^•^1 Hi%^y&i^i 'SJlM W:^--' ii'W ;^:;^M\ >. ,Sif:M: .-^^ fS jU- /uU,^' -- je^'i yibrarn of llje mustum OP COMPARATIVE ZOOLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. The gift of -Lyuu > '-r^.'C>JU.<.n.,^^r^,-i.AULyr^(J{,, No. (oL QZ/ y^ ^ Jenaische Zeitsclirift for NATURWISSENSCIIAFT herausgegeben von der medicinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. Neunzehnter Band. Neue Folge, Zwolfter Band. Mit 23 Tafeln. 7^ J c 11 a, Verlag von Gustav Fis,cher 1886. Inhalt. Seite Plate, Ludwig, Beitrage zur Naturgeschichte der Eotatorien. Mit Tafel I— III 1 Hertwig, Oskar, undHertwig, R i c h a r d , Experimentelle Untersuchungen iiber die Bedingungen der Bastardbefruchtung. 121 Scheit, Max, Ein Beitrag zur Widerlegung der Imbibitions- theorie 166 Strasser, H. , Ueber den Flug der Vogel. Ein Beitrag zur Erkenntniss der mechanischen und biologischen Probleme der activen Locomotion 174 Erdmann, August, Ueber einige neue Zoantheen. Ein Beitrag zur anatomischen und systematischen Kenntniss der Actinien. Mit Tafel IV und V 430 Brauer, August, Bursaria truncatella unter Beriicksichtigung anderer Heterotrichen und der Vorticellinen. Mit Tafel VI 489 Schauinsland, H. , Die embryonale Entwicklung der Both- riocephalen. Mit Tafel VII— IX 520 Seeli ger, Oswald, Die Knospung der Salpen. Mit Tafel X — XIX 573 Scheit, Max, Die Wasserbewegung im Holze 678 Lang, Arnold, Gastroblasta Raffaelei. Eine durch eine Art unvollstandiger Theilung entstehende Medusen-Kolonie. Mit Tafel XX und XXI 735 Compter, G. , Einige Mitteilungen iiber Asterias cilicia Qu. Mit Tafel XXII und XXIII 764 Kukenthal, Willy, und Weissenborn, Bernhard, Er- gebnisse eines zoologischen Ausfluges an die Westkiiste Norwegens 776 Haacke, Wilhelm, Bioekographie , Museenpflege und Kolo- nialtbierkunde, Drei Abhandlungen verwandten Inhalts nebst einer Einleitung in die Biograpbie der Organismen. 790 Kalkowsky, Litteraturbericht 850 Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. Von Dr. Liidwig Plate in Bremen. Einleitung. Die vorliegende Arbeit iiber die Rotatorien des stissen Wassers wurde im Sommer 1883 begonnen und wahrend der Monate Miirz bis September des folgenden Jahres fortgesetzt und vollendet. Das Material habe ich in einigen wenigen Exemplaren in der Umgegend von Jena gefangen , die weitaus grosste Zahl der untersucliten Fornien dagegen bei meiner Vaterstadt Bremen und in der Nahe von Bonn erl)eutet. Die meisten Beobachtungen wurden in dem zoologischen Institut der rheinischen Universitat gemacht, und bin ich dem Leiter desselben, meinem liochverehrten Lehrer, Herrn Prof. R. Hertwig, fiir die vielfache Unterstiitzung und Anregung, die er mir erwiesen, zu grossem Danke verpflichtet. -Es sei mir daher gestattet, eine der neu aufgefundenen Specien ihm zu Ehren Hertwigia volvocicola zu nennen. Bei der Untersuchung bin ich stets vom lebenden Tier aus- gegangen, da nur bei diesem manche histologische Details zu er- kennen sind. Tinctionsmittel wurden vielfach gebraucht, da die- selben unerlasslich sind, um einige Organe, z. B. den Keimstock, deutlich nachzuweisen ; unter den Farbstoifen haben sich Picro- und Boraxcarmin am besten bewahrt, Dauerpraparate in Gly- cerin Oder Canadabalsam zu machen, ist weuig empfehlenswert, da diese Einschlussmittel so stark aufhellen, dass die feinere Struktur der Organe vollig unkenntlich wird. Folgendes Verfahren hat sich bei der Untersuchung als die beste Methode herausgestellt : man verschafft sich eine moglichst grosse Zahl von Exemplaren, totet sie durch einige Tropfen i **/q Bd. XJX. H. F. zii. ^ 2 Plate, tiberosmiumsaure und lasst sie darin uugefatir 10 — 15 Miuuten liegen. Nachdem man gehorig ausgewaschen , werden die Tiere fiir einen Tag in eine 2"|„ Losung von chromsaurem Kali ge- bracht, dann sehr gut ausgewaschen und mit Borax- oder Picro- carmin versetzt. Haben die Tierchen 2—24 Stunden — iiber die Zeitdauer vermag allein der jedesmalige Versuch zu entscheiden — in der Farbflussigkeit gelegen, so werden sie mit S;ilzsaurealcohol ausgezogen und in c. 60 "/o Weingeist zum beliebigeu Gebrauch aufgehoben. Zur Untersuchung des Raderapparates ist es oft sehr wiin- schenswert, die Tiere im ausgestreckten Zustande zu toten. Ich habe die wassrigen Losungen vieler Salze ohne nennenswerten Er- folg angewandt; diejenige des pyroschwefligsauren Kalis leistet, wenn sie stark verdiinnt (1 Teil einer gesattigteu Losung mit c. 40 Teilen Wasser) und ganz allmahlich in geringen Mengen in ein Uhrschalchen gebracht wird, gute Dienste, wenn es darauf an- komrat, eine Zeichnung von einem vollig ausgestreckten Tiere zu entwerfen. Fiir histologische Untersuchungen eignet sie sich leider nicht, da das Protoplasma beim Gebrauch derselben zu grobkornig gerinnt. Hat man zahlreiche Tiere zur Verfiigung und erwiirmt dieselben im Uhrschalchen , bis das Wasser Blasen zu entwickeln beginnt, so wird man immer einige Exeraplare mit entfaltetem Raderapparat abgetotet finden. Das Studium der Rotatorien ist durch die schone Literatur- zusammenstelluiig, welche Eckstein in seiner kiirzlich veroftent- lichten Arbeit (Zeitschr. fiir wiss. Zoologie Bd, 39. 1883 pp. 343 — " 443) gegeljjon hat, sehr erleichtert wordcsn. Ich werde im folgen- den, anstatt lange Titel anzufiihren, auf die Zahlen dieses Ver- zeichnisses vcrweisen. Einige neu erschicnene oder nicht erwiihnte Abhandlungen mogen zur Ergiinzung jener Zusammenstelliing hier aufgefiihrt werden. 160. Collins , New Species of Rotatoria. Science Gossip, .lamiary 1872. 167. Davis, H. , Desiccation of Rotifers. Monthly microscop. Journ. Vol. IX p. 287. 168—170. GoHSE, Ph. H., Trans, micr. Soc. Tom. 111. On tlie anatomy of Melicerta ringens (p. 58), Notommata aurita (p. 93) und Not. parasita (p. 143). 171. — , The crown animalcule. Popular Science Review 1 1862 pp. 26—49. 172. — , The floscules (Floscularia) ebenda pp. 158 — 69. Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 3 173. — , The builders (Melicertidae) ebenda pp. 474—95. 174. — , The flexible creepers (Notonimatina) ebenda II 1863 pp. 475 —490. 175. Hudson, C. T., On Pterodina valvata n. sp. Monthly micr. Journ. V 1871 pp. 25—29. 176. — , On Asplanchna Ebbesbornii n. sp. Journ. Roy. micr. Soc. Vol. Ill Part. 5 1883 p. 022. 177. — , In The President's Address, einige Notizen iiber 3 neue Floscularia sp. ebenda Vol. IV Part. 2 1884 p. 177 u. f. 178. MiLLETT, F. W., Desiccation of Rotifers. Monthly micr. Journ. Vol. IX p. 286. 179. Plate , L., Zur Kenntnis der Rotatorien. Vorlaufige Mit- teilung. Zool. Anzeiger 1884 Sept. — Beitrage zur Natur- geschichte der Rotatorien, Inauguraldissertation, Jena, 1885, enthiilt einen Abdruck der Einleitung und des allgemeinen Teiles dieser Abhandlung. 180. RossETER, T. B., Observations on the Lifehistory of Stepha- noceros Eichhornii. Journ. of the Roy. micr. Soc. Vol. IV Part. 2 1884. 181. Slack, H. , Desiccation of Rotifers. Monthly micr. Journ. Vol. IX p. 241. 182. Zacharias, O., Uber Fortpflanzung und Entwicklung von Rotifer vulgaris. Zeitschr. fur wiss. Zool. 1884. Eine grosse Zahl der zur Rotatorienliteratur gehorenden Werke, namentlich englischer Autoron, stand mir nicht zur Verfugung; doch hoti'e ich alle wichtigeren neueren Abhandlungen gebiihrend beriicksichtigt zu haben. Die folgende Darstellung gliedert sich in 2 Abschnitte ; in dem ersten, dem speciellen Telle, gedenke ich die an den verschiedeneu Arten gemachten Beobachtungen , soweit sie neu sind oder unge- niigend bekannte Organisationsverhaltnisse beriihren, zu schildern. Die sich aus denselben ergebenden allgemeinen Resultate und Folgerungen werden den Inhalt des zweiten Abschnittes "aus- machen, und sollen in diesen zur Vergleichung auch manche schon bekannte Thatsachen hereingezogen werden. Bemerkt sei nuch, dass sich alle Angaben auf weibliche Tiere beziehen , wenn nicht ausdrucklich das andere Geschlecht genannt ist. Die Grosse ist in mm angegeben. 4 Plate, I. Specielle Beschreibung der untersuchten Rotatorien. I. Faiiiilie: Tubicolariua. 1. Lacinularia socialis Ehr. Die Kolonien dieser schonen und grossen Species standen mir im Summer 1883 aus der Saale bei Jena zahlreich zur Verfugung, wo dieselben alljahrlich Mitte Juni sich an den vom Fluss bloss gespulten Schilfwurzeln einstcllen. Wahrend die weiblichen Tiere festsitzende Kolonien bilden und eine Gallerthiille um sich ausscheiden , in welche die Eier abgelegt werden , schwimmen die ganz anders gestalteten und sehr einfach organisierten mannlichen Lacinularien walirend ihres nur 2 — 3 Tage dauerden Lebens bestiindig zvvisclien den VVeibchen umber; nur dann und wann hefteii sie sich fiir kurze Zciit test. Ich traf dieselben in der zweiten und dritten Woche des Juli fast an jeder Kolouie in 3—6 Exemplaren, spater dagegen in viel ge- ringerer Zahl. Die Tierchcn sind ungefiihr | so gross als die eben ausge- krochenen Weibchen. Der cylindrische Korper verjtingt sich nach hinten und liiuft in eine breite Spitze aus, die, wie das Hinter- eude der weiblichen Larve, mit einem einziehbaren \Vimi)erbuschel versehen ist. Der Raderapparat besteht aus einem kontinuier- lichen Cilienkranz, uber den das vorderste Kiirperende halbkugclig vorspringt, und einer Anzahl von Wimpern, welche zu einem Biischel auf der Spitze jener Halbkugel angeordnet sind. Weitaus der grosste Teil der Leibeshiihle wird von deni Hoden ausgefiillt, der die Gestalt einer Birne nachahmt. Der Stiel derselben wird durch den Ausfiihrgang des Spermasackes dargestellt und bildet (iinen flimmernd(!n , in den Penis herabsteigenden Kanal. Uber den Teineren Bau des Begattungsorganes, das fur gewohnlich ein- gestulpt getragen wird, bin ich nicht ganz in's klare gekommen, weil es mir nicht gelingen woUte, durch Druck dasselbe frei zur Ansicht zu bringen. Zu beiden Seiten des liodeiis zieht durch die ganze Lilnge der LeibeshcUile je ein Wassergefitss, welches im Kopf und am Hinterrande des Samenbehalters sich verkniiuelt und mehrere Zitterorgane triigt. Hudson (83), der zuerst eine kurze Beschreibung der mannlichen Lacimdaria gegeben hat, glaubt, eine contractile Blase gesehen zu haben. Ich habe von dieser Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 5 nie eine Spur wahrnehnieii konnen, vielmehr schienen mir die Excretionskanale in den Anfaiigsteil des Vas deferens zu treten, in welchem sich, kurz hinter diuser Einniiindungsstelle, ein scharf umschriebener kreisformiger Ring befindet, den ich fur das ausserste Ende des handscbuhfingerartig umgestiilpten und eingezogenen Penis halte. Dem AusfUhrgange des Hodens liegt ein diiisiges Organ an, das auch bei anderen Rotatorienmannchen beobachtet wird und wahrscheinlich eine Prostata ahnliche Funktion bat. Die Angaben Leydigs (110) iiber das Sperma, welches derselbe frei in der Leibeshohle des Weibchens uniherflottieren fand und in Fig. 8 abgebildet hat, kann ich bestatigen. Ausser den Sperma- tozoen findet man im Hoden noch unbewegliche, ihrer Bedeutung nach unklare Gebilde von schmal spiudelformiger Gestalt, die an dem einen Ende in eine feinere Spitze ausgezogen sind als an dem andern. Den Akt der Begattung habe ich nie beobachten konnen, obwohl ich haufig Maunchen mit weiblichen Kolouieen zu- sammenthat. An das Vorderende des Hodens setzt sich ein verschieden breites Band an, das sich auch dorsal iiber demselbeu ausbreitet und haufig durch Vacuolenbildung ein schaumiges Aussehen er- halt Oder auch wohl in einzelne hintereinander liegende Bliischen zerfiillt. Dieser Zellstrang reprasentiert , wie spater noch des naheren gezeigt werdei? soil, den rudimentaren Darm. Jede Spur eines Kauapparates ist an demselben verloren gegangen. Dorsal iiber ihm und fast in der Hohe des Cilienkranzes liegt das Ge- birn , eine breit viereckige und schrag zur Bauchflache gestellte Masse, von deren Hinterande 2 Nerven nach riickvvarts und oben treten, um sich an einer kleinen scharf umschriebenen, kreisrunden Olibung der Nackencuticula zu vereinigen. Aus dieser Ofifnung ragt ein Biischel feiner Tasthaare hervor. Nach vorn gehen vom Gehirn zwei Nerven ab, welche in die Gegend der roten Augen- flecke laufen. Sehr wahrscheinlich wird sich noch ein anderes Paar Tastbiischel seitlich in der Mitte der Langsachse oder welter nach hinten auffinden lassen, da dieselben bei den Weibchen und auch manchen andern Rotatorienmannchen vorhanden sind. tJber die Weibchen der Lacinularia socialis sind wir, vor- nehmlich durch Leydig, so genau unterrichtet , dass ich nur auf einige strittige oder bis dahin iibersehene Oiganisationsver- haltnisse eiugehen will. Das Gehirn des weiblichen Tieres hat dieselbe Gestalt wie beim Mannchen. Es ist ein bei Betrachtung der Ruckenflache langlich-viereckiges Organ, welches quer iiber dem Kauapparat liegt und sich nach hinten und oben mit zwei 6 Plate, Nervenstrangen bis zu deui „(Jorsalen Taster" fortsetzt. Dieses Sinuesorgan hat die Gestalt einer kleinen Papille, die durch eiue niittlerc Einkerbuug in 2 Kegel zerlegt wild. Auf der Spitze jedes der letzteren fiudet sich eiu Buscliel starrer Borsten. An den jugeudlichen Larven der Lac. soc., welche noch nicht deu breitscliirmigoii Riiderapparat besitzen , ist das Gehiru leicht zu findeu, schwer dagegen bei den erwachsenen Tieren, die es nur dann deutlich erkennen lassen , wenn man geuau von vorn und senkrecht auf den ausgebreiteten Riiderapparat blickt. In der Hohe des Genitalsackes findet sich jederseits am Korper, der Ven- tialflciche etwas genahert, eine Ott'nung in der Cuticula, aus der ein Buschel unbeweglicher Borsten herausragt. Dieselben wurzeln in einer direct unter der Otfnung liegenden gangliosen Anschwel- lung, die sicli nach voin in einen diinnen Nerv auszieht. Sinnes- organe von gleicher oder ahnhcher Beschafifenheit findcn sich fast bei alien Riidertieren, und da sie stets an den Seiten des Korpers liegen, bald der Bauch-, bald der RuckenHache genahert, niogeu sie im folgenden als „laterale Taster" bezeichnet werden, Wie bei Hydatina und Brachionus ausfuhrlicher geschildert werden soil, unterscheiden sich die lateralen Taster von dem dorsalen dadurch, dass sie nicht mit dem Gehirn in direkter Verbinduug stehen. Das Kxcretionssystem der Lacinularia weist eine Besonderheit anf, die nur noch bei 3 anderen Genera mit Sicherheit gefunden worden ist; die beiden birnformigen Knauel der Wassergefaase, welche links und rechts vom Kauapparat liegen und durch zarte Fjiden mit den Hypodermisverdickungen der \\ imperkrilnze ver- verbunden siud , communicieren mit einander durch einen bogen- formigen Querkanal, der am Gehirn vorbeizieht und 2 symmetrisch gestellte Flimmerlappen besitzt. Sieht man von vorn auf den Schirm des Riiderorganes , so ist die convexe Seite des Bogeus der herzf()rmigen Einkerbung des Wimpersaumes zugekeiirt. Leider steht mir die Arbeit von Huxley (92) uber Lacinularia soc. nicht zur Verfiigung, so dass ich nicht entscheiden kann, ob die von dieseni Forscher gemachten und seitdem wiederholt bestrittenen Angaben iiber das Vorhandensein einer am Pharynx vorbeiziehen- den, queren Anastomose in alien Punkten mit den meinigen iiber- einstimmen ' ). Die Wassergefsase sollen nach Leydiu (lU) ') Nachtriiglich bin ich durch die Giite des Herrn Gehoimrat v. Leydic; in den Kesitz jener Abhandhmg golanpt und finde , dass der englische Forscher richtig don Querkanal nach Lage und Form ge- schildert hat. Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorieu. 7 pag. 466, 467) sich am unturen Eudo zu einer nicht contractilen, in die Kloake muiKiendcn Blase vereiuigeii. Die von mir unter- suchten Tiere besitzen uiclit cine solclie Bildung; hingegen schwillt jeder Excretionskanal , etwas vor der gemeinsamen Einmiindungs- stelle, ein wenig an. Der Geschlechtsapparat der Riidertiere besteht nicht, wie man allgemein angegeben findet, aus einem einfachen, die Keimzellen enthaltenden Sacke, sondern zeigt, wie bei verwandten Plathel- niinthengruppen , cine Zusannncnsetzung aus einem Dotter- und einem Eier- odcr Keimstock. Nalieres iiber die Beziehungen bci- der /u einander wird der Lescr wcitcr unten bei Besprcchung der Gattungen Hydatina und Brachiuuus findeu, und will ich hier nur darauf hinweisen, dafs auch Lac. soc. von der eben aufgestcllten Kegel nicht abweicht. Der Dotterstock ist das bekanntc, grosse, unter dem Darm liegendc Organ , in desscn fcinkornige Dottcr- masse eine Anzahl Kerne eingestreut sind, die sich durch auf- fallend grosse nucleoli auszeichnen. Vorn am Seitenrand desselben liegt der Keimstock, eine Sunime kleiner, dicht gedrangter Zellen, dercu Kerne hochstens yV ^^ gross als die eben crwiihntcn Dotter- kerne sind. Aus diesen Keimzellen entwickeln sich successive die Eier , dercn Wachstum dadurch zu Stande kommt , dass die zu- nachst licgeuden Partieen des Dotterstockes sich eug an dieselben anschmiegen und durch Diffusion das Nahrmaterial ubertreteu lassen. Die Wintereier sollen nach Leydig (1. c. pag. 469) aus zwei Schalen bestehen, von denen die innere dick und wie ein Finger- hut getiipfelt, die aussere dagcgen diinn und durchsichtig ist. Trotzdem ich sehr zahlreiche Wintereier untersucht habe, ist mir die zuletzt erwahnte Eihaut nie zu Gesichte gekommen, und haltc ich diesclbc daher ftir ein nicht constantcs Gcbilde, zunial Leydig selbst hervorhebt, dass er ein Winterei ohne jene aussere und meist weit abstehende Hiille gcfunden habe. Nach meinen Be- obachtungen besitzen die Wintereier zwei einander verschieden dicht anliegende Hiiute, eine aussere, derbe, gelb bis braun ge- farbte und iiber und iiber fcin parquettierte Schale und eine innere, sehr zarte Hiille. Bei massiger Vergrosserung machen die poly- gonalen Felder der ersteren in der That denselben Eindruck, wie die Spitze eines Fingerhutes. Bei Anwendung starker Objective und im frischen Zustande bemerkt man im Centrum jeder Ver- tiefung noch ciu winziges rotes Piinktchen. Die Parquettierung fehlt nur an einem schmalen Riuge, der eine Ellipse um den 8 Plate, einen Eipol beschreibt und schriig zur Ltingsachse steht. Beim Ausschlupfeii wild dur kleiiiere Teil der Schale deckelartig abge- hoben. Der Dotter der Wintereier zeigt fast iiiiiner eiiie deiit- liche Soiiderung in eine lielle und eine dunkle, an Fetttropfchen reichere Halfte und erhielt sich so an den von mir ein Jahr lang autbewahrten Eiern uuverandert bis kurz vor dem Auskriechen. Die Undurchsichtigkeit der ausseren Schale Hess jedoch nicht er- kennen, ob diese Partieen die crsten Furchuugskugeln darstellten ; es ist dieses iibrigeus nicht wahrscheinlich , da man ofters auch Eier antrifTt, in denen die Trennung in eine helle und eine dunkle Eihiilfte nur unvollkommen vorhanden ist. Die Wintereier sind entweder langlich oval geformt und schwanken dann in der Grosse zvvischen 0,168 — 0,28 , oder sie sind rundlich und haben einen Durchmesser von 0,104 — 0,12. Ich bin leider nicht ini Stande auzugebeu, ob die kleinere Sorte nicht vielleicht Miinnchen ge- liefert hatte, was uach dem Grossen- und Formunterschied , der zwischeu den mannlichen und weiblichen Sommereiern vieler Rota- torien besteht, wohl zu vermuten ware. Von den zahlreicheu Wintereier u , die ich ein Jahr lang in einem Gliischeu Wasser aufbewahrt habe, erhielt ich nur wenige weibliche Tiere, da die Mehrzahl durch Bacterien zu Grunde gerichtet wurden. Doch geniigen auch diese schon , uni zu zeigen , dass die Wintereier in der That dazu bestimmt sind, ungefiihr ein ganzes Jahr ohne merkliche Veranderungen zu ruhen , und dass erst nach Verlauf dieser Frist die Furchung beginnt. Wiihrend dieser Periode brauchen dieselbeu nicht trocken gelegen zu haben. Die eben ausgekrochenen Lacinularien unterscheiden sich von den erwachsenen Tieren durch den Mangel des schirmformigen Raderapparates , durch den Besitz eines am Schwanzende ange- brachten, einziehbaren Wimperbiischels, durch die ventral in den Verdickungen der Hypoderniis liegeuden Augen, sowie durch ihre schwimmende Lebensweise und geringere Grosse auf den ersten Blick so wesentlich , dass Ehrenbeug und Leydig von einer Metamorphose der Lac. gesprochen haben. Untersucht man jedoch die Larve genauer , so findet man dieselben Organe und in der- selben Beschatfenheit, wie beim erwachsenen 'J'iere; nur die beiden Augen und der Wimperbiischel am hinteren Korperende machen hiervon eine Ausnahme. Sie finden sich ausschliesslich bei der Larve und gehen spiiter in Anpassung an die sitzende Lebens- weise verloren. Bei Anwendung schwacherer Vergrosseruugen, wie sie Leydig beuutzte, erscheiut der Raderapparat freilich einfach Beitrage zur Natuigeschichte der llotatorieu, 9 (1. c. pag. 473), in Wirklichkcit aber ist dcr doppcltc Sauin von Anfang an vorhandcn, ebonso wie der hcrzloiniige Ausschnitt di3s- sdbeii. Der untere Winiperkianz setzt sich in die MundoHnung fort, der obere bildet eineii geschl(jssenen Ring. Bald nachdeni sich das 0,45 grosse Tier niittelst seiner zwei schlauchfchmigen Klebdrusen, deren Secret, so lange es frei umherschwimnit, in elastische Faden ausgezogen werden kann , fest geheftet hat , be- ginnen die Verauderungen, die zu der bleibenden Gestalt fiihreii. Dieselben sind , abgesehen von der Grossenzunahine, an der alle Organe gleichmassigen Anteil haben, vvesentlich von zwei(!rlei Art. Einnial streckt sich der hintere Korperabschnitt stark in die Liinge, wobei die in der Larve auffallend dicke Hypodermishige daselbst zu einer viel diinneren Schicht gedehnt wird, und dann wird der Riiderapparat so nach alien Seiten unigeschlagen, dass jeder Punkt der peripheren Wimperkranze einen grosseren Abstaud voni Centrum der Winiperscheibe erhalt, diese letztere aber uaturgemass tiefer zu liegen kommt. Wahrend daher bei der Larve die Winiper- scheibe vom Kauapparat ungetahr urn Vs der Korperlange entfernt ist, sitzt beim erwachsenen Tier jene fast unmittelbar uber diesem. Die Forniveranderungen werden deninach durch einen Wachstunis- process herbeigefuhrt, der den Fuss und die peripheren Partieen der Winiperscheibe besouders bevorzugt, ohue die Organisation selbst unizugestalten ; von einer eigentlichen Metamorphose kann daher nicht die Rede sein. 2. Conochilus Volvox Ehr. Fig. 1, 2. Die Kolouieen dieser in mancher Hinsicht an Laciuularia socialis erinnernden Species standen mir im September 1884 in ziemlicher Anzahl zur Verfiigung, so dass ich die ausfiihrlichen Mitteilungen Cohns (27) in mehreren Punkten erweitern und verbesseru kann. Der Riiderapparat besteht aus zwei Cilienkranzeu, einem grosseren und einem kleineren, von denen ersterer nach aussen von dem letzteren liegt (Fig. 1 tr. u. ci.). Beide bilden nicht, wie bei Lacinularia, jeder einen geschlossenen Kreis, son- derii gehen beiderseits der ventralen Mediaiilinie in einander iiber, wodurch zwischen ihnen eine cilienfreie Stelle gebildet wird. Der von dem innern Wimperkranz unigrenzte Teil des Peristoms ver- langert sich kegelformig und zwar so, dass seine Spitze dem dor- salen Rande des Kopfes stark genahert ist; jene fallt gegeii diesen steil ab und bildet hier den ventralen Saum der Muiidoti'nung (o). 10 Plate, Nach der Bauchseite seiikt sich hinge^'en jener kegelformige „Russel" allmahlich; dass derselbe, wie Cohn sich ausdriickt, „n)chr odor wenigcr ausgestreckt vverden kaini", babe ich nic bcobachten kouiieii. Auch ist es iiicht lichtig, wenu derselbe Autor aiigiebt, dafs die Kopftaster (st. t) auf der Spitze dieses Stiriikegels liegeii; sie sitzen etwas utiterhalb derselben. Be- merkeiisweit ist besoiiders die abweicheiide Stelluiig der iMuiid- ofliiung, welche uicht an der Bauchseite liegt, soiidern dem Riickeii stark geiiiiliert ist, wie dies schoii Davis (39) mit Recht hervor- gehoben hat Man kann hierin wie auch in der auf der Riicken- seite weit nach vorn verschobcnen Afterotinung eine Anpassung an die eigentiiraliche Vereinigung der Einzeltiere zu einer Kolonie seheu. Die Gallerte, welche die Individuen unter einander ver- bindet, ist structurlos und nicht in besondere Facher, welche der Zahl der Tiere entsprechen, geteilt; sie birgt fast imnier viele Amoben , namentlich im Centrum zwischen den Fussspitzen der Tiere, oder auch einzellige Algeu. Wie bei Stephanoceros und Floscularia ist der vor deni Mastax befindliche Mundtrichter (lurch ein queres Diaphragnm in 2 Ab- schnitte zerlegt. Von dem Rande der centralen Offnung desselben hiingeu einige lange Cilien in den vor dem Kauapparat gelegenen Raum. Dieser Refund, sowie die Stelluiig der Mundotfnung, zeigen auf das deutlichste, dass Conochilus eine Obergangsform zwischen den Flosculariae und den Melicerlae bildet, die von diesen zu jenen heriiberleitet. Aus dem Kauapparat gelangt die Nahrung in einen gewundenen Schlund, indem man eine wahrscheinlich von Flimmern herriihrende VVellenbewegung von vorn nach hinten herabsteigen sieht. Der Magen soil nach CoiiN „aus 3 kugelformigen Abteilungen bestehen , welche deigestalt mit einander zusammenhiingen , dass die 2 vorderen am Bauche i)aarweise iieben einander nach rechts und links, die hinterste nnpaare aber iiber denselben mehr nach dem Riicken zu liegt/' An diesen Magen soil sich ein Enddarm schliussen, „welclier auf dem Riicken nach vorn zur Afterotinung fiihrt/' An den Beobachtuiigen Coiins, welche diesen Satzen zu Grunde liegen, ist nichls auszusetzen , nur die Deutung der- selben ist, nach meiner Meinung, eine unrichtige. Der Magen weicht von dem ty|)ischcn llau nur darin ab , dass er durch eine seichte Lilngsfurche der Waiiduiig in 2 neben einander liegende Rilume gesondert wird. Der vor diesOn befindliche dritte kugel- formige Abschnitt gehort nicht mehr zum Magen, sondern ist als Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 11 Enddarni anzusehen, wie daraus hervorgeht, dass diu Wasscrge- fasse jcderseits an seinem ljbergan<^e in den vermeintlicheu Enddarni einniunden, und hier auch die Flimnierung aut'hort. Dieser letztc Teil des tractus bildet denniach die Kloake, welche bei alien Ruta- torieu (mit Ausnahnie von Rhinops) der Cilienauskleidung entbehrt. In dieselbe vvird auch der Ausfuhrgang der Geschleehtsorgane treten, doch gelang es niir nicht, die Einniundungsstelle zweifellos zu er- kennen. Mit dem geschilderten Befundc stinnnen freilich auch nicht die Angaben , welche Coiin iiber das VVassergefasssysteni niacht. Er sagt namlich : „wir sehen die Ausniiindung des Wasser- gefasssystemes in die Kloake gleichzeitig uiit dem After mittelst eiiier Rohre, welche sich in zwei hinter einander liegeude con- tractile Blasen erweitert; diese sind verhaltnismassig klein und abwechselnd thiitig." Ich habe mich auf das bestimni teste uber- zeugt, dass nur ein kleiner Abschnitt der rohrenformigen Kloake contractile VVanduug besitzt; derselbe liegt kurz vor der ausseren Otfnung ini Vorderteil der Kloake und kann, da er sich ab- wechselnd fiillt und zusammenzieht, mit Recht als contractile Blase bezeichnet werden, obwohl er nicht ein von jener besonders abgesetztes Organ darstellt, wie dies bei fast alien andern Rota- torien der Fall ist. Anlass zu der irrigen Deutung mag der Um- stand gegeben haben, dass der hintere Kloakeurauui haufig auch prall mit Fluidum gefullt ist und daher einer contractilen Blase in der Diastole ahnlich sieht. Die Wassergefasse erstrecken sich nur iiber einen kleinen Teil des Korpers. Sie beschreiben einen Bogen, dessen concave Seite der Riickenflache zugewandt ist. Jedes Gefass bildet eine Verknauelung in der Nahe der Kloake und eine zweite seitlich vom Gehirn. Von Zitterorganen zahlte ich jederseits 6. Es ist mir sehr wahrscheinlich, dass die Wasser- gefasse, wie bei Lacinularia, durch einen queren Kanal mit einander in Verbinduug stehen. Ich habe denselben freilich nie mit voUiger Sicherheit erkennen konnen, glaube aber, dass er vorhanden ist, Weil man an gunstigen Objecten vor dem Gehirn jederseits der Mediaulinie ein Zitterorgan bemerkt, welches seiner Lage nach den gleichen Gebilden an der Queranastomose der Lacinularia vollkommen entspricht. Das Kervensystem von Conochilus volvox ist einfacher ge- baut, als bei irgend einem anderen Rotator. An gefarbten Prapa- rateu lassen sich die zahlreichen runden Kerne der Ganglienzellen des Gehirns leicht erkennen. Merkwurdiger Weise fehlt aber so- wohl ein dorsaler, wie lateraler Taster. Die beiden Fiihler auf 12 Plate, dem Peristoinkegel diiifcri iiicht, wie dies Davis gethan hat, als dorsale Taster gedeutet werdcn, da sie ventral von Gehirn und Mundoft'nung liegen. Sie sind vielmehr jenen Siunosbiischeln zu- zuziihlen , die allmahiich durcli Differenzierung aus den Winipern des Raderorganes entstanden sind und bei den verschiedeneu Specien in Zahl und Stellung sehr variieren. Hierfur spricht auch die Beschaftenheit des niilnnlichen Raderappaiates , welcher dort noch gevvolmliclie locoiiiotorische Cilien aufweist , wo bei deni Weibclien diese Gefiihlsorgane stehen. Bei starker Vergrosserung sieht njan , dass der wahrscheinlich vom Gehirn entspringende Nerv innerhalb der zapfenforniigen Stirntaster ein Ganglion biidet, das mit einem scharf niarkierten Ringe quer abgestutzt endet. Nach vorn schliesst sich an dies Ganglion eiue zarthiiutige kurze Hiilse, welche teihveise aus der Oti'nung der Cuticula herausragt und ini Innern feine Kervenstrange erkennen lasst. Nachdem letztere diese Hiilse verlassen liaben, laufen sie eine Strecke weit diclit nebeu einauder und strahlen erst am Eude piuselforniig aus. (Fig. 2). Die Sonderung der Geschlechtsorgane in einen Dotter- und einen Eierstock lasst sich , wie bei alien kleineren Rotatorieu , so auch bei Conochilus oft nur schwer erkennen. Sind die Tiere jedoch langsani im Wasser abgestorben, wobei alle Kerne auffallend scharf hervorzutreten pliegen, so kann man sich auf das bestimm- teste uberzeugen, dass dem Dotterstocke am hiuteren Ende eine Anzahl Eikerne anliegen, die nur ^ der Grosse der Dotterkerne erreichen. Sie sind zahlreicher als die letzteren (circa 15), liisen sich successive ab und entwickeln sich in der ftir die Rotatorien typischen Weise, auf die ich bei Hydatina naher eingehen werde. Der Keimdotterstock und die abgeschniirten Eier werden von einer diinnen, an der Kloake ausmundenden , sackfiirniigen Membran umiiullt. Die CoHN'sche Vermutung, dass die Eier frei in die Leibeshohle zu lie;gen kominen, kann ich nicht bestiitigen. VViih- rend Ijei den meisten Wintereiern der Rotatorien die aussere der zwei Schalen die innere an Starke iibertrifft und durch besondere Oberflachtinditferenzierung ausgeziiichnet zu sein pHegt, linden wir bei Conochilus volvox das umgekehrte Verhilltnis: die aussere Schale ist glatt und zart, die innere derb und, wie bei starker Vergrosserung zu erkennen ist, iiber und iiber mit kleinen Griil)- chen versehen. Die Punktierung fehlt, iihidich wie bei Lacinu- laria, nur an einem elliptischen Ringe, der schriig zur Langsachse den einen Eijjol umgiebt. Beitrage zur Naturgeschiclite der Rotatorien. 13 Die grossen Langsrauskeln des Korpers bestehen aus eiiiein centralen Cylinder von contractiler Substanz und aus ciner diinnen peripheren Scbicht fciiikornigen Protoplasuias mit Ki^rnen. Da sie die Form vou Bandern baben , so erscbeinen Kern und Proto- plasma zu beiden Seiten der contractilen Acbse. Die letztere bietct ein beachtenswertes Verhalten dar: sowobl an lebenden, als auch an mit Uberosmiumsiiure behandelten Tieren findet man in der Kegel cine zaite, aber deutlicbe Querstreifung, die unabbiingig ist von dem Contractionszustande. Zuvveilen stiessen mir jedoch Individuen auf, deren Muskelacbse vollig bomogen war und keine Spur von Querstreifung erkennen liess. Aucb Cohn bat nur Tiere mit glatter Muskulatur gefunden. Icb schliesse daraus, dass bei Conochilus die Querstreifung der grossen Langsmuskeln im Ent- steben begritfen ist, mancben Individuen scbou zukommt, wiibrend andere nocb das urspriinglichere Verbalten zeigen. — Die Korper- flussigkeit ist gewobnlicb farblos, zeigt aber zuweilen einen gelb- lichen Scbimmcr. — Die Hypoderrais zeigt im Fuss dauernd die- selbe Bescbati'enbeit , welcbe den Lacinularien voriibergebend in der Jugend zukommt. Sie ist stark verdickt und springt wellen- formig nach innen vor. In jedem der dadurcb gebildeten kleinen Polster liegt ein Kern (Fig. 1 /»), ohne dass dabei das Proto- plasma in Zellen zerfallen ware. Es bildet vielmebr, wie allge- mein bei den Rotatorien , eine zusammenhiingende Scbicht unter der Cuticula. — Die von Davis zuerst gemacbte Bcobacbtung, dass sicb grossere Kolonieen durcb plotzlicben Druck, z. B. durch Auflegen eines Deckglases, in zwei gleicbe Hiilften teilen lassen, babe ich wiederbolt bestiitigen konnen. Halt man die Kolonieen in einem Glase , so setzen sie sicb ofters an der Wand desselben fest, woraus man schliessen kann, dass sie aucb im naturlichen Zustande nicht fortwiibrend umherscbwimmen. Der Riiderapparat des Miinncbens besteht aus einem einfachen Wimpersaume, iiber den der Kopf kegelformig vorspringt. Dieser Kegel ist auf der Ventralseite dicbt mit Cilien besetzt, wabrend die Riickenflacbe nakt ist. Er tragt die 2 roten , mit Linsen ver- sehenen Augenflecke, welcbe demnacb beim Miinncben anders als beim Weibcben, nilmlicb vor dem Hauptcilienkianze, gelagcrt sind. Wassergefiisse, contractile Blase sowie I'astapparate babe ich ver- gebens gesucht. 14 Plate, n. Familie: Philodiniia. 3. Die Philodinaen, zu denen die gemeinsten Riidertiere aus den Gattungen Philodina, Rotifer uiid Actinurus gehoren , bilden eine der abweichendsten Abteilungcni der ganzen Kl;iss(!, auf deren genaue Untersuchung ich leider nicht eingegangen l)in, da stets anderes, weniger haufiges Material iiieine Aut'merksamkeit in Anspruch nahm. Im Folgen- den sollen nur einige, wenig zusammenhangende Beobachtungen geschildert werden, die icii ab und zu gemacht habe. Conochilus und die genannten 3 Genera sind die einzigen Rotatorien , bei denen, trotz genauer Untersuchung, die lateralen Taster nicht zu finden waren. Der Mangel derselben hiingt bei letzteren wahrscheiiilich niit der fiir sie characteristischen Fabig- keit zusanimen , die einzelnen Scheinsegmente des Korpers fern- rohrartig in einander schieben zu konnen. Waren diese Sinnesorgaue vorhanden und batten sie die gewohnliche Lage in der Nahe des hinter(!n Korperpols, so wiirden sie bei der spannerraupenartigen Bewegungsweise der Tiere bestandig in das vorhergehende Glied herein und aus demselben heraus geschoben werden, was oflcnbar mit dem Bau und der Function der Tastborsten wenig vertraglich ware. Das Fehlen derselben erklart auch die ungewohuliche Grosse des dorsalen Tasters, die sonst nur noch bei den lateralen Sinnesbuschein einiger festsitzenden Formen wiederkehrt. Es ware interessant, zu erfahren , wie sich die Miinnchen in diesem Punkte verhalten; doch sind dieselben bis jetzt noch nicht auf- gefunden worden , und auch ich habe mich vergebens bemiiht, unter Tausenden von Individuen einer Philodina sp. sie zu Gesicht zu bekomnnen. Der Riiderapparat der Philodinaen besteht, wie zuerst Hux- ley gezeigt hat, imnier aus zwei dnrch eine seichte Furche von einander getrennten Wimpersiiunien. Die Cilien des vorderen sind weit grosser als die des hinteren und bilden zwei Halbkreise, die dorsal und ventral in der Medianlinie durch eine nakte Stelle von einander getrennt sind. Der schwiicher entwickelte 2. Flimmer- streif zeigt bei verschiedenen Philodiniien einen verschiedenen Grad d(;r Ausbildung. Auf der Ventralseite ist er bei alien vor- handen und setzt sich mit seinen Cilien direkt in die Mundhohle fort. Bei Philodina roseola liiuft er auf der Ruckentliiche jeder- Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 15 seits schriig nach vorn, urn mit dom vorderen "Wimpersaum dort zu verschnielzcn , wo derselbn an die cilienfreie inediane Partie stosst. Bei andern Specien (z. B. Rotifer vulgaris, Actiiiurus) dehnt sich der zweite Wimperkraiiz von der Ventralflaclie nicht auf di(! Riickenflache aus, sondern setzt sich nur als sciinialer, niehr Oder weniger deutlich ausgepragter Hautwulst bis an jene mittlcre Einkerbung des Hauptkranzes fort. — Der Magen von Phil, ery- throphthalma weist eine Eigentiiniliclikeit auf, die verniutlich auch andern Philodinaen zukommen wird. An der dorsalen Magen- wand findet sich ein von der cardia bis in die Mitte reichender Streifen, der mit besonders langen Wimpern besetzt iind am Ende etwas spiralig eingerollt ist. Dieser Endabschnitt fallt beim leben- den Tiere haufig leicht in die Augen und macht den Eindruck cke vorliegen, oder ob dieselben einfache Ovarien darstellen, bei denen, wie bei manchen acoelen Turbellarien, die Keim- und deutoplasma- bereitenden Elemente noch nicht gesondert sind. Wenn Eckstein (1. c, pag. 353) angiebt, dass die Embryo- nal-Entwickluiig bei alien Philodinaen im Uterus stattfiinde, so ist dies nicht ganz richtig. Schon EniiENBERCi kannte die abge- legten Eier mancher Specien und erwahnt vom Genus Rotifer, so- 16 Plate, wie von Phil, aculeata und erythrophthalma, (lass sie nur perio- disch lebendig gebaren, fur gewohnlich dagegen Eier ablegen. In welchem Verhiiltnis beide modi der FortpHanzung zu einander stehen , ist bis jetzt noch nicht erniittult worden. Bei Philodina roseola Ehr. habe ich mich selbst davon uberzeugt, dass diinn- und glattschalige Eier in Haufen abgelegt werden und sich binnen 24 Stunden vollstilndig entvvickeln. Die Eier waren fast samt- lich an dem eineii Pol mit einer etwas verjiingten und abgerun- deten Spitze versehen. Ganz abweicheud von alien iibrigen Riider- tieren gelangen die Eier, welche sich im Innern der Mutter ent- wickeln, frei in die Leibeshohle. Diese schon von vielen Autoren gemachte Beobachtung ist vollig richtig, und das Misstrauen, welches derselben von anderen Forschern entgegengebracht wird, nicht berechtigt. Von einer Nahrungsaufnahme im miitterlichen Korper mittelst der Mundoffnung kann jedoch nicht die Rede sein. Wintei'eier sind von Philodiniien meines Wissens noch nicht gefunden worden , obwohl diese Tierchen seit den Zeitcn eines Leeuwenhoek ein Lieblingsgegenstand der Mikroskopiker gewesen sind. Ob „die grosse spindelformige Zelle", wilche Eckstein jeder- seits vom Enddarm bei Rotifer vulgaris gefunden hat, wirklich zum Nervensystem gehort, erscheint sehr fraglich. Solange man nicht bei derartigen Gebilden, die auch an andern Stellen vielfach, namentlich bei den grossen Asplanchiiaarten, zwischen den einzelnen Organen vorkommen, den directen Zusammenhang mit dem Gehirn Oder mit Sinneswerkzeugen erkannt hat, ist es richtiger, sie drm Bindegewebe zuzurechnon. Auf jeden Fall diirfen solche in der Nahe des hinteren Korperpoles gelegene Zellen nicht deshalb zum Nervensystem gezahlt werden, well diesclbcn bei Lacinularia soc. mit iSichcrheit als nervose Elemente erkannt sein sollen. Die Angabe, auf die P^ckstein sich stiitzt, ist von Leydig selbst spiltcr zuriickgenommen worden (108 pag. 83). III. Familie: Polyartlirjia. 4. Polyarthra platyptera Ehr. ¥\'^. 3, 4. Diese Species habe ich in den Hassins des Honner botanischen Gartens in grossen Mengen gefangen, sodass ich die Besclircibuiig, welclu! Leydkj in seiner klassischen Arbeit iiber die Rotatorien gegeben hat, in einigen Punkten erweitern kann. Beitrage zur Naturgeschi elite der Rotatorien. 17 Die Bliitfliissigkcit, welche die Leibeshohlc ausfiillt, zeigte bei den Tieren, welche der eben geiiannte Autor uiitersucht hat, einen gelb-rotlichen Schininicr. Bei den zahlreiclien Exemplaicii, welche ich daraufhiu gepriift habe, war dies iiur vereiuzclt der Fall, und fiir gewohnlich die perienterische Flussigkeit wasserklar. Ganz dieselbe Erscheinung vverden vvir bei Synchaeta wiederfinden ; diircli welche Ursacheii sic hervorgerufen wird, und ob der im Bliite geloste Farbstoff von Geburt an den Tieren eigen ist, ver- mag ich noch nicht anzugeben. — An dem Raderapparate benierkt man einen einfachen Wimperkranz, der dorsal in der Mitte eine nakte Stelle aufweist. Oberhalb der Mundoffnuug belindet sich ein von Guenacher (72) zuerst entdeckter, dichter Wald von kleinen steifen Borsten , die an ihrer Spitze mit einem schwarzen Knopfchen enden. Vernmtlich stellen sie ein Sinnesorgan dai-, das bei der Auslese der Nahrung zur Anwendung konimt. — Das Ge- hirn, in dessen Zellen gefarbte Praparate eine grosse Zahl kleiner runder Kerne erkennen lassen, setzt sich nach hinten und oben in 2 Nerven fort, die an einen nackenstiindigen Tastbiischel heran- treten. Ausserdem sitzt dem Gehirn ein Augenfleck auf, der in der Jugend schon rot, spater sehr hiiufig bliiulich oder schwiirz- lich gefiirbt ist. Die von Leydig zuerst gefundenen lateralen Taster stehen auffallend weit nach hinten; wenn ihr Entdecker angiebt, dass die zugehorigen Nervenfaden mit dem Gehirn in Verbindung stehen, so hat er dies wohl nur a priori angenommen, wie mir auch aus seiner Zeichnung hervorzugehen scheint. Wenn der Raderapparat eingestiilpt und das Gehirn dadurch in seiner Lage verschoben wird, andert sich die Stellung dieser lateralen Nerven nicht, wie es der Fall sein musste, wenn sie direct mit dem Gehirn in Verbindung standen. Sie verhalten sich daher unzweifelhaft ebenso, wie die homologen Gebilde bei Hydatina, Brachionus und Asplanchna. — Hinsichtlich der Magendriisen kann ich die Mitteilung Ehrenbergs bestatigen: sie liegen vorn am Magen, nicht, wie Leydig gesehen zu haben glaubt, am hinteren Ende desselben. — Der Geschlechtsapparat des Weibchens zeigt die Trennung in einen grossen, ventral gelegenen Dotterstock von meist viereckiger Gestalt und in einen kleinen Eierstock, der als ein schmaler Streif mit einer Anzahl Kerne am hinteren Ende des ersteren liegt. Dotterstock und Keimdruse sind durcii eine diinne Menibran von einander geschieden , welche jenen allseitig umgiebt. Beide Organe werden von einer zarten Hiille umschlossen, die an der Kloake ausmundet und hinter dem Eierstock als uterus Bd. XIX. S. F. XU. 9 18 Plate, bezeichnet werden kann. Die noch in der Entwicklung begriffenen Eier stehen innerhalb des letzteren in directer Beriihrung mit dem dotterbercitenden Abschnitte, da der Eierstock nicbt die ganze hintere Flache desselben einnimmt. 1st dann auf dem Wege der Diffusion das Deutoplasma in das Ei iibergetreten, so wird dieses aus dem uterus gestossen und dem liinteren Korper- ende angeklebt. Von den weiblichen Sommereiern werden 1 — 2, von den kleineren milnnlicben bis 5 gleicbzeitig umhergetragen. Die Wintereier bieten mancbes Eigentiimliche. Sie besitzen eine Grosse von 0,076 und im ganzen 2 Schalen , eine aussere derbe (Fig. 3 a) und eine innere zarte (b), die eine Strecke weit von einander abstehen und durch eine Anzabl kleiner, radial nach aussen gerichteter und an beiden Enden etwas verbreiterter Stab- chen mit einander verbunden sind. Der Dotter des Wintereies wird ausserdeni zu innerst noch von einer diinnen Membran um- hullt, die nur dann sichtbar wird, wenn sich der Inhalt etwas zusammengezogen hat. In demselben fiuden sich ebensolche goldgelbe Fetttropfen, wie sie fiir die Sommereier characteristisch sind. Im Gegensatz zu den Wintereiern anderer Rotatorien sah ich dieselben bei dieser Species ofters in Einzahl dem Muttertiere ankleben. Sie scheinen tibrigens nur voriibergehend umherge- tragen zu werden , denn nach einiger Zeit kann man dieselben auch auf dem Boden des Gefasses finden. Da man diejenigen Tiere, welche raiinnliche Eier mit sich herunifiihren, an der grosseren Zahl, ihrem geringeren Durchmesser und der kugelrunden Gestalt der Eier erkennen kann, so halt es nicht schwer, sich in den Besitz der Miinnchen zu setzen. Die- selben sind sehr bewegliche Tierchen, deren Untersuchung durch die geringe Grosse (0,044) wescntlich erschwert wird. In ihrer Gestalt weichcn sie durchaus von den Weibchen ab und entbebren, wie fast alle Radertiermilnnchen , einer Mundoffnung und eines Kauapparates. Die flossenartigen Anhange des Weibchens fehlen voUig, und auch von einem Augenfleck ist nichts am Gehirn zu erkennen. Gosse (67) ist der erste gewesen, welcher die Miiini- chen beobachtet hat, jedoch kann ich seiner Beschreibung hin- sichtlich der iiusseren Gestalt nicht ganz beistinimen. Sie lassen (Fig. 4) eine Bauch - und eine Ruckenseite unterscheiden , von denen diese etwas schmiller ist als jene. Bcide hiingen durch zwei nach innen gebogene SeitenHilchen mit einander zusammen. Nach hinten verjiingt sich der K(>r|)(!r in den Penis, der am freien Ende (t. w.) bewimpert ist und wiihrend des Umherschwimmens Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 19 teilvveise eingezogen wird. Ein Fuss, an den sich der Penis nach GossE ansetzen soil, ist nicht vorhanden. Vorn bildet der iviirper einen halbkugelig vorspringenden , einstiilpbaren Kopf, der mit eineni einfachen Cilienkranze und innerhalb desselben mit 2 Biischeln starker Winipern besetzt ist. Der grosste Tcil der Leibes- hohle wird von dem Hoden (t) eingeuommen, der sich nach hintcn in einen flimmernden Ausfiihrgang fortsetzt. Neben dem Spernia, dessen feinere Structur bei der Kleinheit des Objectes nicht zu ermitteln war, liessen sich deutlich die unbeweglichen , schmal- spindelformigen Stilbchen erkennen , deren oben schon bei Be- sprechung der mannlichen Lacinularien Erwiihuung gethan wurde. Der dem Hoden aufgelagerte rudimentare Darm wies constant einige Fetttropfen auf. An dem aiisleitenden Kanal des Sperma- sackes liegt eine Prostata-ahnliche Driise (pr.); Wassergetasssystem und Sinncsborsteu vermochte ich nicht aufzufinden. 6. Triarthra longiseta Ehr, tJber diese Species besitzen wir eine so eingeheude Unter- suchung von Grenacher (72), dass ich derselbeu uur Weniges hinzufiigen kann. Ich fing in der Nahe von Bonn zahlreiche Exem- plare, bei denen die 3 langen , stachelartigen Cuticularfortsatze, welche fiir dieses Genus characteristisch sind , vollig glatt und nicht mit den zahlreichen Dornen versehen waren, die Eiirenberg und der eben ervvahiite Forscher abbilden. Wie weiter unteu ge- zeigt werden soil, sind Varietaten unter den Rotatorien, nament- lich den Loricaten, iiberhaupt nicht selten. Der hintere, von der Bauchfliiche ausgchende Ruderstachel wird nicht, wie Grenacher vermutet , dadurch nach vorn bewegt, dass ihn die beiden Vorder- stachel zwischen sich fassen , sondern vermag selbststiindig seine Stellung zu audern und zwar mit Hiilfe zweier kleiner Muskeln, die ich an seiner Basis bemerkt zu haben glaube. In der Magen- und Darmwandung findet man sehr zahlreiche Kerne mit grossen nucleoli, wodurch dieselbe histologisch von den ubrigen Rotatorien abweicht, deren tractus aus wenigen grossen und mit deutlicher Membran versehenen Zellen besteht. Der Schlund fliramert. 6. Triarthra terminalis n. sp. Im Fruhjahr 1884 fand ich bei Bonn eine Anzahl Triarthren, die von den 3 bis jetzt bekannten Arten iiusserlich etwas abwichen, sonst aber nicht von besonderem Interesse waren. Der Korper des Tieres und der Schwanzstachel besitzen durchschnittlich eine 2* 20 P.late, Liinge von 0,18 — 0,216; die beiden vorderen Ruder sind um die halbe Korperachse grosser. Wilhrend die Liinge dieser Stacheln eine Vervvechselung mit Tr. cornuta unnioglich niacht, unterscheidet sich die Species von Tr. longiseta und mystacina dadurch , dass der hintere Korperfortsatz nicht ventral, sondern terminal eben vor der Afterotfnung angebracht ist. Auch kann derselbe nicht nach vorn geklappt werden, sondern ist nur im Stande, mit dem Ilinterleibsende geringe Schwankungen auszufiihren. Das Tier steht demnach in systematischer Hinsicht mitten zwischen Tr. cor- nuta und den beiden andern Arten. Die Lange der Hautstacheln schwankt ein w^enig: bei manchen Exemplaren sind die Ruder- borsten 3 mal , die Schwanzborste 2 mal so lang als dor Korper. Dieselben sind glatt; nur einmal fand ich ein Individuum mit sehr kleinen Dornen an den Flossen , wie sie bei Tr. longiseta, welche der neuen Species in alien andern Punkten nahe steht, vor- kommen. 7. Triarthra cornuta Weisse. Fig. 5. Die Grosse dieser Species betragt von vorn bis zur Spitze des Schwanzstachels 0,172, wovon 0,05 auf den letzteren kommen. Die kleinen spitz-kegelformigen Flossen, welche seitlich am Halse eingelenkt sind , werden in derselben Weise bewegt , wie es Gre- NACHEii von den entsprechenden Gebilden der Tr. longiseta ange- geben hat. Der Schwanzstachel kann mit dem Hinterleibsende bewegt werden , ist aber nicht von diesem gelenkig abgesetzt. — Der Riiderapparat besteht aus einem einfachen Cilienkranze, der sich in den Mundtrichter fortsetzt. Der Mastax hat Ahnlichkeit mit dem der Philodinilen und besteht im wesentlichen aus 2 Flatten, die zahlreiche quere Zahnleisten , darunter 2 besonders grosse, tragen. Ein mit Cilien besetzter Schlund fiihrt in den Magen, in dessen Wandung ich wieder zahlreiche kleine Kerne, wie bei Tr. longiseta, gesehen zu haben glaube. Die dem An- fange des Magens ansitzenden Drusen zeigten bei alien unter- suchten Tieren nur einen grossen Kern. Die Wandung des End- darmes ist weit diinner als die des Magens. — Der Keimstock liegt am vorderen Rande des Dotterstockes. — Der dorsale Taster steht durch 2 Nerven mit dem Gchirn in Verbindung. Die late- ralen Sinncisboisten nehnien dieseibe Stellung ein, wie bei Tr. longiseta. Der von jeder derselben ausgehende Nerv zeigt ein Verhalten, das bis jetzt noch bei keiner andern Species beobachtet worden ist. Er biidet zunachst eine gangliiise Anschwellung unter Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 21 den Tcisthaaren und zieht daiiii als ein dunner Faden (Fig. 5 I. n.) schrjig uacli vorii uiid iiacli dur Baucliseitc, wo ur in eiuen Nerv ciumundct, der quer zur Langsachse an der Ventralsuite verliiuft. Ob dieser Querstrang auch niit deni Geliirn in Verbindiuig steht und 1'r. cornuta demnacli cine Art Schlundring besitzt, habe ich leider niclit erniitteln konnen ; doch wird dies wahrscheinlich, weun man die Augaben Gkenaciieks zu Rate zieiit, der voni Gehiru der I'r. longiseta jederseits einen Nerveu abgelicn sah, „der seit- licli iiber den Schlund nach der Bauchseite zieht," und von dem er vermutet, dass er mit dem lateralen Nerven zusannnenhangt. — Die Wintereicr lassen, ithnlich wie bei Polyarthra platyptera, ein lufthaltiges Maschenwerk zwischen ausserer und iimerer Schale erkennen. Die Sommereier findet man am hinteren Korperende angeklebt. Die Mannchen habCu ungefithr eine Grosse von 0,08 und in der Gestalt viel Ahnlichkeit mit den Mannchen der noch zu be- schreibenden Hertwigia volvocicola. Sie siud cylindrisch, besitzen vorn einen Cihenkranz, iiber den die CuticuUi, ohnc welter be- wimpert zu sein , halbkugehg vorspringt. In den daselbst ge- legenen Matrixverdickungen , vielleicht auch in Verbindung mit dem grossen Gehirn , sitzen 2 rote Augenflecke , die wie bei den Weibchen deutliche lichtbrecheiide Korperchen erkennen lassen. Nach hinten verjiingt sich das Tier, und da der enge, flimmernde Ausfiihrgang des Hodens am aboralen Korperende ausmiindet, dient dieses zugleich als Penis. Gehirn und rudimentarer Darm bieten nichts Bemerkenswertes. Tastbiischel, Wassergefasse und contractile Blase habe ich bei der steten Beweglichkeit des Tier- chens vergebens gesucht. IV. Familie: Hydatinaa. 8. Notommata aurita Ehr. Das Hinterende des Gehirns bildet einen mit Kalkconcre- menten gefullten, runden Sack, iiber den die Schilderungen Ley- digs und Ecksteins verschieden lauten. Wahrend ersterer an- giebt, dass von diesem Organ ein bei vielen Tieren mit denselben anorganischen Kugclchen gefiillter Stiel oder Ausfiihrgang aus- liiuft, hat letzterer den Kalkbeutel nur an dem hinteren, abge- rundeten Telle des Gehirns und nicht in unmittelbarer Beriihrung mit dem ebendaselbst gelegenen Augenfleck beobachtet. Man 22 Plate, kaiin daraus schliessen , dass das fraf^liche Gebilde individuellen Sell wank ungcii miterwurfcn ist , and habe icli iiiich audi an ciiier Aiizahl von Tieren hieivun iiberzeugen konnen. Die Kalkkoiper- chen gchoren dem Gehirn an und zvvar in der Kegel nur dein hintcrsten Abschnitte desselben , wclcher durch eine leichte Ein- schniirung von dem davorliegenden abgesetzt ist. An der tlber- gangsstelle beider befindet sich der rote Augenfleck. Haufig um- hiillen die Kalkniassen den Pignientfieck derartig von alien Seiteu, dass dersclbe ein schvvarzliclies Ausselien annimnit. 13ei raanchen Exeinplaren endlich liegen dieselben auch vor dem Augenfleck, entwcder unregelmiissig im Gehirn zerstreut oder mehr bandartig angeordnet, wie es Leydig zeichnet. Doch findet sich nie ein besonderer Ausfiihrgang. — Die Sinnesborstenbiischel zeigen die gewohnliclie Anordnung. Leicht zu erkennen ist freilich nur der dorsale Taster, welcher aus einer kreis- oder nierenformigen Oft- nung der Cuticula liervortritt und (lurch 2 Kervenstriinge mit dem Gehirn in Verbindung steht. Die lateralen Taster liegen in der Nahe des hinteren Korperendes, genau in der Mitte zwischen den Seitenriindern und der Medianlinie des Riickens. Der an diesen Taster herantretende Nerv bildet direct unter demselben einen kleinen rundlichen Knoten, wird dann zu einem diinnen Faden und schwillt erst in der Hohe der Magendriisen zu einem Ganglion der gewohnlichen Form an. Die Nebenaugen, von denen Eckstein innerhalb des Raderapparates noch 2 Paar beschreibt, habe ich trotz vielen Suchens nie entdecken konnen und glaube daher nicht, dass sie vorhanden sind. Auch kaun ich nicht die Ansicht des eben genannten Forschers billigeu, dass die Winiper- ohren vornehndich sensitive Function hal)en. Inter dem Druck des Deckglases kommen dieselben freilich nur selten zuni Vor- scliein. Beobachtet man hingegen ein in einem grossereu Wasser- tropfen unbehelligt umherschwimmeudes Tier, so wird man die Ciiien derselben iinmer in einer so lebhaften iM^vegung linden, wie sie nur locomotorischen, nie aber nervosen Wimpern zukommt. — Der Raderapparat besitzt bei dieser Species und bei Not. tardi- grada eine sehr abweichende, an die Gasterotiichen eriniiernde Form. Sieht man von den Wimperohren ab, so besteht er aus einer zuni grossten Teil niclit vorn am Koj)!', soiidern ventral ge- legenen, dicht mit kleinen Ciiien beset/.teii Sclieihe, die sich auch noch hinter die Muudotfnung fortsetzt und ungetahi- in der Gegend des Magenanfanges mit abgerundeter Spitze aufliiirt. Die Nah- ruug wird durch einen dreieckigen, schmalen Spalt aut'genommen, Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 23 dessen Spitze nach hiutcii gerichtet ist. — Die Zittorflamnicn ties Wassergetasssystenies sollcn weitcr unten genau beschriebcu wer- den. Hier sui nur benierkt, dass sic i-elativ sehr gross siiid, was immer dcr Fall ist, weuu ihro Zahl (hier 4) auf jeder Seite cine beschriiiikte ist, uiid dass die Seitenansicht sich durch uiigewohn- liche Breite auszeichnet. 9. Notommata vermicularis Duj. Der deni Ilinterende des Gehirns ansitzende Augenfleck zeigt eiiie sehr deutliche halbkugelforniige Liiise, welche manchmal in niehrere (3, 4) kleiiie Kiigelchen zerfalleu ist, die dann isoliert vor der Pigmentmasse liegen. Von deni Vorderteil des Gehirns gehen 2 Nervenstrange an einen Busch dorsaler Sinneshaare. Late- rale Taster habe ich bis jetzt noch nicht finden konnen, obwohl dieselben sicberlich vorhanden sind. Auch die nackenstiindigen Gefiihlsborsten sind nicht immer leicht zu seheu. - Der cnge und wegcn seiner Lange etwas gewundene Schlund zeigt cine sehr deutliche Wellenbewegung, die von vorn nach hinten vorschreitend, densclben bestandig durchzieht und durch einen dichteu Besatz sehr kleiner Cilien hervorgerufen wird. Eine zweite Wellenbe- wegung findet sich dort, wo der Schlund in den Magen ubergeht. Hier sind 2 (oder mehrereV) lange Wimpern angebracht, iiber deren Thiitigkeit Eckstein bei Not. aurita (pag. 361) und Bra- chionus (p. 415) nilher berichtet. — Den Keimstock habe ich noch nicht erkeunen konnen; doch muss er am Vorderende des Dotterstockes liegen, well hier die Eier constant angelegt werden. 10. Notommata lacinulata Ehr. (Fig. 6). Die Angaben Ecksteins, dass der Korper „uberall gleich breit und an beiden Enden plotzlich scharf abgeschnitten ist", kann ich nicht bestiitigen , finde vielmehr, dass Eyferth ganz richtig die Gestalt des Tieres keilformig nennt, weil dieselbe sich gleichmassig von vorn nach hinten verjungt. Dabei lassen sich eine Bauch-, eine Riicken- und zwei Seitenflachen uuterscheiden, die besonders deutlich in der mittleren Korperregion ausgepragt sind, vorn aber abgerundet in einander iibergehen. In der Seiten- ansicht Fig. 6 ist durch den Druck des Deckglases das Tier etwas breit gepresst, ^odass man die 2 verdickten Kanten sieht, in denen die Seitenflachen mit dem Riicken und dem Bauche zusammen- stossen. Man konnte dem Tiere einen Panzer zuschreiben, wenn die genannten Fliichen nicht vorn allmahlich in die Cuticula des 24 Plate, Raderapparates ubcrgiiigeii. Letzterer ist sehr eiufach gebaut uud bestuht im wuseutlichen aus eiiiuin Cilienkranze. Der Kau- apparat zeigt, wie schon Eiihenheug gefunden hat, dio Eigentiim- lichkeit , dass 2 tastcrcirkeltormige Spangen bestandig weit aus der Mundulinung herausrageii. Sie siiid jedoch iiicht, wie Leydig verniutet, zu einer Art Rohre odor Riissel vercinigt. Die Mus- kulatur des iMastax ist ringformig angeordnet, der Verdauungs- kaiial, wie gewohnlich, in Magoii und Enddanii gesondert. Ein dorsaler Taster bietet nichts Bemerkenswertes , 2 laterale glaube ich gesehen zu habeii, docli bin ich hierin nicht ganz sicher. Der Eierstock liegt, wie man zuweilen schon am lebenden Tier deut- licli erkennen kauu, am Vorderende des Dotterstockes. Die etwas gebogenen Zelien liefen bei alien untersuchten Tieren spitz zu und endigten nicht so stumpf, wie es Eckstein zeichnet. Wo sie in das Hinterende des Korpers eingelenkt sind, befindet sich an der dorsalen Seite ein kleines Griibchen , in dem 3 ziemlich lange Borsten wurzelu. Dicselben werden von keinmi der friiheren Beobachter erwahnt, und ist es daher immerhin moglich, dass diese Cuticularfortsiitze in ihrem Vorkonimen individuellen Schwan- kungen unterworfen sind, wie es z. B. bei Euchlanis dilatata Ehr. auch der Fall ist. 11. Notomruata tripus Ehr. Die Anhaufung von Kalkkorperchen im Gehirn variiert bei den einzelnen Individuen. Bei dem von Leydig untersuchten Exemplar beschrieben sie ein(! dreilappige Figur, welche den Augentieck bcdcckte. Bei den von mir beobacliteten Tieren bil- deten dieselben dagegen cinen hinter dem Augenfleck gelegenen Ballen, der von der Ilauptmasse des Gehirns durch eine leichte Einschnurung abgesetzt war. Ein doi'saler und 2 laterale Taster. 12. Notommata hyptopus Ehr. Die folgenden Angaben stutzeii sich nur auf die Beobach- tung eines einzigen Tieres und bediirfen daher noch weiterer Be- statigiiiig. Die Kr)ri)erwan(lung nininit hinsichtlirh der Ausbildung der Cuticuhi eine mittlere Steliung zwischen den gepanzerten und den uiigepanzerten Riidertieren ein. Hinter dem Raderorgan ver- dickt sich diesclbe zu einer queren Leiste, welche in der Mitte des Riickens eine Einkerbung zeigt und zu beiden Seiten der- selben leicht jrewellt ist. Die Cuticula entspricht daher in der Form ganz dem Panzer der Loricaten, ist aber andererseits so Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatoricn. 25 nachgiebig, dtiss sie mit deiii Rjidororgan cingestiilpt werdcii kami. Das Gehirii ist gross, 'J iappig uiid tragt aut' der Uiitcrscite oiiioii grossen tiefroten Augenfieck; es steht duich zwei Nerven mit, eiiicni dorsalen Tastbiischtil in Verbiiiduiig. Audi laloralu Taster siiifl in der Niihe des hinteren Korperciides vorliandiui. Der Radurapparat vveist einen eiiifachen Ciliensauin auf, iiinerhalb dessen sich einige liingere, ebenfalls schlagende VVimpcrn uiid jederseits ein Paar grosser, ineist unbewegliclier Borsten befinden. Der Dotterstuck biklet ein Hufeisen, dessen Sclienkelenden sich audi dorsalwarts vom Darm ausbreiten. 13. Lindia torulosa Duj. = Notommata tardigrada Leyd. Bei SchilderuDg der Lindia torulosa Duj. liebt Cuim (26) die grosse Ahnlichkeit dieser Form mit Not. tardigrada Leyd. hervor. Letztere „besitzt dieselbe Bewegungsweise und Korperform, sie hat das Gebiss, den Augenfleck mit dem Kalkbeutel, die quer- gefaltete Schlundrohre von Lindia und unterscheidet sich nur durch das Flimmern an der Mundoli'nung, den Mangel der ohi^ artigen Wirbelorgane, vielleicht auch durch die Grosso (f ")•" Ich habe wiederholt ein Radertier gefunden , das vollig mit der Be- schreibung, die Leydig von Not. tardigrada gegeben hat, iiber- einstimmt, ausserdem aber jederseits ein Wimperohr besitzt und mich deshalb vermuten lasst, dass beide Specien synonym sind. Diese Wimperohren sind, wenn das Tier langsam, wie kriechend, umhergleitet, eingezogen und werden nur beim raschen Scliwimmen entfaltet. Da Leydig von seiner Species nur angiebt, dass sie sich „trage, langsam kriechend" bewegt, ist es sehr gut moglich, dass er die Wimperohren nicht zu Gesicht bekommen hat. Weil ferner Lindia torulosa nach Cohn im Stande sein soil, mit einge- zogeneii Wimperohren umherzukriechen, so muss dass Tier noch aiidere Cilien vorn am Kopf besitzen, die Cohn iiberseht'u haben wird, wodurch der letzte Unterschied zwischen beiden Tieren auf- gehoben wai'e. Farbung und Grosse, die bei jenen ebenfalls ge- ringe Ditierenzen zeigen sollen, sind iiberhaupt bei Rotatorien so vi'riinderlicher Art, dass sie erst in zweiter Linie bei der Syste- matik Verwendurig tinden diirfen. Eins der von mir untersuchten Tiere hatte eine Grosse von 0,264. Das Gehirn steht mit einem dorsalen Taster von gewohnlicher Form in Verbindung. In der Nahe des hinteren Korperendes silzen auf dem Riicken, dem Sei- tenrande genahert, die lateralen Taster, dereu Nerv uiiterhalb der starren Wimpern zu einer kleinen Kugel anschwillt, dann sich zu 26 Plate, einem dunnen Fadoii auszieht mid erst wcitor vorn eiu langlich- ovalcs Ganglion bildut. Die Wassergefasse init mehreren Flimnier- lappen nigen nach vorn bis zu den Matrixverdickiingen des Ko])fes. Leydig sagt von der Not. tard., er glaubo sich bestininit iibcr- zeugt zu liaben, dass der Magou keiii Flimmerepithel im Innern aiifweisc. Da der Mangel soldier Cilieii von keinem andern Ro- tator bekannt ist, uiid audi die von mir daraufhin gepriiiten Tierc deutlich das Spiel derselben erkennen liessen, wUrde ich jene An- gabe fur irrtiimlich baltcn , wenn nidit Balbiani (5) in einer besouderen Annierkung die Kichtigkeit dieser Beobachtung her- vorhobe. Diese Differenz der Angaben spricht allein gegen die hier vertretene Synonymic der Not. tard. Leyd. und Liudia tor. Duj. 14. Hertwigia volvocicola. n. sp. (Fig. 7, 8). In den Kolonieen von Volvox globator habe ich im August das Weibdien und Maunchen eines neuen Radertiers gefunden, welches aut' den ersten IJlick Ahnlichkeit mit der gleichfalls in jener Alge lebenden Not. parasita besitzt, sich aber vou dieser, sovvie von der ebendaselbst schmarotzenden Not. Petroinycon (lurch den volligen Mangel der Zehen in beideii Geschlechtern unter- scheidet. Das Genus ist am nachsten verwandt mit Ascomorpha, weicht von dieser jedoch durdi die tonuentorniige Gestalt, den Besitz eines Kndilaniies und daduich, dass die Eier abgelegt, nicht vom VVeibchen mit herumgetragen werden , erheblich ab. Wohin dasselbe in der Systeniatik zu bringeu ist, kann sich erst bei einer spiiteren, griindlicheu Revision herausstellen; ich halte Hertwigia fiir eine Form , welche den Ubergang von den Hyda- tinaen zu den Asplaiichniieii bildet, mit jenen den Besitz des End- darmes, mit diesen die allgenieine Koiperform (Mangel des Fusses), die Beschaffenheit des Raderapparates und die Duplicitat des dor- salen Tasters teilt. Das VVeibchen, das nach seinem Aufenthaltsort den Species- uamen volvocicola erhalten mag, hat im erwachsenen Zustande eine Grbsse von circa 0,12 und eine tonneiit'ormige Gestalt, die sich nach hinten zu verschmiilert und am aboralen Korpcrpole mit breit aligeschnittener Spitze endigt (Fig. 7). Der Riider- apparat besteht aus einem Cilienkranze, iiber den sich das Vor- derende des K()ri)ers halbkugelig hervorstiilpt und iiber und iiber mit kleinen Ilarclien beselzt ist. Ks erinneit dasselbe sehr an die tyi)ische Kopfform der Rotatorienmannchen. Der Kopf triigt an der Ventralseitc die Mundotfnung, weldie unmittelbar in den Beitrage zur Naturgeschichte der Kotatorien. 27 Kauapparat fiihrt, unci verlauMcrt sich dorsal in eine cij^untiim- liclie Ausstiilpuiig der Haut, diu keinu Cilien trilgt luul audi lunno andcren auf uin Sinnesorjj;an hinvveisende Ditfereuzierungeu bcsitzt. Unmittelbar liintcr diesem Zapfon ist der Hauptvvinipursauni dcs Radcrappa rates untcrbrochen , und dasselbe scheint vcntralwilrts in der Mitte der Fall zu sein. Wenn das Tier Nahrung zu sich nehiuen will, die aus den Individuen der Volvoxkolonie besteht, so schiebt es den vorderen Abschnitt des Kaugeriistes woit aus der MundoHiiung hervor und packt daniit seine Beute. Di;r Rader- apparat dient hier denmach lediglich zur Locomotion, nicht ausser- dcm zuin Ilerbeistrudeln der Nahrung. Aus deni Mastax, tiber dessen genaueren Bau ich niich noch nicht habe untcrrichten kiinnen, gvlangt die Speise durch einen niassig laugen, engen Schlund in den Magen, in dessen vordere Halite zwei birnt'orniigc Magen- diiisen einmiinden. Ein durch eine Einschniirung abgesctzter End- darni tritt am hinteren Korperpol , der Riickenseite etwas ge- mihert, in die Kloake, welche mit einer contractilen Blase und dem Ausfiihrgange der Geschlechtsorgane in Verbidung steht. Von letzteren habe ich bis jetzt nur den Dotterstock erkennen konnen, der einen liinglichen Sack unterhalb des Tractus ilarstellt. Das Gehirn triigt an seinem Hinterende einen grossen roten Pig- nientfleck und steht mit den dorsalen Tastern in Verbindung, dcreu hier, wie bei Asplanchna, zwei vorhanden sind; sie stehen etwas weiter nach hinten, als gewohnlich der Fall zu sein pflegt. Auch laterale Taster glaube ich geseheu zu haben; doch konnte ich mich hierin geirrt haben, da die Untersuchung der in den Volvoxkolonieen behndlichen Tiere durch die griinen Individuen derselben, dieBeobachtung der frei umherschwimmenden Exemplare aber durch ihre grosse Beweglichkeit sehr erschwert wird. Aus diesem Grunde habe ich auch die Wassergefasse, welche sicherlich vorhanden sind, noch nicht erkennen konnen. — Aus dem Ge- sagten geht hervor, dass die weiblichen Hertwigia volvocicola wenig von dem typischen liaue der Rotatorien abweichen und nur in dem Mangel eines Fusses, der Duplicittit des dorsalen Tasters und der Beschatfenheit des Kopfes beachtenswerte Ver- haltnisse darbieten. Die Mannchen (Fig. 8) fanden sich nicht cben selten, meist in 3— 4Zahl innerhalb der Gallerte der Volvoxkugel. Sie sind walzenformig und haben eine Grosse von nur 0,08, iibertretfen daher die Halfte der Liinge des Weibchens um ein Weniges. Sie sind sehr einfach gebaut und eutbehren der Mundoffuung, des 28 Plate, Kauapparatcs und ciiius besondereu Penis. Der Raderapparat be- stebt aus eineiii Cilienkraiizc, der die Mitte der Bauchseite frei- lasst und iiber den die Cuticula sich etwas hervorwolbt zu einer dicht niit kleinen Wimpern besetzten Calotte. Besonders beiner- kenswerth ist das Fehlen des kegeltorniigen Hautzapfens, welcher den Koi)f des Weibchens iibcrragt. Der Leibesraum wird voi- nebndicli von dem Iloden erfullt, dessen flinimernder Ausfiihrgang atn binteren, etwas verjiingten Korperende ausmundet. Das Ge- birn stellt ein ini Verbaltnis zur Korpergrosse enorni entwickeltes Organ dar, dem am Hinterrande ein roter Augenfleck ansitzt. Mit Sicherheit babe icb nur einen dorsalen Taster bemerkt, doch ist der andere wobl nur ubersehen worden. Uber dem Hoden liegt der rudimentare Darm, der vorn bis an das Gehirn reicht und mit diesem so eng zusanimenbiingt, dass icb ofters einige Korncben des Augenpigmentes auf ihn iibergetreten fand. Die Wassergefasse sind vorhanden, doch nur sehr scbwierig zu er- kennen, sodass mir die Art ibrer Ausmiindung verborgeu blieb. Nur das ist sicber, dass eine contractile Blase feblt. In dem rudimentiiren Darm babe icb nie Spureii von Kalkkorperchen, wobl aber zuvveilen einige Fetttropfen get'unden. Das Hiuter- und Vorderende des Korpers konnen etwas eingestiilpt werden. Die biologiscben Verbaltnisse sind ganz iibnlicb wie bei No- tommata parasita. Wiibrend die Weibcben sicb vermiige ibrer Kiefer leicbt einen VVeg in eine Kolonie oder aus derselben beraus- babnen konnen, bleiben die Miinncbcn witbrend der kurzen Zeit ibresLebens(l 2Tage) in derselben Volvoxkugel eingescblossen, in dor sie das Ei verliessen. In einer Kolonie land icb imraer nur eine Eisorte, entweder mannlicbe oder weiblicbe Sommereier oder Wintereier; man kann daraus scbliessen, dass dasselbe Weibcben immer nur eine Eiart produciert, ein Scbluss, der mit vielen an andern Rotatorien gemacbten Erfabrungen iibereinstimmt. Die zuerst genannten Eier besitzen eine G rosso von 0,056, die gewobn- licben Sommereier sind etwas grosser, liaben aber dieselbe Gestalt; die Wintereier endlich sind mit 2 Scbalen versehen, einer ilusseren <]('rben und braunlicb gefarbten, die iiber und iiber mit kurzen, (licken Borsten besetzt ist, und einer inneren, diinnen und glatteu. Bire Lange betriigt 0,066. 15. Eosphora elongata Ehr. An einem 0,36 langen I'Aemplar finde icb, ebenso wie Eck- stein, ausser dem Nackenauge nocb zwei deutlicbe Stirnaugen, Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 29 SO class ich die Angaben Leydigs iibcr diesen Punkt fiir irrtUmlich halte. Die orange- gelbe Farbung, vviilche der zuUitzt genaiuitc! Forscher am Randc des bewimperteii Kopfeiides beiiierkte, konmit auch nur ciiiigcu Iiidividuen zu, wiihreiid sic andern fehlt. Nach E(jk- STEiN soil ausser den gewohnlichen Magendriisen noch eiiie andere in Gestalt cines breiten Ringes vorhanden scin, die ich jedoch vergebens gesucht liabe. Laterale Taster finden sich am Rucken, dem Seitenrande genahert, ungefahr in der Mitte des Korpers, wenn das Tier vollig ausgestreckt ist. 16. Hydatina senta Ehr. (Fig. 9 — 12). Dieses namentlich von Leydig (HI) und Cohn (25) grundlich studierte Riidertier, welches schoii von Eiirenberg wegen seiner weiten Verbreitung als typischer Repriisentant der ganzen Klasse augesehen wurde, stand mir im Friihjahr 1884 aus einem Graben in der Niihe der Bonner Anatomie in so zahlreichen Exemplaren zu Gebote, dass ich dasselbe eingehend, namentlich hinsichtlich der Fortpflanzungsverhaltnisse, untersuchen konnte. Ehe ich jedoch zur Schilderung derselben iibergehe, mogen einige anatomische Bemerkungen vorausgeschickt werden. In der Darstellung des Raderapparates (Fig. 9) sind die An- gaben Leydigs weit genauer als die Coiins, doch hat dieser richtig erkannt, dass die starken Borsten, welche sich an der Riickseite der inneren Lippe befinden, „nicht eine ununterbrochene Linie bilden , soudern die Cilien in Biindeln zusainmengestellt sind, die sich auf halbkugeligen Polstern erheben." Die Abbildung, welche derselbe Forscher giebt, ist ireilich nicht genau. Ich finde, dass in der Mitte der Ruckenseite des inneren Trichters hinterein- ander 2 Biischel von ungefahr 6 starken Borsten auf halbkugeligen Polstern eingelenkt sind. Jederseits von diesen und nur durcli eineu kleinen Zwischenraum getrennt sind 2 andere und nicht ganz so grosse Hervorwolbungen angebracht, die so dicht zu- sammenstehen, dass sie hiiufig wie eiii Polster erscheinen. Auf der inneren stehen 2, auf der ausseren 5 bewegliche Gritiel. Nach innen von dieser Hiigelreihe laufen 2 weitere Reiheu kleiner Ilaarc hintereinander. Die Cilien, welche die Seitenrilnder des inneren Kelches bilden, stehen samthch nicht in directem Zusammen- hange mit den soeben beschriebenen des dorsalen Randes. Sie bilden zwei Reihen, deren aussere, wie aus der Figur ersichtlich ist, weit starker ist als die innere. Bei beiden werden die Wim- pern in der Nahe des Trichtergrundes kleiner und gehen hier in 30 Plate, das feine Flimiiierepithel iib(!r, welches bis zum Kauapparat her- abzieht. Die Riickwaiid des inneren Kelches zeigt unterhalb des geschildeiteii VViniperbesatzes noch eine ausserst zarte Strichelung, die nur l)ei starker Vergrosserung sichtbar wird und ebenfalls aus winzigen Harchen gebildet zn sein scheint. Zvvischeii den laiigen Cilien des iiussersteii Wiiiiperkranzes finden sich an 4 Stellen stiirkere Borsten , 2 am dorsalen und 4 am ventralen Rande. — Ob der Schhind mit Flimnierzellen ausgekleidet ist, habe ich noch nicht mit Sicherheit erkennen konnen. Jedenfalls ist die Einmiindungsstelle des Schlundes in den Magen durch einige lange Ilaare ausgezeichnet, die freilich oft nur schwer zu sehen sind. — In der Muskelmasse des Mastax finden sich deut- liche Kerne mit Nucleoli, die ich nicht, wie Leydig, fur Muskel- querschnitte halte. Letztere geben dem Schlundkopf ein stellen - weise dicht punktiertes Ansehen. — Am Vorderrande des letzteren bemerkt man bei mauchen Individuen eine Anzahl (bis 10) kugeliger Hervorwolbungen {x). Dergleichen kann man auch ab und zu bei Tieren anderer Specien (Brachionus Philodinaen) beobachten; doch glaube ich nicht, dass man ihnen eine secretorische Function zuschreiben darf, wie einige Autoren wollen. Dagegen spricht schon die Inconstanz ihres Vorkommens und der Mangel eines be- sonderen Ausfiihrganges. — Der Magen zeigt histologisch das typische Verhalten : grosse platte Zellen von polygonaler Gestalt, die mit dentlichen Membranen und bliischenformigen Keriien ver- seheii sind. — Die Klebdriisen miinden an der Spitze der Zchen durch eine kleine Oeffnung aus. Das Secret derselben kann, wie zuerst I'kjKSTEiN an andern Specien nachgewiesen hat, in diinne Filden ausgezogen werden. Wenn mehrere Miinnchen ein VVeibchen in einem kleinen 'JYopfen umschwarmen, kann man ofters beobach- ten , dass das letztere eins der Manncheii in kleiner Entfernuiig hinter sich her zieht. Zwischen den Zehen der Tiere spannt sich dann ein ausserst zarter Faden jener Klebsubstanz aus. Fine besondere Figentumlichkeit bietet Hydatina senta dadurch, dass di(! I)oid{!ii VVassergefilsse durch einen Querkanal (?/) mit einander coninmnicieren. Das Fxcretionsorgan jeder Seite bildet vorn, unter- halb der Matrixverdickungen des Kopfes ein Knituel (v) und ver- scldingt sich in ganz ;ihnlicher Weise in der Holie des Magen- anfang(!S (v). In der Nidu! der contractilen Hlasi! erweitcrn sich (lie driisigen Wande des Kanals etvvas, um dann mit einem scharf nms(liri(!b(!M(!n, kieisrundtin Loche in diesclbe zu treten. In der VVandung der Blase setzen sich die Contouren des VVassergefass- Beitrage zur Naturgeechichte der Rotatorien. 31 kanales, wic es auch violfach bci aiulern Rotatorien zu beobachten ist, iioch eiiic kurze Strecke fort, woraus man schliessen kann, dass die contractile Blase aus der Vcrschnielzung d(ir \Vass(!rge- fasse entstanden ist. Hier und da finden sicli in der Wandunj^ der letzteren blaschenforraige Kerne mit Nucleolus. Zwischen den vorderen Knauel spannt sicli das oben erwiihnte Quergefass in eineni grossen, uach hinten concaven Bogen {y) vor deni Gehirn und etwas unterhalb desselben aus. Dieser Kanal erinnert durch seine Lage und Fonu ausserordentlich an die Anastorac (3 der Excretionsorgane bei Lacinularia socialis, von der er sich niir durch den Mangel der Zitterflammen unterscheidet. llistologisch unterscheidet sich der Verbindungskanal nur durch etwas geringere Breite von den Seitengetassen. Die Zitterflammen sitzen meist direct den Hauptstiimmen an und stehen nur selten durch einen langeren Stiel mit denselben in Verbindung. Bartscii Samu (7) zeichnet 2 nebcn einander laufende Gefiisse, eins mit driisiger Wandung und eius, dem die Zitterorgane ansitzen. Ein derartiges Verhalten habe ich nie beobachten konnen. Der feinere Bau der Zitterflammen bietet nichts Bemerkenswertes und soil bei Euchla- nis und Asplanchna geschildert werdeu. Die Wassergetasse zeigen zuweilen stellenweise in der Wandung nicht die gewohnliche feinkornige Structur, sondern enthalten eine homogene, glanzende, das Licht stark brechende Masse. Derartige fettithnliche Sub- stauzen, welche vielleicht nur pathologischer Natur sind, finden sich auch bei andern Arten (Brachionus, Euchlauis) nicht selten. — liber das Nervensystem kann ich einige neue Mitteilungen machen. Von den Vorderecken des Gehirns laufen jederseits nach vorn 3 Nervenstrange, welche diejenigen Matrixverdickungen ver- sorgen, die den inneren Kelch des Rjiderapparates , vornehmlich die Bolster fiir die grossen, seitlichen Borstenbiischel bilden. Ausser dem dorsalen Taster findet sich an jeder Korperseite, un- gefilhr in der Mitte des ausgcstrecktcn Tieres, ein lateraler, der nicht immer leicht zu finden und daher bis jetzt von alien Be- obachteru Ubersehen worden ist. Er zeigt den typischen Bau, wie er diesen Organen bei fast alien Rotatorien zukommt. Aus einer kreisrunden Oetinung der Cuticula ragt ein Biischel starrer Wimpern, von denen die innersten senkrecht, die ausseren schrag zur Ebene der Oeffnung gestellt sind. Sie wurzeln in einem Nerven {I. n), der zuniichst einen kleinen Knopf bildet, dessen zarte Langsstreifung, wie mir scheint, durch die Fortsetzung der Sinnesborsten hervorgerufen wird; sie hiirt da auf, wo der Knopf 32 Plate, in ein grosses, liinglich ovales Ganglion iibergeht, das sich nach vorn in cinen langs der Korperseitcn verlaufenden Nerv aus- zielit. Wo dieser letztere eigentlich cndet, muss noch durch vveitere Untersuchungen festgesttillt werden ; nur das veimag ich mit Sichcrheit anzugebcii, dass dersclbe nicht, wie man ver- miiten sollte, mit deni Gehirn sich direct verbindet. Von seineni liintorcn Ende aus liisst sich der laterale Nerv nach vorn bis zuni vordersten Gefiisskniiuel verfolgen; er hat sich dabei der Bauch- seitc zugcwandt und endct entweder untcr der Haut oder, wie mir wahrscheinlicher ist, in Verbindung mit dem Wassergefass. Dass er nicht mit dem Gehirn in Verbindung stehen kann, geht daraus hervor, dass der Nerv seine Lage nicht iindert, wenn das Gehirn bei einer Einstiilpung des Raderapparates nach hinten ver- schoben wird. — Der weibliche Geschlechtsapparat besteht nicht, wie man allgemein angegeben findet, aus einer einfachen Keim- driise, in deren feiugranulicrte Dottermasse grosse, von lichten Hofen umgebene Eikerne eingebettet sind, sondern zeigt eine doppclte Zusammensetzung aus einem bis dahin allcin beobachteten grossen Dotterstock {d. s) und aus einem im Verhallnis zu diesem sehr kleinen Eierstock, der sich als ein schmaler Streifen am Vorderrande des Dotter bereitenden Abschnittes hinzieht. {k. s). Diese functionelkj Sonderung wird der aufmerksame Beobachter vielfach schon ohne Anwendung von Reagentien mit aller, nur wiinschenswerten Deutlichkuit erkennun. Ist der Dotterstock je- doch sehr dichtkornig und dunkel, so gelingt es oft nur sehr schwcr, die Eizellen aufzufindcn, auch nach Gebrauch verdiinnter Siluren, und muss man dann zu Tinctionsmittehi greifen, um mit Sicherheit die Eikerne nachzuweisen. Wie aus der Abbildung ersichtlich ist, werden Keim- und Dotterstock gemeinsam von einer diinnen, elastischen Membran umhiillt, welche eincn birn- forniigen Sack zwischen Magen und contractile)' Blase bildet, und an der Riickflilche in die Kloake ausmiindet. Der untere Teil dieses Sackes, den man als uterus (tuba Coiin) bezeichnen kann, stellt fiir gewolnilich einen zusammenget'allenen hitutigen Ivanal vor, der oft schwer zu erkennen ist. Die reifen Eier bleil)en nur kurze Zeit in demselben, um dann abgesetzt zu werden. Am deutlichsten erblickt man diesen Abschnitt eben nach dem Aus- tritt eines Eies, weil bei demselben soviel Wasser einzudringen pHegt, dass der uterus prall gefiillt wird. Weitaus der grosste Ti'il jenes Sackes wii'd von dem Dotterstockc; eingenonimen, (lessen Form sehr verschiedeu ist, je nachdem derselbe bei gut geniihrten Beitrage zur Natiirgeschichte der Rotatorien. 