimente mit den noch naher zu beschreibenden Apparaten, dass bei Be- 156 Ernst Abbe, riicksichtigung einiger im Folgenden noch zur Sprache komraeTiden Vorsichtsmaassregeln die Auliai-suug der Erscheinung jeder nur irgend wunschenswerthen Schaife fahig ist. Bei den zwei ersten Beobachtungsweisen erscheint die Ausloschungsgrenze in dem be- obachteten Spectrum bei Anwendung eines ganz correcten Prisma's Lind eines hinreichend engen Spaltes als eine vollkommen scharfe Linie, welche den noch sichtbaren Theil des Spectrums gegen den verdunkelten deutlich abgrenzt, deren Fortschreiten bei allmah- liger Drehung des Doppelprisma's in den feinsten Abstufungen verfolgt werden kann. Verwachsen und undeutlich wird dieTren- uungslinie nur in dem Falle, in welchem auch die Genauigkeit der Messung von der Scharfe der Einstellung auf eine bestimmte Farbe unabhangig ist , wenn namlich die Dispersion der Flussigkeit niit derjenigen des Doppelprisma's fast iibereinstimmt und das ganze Spectrum beinahe gleichzeitiger Ausloschung unterliegt. — Er- scheint nun das Spectrum des Spaltes in hinreichender Ausdeh- nung und mit gut sichtbaren FRAUNHOFER'schen Linien, so kann wenigstens in den helieren Theilen die Ausloschungsgrenze fast mit derselben Sicherheit wie bei den Messungen am Spectrometer der Spalt oder das Fadenkreuz, auf eine bestimmte Farbe einge- stellt werden. Diese Beschaffenheit des Spectrums lasst sich allerdings nur bei Anwendung directen Sonnenlichtes erreichen, weil andernfalls die Lichtstarke weder geniigende Verengerung des Spaltes noch geniigende Vergrosserung erlauben wiirde. Wo indess die Genauig- keit der Messungen nicht erheblich tiber die Einheit der dritten Decimale hinauszugehen braucht, reicht ein ganz kurzes Spectrum ohne FKAUNHOFER'sche Linien, sowie es mit dili'usem Tageslicht oder mit einer Lichtflamme unter Anwendung eines breiteren Spaltes leicht erzielt wird, vollkommen aus, wenn man die Einstellung stets fur den Uebergang zwischen Orange und Griin ausfuhrt. Bei der raschen Veranderung des Farbentones in dieser Gegend des Spectrums ist es nach einiger Uebung sehr leicht, auf die blosse Farbenwahrnehmung bin immer dieselbe Stelle zu treften; und zwar gerade die FRAUNHOPER'sche Linie D , deren Licht , weil es nahezu das Maximum der Helligkeit im Spectrum bezeichnet und ausserdem experimentell so leicht darstellbar ist, unter alien Far- ben am meisten sich eignet, der Bestimmung der absoluten Bre- chungsexponenten zu Grunde gelegt zu werden. Wird ferner nach den zwei andern Methoden unter Benutzung des Compensators in freiem Sehfeld beobachtet, so hangt die Scharfe Neue Apparate u. s. w. 157 der Einstellung bei Anwendung weissen Lichtes wesentlich von deni Gange der Dispersion in der zu nntersuchenden riiissigkeit ab. 1st dieser nahehin iibereinstimniend mit deiujenigen im Doppelprisnia und in den Compeusator-Prismen, so erhalt man eine vollkomraen farblose und scharfe Grenzlinie zwischen dem hellen und dem dun- keln Theile des Sehfeldes, welche sowohl an einem Fadenkreuz wie auch an einer Scala sehr genau eingestellt werden kann. Bei dei' grossen Mehrzahl der vorkommenden Flussigkeiten von normaler Dispersion ist obige Bedingung in genugendem Maasse erfullt, selbst wenn zur Construction der Apparate zienilich schweres Flintgias verwandt wird. Nur bei einigen sehr stark brechenden Substan- zen, wie bei Schwefelkoblenstoflf und einigen atherischen Oelen, raacht sich die in den hoheren Farben stark wachsende Dispersion durch eine weniger scharfe, violett umsaumte Grenzlinie beraerk- lich. Indess ist auch hier (da sich in diesen Fallen die Anwen- dung eines anderen als eines sehr stark brechenden Glases von selbst ausschliesst), die Unsicherheit der Einstellung uicht so gross, als dass der absolute Brechungsindex nicht auch ohne monochro- matisches Licht noch auf 4 — 5 Einheiten der vierten Decimal- stelle genau erhalten werden konnte. Substanzen mit anomaler Dispersion hingegen konnen nach dieser letzteren Methode nur untersucht werden, wenn die Beob- achtung ohne Compensator mit monochromatischen Lichtquellen von verschiedener Farbe ausgefiihrt wird. Was schliesslich die Genauigkeitsbedingungen fur die Messung der Farbenzerstreuung anbetrifft, so ist, so weit es sich dabei um diejenigen Combinationen handelt, bei welchen ein Spectrum be- obachtet wird, dem Vorstehenden wenig mehr hinzuzufugen. Vor- ausgesetzt, dass die Differenzen des Brechungsindex fiir den maass- gebeuden Theil des Doppelprisma's genau bekannt sind, fordert die Bestimmung der entsprechenden Dilferenzen fiir die zu unter- suchende Substanz nach der auf Seite 1 44 aufgestellten Gleichung 5) nichts weiter als die Kenntniss der Drehung da, welche die Grenz- linie der Totalreflexion von einer Farbe auf die andere fuhrt. Nachdem Dasjenige , was auf die Genauigkeit der Einstellung auf bestimmte Farben Bezug hat, schon zur Sprache gekommen ist> bleiben nur noch die Anspriiche zu erwagen, welche an die Aus- messung der betreffenden Winkeldifferenzen zu stellen sind. Was hierzu gehort, ist aber bei Gelegenheit einer andern Erorterung auf Seite 151 schon dargelegt. Dort ist gezeigt, dass der Factor, mit welchem in der Gleichung fiir dn der Werth von Sa multipli- 158 Ernst Abbe, cirt ist, den Betrag von 0,6 in keinem Falle erreichen kann ; wo- raus denn folgt, dass eine Unsicherheit von V4 Bogenminute bei der Messung der Winkeldiffereuzen den Werth von dn erst in der fiinften Decinialstelle um hochstens 4 — 5 Einheiten beeinflusst. — Diese Messung stellt also in keinem Falle hohere Anforde- rungen , als mit den gewohnlichen Winkelmessinstrumenten audi ohne die Hilfe mikrometrischer Vorrichtungen leieht befriedigt werden konnen. Die Bestimmung der Farbenzerstreuung mittelst des Compen- sators bleibt, wenn die Disj^ersionsgrosse k der Compensatorpris- men ein fiir alle inal ermittelt ist, — was natiirlich mit grosser Genauigkeit geschehen kann, — kaum andern Fehlern unterworfen als denen, die aus ungenauer Einstellung entspringen. Denn die- jenigen Mangel der AMici'schen Prismen, welche die Messung des absoluten Brechungsindex mogiicher Weise beeintrachtigen konnten, bleiben fiir die Differenzen ohne nierklichen Einfluss; eine Ab- weichung der Mittelebene beider Prismen (d. h. derjenigen Ebene, in welcher die Hauptschnitte beider znsammenfallen) vom Haupt- schnitt des Doppelprisma's andert die wirksame Dispersion nur im Verhaltniss des Cosinus dieser Abweicliung zur Einlieit, ist also erst bei ganz grobem Oonstruetionsfehler schadlich; und eine falsche Bestimmung des Nullpunktes fiir die Messung derDrehungs- winkel z eliminirt sich voUstandig in dem Mittel aus zwei ent- gegengesetzten Drehungen. Es bleibt also nur noch in Frage, welcher Sicherheit die Einstellung selbst fiihig ist. — In dieser Hinsicht wiirden die Bedingungen jedenfalls die moglichst giinsti- gen werden, wenn man successive Einstellungen bei monochroma- tischer Beleuchtung in verschiedenen Farben ausfiihren und dabei jedesmal diejenige Stellung des Compensators aufsuchen wollte, welche die Grenzlinie auf das Fadenkreuz fiihrt, wenn vorher das Doppelprisma fiir die Normalfarbe des Compensators eingestellt ist. In diesem Falle wie auch wenn mit einer doppelfarbigen Lichtquelle beobachtet und die Ausloschungsgrenzen beider Far- ben durch den Compensator zur Coincidenz gebracht wiirden, bliebe die Schiirfe der Einstellung und auch die Maassbestimmung der Dispersion von der Gleichformigkeit oder Ungieichformigkeit der letzteren vollig unabhangig; und wenn man hinreichend inten- sive Lichtquellen verwenden wollte, wiirde — wie das Verhalten einer gut leuchtenden Natrontlamme beurtheilen lasst — eine sehr grosse Genauigkeit erreicht werden konnen. Handelt es sich da- gegen um die bequemere und einfachere Anwendung des Ver- Neue Apparate u. s. w. 159 fahrens mit weissem Licht, so kaiiii in den meisten Fallen weder die Bestimmung der Compensatordrehung noch die Auswerthung derselben die nilniliche Sicherheit wie bei Messungen mit isolirten Fai'ben gewinnen ; die erstere nicht, weil die grossere oder gerin- gere Verschiedenheit im Gange der Dispersionen von Compensa- tor, Doppelprisma iind Fliissigkeit immer sogen. secundiire Far- bensaume an der Ausloschungsgrenze iibrig lasst, die das Auge niclit immer in gleicher Weise auffasst; das andere, die Maassbe- stimmung, nicht, weil es iingewiss bleibt, welche Farben bei irgend einer bestimmten Einstellung wirklich zur Deckung gebracht wor- den sind. Das Resultat kann also die Dispersion der Flussigkeit nur in einem Mittelwertlie angeben, der sich thatsachlich auf diejenigen Farben beziehen wird, deren Zusammenfallen den Ein- druck der Achromasie am meisten begiinstigt. Welche Farben im einzelnen Falle diese Rolle spielen, wird nicht nur von der sub- jectiven Auffassung der Farbeneindriicke, sondern auch vom Gange der Dispersion in der beobachteten Substanz abhangen. Wie aber a priori anzunehmen ist, dass in dieser Beziehung immer der hel- lere Theil des Spectrums dominirend sein wird, so zeigt die Er- fahrung, dass man den anderweitig gemessenen wahren Werthen der Farbenzerstreuung bei diesen Beobachtungen durchschnittlich am nachsten kommt, wenn man die Einstellung des Compensators auf moglichst farblose Grenzen als eine Vereinigung der Strahlen der FKAUNHOFER'schen Linien C und F interpretirt und demgemass bei der Berechnung der Ablesungen die Dispersion des Compen- sators fiir dasselbe Intervall zu Grunde legt. — Nach meinen Be- obachtungen wird auf solche Art der wirkliche Unterschied des Brechungsexponenten zwischen den genannten Strahlen immer bis auf 1,5, hochstens 2 Procent des ganzen Betrages getrofifen — was fiir die meisten Bediirfnisse eine vollig ausreichende Genauig- keit sein mochte. 12. Die Ainveiidung der DIethode beini (iehi'auch des Spectrometers. Nachdem im Voranstehenden die Methoden in ihren wesent- lichen Stiicken entwickelt nnd zugleich alle die Umstiinde in Be- tracht gezogen worden sind, von welchen bei der Anwendung die Genauigkeit der Resultate abhangt, bleibt nur noch die Einrich- tung der ilussern Hilfsmittel und das Detail des Beobachtungsver- fahrens anzugeben. 160 Erost Abbe, Den njichstliegenden und fur genaue Messungen vortheilhaf- testen Weg zur Ausiibung der fraglichen Methoden bietet die An- wendung eines Spectrometers von der friiher bescLriebenen Construc- tion dar, indeni dieses alle Hilfsmittel zur Ausfiihrung der einzel- nen Operationen in der vollkommensten Form zur Disposition stellt. Es wird dabei nichts weiter erfordert als ein Doppelprisma mit solcher Fassung, dass es leicht und sicher auf den Prismentrager des Spectrometers aufgebracht werden kann. Ich benutze fiir diesen Zweck eine eben solche runde Scheibe mit centralem Aus- schnitt wie zur Application gewohnlicher Prismen; nur ist an ihr der Ausscbnitt grosser und ist in demselben eine kleinere ebene Platte rechtwinklig zur Flache der grossen Scheibe befestigt, so dass, wenn das Ganze an den Ring des Spectrometers angeklemmt wird, ein ebenes Tischchen entsteht, welches durch die Regulirvor- richtung des Prismentragers parallel zum Theilkreis gerichtet wer- den kann (Fig. 5 auf der Tafel IV). Die Prismen sind einzeln in geschwarzte Messingfassungen eingekittet, so dass von jedem nur die wirksamen beiden Flachen freiliegen. Dabei steht, wie Fig. 6 auf der Tafel erkennen lasst, die Hypotenusenflache des einen (J) um ca. 1 Mm. iiber den Rand der Fassung vor, wahrend die des andern B um nicht ganz denselben Betrag zuriickliegt. Beim Zu- sammenlegen beider Prismen haben daher die vorstehenden Messing- rander der Fassung von B am Prisma A selbst Fuhrung, so dass eine an der Ruckwand von B befestigte Feder, die in einen kleinen Ausschnitt der Fassung von A eingreift, genugt, um beide Prismen in richtiger Lage zusammenzuhalten. — Die Fassung von A (welche stets dem Fernrohr zugekehrt wird) tragt an ihrer unteren gut geebneten Aussenflache ein kurzes Zapfchen, welches in ein Loch der Tischplatte einpasst, wahrend die eine Kante der Fassung an eine Leiste sich anlegt und die Kathetenflache des Prisma's der Ringebene parallel stellt. Die Vorbereitung der Messung besteht, wenn man von der Bestimmung der Constanten absieht, bios darin, dass zuerst das Prisma A allein auf das Tischchen gesetzt und in seinen beiden Flachen auf die im ersten Theile beschriebene Weise mit Hilfe der Spiegelbilder des Spaltes justirt wird. Hierauf wird es wie- der abgenommen, ein Tropfen der zu untersuchenden Flussigkeit auf die gereinigte Hypotenusenflache gebracht, das zweite Prisma dariiber geschoben, so dass die Schlussfeder einspringt, und nun das Ganze wiederum aufgesetzt, wobei allein darauf Bedacht zu nehmen bleibt, dass die vorher bewirkte Justirung nicht durch eine Neue Apparate u. s. w. 161 Drehung des Ringes beim Wiederaufsetzen gestort werde. Hier- mit ist Alles zur Ausfuhrung der Beobachtung bereit. Beim Einbringen der Flussigkeit bleibt indess eine Vorsichts- maassregel zu beachten, welche hier wie auch bei alien anderen im Folgenden noch zu beschreibenden Formen der Beobachtung fiir die Sicherheit der Messung von entscheidendem Belang ist. Wenn namlich die Glasflachen unmittelbar auf einander gelegt werden, so wird auch bei noch so vollkommener Ausfuhrung der Prismen an einigen Stellen wirkliche Beriihrung eintreten und die Tren- nungsschicht an diesen Stellen fiir alle Richtungen durchsichtig sein. Aber auch hiervon abgesehen fordert die Beseitigung der auf Seite 155 erwahnten principiellen Bedenken , dass die Dicke der Schicht nicht auf mOleculare Dimensionen herabgehe; und endlich ist auch eine genaue Beobachtung der beginnenden Total- reflexion nur moglich, wenn die Flussigkeit zwischen den Prismen eine gewisse gleichformige Dicke hat, well andernfalls durch In- terferenz zwischen den einfach durchgehenden und den an den beiden Trennungsflachen wiederholt reflectirten Strahlen so starke Saume in der Nahe der Ausloschungsgrenze auftreten, dass deren Lage nicht mehr genau zu bestimmen ist; zumal dabei die ge- ringsten sonst vollig unschadlichen Unebenheiten der Glasflachen sehr storende Unregelmassigkeiten bewirken. Alle diese Hin- dernisse aber fallen sogleich hinweg, sobald man vor dem Auf- stecken des zweiten Prisma's zwei schmale Streifchen von diinnem Briefpapier oder Stanniol auf die Enden der Hypotenusenflache, an deren kurzen Seiten, auflegt, so dass der Abstand der Prismen auf einer wahrnehmbaren Grosse — etwa \/2o — '/lo Mm. — erhalten wird; was nach dem auf Seite 155 iiber die mogliche Gefahr einer Abblendung Gesagten nicht dem geringsten Bedenken unterliegen kann. Die Einstellung des Doppelprismas auf die beginnende Total- reflexion kann beim Gebrauch des Spectrometers auf zweierlei Weise erfolgen. Erstens kann man durch die Prismen hindurch den Spalt des Collimatorfernrohrs beobachten , indem man diesen auf die gewohnliche Art durch seitlich einfallendes Licht beleuchtet, das Ocular aber zudeckt, damit die Umgebung des Spaltes dunkel bleibe. Um dabei das Bild der Lichtlinie in ein Spectrum von hinreichender Ausdehnung zu verwandeln, bediene ich mich eines kleinen Fernrohrs von etwa 6facher Vergrosserung , vor dessen Objectiv ein gutes Amci'sches Prisma von etwa 15 Mm. freier Bd. vm, N. F. I, 1. 1 i J§2 Ernst Abbe, Oeffnung fest aufgesteckt ist. Dieses Fernrohr wird auf einem ganz einfachen Stativ neben dera Spectrometer aufgestellt und so gerichtet, dass das Spectrum in seinem Gesichtsfeld erscheint. Die Einstellung der Ausloschungsgrenze auf die einzelnen Fraunhofer'- schen Linien kann dann in aller Sicherheit bewirkt werden, indem man, durch dieses Fernrohr sehend, den Theilkreis des Spectrometers mit freier Hand langsam fortdreht; wobei es die richtige Einstel- lung erleichtert, wenn man ein Fadenkreuz im Oculare durch leichte Drehung des Beobachtungsrohrs auf die betreffende dunkle Linie vor ihrem volligen Verschwinden einstellt, um sodann die Ausloschungsgrenze auf dieses Fadenkreuz zu fiihren. Wenn die beiden Theile des Doppelprisma's aus dem namlichen Glase gefertigt sind und nahehin gleiche Winkel haben und wenn das Stativ des Hilfsfernrohrs einigermaassen sichern Stand hat, ist durch die kleine Drehung zwischen beiden Einstellungen eine Ver- anderung nicht zu befurchten. Zweitens kann die Beobachtung auch nach der dritten Methode im Sehfelde des CoUimatorfernrohrs ausgefiihrt werden, wenn man eine Lichtquelle zur Verfiigung hat, welche einfarbiges Licht oder doch nur Strahlen von wenigen discreten Farben liefert. Der Spalt des CoUimatorfernrohrs beibt dabei ganz ausser Gebrauch; nur die den Spalt verlangernden kurzen Schneiden werden anstatt eines Fadenkreuzes zur Einstellung benutzt. Die Lichtquelle wird dicht neben dem Instrument, in der Richtung der Fernrohraxe, so aufgestellt, dass vor Beginn der Totalreflexion das ganze Sehfeld gleichmassig erhellt erscheint. - Eine gut leuchtende Natron- flamme in dieser Weise benutzt, gewahrt eine sehr deutliche Aus- loschungsgrenze, welche mit grosser Sicherheit in die Mitte der Schneiden gebracht werden kann, wenn man durch passend ange- brachte Schirrae das Sehfeld von anderen Strahlen frei halt. Die Data zur Berechnung der Brechungsindices , namlich die Werthe des Winkels «, erhalt man naturlich bei beiden Verfah- rungsweisen dadurch, dass nacheinander der Theilkreis abgelesen wird fiir diejenige Stellung des Doppelprisma's, bei welcher die Totalreflexion eintritt, und fiir diejenige, bei der die vordere, d. h. die dem Objectiv zugewandte Prismenflache normal zur Fernrohr- axe gerichtet ist. Die Construction der Prismen anlangend, so wird man den Winkel w am zweckmassigsten so bestimmen, dass fiir die beiden aussersten Werthe der Brechungsexponenten, die dem Doppel- prisma noch zuganglich sein soUen, die Incidenz an der vordern Neue Apparate u. s. w, Jgg Glastlache naliehin urn gleich viel nach beideii Seiten von der Senk- rechten abweicht; die Wahl der Glasart aber wird sich zu richten habeii nach deni Spielraum im Brechungsexponenten, fiir welchen der Apparat brauchbar sein soil. — Wird verlangt, dass alle Fliissig- keiten vom Wasser bis zum Schwefelkohlenstoff mit ein und dem- selben Prismenpaar zu beobachten seien, so muss sehr schweres Flintglas in Aiiwendung komnien ; braucht dagegen der Apparat z. B. nur bis zum Brechungsexponenten 1,55 zu reichen, so ge- niigt ein mittleres Flint von etwa 1,61 bis 1,62 fiir Natronlicht; und Crownglas reicht aus, wenn nicht hohere Brechungsexponen- ten als etwa 1,45 in Frage stehen. Wegen der leichteren Her- stellung und der grosseren Dauerhat'tigkeit wird man aber iramer bei Glasarten von geringerem Brechungsverniogen stehen bleiben, wenn nicht der besondere Zweck, dem der Apparat dienen soil, andere nothig macht. Berechnet man z. B. unter Voraussetzung eines schweren Flintglases von 1,68 die Grenzwinkel der Totalreflexion einerseits fiir w=rl,30, andererseits fiir 1,63, so ergiebt sich, dass bei einem Prismenwinkel von 63 — 64" die extremen Einfallswinkel , nach beiden Seiten hin etwa gleiche Grosse erhalten; und da auch fiir die andern namhaft gemachten Falle bis auf geringe Unterschiede derselbe Werth konimt, so wird bei alien derartigen Prismen- combinationen die Hypotenusentlache mit der kurzen Kathete einen Winkel von p. p. 64° zu bilden haben; was auf ganz bequeme Form en fiihrt. Was zuletzt die Bestimmung der Constanten des wirksamen Prisma's anbetrifft, so ist der Winkel w natiirlich jederzeit auf dem gewohnlichen Wege zu messen. Soil aber auch der Brechungs- exponent und die Farbenzerstreuung an diesem namlichen Prisma mittelst des Spectrometers beobachtet werden , so bleibt nichts welter iibrig, als auch die lange Kathetenflache poliren zu lassen und vor dem Einkitten des Prisma's in die Fassung die betreffende Messung an dem kleineren brechenden Winkel dieser langeu Seite auszufiihren. Wenn schon die hier beschriebene Methode nicht ganz die- selbe Genauigkeit gewahrt, die man unter giinstigen Umstanden mit sehr guten Apparaten und bei sehr sorgfaltiger Ausfiihrung der Messung mittelst des Hohlprisma's zu erreichen vermag, so sind dagegen solche Bestimmungen, von denen keine grossere Ge- nauigkeit als auf zwei bis drei Einheiten der 4. Decimalstelle verlangt wird, mit ihrer Hilfe nicht nur durch ein viel weniger voUkom- 11* 164 Ernst Abbe, menes Instrument sondern auch mit erheblich einfacheren Opera- tioneu zu erhalten; und sie bietet. abgeselien von dem geringen Substanzverbrauch, ausserdem iioch den Vortheil, auf Substanzen anwendbar zu sein, die sich, sei es wegen ungentigender Reinheit, sei es wegen starker Farbung, ini Hohlprisnia gar nicht oder nur sehr schwierig untersuchen lassen. Fur einige besondere Zwecke mag auch noch der Vorzug zu Statten kommen, dass man bei dieser Beobachtungsmethode grosse Temperaturdifferenzen der zu untersuchenden Substanz ohne alle Umstande mit voller Sicherheit in der Gewalt hat. Man braucht offenbar nur das Doppelprisma mit sammt der Fliissigkeit hin- reichend lange in einera Bad von genau bestimmter Temperatur zu erwarmen, urn der Temperatur der Fliissigkeit wahrend der Messung sicher zu sein, da in den paar Augenblicken , die nach vorheriger Justirung zwischen dem Aufbringen und der Einstel- lung verstreichen , eine Abktihlung oder Erwarmung der einge- schlossenen Schicht vollkommen unmoglich ist. 13. Selbststandige Apparate (Kefractonieter} zar optischeD Bestiiumuug von Kiiissigkeiten. Die giinstigen Bedingungen , welche das Princip der Total- reflexion in Bezug auf leichte und bequeme Ausftihrung dioptri- scher Maassbestimmungen an Flussigkeiten gewahrt, legen den Ge- danken nahe, im Interesse der mancherlei wissenschaftlichen und praktischen Aufgaben, die von solchen Maassbestimmungen Nutzen Ziehen konnten, compendiose und leicht zu gebrauchende Instru- mente fiir die Ausiibung jener Methode zu construiren, um diese Ausubung unabhangig vom Gebrauch eines Spectrometers zu ma- chen. Die Moglichkeit dessen ist gegeben durch die geringe Zahl wesentlicher Theile, die, den vorangehenden Entwickelungen zu folge den erforderlichen Apparat ausmachen und durch die ge- ringen Anspriiche, welche die Methode an die Genauigkeit der Winkelmessungen stellt. Als wesentliche Bestandtheile eines vollstaiidigen Instruments figuriren bei den drei zuletzt beschriebenen Verfahrungsweisen, ausser einer Vorrichtung zur Winkelmessung , nur noch ein Fern- rohr, das Doppelprisma und eventuell der Compensator. Die Di- mensionen, in denen diese Stiicke ihrem Zweck geniigen und die Art von Verbindung, in welcher sie untereinander zu stehen haben, sind beide der Construction eines zum Handgebrauch geeigneten Neup Apparate u. s. w. Ig5 Instruments durchaus gtinstig: namentlich aber kommt diesem Zweck die auffallige Unempfindlichkeit der Methode gegen Fehler der Winkelmessung zu Statten. Denn wenn. wie auf Seite 152 dar- gethan, ein Fehler von 5— fi Bogenminuten im ungunstigsten Fall erst eine Differenz von 0,001 im Brechungsexponenten nach sich zieht. so wird ftir alle Messungen, bei welchen man die Halfte dieses Betrages als Fehleigrenze zugibt, nicht nur ein verhaltniss- massig kleiner Gradbogen znr Winkelmessung ausreichen, sondern man wird dabei auch auf die Elimination der Excentricitat und auf alle Hilfsmittel feinerer Ablesung, Nonien und dergl.. verzich- ten konnen. Damit ist aber die Moglichkeit gegeben, Ablesung der Winkel und Berechnung des Resultats in einen Act zu ver- einigen, indem man an Stelle der gewohnlichen gleichformigen Kreistheilung eine fiir das betreffende Doppelprisma entworfene empirische Theilung setzt, deren Intervalle die Zunahmen des aus- seren Incidenzwinkels fiir gleiche Zunahmen des Brechungsexponen- ten darstellen, und wekhe daher unmittelbar nach bewirkter Ein- stellung den gesuchten Brechungsindex abzulesen erlaubt ; wodurch nicht nur jede Rechnung, sondern zugleich auch die Einstellung auf die Normale der ausseren Prismenflache erspart wird. Die Herstellung einer solchen nach gleichen Zunahmen des Brechungsindex fortschreitenden Theilung, sei es an einem Grad- bogen Oder an einer Ocular - Scala. unterliegt offenbar nicht der geringsten Schwierigkeit. Der Verfertiger braucht nur den Bre- chungsexponenten des angewandten Glases und den brechenden Winkel des Prisma's genau zu bestimmen. darauf hiu den Grenz- winkel der Totalreflexion fiir alle bei FlUssigkeiten vorkommenden Werthe des v . etwa von Hundertel zu Hundertel oder in noch kleineren Abstufungen fortschreitend, zu berechnen und schliesslich die diesen Grenzwinkeln zugehorigen Austrittswinkel abzuleiten. Nach Auftragen der entsprechenden Theilung und richtiger Be- zifferung muss zuletzt der Index so regulirt werden , dass ftir ir- gend eine Substanz von anderweitig bekanntem Brechungsexpo- nenten die Einstellung diesen an der Theilung ergibt; alsdann stimmen von selbst alle Theilstriche mit den Einstellungen tiir die ihnen entsprechenden Werthe des n. — In derselben Weise wird man, falls das Prisma fest mit dem Fernrohr verbunden ist, eine Scala im Ocularfelde der letzteren, die gleichfalls unmittelbar den Brechungsexponenten angibt. entwerfen ; nur dass in diesem Falle zur Uebertragung der Winkel auf die Langentheilung die Aequi- valent-Brennweite des Fernrohr-Objectivs bestimmt sein muss. Igg Ernst Abbe, Es ist bei dieser Combination naturlich unvermeidlich — aber auch gar kein Nachtheil — dass alle Messungen auf die eine be- stimmte Farbe , welche der Berechnung der Theilung zu Grunde gelegt wurde, beschrankt bleiben. Nach dem auf Seite 156 Ange- fiihrten wird man hierzu stets das Licht der Natronflamme oder der FRAUNHOFER'schen Linie D wahlen. Nach der angegebenen Richtschnur habe ich solche Refracto- meter in drei verschiedenen Formen, welche in den Figg. 6, 7 und 8 auf Taf. IV dargestellt sind, ausfuhren lassen. Die beiden ersten Formen sind zur Untersuchung aller Fliissigkeiten geeignet, indem sie das Intervall von n =:- 1,30 bis n— 1,63 umfassen; sie unter- scheiden sich nur dadurch, dass das eine Instrument, zum Gebrauch in freier Hand eingerichtet, bios die Bestimmung des absoluten Brechungsexponenten gewahrt, wahrend das andere grossere, auf Stativ, mit Compensator zur gleichzeitigen Messung der mittleren Dispersion versehen ist. — Das Refractometer der dritten Form giebt die Ablesung an einer Scala ini Ocular, wahrend jene beiden die Theilung an einem Gradbogen tragen. Diese Modification be- schrankt jedoch den Umfang der Anwendung auf das kleinere In- tervall von /J -: 1,30 bis « — 1,43, so dass diese Form nur fur Fliissigkeiten von geringem Brechungsvermogen brauchbar ist. Die Beschreibung der mechanischen Einrichtung der drei Ap- parate kann sehr kurz gegeben werden, nachdem im Voranstehen- den alle maassgebenden Riicksichten schon Erorterung gefunden haben. Die erste Form ist auf diejenige Beobachtungsweise berechnet, die Seite 140 als zweite Methode beschrieben worden ist. Dem- gemass stelU in Fig. 6 auf Taf. IN J F ein kleines Fernrohr von 2 — 3maliger Vergrosserung dar, dessen Bestandtheile den in den Figg. 5. u, 6 des Textes schematisch skizzirten Stiicken entsprechen. J bezeichnet die Stelle des Objectivs ; in desen Focus bei F be- findet sich ein justirbares Diaphragnia, welches einen kurzen Spalt von angemessener Weite tragt. Hinter diesem Spalte steht mit O bezeichnet in einer verschiebbaren Htilse das in Fig. 5 auf Seite 140 dargestellte Spectralocular, eine einfache Convexlinie in Verbindung mit eineni AMici'schen Prisma, niittelst dessen das Bild des Spaltes bei richtiger IStellung des Oculars in ein scharfes Spectrum ver- wandelt wird. — Das ganze Fernrohr ist niittelst eines kleinen Standers D am Objectivende auf einen Sector A aufgeschraubt, der bei A den Drehungszapfen einer das Doppelprisma C tragen- den kreisformigen Platte enthalt. Das eine von beiden Primen Neue Apparate u. s. w. 167 ist durch Vermittelung dieser Platte fest mit dem Drehungszapfen verbunden , so dass seine brechende Kante senkrecht zur Ebene des Sectors und zur Fernrohraxe gerichtet ist , das andere wird durch die in Fig. 5 der Tafel dargestellte und auf Seite 160 schon beschriebene Einrichtung der Fassung bei Ausfuhrung der Be- obachtung aufgesteckt. Mit dem Drehungszapfen in fester Ver- bindung steht ausserdem eine Alhidade B mit justirbarem Index. Die Theilung an der Peripherie des Sectors giebt unmittelbar Unterschiede des Brechungsexponenten von 5 zu 5 Tausendteln an; die Intervalle aber sind auch da, wo die Striche am engsten stehen, noch gross genug, uni mit freiem Auge eine Ablesung, die bis auf halbe Tausendtel sicher ist, zu ermogiichen. Soil mit dem Instrument beobachtet werden. so wird zuerst das bewegliche Prisma abgenommen und auf die freiliegende Flache des festen, nach vorheriger Reiniguug'j und nach Auflegen schmaler Streifchen von diinnem Briefpapier an den kurzen Seiten, ein Tro- pfen der zu untersuchenden Substanz aufgebracht, wobei man das Ganze aus freier Hand so vor sich halt, dass die betretfende Flache horizontale Lage gewinnt. Hierauf wird das zweite Prisma auf- gesteckt und, wahrend der Index auf kleinen Zahlen steht, das Fernrohr mit der Hand auf eine beliebige Lichtquelle, auf den hellen Himmel, den Milchglasschirm einer Lampe oder, wenn man iutensives Licht gebraucht , auf eine offene Gas - oder Petroleum- flamme, gerichtet. Man stellt das verschiebbare Ocular auf das jetzt sichtbare Spectrum ein und dreht schiiesslich die Alhidade langsam und stetig nach den wachsenden Zahlen hin, bis die Aus- loschungsgrenze auf die Gegend der Linie />, d. h. auf die Stelle des Uebergangs von Orange zu Griin vorgertickt ist. Die Able- .sung der Theilung giebt jetzt unmittelbar den Brechuiigsindex der betrefifenden Substanz fiir die FRAUNHOFER'sche Linie D. Wegen des von der freien Prismenflache reflectirten Lichtes, welches in das Fernrohr objectiv eindringt, verschwinden die der totalen Retlexion unterliegenden Theile des Spectrums meist uicht vollstiindig, sonderu bleiben in sehr verminderter Helligkeit noch sichtbar. Man erblickt daher eiuen hellen Theil des Spectrums in einer scharfen Linie gegen einen ganz blasseu Theil abgegrenzt. — Auf die richtige Erkennung der veriangten Farbe D iibt man 1) Die ill Bezug auf die Reiiiiguug zu steliendeii Auspruche siud selir ge- ring. Es geuiigt in alien Fallen ein fliiclitiges Abwischeu der beiden Glas- flacben mit Wasser oder Alkohol. 168 Ernst Abbe, das Auge leicht, indem man mit dem Instrument einigemal durch eine gut leuchtende Natronflamme hindurch auf eine weisse Licht- quelle hinsieht. Indem dabei das monochromatische Spaltbild des Natronlichtes im Spectrum hervortritt, erhalt man die Stelle der Linie D sichtbar bezeichnet. Die Justirung des Index wird am einfachsten durch eine Ein- stellung mit reinem. Wasser bewirkt. Bei der mittleren Tempe- ratur von ca. IS** Cels. muss der Index, wenn er die richtige Lage hat, den Werth 1,333 angeben. Das Refractometer der zweiten Form, welches auf der Tafel in Fig. 7 dargestellt ist, bringt die Seite 141 beschriebene dritte Beobachtungsmethode zur Ausfiihrung. Doppelprisma, Sector und Alhidade haben, abgesehen von grosseren Dimensionen, dieselbe Einrichtung wie bei dem eben beschriebenen Instrument, nur dass die feinere Theilung hier die Tausendtel des Brechungsindex un- mittelbar angiebt und bei Gebrauch einer Ablesungslupe 2 — 3 Einheiten der vierten Decimale noch zu schatzen erlaubt. Das Fernrohr dagegen hat hier ein oflfenes Ocularfeld und in demselben, bei F, im Brennpunkte des Objectivs J ein einfaches Fadenkreuz. Die Rohre des Fernrohrs ist vor dem Objectiv durch eine Hiilse 7' verlangert und mit dieser in den auf den Sector aufgesetzten Stander D eingeschraubt. Letzterer tragt zugleich den in Fig. 7 des Textes skizzirten Compensator, in der Art, dass die Fassung des einen AMici'schen Prisma; innerhalb der Hiilse T liegt, wah- rend die des anderen, S, ausserhalb des Standers D zu Tage tritt. Die Drehung beider Compensatorprismen nach entgegengesetzten Seiten um je gleiche Winkel bewirkt der zwischen die Zahukranze der Fassungen eingefiigte Trieb, dessen Knopf, der Hand des Be- obachters bequem zuganglich , bei t vorsteht. Eine auf die Fas= sung 5 aufgesteckte getheilte Trommel c lasst den Winkel, den die Hauptschnitte der Compensatorprismen bei irgend einer Stel- lung mit der Ebene des Sectors bilden, ablesen. Die Theilung der Trommel zeigt auf Null, wenn die Hauptschnitte beider Prismen diejenige Lage haben, bei welcher der Incidenzwinkel der aus- tretenden Strahlen an der fltissigen Schicht von Roth zu Blau zu- nimmt; sie geht von hier aus beiderseits bis 60, so dass jedes In- tervall einen Winkel von 3" ausdriickt und die Zahl 30 der senk- rechten Stellung beider Prismen, mithin dem Nullwerthe der vom Compensator erzeugten Dispersion entspricht. Der ganze Sector sammt den mit ihm verbundenen Theilen wird von einer Saule G auf schwerem Metallfuss getragen. Wah- Neue Apparate v. s. w. 169 lend der Messung steht die Axe des Fernrohrs uni ca. 60° gegen die Ebene des Tisches geneigt, so dass man wie an einem Mikroskop mit inclinirendem Tubus beobachtet. In der Richtung der Visir- linie ist am Fusse des Instruments ein kleiuer um zwei Axen dreh- barer Hohlspiegel g angebracht. mittelst dessen das Sehfeld be- leuchtet wird. Um aber das feste Prisma beim Reinigen und beim Aufbringen der Fliissigkeit bequem zuganglich zu baben, ist die Einrichtung getroffen. dass der ganze Sector um einen besondern. mit der Drehungsaxe der Alhidade concentrischen Zapfen im Kopfe K der Saule G nach der entgegengesetzten Seite umgelegt werden kann. so weit, dass die oberste Ecke e des Gradbogens die Tisch- fiache beruhrt. In dieser Stellung des Instruments ist das Doppel- prisma dem Beobachter zugekehrt, und zwar in solcher Lage, dass nach Wegnahrae des beweglichen Prisma's die Hypotenusenflache des andern, nahehin horizontal gerichtet. frei liegt. Bei Ausfiihrung der Beobachtungen stellt man das Instrument so vor sich auf den Tisch, dass der Hohlspiegel dem Fenster oder der etwa zu verwendenden ktinstlichen Lichtquelle zugekehrt ist. legt den Sector um und bringt die zu untersuchende Substanz auf. Hierauf wird der Sector wieder aufgerichtet, die Alhidade an den Anfang des Gradbogens zuriickgedreht und der Hohl- spiegel im Fuss so eingestellt, dass das ganze Gesichtsfeld gleich- massig hell erscheint. Jetzt erst bewegt man die Alhidade nach der Seite der grosseren Zahlen hin vor, bis die Ausloschungs- grenze — meist mit breitem farbigen Saum — im Sehfeld zum Vorschein kommt. Man stellt nun durch Drehung des Triebes / mit der einen Hand die Achromasie her, wahrend die andere Hand die jetzt scharf erscheinende Grenzlinie zwischen Hell und Dunke mittelst der Alhidade vollends auf das Fadenkreuz fuhrt. Schliess- lich wiederholt man diese Einstellung nochmals mit der zweiten Stellung des Compensators, welche eine achromatische Ausloschungs- grenze erzeugt. Das Mittel aus den Ablesungen am Sector bei beiden Einstellungen ergiebt ohne Weiteres den gesuchten Bre- chungsexponenten fur die FRAUNHOPER'sche Linie D ; das Mittel aus den zugehorigen Trommelablesungen aber liefert den Winkel a, mit dessen Hilfe die Dispersion der Fliissigkeit nach der auf Seite 148 aufgestellten Kegel zu berechnen ist. Die Ausfiihrung dieser Berechnung setzt natiirlich voraus. dass man den Brechungsexponenten r, die Dispersion di und den brechenden Winkel w des Doppelprismas sowie die Dispersion k je eines Compensatorprismas kenne; sie kann aber sehr verein- 170 Ernst Abbe. facht werden, wenn man die in dem Ausdruck fiir Sn vorkommen- den Factoren — oder besser gleich deren Logarithmen — mit den fiir das betreffende Instrument geltenden Constanten ein fiir alle inal ausrechnet und in einer kleinen Tafel zusammenstellt. Fur diesen Zweck sind offenbar die Werthe von nur drei Grossen ge- trennt aufzufiihren; namlich erstens, die Werthe des Gliedes sin w . ~.dv— A cos p fiir alle vorkommenden Betrage des n ; zweitens diejeuigen von -. , cos a . cos Y „ 2k. ' =: B cosp ebenfalls fiir alle Abstufungen von w; drittens der Werth von cosz -rr: a fiir die sammtlichen Zahlen der Trommeltheilung. Auf Grund Jer im einzelnen Falle beobachteten Werthe von v und z (letz- teres in Trommeltheilen ausgedriickt) wird man aus der Tafel die- jenigen Betrage der drei Stiicke entnehmen, welche nach Maass- gabe der Gleichung vereinigt. die Dispersion der Fliissigkeit fiir dasjenige Farbenin- tervall ergeben, fiir welches der Werth der Constanten k gilt. Dabei reicht es fiir den Gebrauch in alien Fallen aus, wenn die Werthe A und B von Hundertel zu Hundertel des Brechungs- exponenten aufgefiihrt, die feineren Abstufungen aber durch Inter polation bestimmt werden. Das Refractometer der dritten Form, welches Fig. 8 der Tafel darstellt, realisirt das auf Seite 142 entwickelte vierte Verfahren der Beobachtung. Demnach ist das Doppelprisma, oder wenigstens das eine Stiick desselben, fest mit dem kleinen Fernrohr JO ver- bunden , in dessen Focalebene F aber ist eine Glasplatte mit be- zifferter Mikrometerscala angebracht, welche die Einstellung der Ausloschungsgrenze von Tausendtel zu Tausendtel des Brechungs- exponenten direct angiebt. Um bei der Beobachtung nicht auf den Gebrauch einfarbigen Lichtes eingeschriinkt zu sein, ist auch hier zwischen dem Objectiv ./ und dem Doppelprisma C ein Com- pensator eingeschaltot. Indess besteht derselbe, da der Umfang der Anwendung dieses dritten Refractometers doch nur kleine Dispersionsgrossen foi'dert, aus einem einzigen Amci'schen Prisma von geringer Farbenzerstreuung (ca. 0,6" fiir das Intervall von C bis F), welches in einem cylindrischen Ring innerhalb der Hiilse D drehbar ist. Die Drehung wird durch einen hervorstehenden Knopf d, der in einem Schlitz der Hiilse D Fiihrung hat bewirkt. — Neue Apparate u. s.w. 171 Die Verbindung der beiden Stiicke des "Doppelprisma's nach Auf- bringen der zu untersuchenden Fliissigkeit wird bier duich eine um den Zapfen /■ drehbare Feder c bewirkt. welche das bewegliche Prisma an das feste andrtickt. Wenn das vordere Prisma entferut werden soil, hebt man die Feder mit dem Finger ab und dreht sie um den Zapfen / zurtick , so dass die lange Prismeniiache fiir das Reinigen und Aufbringen der Fliissigkeit vollkommen zugang- lich ist. Bei der Beobachtung richtet man das kleine Instrument aus freier Hand gegen eine gleichmassig helle Flache, den hellen Him- mel, eine weisse Wand, einen Lampenschirm oder dergl., stellt das Compensatorprisma mittelst des Knopfes d so ein, dass die Aus- loschungsgrenze moglichst farblos wird, und liest schliesslich den Ort derselben an der Ocularscala ab. — Die Justirung der Scala geschieht, wie bei den beiden andern Instrumenten durch eine Einstellung mit reinem Wasser; sie wird bier mittelst zweier Schrauben ausgefuhrt, die das Objectiv J in der Richtung des Prismen - Hauptschnittes zu verschieben erlauben. Da das absolute Gesichtsfeld eines Fernrohrs ohne sehr com- plicirte Einrichtung von Objectiv und Ocular nicht wohl liber 18 " hinaus vergrdssert werden kann, so bleibt bei dieser dritten Con- struction die Messung beschrankt auf Incidenzwinkel von ca. 9<> zu beiden Seiten der Normalen zur ausseren Prismenflache , was bei Anwendung von Crownglas den oben bezeichneten Urafang von 1,30 bis 1,43 im Brechungsexponenten ergiebt. Der Apparat ist daher ausschliesslich fiir Substanzen innerhalb dieser Grenzen, also vorwiegend fiir wasserige Fliissigkeiten, Salzlosungen u. dergl. brauchbar. Fiir solche aber gewahrt er eine grosse Genauigkeit, indem, wenn schon der absolute Werth des n aucb hier nicht ge-' nauer als etwa auf 0,0005 zu erhalten ist, Unterschiede doch bis auf zwei Einheiten der 4. Stelle ganz sicher an der Scala abge- lesen werden konnen, wie u. A. schon die Wahrnehmbarkeit des Einflusses sehr kleiner Temperatuiditterenzen bekundet. In Hin- sicht auf mogliche Anwendungen fiir technische Zwecke gereicht dieser dritten Form des Refractometers ausserdem noch der Urn- stand zuni Vortheil, dass sich neben oder statt der Theilung fiir den Brechungsindex ebenso leicht eine andere empirische Scala anbringen lasst, z. B. eine solche, an welcher der Concentratious- grad irgend cinur Mischung, auf Grund seines Einllusses auf den Brechungsexponenten, direct abgelesen werden kann. Wenn die Vortheile , welche die Methode in Bezug auf Leich- 172 Ernst Abbe, tigkeit iind Schnelligkeit bieten kann. im Gebiauch ungesrhmalert ziir Geltimg kommen soUeii, ist tis boi den drei bier beschriebenen InstruinentPii in gleichem Grade wesentlich, dass die mechanische Ausfiihrung der Apparate alien theoietiseh gemachten Voraussetzini- gen in hinreichendem Grade geniige. um von Correctionen und den zu ihrer Ermittelung nothigen Nebenbestimmungen vollig absehen zu konnen. Namentlich ist also zu fordern : dass die optische Axe des Fernrohrs deni Hauptsrbnitt des Doppelprisma's und eventuell auch der Ebene des Sectors gentigend parallel sei ; dass die Thei- lung des Sectors oder der Scala innerhalb der Grenzen des Ab- lesungsfehlers dem Gange des Brechungsexponenten genau confonn gehe; dass die Compensatorprismen filr die der Theilung zu Grunde gelegte Farbe keine nierkliche Ablonkung zeigen und ihre Mittel- ebene dem Hauptschnitt des Doppelprisma's gentigend parallel sei ; endlich, dass der Spalt oder das Fadenkreuz oder die Mikronieter- scala im Ocular richtig in der Focalebene des Objectivs liege. Denn wenn es auch moglich ist. ein Deficit in irgend einem dieser Puukte. soweit es sich nicht nachtraglich beseitigen lasst, durch Anbringung geeigneter Correctionen unschadlich zu machen . so wiirde doch einerseits die numerische Ermittelung der Fehler un- verhaltnissmassig miihsam sein und andererseits die Bequemlich- keit des Gebrauchs durch die Nothwendigkeit solcher Correctionen ganz erheblichen Abbruch erfahren. In Anbetracht nun, dass die Erfiillung der genannten Bedingungen fur einen sachkundigen Op- tiker keinerlei Schwierigkeiten hat, wird man daher beanspruchen diirfen , dass die Eegulirung der Theile bei diesen Instrumenten gleich bei ihrer Anfertigung definitiv und in unveranderlicher Weise erfolge. so dass dem Beobachter hochstens die Justirung des Index oder der Scala tiberlassen bleibt. Darauf bin erscheint es denn niiissig, die Untersuchung der Constructionsfehler im Einzelnen zu erortern. Es geniigt, darauf hinzuweisen, dass die Correctheit eines solchen Refractometers sehr leicht durch einige Messungen an Stoffen von anderweitig bekanntem Brechungsindex und, soweit ein Compensator dabei mit in Frage ist, durch Con- trole der Einstellung mit dem einfarbigen Licht der Natronflamme gepruft werden kann. Durch die hier beschriebenen Instrumente wird die Bestim- mung der optischen Constanten an flussigen Stoffen so leicht und einfach wie kaum eine andere Art von Maassbestimmung. Wenige Neue Apparate u. s. w. J73 kunstlose Handgriffe ergebeii mit sehr geringer Miihe imd fast verschwindendem Zeitaufwand die gesuchten Merkmale in einer fur die meisten Bediirfnisse niehr als ausreichenden Genauigkeit, und zwar mit eineiii sehr coiiipendiosen und handlichen Apparat, der jederzeit und uberall ohne weitere Vorkehrungen gebrauchsbereit ist. Nach der Meinung des Verfassers konnen diese Vortheile mancherlei wisseuschaftlichen und praktischen Interessen zu Gute kommen, wenn der Gebrauch der oben entwickelten Methoden in den betheiligten Kreisen heimisch wird. Abgesehen von anderen gelegentlich sich darbietenden Anwendungen auf wissenschaftlichem Felde') wird die erleichterte Ausfuhrung dioptrischer Maassbe- stimmungen namentlich chemiscben Untersuchungen in der durch die Arbeiten von Landolt, Schrauf u. A. eroffneten Rich- tung ein weiteres Gebiet und eine ausgiebigere Verwerthung ver- schaffen konnen. Betreiis moglicher Anwendungen fur technische Zwecke aber sei hier wenigstens zweierlei erwahnt: erstens, dass viele im Handel vorkommende flussige oder halbtiussige Stoffe mittelst ihrer Brechungsexponenten sehr sicher unterschieden sowie auf ihre Reinheit geprtift werden konnen; und zweitens, dass bei Mischungen aus zwei Flussigkeiten und bei Losungen das Mischungs- oder das Concentrationsverhaltniss in vielen Fallen durch den Brechungsindex mit grosser Scharfe bestimmbar ist. Als Beispiel fur eine Verwendung des Refractometers in der ersten Richtung kann die Untersuchung fetter und atherischer Oele geltend gcmacht werden. Wenn die Messung des Brechungs- exponenten bis auf die dritte Decimale geht, wie mit dem in Fig. 6 der Tafel dargestellten Instrument, so sind viele Stolfe jener Categorie im rein en Zustand durch den Brechungsindex allein schon ausreichend charakterisirt, und bei der Mehrzahl der ubrigen kann derselbe die Bestimmung nach andern Merkmalen minde- stens wesentlich unterstiitzen; Verfalschungen und Verunreinigungen aber lassen sich in zahlreichen Fallen im Refractometer auf den ersten Blick erkennen^). Als Beispiel fiir die Anwendung zu Concentrationsbestimmun- 1) Ueber eine umfassende Versuchsreilie, welche die Genauigkeit der Me- thode gut illustrirt, s. S. Fleischer, Neue Bestimmung der Brechuiigsexponeu- tPD der fliissigen Medien des Auges. Jena 1872. (Inaugural-Dissertation). 2) Vorarbeiten fUr die hier betrachtete Anwendung — die allerdings nocb bedeutend erweitert werden mussten, wenn dem practischen Bediirfniss in vol- lem Umfaug geniigt scin soUte — licfern u. A. die Untersuchungen von J. H. Gladstone. S. Jahrtsber. d, Chemie von Will, 1863, S. 545. 174 Ernst Abbe, Neue Apparate u. s. w. gen luhre ich die Ermittelung des Zuckergehaltes in Zuckerlosun- gen an. Bringt man bei einem Refractonieter der dritten Form (Fig. 8 auf der Tafel) im Gesichtsfeld des Oculars statt oder ne- ben der Scala fiir den Brechungsindex eine auf Grund geeigneter Messungen entworfene Procentscala fur Zuckerlosung an, so lasst sich der Zuckergehalt einer solchen Losung an einem Tropfen der Fliissigkeit mit Einem Blicke auf ca. 0,2 "/(, (d. h. bis auf 0,2 Gramm pro 100 CCm. Losung) sicher bestimmen , wie Versuche mit einem ausgefiihrten Instrument ergeben haben ; und die Scala reicht bis zu einer Concentration von ca. 60 Gramm in 100 CCm. — Wahrscheinlich wird ein Refractometer dieser Art auch zur Werthbestimmung natiirlicher Zuckersafte an Stelle des Polarisa- tions- Saccharimeters ganz gut brauchbar sein, wenn durch eine besondere Versuchsreihe der Beitrag ermittelt wird, den die, in den natUrlichen Zuckersaften in ziemlicher Constanz auftretenden Salze zum Brechungsindex liefern, Es liesse sich dann leicht eine corrigirte Procentscala entwerfen, in deren Angaben der Ein- fluss der Nebenbestandtheile bis auf kleine Reste eliminirt ware. Nachtrag. In Betreff der Berechnung des Brechungsexpo- nenten aus den Messungen an Prismen ist zu bemerken, dass die unter(l) und (6) aufgestellten Formeln den relativen Brechungs- index der betreffenden Substanz gegen Luft ergeben, aus welchem der absolute Brechungsexponent durch Multiplication mit 1,00030 abzuleiten ist. Ziir vergleicheiideii Aiiatomie (ierSchiiltermiiskelih Von Max Fi'irbring'er. IT. Theil. iHierzu Tafel V-VII, Fig. 37—56.) Nachtrag zu Cap. II. Durch die Liberalitat der Herren Gegenbaur und Peteks bin ich in den Stand gesetzt worden, weitere Untersuchiingen an fol- genden Anuren ') auszufiihren : A gl 0 s s a : Dactylethra Mui.lebi Peters. Pipa americana Laue. 2 Ex. Opisthoglossa: Raiiina: Ceratophrys cornuta L. 2 Ex. Tomopterna (Pyxicephalus) americaua D. H. Butonina: Engystoma carolinense Holbe. Breviceps gibbosus L. Bufo guttatus Schneider (= Rhabo Leschenaultii D. B.) Hylioa: Trachycephaliis marmoratus Bibb. Phyllomedusa bicolor Boddajert. Hylaplesina: Kalohyla (Kaloula) baleata MtJLL. Es 8ei mil- gestattet, beiden Herren an dieser Stelle meinen besten Dank auszusprechen. 1) Pipa americana, Phyllomedusa bicolor und ein Exemplar von Cerato- phrys cornuta verdanke ich Herrn Geh. Hofrath Gegenbaur, sammtlicho iibri- gen Thiere Herrn Professor Peters. Das Exemplar von Phyllomedusa bicolor wax an der Ventralseite bereits abpraparirt. ]^76 M^* Ftirbringer, §. 4^ Brustglirtel und Brustbein '). Bei den untersuchten Thieren sind die beiden Halften des Brustgiirtels in dreifacher Weise mit einander an der Mittellinie derBrust verbunden: entweder sie legen sich mit ihren Randern so iiber einander, dass das rechte Epicoracoid ventral zu liegen kommt (Bufo, Phyllomedusa), oder sie schieben sich so uber- einander, dass das linke ventral liegt (Ceratophrys, Toraopterna, 1) Literatur: Breyer, Observationes anatomicae circa fabricam Banae pipae. Diss, inaug. Berolini 1811. (Pipa americana). Mayee, Beitnige zu eiuer anatomischeu Monographie der Rana pipa. Verb, d. Kais. Leop. Carol. Akad. d. Wissenschatten. XII. 1. Bonn 1824. ^. 529 f. (Pipa americana). Meckel, System der vergleichenden Anatomie. II. 1. Halle 1824. S. 393 f. S. 440 f. (Pipa americana). CuviER, Le?ons d'anatomie comparee. 2 ed. par Dumeril. 1. Paris 1835. S. 254. 8. 365. (Pipa americana). Klein, Beitrage zur Anatomie der uugescliwauzten Batrachier. Jabreshefte d. Vereins fiir vaterlaudische Naturkunde in Wiirtemberg. 6. Jahrgang. Stutt- gart 1850. S. 1 f. (Pipa americana). Stannius, Zootomie d. Amphibien. Berlin 1856. S. 17. S. 73. (Pipa, Pyxi- cephalus, Ceratophrys, Microps, Breviceps). (iEGENBAUB, Uutersuchmigen zur vergleichenden Anatomie d. Wirbelthiere. 2. Heft. iScbultergurtel der Wirbelthiere. Brust-Flosse der Fische. Leipzig 1865. S. 52 f. (Pipa americana, Bufo Lescheuaultii, Phyllomedusa bicolor). Parker, Monograph on the Structure and Development of the Shoulder-Girdle and Sternum in the Vertebrata. London 1868. (Dactylethra capensis Cuv., Pipa dorsigera Daud. [= P. americana Laur], Ceratophrys dorsata Neuwied [= C. cornuta L.] , Microps oxyrrhynchus Fitzinger [— Engystoma ovale Schneider], Systoma gibbosum VVagler [= Breviceps gibbosus], S. grauosum [wahrscheinlich =: Br. gibbosus], Hylaedactylus celebensis Schleg. [= Kalohyla baleata var. celebeusisj). Bbeyeb kenne ich nur aus Mayer's und Gegenbaue's Angaben. In der angefuhrten Literatur sind nur die ebenfalls von mir untersuchten Gattungen berucksichtigt. Von Bedeutung ist die Abhandlung von Peters (Ueber neue oder weniger bekannte Gattungen und Arteu von Batrachiern. Monatsberichte der Kouigl. Akademie d. Wissenschaften zu Berlin. Sitzuug der psys.-math. Klasse v. 19. Mai 1873. S. 411 f. mit 4 Tafeln), die gute Abbildungen des Brustbeins und Brustgurtels von Colodactylus coerulescens Tschudi, Telmatobius peruvia- nus Wiegmaun, Cyclorhamphus marmoratus D. B., Batrachophrynus brachy- dactylus Ptrs., Pseudobatrachus Jelskii Ptrs., Pbrynopus peruauus Ptrs. und Strabomantis biporcata Ptrs. giebt. Zur vergleichenden Anatomie der Schultennuskelii. ]77 Trachycephalus) '), oder sie legen sich direct an einander (Engy- stoina^), Breviceps, Kalohyla); in den beiden ersten Fallen ist die Verbindung lockerer und durch Bander vermittelt, in dem letzten fester und mittelst Synchondrose hergestellt. Der dorsale Ab- schnitt des Brustgurtels , Suprascapulare und Scapula, bietet keine besondern neuen Beziehungen dar. die nicht schon fruher (Theil I, S. 280) beschrieben worden waren. Am schmal- sten sind Suprascapulare und Scapula bei Breviceps gibbosus, wahrend sich Engystonia carolinense -^ durch ein breiteres Supra- scapulare naher an die ubrigen Batrachier anschliesst. Der ventrale Abschnitt ist entweder (Engystoma, Kalohyla) ledig- lich vertreten durch das Coracoid, das mit Scapula sowohl wie mit dem der Gegenseite knorpelig verbunden ist, oder es besteht (bei den iibrigen Anuren) aus dem Coracoid. Procoracoid und Epicoracoid; letzteres ist bei Dactylethra durch ein Band, Ligamentum epicoracoideum. vertreten. Nirgends wurde eine die des Coracoids ubertreffende Breite des Procoracoids ge- funden *). 1) Diese Art der Verbiudung ist meines Wissens zuerst und alleiii von Petees (a. a. 0. S. 418. Taf. 11 Fig. 3aj bei Strabomantis biporcata beschrie- ben worden. Von Wichtigkeit ist dieses Verhalten insofern, als es eine Diife- renzirungsrichtung bei den Batrachiern zum Ausdruck bringt, die in keiner Abtheilung der Wirbelthiere sich wiederfindet. 2) Im Gegensatz steht diese Beziehung zu der von mir fruher (Theil 1, S. 279) nach Parkee's Abbildungen gemachten Angabe. Ob die von Paekee uutersuchte Species (E. ovale) von der von mir untersuchten (E. carolinense) sich in Wirkhchkeit 6o bedeuteud unterscheidet oder ob diese Diiferenz auf Rechnung der (HYETL'schen) Preparation des von Paeker untersuchten Thieres kommt, bleibt fraglich. 3) Dieses Ergebniss der eigenen Untersuchung nothigt mich, die auf Par- ker's Unter such ung gestutzte und auf S. 280 ausgesprochcne Sonderstellung von Engystoma aufzugeben. Auch tinde ich bei dem von mir untersuchten E. caro- linense, dass das Suprascapulare vorwiegend aus Knorpel besteht, indem nur ein ziemlich schmaler vorderer Streif Knochenstructur darbietet, eine Bilduug. die wicderum von dem HYETL'schen Prilparate von E. ovale wesentlich abweicht. 4) Paeker giebt Abbildungen von Systoma (Breviceps) gibbosum und S. gi-anosum nach HyRiL'schen Priiparaten. Die erste (S. gibbosum) stimmt den Brustgurtel betreffend im Wesentlichen mit der Bildung des von mir unter- suchten Breviceps gibbosus iiberein. die zweite (S. granosum) hingegen unter- scheidet sich durch grosse Breite des Procoracoid und durch grosse Schmal- heit des Coracoids, sowie durch verdrehle Lage des Acromion und der Geleuk- hohle fur Humerus wesentlich von der Bildung des nahe verwandteu, vielleicht gar nicht als Species von ihm unterscheidbaren S. gibbosum. Diese grosse Differenz existirt aber nicht in Wirklichkeit, sondern beruht offenbar auf fal- Bd. VIII, N. F. I. ja IjQ Max Fiirbringer, Die Clavicula kommt ausser Engystoma und Kalohyla alien untersuchten Batrachiern zu; bei Breviceps ist sie von dem Pro- coracoid nicht zu scheiden '). Das Sternum fehlt bei keinem Batrachier. Die geringste Grosse hat es bei Breviceps, weit an- sehnlicher ist es bei Engystoma'^) und den iibrigen untersuchten Thieren. Das Episternum wurde bei Dactylethra, Pipa^) und Engystoma carolinense vermisst, bei Breviceps gibbosus*) findet es sich als ein ganz feiner Knorpelstreif, der von der Vereinigung der beiden Schliisselbeine nach vorn gerichtet ist und unmittel- bar in die Linea alba der Mm. mylohyoidei iibergeht, bei den tibrigen ist es zur Knorpelplatte •') ausgebildet, die dem Vorder- rande der Verbindung der Coracoide (Kalohyla) oder der Schliis- selbeine (ubrige Anuren) anliegt. Nerven fiir die Schultermuskeln ^). (Vergleiche Taf. V. Fig. 37—40.) Die Nervenverhaltnisse bei den untersuchten Anuren sind im scher Deutung der betreffenden Skeletstiicke, zu der Parker jedenfalls durch den (kiinstlichen) Mangel des Sternums bei Erhaltuug des Episternums verfuhrt worden ist. Werden die Bezeichnungeu Coracoid und Praecoracoid vertauscht, so ergiebt sich eine ziemliche Uebereinstimmuug zwischen S. gibbosum und granosum. 1) Trotz dieses Befundes miissen wir an der von Gegenbaur durch die Entwickelung nachgewiesenen , aber von Parker geleugneteu selbststandigen Existenz einer Clavicula bei den Anuren festhalten, bis nicht eine embryologische Untersuchung von Breviceps den Mangel einer Clavicula uberzeugend darthut. 2) Bei den von Parker beschriebenen Praparaten von Engystoma ovale und Systoma granosum fehlend (wahrscheinlich wegpriiparirt). Die PARKER'sche Restauration bei Engystoma ovale ergiebt eiu viel zu kleines Sternum; das Sternum von Engystoma carolinense steht in Grosse und Gestalt dem von Ka- lohyla baleata am nachsten. 3) Die von Parker angegebenen Rudimente eines Episternum (Omosternum) kann ich nicht als solche. sondern nur als dem Procoracoid angehorige Ele- mente anerkennen. 4) Auf der PARKER'schen Abbildung bei Systoma gibbosum fehlend, hin- gegen bei S. granosum, wo es fiilschlich als Sternum gedeutet ist, als deutUche Knorpelplatte vorhanden. Von Stannius auch iibersehen. 5) Ganz ansehnlich ist die Entwickelung bei Ceratophrys, wo es auffallen- der Weise von Stannius und von Parker abgeleugnet wird. Geringere Grosse bieten Tomopterna americana und Kalohyla baleata, so dass ein Uebersehen desselben bei diesen Thieren erklarlich ist. 6) Literatur: Zur vergleichenden Anatomie der Schultennuskeln. 179 Allgemeinen den friilier (Theil I, S. 284 f.) schon beschriebenen ahnlich; doch finden sich im Einzelnen mehrfache Differenzen. I. R. accessor ius und scapular is n. vagi'). Beide sind bei sammtlichen Batracliiern entwickelt, als gemein- sam niit dem Eingeweideaste oder in grosster Nahe von demselben vom Vagus abgehende Nerven, die sich im M. capiti-scapularis (Cucullaris) und M. interscapularis verzweigen. Entsprechend der verschiedenen Grosse der von ihnen innervirten Muskeln sind sie selbst von ungleicher Entwickelung. Der N. accessorius ist nicht unansehnlich bei Breviceps und Engystoma, mittelgross bei den Hylina undRanina, klein bei Dactylethra und namentlich Pipa; der selir kleine, dem N. accessorius ausser bei Pipa und Dactylethra stets an Grosse nachstehende, N. scapular is ist bei Pipa und Dactylethra am ansehnlichsten , bei den Ranina, Hylina, Hylaple- uina und Bufo weit schwacher, bei Engsytoma und namentlich Breviceps durch ein verschwindend feines Fadchen reprasentirt. II. Nn. spin ales. An der Bildung des Plexus brachialis betheiligen sich bei Pipa der erste, zweite und dritte, bei alien iibrigen unter- suchten Batrachiern der zweite, dritte und vierte Spinalnerv mit ihren ventralen Aesten. Durch diese Antheilnahme des ersten Spinalnerven an dem Plexus unterscheidet sich Pipa wesentlich von den andern Anuren^) und tritt in diesem Punkte in eine ge- FiscHER, Amphibiorum iiudonun neurologiae specimen primuni. Berolini 1843. S. 13 f. (Genaue Beschi-eibung der Kopfnerven von Pipa aniericaua etc.). Zur eigenen fJiitersuchung dieuten Dactylethra MfJLLERi, Pipa americana. (Jeratophrys cornuta, Tomopterna americana, Engystoma carolinense, Breviceps gibbosus, Phyllomedusa bicolor , Kalohyla baleata. 2iicht bei alien Tbieren wurden die Endzweigc verfolgt. 1) Von Fischer bei Pipa ganz richtig beschrieben: ,.Primus tenuissimus est omnium (a ramo intestiuali n. vagi cditorum nervorum) ramuloque exiguo in m. levatorem scapulae inferioris (cucullarem) emisso ad postcrius se convertit eumque musculum (interscapularem) instruit nervis, qui ex interno scapulae inferioris latere oriens parti internae scapulae superioris iuseritur." 2) Eine sichere Erklarung dieser auffallenden Erscbcinujig, die wahrscheinlich ZH der abweichenden Zabl der Wirbel in Beziehung steht . ist nicbt zu goben. Stannius fubrt an. dass bei Pipa (und Breviceps) die Wirbelzahl sich wegen Fusion der beiden vordcrsten und bciden hintersten Wirbel auf H vermindert habe. Danach existirte allerdings eine Uebereinstimmung zwischeu Pipa und den andern Anuren, indem der en?te Spinalnerv bei ersterer Gattung nicht als ein durch den ersten Wirbel tretender N. spinalis I., sondern als oin zwischen 12* 180 Max Fiirbringer, wisse Verwandtschait zu den Urodelen, die allerdings auch mit Vorsicht aufzufassen ist'). Auch die Art der Verwendung des zweiten und dritten Spinalnerven fiir den Plexus von Pipa ist von der bei den ubrigen Anuren betraclitlich verschiedcn, indem die einzelnen Nervenstamme bei Beiden einander keineswegs direct entsprechen, sondern eine Homologie einmal zwischen deni zweiten Spinalnerv von Pipa und dem zweiten und dritten der ubrigen Anuren, dann zwischen dem dritten Nerv von Pipa und dem dritten und vierten der ubrigen Batrachier angenommen werden muss. N. spinalis I. (/.)^)- I^los bei Pipa vorhanden. Ziemlich feiner Nerv, der durch ein Loch im ersten Wirbel nach aussen tritt und sich theils in der zwischen Kopf und ersten Wirbel er- streckten Rumpfmuskulatur ausbreitet (1), theils mit dem N. spi- nalis II. die Ansa spinalis I. eingeht. Ventraler Ast des N. spinalis II. (//.). Bei Pipa ein kraftiger Stamm, der gleich nach Bildung der Ansa spinalis I. den N. thoracicus superior 11, (4, 7)^j, welcher sich in den Mm. den nur mit einander verwachseneii beiden ersten Wirbcln verlaufenden N. spinalis II. aufzufassen ware. In Wirklichkeit aber existirt dieses von Stannius angegebene Verhaltniss nicht, die Untersuchung an 2 Exemplaren von Pipa ergab vielmehr, dass der erste Wirbel wirklich ein einzig homogener Wirbel und nicht ein Concret von zwei Wirbeln ist. — Uebrigens fand ich, die W' irbel- zahlen der Anuren betreffend, niebrfache Abweicliuugeu von deu Angaben von Stannius, der wahrscbeinlicb seine Untevsuckungen z. Th. an trockenen Skele- ten gemacht hat. Es ergab sich, das als ein Wirbel gerechnete Os coccygeum mit eingeschlossen, eine Wirbelzahl von 8 bei Pipa und Breviceps, eine W^ir- belzahl von 9 bei Dactylethra Miilleri und Phyllomedusa, eine Wirbelzahl von 10 bei Tomopterua, Ceratophrys, Rana, Engystoma, Bufo, Bombinator, Trachy- cephalus, Kalohyla. iS'ur bei Dactylethra waren der zweite, dritte und vierte Wirbel mit einander verwachsen, bei alien iibrigen waren siimmtliche Wirbel einzeln beweglich. Aus dem Os coccygeum trat kein Nerv bei Tomopterua, Ceratophrys, Engystoma, Bufo, Trachycephalus, Kalohyla, 1 Nerv bei Rana, Bombinator, Phyllomedusa, 2 Nerven bei Pipa, Dactylethra und Breviceps, woraus sich bei Rana etc. eine Zusammensetzung des Os coccygeum aus min- destens 2 Wirbeln, bei Pipa etc. aus mindestens 3 Wirbeln ergiebt. 1) Selbst bei den Urodelen ist die Beziehung des N. spinalis I. zum Ple- xus brachialis nicht so innig wie bei Pipa, intlem bei ersteren eine Ansenbil- dung mit N. i^pinal)s II. sich gar nicht fiudet und nur ein N. thoracicus supe- rior abgegebf^n wird. 2) Von Fischer zi'mlich richtig beschrieben -- die Ansa mit N. spinalis II. scheint iibersehen warden zu seiu — aber als N. accessorius Willisii benannt. Die Art seiner Veitheilung in den Rumpfmuskeln , die Antheiluahme an dem Plexus brachialis und der Mangel jedweder Beziehung zu dem N. vagus machen letzteie Beziichnung unmoglich. 3) Entspricht dem N. thoracicus superior II. und III. der andern Anuren. Znr vergleichenden Anatomie dpr Schultormuskpln. Igj levator scapulap inferior (bss). levator scapulae superior (pss), ser- ratus superior (ihss) und rhomboid eus anterior (rka) verzweigt, sowie einen feinen Ast an die vordere ventrale Rumpfmuskulatur rZungenmuskelnj (3) ') abgiebt und mit seiner Hauptniasse mit N. spinalis III. die A. spinalis II. bildet. Bei den ubrigen Anuren geht der ziemlich schwache Nerv, nachdem sich ein kleiner X. thoracicus superior II. (4) fur den M. basi- suprascapularis und ein ausserst diinnes Verbindungsfadchen ^) mit N. spinalis III- von ihm abgelost haben, zu der Zungen - und Zungenbeinmuskula- tur (3)^). Ventraler Ast des K. spinalis III. (Ill ). Bei Pipa der letzte sich an der Bildung des Plexus brachialis betheiligende dem N. spinalis II. gleichstarke Nerv. Er giebt gleich nach seinem Durchtritte zwischen dem zweiten und dritten Wirbel ein feines Aestchen (lOj an die Bauchmuskeln ab und bildet in einiger Ent- fernung von der Wirbelsaule rait X. spinalis II. die A. spinalis II. Erst ziemlich weit distal von dieser Ansa lost sich ein kleiner N. thoracicus superiorlll. (IK) (9)*) von dem Hauptstamme des Plexus brachialis ab, der den M. thoraci-scapularis versorgt. Bei den iibrigen Anuren ist der Xervenstamm der starkste des ganzen Korpers und in der Ptegel weit grosser als der zweite und vierte Spinalnerv; nur bei Dactylethra ist der Unterschied in der Grosse das N. spinalis III. und N. spinalis IV. unbedeutend. Die Bildung der A. spinalis 11. (rait N. spinalis II.) und A. spinalis III. (mit N. spinalis IV.; geschieht derart, dass die letztere Ver- bindung niiher der Wirbelsaule zu Stande kommt, als die erstere. Die Abgabe des K. thoracicus superior III. (7;, der die Mm. petroso-suprascapularis, rhomboideus anterior, thoraci-suprascapu- 1) VoD FiscHEB (S. 20) gaiiz richiig beschrieben und als ein Element des N. hypoglossus erkannt. 2j Bei Phyllomedusa (Fig. 39) geht dieses Fadchen viel spater als der N. thoracicus superior II. (4) ab und verbindet sich nicht mit dem Stamme des N. spin.ilis III., sondem mit dem Anfangstheile des N. supracocacoideus (12)- Vergl. ubrigens die (Theil I, Fig. 6j abgel-ildote "Varietat von Rai.a. Bei En- gystoma und Tomopterna konnte das Verbinduug'-fadchen nicht aufgefunden werden. 3) Theilweises Homologon des N. hypoglossus oder besser N. descendens. 4j Jjifser N. thoracicus superior IIJ. muss nach seiner Vertheilung im M. thoraci-scapularis als ein Homologon des N. thoracicus superior IV. der ubri- gen Anuren angesehen werden. Aus dieser Thatsache ergiebt sich aber fer- uer, dass der >. spiualis III. von Pipa Homologa des ^^ spinalis IV. der ubri- gen Batrachier in sich enthalt. jg2 Max Ftirbringer, laris und rhomboideus posterior versorgt, findet bei Kana vor Bil- dung der A. spinalis III, bei Phyllomedusa und Engystoma in gleicher Hohe mit derselben, bei Tomopterna und Ceratophrys nach ihrer Bildung statt; bei Engystoma sind N. thoracicus supe- rior III. und IV. zu einem Nerven (7, 9) vereinigt. Ventraler Ast des N. spinalis IV. {JV.). Dieser, bei Pipa zu dem Plexus brachialis in keiner Beziehung stehende Nerv ist in der Kegel weit schwacher als der N. spinalis III. (mit Aus- nahme von Dactylethra) und dem N. spinalis II. nahezu gleich stark. Er geht mit, der einen grosseren (Tomopterna, Ceratophrys, Phyllomedusa) oder kleineren Halfte (Rana) direct zu den Bauch- muskeln und insbesondere dem M. abdomini-scapularis (N. thora- cicus inferior IV. (10)), mit der andern zu dem N. spinalis III. und bildet mit diesem die A. spinalis III. Bei Engystoma ist seine Betheiligung am Plexus brachialis eine weit weniger innige als bei den andern Anuren, indem der Nerv hier nur die Bauchmuskeln und den M. thoraci - scapularis versorgt, aber keine Elemente fur den N. brachialis longus, d. h. den aus der Verbindung der 2 oder 3 den Plexus zusammensetzenden Spinalnerven resultirenden Haupt- stamm, abgiebt. Der N. thoracicus superior IV. (9) fur den M. thoraci-scapularis geht stets nach Bildung der A. spinalis III. in geringerer (Engystoma, Phyllomedusa) oder grosserer Ent- fernung von ihr (Rana, Tomopterna, Phyllomedusa) von dem N. brachialis longus ab '). Der nach Bildung aller Ansen hervorgehende kraftige Haupt- stamm (N. brachialis longus) ist anfangs ganz homogen und spal- tet sich erst in der Gegend der Achselhohle in die beiden Nn. brachiales longi inferior und superior; die in der Leibeshohle ab- gegebenen N. brachiales inferiores und superiores gehen von der ventralen (resp. medialen) und dorsalen (resp. lateralen) Circum- ferenz des Hauptstammes vor seiner Theilung ab. A. Nn. brachiales inferiores : Auch hier ist eine Differenz zwischen Pipa^) und den iibrigen 1) In diesen Falleu ist es nicht vollkommeii sicher zu stellen, ob der N. thoracicus superior IV. uur aus dem N. spinalis IV. entsteht oder ob er auch durch Fasern des jS. spinalis HI. verstarkt wird. Fiir letzteres spricht seine Vertheilung im M. thoraci scapularis. der nicht "bios von dem Processus trans- versus IV., sondern zum kleiuen Theile auch von dem Processus transversus III. entspringt. 2) Dactylethra, die auf diese Beziehungen bin wegen zu schlechteu Er- haltungszustandes nicht untersucht werden konnte, zeigt vermuthlich mit Pipa Zur vergleichenden Anatomie der Schultermaskeln. ]g3 Anuren zu constatiren, die well bios durch die Vertheilung der Neuroglia bedingt allerdings nicht so wesentlich ist, als sie auf den ersten Blick erscheint. Wahrerid bei der Mehrzahl der Anu- ren die Nn. supracoracoideus, pectoralis und coracobrachialis mehr Oder minder getrennt, die beiden letzteren sogar in zienilicher Entfernung von dem ersteren von dem Hauptstamme sich abzwei- gen, lost sich bei Pi pa ein einziger sehr kraftiger Nerv, N. cervici-coraco-pectoralis ') in der Brusthohle ab, der nach Ursprung aus den Zwischenwirbellochern und nach Vertheilung an den Muskeln theils den genannten Nerven, theils dem N. descendens^) der iibrigen Anuren entspricht. Nach kurzem Verlaufe theilt er sich in zwei Aeste, einen etwas starkeren vorderen und einen etwas schwacheren hinteren, welcher letztere iibrigens noch durch einen kleinen vom vorderen Aste ab- gelosten Zweig verstarkt wird. Der erstere Ast verlauft in der Bauchohle nach vorn und unten und tritt dann durch die von Coracoid, Procoracoid und Epicoracoid umschlossene Oeffnung hin- durch, wahrend er sich zugleich in drei Zweige spaltet : der vordere, N. cervicalis descend ens ^) (3), zieht sich am Vorderrande des M. coraco-radialis proprius vorbei nach der Innenflache des M. mylo-pectori-humeralis, den er mit mehreren Aesten versorgt, der mittlere, N. supracoracoideus der iibrigen Anuren oder besser N. coraco radialis proprius (13), vertheiit sich in dem M. coraco-radialis proprius, der hintere, N. supracoracoideus manche Uebereinstimmung, so weit hier der N. descendens in Frage kommt. vielleicht auch Pseudes paradoxa, deren Muskulatur nach Rudinger's Unter- suchungen der vou Pipa ahnlich sein soil. 1) Der Name ist nicht ausreichend; eine vollkommen deckendeBenennung wiirde aber viel zu schwerfallig werden. 2) Entspricht wahrscheinlich einem Theil des N. hypoglo&sus von P'ischer. Vergleiche bei diesem S. 20. „Aliuni mox edit ranium priore paullo amplio- rem etc." 3) Die Bedeutuug dieses Merven hedarf vielleicht noch weiterer Unter- suchungen. Wir mtissen ihn nach seiner Vertheilung in einem Muskel, der jedenfalls als eine besondere Differenzirung der ventralen Ilalsmuskulatur auf- zufassen ist, als einen N. cervicalis descendens (Theil des N. descendens hypo- glossi der meisten menschlichen Anatomien, besser N. cervicalis descendens Henle) ansehen, der nur durch besondere Vertheilung der Neuroglia mit andern Nerven aus dem Plexus brachialis in ciner betriichtlichen Strecke voreinigt ist. Durch die Prjiparation lasst sich iibrigens auch nachweisen, dass der Nerv in seiner tiberwiegenden Masse aus dem N. spinalis 11. hervorgeht, also ein wirk- liches Homologon des von den Autoren so genannten N. hypoglossus (besser N. descendens) der iibrigen Anuren ist. (Vergleiche S. Theil I. S. 287 Anni. 2.) 234 Max Fiirbriiiger, medius et posticus (13), geht an dem Hinterrande desM. cora- co-radialis proprius vorbei mit zwei Zweigen zu den Mm. supra- coracoidei medius und posticus. Der letztere Ast verlauft nach hinten nnd unten an dem Hinterrande der Mm. coraco brachiales vorbei und theilt sich zugieich in zwei Zweige: Der vordere, N. pectoralis et coraco-brachialis (19, 22), versorgt den M. coraco-brachialis brevis und den M. pectoralis coraco - sternalis, der hintere N. pectoralis abdominalis (19j den M. pectoralis abdomiualis. Bei den tibrigen Anuren (abgesehen von Dactylethra V und Pseudes?) ist die Vertheilung der Nn. brachiales inferiores ahn- lich wie bei Rana: a) N. supracoracoideus (12). Ziemlich kraftiger Nerv, der ungefalir an derselben Stelle wie der N. cervici-coraco-ster- nalis von Pipa sich vom Hauptstamme, von dessen vorderer und medialer Circumferenz ablost. Er verlauft in der Bauchhohle nach unten und etwas nach vorn und geht entweder durch die von Coracoid, Procoracoid und Epicoracoid umschlossene Oeffnung (sam-mtliche Batrachier mit Procoracoid und Clavicula) oder am Vorderraude des Coracoids vorbei (Engystoma, Kalohyla), an die Innenseite der von ihm versorgten Mm. supra-coracoideus anticus und coraco-radialis proprius (mit Zweig 13), sowie des M. epi- sterno-cleido-acromio-humeralis zum Theii (mit Zweig 14). b) N. brachialis longus inferior (21j. Sehr kraftiger Stamm, der in der Achselhohle durch Theilung des N. brachialis longus entsteht. Seine Aeste sind: «) Nn. pectorales und coraco-brachiales (19, 22). Bei der Mehrzahl der Anuren ein oder zwei Nerven, die vom An- fange des N. brachialis longus inferior von seiner unteren Circum- ferenz abgehen und sich in den Mm. pectoralis abdominalis, pe- ctoralis sternalis, pectoralis epicoracoideus (coracoideus), coraco- brachialis longus und brevis internus vertheilen. Bei Pipa sind sie samratlich bis auf einen kleinen den M. coraco-brachialis lon- gus versorgenden Zweig (22) im N. coraco-pectoralis enthalten. //) N. cutaueus brachii inferior m edialis (25). Mittel- grosser Hautnerv, der sich bei Pipa schon in der Brusthohle un- weit vum N. coraco-pectoralis, bei den andern Anuren erst im Bereiche des Oberarms abzweigt und die Haut der Ellenbogen- gegend sowie der Beuge- und Ulnarseite des Vorderarms ver- sorgt. y) N. cutaneus brachii inferior lateralis. Hautast, Zur vergleichenden Aiiatomie der Schultennuskeln. I85 der erst am Ende des Oberarms abgeht und sich im radialen Be- reiche der Beuge des Vorderarms vertheilt. B. Nn. brachiales superiores : a) N. latissimus dorsi (34). Meist ein unbedeutender Nerv, der in der Kegel (Ceratophrys ausgenommenj gemeinsam mit deni hinteren N. dorsalis scapulae (31) von der ausseren Circum- ferenz des N. brachialis loDgus sich abzweigt und an die Innen- seite des M. latissimus dorsi tritt. Der Nerv hat entsprechend der Entwickelung des von ihm versorgten Muskels bei Pipa und namentlich Dactylethra eine ganz ansehnliche Grosse, wahrend er bei Rana, Engystoma, Breviceps, Trachycephalus und Phyllomedusa nur wenig und bei Tomopterna, Ceratophrys, Bulb und Kalohyla auffallend schwach entwickelt ist. b) Nn. dors ales scapulae (30, 31). Ein oder zwei nicht unansehnliche Nerven, von denen der hintere (31), direct an den hinteren Theil des M. dorsalis scapulae gehende, meist mit dem N. latissimus dorsi (34) verbunden ist. Der vordere (30) verlauft erst zwischen Scapula und M. dorsalis scapulae, dann zwischen M. scapulo-humeralis profundus anterior und acromio- humeralis nach vorn zu dem M. episterno-cleido-humeralis longus, indem er wahrend seines Verlaufs diesen Muskeln sammtlich Zweige abgiebt. Sein Endtheil bildet einen kleinen Hautnerv der Achselgegend. c) N. sub scapula ris. Kleiner, nur bei Breviceps vorhan- dener Nerv, der gleich neben dem vorderen N. dorsalis scapulae sich ablost und den M. subscapularis versorgt. — Entspricht dem N. subscapularis der Urodelen. d) N. scapulo-humeralis profundus posterior (29). Sehr kleiner Nerv, der unterhalb des vorderen N. dorsalis scapu- lae (30) vom Hauptstamme abgeht und den kleinen M. scapulo- humeralis profundus posterior versorgt. Er ist nicht schwer nach- weisbar bei Ceratophrys, Breviceps, Phyllomedusa und Trachyce- phalus, leicht zu ubersehen bei Pipa, Dactylethra und Kalohyla. Bei Rana und Bufo gelang es mir nicht ihn zu finden , obschon dort Fasern des Muskels nachweisbar sind, bei Tomopterna und Engystoma fehlt er wie der von ihm innervirte Muskel. e) N. cutaneus brachii et antibrachii superior me- dial! s (41). Hautnerv fur die Streckseite der Ober- und Vorder- arms, der sich in verschiedener Hohe von dem Hauptstamme ablost. Bei Engystoma geht er gleich nach dem N. supracora- |gg Max Flirbringer. coideus (12j, bei Ceratophrys in derselben Hohe wie der hintere N. dorsalis scapulae (31) ab, bei Pipa entspringt er dem vorderen N. dorsalis scapulae (30) gegeniiber gemeinsam mit den Rr. mus- culares fiir den M. anconaeus (3ri) und trennt sich erst im Bereiche des ersten Drittels des Oberarms von ihnen. f) N. brachialis longus superior (Radialis) (35, 38). Kraftiger Endstamm, der in der Achselhohle gemeinsam mit dem N. brachialis longus inferior und dem N. brachialis longus ent- steht. Er ist bei den untersuchten Anuren im Wesentlichen nicht verschieden von der Bildung bei Rana. Die Rr. m us cu lares fur den M. anconaeus (36) zweigen sich bei Pipa friiher als bei Rana, schon vor der Trennung des Hauptstammes in den N. bra- chialis longus inferior und superior, bei Ceratophrys etwas spater, hinter der Trennnngsstelle, ab. §• 6*'. Muskeln der Schulter und des Oberarms'). Die Muskeln der untersuchten Anuren bieten eine weit gros- sere Mannigfaltigkeit dar, als die bei der Untersuchung von Rana esculenta und Bufo cinereus gewonnenen und bei beiden ziemlich iibereinstimmenden Resultate erwarten liessen. Die neuen Unter- 1) Zur Untersuchiiug .lienten Pipa aniericaiia, Dactylethra Miilleri, Tomo- pterna americana, Ceratoplirys cornuta, Engystoma carolineuse, Breviceps gib- bosus, Bufo guttatus, Trachycephalus marmoratus, Phyllomedusa bicolor (zum Theil) und Kalohyla baleata. — Von der zahlreichen einschlagigen Literatur (Vergl. Theil I. S. 292. Anm. 1.) wurden nur die folgenden Werke beriick- sichtigt, welche die Myologie irgend eines der von mir untersuchten Thiere (Pipa americana) ebenfalls behandeln: Mayer a. a. 0. S. .534 f. (Einzelne Muskeln von Pipa). Meckel, System der vergleichenden Anatomie. Band III. Halle 1828. S. 159 1. S. 174 f. 8. 200 f. (Brauchbare Beschreibung der Mnskelu von Pipa). Klein a. a. 0. S. 25 f. (Genaue Beschreibung der Muskeln von Pipa). RiJDiNGEB, Die Muskeln der vorderen Extremitat der Reptilien und Vogel. Haarlem 1868. S. 27 f. (Specielle Beriicksichtigung des M. pectoralis, del- toidcus und latissimus dorsi von Pipa). Ausserdem wurden die beiden besten Monographien (iber die Muskulatur e-ines Batrachiers (Rana): Zenkeb, Batrachomyologia. Diss, inaug. Jenae 1825. S. 37 i. und EcKEE, Anatomie des Frosches. Theil 1. Braunschweig 1864. S. 81 f. S. 84 f. S. 89 f. lediglich zur Vergleichung der Nomenclatur benutzt. Einzelne diesen Punkt betreffende falsche Angaben in Theil I. sind im Folgenden berichtigt. Zur vergleichendeD Anatomie der Schultennuskeln. 187 suchungen ergaben eine Anzahl Miiskeln, die Rana und Bufo ent- weder ganz fehlen (Mylo-pectori-humeralis, Supracoracoideus, Sca- pulo-humeralis profundus posterior, Subscapularis) oder doch nicht als selbststandige Bildungen vorhaudeu siud (Scapulo - humeralis profundus anterior); ein frtiher nur als Theil eines andern auf- gefasster Muskel (Thoraci-suprascapularis inferior) stellte sich als eine selbststandige Bildung heraus. Die frtiher gegebene Ueber- sicht') ist danach in folgender Weise zu andern: A. Durch iS. vagus innervirt: Insertion an deni dorsal en Abschnitte des Brust- giirtels (Scapula). a) Ur sprung vom Kopfe. Innervation durch den R. accessorius n. vagi: Capiti-scapularis { CucuUaris), b) Ursprung vom Suprascapulare, Innervation durch den R. scapula r is n. vagi: Interscapularis. B. Durch i\n. thoracici superiores innervirt: a) L'rsprung vom Hinterk opfe und zuweilen auch vom ersten Wirbel. Insertion am Suprascapulare. ft) Vom ventralen Theil des Hinterkopfes und zuweilen auch von der Unterflache des ersten Wirbelkorpers: Basi-suprascapularis {Lenator scapulae inferior). (i) Vom lateralen Theil des Hinterkopfes: Petrnso-suprascapularis (Levator scapulae superior). y) Vom dorsalen Theil des Hinterkopfes: Occipiti-suprascapularis (Rhomboideus aiilerior). b) Ursprung vom Rumpfe (Processus transversi s. transverso-costales und Rippen): a) Insertion vorwiegend an der Scapula : Tkoraci-scapularis {Serratus infimus). (i) Insertion an der Innenflache des Suprascapulare: aa) An dessen unterem Theile: Thoraci-suprascapularis inferior (Serratus medius). bb) An dessen oberem Theile: Tkoraci-suprascapularis superior {Serratus supremus). 1) Verg]. Theil 1. !>. 293 (Jonaische Zeitschrift Band Vll.). 188 Max Fiirbringer, C. Durch IN. descendeus innervirt: Ursprung vom Unterkiefer, Insertion am Brustgiir- tel und Oberarm: Mylo-pectori-humeraliii. D. Durch N. thoracicus interior innervirt*: Ursprung von der Bauchflache, Insertion an der Scapula: Abdomini-scapularis : E. Durch Nn. bracliiales inleriores innervirt: a) Ursprung vom Rumple (Bauchflache, Sternum, auch auf Coracoid oder Epicoracoid iibergreifend) , Insertion am Oberarm: Pectoralis. b) Ursprung vom ventralen Theile des Brustgiirtels (auch auf Sternaltheile iibergreifend). «) Durch N. supracoracoideus innervirt: aa) Insertion am Oberarm: Supracoracoideus. bb) Insertion am Vorderarm: Coraco-radialis proprius. (i) Durch Aeste des N. brachiahs longus inferior innervirt, In- sertion am Oberarm : Coraco-brochialis longus. Coraco-bravJiialis brevis. F. Durch Nn. brachiales inferiores und superiores zugleich innervirt: Ursprung vom vorderen Theile des Brustgurtels (Clavi- cula, Acromion, auch auf die Episternum iibergreifend), In- sertion am Oberarm; Episterno cleido-acromio-kumeralis. G. Durch Nn. brachiales superiores innervirt: fl) Ursprung vom Rumpfe (dorsale Flache des Riickens) Insertion am Oberarm: Dorso-humeralis (Latissimus dor si). b) Ursprung von dem dorsalen Abschnitte des Brust- giirtels, Insertion am Oberarm: Zur vergleichenden Anatoinip der Schultermuskeln. 189 n) Ursprung von der Aussenflache des Suprascapulare, Inser- tion am Processus lateralis gemeinsani mit dem Latisimus dorsi : Dorsalis scapulae. (i) Ursprung von dei- Scapula, Insertion an der Streckseite des Oberarms medial von dem Processus lateralis desselben. aa) Ursprung von der Aussenflache und dem A'orderrande der Scapula, Insertion medial vom Dorsalis scapulae und lateral vom Auconaeus humeralis lateralis: Scapulo-humeralis profundus anterior. bb) Ursprung von dem Hinterrande der Scapula, Insertion medial vom x\nconaeus humeralis lateralis und lateral vom Auconaeus scapularis medialis: Scapula- humeralis profuudus posterior. cc) Ursprung vom Hinterrande und der Aussenflache der Scapula, Insertion medial vom Auconaeus scapularis me- dialis und gemeinsani mit dem Coraco-brachialis brevis internus am Processus medialis: Subscapularis. c) Ursprung vom dorsalen Abschnitte des Brustgtir- tels (Scapula) und Oberarm, Insertion am V order- arm: Auconaeus. 1. Capiti-scapularis (Cucullaris) '). Vergleiche Theil I. S. 295. Ni-. I. Protractor acromii: Zenker (No. 97. 98). Sternocleidomastoideus: Klein, Ecker (No. 44). Scapulo-mastoidous s. sternocleidomastoids us: RtJDINGER. Verschieden grosser Muskel, der vom Os tympanicum und von dem lateralen Theile des Os petrosuni , mitunter auch auf den Lateralrand des Os occipitale externum tibergreifend , entspringt und mit descendentem Faserverlaufe, ganz oder theilweise vom M. digastricus bedeckt, an die Scapula geht, wo er inserirt. Der 1) Yon Meckel unter No. 4 obne Namen beschrieben. 190 Max Fiirbringer, Muskel ist ziemlich breit und kraftig bei Tomopterna, den Bufo- nina (Engystonia, Breviceps, Bufo), den Hylina (Trachycephalus, Phylloraedusa) und den Hylaplesina (Kalohyla), ziemlich schwach und schmai hingegen bei den Aglossa (Dactylethra, Pipa), Cera- tophrys und Rana. Die Insertion findet an dem Vorderrande der oberen Partie der Scapula (Breviceps, Bufo) oder an diesem und dem angrenzenden Theile der AussenHache (Engystoma) oder an dem Vorderrande und der angrenzenden Innenflache (Ranina, Hy- lina, Hylaplesina) oder bios an dem hinteren Theile der Innen- flache der Scapula (Aglossa) statt. Innervirt durch den R. accessorius n. vagi. Der Muskel bietet keine wesentliche Diflferenz von dem bei Rana beschriebenen Verhalten dar. Von Interesse ist die Variirung seiner Insertion, die bald allein auf den Vorderrand der Scapula beschrankt ist, bald auf diesen und die Aussen- und Innenflache der Scapula sich ausdehnt, bald nur an letzterer und sogar an ihrem hinteren Theile stattfindet. Das erste Verhalten zeigt eine nahe Verwandtschaft mit den Bildungen der Urodelen, wahrend sich ini letzten eine Diff'erenzirung darbietet, die von den Ver- haltnissen bei den Urodelen weit abweicht. 2, Interseapularis'). Vergleiche Theil I. S. 296. No. 2. Sub scapulari s: Zenker (No. 87. 88). Inters c a, pularis: Klein. Eckeb, R.udingeb. Verschieden grosser Muskel an der Innenflache des dorsalen Brustgiirtel zwischen Suprascapulare und Scapula, der bei sammt- lichen untersuchten Anuren sich findet''*). Er ist am betrachtlich- sten entwickelt bei Pipa und Dactylethra, wo er eine kriiftige aber nicht sehr breite Muskelmasse darstellt. Nur mittlere Grosse hat er bei den Ranina, noch kleiner ist er bei den Hylina, Hylaplesina und Bufonina, unter letzteren namentlich bei Breviceps, wo er von dem untern Rande des Suprascapulare zu dem oberen der Scapula geht und leicht ubersehen werden kann. Bei Kalohyla, weniger deutlich bei Engystoma, findet sich eine Differenzirung in zwei Partien, eine vordere breite und kurze, die von dem untern Drittel der Innenflache des Suprascapulare entspringt. und eine 1) Meckel: No. 8. 2) Von Klein mit Unrecht bei Pipa geleugnet. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 191 hintere schmale und lange, die von der Innenflache der hintern oberen Ecke des Suprascapulare kommt. Beide Theile vereinigen sich im Bereiche des oberen Drittels der Scapula vollkommen und inseriren an der Mitte der Innenflaclie derselben. Inner virt durch den R. scapularis n. vagi. 3. Basi-siiprascapularis (Levator scapulae inferior)'). Vpi-gleiche Theil I. S. 298. No. 3. Protractor scapulae^: Zenker (No. 95. 96). Levator angul scapulae: Klein, Ecker. Portio anterior serrati majoris s. levator scapu- lae p r 0 p r i u s : Rudinger. Ziemlich kraftiger Muskel, der entweder von der Schadelbasis allein oder von dieser und der Unteriiache des ersten Wirbelkor- pers entspringt und, den M. thoraci-suprascapularis inferior kreu- zend, derart, dass dieser iiber ihm sich vorbeizieht, nach der In- nenfiiiche des unteren Theiles des Suprascapulare geht, wo er in verschiedener Ausdehnung inserirt. In der Kegel hat der Muskel eine ansehnliche Grosse, so namentlich bei Pipa, den Ranina und Bufonina ; bei Dactylethra, den Hylina und Hylaplesina ist er weni- ger entwickelt. Der Ursprung findet von der Schadelbasis und dem ersten Wirbel statt bei Pipa, Breviceps, Engystoma, Trachy- cephalus und Kalohyla, bios von dem Schadel bei Dactylethra, den Ranina, Bufo und Phyllomedusa. Innervirt durch den N. thoracicus superior IL {4). Von Bedeutung ist der bei Vielen auch auf den ersten Wirbel ausgedehnte Ursprung, wodurch die Honiologie mit dem Levator scapulae des Menschen zwingender wird. Eine besondere Differen- zirung bei den Anuren ist die, dass der Muskel nicht von dem Querfortsatze des Wirbels, sondern tiefer. von dessen Unteriiache, entspringt. 1) Meckel: No. 3. Seine Angabe, dass er ausser von dem Schadel auch von den vordersten Wirbeln komme , kanu ich ebensoweuig als die Klein's und Rubingeb's, wonach der Muskel nur vom Kopf kommt, bestJitigen. 192 Max Fiirbringer. 4. Petroso-snprascapularis (Levator scapulae superior)'). Vergleiche Theil 1. S. 299, ISo. 4. Ijevator scapulae profuudus: Zf.nkeb (No. 91. 92). Protrahens scapulae: Eckeb. Ijevator anguli scapulae: Rudingee. In der Regel etwas kleiner als der vorige. oberhalb dessen er liegt. Er entspringt vom Felsenbeine und dem lateralen Theile des Os occipitale und geht horizontal nach hinten an die Unter- flache des obern vordein Theils des Suprascapulare. Bei geringer Entwickelung (Ranina, Bulb, Hylina. Hylaplesina) nimmt seine Insertion nur die Innenllache des oberen vorderen Winkels des Suprascapulare ein, bei grosserer (Pipa, Dactylethra, Engystoma. Breviceps) erstreckt sie sich uber die vorderen zwei Drittel des oberen Drittels der Innenflache des Suprascapulare. Innervirt durch den N. thoracicus superior II. (4, 7) (Pipa) Oder III. (7) (iibrige Anuren). 5. Occipiti-suprascapularis (Rhomboideus anterior). Vergleiche Theil I. S. 300. No. 5. Levator scapulae sublimis: Zenkjek (No. 89. 90). Oberer Vorwartszieher: Meckel (No. 1). C u c u 1 1 a r i s : Klein, Ecker, Rudinger. Verschieden breiter, wenig dicker Muskel, der von dem hin- teren oberen Theil des Schadels in der Regel an den oberen Rand des Suprascapulare und den angrenzenden Theil der Unterflache desselbei^ in verschiedener Ausdehnung geht. Er ist ziemlich gross bei Pipa, Breviceps und Kalohyla, auffallend klein bei Da- ctylethra. Der Ursprung findet in der Regel von dem Os occipi- tale laterale nahe der Mittellinie statt, so dass er medial den Ursprung des Muskels der Gegenseite nahezu beriihrt; nur bei Pipa und Engystoma ist er lateral geriickt und liegt am lateralen Rande des Os occipitale und dem medialen Theile des Os petro- sum. Die Insertion beschrankt sich bei geringer Entwickelung auf die vordere obere Ecke des Suprascapulare, bei grosserer nimmt sie die vordere Halfte (Tomopterna) oder die vorderen drei Fiinftel (Kalohyla) oder vier Fiinftel (Breviceps) des oberen Ran- des des Suprascapulare ein. Bei Pipa inserirt der Muskel, ent- 1) Meckel: No. 2. Zur vprgleichenden Anatomie der SchultermuskelD. 193 sprechend seinem mehr lateralen Urspiunge, an den oberen zwei Fiinfteln des Vorderrandes des Suprascapulare. Innervirt durch den N. thoracicus superior II. (4-|-7) (Pipa) Oder III. (7) (ubrige Anuren). 6. Thoraci-scapularis (Serratus inflmus) '). Vergleiche Theil I. S. 301. No. 6. Depressor acromii: Zenkee (No. 103. 104). Depressor scapulae: Klein. Transverso-scapularis major: Eckeb (No. 46). Transver so-scap ularis major u. minor: Kudingeb. Schlanker und nicht sehr kraftiger Muskel, der bei Pipa von dem zweiten und dritten Wirbel, resp. Rippe'^), bei alien iibrigen 1) Meckel: No. 7. — Der kleiue vordere, von dem 3. resp. 2. Wirbel entspringende, Kopf ist von Meckel und Klein ubersehen worden. Eckee und RtJDiNGEE haben ihu richtig beobachtet, letzterer hat ihu als selbststandigen M. transverso-scapularis minor von dem hiuteren Kopf, den er M. transverso- scapularis major nennt, unterschieden. Ich kann mich mit dieser Trennung nicht einverstandeu erklilren. — Das Epitheton Magnus lassen wir ftir die Zukunft als uberfliissig von der Bezeichnung Serratus magnus fallen. 2) Ueber die Existenz der Rippen bei den Anuren sind die Meinungen der vergleichenden Anatomen getheilt. Die meisten erblicken in den sogenannteu Querfortsatzen derselben entweder lediglich Homologe der Processus transversi oder untrennbare Verschmelzungen von Querfortsatz- und Rippenelementen (Pro- cessus transverso-costales) ; nur wenige scheinen eine gewisse Selbststandigkeit von Rippenbildungen anzuerkennen. — Bei Pipa nun tragt der dritte (gleich dem zweiten auffallend lange) Querfortsatz an seinem lateralen Ende eine an- sehnliche ziemlich breite Knorpelplatte, die mit ihm (durch Gelenk) beweglich verbunden ist. Diese Platte ist meines Wissens zuerst von Peetee (Observatio- ues auatomicae circa fabricam Ranae pipae. Diss, inaug. Beroliui 1811) auf- gefuuden , danu von Meckel (Band I. S. 385) als „ansehnlicher beweglicher langlichrunder Kuoipel, der viel breiter als er (der Wirbelquerfortsatz) selbst ist und als Rippenrudiment erscbeint" beschrieben (an anderen Stellen z. B. S. 390 wird die Existenz von beweglichen Rippen vollkommen in Abrede gestellt), spater von Klein als „knorpelige Platte des dritten Processus transversus" und von Stannius (S. 16) als „knorpeliger Anhang (der einigermaasseu an die Processus uncinati der Rippen bei den Crocodilen und Vogeln erinnert)" ange- fuhrt worden. Diesen Ansichten tritt Duges (Recherches sur I'osteologie ct la myologie des Batraciens. Paris 1834. S. 58) entgegen, indem er sagt : „cette circonstance doit faire penser que les appendices cartilagineux, suspendus au bout de ces apophyses chez les autres Batraciens anoures et notamment le pipa, sont des cotes rudimentaires". Ich schliesse mich Pipa betreffend Duoiis an und erblicke in der Platte des dritten Wirbels ein vollkommenesllomo- logon eiuerRippe, wahrend ich den knocherneu mit dem Wirbelkorper Bd. vm, N. F. I, 2. 13 194 Max Filrbringer, Anuren von dem dritten und vierten Wirbel entspringt und mit etwas convergirenden Fasern nach dem oberen Theil der Innen- flache der Scapula geht. Bei Pip a entsteht der Muskel mit zwei getrennten Kopfen, einem ganz schwachen vorderen von dem Knor- pelende des Processus transversus (transverso-costalis) II. und einem kraftigeren hinteren von dem Lateralrande der Rippe des dritten Wirbels; beide Kopfe vereinigen sich ungefahr in der Mitte ihres Verlaufs zu einem homogenen Muskel, der an die Innenflache der an einander angrenzenden Rander der Scapula und des Supra- scapulare geht. Bei den iibrigen Anuren sind ebenfalls zwei von den lateralen Knorpelenden der Processus transversi (transvcr- so-costales) II. und III. entspringende Kopfe, ein kleinerer vorderer und ein grosserer hinterer, nachweisbar, die aber sehr bald zu einem Muskel verschmelzen, der entweder wie bei Pipa an an- einander anstossenden Theilen der Scapula und des Suprascapulare (Dactyletbra) oder nur an der Innenflache der Scapula nahe dem hinteren Rande, und zwar dann entweder im Bereiche des oberen Drittels (Ranina, Engystoma, Hylina, Hylaplesina) oder des mitt- leren Drittels (Bufo guttatus) oder des mittleren Fiinftels (Brevi- ceps) inserirt. Bei Dactylethra sind die beiden Kopfe schon am Ursprunge zu einem Muskel verschmolzen ; diese Bildung steht in fest verbimdenen Querfortsatz als echten Processus transversus ansehe. Aehn- liche Knorpelanhauge existireu auch bei andeni Batrachierii, z. B. bei Dacty- lethra, Ceratophrys, Discoglossus (cf. Duivieell etBiBRON, Erpetologie generale. VIII. Paris 1841. S. 425), Megalophrys (cf. Dumeril et Bibron), Colodacty- lus (cf. Peters a. a. 0. S. 414), Alytes und Bombinator (cf. Duges und Dumeril et Bibron), sind hier aber nicht beweglich mit den Querfortsatzen verbunden, so dass sie nnr mit Wahrscheinlicbkcit als llippenbomologe angespiocben werden konnen. Von besonderem Interesse ist die Bildung von Alytes obste- tricans, wo der verbreiterte Endkuorpel von einem querfortsatzilbnlichen Kuo- chenstixck ausgeht, das von dem Wirbel durch eiue Knorpelnaht getrennt ist; ob dieses Knochenstiick mit Duges als rippenahnliche Bildung (I'appendice costiforme) oder als Theil des Querfortsatzes aufzufassen ist, mussen eiugehen- dere Untersuchungen erst nocli entscheiden ; eine formliche Articulation , die Duges angiebt, faud ich nicht. Bei der Mehrzahl der iibrigen Batrachier exi- stiren auch an don Enden verschiedener Querfortsiitze Knorpelstiicke, die aber weder nach Form noch nach Verbiudung mit den Querfortsatzen etwas cha- rakteristisches darbieten und mit gleichem Rechte als Rippenrudimeute wie als Querfortsatzelemente aufgefasst werden konnen. — Die Ansichten Cope's iiber die Rippen der Batrachier, der (nach den mir gemachten brieflichen Mitthei- lungen des Herrn Professor Peters) diesen Gegenstand im Journal of the Academy of natural sciences of Philadelphia. Vol. VI. 2d series 1866—1869. S. 74 f. auch behandelt hat, kenne ich nicht. Zui- vergleichenden Anatomie der Schnltermuskeln. ign enger Beziehung zii der geringen Selbststaiidigkeit des zweiteii, dritteu und vierten Wirbels, die mit einaiider verwachseii sind. Innervirt diirch den N. thoracicus superior III. (9) (Pipa) Oder IV, (9) (ubrige Anuren). Der Muskel gehort, wie .schon friiher erwalint, zum Systeme des Serratus magnus. Doch ist seine Homologie mit diesem keine complete, da er niclit an der Basis der Scapula (Suprascapulare), sondern in der Nalie des glenoidalen Theiles derselben inserirt. RuDiNGER ist zu weit gegangen, wenn er danach jede Vergieichung mit dem Serratus ausschliesst. — Auffallend erscheint die Differenz des Ursprungs von Pipa gegeniiber alien andern Batrachiern; sie ist aber mit Leichtigkeit aufzulosen, wenn man den zweiten und dritten Wirbel von Pipa mit dem dritten und vierten der ubrigen Batracbier vergleicbt, eine Vergieichung, die ubrigens durch die Anordnung der andern von ihnen entspringSnden Mus- keln und der Nn. spinales II. und III. von Pipa bestatigt wird. 7. Thoraci-suprascapularis inferior (Serratus medius) '). Depressor scapulae: Zenker (No. lUl. 102). Riickwartszieher z. Tb.: Meckel (No. 6 z. Tb.). Adductor scapulae: Klein. Transverso-scapularis mino r: Eckee (No. 47). Pars posterior m. serrati antici majoriss. Pars III. des Serratus: Rudinger. Kleiner aber ganz selbststandiger Muskel, der bei Pipa von dem Processus transversus, (transverso-costalis) II., bei alien ubri- gen Anuren von dem Processus transversus (transverso-costalis) III. und zwar von der Unterseite und dem Vorderrande des lateralen Theils desselben^j entspringt und mit nach vorn verlaufenden Fasei-n an die Innenliache des vorderen Abschnittes des Supra- 1) Diesen Muskel babe icb friiher uiclit als selbststandigcn Muskel, son- dern nur als Theil des M. thoraci-suprascapularis (Serratus magnus supcrioi) anfgefuhrt. Seine bei alien uutersucliten Datrachicrn nacbwcisbarc! Sclbststiln- digkeit jedocb nothigt mich von meiner friiheren Darstellung abzugehen und micli )ianientlich Ecker, der ihu vorzuglicb genau beschreibt, anzuschliesson. Die Eig. 27 (cf. Tbeil I), die den Muskel nicht deutlicb genug darstellt, bedarf danach einer (Correction. — Die von Klein als Levator scapulae profundus and von Rijdinger als Portio media serrati antici majoris bescbriebenen Mus- keln baben eiuige Aebnlichkeit mit dem Serratus medius, kojinten aber genau so wie Klein und Rudinger sie angeben von mir nicht aut'gei'unden worden. 2) Das latcrale Eude ist ausgeschlossen, da dieses von dem Urapruuge des Serratus iulimus eiugeuommen ist. V6* 196 Max t'Urbringer, scapulare, im Bereiche des mittleren Drittels desselben (vertikal gerechnet), geht, wo er inserirt. Auf seinem Verlaufe kreuzt er den M. levator scapulae inferior derart, dass er oberhalb des- selben liegt. Der Muskel zeigt wenig Schwankungen, sondern re- prasentirt eine bei alien untersuchten Anuren ziemlich gleichmas- sige Bildung. Innervirt durch den N. thoracicus superior II. (4 -f- 7) (Pipa) Oder III. (7) (tibrige Anuren). Der Muskel ist als eine selbststandige Diiferenzirung des M. serratus aufzufassen; sein weit nach vorn geriickter Ursprung unterscheidet ihn wesentlich ebensowohl von dem M. serratus in- fimus wie von dem M. serratus supremus. Nach seinem Ursprunge und namentlich nach seiner Insertion zeigt er grosse Aehnlichkeit mit der unteren Partie des M. thoraci-scapularis der Urodelen (ths) '), doch darf diese Aehnlichkeit wegen der abweichenden Lage zum M. basi-scapularis nicht zu unvorsichtiger completer Homologisirung beider Muskeln verleiten. Der abweichende Ur- sprung bei Pipa lasst sich aus dem schon beini vorigen Muskel angegebenen Grunde erklaren. 8. Thoraci-suprascapularis superior (Serratus supremus mit Rhomboideus posterior). Vergleiche Theil I. S. 302. Nr. 7. Serratus supremus: Omoplateus rectus: Zenker (No. 93. 94). Riickwartszieher z. Th.: Meckel (No. 6 z. Th.). Serratus: Klein. Transverso-scapularis III. s. Serratus: Eckee (No. 48). Pars medialis m. serrati antici majoris: Rudinger. Rhomboideus posterior^): Riickwartszieher z. Th. : Meckel (No. 6 z. Th.). Rhomboideus: Klein, Rtjdinger. Retrahens scapulae: Ecker (No. 33). Breite aber, abgesehen von Pipa und Dactylethra, nicht sehr Starke Muskelmasse, deren Ursprung bei Pipa von dem zweiten 1) Diese Aehnlichkeit ist bedeutender als die zwischen den unteren Partien des Serratus magnus der Urodelen und des Serratus infimus der Anuren. 2) Von Zenker nur bei Gelegenheit der Tafelerklarung (S. 50. No. 25) als „fibrae aliquot musculares scapulam deprimeutes, raro obviae" beschrieben. — Die Idontificirung des EcKER'schen Retrahens scapulae und der RuDiNGER'schen Pars medialis m. serrati antici majoris kann ich nicht bestatigen. Zur vergleichenden Anatomie der Schultprmuskeln. 197 und dritten, bei den ubrigen Anuren von dem dritten und vierten Wirbelquerfortsatz stattfindet und sich meist medialwarts uber die Langsmuskulatur des Ruckens, in manchen Fallen auch bis zu den Dornfortsatzen der erwahnten Wirbel erstreckt und deren Inser- tion den Hinterrand oder den vorderen oder den oberen Sauni der Innenflache des Suprascapulare in verschiedener Ausdehnung einnimmt. Der Muskel ist mehr oder weniger deutlich in zwei Theile geschieden, die von der Oberflache des lateralen Theils der Processus transversi ihren Ursprung nehmen, von denen der vor- dere nieist etwas schmaler aber kraftiger als der hintere ist; am ausgepragtesten ist diese Scheidung bei Kalohyla, wo beide durch einen ziemlich breiten Spalt von einander getrennt sind. Biindel, die medial von dem lateralen Ende der Querfortsatze entspringen, fehlen vollkommen bei Pipa, Dactylethra, Breviceps und Engy- stoma: ein Rhomb oideus posterior ist hier nicht entwickelt. Die erste Andeutung desselben findet sich bei Kalohyla, wo die Muskelbundel des hinteren Theils mit ihrem Ursprunge medial iiber die angrenzende Langsmuskulatur des Ruckens ubergreifen und von der in der Hohe des vierten Wirbels gelegenen Inscriptio tendinea entspringen. Eine weitere Ausbildung kommt Bufo zu, wo der Rhomboideus medial eben an den Processus spino- sus III. angrenzt. Die hochste Entwickelung zeigt sich bei Cera- tophrys, Tomopterna, Phyllomedusa und namentlich bei Trachyce- phalus, wo der Rhomboideus posterior ausser von der dem vierten Wirbel entsprechenden Inscriptio tendinea auch von den Dorn- fortsatzen des dritten und vierten (Ceratophrys, Tomopterna) oder des zweiten, dritten und vierten (Phyllomedusa) oder der vier ersten Wirbel (Trachycephalus) entspringt; bei Tomopterna, Bufo und Trachycephalus existirt zugleich eine deutliche Trennung von dem Serratus supremus. Die Insertion findet bei Breviceps statt am Hinterrande des Suprascapulare im Bereiche seines oberen Viertels, bei Pipa an den oberen drei Funfteln des vordersten Theils der Innenflache des Suprascapulare, bei den ubrigen an dem obersten Saume der Innenflache des Suprascapulare, und zwar in dessen hinterer Halfte bei Tomopterna und Kalohyla, in dessen Mitte bei Engystoma, in dessen hinteren zwei Dritteln bei Cera- tophrys, in dessen ganzer Ausdehnung mit Ausnahme des vorder- sten und hintersten Endes bei Dactylethra, Bufo, Trachycephalus und Phyllomedusa. Innervirt durch den N. thoracicus superior II. (44-7) (Pipa^ oder III. (7) (iibrige Anuren). 