33 Tieren viel Dotter enthiilt, oder bei hungernden zusammenge- schrumpft ist. A.n domselben lassen sich untorscheiden eine fein- kornigc, mit vielen Fetttropt'chen durchsetzte Dottcrmasse, welche nach aussen von eiiier sie allseitig unihullenden, sehr zaiten iind structurlosen Mcmbran (l) begrenzt wird, und eine Anzahl (circa 12) in jener eingebetteter, grosser und iinregelmassig langlicher Nuclei, deren nicht granulierte Substanz als helle, homogene Ringe scharf gegen die enorin entwickelten Nucleoli absticht. Der Dotter des Dotterstockes bildet eine zusammenhangende Masse und ist nicht, wie COHN auf Grund von Quellungserscheinungen (pag. 447 1. c.) angiebt, in einzelne Zellen gesondert. Die Nuclei finden sich immer nur in beschrankter Zahl und erhalten sich in derselben wahrend ihres ganzen Lebens, was nicht der Fall sein konnte, wenn sie zu den Keimblaschen der Eier wiirden. In der Form gleichen sich Kern und Nucleolus fast immer vollig, sodass ersterer einen gleich bi-eiten Ring um letzteren beschreibt; doch findet man auch offers Nuclei von mehr polygonalen Umrissen, deren Ecken spitz ausgezogen sind. In der Regel vermehren sich die Dotterkerne nicht; ob aber nicht ausnahmsweise doch eine Tei- lung stattfinden kann, verdient noch genauer untersucht zu werden. Man findet niimlich ab und zu Tiere, bei denen die Dotterkerne im lebenden Zustand weniger als gewohnlich hervortreten , und deren Nucleoli nach Saurezusatz einen Zerfall in 2 oder auch 3 verschieden grosse Stiicke erkennen lassen (Fig. 10). Auffallend ist, dass bei solchen Individuen stets alle Nucleoli im Dotter- stock Einschniirungen oder Zusammensetzung aus niehreren Stucken aufweiseu, und dass ich nie einen entspechenden Zerfall in den zugehorigen Nuclei habe wahrnehmen konnen. — Der Eierstock der Hydatina senta besteht aus einem Haufen verschieden grosser Zellen, die zusammen ein bandformiges Organ bilden. Betrachtet man ein Weibchen von der Bauchseite, so liegen stets die jungsten und kleinsten Eikerne bei der rechten Ecke des Eierstockes und werden nach links zu allmahlich grosser; die grosste stosst an der linken Ecke unmittelbar an die eben angelegten Eier, deren Stelle sie einnimmt, so bald das vorliegende Ei in Folge des Wachstums weiter nach hinten gerutscht ist. Jeder Eikeim repra- sentiert in der linken Ecke eine gesonderte Zelle, deren bljischen- formiger Kern mit dem Wachstum des Zellkorpers gleichfalls an Grosse zunimmt. Hier liegen dieselben auch ofters geldrollenartig neben einander oder geben sich durch gegenseitigen Druck eine cylindrische oder mehr cubische Form. Je mehr die Keimzellen Bd. XIX. N. F. XII, 3 34 Plate, dem rechten Eiide des Eierstockes genilherl sind, desto schwerer wird es , an ihncn distincte Zdlgrenzen zu erkeunen , und ganz nach rechts scliliesst sich an sie ein Keimlager, dessen Proto- plasma cin continuierliches, von Kernen durchsetztes Stroma bildet. — Dadurch dass sich die grosste Keimzelle von don ubrigen ablost und neben den Dotterstock zu liegen kommt, wird sie zu einer Eianlage [s), an die sich der das Nahrmaterial bereitende Abschnitt eng anschmiegt. Dicselbe zeigt als aussere Hulle eine sehr zarte Haut, und im Innern eine helle, sehr feinkornige protoplasniatische Masse, die sich scharf gegen den dunklen Dotter des Dotterstockes abhebt. Der Kern ist auf dieseni Stadium ein deutlich sichtbares Blaschen , das nur wenig grosser als der Kern des benachbarten Eikeims, dagegen total verschieden von den Dotterkernen, den friiher so genannten „Eikernen", ist. Vergleicht man mit dieseni Ei ein alteres (0'), so zeigt sich, dass das Keim- blaschen grosser, die aussere Membran fester geworden ist, und dass das Protoplasma sich bedeutend vermehrt und eine triibe dichtkornige Beschatienheit angenommen hat, die dem Dotter des Dotterstockes vollig gleicht. Letzterer Umstand bewirkt, dass an den zum Legen reifen Eiern der Kern nur selten ohne Reagentien zu sehen ist. Da das Aut'treten des dunklen Dotters Hand in Hand mit der Grossenzunahme des Eies geht, kann es kaum zweifelhaft sein , dass das Wachstum der jungen Eianlagen da- durch zu Stande kommt, dass in dieselben Deutoplasma aus dem daneben liegenden Dotterstock ubertritt, und zwar auf dem Wage der Diffusion, da die Membranen, welche Ei und Dotterstock um- hiillen, keinen Bruch erleideu. Den geschilderten Entwicklungs- modus habe ich iibrigens nur an Sommereiern beidcrlei Geschlechts beobachtet und vermag daher nicht anzugeben, auf welche Weise die doppelte Schale und der Haarbesatz der Wintereier sich bilden ; doch scheinen mir diese Ausscheidungsproducte der Uteruswan- dung zu sein. Wie Abbildung 9 zeigt, ist der Dotter der fast reifen Eicr (/) zu einer gewissen Zeit gleichmiissig dunkel und dichtkiirnig. Ehe sie jedoch abgesetzt werden, ninimt derselbe eine hellere Beschaftenheit an, indem die dunklen Kornchen sich zu zahlreichen Kornern zusamnicnballen, die in eine hellere Grund- masse eingestreut sind. (Fig. 11. 1.). In dieseni Zustande werden die Sommereier meist abgesetzt, um sich parthenogenetisch inner- halb 24 Stunden zu Miinnchen oder Wcibchen zu entwickeln. Hiiufig kommt es auch vor, dass jene Korner untcr sich wieder besondere Gruppen bilden, und das Ei in Folge dessen den Ein- Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 35 driick ciner Blastula luacht. — Hiilt man dnc grosse Mengo von Hydatinen in eineni Uhrschalclien, so kann man sich davon iiber- zeugen, dass die Tierchen cine Art Geselligkeitstricb besitzen, der sie veranlasst, ihre Eier stets dort abzusetzeu, wo schon eins oder mehrere derselbcn von Ihresgieichen hingelegt wordcn sind. Man findet daher alle Eier auf einem oder auch 2 — 3 Haufen. Schon Ehrenberg ist es aufgefallen, dass sich zwischen den gewi'thnlichen Sommereiern kleinere vorfiuden, welche durch eiuen schvvarzen Fleck ausgezeichnet sind. Cohn hat zuerst den Nachweis gcjfiihrt, dass die aus diesen Eiern schliipfenden Tiere die Miinnchen der Hydatina senta sind. Mit Sicherheit lassen sich jedoch frisch gelegte mannliche und weibliche Eier nicht unterscheiden , da einerseits die Grosse bei beiden betrachtlich schwankt, andererseits der Harnfleck erst auftritt, wenn die embryonale Entwicklung fast voUendet ist. Nach zahh'cichen Messungen besitzen die maunlichen Sommereier eine Lange von 0,072-0,110, die weiblichen von 0,104—0144, die Wintereier von 0,108—0,144 (Haare nicht mitgerechnet). Ftir jede der drei Eisorten gilt als Kegel, dass die kleineren unter ihnen rund, die grosseren oval geformt sind. Hinsichtlich der Mannchen kann ich fast samtliche Angaben, welche Leydig im Gegensatze zur CoHN'schen Darstellung ge- macht hat, bestatigen. Das Raderorgan senkt sich trichterformig nach hinten und unten ein, wenn auch nicht so tief, wie beim Weibchen und lasst daraus schliessen, dass dasselbe ursprunglich sich in eine Mundotfnung fortgesetzt hat; das Band, welches sich dorsal an den Hoden auheftet, ist unzweifelhaft ein rudimentarer Darm. Es geht dies einmal aus der Lage und danu daraus hervor, dass die eigentumlichen Haufen kleiner Kalkkornchen, welche im Enddarm mancher weiblicher Radertiere voriibergehend vorkommen, in dem Endabschnitt jenes Suspensor testis enthalten sind. Ob aber die goldgelben Tropfchen, welche man bei manchen Exemplarcn zerstreut im rudimentaren Darm findet, mit den gelbbraunen Kiigelchen zu identificieren sind, denen man in den Magenzellen der Weibchen eine leberartige Function zuschreibt, erscheint mir sehr zweifelhaft. Sie machen eher den Eindruck von Fett. — Zum Nervensytem der Mannchen sind auch laterale Sinnesbiischel zu rechnen, welche nach Stellung und Bau genau denen der Weibchen entsprechen. — Nur in einem Punkte bofinde ich mich im Widerspruch mit den Angaben Leydigs. Derselbe zeichnet, wie auch Cohn, eine contractile Blase, welche jcderseits ein Wasser- gefass aufiiimmt. Eine solche habe ich stets vergebens gesucht, 3* 36 Plate, obwolil ich viele Tiere gerade auf dieseii Punkt bin gepruft habe, und dieselbe, wenn wirklich vorbandon, im prallen Zustande bncbt in die Augcii falUm iiiussto. An eineni besonders gunstigen Exem- plare (Fig. 12) babe icb mich tiberzeugt, dass die Excretions- kanille von einander getrennt an der Spitze des Penis ausniiinden und in ibrem letzten Abscbnittc; mit kurzen \Vimp(u-n besetzt sind. An der Basis des Penis verknauelt sich jedes Gefass (v), gleicbt aber in seinem weiteren Verlaufe dom des Weibcbens. Ob in der Kopfregion aucb ein verbindender Querkanal vorhanden ist, bleibt noch zu untersuchen. Wie Leydig richtig bemerkt , wird die dichte Langsstreifung am Hinterende des Hodens durcb eigen- tiimlicbe bewegungslose Stilbcben von 0,02 Lange bervorgerufen, die an beiden Enden in eine sebr feine Spitze ausgehen, und ist nicbt die Folge einer besonderen Structur der Wandung. Sie ge- langen bei der Begattung rait in die Leibesboble des Weibcbens, verhalten sich aber aucb bier ganz passiv und konnen daber nicbt als Spermatozoon 1) angesprocben werden, zumal als solcbe ganz unzweifelbaft die bekannten , mit Scbwanz und undulicrendem Saum verschenen Gebilde anzusehen sind, Wir werden weiter unten auf die vermutlicbe Function dieser Stilbcben zuriickkommen. Der Ausfubrgang {v. d.) des Hodens weist zahlreicbe Ringniuskeln auf und flimmert im Innern. Die Cilien sind an der ilusseren Ofifnung am grossten und ragen bier frei heraus. Daselbst finden sich auch zwei besonders starke Borsten. Von besonderem Interesse ist das Verhalten, welches diese Zwergmannchen den Weibchen gegeniiber zeigen. Was wir bier- iiber wissen , beschrankt sich auf die von den verscliiedensten Forschern geniachte Beobachtung, dass die Spermatozoon zuweilen in der Leibesboble der Weibchen frei umherfiottierend gefunden werden. Wie dicselben dorthin gelangen, und wie sie sich zu den Geschlecbtsorganen verhalten, war noch zweifelhaft, und babe ich daher besonders auf diesen Punkt meine Aufmerksamkcit g(!richtet. Auch iiber den Akt der Begattung sind wir bis jetzt nur un- vollkommen unterricbtet, da Dalkymple, Brightwell und Coiin nur mit schwachen Vergrosserungen beobachtet haben, dass die Miinnchen sich an die Weibchen anheften, nicbt dagegen ent- scbeiden konnten, ob eine besondere Genitaloti'nung voriiand(ui ist Oder fehlt. In Folge der geringeren Grosse, welche die miinn- ') Vorgl. hieriibor: Leydig, Unlereuchungen zur Aiiutomie und Histologic der Tiore. Bonn. 1883. Beitriige zur Naturgeschichte der Rotatorien. 37 lichen Eicr durchschiiittlich ini Vcrgloich mit den weiblichen Ije- sitzen, fiudeii sich bei deii Ticreu mit niannlicher Traclit iiiehr (3 — 5) Eier j^leichzeitig auf verschiedeiien Eiitwicklungsstadien vor, als dies bei Iiidividueii mit vveiblicher Traclit der Fall ist. Bei letztereu sieht man selten melir als ein fast reifes uud ein eben angelegtes Ei an den Keimstock anstossen , und kann man bei Berucksiclitiguug dieser Uuterschiede leicht diejenigen Weibchen isolieren, welche nur Manncheu produciereu, die auf andere Weise nur sehr schwer in grosserer Zahl aufzutreiben siud. Um den Akt der Begattuug zu beobachten, thut man gut, gleiclizeitig eine grossere Anzahl (6—10) Mannchen mit einem Weibchen in einem kleinen Tropfen zu isolieren. Die ersteren besitzen namlich nicht die Fiihigkeit, die Niihe des anderen Geschlechts zu wittern, audi nicht dann , wenn das siedende Gewimmel der Samenfadcn, — welches manchmal erst am zweiten Tage nach dem Verlassen des Eies eintritt, — anzeigt, dass sich die Tierchen in einem begat- tungsfahigen Zustande befinden. Auch die Weibchen bekiimmern sich nicht um die Mannchen ; beide vverden lediglich durch den Zufall zusammengefuhrt, und bringt man daher nur 1 oder 2 Mannchen mit einem oder wenigen Weibchen zusammen, so muss man oft Stuuden lang warten, bis eine Begattung wirklich ein- tritt. Oft kommen beide Geschlechter vielfach mit einander in Beriihrung, ohne zu copulieren, wie auch schon Cohn mit der Lupe beobachtet hat, dass die Manncheu „die Weibchen unischwar- men, sich an diese anlegen, nieist aber von diesen wieder zu- ruckgeschreckt werden". Bei der Begattung wird merkwiirdiger Weise der Penis des Manuchens nicht in die Kloake oder in eine andere Oflfnung der Cuticula geschoben, sondern durchbricht letztere an irgend einer beliebigen Stelle und befordert wahrscheinlich duich eine energische Contraction der Muskulatur des Hodens die stabchenformigen Korper und das Sperma in die Leibeshohle. Wahrend der Begattung kriimmt sich der Korper des Miinnchens so, dass die Bauchseite einen concaven Bogen darstellt. Die Zehen werden hierbei nicht gebraucht, sondern auch der Ventralflache zugewondet, sodass das ganze Tier eine halbmondformige Gestalt auuimmt und nur mit dem ausgestreckten Penis sich festheftet. Da eine besondere Genitaloffnung nicht vorhanden ist, kann ein Weibchen gleichzeitig von mehreren Mannchen brgattet werden, ein Vorgang, der in der Natur wegen der Seltenheit der letzteren wohl kaum vorkommen diiifte, den ich aber unter den oben an- gegebenen Bedingungen wiederholt beobachtet habe; so sah ich 38 Plate, 2, 3, 5 und eininal ei ne uoch grossere Zahl von Maunchen (6—8) gleichzeitig niit demselben Weibchen copulieren. Es ist mir ofters aufgefallun, dass, weun man Tiere buiderlei Geschlechts in einem kleinen Tropfen isoliert , dieselben zunachst liingere Zeit gleich- giiltig an einander vorbeischwinimen ; umschwarmt jedoch erst ein Alannchen das Weibchen , so samnieln sich bald niehrere dur er- steren uni dasselbe, gleichsam als ob die Mannchen sich gegen- scitig benierkten. Bei der Begattung wird der Penis nicht in seiner gauzen Lange durch die gebildete Oti'nung der Cuticula in die Leibeshohle hereingeschoben, sondern klebt nur ilusserlich der- selben an. Sie wird nur selir klein sein, denn ich habe nie nach erfolgter Begattung Spuren derselben in der Haut wahrnehmen konnen. Leider kann ich nicht mit Sicherheit angeben , wie die Olinung zum tJbertritt des Sperraa entsteht, da die stete Beweg- lichkeit der copulierenden Tiere die Uutersuchung sehr erscliwert. Aus der Beobachtung von Tieren, die gleichzeitig von mehreren Mannchen begattet und in diesem Augenblicke durch ein Deck- glas festgehalten wurden, glaube ich jedoch schliessen zu diirfen, dass die grosseu Borsten an der Penisoftnung und die pfeilartigen Stabchen, die wegen ihrer Lage im Vas deferens zuerst herausge- presst werden, die Korperwand des Weibchens durchbrechen. Alle diese zweifelhaften Punkte wurden sich ohne Schwierigkeit an den grossen Asplanchnaarten losen lassen. An demselben Genus wiirde man auch relativ leicht beobachten konnen, welchen Einfluss das Sperma auf die Bildung der Eier ausiibt, ob die Begattung auch eine Betruchtung nach sich zieht oder ob, — wie ich glaube — , die Sanienfaden in der Leibeshohle der Weibchen siimtlich nach einiger Zeit zu Grunde gehen, und der Begattuugsakt durch das Auftreten der Parthenogenese seine weiteren Folgen verloren hat. Es ware dies ein in der Tierreihe nach unseru jetzigen Kennt- nissen wohl einzig dastehender Fall, den man als einen „rudimen- taren Vorgang" in demselben Sinne bezeichnen konnte, wie man Organe, die ausser Function getreten sind, rudimentar nennt. Leider wusste ich, als ich das Verhalten der Spermatozoen in der Leibeshohle verfolgte, noch nicht, dass nur ein Teil der Ge- schlechtsorgane, niimlich der Eierstock , bei Entscheidung jener Frage in Betracht kommen kann und richtete meine Aufmerk- samkeit daher nicht besonders auf den Vurderrand des Dotter- stockes. Was man an den begatteten Tieren beobachtet , ist ei- geiitlich nur solir wenig. Das Sperma liiUift sich zuweilen in einem Klunij)en innen um die gebildete llautotl'nuug herum an, tlottiert Beitriige zur Naturgebchichte der Rotatorien. 39 jedoch in dor Kegel tVei in dor Leibesliohle, verteilt sich zwischen alien Orgunen, zwischen den Faden des Oeliinis so gut, wie in der Nahe der Klebdriiseii and samnielt sich weder in der Umgegend der Geschlechtsorgane vorzugsweise an, nocli habe icli je beobachten konneu, dass die Samenfaden den Versucb geiiiacht batten, in dieselben cinzudringen. Der Dotterstock eines gut genahrten Tieres bildet niichst dem Darni das grosste Organ im Korper, und es ist natiirlich, dass sich an seiner Oberfliiche mehr Spermatozoen an- sanimeln als auf eincm kleineren, z. B. der contractileu Blase. tJbten die Fortpflauzungsorgane ferner eine besonderc Auziehungs- kraft auf das Sperma aus (wie Cohn es bei Conochilus geseheii haben will), so miisste sich dasselbe vorn in der Nahe des Keim- stockes ansaiiinielu, was iiiir sicherlich nicht entgangen ware, auch ohne zu wissen, warum gerade dieser Teil von den Samentierchen bevorzugt wiirde. Wahreud die eben iu die Leibeshohle gelangten Spermatozoen sich zunachst noch sehr lebhaft bewegen und daher, wenn sie der Genitaldriise dicht anliegen, durch das hin und her Schlangeln ihres Schwanzes leicht den Eindruck hervorrufen konnen, als ob sie sich in dieselbe eiuzubohren suchten, werden diese Be- wegungen nach einigen Stunden imnier matter. Dabei schwellen sie am vorderen Ende dick an, werden allmahlich kugelformig und im Innern vacuolisiert, kurz, es ist oti'enbar, dass sie einen langeren Aufenthalt in der perienterischen Flussigkeit nicht zu vertragen vermogen, sondern darin sterben und sich zersetzen. Untersucht man ein begattetes Tier nach 24 Stunden, so nimmt man nichts mehr von denselben wahr. Die ausgesprochene Ansicht, dass sich die Hydatina senta ausschliesslich parthenogenetisch fortpflanzt, stiitzt sich vornehm- lich auf den Mangel einer anziehenden Wirkung der Geschlechts- organe auf das Sperma, und darauf, dass nie das Eindringen des Samens in jene beobachtet wurde. Abcr noch aus andereu Grun- den halte ich dieselbe fur sehr wahrscheinlich. Wir wissen, dass die tierischen Eier erst dann fiir das Sperma empfiingnisfahig sind, wenn sich an ihnen gewisse Reifeerscheinungen, die sich in dem Austreten von „Richtuugskorpern" aussern, vollzogen haben. Diese letzteren sind bei Rotatorien bis jetzt noch von keinem Be- obachter gesehen worden ^), und ich habe sie auch bei den Eiern ^) Eine Ausnahme hiervon macht iiur Seison, cin Geuus, das jedoch auch in vielen andereu Puukten von den librigen llotatorien abweicht; Mannchen und Weibchen desselben stehcn auf gleicher Organisationshohe. 40 Plate, vergebens gesuclit, die von begatteten Tieren gelegt worden waren, also allcnfalls hiittcn befruchtet sein konunen ; der Maugel der- selbeii kann ohne Zwang als eine Folge der Parthenogeuese ange- sehen werdeii. (Ntiheres hieriiber siehe in Balfouk: Verglei- chendeEnibryolugie. Ubersetzt von Vetter. Band I. 1880 pag. 75). Es ist fernor nicht anzunehmen , dass die unreifeu Eikeime im Eierstock im Stande sind, durch die Spermatozoen befruchtet zu werden, und kann daher nur derjenige Eikeim (allcnfalls 2, 3) nach der Begattung fiir die Befruchtung in Frage kommen , der sich vom linken Ende des Eierstockes losgelost hat und dadurch zur Eianlage geworden ist. Bei Plattwurmern und Arthropoden, bei denen in ganz ahnlicher Weise die Eikeime successive heran- reifen, finden wir als Kegel ein besouderes Receptaculum seminis, welches das 8perma aufnimmt und nach und nach an die em- pfangnisfahigcn Eier abgiebt. Eine solche Einrichtung, die bei der Seltenheit der Mannchen und der schadlichen Einwirkung der Leibesfliissigkeit doppelt notwendig ware, vermissen wir bei den Rotatorien durchaus. Durch derartige Erwagungen und die an- gegebenen Beobachtungeu wird die ausschliesslich partheuogenetische Fortpfianzung der Riidertiere zwar noch nicht erwiesen, sondern nur wahrscheinlich gemacht. Urn die Frage zu entscheiden, werden erneute Untersuchungen, die vornehmlich das Verhalten des Eier- stockes an begatteten Tieren beriicksichtigen , notig sein, und wiirden sich als Untersuchungsgegenstand weniger die Hydatina als die grossen Asplanchnen eignen , weil bei diesen die Sonde- rung in Dotter und Keimstock schon ausserlich sehr deutlich zu Tage tritt. Um zu erfahren, ob Wintereier und mitnnliche und weibliche Sommereiei- von (!in und demselben Tiere gelegt werden konnen, Oder ob jedes Weibchen nur eine Eisorte hervorbringt, wie es nach dem Verhalten derjenigen Rotatorien, welche ihre Eier am Panzer angeklebt herumtragen , sehr wahrscheinlich ist, habe ich eine grosse Anzahl von Weibchen in feuchten Kammern iso- liert gehalten, sie niit Euglenen gefuttert und die abgelcgten Eier bis zuni Auskriechen der Jungen gewissenhaft controUiert. Um wciter zu entscheiden, welchen Einfluss eine Begattung auf die Art der Eier ausiibt, wurden einige Weibchen einmal oder wieder- holt so laiige init Mannchen zusammeugelassen, bis der Akt der Copula oder das Sperma in der Leibeshohle beobachtet worden war, und diesclben dann von den Miinnchen wieder getrennt. Die Resultate dieser Versuchsreihen lassen sich so zusammenfassen: Beitrage zur Naturgef^chichte der Rotatorien. 41 die weiblicheu Ilydatincn legen withrend ihrcs ganzen Lebeiis cnt- wedcr nur Sommer-, oder imr Wintcrcier uiid iin urstercii Falle entweder iiur solche diiniischaligen Eier, aus denen sich aus- schliesslich Maruichen entwickeln, oder solche, aus denen aus- schlie^slich Weibchen kriechen. Tierc niit weiblicher Sonimer- tracht ubertreffen solche niit miinnlicher an Zahl ausserordentlich, und deni entspechend sind die Mannchen ungleich viel seltener als die Weibchen. Die eben ausgekrochenen weiblichen Tiere legen am ersten Tage noch kein Ei ab, sondern thun dies erst am zweiten, wenn sie durch reichliche Nahrungsaufnahme fast ihre definitive Grosse erreicht haben. Bringt man Weibchen, vvelche schon einige Eier von irgend einer der 3 Sorten pruduciert haben, mit Mannchen zusammen, sodass sie ein oder auch mehrere Male begattet werden, so ruft dies nie eine Anderung in der Art der nach der Conception abgelegten Eier hervor. Es ist hierbei na- tiirlich zuniichst gleichgiiltig, ob man anuimmt, dass jeder Begat- tung auch eine Befruchtung folgt, letztere abcr auf die Art der Eier keinen Einfluss ausiibt oder ob man, wie sich uach den obigen Erorterungen als richtigur ergiebt, die Unabhangigkeit der ver- schiedenen Eier von der Begattung auf die Wirkungslosigkeit der Spermatozoen zuriickfiihrt. Diejenigen Versuchstiere , welche be- gattet warden, ehe sie uberhaupt ein Ei abgelegt batten, lieferten nur weibliche Sommereier. Wie diejenigen Hydatinen, welche Mannchen- oder Wintereier produciereu, sich verhalten, wenn sie vor der ersten Eiablage begattet werden, habe ich leider nicht ermitteln konnen. Dieselben'sind im Verhaltnis zu den gewohn- lichen Weibchen so selten und unterscheiden sich iiusserlich in gar nichts von denselben, dass man nur durch einen besonders gliick- lichen Zufall in ihren Besitz gelangen kann. Doch ist es kaum zweifelhaft, dass auch in diesen Fallen die Begattung auf die Art der Eier keinen Einfluss ausiibt. Es ergiebt sich aus dem Mit- geteilten, dass die CoHN'sche Hypothese, der zu Folge die Winter- eier das Product einer Begattung sein sollen, nicht richtig ist; auch diese entstehen parthenogenetisch , wie Versuchstiere, die uberhaupt nie mit Mannchen zusamnieugekommen waren, gezeigt haben. Einen Uuterschied in den Keimstockeu, je uach den Eiern, welche daraus hervorgehen , habe ich bis jetzt noch nicht auf- fiuden konnen, doch verdieiit dieser Punkt eine erneute Unter- suchung. Die Zahl der weiblichen Sommereier, welche eine Hy- datiua wahrend ihres Lebeus zu logen vermag, ist annahcrnd 50, die der maunlicheu Sommereier ebenso hoch, dagegeu werden die 42 Plate, Wintereier bei weitem nicht so sclinell hiiitereinander gelegt und crreicheii eiiie vii;! gt'iiDgerc3 Zahl (c. 15). In Betreff der letzteren habc ich eino Beobaclitung gemacht, welche zeigt, dass eine laii- gere Ruheperiode fur diesdbcn nicht unbcdingt iiotwendig ist. Aus 2 Wintureiern schliipfteii nach 21 resp. IHtagigeni Aufeiitbalt in der feuchten Kammor weiblicbe Tiere aus. — Die Lebensdauer der Weibchen bei guter Ernahrung schatze ich, nacli Beobachtung der von niir isoliert gehaltenen Versuchstiere, auf 2 — 3 VVochen. Manuchen tVistcten ihr Lcben in den feuchten Zellen nie liinger als 3 Tage ; sie starben hjiufig schon am zweiten. Der normale Tod der VVeibclien wird eingeleitet durch eine fettige Degeneration, die ini Dotterstock zuerst auftritt, denselben dabei ausserordentlich aufbliiht, alhniihlich aber auf alle ubrigen Organe iibergeht. Zuni Schluss lasse ich eine Tabelle folgen, aus der das Ver- halten der wichtigsten Versuchstiere ersichtlich ist: I. Tiere, die nur mannliche Eier prod ucier ten. Nr. der 9 _ P3 « S,W Bemerkungen. II 111 IV V VI VII VIII 17 13 45 30 10 45 10 20 8 32 6 40 9 3'.) 7 I'J 5 11 .') Vor jenen 30 Eiern legte das Tier noeh 14 Jindere, von denen 7 hiiitereinander (^ liel'erten ; die iibrigeii 7 warden nicht cou- trolliert. Wiirde absichtlich nicht immer von al- ien (^ getreiint und ist wiederholt von diesen begattet wordeu. Wurdc ofters begattet. Als es 2 Tage lang init 7 (^ zusaiTiinengehalteii war, war die Leibeshohle buclistablich vollgeplVoplt mit Sperma, so dass es bald darauf starb. Mehrere Male begattet, aber schlecht ge- niilirt. Beitrage zur Naturgeschichte der llotatorien. 43 II. Tiere, die iiur weibliche Sommereier gelegt h a b e n. a be fc 5P t. " 4) •T3 JO I. be u acli d gattun Eier. -c ^ .2 C3 bcW Ol 0) *- 3 « to -o a Nr. hi der gattung teu E « .), die bekanntlich den Riider- tieren sonst eine willkommene Nahruiig sind und durch die Ein- wirkung des Magensaftes rasch getotet wei'den. Eine Cuticula, die als (Irund di(!ser besondei'en Rcsistenzfahigkeit angesehen werden konnte, babe ich nicht bemerkt. Die Tierchen glichen in der ausseren Gestalt Euglenen, waren aber vbllig farblos. An der Beitrage zur Naturgesohichte der Eotatorien. 59 Basis der lansen Geissel sassen 1 oder 2 bei gewisser Eiiistcllung rotlich crschcinende Bliisclicii, die vielleicht Augenflecke vvareii. Maiiche Exeniplare befandeii sich in Teilung resp. Conjugation. 26. Euchlanis luna. Ehr. Diese Art muss aus dem Genus Euchlanis entfernt werden, da sie im Bau des Panzers und in der iibrigen Organisation we- sentlich von den eigentlichen Euchlaniden abweicht. Der Panzer entspricht vollig der Beschreibung, welche Leydig vom Panzer der vorhergehenden Species giebt; er besteht aus einem flach gewolb- ten Riickenschild und einer Bauchplatte, die an den Seitenrandern fest mit einander zusamnienhangen und nur vorn und hinten klaffeu, unterscheidet sich deninach durch den Mangel eines keil- formig nach innen zwischen Rucken - und Bauclischild vorsprin- genden Raunies und durch das Fehlen jener grossen sackahnlichen Matrixverdickung des Raderai)parates von alien echten Euchlanis- specien. Eheenberg zeichnet die „Nagel" der Zehen besonders abgesetzt, was nicht der Fall ist; nur in Fig. X, 1 hat er sic richtig abgebildet. Die lateralen Taster liegen weit nach hinten, dem Seitenrande des Panzers genahert. 27. Metopidia Lepadella Ehr. ist wie Stephanops durch eine dunne Menibrau ausgezeichnet, die dorsal die Wimpern des Raderapparates iiberragt und passend als Kopfschirm bczeichnet wird. Zwei kleinere Seitenlappen , die bei der Ansicht von oben oder unten wie gebogeue Stabcheu erscheinen, gewiihren denselben Schutz den seitlichen Cilien, wie jener Schirm den dorsalen. In dem langen Schlunde bemerkt man eine wellen- formige Bewegung von vorn nach hinten schreiten, die nicht durch Cilien, sondern durch 1 oder auch 2 in das Lumen desselben vor- springende Langsleisten hervorgebracht wird. An der Ubergangs- stelle von Schlund und Magen findet man 2 besonders lange Geissel- haare, vielleicht die Fortsetzung jener 1 alten. Der Enddarni weist eine Eigentiimlichkeit auf. Nachdem er sich deutlich vom Magen abgesetzt hat, bildet er einen nach vorn gerichteten Bhndsack, der neben dem Magen liegt. Bei der grossen Ahnlichkeit, welche die Organisation von Squamella bractea Ehr. mit unserer Art auf- weist, glaube ich aus der Ausserung Ecksteins: „der Magen scheint aus zwei Teilen zu bestehen, wenigstens liegt die einge- nommene Nahrung meist zu 2 ovalen Kkunpen zusamniengebailt in demselbeu" auf ein gleiches Verhalten bei dieser Species 60 Plate, schliessen zu diirfen. Ob sich die bliiidsackartige Austreibung bei alien liidividueii , auch solchcn, die laiige gehuiigert haben, wird tindcii lasscn, mag dahiiigestdlt bleiben. An den Anfang des Magens setzcn sich mit dunnen Sticlcn zwei Magendrusen, die haiifig ini Innern Oltropfen fuhren. Auflallend ist es, dass fast bei alien Tieren vorn in der Magenwandung ein besonders grosser Oltropfen vorlianden ist, den Eckstein bei uiiserm Tier und bei Squaniella bractea fiir ein eigenartiges , in seiner Function un- klares Organ gehalten hat. Wenigstens scheint mir dies aus scinen Angaben : „es ist dies ein sofort in die Augen fallender, stark lichtbrechender Fleck, etwas vor und scitlich von dem Magen gelegen Bei den Contractionen und den Bewegungen des Darmes wird er bin und her bewegt" sowie aus seiner Zeichuung hei'vorzugehen. Die Wassergefasse besitzen jederseits niehrere Zitterorgane, unter denen zwei, eins in Schlundkopfhohe und eins in der Nahe der contractilen Blase sich durch besondere Lange auszeichnen. Obwohl ich die Squaniella bractea nie gesehen babe, kann ich doch einen leisen Zweifel uicht unterdriicken , ob die von Eckstein beschriebenen zwei schmalen Korper, die am Hin- terende eijie fliramernde Stelle aufweisen und den Eindruck eines bin und her schwingenden schlankeu Stabes macben, nicht doch nur Zitterorgane gewesen sind, obwohl sich der genannte Furscher ausdriicklich gegcni eine solche Doutung verwahrt. Denn sieht man von der Grosse und Augenzahl ab, so stimnien jeues Tier und Metopidia lepadella vollig in der Organisation iiberein, und letztei-eni Rotator fehlen die fraglichen Gebilde. Der Eierstock sitzt am vorderen liiiken Ende des Genitalapparates, der ventral — wie auch sicherlich bei Squaniella der Fall sein wird — vom Darm liegt. Das Nervensystem weist ausser dem dorsalen zwei laterale Taster auf, die sich auf der Ruckenflache, der dorsalen Medianlinie geucihert, und in der Hohe des hinteren Panzerdrittels betinden. — Outer den untersuchten Tieren waren zwei, deren BlutHussigkeit nicht wasserhell, sondern dicht mit sehr kleinen Kornchen erfullt war. Da dieselbe keine BuowN'sche Moliicularbewegung zeigten, muss dass Blut geichzeitig dickfliissig gewesen sein. Auch un- mitti'lbar ncbeii den grossen hinteren Zitterorganen bewegten sich die K<)rnciien nicht, was doch sicherlich hiitte der Fall sein miissen, wenii diese offen und dazu bestimmt gewesen waren, die perienterische Fliissigkeit in die Wassergefasse zu striideln. Das letzte der 4 Fussglieder, welches die Zehen triigt, besitzt auf der Riickenseite eine Vertiefung von vieieckiger oder rundlicher Form. Vou einem Beitrage zur Xaturgeschi elite der Rotatorien. 01 roten Pigniontfleck , cl(!n Eckstein an dieseiii Gliede zeichnet, hab(5 ich iiichts benierkcn konneii, und wird dersellxi daher walir- scheinlich jenes Griibchen so Kedeutet lial)en. Wie bei vieleii Lo- ricaten, bei dcnen Riickeii- and Baiichschild in eincni spit/en Wiiikel zusammenstossen, ninimt die Matrix an den Seitenkanten liiiufig unregelmiissig-vvellonformige Contouren an, die oft vveit nacli innen vorspringen konnen. 28. Stephanops lamellaris Ehr. Die lateralen Taster sind sehr schvver zu linden, obwohl ihre Haare eine betniclitliche Lange liaben. Sie liegen nebeii den kleinen seitlichen Panzerzacken. Wegen der niiichtigei] Entwicklung des Kopfschirmes ist das Tier nicht im Stande, seinen Riiderapparat einzustiilpen, bei Rotatorien eine sehr seltene Ausnahnie. 29. Pompholyx complanata Gosse ist nach deni Erscheinen der kurzeu Beschreibuiig (69), welche ihr Entdecker gab, nocli nicht wieder untersucht worden, Der Panzer weicht nur unwesentlich von Pterodina ab. Seine grosste Liinge betrilgt 0,09, seine grosste Breite 0,084. Wenn man das frei- schwimmende Tier von oben betrachtet, so erscheint der Panzer nicht immer rundlich, sondern haufig an den Seiten gerade abge- stutzt, da das Tier den Panzerrand durch irgendwelche Muskel- contractiou nach der Bauchseite umzukhippen vermag. Der Riider- apparat besteht aus einem doppelten Winiperkranz, zwischen denen am ventralen Rande die Mundoffnung gelegen ist. Der vordere Ciliensaum zicht continuierlich an d(!rselben voriibcr und wird dorsalwarts in der Mitte durch eine nackte Stelle unterbrochen. Der hintere setzt sich dagegen in den Mund fort. Die beiden Augenflecke niit grossen Linsen bind in der Jugend schdn rot, werden aber spater viel dunkler, fast schvvarzlich. Die seitliclien Taster liegen dicht neben dem Panzerraude in der Mitte der Langsachse. Die zugehorigen Gauglien stehen durch einen diinnen Stiel mit den Wimperbiischelu in Verbindung. Sehr eigcntiimlich ist die Anheftung der runden, 0,066 grossen Sommereier an den miitterlichen Korper. Sie sitzen einem Gallertstrange an, der etwas aus der Kloakenotinung hervorragt, sich aber als ein inimer feiner werdender Eaden bis in das Innere des (ienitalsackes verfolgen lasst. 30. Pterodina. Ehr. Ob die beiden von Ehrenberg aufgestellten Specien patina und elliptica wirklich von einander verschieden sind, ist mir sehr 62 Plate, zweifolhaft geworden. Die Form des Panzors ist namlich nicht ganz constant. Man findet ofters Tiere, dorcn Umrisse genau die Mitte zwischen jenen beiden Arten halten. Alle iibrigen von Ehrenberg angegebenen Unterscheidiingsnierkmale enveisen sich bei genauerer Priifung ebenfalls als hinfallig. Der Panzerrand ist stets glatt. Auf den ersten Blick erscheint er freilich haufig un- regelmiissig wellig gebogen, weil — wie bei Metopidia und Euchla- nis — die meist stark mit kleinen Kornclien durchsetzten Matrix- schichten der Riicken- und Bauchplatte in dem spitzen Winkel der Seitenkanten unregelmassig mit einander zusammeiifliessen. Die angebliche Differenz der Riiderorgane liisst sich auch nicht auf- recht erhalten, da dasselbe bei alien Pterodinen gleich gebaut ist, Ehrenberg aber nur ungenugend bekannt war. Der Wimper- apparat des Kopfes gleicht genau dem der eben beschriebenen Gattung Pompholyx. Die beiden Cilienkranze sind dorsalwarts in der Mitte unterbrochen. Innerhalb des grosseren und vorderen befinden sich einige wohl zum Tasten dienende lange Borsten. Der Darm zeigt einige beachtenswerte Eigentumlichkeiten. Der ku- gelige Endabschnitt liegt zum grossten Telle hinter der Afteroti- nung. Diese selbst aber befindet sich an der Basis des Fusses auf der Bauchseite. Wo der Magen in den Enddarm iiber- geht, miinden ein Paar kurze birnformige , nach hinten gerichtete Driisen, die Eckstein zuerst gesehen hat, und in denen man ein feinkorniges Secret bemerkt. Bei einigen Individuen fand ich am Enddarm noch 2 kurze, drusenartige Aussackungen, die bei andern vei'misst wurden. Eckstein berichtet, dass der Fuss nicht zum Anheften diene und keine Klebdriisen besitze, sondern den End- darm in sich schliesse und im Innern ganz mit Wimpern ausge- kleidet sei. Ich habe mich wiederholt iiberzeugt, dass diese An- gabeii unrichtig sind. Auch Leydig beobachtete die Kloakenotinung an der Wurzel des Fusses, der von einigen Muskeln und von 2 bandtormigen Klebdrusen durchzogen wird, mit deren Secret sich das Tier, wie die iibrigen Rotatorien, festheitcu kann. Von dem hinteren, nicht quergeringelten Abschnitt des Fusses gliedert sich das freie Endc als ein kloiner oinstiilpbarer Ring, der dicht mit Cilien besistzt ist, ab. Alle iibrigen Telle des Schwanzes sind frei von Flimmerepithel. Wie bei den Brachionusarten kann derselbe durdi 4 Muskeln teilweise oder ganz in das Innere des Panzers zuriickg(!zog('ii werden. Von den iibrigen Muskeln fallen leiciit die grossen Retractoren des Riiderapparates in die Augen, welche vom Kopf schriig nach hinten und aussen verlaufen. Ji'derseits fiuden Beitrape zur Naturgeschichte der Rotatorien. 63 sich zwei derselben, di(^ deshalb Icicht als eiii oinziger erscheinen, weil sie dieselbe Ursprungsstelk! hal)en und bei der geringen Hohe des Tiercs dicht iibcreinander liegcii. Ihre Querstreifaiig scheint bei verschiedeneii Individucn nicht glcic.li stark ausgebildct zu sciii. Meist fallt sie sehr deutlich in die Augen, zuweilen jcdoch nur sehr schwer, und ab und zu erkennt man in der Mitte jedcr ein- fach brech(mden Scheibe eine sehr schniale Platte doppeltbrechen- der Substanz (Fig. 21), die ich in der Kegel vermisst habe. — Der Geschlechtsapparat hat eine hufeis(!nformige Gestalt. Eier land ich inimer nur in dem blinden Ende des (von unten gesehen) linken Schenkels angelegt, und muss hier demnach der Keim- stock liegen, dessen Zellen mir mit Sicherheit bis jetzt noch nicht zu Gesicht gekommen sind. — Zum Nervensystem gehort ein dorsaler und 2 von Grenacher zuerst gesehene laterale Taster, die so weit nach vorn verlagert sind, dass alle drei Sinnesbiischel in einer Linie liegen. In der Leibeshohle sind zarte Bindegewebs- faden mit sternformigen Zellen ausgespannt, die bei einem Exemplar so zahlreich waren, dass sie ein mesenchymatoses Netzwerk bildeten. 31, Auuraea Ehr. Die zahlreichen Specien des Genus Anuraea Ehr. zeichnen sich durch den stark gewolbten Riicken - und Bauchpanzer aus, von denen ersteier derb und haufig mit Facetten, Grubchen, Langs- leisten oder ahnlichen Hautditferenzierungen versehen , letzterer dagegen dunnwandig und meistens glatt ist. In der Aushohlung, welche die ventrale Membran bildet, liegen die Eier und werden so, meist nur in Einzahl, umhergetragen. Ein quergestellter Spalt, der am Hinterende der Bauchplatte angebracht ist, bezeichnet die Afterottnung. Der Riiderapparat hat grosse Ahnlichkeit mit dem von Brachionus. Er wird von einem aussern Wimperkranze gebildet, innerhalb dessen sich 3 kelchartig gruppierte, grosse, kegeltormige Lappen erheben, von denen einer am Riicken, zwei seitlich und ventral stehen. Jeder derselben triigt eine Anzahl beweglicher Cilien, die um so grosser und derber sind , je mehr sie der ab- gerundeten Spitze jener Lappen genahert sind. Mittelst dieses Wimperapparates bewegen sich die Tiere mit gleichmassiger Ge- schwindigkeit durch das Wasser, wobei sie sich bald um die Langs- achse, bald auch um die Querachse drehen. — Die Liinge und Form der Panzerzacken ist bei manchen Specien sehr variabel. VVahrend z. B. bei Anuraea aculeata die hinteren Stachel fiir gevvohulich halb so lang als der Panzer sind, tritft man Exemplare, 64 P ] a t e , bei (lenen sie f uiul dariibor erreichen. Bei andern sind sio. winder niir ^ so lang- wie der Panzer. In ahnlicher Wcise schwankt audi die Lange der vorderen Panzerstacliel. In der Kegel fand ich, dass Tiere, dcren Stirnzacken schvvach entvvickelt waren, dieselbo Riickbildung in d(!r Orosse der hinteren Cuticiilarfortsatze erkennen liessen. Vielfach sind auch die Hinterstachel kiirzer auf der einen als auf der andern Seite, woraus Ehkenberg mit Unrecht eine besondere Art (An. valga) geschatfen hat. Kleine Verschie- denheiten im Bau des Panzers zeigen weiter die Individuen von An. scrrulata. Bei An. acuminata fand ich die Liingslinien des Riickens dichter stehend und zahlreichor , als Ehrenbekg sie zeichnet. — Eine Art, iiber deren Stellung zu den schon bekannten Vertretern dieses Genus ich im Zweifel geblieben bin, glich der An. stipitata in der Bildung des vorderen Panzerrandes. Der hintere Stachel setzte sich jedoch nicht so scharf ab, wie es Ehrenberg bei der eben genannten Species zeichnet, und ausser- dem war die Oberflache des Panzers glatt und nicht in Facetten zerlegt. — Die inneren Organe der Anuriien bieten wenig Be- merkenswertes. Dem Kauapparate glaube ich wiederholt zwei Speicheldriisen ansitzen gesehen zu haben Der Schlund flinnnert. Die Wandung und die Drusen des Magens sind haufig dicht durch- setzt von Fetttropfen. Das Gehirn steht mit einem dorsalen Tast- riissel in Verbindung, welcher beim Ausstulpen des Rjiderorganes durch die mittleren Stirnzacken geschoben und nach hinten ge- bogen wird. Er besteht aus einem breiten Basalgliede und einem schmaleren, in ersteres zuriickziehbaren Endstucke. Die aus letz- terem hervortretenden Sinnesborsten werden , sobald der Taster nach hinten zuriickgeschlagen ist, sonnenartig nach alien Seiten ausgebreitet , beim Ein- und Ausstiilpen desselben aber ganz eng an einander gelegt. Ausserdem finden sich stets zwei laterale Taster, deren Austrittsotfnungen in der Mitte des Panzers, den Seitenvandern genahert liegen. Diese Sinnesbiischel sind oft nur sehr schwer zu erkennen. — Der Geschlechtsapparat der Weibchen b(^steht aus Eier- und Dotterstock. Die Kerne des ersteren habe ich nur an gefilrl)ten Priiparaten erkonnen konnen. Klebdriisen fehhm alien Anuriien. Das Wassergefasssystem zeigt das typische Verhalten. Wintereier habe ich nur bei An. aculeata beobachtet. Ihre derbe iiussere Schale ist mit niedrigen, zickzackfiiimig gc- wundenen Leisten bedeckt. Auch die Sommereier von An. scrru- lata huhv.u eine feingekornelte Hiille. MJinnchen zu beobachten , ist mir nur bei An. aculeata ge- Beitrage zur Naturgeschichte der E-otatorien. 65 luDgen, deren Untersuchung aber sehr miihsam ist, da sie pfeil- schnell durch's VVasser schiessen und iiur 0,1 gross sind. ^iehaben cylindrische Gestalt; vorn sitzt der KitderapparaL , unter dessen Wimpern sich einige durcli besondere Lilnge auszeichueii , hiiiten verjiiugt sich der Korper ziim Penis und endet mit flimmerndei', breiter Spitze. Von den iibrigen Organen habe ich leider nur den grossenj Hoden und das Gehirn erkennen konnen, das ein dorsales Tastgrubchen versorgt und eiuen Augenfleck tragt. 32. Noteus quadricornis Ehr. Die Art der Facettenbildung sowie die Liinge und Stellung der Panzerzacken schwankt innerhalb kleiner Grenzen, wie aus den verschiedenen Darstellungen von Eurenbekg, Leydig und Eckstein hervorgeht. Auch die von mir gefundenen Tiere stimmen nicht ganz mit den Schilderungen der genannten Beobachter iiberein. Die Seitenaste der vordersten Facette reicheu auf der Eilren- BERG'schen Abbildung nicht bis an den Seitenrand des Panzers, was bei meinen Exeniplaren der Fall ist. Die Hinterstachel der- selben endigen mit einer scharfen Spitze, sind am Rande gekornelt und zuweilen stark sabelformig nach innen gebogen. Die vorderen Panzerstachel laufen stumpf aus, sind nur am Rande oder iiberall mit kleinen Kornchen und Zahnchen besetzt. — Von den F^'acetten liegen stets zwei nebeneinander in der Querachse des Korpers. Jederseits zwischen denselben und dem Seitenraude des Panzers ragt aus einer scharf umschriebeneu Ofifnung der laterale Taster hervor. Den dorsalen hat schou Leydig bemerkt. — Die 6 Neben- augenflecken, welche Eckstein gefunden haben will, habe ich ver- geblich gesucht. — Am letzten Fussglied befindet sich kurz vor den Zeheu eine kleine rundliche Vertiefung. 33. Brachionus amphiceros Ehr. (Fig. 22 — 25). Im 12. Bande der Zeitschrift fur wissenschaftliche Zoologie beschreibt Cohn eine Brachionusart, die er fur Br. polyacanthus Ehr. hiilt, obwohl dieselbe in mancher Hinsicht von der Ehren- BERG'schen Beschreibung abweicht. Mir stand dieselbe Species aus den Bassins des botanischen Gartens zu Bonn in grosster Menge zur Verfiigung, und bin ich durch eingeheudes Studium zu der tJberzeugung gelangt, dass das von Coiin bescliriebene Tier keine Varietat von Br. polyacanthus darstellt, sondern unter dem Namen Br. amphiceros von dem beruhmten Berliner Zoologen beschriebcn wordeu ist, und dass ferner Cohn die eben ausge- Bd. XIX. N. F. XU. 5 66 Plate, schlupften weiblichen Tiere fiir miinnliche gehalten hat, wahrend ihm die wahreu Miinnchcn gai- nicht zu Gesicht gekonimen sind, Dass COHN Br. polyacaiithus uiid Br. aniphiceros mit einander ver- wechseln konnte, erklart sich (niimal aiis der grossen Variabilitat in der Panzerform der zuletzt genaniit(!n Species, und daiin daraus, dass die EiiRENBERo'sche Abbildung keineswegs die gewohnlicliste und ty- pischsteForm wiedergiebt. Vornehmlich sind es die 4 Horner am Hiuterrande des Panzers, welchc in (icstalt und Grosse bei den ein- zelnen Individucu differieren. Weniger auifallig sind die Schwankun- gen, denen die Stirnzacken unterworfen sind. Am haufigsten fand ich Tiere , deren Panzer der Fig. 22 entspricht. Andere Exemplare zeigen dasselbe Langenverhiiltnis der Zacken, aber die hinteren derselben schwellen an der Basis knopfformig an. Bei wieder anderen weiden die hinteren seitlichen Horner 3 mal so gross als die hinteren iuuern und kriimmen sich dabei haufig sabelformig (Fig. 23). Endlich trifft man auch nicht selten Formen, die, wie auf der EnRENBERG'schen Abbildung, vorn und hinten 4 kleine Zacken tragen (Fig. 24). Alle diese Varietaten unterscheiden sich vonBr.polyacanthus jedoch leicht dadurch, dass derhintere Panzer- rand einen Bogen beschreibt, und immer nur zwei, nicht 3 Horner die Austrittsoffuung des Fusses umgeben. Die Beweglichkeit der hinteren Fortsatze tritt nur dann deutlich hervor, wenn dieselben eine ziemliche Grosse haben. Sie werden nicht durch besondere Muskeln, sondern durch die hereingepresste Korperfliissigkeit hin und her geschoben, was namentlich dann eintritt, wenn der Raderapparat ganz oder teilweise eingestupt wird. Unsere Species ist ferner daran kenntlich, dass an derWurzel der beiden Zehen die Cuticida des Fusses dorsalwarts einen kleinen vorspringendcn Kegel bildet. — Im ubrigcn bietet das weibliche Tier wenig Bemerkenswertes. Der Raderapparat bcsitzt dieselbe Form, wie sie Eckstein von Br. urceolaris gezeichnet hat, und sei nur hinzugefugt, dass der jius- sere Wimperkranz hier wie bei den folgenden Br.-Specien am Riickcn in der Mitte eine gegen die Seiten besonders abgesetzte Wimper- partie aufweist, und dass die 3 inneren, trichterartig gestelltcn Lappen mit stitrkeren Borsteu besetzt sind. Diejenigen der beiden seitlichen Lappen werden haufig schriig nach innen gebogen, sodass sie eine Art Dach iiber der Mundotfnung bilden. Ventralwjirts findet sich im ilusseren Cilienkranze nicht weit vom Seitenrande eine stiirkere Borste, an deren Grunde ich vergcblicli nach den von Eckstein angegebcnen Nebenaugenflecken gesucht habe. — Der kegelformig verliingerte Taster im Nucken ist Cohn entgangen. Beitrapje zur Naturgeschichte der Rotatorien. C7 Die lateralen hat er dagegeD gesehen. Die zu den letzteren ver- laufenden Nerven bezeichiiet er als „zwei breite Fadenstrilnge, welche vom Centralorgane iiach hiiiten zu den Scitenstachehi des Panzers fuhren und an der Basis dcrselben in zwei BUsdielgrul)eii miindeu". Hier liegt, wie ich mit Sicherheit behaiipten kann, ein Irrtum vor. Die lateralen Nerven bilden, wie gewohnlich, unter dem Tastbiischel eine gangliiise Anschvvellung, werden aber dauu zu sehr schmaleu Fiiden, die nicht mit dem Gehirn in Ver- bindung stehen, — wie dies auch Cohn auf seiner Abbildung nicht angiel)t {I. c. Taf. XXII. Fig. 4) — , sondern langs der Seitenliuie des Panzers, der Bauchseitc genahert, nach vorn bis fast zur Basis der seitlichen Stirnzacken laufen. Sie schmiegen sich dicht an die hier befindliche verknauelte Partie des Wassergef asses und lassen sich dann nicht weiter verfolgen. Entweder versorgen siejene Schleifenbil- dung des Excretionsorganes oder enden frei unter der Haut ; doch halte ich letzteres ftir wenigerwahrscheiulich. Dass die Lateralnerven nicht an das Centralorgan treten, geht auch daraus hervor, dass sie sich nicht in Falten legen, wenn das Raderorgan eingestiilpt und das Gehirn dabei weit nach hinten verschoben wird. — Eier- stock und dotterbereitender Abschnitt verhalten sich bei alien Gliedem dieses Genus gleich und sollen bei Br. urceolaris be- schrieben werden. — Die eben ausgekrochenen Weibchen unter- scheiden sich, abgesehen von der geringeren Grosse, anatomisch in nichts von den erwachsenen Tieren. Sie weisen jedoch im End- darm eine (oder auch 2, 3) kugelige, bei durchgehendem Lichte schwarz erscheinende Masse auf, die aus sehr kleinen Korncheu zusammeugesetzt ist. Sie fallt schon an dem halbreifen Embryo in die Augen, wird aber bald nach der Geburt durch den After entleert. Dieselben Kornerhaufen sind fiir alle mannlichen Bra- chioneu characteristisch , und dies ist wohl der Grund, weshalb Cohn die jungen Weibchen fur Mannchen gehalten und diesen einen mit Hornern besetzten Panzer und einen rudimentiiren Kau- apparat zugeschrieben hat. Die eigentiimlichen , gegen einander convergierenden Taster, welche er an der Stirn zeichnet, sind nichts weiter als die Borsten auf den beiden inneren Lappen des Raderapparates , die haufig, wie schon oben angegeben wurde, jene Stellung einnehmen. Die mannlichen Br. amphiceros (Fig. 25) sind unbepanzerte, gegen 0,16 lauge und 0,06 breite Tierchen, die nach hinten in einen mit queren Muskelringen und zwei kurzen Zehen versehenen Fuss auslaufen. Sie gleicheu den Mannchen der iibrigen Brachionus- 5 * 68 Plate, specien so sehr, dass man sie kauni von denselben unterscheiden und ihre Art nur dann erkennen kann , wenn das Muttertier be- kannt ist. Ihre Beweglichkeit und Kleinheit, sowie der Umstand, dass die Matrix oft so dicht von Granula durchsetzt ist, dass man von den inneren Organen fast nichts sieht, machen ihre Unter- suchung sehr schwierig. Gosse (67) und Hudson (83) haben uns schon mit einer Anzahl mannlicher Brachionen bekannt gemacht, sodass ich mich kurz fassen kann. Der Raderapparat besteht aus einem continuicrlichen Wimpersaume, iiber den der Kopf halb- kugelig vorspringt. Auf der ventralen Halfte dieser Calotte be- finden sich noch eine Anzahl Cilien, deren Stellung und Grosse die Zeichnung veranschaulicht. Die starksten unter ihnen sind an der Spitze oft fein zerfasert. Der Hoden (t) setzt sich nach hinten in den Penis (pe) mit einem flimmernden Kanal fort. Dies Begattungsorgau ist im ausgestreckten Zustande, den man freilich selten zu sehen bekommt, langer als der Fuss (/") und verjungt sich nach hinten zu einer breiten, mit starken Cilien besetzten Spitze. Hat man ein reifes Tier vor sich, so bemerkt man im Innern des Hodens das Gewimmel der Spermatozoen, deren langer Schwanzfaden eine undulierende Membran zeigt, und die schon mehrfach erwahnten, schmal-spindelformigen Korperchen, die sich namentlich im Anfangsteil des Vas deferens ansammeln. Bei noch nicht vollig geschlechtsreifen Individuen birgt der Hoden ausserdem einen Haufen runder Spermatozoenrautterzellen (x). Zwischen der Unterseite des Gehirns und der Ruckenseite des Hodens spannt sich als ein unregelmassiges Band der rudimentiire Darm aus. Dass dies Gebilde eine solche Deutung verdient, geht daraus hervor, dass sein hinterster Abschnitt, der also dem End- darm entsprechen wtirde, blasenartig erweitert ist und dieselbe schwarze Kornermasse (y) enthillt, wie sie im Darm der juugeu Weibchen vorkommt. Bei manchen Exemplaren ist der Zusam- menhang zwischen der vorderen und hinteren Halfte des rudinien- taren Darmes freilich nicht mehr vorhanden oder sehr undeutlich geworden. — Das Nervensystem besteht, wie beim Weibchen, aus einem grossen Gehirn (g) mit rotem Augenfieck, einem dorsalen und zwei lateralen Tastern, doch spricht sich ein ursprunglicherer Zustand dariu aus, dass der nackenstJindige Borstenbiischel einer einfachen kreisniuden Offiiung der Cuticula und nicht einem be- sonderen Kegel ansitzt. Auch das Excretionssystem steht nicht auf dersell)en Hohe, wie beim Weibchen , da es noch nicht zur Ausbildung einer contractilen Blase gekommen ist. Wie die Wasser- Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 69 gefasse ausmiinden, habc ich freilich noch uicht mit Sicherheit erkenuen konuen. Sie scheiuen mir dort in das Vas deferens zu treteu, wo Penis und Fuss zusammeustossen. Deunoch unter- liegt das Feblen der Blase , keiuem Zweifel , da mir niemals bei vielen daraufbin bcobacbteten Tieren ein derartiges coutractiles Gebikle vor die Augen gekommen ist. Im Fusse befinden sich zwei lange scblaucblormige Klebdriiseu, welche an der Spitze der Zeben ausmiinden. 34. Brachionus urceolaris Ehr. (Fig. 26 — 29). Obwobl Leydig die Vermutung Dujardin's, dass Br. urceo- laris Ebr. und Br. rubens Ebr. synonym seien, fUr ganz unbe- griindet bait, da beide „nach Form und Lebensweise ganz be- stimmt verschiedene Arten" seien, glaube icb deunocb, nacb Unter- suchung zablreicher Exemplare aus den verschiedensten Gegenden, dass der franzosische Forscber Recbt bat. Die Panzer aller Br. Specien sind binsicbtlicb der Lange und Gestalt ibrer Zacken geriugen Schwankungen unterworfen , und ist daber kein Gewicbt auf den sebr geringen Unterscbied zu legen, der nacb Eheenberg in der Pauzerform zwiscben beiden Arten existieren soil. Icb habe auch sebr oft Individuen gefangen, die weder die Stimzabne der einen nocb der anderen Species besassen, sondern genau zwiscben beiden standen. Der rotlicbe Schimmer, welcber ferner fur rubens characteristiscb sein soil, erweist siqb als ein sebr unsicberes Merkmal, das baufig feblt. Endlicb ist auch die Lebensweise bei beiden Formen, soweit meine Beobacbtungeu reicben, dieselbe. Icb fand sie stets freiscbwimmend und bin iiberzeugt, dass man rubens nicbt als einen Scbmarotzer der Dapbnien bin- stellen darf, wie es Leydig tbut, wenn es aucb zuweilen vor- kommt, dass sie sich voriibergebend auf der Scbale jeuer kleinen Kruster festbeften. Mit demselben Rechte konnte man die Calidina- arten ftir Ectoparasiten von Gammarus erklaren, weil sich die- selben ebenfalls mancbmal von diesen Krebsen durchs Wasser Ziehen lassen. tJber die Anatomic unseres Tieres sind wir durch Cohn und Eckstein griindlich unterrichtet worden, nur baben dieselbeu die lateralen Taster ubersehen, welche, wie bei alien Brachionen, auf der Riickseite am Anfang des hinteren Korperdrittcls in der Nahe des Seitenrandes angebracht sind. An vielen Exemplaren habe ich vergeblicb die Nebenaugenflecken gesucht, die nacb Eckstein 70 Plate, an der Basis der langeren Wimpern des Raderapparates liegen solleu. Zur Kenntnis der Histologic der weiblichen Tiere diene Fol- gondos. Die Matrix der Cuticula ist eiue diinne, niclit in Zellen gesonderte Protoplasmaschiclit, dereu schwammige Structur (Fig. 27) sich sehr scbon erkennen lasst. Von Stelle zu Stelle sieht man blaschenf()rniige Kerne mit kleineni Nucleolus. Uuterhalb der Kopf- uiuipern springt die Hypodermis in zahlreichen Polstern nach innen vor, von denen meist jeder mehrere Kerne aufweist. Die Cilicn des Raderapparates setzen sich durch die Cuticula als feine parallele Streifen in das Innere der Polster fort. Der Schlund ist niit einigen langeu Cilien besetzt, die lebhaft bin und her schlagen. Die Flimmerzellen des Magens sind gross, von poly- gonaler Gestalt, besitzen eine deutliche Membran und einen meist nacb aussen gelagerten runden Kern mit grossem Kernkorperchen. Dieselbe Beschaft'enbeit zeigt der Enddarm, doch lassen sicb bier die Zellgrenzen nur schwer erkennen. Die Cilien desselben sind lauger als im vorbergebenden Abscbnitte. In der Protoplasma- masse, welcbe die Magendriisen erfiillt, und in der sicb mebrere Kerne mit grossem Nucleolus befiuden, babe icb nie eine An- deutung von einer Sonderung in Zellen benierken konnen. In der Wand der Wassergefasse liegt von Strecke zu Strecke ein ovaler Kern ; gefarbte Praparate zeigen , dass mebrere derselben dicbt neben einander nur in den verknauelten Partieen vorkommen. Ab und zu trifft man in der feinkornigen Wandung der Excretious- kanale 1 oder 2 Ijinglicbe Streifen einer bomogenen cilartigen Masse, welcbe beiderseits symmetrisch, meist in der Nabe der Scbleifen- teile liegt. tJber ibre Natur und Bedeutung bin icb bei Bracbio- nus ebeiisowenig wie bei Hydatina und Eucblanis in's Reine ge- konimen. In den Zitterorganen babe icb eineii Kern mit Sicber- beit nicbt erkennen konnen. Unterbalb der Endkante der Flacben- ausicbt findet sich freilich meist ein dunkles Kornchen, welches vielleicbt den Kern darstellt. Zuweilen traf icb Zitterorgane, deren Wandung an der Ubergangsstelle in den kurzen Stiel, mit dem sie in den Langskanal miinden, blasig aufgetrieben war und bier einen rundlicbeu Fleck aufwics, der auch so gedeutet werden konnte. Von dem Zitterorgan , welches die Mitte des Geftisses verlasst und nach iimen gericbtet ist, pflegt ein zarter bindege- webiger Faden ab/ugehen , der sich an die Ilaut ansetzt ; die iibrigen entbebven desselben. — Der Geschlechtsapparat (Fig. 2*J) ist bei alien Brachionen von gleicher Beschaft'enbeit. Sieht man Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 71 auf die Vcutralscite dus Tieres, so liegt stets der Eierstock der vordereu linkeii Ecke des ungleich viel grosseren Dotterstockes (d. s.) au. Beidc werden gemeinschaftlich von eiuer dimiieu Mem- bran (x) unisclilossen , die eineu breitdreieckigeu , niit der iSpitze in die Kloake uiuudeuden Sack bildet. Der das Deutoplasnia be- reitende Teil der Geschleclitsorgane fallt beim lebenden Tiere nieist allein in die Augeu. Sein dichtkorniger , von zahlreidien grossen und kleinen Fetttropfen durcbsetzter Dottcr wird von einer sehr zarten Membran eingebiillt und ist nicht in Zellen ge- sondert, sondern stellt eiue zusaninienhaiigende Protoplasmamasse dar, der eine bescbraukte Anzabl von 0,014 grossen Kernen ein- gestreut ist. Bei diesen ist, wie aucb bei alien anderen Rotato- rieu, der duuklere Nucleolus (w') so gross , dass der Kern (w) nur als ein beller homogener Hof sicb ausuimmt, dessen Saum an Osmiunipraparaten zuweilen eine porose Structur zeigte. Die Nuclei sind oval, selten eckig ausgezogen. Lasst man die Tiere bungern, so schwindet die Dottermasse zusebeuds, bis schliesslich am vorderen Rande des Genitalsackes sich nur noch ein scbmaler Streifen Dottersubstanz befiudet, indem die Kerne dicbt neben einauder liegen. Auch bieraus lasst sicb mit Sicherbeit scbliessen, dass keine eigentlichen Dotterzellen vorhanden sind. Waren diese da, so wtirde mit dem Verbrauch der Dottersubstanz jede Zelle ein vacuolisiertes Ausseben anuebmen, die Stellung und gegen- seitige Entferuung der Kerne aber die gleicbe bleiben. — Der Eiserstock (29 k. s.) besteht aus ungefabr 30 — 40 nur gegen 0,002 grossen, rundlicben Keimzellen, die von vorn nacb binten an Durcbmesser zunebmen und demgemass auch am binteren Eude successive zu Eianlagen werden, deren Wacbstum sich in der bei Hydatina geschilderten Weise vollzieht. In jeder Keimzelle liegt ein rundlicher Kern. Wahrscheinlich wird auch bier das jiingste Ende des Keimstockes aus eiuem noch nicht in Zellen gesonderten Keimlager bestehen. Im Gehirn bemerkt man an gefarbten Tieren sehr zahlreiche, uberall gleichmassig verteilte runde Kerne, doch babe ich den feineren Bau der zugehorigen Ganglienzellen nicht ermitteln konuen. Der Augenfleck hat zwar meist eine X for- mige Gestalt, doch ist er auch haufig unregelmassig geformt. Im Innern des roten Pigments sab ich ofters eine weissliche, mehr oder weniger verdeckte Substanz. Im ubrigen vcrbalt sich das Nervensystem wie bei Br. araphiceros. Die Ganglien unterhalb des dorsalen und der lateralen Taster endigen mit einem scharf markierten Ringe (Fig. 26) , bis zu dem bin sich die Sinneshaare 72 Plate," verfolgen lassen. Die Zellcn der Klebdrusen sind, wie bei manchen anderen Organen der Radertierc, zu eineni Syncytium verschmolzcn (Fig. 28). Die Menibran der eingestreuten Kerne zeigte nach An- wendung von Osmium hiiufig eine abwechselnd helle und dichte Beschaffenheit , als ob sie von zahllosen kleinen Kanalen durch- bohrt sei. Bei einigen Mannchen, die sich kaum von den mannlichen Br. amphiceros unterscheiden lassen, flottierte das Sperma frei in der Leibeshohle, obwohl sie mit grosster Schonung behandelt und nicht etwa durch das Deckglas gequetscht waren. Die Wand des Hodens war stellenweise sehr undeutlich und schien hier und da zerrissen zu sein. Auch an zwei frei in einem Wassertropfen schwimmenden Mannchen von Br. brevispinus babe ich dasselbe beobachtet. Hier liegt wohl eine ofters vorkommende pathologische Erscheinung vor. 35. Brachionus Bakeri und brevispinus Ehr. sind von alien iibrigen, hier erwahnten Brachionen leicht zu unterscheiden: wahrend diese beim freien Schwimmen den Fuss fast immer einziehen, pflegen jene denselben ausgestreckt zu tragen, was sofort in die Augen fallt. Bei der zuerst genannten Art sah ich, dass die langen Tastborsten des Raderapparates an ihrer Spitze haufig fein zerschlitzt sind, was darauf hindeutet, dass sie aus der Verwachsung mehrerer gewohnlicher Cilien ent- standen sind. Hierfur spricht auch ihre ab und zu noch hervor- tretende Beweglichkeit. In letzterer Hinsicht macht nur jeder- seits die eine dorsal eingelenkte Tastborste eine Ausnahme, welche nach hinten uber den Rand des ausseren Wimpersaumes geklappt wird: sie ist unbeweglich. Nebenaugenflecke habe ich auch hier vermisst. — Die Mannchen beider Specien bieten nichts Ab- weichendes. 36. Brachionus bidens (n. sp. Fig. 30) moge eine neue Species heissen, die ich in ziemlicher Zahl aus den Tiimpeln des botanischen Gartens zu Bonn mir verschafft habe. Das Tier ist nahe verwandt mit Br. augularis Gosse, mit dem es in Grossc und Form des Panzers ubereinstimmt und sich nur dadurch uiiterscheidet, dass die Oberfliiche des Panzers nicht eine durch winklige Rippen rauhe Beschattenheit besitzt, sondern ganz glatt, hochstens sehr fein punktiert ist. Die jungen Weib- chen besitzen eineu „Harnballeu" im Enddarm. Der Fuss, welchcr Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 73 fast so lang als der Panzer ist, ist stark quergeriiigelt und triigt zwei Zehen , die uiclit, wie bei deu iibrigeii Brachioueii, breit ab- gestumpft, sonderii mit eiiier abgesetzteii und fein zulaufenden Spitze endigen. Die Austrittsottnung der Klebdriisen liegt daher auch nicht am aussersten Punkte der Zehen, soudern an der Basis jener Spitzen (x). Die Grosse des Panzers betragt circa 0,136, die grosste Breite 0,12. Die Mannchen messen bis zur Fussbasis 0,094; die VViutereier, deren aussere Schale dicht mit kleinen Griibchen bedeckt ist, 0,104. Sie otftien sich deckelartig an dem einen Pol. 37. Brachionus decipiens n. sp. erinnert in Form und Grosse sehr an Br. Pala, unterscheidet sich aber von ihr dadurch , dass der Hinterrand des Panzers ausser den zwei abgerundeten Stacheln neben der Austrittsolinung des Fusses noch zwei kurze, seitliche Horner besitzt. Letztere werden haufig eng dem Korper angedriickt, so dass man sich uber ihre Anwesenheit leicht tauscht; daher der Speciesname decipiens. 38. Brachionus plieatilis Miill. ist, wenn wir von Seison absehen, das einzige marine Riidertier, uber welches wir eine eingehende Schilderung besitzen; doch weicht dasselbe nach den Mitteilungen von Mobius (117) in der Be- schaftenheit der Mundoiinung und des Raderapparates so sehr von den iibrigen Brachionen ab, dass es in ein besonderes Genus wird gestellt werden miissen, wenn jene Angaben sich bei einer er- neuten Untersuchung als richtig herausstellen. Sollte Mobius nicht den mittleren Lappen des inneren Wimperkranzes fiir den riisselformig verlangerten Mund gehalten haben? Auch der dorsale Taster ist wohl nur tibersehen worden. Es ware ferner interessant zu erfahren, ob bei dieser Art auch Wintereier vor- kommen, oder ob die letzteren ausschliesslich als Anpassuugen an das Susswasser anzusehen sind. VII. Fainilie: Asplaiichnaa. 39. Asplanchna myrmeleo Ehr. (Fig. 31 — 37). Von alien Rotatorien ist besonders das Genus Asplanchna wegen der Grosse und Durchsichtigkeit seiner Formen geeignet, 74 Plate, dem Beobachter eiiien klareii Ein])lick in den Organismus zu ver- schatien. Uber die Auatoniie dieser praclitigen Tiere haben Leydig iind eine Reilie engliscber Forscber ausfiihrlicbe Mit- teilungen geinacbt, imd babe icb daber voruebnilicb auf die Histo- b)gie niein Augeunierk gericbtet, ohne leider bei der geringen Aiizabl von ludividuen, welcbe mir zur VerfUguug standen, damit vollig zuni Abscbluss gekorumen zu sein, Hinsicbtlicb des Raderapparates der Asplanchna myrmeleo (Fig. 31) kann icb die Angaben Leydigs in einigen Puukten er- weitern. Der Ilaiiptkrauz der langeu feiueu Cilieu, durcb dereu bakeufOrmige Bewegung sicb die Tiere in langsameu Kreiseu durcb das Wasser bewegen, ist dorsal uud ventral in der Mitte durcb eine nackte Stelle unterbrocben. Ziendicb in der Mitte zwiscben derselben uud deni Seitenraude befindet sicb auf der Baucb- uud Riickseite jederseits eine kleine Hervorwolbung der Wimperscbnur, auf der einige starkere Borsten sitzen. Innerbalb dieses Rader- organes stulpt sicb der Kopf in zwei abgerundeteu Kegelu ber- vor, welcbe auf der Veutralseite sicb tricbterformig zur Muud- oifnung berabseukeu. Die links und recbts von derselben ge- legenen kleiuen Hugel (x), welcbe 4 starke beweglicbe Borsten trageu, sowie 2 dorsalwarts gelagerte und rait starren feinen Cilien versebene Taster (y) sind scbon von Leydig ricbtig erkaunt worden. Dicbt neben den letzteren breiten sicb eine Anzabl ebenso bescbatiener Sinnesbaare facberformig aus {z). Ein auderer, aber unpaarer Gefiiblsbiiscbel liegt an der Ruckenwand des Mund- tricbters und wird halbkreisformig von einer Reibe scblagender Wimporn uvustellt. Endlicb gebt nocb ein Cilieusauni, der in der Mitte zwei grossere Borsten tragt, jederseits von den Matrixver- dickungen der Nebenaugenflecke (oc) ab und ziebt sicb auf eine kurze Strecke die Kopfkegel biuauf. — Der fiir alle Asplancbnen cbaracteristiscbe grosse Kropf, der sicb zwiscben Mundotlnuug und Scblund einscbiebt und im Innern die tasterzirkelformigen Kiefern tragt, ist ein sebr geraumiger Hoblraum, der von 3 balb- rinnenartigen Siicken gebildet wird, zwei seitlicben (g) und eineiu dorsalcn {r). Der letztere reicbt am weitesten nacb binten und stebt mit dem ()sopbagus in Verbindung. Die Lateralsacke wer- den jeder durcb eine nacb innen vorsi)ringende, aucb iiusserlicb sicb markierende Leiste in 2 Abscbnitte zerlegt, von denen der eine an den dorsalen unpaaren Sack angrenzt. Ob die iibrigen Rotatorien ein Organ besitzen, weklics dieser eigenartigen Kropf- bildung bomolog ist, wage icb uitbt zu eutscbeiden. Eyfekth Beitrfige zur Naturgeschichte der Rotatorien. 75 liisst sie aus modificiertcii Ausseiikiefern hervorgehcn, ohuc irj^end welche Griinde hierfur anzugeben. Nach Lage uud Form sullte man eher glauben , dass niit der lliickbilduiig des Kauaijpanitus audi die zugehorigoii Muskchiiahiscii gescliwuiidcii uud statt dcr- selben dicse llolilriiumc entstanden seicn. Die Wauduug des Kropfes bestcht aus einer ausscreu uiid uiner inueren chitinbsen Cuticula, zwischeu deuen cine Schicht von Protoplasma liegt. Zellgreuzcu konnte ich in derselbeii uicht erkenuen, wohl aber hier uud da blaschciifbiniige Kerue mil 1 Oder audi 2 kleiiien Kernkorperchen. Die bcideii Cuticulae des dorsalen Sackes eiit- fenien sich stellenweise viel weiter von einauder, als es bei den Lateralsiicken der Fall ist, uud sind durcli haarfeiiie Stiitzbalken mit eiiiander verbuiuleu. Vou der Fliidie geseheu uiacheu diese Partieeu den Eindruck eines Maschenwerkes. — Der lange Schluud (31, 32, oe) zeigt eine grosse Zahl paralleler Langsmuskeln , die an der tJbergaugsstelle in den dorsalen Kropfsack sich eiue Strecke weit ill der Wanduiig desselbeu fortsetzen. Wenn die Ticre unge- stort umherschwimmcn, so sieht man, wie der Magen (lurch Con- traction dieser Langsmuskeln in regelniassigeu Intervallen bis unniittelbar unter den Kropf gezogen wird. Da diese Muskulatur am Ende des Schlundrohres aufhort, hebt sich dasselbe scharf von deni nun folgendeu Magen ab, der auf seiner ganzen Inneii- tiache rait zarten, oft schwer sichtbaren Fliniraern ausgekleidet ist. Ausserlich und auch histologisch zertallt der Magen in zwei Ab- schnitte, einen vorderen (32 a) und einen hintereii (6), dem streiig genommen allein diese Bezeichnung zukonimt. Der erstere hat, wie der Osophagus, die Gestalt eines cylindrischen Rohres und ist nach hinteu nur wenig verbreitert. Er kann als Fortsetzung des Schlundes augesehen werden und tragt am Anfange des hin- teren Drittels jederseits eine doppellappige Magendriise (m. d.). In der Wandung lassen sich einige zarte Langsuiuskeln und blaschenf()rmige Kerne mit Nucleoli erkennen. Die einzelnen Zellen besitzen keine besondere Membran und grenzen sich daher fur das Auge nur undeutlich von einauder ab. Der eigentliche Magen besteht dagegen aus grossen, unregelmiissig-rundlichen oder poly- gonalen Zellen, deren jede eiii scharf niarkierte Membran aufweist. Die Zellen springen halbkugelig iiber die Oberflache vor uud machen bei der Flacheiiansicht daher Icicht den Eindruck, als ob zwischen ihuen Intercellularriiume sich befanden. Die ziemlich grossen runden Kerne liegen in der Kegel weit nach ausseii in der Zelle. In der Membran derselben findeu sich einzelne dunkle 76 Plate, Kornchen, die aber nicht so zahlruich siiid, dass man aus ihnen auf eiiio porosu Structur schliesscu konntc. Iiii Iiinern des Kernes hiingt an zarteii Faden ein kleiner Nucleolus. Lebenskraftige Tiere zeigen ausserdem in jeder Zelle eine Unzahl brauner Pigment- kiigelchen und vielfacli audi Oltropfen. Die Magenwand ist con- tractil. Sie verniag sich auszudehnen und sich zusammenzuzielien, wodurch die einzelnen Zellen besonders stark nach ausseu vor- springen und dem Magen ein traubiges Aussehen geben. Die Muskeln (niu) bilden zarte, netzforniig niit eiuauder auastomo- siereude Faden, die, wenn ich mich nicht sehr irre, ausserlich den Magenzellen anliegen und diese passiv zusammenpressen. Jeder der beiden Telle einer Magendriise besteht aus einer zusamnien- hangenden protoplasmatischen Grundmasse, in welcher sich zahl- reiche Kerne mit grossen Kernkorperchen eingestreut finden. Das Secret derselben ist eine feinkornige Masse, welche an der engsten Stelle des ganzen Organes, also zwischen den beiden nierenformi- gen Lappeu, in den Magen iibertritt. Eine dauernde Offuung ist nicht vorhanden. Man bemerkt eine seiche meist nur, wenn die Druse stark mit Secret erfiillt ist. Fur gewohnlich scheiuen sich die Rander derselben so eng an einander zu legen, dass sie nicht sichtbar wird. — Dass sich der Magen in zwei, auch histologisch verschiedene Partieen sondert, ist mir nur von diesem Genus be- kannt und steht vielleicht mit dem Fehlen eines Enddarmes in Zusaninieiihaiig, obwohl das braune leberartige Pigment verbietet, dem hintercn Magenabschnitt der Asplanchna eine ausschliesslich resorbierende Tliatigkeit zuzuschreiben. — Die Wassergefasse miin- den in eine contractile Blase, die im prallen Zustande einen grossen 'I'eil der Leibeshohle eiiinimmt. An ihnen litsst sich der histolo- gische Aufbau des Excretionsorganes besonders gut erkennen. Jeder Kanal (Fig. 31) beginnt weit vorn, innerhalb einer der ke- gelformigen Kopfausstiilpungen und teilt sich dann in der Hohe des Muskelkragens, welcher den Hals umgiebt, in zwei Aste von verschiedenem histologischen Bau. die dicht vor der Einmiindung in die Blase sich wieder vereinigen. Die dadurch gebildete Ose erstreckt sich durch den grossten Tell der Korperseiten. Der eine dieser Gabelaste (Fig. 33 a) ist schmal, zeigt eine diinne Wandung, in deren Protoplamsa nur sehr feine Kornchen eingestreut sind und triigt auf der einen Seite eine sehr grosse Zahl von Zitter- organen, die in geringen Abstanden von einander stehen. Der andere Kanal (Fig. 336) ist ungefiihr doi)i)clt so breit und besitzt eine dicke, mit zahlreicheu grossen und kleiueu Fetttropfchen Beitrasre zur Naturgeschi elite der Eotatorien. 77 durchsetzte Wandung. Er besitzt keino Zitterorgane, verkntiuelt sich aber zweimal und bildet kurz vor der Vereinigung mit dem schmalen Gefiisse eincn grosseu Bogeii. Schon Leyduj hat rait Recht hervorgehobeii, dass diesor dickwandige Kanal vornohnilich, wennnichtaiisschliesslich alsSitz der secretorischen Thjitigkeitanzu- stihen ist. Die vor der Gal)elung im Kopfe gelegene Strecke des Wassergefasses zeigt den Character des schraaleren Gabelastes, mir ist sie etwas broiter. In der Wandung des sccernierenden Kanalcs liegen in ziemlichen Abstiinden einzehn; ovale oder rund- liehe Kerne, deren Nucleoli in einem Netz teiner Filden hiingen. Diese Kerne sind in den Schleifenpartieen in grosserer Zahl (5 — 8) vorhanden. Auch in der vor der Gabelung liegenden Strecke habe ich Kerne von etwas geringerer Grosse gesehen, sie dagegen in deni ganzen mit Zitterorganen besetzten Kanale verniisst. tfber den Bau dieser vibrierenden Korperchen gilt im allgemeinen das, was schon bei Euchlanis uber sie gesagt wurde. Sie sind, wie bei dieser Gattung, am tVeien Ende geschlossen, haben aber eine etwas andere Gestalt. Die Fliichenansicht zeigt njimlich eine nur schwach ausgepragte Dreiecksform (Fig. 33, 1, 2), indem der vordere, quer abgestutzte Rand nur wenig breiter ist als der kurze Stiel, mit dem die Organe in den Langskanal einmiinden. In ihrer Wan- dung erkennt man die schon erwahnte zarte Langsstreifung. Die Endkante bildet meist keine gerade Linie, sondern ist etwas un- eben. Ihr parallel lauft die nach innen vorspringende Leiste, an welcher die zarte, schwingende Membran angebracht ist. Zwischen jener quereu Endkante und dieser Leiste bej&ndet sich etwas Pro- toplasma, in dem man vielfach 1 oder auch 2 dunkle Kornchen bemerkt. Da dieselben bei anderen Zitterorganen hingegen fehlen und sich haufig auch am Seitenrande finden, diirfen sie nicht als Kerne gedeutet werden. Ich halte die einzelnen Zitterorgane fiir kernlos, glaube aber, dass sich in dem dieselben tragenden Liings- kanale noch Kerne werden nachweisen lassen. In der Kantenan- sicht zeigen diese eigenartigen, wiihrend des ganzen Lebens rastlos thatigen Korper die gewohnliche schmalcylindrische Form. Die schwingende Membran reicht nicht bis in das Lumen des Haupt- gefasses herein, sodass man die basale Partie, welche hilufig auch verschmalert ist, als Stiel des Zitterorganes unterscheiden kann. Hinzufiigen will ich noch, dass ich einmal an einem durch Zer- zupfen isolierten Telle des Wassergefilsssystemes von jedeni Zitter- organ einen zarten bindegewebigen Faden abgehen sah , der sich an die aussere Haut zu setzen schien. An andern Tiereu habe ich die Faden nie wieder gesehen. 78 Plate, Der Ooschlechtsapparat der weiblichen Asplanchnen zeigt eine sehr (leutliche Soiidorung in einen keim- imd einen dotterbereiteii- den Abschiiitt, die sich auch ilusserlich — mit Ausnahme der Species Aspl. priodonta - leicht crkennen lilsst, da der Eierstock (Fig. 31, h. s.) als ein kleiner ovalcr Kiirper dem tiefsten Piinkte des grossen hufeisenftirmigen Dotterstockes (Fig. 31, d. s.) ansitzt. Beide Teile sind bei diesem Genus scbiirfei- von einander gescliie- den, als bei irgend einem anderen Rotator. Der Dotterstock der Aspl. myrraeleo stellt ein flaches hufeisenforniiges Band dar, dessen convexc Seite nach hinten gerichtet ist , und dessen am freien Eude keulenformig verbreiterte Schenkel den Magen zwischen sich fassen. Das Organ wird nach aussen von einer zarten, keine be- sonderen Kerne fiihrenden Membran begrenzt und ist im Inneru von einer zusammenhangenden feinkornigen Dottermasse erfiillt, in der eine sehr grosse Zahl von Dotterkernen, die samtlich neben einander in einer Ebene liegen, eingebettet sind. Diese runden Kerne nehmen in jedem Schenkel allmjihlich von vorn nach hinten an Grosse ab, zeigen aber im ubrigen stets die gleiche Beschaflen- heit, einen Nucleolus, der so gross ist, dass der Nucleus ihn als ein mehr oder weniger breiter Hof umgiebt. Die im Eierstock dicht gedrangt zusammenliegenden blaschenformigen Eikerne sind um so gosser, je mehr sie von den Dotterkernen entfernt liegen. Bei einem Exemplar massen die Dotterkerne am freien Ende jedes Schenkels 0,026, die kleinsten unter ihnen, dicht neben dem Eier- stock, 0,()18; die kleinsten Eikerne 0,01, die grcissten derselben 0,014. Die Eikerne machten an lebenden und vielfach auch an mit Osmium getoteten Tieren den Eindruck, als ob sie in einer continuierlichen protoplasmatischen Grundsubstanz lagen. Zwischen den grosseren Eikernen habe ich jedoch ofters zarte Streifen, die Zellgrenzen ahnlich sahen, bemerkt, und nehme ich daher an, dass, wie bei Hydatina, sich um diese das Protoplasma schon zu distincten Keimzellen gesondert hat. Die eben angelegten Eier schliessen unmittelbar an die grossten dieser Keimzellen an und lassen aus der Gleichartigkeit ihrer Keimblaschen mit den Kernen jener un- zweifelhaft erkennen, dass sie aus denselben hervorgegangen sind. Das Wachstum der jungen Eier findet, wie schon (■)fters angegeben wurde, dadurch statt, dass sich dieselben eng an den Dotterstock anlegen und diesem durch Ditlusion das Deutoplasma cntziehen. Haben dii; so gebildeten Sommereier eine bestimmte Gr()sse cr- reicht, so losen sie sich vom Keim- und DottiMstock ab und fallen in den diinnhiiutigen Uterussack , indem sie bei Aspl. periodonta, BeitrSge zur Naturgesehichte der B-otatorion. 