198 Max Fiirbringer, Der Muskel ist, wie schon (Theil I. S. 302) erwahnt worden, ein Homologon der obereii Partie des M. serratus magnus der Urodelen; die Bildung des Rhomboideus posterior ist den Anuren eigenthiimlich. 9. Mylo-pectori-humeralis *). Vorderer ob erflachlicher Brustmuskel: Mayer (No. 7).' Hum ero -mylo -sternalis: Klein. Portio sternalis anterior m. pectoralis majoris: RUDINGEK. Kraftiger und breiter Muskel bei Pipa, der von den vorderen zwei Dritteln des Unterkiefers, und zwar von dessen Innenflache, unten bedeckt von dem kleinen und in einzelne Bauche aufgelo- sten M. myloyhoideus anterior, entspringt und neben dem der Gegenseite mit nahezu parallelen Fasern nach hinten zur Gegend des Brustgiirtels verlauft. In der Hohe der Clavicula gehen seine Muskelfasern in einer schragen Linie, die ungefalir der Lage der Clavicula entspricht, in eine sehr breite Aponeurose iiber, die sich uber die von Clavicula und Epicoracoid entspringenden Muskeln hinwegzieht und schliesslicli zwischen M. supracoracoideus posticus und M. pectoralis sterno-coracoideus und coraco-brachialis sich an dem Coracoid inserirt, zugleich aber mit einem kraftigen latera- len Sehnenzipfel sich mit den Sehnen des M. pectoralis abdomi- nalis und sternocoracoideus verbindet und gemeinsam mit ihnen an dem Processus lateralis humeri sich anheftet. Bei Dactylethra existirt ebenfalls ein breiter Liingsmuskel, der an dem Brustgurtel inserirt ^). 1) Meckel beschreibt den Muskel recht genau auf S. 183. „Ausserdeni liegt vor den oben beschriebenen Tlieilen (des grossen Brustmuskels) ein gros- serer, aber diinnerer, viereckiger Baucb, der durch seinen hintereu Rand in eine sie bedeckende und mit ihnen verscbmelzende Seine iibergeht, sich durch den Winkel, worin der aussere und hintere Rand zusammenstossen, dicht vor den iibrigen Bauchen an den vordern Oberarnihocker, durch den vordern Rand an die Unterkieferhiilfte seiner Seite heftet." Ueber die Deutung desMuskel^^ ist er nicht klar ; er meint, dass er auf Kosten besonders des Quermuskels des Unterkiefers enstanden zu sein scheine, und gleich darauf, dass er wohl der nach vorn geruckte Theil des Deltoides sein konne, der ausserdem fehle. Brauchbar ist die Beschreibung von Klein, sehr diirftig hingegen die Mayer's und RiiDiNGEB's; letztere erwahnen gar nicht die Insertion am Brustgurtel. Mayer tiberdies bildet den Muskel mit quer verlaufeuden Fasern ab. 2) Der Ursprung konnte wegen zu schlechten Erhaltungszustandes nicht Zur vergleichenden Anatomie dor Schultf rmaskeln. 1 99 Inner virt durch den vorderen Ast des N. cervici-coraco- pectoralis, den N. cervicalis descendens (3,)- Eine Vergleichung des Miiskels niit dem Pectoralis (Mayek, Rudinger) wird sowohl durch die Art seiner Innervirung, durch einen vor dem Coracoid an ihn herantretenden Nerv, als auch durch Ursprung und Insertion unmoglich geniacht. Die Annnahnie, dass der sonst mit seinem Ursprunge auf die Bauchfliiche und das Sternum beschrankte und hochstens bis auf das Epicoracoid sich nach vorn erstreckende Pectoralis mit seinem Ursprunge bis vor zum Kiefer greifen konne (wobei er sich ausserdem zwischen andere Halsmuskehi eindrangen miisste), erscheint schon von vornherein zum mindesten sehr bedenklich uud ist auch durch keinen einzigen nur einigermaassen analogen Vorgang bei den Wirbelthieren ver- mittelt; hochst unwahrscheinlich ware ferner, dass die Insertion nur zum kleinsten Tlieile am Humerus, mit der Hauptmasse aber an dem Brustgiirtel stattfinden sollte. Dieselben Einwande, Ursprung und Insertion betreffend, sind auch gegen eine Deutung des Muskels als Theil des Deltoideus (Meckel) zu erheben. — Der Muskel ist nach Ursprung, Faserverlauf und Lage zu den andern Halsmuskeln, zum Theil auch nach seiner Insertion als ein ungewohnlich stark entwickelter ventraler Langsmuskel ') aufzufassen, der im Allge- meinen den Mm. sternohyoideus, sternothyreoideus, thyreohyoideus, geniohyoideus homolog, aber zugleich zu einseitig differenzirt ist, um eine speciellere Vergleichung zu gestatten. Das an den Hu- merus gehende Sehnenlascikel ist ein aberrirender Zipfel, der nur eine ganz secundare Bedeutung hat. Die Art der Innervirung be- bestatigt diese Deutung des Muskels vollkommen. Wahrend bei alien andern Anuren die Hauptmasse des N. spinalis II. direct zu der von ihm versorgten ventralen Halsmuskulatur geht, verbindet sich dieser Nerv bei Pipa fast in seiner ganzen Totalitilt (abge- sehen von einem ganz diinnen Aestchen (3)) mit dem N. spinalis III. zu dem Plexus brachialis, dessen Hauptstamm seinerseits erst spater den N. cervici-coraco-pectoralis und als dessen vordersten sicher nachgewiesen werden. ebenso weuig eine Insertion am Humerus. Der M mylohyoideus ist bei Dactyletbra viel kraftiger entwickelt und viel weiter nach hinl'cu ausgedehnt als bei Pipa. - :sach Rudinger-s Angabe verhalt sich Pseudes paradoxa wis Pipa. 1) Dauach ist auch der Muskel von deu liier behaudelteu Scluiltcrniuskein auszuschliessen uud zu den Zungenbeinmuskeln u. s. w. zu rechnen. Da aber die Beziehungen zu dem Brustgiirtel und Arm sehr iunig sind, da lerner bisber iiber seiue Deutung weuig Klarheit herrschte, wurde er bier behaudelt. 200 Max Ftirbringer, Ast den N. descendens (3,) abgiebt. Dass dieser N. descendens wirklich dem Hauptstamme des N. spinalis II. bei den iibrigen Anuren entspricht, wurde schon oben (S. 183) nachgewiesen. 10. Abdomini-scapnlaris. Vergleiche Theil I. S. 303. No. 8. Depressor abdominalis scapulae: Zenker (No. 99 100). Portio omo-abdominalis m. obliqui abdominis ex- terni: Klein, Ecker (No. 29b), RUDINGER. Verschieden kraftige Partie des M. obliquus abdominis exter- nus, die an dem Hinterrande der Scapula inserirt. Bei Pipa und Dactylethra fehlt der Muskel vollkommen, bei alien andern unter- suchten Batrachiern ist er in geringerer (Rana, Ceratophrys, Ka- lohyla) Oder grosserer Ausdehnung und Selbststandigkeit (Tomo- pterna, Breviceps, Bufo, Trachycephalus, Phyllomedusa) ausgebildet. Die Insertion tindet meist am oberen Viertel des Hinterrandes der Scapula, seltener an dem Gelenktheil derselben (Bufo, Kalo- hyla), noch seltener an dem unteren hinteren Ende des Supra- scapulare (Trachycephalus) statt. Bei Breviceps ist der Muskel von dem ausserordentlich entwickelten bis nach dem Hinterkopfe nach vorn erstreckten M. obliquus abdominis externus bedeckt. Innervirt durch den N. thoracicus inferior IV. (10). 11. Pectoralis. Vergleiche Theil I. S. 304. No. 9. a) Portio abdominalis : Brachio-abdominalis: Zenker (No. 109. 110. Tab. I. Fig. 2. No. 11 j. Obliquus abdominis externus: Mayer. Hinterer Theil des grossen Brustmuskels: Meckel (No. 3). Pars humero-abdomiualis m. pectoralis: Klein. P. abdominalis m. pectoralis: Ecker (No. 52«). P. posterior s. abdominalis m. pectoralis majoris: RUDINGER. Zur vergleichenden Anatomie der Schultennuskeln. 201 6) Portio sternalis^): P. inferior sublimis m. pectoralis (majoris): Zenker (No. 107. 108. Tab. 1. Fig. 2. No. 10)- Vorderer Theil des grossen Brustmuskels z. Th.: Meckel (No. 3). P. sternalis m. pectoralis z, Th.: Klein. P. sternalis posterior m. pectoralis: Ecker (No. 52b). p. sternalis media m. pectoralis majoris; Rudingeb. c) Portio epicoracoidea (coracoidea): P. media m. pectoralis (majoris): Zenker (No. 107. 108. Tab. I. Fig. 2. No. 8). Vorderer Theil des grossen Brustmuskels z. Th. Meckel (No. 3). P. sternalis m. pectoralis z. Th.: Klein. P. sternalis anterior m. pectoralis: Eckeb (No. 52a). P. sternalis anterior m. pectoralis majoris: BtiDiN- GEB. Machtige namentlich in die Breite ausgedehnte Muskelmasse, die in mehr oder minder getrennten Partien in der Kegel von der Bauchflache, dem Sternum und den angrenzenden Theilen des Brustgiirtels (Coracoid, Epieoracoid) entspringt und mit conver- genten Fasern zu dem Oberarm geht. Die hinterste Partie, P. abdominalis, ist constant zu unterscheiden von den vorderen, P. sternalis und epicoracoidea (coracoidea), die ihrerseits wieder in den verschiedensten Graden der Selbststandigkeit sowohl von ein- ander als aucb von den anliegenden Muskeln diflferenzirt sind. a) Pars abdominalis m. pectoralis. Grosste Portion des M. pectoralis, die bei der Mehrzahl der untersuchten Batra- chier im Wesentlichen der entsprechenden Bildung von Rana und Bufo gleicht. Bci Pip a hingegen unterscheidet sich der Muskel betrachtlich von den ubrigen. Er stellt bier eine ausserordentlich breite und machtige Muskellage vor, die nicht allein von der Aponeurose des M. obliquus abdominis externus, sondern auch von dem Schambeine und, gemeinsam mit dem M. obliquus abdominis internus, von den proximalen funf Sechsteln des Femur entspringt und mit nach vorn und aussen verlaufenden und etwas conver- girenden Fasern nach dem Processus lateralis des Humerus geht, wo er inserirt, nachdem er sich mit der P. sterno-coracoidea und mit dem M. mylo-pectori-humeralis verbunden hat. Er ist an sei- 1) Mayer unterscheidet bei Pipa einen mittleren und hinteren Brustmus- kel, doch ist die Beschreibuug zu ungenau, um einen Vergleich der ^omenklatur zu gestatten ; vermutblich repraseutirt die Hauptmasse dieser Theile nicht den Pectoralis, sondern den Supracoracoideus. 202 Max FxirbringPT, nem hinteren Theile vod einer schmalen und sehr dunneii oberflach- lichen Schicht des M. obliquus abdominis externus') bedeckt. die seine Fasern nahezu im rechton Winkel kreuzt, und deckt seiner- seits wieder die Hauptmasse des sehr dunnen M. obliquus abdo- minis externus, die innig mit seiner Innenflache verwachsen ist; lateral ist er von dem M. latissimus dorsi nur durch einen sehr schmalen Zwischenraum getrennt^). Eine sehnige Verbindung der beiden Pectorales abdominales in der Gegend des Sternums exi- stirt nicht^*). Dactylethra, bei der der Muskelurspruug noch bis zur Weichengegend zu verfolgen ist. giebt den Uebergang zu den opisthoglossen Batrachiern, wo der Muskel lediglich von der BaucMache entspringt. Bei diesen stellt die P. abdomi- nalis einen bei Weitem schwacheren Muskel als bei Pipa dar, dessen laterale Grenze stets weit von dem Latissimus entt'ernt ist, der mit seiner Hauptmasse von der Aponeurose des M. obliquus externus, resp. der ersten oder den beiden ersten Inscriptiones tendineae des M. rectus in der Nahe des Sternums entspringt und der an dem Processus lateralis humeri gemeinsam mit der Pars epicoracoidea (coracoidea) inserirt. Eine besondere Differenzirung bietet Tr achy cephalus dar. indem hier ausser der normal ent- wickelten P. abdominalis noch ein schmales laterales Muskelbiindel existirt, das parallel ihrem Aussenrande zu dem distalen Fiinftel des Humerus verlauft, wo es medial vom M. acromio-humeralis inserirt. b) uud c) Pars sternalis und epicoracoidea (coracoi- dea) m. pectoralis. Verschieden kraftige. stets der P. abdomi- nalis an Masse nachstehende Portion, die entweder eine homo- gene Muskelausbreitung darstellt, die von dem Sternum und der Verbindung der beiden Coracoide entspringt und von den vor ihr gelegenen Muskeln nicht zu trennen ist (Eugystoma, Kalohyla), Oder einen bestimmt differenzirten selbststandigen Muskel dar- stellt, P. sterno-coracoidea (Pipa, Dactylethra) oder deutlich in 1) Von Mayeb (S. 534) zuerst beschrieben : ,,Die aufsteigenden Faserbundel dieses Muskels (Pectoralis s. obliquus externus Mateb's) werden unten am Abdomen durch Querbiindel gedeckt", aber nicht gedeutet. Von Klein nchtig als oberflachliche Theile des M. obliquus abdominis externus erkannt. 2) Klein behauptet, dass er sich an den Latissimus dorsi anlege ; ich t'and immer einen kleinen Zwischenraum zwischen beiden. 3) Meckel und Klein beschreiben eine sehnige Verbindung der beiden Pp. abdominales; diese gehort aber nicht dem M. pectoralis, sondern dem M. obliquus abdominis externus an. Zur vergleichenden Anatomie der Rchultermuskeln. 203 zwei Portionen zerfallen ist, tleren vordere, P. epicoracoidea (co- racoidea). von dem Epicoracoid oder dera Medialrande des Gora- coids und deren hintere, P. sternalis. von dem Sternum entspringt (iibrige untersuchte Batrachier). Bei E n g y s t o m a stellt der Mus- kel den hinteren von dem N. pectoralis versorgten und nur ktiust- lich von dem vorderen trennbaren Theil des breiten obertiachlichen ventralen Muskels dar, welcher von dem medialen Theile der vor- deren Halfte des Steruums und von dem medialen Rande des Coracoid kommt und mit convergirenden Fasern an den proxima- len Theil des Processus lateralis humeri geht. Bei Kalohyla sind die Verhaltnisse denen bei Elngystoma sehr ahnlich, doch ist eiue Trennung zwischen P. sternalis und coracoidea bereits ange- deutet, wahrend hingegen P. coracoidea m. pectoralis und M. supra- coracoideus anticus eine homogene Schicht darstellen. Eine andere Differenzirungsrichtuug ist eingeschlagen bei Pip a und Dactylethra. Hier ist die Pars sterno-coracoidea m. pe- ctoralis durch einen kleinen, am Ursprunge sehr selbststandigen Muskel reprasentirt, der von dem Rande des Sternums, im Bereiche seines mittleren Drittels ungefahr, und von dem angrenzenden Ab- schnitte des Knorpeltheils des Coracoid kommt und mit schlanker Sehne sich mit der P. abdominalis m. pectoralis verbindet. urn mit ihr an dem Processus lateralis humeri zu inseriren '). Bei den iibrigen Batrachiern ist die Scheidung in zwei selbststandige Partien, eine Pars sternalis und ein Pars epicoracoidea (coracoidea) vollkommen ; erstere kommt von dem vordern Theile des Sternums, letztere entspringt entweder von dem medialen Rande des Coracoids und dem Epicoracoid (Rana, Tomopterna-), Bufo) Oder bios von ersterem (Ceratophrys, Breviceps, Trachyce- phalus; im ersteren Falle ist die Portion P. epicoracoidea, im letzteren P. coracoidea zu benennen. In Bezug auf das gegen- seitige VerBalten der Ursprunge der rechten und linken P. epi- coracoidea (coracoidea) ist zu bemerken, dass bei den Batrachiern, 1) Von Meckel (8. 182) als ein I'ipa eigenthumlicher Muskel aufgefasst. l-)iese Angabe beruht auf eineni Irrtlium, indcm zu dem Systeme des Supra- coracoideus gehorige Theile als die l)eiden vorderen Portionen des Pectoralis angesehen werden . so dass dann der echte Pectoralis sterno-coracoideus als ein iiberfliissiger Muskel erscheint. Von Klein ebenfalls als eine besoudere ,.vierte Portion" des I'ectoralis gedeutet. 2) Bemerkenswerth ist, dass auch bei Tomopterna ahnlicli wie bei Kalo- hyla der Pectoralis epicoracoideus mit dem Supracoracoideus anticus ver- einigt ist. 204 Max Furbringer, WO das linke Coracoid ventral vom rechten liegt (Ceratophrys. Tomopterna, Trachycephalus), die rechte Pars epicoracoidea ledig- lich vom rechten und die linke lediglich vom linken Epicoracoid (Coracoid) entspringt. wahrend hingegen bei den Batrachiern, wo das rechte Coracoid ventral vom linken liegt (Phyllomedusa, Bufo) die rechte P. epicoracoidea lediglich vom rechten Epicoracoid, die linke hingegen von der Aussenflache des linken und zugleich von der Innenflache des rechten Epicoracoids ihren Ursprung nimmt. Die Insertion der Pars epicoracoidea findet in der Kegel proximal von der P. abdominalis am Processus lateralis, die der P. sternalis medial vom Processus lateralis an der Beugeflache des Humerus statt: zwischen beiden verlauft die Sehne des M. coraco-radialis proprius '). Innervirt durch den N. pectoralis (19). Durch die gegenseitigen Beziehungen der Pars abdominalis einerseits und der Pars sterno-coracoidea anderseits tritt der Pecto- ralis der Anuren in eine nahere Verwaridtschaft zu den hochsten Formen der Urodelen, bei denen auch eine beginnende Differen- zirung in zwei Theile, eine P. abdominalis und sternalis, consta- tirt werden kann. Die weitere Ausbildung von Theilen, die zu dem Brustgurtel in feste Verbindung treten, und die Difl'erenzi- rung der P. sternocoracoidea in die P. sternalis und P. epicora- coidea (coracoidea) ist eine den Anuren eigenthtimliche Weiterent- wickelung der bei den Urodelen nur angedeuteten Beziehungen'*). Die Ausbildung der P. abdominalis von Pipa, namentlich was den Ursprung aiilangt, reprasentirt eine ganz einseitige Differenzirung, die weiter keine Anschltisse gestattet und daher von keiner wesent- lichen vergleichend-anatomischen Bedeutung ist. — Mehr Beachtung verdient die Bildung des am Ende des Humerus inserirenden Biindels bei Trachycephalus. — Von wesentlichem Gewichte ist die bei den niedersten Formen, am reinsten bei Engystoma, zur Be- 1) Abweichungen bieten /. B. Tomopterna und Trachycephalus dar. Bei ersterer inserirt die P. sternalis theils am Processus lateralis , theils an der Bandbriicke, die iiber die Sehne des M. coraco-radialis proprius ausgespaunt ist, theils medial von derselben ; bei letzterer findet die Insertion der Haupt- sache uach am Processus lateralis statt, nur eiii kleiner Sehnenzipfel geht medial von der genannten Bandbriickf an den Humerus. 2) Eine lockere Verbindung mit dem Bindegewebe auf dem Brustgiirtel wurde schou bei einzelnen Urodelen beobachtet. Vergl. Theil I. iS. 268 und MivAET, Notes on the Myology of Mcnopoma Alleghaniense and Menobi-anchus lateralis. Proc. Zool. Soc. of London 1869. S. 264 f. und S. 453 f. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 205 obachtung kommende Vereinigung des vorderen Theiles des Pecto- ralis niit dem Suprac^iracoideus zu einem einzigeu Muskel, der nur nach Art dor Innervirung durch zwei verschiedene Nerveii' N. pectoralis und supracoracoideus, kiinstlich geschieden werdeii kann. Ob dieses Verhaltniss als ursprungliches aufzufassen ist, in welchem Falle der genaimte Muskel bei Engystoma den niedrigsten Entwickelungszustand unter alien pentadactylen Wirbelthieren re- prasentiren wiirde, oder ob es nur als eine secundare Vereinigung von ursprunglich differenzirteren Bildungen angesehen werden muss, dttrfte erst zu entscheiden sein, wenn die Entwickelung der Muskeln von Engystoma bekanut ist. 12. Supracoracoideus '). a) Supracoracoideus a n lie us: Theil des BrustmuskeKs : Meckel. 6) Supracoracoideus medius^}: Mittleier oberflitchlicher Brustmuskel (?): Mayer. VordererBauch des Brustmuskel s von Pipa: Meckel. c) Supracoracoideus posticus : Hinterer oberflachlicher Brustmuskel (?): Mayee. Zweiter und dritter Bauch des Brustmuskels von Pipa: Meckel. Portio accessoria ni. pectoralis (?): Klein. Eine nicht alien Anuren zukommende Muskelbildung, die in zwei von einander ganz verschiedenen Hauptformen entwickelt ist. Die eine findet sich bei Pipa und Dactylethra: Der Supracora- coideus wird hier durch zwei Muskeln, Supracoracoideus po- sticus und m e d i u s , reprasentirt, die von einem am H i n t e r - rande des M. coraco-radialis proprius verlaufenden Zweige des N. supracoracoideus innervirt werden; die andere kommt bei Ceratophrys, Tomopterna, Breviceps, Engystoma, Trachycephalus und Kalohyla^j zur Beobachtung: der Supracoracoideus stellt hier einen Muskel, Supracoracoideus anticus, dar, der von einem vor dem M coraco-radialis proprius verlaufenden Zweig des N. supracoracoideus versorgt wird. 1) In Tbeil I. nicbt angefiihrt, da er bei Rana esculenta und Bufo cine- reus fehlt. 2) Von Klein nicht beschrieben. 3) Pbyllomedusa kounte auf diese Beziehungen bin nicht untersucht wer- den, da au dem zur Verfugung stebenden Exemplare der Muskel bereits ab- praparirt war 206 Max Furbringer, Supracoracoideus posticus. Mittelgrosser Muskel, der bei Dactylethra lediglich von dem Coracoid kommt, bei Pipa von diesem und dem vordersten Theile des seitlichen Sternalrandes, und zwar mit 2 Kopfen entspringt , von denen der langere von dem Sternum und dem medialen Rande des Knorpeltheils des Co racoids, der kiirzere von der Mitte des knochernen Coracoids seineu Ausgang nimmt. Seine Endsehne vereint sicli mit dem M. pectoralis und geht gemeinschaftlich mit diesem zu dem Processus lateralis humeri. Der Muskel wird hinten begrenzt von dem M. pectoralis sternocoracoideus, der bei Dactylethra grosser, bei Pipa kleiner ist als er. Die Trennung von diesem Muskel ist bei Dactylethra nur wenig angedeutet, bei Pipa hingegen bestimmt ausgesprorhen : bei letzterer schiebt sich zwischen beide die Aponeurose des M. mylo-pectori-humeralis. Supracoracoideus medius. Diinne Muskelausbreitung, welche von dem M. supracoracoideus posticus durch einen breiten Spalt getrennt ist und den mittlern Theil des M. coraco-radialis proprius deckt. Sie entspringt von dem Epicoracoid (Pipa) oder dem Ligamentum epicoracoideum (Dactylethra) und geht mit con- vergirenden Fasern zum proximalen Theile des Processus latera- lis humeri. Supracoracoideus anticus. Ziemlich breiter aber dun- ner Muskel, der den grosseren vorderen Theil des M. coraco-ra- dialis proprius deckt. Er entspringt entweder von dem Epicora- coid (Ceratophrys, Tomopterna, Breviceps, Trachycephalus) oder, wenn dieses fehlt, von dem medialen Rande des Coracoid (Engy- stoma, Kalohyla) und inserirt theils an der Lateralkante des Pro- cessus lateralis humeri, theils mit einigen vorderen Fasern distal von diesem am Humerus; letztere Fasern sind in der Regel mit dem M. episternocleido-acromio-humeralis verbunden, nur bei En- gystoma existirt eine vollkommene Selbststandigkeit beider Muskeln. Der Hinterrand des Supracoracoideus anticus grenzt an die Pars epicoracoidea (coracoidea) m. pectoralis entweder unmittelbar an (Tomopterna, Breviceps, Engystoma, Kalohyla) oder er ist durch einen breiten Spalt von ihr getrennt (Ceratophrys, Trachycephalus) ; im ersteren Falle existirt nur bei Breviceps eine deutliche Schei- dung beider Muskeln, wahrend bei Tomopterna, Kalohyla und namentlich bei Engystoma beide eine vollkommen homogene Schicht bilden, die nur durch ihre Innervirung durch zwei Nerven als Complex von zwei Metameren (Myokommata) erkannt wird. Inner virt durch einen hintersten (N. supracoracoideus posti- Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 207 cus und medius 13ij) oder eineii mehr vorderen Zweig des N. supracoracoideus (N. supracoracoideus anticus 13). Der Muskel kann wegen seiner Innervirung durch den vor deni Coracoid verlaufenden N. supracoracoideus nicht zum System des Pectoralis gehoren, sondern ist unzweifelhaft ein M. supracoracoideus. Eine directere Homologie mit dem gleichnamigen Muskel der Urodelen ist jedoch nur fur den M. supracoracoideus anti- cus anzunehmen. Bei den Urodelen bildet von den beiden von dem hinteren Aste des N. supracoracoideus innervirten Muskeln der M. supracoracoideus die oberflachliche und vordere von einem mehr vorderen Zweige versorgte Hauptmasse, wahrend der M. coraco-radialis proprius nur die tiefere und hintere, viel kleinere Partie ausmacht, die zugleich durch ein hinterstes Zweigchen des N. supracoracoideus innervirt wird. Bei den Anuren ist das Grossenverhaltniss zwischen beiden Muskeln ein ganz anderes. Wahrend der M. coraco-radialis proprius einen der starksten Mus- keln der vorderen Extremitat reprasentirt, bildet der M. supra- coracoideus anticus nur eine kleine dlinne bei einigen (Rana, Bufo) sogar ganz verkiimmerte Muskelschicht dar, die auf der Aussen- flache des vorderen Theiles des M. coraco-radialis proprius liegt und nicht wie bei den Urodelen von der Aussenflache des Cora- coids, sondern (da diese von andern Muskelursprungen eingenommen ist) von dem medialen Rande des Coracoids oder von dem Epi- coracoid entspringt. So sehr aber auch beide Muskeln bei Urodelen und Anuren sich in ihren Grossenverhaltnissen und in ihrem Ur- sprunge unterscheiden, so stimmen sie doch in ihrer gegenseitigen Lage und in dem Verlaufe ihrer Nerven — der Supracoracoideus wird bei beiden durch einen mehr vorderen, der Coraco-radialis proprius durch einen mehr hinteren Zweig versorgt — vollkommen iiberein. Wesentlich verschieden hingegen sind die Beziehungen der Pipa und Dactylethra eigenthiimlichen Mm. supracoracoidei medius und posticus: sowohl ihreLage zu dem vor ihnen be- findlichen M. coraco-radialis proprius wie ihre Innervirung durch einen hinterstcn Zweig des N. supracoracoideus — wahrend der M. coraco-radialis proprius durch einen mehr vorderen Zweig versorgt wird — , verbietet ohne Weiteres eine nahere Ver gleichung und veranlasst, in beiden Muskeln den Aglossa eigenthumliche be- sondere Differenzirungen des Supracoracoideus zu erkennen. — Die Beziehungen zu dem Pectoralis anlangend, die bei Dactylethra, Tomopterna, Kalohyla und namentlich Engystoma sehr innige sind, ist auf die Besprechung des Pectoralis (S. 203) zu verweisen. Be- 208 Max FUrbringer, achtenswerth ist die bei der Mehrzahl der Anuren (abgesehen von Engystoma) sich findende Vereiniguiig mit Theilen des M. episterno- cleido-humcralis, sowie die ziemlich weit distal erstreckte Insertion einzelner mit diesera verbundener Fasern. 13. Coraco-radialis proprius. (Vergleiche Theil 1. S. 307. No. 10). Grosserer tieferer Brustmuskel: Mayeb. Stemo-radialis: Zenker (No. 115. 116), Klein, EcKer (No. 54). Vorderarmbeuger, zweibauchiger Vorderarmmus- kel: Meckel (No. 1). Rteruo-radialis s. biceps brachii: Rubinger. Kraftiger Muskel, der bei Pipa und Dactylethra am starksten, bei Engystoma und Kalohyla am schwachsten entwickelt ist. Er entspringt vom Brustgurtel und geht in der Gegend des Schulter- gelenks in eine kraftige Sehne iiber, die am Anfange des Vorder- arms inserirt. Je nach der Ausbildung des Brustgurtels variirt sein Ursprung in mannigfacher Weise : der Muskel entspringt ent- weder bios von dem medialen Theile des Coracoids mit Ausnahme des vom M. supracoracoideus und M. pectoralis coracoideus einge- nommenen medialsten Theiles (Kalohyla) oder von dem Coracoid und vom etwas dariiber hinausragend von einer Sehneneinschal- tung, die ihn mit dem der Gegenseite verbindet (Engystoma) oder von dem medialen Theile der Clavicula, vom Epicoracoid und von dem medialen Theile des vorderen Randes des Coracoids (Dactyle- thra, Toraopterna, Breviceps, Trachycepalus) oder nur von dem medialen Theile der Clavicula und dem Epicoracoid (Pipa, Cerato- phrys, Bufo). Die Sehne verlauft erst zwischen (oder unter) dem M. pectoralis abdominalis und epicoracoideus (coracoideus) und dem M. pectoralis sternalis, an dem Humerus durch eine Band- brucke befestigt und durchdringt dann den M. episternocleido- acromio-humeralis derart in schrager Richtung, dass der am mei- sten distal inserirende Theil dieses Muskels medial von der Sehne zu liegen kommt*). Innervirt durch den N. coraco-radialis proprius (13 der opisthoglossen Anuren, 13j von Pipa). 1) Bei Engystoma durchdringt der Coraco-radialis proprius den Acromio- humeralis nahezu in querer Richtung derart, dass er fast iu derselben Hohe wie er eingetreten an dem lateralen Rande dieses Muskols wieder austritt. Zur vergleichenden Anatomie der Schu'termuskeln. 209 Der Muskel entspricht clem gleichnamigen der Urodelen, wie schon Theill, (S. 307) nachgewiesen worden. Auch die dort nicht erwahnten Beziehungeri zii dem M. siipiacoracoideus anticus stim- men mit denen bej den Urodelen ini "Wesentlichen iiberein. 14. Coraco-bracliialis lougus. Vergleiche Tbeil I. S. 307. Ko. 11. Pars inferior profunda m. pectoralis (majoris) Zenker (No. 107. 108. Tab. I. Fig. 2. u. 19). Eiuwartszielier od. Hakenarmmuskel: Meckel (No. 5). C 0 r a c 0 h u m e r a 1 i s : Klein, Ecker (No. 53). Coracobrachialis proprius: Rubinger. Schmaler und ziemlich langer Muskel, der bei den opistho- g Ids sen Anuren von dem Coracoide entspringt und an der Beugeseite des Humerus ungefahr in dessen Mitte inserirt. An seinem Ursprungstheile liegt er hinter dem M. coraco-brachialis brevis , von ihm durch einen Zweig des N. pectoralis getrennt der den M. pectoralis epicoracoideus (coracoideus) innervirt; sein Insertionstheil schiebt sich zwischen M. acromio-humeralis und M. anconaeus humeralis medialis ein und liegt nach vorn von dem N. brachialis longus inferior. Der in der Kegel muskulose Ur- sprung*) beschrankt sich meist auf das mediale Drittel des Hin- terrands des Coracoids, er greift aber auch auf das Sternum (Rana, Engystoma, Kalohyla) oder auf die Aussenflache der hin- teren Halfte des Coracoid iiber (Trachycephalus, Phyllomedusa), Die Insertion findet meist in dem Bereiche des dritten Fiinftels des Oberarms statt, seltener im Bereiche des dritten Viertels (To- mopterna) oder des vierten und fiinften Sechstels desselben (Bre- viceps). Eine Verschmelzung mit dem M. coracobrachialis brevis wurde nur bei Engystoma beobachtet. Bei den a g lessen Anu- ren entspringt der Muskel von dem lateralen Ende des Coracoids, im Bereiche von dessen Hinterrande und Innenflache in geringerer (Pipa) oder grosserer Ausdehnung (Dactylethra) und geht an das mittlere Drittel des Humerus. Er liegt vor dem N. pectoralis epicoracoideus und hinter dem N. brachialis longus inferior; durch letzteren wird er von dem M. acromio-humeralis getrennt. Innervirt durch den N. coracobrachialis (22 der opistho- glossen Anuren, 22j von Pipa). 1) Bei Trachycephalus entspringt der Muikel sehnig. Bd. Vm, N. F. I, 2. 14 21Q Max Fiirbringer, Der Muskel ist ein Homologon des gleiclmamigen der Uro- delen, und zwar charakterisirt die Bildung bei den Aglossa eine ganz directe Homologie mit jeneii, wahrend die bei den Opistho- glossa rucksichtlich des Ursprungs, der Insertion und Bezieliuug zu den anliegenden Nerven eine etwas abweichende Differenzirung darbietet. 15. Coraco-brachialis brevis. Vergleiche Theil I. S. 308. No. 12. Pronator brachii: Zenkeb (No. 111. 112). Unterschulterblattmuskel, Subscapularis: Meckel (No. 6), EcKER (No. 50), Rudingeb. Adductor humeri: Klein. Kraftiger und in der Kegel kurzer Muskel, der in sehr ver- schiedener Weise von dem Coracoid entspringt und meist an dem proximalen Theile des Humerus inserirt. Nach Art seines Ursprun- ges ist er bei den Einen ein M. coracobrachialis brevis externus, bei den Andern ein M. coracobrachialis brevis posterior, bei den Dritten ein M. coracobrachialis brevis internus. Der M. coraco-brachialis brevis externus findetsich bei Pipa und Dactylethra. Er stellt hier einen breiten und ziem- lich kraftigen Muskel dar, der von dem Coracoid im Bereiche des medialen Viertels seines Knochentheils und des angrenzenden Knorpeltheils entspringt uud zu dem Humerus geht, wo er mit einigen vorderen Biindeln in der Rinne fiir die Sehne des M. co- raco-radialis proprius und zwar in der Hohe der Insertion des M. pectoralis inserirt, mit seiner hinteren Hauptmasse dagegen etwas proximaler an dem Processus medialis gerade vor dem An- fange der Insertion des M. acromio-humeralis sich ansetzt. Der Muskel ist vorn von dem M. supracoracoideus posticus, hinten von dem M. pectoralis sterno-coracoideus bedeckt. Der M. coraco-brachialis brevis posterior findetsich bei Breviceps, den Hylina und Hylaplesina als ein kraftiger von dem Hinterrande der lateralen Halfte des Coracoids (Trachycepha- lus, Phyllomedusa), oder ausserdem auch von dem angrenzenden Saume der Aussenflache desselben (Breviceps) oder von dem Hin- terrande der lateralen drei Funftel des Coracoids und den unteren zwei Dritteln der Scapula (Kalohyla) entspringender Muskel, der im Bereiche der proximalen Halfte der Beugeflache des Humerus mit Ausnahme des Anfangs derselben sich inserirt; bei Trachycephalus Zur vergleichenden Aiiatomie der Schulformuskeln. 211 sowie bei Breviceps greift die Insertion noch waiter distal an den Humerus herunter. Der M. coraco-brachiali s brevis internus kommt bei den Ranina, Engystoma und Bufo vor und zeigt im Wesentlichen die schon friiher (Tlieil I. S. 308) beschriebene Anordnung. Bei Engystoma ist er mit dem M. coraco-brachialis longus verwachsen. Innervirt durch den N. coracobrachialis (22). Bemerkenswerth ist die Vielgestaltigkeit des Ursprungs dieses Muskels, ein Verhalten, das bei keiner andern Ordnung der Wir- belthiere in solcher Entwickelung sich wiederfindet. Die Homolo- gie mit dem Coraco-brachialis brevis der Urodelen wird nament- lich durch die beiden ersten Formen vermittelt, wahrend die dritte als eine den Batrachiern (und Cheloniern) eigenthiimliche aufzu- fassen ist, deren Entstehung aus der zweiten aber sich leicht er- klart. 16. Episterno-cleido-acromio-humeralis *). Vergleiche Theil I. S. 309. No. 13. a) Episterno-cleido-humeralis longus: Primum caput m. deltoidei e. p. und Pars superior m. pectoralis (majoris): Zenker (No. 105. 106 und No. 107. 108 Tab. I. Fig. 2. No. 7). Vorderer Bauch des Vorwartsziehers oder Hebers des 0 ber arms (De It oideus): Meckel (No. 1). Cleido-humeralis: Klein. P. clavicularis m. deltoidei: Eckee (No. 55b). Mediale Portion des Deltoideus: Rudinger. b) Cleido-httmeralis brevis. Alterum caput m. deltoidei (?): Zenker (No. 105. 106). Humero-clavicularis: Klein. c) Acromio-humeralis. Primum caput m. deltoidei e. p.: Zenker (No. 105. 106). Hinterer Bauch des Vorwartsziehers oder Hebers desdberarms (Deltoideus): Meckel (No. 1). Deltoideus: Klein. P. scapular is m. deltoidei: Ecker (No. 5f:a). Laterale Portion des Deltoideus: Rijiungee. Ein bei den verschiedenen Anuren sehr verschiedenartig zu- sammengesetzter Muskelcomplex, der entweder von Episternum, 1) Der in Theil I. augefiihrte M. episterno-cleido-acromio-humeralis be- greift in sich auch don M. scapulo-humeralis profundus anterior, der mit ihui bei Rana voUstandig verwachsen ist. 14* 212 Max Fiirbringer, Clavicula und Acromion (Ceratophrys, Rana, Breviceps, Bufo gut- tatus, Trachycephalus) oder nur von Clavicula und Acromion (Pipa, Dactylethra, Tomopterna, Bufo cinereus) oder nur von Episternum und Acromion (Kalohyla) oder nur von letzterem (Engystoma) ent- springt und an den Humerus geht, wo er in einer langen von der Streckflache des Processus lateralis bis nahezu zum distalen Ende des Humerus erstreckten Linie inserirt. Die einzelnen ihn? zusam- mensetzenden Muskeln sind ein M. episterno-cleido-humeralis lon- gus, ein M. cleido-humeralis brevis und ein M. acromio-humeralis. a) M. episterno-cleido-humeralis longus'). Ziemlich langer oberflachlicher Muskel, der von dem Episternum und dem medialen Theile der Clavicula *) (M. episterno-cleido-humeralis lon- gus, bei Ceratophrys , Breviceps , Bufo guttatus , Trachycephalus) oder bios von dem Episternum (M. episterno-humeralis ^), bei Rana und Kalohyla) oder bios von dem medialen Theile der Clavicula (M, cleido-humeralis longus, bei Tomopterna"*) und Bufo cinereus) entspringt und an den Humerus geht, indem einige tiefere Biindel gemeinsam mit dem M. cleido-humeralis brevis an dem Processus laterahs sich ansetzen, die Hauptmasse hingegen mit dem M. acro- mio-humeralis verbunden distal von dem Processus lateralis an der Lateral- und Beugeflache des Humerus inserirt, wobei sie von der Sehne des M. coraco-radialis proprius durchbohrt wird. Der Muskel ist in der Regel am lateralen Abschnitte mit dem hinter ihm lie- genden M. supracoracoideus anticus verbunden, hingegen von dem M, cleido-humeralis brevis ausser an der Insertion deutlich getrennt; nur bei Trachycephalus kommt eine vollkommene Vereinigung bei- der zur Beobachtung, Bei Ceratophrys, namentlich aber bei Bre- viceps grenzt der Muskel mit seinem vordersten Theile an den Hinterrand des bei diesen auch am Episternum inserireuden M. mylohyoideus an^). 1) Entspricht dem iu Theil I. als Caput episternale s. episterno-humeralis j bezeichneten Abschnitte. 2) Der Ursprung an der Clavicula ist am betrachtlichsten bei Breviceps, wo die ganze mediale Halfte der Aussenflache derselben eingenommcu ist, vi'eit geringer bei den andern, wo der Muskel meist nur von dem medialen Ende des Vorderrandes der Clavicula entspringt. 3) Breiter Muskel bei Rana, schmaler Muskel bei Kalohyla. 4) Der Mangel eines episternalen Ursprungs bei Tomopterna ist auffallend, da hier ein ganz deutliches Episternum existirt. 5) Dieses Verhalten des M. mylohyoideus ist von Bedeutung. Die innige Beziehung dieses zum Systeme der Constrictoren der Visceralbogen gehorigen Muskels zu dem Brustgiirtel, speciell zu dem Episternum diirfte als Zur vergleichendeu Anatomie der Schultennuskeln. 213 b) M. cleido-humeralis brevis. Kleiner von dem vori- gen und dem Vorderrande des M. coraco-radialis proprius bedeck- ter Muskel, der von dem lateralen Theile der Ausseuflache der Clavicula zu dem Processus lateralis humeri geht, wo er gemein- sam mit der tieferen Partie des M. episterno - cleido - humeralis longus inserirt; bei Trachycephalus ist er vollkommen mit diesem verwachsen. Er fehlt bei Pipa, Dactylethra, Breviceps, Engystoma und Kalohyla; bei Pipa und Dactylethra wird er durch die ziem- lich weit auf die Clavicula erstreckten Btindel des M. acromio- humeralis, bei Breviceps theilweise durch den lateralen Theil des M. episterno-cleido-humeralis longus ersetzt; Engystoma und Ka- lohyla geht wegen Mangels der Clavicula jede homologe Bildung ab. c) M. a cromio -humeral is (Deltoideus e. p.). Kraftiger und bei alien Anuren ziemlich gleichmassig ausgebildeter Muskel, der von dem Acromion, bei Pipa und Dactylethra auch von der lateralen Halfte der Clavicula resp. des Procoracoids, entspringt und an dem Humerus von dem Processus lateralis an bis nahe zu dessen distalem Ende inserirt; bei Dactylethra gehen einzelne Bundel auch an den Anfang des Vorderarms. Der Ursprung be- schrankt sich entweder auf den Vorderrand des Acromion ') (Tra- chycephalus, Breviceps, Engystoma, Phyllomedusa und Kalohyla) ein ueuer Beweis fiir die Homodynamie des Brustgiirtels mit den Kiemenbogeu gelteu, freilich erst dann, wenn nachgewiesen ist, dass die betrelfenden Bildimgen vou Ceratophrys und Breviceps primare , ererbte, und nicht secundare, durch einseitige Anpassuug erworbeue sind. Das Epister- 11 um selbst wiirde dann als Homo dy nam einer Kiemenbogen- Copula anzusehen sein, deren vorderer Kiemenbogen verkiimmert ist, deren hinterer durch den Brustgiirtel reprasentirt wird. Die augefiihrte Beziehung bedarf jedoch, wie schoii erwahnt, noch des Beweises und mochte ich sie zunachst nur als Hypothese, als hiugeworfene Frage augesehen wissen, die mit Kritik und Vor- bicht zu priifeu und zu beantworten ist. Ein gewichtiger Grund dagegen wird z. B. gegeben durch die Beziehung der ventralen Langsmuskulatur des Halses. Dieselbe liegt bei den Anuren an der Innenseite des Episternums ohne rait ihm in irgeud welcher Beziehung zu stehen , bei den Fischcn hingegen liegt sie an dor Aussenseite der Copulae und tritt mit ihncn in iunigste Beziehungen, Beziehungeu die auch bei dem von ISiebold (Observationes quaedam de 8ala- mandris et Tritonibus. Diss, iuaug. Berolini 1828. S. 17) bei Salaraandra ma- culata zuerst beschriebeuen und vou ihm als Ossiculum thyreoideum bezeichne- ten Rudiment einer Visceralcopula sich erhalten haben. 1) Der hier als Acromion bezeichnete Skelettheil ist nicht bios lediglicb von dem unteren Ende der Scapula, sondern auch von dem lateralen Ende der Clavicula resp. des Procoracoids oder Coracoids (Engystoma, Kalohyla) gebildet. 214 Max Fllrbringer, Oder er greift aiich auf dessen Innenflache liber (Rana, Cerato- phrys, Tomopterna) oder er erstreckt sich auch auf die laterale Halfte der Clavicula (Dactylethra) oder der Clavicula und des vorderen Saums der Ausseniiadie des Procoracoid (Pipa); in die- sem letzteii Falle ist der Muskel fiiglicli als M. cleido - acromio- humeralis zu bezeichnen. Bei Engystoma und Kalohyla bilden die von dem scapularen Theile und die von dem coracoidalen Theile des Acromions entspringenden Partien zwei gesonderte Muskeln. Der Muskel deckt den M. scapulo-humeralis profundus anterior, mit dem er meist mehr oder minder vereinigt ist. Eine theilweise Verwachsung mit der medial an ihn angrenzenden Sehne der ver- einigten Mm. latissimus dorsi und dorsalis scapulae findet statt bei Ceratophrys, Rana, Trachycephalus und Phyllomedusa. An seinem distalen Theile wird er derart von der Sehne des M. cora- co-radialis proprius durchsetzt, dass die distale Hauptmasse medial von dieser Sehne zu liegen kommt, Innervirt durch Aeste des N. supracoracoideus (14) (M. episterno-cleido-humeralis longus und cleido-humeralis brevis) und des N. dorsalis scapulae (30) (M. episterno-cleido-humeralis lon- gus z. Th. und acromio-humeralis), Der Muskel ist, wie schon in Theil I. erwahnt, ein Homologon des Procoraco-humeralis der Urodelen. Bemerkenswerth ist die bei Dactylethra zur Beobachtung kommende Insertion einzelner Fasern am Vorderarm. 17. Dorso-humeralis (Latissimus dorsi). Vergleiche Theil 1. S. 310. ISIo. 14. Depressor brachii: Zenkeb (No. 85. 86). Breiter Riickenmuskel, Latissimus dorsi: Meckel (No. 4), Klein, EcKer (No. 42), Rudingeb. Sehr verschieden grosser Muskel bei den einzelnen Anuren, der von dem Riicken nach dem Oberarme geht, wo er mit der Sehne des M. dorsalis scapulae verbunden an der Streckseite neben dem Processus lateralis inserirt. Die Dicke des Muskels ist in der Regel eine geringe, die Breite zeigt ausserordentliche Diffe- renzen: der Muskel ist auffallend breit bei Dactylethra, mittelbreit bei Pipa, ziemlich schmal bei Rana, Breviceps, Engystoma, Trachy- cephalus, Phyllomedusa, sehr schmal bei Ceratophrys, Tomopterna, Bufo guttatus uiid Kalohyla. Der Ursprung fiudet bei Dactylethra statt an der Riickenfascie im Bereiche aller Wirbel, von dem Os Zur Yergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 215 ilei und der die Weichengegend einnehmenden Fascie, bei Pipa nur an der hinteren Halfte des sehr breiten Processus transversus des letzten Wirbels und der den M. obliquus abdominis externus deckenden Fascie, bei Ceratophrys, Tomopterna, Bufo, Trachyce- phalus, Phyllomedusa und Kalohyla von den Querfortsatzeu vor- derer Wirbel allein oder von diesen und der anliegenden Riicken- fascie, bei Rana, Breviceps und Engystoma von den Processus spinosi '). Der Muskel verbindet sich friiher oder spater mit dem M. dorsalis scapulae und schiebt sich gemeiiisam mit demselben mit seinem Insertionstheile zwischen die distalen Abschnitte des M. acromio-humeralis und scapulo-humeralis profundus anterior ein. In der Kegel ist er mit seinem unteren Rande weit von dem M. pectoralis abdominalis entfernt; nur bei Dactylethra und namentlich bei Pipa wurde eine Annaherung an dessen lateralen Rand beoachtet '^j. Inner virt durch den N. latissimus dorsi (34). Der Muskel ist, wie bereits in Theil I. nachgewiesen worden, ein uuzweifelhaftes Homologon des Latissimus dorsi. Bemerkens- werth ist die grosse Variabilitat seines Ursprunges, der entweder auf die gauze Ruckengegend (Dactylethra) oder nur auf den hinter- sten (Pipa) oder den vordersten Theil derselben (opisthoglosse Batrachier) ausgedehnt ist. In dieser Beziehuug reprasentiren Pipa und die Opisthoglossa die beiden Endpunkte zweier ganz verschiedenen Entwickelungsreihen , deren Anfange mit Hilfe des vermittelnden Gliedes von Dactylethra in ahnhchen Bildungen zu suchen sind, wie sie bei den Urodeln noch jetzt existiren. Pipa zeigt in seinem Ursprunge die einseitigste Entwickelung, denn der Latissimus dorsi ist nach Art seiner Innervation und seiner Inser- tion ein Muskel, dessen Bildungsstatte nicht im Bereiche hinterer, sondern vielmehr vorderer (oder wenigstens mittlerer) Rumpf- metameren zu suchen ist. 1) Die maimigfacheu Difl'eienzeu bind unwciseutlich. Ein Ursprung in der Hohe des 1. bis 3. Wirbels wurde beoba'chtet, bei Ceratophrys. in derHiihe des 2. und 3. Wirbels bei Phyllomedusa, in der Hohe des 2. bis 4. Wirbels bei Tomopterna, Breviceps, Engystoma, Trachycephalus , in der Hohe des 3. und 4. Wirbels bei Kalohyla, in der Hohe des 4. Wirbels bei Bufo guttatus. 2) Eine Verbindung mit dem M. pectoralis abdominalis, wie Klein behaup- tet, existirt nicbt. Zwischen beiden sieht man deutlich Faseru des M. obliquus abdominib externus zu Tags treten. 216 Max Fiirbringer, 18. Dorsalis scapulae. Vergleiche Theil I. S. 312. Nr. 15. Scapularis: Zenker (No. 85. 86). Auswartsroller oder ausserer Scliulterblattmus- kel: Meckel (No. 2). Scapularis (Supra- and Infraspinatus): Klein. Infraspinatus (Intraspinatus , Teres minor um! major): Eckee (No. 51). Supra- u. Infraspinatus: RuDiNasR. Kraftiger Muskel, der von tier Aussenflache und mitunter dem Vorderraiide des Siiprascapulare entspriiigt und mit nach unten convergirenden Fasern in eine Seline iibergeht, die sich mit der des M. latissimus dorsi verbindet und gemeinsam mit ihr, sich zwischen den Mm. acromio-humeralis und scapulo-humeralis pro- fundus anterior einschiebend '), an den Humerus geht, wo sie neben dem Processus lateralis an der Streckliache inserirt. Der Muskel stellt in der Kegel eine homogene Masse dar ; nur bei Pipa, To- mopterna und Trachycephalus ist an dem Ursprunge eine Treanung in einen vorderen und hinteren Theil mehr oder weniger deutlich ausgedriickt ^) : der schmalere vordere entspringt von dem Vorder- rande (mit Ausnahme von Trachycephalus) , der breitere hintere von der Aussenflache des Suprascapulare. Die Breite des Muskels variirt nach der Breite des Suprascapulare ; demnach ist der Mus- kel z. B. sehr breit bei Dactylethra , sehr schmal bei Breviceps. Der Ursprung findet entweder nur an der Aussenflache des Supra- scapulare mit Ausnahme des oberen Saumes (Breviceps^), Hylina und Hylaplesina) oder von dieser und dem Vorderrande des Supra- scapulare statt (Pipa, Dactylethra, Tomopterna, Engystoma, Bulb) ; bei Ceratophrys greift er auch auf den Vorderrand des obern 1) Bei Tomopterna und Kalohyla liegt diese Sehne distal von dem hier sehr kurzen M. scapulo-bumeralis profundus anterior. 2) Diese 'i'rennung ist bei Pipa und Tomopterna am ausgesprockeusten, bei Trachycephalus nur durch einen kieiuen Einschnitt am oberen Kande ge- kennzeichnet, bei Phyllomedusa und Uufo existirt nur eine ganz leise Audeu- tung von diesem Einschnitte, den iibrigen Anuren fehlt jede Spur desselben. Die von Klein bei Rana beschrirbene Tlieilung raochte ich als eine kiinstliche ansehen iiber Cystignathus und Hyla fehlt mir jede Erfahrung. Rijdingee leugnet mit llnrecht die schon von Meckel ganz richtig augegebeue Trennuug bei Pipa. 3) Bei Breviceps ist nur der hintere Theil des Suprascapulare von dem Ursprunge des Dorsalis scapulae eingenommen. Zur vergleichenden Anatomir der Schultermuskeln. 217 Drittels der Scapula iiber. Eine theilweise Vereinigung der End- sehne des Muskels mit dem M. acromio-humeralis findet sich bei Rana, Ceratophrys, Trachycephalus und Phyllomediisa. Innervirt durch einen oder zwei Nn. dorsales scapulae (30, 31). Dass der Muskel ebenso wenig ein Supra- und Infraspinatus, wie ein Teres major ist, dass vielmehr nur eine Vergleichung mit dem Deltoideus und Teres minor zulassig ist, wurde schon im ersten Theil nachgeweisen. Die bei einzelnen Anuren existirende Trennung des Muskels in einen vorderen und liinteren Theil ist nur als eine einseitige den Anuren eigenthiimliche Differenzirung aufzufassen und darf niclit zu einer Identificirung des vorderen Theiles mit Elementen des Deltoideus und des hinteren Theiles mit Elementen des Teres minor verleiten. Gegen die Annahme einer solchen Homologie spriclit vor Allem, die annahernd parallele Anordnung der Fasern beider bei den Anuren, wahrend bei den Saugethieren die Fasern des mehr distal inserirenden Deltoideus die des mehr proximal sich anheftenden Teres minor unter einem nicht sehr stumpfen Winkel kreuzen. 19. Scapulo-humeralis profiiudus jinterior 'j. Kleiner von dem M. acromio-humeralis und dem N. dorsalis scapulae bedeckter und in der Kegel mit ersterem mehr oder weniger verbundener Muskel, der von dem Vorderrande des unte- ren Drittels oder der unteren Halfte der Scapula (scapularer Theil des Acromion) entspringt und medial 2) von der Sehne der ver- einigtenMm. latissimus dorsi und dorsalis scapulae, durch dieselbe auch von dem M. acromio-humeralis getrennt, an der Streckseite 1) Bei Rana mit dem M. acromio-humeralis zu einem Miislvel verwacli- sen und darum im rrsten Theile niclit als selbststiindiger Muskel angefiibrt. Meckel erwabnt ihn auch nicht als besonderen Muskel, giebt aber (S. 278) an, dass bei Rana der hintere Bauch des M. deltoideus aus dreien, einem oberilachlichen und zwei tieferen , bestehe , die sich dicht ueben einander an die aussere Obertiache und den vorderen Rand des gauzen Obcrarmbeins setzen. Diese tiet'eu Theile entsprechen wahrscheinlich dem lacapulo-humeralis profundus anterior. Klein und Ecker scheinen den Muskel nicht zu unterscheiden, wenn nicht des Ersteren Umo-humeralis von Pipa idcntisch mit ihm ist. Rudinger beschreibt sehr genau die Scheidung der lateralen Portion des Deltoideus in eine oberflachliche und tiefe Schichf, fasst aber letztere nur als Theil des Deltoideus auf. 2) Ausgenommen sind Tomopterna und Kalohyla, wo der Muskel proximal Ton dieser Sehne inserirt. 218 Max Ftirb ringer. des Humerus inserirt; die tiefsten Fasern stehen auch mit der Kapsel des Schultergelenks in Beziehung. Bei Pipa, Dactylethra und Breviceps existirt der Muskel als ganz selbststandige Bildung, bei Ceratophrys, Engystoma, Bufo guttatus, Trachycephalus und Phyllomedusa bildet sein vorderer (Ursprungs-)Theil mit den tie- feren Partien des M. acromio - liumeralis eine homogene Masse, wahrend nur der hintere (Insertions- jTheil Selbststandigkeit hat, bei Rana, Tomopterna und Kalohyla ist der Muskel in seiner To- talitat untrennbar mit dem M. acromio-humeralis verbunden; im letzteren Falle deutet (abgeselien von der noch bei Rana beide trennenden Sehne des M. dorsalis scapulae) nur der sich zwischen beide einschiebende N. dorsalis scapulae die urspriingliche Selbst- standigkeit des Muskels an. Innervirt durch einen Ast des N. dorsalis scapulae (30). Die Deutung dieses Muskels unterliegt Schwierigkeiten. Es konnen zwei Moglichkeiten angenommen werden: der Muskel ist entweder nur ein Theil des Acromio-humeralis (Deltoideus) oder er ist ein besonderer Muskel, der mit diesem keine nahere Be- ziehung hat. Fur die erste Moglichkeit spricht seine bei der Mehrzahl der Anuren bestehende theilweise oder vollkommene Verwachsung mit dem Acromio-humeralis; danach ware der Mus- kel entweder ais ein durch die Sehne der vereinten Latissimus dorsi und Dorsalis scapulae von der Hauptmasse des Deltoideus abgetrenntes tieleres Bundel aufzulassen oder als ein Complex von aberrirenden Fasern, die eine besondere Insertion (medial von der erwahnten Sehne) gefunden haben. Cxegen Beides sprechen hingegen die generellen Bedenken , die uberhaupt gegen die An- nahme einer Variirung der Insertionstheile an dem sonst wenig variabeln Humerus erhoben werden miissen, falls nicht fur eine solcheAnnahme eine geniigende Erklarung gefunden werden kann. Diese fehlt im vorliegenden Falle vollkommen : es ist weder zu erklaren. warum die Sehne des Latissimus dorsi und Dorsalis sca- pulae, die bei sammtlichen Wirbelthieren medial vom Deltoideus inserirt, bei den Anuren gerade sich zwischen die Bundel dieses Muskels einschieben sollte, noch zu begrilnden, warum der Deltoi- deus an seiner Insertion sich von selbst in zwei Zipfel spalten sollte, von denen der eine medial an der Latissimussehne vorbei- lauft. Damit muss die erst angenommene Moglichkeit fallen; Cs bleibt somit nur die zweite, den Muskel als eine dem Deltoideus fremde Bildung aufzufassen. Dafur spricht die in den meisten Fallen (ausser bei Rana, Tomopterna und Kalohyla) existirende Zur vergleichenden .Anatomie der Schultermuskeln. 219 deutliche Trennung seiner Insertionstheile von denen desAcromio- humeralis '), die mediale Lage derselben von der Sehne des Latis- simiis dorsi, wie schon erwahnt, und endlich die Lage des Muskels zu dem N. dorsalis scapulae, der sich zwischen ihn und den Acro- mio-humeralis einschiebt. Letzterer Umstand, die Lage unter dem N. dorsalis scapulae schliesst auch eine Homologie niit dem Teres major oder Teres minor aus , die beide iiber oder hinter dem N. dorsalis scapulae (axillaris) liegen, und wtirde nur eine Vergleichung mit Bildungen erlauben, die dem Subscapularis nahe stehen. Gegen eine Homologie mit dieseni spricht jedoch der Ur- sprung an dem Vorderfande der Scapula und namentlich die lateral vom M. anconaeus statttindende Insertion. Der Muskel ist demnach als eine besondere Bildung anzusprechen , die so- wohl den Urodelen, wie dem Menschen abgeht. 20. Scapulo-humeralis profundus posterior 2). Ausserordentlich kleiner, bei einigen Anuren nur mikroskopisch erkennbarer Muskel, der von dem Hinterrande des glenoidalen Theiles der Scapula entspringt, direct uber die Kapsel des Schul- tergelenks hinweg geht und zwischen dem Caput humerale laterale und scapulare mediale des M. anconaeus an dem proximalen Theile der Streckflache des Humerus inserirt. Er liegt unter dem N. dorsalis scapulae und lateral neben dem N. radialis. Bei Pipa, Dactylethra, Ceratophrys, Kalohyla, Trachycephalus und Phyllome- dusa, namentlich bei den beiden letzteren ist der Muskel deutlich erkennbar, bei Rana, Breviceps und Bufo nur mikroskopisch nach- zuweisen, bei Tomopterna und Engystoma fehlt er vollstandig. Innervirt durch den N. scapulo-humeralis profundus po- sterior (29). Der Muskel bietet nur mit dem Teres major und dem Sub- scapularis Vergleichungspunkte dar; eine Homologie mit dem ersteren wird durch seine Lage zu dem N. dorsalis scapulae aus- geschlossen, eine Vergleichung mit dem letzteren durch die Be- ziehungen zu dem N. radialis und M. anconaeus scapularis medialis beeintrachtigt. Da aber der M. anconaeus scapularis uberhaupt als eine sehr variable Bildung sich zeigt, so ist das letztere 1) Auf die Trennuug oder Vereiuigung der Muskelinsertion ist, wie langst hekannt, ein viel grosseres Gewicht zu legen als auf die UrspriiDge derselben. 2) In Theil 1. uicht angefiihrt. auch, howeit mir bekannt, von keinem frii- heren Beobachter beschrieben. 220 ^^^^ Fiirbringer, Bedenken von wenig Bedeutung und eine, allerdings nur ganz ent- fernte, Homologie mit dein Subscapularis gestattet, ein specielles Homologon fehlt ebenso wohl den Urodelen wie den Saugethieren. 21. Subscapularis '). Nur bei Breviceps beobachteter kurzer aber zieinlich krafti- ger Muskel, der von der hinteren Circumferenz der unteren Halfte der Scapula entspringt und medial an dem M. anconaeus scapula- ris medialis vorbei nach dera wenig ausgebildeten Processus me- dialis humeri geht, wo er gemeinsam mit dem M. coraco-brachia- lis brevis internus inserirt. Innervirt durch den N. subscapularis. Der Muskel ist ein Homologon des gleichnamigen Muskels der Urodelen. Neu sind seine (iibrigens bei den Cheloniern sich wiederfindenden) Beziehungen zu dem M. coraco-brachialis brevis internus. 22. Auconaeus. Vergleiche Tbeil I. S. 313. No. 16. Auconaeus, Triceps: Zenker (No. 113. 114), Meckel (No. 6), Klein, Ecker (No. 50), Rtidingeb. Kraftiger Muskelcomplex, der mit getrennten Kopfen von dem glenoidalen Theile der Scapula und der Streckflache des Humerus entspringt und an dem proximalen Ende des ulnaren Theiles des Antebrachium inserirt. Bei Pipa tragt die Endsehne ein Sehnen- bein (Patella ulnaris) '■^). Die Muskel ist sehr ansehnlich entwickelt bei den Aglossa, Ptanina und Bufonina (mit Ausnahme von Engy- - stoma), schwacher ausgebildet bei den Hylina und Hylaplesina. a) Anconaeus scapularis medialis. Sehr selbststan- diger scapularer Kopf des Anconaeus, der allenthalben medial von der Sehne des M. latissimus dorsi und dem N. radialis liegt und namentlich bei den Aglossa (besonders bei Pipa) eine ausserordent- liche Entwickelung zeigt. b) Anconaeus humeralis ^lateralis. Bei den Aglossa selbststandiger, aber wenig grosser, bei den Opisthoglossa gross- 1) Bisher noch nicht bekannt. 2) Dieses Sehnenbein ist schon von Meckel und Klein ganz richtig be- schrieben worden. Zur verglpichenden Anafomie der Schultermuskeln. 221 tentheils mit den anderen humeralen Kopfen verbundener, aber kraftiger Kopf, der von dem lateralen Abschnitte der Streckflache des Humerus entspringt. c) und d) Anconaeus humeralis medialis und brevis. Zwei in der Kegel mit einander vereinigte Kopfe, die von dem medialen Abschnitte und der Mitte der Streckflache des Humerus entspringen. Innervirt durch Rr. r.iusculares des N. radialis (36). Ueber die Deutung des Muskels gilt das in Theil I. S. 314 Gesagte. Cap. HI. Schildkroten. (Chelonia). §• 7. Brustglirtel und Humerus 0- (Vergleiche Taf. V. Fig. 48 uud Taf. VI. Fig. 56.) Der Brustgurtel derSchildkroten ist dem der Anuren ahn- lich, zeigt aber im Vergleiche zu den hoher entwickelten Formen 1) Literatur: Blumenbach, Handbuch der vergleichenden Anatomie. l.Aufi. Gottingen 1805. S. 97. CuviER, Legons d'anatomie comparee. 1. ed. Tome. I. Paris 1807. Caeus, Lehrbuch d. Zootomie. 1. Aufl. Leipzig 1818. S. 213. BojANus, Anatomc testudinis europarae. Vilnae 1819—21. CuviER, Recherches sur les osseraens fossiles. 2. ed. Paris 1821—24 Tome IV. S. 210 f. Oken, Bestimmung des Brustgeriistes, Schultergerustes, der Scbulterblattstiicke des Beckeus. Isis 1823. Literaturanzeiger. S. 446, Taf. XVI u. XVII. MoHEiNG, Diss, inaug. sistens descriptionem Trionycbos aegyptiaci osteologicam Berolini 1824. S. 23—26. Meckel a. a. 0. II. 1. S. 422 f. S. 442 f. S. 450. Blumenbach, Handbuch der vergleichenden Anatomie. 2. Aufl. Gottingen 1824 S. 102. Anonymtjs (Bojanus), Ueber das Schultergeriiste der Schildkrote uud die daran sitzenden Muskeln. Isis 1827. S. 428 f. Tab. V. u. VI. Oken, Versuch einer Deutung der Schultermuskeln der Schildkrote. Isis 1827 S. 456 f. Carus, Lehrbuch d. vergleichenden Zootomie. 2. Aufl. Bd. I. Leipzig 1834. S. 165 f. 222 Max Fttrbringer, derselben eine geringere Differenziruug. Durch Bildung eines kraf- tiger schtitzenden Hautskelets, das ihn functionell zum Theil er- setzt, ist eine grossere und mannigfaltigere Entwickelung gehemmt word'en. Der dorsale Abschnitt wird gebildet durch die Sca- pula (5) '), den schmalsten Knochen des Brustgurtels. Sie ist CuvTEB, LeQons d'anatomie comparee. 2. ed. par M. Dumeeil. Tome I. Paris 1835. S. 251, S. 360, S. 889. Petees, Observationes ad Anatomiam Cheloniorum, diss, inaug. Berolmi 1838 und Ueber die Bildimg des Schildkrotenskelets. Muller's Archiv f. Auato- mie, Physiologie u. wissenschaftliche Medicin. Berlin 1839. S. 290 f. Taf. XIV. Rathke, Ueber die Entwickelung d. Scbildkroten. Braunschweig 1848. ^. 122 f. S. 136 f. Owen, On the development and Homologies of the Carapace and Plastron of the Chelonian Reptiles. Philosoph. Transact, of the Royal Soc. of London. For the Year 1849. Part I. London 1849. S. 151 f. Pfeiffer, Zur vergleichenden Anatomie der Schultergeriistes und d. Schulter- muskeln der Siiugethiere, Vogel und Amphilien. Inauguralabhandlung. Gies- sen 1854. S. 33 f. STANmus a. a. 0. S. 75 f. e ^ x ttt Gegenbaur, Schultergurtel d. Wirbelthiere. Leipzig 1865. S. 35 t. lab. ill. Fig. 2. 3. Owen, On the Anatomy of Vertebrata. Vol. L London 1866. p. 171 t. RuDiNGER a. a. 0. S. 40 f. Parker a. a. 0. S. 153 f. Plate XIL Gegenbaur, Grundziige der vergleichenden Anatomie. 2. Aufl. Leipzig 1H7U. Huxley, Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. Uebersetzt v. F. Ratzel. Breslau 1873. . , t> ^ *i. Gray On the Original Form, Development, and Cohaesion of the Bones ot the Sternum of Chelonians. Annals and Magazin of Natural History. LXIIl. March 1873. London 1873. S. 161 f. Plates IV— VI. RiJTiMEYER, Die fossilen Schildkroten von Solothurn und der ubrigeu Jurator- mation. Zurich 1873. ^ Die drei ersten Bucher, sowie Mohring, kenne ich nur aus Pfeiffer s und Gegenbaur' s Citaten. 1) Die einzelnen Theile des Brustgurtels sind z. Th. unter Annahme der wunderlichsten Lageverauderungen und Verdrehungen in der mannigfaltigsten Weise bezeichnet worden. Selbst die Scapula, deren wahre Natur gar nicht verkannt werden kann, hat die verscbiedeusten Namen erhalten: Clavicula, Schlusselbein: Blumenbach, Cuvier (Legons 1. ed.). - Pars verticalis claviculae: Bojanus. - Scapula, Omoplate, Schulterblatt: Carus. Cuvier (Recherches, Lemons 2. ed.), Oken, Rudolphi, Rathke, Pfeiffer, bTAN- nius, Gegenbaur, Owen, RiJDiNGER, Parker, Huxley. - Scapula superior s vertebralis: Mohring. - Zweites Stiick der Schulter (Scapula inferior): Meckel. - Acromion: Angnymtos. - Die Scapula von Breviceps unter den Anuren kommt der der Chelonier am nachsteu. Zur vergleichenden Aiuitomie der Schultermuskein, 223 im Verhaltniss zu dem ventralen Abschnitte von verschiedeiier Lange '), besitzt eine nahezu cylindrische Gestalt und geht oben in ein nieist mit Knochenkern versehenes Knorpelende (Supra- scapulare (55)2) .^^^^ ^ j^g mituntei- als selbststandiger Skelettheil abgelost sein kann und durch Bandmasse mit dem Rttckenschilde in der Gegend des 1. Ruckenwirbels verbunden ist. Mit ihrem imteren Ende nimmt die Scapula Antheil an der Gelenkhohle fur den Humerus und ist mit den beiden Sclienkeln des ventralen Ab- schnittes, mit dem vorderen bi^im erwachsenen Thiere ohne Grenze'), mit dem hinteren vermittelst Naht, verbunden. Ein Acromion*) fehlt den Clieloniern. Der ventrale Abschnitt bestelitaus dem Procoracoid, Coracoid und Epicoracoid, die wie bei den Anuren eine weite Oeffnung umgrenzen. Das Procoracoid (Pc) •'^), der 1) Relativ am kiirzesteu ist die bcapula bei Sphargis uiuJ Cheloue, wo sie von dem sehr ausehnlichen Coracoid betrachtlich an Lauge iibertroffeii wird etwas langer bei Trioiiyx, wo sie dem Coracoid ungefalu- gleichkommt am' laugsten bei Emys and namentlich bei Testiido, wo sie das Coracoid an Lanee iibertrifft. ^ 2) Os triquetrum: Bojajtos. — Os surscapulaire, Suprasca- pulare, Supra scapu la: Cuvier (Recherches, Lemons 2. ed.), Rathke, Pfeip- FER, Gegenbaur, Parker. JSacb Cuvier's Untersuchungen zuweilen mit meh- rereu Kuocljenkerneu. Meckel's Vergleichung der vordersten Randplatte des Riickenschildes (Kackenplatte Rathke) mit dem Suprascapulare der Frosche ist langst widerlegt. ?<) Reim Embryo lindet sich in gleicher Weise wie zwischen dem hinteren Schenkel und der Scapula auch zwischen dieser und dem vorderen Schenkel eine Knorpelgrenze als Rest deb urspriinglichen knorpeligen Zustaudes des ganzen Brustgurtels. 4) Die Deutimg des Procoracoids als Acromion, die namentlich vonCuviER, (Jken, Rathke, Pfeipfer und Stannius befurwortet wurde, ist von Gegenbaur hiiireichend zuriickgewiesen worden. 5) Furcula: Cuvieh (Lemons Led.), Rudolphi, Mohring. — fechliissel- bein, Clavicula: Blumenbach, Caeus, Meckel, Rudingeh. — Pars hori- zontalis claviculae: Bojanus. — Acromion oder Claivicula, Acro- mial or Clavicular Process: CuviER (Recherches, Legons 2. ed.), Owen. — Acromion, Processus acromiaiis: Oken, Rathke, Pfeipfer, Stan- nius. — Processus coracoideus: Anonymds. ~ Procoracoid, Prae- coracoid: Gegenbaur, Parker, Huxley. - Sammtliche fruheren Deutungeu sind von Gegenbaur in iiberzeugeudster Weise widerlegt worden. Rijdinger halt trotzdem uoch die Deutung als Clavicula aufrecht und begrundet seine Ansicht durch folgenden Satz (S. 41): „Vergleiche ich den Schultergiirtel der Schildkrote mit dem Beckengurtel desselben Thieres und mit dem Schulter- giirtel der ungeschwiinzten Batrachier und der Vogel, so wird besouders auch wegen seiner Beziehungen zu dem Gelenktheil des Schulterblattes und zu den daran festsitzenden Muskelu, die Annahme unterstutzt, dass man in dem vor- 224 Max Fiirbringer, vordere Schenkel des horizontalen Abschnittes, ist kiirzer und diinner als die Scapula. An seinem medialen breiteren Ende, das dem der Gegenseite sehr nahe liegt ist es durch Band mit der vorderen unpaaren Platte oder wenn diese fehlt (Staurotypus) mit der entsprechenden der vorderen paarigen Flatten des Plastrums verbunden, an seinem lateralen schmaleren Theile mittelst Naht mit dem Coracoid und ohne Naht mit der Scapula verwachsen. Die letzte feste Vereinigung giebt beiden Knochen eine innige Zusammengehorigkeit, die sich auch in der Anordnung der von ihnen entspringenden Muskeln kund giebt. Das Coracoid (C)i), der hintere Schenkel des ventralen Abschnittes und zugleich der breiteste Knochen des Brustgiirtels, ist von der Scapula und dem Procoracoid, mit denen es die Gelenkhohle ftir denOberarm bildet, durch eine Knorpelnaht abgegrenzt. Medial, wo es wie das Pro- coracoid in einen Knorpelsaum iibergeht, ragt es frei in die Lei- beshohle, ohne das Brustschild zu bertihren. In der Kegel ist es von dem der Gegenseite entfernt, nur bei Sphargis (von den unter- suchten Thieren) schieben sich beide Rander ein wenig uberem- ander, derart, dass das rechte Coracoid ventral zu liegen kommt. dereii horizontal gestellten Knochen das mit dem Schulterblatte verknocherte Schlusselbein vor sich hat." Dagegen lasst sich anfuhren, 1) dass mi Becken- giirtel keines Wirbelthieres ein metameres Homologon der Clavicula existut (das Schambein ist hochsteus dem Procoracoid homodynam), dass viehnehr die Clavicula eine dem Brustgiirtel ganz eigenthtimliche (secundare Knochen-)Bildung ist, dass also, wenn man die, iibrigens sehr unzuverlassige, Methode der Be- stimmung der speciellen Homologien durch Homodyname wahlt, dadurch ge- rade der Beweis gegeben wird, dass der betreffende Knochen keme Clavicula ist, 2) dass die Clavicula bei den Vogeln weder Antheil an der Bildung der Gelenkhohle hat noch (abgesehen vou mituuter secundar ver- knocherten Bandern) mit der Scapula durch Knorpel oder Knochen vereinigt ist dass sie vielmehr ein nur durch Band mit dem Schulterblatt und dem Cora- coid verbundener, der Gelenkbildung ganz fremder Knochen ist, beides Bezie- hungen, wodurch sie sich principiell von dem Procoracoid der Che- lonier unterscheidet, und 3) dass nicht einer der anhaftenden Muskeln die Deutung als Clavicula er he is cht und dass iiberhaupt mit eiuer uu- kritischen Verwerthung der Muskeln fiir die Vergleichung der Knochen, wie das Bei spiel des Anonti^ius lehrt, auch die ungereimtesten Annahmen bewiesen werden konnen. 1) Schulterblatt, Scapula: Blumenbach, Cuvier (1. ed.), Bojanus, Anony- Mus - Coracoid, Accessorisches Schliisselbeiu: Cabus, Cuvieb (Recherches, Legons 2. ed.), Meckel, Rathke, Ppeiffeb, Stannius, Gegenbaub, Owen, Rudingeb, Pabkeb, Huxley. - Clavicula: Rudolphi. - Scapula inferior s. humeralis: Mohbing. Zur vergleichendon Anatomie der Schiiltormuskeln. 225 Das Epicoracoid der mediale Theil des ventralen Brustgiirtel- abschnittes, liat nicht die Selbststiindigkeit wie bei der Mehrzahl der Batrachier '). Niir am vordern imd hintern Ende, im Bereiche der medialen Eiiden des Procoracoids uiid Coracoids, ist es knor- pelig, walireiid sein mittlerer, beide Enden verbindender Theil durdi eiii kriiftiges iiamentlich bei Trionyx breites Band (Liga- iiientum cpicoracoideum (LEc)^) ersetzt wird, das unmittelbar in die Knorpelenden iibergeht. Eine Clavicula existirt nicht bei den Cheloniern ^). 1) Dactylethra uuter den Batrachieru kommt deu Chelouiern sehr uahe, indem auch hier das Epicoracoid grosstentheils durch Bandmasse ersetzt ist. 2) Li gam en turn acroniio- cor acoidal e: Stannius. — Geqenbaur hat zuerst und allein auf die Bedeutung dieses Bandes aufmerksam gemacht and in ibm ein Homologon des Epicoracoid nachgewieseu. 3) Claviculare Bildungen sind von den Antoren bald in dem vorderen iScbenkel des Brustgiirtels (Procoracoid) bald in dem Brustscbilde gefuuden worden. Ganz abgesehen von der langst widcrlegten Deutnng des gcsamm- ten Procoracoid als Clavicula ist auch die Annabme, die in dem vorderen Schenkel eine Verscbmelzung von Homologen der Clavicula und des Pro- coracoid (abnlicb wie bei den Anuren) erblickt , nicbt aut'recht zu halten , da die Verknocherung dieses Tboiles nicht wie bei don Anuren sich derart ein- leitet , dass eine ventrale selbststiindig , ekchondrostotiscb , sich eutwickelude Knochenplatte (Clavicula) vorn und unten dem urspriinglich knorpeligen vor- deren Schenkel (Procoracoid) sich auflagert, sondern da sie in der ganzen Cir- cumferenz des Kuorpels beginnt und von da von alien Seiten nach innen wel- ter foitscbreitet. Die aahafteudeu Muskeln geben keine Entscheidung. Im Brutetschilde sind noch Oken's und Anontmds' Vorgange neuerdiugs von Pakkee die vorderen paarigen Kuocbenplatten als Homologe der Clavicula gedeutet worden. Gegeu diese Ausicht, die iibrigens nach Anordnung der udharirenden Muskeln sowohl als nach Gestalt der Knochenplatten, welche in einem gewis- sen Stadium der Entwickelung mit den Schliisselbeinen der Saurier einige Aehn- lichkeit zeigen , manches fiir sich hat, spricht als gewichtiger Grund die Ent- wickelung. >'ig. 41 iiiul 42.) Die Muskeln der Schulter werden von dem R. accessor ius n. vagi und in der Regel von den vier letzten Cervical- n erven versorgt. I. R. accessorius n. vagi. Von dem liinteren Theile der Medulla oblongata und von dem Anfange der Medulla spinalis bis zur Hohe des dritten oder 1) Gouttiere bicipitale: Cuvier. 2 Condylus internus s. radialis, Inner Condyle: Bojaiojs, Owen. - Aeusserer Oberar mknorr en, Condylus externus: Meckel, Stan- Nius — C. extensorius: Rudingkr. 3) Condylus externus s. ulnaris. Outer Condyle: Bojanus, Owen.- Inner er Oberarmknorreu , Condylus internus: Meckel, Stannius. — C. flexorius: Eudingek. 4) Literatur: BojANTJS a a 0. S. 97 f. Taf. XXIII. (Nerven von Emys europaea ; die Be- schreibung der Kopfnerven ist weit besser als die des Plexus brachiahs, die mannigfache Ungenauigkeiten darbietet). VoGT, Beitrage zur Neurologie der Reptilieu. Neufschatel 1840. b. 6 t. (Kopt- nerven von Cbelone Midas). Bendz Bidrag til den sammenlignende Anatomie of Nervus glossopharyngeus, vagus, accessorius Willisii og bypoglossus hos Reptilierne. Vid. Sel. natur- vid ogmathem. Afh. X. Deel. S. 117 f. Tab. I. II. (Chelonia Midas, Testu- Cx^b!! 6d. par Dumeril a. a. 0. Tome III. S. 226, 234, 263. (Kurze Notiz iiber Vagus und Plexus brachialis der Chelonier). STANNitJS a. a. 0. S. 312 f. (Kopfnerven d. Chelonier). 0wk;n a a 0. S. 312 f. (Wenig genaue Angaben iiber die Nerven von Chelone)^ Fiir eigenellntersuchungen dienten Trionyx japonicus, Emys europaea und serrata, Chelonia tesselata. - Trionyx japonicus verdanke ich der Gute des Herrn Professor W. Peters. 5) Durch Versehen des Lithographen als Taf. VII. berzeichnet. Zur vergleichenden Anatomie tier Scliultermuskeln. 229 vierten Cervicalnerven entspringen eine Anzahl Nervenwurzeln (10—12), die sicli zu einem dicht verflochtenen Nervenstamme vereinigen, der durch eine diinne Knocheubriicke vom N. glosso- pharyngeus getreimt durch das Foramen jugiilare aus dem Schadel tritt imd ein Homologou der vereinigten Nn. vagus et acces- soriusWillisii des Menschen darstellt^). Die von dem Riicken- marke kommenden und nach vorn durch das grosse Hinterhaupts- loch verlaufenden Wurzeln entsprechen denen des N. accessorius der Saugethiere. Gleich nach dem Austritte aus dem Schadel gibt dieser Ner- venstamm einen feinen Ast, den R. accessorius^), ab, der nach hinten verlauft und in der Hohe des zweiten (Emys) oder dritten Wirbels (Testudo) mit ein oder zwei Zweigen in die Innenseite des M. capiti-plastralis eindringt , wahrend sein Endtheil (nach BojANus) mit dem 3. und 4. Cervicalnerven anastomosirt^). Bei Trionyx wurde vergebens nach dem R. accessorius gesucht*). Wie bei den Amphibien ist der R. accessorius ein Homologon des R. externus n. accessorii des Menschen. Die Hauptmasse des Vagus vertheilt sich in den Eingeweiden des Halses, der Brust und des Ranches, ohne mit der Schulter- muskulatur in irgend welche Beziehungen zu treten. 11. Nn. spinales. Von den fiinf ersten Cervicalnerven steht keiner in Beziehung zur Muskulatur der Schulter^), wahrend die ventralen Aeste des 1) BojANUs, Bendz u. Staunius uuterscheiden eineii besoudereii N. acces- sorius Willisii vom N. vagus, obschoii sie augebeu, dass beide vollkommeu ver- schmolzen sind. 2) BojANTJS : R. muscularis u. accessorii ad m. sternomastoideum (rj. — Von Bendy iibersehen , von Vogt trotz genaueu ISachsucbens (an einem schlecht erhalteueu Exemplare von Chelone Midas) uicht aut'gefunden. Uumeril (Cuvier) und Owen bezeichnen iliu als hintereu Ast des N. accessorius uud geben ialscblicb an , dass er tiberhaupt die iS'ackenmuskeiu versorge. Stannius be- schrankt gleicb Bojanus seine Verbreituiig mit liecbt aut' den Steruomastoideus. 3) Wohin das mit IS', cervicalis 111. und IV. verbundeue Endtheil gelangt, giebt bojANTJS nicht an. Wahrscbeiulich ist die Innerviiiing des hinteren Theils des Capiti-plastralis durch dasselbe. 4) Das mir zu Gebote stehende Exemplar von Triojiyx war klein und ziemlicb lauge in Spiritus gelegen; es ist darum leicht moglicb, dass der Nerv iibersehen wurde. 5) Eine Innervirung, der hinteren Theile des M. capiti-plastralis durch eiuige der ersten llalsncrven ist moglich. Sie wurde aber weder von Bojanus noch von mir aufgefuadeu. 230 ^^^ Ftirbringer, 6., 7, und 8. (Trionyx japonicus) oder des 6., 7., 8. iind 9. Spinal- nerven (Emys europaea, punctata und serrata, Testudo tesselata), sich zum Plexus brachialis') vereinigen , dessen Zweige die Schultermuskeln innerviren. Der aileinige Antheil der hinteren Halsnerven an der Bildung des Plexus brachialis scheint einen wesentlichen Unterschied von den Verhaltnissen bei den Amphibien zu bilden, bei denen sammtliche Halsnerven nur mit Ausnahme des ersten den Plexus brachialis zusammensetzen. Diese Differenz ist aber, wie eine einfache Ver- gleichung der Amphibien und Schildkroten ergiebt, bedingt durch Verschiedenheiten, die ausserhalb des Plexus brachialis liegen. Bei den Amphibien wie bei den Cheloniern setzen drei bis vier Cervicalnerven den Plexus zusammen, ferner gehen z. B. der N. supracoracoideus in der Kegel aus Theilen zweier, die Nn. bra- chiales longi aus Theilen zweier oder dreier bei beiden gleich liegender Nerven hervor. Es ist also der Plexus brachialis bei Amphibien und Schildkroten von einer im Wesentlichen gleich sich verhaltenden Anzahl von Spinalnerven zusammengesetzt, und ebenso sind die einzelnen aus ihm hervorgehenden Nerven in gleicher Weise gebildet : eristalso eine im Allgemeinen constante Bildung, in welcher der 2. Halsnerv der Amphibien dem 6. der Chelonier, der 3. Halsnerv der Amphibien dem 7. der Schildkroten u. s. w. entprechen. Die Differenz liegt also lediglich in der verschiedenen Anzahl der vor dem Plexus brachia- lis liegenden, mit ihm also in gar keiner Beziehung stehenden Cervicalnerven; bei den Amphibien betragt diese' 1, bei den Cheloniern 5; demnach sind bei den Chelo- niern vier vordere Halsnerven mehr eingeschaltet'^), 1) Nach BojANus und Owen bilden die vier letzten, nach Ddmeeil (Cuvier) nur die drei letzten Cervicalnerven den Plexus brachialis. Letztere Angabe ist falscli. 2) Diese Einscbaltung von Nerven ist nutlirlich nicht als eine ganz unver- mittelte Is'eubildung aufzufassen. Es muss vielmebr angenommen werden, dass ursprlinglich nur eine ganz allmahlige Spaltuug eines IServeustammes in mehrere Zweige durch sich dazwischen einschiebeude Wirbel stattfand, mit der sich secundiir eine Neubildung von weiteren Nervenelementen verband. Ueber die Art und Weise der Einschiebung von Wirbeln, die sich wabrschein- lich aus dem Bindegewebe zwiscben zvi'ei Wirbeln herausgebildet habeu, lasst sich zur Zeit noch keine durch die Untersuchung bestatigte bestimmte An- gabe machen. Zur vergleichenden Anatomie der Schultprmnskeln. 231 ein Verhalten, das wiederum Folge der diirch Anpassung bedingten Vermehrung der Wirbel im Halse der Chelonier ist '). Ventraler Ast des N. spinalis YI. (FI.). Er vertheilt sich zum grossten Theile in der ventralen imd hypaxonischen Hals- muskulatur und steht niir durdi zwei oder drei kleine Zweige zu den Schulternuiskeln in Beziehiiiig. Ein oberes, nur bei Emys europaea bisher aufgefundenes (wahrscheinlich auch bei Sphargis und Chelone verhandenes) Aestchen, N. thoraciciis superior VI. (anterior)'^), geht gleich vom Ursprunge ab nach hinten und oben an den M. collo-scapularis (levator scapulae); ein unteres Aestchen, N. thoracicus anterior^) (3a), wendet sich nach hin- ten zu der zwischen Scapula, Procoracoid und nieist Anfang des Riickenschildes und der Halsfascie ausgespannten diinnen Muskel- schicht (M. plastro-scapulo-procoracoideus (cui)); ein drittes Aest- chen geht nach hinten und oben zum N. cervicalis VII., rait dem es sich fruher (Testudo) oder spater (Emys, Trionyx) zur Ansa cervicalis VI. verbindet. Bei Emys serrata spaltet sich das letzt- genannte Aestchen gerade an der Trennung des N. cervicalis VII. in eine obere und untere Schicht in zwei Zweige, die sich mit diesen Schichten zur Ansa cervicalis VI. superior und inferior vereinigen. Ventraler Ast des N. spinalis VII. (fll). Er ist der zweitstarkste Stamm des Plexus brachialis, in den er mit seiner 1) Damit stimmeii auch die Verhaltnisse der iibrigen Weichtheile des Halses, iiamentlich der ventralen Muskeln, des Vagus, der Trachea und des Oesopha- gus, iiberein , bei deneu sammtlich eine Verlangerung im Bereiche des Halses za constatiren ist. Auch die Hautnerven des Halses verlauien nicht quer zu den ihrem Ursprunge am nachsten liegenden Hautstreckeu , sondern vielmehr nach vorn zu weiter vorn gelegenen. — Ziemlich verbreitet ist die Annahme, dass eine Vermehrung resp. Yerminderung der Wirbelzahl immer durch Anfugung resp. Wegnahme von hinteren Wir))eln bediugt sei, wahrend die vorderen ein constantes Verhalten darbieten. Diese Annahme, deren Wahrheit z. B. fiir die Schwauzwirbel nicht abgestritten werden kann, ist fiir die Hals wirbel der Chelonier (und wie sich spater zeigen wird, iiberhaupt der Reptilien und Vogel) nicht annehmbar, wo das Verhalten des Plexus brachialis klar genug beweist, dass gerade im Bereiche des vorderen Theils des Halses die Wirbelvermehrung eingetreten ist. 2) Homologon des jS. thoracicus superior II. der Amphibien. — Von Bo- .7 ANUS als Surculus summus rami descendentis n. cervicalis VI. ad m. scale- num (68) aufgefiihrt. 3) Die Bedeutung dieses Nerven ist nicht ganz gewiss. Er ist deshalb auch mit dem indifferenten Nameu N. thoracicus anterior (nicht zu verwechseln mit dem gleichbenaunten Nerven des Menschen) bezeichnet. 232 Max Ftirbringer, Hauptmasse bis anf einzelne die hypaxonische Halsmuskulatur ver- sorgende Zweige eingeht. Er tlieilt sich in drei Aeste, einen oberen, N. thoracicus superior VII., einen mittleren, R. superior, und einen unteren, R. inferior. Der N. thoracicus superior VII. (anterior) (7)'), der feinste Ast, zweigt sich entweder knapp vor der Trennung in den R. superior und inferior vom Stamme ab (Trionyx) oder erst nachher und dann vom R. supe- rior ab (Emys, Testudo) und geht direct (Trionyx) oder erst nach Bildung einer Ansa mit dem N. thoracicus superior VIII. (9) (Emys) zu dem M. testo-scapularis (serratus) (ts). Die Trennung in einen R. superior und inferior geschieht entweder nach Bildung der Ansa cervicalis VI. (Testudo) oder in derselben Hohe (Emys europaea, Trionyx) oder vorher (Emys lutaris) ; im letzteren Falle kommt es zur Bildung einer Ansa cervicalis VI. superior und in- ferior. Der R. superior, der starkste Ast des Nervenstammes, verbindet sich entweder in seiner Totalitat mit dem R. superior n. cervicalis VIII. zur Ansa cervicalis superior VII. (Emys, Testudo) Oder erst nach Abgabe der Nn. subscapularis, latissimus dorsi und dorsalis scapulae (Trionyx); im ersten Falle gehen die genannten Nerven erst von der Ansa (Testudo) oder nach Bildung derselben ab (Emys). Der R. inferior, der schwachere (namentlich bei Emys sehr feine) Ast, bildet entweder mit seiner ganzen Masse die Ansa cervicalis inferior VII. mit dem R. inferior n. cervicalis VIII. (Emys) Oder er giebt vorher den N. supracoracoideus (12) ailein (Testudo) Oder den N. supracoracoideus (12) und den N. thoraci- cus inferior VII. (10) ab (Trionyx); in den beiden letzten Fallen, namentlich bei Testudo, geht er nur mit wenig Fasern in die Bildung der Ansa ein. VentralerAst des N. spinalis VIII. (F//i.). Er istent- weder nur wenig starker als der ventrale Ast des n. cervicalis VII. (Trionyx, Emys) oder ubertrifft ihn bedeutend an Grosse (Testudo). Er theilt sich ebenso wie dieser in zwei oder drei Aeste, einen inconstanten N. thoracicus superior VIIL, einen R. superior und einen R. inferior. Der sehr feine N. thoracicus superior VIII. (posterior) (9) 2), der nur bei Emys gefunden wurde, zweigt sich gleich nach der Trennung in den R. superior und inferior von dem R. superior ab und geht, nachdem er sich mit dem N. tho- 1) Homologon des N. tboi-Hcicus superior III. der Amphibien. — Bisher von den Untersucheru iibersehen. 2) Von Bo JANUS nicht beschrieben und abgebildet. Er entspricht dem N. thoracicus superior IV. der Amphibien. Zur vergleichendon Anatomip der Schultennuskeln. - 233 racicus superior VII. verbiiiiclen, zu dem M. testo-scapularis (ser- ratus) (fs). Der mittelstarke R. superior verbindet sich mit dem R. superior ii. cervicalis VII. zur Ansa cervicalis superior VII Der kraftigere R. inferior, der aucli in 2 Zweige gespalten sein kann (Emys serrata), giebt entweder den N. thoracicus inferior VIII erst ab, bevor er mit dem R. inferior n. cervicalis VII die Ansa cervicplis inferior VII. bildet (Testudo, Trionyx), oder er geht mit seiner ganzen Masse in die Ansa ein, wo dann der genannte Nerv erst nacher sicli abzweigt. Ventraler Ast des N. spinalis IX. (/X). Er vertheilt sich theiis an die hypaxonische Rumpfmuskulatur und an das Rucken - und Bauchschild in der Hohe des ersten Brustwirbels theils geht er Beziehungen zur vorderen Extremitat ein Eine Betheihgung am Plexus bracliialis existirt bei Testudo und Emys, derart, dass eine Trennung des beziiglichen Zweiges in ein en r' superior und R. inferior stattfindet, von denen der R. superior als N. cutaneus brachii medialis (42) direct zur Haut der nie- dialen Seite des Oberarms geht, wahrend der R. inferior sich mit dem R. interior n. cervicalis VIII. zur Ansa cervicahs inferior VIII verbindet; und zwar geschieht diese Vereinigung nach Bildung der Ansa cervicalis inferior VII. Bei Trionyx fehlt der R. infe- rior, und nur der R. superior geht zur Haut des Oberarms. Die aus dem Plexus brachialis hervorgehenden Aeste sind nut Ausnah)ne der bereits naher beschriebenen Nn. thoracici su- periores (7, 9) und thoracicus anterior (3a) folgende : A. Nn. brachiales und thoracici inferiores: a) N. supracoracoideus (12)'). Ziemlich kraftiger Nerv, der entweder vor Bildung der Ansa cervicalis inferior VII. (Trio- nyx. Testudo) Oder erst nachher (Emys) aus dem Plexus bra- • chiahs sich ablost. Er geht nach unten und aussen durch die grosse Oeffnung des ventralen Brustgiirtels , lateral vom M. coracohyoideus (chi/) und nachdem er bei Trionyx und Testudo den M. testo-coracoideus {tc) (zwischen den einerseits amCoracoid anderseits- an dem Procoracoid resp. der Scapula inserirendenPortionen) durchbrechen, und theilt sich dann in zwei (Trionyx, Testudo) oder drei Aeste (Emys). Der v or- der e Ast innervirt bei Trionyx in gleicher VVeisc die vor- dere Partie des (gesammten) M. supracoracoideus wie die 1) Vou BojANOs uiid Owen ubersehen. 23^ Max Ftirbringer. oberflachliche Schicht des M. plastro-procoraco-humeralis, bei Emys nur den M. supraprocoracoideus (sppc), (durch den Zweig 14) bei Testudo diesen Muskel und mit zwei durch den- selben hindurchtretenden Zweigen die Haut und das Brust- schild im Bereiche der vorderen Brust; der hmtere, be, Emys etwas starkere, Ast (13) versorgt die hintere Partie des gesammten M. supracoracoideus , die bei Emys und Te- studo als selbstandiger M. supracoracoideus s. str. {spc) zu unterscheiden ist; ein drittes '^'^''^'''l^^^'^f'^l^^^^^^ zweigen von Testudo homologes, Aestchen (15) fi^de^^i^^ selbststandig nur bei Emys und tritt hier zwischen M. supra procoracoideus i^sppc) und M. supracoracoideus («P^) >" j ^ Haut und den Hautpanzer, wo es sich in entsprechender Weise wie die eben erwahnten Hautzweige von Testudo verbreitet. Der Nerv entspricht dem N. supracoracoideus der Am- phibien. Bei Trionyx driickt sich eine ziemlich voUkommene Uebereinstimmung mit den Bildungen bei jenen aus, nament ich in der fast gleichen Art und Weise der Innervirung der Mus- keln durch den vorderen Ast sowie durch den Mangel des Hautastes, der in der Regel den Amphibien abgeht. Bei Emys und Testudo zeigt die Entwickelung eine grossere Differenz, die sich namentlich in der Verbreitung des vorderen As es offenbart; der Hautast ist keine neue Bildung, sondern findet sich auch bei Anuren z. B. bei Bufo. b) N thoracicus inferior (N. plastro-coracoideusj (10) ). Feines Aestchen, das sich entweder durch Vereinigung von zwei dlinnen Zweigen aus dem R. inferior n. cervicalis VIl. und VIII. bildet (Trionyx) oder nur aus dem R. interior ii. cervicalis VIIL vor Bildung der Ansa cervicalis inferior Yll. hervorgeht (Testudo) oder erst nach Bildung der Ansae cer- vicalesinferiores VII. und VIIL von der Hinterseite des Haupt- stammes, etwas distal von dem N. supracoracoideus, sich ab- zweigt (Emys). Es liiuft nach unten und aussen und inner- virt denM.testo-coracoideus(#.), nachdem es an der vorderen Flache in ihn eingetreten. Der N. plastro-coracoideus der Chelonier entspricht dem ]N. thoracicus inferior der Amphibien; er ist demselben aber nur z. Th. speciell homolog, wahrend z. Th. bios eine Homo- dynamie ermittelt werden kann. Bei den Urodelen gehtem IS. 1) Bisher ubersehen worden. Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. 235 thoracicus inferior aus^dem 2., bei den Anuren aus dem 2. und 4. Spinalnerv hervor; bei den Schildkroten wird der entspre- chende Nerv entweder vom 7. und 8. (Trionyx) oder vom 8. (Testudo) Oder vom 8. und 9. Spinalnerven (Emys) gebildet. Da, wie bereits nachgewiesen worden, nur zwischen dem N. spinalis II. der Amphibien und dem N. spinalis VI. der Chelonier u. s. w. eine specielle Homologie besteht, so kann der N. thora- cicus interior der untersuchten Urodelen ebenso wie der N. thoracicus inferior II. der Anuren nur als eine, dem N. thora- cicus inferior der Schildkroten homodyname Bildung angesehen werden, wahrend fur den N. thoracicus inferior IV. der Anuren eine directe Homologie mit dem N. thoracicus inferior der Schildkroten existirt. V) N. brachialis iongus inferior (21)'). Hauptstamm der Nn. brachiales inferiores, geht erst an der Innenseite des M. coraco-brachialis brevis internus {cbbi) vorbei, dann, zwischen dieseni und dem M. coraco-brachialis brevis externus [cbbe) nach aussen tretend, in spirahger Windung nach dem Ober- arm. Auf diesem Wege giebt er eine Anzahl Kr. muscu- lares'^) an die Mm. pectoralis (N. pectoralisj, coraco-bra- chialis brevis internus (N. coracobrachialis brevis internus) und coracobrachiahs breyis externus und coraco-antebrachialis resp. coraco-antebrachialis profundus und coraco-radialis su- perficialis (N. coracobrachialis brevis externus et coraco-ante- brachialis) ab: «)N. coraco-brachialis brevis internus (22a)-'). Mit- telstarker Nerv, der in der Kegel zuerst von dem N. bra- chialis Iongus inferior entweder selbststandig (Trionyx) oder gemeinsam mit dem N. pectoralis (19) (Emys, Testudo) sich abzweigt und zwischen N. coraco-brachialis brevis internus (cbbi) einerseits und den Mm. coraco-brachialis brevis ex- ternus (cbbe), coraco-antebrachialis profundus (bpr) und coraco-radialis superficialis (bsp) andererseits nach dem ersten Muskel verlauft. — Entspricht dem gleichbenannten Nerv der Anuren. 1) N. raediauus von Hojanus (;^j und Uwkn. Die Beschreihiuig ist iiameul- licli bei Owen sehr diirftig. 2) BojANus und Owen tuhren uui' di.^ Muskelaste dt's Pectoralis an (xi). 3) Nebst dem N. coraco-brachialis brachialis brevis externus von Owen als Zweig des N. circuratlexus bei Chelone angegeben , eine Darstellung , die wohl nicht auf geuauer Beobachtung beruht. OQg Max Fiirbriiiger. |3) N. pectoralis (19). Ziemlich starker Nerv. Er geht ent- weder als selbststandiger Nerv distal vom vorigen (Trionyx) Oder gemeinsam mit ihm CEmys, Testiido) vom Hauptstamme ab imd nimmt, zwischen M. coraco-brachialis brevis internus (cbbi) und den Mm. coraco-antebracliialis profundus (bpr) und coraco - radialis superficialis (bsp) , bei Trionyx auch theilweise innerlialb des letzten Muskels verlaufend, semen Weg zum M. pectoralis (p). — Homologon des gleichbe- nannten Nervs der Amphibien. v)N coraco-brachialis brevis externus et coraco- antebrachialis (22,)- Mittelstarker Nerv der zwischen M. coraco-brachialis brevis internus (cbbi) und externus (cbbe) zu dem M. coraco-brachialis brevis externus (cbbe) und M. coraco -antebrachialis (Testudo) resp. coraco-antebrachialis profundus (bpr) und coraco-radialis superficialis (bsp) (Emys, Trionyx)') geht, die er mit mehreren Zweigen innervirt — Nur die zu dem M. coraco-brachialis brevis externus gehen- den Aeste sind specielle Homologe von Theilen des N. co- raco-brachialis der Amphibien; ftir den N. coraco-antebra- chialis fehlt ein completes Homologon bei den Amphibien. Nach Abgabe der genannten Muskelaste verlauft der N. brachialis longus inferior zwischen dem M. coraco-antebra- chialis profundus (bpr) und dem M. humero - antebrachiahs inferior (hai) an der Medialseite des Oberarms nach dem Vorderarme, wobei er einen N. cutaneus antibrachii in- ferior (25)-'') an die Haut der Beugeseite des Vorderarmes und Rr. musculares an den M. humero-antibrachialis infe- rior {hai) (24) und bei Emys auch an den distalen Bauch des M. coraco-radialis superficialis (bsp) (22c) abgiebt. Von da geht er an den Yorderarra und an die Hand. — Der N. brachialis longus inferior ist dem gleichbenannten Nerv der Amphibien homolog. Die Bezeichnung von Bojanus und Owen (N. medianus) ist nicht zulassig, da sie nur fur einen Theil der Fasern des N. brachialis longus inferior Gel- tuug hat; der Nerv enthalt auch Homologe des N. ulnaris und musculo-cutaneus in sich. 1) Bei Emys wird nur der proximale Bauch des M. coraco-radialis von ihm versorgt; bei Trionyx geht auch ein Nebenasl in den proximalen Theil des M. humero-antebrachialis inferior. 2) Rr. cutanei ad brachium nach Bojanus (zi)- Zur vergleichenden Aiiatomie tier Schultermuskeln. 237 B. Nn. brachiales superiores : a) N. subscapularis (29)'). Mittelstarker Nerv, der entweder vom R. superior ii. cervicalis VII. abgeht (Trioiiyx) oder erst iiach Bildiing der Ansa cervicalis superior YII. urid VIII. sicli ablost (Emys, Testudo). Er gelit nacli kurzem Verlaufe nach deni M. subscapularis {sbsc), in dem er sich von innen und hinten niit mehreren Aesten verzweigt. Bei Trionyx liegt er gerade an der Grenze zwischeu M. subscapularis longus und brevis und vertheilt sich mit zwei Zweigen in diesen Muskeln. Der N. subscapularis ist ein Homologon des gleiclibenann- ten Nerven bei Breviceps und bei den Urodelen, soweit dieser den M. subscapularis innervirt. Bildungeu , die dem N. sub- coracoideus der Urodelen entspreclien, fehlen den Cheloniern. b) N. latissinius dorsi (34)^). Ziemlich kleiner Nerv, der an seinem Anfange stets mit dem N. dorsaiis scapulae (30) ver- bunden ist und namentlich bei Testudo sich erst ziemlich ent- fernt von dem gemeinsamen Ursprunge beider ablost. Dieser Ursprung findet entweder vor Bildung der Ansa cervicahs superior VII. (Trionyx) oder nach Bildungen derselben (Emys, Testudo) statt. Der Nerv verlauft zwischen M. latissimus dorsi (Id) und M. subscapularis {sbsc) und tritt in die Innen- seite des ersteren Muskels ein; bei Testudo geht ein Zweig auch zu dem innig mit Latissimus dorsi verbundenen M. teres major (N. teres major). Der Nerv ist dem gieichbenannten derAmphibien homolog und unterscheidet sich von ihm nur durch seine geringe Grosse. Die innige Beziehung zu dem N. dorsaiis scapulae (30), iibri- gens ein unwesentliches (nur durch die Vertheilung der Neu- roglia bedingtes) Moment, hat er mit den Anuren gemein. c) N. dorsaiis scapulae (30)^). Ziemlich kraftiger Nerv, der 1) BojANUs : ISurculi n. uluaris m.claviculo-brachiali pertinentes (vi). Nach Owen Theil dos N. circumflexus, eine Anuahme, gegeu welche die zu grosse Selbststaiidigkeit des N. subscapularis spricbt. 2) 130JANUS : Surculus ex incipiente nervo radiali ad m. latissimum dorsi {(pi). Von Owt;n als Zweig des K. circumflexus beschriebeu. Fiir diese Auf- fassung spricbt als unwesentlicbes Momeut die iuuige Vereinigung mit dem M. dorsaiis scapulae, dagcgcn als gewicbtiger Gruud der Verlauf zu dem eiucm besondern Systeme angehorenden M. latissimus dorsi. 3) lio-TANus : N. radialis {(p , nach Abgabe des N. latissimus dorsi). Die Augabe, dass sein Endast die Streckmuskcln der Ilaud versorge, kaun nicht bestatigt werden. Owen's Beschreibung weicbt sebr von der bei Bojanus und hier gegebenen ab. Soweit die ubrigens sebr mangelbai'te Darstellung einen 238 Max Fiirbringer, gemeinsam niit dem vorigen von dem R. superior ii. cervica- lis VII. vor (Trionyx) oder nacli Bildung der Ansa cervicalis superior VII. (Emys, Testudo) abgeht. Er schlagt sich urn den Hinterrand des M. subscapularis {.sbsc) herum an dessen Aussenflache und lauft an dieser nach vorn und unten, wobei er vom M. latissimus dorsi (Id) und dem dorsalen Theile des M. scapulo-procoraco-plastro-humeralis (dsc) (Emys, Testudo) Oder vom M. latissimus dorsi und teres major bedeckt ist (Trionyx). Bei Trionyx giebt er im Bereiche des M. teres major einen N. teres major (29b) an die Innenseite des gleichnamigen Muskels ab und vertheilt sich hierauf in den tieferen Partien des M. plastro-procoraco-humeralis (33), so- wie mit einera an der Lateralseite dieses Muskels verlaufen- den Zweig, N. cutaneus brachii superior lateralis (32), an der Haut der Streck- und Lateralseite des Oberarms. Bei Emys und Chelone fehlt ein N. teres major, dagegen geht an derselben Stelle vom Stamme ein Zweig an dem dorsalen Theile des M. deltoideus (dsc) (31) ab; der ubrige Theil des Nerven vertheilt sich wie bei Trionyx in dem ventralen Theile des M. deltoideus idpc-\-dpl) (33) der Haut der Achsel und des Oberarms (32) '). Der Nerv ist dem gleichnamigen derAmphibien homolog. Der Veriauf auf dem M. subscapularis steht im Gegensatze zu dem Verhalten bei jenen, wo der Nerv direct auf der Aussenflache der Scapula liegt, ist aber nur eine Folge der anderen Entwickelung dieses Muskels bei den Cheloniern ; die innige, ubrigens nur durch die Vertheilung der Nervenbinde- substanz bedingte, Beziehung des N. teres major zum N. dor- sahs scapulae ist eine Eigenthumlichkeit von Trionyx. — Die Deutung von Bojanus als N. radialis bedarf keiner Wideriegung. d) N. brachialis longus superior (N. radialis (35)^). Vergleich erlaubt, scheint der N. dorsalis scapulae zum kleiueren Theile dem N circumflexus Owen , zum grossereu Theile dem N. radialis Owen zu ent- sprechen. Diese Trennuug bei Chelone, von der sich bei der naher vevwandtcn Trionyx wie bei den librigen untersuchten Cheloniern keine Spur findet, ist zu auffallend, als dass sie nicht bezweifelt werden miisste. 1) Bei Emys serrata durchsetzt der N. cutaneus brachii superior laterahs den M. deltoideus an zwei Stellen. ^ 2) BojANTJS : N. ulnaris (v) ■ Owen : N. ulnaris und Is. radialis e. p. Owen s Beschreibung entspricht nicht den Verhaltnisseu bei den hier untersuchten Cheloniern. Zur vergleiclienden Anatomic der Schultermuskeln. 239 Kraftiger Hauptstamm der Nn. brachiales superiores, der aus der Ansa cervicalis superior VII. (Trionyx, Testudo) oder Ansa cervicalis superior VII. und VIII. (Emys) hervorgeht. Er schlagt sich in der Mitte der Scapula um den Hinterrand des M. subscapularis (sbbc) herum und verlauft hinter und parallel zu dem N. dorsalis scapulae (30) auf dessen Aussen- flache nach unten. Am glenoidalen Ende der Scapula (Emys, Testudo) oder erstspater (Trionyx) giebt er den N. cutaneus brachii et antebrachii superior medialis (41)') an die Haut der Streck- und Innenseite des Ober- und Vorder- arms ab und tritt am proximalen Ende des Oberarms zwi- schen M. anconaeus scapularis lateralis (asl) und humeralis (a//), ersteren lateral lassend, in die Streckmuskelmasse ein, wobei er zuerst dem M. anconaeus scapularis lateralis (asl), dann dem M. anconaeus humeralis (ah) Rr. musculares (36)^*) abgiebt. Letzteren Muskel durchsetzt er in gedehnter Spirale und tritt vor dem Epicondylus radialis nach aussen und von da an den Vorderarm. Der Nerv ist ein Homologon des N. radialis der Amphi- bien, dem er bis auf geringe Differenzen, die sich auf die be- sondere Entwickelung der relativ mehr variabeln Hautaste beziehen, gleicht. — Die Deutung von Bojanus und Owen als N. ulnaris braucht keine Widerlegung. §. 9. Muskeln der Schulter und des Oberarms'). (Vergleiche Taf. V. und VI., Fig. 43—56.) Die Muskeln der Schulter und des Oberarms der Chelonier repriisentiren theilweise Bildungen, die den Amphibien ganz ab- gehen (Plastro-scapulo-procoracoideus, Biceps brachii, Teres major) 1) Bojanus: R. dorsalis mauus cutaneus (u*). Die weite Ausdehnung bis zur Hand inclusive kaun nicht bestatigt warden. 2) Bojanus: Kanuili ni. huic tricipiti ablegati (d'). Von Owen werden Aesto des K. ulnaris zuni M. anconaeus und ausserdem nocb Muskelaste des N. radialis angefiihrt, welche an der Aussenseite des Oberarms abgegeben werden. Diese Beschreibung steht im Widerspruch mit den von Bojanus und hier gemachten Angaben. 3) Literatur: Bojanus a. a. 0. S. 56 f. Taf. XV— XX (vorzugliche Abbildungen der Muskeln von Emys europaea; die Beschreibung ist durftig, die Deutung, da sie sich an eine falsche Auffassung der Knochen anlehnt, meist falsch). 240 Max Fiirltriiiger, Oder (lie bei ihnen namentlicli in Anpassuiig an die veranderten Dimensionen des Halses und die Bildung des Kiickenschildes in besonderer Weise entwickelt sind (Capiti-plastralis, Levator scapulae, Serratus, Plastro-coracoideus, Latissimus dorsi), theil- weise bieten sie Entwickelungsformen dar, die mit denen der Amphibien, namentlich der Anuren, unter alien Wirbelthieren die grosste Verwandtschaft besitzen (Supracoracoideus und Plastro- procoraco-humeralis von Trionyx, Coraco-brachialis brevis externus und internus, Subscapularis u. s. w.) ; auch die in Anpassung an das Riickenschild in eigener Weise difterenzirten Muskeln der Er- wachsenen zeigen bei Embryonen mit noch unentwickeltem Rijcken- schilde eine grosse Uebereinstimmung mit den Bildungen der Anuren (Plastro-coracoideus, Latissimus dorsi). Diese z. Th. auf- I'allend nahen Beziehungen rechtfertigen liinlanglich, die Chelo- nier riicksichtlich der Entwickelung ihrer Scbulter Anokymus (Bojantjs) a. a. 0. Isis 1827. S. 428 f. (Kritik iiber die Bezeich- uungeii der Schultermuskehi iu der Anatome testudiiiis europaeae und theil- weise, aber wenig glixckliche, Umanderung derselben). Oken a. a. 0. Isis 1827. S. 456 (Ausgezeichnete kritische Bebaudlung der Deutungeii des Anonymus ; ich stehe nicbt an, Oken's Arbeit trotz mancher Vorirrungeu fur die beste bis jetzt erschieuene vergleicbend anatoraiscbe Abbandluiig iiber die Schultermuskelu der Scbildkroteu zu erklaren). Meckel a. a. 0. Band III. S. 168 f. S. 185 f. S. 205 f. (Gute Beschrei- bung der Muskeln von Emys, Testudo und Cbelone). Ctjviee (Dumeril) a. a. 0. 2. ed. Tome I. S. 380 f. S. 401 f. S. 422 f. Rathke a. a. 0. S. 163 f. (Sebr genaue Behaiidlung einzelner mit dem Kii- cken- und Brustscbilde in Beziehung stehenden Schultermuskeln). Pfeiffer a. a. 0. S. 36 f. (Kurze aber gute Darstellung der Schultermuskeln von Chelone Midas?) Stannius a. a. 0. S. 122 f. S. 129 f. Owen a. a. 0. Vol. I. S. 237 (bis auf wenige Ausnahmcn kritiklose Copie der Abbilduugen und Bezeichnuugen von Bojanus). RiiDiNGER a. a. 0. S. 40 f. S. 97. S. 103. (Myologie von Testudo graeca, caretta, mydas, Emys europaea, Chelonia caretta). Wiedemann, Archiv f. Zoologie III. 2. S. 78 (Myologie von Testudo tabulata) konnte ich nicht vergleicheu. Die eigeneu Untersuchungen erstreckeu sich iiber Trionyx japonicus, Sphargis coriacea juv., Emys serrata und europaea und Testudo tesselata. Der Erhaltungszustand des sehr kleinen Exemplares von Sphargis orlaubte nicbt alleuthalben die Untersuchungen mit vollkommener Sicherheit auszufiihren. Die beigefiigten Abbildungen beziehen sich auf Emys serrata. Sphargis und ein sehr schoncs Exemplar von Trionyx verdauke ich Herru Professor Peters. Zur vergleichpiitlen Anatotiiie der Sclmltprmuskeln. 241 und deren Weichtheile den Amphibien naher zu stellen uiid sie von den Vogeln, niit den en in Wirklichkeit nur geringeUebereinstimmungen bestehen, zu entfernen'). Die Schulternniskeln der Chelonier lassen sich in folgender Weise eintheilen ^) : A. Diirch N. vagus innervirt: Ursprung von dem Hinterkopfe, Insertion am Brust- 'schilde: Capiti-plastralis ( Sternomastoideus ). B. Diircli N. thoracicus anterior innervirt : Anheftung an dem Ruckenschilde, der Halsfascie, der Scapula und dem Procoracoid: Testo-scapulo-procoracoideus. 1) Der Streit iiber die Stellung der Chelonier, ob in der Nahe der Amphi- bien Oder der Vogel, ist alt und nocli uicht beendigt, weun auch die beiden gewichtigsten Autoritiiten, Gegenbaub (Gnindzuge der vergleichendeu Anatomie. 2. Aufl. Leipzig 1870. S. 579) und Huxley (Handbuch der vergleichendeu Anatomie der Wirbolthiere ubersetzt von Ratzel. Breslau 1873. b. 169), sich fiir eine nahere Verwandtschaft der Chelonier mit den Amjjhibien entschiedeu haben. Den Brustgurtel und seine Weichtheile anlangeud wird eine Verglei- chung mit den Vogeln besonders von Cuvier, mit den Amphibien, speciell mit Pipa, nameutlich von Meckel befiirwortet ; doch sind die Vergleichungen bei- der so kiinstlich und gezwungen, dass auf sie weuig Gewicbt zu legen ist. Bei alien derartigen vergleichend anatomischen Untersuchungen ist stets darauf zu achten, dass man weder eiuom einseitigen Schematismus nach einer vielseitigen Kritiklosigkeit anheiuifalle , sondern dass man alle Bildungen , die natiirlich nach der verschiedenartigen Anpassung der verschiedenen Korpertheile nicht eine gleiche P^ntwickelung darbieten konneu, genau beriicksichtige und nach ihrem Werthe abschatze, ob sie nur blosse Anpassungsbilduugen oder wirkliche Vererbungsbilduugen sind. Die urn Halse liegeuden Muskeln des Brustgurtels der Chelonier z. B. haben, entsprechend der vogelahnlicheu Ausbilduug des liaises derselben, mit denen der Vogel grossere Aehnlichkeit als mit denen der Am- phibien ; uie aber darf diese ganz einseitige Aupassungsdifterenzirung dazu verleiten, die weit grossere vergleichend anatomische Bedeutung der viel con- servativeren im Bereiche der Brust und des Riickens liegenden Schultermuskeln und damit auch die nahere Verwandtschaft mit den Amphibien zu vei'keuneu. 2) Fiir Trionyx muss die Tabolle in folgender Weise geandert werden : Die Mm. capiti-plastralis (A), CoUo-scapularis (C. a), bcapulo-procoraco-plastro- humeralis (F. b. a) komraen in Wegfall. Hingegen ist zwischeu E. und F. ein- zuschalteu : Durch Nn. brachiales inferiores und superiores zugleich innervirt: Ursprung voni Brustschilde and Procoracoid, Insertion am Processus lateralis des Humerus: Plnsfro-pTOCoraco-humeralis. Bd. VIII, N. F. I, a. 16 242 Max Fiirbringer, r. Diirch Nn. thoracici superiores innervirt: Insertion am dorsalen Abschnitte cles Brustgurtels. a) Ursprung von den Querfortsatzen der Halswirb«l: Collo-scapularis (Levator scapulae). b) Ursprung von dem Riickenschilde (Querfortsatze der Riickenwirbel): Testoscapnlaris ( Serratus). D. Durch den N. thoracicus inferior innervirt: Ursprung von dern lateralen Theile des Rtickenschil- des, Insertion an dem Coracoide (und Theilen der Sca- pula und des Procoracoids) : Testo-coracoideus. E. Durch Nn. brachiales inferiores innervirt: a) Ursprung allein von dem Brustschilde, Insertion am Oberarm: Pectoralis. b) Ursprung vom ventralen Theile des Brustgurtels (Procoracoid und Coracoid): «) Durch N. supracoracoideus innervirt, Insertion am Oberarm : Supracoracoideus. ^) Durch Aeste des N. brachialis longus inferior innervirt: aa) Insertion am Oberarm: Coraco-brachialis brevis externus. Coraco-brachialis brevis internus. bb) Insertion am Vorderarm (Radius und Ulna): Coraco-antebrachialis (Biceps brachii). c) Ursprung vom Oberarm, Insertion am Vorderarm (Radius und Ulna): Humero-antebrachialfs inferior (Brachialis inferior). F. Durch Nn. brachiales superiores innervirt: a) Ursprung vom Riickenschilde, Insertion am Oberarm: Test o-kumer alts (Latissimus dor si). b) Ursprung vom Brustgiirtel (und Brustschilde), In- sertion am Oberarm. «) Insertion am Processus lateralis, Lage des humeralen Mus- kelendes lateral vom M. anconaeus scapularis ; Ursprung von dem Vorderrande der Scapula, des Procoracoids und von dem Brustschilde: Scapulo-procoraco-plastro-humeralis ( Deltoideus). Zur vergleicbenden Anatomie tier 8chnltormuskeln. ^43 /S) Insertion am Processus raedialis oder in dessen Nahe, Lage des huraeralen Muskelendes medial vom M. anconaeus sca- pularis. aa) Ursprung vom Vorderrande der Scapula, Insertion ge- meinsam mit dem Latissimus dorsi an der Streckflachc des Humerus lateral neben dem Processus medialis: Teres major. bb) Ursprung von der hinteren Circumferenz und der Innen- flache der Scapula, Insertion am Processus medialis. Subscapularis. c) Ursprung vom Brustgiirtel (Scapula) und Oberarm, Insertion am Vorderam (Ulna): Anconaeus. 1. Capiti-plastralis (Sternocleidomastoideus) (cpl) '). Stern omastoi deus, Kopfuicker, Sterno-masto i- dien: Bojanus (No. 22), Meckel (§.69. No. 1), CtrviER, Stankius (§. 114. No. 2), Owen , Ru- DINGER. Dlinner und schmaler Muskel, der in der ganzen Lange des Raises erstreckt ist. Er entspringt vom Processus ossis squamosi und geht zuerst oberhalb des Os hyoideum (Hy), wendet sich dann nach unten und hinten, so dass er den M. coraco-hyoideus (chy) von unten her deckt, und verlauft dann, namentlich bei Emys 1) Bei Trionyx liegt an seiner Stelle ein sehr schmaler und diinner Mus- kel, der denselben Ursprung am Kopfe und Verlauf am Halse zeigt, aber iu der llolie der Brust weder am Baucbschildo noch an der Schulterfascie inse- rirt, sondern direct in den frei an der Innenseite des Brustschilds und innev- lialb des Brustgiirtcls verlaufeudcn und an der Symphyse des Beckens inseri- rcnden M. rectus abdominis iibergeht. Da eine Innervation durch den R. ac- cessorius n. vagi nicht nacligewiesen werdeu konnte , da ferner zwischen ihm und dem M. rectus abdominis keinc lnscrii)tio tcudinea sicb findet, die als Andeutung einer secundaren Verwachsung mit diesem Muskel aufgefasst wer- dcn konnte, sondern da vielmehr der Muskel ohue alle Grenze in den Rectus abdominis iibergeht : so ist eine llomologie mit dem Capiti-plastralis nur als moglich anzunehmen. Bei dieser und den folgenden Muskelbezeichnuugeu wird unter Plastron das Brust-, unter Testa (Carapax) das Riickeu- s cbil d ver standen. 16* 244 Max Fiirliringer, und Testudo mit dem der Gegenseite convergirend, an der Unter- ilache des Halses nach hinten zur Brust, wo er inserirt. Seine Insertion findet bei Chelone und Sphargis an der Fascie derAch- sel, bei Emys und Testudo an der Innenflache des Brustschilds (PI) gleich hinter der Anheftung des Procoracoids (Pc) an das- selbe statt. Er ist in der Hauptausdehnung seines Verlaufes von dem M. sphincter colli {sp/tc) bedeckt und liegt nur am Ende des Halses frei zu Tage. Die Breite des Muskels ist bei Testudo am geringsten, bei Sphargis und Chelone am ansehnlichsten. Innervirt durch den R. accessorius n. vagi (und vielleicht Zweige des N. cervicalis III. und IV.). Der Muskel entspricht nicht vollkommen dem M. capiti-sca- pularis (Cucullaris) der Amphibien. Eine unwesentliche Diiferenz liegt in der weit grosseren Lange, welche nur als secundare An- passungsbildung an die Verlangerung des Halses aufzufassen ist; weit wesentlicher ist der Unterschied in der Insertion beider Mus- keln, die bei den Amphibien an der Scapula, bei deri meisten Anuren sogar in einer gewissen Tiefe , stattfindet , hier bei den Cheloniern dagegen zu oberflachlicheren und ventraleren Ansatz- punkten (Achselfascie , Brustschild) in Beziehung steht. Diese oberflachliche Lage des Insertionstheils ist eine den Reptilien und Vogeln eigenthiimliche Bildung, die mit den Cheloniern ihren An- fang nimmt und eine directe Vergleichung mit den Amphibien nicht gestattet. Wegen der ventralen Lage der Insertion, die un- gefahr der Lage der Clavicula und des vorderen Theils des Ster- nums entspricht, kann der Muskel als ein Homologon des Sterno- cleidomastoideus, aufgefasst werden '). Das Verhaltniss von Che- lone und Sphargis, wo der Muskel an der Fascie inserirt, ist das urspriingliche ; erst mit der weiteren Ausbildung des Brustschilds ist er mit diesem in directe Beziehung getreten (Emys, Testudo). 1) Oken deutet eineii Theil des M. constrictor colli (P. anterior m. latis- simi colli: Bojanus) als Sternocleidomastoideus. Dafiir spricht kein einziger Grund von Bedeutung, dagegen eine grosse Anzahl, vor Allem der transversale Verlauf der Fasern , von denen keine vom Kopf zur Brust erstreckt ist. — Der von Meckel als M. cucullaris bezeichnete , sicb vom Kopf zur Nacken- platte erstreckende Muskel ist kein Homologon des menschlichen Cucullaris, sondern gehort znm Systeme der laugen Ruckenmuskeln. Zur vergleichenden Anatomie der Schultennnskeln. 245 2. Testo-scapulo-procoracoideus (cu]) '). Pars posterior m. latissinii colli: Bojanus (21«), Anonymus, Stannius. CUi c u 1 1 a r i s and vielleicht auch lUi o m b o i d e u s ni i u o r : Oken. Peaucier: Cuvieb (?) Ausserordentlich vielgestaltiger sehr dunner liachenhafter Mus- kel, der auch zuni grosseren oder kleineren Theile durch Sehnen- gewebe ersetzt sein kann. Er setzt sich bei Trionyx, wo er vorwiegend muskulos ist, aus veiticaleu und aus vorwiegend longitiidinaleii bis ascendenten Fasern zusammen , die sich theil- weise kreiizen. Die verticalen Fasern sind die starksten , bilden aber nur ein schniales Bundel, das von der Nackenplatte knapp vor der Anheftung der Scapula an das Riickenschild nach unten an den Winkel zwischen Scapula und Procoracoid geht. Die lon- gitudinalen Fasern verlaufen von der Seite der Halsfacie ungetahr in der Hohe des iiinften Wirbels nach hinten zu dem Vorderrande der Scapula und des Procoracoids und verschmelzen theilweise mit den verticalen Fasern derart, dass auch einzelne Muskel- zuge von der Seite des Halses nach dem Ruckenschilde verlaufen. Der Complex aller dieser Faserziige bildet eine dtinne Muskel- schichte, die von einem kraftigen vom Anfange des Riickenschilds entspringenden und an die Seite des hinteren Theils des Halses verlaufenden Muskel (Sphincter colli posterior Vj bedeckt ist. Bei Testudo ist der Muskel mehr zuriickgebiidet, das verticale Mus- kelbiindel existirt in derselben Weise wie bei Trionyx, die longi- tudinalen Faserziige hingegen sind theilweise , namentlich am In- sertionstheile durch Bindegewebe ersetzt. Einzelne Fasern ver- laufen von der Scapula zu Procoracoid. Der Muskel liegt ober- Hachlich unter der Haut. Bei Emys (serrata) sind die Beziehun- gen zu dem Riickenschilde und dor Halsfascie, soweit sic als Ur- sprungsstatte diente, aufgegeben. Der Muskel bildet hier eine ganz diinne Schichte, welche lediglich zwischen Scapula (S) und Procoracoid (Pcj erstreckt ist und deren Fasern nur in der Mitte ihres Verlaufes nmskulos geblieben sind. 1) Vielleicht Meckel No. 1 in § 94 „Raiitfiiiiiuskol oder vorderor Thoil des Kapponmuskels". - Dumeeil (Cuvier) fuhrt 8. 381 No. 4 bei C'hcloiio einen kleincu Muskel an , der vom vordereii Raiide des Acromion nach dom liaise geht und sich hier in der tascie verlirrt und der dem Trapezius ver- glichen werden konue. 246 Max Furbringer, Innervirt durch den N. thoracicus anterior (3a). Die vergleichend anatomisclie Bedeutung dieses Muskels kaun nicht mit vollkommner Sicherheit angegeben werden. Die ganz besondere und sehr weit gehende Differenzirung des Halses und des Integumentes des Rumpfes bei den Cheloniern steht zu den entsprechenden Bildungen bei den Amphibien so imvermittelt da, dass eine directe Vergleichung zwisclien beiden nicht immer mog- lich ist. In dieseu Fallen kann nur durch weitere Vergleichung mit anderen Reptilien, deren Halsform der der Amphibien naher steht, z. B. mit den Sauriern die gegenseitige Horaologie erschlos- sen werden. Zu diesen Bildungen gehort der M. testo-scapulo- procoracoideus, der als eine ganz neue Differenzirung aufzufassen ist, welche den Amphibien vollkommen abgeht. Der Verlauf der Fasern, wie er bei Trionyx (von den untersuchten Cheloniern in noch am meisten urspriinglicher Gestaltung) vorliegt, sowie die Beziehung zu dem ihn deckenden M. constrictor colli posterior weist hin auf Bildungen , welche bei den Sauriern in einer am wenigsten ein- seitig fortgeschrittenen Differenzirung vorkommen und mit dem eigentlichen durch die Rr. accessorii n. vagi innervirten M. cucul- laris derselben zu einem Muskel vereinigt sind, der vorn vom N. vagus, hinten von Nn. spinales versorgt ist und von den Au- toren gemeinhin als M. cucullaris ') bezeichnet wird. Oken's und Dumeril's allerdings ganz ungeniigend begriindete Deutung als Cu- cullaris ist- deshalb annehrabar , die Vergleichung mit dem Rhom- boideus minor hingegen ganz verfehlt. Die Bildung des Muskels bei Testudo und namentlich bei Emys ist eine ganz secundare und wird nur durch das Zwischenglied Trionyx vergleichend anatomisch verstandlich. 3. Collo-scapuUaris (Levator scapulae)^). Scalenus: Bojanus (No. 34), Owen. Levator scapulae Heber des Schulterblaties : Anonymus, Oken, Meckel (No. 2), Stannius. 1) RiJDiNGER erwahiil mehifach eiueu M. cucullaris, ohne aber die auf S. 46 versprocheue Eeschreibung dtvsselben zu geben. Es ist daher fraglich, was er uuter diesciu M. cucullaris versteht. 2) Von KuDiNGER wird seiue Existenz abgeleuguet, obscliou derselbe uuter anderen Arten auch Emys europaea und Cbelonia (caretta) uutersuchte , bej wclclicn der Muskel mit grosser Uebereinstimmung von Bojanus , Meckel, DuMERiL und mir gefunden wordeu ist. ~ Die Beneunuug Pfeiffer's beruht auf einer Verwechslung der Bezcichnungeu von Bojanus. Zur vergleichenden Anatomie der Schultcrmuskeln. 247 Releveiir de I'omo plate on I'acromio-trachelien: DUMERIL (CuVIER). Latissimus colli (Boj.): Pfeiffer. Sehr diinne flachenhafte Muskelschicht an der Seite des Rai- ses, die von den Querfortsatzen der G. oder 7. letzten Halswirbel zu dem Vorderrande des Brustgiirtels geht. Sie ist nur bei eini- gen Schildkroten entvvickelt und bietet in Bezug aiif Breite und Insertion A'erschiedenheiten dar. Bei Clielone und Sphargis ist der Muskel wenig breit und inserirt nur an der Scapula niit Aus- nahme des oberen und untern Theils; bei Emys europaea tindet die Anheftung an der ganzen Lange der Scapula und an dem an- grenzeuden Theile des Procoracoids statt, der Muskel besitzt liier eine betrachtliche Breite. Bei Eniys punctata und lutaria ist der M. levator scapulae makroskopisch nicht nachweisbar, sondern ist ersetzt durch eine Fascie, in der sich nur bei mikroskopischer Untersuchung vereinzelte Muskelfasern linden. Bei Trionyx fehlt jede Spur von Muskelelementen. Innervirt durch den N. thoracicus superior VI. Nach Innervation und Lage gehort der Muskel unzweil'elhaft zu dem Systenie der Levatores scapulae. Eine specielle Homologie mitden, in'besonderer Weise'diiierenzirten, entsprechenden Muskeln der Amphibien ist nicht nachweisbar. 4. Testo-scapularis (Serratus) (is) '). Subchivius: (JuviER 1. ed., Wiedemann, Bojanus (No. 59), Owen. Cucullaris (?): Anonymus. Serratus maguus, Grand dentele: O^en , Dumerii. (Cuvier). Theil d. Rauten- od. Kappenmuskcls: Meckel (No. 5). Retractor scapulae: Stannius. Serratus anticus major s. cost o-s cap ularis: RiJ- DINGEB. 1) Rathke giebt von dem Muskel eine gcuaue Beschreibung undEntwicke- lungsgcschichte. Er fiibrt ihn untor der Benenuucg von Bojanus (als Sub- clavius) an, sjjricht sich aber zugleicb gegcu dessen Deutung ebeuso wie gegen die von Dumeril (als Rest eines Serratus) aus und kommt zum Schlusse, dass der Muskel kciuer Bildung anderer Wirbelthiere nur einigermaasseu entsproche. Die Bcdenken gegon Dumeril's Deutung sind niclit scbwerwiegend geuug, um diese zu widerlcgen, indem sie sich auf die Annahmc einer volikommenen Con- stanz des Ursi)runges dor Muskeln stiitzcn, eine Annahnie, die nicht auf natiir- licher Beobachtung sich basirt, sondern uur Ergebuiss reiner Reflexioueu ist. — Pfbiffee erwahnt den Muskel nicht. 248 ^** Furbringer, Verschieden grosser und verschieden gestalteter Muskel von im Mittel nur massiger Ausdehnung, der von der Innenflache des Riickenschildes hinter dem M. latissimus dorsi (Id) und uber dem M. testo-coracoideus (tc) entspringt und an der Hinter- und Aussen- tiache des Suprascapulare (SS) und des oberen Endes der Scapula (S) inserirt. Bei Sphargis und Chelone ist er klein und schmal, bei Emys und Testudo etwas breiter , bei Trionyx ziemlich breit und kraftig. Er entspringt bald ziemlich weit lateralwarts (Che- lone, Trionyx), bald naher der Wirbeisaule (Emys). Bei jungen Thieren mit noch unvoUkoramener Ausbildung des Riickenschildes ') und noch diskreten Querfortsatzen ist ein Ursprung von der 2. Oder der 2. und 3. Rippe und der zwischen ihnen liegenden Fascie (Rathke's Fascia costalis) nachweisbar; mit der Verbreiterung und endlichen Verwachsung der Querfortsatze, sowie mit dem Auftreten der Erganzungsplatten geht er dann Beziehungen zur Innenflache des Riickenschildes ein, wie sie das erwachsene Thier zeigt^). 1) Es ist hier nicht der Ort, geuauer auf die Entwickelung und den Ban des Ruckenschilds einzugoben. Zur Zeit existireu iiber dieseu Puukt vornelim- lich zwei Tlieoiien , vou denen die eino nach dem Vorgange von Carus ibren Ilauptvertreter in Peters hat, dem besondcis Owen und Stannius gefolgt sind, wahrend die audere vou Rathke berriibrt und von Huxley gestiitzt wird. Der Tlieorie von Peters zufolge setzt sicb das Riickenscbiid aus einem inueren 8kelete, Wirbel und Rippen (Queiiortsatze nacli Stannius), und aus einem ausseren Skelet, Deckplatteu der Wirbeldornen und Rippen und Randplatten, zusammen, die beide im Laufe der Entwickehuig untrennbar test mit einander verwachsen sind ; nacli der Ausicht von Rathke besteht das Ruckenscbild wesent- lich aus dem inneren Skelete, den auf besondere VVeise entwickehon Riicken- wirbebi und Rippen, die in sicb anch die Decki)latten entbalten ; nur die Rand- platten (incl. ^iackenplatte) sind dernialer Natur. Die letzterc Ansicbt wird aller- diugs gestiitzt durch die vorziiglicb genauen embryologiscben Ihitersuclmngen ibres Vertreters (deren bistologisclier Wertb indessen nicbt zu hocli angeschlagen werden dart"), fiir die erstere bingegen sprecben eine grossere Anzabl vergleicbend anatomiscber Griinde, die bier auzufiibren jedocb nicbt der Ort ist. Ueber die wabre Bedeutung der Rippen (Querfortsatze Htankius) lasst sicb etwas Sicberes z. Z. ebenfalls nicbt augebtn ; docb spricbt die Art ibrcr Entwickehuig, ibr Verbalten zu den Wirbeln, ferner der Umstand, dass bei einzelnen Batra- cbiern (die aucb aus anderen Griinden als die nacbsten Verwandten der Cbelouier anzuseben sind) wie bei Pipa, Dactyletbra, Ceratopbrys, Pbyllomedusa u. s. w., einzehie oder mehrere Wirbelquerfortsatze eine betracbtlicbe Liinge besitzen, sebr fiir die Ansicbt von Stannius und recbtfertigt , sie als (jedenfalls in An- passung an die Bildung des Hautskelets) autfallend vorbroiterte und verlaugerte Querfortsatze aufzufasseu luid eine Homologie mit Rippen auszuscbliessen. 2} Einzelnbeiten iiber dieseu Punkt geben die trefiflicheu Untersucbungen Rathke's S. 165. Zur vergleichenden Anatomie rler Schultermuskeln. 249 Inner virt durch den N. thoracicus superior VII. und VIII. (7, 9) Oder VIII. (9) ')• Die Innervirung des Muskels, sowie der bei jungen Thieren leicht nachweisbare Ursprung von den Qiu'.fortsiitzen und die Insertion am oberen Theile der Scapula lassen in dein Muskel ein unzweifelhaftes Homologon der Mm, thoraci-scapularis und thoraei- suprascapulares der Amphibien erkennen, Speciell weist der Ur- sprung an den Querfortsatzen auf eine nahere Verwandtschaft rait Anuren bin, wahrend die einfache Bildung des Muskels mit den complicirten Differenzirungen bei den Anuren wenig gemein hat und den Verhaltnissen bei den Urodelen naher steht. Die Deutung als Subclavius ist bereits von Meckel, die als (.'ucullaris von Oken geniigend widerlegt worden. Ihn, wie Meckel lliut, mit dem Rhom- boideus zu vel-gleichen, erlaubt sein Ursprung nicht, der nur an den Rippen, nie aber an den Dornen der Riickciiwirbel stattfindet. 5. Testo-coracoideus (tc)^). Trapeze: Cuviee, Lemons 1. ed. (?) Serratus magnus, grosser vorderer gezahnter Muskel: Bojanus (Ao.57), A nonymus, Meckel (No. 4), Owen. Pectoral is minor: Oken, Kathke, Pfeiffer. Dentele anterieur s. Cost o-coraooidieu: Dumehil (C'uvier). Subclavius s. costo- clavicularis uiid Pectoralis minor s. Costo-cor acoideus: Rudinger. Sehr breites und in der Regel diinnes^) Muskelstratum , das vom Riickenschilde in einer langen Linie entspringt und nacli unten und innen zu dem Brustgiirtel verlauft. Der Ursprung ist bald mehr oder weniger auf den lateralen Rand des Bauchschildes be- schrankt und bildet dann eine ziemlich horizontale Linie (Trionyx, Sphargis), bald erstreckt er sich an einer etwas ausgeschweiften Linie am Riickenschilde nach der Wirbelsiiule zu, die er aber nie 1) Der von Uojanus beschriebcne Ast des 10. Spiualnerxtii (10a) durch- setzt bios den M. serrutns, ohne ihn zu innervircn. 2) Stanniub beschrt'ibt ihn aufSeitell5 olincNamen uud spricht sich hier gegen die Bczeiclmuug als Serratus magnus aus, wahrend er Achnlichkeit mit dem bei Vogein zwischen den Schenkeln der i'urcula gelegenen Sepluni babe. 3) Bei Eniys ist der Muskel nur sehr diinn , bei Trionyx , Sj»hargis, Che- lone und Testudo hingegen ausehnlicher entwickolt; uameutlich bi i letzterer hat der hiutere Theil eine ansehuliche Starke. 250 ' Max Fiirbringcr, erreicht (Testudo, Emys) '). Bei jungen Thieren uiid Embryonen mit noch riicht ausgebildetem Riicken- und Bauchscliilde findet der Ursprung in der Kegel von der Fascia zwischen den Enden der Querfortsatze statt, erst mit der weiteren Entwickelung der Quer- fortsatze tritt er in directe Bezielinng zu diesen und noch spater zu dem Ruckenschilde'-^). Der Muskel verlauft stets an der Unter- fiiiche des M. coraco-brachialis brevis internus (cbbi) bin nach vorn und innen und heftet sich an dem Vorder- und Medialrande des Coracoids (c), sowie an den angrenzenden Theilen des Procora- coids (Pc) und der Scapula (S) an. Bei Emys inserirt der Muskel am vordern Rande des Coracoids und den anliegenden Enden des Procoracoids und der Scapula, bei Testudo mit einer mit dem M. coracobrachialis brevis internus verwacbsenen Aponeurose an der hinteren Ecke, dem Medialrande und dem angrenzenden medialen Theile des Vorderrands des Coracoids sowie mit einigen diinnen Muskelbiindeln an der Mitte des hinteren Randes des Procoracoid, bei Trionyx an dem Vorderrande des Coracoids und den untern zwei Fiinftel der Innenilache der Scapula, bei Sphargis an dem Vorderrande des Coracoids und den unteren zwei Dritteln der Scapula. Bei Testudo, Trionyx und Sphargis geht der N. supracoracoideus zwischen den am Coracoid und den an Procoracoid oder Scapula inserirenden Theilen hindurch zu den von ihm innervirten Muskeln. Inner virt durch den N. thoracicus inferior (testo-coracoi- deus) (lO)'-*). Die fruheren Vergleichungen dieses Muskels mit dem Cucul- laris und. Serratus magnus sind bereits von Oken und Rathke widerlegt worden. Mehr Beachtung verdienen die Deutungen von Oken, Dumekil, Rathke und mit Beschrankung die von Rudiner, denen zufolge der Muskel ganz oder zum Theil (Rudinger) als ein Homologon des M, pectoralis minor aufgefasst wird. Dafiir spricht sein Ursprung an einer Stelle des Rumpfes, wo beim Menschen die sternalen Enden der vorderen Rippen liegen, sowie seine In- sertion, die an dem Homologon des Processus coracoideus statt- findet; dagegen als gewichtige Griinde die Innervation durch einen Nerven, der zu dem N, pectoralis in gar keiner naheren Beziehung 1) Bei Emys, kommt der obere Theil des Ursprungs sogar in dieselbe llohe zu liegen wie der untere Theil des Ursprungs des M. serratus. 2} Vergleiche Rathke, Seite 170. 3) BojANUS Beschreibung, wonach der Muskel von einem Ast des 10. Spi- nalnerven versorgt wird, beruht auf uugenauer Untersuchung , da dieser Ast ihn bios durchsetzt und dann zum Plastron und zur Haut geht. Zur vergloichenden Anatomie der Schultermuskeln. 251 steht, und die inCapitelVI. naher zii besprechende Thatsache, dass der M. pectoralis minor, wie er beim Menschen besteht, als eine nur auf eine Aiizahl Saugethiere beschrankte besondere Differenzirung sich aus dem M. pectoralis berausbildet. Die von Rudinger betonte specielle Homologie des am Procoracoid inserirenden Theiles mit dem M. subclavius des Menschen wird widerlegt durch die sichere Erkenntniss, dass der vordere ventrale Schenkel des Brustgiirtels keine Clavicula, sondern das Procoracoid ist. — Eine immittelbare Vergleichung dieses Muskels mit irgend welchen menschlichen Bil- dungen ist wenigstens zur Zeit mit vollkommener Sicherheit nicht zu geben '). Dagegen ergiebt sich der ganz gleich innervirte M. abdomino-scapularis der Anurcn als ein Homologon des M. testo- coracoideus. Die Insertion zeigt allerdings Differenzen; doch sind diese unwesentlich, da sogar innerhalb der Abtheilung der Chelo- niei" dieselbe grossen Schwankungen unterworfen ist. Die Abwei- chungen den Ursprung betreifend sind nur secundare; bei jungen Thieren, wo noch kein Riickenschild gebildet und der Muskel noch nicht mit den Querfortsatzen in directe Beriihrung getreten ist, er- giebt sich eine auffallende Uebereinstimmung dem entsprechen- deu Muskels der Anuren. Dass die Beziehungen zu dem M. obli- quus abdominis externus aufgegeben sind , erklart sich aus der mehr oder minder voUkommenen Reduction dieses Muskels bei den Schildkroten. 6. Pectoralis (p). Pectoralis major, Graiul pectoral: Bojanus (^io. 56), DiiMEEiL (Cdviee), Rathke, Pfeiffee, Owen. Hiiitorer Tlieil der o be rflach lichen Schi elite des grossen Briistmuskels: Meckel (No. 3). (Hinterer)BauclidesPectoralis major: Stannius (No. 1). Pars sterno-costalis m. pectoralis majoris: Kijdinger. Breiter und kraftiger Muskel an der Brust, der von der In- nenflache des Brustschildes (PI) in grosser Ausdehnung entspringt und am distalen Theile des Processus lateralis des Humerus (PL) inserirt. Er ist bei Trionyx und Chelone am bedeutcndsten , bei Emys und Sphargis von mittlererGrosse, bei Tcstudo am kleinsten. 1) Am ebesten ist ein Verglcich noch gestattet mit den namentlich von Bohmer, Gruber, Wood, Ehlers u. A. beschriebeuen und als Pectoralis mini- mus oder Sternoscapularis bezc^ichncten Varietaten des M. subclavius, die von dem Sternum oder dem sternalen Eude der ersten Rippe entspriugen und sich an dem Processus coracoideus oder den Glenoidaltheile der fcJcapula inseriren. 252 Max Fiirbringer, Bei geringerer und mittlerer Entwickelung entspringt er lediglich von der vorderen Halfte des Briistschilds mit Ausnahme ihres vordersten und lateralen Abschnittes, bei betrachtlicher Ausdehnung greift sein Ursprung nach hinten und lateralwarts auf die Grenze zwischen Brust- und Ruckenschild tiber; im letzteren Falle (Che- lone, Trionyx) findet, auch ein Zusammenhang der hintersten Theile mit dem M. pyramidalis (Stannius) statt. Die Insertion beschrankt sich bei Emys und Testudo auf den Processus lateralis, wo sich der Muskel mit einer breiten und mittelstarken Sehne, die die Insertion derMm. deltoideus (d) und supracoracoideus (spc) bogen- formig umgiebt anheftet. Bei Trionyx inserirt bios die tiefere Hauptniasse an dem Humerus, die mediale oberflachliche Schichte hingegen verwachst durch Vermittelung einer ganz kurzen Inscriptio tendinea mit dem lateralen Theile des M. humero-antebrachialis inferior und hat insofern Bedeutung fiir die Bewegung des Vorder- arnis. Bei Chelone spaltet sich die Endsehne in 2 Zipfel, von denen der eine an dem Processus lateralis inserirt, der andere langs des Oberarms nach dem Radius verlauft, an dessen ganzer Lange er inserirt '). Sphargis zeigt ahnliche Verhaltnisse wie Chelone, zugleich scheint ein Theil des langen Zipfels sich mit dem M. humero-antebrachialis zu verbinden. Innervirt durch den N. pectoralis (19)^). Nach Lage und Innervirung stimmt der Muskel mit dem gleich- namigen der Urodelen iiberein. Der Ursprung von der Innen- flache ist, wie schon von Rathkk dargethan worden, eine secun- dare Anpassung, die schon ziemlich friih auftritt und sich mit Leichtigkeit aus dem Mangel jeglicher Elemente des Sternums und der Sternalrippen erkliirt. Bei Embryonen, die noch kein Brust- schild entwickelt haben , licgen die nach der Mittellinie des Kor- pers gleich von Anfang an erstreckten Mm. pectorales frei auf den von ihnen bedeckten Theilen der Brust und zeigen dadurch eine auffallende Uebereinstimmung mit den entsprechenden Bildungen der Sozobranchier mit reducirtem Sternum. 1) Meckel und Dumeeil, die beidc Chelone untersiicht haben uiui die niir fur diese Sdiildkrote lediglich als Quelle dienen, stiniraen nicht voUkonimen mit eiiiauder iiberein. Nach Meckel geht die sehr starke Sehne an die ganze Lange der Speiche , nach Dumeril inserirt die Aponeurose facherformig an der untern Flache des Arms und selbst des Vorderarms. 2) BojANUs giebt an, dass der M. pectoralis auch von dem 11., 12. und 13. Spinalnerven versorgt werde. Diese Augabe ist falsch ; die fraglichen Aeste durchsetzen vielmehr bios den M. pectoralis und vertheilen sich im Plastron. Zur vergleichenden Anatomic der Schultermuskeln. 253 0. Supracoracoitleus (spc). Trionyx: Supracoracoideus und Plastro-procor aco-h u- mei'alis ex p. Uebrige ChelODier: Supraprocoracoideus and Supracoracoidens. a) SupToprocoracoidetis (sppc). Pars altera m. deltoidei ex ramo horizontali claviculae: Bojanus (No. 60b). Pars coracoidea m. deltoidei: ANONYmus. Doltoideus acromialis: Oken. Zwciter (mittlerer) Muskel der tiefen Schichte d e s g r 0 s s e n B r u s t mu s k e 1 s : Meckel (No. 3). Vorderer Kopf eines zweikopfigen Miiskels: Pfeiffer. Theil des M. deltoides: Stannius. Second head of the deltoides: Owen. Claviculo-brachialis: Rtjdinger. b) Supracoracoideus (spc). Snperscapularis (Supra- et infraspinatus): Bojanus (No. 62). Snperscapularis s. scapnlaris (Infraspinatus) Anonymus. Deltoideus coracoideus: Oken. Dritter (hinterer) Muskel der tiefen Schichte des grossen Brustmuskels (vielleicht auch zweiter grosserer Hakenarnimus - kel): Meckel (No. 3). Hinterer Kopf eines zweikopfigen Muskels: Pfeiffer. Pectoralis superior: Staknius. Subcoracoideus: Owen. Coraco-brachialis proprius anterior (Supra- spinal us?) RiJDINGER. Kraftige Muskelmasse, die an der Aussenflache des ventralen Abschnittes des Brustgurtels entspringt und an dem Processus lateralis des Humerus inserirt. Nach ihrer Entwickelung lassen sich zwei Hauptformen unterscheiden, von denen die eine durch Trionyx, die andere durch die ubrigen (untersuchten) Chelonier reprasentirt wird; innerhalb der letzteren sind die Differenzen in der Bildung nur unwesentliche. Bei Trionyx findet sich an der Brust eine miichtige und sehr breite ziemlich homogene Muskelmasse, die mit ihrem vor- deren Drittel aponeurotisch von der Innenflache des Brustschilds, mit ihren hinteren zwei Dritteln muskulos von dem Vorder- und Hinterrande und von der Aussenflache des Procoracoids, von dem Medialrande und der Innenflache des sehr breiten Ligaraentum QKA Max Furhringer, epicoracoideum und von dem Vorderrande und der Aussenflache des Coracoids entspringt, mit stark convergirenden Fasern in late- raler RicMung verlauft und mit kraftiger Seline an dem proxi- malen Theile des Processus lateralis, von dem Insertionstheile des M. pectoralis bogenformig umgrenzt , inserirt. Der hintere Theil des Muskels ist von dem M. pectoralis bedeckt und deckt ander- seits den kleinen M. coracobrachialis brevis externus, mit dem er verwachsen ist. An der Aussenseite ist der Muskel mit seinem mittleren Drittel von der Mittellinie der Brust weiter ent- fernt als der hintere und vordere Theil; der letztere ist z.Th. so- gar mit dem der Gegenseite verwachsen. An der Innenseite des Brustgurtels liegt die mediale Grenze des Ursprungs allenthalben in ziemlich gleicher Entfernung von der MitteUinie ; am Anfange des zweiten Drittels des Ligamentum epicoracoideum ist ein leich- ter Spalt vorhanden, der sich durch die ganze Muskelmasse fort- setzt und als Grenzlinie zwischen dem vorderen und hinteren Theile des Muskels gelten kann. Die Innervirung des hinter diesem Einschnitt gelegenen Theiles findet lediglich durch den hinteren Ast des N. supracora- coideus statt; die des vorderen Theiles geschieht in gleicher Weise durch den vorderen Ast des N. supracoracoideus und einen Zweig des N. dorsalis scapulae (33), und zwar innervirt ersterer vor- nehmlich die hinteren und oberflachlichen , letzterer die vorderen und tieferen Partien. Bei den lib rig en Cheloniern bietet die entsprechende Muskelmasse eine deutliche Sonderung dar. Der vorderste von der Innenflache des Plastrons (PI) und von dem Vorderrande des Procoracoids (Pc) entspringende Theil wird lediglich von dem N. dorsalis scapulae (30) versorgt und steht somit ausser aller Beziehung zu dem M. supracoracoideus, wahrend nur der an der Unterflache des Procoracoids und Coracoids liegende Abschnitt, der vom N. supracoracoideus (12) innervirt wird, als echter Re- prasentant dieses Muskels gelten kann. Dieser Abschnitt ist bei Sphargis, Chelone, Emys und Testudo in zwei ganz selbststandige Muskeln zerfallen, einen vorderen, M. supraprocoracoideus, und einen hinteren, M. supracoracoideus. Der M. supraprocoracoideus (sppc) entspringt von der Unterflache des Procoracoids (Pc) mit Ausnahme des vorderen Randes, der vom Ursprunge des ventralen Theiles des M. scapulo- procoraco-plastro-humeralis (dpc) eingenommen ist, und mserirt gemeinschaftlich mit dem M. supracoracoideus (spc) an dem pro- Zur vergleichenden Anatomic der Schultermuskeln. 255 ximalen Theile des Processus lateralis humeri (PL). Sein Vor- derrand ist mehr (Testudo'), Erays) oder minder (Sphargis, Che- lone) mit dem M. scapulo-procoraco-plastro-humeralis (d) vereinigt. Am ansehnlichsten ist der Muskel bei Emys und Chelone, am schwachsten bei Sphargis und Testudo entwickelt. Der M. s u p r a c o r a e o i d e u s (spc) entspringt von der Unter- flache des Coracoids (C) mit Ausnahme des medialen Endes und des hinteren Randes, von dem die Mm. coraco - brachiales (cbbi und cbbe) und coraco-antebrachialis (bsp und bpr) ausg^en, und heftet sich gemeinschaftlich mit dem M. supraprocoracoideus {sppc\ am proximalen Theile des Processus lateralis des Humerus (PL) an. Seine Grosse ist am ansehnlichsten bei Chelone und Emys, am geringsten bei Sphargis und Testudo. In der Kegel ist der Muskel ein wenig breiter und diinner als der M. supraprocora- coideus ; nur bei Sphargis, wo der Ursprung nur von dem Vorder- rande des Coracoids und dem daran angrenzenden Theile seiner Aussenflache stattfindet, findet sich das umgekehrte Verhaltniss. Die Inner virung des M. supraprocoracoideus (sppc) ge- schieht durch den vorderen (14), die des M. supracoracoideus (spc) durch den hinteren Ast des N. supracoracoideus (13). Die Haut- aste dieses Nerven treten entweder durch den M. supraprocora- coideus Oder zwischen diesem und dem M. supracoracoideus an das Brustschild. Beide Muskeln sind in ausserordentlich verschiedener Weise von den fruheren Anatomen benannt und meist fiir ganz verschie- dene Bildungen gehalten worden. Nur Oken und Pfeiffer haben ihre Zusammengehorigkeit erkannt, ohne indess sie richtig zu deu- ten. Der Supraprocoracoideus wurde bald als Theil des Pectoralis major, bald als Theil des Deltoideus, bald als besonderer Muskel gedeutet, Gegen eine Vergleichnng mit dem M. pectoralis Oder deltoideus spricht der Ursprung, der weder am Sternum noch an Clavicula, sondern lediglich an Homologen des Processus coracoideus stattfindet, und vor allem die Innervirung durch den N. supracoracoideus, gegen die Vergleichung mit dem Supraspinatus der Ursprung an dem Procoracoid, das nie mit der den Sauge- thieren eigenthiimlichen Fossa supraspinata identificirt werden kann. Rudinger's Behauptung, dass der Muskel eine besondere den 1) Meckel fuhrt an, dass bei Testudo alle 3 Theile der tiefcn Schichte seines Brustmuskels zu einem einzigen dreieckigeu Muskel vereinigt seien (dass also hier ein ahuliches Verhaltniss wie bei Trionyx bestehe), eine Angabe, die ich liicht bestiltigen kaiui. 256 Max Fiirbringer, Schildkroten zukommende und dem Menschen fehlende Bildung sei, ist richtig'), die Bezeichnung als Claviculo-brachialis hin- gegen verfehlt, da der Knochen, von dem er entspringt, nicht Clavicula sondern das Procoracoid ist. Im Supracoracoideus hat man ebenfalls ein Homologon fiir die verschiedensten Muskeln gefunden ; er ist bald als Reprasentant des Supra- et Infraspinatus Oder des Infraspinatus oder Supraspinatus allein bald als Theil des Deltoideus, bald als Theil des Pectoralis major, bald als Haken- armmuskel, bald als besonderer Muskel beschrieben worden. Gegen die Homologie mit dem Supra- et Infraspinatus oder Infraspinatus Oder Supraspinatus allein spricht der Ursprung, gegen die mit dem Hakenarmmuskel die Innervation, gegen die mit dem Deltoideus oder Pectoralis major Ursprung und Innervirung. Pfeiffer, Stan- Nius und mit Beschrankung Rudinger ^) constatiren mit Recht, dass 1) Uebrigens muss diese Behauptung erweitert werden , da der Muskel nicht ein M. proprius ledigiich der Schildkroten ist , sondern da auch Honio- loge von ihm den iibrigen Reptilien und den Aniphibien zukomnien. 2) RiJDiNGER bemerkt noch auf S. 50: ,,I<"ande man geniigende Griinde fiir die Annahme , dass die gegen das Kopfende des Thieres gerichtete Ab- theilung des Schulterblattes wiihrend ihrer Entwiekelung mit dem Processus coracoideus zu einem Knochen, dem Os coracoideum', verschmolzen sei , und die Ursprungsstelle fiir den erwahnten Muskel abgebe, so konntc man den- selben fiiglich auch als M. supraspinatus bezeichnen , und zwar in anderem Sinne als dies von Bojanus geschehen" und fiihrt fiir diese Annahme (die, wenn ich Rudinger recht verstehe , es fiir wahrscheinlich halt , dass ein ur- spriinglicher vorderer der Fossa supraspinata entsprecheuder Theil der Sca- pula nach unten , also unterhalb der Gelenkhohle fiir den Oberarm geriickt ist und sich mit dem inzwischen vergrosserten Processus coracoideus zu einem einzigen Knochen verbunden hat) auf S. 51 ,,mehrere triftige Griinde" an, von denen der erste die Theilnahme des Coracoid an der Bildung der Gelenkgrube, der dritte die Schmalheit der Scapula gegeniiber der grosscreu Breite des Co- racoids , der zweite und vierte die Insertion des Omohyoideus und Serratus anticus major an dem Coracoid betont. Von dieseu Grunden ist keiuer von Bedeutung. Als ersten Grund fuhrt Rxjdinqer an , dass das Coracoid der Schildkroten (das also nach seiner Annahme die Ursprungsstellen des M. supraspinatus , d. i. der Fossa supraspinata und die obere Flache der Spina scapulae enthalten soil) Antheil an der Bildung der Gelenkhohle habe. Diese iibrigeus unbestrittene Thatsache konnte wohl zum Beweise verwerthet werden, — wenn die Fossa supraspinata und die obere Flache der Spina scapulae in irgend welcher Beziehung zur Gelenkhohle standen. Da dies aber be- kannter Maassen nicht der Fall ist und da ferner feststeht, dass bei einzelnen Saugethieren ausser dem Gelenktheil der Scapula gerade der Processus cora- coideus , wenn auch meist nur zum kleinsten Theile , an der Gelenkhohle participirt , so ist der erste Grund eine Behauptung , die mit dem zu be- weisenden Gegenstande gar keinen logischen Zusammenhang hat. Im zweiten Zur vprgleichenden Anatomie der Schnltermuskeln. 257 der Muskel ein besonderer sei, der mit keinem des Menschen sich direct vergleichen lasse, geben ihni aber so indifferente Namen, dass jede vergleichend anatomische Beziebung verwischt wird. Owen's Bezeichniing als Subcoracoideus , die iibrigens keine ver- gleichend anatoinische Bedelitung pratendirt, giebt nur zu Ver- wechselungen Anlass, da iiach der allgemein angenoinmenen No- menclatur unter Subcoracoideus ein an der Innenflache des Cora- Gruude scheiiit Rpdinuer aus der Schnmlbeit der Scapula uud aiis der Breite des Coracoids zu folgenu dass von der (beim Menschen lireiten) ScapulS das 'vordere Stiick (tossa supraspinataj weggenomnieii und deni Coracoid, das da- durch sicli verbreitert babe, zugelugt worden sei. Hiese tJebauptuug, wenn sie nur einigermaassen auf deni Boden der Wirklicbkeit staudc, wiirde jedenfalls durch die Uutersnchung von Embryonen , irgend welcbe Bestatigung findeu. Es ist aber durch Rathkes Kachweise bekannt, dass bei den Embryonen Form uud Proportionen der einzelaen Knochen des Brustgiirteis schou deujeuigen der erwachsenen Thiere sehr ahnlicb sind und dass sicli nirgends eine relative Verbreiterung der Scapula oder Verscbmaleruug des Coracoids lindet. Aber selbst der Nachweis einer wirklichen llreitenditferenz bei Embryonen und er- wachsenen Tbieren ist so unwesentiich und von seciuidarer \Viclitigkeit. dass er nie zum Beweise fiir eine Behauptung verwerthet. werden kann, die so funda- mentale Unterschiede in dem Brustgiirtel der Chelonier gegeniiber dem aller andern Wirbeltbiere findet. Bei den Anuren z. B. zeigt die Scapula alle mog- licheu Uebergiinge von schmal zu sehr broit. aber kaum jemals ist es eiuem Auatomen in den Sinn gekommen , daraus eine Wegnabme von wesentlichen Elemeuten und eine Verschiebung derselben auf andere Theile des Brustgiirteis zu folgerii. Gegen den zAveiten und vierten Grund sprechen die aus einer ge- uauen Vergleichung mit Nothwendigkeit bervorgehenden Thatsachen, dass der M. coraco-hyoideus der Chelonier durchaus keiu specielles Homologon des M. omohyoideus des Menschen ist und dass der ara Coracoid vornehmlich inse- rirende M. plastro-coracoideus (Costo-coracoideus Rudinger) einem ganz ande- ren Systeme angehort als der M. serratus aiiticus major des Menschen. Ueber- dies ist schon von Pfeiffer (S. 11) mit Recbt betont worden. dass die, nach Urspruug und Ansatz sehr veranderlichen. Muskeln ein wenig sicheres Beweis- mittel fur die Deutuug eines Kuochenstiickes bilden. — In der beigefiigten Anmerkung (Anm. 1 Seite 51) behauptet Rudinger, dass nach seineu Unter- suchungen an 3 — 4 Monate alten Embryonen ..das ganze Caput humeri uud der Processus coracoideus aus einem zusammenbangenden Knorpelstucke sich entwickeln". Diese Angabe, die sich ubrigens auch spater (auf Seite 72) wie- derfindet, steht in gar keiuer Beziebung zu den auf Seite 51 und 72 behandfl- ten Punkten und ist, bis Rudinger nicht geuiigeude Beweise fiir sie briugt, zum mindesten sehr anzuzweifeln. Vielleicbt , obscbon dagegen die VVicder- holung spricht, liegt nur ein Schreibfehler vor. so dass fur Caput humeri Collum scapulae oder Pars glcnoidalis scapulae zu setzen ware. Dann aber bringt die RuDiNGER'sche Untersuchung nur eine schon langst bekannte That- sache zu Tage, die iibrigens fiir den vorliegendeu Punkt auch nicht als Beweis verwerthet werden kann. Bd. vm, N. F. 1, 2. 17 258 Max Fiirbringer, eoids gelegener Muskel vevstanden werden kann, und ist deshalb zu verwerfen. — Fiir beide Muskeln sind sehr leicht die Homologe bei den Amphibien /ii finden, nainentlich die Bilduug bei Trionyx vermittelt in ausgezeichiietster Weise den Vergleicb. Bei den Uro- delen ') finden sich ein voni N. supi'acoracoideus innervirter M. supracoracoideus , der von der Aussenllache des Coracoids ent- springt, und ein voni N. supracoracoideus und K. dorsalis scapulae zugleich versorgter M. procoraco-humeralis, der von der Aussenflache des Procoracoids entspringt; beide Muskeln sind nur kiinstlich zu trennen. Mit dieser Bildung zeigt die von Trionyx eine so auf- fallende Uebereinstinnnung, dass der hinter dem (S. 254 beschrie-' benen) Spalte liegende Theil als ein vollkommenes Homologon des M. supracoracoideus der Urodelen und der vor dem Einschnitte liegende Theil als ein vollkommenes Homologon des M. procoraco- humeralis der Urodelen aufgefasst werden muss; nur der vom Brustschilde entspringende vorderste Abschnitt ist als eine neue den Cheloniern eigenthtimliche Bildung in Abzug zu bringen. Bei den tlbrigen Cheloniern ist es zu weiteren Difterenzirungen ge- konimen, welche die bei Trionyx klar ausgedriickte naheVerwandt- schaft der Bildungen von den Urodelen und Cheloniern weniger deut- lich zeigen, hingegen mit den Bildungen der Anuren, namentlich der Aglossa, eine gewisse Aehnlichkeit darbieten ^). Diese Ditferen- zirungen beruhen vor Allem in einer Sonderung der von dem N. dorsalis scapulae und der von dem N. supracoracoideus versorgten Muskelpartien in einen M. scapulo-procoraco-plastro-humeralis und einen M. supracoracoideus, die beide noch mit ihren Randern ver- einigt sind (Testudo, Emys) oder eine vollkomniene Trennung von 1) Bei deu Anuren existiveii einseiligere Difterenzirungen, die eine Ver- gleichuDg mit den Cheloniern zwar noch gestatten, aber lange nicht so natiir- iich erscheinen lassen, wie bei den Urodelen. 2) Bei den Anuren ist ein Homologon des M. procoraco-humeralis der Urodelen durch die drei ziendich sclbslstandigen Mm. episterno-cleido-humera- \U longus, cleido-humeralis brevis and acromio-humeraliy vertreten, von denen der zweite lediglich vom IS. supracoracoideus, der dritte Irdiglich vom N. dor- salis scapulae versorgt wird, wabrend der erstere noch von beiden innervirt ist uud ausserdeni noch mit dem M. supracoracoideus anticus zusammenhangt ; durch die Verkiinuneruug aller von dem N. supracoracoideus versorgten Theile dieses Muskels (M. episterno - cleido - huraeralis longus und cieido-humeralis brevis) und die damit in Correlation stehende bedeutende Ausbildung des M. cleido-acromio-bumeralis ist es zu Bildungen gekommen, die mit der Ausbil- dung des ventralen Theiles des Dehoideus von Emys, tJhelone und Testudo grosse Aehnlichkeit zeigen. Zur vergleichenden Anatomie der Schiiltermuskeln. 259 einander zeigen (Sphargis, Chelone). Ausserdem aber ist die vom N. supracoracoideus versorgte Muskelmasse in zwei den discreteu Kiiochen entsprechende discrete Muykelu, den M. supraprocoracoideus (Homologon der voni N. supracoracoideus innervirten Theile des M. procoraco-humeralis der Urodelen und des M. episterno-cleido- humeralis der Anuren) und M. supracoracoideus (Homologon des M. supracoracoideus der Ampliibien), zerfallen. In beiden Punkten spricht sich eine weit grosserere Verschiedenheit der Bildungen von Emys, Testudo, Chelone und Sphargis einerseits und der von Trionyx anderseits aus, als sie zwischen Trionyx und den Urodelen besteht. 7. Coraco-brachialis brevis externus (cbbe). Grand road: Cxjvieb, 1. ed. (cf. Meckel). Tiefer Oberarmstrecker: Wiedemann (cf. Meckel). Teres minor: Bojanus (63), Anonymus, Owen. Coraco-brachialis: Oken. "Vorderster Riickwartswender (Hakeuarmmuskel) : Meckel (jSo. 4). Petite portioudu coraco-b raciiial: DumEKiL (Cuviek). Coraco-brachialis 1 uii d Coraco -bracbialis: Pfeif- PEE (iSo. 5 u. 6) '). Bauch des Coraco-brachialis: Stannius. Coraco-brachialis prof undus pr oprius : Rudingeh. Sehr kleiner unter deni M. coraco-antebrachialis (6) liegender Muskel, der die Kapsel des Schultergeleuks deckt. Er entspingt von dem lateralen Theile der hinteren Circumferenz des Coracoids und inserirt an der Gelenkkapsel und an der zwischen Processus lateralis und medialis liegenden Fossa intertubercularis (Fit) an der Beugeseite des Humerus; an seineni vorderen Theile wird er von dem (bei Trionyx wenig von ihm getrennten^) M. supracora- coideus (spc) gedeckt. Bei Testudo und demnachst bei Sphargis ist er am ansehnlichsten entwickelt, bei Trionyx und besonders bei Emys am schvvachsten. Der Ursprung bietet bei den verschiedenen Gattungen Schwankungen dar: er findet bei Testudo an den late- ralen zwei Dritteln , bei Sphargis an der lateralen Halfte , bei Trionyx an dem lateralen Viertel und bei Emys am lateralen Fiinf- 1) Ich fiude zwischen Pfeipfer's No. 5 und G keinen wesentlichen IJnter- schied. und kann nicht rait ihm iibereinstimnicu, dass sein Muskel No. 6 von friiheren Autoren iibersehen worden sei. 2) Der M. coraco-bi-achialis brevis externus ist deshalb voa Stannius bei Trionyx uberseheu wordeu. 17* 9 go Max Fiirbringer, tel des Coracoids statt; die Insertion ist ziemlich constant, nur die Beziehung zu deni M. humero-antebrachialis inferior (hai) variirt , derart , dass bei Trionyx oberflachliche Fasern des M- coraco-brachialis brevis externus durch Vermittelung einer linien- formigen Inscriptio tendinea sich niit diesem xMuskel verbinden, wahrend bei den anderen untersuchten Schildkroten eiii kleinerer (Emys; oder grosserer Zwischenrauni (Sphargis, Testudo) zwischen dem Ende der Insertion des M. coraco-brachialis brevis externus (cbbe) und dem Anfange des Urspriings des M. humero-antebrachialis inferior (/tai) sich lindet; diese Variationen sind indess von der verschiedenen Entwickelung des letzteren Muskels abhangig. Innervirt durch den N. coraco-brachialis brevis externus (22 b). Die Deutung als Teres major oder Teres minor bedarf keiner VViderlegung , da langst bewiesen ist, dass der hintere ventrale Knochen des Brustgurtels keine Scapula ist. Dass Owen, obschon er den betretienden Knochen ganz richtig deutet, trotzdem noch 1866 den Muskel als Teres minor anfuhrt, hat keine vergleichend anatomische Bedeutung, sondern ist nur eine einfache Wiedergabe der Benennung von Bojanus. Der Auffassung Rudinger's, wonach der Muskel als ein M. proprius aufgefasst wird , fehlt ein genii- gender Beweis, da jedenfalls Rudinger's Vergleicliung des M. coraco-brachialis brevis internus mit dem M. coraco-brachialis des Menschen eine Homologie des M. coraco-brachialis brevis externus mit dem menschlichen M. coraco-"brachialis nicht ausschliesst. Dass ein Muskel des Menschen Homologon zweier oder mehrerer Muskeln eines anderen Wirbelthieres sein kann, und umgekehrt, ist bekannt und wird von ihm selbst an anderen Orten mit Recht betont. — Nach Ursprung und Insertion, nach Lage und Innervirung ist der Muskel ein M. coraco-brachialis und entspricht am meisten dem M. coraco-brachialis brevis der Urodelen, sowie dem M. coraco- brachialis brevis externus der aglossen Anuren. 8. Coraco-brachialis brevis interims (cbbi). I ' n t e r s c h u 1 1 e r b hi 1 1 m u s k e 1 , S u b s c a p u 1 a r i s : Wied E- MANN (cf. Meckel), Bojanus (No. 64), Anonymus. S u p r a s p i n a t u s : Oken. I'ntevschulterblattmuskel oder hiuter or grosserer Hakenarmmuskel: Meckel (No. 5). Grand portion du c or aco -brachial : Dumekil (Cuvier) '). I) Vielleicht auch Theil des Sous-scapulaire. Zur vergleicbenden Anatomie der Sclnilternnuskeln. 261 Coi'aco-brachi alis II.: Ppeifper. Bauch des Cor aco-brachialis : Stannius. 8ui)ercoracoideus: Owen. Coraco-ljiachialis: Rudtnger. Machtiger von deni vorigen durch einen den N. hrachialis longus inferior (21) und desseii Rr. musculares durchlassenden Spalt getrennter Miiskel, dei' voni Coracoid (C) entspringt und am Processus medialis humeri (PM) gemeinsani mit dem ungefahr gleich grossen M. subscapularis {sbsc) inserirt. 8ein Ursprung tiudet ent- weder statt an der Aussenliache des Coracoids (Chelone cf. Meckel und DuMERjL) Oder an der InnenHacbe und in letzterem Falle ent- weder in tier ganzen Ausdehnung derselben mit Ausnahme des mediaien und lateralen Endes (Trionyx , Sphargis) oder nur im Bereiche der mediaien kleineren Halite. (Emys, Testudoj'); die Insertion nimmt vorzugsvveise die proximale Halite der Medialtiache des Processus medialis ein. DieGrosse desMuskels ist eine ziem- lich constaiite ; nur bei Trionyx ist der Muskel etwas kleiner als bei den iibrigen Cheloniern. Innervirt durch den ^'. coraco-brachialis brevis internus (22.J. Die Vergleichung mit dem M. subscapularis im engeren Sinne wird durch den Ursprung vom Coracoid, die Vergleichung im weiteren 8inne, also mit dem M. subcoracoideus der Urode- len , durch die Innervirung durch einen Muskelast des N. hra- chialis longus iuferioi- verboten. Oken's Identiliciriing mit dem M. supraspiuatus beruht auf einer Ueberschatzung des bestimmenden Einliusses der Muskeln auf die Deutung der Knochen mid ist eine Verirrung, die bei einen kritischen Anatomen von Oken's Bedeu- tung W under nimmt. Fiir Owen's Bezeichnung als ISupercoracoi- deus gilt das bei Oeiegenheit des M. supracoracoideus (S. 257) (iesagte. — Der JMuskel gehort zu dem Systeme der Mm. coraco- brachiales und ist ein specielles Homologon des M. coraco-brachia- lis brevis internus der Anuren; Ursprung, Insertion und Innerva- tion theilt er mit diesem Muskel. Eine Ausnahme scheint Chelone 1) Rt'DiNGER git'lit an. dass der Muskel grosslciithcils von dein )iiiiti'i(.'ii Rande und der nach oben gegen dif Bnistliohle gerichteten P'lach-.- des Os coracoideiiin, sowic von dem Schliisselbciuc (Procoracoid (jtEGENBAUR'sl nnd dor dassellic mit dem Os coracoid»'iim vtMbiiidpiidfTi Menibran) (Ligaineiidini epi- (■(>ra(x>ideniri) I'litsprijigc. Ein I rspning voni l*rocor;u'oid wni'de von keineni andern Unterhiiclier gcfundcn und ist audi wegen der I -age des am (\iracoid inserireu'lcn M. plastro-coracouleus. der den M. coraeobracliialis brevis internus vorn begrenzt, nicht gut moglich. 262 ^*^ Furbringer, (nach Meckel's und Dtjmeril's Untersuchung) zu bilden, wo der Ursprung an der Aussenflache des Coracoids stattfindet; in diesem Falle ist eine Homologie mit dem M. coraco-brachialis brevis po- sterior (und externus) der Anuren aufrecht zu halten. 9. Coraco-antebraehialis (Biceps brachil) (6). Testudo, Sphargis, Chelone: C'oiaco-autebrachialis. Trionyx, Emys: Goraco-radialis superficialis (bsp) uud Coraco-antebrachialis profundus [bpr). Scap ulo- ulnar is: Wiedemann (cf. Meckel). Biceps brachii: Bojanus (No. 66), Anonymus, Okek, Du- MEKIL (CuvIEE), PfeiFFEE. Langer Beuger des Vorderarms: Meckel No. 1. Mm. flexor es abducentes des Vorderarms: Stannius. Biceps brachii s. flexor an tibra cliii: Rudinger. Ziemlich ansehnlicher von deni Coracoid (C) entspringender, in der Fossa intertubercularis (Fit) verlaufender und an der Beugeseite der Vorderarmknochen resp. der Hand inserirender Miiskelcomplex, der sich bei den einzelnen Gattungen sehr verschieden verhalt. Bei Testudo existirt ein kraftiger Muskel, dervora medialen Drit- tel der Aussenflache des Coracoids entspringt und distal von der Fossa intertubercularis in eine ganz im Bereiclie der hinteren drei Fiinftel des Oberarms frei verlaufende, nicht dem M. humero-anti- brachialis inferior aufliegende, kraftige Sehne iibergeht, die am Anfange von Radius und Ulna inserirt. Bei Sphargis und Chelone ist der Muskel schlank und lang; er entspringt von dem medialen Drittel der hinteren Halfte der Aussenflache und von dem Hinterrande des Coracoids und theilt sich im Yerlaufe des Oberarms in zwei Bauche, von denen der oberflachlichere an der Aponeurose der Hohlhand und den Ossa carpalia I, und II. sich an- setzt, der tiefere gemeinsam mit dem M. humero-antebrachialis inferior am Anfange des Radius und der Ulna inserirt. Bei Trio- nyx und Emys sind zwei Muskeln vorhanden. Der oberflach- liche Muskel (M. coraco -radialis superficialis (bsp)') ent- springt von dem Hinterrande des Coracoids (C) mit Ausnahme des lateralen Viertels (Trionyx) oder im Bereiche der medialen Halfte (Emys) und inserirt mit schlanker Sehne an dem distalen Ende des Radius und der Aponeurose der Hand (Trionyx) oder an der Vorderarmfascie und dem distalen Drittel des Radius (R) (Emys). Bei Trionyx ist er ein kraftiger Muskel von homogener Bescbaf- 1) Caput alterum m. bicipitis brachii: Bojanus (66ii). Zur vergleichenden Anatomie der Schtilformuskeln. 263 fenheit, der niir in der Gcgeiid der Geleiikkapsel eiiie linientor- mige, leicht zu iibersehende Inscriptio tendinea zeigt; bei Eniys ist der Muskel schwacher, an Stelle der Inscriptio tindet sich eine schlanke in der Fossa intertubercularis liegende Selme. die den Muskel in einen proximaien (bsp) am Brustgiirtel und einen distalen {bspi) in der Mitte des Oberarnis liegenden Bauch scheidet. Der tiefe Muskel (M. coraco-antebrachialis profundus (6p/)') ist bei Trionyx schwacher, bei Emys starker als der M. coraco- radialis superticialis (bsp), von dein er bedeckt ist. Er entspringt zwischen diesem Muskel und dem M. coraco - brachialis brevis ex- ternus (cbbe) vom Hinterrande des Coracoid (C) und geht, in der Gelenkgegend und in der Fossa intertubercularis (Fit) direct deni M. coraco - brachialis brevis externus (cbbe) , am Oberarme dem M, huniero - antebrachialis inferior {hai) aufliegend, an der Beugeseite des Oberarmy nach dem Vorderarme, wo er geniein- schaftlicli mit letzterem Muskel an dem Anfange des Radius (R) und der, Ulna (Uj inserirt^), indem er mit kraftiger Sehne zwi- schen die langen iStreck- und Beugeniuskeln der Hand eindringt. Inner virt durch d. N. coraco-antebrachialis (22 bj. Die Verwandtschaft dieses Muskels mit dem Biceps hominis ist von alien Untersuchern mit wenigen Ausnahmen erkannt wor- den. Er ist eine den Amphibien abgehende und zuerst bei den Cheloniern auftretende Bildung ; Cuvier's (1. ed., cf. Meckel) Ver- gleichung mit dem M. sterno - radialis der Anuren (M. coraco- radialis proprius) ist trotz Meckel's Zustimmung falsch, da dieser Muskel von dem Is. supracoracoideus innervirt wird. Die Homo- logie mit dem menschlichen Biceps ist keine voilkommene ''), da dieser Muskel in der Regel mit 2 Kopfen entspringt, von denen der kurze ausserhalb des Sulcus bicipitalis (Homologon der Fossa intertubercularis) verlauft und nur im Anfange des Radius in- 1 J Caput primiim m. bicipitis biadiii : Hojanus (66"). 2) Die Insertion an Radius und Ulna war bei alien untersuchlen Exemplaren nachweisbar ; Dumebil's, Pfeifhob's und Stannics' Darstellungen, nach denen nur eine Insertion am Radius existirt, beruhen wahrscheinlich auf ungenauor Untersuchung. Rudingeb giebt auf S. 49 und 50 allenlbalbcn nur eine Insertion am Radius an, wiihreud er auf Seite 97 fiir denselben Muskel bei deuselbeu Thieren auch eine Insertion an der Ulna besclireibt, ohne indess seine friihe- ren Angaben zu widerrufen. — Der Irrthum ( uvieb's (1. ed. cf. Meckel), der den Muskel an dem Ende des Humerus sith unheften lasst , ist stlion von Meckel hervorgehoben wordeu. 3) Dieser Umstand hat Stannids veranlasst, einen indifferenten Namen zu gebrauchen. 254 ^3,x Fiirbringer, serirt. Es ergiebt aber die Untersuchung der Saugethiere einmal, dass das Caput breve bicieptis eine erst bei diesen auftretende Bildung ist, daiin , dass der Biceps bei den meisten Saugethieren in gleicher Weise an Uhia iind Radius inserirt, ein Verhalten, das auch Varietaten des menschlichen Biceps darbieten. Mit dieser Erweiterung des Begrifies des Biceps ist eine directe Ver- gleichung des Muskels der Chelonier mit dera langen Kopfe des Biceps des Menschen ziilassig. Der Zerl'all in einen obertiach- lichen und tiefen Muskel ist den Clielonier eigenthtimlich, eben- so die sehr distale Insertion des obertiachliclien Theils. Ob der einfache Muskel (bei Testudo) eine Riickbildung complicirterer Verhaltnisse fwie sie sich bei Trionyx und Emys finden) ist oder ob sich letztere erst aus einfacberen, denen bei Testudo ahnlichen, Bildungen entwickelt haben, bedarf noch der Entscheidung. 10. Humero-antebrachialis inferior (Brachialis inferior) (hai). Brachial is interuus: Bojanus (ISio. 67), 8tannid&, Owen, RiJDINGER. Kurzer Beuser des Vur d erarm s : Meckel (No. 2). Verschieden grosser Muskel an der Beugeseite des Oberarms, der von dera M. coraco - antebrachialis profundus [bpr) in der Kegel gedeckt ist. an der Beugeseite des Humerus entspringt und gemeinsani mit dem M. coraco-antebrachialis profundus (bpr) an dem Anfange von Radius und Ulna inserirt ' ). Der Muskel ist sehr dick und kraftig bei Emys und namentlicb Trionyx, wo er ca. drei Eiinftel der Circumferenz des Oberarms einnimmt. schwach hingegen bei Testudo und namentlicb Sphargis und Chelone. Die obere Grenze des Ursprungs liegt bei Trionyx und Emys in der Fossa intertubercularis (Fit), bei ersteren ist der obcrtlachliche Theil des Muskels mit dem oberflachlichen des M. coraco-brachia- lis brevis externus mittelst einer linienformigen Inscriptio tendinea verwachsen, bei letzterem existirt ein schmaler Zwischenraum zwi- schen seinem Anfange und dem Ende des letzteren Muskels; bei Testudo und Chelone beginnt der Ursprung erst am Ende der tossa; bei Sphargis beschrankt er sich auf die distale Halfte des Humerus. An dem distalen Abschnitte ist bei Chelone, Emys und Testudo ein 1) Die radiale Insertion wird von Meckel bei Testudo und Emys geleug- net, bei Chelone anerkannt. Zui vergleichenden Anatomif der Schultermuskeln. 265 tiefer selbststandig inserirender und eine oberflachlicher mit der Endsehne des M. coraco-antebrachialis profundus sich verbindender Theil zu uiiterscheiden. Lateral grenzt der MusJkel an den M. brachio-radialis an, niit dem er mehr (Trionyx, Testudo) oder min- der (Emys, Sphargis) verwachsen ist. Inner virt durch einen oder zwei Rr. nuisculares des N. brachialis longus inferior (24). Der Muskel ist ein specielles Homologon des gleichbenaunten der Urodelen und somit. nach der jetzt giiltigen Nomenklatur ') sowohl dem nienschlichen Brachialis internus wie den von dem Humerus entspringenden incoiistanten Kopfen des Biceps bra- chii (dritter. vierter und ftinfter Kopf der Autoren) ver- gleichbar. 11. Testo-humeralis dorsi (Latissinuix dorjsi)^) {Id). Latissimusdorsi, Grand dorsal: Bojanus (JS'o. 58). DUMERIL (( UVIER), RaTHKE, OwEN, KuDINGER. Z w e i t fi r V o r w a r t s z i e h e r oder h r e i t e r R ii c k e n - muskel: Meckel (No. 2). Mittelgrosser, in der Kegel ziemlich schmaler Muskel auf der A.ussenflarhe des dorsalen Abschnittes des Brustgtirtels , der die Mm. subscapularis yshsc) und deltoideus scapularis [dsc) resp. teres n)ajor deckt. Er entspringt in verschiedener Ausdehnung von dem vordereii Theile desRiickcnschiides, in der Kegel vor deniM. serra- 1 ) Die .Scheidiiiig und Beiieummg dos Bicejis tuid Brachiali:> iuteriius, wie sic sich in den anaiomischeii Haudbiichern tiiidel. ist vergleichtml analoniiscli nicht /u billigen. Die Lntersuchung an Thieren wie die Beriickhichtigung der nienschlichen Varietaten weist vieln;ehr daraut hin . alle von dem Processus toracoideus zu den heidou Vorderarniknocben und alle von dem Humerus zu den beiden Vorderarmkuocheii gehendtii Muskelfbeile tur sich zu betracliten ; fur die erstereii (Mm. coraco-an t eb rac hiales ) kann der Name Biceps. I'iir die 1 e t z t e r e n (M m. li u m e r o - a n t e b r a c h i a 1 c s i n f e r i o r e s) der N anie Brachialis interior (interims) gehraucht werden. 2) Stannids sagt : „!Statt eines Latissimus dorsi ist ein Muskelbauch voi - handen, der unter dei vordersten fSeitenplatte des Uiickeuschildes entsteht und einwarts vom 'luberculum externum endet". — Die 6. 46 Anm. J gemacbte An- gabe RuDiNGERs, dass nach Anonymus ((.)kkn's isis 1817| der Sx. latissiuuis dorsi bt'i deii ^chil^lkroten lehle..i8t lalsch. Anunymus giebt allerdiugs an, dass ein Muskel den Schildkroten f'eble ; dies ist aber nicht der Latif-simus dorsi, sonderu , wie aut 8. 439, Isis 1827 zu icsen ist, die von Meckki, (Ornithorrhyiichi paradoxi descriptio anatomica S. 26) beschriebene Pars sca- pularis latifsimi dorsi von 0 rni thor r hy n chu s. 266 Max Fiirbringer, tus (/a), und geht iiach unten mediahvarts am Anfange des M. anconaeus scapularis lateralis (as) vorbei uach dem Oberarni. wo er lateral (meiste Chelonier) oder distal voiii Pi-ocessiis inedialib humeri (PM) (Testudo) inserirt. Der Muskel ist am breitesten bei Chelone und Sphargis, etwas schmaler bei Emys und Testudo, am schwachsten bei Trionyx. Bei Trionyx entspringt er nur an der Nackenplatte, bei Testudo an dieser und in der Holie der beiden ersten Querfortsatze, bei Emys, Pentonyx und Terrapene in der Hohe des zweiten Querfortsatzes, bei Chelone in der Hohe des zweiten und dritten Querfortsatzes vom liiickenschilde 'j. Bei Embryonen resp. jungen Thieren mit discreten Querfortsatzen ist ein direeter Ursprung von dem vorderen Rande des zweiten resp. ersten und zweiten Quer- fortsatzes*) nachweisbar . der Ursprung in der Hohe des dritten Querfortsatzes (Chelone) ensteht erst im spateren Verlaufe derEnt- wickelung durch Uebergreifen der Muskelfasern nach hinten. Der Muskel ist ganz selbststandig bei Trionyx, Emys europaea, Sphargis und Chelone (cf. Meckel), bei Emys serrata und Testudo hingegen iinden sich Verbindungen mit den anliegenden Muskeln, und zwar bei Testudo^) mit dem M. teres major, der in seinem Muskeltheile ganz innig mit dem M. latissimus dorsi vereinigt und nur mit seinem sehnigen Ende selbststandig ist, bei Emys serrata mit dem M. del- toideus scapularis (dsc) , der mit dem Latissimus dorsi (Id) eine Endsehne bildet, die durch den M. anconaeus scapularis lateralis (asi) wiederum in zwei gespalten wird, die lateral (Deltoideus),und medial (Latissimus) von diesem Muskel an den Humerus gehen. Eine theilweise Verbindung mit dem M. anconaeus scapularis lindet sich inconstant bei Emys europaea. Innervirt durch den N. latissimus dorsi (34). Der Muskel ist, wie sammtliche Untersucher richtig erkannt haben, Honiologon des Latissimus dorsi. Den Cheloniern eigenthiim- lich ist die geringe Breite, ein Verhiiltniss, das an die Bildungen bei vielen Anuren erinnert. Weitere und zwar sehr grosse Ueber- einstimnmngen mit diesen linden sich in dem bei Embryonen nach- 1) Die Angaben des L r:>j)ruuges vou Chelone. Peutouyx und TeiTH])ene sind Rathke's Untersnchungen t^ntuommeii. 2) Fur Si)hargis jiiv. faiid icli ganz deut)icli eiueii Lr&priii)g an dem ersten und zweiten Querfortsatze und stehe hierin im W idersprucli mit Kathkic, der eine Auiieltung nur an dem zweiten Quertor4satz angiebt. ■ 3) Meckeij bescbreibt bei Testudo (iSpecies uubestimmt) eine Vereinigung mit dem M. deltoideus, Rudinger bei Testudo graeca eine Verbindung mit dem Triceps bracbii. Bei dem uutersuchten Exemplare von Testudo tesselata ist der Muskel gauz selbststandig. Ziir vergleichenden Anatomie der Schultennuskeln. 267 weisbaren Ursprunge von den Querfortsatzen. sowie in der theil- weisen Vereinigung mit dem dorsalen Abschnitte des Deltoideus, der dem Dorsalis scapulae der Aiiiiren honiolog ist. Der Ur- sprung von dem Riickenschilde bei den erwachsenen Thieren ist eine aus dessen Bildung leicht erklarbare nur secundare An- passung. die Verbindimg mit dem Teres major (bei Testudo) ist nur von geringer Bedeutung, da bie nicht wie die mit dem Deltoideus an dem Insertionstheile, sondern lediglich an dem Ursprungstheile statttindet. r^. Scapulo-procoraco-pIastro-huiTieralis (Deltoideus) (ri). Trionyx : Proforaco-plastro-hiuin-ralis. Uebrjge untersuchte Chelonier: Scapulo-procoracoplastro-humeralis. fl} Pars scapulo-hnmeralis*) {dsc}. Pars fll. m. deltoidis e. p.: Bojanus (i. tlioracicus inferior IV. (opisthoglosse Anuren). Is. thoracicus inferior (teste- coracoideus) (Chelonier). 12 N. supracoracoideus. 13 N. coraco- radialis proprius et supracoracoideus anticus (opithoglosse Anureu). Zweig fiir den M. supracoracoideus (Chelonier). 13i >.'. coraco-radialis proprius (Pipa). 13n 2s. supracoracoideus niedius vt posticus (Pipa). 14 Zweig fur Theile des M. cpistcrjio-cleido-acroniio-humeralis (opistho- glossi' Anuren). Zweig fiir den M. supraprocoracoideus (Chelonier). 1j Ast fiir den Hautpanzer und die Haut in der Gegend des Brustgurtels (Chelonier). 19 2\n. pcctorales. 21 1\. brachialis longus inferior. 22 Xn. coraco-brachiales. 22j Ast fur den X. coraco-brachialis longus von Pipa. 22a X. coraco-brachialis Itrevis intenuis (Cheloniei). 22b iS. coraco-brachialis brevis t-xlernus et coraco - anlebrachiales (Che- lonier). 22c Zweig fiir den distalen iJauch des M. coraco-radialis (Emysi. 24 Ast fur den M. humero-autebrachialis inferior (Chelonier). 25 X. cutaiieus brachii inferior inedialis (Anuren). X. cutaneus antebrachii inferior (Chelonier). 29 X. subscapularis (Chelonier). 2% X. scapulo-huineralis profundus posterior (Anuren). 29b X. teres major (Trionyx). 30 Xu. dorsales scapulae, bei den Anuren speciell dei vordere X. dorsalis scapulae. 278 ^^^ Ftirbringer, 31 Hinterer N. dorsalis scapulae (Anuren). Ast an die P. scapulo-humeralis m. deltoidei (Emysl. 32 N. cutaneus brachii superior lateralis (Clielonier). 33 Ast fur die tiefern Partien des M. plastro-procoraco-humeralis (Trionyx). Ast t'iir d. P. procoraco-plastro-humfralis m. deltoidei (Emys). 34 N. latissimus dorsi. (354-38) N. brachialis longus superior (Radialis) der Anuren = 35 N. brachia- lis longus superior (Radialis) der Chelonier. 36 Rr. musculares fur d. M. auconaeus. 41 N. cutaneus brachii et antibracliii superior medialis. 42 ]S. cutaneus brachii medialis (Chelonier). 43 Hautaste, die weder von Kopfnerven noch vom Plexus brachialis abstammen. Fig. 37. Plexus brachialis von Pipa americana. Ventral-Ansicht. Grcssenverhaltniss |. Fig. 3 8. Plexus brachialis von Ceratophrys cornuta. Ventral-An- sicht. Grcssenverhaltniss f. Fig. 39. Anfangstheil des Plexus brachialis von Phyllomedusa bicoior. Ventral-Ansicht. Grossenverhaltniss ?. Fig. 40. Plexus brachialis von Eugystoma carolinense. Ventral- Ausicht. Gro.ssenverhaltuiss |. Fig. 4 1. Plexus brachialis von Emys serrata. Ventral-Ansicht. Gros- senverhaltniss }. Fig. 42. Plexus brachialis von 1 rionyx j aponicus. Ventral-Ansicht. Grossenverhaltniss |. Taf. VI. und VII. ') ScbultermuskelD von Emys serrata. Taf. V. stellt Seiten, Taf. VI. V eiitral - A nsichte n im Grossen- verhaltnisse von | dar. Die v order e Extremitat ist mitGewalt aus ibrer nattirlichen Lage in eine mit der der anderen Reptilieu und der Amphibien ubereinstimraeude kiiustliche btellung gebracht. Fur alle Figuren dieser Tafeln giiltige Bezeichnungen : Enochen und Bander: S Scapula. S8 Suprascapulare. Pc Procoracoid. C Coracoid. LPjC -Liganientum epicoiacoideum. H Humerus. CH Caput humeri. PL Processus lateralis humeri. PM Processus medialis humeri. Fit Fossa intertubercularis. 1) Irrthiimllch ala Taf. V. u. VI. bezeiohnet. Zur vergleichenden Auatomie der Schultermuskeln. 279 CR Condylus radialis. CU Condylus ulnaris. R Radius. IT Ulna. Hy Os hyoideum. Car Carapax (Riickensehild). Pla Plastrum (Hrustschild). N erven: Vergleiche die Bezeichnungen von Taf. IV. M u s k e 1 n : cpl M. capiti-plastralis (8teniocleidon)astoideiis). ctii M. testo-scapulo-procoracoideus. is M. testo-scapularis (Serratus). tc M. testo-coracoideus. p M. pectoralis. sppc M. supraprocoracoideus. spc M. supracoracoideus. cbbe M. coraco-brachialis brevib externus. cbbi M. coraco-brachialis brevis internus. bsp M. coraco-radialis superficialis (Biceps superficialis). bspi Distaler Bauch des M. coraco-radialis superficialis (Emys). bpr M. coraco-antebrachialis profundus (Biceps profundus). hai M. humero-antebrachialis inferior (Brachialis inferior). Id M. testo-humeralis (latissimus dorsij. d M. scapulo-procoraco-piastro-humeralis (Deltoideus). dsc P. scapulo-humeralis m. deltoidei. dpi Vom Procoracoid entspringende Fasern der P. procoraco-plastro- humeralis m. deltoidei. dpi Vom Plastron kommeude Fasern der P. procora-plastro-humeralis ra. deltoidei. sbsc M. subscapularis. a M. auconacus. asl M. ancouaeus scapularis lateralis. ah M. anconaeus humeralis. sphc M. sphincter colli. rhy M. coracohyoideus. « Pig. 4 3. Schultermuskeln nach Wegnahme der Haut und nach Abtragung der einen Halite des Riicken- und Brustschildes. Fig. 44 V- Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. sphincter colli (sphc). testo-scapulo-procoracoideus (rwj). pectoralis (p) und latissimus dorsi {Id). Fig. 4f>. Schultermuskeln an dein von dem Rumple und dem Hautpanzer abgeirennten Brustgurtel nach Wegnahme der Mm. testo-scapularis {ts\, teBto-coracoideus {Ic) und scapulo-procoraco-plastro-huraeralis (d). Fig. 4 6. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. capiti-plastralis icpi), supraprocoracoideus (sppc), supracoracoideus (spc) , coraco-radialis super- ficialis (bcp) und coraco-hyoideus (chy). 1) dpr in Fig. 44 1st in dpc amzuandern. 280 Max Fiirbringer, Ziir vergleichcnden Anatomie u. s. w. Fig. 47. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. coraco - antebrachialis profundus (bpr), coraco-brachialis brevis extei'iius (cbbe), coraco-brachialis brevis internus {rbbi) und subscapularis (sbsc). Fig. 4 8'). Brustgilrtel und Oberarm mit Angabe der Urspriinge und der lu- sertionen der Muskeln. Die an der Aus?enflache liegenden sind durch ein- fache Linien, die an der Innenflache liegenden durch Punktlinien ange- deutet. Ein o neben dem Muskelnamen bedeutet Ursprung, ein i Insertiou- Fig. 49. Schultermuskeln nach Wegnahme der Haut. Vergleiche Fig. 43. Fig. 50. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. sphincter colli (splic) testo-scapulo-procoracoideus (cm,), pectoralis {p) und latissimus dorsi (Id). Vergleiche Fig. 44. Fig. 51. Schultermuskeln an dem von dem Rumpfe und dem Hautpanzer ab- getrennten Brustgiirtel nach Wegnahme der Mm. testo-scapularis {ts), testo- coracoideus {tc) und scapulo-procoraco-plastro-humeralis (d). Vergleiche Fig. 45 2). Fig. 52. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. capiti - plastralis {rply supraprocoracoideus (sppc) und supracoracoideus {spc). Fig. 5 3. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. coraco-radialis super- iicialis (bsp) und coraco-hyoideus (rhy). Vergleiche Fig. 46. Fig. 5 4. Schultermuskeln nach Wegnahme des M. coraco-antebrachialis pro- fundus {bpr). Fig. 5 5. Schultei-muskeln nach Wegnahme der Mm. coraco-brachialis brevis externus {cbbej, coraco-brachialis brevis interaius (cbbi) und subscapularis {sbsc). Vergleiche Fig. 47. Fig 5 6. Brustgiirtel und Oberarm mit Angabe der Urspriinge und Inser- tionen der Muskeln. Vergleiche P'ig. 48. 1) Fur p** ist p* zu setzen. 2) Auf Fig. 51 und 52 ist die Vordeiarmfascie kiinstlich ausgeschnitten derart, dass nur die Insertionsstelle fiir den W. biceps superficialis erlialten wurde.— Anstatt dpr ist Sppc zu losen Druckfehler-Verzeichniss. Seite 180 Zeile des Textes 13 von oben : anstatt 1 lies Ij. S. 183 Z. d. T. 19 V. 0. : a. 3 1. 3,. Z. d. T. .2 V. u. : a. 13 1. 13,. S. 184 Z. d. T. 1 V. 0.: a. 13 1. 13u. Z. d. T. 8 V. u.: a. 22 1. 22,. S. 185 Z. d. T. 13 V. u.: a. 29 1. 29,. S. 199 Z. (1. T. 2 V. o.: a. 3 1. S,. S. 200 Z. d. T. 1 V. 0. : a. 3 1. 3,. S. 219 Z. d. T. 6 V. u. : a. 29 1. 29,. S. 221 Z. d. T. 3 V. u. und S. 239 Z. d. T. 4 v. u. : Taf. V. u. VI. 1. Taf. VI. u. VII. S. 228 Z. d. T. 11 V. 0.: a. Taf. IV. 1. Taf. V. 8. 230 Z. d. T. 2 V. o. : a. lateria 1. serrata. N. 231 Z. d. T. 14 V. o. : a. M. piastro-scapulo-procoracoideus 1. M. testo- scapulo-procoracoideus. Z. (i. T. 17 V. 0.: a. lateria 1. serrata. S. 234 Z. d. T. 15 u. 4 v. u. : a. N. plastro-coracoidcus 1. N. testo-co- racoideus. , S. 256 Z. d. Anin. 1 v. u. : a. zweiten 1. dritten. Feber elektrische Muskelreizuii^. Von \¥. Preyer. Ich habe vor Kurzeni Versuche veroffentlicht (in meiner Schrift: „Das myophysische Gesetz", Jena 1874, Abschnitt III.)' welche beweisen, class fur gerad- und parallelfaserige Muskeln gleiche Differenzen der Hubhohen gleicbem Reizverhaltnisse ent- sprechen. Die Methode, mittelst welcher dieses Ergebniss erzielt ward, ist audi sonst verwendbar im Gebiete der Muskel- und Nerven - Physik. Ich will sie daher, von deni genannten Satze ausgehend, durcli nahere Angabe der Einzelheiten erlautern. Die Feststellung der Relation fii — /'2 = / {*i\'-(it)i wo h^ und //j zwei gleidischwellige Hubhohen und q^ und q^ die zugehorigen Reizgrossen, zunachst fiir den naturlichen Contractionsmodus, den Tetanus, verlangt eine soldie Abstufung des Reizes, dass, wenn auch 9, und q^ einzeln genomnien variiren, dodi ihr Verhaltniss constant bleibt. Ich entsprach dieser Forderung, mit dem Schlit- tcninductorium tetanisirend, durch Veranderung der Intensitat J des Strom es der primaren Spirale. Mit sehr kleiner Zunahnie dieser Intensitat nimmt, wie man sich leicht schon durch den Geschmack, die Wirkung auf den Sehnerven und namentlich die Contractionszunahme des frischen Muskels iiberzeugt, die physio- logische Wirkung des inducirten Stromes sehr merklich zu, mit entsprechender Abnahme ebenso ab. Man braucht nun die Art der Abhangigkeit der Starke des Inductionstosses von der Starke des inducirenden Stromes ebenso- wenig wie die Function q=z(f(r), wo r der Rollenabstand, niiher zu kennen, um mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder durch Constanthalten zweier Rollenabstande r^ und rj bei Variirung des J Oder durch Constanthalten zweier ^-Werthe bei Variirung des r ein constantes (/j : 92 y-vi erhalten. Denn die einzige Mog- lichkeit, dass dieser Quotient nicht constant bleibe , ist dadurch 282 ^- Preyer. gegeben, dass die Art des Verlaufs des Inductionstroms bei ver- schiedenem J verschieden ware. Der elektrische Muskelreiz ist be- kanntlich durch die Steilheit der Abgleichimgscurve bedingt. Er wird also ebenso wachsen mtissen, wenn die in gegebener Zeit ab- geglichene Elektricitatsmenge zunimmt, wie wenn bei gegebener Elektricitatsmenge die Abgleichungszeit abnininit. Da im vorlie- genden Falle mit der Zunahme der abzugleichenden Elektricitats- menge die Abgleichungszeit nicht sich zu verandern braucht, so kann die Constanz des 91 : 92 bei variablem J nur dann beeintrachtigt werden, wemi ausser der Steilheitsiinderung die Abgleichung eine Aenderung in der Form erfuhre, was wenigstens innerhalb der hier in Betracht kommenden Grenzen der J-Schwankungen , an- zunehmen nicht der mindeste Grund vorliegt. Selbst wenn aber ein solcher nicht eben wahrscheinlicher Einfluss der 7 -Aende- rung nachgewiesen wtirde, ware erst noch zu erweisen, dass da- von die Constanz des Quotienten ^i : iralf las8t sich zwar auf verschiedene Art aiisfiihron, wie z. B. dadurch. dass man die I'rimai'e Spiralc als Nebenschliessung in eiu Iiheochord von dickem Drahte aufniuiirit, wodurch jede beliebige Feinheit der Einsielluug der Starke des priniarcn Stromes ermugiicbt ist. Ich liabe niich indessen dieser soust sehr I'einen Methude nicht bedient." (Unters. iibor die I'hysiol. d. Electrutouus. Berlin 1859. b. 126). Uebor elektrische Mnskelreizung. 285 riiren k;iiiii. Da imii bei meineii zwei Schlittenapparaten der Widerstaud dcs Dralites der i)rinuireii Rolle ir»l, beziehlicli 190 Rheocliordmillinieter bctnigt, in den Ver.suchen abor H zwischen 1000 und 20000 solcher Rheochordeinhciten schwankt, so entsteht der Verdacht, dass J gar nicht merklich variirt habe, wahrend R bedeutend variirte. Vor allem kommt es hierbei auf die Grosse des W an und darauf, ob P nicht etwa mit der veranderlichen Schwingungs- frequenz und Schwingungstarke des Uuterbrechungshammers sich verandert. Ich finde W bei volier Zelle des Grove, gewohnlicher Schwefelsaureverdunnung und ganz eiugetauchter Zinkplatte im Mittel =: 280 Rheochordmillimeter. P fallt sehr verschieden aus, je nach der Starke und Fre- quenz der Hammerschwingungen. Die beiden von mir benutzten Schlittenapparate a und b geben z. B. I'iir P in Rheocliordmilli- metern : a) Hammer ruhend 154, schwingend 171 bis 3210 b) Hammer ruhend 190, schwingend 650 bis ca. 9000. Diese grossen Aenderungen sollen hier nicht discutirt werden, well sie bei Anwendung der HELMHOLTz'schen Nebenleitung zur primaren Rolle, welche ich vorzugsweise benutzte und deren An- wendung das Folgende voraussetzt, ausbleiben. Hier fand ich fiir P in Rheochordmillimetern Apparat a: ruhend 151, schwingend 140, Apparat b: ruhend 180, schwingend , „ Aber auch i schnell 111. hierbei nimmt die Frequenz und Starke der Hammerschwingungen mit den eingeschalteten Rheochordwiderstanden zu, namentlich wenn die ii-Werthe kleiner als 500 Millim. sind, daher verwendete ich vorwiegend Rheochordwiderstiinde >1000, bei welchen die Hammerthatigkeit sich nur wenig andert. Es fragt sich jetzt, wie dabei J variirte. In abgerundeten Zahlen war die elektro-moto- rische Kraft i!;=850, ffr=280, f=140. Setzt man diese Werthc in obige Gleichung ein, so ergibt sich, dass das J nur zwischen 1,705 und 1,851 geschwankt haben kann, wenn R zwischen 500 und 1000 variirte, nur zwischen 1,851 und 1,977, wenn R zwi- schen 1000 und 4000 und nur zwischen 1,977 und 2,014, wenn R zwischen 4000 und 20000 sich bewegte. Die Bussole zeigte in der That mit grosser Steigerung des R sehr bald nur kleine Zu- nahmen des J an, wenn sie in die primare Rolle des Schlitten- inductorium aufgenommen wurde: 286 W. Preyer, Rheochord AbJenkiingswinkel Tangents 500 59,4 1,691 600 60,0 1,732 700 60,5 1,767 800 60,9 1,797 900 61,2 1,819 1000 61,4 1,834 1500 62,0 1,881 2000 62,4 1,913 4000 62,9 1,954 9000 63,2 , 1,980 19000 63,3 ' 1,988 Die Tangenten der Ablenkuiigswinkel siud, da man von dem geringen Widerstande der Bussole absehen darf, nahezu propor- tionar den Intensitaten J des inducirenden Stromes. Diese ne^ men also bei sehr grossem Rheochordwiderstande nicht mehr leici.' messbar zu, sie nahern sich asymptotisch einem Grenzwerthe. Es fragt sich also, ob die Inductionswirkung imd damit der Keiz bis zuletzt noch zunimmt, oder vielmehr ob die Reizzunahme zuletzt nicht so gering wird, dass gleichsam der Muskel nichts davon merkt. Zwar gab ich bereits im Allgemeinen an (Myoph. Ges. S. 70), dass die Inductionswirkung bei der Prufung mittelt des Geschmacks und des Muskels die grossten Schwankungen der Grosse zeigt, wenn der Rheochordwiderstand verandert wird, aber ich habe dieser Angabe Zahlenbelege nicht beigefugt und sie nicht ausdriicklich als gultig auch fiir die hochsten /i-Werthe bezeichnet. Diese Be- lege liefern viele mit Muskeln von ganz frisch eingefangenen Fro- schen angestellte Versuche. Die Muskeln wurden bei sehr grossem R und verschiedenem r tetanisirt, um zu erfahren ob die Hubhohe trotz der fortschreitenden Ermlidung, sei es auch nur um Bruch- theile eines Millimeters wachst, wenn schon die Bussole nur noch ein ganz geringes Wachsen des J anzeigt oder bereits ihre Dienste versagt. Bei den gewohnlichen Versuchen musste die s-Zunahme solche //-Zunahmen verdecken. Wenn aber hochst leistungstahige Muskeln verwendet werden, musste eine wenn auch geringe h- Zunahme, falls uberhaupt der Reiz mit R zunahra, sich zeigen. Ich habe dies in der That uberaus haufig beobachtet. Der Mus- kel ist viel empfindlicher als die Bussole. Und da es kein bequemeres und zuverlassigeres Mittel gibt zu zeigen, dass auch bei den hochsten Rheochordwiderstanden, die Reizgrosse wirklich sich sehr merklich verandert, hiervon aber die Brauchbarkeit der Methode wesentlich mit abhangt, so will Ueber elektrische Muskelreizung. 287 ich einige Beispiele mittheilen. Die Muskeln sind Sartorien. Der Tetanus dauert uberall nur einige Secimden. Die Hubhohen, Rol- lenabstande r iind Rheochordwiderstande B sind durchweg in Mil- limetern angegeben. Die iS'ummein links bezeichnen die zeitliche Folge der Reizungen. — Ueberall wurde ein grosser Grove an- gewendet. Der Sehliessungs- iind Oeffnungsstrom iiherall gleich stark. E r s t e r Muskel. Nr. Rheochord Hubhoba 1 12000 5,55 ) 2 8 17000 18000 6,05 ' 6,10 r = 95 4 19000 6,75 Zweiter Muskel. Nt. Rheochord Hnbhobe RoUenabstand I 17000 5,10 2 3 18000 19000 6,80 7,55 r=:85 4 20000 7,65 ' 5 17000 10,65 i 6 18000 11,00 11,35 \ r = 82 7 19000 Dritter Muskel. Nr. Rheochord Hubhbhe Rollenabaund 1 2 17000 18000 3,35 t 3,50 S r=104 3 4 17000 18000 8,45 t 9,25 \ r=95 5 6 17000 18000 9,95 i 10,65 S r=90 7 8 17000 18000 6,30 ) 6,55 ^ r=:95 Nach der letzten Verkiirzung — in den drei Fallen — niachte sich bei weiterer Reizsteigerung durch r-Abnahme die Ermiidung geltend. indem das h nicht niehr zunahm wenn U auf 20000 stieg, sondern abnahm oder constant blieb und dann nach und nach ab- nahni. Die in gewohnlicher Weise verdoppelt myographisch aufge- schriebenen Hubhohen wurden mikroskopisch gemessen. Zufallig kann das mit den zunehmenden ii-Werthen beob- achtete Wachsen des k urn so weniger sein. als es — abgesehen von der grossen Zahl der Beobachtungen ~ sowie man unter 4000 herabgeht, Unterschiede von mehreren Millimetern ergibt. was selbst schon bei 12000 vorkommen kann, wenn die Muskeln zart behandelt werden. Ich stehe von der detaillirten Mittheilung 288 ^^'- P»'^>'^^' soldier Versuchc ab, weil duicli deii Nachwcis der ITubzunalmie bei den hochst(>n A?-\Vertlien von 17000 bis 20000 iniplicite die grossere //-Zuiiahme bei geriiigereni R mitbewiesen ist. Wie gross die Empfindlichkeit des Muskels fur Steilheitsan- derungen der Abgleichimgscurve ist, erhellt daraus, dass er mit Sicherheit (durch die Vermittliing der secmidiiren Rolle von 4776 Windungen bei Apparat a) anspricht, wenn die Intensitat der pri- iniiren Rolle von 2000 auf 2001 steigt. Dieses Verhaltniss ent- spricht namlich der Zunahme des R von 17000 auf 18000. Der Ablenkungswinkel der Tangentenbussole wiirde dabei nur urn einige zwanzig Secunden wachsen. Und hiermit ist die Grenze keines- wegs erreicht. Uebrigens iiberzeugt man sich auch von der Zu- nahme der physiologischen Wirkung des inducirten Stromes bei Steigerung des R von 4000 auf 20000, wenn man die Enden der secundaren Spirale an die Zunge und Mundschleimhaut bringt. Die dann eintretenden Tast-, Geschmacks- und Lichtempfindungen sowie Zungenmuskelcontractionen wachsen sehr merklich bei pas- send gewahltem Rollenabstand. Ein Zweifel kann also dariiber nicht bestehen, dass bei den Rheochordversuchen in der That der Reiz auch mit den grossten eingeschalteten Rheochordwiderstandeu sich veranderte. Es han- delt sich nicht darum, dass er sich hierbei stark verandere, son- dern darum, dass er sich nachweislich verandere. Um namlich grossere Reizanderungen zu haben, braucht man nur mit kleinerem R (von 500 bis 2000) zu reizen. Eine solche Versuchsreihe, bei welcher, um Gleichschwelligkeit der zusammengehorigen 2 Hubhohen zu erzielen, keine Reizunterbrechung zwischen ihnen stattfand, ist folgende: M. sartorins. Die Zahlen bedeuten Millimeter, die Nummern links geben die zeitliche Folge der Reizungen an Nr. Rheochord Hubhohe Di£f. r = 95 ri::::78 1 600 5,8 9,4 3,6 2 700 6,2 9,4 3,2 3 800 6,3 9,4 3,1 4 900 5,3 9,1 3,8 5 1000 5,8 ... . 9,0 3,2 6 900 ■ 5,0 . . . 8,8 3,8 7 1000 5,1 . . . 8,7 3,6 8 2000 5,2 8,6 3,4 9 500 3,2 7,1 3.9 10 700 4,2 7,7 3,5 11 800 4,6 7,8 3,2 Ueber elektrische Muskelreizung. 289 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 Rbeochord 900 600 600 700 800 900 800 900 500 600 700 Habhohe r = 95''"''"T^78 4,6 3,5 8,9 3,9 3,7 3,8 2,7 3,0 2,3 2,6 2,7 7,7 6,9 7,5 7,4 7,3 7,4 6,6 6,4 6,0 6,0 5,8 DIff. 3,1 3.4 3,6 3,5 3,6 3,6 3,9 3,4 3,7 3,4 3,1 Man sieht hier trotz der ungleich grossereii Anstrengung, somit Ermudung, die erste Hubhohe mit Ji wachsen bei Nr. 1 bis 3, 4 und 5, 6 bis 8, 9 bis 11, 13 uud 14, 16 und 17, 18 und 19, 20 bis 22. Nur zwischen 3 und 4 und zwischen 15 und 16 hat die Ermudung so zugenommen, dass sie die Reizsteigerung iiber- compensirt. Bei der zweiten Verkiirzung ist dies ofter der Fall, 8mal im Ganzen, was sich zur Genuge durch den hier grosseren Ein- fluss der Ermudung erklart, man vergleiche jedoch No. 9 bis 11, 13 und 14, 16 und 17. Die Abweichungen vom arithmetischen Mittel in der Columne fiir die Differenzen sind zum Theil jeden- falls auf Versuchsfehler, namentlich ungenaue Einhaltung der Rol- lendistanzen zuriickzufiihren. Einige Nummern mussten deshalb wegen zufalliger und erkannter Ueberschreitung der r-Werthe gestrichen werden. Daher habe ich auch in der Weise experimentirt, dass die beiden gleichschwelligen zu einer Differenz erforderlichen h nur ein r und zwei i2-Werthe erhielten, welche fur die ganze Reihe unverandert blieben. Auch diese Versuche beziehen sich auf Sar- torien von Mana temporaria. Es fand keine Reizunterbrechung zwischen ^2 und hi statt. Zeitliohe Folge RoUenabstand HubhShe Dlff. jR^TOO"^ R=2700 1 77 T^ 6,9 1,7 2 76 5,3 7,4 2,1 3 75 5,9 7,7 1,8 4 74 6,2 8,2 2,0 5 73 6,5 8,4 1.9 6 72 6,9 8,4 maximal Hier ubercompensirte die Reizzunahrae in alien Fallen die Wirkung der Ermudung. Bd. vin, N. F. I, 2. J 9 290 W- P^'^y^'"' Ein anderes Beispiel ebenso: ZeitHohe Folge Rollenabstand Hnbhohe Diff- K=600 "^""R^ieoo 1 75 ^^ 7,0 3,4 2 74 3,2 6,7 3,5 3 73 8,5 7,1 3,6 4 72 4,2 7,7 3,5 5 71 5,2 8,4 3,2 6 68 7,5 11,3 3,8 7 67 7,7 11,5 3,8 Hier wircl nur zwischen Nr. 1 und 2 die Ermudung durch Reizsteigerung nicht compensirt. Die Hubunterschiede der vorhin mitgetheilten drei Reihen wo audi dieselben zwei jR-Werthe mitunter sich wiederholen, konnen deshalb nicht constant sein, weil die entsprechenden Hub- hohen wegen der Reizunterbrechung nicht gleichschwellig sind und die Ermudung zu ungleich fortschreitet. Der Beweis ftir die Reizsteigerung ist bei diesen Experimenten durch die trotz der Ermudung eintretenden /i-Zunahmen geliefert. Die Brauchbarkeit der Methode ist durch die Versuche ausrei- chend dargethan. Ausserdem hat durch dieselben die Relation //j_/<2=:/ iqi:q2) neue Stiitzen erhalten. Es versteht sich von selbst, dass nicht jeder Muskel bei jedem Versuch eine befrie- digende Uebereinstimmung geben wird. Unregelmassigkeiten kom- men in den moisten Versuchsreihen vor. Sie sind grosser und haufiger, wenn zwischen hi und Aj eine Reitzunterbrechung statt- findet (Reihe 31), wenn die Muskeln sehr gross sind (Reihe 34 und 37), wenn sie nicht dem lebenden Thiere, sondern einige Zeit nach der Verblutung der Leiche entnommen werden (Reihe 36). Da sich aber mit Geduld und Vorsicht und vor allem bei Verwendung von eben eingefangenen Froscljen, wie ich sie meist benutzte, selbst langere Reihen erhalten lassen, bei denen die Nummern sammt- lich nur kleine Abweichungen des Hubunterschiedes vom arithme- tischen Mittel geben, da ferner auch der mit ausserster Schonung praparirte Muskel bei noch so geschicktem Manipuliren misshandelt und durch Luftzutritt geschadigt wird und kein Sartorius sich als vollkommen gerad- und parallelfaserig ansehen lasst, auch die eine Muskelfaser die andere bei der Contraction stort, so lasst sich aus diesen Unregelmassigkeiten obiger Satz nicht widerlegen. Konnte man die ganz frische isolirte Muskelfaser den beschriebe- nen Experimenten unterwerfen, dann wurde wahrscheinlich sich Ueber elektrische Maskelreizung. 291 eine noch grossere Uebereinstimmung zeigen. Denn es ist nicht zu bezweifeln, cLass die einzeliie Faser, da sie nur isolirt sich unbehindert coiitrahiren kanii, bei der Contraction des ganzen Muskels eine andere Gestalt annimmt als wenn sie frei sicli ver- kurzt. Ich habe durch mikroskopische Betrachtung von Sartorien, welche vertical in Luft hangend tetanisirt wurden, mich uberzeugt, dass in der That sehr viele Fasern, die in der Ruhe gerade ge- streckt ersclieinen, wellige nnd zickzackformige Figuren bilden. Hort der Tetanus auf, dann tritt die Geradstreckung wieder ein. Es ist diese Zickzackforni nicht zu verwechsein mit der bekannten zuerst von Dumas und Prevost an dem auf Glas liegenden Muskel beobachteten. Was ich sah, und was man an jedem frischen ver- tical hangenden Sartorius sehen kann , dass die Zickzackbiegung im Tetanus entsteht oder zunimmt , falls sie vorher schon an- deutungsweise sichtbar war, ist wahrscheinlich zum Theil darauf zuruckzufuhren, dass im ganzen Muskel die eine Faser die benach- barte durch die eigene Contraction verhindert, sich ebenso zu verdicken, wie im isolirten Zustande. Daher mtissen sich viele Fasern im Tetanus biegen und kriimmen, wie es auch die Beob- achtung zeigt. Durch solche Storungen der regelmassigen Ver- kurzung kann nun sehr leicht die Constanz des Hubunterschiedes gestort werden. Die Bezielmng h^—h^ — f {q^\q^) wird daher fur den ganzen Muskel nur angenahert, fiir die Muskelfaser genauer zutreffen und hat tiberhaupt fur beide nur innerhalb eiues ge- wissen Reizintervalles Gliltigkeit. Aus jenem Versuchsergebniss habe ich nun mit Hinzuziehung der Thatsache der Muskelreizschwelle abgeleitet, erstens, dass die Hubhohe eine Function des fundamentalen Reizes q-.s ist, zweitens, dass sie von ihm logarithmisch abhangt. Keine andere Function vertragt sich mit den Versuchsergebnissen und zugleich jener Thatsache. Ebenso geht aus den Versuchen, wo bei constantem und bei variablem Reize (Myoph. Ges. § 19 und 35) die myophysische Be- wegung Oder Erregung gemessen wurde, hervor, dass h r= k log «p, wo p das Gewicht, welches h eben annullirt. Auch hier ist keine andere Function auffindbar gewesen, welche so kleine Fehlerquadrat- summen giibe, wie die logarithmische. Man uberzeugt sich leicht durch Bestimmung der wahrscheinlichsten Werthe der Constanteu k und a, dass die berechneten Hubhohen um viele Millimeter, jeden- falls im Ganzen um viel mehr von den beobachteten Verkiirzun- gen differiren bei Setzung eines audern Functionszusammenhanges 19* 292 W. Preyer, Ueber elektrische Muskelreizung. zwischen h und p als der logarithmischen. Setzt man zum Beispiel hz:^k y^^, so ergeben sich namentlich fur die zehnte Versuchs- reihe (Myo'ph. Ges. Seite 38) , welche die langste und beste von alien ist, solch enorme Differenzen zwischen Eechnung und Be- obachtung wie sie selbst bei den schlechtesten Reihen fiir die logarithmische Function nicht vorkommen. Die Erregungsmaass- formel h=:k log «p ist ebenso gesichertes Versuchsresultat wie die Reizmaassformel hz=:k log -. Ueber die Nachweisbarkeit eines biserialen Archipterygiiiin bei Selachierii und Dipiioern. Von A, Bung'e, stud. med. (Hierzu Tafel VIII and IX.) Urn mit den Nachweiseii der zur Fundamentalliteratur der neueren vergleichenden Anatomie gehorenden Schriften Carl Ge- genbaub's uber das Extremitatenskelet der Wirbelthiere, wenigstens theilweise auf eigeiie Wahrnehmung gestiitzt, naher bekannt zu werden, habe ich die Brust- und Bauchflosse der Selachier unter- sucht. Die Anregung zu dieser Untersuchung verdanke ich Dr. E. Rosenberg, unter dessen Leitung dieselbe ausgefiihrt wurde an dem im anatomischen Museum zu Dorpat vorhandenen Material, das uiir von Prof. Reissner in freundlichster Weise zur Disposition gestellt wurde. In seiner Theorie, gegen deren Richtigkeit bisher keine ern- steren Arguments wohl aber manche fur dieselbe angefuhrt sind. weist Gegenbaur nach, dass dem Extremitatenskelet der Wirbel- thiere eine Urform, das Archipterygium, zu Grunde liege. Dieses Archipterygium erwies sich nach der Entdeckung des Ceratodus, in dessen Flossen dasselbe in vollkoramenster Ausbildung ange- troffen wird, als ein gefiedertes, „biseriales". wie Gegenbaur, ge- stiitzt auf den Nachweis desselben an Haien, d. h. auf das Auf- tinden medial der Basalreihe des Metapterygium sitzender Radien. neben den, den grossten Theil der Flosse bildenden lateralen, in seiner Abhandlung „Ueber das Archipterygium" ') , gezeigt hat. Es betrafen aber diese Befunde an Haien nur fiinf Species , und es war daher von Interesse, auf ein biseriales Archipterygium zu beziehende Formbestandtheile des Flossenskelets , die erwartet werden mussten, bei einer grosseren Anzahl von Selachiern nach- 1) Diese Zeitschrift Band VII S. 131. 294 A. Bunge, zuweisen. Einige Resultate an Haien, denen Gegenbaur keine medialen Radien zuschrieb, und namentlich an Rochen, denen Gegenbaur dieselben iiberhaupt abspricht, veranlassten mich da- her, diese Untersuchungen fortzusetzen , die ich nunmehr nach vollstandiger Benutzung des Materials als beendet ansehen darf. In der Moglichkeit, den Nachweis medialer Radien an einer gros- seren Menge von Selachiern zu liefern , was darzulegen die Auf- gabe der folgenden Betrachtung sein soil, moge diese die Berech- tigung ihrer Veroffentlichung finden. Diejenigen Ergebnisse, die auf die von Gegenbaur aufgestellte Theorie der Bildung des Pro- und Mesopterygium Bezug haben, sollen gelegentlich ini Verlauf dieser Mittheilung angeluhrt werden, nachdem ich vorausgeschickt, dass sich nirgends Zustande fanden, die dieser Bildungstheorie stricte widersprachen. Es waren hier hauptsachlich diejenigen Formen hervorzuheben, die als Uebergangsformen den durch Gegenbaur ') bekannt gewordenen angeschlossen werden konnten und namentlich bei durch Concrescenz von Radien entstandenem Basale des Propterygium Verhaltnisse zeigten , welche eine Ver- schmelzung einer geringeren Anzahl von Radien, und noch deut- licher, aufwiesen. — Was zunachst die Haie anbetrifft, so zeigten einige — von Gegenbaur nicht besprochene — eine wenn auch nur geringe Zahl medialer Radien, andere eine grossere Anzahl, als sie von Gegenbaur beobachtet war, und scheinen somit der Erwah- nung werth. Eine Betrachtung der einzelnen Flossen wird die Verhaltnisse derselben naher beleuchten. — An einem Scyllium, dessen Species nicht bestimmt werden konnte ^), folgte auf das niit dem Schultergiirtel articulirende Ba- sale des Metapterygium, ein zweites Knorpelstiick, dem ausser der Fortsetzung der Basalreihe lateral zwei Radien ansitzen, medial ein kleines, unregelmassig gestaltetes Knorpelstiick, in welchem un- zweifelhaft der Rest eines medialen Radius erkannt werden muss. An anderen Scyllien (Sc. catulus , maculatum) land sich dieses Stuck nicht; nur war an dem im vorigen Falle das mediale Knorpel- stiick tragenden Gliede der Basalreihe stets ein medial gerichteter 1) Dieae Zeitschrift Bd. V. „Ueber das Skelet der Giiedmaafebeii d. Wirbel- thiere im Allgemeiueu und der Hintergliedmaassen d. Selachier iiisbesondtre." 2) Leider komite nicht fiir alie h'wi besprocheiien tselachier die Species bestimmt werden, da einerseits einige Objecte uicbt ganz intact wareu, anderer- seits Guntheb's Catalogue of the fishes iu the British Museum Vol. VIII niir nicht zu Gebote stand , und die Diagnosen von Muller's und Hbnle's ,,s\- Btematische Beschreibung der Plagiostomeu'' benutzt werden mussteu. Ueber die Nachweisbarkeit eines biserialen Archipterygium u. s. w. 295 Vorsprung bemerkbar, der an einen mit der Basalreihe verwach- senen medialen Radius erinnern konnte. Die Flosse eines jungen Sc. catulus erklart diesen Vorsprung mit Sicherheit fur einen mit dem Basale verwachsenen , im erst erwahnten Falle nocli freien, medialen Radius, indem sie den Zustand zeigt, wo das Stiick noch nicht vollkommen mit der Basalreihe verschmolzen ist. Die hintere Extremitilt von Scyllium catulus (fern.) war insofern interessant, als dort dem Basale des Propterygium nur zwei Knorpelstucke ansassen, dasselbe also durch partielle Verschmelzung von nur zwei Radien entstanden war, wahrend an der von Gegenbaur ab- gebildeten Extremitat eines mannlichen Thieres^) schon vier in dasselbe eingegangen waren. Eben dasselbe Verhalten zeigte auch Sc. raaculatum. Aehnlich der Scyllieniiosse verhielt sich auch die Brustflosse von Sphyrna (Fig. I). Auch hier hat das auf das Basale fol- gende Kuorpelstuck mf einen medial gerichteten Fortsatz, der sich vom ilbrigen Stiicke dadurch unterscheidet, dass er aus hyalinem Knorpel besteht, wahrend im jenem eine betrachtliche Verkalkung Platz genoramen hat, wie das in der Zeichnung angedeutet sein soil. Der Fortsatz kann daher, im Vergleich mit dem Verhalten der Scylliumtiosse , wohl fur einen mit der Basalreihe verschmol- zenen Radius angesehen werden. Ausserdem aber tragt das Stiick mt' noch einen medialen Knorpel und die Fortsetzung der Basal- reihe mt" gleichfalls einen. Es lassen sich also hier mit ziemlicher Sicherheit drei mediale Radien unterscheiden. Bemerkenswerth ist hier der Umstand, dass die medialen Radien zerstreut der Ba- salreihe ansitzen, wahrend sonst, wo mehrere bei einander liegen, sie stets nahe an einander gedrangt sind. — Anders mussen wir das Verhalten an den Brusttiossen von Mustelus und Pristiophorus erklaren, das Im Ganzen dem bespro- chenen ahnlich ist, aber auf die Auffassung, die Gegenbaur^) fur die Basalreihe des Metapterygium an der Brusttiosse von Chimaera gegeben, zuruckgefuhrt werden muss ; auch hier ist man genothigt, eine Krtimmung der Basalreihe anzunehmen. Die hintere Extre- mitat von Mustelus zeigte am Basale des Propterygium deutlich die Entstehung aus drei Radien, die von Gegenbaur abgebildete 1) Diese Zeitschrift Bd. V. Fig. (3, Taf. XV. 2) Cf. Untersuchuugeu zur vergleicheudeii Aiuitoniio der Wirbolthiere, Heft 11, Leipzig 1865, Taf. IX, Fig. 15; diese Zeitschrift Bd. V. „Ueber das Skelet der Gliedniaassen u. s. w." 8.432 Anmerkung ; und ibidem Bd. VII. „Ueber das Archipterygium" S. 134. 