79 Brightwelli, Sieboldii uiul Ebbcsbornii ihre gauze Entwickluug durchmacheii, wiihrend sie bei Aspl. myrineleo bald darauf abge- legt werdcn. Dio Uteniswaiiduiig, wclche zum Unt('rschi(Hlc von aiidorn Rotatorien sich iiur an dvu Kcinistock anlt^gt, dagegen don dotter- erzeugenden Abschnitt nicht umhullt, ist selir contractu, da sie ein dichtcs Netzwerk zarter Muskeln bcsitzt, die ihr ini contra- bierten Zustande ein zerknittertes Aussehcn geben. Ausserdem erkennt man von Stella zu Stelle einen blaschenforniigen Kern mit kleinem Nucleolus. — Kine ganz ahnlicbe Reschafft'iilieit zeigt die Wand der contractilen Blase (Fig. 34), nur bilden bier die Muskel- fasern weniger dicbte Maschen. Diese sich vielfacb verzweigenden contractilen Elemente sind die Auslaufer einer Anzahl sternformi- ger Zellen von verschiedener Grosse (mu.) Der Wassergeiasskanal jeder Seite miindet mit einer scharf umschriebenen runden Oif- nung (x) in die Blase, liisst sich aber uber diesen Punkt hinaus noch eine Strecke in der Blasenwandung verfolgen ; von jener Stelle laufen niimlich, ahnlich wie bei Hydatina, 2 zarte parallele Strange aus, deren Abstand von einander der Weite des Excretionskanales entspricht. Sie losen sich schliesslich in eine grosse Zahl feiner Fasern auf. Hinsichtlich der Beschaifenheit der Wintereier von Aspl. myr- meleo stimmen meine Beobachtungen nicht ganz mit denen Ley- digs iiberein, so dass bier wahrscheinlich ein variables Verhalten vorliegt. Als ich eine Anzahl von Tieren in einem Uhrschiilchen einen Tag gehalten hatte, waren kugelrunde Eier von ungefahr 0,234 Durchmesser abgesetzt worden, deren diinne Schale einen dichten Besatz sehr kleiner steifer Borsten aufwies. Urn manche derselb(!n befand sich auserdem eine zarte, unregelmassig gefaltete und stellenweise abstehende Membran. Aus diesen Eiern krochen bis zum folgenden Tage nur weibliche Tiere aus. Dieselben mils- sen daher Sommereier gewesen sein. Ihr dunkler Dotter war reich an Fetttropfen. Ausserdem beobachtete ich Eier, die etwas grosser, aber auch rund waren, und deren dicke gelbbrauue Schale eine rauhe Oberflache zeigte. Sie entwickelten sich nicht im Laufe der nachsten Woche, und halte ich diese daher fiir Wintereier, obwohl Leydig denselben eine stark borstige Schale zuschreibt. Das Nervensystem der Aspl. rayrmeleo besteht aus einem grossen Gehirn, welches einen Augenfleck ohne Linse triigt und von seinera Hinterrande 2 Nervenstriinge an die dorsalen Taster sendet, die bei alien Asplanchnen paarig vorhanden und auffallend weit nach hinten verlagert sind. Sie sind stets durch einen unter 80 Plate, der Haut verlaufenden queren Nerven (Fig. 356) mit einander verbunden. Jeder der Dorsalnerven (c) zeigt in seiner hinteren Halfte eine Zusammensetzung aus 2 Straiigen, die weiter nach vorn mit einander zu verschnielzen scheinen. Sie erweitern sich unterhalb dos eigentlichen Tastbiischels zu einem ovalen Ganglion und zeigen hier jeder kurz hinter einander 2 ovale Kerne. Drei ahnliche Nuclei verteilen sich in gleichen Abstanden auf den Quer- strang. Eine eigentumliche Asynimetrie zeigt der rechte Dorsal- nerv vieler Individuen, indem vom Grunde der gangliosen An- schwellung desselben ein Nervenfaden (a) abgeht, schrag auf den Verbindungsstrang der beiden Taster zulauft und rait diesem ver- schniilzt. Am linken Dorsalnerv habe ich diesen Seitenzweig nie gefunden und bei raanchen Exemplaren fehlte er iiberhaupt ganz- licb. War er vorhanden, so zeigte er stets gleich nach seiner Ab- spaltung eine langliche Anschwellung mit Kern. Aus der Anwe- senheit einer queren Commissur und dem individuellen Auftreten dieses schriigen Nerven kann man schliessen, dass urspriinglich nur ein unpaarer dorsaler Taster, wie bei der Mehrzahl der ubrigeu Rotatorien, vorhanden gewesen ist. — Vom Gehirn gehen ausser diesen beiden nach hinten laufenden Nerven noch eine Anzahl Faden ab, die sich in den beiden Kopfkegeln ausbreiten und sicher- lich die daselbst befindhchen Sinnesbiischel versorgen. Weuigstens finden sich unterhalb derselben gangliose Anschwellungen, und hat ausserdem Leydig bei Aspl. Sieboldii den Zusammenhang dieser Ganglien mit dem Gehirn beobachten konnen. Die zwei lateralen Taster stehen hingegen , wie ich bestimmt versichern kann, nicht mit dem Centralorgan in Verbindung, so unvvahrscheinlich dieses Verhalten a priori auch erscheinen mag. Die betreffenden Sinnes- organe stehen jederseits am Korper dort, wo dessen hinteres Viertel beginnt (Fig. 31, 33. I. t.) und sind wegen ihrer grossen Zartheit nicht inmier leicht wahzunehmeu. Die Lateralnerven schwellen unterhalb des Tasters zu einem langgestreckten Ganglion an, biegen danii unter einem stumpfcn Winkcl nach innen um und schmiegen sich nun als sehr zarte Strange jederseits einem Muskel (mw) an, der schrag nach vorn und innen liiuft und dabei dicht iiber die vordere Yerkniiuelung des Wassergefasses hinwegzieht. Muskel und Nerv legen sich so eng an einander, dass man nur an gun- stigen Zerzujjfungspraepai'aten sich davoii iiberzeugen kann , dass beide nicht mit einander verschnielzen, sondern nur bis zum Ex- cretionssystem neben einander laufen ; hier angelangt, trennen sich beide, und der Nerv lost sich, wie ich gesehen zu haben glaube, Beitriige zur Naturgeschichte der Rotatorien. 81 in sehr feine, den Wassergefasskniiuel versorgende Fasern auf. Uni die Cuticularoffnung herum, aus der die starreii Wimpern des Tasters treteii, pflegt die; Hypoderniis einen Hof kleiner Korncheii zii bilden. Das Ganglion selbst ondet, wie gewolinlich, mil cineni scharf unischriebenen Ringe dicht unterhalb jener Offnung. Die zarten ladicnartigen Streifen , welche von jenem Ringe aus zu letzterer hinziehen, sind wahrscheinlich die Basen der den Sinnes- biisdiel bildenden Hiirchen. Bel^anntlich zeigt das Gehirn mancher Notonimataarten die Eigentiimlichkeit, dass sich d(M' hinterste Teil desselb(!n durcii eine ringfiirmigc iMnschniirung von dem eigentlichen Centralorgan des Nervensystems absetzt und mit einer grossen Zahl kleiner Kalkkorperchen erfiillt ist. Dieser Kalklx'utel pflegt nach vorn an den roten Augenfleck zu stossen. Bc\ Aspl. niyr- meleo besitzen nianclie Individuen gariz iihnliche Anhtiufungen an- organischer Kornchen , und zwai' umhiillen dieselben das Auge ofters so dicht, dass man dessen rotes Pigment erst dann wahr- nimmt, wenn sie durch Siiuren entfernt worden sind. Schon Leydig ist das individuelle Vorkommen dieser Gebilde aufgefallen. Ich habe sie nur bei ganz jungen Tieren wahrgenommen, — welche ubrigens meist derselben entbehren — , und verraute, dass sie von dem Tiere selbst einige Zeit nach der Geburt wieder aufgelost weiden. Ich schliesse dies daraus, dass eins jener Tiere, dessen Augenfleck vollkommen verdeckt war und das jederseits desselben noch einen grossen Haufen dieser Korperchen besass, nur noch geringe Spuren derselben aufwies, als es einen Tag lang in einem Gliischen gehalten worden war. Ein anderes Exenjplar zeigte die- selben Kiigelchen auch urn die seitlichen Augenflecke herum. tjber die Histologie der Myskulatur, die aus liings, quer und sell nig verlaufenden Bandern bestcht, kann ich leider nur unvoU- kommene Mitteilungen machen, obwohl gerade auf diesem Gebiete noch manches Interessante zu finden sein wird. Die 4 grossen platten Liingsbander, welche den Korper durchziehen, besitzen nur je einen einzigen ovalen Kern. Sie gewahren bei verschiedenen In- dividuen einen ganz verschiedenen Anblick. Manche zeigen an jeder Seite des Bandes einen schmalen Saum von homogener, con- tractiler Substanz, wiihrend das ganze Innere von Protoplasma erfiillt ist, das bei frischen Exemplaren meist feinkornig, bei schlecht ge- nahrten dagegen grobkornig und vacuolisiert erscheint. Bei an- denni Tieren haben diese Langsmuskeln eine Sonderung in mehrere, neben einander liegende Fasern erfahren, indem im Protoplasma Streifen contractiler Substanz sich parallel zu einander difl"erenziert Bd. XIX. N. F. XII. (J 82 Plate, haben. Dieser Process kann den Muskel in seiner ganzen Lange ergriften haben, oder er erstreckt sich nur auf den vordersten Teil desselben, und der hintere zeigt dann noch die urspriingliche Beschali'enbeit. Diese eigenartigen Vorgiinge, wclche zur Bildung eines Muskelbiindels fuhien, ohne (lass dei" eine Zellkcrn sich dabei vennehrt hatte, verdienen noch genauer untersucht zu werden; ich kenne sie von A. Brightwelli und myrmeleo. Sie werden sich aber ohne Zweifel auch bei andern Arten beobachten lassen. Bei Aspl. myrmeleo ist auch die Quermuskulatur entwickelt. Sie be- steht einmal aus G— 8 Bilndern (Fig. 3G), die in der Halsgegend so dicht neben einander laufen, „dass ein wahrer Muskelkragen gebildet wird" (Leydig), und dann aus G andern Quermuskeln, die in regelmassigen Intervallen von einer Seite der Riickenflache zur andern laufen und dabei von Stelle zu Stelle an der Hypo- derniis befestigt sind. Sie setzen sich auch auf die Bauchseite fort. Die l);inder des Muskelkragens anastomosieren da und dort mit einander. Sie bildeu nicht einen den ganzen Korper continuier- lich umspannenden Ring, sondern sind in der dorsalen Medianlinie unterbrochen, Sie werden ausgeschieden vom Protoplasma der Hypoderniis, das zwischen je zwei Muskelstreifen (nm) als fein- korniger, in geriugen Zwischenriiumen oval sich erweiternder Strang (s) zu erkennen ist. In manchen solcher Anschwellungen liegen ovale Kernblilschen mit Nucleolus. Das Bindegewebe besteht bei alien Asplanchnen aus einem System zahlreicher , diinner Fiiden , welche die einzelnen Organe unt(!r einander und mit der Hypodermis verbinden. Wo mehrere solcher Kiiden auf einander trelien, finden sich meist sternformige Zellen , die bei Aspl. priodonta deutliche amoboide Bewegungen verrieten. tJber die Haut ist nur Weniges zu sagen. Unter der diinnen glashellen Cuticula liegt eine diinne Schicht von Protoplasma (Fig. 31, wi. Fig. 37), die Hypodermis; und in diese sind da und dort lunde oder ovale blilschenformige Kerne eingestrent, die iui Iniiern zarte Faden und einen darin aufgehilngten Nucleolus er- kennen lassen. Mm die Kerne herum pttegt das Protoplasma etwas dichtkorniger zu werden. Die Kernmembran lilsst zwar eine An- zahl Punkte und Kiirner unterscheiden, aber nur selten waren diese so zahlreich und lagen so dicht neben einander, dass die- sellx! dadurch ein poroses Aussehen erhielt (Fig. 37, 1). Ab und zu traf ich Kerne, die in Teilung begritfen waren. Sie zeigten eine Biskuit -Gestalt, waren aber im ubrigen unverandert. Die Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 83 VermehruDg derselben erfolj>t demnach wahrschcinlich durch cine einfache Durclischnurung. Bei der wunderschiuiin Durchsichtig- keit und Klarlieit der Asplanchiien geliiigt es sclion niit starken Trockensystenieii sich davoii zu iiberzciugen, dass das Protoplasnia ein dichtes, schwammartiges Netzweik darstellt, das voniehmlich in den Knoteiipunkten der einzeliieii MascluMi Konichen aufweist. Es breitet sich in gleicbnuissiger Beschatieiiheit uiiter der Cuticula des ganzen Tieres aus und Ijisst keinc Spur einer Sonderung in Zellen erkennen. Dies gilt audi fiir die polsterfiumigen Ver- diekungen der Ilypodermis des Kopfes, in die iiinein sich die locomotorischen Winipern eine Strecke wcit fortsetzen. — Die Klebdrtisen der Aspl. niyrmeleo zeigen das typische Verhalten : zwei hingHche an der Zehenspitze ausmiindende, diinnhautige und structurlose Siicke (Fig. 31. k) umschliessen eine zusammenhan- gende Protoplasniamasse mit eingestreuten Kernen. Von den bis jetzt noch niclit bekannten Milnnchen ist mir nur ein mal ein halbtotes Tier zu Gesicht gekommen, das hin- sichtlich der ausseren Gestalt so gut wie nichts erkennen liess. Der Hoden war dicht gefiillt rait runden Zellen, halbreifen Sper- raatozoen und jenen schmal-spindelformigen unbevveglichen Korpern, die auch bei alien andern Miinnchen beobachtet sind. Ein Teil derselben flottierte frei umher, andere aber sassen mit ihrerMitte den runden Zellen an , von denen sie daher offenbar gebildet werden. Was ira Vorhergehenden von dem Weibchen der A. myrmeleo gesagt wurde, gilt im wesentlichen auch fiir die beiden andern, von mir untersuchten Arteu Aspl. Brightwelli und priodonta. Der Geschlechtsapparat der zuletzt genannten Species (Fig. 38) weicht jedoch bedeutend ab. Er bildet einen verhiiltnismiissig sehr kleinen runden oder ovalen Sack, an dessen einem, der Lage nach im Korper des Tieres wechselnden Pole der Eierstock {k. s) in Ge- stalt eines kleinen Haufens von runden Keimzellen dem viel griis- seren Dotterstock {d. s) ansitzt. — Die 4 Zitterorgaue zeigten (ob immer?) je einen zarten von ihrer Wandung ausgehenden Bindegewebsfaden , der sie mit der Hypodermis verband. — Aus dem Umstande, dass bis jetzt nur wenige Beobachter die Asplanchnen gefuuden haben , kiUmte man schliessen , dass die- selben in ihrer Verbreitung beschriinkt und selteu waren. Da mir jedoch schon nach wenigen Excursionen (in Bonn und bei Bremen) 6* 84 Plate, 3 verschiedene Arten in die Hande gefallen sind, vermute ich, dass die Tien; nur in Folge ihrer Durclisichtigkeit, die nament- lich bei A. priodonta einen hohen Grad erreicht, sich den Blicken der meisten Forscher entzogen haben. II. Allgemeiner Teil. Allgenieine, die ganze Klasse der Rotatorien unifassende Dar- stellungen sind nach Eiirenberg und Dujardin von Leydig, Baktsch, Eyferth und Eckstein gegeben worden, wenn wir von der grossen Zahl der Forscher absehen, die ihren Schilderungen keine eigenen Untersuchungen zu Grunde gelegt haben. Das Werk von Bartsch (7, 8) stand mir nicht zur Verfugung. Dasjenige von PjYferth lehnt sich in seinem allgemeinen Abschnitte fast genau an die klassische Arbeit Leydig's, die auch nach der im vorigen Jahre erschienenen Publication Eckstein's ihre grund- legende Bedeutung nicht verloren hat. Beide Abhaudlungen er- ganzen sich vielmehr in vielen Punkten , und dieselben im An- schluss an die im speciellen Telle niedergelegten Beobachtungen zu erweiteru, sowie die allgemeinen Ergebuisse der letzteren zu- sammeuzufassen, wird die Aufgabe des zvveiten Teiles der vorlie- genden Untersuchung bilden. Ich werde dabei zunachst nur die weiblichen Tiere vergleichend betrachten und ausdriicklich hervor- heben, wenn die geschilderten Thatsachen auch fiir die Mauncheu Geltung haben. Letztere sollen dann in einem besonderen Kapitel eiugeheud beriicksichtigt werden. 1. Aussere Haut und Gestalt. Der Korper der Rotatorien wird von einer Haut begreuzt, welche eine doppelte Zusammensetzung zeigt. Sie wird nach ausseu von einer bald iiberall gleichmilssig weichen, bald teilweise pan- zerartig erhiirteten Cuticula gebildet, der innen die Ilypoderniis anliegt, welche erstere erzeugt hat. Die Hypodermis stellt eine nicht in Zellen gesonderte Protoplasmaschicht dar, welche fiir ge- wohnlich bei den erwachsenen 'J'ieren sehr diinn ist und bei giin- stigeii Objecten (Asplauchiia) deutlich eine schwammige Structur erkenueu lasst. In dieselbe eingestreut linden sich in ziemlichen Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 85 Abstanden von einander blaschenfonnigc Kerne mit Nucleolus, um welche herum die kleinen Granula des Protoplasma sich hof- artig anzuordnen pflegen. Die Form eines Syncytiums bcwahrt die Hypodermis audi dann, weun sie eine grosserc Dicke aa- nimmt, wie dies allgemein im Kopfe stattfindet. Sie bildet hier zahlreiche Polster, in deren Inneres sich die Winipern des Rilder- apparates durcli feine Poren der Cuticula hindurch eine Strecke weit fortsetzen. In andereu Korperregioneu kommen solche ver- dickte Partieen der Hypodermis nur vereinzelt vor. So im Fuss von Couochilus Volvox uud der jungen , noch frei umherschwim- nienden Lacinularia socialis. Bei jugeudlichcn Tieren ist iiber- haupt allgemein die Dicke der Hypodermis betrachtlicher als bei altcren, und erst in Folge der Dehnung, welche das Wachstum auf sie ausiibt, wird dieselbe dunuer und kann unter Umstanden so zart werden, dass sie nur noch sehr schwer zu erkennen ist. Dass dieselbe aber jemals ganzlich schwindet, mochte ich sehr bezweifclu und in der diesbezuglichen Angabe, die Glaus liber Seison gemacht hat (23), eher einen Irrtum vermuten. Auch bei mannlicheu Rotatorien ist die Dicke der Hypodermis relativ be- trachtlich, und dies sowie der Umstand, dass dieselbe dabei dicht mit Komchen uud Fetttropfchen durchsetzt zu sein pflegt, macht die Untersuchung dieser Tierchen so miihsam. Wahrend des Wachstums linden, wie schon Eckstein richtig geschlossen hat, niemals Hautungen statt. Nur Apodoides stygius Joseph (96) macht hiervon eine Ausnahme. Ich habe viele Rotatorien, nanient- lich Hydatinen, wahrend ihres ganzen Lebens isoliert beobachtet, aber nie eine Spur einer abgeworfenen Haut bemerkt. — Be- kanutlich erhartet die Cuticula vieler Rotatorien mit Ausnahme des Kopf- und, wenn dieser vorhanden, des Schwanzabschuittes zu einem sehr verschieden geformten „Panzer". Es verdient je- doch hervorgehoben zu werden, dass derselbe in seinem Vorkom- men nicht auf die Abteilung der Loricaten beschrankt ist, son- dern sich auch in anderen Familien Anfange einer solchen Bil- dung beobachten lassen (z. B. bei Notommata lacinulata, Diurella- Arten). Dass der Panzer der Loricaten eine einfache Diiferen- zierung der gewohnlich weichen Cuticula ist, geht auch daraus hervor, dass die samtlichen Mannchen dieser Gruppe, so weit sie bis jetzt bckannt sind, noch desselben entbehren, was ganz im Ein- klange mit ihrer ubrigen primitiven Organisation steht. Nur die Mannchen der Euchlaniden machen hiervon eine Ausnahme. Wah- rend allgemein der Halsabschnitt der Loricaten weichhautig ge- 86 Plate, blieben ist, so dass der Kopf niit dem Raderapparat in den Pan- zer zuriickgezogeu wird, wenn das Tier sich beunruhigt fiihlt, ist bei Dinocharis auch der Hals panzerartig erhartet und vermag nur ein weiiig in den eigentlicheu Panzer eingestiilpt zu werden. In welcher Weise jedoch auch hier das Wimperorgau geschtitzt werden kann, ist im speciellen Teile auseinaudergesetzt worden. Der Panzer bewirkt bei einigen Rotatorien eine Anderung in der Lage der Organe. Wahrend die Kloake in der Regel dorsal aus- mundet, befindet sich die Offinung derselbeu bei Pterodina, Dino- charis, Anuraen auf der Ventralseite , ein Verhalten, das sich ausserdem nur uoch bei Apsilus findet. Wenn der Panzer sehr flach gebaut ist, kommt der Geschlechtsapparat , wenn auch in der Regel nur voriibergehend im stark entwickelten Zustande ganz Oder teilweise neben den Darm anstatt ventral von demselbeu zu liegeu (Euchlanis, Metopidia). Bei diesen beiden Gattungen und bei Pterodina modificiert die Form des Panzers haufig auch die Beschatieuheit der Hypodermis in eigentumlicher Weise: in dem spitzen Winkel, in dem Bauch- und Riickenplatte mit eiuander zusammenstossen, verschmelzen die beiden Matrixlagen und sprin- gen, unter Bildung zahlreicher kleiner Vacuolen, unregelmassig welleuformig gegen die Leibeshohle vor. Die Cuticula selbst wird aber dadurch nicht beeinflusst. Unter den Matrixverdickungen des Kopfes zeichnet sich dic- jenige, welche in der dorsalen Medianlinie liegt, bei Euchlanis, Stephanoceros, Notommata centrura und wahrscheinlich noch an- deren Specien durch besondere Grosse und eigenartige Structur aus. Sie legt sich als ein grosser, am Hinterrande haufig herz- formig ausgeschnittener Sack nach hinten uber das Gehirn und endet vorn in der Hohe und in der Art der ubrigen Matrixver- dickungen des Kopfes unter der Cuticula, ohne hier, wie mehr- fach vernmtet worden ist, sich nach aussen zu offnen. Dass wir es hier nur mit einem besonders differenzierten Polster der Hypo- dermis zu thun haben, geht unzweifelhaft aus der Lage des Kopf- sackes und der Beschaffenheit seiner Kerne hervor. Schon Ley- dig erkannte, dass das Protoplasma desselben so stark vacuoli- sicrt ist, dass es mit Ausnahme des hinteren Randes aus einer Unzahl kleiner Blilschen zusammengesetzt erscheint. Uber die Function dieses Gebildes vermag ich nichts anzugeben ; nur das ist sicher, dass diejenigen Autoren, welche dasselbe in Verbin- dung mit dem Gehirn bringen, im Irrtum siud ; beide Organe Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 87 stehen in keiiieiii niorphologischcn oilur functionelleii Zusammen- hange. Bei Monocerca, Diurolla, Hertvvigia und wahrscheiiilich uiich bei Ascomorplia saltans findct sich an der Stirn , noch inncrlialb des Raderapparatcs, ein kurzer schnialer Zapfen, der bei der erst- genannten Gattung von Ehrenherg falsclilicli als Respirations- rohre, von Eyfertii als dorsaler Taster gedeutet worden ist. Er bildet eine einfache HautausstUlpung, die bin und her, wenn audi viellcicht nur passiv, bewegt vvird. Da sie an ihrer Ober- fliiche vollig nackt ist, balte ich sie nicht fiir einen Sinncsai)parat. Die Lage dieses Stirnzapfens entspricht genau der niachtigen, riisselfcirniigen Verlangerung, welche die Philodinaen vor dem Raderapparate besitzen, und die sie bei ihrer spannerraupenartigen Bewegungsweise benutzen. Verniutungsweise habe ich ini spe- ciellen Teile beide Organe fiir homolog erklart, uni die ini Ver- haltnis zu audern Rotatorien ganz abweichende Korpergestalt je- ner Gruppe verstiiudliclier zu niachen. 2. Das Raderorgan. Dass der loconiotorische Cilienapparat der Rotatorien viel- fach eine Zusammensetzung aus zwei Winipersaumen erkennen lasst, ist schon von Huxley, Leydig und manchen andern For- schern hervorgehoben worden, und zwar kchrt diese Gleichtormig- keit ini Bau des Riiderorganes bei Specien wieder, die hinsichthch ihrer systeinatischen Stellung so entfernt von einander stehen, dass man sie als eine durch Vererbung auf die verschiedenartig- sten Genera iibertragene primitive Eiurichtung zu deuten hat. In typischer Ausbildung findet sich ein solcher doppclter Winiper- sauni bei alien Melicerten, dann bei den Philodina-, Rotiter- und Actinurus-Arten und endlich bei Pterodina und Pompholyx. Der innere und vordere Cilienkranz, welcher nach Cubitt (32) als „Trochus" bezeichnet werdeu soil, besitzt grossere Wimpern als das aussere und hintere „Cinguluni" und zieht an der Ventral- seite entvveder continuierlich an der Mundoffuuug voriiber, ohne sich an der Flinimerung derselben zu beteiligen (Melicerten, Pte- rodina, Pompholyx) oder besitzt in der Mitte der BauchHiiche iiberhaupt keine Cilien (Philodinaen). Der untere schmachtigere Wiraperkranz tritt dagegen stets in den Mundtrichter tiber. Auch er ist bei den Philodinaen und den beiden schon genaiinten Lo- ricaten dorsalwiirts in der Medianlinie unterbrochen. — Diejenigen Formen, welche einen doppelten Wimpersaum in dieser typischen 88 Plate, Ausbikiuiig besitzeii, zeigen auch in anderer Hinsicht Organisa- tionsvcrhiiltiiissc, welclie als primitive angeseheii werdeii iiiiissen. Fiir die Erkeiiutnis der Urfunii, vou der aus sich alle Rotatorien phylugeuetiscli entwickelt habcii , ist es von grosster Wich- tigkeit, ilass alh; bis jetzt bekaunten milnnlichen Tiere — uiit Ausnahnie von nur zwei eiiiander nahverwandten Arten — bei noch so grosser Verscbiedenheit der Weibcben cine frappante Gleichforniigkeit in der iiusseren Gestalt wie in dor Organisation otfenbarcn. Sie alle zeigen einon walzenformigen Kbrper, dessen hinteres verjiingtes Ende (soweit sicli daselbst nicbt schon Zehen gebildtit baben), niit eineni starken Flinnnerbusch verseben ist, Eigenschaften , die man obue Bedcnken auch dem Archirotator zuscbreiben darf. Ein solcber terminaler Wimperschopf findet sich nun ebenfalls bei den Melicerten und bei Pterodina; bei erstereu nur voriibergehend, so lange sie frei umherscbwinimen, bei letz- terer dagegen zeitlebens. — Andere primitive Verbiiltnisse haben sich in dem Wassergefasssystem der genannten Tiere erhalten. Wie spater gezeigt werden soil, sprechen cine Reihe anatomischer Befunde daftir, dass die contractile Blase erst allmahlich aus der Verschnielzung der beiden Gefassstamme entstauden ist. Die An- sicht, dass der Wimperapparat der Rotatorien urspriinglich aus zwei Cilienkriinzen bestanden hat, erhalt nun eiue weitere Stiitze dadurch, dass die in Rede stehenden Specien Excretionskaniile besitzen, die noch nicht mit einander zu jener basalen Erweite- rung verschmolzen sind. Bei Lacinularia, Tubicolaria, Pterodina ist es iiberhaupt noch nicht zur Bilduug einer contractilen Blase gekonimen, wahrend die Philodiniien und Conochilus, welche Gat- tuug vielfach auch zu den Melicerten gerechnet wird, einen Teil der Kloake zu einem analogen Organ differenziert haben. Die Umbildung der beiden primitiven Wimpersaume erfolgte bei den ubrigen Specien nach zwei Richtungen bin, je nachdem der praeorale innere oder der postorale iiussere Cilienkranz der machtigere wurde und besondere Ditferenzierungen einging. Eine grosse Zabl der kleineren Rotatorien ist bis jetzt noch nicht auf den feineren Bau des Raderapparates bin untersucht worden, weil die jetzigen optischen Hiilfsmittel dazu nicht ausreichen. Wenn wir von diesen absehen und uns nur an die genauer bekanntcn grosseren Fornien der Klasse halten, kommen wir zu dem Schlusse, dass das Praedominieren des Cingulum ein seltener Fall ist, der nur bei den Flosculariden sich findet. Die zu dieser Gruppe ge- horigen Genera Floscularia und Stephanoceros weichen in der Art, Beitrage zur Naturgeschichte der liotatorien. 89 wie sich der iiussere Kraiiz entwickclt hat, ausscruidciitlich von einandur ab. Beiden uber ist die Lageruii^? der MuniloffmuiK am Vordereiide der Korperliiiigsaclisc geiueiiisam, die uotwciidig eiii- treten imisste, sowie der postorale Wiinperkranz kelchforniig eni- porwuchs uiid der praeorale auf eiiien kleiiien Kranz im Grunde des Trichters reduciert wurde. Dass bei der weitaus gnissten Zahl der liotatorien es der Trochus ist, dessen Cilien an Starke und Gnisse die des ausseren Kranzes iibertrefteii, ist uni so leichter begreiflich, als dasselbe Verhaltnis in geringeni Masse schon bei den Arten sich tindet, welche die oben beschriebeiie primitive Form des Raderapparates jetzt noch zeigen. Es ist fiir die Um- bildungen des Trocims charakteristisch, dass seine Cilien das Be- streben habcn, sich zu Griffeln zu differenzieren, die niit verdickter und etwas abgesetzter Basis in der Cuticula eingelenkt sind und dabei einen Teil ihrer ursprunglichen Bevveglichkeit verloren ha- ben. VViihrend die ausseren Wimpern continuiorlich in Thjitigkeit sind und liakeuforniige Bewegungen ausfiihren, ruhen diese an die Griffel der hypotrichen Infusorien erinnernden Borsten oft langere Zeit. Bei ihren Bewegungen kriimmen und strecken sie sich nicht abwechselnd wie die Cilien des Cingulum, sondern beugen sich in ganzer Lauge starr uni ihre Basis. Zwischen den gewohn- lichen Cilien und diesen Borsten besteht jedoch keine scharfe Grenze, sondern nieistens weist schon dasselbe Tier (z. B. ein Brachionus) alle tJbergange zwischen beiden Formen auf. — In der Abteilung der Hydatinaen ist der Doppelsaum leicht erkenn- bar bei Hydatina und Microcodon, weniger deutlich bei Synchaeta, wahrend bei der grossen Schar der Notommaten und Verwandten keine Spur des ursprunglichen Befundes mehr wahrzunehmen ist. Namentlich bei Microcodon finden wir sehr einfache Verhiiltnisse, die schon Grenacher gebiihrend hervorgehoben hat: einen dorsal- und ventralwarts in der Mitte unterbrochenen einfachen Trochus starker Borsten, der nach aussen von eineni Kranz langer Cilien umzogen wird. Bei Hydatina ist der dorsale Rand des Trochus in einzelne Bolster aufgelost, und nach innen von demselben sind zwei weitere Reihen sehr kleiner Cilien entstanden. In zwei ahn- liche borstentragende Bolster lauft der Trochus von Synchaeta aus; jedoch darf man sich bei dieser Gattung nicht verhehlen, dass die ^uriickfiihrung des Raderapparates auf die hypothetische Ausgangsform manchen Schwicrigkeiten begegnet und so lange problematisch bleiben muss, als die Wiraperohren sich nicht von derselben ableiten lassen. Unter den Loricaten zeigen die Euchla- 90 Plate, niden und uamcntlich die Biiichionen (Rrachionus, Anuraea, No- teus) den doppelten Winipersauin in unverkennbarer Ausbildung. Das Cinguluni besteht aus langen und diinnen Cilicn ; der Trochus ist bei der zuletzt genannten Gruppe in einen dorsalen und zwei seitliche Lappen gesondert, auf deren Gipfel die stiirksten Borsten silzen , wahrend sie in den Zwischenbuchten feiner werdcn. Wie bei Hydatiiia finden sich ausserdem nach innen voiii Trochus zahl- reiche, winzige Cilien, die stets dann auftreten, wenn der innere Winipersauni sich ebenso wie der ilussere in den Muudtrichter fortsetzt. Ich bin mir wohl bewusst, dass sich gegen den von mehreren Forschern schon friilier angedeutcten und von mir naher durchge- fuhrten Versuch, als Grundform des Raderapparates eine doppelte VViniperschnur nachzuweisen, nianches vorbringen liisst. Wir ken- neu eine ganze Anzahl von Rotatorien, bei denen nur der iiussere Kranz sich unverandert erhalten zu haben scheint, wahrend alle iibrigeu Cilien auf der Stirnscheibe unregelmitssig gruppiert sind ; hierher gehoren z, B. die Asplanchnen, bei denen jedoch Ankljiuge an die priniitiven Verhaltuisse noch insofern vorhanden sind, als das Cingulum dorsal- und ventralwarts, wie bei den Philodinaeu unterbrochen ist. — Bei einigen anderen Radertiereu endlich er- innert der locomotorische Cilienapparat in nichts mehr an dio Ausgangsform und ist dabei so eiufach gebaut, dass man wohl auf den Gedanken koumien kann, auf diese Form der Kopfbewim- perung alle iibrigen Modificationen zuriickzufiihren. Bei Calidiua, Notommata tardigrada und aurita findet sich eine ventral am Kopf gelegene und dicht mit kleinen Cilien besetzte Platte, die sich noch hinter der Mundoffnung eine Strecke weit ausdehnt. Metschnikow (116) sieht in dieser Anordnung „einen schlagen- den Beweis" fiir die nahe Verwandtschaft der Rotatorien mit den Gastrotrichen. Ohue der Richtigkeit dieses Schlusses entgegeu- treten zu wollen, glaube ich dennoch nicht, dass man in dieser Wimperplatte die urspriingliche Form des Raderapparates der Ro- tatorien erblicken darf, und zwar 1) weil die einseitige Lage der Cilicn zur Litngsachse des Korpers nur bei diesen wenigen Arten vorkommt, alien typischen Vertretern der Klasse dagegen fehlt, und 2) weil die beiden Notommaten ausser jener Flimmerscheibe noch 2 „Wimperohren" besitzen. Da die letzteren aber sonst nur Rotatorien zukommen, die, wie Synchaeta, Not. ccntrura, cojjcus, collaris u. a., sich auf die doppeltgesilumte oder eine dieser we- nigstens nahe stehende Form des Raderapparates zuruckfuhren Beitrage zur Naturgesohichte der Rotatorien. 91 lassen, halto ich cs fiir allein lichtig, anzuiichiiicn , (lass durch die kriccheiidc Lebensweisc das Organ jener beiden Spccieii stark reduciurt und dadurch secundar den Iclithydinen ahnlicb gcwor- den sei. Die dritte der oben erwahntcn Specien, Calidina, ist in jeder Hinsicht eine eclite Philodinilc, deren Riiderapparat sicli, trotz des abweichenden Baues, audi ohne Schwierigkeit von deni jener Gruppe ableiten liisst. 3. Muskulatur. Das Muskelsystem der Rotatorien ist nocli von zu wenigen Arten genau bekannt, um eine vergleichende Schilderung desselben zu ermoglichen. Bei Conochilus Volvox habe ich mich davon iiber- zcugt, dass die Langsmuskeln in deni Grad ihrer Ausbildung in- dividuell schwanken, zuweilen glatt, nieist jedoch zart quergestreift sind. — Leydig und Eckstein erwahnen glatte, vollig honiogene Muskeln. Solche habe ich nie finden konnen, sondern stets zeig- ten dieselben, bei genauerera Zusehen, feinkorniges centrales Pro- toplasma. Manchmal sind die Korncheu etwas grosser und so regeluiassig hintereinander angeordnet, dass der Muskel den Ein- druck eines quergestreiften macht. Die contractile Substanz wird entweder als eine centrale Achse abgeschieden , der das Proto- plasma niit Kern ausseu anliegt (z. B. bei den Langsmuskeln von Conochilus), oder die beiden Elemente haben eine umgekehrte Lage zu einander. Letzteres Verhalten scheint bei den glatten Mus- keln der haufigere Eall zu sein. Bei Asplanchna, und, wie ich glaube, auch bei einigen Brachionen , habe ich beobachtet, dass innerhalb eines der grossen platten Langsmuskeln die contractile Substanz haufig mehrere einander parallele und durch etwas Pro- toplasma von einander getrennte Streifen bildet, wodurch die eine Muskelzelle, in ganzer Lange oder nur teilweise, zu einem Muskel- bundel wird, ohne dass sich ihr Kern vervielfaltigt hatte. — Die quergestreiften Muskeln von Pterodina und Euchlanis sind bei den einzelnen Individuen nicht immer gleich ausgebildet. Einige derselben lassen in der Mitte der einfach brechenden Teilchen noch eine deutliche, wenn auch sehr schmale Krause'schc Neben- scheibe von doppelt brechender Substanz erkennen, die den mei- sten noch fehlt. — Alle grosseren Muskeln der Rotatorien werden nach aussen von einer zarten structurlosen Membran umhiillt, die im contrahierten Zustande duich zahlreiche, am Rande welleu- formig vorspringende Ringfalten sich bemerklich raachen kann. — Zwischen den Muskeln und den starkeren Bindegewebsstrangen 92 Plate, besteht ein gaiiz allmahlicher Ubergang. Haufig lasst sich an mittelstarken Protoplasmafadcii keine Spur einer besondors ange- onlnotcMi contractileii Substaiiz erkriinen; sie wirken jedoch wie ecbtc Muskelii uiid koimcii daber niit dcmselben Redite zu der eiiicii, wie zu dcr andcren Gewcbsform gercchnet werdcn. Der- artige Eleinente maclien ofters leicht deu Eindruck vollig homo- gener Fiidoii. — Nach Gueeff uiid Mobius (71, 117) sollen Doyere'sche lliigcl bei Rotatorieii vorkoininen. Dieselbeii scbcinen nur cine bcscbriinkte Verbrcitung zu besitzen, da ich sie nur bei Syncbaeta gcfunden, an den grossen Liingsniuskehi von Asplancbna aber vergebens gosucht babe ; diesc stehcn nicht njit Nerven in Veibindung. Die Angabe Ecksteins, dass die grossen querge- strciften Muskeln von Pterodina „sicb nicht contrahieren, sondern in Bogen legen", ist nicht ganz richtig. Sic zicbcn sich in der gewohnlichcn Wcisc zusamnicn, mtissen aber natiirlich, wenn der Kopf cingezogen wird, zur Scite weichen , wie man dies bei den Schwanzniuskeln desselbcn Ticres und der nachsten Vcrwandtcn aucb bcobachten kann. 4. Das Nervensystem. Das Nervensystem der Rotatorien besteht aus eineni grossen, dorsal vom Schlunde gelegenen Centralorgan , dem Gehirn , das einc Zusanmicnsctzung aus zwci deutlich von einander abgesetzten Ganglicn nicht erkennen lasst. Von dcmselben gehen nach vorn eine Anzahl Nerven, welche sich im Raderapparate ausbreiten und, — wenn solche vorhanden — , die aus den Cilien desselben her- vorgegangenen „Stirntaster" vcrsorgcn. Bei Hydatina laufen je- derseits 3 Nervenstjimme nach vorn, ohnc dass cs im Kopfe schon zur Ditlcrenzierung solchcr Tastorgane gekommen ware. Bei Asplancbna Sicboldii dagegcn, dem zwciten Rotator, uber desscn Ccrebralnerven wir, durch Leydig, unterrichtet sind, schcinen die- sclbcn in der Mehrzahl an Biischel von Sinncshaaren heranzu- trcten. Audi bei Syncbaeta ist dcr Zusammenhang dieser Tast- organe mit d^m Gehirn nachgewieseii worden. An gefarbten Tiercn erkennt man, dass das Centralorgan von einer grossen Zahl uberall gleichmilssig verteilter runder Ganglicnzellen mit grossen Kernen gcbildet wird. Hinsichtlich der Lage sci noch bcmerkt , dass es sich bei alien Rotatorien dorsal von Schlunde befindct, auch bei den Melicertcn , bei deneii es nach Cubitt die Ventralseitc ein- nehmcn soil. Eiir Mcliccrta hat Juliet (!>5) dies zucrst nachge- wiesen. — Vom Hintcrrandc des Gehirns gehen zwci Nerven aus, Beitriige zur Naturgeschi elite der liotatorieu. 93 die meist nur von geringer Liinge siiul uiul schrilg iiach liiiitcii uiid oben zur Cuticula des Nackens steigen. Sie versorgeii liiiT einen Biischel von Siniicshaaren, der luich seiner Lage als „dor- saler Taster" bezeichnet werden kann und unter dim Rotatorien eine ganz allgemeine Verbreitung besitzt; er feblt, soweit mir bekannt ist, nur Conochiius volvox. Im einfaclisten Falle treten beide Nerven an eine unpaare, scharf uniscbriebene Ottiiung in der Cuticula, um unterhalb derselben sicli ganglienartig zu er- weitern. Auch ptiegt die Hypodennis um diesen Punkt lu;rum wallartig verdickt zu sein. Ein dorsaler Taster von dieser Be- schaftenheit findet sich bei sehr vielen Weibchen und bei alien Mannchen, soweit dieselben bis jetzt daraufhin untersucht worden sind. Bei einigen Rotatorien (Asplanchna, Hertwigia, Apsilus) bat sieli der dorsale Taster geteilt und ist paarig geworden, obne in seiner Form eine Anderung zu erfahren. Dass aber dies ein secundiires Verbalten ist, kaini man daraus schliessen, dass bei dem voiaiigestellten (Jenus beide Taster durch einen Quernerv mit ein- ander communicieren. Die beiden ersten Gattungen zeichnen sich ferner dadurch aus, dass die Taster weit nach hinten, fast in die Mitte des Korpers geruckt sind. - Das niichste Diffenzierungs- stadium des dorsalen Tasters finden wir bei Lacinularia. Er wird hier von einer kleinen Papille gebildet, die durch eine mitt- lere Einkerbung in zwei Partieen gesondert ist, auf deren jeder eiu Busch starrer Wimpern sitzt. Einen weiteren Ausbildungs- grad repraesentieren die Brachionen und Anuriien, deren dorsaler Taster die Clestalt eines kurzen Kegels angenommen hat, dessen terminale Wimpern durch besondere Muskeln ein wenig nach innen gestiilpt werden konnen. Bei den Philodinilen endlich stellt das Organ den bekannten stabformigen Tentakel dar , der schon den ersten Beobachtern dieser Tiere auftlel. — Ein anderes Paar von Sinnesbuscheln, das ebenfalls fast alien Rotatorien zukomnit, ist histologisch dem besprochenen Organ sehr ahnlich, unterscheidet sich aber von demselben in einigen wesentlichcn Punkten, weshalb es nicht, wie bis jetzt immer gescheheu ist, mit dem dorsalen Taster homologisiert werden darf. Da diese Sinneswerkzeuge con- stant in den Seitenregionen der Tiere sich befinden, meist der Riicken-, zuweilen auch der Bauchfliiche genilhert, mogen sie als laterale Taster bezeichnet werden. Ehrenberg hat dieselben zu- erst bei Not. copeus und centrura, Leydig bei Polyarthra, Gre- NACHER bei Microcodon, Triarthra, Euchlanis und Brachioneen nachgewiesen. Im speciellen Teil babe ich auf eine Reihe an- 94 Plate, derer Specieii aufmerksam gemacht, welche dieselben ebenfalls be- sitzen. Obwohl diese Organe bei niaiicheii kleinereji Fornien noch iiicht gesehen worden siiid, werdeii sie doch ohne Zweifel vor- haiiden seiii, da sic bei Ilcpracsentanten allor einzelnen Fa- milieii vorkdiiinuin. Nur bei den Philodinileii und i)ei Conochilus volvox habe ich sie veigeblich gesucht. Dass die lateralen 'J'aster von deni dorsalen scharf zu unterscbeiden sind, folgt vornebnilich aus deni Unistande, dass sie nicht wie dieser rait dem Gebirn in Verbindung stchen. Schon Grenaciier ist es bei Triarthra longi- seta aufgcfallen , dass die lateral(!n Nervenstrangt; „nicht gerade auf's Gebirn, sondern mebr nacb vorn und unten" Ziehen. Bei Hydatina, r>rachionus und Asplancbna habe ich mich auf das be- stimniteste davon iiberzeugt, dass sie sich der Ventralseite nahern und nach vorn bis zu der vorderen Verknauelung des Wasserge- fiisses laufen, ohne mit dem Centralorgan zu comraunicieren. Bei Asplanehna schmiegen sie sich dabei ilusserst dicht an einen Lilngs- muskel, mit dem sie jedoch nicht verschmelzen , vvjihrend sie bei den beiden andern Gattungen frei durch die Korperhohle Ziehen und nur 1 oder mehrere Male durch zarte Strange der Hypoder- mis angeheftet sind. In welcher Weise sie auslaufen, ob sie jene versclilungene Partie des Excretionsorganes inervieren oder sich an der Haut ausbreiten, vermag ich mit Sicherheit nicht anzu- geben. Nach einer Beobachtung, die ich bei Asplanehna gemacht habe, ist das erstere sehr wahrscheinlich. Moglicher Weise findet sich auch im Kopfe ein Nervenplexus, der von den Ausliiufern der Ge- hirnnerven gebildet wird , und mit dem sich die lateralen Stiimme verbinden. In ihrer Lage schwanken die Seitentaster insofern, als sie bald weiter vorn, bald mehr hinten die Cuticula durch- brechen. Die meisten liegen ungefithr dort, wo das hintere Kor- perdritlel beginnt. Bei Polyarthra finden sie sich dagegen fast am llinterrande des Korpers, bei Asplanehna und Hydatina in der Mitte und bei Lacinularia, Limnias, Melicerta, — bei der sie zu zwei langen Tentakeln ausgezogen sind (Moxon) — ungefithr in Schlundliiihe. In alien diesen F.allen stehen die lateralen Taster hinter dem dorsalen; nur bei Pterodina liegen alle 3 Sinnesorgane in gleicher Entfernung vorn vorderen Kiirperpol. Wie beiin dorsalen Taster schwillt der Lateralnerv an seineni Hinderende zu eineni Ganglion an, das meist direct unter dem Sinnesbiischel sitzt; in einig(;n Fallen jedoch (Not. auiita, tardigrada, Pompholyx, Diurella) bildet der Nerv unter der Otfnung der Cuticula nur einen kleineu Beitrage zur Naturgescliichte der Rotatorien. 95 Knopf, wird dann zu eincm diinnen Faden und crweitert sicli erst weiter vorn spiiidelftirmig. Einer drittcn Orupix; voii Tastapparaten, dio histoloj^iscli mit den geschildortiMi Siniu!sl)orsten die gnissto Ahiilichkeit hat, \viinl(> schon am Eingang ditiscs Kapitels gedacht. P^s sind dies die „Stirntaster", welche im Uinkreise des Riiderapparates verbreitt't sind und von Gehirnnerven versorgt vvenlen , die an iliicr P>asis eine gangliose Anschwellung bilden. Dass dieselben sich aus tir- spriinglich loconiotorisclien Cilien diiTeren/iert haben, ergiebt sich einnial aus ihrerStellung und dann aus dem Umstaiuh?, dass manche dieser fur gevvohnlich starren Gebilde ab und zu, wenn das Tier stark beunruhigt wird, fiir einige Augenblickc; lebhaft hin und her schlageu. Letzteres kann man z. P.. an den langen , einzeln ste- henden Tastcilien der Brachionen beobachten und an (hni dicken, am Ende fein zersclilitzten Griifeln , von den en sich ein Paar je- derseits der Mundiitinung von Synchaeta pectinata befinckit. Die meisten Stirntaster haben jedoch ihre Beweglichkeit viillig einge- biisst und stelh^n kurze cylindrische Fortsiitze dar, dcren Spitze einen P)usch starrer Wimpcrn tragt. Zwei derselben besitzt Po- lyarthra und Conochihis, eine grossere Anzahl kommt den Asplauch- nen zu. Obwohl die im Vorhergehenden besprochenen Sinnesbiischel stets als Taster bezeichnet wurden , sind wir doch weit entfernt, etwas Sicheres iiber ihre Function zu wissen. Wenn dieselben, wie es bei den Rotifer- und einigen festsitzenden Arten der Fall ist, dieGestalt langer beweglicher Tentakeln angenommen haben, liisst sich eine solche Bezeichnung rechtfertigen , wilhrend andere, so namentlich die Stirntaster, mit demselben Rechte auch als Ge- ruchs - Oder Geschmacksorgane angcsehen werden diirfen. Bei Synchaeta und Polyarthra weist der dorsale Rand der Mundiiffnung eine grosse Zahl kleiner, an ihrer Spitze geknupfter oder schwarz pigmentirter Stiftchen auf, denen man nach ihrer Stellung eine ahnliche Bedeutung zuschreiben kann. Der unpaare oder paarigc Augenfleck der Rotatorien liegt meist der Unterseite des Gehirns an. Er stellt entweder einen einfachen Pigmenthaufen dar oder besitzt ausserdem einen licht- brec.henden Korper. Die weissliche Substanz des letzteren findet sich im einfachsten Falle unregelmiissig durch das ganze Auge verteilt und veranlasst auf einem nachst hoheren Stadium die Bil- dung jeuer Linse dadurch , dass sich alle ihre Teilchen zu einer kugeligen Masse vereinigen. Dass die Entstehung der Linse so zu denken ist, geht daraus hervor, dass dieselbe ofters noch eine 96 Plate, Zusammensotzung aus mehreren Kiiinern erkennen liisst, und dass bei Euchlanis dilatata alle drei liefuiuk; iieben einander vorkommen : einfache Pigmentflecke ; solche, die von einer weissen Substanz durchsetzt siiid, und solche, bei dcMien eine distincte Linse sich gebildet hat. - Das Augenpigmeiit hat gewohnlich eine rote Farbe und erhalt sich so zeitlebens. Bei einigen Tieren (Po- lyarthra, Synchaeta, Ponipholyx) konimt jedoch ein eigentiindicher Farbenwechsel vor. Der anfangs schou rote Fleck nimmt niit zu- nehmendem Alter eine violette Farbung an; dieselbe tritt zuerst in den ptniphcren I'eilen des Pigmentes auf, ergreift aber all- miihlich auch die inneren, l)is schliesslich das ganze Pigment blau- schwaiz wird. Dieselbe Erscheinung wird sich auch wohl bei Microcodon wahrnelinien lassen, da die Augen dieser interessauten Form purpurviolett gefiirbt sein sollen. — Am Grunde der langen, einzel stehcnden Tastborsten, welche sich im Riiderapparat vieler Rotatorien finden, hat Eckstein bei Not. aurita, Noteus quadri- cornis, Euchlanis und Brachionusspecien kleine Pigmentflecke be- obachtet, die er fur Nebenaugen ansieht. Obwohl ich dieselben vielfach mit Aufmerksamkeit gesucht habe, sind sie mir nie zu Gesichte gekommen, und muss ich daher ihr Vorkommen bezwei- feln. Sie seien spiiteren Untersuchern besonders empfohlen. Bei manchen Notommataarten findet sich im Gehirn eine schwarze, anorganische Kornermasse, die man nach dem Vorgange EHiiENBEiiGS als Kalk ansieht. Sie sammelt sich mit Vorliebe im hintersten Abschnitt des Gehirns, und wenn sich dieser durch eine seichte Furche besonders absetzt, so kann es leicht den Anschein haben, als ob der Kalkbeutel ein vom Gehirn verschiedeues Or- gan sei, zumal der Augenfleck manchmal gerade dort liegt, wo beide Gehirnabschnitte in einander iibergehen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Kalkkcirperchen finden sich im Gehirn, und auch ein besonderer Ausfiihrgang des Kalkbeutels ist nicht vor- handen. Interessant ist es, dass bei Aspl, niyrmeleo die eben aus- gescldijpften Tiere zuweilen im Gehirn eben solche Kalkmassen besitzen, dieselben aber spater verlieren kcinnen. Uber die Function dieser Gebilde lasst sich, wie bei so manchen Sinnesorganen der niederen Tiere, nichts Bestinimtes angeben. Vielleicht stelh^i sie eine Art Gtolithenmasse dar. Die einzelnen Kiirnchen bewegen sich zwar nicht, d(tch wiirde dieser Umstand eine solche Deutung nicht hinfiillig niachen, da ja z. B. die Gehorkorper niancher Tur- bellarien cbenialls unbewcglicli sind und nicht mit Sinneshaaren in Beriihrung stehen. Bei den bis jetzt bekannten miinnlichen Beitrage zur Nalurgeschichte der Rotatorien. 97 Rotatorien sind diese problematischen Kornerhaufen iioch nicht angctroffen worden. 5. Der Verdauungskanal. Der Tractus intestinalis ist bei den Rotatorien besser als irgend ein anderes Organ bekannt, und raogen dailier an dieser Stelle niir einige , wenig mit einander zusammenhangende Be- obachtungen Platz finden, Der Schlund ist in der Kegel be- wimpert, in einigen Fallen jedoch nicht mit Flimmerzellen ausge- kleidet. Letzteres ist z. B. der Fall bei Synchaeta, bei der die Nah- rung diirch eine Art peristaltiscber Bewegungen in den Magen befordert wird, und bei Asplanchna, wo der Schlund eine stark entwickelte Langsmuskulatur aufweist. An der tJbergangsstelle von Oesophagus und Magen finden sich haufig einige besonders lange Cilien. Bei Scaridium longicaudatum und Metopidia lepadella flimmert der Schlund ebenfalls nicht, sondern ist mit einer in sein Lumen hineinragendeu Langsfalte versehen, an der wellenformige Bewegungen von vorn nach hinten herablaufen. — In den Magen- driisen begegnen wir einer Syncytialbildung. Eine Oifnung, welche dauernd klafft, ist nicht vorbanden. Das feinkornige Secret wird daher wahrscheinlich durch einen Spalt gepresst, dessen Rander sich glcich nach dem Austritt wieder aneinander legen. — Die Fliniraerung des Enddarms erstreckt sich nicht auf die Kloake; nur Rhinops vitrea macht hiervon eine Ausnahme und, — wenn man sich auf die Abbildung verlassen darf, welche Balbiani (5) von Notommata Werneckii gegeben hat — , auch diese Species. Bei den Philodinaen und bei Conochilus volvox miinden die Was- sergefiisse direct in die Kloake, deren einer Abschnitt die Function der contractilen Blase ubernommen hat und sich in rhythmischem Wechsel zusammenzieht und ausdehnt. — Im Enddarm mancher, ebeu ausgeschlUpfter Weibchen findet sich eine schwarze, kornige Masse von derselben Bcschatfenheit, wie sie oben vom Gehirn ge- schildert wurde. Schon Ehrenberg kannte diese Gebilde bei den Jugendformen einiger festsitzender Specien, bei denen sie auch Leydig wiederfand und zugleich ihre Lage im Enddarm consta- tierte. Von Metschnikow sind dieselben sodann fur Apsilus, von Zaciiarias fur eine Philodinaart und in dieser Abhandlung fiir Brachionus amphiceros und bidens nachgewiesen worden. In alien diesen Fallen lasst sich der Ballen von Kalkkornchen schon einige Zeit vor dem Auskriechen der Embryonen beobachteu. Haben die- selben die Eihulleu verlassen, so fiihren sie diese Masseu noch M. XIX. N. F. XII. y 98 Plate, eine kurze Zeit mit sich heruni uiid stossen sie dann durch den After nach ausscn. Bei einer Species persistieren die Korner- haufen zeitlebens, wie wir durch Balbiani erfahren liabeu. Bei der im Innerii von Vaucheriaschlauchen lebenden Not. Wernecldi findet man ira Enddarm cinen grossen Klumpen derselben Substanz, von der zwar von Zeit zu Zeit einige Teilchen durch den After eut- lecrt, aber in gleichem oder noch grosserem Masse durch Neubil- dung wieder ersetzt werden. Dieser Vorgang bietet uns den Schliissel zum Verstilndnis jener Gebilde. Dieselben durfen nicht, wic Leydig will, als „Harnconcremente", die von einer noch nie beobachteten „Priinordialniere" ausgeschieden sein sollen, angesehen werden, sondern sind einfache Faecalien, unverdaute anorganische Nahrungsbestandteile , als welche sie Balbiani fur die von ihm untersuchte Art auch richtig angesprochen hat. Dass bi'i Not. Werneckii diese eigentiimlichen Auswurfsstoflfe zeitlebens gebildet werden, wahrend bei den iibrigen Rotatorien sie entweder gar nicht vorkommen (dies ist der weitaus haufigste Fall) oder nur wahrend der embryonalen Entwicklung auftreten, hangt vielleicht daniit zusammen, dass sich jene Art ausschliesslich von der rein protoplasniatischen Substanz, welche das Innere der Vancherien- schlauche erfiillt, nicht aber von den Chlorophyllkornern und an- dern freniden Bestandteilen ernahrt. Es liegt wenigstens nahe anzunehmen, dass die Gleichartigkeit der Excremente bei den oben aufgeziihlten Radertieren und bei jener Notommata dadurch be- dingt wird, dass das Material, welches die Embryonen der er- steren zuni Aufbau ihres Organismus verwerten, gleiche oder we- nigstens iihnliche Beschaflenheit zeigt, wie das reine Protoplasnia, welches von dcm Bewohner jener Alge verzehrt wird. 8. Das Excretionsorgan. Das Nierenorgan der Rotatorien besteht aus zwei niit einer wechselnden Anzahl von Zitterorganen versehenen Langskanillen, den Wassergefassen, welche in den Seiten des Korpers liegen und bei der Mehrzahl unter Bildung einer contractilen Blase in die Kloake einmiinden. Die Wassergcfasse pflegen an zwei Stellen — zuweilen nur an einer oder auch an dreien — sich kniluelartig zu verschleifen. Uber manche verschiedene Verhiiltnissc derselben kann der Leser in den Arbeiten von Leydig und Eckstein das Nithere erfahren, und will ich daher hier nur auf einige von diesen Autoren nicht beruhrte oder stiittige Punkte cingehen. — Bei 4 einander systeniatisch teilweise sehr fern stehendeu Riidertiereu Beitriige zur Naturgeschiclite der Rotatorien. 99 communiciercu die beideii vorderen Gefasskniiuel durch einen Quer- kaiial mit oinander, welcher in Gestalt eines flachen, nacli hiiiten concaven Uogcus diclit untcr dem Gehirn vorbeizieht. Es sind dies Lacinularia socialis, eiiie Flosculariaspecies (Moxon), Apsilus lentiformis und Ilydatiiia scuta. Ich vennute, dass audi Conochi- lus vol vox dieselbe Anastomose besitzt, habe mich jedoch iiicht sicher von ihrer Anwesenheit uberzeugen konnen. Wahischeiulich wird der Vcrbiiidungskanal auch bci Megalotrocha alboflavicans und Hydatina brachydactyla sich nachweisen lassen. Bel Laci- nularia und Apsilus ist derselbe auch mit zwei symmetrisch ge- stellten Zitterorganen versehen. Bei diesen Gattungeu und bei Floscularia, drei Genera, die, wie ihre Jugendstadien zeigen, sich von derselben Stammform ableiten, darf man die Querkanale ohne Bedenken fiir honiologe Bildungen halten. Ob die Homologie aber auch fiir Hydatina Geltung hat, oder ob man hier das verbindende Gefiiss fiir eine selbstandige secundare Erwerbung ansehen muss, ist schwer zu entscheiden. Fiir ersteres spricht die gleiche Lage und Form, fiir letzteres das isolierte Vorkommen. Bei alien an- deren untersuchten Arten habe ich den Querkanal stets vermisst. — Hinsichtlich der histologischen Structur der Wassergefasse verweise ich auf die bei Euchlanis und Asplauchna gegebenen Be- schreibungen und hebe nur hervor, dass die Kerne in regelmassigen Abstiinden von einander liegen, und dass ihre Zahl eine beschraukte ist mit Ausnahme der verschlungenen Partieen, wo naturgemiiss auf eine kleine Stelle mehrere derselben zu liegen kommeu. — tJber den Bau der Zitterorgane ist viel gestritten worden. Fast jedcr Forscher, der unsere Klasse zum Gegenstande seiner Be- obachtungen gemacht hat, hat sie in anderer Weise beschrieben, und auch ich bin auf Grund eingehender Studien zu anderen Re- sultaten gekommen, als meine jiiugsten Vorganger, Eckstein und Zacharias. Der Kernpunkt des Streites ist stets die Frage ge- wesen, ob dieselben an ihrem freien Ende otien oder geschlossen sind. Leydig erklarte sie fiir Gebilde, „die frei in die Leibes- hohle ausmiinden", und an denen 2 bei demselben Tiere nie zu- gleich vorkommeude Typen unterschieden werden kounten, je nach- dem sie „gleichweite cylindrische Rohrchen" oder am freien Ende verbreiterte, daher trichterformigeOrgane waren. Cohn bezeichnete diese Typen als die verschiedenen Ansichten desselben Zitteror- gans, das im ersteu Falle. seine Kante , im zweiten seine Flache dem Beschauer zuwende. Ob dieselben often oder geschlossen sind, liisst er unentschieden. Mobius hiilt sie fiir spindelformige 7* 100 Plate, otfene Rohrcn, wahrend ihnen Zacuarias bei Rotifer die Gestalt eines Trichters zuschreibt, in desscn Grunde eine lange, tiber den Trichterrand emporragendc Cilie wurzelt. Eckstein endlich hat rich tig erkannt, dass die fraglichcn Gebilde am vordereii Ende vollig geschlossen sind. Er behauptet jedoch die Existenz einer seitlichen Otfnung, von deren ganzlichem Fehlen ich mich bestimmt iiberzeugt habe; ferner ist ihm die wahre Gestalt der Zitteror- gane, die sich in dem Vorhandensein einer Kanten- und einer Flachenansicht ausspricht, cntgangen. Indem ich hinsichtlich der Einzelheiten auf die Darstellungen verweise, welche im speciellen Telle bei Besprechung von Euchlanis dilatata und Asplanchna myrmeleo von dera Bau der Zitterorgane gegeben wurden, will ich nur hinzufiigen, dass Leydig im gewissen Sinne nicht Un- recht hat, wenn er zwei Typen derselben unterscheidet. Die Kan- tenansicht bietet bei alien Rotatorien stets dasselbe Bild dar, und konimen hier nur geringe Verschiedenheiten vor, je nachdem das Zitterorgan direct oder mit Hiilfe eines kurzen Stieles in das Was- sergefass einmiindet. Anders ist es dagegen mit der Flachenan- sicht Ist die Randkante am freicn Ende des Gebildes klein im Verhaltnis zur Lange der Lateralkanten, so ninimt dieselbe in der That die Gestalt von nahezu „gleichweiten cyliudrischen Rohren" an, wahrend man , wenn die Querkante ungefahr so gross ist wie die Seitenlinie, sehr wohl von einer „etwelchen Trompetenform" reden kann. Sehr deutlich zeigt sich dieser Unterschied, wenn man die Asplanchnen oder Metopidia lepadella auf diesen Punkt hin mit der Euchlanis dilatata oder Notommata centrura verglcicht. Zwi- schen diesen Extremen bestehen jedoch alle Ubergangsstufen, so- dass es aus diesem Grunde besser ist, nicht an den beiden Ley- Dici'schen Typen festzuhalten. Bei demselben Tier ist iibrigens die Gestalt der Zitterorgane stets die niimliche. — Bei den mei- sten Rotatorien verschmelzen die unteren Enden der Excretions- kanalc zu einer contractilen Blase. Dass man sich die Entstehung der letzteren in der That so zu denken hat, geht aus der Art und Weise hervor, in der die "Wassergefasse in jenes terminale Reser- voir iibergehen. Die Einmiindungsstelle ist eine scharf umschrie- bene, runde Offnung, deren Durchmesser ungefahr der Weite des Gcfasslumens entspricht. Von jeder Offnung gehen 2 Linien aus, die in der Wand der Blase liegen und die directe Fortsetzung des Wassergefasses bilden. Sic losen sich nach kurzem, vielfach hin und her gewundenen Verlauf in zartc verastelte Fasern auf. Wahrscheinlich hat schon Balbiani die eigentumliche Zeichuung, Beitrage zur Naturgeschichte dcr Rotatorien. 101 welche dio Wandung dcr contractilen Blase dadurch erhiilt, bci Not. Weriieckii gesehen und ist durch dieselbc zu der Aniuilime gefiihrt ^YOl•de^, die Excretionskaniile bildeten vor ihrem tJbertritt in die Blase ein Maschenwerk. — Aucli das Verhaltcn der Was- sergefdsse bei Apsilus deutet auf dieselbe Entstehungsart des pulsierenden Abschnittes bin. Hier verschmelzen die untercn En- den der beiden Kaniile nacli Metsciinikow zunachst zu einem kurzen Rohr, das sich gleich darauf zu einer contractilen Blase erweitert. Denkt man sich hier die letztere bis zu deni Puiikt ausgedehnt, wo die beiden Gefasse zusammentreten , diese selbst sodann etwas auseinander geriickt, so wird der Zustand resultieren, den man als den fiir die Rotatorien typischen anzusehen hat. — Dass bei den Philodiniien und Conochilus die contractile Blase in ganz anderer Weise, namlich durch directe Umbildung eines Teiles der Kloake entstanden ist, habe ich schon im vorigen Kapitel her- vorgehoben. Der vollige Mangel dcrselben ist fiir Lacinularia, Tubicolaria, Pterodina und, wie spater weiter ausgefiihit werdcn soil , fiir cine Anzahl von Mannchen characteristisch , bei deren Weibchen sich eine solche schon differenziert hat. 7. Die Klebdriisen. Diese Organc der Rotatorien bieten histologisch wenig Be- merkenswertes. Sie werden nach aussen begrenzt von einer struc- turlosen diinnen Merabran und bestehen im Innern aus einer ho- mogenen, nicht in Zellen gesonderten Protoplasmamasse mit grossen eingestreuten Kernen. Eckstein hat zuerst eine Beobachtung ge- macht, welche ich ofters habe bestatigen konnen, dass namlich das Secret der Drusen zuweilen in zarte elastische Faden ausgezogen werden kann. Die Klebdriisen sind meist paarig vorhanden , so z. B. auch bei Lacinularia und andern nicht mit Zehen versehenen Arten. Sind jedoch die letzteren stark reduciert, wie z. B. bei Syn- chaeta undRhinops, so konnen dieselben auch zu einem unpaaren (ob immer?) Organ verschmelzen. Eine ganz isoliert dastehende Umbildung haben die Klebdriisen bei Monocerca und Diurella er- fahren, bei denen sie zu einer im prallen Zustande relativ grossen, mit contractiler Wandung versehenen Blase geworden sind , die sich momentan zusammenzieht und dabei eine schnell erhiirtende, klebrige Fliissigkeit ausscheidet. 8. Das Bindegewebe. Zwischen den einzelnen Organen spannen sich in mehr oder weniger grosser Zahl feine, unter einander anastomosierende Binde- 102 Plate, gewebsfaden als erste Spuren eincs Mcsenchyms aus. Bei den grosseren Arten, namcntlich den Asplanchnen, zeigen die Zclleu, von denen jerie Faden ausgehcn, amoboide Bewegungen. In Folge ihrer Contractilitat dienen vielc bindegevvebigun Strange ebenso sehr als Muskeln wie als Stutzgcwebe. Die langeren Ziige, die dabei von grosser Zartheit sein konnen, sind haufig auttallend symmetrisch angeordnet. Sie aber deshalb , wie einige Autoren thun, fur Nerven zu halten, erscbeint mir voreilig, und glaube icb, dass es richtiger ist, nur solche Elementc so zu deuten, deren Zu- sammenhang mit einem unzweifelhaft nervosen Organe erkannt ist. 9. Der Keimdotterstock und die Eibildung. Obwobl es unter den Organen der Rotatorien wubl koines giebt, in dessen Beschreibung alle Autoren so sehr iibcreinstinnnen, wie der weibliche Geschlechtsapparat , ist dennocb gerade diescr unter alien am wenigsten verstanden worden. Der bis dabin allein als Ovar bescbriebene und stets ventral vom Darm gelegene Sack, von dessen dunkelkornigem , von grossen Kerneu durcbsetzteu Dotter sich ein Ei nach dera andern durch einfache Abscbniirung bildeu soil, ist nur ein Teil der Genitaldriise und zwar derjenige, welcher nicht die Eier selbst zu liefern, sondern sie nur mit dem notigen deutoplasniatischen Material zu versorgcn hat. Diesem „Dotterstocke" fiudet sich bei alien Rotatorien ein Haufen ver- schieden grosser Zellen angelagert, die in ihrer Gesamtheit den „Keimstock" ausraachen. Da sowohl der Dotter erzeugende wie der stets bedeutend kleinere keimbereitende Abschnitt unmittelbar neben einauder liegen und von einer gemeinsamen diinuen Membran, die an der Kloake ausmiindet, umhullt werden, ist es richtiger, dieselben nicht als zwei verscliiedeue Organe anzusehen, sondern vielmehr als eins, das durch einfache Arbeitsteihuig in zwei verschieden functionierende Partieen zerfallen ist, und dafur die Bezeichnung Keimdotterstock zu gebrauchen. Im speciellen Abschnitte babe ich einen solchen bei folgenden Specien erwaluit : Lacinularia socialis; Hydatina senta; Euchlanis dilatata; niebrcren Brachionusarten ; Synchaeta pectinata und tremula; Metopidia le- padella; Polyarthra platypteru; Conochilus volvox; Asi)lanchna niyrnieleo , Brigbtwclli und priodonta; Aniiraa aciilcata; No- tuiiiniata laciiiulata und Tiiartlna cornuta. Da sich uiitiT dicsen Tieren Vertreter aller Familien der Rotatorien tinden, und die.se uberhanjjt in ihrer ganzen Organisation eine grosse Ilarmonie otfenbareii, wird man den Schluss, dass ein Keimdotterstock t'iir die Beitrage zur Naturgeschichle dcr Rotatorioii. 103 ganzc Klassc characteristisch ist, wolil nicht voreilig tiiidcii. Nur in dor Abteilung der Phil<»diii;icii liabt* icli bis jetzt ver- geblich Keini- und Dotterstock zii untersclieiden g(3sucht, und hi(3r konnten eventuell andere Verhiiltnisse vorliegen. Keimstock und Dottersack liaben bei jeder Species eine con- stante Lage zu einander, in Folge dessen audi die Eier ininier an derselben Seite des dotterbildenden Abschnittes zur Entwick- lung gekingen. Die Stellung beidcr ist aber bei den verschiedenen Gattungen eine verschiedene, und kann man 2 Typeu unterschei- den, je nachdem der Keimstock am vorderen oder am hinteren Ende des Dotterstockes sicli befindet. Im ersteren Falle licgt der Keimstock bei den untersuchten Tieren stets sehr unsymmetrisch, niimlich der linken Ecke des Dotterstockes angeschmiegt, wenn man von untcn auf denselben blickt. So situiert, kommt er bei der Mehrzahl der von mir gepruften Gattungen vor, niimlich bei Hydatina, Euchlanis, Brachionus, Not. lacinulata, Triarthra und wahrscheinlich auch Lacinularia und Metopidia. Der zweite Typus wird durch Polyarthra, Conocliilus und Asplanchna vertreten. Zwisclien beiden steht vielleicht Synchaeta, indeni hier der Keim- stock der Mitte (oder auch der vorderen Halfte?) des linken Sci- tenrandes anliegt. Bei den meisten Asplanchnen setzen sich beide Teile der Genitaldruse scharfer gegen einander ab, als bei irgend einem anderen Radertier, und tritt ihre Trennung auch ausserlich deutlich hervor, was sonst nicht der Fall ist. Die zwei Typen, welchc man nach der Lage des Keimstockes unterscheiden kann , lassen sich fiir die systematische Unterscheidung grosserer Gruppen nicht verwerten, da sich die nachsten Verwandten hierin oft verschicden verhalten. tJber den histologischen Bau des Dotterstockes ist wenig zu sagen. Die ganze Dottermasse wird nach aussen von einer dunnen structurlosen Membrau begrenzt, die einen allseitig geschlossenen Sack von in der Kegel unregelmassig rundlicher bis viereckiger, zuweilen hufeisenformiger Gestalt bildet. Das Innere dieses Sackes wird von einer homogenen Dottermasse erfullt, in der sich die bekannten grossen Kerne in meist nur beschrankter Zahl vor- finden. Dieselbe ist nicht, wie Cohn auf Grund von Quellungser- scheinungen bei Hydatina behauptet hat, in Zellen gesondert, sondern stellt ein Syncytium dar, eine Gewebsform, die uberhaupt fur mauche Organe der Rotatorien (Klebdrusen, Magendriisen, Hy- podennis) characteristisch ist. Teilungsstadien der Dotterkerne habe ich mit Sicherheit nie wahrnehmen kbunen (vergl. dariiber 104 Plate, Hydatina und Euchlanis), uud treten, wenn iiberhaupt, nur ausserst solteii auf. Die Zahl der Kerne erhiilt sich vielmehr unverandcrt wiihrend des ganzen Lebens, wie ich wiederholt an Tiereii, die fast 14 Tage lang controlliert wurden, bcobachtet habe. Der Keimstock besleht aus eiiier Anzahl verschieden grosser Zellen, deren jede einen kleincn blaschenformigen Kern, zuweilen mit Nucleolus, uraschliesst. An deni einen Ende liiuft derselbe in ein nicht in Zellen gesondertes, von Kernen durchsetztes, pro- toplasmatiscbes Stroma, eine Art Keimlager, aus ^). An deni ent- gegengesetzten Pole befinden sich die grosston Keimzellen, die sich successive abschnuren und dann seitlich neben den Dotterstock zu liegen kommen. Characteristisch fur die Rotatorien ist die Art und Weise, in der das junge, eben losgeloste oder noch mit den iibrigen Keimzellen zusammeuhangende Ei das zur Reife notwen- digc Deutoplasma dem Dotterstock entzieht. Es findet keine Ruptur der Membran des Dotterabscliiiittes statt, sondern der letztere schmiegt sich eng an das Ei an und lasst durch Diftusioii den Dotter iibertreten. Das Ei iibt dabei in unverkennbarer Weise eine anziehende Kraft auf die Dotterteilclien aus, was zur Folge hat , dass dieselben sich vornehmlich in der Nahe des Eies an- sanimeln und dieser Partie des Dotterstockes ein besonders triib- korniges, dunkles Aussehen verleihen. Schon Leydig hat diese Erscheinung sehr wohl gekannt und sie ganz richtig in Zusammen- hang mit der Ejbildung gebracht, wenn ihm auch die wahre Ur- sache derselben verborgen geblieben ist. Der bertihmte Bonner Histologe sagt daruber: „Von gar nianchen Arten habe ich oben mitgeteilt, dass in der einen Partie des Eierstockes sich fast ausschliesslich Dotterkorner befinden, was diesem Telle des Ova- riums ein dunkles Aussehen verleiht, in welcher Beziehung z. B. an Brachionus, Noteus, Euchlanis und andere erinnert sein mag. Ich glaube darin eine annahernde Bildung zu jenen Eierstocks- formen zu sehen, in welchen die Production der Keimblaschen und der Dottermasse riiumlich verschiedenen Stellen des Eierstockes ubertragen ist (z. B. Hexapoden und Asellinen)" (1. c. pag. 94). Es ist freilich eine ganz richtige Bcobachtung, durch die Eck- stein jene Ansicht zu entkriiften sucht, n;iinlich, „dass diese Er- scheinung bei einer und derselben Gattung nicht immer vorhanden *) In raeiner vorlaufi<;en Mittlioilung- (179) habe ich un- richtigcr Weise den ganzen Keimstock als oin Keimlager dargcstellt, da an Osmiumpraeparaten niir die /ellgronzen entgangen wareu. Beitrage zur Naturgeschichte der Eotatorien. 105 ist" ; es hat dies seinen Grund aber Icdiglich darin , dass diu Dottermassc fiir den Beobachtcr iiicht immer in deinselben Masse erkeiinbar ist. Das active Protoplasnia konnen wir im Dotterstock vom Deutoplasnia nur dann deutlich untcrscheiden, wenn in letz- terem zahlreiche Fetttropfchen und iilinliche Granula enthalten sind , die aber unter Umstiinden bis auf ein Minimum reduciert sind. Unter dem Einflusse dos Dolterstockes nimnit das Ei rasch an Grosse und triibkornigeni Aussehen zu, wodurch das an+'angs sehr d(!utliche Keimblaschen den IMicken dcs Beobachters all- mahlicli entzogen wild, bis das Ei vollig herangereift ist und in den Uterus gelangt, indem es entweder wahrend der ganzen Em- bryonalentwicklung verbleibt, oder aus dem es sofort durch die Kloake nach aussen gestossen wird. In der Kegel wird, wie oben angegeben wurde, der gesamte Keimdotterstock von einer duunen Mcnibran umschlossen, welchc in die Kloake miindet und deren hin- terer, zur Aufnahme der Eier dienender Abschnitt als Uterus be- zeichnet wird. Bei einigen Asplanchnen (z. B. Aspl. myrmeleo und Brightwelli) hingegen finden sich etwas abweichende Verhiilt- nisse: der grosse, mit sehr zahlreichen Kernen durchsetzte Dotter- stock beschreibt ein Hufeisen, dessen nach hinten gerichtetem con- vexen Bogen der kleine ovale Eierstock ansitzt. Die Uterusmem- bran, welche mit einem dichten Netzwerk von Muskeln versehen ist, schliesst nur an den letzteren an, wahrend der das Nahrma- terial bereitende Abschnitt allein von der diinnen Dotterstocks- membran begrenzt wird. Wahrend bei alien Rotatorien die weiblichen Geschlechtsor- gane unpaar sind, machen hiervon die Philodinaen und das mit diesen nahverwandte Genus Seison eine Ausnahme. Ob die bei diesen Tieren vorliegende Duplicitat als ein primitives oder als ein secundar erworbenes Verhalten anzusehen ist, lasst sich augen- blicklich noch nicht entscheiden. Doch mag daran erinnert sein, dass die hufeiscnformige Gestalt des Dotterstockes der Asplanch- nen und der Pterodina das erstere nicht unwahrscheinlich machen, zumal die Philodinaen und das zuletzt genannte Genus auch in anderer Hinsicht urspriinglichere Organisationsverhaltnisse otfen- baren. Ob ferner auch bei den Philodinaen ein paariger oder unpaarer Keinistock vorhandeu ist, mussen weitere Untersuchungen lehren. Moglich wiire es immerhin, dass unter den Rotatorien auch Arten vorkommen, bei denen die Sonderung in Keim- und Dotter- stock noch nicht sich vollzogen hat. Sehen wir doch bei den Turbellarien, dass ganz dieselben Ditferenzierungen erst allmahlich 106 Plate, entstaiKlei) sind : einfachc Ovaiicn besitzen allc Acola und die ijiodrigsteii AUoiocola; eiiic Anzahl rulativ niedrig stehender Rhab- docola und Alloiocola sind mit Keimdotterstocken versehen, wah- rcnd alien iibrigcn Vcrtretcrn der beiden letzten Abteilungen vollig getrennte Keim- und Dotterabschnitte zukommen. Eine andere Frage, welche zukiinftigen Untersuchungen zur Beantwortung vorbchalten bleiben muss, ist die, ob die Keimstocke, "welclie Sonunercier liefern, morphologisch verschieden sind von denjenigen, welche Wintercier producieren. Ich glaube, dass dies nicht der Fall ist, da ich nie einen Unterschied in den Geschlechts- organen sonimer- und wintertrachtiger Tiere babe bemerken konnen. Man sollte darnach annehmen, dass jedes Weibchen im Stande ware, bald diinn-, bald hartschalige Eier zu erzeugen, wie dies in der That von Balbiani fiir Not. Werncckii angegeben worden ist. Urn uber diese Verhiiltnisse sichere Mitteilungen machen zu konnen, habe ich eine betrachtliche Zahl von weiblichen Hydatina senta wahrend ihrcs ganzen Lebens oder doch wahrend dcs gross- ten Teilcs desselben isoliert gehalten und die von diesen Tieren abgelegten Eier gewissenhaft controlliert. Es hat sich dabei er- geben, dass ein und dasselbe Tier wahrend seiner ganzen Existenz nur eine Eisortc produciert, und man fuglich dreierlei Weibchen unterscheiden kann, je nachdem dieselben mannliche oder weib- liche Somniereier oder Wintereier absetzen. Damit ist nun freilich nicht gesagt, dass auch das von Balbiani untersuchte Rotator sich ebenso zu verhalten braucht. Es sprechen jedoch andere Be- obachtungen dafiir, dass die bei Hydatina gefundene Gesetzmiissig- keit auch fiir alle anderen Siisswasserradertiere Geltung hat. Allc Forscher, welche Arten studiert haben, deren Eier am Rucken der Mutter angeklebt werden , stimmen darin iiberein , dass dasselbe Tier stets nur eine Eisorte mit sich herumfuhrt. Und ebenso hat man im Uterus der viviparen Formen bei demselben Individuum immer nur entweder Mannchen oder Weibchen gefunden. Der hieraus sich ergebende Schluss , dass ein und dasselbe Tier nur eine Eisorte erzeugt, diese aber eventuell periodisch wechselt, ist auf Grund der bei Hydatina gemachten Beobachtungen dahin zu beschrilnken, dass jedes weibliche Rotator iiberhaupt nur eine Eiart ablegt. Ob in der That Not. Werneckii hiervon eine Aus- nahme macht, kann nur dadurch eiitschieden werden, dass man isolierte Individuen genau wahrend ihres ganzen Lebens control- liert. Der Unistand, dass man zuweilen in derselbcn Vaucherien- galle Sommcr- und "Wintereier iindet, berechtigt nicht zu dem Beitrage zur Naturgeschichte cler Rotatorien. 107 Schlusse, (lass dieselbcn samtlich voii cinem Weibclien gelegt wurden, da eiimial niehrerc Galleii sich an demselbeii Algcnfaden befindoii, diosc aber bei dcm Maiiuul echter Qiierwiiiulo in freicr Coiniimnication mit eiiiander stehen, und sodaiin die (Jallen viel- fach auch nadi ausscu bin Offnungen besitzen. — Die Zahl der Wintereier, welche von eincm Rildertier abgelegt werdeii , scheint imiuLT viel geringer zu sein als flie der Sonimereier. Bei Hyda- tina land ich, dass voii eisteren im Maximum gegen 15, von letz- teren gegen 50 von einem winter- resp. sommertracbtigen Indi- viduuni produciert werden. Zu abnlichen Resultaten ist auch Bal- BiANi beim Studium dcs Vaucheriaparasiten gelangt. Dcrselbe Forscher hat zuerst durch das Experiment gezeigt, dass die im Friibjahr eines Jahres abgesetzten Wintereier erst im folgeuden Jahre auskriechen. Bei Lacinularia socialis babe ich dieselbe Be- obacbtung bestatigen konncn. Dass aber die Wintereier nicht un- bedingt einer so langeu Zeit zu ihrer Eutwicklung bediirfeu, geht daraus hervor, dass aus zwei derselben kleine ^Yeibliche Hyda- tinen schliipften, nachdem sie 18 resp. 21 Tage in der feuchten Kammer gehalten woideii waren. — Uber die Begattung und ihren eventuellen Eintiuss auf die Bildung der Wintereier solleu im llten Kapitel einige Mitteilungen gemacht werden. 10. Die Mannchen der Botatorien. Unter den 74 Gattungen, welche das System der Rotatorieu bis jetzt aufweist, befinden sich 24, bei denen auch die Mannchen schon bekannt^) siiid. Dieselben verteileu sich auf alle Abtei- lungen der Klasse mit Ausnahme der Philodinaen, die trotz der Bemiihungen mehrerer Forscher in dieser Hinsicht eine eigentum- liche Sonderstellung bewahrt haben. tJber die meisten Mannchen wissen wir freilich nur sehr wenig, und allein diejenigen von Hy- datina senta, den Asplanchna- und Brachionusarteii , Seison und den Euchlaniden sind genauer untersucht worden. Die mannlichen Rotatorien bieten in ihrer Organisation viel einfachere Verhiiltnisse dar als die zugehorigen Weibchei), und ist dies so zu erkliiren, dass sie einerseits uberhaupt auf uicdrigerer ') Es sind dies die Gattungen: Plosciilaria, Seison, Lacinularia, Conochilus, Triarthra, Polyartlira, Notomraata, Synchaota, Eosphora*, Diglena*, Hydatiua, Monocerca*, Monostyla *■, Colurus *, Salpina *, Eucblauis, Mctopidia*, Braohiouus, Apodoides, Auuraea, Apsilus, Asco- morpha, Asplanchna und Hertwigia. Die mit * bezeichneten sind nur in einer mir nicht zuganglichen Arbeit Steins beschrieben. 108 Plate, Eiitwickluiigsstufe als die Wcibchcn stehcn geblieben, andererseits aucli ill Folge der untcrgeordiictcii Rolle, die sie im Geschlechts- lebcn spit'len, riickgobildet sind. Ersteics macht die grosse Gleich- formigkeit, welchc die Mehrzahl der Mannchen in der iiusseren Gestalt wie in der Organisation aufweist, verstandlich, wahrend auf letztercs das Fehlen einer Mundotfnung und die Ruckbildung des Darmkaualcs und des Riiderapparates zuriickzufiihren ist. Der Grad der regressiven Metamorphose und die Organisationsbohe ist bei den einzolnen Gattungen verschicden. Wahrend allein bei Seison Mannchen und Weilichen noch vollig auf derselben Stufe stehen, ist bei Apodoides stygius, einem Rotator der krainer Grotten, iiber das Joseph sehr wertvolle Beobachtungen gesammelt hat, dies nur wahrend der ersten Lebenspbase der Fall. Sowie dage- gen ini Friihjalir die Generationsorgane sich entwickeln, hiiuten sich die Tiere, und wahrend dieser Umwandlung bildet sich beim Mannchen auch der Darmkanal mit dem Kauapparat zuruck. Beide Geschlechter verhalten sich dann hinsichtlich ihrer Organi- sationsh()lie ebenso, wie dies bei der nahverwandten Gattung Euchla- nis zeitlebens der Fall ist. Die Mannchen besitzen hier noch den Panzer in derselben Gestalt wie die Weibchen und unter- scheiden sich im wcsentlichen , wenn wir von den Geschlechtsor- ganen absehen, nur durch etwas geringere Grosse und die Riick- bildung des Darmkanals zu einem unregelmassigen Zellstrange. Bei alien iibrigen Gattungen ist der Geschlechtsdimorphismus viel starker ausgepragt. Die Mannchen haben eine weiche Haut, auch wenn die zugehorigen Weibchen einen Panzer besitzen und sind unverhaltnismassig kleiner als diese. Ihre walzenformige , nach hinten verjiingte Gestalt erinnert auifallend an die Jugendformen der festsitzenden Rotatorien und iihnelt den Weibchen nur darin, dass sie wie diese bald zwei kleine Zehen am hinteren Korper- pole triigt, bald nicht mit solchen ausgeriistet ist. Am vor- deren Korperende befindet sicli der stark riickgebildete Riider- apparat, der bei fast alien dieselbe Beschaticnhcit zeigt. Stets finden wir einen einfachcn Kranz langer Cilien, iiber den derKopf halbkugclig vorspringt und mit einer grossen Zahl kleiner Fiim- mern, vornehndich an der Spitze und an der Ventralseite, besetzt ist. Wahrend bei der Mehrzahl der Weibchen der Kopf sich ven- tralwiirts trichterformig vertieft, ist bei den Mannchen hiervon nichts zu bemcrken. Dass aber eine solche Einsenkung bei manchen urspriinglich vor der Muudoffnung bestanden hat, beweist das Mannchen von Hydatina, bei dem der Kopf sich noch mulden- Beitrage zur Naturgeschichte der Ilotatorien. 109 formig, wcnn auch weiiiger stark als bcim Weibchcn, auf der Bauchseite aushohlt. Man hat demnach Grund zu dor Annahme, dass das fiir so viele Miinnchen charactcristisclie halbkugclig vor- springcnde Kopfende bei maiichen (Hydatina, Anurila, Brachionus), viellcicht bei alien , zugleich mit dem Obliterieren der Mundoff- nuiigcntstandcn ist. Da die Maunchen in ihrer ganzcn Organisation so viel tiefcr stelien als die Weibclien, sollte man erwarten, dass ihr Raderapparat dieselbe oder weuigstens eine ahnliclie Beschaffenheit zeigen wiirde, wie bei den Philodinaen, Melicertaarten und Pterodinen. Dass der locomotorische Apparat aller bis jctzt daraufhin unter- suchten Miinnchen stets eine solche Ahnlichkeit verniissen lasst, ist wohl der schwerste Eiuvvurf, den man dem oben gemachten Ver- suche, die doppelsiiumige Form des Riiderorganes als die ur- sprungliche anzuseben, macheu kann. Derselbe fiillt jedoch minder in's Gewicht, wenn man bedenkt, dass kein Organ untcr den Ro- tatorien mehr variiert, als der Cilienbesatz des Kopfes, und dass man wohl berechtigt ist zu der Annahme, derselbe sei urspriinglich bei den Miinnchen andcrs beschafien gewesen und liege un.s nur in stark reducierter Form vor. Wie Leydig und Stein zucrst mit Recht behauptet haben und spliter ohne Grund in Zweifel gezogen ist, repriisentiert der unregelmassige Zellstrang, der iiber dem Hoden liegt und sich vorn an die Stelle setzt, welche der weiblichen Mundotinung entspricht, den rudimentiiren Darm. Es geht dies unzweifelhaft aus der Lage, dem eingangs geschilderten Verlialten von Apodoides und endlich daraus hervor, dass dieselben schwarzen Faecalmassen , welche wiihrend der Embryonalentvvicklung sich im Enddarm mancher Weibchen anhiiufen, auch bei einerAnzahl Miinnchen in dem hin- tersten Telle jenes Stranges vorkomnien, der durch sie ofters blasig aufgetrieben wird. Da der Darm der Mannchen, wie alle rudimentiiren Organe, in seiner Ausbildung individual schwankt, findet man bei einigen Individuen die hinterc Hiilfte desselben, welche die Kornchen umschliesst, nicht im Zusammenhange mit der vorderen, wiihrend man sich bei andern von der Continuitiit beider Teile klar iiberzeugen kann. Die Verbreitung jeuer Kornermassen variiert bei uahen Verwandten. Wiihrend sie sich bei siimtlichen miinnlichen Brachionen vorfinden, kommen sie, soviel ich weiss, unter den Weibchen nur Brach. amphiceros und bidens zu ; schon hieraus kaun man schliessen , dass diese anorganischen Kornerhaufen ur- sprunglich einer grosseren Zahl von Specien eigenturalich waren, aber mit steigender Entwicklung in Wegfall gekommen sind, ein no Plate, Scliluss, (ler auch dadurch gcstiitzt wircl, dass die fragliclieii Ge- bild(3 iiberliaupt niehr boi Mannchen als bei Weibchen gefuiiden werden. — Das Nervensystem ist in beiden Geschlechtcrn gleich gcbaut, iiiir darin sprechen sicli bei den Mannchen einfachevc Ver- hiiltnisse aus, dass die Tastbiischel nie auf besonderen Hiigeln Oder Fiihlern stehcn. — Der Excretionsapparat weist bei einigen jMiinnchen nocb keine contractile Blase auf, with rend bei den zii- gehorigen Weibchen sich cine solche schon ditfereuziert hat (Hy- datina, Brachionus) ; andere besitzen dieselbe (Asplanchna, Apsilus). Wie im ersteren Falle die Wassergefasse ausmiindcn, bleibt noch zu untersuchen. Bei Hydatina war ich so glucklich, an einem Exemplar dieselben sich getrennt an der Spitze des Penis oifnen zu seheu. Wahrscheinlich verbinden sie sich fur gewohnlich mit dem Ausfiihrgang des Hodens. Hinsichtlich der Art, wie das flinimernde Vas deferens ausmundet, muss man bei den Mannchen der Rotatorien 2 Typen unterscheiden. Entweder tritt dasselbe in einen besonder(!n Penis, der einstulpbar und dorsal angebracht ist (Hydatina, Brachionus, Lacinularia, Apsilus), oder das hintere verjiingte, ebenfalls teilweise retractile Korperende functioniert als soldier (Conochilus, Plertwigia, Triarthra, Polyarthra, Anurila, Asplanchna). Bei Lacinularia und Apsilus findet sich am aboralen Korperpol ein Flimmerbusch, auf dessen Vorkommen bei manchen Weibchen schon oben aufnierksam gemacht wurde. Derselbe kommt auch bei den Mannchen ohne besonders abgesetzten Penis vor, konnte aber bei diesen eventuell, was freilich nicht wahr- scheinlich ist, mit jener Bildung nicht homolog sein, sondern sich von den Wimpern des Hodenausfiihrganges ableiten. 11. Die Begattung und ihre Folgen. Dass die Spermatozoen bei den begatteten Weibchen frei in der perienterischen Fliissigkeit sich umhertummeln , ist eine von vielen Forschern wiederholt gemachte Beobachtung; aber wie sie hinein gelangen , ist von deuselben nicht erkannt worden. Cohn und Brigiitwell konnten, da sie nur mit Lupen arboiteten, weiter nichts bemerken, als dass die Mannchen sich dicht an die Weibchen anheftcten, und ersterer vermutete bei Hydatina und Conochilus einen besonderen, in der Halsgegend befindlichen Genitalporus. Eyferth berichtet: „bei Diglena catellina habe ich die Anheftung (der Mannchen) an die Kloakenmiindung gesehen". Hudson (176) dagegen fand bei Asplanchna Elibesbornii „ein Milnnchen, das mit der Spitze des Penis dem Weibchen anhing. Aber es war an der Beitriige zur Naturgeschi elite dor Itotatorioii. Ill Aussenseitc der Bauchfltichenmitte und nicht ;in der OviductofFnung". Alle diese widersprechenden Angaben crkliircn sich leicht aus den Beobachtungcn , die im specicllen Telle bei Hydatina senta ge- schildeit wurdeii. Sie fuhrten zu dem merkwiirdigen und, soviel ich wciss, ini ganzen Tierreicli nur noch bei einigen Planarien vorkuninicnden Ergebnis, dass der Penis die Korpenvandung des VVeibchens bei der Copulation an irgend einer beliebigen Stelle durchbohrt, derselbe dagegen nicht, wic man erwarten sollte, in die Kloake gesteckt vvird. Unter geeigneten Umstiinden vermag daher auch dassclbe Weibchen gleichzeitig von mehreren Mannchen begattet zu werden. Da schon bei so vielen anderen Specien Sperma frei in der Leibeshohle Hottierend gefunden worden ist, kann kaum bezweifelt werden, dass audi bei diesen die liegattung in gleicher VVeise vollzogen wird. Es fragt sich nun, ob wir an- nehmen diirfen, dass auch zu jener Zeit, als die Mannchen wie die Weibchen mit Mundoffnung und Darm versehen und in ihrer ganzen Organisation noch nicht liickgebildet waren, der miinnliche Same auf dieselbe Weise in den weiblichen Korper gebracht wurde. Ehe bei Seison, dem einzigen Kadertier, dessen Mannchen noch nicht retrometamorphosiert ist, die Copulation nicht beobachtet worden ist, lasst sich freilich die angeregte Frage nicht mitSicher- heit entscheiden. Da jedoch Claus von dieser Gattung glaubt mit Sicheiheit behaupten zu konueu, dass die Samenfiiden nicht frei in der Leibeshohle, sondern in dem dunnhautigen Ovar sich befinden, scheint es niir das Wahrscheinlichste zu sein, dass ur- spriiuglich der Penis in die Kloake gcschoben , und auf diesem allein natiirlichen VVege das Sperma mit den Keimzellen zusam- mengebracht wurde. Wir miissen dann annehmen, dass mit der lluckbildung der Mannchen oder vielleicht bewirkt durch dieselbe eine Anderung in der Art des Coitus eingetreten ist. Wenn die Sameufaden in die Leibeshohle gelangt sind, schliin- geln sie sich zunachst nmnter nach alien Richtungen in derselben umher. Bei Hydatina habe ich nie bemerken konnen, dass die Geschlechtsorgane dabei eine anziehende Kraft auf dieselben aus- iibten. Die Spermatozoen verteilen sich gleichmiissig im Korper und finden sich ebenso zahlreich zwischen den Fiiden des Gehirns Oder vor den Klebdriisen, wie in der Niihe des Keimdotterstockes. Nach einiger Zeit werden ihre Bewegungen jedoch langsamer. Sie roUen sich kugelig zusammen und werden schliesslich zu einem uiischeinbaren, mit Vacuolen durchsetzten Protophismakliimpchcn. Es ist daher offenbar, dass die Samenfiiden einen nichivstiiiidigen 112 Plate, Aufeiithalt im Fluidum der K()rpcrhnhle nicht vertragen koimen, soiuleni in demselben zu Gruiide geheu. Das geschilderte Ver- halten des Spermas macht es im liohen Grade wahrscheinlich, dass es zu einer eigentlichen Befruchtung uberhaupt nicht kommt, sondern dass sicli die Keimzellen stets auf parthenogenetischem Wcge entwickeln. Ich bin im speciellen Abschnitte bei Hydatina auf diesen Punkt naher eingcgangen und will daher hier um so weniger auf ihn zuriickkommen, als ich in nicht zu ferner Zeit diese interessante Fragc endgiiltig entscheidcn zu konnen hoffe. Die ihr bis jetzt zu Grunde liegenden Bcobachtungcn mussten un- vollkommen bleiben, vveil mir, zur Zeit als ich sie anstellte, das Vorhandenseiu eines besonderen Keimstockes noch nicht be- kannt war. Am Schlusse dieses Kapitels sei noch der CoHN'schen Hypo- these gedacht, nach der die Wintereier das Product der Befruch- tung, die Sommereier der parthenogenetischen Entwicklung sein soUen. Ich habe eine grosse Zalil weiblicher Hydatinen, die teils sommer-, teils wintertrilchtig waren, isoliert mit Mannchen copu- lieren lassen , ohne dass dies eine Anderung in der Art der nach der Begattung abgelegten Eier bewirkt hatte. Da ferner Ver- suchstiere, die noch nie zuvor ein Ei erzeugt batten, nach Auf- nahme des Spermas, nur diinnschalige Ova producierten, folgt daraus mit Notwendigkeit die Unhaltbarkeit joner Ansicht, und brauclie ich daher auf die Grunde, mit der Cohn dieselbe zu stutzen sucht, nicht naher einzugehen. Auch Balbiani ist zu demselben Re- sultate gekommen, da er nie Mannchen, wohl aber zahlreiche Wintereier beobachtet hat. 12. Zur Oekologie der Rotatorien. Die Lebcnsdauer der weiblicheu Raderticre betrilgtnachBeobach- tungen an Hydatina ungefiihr 14 Tagc, hiiufig etwas mehr oder weniger. Die Mannchen dagegen kann man in feuchten Kanimern hochstens 3 Tage am Leben erhalten. Ihre definitive Grosse erreichen die AVeibchen fast vollstiindig in den ersten 3 Tagen. Wiihrend der beiden ersten ihres Lebens fresseu und wachsen sie und beginnen eist am dritten mit der Ablage des ersten Eies, dem von nun an eins nach dem andern in continuierlicher Reihe bis zu ihrem Tode folgt, falls ihnen immer hinreichende Nahrung zur Verfugung steht. Entzieht man ihnen die letztcre, so beginnt der Dotter- stock stark zu schrumpfen und kaiui dabei so klein worden, dass seine Kerne schliesslich dicht neben eiuander liegeu. Der Tod Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 113 scheint normaler Weisc dann cinzutreten, wcnu der Keirastock sich erschopft hat. Der dotterbereitende Abschnitt scheidet dann zabl- reiche grosse und kleine Fetttropfen aus und wird dadurch auf- fallend triibe. Wiihrcnd er dabci ausserordentlich an Grosse zu- ninimt, ergreift die fettige Degeneration allmahlich alle iibrigen Organe. Das Tier zieht sich zusamnien und stirbt meist am zwei- ten Tage, nachdem das hitzte Ei abgelcgt wurde. Es ist eine viel verbreitete, aber ganz unbegrundete und irrige Ansicht, dass die Mannchen der Rotatorien im Friihjahr und Herbst bcsondcrs zahh*eich auftreten. Sie kommen ebenso haufig mitten im Summer, wie in den ersten Tagen des April und Ende October vor Die einzige Bedingung ist immer nur die, dass eine Art sich an irgend einer LocalitJit stark vermehrt hat. Kann man sich mit dem feinen Netze ohne Schvvierigkeit Tausende von Individuen verschaffen, so wird man auch nie vergebens nach den zugeh()rigen Mannchen suchen. Die Weibchen mit Mannertracht sind jedoch in der Regel so selten im Verlialtnis zu denen, welche wieder Weibchen producieren, dass die Wahrscheinlichkeit , unter einer kleinen Anzahl von Individuen auch Mannchen zu finden, sehr gering ist. Leydig hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass manche Loricaten , namentlich solche mit flachem Panzer, naufig an die Oberfliiche des Wassers kommen und hier beweguugslos liegen bleiben. Er glaubt, dass die betreflfenden Tierchen das Vermogen hiitten, in das Wasser zuriickzutauchen und sich nur tot stellten. Dies ist jedoch nicht der Fall; solche Individuen, die eine Zeit- lang der Luft ausgesetzt gewesen sind, gehen regelmassig zu Grunde. Seit Spallanzani haben sich zahlreiche Naturforscher mit der Frage beschaftigt, ob die Rotatorien in der That im Stande seien, unbeschadet einzutrocknen, um bei erneuter Wasserzufuhr wieder aufzuleben. Schon Ehrenberg sprach sein Bedenken gegen die Richtigkeit der bezuglicheu Beobachtungen aus. In der Neu- zeit hat die Frage dadurch eine andere Wendung angenommen, dass CuBiTT nachgewiesen hat, dass die Philodinaen im Stande sind, sich in eine Gallertschicht einzuhtillen und in derselben vor volliger Austrocknung bewahrt sind, auch wenn sie lange Zeit ausserhalb des Wassers bleiben miissen. Ob alle Rotatorien die- selbe Fahigkeit besitzen , erscheint mir sehr zweifelhaft, da ich wiederholt zahlreiche Vertreter anderer Abteilungen langsam in Bd. XIX. N. F. XII. 8 114 Plate, Uhrschalchen habe eintrocknen lassen, ohne weder Gallertkapseln zu finden noch die Tiere jcmals wiederaufleben zu sehen. 13. Die Stammform der Rotatorien. Nachdem wir im Vorhergehenden die Organisation und Fort- pflanzung der Rotatorien vergleichend betrachtet haben und dabei bestrebt gewesen sind, die primitiven Verhaltnisse von den se- cundiir erworbenen zu sondern, wollcn wir die ersteren recapitu- lierend zusammenstellen und ein ungefiihres Bild der Tierform entwerfen, aus der nach dem jetzigen Standpunkte unserer Kennt- uisse die Radertiere sicli wahrscheiulich entwickelt haben. Wir werden dabei freilich nicht zu Resultaten kommen, die als vollig gesichert angesehen werden diirfen, da die Entwicklungsgeschichte der Rotatorien nur ungeniigend bekannt ist, und wir daher bis jetzt noch dieses wichtigsten Priifsteines fiir die Zulassigkeit aller phylogenetischen Speculation entbehren. Es kann als unzweifelhaft gelten, dass der Geschlechtsdimor- phismus in der Form, wie wir ihn jetzt fast durchgangig beobach- ten, urspriinglich nicht bestanden hat, sondern dass Mannchen und Weibchen, abgesehen von den Generationsorganen, gleiche Orga- nisation und Gestalt besassen. Das Archirotator haben wir uns vorzustellen als ein walzenformiges, hinten verjiingt zulaufendes Tierchen mit ventraler Mund- und dorsaler Afteroffnung, dessen aborales Korperende mit einem Flimmerbusch versehen war. Der Raderapparat des Kopfes bestand aus zwei den Mund zwischen sich fassenden Wimpersaumen. Nur die Cilien des hinteren setzen sich in den Vorderdarm fort, der in beiden Geschlechtern einen chitinosen Kauapparat aufwies, und an den sich ein Magen mit paarigen Driiseu und ein Enddarm anschloss. Das Verdauungs- rohr zeigte in seiner ganzen Lange ein Fimmerepithel. In seinen hintersten Abschnitt miindeten wahrscheinlich — ob von Anfang an? — zwei unverzweigte Excretionskaniile , die hiichstens am vordenm Ende durch ein Quergefiiss mit einander vcrbunden waren, und der Ausfuhrgang der Genitaldriise. Characteristisch fiir jene Kaniile ist der Mangel einer durchgehenden Flimnierung und gr()sser Seitenzweige, der Besitz der am freien Ende geschlosseuen Zitterorgane und der Aufbau aus einer nur geringen Anzahl von Zellcn. Namentlich der letzte Punkt und das Fehlen ottener Wim- pertrichter sind beachtenswert, da sie vornelinilich fiir die llomo- logie dieser Wassergefasse mit der Kopfniere der LovEN'schen Larve sprechen. Dass die Excretionskaniile von Anfang an in die Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 115 Kloake mundeteii, liisst sich deshalb uicht mit Sicherlieit be- haupten, well sic bui den Maiinchen der Hydatiiia sich frei uud getrennt nach aussen offnca. Das Nervensystem bcstand aus einem dorsal iiber den Schlund, aber hinter den Wimperkranzen liegen- den Gehiniknotcn, der nacli vurn melirere, nach dem Nacken zwei Nerven zum dorsalen Taster sendete. Zwei andere in den Seiten des Kiirpers verlaufende Nerven versorgten ein Paar iihnlich ge- bildeter Tastbiischel, ohne mit dem Gehirn in Veibindung zu ste- hen. — Die Mehrzahl dieser fiir die Stammform characteristischen Organisationsverhiiltnisse finden wir noch jetzt bei siimtlichen Ghedern der Klasso , woraiis folgt, dass dieselbc sich nur weuig veriindert hat. Am reinsten und in grosster Zahl.combiniert be- gegnen wir den primitiveu Eigenschaften bei den Jugendformen der festsitzenden Rotatorien , und miissen letztere daher in der Systematik an die Spitze der ganzen Klasse gestellt werden. Die Frage nach der systematischen Stellung der Rotatorien ist vielfach discutiert und erst vor wenigen Jahren, wohl endgiiltig, durch die Untersuchungen mehrercr Forscher, vornehmlich durch Hatschek, gelost worden (76). Man hat die Rotatorien als Tiere anzusehen, welche mit den Anneliden von einer und derselben Urform abzuleiten sind, da sie mit der Stammform der Ringel- wiirmer, die uus im Trochophorastadium manchcr Larven in an- nahernder Reinheit entgegentritt, manche wichtige Merkmale ge- mein habeu. Doch besteht zwischen bciden Klassen immerhin noch eine weite Kluft, die sich darin ausspricht, dass die Rota- torien in einigeu wesentlichen Punkten von der Trochophora der LovEN'schen Larve abweichen. Auf die Verschiedenheit in der ausseren Gestalt ist wohl wenig Gewicht zu legen, da die grosse Ausdehnung der Leibeshohle, welche die aufgeblasene, krciselfor- mige Gestalt jencrJugendform bedingt, bei so vielen marinen Larven wiederkehrt, dass man darin eine Anpassung an das pelagische Leben erblicken darf. Anders verhalt es sich dagegen mit den folgen- den Organisationsdift'erenzen. Wiihrend erstens die Trochophora zwischen dem praoralen und postoralen Wimpersaum noch eine Wimperrinne besitzt, fehlt diese alien Rotatorien. Die Ausgangs- form des Riiderapparates der letzteren besitzt zwar zwischen beiden Flimmerkriinzen eine Furche, dieselbe ist aber stets nackt ; und wiihrend ferner bei der Trochophora sich diese Wimperrinne in die Mundoffnung fortsetzt, der postorale Saum aber hinter der- selben vorbeizieht, tritt die hintere Wimpcrschnur der Rotatorien in den Vorderdarm herein und liiuft nicht ausserhalb desselben 116 Plate, voriiber. Beurteilt man daher die Homologie der Wimperkranze nach ihrer Stellung zur Mundoffnung, so wiirde der hintere Cilien- kranz der Radertiere der VVimperrinne der Trochophora ent- sprechen; legt man jedoch, was unzweifelhaft richtiger ist, kein Gewicht darauf, ob das Cingulum der Rotatorien in die Mundoff- nung ubertritt oder eben ausserhalb derselben vorbeizieht, so kann man den hinteren Cilieusaum beider Tierfornien fiir honiolog halten, obwohl eine Wimperrinne nur einer derselben zukommt. Zweitens besass das Archirotator am aboralen Korperpol sehr wahrscheinlich einen Flimmerbuscli , der nicht dem perianalen Wimperkranz der LovJ^N'schen Larve entspricht , da er nicht die Afterotfnung um- giebt, wohl aber dem terminalen Cilienbiischel mancher Bryozoen- larven (Pedicellina) homolog sein konnte. Schwerwiegender noch als diese beiden Dift'erenzpunkte ist drittens der Umstand, dass das Gehirn der Radertiere nicht der Scheitelplatte der Trochophora homolog gesetzt werden darf, well es von Anfaug an ausserhalb der Wimperkranze und nicht am vorderen Pol der Korperlangsachse , sondern am Riicken uber dem Schlunde liegt, und dass bis jetzt bei der Trochophora noch keine Spur von dor- salen und lateralen Tastern gefunden ist, Sinneswerkzeugen, die fiir die Rotatorien viel characteristischer sind als die zwei Cilien- reifen am Kopfe, da diese sehr vielen, jene so gut wie keinem Rildertier felilen, — Durch das Gesagte soil keineswegs die HATscHEK'sche Trochophoratheorie , soweit sie die Stellung der Rotatorien zu den Anneliden beruhrt, umgestossen oder moditiciert werden; nur glaube ich, dass ihr Begriinder die Ahnlichkcit zwi- schen Rotatorien und der LovEN'schen Larve fiir grosser halt, als sie in der That ist. Es liisst sich dariiber streiten, ob iiber- haupt bei Speculationen iiber die Phylogenie der Wurmer die Lage, Zahl und Beschaffeuhcit der Wimperkranze massgebend sein konnen ; zeigt doch allein die grosse Mannigfaltigkeit derselben bei den Annelidenlarven, dass wir es hier mit ausserst variabelen Organen zu thun haben. Legt man aber einmal diesen Massstab an, so darf man, wenn man consequent sein will, auch jene kleinen Ditierenzen in der Anordnung des locomotorischen Cilienapparates bei der Trochophora des Polygordius und der Riidertiere nicht unberiicksichtiat lassen. Beitrage zur Naturgeschichte der Rotatorien. 117 Erklarung der Abbildungen. In samtlichen Zeichnungen bedeutet: //• trochus rf. / dorsaler Taster ci cingulum /. / lateraler „ oe oesophagus st. t Stirntaster St Magen h Hypodermis m.d Mageudrlisen m Matrixverdickungen d. s Dotterstock t Hoden k. s Keimstock pe Penis « Uterus pr Prostata ahnliche Driise ov sich entwickelndes Ei v. d Vas deferens w Wassergefass k Fussdriise V verknauelte Partie desselben inu Muskel c. b contractile Blase di Zehen. g Gehirn Ferner bedeutet i m Nachstehe nd en: y. J Ventral-Ansicht D. A Dorsal- „ L. A Lateral- ,, Die Zahlen geben das Verhaltnis von wirklicher Lange zur Vergrosserung aa. Tafel I. Fig. 1. Conochilus volvox Ehr. ^Jaso- ^- -^- Durch den Einfluss des Wassers ist der Fuss etwas zusammengezogen und gequollen. Die Langsmuskeln sind nicht samtlich eingezeichnet. ,, 2. Conochilus volvox Ehr. Stirntaster. „ 3. Polyarthra platyptera Ehr. ^154 o- Winterei. » 4. „ „ „ o. D. A, 15 4 0' „ 5. Triarthra cornuta Weisse. ^1540- I^- ^• „ 6. Notommata lacinulata Ehr. ^|5 4o- ^- A-. Etwas breitge- driickt durch das Deckglas. „ 7. Hertwigia volvocicola n. sp. $. L. A. 'js^o- >> "• » »f »» o • )» >> 118 Plate, Fig. 9. Hydatina senta Ehr. ^230- ^- ^• „ 10. „ „ „ „ Dotterkerne. „ 11. ,, „ „ Sommereier. „ 14. Diurella tigris Bory. M.-ido- V- A- Endetachel. Tafel II. Hydatina senta Ehr. *l5 4o« Penis. Diurella tigris Bory. ^540- ^' A- Diuocharis pocillum Ehr. ^Ig.to- l^- ■^• Euchlauis dilatata Ehr. Ideuler Ciuerschuitt. Kopf. D. A. i|5 4o- „ „ „ Kopfkegel, von untcn. „ „ „ Zitterorgan. a) riachenansicht. b) Kantenansicht. c) von oben gesehen. „ „ „ Geschlechtsorgane. „ „ „ Muskel. 22-24. Brachionus araphiceros Ehr. 'Igac „ „ „ Lateraler Taster. „ „ „ Hypodermis. „ „ „ Klebdriise. „ „ „ Geschlechtsorgane. ^jgso- Tafel III. Brachionus amphiceros Ehr. cf. ^Is^o* V. A. „ bidens n. sp. ^|230' V- A. Asplanchna myrmeleo Ehr. ^jg;. V. A. „ ^2 3 0- Magen. „ „ „ WassergefasB. Lateraler Taster. „ Brightwelli Gosse. Contractile Blase. „ myrmeleo Ehr. Dorsal-Taster. V. A. „ „ ,, Muskelkragen. „ Brightwelli Gosse. Hypodermis. „ priodouta Gosse. 'l23o* Geschlechtsorgane. L. A. Fig. 12. )» 13. )j 15. n 16. >> 17. >> 18. >> 19. » 20. >> 21. »1 22- )> 26. >> 27. }) 28. i> 29. ^ig .25. >> 30. » 31. >i 32. »> 33. >> 34. >> 35. >} 36. » 37. )i 38. BeitrSge zur NaturgeBi;hi elite der Eotatorien. 119 Inhaltsverzeichnis. Einleitung pag, 1 I. Specieller Teil. 1. Lacinularia socialis Ehr , 4 2. Conochilus volvox Ehr „ 9 3. Philodinaeu ,, 14 4. Polyarthra platyptera Ehr „ 16 5. Triarthra longiseta Ehr „ 19 6. ,, terminalis n. sp „ 19 7. „ cornuta Weisse ,,20 8. Notommata aurita Ehr »» 21 9. „ vermicular] s Duj „ 23 10. „ lacinulata Ehr „ 28 11. „ tripus Ehr ,24 12. „ hyptopus Ehr „ 24 13. „ tardigrada Leyd „ 25 14. Hertwigia volvocicola n. sp »» 26 15. Eosphora elongata Ehr „ 28 16. Hydatina senta Ehr „ 29 17. Synchaeta pectinata Ehr „ 43 18. „ tremula Ehr „ 46 19. Rhinops vitrea Hudson » 46 20. Scaridium longicaudatum Ehr ,,47 21. Monocerca rattus Ehr „ 48 22. Diurella tigris Bory „ 50 23. Dinocharis pocillum Ehr „ 51 24. Salpina „ 52 25. Euchlanis dilatata Ehr » 52 26. „ luna Ehr „ 59 27. Metopidia lepadella Ehr „ 59 28. Stephanops lamellaris Ehr » 61 29. Pompholyx complanata Gosse i> 61 30. Pterodina » 61 31. Anuraa. „ 63 32. NoteuB quadricornis Ehr >» 65 120 Plate, Beitrage zur Naturgeschichte der Eotatorien. 33. Erachionus amphiceros Ehr pag, 65 34. „ urceolaris Ehr „ 69 35. „ Bakeri Ehr. und brevispinus Ehr. ... „ 72 36. „ bidens n. sp >, 72 37. „ decipiens n. sp ,» 73 38. „ plicatilis Mull „ 73 39. Asplanchna myrmeleo Ehr „ 73 II. Allgcmeiner Teil. 1. Aussere llaut und Gostalt „ 84 2. Das lladerorgan „ 87 3. Die Muskulatur „ 91 4. Das Nen-eusystem „ 92 5. Der Verdauungskanal „ 98 6. Das Excretionsorgau „ 97 7. Die Klebdriisen ,,101 8. Das Bindegewebe „ 101 9. Der Keimdotterstock und die Eibildung ,,102 10. Die Miinnchen der llotatorien ,,107 11. Die Begattuug und ihre Folgen ,,110 12. Zur Oekologie der Eotatorien ,,112 13. Die Stammform der llotatorien ,,114 Bonn, 5. Februar 1885. Experimentelle Untersuchungen liber die Bedingungen der Bastardbefruchtung. Von Dr. Oskar llcrtni^ u. Dr. Richard llertwig. Urn die Erscheinungen dcs Zellenlebens verstehen zu lernen, kann man zwei Mcthoden der Untersuchuiig anwenden, welche beide fiir die Losung des Problems von gleicher Bedeutung siud, indem sie sich gegenseitig fordern und erganzen. Die eine ist die Methode der vergleichenden Beobachtung, man konnte auch sagen, die Methode der Morphologic, da sie vorwiegend von mor- phologischer Seite geiibt und ausgebildet wird, die andere dage- gen ist die Methode der experimentellen Untersuchung , die phy- siologische Methode, insofern speciell die moderne Physiologie sich ihrer mit Vorliebe bedient. Die erstgenannte Methode stellt sich zur Aufgabe, durch sorgfaltige Beobachtungen die in der Natur gegebenen Thatsachen zu registriren und durch Vergleich derselb'en das Wichtige und Gesetzmafsige in ihnen zu ermitteln. — Fiir das Studium der Zel- len hat sie zu reichen Ergebnissen gefuhrt. Wir sind durch sie uber den Verlauf der Zelltheilung , iiber das Wesen der Befruch- tung, iiber die zwischen Kern und Protoplasma bestehende Wech- selwirkung in hohem Grade aufgeklart worden. Nicht selten wurde sogar in den causalen Zusammenhang der Erscheinungen ein Ein- blick gewonnen. Denn in der Natur kehren dieselben Grund- erscheinungen , je nach den wechselnden, aufseren Bedingungen, unter denen sie verlaufen und durch die sie modificiert werden, in den verschiedensten Bildern wieder. So fuhrt uns die Natur selbst gleichsam Experimente vor das Auge, deren einzelnc Fac- toren sich durch vergleichende Beobachtung recht gut ermitteln und in ihrer Wirkungsweise abschatzen lassen. Die zweite oder die experimentelle Methode der Untersuchung 122 Dr. Oskar Hertwig u. Dr. Richard Hertwig, unterscht'idet sich von der socbeii genannten hauptsachlich da- durch, dass der Beubachter selbst die Factoren einfuhrt, welche auf den Vcrlauf dcr Erscheinungen abiiiidernd einwirken sollen. Ihr schreibt man im Allgcmeiueu — wenn auch nicht immer mit Recht — cine grofsere Beweiskraft und Tragweite zu. Auch mit dieser Methode hat man in der Neuzeit schone Resultatc erzielt, und noch reichere Ausbeute steht wohl in Aus- sicht. Denn wie uns scheint, kann die Untersuchung der Lebens- erscheinungcn dcr Zcllen, welche bei der rein raorphologischen Be- handlungsweise sich in der Neuzeit allzu sehr in die nebensach- lichen Details zu verlieren droht, von Seiten des Experiments neue Impulse gewinneu. Auf dem Zellgebiete liegen bei naherer Priifung besonders giiustige Bedingungen fiir experinientelle Untersuchungen vor. Solche scheinen uns vor alien Dingen in den Entwicklungserschei- nungen gegebeu, welche sich bei der Reife, Befruchtung und Thei- lung dcr Eier abspielen, vorausgesetzt , dafs man sich dabei an geeignete Objecte halt, wie besonders an die Eier der meisten Echinodermen und vieler Wtirmer. Befruchtung und Theilung der Eier sind Vorgange, die sich durch eine grosse Gesetzmassigkeit auszeichnen, deren Verlauf zu- gleich aber nicht in dem Maasse befestigt ist, dass er nicht durch aussere Einwirkungen abgeandert werden konnte. Welcher Art die Krafte sind, welche die Regelmilssigkeit des Verlaufs bediugen, lasst sich ermitteln, wenn man sie durch entgegengesetzt wirkende Einfliisse zu compensiren sucht oder durch lahmende Agentien mehr uder minder vollstiindig ausschaltet. So haben PFLtJGER, Boen, Roux, Rauber den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Eier zu ermitteln gesucht, zupi Theil, indem sie die Schwerkraft in abnormer Weise auf die Eier einwirken liessen, zum Theil, indem sie durch Anwendung von Centrifugalapparaten die Wirkungsweise derselben aufhoben. Auch wir haben vor Jahresfrist eine Reihe exporiraenteller Untersuchungen begonnen, welche wir in der Folgezeit fortzusetzen gedenken. Wir haben zuuachst das Gebiet der Befruchtungsvor- gange gewiihlt mit Rucksicht auf das ganz hervorragende Inter- esse, welches ihm zukommt, und mit Rucksicht darauf, dass an die in den letzten Jahren festgestellten morphologischen That- sachcn das physiologische Experiment recht gut ankniipfen kann. Wie zuerst Oscar Hertwig nachgewiesen hat, beruht das Wesen der Befruchtung nicht alleiu in der voUstiindigeu Verschmel- Experiment. Untersuch. iib. d. Bediiijjuugen d. Bastardbefruchtuug. 123 zung geschluchtlich ditierenzirter Zulleii, sonderii vor alien Diuguii auch in einer Verschmelzung der beiderseitigen Zollkcrne. Die letztere schuint sogar der Hauptzweck der Befruchtung zu sein. . Zum normaleu Verlauf gehort dann noch zweierlei: 1) dass beiderlei Sexualproducte von Thieren der namlichen Art abstam- raen, 2) dass in ein Ei auch nur ein Spermatozoon eindringt. Es konnen daher nach 2 Richtungen bin Abweichungen von der Norm stattfinden: Erstens, es konnen viele Spermatozoon in das Ei eindringen. Wir nenneu diese Abnormitat Polyspermie der Eizelle. Zweitens; es kann die Befruchtung durch ein Sper- matozoon einer anderen Thierspecies vollzogen werden; das ware dann Bastardbefruchtuug. In der Eizelle, vielleicht auch in der Samenzelle, mussen Krafte thiitig sein, welche diese Abnormitateu zu verhindern stre- ben. Um nun aber zu erfahren, welcher Art diese Krafte sind, muss man durch kiinstliche Einfliisse Bedingungen herstellen, unter denen Polyspermie und Bastardirung moglich sind, unter denen somit jene Krafte aufgehoben werden. In dem vorliegenden Heft woUen wir uns zuuachst mit der Bastardirungsfrage beschaftigen. Dieselbe ist im Anschluss au Darwinistische Probleme viel erortert, trotz alledem aber metho- disch noch wenig bearbeitet worden. Streng genommen ist die- selbe in ihrer jetzigen Fassung uberhaupt keine eiuheitliche , wis- senschaftliche Frage, sondern ein ganzes Convolut von Fragen. Kreuzung verschiedener Arten kann durch sehr verschieden- artige Ursachen, wie namentlich durch Darwin schou auseinander gesetzt worden ist, vereitelt werden. Daher gelangt man zu einer klaren und einheitlichen Fragestellung erst dann, wenn man alle secundareu, eine Kreuzbefruchtung verhindernden Momente ausser Acht lasst und sich auf die Bastardirungsfahigkeit der Sexualpro- ducte beschrankt, d. h. wenn man nur die Falle beriicksichtigt, in denen das Zusammeutreffen der Eier und des manulichen Sa- mens auf naturlichem oder kiinstlichem Wege herbeigefiihrt wer- den kann und die Kreuzungsfahigkeit alleiu von den Eigenschaf ten der Geschlechtszellen abhangt. Diese Fiille, auf welche sich uusere gegeuwartigen Unter- suchungen allein beziehen, sind auch ohne Zweifel die intercssan- teren, da sich uns bei ihrem Studium wichtige Eigenschaften der Zelle zu erkennen geben. Auch sind sie schon Gegenstand experimenteller Untersuchun- gen geworden, von denen wir hier nur kurz die Arbeiten von 124 Dr. Oskar Hertwig u. Hr. llichard Hertwig, PflOgek uud BoKN namhaft machen uiid dabei hervorheben wol- len, dass wir spiiter nocli Gelegeuheit liuden werden, auf den In- halt derselben geuauer einzugeheu. Unsere eigenen Untersuchungen wurden durch eine zufallig gemachtc Beobachtung in eine bestimmtc Bahn gelenkt. Als wir Kreuzungeu zwischcn verscliiedenen Arten von Seeigeln vornah- men, war es uns an einem sturmischen Tage nicht moglich, frisches Material zur Untersuchung zu erhalten. Wir benutzten daher Eier von Strougylocentrotus lividus, die vom vorhcrgegangenen Tage uubefruchtet in einem Schalchen mit Meerwasser aufgehoben wor- den waren, und kreuzten sie mit Samen von Sphaerechinus granu- laris. Zu unserer grossen tJberraschung beobachteten wir jetzt, dass nicht wie in den friiher vorgenommenen Versuchen nur ein- zelne Eier, sondern der weitaus grosste Theil befruchtet wurde und sich entwickelte. Wir vermutheten sogleich, es mochte dies abweichende Resultat bedingt sein durch eine herabgesetzte Le- bensenergie der Eier, welche eintreten muss, wenn dieselben lan- gere Zcit unbefruchtet im Meerwasser verweilen, Wir entschlos- sen uns daher, die durch jene zufallig gemachte Beobachtung an- geregte Frage sogleich durch eine Reihe von Experimenten zu priifen und kounten so die interessante Thatsache feststellen, dass durch das Liegen im Wasser Veranderungen der Ei- zelle vor sich geheu, welche die Bastardirung be- gunstigen. Es ist das selbstverstandlich nur ein besonderer Fall aus einer ganzen Reihe von Erscheinungeu, auf welche wir zum Theil schon gelegentlich Riicksicht genommen haben, zum Theil ausfuhrlicher noch zuriickkommen werden. Denn wir gedenken spiiter die Frage- stellung zu erweitern, in wie weit aussere Einfliisse die Befruch- tungsfjihigkeit der Eizelle alteriren. Auf diesem Wege wird es moglich sein, so hoffen wir, in die Physiologic der Befruchtung ticfere Einblicke zu gewinnen. Unsere Untersuchungen wurden wahrend der Osterferien 1884 ausgcfiihrt und zwar der llauptsache nach in Sorrent, uachdem wir zuvor schon eiuige orientirende Beobachtungen in La Specia gesammelt luitten. Leider konnten wir ihnen nur 14 Tage wid- men, da die Ferien zu Ende giiigen. Noch mehr hatten wir zu beklagen, dass wir unter ungiinstigen iiusseren Verhitltnissen zu Icidcn hatten. Da wir anfangs beabsichtigt hatten, in der zoolo- gischen Station zu Neapel zu arbeiten, hatten wir von Spezia aus einen Theil unserer Ausriistung zuriickgesandt. In Neapel ange- Experiment. Untersuch. ub. d. Eediiitjuii}?en d. Bastardbefruchtung. 125 langt hielten wir uns abcr d.iselbst nur droi Tage auf iind wiihl- ten das iiah gelogene Sorrent, um unsere Studien fortzusetzen. Hier fanden wir nur unvoUkomnienc Gelegcnheit, das Fehlciide in der Ausrustung zu ergiiiizeii. Nun kann man ja in den moisten Fallen am Meer mit wenig Arbeitsgeriith auskommen. Unter- suchungen iiber Bastardirung machcn dagcgen einen umfangreiche- ren Apparat mindestens wiinschenswerth , da man gezwungeii ist, vit'le 'J'bicre am Leben zu erhalten und viele Eiitvvickjungsreiben anzusetzen und wiihrend liingcrer Zeit zu ziicbten. Aus naheliogenden und audi schon friiber enh'terten Griinden bodienten wii' uns der Echinodermeneicr und zwar da die See- Sterne siimmtlich keine reifen Sexualproductc batten, der Eier der Seeigel. Von denselben standen uns 4 Arten zur Disposition. Strongylocentrotus (Toxopneustes) lividus und Echinus mikrotuber- culatus, Sphaerechinus granulosus und Arbacia pustulosa (Echinori- daris aequituberculata). Die erste und die zuletzt genannten Arten sind in Sorrent sehr hitufig und werden von den Fischern fur Weib- chen und Miinnchen derselben Art gehalten; etwas seltener sind die grossen Sphaerecliinus granularis, doch immerbin noch Icicbt in aus- giebiger Menge zu erhalten. Der kleine Echinus mikrotuberculatus wurde uns dagegen nur einmal in 20 Exemplaren gebracht, deren Geschlechtsorgane noch nicht auf der Hohe der Reife angelangt waren, was die Verwerthung des Materials behinderte. In Spezia dagegen hatten wir uns die Thiere selbst an den Pfiihlen der Badeanstalt in reichlicher Menge verschaffen konnen und fanden sie daselbst in der Reife weiter vorgeschritten. Wenn es irgendwie miiglich war, benutzten wir zu unseren Experimenten frisch eingefangene Thiere. Denn so sehr auch die Seeigel lebensziih sind, so leiden die Sexualproducte doch in der Gefangenschaft, da die Thiere durch die reichlichen Faccalniassen, welche sie entleeren, das Wasser verpesten. Halt man aber die Thiere ausser Wasser in feuchtem Tang verpackt, so konnen die Excremente nicht entleert werden , und das in der Korperkapsel befindliche Wasser wird rasch ubelriechend. Schliesslich hatten wir noch iiber die Cautelen zu berichten, deren wir uns bedient haben, um zu verhiitcn, dass bei den Kreuz- befruchtungen nicht Verunreinigungen mit.dem Sperma derselben Art die Resultate triibten. In erster Linie ist hier die grosste Reinlichkeit bei der Handhabung der Instrumente unbedingtes Er- forderniss. Daher wurde jedes Instrument vor und nach seinem Ge- brauch jedesmal in Susswasser sorgfiiltig abgewaschen. Wir licssen 126 Dr. Oscar Hertwig u Dr. Richard Hertwig, es dabei durch 2 Gefiisse mit Siisswasser gehen; im ersteu wurde das Meerwasscr abgespiilt, im zweiteu, desseu Inlialt bei dem be- folgton Verfahren mit Mecrwasser so gut wie gar iiicht verunrei- nigt werden konnto, wurden die Instrumentc darin eiiiige Zeit be- lasscii. Der Umstand, (Jass Siisswasser aiif die Zellen der meer- bewolincnden Thiere eineu ilusserst verderblichen Einfluss austibt, und, wie wir uns durch besoiidere Versuche iiberzeugt habeij, auch die Sameiifaden rasch abtodtet, erleichtert alle Versuche iiber Knnizung bei Meertliieren weseiitlicli im Vergleich zu den Ver- suchcn mit Land- und Siisswasserbewohnern. Desgleichen wurden sell)stverstandlicher Weise auch die Oliiser, Porcelhinschalen und Uhrglilschen vor der Benutzung behandelt und die Hiinde mit Seife und Siisswasser gewaschen, bei jeder Gelegenheit, wo eine Uebertragung von Sperma durch sie mtiglich schien. Zweitens suchten wir so gut wie ganz die Verwendung von Metallinstrumenten zu vermeiden, da diese rasch sich oxydiren und schwieriger zu reinigen sind; dagegen gebrauchten wir fast ausschliesslicli zugespitzte Glasrohren, um Sperma und Eier zu mischen. Wenn wir von den zur Uebertragung dienenden Instrumenten absehen, so waren noch zwei weitere Fehlerquellen zu vermeiden. Einmal konnte das Meerwasser, welches zum Ansetzen der Kultur diente, von Anfang an Spermatozoon enthalten. Wir sclfopften da- her meist selbst in einem gut gereinigten Glas Seewasser von der Oberfliiche des Meeres jeden Tag mehrmals; aus diesem Glas durfte Wasser nur durch Ausgiessen oder mit Hilfe einer Rohre, welche zu keinem andern Zwecke dient(^, entnommen werden. Dass iibrigens im Wasser keine Spermatozoen enthalten waren , ging auch noch daraus hervor, dass die Eier in ihm sich nicht ent- wickelten , so lange nicht zum Zweck des Experiments Sperma hinzugefiigt worden war. Eine andere Fehlerquelle konnte dadurch hervorgerufen wer- den, dass die Oberfliiche eines Thieres mit Spermatozoen einer anderen Art verunreinigt ist. Deshalb ist es gut, jedes Thier vor dem Gebrauch wiederholt griindlich abzuspiilen oder, was noch besser ist, das Thier zu iiffnen und das Sperma, resp. die Eier, den G(!Schlechtsorganen zu entnelimen. Unter Anwendung der besprochenen Cautelen verfuhren wir nun folgenderniaassen. Wir iibertrug(!n mit Ililfe eines Glasrohrs von ein und demselben Weibcheu eine grosse Quantitiit Eier, die entweder spontan oder durch Druck auf den Eierstock ent- Experiment, Untersuch. iib. d. T^ediiigangea d. Bastardbefruchtuug. 127 leert wordeii wareii, in ein grosseres Gefilss mit reinoni Meer- wasser, welches bedeckt und dadurch vor Verunreinigung und Ver- dunstung geschiitzt wiirde. Nach eiiiiger Zeit versichertcn wir uns durch Beobaclitung unter doni Mlcroscop, dass saniintliche Kier unbefruchtet waren, dann entnahmen wir in Intervallen von 2 — 3 Stunden Eier aus dem Gefilss nnd befruchteten diesclben niit Sperma von einem Miinnchen anderer Art. Die Spermafiiissigkeit wurd(; j(!desmal frisch bereitet, indem ein Tropfen Sperma aus deni Hoden oder dem Vas deferens entnommen und mit reinem Seciwasser stark verdiinnt wurde. Fast stets wurde darauf Be- dacht genommen, dafs miinnliche Thiere derselben Art niclit auf dem Arbeitstisch oder iiberhaupt nicht ini gleichen Arbeitszimmer waren. Controlbefruchtungen der Eier mit Sperma dersell)en Art wurden stets in grosser Entfernung vom Arbeitstisch vorgenom- men, und dann wurde das zum Befruchten verwandte Glasr()hr- chen mit besonderer Aufmerksamkeit gereinigt. Bei den Echiniden hat man iibrigens noch ein Mittel an der Hand, um auch spater festzustellen, ob etwa erzielte Befruchtungen Kreuzbefruchtungen sind oder nicht. Es fallt sehr leicht, aus den Eiern die Phiteusformen zu ziehen; da diese nun fiir die ein- zelnen Arten charakteristisch sind, so ware es wohl denkbar, dass die durch Bastardirung geziichteten Pluteusfornien gemischte Cha- raktere besassen. Wir haben nach dieser Richtung leider keine Beobachtungen sammeln konuen, da wir in der Zeit zu beschrankt waren. Fiir das Verstandniss des Folgenden schicken wir noch einige Worte iiber bemerkenswerthe und bei den Experimenten zu beach- tende Begleiterscheinungen der Befruchtung voraus. Wenn man mit frischen kriiftigen Eiern und frischem kriiftigem Sperma operirt, so ist das erste Zeichen eingetretener Befruchtung, dafs sich rings vom Dotter die Dottcrhaut weit abhebt. Wir Lassen es dabei dahingestellt, ob dieselbe bei der Befruchtung neu gebiklet wird (Fol), oder als diinnes Hiiutchen schon vorhanden war und nur eine Verdickung erfahrt (Ebertii) oder endlich von Anfang an vorhanden war und nur dadurch deutlich wird, dass sich das Protoplasn)a des Eies von ihr zuriickgezogen hat. Wir halten uns an die Thatsache, dass beim befruchteten Ei die Dotterhaut von der Oberfliiche des Dotters durch einen weiten Zwischenraum ge- trennt ist. Unter normalen Verhaltnissen kann man dann sicher sein, dass stets nur 1 Spermatozoon eingedrungen ist. Bei langerem Liegen der Eier wird die Abhebung der Dotter- 128 Dr. Oscar Hertwig u. Dr. Richard Hertwig, membran, wic sclion bekannt ist, wesentlich verlangsanit ; man findet sie stellenweise blasenartig cmporgewolbt, wahrend sie an aiidcron Stellen noch anliegt, bis endlich der normale Zustand langsam erreicht wird. Dies fiihrt uns zu Fallen, wo man auf den erstcn Blick vcrmuthen mochtc, die Loslosung der Dotter- haut sei ganz unterblieben, wo aber cine iiiihere Priifung uns eines Besseren belelirt. Man findet dann die Dotterhaut ringsum abge- lost, aber durch einen so minimalen Sjialt von der Eioberflache getrennt, dass man ihn leicht ganz iibersieht. Die Eier unter- scheiden sich von unbefruchtcten nur durch ihre eigenthumlich scharfe Contourirung. Auch sie enthalten in ihrem Inneren nur einen einzigen Spermakern. Wenn die Eier 1 bis 2 Tage im Meerwasser gelegen haben, so sind sie in der Kegel noch nicht abgestorben , sondern sehen noch wie frisches Material aus. Bei Zusatz von lebenskriiftigem Samen indessen liebt sich keinc Membran vom Dotter ab; im Inneren dessclben bemerkt man nach Verlauf von 10 bis 20 Mi- nuten zwei, drei und mehr Strahlungen, die vom Eindringen ent- sprechend vieler Spermatozoen herruhren. In Folge der Polysper- mie treten unregelmassige Theilungen und Zerkluftungen der Ei- zelle und schliesslich Stillstand der anomalen Entwicklung und Zerfall ein. Nach unseren Erfahrungen lassen sich bestimratc Angaben iiber die Zeitintervalle, in welchen nach vorgenommener Entleerung der Eier die eben skizzirten Verilnderungen einander folgen, nicht machen. Es hangt dies von verschiedenen Ursachen ab. So sind bei einzelnen Thieren selbst die Eier, wclche man eben dem Ovar entnommen hat, von Anfang an nicht vollkoramen gleichartig, wie ja auch schon in iilteren Arbeiten hervorgehoben worden ist, dass die Eier von Weibchen, welche mehrere Tage lang in Gefangen- schaft gehalten worden waren, gleich Polyspermie zeigen. Ferner stellen selbst die frisch entleerten Eier ein und desselben Thieres durchaus kein gleichartiges Material dar. Manche besitzen eine griissere, andere eine geringere Lebeusenergie, wie wir spiiter noch des Nilheren nachweisen werden. Nach diesen einleitenden Bemerkungen wenden wir uns zur: Beschreibung der einzelnen Experimente. Zur besseren Uebersichtlichkeit besprechen wir die angestell- ten Experimente in zwei Kapiteln. Das eine Kapitel, auf welches Experiment. Tin tersuch. lib. cl. Bedingungen d. Bastardbefruchtung. 129 wir an erster Stelle oingcheii werden, enthalt die Kreiizungen, welche zwischen frischem Eimaterial und frischem Samen von 4 verschiedenen Seeigelarten , Strongylocentrotus lividus, Echinus mikrotuberculatus, Arbacia pustulosa, Sphaerechinus granulans vorgenommen wurden. In einem zweiten Kapitel stellen wir die Resultato zusammen, welche durch Bastardbefruchtung von Eiern, die durch iiussere Einfliisse in ihrer Constitution Veriinderungen erlitten hatten, gewonnen worden sind. I. Kapitel. Kreuaungsversuche mit frischem, unverandertem Material. l)Kreuzungen zwischen Strongylocentrotus li- vidus und Echinus mikrotuberculatus: a) Wenn man Eier von Echinus mikrotuberculatus mit Sperma von Strongylocentrotus lividus vermischt, so sieht man, dass nach wenigen Minuten die Eihaut iiberall wie bei normaler Be- fruchtung abgehoben ist. Nach 1| Stunden sind alle Eier in regelmassiger Weise zweigetheilt. Am folgenden Tage haben sich flimmernde Blastulae entwickelt, am dritten sind Gastrulae ent- standen, am vierten Tage hat sich das Kalkskelet angelegt. Zu dem gleichen Ergebniss fiihrte ein zweiter Versuch. b) Kreuzungen in entgegengesetzter Richtung ergaben andere Resultate. Als in einem Uhrschalchen zu Eiern von Strongylo- centrotus lividus Samen von Echinus mikrotuberculatus zugefiigt wurde , hob sich nur in sehr seltenen Fallen die Eihaut von dem Dotter ab. Fast alle Eier blieben ganz unverandert. Nach zwei Stunden war nur hie und da ein Ei zweigetheilt. Bei den ausserordentlich wenigen sich theilenden Eiern war die Ei- haut entweder nur ein wenig abgehoben oder sie lag dem Dotter noch ziemlich dicht auf. Am anderen Tage waren im Uhrschal- chen einige wenige flimmernde Blastulae zu bemerken, wahrend die Hauptmasse der Eier noch ganz unverandert war. Ein zweiter und dritter Controlversuch fiel genau in der gleichen Weise aus. Dass das Ausbleiben der Befruchtung nicht durch eine Schii- digung des Eimaterials hervorgerufen war, liess sich leicht fest- stellen, indem dieselben Eier, welche mit dem Samen von Echi- nus mikrotuberculatus vergeblich gekreuzt worden waren, noch . Bd. XIX. N. F. XH. Q 130 Dr. Oscar Hertwig u. Dr. Richard Hertwig, nacli Ablauf einiger Stunden niit deni Samen der eigenun Species befruchtet wurden. Jetzt hob sich alsbald die Eihaut iiberall ab, die Entwicklung begann und am aiideren Tage waren fast alle Eier zu Blastulae ausgebildet. Die eben beschriebenen Versuche sind von iins in Spezia an- gestellt worden, wo wir uns mit leichter Miihe zu wiederholten Malen den kleiuen Echinus mikrotuberculatus, der voUstiindig reife Geschlechtsprodukte enthielt, verschatfen kounten. 2) Kreuzungen zwischen Sphaerechinus granula- ris und Strongylocentrotus lividus. Beide Arten stehen in naherem verwandtschaftlichcn Verhiilt- nis zu einander, indem sie zu ein und derselben Abtheilung der Polypori gehoren. a) Wenn Eier von Sphaerechinus granularis, die mit eigenem Samen vollkommen befruchtungsfahig waren, mit Samen von Stron- gylocentrotus lividus gekreuzt wurden, so trat immer nur in we- nigen Fallen Abhebung der Dotterhaut und nach 1| Stunden Zwei- theilung ein. Die befruchteten Eier aber entwickelten sich zu voll- kommen normalen Morulae. b) Ein ahnliches Resultat erhalt man bei Krcuzung der Eier von Strongylocentrotus lividus mit Samen von Sphaerechinus gra- nularis. Wenn das Eimaterial ganz frisch ist, erfolgt nur in verein- zelten Fallen Befruchtung. Auch Eier, deren Gallerthiille von Spermatozoen der anderen Art dicht besetzt ist, entwickeln sich nicht. Dagegen werden sie noch Stunden nach der Kreuzung durch Samen der eigenen Art sofort befruchtet. Die Concentration der Samenflussigkeit scheint auf das Gelingen der Bastardirung ohne Einfluss zu sein. In einem Versuch wurde ein Theil Eier mit wenig Sperma, ein anderer Theil mit der vierfachen Menge vermischt. In beiden Fallen war die Anzahl der sich entwickeln- den Eier schatzungsweise die gleiche. 3) Kreuzungen zwischen A r b a c i a p u s t u 1 o s a und Strongylocentrotus lividus. Die Eier von Arbacia pustulosa, welche ziemlich undurch- sichtig und violett gefjirbt sind, wurden mit Samen von Strongy- locentrotus lividus vermischt. Ob hier eine Befruchtung eingetre- ten ist, kann nicht leicht sofort festgestellt werden, weil sich auch bei Zusatz des Samens der glcichen Art die Eihaut nur unmerk- lich vom Dotter abhebt und das eingiulrungene Spermatozoon in Experiment. Untersuch. lib. d. Bcdingungen d. Bastardbefruchtung. 131 der truben Dottersubstanz iiicht zir erkennen ist. Man muss da- her, urn das Resultat zu priifen, das Stadium der Zweitheilung abwarten. Danii kanii man feststellen, dass nur ein kleiner Brucli- tlieil der Eier befiuchtet wordcn ist und sich nach etwa zwei Stunden getheilt hat. Am anderen Tag schwimmon im Uhrschalchen vereinzelte Blastulae lierum , wiihrend die Hauptmasse der Eier unverilndert geblieben ist. Noch 24 Stunden spater haben sich aus den Bla- stulae Gastrulae entwickelt. Das Kreuzungsresultat ist hier etwa dasselbe, wie bei der Befruchtung der Eier von Strongylocentrotus lividus mit Samen von Echinus mikrotuberculatus. b) Bei Kreuzung in entgegengesetzter Richtung trat in meh- reren Versuchen gar kein Erfolg ein. Die Eier des Strongylocen- trotus lividus blieben bei Zusatz des Samens von Arbacia pustu- losa ausnahmslos unbefruchtet, entwickelten sich aber sofort, wenn nach Ablauf mehrerer Stunden Samen der gleichen Art hinzuge- fiigt wurde. 4) Kreuzungen zwischen Arbacia pustulosa und Sphaer echinus granularis. Beide Arten gehoren zwei verschiedenen Abtheilungen der Seeigel an. Das Resultat war etwa dasselbe, wie bei der Kreu- zung von Arbacia pustulosa mit Strongylocentrotus lividus. a) Wurden die Eier von Arbacia mit Samen von Sphaerechi- nus vermischt, so erfolgten nach zwei und einer halben Stunde nur sehr vereinzelte Zweitheilungen. b) In entgegengesetzter Richtung blieb die Kreuzung in einem Falle ohne jeden Erfolg. Bei zwei anderen Versuchen theilten sich einige Eier. n. Kapitel. Kreuzungsversuche mit Eiern, die durch aussere Einfliisse Veranderungen ihrer Constitution erlitten haben. Es lassen sich sehr zahlreiche und interessante Experimente anstellen, wenn man Eier vor ihrer Befruchtung verschiedenar- tigen ausseren Einfliissen unterwirft. Der Experimentator hat hier noch ein wcites, bisher ganz unangebautes Forschungsgebiet vor sich. Zur Inangriffnahme desselben haben wir, da uns die Arbeits- zeit am Meere sehr karg zugemessen war, gleichsam nur den er- 9* 132 Dr. Oscar Hertwig u. Dr. Richard Hertwig, sten Schritt thun konnen; so nahraen vvir nach melireren Rich- tungen vorlaufige Probeversuche vor; in niehr erschiipfender Weise untersuchten wir dagegen nur die Bastardirung von Eiern, deren Lebensenergie durcli verschieden langes Verweilen im Meerwasser in mehr oder minder bedeutendem Maasse herabgesetzt worden war. Nur iiber letztere Versuchsreihe wollen wir an dieser Stelle be- richten, wahrend wir iiber andere hierher gehorige Experimente weitere Mittheilungen uns fiir die nachste Zeit vorbehalten. Um zu priifen, ob Eier, jc nachdem sie kiirzere oder langere Zeit im Meerwasser verweilt haben, in verschiedener Weise gegen Samen einer anderen Art reagiren, kann man zwei Methoden der Untersuchung wiihlen. Entweder man nimmt von einer grosseren, im Meerwasser aufgehobenen Portion Eier kleine Proben in Inter- vallen von mehreren Stunden heraus und befruchtet dieselben in Uhrschalchen und vergleicht die in den einzelnen Eallen erzielten Resultate mit einander, indem man jedesmal die Zahl der be- fruchteten und der unbefruchtet gebliebenen Eier abschatzt; oder man fiigt zu ein und derselben Portion Eier frischen Samen zu wiederholten Malen und zwar in denselben Zeitintervallen wie bei der ersten Metliode hinzu. Man hat dann festzustellen, ob beim zweiten, dritten oder vierten Spermazusatz noch weitere Eier bastar- dirt werden konnen. Zur grosseren Sicherheit der allgemeinen Re- sultate haben wir beide Wege eingeschlagen und gleichzeitig zwei sich kontrolirende Versuchsreihen vorgenommen, indem der eine von uns die Eier von Strongylocentrotus lividus mit dem Samen von Sphaerechinus granularis, der andere die Eier von Sphaer- echinus granularis mit Samen von Strongylocentrotus lividus ba- stardirte. Nebenher wurden auch noch einigc Kreuzungen der vorbe- nannten Arten mit Echinus mikrotuberculatus, allerdings nur mehr versuchsweise, veranstaltet. Um darzuthun, dass der ungleiche Erfolg der Bastardirung nicht von Verschiedenheiten der angewandten Samentlussigkeiten abhilngt, haben wir schliesslich noch eine Versuchsreihe in der Weise durchgefiihrt, dass mehrere Portionen Eier von Strongylocen- trotus lividus, die von verschiedenen Weibchen abstammtcn und ungleiche Zeitriiume im Wasser gelegcn batten, mit Samen von Sphaerechinus granularis, der in einem Uhrschalchen mit Wasser verdiinnt worden war, gleichzeitig und in gleicliem quantitativem Verhiiltniss gekreuzt wurden. Experiment, Untersuch. lib. d. Bedingungcn d. Baslardbefruchtung. 133 A. IHoditinHc Rastiirdlicrriichtiing dcr V'wr von Sre Zahl von Eiern keine Spur von Furchung, withrend sich bei der nor- malen Befruchtung fast alle furchten. *) E. Pfll'gek, Die Eastardzeugung bei deu Butrachieru. Archiv f. d. gesammte Physiologie Bd. XXIX. Experiment, Untersuch. iib. d. Bedingungen d. Bastardbefruchtung. 140 Eine Bastardirung in cntgcgengcsetzter Richtung von Eiern der Tritoneii niit Samen von Riina fusca war niclit moglich. Bci scinen Versuchen erhielt PflOger noch ein anderes bc- merkenswerthes Resultat: Er fand namlich, dass die Krcuzung zwischon den Eiern von Rana fusca und Triton nicht zu jed'er Zeit gluckte, dass wiihrcnd vor dem 23. April fast alle Ver- suche ein positives Resultat ergaben, nach dem 23. April alle negativ ausfielen. Er erklart dicse Erscheinung daraus, dass die Eier den Hohepunkt ihrer Entwicklung iiberschritten batten, und stellt den Satz auf: „Wenn Bastardbefruchtung ein positives Ergebniss erzielen soli, so miissen Ei und Same auf dem Hohepunkt ihrer Entwicke- lung und Empfjinglichkcit fiir die Zeugung angelangt sein. Zu einer Zeit, wo das Ei auf den Samen der eigenen Art noch kraf- tig reagirt und sich in normaler Weise entwickelt, kann es die Empfilnglichkeit fiir den Samen einer anderen Art, fiir die Bastard- befruchtung, bereits total verloren haben," Eine nicht minder interessante und wichtige Reihe von Unter- suchungen verdanken wir den Bemiihungen von Born ' ), welcher hauptsachlich mit Rana arvalis und Rana fusca, mit Bufo com- munis und Bufo variabilis, mit Bufo communis und Rana fusca experimentirt hat und zu folgenden Ergebnissen gelangt ist: „Unter gewissen Bedingungen lassen sich die Eier von Rana arvalis mit Samen von Rana fusca befruchten, sie furchen sich regular ab und lassen sich bis zur Umwandlung aufziehen. Das Gelingen der Bastardirung hangt in ausserordentlicher Weise von dem Umstande ab, dass die benutzten Thiere sich auf der vollen Hohe der Brunst befinden. In mehreren Versuchen zeigte sich die bastardirende Kraft des Samens der einheimischen Rana fusca fiir Eier von Rana arvalis vollstandig erschopft. Desgleichen wird die Bastardirung in merkwiirdiger Weise von der Concentration der benutzten Samenfliissigkeit beeinflusst; bei Verdiinnungen der Samenfliissigkeiten , welche bei normaler Befruchtung noch die besten Resultate geben, erfolgt bei der Bastardirung so gut wie gar keine Furchung. Bci geringerer Verdiinnung furcht sich die Mehrzahl der Eier nach dem regularen Typus; mit ganz unver- mischtem Samen wird eine eigenthiimliche Art von ganz unregel- niassiger Furchung hervorgerufen, die durch das gleichzeitige Auf- ') BoKN, Beitrage zur Bastardirung zwischen den einheimischen Anurenarten. Archiv f. Physiologie Bd. XXXII. 15C) Dr. Oskar Her twig u. Dr. Richard Hertwig, treteu zahlreicher polygonaler Felder ausgezeichnct ist und zur schleunigen Decomposition der Eier tiihrt." Born bezeichnet die- selbe als Barockfurchung und hat uber sie in einer vor- laufigen Mitthcilung ') kurzlich berichtet, dass sie durch das gleich- zeitige Eindringen zahlreicher Sperniatozoen hervorgerufen werde. Zum Theil ahnliche Resultate gewann Born an anderen Ob- jecteii, woriiber das Niihere aus der citirten Abhandlung zu er- sehen ist. — Er sucht nun fiir den ungleichen Ausfall der Bastar- dirung bei verschiedenen Arten, sowie fiir die Ungleichheit des Resultats, welches je nach der Concentration der angewandten Samenfltissigkeit erhalten wird, einen Erklarungsgrund in der un- gleichen Beschaffenheit der Spermatozoen. Er macht aufmerksam auf die verschiedene Form des Samenfadenkopfes bei Rana fusca, Rana arvalis und esculenta, Bufo und Bombinator, sowie darauf, dass die Spermatozoen entfernter stehender Arten, die sich bastar- diren lassen, einander oft ahnlicher sind, als diejenigen nahe ver- wandter. In Zusammenhang hiermit schreibt er ihnen eine ver- schiedene Fahigkeit zu in Bezug auf das Durchdringen durch ver- schieden gebaute Gallerthiillen, Ausserdem aber glaubt Born auch noch namentlich zur Er- klarung der Erscheinungen der regularen oder irregularen Fur- chung uns unbekannte individuelle Verschiedenheiten zwischen den Spermatozoen ein und derselben Art annehmen zu mtissen, in Folge dessen die Eier in ungleicher Weise auf sie reagiren. So laufen nach Born's Ansicht die Vorgiinge, die durch das Nahen Oder Eindringen der ersten Spermatozoen der eigenen Art im Ei angeregt werden und die dazu fiihren, die nachfolgenden Sperma- tozoen auszuschliessen, bei der Bastardirung auf den inaquaten Reiz der fremden Spermatozoen so langsam und so unvollkom- men ab, dass, wie bei Fol's geschwachten Eiern, unter Umstanden noch mehrere Spermatozoen einzudringen vermogen und dann einen raschen unregelmassigen Zerfall der Eier in ungleiche, kleine und grosse Theilprodukte hervorrufen. In demselben Ileft des physiologischen Archivs, in wclchem Born's Arbeit erschienen ist, hat PflI^ger-) noch eine zweite ausfiihrlichere und an Thatsachen reiche Abhandlung iiber „dic ^) G. BoKN, Ueber die inneren Vorgiinge bei dor Bastai'dbefruch- tung der Froscheier. Breslaucr iii-ztliche Zeitschrift, 23. August 1 H84. ^) Pfluger , Untersuchuugen iiber Bastardirung dor auuren Ba- trachier und die Principien der Zouguug. Archiv f. rhysiologie. Bd. XXXII, 1883. Experiment. Untersuch. iib. d. Bedingungen d. Bastardbefruchtung. 151 Bastardirung der anureu Batrachier und die Principicn der Zcu- gung" vcroffentlicht. Durch Kreiizuiig von 10 verschiedcnen Krci- tenartcii zeigte er, dass bald reciproke, bald iiur einscitige, bald gar keine Bastardirung moglich ist; dass niit wenigen Ausnahmen die Bastatde bald abstcrbcn, dass Bastardirung zwischcn nahc verwandten Arten crfolglos bleiben kann, wilhrend sie bci cnt- fernter stehenden moglich ist, dass bei der Kreuzbefruchtung ne- ben reguliiren immer auch mehr oder minder irreguliire Entwick- lungen und unbefruclitete Eier vorkomnien. Indem PflCger nach den Ursachen des so ungleichcn und scheinbar regellosen Erfolges der Kreuzbefruchtung forscht, halt cr es fiir sehr wahrscheinlich , dass die irreguliire Furchung so- wohl als der ganz negative Erfolg bei der Kreuzung der Anuren nur secundiiren und nebensachlichen Complicationen ihren Ur- sprung verdanken. Das wahre Gesetz sei wahrscheinlich: „reci- proke Fruchtbarkeit bei alien Arten mit normaler Furchung und — mit seltenen Ausnahmen — Absterben wahrend der ersten Entwick- lung." Doch sollen sich die Geschlechtsprodukte nur wahrend kurzer Zeit in einem Stadium befinden, in welchem sie sich zur Bastardirung eignen. „Dieses Stadium", bemerkt PflOger, „fallt in die Hochbrunst. Nach Ablauf derselben reagiren dieselben Eicr noch ganz normal auf den Samen der eigenen Art. Diese That- sache zeigt, dass auch das unbefruchtete Ei und der Same vor der Befruchtung in einer continuirlichen inneren Veranderung be- griffen sind. Scharf ausgesprochen und sehr auffallend ist dieses ^Gesetz fiir das Ei giiltig, wahrend der Same viele Wochen vor und nach der Hochbrunst noch immer Bastardbefruchtung er- moglicht." Die so haufig zu beobachtende Einseitigkeit der Bastardbe- fruchtung fiihrt auch PflOger auf grob mechanische, secundare Ursachen zuriick. In ahnlicher Weise wie Born legt er ein bc- sonderes Gewicht auf die Beschaffenheit der Spermatozoen, indem er glaubt constatirt zu haben, dass 1) im Allgemeinen diejenigen Spermatozoen am geeignetsten sind zur Vermittelung der Bastard- zeugung, deren Kopf am diinnsten und deren vorderes Ende am spitzesten ist; und dass 2) im Allgemeinen die Eier der Bastard- befruchtung am zuganglichsten sind, wenn die zugehorigen Sper- matozoen derselben Art dickere Kopfe haben." Zu dieser Erklarung wurde PflDger veranlasst, well die Spermatozoen von Rana fusca, die fast alle Eier befruchten, unter alien Arten den diinnsten Kopf haben, der ausserdem sehr spitz 152 Dr. Oskar Hertwig u. Dr. Richard Hertwig, auslauft, weil ferner die dickkopfigsten Spermatozoen rait stum- pfer vorderer Spitze, wie diejenigen von Rana arvalis und R. escu- lenta, kein fremdes Ei bcfruchteii konnen. Am meisten aber findet er seine Ansicht dadurch bestatigt, das^s gerade die beiden Arten, welche Spermatozoen mit gleich geformten und gleich grossen K()pfen besitzen, Rana esculenta und R. arvalis, vollkom- men reciproke Bastardbefruchtung zeigen. PrLtiGER setzt daher bei den Eiern die Anwesenheit einer Mikropyle voraus, die ge- rade so weit ist, dass das Spermatozoon der eigenen Art pas- siren kann. Die Unregelmassigkeit der Furchung glaubt PflOger niclit auf das Eindringen vieler Spermatozoen, wie Born annimmt, zu- riickfiihren zu mussen, sondern eher darauf, dass bei alien Bastar- dirungsversuchen dem fremden Samen ein besonderes Hinderniss im Wege stehe , um zu dem Eie vorzudringen , zum Beispiel , die Beschaffenheit der Gallerthiille oder die Enge der Mikropyle. Er denkt sich den Vorgang so, dass Samenfaden auf ihrem Wege stecken bleiben , obwohl schon die Spitze des Kopfes in den Dot- ter eingedrungen ist, wahrend der iibrige Theil des Kopfes noch in der Eihaut und der umgebenden Gallerte haftet, oder dass bei Vorhandensein einer Mikropyle die Spitze des Kopfes eindringt und den Dotter erreicht, der dickere Theil des Kopfes aber wegen Enge der Mikropyle sich festkeilt. In derartigen Fallen soil der in den Dotter eingedrungene Theil des Kopfes eines plotzlich fest- gehaltenen Spermatozoons in Partikel zerfallen und dadurch die Bedingung zu abnormer Furchung geben. Den Vorgang, in wel- chem nur in grosserer Zahl abgerissene Theile eines Spermatozoon befruchten, nennt PflCger eine „fractiouirte Befruchtung". Nach diesem historischen Uberblick wenden wir uns zur Be- sprechung der allgemeinen Resultate, welche sich aus unseren eigenen Expcrimenten und aus denen der angefiihrten Forscher gewinnen lasson, wobei sich zugleich in mehrfacher Hinsicht tJbereinstimmungen , in anderer Hinsicht Differenzpunkte ergeben werden. tJbereinstimmung findet statt in der Feststellung folgender allgemeiner Erscheinungen , welche in gleicher Weise bei der Ba- stardirung der Amphibien und der Echinodermen vvicdcrkchren. Erstens: Das G din gen oder Nich tgeliiigen der Bastardirung hiingt nicht ausschliesslich von dem Grade der systematischen Verwandtschaft der ge- krcuzten Arten ab. Experiment. Untcrsuch. lib. d. Bedingungen d. Bastardbefruchtung. 153 Wir konnen beobachten, dass Arten, die in ausscrlichen Merk- malen sich kaum von cinander unterscheiden , sich nicht krcuzen lassen, wahrend es zwischen relativ cntfcrnt stehenden, verschie- denen Familien und Ordnungen angehoreuden Artcn moglich ist. Die Araphibien liefern uns hier besonders treffende Beispiele. Rana arvalis und Rana fusca stimmen in ihrem Aussehen fast voUstandig iiberein , trotzdeni lassen sich die Eier der letzteren mit deni Samen der ersteren nicht befruchtcn, wahrend in einzel- nen Fallen Befruchtuug niit dem Samen von Bufo communis und sogar von Triton moglich war. Dieselbe Erscheinung liess sich, wenn auch weniger deutlich bei den Echinodermen constatiren. Immerhin muss aber im Auge behalten werden, dass die sy- stematische Verwandtschaft t'iir die Moglichkeit der Bastardirung ein wichtiger Factor ist. Denn zwischen Thieren, die soweit aus- einander stehen, wie Amphibien und Saugethiere, Seeigel und Scesterne, ist noch niemals eine Kreuzbefruchtung erzielt worden. Dafiir, dass ausser dem Grade der systematischen Verwandt- schaft auch noch andere Factoren ins Spiel koramen, spricht nichts dcutlicher als die zweite Reihe der allgemeinen Erschei- nungen, welche wir in tjbereinstimmung mit PflUger und Born auch bei den Echinodermen haben constatiren konnen. In der Kreuzbefruchtung zweier Arten besteht sehr haufig keine Reciprocitat. Alle moglichen Abstufungen finden sich hier. Wahrend Eier von Echinus microtuberculatus sich durch Samen von Strongylo- centrotus lividus fast ohne Ausnahme befruchten lassen, wird bei Kreuzung in entgegengcsetzter Richtung nur in wenigen Fal- len eine Entwickelung hervorgerufen. Die Befruchtung frischen Eimaterials von Strongylocentrotus lividus durch Samen von Ar- bacia pustulosa bleibt erfolglos, dagegen entwickeln sich von Ar- bacia pustulosa immerhin einige Eier, wenn ihnen Samen von Stron- gylocentrotus lividus hinzugefugt wird, und so ahnlich noch in anderen Fallen. Es ist zur Zeit somit gar nicht moglich, gesetz- massige Beziehungen zwischen Bastardirungen in entgegengcsetzter Richtung nachzuweisen. Sicher gestellt ist endlich eine dritteThatsache! Fur das Geiingen oder Nich tgelingen der Bastardirung ist die jeweilige Beschaffenheit der zur Kreuzung verwandten Geschl echtsproduc te von Wichtigkeit. 154 Dr. Oscar Kortwig u. Dr. lUchard Hertwig, PfU'-ger und BoKN haben bei den Amphibien, wir bci den Echinodermen nachgewicscn, dass die Eier ciner Art A sich mit deni Saineii B unter bestimmtcn Verhaltiiissen und zu bestinimten Zeitcn kreuzen lassen , in anderen Fallen wieder nicht. In den Geschlcchtsproducten ist, wenn man so sagen darf, einc veriinder- liclie Disposition fiir die Bastardirung vorhanden. Dies lasst sich schon aus dcm einfachen Unistande, dcr bei alien Versuchen wird beobachtet werden konnen, erschliessen, dass von Eiern, die bastar- dirt werden sollen, sich inimer nur ein grosserer oder geringerer Proccntsatz entwickelt, wahrend der Rest gegen den Samcn der anden;n Art unenipfanglich ist, sich aber bei Zusatz von Samen dcr cigencn Art sofort befruchten lasst. Nur selten sind solche Fiille, in denen sich die Eier einer Art ausnahmslos gegen frem- den Samen, ganz ebenso wie gegen eigencn vcrhalten. Bei alien von uns untersuchten Echinodermenarten trat dies nur ein bei den Eiern von Echinus raikrotuberculatus, wenn sic mit Samen von Strongylocentrotus lividus befruchtet wurden. ' Wahrend wir in den eben angefuhrten drei Siitzeu zu densel- ben Ergebnissen , wie PflIjgek und Born gelangt sind, ergeben sich Meinungsverschiedenheiten in einigeu anderen nicht minder wichtigen Punkten. So weichen wir erstens von PflUger und Born ab bei der Beantwortung der Frage: welches von beiden Geschlechtsproduc- ten das veranderliche ist, und wie sich die Verauderlichkeit in den verschiedenen Stadien der Entwickelung aussert. Nach PflUger und Born eignen sich die Sexualproducte am meisten zur Bastardirung auf der Hohe der Brunst, das heisst: zur Zeit, in wclcher sich aller Wahrscheinlichkeit nach die Ge- schlechtsproducte auf der Hohe ihrer Entwickelung befinden und somit die grosste Lebensenergie besitzen. Zu Gunsten dieser Ansicht fuhrt PflCger Versuche an , die am 21. und 22. April angcstellt wurden und das auffallende Re- sultat orgaben, dass kein Ei der Rana arvalis mehr durch den Samen der Rana fusca befruchtet werden konnte, obwohl dies vor- her in ergicbiger Weise moglich war, und obwohl dieselben Eier schr energisch auf den Samen der eigenen Art, ja sogar auf den Samen der Rana esculenta reagirten. Born berichtet, dass in seinen Bastardirungsversuchen zuerst die Mannchen der einheimischen Rana fusca versagten. „Am Experiment. Unlersuch. lib. d. Bedingungeii d. Baslardhefruchtung. 155 26. April gelang mit densclben", heisst es in der oben angcfiihr- ten AbhandluDg, „keine einzigo Bastardiruiig mchr, wjihrcud, win ich aus anderen Versucheii wciss, der Samen der Rana fusca fur die Eier der eigenen Art noch wirksam war. Am 25. April war mit cinem Mannchen noch einc Bastardirung gelungcn, die andere nicht. Auch schon in den vorhergehenden Tagen war ein Nach- lasscn der Wirkung des Samens der Rana fusca im Vergleich zu dem ersten Versuch, der noch wahrend der eigentlichen Brunstzeit aus- gcfiihrt wurde, die dieses Jahr hier etwa am 20. April ablief, merklich. Die Eier der Rana arvalis furchten sich bis zum 26. April nicht nur bei Zusatz der (verdiinnten) Samenflussigkeit der eigenen Art in fast vollkommener Weise, sondern liessen sich noch am 28. April mit der Samentliissigkcit frisch angelangter Schwei- zer Frosche, die sich noch in Brunst befanden, mit gleichem Er- folge wie im ersten Versuche bastardiren, obgleich zur selben Zeit auch keiu einzigcs trachtiges Weibchen von Rana arvalis im Freieu mehr aufzutreiben war". In den Angaben von PflUger und Born ist ein Differenz- punkt bemerkenswerth. PflUger legt das Hauptgewicht darauf, dass sich vornehmlich die Eier auf dem Hohcpunkt ihrer Ent- wickelung befinden. Das von ihm aufgestellte Gesetz, bemerkt er, sei bcsonders fiir das Ei giiltig, wahrend der Same viele Wochen vor und nach der Hochbrunst noch immer Bastardbefruchtung er- mogliche. Demgemass leitet er auch die von Born erzielten bes- seren Bastardirungsresultate von dem Umstande ab, dass dieser frischere Eier der Rana arvalis benutzen konnte. Born dagegen lasst in der befruchtenden Kraft des zur Bastardirung verwandten Sperma Veriinderungen eintreten. Auch der Concentration der benutzten Samenflussigkeit schreibt er eine Bedeutung fiir den Erfolg der Bastardirung zu. Nach seinen Bcobachtungen haben Verdiinnungen des Samens oder des Hoden- saftes, welche die Eier der eigenen Art ausnahmslos befruchten, auf die Eier der Rana arvalis gar keine Wirkung mehr zur selben Zeit und in denselben Versuchen, wo starkere Samenfliissigkeiten die Erscheinungen der Barockfurchuug hervorriefen. Das Untersuchungsmaterial, auf welches PflUger und Born angewiesen waren, hat unzweifelhaft eine Reihe von Nachtheilen, welche bei der Beurtheilung ilirer Resultate in Anrechnung ge- bracht werden miissen. Erstens ist es schwierig, das ungefahre Alter der Sexualprodukte, namentlich bei den Weibchen, auch nur ungefiihr zu bestimmen. Bekanntlich erfolgt die Entleerung der 156 Dr. Oscar Hertwig u. Dr. Richard Hertwig, Eier bei den Batrachiern nur uiitcr Beihiilfe des Mannchens; ist letztcre, wie es (loch bei Bastardirungeii nicht anders scin kann, ausgeschlossen, so verweilen die Eier im Uterus, bis sie sich zer- setzen. Da nun wohl nur in den seltensten Fallen dcr Zeitpunkt der eigentlichen Eireife, welcher durch die Loslosung der Eier aus deni Ovar und ihren Uebertritt in den Uterus gegeben ist, hat bestimnit werden konnen, so konnten die genannten Forscher auch nicht erniitteln, in welchem Zeitpunkt der Entwicklung sich das Einiaterial ihrer Experimente befand, wie weit es sich der Zeit des Zerfalls geniihert hatte. Ein zweiter Uebelstand ist darin gegeben, dass die Sexual- produkte der Amphibien unter deni Einfluss der Gefangenscliaft leidcn. Wie viel mehr miissen dieselben alterirt werden , wenn sich zu diescn Nachtheilen noch die schadigenden Einflussc eines Transports auf weite Streckeu hinzugesellen. Drittens ist der Experimentator bei den meisten Amphibien auf einen kurzen Zeitraum angewiesen, da die Geschlechtsthjitig- keit sicli auf den Zeitraum weniger Wochen zusammendrangt. In alien diesen Punkten bieten die Echinoderraen gunstigere Bedingungen. Man findet hier zu jeder Zeit, wenn auch nicht immer gleicli hiiufig, geschlechtsreife Thiere, da jedes Thier wie- derholt ira Jahr, wie es scheint, in vierwochentlichen Intervallen seine Sexualprodukte zur Reife bringt. Die Eier werden aus deni Ovar direct nach aussen entleert, auch wenn nicht die Nilhe eines Mannchens als Reiz wirkt. Man findet endlich Thiere von verschiedenen Arten gleichzeitig geschlechtsreif. Das sind die Griinde, warum wir wesentlich andere und vor Allem coustantere Resultate erzielt haben als PflCger und Born, und weshalb wir glauben, fiir dieselben grossere Sicherheit beansprucheu zu konnen. Unsere Resultate sind nun folgende: Der verschiedene Erfolg der Bastardirungsexpe- rimente hangt fast ausschliesslich von derVeriin- derlichkeit der Eier ab. Am schlagendsten geht dies hervor aus unseren Experimcn- ten, die nacli der Methode der succcssiven Nachbefruchtung vor- gcnomnicn wurden. Da die Echinodermencier sich, ohne ihrc Ent- wicklungsfahigkeit zu verlieren, 24 bis 48 Stunden in Meerwasscr conserviren lassen, so kann der Experimentator ein und dasselbe Ei-Quantum zu wicderholten Malen und zu verschiedenen Zeiten rait fremdem Samen kreuzen. Da ferner das Eindringen der Sper- Experiment. Uutersucli. lib. d. Bedingungen d. Bastardbefruchtuug. 157 matozoen (lurch kciiie Hullbildung oder andere Veihilltnisse er- schwert wird, so kommt hier bei Zusatz einer geniigenden Samen- menge jedesmal ein jedes Ei ohne Ausnahnie iiiit muhrorcn Sper- matozoon in Beriihriing, wie man denn auch immur dercn vide der Eioberfiiiche bei mikroskopischer Untersuchung anhaften sieht. Wir haben nun gefunden, dass Eier, welche gleich nach ihrer Entleerung aus dem strotzend gcfiillten Eierstock bastardirt wur- den, das fremde Spermatozoon zuriickwicsen , es aber nach 10, 20 oder 30 Stunden bei der zweiten oder dritten oder vierten Nachbefruchtung in sich aufnahmen und dann sich normal weiter entwickelten. Das Resultat fiel immer in derselben Weise aus, niochten wir die Eier von Strongylocentrotus lividus mit Samen von Si)haerechinus granulans oder von Echinus mikrotuberculatus, oder mochten wir die Eier von Sphaerechinus granulans mit Sa- men von Strongylocentrotus lividus und so weiter kreuzen. Das Gelingen oder Nichtgelingen der Bastardirung kann in unseren Fallen nicht auf eine Verschiedenheit des Samens zuriick- gefiihrt werden, da derselbe jedesmal neu aus dem strotzend ge- fiillten Hoden entnommen wurde und daher bei den Versuchen als ein relativ constant bleibender Factor angesehen werden konnte. Hier ist es tiber jeden Zweifel erhaben, dass sich allein die Ei- zelle in ihrem Verhalten gegen die Einwirkung des fremden Sa- mens verandert hatte. Wenn aber uberhaupt in der Eizelle Verilnderungen eintre- ten oder kiinstlich hervorgerufi^i werden konnen, in Folge deren die Bastardirung gelingt, dann muss es vom theoretischen Stand- punkte aus auch moglich sein, die Geschlecbtsprodukte zweier Arten, zwischen denen ein gevvisser Grad sexueller Affinitiit besteht, auch ohne Zuriickbleiben eines unbefruchtcten Restes zu bastar- diren. Man wird dann je nach den Bedingungen, unter denen man die Geschlecbtsprodukte zusammenbringt, ein Minimum und ein Optimum der Bastardirungsfahigkeit unter- scheiden konnen. Auch hieriiber haben unsere Experimente Licht verbreitet, indem wir das Eimaterial eines Weibchens in mehrere Portionen theilten und zu ungleichen Zeiten befruchteten. Stets erhielten ■**' wir hier den geringsten Procentsatz Bastarde, wenn den Eiern gleich nach Entleerung aus den Ovarien der fremde Samen zuge- setzt wurde. Hierbei haben wir keine Unterschiede constatiren konnen , ob die Eier aus einem strotzend gefiillten Eierstock stammten, oder ob es die ersten Eier einer neu beginnenden Fort- 158 Dr. Oskar Hertwig u. Dr Richard Hertwig, pflanzungsperiode waren oder ob sie den zuriickgebliebenen Rest eines vor eiiiiger Zeit entleerten Eimaterials darstellten. — Je spa- ter die Befriichtung geschah, sei es iiach 5 oder. 10 oder 20 Oder 30 Stunden, um so mehr wuchs dcr Procentsatz der bastar- dirten Eicr, bis schliesslich ein Bastardirungsoptimum erreicht wurde. Als solclies bezeichnen wir das Stadium, in welcliem sich fast das gesammte Eiquantuni, mit Ausnahme einer geringen Zahl in normaler Weise entwickelt. Dasselbc ist, da sich in den Eiern iunere Verjinderungen ohne Unterbrechung weiter abspielen , von kurzer Dauer. Dann beginnt der Procentsatz der in Folge von Bastardbefruchtung sich normal entwickehiden Eier wieder abzu- nehmen und zwar hauptsachlich deshalb , weil ein imnier grosser werdender Theil in Folge des Eindringens mehrerer Spermato- zoen sich ganz unregelmassig theilt und missgebildet wird. Die Erfolge, die man erhalt, wenn das Eimaterial zu ver- schiedenen Zeiten gekreuzt wird, kann man sich unter dem Bild einer auf- und absteigenden Curve darstellen , deren Hohepunkt das Bastardirungsoptimum bezeichnet. Zur Veranschaulichung diene folgende Versuchsreihe einer Kreuzung der Eier von Sphaerechi- nus granulans mit Samen von Strongylocentrotus lividus. 1) Befruchtung nach ^ Stunde: Aeusserst vereinzelte Eier entwickeln sich. Bastardirungsmi- nimum. 2) Befruchtung nach 2} Stunde: Etwa 10 ^ entwickeln sich normal. 3) Befruchtung nach 6j^ Stunde: Etwa 60^ entwickeln sich normal. 4) Befruchtung nach 10;^ Stunde: Alle Eier entwickeln sich mit Ausnahme von 5 ^. Bastardirungs- optimum. 5) Befruchtung nach 25 Stunden: Ein Theil entwickelt sich normal, ein zweiter in unregelmassiger Weisc, ein kleiner Rest bleibt unbefruchtet. Man sieht, das Resultat ist ein entgegengesetztes , als es PplUgeu fiir die Amphibicn darstoilt. Bei den Echinoder- nien lassen sich die Eier, nicht wenn sie am lebens- krJlftigsten sind, sondern bei abnehmender Lebens- energie durch Sperm a einer anderen Art befruchten. Den Zeitpunkt griisster Lebensenergie verlegen wir bei normalen Yerhilltnissen in das Stadium der Eientleerung und nehmen an, Experiment. Uutersucb. ub. d. Bedingungen d. Bastardbefruclitung. 