296 A. Bunge, Bauchflosse ') schon aus vier. Bei Pristiophorus sassen dem das Basale des Propterygium bildenden Radius noch deutlicher zwei Radien an, als dieses bei Torpedo nach Gegenbaur^) der Fall ist. Ein Versuch, uber die Kriimmung der Basalreihe an der Flosse von Chimaera durch die Untersuchung von Calorhynchus einigen Aufschluss zu erhalten, scheiterte an der grossen Aehnlichkeit bei- der Flossen, die sich nur durch eine an der Flosse von Calo- rhynchus vor sich gegangene Reduction unterschieden, welche sich Damentlich an den bei Chimaera mit bestinimten Formen versehenen Endknorpeln der Radien des Metapterygium kenntlich machte. — Gleichfalls der Scyllienflosse sehr ahnlich war die Flosse von Ga- leus spec.?, Fig. II, die einen medialen Radius tragi («), der sich hier nur naher an die Basalreihe anlegt. An einem erwachsenen Exemplar derselben Species war der Radius auch noch deutlich unterscheidbar. Ein bei der Preparation der Brustflosse eines erwachsenen Carcharias bemerkter medialer Radius liess die Vermuthung auf- kommen, dass, ebenso wie Gegenbauk^) fur Acanthias gezeigt, die Embryonen von Carcharias gleichfalls eine grossere Anzahl me- dialer Radien aufweisen wiirden. Die Untersuchung bestatigte diese Vermuthung, indem sie fiir einen Embryo die Zahl von drei medialen Radien (Fig. Ill), fur einen jungen Carcharias sogar vier mediale Radien ergab , wie das aus den Abbildungen hervorgeht. Auch an der von Gegenbaur abgebildeten *) Carchariasflosse wird man ohne Zweifel beim Vergleich mit den hier besprochenen Flos- sen drei mediale Radien wieder erkennen, da die Lagerung durch- aus dieselbe ist. An Embryonen von Acanthias hatte Gegenbaur bereits eine Anzahl von vier medialen Radien uachgewiesen ; indessen veranlasste mich das Auffinden einer Flosse mit sechs Radien, die- selbe nicht unerwahnt zu lassen. In Fig. IV ist dieselbe wieder- gegeben. Die Basalreihe miissen wir in die Stiicke mt' und mi", die auf das mit dem Schultergiirtel articulirende Basale folgen, verlegen. an denen sechs mediale Radien sich erkennen lassen, wenn wir das langliche etwas gekrummte Stiick, das parallel ml" 1) Diese Zeitschrift Bd. V, Taf. XV, Fig. 7. 2) Ibid. Fig. 13. 3) Diese Zeitschrift Bd. VIJ. „Ueber das Archiptervgium". S. 135 , 136 Taf. X, Fig. 6. 4) Untersuchungen zur vergleichendeu Anal. d. Wirbelth. Heft II, Taf. IX. Fig. 5. Ueber die Nacbweisbarbeit eiiirs biserialen Archipterygium u. s. w. 297 liegt, als aus zwei Radien verwachsen ansehen, wie das durch die punktirte Linie angedeutet sein soil. Eine andereBestininiung der Basalreihe ist nicht wohl zulassig, da sonst mehrere dieser Knor- pelstiickchen nicht unterzubringen waren. — Von Dornhaien wurde noch Spinax niger untersucht. An einer Flosse fanden sich zwei mediale Radien. Bei einem acht Centimeter langen Embryo konnte unter der Loupe noch ein drittes Knorpelstiickchen er- kannt Nverden, das sich an die beideu anderen aniegt (Fig. V) und hier in der Zeichnung starker dargestellt ist, iim es deutlicher hervortreten zu lassen. Eine leichte Einkerbung am mittleren Stiicke lasst vermuthen, dass es aus zweien verschmolzenen ent- standen sei , wonach sich hier noch vier mediale Radien consta- tiren liessen. Schliesslich ergab die Untersuchung eines Embryo von Scym- nus Lichia, dass auch an der Flosse dieses Haies sich mediale Radien nachweisen lassen , die sich an der von Gegenbaur abge- bildeten Flosse ') eines erwachsenen Exemplares nicht mehr er- kennen lassen. Dem grossen Basalstiick folgt ein zweites, welches drei mit ihm articulirende laterale Radien und ein in mehrere kiirzere Hervorragungen auslaufendes kleines Stiick tragt ; von diesen kleinen Spitzen sind drei medial gerichtet. Es ist hier offenbar wieder eine solche Verwachsung medialer Radien mit der Basalreihe vor sich gegangen, wie sie an anderen Flossen (Scyl- liuui, Sphyrnaj bereits constatirt ist. Die am meisten vorragende Zacke halte ich ftir das Ende der Basalreihe, die anderen drei fiir Reste medialer Radien. Es zeigt diese Betrachtung. dass das Vorkommen medialer Radien bei Haien nicht auf nur wenige Species beschrankt, vielmehr ein recht haufiges ist. Eine weitere Untersuchung an bedeutenderem Material, besonders an Species, die den rait niedia- len Radien versehenen nahestehen . lasst mit Sicherheit giinstige Erfolge erwartcn, und namentlich diirfte die Untersuchung an Embryonen, an denen die allmahlige Reduction und das Ver- schwinden der Radien nachweisbar ist, zu sehr interessanten und lohnenden Resultaten fiihren. — Wie schon am Anfang kurz angedeutet, lassen sich auch an Rochen deutliche Spuren eines biserialen Archipterygium nach- weisen. Sie sind im Yergleich zur Grosse der ubrigen Flosse frei- lich nur unbedeutend und schwerer zu bemerken. als an Haien, was 1) Unters. zur vergl. Anat. d. Wirbelthiere Heft II, Taf. IX, Fig. 9. 298 -^- Bungrfi. wohl die Veranlassung gewesen, class sie Gegenbaur, der die Flos- sen der Roclien auf das Verhalten der Basalien imtersucht hat, entgangen sind. Bei einer nahereii Betrachtung diirfte sich jedoch herausstellen , dass bei ihnen reichliehe Uebeireste medialer Ra- dien erkannt werden konnen, die in noch urspriinglicherer Form als bei den Haien sich linden. Zum Ausgange der Darstellung wahle ich die Brustflosse von Rhynchobatus, da an ihr die Bestimmung der Basalreihe, die nicht immer sich von selbst ergiebt , keine Schwierigkeiten macht und nach dem Refund an dieser Flosse die Verhaltnisse der anderen leichter zu beurtheilen sind. An das grosse mit dem Schultergiirtel verbundenen Basale des Metapterygium tnt (Fig. VI) legt sich ein ebenso breites aber ^ kurzes, distal sich verschmalerndes Stiick mt' an, dem sich fiinf Knorpelstticke anschliessen, von denen drei als proximale Glieder lateraler Radien leicht erkannt werden. Dem ersten Sttick, von der medialen Seite hergezahlt, sitzen zwei medial gerichtete Radien an, an das zweite mt" fiigt sich eine Succession von noch fiinf allmahlich schmaler werdenden Knorpelstiicken, denen sammtlich auf der medialen Seite an reducirte Radien erinnernde Knorpel ansitzen. Es entsteht so eine Art unvollkommener aber deutlicher Fiederung, wobei natiirlich die lateralen Radien wegen der bedeutenden la- teralen Ausdehnung der Flosse betrachtlich langer sind, wahrend die medialen, besonders die letzten, nur kurz und unregelmassig sind und mehr an die letzten Radien bei Ceratodus erinnern. Die Basalreihe fallt ohne Zweifel in die vorhin erwahnte Succession von Knorpelstucken , und verhalt sich der bei Ceratodus gefundenen sehr ahnlich; das mediale der beiden an mt' sich anlegenden Stiicke (a) muss aus den verschmolzenen proximalen Stucken der beiden an ihm sitzenden Radien entstanden gedacht werden; als- dann lassen sich deutlich neue mediale Radien zahlen. Es konnte hier der Einwand gemacht werden, dass dem ersten lateralen Radius ganz ahnliche Knorpel ansitzen ; es sind aber diese wohl nur secundare Bildungen , die gleich der wahren \) Dichoto- mic zur Unterstiitzung der allmahlig kolossal sich entwickelnden Flosse sich herausgebildet haben; eine Bildung, der spater noch mehrmals begegnet wird. An der Flosse der iinken Seite linden wir im Allgemeinen 1) Cf. Gegenbaur „[Jeber d. Skdett d. Glieilmaassen etc' Diese Zeitschrift Bd. V. S. 436. Ueber die Nachweisbarkeit eiuer biserialcn Archipterygium u. b. w. 299 dieselben Verhaltnisse wieder, nur ist dort eine vom distalen Ende ausgehende Reduction erkennbar. Die Basalreihe ist hier noch deutlicher kenntlich, als an der rechten Flosse, da man hier zwei Stiicke antriftt, die sowolil mediale als laterale Radien tragen, und daher die Foitsetzung derselben leichter zu bestimmen ist; aber die Basalreihe hat nicht mehr die Ausbildung, wie auf der rech- ten Seite, lost sich am Ende beinahe auf, und die Zahl der me- dialen Radien ist vermindert. Es lassen sich hier nur noch sechs bemerken. Auch hier sieht man die lateralen Radien mehr als dichotomisch getheilt, aber der Einwand, dass diese Knorpelstiicke den t'iir mediale Radien erklarten ahnliche Bildungen seien, ist wohl nicht zulassig. Es handelt sich hier eben nur urn secundare, den durch Dichotomie hervorgebrachten verwandte Gebilde. Aehnlich den Flossen von Rhynchobatus sind die von Pristis seniisagittatus (Fig. VII u. VIII). Auch hier sticht die Basal- reihe von den lateralen Radien durch bedeutende Dicke und den Umstand ab , dass sie aus einer grosseren Menge aufeinanderfol- gender Stiicke besteht. Scheinbar theilt sie sich schliesslich dicho- tomisch , allein diese Theilung unterscheidet sich doch wesentlich von der Dichotomie, welche die daneben liegenden lateralen Radien aufweisen ; es sind also die medial gerichteten Theilstucke fur me- dial an der Basalreihe sitzende Radien zu halten. Die Fiederung ist nicht mehr eine so exquisit deutliche, wie bei Rhynchobatus; die Radien sind unregelmassig, bald langer, bald kiirzer, gelegent- lich unvoUstandig, wie z. B. der siebente an der linken Flosse, lassen sich aber immer noch deutlich zahlen, und zwar sind es an der rechten Flosse sieben, an der linken wieder neun mediale Radien. Weuiger deutlich ist der Befund an Pristis antiquorum (Fig. IX). Die Basalreihe lasst sich allerdings wieder bestimmen, wie in der Zeichnung angedeutet ist; sie ist aber nur wenig dicker als die lateralen Radien. Dazu kommt, dass der erste laterale Radius rechts gar nicht dichotomisch getheilt ist, auf der linken Seite nur unvollkommen, wodurch die Berechtigung, die mit Bs be- zeichnete Succession von Knorpelstiicken als Basalreihe zu deuten, vielleicht in Zweifel gezogen werden konnte; dennoch aber wird die in der Zeichnung als solche bezeichnete beim Vergleich niit der Flosse von Rhynchobatus als die richtige beizubehalten sein. Noch weniger deutlich sind die medialen Radien, die sich theils der Basalreihe parallel an diese gelegt haben, theils als ein Complex von unregelmassigen polygonalen und runden Flatten, die wohl 300 ^- Bunge, durch Reduction und Verschmelzung von Radien entstanden sind, dem Beobachter prasentiren. Eine Zahlung der Radien ist ganz unmoglich; wir miissen uns jedenfalls eine grosse Anzahl derselben in den Knorpeln enthalten denken. Vielleicht lasst die Untersuchung von Embryonen, die mir nicht zu Gebote standen, die hier ge- zeigten Verhaltnisse naher erklaren. Bei weitem leichter fallt die Deutung des gleichfalls zu den Squatinorajae gehorigen Rhinobatus (Fig. Xj. Die Basalreihe tritt deutlich hervor und mit Sicherheit kann man fiinf Radien zahlen, wenn nicht der mittlere, der eine Dichotomie zeigt, durch Ver- wachsung der beiden proximalen Glieder zweier Radien (Aehnliches wurde an Rhynchobatus, Acanthias und Spinax bemerkt) entstan- den ist, in welchem Falle man es hier mit sechs Radien zu thun hatte. An den zur zweiten Familie gehorigen Rochen, den Torpedines, fanden sich nirgends Andeutungen einer zweiten, medialen Serie von Radien , auch nicht einmal bei sehr jungen Embryonen, da- gegen zeigten die Rajae, von denen eine grossere Anzahl zur Un- tersuchung kam, sammthch an der Brustflosse deutliche Spuren medialer Radien. wie aus der folgenden naheren Betrachtung her- vorgehen wird. Im Princip ist die Anordnung der hier interessi- renden Theile an den Flossen verschiedener Species von Raja, mit Ausnahme weniger Variationen in der Anzahl der Radien und einiger anderer weniger bedeutender Abweichungen, ziemlich die- selbe. Es werden daher, nachdem eine Art naher besprochen ist, die Verhaltnisse an anderen sich leicht ergeben, ohne dass sie einer eingehenderen Erorterung unterzogen zu werden brauchen. An der Brustflosse von Raja miraletus (Fig. XI) sieht man wie- der dem zweiten Stucke der Basalreihe mt' distal zwei Knorpelstucke anlagern, ein grossers laterales mi" und ein kleineres mediales. An das erstere stossen zwei Succssionen von Knorpeln, zwischen denen entschieden werden muss . welcher die morphologische Bedeutung der Basalreihe zukommt. Sowohl der Umstand, dass der einen mehr radienartige Fortsatze anliegen, als auch die grosse Ueber- einstimmung der anderen mit den lateralen Radien, miissen fur die erstere, medial gelegene Knorpelreihe entscheiden. Der la- terale Strahl ist nur ein dreigetheilter lateraler Radius, ahnlich den bei Rhynchobatus beobachteten Radien. P]s liegt also hier noch am dritten Stticke der Basalreihe ein lateraler Radius; ein Umstand, der bei fast alien Arten von Raja, nur mit einer Aus- Ueber die Nachweisbarkeit eines biserialcn Archipterygium u. s. w. 301 nahme '1 wiederkehrte ; es ist das fiir die Bestimmung der Basal- reihe wichtig und daher hervorzuheben. Hierauf ist die Bestim- mung der Radienzahl leicht; es sind mit den kleinen Knorpeln nahe dem Ende der Basalreihe, die man ohne Zweifel mitzahlen muss, deutlich sechs mediale Radien. Die Flosse eines jiingeren Exemplars derselben Species zeigte auf den ersten Blick ein ziem- lich ahnliches Bild (Fig. XU). Wieder findet sich hier ein drei- getheilter Radius, nach welchem zu urtheilen man in der nach- sten medial folgenden Knorpelreihe die Fortsetzung der Basal- reihe erkennen konnte. Wenn man aber so deutete, so sasse am dritten Stiick der Basalseihe kein lateraler Radius, da der vorhin erwahnte dreigetheilte Radius /' sich als letzter an's zweite Stiick mt' ansetzt. Derselbe findet unter Benutzung dieses Kriteriums bei der Fig. XI abgebildeten Flosse sein Homologon an dem hier ebenfalls mit /' bezeichneten Gebilde, das als zweiter lateraler Radius zu betrachten ist, da als erster der mit / bezeichnete, drei- getheilte nach der vorhin fur diese Flosse gegebenen Deutung sich herausgestellt hat. Ein Homologon dieses Radius ware bei der Fig. XII abgebildeten Flosse in dem mit / bezeichneten, ebenfalls in drei Spitzen auslaufenden, an das Stiick mt" sich anfiigenden Flossenbestandtheil zu sehen, dieser somit nicht als Ende der Basalreihe und als zwei ihr ansitzende mediale Radien, sondern als erster lateraler dreigetheilter Radius zu bezeichnen. Die Fort- setzung der Basalreihe lage dann in der medial neben ihm sich findenden Succession von Knorpelstiicken (XII Bs). Ein Vergleich mit der betrefFenden Stelle der Brustflosse der anderen Seite (Fig. XIII) spricht in unzweideutiger Weise fiir die letztere Auf- fassung; in alien drei Flossen sind die Radien /' unzweifelhaft homolog, und der mit / bezeichnete Bestandtheil der Fig. XIII abgebildeten Flosse, den man dem Radius / der zuerst erwahnten Flosse (Fig. XI) und dem fraglichen mit zwei medialen Radien versehenen Endabschnitt der Basalreihe der zweiten (Fig. XII I) 1) Es findet diese Ausnahme bei Raja marginata (?) (cf. Fig. XIV) statt; hier sitzt dem dritten Stiick der Basalreihe kein lateraler Radius;an, ein Verhalten, das Ubrigens nur scheinbar eine Ausnahme bediugt, wenn man annimmt, dass in diesem Falle das proximale Ende des ersten lateralen Radius als gesonder- ter Bestandtheil sich erhalten hat, wahrend es bei der Fig. XI abgebildeten und den anderen sich hierin ainlich verbaltenden Flossen mit dem dritten Stiick der Basalreihe verschmolzen ist, eine Annahme, welche die in der Zeichnung wiedergegebene Art der Verkalkung des Stiickes mt" (das somit mehr als das dritte Stuck der Basalreihe reprasentirte) entsteheu lasseu muss. 302 A. Bunge, homolog sotzen miisste, zeigt in cler Form cleutlich die Radien- natur und ist zufolge seiner Stellung zii der hier nicht zu ver- kennenden Basalreihe als erster lateraler dreigetheilter Radius zu betrachten. Der Fig. XII wiedergegebene starke Knorpelstrahl /, der leicht fiir den radienbesetzten Endabschnitt der Basalreihe angesehen werden konnte, ist also nur ein lateraler dreigetheilter Radius, der sich eng an die Basalreihe angedriickt hat. An jeder Flosse des jiingeren Exemplars lassen sich vier deutliche mediale Radien unterscheiden, an der rechten wohl auch fiinf. Den Verhaltnissen der linken Brustflosse von Raja miraletus (Fig. XIII) ordnen sich leicht un"d ohne einer weiteren Bespre- chung zu bediirfen die Flossen von Raja marginata (Fig. XIV) mit 5, Raja spec? mit 4, vielleicht auch 5 medialen Radien (wenn man das auf den zweiten Radius folgende Knorpelstiick als be- sonderen Radius und nicht als Endstiick des dritten rechnet) und Raja clavata mit 4 Radien unter. An Raja clavata schliesst sich die Flosse von Raja spec? (Fig. XV) nur mit der unbedeutenden Aenderung an, dass das dem dritten Stiick der Basalreihe mt" an- liegende Stiick , das sonst frei ist , hier mit der Basalreihe ver- schmolzen ist. Auch sind die Radien unter einander stark ver- schmolzen und zu kleinen Vorspriingen reducirt, werden aber durch in sie hinein sich erstreckende Verkalkung deutlicher ge- macht. Auch die Deutung der in Fig. XVI dargestellten Flosse von Raja spec? macht weiter keine Schwierigkeit. Wir sehen wieder den mehrfach getheilten ersten lateralen Radius und neben ihm die durch eine Menge kleiner medial gerichteter Knorpelstiickchen kenntliche Basalreihe. Es lassen sich hier wieder deutlich neun mediale Radien zahlen, ja vielleicht auch zelm, wenn man annimmt, dass der dichotomische sechste Radius durch Concrescenz der proximalen Enden zweier Radien entstanden ist. Die Richtigkeit dieser Annahme wird durch das haufige Vorkommen solcher Ver- wachsungen, die im Laufe der Untersuchung schon mehrfach be- merkt sind, sehr wahrscheinlich. Schliesslich kam noch Raja vomer zur Untersuchung (Fig. XVII). Sie weicht am meisten vom allgemeinen Verhalten ab, wie die Abbildung zeigt. Die Basalreihe wird man nicht in den vom lateralen Rande des dritten Stiicks der Basalreihe mt" ab- gehenden Knorpelstrahl I versetzen konnen, soudern wie bei den eben besprochenen Extremitaten anderer Rajae in den nachsten Ueber die Nachweisbarkeit eines bisei'ialeu Archipterygium u. s. w. 303 medial gelegenen (Bs). Alsdami lasst sich mit einiger Sicherheit die Zahl der medialen Radien auf acht bestiramen. Geringer schoii sind die Spuren bei den Myliobatiden. An einem Exemplar von Myliobatis aquila (Fig. XVIII) konnte man zwei mit den proximalen Stiicken verwachsene mediale Radien an- nehmen, wenn nicht an einem anderen Exemplar sich mit Sicherheit nur ein einziger Radius erkennen liesse, woraus folgen wiirde, dass die Basalreihe an dem ersten Exemplare in den fiir einen ersten medialen gehaltenen Radius gelegt werden musse. Bei Myliobatis Nieuhofii (Fig. XIX). konnte man drei mediale Radien anzuneh- men veranlasst werden (ja sogar fiinf, wenn nicht der Umstand, dass am distalen Ende der Radien bei Myliobatis stets eine An- zahl kleiner Knorpel sitzt, hier die auf die beiden endstandigen Knorpelstiickchen gestutzte Annahme einer urspriiugiichen Tren- nung bezweifeln liesse). Allein beim Vergleich mit Myliobatis aquila wird man diese Deutung fallen lassen miissen, und kann alsdann mit Sicherheit nur einen sehr langen medialen Radius constatiren. Ebenso unbedeutend sind die Reste medialer Radien bei den Trygonen. Eine grossere Anzahl medialer Radien ergab noch die Flosse von Taeniura lymma (Fig. XX). Dass die Basalreihe in der Abbildung richtig bezeichnet ist, unterliegt wohl keinem Zwei- fel. Wenigstens vier Radien konnen an der medialen Seite der Basalreihe unterschieden werden. Einen oder zwei Radien kann man bei Pteroplatea micrura , Trygon • Walga und Trygon Kuhlii erkennen; bei Trygon spec? darf man wohl keinen medialen Ra- dius annehmen. Die drei kleinen Endknorpel der Basalreihe miissen ebenso wie die bei Myliobatis vorhandenen erklart werden. — Die Familie der Cephalopteren war in der Sammlung nicht vertreten. — Es geht wohl aus dieser Untersuchung zur Geniige hervor, dass bei den meisten Rochen die Spuren einer biserialen Anord- nung des Archipterygium noch grosser und urspriinglicher sind, als bei den Haien. Somit hat sich die am Anfange ausgesprochene Erwartung, dass mediale Radien bei einer grosseren Menge von Selachiern vorhanden sein miissten, bestatigt. Leider sind die Reste fossiler Selachier, bei denen eine grossere Anzahl medialer Radien zu erwarten ware, nur sehr geringe. Unter den Abbildun- gen, die Agassiz ') veroffentlicht hat, ist nur ein besser erhaltenes 1) Recherches s. 1. poiss. toss. vol. III. 304 A. Bunge, Rochenskelet (Asterodermus platypterus Table 44 Fig. 2. Solenhofen, aus dem oberen Jura) ; doch sind Andeutuugen an mediale Radien nicht zu bemerken. Erwahnenswerth scheint aber die hintere Extremitat, an der der erste mit dem Beckengiirtel verbundene Radius noch nicht die Grosse und Dieke besitzt, wie das bei Raja Schultzii ') im Vergleich zu den ubrigen Radien der Fall ist. Es bildet also diese Flosse in einer morphologischen Reihe eine Uebergangsform von dem von Gegenbaur als hypothetische Skelet- form aufgestellten uniserialen Archipterygium zu der hinteren Ex- tremitat von Raja. Auffallend ist es, dass sich an der hinteren Extremitat der Selachier, die doch der Urform naher steht als die vordere, nir- gends auch nur die geringsten auf ein biseriales Archipterygium hinweisenden Spuren erblicken lassen. Es hat das wohl darin seinen Grund, dass das Basale des Metapterygium sich sehr nahe an den Korper anlegt, und nur das ausserste Ende frei hervor- ragt, so dass fiir mediale Radien kein Raum ubrig bleibt. — Unter den drei Genera jetztlebender Dipnoer hat Ceratodus die biseriale Anordnung des Flossenskelets, Protopterus (Rhino- cryptis Peters) die uniseriale, und bei Lepidosiren ist endlich nach Angaben der Autoren^) nur noch die Basalreihe iibrig geblieben. Indem Gegenbaub die Flosse von Protopterus dem uniserialen Archipterygium unterordnete, hat er die an derselben vorhandenen Radien fiir laterale genommen und blieb auch nach Feststellung des biserialen Archipterygium bei dieser Deutung; dass sich aber gegen diese Deutung manches einwenden liesse, diirfte vielleicht aus der nachfolgenden Betrachtung hervorgehen. Gunthee') ver- gleicht die Stammreihe (im Sinne Gegenbaue's) der Storflosse mit der die Basalreihe reprasentirenden Axe der Ceratodusflosse , und deutet bei einer Stellung der Ceratodusflosse (cf. Fig. XXI, die 1) Cf. diese Zeitschrift Bd. V „Ueber das Gliedmaassenskelet etc." Tf. XV, Fig. 11. 2) Namentlich ist hier J. Heckel zu nennen , der spater als die anderen Autoren Lepidosiren gerade auf diesen Punkt untersucht hat. (Bemerkungen iiber Lepidosiren. Briefliche Mittheilung in Muller's Archiv fur Anat. u. Phys, 1845.) 8) Philosoph. Transctions of the Royal Society of London, vol. 161. pag. 532 und 533. Was die specielle Deutung anbetrifft, die Gunther dem von ihm S. 532 im Holzschnitt mit a bezeichneten Stiick giebt , in welchem er das Pro-, Meso- und Metapterygium Gegenbaur's wiedererkeunen will , so durfte dieselbe wohl bei der Bedeutung, die GEGEiiBAUR diesen Bezeichuungeu zuge- schrieben wissen will, nicht aufrecht erhalten werden konnen. Ueber die Nachweisbarkeit eines biserialen Archipterygium u\ e. w. 305 GtNTHER's Fig. 2 1. c. tab. XXX wiedergiebt) bei welclier diese ihre ventrale Flache lateialwarts, ihren lateralen Eand dorsal gerichtet zeigt, die in dieser Steliuiig dorsal gericbteten Strahlen der Cera- todusflosse als bomolog den notorisch lateralen der Storflosse. Diese Deutung, deren Correctheit nicbt beanstandet werden kann, lasst die (in der gegebenen Stellung) ventral gericbteten Radien der Ceratodusflosse als die niedialen erkennen. Stellt man jetzt die Flosse eines Selacbiers daneben (Fig. XXIII), von der in der beistebenden Abbildung gleichfalls die ventrale Flacbe durcb Her- aufsehlagen der Flosse sicbtbar ist, so benierkt man, dass die bier notoriscb lateralen und medialen Radien dieselbe Stellung ein- nehmen wie die in der Ceratodusflosse als laterale resp. mediale Strablen angesprocbenen Gebilde. Ein Vergleicb nun mit der Protopterusflosse (Fig. XXII), der stetig eine Stellung zukommt, bei welcber ibre (eigentlicb) ventrale Flacbe laterahvarts gekehrt ist, und an der man eine durcb Drebung der Flossenaxe vor sicb gegangene Lagenveranderung anzunebmen, durcbaus nicbt veranlasst sein kann, zeigt, dass die bei Protopterus vorhandenen Radien ibrer Situation nach jedenfalls den dorsalen bei Ceratodus nicbt entsprecben, wobl aber mit den ventralen voU- kommen iibereinstimmen, also medial sind. Es sind also bier ge- rade die lateralen verloren gegangen, und die gewiss gerecbt- fertigte Erwartung, Rudimente lateraler Radien aufzufinden, hat sicb bei der zu diesem Zweck vorgenommenen Untersucbung mikroskopiscber Scbnitte, die aus der Flosse eines jiingeren Tbie- res gefertigt wurden, nicbt bestatigen lassen. Dass das biseriale Arcbipterygium urspriinglich eine grosse Verbreitung gebabt baben muss, hat bereits Gegenbaur, gestiitzt auf das Yorkommen desselbcn bei Ceratodus und seine Beobach- tungen an Haien, in der Abbandlung „ Ueber das Arcbipterygium" bervorgehoben. Durcb die in der vorliegenden Arbeit gewonnenen Resultate an Haien und namentlicb Rocben diirfte diese Auftassung nicbt unwesentlich bekraitigt werden. Vom biserialen Arcbiptery- gium, das unter den jetzigen Fiscben nur noch im Ceratodus an- getroffen wird, lassen sicb die sammtlicben Formen des Flossen- skelets der heute lebenden Fische ableiten, von diesen wieder das Extremitiitenskelet der hoberen Wirbeltbiere. In den Selacbiern ist eine Riickbildung auf Kosten der medialen Radien vor sicb ge- gangen, wabrend die lateralen sicb in einigen Selacbiern zu kolos- saler Machtigkeit ausgebildet baben ; ja in einigen ist die Reduction bis zum vollkommenen Schwund dor medialen Radien fortgescbrit- Bd. viii, N. v. I, a. 20 306 A. BuDge, ten, so dass sie gleich den von ihnen ableitbaren Ganoiden und Teleostiein, wie Gegenbaur deutlich gezeigt hat, dem uniserialen Archipterygium untergeordnet werden konnen. Eine gleichfalls uniseriale Anordnung lasst sich in der Flosse von Protopterus wiedererkennen, nur in einem ganz anderen Sinne, da hier gerade die lateralen Radien verloren gegangen sind, wenn die vorhin ge- gegebene Deutung, wie ich nicht zweifele, richtig ist. In Lepido- siren endlich sind sammtliche Radien geschwunden und nur noch aus der vorhandenen Basalreihe kann, aber im Vergleich mit den iibrigen Flossen mit Sicherheit, auf die Ableitbarkeit vom biserialen Archipterygium geschlossen werden. — Dorpat, d. 25. Juli (6. August) 1873. Ueher die Nachweisbarkeit eines biserialeu Ar(lii]>terygium u. s. w. 307 Erkliining tier Abbildungeii. Taf. VIII uiid IX. Die meisten dor Abbildiingen stellen dou kritisclieu Abscltnitl der rccliten Flosse von dor vcntrak-n Sdio her gcsrhen dar; ist die liiike Flossc abgebildet, so ist das besondors -^rwabiit. Die diuiklere , pnuktiite Zeidinung in eiuigeu Rochenflossen, soil die in deuselben vor sicb gegangene Vcrkalkiuig wiedcrgeben. Das Maass dor Vergrosserung dev einzcluen Flosscn ist cin sehr veischitde- nes. Von den dunklen Strichen sollen die dickereu das Ende der IJasalreibc, die diinnercn die Endeu der medialen Radien andeutcn ; die Zahlen zeigen die Anzabl der medialen Radien an. BsrzEnde der Basalreihe; mi, mV, mi" = erstes, zweites, drittes Stiick der Basalreibe. Fig. I. Sphyrna Tiburo. Fig. II. Galeus spec? (Embr. von 14 Cm. Lange). Fig. III. Carcharias spec? (Embr. von 22 Cm. Lange). Fig. IV. Acantbias vulgaris (Embryo von 22 Cm. Lange). Fig. V. Spinax niger (Embryo von 8 Cm. Lange). Fig. VI. Rhyncbobatus laevis r. P'l. P'ig. VII. Pristis semisagitta us r. I'l. Fig. VIII. „ „ 1. Fl. Fig. IX. Pristis antiquorum r. Fl. Fig. X. Rbinobatus spec? 1. Fl. Fig. XI. Raja miraletus (alteres Exemplar). Fig. XII. „ „ r. Fl. ^ jQjj„gi.ps Exemplar. Fig. XUI. „ „ 1. Fl. ^ •' ° Kg. XIV. Raja raarginata (?) 1. Fl. Fig. XV. Raja spec? Fig. XVI. Raja spec? Fig. XVII. Raja vomer. Fig. XVIII. Myliobatis aquila. Fig. XIX. Myliobatis Nieubofii. Fig. XX. Tacniura lymma. Fig. XXI. Scbematiscbe Zeichnnng des Verhaltens der Brustflossc zura Korper von Ccratodus (nacb Gijnther). Fig. XXil. Die gleicbe Darstellung von Protoptcrus (nacb Peters). Fig. XXIII. Die gleicbe Darstellung von eincra Seiacbier. Die Rasalreibe ist starker markirt. 20' Ueber eiiie secliszahlige fossile Bhizostoiuee Lind eirie vierzahlige fossile ©emaeostomee. Vierter Beitrag zur Kenntiiiss der fossilen Medusen. Von Ernist Haeckel. (Hierzu Taf. X. und XI.) Den zwolf verschiedenen Arten von fossilen Medusen, welche ich in drei friiheren Aufsatzen beschrieben und abgebildet habe "), kann ich heute die Darstellung von zwei neuen Species anreihen, welche beide der Gruppe der hoheren Medusen oder Disco- medusen (Acraspeden oder Phanerocarpen) angehoren. Beide Ordnungen dieser Gruppe, die einmiindigen Semaeostomeen und die vielmiindigenRhizostomeen, sind in den beiden neuen Arten vertreten. Die neue fossile Semaeostomee ist im Gegenab- druck vortrefiiich conservirt, noch mehr die neue fossile Rhizosto- mee. Die letztere bietet so eigenthiimliche Zahlen- und Form-Ver- haltnisse dar, dass sie unter alien bisher aufgefundenen Medusen- Petrefacten als das interessanteste bezeichnet werden muss. Die willkommene Gelegeuheit, beide Discomedusen zu untersuchen und 1) Zura besseren Verstandniss der beiden hier beschriebeneu und abgebil- deten fossilen Medusen bitte ich meine drei friiheren Arbeiteu zu vergleichen: I. U e b e r f 0 s s i 1 e Medusen. Zeitschr. fur wissenschaftl. Zoologie, 1865, Bd. XV, S. 504, Taf. XXXIX. II. Ueber zwei neue fossile Medusen aus der Familie der Rhizostomiden. Bronn's N. Jahrb. fiir Mineralogie, 1866, S.257— 292 ; Taf. V und VI. III. Ueber die fossilen Medusen der Jura-Zeit. Zeitschr. f. wis- senschaftl. Zoologie, 1870, Bd. XIX, S. 538—562. Taf. XL— XLII. E, Haeckol, Ueber eine sechpzjihligo foRsilr Phizostomep. 309 zu beschreiben. verdanke ich (wie bei der Mehrzahl der friiher beschriebenen Formen) der zuvorkommenden Gtite meines ver- ehrten Freimdes, Herrn Professor Zittel in Munchen, dem ich hierdurch meinen verbindlichsten Dank dafiir abstatte. Auch die beiden neiien Abdriicke sind (gleich alien anderen) in den litho- grapliischen Schiefern der baierischen Grafschaft Pappenheim ge- funden worden, deren geologische Formation zum Corallenkalk des oberen Jura gehort. Der grossere von den beiden nachstehend beschriebenen Ab- driicken ist eine stattliche Rhizostomee. Wahrend aber alle ande- ren lebenden und fossilen Angehorigen dieser Ordnung, die wir kennen, vierzahlig oder achtzahlig sind, ist unsere neue Art sechs- zahlig, und verhalt sich zu den ersteren ahnlich, wie in der Geryo- niden-Farailie die sechszahligen Carniariniden zu den vierzahljgen Liriopiden. Das neue Genus nenne ich Hexarkizites, die dadurch vertretene Farailie Hexarhizitida. In nieiner friiher publicirten Untersuchung iiber Crambessa Tagi , die merkwiirdige im Tajo bei Lissabon lebende Rhizosto- mee'), habe ich eine scharfere Charakteristik der Rhizostomeen- Ordnung und der darin unterschiedenen sechs Familien zu geben versucht, als bisher aufgestellt worden war (1. c. S. 532). Bei alien diesen bisher bekannten Rhizostomeen ist der Korper aus vier An timer en zusammengesetzt und besitzt vier Paar Mund_ arme und vier Geschlechtsorgane (letztere sind bei den Cassio- pejiden in acht Genitaltaschen zerfallen, bei den Crambessiden um- gekehrt zu einer einzigen kreuzformigen Genitaltasche mit vier Schenkeln verschmolzen). Unser Hexarhizites ist das erste Bei- spiel einer Rhizostomee mit sechs Antimeren, und muss daher nach den bisher in der Systematik dieser Gruppe giltigcn Principien als Repriisentant einer besonderen, siebenten Familie ungesehen werden. Wahrscheinlich war diese Familie auch noch (lurch andere (correlative) Eigenthiiujlichkeiten ausgezeichnet , die an unserem Petrefacte nicht mehr erkennbar sind. Die charakteristische Foi-m ihrer Subgenital-Klappen erinnert an Crambessa. Die Form der sechs Paar Mundarme scheint am meisten derjenigen der echten Rhizostomiden (oder Stomolophiden) ahnlich gewesen zu sein. 1) T]el)er flip Crambessirlen, eine neue Medusen-P'amilie aus der Rhizosto- meen-Gruppe. Zeitschr. f. wissensch. Zool. 187U, Bd. XIX. S. 509—537. Taf, XXXVIIl, XXXIX. 310 Ernst Haeckel, Dass unser Eexarhizites jedenfalls zu der Rhizostomeen- Ordniing gehorte, geht unzweifelhaft aiis der scharf ausgepragten iind ganz charakteristischen Gestalt hervor, welche uns die Oral- fliu'he der Muiidscheibe und der in ihr verlaufenden Armnahte, sowic dcren Vereinigung in der centralen Miindnaht darbietet. Aus der Form dieser Mundnaht und der von ihr ausgehenden Sclienkel gelit hervor, dass die ziigewachsene Muiidofitniing ein Querspalt war. Dadurch zerfallt der sechsstrahlige Medusen- Schirni in zwei symnietrisch-gleiche Halften, deren Trennungslinie die Verlarigerung der transversalen Mundspalte (resp. der Mund- nalit) biiden wiirde. Beiderseits derselben ist die Symmetrie beider Halften deutlich durch die sechs gabeltheiligen Mundarme angedeutet', die sich in zwei Gruppen von je drei Arnien gegen- iiber stehen. Dadurch geht die reguliire Hexactinoten-Grund- forni der Meduse in die symmetrische Hexaphragmen-Grund- forni iiber, wie bei vielen sechszahligen Corallen (F/oieZ/ww/ u. s. w.). Aus der sechstheiligen regular en Tyraniide entsteht die sechs- theilige a m p hit h e c t e Pyraniide '). Nun stanimen jedenfalls diese seehszilhligen Fornien von den iilteren vierzahligen ab. Wahr- scheinlich ist die phylogenetische Umbildung der ur- spriinglich kreisrunden Mundoffnung in eine trans- versale zweilippige Spalte die mechanische Ursache, welche die Entstehung der sy mm etrisch-sechsstrahligen (oder hexaphragmen) Grundform aus der urspriingli- chcn r eguljir-vierstrahligen (odor tetractinoten) Grund- form bewirkte. Diesen allgemeinen Vorbemerkungen lasse ich jelzt zuniichst die allgemeine Charakteristik des neuen Genus samnit Species, und darauf die specielle Beschreibung des Petrefactes folgen. Ich schicke ziim besseren Verstiindniss nebenstehenden Holzschnitt des voUstandigcn Medusen-Schirmes voraus, wie cr sich aus der Rc- stauration des Petrefactes ergiebt. 1) (lonrrcllp Moipholngic, Ikl. 1, S. 46!), 485, 556. Ueber eine sechszahlige fossile Rhizostompe. 311 ms RestanratioD von Hexarhizites Insignls (in V« (Icr natiirlichen Grosse). «! a^ Mimdnalit («, Rest der Miuuldfl'ming?). b fSeiteiiast dex Mundnaht. veitei' Tlieil. In gleiclier Weise, wie wir den Bau unci die Entwickelung der Placoidschuppen einer eingehenderen Untersuchung unterwor- fen liaben, werden wir uns in dem zweiten Haupttheil der vor- liegenden Arbeit mit dem Bau und der Entwickelung der Selachier- zahne beschaftigen. Auch hier ist eine ausfiihrlichere Darstellung erforderlicli, da unser Gegenstand keine genauere Bearbeitung in den letzten Decennien gefunden hat und daher unsere jetzigen Kenntnisse fast ausschliesslich auf den Angaben Owex\'s noch be- ruhen. Bei der Beschreibung der einzelnen Theile der Zahne und ihrer Entwickelung werden wir jedesmal durch eine kurze Ver- gleichung festzustellen suchen, in wie weit die Gewebe der Sela- chierzahne in Bau und Entwickelung mit den Geweben der Pla- coidschuppen und der Ziihne der hoheren Thiere iibereinstimmen und in welcher Weise vorkommende Differenzen zu. beurtheilen sind. Wir beginnen mit dem Bau der Ziihne und beschreiben zu- niichst der^^n Verbreitung in der Mundschleimhaut, I. Bau der Zahne. In der Mundschleimhaut der Selachier ko.nmen nebeneinan- der zweierlei Arten von Zahnen vor. Die eine Art ist nicht auf einzelne Stellen der Mundhohle beschrankt, sondern findet sich gleichmassig uber die Schleimhaut bis zum Beginn des Oesopha- gus verbreitet vor. Die Zahnchen sind von sehr geringer Grosse. Sie gleichen in ihrer Form und audi in ihrem histologischen Bau vollkommen den im Integument beschriebenen Placoidschuppen mit dem Unterschiede vielleicht, dass ihre Schmelzschichte etwas starker entwickelt ist. In der Schleimhaut sind sie ziemlich lo- cker befestigt und stehen viel weiter von einander ab, als die eng aneinander gefiigten Placoidschuppen. Dcrartige Zahnchen beobachtete ich in der Mund- und llachen- hohle, sowie auch auf der die Kiemenbogen iiberziehenden Schleim- haut von Hexanchus und Acanthias. In wie weit sie auch bei den iibrigen Plagiostomen verbreitet sind, wurde von mir nicht unter- sucht. Nach Leydig ') kommen sie ausser bei Hexanchus auch noch bei Raja clavata vor, wurden dagegen bei Scyllium und 1) Leydig, Beitriige zur niikroskop. Anat. u. Entwickelung d. Rocben u. Haie. 364 Oscar Hertwig, Scymnus von ihm nicht aiigetroffen. Hier sollen sie durcli warzen- oder aiich fadenforinige imverkalkte Papillen ersetzt sein, welche dieselbe dreispitzige Gestalt wie die Zaline dieser Thiere besitzen und iiberliaupt vollkommene Zahne darstelleii wiirden, wenn sie wie diese mit einer Kappe von Kalksalzen iiberzogen waren. Die zweite Art Zahne ist auf den Ober- und Unterkiefer be- schrankt und weicht von der erst genannteu Art meist durch ihre viel bedeutendere Grosse und Formverschiedenheit niclit unerheb- lich ab. Die Zahne sind in zahlreichen Reihen hintereinander auf den Kieferbogen aufgepflanzt und bilden in ihrer Gesammtheit ein starkes und furchtbares Gebiss. Mit den verkalkten Knorpeln gehen sie bekanntlich keine Verbindung ein, sondern sind allein in der den Kieferbogen iiberziehenden Schieimhaut mit ihrer Basis befestigt. Ihre Abnutzung, welche in Folge dieser lockeren Be- festigungsweise sehr rasch eintritt, wird durch eine sehr lebhaft und reichlich erfolgende Neubildung von Zahnen vollkommen wie- der ausgeglichen. Durch Anpassung an verschiedene Lebensweise ist ihre Grosse und Form bei den verschiedenen Arten und oft an ein und demselben Thiere an Ober- und Unterkiefer eine iiusserst mannigfaltige. Bald sind sie pflasterformig und klein (Mustelus, Rochen), bald kegelformig und zugespitzt, bald breit und schneidend. In Owen's Odontography sind diese Verschie- denheiten ausfiihrlich zusammengestellt und verweisen wir auf die betrefienden Abschnitte. Da die zuerst beschriebenen iiber die ganze Mundschleimhaut verbreiteten Zahnchen wie gesagt Placoidschuppen vollig gieichen, so werden wir uns im folgenden nur mit dem Bau und der Ent- wickelung der auf den Kieferbogen stehenden Zahne befassen. Nach Owen, welcher die grundlichsten und umfassendsten Untersuchungen angestellt hat, wird der Haifischzahn nur von einer der 3 Zahnsubstanzen der hoheren Thiere (Dentin, Schmelz, Cement) und zwar nur von Dentin gebildet. In ihm unterscheidet er zwei Arten von Kanalen, grossere blutgefassfUhrende (canaux medullaires) und kleinere, die eigentlichen Zahnbeinrohrchen (ca- naux calcigeres), welche von erstern eutspringen. Durch die Art der Vertheilung dieser Kanale und durch die geringe oder gros- sere Harte der Grundsubstanz entstehen nach Owen 3 Arten von Zahnbein, welche sich meistens bei demselben Zahn gleichzeitig vortinden. Den inneren Theil des Zahnbeins, welcher die grosseren Blutgefasskanale und von diesen ausstrahlende Dentinrohrchen enthiilt, nennt er Vasodentin oder Vascular Dentin. Auf dem- Uebor Ban und Entwickolung der Placoidschuppen u. s. w. 365 selben liegt iiach Aussen zu eine Schichte der zweiten Modirica- tion des Zahiigewebes, das einfache Dentin, welches nur Zahn- rohi-chen (tubes calcigeres) enthalt , die meist einander parallel nach der Peripherie verlaufen. Die dritte Modification des Zahn- beins endlich, welche sich bei Haien noch findet und die ober- flachlichste Schicht des Zahns bildet, ist das Vitro dentin. In ihm verlaufen iiusserst feine Kanalchen nahe bei einander und ganz parallel. Zwischen ihm und dem einfachen Dentin befindet sich oft eine Lage zelliger Raume (cellules calcigeres), von denen einerseits die feinen Dentinrohrchen der aussersten Lage entspringen und in welche andernseits zum Theil die Rohrchen des einfachen Den- tins einmiinden sollen. Das Vitrodentin bildet auf der Oberflache des Zahnes einen sehr harten, durchscheinenden , schmelzartigen Ueberzug. Owen hebt von ihm besonders hervor, dass man es nicht fur wahren Schmelz noch fiir das Product eines besonderen Organs, wie dies friiher falschlicher Weise geschehen sei, betrach- ten diirfe. Das Vitrodentin weiche nur durch seinen grosseren Gehalt an erdigen 'Bestandtheilen und durch die feinere Verthei- lung derselben in der organischen Grundlage, sowie durch den mehr parallelen Verlauf seiner Rohrchen vom gewohnlichen Dentin ab. Aber es sei durch dieselbe Matrix entwickelt und das Resul- tat der Verkalkung der ausseren Lage derselben, mithin der zu- erst gebildete Theil des Zahns. Den Angaben Owen's iiber Mangel einer Schmelzschichte an den Plagiostomenzahnen pflichten spiitcre Bcobachter bei. So er- klart Leydig: Eine eigene Schmelzschichte existire nicht, obwohl der Rand des Zahnes, da er dunner sei, eine andere Lichtbrechung habe, als der dickere Theil und sich daher optisch so von ihm abgrenze, als ob eine eigene Schmelzschichte da wtirc, allein diese peripherische Schichte sei von gleicher Beschaffenheit wie das tibrige Zahnbein '). Auch Kollikek findet bei Fischen anstatt echtcn Schmelzes eine dichtere Lage von Elfenbein, in der Kanal- chen entwedcr nur undeutlich zu sehen seien oder uberhaupt feh- len sollen^). Nach unseren Untersuchungen werden die Zahne der Plagio- stomen in gleicher Weise wie die Placoidschuppen, aus verschie- denen Substanzen zusammengesetzt. 1) Leydig, Heitrage zur mikrosk. Anat. und Entwickdung der Rochen u. Ilaie. 2) KoLLiKER, Mikrosk. Anat. II, 2 S. 113. 366 Oscar Hertwig, Den Haupttlieil des Zaliiis bildet das Dentin oder Zahnbein. Bei den meisten Haien enthalt dasselbe anstatt einer einfachen centralen Pulpa ein Gewebe, welches von Owen als Vasodentin bezeichnet worden ist. In einer homogenen verkalkten Grundsub- stanz verlaufen grosse Kanale, die mehr oder minder netzformig unter einander zusammenhangen , Bindegewebe, Blutgefasse und Odontoblasten enthaiten und an der Zahnbasis an mehreren Stellen mit der Cutis in Verbindung stehen. In die Grundsubstanz strah- len von ihnen feine, sich verastehide Dentinrohrchen aus. Nach Aussen geht das Vasodentin ohne bestimmte Grenzen in das ge- wohnliche Dentin, welches die Rinde des Zahnes bildet, iiber. Die Piohrchen des letzteren entspringen an Stelle der Pulpa von den Blutgefasse fiihrenden netzformig verzweigten Kanalen des ersteren und verlaufen dicht nebeneinander und ziemlich parallel bis nahe zur Oberflache. Bei Scymnus Lichia sind sie im Durchschnitt in der Nahe des Ursprungs 0,02 Mm. breit. Auf ihrem Wege ver- lieren sie wenig an Durchmesser, hangen oft durch starlce Neben- aste und durch zahlreiche feinere Anastomosen unter einander zusammen und bilden hierdurch ein ziemlich dichtes Netzwerk. Bei einer geringeren Anzahl von Haifischarten findet sich, wie bei den hoheren Wirbelthieren, in der Mitte des Zahnes eine Pulpa- hohle. Als Beispiel mogen die kleinen hockerartigen Zahne von Mustelus laevis dienen, welche sowohl in ihrer ausseren Form als auch entsprechend in ihrem innerenBau am meisten mit manchen Formen von Hautstacheln ubereinstimmen. Da sie unser haupt- sachlichstes Untersuchungsobject gewesen sind, so geben wir von der Beschaffenheit ihres Zahnbeins eine besondere Schilderung (Taf. XII. Fig. 8). Die Pulpahohle des Zahnes von Mustelus besitzt eine etwas unregelmassige Gestalt, nach der Basis des Zahnes zu ist sie ver- schmalert und hangt hier nicht durch einen einfachen Fortsatz, sondern durch eine Anzahl kleinerer netzformig sich verbindender Kanale mit der Cutis zusammen. Von der Oberliache der Pulpa entspringt eine grossere Anzahl starker durchschnittlich 0,02 Mm. breiter Zahnrohren, die sich baumformig unter bestandiger Abnahme ihres Kalibers nach der Peripherie zu veriisteln. Durch starkere und feinere Anastomosen hangen ihre Aeste besonders in den ausseren Theilen des Dentins, wo dieselben sehr diinn sind, unter einander zusammen. Die Grundsubstanz des Dentins ist nicht vollstiindig homogen, sondern zeigt auf Durchschnitten ab- wechselnd hellere und dunklere Streifen, welche die Contouren der Ueber Ban iind Eutwickelung dcr Placoidschiippen u. s. w. 367 Papille ziemlich genaii wiedcrholen und besoiiders deutlich hervor- treten, wenn der Schnitt ziivor in Carmin gefarbt wiirde. Alsdann erscheinen die Streifen ab^Yechselnd hell- und dunkelroth (Taf. XIII Fig. 8 //). Am scharfsten sind sie unmittelbar in der Um- gebung der Papille wahrzunehmen , wo sie am schmalsten sind; nach der Zahnperipherie zu werden sie verschwommener, indem sie an Breite bis zu 0,02 Mm. continuirlich zunehmen. In der Nahe der Obertiache sind sie ganz verschwunden. So sehen wir hier ein Structurverhaltniss sehr deutlich ausgepragt, welches minder deutlich bei der Untersuchung der Placoidschuppen uns bereits entgegengetreten war. Aehnliche Streifungen, wie die be- schriebenen, sind auch im Dentin hoherer Thiere ') beobachtet und Contour linien benannt worden. Namentlich im Zahnbein der Schlangen zeichnet und beschreibt Leydig'-^) sehr deutlich zahl- reiche „Schichtungs streifen, welche als Wiederholungslinien des Umrisses der Papille eine Art dutenformige Zusammensetzung des Zahns oflenbaren." Existenz und Bedeutung dieses Structur- verhaltnisses ist in der Neuzeit ein Gegenstand der Controverse geworden. Da man namlich bei den hoheren Thieren im Zahnbein sehr haufig Linien, welche durch Biegungen im Laufe der Zahn- rohrchen hervorgerufen werden, vorfindet, so hat man auf dieser Thatsache fussend von verschiedenen Seiten das Vorkommen von Schichtungsstreifen ganz in Abrede gestellt oder wenigstens be- hauptet, dass man aus solchen Streifen nicht auf einen lamellosen Bau des Dentins schliessen diirfe (Waldeyer ^)). Namentlich hat KoLLMANN*) in einer sehr umfassenden Arbeit den Nachweis zu liefern gesucht, dass Contourlinien nur durch Biegungen und Knickungen parallel verlaufender Zahnbeinrohrchen hervorgerufen wurden und dass die Curven der Zahnbeinrohrchen aus Druck- schwankungen im Wachsthum des Zahns zu erkliiren seien. Wenn im Zahnbein keine Rohrchen sich befanden, meint Kollmann, so wiirde wohl jede Veranlassung fehlen fur eine schichtenweise La- gerung in die Schranken zu treten. Dem Angefuhrten gegenuber machen wir ausdrucklich darauf aufmerksam, dass im Zahnbein der Selachier von einer Verwechselung der von uns bcschriebenen Streifen mit solchen, die durch Schlangelungen der Zahnbeinrohr- 1) KoLLiKEE, Lehrbiich dcr Histologic. 2) Letdig, Die Zahne einheimisclicr Schlangen u. s. w. Arcliiv f. mikrosk. Anat. Bd. IX. 3) Waldeyer, Stricker's Handbuch dev Gewebe. 4) Kollmann, Zeitschr. fiir wissenschaftl. Zoologie. Band 23 Hctt 3. 368 Oscar Ilertwig, Chen veranlasst sein konnten , bei der baumformigen Verastelung der letzteren und bei dem sparsamen Auftreten derselben in den centralen Partieen des Zahns, gar nicht die Rede sein kann. Aus- serdem verweist noch die verschiedene Farbung der Streifen in Carmin, besonders aiif feinere Differenzen in der Beschaffenheit des Zahnbeins. Es raiissen demnach die von uns beschriebenen Con- tourlinien auf eine Stufe mit den geschicliteten Hofen gestellt werden, welche sich so haufig urn Knorpelzellen vorfinden und die man Knorpelkapseln genannt hat. Beide Bildungen sind in gleicher Weise der Ausdruck einer feineren Structur der Grundsiibstanz und lassen sich nur aus der Art des Wachsthums derselben er- klaren. Der einzige Unterschied zwischen beiden Bildungen beruht darin, dass in dem einen Falle nur eine einzelne Zelle allseitig um sich Grundsubstanz bildet, in dem anderen Falle eine Zellen- lage gemeinsam auf ihrer Oberflache, daher nur nach einer Richtung ein organisirtes Ausscheidungsproduct liefert. Fur die hier beschriebeiren mit dem Wachsthum der Grundsubstanz in directer Beziehung stehenden Streifen schlagen wir zur Unter- scheidung von den durch Knickungen der Dentinrohrchen verur- sachten Linien, den auch von Leydig gebrauchten Namen Schich- tungsstreifen vor. Mit demselben Namen konnte man gleich- falls die Kapseln oder Hofe um die Knorpelzellen belegen. Im geschichtlichen Theil dieses Abschnittes ist bereits erwahnt worden, dass bei den Selachiern die oberflachliche Partie des Zahn- beins verschiedene Eigenthiimlichkeiten zeigt und von Owen daher als eine besondere Modification des Zahnbeins unter dem Namen Vitrodentin beschrieben worden ist (Taf. XIII Fig. 4. 5. 7. 8). Um zu einem sicheren Urtheil iiber die Natur dieses Gewebes zu gelangen, werden wir seine Eigenschaften in physikalischer, chemischer und morphologischer Beziehung einer eingehenderen Priifung unterwerfen. In seinen physikalischen Eigenschaften zeichnet sich das sogenannte Vitrodentin vor dem einfachen Dentin durch seine grossere Harte und Festigkeit, durch die vollkommen glatte und durchaus schmelzahnliche Beschaffenheit seiner Oberflache aus. Es ist sehr sprode und springt daher leicht beim Schleifen von dem darunter liegenden Zahnbein ab. Das Licht bricht es weit starker als letzteres, wie man namentlich auf Schliti'en erkennt. Eine der- artig ckarakterisirte besondere Rindenschichte besitzt nur der aus dem Integument frei hervorragende Theil des Zahns. In chemischer Beziehung tritt eine grosse Verschiedenheit Ueher Ban iind Entwickelung der Placoidschuppen u. s. w. 3G9 zwischen Dentin und Vitrodentin in ihreni Verhalten gegen Sauren hervor. Namentlicli ist die EinAvirkung der Salzsaure in star- keren und schwiicheren Losungen selir lehrreicli. Wiihrend das Dentin bei der Entkalkung nahezu unverandert bleibt, gehen im Vitrodentin eine Reihe von charakteristischen Veranderungen vor sich. In sehr schwach angesauertem Wasser verliert es mit dem Auszug der Kalksalze vollkonnnen seine Transparenz, es wird milch- weiss und lasst sicli mit der Nadel in Brocken vom durcbschei- nenden Zahnbein abheben. Bei liingerer Einwirkung audi von selir scliwacli angesiiuerter Fltissigkeit gelit diese triibe Bescliaffen- heit bald wieder verloren; die milchweise Rindensubstanz hellt sich auf, und wird vollkommen durchsichtig. In einem dritten Stadium der Saureeinwirkung endlich lost sich allniahlig die Rin- densubstanz bis auf einen geringen Riickstand ganz auf, so dass nun das noch wohl erbaltene Zahnbein nackt zu Tage liegt. Die Auflosung des Vintrodentins erfolgt sehr rasch in stark mit Salz- saure versetztem Wasser. Einen Einblick in die Art und Weise wie diese Auflosung erfolgt, kann man dadurch gewinnen, dass man einen dunnen Schliff unber dem Mikroskop in sehr schwach angesauertem Wasser langsam entkalkt. Die Rindenschichte zer- fallt dann nach Entfernung der Kalksalze in lauter kleine cubische, fettig glanzende Stuckchen , welche oft in Saulen zur Oberflache angeordnet sind. Diese runden sich nach und nach ab; die so. entstehenden Kiigelchen werden kleiner und kleiner, indem von der Oberflache aus ihre Substanz gleichsam wegschmilzt. Es bleibt schliesslich nur ein geringer Rest einer ganz durchsichtigen, fein- kornigen Substanz zuriick und auch diese lost sich, wenn man noch concentrirtere Salzsaure einwirken liisst, fast ganz auf. Urn bei der Entkalkung von Zahnen, die organischen Bestandtheile der Rindenschichte zu erhalten, ist es in gleicher Weise, wie wir dies fur die Entkalkung der Placoidschuppen empfohlen haben, zweck- massig, die Salzsaure nicht mit Wasser, sondern mit verdiinntem Spiritus zu versetzen. Die Einwirkung der Siiure wird hierdurch ermassigt; sie wird fast vollig aufgehoben, wenn man an Stelle von verdiinntem absoluten Alcohol nimmt. Ein ahniiches Verhalten zeigt die Rindenschichte gegen starke Chromsaurelosungen. Ausser den angefuhrten physicalischen und chemischen Ver- schiedenheiten besitzt endlich das als Vitrodentin beschriebene Gewebe auch noch einige sehr charakteristische morphologishe Unterschiede vom Dentin. Auf einem Schliffe erscheint es wie dieses horaogen (Taf. XIII 4 u. 7); nach vorsichtiger in der ge- Bd. VIII. N. y. I, 3. 24 370 Oscar Hertwig, schilderten Weise vorgenommener Entkalkung indessen zeigt es einen feinfaserigen Bau. Die Fasern lassen sich isolirt dar- stellen, wenn man von einem in Spiritus mit Salzsaure langsam entkalkten Zahne die railchweise Substanz auf der Oberflache ab- streift (Taf. XIII Fig. 2). Am besten nimmt man hierzu Unter- kieferzahne von Scymnus Lichia, deren schneidender Rand mit klei- nen nur aus Vitrodentin bestehenden und zur Untersuchung daher vorzUglich geeigneten Zackchen besetzt ist. Dieselben zerfallen beim Zerzupfen oder Klopfen auf das Deckglas in einzelne, kleine, 0,004 Mm. breite Biindel. Diese bestehen wieder aus lauter fei- nen parallel angeordneten Nadeln oder Fasern, die sich zum Theil bei langerem Zerzupfen auch isolirt darstellen lassen. Die Enden der Nadeln sind zugespitzt und ragen aus den Biindeln vereinzelt hervor. Bei Zusatz von verdiinnter Salzsaure zur Unter- suchungsfliissigkeit unter dem Deckglaschen zerfallen die Biindel in fett glanzende Stiickchen, die allmahlig in der schon beschrie- benen Weise wegschmelzen und nach ihrer Autlosung nur einen geringen feinkornigen Riickstand iibrig lassen. Auf Schnitten durch vorsichtig entkalkte Zahne sieht man die Fasern zur Ober- flache meist senkrecht stehen, zuweilen aber auch schrag geneigt verlaufen. An den Schnittpraparaten findet man auch Stellen, wo die Nadelbiindel wahrscheinlich in Folge starkerer Einwirkung der Salzsaure in unregelmassige durch die Spirituseinwirkung kriimlig erscheinende Stuckchen zerfallen sind. Diese liegen hintereinan- der aufgeschichtet und sind durch schmale hellere Zwischenraume von einander getrennt (Taf. XIII Fig. 1). Nachdem wir in dem geschilderten faserigen Bau das haupt- sachlichste morphologische Unterscheidungsmerkmal zwischen Den- tin und Vitrodentin kennen gelernt haben, bleiben nur noch einige Structurverhalnisse untergeordneterer Art von ihm zu erwahnen iibrig. Auf seiner Oberflache wird das sogenannte Vitrodentin von einer festen Mem bran (Taf. XIII Fig. 1. 5. 8) bedeckt, welche man an vorsichtig macerirten Zahnen mit der Nadel abziehen und isoliren kann. Sie zeichnet sich besonders durch ihre Widerstands- fahigkeit gegen die verschiedensten Reagentien aus. So lost sie sich weder noch erleidet sie iiberhaupt eine betrachtlichere Ver- iinderung in kalter wie in erwiirmter Natronlauge und widersteht in gleicher Weise einer concentrirten Salzsaurelosung. Sie stimmt hierin mit dem Schmelzoberhautchen der Siiugethierzahne iiberein, von welchem Kollikek in seiner Histologie gleiche Eigenschaften angiebt. Bei mikroskopischer Betrachtung konnte ich auf der Ueber Bau und Entwickelung der Placoidschuppen u. s. w. 371 Oberflache der Membran weder eine zellige Zeichnung noch audi Spuren von Kernen wahrnehmen. Auf Schnitten zeigt die Mem- bran doppelte Contouren, doch findet man sie meist inFetzen von der Zahnoberflaclie abgehoben. Die untere Begrenzung der Rindenschichte nach dem Dentin zu ist sowohl auf Schliffen als audi besonders auf Schnitten deutlich zu erkennen und findet niithin keineswegs ein allmiihliger Uebergang, wie Owen beschreibt, zwischeu beiden Substanzen statt. Die Trennungslinie beider ist nirgends glatt, sondern in hohem Grade unregdmassig (Taf. XIII Fig. 7. 8. 4. 5. 6 X). Die Ober- flache des Dentins ist namlich niit lauter Zacken besetzt und diese sind wieder feiner ausgefasert. Am besten erkennt man diese Ober- flachenbeschaffenheit des Dentins an in Carmin gefarbten Schnitten, an denen durcli Einwirkung starkerer Salzsaurelosung die Rinden- schichte zuni Theil oder ganz gelost worden ist. Wenn die Aus- faserung sehr tief und fein ist, wie z. B. an den schneidenden Ran- dern oder an den Spitzen der Unterkieferzahne von Scymnus Lichia, so gibt die Grenzgegend ein ziemlich verworrenes und je nach der Richtung des Schnittes oder Schliffes etwas verschiedenartiges Bild, indem man Querschnitte von Zacken oder deren Fasern als vom ubrigen Zahnbein anscheinend losgeloste Stuckchen mitten in der Rindensubstanz antrifft. Ein weiteres Structurelement der Rindenschichte bilden zahl- rdche feine Rohrchen (Taf. XIII Fig. 4. 5. 7. 8). Sie sind so- wohl an Schliffen als dunkle mit Luft erfullte Kanalchen, als auch mit gleicher Deutlichkeit an Schnitten durch entkalkte Zahne als feinste Rohrchen mit einer besonderen festeren Wandung wahr- zunehmen. Sie sind die Fortsetzungen und die feinsten Endastchen der Zahnbeinrohrchen. Bei Mustelus laevis verlaufen sie parallel und dicht neben einander bis zur festen Grenzmembran der Ober- flache. Wie sic dort endigen, vermag ich nicht anzugeben. Bei Scymnus Lichia zeigt die verhaltnissmassig miichtiger entwickelte Rindenschichte besonders an den zugeschiirften und mit Zacken besetzten Seitenrandern der grosscn Unterkieferzahne complicirtere Verhaltnisse (Taf. XIII Fig. 7). Hier findet man namlich an der Grenze von Zahnbein und Rindenschichte in letzterer ausser den Rohrchen noch dicht beieinander kleine Hohlraume, die von Owen als cellules calcigeres bereits beschricben worden sind. Weitcr nach Aussen konimen sie nur vereinzelt und seltner vor und fdilen ganz in den oberflachlichsten Lagen. Da die Ilohlriiume an gc- trockneten Ziihnen Luft fuhrcn, so bilden sic an dickeren Schliflen 24* 372 Oscar Hertwig, einen dunklen Streifen zwischen Zalmbein und hellerer Rinden- schichte. In ihrer Gestalt sind die Holilraume sehr unregelniassig, oft langgestreckt, oft kiiglig, oft tief ausgezackt (Taf. XIII Fig. 7 s); im Allgemeinen kann man sie, was ihre Form betrifft, mit Kno- chenkorperchen vergleichen. Untereinander hangen sie durch ein Netzwerk von groberen und feineren Auslaufern zusammen. Die Zahnbeinrohren , welche bis zur Dentingrenze eine ansehnliche Starke beibehalten haben, treten mit ihrem Ende oder mit Seiten- asten von imten in sie ein, zum Theil dringen sie aber auch mit feinsten Endrohrchen in grader Richtung direct bis zur Zahn- oberflache vor. Von dem peripheren Ende der knochenkorper- artigen Hohlraume gehen gleichfalls Auslaufer aus, die ihre feinen Endzweige bis zur Oberflache schicken. In den oberflachlichen Lagen der Rindenschichte sind die Rohrchen sehr fein und ver- laufen alle einander mehr oder minder parallel und in ziemlich gleichen Abstanden von einander. Hierdurch entsteht ein Bild, als bestande die oberflachlichste Schichte des Zahns aus aneinander gereihten Saulen oder Prismen. Was den Inhalt der vorhin er- wahnten Hohlraume betritft, so bemerkte ich an entkalkten und in Carmin gefarbten Schnitten nur eine feinkornige Substanz in denselben, aber keine Zellkerne. Wahrscheinlich werden in ihnen die in den Zahnbeinkanalchen verlaufenden Auslaufer der Odonto- blasten (Pseudopodien vergleichbar) zusammenfliessen und so Proto- plasmaanhaufungen bilden, von denen dann welter Fadchen in die Rohrchen der Rinde ausstrahlen. Nachdem wir in den vorhergegangenen Blattern ein ziemlich vollstandiges Bild von den Eigenschaften und dem Bau der Rinden- schichte der Selachierzahne erhalten haben, drangt sich uns die Frage auf, welcher der Substanzen vom Zahn der hoheren Thiere dieselbe entspricht ? Bei Beriicksichtigung aller angefiihrten That- sachen konnen wir nicht eine besondere Modification des Dentins, wie es Owen that, in ihr erblicken, vielmehr geht aus Allem ihre Schmelznatur klar genug hervor. Zu den schon bei Beurthei- lung der Rindenschichte auf den Placoidschuppen geltend gemach- ten Grunden, in welchen wir die physicalische und chemische Uebereinstimmung hervorgehoben haben, hommt hier noch als weiteres fiir die Schmelznatur der Rindenschichte sprechendes dem morphologischen Bau entlehntes Moment ihre Zusammensetzung aus deutlich wahrnehmbaren Fasern oder Schmelznadeln. Zwar konnen dieselben wegen ihrer grossen Feinheit nicht ohne Weite- res als denSchmelzprismen der Saugethierzahne entsprechende Ueber Bau und Entwickelung dcr Placoidschuppen u. 6. w. 373 Structurelemente aufgefasst werden; dagegen scheinen sie mir Theilen von Prismen, namlich feinsten Fasern gleichwerthig zu sein^ in welche auch die Prismen der Saugethierzahne bei geeigneter Behandlung sich zerspalten lassen, wie ich aus einigen in der Literatur vorgefundenen Angaben schliessen zu diirfen glaube. So erwahnt Wenzel in seinen Untersuchungen liber das Sclimelzorgan und den Sclimelz '), dass an jungen Schmelzprismen des Schweins sich ausser den Querstreifen auch feine zum Theil sehr deut- liche Langsstreifen vorgefunden hatten und dass bei Isolations- versuchen die Prismen leicht in verschieden geformte, oft zuge- spitzte Fasern zersplittert waren. An einer andern Stelle be- schreibt er, wie bei Isolation der Schmelzprismen von einem alten Pferdezahn, der mehrere Tage in sehr verdunnter Salzsaure ge- legeii, er „ausser sehr schon quer gestreiften und sehr fein langs- gestreiften Prismen auch sehr viele feine, beiderseits zu- gespitzte langere oder kiirzere, gerade Nadeln von Schmelz gefunden hatte." Er vermuthet, dass die letzteren „durch den Zerfall der Prismen ihren Langsstreifen entspre- chend entstanden sind." Nach diesen Beobachtungen und nach dem Verhalten des Schmelzes an den Selachierzahnen, glaube ich, wird die oben ausgesprochene Vermuthung von einer noch weite- ren Spaltbarkeit der Schmelzprismen von Saugethierzahnen gerecht- fertigt erscheinen und zu einer weiteren Prufung dieses Gegen- standes autibrdern. Wahrscheinlich wird sich dann auch die Uebereinstimmung, welche im chemischen imd physicalischen Ver- halten zwischen Schmelz und Vitrodentin herrscht, auf den histo- logischen Bau beider noch weiter ausdehnen lassen. Ein Punkt bedarf jetzt noch einer niiheren Erklarung, nam- lich die Frage, ob das Vorkommen von Rohrchen in der Kindeu- schichte einen Grund gegen die Schmelznatur derselben abgeben kann. Owen wenigstens scheint hauptsachlich hierdurch mit be- stimmt worden zu sein, da er vorzugsweise nur Schliffe untersucht hat, in der liindenschichte eine besondere Modification des Dentins zu erblicken. Fiir uns kann nun den anderweiten Thatsachen gegen- iiber diese Erscheinung nicht den geringsten Grund abgeben, irgendwie an der Schmelznatur der Rindenschichte zu zweifeln. Dies wird aber noch weniger der Fall sein, wenn wir sehen, dass das hier geschilderte Eindringen von Dentinrohrchen in den ]) ^\ENZEL, Uiitersuchuiigeu uber das 8climelzorgcin luid deu Schmelz. Archiv d. Hlkde 1868. 3,74 Oscar Hertwig, Schmelz als Schraelzrohrchen keine bei den Selachiern vereinzelt dastehende Erscheinung ist. So beschreibt Tomes'), dass bei den Beutelthieren im Schmelz der Ziihne Kaniilchen Fortsetzimgen der Zahnbeinrohrdien in ebenso reicher Entwickelung als im Den- tin selbst vorkommen. Wie bei Scymnus Lie hi a, so erweitern sich nach ihm die Zahnbeinrohrchen bei Makropiis giganteus, wenn sie in den Schmelz eingetrcten sind , sogar „in mehr oder weniger ovale oder konische Zellen, aus denen sie dann iliren Lauf wciternehmen uiid in zarten Schlangelungen dem Laufe der Schmelzprismen folgen" '^). Das Eindringen von Dentinrohrchen in den Schmelz auf eine kleine Strecke hat Tomes ^) weiter noch bei einzelnen Nagethieren, Scinrus erythropus bei Jerboa Aegypteus, fernerhin Spitz man sen, Hyrax und gelegentlich auch beim Menschen beobachtet. Fiir den Menschen und manche Saugethiere bestatigt auch Kolmker das Vorkommen von Schmelz- rohrchen und zeichnet in einer Abbildung in seinem Handbuch der Gewebelehre auch ein Eindringen derselben in grossere Hoh- lungen *). Entsprechend der Beurtheilung der Rindenschichte des Zahns als Schmelzschichte werden wir auch das auf seiner Oberflache nachgewiesene Hautchen als S c h m e 1 z o b e r h a u t c h e n bezeichnen. Ueber die histologische Beschaftenheit des in der Schleim- haut festsitzenden unteren Theils des Zahnes konnen wir uns kurz zusammenfassen (Taf. XIII Fig. 8 C). Derselbe zeigt in gleicher Weise, wie wir dies fiir die Basalplatten der Placoidschuppeu beschrieben haben, eine Verbindung einer homogenen Grundsubstanz mit bindegewebigen Elementen. Bei Mustelus laevis ist sogar auch die Basis des Zahnes plattenartig wie bei den Placoidschuppeu verbreitert. In die homogenc Grundsubstanz derselbeii dringen Bindegewebsbundel in horizontaler und verticaler Richtung ein und 1) Tomes, Philosophical Transactions of the royal society. Jahrg. 1849. Seite 404. 2) NobcuLei sci hior noch erwahnt, dass nach Tomes auch die Schmelz- prisnien in den Zahnen der lueisten Beiitelthiere so inuig vereint sind, dass ihre Iiidividuaiitut verloren gcgangeu ist und man daher die Durchmesser uicht bestiuimen kanii ; wieder eine Thatsache, die auch im Sclimelz der >Selachier- zilhne angctroiien wurde. 3) Tomes, Philos. Trans. 1850. B. 11. 4) Waldeyee und Uektz laugnen zwar ein Eindringen der Zahnbeinrohr- chen in den Schmelz ; doch erscheineu die Griinde, aus welchen Waldeyee ver- muthet, dass Tomes und Kollikee durch Trugbilder sich hiitten tiiuschen lasseu, nainentlich den Abbilduugen Tomes gegenuber weuig gerechtfertigt. Ueber Ban und Entwickelung der Placoidschuppcn u. s. w. 375 kreuzen unci durchflechten sich in derselben. Zcllen kommen in diesem Gewebe selbst nicht vor, dagegen linden sicb an der Un- terseite der Platte zwischen den Bindegewebsbiindeln sterntormige Zellen, welche mit kurzen Ausliiufern eine Strccke weit in den Fuss des z'abns eindringen. Wir betracbten dieses Gewebe als ein Homologon des Zahn cements der hoberen Thiere, von wel- cheni cs allein diirch die Abwesenheit von eingeschlossenen Zellen (Knochenkorperchen) unterscbieden ist. Wie geringfiigig dieser Unterschied ist, gelit aus der weiten Verbreitung von Knodien ohne Knocbenkorpercben bei niedercn Thieren bervor. In dem Mangel von Zellen erklicken wir demgemiiss nur eine niedrigere Entwicklungsstiife des Cements. Die Wcicbtheile des Zabnes , den Inbalt der Pulpa und der Dentinrobrcben babe icb allein bei. Mustelus laevis untcrsucht- Man erkennt bier zweierlei Artcn von Zellen in der Pulpa. Die eine Art besitzt kleine runde oder unregelniiissig gestaltete Kerne, die von etwas kornigem Protoplasma umgeben werden und deren durcbscbnittlicbe Grosse 0,004 Mm. betriigt. Die so bcscbaffenen Zellen liegen besonders in den mittleren Tbeilen der Pulpa baufen- weise beisammen (Taf. XIII Fig. 8 und 11 y) und geboren dem Bindegewebe derselben an. Auf der Oberfliicbe der Papillc scbmie- gen sie sicb plattenartig ansgebreitct dem Zabnbcin an und scbei- nen bier etwas grossere Kerne zu besitzen. Die zweite Art von Zellen zeicbnet sich durcb sebr grosse ovale Kerne von 0,016 Liinge und 0,000 Breite aus (Taf. XII Fig. 8 und 11 x und Fig, 12). Sie bnden sicb nur in den oberflacblicben Tbeilen der Papille, wo sic locker neben und zu mehreren bintereinander liegen, gewohnlicb aber in Haufen um die Miindungen grosscrer Dentinrohren gruppirt sind. Bindegcwebszellen mit kleincn Kernen liegen mitten zwischen ibnen. Um den ovalen mit dem eiuen Pol der Zabnobertlacbe zu- gericbteten Kern bemerkt man etwas Protoplasma, von dem man in giinstigen Fallen einen sebr langen feinen peripheren Auslaufcr entspringen und in ein Dentinrobr eindringen siebt. Aucb ceutrale Fortsatze glaube icb an einigen bemerkt zu baben. Diese zweite Art Pulpazellen gleicbt in ihrer Form und durcb den Besitz lauger in das Dentin eindringender Auslauler vollkommen den Odonto- blasten in den Zabnen boberer Tbiere. Sie weichen von ibnen nur darin ab, dass sie entsprecbcnd der besondcren Ursprungs- und Verlaufsweise der Dentinrobren zerstreut liegen und nicbt nebeneinandcr stehend zu eiuer Art von Cylindcrepithel angeord- net sind. 376 Oscar Hertwig, Die netzformig verzweigten Mark oder Haversischen Kanale (Taf. XII Fig. 8 H) der Zahnbasis sind wie die Pulpa mit beider- lei Zellenarten gefullt mid konnte ich hier ofters in Kanalen, die uur wenige Zellen enthielten. lange Fortsatze von einzelnen Odonto- blasten schon isolirt auf weite Strecken verfolgen. Auf Taf. XIII Fig. 12 sind solche Zellen abgebildet. Als Inhalt der grosseren Dentinrohren kann man Protoplasmafaden und vereinzelte zellige Bestandtheile unterscheiden. In ein einzelnes Rohr dringt von der Papillenoberllaclie von den daselbst gruppenweise beisammen- liegenden Odontoblasten ein ganzes Bundel von Protoplasmafaden ein und verleihen ihm ein deutlich gestreiftes Aussehen. Nacbdem sie gemeinschaftlich eine Strecke in demselben zuriickgelegt baben, vertheilen sie sicb auf die einzelnen von ibm entspringenden Neben- astchen. Ausser diesen Protoplasmafaden und zwischen ihnen findet man in den grosseren Dentinrohren noch beide Arten von Zellen vor, welche wir schon als Bestandtheile der Pulpa beschrie- ben haben (Taf. XIII Fig. 8 u. 11 a Fig. 10 «). Odontoblasten liegen nur hie und da sehr vereinzelt in dem weiten Anfangstheil eines Dentinrohrs neben den vorbeiziehenden Ausliiufern der an der Miindung liegenden Odontoblastengruppe. Welter verbreitet ist die andere Art der kleinkernigen Bindegewebszellen (Taf. XIII Fig. 8. 9. 11 u. V5 ^). Diese linden sich auch noch in den gros- seren Seitenasten der von der Pulpa entspringenden Dentinrohren. Sie bilden Protoplasmaanhaufungen mit einer Anzahl sehr kleiner 0,003 Mm. grosser Kerne. Entweder folgen sie dem Verlaufe der Zahnbeinfasern , oder sie bilden eine membranartige Bekleidiing der Rohrenwand auf kurze Strecken. Besonders haufig bemerkt man sie an der Gablungsstelle eines sich theilenden Rohres. Durch diese zelligen Bestandtheile charakterisiren sich die von der Pulpa entspringenden Rohren und ihre starkeren Nebenaste als Theile und Fortsatze der Pulpahohle. Erst die von diesen sich abzwei- genden feineren Rohrchen, welche nur Fasern enthalten , sind eigentliche Dentinrohrchen und den im Zahnbein hoherer Thiere sich vortindenden Kaualchen homolog. Wenn wir das uber den Bau der Selachierzahne Gesagte kurz zusammenfassen, so gelangen wir zu einem Endergebniss, welches im Grossen und Ganzen mit dem bei der Untersuchung der Pla- coidschuppen erhaltenen vollig ubereinstimmt. Wie die Placoid- schuppe, so besteht auch der teste Theil des Zahns aus 3 Geweben: aus Dentin, Schmelz und Cement. In seinem Inneren enthalt er entweder eine einfache mit der Pulpa Deber Bau unci Entwickeluiig der Placoidschuppen u. s. w. 377 crfiillte Hohle, oder an Stelle derselben ein Blutgefasse und Zellen fiihrendes Kanalnetz. Sowohl die festen als audi die weichen Zahiigewebe zeigen in ahnlicher Weise wie die Placoidschuppen. eine Reihe von Eigenthiimlichkeiten , welche sie von den gleichen Theilen der hoheren Thiere in mancher Beziehung untersclieiden und sie als besondere Modificationen und niedrigere Entwickelungs- stufen derselben erscheinen lassen. So unterscheidet sich das Dentin der Selachierzahne von dem der Siiugethiere durch die Vertlieilung und baumformige Verastelung und durch die auffallen- den Grossendiiferenzen seiner Rohren und Rohrchen, sowie ferner nieist auch durch den Mangel einer besonderen Pulpahohle und durch den dieselben ersetzenden Besitz blutgefassfiihrender Kaniile. Der Schmelz der Selachierzahne charakterisirt sich als eine be- sondere Modification des Zahnschmelzes durch den Mangel deut- lich unterscheidbarer Prismen und durch das Auftreten zahlreicher bei den Saugethieren in geringerem Maasse entwickelter Schmelz- rohrchen in ihm. Das Cement endlich erscheint als eine niedrigere Entwickelungsform des Cements am Zahn der Saugethiere dadurch, dass es keine Knochenkorperchen enthalt. Die Pulpa, wo sie vor- konimt, unterscheidet sich durch den Mangel einer epithelartigeu Anordnung der Odontoblasten, einer Elfenbeinmcmbran (Mcmbrana eboris). II. Eiitwickelung der Ziiline. Indem wir uns jetzt zur Entwickeluug der genannten Zahn- gewebe wenden, lassen wir der Mittheiluug unserer Beobachtungen wieder ein kurzes Resume von den Untersuchuugen alterer Beob- achter vorausgehen. Die ausfuhrlichsten Angaben verdanken wir auch hier den Arbeiten Owen's. Dieser beschreibt, wie bei jungen Haifischembryonen beim ersten Anblick die Kiefer zahnlds er- scheinen, an der inneren Seite des Ober- und Unterkiefers aber dem Rande derselben parallel eine tiefe Furche sich zeigt. Dieselbe soil sich zwischen der den Kieferknorpei iiberziehenden diinnen und glatten Menibran und einer ihr auflicgenden Schleimhautfalte befinden. Wenn man letztere.zuriickschlagt, soil man sehen, wie ihre vordere Laraelle an der Basis des Kiefers mit der den Knor- pel bekleidenden Membran zusammenhangt. Auf dieser sollen in der so gebildeten ziemlich tiefen Rinne die Ziihne aus freien Pa- pillen in mehreren Reihen hintereinander entstehen; die Spitzen der Ziihne sollen nach riickwiirts nach dem Grund der Grube zu gerichtet sein und in klciiien Aushohlungen oder Eutteralen der 378 Oscar Hertwig, ihnen aufliegenden Schleimhautfalte steckeii. Aus den Futteralen sieht man die Zahnspitzchen beim Zuriickschlagen der Falte, w(;lche Owen dieser Verrichtuiig wegen Deckmembran nennt, her- ausschliipfen. Die iiltesten Zahnanlagen liegen nacli Owen dem Kieferrand am nachsten, die jUngsten dagegen im Grunde der Rinne. Bei starker Vergrosserung untersucht, sollen die noch nicht ossitizirten Papillen aus Zellen iu eincm klareii Cytoblastem bestehen und von einer haiitigen durchsichtigcn Membran bedeckt sein. Mit einer Ablagerung erdiger Theile in dieser Membran soil die Bildung des Zahnbeius beginnen und ^war soil aus ihrer Um- wandlung das sclimelzartig glanzende und sehr teste Vitrodentin entstehen. Wie Owen, so giebt audi Leydis und Kolliker an, dass sich die Zahne bei den Plagiostomen in Furclien der Kieferrander auf freien Papillen entwickeln, ohne je in Zalinsiickchen einge- schlossen zu werden. Aus dieser Thatsache erklaren sie den Mangel von Schmelz auf den Haifischzahnen. Nach der gegebencn Darlegung der Angaben anderer, wende ich niich zu meinen eigenen Beobachtungen, welche in den meisten Punkten zu ganz abweichenden Ergebnissen gefiihrt haben. Uni die Entwickelung der Ziihne von Anfang an zu verfolgen muss man zu noch jungeren Embryonen greilen als zur Beobach- tung der Schuppenbildung ertorderlich waren. Der jtingste zur Untersuchung dienende Embryo war ein 8 Cm. langer Acanthias vulgaris, der noch aussere Kiemen besass. Bei der Betrachtung eines losgclostcn Kiefcrs bei schwacher Vergrosserung sieht man nahe seinem Ausscnrande zwei Furchen einander parallel verlaufen. Die aussere und tiefere Furche liegt an der Aussenseite des Kie- ferknorpels und trennt ihn von derLippe, einer weit vorspringeu- den Hautfalte. Die innere Furche dagegen ist sehr Hach und liegt an de'r Innenseite des Kiefers. Wir werden sie in Uebereinstim- mung mit der in der Saugethierzahnliteratur gebriiuchlichen Ter- minologie Zahnfurche nennen. Ziihnchen oder deren Anlagen sind in derselben nicht wahrzunehmen. Durch Anfertigung senkrechter Durchschnitte durch den Kiefer erhalten wir weitere Aufschliisse. Wie auf Taf. XIII Fig. 16 dargestellt ist, dringt von dem Boden der tiachen Zahnfurche cine Epithelwucherung in das den Kieferknor- pel ub(!rziehende embryonale Bindegewebe. Zu ihrer Aufnahme ist der Kieferknorpel in seinem oberen Theile tief ausgekehlt und stark verdiinnt. Die Epithelwucherung besitzt auf eiuem scnk- rechten Durchschnittsbild die Form eines leiclit gekriimmten Za- pfens Oder Kolbens. Auf einer Reihe von Durchschnitten erhalten Ueher Ban unci Entwickelung der Placoidschuppen u. s. w. 379 wir stets dasselbe Bild. Es folgt hieraus, dass, wenn wir uns die Form der Epithelwucherung korperlich vorstellen, nicht gesonderte Zapfen, sondern eine zusammeiihangende Epithelleiste an der Innen- seite des Iviel'ers von dem Boden der Zahnfurclie in die Ticfe dringt. Durch Anfertigung horizontaler Sclinitte durch den Kief er kann man sich noch weiterhin leicht von dieser Form der Epithelwucherung direct uberzeugen. Die der Schleimhaut zuniichst liegenden Zellen der Leiste sind prismatisch und bilden eine einschichtige zusammen- hangende Lage, welche die directe Fortsetzung der untersten pris- matischen Zellenschicht des Schleimhautepithels ist. Wie dieses werden sie auch durch eine Basahnembran von dem unterliegenden Bindegewcbe getreunt. Das Innere der Leiste wird von dtinnen und phitteu Epithelzellen ausgefullt. An der Aussenseite dieser Leiste, also mitten im Schleimhautgewebe und nicht in einer Rinne als freie Papillen entstehen bei etwas iilteren Embryonen die Zahn- anlagen (Taf. XIII Fig. 14). Die gegebene Beschreibung weicht von den mitgetheilten Untersuchungen von Owen, Leydig und KoLLiKER ab, welche an Stelle der von uns beobachteten Epithel- leiste an der Innenseite des Kieferknorpels eine tiefe Furche und eine hohc Schleimhautfalte als Deckmembran auf den jiingsten Zahnanhigen beschrieben haben. Die genannten Schriftsteller liaben ein Kunstprodukt bei der Untcrsuchung geschaffen und beschrie- ben, indem sic die Epithelleiste in zwei Halften zerrissen haben, wahrscheinlich um die jungen Zahnchen zu erblicken. Wie nahe war Owen in der Erkenuung des wirklichen Sachverhaltes, als er beschrieb, wie er die Falte vom Kiefer weggezogen und die Zahn- chen aus Gruben und Futteralen derselben habe herausschlupfen sehen. Es ist in der Erkenntniss der Entwickelung der Selachier- zahne wie mit der Entwickelung der Siiugethierzahne zugegangen. Auch hier sollten zunachst freie Papillen in einer tiefen Sclieim- hautfurche nach Goodsir entstehen, bis zuerst Kollikeu die wahren Verhaltuisse aufdeckte. Ueber die Entstehung der einzelncu Zahnanlagen an der Aus- senseite der Epithelleiste (Taf. XIII Fig. 14) und iiber die Bilduug der verschiedenen Zahngewebe konncn wir uns ziemlich kurz fas- sen, weil von hier ab die J^ntwickelung der Zahne jener der Pla- coidschuppen vollkommen gleicht. Nur bei den Stadien, die uns hier fiir die Beurtheilung der Entstehung der Zahngewebe iiber- zeugendere Bilder geliefert haben , werden wir etwas langer ver- weilen. Wie die Placoidschuppenanlagc , so entsteht die Anlage der 380 Oscar Hertwig , Zahne gleich von Anfaiig an unter Betheiligung zweier Zellenarten, von denen die eine epithelialer Natur ist und dem oberen Keim- blatt entstammt, wahrend die andere dem mittleren Keimblatt angehort. An der Aussenseite der PJpithelleiste bildet sich zu- naclist diirch Wucherung unter der Basalmembran liegender Zel- len ein kleiner Htigel. Derselbe setzt sich gegen das embryonale Scbleimhautgewebe, weil dieses sehr zellenreich ist, nicht so scharf ab , wie wir dies fiir die Schuppenanlage beschrieben habcn. Gleichzeitig hat die iiber den Hiigeli ziehende Epithelzellenschicht etwas an Hohe zugenommen. Die beiden Theile der Zahnanlage belegen wir mit denselben Namen , welche wir bereits fiir gleiche Theile der 'Schuppenanlage eingeflihrt haben. Den Zellenhiigel werden wir daher fortan Dentinkeim, die ihn iiberziehende Epithellage Schraelzmem'bran nennen. Der unter der Schmelz- membran liegenden diinnen structurlosen Haut den Namen m e m - brana praeformativa zu geben, wie es die fiir die Entwicke- lung der Saugethierzahne gebrauchliche Terminologie erfordern witrde, unterlassen wir und halten an dem Namen Basalmem- bran fest. Denn einestheils driickt derselbe am besten die Be- ziehungen, Wesen und Herkunft des Hautchens aus, anderntheils vermeiden wir dadurch einen schlecht gewahlten Ausdruck, der schon zu manchen Streitigkeiten unter den Histologen geftihrt hat. Die Basalmembran ist hier meist nicht mit der Deutlichkeit, wie an einer Schuppenanlage wahrzunehmen; von ihrer Anwesenheit kann man sich indessen durch Behandlung eines Schnittes mit Natronlauge vollkommen sicher iiberzeugen, indem hierbei die Membran scharfer hervortritt, Besonders anzuempfehlen ist es den Concentrationsgrad der Natronlauge wahrend der Anwendung durch Wasserzusatz mehrfach zu verandern. Bei der Weiterentwickelung wuchert der Dentinkeim in Form einer Papille in die Epithelleiste hinein. Dabei ist seine Spitze nach der Basis des Kieferknorpels hin gerichtet. Ueber einer vollig entwickelten Papille bildet die Schmelzmembran ein prachtiges Cylinderzellenepithel von 0,03 Mm. Hohe mit sehr grossen im peripheren Ende der Zellen gelegenen Kernen. Unter peripherem Ende der Schmelzzelle verstehe ich hierbei den von der Basal- membran abgewandten und dem Inneren der Epithelleiste zuge- kehrteu Abschnitt, unter Basis der Schmelzzelle aber den der Ba- salmembran aufsitzenden Theii. Ich muss dies erwahnen, weil man in der Saugethierzahnliteratur die Bezeichnungen umgetauscht hat. Hand in Hand mit der Grossenzunahme der Schmelzzellen ist auch Ueber Ban nnd Entwickelung der Placoidschuppen u. s. w. 381 in ihrem Inhalt jene schon bei der Schuppenanlage beschriebene Differeiizirung in einen basalen homogeneren in Carmin sich niclit farbenden, und in einen peripheren protoplasniareicheren Abschnitt eingetreten. Die glasig glanzende Beschaffenlieit des ersteren tritt indessen hier weniger hervor. Anmerkung. Dio Yeraiiderungen, welche wir im Inhalt der Sclimelz- zellen sownlil der Sdiuppeii als audi der Zahnaidage voii Haifisdieu besdirie- ben haben, siud von einer Anzahl Beobachter auch an den Schmelzzellen der Zahuanlage vou haugethiereu beobachtet, aber verschieden gedeutet worden. Um das von uns Gesehene mit auderweit bekannt, Gewordenem in Beziehung zu set?:eD, stelle ich die bezliglichen Angabeu hier kurz zusamnaen. So beschreibt Hertz '), dass man an C'hromsaurepraparateu sehr oft zwischen den Sdimelz- prismen and Zellen eine mehr homogene helle schniale Zone antrifft. Diese belle Zone, welcbe die Schmelzzelle von dem Prisma zu trenuen scheint, glaubt er als eiuen von dem iibrigen stark kornigem Inhalt cheraisch ditferenten Theil der Schmelzzellen auffussen zu miisseu, als eine Vorbereitungsstufe des dem ausgebildeten Schmelz zunadist gelegenen Theiles des Zellenprotoplasma fiir den spateren Verkreidungsprocess. Die praeformirte Schicht soil in die ein- zeln nebeneinander liegenden Zellen verschieden tief herabgreifen. Aehnliche differente Abschnitte schildert Wenzel^): „Das Schmelzende der Zellen ist blasser und homogener geworden : oft hangen an diesem Ende Stiickchen vou Schmelz oder ein anders das Licht brechender, kurzer Aufsatz. In ('hrom- siiure aufbewahrt, zeigen die Zelleu am Schmelzende deutlicher die anders das Licht brechende Zone (weun sie vorhanden ist) und diese setzt sich bald ohne, bald mit ziemlich scharfer Grenze gegen den ubrigen Zellkorper ab. Mitunter sieht man auch eiuen hellen, wie Schmelz glanzenden Streif an der Seiten- llache der Schmelzzellen eine kurze Strecke abwarts gehen. Bisweilen gelingt es, an ganz frischen Schmdzorgauen auf der Mosaik der Cylinderzellen ein das Licht starker brochendes, homogenes Netzwerk zu erhalteu, dessen Faden den Grcnzen der Schmelzzellen eutsprechen." KoLLMANN*) beschreibt den differenzirten Abschnitt als Membran. Nach ihra besitzen die Zellen sehr dicke Seitenmembranen. Auch an ihrem freien, d. h. dem Dentin zugekehrten Ende sollen sie eine Membran besitzen, die an Deutlichkeit nichts zu wlinschen iibrig lasst und die er Deckel der Schmelz- zellen nennt. Die Deckel sollen mit dem Schmelz sehr fest verklebt sehi. Auch KoLLiKER bestatigt , dass vom Schmelz abgehobeno Zellen an ihrem freien Ende ein verschiedenes Verhalteu zeigen und zwar haufig grossere oder kleinere helle Auflagerungen von derselben Breite wie die Zellen besitzen. P> halt sie fiir Kuusterzcugnisse , d. h. fiir zufallig losgerissene Theile noch un- ausgebildeter Schmelzfasern. AUe Beobachter, scheint es, haben dasselbe Structurvcrhiiltniss vor Augen gehabt, welches von uns (besonders deutlich an den Schmelzzellen der Schuppen- 1) ViRCHOw's Archiv Bd. 37 S. 294. 2) Untersuchungen iiber Schmelzorgan und Schmelz. Inaugural -Diss. Leipzig 1867. S. 7. Archiv d. Hlkde. 1868. 3) KoLLMANN, Sitzungsberichte d. Munch. Acad. 1869. Ueber das Schmelz- oberhautchen oder die Mcmbr. praeformativa. 382 Oscar Hcrtwig, anlage der Haifische) auf Schnitten beobachtet worden ist. In ihren Deutungen weichen sie aber sehr von einander ab. Die Auffassuug von Hertz stimmt am meisten mit der von uns bereits friiher vorgetrageuen iiberein , insofern er namlich auch einen behufs der Schmelzbildung cliemisch different gewordenen Zellenabschnitt in den veranderten Theilen erblickt. Dagegen weichen wir von ihm darin ab, dass wir keine Umwandlung der Zellen in den Schmelz, sondern eine Ausscheidung desselben durch die formative Thatigkeit der Zellen an- nehmen. Vielleicht tragen die mitgetheilten Thatsachen und die beigefiigten Bilder zur Klarung dieses in der Zahnentwickelung der Saugethiere uoch strei- tigen Punktes bei. Wenn wir uns jetzt zu alteren Embryonen wenden, so kann man an ein und demselben Individuum alle Stufen der Zahnent- wickelung von Anfang an verfolgen. Denn man trifft hier an der inneren Kieferseite in der Epithelleiste eine ganze Reihe hinter- einanderliegender, in ihrer Entwickelung verschieden alter Papil- len an (Taf. XIII Fig. 14). Dieselben treten, wenn man die Epi- thelleiste durch Zug an der von Owen Deckmembran genannten Bindegewebslamelle gewaltsam in 2 Halften reisst, vollkommen frei zu Tage und ragen iiber das Niveau der ihnen Ursprung gebenden Schleimhaut hervor. Wir gedenken dieses Umstandes, urn deutlich zu zeigen, dass wenn wir von der leistenartigen Wu- cherung des Epithels in das unterligende Bindegewebe absehen, Bildung und Lage der Zahnpapillen auf der Innenseite des Kiefer- knorpels der Papillenbildung der Schuppenanlagen auf der freien Hautoberflache vollkommen gleich ist. Von den so freigelegten Papillen stehen die am weitesten ausgebildeten in der Nahe des Kieferrandes, von da nach dem Grunde des ktinstlich geschaffenen Grabens werden sie immer kleiner; im Grunde selbst findet man die allerjungsten Zellenhugel. Die Verschiedenaltrigkeit der hinter- einanderfolgenden Zahnpapillen kommt sehr zu Statten, wenn man die Entstehung der Zahngewebe beobachten will, well sich die an alteren Anlagen eingetretenen Veranderungen direct mit den Be- funden an wenig jungeren vergleichen lassen. Ich untersuchte in der Weise die Entwickelung der Zahngewebe an einem 17 Cm. langen Embryo von Acanthias americanus an drei auf einander folgenden Papillen, deren genauere Beschreibung ich hier gebe, weil sie die Art und Weise und die Reihenfolge, in welcher Schmelz, Dentin und Cement sich bilden, gut illustriren. Um zugleich iiber die Ablagerung der Kalksalze Aufschluss zu erlangen, machte ich Schnitte durch unentkalkte Kiefer, was hier noch in geniigender Feinheit moglich ist. An der jiingsten der drei untersuchten Papillen ist noch in Ueber Ban und Entwickelung der Placoidschuppen u. s. w. 383 keinem Theile eine Ablagerung von Kalksalzen wahrzunehmen, dagegen befindet sich an ihrer Spitze unter der Schmelzmembran auf dem Dentinkeira eine diinne Lage einer feinkornigen Substanz. Dieselbe farbt sich nur sehr wenig in Carmin und lasst keine Ein- theilung in zellige Abschnitte erkennen, Im Dentinkeim liegen die Zellen nocli ohne wahrnehmbare Spuren einer Zwischensub- stanz dicht zusammengedrangt. Die Zellen der Schmelzmembran haben den hochsten Grad ihrer Entwickelung mit der stattlichen Hohe von 0,028 Mm. erreicht. Auf dem nachst folgenden alteren Stadium ist die gesammte Oberflache des Dentinkeims von einer sehr dunnen Kalkkruste be- deckt. Dieselbe bildet tiber der Spitze der Papille ein zieralich dickes Kalkhaubchen, welches vollkommen homogen ist und eine schmelzahnliche Beschaifenheit zeigt. Die Oberflache der Kalk- kruste sowohl als auch des Kalkhaubchens ist vollkommen glatt. Die ihnen aufsitzende Schmelzmenbran hat an der Spitze der Pa- pille an Hohe bedeutend abgenommen und misst daselbst nur noch 0,015 Mm. An Stellen, wo sie durch den Schnitt von der unter- liegenden Kalkmembran abgehoben worden ist, zeigt sie eine glatte regelmassige Grenzlinie. Unter der Kalkkruste und dem Haub- chen bemerkt man noch einen 0,006 Mm. breiten Streifen einer homogenen Substanz, welcher den Zellen des Dentinkeims aufliegt. Der Streifen farbt sich in Carmin intensiv roth. Bei Zusatz von Salzsaure zur Untersuchungsfliissigkeit unter dem Deckglas schmilzt nach der Entkalkung die den Kalksalzen zur Grundlage dienende organische Substanz des Haubchens rasch weg und hinterlasst auf ihrer Oberflache ein feines Hautchen. Der in Carmin sich roth farbende homogene Streifen bleibt dagegen vollkommen erhalten. Auf das Ergebniss der Salzsaureeinwirkung uns stutzend erblicken wir in dem Kalkhaubchen und der Kalkkruste die erste Schmelz- ablagerung, in der darunterhegenden homogenen Substanz demnach die erste noch unverkalkte Ausscheidung des Dentins. Die Zellen in der Mitte der Papille sind um diese Zeit durch Ausscheidung einer Zwischensubstanz weiter auseinandergeriickt. Auf dem dritten Stadium finden wir alle Zahngewebe, wenn auch in geringer Machtigkeit, so doch schon in charakteristischer Weise ausgebildet (Taf. XIII Fig. 15). Die Papille ist von einer nach der Basis zu sich etwas verdunncnden Lage von Dentin be- deckt, welches verkalkt ist, in Carmin sich daher nicht ftirbt und zahlreiche Dentinrohrchen enthalt. Seiner Oberflache liegt eine dunue Kalkkruste auf, die durch den Schnitt stellenweise in Kalk- 384 Oscar Heitwig, plattchen zerfallen und als ein gesonderter Theil deutlich zu imter- scheiden ist. Die Spitze des Zahnes wird wieder von einem Kalk- kappchen gebildet, das durch eine starkere Lichtbrechuiig und diirch eine geringe Farbenversdiiedenheit ausgezeichnet ist und sich durch eine deutlich wahrnehmbare Linie vom Dentin abgrenzt. Die Hohe der Schmelzmembran hat auf diesem Stadium durch- gangig abgenommen und betragt nuv noch 0,015 Mm. im Durch- schnitt. An der Basis des Zahnes dringt die Verkalkung eine kleine Strecke weit in das unterliegende Bindegewebe ein und breitet sich hier horizontal aus. In ihrer Umgebung hat eine Vermehrung der Bindegewebszellen stattgefunden. Somit hat auch die Anlage der Basalplatte oder des Zahncements auf diesem dritten Stadium gleichfalls begonnen. Einige Structurverhaltnisse treten mit grosserer Klarheit hervor, wenn wir auf den unent- kalkten Schnitt mit sehr wenig Salzsaure versetztes Wasser ein- wirken lassen. Es losen sich dann nur die Kalksalze des Zahn- beins, wahrend der Schmelz nicht entkalkt wird. Man iiberzeugt sich daher jetzt sicher von der Anwesenheit eines gesonderten Kalkkappchens und einer gesonderten Kalkkruste auf dem Dentin. Es entspricht die hier beobachtete verschiedene Loslichkeit der Salze des Dentins und des Schmelzes vollkommen den Resultaten, die man bei Entkalkung von Saugethierzahnen erhalt und schon beschrieben hat. Auch hier findet in schwach angesauertem Was- ser die Entkalkung des Schmelzes erst dann statt, wenn bereits die Kalksalze des Dentins gelost sind. Das Verhalten der organi- schen Bestandtheile des Schmelzes bei diesen Zahnchen gegen starkere und schwachere Salzsaurelosungen gleicht vollkommen dem von alteren Zahnen ausfiihrlich beschiebenen. Aus der mitgetheilten Untersuchungsreihe ergiebt sich folgen- der Entwickelungsgang fur die Bildung der drei Zahngewebe. Zuerst entsteht durch Ausscheidung von der Schmelzmembran aus, die hierbei an Hohe verliert, besonders an der Spitze der Papille, die organische Grundsubstanz des Schmelzes. Nachdem diese Kalksalze aufgenomraen hat, scheidet die oberflachliche Zellen- schicht des Dentinkeim die organische Substanz des Zahnbeins aus, welche gleichfalls erst auf einem etwas spateren Stadium ver- kalkt. Sowie die Ablagerung des Dentins bis zur Basis der Papille herabgedrungen ist, wird durch dasselbe auch im angrenzenden Bindegewebe der Anstoss zu einer veranderten Gewebebildung ge- geben und es erfolgt jetzt unter Betheiligung der Bindegewebs- Ueber Ban unci Entwickelmig der Placoidschnppen u. s. w. 385 zellen durch eine Metamorphose von Bindegewebsbiindeln die Bil- dung des Zahncements. Die folgenden Veranderungen an noch weiter entwickelteu Zahnen bestehen hauptsachlicli in einer Grossenzunahme der drei Gewebe, namentlich des Dentins. Die Grenzlinie zwischen ibm und dem Schmelz wird hierbei immer unregelmassiger und tiefer aus- gezackt (Taf. XIII Fig. 3). Ein Eindringen von Rohrcben in den Schmelz babe ich bei Embryonen nicht beobachtet, doch mag dies hauptsachlicb mit daber riihren, dass ich dem Puncte wenig Aufmerksamkeit gescbenkt habe. An die Schilderung der embryonalen Entstehung der Zahne schliessen wir eine kurze Notiz iiber die Art und Weise wie der Ersatz der alten Zahne bei den ausgewachsenen Selachiern statt- findet. Bekanntb'ch ist der* Zahnwechsel bei den Haien wie bei alien niederen Wirbeltbieren ein sehr lebbafter und erfolgt eine Neubilduug von Zabneu zu alien Zeiten des Lebens. Die jungen Anlagen liegen hinter den in Function stehenden Zahnen wie beim Embryo in der Tiefe der Schleimhaut an der ausseren Seite einer Epithelleiste. Hier entwickeln sie sich vor ausseren Insulten ge- schiitzt, bis sie die voile Grosse erlangt haben. Auf verschiedenen Stufeu der Entwickelung stehend sind sie in zahlreichen Reihen hinter einander aufgeflanzt. Die jungsten sind noch unverkalkte Papillen und liegen vom Kieferrand am weitesten entfernt. Die in Function befindlichen Zahne stehen entweder in einer oder in mehreren Reihen auf dem Kieferrand. Wenn nun die vordersten abgeniitzt sind, was nach nicht allzulangerZeit des Gebrauchs ein- zutreten scheint, so riickt die nachst folgende mittler Yfeile voll- kommen ausgebildete jiingere Generation an ihre Stelle. So findet eine standige Fortbewegung der zahntragenden Schleimhaut nach vornen statt, wobei sie iiber den Kiefer wie iiber eine Walze hin- gleitet (Owen). In demselben Maasse als die jungeren Zahne vor- riicken, wucheren die Zellen an dem Ende der Epithelleiste und es entstehen daselbst fortwahrend neue Anlagen. Wenn wir jetzt an eine Beurtheilung der iiber die Entwicke- lung der Haifischzahne aufgefundenen Thatsachen gehen, so kom- men wir zu dem Resultate, dass dieselben in wesentlichen Puncten von den bei der Entwickelung der Placoidschuppen aufgefundenen nicht abweichen. Denn es entwickeln sich bei beiden die drei Schuppen- und Zahnsubstanzen in genau der gleichen Weise, das Schuppen- und Zahndentin durch Ausscheidung von Zellen des mittleren Keimblatts, der Schuppen- und Zahnschmelz durch Aus- Bd- VIII, N. F. I, 3. ;io 386 Oscar Hertwig, scheidung von Zellen einer Schmelzmembran , die ihrerseits vom oberen Keimblatt abstammt, der Schuppen- und Zahncement durch eine Umwandlung von Bindegewebstheilen des Integuments und der Schleimhaut! Das Einzige was Schuppen und Zaline in ihrer Entwickelung unterscheidet, ist der Umstand, dass die Anlagen der ersteren auf der freien Ober- flache der Haut, die Anlagen der letzteren in derTiefe der Schleimhaut entstehen an der Aussenseite einer Epithelleiste, welche von der Oberflache her in die Tiefe hin- eingewuchert ist. Daher drangt sich uns hier die Frage auf, welche Bedeutung die Einsenkung der Zahnanlagen und die Bildung einer Epithelleisie bei der Entwickelung der Zaline spielen ! Wie bekannt, erfolgt auch die Entwickelung der Saugethier- zahne nicht auf der freien Flache, sondern in der Tiefe der Mund- schleimhaut. Man hat diesen Entwickelungsmodus mit der Schmelz- bildung in Zusammenhaug gebracht, indem man annahm, dass durch die Einsenkung der Zahnanlage in die Schleimhaut ein besonderes schmelzbildendes Organ entstande. Den hierher beziiglichen Bildungen wurden daher auch die Namen Schmelzkeim und Schmelzorgan beigelegt. Man wurde zu dieser Auffassung hauptsachlich dadurch bewogen , dass man bei niederen Thieren, deren Zahne auf freien Papillen entstehen sollten, den Schmelz zu vermissen glaubte. Als ein Hauptbeispiel galten in dieser Rich- tung, freilich irrthiimlicher Weise, die Zahne der Selachier. Na- mentlich war es Owen, welcher gestiitzt auf seine umfangreichen Untersuchungen, den Satz aufstellte, dass nur in Kapseln einge- schlossene Zahnanlagen einen Schmelzliberzug erhielten und dass dieser von einem besonderen Organe, der Schmelzpulpa, entwickelt wiirde, wie das Dentin von der Zahnpulpa. Auch Leydig gelangte durch seine vergleichenden Untersuchungen zu dem Schlusse, dass Schmelz und Cement den Zahnen der niederen Wirbelthiere fehle und dass beide sich zum Zahnbein erst dann gesellen , wenn die Zahnpapillen in Sackcken eingeschlossen werden, was nur bei eini- gen Sauriern und bei den Saugern geschehen soil*). Nach Gegenbaur^) tritt bei den Saugethieren ,,durch die Abschniirung eines in das Zahnsackchen eingehenden Theiles des Kieferepithels ein neues Organ auf, welches liber dem von der Zahnpapille abgesonderten die Grundlage des Zahns darstellendem Zahnbein 1) Leydig, Lehrbuch der Histologie. 2) GEaENBAxiE, Grunclziige der vergleichenden Auatomie. 2. Aufl. S. 783. Ueber Ban unci Entwickelung der Placoidschuppen u. s. w.. 387 eine besondere Schiclite, die Emailsubstanz abscheidet". Milne Edwards ') halt die Einsenkung der Anlageii fiir die Entwickelung der Zalme fiir so wichtig , dass er sie als Eintheilungsprincip be- nutzt imd nach ihr die Zahne in 2 Griippen sondert. Dieselben sollen vollkommen 2 anderen Gruppen entsprechen, in welche man die Zahne von Verschiedenheiten ihres Baues ausgehend theilen kann. Die eine Gruppe nennt er dents phanerogenetes. Hier sollen die Zahne oberfiachlich und frei auf der Schleimhaut, aus freien Papillen entstehen. Dem Baue nach bezeichnet er diese Classe audi als dents gymno somes, well bei diesen Ziilinen das Zahnbein entblosst sein soil. Wie Owen, giebt auch M. Edwards an, dass wenn man bei ihnen eine Art Firniss bemerke, dieser nicht von der Gegenwart von Schmelz herriihrt, sondern nur eine festere Rindenschiclite des Dentins, namlich Vitrodentin sei. Die zweite Gruppe nennt Milne Edwards nach ihrer Entwickelung dents cystigenetes, nach ihrem Baue dents steganosomes. In dieser Abtheilung sollen die Zahnpapillen in das unterliegende Gewebe wie in Sackchen eingeschlossen werden. Dem entsprechend soil das Zahnbein von Schmelz oder Cement oder von beiden zu- sammen bedeckt werden. Wir erkennen aus den angefiihrten Ausspriichen, wie alt und wie eingebiirgert die xiuffassung ist, dass die Einsenkuug der Zahn- anlagen fiir die Entwickelung der Zahngewebe speciell des Schmel- zes von so wesentlicher Bedeutung sein soil. Priifen wir, in wie weit sich diese Auffassung in unserem Falle als stichhaltig erweist. Wie wir gesehen haben, entwickeln sich Zahne und Placoidschup- pen auf vollkommen gleiche Weise von dem einen Umstand abge- sehen, dass erstere in der Tiefe der Schleimhaut, letztere auf der freien Hautflache entstehen. Durch einen Vergieich von Placoid- schuppe und Zahn werden wir daher am ehesten bestirnmen kon- nen, welche Bedeutung die Einsenkung in die Schleimhaut fiir die Zahnbildung hat. Bei einer Vergleichung zeigt sich nun, dass Zahn und Placoidschuppe aus genau denselben Bestandtheilen zu- sammengesetzt sind und miissen wir hieraus schliessen, dass durch die Einkapselung dem Zahne als Ganzem nichts Neues hinzugefiigt wird. Die Ansicht, nach welcher die Schmelzbildung durch sie herbeifiihrt werden soil, erweist sich hier als unbegriin- det. Denn die Placoidschuppen, welche auf freien Papillen ent- 1) Milne Edwards, Lemons sur la physiologie et I'anatomie comp. Bd. 6. S. 135. 