159 (lass von da ab die Lebensenergie eine allmiihliche Abnahme er- fiihrt. Wir konnen hierfiir ganz bestimmte Bevveise beibringen. Am lebenskriiftigstLMi sind doch unzweifelhaft die Eier, bei welchcn sicb die Dotterliaut unter dem Einfluss dor Befruchtiing rasch abhebt und mir ein Spermatozoon eindringt. Nun kann man regclmiissig sehen, wie proportional der Zeitdauer, welche die Eier nach der Entleerung im Wasser verweilen, sich die Mem- bran langsamer abhebt, wie sie spiiter zvvar abgehoben, aber nur durch einen minimalen Spalt von der Eioberfliiche getrennt wird. Noch spiiter unterbleibt die Abhcbung der Eimembran, es tritt Poly- spermia ein, die Entwicklung wird pathologisch, endlich erhalten wir vollige Entwicklungsunfilhigkeit, die niit Zerfall der Eier ab- schliesst. Wir haben so eine Reihe von ausserst priignanten Zci- chen abnehmender Lebensenergie. Je geringer nun die Affinitat der Sexualprodukte ist, um so welter riickt das Bastardirungsoptinium in die, Stadien abnehmen- der Lebensenergie der Eizellen hiuaus. Zum Beispiel lassen sich die Eier von Echinus mikrotuberculatus sammtlich noch mit ab- gehobener Eimembran bei Zusatz des Samens von Strongylocen- trotus lividus befruchten ; wenn wir aber Eier von Sphaerechinus granularis und Samen von Strongylocentrotus lividus anwenden, so riickt das entsprechende Optimum der Bastardirung in die Zeit hinaus, wo die Eimembran nur unvollkomnien abgehoben wird. Eine weitere Verschiebung des Optimum liess sich bei den iibri- gcn Kreuzungen erkennen. Wir sind nun der Ansicht, dass bei den Amphibien die glei- chen Verhaltnisse vorliegen. Wenn daher Pflijger den gunstig- sten Moment der Bastardirung in die Zeit der hochsten Geschlechts- reit'e der Eier verlegt, so glauben wir, dass dieser Moment bei seinen Versuchen schon voruber war und dass das Eimaterial schon gelitten hatte. Diese Annahme hat durchaus nichts Un- wahrscheinliches, wenn wir, worauf schon oben aufmerksam ge- macht wurde, in Erwagung ziehen, dass die Eier beim Transport der Thiere leiden, dass bei der Trennung der Piirchen das Fort- pflanzungsgeschaft gestort wird und dass es nicht moglich ist, das Alter der Eier zu bestimmen. Audi findet diese Annahme noch in einigen Angaben von PpLtiGER und Born tiber die weitere Ent- wicklung eine ueue Stiitze. Beide Forscher haben niimlich fast in alien Fallen, in denen Bastardbefruclitung erzielt werden konnte, auch beobachtet, dass neben den normal sich entwickelndenBastard- eiern stets eine kleinere oder grossere Zahl missgebildeter und IGO Dr. Oskar Hertwig u. Br. Eichard Hertwig, barockgefurcliter Eier vorhanden waroii. Die Barockfurchung ist (lurch Eindringen zahlreicher Spcrmatozoeu veraiilasst worden. Letzteres aber ist wiederum cin Zeichen , dass die Eier nicht mehr ganz frisch waren. Wir verallgemeinern hier unsere bei Echinodennen gewonnenen Erfahrungen , wozu wir um so mehr Veraidassung haben, als sowohl PflUger wic Born fiir die Aniphi- bieii festgestellt haben , dass wenn die Eier derselben aus irgend welchen Griinden gelitteii haben, sie sich auch bei Zusatz des Samens der eigenen Art abnorm furchen. So kann man z. B. ab- norme Furchung auf kiinstlichem Wege hervorrufen , wenn man das getodtete Weibchen von Rana fusca mit geoffnetem Bauch mehrere Tage liegen lasst, ehe man die Befruchtung vornimmt. Unsere Meinung geht daher schliesslich dahin: Man wird bei den Amphibien gerade so wie bei den Echinodermen am leichte- sten Bastarde ztichten, wenn man geschwachte Eier mit recht le- benskiaftigem Samen einer anderen Art vermischt. Das Bastar- dirungsminimum wird dann mit dem Anfang der Brunst, wo die Gcsclilechtsproducte am lebenskraftigsteu sind, zusammenfalleri. Ob diese Vermuthung richtig ist' wird durch eine enieute Untersuchung leicht festzustellen sein. Im Hinblick auf die von uns bewiesene Thatsache, dass die Eier in Bezug auf ihre Bastardirungsfjihigkeit inconstaute Facto- reD sind, wird jetzt auch der verschiedene Ausfall solcher Bastar- dirungsversuche, in denen man mit scheinbar frischem Material operirt, verstilndlich werden. Denn wenn man auch die zur Kreu- zung benutzten Eier nicht kiinstlich geschiidigt hat, so konnen dieselben doch schon durch mancherlei andere schwer zu beurthei- lende Factoren in ihrer Lebenenergie gelitten haben, wie durch das Alter der Versuchsthiere, durch den mangelhaften Gesund- heitszustand derselben etc. etc. Hieraus erkliirt es sich, warum unsere P">xperimente oft etwas verschieden ausfielen, je nachdem wir die Eier von ganz frisch eingefangenen Thieren, sei es von Stron- gylocentrotus lividus oder von Sphaerechinus granularis, oder die Eier von solchen Thieren, die schon ein, zwei oder drei Tage in Gefangenschaft gehalten worden waren, sofort mit fremdem Samen bcfruchteten. Im ersteren Falle erzielten wir eine geringere, im letzteren eine grossere Anzahl von Bastarden, da die Schwachung des Eimaterials schon wilhrend des Lebens des Thieres im Ova- rium erfolgt war. Aus unserem Princip scheint sich auch eine Erkliirung der bekannten Thatsache zu bieten, dass domesticirte Thier- und Ptiau- Experiment. Untersuch. iib. d. Bedingungen d. Bastardbefruchtung. 1(51 zenarten sich im Allgemeinen leichtcr kreuzen lassen , als nahe v('r\vaii(lt(! Arten ini Naturzustande. Durcli dio Doinestication wird obeii im Gaiizen die Constitution geschwacht, was sich dann besonders an den Geschlechtsproducten geltend macht, da, wie be- kaniit, der Generationsapparat bei alien Veranderungen im Kiirper in Mitleidenschaft gezogen wird. Bisber babcn wir imnier mit dcm mannlichen Samen als mit einem constanten Factor rechncn konnen, da wir jedesmal mog- licbst frisclien Samen zur Kreuzbcfruchtung verwandt baben. Solltc nun aber der Erfolg der Bastardirung nicht audi durcb eine ver- scbiedcne Beschatfenbeit der Saraenfiiissigkeit beeinfiusst werden konnen ? Bei den Echinodcrmen habeii wir dieser Frage, auf welcbe wir UDS vorbebalten spiiter nocb einmal zuriickzukommen, aus Mangel an Zcit unsere Aufnierksamkeit nicbt zuwenden konnen. Soweit wir aber bemerkt baben, scheint die Beschaftenbeit des Sperma fur den Ausfall der Experimente von geringer Bedeutung zu sein. Moglicber VVeise liegen bei den Ampbibien die Verhillt- nisse etwas anders, indem durcb den Entwickelungszustand der Spermatozoen eine weitere Complication in das Experiment einge- fubrt wird. BoKN gicbt an, dass zum Gelingen der Kreuzung recht lebens- kraftiger Samen zur Zeit der Hocbbrunst erforderlicb ist. Mebr- facb wird bervorgehoben, dass bei den Versucbstbieren die bastai'- dirende Kraft des Samens vollstiindig erscbopft gewesen sei. So liessen sich in einem Falle die Eier von Rana arvalis mit Samen der einbeimischen Rana fusca nicbt mebr bastardiren , wiibrend es nocb zwei Tage darauf mit frischen Ranae fuscae , welcbe aus Glariis gesandt worden waren, gelang. Desgleicben versagten in anderen Versucben ebenfalls zuerst die Miinncben der einbeimischen Ranae fuscae. Am 26. A})ril gelang mit ihnen keine einzige Ba- stardirung mebr, docb war ihr Same nocb vvirksam fiir die Eier der eigenen Art. PflUger ist freilicb anderer Anschauung als Born. Nach siiinen Beobacbtungen ermciglicbt der Same der Ampbibien vieb; Woclien vor und nach der Hocbbrunst nocb immer Bastardbe- fruchtung, und ist das Gesctz, nach welchem die Bastardbefruch- tung allein auf dem Stadium der Hocbbrunst gelingt, nur fiir das Ei scharf ausgesprocben und gultig. Auch fur die Ampbibien kann mithin die Frage nach dem M. XIX. N. F. XII. 1 1 162 Dr. Oskar Hertwig u. Dr. Kicharfl Hertwig, Verhalten der Spermatozoen bei der Bastardb(!fruchtung nocli iiicht als abgeschlossen betrachtet werden, Ein zweiter Ditferenzpuiikt zwischen unseren Vorgangeni uud uns orgiebt sich, wenn wir iiach (U\n Ursachen forsclien, (lurch wdche Bastardbefruchtung veiliiiidort wird. PpLtlGER stellt die Hypolhese auf, dass alle zur Zoit der Hochbi'iinst rein negativ ausfalleiideii Kreuziiiigen zwischen d(!n verschiedenen Arten der Anuren mir durcli secundtire, d. h. uii- wesentliche aussere Umstande zii erklareii seien. Das wahre Ge- setz siii walirscheinlich : reciprokt; Friichtbarkeit bei alien Arten, normale Fiirchung dei- Eier und Absterben wahrend der ersten Entwickelung. Eine sehr wesentliclie aber grob mechanische, secundiire Ursache, durch welche in den meisten Fjillen das Ge- lingen der Bastardbefruchtung verhindert werde, glaubt PFLijuER in der Form der Spermatozoenkopfe gefunden zu haben. Durch einen Vergleich der von ilini (jrhaltenen Kreiizungsresultate und der Form der Spermatozoen bei den verschiedenen Anurenarten wird er zur Aufstellung zvveier Satze veranlasst: 1) dass im All- gemeinen diejcnigen Spermatozoen am geeignetsten sind zur Ver- mittelung der Bastardzeugung, deren Kopf am diinnsten und de- ren vorderes Ende am spitzesten ist; 2) dass im Allgemeinen die Eier der Bastardbefruchtung am zuganglichsten sind, wenn die zugehorigen Six'rmatozocin derselben Ait dickere Kiipfe haben. Er setzt deshalb die Anwesenheit einer Mikropyle voraus, die gerade so weit ist, dass das Spermatozoon der eigenen Art pas- siren kann. Als Beleg fiir diese Hypothese werden hauptsachlich die Sa- menfaden von Rana fusca aufgefiilut, welche unter alien Arten den dunnst(;n und sehr sjjitz auslaufenden Kopf haben. Sie be- fruchten fast alle Eier, auf die sie eiiiwirken: die Eier von Haiia arvalis, Rana esculenta, Bufo communis, wiUirend umgekebrt die dickkopfigen Sjx'rmatozoen von Rana arvalis und R. esculenta mit stumpfem Kopl'ende in das Ei der Rana fusca nicht einzudringen verm()g(Mi und iiberhaupt kein fremdes Va befruchten kiinnen. Die auffalh^ndste Bestiitigung seiner Hypothese aber findet PpLCtiER darin, dass gerade die beiden Anurenarten , welche Sj)ermatozoen mit ghMchgeformtcn und gleich grossen luipfen besitzen, R. arvalis und R. esculenta, vollkommen reciproke Bastardbefruchtung zeigen. Auch BoiiN legt fiir das (ielingen der I'astardirung ein grosses Gewicht auf (li(! Form der Sanu^nfaden und nimmt eine veisehie- dene Filhigkeit derselben in Bezug auf das Durchdringen verschie- Kxperiment. Untersuch. Ub. d. Bedingungen d. Bastardbefruchtung. 1 03 den gebauter GallerthuUen an. Er erklart hieraiis die von iliiii beobachtote Erscheinung, dass je nach der Concentration der be- nutzten Sanienflussigkeit die Resultate etwas verschioden ausfallen, wc'il bei steigender Concentration dii; Wahrs(;beinlicbk(!it wilclist, dass von vielen l')00 Samenfaden wenigstens einer durch die Gal- Icrtbiillen gliicklicli in das Ei gelangt. Ausserdenn liisst or es iioeh von unbekannten individuellen Verschiedenheiten der Sperma- tozoen abbiingen , ob bei der Bastardirung der Verlauf des Be- tVncbtiingsvorganges zum nornialen Ziele fiihrt oder nicht und ob denientsprechend reguliire oder irreguliire Fiirchung auftritt. Nach unsercn an den Echinodermen gesammelten Erfahrungen miissen wir einen abweichenden Standpunkt einnebnien. Bei den Echinodermen wird die Befruchtung nicht durch lliill- biUlungen, wie bei den Amphibien , oder dadurch, dass die Sper- uiatozoen im \Yasscr rasch absterben , erschwert. Eine Mikropyle tehlt. Fiir den besseren oder geringeren Erfolg der Bastardirung kann die aussere Form der Spermatozoen nicht verantwortlich gemacht werden. Denn selbst bei den starksten Vergrosserungen ist es uns nicht moglich gewesen zwischen den reifen Samenfaden eines Sphaerechinus oder Strongylocentrotus oder einer Arbacia Un- terschiede in Form und Grosse zu entdecken. Aber auch selbst danii, wenn hier Verschiedenheiten bestanden, wiirde bei den Echi- niden nicht einzusehen sein, warum ein Spermatozoon von be- stimmter Beschaffenheit in die Eier der einen Art leichter als in die Eier einer anderen Art hincindringen sollte, da sie sich in iliren Hiillen nicht unterscheideii und eine Mikropyle fehlt. Auch die Quantitat des hinzugefiigten Sperma ist ohne Einfiuss, wie wir durch eine Versuchsreihe nachgewiesen haben. Es komnien also alle jene ausseren Momente in Wegfall, welche nach Born und PFLtJGER das Resultat der Kreuzung bei den Amphibien be- stimmen sollen. Wenn wir trotzdem bei den Echiniden gesehen haben, dass bei ihnen gerade so wie bei den Amphibien die Kreuzung zwi- schen manchen Arten besser, zwischen anderen wieder weniger gut gelingt, dass hier die Befruchtung eine reciproke, dort eine einseitige ist, dass die Eier ein und derselben Art ihre Empfitng- nissfahigkeit gegen den Samen einer anderen Art veriindern, so miissen die Ursachen in einer ganz anderen Richtung gesucht werden. Es kann nur die Constitution oder die innere Or- ganisation der Geschlechtsprodukte selbst sein, 11* 164 Dr. Oskar Ilertwip; u. Dr. Richard Her twig, welche das (ielingen der Kreuzbcfruchtung bestimmt. Voile Fruchtbar keit, oder wie wir, an chemische Be- zeichnungen ankiiii pfinid, aucb sagen konneu, voile geschl echtl iche Affini tilt fiiidet nur statt zwischen den Geschlechtsi)rodukten ein und derselben Art. Sie erlischt allmiihlich in demselben Maasse, als die Geschlechtsprodukte einander frem d art i g v. r w er d e n. Die fur die Befruchtung maassgebendeii Fakto- ren suclien wir in den activen Zellbestandtheil en, Kern und P rot op I as ma, den Theilen, welcho wir audi son St Form und Wcsen der Organisation bei all mi Entwicklun gsprocessen und histologischen Differen- zirungen bestimmen sehen. Auf sie passen die Erfalirun- gen, welclie wir mit Rucksicht auf die Veranderungen in der Bastardirungsfaliigkeit gemacht haben, Durch langes Liegen im Wasser oder durch Einwirken von Schildlicbkeiten wird der eigent- liche Zellkorper dcs Eies veriindert, wie wir auch durch aiidere Erfahrungen, so namentlich durch die Erfahrungen iiber die Zell- theilung, wissen. Die Veninderlichkeit in den Lebenseigenschaften kommt nun fiir die beiderlei Sexualprodukte bei der Bastardirung in ganz entgegengesetztcm Siiine zur Geltung. Bastar d irun g geli n gt urn so leichter, je lebensfahigcr die Sperraatozoen sind und je mehr die EiCr eine S eh wile hung erfah- ren haben. Die Schwachung wiederum muss urn so bedeutender sein, je weniger giinstig die Bedingun- gen ftir die Bastardirung im Allgemeinen sind. Der Widerstand gegcn Bastardbet'ruch tung geht offen- bar vom Ei aus, das lehren uiisero Uiitersuchungen auf das Unzw(!ideutigste. Bei den Spermatozoen ist dagegeii die 'reiuleuz zur Befrucbtung stets vorhanden, sie ist moglicherweise geringer bei Eicrn einer fremden Art, als bei Eiern derselben Art; man kann dies, wenn auch iiiclit aus unseren eigenen Erfahrungen, so doch vielleicht aus den von Boun angestellten Experimeiili'ii entnehmen. Zum Schluss weiseii wir noch auf eine Analogie bin, wi'Iche zwischen der Bastardbefruchtung und der Polyspermie besteht. , Einer von uns hat fiiihcr den Sat/ aufgestellt, dass das Ei nd ri 11 gen vi el er l5i)erni atozoe ii d ii ich Lebenseigen- schaften der Eizclle vcrhindert wird. Eine Reilie von Untersuchungen , welche wir in einem iiachsleii Heft mittheih'ii Experiment. Untereuch. iib. d. liedingungen d. Bastardbefruchtung. 165 werdeii, liubcn liii" diesc Aiisiclit wuitcie lieweise beigcbracht. W i r k o 11 n e 11 j e t z t d e n S a t z e r w c i t e r ii u iid s a g e ii, d a s s i II dur Eizelle regulatorischc Kriifte voihaiideii si rid, welchc den normal en Verlauf der Eefruch tuiig ga- runtiren und Poly sp erin i e und Bastardbefruchtung zu verliindern streben. Diese regulatorischen Kriifte koniien nielir oder minder ausser Thatigkeit gesetzt werdeii, w e ii n die Lebcnsenergie der Eizelle eine V e r m i n d c r u n g e r f ii li v t. Welclier Art diese Kriifte sind, und ob sie im I'lotoplasnui oder deni Kern ihren Sitz liabeii , muss nocli durcli weitere Untersuchungeu entscliieden werden. Beitrag zur Widerlegung der „Jmbibitionstheorie'. Von Dr. Max Scheit. Bereits zu wiederholtcu Maleu ist der „Inibibitionstheorie', eine eiugehende Bcsprechung zu Theil gewordeu , iiamentlich von Seiten Boiims und R. Hartig's. Besouders den Beniilhungen des letzteren Forscliers ist es zu danken, wenn man in letzter Zeit mehr und mehr von der Unhaltbarkeit der genannten Theorie iiberzeugt und zur Anerkennung des von Boiiim aufgestellten Satzes gefiihrt wurde, dass der Transpirationsstrom innerhalb der Lu- niina und nicht der Holzwandung der tracliealen Elemente sich bewegt. Zwar haben die Anbanger der so heftig bekiinipften Inibibitionstheorie noch nicht vollstaudig das Feld geraunit, da auch die ibr entgegengestellten Tlieorieen noch der Vollstiindigkeit entbehren, ira Ernste glaubt jedoch wohl niemand luehr an ihre Rettung. In meiner letzten Arbeit (Bd. XVIII, N. F. XI dieser Zschr.), welche die Frage nach dem Luftgehalte des v^asserleitenden Holzes zu beantworten versuchte, hotie ich nachgewiesen zu haben, dass die Annahnie von Luftblasen innerhalb der Wasserleitungsorgane, welche hauptsachlich zur Aufstellung der Imbibitioustheorie ge- fiihrt hat, eine unbegriindete, auf Irrthum beruhende ist. So lange aber die Inibibitionstheorie noch Stiitzen zu haben scheint, gilt es, deren Haltbarkeit gewissenhaft zu priifen, Je eingeheuder man sich mit der Inibibitionstheorie sowie iiberhaupt mit dem Problem der Wasserleitung beschaftigt, um so grossere (icwissheit erlangt man von den Widersi)ruchen, die sie in sich schliesst, es zeigt sich, dass ihre theoretischeu For- Dr. Max Scheit, Ein Boitr. z. Widerlegung d. Imbibitionstheorio. 167 derungen ini Experiment iiiul cier Beobachtung nicht uiir keine Stiitze, sontlern ihre Widerlegung finden. Die Inibibitionstheorie ninimt beispielsweise an, dass die ITol/niembran durch aufgenoninienes Wasser ibr Volunien zu ver- grossern im Stande ist. Direkte Beobachtungen uber die Grosse dieser Qiiclhnig febleu jcdoch, denn bisber sind uiir solche iibcr die V()bmu!iizunabnie des Gesaninitholzkorpers durch Quellung veriii^entiicbt worden. Ini Folgenden soil nun versucbt werden, an der Hand der Beobachtung die Frage nach der Quell ungsiabigkeit der Holzmein- bran zu beantworten. IJni diese Fiihigkeit der Holzmembran zu erweisen, wiire ein- nial nothig, die Quantitat des Imbibitionswassers fur eiue be- stimmte Menge reiner Holzmembran festzustelleu, zweitens musste sicli ermitteln lassen, um wieviel sich ein bestinimtes Raummaass trockuer Holzwandmasse , wenu es sich mit Wasser imbibirt hat, vergrossert. Sachs ') und weiterhin Dufour '^) unternahmen es, den ersteu Theil dieser Aufgabe zu bchandeln, ohne jedoch ein befriedigendes Ergebniss zu liefern. Die Versuche, welche beide Forscher zur Ermittelung des Imbibitionswassers seiner Quantitat nach anstell- tcn, sind keineswegs bevveiskraftig fiir die Imbibitionsfahigkeit der verholzten Membran, denn in ihnen ist unmoglich zu vermei- den, dass vermittelst der im Holze vorhandenen Poren Wasser- dampf zu fliissigem Wasser condensirt wird, so dass im Holze eine betrachtliche Menge Wasser sich ansammeln kanu, ohne dass die Holzvvandung sich damit zu imbibiren brauchte. Selbst in feinem Sagemehl, welches Sachs zu seinen Untersuchungen be- nutzte, sind durch Tiipfelraume und Verdickungsleisten auf der zerrissenen Membran immer noch in reichem Maasse Bedingungen fiir Wasserdampfcondensation gegeben, ausserdem sind ja auch die parenchymatischen Elemente nicht von den Holzwandtheilchen zu soudern, also wirklich imbibitionsfahige Korper vorhanden. Der zweite Theil der Aufgabe hat ebenfalls noch keine be- friedigende Losung gefunden, es liegen keine Angaben iiber di- rekte Messungen der Volumenzunahme der Holzmembran durch aufgenommenes Wasser vor. Sachs bemerkt in dieser Hinsicht, dass durch Wasseraufnahme die verholzte Membran nur uumerk- *) Poros. d. H. p. 308. 2) Beitr. zur Imbth. Arb. d. bot. Inst, in Wrzb. Ill, H. 1. 168 Dr. Max Scheit, lich ihr Volumcn verandcre, vvomit freilich die von dieseiu Forscher aus seinen auf das luibibitionswasser bezuglichen VVagungon ge- machte Folgerimg ini Widerspruche stelit, dass die Holzincnibran ca. ihr lialbes Volumen Wasser aufuehme ' ). Die „Inibibitioiis- theorie" verwirft Capillaren als Beweguugsbahncn des Wassers; iialime nun die Holzmembran wirklich ihr lialbes Volumen Wasser in die von dieseni erst durch Aiiseinanderdrilngen der Ilolzwand- molekiile geschaffenen Bahnen auf, daun niusste otienbar die Holz- wandraasse ihr Volumen verdoppelu, sei es auch auf Kosten der Gefiiss- und Tracheidenlumina, wie Sachs geneigt ist anzunehmen. Da die Bewegung des Imbibitionswassers eine molekulare sein soil, so ist die raikroskopische Beobachtung derselben an und fiir sich schon ausgeschlossen. Wie steht es nun aber mit der Beobachtung der Wirkung, welche die Einschiebuug von Wassermolekulen zwischen die Holz- wandmolekiile haben muss, d. h. mit der Volumenvergrosserung der Holzmembran durch aufgenommenes Wasser V Ist die Voluraenanderung nach Ansicht von Sachs auch eine geringe, so muss sie doch niikroskopisch bei starker Vergrosserung eines kleinen Holzschnittes sowie makroskopisch an grosseren Holzmassen messbar sein. Ausgedehute mikroskopische Messuugen bestatigten diese Ver- muthung auf keine Weise. Es gelaugten zur Untersuchung in alien drei Richtungen des Raumes hergestellte Schuitte sowohl von ausgetrocknetem, als von frischem Holze und zwar vou Thuja, Taxus, Pinus, Abies, Aris tolochia, Ampelopsis, Cle- matis, Quercus, Vitis, Bittneria, Tilia, Cornus und Buxus, ^ Eine Vergleichung des unter Benutzung des Zeichenprisnias hergestellten Bildes des imbibirteu mit dem des trockenen Schuittes ergab, dass nur die parenchymatischen Elemente des Holzes Wasser aufnahmen und dabei ihr Volumen vergrosserten. Zugleich erlitten die mit ihnen fest verwachsenen eigentlicheu Holzelemcnte oft bedeutende Verzerruugen , die besonders an den grossen Gefilss- lumcn auftielen und um so bedeuteuder waren, je breiter und in- haltsreicher die Markstrahlen, und je frischer der Schnitt war. Eine Vergrosserung des Membranareals auf Kosten des Lumenareals konntc trotz sorgfaltigster Beobachtung an keineni der untersuchten Schnitte festgestellt vverden. 1) ToroB. d. H. p. 312. Ein Beitrag zur Widerlegung dor Itnbibitionstheorie. 169 Dass Austrocknung resp. Wasserzufuhrung zuni Holze in erster Linie die Marivstralileii beciuflusst mid uur iiidirokt diircli /crriing die Hoblmenibraii , geht audi aiis Nr)i{DLiNGERs ' ) Bcubaclitiiugen bervor, uacb welcbeii die Risse auf einem Baimuiuerscbnitt last immer nebeu deu Markstrablen verlaufen, ofters sogar durch sie hiudurcbgehen. Nacb Angabe dessell)en Forscbers Ziehen sicli die Markstrablen starker zusammen als das angrenzende Holz. Wohl kanu ein Baumstamin durch Wasseraufuahnie scinen Uinfang vergrossern, vvie Hales und Duhamel nacb eineni Regen niit Hiilfe eines uni den Bauni gelegteu Metalldrabtes constatir- ten^), doch ohue dass sich dabei das Volmnen der verholzten Eleniente selbst vergrossert; die Volunienzuiiabnie ist in diesem Falle vor Allem deni Riudenparenehym und weiter den parenchy- raatischen Elementen des Holzes zuzuschreiben. Nach den Untersuchungen von Gr. Krads ^) vermehrt in der That Wasserzufuhr zuiu Holze nicbt den Holz-, aber deu Rinden- Durchniesser. Wie bedeutend das Quellungsvermogen der Markstrablen, resp. des Inhaltes derselben ist, wird erst an mikroskopischen frischen Schnitten deutlich , deren Austrocknung man unter dem Mikroskope verfolgt. In mancben Fallen schwinden die Mark- strablen in der Richtung der Sehne bis zur Hillfte ibres Volu- mens, wabrend auf ringsgeschlosseneu Holzscbeiben sich oft nur ein Schwinden um 1*^;^ der Sehnenliinge benierkbar niacht; an einem der Liinge nach halbirten, berindeten, ausgetrockueten Stuck Que reus Robur von 20,2 Ctni. Liinge, 14,2 Ctm. Durchiiiesser liefen dui'cb 9 primare Markstrablen klaffende Risse, beim Durch- nassen des Stiickes schlossen sie sich vollstandig, obne dass zugleich eine Veranderung in den mitgetbeilten Dimensiouen ein- getreten ware. Da sich in keiner Weise eine Volumenanderung der Holz- membran durch Veriinderuug des Wassergehaltes uachweisen liisst, so kann die Dimensionsauderung des Gesammtholzkorpers, sowie die Lagenveriinderung der verholzten Eleniente nur auf einer Volumenanderung des quellungsfabigen Inhaltes der pareuchyma- tischen Elemente des Holzkorpers beruhen , der zum grossten Theil aus Starke gebildet wird. Diese Ansicht wird bestatigt 1) Forstbot. p. 263 u. 264. 2) Cf. Pfeffer Physiol. II. p. 42. 3) Ueber die Wasservertheilung etc. Halle 1879. 170 Dr. Max Scheit, diirch die Thatsache, dass sich an Starkekornern bei Veranderung des Wassorgclialtcs uutcr dciii Mikioskope cine ciitsprecheiide Voluiiieiiverauderuiig uachweiseu lasst. So verkiirzte sich nach NaohlP) eiu Stiirkekorn aus dem Wurzelstockc von Canna beini vVustrockneii ini laugeu Diirchiuesscr uni W/^, im Quer- durchniesser uni IP/o- Als weitercr Beleg fiir die entwickelte Ansiclit sei der Process des Auslangens oder Dilnipfens angefiihrt, durcli welchen alle los- lichen, sowie die quellbaren Theile aus dem Holze entfernt werden, so vor Alleni die Starke, in Folge dessen das so behandelte Holz vor deui Ziehen und Verwerfen, sowie vor dem Reisseu geschiitzt ist. Bereits Nordlinger ^) weist darauf hin, dass gediimpftes Ilolz merklich weniger quelle als altes, und dieses weniger als IVisches, es geht also wahrscheinlich durch das Alter die Starke ihrer Quellungsfiihigkeit verlustig. Nordlinger ist es auch, welcher bereits friiher den Zusanimenhang des Holzschwiudens mit der Masse der Markstrahleu erkannt hat. Was der Grad des Schwindeus anbelangt, so hangt er nach unseren Erorterungen von dem Grade des Widerstandes ab, welchen die Ilolzmembran dem Zuge entgegensetzt. Letzterer entsteht dadurcli, dass die passivgespannte Markstrahl- oder Holzparen- cliyni-Zellmembran vernioge ihrer Elasticitiit nach erfolgter Was- serabgabe des von ihr umschlossenen Inhaltes in den ungespaunteu Zustand zuriickkehrt. Die Augaben, welche R. Hartig '■^) in Bezug auf das Schwinden beim Trocknen pro 100 Frischvolumina (Durchm.) niacht, miisseTi nach dem Mitgctheilten auf das Schwinden der parenchymatischen Elemente des Holzes zuriickgefiihrt werden. Aus Hartig's Ta- bellen scheint sogar hervorzugehen , dass das Schwinden von der Masse der parenchymatischen Bestandtheile des Stauuugsquer- schnittes abhangig ist, sie zeigen niimlich, dass 1— 2jahrige Zweige, bei denen die parenchymatischen Bestandtheile relativ stark auf- treten, im Vergleich zu dem liolze des Stammes doppelt, ja fast dreimal so grosse Schwindprocente besitzen. Wir sind nach den im Vorigen angestellten Erorterungen wohl berechtigt, anzunehmen , dass die Holzmembran unfiihig ist, Wasser von aussen aufzunehmen. Es kann daher nicht die Rede 1) Die Starke. 2) Forstbot. p. 338 u. 382 sowie p. 261 u. 263. •') „Ziir Jiohre v. d. Wbon, i. d. Pll." Unters. aus d. forstbot. Inst. z. Munchen p. 87 u. ft'. Ein Beitr.ig zur Widerlegiing der Imbibitionstheorie. 171 sein von ciiiur Aufnaliinefahigkcit dor Holznionibraii fiir Wasser, die in pcriphcrischer Riclitung am stiirkstoii, schwiichcr in ladialer und am schvvilclisten in longitudinaler llicbtung scin soil, wie Sachs annininit, wohl aber muss von einer nacli den Uicbtungen verscbiodcnen Leitungstahigkeit des Holzkorpeis gesprochen wer- den, die, wio man wobl jetzt allgemein annimmt, mit dcr Stellung der Tiipfel ziisamnienhangt. Gerade die Stellung der lloftiipfel ist es, welche uns neben anderen anatomischen VerbJiltnissen, wie bereits Riissow ') betont hat, davon zu ul)erzeugen vermag, dass die Holzmembran nicht als Bahn der VVasserbewegung dient. Auf keine Weise lasst sich die Annahme der grossen Leitungs- fahigkeit der Holzmembran mit der Thatsache in Einklang bringen, dass wirklich imbibitiousfahige Korper, wie L a m i n a r i a s t ii m m e, Flechten u. s. w. nur an den Stellen quellen, die unmittelbar mit dem Wasser in Beriihrung stehen, wahrend das uber das Wasser- niveau emporragende Stiick trocken bleibt. Wenn Dufour^) durch Bestimmung des Verhiiltnisses des Lumen- und Membranquerschnitt-Areals fand, dass bei den in einem hcissen Klima lebenden Sapotaceen, Ebenaceen sowie bei der eine bedeutende Hohe erreichenden Tectouia grand is etc. die Tracheiden fast des Hohlraumes entbehren , und wenn er dann glaubt, dass nur die so miichtig entwickelte Membrau der Wasserleitung dienen konue, so meineu wir, dass innerhalb des wirklich vorhandenen , wenn auch sehr engen Tracheidenlumens, doch noch eher eine Wasserbewegung denkbar ist , als in den problematischen Molekularbahnen der Membran. Ausserdem lasseu sich ebenso viel Beispiele anfiihren, in denen das Querschnittareal des Tracheidenlumens das der Membran iibertritft , was bei den meisten Holzeru in Bezug auf die Gefasse der Fall ist, von denen Sachs ^) berechnet, dass sich der von den Wanden eingenommene Raum zu dem Hohlraum wie 1 : 1,68 verhiilt. Die Gefasse sind aber keineswegs von der Bethatigung an der Wasserleitung aus- zuschliesseu, wie es Dufour (1. c.) auf Grund der Thatsache thut, dass die Coniferen bloss Tracheiden besitzen, sowie auf Grund der Annahme, dass die Gefasse zur /eit der starksten Transpi- ration verdiinnte Luft enthielten. ^) „Zur Kenntniss des Holzes" etc. Bot. Centralbl. Bd. XIII No. 1—5 p, 98, ^) Sur I'Asc. „Du Courant de Transp. dans les Plantes." Ar- chives des Sciences Physiques et Naturelles, Troisieme T6r. T. XI. No. 1. Geneve 1884. 3) Vorl. V. 172 Dr. Max S^cheit, ZuDi Schluss (liescr Arljcit sei uoch auf den Widersprucli liingowiosuu , in welclicni die Ainiabnie dcr Iciclitcu Verschiebbar- koit des Imbibitionswasscrs iui Holzc zu der Thatsache steht, dass selbst unter bolicni Dnick bci vcrstopftem Lumen kein Wasser durcli die Menibran biudurcbtiltrirt, wie die Versucbe Dufuuus '), Elfvings-) sowie eigeue^) auf letztere bezuglicbe Controlver- sucbe ergaben. Dei- diesen Filtrationsversucben gemacbte Eiuwurf, dass zu ibnen nur Pfianzentbeile benutzt worden waren, die deni Verbande des lebenden Organisnius entnoninien waren und an der Luft irre- parable, fur Druckfiltration hinderliche Veriinderungen erfahren baben konuten, wird hinfallig, wenu man beriicksicbtigt, dass die vei'holzte Mend)rau eiuem abgestorbenen Gewebe angehort, welcbes, aus dem Verbande des lebenden Korpers gelost, dieselben physi- kaliscben P^igenschaften beibehalt, die es in letztereni besass. Die Ersdieiuung des Welkens abgeschnittener und daun in Wasser gesteilter Sprosse ist wohl die Veranlassung zu diesem Einwand gewesen, der jedoch wegfallen muss, uacbdem jene Erscheinuug auf ibre wabre Ursache zuriickgefiibrt worden ist*). Die „Imbibitionstbeurie" vergleicbt das Imbibitionswasser mit dem Kry stall wasser, wie letzteres nicht durcb Druck verscbiebbar sei, so audi das erstere nicbt; trotzdem aber soil die Holzmem- brau die „wunderbare" Eigenschaft besitzeu, das in ibr entbaltene Wasser mit grosser Gescbwindigkeit fortleiten zu konnen. Abge- sehen davon, dass es keinem Miueralogeu einfiillt, eine Verschieb- barkeit des Krystallwassers inuerlialb des Krystalles durch die Krafte anzunelimen, welcbe die Beweguug des Imbibitionswassers veranlassen sollen, ist letzteres gar nicht mit ersterem zu ver- gleicben, da es ja in molekularen Bahuen verscbiebbar angenom- men wird, also in physikaliscber Beziebung zu den Holzwandnio- lekiilen, wilbrend eine solche Verscbiebung fiir die Krystallform veibangnissvoll werden wiirde, da doch das Krystallwasser ein integrirendcr Bestandtbeil des Krystalles ist und in chcmischer Beziebung zu den iibrigen Bestandtbeilen desselben steht , mit denen es nach ganz bestimmteu Gewichtsverhaltnissen verbunden ist. Dass in Wirklichkeit aber eine derarti^e Beziehun^f zwischen 1) Vorl. Mitthl. etc. 2) „Ueber die Wasserl." i. H. liot. Z. 1882 No. 42. =») „l)ie Wasserbew." i. H. W. Z. 1884. No. 11. '') Cf. V. Hohnol, i{ot. Zoituug 1879. Sen kit , diese Zeitsuhr. lid. XVIII, N. XI. Ein Beitrag zur Widerlepung der Irabibitionstlieorie. 173 Wasser und Membranmolekul iiicht bestcht, geht aus der Erwaguiig hervor, dass sich durch keiiie (l(!V b(3kainitcii i)liysikalischcn Kriifte cine \Vasserl)eweguiig iiiiiorhalb der Holzniembraii l)e\virkeii liisst. Es ist kein Gniiid vorhanden, anzunehiiien, dass iiinerlialb mole- kularer Hohlraume das Wasser aiideren Kraften untervvorfen sci als ill capillaren Hohlraniiieii. Da nun in dieseii durch eiiien geriiigen Druck und l)ei vorhandcnein L^rsatz wasser eine Verscliic- bung des capillarfestgehaltenen Wassers stattfindet, bei ebenfalls vorhaiideiieni Ersatzwasser aber selbst bei sehr hohem Druck durcli die Holznienibran kein Wasser sicli presseu liisst, so sclieint der Schluss berechtigt , dass auch in der lebenden Pflanze iiiner- halb der Holznienibran keiiie Wasserbewegung stattfindet und dass nur Constitutionswasser in der Membran vorhanden ist, welches allein sich mit dem durch Druck uicht verschiebbaren Krystall- wasser vergleichen lasst. Die „Inibibitionstheorie" selbst betrachtet als bewegende Kraft die Transpiration, diese wiirde aber ebensowenig im Verein niit der Molekularattraktion eine ausgiebige Wasserbewegung hervor- rufen , wie sie es nach den Uutersuchungen von Nageli und ScHWENDENER ' ) im Vereiu mit der Capillarattraktion thut. Die Transpiration vermag nur das Gleichgewicht im Wassergehalt des llolzes aufzuheben, nicht aber selbst Wasser von unten zu heben. Da die „Imbibitionstheorie" weder durch die Beobachtung, noch durch das Experiment, iioch durch bekannte physikalische Gesetze gestiitzt werden kann, so hort sie auf, eine Theorie zu sc.in. Nach Wegrauniung der Schwierigkeiten , welclie unseres Er- achtens bisher der allgemeinen Anerkennung der Ansicht im Wege standen, dass die Wasserbewegung im Lumen und nicht innei-halb der Membran der Wasserleitungselemente erfolge, bleibt jetzt nur die erstere Art der Wasserbewegung ubrig, die sich im Gegensatz zu der anderen unter dem Mikroskope direct beobachten la^st, wie Vesque^) und Capus-^) gezeigt haben. In einer spiiteren Arbeit wird sie sich als die einzig naturgemasse ausweisen, nach- dem wir zuvor gesehen haben werden, dass uns sowohl die trei- bende Kraft gegeben ist, die fur eine Wasserbewegung innerhalb der Membran fehlt, als auch die haltende, und dass beide bisher zu gering angeschlagen worden siud. ') Sitzungsber. d. math. phys. CI. v. 10. Wlirz 18G6. '■^) Annales des Sciences Nat. Ser. VI. V. 15 p. 1. Ferner Bot. Centrlbl. Bd. XV. p. 371. ^) Comptes llendus. Bd. 97. p. 1087. Ueber den Flug der Vbgel. Ein Beitrag zur Erkenntuiss der mechanischen uiid biologischen Probleme der activen Locomotion. Von Dr. H. Strasscr, a o. Prof, an der Universitiit zu Freiburg i. B. Vorbemerkungen. Es mochte schwer zu cntscheiden sein , was zucrst als Flug bez{Mchnet wurcio, ob jede Art von Bewoguiig der V<)gel durch die Luft Oder nur diejenige niit regelmassigem Fliigelschlag. Der Begritf Fliegcn ist schliesslich auf alles Mogliche , auch auf jede H(!wegung eines todten Korpers durch die Luft ubertragen wordcn , die nicht gerade eine lothrechte Fallbewegung ist. Immerhin handelt es sich dann auch heute iioch um einen Vei-gkMcb, um ein Bild. Irn eigentlichen Sinne des Wortes kaiui auch heute nur die active, durch die Krafte des Orgaiiismus selbst unterhaltene und regulirte Ortsbewegung durch die Luft als Flie- gen bezeichnet werden. Welcber Natur der Orgaiiismus ist, kommt (label kaum in Betracht. Es kann sich um eiiien Vogel , eine Fledermaus, ein Insekt, ja um eine blosse Maschine handelii. Die Hauptsache ist die active Betheiligung des fliegenden Korpers. Ohiie Formvenindorung eines Korpers, und wo es sich um Loco- motion handelt, ohiie Bewegung der grosseren Massentheile gegen- einander keine Aktion. Aber auch der Fliigel ist fiir die active Locomotion durch die Luft fast unbedingtes Erforderniss. So ge- hiirt also zum Flug der Fliigelschlag; wenigstens hie und da eine Bewegung zwischen Fliigel und Rumpf; dazwischen kann zeitweise der Korper wie ein starres Ganzes sich bewegen. Man hat das Schweben und Krcisen als passive n Flug von d(!r liewegung mit regclmassigen Fliigelschlagen als dera activen Flugc abgetrennt. Diese Art der Bezeichnuiig ist weder gliick- licli nocli corrckt. Die erst genannten Formeii der Bewegung sind ohne irgend welche Action nicht durchfiihibar, und auch bei dem Dr. H. Strasser, Uebcr den Plug der Vcigel. 175 „activ(3n Fluge" konncn unter Umstanden Flugel uiid Rmiipl wilh- rend kurzerer Zeit zu einem fast starren Ganzen vcrbiuKh'n sein. Wir wolleii daher den Flug niit regelrniissig wiederlioltcn FlQgel- sclililgeii als Uiiderflug uiid falls er niit ganz glcichiDassig sich wiedcrholenden Actionen uiid mit gleichmilssigcr (Jeschwindig- koit stattfindct , als Normal flug, bci im Mittel lioriiizonfaler FortbowL'gmig eudlich als horizon talen Norm alt lug g(!iiauer bezeichnen. Daneben wird gelegentlich audi von einem auf- oder absteigenden Normalfluge die Rede sein. Vorliegende Scbrift, das Krgebuiss m(;hrjahriger Studicn iiber die Flugbewegung, beschaftigt, sich vorzugsweise mit deni hori- zon talen Normalfluge der Vogel. Die liedingungen der Flugbewegung werden, wie mir scheint, zunjichst am besten gerade am normalen Fluge verfolgt, an diesem besoiideren Falle der Flugbewegung, bei welchem die Thiitigkeit des Appaiates eine synmietrische ist und in regelmiissigen, einan- dcr vollkommen gleichen Perioden sich wiederholt. Diese Flug- weise ist bei vielen fliegenden Thieren weitaus die gebrauchlic.hste und wird wohl von alien wenigstens zeitweise angewendet. Jeden- falls ist sie von alien speciellen Formen der Flugbewegung die am meisten verbreitete, die am besten fiir die verschiedenen Flug- thicre nnd Flugapparat(! vergleichbare; sie bietet fiir die Analyse die eint'achsten Verhaltiiisse, enthiilt aber doch alle wesfntlichen Momente, welche beim Fluge iiberhaupt in Betracht kommen. Siud fur diese Flugart die Bedingungen klar gelegt, so ist damit fiir j(!de andere das Verstiindniss erleichtert. Ich hotlle zeigen zu konnen, dass die Erforschung der mecha- nischen Bedingungen der Ortsbewegung im Allgemeinen, der Mug- beweguiig im Besondern das Interessc des Anatomen, Physiologen und Biologen niiher beriihrt, als dies auf den ersten Blick schei- neii mochte. Es handelt sich nicht einfach um die Aufklilrung eines rathselhaften, den raenschlichen Scharfsinn herausfordei'nden mechanischen Vorganges, auch nicht bloss darum, den Technikern dor Luftschitffahrt hiilfreich durch Rath oder Warnung an die Hand zu gehen. Es gilt fiir die Beurtheilung der Rolle, welche der locomotorische Apparat im Haushalte des einzelnen Thieres und bei der Entwicklung und Umformung der Arten spielt, eine richtige Grundlage zu gewinnen. Gerade die Untersuchung der Flugapparate scheint nach dieser Richtung hin lehrreich zu werden. Denn im Reich der Liifte mehr als anderswo, mehr als an der Erdobertiiiche, am Gruude oder am 176 Dr. H. Strasser, Spiegel (ler Gewasser oder mitten in der Flat, ist die Miiglichkeit der Ortsbewegung an eineii engen Kreis von Mitteln gebunden. Nirgends so wie hier komnit zugleich dem Locomotionsapparat eine so doniinirende Bedeiitiing fiir die ganze Organisation zu; daher die autfallende Gknciiformigkeit in den wesentlichen Verhaltnissen der Flugapparate , und die Moglichkeit, den ganzen Korper als integrirendeu Bestandtlieil der Flugmaschine zu betrachten. Es sind aber auch die locomotorischen Leistungen hier bessm- als anderswo physikalisch richtig zu messen und niit einander zu vergleichen. Wenn irgendwo, so muss hier eine gesetzmiissige Be- ziehung wischen der Leistung — nicht der einmaligen, zufiilligen, sondern der mittleren gewohnlichen und der maximalen Leistung einei'seits, dem Bau des Apparates und der Organisation des gan- zen Thieres andererseits nachweisbar sein. Fi'cilich ist es nicht moglich , solchen Zielen naher zu kom- men, wenn nicht die mechanischen Verhjiltnisse der Flugbewegung klar iibersehen werden konnen. Die hier zu losende Aufgabe ist eine ausserordentlich schwierige. Man wird wohl davon absehen niussen, das Problem in seiner ganzen Allgemeinheit mathematisch zu behandeln, und lieber von ganz bestimmten Voraussctzungen, welche thatsiichlich realisirt sind, von einer bestimmten, bekannten Disposition der Maschine un Systems und seiner Theile die ntiniliche, und die Zeit, die von einer Phase bis /iir niichsten gleich numerirten Phase ver- sti-eicht, muss stets der Dauer einer Periode gU>ich sein. Wiih- rend eines solchen Zeitraums konnen nun mr)glicherweise ein/.elne Theile des Systems sich absolut im Raume, sowohl in horizontaler als in vcrticaler Richtuiig uni eine gewisse Wegstrecke verschie- bcn, es muss dann aber diese Verschiebung an sammtlichen Punkten des Systems in gleicher Weise zu beobachten sein ; siimmt- lic'h(! Theilchen miissen sich wiihrend der Dauer einer Periode genau um denselben Betrag und in derselben Richtung vcrschoben haben, weil nur unter dieser Bedingung nach Ablauf der Periode die relative Stellung der Theilchen zu einander wieder ganz die- selbe sein kann. Und in jeder folgenden Periode muss sich die absolute Verschiebung des Ganzen (resp. sammtlicher einzelner Theilchen) wieder ebenso verhalten, da ja die Bewegung im Mittel, al)gesehen von den periodischen Schwankungen, als gleichformig angenommen wird. 1st die mittlere Geschwindigkeit in horizon- taler und verticaler Richtung V0 beziehungsweise Vv und dm Dauer einer Periode T, so betragt die Verschiebung der Theilchen und des Ganzen pro Periode Vz.T und Vv.T, ganz gleichgiiltig, wie wir den Beginn der Periode festsetzen. Daraus folgt dann schliesslicli, dass auch in irgend einer be- stimmten Phase oder in irgend einem bestimmten Theil der Periode die absolute Bewegung eines bestimmten Theilchens gegeniiber der Umgebung in der einen wie in der andern Periode genau dieselbe ist. Merden dieselben Oberfliichen in derselben Stellung und mit derselben Geschwindigkeit gegen die Luft bewegt, so mussen auch die ilusseren Widerstande in gleicher Weise wachgerufen werden. Die Schwere wirkt natiirlich stets in derselben Weise; stimmen aber die iiusseren Krafte und die absoluten Bewegungen uberein, so muss solches auch hinsichtlich der treibenden oder hindernden inneren Krafte des Apparates Geltung haben. In entsprechenden Phasen ist also nicht nur die relative Stellung der Theilchen zu einander, nicht nur die innere Bewegung des Systems, sondern auch die ilussere Bewegung der Theile und des Ganzen stets dieselbe, und auch mit Bezug auf die inneren und ausseren Krafte herrscht vollstandige Uebereinstim- m u n g. Wir k<)imen die Bewegung irgend eines Theilchens jederzeit auffassen als die Combination 1) einer Bewegung gegeniiber dem 12* 180 Br. H. Strasser, gemeinsamen Schwerpunkte dcs Systems iind 2) einer Bewegung niit dcm gcmeiusanieu Schwurpiinkto. Weder die relative Bewegung irgeiid eiues Th(!il- chcns gegeniiber dem Massenniittelpiinkte des Ganzoii, nocli die absolute Bewegung des Gcsammtsehwerpunktes, wel- che von dem Theilchen mitgemacht wird, erfahrt im Verlaufe einer Periode resultando irgend welche Boschleuni- gung Oder Verzogerung. Die gesarnmten Krafte, welche auf irgend cinou Abschnitt des Kiirpers oinwirken, und von denen jede fiir sich allein eine Aen- derung des Bewegungszustandes dieses Theiles verursachen wiirde, lieben sich also zusamnien im Verlauf einer Periode gegenseitig auf; Dasselbe gilt fiir die Krafte, welche jede fiir sich die Bewe- gung der Gesammtmasse oder des Gcsammtsehwerpunktes zu lin- dern vermochten. Es sind das die iiusseren Krafte des Systems (die inneren Krafte an sich sind ja ohne Einfluss auf den Bewe- gungszustand des Gesammtmassen-Mittelpunktes.) Auch diese aussern Krafte also halten sich im Laufe einer Periode gegenseitig das Gleichgewicht, die beschleunigende Einwirkung derselben auf die Bewegung des Masseumittelpuuktes ist pro Periode resultirend == o. Fassen wir zuniichst die au s s e r e n K r a f t e ins Auge. Es han- delt sich hier nur um die Schwerkraft und um die Widerstande der Luft. Die Schwere an sich bcschleunigt alle Tlieile in derselben Weise und l)ewirkt keinc Drehung des Gnnzen oder einzelner Theile um den Massenmittolpunkt und keine Configurationsanderung. Die ausseren Widerstande dagegen sind Kraften gleichzusetzen, welche an der Oberflilclie angreifen; sie wirken nicht auf alle gleich schweren Theilchen in gleicher Grosse und Richtung, konnen also die gegenseitige Lage der Theilchen zu einander andern, innere Bewegungen hervorrufen, auch unter ITmstiinden dem Ganzen einen Impuls zur Drehbewegung um den Schwerpunkt ertheilen. Zu- gleich aber beeinflussen sie den Bewegungszustand der Gi^sammt- niasse resp. des Massenniittelpunktes so, als ob sie in gleicher Grosse und Richtung auf die im Masseumittelpunkt concentrirt gedachte Gesammtmasse selbst wirkten. Das gesannnte System muss nun aljer von Periode zu Pe- riode genau wieder in dieselbe Stellung zuriickkehren uiul kanu UebiT (Icn Flu*,' der Vogel. 181 (lemiiach im Verlaufe oiiier Pcriodo rcsultirend kciiic Beschleuni- guiig (lei- Di\'lil)c\vc,miii{4 i)arallcl irgoiid eiiicr tlur drci llaupt- el)eiieii cifahrcii liabcu. Dcmnacli iiiiiss auch die dreheiidc Eiu- wirkiing der aussorcii W'iderstaudc resultircnd im Verlauf ciuer Periodc = o seiii, da ja die iniiereii Kriifte an sich zu keiiier Zeit dem ganzeii System eineu Impuls zur Drehung- zu ertheilcii vermr)geii. Was eiidlich die Beweguug des Gesammtmassen-Mittelpuiiktes betritt't, so koimeii wir dieselbe zerlegeu in cine verticale, in cine liorizontale in der Symmetrieebene des Ai)parates erfolgende, und in eine horizontale aber zur Symmetrieebene des Thieres senk- recht gcrichtete Bewegimg. Diese Bewegungsrichtimgen sollen ein fiir alle mal folgenderniassen bezeichnet wcrden: Die verticale Riclitung niit v, die liorizontale Richtung vor- warts mit 0, die quere Richtung mit q. Die Wirkung sammtlicher aussercr Widerstande zur Aen- derung der Bewegung des Gesamnitscbwerpunktes in der v- Ricbtung und in der ^-Richtung ist resultirend pro Periode = 0. Mit Bezug auf die r/-Ricbtung aber ist die Einwirkung auf die Bewegung der Gesammtmasse nicht nur fiir den Zeitraum einer ganzen Periode, sondern auch fiir jede einzelne Phase = 0, da der Apparat laut Voraussetzung symmetrisch ge])aut ist und die Oberflachen seiner beiden Hiilften sich symmetrisch gegeniiber einem an sich homogenen und unbewegt gedachten ausseren Medium, der Luft bewegen. Fiir die Bewegungsanderung des Ganzen in der ^-Richtung konncEi nur die ^-Componenten der gesammten ausseren Wider- stiiude in Betracht kommen; wir wollen ihre Einwirkung durch das Symbol {WsT) bezeichnen. Sie ist pro Periode resultirend = 0. Fiir die Bewegungsanderung des Ganzen in der v-Richtung kom- men in Betracht die Einwirkung der Schwere und diejenige der v-Componenten sammtlicher ausserer Widerstande. Bedeutet P die Wirkung der Schwere auf die Gesammtmasse M in der Sekunde und T die Zeit einer Periode, so ist I\T die Einwirkung der Schwere pro Periode. Die y-Componenten der gesammten Widerstande am System wahrend einer Periode sollen durch das Symbol {W(jvT) bezeichnet werden. Dieselben miissen pro Periode der beschleunigenden Ein- wirkung der Schwere gerade das Gleichgewicht halten. Es ist also I) {WgsT)=^o II) {^^gvT)-\~P.T=o 182 Dr. H Strasscr, Diese Siitze habun ihrc Giiltigkeit fiir jedc Form des Normal- fluges, also fiir jede durch regcliiiilssig periodische uiid syiiimet- risclie Aktioii vurmittelte, im Mittel geradlinige und gleichformige Ortsbewegung durch die Luft, mag nun die mittlere Bewegungs- richtung cine liorizontale odor eine mehr oder weniger auf- oder absteigende sein. Verschiedenheiten ergeben sich nur, sobald man den pro Periode zuruckgelegten Weg ins Auge fasst, wovon bei der Ableitung obiger Siitze nicht die Rede gewesen ist. Die graphische oder geomet risch e Me thode kann uns dazu dienen, die oben ermittelten Gleichgewichts-Be- ziehungen uoch anschaulicher zu machen und weitere Folge- rungen daran zu kniipfen. Wir fassen zunachst bloss die verti- calen ausseren Kriifte ins Auge und stellen die Grosse der be- scbleunigenden Wirkung, welcbe jede Kraft fur sich allein auf die Gesammtmasse haben muss, wenn sir wiihrend bestimmter Zeit gleichmassig wirkt, durch Rechtecke dar, deren verticale Seiten sich verhalten wie die Einwirkungen der Kriifte fur dieselbe Zeit oder kurz gesagt, wie die Kriifte selbst, deren horizontale Seiten dagegen sich zu einander verhalten , wie die verschiedenen Zeiten der Einwirkung der verschiedenen Kriifte. Diese Felder soUen als Kriiftefelder bezeichnet werden. In Fig. 1 kann die horizontale Linie XX als die Abscissenaxe der Zeiten bezeichnet werden. Der Fortschritt parallel dieser Axe nach rechts hin sei ein Mass fiir den Fortschritt der Zeit. a repriisentire den Anfang der Periode. Man theile die Periode in n gleiche Phasen, so wird jede Dauer einer Phase durch eiuen bestimmten gleich grossen Theil der Linie XX repriisentirt , die drei er- sten Phasen z. B. durch cib, he und cd. Jeder Phase ent- spricht eine gewisse Grosse der ins Auge gefassten ausse- ren Kraft; fiir den Beginn der ersten, zweiten und dritten Phase seien diese Kraftgrossen porportional den in a. (i und y gipfeln- den verticalen Linien, die nuin als Ordiiiaten autfassen kann. Aen- dert sich wahrend der einzelnen Piiasen die Griisse der Kraft iiielit, so ist die Wirkung derselben auf die Gesammtmasse in der 1, 2. u. 3. Phase proportional den Rechtecken «6, (ic^ yd; die Ge- Fig. 1. Ucber den Flug der Vogel. 183 sammtwirkung in den 3 Phasen abcr wild gemessun durch diu Suniuie der 3 Reclitecke. Aendeit die Kraft ihie Gnisse stetig , so liegen die Gipfel- punkte der Kraftordinaten, mag man die Phasen so zahlrcich und klein wilhlen, als nur irgend denkbar, ininier in einer stetigen Curve (Kriiftecurve). Nimmt man die Phasen genugend klein, so wird der FehU^r, der gemacht wird, indem man die Grosse der Kraft fiir dieselbe Phase als constant, als zu Ende gleichwie zu Anfange der Phase annimmt, immer kleiner. Das Feld, welches von eineni bestiinmten Theil der Zeitabscisse und der zugehijrigen Kraftecurve begrenzt wird, ist daher in Wirklichkeit das Krafte- feld fiir den betreffenden Zeitabschnitt; es ist das Mass fiir die Eiiiwirkung der ins Auge gefassten Kraft auf die Gesammtmasse wiihrend dieser Zeit; also fiir den Zuwachs an Geschwindigkeit, wclclieu die Gesammtmasse in dieser Zeit durch jene Kraft erfahren wiirde. Ist die einwirkende Kraft constant, wie z, B. die Schwere, so ist die Kraftecurve cine gerade Linie, welche der Abscissenaxe parallel liiuft, Wird der iiussere VViderstand stossweise entwickelt, und nehmeu wir an, dass derselbe nur wahrend der eiueu Halfte der Periode und in dieser Zeit stets mit gleicher Grosse einwirkt, so muss das Kraftefeld der verticalen Compouente des Wider- standes, um demjenigeu der Schwere FT gleich zu sein, die dop- pelte Hohe haben, well es nur halb so lang ist; {Wv) muss jeder- zeit = 2P sein. Die Widerstaudskraft miisste = 3P sein, wenn ihre VVirkung sich nur Uber den dritteu Theil der Periode erstreckt. In Wirklichkeit iindert sich nun aber die Grosse des resul- tirenden verticalen Widerstandes nur allmahhch ; derselbe ist im allgemeiuen einei" aufwarts treibendeu Kraft gleich; es ist aber nicht ausgeschlossen, dass in einem Theil der Periode die ausseren Widerstaude eine abwiirts gerichtete Resultireude haben konnen; dann miissen die Ordinateu der Curve nach der andern Seite der Abscissenaxe aufgetragen werden, die W iderstandscurve liegt dann also unter der Abscissenaxe. Der von diesem Theil der Curve und der Abscissenachse eingeschlossene Theil des Kraftefeldes entspricht der abwarts gerichteten Einwirkung auf die Gesammtmasse. Ill Fig. 2 sei ahcdcfyh die Curve der verticalen resultirenden Widerslaiidskrafte mit Bezug auf die Abscissenaxe xX; es ist dann das vertical schiafhrte Feld abcdea das Mass der Einwirkung zur Hebuug der Gesammtmasse in der Zeit T =^ ay = einer Pe- riode; cfd das Mass der abwarts gerichteten Einwirkung (zum 184 Dr. H. S t r a 6 B e r '^X' oyM^ H-.V^- Fig. 2. Unterschied horizontal schrai'firt). Zieht mau oben QM X X eine Paral- lele x^ Xj im Abstand xx'^ = P, so reprasentirt das Feld zwischen den beideu Parallelen die Ein- wirkung der Schwere ; es ist, weil diese abwarts gerichtet ist, obenfalls horizontal schraftirt. Of- fenbar heben sich der durch das Feld (th d e gemessene Theil der aufwiirts gerichteten Einwirkungcu des Widerstandes uud der durch eben dasselbe Feld gemessene Theil der abwarts gerichteten Wirkung der Schwere gegeuseitig auf. Soweit verticale und horizontale Schraffirung sich tiberkreuzen , auuullireu sich die beiden Einfliisse. Das Feld bed entspricht der ubrig bleibeuden Wirkung nach oben, das Feld dcfyh der tibrig bleibenden Wirkung nach unten in der Zeit hh=^T. Die Curve (ibcdefgh .... kann also als die resultirende Kraftecurve siimmtlicher aussern verticalen Kriifte aufgefasst wer- den, wobei aber x^ X^ die zugehorige Abscissenaxe der Zeit ist. bed ist der positive, al und defy der negative Theil der Curve, ersterem entsprechen resultirende Krafteiuwiikuugen nach oben, letzterem solche nach unten. Von dieser Art der graphischen Darstcllung werden wir ini Folgeuden ausgiebigen Gebrauch machen. Urn die wahrend einerPeriode von dem Massen- m i 1 1 e 1 p u n k t e z u r ii c k g e 1 e g t e n VV e g e zu beurtheileu , gehen wir von der Curve der resultireuden verticalen Kriifte aus, welche sich also nur dadurch von der Widerstandscurve unterscheidet, dass die Abscissenaxe iiberall um den Betrag P hiiher liegt. Wir wollen zunachst von der verticalen Geschwindigkeit, welche der Korper zu Anfang der Periode besitzt, absehen (ist dieselbe = c, so legt der Korper vernioge derselben in der Periode T den Weg cT zuriick). Erhiilt die Masse in irgend einer Phase eine ver- ticale Deschleunigung (p, und ist am Ende dieser Phase die Zeit t der Periode verflossen, so legt die Masse infolge dieser Beschleunigung (p in deuj Rest der Periode T-t ein plus an Weg zuriick, das = (T-t) (p ist. Wir kounen v und if als positiv bezeichnen , wenu Ueber deu Flug der Vogel. 185 es sich uni cine Bewegung odcr cine Bewcgungsbeschlcunigung iiach oben liandult, im umgekehrten Falle als ncgativ. Enichtet iiiaii auf cler Abscissciiaxe aa' (Fig. .'i) als Kathetc Fig. 3. ein rechtwinkliges Dreieck (uiia^ welches auf der Ebeiie der Kriifte- curve ai^yd .... senkrecht steht und zwar so, dass der rechte Winkel dem Anfang der Periode entspricht und setzt man die Ka- thetc am =-- T, so ist fiir irgend einen Moment der Periode jevveilen die zu am parallele Linie, welche den entsprechenden Punkt der Zcitabscisse mit der Hypotheuuse des Dreiecks verbindct, ein Maass fiir den noch iibrig bleibenden Abschnitt der Periode. Ist nun z. B. ab, he, cd etc. (.Fig. 3) die Zeitdauer der ersten, zweiten dritten Phase der Periode u. s. w., aaj-ih, ^i^yc^ cySd u. s. w. das Maass der in diesen Phasen zu Stande kommeuden Beschleuni- gung, so sind die Prismen aj^B, jjyC, cdD u. s. w. die Maasse fiir die in Folge dieser einzelnen Beschleuuigungen im Laufe der Periode zuriickgelegten Wege. Aehnlich verhalt es sich an jeder anderen Stelle, auch bei den umgekehrt gerichteteu Beschleuni- gungen ; nur sind im letzteren Falle die Wege umgekehrt ge- richtet, die entsprechenden korperlichen Maasse, welche auf der entgegengesetzten Seite des Dreieckes maa^ liegeu, sind also gleichsam mit dem entgegengesetzten Vorzeichen behaftet. Je zahlreicher und kleiner man nun die Phasen nimmt, desto mehr verschwinden die Zwischenraume, welche zvvischen der Unter- flache der Prismen und der sie bertihrenden Ebene m// «'«' iibrig bleiben. Man erkennt also, dass man deu Weg, welcher in Folge der in der Periode selbst wirkenden Krafte zuriickgelegt wird, folgen- dermassen graphisch darstellen kann. Man legt durch die dem 186 Dr. H. Strasser, Elide (lor Pcriodc entsprechende Kraftordinate cine Ebene, welche sich iiiit der Ebene der Kraftecurve sclineidet, uud nun wild die Kriiftecurve senkrecbt zii ibrer Ebene auf jene schrage zweite El)ene i)rojicirt. Ftibrt man nun durch die Grenzen der positiven Kriiftefelder uud ibrer Projectionen eine gerade Linie so beruin, dass sie zur Ebene der Kraftecurve stets senkrecbt stebt, so unischreil)t man zwiscben den beiden Ebenen die Kaume, welcbe den positiven Wegen entsprecbeu ; fiibrt man die Gerade in derselben Weise urn die negativen Kraftefelder uud ibre Projektionen berum , so uni- scbreibt man die Raume, welcbe den negativen Wegstrecken ent- sprecbeu ^). Mit Hiilfe dieser grapbiscben Metbode gelingt es, die Ver- baltnisse, von denen die Grosse des pro Periode zuriickgelegten W'eges abbangt, zu u1)erseben. Bei derselben Curve der resulti- renden Kriifte kann olleubar der Weg, welcber pro Periode einzig in Folge der wiibrend derselben stattfindenden Krafteinwirkung zuriick- gelegt werdeu muss, sebr verscbieden sein, je nacbdem der Anfang der Periode und die Aufangsgescbw indigkeit 0 mit dem einen oder dem anderen Tbeil der Curve z u s a m m e n f a 1 1 1. Fig. 3 uud die umstebende Fig. 4 konnen als Erlauterung dieuen. Fig. 3 entspricM dem Fall, in wekbem zu Beginii der Periode starke auftreibende Kriifte wirken, ebcnso am Scbluss der Periode, wiibrend in den mittlereu Tbeilen derselben die resul- tireude Einwirkung abwarts gericbtet ist. Fig. 4 entspricbt'demjenigeu Falle, in welcliem die auftrei- bende Einwirkung ganz in den Anfang, die. abwarts gericbtete Einwirkung ganz in den Endtbeil der Periode fallt. Im ersten Fall entspricbt der auftreibenden Kraft wegen ibrer friibzeitigen Wirkung im Beginn der Periode ein VVegkorper von besonders grosser, wegen ibrer Wirkung am Scbluss der *) Man konnte sich auch die Abscisse aa^ mit den anliegenden Kraftefeldern als starr und materiell und um einen kleinen Wiukel una die letzte Kraftor- dinate der Periode als Drehungaxe gcdreht den ken. Die von den v e r scbi e de nou Kraftefeldern d ur chm e ss one u R ii u m e w ii r d c n d a n n e b e u f a 1 1 s ein M a a s s f ii r die in Folge d e r b e t r e f f e n d e n K r a f i w i r k u n g e n in der Periode d u r c li - messenen Wegstrecken abgeben. Diese oinfacbere Methods wird nun leicht als correct erkannt werdeu, nachdem obigo Aus- einandersetzung vorausgegangen ist. 187 Fig. 4. Periode eiu solchcr von verhaltiiissiiiassig kleiiicr Hiihe. Don ab- warts treibendeii Krafteu aber entspricht ein Wegk()ri)or von iiiitt- lerer Hohc; tlie Basis der boidon positivcii Wcgkiirpcr ist im Gauzen gleich gross wie die Basis des cincu iiegativeii Wogkor- pers, deshalb niogen in dicseni Fallc der gesamrate positive mid negative Wegkorper gleich gross, ihre Summme mag uugefabr = 0 sein. Anders verhalt es sich im zweiten Fall; hier ist wicder die Basis des positiven Wegkorpers gleich der des negativen, aber die Ilohe des crsteren bedeiitend grosser; es kann also die Summe der beiden nicht = o sein; es muss resultireud pro Periode ein verhiiltnissmassig grosser Weg aiifwarts zuriickgelegt werden. Im ersten Fall fallt die tiefste Lage des Ganzen annahernd rait dem Maximum der auftreibenden Kraft zusannnen, voraus- gesetzt, dass das Aufsteigen und Absteigen der Kraftecurve an- niihernd in symmetriscber Weise gescbiebt; auf dieses folgt eine Hebung des Korpers, ein Maxinuun der Aufwartsbewegung wird erreicht, dann tritt Verzogerung ein und ganzliche Hennnung un- gefahr zugleich niit dem Maximum der abwarts treibenden Krilfte; der Korper sinkt, anfangs beschleunigt , nachber unter Verzoge- rung, bis schliesslicb am Ende der Periode die Geschwindigkeit wieder = o ist. Es ergeben sicb hier pro Periode 2 Nullpunkte der Bewegung; der Korper oscillirt um ein mittleres Niveau. Der Weg kann also bei vollkommen periodischem Gleichgewicht der Krafte ein sehr verse hiedener sein. Seine Grosse kann auch bei der se lb en Form der Kraftecurve der gesammten ausseren Einwir- k u n g e n ein v e r s c b i e d e n e r sein j e n a c b der Anfangs- 1«8 Dr. H. Strasser, geschwindigkeit, welche gloichzeitig mit cinem best iram ten Punkte dor Kriiftccurvc vorliaudeu ist. Auch sonst hangt die Grosse des Weges ab von der Form der Kraftecurve. Je vascher sich iibcrhaupt die Kl■aftein^virkllng einer Periode gleich ini Begiuu abspielt, desto griisser ist der in ibrer Ricbtuug zuruckgelegte Weg. Das Maximum ist erreicht, wcnn die ganze Eimvirkung momentan gescbiebt und als Anfangs- gescbwindigkeit beiuabe iiber die ganze Dauer der Periode fort- wirkt. Dies gilt nun nicbt bloss fiir die verticale Bewegung, sondern in ganz abnbcher ^Yeise auch fiir diejenige in der ^-Ricbtung. Beim borizontalep Normalfluge sind die in verticaler Ricbtung pro Periode vora Ganzen zuriickgelegten Wege = o in der ^-'-Ricbtung, dagegen wird im Allgemeinen pro Periode cine l)e- stimmte borizontale Wegstrecke zuriickgelegt. Aus dem soeben Eror- terten ergiebt sich aber, dass auch ein auf-oderabsteigender N 0 r m a 1 f 1 u g mogiich ist, indem bei vollkommenem Gleicbgewicht der ausseren Krafte pro Periode auch in verticaler Ricbtung ein be- stimmter Weg zuruckgelegt werden kann. In alien diesen Fallen ist die Bewegung des Ganzen eine oscillirende , und nur die Bewegung der Mittellagen , um welche die Oscillation stattfindet, kann als eine gleichformige geradlinige bezeicbnet werden, und zwar zerlegt sich beim borizontalen Normal- flug die Bewegung des Ganzen in eine verticale Oscillation um einen Punkt, der in demselben Niveau bleibt, und in eine Oscil- lation in der ^-Ricbtung um diesen selben Punkt, der sich in der ^-Ricbtung mit gleichformiger Geschwindigkeit bewegt. Es gilt nun, zu untersuchen, wie bei den flicgenden Tbieren und speziell den Vogeln die nothwendigen ausseren Bedingu n gen des horizoiitaleii No rmalf luges durcb die innere Thatigkeit des Organismus hervorgerufen werden. Zuniicbst i.st die Form der Bewegung durch Beobacb- tung zu ermitteln. Es ist genau festzustellcn , wie sich nach Raum und Zeit die Tbeilcben des Korpers gegeneinander und gegen- iiber der Aussenwelt verscbieben. Daraus ergiebt sich die M()g- licbkeit , die ausseren Widerstilnde zu beurtbeilen , die Wider- standscurven und (^ndlich di(! resultiremlen Curven der ausseren Krafte fiir die v- und ,e-Ricbtung festzustellcn. Zweitens handelt es sich darura, Grosse und Ricbtung der Uober don FIupj dor Vogel. 18i) inneren Krafte des Apparates iu ihrer Vcrtheiliuig jc iiacli Ort und Zeit kenuen zu lernen. In dritter liiiiie ist zu untersuchcn, in weldien Organon die inneren Krafte wacligerufen werden und wie diese Organe bei der iu iliuen stattfiudendcn Spannungscntwicklung und Formveranderung beansprucht werden. Daran scbliessen sicb die Frageu nacli d(;r Mr)glichkeit der Abanderung von Apparat und Bewegung und nacb den Grenzen der T>('ntal)ilitat und Ausfubrbarkeit der Flugbewegung fiir den TbierkiJrper. 190 Dr. H, Strasser, I. Die Form der Bewegung. A. Disposition der Maschine. Die beste Vorbereitung zum Studium der Form der Bewegung ist zweifelsohno die aiiatoin i sche U nteisiichung. Sie uiiter- richtet uns iiicbt bloss fiber die geonietrisclion Verhaltiiisse des Korpers in einer bestininiten Stelluiig, derjonigen, vvelche das todte Thier einuimnit, sondern giebt zugleich Aufschluss iiber die Materialen der Thcile, iiber eine ganze Reihe physikalischer Eigen- scbaftcn derselben, iiber die Verschiebungsmoglicbkeiten bei der Einwirkung bestiramter supponirter Krafte und s. f. Wer sich irg(>ndwie mit den Verbiiltnissen der Flugbewegiing vertraut machen will, und gerade am meisten derjenige, dem ana- tomiscbe Studien im Uebrigen fremd siiid , sollte es nicht unter- lasseii, Vogelkorper zu zergliedern oder gute, von andern gefertigte frlsche Praparate zu uutersuchen, wobei die verschiedensten Lehr- biicber dor Zoologie und vergleichenden Anatomie alien wunschens- wertheu Aufschluss iiber die iibliche Benennung der Theile und iiber die Bedeutung derselben zu geben veruiogen. Icb will den vorhandenen Bcschreibungen koine irgendwie voll- stiindige, neue hinzuttigen, sondern auf den Bau des Vogelkorpers nur soweit (lintreten, als die anatomiscben Verhiiltnisse fiir die zu be- sprechenden Eragen jeweilen von Bedeutung sind. Die fiir den normalen und borizontalen Flug bedeutsamste MassengHed(^nuig des Vogelkorpers ist diejenige in die beiden Fliigel und den ganzen iibrigen Rest der Kcirpermasse. Der Rumpf ist langlicb, von rundlicbem Querschnitt. Das beim Flug hinten licgcnde Ende ist verschmalert (und zwar von oben nacli unten nieist weniger als von einer Seite zur andern) und liiuft in den Schwanz aus, der mit seinen Eedern eine an- nabernd borizontal gestollte Platte darstellt. Vorn geht der Rumpf untcr allscitig gleicliniassiger Verschmalcrung in den Hals iiber, dieser in den wenig dickeren, meist kleinen Kopf, der zuge- Ueber don Flug der Vogel. 191 spitzt im Schnabel endct iiiul mit dicseni voran zucrst die Luft durchschneidct. Zu dieseiu Staninitheil des Korpers komnien iioch die hiiitoren Extromitaten hinzu. Diese gauze Masse, mit Einschluss des Federklcides und der am SchultcM'golenk liegendcn niilchtigen Miiskcln iindert ilii'e Con- figuiation hcini horizoiitalen Fluge im gaiizen wenig und kanii als die (>iiie Partialmasse des Systems aufgefasst werden, die wir in Zukunft cinfach als Rumpf oder mit dem Buchstaben E be- zeichnen wollcii. Die beiden andern Partialmassen, symmetriseh ziir Symmetrie- ebene des Riimpfes gestellt und organisirt, sind in Liingslinien an die milchtigste Stelle des Ptumi)fes nah dcm obcreii Rande seiner Seitenflachen eingepflanzt. Die hauptsachlichsten Theilc der Verbindung sind : 1) Die Verbindung des Skelctes desFlugels mit dem Skele t des Rumpfes in dem Schultergelen ke. Eine iJelenkspalt(; trennt das Oberarmbein (Humerus), dessen Rumpfende eincn von vorn nach bintcn abgeplatteten Gelenkkopf darstellt, von der sattelformigen Gelenkpfanne, welcbe vom Skelet des Rumpfes gebildet wird. Eine Gelenkkapsel verbindet die aneinander stos- senden Knocben , so dass die Bewegung des Fliigels gegeniiber dem Runi])fc innerhalb des gevvohnlich benutzten Excursionsgebietes ohne erheblicbe Reibung vor sich gehen kann, aber naturlich nur annahernd als eine Drehbewegung, um irgend eine nahe an der Gelenkspalt(^ vorbeiziehende Drebungsaxe. 2) Die Mu skein, welcbe am Sebu 1 tergel en k vor- beizieben und sich der Hauptmasse nach einerseits am Skelet des Rumpfes, andererseits am Humerus in der Nahe des Schulter- gelenkes befestigen und sich demnach wesentlich den iibrigen Th(!ilen des Rumpfes anschmiegen, wiihrend nur ein kleiner Theil dem Humerus entlang lauft und sich entfernter vom Gelenk, ja selbst jenseits des Ellenbogengelenkes an den Vorderarmknochen aiibeftet. Die Concentration der Muskelmassen auf den Rumpf hat zur Folge, dass bei den Bewegungen des Fliigels ein mog- lichst kleiner Bruchtheil der beschleunigenden Kraft auf die Mit- bewegung der Muskeln des Schultergelenkes, beziehungsweise auf die Hemmung und Umkehr ihrer Bewegung verwendet werden muss. Was aber die Wirkung der Schwere auf diese Muskeln betrifft, so vertheilt sich naturlich die Last der Muskeln in jedem Augenblick nach einem ganz bestiramten Verhaltnisse auf die 192 Dr. H. Strasser, beiden Ansatzpiinkte am Skclet. Der Haiiptantheil ihrer Last wird von d(!ni Skelct des Rumpfes gctragen. 3) Die Ilaiit mit ihrem Federkleide geht continuiiiich vom Iiumpf auf don Fliigol liiniibor und ist an der hintcircn Seite des Schultcrgolcnkes zu oiiKM- Falte ausgezogen (hintere F lug- fa aut rait Deckfodern). Audi boi diesen Thcilen muss oin bestinimter P>ruchtlK'il der Masse und des Gewichtes dem Rumpfe, der Rest dem Fliigel zugci-echnet werden. Fiir jede neue Stellung des Fliigels zum Rurapf ist diesc Vertheilung cine etwas ver- schiedene; doch begeht man keinen grossen Feliler, wenn man die Masse der Muskeln und iiusseren Bedeckung(!n von ganz be- stimmten, ein fiir alle mal bezeichneten Querschnitten an auf der einen Seite mit zu der Partialniasse des Fliigels, auf der andern zu dcrjenigen des Rumpfes binzurechnet. Das Skelet des Rumpfes besteht zunachst aus einem fast vollkommen starren Abschnitte K (Fig. 5) , den icb als K a s - ten bezeichnen mcichte; an ihm entspringen sammtlicbe Muskeln des Schultergelenkes (mit Ausnahme einiger Hautmuskeln und des diinnen M. latissimus dorsi). Diescr Kasten wird gebildet von dem Brustl)ein st, den beiden Coracoid - Beinen c, den Sc.hulter- blattern sc und dem Gabelknochen f. Die WirbelsJiule mit dem Becken und Schadel bildet einen zweiten Bestandtheil des Rumpf- skeletes, der gegen den Hals zu bis zum Kopf und ebenso am bintersten Endc im Bereiche des Schwanzes biegsam und beweg- lich, im Becken - Bauch - und Brusttheil aber annahernd starr ist und durcb die diinnen Rippen wie mit einer grossen Zahl von Beinpaaren auf dem Rande des Brustbeius elastiscli und in einer durch Muskeln regulirbaren Stellung aufrubt. Die Last der Ein- geweide wird zum grr)sseren Theile — und dies gilt namentlicb fiir das Ilerz, die Leber, den Magen und einen Theil der Gediirnie, — direkt durch den Kasten getragen, und nur ein kleinerer Theil derselben ist an Wirbelsiiule und Becken aufgehiingt, Der S c h w e r p u n k t des g a n z e n Rumpfes liegt wegen der tiefen Lagc der machtigsten Schultergelenkmuskeln unterhalb der Mittellinie des Rumpfes oder F>rustkorbes ziemlich welt nach unten und auch ein Stiick nach hinten von den Schultergelenken. Weniger starr und unv(!randert in seiner Configuration bleibt beim horizontalen Normalfluge der FliiiieL Es ist bekannt, wie dieses fljichenhaft ausgebreitete Gebilde durch ein gegliedertes Skelet gestiitzt ist (siehe Fig. 5) , welches dem Skelet der vor- deren Extremitiit der Amphibien , Rcptilien und Siiugethiere ver- Ueber rlen Fliip; dor Vocjel. 19:{ gleichliar ist iind vor allnm zwoi Hauptglicderungsstolleii , das Ellbogou- iind das Ilaiidgelcnk {E uiid 11) auf\v(!ist. Audi bui starkster Streckung siiid die 3 liaiipfabschnittu des Skcletes, der Fig 5. Kumpf- und Fliigelskelet eines Adlers, Bd. XIX. N. I'. XII. 13 194 Dr. n. Rf rassor, Humerus h, die Voiderarnikiioclicii r und u und das Handskelet noch ini Winkel zu einander g(3stellt, so dass die Convexitat des Ellbogens am natihlicli horizontal zur Seite ausgestreckten Fliigel iiach hinton, diejciiige des Handgelenkes nacb vorn sieht. Die Wiikuiig der im Fliigel selbst gelegeiien Muskein dieser Geleiike dient dazu, diese Knickuiigen iiach Bclieben zu verschiirfen (Beu- gung des Ellbogen- und Handgelenkes). Das Handskelet bestcht aus eiuer verhaltnissmiissig geringen Zahl knocherner Stiicke. Auf die Vorderarmknochen folgt zuniichst eine in der Ebene des Fliigcls liegende Knocbenscheibe s (mittlere Element(! der 1. und silmmtlicbe Stiicke der 2. Handwurzelreibe). Am vorderen und binteren Rande ibrer Gelenkverbindung mit den Vorderarmknocben ist je ein rundlicbes kleines Knocbenstiick eingefiigt (Randtbeile der 1. Handwurzelreibe, Fig. 5 m und n). Die Scheibe selbst lauft distal in 3 Fortsiitze aus (1., 2., und 3. Metacari)us, mit I, H und HI bez.), Der vordere ist ganz kurz; ibm sitzt das dolcbartige Glied auf, das den Lenkfitticb triigt und als erste und einzige Phalanx des Daumens gedeutet werden nuiss; die beiden binteren Fortsiitze (2, u. 3. Metacarpus) ragen viel weitcr binaus und sind an ibren Enden mit einander ver- scbmolzen, so dass ein langlicher Rabmen gebildet wird. Dcm Ende des Rabmens aber sitzen ein binteres kleines stiletfoiniiges Knocbelcben (das Kleinfingerglied) und ein lilngeres messerartiges vorderes Stiick (die 1. Phalanx des Mittelfingers) auf, welch letz- teres seinerseits wieder das Endglied des Fliigels (eine 2. Phalanx des Mittelfingers) triigt. Am Riicken des Endgliedes ist die erste, an dem messerartigen Stiick die 2. und 3., an dem Kleinfingerglied die 4. Schwungfeder befestigt. So zerfiillt also das Skelet der Hand der Hauptsache nacb durch 2 transversale Gliederungsstellen (bei a und h) in drei, gegen die Fliigelspitze bin an (Jnisse abnebmende Ii;ingsal)scbnitte. Es ist nur einer geringen Durclibicgung iiber die Kanten und iiber di(! FlJiche und nur einer geringen Lilngstorsion fabig. Ziemlich gross ist noch die Abbiegungsmiiglicbkeit fiir divs Endglied, welches die 1. Schwungfeder triigt. Weitaus die grosste lU'weglichkeit aber kommt dem Lenkfitticb zu, der vom vorderen Rand der Schwinge abgegliedert ist. Die im Fliigel gelegenen Muskein schmiegen sich den Knochen an und liegen z. Th. in den Spatia interossea. Eine erste Verbreiterung der Fliigelf lilchc kommt durch die Ueber den Flu^ der V()p;ol. 195 beiden Hautfalten, die sich hinten am Schultergdonk und vorn am Ellbogengelenk aiisspanncn (h in to re und vordcie Flug- haut) zu Stande. Die Hauptsache aber bleibt in dieser Beziehung den Federn ubeiiassen. Die Verhaltnissc der Fedorliokleiduiig miisscn von vorn- herein von uns genauer ins Augc gefasst werden. Wir folgen dabei baiiptsiichlich der ausgezeichneten Beschreibung , welchc Preciitl von den Flugorganen der Vogel gegeben hat'), und lassen ihn z. Th. selbst sprcchen. Auf den Knochen des Amies sind, theils recht-, theils schief- winklig die grossen Contourfedern (sog. Schwungfedern , Remiges der Autoren) aufgelegt, welche, indem sie von innen nach aussen iiber einandei- greifen und sich deckcn (der aussere Rand einer Feder deckt jeweilen den inneren Rand der nachst iiusseren Feder), eine elastische Flache des Fliigels bilden, wie sie bei den fliegen- den Insekten durch die zwischen feinen „Adern" ausgespanute Membran, oder bei der Fledermaus durch eine sehnige Haut ge- geben ist. Der Fliigel theilt sich der Liinge nach in drei Regionen : 1) Den Deckfittich''*), welcher unmittelbar am Leibe oder Rumpfc des Vogcls liegt, und dessen Federn, die sog. Schulter- federn auf der die Muskehi des Oberarms umkleidenden ITaut liegen und durch die hintere Fhighaut in ihrer Lage erhalten werden. 2) Den Facher, wclchera die Federn zugehoren, die im Bereiche des Vorderarms liegen. Die grossen Federn des F a c h e r s , welche nur vorn von kleineren Federn, sog. Deckfedern, bedeckt sind und den hinteren Rand des Fachers allein bilden, werden von den Ornithologen gewohnlich als Schwungfedern zweiter Ordnung bezeichnet. Sie sind in den hinteren Rand der dorsalen Hautplatte des Flugels in regelmassigen Abstanden mit ihren Spulen eingepflanzt und mit dera Periost der Riickenfiache der Ulna innig verbunden. 3) Die Schwinge; ihre grossen Federn, von den Ornitho- logen gewohnlich als Schwungfedern erster Ordnung, von uns mit Prechtl einfach als Schwungfedern bezeichnet, verbal ten sich ahnlich zu der Haut und den Knochen der Hand wie die grossen ') Prechtl, Untersuchungen iiber den Flug der Vogel. Wien, 1846. ^) Schulterfittich, Parapterum, 13* 196 Dr. H. Strasscr, Fiicherfedcrn zu den entsprcch(nidoii Theilen des Vnrderarms, nur sitzen sic ziir Lilngsaxo dor Hand nach ansscMi zu immer niohr schiefwinklig auf. Hire Zahl ist nach Preoiiti. bei alUui Fliegcrn constant 10; die 4. Scliwungfeder, von der Flugelspitze aus ge- ziihlt, ist dcm Endgliede des kleinen Fingers der Liinge nach auf- gelegt, die 1. Schwiingfeder ebenso dem Endgliede des Mittelfingers (Len life der), die 2. u. 3. auf dem Knochen des ersten Glicdes des grossen Fingers; die G inneren auf (i(^n Knochen der Mittel- hand. „Die Spulen dicser Federn liegen, ausscn- ihrer B(>festigung an dem Knochen, unter einander in der elastischen und sehnigen Hautduplicatur verbunden, welche eine ununterbrochene Fortsetzung der die Fiiclierfedern verbindendcn Haut ist, nur ist dicse Verbin- dung hier starker und das Ende der Haut bildet einen schnen- artigen, die Spulen unigebendcn Umschlag. Auf die Federn des Mittelhandknochens und die sie verbiudende Haut wirken ebenfalls , wie vorher bei dem Fiicher, einzelne von dem Autagonisten des Streckers des grossen Fingers auslaufcnde Sehnen, die ihre Nieder- und Festhaltung beftirdern. Bei der Streckung des grossen Fingers breiten sich die 5 — 6 ersten Schwungfedern auseinander nach vorvviirts, bei seiner Beugung schiebeu sie sich untereinander und riickwarts, so dass die Enden der Fahnen sich decken; bei der Beugung der Mittelhand und bleibender Streckung des grossen Fingers bleiben die iiusseren Schwungfedern ausgebreitet , es kann aber auch noch der grosse Finger sich l)eugen, wobei denn alle Schwungfedern sich zusanimen schieben. Die Schwinge schiebt sich aber zuni Theil unter den Facher, wodurch der Fliigel verkiirzt wird. Wird der Fliigel endlich ganz eingezogen, nilnilich durch Anziehung des Oberarms, des Vorderarms und der Hand, so schit^bt sich die Schwinge unter den Fachei' und der Facher unter den Deckftttich, der dann als ein Theil des befiederten Kiupers erscheint. Die auf dem zweiten Gliede des grossen Fingers befestigte Lenkfeder ist mit dem letzteren selbst fiir sich nach vor- und riickwarts beweglich. Die Biegung der Schwung- und Filcher- federn nach unten gi(;bt der unteren Fhigelfliiche eine nach anssen und liinten gewiUbte Form." 4) Endlich sind an dem Daumenknoclien drei bis vier kiirzere, in der Lilnge abnchmende, zicimlicli stcufe iiiid gekriinuiitc^ Federn befestigt, die einen kleinen, nut dem Daumen nach vor- und riick- Ueber dci. Flui; dcr Vo<,'el. 107 warts , ilocli Mucli dorsiil - uiul vciitralwilrts buwcgliclien uiid iini dio Liingsaxc! dicliliariii l<'ittich bildcii, wclclKn- seiner Bcstiiimiun;; iiacli, wiu PiiEciiTL niciiit, am bcslcii als L(3nktilticli ') bezcicliiict wird. Die aiis lioruartiger Substaiiz gebildeten Federn sind als Be- staiidtbcile zur Bildiiiig eiin'r dastischeii, der Luft undurdidriiig- lich(!ii Fliicbe selir vollkoniiiicn eiugerichtet. Jedu Feder bcsteht aus deiii Kiel und der Fa line. Der Kiel, welcher den festen elastisclicii Stamni l)il(U;t, an (lessen iiiissereni Theile zu beiden Seiten dieFaluie auliegt, tlieilt sicli in die Spule und den Schatt. Die Spule ist der cylindrisclie, aus durehsichtiger Substanz gebil- ilete 'i'heil, niit welclieni die Feder in deni Fliigel befestigt ist; von deni p]nde dieser Rohre beginnt der Sdiaft, indem die Sub- stanz derselben bis zur Spilze des Kiels fortlauft und eine weisse niarkige Substanz umseliliesst, \Yelche die Masse des ini Quer- sclmitte eiu Viereck bildenden Scliaftes ausmacht. Die untere Seite ist in der Mitte der Liinge nacli von eiuer Rinne durchzo- gen, welche zwei mit den beiden Seitenwiindeu verbundene liei- sten trennt, durcli deren Gcgenwirkung gegeu die obere elasti- sclie Decke des Schaftes die Festigkeit des Schaftes gegeniiber auf- und abwiirtsbiegenden EinflUssen gesichert wird. An beiden Seiten des Schaftes, nahe seiner obercn Peripherie, istdieFahne eiugesetzt, welche aus 2 Barten besteht. Jeder Bart setzt sich aus eiuzelneu nahe an einander liegendeu Strahleu zusanimen, welche ini Allgemeiuen niit ihren verdiinnten Enden etwas gegen die Spitze der Feder hingerichtet sind und aus deniselben durch- scheiuenden Stotie bestehen, wie die Decke des Schaftes und die Spule. An diesen Strahlen uuterscheidet man wieder Kiel und Bjirte, welche als secuudiire Kiele und secundare Biirte vou den priniilreu der ganzen Federn unterschieden werden. Die Strahlen niit ihren Kielen uud Barten, welche letztere wieder aus einzelnen (secundiiren) Strahlen bestehen, die etwas gegen die Spitze der priniaren Strahlen hingerichtet sind , sehen ganz iihnlich aus wie die ganzen Federn, namentlich an deiije- nigen Stellen, wo die ganze Feder weich und diinn ist, weil liier die secuudaren Kiele uur wenig iiber die Flache der secundiiren Biirte uach unten vorragen. Wo aber der priniiire Bart uud die priniaren Strahlen starker gebaut sind, springen die Kiele der letzteren als blattartige Leisteu iiach unten vor, so dass hier ein pri- M Afterfliigol, .Mula. 198 Dr. H. Strasser, /?=?