25* 388 Oscar Hertwig, stehen, enthalten in gleicher Weise eine Schmelzbedeckung wie die Zahne. Durch diese Ueberlegung und durch einen Vergleich der Art, wie der Schmelz der Schuppen und derjenige der Zahne ent- steht, gelangen wir zu dem Satz: Schmelzbildendes Organ ist nur die S chmelzmem bran, eine eigenthumlich um- gewandelte, einschichtige Epithellage. Ob diese eine freie oder sine in das Gewebe eingesenkte Papille iiberzieht, ist fur die Schmelzbildung als solche voll- kommen nebensachlich. Eine untergeordnete Bedeutung fiir die Schmelzbildung wollen wir indessen hierbei der Eiusenkung der Zahnanlagen nicht absprechen. Wie wir ja gesehen haben, besitzen die Zahne besonders diejenigen hoherer Thiere einen weit dickeren Schmelziiberzug als die Placoidschuppen. Dass diese hohere Ausbildung des Schmelzes von der Entwickelung der Zahne in der Tiefe der Mundschleimhaut abhangen mag, ist in hohem Grade wahrscheinlich, wenn wir beriicksichtigen , wie hierdurch die Ernahrung und in Folge dessen die Leistungsfahigkeit der Schmelzmembran erhoht werden muss. Wir erblicken indessen in diesem Momente nur eine Nebenleistung untergeordneter Art. Die Hauptbedeutung der Bildung einer Epithelleiste und der von ihr abhangigen Entstehung der Zahnanlagen haben wir in einer ganz anderen Richtung zu suchen. Auch hier fiihrt uns eine Ver- gleichung zwischen Placoidschuppe und Zahn am sichersten zu einem befriedigenden Ptesultate. Wir finden , dass Schuppe und Zahn sich durch den verschiedenen Verbrauch, dem sie ausgesetzt sind, und durch den hierdurch bedingten verschieden lebhaften Ersatz von einander unterscheiden. Wahrend erstere sich gar nicht Oder doch nur hochst selten erneueren und wahrend iiber- haupt bei alten Thieren eine Neubildung von Schuppen vorzugs- weise nur dann stattfindet, wenn die alten durch das Wachsthum des Integuments weiter auseinandergertickt und Liicken zwischen ihnen entstanden sind, so werden dagegen die Zahne bestandig ge- wechselt; hinter einer im Gebrauch stehenden Phalanx von Zah- uen finden sich zu jeder Zeit des Lebens sehr zahlreiche Reihen von jungen Anlagen auf den verschiedensten Stufen der Entwicke- lung vor. In der lebhafteren und besonderen Art des Ersatzes weichen also Placoidschuppen und Zahne, wahrend sie in Bau und Entwickelung der einzelnen Bestandtheile sich voilig gleich verhalten, allein von einander ab. In diesem Moment, glaube ich, haben wir die Bedeutung der Epi- .Ueber Bau and Entwickelimg der Placoidschuppen u. s. w. 389 thelleiste zii siichen. Sie ist eine dem starkeren Ersatz der Zahne angepasste Bildung. Dass durch einen starkeren Ersatz der Zahne die jungen An- lagen nothwendiger Weise in die Tiefe der Schleimhaut gedrangt werden miissen, ergiebt sich aus zwei verschiedenen Umstanden. Erstlich befindet sich der unmittelbar hinter den Zahnen liegende Abschnitt der Schleimhaut wegen der bestiindigen Bildung neuer Zahnanlagen in einer sehr lebhaften Wucherung. Wie es nun eine im thierischen Korper allgemeiu verbreitete Erscheinung ist, dass in rascherer Vermehrung begriffene Epithelzellen in das unter- liegende Gewebe hineinwuchern (Entstehung und Wachsthum der Driisen, Wachsthum epithelialer Neubildungen), so dringt in gleicher Weise auch die Epithelwucherung am Kieferrand urn sich Platz zu schaffen, in die Tiefe und ninimt hierbei der reihenformigen Anordnung der Zahne entsprechend die Form einer Leiste an. Zweitens erscheint aber diese Lage der Ersatzzahne noch in einer anderen Beziehung als durchaus nothwendig. Denn lagen die jungen Ersatzpapillen auf der freien Oberfiache hinter den alten Zahnen, so wiirden sie beim Nahrungserwerb den glei- chen Unbilden wie diese ausgesetzt sein und noch vor ihrer Aus- bildung leicht wieder zerstort werden. Die natiirliche Zuchtwahl wird daher wie sie den lebhafteren Ersatz der Zahne geziichtet, so auch hier ihre Wirksaiiikeit entfaltet und in der Tiefe der Schleiiiihaut den jungen Anlagen eine giinstigere Localitat zu ihrer Entwickelung angewiesen haben. Nach dieser Darlegung werden wir die Frage nach der Bedeutung, welche die Einsenkung der Zahnanlagen und die Bildung einer Epi- thelleiste bei der Entwickelung der Zahne spielt, dahin beantworten : Mit der geweblichen Ausbildung der Zahne, speciell mit der Schmelzbildung, steht die Einsenkung der Zahnan- lagen in keiner directen Beziehung. Dieselbe ist eine Einrichtung, welche durch den sehr lebhaften Ersatz der Zahne herbeigefiihrt worden ist. Die hinter der functionirenden Zahnreihe befindliche Epithelleiste mit dem sie umgebenden Bindegewebe konnen wir ge- wissermaassen als ein Organ be trachten, welches neue Zahngenerationen erzeugt und werden wir dasselbe, vveil es eine Leiste bildet, durch welche Zahne zum Ersatz entstehen, Ersatzleiste ner^nen. Weiterhin kann dieses Organ noch eine Nebenfunction mit iiber- 390 Oscar Hertwig, nehmen, inclem es auch aiif die hohere Ausbildung des Schmelzes von Einfluss wird. Eine andere Reihe von Betrachtungen lasst sich noch an die vorliegende Bildung ankniipfen. Die Entwickelung derSaugethier- zahne findet namlich, wie wir seit einer Reihe von Jahren durcli die Untersuchung Kolliker's wissen , in einer der Entwickelung der Selachierzahne sehr ahnlichen Weise statt. Wie dort, so findet sich auch hier am Innenrande der Kiefer, ehe die einzelnen Zahn- anlagen sich bilden, eine aus Epithelzellen bestehende Leiste vor. (S c h m e 1 z k e i m Kolliker's). Wie dort entwickeln sich an der Aussenseite dieser Leiste die einzelnen Anlageu; zunachst die des Milchzahns, spater median von ihr und tiefer in die Schleimhaut eingesenkt die des bleibenden Zahnes. Den Theil der Epithel- leiste, an welchem der Milchzahn entsteht, und den Theil an wel- chem der bleibende Zahn entsteht, hat man mit verschiedenen Namen belegt und ersteren prim ar en, letzteren secundaren Schmelzkeim benannt. Nach der iiblichen Schilderung entsteht der secundare Schmelzkeim aus dem. primaren und zwar an der Stelle, wo der Hals des primaren Schmelzorgans noch mit seinem Schmelzkeim zusammenhangt. Wie aus Abbildung und Beschrei- bung hervorgeht, ist aber der secundare Schmelzkeim die directe Fortsetzung des primaren, hochstens tritt vielleicht in der Richtung des ersteren eine leichte Kriimmung ein, hervorgerufen durch die Grossendimensionen des sich entwickelnden Milchzahns., Beide zusammen bilden also eine continuirliche Epithellamelle, an deren ausserer Seite die Zahnanlagen entstehen. Nach dieser Ausein- andersetzung konnen wir die vereinigten primaren und secundaren Schmelzkeime auf die Ersatzleiste der Selachier reduciren und miissen wir beide Bildungen fiir homolog erklaren, da alle Wir- belthierdentinzahne , wie wir spater zeigen werden , einen mono- phyletischen Ursprung besitzen. Wir werden daher auch die Epi- thellamelle, welche man in zwei Stiicken als primaren und secun- daren Schmelzkeim bei den Saugethieren beschrieben hat, nicht mit zwei Namen, sondern, da sie eine einheitliche Bildung dar- stellt, mit einem Namen belegen. Wir schlagen auch hier den Namen Ersatzleiste vor, well dieser am einfachsten die ur- spriingliche Bedeutung der Epithelwucheruug als eines in das Bindegewebe eingesenkten und Zahngenerationen bildenden Organes bezeichnet. Die weiterhin in der Entwickelung der Saugethierzahne ein- tretenden Abweichungen von der geschilderten Entwickelung der Ueber Ban nnd Entwickehing cler Placoidschuppen u. s. w. 391 Selachierzahne betrachten wir als spater erworbene Zustande. So entstehen hier an cler Ersatzleiste iiberhaupt nur zwei Zahnan- lagen, Nvelche aber eiiie relativ machtigere Entwickelung erlangen. Ferner finclet eine Lageveranclerung der Zahnanlagen in der Weise statt, dass dieseiben noch tiefer in das unterliegende Bindegewebe eingesenkt werden und sich dadurcli immer weiter von derEpithel- leiste ihrer Ursprungsstatte entfernen. Eiu Theil der Epithelzellen der Leiste geht hierbei eine besondere Bildung ein, die man Schmelz organ benannt hat. EineZeitlang hangt dieses durch einen Fortsatz (Hals des Schmelzorgans) niit der Epithelleiste (Schmelzkeim) noch zusammen, soil aber spater vollkommen abge- schntirt werden, so dass nun die Zahnanlage aliseitig im Binde- gewebe eingeschlossen liegt. Eine dritte Abweichimg endlich von den Yerhaitnissen bei den Selachiern besteht darin, dass die Epi- thelleiste bei den Saugethieren nicht wie dort zu alien Zeiten des Lebens besteht und bestandig neue Zahngenerationen hervorbringt, sondern nur als embryonales Organ in Function ist und spater sich rtickbildet entsprechend dem nur einmal statttindenden Zahn- wechsel. Diese Abweichuugen von den Verhiiltnissen bei den Se- lachiern erkiaren sich zum Theil aus einer h5heren Entwickelung, welche die einzelnen Zahnanlagen erlangen und welche zu einer betrilchtlicheren Grosse , vervollkommneteu Belestigung und star- keren Schmelzbekleidung des einzelnen Zahnes ftihrt. Zum ande- ren Theil bestehen die Abweichuugen in Kuckbildungsprocessen, welche mit den erstgenannten Vorgangen in einem causalen Zu- sammenhaug steheu. Mit der zunehmenden Qualitat nimmt die Quantitat der Zahnanlagen ab. Der Zahnwechsel der diphyodonten Saugethiere ist also von einem bei niederen Wirbelthieren ver- breiteten polyphyodonten wahrend des ganzen Lebens stattfinden- den Zahnwechsel direct abzuleiten. Am weitesten ist der Ruck- bildungsprocess bei den Monophyodonten Cetaceen und Edentaten und bei einer Anzahl zahnloser Wirbelthiere gediehen. Indem wir so den Zahnwechsel der Saugethiere als einen durcii die hohere Ausbildung des Einzelzahns herbeigetuhrten Riickbildungsprocess autiassen, erkiaren sich uns auf die einfachste Weise eine Anzahl gelegentlich zur Beobachtung kommender Varie- tiiten und Munstrositiiten des menschlichen Gebisses, welche als Hyperdentition und dentes accessorii bezeichnet worden sind. Es sind in der Literatur Falle bekannt, wo in einem Kie- fer zwei, ja sogar drei Reihen von Schneideziihnen hintereinander standen. Ferner wurde beobachtet, wie ein und dieselbe Zahu- 392 Oscar Hertwig, alveole sich durch einen dritten und vierten Zahnwechsel wieder fiillte^). Alle diese Beispiele von vermehrter Zahnbildung miissen wir als einen Riickschlag in einen Zustand reicherer unter Um- standen unbeschrankter Production von Ersatzzahnen betrachten, welcher bei den Urahnen des Menschen einst bestanden hat. Nachdem wir durch diese langere Betrachtung die Bedeutung der Zahnleiste der Selachier und ihre Homologie mit gleicheu Bildungen hoherer Thiere klargelegt zu haben glauben, beriihren wir noch kurz einige die Entwickelung der Zahngewebe betreffende Fragen. Diese sind bekanntlich schon seit langer Zeit ein Gegen- stand lebhafter Debatten, welche freiiich immer nur gestiitzt auf Untersuchungen iiber die Gewebsentwickelung von Saugethierzahnen gefiihrt worden sind. An den Ansichten, welche wir am Ende der iiber Entwickelung der Placoidschuppen handelnden Theiles aus- gesprochen haben, halten wir auch hier fest und glauben wir noch einige neue Thatsachen, welche fiir die Ausscheidung des Schmel- zes sprechen, hier beigebracht zu haben. Ueber das Hautchen, welches Schmelz und Schmelzmembran trennt, iiber die sogenannte membrana praeformativa hat in letzter Zeit KoLLMiiNN ^) sehr ein- gehende Untersuchungen an Saugethieren angestellt. In denselben bestatigt er die Anwesenheit einer besondern Membran auf dem Dentinkeim, doch ist er zu einer ganz besonderen AufiFassungs- weise iiber den feineren Bau derselben gelangt. Es soil namlich nach ihm die membrana praeformativa von den untereinander zu- sammenhangenden Basal- oder, wie er sie nennt, Deckel- membrauen der Schmelzzellen gebildet werden. Durch den Deckel der Cyhnderzellen hindurch soil die Ausscheidung des Schmelzes stattfinden. Das Endergebniss, zu welchem der genannte Forscher gelangt, stimmt mit den von uns erhaltenen Resultaten iiberein beziiglich der vielfach gelaugneten Existenz einer beson- dern Membran und der Biidung des Schmelzes. Ueber die Frage nach dem Bau der membrana praeformativa konnen wir kein Ur- theil fallen, da unsere Untersuchungen auf diesen Punkt aus Man- gel an frischem Material nicht mit gerichtet waren. Dagegen heben wir noch einmal besonders hervor, dass die zwischen Schmelz und Schmelzmembran liegendeHaut die Basal membran 1) KoLLJiANN, SiEBOLD u. KoLLiKER, Zeitschr. f. wisseusch. Zool. B. XX. Htktl, topograph. Anat. 2) KoLLMANN, Ueber das Schmelzoberhautchen uud die Membr. praeform. Sitzuugsbericbt der Miincb. Akad. 1869. Ueber Bau iiiul Entwickelmig cler Placoidschiippen u. s. w. 393 der letztereii ist unci die Frage iiach ihrem Bau da- her mit der Frage nach dem Bau der Basalmembranen iiberhaupt zus amm enhangt. Zum Schluss dieses Abschnittes fassen wir die liber die Ent- wickelung der Haifisclizahne aufgefundenen Tliatsachen kurz zu- sammen : Die Entwickelung der Haifischzahne begiunt mit der Bildung einer Zahnleiste am Innenrande der Kiefer. Diese ist der als Schmelzkeim bezeichneten Epithelleiste der Saugethiere homolog und durch Aupassuiig an den Zahnwechsel entstanden. An der Aussenseite der Leiste entstehen die Zahnanlagen in gleicher Weise wie die Placoidschuppen auf der freien Hautoberflaclie. Die Ent. wickelung der Saugethierzahne von den Schmelzkeimen ist im Ganzen dieselbe und weicht nur in untergeordneten Umstanden ab. Die Entwickelung der Zallnge^^ebe ist bei den Selachiern die- selbe wfe bei den Saugethieren und stimmt vollkommen mit der Entwickelung, ^Yelche wir fiir die gleichen Gewebe der Placoid- schuppe aufgestellt haben, iiberein. III. AUgemeiner Tlieil. Aus den im ersten und zweiten Theil dieser Arbeit mitge- theilten Resultaten unserer Untersuchung ergeben sich zwei fiir das Verstandniss der Integumentgebilde wichtige allgemeine Satze. Den einen derselben erhalten wir durch eine Vergleichung der Placoidschuppen mit den Zahnen der Selachier. Da diese wie wir im Vorhergehenden gesehen haben, im Bau vollkommen mit ein- ander iibereinstimmen und sich auch in derselben Weise entwickeln, so werden wir nothw^endiger Weise zu dem Schluss geleitet: dass die Placoidschuppen und Zahne der Selachier homo- loge Bildungen sind, d. h. dass sie aus einer urspriing- lich vollkommen gleichen Uranlage durch Differenzi- rung entstanden sind. Dieses Ergebniss kann uns in keiner Weise befremden, sowie wir uns daran erinnern, dass ja die die Mund- und Schlundhohle nicht dem Darmtractus, sondern noch dem ausseren Integumente. angehort. Wie die Entwickelungsge- schichte der hoheren Wirbelthiere lehrt, buchtet sich dieses an der Stelle des spateren Mundes ein, wuchert als Blindsack dem geschlossenen Kopfende des Darms entgegen und offnet sich schliess- lich in dasselbe. Wenn wir daher Zahne und Placoidschuppen homologisiren, so sprechen wir hiermit ein Kesultat aus, fiir wel- 394 Oscar Hertwig, ches uns schon die Entwickelungsgeschichte der Mundhohle manclie Anhaltspunkte liefert: dass namlich die Mundschieiinhaut ihrer Abstammung entsprechend audi Bildungen des ausseren Integuments tragt. Es liegt nun auf der Hand, dass die Zahne der Selachier uns nicht mehr die urspriinglichen Verhaltnisse reprasentiren. Vielraehr miissen wir, indem wir eine Homologie der Zahne mit Theilen des Integuments annehmen, einen friiheren indilferenteren Zustand voraussetzen , in dem die beiderlei Bildungen von vollkommen gleicher Bescliaffe-nheit und Grosse waren und noch keine Ersatz- einrichtung fiir die Zahne bestand. Bei dieser Urform war die gesammte Korperbberiiache und die Mund - und Schlundhohle bis zum Anfang des Oesophagus mit einem gleichartigen Panzer von placoidschuppenahnlichen Knochenstilckchen bedeckt. Es waren mithin die Theile, welche sich spater zu Zahnen entwickelt haben, noch integrirende Theile eines iiber das gauze Integument somit auch iiber die Auskleidung der Mundhohle verbreiteten Schutz- organs. Die Ursachen, welche im Laufe von Generationen gleichartige Theile in ungleichartige vervvandelt haben, scheinen uns hier in klarer Weise hervorzutreten und werden wir daher kurz bei ihnen verweilen. Indem die in Zahne spater abgeanderten Placoid- schuppen am Eingang der Mundhohle liegen, indem sie hier festers Skeletstiicke zur Unterlage und Stiitze haben, indem sie endlich an beweglichen Armen, den Kieferbogen angebracht sind, stehen sie unter ganz anderen Bedingungen als die iibrigen Theile des Hautpanzers. Auf Grund dieser besonderen anatomischen Verhaltnisse nun verrichten sie noch besondere physiologische Nebenleistungen ; so dienen sie einestheils als Vertheidigungswaffen gemass ihrer Lage an den mit kraftigen Muskeln versehenen Kie- ferstiicken, anderntheils spielen sie eine wichtige RoUe fiir die Er- nahrung bei der Ergreifung und Verarbeitung der Beute. Mit der Uebernahme einer besonderen Leistung ist aber fiir die Ge- bilde der Mundhohle das ursachliche Moment zu einer abweichen- den Entwickelungsrichtung von den Theilen der ausseren Haut gegeben. Vermoge ihres starkeren Gebrauches und ihrer expo- nirten Lage wird die auf den Kiefern gelegene Mundschleim- haut auch rascher abgenutzt werden und ihre einzelnen Theile bestandig einer starkeren Reizung ausgesetzt sein; der Blut- zufluss nach diesen wird in Folge dessen ein vermehrter, wie das bei alien in Gebrauch befindlichen Organen der Fall ist, eine TJeber Bau unci Entwickehing der Placoidschuppen u. s. w. 395 erhohte Bildungstliatigkeit, ein regerer Stoffwechsel, eine lebhaftere Zellenvermehrung wircl Platz greifer. Diese raechanischen Processe fuhren nun zu zwei morphologischen Abanderimgen , einmal zu einem rascheren Ersatz der einzelnenZahne, und zweitens zu einer hoheren Ausbildung des einzelnen Zahnes. Wie wir die Ersatz- leiste aus der Flypertrophie eines beschrankten Abschnittes der Mundschleimhaut bereits friiher zu erklaren Versucht haben, so miissen wir auch die starkere Ausbildung des Zahnes auf ahn- liche Momente zuruckfiUiren, auf den verniehrten Blutzufluss und auf die Entwickelung der Zahnanlage in der Tiefe der Mund- schleimhaut, wo die Ernahrungsbedingungen gunstigere sein wer- deii. Mif den hier angefiihrten cine Weiterentwickelung der Zahne bedingenden Momenten verbindet sich als weiteres umgestaltendes Moment der Einfluss, welchen die natiirliche Zuchtwahl aufTheile, die in Abanderung begriffen sind, ausubt. Ihr Einfluss wird ein urn so machtigerer sein, als die Zahne eine wichtige Funktion bei der Ernahrung tibernehmen und daher fur die Erhaltung des In- dividuuras von der grossten Bedeutung sind. Wie die natiirliche Zuchtwahl einen dem Verbrauch entsprechenden Ersatz und eine kraftigere Bildung der Zahne herbeifiihren wird, indem sie Formen mit einer starkeren Bewaffuung des Mundes im Nahrungserwerbe begiinstigt, so wird sie auch die Formen der Zahne der Lebens- weise der einzelnen Thiere anpassen. In Anpassung an eine rau- berische Lebeusweise werden die noch wenig differenzirten auf den Kieferrandern liegenden Theile des Integuments bei der einen A]'t zu scharfen, schneidenden Zahnen, bei einer anderen in An- passung an eine mehr pflanzUche Nahrung zu breiten hockerarti- gen Mahlzahnen. Wir haben im Vorhergehenden versucht in kurzen Ziigen ein Bild von der phylogenetischen Entwickelung der Zahne zu ent- werfen und angedeutet, in welcher Art und Wcise unter Wirkung von in der organischen Natur allgemein thiltigen Gesetzen die Diflerenzirung der Zahne aus einem indifterenteren Zustand er- folgt sein mag. Durch diese Betrachtungsweise glauben wir den an die Spitze des allgemeinen Theiles gestellten Satz noch weiter- hin befestigt zu haben. Die von uns durch eine eingehende Detailuntersuchung begriin- dete Autlassung, dass die Zahne und Placoidschuppen der Sclachier homologe Gebildc sind, ist keineswegs neu in der Wissenschaft, sondern schon von einer grosseren Anzahl Forscher mehr oder minder bestimmt ausgesprochen worden. Da es nicht ohue Inter- 396 Oscar Her twig, esse ist zu verfolgen , wie eine Erkenntniss sicli allmahlich Bahn bricht und immer bestimratere Formen findet, so stellen wir im Folgenden die hierauf beztiglichen Ausspruche friiherer Beobachter theils im Aiiszug theils wortlich zusammen, so wait wir solche in der einschlagigen und uns zugangigen Literatur aufgefunden haben. Ziierst hat Agassiz ') bei seinen umfangreichen Untersuchun- gen iiber Fischschiippen „auf die nahe und aul'fallende Aehnlichkeit zwischen einigen von diesen Bildungen und den Zahnen der Fisciie" in seinen Poissons fossiles auf- merksam gemacht. Wie dieser Forsciier durch die Betrachtung der Fischschuppen, so wurde Owen spiiter durch sein Studium der Zahnbildungen niederer und hoherer Wirbelthiere zu einefn gleichen Resultate gefiihrt und zu einem Vergleiche aufgefordert , der in einer Anmerkung in seiner Odontography S. 14 Platz gefunden hat: „Eine sehr nahe Analogie besteht zwischen den knochernen Hockern und Stacheln der Haut der Knochenfische und ihren Zahnen. Die Schmelzschuppen der Ganoiden (nach Agassiz) zeigen eine ahnliche Organisation wie die Zahne." An- kniipfend an Agassiz und Owen nennt Williamson 2) in seinen Untersuchungen uber Schuppen die Hautstacheln der Selachier urn ihre Aehnlichkeit mit wirklichen Zahnen zu bezeichnen, geradezu Hautzahne (dermal teeth), eine Bezeichnung, die seitdem haufiger Anwendung gefunden hat. Mit grosser Bestimmtheit spricht sich Leydig, der den von Williamson gegebenen Namen Hautzahn beibehalt, in seinem Lehrbuch der Histologic und in seiner Arbeit liber Rochen und Haie iiber die Verwandtschaft der Mundhohlen- und Integumentgebilde aus; so unter anderen in folgenden Wor- ten: „die Schuppen der Haie und die Hautstacheln der Rochen haben und dieses mochte ich als Resultat besonders hervorheben, in ihrer Structur eine vollige Identitat mit den Zahnen des Ge- bisses. Es sind daher die Schuppen der Knochenfische, die Stacheln derRochen und dieSchuppen der Haie fiir Zahnbildungen zu erklaren"^). In ahniicher Weise aussert sich Huxley in seiner Bearbeitung der Organe des Integuments in Todd's Cyclopaedie: „Man kann als sicher annehmen, denke ich, dass die Schuppen, Flatten und Stacheln aller Fische horao- 1) Nach Williamson, Philos. Ti'ansactions of the Koyal society 1849, da Agassiz poissons fossiles nicht zugaugig waren. 2) Williamson 1. c. 3) Leydig, Beitrage ziir mikroslcop. Auat. uud EutwickeluDg der Rochen und Haie. Ueber Ban unrt Entwickflung der Placoidschnppen u. s. w. 397 loge Organe sind, desgleiclieii, dass die Hautstacheln der Plagiostomeii ihren Zahnen iind dadurch den Zahnen aller Wirbelthiere homolog sind"^). Die Aehnlidikeit in Bail und Entwickelung zwischen Placoidschuppen imd Zahnen hebt Hannover in einer kleinen Schrift: Sur la structure et le developpement des ecailles et des epines chez les poissons carti- laginaux, hervor. Am eingehendsten hat sich Gegenbaur in seiner Arbeit uber das Kopfskelet der Selachier mit dem Nachweis der Homologie zwischen Zahnen und Schuppen beschaftigt und geben wir aus den daselbst Seite 11—13 angestellten Betrachtungen den Hauptpassus hier wortlich wieder: „Die vollige Uebereinstimmung im Wesentlichen des Baues der Placoidschiippchen und der Zahne der Kiefer lehrt, dass bei- derlei Gebilde, Hautzahne und Kieferzahne, zusammen- gehoren. Da die Kieferzahne die differenzirteren, hoher entwickel- ten Gebilde, die Hautzahnchen dagegen die indifferenten sind, miissen erstere von letzteren abgeleitet werden. Die Kieferzahne erscheinen als Differenzirungen eines vom ausseren Integumente her sich in die Mundhohle fortsetzenden urspriinglich gleichartigen Zahnbesatzes , wie denn viele Haie die ganze Schlundhohle oder doch grosse Strecken derselben mit denselben Zahnchen besetzt zeigen, welche das Integument tragt, und bei manchen die Kiefer- zahne sich auch in der Form den Hautzahnen gleich verhalten, zuweilen selbst im Volum sich wenig davon unterscheiden. Zwi- schen den Kieferzahnen junger Haie und den Hautzahnchen er- wachsener besteht haufig gar keine andere Verschiedenheit, als die der Oertlichkeit des Vorkommens. Wenn diese Verhaltnisse wie gebuhrend in naheren Betracht gezogen werden, so wird man bei den Haien einen Zustand statuiren miissen, der die erste Genese der Kieferzahne noch in ihrem urspriinglichen Zusammenhange mit Hautgebilden zeigt, und damit die Herkimft aller davon ab- leitbaren Zahnbildungen erkenuen lasst"^). Nach diesem geschichtlichen Ueberblick wenden wir uns zur Besprechung des zweiten allgemeinen Satzes, der sich aus den im speciellen Theil niedergelegten Untersuchungen Ziehen liisst. Wie wir daselbst gesehen haben, stimmen die Zahne der Selachier mit denen der Saugethiere in Bau und Entwickelung bis auf ganz 1) Huxley, Todd's Gyclopaedie. Band V. Supplement. S. 480. 2) Gegenbaur, Uutersuch. z. vergl. Auat. d. Wirbelth. Heft HI. S. 11. P'erntr vergl. Gegenbaur, Grundzuge der vergleichenden Anatomie. • 398 Oscar Hevtwig, iintergeordnete Differenzen vollkommen iiberein. Die bestehenden Abweichungeii bei den letzteren, die prismatische Structur des Schmelzes, das Auftreten von Knochenkorpern im Cement, die Anordnung der Odontoblasten zu einer besonderen Membrau er- geben sich als weitere Diiferenzirungen. Aiis diesen Thatsachen schliessen wir, dass die Zahne der Selachier den aus Dentin, Ce- ment und Schmelz bestehenden Ziihnen aller iibrigen Wirbelthiere homolog sind. Denn die Annahme, dass eine so eigenartige Com- bination dreier so charakteristischer Gewebsformen, wie sie den Zahn bilden und ein so charakteristischer Entwickelungsmodus derselben zu wiederholten Malen in verschiedenen Thierordnungen entstanden sei, erscheint im hochsten Grade unwahrscheinlich und muss daher verworfen werden. Als Einwand gegen die hier aufgestellte Behauptung konnte man die Resuiate anfiihren, zu welchen Leydig in drei Arbeiten uber die Zahne der Salamander, Saurier und Schlangen gelangt ist. Nach diesem Forscher sollen namlich die Dentinzahne der genannten Wirbelthierklassen allein epitheliale Bildungen sein und ohne Betheiligung des mittleren Keimblattes entstehen. Das die Spitze einer Zahnpapille iiberziehende Epithel soil sich in 2 Blatter sondern. Von der untersten Epithellage soil das Zahubein nach Art einer Cuticularbildung abgeschieden werden und daher anfang- lich iiberall von Hornblattzellen umschlossen werden. Bei seinem Wachsthum soil das Dentin spater die Verbindung der Epithel- lagen an der Basis der Papille durchschneiden und so das Epi- thel der Papille von dem die Zahnoberflache tiberziehenden Epithel scheiden. Bei einer Untersuchung dieser Zahnbildungen , welche ich im Herbst und Winter dieses Jahres vorgenommen habe, bin ich indessen zu entgegengesetzten Resultaten gelangt, welche in vieler Hinsicht mit denen von Santi Sikena') iibereinstimmen. Ich beobachte, dass die Zahne der Amphibien und Reptilien aus den gieichen 3 Substanzen wie die Zahne der Haie zusammenge- setzt sind und sich auf dieselbe Weise entwickeln, das Dentin aus dem mittleren, der Schmelz aus dem oberen Keimblatt. In einer zweiten Arbeit iiber die Zahnverhaltnisse niederer Wirbelthiere hoffe ich bald die naheren Details, auf welche ich meine Ansicht stiitze, mittheilen zu konnen. Der obige Einwand gegen die aus- gesprochene Homologie fallt hiermit hinweg. 1) Santi Sirena, Ueber den Ban und die Entwickelimg der Zahne bei den Amphibien und Reptilien. Verhandl. der physic. - medic. Gesellsch. in Wiirz- burg. 1871. Ueber Ban unci Entwickehing der Placoidschuppen u. s. w. 399 Nicht alle als Zahne im Thierreich bezeichneten Bildungeu bestehen indessen aus Dentin, Schmelz und Cement ; so finden wir aus verhornten Zellen gebildete Zahne im Munde der Petromyzon- ten und Myxinoiden, Chitinzahne bei Mollusken, Wiirmern und Arthropoden sowolil im Munde als auch im Magen vor. In wel- chem Verhaltniss stehen diese Bildungen zu der erstgenannten Kategorie von Zahnen? Von verschiedenen Seiten hat man den Versuch gemacht, alle Zahngebilde unter einem gemeinsamen Ge- sichtspunkt zu betrachten. So erklart Milne Edwards, welcher die Zahne im Thiereich in Odontoides (einfache Epithelialproduc- tionen) und in wirkliche Zahne mit Dentin eintheilt, dass zwischen beiden Arten keine scharfe Grenzlinie gezogen werden kann und ihr Studium nicht getrennt werden darf. Einestheils geschehe der Uebergang zwischen den Odontoides und den eigentlichen Zahnen allmahlich durch das Zwischenglied des unvollstandigen Zahn- systems einiger Wirbelthiere wie Ornithorhynchus, andererseits boten die Dentinzahne untereinander in ihrer Form wie in ihrer Structur noch grossere Verschiedenheiten dar. Ebenso versucht Leydig die Hornzahnbildungen niederer Thiere auf eine gleiche Stufe mit den Zahnen der Wirbelthiere zu stellen. „Ich fiihlte immer", schreibt derselbe in seiner Arbeit iiber die Zahne der Schlangen, „die hochst unbequeme Scheidungslinie, welche man zwischen den Zahnen im Mund und Rachen der Wirbelthiere einerseits und den kalkigen Zahnen der Wirbellosen z. B. aus dem Kaumagen der Krebse andererseits nothgedrungen ziehen miisste. Denn die Zahne der Wirbellosen erwiesen sich als verdickte und verkalkte Cuticularbildungen. Es war daher fiir mich eine er- freuliche Beobachtung als ich gelegentlich faunistischer Studien iiber unsere Molche bemerkte, dass ja bei diesen Wirbelthieren das Zahnbein ebenfalls nach seiner Entwickelung den Cuticular- bildungen zugerechnet werden miisse." Gegen diese Versuche alle Zahnbilduugen morphologisch unter einem Gesichtspunkt zu betrachten, miissen wir Einspruch erheben. Die genanaten Forscher haben dem Begrifi' Zahn eine morphologische Bedeutung gegeben, welche er in keiner Weise besitzt. Wenn wir untersuchen, was den unter ihm zusammengefassten Bildungen gemeinsam ist, so finden wir, dass er hauptsachlich in physiologi- scher Bedeutung gebraucht wird. Man begreift unter ihm Hocker- bildungen auf der Oberflache des Darmtractus und der Mundhohle, welche zur Ergreifung und zur Zerkleinerung der Nahrung dieuen. Aehnliche Hockerbildungen auf andereu Theileu des Korpers pflegt 400 Oscar Hertwig, man wegen der Verschiedenheit ihrer Funktionen nicht als Zahne zu bezeichnen. Wir haben es daher consequenter Weise audi vermieden, den Begriif Zahn auf Theile des Integuments wie z. B^ auf die Placoidschuppen auszudehnen, obwohl wir deren Homologie mit Zahnen erwiesen haben und sind wir hierin nicht dem Bei- spiel von Williamson gefolgt. Eine morphologische Gleichartigkeit der unter ihm zusammengefassten Gegenstande drtickt der Begriff Zahn nicht aus. Wie dieselben physiologischen Funktionen (Ath- mung, Auscheidung u. s. w.) oft von morphologisch ganz ungleich- werthigen Organen vollzogen werden , so verrichten auch ganz heterogene Bildungen die Funktion der Nahrungszerkleinerung. Da uns hiermit die Aufgabe zufiilit, die als homolog erwiese- nen, aus Schmelz '), Dentin uud Cement bestehenden Zahne, welche wir schlechthin Dentinzahne (Waldeyer) nennen wollen, von den tibrigen abzugrenzen, so wollen wir die hauptsachlich hier maassgebenden Gesichtspunkte aufstellen. Wie wir gezeigt haben, miissen die Dentinzahne von einer urspriinglich iiber das ganze Integument verbreiteten placoidschuppenahnlichen Bildung abge- leitet werden. Zahne, welche einen andern Ursprung besitzen, sind unserer Gruppe nicht homolog. Vv^enn wir von diesera Ge- sichtspunkt aus die Wirbelthiere iiberblicken, so konnen wir nicht erwarten, bei den A crania und Cyclostomen Dentinzahne vor- zufinden, da das Integument dieser Thiere dauernd auf jener phy- logenetisch alteren Entwickelungsstufe stehen bleibt, welche wir als ein sehr frtihes embryonales Stadium an Haifischembryonen beschrieben haben. Auf einem geschichtetem Corium liegt unmit- telbar glatt der Epidermisiiberzug auf. Papillenbildung und eine placoidschuppenahnliche Hautverkiiocherung fehlt sowohl vollstan- dig, als auch lasst es sich nicht annehmen, dass.jemals derartige Differenzirungen in dieser Thiergruppe bestanden haben, aber bei den jetzt lebenden Formen riickgebildet sind, wie dies mit dem Schuppenkleid bei manchen Fischen der Fall ist. Es sind demnach die Selachier die altesten uns bekannten Wirbelthiere, welche Dentinzahne besitzen, und konnen wir daher nur bei den Descendenten derselben homologe Zahnbildungen an- treffen. Als ihre Descendenten miissen wir aber nach den uber- 1) Nach eigenen Untersuchimgen und aus ziemlich zahlreiclien in der Li- teratur zerstreuteu Augaben Andercr , mussen wir aniielimen, dass alle aus Dentin bestehenden Zahne auch eine Schmelzbedeckung besitzen, was von vic- len Seiten in Abrede gestellt wird. Ueber Bau und Eutwickelung der Placoidschuppeu u. s. w. 401 zeugenden Ausfiihrungen Gegenbauu's die Ganoiden, Teleostier, Amphibien, Reptilien, Vogel') und Saugethiere betrachten. Weiterhin ist bei der Frage nach der Homologie der Zahn- bildungen in Betracht zii Ziehen, dass alle im eigentlichen Darm- tractus zur Beobachtung kommenden Zahne mit unserer Gruppe nicht vereint werden konnen. Denn gemass unserer Ableitung sind die Dentinziihne Theile von Integumentgebilden, welche sich im Darmtractus nicht vorfinden, sondern nur dem oberen Keim- blatt mit seinem Hautfaserblatte angehoren^). Wenn daher bei dem Schlangengenus Deirodonzixhne, mit welchen diese Schlangen die Schalen der ihnen zur Nahrung dienenden Eier zermalmen, im Oesophagus beschrieben werden, so werden dieselben einen anderen Ursprung haben miissen und Dentinzahnen nicht homolog sein. Eine genauere Untersuchung bestiitigt dies. Denn wie OwEN^) beschreibt, sind es die unteren Dornfortsatze der sieben Oder acht hinteren Halswirbel, welche an ihrem Ende von einer Lage harten Cements bedeckt sind und mit ihren Spitzen die hintere Wand des Oesophagus durchbohrt haben. Nach diesen Erorterungen ist es selbstverstandlich , dass die Ziihne niederer Thiere wie Wiirmer, MoUusken, Arthropoden mor- phologisch mit den Dentinzahnen gar nichts gemein haben. Nachdem wir so die Gruppe der homologen Zahnbildungen naher umgrenzt haben, konnen wir jetzt das Hauptresultat der ganzen Untersuchung in folgendcn Satzen zusammenfassen : Alle Dentinzahne, bestehend aus Schmelz, Dentin, Cement sind einan- der homolog und von einer urspriinghch uber das gesammte Inte- gument verbreiteten placoidschuppenahnlichen Hautverknocherung abzuleiten. Als spater differenzirte Theile eines Hautpanzers 1) Der Mangel der Dentinzahue bei Vogeln, Schildkroten und anderen erscheint als eiu Riickbildungsprocess. Unter den Schildkroten sind bei Trio- nyx wabreud des Embryonallebens Zahne beobachtet wordeu. (Vergl. Gegen- BAUB, Grundziige der vergl. Anatomie. Aufl. 2). 2) Aus dem Satz, dass Dentinzahne nur dem oberen Keimblatt angehoreu und aus ihrer Verbreituiig in der Mund- und Schluudhohle bei niederen Wirbel- thieren, lasst sich bestinimen, wie tief die Einstiilpuug des Integuments zur Bildung der Mundschlundhohle herabreichen muss. So beweist das Vorkom- men von Zahnen auf den Kiemenbogen und den ossa pharyngea bei Fischen, dass ihre Athemhohle noch dem oberen Keimblatt angehort und dass erst mit der Miinduug des Oesophagus der eigentliche Darmtractus oder das untere Keimblatt beginnt. Vergl. Gegenbaur, Grundzuge d. vergleicheuden Anatomie. 2. Aufl. S. 785. . ■ , 3) Owen, Odontography. Bd. viir, N. F. I, 3. 26 402 ^^- Hertwig, Uebor Bau u. Entwickclung d. Placoidschuppen u. s. w. gehoren sic nur dem oberen Keimblatte niit seinem Hautfaser- blatte an. Die altesten noch jetzt lebenden Thiere mit Dentin- zahnen sind die Selachier, welche uns in ihrer Placoidschui)pen- bekleidung einen primitiven, wenig abgeanderten Zustand des In- teguments iiberliefert haben. Der Mangel von Dentinzahnen, wo soldier bei hoheren Wirbelthieren vorkommt, ist als ein Riick- bildungsprocess aufzufassen. Zum Schlusse dieser Arbeit erfiille ich die angenehme Pflicht, dem Herrn Prof. Gegenbaur fiir den freundlichen Piath, durch welchen er mich in meiner Arbeit unterstutzt und fiir die Libera- litat, mit welcher er mir sein reichliches Material an Haifisch- embryonen zur Benutzung iiberlassen hat, meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Ueber Ban mid Entwickclnng der Plaroidschnppen u. s. w. 403 ErlilJiruiig der Abbildiiiijaren. Taf. XII. Fig. 1. riacoidscliuppe von Scymnus Lichia bci scliwaclier Vergrosserung. Eig. 2. Sagittalschnitt durch eiue Placoidscbuppe von Scymnus Lichia bei 120facher Vergrosserung. Die Umrisse der Placoidscbuppe sind in kleinerem Maassslabe gezeicbnet. Fig. 3. Sagittalschnitt durch eiu Stuck Haut von Mustekis laevis bei schwa- cher Vergrosserung. Fig. 4. Stiick eines Sagittalscbuittes durch eine Placoidscbuppe eines Embryo von Acantbias vulgaris. Fig. 5. Spitze einer Placoidscbuppenanlage von einem 17 Cm. langen Embryo von Acantbias americanus. Gezeicbnet bei 500facher Vergrosserung. Fig. 6. Placoidscbuppe von Mustelus laevis bei sebwacher Vergrosserung. Fig. 7. Transversalscbnitt durch eine Placoidschup])euanlagc von einem 13 Cm. langen Embryo von Heptancbus cinereus bei Vergross. 500. Fig. 8. Placoidscbuppe von Acantbias vulgaris bei sebwacher Vergrosserung. Fig. 9. Schmelzzelle isolirt von einem Embryo von 17 Cm. Lange (Acantbias americanus). Bei 950facber Vergr. gezeicbnet. Fig. 10. Sagittalschnitt durch eiue Placoidscbuppenanlage von einem 13 Cm. langen Embryo von Heptancbus cinereus. Bei 120facher Vergrosserung ge- zeicbnet. Fig. 11. Scbuppenanlage von einem 10 Cm. langen Embryo von Acantbias vulgaris. Bei 500facher Vergr. gezeicbnet. Fig. 12. Scbuppenanlage von einem 8 Cm. langen Embryo von Acantbias vulgaris. Bei oOOfacber Vergr. gezeicbnet. Fig. 13. Transversalscbnitt durch eine Scbuppenanlage von Heptancbus cine- reus (Embryo von 13 Cm. Lange). Die Anlage ist nabe der Spitze durch- scbnitten. Bei 120facher Vergross. gezeicbnet. Fig. 14. Schnitt durch die Haut eines 8 Cm. langen Embryo von Acantbias vulgaris. Taf. XIII. Fig. 1. Schmelz von einem Oberkieferzahn von Scymnus Lichia nach Ent- kalkuug in niit Salzsaure schwach angesiiuertem Breunspiritus. Bei 500facher Vergross. gezeicbnet. Fig. 2. Zerzupfte Scbmelznadein von einem Uuterkieferzahn von Scymnus Lichia nach Entkalkung in mit Salzaure schwach angesauertem Brennspiri- tus. Bei 500facber Vergross. gezeicbnet. Fig. 3. Stuck eines Schnittes durch einen jungen nocb vom Zabnleistenepithel bedeckten Zahnes von einem 23 Cm. langen Embryo von Acantbias vulgaris. Bei 500facher Vergross. gezeicbnet. Fig. 4. Sttlck eines Zahnscbliffes von Mustelus laevis. (Vergross. 500). Fig. 5. Stuck eines Zahnschnittes von Mustelus laevis. Der Zabn in sebr schwach angesauertem Wasser entkalkt. Vergross. 500. Fig. 6. Ausgefaserte Grenzscbichte des Dentins nach dem Schmelz zu von einem Schnitt durch den Unterkieferzahn eines Scymn. Lichia. Vergr. 500. Fig. 7. Zabnscbliff von einem Unterkieferzahn von Scymn. Lichia. Vergr. 500. Fig. 8. Schnitt durch einen eutkalkteu Zabn von Mustelus laevis. Verg. 120. Fig. 9. Zabnl)einrohr aus dem Zabn von Mustelus laevis. Vergr. 500. Fig. 10. Schnitt durch eine junge Placoidscbuppe von einem Embryo von Acantliias vulgaris. Vergr. 500. Fig. 11. Eiu Theil der Pulpahoble der Fig. 8 bei 500facher Vergr. 26* 404 ^- Ilortwig, Uebor Ran u. Entwickelung d. Placoidschuppen u. s. w. Fig. 12. Einzeliic isolirte Odontoblastcn aus clem Zahn von Mustelus laevis. ^Vcrgr. 500. Fig. 13. Eiiizehie Zahnbeinrohren dcr Fig. 8 bei 500fachei' Vei'gr. Fig. 14. Senkrechter Diirdiscbnitt diircb den Unterkiefer eines 10 Cm. Ian- gen Acantbiasembryo. Vergr. 120. Fig. 15. Durcbscbnitt durch die Spiize eines jungen nocb in der Epithel- leiste vergrabenen Zahns von einem 17 Cm. langen Acanthias americamis. Vergr. 500. Fig. 16. Seukrecbter Durcbscbnitt durcb den Unterkiefer eines 8 Cm. langen Acanthias vulgaris. Vergr. 120. Erklarung der Buchstabenbezeichnung. C =: Cement (Basalplatte). D = Dentin. H = Haversiscber Kanal. K =: Dentinkeim. L = Lippe. Mb =r Basalmembran. MS =. Schmelzmembran. MO = Scbmelzoberbautchen. N — Kalkkruste. (Erste Scbmelzausscbeidung.) P = Pulpa. Ri z= Zabnrobre. R^ = Zabnrobrcben. (S = Scbmelz. Z =z Zahnleiste. a =: Querdurcbscbnitteue Bindegewebsbiindel. b m Zum Scbnitt parallel verlaufende Bindegewebsbiindel. c = Seukrecbt aufsteigende Bindegewebsbiindel. d = Nicht gescbicbtetes Biudegewebe der Cutis. e ■= Blasige Zellen mit fliissigem Inbalt. f := Nach der Spitze verlaufendes Dentinrobr. g = Horizontal verlaufende Dentinrobre. h zz Scbicbtungsstreifen im Dentin. i = Kuglige Raume im Dentin mit anders beschaffener Grundsubstanz. m = Feinere zur Scbuppeuoberflacbe seukrecbt gestellte Streifen. n = Scbmelzgrenze gegen die Basalplatte. 0 = Polygonale durch Zellenabdruck entstandene Zeichnung. p = Verbindung der Pulpa mit dem Cutisgewebe. q = Haversische Kanale in der Basalplatte. s = Langgestreckte Zelleu unter der Basalmembran. (Keimschicht.) t = Pigmentzelleu. 11 m Secretorischer Zellenabschnitt. w = Schleimzellen. X = Odontoblasteu. y = Bindegewebszellen der Pulpa. z :=: Gezackte Korper im Schmelz. a = Vcreinzelte in Dentinrohren liegende Odontoblasten. ^ = Bindcgcwebskerne in Dentinrohren. y = Zahnfurche. d = Ausgehohltes zabntragendes Stiick dcs Kicferknorpcls. £ =1 Lippenknorpel. ^ = Kante der Zabnlei&te. A =z Gezackter Band zwischen Dentin and Schmelz. ju, = Mit Pigment gefiillte Enden der Dentinrohrchen. I iitersiichiiiigeii ziir vergleicliendcii Aiiatomie der Kieiiieii- uiid Kiet'ermiisciilatiir der Fische. Vou Benjamin Vetter, Dr. phil. (Hierzu Taf. XIV und XV.) Die Muskeln der vorderen Visceralbogen der Fische sind bis- her iioch kaum Gegenstand der vergleichenden Untersuchiuig ge- wesen. Die einzige, zugleich sehr genaiie Beschreibuiig , die wir von diesen Theilen besitzen, hat Cuvier von Perca liuviatilis ge- liefert; die fiir die Vergleichung so wichtige Ordnung der Selachier dagegen ist in dieser Hinsicht noch gar nicht in Angriff genoni- men worden. Zwar giebt Prof. Humphry ini „Joiirnal of Anatomy and Physiology", II, 10, May 1872, p. 271 ff. eine Beschreibung und Vergleichung der Musculatur von Mustelus laevis, wobei er auch auf die Muskeln des Kiemengeriistes und des Zungenbeins und Kieferbogens naher eingeht; seine Angaben lauten aber so unbestimmt und seine Benennungen und Vergleiche scheinen so wenig begriindet, dass diese Arbeit hier fiiglich ausser Acht ge- lassen werden konnte. Meine Untersucliungen gehen von den Selachier n, und unter diesen von den Haien aus, von welchen drei Reprasentanten, Hep- tanchus cinereus, Scymnus lichia und Acanthias vulga- ris praparirt und beschrieben wurden. Die Koch en blieben aus- ser Beriicksichtung, weil diese so eigenthiimlich cntwickclte Gruppe den Zweck einer Vergleichung der fraglichen Bildungen bci den Knorpel- und Knochenfischen doch nicht fordern konnte. Es folg- ten sodann Accipenser sturio und Chimacra monstrosa und endlich einige der leichter erhaltlichen und nicht allzusehr durch secundare Anpassungen modificirten Knochenfische: Esox lucius, Cyprinus carpio, Barbus vulgaris und Perca fluviatilis. — Wo es nothig schien, wurdc auch cine kurze Besclncibung der betreffcnden Skelettheiie gegeben; die wesentlichc unentbehrliche 406 Benjamin Vctter, Grundlage meiner Arbeit bilden jedenfalls Gegenbaur's „UTiter- suchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere", III. Heft, denen ich auch in der Terminologie folge. — Die Nerven wurden stets so weit thunlich beriicksichtigt. Die vorliegenden Untersuchungen wurden vor langerer Zeit in Jena auf Veranlassung und unter Anleitung des Herrn Geh. Hofr. Prof. Dr. Gegenbaur ausgefiihrt, welcher mir sammtliches Material und die nothigen literarischen Hiilfsmittel zur Verfiigung stellte und mir mit seinem bewabrten Rathe stets aufs freundlichste zur Seite stand. Ich erfiilie mit Freuden die angenehme Pfiicht, ihni dafiir meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Erster Theil. H e 1 a o li i e r. Die Musculatur der Visceralbogen zerfallt nach Lage und Innervirung in vier Gruppen odcr Systeme: 1) Oberfliichliche Ringmusculatur. 2) Obere Zwischenbogenmuskeln. 3) Mittlere Beuger der Bogen. 4) Ventrale Langsmusculatur. Die drei ersten Gruppen lassen eine niihere Zusammenge- horigkeit erkennen, wahrend die vierte besonders durch ihrc Be- ziehungen zum Nervensystem eine selbstilndige Stellung einnimmt. 1. Oberfljicliliclie Ringmusculatur (Constrictor arcuum visceralium), Bei den Selachiern treten folgende Muskeln als gesonderte Differencirungen dieses Systems auf: 1) M. constrictor superficialis, obertlachlicher Constrictor. 2) Mm. interbranchiales, Kiemenscheidewandmuskeh]. 3) M. levator maxillae sup., Heber des Oberkiefers. 4) M. trapezius, Heber und Vorwartszieher des Schultergurtels. A. Heptane bus, Hinter dem sehr langgestreckten Kopfe folgen sieben weite Kiemenspalten, welche ventral fast bis zur Mcdiane, dorsal bis Die Kiemen- und Kiefermusculatur fler Fische. 407 zum obern Drittel der Korperhohe reichen, nach liinten zu jedoch allmahlig an Grosse abnehmen. Die sie trennenden Kiemensclieide- wande stelleii breite klappenartige Hautduplicaturen dar, welche die seitlichen Theile des M. constrictor superfic. und die Mm. interbranchiales einschliessen imd deren Bedeckuug innen in die zarte in zahlreiche Querfaltchen (die Reprasentanten der Kiemenblattchen) sich erhebende Schleimhaut iibergelit und sich an den Seiten der innern Kiemenbogen befestigt. Das Spritzloch uber und hinter dem Oberkiefer ist eine sehr kurze, schmale Spalte; der nach vorn und innen sicli erweiternde Spritzlochcanal ist ebenfalls mit Schleimliauttaltcben, dem Reste der Spritzloch- kiemen ausgekleidet. 1) M. constrictor superficialis, Mm. interbranchiales und M. levator max. sup. Ersterer ist Iner noch so innig mit den Kiemenscheidewand- muskeln und dem Heber des Oberkiefers verbunden, dass alle drei zusammen behandelt werden mussen. Die ganze fast durchgangig sehr dunne Muskelschicht (Taf. XIV Fig. 1 und Taf. XV Fig. 5 und 7, Csj— ») theile ich der Bequem- lichkeit halber in einen dorsalen und einen ventralen Abschnitt, welche aber seitlich ohne jede Grenze unmittelbar ineinander tiber- gehen. Ersterer entspringt im Allgemeinen vom Occipitaltheil des Schiidels und von der Oberfiache der dorsalen Langsmusculatur, und zwar von einer ziemhch diinnen diese iiberziehenden Fascie, welche median auf die andere Seite hintiber sich fortsetzt, vorn am Schiidel sich befestigt und hinten allmahlig sich verliert. Der ventrale Abschnitt setzt sich aus oberflachlichen und tiefen Portio- nen zusammen; erstere entspringen im Allgemeinen von einer nach hinten breiter werdenden ziemlich festen Aponeurose, welche hinten an der Unterfiache des Brustgurtels adharirt, auf der BrustHosse sich ausbreitet und median in diejenige der andern Seite tibergeht. Beide Abschnitte inseriren sich mit der innern Ilalfte ihrer Fasern jeweils an den betreffenden Visceralbogen, wahrend die ausseren Fasern direct in diejenigen des andern Ab- schnittes iibergehen. — Im Einzelnen finden sich folgende Ver- hiiltnisse : Der vor dem Spritzloch liegende Theil des dorsalen Abschnittcs zerfallt in zwei nicht scharf getrennte Portionen: eine vordere, den eigentlichen M. levator max. sup., und eine hint ere, den ersten, dem Kieferbogen und seincn Kiemenstrahlen 408 Benjamin Vetter, zukommenden Theil des Constrictors, Csd^ (ich bezeichne mit Csdi — 8 die einzelnen Portionen des dorsalen, mit Csv^ — g die- jenigen des ventralen Abschnittes des Constrictors). — Der Levator max. sup. (Taf. XIV Fig. 1 u. 2 Lms) ent- springt vom Occipitaltheil des Schadels, und zwar von der hin- ter der Orbita liegenden tiefen Grube, welche hauptsachlich durch. den nach aussen imd unten ragenden Postorbitalfortsatz gebildet wird und gegen das hintere Schadelende bin sich allmahlig aus- flacht. Der Muskel stellt ein ziemlich kraftiges Biindel dar, wel- ches nach unten und etwas nach vorne zieht und an der obern Kante und zunachst liegenden Theil en der Innenseite der Basis des grossen Gaumenfortsatzes, den der Oberkiefer nach vorn und innen sendet, sich inserirt. Csdi entspringt, unmittelbar an den Oberkieferheber an- schliessend, nach hinten an Machtigkeit abnehraend, vom hintern Ende des Occipitaltheils des Schadels und dem vorderen Ende der erwahnten dorsalen Fascie, zieht mit schwach convergirenden Fasern nach unten und etwas nach vorn und inserirt sich, vorn wieder im Anschluss an den Heber des Oberkiefers, ziemlich breit an der Innenseite des Quadrattheils des Oberkiefers, nahe dessen oberem Rande, nach hinten hin immer mehr auf dessen obere Kante iibergehend. Seine hintere Grenze bildet das Spritz- loch, seine ganze Innentlache aber bekleidet die vordere Wand des Spritzlochcanales, welche bei Heptanchus zwar keine Spritz- fochknorpel, aber doch zahlreiche kiemenblattartige Schleimhaut- laltchen tr^agt. — Der Lev. max. sup. und C'srfj heben den Ober- kiefer, der erstere dreht ihn dabei urn sein Gelenk mit dem Schadel nach vorn, der letztere nach hinten. Csd^ entspringt mit seinen vordersten Fasern, welche hier durch die hintersten von Csd^ bedeckt und fast unter- rechtem Winkel gekreuzt werden, ziemlich dick vom hintersten Ende des Schadels, im ubrigen mit ansehnlicber Breite von der nach hinten bald sehr dunn werdenden oberliachlichen dorsalen Fascie. Die dunne Muskellage inserirt sich nun mit ihrem vordersten Theile ausschliesslich an der hintern obern Kante und angrenzenden Theilen der Innenseite des Oberkiefers. Das mittlere Drittel von Csd2 geht giosstentheils ebenfalls an die entsprechend weiter nach hinten und unten gelegenen Theile des Oberkiefers bis zu dessen hintercm Ende; von der Innenseite dieser Partie lost sich aber eine sehr diinne Lage ab, welche kurzsehnig am ausseren Rande Die Kiemen - und Kiefermusculatur der Fische. 409 des oberen Gliedes des Zungenbeinbogens ') sich befestigt. Die hintersten (iiussersten) Fasern endlich setzen sich in die ent- sprechenden von Csv^ nach unten fort. — Csrfg — 8 verhalten sich im Allgemeinen ubereinstimmend in Ursprung, Verlauf und Insertion. Wie die Kiemenspalten, so neh- men auch die in ihren Scheidewanden verlautenden Muskeln nach hinten allmahlig an Grosse ab und gleichzeitig verliert sich die oberilachliche dorsale Fascie, von welcher vorn der Haupttheil der betreffenden Muskelportionen entspringt, nach hinten hin vollstandig, so dass die grossere Zahl der Portionen nicht mehr von der Fas- cie ihren Ursprung nimrat, sondern hauptsachhch von schmalen ausserst dtinnen sehnigen Flatten, welche der Aussentlache des M. trapezius aufliegen, seitlich bakl mit einander verschmel- zen und langs des ganzen obern Randes des letzteren an den queren Septa der dorsalen Langsmusculatur sich befestigen, von denen auch der Trapezius zum grossten Theil entsteht. Je die innersten Fasern dieser Muskeln aber nehmen ihre Entstehung vom inneren Ende der dorsalen aussern Kiemenbogen^), und von da noch weiter nach innen tibergreifend von der Aussenflache des M. trapezius. Die 6 so entstandenen Muskellamellen inseriren sich je mit ihrer grossern innern Halfte langs der Aussenseite des obern Mittelstucks des 1. — G.Kiemenbogens, unter spitzem Winkel an dasselbe tretend; die aussern Halften gehen in den entsprechenden ventralen Abschnitt iiber. Die oberflachlichen Urspriinge der ventralen Por- tionen (Taf. XV Fig. 5 u. 7, Csij^s) stellen fiir Csv^s dunne und ziemlich schraale kurzsehnige Muskelbundel dar, welche nach aussen und vorn Ziehen, dabei die ebenfalls fast rudiraentaren ven- tralen ausseren Kiemenbogen fast ganz in sich aufnehmend und umhullend, und die iiussere (hintere) Halfte der Kiemenscheide- wand bilden helfen. Die zwischen den beiderseitigen Urspriingen liegende Aponeurose verschmalert sich wie schon erwahnt nach vorn und verschwindet zwischen den Unterkieferasten, wo die vor- derste Portion,j Csv2, ihren Ursprung nimmt, vollstandig, so dass hier die beiderseitigen Muskelfasern direct ineinander iibergehen; 1) Der ganze Zuugenbeiubogen ist bei Heptanchus beinah rudimfnlar und lii'gt mit Ausnahmc seines oboru und untern Elides der breiten luneuseite des Kieferbogens dicht an. 2) Diese sind bei Hept. sehr schwach ausgeliildet ; ihre aussern HiUften Bind fast ganz in die I'asern des Constr. supertic., die innern in den M. tra- pezius und das nach innen von diesem liegende Bindegewebe eiugebettet. 410 Benjamin Vetter, im Kinnwinkel schiebt sich wieder eine kiirze linea alba zwischen dieselben ein. Die tiefen Ursprunge (Taf. XIV Fig. 7 u. 9, Csv^^—^) kommen bios den zu den eigeiitlichen Kiemenbogen gehenden Portioned Csv^—^ zu. Dieselben nehmen ilire Entstehung als ge- sonderte diinne, aber ziemlich breite Muskellagen von der Seite eines starken Sehnenbandes, welches vom vordern ventralen Ende des Schultergurtels ausgehend in der Mediane nach vorn zieht und die geraeinschaftliche Ursprungssehne der ganzen ventralen Langs- musciilatur darstellt. Die so entspringenden Portionen treten nun zwischen den zu den einzelnen Kiemenbogen gehenden Langsmus- keln Oder durch dieselben hindurch, sie beinah unter rechtem Winkel kreuzend, und vereinigen sich bald an ihrem Aussenrande mit den entsprechenden oberilachlichen Urspriingen. Die Insertion ist ftir Csv^ — § dieselbe: mit der grosseren inneren Halfte der Fasern unter spitzem Winkel am Aussenrande der untern Mittelstucke der Kiemenbogen, mit Ausschluss des innern Endes derselben, wahrend die aussern Fasern in die ent- sprechenden des dorsalen Abschnittes iibergehen. Csvj inserirt sich langs des ganzen untern Randes des Unterkiefers ; vom mitt- leren Drittel der breiten Muskellamelle spaltet sich aber eine obere Lage ab (Taf. XV Fig. 5, Csv^2)^ welche am untern Rande des Hyoidstiickes des Zungenbeins sich befestigt. Die aussersten Fasern gehen wieder in diejenigen des obern Abschnittes iiber. Alle Kiemenscheidewandmuskeln liegen mit dem grossten Theile ihres dorsalen und ventralen Abschnittes der Vorderseite der von den Mittelstiicken der Kiemenbogen ausgehenden Kiemenstrahlen dicht auf. Am ausseren Ende der Mittelstucke, wo dem sie ver- bindenden Gelenk ein besonders starker Kiemenstrahl aufsitzt, treffen die Fasern des Muskels unter sehr stupfem Winkel zusammen und inseriren sich am obern und untern Ptande des erwahnten Kiemenstrahls. Weiter nach aussen (hintenj hin nehmen die dor- salen und ventralen Fasern immer mehr gleiche Richtung an, um endlich am ausseren (hintern) Ende des Kiemenstrahls iiber diesen weg direct ineinander iiberzugehen. — Am Zungenbein liegen die schwachen Kiemenstrahlen mehr in der Tiefe, weshalb die mittleren Theile von Csd^ und Csv^, nur mit deren ausseren Enden leicht zusammenhangen ; am Kiefergelenk schiebt sich statt des Kiemen- strahls eine mit der Kiefermuskelaponeurose zusammenhangende kleinc sehnige Flache zwischen den dorsalen und den ventralen Abschnitt ein. — Csdi endlich uberzieht wenigstens, wie schon Die Kiemen- unci Kiefermnsculatiir cler Fische. 411 erwahnt, die Vorderwand des Spritzlochcanals, welche die rudi- meiitare Kieme dieses Bogens, freilich hier ohne knorpelige Reste der Kiemenstrahlen tragt. Der gauze eben beschriebene Muskelcomplex zeigt folgende Beziehungen ziim Nervensystem: Der Levator max. sup. wird durch ein Aestchen des R. max. inf. Trig, versorgt, welcher sich gleich nach dem Austritt des ganzen Nerveiistammes aus dem Schadel nach hinten wendet; das- selbe Aestchen versorgt hochst wahrscheinlich auch den damit zu- sammenhangenden Theil des Constrictors, Csd^ (dies genau zu ermitteln war wegen unvollstandiger Erhaltiing des Exemplars nicht moglich). Sammtliche zum Zungenbeinbogen gehenden Theile, Csd^ und Csv2 werden innervirt durch den N. facialis, welcher, nachdem er einen schwachen Ast gleich hinter dem Spritzloch zur Aussenflache des obersten Theiles von Csdj abgesendet, langs des Aussenrandes des obern Zungenbeinbogenstiickes, nach innen und hinten von der Insertion von Csdz, herunterlauft; sein vorderer starkerer Ast giebt Zweige an Csdz ab, tritt am Kiefergelenk unter- halb der daselbst befindlichen Aponeurose nach aussen, um jedoch da, wo Csi'2 sich in die zwei Lagen fiir Unterkiefer und Hyoid- stiick des Zungenbeinbogens spaltet, nach innen zwischen diesel- ben einzudringen und langs der Innenseite des Unterkiefers bis zum Kinnwinkel zu gelangen; auf dem. ganzen Wege versorgt er beide Lagen von Csv2 mit zahlreichen Zweigen. — Cs^ wird durch einen Ast des G 1 o s s o p h a r y n g e u s , C\ — » j e durch ein en Ast des Vagus ver-sorgt, welcher langs des innern Kiemenbogens auf der Yorderseite der Insertion des Kiemenscheidewandmuskels herunter- lauft und zahlreiche unter beinah rechtem Winkel abgehende Zweige an denselben abgiebt. Wirkung. Die Contraction des ganzen Constrictors ver- engert das Lumen der ganzen Mund- und Kiemenhohle und schliesst die Kiemenspalten ; die einzelnen Gruppen fiir sich konnen den Oberkiefer sammt dem Zungenbcin, oder die Kiemcnbogcn heben, die Unterkieferaste einander nahern, den Boden der Mund- und Kiemenhohle emporheben. 2) M. trapezius (Taf. XIV Fig. 1 u. 2 Tr). Der Heber des Schultergiirtcls erscheint auf den ersten Blick als ein ganz sclbstiindiger Muskel, lasst sich aber leicht als dom betrachteten System angehorig nachweisen. Er entspringt vorn von ciner lieferen Lage derselben dor- 412 Benjamin Vetter, ■ salen Fascie, von welcher audi die vordersten Portionen des Con- strictors ausgehen imd in gleicher Hohe wie Csrfj langs einer bei- nah horizontal nach hinten verlaufenden Linie, vorn bald hinter dem Schadel beginnend. Die von hier schief nach hinten und imten gehenden Fasern des Muskels werden also bedeckt durch die nach. vorn und unten ziehenden Fasern von Csdj, sodass hier dasselbe Verhaltniss besteht, wie zwischen den hintersten Fasern von Csdi und den vordersten von Csf/2. — Der Ursprung des Trapezius erstreckt sich nach hinten als Fortsetzung der oben er- wahnten sehnigen Linie bis zum hintern Ende des Constr. superf. ; die Fasern kommen aber nicht mehr von der dorsalen Fascie, sondern von den queren stark sehnigen Septa der dorsalen Langs- musculatur, welche hier durch langsverlaufende Sehnenbilndel untereinander verbunden sind. An gleicher Stelle entstehen die eine fast continuirliche, ausserst diinne, oberflachliche Schicht dar- stellenden sehnigen Anfange der aussern Partieen von Csd^ — g, deren Verhalten schon oben besprochen wurde. — Die Fasern der ziemlich niachtigen Muskellage Ziehen parallel nach hinten und unten und inseriren sich an der Vorder- und Aussenseite des Schultergiirtels , die grossere untere Halfte des Scapulartheiles desselben einnehmend. — Die untersten vordersten Fasern aber trennen sich als schmales flaches Biindel ab (Taf. XIV Fig. 2 Tr (i) und befestigen sich an der Oberseite des kurzen rudimentaren letzten (7.) Kiemenbogens , welcher keine Kiemen raehr tragt und mit deni vorhergehenden fest verbunden ist. Die Innervirung konnte wegen unvollstandiger Erhaltung des Exemplars nicht ermittelt werden. — Wirkung: zieht den Schultergttrtel und den letzten Kieraenbogen nach vorn und oben. Es geht aus dem Bisherigen klar hervor, dass die betrachte- ten Muskeln sammtlich Differencirungen eines und desselben Sy- stems sind , welches ursprtlnglich aus einer bestimmten Anzahl gleichartiger serial homologer Bildungen bestand, deren einfachste Form sich wohl am getreuesten noch in t'sg— ^ erhalten hat. Die bedeutende Umgestaltung der vordersten Visceralbogen bedingte entsprechende Veranderungen in den Muskeln. Unverandert aber musste sich die Innervirung der einzelnen Abtheilungen des Sy- stems durch die jeweils den betreffenden Visceralbogen zukommen- den Nerven erhalten, und sie allein kann den Maassstab abgcben fiir die Beurtheilung der Zugehorigkeit einer Muskelportion zu diesem oder jenem Visceralbogen: was in das Gebiet des 3. Astes Die Kienien- iind KiVfr'rnuis(nilatnr dor Fische. 4I3 des Trigeminus fiillt, gehort clem Kieferbogen, was vom Facialis versorgt wird, dem Zungenbeiiibogen an u. s. w. Darum miisste denn auch der ganze hinter dem Spritzloch liegende und zum Oberkiefer gehende Abschnitt ebenso wie der zwischen den Unter- kieferhalften ausgespannte Theil des Constrictors doch dem Zun- genbeinbogen zuerkannt und demzufolge mit Cs^ bezeichnet wer- den. Jede eingehendere Besprechung dieser Punkte wird jedoch besser erst nach der Beschreibung der iibrigen untersuchten For- men ihren Platz finden, so namentlich auch Alles, was sich auf die Beurtheilung des M. trapezius bezieht. B. Acantliias, Die Oeffnungen, durch welche die Kiementaschen nach aussen miinden, haben sich hier von den weiten Spalten bei Heptanchus auf 5 seitlich gelegene spitz -ovale Locher reducirt. Das obere Gliedsttick des Zungenbeinbogens hat sich zum eigentlichen Hyo- mandibulare ausgebildet: es tragt neben dem untern Gliede seines eigenen Bogens noch den ganzen Kieferbogen, dessen verkiimmer- ter Quadrattheil die Yerbindung mit dem Postorbitalfortsatz des Schadels langst aufgegeben hat, wahrend sein Gaumentheil, der jetzt die Hauptmasse des ganzen Oberkiefers darstellt, durch das Palatobasalgelenk eine secundare Beziehung zum Schadel erworben hat. Seiner Aussenseite liegen ein Priimaxillar- und ein Maxillar- knorpel auf; dem untern Ende des letzteren fugt sich ein kleiner Pramandibularknorpel an, 1) M. constrictor superficialis. (Taf. XIV Fig. 3, Taf. XV Fig. 6, 8, 10 Csj— ,). a) iJorsaler Abschnitt. Der Ursprung der ersten Portion, Csd2, beginnt vom an der obern aussern Kante der Occipitalregion des Schadels und setzt sich in eine stark sehnige Linie fort, welche mit schwacher Senkung nach hinten verliiuft : es ist die seitliche Grenze der ober- fliichlichen dorsalen Fascie, die gerade an dieser Stelle sehr fest mit dem iiusseren Rande des lateralen Septums (welches den dor- salen Theil der Stammmusculatur vom ventralen scheidet) verwach- sen ist und eine zum Rumpf gehende Schleimrohre von innen her umgiebt. Diesc sehnige Linie setzt sich nach hinten schwacher werdend in den Ursprung des M. trapezius fort, die hintern Fa- sern von C'sdj dagegen entstehen (ohne jedoch von den vordern irgend sonstwie abgegrenzt zu sein) von eiuer ziemlich schmaleu 414 Benjamin Vetter, flachen Sehne, welche, die vordersten Faserbiindel des Trapezius schief durchsetzend , oberhalb des lateralen Septums und noch oberhalb des Vagus und der ersten Spinalnerven in den dorsulen Theil der Stammmusculatur eindringt und schief nach innen und hinten durch dieselbe hindurchgeht, wobei sie sich in breite dunne immer weiter auseinandergehende sehnige Biindel auflost und zu- gleich mit den nach aussen und hinten verlaufenden queren Septa der Stammmusculatur jeweils fest verwachst. Ihre Insertion findet sie endlich in Gestalt einer breiten sehr diinnen aponeurotischen Platte an der Seite der breiten durch starke Bander verbundenen Neuralbogen der Wirbelsiiule, oberhalb der Nervenaustrittstellen. — Neben und nach innen jedoch von den Fasern, welche auf die eben geschilderte Weise ihre Entstehung nehmen, entspringen noch wenige andere vom Vorderrande des plattenformig verbreiterten obern Endes des zweiten ausseren Kiemenbogens , welches sich dicht hinter jener schmalen Sehne nach vorn und innen wendet, um durch sehniges Bindegewebe vorn mit dem verkiinimerten ersten, hinten mit dem dritten ausseren Kiemenbogen und innen mit dem ersten inneren Kiemenbogen Vcrbindung zu linden. — Die hinter- sten Fasern von Csdz endlich entspringen als diinne breite Mus- kelschicht von einem Sehnenstreifen , welcher vom hintern Rand der oben erwahnten schmalen Sehne herunter bis zur obern Ecke des ersten Kiemenloches verliiuft und gleichzeitig als Insertions- stelle fiir den grossten Theil der nachst hintern Portion des Con- strictors dient'). Dasselbe gilt nun, mit Ausnahme des iiber die vorderste Por- tion von Csd2 Gesagten, auch fiir die folgenden Theile des Con- strictors: je die vordersten und medialsten Fasern entspringen von dem obern Ende des entsprechenden aussern Kiemenbogens, die nach hinten darauf folgenden von einer schmalen diinnen Sehne, welche durch eine spaltformige Liicke des M. trapezius nach innen, hinten und oben in die dorsale Liingsmusculatur hinein, und sich verbreiternd bis zur Wirbelsaule vordringt; je die hintersten Fa- 1) Dieser Sehnenstreifen wietlerholt sich in ganz glcicher Weisc iiber dem 2. — 4. Kiemeuloch und ebeuso ventral unterhalb des 1. — 4., ohwohl hier minder scharf ausgehildet: uberall bezeichuet er unzweifelhaft die Stelle, wo die ur- sprunglich in ihrer ganzen Ausdehuung freien Rander der Kiemenscheide- wande, wie sie bei Heptanchus noch besteheu, mit der Aussenflache der nachst hinteren Scheidewand verwachsen siud; dem entsprechend liegen auch dicht unter den einzelnen Streifen und fest denselbeu adharirend die ausseren Kie- menbogen. Die Kiempn- und Kiofcrmusculatni' dor Fische. 415 sern endlich, welche ubrigens die grossere Halfte der ganzen Por- tion darstellen, kommen von dem beschriebenen uber den ausse- reii Kiemenbogen herunterlaufenden Sehnenstreifen. — Bei Csd^ entspringen die ohersten Fasern von einer kurzen Sehne, welche den Trapezius zuniichst seiner Insertion am Schultergiirtel durch- setzt und sich gleich hinter derselben an der Innenseite des letz- teren befestigt; die untere Halfte der Portion nimmt als ausserst diinne Muskelschicht ihren Ursprung kurzsehnig von der Aussen- seite des Schultergurtels unterhalb der Insertion des Trapezius an demselben. Insertion. Der vorderste ziemlich machtige und breite Theil von Csd2 befestigt sich, uber die nach hinteu und aussen gewendete Flache des Hyomandibulare wegziehend, kurzsehnig an dessen vor- derem lateralem Rande, von dem obern hinter dem Spritzloch vor- springenden Winkel an bis zum untern hintern Ende desselben, und am obern verdickten Ende des Hyoidstuckes, hier mit lange- rem sehr dunneni sehnigem Ansatz. — Das vorderste Biindel dieser Portion jedoch, welches das Spritzloch von hinten begrenzt , hebt sich nach aussen und vorn vom iibrigen Muskel ab und inserirt sich sehnig an der obern hintern Ecke des Quadrattheils des Ober- kiefers. Die an den erst erwahnten Theil sich anschliessende flachere hintere Halfte von Csd2 geht in eine breite vom Kiefergelenk aus horizontal nach hinten beinah bis zum ersten Kiemenloche sich ausdehnende Aponeurose iiber, welche den mittleren Kiemenstrah- len des Zungenbeinbogens fest autliegt. — Die vom untern Ende des oben erwahnten iiber dem ersten Kiemenloche endigenden Sehnenstreifens kommenden Fasern endlich gehen mit' geschwun- genem allmahlig nach hinten und unten sich wendendem Verlaufe direct in die hintersten Fasern des ventralen Abschnittes von Caj iiber, helfen also wesentlich den Kiemendeckel fur das erste Kie- menloch bilden. Die folgenden vier Portionen Csd^ — « inseriren sich iiberein- stimmend mit ihrem grossern obern Theil an dem Sehnenstreifen, welcher einem Theile der nachst vorhergehenden Portion als Ur- sprung dient, unter einem nach unten immer spitzer werdenden Winkel; wahrend jeweils die untersten Fasern iiber das betrefiende Kiemenloch wegziehend sich nach hinten und unten wenden und in den entsprechenden Theil des ventralen Abschnittes iibergehen. 416 Benjamin Yottcr, b) Vontraler Abschnitt (s. Taf. XV Fig. 6). Wenn man nach Ablosung der Haut den Kopf von Acanthias von unten betrachtet, so zeigen sich an dessen hinterem Ende zwei zu beiden Seiten der Mittellinie liegende, der ventralcn Langs- musciilatur angehorige kurze massige Muskeln, Cac, welche von der Vorderseite des Coracoidtheiles des Scliultergiirtels und von der Unterflache einer starken Fascie kommen, die sich zwischen der Vorderseite des Scliultergiirtels und der Unterseite der media- len Enden der innern Kiemenbogen ausspannt, die Herzhohle von unten begrenzend. Jene beiden Muskeln ziehen convergirend nach vorn, urn sich bald durch eine starke besonders auf ihrer Unter- flache ausgebreitete Sehnenmasse zu vereinigen. Von der hintern Grenze der so gebildeten sehnigen Unterilache der vereinigten Muskeln entspringt nun ein bald sehr schmal werdender Sehnen- streif, welcher in der Mediane nach vorn verlauft und sich in der Nahe der Symphyse der beiden Unterkieferhalften allmahlig ver- liert. Er reprasentirt olfenbar die entsprechend gelegene breite Aponeurose bei Heptanchus ; wahrend aberhier die oberflachlichen Portionen des ganzen ventralen Abschnittes des Constrictor super- fic. davon entsprangen, giebt der Sehnenstreif bei Acanthias, ent- sprechend seiner geringeren Langsausdehnung, eigentlich nur der vordersten Portion, Csv^, den Ursprung. Die Fasern gehen beider- seits schief nach vorn und aussen davon ab, hinten ;unter sehr spitzem Winkel, der sich aber nach vorne hin immer mehr einem rechten nahert, bis sie endlich in der Kinngegend, wo der Sehnen- streif verschwunden ist, von beiden Seiten direct ineinander uber- gehen. — Die so gebildete dunne Muskellage findet mit dem gros- sern vordern Theil ihrer Fasern Befestigung am hintern Rande des Unterkiefers , von der medianen Symphyse an bis ungefahr 8 Mm. vor dessen hinterem Ende. Die nach hinten auf diesen Theil folgenden Fasern heben sich von den vorhergehenden nach aussen hin ab und gehen in eine breite dtinne Fascie liber, welche fast die ganze Aussenflache des M. adductor mandibulae iiber- zieht und allmahlig in den Fasern desselben sich verliert, theil- weise auch, namentlich an ihrem unteren Rande, den letzteren direct als Ursprung dient. Daran schliessen sich die hintersten Theile der erwahnten Muskellamelle, welche in den untern Rand der oben beschriebenen vom Kiefergelenk nach hinten ziehenden breiten Aponeurose eintreten; un(J auf diese folgen endlich die den Kiemendeckel des ersten Kiemenloches tiberziehenden Fasern, welche von dem vom untern Ende dieses Loches ventralwarts ver- Die Kieraeii- iind Kiefermusculatur dor Fische. 417 laufenden schwachen Sehnenstreifcn entpriiigen und mit gebogenem Verlaufe in die hinterste Partie des dorsalen Abschnittcs iiber- gehen. — Das mittlere Drittel diescr breiten Muskelschicht, wo dieselbe ziigieich am raachtigsten ist, spaltet sich aber lateral ganz wie bei Heptanchus in zwei Lamellen: nach innen von der zur hintern Halfte des Unterkiefers und zum grossen Kiefermus- kel gehenden Portion trennt sich von dieser eine etwa 15 Mm. breite diinne Miiskellage von gleichem Faserverlaufe ab, die sich kurzsehnig an einem zienilich scharfen nach aussen vorspringen- den Wulst der Aussenflache des Hyoidstiicks des Zungenbeinbogens befestigt. (Diese Insertionsstelle s. Taf. XV Fig. 8, Csv^^)- Csv^ — 5 entspringen zum grossten Theil jeweils von dem Sehnen- streifen, welcher von jedem Kiemenloche herunterzieht, tsr« von einem starken Band, welches dem Aussenrand des Schultergiirtels aufliegt. — Die untersten Biindel von Csv^ aber nehmen ihren Ursprung als schmale dunne Sehne zur Seite der hintersten Fasern von Csr2 von der sehnigen Unterflache des ventralen Langsmuskels. — Je die untersten Biindel von ( sv^ — g endlich kommen von einer sehr dtinnen kurzen Aponeurose, die vom Aussenrande der oben erwahnten der ventralen Langsmusculatur als Ursprungsflache die- nenden Fascie ausgeht; sie bedeckt von unten her die inneren verbreiterten Enden der ventralen ausseren Kiemenbogen und nimmt die medialen Endigungen der nach aussen von jenen herunterlau- fenden Sehnenstreifen in sich auf. Insertion von Csv^ — « jeweils hauptsachlich am nachst vor- deren Sehnenstreifen; je die obersten Fasern gehen direct in den dorsalen Abschnitt iiber. Innervirung. Die ganze vorderste Portion fsj wird durch den N. facialis versorgt. Derselbe gelangt am Hinterrande des Spritzlochs auf die Aussenflache des Muskels und giebt (abgesehen von den dem nachst vorderen Visceralbogen zukommendcn Rr. mandibulares) gleich einige Aeste ab, welche sich nach hinten hin verbreiten, dann einen etwas grosseren, welcher oberhalb der brei- ten Aponeurose des Muskels in diesen eindringt; der Ilauptstamm des Nerven verlauft in der Furche zwischen Hyomandibulare und Oberkiefer nach hinten und unten, um sich am Kiefergelenk in drei ziemlich gleich starke Aeste aufzulosen. Der hinterste ver- zweigt sich oberflachlich auf dem unter und hinter der breiten Aponeurose gelegenen Theil des Muskels, der mittlere und der vordcre gehen nach innen von dem zum Kiefermuskel tretenden Biindel zur Innenseite des Muskels; jener dringt zwischen die bei- Bd. vnr, N. F. I, 3. 27 418 Benjamin Vetter, den zum Unterkiefer und zum Hyoidstuck des Zungenbeinbogens gehenden Lamellen ein und versorgt hauptsachlich die letztere, dieser veiiauft der Innenseite des Unterkiefers entlang nach vorn und unten, giebt Zweige an die vordersten Partieen von Csv^ ab und gelangt endlich zur Schleimhaut des Bodens der Mundhohle. Ueber die Innervirung der ubrigen Portionen konnte nichts Sicheres ermittelt werden. Die Wirkung des ganzen Complexes ist im Allgemeinen die- selbe wie bei Heptanchus: Verengerung der Kiemenhohle und Schliessung der Kiemenlocher; die vordern Partieen von Csd2 mogen wohl auch zur Hebung des Zungenbein- und Kieferbogens beitragen. 2) Mm. interbranchiales (Jbr). Wenn man den oberflachlichen Constrictor sorgfaltig abprapa- rirt, so erscheinen die Kiementaschen nach aiissen bin ober- und unterhalb der Kiemenlocher durch ausserst zarte Hautchen ver- schlossen, die von einem ausseren Kiemenbogen zum andern Ziehen und jeweils langs des Vorderrandes dieser letzteren den schon oben mehrfach erwahnten Sehnenstreifen in sich aufnehmen, wel- cher die Ursprungs- und Insertionsstelle fiir den grossten Theil der oberflachlichen Musculatur darstellt. Werden nun die Kiemen- scheidewande frei praparirt, indem man die Aussenwande und die damit zusammenhangenden Seitenwande der Kiementaschen, welche aus den Kiemenblattchenreihen bestehen, ablost, so zeigt sich, dass die ganze Scheidewand zwischen je zwei Kiementaschen bios von einer sehr dunnen Muskelschicht gebildet wird, die zwischen ausseren und inneren Kiemenbogen ausgespannt ist. ■— Das ge- nauere Verhalten dieses M. interbranchialis ist folgendes (vgl. Taf. XV Fig. 10 Jbr^—i): Die Fasern desselben entspringen ventral, eine diinne Platte darstellend, von dem nach aussen und vorn gerichteten Rande des breiten inneren Endes der ventralen ausseren Kiemen- bogen '), in geringem Maasse auch noch von dem dicht daran stos- senden innern hintern Rande des nachst vordern ausseren Bogens, 1) Diese verbreitern sich namlich an ihrem medialen Eude plotzlich zu einer dunnen Knorpelplatte , die sich sogleich nach vorn, innen und oben umbiegt; die vordersten derselben liegen dabei dem aussern obern Rande der ventralen Langsmuskeln, die hintern der obern Flilche der zwischen sie und die Langsmuskeln sich einschiebeuden Aponeurose dicht auf, welche den ge- meinsameu Urspruug je der uutersteu Fasern von Cav^— g darstellt. Die Kiemen- uud Kiefermusciilatur der Fische. 419 und von dem beide Ran der verbindenden schwachen Ligament. Die so gebildete diinne Muskelschicht zielit nun schief nach aus- sen und oben, liber die Vorderseite der Kiemenstrahlen weg, wo- bei sie denselben fest aufliegt und ilire ausseren Enden auch von hinten her umgreift. Die Fasern inseriren sich dann unter sehr spitzem Winkel am vordern Rande der innern Kiemenbogen. An sie schliessen sich nach aussen noch zaWreiche Fasern an, welche von dem langs des ausseren Kiemenbogens verlaufenden Sehnen- streifen kommen ; diese gelangen aber grosstentheils nicht mehr zum inneren Kiemenbogen, sondern gehen direct in den dorsalen Abschnitt iiber; sie bilden den am meisten lateralwarts gelegenen, die von den zusammenstossenden Enden des obern und untern Mittel- stucks der Kiemenbogen ausgehenden Kiemenstrahlen uberziehen- den Theil der Kiemenscheidewand, und an sie schliessen sich nach aussen (hinten) ohne jede bestimmbare Grenze diejenigen Fasern des Constrictor superficialis an, welche vom dorsalen Abschnitt der nachst hinteren Interbranchialportion desselben in den ventra- len Abschnitt direct tibergehen, d. h. den Kiemendeckel fur das Kiemenloch des nachst hintern Interbranchialraumes bilden helfen. Im dorsalen Abschnitte des Kiemenscheidewandmuskels wieder- holt sich genau das Verhalten des ventralen Abschnittes, nur mit umgekehrter Verlaufsrichtung, der Fasern: von dem nach innen und etwas nach unten und vorn umgebogenen plattenformig ver- breiterten obern Ende der dorsalen aussern Kiemenbogen, sowie von dem daran stossenden Hinterrand des nachst vorderen Bogens und dem beide verbindenden Ligament, und weiter nach unten von dem langs des ausseren Kiemenbogens herunterlaufenden Sehnenstreifen entspringend, gelangen die Fasern, nach unten und innen ziehend, grosstentheils unter spitzem Winkel an dieAussen- seite des obern Mittelstiicks des inneren Kiemenbogens, mit dem kleineren aussersten Theile aber gehen sie in die entsprechenden Portionen des ventralen Abschuitts iiber. So findet sich der M. interbranchialis am Lbis 4. Kiemenbogen, dagegen nicht am Zungenbeinbogen , welcher zwar dorsale und ventrale iiussere Bogenstuckc besitzt, wo aber die vordersten Por- tionen des Constrictor superficialis, C'sdj und Csv^, den Kiemen- strahlen dicht aufliegen und demnach genau in der gleichen Be- ziehung zu denselben stehen, wie der Scheidewandmuskel zu den Kiemenstrahlen der eigentlichen Kiemenbogen, — und nicht am 5. Kiemenbogen, dem iiberhanpt weder Kiemenstrahlen noch aus- sere Kiemenbogen mehr zukommen. — 27* 420 Benjamin Vetter, Innervirung: Der Scheidewandmuskel des 1. Kiemenbogens wird durch den hinteren starkeren Zweig des Glossopharyiigeus, die Muskein des 2.-4. Bogens von den entsprechenden Zweigen der die betreffenden Interbranchialraume versorgenden Vagusaste innervirt*). Diese Zweige verlaufen jeweils auf der Vorderseite des Scheidewandmuskels ziinachst seiner Insertion am inneren Kieraenbogen herunter und geben dabei zahlreiche feine Aestchen ab, welche schief nach aussen und unten tretend auf dem Muskel sich verbreiten. — Zwischen der Insertionslinie des Muskels am Vorderrand des Kiemenbogens, und der Basis der Kiemenstrahlen , welche dem Hinterrand des Bogens aufsitzen, verlauft die Kiemenarterie von unten nach oben, und im gleichen Raume sammelt sich allmahlig die Kiemenvene an. Die Wirkung der Scheidewandmuskeln kann nur in einer Verkiirzung der ganzen Kiemenscheidewand bestehen, in Folge deren dieselbe sich gegen die nachst hintere anlegen muss, was also die Wirkung des oberflachlichen Constrictors, speciell die Schliessung der KiemenJocher, untersttitzt und erganzt. 3) M. levator maxiUae sup. (Taf. XIV Fig. 3 Lms). Er stellt ein ziemlich breites, massig dickes Muskelbiindel dar, welches vom obern aussern Rande der Occipitalregion des Schadels und den zunachst daran grenzenden Theilen der Aussenflache der- selben Region entspringt, von der hintern aussern Schadelecke nach vorn bis zur Basis des Postorbitalfortsatzes sich ausdehnend, in seiner vordern Halfte machtiger als in der hintern. Er verlauft vor dem Spritzloch herunter zum Oberkiefer, und zwar- so, dass seine Hauptmasse, mehr nach innen ziehend und ihre breite Flache nach aussen kehrend, an der Basis des Gaumenfortsatzes des Oberkiefers, an dessen oberem abgerundetem Rande sich inserirt; wahrend die hintere eben so breite aber viel weniger dicke Por- tion die vordere Spritzlochwand iiberzieht, deshalb ihre breite Flache beinah rechtwinklig zur vorigen Portion gerade nach vorn kehrt und sich kurzsehnig an der Innentlache der Basis des kur- zen Quadrattheils des Oberkiefers befestigt. Die beiden Spritz- lochknorpel, welche fast senkrecht zum Faserverlauf dieser Partie 1) Der voi-dcrc schwachere Zweig des Glossopharyugeus resp. der Vagus- aste verlauft der Hinterseite des nachst vorderen Visceralbogeus entlang her- unter; vergl. Stannius, das peripherische Nervensysteui der Fische, S. 79. rHe Kiemen- nnd Kiefermnscnlatur dor Fische. 421 nach aussen gcrichtet sind, lagern sich dabei ihrer hintern Fliiche dicht an, so dass diese zu den Spritzlochknorpeln genau in die- selbe Bezieliung tritt, wie sie zwischen den Mm. interbranch. und den knorpeligen Radien der Kiemenbogen, oder zwischen Csdz und Csj'a und den Radien des Zungenbeinbogens besteht. Die hintersten Fasern des Muskels begrenzen also auch das spaltformige Spritz- loch von vorn. — Die beiden erwahnten Portionen des Muskels stehen zwar in der obern Hiilfte in innigem Zusammenhang, trennen sich aber unten mehr oder weniger, indem die erste etwas nach innen, die zweite mehr nach aussen sich wendet. I n n e r V i r u n g : Durch ein kleines Nervenastchen , welches unmittelbar nach dem Austritt des dritten Trigeminusastes aus dem Schadel von demselben sich ablost, unter dem Postorbital- fortsatz nach hinten geht und auf der Aussenflache des Muskels sich verzweigt. Wirkung: Hebt den Oberkiefer gegen den Schadel. 4) M. trapezius. Breiter, massig dicker Muskel, in Form, Ursprung und An- satz ziemhch mit dem gleichnamigen Muskel von Heptanchus iiber- einstimmend. Er entspringt von der Seite der dorsalen Liingsmuskeln in einer Linie, welche nach hinten und etwas nach unten zieht und sich von der Gegend des ersten Kiemenbogens bis zum Schulter- giirtel ausdehnt. Die vorderste Portion nimmt ihre Entstehung noch deutlich von der Fascia dors, superfic; dieselbe verliert sich aber weiter nach hinten vollstandig als gesonderte Bildung und scheint mit dem Integumente zu verschmelzen ; der iibrige Theil des Muskels entspringt nur von einem die Ursprungslinie darstel- lenden Sehnenbande, welches bei jeder Kreuzung mit einem unter- liegenden queren Septum des Riickenmuskels fest mit diesem verbunden ist und sich durch von demselben ausgeliende Sehnen- fasern verstarkt. In unmittelbarer Nahe des Schultergiirtels wcr- den die Muskelfasern immer sparlicher, bis schliesslich nur eine kurze Aponeurose iibrig bleibt. Die Fasern der so entstandenen breiten Muskellage ziehen etwas convergirend nach hinten, unten und aussen; an fiinfStellen treten dabei die oben erwahnten sehnigen Urspriinge von Csrij— e durch spaltformige Liicken des Muskels nach innen und oben durch. Der grosste Theil des Muskels inserirt sich kurzschnig an 422 Benjamin Vetter, der schmalen nach vorn gewendeten Flache des Scapulartheiles des Schiiltergiirtels, in einer Ausdehnung von ungefahr 3 Cm. ; die untere Halfte der Insertion wird von aussen verdeckt durch den breiten aponeurotischen CJrspriing der untern Fasern von Csd^. — Die untersten vordersten Fasern des Muskels aber sondern sicli als schmales Biindel ab iind befestigen sich am untern Ende des obern Mittelstiicks des 5. inneren Kiemenbogens und am Anfang des von dieser Stelle nach hinten zur Innenflache des Schulter- giirtels gehenden starken Bandes. Innervirung: Ein feiner Zweig des R. intestinalis Vag. liess sich bis zur Innenseite des Muskels verfolgen; ob aber der ganze Muskel durch diesen oder noch durch andere Zweige des Vagus versorgt wird, konnte nicht festgestellt werden. Wirkung: Zieht den Schulterglirtel sammt dem letzten Kie- menbogen nach vorn und oben, erweitert also zugleich das hintere Ende der Kiemenhohle. C. Scymnus lichia. Die iiussere Form des Kopfes und Kiemenapparates und dessen Bau stimmen ini Allgemeinen niit den Verhaltnissen bei Acanthias uberein; die Kiementaschen offnen sich ebenfalls nur durch lang- liche laterale Locher nach aussen, das System der aussern Kiemen. bogen ist stark entwickelt, ebenso der Maxillar- und Pramandibu- larknorpel, wahrend der Pramaxillarknorpel ziemlich rudimentar bleibt. Ij M. constrictor superficialis. Die ganze Gestaltung dieses Muskelsystems ist derjenigen bei Acanthias fast gleich, doch aber iinden sich in einzelnen Punkten bedeutsame Verschiedenheiten, welche sich mehr an die Verhalt- nisse bei Heptanchus anlehnen und Scymnus eine vermittelnde Stellung zwischen den beiden erst beschriebenen Formen anweisen. a) D 0 r s a 1 e r A b s c h n i 1 1. Die vorderste Portion C'srfj entspringt auch hier ziemlich machtig vom Hinterende der aussern Kaute der Occipitalregion des Schadels und vom lateralen Rande der oberflachlichen dorsalen Fascie. Diese letzere ist aber hier ausserst kraftig entwickelt, hangt mit den queren Septen der dorsalen Langsmusculatur, mit denen sie sich bei Hept. und Acanth. lest verband, nur leicht zu- sammen und setzt sich nach hinten , allmahlig an Starke abneh- mend, bis in die Nahe des Schultergiirtels als leicht unterscheid- Die Kiemen- mid Kiefermusculatur fler Fiache. 423 bare Fascie fort. Wahrend nun vorn bios eine Lage von Faser- ziigen darin auftritt, welche in der Richtung der Fasern von Csdz nach vorn und unten verlaufen, lassen sich in den hintern zwei Drittheilen der Fascie, wenigstens in den lateralen Partieen der- selben, 2 solche Lagen unterscheiden: die Fasern der oberflachlichen Ziehen nach hinten und unten und geben dem M. trapezius den Ursprung; diejenigen der tieferen Lage, zahlreiche schmale sehnige Bander darstellend, stimmen in ihrer Richtung mit denjenigen des vordern Drittels iiberein und lassen je die vordersten Partieen von C'sdg— 6 entstehen. Sie gehen namlich an der Innenseite des M. trapezius noch eine Strecke weit nach unten und vorn, dringen dann einzeln an zahlreichen Orten schief von hinten und oben her zwischen den Biindeln dieses Muskels durch, jedoch so, dass die Austrittstellen im Ganzen eine wie bei Hept. und Acanth. nach hinten und etwas nach unten verlaufende Linie darstellen, und gehen dann gieich nach ihrem Austritt in ziemlich starke Muskel- biindel liber, die gruppenweise vereinigt je die vordersten Partieen von Csd^—Q bilden. — Die hintern Partieen von Osda— 5 entspringen hier zum grossern Theil jeweils voni oberu aussern Kiemenbogen, welcher hier beinah in seiner ganzen Ausdehnung obertiachlich zum Vorschein kommt; nur einzelne Sehnenbiindel und feineNer- venfadchen ziehen iiber ihn weg. An seinem obern Ende aber verschwindet er unter dem breiten Sehnenstreifen , der wie bei Acanth. die Portionen des Constrictors von einander abgrenzt und ihnen als Ursprungs- und Insertionsstelle dient. — Bei Csdf^ ist wieder der Ursprung dieser hintern Partie auf die Aussenseite des Schultergiirtels verlegt. Die vordere Halfte von Csd^, eine ziemlich starke, nach unten sich verschmalernde Muskelmasse, inserirt sich nun kurzsehnig an der hinter dem Spritzloch stark nach aussen vorragenden, von vorn nach hinten laufenden stumpfen Kante des Hyomandibulare; die vordersten Fasern jedoch befestigen sich auf der Oberseite einer starken Bandmasse, welche beinah 1 Cm. breit von dem ab- gerundeten obern Rande das Hyomandibulare entspringt und ziem- lich zugespitzt an einer direct nach aussen vom Spritzloch vor- springenden Ecke des hintern Oberkieferrandes sich inserirt. Ein Theil der erwahnten Muskelfasern geht unmittelbar in diese Sehnenmassc uber; der N. facialis biegt sich iiber dieselbe weg nach hinten und aussen: es darf also hienach dies Muskelbiiudel wohl ohne Frage als Homologon desjenigen betrachtet werden, welches bei Acanth. direct an den Oberkiefer iiberging. — Die 424 Benjamin Vetter, breitere, aber weniger machtige hintere Hiilfte von Csd^^ von der vordern durch eine weite Liicke sich abgienzend, bildet an ihrem lateralen Ende eine sehr breite aponeurotische Platte, welche sich vom untern Ende des Hyomandibulare nacli hinten erstreckt und liier den zu einer grosseren Knorpelplatte verschmolzenen Zungen- beinradien dicht aufliegt. Der vorderste Theil dieser Aponeurose jedoch verstarkt sich zu einer kniftigen Sehne, welche iiber das Unterende des Hyomandibulare weg nach unten und vorn zieht und sich am Hinterrand des Unterkiefers befestigt. — Die hinter- sten Fasern dieser Halfte bleiben musculos und verlaufen vor dem ersten Kiemenloch nach unten, um in die entsprecheuden Theile des ventralen Abschnittes iiberzugehen. Die iibrigen Portionen Csd^—Q inseriren sich ahnlich wie bei Acanth. hauptsachlich an dem nilchst vordern aussereu Kiemeu- bogen, Oder an dem iiber demselben verlaufenden Sehnenstreifen, wahrend die hinterste Partie jeweils iiber das betreffende Kiemen- loch wegziehend in den ventralen Abschnitt iibergeht. b) Ventraler Abschnitt. Bei der Ansicht des Kopfes von unten zeigt sich auch hier, wie bei Heptanchus und Acanthias , vorn zwischen den beiden Unterkieferiisten die quer hertiberziehende continuiriiche Muskellage, deren Fasern nach hinten hin eine immer schiefere Richtung an- nehmen, wahrend zugleich in der Medianlinie ein allmahlig breiter werdender Sehnenstreifen sich zwischen dieselben einschiebt, an welchem sie, nach beiden Seiten unter spitzem Winkel divergirend, ihren Ursprung nehmen. Alle diese Fasern zusammen stellen die oberfliichliche Lage der vordersten Portion Csf 2 dar; die hintersten derselben reichen mit ihrem Ursprung bis zur'Gegend des median stark nach vorn ragenden Coracoidtheils des Schultergiirtels. Sie Ziehen sammtlich, rait Ausnahme der vordersten, die wie erwahnt quer verlaufen, schief nach vorn undaussen und inseriren sich, zum Theil mit stark sehnigem Ende, am ganzen Hinterrande des Unterkiefers und an der Aussenseite jener breiten Sehne, welche von Csd2 abgeheud sich an der hintern Ecke des Unterkiefers in- serirt. Von dieser vordern Halfte durch eine schmale Liicke (durch welche auch ein Ast des Facialis in die Tiefe eindringt) getrennt, geht die kleinere hintere Partie in die oben erwahnte vom Kieferwinkel nach hinten ziehende breite Aponeurose, die hintersten Fasern, welche grosstentheils vom 2. ventralen aussern Kicmenbogen und dem iiber ihm verlaufenden Sehnenstreifen ent- Die Kiemen- uiul Kipfermusculatur der Fische. 425 springeu, direct in den dorsaleii Abschnitt tiber. - Der mediane Sehnenstreif, von welchem diese Portion zum grossten Theil ent- springt, setzt sich aber vorn, wo er oberflacWich verschwindet, in einer tieferen Lage noch bis zur Kinnsymphyse fort, wobei er sich stark verbreitert, und giebt auf seiner ganzen Aiisdehnung zahlreichen Muskelfasern den Ursprung, welche eine voUstiindige tiefere Schicht des Muskels darstellen und stark convergirend an einem nach aussen vorstehenden Kamm der hintern Halfte des Hyoidstiicks des Zungenbeinbogens sich inseriren. Zwischen den beiden, mit Ausnahme des mediauen Urspruugs durchaus getrenn- ten Sc'bichten , deren Fasern sich in den mittleren Partieen fast rechtwinklig kreuzen, verzweigt sich der oben erwahnte Facia- lisast, beide versorgend. Die Portionen Csv^—^ entspringen mit dem grossern obern Theile ihrer Fasern ganz ahnlich wie bei Acanth. von dem ent- sprechenden ventralen aussern Kiemenbogen oder dem denselben bedeckenden Sehnenstreifen, welcher aus der Vereinigung der kurz- sehnigen Endigungen der nachst hinteren Constrictorportion und des dem nachst hinteren Kiemenbogen angehorenden Interbranchial- muskels hervorgeht; bei Csv^ entsteht die gleiche Partie theils vom vordern untern Rande des Coracoids, theils von einer diinnen Aponeurose, welche der Unterseite der Flossenbasis aufliegt. — Je die untersten Faserbiindel von Csr^—e aber strecken gleichsam ihre Urspriinge nach hinten und innen aus und haften als schmale, durch betrachtliche Lucken von einander getrennte, sich zuspitzende Muskelbander an der Unterseite einer starken Fascie, welche aus zahlreichen gesonderten, von beiden Seiten nach vorn und innen ziehenden und in der Mediane beinah unter rechtem Winkel sich kreuzenden Sehnenfasern (bios an der hintern Grenze gchen die- selben mit bogenformigem Verlaufe direct in einander iiber) zu- sammengesetzt, vom Hinterende des Ursprungs von Tsda beginnt und nach hinten uber den Schultergiirtel hiuausreicht, so dass sie noch eine ansehnliche Strecke des an der Hinterseite des Coracoids sich befestigenden ventralen Langsmuskels ilberzieht. Sie setzt sich mit dem vordern zugespitzten Ende in den bei Csv^ erwiihnten medianen Sehnenstreifen fort, nach hinten verbreitert sie sich rasch, indem die verticale Ausdehnung der ventralen Constrictoren- abschnitte je weiter nach hinten urn so geringer wird, dieselben also mit ihren Urspriingen um so weiter von der Mediane sich entfernen; das Ganze hat sonach die Gestalt cines niediigen gleich- sclienkligcn Dreiecks mit sehr breitcr nach vorn eingebogener 426 Benjamin Vetter, Basis, wiihrend die vorn zum medianen Sehnenstreifen sich ver- einigenden Schenkel durch die iiber sie hereingreifenden nach hinteii iind innen gerichteten muskulosen Urspriinge von Csv^ — g unter- brochen werden. — Hire Insertion finden diese vier Portionen jeweils am nachst vordern ausseren Kiemenbogen und dem betref- fenden Sehnenstreifen; die obersten Theile gehen iiber das Kie- menloch weg in den dorsalen Abschnitt uber. Innervirung: Die vorderste Portion Csdzund -V2 wird durch den N. facialis versorgt und zwar in einer mit dem Verhaltniss bei Acanthias so iibereinstimmenden Weise, dass eine besondere Beschreibung unnothig ist. — Die iibrigen Portionen erhalten ihre Nerven von den Rr. branchiales des Giossophar. resp. Vagus; das genauere Verhalten soli unten im Zusammenhang mit der Inner- virung der Mm. interbranchiales besprochen werden. Die Wirkung des ganzen Constrictors sowie seiner einzelnen Theile ist genau dieselbe wie bei Acanthias. 2) Mm. mterbranchiales. Dieselben lassen im Allgemeinen dasselbe Verhaltniss erken- nen, wie es bei Acanthias besteht: sie stellen breite und der be- trachtlicheren Entfaltung des ausseren Bogensystems entsprechend, ansehnlich dicke Muskellamellen dar, welche dorsal von den ein- ander zugekehrten liandern des dem betreffenden Bogen angehorigen und des nachst vorderen aussern Kiemenbogens und von dem sie verbindenden Ligament, weiter unten von dem langs des Vorder- randes des aussern Kiemenbogens herunterlaufenden Sehnenstreifen entspringen und quer uber die Vorderseite der Kiemenradien weg nach unten Ziehen ; dabei inseriren sich aber audi die innersten Fasern nicht, wie es bei Hept. und Acanth. der Fall war, am inneren Kiemenbogen. In gleicher Lage setzen sie sich in der ven- tralen Halfte nach unten fort ; hier entpringen jedoch einige wenige innerste Fasern vom untern Mittelstiick des innern Bogens. Ihr ventrales Ende findet die innere Halfte der Lamelle wie bei Ac an dem plattenformigen inneren Ende des betreffenden ausseren Kiemenbogens, sowie an dem Ligament, welches diesen mit dem nachst vorderen verbindet, die aussersten Fasern an dein oft er- wahnten Sehnenstreifen. Das mittlere Drittel aber geht da, wo es auf das nach innen sich umbiegende mediale Ende des ventra- len ausseren Kiemenbogens stosst, in eine diinne aus einzelnen Faserziigen bestehende Aponeurose iiber, welche iiber die Vorder- seite des betreffenden Bogens weg nach unten und vorn zieht und Die Kiemen- nnd Kiefermuscnlatnr der Fische. 427 sich, etwas verbreitert, mit den auf gleiche Weise entstandenen imd parallel mit ihr verlaufenden Aponeurosen der ubrigenBogen vereinigt. So entstelit jene bereits oben erwiihnte breite Fascie, deren von beiden Seiten nach vorn imd innen verlaufende Faser- ziige sich in der Medianlinie kreuzen, nnd auf deren Unterflache je die untersten Muskelbiindel der einzelnen ventralen Portionen des Constrictors ihren Ursprung nebmen. An ihre vordere Grenze schliesst sich unmittelbar die tiefere Lage von Csv2 und der diese aufnehmende mediane Sehnenstreifen an. Innervirung: Dieselbe geschieht, in gleicher Weise wie bei Acanthias, durch die Rr. branchiales des Glossopharyngeus und Vagus. Die von diesen abgehenden Aestchen verlaufen fast senk- recht zur Faserrichtung der Scheidewandmuskeln gerade nach aussen; und hier gelang es nun auch, nachzuweisen, dass die feinen aussersten Enden der meisten, am Aussenrande des Scheidewand- muskels, also an dem diesen begrenzenden Sehnenstreifen ange- langt, letzteren durchbohrend, sich uber den betreftenden ausseren Kiemenbogen weg auf die Aussenflache der nachst hinteren Portion des Constrictors fortsetzen und mit ihren letzten Verzweigungen in diese eindringen. 3) M. levator maxillae sup. Dieser Muskel, welcher bei Acanth. schon eine ziemlich weit- gehende Trennung in zwei Btindel erkennen liess, ist hier in zwei vollstandig gesonderte Muskeln zerfallen, welche jenen Biindeln entsprechen und als eigentlicher Oberkieferheb er und Spritzlochknorpelmuskel unterschieden werden konnen. Der erstere entspringt breit und massig fleischig von der obern Halfte der Hachen Vertiefung, welche hinter dem Postorbital- fortsatz an der Labyrinth- und Occipitalregion sich vorfindet, zieht senkrecht nach unten und inserirt sich etwas schmaler am obern Rande des Gaumenfortsatzes und an der Innenseite der Basis des Quadrattheils des Oberkiefers. Der zweitgenannte Muskel entspringt, zwischen die vorder- sten Fasern von C'sdj und die hintersten des Oberkieferhebers eingeschoben, als kleines schmales Bundel von der hintersten ober- sten Ecke des Schadels, umzieht, erst stark verbreitert, dann wie- der schmaler werdend, beinah im Halbkreis die Vorderseite der ausseren Enden der beiden Spritzlochknorpel und inserirt sich kurzsehnig an der Innenseite des Quadratthciles des Oberkiefers, bedeckt von der S. 423 erwahnten, vom Hyomandibulare konimen- 428 Benjamin Vottev, den starken Sehne. Seine ganze Hinterflache wird von der ihm iiberall dicht aufliegenden Vorderwand des Spritzlochs bekleidet. Beide Miiskeln werden durch einen Zweig des E. max. inf. Trig, innervirt. Wirkung: Der erstere hebt den Kieferbogen; der letztere verschliesst das Spritzloch. 4) M. trapezius. Derselbe stimmt in alien wesentlichen Punkten vollstandig mit dem gleichnamigen Muskel von Acanthias iiberein, so dass eine besondere Beschreibung nicht nothig ist. Der eine wiclitige Un- terschied aber ist sclion oben S. 422 erwahnt worden : bei Acanth. ist die dorsale Fascie sehr schwach und giebt bios dem vordersten Theil des Muskels den Ursprung; bei Scymnus dagegen dehnt sie sich nacli liinten bis zum Schultergiirtel aus, ist sehr kraftig aus- gebildet und besteht eigentlicti aus zwei Lagen von sich kreuzen- dem Faserverlauf ; von der oberflachlichen entspringt der M. tra- pezius, von der tieferen die diesen Muskel durchsetzenden zahl- reichen Ursprungssehnen der obersten Partieen von Csd^ — «. Ferner liessen sich hier mit Leichtigkeit zablreiche feine Zweige des R. intestinalis N. Vagi prapariren , welche an die In- nenseite des Muskels gelangen und in denselben eindringen. Z u s a m m e n f as s u n g und V e r g 1 e i c h u n g. Die vier im Vorigen beschriebenen Muskelgruppen zeigen bei Heptanchus die geringste Differencirung und bilden auch noch so ziemlich ein zusammenhangendes Ganzes; bei Scymnus und Acan- thias stellen sie sich selbstandiger, gesonderter dar. — Bei Hept. finden wir zwischen Hinterende des Schiidels und Schultergiirtel eine Reihe musculoser Sept^,, welche innen (vorn) an den Visceralbogen befestigt sind, mit den ausseren (hiuteren) freien Randern sich z. Th. gegenseitig bedecken , und sowohl an ihren dorsalen wie ventralen Enden mehr oder weniger zu einer dunnen grosstentheils aponeurotischen Platte verschmelzen , die dorsal nur schwach ausgebildet ist und uach hinten sich bald ver- liert, ventral dagegen von der Unterkiefersymphyse (hier eine lan- gere Strecke musculos) bis auf den Schultergiirtel sich erstrcckt. — Das vorderste jener musculosen Blatter dehnt sich vor dem Spritzloch als mehr selbstandiger, von der Occipital- und Labyrinth- Die Kiemon- unci Kiofermusciilatnr dcr FiscLc. 429 region des Schadels entspringender kraftiger Miiskel bis auf den Gaumenfortsatz des Oberkiefers aus, die zweitc Portion nimmt mit ihrer Insertion den ganzen Hinterrand des Oberkiefers ein und heftet sich ventral hauptsachlich am Unterkiefer, mit einer schwa- clien tieferen Lage jedoch auch noch am Zungenbein an. — Die ventralen Halften der Constrictoren der eigentbchen Kiemenbogen, welche wie gesagt median in einer grossen oberflachlidien Apo- neurose sich vereinigen, entsenden jeweils noch eine tiefere schwache musculose Lamelle, die zwischen den ventralen Langsmuskeln ihre Insertion tindet. Unter den dorsaleu Halften der den Kiemen- bogen zugehorigen Septa verliiuft, nur vorn von der gemeinschaft- lichen dorsalen Aponeurose. mit dem grossern hintern Theile da- gegen von der Seite der epaxonischen Langsmusculatur entsprin- gend, z. Th. auch direct mit je den innersten Fasern der Portionen des Constrictor superfic. zusammenhangend , der breite fiache M. trapezius nach hinten und unteu zur Aussenseite des Schultergtirtels und des rudimentaren letzten (7.) Kiemenbogens. — Der vor dem Spritzloch liegende Theil dieses Muskelcomplexes wird vom dritten Ast des Trigeminus, der zum Hinterrand des Oberkiefers, zum Unterkiefer und Zungenbein gehende vom Facialis, der zum ersten Kiemenbogen gehende vom Glossopharyngeus , und die an den ubrigen Kiemenbogen sich inserirenden je vom hintern starkeren Zweige des den nachst vorderen Interbranchialraum versorgenden Vagusastes, der Trapezius endlich von mehreren kleineren Zwei- gen des R. intestinalis Vagi innervirt. — Sammtliche an eigent- lichen Visceralbogen befestigten Muskeln liegen der Vorderseite der Bogenradien dicht auf und nahern dieselben durch ihre Contraction einander; der vor dem Spritzloch liegende Theil iiberzieht wenig- stens die Vorderwand des Spritzlochcanales luit ihrer rudimentaren Kieme. — Die sehr schwach ausgebildeten dorsalen wie ventralen iiusseren Kiemenbogen liegen, z. Th. in die Muskeln selbst einge- bettet, nahe deren obern und untern Enden auf denselben. Vergleicht man nun damit die Verhaltnisso, wie sie sich bei Scymnus und Acanthias beziigiich dieses Muskelcomplexes finden, so kann die allgemeine Uebereinstimmuug nicht verkannt werden. Auch hier eine zwischen Kieferbogen und Schultergiirtel ausge- breitete Ringmusculatur von im Ganzen gleichartigem Faserverlauf, in einzelne von vorn nach hinten uufeinanderfolgende und je einera Visceralbogen zukommende Abschnitte unterscheidbar, jeder nach dem gemeinsamen Modus von dem den betreffenden Bogen ver- sorgenden Nerven innervirt. Im Einzelneu aber finden sich zahl- 430 Benjamin Vottpr, reiche Verschiedenheiten , die jedoch der Mehrzahl nach derart sind, dass sie sich aus den bei Heptanchus gegebenen Bildungen in Folge der Einwirkung ausserlicher oder das Skelet betreffender Anpassungen hervorgegangen denken lassen, mid nicht umgekehrt diejenigen von Heptanchus aus den bei Scymnus und Acanthias bestehenden. Den auffalligsten Effect bringt (neben der Verminderung der Kiemenbogen von 7 auf 5, was natiirlich eine entsprechende Ver- minderung der Kiemenscheidewiinde und der in diesen befindlichen musculosen Septa von 6 auf 4 zur Folge hat) an den den eigent- lichen Kiemenbogen zukommenden Septa die Umbildung der gros- sen Kiemenspalten in die kurzen Kiemenlocher hervor : in Folge dessen sind die freien ausseren (hintern) Kiinder der musculosen Septa in den Kiemenscheidewanden zuni grossten Theil je mit der Aussenflache des nachst hintern Septums, der Hinterrand des letz- ten mit der Aussenseite des Schultergiirtels verwachsen. Die Ver- wachsungslinie wird durch einen mehr oder weniger deutlichen sehnigen Streifen bezeichnet, welcher also auch die Grenze zwischen dem ausserlich sichtbaren hinteren („Constrictor superficialis s. str.") und dem durch das nachst vordere Septum verdeckten mehr nach vorn und innen gelegenen und am Kiemenbogen sich befestigen- den Theile („M. interbranchialis") jedes Muskelseptums darstellt. Gegen diese Auffassung, dass die in der Beschreibung von So. und Ac. als Portion en des Constr. superf. und als Mm. inter- branchiales bezeichneten Muskeln Homologa der bei Hept. noch nicht differencirten Theile des Constrictor arcuum vise, seien, er- heben sich nun aber Schwierigkeiten , welche erwachsen 1) aus der Verlaufsrichtung der Fasern dieser Muskeln, 2) aus dem Ver- halten der obern Enden und 3) aus dem Yerhalten der untern Enden derselben. Bei Hept. verlaufen die Fasern der musculosen Septa in den Kiemenscheidewanden fast sammtlich parallel mit dem ausseren freien Rande der letzteren, nur die am meisten nach innen ge- legenen Fasern wenden sich etwas von dieser Richtuiig ab , um sich unter sehr spitzem Winkel an den Kiemenbogen zu befestigen. Bei Sc. und Ac. gehen die Fasern des Constr. superfic. je vom Sehnenstreifen entspringend dorsal schief nach vorn und unten, ventral nach vorn und oben, und nur da, wo der Hinterrand der Kiemenscheidewand freigeblieben , nicht mit der Aussenseite der nachst hinteren verwachsen ist, am Kiemenloche namlich, findet sich auch die urspriingliche verticale, mit diesem Rande parallele Die Kiomen- unci Kiefermusculatur der Fische. 431 Richtung der Fasern. — Das ursachliche Moment fur jene Aen- (lerung der Verlaufsrichtimg liegt nun wohl ohne Zweifel darin, dass die Kiemenscheidewande durch ihre Verwachsung liings der oft erwahnten Selinenstreifen fiir einen Zug in verticaler Richtung relativ unbeweglich geworden sind, so dass also fiir die Schlies- sung der Kiemenlocher und die Verengerung der Kiementaschen ein Zug in schiefer Richtung viel wirksamer wird. Die Inter- branchialmuskeln dagegen sind fast ganz unter den urspriingliclien Bedingungen geblieben, und liaben demzufolge auch bei Ac. wenig- stens fast ganz die urspriingliche Gestaltung bewahrt; bei Sc, findet sich allerdings nocli die auf keine erkennbare Ursache zu- riickfiihrbare Modification, dass die Wirkung der Muskeln sich auf die Verkiirzung der Kiemenscheidewand beschrankt, wahrend ein gleichzeitiges Riickwartsziehen der innern Kiemenbogen durch den Mangel der Insertion der innersten Fasern an denselben aus- geschlossen ist. Bedeutender sind die Veranderungen an den obern Enden der einzelnen Portionen, dieselben miissen im Zusammenhang mit der oberflachlichen dorsalen Fascie und dem M. trapezius besprochen werden. — Jene Fascie ist bei Hept. nur vorn deutlich zu unter- scheiden, wo sie Csd2 zum Ursprung dient, verliert sich nach hin- ten bald und erhalt sich bios seitlich als ausserst diinne Aponeu- rose, welche aus der Vereinigung der obern aussern Enden von Csds — ^8 hervorgeht, dem Trapezius aufliegt und bis zu dessen obe- rer Grenze sich verfolgen lasst. — Bei Sc. und Ac. wird nun der Trap, sonderbarerweise von den sehnigen Antangen der einzelnen Constrictorportionen durchbohrt, bei Sc. von selir vielen schmalen flachen Sehnen, bei Ac. von je einer etwas breiteren fiir jede Por- tion ; bei Sc. kommen diese Sehnen von einer tieferen Lage der hier sehr stark ausgebildeten, bis zum Schultergiirtel sich erstre- ckenden dorsalen Fascie, bei Ac. entspringen sie von der Seite der obern Wirbelbogen und durchsetzen erst die ganze epaxonische Musculatur, wobei sie jedesmal, wenn sie eines der queren Septa dieser Musculatur kreuzen, fest mit demselben zusammenhiingen ; die dorsale Fascie zeigt noch geringere Ausdehnung als bei Hept. — Fiir dieses merkwiirdige Verhalten lasst sich eine einigerraaassen geniigende Erkliirung nur geben, wenn zugleich die Bedeutung des M. trapezius festgestellt ist. — Dieser Muskel steht augenschein- lich mit dem Constr. superf. in engem Zusammenhang; er gehort derselben Muskelschicht an, besitzt bei Hp. und Sc. gemeinsamen Ursprung mit jenem und bei ersterem gehen sogar je die innersten 432 Benjamin Vetter, Fasern der Constrictorportionen von seiner Aussenseite ab. Da- gegen zeigt er 1) eine Verlaufsrichtung der Fasern, welche die- jenige des Constr. snperf. fast diirchgangig unter rechtem Winkel kreuzt und 2) inserirt er sich am Schultergiii'tel, ganz ausserhalb des Kiemengerustes, mid nur rait einem eher aberrirend erschei- nenden Bundel an dera rudimentaren letzten Kiemenbogen. — Dieses letztere Bedenken verliert aber sein Gewicht, wenn man beriicksichtigt , dass, wie aus Gegenbaur's Unter suchun gen mit Gewissheit hervorgeht, der Brustgurtel als seriales Homologon der Kiemenbogen, als ein in Folge der Anpassung an bestimmte Functionen eigenthiimlich modificirter Visceralbogen aufzufassen ist: wir miissen demnach schon von vornherein erwarten, einer allgemeinen Uebereinstimmung audi in der zii diesen Skelettlieilen in Beziehung stehenden Musculatur zu begegenen. Diese finden wir nun eben darin, dass jedem der fraglichen Visceralbogen ein der oberflaclilichen Scliiclit angehoriger diinner flaclier Muskel zu- koninit, der im Allgemeinen von der epaxonischen Langsmuscula- tur entspringt und sidi langs der Aussenseite des dorsalen Ab- schnittes des Visceralbogens herunterzieht , tlieilweise daran sidi inserirt. — Die endgiiltige Entsdieidung aber dariiber, ob die hier gegebene Deutung des morpliologisdien Wertlies des Trapezius die riditige sei, muss jedenfalls in der Innervirung liegen. Bei Hept. und Sc. ist nachgewiesen und damit audi ftir Ac. (wegen der grossen Uebereinstimmung, die zwisclien den beiden letzteren namentlich in Bczug auf die Verhaltnisse des Systems der Con- strictoren bestelit) im hodisten Maasse wahrscheinlich gemaclit worden, dass jedes der bei Hept. einfachen , bei Sc. und Ac. in Interbrancliialis und Constrictorportion differencirten Muskelsepta von je dem hinteren starkeren Aste des den betreflfenden Inter- branchialraum versorgenden R. branch. N. Glossopliaryngei resp. Vagi innervirt wird. Die Innervirung des Trap., die sicli nur bei Sc. mit gentigender Vollstandigkeit ermitteln liess, tindet durch Zweige des R. intest. N. Vagi statt. Nun hat Gegenbaur in seinen „Untersuchungen zur vergl. Anatomic der Wirbelthiere, III. Heft: Das Kopfskelet der Selachier", S. 279 nachgewiesen, dass der R. intest. durch Verschmelzung zahlreicher Rr. ventrales des Vagus entstanden gedacht werden muss; die Bestandtheile des R. intest. stellten urspriinglich die Rr. branchiales zahlreicher Kiemenbogen und Kiemenspalten vor, welche aber mit dem Wegfall ihrer respira- torischen Function einer allmahligen Ruckbildung unterlagen. Gleich- zeitig erhielt und vergrosserte sich einer derselben mit Uebernahme Die Kiemen- und Kiefermusculatur tier Fische. 483 einer andern, der locomotorischen Function, und wahrend dort audi die Musculatur der Mckbildung anheim fiel, durften wir hier schon im Voraus audi cine Vergrosserung der diesen zuni Brustgiirtel umgewandelten Visceralbogen bewegenden Muskeln zu finden er- warten ; diese miissen aber, wenn auch betraditlich modificirt, dodi nodi dieselben allgemeinen Beziehungen erkennen lassen, wie die- jenigen der eigentlidien Kiemenbogen, also namentlidi durdi ilire Innervirung die Homodynamie mit diesen bekunden. Wenn wir nun spedell den M. trapezius miter dieseni Gesiditspunkte ins Auge fassen, so erscheint nicht nur der zweite der oben gegen die Vei-gleichung dieses Muskels mit einem der musculosen Septa des Kiemenkorbes erhobenen Einwande seinem ganzen Umfange nadi beseitigt, son- dern es fallt auch der erste derselben von selbst weg: weil die Gestaltung und Lage des zum massiven Schultergurtel gewordenen Visceralbogens eine Bewegung seines obern Endes viel weniger nach oben als nacli vorn gestattete, so musste der diese Bewegung ausfuhrende Muskel auch hauptsachlich nach vorn bin Zuwachs erhalten und sein Ursprungsgebiet nach vorn bin ausdehnen, und der Faserverlauf damit ein von vorn oben nach hinten unten ge- richteter werden. — 1st aber der Trapezius homodynam den vor ihni liegenden an die Kiemenbogen gehenden Muskelsepta, so erhalt auch das von seinem vordern innern Rande abgehende und am letzten Kiemenbogen sich inserirende Faserbundel eine tiefere Be- deutung als nur die einer aberrirenden Muskelpartie : es ist, mag es nun wie bei Hept. zum 7., oder wie bei Sc. und Ac. zum 5. Kiemenbogen gehen, stets diejenige Portion des allgemdnen Con- strictors, welche die Uebereinstimmung mit den librigen verlor und neue Beziehungen einging, sobald der Bogen, deni sie zugehort, seine Function als Kiemen trager aufgab und rudimentar wurde, dabei aber mit der Innenseite des Brustgiirtels sich fest verband; daraus ergab sich eine Zusammenordnung und schliessliche Ver- schmelzung der diese ^kelettheile bewegenden homodynamen Mus- keln von selbst. Wenn nun so die Deutung des M. trapezius mit genligender Sicherheit gegeben ist, so haben wir zugleich auch einen festen Standpunkt gewonnen, von welchem aus jene oben gestellte Frage sich beantworten lasst, wie das merkwurdige Verhalten der Ur- sprungssehnen der Constrictorportionen bei Sc. und besonders bei Ac. zu erklaren sei. — Der gegenwartige Zustand dieser Bildungen kann nur hervorgegangen sein aus einem friiheren, wo die jetzt als homodynam erkannten Theile wirklich noch iihnlich oder gleich Bd. VIII, N. F. I, 3. 28 434 Benjamin Vetter, waren. Die grosste Annaherung an diesen Urzustand miissen wir offenbar bei jenen Muskelportionen zu finden erwarten, deren Ur- spriings- und Insertionsgebiete die geringsten Verandenmgen er- litten haben, und dies wieder bei derjenigen Form, welche sich iiberhaupt als die einfachste, am tiefsten stehende ergeben hat. Das sind ohne Frage die zu den kiementragenden Visceralbogen gehenden musculosen Septa bei Hept. Wir diirfen also wohl an- nehmen, dass zu der Zeit, als noch sammtliche Visceralbogen des vordern Korperabschnittes ziemlich gleichartig waren, auch sammt- liche Portionen des Constrictors und des Trapezius nichts weiter als eben solche diinne ziemlich schmale Muskelsepta darstellten, die ungefahr vertical verlaufend zum grossten Theil an ihren Vis- ceralbogen sich befestigten, dabei quer iiber die Radien derselben wegzogen und von unter sich gleichwerthigen Zweigen des Vagus resp. Glossopharyngeus, Facialis, Trigeminus versorgt wurden. Ihr dorsaler Ursprung liegt nun gegenwartig bei Hept. und Sc. ganz oberflachlich , bei letzterem in der stark ausgebildeten dorsalen Fascie, von welcher auch der Trap, entspringt, bei ersterem fiir die vordersten Theile auch in dieser, fiir den grossern hintern Ab- schnitt in der diinnen Aponeurose, welche sich auf der Aussenseite des Trapezius nach oben hin bis zu der durch quere Verbindung der sehnigen Septa der epaxonischen Langsmusculatur entstan- denen Ursprungslinie dieses Muskels erstreckt. Diese Aponeurose darf nun wohl als letzter seitlicher Rest des hinteren Theiles der dorsalen Fascie angesehen werden, w Iche sich urspriinglich, wie bei Sc. gegenwartig noch, als gesonderte Bildung bis zum Schultergiirtel ausdehnte. Wie und unter dem Einflusse welcher verandernden Bedingungen diese Reduction vor sich ging, wird einleuchtender werden, wenn wir, von diesem hypothetischen Anfangszustand aus- gehend, die vorliegenden secundaren Bildungen im Zusammenhang betrachten und von jenem abzuleiten suchen. — Wir denken uns also, gestiitzt auf die Verhaltuisse bei Hept;, und Sc, einen primi- tiven Zustand, wo, entsprechend der grosseren Zahl noch wenig differencirter Visceralbogen, auch eine grossere Anzahl gleichartiger musculoser Septa in iibereinstimmender Weise von der ausgedehn- ten continuirlichen dorsalen Fascie entspringt, oder mit andern Worten, wo der grosse Constrictor in seinem obern der epaxoni- schen Musculatur aufliegenden Theile continuirlich , aber sehnig, in seinen seitlichen Theilen musculos, aber von den durchbrechen- den Kieraenspalten in eine entsprechende Anzahl getrennter Por- tionen geschieden ist, die dann mit ihren Innenrandern langs der Die Kiemon- und Kiefermusculatur (lev Fische. 435 Visceralbogen Befestigung finden. — Es wirkten nun folgencle Mo- mente verandernd ein: 1) Die Zahl der kiementragenden Visceral- bogen verminderte sich ; die den ausgefallenen Bogen zukommende Musculatur verschwand mit ihnen. An den iibrigbleibenden Bogen vergTosserte sich die respirirende Oberflache (neben der Ausbildung der Kiemenblattchen) dadurch, dass die Wande der Kiemenspalten sich nach hinten verlangerten. Es wiirden also auch die musculosen Septa dieser Bogen breiter, und zwar durch Vermehrung der Fasern ihreer urspriinglich mehr aussern, jetzt hintern freien Bander, so dass diese nun jeweils die grossere vordere (innere) Halfte des nachst hintern Septums bedecken. 2) Gleichzeitig iibernahm der hinterste dieser Bogen die locomotorische Function, wurde zumSchultergiirtel; er vergrosserte sich dabei betrachtlich, nahm eine mehr nach hinten geneigte Lage an, verlor die Verbindung mit der Wirbelsaule voll- standig und vereinigte sich ventral mit dem anderseitigen Bogen, so dass nun sein oberes Ende das beweglichere wurde. In Folge davon vergrosserte sich auch die ihm zukommende Constrictor- portion, und zwar aus den schon oben angefiihrten Grlinden in der Weise, dass die Fasern eine nach hinten unten geneigte Rich- tung annahmen und sich wesentlich am vordern Rande des Muskels vermehrten. Dies geschah nun entweder so, dass sie sammtlich tiefer zu liegen kamen als die vor ihnen befindlichen derKiemen- bogenportionen, so dass diese iiber die Aussenflache des so entstan- denen Trapezius wegziehen, wie bei Heptanchus (wo in der That zwischen Trap, und Constrictorportionen kein wesentlich andej-es Verhaltniss besteht als in kleinerem Maassstab zwischen den vor- dersten Fasern von 6*^2 und den hintersten von Csd^); oder so, dass die neu hinzukommenden Fasern bei ihrem Vordringen und gleichzeitigen nach vorn sich Neigen an zahlreichen Stellen zwi- schen denen der Kiemenbogenportionen nach aussen hervortreten, wobei diese zugleich, so weit sie von jenen bedeckt werden, in sehnigen Zustand iibergehen : so bei S c. ; — oder endlich , statt an beliebig vielen Stellen treten nur in den Liicken zwischen je zwei Kiemenbogenportionen grossere Faserblindel des Trap, heraus, die sich in schmale Sehnenbundel zusammenfassen , so dass nun vielmehr diese durch kleine Lucken des Trap, in die Tiefe zu dringen scheinen: so bei Ac. — 3) Die oberflachliche dorsale Fascie bleibt vollstiindig in ihrem urspriinglichen Zustand, in nur loser Verbindung mit den unterliegenden queren Septen der Stamm- musculatur erhalten, nur dass sie in Folge der veriinderten Biclitung der von ihr entspringenden Constrictorportionen am Rand in zwei 2S* 436 Benjamin Vetter, Schichten von gekreuztem Faserverlauf sich spaltet, wie bei S c. ; Oder sie verwachst langs der Linie, wo die Muskelfasern des Trap. beginnen, fest mit den erwahnten queren Septen, es entsteht ein continuirlicher Sehnenstreifen , welcher nun als Punctum fixum dient, weshalb oberhalb desselben die Fascie fast ganzlicli ver- schwindet: so bei Hp. und Ac. Bei ersterem bleibt sie noch oberhalb der vordersten Constrictorportionen gleich hinter dem Schadel, und als ausserst diinne Lage unterhalb dieses Streifens auf der Aussenflache des Trap, bestehen und dient den Kiemen- bogenconstrictoren zum Ursprung; bei letzterem ist sie auf die Oberflache des vordern Endes der Stammmusculatur beschrankt. Die oben erwahnten in schmale Sehnenbiindel umgewandelten obern Enden der Kiemenbogenconstrictoren aber dringen hier in die Stammmusculatur ein und gelangen verbreitert und zum Theil wieder seitlich vereinigt zur Wirbelsaule. Die betreffenden Muskeln haben hier offenbar gleichsam eine festere Ursprungsstelle aufge- sucht und dieselbe erst an den oberflachlichen Enden der queren Septa gefunden; in Folge des Muskelzuges haben sich dann in gleicher Richtung mit jenen Sehnenbiindeln der Constrictoren inner- halb der Stammmusculatur weitere sehnige Faserziige ausgebildet, die nattirlich iiberall mit den queren Septen fest zusammenhangen und nun als unmittelbare Fortsetzungen der innern sehnigen Enden der Kiemenbogenconstrictoren erscheinen. Die inneren Halften der musculosen Kiemensepta zeigen in ihren Ursprtingen noch einige Besonderheiten, die kurzer Erwah- nung bediirfen. Die Fasern der Kiemenbogenconstrictoren haben sich offenbar wie diejenigen des Trap, mit der allmahligen Diffe- rencirung und Vergrosserung der Kiemenbogen nach vorn (innen) bin etwas vermehrt, als Ursprungsstellen fiir diese neuen Bildungen wurden nun hauptsiichlich die obern durch Bindegewebe an den inneren Kiemenbogen befestigten ausseren Kiemenbogen und deren nachste Umgebung verwendet, bei Hp. auch noch die zunachst liegenden Theile der Aussenflache des Trap, selbst (dies Verhalt- niss darf also nicht als Beweisgrund fur die Homodynamie des Trap, und der Constrictoren angesprochen werden, wie man auf den ersten Blick zu glauben versucht sein konnte, sondern ist als secundar entstanden aufzufassen). — Jedenfalls sind dies aber lauter secundar eingegangene Beziehungen und wir diirfen sonach mit Sicherheit annehmen, dass M. constrictor superficialis und M. interbranchialis von Sc. und Ac. zusammen Homologa der muscu- Die Kiemen- und Kiefermusculatnr dor Fische. 437 losen Kiemensepta von Hept., imd ebenso, dass diese Kiemen- bogenconstrictoren mit dem Trap, homodynam sind. Werfen wir lum noch einen Blick auf die den obern Halften des Ziingenbein- und Kieferbogens angehorenden Theile des gros- sen Constrictors, so erkennen wir auch hier deutlich die typisclie Gleichartigkeit derselben mit denjenigen der Kiemenbogen, aber wie am Schultergiirtel modificirt durch die Anpassung jener Bogen an neue Functionen. — Dass hier eine Scheidung der einzelnen Portionen in Constrictor superticialis und Interbranchialis uicht eingetreten ist, hat seinen Grund darin, dass die betrelfenden Bogen und damit auch ihre Kiemenradien nahe der Korperober- tiache verlaufeu, und wegen der Riickbildung der ersten Kiemen- spalte zum Spritzlochcanal fand auch ein Uebergreifen der ersten Portion liber die zweite (bios bei Hept. wird das obere Ende der innersten Fasern von Csd^ durch die hintersten von Csd^ bedeckt) und ein Verwachsen des hintern Randes der erstern mit der Aus- sentiache der letztern nicht statt. — Die Ausbildung des Gaumen- fortsatzes des Oberkiefers, der aber in beweglicher Verbindung mit dem Schadel bleibt und die gleichzeitige mehr oder minder vollstandige Losung des Zusammenhangs zwischen Quadratstiick des Oberkiefers und Postorbitalfortsatz des Schadels bedingen, behufs der Hebung dieses neuen Theiles gegen den Schadel, die Entwickelung der ersten Constrictorportion nach vorn hin zu dem massiven M. lev. max. sup., der besonders bei Sc. von der hintern Halfte fast ganz abgetrennt als selbstandige Bildung erscheint, aber durch seine Lage sowohl wie namentlich durch seine Inner- virung vom dritten Ast des Trigeminus (welcher als Nerv fiir das zwischen hinterem Lippenknorpel - und Kieferbogen liegende Mc- tamer anzusehen ist) sich als Homologon der ubrigen Constrictor- portionen kennzeichnet. Die hintere Halfte behalt stets die typische Beziehung zu den Kiemenstrahlen des Kieferbogens, den Spritz- lochknorpeln , resp. wo diese fehlen, zu der vordern Wand des Spritzlochcanals. — Die zunachst hinter dem Spritzloch folgende Portion muss sich ohne Zweifel ursprllnglich mit der vordern Halfte ihrer Fasern am obern Zungenbeinbogenstuck inserirt haben, wie dies bei Sc. und Ac. der Fall ist, wo das Hyomandibulare als Trager des Kieferbogens eine ansehnliche Grosse erreicht hat. Bei Hept. stellt das obere Stiick des Zungenbeinbogens nur einen schmachtigen, der Innenseite des bedeutend entwickelten Oberkie- fers anliegendcn Knorpelstab dar ; da nun die einem dieser beiden Skelettheile mitgetheilte Bewegung wegen ihrer innigeu Verbindung 438 Benjamin Vetter, sich ohne Weiteres aiif den andern iibertragt, so musste es jeden- falls vortheilhafter sein, wenn die bewegende Kraft an dem gros- seren derselben, am Oberkiefer ihren Angriffspunkt fand. Diese Verlegimg der Insertion fand wohl in der Weise statt , dass von der Aussenfiache des Muskels aus langs des dieselbe bedeckenden Integuments aberrirende Faserbiindel sich entwickelten , welche dann am vorragenden Rande des Oberkiefers Befestigung fanden, mit dessen Vergrosserung sich vermehrten, wahrend gleichzeitig die ursprtingliche Muskellage bis auf einen kleinen Rest ver- schwand, ein Vorgang, fiir den hinlangliche Analogieen bekannt sind; jenes Muskelbiindel, das bei Sc. auf die zwischen den obern Enden von Hyomandibulare und Oberkiefer ausgespannte Sehnen- masse iibergeht, bei Ac. direct an der hintern obern Ecke des Oberkiefers sich ansetzt, veranschaulicht wahrscheinlich zwei suc- cessive Entwickelungsstufen (vielleicht aber auch Ruckbildungen) eines solchen Processes. Bei dieser Auffassung findet denn auch der aulfallend erscheinende Umstand, dass die Insertionslinie des fraglichen Muskels vor dem Facialis liegt, wahrend doch bei alien iibrigen Portionen des Constrictors der sei versorgende Nerv langs ihrer Vorderseite hermiterlauft, eine sehr einfache Erklarung. Dass €sd2 bei Hept. wirklich dem Zungenbeinbogen angehort, also den ebenso bezeichneten Theilen bei Sc. und Ac. homolog ist, beweist schliesslich die Innervirung eben durch den Facialis. Es bleibt noch tibrig die untern Enden der Theile des Con- strictors zu besprechen. Hier noch mehr als an den obern Enden scheint es auf den ersten Blick, als ob der Constrictor superf. und der Interbranchialis zwei verschiedene Muskelsysteme seien, die erst nachtraglich zu einer mehr oder weniger ausgedehnten Ver- schmelzung gelangten. Bildet der Constrictor superficialis wirk- lich die oberflachlichste Muskelschicht am Vorderende des Sela- chierkorpers, so scheint es allerdings schwer verstandlich, dass so weit in die Tiefe dringende Theile, wie die mit Csv^^ — ^ bezeich- neten Portionen bei Hept. auch diesem System angehoren soilen. Gleichwohl lasst sich auch hier wenigstens wahrscheinlich machen, dass wir es bios mit Ditferencirungen einer und derselben ober- tiachlichen Muskellage zu thun haben. Der oben gewonnenen hypothetischen Vorstellung vom ursprung- lichen Zustand dieses Muskelsystems zufolge muss dasselbe auch ventral eine zusammenhiingende obertlachliche, aus quer verlaufen- den Muskel- oder Sehnenfasern bestehende Schicht gebildet haben? die sich vom vordersten Visceralbogen bis mindestens in die Gegend Die Kiemen- imd Kiefermusculatur der Fische. 439 des spateren Schultergurtels erstreckte. Die Vergrosserung dieses letzteren schuf einen Befestigimgspunkt fur die ihn beriihrenden Theile des Constrictors, und dadurch war denn auch die Ausbil- dung eines medianen Selnienstreifens oder einer breiten Aponeii- rose und die veranderte' Richtung der davon ausgehenden Muskel- fasern gegeben; — nur zwisclien den gegen einander beweglichen Unterkieferasten erhielt sich der urspriingiiche quere Verlauf. Hier tindet sich nun bei Hept. ein ahnliches Verhaltniss wie dorsal: die miichtige Entwickelung des Unterkiefers, dessen breiter Innen- seite sich das untere Stlick des Zungenbeinbogens als diinner Knorpelstab anschmiegt, bedingte eine Verlegung der dem letztern zukommenden Constrictorportion auf den ersteren, die man sich wohl als eine allmahlige Vermehrung der am hintern Ende des Unterkiefers auf diesen iibergegangenen Muskelfasern nach vorn bin zu denken hat; von der urspriinglichen am Zungenbeinbogen sich inserirenden Portion blieb nur eine kurze Strecke (Csvlii) er- halten. Dass die ganze zwischen den Unterkieferasten befindliche Muskelmasse dem Zungenbeinbogen zugerechnet werden muss, geht aus der Innervirung derselben durch den Facialis hervor ; unerklar- lich bleibt dabei allerdings, warum die urspriingiiche vom III. Ast des Trig, innervirte Portion des Kieferbogens hier so vollstandig verschwand. Bei Scymnus ist, der kraftigeren Gestaltung des untern Zungenbeinbogenstucks entsprechend, die tiefere Lage der vorder- sten Portion, Nvelche sich an diesem Skelettheil als an ihrem ur- spriinglichen Insertionspunkt befestigt, bedeutend entwickelt und mit der oberflachlichen bios noch durch den medianen Sehnen- streifen verbunden. Bemerkenswerth ist namentlich auch, dass die Fasern der tiefern Lage von dem kurzen Kamm am hintern Ende des untern Zungenbeinbogenstiicks facherformig nach innen ausstrahlen, so dass die vordersten Fasern diejenigen der ober- tiachlichen Lage fast unter rechtem Winkel kreuzen : beide werden aber, wie fruher beschrieben worden, vom Facialis innervirt und gehoren daher unzweifelhaft demselben Metamer an. — Die weiter nach hinten gelegenen Portionen des Constrictors entspringeu als nach hinten hin immer kiirzer werdende Zacken von der Unter- tlache einer Aponeurose, welche durch die innern sehnigen Enden eines Theils der Fasern der zugehorigen Mm. interbranchiales ge- bildet wird uud deren Faserverlauf in ahnlicher Weise mit dcm- jcnigen der autiiegentlen Constrictorurspriinge sich kreuzt, wie vorn die beiden Lagen der Zuiigenbeinbogenportion. Wiihrend 440 Benjamin Vetter, also bei Hept. die einzelnen Theile des oberflachlichen Constrictors, sowohl diejenigen einer Seite unter sich als diejenigen beider Sei- ten ventral direct oder diirch eine von ihnen selbst gebildete Aponeurose verbunden sind, wird diese Verbindung bei Sc. durcli ein nach Faserrichtung wie Entstehung verschiedenartiges, wenn auch Theilen desselben Miiskelsystems entstammendes Gebilde her- gestellt. Von Wichtigkeit fiir die Erklarung der in die Tiefe drin- genden Theile der Kiemenbogenportionen des Constrictors bei Hept. ist nun folgendes bei Scymnus bestehende Verhiiltniss (was bei Beschreibung der betreffenden Muskeln von Sc. nicht gut mit ein- gellochten werden konnte): Wahrend, wie dort S. 246 erwahnt wurde, das mittlere Drittel der Fasern der Mm. interbranchialis in die ventrale oberflachliche Aponeurose iibergeht, endigt das innerste Drittel derselben an den nach vorn und innen umge- bogenen Flatten der ausseren Kiemenbogen; von jeder dieser Plat- ten und den zunachst liegenden Theilen der innern Kiemenbogen, sowie von dem sie verbindenden Ligament geht nun aber je ein sehniges Band in directer Fortsetzung derRichtung der dort endi- genden Fasern des Interbranchialmuskels nach innen und vorn ab, schiebt sich, die Kiemenarterie begleitend, zwischen je zwei Por- tionen der ventralen Langsmusculatur ein und findet median an dem vom Schultergiirtel nach vorn ziehenden Sehnenstrang Be- festigung. Offenbar sind jene sehnigen Bander nichts weiter als • Verdichtungen des uberall zwischen den Muskeln befindlichen bla- sigen Bindegewebes, zum Zwecke einer grosseren Festigung des ganzen Kiemenkorbes; man braucht sich indessen nur die Fasern des innern Drittels des Interbranchialmuskels in gleicher Richtung auf das entsprechende Sehnenband fortgesetzt zu denken (ein Vor- gang, wie er schon oben fiir die vom Zungenbein- zum Kieferbogen ubertretenden Theile von Csd^ und Csv^, und ahnlich auch bei Ac. fiir die in die dorsale Langsmusculatur eindringenden obern Enden von Csd^—Q als wahrscheinlich angenommen werden niusste), — und man erhalt einen Zustand, welcher mit dem bei Hept. ge- fundenen vollig iibereinstimmt. — Es diirfen also wohl auch diese ticfern, anscheinend einem besonderen System angehorigen Portio- nen als secundare Weiterbildungen des oberflachlichen allgemeinen Constrictors angesehen werden. Bei Acanthi as ist die Reduction des ventralen Theiles der Kiemenbogenportionen noch weiter vorgeschritten. Csv-^, zeigt im Wesentlichen dieselben Verhaltnisse wie beiSc; von Csv^ erreicht nur noch ein vorderstes schwaches Faserbiindel den medianen Die Kiemen - uiid Kiefermusculatur der Fische. 441 Sehnenstreifen. Fur die ubrigen Portionen ist selbst jene mittel- bare beiderseitige Verbindung, wie sie bei Sc. besteht, in Wegfall gekommen : die Interbranchialmiiskeln entspringen wie bei Sc. von den umgebogenen Enden der ausseren Kiemenbogen, die aber hier in directem Ziisammenhang mit der medianen vom Schultergiirtel zur Unterseite des Kiemengeriistes ziehenden Fascie stehen; und unmittelbar nach aiissen (imten) von ihnen erstreckt sich der Seite des ventralen Langsmuskels entlang jene schmale Aponeurose, von welcher die iintersten Faserbtindel von Csv^ — ^ ihren Ursprung nehnien. Es ist also hier die oberflachliche Aponeurose, wie sie Hept. und in gewissem Sinne auch Sc. noch besitzt, wohl in Folge der massigen Entwickelung des hintern Theils der Langsmuscula- tur, ganz verschwunden, und ahnlich wie bei Hept. die tiefern, so haben hier auch die obertiachlichen Theile jeder Portion eine se- cundare tiefer gelegene Befestigungsstelle gefunden. 2. Obere Zwischenbogenmuskeln. Mm. interarcuales, Joi-m. (Taf. XIV, Fig. 2 u. 4). An den obern Enden der Kiemenbogen finden sich kleine Muskeln in grosserer oder geringerer Anzahl, welche entweder die obersten Gliedstucke desselben Bogens untfir sich oder mit denen des nachst vorderen Bogens verbinden ; sie gehoren dem Innervirungsgebiet des Vagus an. Am gleichartigsten erscheint diese Gruppe bei Heptanchus (Taf. XIV, Fig. 2, Jai 1-5, Jan 1-5, ^ani i-e). Von der grossern obern Halfte des 1. Gliedes des 2.-6. Kiemenbogens entspringt je ein tlacher Muskel, Jai, der nach vorn und unten zieht und sich etwas verbreitert zum grossten Theil am Hinterrande des 1. Gliedes des 1. — 5. Kiemenbogens inserirt. Je ein sehr schwaches Faser- btindel, Jan, trennt sich jedoch vom untern Rande des genannten Muskels ab, um sich betrachtlich tiefer am hintern Rande des 2. Gliedes des 1. — 5. Bogens zu befestigen. Kurz vor seiner Insertion gesellt sich zu ihra ein anderer ebenfalls sehr schwacher Muskel, Jam, welcher von der Aussenseite des 1 Gliedes des 1.— 5. Bogens entspringt und wie gesagt zum 2. Gliede derselben Bogen geht. Der verkiimmerte 7. Bogen entsendet bios ein sehr schwaches BUndel von seinem obern Ende zum 2. Gliede des 6. Bogens. — Man kann also ebenso gut entweder Jui und n als die beiden Endigungen ein es Muskels, oder auch Jaji und m als einen Muskel mit zwei Kopfen ansehen. — 442 Benjamin Votter, Die letztere Auffassungsweise ergiebt sich von selbst bei Acanthi as (Taf. XIV Fig. 4, Jai 1-3, ^a(ii, m) i-*)- Hier stellen Jau und ni zwei relativ kraftige Muskelbauche dar, welche der eine vom imtern Ende des 1. Gliedes des 1. — 3. Kiemenbogens, der andere von dera stark nacli vom vorspringenden untern Ende desselben Gliedes des 2. — 4. Bogens ausgehen, selir bald sich vereinigen und ungefahr am mittleren Drittel des 2. Gliedes des 1. — 3. Bogens Insertion finden , meist vor, gelegentlich auch mit einigen Btindeln hinter dem betreffenden M. interbranchialis. — Vollstandig getrennt davon ist Joi als ziemlich breites diinnes Muskelband zwischen den 1. Gliedern des 1. und 2. Bogens, als sehr schmachtiges Btindel zwischen den gleichen Gliedern des 2. und 3., und des 3. und 4. Bogens ausgespannt. — Die obersten Glieder des 4. und 5. Kiemenbogens sind zu einem gabelformigen Knorpelstiick verschmolzen ; aus dem nach unten gekehrten Winkel der beiden Schenkel desselben entspringt einkopfig (jedoch Jan und Jfliii vertretend) der zum 2. Gliede des 4. Bogens gehende Muskel. Scymnus unterscheidet sich von Ac, abgesehen von der kraftigeren Ausbildung der Muskeln (welche unter anderm auch darin sich ausspricht, dass die untersten Fasern von Jau ihre In- sertion bis auf das obere Ende des 3. Gliedes des betretfenden Bogens vorschieb^n), bios dadurch, dass Jaj vollstandig fehlt: die schon bei Ac. offenbar in Folge der geringeren Beweglichkeit der obersten Glieder eingetretene Eeduction dieser Muskeln hat bei Sc. aus gleicher Ursache zum voUigen Schwund derselben gefiihrt. Bei alien dreien aber treten die obersten Glieder der ietzten Kiemenbogen noch in Beziehung zu der den Anfang des Schlundes umfassenden Muskellage (Cph, Constrictor pharyngis). Dieselbe beginnt vorn mit sparlichen in der obern Rachenwand quer ver- laufenden Fasern, erst hinter dem Ietzten Kiemenbogen wird sie zu dem ringsherumgreifenden Constrictor pharyngis. Von jenem vordersten dorsalen Abschnitt nun gehen bei Hept. mehrere Faser- biindel nach aussen ab, um sich am obern Ende des 2. Gliedes des 4. — 6. Bogens, an letzterem auch an der ganzen Innenseite der ersten Gliedes zu inseriren; anderseits entspringen vom gan- zen Hinterrande dieses letzteren und des daran anschliessenden rudimentaren 7. Bogens zahlreiche Fasern, welche, eine ziemlich breite Muskelplatte darstellend, von vorn an den Anfang des Schlundringmuskels sich aniiigen. — Bei Ac. und Sc. beschrankt sich die Insertion der vordersten quer verlaufenden Fasern auf den obern Rand des oben erwahnten, durch Verwachsung der Die Kiemen- und Kiefermusculatur der Fische. 443 obersten Glieder des 4. und 5. Kiemenbogens entstandenen Knor- pelstiicks; von dessen ganzem Hinterrande entspringen auch hier zablreiche Fasern, welche sich denen des Pharyngealmuskels zu- gesellen. Diese gehen aber ventral nicbt direct ineinander liber, wie bei Hept., sondern inserireu sich beidseitig an den Aiissen- randern der breiten letzten Copula. Innervirung. Sammtliche Muskeln dieser Gruppe werden vom Vagus versorgt und zwar (was jedoch nur bei Sc. vollstandig nachzuweisen gelang) Joi, n und m je von besonderen Aestchen des R. pharyngeus, welcher sich von dem den betreffenden Inter- branchialraum versorgenden R. branchialis Vagi abzweigt; zwischen Jau und m dringt noch ein feines Aestchen des ersteren in die Tiefe, zur obern Schlundwand. Die Wirkung sammtlicher Muskeln ist selbstverstandlich. Die Vergleichung der einzelnen Theile dieser Muskelgruppe bei den drei verschiedenen Reprasentanten ist schon im Bisheri- gen wo tiberhaupt nothig gegeben worden. Es erhebt sich nun aber noch die Frage, ob diese Gruppe ein besonderes System fiir sich darstellt oder als differencirter Theil eines andern allgemeineren aufzufassen ist. — Der erwahnte Zusammenhang von Theilen des Constrictor pharyngis mit den hinteren Kiemenbogen kaun nun allerdings sehr wohl als erst secundar entstanden gedacht werden, der Umstand jedoch, dass dieser Zusammenhang an solchen Punk- ten stattfindet, die bei den vorderen Bogen von Ursprung oder Insertion der Mm. interarcuales in Anspruch genommen werden* scheint auf eine friihere noch innigere Verbindung der obern Enden der Kiemenbogen, und damit auch der diese bewegenden Muskeln mit dem Schlundmuskel hinzuweisen. Beriicksichtigen wir ferner, dass beide von Zweigen des N. vagus innervirt werden, jene von den Ri. pharyngei, dieser vom R. intestinalis, welcher nach Gegen- BAUR s Untersuchungen einer Summe von Ri. branchiales , oder wohl eher speciell von Ri. phar. gleichzusetzen ist (da ja doch mit dem voUigen Verschwinden ihres Verbreitungsbezirkes auch die Ri. branch, s. str. ganz eingehen mussten, wiihrend das Gebiet der Ri. phar. intact blieb), so diirfte es nicht allzu gewagt sein, wenn wir, den schon oben S. 480 angenommenen primitiven Zu- stand auch fiir diese Bildungen ausfuhrend, uns eine grossere An- zahl von obertiachlich in der diinnen Leibeswand gelagerten Vis- ceralbogen denken, deren obere Enden von der Ringmusculatur des Schlundes umzogen und bcwcgt wurden. In Folgc der Glie- dcrung der Bogen in einzclnc Abschnittc zertielen auch die sie 444 Benjamin Vettor, bewegenden Muskeln in einzelne Biindel, nnd durch die gleich- zeitige von hinten nach vorn fortschreitende Reduction der Zahl der Bogen iind den Verschluss der Kiemenspalten kam es, dass dem Constrictor pharyngis von vorn her immer neue Elemente zu- gefiigt wiirden iind selbst die von der Hinterseite der jeweils letz- ten Kiemenbogen entspringenden Fasern, deren bisheriger Inser- tionspunkt an dem nachst hintern Bogen mit diesem verschwun- den war, nun denen des Schlundmuskels sich anreihten '). An dieser Stelle sei noch des' M. subspinalis Erwahnung gethan. Derselbe findet sich nur bei Acanthi as in unmittelbarer Beziehung zu den Visceralbogen ; er entspringt ziemlich breit tiei- schig von der derben Fascie, welche die Unterseite der epaxoni- schen Laugsmusculatur und der Wirbelsaule uberzieht, an der Grenze beider gleich hinter dem Cranium und spitzt sich rasch zu einer dunnen Sehne zu, die sich am obern Ende des 1. Gliedes des I. Kiemenbogens inserirt. — Innervirung unbekannt. Von derselben Spitze des I. Kiemenbogens gehen mehrere Starke sehnige Faserziige nach hinten und oben zur Unterflache der dorsalen Laugsmusculatur, und ebensolche parallel mit diesen von der Spitze des II. Bogens. Bei Seym n us ist das obere Ende des I. Kiemenbogens durch zahlreiche nach vorn und hinten verlaufende Sehnen fest mit der Unterflache der Wirbelsaule und der Laugsmusculatur verbunden. Aehnlich sind bei Heptanchus die oberen Enden des L — 3. Kiemenbogens durch kurze Sehnen an der Unterflache der Laugs- musculatur befestigt. Zwischen diesen von beiden Seiten nach oben ziehenden Sehnen verlauft median ein unpaarer schwacher Muskel (Taf. XIV Fig. 2 Ssp) vom hintern Ende des Schiidels zum Anfang der Wirbelsaule, wahrscheinlich aus der Verschmel- zung der beiden bei Ac. bestehenden Subspinales hervorgegangen. Diese Thatsachen weisen darauf hin, dass hier die letzten Reste einer Gruppe von Muskeln vorliegen, welche friiher minde- 1) Zugleich crhebt sich die Vermuthimg, dass in jenem primitiveu Zustand auch das System der Constrictoros arc. vise, noch nicht von dem inneru Constr. pharyngis geschicden gewesen, dass erst spiiter eine Sonderung der oberflach- lichen Muskelschicht mit ihren mannigt'altigeu Ditferencirungen und der inne- ren Schiclit eiugetreten sei, welche letztere dann wieder an den ijbrig bleiben- den Kiemenbogen in die Mm. interai-cuales sich umbildete, hinten als Constr. phar. sich laliielt. Doch t'ehlen gegenwilrtig noch die Thatsachen zur gehori- gen Begrundung dieser Annahme. Die Kiemen- nnrt Kiefermusculatur der Fische. 445 stens die beiden ersten, wahrscheinlich aber alle Kiemenbogen nach vorn und hinten bin mit der fasten uberlagernden Masse verband und wohl alien Selachiern zukam (beilaufig sei erwahnt, dass meh- rere Knochenfiscbe Bildungen zeigen, die nur auf die eben be- sprochenen von Ac. und Sc. zuriickbezogen werden konnen). Fur eine weitere Deutung feblen aber alle Anhaltspunkte. 3. Mittlere Beuger der Bogen. (Adductores arcuum visceralium, ^dd). An der Innenseite sammtlicher voUstandig ausgebildeter Kie- menbogen bei Hept. sowie bei Sc. und Ac. sind zwischen den untern Enden der obern Mittelstucke und den obern Enden der unteren Mittelstucke kleine kurze Muskelchen ausgespannt, welche in mehr oder weniger tiefen langlichen Gruben dieser Skelettheile entspringen und dieselben gegeneinander bewegen. — Ibre Inner- virung geschieht durch ein feines Aestchen des Ramus branchialis Glossopharyngi resp. Vagi des betreffenden Bogens. Dem Zungenbeinbogen fehlt ein Homologon dieser Bildung durchaus ; am Kieferbogen dagegen wird dieselbe durch den mach- tigen Adductor mandibulae vertreten. — Dieser entspringt bei Heptanchus (Taf. XIV Fig. 1 /idd) langs des ganzen linken, obern und vordern Randes des Quadrattheils und vom oberen Rande des Anfangs des Gaumenfortsatzes des Oberkiefers, fast bis zum palatobasalen Gelenkfortsatz desselben ; der massige Muskel zieht mit convergirendem Faserverlauf nach unten, die auf der Aussenseite des Ober- und Unterkiefers befindlichen flachen Gru- ben ausfullend, und inserirt sich am Unterkiefer auf einem schma- len Streifen, der in nach unten convexem Bogen vom Kieferwinkel an l)is zum Anfang des mittleren Drittels der Unterkieferlange verlauft. Diese Insertion wird aber fast ganz bedeckt durch ein breites starkes Sehnenband, das vom Kiefergelenk horizontal nach vorn zur Aussenseite des Unterkiefers zieht und an seiner Innen- flache noch zahlreiche Fasern des Adductors aufnimmt. Bei Acanthias (Taf. XIV Fig. 3; Taf. XV Fig. 6, Md) und Scymnus greift der Ursprung des Muskels iiber den obern und hintern Rand des Quadratums nach innen uber, ebenso am Palatal- fortsatz, sodass die von diesem koramenden Fasern erst nach vorn Ziehen miissen und dann erst um das vorspringende Quadratum herum sich nacli unten und hinten wenden. Die Insertion findet kurzsehnig langs der hintern Halfte des Unterkieferrandes statt. 446 Benjamin Vctter, Innerviruiig (lurch einen starken Ast des Ramus maxillaris inf. des Trigeminus, welcher in zwei Zweige gespalten von vorn in den Muskel eindringt. Die Griinde, welche daftir sprechen, diesen Muskel trotz seiner verhaltnissmassig gewaltigen Dimensionen und trotz seiner Lage- rung an der Aussenseite des Kieferbogens als homodynam mit den innerseitigen Adductoren der Kiemenbogen aufzufassen, ebenso warum derselbe am Zungenbeinbogen fehlt, sind schon von Gegen- BAUR (Untersucli. zur vergl. Anatomie der Wirbeltli. III. Heft S. 210) dargelegt worden und brauchen hier nicht wiederholt zu werden, nur das sei nochmals hervorgehoben , dass in Betreff der Lagebeziehungen auch dieses Muskels Hept. ein einfacheres, dem ursprlinglichen naher stehendes Verhalten aufweist, im Gegensatz zu den verschiedenen Complicationen, wie sie bei Sc. und Ac. sich vorfinden ^). Bei diesen beiden letzteren tritt zum Adductor noch ein ge- sonderter Muskel (Taf. XIV Fig. 3, Taf. XV Fig. 6 Add§) in Be- ziehung, der Hept. vollstandig fehlt. Derselbe, bei Sc. ziemlich kraftig entwickelt, wahrend er bei Ac. nur einen schwachen spin- delformigen Muskel darstellt, entspringt von der Unterseite der Orbitalregion des Schadels, so zwar, dass die beidseitigen Urspriinge in der Mediane fast zusammenstossen ; bei Sc. ist die Ursprungs- flache noch durch eine median verlaufende nicht unbetrachtliche Crista vergrossert. Er zieht schmaler werdend dicht oberhalb des hintern obern Lippenknorpels und durch Bindegewebe fest mit demselben verbunden nach hinten bis zum vordern Rande des Adductors; bei Ac. geht er hier in eine dunne Sehne liber, die mit den vordersten Fasern des Kiefermuskels verschmilzt und mit 1) Die auch hier nicht zu unigehende Frage, ob dieses Muskelsystem sui generis oder Abkommling eines grosseren sei, lasst sich wieder nur ganz ver- muthungsweise beantworten. So viel ist sicher, dass diese die eiuzeluen Bo- genstucke gegeneinander bewegenden Muskeln als gesouderte Bilduugen erst auftreteu konnten, als die anfanglich ungegliederten Yisceralbogen in beweg- liche Glieder zerfielen. Da nun schon aus der Betrachtung der Mm. inter- arcuales als wahrscheinlich hervorgiug, dass in eincm friiheren primitiven Zu- staud diese Muskeln, der Constrictor pharyngis und sammtliche Theile des grossen Constrictors der Yisceralbogen in einer die Bogen in sich schliesseu- deu Ringmuskelschicht vcreiuigt gewesen seien, so diirfen wir wohl auch die Mm, adductores von dieser ursprunglichen Bildung ableiten. Wir gelaugen so zu der Vorstellung von einer den vordern Korperabschnitt des primitiven Wirbelthieres umhiillenden Ringmusculatur , die wir vielleicht mit der Ring- faserschicht des Hautmuskelschlauches der Wiirmer in Beziehung setzen diirfen. Die Kiemen- nnd Kicfermusculatur dor Fische. 447 (lenselben nach unten hinten ziehend am Unterkieferrand sich in- serirt, bei Sc. endigt er in einer starken breiten Sehne, die aber bald wieder in ein sich verbreiterndes, vor den vordersten Fasern des Adductors am Unterkieferrand sich befestigendes musculoses Biindel iibergeht. — Innervirung durch einen Zweig des iiber den Muskel weg zur Haut der Oberlippe verlaufenden II. Astes des Trigeminus. Die Deutung dieses Muskels kann nicht mit genugender Si- cherheit gegeben werden. Man kann ihn als selbstandige, mit keinem andern vergleichbare, speciell dem Kieferbogen zukommende Bildung auifassen. Dem widerspricht aber die durch das ganze osteologische wie myologische Verhalten des Kieferbogens voll- standig gesicherte Homodyuamie desselben mit alien iibrigen Vis- ceralbogen, die es hochst unwahrscheinlich , wenn nicht geradezu unmoglich macht, dass demselben als typischer Bestandtheil ein Muskel angehoren sollte, der nirgends sonst ein Analogon hat. Es bleibt also nichts Anderes iibrig, als anzunehmen, dass seine ur- spriingliche Gestaltung durch secundar eingegangene Beziehungen modificirt und unkenntlich gemacht worden seien. Von wesent- licher Bedeutung scheinen mir nun die Innervirung und dieLage- beziehungen zum hintern oberen Lippenknorpel zu sein. Ausjener geht schon hervor, dass der Muskel einem vor dem Kieferbogen liegenden und speciell dem von diesem und dem hinteren Lippen- knorpelbogen begrenzteu Metamer angehort, und der feste Zusam- menhang mit dem obern Gliede dieses Bogens weckt die Vermu- thung, dass der Muskel urspriinglich, bevor dieserBogen noch der Verkiiramerung anheim.gefallen war, sich. an diesem selbst inserirt habe. Die jetzige Insertion ware hiernach eben in Folge dieser Verkiimmerung secundar erworben und die friihere aufgegeben worden. Fur diese Ansicht scheint auch das zu sprechen, dass der Muskel so weit vor seiner Insertion schon in den sehnigen Zustand iibergeht, selbst bei Scymnus, wo er doch am Ende wieder musculos wird; ferner dass bei dem untersuchten Exemplare von Acanthias der sonst nach aussen von der Sehne dieses Muskels herunterlaufende Ramus maxill. inf. des Trigeminus rechterseits durch eine Spalte in dieser Sehne hindurchtrat, was zum mindesten auf Neigung zur Variabilitat, d. h. auf noch wenig befestigte Ver- erbung cines relativ neueu Zustandes schhessen lasst; und drittens, dass dieser Muskel bei Heptanchus giinzlich fehlt, entsprechend dem Mangel der Lippenknorpel, wiihrend doch bei der bedeuten- den Entwickelung des Kieferbogens und seines Adductors eher eine 448 Benjamin Vetter, Starke Ausbildung audi dieses Muskels zii erwarten ware, wenn man ihn bios als Appendix des ersteren ansehen diirfte. 1st diese Vermuthung von der urspriinglichen Insertionsstelle des fraglichen Muskels rich tig, so ist damit aucli seine morpholo- gische Deutung festgestellt : er erscheint als seriales Homologon des M. levator max. sup. und aller der andern Theile des grossen Con- strictors, welche vom Schadel oder von der epaxonischen Muscu- latur zu den Visceralbogen gehen, und ist sonach am passendsten als M. levator labii sup. zu bezeichnen. Daraus wird endlich auch seine Ursprungsstelle verstandlich : friiher wohl nicht weit vor derjenigen des Lev. max. sup. gelegen wurde dieselbe in Folge der Entwickelung des Bulbus und der Orbita immer weiter nach vorn, und zugleich durch die Ausbildung des Rostrums nach unten gedrangt. — Doch bleibt wie gesagt diese fast nur auf Wahr- scheinlichkeiten gestlitzte Deutung immer noch sehr unsicher und einer weiteren Begriindung dringend bediirftig. Eine weitere Complication des Adductors wird durch ein halb musculoses halb sehniges Faserbundel gegeben, das von der theil- weise sehnigen Aussenflache des Muskels sich abhebt und schrag nach vorn und oben zieht, urn sich in der Gegend des hintern Augenwinkels in der Haut zu verlieren. Bei Hept., wo diese Bildung tiberhaupt am starksten entwickelt ist (Taf. XIV Fig. 1, Addy), entspringen die hintersten Fasern direct vom Knorpel der hintern Oberkieferecke ; bei Sc. und Ac. (Taf. XIV Fig. 3, Jddy) ist das Bundel zum Theil directe Fortsetzung der oben S. 416 erwahnten von hinten unten auf die Aussenflache des Adductors ubertreten- den Fasern von Cstv Dieser letztere Umstand (und dass beim Stor eine mit der vorliegenden im Wesentlichen iibereinstimmende Einrichtung sich findet), macht es wahrscheinlich , dass dieselbe nicht als aberrirendes Bundel betrachtet werden darf, dass sie vielmehr den letzten Rest desjenigen Theiles des oberflachlichen Constrictors darstellt, welcher den vor dem Kieferbogen liegenden Visceralbogen resp. Metameren urspriinglich zukam. 4. Ventrale Langsmiiskeln. (Mm. coraco-arcuales; Ca, Taf. XIV Fig. 3, Taf. XV Figg. 6-10). A. Heptanchus. Hier besitzt die ganze Muskelgruppe einen im Wesentlichen gemeinsamen Ursprung, und erst im weitern Verlaufe lost Die Kiemen- und Kiefermusculatiir der Fische. 449 sich die so entstandene Langsmuskelmasse in die zu den einzelnen Visceralbogen gehenden Portionen auf. Die gemeinsame Ursprungsflache wird hauptsachlich durch die Vorderseite und den untern Rand des Coracoidtheils des Schulter- gurtels, der hier unter ziemlich spitzem Winkel mit dem ander- seitigen zusammentrifft, gebildet, in einer Ausdehnung von etwa 2,5 Cm. von der medialen Symphyse an nach hinten ; aber audi ein grosser Theil der Unterflache der starken Fascie, welche, in der Mediane zu einem derben Sehnenstrang ausgebildet, vom Schulter- gtirtel zu den Kiemenbogen zieht und das Herz von unten bedeckt, dient zum Ursprung jenes Muskels (Taf. XV Fig. 9, Cac). Wah- rend derselbe nun nach vorne zieht, gehen von seiner oberen Flache die fiir die Kiemenbogen bestimmten Portionen (Mm. cora- co-branchiales Taf. XV Fig. 9, Cbr^—i) divergirend ab, seine Hauptmasse aber setzt sich in die zum Kiefer- und Zungenbein- bogen gehenden Theile (Mm. coraco-mandibularis und coraco-hyoi- deus, Cmd, Chij) fort. Dabei ist dieselbe fast vom Ursprung an mit derjenigen der andern Seite in der Medianlinie fest verschmol- zen, und auch die beiden letztgenannten Bildungen lassen keine mediane Scheidung erkennen, sind also unpaare Muskeln. Ausser- dem wird der M. coraco-mandibularis als ziemlich selbstandig dif- ferencirtes Element dadurch cbarakterisirt, dass da, wo er seineu Anfang nimmt, ungefahr in der Mitte zwischen Schultergtirtel und Zungenbeinbogen, eine starke schief nach vorn und oben geneigte sehnige Inscription sich zwischen ihn und die gemeinsame Haupt- muskelmasse einschiebt, welche nur wenige Fasern der letztereu direct in den ersteren iibertreten lasst. — Der schlanke flache M. cor.-mand. inserirt sich kurzsehnig an der nach innen und hinten gewendeten Seite des Unterkiefers zu beiden Seiten der Symphyse, der M. cor.-hy. ziemlich sich ver- breiternd an der Unterflache der Copula des Zungenbeinbogens, die Spitze und den hintern Rand ausgenommen, beiderseits auf den Anfang des Hyoidstiicks dieses Bogens iibergreifend. — Die zum ersten bis sechsten Kiemenbogen gehenden Portionen, Mm. Cbi\ — e, stellen rundliche sich zuspitzende Muskelbauche dar, die je weiter nach hinten, desto mehr lateralwarts divergiren ; der erste entspringt hauptsachlich von der sehnigen Oberfliiche des Anfangs des M. cor.-hy., Cor-br^ — 5 wie schon erwahnt von der obern Seite der gemeinsamen Hauptmuskelmasse, zum Theil auch direct von dem medianen Sehnenstrang in der die Herzkammer bedeckenden Fascie, Cir^ mit der ausseren Halite und der breitc, Bd. VIII, N. F. I, 3. 39 450 Benjamin Vetter, flache Cbrj mit samnitlichen Fasern vom obern Rande imd der Aussenflache des Coracoids, nach aussen vom Ursprungsfeld des Haiiptmuskels. — Insertion im Cor-hr^—Q je am aussern Ende des Copulare des betreffenden Bogens, mit einigen Fasern stets auch noch am Anfang des untern Mittelstiicks , bei Cor-ftrj greift dieselbe aber von dem selir kleinen Copulare iiber auf den be- nachbarten hintern Rand der Copula des Zungenbeinbogens bis zur Mitte, so dass auch diese beiden Muskeln in der Medianlinie zusammenstossen und beinah voUstandig verschmelzen. Cor-br-, inserirt sich ziemlich in gleicher Breite wie sein Urprung am vor- dern Rande des untern Gliedes dieses Bogens, bei welchem ein besonderes Copulare nicht vorhanden ist. Zwischen je zweien dieser Portionen oder zwischen den Fa- sern der einzelnen Muskeln hindurch dringen die oben S. 410 beschriebenen tiefen Portionen des oberflachlichen Constrictors nach innen, um sich gleicbfalls an der medianen Sehnenmasse zu befestigen. — Die Kiemenarterien des 2. bis 6. Kiemenbogens zweigen sich jeweils h inter den denselben zukommenden Langs- muskeln nach aussen ab, diejenige des 1. Kiemenbogens tritt erst vor Cor-br^, zwischen diesem und Cor-hy , gemeinschaft- lich mit der Arterie des Zungenbeinbogens nach aussen. — Bemerkenswerth ist noch, dass die hintere gemeinsame Haupt- muskelmasse von zwei starken Inscriptiones tendineae in schieler Richtung durchsetzt wird; dazu kommt noch die oben erwahnte am Ursprung vom Cor.-mand. und eine schwachere in der Mitte des Verlaufs von Cor.-hy. Innervirung. Wahrend die sammtlichen bisher betrachte- ten Muskeln des Kiemengertistes, einschliesslich des zum Schulter- giirtel gehenden M. trapezius, durch Nerven des Kopfes versorgt werden, erhalten alle Theile der ventralen Langsmusculatur ihre Zweige vom ersten und zweiten Spinalnerven. Dieselben treten, bereits zu ein em Stamm vereinigt, aus der epaxonischen Musculatur hervor und verlaufen oberhalb der Basalia der Kiemenbogen nach hinten und unten (Taf. XIV Fig. 2, (I, II). Am hintern Ende des Kiemenkorbes geht ein starker Ast nach hinten ab, der Hauptnerv wendet sich zwischen Schultergiirtel und letztem Kiemenbogen nach unten und vorn und tritt von oben her in den Ursprung der ven- tralen Langsmusculatur ein. In dieser verlauft der Nerv bestandig nahe der obern sehnigen Flache nach vorn, giebt zahlreiche Zweige nach aussen und innen ab und durchbohrt dann den Anfang von Cor.-hy., um, nachdem er diesen versorgt, in der hintern Halfte des Die Kiemon- nnd Kicformusculattir der Fische. 451 M. cor. -mand. zu endigen. Beide letztere Muskeln werden also von der rechten wie von der linken Seite her versorgt, was be- stimmt geniig aiif ihre urspriingliche Paarigkeit hinweist. B. Acanthias. Die Versclimelzung der beiderseitigen Coracoidea zu einem quer verlaufenden starken Knorpelgiirtel , die Verminderung der Anzahl der Kiemenbogen und die kraftigere Ausbildung des Zun- genbeinbogens, verbunden mit dem volligen Schwuud des Copulare des ersten Kiemenbogens, was eine noch innigere Verbindung des unteren Mittelstucks des letzteren mit der Copula des ersteren notliwendig maclite, sind die w'esentlichen Momente, welche Ver- anderungen im ventralen Langsmuskelsystem von Ac, vergliclien mit dem von Hept., hervorgebracht liaben. Die drei vorderen der zu den Kiemenbogen gehenden Portio- nen, Chr^—^, entspringen nicht mehr von der gemeinsamen Haupt- muskelmasse, sondern von dieser durch die (oben S. 417 erwahnte) Ursprungsaponeurose von Csi\ — « des oberflaclilichen Constrictors und die Urspriinge der Mm. interbranchiales getrennt, vom aussern Rande der das Herz bedeckenden Fascie, nach hinten an Liinge und Machtigkeit rasch abnehmend; die hinterste dieser Portionen, Cbr^, dehnt ihren Ursprung, entsprechend Chry bei Heptanchus, auf die Vorderflache des Coracoids, nach aussen vom Ursprungs- gebiet des Hauptmuskels aus. — Cbr^ inserirt sich bios am Co- pulare des 2. Kiemenbogens, Cbr^ und 4 greifen von den entspre- chenden Copularien noch auf den Anfang der untern Mittelstucke liber, Cbr^ endigt breit auf der Unterflache des plattenformigen untern Gliedes des 5. Kiemenbogens und dem aussern Rand der letzten grossen Copula. Die Hauptmuskelmasse , aus welcher die Portionen fiir die vorderen Visceralbogen hervorgehen {Cac)^ zeigt ein im Wesent- lichen dem bei Hept. bestehenden gleiches Verhalten, nur ist sie bedeutend kiirzer, gedrungener; drei feine Inscriptiones tendineae durchsetzen sie in ziemlich senkrechter Richtung. Da wo sie sich eben mit der anderseitigen vereinigt hat, entspringt, von unten her bedeckt durch den hier ebenfalls Befestiguug findenden, durch die Vereinigung der Fasern von Cst2 gebildeten medianen Sehnenstrei- fen, von der sehnigen Unterflache der unpaare schmachtige Langs- muskel des Unterkiefers, Coraco-mandibularis {Cmd)^ der an dessen Hinterrande zunachst beiderseits der Mediane endigt. Die eigent- 29* 452 Benjamin Vetter, liclie Fortsetzung des Hauptmuskels , immerhin aber clurch eine Starke, schief nach aussen, vorn und oben ziehende Inscription von ihm geschieden, bilden zwei kraftige Muskelbauclie, von denen der untere (oberflachliche) breitere, fast nur kiinstlich von dem ander- seitigen trennbar, sich fleischig an der Unterflache der breiten Copula des Zungenbeins inserirt, von der Medianlinie an nach aussen bis da, wo diese Copula von unten her durch das Hyoidsttick des Bogens bedeckt wird, — wahrend der obere (tiefere) rundhche etwas divergirend verlauft und kurzsehnig am Hinterrand und der obern Flache desjenigen Theiles der Zungenbeincopula Befestigung findet, welcher mit dem untern Mittelstiick des 1. Kiemenbogens durch feste Bandmasse verbunden und wie eben erwahnt vom Hyoidstiick des Zungenbeinbogens vollstandig verdeckt ist. Jener Muskel ist olienbar Cor.-hy. von Hept. homolog und hier ebenfalls so zu bezeichnen; und wenn wir beriicksichtigen , dass schon bei Hept. die dem 1. Kiemenbogen zugehorige Portion theilweise auf die Copula des Zungenbeins iibergegangen war, so kann kein Zweifel sein, dass der letztere tiefer gelegene Muskel von Ac. auch als Cor-bi\ aufzufassen ist. Die bestimmteste Bestatigung dafiir liefert der Umstand, dass ganz wie bei Hept. die zum 2. bis 4. Kiemen- bogen gehenden Kiemenarterien jeweils hinter den diesen Bogen zukommenden Langsmuskeln nach aussen treten, der durch die letzte Gabelung der Aorta entstandene Ast dagegen zwischen den beiden eben beschriebenen , an der Zungenbeincopula sich inse- rirenden Muskeln nach aussen verlauft, um sich gleich darauf in die beiden Zweige fiir den Zungenbein- und den 1. Kiemenbogen zu theilen. Die Inner virung durch die verschmolzenen 1. und 2. Spinal- nerven erfolgt in einer im Allgemeinen mit Hept. vollstandig iiber- einstimmenden Weise. C. Scymnus unterscheidet sich von Ac. nur durch unwesentliche Punkte. Die ganze ventrale Langsmusculatur ist entsprechend der kraftigeren Ausbildung des Skelets bedcutend machtiger entwickelt. Die zum Kieferbogen gehende Portion, Cor.-mand., ist ganz selbstandig ge- worden, indem sie nicht mehr von der gemeinsamen Hauptmuskel- marfse, sondern direct vom untern Rande des Coracoids entspringt ; zugleich tritt die urspiingliche mediane Trennung deutlicher hervor ; die iibrigen Verhaltnisse und namentlich die Innervirung zeigen keine Aenderung. — Die Hauptmuskelmasse liefert somit hier bios Die Kiemen - und Kiefermusculatur der Fische. 453 die Portionen Cor-hy und Corbri, beide an der hohen und brei- ten, von unten her durch den machtigen Unterkiefer vollstandig bedeckten Copula des Zungenbeinbogens sich inserirend, jene naher dem untern, diese, die tiefere, naher dem obern Rande derselben, beide sowie die Hauptmuskelmasse im grossten Theil ihres Ver- laufes innig mit dem anderseitigen Muskel verwachsen. Zwischen ihren vordern Enden tritt auch hier der vorderste Ast der Aorta nach aussen, urn den Zungenbein- und den 1. Kiemenbogen zu versorgen. Der von oben her in den Hauptmuskel eindringende, durch Verschmelzung des 1. und 2. Spinalnerven entstandene Ner- venstamm giebt regelmassig ftir jedes der 4 Segmente, in welche der Muskel durch die drei sehnigen Inscriptionen abgetheilt wird, nur je einen Zweig ab. ~ In Betrelf der vier zu den Kiemenbogen gehenden Liingsmuskeln ist zu bemerken, dass sich dieselben voll- standig libereinander schieben, so dass C'firj, aus den zu ausserst liegenden Fasern hervorgegangen, alle iibrigen Portionen von unten her verdeckt; zugleich entspringen diese aussersten Fasern nicht mehr bios vom Coracoid, sondern auch noch von dem nach unten und aussen vorragenden stumpfen Fortsatz des untern Gliedes des 5. Bogens. Die Portionen inseriren sich je zur Halfte am Copulare, zur Halfte am innern Ende des unteren Mittelstiicks des 2. bis 4. Bogens, am innern Ende des untern Gliedes des 5. Bogens und am Aussenrande der letzten grossen Copula. — Die Kiemenarte- rien fiir den 3. und 4. Kiemenbogen treten wie bei Ac. und Hept. je hinter den zugehorigen Muskeln nach aussen, diejenige des 2. Bogens dagegen auifallenderweise vor C'firj. — Der von den in- neren Enden der ausseren Kiemenbogen und ihrer nachsten Um- gebung aus zwischen die Portionen Cbr^ — 5 sich einschiebenden am niedianen Sehnenstrang der das Herz bedeckenden Fascie sich befestigenden Aponeurosen und ihrer Bedeutung fiir die Erklarung der tiefen Portionen des oberflachlichen Constrictors bei Hept. ist schon oben S. 440 Erwahnung gethan worden. Die vorliegenden Thatsachen sind nun allerdings nicht gcnii- gend, um mit Hiilfe derselben die Frage zu beantworten, welche Vorgange zu den so sehr eigenthiimlichen Verhaltnissen dieses Muskelsystems gefuhrt haben mogen. — Am auft'allendsten ist der Verlauf der, Nerven, welche die ventrale Langsmusculatur ver- sorgen. Es ist nun, vornehmlich durch Gegenbaur's Untersuchun- 454 Benjamin Vetter, gen, aus tlem Verhalten der nach dem Typus von Spinalnerven gebildeten Kopfnerven in Ursprung und Verlauf, der Theile des Craniums und des ganzen Visceralskelets festgestellt worden, dass am vordern Korperabschnitt der Wirbelthiere eine bedeutende Verkiirzung, eine Verschmelzung von Metameren stattgefunden haben muss, die aber am axialen Theile, am Cranium und dessen Contenta viel rascher vor sich ging, als an den ventralen Anhan- gen, den Visceralbogen, so dass diese gleichsam hinter den erste- ren zuriickblieben. Speciell die Musculatur des Visceralskelets wird also heute nur nocli durch ihre Nerven mit den Theilen ver- bunden, welche urspriinglicli niit ilinen in einem Metamer zusam- menlagen. Sammtliche Muskeln nun, welche zum System des grossen Constrictors, der Zwischenbogenmusculatur und der Addu- ctoren gehoren, werden durch Zweige des Trigeminus, Facialis, Glossopharyngeus und Vagus versorgt, miissen mithin als denjeni- gen Metameren zugehorig erachtet werden, welche im hintern Abschnitt des Craniums zur Verschmelzung kamen, miissen also auch zu einer Zeit, wo diese Verschmelzung noch nicht eingetre- ten war, ziemlich unmittelbar unter diesen gelegen haben, mit ihnen zu einem Metamer verbunden gewesen sein. Fiir solche Theile, die durch Nerven versorgt werden, deren Urspriinge gleich hinter denen der letzten Kopfnerven am Anfang des Riickenmarks folgen, kann sonach die ursprilngliche Lage auch nicht anders an- genommen werden, als gleich hinter den durch die letzten Kopf- nerven versorgten Theilen, ziemlich unmittelbar unter den Stellen des Riickenmarks, wo diese entspringen. Diese Theile sind aber einerseits ein hinter dem Schultergiirtel liegender Abschnitt der seitlichen und ventralen Rumpfmusculatur , zu welchem sich der S. 450 erwahnte Ast des verschmolzenen 1. und 2. Spinalnerven nach hinten wendet, anderseits die Mm. coraco-arcuales. Es bleibt also Nichts ilbrig, als anzunehmen, dass auch diese letzteren frii- her auf die Gegend hinter den letzten Kiemenbogen, auf die nachste Nachbarschaft des Schultergiirtels beschriinkt waren, dass sie erst spater (wohl erst nachdem die Visceralbogen des vordern Korperabschnittes zur ventralen Vereinigung und zur Ausbildung von Copulae, iiberhaupt zur Gliederung gelangt waren) allmahhg nach vorn an Ausdehnung gewannen und ihre jetzigen Beziehungen zu den Kiemenbogen, dem Zungenbein- und Kieferbogen ei^ingen. Auf eine Zusammengehorigkeit der Mm. coraco-arcuales mit der hinter dem Schultergiirtel liegenden ventralen Langsmusculatur scheinen auch die bei beiden so ausgezeichnet vorkommenden que- Die Kiemen- und Kiefermusculatur der Fische. 455 ren Inscriptiones tendineae hinzuweisen, — und endlich darf wohl auch der Umstand , dass die den 2. Kiemenbogen versorgende Kiemenarterie bei Scymnus, im Gegensatz zu Hept. und Ac, vor Chr^, und dass bei alien dreien die zum 1. Kiemenbogen gehende Arte'rie, im Gegensatz zu dem Verhalten bei den hinteren Kiemen- bogen und dem Zungenbeinbogen, vor dem zugehorigen Langs- muskel nach aussen tritt, als Zeugniss Mr die Ansicht angespro- chen werden, welche in den fragliclien Muskeln keine den Kiemen- bogen typische, sondern erst spater zur Verbindung mit denselben gelangte Bildungen erblickt. 456 Benjamin Vetter, Erklarung der Abbilduugen. Die Abbildungen (mit dera Diopter nach den Praparaten gezeichnet) sind sammtlich in natiirlicher Grosse. - Die Kopfnerven sind mit auf- rechten Buchstaben, die Spinalnerven mit aufrechten romischeu Ziffern bezeichnet. — Ein hinter dem Muskeluameu stehendes o bedeutet Ursprungs-, ein i Insertionsstelle desselben. Fiir alle Figureu gelten folgende Bezeichnungen : Po = Postorbitalfortsatz des Crauiums. Q = Quadrattheil des Oberkiefers. P = Gaumcntheil desselben. Md =: Unterkiefer. L, Li, Lii = Pramaxillar-, Maxillar- iind Pramandibularknorpel. Hmd = Oberes Stiick des Zuugeubeiubogens (Hyomandibulare). hy = Unteres (Hyoid-)Stuck desselben. C — Copula desselben. I— VII =1 1. — 7. Kiemenbogen; u. an diesen 1 zr Oberstes Glied, Basale. 2 = Oberes Mittelstiick. 3 = Unteres „ 4 =r Copulare. c = Copula. ^Qd, ^Qv — Dorsale, ventrale aussere Kiemenbogen. Sc, Cor = Scapular-, Coracoidtbeil des Schultergiirtels. Trgi,n,iu = 1., 2., 3. Ast des Trigeminus (R. ophtb., R. max. snp., R. max. inf.). Fac =: Facialis. Gl =z Glossopbaryngeus. Vg = Vagus. Rl = Ramus lateralis. Ri = „ intestinalis. Rbr, — ... — 1. bis ... R. brauchialis. Csdi — ..., Csvi '-... = 1. bis .. . Portion des dorsalen , veutralen Abschnitts des M. Constrictor superficialis. Die Kiemeu- uad Kiefermusculatur der Fische. 457 Taf. XIV. Fig. 1. Heptanchus, vorderes Korperende, linke Seite, nacb M'egnahme der Haut. * Spritzloch. — Der Quadrattlieil des Oberkiefers {Q) ist aus seiner Gelenkverbindung mit dem Postorbitalfortsatz (Po) gelost, um den M. levator max. sup. (Lms) zu zeigen. — Trga Das diesen Muskel versorgende Aestcheu des R. max. inf. Trig. — Faca Ein durcb das Spritzloch auf die Aussenseite von Csdi tretendes Aestcben des Facialis. Facj3 Der Csv^ und Csv^2 versor- gende Ast desselben. Tt M. trapezius. Add M. adductor mandibulae. Addy Das zur Haut der untern Augeiilidgegend gebende Biiudel desselben. Fig. 2. Heptanchus, dieselbe Ansicht, nacb Ablosung der oberflach- lichen Muskelschicht (mit Ausnahme des Lms) nabe ibrera dorsalen Ursprung und Zurtickschlagung derselben. Aucb das Hyomandibulare ist aus seiner Ver- bindung mit dem Scbiidel gelost , die Insertionen der Theile von Csd an den obereu Mittelstiicken der Kiemenbogen abgeschnitten , die hypaxonische und epaxonische Rumpfmusculatur in die Hohe gehoben, um die obern Enden der Kiemenbogen sichtbar zu machen. (I, II) 1. und 2. Spinalnerv, zu einem Stamm verschmolzen. NCa Der die IVIm. coracoarcuales versorgende Ast desselben. Jai 1-5, u 1-5, m 1-6 1.— 5. (6.) Portion der Mm. interarcuales. Cph M. constrictor pharyngis. Ssp M. subspinalis. Tr^ Das vom Trapezius sich abspaltende, am letzten Kiemen- bogen sich inserirende Eiindel. Fig. 3. Acanthi as, vorderes Korperende, linke Seite, nacb Wegnabme der Haut. Add^ M. levator labii sup., mit dem M. add. manil. sich verbindend. Addyo^ 4dd;'i Anfang und Insertion des vom Adductor sich abhebendeu Biindels. (ac M. coracoaa-cualis communis. — Die iibrigen Bezeichnungeu wie in Fig. 1. Fig. 4. Acanthias, die oberen Glieder der Kiemenbogen, linke Seite, von aussen gesehen. Jai 1-3, Ja (ii, lu) 1-4 1.— 3. (4.) Portion der Mm. inter- arcuales. Taf. XV. Fig. 5. Heptanchus, vorderes Korperende, Ventralansicht, linke Seite, nacb Wegnabme der Haut. Von der zum Unterkiefer gehenden Portion des obertiachlicheu Constrictors (CsVi) ist gerade so viel abgetragen worden, als nothig war, um den davon sich abspaltendeu, am Hyoidstiick des Zungenbein- bogeus sich befestigendeu Theil derselben (Csv^i) sichtbar zu machen. Fac/3 Der diesc Portion versorgende Ast des Facialis. ; Fig. 6. Acanthias, vorderes Korperende, Ventralansicht, linke Seite, nacb Wegnabme der Haut. Add M. adductor mandibulae. Add^ M. levator labii superioris. Cac M. coracoarcualis communis. Cbr^ 5. Portion des M. co- racobrancbialis. Fig. 7. Heptanchus, Ventralansicht der Musculatur des Zungenbehis und der beiden ersten Kiemenbogen. Cawj nabe der Mediaue abgeschnitten und nebst dem M. coracohyoideus (Chy) nacb rechts biiiiibergezogen, um die tiefcu Ursprunge der Kiemenbogenportionen des Constrictors (Csv^a, ,) zu zeigen. Chyi Insertion des M. coracohyoideus an C und hy. Cbrii Insertion des M. coracobranchialis 1 (Cbri) am Hinterende von C. Cbr^ M. coracobrancbialis 2. Cac M. coracoarc. comm. Csv^^i Insertion der tieferu Lage von Csv^ am Hyoid- stiick des Zungeubeinbogens. 458 B. Vetter, Die Kiemeu- u. Kiefermusculatur der Fische. Fig. 8. Acaiithias. Ventralansicht des Kiemengeriistes mit der ventra- leu Langsmusciilatur. Die zum Uuterkiefer uud zur Unterseite der Zungen- beincopula gehenden Theile derselben , M. coracomandibularis {Cmd) uud M. coracohvoideus (C/ij/) weggenommen. C/tyo Ur sprung des letztereu an der Unter- flache des M. cor. arc. comm. (Cac). Caco Ursprung dieses Muskels an der Unterflache der vom Coracoid zu den Copularia gehcnden Fascie. C'irj— 5 Die zum 2.-5. Kiemenbogen gehenden Mm. coracobrancliiales. Csv^^i und Jbri-i^ Insertionen der tiefern Lage von Csv^ und der Mm. interbranchiales. Csv^—,o Ursprungsapoueurose dieser Constrictorportionen. Fig. 9. Heptanchus. Ventraiansicht der ventralen Langsmusculatur, rechte Seite. Die in der Mediane liegeuden Muskeln etwas nach links binliber- gezogen. Csv^a-s'^ Die tie fen Urspriinge der Kiemenbogenportionen des ober- flachlichen Constrictors abgeschnitten. Cbr^—. Mm. coracobranchiales des 1.— 7. Kiemenbogens. Ahij, Abri-^ Kiemenarterie des Zungenbein- und des 1.-6. Kiementogens. — Die iibrigen Bezeichnungen wie in Fig. 8. Fig. 10. A cant bias. Ventraler Theil 'der Mm. interbranchiales des 2. —4. Kiemenbogens {Jbr, — ^), von unten geseheu. ^gv, der zweite aussere Kie- menbogen, von seiner Verbindung mit ^qvs gelost und mit Jbr, und den Kie- menstrahlen (q) des zweiten Kiemenbogens nach vorn umgesclilageu. Abrs Kie- menarterie des 3. Kiemenbogens. — Das Uebrige wie in friiheren Figg. Beitrage ziir Kcuiitiilss des teiiiercii Banes dcr Taeiiieii. Vorgetragen in dem naturwissenschaftlich-medicini- schen Vereiii zu Strassburg am 20. Februar 1874 von Dr. P. iScIiiefferdecIter, Assisteiit ail dem Physiol. Institute der Uuiversitat Strassburg. (Hierzu Taf. XVI.) Im Jahre 1863 erschien das Werk von Leuckart „Ueber die menschlichen Parasiten ii. s. w.", in dem auch die im Menschen vorkommenden Taenien ihrem groberen und feineren Ban nach genau beschrieben waren. In den seitdem verflossenen 10 Jahren haben wir iiber diese so interessante Thiergattung nur wenige kurze Arbeiten erhalten, so dass die LEucKARx'schen Beobachtungen mit wenigen Aenderungen immer noch die Grundlage fiir unsere Kenntnisse bildeten. So verofifentlichte 1865 Rindfleisch (Archiv f. mikroskop. Anatomie v. M. Schultze Bd. I S. 138) eine kurze Arbeit, in der er sich nur mit der Subcuticularschicht und den Kalkkorperchen genauer beschaftigte. Dann erschienen 1873 zwei Arbeiten: eine von Nitsche (Zeitschrift f. wissensch. Zoologie von SiEBOLD u. KoLLiKER Bd. XXIII S. 181) „Untersuchungen uber den Bau der Taenien", in der hauptsachlich die Beschaffenheit und AnordnuDg der Muskeln besprochen wird, und eine von Schneider (XIV. Jahresbericht der Oberhessisclien Gesellschaft fiir Natur u. Heilkundej „Untersuchungen iiber Plathelminthen", in der auch der Cestoden, wenn auch nur oberfiachlich , Erwahnung gethan wird. Die von diesen Forschern gemachten Angaben werde icli weiter unten an den betreflfenden Stellen meiner Arbeit anfiihren und besprechen. 4C)0 P- Schiefffrdockor, Durch die Gute eines Collegen, ties Herrn Dr. Rabow, erhielt ich zu zwei verschiedenen Malen ein frisches, eben abgetriebenes Exemplar von Taen. solium, so dass es mir moglich wurde, eine genaiie anatomische Untersuchung dieses Thieres auszuftihren, eine Untersuchung, in deren Bereich audi T. cucunierina vom Hunde theilweise hineingezogen wurde. Ich fand dabei manche neue Thatsache im Gebiete dcr Histologic, welclie ich mir hier mitzu- theilen erlauben will, ohne den Anspruch zu machen, etwas Ab- geschlossenes zu liefern. Ich wage diese Veroifentlichung um so eher als auch Herr Prof. Waldeyer, . dem ich meine Praparate vorlegte, mir dazu rieth. Interessant war mir in mancher Hin- sicht die Vergleichung rait den von Sommer und Landois (Beitrage zur Anatomic der Plattwiirmer von Dr. F, Sommer und Dr. L. Lan- dois I. Heft 1872) bei Bothriocephalus latus gefundenen Thatsachen. Von Erhartungsmethoden wandte ich zwei an; eine 2Vo Lo- sung von doppeltchromsaurem Ammoniak, in der das Praparat bei ofterer Erneuerung der Fliissigkeit 1 — 3 Wocheu blieb, worauf es in Spiritus gelegt wurde, und eine OjSo/o Losung von Osmium- saure, in der die Erhartung in 2 — 4 Tagen vollendet war. Jede von beiden Methoden liefert nach einer bestimmten Richtung hin gute Resultate. Bevor ich nun zu der Beschreibung des histologischen Baues von Taenia iibergehe , mochte ich noch vorausschicken , dass ich den Genitalapparat bei meinen Untersuchungen von der Betrach- tung ausgeschlossen habe. Betrachten wir zunachst, um ein Bild von dem eigenthiimlichen Bau der Taenien zu gewinnen, einen Querschnitt, von einem alten in doppeltchromsaurem Ammoniak geharteten Gliede (ein solches ist fiir die meisten Zwecke das beste) bei schwacher Vergrosserung, wie ihn uns Fig. I (Hartnack Obj. II Cam. lucid.) zeigt. Die Zeichnung stellt nur ein kleines Stiick der einen Seite dar, ent- halt indessen alles wesentliche. Gehcn wir von Aussen nach Innen, so treffen wir zunachst auf eine massig dicke Cuticula, von der das ganze Glied umhiillt ist. Bei dieser Vergrosserung unterscheiden wir an derselben zwei Schichten, eine aussere homo- gen erscheinende bei i, eine innere der Liinge nach feingestreifte bei k. Auf diese folgt dann bei / eine fein radiar gestreifte Schicht, die Schicht der spindelforraigen Matrix-Zellen. Die feinen Piinktchen zwischen diesen Zellen bedeuten die Querschnitte von Muskelfasern, welche sich zwischen denselben finden mid die ausserste Keihe des Systems der mm. longitudinales bilden. Fasst man alles zu- Beitrage ziii* Kcnntniss dos foinorcn Bauos dor Taonion. 401 sammen, was in der Schicht bei / liegt, so kann man sie als die Subcuticularschicht bezeichnen. Auf diese ersten zum System der Cuticula gehorigen Schichten folgt nun das eigentliche Korper- parenchym, an dem zuniichst drei grosse Abtheilungen nach dem Vorgange der Autoren imterschieden werden , zwei iiussere, die Rindenscliichten und eine von ihnen eingeschlossene innere, die Mit- telschicht, eine Eintheilung, die eine vollig kiinstliche ist und nur fiir die Beschreibung Werth hat. Die Grenze zwischen der Mittel- schicht und den beiden Rindenschichten bilden die beiden starken Zuge der mm. transversi (bei o, a), welche selbst noch zur Rin- denschicht gerechnet werden miissen, wenn auch viele einzelne noch zu ihrem System gehorige Fasern der Mittelschicht unzwei- felhaft angehoren. Den Rindenschichten allein gehoren ferner die zahlreichen Biindel der mm. longitudinales an, deren Querschnitte wir bei c, c, c sehen. Alle drei Schichten durchsetzen von eineni Punkte der Cuticula einer Seite zu dem entsprechenden der an- deren Seite hin verlaufend die in kleineren Biindeln zusammen- liegenden Fasern der mm. dorso ventrales (bei 6, b); ebenso ein Gemeingut aller drei Schichten sind die zahlreichen Kalkkorper- chen (bei //, //), In der Mittelschicht allein finden wir dann noch bei d den Querschnitt einer der vielen kleinen Ausstiilpungen des Uterus, in dem einige Eier liegen (bei e), den Querschnitt eines der beiden grossen Seitengefasse bei /), und dicht nach aussen von diesem gelegen den Querschnitt einer Saule einer eigenthiim- lich gebauten, spongiosen Substanz. Der Bau der Taenie ist auf einem solchen Uebersichtsbiide also verhaltnissmassig sehr einfach, denn Darmcanal, Respirationsorgane und Blutgefasssystem fehlen ganzlich, komplicirt wird derselbe erst, wenn wir starkere Ver- grosserungen und besondere Praparationsweisen zu Hiilfe nehmen. System der Cuticula. Zum System der Cuticula rechne ich die Matrixzellen und die eigentliche Cuticula. Zur genauen Untersuchung dieser Gebilde wendet man am besten drei verschiedene Praparationsmethoden an : 1) Farbung eines Schnittes njit Haematoxylin und Einlegen in Gly- cerin Oder Nelkenol und Canadabalsam. 2) Farbung eines Schnittes (nach Behandlung uiit doppeltchromsaurem Amnion, und Spiritus) mit Osmiumsaure und Einlegen in Glycerin oder Canadabalsam. 3) Behandlung eines Bandwurmgliedes mit Salpetersiiure und chlor- saurem Kali und darauf folgendes Zerzupfen und Aufbewahren in Glycerin. Auf diese Weise erhalt man Bilder, wie sie Fig. II, 462 P- i^chiefferdecker, III, IV und XVIII ims zeigen. Die ersteii drei sind mit Hartnack Obj. IX a Immers. das letzte mit Obj. VIII und der Cam. lucid, gezeichnet. Betrachten wir zunachst das Haematoxylin - Priiparat auf Fig. IV. Bei A sehen wir hier die eigentliche Cuticula, bei B die Schicht der Matrixzellen. Diese letztern sind grosse mem- branlose spindelformige , nach beiden Seiten bin in feine Enden auslaufende Zellen mit deutlichera langlich ovalen Kern, in dem sich oft noch ein Kernkorperchen erkennen lasst. Dieselben bil- den, wie idi glaube eine einfache Lage. Ueberall wenigstens, wo der Scbnitt so diinn und in einer so giinstigen Ricbtung gefilhrt ist, dass man die Zellen ihrer ganzen Lange nach und nicbt mehrere binter einanderliegend sieht, findet man, wie auf der Strecke /i, dass die Lange der einzelnen Zellen soviel wie die Dicke der ganzen Zellscbicbt betragt, und nur da, wo sicb die Zellen gegen- seitig decken oder durch den Scbnitt eines Tbeils ibres Korpers beraubt sind, wie bei ^ scbeinen zwei Zellenreiben iiber einander vorhanden zu sein. Aus dieser Annahme folgt indessen durcbaus nicbt, dass etwa die Mittelpunkte sammtlicber Zellen gleicb weit von der Cuticula entfernt liegen, die Zellen verscbieben sicb ira Gegentbeil, um Raum zu gewinnen, meist so, dass der dickste Tbeil der einen neben dem scbmalern der Nebenzelle liegt, so dass also die nacb Aussen laufenden Fortsatze verscbieden lang sein miissen. Zwiscben diesen Zellen liegen (bei h, h, h) zerstreut die Quer- scbnitte kleiner Muskelbiindel und Muskelfasern , welcbe zum Sy- steme der mm. longitudinales geboren, und deren iiusserste dicbt unter der Cuticula gelegene Reibe, welcbe nur aus einzelnen Fa- sern bestebt, man, wenn man will, aucb als mm. subcuticulares bezeicbnen kann. Nacb aussen von den Matrixzellen, aber, wie wir seben werden, in striktem Zusammenbang mit diesen, beginnt nun die Cuticula, an der wir jetzt deutlicb vier Scbicbten zu unterscbeiden vermogen, von denen zwei sebr viel macbtiger sind als die andern beiden. Zunacbst den Zellen linden wir eine aus langen, sebr scbmalen, einander parallelen und von aussen nacb innen dicbt aneinanderliegenden , von binten nacb vorn durcb scbmale Zwiscbenraume von einander getrennten transversal ver- laufenden Fibrillen bestebende Scbicbt, welcbe mebr als ein Dritt- tbeil der ganzen Cuticula einnimmt. Auf einem Langsscbnitte siebt man statt der Fibrillen naturlicb ibre wie kleine scbwarze Punktcben erscbeinenden Querscbnitte. Diese Scbicbt wird durcb- setzt von einer sebr grossen Anzabl sebr feiner Fasern, welcbe senkrecbt zu den Fibrillen nacb Aussen bin verlaufen. Diese fei- Beitrage ziir Kenntuiss dos feinoron Eaues dcr Taenioii. 4(^3 nen Fasern sincl einmal die Auslaufer der Matrixzelleii, und zwei- tens die feinen Sehneii der mm. dorso ventrales, welclie zwisclien den Matrixzelleii hinduicli zur Cuticula treten. Nach Aussen von der Fibrillenschicht liegt eine viel sclimalere, welche sicli durch eine grosse Anzalil kleiner schwarzer Piinktchen und feiner Fasern, die sie senkrecht durchsetzen, auszeichnet. Die Piinktchen halte ich fiir die Endpunkte der Sehnen der mm, dorso ventrales, wenigstens kann man keine derselben liber diese Schicht hinaus verfolgen. Die feinen Fasern sind theils ebenfalls die letz- ten Enden der Sehnen, die noch eine kleine Strecke in dieser Endschicht verlaufen, theils die durchtretenden Fortsiitze der Matrixzellen. Ich werde diese Schicht die „fein punktirte" nennen. Die dritte und miichtigste Schicht der Cuticula kann man als die „homogene" oder „die Schicht der Porenkanalchen" bezeichnen. Sie besteht aus einer vollig homogen erscheinenden Substanz, durch die sich von Aussen nach Innen senkrecht zur Schicht eine Menge feiner Porenkanalchen, von etwas weniger als 0,001 Mm. Weite hindurchziehen. Auf Fig. IV erscheint jene Schicht ohne Kanal- chen, die dunkle Haematoxylinfarbung ist der Darstellung dersel- ben niclit giinstig, dagegen zeigt Fig. II uns dieselben sehr deut- lich. Diese Zeichnung ist nach einem Zerzupfungspraparate ge- macht, welches vorher etwa 10 — 15 Minuten lang mit Salpeter- saure und chlorsaurem Kali behandelt worden war. Auch Farbung der Schnitte mit Osmiumsaure ist zu diesem Zwecke sehr zu empfehlen. Diese Porenkanalchen liegen indess nicht nur in der dritten, sondern sie durchbohren auch die ausserste vierte Schicht, und miinden so frei nach Aussen, wie Fig. IV dieses beweist. Diese vierte Schicht besitzt nur eine sehr geringe Machtigkeit, erscheint ebenfalls strukturlos und immer, auch bei der an sich schon dunk- len Haematoxylinfarbung der Cuticula, dunkler als die dritte. Ich will sie ihrer Lage nach als „Deckschicht" bezeichnen. Sie ist vielleicht nichts welter als die ausserste durch aussere Eintiiisse veriinderte Lage der dritten Schicht, wenigstens habe ich niemals eine Abspaltung derselben beobachtet, indess ist sie konstant vor- handen und immer ziemlich scharf von der vorigen abgegrenzt. Auf Liingsschnitten sehen alle diese Schichten, mit Ausnahme natiirlich der Fibrillenschicht, genau so aus, wie auf dem Quer- schnitte. Betrachten wir also noch, urn uns eine korperliche Vor- stellung bilden zu konnen, zwei Flachenbilder. Auf Fig. Ill sehen wir eiufach von oben auf die Cuticula herab, 464 P- Schieffer decker, wir haben also nur die ausserste vierte Schicht mit ihren Poren- offnungen vor uns. Das hier gezeichnete Sttick gehort wieder einem Zerzupfungspraparat an. Die Oeffnimgen der Kanalchen stehen in verschieden grossen aber iramerhin nur selir kleinen Abstanden von einander imd lassen keine besondere Anordnung erkennen. An andern Stellen schienen sie bin und wieder raehr zu einander parallellaufenden Reihen geordnet, jedenfalls herrscht darin aber keine Regelmassigkeit. Fig, XVIII zeigt uns eine tiefer- liegende Partie der Cuticula. Der Schnitt ist mit Osmiumsaure nachtraglich gefarbt und dann in Nelkenol und Canadabalsam ge- legt. Es ist iibrigens kein wirklicher Flachenschnitt, sondern, wie haufig, mehr ein flacher Schragschnitt, der uns daher verschieden tiefgelegene Partieen theils noch untereinander, theils schon neben- einander gelegen zeigt. Bei a haben wir die homogene dritte Schicht, von deren unterm Rande an wir die Lage der Fibrillen der ersten Schicht (bei b) beginnen sehen. Senkrecht zu diesen Fibrillen und unter ihnen gelegen laufen die einzelnen Fasern der mm. subcuticulares (die ausserste Lage der mm. longitudinales) ; diese bilden gewissermaassen die Scheidewande von Fachern, welche ganz mit den verschieden geformten und verschieden grossen (je nach der Hohe, in der die Zelle getroffen ist) Querschnitten der Matrixzellen angefiillt sind. Je weiter wir nach dem Cuticularrande d. h. also nach oben gehen, um so seltnerwerden die Querschnitte, uber die iibrigens die Fibrillen natiirlich heriiberlaufen. Zwischen diesen letzteren bleiben, wie wir sehen , schmale Zwischenraume, in denen wir eine Menge kleiner dunkler Piinktchen bemerken. Ich halte dieselben fur die Endigungen der Sehnen der mm. dorso ventrales oder doch wenigstens fiir die Durchschnitte derselben. Wir haben uns nun noch nach dem weiteren Verbleiben der Auslaufer der Matrixzellen umzusehen, die wir in der fein punk- tirten Schicht verliessen. Wenn man ein Bandwurmglied ganz frisch in 0,57o Osmiumsaure legt bis es eine schnittfahige Consistenz angenommen hat, und dann Schnitte aus demselben anfertigt, wahrend man sich zugleich bemiiht, so wenig wie moglich von der Oberflache dieses Gliedes mit andern Gegenstanden z. B. dem festhaltenden Finger u. s. w. in Beruhrung zu bringen, so bemerkt man bei Anwendung genugender Vergrosseruugen , wie Hartnack VIII Oder IX, an dem aussern freien Rande der Cuticula eine Menge feiner Cilien, welche, wenn sie unverletzt sind, immer ziem- lich senkrecht zum Rande stehen. Diese Cilien sind 0,0044—0,0066 Mm. lang, 0,001—0,0015 Mm. dick, werden durch Osmiumsaure Beitrage zur Kenntniss dos feineren Bauos der Taenien. 465 nicht gefarbt, sondern sind sogar meist so hell und durchsichtig, dass man sie leicht iibersieht, und haben die Eigenthiimlichkeit, dass sie sich, in vielen Fallen wenigstens, nach der Cuticiila zu und zwar dicht vor ihrer Ansatzstelle beginnend, etwas verdiinnen. Die Substanz, aus der diese Cilien bestehen, ist meist, wie erwahnt, ziemlich durchsichtig, in andern Fallen findet man einige Kornchen, in noch anderen Fallen ist die ganze Masse sehr feinkornig. Die Rander derselben sind nicht vollkommen glatt, kurz mit einem Worte, sie machen den Eindruck von Protoplasmafaden. Man kann diese Faden nun in vielen Fallen in die Cuticula noch ein Ende hinein verfolgen und zwar sind das meist Stellen, an denen man die Cuticula dann von sehr vielen solchen Faden durchzogen sieht. so dass man durchaus den Eindruck gewinnt, dass diese Cilien zum grossten Theile in den Porenkanalen liegen und nur zum kleinern Theile iiber die Oberflache der Cuticula hervor- ragen. An solchen Stellen nun, an denen der Schnitt die Cuticula schrag getroffen hat, so dass man eine halbe Flachenansicht er- halt, sieht man dann haufig eine Menge solcher kleiner Faden in geringen Entfernungen von einander aus der Cuticula hervorragen. Nachdem es so fiir mich keinem Zweifel mehr unterworfen war, dass diese Cilien aus den Poren hervorkamen, war es mir wenig- stens hochwahrscheinlich, dass dieselben nichts weiter seien als die ausseren Fortsatze der Matrixzellen. Diese Annahme zu be- weisen dadurch, dass ich einen solchen Fortsatz von Anfang bis zu Ende verfolgte, ist mir, wie es bei den sehr bedeutenden Schwierigkeiten , welche ein solches Verfolgen bietet, so leicht moglich war, nicht gelungen, doch sprechen folgende Betrachtun- gen fiir meine Annahme : erstens wissen wir, dass die Matrixzellen einen feinen Auslaufer in die Cuticula hineinsenden, dessen Ende wir anderweitig nicht gefunden haben und dessen ganze Beschaffen- heit sehr wohl die Annahme seines Zusammenhangs mit den Cilien erlaubt, zweitens aber kennen wir weder in noch unter der Cuti- cula ein anderes Gebilde, das wir in Zusammenhang mit diesen Faden bringen konnten und eine freie Protoplasmamasse in den Poren der Cuticula kann man doch wahilich nicht annehmen woUen. Was nun die Menge dieser Cilien anbetriflft, so findet man dieselben natiirlich an einem Querschnitt nicht iiberall in gleicher Haufigkeit. An vielen Stellen sind sic umgebogen oder ganz Oder theilweise abgebrochen , an andern dagegen stehen sie wieder so dicht, dass ich annehmen mochte, dass nicht nur aus einigen, sondern aus alien Poren solche Cilien hervorragen, Bd. via, N. 1'. 1, 3. 30 4GG P- Sohioffordorkor, dass also audi der erwachsene Baiidwurm ein Cilieiikleid besitzt. Eine Thatsache die audi in Bezug auf die vergleidiende Auatomie der Wiirmer von Interesse ist. Ebenso wie bei Taenia solium habe ich diese Cilien natiididi audi bei T. cucumerina nadiwei- sen konnen, bei der sie inir indessen kiirzer und feiner sdiienen, wenngleich ich genaue Maasse von den niclit sehr schon erhaltenen Cilien nidit habe nehmen konnen. Leichter zu finden als nach der Behandlung mit Osmiumsaure sind diese Gebilde iibrigens, wenn man ein frisches Glied direkt in Haematoxylin legt, darauf in Alkohol erhartet und die Schnitte in Nelkenol und Canadal- balsam einlegt. Die Cilien sind dann intensiv blau oder violett gefarbt, in ihrer Gestalt aber allerdings etwas verandert, wie ge- sdirumpft, und nicht so zierlich wie nach Osmiumsaure. Ich habe diese feinen Protoplasmafaden nicht abgebildet, weil die Zeichnung sie doch nur unvollkommen wiedergeben wiirde, und man sie sich ja leicht vorstellen kann. Sehr ahnliche Verhiiltnisse haben Sommer und Landois von Bothrioc. latus beschrieben ; auch hier fanden sie die Cuticula von feinen Porenkanalchen durchsetzt und auf der Oberflache hervor- ragende Protoplasmafaden. Auch sie nehmen an, dass die Proto- plasmafadchen diirch die Porenkanale hindurchtreten. Durch die Annahme solcher durch die ganze Cuticula hindurch bis zur Oberflache hindurchtretender Auslaufer der Matrixzellen wird nun auch zugleich die Entstehung der Porenkanalchen er- kliirt, dieselben sind nichts weiter als die Raume in denen die Matrixzelle mit deni aussern Theile ihres Korpers liegt, rings herum bildet sie sich eine Art von Kapsel, die Grundmasse der Cuticula. Hiebei stossen wir nun allerdings noch auf ein Hinder- niss. Zahlt man namlich auf einer gieich grossen Stelle zweier Flachenschnitte einmal die Oeffnungen der Porenkanalchen und zweitens die Querschnitte der Matrixzellen, so findet man etwa 272 — 3 mal soviel der ersteren als der letzteren, eine Thatsache, die zu der Annahme zwingt, dass die Matrixzellen niehr als einen Auslaufer nach Aussen senden, einer Annahme, die nichts Unwahr- scheinliches hat, welche direkt zu beweisen mir indessen nicht ge- lungen ist. Noch mochte ich hier zum Schlusse eine von Rindfleisch aus- gesprochene Ansicht besprechen , welche mir irrthiimlich zu sein scheint. Er sagt Folgendes: „init Hiilfe eines HARXNACK'schen Immersionssystems kann man sich uberzeugen, dass die Spindeln kernhaltige Zellen sind" (Rindfleisch erkannte zuerst die Spindel- Beitrago znr Keniitniss dos foinerni Bauos der Tacnien. 407 form der Matrixzellen) „was sic imtor eiiiander verbindet, ist eine feingranulirte Grundsubstanz, die nach Iiinen zu iinraittelbar in die geschwimgeiien Fibrillen des ijarencliymatosen Bindegewebes tiber- geht. Die Hauptmasse der Subcuticularschicht ist also bindege- webiger, nicht epithelialer Natiir und auch der erwahnte schmale periphere Saum" (meine „Fibrillenschiclit") „ist lediglich aus Biindeln feinster Bindegewebsfibrillen zusammengesetzt, welche der Quere nach verlaul'en und daher auf dem Langsschnitte als kleine Gruppen von Piinktchen hervortreten" (S, 140). Einmal nun unterscheiden sich die Matrixzellen sowolil durch die Gestalt der ganzen Zelle, wie eine Vergleichung niit Fig. X und Fig. XV u. s. w. lelirt, als audi durch die Form des Kerns, ferner durch ihr Verhalten gegen Karmin, Haematoxylin , Indigkarmin, Palla- diunichloriir, durch welche sie sehr intensiv gefarbt werden, wah- rend die Bindegewebszellen ganz blass bleiben, abgesehen hievon aber muss ich bestreiten, dass aus ihnen oder aus einer zu ihnen gehorigen Zwischensubstanz Bindegewebsfibrillen hervorgehen. Zu- nachst vermuthe ich nun, dass die „geschwungenen Fibrillen" von RiNDFLEiscH meiuc „Sehnen der mm, dorso ventral." sind, die in der That oft einen zickzackformigen Verlauf haben, ich finde we- nigstens keine anderen. Diese Sehnen kann man nun aber, wie erwahnt, an gunstigen Stellen bis in die Cuticula hinein verfolgen? sie laufen also nur zwischen den Matrixzellen hindurch. Der Irr- thum scheint mir auf folgende Weise entstanden zu sein: diese Sehnenfibrillen entstehen, wie wir weiterhin sehen werden, aus Bindegewebszellen, die in ihrem Verlauf eingeschaltet sind, diese Zellen haben ein korniges Protoplasma, und liegen hin und wieder allerdings dicht den Matrixzellen an, ohn ■ mit diesen aber sonst etwas zu thun zu haben. Das l>in(legewel)ige Korperparenchym. Die Hauptmasse des Korpers von T. solium wird von einem eigenthtimlichen Bindegewebe gebildet, an dem man zuniichst zwci Hauptabthcilungen, die eigentlichen Zellen und die von ihnen al)- geschiedene Intercellularsubstanz unterscheiden kann. An jungen Gliedern kann man die Struktur dieses Gewebes nur ungeniigend studiren, da die Zellen hier dicht aueinanderliegen und als membran- lose Protoplasmaklumpchen ihre Grenzen, indem sie scheinbar zu- sammenfiiessen, nur schwer erkennen lassen. Bei einem alten Gliede dagegen finden wir dieselben durch weite Zwischenraume getrennt. 30* 408 P- Schieffer decker, Hier sehen wir zunachst ein selir zieiiiches Intercellularnetz. das aus feinen, bald mehr platten, bald raehr riinden Balkchen gebildet wird, die frisch mit Osmiumsaure beliandelt vollkommeii hell und durchsichtig erscheinen, durch Palladiumchloriir und nanientlich Goldchlorid sehr intensiv gefarbt werden, und auch bei Anwendung von Haematoxylin schon erkennbar sind. Fig. VI zeigt uns das- selbe nach einem mit Goldchlorid behandelten Langsschnitte. Bei n beginnt die Schicht der Matrixzellen, die bei der tiefen Gold- farbung nur einen einzigen schwarzen Streifen bildet, die Cuticula ist fortgelassen. Bei 6, 6, 6 sehen wir die verschiedenen Biindel der mm. longitudin. , bei c die dicke Lage der mm. transversal., welche zugleich die Grenze der Rindenschicht bildet, sodann folgt noch ein Stiickchen der Mittelschicht. Dieses Netzwerk beginnt, wie man an giinstigcn Praparaten sieht, am innern Rande der Cuticula, ist also in der Subcuticularschicht schon vorhanden und geht un- unterbrochen durch das ganze Glied hindurch, die Genitalorgane sind in dasselbe nur eingesprengt ; in seinen Maschen liegen oder lagen (falls sie zu Grunde gegangen sind) die Bindegewebszellen, welche die Balkchen ausscheiden. Besonders eng sind die Maschen iiber- all da, wo Muskelziige hindurchtreten, denn die einzelnen Muskel- biindel und Fasern liegen eben in diesem Maschenwerk eingebettet. Dieses Intercellularnetz diirfte niclit unbedeutend zur Festigkeit des Taenienkorpers beitragen, es bildet eine Art von Skelet. In den Maschen desselben finden wir nun durch den ganzen Korper bin zerstreut eine Menge von Bindegewebszellen. Sie sind durch- gangig membranlos, aus einen kornigem Protoplasma gebildet, mit einem sehr deutlichen runden Kern versehen, in dem sich stets ein sehr deutliches Kernkorperchen findet. haben bald eine spindel- formige Gestalt, bald sind sie drei- auch viereckig, jenachdem sie zwei, drei oder vier feine ebenfalls aus kornigem Protoplasma be- stehende Fortsatze aussenden. Fig. XV zeigt uns mehrere solcher Zellen bei a (Haktnack Obj. IX a Immers.), bei c eine mit zwei Kernen, die also wahrscheinlich in der Theilung begrilten war, bei h eine von einer Membran umgebene auch sonst schon veran- derte Zelle, die sich wohl in einem Degenerationsprocesse befindet. Auf diese letztere werden wir spater noch zuriickkommen. Auf Fig. X sehen wir bei ?, i zwei solcher Zellen. Man findet die- selben also bei alten Gliedern allerdings durch den ganzen Korper zerstreut, aber lange nicht in alien Maschen liegend, am haufigsten sind sie in der Mittelschicht; auch zwischen den eng aneinander- liegenden Muskelbtindeln der mm. transversi fehlen sie nicht, wie Beitrage zur Kenutniss ties feiueren Baius der Taeuieu. 469 Fig. XI bei d, d, d zeigt. Die Zellen sind von sehr verscliiedener Grosse, und sowohl in der Rinden- wie in der Mittelschicht finden sich solche, bei denen der Kern nnr von wenig kornigem Proto- plasma nmgeben ist, die aber nichtsdestoweniger Ausliiufer nach den verschiedensten Richtungen bin aussenden, die sich bin und w'ieder zu einem Netz zu vereinigen scheinen, wie es wenigstens Fig. IX (Palladiunichloriir. Haktnack IX a Immers.), welcbe eine Partie der Mittelschicht darstellt, wahisclieinlicli macht. Ausser- dem finden sich aber, nanientlich in den Ilindenschichten eine Menge Kerne, welche vollkonimen frei zu liegen scheinen, wenig- stens babe ich keine Spuren von unigebenden Protoplasma aul'- finden konnen. Dieselben seheu sonst genau iso aus wie die Kerne der Bindegewebszellen und baben auch stets ein deutliches Kern- korperchen ; sie larben sich niit Haematoxylin ebenso scbon, wie die andern. Ich kann mir nur denken , dass diese Kerne, trotzdem an ihnen keine Spur von Degeneration zu erkennen ist, doch de- generirten Zellen angehoren , deren Korper bereits verscbwunden ist, wenn man nicht annebmen will, dass durch die Praparations- nietboden ein Tbeil der zarten Zellen zu Grunde gegangen ist, wahrend die consistenteren Kerne iibrig blieben. Solche Kerne finden wir auf Fig. V bei rf, d, auf Fig. VI bei f, f, auf Fig. X bei c, c. Alle diese Bindegewebszellen, grosse und kleine, haben die Eigenschat't, dass sie sich nur schwach filrben, sei es nun, dass man Palladiumchloriir , Haematoxylin , Karmin oder Indigkarmin anwendet, wahrend ihre Kerne sehr schon gefarbt erscheinen. Hier ist besonders Haematoxylin zu empfehlen, da,s iiberhaupt rci- zende Bilder giebt. Neben diesen freien Bindegewebszellen findet man noch eine zweite Art: solche, welche Fibrillen bilden. Man sieht namlich durch die ganze Rindenschicht bin, hauptsiichlich aber in den ausseren Partieen liegend, eine Menge spindelformiger Zellen, welche radiar stehen und auch oft eine gewisse Anordnung nach Reihen erkennen lassen. Von diesen Zellen gehen nach Innen und Ausscn Fortsiitze aus, welche nicht kornig sind, sondern ho- mogen erscheinen, dicker sind als die Protoplasniafortsatze der anderen, und sehr haufig eincn zickzackformigen Verlauf haben. An gilnstigen Priiparaten, an denen man diese Fortsiitze weiter verfolgen kann, sieht man sie nach der Mitte zu dicker und dicker werden und in die Fasern der mm. dorso ventr. iibergeheii, deren Sehnen sie also darzustellen scheinen. Die Zellen selbst seheu 470 P- Schiefferdecker, den anderu Bindegewebszellen sehr ahnlich, besitzen aber eiiie Membran (Tig. V a, Fig. X d, d). Ich erwahute oben bereits eine Art der Degeneration der Bindegewebszellen, es ist dies indess nicht die einzige, eine andere iind wahrscheiulich viel liaufigere ist die Verkalkung derselben, die Umwandlung der Zellen in Kalkkorpercheu. Dnrch das ganze Korperparenchym von T. solium zerstreut, in alien drei Schichten, nur die Cuticula und die Subcuticular- schicht, sowie jene eigentliiimliche spongiose Substanz der ]\[ittel- scbicht ausgenommen, sehen wir eine Menge von kleinen runden Oder ovalen Korperchen, welche sehr haiitig eine deutliche concen- trische Schichtung ahnlich den Amylonkornchen erkennen lassen. Diese Korperchen erscheinen von der Seite gesehen liinglich oval, sind also abgeplattet und schwanken in ihrera Durchniesser zwischen 0,0132 und 0,0187 Mm. Dieselben tarben sich intentiv bei Anwendung von Indigkarmin und Haeraatoxylin , nur sehr schwach bei Goldchlorid und Palladiumchloriir , so gut wic gar nicht in Karmin. Man tindet dieselben schon in sehr jungen Gliedern, jedoch in weit geringerer Anzahl als in den altcn ; liber die jlingsten Glieder und den Kopf habe ich keine Erfahrungen, da dieselben meinen Exemplaren von T. solium t'ehlten. Solche Korperchen sehen wir auf Fig. V i und k (letzteres von der Seite gesehen), Fig. VIII d, Fig. X h, ft, h (mit wenig ausgepriigten concentrischen Ringen), Fig. XI e (gut entwickeltes Korperchen mit vielen Ringen). Die Annahme, dass diese Kalkkorpercheu nicht eiufache Concretionen seien, sondern aus Zellen, welche ver- kalken, entstehen, ist schon von mehreren Beobachtern gemacht, sie lag auch in der That nahe bei der Formahnlichkeit der Kor- perchen mit Zellen. Auch Rindflkisch vertritt sie in seiner Arbeit und Landois und Sommek stellen dieselbe Behauptung fiir Bothrio- cephalus auf. Sie fanden bei diesem Thiere die bindegewebige Grundsubstanz „aus grossen, iiusserst zahlreichen, rundlichen oder ovalen Zellen und einer wenig reichlichcn Intercellularsubstanz gebildet". Aus diesen Zellen lassen sie dann durcli Verkalkung die Kalkkorpercheu hervorgehen, ebenso wie Vikchow es gethan hatte. Auch ich habe wie Rundfleisch zahlreiche Uebergangs- formen von der Bindegewebszelle zum Kalkkorpercheu gesehen, einigc davon sind in Fig. VIII abgebildet. Danach stelle ich mir den Vorgang folgendermaassen vor: Zuniichst umgiebt sich eine Beitrage zur Kcuntniss des feinercn Banes tier Tacnien. 