^^ Fig. 6. niarcr Federbart, von unten mit tier Loupe l)etrachtet, an die Unterfliiche eiues Blatterpilzes gemabnt. Diese bbattartigcu Lei- sten kissen scbraale Kiiume zwiscben sicb, wclche iiacb unten otfen und von obon bcr durcb die secundarcu Bilrte luftdicht zugedeckt siud. Unsere Fig. 6 zeigt ein Stiick eines priniaren Federbartes senk- recbt zur Flacbe, parallel der Laugsaxe der Feder gescbnitten. Und zwar hat man sicb bei b S die Spitze, bei B die Basis der gauzen Feder zu denken. abc sind die quer getroffeneu secun- daren Kiele, bd und ce die quer- getrotfenen secundaren Barte (oder einzelne langs getroffene secun- dare Strablen). Die secundaren Barte liegen wesentlicb in der obercn Peri- pberie der Feder; der bintere (ce) geht anniiberud vom oberen Rande des secundaren Kieles ab, der vordere {bd) etwas tiefer. Die Leisten, welche als secundare Kiele bezeicbnet werden (a6c), sind, wie man siobt, etwas convex uacb der Basis der ganzen Feder zu gekriimmt. Der bintere Bart eines Strables legt sicb uber den vorderen des nacb binten fallenden Strables. Die Strablen zeigen sicb also besser geeignet, einem etwas nacb vorn gegen die Basis der Feder wirkeuden abbiegenden Einfluss zu widersteben, als einem von ibrer Vorderflacbe ber einwirkenden; und die Bitrte zweier beuacb- barter Strablen sind so iibereinandergefugt, dass sie sicb bei der Aufbiegung der Federn gegeniiber ibren vorderen gefestigten Tbeilen, wie sie die Folge eines von unten einwirkenden Luft- widerstandes ist, inniger aufeinander legen. Die benacbbarten se- cundaren Biirte sind aber ausserdem uocb in kunstvoller ^Yeise mit einauder verfilzt. Die Bartstrablen der vorderen secundaren Bilrte bd liegen steif und dicbt uebeneinander und laufen in ziem- licb kurze hackenformige Haarzipfel (tertiilre Strablen) aus. Aebn- licb steif und dicbt sind die Strablen der binteren secuiidiiren Barte nur an ibrer Basis, dann aber laufen sie in lange feine Haare aus (Fig 6 recbts bei e), dereu Liinge iibrigens verschie- den ist und die oft einen etwas gewundenen Verlauf luiben ; andcre, uocb stark(!r gekrauste Haarzipfel (tertiilre Strablen) wendeu sicb Ueber den Flug der Vogel. 199 mehr iiiicli imteu iiiid bilden gloichsani eiiien wolligeu Suiiiii, iu den die vordercii secuiidaren Strahlen dcs niichst liinteren prima- ren Strahlcs von unten her ini Ganzen und niit iliren hackenarti- gen tei'tiiiren Strahlen eingebettet sind. Dieser Zusannnenhang wird gewaltsam gelost (unter Zer- reissung cinzelner Fasercbeu), weun man die Strahlen einer Feder- fahne aus cinander spaltet, und stellt sich nicht sofort in der- selben Vollkoninienheit wieder her. „Die vordere Region der Fliigelflache, wo die grossen Federn mit ihren Kielen auf den Armkuochen liegen, ist niit kiirzeren iibereinanderliegenden Federn bedeckt, welche Deckfederu (tectrices) heissen und sowohl zur Verschliessung der Oeffnungen dienen, welche die Kiele jener Federn zwischen sich lassen, als auch zur Verstiirkung der Auflage der letzteren selbst. Die ersten oder langeren Deckfedern liegen mit dem Ende ihrer Spule unmittel- bar ueben der Spule der Fiicherfeder und iiberkreuzen dann die letztere, indem sie mit ihr hiiutig verbunden sind. Die Spulen der Deckfedern der Schwinge liegen unmittelbar der Lange nach auf den Spulen der Schwungfeder, mit denen sie gleichfalls hiiutig fest verbunden sind. Die Spulen dieser Federn sind viel starker als jene der Deckfedern des Fachers, ja im Verhaltniss zur Lange ihrer Fahne noch starker als die Spulen der Schwungfedern selbst und verstitrken daher bedeutend die Auflage der Schwungfedern. Die Lange dieser ersten Deckfedern, die ubrigens jenen des Fa- chers analog geformt sind, ist bei vcrschiedenen Fliigeln verschie- den, je nachdem eine grossere Steifheit dieser Flache erfordert wird. Gewohnlich macht ihre Lange ^{3 bis zur Halfte der Flii- gelbreite aus. Ueber diesen ersten Deckfedern liegen gewohnlich noch zwei Reihen kiirzerer, dann noch kleinere und kiirzere, die am vordereu Fliigelrande sehr klein werden und eineu samnitartigen Wulst bilden. Die basalen Enden aller dieser Federn sind mit Flaumfedern bedeckt, so dass eine vollkommen geschlossene Flache erhalten wird. Uebrigens nimmt die Starke aller Federn des Flii- gels, der Facherfedern , Schwungfedern und Deckfedern von innen nach aussen zu, sowohl durch die Starke des Kiels, als die Starke der Fahne, bis endlich an den iiussersten Schwungfedern, auf welche beim Niederschlage des Flugels die grossere, dem Quadrate der Geschwindigkeit proportionale Kraft wirkt, das Maximum dieser Starke auftritt. Die Deckfedern der untereu Fliigelflache sind im Ganzen bedeutend schwacher als die oberen, auch weit weniger zahlreich." 200 Dr. H. Slras8ur, Bcciiifliissiiim (ler Form des Fliigels (lurch Jiusscre uiirt iinicrc Kraftc. Es istwichtig, licrvorziihebeii, dass die auf obcn crwahnte Wei se fast con till uirlich uiid luftdicht gemachte dor- sale Scliicht der Federfahne den Charakter eiuer con- tin iiirl ichen Platte Oder Menib ran b eliixlt, mag nun ein stiirkerer Ueberdruck der Luft auf die obere oder auf die untereSeite, auf die niiher an derBasis oder auf die naher der Spitze der Feder gelegenen Theilc derFahne cinwirken. Es ist also nicht die Verbin- dung der einzelnen Federtheile, speciell der Federstralilen eine ventilartige, je nacb Umstanden geschlossene oder aufgehobene. Inimerhin zeigt sich die Festigkeit des Verschlusses wie auch der Widerstand der ganzen Feder uud ilirer })riiiulren Strahlen bc- sonders gross gcgeniiber eineni von unteu her auf die Feder ein- wirkendeii Drucke. So stellt auch der Fltigel im Ganzen im Bereiche des Dickfittichs uud in der vorderen Region von Facher uud Schwinge eine vollsiindig luftdicht geschlossene Platte dar, sowohl gegeii- iiber eineni Ueberdrucke der Luft an der oberen als gegeiiuber einem solchen an der unteren Flache des Flugels. Anders verhiilt sich dagegen die Gegend, Avelche den von Deckfedern freigelassenen Abschnitten der Schwung- und Facher feder n entspricht. Hier sind die beiden Feder- barte der grossen Federn deutlich, wenii audi nicht uberall in demselben Masse ungleich breit; der aussere ist jewcilen der schniiilere und auch aus steiferen Strahlen gebildete; ferner bleibt ein grosserer oder geringerer Theil von der Spitze jeder Feder vollstjindig isolirt. Auch wenn der Ueberdruck der Luft gleich- inilssig auf die Unterflache des ausgebreiteten Fliigels vertheilt ist, iniissen die breiten Bilrte starker nach oben abgebogen werden als die schnialen, bis sie sich jeweilen dicht an die Unter- flache der niichst inneren Feder (soweit sie uiiter derselben lie- gen) anpressen. Letztercs muss uni so mehr der Fall sein, je mehr der Ueber- druck an der Flugchniterseite von Feder zu Feder gegeii die Spitze des Flugels hiii pro Flachenelenient zuiiininit, wie solches in Wirklichkeit in iler Kegel der Fall ist. Die Zunahme der Festigkeit der Federkiele uud iluer Strahlen nach der Spitze des Flugels hin und die grossere Laiige der Federn, diese beiden Ucbcr deu Flug der Vogel. 201 Momeutc stclicu oii'eubar iiiit eiiiaiulcr in ciiiciu dcrartig regulir- tcii Yerhiiltniss, (lass trotz der Zunabnio dcs giussorcn Ueber- drucks der Luft an der Unterseite der Fliigijlspitze doeb die Durclibiegung der Fliigeltiaehe beini Niederscblage des Fliigels das Material der Federn iiberall in gleicbniiissiger Weise in An- spruch niniint und dass der Scbluss der Federn gegeneinander iiberall in ahnlicher Weise sich vollziebt. Fiir besondere An- spriiche sind ausserdem besondere, durch Muskeln beeinflusste Meclianisnien vorhanden, durch welche die Stelluug einzelner Fe- dern uder Fliigeltheile regulirt werden kann ; diese Vorriclitungeu sind besouders von Pkecjitl genauer stiidirt worden. Es erhebt sich nun die Frage, ob nicht dieselben Verhiilt- nisse, welche den Anschluss der in eiufacher Keihe stehenden grossen Federn aneinander bei eiuem auf die Unterseite des Flii- gels vvirkendeu Ueberdrucke der Luft sichern, uingekehrt ein Aus- einanderklalieu dieser Federn begiinstigen fiir den Fall, wo der Fliigel niit der oberen Seite vorau gegen die Luft gelit. Es hau- delt sich bei dieser Frage nicht um die freieu Enden der Federn, sondcrn uni die Stellen , wo sic sich, wie die parallelen Plattchen eines Fensterladens, niehr oder weuiger deckeu. So viel ist sicher, dass durch Dorsalwartsaufbiegung der ausseren Theile des Skelctes gegeniiber den innereu, wobei die Kiele der ausseren Federn gegeniiber den innereu gehoben wer- den, der Anschluss der Federn aneinander wieder hergesteilt werden kann, auch wenu die ausseren Federn durch den Ueberdruck der Luft stiirker nach unten gedrangt werden sollten und der lunenrand jeder Federfahne starker als der Aussenrand. Wenu dagegen die iiusse- reu Enden des Fliigelskelets und die ausseren Schwungfcdern mit ihren Kielen nicht durch Muskelkriifte nach oben, vielniehr in Folge des dorsalen Luftwiderstandes, der nanientlich an der Spitze des Fliigels gross ist, starker nach unten gegeniiber der Ebene des Fachers hinausgetrieben werden, dann muss ein Klatien der grossen Feder stattfiudeu ; die Luft driugt von oben in die Zwischenriiume ein und driiugt den inneren Bart der Fahne noch urn so starker abwiirts, je grosser er im Vergleich zuni vordereu Barte ist, dreht also die Ebene der Fahne und vermehrt auf diese Weise den senkrechteu Abstand der Federflachen. Die A s y ni metric der Barte der ausseren grossen Federn wiirde also bewirken konuen, dass selbst bei Veutralbeugung derSpitzen des Fltigelskeletes doch noch die Feder barte sich aneinanderlegen , wenn ein 202 Dr. H. Strasser, Luf tiiberdiuck von iintcn wirkt, dagegen bei der- selbcii Stclluiig des Skelctes wie die Flatten einer Jalousie aufklaffen miissen, sob aid der Flugel mit dcr Dorsalseitc vorau gegeu die Luft geht. Es ist also denkbar, dass durcli Muskelwirkung , welche die Befesti- gungsi)unkte der ausseren Schwungfedern oder ihre Kiele nacb uuten ziebt, oder die Spulen drebt, oder dass (lurch grossere oder geringcre /usamnienscbiel)ung der Facher- uud Schwungfedern je nach Bedarf ein solcbes Klati'en verniehrt werden , oder dass es von vornherein wegen der Steifheit des Fliigels in nur unbedeu- tendem Grade stattfinden kann. Die Form des Fliigels und die Stellung seiner verschiedenen Fliichen kann, wie man sieht, eine recht verschiedene sein, auch wenn Schultcr-, Ellbogen-, Handgelenk und Flugelspitze dicselbe relative Lage zueinander und zum Rumpf haben, je nach den Luft- widerstanden und je nach der Bethciligung der im Flugel selbst gelcgenen Muskeln. Ich halte es fiir gerechfertigt, diesen Verhiiltnissen noch einige weitere Betrachtungen zu widmen. Bringt man einen todten Vogel, eine Taube, einen Bussard, einen Storch mit dem Rumpf in die Stellung, welche er beim Flug einnimmt und breitet die Flugel moglichst aus, so spannt sich die vordere Flughaut (Fig. 7 oec) in einer Ebene aus, welche ^■^'.'r^ ^ ^'F Fig. 7. die obere i'dijihcrie des Humerus und des Radius beriihrt, uiul bildet das sog. voderere Fliigcldreieck. Die Sagittallinien auf der- selben liegen etwa horizontal oder vielleicht diu- Langsaxe des Uumpfes parallel. (Der gauze Kiirper ist in Fig. 7 noch etwas zu stark aufgerichtet). Uebor den Flup ssten Wichtigkeit, scharf auseinander zu halten die relative Be- wegung der Theile zu einander und die absolute Be- wegung der Punkte gegeniiber dem umgebenden Me- dium. Die Stellung und Bewegung der Fliigel zum Rumpf wird am bestcn bestinnnt und definirt mit Iliilfe von Coordinaten eines Coor(liiiat(!nsystems, dessen ilauptaxen und llaui)tebenen si^nkrecht zu eiiiandei- stelien und mit dem Rumpfe starr verl)unden gedacht sind, und (lessen Mittelpunkt im Drehpunkt des Sdiultergelenkes Insofern als die Drehbewegungen des Rumpfes parallel seiner ITobev don Flu- der Vogel. 207 Mediaiiebene im allgemeinen iinbodeuteiid siiid , kiiiiii man (dine grossen Fchler aiiuebnien, dass die Kiclitung der Haujjtaxen und lTaui)t('1)(iii('ii niit Pk'/uk auf den iinii^dHiidoii Haiini dicsolbc. Itloibt, und kaiin diosclbc doniiiacli so auswiiblen, (hiss audi die; abs()lut(Ui Bewegungeii iia(di denselbon Ilauptrichtuiigen lic.qiunn /(Tlegt wer- (b'li kiiniicn. Die cine Ilauptricbtuiig (querc (»d(3r 7-llichtung) wird am liesten parallel der Verbindungslinie der beiden Schulterdrelipnnktc; ge- iiommen , die zwcdte ])arallel der Iliclit uug , in welcbcn- der Vogel seinem Ziele z'ustrebt (sagittal hori/ontale, Ziel- oder ,?-I{,iclitung), die dritte vertical (v-Riditung). Die 3 Hauptelienen siiid dann: Die Horizontalebene oder ^-^f-Ebene. Die verticale Querebene oder g-v-Ebene. Die Sagittalebene oder v^-Ebene. Siud die Drehungeii des Rumpfes erbeblicb, so wird man am besteu die RiclitungHsii der Hauptaxen des Coordinateiisyst(nTis con- stant zum umgebenden llauni annelimen und sowohl die relativen Bewegungeii des Rumpfes als die des Fliigels in den 3 IIau])t- riclitungen des Coordinatensystems, gegeniiber deni Mittelpunkt desselben, dem Gelenkdrchpunkt, bestimnien. Die Bewegungen einzeler markirter Punkte des Flugtbieres lassen sicb am besten und einfachsten, bei Beoliacbtung ohne besondere Hiilfsapparate, in folgender Weise beurtlieilen : 1) An einem Vogel, der in gerader borizontaler Ricbtung vom Auge weg oder auf dasselbe zufliegt, sieht der Beobachter nur die Bewegungen in verticaler und in borizontaler querer Ricbtung. (Projektion der Bewegung auf die Quer- ebene). 2) An einem Vogel, den man direkt von oben, oder direkt von unten her beim Fluge betrachtet, erkennt man die horizon- talen (queren und sagittalen) Bewegungen, die verticale ]>e- w(;gung dagegen nicht. (Projektion d e r B e w e g u 11 g auf die Horizontalebene). 3) All einem Vogel, den man genau von /ler Seite her betrachtet, zeigen sich die sagittalen (verticalen und horizontal en) Be- wegungen rein, und die quere horizontale Bewegung verschwin- det. (Projektion der Bewegung auf die Sagittal- ebene). Zwei dieser Beobachtungsweisen gentigen allenfalls zur rich- tigen Beurtheilung der relativen Bewegung des Fliigels. 208 T)r. H. Rtrasser, Es handi^lt sich daboi vor Allem aus a) Uni (lie Beweguiig tier Litiigsliiiie ties Fliigels. Unter I.aiigslinie des Fliigels verstehen wir ini Folgenden, bei der Analyse der Kriifte des Fluges, die Geiade, welche durch den Gelenkdrelipiinkt <> und den Fliigelschwerpunkt s geht. Was bei der Beobaclitung des fliegenden Thieres als Liingslinic er- sclieint, entspiicht nur annahernd dieser thetjretischen Liings- linie. Durcli (lit; t)l)en in No. 1 geschilderte Beol)aclitungsweise lasst sich die Ilebung und Senkung der Langslinie be- stinimtni, genaii gent)mnien die Ht^^bung und Senkung der Pro- jection der Fliigellangslinie auf die ^r-Ebene, der Betrag ihrer Erhebung iiber die Horizontale (oder Horizontalebene) und das Maximum der Senlcung unter dieselbe; der ganze Winkel, den sie in del" (22;-Ebcne zu beschreiben sclieint, soil hinfort als verti- caler Sell lag wink el bezeichnet werden. Bei der Ansicht vtm oben oder unten kann der Grad der Vt)r- otler Riickfiihrung tier Langslinie des Fliigels und der hori- zontale Schlag winkel, tier von der Projection der Langslinie in der g^-Ebene beschrieben wird, beurtheilt werden ; es ist auch zu ermitteln, welcher Antheil dieses Winkels vor, welchcr hinter der ^v-Eljene durch o liegt. Ausserordentlich werthvoll sind sodann Beobachtungen iiber die Iliiufigkeit des Fliigelschlages pro Secunde und iiber das zeit- liclu! Verhaltniss der Hin - und Herbewegung. Die Zeit einer Periode soil mit T, die Zahl der Fliigelschlage uiit n bezeichnet werden. Die Betrachtung des fliegenden Tliieres genau von der Seite giebt wichtigen Aufschluss iiber die Art, in welcher sich die 5'-Componenten der horizontalen Bewegungen und die v-Compo- nenten der queren mit einander combiniren. b) Die Kenntniss der Bewegung der Fliigellangslinie geniigt aber niclit zur Beurtheilung der relativen Bewegung des Fliigels; es ist nothig, audi iioch die jtnveilige Lage eines ausserhalb der Langslinie gelegenen Punktes zu kennen. Dadurch erst wird be- stimmt, mit welcher der unziihligen Ebenen, welche durch dieFliigel- liingslinie gelegt werden konntin, die Fliigel f 1 jiche im Grossen und (Janzen parallel liuit't. Fiir die Beurtheilimg des Luftwider- standes an irgeiid ein{!r Flache des Fliigels ist es besonders wicli- tig, die Tvi(;litung eiiun* senkicclit zu dieser Flache gost(^llten Linie (Norm ale zu dieser Fliiche) zu k(!nnen. Es ist nun aber kauni niitglich, die Kichtung einer solchen tJeber den Flug der Vogel. 209 Normalen durch direkte Bcobachtung zu beurtheilen; und auch die Richtung irgend einer Linie in der Fliigelflliche selbst, welche sicli niit der FliigcUangsIinie iinter eincm ganz bestimniton con- staiitcn Winkcl scliiieidet, aiidert sich in einer viel zu complicirten Weisc, als dass man sie durch Bcobachtung genau verfolgen konnte. Wohl aber gelingt es, die Kichtung gewisser Linien der Fliigel- fliichen zu bestininien, welche zwar ihren Winkel zur FliigcUangs- Iinie von Moment zu Moment iindern, aber doch in Wirklichkeit nicmals niit ihr zusammenfallen ; die Kenntniss ilircr Kichtung und derjenigcn einer Liingslinie des Fljichcnstiickes, die zur Fliigel- Ijingslinic parallel oder doch moglichst parallel und ein fur alle nial liinsichtlich ihrer I;age zu dieser bekannt ist, geniigt dann zur Beurtheilung der Kichtung des Fliichenstiickes. Es handelt sich zum ersten um diejenige Linie des Fliichen- stiickcs, in welchcr dieses von einer Sagittalebene geschnitten wird, um das sogenannte Sagittal profil des Flachensttickes. Man kann auf diese Weisc die Kichtung der einzelnen Theile der Fliigelflache direkt bestimmen, oder aber man fasst die Ebene ins Auge, welche am besten mit der Ausbreitung des Fliigels zu- sammenfallt, und bestimmt nach ihr diejenige der Einzelstticke, wenn deren Lage zur Hauptcbene des Fliigels bekannt ist. Ueber die Richtung der Sagittalprofile der einzelnen Ab- schnitte des Fliigels kann man bei der Betrachtung des Vogels von der Seite her in der allergrobsten Weise sich tauschen. Dagegeu gewinnt man werthvolle Aufschliisse, wenn man in einer Sagittalebene des Vogels steht, dieseu also von unten, oder von hinten, oben oder vorn her beobachtet (s. o. pg. 207). Man kann dann leicht ermessen, welche Punkte des Fliigels in derselben Sagittalebene liegen (demselben Sagittalprofil ange- horen) und ob die vorderen Punkte hoher oder tiefer liegen als die hinteren u. s. w. Wir bezeichnen im Folgenden ein Flachenstiick des Flugels oder die ganze Flache des Fliigels als pronirt, wenn das vor- dere Ende des Sagittalprofiles tiefer liegt, als das hintere, als supinirt dagegen, wenn das Gegentheil der Fall ist. Den nach vorn offenen Winkel, welchen das Sagittalprofil mit der 5-Richtung bildet, bezeichnen wir als Pr on at ions wink el (k) resp. als Supinationswinkel (y). Umstellung des Fliigels im Sinne der Verkleinerung von y oder der Vergrosserung von Jc soil Pronation, die entgegengesctzte Supination genannt werden. Doch bemerke ich ausdriicklich, Bd. XIX. N. V. XII. J 4 210 Dr. H. Strasser, (lass diese Begriffe sich niclit unter alien Umstanden und voll- koramen mit dem decken, was unter einer Drehung des Flugels um seine Lilngslinie verstanden wird. Fur eiue solche Drehung vcrwenden wir dalier, wo auf die Untcrscheidung Gewicht gelegt werden muss, die Bezeiclniuugen „Aufwarts- und Ab wartsrolluug", wobei natiirlich, wie bei jeder Drehung an Theileu eines Organismus, die Punkte der wich- tigeren Vorderseite es sind, nach deren Auf- oder Abwiirtsbe- wegung die Bezeichnung sich richtet. Was sich auf die angedeutete Weise durch gciibte und streng niethodische Beobachtung namentlich an grosseren Fliegern feststellen liisst, darf nicht von vornherein missachtet werden; es soil vielmehr diese Art der Untersuchung alien Naturfreunden, welche viel Gelegenheit zur Beobachtung fliegeuder Thiere habeu, dringend ans Herz gelegt sein. Auch empfiehlt es sich, das Bild des Vogels bei extrem gesenkten, gehobenen, vor- und ruckgefuhrten Fliigeln mit einigen Strichen zu skizziren. Daneben ist es von der allergrossten Bedeutung, dass Professor J. E. Marey Mittel und Wege ersonnen hat, um die relativen Bewegungen des Flugels gegeniiber dem Rumpfe sich selbst registrireu zu lassen. In seinem Buche, La machine animale, Paris 1878, beschreibt er diese Methoden im Zusammenhang, Uns interessirt augenblick- lich nur die Art und Weise, nach der Marey die relativen Be- wegungen des Fltigels zerlegt hat. Es figurirt dabei als eine ComiDonente der Drehbewegung die Rotation um die Lilngsaxe des Flugels. Es ist von Interesse zu wissen, was bei den Versuchen Marey's dabei thatsiichlich gemessen worden ist. M. befestigte auf die Dorsalseite des Flugels einen diinnen Stab der Lange nach und verband sein inneres Ende durch ein sog. zweiaxiges Geleuk, einen sog. Cardanus, mit einem Widerlager, das am Rumpf des Thieres befestigt war. Das Gelenk war so disponirt, dass es Drehbewegungen erlaubte parallel jeder be- liebigen Lilngsebene durch die ^--Richtung des Gelcukes und jede Drehung um die ^-Axe selbst; war der Fliigel mit dem Hebelann Starr verbundeu, so niusste jede Aenderung der Sagittalprofile des Flugels unmoglich gemacht sein. Indem nun aber der Cardanus selbst durch einen Stiel, um eine qq Axe drehbar, in das Rumpf- widerlager eingefiigt war, vermochte der mit dem Hebel starr vereinigte Fliigel ohne erhebliche Behinderung auch Bewegungen auszufuhren, bei welchen die Richtuug der Sagittalprohle sich iiuderte. Es lasst sich leicht nacbweiseu, dass dabei die Drehung TJeber den Flug der Vogel. 211 des Stieles des Cardanus genau der Drehung irgend eines Sagittal- profiles des Fliigels an einer bestininiten Stelle seiner Lilngslinie entsprechen niusste. Diese Drehung des Stieles des Cardanus, d. h. die Verschiel)ung eines Fadens, der um den Stiel geschlungen war und sicli bci seiner Drehung auf- oder abwickelte, wurde von Marey direkt registrirt. Was er dabei geniessen hat, ist also nicht die Aenderung der Tangens des Winkels, den die Flugel- ebene rait der Langslinie des Thieres macht, wie Mauey annimint, sondern entspricht genau der Aenderung des Winkels, vvelchen ein Sagittalprofil an einer bestininiten Stelle der Fliigellilngslinie mit der ^-Richtung durch diesen Punkt erfahrt. Die Methode von Marey ist also ganz vorziiglich geeignet, um die Abiinderung in der Neigung dieser Sagittalprofile zu registrireu. Die Feststellung der Richtung der Sagittalprofile fiir jede Phase der relativen Bewegung empfiehlt sich alier nicht bloss deshalb, weil sie mit einiger Sicherheit durch Beobachtung und Versuch gelingt, so dass es moglich wird, die Richtung der Flugel- flachen zu beurtheilen; ihre Kenntniss ist auch noch direkt niitz- lich bei der Bestimmung des Einflusses der Luftwider- stande am Fliigel auf die Bewegung des Ganzen. Der Widerstand der Luft am Flugel wirkt vor allem aus als Druck senkrecht zur Oberflache, also an irgend einem ebenen Flacheustiick in der Richtung seiner Normalen. Letztere aber steht als Perpendikel auf der Fltigelebene zu alien Linien der Ebene, welche durch ihren Fusspunkt geheu, senkrecht, also auch zu der sagittalen Profillinie. Errichtet man aber auf demselben Punkt des Sagittalprofils ein zweites Perpendikel zu demselben, welches aber in der Sagittalebene liegt, und legt eine Ebene durch die beiden Perpendikel, so steht diese Ebene senkrecht zu der Profillinie und zur Sagittalebene. In ihr kann man sich die in der Normalen wirkende Kraft zerlegt denken a) in eine sagittale {2v-) Componente, welche also immer noch senkrecht zum Sagittalprofil steht, und b) in eine quere Componente. Die quere Componente des Widerstandes hat keinen locomotorischen Effekt auf das Ganz e, die sagittale Componente kommt voll und ganz in Betracht, sei es als niitzlicher, sei es als schadlicher locomotorischer Widerstand. Auch wenn wir die absolute Grosse des gesammten senkrecht zu einem Flachenstuck wirkenden Widerstandes und der in die ;?v-Ebene ent- falleuden Componente nicht kennen , so vermogen wir doch aus der 14* 212 Dr. H. Strasser, Neigung des Sagittalprofils einer gegen die Luft bewegten Flache genau zu bestimmen, wie die z- und v-Componente des Wider- staudes sicli zu einander verhalten und ob sie positiv oder nega- tiv sind. Das Verhiiltniss zwischen den beiden sagittalen Componenten oder ihrer Resultirenden einerseits, der q Compouente anderer- seits ist ebenfalls, wenn audi nicht auf gauz eiufache Weise, zu ermittelu, sofern neben der Neigung des Sagittalprofils auch die Stellung der Flugellangslinie (oder der ihr moglichst parallelen Liingslinie des Flachenstiicks) bekannt ist. Um die absolute Grosse a Her Componenten zu berechnen, muss freilich die absolute Grosse des resultirenden Widerstandes gegeben sein, und diese hiingt ab von der Geschwindigkeit der Bewegung der Flaebe in der Richtuiig ihrer Normaleu. Die resultirende Bewegung des Flachenstuckes muss also nach Grosse und Eiditung bekannt sein, ebenso wie die Richtung des Flachenstuckes selbst. Man muss sich vor der Annahme hiiten , dass die 2"-, v- und ^Componenten der Widerstande berechnet werden koiuien aus den entsprecheuden Componenten der Bewegung der Fliichc, ihrer Grosse und ihrer Stellung zu den 3 Richtungen. Die Gesetze des Luftwiderstandes sollen hier nicht weitlaufig diskutirt werden, vielmehr muss auf die physikalischen Fachschriften verwiesen werden i). Helmholtz spricht sich dahin aus, dass bei den Verhalt- 1) Mathematische Thcorie des Luftwiderstandes: v. Littrow in Gkhler's Fhysikal. Worterbuch X. lid. 2 Abth. 1842. Ueberblick iiber die Geschichte dor Lehre vom Widerstand der Mittel : Munike, Ebenda. Peechtl, Untersuchungcn iiber den Flug der Vogel. (Wien 1846) pg. 143—155. Gronau, Die historische Entwickelung der Lehre vom Luftwider- stande. I'rogramm 1805. Helmholtz, Ueber eiu Tbcorem, gcomotriseli Uhnliclie Bcwegungon Hiissiger Korper betveffcnd, nebst Anwendung auf reitseiten, beim Niederschlag mit der ventralen, bei der Ilebung mit der dorsalen voran gegen die Luft. Und zwar ist der vor- dere, d(!r vorderen Bniitseite der S zugewendete, gesteifte oder verdickte Rand des 1^'liigels in (l(!r liewegung stents etwas voraus. In Folge dieses Umstandes hat der Luftwiderstand sowohl beim Ueber den Flug der Vogel. 229 Niedcrsclilag als bei der Hebuug eino gogon die vordere Breit- seite der 8 gerichtcte Compoiiente. Makey ist der Meiimng, dass dein Fliigel durch die Muskel- thatigkeit bk)ss eine Hin- luid Herbeweguiig ertheilt wcrde, und dass das Vorvviirts- und Ruckwartsausweichcn aus der Ebene des Impulses /ur Bildung der Achtertour durch das Zu- und Ab- nehmen jener Coniponente des Widerstandes und die Biegsamkeit des Flugels resp. seiner Befestiguug erkliirt werde. Ein kunst- liches Modell, welches nach diesem Principe getrieben wird, zeigt alle Erscheinungen der Bewegung des Insectcnflugels (Synthese der Flugbewegung). Im Ganzen werden durch diese Untersuchun- gen und Erwagungeu die Ansichten von Straus-DCjrckheim uber den Flug der Insecten bestatigt. Die Verhaltnisse beim Flug der Vogel sind aber nach M. wesentlich verschieden von denen bei den Insecten. Wie Prechtl besonders genau dargethan habe, sei hier der Fliigel nur geeignet, beim Schlag mit der Ventralseite voran einen Luftwiderstand zu erzeugen, wahrend bei dem Ruckschlag die Luft leiclit von der Dorsalseite zur Ventralseite des Fliigels hindurchdringen konne, Ueber die sinnreichen Apparate nun, welche Marey construirt hat, um die Flugbewegungen verschiedener Vogel zu registriren, mogc man das Original des Genaueren nachlesen. Es wurde zu- nachst die Zahl der Flugelschlage pro Secunde oder die Dauer eines Fliigelschlages, ferner das zeitlichc Verhaltniss des Nieder- schlages und der Hebung ermittelt, und zwar war es das eine Mai die relative Bewegung des Flugels selbst gegeniiber dem Rumpfe, welche den Schreibhebel des Registrirapparates in Bewegung setzte. Das audere Mai bildeten zwei MAREY'sche Tromraeln, welche nebeneinander auf die Brust des Thieres gebunden waren, den recipirenden Theil des Apparates, welcher durch die Form- und Spannungsanderung der Muskeln beeinflusst wurde. Die eine, lateral gelegene Trommel wurde, wie Marey annimmt, beim Nie- derschlage des Fliigels durch die Verdickung, welche der grosse Brustmuskel bei seiner Contraction erfahrt, zusammeugedriickt, die andere, mehr median gelegene dagegen wahrend der Hebung des Fliigels durch die Contraction und Verdickung des Muse, subclavius, des hauptsachlichsten Fliigelhebemukels. Es wurden auch beide Methoden gleichzeitig an demselben Thier in An wen- dung gebracht. Spater benutzte Marey die „myographische" Mcthode, um die Periode der Hebung und Senkung des Flugels zu markiren, wahrend er gleichzeitig auch die Schwankungen 230 Dr. H. Strasser, des Runipfes in seiner Bewegung registrirte (Fig. 114). Man wird abcr niit Bczug dariiuf ini Auge beludten niiisseii, dass die gi'usste Compression der Trommel doch wohl dem Stadium, in welcliem die Verdiclvung, also die Verkiirzung des anliegenden Muskels beinahe ilir Maximum erreicht hat, also mehr dem Kude des Niederscblages resp. Aufschlages, als der Mittc eutspricht. Wir baben bereits erijrtert, dass Marey die relativen Be- wegungen des Fliigels genauer analysirt, zerlegt und registrirt hat. Zuuiiehst wurden an dem Schreibhebel des Registrirapparates die Bewegungen reproducirt, welche die Langslinie des Fliigels macht; es ergab sich, dass die Spitze des Fliigels relativ zum Rumpf eine Ellipse beschreibt (Fig. 101), und dabei in der vordereu Peripherie der Ellipse mit geringerer Geschwindigkeit niederschlagt , in der hinteren rascher aufsteigt. Die Liingsaxe der Ellipse ist vorwarts ab warts gerichtet. Auftallend ist im Hin- blick auf die Ergebnisse unserer eigenen Beobachtung, dass der Flugel so weit nach vorn herumgefiihrt wird. Auf jeden Fall sind durch die von Mauey (pg. 284 Anmkg.) zugegebene abnorme Be- festigung des Thieres in vorwarts abwarts geneigter Haltung des Rumpfes abnorme Verhaltnisse geschaiien. Es ist wahrscheinlich, dass ein so aufgehangtes Thier sich iustiuktiv aufzurichten sucht und deshalb seine Fliigel besonders stark im Bogeu vorn her- umfiihrt. Unsere Fig. 10 ist, abgesehen von den Buchstabeu, die Reproduction der Fig. Ill von Makey. Die Linie ss entspricht der Langsaxe des Rumpfes, die geschlos- sene Curve aber der Bahn, welche ein bestimmter Puukt der Fliigellangs- liuie parallel der Sagit- talebeue beschreibt. Bei v ist oben, bei s' vorn. Die zahlreichen kurzen gera- deu Linien gebeu nach MAiiEY die Xeigung des Fliigels gegeniiber der Langsaxe des denen Phasen der Periode. Ich liabe darauf hingewiesen, dass Makey sich hinsichtlich welche er registrirte, um daraus die Planveranderunj zu beurtheilen, geirrthat Fig. 10. Thieres in den verschie- aber bereits oben (S. 210) der Grossc, des Fliigels Er glaubte die Aeuderung der Tangente Ueber den Flag der Vogel. 231 des soebeii genaiinten Wiukels zu rcgistriren, deu er vcnnuthlich nun bcreclmet imd in der iicboiisteliciidcii Figur dargestcllt luit. Statt dcssen hat or dirokt die Aciidcriing des Neigungsvviiikels der Sagittalprotile registrirt ' ). Trot/deni und trotz ciniger anderer Umstande, welchc bei der Verwertliuug der MAKEY'scheu Figur zur VorsicUt mahneu, scheint niir dieselbe den Gang der Umstellung des Fliigels gut zu charakterisiren. Die rasclieste Umstellung erfolgt kurz naehdeni die Hebung des Flugels begounen und bevor er die hinterste Lage zuni Kumpf erreicht hat; er wird plotzlich in stiirkste Su- pination ubergefuhrt, welche ini Lauf der Hebung und ini Beginn des Niederschlages allniahlig abninnnt bis auf 0, uui in der Mitte und 2. Halfte des Niederschlages in immer starkere Pronation iiberzugehen, die erst mit Beginn der Hebung rasch wieder ver- schwindet und der Supination Platz niacht. Doch kehren wir zur objectiven Berichterstattung zuriick. Makey iiussert am Schluss des VL Capitels die Meinung, dass die Planiinderung des Flugels eine wesentlich passive sei. Durch den Widerstand der Luft werden beim Niederschlag die Federn hinten in die Hohe gehobeu, um so melir, je grosser die Geschwiudigkeit des Niederschlages ist ; am Ende des letzteren wird der Widerstand plotzlich ^ 0, ') Die Itichtung //////', 30** mit ;;c' bildeud, ware (laut Anmerkg. 1. pg. 273) diejeuige Richtuog der Fliigelebeue, fiir welche der Schreib- hebel, der durch don Stiel des Cardanus in Beweguug gesetzt war, in der Ausgaiigsstellung sich befand. WoUen wir aus den Maeey'- Bcheu Messuugeu fiir uusere Zwecke die wirkliche Abanderung der Neiguugtsiiuderuug , welche dus Sagittalprofil des Flugels bei diesem Versuche zeigte, ermitteln, so miisseu wir beriicksichtigeu, dass bei dor Berechuung der Winkel iu der MAKEY'schen Figur aus ihren augeb- lichen Taugeuteu die Differenzen bei den von mm weniger ab- weichenden Neiguugen grosser, bei den am meisten davou verschie- donen Neiguugen aber kleiuer geworden sind. Jedeufalls mochte ich aufCirund eigeuer Beobachtungen aunehmen, dass im Allgomeinen der Betrag der Umstellung des Sagittalprofiles des Flugels kleiuer ist, als der Neigungsanderung jeuer kurzeu Liuien der MAHEY'sclieu Figur entspricht. Es wiirde ja soust die maximale Supinationsstelluug dieses Profiles von der maximalen Pronationsstellung um 90** divergiren, was bei freiem Fluge mit nicht zu sehr eingeschrankter Hori- zonlalgeschwiudigkeit wohl nicht vorkommt, hochstens vielleicht bei steilem Aufsteigen , oder beim Flattern iiber derselben Stelle. Es ist klar, dass bei den MAREY'schen Versuchen wegen der nicht uner- heblich gehinderten Horizoutalgeschwindigkeit sowohl Supination als Pronation grosser sein konute und seiu musste. 232 Dr. H Strasser, die Federn kehrcn plotzlich in ilire gewohuliche Gleichgewichts- lage zuruck und verblcibeu in derselben wahreud der Hebung. Dass die Fliigelspitze beini Niedcrschlag einen nach vorn couvexcn Bogen besclireibt, ist nach Makey ein Ausgleiten des schriig zur Riclitung der niedertreibenden Krafte gestellten Fliigels nach der Seite der bei der Bewegung gegen die Luft vorangehenden vor- deren Kante, wiihrend das Ausweicheu nach hinten bei der He- bung durch den Widcrstand der Luft bedingt sein soil, welchen der supinirte und mit deni Korper horizontal vorwiirts bewegte Fliigel an seiner Unterfliiche bei der Hebung erzeugt. Die Muskeln an sich wiirden den Fliigel bloss in einer Ebene, und ohne ihn um die Langsaxe zu drehen, hin und her bewegen (pg. 274). Bei der Mehrzahl der Vogel, namentlich bei den grossen Arten scheint der Flugel wiihrend der ganzen Zeit ausgestreckt zu bleibeu (pg. 220). Im VI. und letzten Capitel seines Buclies beschaftigt sich Marey mit den Oscillationen des Rumpfes; er unterscheidet ver- ticale Schwankungen und horizoutale, welch' letztere sich in pe- riodischer Zu- und Abnahme der horizontalen Geschwindigkeit iiussern. Auch diese Bewegungen suchte M. zu registriren. Er befestigte zur Untersuchung der verticalen Schwankungen eiue scheibenformige Trommel flach auf den Ritcken des Thieres; die freie Breitseite war durch eine elastische Membran gebildet und in der Mitte mit einer Bleimasse beschwert. Durch einen Schlauch communicirte der mit Luft erfiillte Hohlraum der Trommel mit demjenigen einer zweiten ebenso beschaiienen, deren Blei mit deni Schreibhebel befestigt war. Sank in der Trommel A das Blei tiefer, so musste es sich in der Trommel B heben und umge- kehrt. M. ist nun der Meinung, dass wenn die Trommel A ab- warts bewegt wird, ihr Blei zuriickbleibt , so dass dann in der zweiten Trommel die Bleimasse sich einsenken muss; bei der Hebung der Trommel A soil ihr Blei sinken. Dem Sinken des Rumpfes entspreche also eine relative Senkung des Bleis der zweiten und des Schreibhebels , dem Aufsteigen des Rumpfes ein relatives Aufsteigen des Schreibhebels. Die Richtigkeit dieser Annahme kann nun nicht ganz ohne weiteres zugegeben werden. Bei der Ruhelage der Trommel und des Bleis halt der Druck D der Membran nach oben dem Gewicht P des Bleis das Gleichgewicht, P=D. Bewegt sich die Trommel mit irgend einer Beschleu- nigung der Geschwindigkeit = (f, so folgt das Blei uur dann dieser Bewegung, wenn die auf dasselbe eiuwirkende Kraft ihm TJeber den Flug dcr Vogel. 233 ebenfalls cine Beschleuuigimg (p ertheilt. Boginnt und wjichst (lie Abvvaitsbeweguug der Trommel, so muss zu diesem Eiide Py' I) scin, was nur der Fall ist, wenn das Blei gegeiiuber dcr Ausgangsstelluiig relativ gehobcu ist. Bei dcr Aufwiirtsbewcguug der Trommel muss D^-P, das Blei also ticfcr in die Trommel cingcsunken sein; so entspriclit jedem Beschleuniguugszustand dcr Trommel cine ganz bcstimmtc relative Stellung des Bleis, dcm Moment der maximalen Abwartsbcschlcuuigung (welclie ungefiilir beim hochsteu Stand dcr Trommel und des Kumpfcs vorhanden scin mag) die maximale Excursion nach oljcn , der maximalen Aufwartsbeschlcunigung der Trommel (bei ihrem tiefsten Stande) die extreme Senkungsstellung des Bleis. Nun erwirbt sich freilich das Blei, indem es periodisch von einer Glcicligcwichts- stelluug zur nachstfolgenden iibergeht, eiuc relative Geschwin- digkeit, vermoge deren es iiber die jewcilen passenden Gleich- gcwichtslagen hiuausschwiugt , worauf dann fiir den niichsten Moment ein entgegengesetzter Fehler zu Stande kommt; es macht also das Blei Ncbenoscillationen. Es mag gelingen, die- selben fiir einen bestimmtcu concreten Fall mogliclist zu ver- meiden durch bestimmte Grossen und Spannungsverhaltnisse der Membran etc., odcr doch zu bewirken, dass es sich um cine fast gleichmassige Verschiebung aller Pliaseu liandelt; es kann aber dann uumoglich dasselbe Instrument in einem zweitcn Fall, wo die Bedingungen der Bewegung der Trommel andre sind, ebenfalls mit derselben Regelmiissigkeit spielen. Beriicksichtigt man dies, so wird man verstehen, warum Marey bei dcm einen Versuchs- thier zwei einzige regelmassige Schwankuugeu pro Periode, bei andern dagegen eine gauze Menge verscliiedener Scliwankungen der Stelluug des Bleigewichtes registrirt hat ^) Wir kommen also ^) Es ist zum mindesten wahrscheinlich, dass nicht alle diese Scliwan- kungen wirklicheu verticalen Oscillatioiien dos Kumpfcs entsprcchcn, auch miissen wohl die Zeitpunkte diescr Schwankuugen etwas anders beur- theilt werden, als dies durch Maeey geschieht. Erstens entsprechen in Fig. 114 den Erhebungen der ersten und dritten Curve, welche mit der von uns beschriebenen rayographischen Methodo gewon- nen sind , nicht die Mitten der relativen Fliigelhebung und des relativen Fliigelniederschlages, sondern eher die Eudtheile ; sodann aber entsprechen die oberen Gipfel der Curven 2 und 4, wo es sich wahr- scheinlich in der That um Oscillationen des Eurapfes handelt, nicht den hochsten Lagen des llumpfes, sondern den Augeublicken, in welchen der Rumpf die grosste relative Beschleunigung nach oben erf'ahrt, (indem ja das Blei der zweiten Trommel die Bewegung desjenigen 234 Dr. H. Strasser, zu der Uebcrzeuguiig, dass die Schlusse, welche Marey aus seinen Expciiiiienteu mit Bezug auf die „Keactioiien" des Rumpfes zielit, luit Vorsidit aufg(!iirpers sich bei dem Niederschlage etwas riickwarts wendete. Stand der Beobachter holier als der Vogel, so sah man im allge- nieinen die Oberfliiche des Fliigels als schon beleuchteten Streifen, der aber beini Nicderschlag unsichtbar wurde resp. zu einfacher Linie sich verkiirzte. Ich selbst liabe bei Aloven dieselbe Beobachtung wiederholen kiinnen. Besonders deutlich aber lasst sich die Pronation des Flugels bei Kriihen erkennen , welche gleichmiissig horizontal dahin Ziehen und sich dabei von dem anniihernd im gleichen Niveau befindlichen Auge des Beobachters direkt entfernen. Die Ljings- axe des Rumpfes bildet dabei, wie Betrachtung von der Seite lehrt, mit der Horizon talebene eineu Winkel von 5 bis hochsteus 10 ", der sich niclit wescntlich jindert. Die verticalen und liori- zontalen Oscillationen des Rumpfes sind ka-um zu constatiren. Der Fliigel bleibt auch bei der Hebung anniihernd ausgestreckt, abgesehen von der gleich zu besprechenden Einziehung der Schwinge. Die Sagittalprofile der Fliigelebene als Ganzes werden bei der Ilebung kaum so stark supinirt, dass sie der Langsaxe des Rumpfes parallel laufen. Wenn sich das iiber uns hinwegfliegende 1'hier bereits in grosser Entfernung befindet, so erscheint der Rumpf zu einem rundlichen Fleck und der Fliigel zu einer feinen Linie verkiirzt, die in ilirer Dickc wenig ilndert. Nur beini Niederschlage und zwar nachdem die Waagehalte passirt ist, sieht man diese Linie an ihrem iiusseren Ende sich deutlich verbreitern und auch als- bald an der Spitze sich aufbiegen (siehe Fig. 1 1 A). Aber audi im Moment, wiihrend der Vogel direkt iiber uns war, konnte man die Pronation der Schwinge am Ende des Niederschlages con- statiren. Zugleich sah man aber, wie die einzelnen Schwungfedern beini Niederschlage kammartig auseinander gespreizt werden und wie jede einzelne Schwungfeder starker pronirt ist als die Fliiche des von ihnen gebildeten Kanimes im Oanzen. V>c[ der Ilebung des Fliigels riicken die Strahlen des Kammes an einauder, und Ueber den Flus dev Viigel. 241 jeder eiiizelne zeigt sich dann umgckehrt stilrkcr supinirt, als die Flilche des Kammes ira Ganzen es ist. Stcht der Beobachter vor oder hinter dem Thier, so sicht er wesentlich nur cine Auf- und Niederbewegung des Flugels (der verticale Schlagwinkel kann uber der Horizontalebene durch die Schulter 40—45", unter derselben 30—35'^ betragen, ist aber oftmals geringer). Beobachtet man aber von der Seite, so er- kennt man bei einiger Uebung deutlich, dass die Spitze des Flugels (relativ zum Kcirper) eine geschlossene Figur beschreibt, deren hochster Punkt in der Querebene des Schultergelenkes oder nach hinten davou liegt. Von da aus geht das Fliigelende abwarts und dabei etwas vorwiirts bis fast zum Schluss des Niederschlages (Fig. 1 1 B), dann aber rasch mehr und mehr di- rekt abwarts und zuletzt abwarts riickwarts. Erst wenn die Spitze hinter der Querebene der Schulter sich befindet, beginnt ihre relative Hebuug in einer schwer genau zu be- stimmenden Bahn. Doch ist un- zweifelhaft mit dem Ende der He- bung eine ausgiebige Vorfiihrung verbunden, da nothwendig im Be- ginn der Hebung die Spitze noch riickwarts gehen musste ; es handelt sich also um eine geschlossene, elliptische Curve, deren Liingsaxe fast senkrecht, oben allerdings etwas zuriick steht. Die Breite wechselt und kann so gross werden, dass die Curve fast einer Kreislinie nahe kommt. Die untere Schmalseite ist immer etwas abgeplattet und zwar so, dass am hinteren Ende dieser Abplattung der scharfere Winkel entsteht. Die Beobachtung von unten bestatigt auf das unzweifelhaf- teste, dass am Ende des Niederschlages oder im Beginn der Hebung (beide Perioden sind hier nicht genau gegeneinander ab- zugrenzen) der Fliigel riickwarts gefuhrt wird, und zwar zunachst als Ganzes, also auch mit seinen basalen Theilen, dann aber wirk- lich auch durch eine geringe Einziehung der Schwiuge (Beugung der Hand). Fur gewohnlich, bei langsamem Fluge in ruhiger Luft, ist diese Einziehung nicht erheblich. Wenn die Thiere aber rascher fliegen, geht einmal der ganze Fliigel starker nach hinten, so dann aber ist die Beugung des Handgelenkes eine ausgiebigere. Beides kann so weit gehen, dass die Langslinie der Schwinge bei F. XII. 1 6 Fig. 11. Bd. XIX. N. 242 Dr. H. Strasser, der Betrachtimg von unteu mit derjenigeu des Rumpfes einen Winkel von 45 *> zu mcaclien scheint. Deutlicher ist im Ganzen die Adduction des Flugcls bei der Schwarzkrahe, namentlicli aber bei der Dohle, die im iibrigen bei ruhigem Ruderfluge sich ahn- lich verhalt wie die Nebelkrahe. In der Kegel schiitztc ich die Zahl der Fliigelscliliige bei der Nebelkrahe auf 4 J pro Sekunde. Es gelang mir einmal, die da- bei vorhandene Horizontalgeschwindigkeit (bei rubiger Luft) auf 7 Meter pro Sekunde anniihernd zu bestimmen. Der Fliigel des S t o r c h e s ist nacb iibulichem Typus gebaut und wird iibnlich bevvegt, wie derjenige der Kriibe. (Typus der Ruderflugel Prechtl's). Beim Storch wie bei dem Wcih, Bussard, Geier, Adler sind die Ausschuitte an den Schwungfedern beson- ders deutlich (vergl. S. 31) und die verscbmalerten iiussereu Theile der Fahuen besonders stark asymmetrisch. Jedera , der jemals einen Storch ul)er sich hat dahinschweben sehen, ist sicher das eigenthiimliche Auseinanderspreizen der Schwungfedern aufge- fallen. Hiilt sich das Thier dabei in demselben Niveau oder steigt es sogar, so ist die Flilche des ganzen Fliigels deut- lich etwas nach vorn gewendet. Immer aber sind die einzelnen Schwungfederfahnen aus dieser Ebene in pronatorischeni Sinn herausgedreht. Dies ist ein Eflekt des auf die Unterseite des Flugels wirkenden lAiftwiderstandes, indem die blosse Ausstreckung des Flugels am todten Thier in alien seinen Gelenken niemals zu eiuem derartigen Verhalten Veranlassung giebt, Auch wenn ein Storch mit rcgelmiissigen Fliigelschliigeu iiber den Beobachter horizontal hinwegfliegt, zeigt das Fliigelende das Bild des Kammes mit nach aussen divergirenden und aus der Haupt- ebene des Fliigels pronatorisch herausgcdrehten Strahlen, und zwar beim Niederschlage; cs liegen die Sagittalprofile der ganzen Flugel- fliiche dabei stets anscheinend horizontal, die Schwinge erscheint im Ganzen kaum pronirt, die Hinterrilndcr der einzelnen isolirteu Schwungfedern aber liegen hijher als die vorderen. Der Niederschlag des Flugels erfolgt vorwiirts und abwiirts, nahezu beiderseits in einer und derselben Ebene, welche (lurch die beiden Schultergelenke gelegt ist. In diese Ebene gehmgt zuerst nur der basale, dem Oberarm und Vorderarm entsprechende Tlicil , bald ab(;r audi die Schwinge hinein , so dass dann der Fliigel in fast maximaler Ausstreckung niederschlilgt. Gegen das Ende der Senkung verliisst er als Gauzes diese Ebene, uud be- wegt sich mehr direkt abwarts, zuletzt abwiirts ruckwarts. Erst Ueber den Flug der Vogel, 243 ganz zuletzt konimt nocli eiiic geringe Einziehung der Schwinge hinzu, wobei die Spreizung der Federn ab-, ihre Pronation aber zuninimt. Betrachtet man einen Storch unter giinstigen Umstanden, fast auf gleicher Hohc mit ihm, von hinten, so kann man die Plan- V e r a n d e r u n g e n d e s F 1 ii g e 1 s i m G a n z e n besser beurtheilen. Sie sind allerdings verhaltnissmiissig gering. Man erkennt, dass der Fliigel bei der Hebuug ein wenig supinirt ist. Im Beginn des Niederschlages verraindert sicli die Supination an den mittleren und iiusseren Theilen des Fliigels ganz wenig, wenn aber die Fliigel die Horizontalcbene passirt hat, verbreitcrt sich das aussere Drittel des Fliigels, die dunkle Unterseitc konimt zum Vorsch(Mn. Es handelt sich wohl nicht bloss iim eine Pronation der cinzelnen Schwungfedern, sondern urn eine geringe Pronation der Handfliiche im Ganzen (mit gleichzeitiger Riickfiihrung). Bei der Hebung des Fliigels crfolgt natiirlich eine supinatorische Umstellung der Schwung- federn, iiber deren Grosse ich aber durch Beobachtung nichts Sicheres ermitteln konnte. Die Hebuug erfolgt rasch, der Fliigel wird nicht weiter eingezogen , ist also fast vollstandig gestreckt; die Spitze geht moglichst direkt uach oben, bleibt also zuniichst hinter der ver- ticalen Querebene durch das Schultergelenk und schiesst erst gegen Ende der Hebung nach vorn ; wilhrend der Fliigel allmiihlig von der relativen Hebung zur Niederbewegung iibergeht, erreicht er seine maximale Streckstellung. Beim Niederschlage verbiegt sich der gauze langgestreckte Rumpf in eigenthiiniliclier Weise derart, dass die Brust gegen- iiber dem Hals und Kopf einerseits, dem Bauch und Schwanz au- dererseits etwas in die Hohe geht. Die Zahl der Fliigelschlage schiitztc ich auf nicht ganz 2 pro Sekunde, die zugehorige Geschwindigkeit ist kaum viel grosser, als die oben fiir die Kriihe angefiihrte; doch habe ich keine Gelegenheit zur geuauern Bestimniung gefunden. Die Fliigel der Tauben stellen eine Mittelform dar zwischen den eigentlichen Ruderfliigeln (Storch, Geier) und den eigentlichen Schnell- oder Stossf liigeln (wie wir sie z. B. bei den Moveu beobachten). Von den Ruderfliigeln komnien ihnen die- jenigen der Kriihcn und noch mehr der Dohlen nahe, welche Thiere ja zu Zeiten, statt ruhig und gleichmiissig dahinzustreicheii , in den kiihnsten Evolutionen sich ergehen und mit dem Thurmfalken ein wildes Spiel treiben. Auch der Kibitz kann seinen Fliigel 16* 244 Dr. IT. Stvasscr, bald als schonen Ruderfliigel, bald als Stoss- oder Schnellfliigel zu den verscliicdensten VVeudungen uud Gaiikeleieu beuutzen. Ueberhaupt bewegcn die Tauben ihren Fliigel je nach Um- stilnden in ganz verschiedcner Weise. Manchmal fliegen sie weite Streckcm bin in gerader Linie, niit regelmilssigen Flugelschliigen, otfenbar ohne sich erbeblich grosse neue Impulse nach vorn zu geben, indem sie nur dafiir sorgen, in derselben Hohe zu bleiben. Der Fliigel bewegt sich dann fast wie eine steife Platte in etwas supinirter Stellung und unter geringer Excursion auf und ab. Es ist moglich, dass der vordere Rand der Schwinge und die einzeluen Schwungfedern ihre Unterflilchen beim Niederschlag um ein Minimum nach hinten gewendet haben; aber die Sagittalpro- file des Fliigels im Ganzen sind auch an der Hand noch etwas supinirt, wenn auch unmerklich und weniger als die basalen Theile des Fliigels. Die Fliigelspitze geht beinahe in einer und der- selben Ebene, die von oben nach unten und kaum etwas nach vorn gerichtet ist, auf und ab, oder beschreibt eine nur ganz schmale Ellipse. Bei rascherem horizontalem Flug erfolgt der Nieder- schlag zunachst ebenfalls abwarts und etwas vorwiirts, aber gegen Ende des Niederschlages bewegt sich die Fliigelspitze mehr direkt abwarts und dann deutlich nach hinten, Letzteres um so mehr, je rascher die horizontale Verschiebung des Ganzen ist. Diese Riick- fiihrung geschieht z. Th. durch Adduction des ganzen Fliigels, so dass auch der Carpus sich riickwarts bewegt, namentlich aber durch Beugung der Hand. Bei der Hebung wird der Fliigel nicht stiirker eingezogen, sondern beginnt im Gegentheil alsbald sich zu strecken. Gegen Ende des Riickschlages ist allerdings die S trek- k u n g d e r H a n d und d i e V o r f u h rung des ganzen Fliigels am bemerkbarsten. So zeigt sich auch bei den Tauben ilhulich wie bei den Kriihen bei rascherem Fluge ein deutliches Herumwirbeln der Fliigelspitze, wenn man das Thier von der Seite her bctrachtet. Bei reissendem Fluge, z. B. wenn die Thiere im Schwarm um die Wette fliegen, oder rasch die Strassen entlang dahinjagen, ge- schieht die Riickfiihrung der Schwinge mit ausserordcntlicher Energie, ruckweise. Es scheint ferner der Fliigel von der Basis zur Spitze hin stiirker abwtirts concav uud insbesondere das Haud- skelet moglichst ventralwiirts aus der Ebene dor proxinialen Theile des Fliigels abgebogen zu sein. Wie die Sagittalprofile der Schwinge im Ganzen sich verhalten, ist schwer zu beurtheilen. Doch sind sie sicher beim Niederschlag etwas pronirt. Die Spreizuug Ueber den Flag der Vogel. 245 der Schwungfedcru ist gering, uiid doch wordcii die Kielc bci energischem Hieb der Schwinge nacli biutcii uidit einfiicb seiik- recbt zur Fliicbe aufgebogeii , sondeni gegeii den vorderii, iiuii- mebr aiissereii Kaiid der Schwinge bin, was ebenfalls fur eine deutlicbe pronatorische Liingsdrebuug der Federu spricbt'). Der Handfittidi wird oft so weit zuruckgefiibrt, dass seine Langs- liuie der Lilngsacbse des Korpers fast parallel stebt. Ganz kon- staut ist die starke Ruckfiibriiug der Scbwinge mit eiucr stiirkeren Beugung des Elleubogengelenkes verbundeu, ja es wird bei reissen- dem Fluge dieses Gelenk iiberbaupt nicbt ad maximum gestreckt. Diesc Beugung des Ellbogens gestattet bekanntlicb eine starkere Beugung und iiberbaupt eine grossere Beweglicbkeit der Hand und verstebt sicb daber sebr leicbt. Icb will zum voraus bemerken, dass icb diese lUickfubrung der Hand nicbt als eine Beweguug auffasse, welche nur die Hebung und Vorfiibrung des Fliigels erleich- teru soil; vielmebr dient sie dem Niederscblag und modificirt ibu ; aber die absolute Bewegung der Flugelflacben riickwarts gegen die Luft ist der Ausgiebigkeit der relativen Riickbewegung von Fliigel und Hand nicbt einfacb proprotional. Vielmebr muss bei zunebmender borizontaler Gescbwindigkeit die Riickfiibrung des Flugels besonders rascb zuuebmen. Diese Verbaltnisse sollen spater nocb eingehender besprochen werden. Moven, die icb an der Oder bei Breslau oft zu beobacbten Gelegenbeit batte, zeigten die scbon von Marey nambaft ge- macbte deutlicbe Pronation der Scbwinge zu Ende des Nieder- scblages. Es bandelte sicb dann wobl aucb gleicbzeitig um eine deut- licbe Riickfiibrung des Flugelendes, d. b. uamentlicb der Scbwinge, und um einen wirksamen Vorwartsimpuls. Man sieht aber oft diese Tbiere, obne dass sie rascb vor- 1) Die Kiele sind in ihrer natiirlichen Form dorsalwarts und gegen den vorderen Rand der Schwinge bin convex gekriimmt, wer- den also zuniichst gestreckt und dann erst umgekehrt iiberbogen. Schon die naturliche Form und Eiufugung lasst also erkennen, dass sie nicht bloss durch Krafte senkrecht zur Schwinge, sondern auch durch Componenten , welche in der Flache der Schwinge gegen den vordern aussern Hand hinwirken, in Anspruch genommen werden. Man macht auch die Beobachtung, dass bei Vdgeln, die mit dera Ende ihrer Fliigel besonders energisch nach hinten schlagen , diese Kriim- mung des Kiels besonders deutlich ausgesprochen ist. (Siibelilugler, Numenius, viele Moven, Sterna, Schwalben). 246 Dr. H. Strasser, warts streben, mit regelmiissiguu Flugelschlageii dahinfliegen. Dei* Fliigel bleibt danu .so zienilich bis zum Ende des Niederschlages in vollkommener Ausstreckuug uud zeigt die Jedem bekauute ab- wilrts couvexe KriimmuDg der Langslinie. Der Niedersclilag ge- schieht schrag vorwarts abwarts so ziemlich bis zum Eude hiu, esfindet auch keineirgendwieerhebliche Planvcraudcruug (Neiguugs- auderung der Sagittalprofilo) statt. Es ist wabrscheiulich , dass dabei doch geuiigeud grosse pronirte Fliichen (au der Schrauke) des Flugels vorhanden siud, um die geringe Vorbeweguug zu imterhalten. Bei dieseni laugsamen Fluge macbte ich ausserdeni die eigen- tbuniliche Beobachtuug, dass zu Aiifang des relativen Nieder- scblages die basalen Abschnitte des Flugels eher etwas weiiiger supinirt siud als die ubrigen schwach supinirteu iiussereu Theile des Flugels, ja vielleicht absolut pronirt; doch sind hier uocb weitere Beobachtungeu am Platze, naraentlich auch solche, welche iiber das zeitliche Zusamnienfallen der Pbasen der relativen Flugel- aktion mit den absoluten Oscillatiouen des Rumpfes Aufscbluss geben. Die verticalen Oscillationen des Rumpfes sind thatsachlich bei diesen Thieren ganz erheblich , wie Pettigkew richtig ange- geben hat. Zusammeiifassung. a. RichtungdesSchlages (Bewegung der Fliigellangs- linie). Es wird sich spater noch deutlicher zeigeu, dass nicht die Richtung des Schlages au sich, sondern die Richtung der Flugel- fliichen fiir die Richtung des locomotorisch niitzlichen Widerstandes bestimmend ist. Die Richtung des Schlages hat in anderer Beziehung ihre Bedeutung. Sie ist namentlich verschieden je nach der Massen- vertheilung des Korpers und nach der jeweils nothwendigeu Rich- tung und Richtuugsanderung des Fluges. Hebt sich der Vogel in steiler Linie, so schlagen die Fliigel in Ebcnen , welche einen nach vorn und oben offenen , ziemlich spitzen \Yinkel mit einander bilden, und der Rumpf selbst richtet sich steil auf. Bei langsamem horizontalem Fluge bewegen sich die Fliigel im allgemeinen fast in einer und derselben Querebene, welche nur wenig schrag nach vorn oben sieht. Doch ist die Richtung dieser Ebene je nach dem Bau des Flugels bei verschiedeuen Thieren Ueber deu Flug der Vdgel. 247 verscbieden. Fast immer ist der Schluss dcs Nicderschhigcs mit eincr wenn audi uoch so gcringeii Riickfuhruug vcrbuudcu. Bei grosscrur Horizon tiilgcscliwindigkeit und wolil audi bci grosserer Aiistreiiguiig, vorwiirts zu komiucu, wird diesc liUdvfiib- rung des Flugels deutlicher und denientsprochend auch die Vor- fiihrung am Endc der Hebung und zu Aufaug dcs Niedersdilages. IJeugung resp. Streckuug der Hand spielt dabei niehr und niebr cine Hauptrolle, eine kleine Eiuziebuug des Carpus gegeu den Ruinpf und die entsprechende Rtickbewegung ist Begleiterscheinung. Betracbtuug von der Seite oder von binten Uisst nocb ofters die Natur der Bewegung ubersehen. (Bei W i 1 d e n t e n z. B, babe ich lange Zeit die Pbase der Riickfiibruug der Flugel am Scbluss des Niederschlages uberseben. Idi glaubte, dass der Flugel direkt vorwarts abwarts niederscblagt und in umgekebrter Riditung rtick- gefuhrt werde obne eine erheblicbe Planveninderung. In Wirk- licbkeit aber findet aucb bier am Scbluss eine Ruckfubrung des Flugels statt, die Spitze bescbreibt relativ zum Rumpf eine ge- rundete Figur). Die Beobacbtuug direkt von unteu giebt besseren A uf scbluss. Mit steigender Horizontalbescbleunigung wirbelt die Flugel- spitze immer deutlicber im Kreise berum , d. b. im gerundeten Umkreise einer immer breiter werdeudeu Figur. Zuletzt, bei reissendem Fluge, ist die Laugsaxe dieser subovaleu Figur uicht mehr senkrecht oder vorwarts abwarts, sondern mebr horizontal oder schrag riickwarts abwarts gericbtet. Aus dieseu Verscbiedenbeiten erklart sicb die so grosse Diver- genz in der Ansicbt der Autoren iiber diesen Punkt. b. Die Grosse des verticalen und borizontalen Schlagwinkels muss demnacb je nacb den Umstanden des Fluges ebenfalls sehr verscbieden sein ; ferner scheint der verticale Scblagwinkel sebr eingescbrankt werden zu konnen , wenn der Fltigel verbaltnissmassig lang und gross ist, und scheint immer betracbtlicb sein zu miissen bei kleinem kurzem Flugel. Nacb Marey ist er bei Enten sebr gross und betragt mebr als 90 <*, wahrend er beira Weib so klein ist, dass die Flugelspitze bei der hochsten und tiefsten Lage kaum iiber das Niveau der oberen und unteren Rumpfperipherie hinausriickt. Ancb beim Tburmfalken ist der verticale Scblagwinkel fiir gewobnlicb sebr klein im Vergleicb zu andern gleicb grossen und langfiiiglicben Tbiereu. Zu gleicber Zeit aber fallt die blitzartigc Rascbbeit auf, mit welcber bier der einzelne Niederschlag erfolgt. 248 Dr. H. Strasser, Die theoretischeii Erorterungeu iiber die Beanspruchung der Flugmuskulatur werden einiges Licht auf diese Verhaltnisse ^Yerfen. Docli ist es selir zu bedaucru, dass kein besseres BeobaclituDgs- matei'ial vorliegt; von besonderer Wiclitigkeit werden Uuter- suchuugen seiu , welclie ueben der Grosse des horizoutalen und verticaleu Schlagvvinkels glcichzeitig die Zahl der Flugclschliige und zugleich die Grosse der lIorizoutalgescll^Yindigkeit gegeuuber dem unigebenden Medium (nicht etwa bloss gegeuuber der Erdoberflticlie) feststellen. Einige wenige zuverliissige Beobaclitungen dieser Art wilrden melir wertli seiu, als uocli so viele maugelhafte. c. Was die Richtungsanderung der Sagittal- profile d e s F 1 u g e 1 s betriflt, so muss uochmals betout werden, dass dieser stelleuweise aus einzelnen abgeplatteten Stucken be- steht, welche eine audere Riclitung haben konneu, als die der Fliigelplatte im Ganzen. Die Sagittalprofile der letzteren andern bei gewissen Arteu des Flugels wahrend der ganzen Periode ihre Richtuug selir wenig. Die Basis des Flugels bleibt (beim uormalen horizoutalen Fluge) stets supinirt, ausgenommeu vielleicht bei den Moveu und ahnlich gebauten Thieren (s. folgend. Capitel). Aber beim langsameu oder verlangsamten horizoutalen Fluge der Tauben bleibt auch die Flugelspitze als Gauzes anscheinend jederzeit supinirt. (Urn so mehr ist dies der Fall, wenu mit solcher Vorbe- wegung ein sanftes Aufsteigen verbunden ist). Bei rascherem Vor- wartsfluge aber werden die iiusseren Theile der Fliigelplatte, wie sichere Beobachtungeu bei verschiedeuen Thieren (Taube, Krahe, Storch, Raubvogel, Moven) lehren, im Niederschlag, zum Min- desten in der zweiten Halftc des Niederschlages, deutlich prouirt. Die Neigungsanderung der Sagittalprofile ist urn so grosser, je geringer die Vorwartsbeschleunigung ist (Falke beim Riit- teln). In einzelnen Fallen ist es gelungen, die pronatorische Drehung der einzelnen Schwung- und Facherfedern gegeuuber der Fliigelplatte beim Niederschlag direkt zu beobachten (bei Ruderfliigeln). Ueber ihre Stellung bei der FlUgelhebuug wissen wir durch direkte Beobachtung so gut wie nichts. Doch ist es moglich , aus dem Bau des FlUgels und der Kenntniss der Trujek- torien seiner Oberfliichenpunkte hieriiber einige Schliisse zu ziehen (s. folg. Capitel). d. Zahl der Flugelschliige. Zeitliches Verhillt- niss zwischen Niederschlag und llebung. Aus dem Umstande, dass der Sperling nicht immer im Fliegen einen schwir- renden Ton erzeuge, sondern nur bei rascherem FlUgelschlage, Ueber den Flug der Vogel. 249 schliesst Prechtl, es mache dieser Vogel 6—10 Fliigelschlage pro Secuudc. Die Taube macht nach diesem Autor im Mittd 4, bei schiielleiu Fluge oder bcini Stoigen 5 Flugelscliliigc ; die Saat- kriihc im Mittel 3, im Maximum 4; dor Adlcr gcwohulicli kaum 2, im Maximum 3. Diese Angabeu verdicucu uicht viol Vertraueii. Icli selbst bcstimmto uacli meiiiem Pulsschlag, dcssen Freciuonz gemcsseu war, die Zahl der Fliigelschlage bei der Nebelkriihe bei mittlerer Horizoutalgeschwiiidigkeit auf 4^, diejenige des Storchs auf uicht ganz zwei pro Secuude. Mauey vermoclite einige wicli- tige Dateu iiber die zeitlicheu Verliiiltuisse des Flugelsclilages direkt zu registrireu. Er faud beim Sperliug 13, bei der wilden Eute 9, bei der Taube 8, bei einem Weill (busard) 5j, bei einem Kiluzcbeu 5 uud bei eiuem Mausebussarden (buse) 3 Fliigelschlage pro Secuude. Doch flogeu diese Thiere nicht gauz uubehiudert. Was das Verhaltuiss des Niederschlages zur Hebuug betrifit, so hat schon Prechtl angeuommen, dass der Niederschlag mehr Zeit erfordere. Marey bestimmte die Dauer der Flugelhebung und des Nieder- schlages uach Huudertstel Secuudeu, bei der Eute auf 5 uud 6^, bei der Taube auf 4 und 8|, bei dem Miiusebussard auf 12^ und 20. Im Uebrigeu ist es Jedem bekannt, dais im Allgemeinen die Flugthiere um so seltenere Fliigelschlage ausfiihreu, je grofser sie selbst und je grosser verhaltuissniiissig ihre Fliigel sind. Es hat aber naturlich keinen Sinn, aus einem so geringen und mangel- haften Beobachtungs-Material empirisch das mathematische Gesetz der Beziehung zwischen der Schnclligkeit des Fliigelschlages und etwa dem Korpergewicht feststelleu zu wollen, Theoretische p]r- wagungen geben hier zur Zeit noch viel sicherere und rationellere Anhaltspunkte. (S. im zweiten Haupttheil dieser Schrift). E. Neue Registrirmethoden. Zum Schluss sollen noch die Ergebnisse der photo- graphischen Aufnahme von in Bewegung befind- lichenFlugthieren besprochen werden, soweit mir das Material zuganglich ist. Seit die Empfindlichkeit der photographischen Platteu so gesteigert worden ist, dass eine ausserordentlich kurze Zeit der Ein^Yirkung des Lichtes eines Gegenstandes zur Erzeugung eines Bildes genugt (z. B. zU—Wnji Sec), scheint die Photographie 250 Dr. H. JStrasser, berufcn, in der Lehre von dcu Ortsbcwegungen die allergrosste Rullc zu spielen. Unis Jahr 1882 braclite la Nature einen Bericht uber Monientanaufuahmen der verschiedensten in Bewegung be- findlicben Geschopfe, welche von dem Anierikauer Muybiudgk her- gestcllt worden waren. Es gelang, die Eindrucke einer Anzahl soldier Aufuahmen, welche einer Reihe von aufeinanderfolgenden Stadien derselben Bewegung entsprachen, mit Hiilfe des sog. Zoo- trops Oder Phenakistoskops zuni Eindruck einer continuirlichcn, der wirklichen Bewegung annabernd entsprechenden Bewegung aneinanderzufugen. ^) Auf den Wuusch von Maeey photographirte Muybridge auch Taubeu im Flug. Marey aber hat das Verdienst, ein schon bei astrouomischer Beobachtung angewendetes Verfahren verwerthet zu haben, uni in ganz regelmassigen Zeitintervallen photographische Aufnahnien des in Bewegung befindlichen Thieres, speciell eines Vogels zu erhalten. Er konstruirte im \Yinter 1881 182 seine photographische Flinte (Beschreibung in den Coraptes ren- dus. 1882 T. 94. pg.823 und 1013). Mit der photographischen Flinte war man genothigt, dem Objekt zu folgen, so dafs nur die relativen Bewegungen registrirt werden konnten. Ihre voile Bedeutung fur die Lehre der Orts- bewegung konnte die photographische Methode nur gewinnen, wenn es gelang, auch die absoluten Bewegungen der Theilchen zu registriren. Es ist ein grosses Verdienst Mahey's, dieses Ziel klar erkannt und mit unermiidlichem Eifer verfolgt zu haben. Der wesentlichste Fortschritt nach dieser Richtung war die Anweudung einer einzigen, festgestellten photographischen Platte fiir eine Reihe von Momentaufnahmen, welche in regelmassigen Zeitintervallen auf einander folgten. Die zu iiberwindenden technischen Schwierig- keiten waren aber sehr gross. Es bedurfte einer ganz besonderen Empfindlichkeit der Platte; ein besonders giinstiges Beleuchtungs- verhiiltniss des Objektes wurde nothwendig gemacht u. s. w. (Comptes rendus. 1882 T. 95 pag. 15). Immerhin ist es Makey gelungen, die absoluten Verschiebungen eines Objectes oder bestimmter mar- 1) Zur Verdeutlichung thierischer Bewegung ist die rotireudo Scheibe (Wunderschcibe , Phenakistoskop) mit am friihesten von Al. EcKEu verwondct worden , bei Gelegcnlieit der Erliiuterung der Be- wegung der Flimraerhaare. (8. Icones physiologicae. Leipzig 1851 bis 1859. Tafcl XI und erliiuternder Text dazu). Mir hat eine stro- boskopische Scheibe bei der Beobachtung tliegender Maucrschwal- ben (1878) einige Dienste geleistet. Diese Methode der Beobachtung gehiirig veryollkoiinunet, verspiicht guten Erfolg. Ueber den Flug der Vogel. 251 kirter Obciflachenpunkte desselbeu parallel eiiier bestiramten Ebene photograpliisch zii rcgistrireu , audi iu Fallen , wo die blosse Beobachtuiig vollig im Stich lasst. Fiir die Analyse der Gang- uud Spruugbewegung des Mensclieu hat diese Metbode bereits Wichtiges geleistet. Die bis Mitte 1884 vou Mahey publicirtcn Serienphotographien vou fliegeudeu Vogeln gebeu mit Bezug auf die Verhiiltuisse des normaleu Horizontalfluges uoch keiuen Aufschluss. Docli hat jener verdiente Forscher iu Aussicht gestellt, dass er diese neueu, viel- versprecheudeu Methodeu zu ausgedehnteu Untersuchuugeu iiber die Flugbewegung verwerthen werde. Ich will hier mit Coutourlinien das Bild reproduciren, welches Makey von einer fliegenden Taube erhalten und ini 96. Bande der Coniptes rendus (pg. 1399 u. If.) „abgcdruckt" hat. Das Zeit- intervall zwischeu zwei benachbarten Aufnahmen betrug ^ Secunde, etwas weniger als der Dauer eiues Fliigelschlages entsprach, so dass jedes nach links folgeude Bild einer etwas friiheren Phase der Periode entspricht. Ich habe mir erlaubt, durch eiue puuktirte Linie ganz annahernd den ^Yeg anzudeuten, welchen etwa das aussere Ende des Fliigels bcschrieben hat. Es handelt sich hier sicher uicht um die Verhaltnisse des normalen, horizontaleu Fluges, sondern um ein ziemlich steiles Aufsteigen. Fig. 12. Diesem Umstand vor Allem schreibe ich es zu, dass der Fliigel beim Niederschlage so weit vorgefiihrt wird, ferner auch, dass die relative Hebung so gross ist. 252 Dr. H. Strasser, Meine eigenen Beobaclitungen haben niir ergeben , dass eine Taiibe, weiiii sic (lurch Flugelsclililge ciiiigeiiuasscn steil cmpor- stcigt, ibre Fliigel wesentlich iu Ebeiien bewcgt, welcbe ciueu nach vorn obeii otioneu Wiiikel iiiit dnaiider bildeu. Die niediane Scbuitt- linie der beideii Ebcucii licgt auch iiocb mit Beziig auf die je- Aveilige Ricbtuug des Kiiiupfes ventral weiter gegen den Kopf des Tbieres zu; besonders ausgepriigt ist aber dieser Unistaud, so lange die supinatoriscbe Drehuug des Gauzen noch zuninimt. Ich will bei dieser Gelegenheit bemerken, dass beim Aufsteigen mit Fliigelscbliigen der Fliigel bei der Hebuiig nothwendig eiuen sehr grosseu dorsalen Widerstaud erzeugen muss, welcher den Vogel vorwarts treibt. Beim Niederschlag ist dagegen der Fiugel im Ganzen fast stets supinirt. Nur die grossen Schwuugfedern mogen horizontal oder etwas pronirt sein'). Es ist hier der Ort, auch noch an die ausgezeichneten Leistungen des Herrn Oswald Anschutz (Lissa-Posen) im Ge- biete tl,er Momentanphotographie zu eriuneru. Dass wir in ihm einen Mann von scharfer Beobachtungsgabe fiir die Phaenomene der Bewegung und von vorziiglichem techuischen Konnen besitzen, braucht wohl nicht weiter hervorgehoben zu werden. Seine Bilder aus dem Leben ciner Storchenfamilie sind neben vielen andern bereits weltbekannt. Hier ware eine nachdruckliche Unterstutzung durch Privatmittel und durch wisseuschaftliche Korperschaften ge- wiss sehr gut angebracht. Nur eine solche konnte es dem be- scheidenen Manne moglich machen, seine Kraft in erfolgreicher Weise iu den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Wenn einerseits die relativen Bewegungen , andererseits die Trajectorien der wichtigsten Orientiruugspunkte des Vogelkorpers fiir irgend ein bestimmtes Flugthier und eine bestimmte Flugart durch diese neuen Methoden ermittelt sind, so wird es sich sehr ^) Will das Thier seine Vorbewegung schnell anullireu , ohne sich zu heben oder rasch zu drehen , so schlagt es mit den riiigeln noch mchr dirokt vorwarts , fast in einer Horizontalebeue durch das Schultergeleuk, Dabei aber erfolgt, sichcr durch besondero Anstreng- ung bestimmter Muskeln, eine hochgradige Supination des Fliigels, so dass sein Vorderraud jolzt anniihernd iiber dem Hintcrrand stehen kann. Ausserdom kriinimt sich dor Fiugel am Fnde des Vorschlages liber die nun vorwarts ciuwarts gewendetc Untcrllaolie, sodass beido Fliigel zusammeu , von unten gesehen , wo sic fast zu Linion ver- kiirzt erscheinen, eine leier- odor U-formigo Figur bilden ; die Fliigel- spitzen iiberragen dann den Kopf. Wie der lUickschlag erfolgt, ver- mag ich nicht anzugeben. tleber den Flug der Vogel. 253 erapfehlen , eiu Modell herzustellen. Genau entsprechend jeder einzelnen bekannteu Momentanstellung konntc ein Exemplar der betretfeiiden Species ausgestopft und aufgestellt werden; diese einzelnen Mudelle miissten in den richtigen AbstJluden angeordnet, die Trajektorien der einzelnen wichtigsten Oberflaclienpunktc aber dnrch Drilhte dargestellt sein. Auf diese Weise konnte das Ver- stilndniss der Bewegung sehr gefordert werden. Wir niusseu inimer eiue solche Operation im Geiste vornehmen, wo es gilt, iiber Ort und Grosse der erzeugten Widerstiinde ein Urtheil zu fallen. F. Die Trajektorien der Oberflachenpunkte des Vogel- kdrpers beim horizontalen Normalflng. Folgerungen beziigl. der Widerstande. Es ist kauni nioglich, die Bahnen, welche von einzelnen, auch den markirtesten Punkteu des Fliigels im Raum beschrieben werden, direkt durch Beobachtung zu ermitteln; immer beurtheilen wir die Beweguugen des Fliigels naturgemass nach ihrera Verhiiltniss zum Rumpf; es fehlt eben in der Kegel in der unmittelbaren Nahe des fliegenden Vogels an fixen materiellen Punkten der Um- gebung, auf welche wir die Bewegung des Thieres beziehen konnten, Oder wo sie vorhanden sind, storen sie zugleich den regelmiissigen Gang der Flugthiitigkeit oder beeinflusseu unser Gesichtsfeld. Etwas entfernter liegende Hintergrtinde aber konnen scliwer zu gleicber Zeit mit dem Vogel fixirt werden. Ich babe oft versucht zu ermitteln , ob die Flugelspitze am Ende des Niederschlages absolut ruckwarts geht, wovon sicber nur die Rede sein konnte bei sehr energischer Vorwartsbeschleunigung des Thieres, — konnte aber niemals mit Sicherheit bestimmen, dass es wirklich, oder dass es nicht der Fall war. Vielleicht sind Andere hierin glucklicher als ich. Die Ergebnisse der MAREY'schen Registrirversuche konnen aus den schon angedeuteteu Grundeu nicht zur Beurtheilung der Verhiiltnisse des freien Fluges verwerthet werden. Wohl aber unterliegt es gar keinem Zweifel, dass mit Hiilfe ganzer Serien von Momentanphotographien, welche das Bild des fliegenden Vogels in regelmassigen Intervallen und in riiumlichen Abstiinden, welche der absoluten Bewegung des Thieres proportinal sind, auf dieselbe 254 Dr. H. Strasser, empfinrtliclie Platte projicirt zeigen, die Frage nach den Trajek- torien der eiiizelnen Korperthcilc gelost werden kann. Die bis jetzt bekannt gewordenen Serien dieser Art lassen sich leider fur iiDsere Zwecke noch nicht verwerthen. Wir siud deshalb darauf augewiesen, uns in weit mangel- haftcrer Weise zu behelfen, niimlich durch Combination der Er- fahrungen iiber die relativcn Bewegungen des Fliigels zum Rumpfe mit dem, was wir beziiglich der gleichzeitigen absoluten Bewegung des Rumpfes wissen. Was nun die al)so]ute Bewegung des Rumpfes betrifft, so fiihrt uns Ueberlegung zu dem Schluss, dass sie durch verticale Oscillationen und durch periodische Schwankungen der horizon- talen Geschwindigkeit complicirt sein muss. Abernur bei grosseren Vogeln mit langen grossen Flugeln vermag direkte Beobachtung die Verhiiltnissc dieser Oscillationen, speciell der verticalen, fest- zustellen. In anderen Fallen erscheint zwar die Bewegung des Rumpfes etwas ungleichmiissig , aber jede genauere Beurtheilung und Schatzung der Schwankungen ist unmoglich. Sicher beruht dies zum Theil auch wieder auf dem Fehleu von ruhenden Orien- tirungspunkten der Umgebung. Iramerhin aber kcinnen wir in einer ganzen Anzahl von Fallen die Bewegung des Rumpfes ohne grossen Fehler als eine gleichmiissige bezeichnen. Fur die Taube, die Kriihe und den Storch will ich im Folgenden diese Voraussetzung machen. Ist die relative Bewegung des Fliigels zum Rumpf bei diesen Thieren bekannt und el)enso die horizon tale Geschwindigkeit v, so lassen sich nun die wirk- lichen Trajektorien der Punkte ermitteln, und daraus und aus der Stellung der Oberflachen kann auf die Luftwiderstande geschlossen werden. Bei anderen Fliegern, bei welchen die Oscillationen des Rumpfes erheblich ins Gewicht fallen , werden sich zwar fiir den Rumpf und fiir die basalen Theile des Fliigels wesentlich andere Verhalt- nisse der IVajectorien und Fuftwiderstiinde ergeben. An weiter aussen im Fliigel gelegenen Punkten aber fallt die Verschiedenheit immer weniger ins Gewicht. So diirfen wir immerhin hoffen, bei den erst genannten Thieren wcsentliche Aufschliissc tiber die Funk- tion des Fliigels und seiner verschiedinien Einrichtungen beim Fliigelschlage zu gewinnen, welche als Fingerzeige bei der Unter- suchung der comi)licirteren Form des Fluges beiuitzt werden kounen. tJeber deu Flug dcr Vogcl. 