471 der freiUegenden Zellen, nachdem sie ihre Ausliiufer eingezogen hat, mit einer Meinbran (Fig. XV b). Das Protoplasma emer solchen Zelle sielit anders aus als in normalem Zustande, die Kornchen sind weiter auseinandergertickt, kurz es sieht so aus, als Ob der Zelliiibalt verdtinnt sei. Dann tritt mehr und mehr Fliissigkeit in die Zelle ein, das Protoplasma schrumpft und z^elit sicb urn den Kern zusammen wie bei a und a, (letztere Zelle halb von der Seite gesehen), so dass es wie eine Kugel m der mit Fliissigkeit gefiillten Zellblase schwimnit. Dann scheint dieses Protoplasma mehr und mehr zu verschwinden bis endlich nur der Kern der inzwischen auch meist sein Kernkorperchen emgebusst hat, Ubrig bleibt, so bei 6, 6„ b,,. Von diesem Kern aus beginiit dann die Verkalkung, die sich in einzelnen Zonen nach dem Rande fortsetzt: so erhalten wir Bilder wie Fig. VIII bei c und encUich das fertige Kalkkorperchen bei d, welches dann stationar zu b iei- ben scheint Beziehungen zwischen den Kalkkorperchen und den excretorischen Canalen habe ich nicht nachweisen konnen, ebenso- wenig bin ich im Stande anzugeben, weshalb so viele Bindege- webszellen verkalken. Eine ganz entgegengesetzte Ansicht vertritt Schneider. Li laugnet sowohl die spindelformigen Matrixzellen als die Bmdege- webszellen und nimmt nur ein diffuses korniges Protoplasma an, in welchem die Muskelfasern ebenso wie die Nerven, Wasserge- tasse und Geschlechtsorgane eingebettet seien. Demgemass be- hauptet er natiirlich auch, dass sich die Kalkkorperchen nicht aus Zellen, sondern durch Verkalkung von gewissen, mit Karmm sici tiefroth farbenden Protoplasmastellen, die nicht weiter begrenzt sind, entwickeln. Schliesslich sagt er allerdings : „Indess liegt dieses Protoplasma gewiss nicht als eine homogene Masse m dcm Innerii des Thieres. Wir haben eben nur wenige und sehr grobe Mittel, um die Organisation dieser Substanz zu untersuchen'\ Musculatnr. Wie schou ofter erwiihnt, unterscheide ich an den Gliedern von T. solium , ihr Kopf stand mir nicht zu Gebot, drei Haupt- gruppen von Muskelfasern, je nach ihrem Verlaufe : die mm. trans- versi mm. longitudinales und mm. dorsovcntrales. Mit den An- gabeii von Nitsche kann ich meinen B-efund leider nicht verglei- chen, da derselbe von T. solium nur die Aiu.rdiumg der Muskeln des Kopfcs bcschreibt, und die einzelnen Arteii der Taenien ziem- lich bedeutende Abweichungen darzubieten scheinen. Da die An- 472 P. Schiefferdecker, ordnung der Muskeln im Vorhergehenden schon ofter besprochen ist, so will ich hier nur noch Einiges zufugen. Was zunachst die dicken Zuge der mm. transversi anbetrifft, so breiten sich dieselben an den schmalen Seiten des Bandwurmgliedes leicht facherformig aus, wie es auch, jedoch in sehr viel lioherem Grade, Nitsche von Taenia crassicollis abbildet (Taf. IX Fig. 3). Ferner laufen audi in der Mittelscliicht, zumal nach den beiden Enden zu (wenn man einen Querschnitt betrachtet) eine Anzalil einzelner Fasern neben den dicken Biindeln her, wie Fig. I zeigt. Die Biindel der mm. longitudin. sind durch die ganze Rindenschiclit bin zerstreut und zwar so, dass sie von der Mitte nacli Aiissen bin stetig an Mach- tigkeit abnehmen ; die dicksten Biindel liegen also dicht neben den mm. trausvers., wiihrend dicht unter der Cuticula nur noch einzelne Fasern sich finden. Die mm. dorso ventral laufen, wie schon erwiihnt , von einer Seite bis zur andern durch und liegen nur m kleinen lockeren Biindeln zusammen. Geradlinig verlaufen sie jedoch nur in den mittleren Theilen eines Querschnittes, nach den schmalen Seiten bin krummen sie sich starker und starker, mit der konkaven Seite nach dem schmalen Ende bin. Es kommt die- ses dadurch zu Stande, dass die von der Cuticula ausgehenden Sehnen immer ungefahr senkrecht zu dieser stehen, wahrend das muskulose Mittelstuck immer ziemlich senkrecht auf einer von einer schmalen Seite zur andern gezogenen Mittellinie steht. Die Win- kel werden dalier an der Grenze der Mittelschicht gegen die bei- den Seitenschichten bin gebildet. Als Hypomochhon, um welches die Sehnen liiuft, miissen wir uns ein oder mehrere Biilkchen des Intercellularnetzes denken: eine Skeletfunktion desselben. Diese Muskeln werden also nicht nur eine breite Seite der andern luihern sondern auch die schmalen Seiten etwas abHachen und ebenfalls einander naher bringen. Ringmuskeln haben ich nirgends auf- finden konnen. Die einzelnen Muskelelemente sind, so weit ich sie auf Zer- zuplungspriiparaten nach Behandlung mit Salpetersaure und chlor- saurem Kali und auf feinen Schnitten kennen gelernt babe, sehr lange, schmale Spindeln, die auf dem Querschnittc kreisformig oder stumpfeckig erscheinen, nach beiden Enden bin in sehr feine Spitzen auslaufen, und wahrend dieses Endverlaufes sich sehr oft einmal dichotomisch theilen. Dieselben sind durchsichtig, ungefarbt und weder streifig nochkornig. Einen Kern babe ich niemals bei ilmen nachweisen konnen, auch nicht bei solchen aus jungen Gliedern, die ubrigcns bedeutend kurzer sind als die der alten und auf Beitrage zur Kenutuiss des feineren Baues der Taenicn. 473 Zerzupfungspraparaten sehr haufig eiu welliges Aussehen hatteii. ScNEiDER nennt sie dieser Kernlosigkeit wegen nicht Zellen, da er zweifelhaft ist, ob er sie als solclie aiierkennen soil, soiidern „Saul- chen'', niir scheint dieser Aiisdruck wenigstens fiir die Taenien- muskeln nicht passend, da er einmal geeignet ist, eiiie falsche Vor- stellung von der Form zu erwecken und zweitens alle feineren Strukturverhiiltnisse auszuschliessen scheint, ich bezeichne sie da- her als „Muskelspindeln" oder „Muskelfasern'-. Betrachtet man dieselben mit starken Vergrosserungen (Hartnack Obj. IX u. X a Immers.), so sieht man sowohl an Zerzupfungspraparaten als auch an feinen Schnitten , die nach Behandlung des frischen Gliedes niit Osmiumsaure gewonnen sind, dass sich an den dickeren mitt- leren Partieen dieser Fasern sehr deutlich eine aussere starker lichtbrechende Umlmllungsschicht von ansehnlicher Dickc von einem schwitcher brechenden homogenen Inhalte unterscheidcu liisst. Man sieht dieses sowohl an Querschnitten von Fasern als auch bei optischen Langsschnitten derselben, wie Fig. XIII u. XIV zeigen, oder vielmehr andeuten, denn die Feinheit dieser Bildun- gen spottet jeder Zeichnung. Auch Nitsche hat dieses beobachtet, doch fand er den Inhalt fein kornig. Ein Unterschied der viel- leicht dureh die Praparationsmethode bedingt ist. Nach den bei- deu Endcn hin spitzt sich der Innenraum niehr und mehr zu, bis schliesslich, noch lange vor dem feinen Ende der Faser, die beiden Seitenwilnde (auf dem optischen Langsschnitte) sich beriihren und die noch weiter verlaufenden feinen aussern Enden nur von der vollig homogenen starker lichtbrechenden Substanz gebildet werden (Fig. XIV), diese allein scheint dann auch die gabelformigen Thei- luugen zu erleiden. Eine derartige durch den sehr grossen, fast rechten Winkel ausgezeichnete Theilung zeigt Fig. XIV (der kilr- zere Schenkel ist hier iiber die Faser hiniiber umgeschlagen), auch endigen bei dieser Faser die Spitzen friiher als sonst und ver- jiingen sich daher sehr schnell. Sehr haufig sieht man iibrigeus an Isolationspriiparaten die Muskelfasern noch umgeben von Ma- schen des Intercellularnetzes. NerTensystem. Die Frage nach dem Nervensystem der Taenien ist die kitz- lichste der ganzen Untersuchung. Dasselbe war bisher, sowohl was den centralen wie den pcripherischen Theil anbctriftl, so gut wie giinzlich uubekannt. Nitsche hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Strange, welche nach Aussen von den Wasscrgcfilssen 474 P. Schieffndeckcr, liegen, iind welche auf dem Querschnitte den Anblick eiuer spon- giosen Substanz darbieten , nicht ebenfalls Wassergefiisse seieii, sondern etwas gaiiz anderes, was man indess nicht naher bestim- men konne. Schneider komnit nun „durch die Aehnlichkeit, welche sie durch ihre Lage und ihr ganzes Ansehen mit dem Nerven- system der Nemertinen haben, zu der Ueberzeugung, dass sie die Nerven der Cestoden darstellen." Indess ist dieses auch ziemlich der einzige Grund, denn, wenn Schneider auch im Kopfe von T. perfoliata an den nach riickwarts gehenden Stammen Zellen hat nach- weisen konnen, so ist ihm dieses doch fiir die Glieder nicht ge- lungen. Ich fand die Verhaltnisse nun folgendermaassen und zwar habe ich nur die Glieder untersuchen konnen , da mir der Kopf fehlte. Nach Aussen vor dem grossen Wassergefasse liegen bei T. solium beiderseits drei Strange oder Saulen der spongiosen Sub- stanz (Fig. I). Der mittlere derselben ist der machtigste und hat auf dem Querschnitte eine etv/a dreieckige oder halbmondtormige Gestalt. Die beiden seitlichen sind kleiner, etwa zusammen so gross als der mittlere oder auch kleiner und auf dem Querschnitt unregelmassig , stumpf viereckig oder ahnlich. Die Farbe dieser Stellen ist immer ein helles Grau, wodurch sie sich von der glashellen Umgebung leicht unterscheiden. Bei Anwendung star- kerer ^Vergrosserungen sieht man dann ein feines Maschenwerk- gebildet von sehr feinen Btilkchen, welches mit einer feinkornigen Protoplasmamasse angefiillt zu sein scheint. Weiterhin bemerkt man dann in dieser Masse, besonders schon nach Anwendung von Haematoxylin eine ziemlich bedeutende Menge von runden mit eineni deutlichen Kernkorperchen versehenen Kernen, die sich mit Haematoxylin intensiv farben, sonst genau so aussehen wie die Kerne der Bindegewebszellen und einen Durchmesser von 0,0044 — 0,0088 Mm. haben, also in ihren grossten Exemplaren die grossten Kerne der Bindegewebszellen um ein Dritttheil iibertreffen, da diese 0,0044 — 0,0066 Mm. messen. Besonders dicht liegen diese Kerne gewohnlich in den beiden seitlichen Strangen, und in der iiusseren Partie des mittleren. Man trifft in dieser spongiosen Substanz ferrier niemals durchsetzende Muskelfasern , niemals Kalkkorper- chen , niemals die Nervenendkorperchen (siehe welter unten), und endlich keine dem Erniihrungsmaterial zugehorigen Fetttropfen (welter unten unter „Ernahrung"). Was konnen wir nun hieraus schliessenV Das Maschcnwcrk ist nichts dieser Stelle eigenthiim- liches, OS ist nur ein Tlieil des grossen den ganzen Bandwurm- korper durchziehenden und denselben zusammenhaltenden Inter- Beitrage ziir Kenntniss (lo>^ feiuoreu Bancs der Taenicn. 475 cellularnetzes, das liier indessen feinere Biilkclien zu haben scheint, dasselbe kann also nur als Stiltzsubstanz ftir andere Gebilde dieneii. Diese Gebilde sind nur theilweise wenigstens jedenfalls Zellen, wie die Kerne beweisen, und zwar wiirde diese spongiose Substanz sich sogar durch einen ganz besondern Zellenreichthum auszeich- nen. Diese Zellen sind jedenfalls raembranlos und sehr hinfallig, denn mir ist es niemals gelungen mit volliger Sicherheit einen Zellkorper zu erkennen (nur bin und wieder! glaubte ich die zarten Contouren einer grossen runden Zelle wahrzunehmen), wah- rend doch die ebenfalls membranlosen Bindegewebes- und Matrix- zellen gut erhalten waren. Aus der bedeutenden Grosse der Kerne konnte man vielleiclit wenigstens auch auf einen grosseren Durch- messer der Zellen schliessen. Das Fehlen der Kalkkorperchen beweist, dass die, an dieser Stelle liegenden Bindegewebszellen (dieselben mussen ja vorhanden sein, urn das Intercellularnetz zu bilden) entweder nie oder doch nur sehr selten verkalken. Das Fehlen der Fetttropfchen endlich lasst annehmen, dass an dieser Stelle die Maschen des Intercellularnetzes von andern Gebilden so vollig erfiilltsind, dass eben die Fetttropfchen nicht mehrRauni finden. Da nun aber die Zellen, der Anzahl der Kerne uach zu schliessen, diese Anfiillung allein nicht zu Stande bringen konnen, so mussen noch andere Gebilde vorhanden sein, und als solche konnte man allerdings wohl feine Fibrillen annehmen , fiir die wenigstens die feincn Punkte auf dem Querschnitte sprechen wiirden. Gute Langs- schnitte sind mir nicht gelungen. Fasst man Alles eben Gesagte zusammen, so wird man in der That zu dem Schlusse konmien, dass die Hypothese, diese Saulen von spongioser Substanz bilden das ventrale Nervensystem der Cestoden, eine durchans berechtigte ist, die ganze Frage einer definitiven Entscheidung aber noch ent- gegensieht. Vollig unbekannt war bisher der peripherische Theil des Ner- vensystenis. Ebenso wie bei manchcn andercn niedcren Thieren z. B. den Seeigeln u. s. w. scheinen auch hier die sonst zur Auf- lindung von Nerven so brauchbaren Farbungsmethoden mit Gold- chlorid und Palladiumchloriir uns vollig im Stiche zu lassen, es fiirbt sich bei der Anwendung derselben alles mogliche, aber ge- rade nichts, was man dem Nervensystem zuzurechnen nur irgend cine Bcrechtigung hatte. Es gelang mir nun bei T. solium und T. cucumerina eine besonderc Art von Korperchen aufzuhnden, welche ich, mit vielcr Wahrscheinlichkeit wenigstens als Endapi)a- rate sensibler Nerven bezeichnen zu konnen glaube. Da ich die- 476 P. Schicffordocker, selben bei T. solium genauer studirt liabe, so bezieht sich die folgende Besclireibung zunacbst auf diese. Man findet bier nam- lich durch das ganze Korperpareuchym zerstreut, mit Aiisnahme der Cuticula, der Matrixzellenschicht und der spongiosen Substanz, cine sehi- bedeutende Menge von kleinen, ovalen Korperchen 0,0132 — 0,0176 Mm. lang und 0,0044—0,0066 Mm. breit , die aus einer dui'chsichtigen Umhullungsmembran, einem fliissigen vollig wasser- hellen Inhalt und einem eigenthiimlichen dunklen stabchenformigen Gebilde bestehen, welcbes in der Mitte der Korperchen liegend von einem Ende zum andern lauft und spitz beginnend, sich nach dem ausseren Ende zu allmahlig zu einem kleinen Knopfchen ver- dickt, aus dem sich wiederum eine ganz kleine abgestumpfte Spitze erhebt. Die glashelle Umhiillungsmembran beginnt von diesem Knopfchen und geht zu dem untern spitzen Ende des Stabcliens, das Knopfchen scheint an seinem iiussersten Tlieile also niclit von dieser Membran tlberzogen zu sein, wenigstens lasst sich bier nichts von ihr erkennen. Diese belle Membran besitzt indess noch eine besondere Eigenthiimlichkeit, sie ist namlich gerade uni die Mitte des Korperchens ringformig verdickt, so dass man je nach der Einstellung des Mikroskops und je nach der Lage des Korperchens bald einfach zwei einander gegeniiberliegende deut- lich verdickte Stellen der Membran gleich zwei kleinen Knotchen wahrnimmt (Fig. V j\ ; Fig. X e^ ; Fig. XI c), bald dagegen das Stiibchen wie aus einen Kelche, dessen Rand eben durch den verdickten Ring gebildet wird, hervorragen sieht (Fig, V f^; Fig. X cj). Von dem untern Ende dieser Koj-perchen nun , in unmit- telbarem Zusammenhange mit dem spitzen Ende des Stiibchens, geht stets eine sehr feine und daher ihrem Durchmesser nach nicht genau bestimmbare , etwa 0,0005 Mm, messende, Faser ab, die man mehr oder weniger weit durch das Korpergewebe bin verfolgen kann. Die Korperchen liegen meist zu zweien oder dreien zusammen und oft scheinen dann die feinen Fasern, eine kleine Strecke von ihrer Endigung entfernt, sich zu einer andern Faser zu vereinigen, ohne dass diese deshalb dicker erschiene (Fig. V, Fig. X, Fig. XI). Diese eigenthiimlichen Korperchen liegen, wie schon erwiihnt, durch das ganze Korperparenchym von T. solium zerstreut, sie linden sich nicht in der Cuticula, der Matrixzellen- schicht und der spongiosen Substanz. Das letztere erscheint als selbstverstandlich, weun man diese Substanz als centrales Nerven ■ system auft'asst. Indessen sind sie keineswegs iiberall gleich hau- tig. Am dichtestcn schicnen sie mir in den dicken Faserbiindeln Beitriige ziir Kcuntuiss dos foinercn Bauos dor Taonion. 477 der mm. transversi zu liegen, ich fand hier im Durchschnitt von mehreren Zalilungen auf 0,03 QMm. 6,5 der Korperchen, dann folgt der Theil der Rindenschicht, welcher inimittelbar an die mm. transversi angrenzt , hier kamen auf 0,05 GMm. im Durchschnitt () Korperchen, am wenigsten enthielten die aussern Theile der Rindenschicht und die Mittelschicht. Berechnet man diese Zahlen auf eine gemeinsame Flache, also z. B. auf 1 QMni., so erhiilt man fiir die mm. transversi 202 Korperchen, fiir die anstossende Partie der Rindenschicht 120. Man sieht aus diesen Zahlen zu- gleich, dass diese Korperchen keineswegs selten sind. Trotzdem aber sind sie nicht leicht zu finden , so dass auch niir bei diesen Zahlungen , namentlich , wenn die Korperchen zwischen dichten Muskelbiindeln lagen, noch manche entgangen sein mogen. Aus- ser bei T. solium fand ich diese Nervenendigungen noch bei T. cucumerina vom Hunde (der einzigen Taenie, die ich ausser T. solium untersuchte), und zwar hatten dieselben hier einmal genau denselben Bau und zweitens auch, trotz des grossen Unter- schiedes in der Grosse der Thiere, dieselbe Grosse, nur die Form war etwas schlanker, etwas mehr gestreckt (P'ig. XII). Wahrend namlich die Korperchen bei T. solium, wie erwahnt, 0,0132—0,0176 Mm. lang und 0,0044—0,0066 Mm. breit waren, waren die von T. cucumerina 0,0117- 0,0176 Mm. lang und 0,0044 —0,0052 Mm. breit. Zum ersten Aufsuchen dieser Korperchen kann ich am mei- sten die Haematoxylinfarbung und Bartnack IX oder X a Immers. empfehlen. Bei Anwendung dieses Farbestoffs namlich farbt sich das Stabchen sehr intensiv und auch die Umhiillungsmembran so- wie die feine Nervenfaser werden recht deutlich. Hat man sie erst einmal gefunden, dann sieht man sie auch mit Hartnack VIII und bei alien moglichen Farbungsmethoden oder auch an unge- farbten Praparaten wieder, dann giebt besonders Osmiumsaure sehr empfehlenswerthe Bilder, auf denen die Korperchen ungefarbt bleiben, nichtsdestoweniger aber deutlich hervortreten. Welche Bedeutung haben diese Korperchen nun? Das erste, was uns an denselben auft'allt , ist, dass sie keine Kerne und keinen Protoplasmatischen Inhalt besitzen , sie konnen also un- moglich selbstandig thatige Zellen sein. Ihr hochst eigenthiim- licher Bau, die feine Faser, welche zu einem jeden von ihnen tritt, geben ihnen ein so specifisches Geprage, dass uns eigentlich nur die Annahrae, sie seien Nervenendapparate, und zwar sensibler Nerven, iibrig bleibt. Welche Funktion wlirde man diesen End- 478 P- Schiofferdockor, apparaton iiini zuschreiben komien? Aus der gaiizeii Lage iind Anordiuiiig derselben goht unzweifelliaft hervor, dass sie iiicht dem Tastsinn dienen konnen, deiin wie koniien wir uiis Tastapparatc denken , die der Haut vollig fehlen , dagegen in der Mitteige Thieres sehr zahlreich sind? Dagegen steheni sie hochst walir- scheinlich in einem besondern Verhaltnisse zu den Muskeln. Das wird dadurch bewiesen , dass sie in der grossten Menge in Jen dicken Ziigen der mm. transversi , in etwas geringerer zwischen den immerhin noch mochtigen Biindeln der mm. longitudinal., welche den mm. transv. zunachst liegen, vorkommen, welter nadi den ausseren Partieen derRindenschicht aber, ebenso wie die Biin- del der ram. longitudinal, an Machtigkeit, so an Zahl immer mehr abnehmen, ebenso wie sie endlich zwischen den schwachen Biindeln der mm. dorso ventral, nur in geringcr Menge sich zeigen, Ich halte dieselben demnach fur Nervenendapparate, welche dem Muskel- gefiihl dienen, deren Funktion es ist, dem Centralnervensystem der Taenia durch die centripetal leitende Nervenfaser in jedem Augen- blicke von dem Grade der Zusammenziehung der Muskeln Nach- richt zu geben. Solche Nervenendigungen diirften fiir eine Taenia bei ihrem eigenthiimlichen Korperbau und ihrer Lebensweise, bei ihrer kraftvollen Musculatur und dem Einflusse, den diese auf die ganze Ernahrung haben muss, wie wir spater sehen werden, wohl von eingreifender Wichtigkeit sein, wichtiger als alle anderen. Uebrigens passt auch die Form der Nervenendapparate zu diesem ihrem hypothetischen Zwecke reclit gut: wir haben eine mit Fliis- sigkeit gefiillte Blase vor uns, in deren Mitte die empfindende Nervensubstanz liegt, bei der geringsten Muskelkontraction wird also die Blase von den Seiten her zusammengedriickt werden und dieser Druck pflanzt sich auf die Nervensubstanz fort. Es konnte mir nun noch der Einwand gemacht werden, dass diese Korperchen Analoga der Stabchenzellen seien, wie sie von M. ScHULTZE und Leuckart von den Turbellarien schon friiher be- schrieben sind, und wie sie Schneider bei Mesostomum Ehrenbergii neuerdings aufgefunden hat. Jene ersteren unterscheiden sich nun ganz abgesehen von allem andern schon durch ihre viel bedeuten- dere Grosse von den meinigen, jedoch auch die von Schneider ge- fundenen, welche viel kleiner sind und erst bei Hartnack IX a Imm. erkannt werden sollen, mtissen, so weit sich das aus derBeschrei- bung crkennen liisst, ganz andere Gebilde sein. Es sind einzeln liegende Zellen, welche auf der Bauchseite von M. Ehrenbergii unter den Dotterstocken und Hoden sich befinden. Diese Zellen Boitragp zur Konntniss dos foineron Hanos dor Taonion. 479 enthalten „aussor oincr fcinkornigen Subst.aiiz dicht gohaufte Mas- sen von Stabchen. Von diesen Zellen gehen Auslaufer ab , die sich verastchi und schliesslich an die Haut sotzen. Die Auslaufer zu .Iden wiederholt Anschwellungen , die ebenso wie die Auslaufer angefiillt sind mit Stabchen. Die letzten Aeste schwellen keulen- formig an und enthalten an ihrem Ende eine helle kugelformige ■J5ielle, welche irei von Stabchen bleibt". Uebrigens bewegen sich die Stabchen hin und wieder derart, dass Schneider es mit dem Wimmeln einer dichten Spermatozoenmasse vergleicht. Also auch mit diesen Zellen ist keine Spur von Aehnlichkeit vorhanden. Uebrigens giebt Schneider selbst an, dass sie den Cestoden fehlen. Was die motorischen Nervenendigungen betrifft, so glaube ich auch diese gesehen zu haben, wenngleich die Beweisgriinde fiir diese Angabe nicht so stichhaltig sind, wie fiir die vorige. Ich fand namlich auf Zerzupfungspraparaten zwei Muskelfasern, bei denen sich in ihrem dicksten Theile ein kleiner feiner Fort- satz fand, wie Fig. XIII (Hartnack X a Imm.) es uns darstellt. Es war dieser Fortsatz eine feine Faser von feinkornigem Gefiige, welche bei beiden Muskelfasern ohne Grenze in die aussere stark lichtbrechende Schicht iiberzugehen schien. Bei der einen Muskel- faser theilte sie sich vor ihrem Eintritt noch gabelformig, so dass die beiden eintretenden Aeste ein kleines Dreieck einschlossen. Diese Faser konnte nun viererlei sein : erstens ein Fortsatz der Muskelfaser. Das war nun einmal schon der Lage nach unwahr- scheinlich,- denn solche Spaltungen der Muskelfasern komnien, wie wir oben sahen, wohl an den Enden derselben vor, aber niemals babe ich sie an dem dicken Bauche gesehen ; dann sind diese Fort- satze vollstiindig homogen, diese Faser war kornig; dann haben solche Fortsatze ganz glatte scharfe Randcontouren und laufen in eine Spitze aus, beides fehlte hier; endlich konnte ein Fortsatz niemals gabelig auf seiner Mutterfaser aufsitzen. Zweitens hiitte ja bei dem Zerzupfen ein kleines Stiick der Faser abgespalten sein konnen. Abgesehen nun aber davon, dass von einer solchen Ver- letzung auch nicht die geringste Spur zu bemerken war, sprachcn auch die meisten der eben hier angefiihrten Griinde dagcgen. Drittens konnte es ein dem Intercellularnetz angehoriges Faserchen sein, welches, wie es sehr haufig geschieht, an der Muskelfaser hangen geblieben war, dieses w^ar sogar bei weitem das Wahr- scheinlichste. Ein solches Faserchen hatte sich nun ebenfalls leicht ga1)elformig theilen konnen, es konnte aber nie so fesl an der Muskelfaser anliegen, dass es direkt und ohne Grenze in die- 480 P- Schiefferdecker, selbe uberging. Entweder musste es ein kleinwenig abstehen, oder noch theilweise auf der Faser daraiif liegen, jedenfalls musste aber eine Grcnze zu sehen sein und das war, wie ich niich niehrfach iiberzeugt habe, nicht der Fall. Ferner sprach audi die kornige Beschaffenheit und der nicht ganz glatte Rand dagegen. Die Fa- sern des Intercellularnetzes, deren sich sehr viele auf dem Priiparat fanden, welclie sehr haufig auch die Muskelfasern umspannen, waren stets homogen und glattrandig und liessen stets deutlich eine Grenze zwischen sich und der Muskelfaser erkennen. Viertens endlich konnte es noch eine Nervenendigung sein. Fur diese sprach der unmittelbare Uebergang in die Muskelfaser, die kornige nicht ganz glattrandige Beschaffenheit der feinen Faserchen, endlich die gabe- lige Theilung des einen. Fiir diese letztere Annahme mochte ich mich entscheiden. In wclcher Beziehung diese Nervenfaser nun aber zu dem Inhalt der Muskelfaser steht, dieses zu ergriinden iiberlasse ich glucklicheren Forschern. Die Eriiiiliruiig- der Taenien. Die Taenien gehoren zu den Thieren, welche keinen Darm- kanal besitzen, deren Erniihrung also durch die Haut vor sich gehen muss und die man daher mit einem uragekehrten Darm- kanal vergleichen konnte. Die Ernahrungswege bei einem solchen Wesen nachzuweisen, war ja nun einmal an sich interessant, dann konnte 'man aber auch hoft'en , aus der Art und Weise, wie die Nahrungsaufnahme bei dem Bandwurm erfolgte, einen Schluss auf die Ernahrungswege in dem Darm des von ihm bewohnten Sauge- thieres machen zu konnen, um so mehr, als die Cuticularbildungen eine gewisse Aehnlichkeit mit der Basalschicht der Darmepithelien besassen. Diese Frage wurde um so interessanter als gerade in dem letzten Hefte des PFLUGEa'schen Archivs (Pfluger's Archiv Bd. VIII S. 391 „Beitrage zur Fettresorption und histologischen Struktur der Diinndarmzotten" von Dr. Ludwig v. Thanhoffer) sich eine Arbeit von v. Thanhoffer iiber dicsen Gegenstand findet, die ganz neue Thatsachen enthiilt. Waren auch schon friiher mehrere Forscher zu der Einsicht gekommen, dass die mechanischen Be- forderungsmittel, wie Capillaritat, VVirkung der Galle u. s. w. nicht ausreichend seien, um die Nahrungsaufnahme zu erklaren, so dass sie eine besonderc Thatigkeit des Protoplasmas der Darmepithelien anzunehmen geneigt waren, sei es nun, dass diese in einer be- sondern Anziehungskraft des Protoplasmas liegen sollte oder, dass die Zellen direkt Auslaufer aussenden und die Nahrungstheilchen Beitragp zur Kenntniss ties fcinercn Banes der Taenieii. 481 gewissennaassen fressen sollten, so war dieses doch imnier uur unbegriindete Hypothese. Thanhoffer behauptete nun aber die- sen Vorgang des Auffressens wirklich am lebenden Thiere gesehen zu haben, er beschrieb die Gestalt dieser Fangarme und gab an, dass die Epithelzellen diese Protoplasmafadchen nur vorschoben, wenn sie hungrig waren, dagegen einzogen, wenn sie sich mit Nahrungstheilchen gefiillt hiitten. Wir batten nun bei Taenia sehr ahnliche anatomische Verhaltnisse gefunden. Die Matrixzellen sendeten Protoplasmafaden durch die Porenkaniile der Cuticula hindurch, die aussen hervoiragten, dieselben konnten sehr wohl als Fangarme dienen und ihren Raub den Matrixzellen abliefern , die dann den Darmcylinderepithelien entsprechend, denselben durch ihre inneren Fortsiitze dem Korper des Thieres batten zufilhren konnen. Meine Untersuchungen ergaben nun folgendes. Da es anzunehmen war, dass unter den Nahrungsstoffen , welche die Taenia aus dem Vorrath des Mutterthieres aufnabm, sicli auch Fetttropfchen befinden wiirden, so legte ich frische Glieder von T. cucumerina und T. solium in 0,5% Osmiumsiiure bis zur Erhartung. Von dem erste- ren Thiere, das ich zunachst untersuchte, erhielt ich nun auf Quer- schnitten Bilder, wie Fig. VII eines zeigt. In der Cuticula waren nur hin und wieder sehr kleine Fetttropfchen bemerkbar; die Matrixzellen waren nur wenig gefarbt und zwischen ihnen sah man, indessen auch nicht haufig Reihen kleiner Fetttropfchen liegen. Dann aber folgten (bei e) eine sehr dichte Anhaufung von sol- chen, so dass diese Partie fast schwarz erschien. Die Tropfchen waren hier bereits von sehr verschiedener Grosse, so dass man annehmen musste, dass viele der kleinen zu einem grosseren zu- sammengeflossen seien. Von dieser miichtigen zusammenhangen- den Schicht zogen sich dann einzelne Zuge (bei /) herab bis zu einem ziemlich hellen Streifen (bei g), auf dem nur einzelne Tropf- chen zerstreut lagen. Hierauf folgte dann wieder eine ziemlich dichte Anhaufung (bei //), welche bereits der Mittelschicht ange- horte, denn der helle Streifen bei g bezeichnete die Lage der mm. transversi. Von hier aus zogen dann wie Perlenschniire die Fetttropfchen durch die Bindegewebssepta zwischen den mit Eiern gefiillten Uterushohlen hin nach der andern Seite um dort wieder eine dichtere Anhaufung zu bilden und so dieselbe Schichtcnfolge entstehen zu lassen, wie auf der oben beschriebeneri Seite. Fiirbte man einen solchen Schnitt noch mit Haematoxylin, so trat das Intercellularnetz deutlich hervor, und man sah, dass die Fett- kiigelchen in den Maschen dieses Netzes lagen, wie es ja auch Bd. VIJl, N. F. I, 4. 31 482 P- Schiefferdccker, eigentlich nicht anders moglich war. Es war also kein Zweifcl, die von dem Bandwurm aufgenommenen Nahrimgsstoffe (denn dass durch Osmiuinsaure gefarbte Fett zeigte uns doch sicher nur die Lage der iibrigen an) lagen frei in dem Korperparenchym durch das ganze Thier bin zerstreut. Ueberall da, wo andere Gebilde bereits diese Maschen zum grossten Theil ausfiillten, fanden die Fett- kiigelchen natiirlich nur wenig Raum und so blieben dann die Stellen, an denen die dicken Ziige der mm. transversi oder die Biindel der mm. longitudianl. lagen, als belle Raume erkennbar, ja selbst die schwachen Bundel der mm. dorso ventral, schienen sich scbon in dieser Weise zu dokumentiren. Ueber die wichtigsten Partieen, die zum System der Cuticula gehorigen Schichten, gab en uns diese Praparate indess noch keinen geniigenden Aufschluss , diesen lie- ferten erst solche von T. solium. Die Anordnung der Fetttropf- chen im Korperparenchym fand sich bei diesem Thiere genau so wie bei T. cucumerina, ich kann mir daher die Beschreibung er- sparen und mich auf die Cuticula und Subcuticularschicbt be- schranken. Diese zeigten sich auf einen Querschnitt nun, wie Fig. XVI zeigt. Die Cilien, welche auf der Zeichnung fehlen, waren ganz klar, enthielten keine Fetttropfchen. Die Schichten der eigent- lichen Cuticula (bei a) waren von einer Menge sehr kleiner Fett- tropfen erfiillt, die etwa den Durchmesser der Porenkanalchen be- sassen und jedenfalls auch in diesen lagen. In der Schicht der Matrixzellen wurden die Tropfchen grosser und lagen dichter. Dicht unter der Cuticula oder vielleicht noch in der Fibrillen- schicht sah man oft kleine etwas dunkler erscheinende kegelformige Spitzchen. Von dieser dichtern Anhaufung zogen sich dann ein- zelne Saulen herab, die an ihren Fusspunkten wiederum verschmol- zen und so langlich ovale hellere Riiume einschlossen , welche in ihrer Grosse den Matrixzellen recht gut entsprachen. (Diese selbst, sowie die Bindegewebszellen traten bei diesen Praparaten nicht deutlich hervor.) Jedoch nicht iiberall waren diese langlich ovalen Raume heller als ihre Umgebung, es fanden sich auch ofter solche, welche ein wenig dunkler waren (bei e). Unterhalb dieser Schicht nun fand sich dann wieder jene dichte Anhaufung theilweise ziem- lich grosser Fetttropfchen, wie auf Fig. VII bei e. War es nun schon nach diesem Befunde ausserst wahrscheinlich , dass nicht die Matrixzellen selbst von Fett erfiillt seien , sondern , dass sich dieses in ihrer Umgebung lagere (bei den dunkler erscheinenden Raumen sehen wir gerade auf den die Matrixzellen umgebenden Mantel von Fetttropfchen : Mantelschicht), so wurde diese Annahme Beitrage znr Kenntniss dos 'foinercn Kauos dcr Taenion. 483 zur Gewissheit durch entsprechenfle Flachenschnitte. Betrachten wir zuvorderst Fig. XIX (Hartnack Obj.VIII). Wir haben liier ein kleines Stiick der Fibrilleiischicht vor uns. Zwischen den feinen, hell erscheinenden Fibrillen, zwischen denen sich, wie wir fruher schon sahen, der Flache nach kleine Zwischenraume finden (Fig. XVIII) sehen wir reihenformig eine Menge von sehr feinen Fett- tropfchen angeordnet, die also hochstwahrscheinlich in den zwischen den Fibrillen hindurchtretenden Anfangen der Porenkanalchen Oder auch vielleicht schon frei unterhalb derselben liegen. Auf Fig. XVII, einem Flachen-Schragschnitt, sehen wir nun bei a wie- der einen Theil der Fibrillenschicht , der die oben besprochene Anordnung zeigt, weiter unten nach h zii dann die schrag ge- troffene Matrixzellenschicht. Dicht unterhalb der Fibrillen linden wir zunachst eine ziemlich diiiuse Anhaufung der feinen Tropfchen, dann lassen sich bin und wieder schon kleine helle Stellen und Kreise erkennen und diese werden grosser und grosser bis zu deni untern Ende des Praparats, also je tiefere Partieen der Matrix- zellenschicht wir treffen. Vergleichen wir dieses Bild mit Fig. XVI, dem Querschnitt, so fallt in die Augen, dass die grossten Kreise etwa denselben Durchmesser besitzen wie die Mitte der langlich ovalen hellen Raume, dass die allmahlig kleiner werdenden Kreise ferner sehr wohl den sich nach aussen zuspitzenden hellen Raumen entsprechen, wahrend jene Partie des Flachenschnittes, welche dicht neben den Fibrillen liegt, ihr Analogon ebenfalls auf dem Quer- schnitte findet. Wir kommen also zu dem interessanten Fiesultate, dass die aus dem Vorrathe des Mutterthieres in den Bandwurm iibergehenden Nahrungsstoffe neben den Protoplasmafortsatzen der Matrixzellen durch die Porenkanalchen hindurchtreten , dass sie sich dann in immer wachsender Grosse (durch Zusanimenfliessen mehrerer) an alien freien Platzen ansammeln und so die Matrix- zellen mantelartig umgeben. Dass sie dann weiterhin durch den ganzen Korper des Bandwurms liberall, wo Platz ist, sich ausbrei- ten und so, ebenso wie die Matrixzellen, alle iibrigen Gebilde, Bindegewebszellen , Muskelfasern und Nerven direkt umhiillcn. Alle diese Gewebselemente werden also ihr Erniihrungsmaterial direkt beziehen konnen , ohne ein Blut- oder Lympfgefasssystem nothig zu haben. In den Striingen der als Centralnervensystem gedeuteten spongiosen Substanz babe ich, wie ich hier noch ein- mal anfuhren will, niemals Fetttropfchen gefunden, hier sind die Maschen des Intercellularnetzes eben wahrscheinlich sehr voll- kommen von den Nervenelementen ausgefiillt. 31 * 484 P- Schieffferdecker, Den von v. Thanhoffeu fiir die Darraepithelien gemacliten An- gaben entsprechen meine Beobaclitungen bei Taenia also clurch- aus nicht, dieselben stehen vielmehr in striktem Gegensatze zu jenen; eine Thatsache, die natiirlich in keiner Weise die Glaub- wiirdigkeit der THANHOFFERSchen Angaben zu beeintriichtigen im Stande ist. Es fallt uns jetzt nur um so schwerer, das Eintreten von Nahrungsstoffen in den Korper der Taenien zu erklaren, wahrend die Ursache sonst in der Thatigkeit des Zellprotoplasma's so leicht gefunden war. Bemerken mochte ich hier iibrigens noch, dass ich ein plas- matisches Kanalsystem , wie es Sommek und Landois von Bttthrio- cephalus beschreiben, bei Taenia nicht habe nachweisen konnen. Die Musculatur wird nun fiir die Ernahrung von bedeutender Wichtigkeit sein. Einraal wird sie gewissermaassen die Funktion des Herzens der hoheren Thiere erfullen , denn durch die fort- dauernden Zusammenziehungen des einen oder andern Theils der Muskeln eines Gliedes wird die Masse der Nahrungsmaterialien im Innern des Thieres in ununterbrochener Bewegung erhalten, es treten also stets neue noch brauchbare Nahrungsstoffe an die Zell- elemente heran, wahrend die verbrauchten weitergefiihrt werden. Die Musculatur wird ferner die Bewegung derExkrete in den da- zu bestimmten Kanalen befordern und so Platz schaffen fiir neue Nahrungsstoffe, die von Aussen her aufgenommen werden sollen. Endlich werden die Muskeln aber auch der Aufnahme dieser neuen Nahrungsmaterialien forderlich sein, denn eine jede auf eine Mus- kelkontraktion folgende Ausdehnung des Bandwurmkorpers wird eine ansaugende Wirkung auf die umgebenden Stoffe aussern, die bei der Festigkeit und Elasticitat, die das Intercellularnetz wahr- scheinlich besitzt, nicht gering sein diirfte; die Anordnung der Muskeln aber, welche nach den drei Dimensionen des Raumes verlaufen, sowie die Machtigkeit derselben, beweisen uns, dass in der That eine nicht unbedeutende Volumsverminderung eines Glie- des die Folge ihrer Thatigkeit sein wird. Strassburg i. E., 26. Februar 1874. Beitrage zur Kenutuiss des feiuercu Baues der Taeuien. 435 Erkljiruiia: der Abbilduuffen. Taf. XVI. Fig. I. Hartnack Ubj. II u. Cam. lucid. Theil eines Querschiiitts aus oinem alten Gliede voii T. solium. Haematoxyliiipriiparat. Bel A alles siclit- bare gczeichnet , bei B die Kalkkorporcheii uiid die feiiieni Biiudcl der mm lon'gitud. fortgelassen. a mm. transversi. b mm. dorsoventrales. c, mm. lougitudinales. d Uterushohle. e Eier. f Wassergefiiss. fj spongiose Substanz (ceutrales Nervensystera). h Kalkkorperchen. I Aeusseve Cuticularschicht. k Inuere Cuticularschicht, Fibrillenschicht. / Schicht uer Matiixzellen. ~" Fig. II. Haktnack Obj. IX a Immers. und Cam. lucid. Die drei ausse- rern Schichteu der Ctiticula von T, solium. Altes Glied. Kach Behamllung mit iSalpetersaure und chlorsainem Kali. Zerzupfungspraparat. a Deckschicht. h ychicht der Porenkanalcben. c Feinpunktirte Schicht. d Porenkanalcben. Fig. III. Flachenansicht der Deckscbicbt. Sonst wie voriges. Fig. IV. Hartnack Obj. IX a Immers. und Cam. lucid. Querscbnitt aus einem alten Gliede von T. solium. Haemal oxyliujjraparat. Ansicbt der iScbicb- ten des Systems der Cuticula. A Eigcntlicbe Cuticularscbicbtcn. B Subcuticularscbicht. a Deckscbicbt. b Porenkanalcben in derselben. f; Scbicbt der Porenkanalcben als bomogene Scbicht. d Feinpunktirte Schicbt. e Fibrillenscbicbt. /' Matrixzellen. f\ solcbe die ibrer ganzen Liinge nacb zu selicu siud, /a solcbe, die tbeilweise verkiirzt sind und einander decken. h Querscbnitte der ausscrsten Biindcl der mm. longitndin. 486 P- Schiefferdecker, Fig. V. Haetnack Obj. IX a Immers. imd Cam. lucid. Tlieil der Rin- denschicht, sonst wie voriges. a Fibrilleubildende Bindegewebszelle (Sehne der ram. dorsoventrul.). b Leichte Verdickuug der Zelleumembrau. c Anfang der feinen Sehne. d freiliegender Kern. e Fasern der mm. dorsoveutrales. fi Nervenendigung niit zwei knotchenartigen Verdickuugen der Unihul- luugsmembran. ft ebeusolclie mit kreisformiger Verdickung der Membran. g Nervenfaser. h Querschuitte der Biindel der mm. longitud. i Kalkkorpercben von obeu. k Kalkkorpercbeu yon der Seite. Fig. VI. GuNDLACH Ocul. II Obj. V. Thcil eines Langsschnittes vou eiuem alteu Gliede von T. solium. Goldcbloridpraparat. Intercellularnetz. a Schicht der Matrixzellen. b, b, b Ziige der mm. longitudinal. c mm. transversi im Querschuitte. e Kalkkorpercbeu. f freie Kerne. P'ig. VII. Haetnack Obj. V u. Cam. lucid. Theil eines Querschuitts von einem alten frisch in OsmiumsiUire gelegten Gliedes von T. cucumerina vom Hunde. a Die iiussern drei Schichteu der Cuticula. k Eier. Die iibrigen Bezeichnuugen nach Text. Fig. VIII. Haetnack Obj. IX a Imm. u. Cam. lucid. Entwickelung der Kalkkurpercben vou T. solium. Siehe Text. Fig. IX. Haetnack Obj. IX a Imm. u. Cam. lucid. Querschnitt aus einem alten Gliede vou T. solium, Stlick aus der Mittelschicht. Palladiumchloriir- praparat. a mm. dorsoveutrales. 5 Bindegewebszcllcn mit Protoplasraaauslilufern. Fig. X. Haetnack Olij. IX a Immers. u. Cam. lucid. Querschnitt aus einem alteu Gliede vou T. solium. Stiick aus der Kiudeuschicht. Haematoxy- linpraparat. a mm. dorsoveutrales. b mm. longitudinales im Querschnitt. c freie Kerne. Ci nur von wenig Protoplasma gebildete Bindegewebszelleu. d Selmenzellen. ei und Cj Nervencudkorperchen iu vcrschiedener Ansicht. g Nerveui'asern. h Kalkkorpercbeu. i freie Bindegewebszelleu. Fig. XI. Wie voriges. Sttick aus den mm. transversi. a Fasern der mm. transversi. b P'asern der mm. dorso veutrales. Beitrage zur Kenutuiss des feiuereu Banes der Taeuien. 487 c Nerveneiulkorpercheu. d Bindegewebszellen. e Kalkk6ri)erchen. Fig. XII. Hartnack IX a Iniinors. ii. Cam. lucid. Aus dor Mittelschicht voii T. cuciimerina vom liunde. Altos Giied, Querschuitt, Haematoxylinprilparat. a mm. dorsoventrales. b fieie Kerue. c Nerveuendkorpercheu. Fig. XIII. Hartnack Obj. X a Immers. u. Cam. lucid. T. solium, altes Glied, Zerzupfungspriiparat nach Behandlung mit SalpotersiUire u. cblorsaur. Kali. Muskelfasorn mit Nervenendiguugcn. Fig. XIV. Wie voriges. Muskelfaser mit gabelformiger Tbeilung. Fig. XV. Hartnack IX a Immers. uud Cam. lucid. Biudegewebszelleu von einom mit Haematoxyliu gefarbten Querschnitte aus einem alteu Gliede von T. solium. a, a, a normale Zellen. b von eiuer Membran umgebene am Anfange der Verkalkung stebende Zelle. c eine Zelle mit zwei Kerueu in der Tbeilung begriifen. Fig. XVI. Hartnack Obj. VIII u. Cam. lucid. Querscbuitt von einem alien frisch in OsmiumsiUire gelegteu Gliede von T. solium. a Cuticula. 6 Subcuticularschicbt. c Korperparenchym. d belle Raume der Matrixzelleu. e dieselben dunkel : Mantelscbicbt. Fig. XVII. Hartnack Obj. VIII. Ilalbschomatiscb. T. solium, altes Glied, Flachenschnitt nacb Osmiumsaurebebandhmg. a Cuticula (Fibrillenscbicht). b Schicht der Matrixzellen. Fig. XVIII. Hartnack Obj. VIII u. Cam. lucid. Fliicbenscbnitt von einem alien Gliede von T. solium. a die drei iiussern Cuticularscbichten. b die Fibrillenscbichi. c die Querscbuiite dor Matrixzelleu. d die mm. subcuticxilares (ausserste Scbichi dor mm. longitudiualos). Fig. XIX. Hartnack Obj. VIII u. Cam. lucid. Flacbenscbnitt von einem frisch in Osmiumsiiure gelegteu alien Gliede von T. solium. Fibrillenscbicht. Notiz iiber Sipniiciiliis uiid Phascolosoma. Von Dr. R. Tensclier. (Hierzu Taf. XVII.) Der Sipunculus ist vielfach bearbeitet worden, aber es finden sich so viele Widerspriiclie in den Angabeu der Autoren, dass es wohl angezeigt schien, ihn unter Anwendung moglichst genauer Priifungsmethoden aufs neue zu untersuclien. Das Material, welches mil- in liberalster Weise von Hevrn Prof. Haeckel aus den Schatzcn des liiesigen Museums zur Verfiigung gestellt wurde, bestand in Weingeistexemplaren, was mir von vorn herein die Moglichkeit ab- schnitt, manche histologische Verhaltnisse , wie Flimmerepithelien, Leibesfliissigkeit und dergl. zu beriicksichtigen, Alle ausgespro- chenen Meinungen anzufiihren, wiirde viel zu umstandlich sein und ich werde mich darauf beschriinken, diejenigen Autoren zu nennen, deren Untersuchuugen ich bestjitigen konnte. Was zuerst das Teutakelsystem betrifft, so schliesse ich mich ganz der Darstellung von A. Brandt an (Mem. de 1' Acad, de S. Pet. XVI, 8). Der Zusammenhang der beiden, auf und unter dem Oesophagus liegenden Schlauche unter einander und mit deniTen- takelhohlraum ist durch Injection sehr leicht nachzuweisen. Die Tentakel selbst sind von innen nach aussen abgcplattet und die beiden Blattfliichen durch zahlreiche Trabekel innerlich so mit einander verbunden, dass auch bei der stiirksten Ausdehnung durch Injection die Blattform erhalten bleiben muss. Auf der dem Munde zugewendeten Fliiche iaufen der Lange nach vorspringeude Leisten, innerlich aus grossen hyalinen(Knorpel-?)Zellcn aufgebaut, welche, wenn der Tentakel durch Muskelwirkung rinnenlormig gebogen wird, das Aufnehmen und zu Munde fiihren der Nahruug erleich- tern miissen. H inter dem obern Tentakelschlauch auf dem Oesophagus liegt Notiz iiber Sipuncnlus und Phascolosoma. 489 ein braungefarbtes Organ in Schlauchform, in der Mitte cylindrisch Oder spindelformig, nach jedem Ende in einen Faden auslaufend. Der obere Faden erstreckt sich noch auf das untere Ende des Tentakelschlauchs ; der untere, weniger fein, miindet in eine Haut- falte des Darms da wo die von Keferstein und Ehlers beschrie- bene Flimraerrinne anfangt. Das Innere dieses Organs ist von parenchymatoser Consistenz, zeigte mir aber auf Querschnitten nur eine braune, kornige Masse. Das „Mastdarmdivertiker' ist in Consistenz und ausseren An- sehn den Tentakelschliiuchen ahnlich, auch wie diese oft ganz oder theilweise contrahirt und dann schwer wahrzunehmen. Durch In- jection ist leiclit nachzuweisen , dass es in das Rectum miindet, und dass sein hinterer, diinnerer Theil, lose angeheftet, iiber mehr als zwei Dritttheil der Wurmlange auf dem Darni hinablauft. Die „braunen Schlauche" finde ich bei Spiritusexemplaren immer seitlicli abgeplattet; langs jeder der beiden Flachen laufen vier Starke Muskelblindel und urn diese nach aussen zahlreiche ringformige Quermuskeln, sicli vielfacli unter einander verbindendi so dass zwischeu beiden Muskelsystemen zahlreiche drei- und vier- eckige Liicken bleiben. Eine Flitcheuansicht tindet sich bei Brandt a. a. 0. Taf. II Fig. 47; einen Querschnitt giebt meine Figur 1. Trcibt mail eine Flussigkeit in das Organ, so tritt dessen Paren- chym aus obigen Muskelliicken hervor, und erscheint dann im Durchschnitt wie bei Fig. 2. Man sieht in der innern zart strei- tigen Schicht zahlreiche Kanale, die sich nach aussen 'verzweigen und zu den kolbig vorgestUlpten Hohlriiumen verlaufen. DerBau des Organs ist also wesentlich driisig und rechtfertigt die Ansicht derer, welche dasselbe als Segmentalorgan betrachten. Die sehr starken muskulosen Elemente jedoch in Yerein mit der Angabe mehrerer Beobachter, dass an diesen Schliiuchen beim lebenden Thiere lebhafte Ausdehnungs- und Zusammenziehungsbewegungen wahrgenommen werden, konnte die Meinung derer stiitzen, welche diesclbcn als Respirationsorgane betrachtet haben, indem auf die- sem AVcge sicher eine grosse Menge Seewassers nach und nach mit der Leibestliissigkeit in Wechselwirkung treten kann. Jeden- falls sclihessen die beiden Functionen einander nicht aus. Eine Connnunicationsoftnung der braunen Schlauche mit der Leibes- hohle hat, bei Sipunc. nudus wenigstens, Niemand geseheu. Viel- fache Bcnuihungen, Injectionen , Praparationen , Schnitte u. s. w., haben mich iibcrzeugt, dass cine solche nicht vorhandcn ist und zu demselben Resultat ist A. Brandt lickommcn. 490 R. Teuscher, Bei vier Species von Phascolosoraa , welche ich untersuchen koiinte, fand ich diese Organe auf ganz ahnliche Weise gebaut, nur sind die Langsmuskeln nicht in acht getrennte Biindel ver- einigt, sondern iiber den gaiizen Raum vertheilt. Der driisige Bau ist einfacher, indem die nach der Peripherie laufenden Kanale sich nicht verasteln, sondern jeder von ihneu auf eine einzige Hohle zulauft; das Ganze besteht aiis bienwabenartig neben einander liegenden Schlauchen, Fig. 3. Bei einem Phase, vom Cap der guten Hoffnung, welches ich nirgends beschrieben gefunden und darum unten charakterisire, lindet sich ein abweichender Zustand. Dort zerfallt das Segmentalorgan der Lange nach in vier ver- schiedene Abschnitte, wie die betrelfende Charakteristik und Fig. 4 erlautern. — Fig. 5 zeigt den Durchschnitt durch das Centrum der stark musculosen Oeffnung (vorzuglich Ringmuskeln), welche mit der Leibeshohle communicirt und ohne Zweifel im Leben mit Wimpern ausgestattet sein wird. Sicherlich weist diese Verschie- denheit der Bildung auch auf eine Verschiedenheit der Function der betreflfenden Organe hin; vielleicht werden hier wirklich die Geschlechtsproducte auf diesem Wege entleert, was man so viel- fach fiir Sipunc. vermuthet hat, was aber nach meinen Unter- suchungen fiir Sip. nudus wenigstens und meine andern drei Phas- colosomen (granulatum, elongatum, und eine nicht bestirambare Art von Corfu) nicht statt haben kann. Man kann sich auch nicht allzusehr verwundern iiber solche Unterschiede bei so nahe ver- wandten Thieren, da ja anderwiirts, z. B. bei den Lumbricinen, ganz ahnliche Verhaltnisse obwalten. Der Bauchnervenstrang liegt lose auf der Liingsmuskelschicht, nur durch die abgesendeten Seitenzweige befestigt, an der Ein- und Ausstiilpungsstelle des Russels laufen diese Seitenzweige eine Strecke ohne Anheftung und von Muskelstrangen begleitet, urn etwaige Zerrungen bei den Riisselbewegungen zu verhiiten. Krohn hat, gestutzt auf das iiussere Ansehn im lebenden Thiere, sowie auf das AusHiessen einer rothlichen Fliissigkeit beim Durchschnei- den vermuthet, dass die aussere Hiille des Nervenstrangs, welchem alle Beobachter deren zwei zuerkennen , die Wand eines Blutge- fasses sei, in welchem der eigentliche Nerv eingebettet liege. Diese Ansicht, schon von Delle Chiaje ausgesprochen, hat jedoch iiber- all nur Widerspruch erfahren. Keferstein und Ehlers in „Zool. Beitr. 1861" haben besonders an Larven die Ueberzeugung ge- wonnen, dass der Zwischenraum beider Hiillen ,,von dicht anein- ^nder liegenden Zellen und Kornchen angefiillt ist". Notiz iiber Sipimculus uucl Phascolosoma, 491 Bei alledem ist es nicht schwer, an grosseren Spiritusexempla- ren zwischen die beiden Hiillen des Bauchstrangs eine farbige Fliissigkeit zii injiciven, welche bei sehr massigem Druck auf eine Entfernung von mehreren Zollen vordringt und auch die Seiten- zweige bis zu ihrem Zusammentreffen am Riicken, sowie viele von diesen abgehende Muskelaste zweiter und dritter Ordnung fiillt. Ein wirkliches Gewebe, das den Zwischenraum erftillte, kann also bei erwachsenen Wiirmern schwerlich vorhanden sein. Auf feinen Querschnitten aus denen iibrigens der Nerv gewohnlich her- ausfallt, babe ich nur bie und da einige unmessbar feine Faden wahrgenommen , welche den Nerven mit der Gefasswand zu ver- binden schienen. Nach hinten erweitert sich das Gefass, sein Ende zeigt ebenso wie der in ihm liegende Nerv eine kolbige Anschwellung. An seinem Ende geben zwei Seitenzweige ab , etwas starker als die tibrigen, welche nach hinten auf den beiden begleitenden Langs- muskeln hinlaufen, an dieselben durch eine starke Bindegewebs- schicht befestigt und sich in ihnen verastelnd. Durch diese Binde- gewebsschicht verschmelzen die Endtheile der beiden Muskeln oberflachlich mit einander und umfassen ein dreieckiges nach vorn offnes Bohr, — Eine eben solche Anschwellung zeigt das Gefass an seinem vordern Ende, da wo es von unten, an der Stelle des Zusammentreffens der beiden untern Retractoren, an den Oeso- phagus tritt. Niemals gelang es mir, eine Injection dariiber hin- aus zu treiben. In der Erweiterung liegt der hier ebenfalls an- geschwollene Nerv, welcher von hier aus, sich spaltend, um den Schlund herum zu dem obern Nervenknoten tritt. In keiner die- ser Nervenanschwellungen so wenig wie in dem Schlundganglion, ist es mir jemals gelungen, Ganglienzellen deutlich wahrzunehmen. Die seitlich vom Hauptast abgehenden Zweige, ebenso wie er selbst von einem Nervenfaden und einem diesen umhiillenden Blut- gefass gebildet, laufen, wie sie auch Ehlers und Keferstein schil- dern, unter der Langsmuskelschicht und auf der innern Flachc jedes Ringmuskels zum Riicken, wo sie zusammentreifen und so einen geschlossenen Ring bilden. Den Durchmesser dieser Ring- gefasse tinde ich am Bauch wie am Riicken ungefiihr gleich dick, nanilich ini Durchschnitt 0,067 Mm. Die bekannten fingerformigen Fortsiitze am Schlundknoten des Sipunculus sehe ich, wie sie auch Grube zeichnet (Mull. A. 1857), nach vorn gerichtet, wahrend sie von Ehlers und Keferstein (ZooI. 492 • R- Teuscher, Beitr. 61) dreimal als nach hinteii gerichtet abgebildet und eben- so beschrieben werden. Im Bauchgefass der Wiirmer stromt das Blut von vorn nach hinten und von ihm gehen vorzugsweise diejenigen Gefasse ab, welche sich in der Leibeswand verasteln, wahrend das Ilucken- gefass den Darm mit Blut versorgt. Man wird also annehmen mtissen, dass bei Sipunculus das vordere Ende des Bauchgefasses wohl fur austretende, aber nicht fiir eintretende Fliissigkeit ver- schlossen ist und dass es das aufgenommene Blut durch die Seiten- aste in der Leibeswand vertheilt. Von da muss dasselbe in die Leibesliohle zurtickfliessen ; iiber die bestehenden Verbindungen konnen nur Injectionen an frischen Thieren Aufschluss geben. Ich komme jetzt zu den sogenannten Hautkiirpern. Die Lei- beswanduug besteht bekanntlich aus vier Schicliten: 1) Die Cuti- cula mit ihrer Matrix. 2) Eine mehr oder weniger dicke, aber iiberall betrachtliche Bindegewebsschicht. 3) Die Ring- und 4) die Langsmuskellage. Ueber die Cuticula habe ich nichts hinzuzufligen. Sie nimmt von hinten nach vorn an Dicke ab (l^iiiteres Leibesende 0,05 Lei- besmitte 0,014, Riisselgegend 0,0045 Mm.). In der Bindegewebs- schicht liegen die bekannten Hautkorper, durch die Cuticula nach aussen milndend. Dieselben sind von dreierlei Art. Erstlich die zahlreichste Bildung Fig. 6, ovale Schlauche bis zu 0,09 Liingen- durchmesser bei 0,06 Breite, welche im Innern eine Anzahl (6 — 12) langgezogener, etwas keulenformiger Zellen enthalten, welche sich nach dem Ausfiihrungsgang zu verengern und zusammendriingen und den sie enthaltenden Schlauch nicht ganz ausfuUen. Die- selben erscheinen in drei Modificationen, die man wohl als Bildungs- stufen betrachten muss. Die jiingste zeigt den ganzen Schlauch mit groben, wenig durchsichtigen Kornern erfiillt und verstattet durchaus keine Einsicht in den innern Bau. Bei der zweiten Form sieht man schon die innern Schlauche durchschimmern und den Zwischenraum zwischen ihnen und dem aussern Hiillschlauch sich aufhellen. Bei der dritten endlich ist dieser Zwischenraum durch- aus hyalin und die etwas feinern Korner erfiillen nur noch die innern Raume. Eine Betrachtung von innen nach aussen an Tan- gentialschnitten erlautert diese Veranderung. Der Zwischenraum zwischen den innern Schliiuchen und dem aussern, gemeinschaftli- chen erscheint dann als Ring und dieser Ring tindet sich in ver- schicdenem Grade mit Kornern erfiillt, von vollkommner Opacitiit bis zu vollkommner Durclisichtigkcit. Die hier beschriebeneu Kor- Notiz iilior Sijmiinilns und Phascolosoma. 493 per finden sich tiber die ganze Oberfliiehe des Wurms in grosser Menge, iiur in den Riisselpapillen sind sie selten und werden von der folgenden Form verdriingt. Die relative Menge der einzelnen Driisenarten wecliselt iibrigens nicht wenig, je nacli den Individuen. 2) In den Riisselpapillen dicht gedrangt, nur vereinzelt iiber den cylindrischen Theil des Wurms zerstreut, finden sich die Fig. 7 ab- gebildeten Schliiuclie, wiihrend der zwischen den Papillen liegende Theil des Russels, sowie dessen vorderster, schmaler, an die Ten- takeln stossender Saum der Hautkorper ganz entbehrt. Ein ova- ler, nach dem Ausfiihrungsgange zu etwas verschmalerter Schlauch enthalt eine durch einen schmalen Zwischenraum von ihr getrennte Zelle mit Kern und Kernkorperchen und in dieser wieder eine andere, viel kleiuere, ohne Kern. AUc drei scheinen nur in der Nahe des gemeinschaftlichen Ausfiihrungsgangs mit einander zu- sammenzuhangen. Die beiden ausscren Hohlungen sind meist stark granulirt, die innerste dagcgen ganz wasserhell, oder doch nur leicht kornig. Hiiufig sieht man durch die Mitte der drei Schlauche eine Scheidewand verlaufen, welche die Hohhmgen in zwei symme- trische Hiilften theilt (s. Fig. 7). Dann finden sich in der mittle- ren Zelle zwei Kerne und die innerste wird symmetrisch herzfor- mig gestaltet. Lange im Mittel 0,08, Breite 0,054 Mm. DieAus- fuhrungsgange sind nicht iiberall leicht sichtbar. Endlich drittens findet man Drilsen von traubenahnlicher Gestalt von obigcn ganz verschieden, viel seltener und nur am hintern, konischen Leibesende des Wurms reichlicher auftretend, selten einzelne in den zuniichst angrenzenden Theilen. Sie bestehen in einer ungefahr keulen- formigen Anhiiufung rundlicher, kleiner (0,006) gleich grosser Zel- len, deren vorderer kegelformiger Theil in der Cuticula liegt, von einer iiusseren Membran cng umschlossen. Der Ausfuhrungsgang ist eng und kurz und miindet in einem in einer flachen Vertiefung gelegenen Wiirzchen. Liinge 0,081, Breite 0,03 Mm. (Fig. 8). Ich bin uberzeugt, dass auch hier die im Innern liegenden Zellen sich schlauchartig verlangeriul auf den gemeinschaftlichen Ausfuhrungs- gang zulaufcn ; sie sind zu uiidiirchsichtig, um dcutliches Sehen zu erlauben. Ausser zahlreichen Bindegewebsfasern und -korpern enthalt die hier besprochene Schicht noch reichliche, iiberall in ihr zerstreute Pigmentzellen von sehr verschiedener Grosse und Menge (0,009 — 0,07 Durchm.) von rundlicher oder ovaler Gestalt, bei alten Wiirmern dicht mit gelbbraunen Pigmentkornchen be- setzt und meist einen dunkleren Kern zeigend (Fig. 6, a). Die von Kkfkkstein und Eiilers gegebenen Abbildungen der 494 R- Tonscher, Hautkorpcr von Sipiinculus in den Zool. Beitr, entsprechen keiner von diesen drei Formen, was wohl darin seine Erklariing findet, dass genannte Beobachter nur ganz junge, noch durchsichtige Exemplare und abgezogene Hautstiicke von der Flache untersucht haben, wobei den ihrigen ahnliche Bilder zur Ansicht kommen. Ich komme nun zu den Nervenfaden, welcheKEFERSTEiN und Ehlers „vorzuglich bei sehr jungen Thieren" in Verbindung mit den Haut- korpern beobachtet haben. Bei den jilngsten, mir zu Gebote stehenden Sipunkeln (40 Mm.) und zwar in dem hintersten konisch zulaufenden Korperabschnitt sehe ich haufig bei den unter 1 und 3 beschriebenen Korpern einen 0,005—0,006 Mm. breiten leicht kornigen Faden von dem innern Ende des Schlauches abgehen, mehr oder weniger geschlangelt durch die Bindegewebsschicht ver- laufen, sich dem Rand des Ringmuskels , parallel mit dessen Fa- sern, anlegen und da verschwinden (s. Fig. 6). Das Aussehen ist das einer Nervenfaser. Bei altern Exemplaren sehe ich keine Spur mehr davon und auch bei jiingern Nichts mehr iiber die an- gegebene Grenze hinaus in der Gegend der unten zu beschreiben- den Genitalrohren. Das betreffende Sinnesorgan wiirde also nur dem friihern Lebensalter zukommen ; es wiirde am Hinterende des Korpers, welches tief im Schlamme steckt, von sehr zweifelhaftem Nutzen sein ; ausserdem hat keine der beiden Schlaucharten , an welche sich der Faden ansetzt, den gewohnlichen Bau und das Ansehn eines Sinnesorgans. Die machtige Bindegewebsschicht, in welcher bei Sipunculus die besprochenen Gebilde eingebettet liegen, fehlt bei Phascolo- soma fast ganz, nur ein ganz schmaler Saum derselben ist zwischen der Ringmuskellage und der matrix cuticulae wahrnehmbar und die hier vorkommenden Hautkorper liegen ganz von der dicken Cuticula umschlossen ; die matrix aber wird durch die Druse nach aussen gestiilpt, hullt dieselbe dicht ein bis zum Ausfiihrungsgang und bildet ihr haufig einen mehr oder weniger langen Stiel, wel- cher dann von dem hyalinen Bindegewebe erfullt wird. Die Form der Hautkorper bei den verschiedenen Phascoloso- men ist sehr mannigfaltig, doch lassen sich sammtliche mir be- kannt gewordene Formen auf zwei Typen zuriickfiihren, von denen der eine auch die erste Form (Fig. 6) der bei Sipunculus be- schriebenen Korper umfasst. Diese Bildung besteht immer aus einem umhiillenden Schlauch — langlich oval und dann gestielt oder quer oval und dann meist auf der unterliegenden Schicht un- mittelbar aufsitzend, je nach der Dicke der Cuticularschicht. In Nntiz iibor Si|innciilns iind I'hascolosoma. 495 ihm befindon sich andcre kolbige Schliluche in griisserer oder ge. ringerer Zahl, aber imnier iiiit dem sich verengernden Ende nach dein ; gciiieinschaftlichen Aiisfiihrungsgang zusammeiilaiifend und mit Kornern eri'iillt. In manchen Fallen sieht man sehr deutlich ein bindegewebiges Geriist, welches diese Zellen stutzt; bei Phase, granulatum (Fig. 9) miinden dieselben in einen gemeinschaftlichen Hohlraum, der dann zum Ausfiihrungsgange fiihrt. Hierher ge- horen die Figuren 9, 10^, 11, 12, 13. Obgleich auch bei diesen Gebilden liberall, wo die Umstande giinstig sind, mit Leichtigkeit Nervenfiiden (1—3) von ihrer Basis nach der Ringmuskelschicht verlaufend wahrgenommen werden, so ist doeh der Bau entschie- den drtisenahnlich, wahrend der Anblick des zweiten Typus so- gleich an Sinnesorgane erinnert. Ein ovaler Schlauch, mit ge- wohnlich zwei, bisweilen drei Nervenfaden in Verbindung, deren Wurzeln sich immer in entgegengesetzter Bichtung den Ringmus- kelfasern anlegen und meist in eine hervorragende Hautpapille miindend, enthiilt in einer fein granulosen Masse eine Anzahl gros- serer Korner (0,0045 bis 0,006 Mm. im Durchmesser), deren Haupt- masse in der Nahe des Ausfiihrungsgangs gruppirt und zum Theil an von da hereinhangende Faden befestigt erscheint. Der Nerv tritt entschieden durch die hintere Zellenwand hindurch und ver- breitet sich zwischen den Kornern; ich glaube ihn deutlich bis an die vordersten Korner herantreten gesehen zu haben. Ausserdem sieht man haufig einen der Nervenfaden, ehe er sich an den Ring- muskel anlegt, ganglienartig anschwellen (Fig. 14). So wenig man erwarten kann, ein so zartes Object nach langerer Aufbewahrung in Alcohol alle Einzelheiten seiner Structur bewahren zu sehen, so ist doch wolil das, was man noch wahrnimmt, hinreichend, um den in Rede stehenden Hautkorpern den Charakter von Sinnes- organen zuzusprechen ; ob auch die unter 1) erwahnten in dieselbe Kategorie gehoren, ob sie einen, vielleicht verschiedenen und wel- chen Sinn sie rei)rasentiren , bleibt unentschieden. Dass solche Organe bei Sipunculus und nur in der Jugend deutlich sind, er- klart sich vielleicht durch Nichtgebrauch im spatern Lebensalter da das Hintertheil des Thieres im Schlamm verborgen ist. Bei Phase, canariense und granulatum finde ich nur die erste Art der Hautkijrper, wenn auch je nach der Korperregion etwas modifizirt; bei Ph. elongatum finden sich die Sinnesorgane dicht gedrangt auf die hinterstc Leibesspitze beschrankt. Etwas welter nach vorn treten sie sehr vereinzelt zwischen den andern (Fig. lO'') auf; mehrere Reihen enggestellter Wiirzchen dicht unter demTentakel- 49G Tl. Teuscher, kranze scliliessen eine ganz ahnliche Bildung ein. Bei Ph. capense stehen sie ebcnfalls am haiifigsten am Leibesende, linden sich aber audi in Menge ganz in dersell)en Gestalt iiber den ganzen Korper vertheilt, nur selten von einem Korper wie Fig, 12 unterbrochen. Bei diesem Thiere sind diese Organe besonders zahlreich, ja es findet eine fortwahrende Neubildiing derselben Statt, so dass es leicht ist, verschiedene Entwickelungszustande aufzufinden. Im friihesten Zustand sieht man eine kleine durchsichtige Zelle, schon sehr zeitig mehrere rimdliche Korperchen enthaltend , zwischen Matrix und hyaliner Schiclit erscheinen, welche durcli allmahliges Wachsthiim und nach aussen Riicken die Matrix vor sich hertreibt, wie sie sich von der hyalinen Schicht entfernt, fiillt sich der ent- stehende Raum mit letzterer. Die beiden Nervenfaden, welche vorher dem Ringmuskel parallel lagen, folgen der Zelle nach und bilden mit einander einen allmahlig immer spitzer werdenden Win- kel. Zu gleicher Zeit fangen die iiber der Zelle liegenden Cuticu- larschichten an, sich zu krauseln und deuten den kunftigen Aus- fiihrungsgang an, die Bildung der Papille konnte ich nicht beob- achten. Am hintern Leibesende, von der dicksten Stelle riickwarts, so- wie nach vorn vom Anfang des Russels an vorwarts liegt bei Si- punculus die Bindegewebsschicht den Ringmuskeln iiberall fest auf. In dem ganzen dazwischen liegenden Raume ist dies nicht der Fall, sondern die beiden Schichten sind nur an den Stellen verwachsen, wo unter den Ringmuskeln die Liingsmuskeln laufen; nicht in deren Zwischenriiumen : also in Langsstreifen, und es entstehen so Langs- kanale von querovalem, nach innen etwas abgeplatteten Durch- schnitt. Da nun die nach der Peripherie gewendete Flache jedes Ringmuskels nicht eben , sondern fassreifenartig gewolbt ist, so entstehen auf diese Weise Querverbindungen zwischen diesen Langskanalen. Durch Injection eines einzigen Liingskanals fiillt sich das Rohrensystem um den ganzen Wurm lierum mit Farb- stoff und man iiberzeugt sich, dass in diesen Anheftungen der Grund zu der Langs- und Querstreifung der ausseren Bedeckungen des Wurms liegt. Die am hinteren Ende vorkommende blosse Langsstreifung beruht nur auf abwechselnder Dicke und Dunne der Bindegewebsschicht Nach unten und oben laufen die Langs- kanale spitz aus, wie spitzwinkelige durch die Axe halbirte Kegel. In diesen Langskanalen nun, die ich nirgends beschrieben finde, ist die Bildungsstelle der Geschlechtsproducte , Eier sowohl wie Samenzellen. Notiz iiber Sipunculus nnd Phascolosoma. 497 Keferstein und Ehlers hatten in ihren zool. Beitr. 18G1 unter der abgezogenen Haut Eier gcfunden und abgebildet und verlegten deren Bildungsstiitte „in etwa 0,25 grosse an ihrer Aussenflache stark wimpernde Schlauche, in denen man meisteris eino Menge zelliger Abtheilungen und eiu oder zwei schon ziemlich reife Eier von 0,1 Grosse beobachtet". In einer spatern Beschreibung des Sipunculus durch Keferstein (Z. f. wiss. Zool. 1867) wird dieser Be- obachtung nicht wieder gedacht. Die Langskanale sind auf jedem ertragiichen Querschnitt sehr leicht, bei grossern Exemplaren selbst makroskopisch wahrzunehmen. Bei alien (10 — 12) von mir unter- suchten weiblichen Individuen fand icli sie mit Eiern aller Ent- wickelungsstufen angefiillt, moclite die Leibeshohle deren enthalten, Oder nicht. Ringsum ist die Wand dieser Kanale mit einem, wenn auch stellenweise zerstorten , doch sowohl von der Seite , als von der Flache aus deutlich wahrnehmbaren Plattenepithelium ausge- kleidet. Seine Zellen, deren Kerne ich nur selten sah, haben 0,0045—0,009 Mm. Querdurchmesser, bei 0,002 Mm. Dicke. Die Zellen erscheinen abgerundet polygonal und einzelne, besonders grossere, starker urarissen und etwas mehr gekornt, als die andern, so dass ich iiberzeugt bin, in diesem Epithel die Bildungsstatte der Geschlechtsproducte vor mir zu haben. Die Rohren sind in der Leibesmitte am weitesten, bis 0,9 Mm, breit und 0,49 hoch, wobei sich ihre aussere Decke, welche dann nur einzelne isolirt vorragende Drusen enthalt (ohne die Cuticula) bis auf 0,009 verdiinnt (Fig. 15). Nach beiden Enden zu nehmen die Dimensionen allmahlig etwa um die Halfte ab, ehe sie sich zuspitzen. Diese Maasse beziehen sich auf ein ausgewachsenes Weibchen ; die beiden Mannchen, welche ich fand und welche die charakteristischen maulbeerformigen Zellen (von 0,054 Mm. mittlerer Grosse) in schonster Ausbildung und ganz unter denselben Verhaltnissen zei- gen, wie die Weibchen ihre Eier tragen, waren klein; ihre Rohren zeigen nur 0,35 Breite auf 0,22 Hohe. Dass diese Geschlechtsproducte zwischen den Ringmuskeln hin- durch in die Leibeshohle entleert werden, leidet wohl keinen Zwei- fel; die Verbindung dieser unter einander ist sehr lax und oft findet man sie auseinderklaifend. Welchen Ausweg dieselben aber von da aus eiuschlagen, weiss ich nicht. Die braunen Schlauche sind, bei Sipunc. nudus wenigstens, nach innen ohne Oeffnung und der allgemein angenommenc, aber schon von Krohn geliiugnete Endporus existirt nach meinen Erfahrungen nicht. Wenn man das hintere Dritttheil des Wurms abtrcnnt und, von dcm Darm vor- B(i. vni. N. F. I, 4. 32 498 R- Tcuschcr, sichtig befreit, mit farbiger Fliissigkeit fiillt, so dringt weder frei- willig, noch bei massigem Druck das Geringste nach aussen, ebeiiso- wenig wenn man den Schlaiich handschuhfingerartig umstiilpt und das Experiment von aussen nach innen wiederholt. Macerirt man das Leibesende in Wasser, so lasst sich nach wenigen Tagen die Cuticula als Ganzes leicht abziehen und man sieht direct, dass sie nicht durchlochert ist. Gute Querschnitte zeigen, dass an der Stelie des Porus ein ausseres und ein inneres Griibchen einander ent- gegenlaufen und nur durch eine ziemlich diinne Platte geschieden sind, aus Cuticula und Bindegewebsschicht bestehend. Es wird erlaubt sein zu vermuthen, dass an dieser Stelie sich eine tem- porare Oeffnung zur Elntlassung der in Rede stehenden Producte bilden wird. Eine sehr diinne Schicht hyalinen Bindegewebes iiberzieht auch die Muskelschicht nach der Bauchhohle zu und steht mit der ausseren Schicht zwischen den Muskeln hindurch in Verbindung. Am starksten ist sie am aussersten Leibesende entwickelt, vorziig- lich um die beiden Endaste des Nervenstrangs, von denen ich oben gesprochen; sie ist ebenfalls von einera Epithelium iiberzogen, das auch an letzterer Stelie am deutlichsten ist. Bei den Phascolosomen ist die aussere Bindegewebsschicht ausserst diinn und keine Spur der bei Sipunculus in ihr vorhan- denen Rohren wahrznnehmen , dagegen ist bei ihnen die innere Schicht viel besser entwickelt, ebenfalls im hintersten Leibesende am dicksten und mit einem sehr deutlichen Epithelium ausgeklei- det. Bei Phascolosoma finde ich in der Leibeshohle Eier aller Entwickelungsstufen, wahrend die beiden Male, wo ich deren bei Sipunculus daselbst antraf, diese alle nahezu gleich entwickelt und nach meiner Ansicht reif waren ; es liegt also die Vermuthung sehr nahe, dass die Geschlechtsproducte bei Phascolosoma ihren Ursprung aus dem die Leibeshohle auskleidenden Epithelium nehmen. Phascolosoma capense. Sechs bis achtmal so lang, als breit, Riissel kurz, keine Haken ; Tentakel zahlreich, fadenformig, dreikantig. Viele flache Papillen. Langsmuskeln nicht gesondert. Vier Retractoren; die ventralen in der Mitte des Korpers, die dorsalen am Ende des vordern Dritt- theils entspringend, sich dicht iiber dem Schlundganglion vereini- gend. Spindelmuskel kraftig, nur vorn am After befestigt. Oeso- phagus mit einer Schicht weisslichen Driisengewebes besetzt, durch mehrere starke Muskeln seitlich befestigt. Darmwindungen zahl- Notiz iiber Sipunculus und Phascolosoma. 499 reich (42). Segmentalorgan 2 — 3 Mm. liber dem After angeheftet. Die Basis besteht aus einem stark musculosen Rohr von 3 Mm. Lange, dann folgt eine diinnwandige blasige Erweiterung von 4 Mm. Durchmesser, darauf wieder ein cylindrisches, musculoses Stuck wie das erste und das Ende bildet wieder eine blasige Hoh- lung von derselben Grosse, wie die erste, welche am Ende einen Ausfiihrungsgang in die Bauchhohle hat. S. Fig. 4 u. 5. Erklarung tier Abbildungeii. Taf. XVII. Fig. 1. Sipunculus uudus Segmentalorgan. Querschnitt. a Ringmuskel. b Langsmuskel. Fig. 2. Ein Stiick desselben, starker vergrossert. a Ringmuskel. b Langsmuskel. Fig. 3. Derselbe Gegenstand von Phascolosoma granulatum. Fig. 4. Segmentalorgan von Phascolos. capense. Nat. Gr. Fig. 5. Innere Oeffnung desselben, vergrossert. Fig. 6. Hautkorper von Sip. n., erste Form in den drei Abstufungen. a Pigmentzelle. Fig. 7. Dieselben, zweite Form. Fig. 8. Dieselben, dritte Form.' Fig. 9. Dieselben von Phascolos. granulatum. Fig. 10. Dieselben von Phase, elongatum. Fig. 11 und 13. Dieselben von Phase, canariense. Fig. 12 und 14. Dieselben von Phase, capense. Fig. 15. Querschnitt durch die Leibeswand von Sip. nudus mit don Eierrohren, 32^ Beitnige zur Eiitwickeliiiigsgeschiclite der Nemertiiicii. Von Dr. Greorg^ Dieck. (Hierzu Tafel XVIII and XIX.) Als ich im vergangenen Winter, wahrend eines mehrmonat- lichen Aufenthalts in Messina, behufs naheren Studiums der Ent- wickelungsverhaltnisse hoherer Krebse , zumal der Decapoden, eiertragende Individuen dieser Gruppe in grossen Mengen einer naheren Besichtigung unterwarf, fand ich zufallig im Eierbeutel einer Galathea strigosa ein Thier oder vielmehr eine Gesellschaft von Thieren, die meine Aufmerksamkeit in hohem Grade fesselte. Die nahere Untersuchung ergab , dass ich Nemertiuen vor mir hatte, die in den Eierbeutel des Krebses eingebohrt, die daselbst in grosser Anzahl vorhandenen Eier verzehrten. Ich vermuthete begreiflicher Weise in dem Schmarotzer zuerst nichts weniger als eine Nemertine, welche Thierordnung bisher fast nur unter Stei- nen im Meeresschlamm oder freischwimmend , seltener auch in Rohren lebend angetroffen worden war. Nur ein einziger Fall von Parasitismus war bekannt geworden, namlich das Vorkommen einer Tetrastemma in Phallusia mamillaris, welche Leuckakt bei Nizza aufgefunden hatte*). Der von mir beobachtete Wurm gehort aller Wahrscheinlich- keit nach der Gattung Cephalothrix an^), welche, in vieler Be- ziehung ganz isolirt stehend, bei speciellerer Untersuchung unge- wohnlich viel Interessantes und Bemerkenswerthes darbietet. Ich 1) Leuckart u. PageNet., Untersuchungen iiber niedere Seethiere. Mul- ler's Archiv 1858. 2) oder doch iu die nacliste Niihe. Da ich keiuerlei Vergleichsmaterial iu den Handeu babe, so balte ich es vorlaufig fiir zu gewagt, die vielleicht wohl- berechtigte Abtrennung als eigene Gattung vorzunehmeu. Beitrage zur Entwickelungsgeschichte der Nemertinen. 501 will meine Art Cephalothrix Galatheae nennen , in tier Voraus- setzung, (lass diese Bezeichnung an und fiir sich schon hinreichen wird nachfolgende Reisende und Sammler auf die Galatheae als eventuellen Fundort hinzuweisen. Die Grosse des Thieres ist, Dank der unaufliorlichen Con- traction, selir schwer zu normiren. Die langste beobachtete Form erreichte etwa 7 Centimeter, wahrend anderseits das einzige miinn- liche Individmim , welches iiberhaupt gefunden wurde , nicht viel mehr als 2 Centimeter maass. Im ganzen ist die Korperform drehrund, nur an der Unterseite mit einer schwach kantenartigen Zuscharfiing ; die Farbe ist ein lebhaftes Ziegelroth, so lange nicht prall gefiillte Ovarien das Thier weisslich gefleckt erscheinen las- sen. Kopf und Schwanzende sind etwas verjiingt, der Kopf ist nicht abgesetzt. Die Augen sind durch zwei kommaformige Pig- nientliecke reprasentirt nud liegen weit vorn, kurz vor dem Gang- lion. Dieses anfanglich paarig entwickelte Ganglion ist durch zwei breite Commissuren, zwischen welchen der Rilssel durchtritt, zu einer Art Nervenring entwickelt und da es am unteren Theile eine auiiallende Verbreiterung zeigt, auch von den Enden derselben die seitlichen Nervenstamme entsendet, so erscheint es als ein Gebilde, welches leiclit mit einem Schlundring verwechselt werden kann'), wie denn auch z. B. Keferstein und Claus von einem obern und untern Ganglion sprechen. Kopfspalten und Seitenorgane fehlen. Der Mund liegt eine Strecke hinter dem Ganglion und scheint ge- wulstete Rander zu haben. Der Riissei ist nicht bewaffnet, da- gegen an seinem Spitzentheile mit Papillen besetzt; er miindet am Vorderrande des Kopfes innerhalb eines tiachen, queren Eiu- schnitts, dessen Rander als Querlappen bezeichnet werden konnen. Die Ursprungsstelle desselben befindet sich nicht weit hinter dem Munde, ofeerhalb des Nahrungscanals. Die Geschlechtsorgane zeigen, zumal beim weiblichen Gc- schlechte, eine ausserordentliche raumliche Entwickelung und cr- tiillen demgemass fast den ganzen Korper, dem Nahrungscanale, der sich in zahlreichen Aussackungen und Faltungen durchdriingen muss, kaum den unumgiinglich iiothigeu Platz iibrig lassend. Die Ovarien, deren Stellung und Entwickelungsrichtung eine iiusserst unregelmassige ist^), miinden sammtlich an der Unterseite des Korpers, wo sich ganz regelrechte Ausfiihrungsgange , mit einem 1) Siehe Tafel XIX, 16. 2) Mituater wcrilcn sie durch Aupassuiigen an die Form bouacbbarter Gc- websthcile sogar zweilappig. 502 Georg Dieck, besonderen Klappenverschlusse vorfinden (s. Tafel XIX, 14 o,op). Dieselben finden sich indessen erst kurz vor Eintritt der Eireife in vollig entwickeltem Zustande vor uiid sind auch nur beim Aus- tritt der Eier in alien ihren Details leicht zu erkennen. Die Oeff- nung scheint gewulstet; die Klappe befindet sich an der dem Sei- tenrande des Wurmkorpers zugewandten Seite derselben. Diese Klappen bestehen aus contractilen Fingerlappen , die im Kuhezu- stande der Oeffnung aufliegen und dadurch das Auffinden der- selben sehr erschweren. Die Ausfuhrungsgange selbst liegen mehr Oder weniger regelmassig reihenweise angeorduet. Auf Querschnit- ten sind sie nur ausserst schwer zu sehen, da sie durcli starke Schrumpfung durch die Einwirkung des absoluten Alcohol ihr Lumen sehr verengen. Was den durch ein deutliches Wimperepithel auf der Innen- seite ausgekleideten Nahrungscanal betrifift, so konnte ich ein durch eine besondere Leibeshohle vom Korperparenchym getrenntes Organ, weder am lebenden Thier, noch an Querschnitten nach- weisen, muss also einstweilen annehmen, dass eine in die Augen fallende Lostrennung seiner Wandung vom Korperparenchym bei meiner Cephalothrix nicht eingetreten und somit auch das Vor- handensein einer besonderen Leibeshohle in Frage gestellt ist. Denkbar ware es allerdings, dass die Abtrennung nur erst auf kurzen unbedeutenden Strecken eingetreten sei und somit leicht der Beobachtung sich entzogen haben konnte. Die Afteroffnung befindet sich ein wenig vor dem Korperende. Blutgefiisse ver- mochte ich gleichfalls nicht nachzuweisen. Auch aussere Anhange finden sich vor, niimlich fingerformige Greif- oder Haftorgane, von denen, wenigstens bei Weibchen, die grossten nahe dem Kopfe liegen; auch diese sind so contractu, dass sie nur bei starker Ausdehnung deutlich ins Auge fallen. Bei dem einzigen, sehr kleinen, mannlichen Exemplare, welches mir in die Hande fiel, glaube ich auch am Hinterende einen gros- seren Greiffinger bemerkt zu heben, doch kann ich, da das Stiick mir bald verloren ging, dies nicht mit Gewissheit behaupten. Die Entwickelung dieser Organe steht jedenfalls in Causalitat mit der parasitischen Lebensweise und tritt auch ontogenetisch schon sehr fruh auf, kurz nach Anlage von Mund und Riissel, wie weiter unten niiher beschrieben werden wird. Die Muskulatur ') besteht wie bei andern Nemertinen, aus 1) Siehe Tafel XIX, 13. Beitrage zur Entwickelungsgeschichte dor Nemertinen. 503 mit einander abwechselnden Schichten von Ring- und Langsfasern, jedoch sind hier nur die ausseren Schichten deiitlich ditferenzirt, wahrend die innere Ringfaserschicht, die auf dem Querschnitt oben- drein mehr als sagittal gelagerte Faserschichte erscheint, sehr schwach entwickelt ist und die innere Langsfaserschiclit durch all- maWiges Uebergehen in Bindegewebe gleichfalls viel an scharfer . Abgrenzung einbusst. Im Kopf ist die Muskulatur ganz besonders kraltig ent^vickelt, so dass Russel und Nervensystem in einer dich- ten, zusammenhangenden Muskehnasse eingeschlossen erscheinen. 'Das Integument schliesslich ist zusammengesetzt aus einer dieCilien tragenden Epidermis ') mit darunter liegender, alsBasal- membran am ehesten zu bezeichnenden Pigment- und Driisen- luhreuden Schichte. Die Drilsen sind Schleimdriisen , wenigstens sondert das Thier, wie die von Kefkrstein beschriebene Cephalo- thrix longissima^), viel kleberigen Schleim ab, welchen sie neben den Greiforganen zum Anhaften auf ihrem Wohnthiere und hier speciell auf den die Eier tragenden Aesten der Abdominalfiisse von Galathea, benutzt. In dieser Schichte und nach aussen aus ihr hervorragend, finden sich stellenweise auch die bekannten stabchen- formigen^Organe, die hier Nadelform besitzen, wahrend Keferstein bei Cephalothrix ocellata sie in mehr breiter, tafelformiger Gestalt beschreibt und als „Arragonit" ahnliche Krystalle bezeichnet 3). Das Yorkommen dieses Wurmes beschrankt sich nach memen Erfahrungen auf Galathea strigosa; meist finden sich 2—3, ofters aber auch bis 6 Wurmer auf demselben Thiere, auf welchem auch alien Anscheine nach die Entwickelungsstadien verbleiben. Ist der Eiervorrath verzehrt, so ziehen sich die Thiere in die Kiemenhohle des Krebses zuriick, um da ^vahrscheinlich ihren Ectoparasitismus in veranderter Art fortzusetzen, indem sie die zarte Membran der Kiemen anbohren und so zum Blute des Thieres gelaugen. Wenig- stens land ich nicht nur hiiufig die Kiemenhohlen von Wiirmern bcwohnt, sondern sah auch beim Zerzupfen derselben aus dem Innern Blutzellen ausstromen, welche sich in nichts von denen der Galathea unterschieden und wahrscheinlich, weil kurz vorher ver- schluckt, noch unverdaut geblieben waren. 1) Keferstein in deu Untersuchiuigen iiber iiiedorc Seethiere S. 66 schreibt don NenuTtinen cine Cilien tragende „Cuticula" zu, eiue Ausicht, der ich mich iiicbt anschlicsson kann, da meincr Meinung nach bcwcglicbe C'llieu, wie die der Nemertinen, nicht Cuticular-, sondern stcts nur Epidermoidalgobildc seinkonueu. 2) Keferstein a. a. 0. S. 65. 3) Ebeuda S. 64. 504 Georg Dieck, Mein Material erhielt ich nicht von ]\iessina selbst, sondern durch Fischer aus dem Dorfe Faro '), welche weniger in der Meer- enge, als an der Nordkiiste des pelorischen Vorgebirges , also im tyrrhenischen Meere, zu fischen pflegen. Ich erhielt samnitliche mir bekannt gewordenen Entwickelungsstufen, die ich im Verlaiife meiner Arbeit besprechen will, fast gleichzeitig , was mir die Be- obachtung und Deutung naturlich sehr erleichterte , dagegen mir unmoglich machte die Zeitraume, die zur Aiisbildung der einzel- nen Stadien nothig sind, kennen zu lernen. Es war mir lange Zeit unmoglich gewesen, mir iiber die Ge- schlechtsverhaltnisse, sowie iiber die der Eiablage voraufgehenden Vorgiinge bei meinen Thieren geniigende Aufklarung zu verschaf- fen. Alle Individuen, welche ich unter das Mikroskop bekam, zeiglen dieselbe durchaus ungleichartige Bildung und unregelmas- sige Vertheilung der Ovarien, dagegen von Hoden keine Spur. Fine Tauschung konnte kaum vorliegen, denn eiuerseits waren die Eier in den Ovarien, zumal unter Anwendung einer gelinden Pres- sion, sehr leicht zu erkennen, anderseits fand sich fast allenthal- ben, wenn auch mehr oder minder ausgesprochen und entwickelt, die oben bereits erwiihute Bildung der Ovarialausfiihrungsgange mit den charakteristischen Klappenverschlusse vor. Da kam mir endlich ein Individuum unter die Hiinde, welches, durch bedeutend geringere Grosse auffallend, von mir anfanglich fiir ein junges, noch unreifes Thier gehalten und in der Hofthung an demselbeii manche Organisationsverhaltnisse in deutlicherer und iibersichtliche- rer Weise erkennen zu konnen, einer niiheren Untersuchung unter- zogen wurde. In letzterer Beziehung entsprach das Resultat der Untersuchung meinen Erwartungen nicht, denn das Thier gab seinen grosseren Genossen weder an Undurchsichtigkeit etwas nach, noch war es etwa minder unruhig, als jene, welche durch ihre steten Contractionen und womoglich auch Kotationen um die Quer- axe mir die Betrachtung sehr zu erschweren pflegten. Indessen ich fand in ihm etwas Anderes, was mich weit mehr interessirte, namlich ein Mannchen , dessen reife Spermatozoen aus mehreren,' der Lage nach den Ovarialausfiihrungsoffnungen entsprechenden Oetfnungen, in grossen Massen ausstromten. Zuerst kamen dichte ineinander gewirrte Ballen reifer Spermamassen, alsdann kleinere Kliimpchcn und vereinzelte Spermazellen hervor, denen schliesslich 1) 111 den bei Faro gelegeiieu Laguueu kaun mau auch deu iuteressauten Amphioxys laiiceolatus zu Tauseudeu aus dem Baiide scharreii. Beitrage zur Entwickelungsgeschichte der Nemertinen. 505 bei erhohtem Druck des Deckglases eine Unzahl kleinerer und grosserer Zellen nachfolgten , welche ich zum Theil spater als Entwickelungsstadien der Spermatozoen zu erkennen vermochte. Es ist keineswegs unbedenklich, von einzelligen Formiiulividuen, audi wenn man ihrer Lage und Anordnung nach, nicht zweifeln zu konnen glaubt, zu behaupten, dass sie einer bestimmten For- menreihe oder gar Formenentwickelungsreihe angehoron. Ganz abgesehen von der geringen Verschiedenheit isolirter Gewebsele- mente, muss man beim Zerzupfen von Organismen darauf gefasst sein einer Menge von freien Zellformen zu begegnen, welclie meist die Nacliforschungen nach bestimmten Formen unmoglich oder docli ausserst sch>Yierig machen. Blutzellen, abgeloste Gewebs- zellen, der Darminhalt mit einer Menge verschluckter, noch unver- dauter, einzelliger Organismen, Geschlechtsproducte und vor Allem das Heer der Parasiten vereinen sich ein Chaos zu Staiide zu Stande zu bringen, vor welchem zuweilen auch der geiibteste Be- obachter macht- und rathlos dasteht ohne ini Stande zu sein, es zu entwirren. Trotz alledem glaube ich mit relativer Gewissheit eine An- zahl von Zellindividuen als Entwickelungsstadien der Spermatozoen dieses Wurmes bezeichnen zu konnen (s. Tafel XIX, -15). Die kleinste, vermuthlich der Spermamutterzelle kaum entschliipfte Zelle hatte die Grosse von 0,0028 Mm., das vollig entwickelte Spermatozoid die Lange von 0,0196 Mm.; davon kommen auf die untere (vordere) Geissel mit inbegritienem zweiten Knopfchen 0,0168 Mm., auf den Hauptknopf 0,0028 Mm. und schliesslich auf die diesem nachfolgende kurze Geissel 0,0056 Mm. Die jiingeren Stadien enthalten einen Inhalt von Kornchen verschiedener Grosse, wiihrend weiter entwickelte Stadien bei denen der Zellknopf durch stetes Wachsen der Schwanzcilie bedeutend an Durchmesser ver- liert, nur noch einen gleichmassig feinkornigen Inhalt zeigen. Durch eine gliickliche Combination gelang es mir auch die Befruchtungsvorgange, wenigstens was das Eindringen der Sperma- tozoen in die Vulva betrifft, niiher zu beobachten. Ich brachte namlich in das von Spermatozoen wimmclnde Wasser auf dem Objecttriiger ein weibliches Exemplar, bei dem ich mich vorher vom Vorhandenseiu reifer, aber noch ungefurch- tcr Eier iiberzeugt hatte. Nach kurzer Zeit traf ein, was ich gc- wollt hatte. Die in Klumpen gcballten Spermamassen gingen aus- einandcr und stromten im Verein mit den bereits vorher isolirten Spermatozoon masscnweise nach den Ausfuhrungsgaugen der Ova- 506 Georg Dieck, rien , sichtlich bestrebt , das Kopfende nach hinten , sich unter dem Klappenverschlusse durch, unter fortwahrend bohrender und schwiinzelnder Bewegung in das Innere einzudrangen (s. Taf. XIX, 14). Nach einer Viertelstunde bereits strotzten die Ovarial- schlauche von eingewanderten Spermatozoen, wahrend von aussen noch immer neue Schaaren den Vorausgegangenen nachzufolgen sich bemiihten. Das Eindringen in das Ei, also die eigentliche directe Fecundation vermochte ich leider nicht weiter zu beob- achten ; das Thier ging mit seinen Eiern iiber Nacht zu Grunde. Jedenfalls geht aus dieser Beobachtung klar hervor, dass diese Thiere zu ihrer Begattung einer Annaherung der beiderseitigen Geschlechtsoftimngen nicht bediirfen, da augenscheinlich das Ein- dringen der Spermatozoen ein durchaus spontanes, unvermitteltes ist. Ich mochte daher, in Betracht der relativ grossen Seltenheit der miinnlichen Individuen, annehmen, dass dieselben ihr Sperma gleichzeitig iiber die oft zu 5 — 6 um einander verschlungenen, den Eierbeutel der Galathea bewohnenden, weiblichen Individuen ausgiessen , das Weitere der eigenen Initiative der Spermatozoen iiberlassend. Die Ovarien nehmen, wie schon bemerkt, den grossten Theil des Korperraumes ein und entwiclieln demgemass eine ausser- ordentlich grosse Zahl von Eiern. Wie bei alien Nemertinen, so bestehen auch hier die Ovarien aus einem einfachen Sacke, in welchem gleichzeitig, sowohl die Eikeime, als auch die Dotterzellen erzeugt werden, nur bilden sich die ersteren niehr am Spitzenende und der nach aussen gerichteten Wand des Follikels, wahrend die Dottermassenbildung mehr an der dem Korpercentrum anliegen- den Seite vor sich geht. So kommt es denn, dass in den meisten Ovarien sowohl Eibildungszellen und Dotterzellen, als auch fertige und mitunter sogar schon gefurchte Eier zu gleicher Zeit ange- troffen werden konnen. Die Ablage der Eier geht ziemlich langsam vor sich und zvvar unter gleichzeitiger Aussonderung eines diinnflussigen Schleims, welcher bestimmt zu sein scheint, die Eier auf ihrem Substrate festzukleben. Man sieht bei der Ablage sehr hiibsch wie die oben beschriebene, der Ausfiihrungsofthung autiiegende Klappe functio- nirt, indem sie durch jedes austretende Ei gehoben, sofort wieder zuriicksinkt, um die Oeffnung aul's Neue zu schliessen und somit das ganze gauze Legegeschiift zu reguliren ') (s. Taf. XIX, 14). 1) Diese regelmassige Bewegung erinnert sehr an die Schluckbewegungen Beitrage zur Entwickelungsgeschichte der Nemertinen. 507 Wenn wir nun die Vorgange der Eierablage sowohl als audi die weiteren Form - und Entwickelungsverhaltnisse der weiblichen Geschlechtsproducte bei der von mir beobachteten Nemertine mit den entsprechendenBeobachtungen und Angaben, welche unsDEsoR^). Max Schultze^) und Metschnikow ^) von anderen Formen berich- ten, vergleichen, so finden wir eine iiberraschende Menge von Ab- weiclmngen, welche wir im Nachfolgenden naher ins Auge fassen wollen. Was zuerst die Ablage der Eier angeht, so berichten Desor und ScHULTZE, dass dieselbe durch gleichzeitige Entleerung sammtlicher Ovarialschlauche erfolge, indem die Eier eines jeden in einem ab- gesonderten gelatinosen Sackchen enthalten seien, welche Sackchen ihrerseits sich zu einem zusammenhiingenden, in eine Schleimmasse eingebetteten Strange anordnen. Desor bezeichnet sein Unter- suchungsthier als Nemertes obscura, Schultze das seinige als Nemertes olivacea, aber fugt hinzu, dass die Identitat seiner Art mit der DEsoR'schen wahrscheinlich sei. Beide behaupten, dass die in diesen birn- oder liaschenformigen Sackchen enthaltenen Eier vollig jeder besonderen Hiille entbehren, wahrend uber die morphologische wie physiologische Bedeutung der ausseren Hiille und iiber die Natur der in derselben enthaltenen, die Eier direct Limgebenden Fliissigkeit, die Ansichten beider Forscher auseinander- gehen. Desor sieht namlich in den Eisiickchen nichts als eine ge- meinsame Do tier ha ut der 3 — 11 in ihm enthaltenen Dotter resp. Eikugeln und bezeichnet dem entsprechend die Fliissigkeit, in welcher diese Eikugeln direct suspendirt sind, als eine zurDotter- substanz gehorige „Biogeniiiissigkeit". Dem entgegen tritt Max Schultze mit der Ausicht auf, dass das Eiersackchen vielmehr als gemeinsarae Eischalenhaut aufzu- lassen sei und bezeichnet den iliissigen Inhalt derselben dem ent- sprechend als Eiweiss. Von beiden Ansichten ist natiirlich die ScHUTZE'sche am einleuchtendsten, doch werde ich noch auf diesen Punkt zuriickkommen um zu versuchen beiden Deutungen eine der Hevzostien bei Aitbropodeu, zumal bei Embiyoiialstadien vou Decapodoii, wo eiiie gewulstete Lippe iu derbelbeu Weise fuactiouirt wie bier der Klappou- verscbluss. 1) Desob, Embryologie vou Nemertes, MuLLfm's Arcbiv 1848. 2) Max Schultze, Zoologiscbe Skizzen, Zeitscbrift fiir wisseuscbal'tlicbe Zoologie 1853. 3) Metschnikow, Eutwickeluug der Ecbiuodermeu und Nemertineu. Me- moircs de la soc. imp. de Petcrsboiirg 1870. 508 Georg Dieck, dritte, vielleicht nocli plausibelere, anziireihen. Die von mir beob- achteten Vorgange bei der Eiablage stinimen am Ersten mit den von MErscHNiKow resp. Kowalewski bei den rochmocephalen Ne- mertinen gemachten iiberein. Metschnikow berichtet namlich von der Einzelablage der Eier, welche in Form kleiner runder Korper erschienen, in denen man eine feine Dotterhaut imd ein grosses aber unregelmassiges und, dem Bilde nach, audi ungekerntes Keimbliisclien erkennen konne. Obwohl nun Metschnikow nur das eben citirte iiber diese Eier sagt und auch die Abbildungen durch- aus im Sticlie lassen, so glaube ich doch , dass er eine doppelte Contourirung , also das Vorhandensein einer doppelten Eiumhiil- lung anerkennt, sonst wtirde er die von ihm gesehene Dotterhaut nicht ausdriicklich „in" die kleinen runden Eikorper verlegt haben, sonderu hatte von einem Umhiilltsein derselben durch diese Haut sprechen mtissen. Auch berichtet er ein Zerreissen der Dotter- haut vor Auftreten der Cilienbekleidung des Embryo, ohne dieser Notiz auch auf den Abbildungen Rechnung zu tragen. Doch deni sei wie da wolle, jedenfalls vermag ich bei den Eiern der von mir beobachteten Cephalothrix das Vorhandensein einer doppelten Dotterumhtillung mit vollkommener Sicherheit nacli- zuweisen und zwar ist die innere, im Uebrigen iiusserst zarte Membran vom ersten bis zum vollendeten Maulbeerstadium deut- lich — etwas schwerer sogar noch welter hinaus — zu verfolgen, wonach sie allmahlig verschwindet urn der Cilienbildung und den darauf folgenden Rotationsbewegungen des alsdann zum selbst- standigen Leben fahigen Embryo Platz zu machen. Ob die von Metschnikow resp. Kowalewski beobachteten Eier in einer Schleim- hiille abgelegt wurden, erhellf gleichfalls nicht aus dem nur allzu kurzen Texte seines Berichtes. Ich beobachtete, wie gesagt, das Austreten der befruchteten Eier inmitten einer fast contour- und structurlosen und daher leicht ubersehbaren Schleimmasse, dagegen habe ich die Bildung eines besonderen, zur Eiaufnahme bestimm- ten gelatinosen Stranges nie bemerken konnen, obschon ich Wiir- mer in hochreifem Zustande isolirte und ihnen so Gelegenheit gab sich unbehindert von ausseren Einiiiissen ihrem Legegeschiift hin- geben zu konnen, Auch land ich nie die sammtlichen Ovarial- I'oUikel mit Eiern derselben Entwickeluugshohe angefiillt, sondern nieist waren nur die mittleren mit befruchteten und bereits zum Theil gefurchten Eiern gefiillt, wahrend die an den Enden gelege- nen noch ungefurchte, ja oft nur halb entwickelte Eier bargen. An eine gleichzeitige Ablegung war also bei meinen Thieren Beitrage zur Entwickelungsgeschiclite dor Nemertincn. 509 nicht zu denken. Wie sind nun diese Beobachtungen mit denen Desor's und M. Schultze's in Einklang zu bringen. Beide unter- scheiden als Umhullungsmedien der Eikugel zuerst zwischen einer gelatinosen, ausseren Masse'), einer durchscheinend gelatinosen, resp. chitinosen (Max Schultze) Eierflasche, welcher ersterer als Dotterhaut, letzterer als Eischaalenhaut und zugleich als Abdruck des ganzen Ovarialfollikels bezeichnet und drittens zwischen einer inneren als Dotter resp. Eiweiss gedeuteten, diinnfliissigen Masse, in welclier schliesslich die eigentliclien Eikugeln suspendirt seien. Ich meinestheils mochte nun die flaschenformigen Kapseln als eine und dieselbe, nur starker verdichtete Bildungsmasse mit der von mir beim Austreten der Eier bemerkten Schleimwolke homologi- siren. Es ist dieser Schleim nach meiner Ansicht, die bei nie- deren Thieren so allgemein verbreitete Eikittsubstanz, welche, sei es in besonderen Drusenausstiilpungeu der Genitalorgane oder in einzelnen Drusenzellen der inneren Epithelialauskleidung, mit unter audi in ausserhalb, aber doch in nachster Niihe der Genitaloff- nung gelegenen Driisen ^) oft in ganz erstaunlicheu Massen erzeugt wird und je nach den Diclitigkeitsverhaltnissen mehr oder weniger leicht und schnell zu consistenten Massen, sowie zum membran- artigen Hiillen erharten kann. Ich vermag nun nicht leicht mir vorzustellen, wie diese flaschenformige , chitinose Kapsel, die wie Schultze sagt, einen Abdruck des Ovarialfollikels darstellt, die Stelle der Eischaalenhaut fiir 3— 11 Eier iibernehmen soil, sondern mochte vielmehr annehmen, dass diese Flasche den Eierbeuteln, in welchen z. B. die Eier der Crustaceen, biindel- oder gruppen- weise eingelagert sind, zu vergleichen sind. Die Fliissigkeit, in welcher die Dotter resp. Eikugeln im Eisack suspendirt sind, wiirde dann ganz einfach dieselbe wasserige^) Fliissigkeit sein, von wel- cher die Eier auch vorher, als sie noch im Ovarium lagen, um- 1) Diese ilussere Masse stoht wolil sicher mit den Geschlechtsdriisen in keiiierlei dirocter Bezielmng, da diesell)e nacliwcislicli cin Secret zalilreicher in der Ilaut der Thicre eiugebetteter Sciileimdrliseu ist, die ihrerseits morplio- logisch wohl den „8pinndrusen" mancher .niederer Turbellarien cntspreclicn. Eine gleiclie oder doch selir abuliclie Verweudung des Hecretes von Hautdriisen finden wir auch in der „Eicoconbildung" der llirudineen u. s. w. 2) Ich erinnere an die Drusen des Clitelliums der Regenwiirmer, welches die Eier aiis ihrem Secrete mit einer Kapsel versehen, die nur den physiolo- gischeii niclit aber den morphologischen Werth einer Eischaalenmombran bean- spruchen kann. Auch die Kidamentaldrtisen von Loligo gchoren wohl hieriier. 3) Ein gewisser Gemengtlieil von iMwoiss wird ihr allerdings nicht abzu- streiten sein. — 510 Georg Diock, geben waren. Meiner abweichenden Deiitung der Flaschenmembran bei Nemertes kommt aiich eine Auslassung van Beneden's, des aus- gezeichneten Kenners der Eibildung zu Gute. Derselbe bespricht in seinen Recherches sur la composition et la signification de I'oeuf pag. 68 die Verhaltnisse, unter denen die Bildung und Ab- lage der Eier von Dinophilus, eines von Oscak Schmidt entdeckten und beobachteten , den Nemertinen nahestehenden , rhabdocoelen Turbellars vor sich gehen. Die gleichfalls wandungslosen Eier werden dort, wie bei Nemertes, in grosserer Anzahl zusammen, in grossen Kapseln, welche die Form der „Eibildiingsdruse" wieder- geben, abgelagert und in diesen wieder an Meerespflanzen ange- heftet urn dort ihrer weiteren Entwickelung entgegen zu gehen. Van Beneden ist nun scheinbar weit entfernt, diese Kapseln als gemeinsame Eikapseln anzuerkennen ; er nennt sie nicht, wie sonst sein Ausdruck fiir Eischaalenhaute ist, „coque d'oeuf" oder „enve- loppe chitineuse", sondern spricht nur „d'un certain nombre d'oeufs entoures par une ,membrane commune', qui presente la forme de la capsule, ou ils ont pris naissance". Es ist also hier, wie bei Nemertes, eine eigentliche Eischaalenbildung gar nicht eingetreten, sondern der Organismus hat an Stelle derselben den nackten Eiern in Gestalt einer gemeinsamen Schutzmembran ein Aequivalent ent- wickeln miissen, welches wohl physiologisch, nicht aber morpholo- gisch der Eischaale entsprechen durfte. Die Hullenlosigkeit der Eikugeln darf nicht weiter auffallen, denn sie findet sich sowohl bei andern Turbellarien wie Macrostomum, Planaria, als auch bei andern niederen Thieren, z. B. bei Hydra, Calcispongien u. s. w. haufig genug wiederholt. Die Eier meiner Cephalothrix besassen, wie gesagt, Schaalenhaut wie Dotterhaut, entbehrten aber der wei- teren Umhullung durch eine consistente Schleimmasse oder durch ein zum Eiersackchen erstarrtes Secret'). Sie bedurften eben, durch ihre Membran geniigend geschutzt, einer besonderen weitern 1) Man konnte einwerfen, warum dann bei so vielen, dickscliaaligen Cru- staceeneiern die Einbettung in eine consistente Eikitthiille noch immer zu finden sei. Es wirkt aber in diesem Falle fiir die Erhaltung derselben der Umstand, dass diese Crustaceen ihre Eier bis zum Ausschlupfeu an ihren Korper um- hertragen miissen, dem Verluste dieser Bildung entgegen. Der durch die ge- meinsame KitthuUe bewirkte enge Zusammenhang der gesammten Eimassen er- leichtert jedenfalls die Befestigung und Aufbewahrung derselben ganz ungemein und so ist aus Zweckmassigkeitsgrunden ein Gebilde erhalten geblieben, trotz- dem es seinen eigentlichen , ursprunglichen Existenzgrund im Laufe der Zeit eingebusst hatte. Beitrage znr Entwickelungsgpschichte (\or Nemertinen. 511 Umhiillung nicht, wiihrend die wandungslosen ') Nemerteseier eine Schutzvorrichtung dringend nothig hatten. Demniichst waren die Furchungsverhiiltnisse der Eier ins Auge zu fassen. Die von mir beobachteten entspreclien bis zur Errei- chung der Maulbeerform im Ganzen und Grossen den als „totale Furchung bezeichneten Theilungen in 2 4 8 1 G u. s. w. Furchungs- kugeln. Von der ersten Theilung an wurde die Dotterhaut sehr deutlich sichtbar und blieb so lange bemerkbar, als iiberhaupt die Zelltheilung verfolgt werden konnte, also nahe bis zur pjitwicke- lung der Cilienbekleidung des Embryo. Das Verhalten das deutlich sichtbaren Keimbliischens konnte bei der ersten Theilung nur unvollkommen beobachtet werden, weil die der Theilung voraufgehenden , molecularen Umwalzungen ira Dotter das Ei voriibergehend undurchsichtig machten. Ich glaube indessen annehmen zu konnen, dass, wie jetzt bei so vielen andern Thiergruppen festgestellt ist, auch hier das Keim- blaschen nicht ganz verschwindet um einer entogenen Neubildung zweier Zellkerne Platz zu machen, — denn dazu geht der ganze Process schon viel zu rasch vor sich — , sondern ich glaube, dass das Keimblaschen unter der bergenden Hiille des Dotters sich theilt und direct die Kerne der ersten beiden Segmente bildef*). Das Keimblaschen liegt, wie spater auch die Kerne der Segmente, in einer helleren Zone und zwar ziemlich peripherisch. Seine Grosse betragt 0,0112 Mm. auf 0,0784 Mm. des Eidurchmessers, also etwa den 7. Theil. Es enthalt einen nucleolus von 0,0056 Mm. von dunklerer Farbung, in welchem ein helleres Blaschen als nucleoli- 1) Es ist neuerdings von den Eiern der Nematoden (Schneider) und so- gar von Wirbelthicrcieru (Nathusius) behaiiiitot wordcn , dass dieselLeu ibre Eischaalen aus sich solbst horaus durch Absondenmg aus ihrer oberflilch- licben Schichte bildeten und nicht , wic bisher allgemein angenommen wurde, durch Vermittlung der Epithelialausklcidungeu der Oviducte oder durch Aus- scheidungeu besouderer Di'usenausstulj)ungeu von aussen her erhielten. Ware diese Ausicbt die richtige, so wiirde die DEsOR-ScHULTZE'sche Auffassung der Flascheumembraueu nur noch undeidibarer erscheineu. Ich mag indessen die- ses Argument hier nur beilaufig anziehen , da ich selbst noch grosse Zweifel hege, ob die neue Schalcubilduugstheorie so ohnc AVeiteres allgemein aner- kannt werden wird. 2) Dagegen spricht scheinbar van Beneden's Angabe, dass gerade bei Nemertinen in den Eibilduugszellen nie Kerntheilungen nachgewiesen werden konnten , im Uebrigeu glaubt aber auch dieser gewissenhafte Boobachter an die "Wahrschcinlichkeit, dass bei alien Eitheilungen die Kerne nicht schwinden, sondern der Zelle in der Theilung voraufgehen. (Ilecherches sur la siguitica- tion ct la composition de I'oeuf p. 70 et 244). 