255 1. Oscillatioiieii dcs Riimpfcs uiicrliel>licli. a. Anhaltspuncte zvu' Beurtheilung des Trajektoriums der Fliigelspitze. Taube Kriibe Storcb 1. Zahl derFlugelschliige pro See. 8 4,5 1,8 2. Flugelliinge 30 cm 40 cm 80 cm 3. Vertic. Schlagwinkel 60'> 50" 150 4. x:l 1:2 3:5 1 :2 Dauer flex- Hebung r ^h S«c. -,V Sec. ,V Sec. Dauer dcs Nieder- schlagcs / 1 "JIT " 1 n YT M 5. Hovizoiitalgeschwin- digkeit i> 900 — 1200 cm 700— 800 cm 900 cm Verticale Excursion der Fliigelspitze 30 cm 37,5 cm 55 cm Horizontaler Weg der Fl.spitze bei d, Hebung 3 7 1^—50 cm 584,-66|- 166^ cm Steigungswinkel a 38|— 31" 32|— 29J» 18^0 Horizontaler Weg der Fliigelspitze beira Nie- derscblag' 75 — 100 cm 97—111 cm 333^ cm Absteigwinkel |3 2110—161" 21 — 18|'> 9J-" Fiir die folgende Berechiiung darf man oline erheblichen Fehler annehnien , dass die Fliigelspitze am Beginn und am Eiide des Niederschlages in derselben queren Verticalebenc des Rumpfes liegt, sicli demnach sowohl bei der Hebung als wahrend des Nieder- scblages in der .e-Ricbtung niit einer mittleren Geschwindigkeit bewegt, welcbe derjeuigen des Ganzen gleicb ist. Konnte man voraussetzen , dass die verticale Geschwindigkeit fiir die ganze Zeit des Niederschlages und dann wieder fiir die Hebung constant ist (in beiden Zeiten natiirlicb verscbieden , weil ja dieselbe verticale Strecke bei der Hebung scbneller zuriickge- legt wird , als beim Niedei'schlag) , so wiirde die Bewegung der Fliigelspitze, soweit sie bei der Betrachtung von der Seite (in der ^^v-Ebeneni»rojection) zur Geltung kommt, in einer Zickzack- liuie gescheben (Fig. 13 mnop).: bei der Hebung aufwarts vor- warts in einer geraden Linie, die mit der ^-Richtung den Winkel 256 Dr. H. Strasser, a bildet, den wir als Steigungswinkel bezeichnen; beim Niederschlage vorwiirts al)warts aber in einer geraden Liuie , die mit der ^-Richtung den Absteigwinkel (i bildet. Diese l)cidcn Winkel sind fiir die Taul)e, Krilhe und den Storch in unserer Tal)elle aiis den mit 1 — 5 bezeichneten Voraus- setzungen berechnet worden. Fig. 13. Nun ist aber die verticale Geschwindigkeit keine gleichmassige ; vielmehr zeigt die Aufvvartsbewegung der Fliigelspitze ein sehr plotzliclies Maximum bald nach Beginn der Hebung, die Abwarts- bewegung aber ein relativ weniger liobes Maximum in der zweiten Hiilfte des Niederschlages. Entsprechend diesen Maxima muss die Fliigelspitze natlirlich viel steiler auf- resp. absteigen , als den Thcil-Stiicken jener Zickzacklinie entspricht, wahrend dafiir natiir- lich am Beginn und am Ende des Niederschlages und der Hebung die Steilheit geringer ist. Es miisste das Sagittalprofil der Fliigelspitze annahernd dieselbe Steiguug aufweisen, wie das auf die Sagittalebene projicirte Trajektorium derselben, wenn sie genau mit der Vorderkante voran gegen die Luft ginge; ja so lange es sich uni die Hebung des noch gesenkten Flttgels handelt, miisste die supinatorische Neigung des Sagittalprofils sogar eine steilere sein. Die pronatorische Neigung des Sagittalprofils da- gegen beim Niederschlag darf, nachdem die Horizontalebene des Schultergelcnkes passirt ist, nicht so gi'oss sein, wie die Neigung der Sagittalprojection des Trajectoriums , wenn auch hier das Fliigelende genau mit der Vorderkante voran die Luft durcli- schneideu soil. Wir konnen nun aber auf Grund unserer Beobaclitungen mit Sicherheit l)ehaupten, dass beim horizontalen Normaltlug der Su- pinationswinkel des genannten Sagittalprofils wahrend der Hebung bei der Taube niemals den Wertli 35", bei der Kriihe niemals die Gnisse 30'^, beim Storch nicht den Betrag 20^ erreicht. Ini Moment der maximalen Hebungsgeschwindig- keit ist demnach bei alien 3 Thieren die Supination Ueber den Flug der Vogel 257 des Fliigelendes viel z ii gering, als dass das lotztere die Luft genau in der Richtung sein er Flache, mit der Kaiite voran durchschneiden kimnte. Es besteht kcin Zweifel, dass zu dieser Zeit die Dorsalseite der Fliigelspitze gegen die Luft gefuhrt wird. Dabei ist zu beriicksichtigen, dass ich die Horizontalgeschwin- digkeit v im Vergleich zum Scblagwinkel und zur Anzahl der Fliigelschliige eher zu gross als zu klein gesctzt habe. Fiir die Fliigelspitze der Taube erlialt mau also (fiir v = 1180 cm) ein Trajectoriura , dessen ^?;-Projection etwa die Form der in Fig. 13 dargestellten Curven hat. Die ausgezogene Curve aaa wiirde der Aunahme eiitsprecben , dass die Fliigelspitze am Elide des Niederschlages absolut etwas riickwiirts geht, die punk- tirte Curve «'«'«* der wahrscheinlicheren Annahme, dass dies iiicht der Fall ist. b. Trajectorien der iibrigen Punkte. Was fiir das Fliigelende gefuiiden wurde, gilt natiirlich niclit ohne Weiteres fiir die mehr basal gelegenen Theile der Fliigel- flache. Je niiher dieselben dem Schultergelenk liegen, desto ge- ringer ist ilire verticale Excursion bei derselbeu mittleren hori- zontalen Geschwindigkeit , desto geringer sind audi die Abilnde- rungen der verticalen und horizontalen Geschwindigkeit, desto gestreckter also die Trajectorien. Nun ist zwar die supinatorische Neigung der basalen Theile des Fliigels gegentiber derjenigen des Fliigelendes bei der Hebung etwas geringer. Trotzdem aber ent- spricht sie besser dem Maximum der Steilheit, mit welcher diese Theile vorwarts aufwarts sich be^Yegen. Die Zeit, wiihrend welcher die obere Seite voran gegen die Luft geht, wird demuach urn so kiirzer, je mehr basal gelegene Theile des Fliigels man ins Auge fasst. Ja es muss zuletzt eine Stelle kommen, wo eine solche Zeit gar nicht mehr vorhauden ist. Zuniichst beim Schulter- gelenk geht der P'liigel sicher auch bei der Hebung stets mit der etwas supinirten Seite voran gegen die Luft. Da wo der Fliigel eine eompakte Platte darstellt, wird natiir- lich der Luft widerst and an derjenigen Seite erzeugt, welche gegen die Luft vorriickt. Wie verhillt es sich aber an dem aussersten Theil des Flugels, der durch eine einfache Reihe von Contour- federn gebildet wird? In der Flache der Schwinge stehen die Ebenen der einzelnen Bd. XIX. N. F. XIJ, 1 Y 258 Br. K. Rtrasscr, ISchwungfedeni sclirag, der vordere (ilussere) Rand bei iiatiir- liclier Gleichgewichtslage etwas nach dem Dorsum zu gerichtet. Beim Niedersclilage, iiberhaupt sobald der Fliigel niit der Unter- seite imd Vorderkaute voraii gegcn die Luft geht, werden diese eiuzelnen Federfaliiien deshalb iiiii so voller vod der Luft gepackt und vermoge ihrer Asymmetrie iu pronatorischem Sinne gedrelit ; da wo die Federu isolirt vorstehen, unter Umstiiuden so weit, dass nun der Hinterrand gegen das Dorsum des Fliigels zu abweicht, dochnaturlichniemalsganzsoweit, dass ihreUuter- fliichen dem Einfluss des Luftwi derstandes ganz- lich entrilckt werden. Auch wenn die Hebung des Fliigels beginnt und die Spitze nocli riickgcfiilirt wird, dauert diese Eiu- wirkung nocli einen Moment an. In den nun folgeuden Phasen aber geht nicht mehr die Unterflilche des ganzen Fltigelendes, sondern die vordere Kante, ja die obere Seite voran gegen die Luft. Die Schwingen drehen sidi dann sehr sdinell in ihre natiir- liclie Gleichgewichtslage zuriick. Aber auch diese ist keine so stark supinatorische, dass im Moment der schnellsten Hebung die einzelnen Schwungfedern bloss mit dem Vorderrand die Luft treffen konnten, vielmehr erzeugt ihre Oberseite einen Luftwider- stand; und wenn auch noch so Icicht unter dem Einfluss desselben die Supinationsstellung der Schwungfedern vermehrt wird, was eine Verminderung des Einflusses des doi'saleu Luftwiderstandes zur Folge hat, so kann diese Supination doch nicht so weit gehen, dass der dorsale Luftwiderstand = 0 wird. Die Luft gleitet zwar leicht an der glatten Riickseite dieser Federn vorbei und durch die schmalen oder breiten Zwischen- raume zwischen ihnen hindurch, aber doch nicht ohne einen Druck senkrecht zur Fliiche auszuiiben. Wie an der einzelnen Schwungfeder die Stellung des hintern zum vordern Rande von der Einwirkung des Luftwiderstandes mit abhilngt, so natiirlich auch an der ganzen Schwinge; und wenn auch noch am Fiicher ein dorsaler Luftwiderstand entwickelt wird, so muss natiirlich auch hier in Folge davon der Hinterrand des Fiichers gegeniibcr dem gesteiften Vordcrarm (und der Ebene des Pliigeldreiccks) gesenkt werden. Eine derartige Einwirkung muss aber, zum Unterschied von der Einwirkung auf die einzelnen Schwungfedern, die Stellung der Fliigelflache als Gauzes be- einflussen und braucht daher nicht noch einmal von uns in Rech- nung gebracht zu werden. Ein jeder Luftuberdr uck dorsal an supinirten tJeber den Flug der Vdgel. 259 Flachen des Fliigels zcrlegt sich in eine abwiirts treibendc schjidliche und in eine vorvvarts treibende locomotorisch nutzbare Componente (von der queren kounen wir absehen). Es wird zwar vor allern die Aufwiirtsbewegung des Flii- gels selbst erschwert, aber diese Wirkung kommt einer Einwirkung auf den Gesaninitschwerpunkt gleich. Es gleiten zwar vor allem die Fliigel an der widersteheuden schiefen Fliiche der Luft nach vorn ab; aber audi dies reprasentirt naturlich eine Ein- wirkung auf die Gesammtniasse, ob nun der Flugel als starres Ganzes nach vorn gedreht wird oder vor allem seine weniger gegenuber dem Rumpf fixirten Theile, Die eingezogene Schwinge wird durch diesen Widerstand an der Dorsalseite wirklicli ausge- streckt u. s. w. So wirkt ein grosser Theil des Widerstandes an der Dorsalseite des aufwiirts bewegten Fliigels niitzlich, indem er zugleicb die Vorbewegung der Gesanimtmasse vermehrt und die Configuration des Systems in niitzlicher Weise andert, also innere Krafte (Muskelaktion) erspart. Er unterstiitzt die Vor- fiihrung und Ausbreitung des Fliigels bei der Hebung, Die niitzliche vorwiirts treibende Wirkung iiberwiegt um so melir iiber die schadliche abwJirts gerichtete, je starker die Flachen, an denen er sich entwickelt, supinirt sind. Die configurations- andcrnde Wirkung aber wird besonders dadurch begiinstigt, dass die T^nwirkung weit entferut von den Drehpunkten des Sclmlter- und des Handgelenkes stattfindet; sie kann immer noch betracht- lich sein, selbst wenn nur an dem iiussersten Ende des Fliigels ein dorsaler Widerstand zur Geltung kommt. Mit der Hebung des Fliigels verbindet sich also naturgemass eine Streckung, nicht, wie Viele angenommen haben, eine Eiuziehung des Fliigels. Letztere unterstiitzt, wie schon erortert wurde, zum Schluss die Wirkung des Niederschlages zur Hebung und Vorbe- wegung des Ganzcn; freilich wird sie von Bedcutung auch fiir die Hebung des Fliigels. Es erlaubt ja die Beugung im Handgelenk eine grossere Supinationsstellung der ganzen Schwinge und der einzelnen Schwungfederu , vermindert also die Grosse des dorsalen Widerstandes an den mit der grossten Aufwartsgeschwindigkeit behafteten Fliigeltheilen und veriindert zugleich das Verhaltniss der beiden Componenten desselben zu Gunsten der vorwiirts treibenden. Die schadliche Wirkung des dorsalen Wider- standes ist durch derartige kunstvolle Einrichtungen , welcbe vor allem die Zunahme der passiven Supinirbarkeit der ein- 17"^ 2G0 Dr. H. Strasser, zelneu Flugelflachenstiicke gegeu die Fliigelspitze hiii ermoglichen, zwar mogliclist beschrankt; es kommt ein Theil der durch ihn vermehrtcn Ilebungsaustrengung der Vorbewegung zu gute und hilft die Configuration niitzlich verandern; ganz eliminirt kann aber der daraus entspringende Nachtheil nicht werden. 1st es etwa denkbar, dass durch geeignete Einrichtungen des Flugels und besoudre Thiitigkeit seiner Muskeln die Flugelflachen so a k t i v umgestellt werden konnten, dass sie bei der Hebung mit noch ge- ringerem Widerstande die Luft durchschneiden ? Die Anpassungs- moglichkeit an die jeden Augenblick obwaltenden Verbiiltnisse ware nur zu erzielen dadurch, dass den schadlichen AViderstanden eine, wenn auch noch so geringe Einwirkung verbliebe, welche die regulatorische Umstellung des Flugels veranlasst; die Umstellung selbst wiirde mit grossem Aufwand an Muskel- und Nervenkraft verbunden sein. Der Nachtheil eines grosseren dorsalen Wider- standes muss dem gegenuber als der geringere, die vorhandene Regulation ohne Mitwirkung der Muskeln mochte im Allgemeinen als geniigend genau erscheinen. Die Grosse des dorsalen Widerstaudes ist iibrigens je nach demFlugthier und der ArtseinesF luges ver- schieden. Ich werde spater erortern, dass die locomotorische Leistung beim normalen Fluge dem Gewicht P des Thieres proportional bleibt, wenn die mittlere Horizontalgeschwindigkeit sich verhiilt V P wie P'lc, Oder wenn —7^ constant ist. Bei gleich grosser rela- //)>l2\ tiver Grosse der Fliigelflache \ j^ I und relativer Liinge des Fliigels Itttt I bleibt dann auch das Verhiiltniss der verticalen Excursion der Fliigelspitze zur horizontalen beim Niederschlage Oder bei der Ilebung anniihernd dasselbe, ganz abgesehen von der Zahl der Flugelschlilge. Ein relativ grosscrer Fltigel bedingt eine verhaltnissmiissig kleinere vcrticale Excursion. Eine relativ grossere horizontale Gcschwindigkeit ist jenseits einer gewissen Grenze nur durch eine Vergrosserung der (relativen horizontalen und der) verticalen Excursionen des Fliigels im Verhiiltniss zu der mittleren Horizontalgeschwindigkeit zu bewerkstelligen ' ). *) Andererseits mlissen die verticalen Excursionen im Verhalt- Ueber den Flug der Vogel. 261 Ich >Ycrde ferner zeigeu, dass kleiuerc Flugtliicrc ini Allgenicincn in den Stand gesetzt und durch die gegenscitigc Concurrenz da- rauf augewiesen siud, sicli mit verhaltnissmiissig grosserer Horizontalgcschwindigkeit zu bewegeu. Demcntspreclicnd wird bei ihnen iin Allgemeiuen der scbiidliclie dorsale Widerstand bei der Fliigelhebung cin grosserer sein miisseu. Dies ist um so mebr der Fall, je kleiner im Verbaltuiss zu dem iibrigeu Korper die rroportioueu ilires Flugels siud. Ich bin der Meinuug, dass die kleineren Flugthiere geradezu die Flugelhebuug mit benutzen, uui ihre Vorwartsgeschwindigkeit uoch starker zu vermehreu, als sie es sonst thun konuten, — obschou in Folgc davon die fur das Verbleiben in demselbeu Niveau erforderliche Arbeit eine grossere wird. Von dieseni Gesichtspunkte aus verstehen wir die Unterschiede in dem Verbiiltniss zwiscben horizontaler und verticaler Verschiebung der Fliigelspitze bei der Taube, der Krahe und dem Storcb (S. unsre Tabelle pg. 255). Wir kommen aber audi zu dem Schlusse, dass zwischen dem Flugc der kleineu Insekten und demjenigen der Vogel hinsichtlich der Wirkung der Flugflachen auf die Luft beim regelmiissigen Fliigelschlag nicht der grosse prinzipielle Unterschied besteht, den viele Auto r en annehmen. Man ist allgemein der Ansicht (Strauss-Dukckheim , Marey) , dass der Insektenfliigel bei der Hebung mit der Oberseite voran gegen die Luft geht, obscbon diese Thatsacbe eigentlich uur fur den stationaren, nicbt aber fiir den fortscbreitenden Flug dieser Thiere sicher durch Beobach- tung festgestellt ist. P'iir die Vogel aber wtirde man mit der gleichen Sicherheit eben dasselbe fiir den stationaren Flug be- haupten konnen Wenn daher angenommen wird (Makey, Tatin), dass der Flugel der Vogel in wesentlich andrer Weise bewegt werde, indem die aussereu Theile mit der scharfen Kante, die innern sogar mit der Unterseite voran gegen die Luft gehen, so gilt das sicher nicht ganz allgemein. Man kann zugeben, dass diese Auuahme auf den fortscbreitenden Flug grosserer Vogel so ziemlich passt ; ich meine aber, dass sie um so ungenauer ist, je kleiner der Vogel , je grosser seine relative Horizontalgeschwindigkeit und je kurzer (relativ) der Flugel ist. Man wird fiuden, dass mit Be- niss zu der horizontalen Bewegung auch wieder ausgiebiger werdcn, wenn die Grosse der horizontalen Bewegung sich der Granze 0 nahert. (Stationarer Flug. Falken beim Riitteln.) 262 Dr. H. Strasser, zug auf die in Rede stehendeu Verhaltuisse durcli die Schwalben uud Kolibris hiudurch z. B. zii den Libelleii eiu allinilhliger Ueber- gang vorhandeu ist. Andererseits ist, wie gesagt, jene Aunahme auch dann niclit richtig, wenii die horizon tale Geschwindigkeit sehr gering ist. Hinsichtlich der Trajektorien der verschiedenen Punkte des Fliigels beim Niederschlage kann ich mich kurz fassen. Fiir die Basis des Fliigels sind die Trajektorien geradliuig, sobald die Oscillationen des Rumpfes resp. der Schulter vernachlassigt werden konuen ; je weiter die Oberflachentheile des Fliigels distal liegen, desto steiler steigt ihre Bahn bei der Hebung des Fliigels in die Hohe und bei dem Niederschlage abwarts. Je grosser im Verhaltniss zur verticalen relativen Excursion die horizontale Vor- und Riickfiihrung ist, desto weniger gleichen die Trajectorien einer Sinuscurve, desto mehr aber einer Cycloide. Solches gilt z. B. fiir die Fliigelspitze im Vergleich zum Trajek- torium des Carpus, well ja die Schwinge nicht bloss mit dem Fliigel als ein Ganzes, sondern auch noch fiir sich gegeniiber dera Carpus bewegt wird. Je weiter die Punkte nach aussen liegen, desto scharfer werden die Umbiegungen ihrer Trajektorien an den unteren Wendcpunkten. Doch schreitet sicher in der Regel die Fliigelspitze auch beim tiefsteu Stande, trotz der relativen Riick- bewegung, noch vorwarts. Ob unter Umstanden die absolute Vor- bewegung in diesem Augenblicke = 0 oder sogar negativ sein, das Trajektoriura also hier die Spitze eines scharfen Winkels oder sogar eiue Schleife aufweisen kann, vcrmag ich, wie gesagt, nicht zu entscheiden. — Am Fliigel allein und falls keine Schleifeu- bildung vorkoramt, allein beim Niederschlage ist Gelegenheit ge- gegeben, dass pronirte Oberflachen des Vogclkorpcrs gegen die Ijuft sich verschieben. Hier allein (abgeselien von dem Wider- stande an der Dorsalseite der supinirten Fliigelfliichen bei der Hebung) konuen Luftwiderstiindc eine vorwarts treibeude Wirkung haben. Es ist aber leicht eiuzuseheu, dass die Sagittalprofile der Flachen, wenn sie iiberhaupt gegen die Luft bewegt werden sollen, dabei weniger pronirt sein diirfeu , als der Ncigung ihrer Trajek- torien entspricht. Dies gilt ganz genau nur fiir den Fall, dass die gleichzeitige quere Bewegung der Punkte = 0 ist, in guiiz besonderem Maasse fiir den Fall, dass der I'liigel sich der Mittel- cbene uahcrt; es braucht in geringerem Grade der Fall zu sein, Ueber deu Flug der Vogel. 2G3 je nichr dor Fliigel zugleich nach aussen scblagt. Die zuliissige Pronatiou ist fiir verscbiedcno Theile des Flugcls iiii Allgcinciuen uin so kloiuer, je niiber dieselbeu dem Scbultergelenk liegeu, und fiir eutsprecbeiide Tbeile des Flugels iiiii so geriuger, je kleiuer die verticale FiXCursiou der Fliigelspitze im Verbiiltuiss zu der iiiittlereu Horizontalgescbwindigkeit derselben ist, beim Storcb also z. B. kleiuer als bei der Taube. Es ist bekannt, dass tbatsiicblicb beim Niederscblag die Pronation der Fliigelflacbe ini Ganzen , nanientlicb aber die pro- natoriscbe Neigung an den Fliicben der eiuzclneu Gliederstiickc des Flugels gegen dessen Spitze bin zuniramt, wobei der Luft- widerstand selbst die Hauptrolle spielt. Die Sagittalprotile der Fliigelbasis bleiben aiicb beim Niederscblag in der Kegel nocb etwas supinirt. c. Resultirende Einwirkung der Luftwiderstande. Man kann zugeben, dass die Aenderuugen der horizontaleii GesebNvindigkeit des Rumpfes nocb erbeblicb sein konnen, wabreud die verticaleu Oscillatiouen fiir die Beobacbtung nicbt niebr wabr- nebmbar sind. Das Maximum der borizoutalen Vorwiirtsgesebwin- digkeit des Rumpfes diirfte etwa an der Granze von t zu z vor- bandeu sein. Da der Rumpf und die Fliigelbasis etwas aufge- ricbtct sind und ibre Unterflilcben wie eiue Drachenflaebe gegen die Luft geben, so muss ein periodiscb wecbselnder Luftwiderstand erzeugt werden, der eine verticale, stets uacb oben gerich- tete Compouente bat. Immerbin kann bei der Taube, bei der Kriibe, beim Storcb die Grosse der Zu- und Abnabme dieses Widerstandes im Verbiiltniss zu seinem mittleren Betrag keine sebr grosse sein. — Der an deu Fliigeln erzeugte verticale Wider- stand bat ofienbar ein Maximum um die Mitte des Niederscblages, das mebrmals grosser ist als das Maximum des Rumpfvviderstau- des, und ein Minimum vor der Mitte der Hebuug, das wobl von 0 unter Umstiinden, z. B. bei der Taube nicbt weit entfernt ist. Auf jeden Fall ergiebt sicb fiir den gesammten verticalen Luft- widerstand fiir jede Periode ein Hauptmaximum und ein Haupt- miuinuun, abgeseben von kleineren Scbwankungen ; jenes fallt in die Zeit des Niederscblages, dieses in die Hebung. Der resultirende borizontale Widerstand bat eine maximale uacb vorn gericbtete Wirkuug (gegen Ende des Nietlerscblages) und eine maximale Wirkung nacb der umgekebrten Ricbtung (am Ende der Hebung). 264 Dr. H. Strasser, 3. Bcriicksiclitiguiig der Oscillationen clcs Riimpfes. Sie liiiugeu von folgeuden zwei Verhaltnissen ab: a) Von den relativen Be^Yeguugen zwischen llumpf uud Fliigel Oder von den Beweguugen des Rumpfes gegenilber dem ge- meiusameu Scliwerpuukt. b) Von der resultireuden Wirkung der ilussercn Kriifte auf das Ganze, oder von den Oscillationen des gemeiusamen Schwer- punktes. a. Relative Bewegung gegeniiber dem Gesammtschwerpunkt. Nach Prechtl pg. 222 ist bei Gesammtgewicht /' in Loth Das Gewicht F beider Fliigel in Loth Das Verhtiltniss von F:P Saatgaus .... 208 28 1:7,43 Thurmfalk . . . 14 2 1:7 Kiebitz .... 13 2 1 :6,5 Taubenhabicht . . 38 V2 6V2 1 :5,9 Saatkriihe . . . 30 SVa 1:5,66 Steiuadler . . . 192 38 1:5,05 Seeadler .... 288 60 1:4,8 Beide P'lugel zusammen machen also im Mittel ungefahr Vc Es giebt aber Thiere, eiuen noch erheblich ausniacben als beim des Gesammtgewichtes aus, der Runipf ''\. z. B. die Moven, bei vvelchen die Fliigel grbsseren Bruchtheil des Korpergewichtes Seeadler. Nehmen wir nun mit Pkechtl (1. c. pg. 220) an , dass der Schwerpunkt des Fliigels nieist uugefiihr an der Grenze des basalen iind niittleren Drittels der Fliigelliinge gelegen ist, und nennen die relative Bewegung jeder Fliigelspitze zura Rumpf in verti- caler Uichtung = «, so ist die relative verticale Bewegung jedes Fltigelschwerpunktes oder des gemeinsamen Schwerpuuktes beider L'lugel zum Rumpfe = ^. Diese Bewegung setzt sich zusammen aus der relativen verticalen Bewegung q des Rumpfschwerpunktes S gegeniiber dem gemeiusamen Schwerpunkt 2" und aus der ver- ticalen Bewegung der Fliigelschwerpunkte gegeniiber letzterem. Q-\-(f=z -. Fiir gewohnlich ist o Ueber den Flug der Vogel. 265 Q:(f = F:.E= 1:5 bis 6. g:(^g _|_ (p) = li: F=i:6his 1 = q:^ demnach ist q = .--r?-^. Je schwerer der Flugel gegenuber ^ 15 bis 21 deni lluinpf ist, desto grosser ist die relative Bcwegung des Ruuipfcs zum genieiusainen Schwerpunkt im Vergleich zur ge- samniteu verticalen Excursion des Fliigelscliwerpunktcs gegeiiiiber deni Iiuinpf. Dasselbe Verhiiltuiss besteht jeweileu auch zwischeu den Beweguugen der entsprecbenden Punkte in der 5;-Uicbtung zu einandcr iind gegenuber einer gu-Ebene, welche sich mit der mittleren Geschwindigkeit des Ganzen gleichformig bewegt. b. Die Oscillationen des gemeinsamen Sctiwerpunctes. Sie hiingen ab von der Form der Curve der resultirenden iiusseren Einwirkungeu auf das System, die verticalen Oscillationen von der Curve der verticalen, die ^-Oscillationen von derjenigen der ^-Com- poneuten, Aber nicbt bloss die Form der Curve ist von Einfluss, sondern auch die Dauer der Periode. Bei iilmlicber Form der Curve der v-Componenten musste die Hohe der verticalen Excursion des Ganzen dem Quadrat der Zeit T einer Periode porportional sein. ' Wiirde z. B. die Dauer der Hebung stets die Halfte des Niederschlages betragen, und wiirde jederzeit der ganze verticale Widerstand gleichmassig wahrend der Halfte der Zeit des Niederschlages oder walirend ^ der Periode und nur in dieser wirkeu, so wiirde sich bei 2 Flligelschlagen pro Secunde eine verticale Excursion des Rumpfes von 20 cm. ergeben, bei 4 Flugelschlagen wilre sie 5 cm., bei 8 Schlagen 1,25 cm. u. s. w. Bei der gleichen Dauer einer Periode hiiugt die Excursion des Ganzen davon ab, wie die Curve sich zu der geraden Linie verhalt, welche parallel zur Abscissenaxe mit dieser eiu gleich grosses Kriiftefeld bildet; je hoher sie iiber diese Linie sich er- hebt und unter sie sinkt, desto grosser ist im Allgemeineu die Excursion. c. Ausnutzung grosserer RumpfosciUationen. Es wird sich in den folgenden Abschnitten, welche der Un- tersuchuiig der Krafte und der Arbeitsleistuug gewidmet sind, zeigen, dass die Wirkung der Schwere am Flugel zum Theil fiir die Vorwartsbeschleunigung desselben und damit fiir die Locomo- 2GG Dr. H. Strasser, tion des Ganzen iiutzbar gemacht wird. Man kaun sicli vor- stcllcn, dass der Fliigel bcim Nicdcrscblag, bei welcbem er ja zu- nieist audi absolut abwarts bewegt wird, wie auf eiuer schicfen Ebene vorwiirts abwarts gleitet, wobei die Scbwere luitbilft seiuo Vorwiirtsbcwegung zu beschluiuiigon, und dass zu irgend eiuer Zeit diesc Vorbewegung, also audi der Antbeil, den die Scbwere an ihr bat, in irgend einer Weise niitzlicb verbraucbt wird. Beini Kunipf und bei der Flugelbais kann von einem derartigen Ver- balten keine Rede sein, so lange sie jederzeit niit (wenn aucb iiocb so wenig) supinirten FLacben gegen die Luft geben. Der Ge- dauke liegt nun nabe, dass bei grosseren Oscillationen des Ruinpfes aucb fiir ibn und die zunacbstliegenden , niit ihni be- wegten Tbeilc des Fliigels durcb pronatoriscbe Umstellung die Moglichkeit einer derartigen Wirkung gegeben sei. Ich babe leider gar keine Erfabrung daruber, wie die grossen Seevogel mit kleinem Korper und sebr langeu Scbwiugen sich beini Fliegen (mit Fliigelscbliigen) verbalten. Bei Moven ist mir eine periodiscbe pronatoriscbe Neiguug des Rumpfes uicbt aufge- fallen. Wobl aber babe icb die seinerzeit fiir micb scbwer ver- stiindlicbe Beobacbtung verzeicbnet, dass zu Anfang des Nieder- scblages des Fliigels die Fliigelbasis allein etwas pronirt ist. Ist dem so, dann konnten diejenigen Tbeile des Fliigels, welcbe we- sentlich den oscillatorischen Bewegungen des Rumpfes folgen, in ebenderselben Weise die Wirkung der Scbwere zur Vorbewegung ausniitzen wie die iibrigen, aber aus Grunden, die sicb alsbald ergeben werdeii, nicbt gleicbzeitig mit den iiusseren Tbeilen des Fliigels. Erst wiirde die Basis des Fliigels pronirt werden, etwas spater erst, wabrend der iunere in Supiuatiousstellung iibergebt, der aussere Tbeil des Fliigels. Von vornberein war man vielleicbt geneigt zu erwarten, dass der Vogel in mancheu Fallen iiber die Luft dahingleite, wie ein Nacben iiber brcite Wellen, dass er in Rumpf und Fliigel vorn ubergeneigt vorwiirts abwarts siuke, sicb alliniiblig borizontal stelle und mit mebr und mebr supinirten Fliicheu wie ein Drache gleicbsam auf der andern Seite des Wellentbals wieder empor- scbiesse; indem sicb dann eine relative Abwarts- und Riickwiirts- bewcgung des Fliigels binzugcselle, gewinne das Tbier das alte Niveau und dieselbe Ilorizontalgcsdiwimligkeit wieder. Ein soldier Verlauf der einzelnen Porioden «les Fliigdscbhiges in vollkommen gleidimiissig bewegter oder rubender Euft ist vielleicbt beini M- batros zu beobacbten, icb weiss es nicbt, konimt aber jedenfalls Uebcr don Plug dcr Vogol. 267 uur unter ganz besonders giinstigen Verhiiltnissen bei sehr grossen, grossfliigligen Fliegern in Betracht. Es liisst sich einseheu, waruni. Ich will hicr uicht uutersuclicn, ob niit ciner derartigcn Form dcs Fluges eiu wirklicher Vorthcil fiir den Vogel vcrbunden ist. Es geniigt zu wissen, dass sie nur nioglich ist, wenn aussere Krafte die Umstellung der Flaclieu besorgen. Durch relative Vor- oder Riickfuhrung der Flugel kann nun zwar, ^Yie spater noch genauer erortert werden soil, der drehendc Einfluss des Luftvviderstandes geiindert iind regulirt werden. Zu dcni nothwendigen Effect ge- bricht es aber meist an der nothigen Zeit; denn die hebende und vortreibeude Wirkung des einzelnen Fliigelschlages und dem- nach auch die Grosse undDauer jeder einzelnen Auf- und Nieder- bewegung des Ganzen ist bescbriinkt. Durch die inneren Krafte allein aber kann wohl die Umstellung des Fliigels besorgt werden, aber nur unter entgegengesetzter Drebung des Rumpfes. Dieser Um- stand allein geniigt scbon, urn verstandlich zu macben, dass der in Rede stehende Typus des Fluges nicht ofter vorkonimt. Vcrhalten bei relativ grossem Rumpfgewicht. Es ergiebt sich ferner, dass ein solcher Typus namentlich da unvortheilhaft ist, wo der Rumpf sich wegen der relativen Grosse seines Gewichtes iihnlich wie der gemeinsame Schwerpunkt bewegen miisste. Hier konnten aussere Krafte allein am allerwe- nigsten die nothige gleichartige Umstellung von Rumpf und Flugel bewirken. Grosse Rumpfoscillationen aber, welche ohne eine derartige Umstellung erfolgen, ohne dass also der Rumpf auniihernd dieselbe Neigung zu seinem Trajectoriura beibehalt, macben ein starkeres Aufgerichtetsein nothwendig, damit bei der Hebung des Rumpfes nicht sein Riicken gegen die Luft gehe, und vermehren im Ganzen die schadliche riickwarts gerichtete Componeiite des Rumpfwiderstandes gegeniiber der aufwarts gerichteten, — sind also an sich eher zu vermeideu als zu erstreben. Eine Vermin- derung der verticalen Oscillationen des Rumpfes kommt zu Standc, wenn der verticale Widerstand am Flugel gleichmassiger wiihrend der ganzen Periode des Niederschlages erzeugt wird und auch wiihrend der Hebung erheblicher Auftrieb stattfindet. Vcrgrosse- rung von t gegenuber t, langer anhaltende und gleichmassige Wir- kung des Flugelniederschlages zur Hebung, vermehrte Drachen- wirkung von Rumpf und Flugel bei der Hebnng, begiinstigt durch Verbreiterung der Fliigelbasis und durch Supination derselben, endlich eine moglichste Verminderung des dorsalen Luftwider- 268 Dr. H. Strasser, standes am Flugcl bei der Hebung (Typus dcs Ruderfliigels), sol- clies konimt also unter deu grosson Fliegern namentlich den- jenigeii rait relativ grossem Rumpfgewicht und geringen verticalen Rumpfoscillationen zu. Verhalten bei relativ kleinera Rumpfgewicht. Etwas auders verhalt es sich mit den Runipfoscillatiouen bei verbiiltuissmassig geringem Korpergewicht. Hier konntcu die vcrticaleu Oscillationen des Rumpfes verschwiuden, wenii der ver- ticale Widerstaud zwischeu dem Niederschlage und der darauf folgenden Fliigelhebung ein ausgesprochenes Maximura, am Ende der Hebung ein ebensolches Minimum batten. Es lasst sich nun nicbt bezweifeln, bei der Kleinheit des Rumpfes und seiner Flachen, dass der verticale Hauptwiderstand durch die Bewegung des Fliigels entwickelt wird. Dieser aber geht, wenn uberhaupt, sicber eher zu Ende als zu Anfang der relativen Hebung mit der Ventral- flache gegen die Luft. Verticale Oscillationen des Rumpfes sind demnach nicbt zu vermeiden, und zwar fiillt der absolute Tiefstand des Rumpfes sicber noch in den Verlauf des relativen Nieder- schlages. Die Gegenwirkung der den Flugel uiederziehenden Mus- keln auf den Rumpf muss wesentlicb daran Scbuld sein , dass letzterer in seiner Abwartsbewegung gehemmt und emporgerissen wird. Es ist nun wichtig, dass die Wirkung des Fliigelniederschla- ges nicbt durch die relative Gegenbewegung des Rumpfes zu sehr beeiutriichtigt werde. Von dem Moment an, wo der Rumpf absolut zu steigen beginnt, wird also die Aktion der uiederziehenden Musk ein sehr raschund energisch sich abspielen musscn, damit der Rumpf nach moglichst kurzcr Strecke der Stcigung die nothwendige Aufwilrts- und Vorwilrtsgeschwindigkeit erlangt babe, und nicbt ein zu grosser basaler Theil dcs Flugels von der Abwartsbewegung gegen die Luft ausgeschlossen werde. Immerhiu liegen die Verhiiltnisse fiir die Erzcugung des Widerstandes hier ungiinstig. So lange da- gegen der Rumpf noch sinkt, ist die \Virkuug des Fliigelniedcr- schlages begiinstigt, well nicbt bloss die Spitze, sondern auch die Basis abwJlrts bewegt wird ; dieser Umstand erlaubt die rela- tive NiederboNveguug des Flugels anfauglich eiuzuschriinken. Da der Fliigel im Moment, wo der Rumpf seinen tiefsten Stand luit, noch abwarts geht, so bat der Gesammtsch>Yerpunkt (label seine tiefste Lage noch nicbt erreicht. Ist letzteres der Fall, so ist der Rumpfschwerpunkt bereits im Steigen, der Flugel- tJeber den Flug der Viigel. 261) schwerpunkt nodi im Sinken begriffen. Es fiillt das M axim urn der verticaleu Widerstiinde ungefahr mit diesein Z e i t p u 11 k t z u s a 111 m e ii. Es ergiebt sich feriier bei eiuiger Ueberlegung, dass der Iloch- stand des gemeinsamen Schwerpunktes iii das Endc der Fliigel- hebuug fallen muss; dass in dieseni Moment also der Fliigel noch steigt, der Kiimpf bereits wieder im Sinken begriffen ist. Wir konnen demnach die verticale Bewegung der 2 Partialscliwer- punkte « und S und des Gesammtschwerpunktes Ii" in der Zeit durcli die 3 in Fig. 14 dargestellten Curven erlitutern, welche Cur- Fig. 14. ven nicht mit den wirklichen Trajectorien der 3 Punkte, die ja auch noch von der ^-Bewegung abhiingen, verwechselt werden diirfeu. Ungefahr da, wo sich die 3 Curven schneiden, liegen die Maxima und Minima des gesammten verticalen Widerstandes oder die tiefsten und hochsten Lagen des Gesammtschwerpunktes -^ (der Curve 3^). Den Zeitpunkten hb und aa entspechen die hochsten und tiefsten La- gen des Fliigelschwerpunktes (Curve ss). Die Stellen St und Sh der Curve SS des Rumpfschwerpunktes entsprechen den Maxima und Minima dieser Curve. Bei mm haben wir die maximale relative Erhebung des Flugels iiber den Rumpf, bei nn das Ende des relati- ven Niederschlages. Zwischen aa und nn findet noch Schliessung des Gelenkes, zwischen hh und mm Oeffimng statt ; die Flugelspitze geht unmittelbar nach aa noch einen Moment relativ abwiirts, nach hh noch einen Moment relativ in die Hohe, und bewegt sich na- tiirlich bei mm und nn genau parallel dem Fliigelschwerpunkt, dem gemeinsamen Schwerpunkt und dem Rumpfschwerpunkt. Die Reihenfolge dieser verschiedenen Stellungen muss ubrigens genau dieselbe sein, auch wenn die Oscillation des gemeinsamen Schwerpunktes, und wenn die relativen Oscillationen desRumpfes mit diesem geringer sind, so lange nur der Tiefstand des Ge- sammtschwerpunktes, Oder ein ausgesprochenes Maximum der ver- 270 Dr. H. Straaser, ticalen Widerstande in die Zeit des Fliigclniederschlages fallt. Letzteres wird immer der Fall seiii. Wir kouneii also obiges D i a g r a m m auch benutzen, um die R ei h e n f o 1 g e d e r H a u p t - ercignisse eincr Peri ode des Fliigelschlages ganz allgeiuein zu denionstrireii. Fig. 15 giebt ebeiiso ganz all- gemein die Reihenfolge der Stel- lungen der Flugellangslinien im Laufe einer Periode in der gy-Ebenen-Pro- jection; die thatsachlichen Verschie- deuheiten beruhen niir darin, dass in dem einen Fall der Bezirk, in wel- chem das innere Ende o auf und ab oscillirt, grosser, im anderu kloiner, ja in vielen Fallen anniiherad = 0 ist. Die duukel ausgezogenen Li- Fig. 15. nien stellen verschiedeue Richtungen der Liingslinie beim Niederschlage dar, die feinen Linien solcbe bei der Hebung. Jeden weiteren Commeutar zu dieser Figur balte ich fiir iiberfliissig. Auf die grosseu Rumpfoscillationen der grossfliigligen Flieger mochte ich noch mit einem Worte zuriickkonimen. Weder ist die verticale Bewegung des Rumples in Folge der Oscillation gegeuiiber JS" durcb die Oscillation mit .3 ganz anullirt, noch verstilrken sich beide Einflusse jederzeit. In der Zeit, welche noch vergeht vom Augenblick des rela- tiven Hoch- oder Tiefstandes von S bis zum Moment, in dem 2" den hochsten oder tiefsten Stand hat, sind beide Einfliisse contrar, in der ubrigen Zeit gleichgerichtet. Der Rumpfschwerpunkt aber steigt und fiillt dann eine Zeit lang gleichzeitig mit dem Fliigel- schwerpuukt, namlicli ungefiihr in der ersten Ilalfte des Nieder- scblages und der Hebung, wiilirend er sich in dem Rest der beiden Zeiten entgcgengesetzt zu s verhiilt. Wie der Rumpf verhalten sich die zuniichst gelegenen Theile des Fliigels. Die gleichartigen Wendepunkte der Trajectorien von Rumpf- und Fliigelschwerpunkt liegen um so weiter auseinander, die entgegeugesctzten um so nilher bei einander, je geringer die Oscillatiouen des gemein- samen Schwerpunktes sind, oder je mehr die tiefste Lage des letzteren mit dem Anfang des Fliigelniederschlages zusammenfiillt (vgl. Fig. 14). Soil der Luftwiderstaud moglichst an der Unterseite des Uebei" (Icii Flupj der ViJgcl. 271 Fliigcls entwickelt werdeii, so iniissen desscu Flachcn sich ihrcn Trajectorieii mehr oder wcnigcr anschmiegen. Daraus ergiebt sich eiufach durcli das Produkt g. 0 ausgedriickt. So bedeutet z. B., wcnn wir die inneren Krafte mit I be- zeicbnen , dcr Ausdnick I/nt die gesammte Wirkung derjenigen inneren Krafte am Flugel, welche wiihrend des Flugelnieder- schlages niederziehend auf denselben einwirken, Ijht die Wirkung der den Fliigelhebenden inneren Krafte wahrend des Nieder- schlages u. s. w. a) Der Fliigel bcim Niederschlag hat zu Anfang und zu Ende die Geschwindigkeit 0 in verticalcr Richtung. Die Summe aller verticalen Krafteinwirkungen wahrend des Niederschlages = 0. Bci dcr Abwiirtsbewegung erzeugt der Flugel mit seiner Unter- fltiche einen Wider stand Wf, dessen vcrticale Componente W/o aber nicht cinzig und allcin von der Abwilrtsbewegung des Flugels abhiingt. Vielmchr hiingt dcr Widerstand Wf senkrecht zu den gegen die Luft bewegten Oberflachen ab von der Grosse der Fliiche F, von der Geschwindigkeit T", mit welcher die Flache be- wegt wird, von dem Winkel «, den die Bewegungsrichtung mit der Flache bildct und von einem Faktor C, der fiir die Luft vor der Hand von uns als constant angenommen werden kann (Wf=^t.V^. sin 2 a. F.). Da die Unterflachen des Flugels beim Niederschlag bald pronirt, bald supinirt, bald nach aussen, bald nach innen gewendet sind, so kommt neben der verticalen Bewegung auch die Vorbewegung und die quere Bewegung in Betracht. So kommt cs, dass Wf und auch die verticale Componente Wfv weder zu Anfang noch zu Ende des Niederschlages = 0 ist. Am ungiinstigsten sind die Verhaltnisse zu Ende des Nie- derschlages , wo an der Spitze selbst die Abwilrts- und Vorwarts- bewcgung klcin, wenn nicht =0 ist, und die basalen Theile des Flugels zwar rasch vorwarts, aber noch wenig aufwarts und mit 18* 276 Dr. H. Strasser, relativ kleiuerem Winkel a gegeii die Luft gehen. Zu Anfang des Niederschlages dagegen ist die Vorvvartsbewegung der Fliigelspitze maximal, uud die Basis des Flugels ist sclioii in Abwartsbewegung begrifieu. Der Wiukel u ist uberall ein giinstiger. Der gesammte Wf also, gleich von Anfang an erheblich gross, steigt allmahlich zu einera Maximum, um dann rasch und bis auf kleinen Betrag zu sinken (s. u. Fig. 16). Abwarts treibend wirkt am Fliigel sicher die Schwere, uud zwar wiihrend der ganzen Zeit, mit gleichmassiger Kraft. Sie wurde fiir sich allein dem Fliigel eine Gescbwindigkeit g.t ver- F leihen oder eine Bewegungsmenge — g.t = F.t. Wie verbalten sich die inn ere u Krafte? Da der verti- cale Widerstand am Fliigel sicher grosser ist als am Kumpf, also eine Oeffnung des Gelenkes an sich bewirken wiirde, die Schwere an sich an der Stellung zwischen Fliigel und Rumpf nichts andert, thatsiichlich aber eine Schliessung des Gelenkes, d. h. eine relative Fliigelniederbewegung stattfindet, so miissen zu Anfang des Nieder- schlages innere Krafte vorhanden sein, welche den Flugel nieder- ziehen und den Rumpf heben. Abwarts treibend wirken also zu Anfang die Schwere und die inner en Krafte J/nt. Anfangs ist die absolute Be- wegung des Fliigels abwarts eine beschleunigte; daraus folgt, dass die abwarts ziehenden Krafte iiber die vertical aufwiirts wirkenden Componenten des Widerstandes am Fliigel das Uebergewicht haben. In Folge davou erlialt der Fliigel eine bestimmte Gescbwindigkeit abwarts. Diese ist am Schlusse des Niederschlages anullirt; gegen diesen Schluss bin miissen demnach die aufwarts gerichteten Krafte das Uebergewicht haben. Es fragt sich, wie die Hemmung am Schluss bewerkstelligt wird. Wir sind der Meinung, dass der Wf allein nicht geniigt, um den in Abwartsbewegung be- grifienen uud von der Schwere immerfort nach abwilrts beschleu- nigten Fliigel vollstilndig aufzuhalteu. Es miissen die Nieder- zieher des Fliigels ihre Spannung miissigen oder ganzlich aufgeben, bevor der Fliigelschwerpunkt die absolute tiefste Lage erreicht hat, geschweige denn die relativ tiefste Stellung. Zweitens aber miissen statt dessen neue umgekehrt gerichtete Krafte im Wirk- samkcit treten, welche die Abwartsbewegung des Fliigels hemmen; dies kann nur geschehen, indcm zwischen Uumpf und Fliigel ein Bewegungsaustausch uuter Wachrufuiig innerer Krilfte stattfindet; was der Flugel an Abwtlrtsbeweguug verliert, wird auf deu Rumpf Ueber den Flug der Vogel. 277 ubertragen; um so viel wird der Rumpf in seiner Aufwilrtsbe- weguug gelienimt. Wo diese innere Uebertragung gcschicht, koninit zuniichst nicht in Frage; es konnte der Flugel bei seiner relativen Niederbewegung entfernt von deni Gelcnk diirch Weichtheile des Runipfes gehenimt werden, oder durcli die bei einem gewissen Grade der Verlilngerung sich mehr iind mehr spanuendcn Hebe- muskeln. Sicher aber findet dabei Druck und Gegendruck an der Einlenkungsstelle des Humerus statt. Der Rumpf hat ja eine Aufwartsbewegung gewonnen, verharrt in derselben, auch wenn die Fliigelniederzieher nicht mehr wirken, und rcisst die Basis des Flugels, successive auch immer welter aussen gelegene Theile mit empor. Zum Schluss des Niederschlages wirken also auf Flugel und Rumpf innere Krafte uragekehrt wie zu Anfang; sie ziehen den Flugel nach oben. Wir wollen ihre Einwirkung mit Ijht bezeichnen, die ganze abwiirts treibende Wir- kung der inneren Krafte am Flugel aber mit I/nt. Alle Kraftewirkungen auf den Fliigel wahrend der Dauer des Niederschlages sind zusammen = 0. Wenn wir mit den Buch- stabengrossen nur die absoluten Werthe der Einwirkungen be- zeichnen, so ist I. Ifht + Wft — F.t — Ifnt = 0. b) Der Flugel bei der Hebung. Die Beurtheilung der Widerstande, welche den aufsteigenden Flugel treffen, ist sehr schwierig. Wir sind der Meinung, dass auch noch bei den gross- und langfliigeligen , rasch fliegenden Thieren die Spitze des Flugels, weuigstens im Beginn der Hebung, rait der dorsalen Seite voran gegen die Luft geht und also einen abwarts gerichteten W erzeugt. In grosserem Maasse muss dies bei den im Verhalt- niss rascher mit den Fliigeln schlagenden, kleinfliigeligen Fliegern der Fall sein. Denn bei diesen muss im allgemeinen die verti- cale Bewegung des Flugels im Verhaltniss zur horizontalen etwas grosser sein, wie schon angedeutet wurde. Der von der Basis des Flugels an seiner Unterflache erzeugte Widerstand aber ist im ersten Moment der Fliigelhebung noch nicht sehr erheblich. Man muss deshalb fiir wahrscheinlich halten, dass bei kleinfliigeligen Vogeln mit verhaltnissmassig raschen Fliigelschlagen zu x\nfang der Hebung der resultirende Wider- stand am Flugel eine abwarts gerichtete verticale Componente hat. Dasselbe gilt auch fiir gross- und langflUgelige Vogel, wenn sie ihre horizontale Geschwindigkeit einschriinken (fiir den Falken 278 Dr. H. Strasser, z, B., welcher sicli riittelud in derselbeu HiJhe uud fast an der- sclben Stello liillt) uud aucli danu , wenu sic, statt lioiizoutal zu streiclien, schrilg aufsteigen. Doch gehort diese BeNvegung uicht eigentlich in den Kreis unserer Betrachtungen. Die Schwere wirkt in der Zeit t am Fliigol niit dem Be- trag F.t. Aus den Verhaltnissen des Widerstandes ergiebt sicli, dass fur den Anfang der relativen und absoluten Hebung des Fliigels innere Krafte mitwirkcn miissen. \Yir bezeiclinen ihreu Einfluss mit Ifhi:. Derselbe vvird geriuger sein konneu, wenn ein grosser Widerstand die Unterflache des Fliigels trifft und zur Hebung gegentiber dem Rumpfe beitragt. Endlich wird am Schluss der Hebung, wo der Widerstand an der Unterflaclie des mehr oder weniger supinirten Fliigels den Einfluss der Schwere des Fliigels entgegeuwirkt, in der Kegel eine innere Wirkung und Gegenwirkung derart stattfinden , dass der aufwarts sclinelleude Fliigel nicht durcli die Schwere allein in seiner Bewegung aufwarts gehemmt wird, soudern auch von Seiten des Rumpfes. Innere Krafte, die im Sinne der Niederziehung des Fliigels wirken , werden besonders da erheblich sein , wo ein sehr rascher Vollzug der Hebung des Fliigels aus andern Griin- den geboten ist. Diese Wirkung sei mit Ijnx bezeichnet. Mit Wj\ sei die resultirende Wirkung des Widerstandes am Fliigel be- zeichnet, welche aufwarts gerichtet ist. Alle Kraftwirkungeu am Fliigel sind zusammen fiir die ganze Hebung = 0. Demnach erhalten wir folgende Gleichung: 11. IfhT (1) Wj\ — F.t; — Ifnx = 0. B. Die verticale Einwirkung sammtlicher Krafte am Rumpf auf den Rumpfschwerpunkt. Die Wirkung der Schwere auf den Rumpf in der Zeit t ist gleich R.t. Die verticale Componente des Rumpfwiderstandes ist wohl so gut wie immer aufwarts gerichtet. Die ganze Einwirkung des Rumpfwiderstandes beini Fliigclniederschlag = Wh. Die inne- reu Krafte am Rumpf sind natiirlich die Gegenkrilfte zu denen am Fliigel, im Anfange des Niederschlages also aufwiirts gerichtet (Irht absolut = I/ut); am Ende des Niederschlages ziehen sie den Rumpf abwiirts (Ir„t absolut = Ij/u). ^^ir habeu aber noch zu beriicksichtigeu , dass in manchen Ueber den Flug der Vogel. 279 Fallen der Rumpf zu Aufang des Niederschlages eiue Abwilrts- geschwiudigkcit c besitzt, welche einer Krafteinwirkung odcr einem Bewegungsiiioiiient B.c eutspricht, uiid zu Eude des Niederschlages eiue Aufwiirtsgeschwiudigkeit c^, eutspreclieud einer Krafteinwir- kung E.Cj. Unter dem Eiufiuss der aussereu und inneren Krafte am Fliigel wird die abwarts gerichtete Bewegung vernichtet und die aufwilrts gerichtete erzeugt. Es ist also: III. Irht -h Wrht — Irnt — lit = R.C + Rx^. In ahnlicher Weise findet man fiir die Krafte, die am Rumpfe wahrend der Flugelhebung wirkeu, IV. IrhT + WrhT — Ltit — IIt = E.Ci, -t- Rc. Zusammciifassiing. Bezeichnen wir fiir irgend eine Phase Irh = If,i mit Ijy, Ini = Ifh mit Is, so ergeben sich folgende Gleichgevvichtsgleichungen : 1) fiir die Krafte am Fliigel wahrend des Fliigelniederschlages 1st + Wfht — Ft — Ipt = 0 2) fiir die Krafte am Fliigel wahrend der Hebung Ist + WfJcx — F.t — Lx =0 3) fiir die Krafte am Rumpf wiihreud des Fliigelniederschlages Ipt + Wrht — Ist 4- B.t = B.C I -f- B.c, 4) wahrend der Fliigelhebung Ipx 4- Wrhx — Lx — B.T z= B.C^ + B.C. Sodaun ist Gleichgewicht der Krafte am Fliigel wahrend einer ganzen Periode vorhanden, also 5) Ipr + F.T — IsT — WfhT = 0 ebenso am Rumpf, also ist 6) IsT +B.T—IpT— WrhT = 0. Natiirlich besteht dann also Gleichgewicht aller ausseren Krafte pro Periode; es ist also F.T -\- B.T = P.T = WrhT+ WfhT und F.T — WrhT = WjhT — B.T. /?. Curveii dieser Krafte. Alle diese Gleichungen geben keiuen Aufschluss iiber die wahrend einer Periode T oder wahrend der Zeiten t und t vom Ganzen oder vom Rumpf und Fliigel zuriickgelegten Wege. Sie gelten in ganz derselben Weise nicht bloss fur den horizontalen Normalflug, sondern auch fUr langsames Auf- oder Absteigen mit 280 Dr. H. Strasser, regelmassigen FlUgelschlagen. Bei steilerer Flugbahn mag cliese imd June der zu beriicksichtigeiuleu Einwirkungcu = 0 oder um- gekehrt geiichtet werdeu. GlUcklicherweise enthalteu die aufgestellten Gleichgewichts- gleichiiijgen uicht Alles, was wir iiber das Wecbselspiel der iu- nereii und iiusseren KrJiftc feststelleu konnen. Es ist uuzweifel- haft iii()glich, vorausgesetzt, dass die Gesetze des Luftwiderstaudes im Allgenieineu auiiaberud bekaimt siiid , aus der Keuntuiss der Form des Apparates und seiner Bevvegung, also aus der Kenntniss der 'rrajectorieu seiner Oberfliicheupunkte die Curve des Luftwi- derstaudes eiuerseits, des Flugelwiderstandes audererseits (der bo- rizontalen Componenten sowobl, als der verticalen) zu construiren — fiir einen gegebenen Fall von gleichformiger Bewegung. Die Einwirkung der Schwere auf beide Partialmassen ist natiirlicb leicht zu ermitteln. Endlich ist dabei aucb die Bewegung des gemeinsamen Scbwerpunktes und diejenige der Partialscbwerpunkte gegeben, sodass sicb aucb die Curve der resultirenden (borizon- talen und verticalen) Einwirkungen auf die Gesammtmasse und auf die Partialmassen muss construiren lassen. Damit ist alles Notbwendige gegeben, um fiir jeden einzelnen Moment die Grosse der Einwirkung der inneren Krafte auf jede der beiden Partialmassen festzustellen. Wir wollen dieseu Weg der Untersucbung im Folgenden fiir den borizontalen normalen Flug und zwar zuniicbst fiir die verticalen Krafte und Bewegungen betreten. Es liefern zwar unsere Untersucbungen uber die Form der Bewegung noch keine vollstilndig genauen und sicberen An- haltspunkte zur Bestimmung der Widerstandscurven. Mag aber aucb in unseren Voraussetzungen Maucbes irrig sein, die Haupt- sache ist, dass gezeigt wird, wie die so miibevollen Untersucbun- gen iiber die Form der Bewegung verwertbet werden konnen. A. Die auf den Fliigel wirkenden verticalen Krafte in ihrer Abanderung nach der Zeit. In den folgenden Figurcn 16 und 17 sind die Krafte durch verticale Distanzen (Ordinaten), die Zeiten durcb borizontale Di- stanzen (Abscissen), die Aenderungen der Krafte durcb Curven, die Einwirkungen der Krafte in bestimmter Zeit durch Kriifte- felder dargestellt (s. S. 182). Die borizontale Distanz t entspricbt der Zeit des Fliigelnie- derscblages (Niederbewegung des Fliigelscbwerpunktes), die Di- stanz r der Fliigelbebung. I Ueber den Flug der Vdgel. 281 In Fig. 16 ist dbcdefgh die Cmyc dcs vertical nach obeu gerichteten Widers taudes am Fliigel. Die zugehorige Abscisseuaxe ist x-X. Wir habeu angeiiomiiien, dass in der ersten Iliilfte der Fliigelliebuiig der ganze Fliigelwiderstaiid eine Zeit lang resultireud nacli oben wirke (von d bis /*), indem die schiid- lichen Widerstjiude an der oberen Seite des Fliigelendes uber die nutzlicben an der Fliigelbasis uberwiegen. Am Eude der Hebung gewinnt der nutzlicbe verticale Widerstand einen positiveu Werth, indem er resultirend nach oben gericbtet ist. Er ist zu Aufang der Fliigelsenkung schon erheblicb, erreicht in der zweiten Hiilfte derselben seinen maximalen Werth «nd ist am Ende der Seukung fast=0. Fig. 16. Die ganze (aufwarts gerichtete) Einwirkung des Flugelwider- staudes in einer Periode wird gemessen durch das Kraftefeld xahcdx + fghXf — defd. Dieses Feld muss zusaramen mit 282 Dr. H. Strasser, deni Kiaftcfeld des aufwiirts gerichteteu Runipfwiderstaudes dem Kriiftefcld der abwilrts wirkendcn Schwcre des gauzen Systems gleicli seiu. Ziehen wir uun ttber xX Paralleleu zu dieser Axe in den Abstiinden xq = F und xx =F^ {x'q = R)^ dann ist das Kriiftefeld der Schwerc = xqQXx. Der Runipfwiderstand Wrv wird gemessen durch den Abstand der fein punktirten Curve mm von qQ. Was von der Einwirkung (oder voui Kriiftefeld) der Sell were nicht durch den Runipfwiderstand anullirt wird, muss durch den Fliigelwiderstand im Gleichgewicht gehalten werdeu. Die Einwirkung des letzteren, welcher durch den Abstand der Curve abed . . . iiber xX gemessen wird, muss also dem Felde zwischen mm und xX gleich sein, was in unserer Figur ziemlich genau der Fall ist. Die durch den Abstand der Curve mtn von qQ dargestellten, auf den Rumpf w irk en den resultireuden vertical en Widerstande sind uberall als positiv, d. h. als nach oben gerichtet, angenommen, am grossten fur den Beginn der Flugel- hebuug, wo der Rumpf die grosste Horizontalgeschwindigkeit hat, am kleinsten kurz vor der Mitte des Niederschlages, wo die Ho- rizontalgeschwindigkeit erschopft ist und der Rumpf aus der ab- steigenden Bewegung in die aufsteigende ubergeht. Betrachten wir nun die Krafte am Fliigel fur sich, so kommt neben der aufwarts gerichteten Wirkung des Fliigelwiderstandes die abwilrts gerichtete Wirkung des Fliigelgewichtes zu- niichst in Betracht. Letztere ist durch das Kriiftefeld xx'X^Xx gemessen. Fliigelwiderstand und Fliigelgewicht zusammen werden naturlich gemessen durch {ahc h zu xX) — xx'X'Xx oder durch ahc ...h zu x'X^. Die resultireude Bewegungsanderung des Flugel- schwerpunktes hilngt ausser von diesen Kriifteu nur noch ab von der Einwirkung der iuueren Kriifte am Fliigel. Wenn die Form der Bewegung bekaunt ist, so muss sich be- urtheilen lassen, wie gross in jeder Phase die nothwendige resultireude verticale Beschleun igung des Flilgel- schwerpunktes ist. Wir habeu dies in Fig. 16 durch den Abstand der Curve ABC... I von x'X' dargestellt. Die unserem Beispiel zu Grunde liegenden Verhiiltnisse mogen ungefilhr rea- lisirt sein bei einem Thier von dem Gewichte einer Taube, aber einem mehr movenartigen Bau, so dass der Rumpf relativ leichter ist und die Rumpfoscilhitionen mehr ins Gewicht fallen. (Bei grosseren Thieren mit selteneren Fliigelschlilgen wiirde der mitt- lere Abstand der Curve ABC . . . I von x'X' im Verhiiltuiss zu TJeber den Flug der Vogel. 283 dem Abstaud xx etc. kleiner seiii iiiiisseii). 7x\ licgiiiii and zu Eude dus Niedurschlages uiid der Hebuiig ist die Geschwindig- keit des Fliigelschwerpuuktcs = 0. Beim Nicderschlage muss also zuuiicbst eiue resultireiule abwilrts treibeiide Wirkung statt- fiuden, daun eiue Ilemmuug der Abwilrtsbewegung. Die resul- tireud beim Niedcrscblag erwurbeue Geschwiudigkeit muss ^ 0 seiu. Daraus folgt, dass das Kriiftefeld ABx^A dem Kriiftefeld liCB^'B absolut gleich, dem Siuu uacb eutgegengesetzt seiu muss. Aebnliches gilt fiir die resullireude Wirkuug auf den Fliigel bei der Hebuug. Hier ist die resultirende Wirkung zuerst aufwiirts, dann abwarts gericbtet. Das Kriiftefeld i'DEF^' muss absolut -= FGHIX'F seiu. Diesen Auforderuugeu geuugt unsere Curve AB /. Ausser- dem aber muss dieselbe noch andereu Postulaten gerecbt werden. Es muss zweitens der pro Periode vom Fliigelscbwerpuukt zuriickgelegte Weg = 0 sein, uud zwar muss dies in der Weise erreicht werdeu, dass der bei dem Niederscblag nacb unten durch- messene Weg dem bei der Hebung iu der umgekehrten Richtung durclimessenen gleich ist. Construirt mau die Wegkorper nacb den in der Eiuleitung auseinandergesetzten Grundsiitzen, so wird man zuuiicbst erkenuen, dass der in der ganzen Periode durch- messeue Weg wirklich bei der gewiihlten Form der Curve^J5C. .. J anniibernd == 0 sein wird. Da nun bei der Hebung in kiirzerer Zeit derselbe Weg zuriickgelegt wird wie beim Niederscblag, so muss die mittlere und maximale Geschwiudigkeit bei der Hebung grosser sein wie beim Niederscblag, was ja auch durch Beobach- tung und Registrirversuche bestiitigt wird. Die maximale Ge- schwiudigkeit ist in unserem Beispiel vorhaudeu in dem Augeu- blick, wo die Abwiirts - oder Aufwartsbeschleunigung = 0 gewor- den ist und die Einwirkung einer eutgegengesetzt gerichteten Kraft beginnt, also bei B und F. Das seit dem Beginn des Nie- derschlages resp. der Hebung erzeugte resultirende Kriiftefeld ist ein Mass fiir die bis jetzt erlaugte Geschwiudigkeit ; es muss also absolut ABx'A erheblich kleiner sein als B'DEFB'. Auch diesem Umstand ist in unserem Diagramm Rechnung getragen. Es ist nun leicht zu ermitteln, welche Kraft in irgend eincm Moment zu der Einwirkung der Schwere und derjenigen des Luft- \viderstandes noch hinzukommen muss, damit die resultirende Ein- wirkung der in der Curve ABCDEF dargestellten wirklich ent- spricht. Diese Kraft wird jeweilen durch den verticalen Abstaud der Curve ABODE von der Curve abcdefgh dargestellt; wo die 284 Dr. H. Strasser, erstere unter der letztereii liegt muss die Kraft abwarts gerichtet seiii, wo das Uuigekehrte stattfiudet, muss sie aufwarts wirken. Der Abstaud der Curve uiiydetrj von der Abscissenaxe xX ist jeweilen dieser Differenz gleich gesetzt; es ist deshalb die letzt- genannte Curve die Curve der inneren verticaleu, auf den Flu gel einwirkenden Krafte; denn keine anderen als innere Krafte konuen die aussereu Krafte in der postulirteu Weise erganzen. {ABCbaA + GHIhgG) oder {xai-iyx -\- eUj Xe) siud die Kraftefelder, welche das Mass der abwarts zielienden Wirkung der inneren Krafte auf den Fliigel geben, das Kraftefeld CBEFGedcC Oder ydey misst die aufwarts gerichtete Einwirkung der inneren Krafte auf den Fliigel zu Ende der FlUgelsenkung und zu Anfang der Fliigelhebung. xa^yx = Ifnt y^(fy = Ifht ^(fde^ = Ifhx eCrjxe = I/ut. B. Die auf den Rumpf einwirkenden verticalen Krafte (Fig. 17). m3I zu qQ in Fig. 17 ist die Curve verticaleu Luftwider- staudes Ww am Rumpf; qQ zu x'X' zeigt die Wirkung des Rumpf- gewichtes, niM zu x'X' die resultirende, abwarts gerichtete Ein- wirkung der Schwere und des Luftvviderstandes auf den Rumpf. Die inneren Krafte am Rumpf siud jeder Zeit absolut gleich, aber entgegengesetzt gerichtet, wie die inneren Krafte am Fliigel, ihre Wirkung wird durch die Curve al^y . . . /; zu x'-X' dargestellt. Alle diese Verhiiltnisse sind genau nach dem fur Fig. 16 ge- brauchten Massstab dargestellt. Es ergiebt sich dann als Curve der resultirenden verticalen Einwirkungen auf den Rumpfschwer- punkt die Curve ABODE.. .1 mit der Linie x'X' als Abscisse. Ihre Ordinaten entsprechen jederzeit den Abstanden der beiden Curven a[iy . . . /y und niM. Auch diese Curve muss einer ganzen Reihe von Bedingungen gentigen. Der pro Periode vom Rumpf in ver- ticaler Richtung zuriickgelegte Weg muss resultirend = 0 sein. Ferner muss der vom Rumpf aufsteigend durchmessene Weg dem beim Sinken von ihm durchmessenen gleich sein. Der tiefste Stand des Rumpfes wird in der crsteu Hillfte des Niederschlages (bei Rtski Fig. 17), der hochste Stand in der ersten Hiilfte der Flii- gelhebung (bei lihstd) angenommen werden miissen. Allen dieseu Auforderuugen geniigt uusere Curve ABC... I Ueber den Flug der Vogol. 285 Fig. 17. in erfreulicher Weise. Beriicksichtigt man ferner, class der Rumpf 3^ — 4 mal schwerer augenomnien wurde als der Fliigel, und dass die Curve der resultirenden Krafte an Rumpf und Fliigel in unserem Beispiel einander ziemlich ahnlich sind, so ergiebt sich eine ca. 3|— 4 mal geringere verticale Excursion des Rumpf- schwerpunktes im Vergleich zu der des Flugelschvverpunktes, oder eine ca. 11 mal geringere im Vergleich zur Fliigelspitze. Solches ist bei einem Vogel von verhiiltnissraassig leichtem Rumpf nichts Absurdes. Die unseren Curventafeln zu Grunde gelegten Voraussetzungen sind also uuter sich in guter Harmonie und konnen sehr wohl 280 Br. H. Strasser, bci irgend einem bcstimmtcn Fliigtliier aiiDahernd genau realisirt sciii. Wir konncn demiiach auch diese Curventafeln dazu be- nutzeii, uni darzuthun, dass bei der Abanderuiig von irgend einem der verschiedeuen Factoren alle andern sich ebenfalls andei-n miissen. Man stelle sich z. B. vor, dass die hebende Wirkung des Luftwiderstandes am Fliigel aus irgend einem Giunde, etwa in Folge eincr grosseren liorizontalen Oeschwindigkeit des Ganzen, Oder wegen einer grosseren Untcrflilche des Rumpfes wachst, so kann der verticale lAiftwiderstand am Fliigel entsprecliend kleiner sein; dann miissen auch die Curven ABODE und a^iy dsuj in Fig. 16 sich andern, die resultirende Bewegmig des Fliigels und die Wirkungsweise der inneren Kriifte muss eine andere sein. Dies nur als Beispiel. Wir werden spiiter in mehr syste- matischer Weise diese Untersuchungeu fortsetzen. C. Horizontale Kriifte. Aehnliche Gleichgewichtsgleichungen der Kriifte und iihnliche Curventafeln wie fiir die verticalen Kriifte miissen sich auch fiir die horizontalen Kriifte aufstellen lassen; die Schwere wird dabei ausser Betracht fallen. Dagegeii miissen die ruckwiirts ge- richteten Componenten der Widerstilnde als schiidliche von den vorwiirts gerichteten als niitzlichen scharf auseinander gehalten werden. P^rsterc iibernehmen gleichsam mit Bezug auf die hori- zontale Locomotion die llolle des zu bekiimpfenden Einflusses, den bei der verticalen Locomotion die Schwere spielt. Da diese Ein- fliisse von Moment zu Moment wechseln, so wird dadurch die Aufgabe etwas complicirter; immerhiu aber gelingt ihre Losung auf dem angedeuteten Wege, sobald die Form der Maschine und ihrer Bewegung und die iiusseren horizontalen Widerstilnde be- kannt sind. Wir gehcn aber auf dieses Problem einstweilen nicht weiter ein, wenden uns vielmehr einer ganz neuen Aufgabe zu. y. D'lv Eiii/olwii'liuiii^<'ii ih'v iiniciMMi Kriifti' zwisehen Rum]>t' iiiid FliigcL A. Allgemeines. Es gilt zu ermitteln , an welchen Stellen des Apparates und in welcher Weise die inneren Krafte eutwickelt und wie weit dabei tJeber den Flug der Vogcl. 287 die Muskcln in Aiispruch gonommen werden. Diose Fragcn siiid cs ja, an dercn Losung uns am allermeisten gelegen ist. Die l)eidc',n Fliigel sind niit dem Rumpf durcli Gclejike vcr- bunden, welclie ini Wesentlichen nur eine drehende Bciwegiing der Fliigel gegeniiber dem Rumpfe gestattcn, allordings eine Drcliung in jeder beliebigen Itichtung. Anniibernd ein und dersclbe Punkt des proximalen Ilumeriis-Endes bleil)t dal)ei stets in der- selben Lage gegeniiber dem Rumpf, so dass man fiirs erste obne grossen Fehler annehmen kann , der Fliigel sei uni dies(^n einen Piinkt, der nalie aussen an der I'fanne des Scliultergeleidves ge- legen ist, in jeder beliebigen Riclitiing drehbar. Fiir jeden kleinsten Momcnit der Drebung and(Tt dann, wie sicli Icicbt 1)e\veisen liisst, niclit bloss der eine materielle Puidvt des Fliigels, der niit d(;ni D r e h u n g s m i 1 1 e 1 p u n k t ziisammenfallt, seine Lage /um Rumpfe nicht, sondern dasselbe gilt fiir eine ganze gradlinige Reibe von Punkten , welcbe in einer bestimmten , durcb den Drebungsmittel- punkt gehenden geradeu Linie liegen (i n s t a n t a n e D r e b u n g s - axe). Die instantane Axe kann freilicli von Moment zu Moment ihre Lage zum Rumpf und zum Fliigel iiudern. Es handelt sich also um das sehr scbwierige Problem der Bewegung zweier in einem einzigen Punkte drebbar verbundener starrer Partialmassen ; es gilt, aus den vorbandenen Kriiften die davon abhiingige Bescbleunigung der verscbiedensten Theile des Systems beurtbeilen zu lernen, oder aus der bekannten Bewegungs- ilnderung auf die dabei betbeiligten Kriifte zu schliessen. Eine solche Disposition des Apparates kebrt bei den verscbiedensten Formen der thierischen Locomotion wieder, so dass die Beband- lung der vorliegenden Aufgabe von allgemeinerem Interesse sein diirfte. L Aeussere Kriifte am Fliigel. Durcb irgend eine iiussere Kraft h am Fliigel, welcbe bin- sichtlich ihrer Grosse , der Ricbtungslinie und des Sinnes ibrer Einwirkung bekannt ist, und durcb den Drehpunkt o des Fliigels lasst sich eine Ebene legen, welcbe als Kraftebene von A; oder mit olc bezeichnet werden kann. Diese Kraftel)ene braucbt im Allgemeinen nicht den Schwerpunkt d des Fliigels zu tretfen. Die gerade Verbindungslinie des Drehpunktes mit dem Schwerpunkt s werde als Hebelarm der Schwere, sie und ihre Verliingerung werd{; als Langslinie des Fliigels bezeichnet. Durch die Langslinie liisst 288 Dr. H Strasser, sich im Allgemeinen eine einzige Ebene senkrecht zur Kraftebeue legen. {oese ftmo unserer Figur 18). Man kann sich nun den Angriffspunkt tier Kraft k in ihrer eigeuen Richtung bis in die Schnittlinie der Kraftebene mit der zu ibr senkrechten Langsebene des Fliigels verlegt denken , bis in den Puukt m unserer Figur, und weiterhin die Kraft Jc nach der Richtung dieser Schnittlinie om und der zu ihr senkrecht stehenden Richtung der Kraftebene rechtwiuklig zerlegt denken. Die Richtung der ersten Componente (jene Schnittlinie) kann als Seitenlinie eines um die Liingsaxe des Fliigels durch die Linie om gelegten Kegelmantels betrachtet werden, die zweite Compo- nente liegt in der durch m gelegten Basisflache des Kegels, welche die Liingslinie im Punkte e trifft und steht nicht bloss zu mo, sondern auch zu me senkrecht, tangirt also die kreisfiirmige Basis im Punkte m; me stellt die kurzeste Entfernung der Kraftrich- tuug k von der Langslinie des Fliigels dar. Pig. 18. Die erstgenannte Componente von k soil als o-Radialcompo- nente kor, die zweite als w«-Tangentialcomponeute kmtg bezeichnet werden. Man denke sich nun die Kegelflache durch om um die Fliigel- langslinie fortgesetzt bis zu einer zweiten Ebene, welche senkrecht zur Fliigelliingslinie durch einen bestimmten Punkt s, desseu Be- deutung bald genauer definirt werden soil, verlauft. Letztgenannte Ebene soil als die e Tangentcnel)ene l)ez(!ichnet werden, well sie die um o durch den Punkt e gelegte Kugelflache in e tangirt. Die Verliingerung der Seitenlinie om des Kegels trift't diese zweite Basisflache im Punkte //. Man kann nun die Componente kmty ersetzen durch zwei parallele Krafte in o und in /<, die man Ueber den Flujr der Vdgel. 289 als 0 - Seitenkraft und // - TaDgentialcoraponente von Ic ocler mit hos und lc\i.t(, bezeichnen kann. hxuj wirkt dann in der Schnittlinie der Kraftebene von k mit der e Tangcntenebene, und der Puukt // ist derjenige Punkt dieser Kraftrichtuug, welcher e zunachst liegt. Es ist dann : kos + k^itg = kmtg . 1) und kintg . Om == kiitg . Of.1 \ ON Oder kmtg . oe = k^itg . oe f Endlich andert man an den Verhaltnissen nichts, indem man im Punkte e parallel der Kraftrichtung kixtg, oder also parallel kmtg und senkrecht zu oe 2 Krafte hinzugefiigt , von denen eine nach Grosse und Sinn der Einwirkung = kixtg, die andre = — kixtg ist. 1) Letztere stellt zusammen mit kixtg in /^i eine ^Drehkraft dar, welche den Flugel um seine Langsaxe mit dem Moment kixtg . /<€ == kmtg . me zu drehen strebt. Die daneben noch tibrig bleibenden Wirkungen der Kraft k sind 2) eine Componentc in e parallel der Kraftebene und senk- recht zur Fliigellangslinie. Nach Grosse, Richtung und Sinn der Einwirkung ist diese Componente QP 7 ki = k^tg == kmtg. ■= = hntg. y Weun 06 = I UUd OE == "K OS ^ 5 7 3) die 0 . Seitenkraft kos = kmtg = = kmtg -^ ee ^ 4) die o-Radialcomponente von k = kor. Man hatte zu demselben Resultate auch gelangen konnen, wenn man zu der Componente kor und kmtg zwei Krafte parallel kmtg im Punkte e hinzugefugt hatte, die eine = — kmtg, welche mit kmtg in m eine Drehkraft darstellt, welche den Flugel um seine Langslinie dreht, und eine zweite Kraft = kmtg in e, welche senkrecht zur Fliigellangslinie wirkt. Wirklich lasst sich diese letztereKraft in e durch zwei parallele Krafte in o und e ersetzen, welche = kos und = kixtg sind. Man ist vielfach der Meinung, dass eine Kraft, welche senk- recht zur Langslinie eines Hebelarmes wii-kt, nur dazu dient, den Hebelarm um sein Hypomochlion, sagen wir um einen bestimmten Drehpunkt o zu drehen, auf den Drehpunkt selbst, aber auf das Achsenlager in keiner Weise einwirke. Diese Annahme aber ist im Allgemeinen eine irrige, Es giebt nur einen einzigen Punkt in der - Langslinie des Bd. XIX. N. F. XII. jy 290 Dr. H. Strasser, Fliigels, an dem eine gleichgerichtete Kraft einwirkeii kann, ohue dem Punkte o fur die crste kurze Zeit der Wirkuiig eine Beschleunigung zu ertheilen. Dieser Punkt e ist jedenfalls distal vom Schwerpunkt gelegen ist. Eine nicht gegen den Schwerpnnkt gerichtete Kraft ertheilt namlich einmal dem Schwerpunkt eine Beschleunigung, als ob sie in gleicher Grosse und Richtung auf die in ihm concentrirt gedachte Masse einwirkte, ausserdem aber ertheilt sie dem Ganzen eine bestimmte Drehbeschleunigung um den Schwerpunkt. Eine Kraft muss also senkrecht gegen die Liingslinie des Fliigels gerichtet sein und in ganz bestimmter Ent- fernung distal vom Schwerpunkt angreifen, damit in einer bestimm- ten sehr kurzen Zeit der Punkt o des Fltigels in Folge der trans- latorischen Verschiebung des Ganzen mit dem Schwerpunkte ge- rade um so viel in der Richtung der Kraft beschleunigt werde, als durch die Drehung um den Schwerpunkt in der entgegeuge- setzten Richtung, Und zwar ist die Lage dieses Punktes e in der Liingslinie des Fliigels im Allgemeinen fiir die verschiedenen Kriifte, welche um verschiedene senkrecht zur Fliigellangslinie gerichtete Axen zu drehen streben, eine verschiedene. Sie berechnet sich fiir irgend eine senkrecht zur Fliigellangs- linie wirkeude Kraft Jc folgendermasseu. (Fig. 19). M sei die Masse des Fliigels, s der Schwerpunkt, os der Schwer- punktshalbmcsser =^ I. die Bildilache der Fig. 19 entspreche der Kraft- ebene, so dass die Drehung, welche die Kraft k dem Fliigel an sich Fig. 19. ertheilen wiirde, wenn er vollstiin- dig frei ware, um eine Schwerpunkts- axe stattfinden miisste , welche senkrecht zur Bildfliiche durch den Punkt s geht; der Tragheitshalbmesser fiir diese Drehung parallel der Bildfliiche um den Punkt s sei = R, das zugeh(>rige Tragheitsmoment = MR^ , so ist das Tragheitsmomeut fiir die Drehung parallel der Bildfliiche um den Punkt o = M- R- -^ M ■ l^ = M (R -^ P). Wenn der Punkt e, in welchem die Kraft k augreift, wirklich den oben aufgestellten Postulaten genii gen soil, und wenn der Ab- k stand des Punktes £ von s mit o bezeichnet wird, so muss ,, d. h. die Bewegung des Punktes o mit dem Schwerpunkt, TIeber den Flug der Vogel. 291 = 7ir7?2 • ^ ^*^^°' ^^- ^- gl^ich der umgekehrt gerichteten BeNvegiing von 0 in Folge der Drehung des Flugels urn den Schwerpunkt, oder ^> = ^", -r,-': es muss also o . I = R^ sein. Wenii man also in der Bildflache in s senkrecht zu os den Traghcitshalbmesser fiir die in Rede stehende Drehung um s er- richtet, so liegt der Gipfelpunkts^ dieses Tragheitshalbmessers mit 0 und E in demselben Halbkreis iiber oe. Dieser Punkt e stimmt, wenn ich nicht irre, mit dem iiberein, was man in der Mechauik als Percussionscentrum bezeichnet. Wir diirfen ohne grossen Fehler annehmen, dass dieser Punkt e fiir ein und dieselbe, z. B. die maximal ausgespannte Form des Flugels dicselbe Lage in der Fliigellangslinie babe, moge die Langsebene, in welcher die Kraft k vvirkt, so oder anders, parallel der Fliigel- jfladie oder senkrecht oder schrag zu derselben gerichtet sein. Mit der Einziehung des Flugels andert sich natiirlich die Entfernung Q des Punktes e von s und die Entfernung vom Drehpunkt o; letztere soil in Zukunft mit I bezeichnet werden {X ^ I -\- q). Nach dem soeben Erorterten wird man den Zweck der oben von uns angegebenen Zerlegung der ausseren Kraft Jc verstehen. Zusammenfassniig. Man bestimmt die 2 Punkte m und e der Kraftrichtung und der Fliigellangslinie, welche den geringsten Abstand von einander haben , verlegt den Angriffspunkt der Kraft Jc nach m und zer- legt sie nach der Richtung mo und der dazu senkrecht stehenden der Kraftebene in die Componenten Jcor und hntc/. Tcmtg wird ersetzt durch 2 parallele Krafte in o und in der Schnittlinie der Kraftebene mit der e Tangentenebene, also durch hos und k^tg. kixtg wird ersetzt: 1) durch ein Kraftepaar in einer zur Fliigellangslinie senk- recht gerichteten, also der «-Tangentenebene parallelen Ebene, welche die Bewegung der Punkte der Fliigellangslinie nicht andert und dessen Moment = Jc^xtg . i^ie = hmtg . me ist. 2) durch eine Kraft kt parallel der Schnittlinie der Kraft- ebene ok mit der e-Tangentenebene , gleich gross und gleichge- oe richtet wie k^tg^ oder = hmtg -=r OS 19 292 Dr. IT. Strasser, Diese Kraft dreht den Fliigel parallel der durcli ihre Richtung und den Puukt o gelegten Ebene um o, ohne den Bewegungszustand von 0 zu andern, mit dem Moment Jcmtg . oe. Wirken von Seite des Rumpfes auf den Flugel durcli den Gelenkpunkt o Krilfte ein, welche gerade 1) der o-Radialkraft Jcor 06 2) der o-Seitenkraft hos = hmuj . r=- das Gleichgewicht halten, so ee erfahrt der Punkt o durchaus keine Besclileunigung ; die ganze Beschleunigung des Flugels hangt nur ab von hj.ty in (.l^ die Beschleunigung des Fliigelschwerpunktes aber einzig und allein von der Componente ki. Sie ist dann so gross, als ob die Kraft lit direkt in gleicher Grosse und Richtung auf die im Fliigel- schwerpunkt s concentrirt gedachte Flligelmasse eiuwirkte. Es sei noch bemerkt, dass die o-Seitenkraft Icos gleicbgericlitet ist wie hmtg^ wenn e zwischen o und e liegt, umgekehrt gerichtet, wenn e distal von e liegt, und dass sie in beiden Fallen kleiner ist als Timtg. h^iig dagcgeu ist ebenfalls kleiner als hmty im ersten Falle, gi'osser im zweiten, unter alien Umstanden aber wirkt diese Com- ponente im gleichen Sinne wie hnt[XXV. pg. 421. Ueber den Flug der Vogel. 299 Berechiiiingen : „iiiniiiit man den Luftwiderstand proportional der zweiten Potenz der Geschwindigkeit, so \vare er zu berechnen nach der Formel fyx'^ dxj fyx' dx = h und nicht nach der Formcl fyx^ dx = h'^ f, wie sie Prechtl angiebt .... Es wiirde hiernach die Lage des Druckniittelpimktes bei eineni sicli verschmalernden Dreieck auf 0,6, bei einem sicli verbreiternden Dreieck auf 0,8, bei einem Rechteck auf 0,75 der Liinge fallen". Diese Einwendung von MC'LLENHOFF ist vollstiindig gerechtfertigt. Die PKECHTL'sche Formel ist nur zulassig, wenn man den Widerstandspunkt anders definirt, namlidi als den Punkt, dessen Geschwindigkeit senkrecht ziir Flaclie des Fliigels sannntliche Theile des Fliigels in irgend einem Momente haben miissten , damit bei derart paralleler und gleicher Bewegung aller Punkte gegen die Luft derselbe Wider- stand hervorgerufen werde, den der Fliigel thatsachlich in diesem Augenblick erzeugt (Punkt des Fliigels, in welchem man sich gleichsam die ganze Fliigelflaclie concentrirt denken kanu). So viel ich sehe, war eine derartige Vereinfachuug der Ver- haltnisse wirklich das von Pkechtl ^ ) Erstrebte, es ist also nur seine Definition vom Widerstandspunkt (§ 146) falsch. Fiir unsere Zwecke aber konnnt es darauf an , die wirklicbe Resultirende des Widerstandes nach Grosse, Richtung und Ort des Angriffs zu kennen ; wir miissen uns also der von Mulleniioff augegebenen Formel und der von ihm daraus berechneten Angaben bedienen, wenn wir die von Prechtl und Mullenhoff dabei gemachte Voraussetzung als richtig anerkennen, dass der Wider- stand zunachst dem Drehpunkt o = 0 ist und von da aus gegeu die Spitze des Fliigels hin pro Flachenelement proportional dem Quadrat der Entfernung von der Drehungsaxe wachst. Wir brauchten dann nur ein fiir alle nial die Lage dieses Druck- raittelpunktes zum Punkte £ zu ermitteln, uni das Gesetz der Ver- theilung des Widerstandes nach o und e zu finden. Eine solche Vor- aussetzung ware nun, da der Fliigel sich nicht nur um sein Schul- terende dreht, sondern zugleich mit dem Rumpf bewegt, nur zulassig, wenn die Sagittalprofile immer genau horizontal gerichtet wiiren, und wenn die Schulter keine verticalen Schwankungen aus- fiihrte. Es kanu vorkonmien, dass letztere wirklich vernachlassigt werden diirfen. Die erste Voraussetzung aber ist niemals auch nur annahernd zutreftend. Wir haben vielmehr einsehen gelernt, dass an der Basis des ') Und ebenso von Eeichel und Legal in ihrer Arbeit s. u, 300 Dr. H. Strasser, Fliigels zunioist, wegcii ihrcr Supination, cin auf- nnd riickwarts gericbtetor Widerstand entwickelt wird , der allerdings periodisch zu- uud abnimmt. Der ^Viderstand an den ausseren Theilen des Fliigels aber hangt wegen der Pronation dieser Theile ebenfalls nicbt bloss von der Drebung um die Scbulter, sondern von der absoluten Bewegung gegen die Luft, also auch von der Bewegung des Fliigels mit deni Rumpfe ab. Mit eineni Worte , der Widerstand am F 1 ii g e 1 d a r f nicbt bloss als eine Funktion der relativen Bewegung zum Rumpfe betrachtet werden; er ist eine Function der complicirteren absoluten Bewegung seiner ver- scliiedenen Flacbentheile gegen die Luft. In Folge dessen miissen wir darauf verzichten , allgemein giiltige Fonneln fiir die Berecbnung des Fliigelwiderstaudes auf- zustellen, oder d.ie miibevollen und scharfsinnigen Aufstellungen von Pkechtl iiber den Luftwiderstand am Fliigel weiterhin zu ver- wcrtben. Im concreten Fall ist natiirlich eine Berecbnung der "\Yider- stande moglich, wenn die Form der Bewegung genau bekannt ist. Die eine Frage aber ist zum voraus zu untersuchen, ob wirk- licb der ganze Widerstand am Fliigel beschleunigend auf letzteren einwirkt, obne den Punkt o zu beeinflussen, ob nicbt vielmehr ein Theil desselben direkt durcb den Punkt o wirkt und sich auf den Rumpf fortpflanzt. Da sind vor allem die or Component en der an den c i n z e 1 n e n F 1 a c h e n s t ii ck e n e n t w i c k e Ite n W i d e r s t ii n d e ins Auge zu fassen. Diese brauchen durcbaus nicbt iiberall = 0 zu sein. Wo irgendwo der distale Theil eincr Fliigelebene gegen- iiber dem proximalen nach der Dorsal- oder Ventralseite des Fliigels bin abweicht, hat der Widerstand eine or Componente. Nun ist es wohl bekannt, wie vielfach das Ende des Fliigels ven- tralwarts gekriimmt ist (s. pg. 246) und wie es sich in andern Fal- len, z. B. bei Krahen, am Ende des Niederschlages dorsalwarts auf- biegt. Auch sind die Fliichen der einzelnen Schwungfedern hiiufig so orientirt, dass nicbt bloss vordere Punkte derselben gegeniiber den direkt liinter ihnen gelegenen, sondern auch distale gegeniiber den direkt proximal davon liegenden mebr gegen die Ventralseite des ganzen Fliigels vorgescho])cn sind. Die or Componenten gehen zwar fiir die Drehung des Fliigels um 0 verloren, konnen aber doch vor theil haft locomotorisch wirken l)eim gehobenen vorgefiihrten Fliigel, wenn sic unten an Fliichen wirken, die mit dem distalen Kaiide stiirker ventralwiirts abgelenkt sind, beim zuriickgestellteu gesenkteu Flugel, wenn sie Ueber den Flug der Vogel. 301 voii unten her auf distalerseits dorsahvarts abgelcnkte Flachcn wirkeii. Audi koiiiien solche Compoiientcn mithelfen, um die Form des Flugels in niitzlicher Weise zu beeintiusseu, z. B. die Schwinge auszustrecken oder ausgestreckt zu erhalten. 1st der Einfluss dieser Krafte beriicksichtigt , so handelt es sich danebeu nur noch um tangentiale Componenten der Widerstandskriifte. Die Krafte in o und £, durch welcbe ihre Wirkung auf Rumpf uud Hiigelschwerpunkt ersetzt werden kann, sind dann senkrecht zur Fliigellangslinie gerichtet. Sammt- liche g'-Componenten der o-Krafte gehen wegcn der Symmetrie des Apparates fiir die Bewegung verloren. Die ^-Componenten in E dagegen entsprechen gerade demjenigen Bestandtheil der resultirenden £-Tangentialcomponeute des Flligelwiderstandes oder der resultirenden ^YirkuDg desselben auf den Flugelschwerpunkt, der auf die verticale oder horizontale Beschleunigung des Flugel- (und Rumpf-)scliwerpunktes keinen Einfluss hat. Um zu beurtheilen, in wie weit der Widerstand am Flugel in locomotorisch niitzlicher Richtuug auf den Flugel und wie weit durch 0 auf den Rumpf einwirkt, braucht man also — abge- sehen von den or-Kraften — nur die z- und ^?-Compo- nenten der tangentialen Theile der Flugel wider- stiinde zu beriicksichtigen. (Wir haben bei der Beur- theilung der Fliigelwiderstande ihren Einfluss zur Drehung des Flugels um die Langsaxe ausser Acht gelasseu. Dariiber Naheres welter unten S. 318). In der ersten Halfte der Fliigelhebung ist unserer Ansicht nach an der Spitze des Flugels die verticale Componente des Widerstandes abwarts gerichtet, an der Flugelbasis aufwarts. Die entsprechende Componente in £ ist deshalb klein, wohl aber wirkt in 0 eine erhebliche verticale Componente nach oben. Dann folgt eine Phase, in welcher die Verticalcomponenten an Flugelbasis und Flugelspitze verhaltnissmassig gleich stark aufwarts wirken, wo also die Resultirende ungefahr in der Mitte der Flugellange proximal von £ angreift und immer noch eine Theilkraft, die im Punkt 0 nach oben wirkt, enthalt neben der Theilkraft die nach £ entfiillt. Vielleicht wird gegeu die Mitte des Niederschlages die Ver- tical-Componente an der Basis klein, an der Spitze sehr gross, und es nilhert sich der Angritispunkt der Resultirenden dem MCLLENHOFF'schen Druckpunkt, indem der Widerstand anniihernd proportional dem Quadrat der Eutferuung von o pro P'lachenele- 302 Dr. H. Strasser, ment sich verhiilt. Gegen den Schluss des Xiederschlages iind der Kiickfiihrimg des P'lugels riickt jedeiifalls der Angriffspunkt der verticaleii Resultirenden wieder proximalwarts. Nun liegt unser Punkt e sicher einwarts von dem MtLLEN- iiOFF'schen Druckpunkt, also von der Grenze des mittleren imd iiusseren Drittels der Fltigellange bis gegen die Mitte der Fliigel- lange bin , so dass die genannten Resultirenden des Fliigelwider- standes vielleicht im Mittel niit e zusammenfallen, zu Anfaug der Hebung proximal, beim Niederschlag eiue Weile distal von ihm angreifen. Wir konnen also die ablenkenden und die Verticalebencn-Ein- wirkuugen, welche der Luftwiderstand am Fliigel durch das Ge- leukende auf den Runipf ausiibt, hochstens im Mittel = 0 setzen. Wollen wir geuauer sein, so miissen wir beriicksicbtigen, dass wabrscbeinlich zu Ende des Fliigelniederschlages und im Beginn der Hebung der Luftwiderstand derartig drebend auf den Fliigel einwirkt, dass dadurch das Gelenkende und durch dieses der Rumpf abwjirts gcdriickt wird, dass aber am Ende der Hebung und im Anfang des Niederscblages umgekebrt eine Wirkung nach oben von dem Gelenkende des Fliigels aus auf den Rumpf statt- findet. Diese Schwankungen werden nach Zeit und Grosse etwas verscbieden sein, je nach den besonderen Verhaltnissen des eiu- zelnen Falles. Was aber die^^-Componenten der Widerstande betritt't, so wirken dieselben an der Basis des Fliigels fast immer in gros- sereni oder geringerem Maasse nach hinten, desgleichen an der Fliigelspitze bei dem Ende der Hebung und dem Beginn des Niederscblages, dagegen vorwarts in der zweiten Halfte des Nieder- scblages, bei der Riickfiihrung und in geringem Masse wahrschein- licli im Beginn der Hebung. Kaum jemals nimmt der vorwarts ablenkende Widerstand nach aussen proportional dem Quadrate des Abstandes der Flachenelemente von o zu, sondern weniger, ja er vermindert sich im Gegentheil unter Umstanden nach aussen und wird negativ. In alien diesen Fallen entfiillt cine erhebliche Theilkraft dieser Widerstande, nach vorn wirkend, auf o. o. Der Widerstand gegeniiber den Centrifugal- kriiften am Fliigel. (Cf). Die relative Bewegung des Fliigels zum Rumpf kann in jedeni Augenblick zerlegt werden in eine Drehung um die durch o und Ueber den Flug der Vogel. 