512 Goorg Diock, nus von 0,0014 Mm. Durclimcsscr sich sehr deutlich erkennen lasst. Auch in diesem lasst sich bei starkerer Vergrosseruiig eiii weite- res dunkeles Kernkorperchen orkennen (s. Taf. X¥IH-, 1). Bei den weiteren Theilungen verschwindet der Kern jedesmal, wie vorliin das Keimblaschen , eine kurze Zeit ganz den Blicken des Beob- achters, bis dann niit dem Fortschreiten des Theilungsprocesses die charakteristischen hellen Kenizonen sich wieder bemcrkbar machen , in denen schhesslich die neuen Kerne zum Vorschein kommen (s. Tafel XVIII, 3). Bis zur funften oder sechsten Thei- lung etwa geht die Furclmng ohne irgend welche auifallende Eigen- thiimlichkeit vor sich, dann aber zeigt sich an der einen Seite der Zellkugel ein Eindruck, welcher mehr und mehr sich nach innen aushohlt, so dass schliesslich eine betrachtliche schiisselformige Vertiefung entsteht, welche den spateren ventralen Theile der Pla- nula entspricht und beim Auftreten der Cilienbekleidung noch be- sonders diirch den flimmernden Rand kenntlich wird (s. Taf. XVIII, 6 7 8) nach dem Ausschliipfen des Embryo aber bald wieder ganz verschwindet. Diese Einstiilpung hat also nichts zu thun mit der Bildung einer Gastrula, wo, durch eine ahnliche Einstiilpung, ein Theil der Zellblase zum Entoderm wird und mit dem als Ecto- derm verbleibenden Reste den Urdarm bildet, sondern das Ento- derm entstand bei dieser Form jedenfalls schon fruher, durch Differenzirung einer zweiten inneren Zellschichte, ein Vorgang, wie er ja auch bei andern Wiirmern, Zoophyten u. s. w. haufig beob- achtet werden konnte. Die Absonderung MuLLER'scher Richtungsblaschen ') (globules polaires v. Bened.) liess sich von den ersten Furchungen an ver- folgen. Zuerst gross und deutlich, wurden sie spaterhin, der Ver- kleinerung der Furchungskugeln entsprechend , immer unansehn- licher und erfullten schliesslich nach dem Schwinden der Dotter- haut eine grosse Strecke des Binnenraums zwischen Chorion und dem nunmehr bis zur Cilienentwickelung vorgeschrittenen Embryo. Wir haben es hier also mit einem Vorgange zu thun, welcher eigentlich verbietet die Furchung der Eier als eine totale zu bezeich- nen, namhch mit der ersten Uebergangsstufe zur partiellen Fur- chung. Diese Richtungsblaschen greifen augenscheinlichst in keiner Weise in die Blastodermbildung mit ein und man kann daher 1) Zuerst von Joh. Muller bei Eiitocoucha mirabilis beobachtet, wo sie aber erst bei der zweiten Theilung sich auszusondern beginneu. Auch Gegen- BAUR faud sie bei MoHuskeu wieder, v. Bbneden bei Wjrbelthieren u. s. w. Auch bei Decapoden (Maja, Carcinus) land ich sie wieder. Beitrage zur Entwickelungsgeschiclite dor Nemertinoii. 5iy streng genommen nach ihrem Wegfall die Furchung nicht mehr als totale bezeichnen '). Wenn der Embryo nach dem Auftreten der Cilienbekleidung Bewegungsfahigkeit erhalten hat, beginnt er auf das lebhafteste, bald nach rechts, bald nach links urn seine Queraxe zu rotiren. Man erkennt jetzt leicht seine als Hohlkugel angelegte Korperzusammensetzung, theils an dem hellen , durch- scheinenden Rande neben dem dimkleren Mitteltheile, theils an den wellenformigen Bewegungen, in welchen seine Oberflache durch die Rotationen foitwahrend erhalten wird und die ohne Voi-handen- sein eines grosseren Binneniaunies nicht ausfUhrbar sein wtirden. Die Entwickelung schreitet weiter, zunachst durch Anlage zweier Pigmentflecke , welche der Form nach den spateren Augen vollig gleichkommen ; dann schreitet zumal die Muskelanlage riistig vor- warts, deren Ausbildung durch jetzt eintretende, heftige Con- tractionen und Dehnungen des Korpers in der Langenaxe sich kund thut, wodurch denn auch schliesslich ein Zerreissen des Chorion am Spitzenende bewirkt wird, was dem Embryo ermog- licht, seine bisherige Hiille zu verlassen (s. Taf, XXI, 10). Jetzt bemerkt man an ihm zwei Arten von Anhangen, die zum Theil im Ei schon entwickelt, doch erst jetzt zur Geltung kommen , namlich einen langeren Geisselfaden am Hinterende und ein, bisweilen sogar zwei kiirzere Geisselfaden am Kopfende, die zu den Bewegungen der Planula kriiftig beitragen und wohl am richtigsten als Steuergeisseln bezeichnet werden konnen. Bei der jetzt erfolgenden Streckung des Thieres war es auch moglich besser als vorher einen Einblick zu thun in die Verhaltnisse des inneren Hohlraumes. Derselbe erscheint namlich mehr als zur Halfte erfullt mit einem granulosen Inhalte, den ich als Reste von Nahrungsdotter (deutoplasma van Bened.) auffasse, der bei der Furchung nach dem centralen Ende sich hingezogen hatte und schliesslich unverbraucht iibrig geblieben war, urn dem Urdarm als erstes Verdauungsobject zu dienen. In Folge dieser Anhiiufung wird der hintere Theil bedeutend undurchsichtiger und dunkler, wahrend der vordere Abschnitt relativ durchsichtig erscheint und zwar je nach der grosseren Contraction oder Streckung des Thie- res in geringerer oder grosserer Ausdehnung. Die dadurch ent- stehenden Ansichten (s. Tafel XXI, 10. 11) erinnern lebhaft an die 1) Dies verbietet eigentlich auch die spater bemerkbar werdende Ausson- derung von Nahrungsdotter in die centrale Hohlung, der nicht direct am Kor- peraufbau sich betheiligt, sonderu dem ausgeschlupften Embryo als erste Nah- rung zu dienen scheint. Bd. vni, N. F. I, 4. 33 514 Georg Dieck, von Desor gegebenen Abbildungen seiner Larven mit (bei Con- traction) halbmondformigem oder (bei Extension) lanzettformigem hellera Fleck, den er als erste Anlage des Darms ansehen zu diir- fen glaubte. Max Schultzc, der diesen Fleck bei seinen Larven auch beraerkte, deiitete ihn als Mundspalte, indem er zugleich als wahrscheinlicli hinstellte, dass der Darm aus der dunklen Zone des Kerns sich entwickele. Ich mochte nun behaupten, dass diese helle Stelle vorlaufig nichts anders vorstelle, als einen inhaltlosen Abschnitt des Urdarms, welchen man bei Verfolgung der weiteren Entwickelung im Verhaltniss des Verbrauchs des den unteren Ab- schnitt erfuUenden Deutoplasma sich auch entsprechend vergros- sern sieht. Mundoffnung, After und Riisselanlage treten wenigstens bei meinen Untersuchungsthieren erst viel spater auf, wahrend meinen Beobachtungen nach, das Abheben eines secundaren, defi- nitiven Darmes von der Korperwand durch etwa eintretende, dop- pelte Contourirung tiberhaupt nicht zu erkennen ist. Die Bewe- gungen der Planula sind anfangs ausserordentlich rasche und leb- hafte, so dass man kaum vermag, das Thier unter dem Mikroskope im Auge zu behalten. Allmahlig lasst dies nach und man sieht schliesslich , wie es erschopft, nur noch schwach wimpernd, lang ausgestreckt daliegt. Es tritt jetzt eine sehr auifallende Erschei- nung ein ; das Thier beginnt namlich, meist von hinten ausgehend, eine diinne Oberhautsschichte mit dem bisherigen Wimperkleide in kleinen Partikelchen abzustossen, wahrend unter der verloren gehenden Hiille ein neues Wimperkleid zu Tage tritt, Man kann auf diese Weise den iiberraschenden Anblick haben, dass vorn noch das alte Kleid wimpert, wahrend hinten schon das neue Wimper- kleid in Function getreten ist, ein Beweis, dass letzteres bereits unter der bisherigen Hulle angelegt worden sein musste. Ist dann der Process beendet, so beginnt mit erneuter Kraft das alte Schwimmen und Rotiren. Auf der wahrend desselben eingenom- menen Stelle des Objecttragers bleibt ein schleimig, korniges Con- glomerat zuruck, in welchem hie und da auch grossere Kornchen eingebettet liegen, die sich als die Reste der Richtungsblaschen er- kennen lassen, welche die ausschlupfende Planula unfreiwilliger Weise in ihrem Wimperkleide mitgeschleppt hatte. Jetzt ver- schwinden bald die Kopf und Schwanzsteuergeisseln ; das Thier wachst rasch, zumal in die Lange und es zeigen sich auch in sei- nem Innern wesentliche Veranderungen. Es tritt vorn, unterhalb der Augen, ein Gebilde auf, welches unschwer als Einstiilpung er- kannt und verfolgt werden kann (s. Taf. XXI, 11 r). Es ist dies Beitrage zur Entwickelungsgeschichte der Nemertinen. 515 die erste Anlage des kunftigen Riissels, dessen Auftreten auch bei den im Pilidium sich entwickelnden Nemertinen, schon als ein sehr friihes nachgewiesen worden ist. Unter diesem Organe sehen wir ein zweites, rundliclies durchscheinendes Gebilde erscheinen, welches ich, als die jetzt erst bemerkbar werdende Mundanlage ansprechen mochte, die der Analogie und dem ganzen embryona- len Aufbaue des Thieres entsprechend, als von innen durclibrechend aufgefasst werden muss. Im weiteren Verlaufe derEntwickelung') sieht man den Riissel sich merklich veiliingern und durch eine Einschniirung am unteren Ende bereits die spateien zwei Haupt- abschnitte vorbilden, welche beim vollendeten Thiere als diiisiger und muskuloser Abschnitt scharf abgesondert erscheinen. Rechts und links von Russel und Mundoffnung sieht man die massige Kopfmuskulatur sich deutlicher abheben, welche nach hinten von zwei Wiilsten begrenzt wird, die als muthraaassliche Anlagen des \doppelten Kopfganglions gedeutet werden konnen. Am aboralen Ende des Wurms sieht man sehr deutlich den Durchbruch des Afters von innen nach aussen, wahrend an den Seiten hie und da dunklere Abschnitte sich bemerkbar machen, welche der Lage nach zu urtheilen, bereits auf die Bildung von Geschlechtsorganen hin- deuten. Jedenfalls kann man genau sehen, dass zwischen Ekto- derm und der „inneren Grenzschichte" sich Massen differenziren, die durch ihr Wachsthum den Binnenraum stellenweise deutlich verengen. Ich mag, in Beriicksichtigung der allzugrossen Jugend- lichkeit des Stadiums, hier nicht mit Bestimmtheit von dem Auf- treten von Geschlechtsorganen sprechen, zumal da ja die Mogiich- keit vorhanden ist, dass an den bezeichneten Stellen, durch schnel- lere Ditferenzirung und daher ortlich massenhafteres Auftreten von Muskulatur, die beschriebenen Anschwellungen hervorgegangen sein konnten. An der Unterseite des Thieres zeigt sich endlich auch schon eines der als Greiforgane erwiihnten Gebilde, welches bei weiterem "Wachsthum gegen den Korper bedeutend zuruckbleiben muss, um sein definitives Grossenverhaltniss zu erreichen. Es dient vorlaufig als Ruder und befindet sich wahrend des Schwim- mens in fortwiihrender Bewegung. Das weitere Wachsthum mei- ner jungen Wurmer vermochte ich nicht zu verfolgen, da diesel- ben mir sammtlich zu Grunde gingen. Ich glaube indessen auch jetzt schon ein genugendes Bild gegeben zu haben, da ja, abge- sehen von der nicht mit Sicherheit nachweisbaren Genitalienanlage, 1) 8. Tafel II, 12, o. r. a. n. d. 33 516 Georg Dieck, alle wichtigeren Organe dcs reifen Thieres im letzbeschriebenen Stadium bereits zu erkennen waren. Wenii wir nun die mitgetheilten Beobachtungen mit den Ent- wickelungsvorgangen , wie sie uns von Metschnikow , Desor . M. ScHULTZE und Anderen mitgetheilt worden sind, veigleichen , so ergeben sich trotz mannichfaltiger, wichtiger Differenzen, doch auch niancherlei verwandtschaftliche Verhaltnisse. Am nachsten steht jedenfalls die von Metschnikow erwahnte „directe" Entwickelung von Tetrastemma, soweit aus dem iiberaus kurzem Texte iiber- haupt etwas gefolgert werden kann. Er sagt, dass die Segmen- tation eine totale sei, dass die Zellen kugelig und eiue Segmen- tationshohle nicht vorhanden sei. Die Zellen lagen in zwei Mas- sen , deren weitere Entwickelung der Undurchsichtigkeit halber nicht zu verfolgen gewesen sei. Der Darm werde nicht eingestlilpt, sondern aus der centralen Masse der Embryonalzellen herausge- bildet. Ob bei der weiteren Entwickelung noch Anklange an Meta- morphose Oder Generationswechsel eintreten, ist nicht gesagt worden. Demnachst ware die DEsoR'sche Beobachtung an Nemertes obscura Des. und die M. ScHULxzE'schen an N. olivacea Johnst. zu vergleichen. Beide Untersuchungsobjecte stehen sich sehr nahe und sind vielleicht gar identisch, wie denn auch die von beiden Autoren mitgetheilten Beobachtungen im Allgemeinen viel Ueber- einstimmung zeigen. Desor giebt allerdings eine Reihe sehr auf- fallender Notizen, die M. Schultze theils ganz ignorirt, theils doch nicht zu berichtigen vermag; so spricht er sich unter anderen aus, dass der Keimfleck der Eier beim Austreten aus dem Eierstocke verschwinde und statt dessen mehrere helle oder halbdurchsichtige Flecke entstanden, ohne bestimmte Contour und ohne Kern, die er als „oelartige" Tropfen bezeichnet ; dann berichtet er weiter von dem Entstehen von Falten am Rande des Dotters beim Ein- tritt der Furchung, die ihn in unregelmassige , kernlose Lappen theilten, wahrend der Rest der Furchung regelmassig verlaufe. So sehr nun auch diese oder ahnliche Angaben einer eingehenden Kritik unterworfen zu werden verdienten, so wiirde dies hier doch nicht zu weit ablenken und gehe ich dariiber hinweg zu einem auch von M. Schultze voUkommen bestatigten Punkte, namlich zu der Angabe, dass der bereits 7 Tage mit Cilien bedeckte und in der gemeinsamen Flaschenmembran umherschwimmende Embryo auf einmal unter seiner ausseren, dunklen Zone einen leeren Raum zeige, innerhalb desselben der iibrige Korper mit einer selbststan- iJeitrage zur Entwickelungsgeschichte i\vr Nemertiuen. 517 digen Wimperbekleidung ausgestattet , von der Drehung des gan- zen Thieres unabhiingige Bewegungen und Zusammenziehungen ausfiihre. Beide sahen alsdaiui. wie das im Innern eingeschlossene. neue Thier, die es zuriickhultenden Zellschichten zersprengte und nun frei und ungehindert, wimpernd umherschwamm. Um diesen Vorgang zu erklaren, miissen wir einen Blick werfen auf dieEnt- wickelung der Nemertine aus oder besser i n dem Pilidium, welcbe uns von Gegenbaur ' ), Krohn ^), Leuckakt"*) und Pagenstecher und schliesslich in ausfiihrlicherer Weise von Metschxikow^) dargelegt worden ist. Alle diese Autoren , stimmen , wie in den Hauptpunkten der Entwickclungsvorgange , so auch darin iiberein, dass die junge Nemertine im Pilidium unter Zuhulfenahme von Einstulpungen der Pilidiumwand sich neu bilde (aufamme , Gegenbaur) , und beim Ausschliipfen aus dem Korper seiner Amme nur deren Darm und Mund annectire, um sich derselben fortan selbst fur ihr spateres selbststiindiges Dasein zu bedienen. Vergleichen wir diesen Ent- wickelungsgang mit dem der DEsoR'schen Nemertine, so fallt sofort die grosse Aehnlichkeit beider in die Augen; abgesehen von den ersten Einsttilpungs- und Bildungsvorgangen, sehen wir in beiden Fallen in einem vollkommen selbststandigen Organismus eineu zweiten neu erstehen, der sich nicht aus dem Gesammtkorper des alten bildet, sondern nur einzelne Theile desselben sich aneignet und zu seinem Aufbau verwerthet. Hier wie dort bewegen sich, leben und wachsen Amme und „Schutzling" gleichzeitig und re- lativ unabhangig von einander , bis letzterer den Ammenkorper durchbricht und somit denselben der ferneren Lebensfahigkeit be- raubt. Krohn bezeichnet S. 291 die Entwickelung der DEsoR'schen Nemertine als einen Uebergang zwischen directer Entwickelung und Generationswechsel, wahrend Leuckart (a. a. 0. S. 587), obschon er bei Erklarung der Pilidiumentwickelung der Metamorphose das Wort redet, gleichfalls die DEsoR'sche „Larve" als embryonales Pilidium bezeichnet. Ich meinerseits kann mich in gewissen Be- 1) Gegenbaur, Bemerkungen iiber Pilidium und Actinotrocha. Zeitschr. far wissenschaftl. Zoologie 1854 S. 252. 2) Krohn, Ueber Pilidium u. Actinotrocha. Archiv fiir Anatom. u. Phy- siol. 1858 S. 289. 3) Leuckart u. Pagenstecher, Archiv fiir Auatomic u. Physiol. 1858 S. 558. 4) Metschnikow, Entwickelung der Echinodermen und Nemertinen. Mc- moircB de la societe imp. do St. Petersbourg 1870. 518 Georg Dieck, ziehungen diesen Ansichten und besonders der KROHN'schen nahern, aber ich folgere und entwickele in umgekehrter Reihenfolge und bezeichne die DEsou'sche Entwickelung als einen verkurzten Gene- rationsweclisel und die Nemerteslarve als ein vereinfachtes Pili- dium, indem ich zugleich die von mir bei Cephalothrix gemachten Beobachtungen insofern anreihe, als ich in dem Abstossen der diinnen, aussern Zellschichte mit dem Wimperepithele nichts, als eine weitere Verkilrzung der Pilidiumentwickelung sehe, d. h. einen Rest von Generationswechsel , der, allein betrachtet, eher allem anderen ahnelt, aber in vergleichender Verbindung mit obigen beiden Form en den Zusammenhang mit der regelrechten Metagenesis auf das deutlichste erkennen lasst. Auch bei meinen Thieren entsteht gewissermaassen noch eins in dem andern, denn beim allmahligen Abstossen der ausseren Hiille flimmert, wie be- reits erzahlt, an der einen Stelle bereits das neue Wimperepi- thel, wahrend an andern das alte noch in Function verblieben ist. Dazu tritt ein weiterer, speciell fiir den Zusammenhang der Cephalothrixentwickelung mit derjenigen Pilidium erzeugender Wtir- mer sprechender Punkt, den ich bereits vorhin bei Schilderung der Segmentationsvorgange kurz erwahnte, ohne weitere Bemer- kungen an ihn zu kniipfen. Es ist dies das embryonale Auftreten der, nach dem Ausschliipfen des Embryo bald wieder verschwin- denden, flachen Einstiilpung , welche ich ftir eine Erinnerung an die Pilidiumform, fiir das atavistische Auftreten der ventralen Pi- lidiumeinstiilpung halte. Auch diese embryonale Einstiilpung liegt ventral und in ihrem Bezirke bildet sich die Mundoffnung, wie beim Pihdium, mit dem einzigen Unterschiede, dass beim letzteren bereits die Amme selbst die Mundoffnung, die spater dem Wurm zu Gute kommen soil, vorgebildet hat , wahrend bei meinen Thieren aller Wahrscheinlichkeit nach erst nach Abwerfung der Larven- beziiglich Ammenhiille der Durchbruch derselben erfolgt. Wahrend also die Nemertine (Rhochmocephalide Metsch.) von dem Korper ihrer Amme resp. von deren Organen Darm, Mund und einem Theil der Korperwand beansprucht, lasst die DEsoR'sche Nemertes derselben nur eine dicke Schichte ihrer Korperwand zu- riick und meine Cephalothrix schliesslich beansprucht nahezu die ganze Korpermasse , nur eine diinne Oberhautschichte , vielleicht nur die Epithelialschichte , gleichsam um der Gewohnheit ihres Stammes nicht ganz untreu zu werden, als iiberfliissigen Ballast von sich abschiittelnd. In gleicher Weise, wenn auch mit minderer Sicherheit, deute Beitrage zur Entwickelungsgeschichte der Nemertinen. 519 ich ferner auch das Auftreten der starken Steuergeisseln bei mei- nen Thieren, als eine Erinnerung an die alte Pilidiumform. Es wiirde alsdann die starke Schwanzsteuergeissel , als dem oralen Theile entgegengesetzt, dem Helmstachel des Pilidium entspreclien. Beide Momente nahern meine Cephalothrixentwickelung noch weit mehr als die DEsoR'sche Form (und mit Ueberspringung der- selben) der Pilidiumentwickelung der Rhochmocephaliden Nemer- tine Metschnikow's , so dass ich beide als parallel aus den letz- teren Entwickelungsmodus hervorgegangen ansehen muss. Urn die Verkurzung der Entwickelung zu schematisiren , wurden wir, mit Beriicksichtigung der auffallenden Abweichungen in den Organisa- tionsverhaltnissen der Cephalothrix, besonders des wahrscheinlich ganzlichen oder fast ganzlichen Mangels einer besonderen Leibes- hohle, welcher einer niederen Entwickelungsstufe bedingen wtirde, folgendermaassen zu verfahren haben. Wir miissen als Ausgangs- punkt eine Form adoptieren, welche neben einer ursprttnglichen, einfachen Organisation ohne Leibesholile und Blutgefasse die ur- sprungliche Entwickelung durch ausgesprochenen Generations- wechsel reprasentirt. Ferner muss auf das Vorhandensein der Msselbewaffnung ein grosses Gewicht gelegt werden, weil nach den neuen Unter- suchungen von C. M. Intosh ^) sich die Anopla durch vielfach min- der entwickelte Organisation von den Enoplis streng absonderu. Wir haben also anzuordnen: Urform ohue Leibeshohle und Bewaffnung mit ausgesprocbcner Metagenesis. Cephalothrix ohne deut- liche Leibeshohle mit uu- bewaffnetem Kiissel und Spuren vou Metagenesis. Korper drehiuiid. Anopla. Nemertes mit Desor'- scher Larve, Leibes- hohle, unbewafl'netem Riissel u. deutlicher Metagenesis. iJorlasia^j mit Leibes- hohle, bewaffnetem Riis- sel u. deutlicher Meta- genesis. Tetrastemraa mit Leibes- hohle u. bewafl'netem llussel ohne Metagenesis (sogeu. directc Entwick- lung). Enopla. 1) Proceed, of the Edinb. Royal Society Sess. 1868—69: on the Affinities and Classihcation of Nemerteans. 2) Borlasia ist wahrscheinlich das Mutterthier des Helgolander Pilidium gyrans (Leuckart u. Pagenstecher a. a. 0.). 520 Georg Dieck, Es bleibt mir nun noch iibrig die Hoffnung auszusprechen, dass ich durch meine Beobachtungen u. Ausfuhrungen einen klei- nen, doch nicht unwesentlichen Beitrag geliefert habe zum Ver- standniss der durch ihre mannichfachen Complicationen und schein- bar so heterogenen Vorgange interessanten Nemertinenentwick- lung. Die Materialien sind natiirlich auch jetzt noch viel zu un- vollstandig um eine geniigende Erklarung und Aufhellung dieser merkwurdigen Vorgange u. Verhiiltnisse zu ermoglichen. Wir mussen eben der Zukunft anheim stellen, ob sie uns durch Ent- hiillung neuer erklarender Zwischenglieder ein vollkommen ab- gerundetes, harmonisches Bild des Entwickehingsganges auch dieser Thiergruppe zu gewahren verniag. Jena, d. 26. Juni 1873. Beitrage zur Entwickelnngsgeschichte der Nemertinen. 521 Erkljiruiig der Abbilduugen. Taf. XX. Figur 1, 2, 4, 5: Eier von Ceplialothrix Galatlieae in verschiedenen Fur- chungszustauden ; d Dotterhaut; g globules-polaires (Richtuugsbliischen). Fig. 3. Ei in der Furchung begiiften. Wiedereiscbcinen der Zellkerne. Fig. 6, 7, 8. Furchungskugeln mit allmiihlig sicb entwickelnder Pilidiuni- einstlilpung (p). Fig. 9. Zum Ausschlupfen fertiger Embryo. Taf. XXI. Fig. 10. Embryo im Ausschlupfen begriflfen; g Reste der Richtungsblas- chen; fi^ Geisselfaden. Fig. 11. Fortgescbrittenes Stadium; r Russelanlage, o Mundanlage. Fig. 12. Fortgescbrittenes Stadium; r Riissel, o Mund, i Nahrungscanal. ov muthmaassliche Anlage der Ovarien, a After, d tingerformiges Anbijiigsel. Fig. 13. Theil eines Querschnittes durch die Korperraitte des Wurms ; e Epidermis, mb Basalmembran, mr Ringmuskelschichte, ml Langsmuskelschicbte, n Nerv, ov Ovarium. Fig. 14. Befruchtung und Eiablage von Cepbalotbrix ; v vulva, op Deckel derselben. Fig. 15. Spermatozoeu in verschiedenen Entwicklungsstufen. Fig. 16. Halbschematische Ausicht des Kopfendes von Cepbalotbrix Gala- theae; r Riissel, o Mund, g Nahrungscanal, mm Muskeln, gl Ganglion, nn Nervenstrange. Ueber Aiilage iiiid Wachsthiim der Wiiizelii von Lycopodiitm mid Isoetes. Von Kellitmth Brnchmanii. (Hierzu Tafel XXII— XXIV.) Die Lycopodiaceen sind durch ihre Stellung im System, als oberste Gruppe der Kryptogamen, die den Anschluss an die Pha- nerogamen zu vermitteln scheint, von besonderer Bedeutung fiir den wissenschaftlichen Forscher geworden. Ihre Erkenntniss ist aber mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden, schon in Folge der wenigen gemeinsamen Charaktere, welche diese Gruppe aufzu- weisen hat. Die Dichotomie, oder doch eine auf Dichotomie zuriickfuhr- bare Verzweigungsart scheint nur noch das durchgreifendste Merk- mal zu sein und hat Sachs sogar in der vierten Auflage seines Lehrbuches bewogen, den alten Namen dieser Familie mit dem der „Dichotomen" zu vertauschen. Die ubrigen Verschieden- heiten inzwischen der jetzt lebenden Reprasentanten dieser Dicho- tomen durften leicht verstandlich sein, wenn wir bedenken, dass sie nur die Ueberreste einer Pflanzenfamilie sind, die bereits im pa- laolithischen Zeitalter ihre Glanzperiode durchlebte. In nachstehender Arbeit soil ein kleiner Beitrag zur naheren Kenntniss der recenten Lycopodiaceen gegeben werden und zwar beziehen sich die Untersuchungen namentlich auf die durch die Entwickelungsgeschichte , wie ich hofi'e, nunmehr klargelegten Wachsthumsverhaltnisse der Wurzeln von Lycopodium und Isoetes. Zu dieser Arbeit wurde ich durch meinen hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. E. Strasburger angeregt und dann freundlichst unterstutzt, woftir ich ihm meinen ergebensten Dank ausspreche. Die Wurzeln von Lycopodium und Isoetes. 523 Literatur. Die Arbeiten iiber die hier in Betracht kommenden Gegen- stande sind wenig zahlreich; in Folgendem fiihre ich in gedrang- ter Uebersicht das Wichtigste derselben an. Ueber Lycopodium sind zunachst die Arbeit von Nageli und Leitgeb*) hervorzuheben. Genannte Forscher wahlten das hochst ungiinstige Lycopodium clavatum zum Object ihres Studiums und gelangten „nach einer langern Untersuchungsreihe zu der Ueberzeugung, dass die Wurzeln der Lycopodien eine einzige Scheitelzelle besitzen und dass sich dieselbe durch schiefe Wande theilt." Ja, an jungen Anlagen der Gabelungszweige wollen sie sogar deutlich eine Scheitelzelle, die keilformig in das Gewebe des Wurzelkorpers eingesenkt ist, gesehen haben. Diese Scheitelzelle soil in derselben Weise wie bei niederen Kryptogamen den Wur- zelkorper aufbauen, hier aber bald ihr Wachsthum einstellen. Gesagtes wird in der angefiihrten Arbeit durch eine Zeichnung: Fig. 12 auf Taf. 17 veranschaulicht. Ueber die Form der Scheitelzelle konnten aber genannte For- scher sich nicht klar werden. Der „Wahrscheinlichkeit" nach nehmen sie fiir dieselbe die Gestalt einer vierseitigen Pyramide in Anspruch. Auch das Verhalten der Scheitelzelle bei der Gabelung konnte nicht festgestellt werden. — Reinke^) giebt bei seinen Be- merkungen uber das Spitzenwachsthum der Archispermen- (Gym- nospermen-)Wurzel gelegentlich folgendes Hierhergehorige : „ Ueber den Bau der Wurzel von Lycopodium gelang es mir nicht, in's Klare zu kommen. Wahrend der Bau der Haube auf eine Schei- telzelle hinweist, so ist die letztere doch durchaus nicht zu finden ; der Bau des Wurzelkorperendes , namentlich die sehr friih diffe- renzirte Epidermidalschicht erinnert an die Angiospermen." An einer anderen Stelle ^) : „Der Vegetationspunkt der Lycopodiaceen- Wurzel besteht aus einer Gruppe gleichwerthiger Zellen, welche von einem gemeinsamen Bildungsgesetze beherrscht werden," und halt die Moglichkeit des Wachsthums der Wurzel in der Jugend mit einer Scheitelzelle nicht ausgeschlossen, deren Thiitigkeit bald erlischt und durch intercalare Zellbildung ersetzt wird. Zu ganz anderer Auffassung kommt Strasburger *) iiber diese 1) Beitrage zm- wiss. Bot. von Nageli. 4. Heft. Leipzig 1868 S. 117 ff. 2) Nachiichten v. d. K. Ges. d. Wiss. 1871 Nr. 21 8. 631. 3) Morphol. Abhandlungen. Leipzig 1873 S. 2. 4) Conif. uud Gnet. Jeua 1872 S. 355 ff. 524 Hellmiith Bnirhmann, Wachsthumsverhaltnisse. Er machte L. Selago, ein sehr gunstiges Object, zum Gegenstande seines Studiums und wies das Vorhanden- sein von drei gesonderten Geweben nach: Central das Plerom, es wachst mit eigenen Initialen. Ueber dessen Scheitel lauft, auf dem Langsschnitt gesehen, ein aus mehreren Zellreihen bestehen- des Peribleni, das hier nur radiale Theilungen eingeht. Daruber das Dermatogen (Protoderma Stbasburger's), von welchem oben am Scheitel durcli tangentiale Theilung, wie nach einigen Pra- paraten geschlossen wird, die Bildung der Wurzelhaube erfolgt. (Vergleiche dazu eben dort Fig. 32, Taf. 25.) So sind uns also durch diese drei Autoren nicht weniger als drei verschiedene Ansichten liber das Spitzenwachsthum der Lyco- podien-Wurzel vorgefuhrt, die sich in den Extremen, von nur einev Scheitelzelle bis zu festausgepragtem Metaspermen-(Angiospermen-) Typus bewegen. Ueber die Gabelungen dieser Wurzeln haben wir von Stras- BURGER in der angefuhrten Arbeit wichtige Aufschlusse. Er ist der Erste, der die Entwickelungsgeschichte der Dichotomic bei einem Wachsthum mit gesonderten Gewebsgruppen erforschte '). Ebenso verdanken wir demselben wichtige Mittheilungen iiber die inneren Wurzeln aufrecht wachsender Lycopodien '^j. — Fur Isoetes giebt Hofmeister') eine das Wachsthum der Wurzel beherrschende, Scheitelzelle an, die „sich in dauernd wie- derholter Folge durch einander gegenstandige Querwande" theilt. Die Form derselben wurde nach Hofmeister, wenn ich recht verstanden habe, diejenige einer abgestumpften dreiseitigen Pyra- mide sein, die, mit dem abgestumpften Ende in den Wurzelkorper eingesenkt, diesen durch je eine Theilung nach unten und durch je drei seitlich abgegebene Segmente aufbaut. Die Wurzelhaube aber wird durch einen nach oben schwach convexen Theilungsab- schnitt von der breitesten Seite der Scheitelzelle regenerirt. Die beigegebenen Figuren scheinen das Gesagte theilweise zu besta- tigen. Die Gabelung wurde von Hofmeister in ihren Anfangen nicht beobachtet. Er spricht die Vermuthung aus, dass sie mit einer Langstheilung der gefundenen Scheitelzelle beginne. 1) Vergl. a. a. S. 356 ff. 2) Einige Bemerkungen uber Lycopodiaceen. Bot. Zeit. 1873 S. 113 ff. 3) Entwickelungsgesch. der Isoetes lacustris iu den Abhandl. der math, phys. Kl. d. K. sachs. Ges. d. Wiss. II. Bd. Leipzig 1855 S. 136 ff. Die Wurzeln von Lycopodium unci Isoetes. 525 Nageli und Leitgeb, die in der, schon bei Lycopodium ge- dachten Arbeit, auch Isoetes beliandeln '), berufen sich bei der Besprechung des Spitzenwachsthums auf Hofmeister's Angaben. Sie selbst haben aber trotz aller moglichen Praparationsversuche, bei Aufoplerung von vieler Zeit und Muhe, keine das Wachsthum beherrschende Zelle gefunden. Dennoch sprechen sie sich, mehr auf negativen als auf positiven liesultaten fussend, fur das Wachs- thum rait einer solchen aus, und zwar vermuthen sie, dass die- selbe zweischneidig sei. Folgender Excurs, der hier wortlich folgen mag, zeigt, wie nahe diese Forscher dem richtigen Wachsthumsvorgange standen: „Es wurden nach einander die verschiedenen denkbaren Annahmen an den Schnitten gepriift, und es mussten zuletzt alle als unmog- lich aufgegeben werden, bis auf die eine, die wir festgehalten haben. So wurde naraentlich erortert, ob vielleicht die Wurzel von Isoetes, statt eines einheitlichen Wachsthums in der Scheitel- zelle, ein zweifaches oder dreifach getrenntes haben konnte, wofur der scheinbareMangel einer durchgehen- den Anordnung in den Geweben zu sprechen scheinf-^), — ob also der Cambiumcylinder (das Pleromj selbstandig fur sich wachse oder der Cambiumcylinder mit der innern Rinde vereint, ob die Wurzelhaube selbstandig fur sich wachse oder die Wurzel- haube mit der Epidermis vereint, ob die innere Rinde oder die aussere Rinde einen besonderen Ursprung habe u. s. w. Es zeigte sich, dass alle diese Annahmen, wenn sie auch mit manchen An- sichten sich vereinigen liessen, doch durch andere widerlegt wur- den, und dass nur die Annahme durchfiihrbar sei, dass wie bei den iibrigen, Wurzelkorper und Wurzelhaube ihren gemeinsamen Ursprung im Scheitel und zwar in einer einzigen Scheitelzelle haben, da auch die Pluralitiit der Scheitelzellen ausgeschlossen wurde." — Auch ein anderer Theilungsmodus der Scheitelzelle wird von Nageli und Leitgeb festgesetzt und die von Hofmeister gegebene detaillirte Darstellung der Theilungen derselben als falsch gefunden, wobei die Verfasser die Yermuthung aussprechen, Hofmeister habe nur wenig Schnitte und diese nur von ausgewachsenen Wurzelspitzeu, wie sie aus seinen Abbildungen ersehen, vor sich gehabt. Sie 1) a. a. 0. S. 131 ff. 2) Unter dieser durchgehendcn Anordnung, die bei Isoetes mangelt, ver- stehen die Verfasser ohne Zweifel das Fehlen solcher Anordnung, wie sie uns bei den mit deutlicher Scheitelzelle wachsenden Pflanzen in ihren Geweben am Scheitel im Verhaltniss zur Scheitelzelle entgegentritt. 526 Hellmuth Bruchmann, schliessen ihre Arbeit mit folgenden Worten: „Unsere Annahme einer zweischneidigen Scheitelzelle in den Isoetes-Wurzeln wird also nicht durch zwingende positive Thatsachen, nicht durch die un- widerlegliche Wahrnehmung dieser Scheitelzelle gefordert, sondern nur deswegen nahe gelegt, weil die ubrigen denkbaren Annahmen aufgegeben werden mussten." Die dieser Arbeit beigegebenen Abbildungen von Langsschnit- ten junger Dichotomien (Taf, XIX Fig. 11 und 12) dagegen zeigen die Verhaltnisse des Scheitelwachsthums ziemlich richtig, wie sich in weiterem Verlaufe der Darstellung ergeben wird und werden auch von Strasburger entsprechend gedeutet '). Das Vorhandensein einer Scheitelzelle in den Wurzelspitzen von Lycopodium und Isoetes ist also mit Evidenz nachzuweisen keinem der Forscher gelungen, die sich hier fiir ein Wachsthum mit einer solchen entschieden haben. Selbst die Gewissheit, mit der HoFMEisTEB seine Annahme fiir Isoetes ausspricht, zu der er entwickelungsgeschichtlich gekommen ist, und die er durch Abbil- dungen belegt, lassen in dem Leser bei Vergleichung der diese Auffassung bestatigenden Figuren untereinander und mit den dahingehorigen in der Arbeit Nageli's und Leitgeb's einige Zweifel aufkommen, und es macht den Eindruck, als wenn die Existenz einer solchen, das Scheitelwachsthum beherrschenden Zelle, durch die Ergebnisse der vorher zu Ende gebrachten Untersuchungen iiber das Wurzelwachsthum niederstehender Gefasskryptogamen a priori auch fiir diese angenommen seien. Jetzt, da wir durch die Arbeiten der letzten Jahre^) andere Spitzenwachsthumstypen ken- nen lernten, konnen wir unbefangener an derartige Fragen treten. Meine Untersuchungen begann ich im Marz dieses Jahres mit Isoetes und liess nach Abschluss derselben die von Lycopodium folgen, die sich bis Ende des Sommersemesters hinzogen. In der Darstellung der Ergebnisse will ich aber die umgekehrte Folge, die durch das System gebotene, einhalten und beginne daher mit 1) a. a. 0. 8. 357. 2) Die beiden ausgezeichneten Arbeiten von Hanstein: Die Scheitelgruppe im Vegetationspunkt der Phanerogamen, Bonn 1868, und die Entwickelung des Keinies der Monokotylen und Dikotylen , botaniscbe Abbandhingen , I. Heft, Bonn 1870, miissen als die bahubrechendeu in dieser Richtung angesehen wer- den. Die Wurzeln von Lycopodium und Isoetes. 527 Xjycopodium. Die Stellung der Wurzeln '). In der Jenenser Flora kommen funf verschiedene Species von Lycopodium vor: L. Selago L., annotinum L., inundatum L., cla- vatum L. und Chamaecyparissus Al. Br,, und konnte ich dieselben somit in den Bereich raeiner Untersuchungen Ziehen. Die Wurzeln erscheinen bei den kriechenden Arten nur an der dem Boden aufliegenden Seite des Stammes, bei der aufrech- ten Art, L. Selago, hingegen an dem mit Erde bedeckten Stamm- theile ziemlich allseitig, mit Bevorzugung der abwartsgekehrten Seite ; bei alien aber in akropetaler Reihenfolge nach dem Scheitel des Stammes zu. Ausnahmen von diesem letzten Verhalten sind selten ^). Doch ist es nicht immer dieselbe Seite des kriechenden Stam- mes, am allerwenigsten dieselbe Medianebene, an der die Wurzeln zum Vorschein kommen, wie man sich hiervon namentlich bei L. inundatum tiberzeugen kann. Feuchtigkeit und Dunkelheit scheinen allein bei den kriechenden Arten dieFactoren zu sein, welche die Anlage der Wurzel an einer bestimmten Seite begiinstigen und eben diese Seite des Stammes zur Bauchseite desselben umge- stalten, Diese Factoren konnen aber bei unebenem Boden ver- schiedentlich geboten werden. Namentlich fallt dies bei den jungen Sprossen von L. inundatum auf, die oft seitwarts ihre Wurzeln hervortreten lassen, wenn ihnen von der Seite her genannte Ver- haltnisse gunstiger entgegentreten als von unten. Ja, mir gelang es, einen iiber einen Centimeter langen Ast im Laufe des ferneren Wachsthums durch allmahliche Drehung, die die untere Seite nach und nach zur oberen machte, so umzugestalten, dass die nun dem Boden aufliegende, friihere obere Seite, die Wurzeln erzeugte, wahrend die Blatter sich von dieser nach der dem Lichte zuge- kehrten wendeten. Bei L. Selago, mit aufrechen Stengeln, entstehen, wie Stras- BURGER beobachtet hat ^), die Wurzeln oberhalb des Bodens in der ^^•'pde dieser Stengel, laufcn von ihrer Entstehungsstelle parallel J Gefasscylindcr des Stammes in der Rinde fort und treten i)unter dem Boden aus ihr hervor. Ein friiheres Hervortreten der Sei \\e^ 'l) Vergl. Nageli und Leitgeb a. a. 0. S. 117. 2) Siehe weiter unten. 3) Einige Bern, uber Lycopodiaceen. Bot. Zeit. 1873 S. 109. 028 Hellmuth Bruchmann. wird dann begiinstigt, wie ich mich tiberzeugte, wenn der Stamm dem Boden eng anliegeiid gehalten wird , wie es auch in natura ofter vorkommt. Der gegenseitige Abstand der Wurzeln ist bei verschiedeneii Species ein verschiedener. Bei L. clavatum, annotinum und Cha- maecyparissus treten sie in langen, untereinander sehr ungleichen Intervallen auf. L. inundatum steht im reinen Gegensatz hierzu; es erzeugt trotz der Kleinheit seines Stammes viele Wurzeln '), die in ebenso ungleichen doch oft bis auf 1 Mm. sich nahernden Zwischenraumen stehen. Sogai- nebeneinander, in gleicher Ent- fernung voin Scheitel treten sie auf. Auch bei L. Selago sind die Abstande der Entstehungsorte der Wurzeln innerhalb des Stammes iiber dem Boden sehr gering. Bei L. clavatum sieht man oft den Stamm kurz vor der Ga- belung eine Wurzel erzeugen und den jungen Gabelzweig sich baldigst bewurzeln ; Letzteres ist namentlich auch bei L. inun- datum stets der Fall. Trotzdem lasst sich auch hier weder fiir die Stellung der Wurzeln zu einer Gabelung noch zu den Aesten derselben ein durchgreifendes Gesetz feststellen. Ebensowenig zeigt die Wurzel irgend welche Beziehung zu den Blattern. Es hat zwar oft den Anschein, als wenn die Wur- zel aus der Achsel eines Blattes oder der Blattbasis eines nachst hoheien entspringen mochte, doch zeigen dann wieder andere Falle das Gegentheil. Die Blatter stehen bei alien den hier in Frage tretenden Lycopodien eben so dicht gedrangt, dass der ganze Rin- denkorper des Stammes als aus verschmolzenen Blattbasen be- stehend anzusehen ist. Auch auf die Blattstellung haben die Wurzeln keinen Einfluss, noch veranlassen sie einen Abortus der Blatter, hochstens eine kleine Verschiebung derselben, so dass sich endgiltig sagen lasst, die Wurzeln treten bei Lycopodium in volliger Unab- hangigkeit von der sonstigen Gliederung der Pflanze auf, verhalten sich in dieser Beziehung also ahnlich den Gabel- asten. 1) So fand ich an einem 5 Centimeter laugen Stammcheu 20 Wur;^^^ es kommen also auf ein Centimeter 4. L. annotinum zeigt dagegen oft ^^'t, Meter Lange, nicht mehr als 4 Wurzeln. ^^r- Die Wurzcln von Lyro])0(Uiim imd Isoetes. 529 Eiitwickeluiigsgescliiclite der Wurzel von Lycopodium iimii- datum bis ziir Differenzirung ilirer Gewebe. Wachsthum dos Stammes imd der Blatter. Die Yerzweiguug. „Pseudo- Adventivknospen". Erstes Auftreten der Wiirzel uud die Differenziruug ihrer Histogcne. Urn die Entwickeluiigsgeschichte der Wurzel von der ersten Anlage ab zu verfolgen ' ) , sind natiirlich die kriechenden Species die geeigiietsten, und von solchen , mir zur Verfiigung stelienden Arten, fand ich bald L. inundatum als giinstigstes Object heraus. Dieses hochst interessante kleine Pflanzchen, von dem De Bary die ersten Stadien der Sporenkeimung verfolgte, und bei dem Hegelmeier die namentlich diese Species auszeichnenden Schleim- kaniile in den Blattern und an deren Grunde (Fig. 13, 15) ent- deckte, ist fiir das Wurzelstudium zum mindesten eben so giinstig, wie L. Selago. Ausserdem treten die Wurzeln in schneller Folge auf und gabeln sich sehr regelmassig, namentlich zum ersten Male ira Friihjahre. Lycopodium inundatum kommt bei Jena in sandi- gen Regionen auf sumpfig feuchten Stellen vor, wird nur wenige Zoll lang, stirbt von liinten her schnell ab und macht dadurch die seitlich abgegebenen vegetativen Sprosse bald zu selbstandigen Pflanzchen; die einzig bekannte, aber ziemlich ergiebige Vermeh- rungsart. Die Schnitte zur Erforschung der Wurzelanlage wurden senk- recht zur Bauchseite des Stammes, parallel zur Langsaxe des- selben gefiihrt. Querschnitte sind hier nicht zulassig, weil sich die jungen Wurzeln sofort schrag akroskop in dem Stamme stel- len ; anders bei L. clavatum und einigen anderen Arten , wo sie ziemlich rechtwinkelig zu stehen kommen. Schnitte, in der ange- gebenen Weise durch die Spitze des Stammes von L. inundatum gefuhrt, zeigen oft mehrere Wurzelanlagen auf einmal, unter gun- stigsten Verhiiltnissen selbst die ganze .Entwickelungsgeschi elite. Oft aber auch, namentlich da, wo das Stammchen tief in der Erde eingebettet, trifft man nur eine Anlage in derselben Medianebene und zwar werden sie dann meistens alternirend an den iiusseren Seiten der Bauchflache des Stammes erzeugt. Von Reagentien zur 1) Selbstverstandlich musste ich mich hier mit dem Studium der Anlage der Seiteuwiirzeln des Stammes begniigeu. Junge Kcimpfliiuzchon mit Prothal- lien konnte ich trotz aller Muhe nicht finden. Die Eutwickelungsgeschichte der ersten Wurzel von Lycopodium diirfte uns vielleicht erst eine noch ent- fernte Zukunft hrinwen. Bd. VIII, N. F. L 34 530 Hellmuth Bruchmann, Aufhelliing der Gcwcbe thaten niir hier, wie auch bei Isoetes vor anderen Kalium-Hydroxyd, Essigsaure und Gl5Terin, in verdiinnter Form nach einander zugegeben, die besten Dienste. Die erste Anlage der jungen Wurzel geschieht hier in den meisten Fallen hocli oben am Scheitel des Stammes vor der Ent- stehimg der jiingsten Blatter (Fig. 1), so dass es nothwendig ist, zur genauen Pracisirung dieser Erscheinung die hier am Scheitel iiberhaupt auftretenden Verhaltnisse zuvor in Erwagung zu Ziehen. Die genaiiere Kenntniss des Scheitelwachsthums von Lycopo- dium verdanken wir Stkasburger •) und Hegelmeier^), die unab- hangig von einander fast zu demselben Resultate kamen, welches Ersterer namentlich an L. Selago und clavatum, Letzterer an L. alpinum, Selago und annotinum fand. Auch L. inundatum (siehe Fig. 1) zeigt durchaus dasselbe S cheitelwachsthum. Die Scheitelmitte wird von mehreren Zellen eingenommen, die sich durch bedeutende Grosse vor alien anderen auszeichnen; namentlich sind sie von bedeutenderer Tiefe, als die umstehenden und treten durch den Mangel tangentialer Wiinde hervor. Sie geben nur durch" radiale Wande Segmente ab , aus denen in gesetzmassiger Weise (vergl. Strasburger a. a. 0.) das ganze Eindengewebe aufgebaut wird. Die Zahl dieser Periblem- Initialzellen (Dermatogen-Initialen nach Strasburger) ist auch hier keine bestimmte. Fig. 1 zeigt deren 3 im Langsschnitt ; oft be- kommt man auf diese Weise nur zwei und selbst nur eine zur Anschauung. Von oben gesehen fand ich 3 bis 5 solcher durch Grosse hervortretende Zellen in sehr wechselnder Anordnung neben einander. Das Plerom wachst durch besondere Initialen, die unmittelbar an die der Rinde anschliessen. Dass die grossen Zellen der Schei- telmitte, wie Cramer""*) will, durch Querwande auch das Plerom versorgen sollten, gelang rair nicht zu finden. Nach Hegelmeier *) scheint eine derartige Theilung nicht fiir immer ausgeschlossen zu sein. Doch sehr genaues Studium des Scheitels von L. inundatum liess mich auf keine derartige Theilung stossen. Da, wo sie vor- handen zu sein schien, war es stets ein nicht genau die Mediane 1) Conif. u. Gnet. S. 336 ff., Fig. 2 auf Taf. XXIX. 2) Ziir Morphologie der Gattung Lycopodium. Bot. Zeit. 1872 S. 805 ff. Fig. 12, 13, 14, 42, 43, 68. 3) Pflanzenphysiol. Unters. v. Nageli und Cramer. 3. Heft S. 10. 4) a. a. 0. S. 808. Die ^\'urzebl von Lycopodiuni und Isoetes. 531 zeigender Schnitt. Der Schnitt, urn cine Zelle seitwiirts gcfiihrt, veranschaulicht die ersten Segmente der Periblem-Initialgruppe in ihrer tangentialen Theilung und kann die Veranlassung zu dieser irrthiimlichen Auffassiing geben. Es sind hier nur mehrschichtige Medianschnitte oder der Vergleich siimmtlicher durch die Mitte gefiihrter Schnitte, die sichere Auskunft geben konnen. Wir haben also auch in dem Scheitel von L. inundatum zwei gesonderte Histogene, central das Plerom, umgeben von dem Pe- ribleni. Beide Gewebe wachsen durch besondere Initial-Gruppen, die unmittelbar aneinander grenzen , freilich aber in der Jugend sehr schwer voneinander zu unterscheiden sind. Ein Dermatogen im Sinne Hanstein's fehlt. Als Epidermis ist die ausserste Schicht des Periblems aufzufassen. Seitlich am Vegetationskegel treten die Blatter *) hervor. Ge- wohnlich wird ihre Entstehung bei L. inundatum (im Langsschnitt gesehen) durch Theilung zweier ausserer Eindenzellen parallel zur Aussenflache eingeleitet (Fig. 1 6/'). Die nun hervorgewolbte, stark convexe Blatt-Protuberanz ist durch ihre unbedeutende Starke und sich bald markirende unsymmetrische Gestalt im Verhaltniss der Ober- zur Unterseite von alien anderen Organen, die hier ihre Entstehung finden, unterschieden. Ueber die Gab e lung en der Lycopodien in ihren ersten An- fangen verdanken wir Hegelmeier in der schon mehrfach ange- fuhrten, wichtigen Arbeit^) die ersten Aufschliisse. Sammtliche Verzweigungen von Lycopodium nehmen ihren Ursprung am Vege- tationskegel liber der jiingsten Blattanlage, ohne irgend welche Be- ziehung zur Stellung der Blatter zu haben. Die Wachsthumsrichtung, vor und nach der Verzweigung zum Kriterium gemacht, nothigt uns mit Hegelmeier eine doppelte Art derselben anzunehmen : eine dichotomische — die primare Axe theilt sich in zwei gleiche oder ungleiche Gabelaste mit divergenter Richtung zu einander und zu der bisherigen Axe — , und eine monopodiale — die urspriingliche Wachsthumsrichtung der Axe wird beibehalten, der junge Spross tritt seitlich an der Axe auf. Diese Unterschcidung der Verzweigung basirt, wie wir sehen, zunachst nur auf dem ausserlichen Verhalten, und es fragt sich, ob sie auch in dem Verhalten der Histogene eine Stiitze findet. Ueber die Thatigkeit der Initialen beider Histogene wahrend 1) Vergl. Hegelmeiee a. a. 0. S. 808 flf. 2) a. a. O. S. 821 £f. 34^ 532 Hollmuth Bruchmann, der Verzweigung finden wir nun boi Strasburger Auskunft'). Der- selbe wies sowohl bei L. Selago (niit einer rein dichotomischen) wie auch bei L. annotinum (mit einer nach obiger Ansicht monopodia- len Verzweigung) den Beginn dieser Verzweigungen durch seitliche Verbreiterung der Periblem - und Plerom - Initialen nach, mit dem Unterschiede , dass bei L. annotinum diese Vermehrung der Ini- tial-Gruppen sofort einseitig erfolgt, bei L. Selago hingegen gleich- massig nach beiden Seiten in der Gabelungsebene. Somit ist die von Hegelmeier als monopodia! aufgefasste Verzweigung von Ly- copodium auf den Typus der Dichotomic zuriickfiihrbar, und jeden- falls phylogenetisch von einer solchen abzuleiten. Diese Ansicht wird durch L. inundatum bestarkt, bei dem beide genannten Ver- zweigungsarten vorkommen, Hegelmeier beschreibt fur dieses Lycopodium eine monopo- diale Verzweigung, ich habe bei demselben auch die reinste Dicho- tomie wiederholt beobachtet ; manchmal, wenn auch nur seiten, er- hielt sie sich so auch im spateren Alter der Gabelzweige und war dann auch makroskopisch zu constatiren. Hierzu kommt aber bei dem gleichen L. inundatum noch ein weiteres Verhalten. An Exemplaren, die ich ihrer Stamraesspitze beraubt hatte, ohne sie zu entwurzeln, und die ich nun weiter cultivirte, sah ich nach einiger Zeit an verschiedenen Stellen zu beiden Seiten des Stammes ziemlich gleichzeitig und in gleicher Grosse Aeste hervortreten. Von diesen Aesten war vorher nichts zu bemerken gewesen , sie machten daher durchaus den Eindruck adventiver Bildungen, Aber auch ihrer Spitze nicht bpraubte Stammchen konnten dieselbe Erscheinung zeigen und eine nahere Untersuchung liess mich eine grosse Zahl solcher Knospen zwischen den Blattern tief versteckt auffinden. Ihr Studium ergab dann Folgen- des: Sie werden hoch oben am Scheitel, iiber der jiingsten Blatt- anlage angelegt, also gerade so, wie alle anderen Zweige der Ly- copodien, doch mit dem Unterschiede, dass sie seitwarts vom Scheitel ohne seitliche Verbreiterung der Initial-Gruppen lediglich dem Periblem ihren Ursprung verdanken. Zu ihrem Studium ist es am besten, Schnitte parallel der Bauchseite durch den Scheitel des Stammes zu fiihren, da diese Knospen namentlich zu den bei- den Seiten desselben angelegt werden. Aus dem Periblem-Gewebe bildet sich seitlich vom Scheitel 1) Bot. Zeit. 1873 S. 101 flf. Die Wurzeln von Lycopodium imd Isoetes. 533 eine Protuberanz unabhiingig von der Blattstellung. An ihrer Her- vorwolbung betheiligt sich namentlich die unter der aussersten Rin- denschiclit liegende Periblem- Masse, wodurch sich diese Bildung von den Anlagen der Blatter unterscheidet; sonst ist sie nur wenig starker als eine Blattanlage, doch regelmassiger abgerundet. Das Innere dieser Neubildung wird alsbald dnrch longitudinale Thei- lung der polygonalen Zellmasse zum Pleroni und zwar, bevor dies noch bei den nachst alteren Blattern geschieht. Dieses Plerom schliesst sich seitlich an dasjenige des Stammes an und liisst sich von da ab bis in den Scheitel der Neubildung unmittelbar bis unter die aussere Rindenschicht, verfolgen. Die ausseren Rin- denzellen am Scheitel dieser „Knospe", denn so konnte man sie wohl nennen, vergrossern sich und werden zu den Periblem-Ini- tialen , wahrend die unter ihnen endenden Zellen des Pleroms, die Plerom-Initialen dieser jungen Anlage darstellen. Die unter und iiber der Knospe von der weiterwachsenden Hauptaxe gebildeten Blatter iibertrelien dieselbe bald an schnelle- rem Wachsthum. Die Knospe selbst bildet zwar einige weuige Blatthocker, oft i'ehlen auch diese, und auf solcher Entwickelungs- stufe bleibt nun der junge Spross von den Blattern der Mutter- axe eingeschlossen ruhen, bis er bei giinstiger Gelegenheit hervor- treten und sich weiter zum Aste entwickeln kann. Nach eigener Bewurzelung nimmt dann die Starke des Astes zu und giebt bald anders entstandenen Zweigen an Starke nichts nach, verhiilt sich auch im Uebrigen ganz so, wie diese und wie die Mutteraxe. Wie ausgiebig eine solche Verzweigung ist, konnte ich bei einem nicht zu grossen Exemplare sehen, wo nicht weniger als zehn solcher seitlicher Knospen hervorgetreten waren. Selbst bei scheinbar schon abgestorbenen Stammchen kamen diese schlum- mernden Knospen noch zur Entwickelung. Wenn sie entwickelt sind, hat es oft den Schein, als standen sie in den Achseln der Blatter, allein dies ist nur eine durch die dichtc Stellung der Blatter gegebene Tauschung ; ihr selbstandiges Auftreten am Schei- tel ist, wie schon angedeutet, durchaus sicher. Ich zweiHe keinen Augenblick , dass die von Stasburger an Herbarien-Material gefiindenen Adventivknospen bei einigen auf- rechten Lycopodien : L. aloifolium Wall., verticillatum L., taxifolium Sev. und reliexum Lam. 'j, desselben Ursprungs, wie die beschrie- benen Knospen von L. inundatum sind. Der geringere Grad der 1) Bot. Zeit. 1873 IS. 1U4. 534 Hellrauth Bruchmann, Entwickelung, indem man diese Knospe in weiter Entfernung vom Scheitel antrifft , musste auch hier gewiss Jeden , der nicht ihre Entwickelungsgeschichte verfolgen konnte, zu der STRASBURGER'schen Annahme fiihren. Auch im ferneren Verhalten sind diese sonderbaren Sprosse den von Strasburger beschriebenen gleich, Bei beginnender Wei- terentwickelung wird auch hier zuniichst fiir ihre Bewurzelung gesorgt, und zwar treten die ersten Wurzeln oft schon aus der Basis der Knospe, unmittelbar an der Mutterpllanze hervor ') ; andere folgen sofort nach. So erlangt diese Knospe, die ich fer- ner „Pseudo-Adventivknospe" nennen will, durch die fruh- zeitige starke Bewurzelung eine vollstandige Selbstandigkeit. Hier findet man Wurzeln von 8 Mm. Lange in kaum messbarer Ent- fernung von der Spitze; erst spater kommen die sonst herrschen- den Verhiiltnisse zur Geltung^). Vielleicht diirften diese Pseudo-Adventivknospen als Ueber- gange zur Bulbiilen-Bildung anderer Lycopodien^) angesehen wer- den. Sie sind Seitenknospen , wie diese*), ferner Organe vegeta- tiver Vermehrung, haben wohl gleiche Entwickelungsgeschichte, auch ertragen sie ohne Schaden eine fruhzeitige ktinstliche Tren- nung vom Mutterstamme und stehen mit dem bereits abgestorbenen Stamme, an dem sie sich noch entwickeln, in nur mechanischer Verbindung. Wir haben also bei L. inundatum auch im Verhalten der Histogene zu einander dichotomische und monopodiale Verzweigung, letztere nur vertreten durch die Pseudo-Adventivknospen. Immer- hin unterscheiden sich aber diese monopodial angelegten Zweige in Betreff ihres fruhen Auftretens am Scheitel vor den jiingsten Blattern, ohne irgend welche Beziehung zu diesen, also in zwei wesentlichen Punkten, von den monopodial angelegten Zweigen der Phanerogamen. — An die Entstehung der Pseudo-Aventivknospen ankntipfend, komme ich nun zu meiner eigentlichen Aufgabe, der Entwickelung der Wurzel. 1) Man hat sich zu hiiteii, diese scheiubar der Mutterplianze augehorigeu Wurzeln als Bcispiele fiir Ausuahmeii der akropetaleu Folge ihres Auftreteus zu halteii. 2) Yergl. dazu das bei Strasburger a. a. 0. S. 104 iiber Adveiitivknos- pen Gesagte. 3) Ueber die Bulbillen vergl. Cramer a. a. 0. S. 18 ft'., Hegelmeier a. a. 0. a. 840 ff., Strasburger a. a. 0. S. 97 ff. 4) Siehe Strasburger a. a. 0. S. 99 ff. Die Wurzeln von Lycopodium iiud Isoiites. 535 Ihre erste Anlage findet die Wurzel, eben so wie die letzt- erwahnte Verzweigungsart von L. inimdatum, seitwarts vom Scheitel oberhalb der jiingsten Blatter') (vergl. Fig. 1, 12 u. 13), ohne dass audi hier iigend welche Beziehung zur Stellung der Blatter be- lli erkt werden koiinte. In seltenen Fallen wird man ihre Ent- stehiing erst ein wenig spater gewalir (Fig. 2), wodurch aber kei- neswegs ihre fruhere Anlage im Gewebe vor der jiingsten Blatt- anlage ausgeschlossen ist. Die Beobachtimg der ersten Theilungsvorgange im Periblem, welchen die Wurzel ihre Entstehung verdankt, ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Es lasst sich namlich nicht mit Sicher- heit jede ergiebigere Erweiterung des Periblems an der betreffen- den Stammseite in solchem Sinne deuten. Anderweitige Unregel- massigkeiten in der Entwickelung der Rinde sind eben nicht sel- ten, und die Gestalt des Stammscheitels selbst ist olt wechselnd. Einen Unterschied in der Vermehrung der Periblem-Masse, gegen die von Hegelmeier'^) als normal beschriebene Art lasst sich mit Ausnahme zutalliger Unregelmassigkeiten in solchen Fallen auch nicht linden. Zur Anlage der Wurzel vermehrt sich nun aber das von den Periblem-Initialen herstammende meristematische Gewebe zunachst in wenig gesetzmassiger Ordnung, vornehmlich durch tangentiale Theilung in centrifugaler liichtung und wolbt so seitlich einen durch seine Breite sofortj als W^urzelanlage gekennzeichneten Ge- webehocker hervor, der eine sehr schwach convexe, iiber die Um- gebung wenig hervortretende Oberflache zeigt. Die unmittelbar an das Plerom angrenzende Periblem-Zell- gruppe central an der Basis dieser Anlage liegend, zeichnet sich alsbald durch ihre, von der Axe des Stammes divergente Wachs- thumsrichtung gegen sonstige Wachsthumsvorgange in der Rmde aus. Diese Gruppe bildet das Urplerom der neuen Wurzel und zeigt nur geringe Hohe. Zu den Seiten und uber dem Scheitel des- selben bilden sich nun durch regelrechte concentrische Theilungen die anderen Histogene aus (Fig. 1). Eine scharfe Grenze zwischen denselben tritt aber erst spater hervor. Wahrend sich so die Wurzel rasch entwickelt, zeigt zur gleichen Zeit der Scheitel des Stammes ein nur wenig energisches Wachsthum, bildet momentan 1) Siehe auch luv die Wurztltrager bci Selaginella: Kaueli luul Leitgeb a. a. U. S. 125. 2) a. a. 0. S. 805. 536 Hellmuth Bruchmann, nur sparlich Blatter und erleidet gleichzeitig eine schwache Auf- wartskriimmung. Die so beschriebene Anlage der Wurzel schreitet von innen nach aussen fort, und auch die Histogene werden schliesslich von innen nach aussen differenzirt, umgekehrt also, wie die Wurzel hoherer Pflanzen, die von aussen nach innen ihre Gewebe aus- sondern '). Noch bevor die am Scheitel sich hervorwolbende Wurzelpro- tuberanz ihre endgiltige Starke erreicht hat, tritt der voile Cha- rakter ihres inneren Gewebes, des Pleroms, durch das Auftreten von longitudinaler Theilung des anfangs polygonalen Zellgewebes zu deutlicher Erscheinung. Dieses Plerom setzt sich mit breiter Basis an das des Stammes an und reicht andererseits bis etwa zur mittleren Hohe der jungen Anlage, ein Merkmal, das dieses Gebilde sofort von jeder Zweiganlage auf gleichem Entwickelungs- stadium unterscheidet. Da, wo das Plerom der Wurzel und das des Stammes aneinander grenzen, und zwar an der dem Stamm- scheitel zugekehrten Seite, trifft man olt Pleromzellen mit doppel- ter Wachsthumsrichtung , mit dem einen Ende in der Richtung des Stammes, dem anderen in der Richtung der Wurzel sich stre- ckend (Fig. 1 pd, 3 und 4). Spater treten an dieser Stelle meist Grenzzellwande auf, oft unterbleibt auch ihre Bildung, und wir linden hier zuletzt Gefasse von wunderlichen Form en. Die dem Scheitel des Pleroms zunachst liegenden Meristem- schichten bilden sich zu dem Periblem der Wurzelanlage aus und verheren sich von hier aus in convex -divergenten Reihen in das Rindengewebe des Stammes. Letzteres wird zu den Seiten der Wurzelanlage bald sehr grosszellig und wandelt den Inhalt seiner Zellen zu emer schleimigen Masse urn (Fig. 3 r). Auf Entwicke- lungszustanden wie Fig. 3, 5 u. 6 lasst die Wurzelanlage schon erne deutliche Unterscheidung des Periblems und Pleroms zu, in iig.4 U.7 ist dieselbe noch unmoghch. Es sind nach eingetr'ete- ner Sonderung gewohnlich vier Zellreihen, die sich zu den Proto- mitialen des Periblems umgestalten (Fig. 3, 5 u. 6). Der eigen- artige Wachsthumstypus jedes dieser angefuhrten Gewebe und die dadurch bedmgte bessere Sonderung giebt sich oft erst bei be- ginnendem Spitzenwachsthum der Wurzel zu erkennen (Fig. 8). DSiehe Reinke, Untersuchimgeu iiber Wachsthumsgescliichte uml Moi- pliologie der Phancrogauii-ii - Wurzel. Hanstein's Bot. Abli. HI. Heft. Bonn Ib/l. Die Wurzeln von Lycopodium uiid Isoetes. 537 Hochst iiiteressant ist es nun, zu verfolgen, wie sich das Der- matogen der Wurzel aus dem Kindengewebe des Stammes heraus- bildet. Die Vorbeieitungen zu desson Differenzirung lassen sich gleich denen zur Diii'erenzirung des Periblems in den friihzeitig eintretenden Verschiedenheiten des Wachsthums beider Gewebe erkennen. Die sclion voUendete Sonderung des Derniatogens zeigt namentlich Fig. 3 sehr schon. Sie tritt an den Objecten deutlicher hervor, als es sich in der Zeichnung ohne Schattirung dev betref- fenden Zellen zeigen lasst. Von dem Periblem unterscheidet sich das Dermatogen durch die Grosse seiner Zellen, die, zu einer ein- fachen continuirlichen Schicht geordnet, den jungen Scheitel ziem- lich horizontal iiberspannen, und den dichteren protoplasmatischen Inhalt derselben. Eben dieser Protoplasmareichthum und die Anordnung unterscheiden das Dermatogen schon auf den ersten Blick auch von dem iiber ihm iiegenden Rindengewebe des Stam- mes. Auf gliicklich gefiihrten Schnitten von oben gesehen iiber- spannt diese Ur- oder Protodermatogenschicht den Scheitel der Wurzelanlage in Form einer kreisrunden Scheibe mit abwarts- gebogenem Rande, wobei zu bemerken, dass die senkrecht zum Gesichtsfelde gestellten Zellenwande keine regelmassige Stellung zum Centrum der Scheibe liaben. Mit der Sonderung dieser Proto- dermatogenschicht hat die Differenzirung der Wurzelgewebe ihren Abschluss erreicht. Ungefiihr drei bis fiinf Rindenschichten des Stammes trennen es von dessen Peripherie. Doch nicht immer tritt die gesonderte Dermatogenschicht so friih in so correcter Weise auf. Sie hat sich herauszubilden aus Zellreihen, die oft nicht eben continuirlich sind ; es entstehen man- nigfache Schwankungen der Bilder, wie sie unter anderen durch Fig. 4—7 veranschaulicht werden sollen. Die Dermatogenreihe habe ich stets so weit schattirt, als sie durch ihren dichteren Inhalt als solche zu erkennen war. In Fig. 4 schliesst dieselbe sogar in zwei Reihen ab , und es konnte zunachst noch fraglich sein, welche von beiden zur Dermatogenschicht wird. Das zeigt sich aus dem spiiteren Spitzenwachsthum der Wurzelanlage, und zwar sieht man dann die untere zweier solcher Schichtcn zum Dermatogen werden, wahrend die andere das Schicksal der Kappen- zellen theilt. Die den jungen Wurzelscheitel umgebenden Rindenschichten des Stammes verhalten sich verschieden. Wahrend die an das Wurzel-Dermatogen angrenzenden Schichten die primiire Wurzel- haube bilden, und die Epidermis des Stammes durch radiale Thei- 538 Hellmuth Hruchmann, lung sich erweiteit, gehen die dazwischen liegenden Schichten einige unregelmassige Theilimgen ein, dehnen sich aus und ver- schleimen bald (Fig. 3 o). Die junge Wurzel erreicht ihre voile Differenziruiig sclion in sehr geringer Entfernung vom Scheitel (Fig. 3 zeigt dieselbe in 0,45 Mm., Fig. 5 — 7 in ungefahr derselben Scheitelferne) unter der jiingsten Blattanlage. Durcli die sofortige Ausbildung der vier Histogene ist aber eine Scheitelzelle von Anfang an eliminirt. Diese Annahrae konnte uberhaupt nur bei einem so ungiinstigen Objecte wie Lycopodium clavatum bei Nageli und Leitgeb aufkommen. Auch Reinke's Anftahme einer eventuelien Scheitelzelle in erster Jugend der Wurzel ist hiermit beseitigt und die Annahme einer solchen an der ersten Wurzel der Embryonen unwahrscheinlich gemacht, un- wahrscheinlich auch durch den Vergleich mitlsoetes, wie wir bald sehen sollen. Das Wachsthuni der Wurzel durch eine Gruppe gleichwerthi- ger Zellen im Scheitel derselben, welche von einem allgemeinen Bildungsgesetze beherrscht werden sollen, wie Reinke es angiebt, gilt nur, wenn man will, fiir die allerjugendlichsten Zustande der Wurzel, wenn dieselbe nur aus periblematischem Meristem mit noch einheitlichem Wachsthums-Typus besteht, gilt aber dann auch in derselben Weise fiir die gleichen EntwickelungSzustande der Pseudo-Adventivknospen, wie der Blatter. Die Entstehung der Wurzel von L. inundatum am Scheitel des Stammes konnte vielleicht fiir die Deutung des morphologi- schen Werthes der Wurzel uberhaupt von Wichtigkeit sein. Merk- wiirdig ist es gewiss, dass hier die Wurzeln so hoch am Stamni- scheitel iiber den jiingsten Blattanlagen angelegt werden. Sie erinnern in der Art ihrer Anlage- an die Pseudo-Adventivknospen und konnten vielleicht gleichen morphologischen Ursprungs mit ihnen sein. Vielleicht sind auch beide aus echten Gabelzweigen hervorgegangen , freilich wiirde fiir dieses nur noch ihre Anlage so hoch am Scheitel iiber aller Blattanlage sprechen und auch welter der Umstand, dass Wurzeln wie Stamme in gleich charakte- ristischer Weise dichotomische Verzweigung zeigen. — Da aber bei anderen Lycopodien-Arten die Anlage der Wurzel tiefer, unter den jiingsten Bliitterri, auftritt, (wie dieses auch bei L. inundatum wenn auch seltener vorkommt), so konnte auch letztere Entstehungs- art als die urspriingliche, die von L. inundatum, hoch am Scheiteb Die Wurzcln von Lycopotlium nnd Isoetes. 539 dagegen als eine abgeleitete, tlurcli Verschiebuug entstaiideue, auf- gefasst werden. Ob also die Wurzeln der Lycopodien aus den Stammen, zu denen sie eine so grosse Verwandtschaft zeigen , hier erst unab- hangig entstanden, oder doch aus den Wurzeln anderer hoherer Kryptogamen liervorgingen, ist schwer zu sagen. Die Frage tiber ihren Ursprung bleibt durchaus noch offen. Ueber das Wachsthum der Wurzel. Erste Bildiing der Wurzelhaube durch das Deruiatogen. Die Kalyptrogeiiscliicht. Das Dermatogen mid das Intercalarwaclisthum. Das Wachsthum der iibrigeu Gewebe. Kehren wir nun zu der in ihre Histogene differenzirten Wur- zelanlage zuriick. Nach der Sonderung ihrer Gewebe beginnt als- bald die Thatigkeit ihrer luitial-Gruppen, deren Resultate die Her- vorvvolbung des urspriingiich Hachen Scheitels, ihre weitere Stre- ckung und Durchbrechung des sie umgebenden Rindengewebes sind (siehe Fig. 12 — 14). Doch bevor dieses geschieht, haben wir vorher das Verhalten des Dermatogens naher zu studiren. Fig. 3 mag als Ausgangs- punkt der Betrachtung dienen. Die Tangentialwand , die in der einen mittleren Zelle des Dermatogens zu sehen ist, bildet den Anfang von Theilungen, die in gleicher Weise die ganze Derma- togenzellschicht durchsetzen soUen. Die nach aussen abgegebene Zellreihe ersetzt alsbald die durch das Rindengewebe des Stammes gebildete primiire Wurzelhaube und vermehrt die Zahl ihrer Zellen durch tangentiale und radiale Theilung, wie dies bei den Meta- spermen bekannt ist; nur treten die Theilungen hier in unregel- miissiger Weise auf. Die iiber dem Dermatogen liegende Schicht der Wurzelhaube in Fig. 3 ist schon als eine diesen Theilungen entstammende anzusehen. Fig. 4 zeigt das Dermatogen in weiterer tangentialer Theilung. Aber nicht immer geschieht die Regenera- tion der Wurzelhaube durch das Dermatogen in dieser Regel- massigkeit. In Fig. 5 sieht man die tangentiale Theilung des Dermatogens die vom Stammscheitel abwarts gekehrte Seite der Anlage bevorzugen ; in anderen Fallen, wie in Fig. 7, theilten sich nur die mittelsten Zellen des Dermatogens in dieser Weise. Es konnen sogar die tangentialen Theilungen in dem erst theilweise gesonderten Dermatogen beginnen. Dieses Alles veranlasst oft 540 Hellmuth Bruchmaun, sehr unregelmassige Bilder, vermehrt noch diirch die Unregel- massigkeiten , die beim Entstehen des Dermatogens selbst sich geltend machen. Me jedoch sah ich, dass von der Epidermis der Wiirzel dem Periblem Zellen abgegeben wiirden. Die Regeneration der Wurzelhaube durch tangentiale Theilung des Dermatogens tritt bei einer und derselben Wurzel nur einige wenige Male ein. Bei den aus der Rinde hervorgetretenen Wur- zeln gelang es mir aiif 50 deutliche Praparate nur ein einziges Mai, eine solche tangentiale Theilung zu finden, und zwar nur in einer einzigen Zelle nicht genau iiber dem Scheitel, an einer aus dem Stammgewebe eben hervorgetretenen Wurzel. Das Wachsthum der Lycopodium-Wurzeln ist uns durch Ni- GELi und Leitgeb als ein stark intercalares bekannt, und es liegt audi die Vermuthung nahe, dass die Theilungen im Dermatogen fur Abgabe einer Kappenschicht nur hochst selten erfolgen. Allein bei der Dichotomisirung der Wurzel, die gerade an dieser PHanze entwickelungsgeschichtlich sehr gut zu verfolgen ist, tritt bedeutendes Spitzenwachsthum ein; aber ^selbst auch hier finden in keinem Falle derartige Theilungen des Dermatogens zur Re- generation der Wurzelhaube mehr statt. Das Dermatogen bedeckt gleichmassig den Scheitel der Wurzel, ahnlich wie dasselbe Ge- webe den Stammscheitel bei hoheren Pflanzen (siehe Fig. 8, 10 u. 11). Doch zeigt die Wurzelhaube stets eine nicht unansehnliche Grosse, selbst bei ausgewachsenen W^urzeln, trotzdem sie durch Verschleimung ihrer aussersten Schichten peripherisch zerstort wird. Es ist somit geboten, sich nach einem weiteren Bildungs- herde fur die Wurzelhaube bei iilteren Wurzeln umzusehen. Da macht sich denn bald eine Schicht der Wurzelhaube selbst und zwar diejenige, die unmittelbar dem Dermatogen anliegt (Fig. 8 kl), dadurch bemerkbar, dass sie in der Strecke auf dem Scheitel mit besonderem Protoplasma-Reichthum ausgestattet ist, ferner in ihr tangentiale Theilungen in jedem Grade zu sehen sind. Die- selben heben in der Mitte dieser Zellreihe in einer Zelle an und verbreiten sich von hier aus in akrofugaler Folge auf die augren- zenden Zellen dieser Reihe, doch nur in geringer-Ausdehnung. Wiihrend die Wurzelhaube scheitelwarts abstirbt, findet man sie so uber dem Dermatogen in steter Verjiingung durch tangentiale Theilungen, wodurch sie neue Kappenzellen abgiebt, und durch radiale, wodurch sie, ahnlich dem Dermatogen hoherer Pflanzen, dem Spitzenwachsthum der ganzen Wurzel folgt. Die einzige tan- gentiale Dermatogentheilung, die mir in einer alteren Wurzel vor- Die Wiirzcln von Lycopodium und Isoetes. 541 gekommen, mochte ich iiach alledem als abnormal bezeichnen und die Fortbildung der Wurzelhaube alterer Wurzeln der innersten Haubenschicht, die ich im Weiteren „Kalyptrogenschicht" nen- nen will, zuschreiben (Fig. 8, 10 u. 11 kl). Zwar liaben wir audi bei den Metaspermen *) derartige Theilungen in der Superderma- togenschicht, doch aber nur voriibergehend, und die fernere ganze Regeneration der Wurzelhaube wird in dieser nicht ausschliesslich localisirt, sondern sie wird stets von einer vom Dcrmatogen nach- gebildeten Schicht abgelost. Die Zellenconiplexe, die von der hier als Kalyptrogen bezeichneten Schicht abgegeben werden, erleiden weiter einige tangentiale und radiale Theilungen ; sie wachsen iiber dem Scheitel oft zu bedeutender Lange aus, verschleimen und ster- ben bald ab. Zur Bildung einer hervortretenden Saule der Wur- zelhaube kommt es hier nicht (Fig. 8, 10 u. 11) 2). Das Kalyptrogen selbst hat seine urspriingliche Entstehung, wie entwickelungsgeschichtlich nachgewiesen, aus dem Dermatogen genommen (Fig. 3, 4, 5 u. 7), erhielt hier aber, wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, eine nierkwtirdige Selbstandigkeit. Die auf Fig. 8 durch die Bezeichnung a hervorgehobenen Zellen, die der Schicht , der sie angehoren , das Ansehen geben , als sei sie aus dem Dermatogen entstanden, haben, \yie entwickelungsgeschichtlich festzustellen ist, nur durch nachtragliche , intercalare Streckung diese Gestalt erhalten. Ein analoger Fall der einmaligen Bildung der Wurzelhaube ist uns durch Strasburger fur Azolla bekannt^). Von der drei- tlachig zugespitzten Scheitelzelle der Wurzel wird nur auf sehr jungem Entwickelungszustande eine einzige Kappenzelle abgegeben. Diese theilt sich nur einmal tangential, doch wiederholt radial, und bildet so zwei Haubenschichten , die aber nicht weiter ver- mehrt werden und wahrend des ganzen, nur relativ kurzen Lebens der Wurzel sie voUig umkleiden. Jede weitere Regeneration der Wurzelhaube aus der Scheitelzelle unterbleibt, obwohl der Aufbau des Wurzelkorpers in sonst gewohnlicher Weise fortschreitet. 1) Vergl. Reinke a. a. O. S. 19. 2) Nachtragliche Anmerkung. Wahrend des Druckes dieser Arbeit er- schien die Abhandlung von Fleischer (Flora, 1874 Nr. 24 ft'.). Aus dieser geht hervor, dass einige Juucaceenwurzeln ganz den namlichen Wachsthums- modus, wie den hier fiir Lycopodium geschilderten , besitzen. Dasselbe gilt auch fiir die Gramiucenwurzeln, wie ich nach eigcuor Untersuchung, entgegen Janczewski (Bot. Zeit. 1874 Nr. 8, zweiter Tyi)us) bchaupten kann. 3) Ueber Azolla. Jena 1873 S. 46 ff. 542 Hellmuth Bruchmann, Wirklich an Lycopodium scheinen die Verhiiltnisse bei den Adventivwurzeln von Hydrocharis morsus ranae und den Faser- wurzeln von Pistia Stratiotes, nach den Untersuchungen von Jan- czEwsKi ') zu urtheilen, anzuschliessen. Janczewski rechnet sie zu seinem ersten Wurzel - Typus und sagt hieriiber : „In der Spitze einer entwickelten Wurzel sind vier von einander unabhan- gige primare Gewebe vorhanden : Haube, Epidermis (Dermatogen), Rinde (Periblem) und Centralcylinder (Plerom). Die Wurzelhaube wird nicht regenerirt, sondern, wenn das Spitzenwachsthum der Wurzel aufhort, vollstandig abgeworfen." Damit ist nicht ausge- schlossen, ja vielleicht wahrscheinlich , dass in jugendlichem Zu- stande die Wurzelhaube von dem Dermatogen aus abgegeben wird; doch wird hieriiber die Entwickelungsgeschichte erst endgiltig zu entscheiden haben. Auch diirfte vielleicht ein ahnliches isolirtes Weiterwachsthum der Wurzelhaube, wie bei Lycopodium, hier nicht ganz ausgeschlossen sein. Nach der Anlage der Wurzelhaube durch das Dermatogen zeigt letzteres ein recht passives Verhalten wahrend des ganzen ferneren Lebens der Wurzel. Diesem Verhalten verdankt es hier wohl auch vor Allem seine auffallende Starke und die Hohe seiner Zellen; daher tritt es auch so deutlich iiber dem ganzen Scheitel der Wurzel hervor, viel deutlicher, als es selbst bei den Meta- spermen der Fall ist. Es vermehrt sich nur durch radiale Thei- lungen, die liber dem Scheitel sparlich, aber in der demselben an- grenzenden Zone der Wurzelspitze in so schneller Hintereinander- folge auftreten, dass drei, ja vier derartige Theilungen in einer Zelle, die noch durch ihre aussere Contour als Mutterzelle dieser 4 und 5 Tochterzellen gekennzeichnet ist, zu beobachten sind (Fig. 8, 10 u. 11). Von dieser Zone noch welter scheitelwarts erfolgt die Streckung dieser Zellen zu bedeutender Lange. Die- selbe beginnt allmahlich, nimmt weiter zu, verringert sich wieder, bis die Zellen ihre moglichste Liinge erreicht haben und in diesem Zustande wahrend der ganzen Flxistenz der Wurzel verharren. Wir konnen also in diesem Wachsthum des Dermatogens drei unterschiedliche Zonen in akrofugaler Ordnung bemerken: Die erste oder die Theilungszone des Dermatogens, die Zone der Einschaltung vieler radialer Theilungswande. Sie tritt bei alien 1) Bot. Zeit. 1874 Nr. 8. Vergl. auch nachtragliche Anmerkung auf vor- hergehender Seite. Dio Wurzpln von Lycopodiuni iind Isoetes. 543 in lebhaftem Wachsthum begriffenen Objecten sehr deutlich hor- vor (vergl. Fig. 8, 10 u. 11). Die folgende ist die Streckungszone der Epidermis. In ihr dehnen sich nur die in der vorherigen Zone entstandenen Zel- len aus, ohne weitere radiale Theilung zu erleiden. In der Mitte dieser Zone ist die Ausdehnung am ergiebigsten. Sie tritt nach und nach auf, erlischt ebenso in der Richtung der letzten Zone. Gleichzeitig fallt in diese zweite Zone die Entwickelung der Tri- chome. Auf den Figuren 8, 10 u. 11 ist nur der Anfang dieser Zone gegeben. (Siehe audi Fig. 9.) Die letzte, die Ruhezone, zeigt die Epidermis in einem be- reits stabilisirten Zustande. Aus der Vergleichung der Zellliingen der ersten und dritten Zone ist es ein Leichtes, sich ein Bild von der ergiebigen Aus- dehnung der Epidermiszellen innerhaib der zweiten Zone oder der Grosse des intercalaren Wachsthums zu machen '). Bei L. in'un- datum wird iibrigens nur die Halfte der in der Theilungszone pro- ducirten Epidermis in der Folge gedehnt, die iibrige Halfte bleibt kurz und bildet sich zu Trichomen um, und zwar wechselt constant eine kurze Trichom-Zelle mit einer langen trichomlosen ab (Fig. 9). Um ein ungefahres Bild von der Starke des intercalaren Wachsthums bei L. inundatum zu bekommen, ist es hier also nothig, zwei Zellen der ersten mit ebenso vielen der letzten Zone zu vergleichen. Ich fuhrte zu diesem Zwecke bei verschiedenen, eben erst aus dem Stamme hervorgetretenen Wurzeln verschiedene Messungen aus und gewann als mittlere Grosse zweier solcher Zellen in der ersten Zone: 0,016 Mm., dagegen zweier entsprechen- der Zellen der letzten Zone: 0,2 Mm. (0,016:0,2=1 :x; x=12'/2). Es verhielt sich also die definitive Grosse der Zellen nach der Streckung an der Grosse derselben wiihrend der Theilung an- niihernd, wie 12V2- 1? oder das Spitzenwachsthum zum intercalaren 1) Es sei hier gestattet, das bis dahin Bekannte iiber das Intercalar- Wachs- thum der Lycopodienwurzel anzufuhrou. Es bcsteht nur aus ein paar IJemer- kungcn von Nageli u. Leitgkb a. a. 0. S. 122. Die Verfasser behauptou, dass das gauze Liingcnwachsthuni der Wurzel fast ausschliesslich ein iutercalares ist, und uamentlich durch lebhafte Zellvermehruug in den Segmcnten der ver- meiuten Schoitelzelle stattfiudet. Hegelmeier ». a. 0. S. 808 stimmt diesen Autoren darin bei , dass die Grosse dieses Wachsthumes „in der dem Scheitel nachsten Region eiu sehr ergiebiges sei." 544 Hellmuth Rnichmann, Wachsthum, wie 1 : 12V2- ^^ nim an Fig. o, Taf. X. Die dea Scheitel einnebniende Gewebemeiige ist durch circa 15 Theilungen der zweitiachigen Scheitelzelle cntstanden gezeichnct. 3) Diese Anorduung hebt auch Hegelmeier fur seiue von ihm unterauch- ten Arten hervor. A. a. 0. S. 486. 4) a. a. 0. S. 132. Die Wurzeln von livcopodiuni und Isoetes. 569 nungen dann auch als Scheitelzelle bezeichnet. — Dagegen zeigt die hier im Eutstelien begriftene Blattanlage (Fig. 29 6/') zwei Zelleii an ihrem Scheitel, und ahnlich auch in anderen Fallen, unterscheidet sich also in ihrer Sclieitilansiclit nicht von den Blatt- anlagen von Lycopodium und den phanerogamen Pflanzen. Auch sieht man es dieser Anlage auf den ersten Blick an, dass sie von innen emporgehoben und nicht durch Theilung einer den Scheitel, einnehmendeu Zelle aufgebaut wird. Diese Blattanlage nimmt bald an Starke zu, neigt sich zum Stammscheitel hiu und wird breiter. Die friih bemerkbare Ligula macht sie als eine den Isoeten ge- horige Blattbildung kenntlich. Mediane Lilngsschnitte durch die Scheitelregion des Stammes entbehren einer auf Scheitelzellwachsthum basireuden Auordnung des Meristems, wie uns solche am Scheitel anderer Piianzeu mit dominirender Endzelle deutlich entgegentritt. Auch das Innen- gewebe wird gebildet, wie schou die Flacheuansicht zum Theil er- rathen liess, durch die, die gewolbte Scheitelmitte einnehmende, iiusscre Mcristemschicht. Hegelmeier vermuthete ganz richtig aus der ungleichen Tiefe dieser Schicht, dass Theilungen in derselben auch parallel zu ihrer Oberflache erfolgen miissten, obgleich es ihm nicht gliickte, dieselben aufzulinden. Bei I. lacustris gelingt es unschwer, sie zu sehen; so in Fig. 30 und 31. Diese Figuren zeigen uns auch sofort, dass die etwaige Hoffnung, hier ein iihn- liches Wachsthum, wie bei Lycopodium zu linden, aufzugeben sei. Die die Mitte einnehmende Scheitelzellgruppe theilt sich also senk- recht und parallel zur Oberflache, senkrecht namentlich, wenn ein neues Blatt ganz nahe dem Mittelpunkte des Scheitels gebildet wird und nun von demselben eutfernt werden soli (Fig. 29 und 31). Diese seitlich von der Scheitelgruppe abgegebenen Zellen theilen sich vornehmlich radial, ohne sich an dem Aufbau das Stamm- innern zu betheiligen; ihnen steht aber die Aufgabe der Blatt- bildung zu. Die Blatter werden hier ebenso angelegt, wie es Hegelmeier fiir nicht untergetauchte Isoeten darstellt '). Nach einer einleiten- dcn Langsstreckung einer solchen peripherischen Zellgruppe zur Hervorwolbung eines Hockers mit spharischer Oberflache (Fig. 29, 6/') erfolgen sogleich in alien Zellen derselben zur Oberflache parallelc Theilungen (Fig. 31 bV). Die beiden so gebildeten Zell- lagen arbeiten nun in verschiedener Weise fiir den Aufbau des 1) a. a. S. 487. 570 Hellmuth Biii(;hmann, Blattes fort. Die aussere theilt sich vornehmlich radial imd tan- gential zur Blattoberfiiiche, die innere dagegen in unregelmassiger Weise. Die Angabe , dass diese peripherische Meristemschicht ausser den Bliittern durch taiigentiale Theilungen nach innen auch die ganze Rinde erzeugen, wie HEfiELMEiER es fiir die beiden von ihm untersuchten Isoeten angiebt '), muss ich fiir I, lacustris ent- schieden zuruckweisen. ^'ie fand ich derartige Theilungen^), und es lasst auch die zunachst unter ihr liegende, grosszellige Schicht auf wenige Connexionen mit ihr schliessen. Das ausnahinsweise Auftreten solcher Theilungen bleibt freilich nicht ausgeschlossen. Der Ursprung des gesanimten inneren Scheitelgewebes ist auf einem Langsschnitte nicht schwer zu ersehen. Es zeigen diese inneren Zellen zwar keine regelmassige Anordnung; aber eine con- vergente Reihenbildung, die auf die Scheitelmitte hinfiihrt, tritt an ihnen dennoch deutlich hervor. Auch dieses gesammte innere Meristemgewebe verdankt also den die Scheitelhohle einnehmenden Initialen seinen Ursprung. Somit sind diese Scheitelzellen die Initial-Gruppe des gauzen Urraeristems ira vollen Sinne des Worts. Durch radiale Theilungen wird von ihnen die in Blattbilduug auf- gehende peripherische Zellschicht wiederersetzt, und durch tangen- tiale Theilung geben sie dem Inneru des Stammes Zellen ab, aus denen durch Theilung alle inneren Gewebe endlich hervorgehen. Central entwickelt sich ini Stamme von Isoetes ein eigen- thiimlicher „Holzkorper", der aus lauter einzelnen rundlichen Zel- len mit ring- und spiralformigen Verdickungen besteht. An die- sen stammeigenen „Holzkorper", der nur iilteren Pflanzen eigen- thiimlich ist, jungern dagegen fehlt (siehe Fig. 26), legen sich die Gefassstrange der Blatter seitlich an (Fig. 26). Dieser „Holz- korper" ist eine nur den Isoeten eigene Bildung und kaum mit deni Holzkorper anderer Ptianzen zu vergleichen. Isoetes unter- scheidet sich eben in seinem Scheitelwachsthum von alien bis jetzt bekannten Typen, selbt von Cycas, mit dem es nach Hegelmeiek, auf Strasburger's Beschreibung gestiitzt, iibereinstimmen solP), Strasburger sagt ausdriicklich in seiner Darstellung des Scheitel- wachsthums von Cycas ^): „Auch das massige Plerom beginnt am Scheitel mit wenig Initialen. Es reicht mit demselben bis an die 1) a. a. 0. S. 488 und 497. 2} Man hat sich zu hiiten, etwa nach nicht durch die Mitte getroll'euen Blattanlagen zu urtheileu (Fig. 30 und Ul, b). 3) a. a. U. S. 498. 4) a. a. 0. S. 336. Die Wurzeln von Lycopodium und Isoetes. 571 Dermatogenzellgiuppe." Das ist nun hier nicht der Fall. Der Holzkorper regenerirt sich aus einem Meristem, das auf dem Langs- schnitt die Gestalt eines gleichschcnkeligen Dreiecks hat. Die Basis dieses Dreiecks ruht auf dem „Holzk6rper" und dessen Spitze verliert sich in das Urmeiistem des Stammscheitels. Nur wenige Zellen des Urmeristems bilden diese Spitze vermehren sich uach der Basis zu in divergenten Ileihen und geniigen, urn eine neue transversale Zellreihe mit den bald charakteristisch auf- tretenden Verdickungen dem „Holzkorper" aufzulagern. Diese Entwickelung ist selbstverstiindlich leichter auf Langsschnitteu, parallel zum grossen Durchmesser des Staninies (Fig. oO), als senk- reclit zu diesem (Fig. ol) zu verfolgen. Eine ausgepragte Grenze zwischen diesem den „Holzkorper" regenerirenden Meristem und dem an ihn grenzenden ist nicht vorhanden. Auch letzteres Me- ristem entstammt dem Urmeristem der Scheitelmitte und den die- ses kronenden Initiaien ; es bildet die Rinde des Stammes. Dieses Meristem wird durch das innere nach aussen gedrangt und bildet sich hier zu den langcn, concav nach oben fuhrenden Zellreihen der Rinde aus. Es unterscheidet sich also meinc Ansicht iiber das Scheitel- wachsthum von Isoetes lacustris von der Hegelmeier's an 1. velata und I. Duriaei gewonnenen dadurch, dass ich nicht auf die ganze den Scheitel bedeckende Meristemschicht, sondern nur auf die die gewolbte Scheitelmitte einnehmenden Zellen das Scheitel- wachsthum des Stammes zuriickfiihre und letzteren den Namen „Ur m e r i s te m - 1 n i t i al e n " beilege. Auch fur die embryo nalen Zustande von I. lacustris gelang es mir nicht, eine Scheitelzelle nachzuweisen. Flachenansichten des Scheitels .sind nur an jungen, wenigzelligen Embryonen zu cr- langen, wenn durch das Hervortreten der Ligula des Kotyledons der kotylische und hypokotylische Keimtheil deutlich markirt werden. Der Scheitel des Keimes liegt unmittelbar unter der Ligula und wird auf diesen und den nachfolgenden Zustiinden nur durch eine odor wenige Urmeristem-Initialen gebildet. Diese kommen jedes- mal in der Folge unter die Ligula des je jiingsten Blattes zu lie- gen. Der ganze ubrige Scheiteltheil geht in Blattbildung auf (Fig. 17 «, 22—25). Zur Bildung eines gewolbten Scheitels kommt es erst im Laufe der spateren Entwickelung. Die wenigen Initiaien des Urmeristems theilen sich hauptsiichlich durch radiale Wiinde zur Herstellung der fur die Entwickelung der 'Bliitter nothigen Zellen. Bei der anfanglichen Blattstellung mit der Divergenz Vj 572 Hellmuth Bruchmann, geschieht diese Vermehrung alternirend nach zwei Seiten. Dass aiich tangentiale Theilungen in diesen Urmeristem-Initialen erfol- gen, zeigt Fig. Us. Es sei hier endlich noch die am Insertionspunkte der Ligula eiitvvickelte eigenthiiinliche ,, L i g u 1 a r s c h e i d e •' hervorgehoben. Wir linden namlich an den zur Ligularbasis senkrechtstehenden Zellwiinden der dieselbe umgebenden ausseren Zellreilie des Blat- tes ganz dieselbe Umbildung, wie jn der Pleromscheide der Wur- zel dieser Pflanzen. An senkrechten (Fig. '22 — 26 Isch), wie an quer gefuhrten Schnitten macht sich die biconvexe Verdickung an den radialen Wanden dieser Zellschicbt kenntlich. Seitwarts, und bei alteren Blattern auch von unten , wird die Ligularscheide oft von den verholzten Zellen des Blattgewebes unmittelbar begrenzt. Die Dicliotomie der Wurzel von Piuiis silvestris. Zu den bis jetzt bekannten dicliotomisirenden Wurzeln pliane- rogamer Pflanzen, der Cycadeen '), ferner Pinus Strobus und Alnus glutinosa^), fiige ich die von Pinus silvestris hinzu. Ich fand die dichotomische Verzweigung an Nebenwurzeln zweier Kiefern, die in humosem Boden wuchsen, wiihrend ich im namlichen Boden, in unmittelbarer Niihe dieser Kiefern, vergebeus nacli soldier dichotomischen Verzweigung bei Pinus Abies L., Juniperus communis L. und andern ebenda wachsenden baum-, strauch- und krautartigen dikotylen Gewachsen suclite. Die Gabelung der Wurzeln beider Kiefern fand mit der gross- ten Regelmiissigkeit statt, so dass, wie bei den Lycopodiaceen, die aufeinanderfolgenden Dichotomien sich rechtwinkelig kreuzten. Wcnn die Dichotomisirung den Grad hochster Ausbildung erreicht, so gestaltet das oftere Ausbleiben der Gabelung an einzelnen Aesten, die vorhandene leichte Drehung der Gabelungsebenen gegen einander und die schnelle Aufeinanderfolge oft bis sechsfacher Gabelung bei ganz kurzen Zwischengliedern, indem das intercalare Wachsthum wenig ergiebig ist, das ganze Gabelungssystem zu einem oft kaum eutwirrbarem Knauel. Ich fand diese Erscheinuug im Friihling dieses Jahres, wo ich ihrer zuerst ansichtig wurde, an vorjiihrigen Nebenwurzeln, die an der Spitze die durch Prantl 1) Strasburgee a. a. U. S. 359. Reinke, morphol. Abh. S. 19. 2) ScHACHT, der Baum S. 172. Janczewski, Bot. Zeit. Nr. 8 1874. Die Wurzeln von Lycopodium und Isoetes. 573 bekannt gewordene Regeneration in alien Stadien zeigten. Die sich gabelnden Wurzeln standen unter solchen, die keine Gabelung auf- wiesen. Nanientlich im Beginn ihrer Entwickelung tritt die Ge- setzmassigkeit der Gabelung sehr deutlich hervor. Die erste Gabe- lungsebene der Wurzel liegt stets parallel zu der Langsaxe der Mutterwurzel. Die Entwickelungsgeschichte der Dichotomie findet, wie die mikroskopische Untersuchung ergab, in ganz derselben Weise statt, wie die von Stkasburger ') zuerst beschriebene und von Reinke^j bestatigte bei Cycadeen- Wurzeln, also genau so, wie sie auch bei den durch gesonderte Histogene wachsenden Lycopodiaceen in Er- scheinung tritt. Stets wird sie auch hier durcli eine Verbreitung des Pleroms in der zukiinftigen Dichotoniieebene eingeleitet. Die dichotoinisirenden Wurzeln treten wie sonst normale Nebenwurzeln hicr an zwei Seiten der Mutterwurzel so auf, dass ihre beiden Gefassbiindel niit denen der Mutterwurzel in einer Ebene zu liegeu koninien^). Bei nun eintretender Gabelung geht je ein Biindel in einen Gabelast, tritt central in denselben ein und theilt sich nun in zwei Biindel, die in einer Ebene liegen, welche niit der Ebene der Gefasse des Podiums sich kreuzt. Diese Theilung und Kreuzung der Biindelebenen wiederholt sich bei jeder neuen Dichotomie. Das Periblem aller der dichotomisirenden Wurzeln war von einera Mycelium durchzogen ; im Plerom gelang es mir nicht, das- selbc aufzufinden. — Die Wurzelhaube fehlte, wie bei Cycas, da- fur war der Scheitel, sowie das ganze Aeussere der Wurzel von einer Kruste, bestehend aus abgestorbenen Rindenzellen und Mycel- geflecht bedeckt. Dasselbe Mycelgetlecht in dem Rindengewebe, ferner die rudi- mentare Wurzelhaube und die dem Wurzelkorper umgebende Kruste waren bei den in demselben Boden gelundenen anderen ungcgabel- ten Coniferenwurzeln gleichfalls vorhanden. Bei den Dikotylon- wurzeln in dem gleichen Boden beschriinkte sich die Wurzelhaube auf einige Zellschichten. Aber in keiuem Falle war eine Dichoto- mie Oder eine Anlagc dersclben bemerkbar. Von Janczewski ■*) wird behauptet, den Wurzeln phanerogamer Pflanzen kommt keine normale Dichotomie zu; dieselbe, wo sie 1) a. a. 0. S. 359 fl". 2) a. a. {). 3) Vergl. dazu iiber (yeas, Steasburger a. a. 0. 8. 359 fF. 4) a. a. 0. S. 116. 574 Hellmuth Bruchmann, vorkoninit, wird von ihm als ilurcli Parasiten hervorgerufeno Miss- bildung gedeutet. Eine IMissbildiing ist es wohl; doch eiiie solche, welche unter die Ruckschiagserscheinungen zu reclmen ist '). Wie ist soiist die im gaiizen Verhalteu so auffallende Gesetzniiissigkeit und Uebereinstimmung mit den Lycopodiaceen-^Vul•zeln zu deuten ? Diese Missbildung bei Coniferen deutet von Neuem auf ihre Ver- wandtschaft niit den Lycopodiaceen. Eine reine Anpassungser- scheinung kann es nicht sein, denn dann ware ihre Regehnassig- keit ein Rathsel und die Uebereinstimmung mit den Lycopodiaceen mehr als nierkwiirdig. Dass nicht alle Coniferen unter der glei- chen Bedingung diese Gabelung zeigen, beweist wohl nur, dass die Disposition zum Atavismus bei nahe verwandten Pflanzen ver- schieden sein kann. Oedriiugte Uebersicht der Hauptergebnisse dieser Arbeit. Dieselben lassen sich in folgende Satze zusammenstellen : I. Ueber die Wurzeln. Lycopodium. 1) Die Wurzeln treten in akropetaler Folge, ohne gesetzliche Beziehung zu den iibrigen Organen auf. Nur bei L. inundatum wurden adventive Wurzeln beobachtet. 2) Die Wurzeln entstehen bei L. inundatum am Scheitel, vor der jungsten Blattanlage, selten spiiter, wie dies bei den iibrigen Lycopodien der Fall ist. 3) Sie wachsen ohne Scheitelzelle, anfangs durch drei, spiiter durch vier gesonderte Histogene. Sie werdcn im Rindenkorper des Stammes angelegt und differenziren sich von innen nach aussen. 4) Anfangs wird die Wurzelhaube von dem Dermatogen ab- geben, spiiter aber von einer an das Dermatogen grenzenden Ka- lyptrogenschicht regenerirt. 5) Das intercalare Wachsthum der Wurzeln iibertriftt das Spitzenwachsthum um das Vielfache; doch hort letzteres wiihrend der Lebensdauer der Wurzeln nie gauz auf und tritt bei der Ga- belung hauptsiichlich hervor. 1) Hierzu diirfte auch der von Keissek beobachtete Fall zu reclmen sein, iudeni Bliithen von Tbesium intermedium Schrad., von Aecidium Tliesii Desv. befallen, Formenbildungen an Inflorescenzeu zeigteu, wie sie bei anderen San- talaceen ganz normal vorkommen (Linnaea, Bd. XVII, Heft VI, 1843 S. 641 ff.). Die Wurzeln von Lycopodium und Isoetes. 575 6) Die Trichome werden boi L. iiiundatum aus ganzen Epider- miszellen, bei den iibrigen untersuchten Arten nur aus durch schiefe Wande von diesen abgetheilten Zellsegmenten gebildet. 7) Die Gabeiung wird von Pleroni eingeleitet; die iibrigen Gewebe verhalten sicb mehr passiv. Im Gabelungswinkel ist eine Spannung, in den Podialwinkeln eine Ersehlaffung nanientlich des Periblems bemerkbar. Isoetes. 8) Die Hauptwurzel, sowie die Seitenwurzeln wachsen von ihrer ersten Anlage durch die ganze fernere Lebensdauer mit drei gesonderten Histogenen , die sich gewohnlich von aussen nach innen differenziren. 9) Das Kalyptro-Dermatogen giebt der Epidermis und der Wurzelhaube ihre Entstehung. 10) Imlntercalaiwachsthum ist Isoetes den Lycopodien ahnlich. 11) Trichommutterzellen werden vielfach gebildet; die Trichome selbst kommen aber nur sparlich zur Entwickelung. 12) In der Entstehung der Gabeiung unterscheidet sich Isoe- tes hauptsachlich darin von Lycopodium, dass bei ersterer Pflanze bei der Gabeiung drei, nicht vier Histogene thatig sind. Pinus silvestris. 13) Ganz in derselben gesetzmassigen Weise, wie bei den Lycopodiaceen kann die Gabeiung auch bei Pinus silvestris auf- treten. Aehnlich wie bei anderen Phanerogamen ist sie wohl auch hier als eine durch Parasiten angeregte atavistische Bildung auf- zufassen. II. Ueber die ubrigen vegetativen Organe. Lycopodium inundatum. 14) Auch genannte Pflanze hat dasselbe Spitzenwachsthum und dieselbe Entstehung der Blatter, wie dies fur andere Lycopo- dien bereits feststeht. 15) Ausser der von friiher bekannten seitlichen Verzweigungs- art kommt hier noch selten ganz reine Dichotomie vor. 16) Eine weitere, ganz besondere Art der Verzweigung tritt in den von mir als pseudoadventiv bezeichneten Knospen auf, die, zwar monopodial, doch iiber den jungsten Blattern entstehen, zu- nachst nur einen geringen Grad der Ausbildung erreichen und sich nur unter giinstigen Bedingungen weiter entwickeln. 576 Hellmutb Brnchmann, 17) Eine eigenthumliche Umbildung erfahrt stellenweise die Rinde der Bauchseite des Stammes durcli miichtige Weitertheilung einiger Zelleii zu einem Gewebekorper, dem Polstergewebe , das das iibrige Stammgewebe bedeutend auftreibt und dessen Zellwande ihre Mittellamellen zu einer stark quellbaren , schleimigen Masse umgestalten. Isoetes lacustris. 18) Auch Stamm und Blatt von Isoetes besitzen keine Schei- telzelle. 19) DerKeira hat grosse Aehnlichkeit mit einem monokotylen Keime. Die Ligula des Kotyledons scbeidet den Keim in cin koty- lisches Phyllom und ein hypokotylisches Caulom. An dem ausser- sten Ende des letzteren findet die Hauptwurzel exogen ihre Ent- stehung, sie liegt in der Verlangerung der Caulom-Axe. 20) Der Fuss des Keims ist eine seitliche Anschwellung der Axe, hervorgegangen aus der Volumzunahme und Theilung einzel- ner Zellen derselben. 21) Der Stamm wiichst durch Urmeristem-Initialen, die an- fangs nur aus wenigen Zellen bestehen und durch radiale Theilung alternirend nach beiden Seiten die nothige Oberfiache zur Bildung der ersten nach V2 I^i'vergenz stehenden Blatter herstellen, ausser- dem durch tangentiale Theilung Zellen fiir das Innere des Stam- mes bilden. 22) Auf alterem Entwickelungsstande treten die Urmeristem- Initialen als eine erhohte Scheitelgruppe inmitten der Scheitel- flache auf und bilden durch tangentiale Theilung ein unter ihnen gelegenes Urmeristem, aus dem sich der centrale „Holzkorper" und das Rindengewebe aufbauen. Durch radiale Theilungen wer- den von ihnen die peripherischen Schichten des Scheitels geschaf- fen, aus denen namentlich die Blatter ihre Entstehung finden. 23) Die Entwickelung der Blatter wird durch die Hervor- wolbung einer peripherischen Zellgruppe eingeleitet, in der sofort eine tangentiale Theilung zur Herstellung zweier Schichten folgt, die gewohnlich nach gesondertem Typus den Aufbau der Blatter besorgen. 24) Die die Ligula umgebende aussere Zellschicht desBlattes, die Ligularscheide, zeigt ganz dieselbe Differenzirung der radial zur Basis der Ligula stehenden Zellwande, wie sie fur die Plerom- scheide der meisten Wurzeln bekannt ist. Jena, botanisches Laboratorium. September 1874. Die Wurzeln von Lycopodium und Isoetes. 577 Erklarung der AbMldungen. Taf. XXII. Lycopodinm innndatam. Fig. 1. Medianer Laug&schnitt durch den Scheitel des Stanimes iiud dio iunge A\ urzelanlage M'. pb, i die Periblem-, pi, i die Plerom-lnitialen des Stam- mes, pi das Plerom desselben ; bl eiu Blatt, bl^ junge Blattanlagen ; pi, w die erste Differeuzirung des Pleroms der Wurzel, pd dessen Ansatzstelle an das des Stammes. Vergr. 220. Fig. 2. Eine jnnge Wurzelanlage unter einem sich eben hervorbildeudcn Blatte. Vergr. 220. Fig. 3. Medianer Schnitt durch die Wurzelanlage im Langsschnitte des btammes; zeigt die Differenzirung sammtlicber Histogene derselben. Das Ple- rom pi und das Dermatogen d schattirt, letzteres mit einer tangentialen Thei- ung in der Mitte seiner Schicht. pi das Periblem, wh die Wurzelhaube der Aulage ; v Zellpartien mit verschleimtem Inhalte. Vergr. 220. Fig. 4. Wie vorhin. Das Dermatogen mit weiterer tangentialer Theilung. Das Periblem und Plerom von einander uicht deutlich unterscheidbar. Vergr. 220. Fig. 5. Ebenso. Das Dermatogen in unsymmetrischer tangentialer Thei- lung. Plerom und Periblem sind deutlich von einander zu unterscheideu. Vergr. 220. Fig. 6. Das Dermatogen hat sich eben differenzirt und zeigt noch keine tangentiale Theilung, sonst wie vorhin. Vergr. 220. Fig. 7. Die tangentiale Theilung des Dermatogens hat sich luir auf die Mitte beschrankt, sonst wie Fig. 4. Vergr. 220. Fig. 8. Medianschnitt durch eine altere Wurzelspitze. hi das Kalyptro- geu der Wurzel, a durch Spitzenwachsthum der Wurzel gedehnte Zellen der Wurzelhaube. Die iibrige Bezeichnung wie friiher. Vergr. 220. Fig. 9. Ein Stiick des Dermatogens der Wurzel mit den Entwickeluugs- stufen der Trichome. Vergr. 136. Taf. XXIII. Fig. 10—16. Lycopodium inandatum. Fig. 10. Medianer Liingsschnitt einor Wurzel in der Dichotomieebene, in welcher die Gabelung eingeleitet wird. c indiffereutes Gewebe des Pleroms. Die ubrige Bezeichnuug wie sonst. Vergr. 220. Fig. 11. Entwickelterer Zustand der Dichotomie in gleicher Ansicht. Bei i erstes Auftretcn der Theilungszone des Dermatogens im Gabeluugswinkel der Dichotomie. Vergr. 220. Fig. 12. Liingsschnitt durch die Stammspitze mit einer jungen Wurzelan- lage tt)> und einer alteren Wurzel w; wsch die Murzelscheide. Vergr. ID. Fig. 13. Ein ahnliches Praparat mit drei verschiedeneu Wurzelstadieu. sh Schleimkauale. Vergr. 19. Fig. 14. Desgleichen. Bei p das erste Auftreteu des Polstergewebcs. Vergr. 19. Fig. 15. Liingsschnitt durch eiuen alteren Stammtheil. w eine alte Wur- zel; w'i eine junge adventive Wurzel; p das Polstergewcbe. Vergr. 30. Bd. via, N. F. I, 4. 37 578 H. Bruchmann, Die Wurzeln von Lycopodium u. Isoetes. Fig. 16. Querschnitt durch den Stamm mit dem Polstergewebe p an der Bauchseite. w eine alte Wurzel, / Lufthohlen derselben; sk Schleimkanale. Fig. 17—21. Isoetes lacustris. Fig. 17. Medianer Langsschnitt eines jiuigen Keimes mit der in ibre Ge- webe differenzirten Hauptwurzelanlage. K der Kotyledon, ksch die Kotyledonar- scheide, L Ligula, F der Fuss, 5 der Scheitel des Keiiaes, 6<» erstes Stengel- blatt ; pi, i die Plerorn-Initiale, pb, i die Periblem-Iuitialreihen, kd das Kalyptro- Dermatogen der Wurzel ; wh die Wurzelbaube. Vergr. 500. Fig. 18. Langsschnitt der Hauptwurzel uach weiterer Entwickelung. F die Fussseite derselbeu ; ir inuere, ar aussere Rinde ; die weitere Bezeichuung ■wie vorhin. Vergr. 500. Fig. 19. Ein Theil der Epidermis der ersten Wurzel in der Flachenansicht mit den Trichommutterzellen. Vergr. 550. Fig. 20 u. 21. Entwickelungsstadien iilterer, dicbotomisirender Wurzeln. Vergr. 220. Taf. XXIV. Isoetes lacustris. Fig. 22. Medianer Langsschnitt eines altereu Keimtheils, der die Entste- hung der ersten Seitenwurzel darstellt. wsch Wurzelscheide, wh Wurzelbaube, kd die Initiale des Kalyptro-Dermatogens ; K Kotyledon, L Ligula, Isch Ligular- scheide, ksch Kotyledouarscheide ; 6<' erstes Stengelblatt; w Hauptwurzel. Vergr. 500. Fig. 23. Die erstc Seitenwurzel in ihrer weiteren Differenziruug. pi, i die Plerom-Initiale ; das Uebrige wie vorher. Vergr. 500. Fig. 24 und 25 stellen das erste Wachsthum dieser Wurzel dar; psch die Pleromscheide der Hauptwurzel. Vergr. 500. Fig. 26. Die erste Seitenwurzel in spaterer Entwickelung. Das Kalyptro- Dermatogen und Plerom schattirt; wsch degenerirte Wurzelscheide; bl^ u. 6P erstes und zweites Elatt des Keimes. Vergr. 220. Fig. 27. Querschnitt der ersten Wurzel oder der Hauptwurzel des Kei- mes. ar aussere, ir innere Rinde; die ausserste Schicht der letzteren ist mit * bezeichnet, psch die Pleromscheide oder die innerste Schicht derselben ; g das excentrische Gefass des Pleroms. Vergr. 500. Fig. 28. Eine altere dichotomisirte Wurzel. Vergr. sehr schwach. Fig. 29. Flachenansicht des Scheitels einer mehrjahrigen Pflanze. s die Wolbuiig desselben einnebmende Urmeristem-Initialen ; M» juuge Blattanlage, 6P- bl* altere Blatter ; L Ligula derselben. Vergr. 220. Fig. 30. Langsschnitt durch den Scheitel eines alteren Stammes recht- winklig zur Stammfurche desselben. Die gewolbte Scheitelmitte uehmen die Urmeristem-Initialen ein; b eine nicht durch die Mitte getroffene Blattaulage; bl ein Blatt, pc desseu procambialer Strang in der Entstehung; c cambiale Thei- lung des seitwarts liegeuden Gewebes, h die Greuzen des stammeigenen Holz- korpers und Ansatzstelleu der Blattspurstrange. Vergr. 220. Fig. 31. Langsschnitt des Stammes parallel dessen Stammfurche. 6/> Ent- stehung eines Blattes im Medianschnitt. Das iibrige wie vorher. Vergr. 220. Berichtigung. Beim Durchlesen der Separatabdriicke meiner in dieser Zeit- schrift erschienenen Abhandhing : „Ueber die Nachweisbarkeit eines biserialen Archipterygium bei Selachiern und Dipnoern" sind mir melirere Fehler entgegengetreten, die dem Verstandniss derselben hinderlich sind. Die Ursache dieser Fehler ist darin zu suchen, dass einerseits von den urspriinglichen Abbildungen eine Anzahl nicht hat aufgenommen vverden, andererseits ich nicht selbst die Correctur der Arbeit habe ausftthren konnen. Ich bitte daher beim Lesen meiner Arbeit die nachfolgenden Correcturen zu be- riicksichtigen. 1) Seite 298 Zeile 8 von unten lies: ,,neuu" statt „neue". 2) Der Passus auf Seite 301 Zeile 8 von unten bis Seite 302 Zeile 4 vou oben bczieht sich nicht auf die dort citirte Fig. XIU, sondern auf den hier folgenden Holzschuitt. 171 / '' ^ y 3) Seite 301 Anmerkuug Zeile 1 von oben lies Fig. XIII statt Fig. XIV. 4) Seite 302 I. Absatz Zeile 2 von oben ist statt Fig. XIII der Holzschuitt zu citiren. 5) Seite 302 I. Absatz Zeile 3 von oben lies Fig. XIII statt Fig. XIV. 6) Seite 302 I. Absatz Zeile 7 von oben ist zu Raja clavata Fig. XVII zu citiren. 7) Seite 302 I. Absatz Zeile 9 von oben ist nach „mt' das Wort „medial" einzuschieben. 8) Seite 302 II. Absatz Zeile 1 von oben lies Fig. XIV statt Fig. XVI. 9) Seite 302 III. Absatz Zeile 2 von oben lies Fig. XVI statt Fig. XVII. Durcli diese Berichtigungen ergeben sich die unrichtigen Bezeich- nungcn in der Erkliirung der Abbildungen von selbst. Dorpat d. 30. Sept. (12. Oct.) 74. A. Bunge, stud. med. Druck der Fr. Mauke 'schen Officin in Jena. 3 2044 ■■TS6^^!^>'«m Date Due ^^ - 2006