303 den Flugelschwerpunkt gelegte Schwerpunktsaxe, welche eine sog. freie Axe darstellt, und zweitcns in eine Drehbewegung um eine quer zur Langslinie des Fliigels gerichtete Axe des Punktes o. Nur die letztgenannte Drehung erfordert Krjifte des Rumpfes, welche den Punkt o des Fliigels festhalten. Wir konnen ohne grossen Fehler annehmen, dass samnitliche Centrifugal kriifte sich zu eiuer Kesultirenden vereinigeu, welche in der Langslinie des Fliigels (lurch den Punkt o gerichtet und proportional der Masse des Fliigels, der Winkelgeschwindigkeit und dem Quadrat des Triigheitshalbmessers des Fliigels mit Bezug auf diese Gelenk- axe ist. Soweit aber diese Wirkung in die g-Kichtung entfiillt, wird durch sie wegen der symmetrischen Wirkung beider Kor- perhiilften die Bewegung des Rumpfes nicht beinflusst; die entsprechende Aenderung des Bewegungszustandes des gemein- samen Schwerpunktes beider Fliigel in querer Richtung ist ebenfalls gleich 0. Die in die Sagittalebene entfallende Compo- nente aber, welche sich in eine z- und v-Componente zerlegt, wiichst mit dem Sinus des VVinkels /, welchen die Langslinie des Fliigels mit der g-Axe bildet ; und zwar wiichst die verticale Com- ponente mit dem Cosinus des Winkels a, den die Langslinie mit der v-Axe bildet, und die ^-Componente mit dem Cosinus des Winkels /?, in welchera jene Linie zur ^:-Axe steht. Ist der Fliigel gehobeu, so wird der Rumpf in den Gelenken nach oben gezogen, ist er vorgefiihrt, nach vorn u. s. w. Im ersten Fall werden abwarts treibende, im zweiten riickwarts treibende Krafte des Rumpfes zur Fixirung von o verbraucht; der Fliigel- schwerpunkt wird dementsprechend im ersten Fall durch eine abwarts treibende, im zweiten Fall durch eine riickwarts treibende Kraft in seinera Bewegungszustande beinflusst lu s. w. 4. Die Kraft Df, welche vora Rumpf aus durch o auf den Fliigel wirken muss, damit das an sich mit gleich- formiger horizontaler Geschwindigkeit bewegte Gelenkende o den resultirenden Oscillationen des Rumpfes folgt. Eine solche Einwirkung niodificirt natiirlich die Bewegung des Fliigelschwerpunktes so, als ob sie direkt die in ihm conceu- trirt gedachte Masse des Fliigels treflen wiirde, und wird iiber- (lies den Fliigel um seinen Schwerpunkt drehen, resp. die Dreh- bewegung des Fliigels um den Punkt o beeinflussen. Auch hier handelt es sich um ein wichtiges, haufig in Be- 304 Dr. H. Strasser, tracht kominendes Problem der Mechanik. Auf Seite 325 wurde die Lage des Punktes e bestinimt, der dadurch ausgezeichnet ist, dass die in ihm senkrecht zur Fliigellangslinie angreifenden Krafte fiirs erste dera Gelenkende o des Fliigels keine Beschleuniguag ertheilen. Nun ist leicht nachzuweisen , dass umgekehrt Krafte die in o senkrecht zur Langslinie wirken, fiirs erste den Punkt s nicht beeinflussen. Denn irgend eine derartige Kraft / ertheilt dem Schwerpunkt des Fliigels und also auch dem Punkt e eine y Beschleunigung A^ und dem Flugel gleichzeitig eine Drehung urn yl den Schwerpunkt, deren Winkelbeschleunigung = ^y,- ist und in Folge deren der Punkt fisichmit der Geschwindigkeit-^—^. q in der y entgegengesetzten Richtung bewegt. Da nun qI = R^ so ist r; = xl Q absolut genommen. Die resultirende Beschleunigung von e ist demnach = 0. Hierbei bedeutet M die Masse des Fliigels, I den Schwer- punktshalbmesser, R den Tragheitshalbmesser mit Bezug auf Schwerpunktsaxen , die senkrecht zu I stehen, q den Abstand des Punktes e vom Fliigelschwerpunkt s. Man kann sich nun eine bestimmte sehr kleine Beschleu- nigung q> des Gelenkendes o des Fliigels (Fig. 20) in eiuer bestimmten geraden Linie oo\ bei irgend einer Stellung der Langslinie os des Fliigels, welche durch den Winkel a gemessen ist, dadurch zu Staude ge- bracht denken, dass der Punkt 0 durch eine in der Rich- tung von 0 nach s hin wirkende Kraft die Beschleunigung (f cos a erhalt und zugleich durch eine zvveite Kraft, in der zur Fliigellangslinie senkrechten Richtung von o nach n hin die Be- schleunigung (f sin «. Der erstgenannten Einwirkung entspricht eine Beschleunigung des Fliif^elschwerpunktes , die ebenfalls = (f cos a ist ; der letzteren die Schwerpunktsbeschleunigung cp sin a Fig. 20. Ueber den Flug der Vogel. 305 I — Die beschleunigenden Kriifte aber, welche mit oh und ov A 1 bezeichnet werden sollen, miissen iliren Einwirkungen auf die Ge- sammtmasse dcs Fliigels proportioual sein. Die Resultireude oh dor beideii Kriifte wird im allgemeinen nicht die Richtung os haben , soiidern mit der Langslinie des Fliigels einen bestimmten Winkel | bilden , und zvvar hat die Kraft oh imnier eine mittlere Richtung zwischen der Richtung der zuni Fltigel liings gerichtcten Kraft und derjenigen der resultiren- den Beschleunigung von o. oh= Y ip'^ sin^ a I— ^ — | +r/)2cos^ a M, wobei M die Masse des Fliigels bedeutet Minimum fUr « ::= 90" oh = cp -~ M. Maximum fiir a = o oh = cp. M. Die Richtung, in welcher das Fliigelende beschleunigt werden muss, ist nun immer eine sagittale. Durch Projection von oh auf die Sagittalebene erhalt man die Grosse und Richtung der nothigen sagittalen Componente, die qucre Componente wird von selbst wach gerufen, wenn die sagittale wirksam ist. Durch eine nach oben gerichtete Beschleunigung des Punktes 0 wird die Drehung des Fliigels im Sinue des Niederschlages, durch Beschleunigung von o abwarts wird sie im Sinne der Hebung beschleunigt ; der Schwerpunkt des Fliigels aber wird im selben Sinn, wenn auch weniger beschleunigt als der Punkt o. Wenn die Schulter von einem mittleren Niveau aus nach unten oscillirt, so verlaugsamt sich ihre Abwartsbewegung, wird schliess- lich gleich o, und die Abanderung der Geschwindigkeit geht in demselben Sinne noch welter, da die Schulter allmahlich eine maxi- male Aufwartsgeschwindigkeit erlangt. Wahreud dieses Zeitraums erfahrt der Punkt o des Fliigels durch den Rumpf in seiner Ab- wartsbewegung eine Hemmung, resp. er erfahrt eine aufwarts ge- richtete Beschleunigung. — Umgekehrt verhalt es sich, wenn die Schulter von der Mittellage aus nach oben oscillirt und von oben zur Mittellage zuriickkehrt. DemhochstenStandedes Rumpfes entspricht unge- fahr dasMaxiraum in der verticalen Beschleunigung Bd. XIX. N. F. XII. 20 306 Dr. H. Strasser, der Gesammtmasse des Fliigels abwarts uud in der Drehbeschleunigung des Fliigels im Siiiiie der Hebung, dem Tiefstande des Rumpfes das Maximum in der Auf wartsbeschleunigung der Gesammtmasse des Fliigels und der Drehbeschleunigung im Sinne des Niederschlages. Die Grosse der auf diese Weise hervorgebrachten Drehungen des Fliigels ist so gering, dass man die Centrifugalwirkungen bei denselben vernachlassigen kann. Aber auch der ganze Bewegungsaustausch an der Gelenkaxe zwischen Ftumpf und Fliigel in verticaler Richtung, den die ge- schilderte Mitbewegung des Fliigels fordert, ist gering, da die Beschleunigungen des Punktes o selbst nur klein sind, diejenigen der Gesammtmasse des Fliigels also noch erheblich kleiner. Ganz ahnlich wie bei den verticalen Oscillationen ist das Verhalten hinsichtlich der ^-Oscillationen des Punktes o mit dem Rumpfe. 5. Die nothwendigen inneren Gelenkdrehkrafte. Jede innere Gelenkdrehkraft lasst sich hinsichtlich ihrer be- schleunigenden Einwirkung auf Rumpf und Fliigel ersetzen durch eine Kraft und Gegenkraft in der €-Tangentenebene {p>j.tg und — p^iig pg. 293 u. ff.), und die Wirkung auf den Fliigel p\i.t [ h, Fig. 24. (lie vcrticale Oscillation des Gesammtschwerpunktes ^ des Vogels in der Zeit dar, t entspricht dem Flugelniederschlage , r der Hebung; ini Begiun von t findet sich der Gesamnitschwerpunkt 3 in der H(>lie /i, + h.^ uud hat die abwiirts gerichtete Geschwindigkeit r P Oder die le])endige Kraft R 9 am Ende von t ist ^ in der Holie h^ und hat die aufwarts gerichtete Geschwindigkeit q und die lebendige Kraft Q. Da in der Zeit r nur die Sch\Yere wirkt, so ist Q = P (Ji^ + ^3) und R = P. h.^. Der Gewinn an aufwarts gerichteter Energie, welchen das ganze System erfahrt, besteht also: Wahrend JS" uoch sinkt: 1. in der Annullirung der abwarts gerichteten lebendigen Kraft R = Ph., 2. in der Annullirung des Zuwachses an abwarts gerichteter lebendiger Kraft, welche das System durch die Schwere er- fahren muss, indem es in der Kichtung ihrer Einwirkung um die Hohe 7i^ + Ji^ sinkt. Dieser Betrag = P (Jii + ^2) Wahrend ^ steigt: 3. in der Ertheilung einer aufwarts gerichteten lebendigen Kraft Q = P {h.^ + ^2) ^^ f^^s System, 4. in der Verschiebung des Ganzen entgegen der Schwere um die Hohe A, nach oben, wobei eine aufwarts gerichtete leben- dige Kraft = Ph. absorbirt wird. Die ganze Leistung nach oben, welche allein der vom Fliigel gegenuber der Luft geleisteten Arbeit A absolut gleichgesetzt werden kanu: = POi,-i-h, -i-h. + h, ^h, +h,) = P.2{h,-i-h,-\-h,). und wenn H = h.^ -\- h^ -\- 7i, A = P.2H Diese Berechnung ist nur dann richtig, wenn der ganze Kiirper ohne Uuterbrechung sinkt und ohne Unterbrechung steigt, was ohne grossen Fehler angenommeu werden darf. Dasselbe Resultat 22* S32 Dr. H. Strasser, ergiebt sich unter derselben Bedingung fiir Qy> R; ferner fiir den auf- oder absteigenden Xormalflug, also ganz allgemein, wenn uuter 2 H die gauze absolute I.ange des in veiticaler Kichtung pro Periode zuriickgelegten Wages verstanden ist. Fallt beira normalen horizontalen Flug der Hochstand von ^ in die Mitte derHebung, so ist i? = Q = F.'h^=T.lgy^\ ,7*2 = o. Fur h.^ = h^ = — ist dann absolut A = A P. = P.| g 1 ^ I = P ^ g T^, was mit der Annahme von Prechtl stimmt. Diese Bedingung brauclit aber durchaus nicht erfullt zu sein. Prechtl selbst nimmt an, dass der Widerstand bis gegen das Ende des Niederschlages rasch und nur zuletzt etwas langsamer zunehme. Dann miisste der Tiefstand von ^ nah ans Ende von t fallen, ganz am Schluss von t wiirde 2 allerdings wieder im Steigen begriflfen sein. In diesem Fall ware ^ ;> R, 7ii sehr klein und H nahe = i g 'c^., also A nahezu = P gx^. Prechtl ist aller- dings der Meinung, dass bei seinen Voraussetzungen tlber den Widerstand der tiefste Stand des Rumpfes niit dera Beginn des Niederschlages zusammenfalle. Solchcs ware nur annaherungs- weise moglich, wenn fast der ganze Luftwiderstand im ersten Moment des Niederschlages entwickelt wiirde. Auch in diesera Falle miisste ^ :> P| gr"^ sein. Es wird kaum Jemand die Annahme Prechtl's als richtig vertheidigen wollen, dass die verticale Geschwindigkeit des Ganzen zu Beginn des Niederschlages == 0 sei. Aber auch wenn Prechtl zu Beginn des Niederschlages eine abwarts gerichtete lebendige Kraft = R und zu Ende desselben eine aufwarts gerichtete = Q an- genommen hatte, so wiirde er und mit ihm mancher Andere sicher anders geschlossen haben , als es im Vorigen von mir geschehen ist. Es liegt ja nahe, den Gewinn an aufwarts gerichteter Energie, welchen das System erfahrt, aus folgenden Posten zu berechnen: 1) der Vernichtung von R = P.h.^ 2) der Zufuhr der kinetischen Energie Q = P.{h^ + //.,) 3) dem Gewinn an potentieller Energie = P. h.,. Summa = 2. P (^2 + '^a)- Diese Summe ist nun zwar unzweifelhaft das Mass der resul- tirenden Verauderung der dem Vogelkorpcr zukommendeu verticalen Energie in der Zeit des FlUgelniederschlages, aber nichts weniger als ein Mass fiir die in dieser Zeit voni Fliigel gegeniiber den Luftwiderstiinden geleistete Arbeit. Es liegt hier eine principielle Ueber den Flug der Vogel. 333 Frage vor, wclclic die grosste Bedoutuiig hat, z. B. fiir viele pbysio- logische Versuche iiber die Arbeitsleistung des einzelnen Muskels und fiir die Theorie der oscillatorischen Bewcgung ii])crhaiii)t. Doch will ich dies in dieser Abhaiidlung nicht weiter ausfuhren, mochte vielraehr nur die prinzipielle Frage selbst der Priifung der Fachmanner unterbreiten. Und nun kehre ich zu dem eigent- lichen Gegenstand der Untersuchung zuriick. So viel ist sicher: Prechtl griindet den grossten Theil seiner mathemathischen Theorie des Fluges auf durchaus fehlerhafte Voraussetzungen, namlich auf die Annahmen, dass die verticale Bewegung des Ganzen ira Beginn des Fliigelniederschlages = 0 sei, die ganzc Hebung wahrend einer Periode also =1% — 7^l, wobei unter A' die Hohe der Abwartsbewegung wahrend der Flugelhebung = \ g r'^ verstanden ist, h also die Hebung wahrend des Nieder- schlages bedeuten muss, was wieder der Annahme entspricht, dass auch zu Ende des Niederschlages die verticale Bewegung des Ganzen = 0 ist. Es wird dann die verticale Arbeit des Fliigels gegeniiber dem Luftwiderstand , es wird A gleich Ph gesetzt. Prechtl muss dann weiter annehnien , dass beim normalen hori- zontalen Fluge h==h^ ist, und gelangt auf diese Weise zu dem Schlusse, dass hier J. = P. ^ g t^ ist. Nachdem diese sonderbaren Aufstellungen als unzulassig ge- kennzeichnet sind, fallt der grosste Theil des von Prechtl auf- gestellten Gebaudes, zunachst Alles, was iiber die verticalen Ar- beiten gesagt ist, in sich zusammen. Es ist kaum mehr noth- wendig, darauf hinzuweisen, dass auch die im Eingang dieses Kapitels erwahnten ersten Voraussetzungen Prechtls von dem ganzlichen Fehlen eines verticalen Widerstandes am Fliigel bei der Hebung, und am Rumpf zu irgend einer Zeit der Periode un- zulassig sind. Spater werde ich Gelegenheit nehmen, zu zeigen, dass Prechtl auch bei der Beurtheilung der Wirkung des Fliigel- schlages zur Vorbewegung von ganzlich irrigen Grundlagen aus- gegangen ist, so dass sich auch dieser Theil seiner Theorie durch- aus unbrauchbar erweist. Gesetzt nun aber, es sei gelungen, zwischen der vom Fliigel allein, beim Niederschlage gegeniiber dem Luftwiderstand vertical abwarts geleisteten Arbeit einerseits, verschiedenen bekannten Faktoren, dem Gewicht des Thieres, seiner Fliigelflache und Fltigel- lange, dem Schlagwinkel , der Zahl der Fliigelschlage , dem Ver- haltnisse , den verticalen Oscillationen etc. andererseits eine cor- T 334 Dr. H. Strasser, rekte Beziehuiig auszurechnon, gesetzt dcr Fall also, die Grosse A sci richtig bestimint oder bestinniibar, so kann diese Grosse doch nicht ohne Weiteres, wie Pkechtl mcint, der Miiskelarbeit gleich oder proportional gesetzt werden. Zwar ist fur die Grosse der Muskelarbeit anscheinend gleicli- giiltig, in welcher Weise die Muskeln disponirt und betlieiligt siiid. Aber es muss vor Allem berucksichtigt werden, dass nebeu der Arbeitsleistung in der verticalen und in der ^-Riclitung auch eine solche in der g'-Richtung stattfindet, welche fur das System niclit direkt nutzbar gemacht wird. Beim Niederschlage der Fliigel zur Waagehalte werden die Lufttheilchen nicht bloss a1)warts oder riickwarts, sondern auch nach aussen hin getrieben, beim Niedersclilag aus der Horizontalebene dagegen einwarts. Beides stellt eine Arbeits- leistung dar, welche einen Mehraufwand von Mukselarbeit nothwen- dig macht, ohne dass sich daraus ein unmittelbarer Nutzen fiir die Bewegung des Ganzen ergiebt. Andererseits wird die Arbeit am Luftwiderstand nicht, wie Prechtl meint, einzig von den Nieder- ziehern des Fliigels geleistet. Ich will ganz davon absehen, dass die Schwere den Rumpf unter Arbeitsleistung gegentiber eineni verticalen Luftwiderstand abwarts treiben kann. Aber auch bei dem Niederschlage des Fliigels selbst ist nicht bloss der Muskel- zug, sondern auch das Gewicht des Fliigels F oder, sagen wir es geuauer, der auf e entfallende Theil desselben -F' betheiligt. Prechtl kommt freilich in dem VII. Capitel seiner Flug- mechanik (1. c. pg. 217) auf sehr eigenthiimliche Weise zu dem Schluss, dass der Antheil des Fliigelgewichtes an der Widerstands- arbeit vernachlassigt werden konne. Er setzt voraus, das der verticale Widerstand am Fliigel beim Niederschlag gerade hinreiche, um im Mittel dem Gewicht des Fliigels Gleichgewicht zu halteu. Selbst weun dies richtig wiire, so wtirde natiirlich doch in der Richtung der Schwerebeschleunigung eine Verschiebung E des Fliigels stattfinden, wobei nothwendig durch die Schwere ein Zuwachs an lebendiger Kraft = F.^ E zu Stande kommt, welcher dem Widerstand gegeniiber verbraucht wird. F.^ E ist also der Antheil, Avelchen in diesem Falle die Schwere an der Widerstandsarbeit hat, nur der Rest konnnt auf Rechnung des Muskels. Aber nun bedenke man, was geschieht, wenn l)eini Niederschlag der Fliigehviderstand im Mittel gerade dem Fliigelgewicht Gleichgewicht hiilt, wie Prechtl meint! Was bleibt dann von der Einwirkung des Widerstandes noch iibrig, urn Ueber dcii Flug der Vogel. 335 das Fliigelgewicht wiihrcnd dor Fliigelhcbung uiid lun das Rumpf- gewicht wiihrend dor gauzcn rciicxlo zii trageuV 2. Plan (ler eigeuen Untcrsucliung. Dieser Hinweis auf die Theorie von Prechtl niochtc ge- niigend sein, die von mir ini Eiiigang zu dieser Schrift iiber sie geausserte Meinung zu rechtfertigen. Man wird auch ohnc Zweifcl erkcnnen, dass der von mir im 2. Tlieil meiner Schrift ein- geschlagone Weg zur Bestimmung der mechanischen Arbeit, welche in jedeni einzelnen Moment der Periode von den inneren Kraften gcleistet wird, der richtigere, vielleicht der allein richtige ist. Weun die Kraftecurve der in die €-Tangentenebene verlcgten re- sultirenden inneren Kraft respective ihrer v-, z- und g-Componen- ten bekannt ist, ferner das in jcdem Moment nothwendigc Drcliungs- monient parallel der e-Tangeutenebene um die Fliigellangslinie, endlich die relative Excursion des Flugels zum Rumpf, so lassen sich daraus die in jedem Moment in den 3 Hauptrichtungen ge- schehenden Arbeiten dieser innern Kraft leicht berechnen. (Wir konnen dabei, wenn bis hier alles auf richtigen Grundlagen fest- gostellt worden ist, weiterliin die Arbeit zur Langsrotation des Flugels in vielen Fallen als eine geringe vernachlassigen). Wir sind dann aber in den Stand gesetzt, neben der zur Niederbe- wegung und Riickbewegung des Flugels nothwendigen Arbeit auch diejenige zur Hebung und Vorfiihrung zu beurtheilen. Man wird dieses Resultat unserer Untersuchung als ein er- freuliches bezeichnen diirfen. Ein ganz anderer und viel weniger strenger Massstab muss an die nachstehenden Erorterungen ge- Icgt werden, die sich auf die Enuittelung folgender Verhaltnisse beziehen : 1. Auf das Verhaltniss der Muskelraenge des Thieres zu der beim Normalfluge geleisteten Muskelarbeit, oder zu dem Stoffumsatz. 2. Auf das Verhaltniss des Stoffumsatzes in der Schultermusku- latur beim normalen Fluge zu der Muskelarbeit, so weit sie ftir die Muskelu selbst eine aussere ist. 3. Auf das Verhaltniss der mechanischen oder ausseren Arbeit der Muskeln des Schultergelenkes zu der mechanischen Arbeit der gesammten Gelenkdrehkriifte an diesem Gelenk. 4. Auf das Verhaltniss der Arbeit der Gelenkdrehkrafte zu der locomotorischen Leistung des ganzen Systems. Hier stellen sich uniiberwindliche Schwierigkeiten entgegen. 336 Dr. H. S t r a 8 B e r , Mit Bezug auf den vierten Punkt namlich ist zu beriicksichtigen, dass die Ueberwindung der Reibung einen Mehraufwand von Ge- Icnkdrehkraften nothig machcii muss, und dass andercrseits bei der Hemmung der relativen Beweguiigen zwischen Runipf und Flugel, namentlich bei der Hcmniung des Flugelniederschlages, passive ^Yiderstande eine gewisse Rolle spielen konnen. Soweit dieselben ausserhalb der Muskeln gelegen sind, bewirkeu sie eine enisprecliend grosse Ersparniss an Muskelspannung. Wir sind nicht im Stande, diese beiden Einfliisse genauer zu beurtheileu und bei verscliiedeuen Flugthieren und Flugarten gegen- eiuander abzuschatzen , und miissen den Fehler begehen, sie l)ei den folgenden Erorterungen einfach zu vernachlassigen. 3. VerhUltniss des Stoffumsatzes zu der aussereii Arbeit der Muskeln. Die Grosse des Stoflfumsatzes in einem thatigen Muskel ist bekanntlich nicht ohne Weiteres jederzeit der voni Muskel iiacli aussen gcleisteten mechanischen Arbeit gleich oder proportional. Stets wird neben der mechanischen Arbeit Warme producirt, und es muss das Verhaltniss dieser beiden Aeusserungen des Processes im Muskel je nach Umstanden ein sehr verschiedenes sein. Der Muskel kaun ja z. B. auf das Starkstc angestrengt, der Stolfum- umsatz in ihm kann sehr erheblich sein, wahrend eine Verkurzung gar nicht eintritt, oder sogar eine Dehnung stattfindet, die vom Muskel geleistete iiussere Arbeit also = 0 oder negativ ist. Viel naher komnit man jedenfalls dem Wescn der Sache, wenn man bei gleicher mittlerer Lauge der Muskeln ihren Stoff- umsatz wahrend bestimmter Zeit der in dieser Zeit producirten Warme und diese der Spannung proportional setzt, vvelche in Folge der Behindevung der Contraction durch innere und iiussere Widerstande entsteht, ferner aber der Zeit, wahrend welcher diese Spannung andauert^). ^) In der That geht aus den Versuclicn der Physiologeu , ins- besondere denjonigen Heidenhains liervor, dass der tctani$irtc {&n- dauernd maximal gereizte) Muskel in einor bcstimraton Zeit nm so mehr Wiirrae entwickelt und also audi oinon urn so grdsseren Stofl'- umsaiz zeigt , je starker er gespaniit ist. Aber os outsprach der grosseren iSpannung auch zugleich eine grossero Dehnung des Muskels. Demnach konnte es noch zweifelhaft sein, ob auch fiir einen und denselben bestimmten Dehnungszustand oines Muskels, je nachdem Ueber deu Flug der Vogel. 337 DieGrosso dcs Krilftef eldes d er Miiskelspannu ng pro Periodc odcr Secundo giebt danii ein Mass fiir die durch grossere oder geringere Reizstarke (Reizfrequenz) eine grossere oder geringere Spannuug erzeugt wird, StofFverbrauck uud entwickelte Warniemeuge pro Zeiteinlieit entspreclieud grosser oder geringer sind, uiid ob die Proportionalitat zwisclieu Spannuug uud StofFumsatz bier ebenso schdn zu Tage tritt wie bei den Versucben, in welchen der grosseren Spannung die grossere Dehnung entspricht. Die Unter- suchungeu iiber die Wiirmeentwicklung bei der Einzelzuckung, soweit eie mir bekannt sind, geben dariibor keine ganz sichere Entscheidung, indem zwar allerdings die entwickelte Wiirmemenge bei dorselben Verkiirzung um so grosser ist , je grosser die Widerstiinde der Yer- kiirzuug oder in den einzelnen Langezustiinden die Spannungen sind, andercrseits aber audi die Dauer der Einwirkung dieser Spannungen eine grossere ist. Andere Yersuche am tetanisirten Muskel baben nun unzweideutig dargetban, dass in Fallen, wo der Muskel mehr oder weniger ad maximum contrahirt ist, die Wiirmemenge eine gerin- gere ist, wenn er in ein em starker verkiirzten Zustand einer be- stimmten Last Gleichgewicht bjilt, als wenn er dies bei etwas weni- ger yerkiirztem Zustande tbut. Hier entspricht also der geringeren Dehnung bei gleicher Spannung ein geringerer Stoffumsatz , und man versteht diese Erscheinung, wenn man sich Yorstellt, dass der sebr stark verkiirzte und gereizte Muskel in eine Art Starre ver- fallt, so dass die durch den Eeiz entstehenden Yerdichtungen sich nur langsam losen; dabei muss natiirlich der Stoffumsatz beschrankt sein. Fiir mittlere Muskellangen ist yielleicht das Maass der Deh- nung auf die Grdsse des Stoffumsatzes von keinem wessentlichen Ein- fluss , so dass jener hier wirklich bloss von der Spannung abhangen wiirde. Dies erscheint mir jetzt bei reiflicher Ueberlegung als das Wahrscheinlichere, wahrend ich in meiner Abhandlung : Zur Kenntniss der functionellen Anpassung der quergestreiften Muskeln , Stuttgart 1883 darzuthun suchte, dass der Stoffumsatz im Muskel zwar der Spannung proportional, ausserdem aber der Dehnung (der relativen Lange) des Muskels auniihernd umgekehrt proportional sei. Eine derartige Annahme ist ganz allgemein und wortlich genommen mit den Befunden Heidenhains nicht wohl vereinbar. Ein geringer Ein- iluss des Dehnungszustandes auf den Stoffumsatz bei extremen Muskel- langen ist dagegen vorderhand nicht mit Sicherheit auszuschliessen. Bei stark gedehuten Muskeln endlich spielt jedenfalls die Spannung der gcdehnten Stiitzsubstauzen eine gewisse Rolle , sodass die con- tractilen Elemente einen geringeren Theil der Spannung zu iibcr- nL'hmen brauchen. Doch ist vielleicht anderci'seits in diesem Zu- stande die Loslichkeit der durch don Reiz entstandenen Yerdichtun- gen eine grossere und der Stoffumsatz deswegen ein verhaltnissmassig lebhafterer. Es ist wirklich nicht moglich, zur Zeit zu beurtheilen, in wie weit diese beiden Momente sich gegenseitig compensiren oder nicht. 338 Dr. H. 8tra6ser, Grossc des Stollumsatzes pro Qiicrschiiitt. Dcr gesaiiimte Stoff- unif?atz in der Zeiteinheit hiiiigt aussordem ab von der iiiittleren Oder naturlicheu Lange des Muskels, und auch aus diesem Grunde muss er sich je nach Umstauden gaiiz anders verhalten Avic die mcchaiiische Arbeit des Muskels. 1st a die Spauuung in einem bestimmtcn kleinen Zeittheilchen d, e die Muskelverkiir- zung, I die Muskellange, so ist die Arbeit = ae. Der Stotfumsatz aber ist proportinal aid; je kleiner also die Muskellange im Ver- haltniss zur Verkurzungsgeschwindigkeit des Muskels ist, desto sparsamer arbeitet der Muskel, Jede EinschrankungderMuskellange, welche oline eine entsprechende Vermehrung der Muskelspannung eliectuirt werden kann, ist also von ciner Ersparniss ini Stoffumsatz begleitet; zu- gleich aber auch von einer Ersparniss an Muskelmenge und Mus- kelgevviclit, was bei einem fliegenden Thiere noch eiiien besondern Vortbeil darstellt. Eine Verringe rung des Musk elqu er- sclinittes ohne eine entsprechende Vergrosserung der Lange ermoglicht zunilchst innerhalb gewisser Grenzen keine erhebliche Verminderung des Stoflfumsatzes: hat aber ebenfalls cine Vermin- derung des Muskelgewiehtes zur Folge und ist jedenfalls aus diesem Grunde von Vortheil. 4. IVoTOii liSngt nun die Lange eines Muskels und die Grrosse seines (^uersclinittes al)J Es miissen beim Vogel ganz dieselben Gesetze der funktio- nellen Anpassung Geltung haben, wie bei der quergestreiften Skeletmuskulatur anderer Thiere und des Menschen. Ich ver- weise in dieser Beziehung auf die beiden Abhandlungen von Roux^) und mir^), welche fast gleichzeitig erschienen sind und in vielen Punkten in crfreulicher Weise mit einander iiberein- stimmen. Einer Muskelfascr von bcstimmter Liinge cntspricht eine be- bestimmte Grosse der durchschnittlichcu activen Langenanderuug, und einem bestimmten Querschnitt der Faser cntspricht eiu be- stimmtes Mass der durchschnittlichen activen Spannung. Aendern ^) W. lloux, Boitriigc zur Morphologie der functioncllen An- passung. '2. TJeber die Selbstregulatioii dcr morphologischeu Liiuge der Skeletmuskeln. Jena 1883. ^) H. Stkassee, Zur Keuntniss der funktionellen Anpassung der quergestreiften Muskeln. Stuttgart 1883. Uebcr den Flug dor Vogel. 339 sich die Aiispriiche an die Liingeiiaiuleruiig, wcrden z. B. grosscrc Excursioncn dcr Muskelcndpuukte gegencinander gebriiuchlich, so ist imnmehr fiir eiiie grossere Faserliuigo oder weiin man will fiir eine wcitcre Anzahl von Lilngstheilchen (Jelegenheit zur ange- messencn Funktion gegeben. Und wirklich sieht man den Muskol langer werden, wahrscheinlich, wic Roux zu beweisen suchte, unter Vermehrung dcr Querscheibcn. Aehnlich verhiilt es sich mit dem Muskelquerschuitt ; er vergiossert sich innerhalb gewisscr Uriuizen, wcnn die Anspriiche an die Spannung zunehmen , unter Vermehrung der Fibrillenzahl pro Querschnitt u. s. w. Ob das Langenwachsthum nur an vereinzelten Stellen, z. B. den Enden der Fasern stattfindct, oder in der ganzen Liinge, ist bis jctzt nicht sicher festgestellt. Auch hinsichtlich des Dicken- wachsthums ist Manches noch rathselhaft. Und so lange wir nicht gcnau ^Yissen, wo im einzelnen Fall die Umanderung vor sich geht, wird der causale Zusammenhang zwischen ihr und der Aenderung der Funktion nicht vollstandig aufgeklart werden konnen. So viel erscheint mir sicher zu scin, dass grossere Spannung sowohl als ausgiebigere Langeniinderung zuuachst durch verstarkte Nervenreizung erreicht wird. Es ist nun wohl moglich, wie Roux annimmt, dass der Reiz nicht alien Theilen der contractilen Sub- stanz in gleichmassig verstarktem Masse zufliesst, sei es dass durch eigene nervose Regulationsmechanismen, oder durch den verschie- den geiindertcn Zustand des Muskels selbst Derartiges bewirkt wird. Auf der anderen Seite ist es denkbar, dass die verbesserte Reizzufuhr ganz eben so gut den entwickluugsfithigen Substanzen geboten wird, welche neben den bis jetzt hauptsachlich funktio- nirenden liegen, als denjenigen, welche in Langsreihen derselben eingefiigt sind, und dass es von anderen Verhaltnissen als von denen des Reizes abhangt, ob die ersteren oder die letzteren weiter ausgebildet werden. Wenn nun auch fiir den Fall, dass nur grossere Span- nung, aber nicht eine Vergrosserung der Excursion nothwendig ist, durch quere Einschaltung iieuer (d. h. weiter entwickelter) Theile die bis jetzt hauptsachlich fungirenden entlastet und in ihrem Bestande begiinstigt werden , wahrend die Einschaltung licuer Theile in die Liingsreihen die Verhaltnisse der alten Theile schadigt, so kaiin dies fur sich allein doch noch nicht zur Folge haben, dass die letztgenannte Art der Einschaltung unterbleibt. Es miisste also gezeigt werden, dass trotz der allseitig verbesserteu 340 Dr. H. StraBser, Reizgelegciiheit hier nur die qucr eingcschaltete cntwicklungs- fiiliige contractile Substanz Gelcgeuheit hat, sich angemessen zu contrahiren uiid zu spannen, die langs eingeschaltete dagegen nicht. Uiid fiir den Fall, dass die Anspriiche an die Langenilnderung grosser geworden ist, muss das Gegentheil nachweisbar sein. Hier liegt cine grosse Schwierigkeit vor, die meiner Meinung nach durch den Hinweis auf die allmahliche Verbreitung des Reizes in der Zeit nicht gehoben wird. Nun habe ieh nachzuweisen versucht, dass bei zu lang oder zu kurz gewordenen Sehncn eine Umziichtung der Ansatzverhalt- iiisse von Muskelfasern und Muskelfibrillen vor sich geht, indem bei den veriinderten Funktiousverhaltnissen Varietaten der Ansatz- weise, die zuvor fiir die grossere oder geringere Leistungs- und Lebensfiihigkeit der Fasern gleichgiiltig waren, grossere Bedeutung erlangen. Aehuliches wurde gelegentlich auch fiir die einzelnen Fibrillen geltend gemacht. Nichts hindert anzunehmen, dass dieseni Princip eine noch viel verbreitetere Wirksamkeit zukomnit. Giebt es Fasern und Fibrillen , wcjlche bei aussergewohnlicher Dehnung des Muskels verhaltnissniassig weniger gedehnt, und andere, die bei grosser Verkiirzung weniger verkiirzt sind, so kommen auch solche vor, welche beides zugleich sind. Diese Varietaten werden Bedeutung erlangen und bevorzugt sein, wenn zugleich sowohl die Anspriiche an die Verkiirzungsfahigkeit, als auch diejenigen an eine Thatig- keit bei grosserer Dehnung gesteigert werden. Eine Auslese zwischen Reihen contractiler Theilchen , welche wegen ihrer verscbiedenen Lage zur passiven Stiitzsubstanz des Muskels, ihrer verscbiedenen Langc und Wachsthumsintensitiit u, s. w. die geiinderteFunktion verschieden gut leisten, besteht vielleicht auch noch innerhalb sehr kleiner resp. kurzer Abschnitte des Muskels. Specielle Untersuchungen miissen hieriiber Aufschluss zu bringen suchen. — Einen auslesenden und unigestaltenden Einfluss muss nun aber auch die A e n d e r u n g der m i 1 1 1 e r e n S c li n e 1 1 i g k e i t der Verkiirzung ausuben. (Der Muskel braucht dabci nicht hiiu- figer Oder mit grosserer Si)annung als zuvor bei extremen Deh- nungs- oder Verkurzungszustanden zu arbeiten). Es liegt vor Allem nahe, anzunehmen, dass die /unahme der Verkiirzungs- geschwindigkeit die Ausziichtung einer Mu skelquali tiit b e w i r k t , welche die F il h i g k e i t einer r a s c h e r e n Ij ;i n - genanderungbesitzt. Es konnte nun aber in dieser Hinsicht Ueber den Flug der VcJgel. 341 die Auswahl bcschrankt, die Ausbildung einer neuen Qualitilt konnte selir erschwcrt seiu. Man friigt sich, ob in dicsem Falle nicht auch cine Auslese z wise hen verschieden Ian gen Re i hen con trac tiler Theilchcn stattfinden konnte. Die relativ liingeren , welche bei der Verkiirzuug des Muskels etwas weniger verkurzt, bei der Dehnung etwas weniger gcdehnt werden, wurden zwar deswegen allein nocli nicht starker bcvorziigt werden — dem kleineu Vortheil halten vielleicht andere nachtheilige Ver- hilltnisse das Gleichgewicht — wohl aber tritt Bevorzugung ein, wenn noch ein weiterer Vortheil hinziikommt : der Umstand, dass sie bei sehr grosser Verkiirzungsgeschwindigkeit am wenigsten iiberanstrengt werden. Es ist wunderbar, in welch' genauer Weise bei Muskelfasern, welche zwischen zwei starren Massen ausgespannt sind und sich bei den Excursionen derselben gegeneinander stets mehr oder weniger activ betheiligen, die Faserlangen den mittleren Excursionsgrossen ihrer Endpunkte gegeneinander proportional sind. Es handelt sich hier sicher urn eine Regulation des Wachsthums durch die Funk- tion ; aber man kann zweifelhaft dariiber sein, ob die Empfindlich- keit der contractilen Elemente gegen Beanspruchung bei extremen Liingezustanden, oder ob ihre Empfindlichkeit gegen zu langsanie Oder zu schnelle Langenanderung das Ausschlaggebende war, oder ob vielleicht beide Momente von Bedeutung gewesen sind. Letz- teres scheint mir namentlich fiir die Aktion des starker verkurzten Muskels in Frage zu kommen, well gerade hier die Empfindlichkeit der Muskelsubstanz gegeuiiber unangemessen raschen Lilngenande- ruugen eine erhebliche sein muss. Man darf nicht hiergegen einwenden, dass an den verschiedenen Gelenkcn des menschlichen Korpcrs trotz der verschiedenen Win- kelgeschwindigkeit, die in ihnen iiblich ist, das Verhaltniss der Faserlange zu ihrer Excursion iiberall annahernd dasselbe sei. Denn erstens ist dies gar nicht genau, sondern nur annahernd der Fall; es hat bei bestimmten Gelenken oft die Beuge-Musku- latur ein anderes derartiges Verhaltniss, einen andern „Verkur- zungs-oder Excursionscoeffici en ten" als die Streck-Mus- kulatur, und auch die Muskeln verschiedener Geleuke verhalten sich in dieser Hinsicht verschieden. Ein verschiedener Verkiirzungscoefficient kann demnach sehr wohl , ebensogut wie eine verschiedene Fahigkeit zur raschen Ver- kiirzuug durch Anpassung an verschiedene Contractiousgeschwin- digkeit entstanden sein. 342 Dr. H. Strasser, Bekanntlich ist durch die Untersuchungen von Raistv^er ') Keonecker und Stiiilincj '^) Danilewsky ^) und GrCtzner *) der Beweis erbracht worden, dass in demselben Organismus, an dem- selben Gelenk, ja z. Th. in demselben Muskel Muskelfasern oder Substanzen von verschiedener Qualitat vorkommen, die einen mit langsamcr Verkiirziingsfahigkeit begabt, die anderen durch grosse Raschheit der Contraction ausgezeichnet; erstere erschopfen sich bei gleiclier Reizung und Spannung laiigsam, diese schnell. Es kann wohl nidit bezweifelt vverden, dass dieser wesentliche Unter- schied auf einer verschiedenen P er sistenzfahigkeit der ein- mal gebildeten Muskel verdicbtungen berubt. Vieles spricht dafiir, dass dieselbe iiberhaupt bei der Ermiidung und bei der maximalen Reizung des stark verkiirzten Muskels eine grossere ist. Ibre Zunabme bewirkt, dass bei derselben Spannung in der Zeiteinheit der Stoflfumsatz, der zum Wiederersatz der zerstorten Verdicbtungen notbwendig ist, ein geringerer ist. Diese Ver- minderung der Loslichkeit der Verdicbtungen, welche die Muskelsubstanz einem passiv gedebnten elastischen Kor- per ahnlicher macht, ist notbwendig zugleich mit einer Ver- minderung der Verkiirzungsfahigkeit (insbes. der Ver- kiirzungsgescbwindigkeit) verbunden und umgekehrt. Icb babe schon in der Arbeit iiber die funktionelle Anpassung der Skeletrauskulatur die Annabme gemacbt, dass die Grosse des Muskelquerscbnittes sich nicht nach der mittleren Spannung bei der einnialigen Leistung, sondern nach der mitt- leren Spannung pro Zeiteinheit bei einer Periode anhal- tender Aktion richte. Solches lasst sich nur fiir Muskeln vertreten, welche wirklich langere Zeiten hindurch thatig sind, sodass die Ermiidung und Erholungsbediirftigkeit der Theilchen eine grosse Rolie spielt. Roux legt auf die zeitlichen Verhilltnisse kein Gewicht. Nur gelegentlich (S. 53) fuhrt er an, dass unter Umstiinden die haufigere Wiederholung derselben Kraftproduction eine Vergrosserung des ^) Ranviior. Archives de physiologic par Brown-Sequard. 1874 und Lecjons d'aiiatomie gonerale sur le systeme musculaire. Paris 1880 p. 186. 2) Archivf. Physiologie von du Bois-Eeymond 1878. S. 1. 3) A. Danilewsky. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. VII. 124. 1883 und Biolog. Centralblatt. IV. 1885. No. 23. pg. 726. (0. Nasse). ■') Geutznek. Zur Anatomie und Physiologie der quergestreifteu Muskeln. Rocuei] zoologiquo suisso. T. 1. 1884. No. 4. Ueber den Flug der Vogel. 343 Miiskelquerschiiittcs zur Folge habcii niiisse. Ich glaube abor, dass man bei iMuskcbi , welcbe blngeru Zeit thiltig sind , gcradezu die Beanspruchung der Elemente dcs Querschnittes iiach deni Produkt aus der Spanii ung und der Zeit, wilhrend welcher sie anhiilt, oder nach der durchschiiittlichen Spannuiig pro Zeit- einheit bemessen darf, und dass bci gleicher Muskclqualitat der Qiierschnitt dicser Grosse angepasst sein wird. 1st meine Yermuthung richtig, dass die Menge des Musk(;ls in der einen oder anderen Weise der Excursionsgescbwindigkeit angepasst ist, dann hangt dieselbe ausserdem ab nicht von der Grosse des einmaligen Weges der Faserendpunkte gegeneinandcr bci der einzelueu Vcrkiirzung, s o n d e r n von der S u mm e d i e s e r Wege wiihrend einer bestimmten grosseren Zeiteinheit, in welcher der Muskel anbaltend thatig ist. (Excursionsgeschwindigkcit). Setzen wir den Fall, dass ein Muskel von bestimmten Quer- schnitt, der sich friihcr m mal pro Secunde jeweilen in der Zeit // unter Leistung der mittleren Spannung o zusammenzog, nun von einer bestimmten Zeit an »im Zusammenziehungen von der- selben Ausgiebigkeit, jede bei derselben mittleren Spannung, aber jede in der Zeit - vollfiihrt, so ist kaum anzunehmen, dass dieser 71 Muskel dabei in seinem Bau unveriindert bleiben kann. Ich bin der Meinung, dass der Muskel sich den veranderten Anspriichenund zwar unter Vergrosserung seiner Masse anpassen muss. Wahr- scheinlich spielt in cinem solchen Fall die Aenderung der Qualitat die Hauptrolle, Wenn wirklich eine Substanz von n mal grosserer Contractionsgeschwindigkeit an die Stelle der ursprunglichen tritt, so wird der Stolfverb ranch (die Erschopfbarheit) bei demselben Querschnitt ungefahr n mal grosser sein, es wird auch noch eine Anpassung der Muskeldicke nothwendig sein. Die ganze Muskelmenge wird wirklich ungefahr entsprechend der im Ganzen z. B. pro Stunde oder Tag geleisteten Arbeit zunehmen. Wird aber die Anpassung an die grossere Raschheit der Contraction durch Verkleinerung des Verkurzungscoefficienten be- wirkt, so nimmt die Lange der Fasern zu; der Querschnitt muss wesentlich gleich gross bleiben, und es erfahrt also auch hier die Muskelmenge einen Zuwachs. Aus den Untersuchungen von Danilewsky und GrOtzner geht hervor, dass in ein- und demselben Muskel zwei Faserarten von ganz verschiedener Qualitat in einem bestimmten Mischungs- verhilltniss vorkommen konnen. Ein Muskel, bei dem x Quer- 344 Dr. H. Strasser, schnittseinheiten von Fasern der Qualitat A^ y von solchen der Qualitat B eingenommen sind, muss ungefahr zweien Muskeln entsprechen, von denen der eine bei langer daucrnder Aktion die mittlere Spannung x.s zugleich mit einer bestimmten Excursions- geschwindigkeit cp zu leisten vermag, der andere gleich lange Zeit die Spannung y • — bei der Excursionsgeschwindigkeit (p . q. Man kann nun zeigen , dass ein Muskel , der gezwungen ist, abwechselnd Arbeiten von zwei sehr verschiedenen Formen zu leisten, dies mit grosserer Oeconomie an Stoffumsatz und mit geringerer Muskelmenge thun kann , wenn er aus zwei entsprechend ver- schiedenen Faserqualitaten zusammengesetzt ist, als wenn er die- selbe Qualitat fiir beide Arbeitsformen benutzt. Zusainmenfassiing. 1. Die Lange der Muskeln muss im Interesse der Oeconomie des Stoffumsatzes und einer moglichsten Leichtigkeit des Vogel- korpers raoglichst klein sein. 2. Andererseits hangt die Lange des Muskelfasern ab von der Grosse der Excursion ihrer Endpunkte und wahrscheinlich auch von der Geschwindigkeit, mit welcher diese activ gegen- einander bewegt werden miissen, sofern nicht verschiedene Arten contractiler Substanz, die zu rascher Verkurzung ungleich gut geeignet sind, in Betracht kommen. Was durcb eine besser zu rascher Verkurzung geeignete Substanz an Lange erspart wird, stellt aller Wahrscheinlichkeit nach keine Reinersparniss an Muskelmenge dar, weil zu gleicher Zeit die Leistungsfahigkeit der Querschnittelemente eine geringere sein wird. 3. Wohl aber kann eine wirkliche Ersparniss an Muskel- menge und Stoffumsatz durch ein bestimmtes Verhalten der Form der Arbeitsleistung bewirkt sein. Die Liinge der Fasern kann bei gleicher mittlerer Geschwindig- keit der Gesammtexcursion geringcr sein , Nvenn die Geschwindig- keit in einer ganz bestimmten Weise abiindert, so dass sie bei jedem Dehnungszustand des Muskels moglichst der zweckmassigsten Verkurzuugsgeschwindigkeit fiir diesen Zustand entspricht. Viel- leicht andert sich diese etwas je nach der Spannung. Im AUge- mcinen wird es von Vortheil sein, wenn die Geschwindigkeit der Excursion fiir mittlere Dehuungszustiinde moglichst gleichmiissig TJeber den Flag der Vdgel. 345 ist, Oder nur allmalilich zii- oder abninimt, gegen das Endo der Contraction aber sich rascli verlangsanit. 4. Zeitweilige gr()ssei'e Anforderungen an die Geschwindig- keit der Verktirzuiig sind dabei natiirlich ganz gut moglich. Je liiiiifiger sic vorkonimcn , dcsto besser wird der Miiskel ihnen an- gcpasst sein. Beim Vogel sind im Allgemeinen die Verhiiltiiisse des nornialen horizontaien Fluges fiir die Lange der Muskeln be- stinimeiid. Doch diirfen wir aus den bekannten Verhaltnissen dieser Flugart bei verschicdenen Flugthieren nur dann auf die Massen-Verhaltnisse der Muskeln schliessen, wenn wir bei alien ein gleiches Verhiiltiiiss der aussergewohnlichen Leistuugen zu der Normalleistung voraussetzen. Einem haufigeren Vorkomnien rascherer Beweguiigen muss aber auch eine grossere Muskelliinge oder bei besserer Verkiirzungsqualitat ein grosserer Querschnitt entsprechen. 5. Moglicherweise ist durch Zusammensetzung des Muskels aus Fasern von verschiedener Qualitat erreicht, dass der Muskel Arbeiten von sehr verschiedener Form mit verhaltnissmassig grosser Oeconomie leisten kann. 6. Bei Muskeln, welche liingere Zeit hintereinander gebraucht werden, sind ceteris paribus die Querschnitte der Grosse der Spannung und der Dauer ihrer Wirkung oder also dem Krafte- feld der Spannung fiir eine bestimmte grossere Zeiteinheit ange- passt. Ausserdem giebt es jedenfalls auch mit Bezug auf die Beanspruchung des Querschnittes bestimmte Verhaltnisse der Ab- iinderung der Spannung je nach der Ermiidung und der Dehnung der Theilchen, welche den Verhaltnissen der Muskelsubstanz am besten conform sind. Vortheilhaft ist es z. B., w<>nn die Spannung nur allmahlich mit der Zeit und nicht zu sehr andert und wenn sie im Allgemeinen mit fortschreitender Verkurzung etwas ab- ninimt. 7. Wenn siimmtliche Muskeln der Spannung, die sie im Mittel bei langerer Action zu leisten haben, und der Excursionsgeschwindig- keit in gleich gunstiger Weise angepasst sind , aber auch nur in diesem Fall, kann man ihre Masse den Arbeiten, welche sie in derselben Zeit (z. B. pro Tag oder Flugstunde) leisten, propor- tional setzen ; es muss dann auch der gesammte StofFurasatz zu der vom Muskel geleisteten iiusseren Arbeit in einem ganz be- stimmten guustigen Verhaltnisse stehen und z. B. das Vierfache oder 3|fache derselben betragen. 8. Beim Fluge handelt es sich wirklich um Muskeln, welche Bd. XIX. N. K. XU. 23 346 Dr. H. Strasser, liingere Zeit hindurch thiitig sind. Ihre Masse kann aber, audi unter der Voraussetzung ciner stets gleicli ocoiiomischen Ver- wendung, nur dann proportional der beim horizontaleu Normalflug zu leistenden Arbeit sein, wenii sich die Ausdauer im Fluge stets gleich verhalt, uiid wenn die Ex tral eistun g en , zu dcnen das Thier befilhigt ist, stets in demselben Verhitltniss zu der beim Normalfluge nothwcndigen Arbeit stehen. Wir werden im P'olgenden diese Annahme machen; denn cs wird fiir die Beurtbeilung der thatsiichlichen, complicirteren Ver- bJiltnisse eine gute Grundlage gewonnen sein, wenn wir wissen, wie die Muskelmenge sich mit der Grosse des Apparates iindern muss bei ahnlich bleibender locomotorischer Leistung oder je nach der Fiihigkeit, den normalen borizontalen Flug niit grosserer oder geringerer Geschwindigkeit auszufuhren. Zunachst aber ist noch zu untersuchen, ob wirklicb die Organisation des Vogelkorpers den Muskeln der Scbulter gestattet, iiberall moglichst oconomisch und insbesondere iiberall mit der- selben Oecononiie zu arbeiten , und ob iiberhaupt an den Mus- keln eines Gelenkes durch Umanderung der Liingen , Dicken, Ansatzpunkte u. s. w. Derartiges erreicht werden kann. Eine allgenieine Behandlung dieser Erage bietet einige Schwierigkeiten. 5. Uel)er den Orad iind die iiatiirliclien (xreiizeii der Oeconomie in den Anordniingsverhaltnlssen der Scliultermuskulatur. a. Die Aenderung der Richtung der resultirenden innern Gelenkdrehkraft in der Zeit. Wie in dem 2. 'llieile dieser Arbeit nachgewicsen wurde, liisst sicb in jedem Augenblick die ganze Wirkung der Gelenkdrebkriifte, soweit diese an sich Fliigel und Rumpf gegeneinander bewegen koiinen, ersetzen durch eine Kraft G^xtu in der £-Tangentencbene, deren Richtung im Punkte /< die geringste Entfernung von der Elugellangslinie hat und durch die entsprechende Gegenkraft. Die Grosse dieser Kraft, sowie ihr Abstand von £ iindert sich von Moment zu Moment; doch konnen wir uns vorstollen, dass dies stctig geschieht ; es beschreil)t dann der Punkt it relativ zum Rumpf eine Curve, welche mit dcrjcnigen , welche der Punkt e beschreibt, um so besser iibereinstimmt, je geringer die laiigs- rotirende Wirkung der innercn Krafte am Fliigel ist (s. S. 319). Die Linie Ofi aber beschreibt die Flache eines Kegels im weiteren TJeber den Fliio; der Vo-irel. 347 Sinne des VVortcs. Die Spitze des Kegels liegt in o, die Lichtung ist nach aussen gewendet. , Je(l(>r Lagc des Kraftliebelarmes entspricht eine bcstininitc Richtung von Gixfy, also eine bestimmte resultirende Kraftebene oG 1 ist , also eine wirkliche Vermehrung der Schlagfre- quenz zu Stande kommt. Fiir den Fall, dass die Modificationen klein sind, verkleinem sich also die relativen und absoluten Geschwindigkeiten eutsprechen- der Theile in en tsprechenden Phasen nicht erheblich, wahrend die zu- riickgelegten Wege m mal kleiner sind ; die v- und ^-Componenten der 358 Dr. H. Strasser, iiusseren Widerstandskrafte an Riiiiipf und Fltigel sind in ent- sprechenden Pliasen ungefiilir glcich gross, ebenso die Wirkung des Fliigelgewiclites ; die Ordinaten ilirer Curven bleiben also in entspreclienden Pliasen glcich , die Abscissen sind m mal kiirzer, ebenso die ganzen Kraftefclder pro Periode (vgl. Fig. 16 und 17). Bedenkt man nun , dass die resultirenden Krafte m mal grosser sein miissen, um in m mal kurzeren Phasen die resultirenden Ge- schwindigkeiten um dieselbe absolute Grosse zu iindern, dass die Ordinaten ihrer Curven also m mal holier werden (wahrend ihre Abscissen ebenfalls m mal kleiner sind), so folgt, dass die in- neren Krafte hinsichtlich ihrer Spannung sich an- dern miissen. Man kann Fig. 16 u. 17 benutzen , um dies genauer zu ver- folgen. Man denke sich, dass die Abscissenaxe hier das eine Mal eiuer Zeit T, das andere Mal einer Zeit T- — entspricht. Im letz- teren Falle muss die Curve der resultirenden Krafte am Fliigel oder am liumpf tiberall m mal hohere Ordinaten bekommen, wahrend diejenigen der Curven von F, B, Ww und W/o gleich bleiben. Man erkeunt dann, dass die Abstande der resultirenden Kraftecurve von Wfv resp. Wm oder die Ordinaten der Curve der inneren Krafte sich nicht tiberall gleichmassig andern. In Fig. 16 riickt z. B. fiir wi >• 1 der Schnittpunkt C nacli links ; das Mittelfeld der inneren Krafte, welches also aufwarts auf den P'liigel wirken- den Kraften entspricht, wird mehr als m mal gi'osser , die beiden seitlichen Felder, welche inneren Kraften entsprechen, die den Fliigel niederziehen, vergrosseru sich um weniger als das wfache. Und da der Antheil, den der Bewegungsaustausch im Gelenk an der Wirkung der inneren Krafte hat, zum Theil von F und Wji-^ zum Theil aber von der resultirenden Bewegung abhangt, so andert sich auch der Antheil, der auf die Gelenkdrehkrafte in der 6-Tan- gentenebene entfiillt, ahnlich wie die gesammte innere Kraft. Der vertical aufwarts gerichtete Zug der Muskeln am Fliigel muss also durchschnittlich um mehr als das m fache zunehmen, die verticale Spannung der Niederzieher des Fliigels dagegen um weniger als das m fache vermehrt sein. Dieser Vermehrung der Spannung steht gegenuber die Verminderung der Excursion der Muskeln, aber nicht cine w e s e n 1 1 i c h e Verminderung ihrer E x c u r s i o n s g e - sch windigkei t, die ja in den cntsprechenden Phasen beinahe gleich gross gebliebcn ist. Bleiben die Hebelarmc der Muskelu Ueber don Flug der Vogel. 359 dieselben , und will man den Einfluss der Schlagfi(>qiien/. kennen fiir die Voraiissetzung, dass in alien Fallen die iMuskeln mit der- selben Oeconomie der Lange und des Querschnittes arbeiten, so muss man, wie mir scheint, annehmen, dass die grossere Schlag- frequen/ keine E^rsparniss an Muskellange mit sich bringt. Dem Nachtheil der grossercn Anforderungen an den Muskelqucrsclinitt, iiamentlicli der Hebemuskeln , steht also als Voitheil nur gegon- iiber die Krsparniss an Muskelarbeit in der ^'-Richtuiig in Folge des kleineren Schlagwinkels. Man kann den Grund dieser Zunahme der Anforderungen an die Muskelmenge darin sehen, dass 1) bei jedem Niederschlag die- selbe Abwartsgeschwindigkeit des Fliigels anullirt werden muss, der Widerstand aber um so weniger dazu beitragt, je schneller die AnuUirung zu Stande kommt; 2) der Fliigel bei jeder Hebung dieselbe Aufwartsgeschwindigkeit erlialten muss. Die hierauf beztig- liche Arbeit nimmt jedenfalls mit der Haufigkeit der Hebung zu. Die Schwere aber trligt zu ihrcr AnuUirung um so weniger bei, je kiirzer die Zeit ist, wahrend welcher dieselbe sich vollziehen muss. Man muss sich allerdihgs fragen, ob nicht diese Vernichtung der lebendigen Kraft am Ende des Niederschlages und ini Beginn der Hebung zur passiven Dehnung der Flugelheber resp. der Flii- gelniederzieher dient, und ob diese Dehnungsarbeit nicht wieder zur Ersparniss von activen Kraften bei der Fliigelhebung und beim Flugelniederschlage nutzbar gemacht wird, Es kann naturlich kein Zweifel dariiber herrschen , dass der passiv gedehnte Muskel, wenn er sich ungereizt wieder zusammen- zieht, die an ihm geleistete Arbeit wieder zuriickgiebt. Hier aber ist der Muskel wahrend des Bcginnes der Verkiirzung und viel- leicht auch schon wahrend der Dehnung activ betheiligt. Es ist sicher, dass der gedehnte gereizte Muskel einer grosseren Arbeits- leistung fiihig ist; ob er aber wirklich entsprechend der zu seiner Dehnung verbrauchten Arbeit sparsamer arbeitet, ist eine an- dere Frage. Auf jeden Fall aber miisste ein solches Verhaltniss auch bei n Fliigelschliigen ausgenutzt sein, und wenn nun durch Vermehrung der Zahl der Fliigelschlage eine grossere Arbeit der Muskulatur zur Hemmung und Wiedereinleitung der Bewegung des Fliigels nothig wird, so steigen doch wohl damit unter alien Um- stiinden die Anforderungen an den Querschnitt der Muskeln. Eine Verminderung der Schlagfrequenz mit ent- sprechender Vergrosserung des Schlagwinkels vcr- 360 Dr. H. Strassei-, bun den erlaubt also, wie sich aus dem Angefuhrten ergiebt, eine Ersparniss an Muskelmeuge und Stoffumsatz. Doch giebt es eine Grenze, iiber die hinaus die Verlangsam- ung des Fliigelschlages nicht mehr von Nutzen ist. Erstens ergiebt sich aus der Betrachtung der Curventafelu 16 u. 17, dass eine Verkleinerung sammtlicher Ordinaten der resultiren- den Kriiftecurve um ein iw faches von um so geriugerem Einfluss auf die Verkleinerung der Ordinaten der Curve der inneren Krafte ist, je Hacher die Curve der resultirenden Krafte bereits im Ver- haltniss zur Curve von Fliigelwiderstand plus Schwere ist, an- dererseits aber wird der schiidliche Einfluss einer Vergrosserung des Schlagwinkels um so bedeutender, bei der Verniinderung der Zahl n der Fliigelschliige um ein m faches , je grosser er bereits ist. Es giebt eine Grenze , wo Vortheil und Nachtheil sich die Wage halten miissen, und diese Grenze ist sicher unter alien Um- standen sehr rasch erreicht, wenn einmal die Grosse des Schlag- winkels den Betrag 60"^ — 90*^ iiberschritten hat. 3. Der Einfluss der Flugelform. Man denke sich den Fliigel eines horizontal und mit gleich- miissigen Flugelschlagen dahinziehenden Vogels plotzlich in seiner Form so verandert, dass die Fliigelflache im Ganzen gleich gross bleibt , der Fliigel aber langer und schmaler , oder kiirzer und breiter wird , oder an der Spitze sich verschmiilert , an der Basis verbreitert etc. Der Fltigelschlag aber soil moglichst wie zuvor fortgesetzt werden, jedenfalls der locomotorische Etfekt pro Sekunde derselbe bleiben. Setzen wir zuniichst den einfachsten Fall, dass von n gleich breiten, quer zur Fliigellangslinie verlaufenden Streifen, in wclche wir uns den Fliigel zerlegt denken, jeder um ein ;»faches lunger und schmaler wird, also die ganze FlUgellange um ein mfaches sich verkurzt. Es sind dann annaherungsweise auch die n gleich breiten von Sagittalprofilen begrenzten Streifen, in welche wir bei irgend einer Stellung den Fliigel zerlegen kiinnen, um ein wfachcs, schmaler und langer als zuvor. Es besteht min aber durchaus keine Schwierigkeit anzunehmen , dass die sich ent- sprechenden Streifen nach wie vor in gleich geformten Trajectorien sich bewegen, wenigstens in Trajectorien, deren Sagittalprojectionen gleich geblieben sind. Die Bewegung kann mit demselben Modus der Geschwindigkeit und Gesclnvindigkeitsiinderung verlaufen, wie zuvor; die Neigung der Sagittalprofile zu ihren Trajectorien kann Teber den Flug der Vogel. 361 an den cntsprechenden Punkten der Trajectorien dieselbe sein. Die entsprechendcn Theilpunkte der Flugellilnge bewegen sich dann in derselben Weise wie zuvor, so weit es die z- und v-Richtung anbelangt. Die Bewegung in der queren Richtung und die Stel- lung der qv- und ^^-Profile des Fliigels aber muss in den sich cnt- sprechenden Phascn eine etwas andere sein ; denn wenn die gleichen Theilpunkte des Fliigels dieselben verticalen Excursionen machen, so lieg(;n sie doch dem Gelenk urn ein mfaches naher, der verticale Schlagwinkcl muss anniihernd m raal grosser geworden sein. Ebenso verhalt es sich hinsichtlich des horizontalen Schlagwinkels. Wenn nun auch die Vergrosserung des letzteren mit sich bringt, dass nicht in jeder Phase sanimtliche n sagittale Streifen genau um das wfache verlangert oder verschmalert und genau gieich gross geblieben sind , ferner wegen der Zunahme der Divergenz der Fliigelfijiche mit der g'-Richtung in sich entsprechendcn Phascn des FlUgelschlages die Bewegung der einzelnen Streifen gegen die Luft in etwas anderer Richtung erfolgt, wenn auch schon ohne- dies mit der Aenderung des Schlagwinkels trotz der gieich bleibcn- den Verhaltnisse der sagittalen Bewegungscomponenten eine Aende- rung der Widerstandsverhaltnisse verbuudeu sein muss (s. voriges Kapitel), so gentigt doch eine verhaltnissmassig geringe Modification der Bewegung, damit jeder der n Streifen in cntsprechenden Phascn annahernd denselben z- und i;-Widerstand erzeugt, wie zuvor. Der horizontale und verticale Schlagwinkel sind dann jedenfalls mindestens um das ^wfache vergrossert, die Excursionen entsprechen- der Theilpunkte der Fliigellange zum Rumpf haben sich absolut nicht bloss in der g'-Componente, sondern auch in den Sagittal- componenten etwas vergrossert, aber nur um cin Gcringes. Die Vertheilung des Fltigelgewichtes und Fliigelwiderstandes auf die Punkte 0 und £ wird nicht wescntlich geandert. Die v- und z- Componenten der resultirenden Krafte am Fltigel und Rumpf- schwerpunkt, sowie der gesammten inncren Krafte an diesen Punkten und der Gelenkdrehkraftc in der £-Tangentenebene bleiben wesent- lich dieselben, auch die relativen Excursionen des Punktes e oder \.i zum Rumpfe; demnach auch die Muskelarbcit. Die Kraft- momente aller Krafte am Fliigel sind dann dieselben geblieben, der Traghcitshalbmesser des Flugels mit Bezug auf o-Axcn und Liingslinie ist um das wfache ktirzer geworden, das Tragheits- moment m mal kleiner. Winkelgeschwindigkeit und Winkelbe- schleunigung konuen also wirklich jcderzeit m mal grosser sein. Bleibt die absolute Entfernung der Muskeln vom Gelenk dieselbe, Bd. XIX. N. K. XII. 24 362 Dr. H. Strasser, SO crscheinen die Ansatzpunkte der Muskeln relativ zur Lange des Flugels nach aussen verschoben , Querschnitt und Lange sind gleich geblieben. Aendern sich aber die Muskelhcbelarme ahnlich wic die Fliigellange , so miissen die Muskelmassen absolut gegen das Gelenk zusammengedrangt sein; ihr Querschnitt muss grosser, die Liinge kleincr geworden sein, oder cs muss (bei schragfasrigen Muskeln) eine Umlagerung der Fasern im Sinn ciner grosseren Parallelstellung mit der Langsrichtung der Muskelkorper stattgc- funden haben. Nun ist aber in Wirklichkeit eine Vergrosser ung des Schlagwinkels doch bei sonst gleichen Verhilltnissen mit einem Mehraufwand von Muskelarbeit und Muskelmenge verkniipft und kann ohne grossen Nachtheil liber eine gewisse Grenze nicht ver- mehrt werden ; je kiirzer und breiter relativ der Fliigel ist, desto grosser der Kraftverlust , wobei zu beriicksichtigen ist , dass ein Mehrgewicht der Muskulatur selbst wieder ein plus von Luftwider- stand bei derselben Horizontalgeschwindigkeit nothwendig macht. Wenn die Vergrosserung des Schlagwinkels eine gewisse Grenze erreicht hat, so wird eine weitere Vergrosserung der Winkelge- schwindigkeit (welche in Folge einer weiteren Verkiirzung und Verbreiterung des Flugels nothwendig ist) besser durch Vermeh- rung der Zahl der Fliigelschliige erzielt, und der hiermit verbun- dene Nachtheil ist gcnau derselbe, als ob bei gleich lang bleiben- dem Fliigel eine Zunahme der Schlagfrequenz zugleich mit einer entsprechenden Verminderung des Schlagwinkels eintreten wiirde (s. voriges Kapitel). Thatsachlich zeigen Vogel mit relativ kurzen und breitcn Fliigel n eine grosscre Schlagfrequenz und eine grossere Muskelmasse, als gleich schwere Flieger von ahnlich em Flugvermogen und ahnlich grossen aber langen und schmalen Fliigeln. Aendert sich das Verhaltniss der Fliigelbreite an verschie- denen Stellen der Lange in verschiedener Weise, so complicirt sich der Vergleich. Zunachst vertheilt sich in diesem Falle das Fliigelgewicht und der Fliigelwiderstand in etwas anderer Weise auf die Punkte o und £. Sodann nimmt der Fliigel, jc nachdem cr an der Basis Oder an der Spitze breit ist, grosseren oder geringcren Aiitheil an den Bewegungen des Rumpfes gegen die Luft. Es wiirde zu weit fiihren, dies hier fiir verschiedene Verhiiltnisse der Runipf- oscillationen genauer zu erortcrn. Im Grossen und Ganzen ist Ueber den Flug der Yogel, 3G3 naturlich audi liicr wiedor die Entfernung des Puuktes « von n von dor grosston Bedeutung. Aiich liier wachst bei gleich grosser Fliigelflache der Schlagwinkcl odcr die Schlagfrequenz , wenn oe kleincr wird u. s. w. Der scliadliche Einfluss einor Verkiirzung iind Verbroiterung des Fliigels wird nun allerdings dadurch etwas gemindert, dass in Folge diescr Veriinderung das Gewicht des Flugels um etwas vermindcrt wcrden kann. Ein an der Basis verhaltnissmassig melir als an der Spitze verbreiteter Fliigel und wohl aucb ein breiter Fliigel uberhaupt bietet fiir die Umwandlung von horizontaler Gescbwnndigkeit in Auftrieb gewisse Vortheile und stebt uberhaupt mit bestimmten Besonderheiten der Flugweise im Zusaramenhang, woriiber spilter noch Einiges gesagt werden soil. 3. Der Einfluss der Orosse der Fliigelflache. Wir setzen den Fall, dass an einem Vogel, der horizontal, mit gleichmassigen Fliigelschlagen dahinzieht, die Fliigel plotzlich m mal schmaler werden, wiihrend die Lange und das Gewicht gleich bleibt, auch sonst die Structur so zweckmassig ist, wie zuvor. Der horizontale Normalflug konnte nun in moglichst derselben Weise wie zuvor, mit derselben Horizontalgeschwindigkeit fortge- setzt werden, wenn die entsprechenden Nummern der x sagittalen Streifen, in wclche man die Fliigelflache zerlegen kann, wjihrend der entsprechenden Phasen der gleich lang dauernden Perioden in derselben Eichtung und Orientirung, wie zuvor, aber mit einer \ 'w mal grosscren Geschwindigkeit gegen die Luft gehen wiirden. Es bliebe dann Grosse und Richtung des Widerstandes in den entsprechenden Phasen unverandert. Es fragt sich, wie weit solches moglich ist. Wenn der vom Fliigel erzeugte Luftwiderstand eine Funktion einzig und allein der relativen Bewegung des Fliigels parallel der qv Ebene ware, wie dies von Prechtl wirklich angenommen wird, dann wiirde die Beantwortung dieser Fragen sehr leicht scin. Eine Verschmalerung jedes Abschnittes der T'liigellange um das m fache wiirde durch eine v^'m malige Vergrosserung der Winkel- gcschwindigkeit in den sich entsprechenden Phasen der Periode compensirt werden konnen. Aber auch bei der genannten Voraus- setzung ist eine solche Schlussfolgerung nur zulassig, wenn die Bewegung des Schulterdrehpunktes o in verticaler Richtung = 0- ist und wenn ausserdem die Sagittalprofile des Fliigels stets siimmt- 24* 364 Dr. H. Strasser, lich horizontal gestellt sind. Ersteres kann fur gewisse Falle (kleine Flugthiere) als annahernd richtig zugegeben werden. Letz- teres trifft fur den Normalflug mit gleichformiger mittlerer Hori- zontalgeschwindigkeit niemals zu. Der Fliigel ist vielmelir bald pronirt, bald supinirt ; es hat dann auch die Translationsbewegung des Flugels mit dem Ganzen eine Componente, welche in die Xor- malrichtung des Fliigels oder einiger Theile der Fliigelflache ent- fallt; der Widerstand ist nicht bloss von der relativen Flugelbe- wegung abhjingig. Bei der relativen Flugelbewegung aber koramt aus dem gleichen Grunde nicht bloss die verticale und quere Com- ponente der Bewegung, sondern auch die ^;-Componente in Betracht. Es ist also genauer zu untersuchen, wie die absolute und relative Bewegung des Flugels sich andern muss, damit letzterer trotz der Verkleinerung in jeder Phase denselben Widerstand (pro Zeit- einheit) nach Grosse und Richtung erzeugt. "Was die v und g'-Componenten der Bewegung betrifft, so hangen dieselben bloss von der relativen Bewegung zwischen Runipf und Flugel ab, sofern wir wenigstens den Einfluss der Oscilla- tionen des Rumpfes auf die Bewegung des Fliigels hierbei ausser Acht lassen. Es besteht kein Zweifel, dass diese Bevvegungeu in den entsprechendeu Phasen durchschnittlich um ein \''wfaches vermehrt werden und dabei im Modus ihrer Abiinderung in ge- eigneter Weise modificirt werden konnen. Geliinge es, auch die ^-Componenten der absoluten Bewegung um ein \/w faches in jeder Phase und an jedem Punkte des Flugels zu andern, so wiirde die ganze absolute Bewegung der Fiache gegen die Luft um ein V^w faches in jeder Phase beschleunigt, es konnte bei ^'mfacher Vermehrung der Schlagfrequenz der horizontale und verticale Schlagwinkel beibehalten werden. Die Anforderungen an die Mus- kellilnge wiirden um das \/wfache, diejenigen an den Quer- schnitt nicht ganz um das wfache wachsen. Man konnte dann leicht ermitteln, was geschehen muss, wenn die Grosse des Schlagwinkels statt der Schlagfrequenz vermehrt ist. Ist es nun wirklich moglich, auch die ^r-Componenten der absoluten Be- wegung an jedem Punkt, in jeder Phase um das V'mfache zu beschleunigen? Daran ist nicht zu denken, indeni die relative Be- wegung der verschiedenenen Punkte des Flugels nicht in jeder beliebigen Weise gestcigert werden kann, sondern iiur nach einem bestimmten gegenseitigen Verhaltniss, da sie ja zu einem mehr Oder weniger starren Ganzen verbunden sind. Bezeichnen wir mit v die Translationsgeschwindigkeit des Ueber dcii Fliig der Vogcl. 365 Rumpfes, mit ±rz die rehitive BeweguDg eines Fliigclpunktes zum Ruinpf ill dcr ^-liichtung, so ist v±rz die absolute Beweguiig iiach voru. Wird(t;ji r^) zux-^ m(v ±rz )geandert, so muss jetzt die relative Bewegung in der z-llichtuu'^=r'u=Vm(v ±rz) ~ v= + rzV''m + v (\ m—l) sein. Die notliweiidige Zunahme der relativen Bewe- gung ist eine melir als V^»tfache, der letzte Ausdruck ist ab- solut ":> rzVm, wenn rz vorwiirts gerichtet ist, also bei der Vor- fiihrung des Fliigels; sie kann geringer sein, wenn rz riickwiirts gerichtet ist, also bei der Riickfiihrung des Fliigels. Aber je naher eiu Punkt dem Gelenk liegt, desto kleiner ist rz gegeniiber vz, desto mehr nahert sich also der Werth r'z dem Betrag v {Vm — 1), mag nun die relative ^-Excursion vor- oder riickwarts gerichtet sein. Durch keine Steigerung der Geschwindigkeit der relativen Bewegung, auch nicht unter Beihiilfe der Einziehung der Schwinge, kann die geforderte Aenderung an alien Punkten des Flugels zu Stande gebracht werden. Hier wird also eine tiefer greifende Modification der Bewegungsform nothwendig. Vor Allem ist ersichtlich, dass eine Beschleu- uigung der relativen Bewegungen in der ^^-Richtung an der Spitze des Fliigels die absolute 5-Geschwindigkeit am meisten zu beein- flussen und zwar geradezu zu vermindern vermag. Wenn alle Punkte in v^wfach kiirzerer Zeit annahernd dieselbe verticale Oscillation beschreiben, so miissten bei gleich bleibender absoluter ^f-Geschwindigkeit die Trajectorien aller Punkte iiberall entsprechend steiler auf- oder absteigen. Wird aber bei der Vorfiihrung des Fliigels die absolute Geschwindigkeit verraehrt, bei der Riickfuhrung verlangsamt, wie dies an der Fliigelspitze der Fall sein kann, so werden die oberen Theile der Trajectorien gestreckter, die unteren steiler; das ermoglicht eine Vergrosserung der Pronationsstellung der Sagittalprofile an der Spitze des Fliigels am Ende des Nie- derschlages, nothigt vielleicht zu einer starkeren Supination eben- daselbst im Beginn der Hebung und erlaubt eine bessere Hori- zontalstellung derselben bei der Vorfiihrung des Fliigels. Beriick- sichtigt man dies, so ergiebt sich, dass am Ende des Nieder- schlages die Bewegung in der Normalrichtung der Unterflache viel starker als um das V mfache beschleunigt werden kann, um so mehr, je weiter gegen die Fliigelspitze die Oberflachenpunkte ge- legen sind, zugleich kann die ^i-Componente des Widerstandes gegeniiber der y-Componente begiinstigt werden, wahrend die re- lative 5;-Bewegung nicht mehr als um das \^mfa.che zuzunehmeu 366 Dr. H. Strasser, braucht. Ilicr wird verhiiltiiissraassig an relativcr Bcwcgung gc- spart, ein grosserer 5;-Widerstand, vielleicht ein zu gcriiiger v-\\i- derstand crzeugt, eine grosseru innere Spaiinuug in der ^;-Rich- tung, eine geriugere in der Richtung autV/ilrts entwickelt. Dafiir muss bei den hohen Lagen des Fliigels ein grosserer verticaler Wider- stand erzeugt \Yerdcn ; ein Theil der grossen'Vorwartsbeschleunigung kann in Auftrieb verwandelt werden durch relativ mehr als \'wfache Steigerung der Vorwartsgeschwindigkeit des supiuirten Fliigels; eine solche Steigerung kann wesentlich nur an den iius- seren Theilen in Betracht komraeu; grossere Supination dieser Theile, oder eine Vermehrung der relativen Abwartsgeschwindig- keit des Fliigels im Beginn des Niederschlages kann zu Hiilfe kommen. Eine Steigerung samratlicher relativen Geschwindigkeiten uni das Vmfache wiirde natiirlich zur Folge haben , dass eine be- bestimmte Reihe ahnlicher Formzustiinde in \/m mal kiirzerer Zeit in Erscheiuung treteu, jede entsprechende Phase also \ ^ mal kiirzer ist. In Folge davon mtissen die Anforderungen an die Grosse der resultirendeu Krafte am Fliigel iiberall um das iwfache vcrmehrt sein , da die \ m mal grossere Veranderung der Ge- schwindigkeiten in der v^'^mal kiirzeren Zeit zu Stande gebracht werden muss ; die Anforderungen an die Excursionsgeschwindig- keit der Muskeln wiirde um das \ w fache zunehmen. Die einer Periode entsprechenden Abscissen der Curven in Fig. 16 und 17 miissten V'mmal kiirzer, oder mit x-^^mal grosserer Masseinheit gemessen werden. Die Grosse des Widerstandes bleibt i m M i 1 1 e 1 ungefiihr gleich gross. Die Ordinaten der Curve der resultirendeu Krafte werden im Durchschnitt mmal hoher. Ware dies auch an jeder einzelnen Stelle der Fall, so miissten die Krafte- feldcr der inneren Krafte im Ganzen nicht ganz »»mal grosser geworden sein. In Wirklichkeit iindert sich nicht bloss die Vertheilung der Widerstande, sondern auch die Vergrosserung der resultirendeu Krafte ist nicht iiberall eine glcichmassige. Dies liat jedenfalls eine noch unregelmiissigere Zunahme der inneren Krafte und der Muskelspannungen zur Folge; vielleicht vermindert oder verniehrt sich dabei auch noch die Grosse der ganzen Kriiflefelder der innneren Krafte etwas. Es wird jedoch das, was durch die letzt- genannten Umstiinde in dem einen Theil der Periode an Quer- schnittsbeanspruchung mehr oder weniger gefordert wird, in einem anderen Theil der Periode durch cntgegengesetztes Verhalten wohl Ueber deu Flug dor Vdgel. 367 ziemlich vollstiindig compcusirt, oder eincr Ersparniss au Qucr- schnitt entspricht cine Mehranforderung an die Liinge und um- gekehrt. Daun wiirde mit der Verklcinerung des Fliigels cino uicht ganz mfache Vermchrung der Aiispriiche an die Muslcel- querschnitte verbunden scin. Es komn)t nun aber ausserdem in Betracht ein im Mittel \ m nial schnellerer Ablauf der einzelnen Phasen, oder eines ganzen Fliigel- schlages von bcstimratem Schlagwinkel. Wird letzterer nicht verandert, so muss die Schlagfrequenz entspechend zunehmen. Es ist klar, dass bei vermehrter Schlag- frequenz zwar die Dauer der einzelnen Phasen eine kiirzere ist, dafiir \Yiederholen sie sich aber entsprechend haufiger, so dass wir diesen Umstand bei Beurtheilung der Querschnittsbeanspruchung vernachlassigen konnten. Die grossere Excursionsgeschwindigkeit macht aber unserer Ansicht nach eine entsprechend grossere Muskellange und Muskel- menge nothwendig. Die Verklcinerung des Fliigels wiirde also zur Folge haben: 1) Im Mittel eine nicht ganz mfache Vermehrung der An- forderungen an die Muskelmenge wegen der nothig gewordenen grosseren Werthe von G^tg. 2) eine annahernd Vm fache Vermehrung der Muskelmenge wegen der grosseren relativen Excursionsgeschwindigkeit von e. Im Ganzen also eine mehr als w fache Zunahme der Mus- kulatur, Man wird sich kaum vorstellen dtlrfen, dass die Qualitat der Muskelsubstanz sich bei Aenderung der Verktirzungsgeschwindig- keit allzuleicht andert. Wohl aber kann die Verkurzungsge- schwindigkeit in erster Linie so weit gesteigert werden , als die Gesammtexcursion (der Schlagwinkel) einer Vergrosserung fiihig ist , insofern wenigstens fiir die grossere Gesammtexcursion nicht mehr Zeit in Anspruch genommen wird. So entwickelt sich mit der grosseren absoluten Geschwindigkeit, mit welcher die Muskel- endpunkte gegeneinander rilcken, eine grossere Faserlange; Qua- litat und Verkiirzungscoefficient der Muskelsubstanz aber bleiben zuniichst im Wesentlichen unverandert. Erst wenn eine Vergros- serung der Gelenkexcursion aus andern Griinden mit zu grossen Nachtheilen verbunden ist, wird eine weitere Vergrosserung der Excursionsgeschwindigkeit zu tiefer greifenden Veranderungen der Qualitat und eventuell zur Abanderung des Verkiirzungscoefficien- ten filhren. 368 Dr. H. tStrasser, Von diescni Gesichtspuiiktti aus vcistiiht mau, dasb iiu All- gemeiuen eine Verkleiiieruug des Schlagwinkels uud cin e Vergrosserung der Schlagfr cquenz, so vorthcil- haft sie in mancher Hinsicht erscheint, doch nur bis zu gewissen Grenzen mit wirkli c hem Nutzen aus- gebildet werden kann. Man wird sich aber auch niclit mehr dariiber wuuderu, dass bei sonst gleichen Verhiiltnissen, aber vcrschiedener Grosse des Fliigels, dem kleinen Fliigel imAllgemeinen der gros- sereSchlagwinkelentspricht. In Folge davon braucht dann die Schlagfrequenz entsprechend weniger vergrossert zu sein. Der Nachtheil eiues relativ kleineren Fliigels ist nun aber nicht so gross, als es nach dem Vorhergehenden scheinen muchte. Man darf uamlich nicht ausser Acht lassen, dass der kleinere Fliigel auch zugleich der leichtere ist, der die klei- nere Masse darstellt. Man denke sich die Verkleinerung zunachst als Verschmalerung , von n gleichen Langsstreifen des Fliigels jeden m mal schmaler. Jeder Streifen erfilhrt dann durch- schnittlich denselben Widerstand, beim kleinen wie beim grossen Fliigel, befindet sich aber in m mal gcringerer Entfcrnung vom Hauptbalken des Fliigels. An Quer- und Langsschnitten ist die Abscheerungsbeanspruchuug durch die Verkleinerung nicht gean- dert worden; da die Querschnitte kiirzer geworden sind, die Langsschnitte aber dieselbe Lange behalten haben, so miisste der kleinere Fliigel iiberall etwas, doch im Mittel nicht m mal dicker sein. Lasst man die Scheerungsbeanspruchung ausser Be- tracht, so muss wegen der Liingsdurchbiegung der Flugel iiberall V'mmal dicker, wegen der Querdurchbiegung konnte er um ebcuso viel mal diinner sein. Was zur Verstarkung der Liingsverbindun- gen mehr an Material gebraucht wird, kann an den Querverbin- dungen erspart werden. Der gleich dicke, oder wegen der Ab- scheerungsverhaltnisse kaum v mmal dickere Fliigel ist aber wmal schmaler, so dass er wohl AUes in Allem genommen mehr als Vm mal leichter sein kann. Diesem Umstande entsprechend konuten nun die resultirenden Kritfte am Fliigel jeder Zeit etwas mehr als \ wlmal kleiner sein, wiihrend sie aus anderen Griinden, die oben erortert wurden, nicht ganz mmal grosser sein miissen. Wir wollen annehmen, dass diese beiden Einfliisse sich un- gefiihr das Gleichgewicht halten, der gauze Nachtheil des kleineren Ucber den Flug der Vogcl. 369 Fliigels also in dur iiothweiiigen grosseren Excursionsgeschwindig- keit von £ besteht. Einem minal kleineren Fliigcl wurde also eine Vmma.\ grossere Muskelmenge cntsprecheu musseii. Leicht gelingt es nun den Einfluss einer Verkleinerung der Fliigelfliiche zu beurtheilen, die niit Verkiiizung des Fliigels ver- bunden ist. Man beurtheilt zuniiclist den Einfluss einer gleich grossen Verkleinerung, welche bloss durch Verschmalerung zu Standc gebracht wird. Die im 2. Kapitel dargelegten Grundsatze geben dann Aufschluss iiber die neue Aenderung, welche durch Verbreiterung dieses Fliigels hervorgerufen wird. Der Nachtheil eines kleinen, die Vortheile eines grossen Fliigels waren hiermit in erschopfenderer Weise dargethan , als dies bis jetzt von irgend einer Seite gescheheu ist. Es bleibt noch zu untersuchen, durch welche Umstaiide der Nutzen einer immer weiter gehenden relativen Vergr osse - rung des PMiigels beschrankt wird. Wir haben bis jetzt nicht berilcksichtigt, dass die Schwere auf deu kleineren und leichteren Fliigel anders einwirkt, und dass die Bewegung des relativ schwereren Rumpfes durch innere und aussere Krafte, und mit ihm diejeuige der Fliigelbasis eine wesent- lich andere sein muss. In der That kommt der geiinderte Einfluss der Schwere nicht erheblich in Betracht, wenn es sich urn die Verkleinerung eines bereits kleinen Fliigels handelt ; anders ware die Sache, wenn die relative Fliigelgrosse iiber eine gewisse Grenze hinaus vermehrt wiirde. Die dainit nothwendig verbundene relative Verminderung des Rumpfgewichtes muss geradezu schadlich wirken. Man hat dabei zu beriicksichtigen, dass bei Vergrosserung der Fliigelflache zwar die Excursionen urn das v m fache abnehmen konnen, bei gleich bleibendem Schlagwinkel. Die resultirenden inneren Krafte bleiben dieselben , wenn die v^w fach goringere nothwendige Be- schleunigung einen Vm mal grosseren Fliigel treff"en. Wenn nun die Masse des Rumpfes in starkerem Grade vermindert wird, was mit zunehraender Vergrosserung des Fliigels immer mehr der Fall ist, so miissen die relativen Oscillationeu des Rumpfes immer grosser werden; sie beeinflussen die Bewegung des Fiigels in ungiinstiger Weise, indem seine basalen Theile in immer ausgedehnterem Maasse den Bewegungen des Rumpfes folgen. Es miissen in Folge davon die relativen Excursionen des Fliigels doch wieder verhaltnissmassig gross sein. Auch folgt 370 Dr. H. Strasser, daraus, dass immcr mehr gerade die iiasseren Theile des Flugels den hauptsachlichen Widerstand erzeugen miisseu, was zur Folge habcn wird , dass bei m facher Vergrosseruug der Flugelflache das Fliigelgewicht verhaltnissmiissig starker, mehr als urn das v wfache waclisen muss, so dass die resultireuden inneren Krafte der e- Taiigentenebene doch etwas zunehmen miissen. Dabei ist voraus- gesetzt, dass der Fliigel seine nothwendige Festigkeit immer mit dem denkbar geringsten Aufwand an Material erreicht. Ueberdies nimmt die Moglichkeit einer raschen Aenderung der Rotation des Fliigels um quere Axen durch iunere Krafte, ohne schiidliche Gegendrehung des Rumpfes, ab (s. pg. 267). Alle diese Umstande maclien verstandlich, dass die rela- tive Vergrosserung des Flugels uicht zu weit ge- trieben werden kann. 4. Das Verhaitniss yon t : r uiid T. Prechtl ist der Meinung, dass die geringste Arbeitsleistung beim Fluge eigentlich dann gegeben sein miisste, wenn i = o ist: wenn der Vogelkorper wahrend der Fliigelhebuug nicht sinkt, so braucht er durch den Niederschlag auch nicht gehoben zu werden. So absurd cine derartige Betrachtungsweise ist, so macht es doch andererseits einige Schwierigkeiten, zu erkennen, von welchen Ver- haltnissen die Grossen T, t und t abhiingig sind. Man wird vor Allem gerade entgegengesetzt zu Prechtl festzuhalten haben, dass bei einer bestimmten gegebenen Ein- wirkung des Fliigelniederschlages auf die Gesammtmasse die Liinge der Hebung r bestimmt ist oder nur innerhalb enger Grenzen schwanken kann. % wird so lange dauern konnen, bis die Energie, welche resultirend dem System beim Niederschlag in der Richtung nach oben hinzugefiigt wurde, durch die Einwirkung der Schwere und anderer ausserer Krafte wieder vernichtet ist. Dieser Zeit- raum t wird etwas langer dauern, wenn das System wahrend der Fliigelhebung aufwarts gcrichtete Luftwiderstande erzeugt. Ab- gesehen hiervon aber, hiingt sie einzig von den Verhiiltnissen des Flugelniederschlages ab. Nach ihnen hat sich daher auch im Wesentlichen die Riickfiihrung des Flugels zu richten: sie muss in der vcrfiigbaren Zeit i vollzogen werden. Die Zeit r kann zwar in einem Fall kleiner, im andercn grosser sein, das Ver- haltniss t : t kann sich iindern , wahrend t gleich gross bleibt. Ueber deu Flug der Vogel. 371 aber es miisscn dann , wcnn nicht die zeitlichcn so doch anderc Vcrhiiltnissc des Niederschlagcs geandert sein. Wir woUeii nun zuniichst aniiehmcii, dass der Luftwiderstand in der Zeit r zum mindeston nicht am Fliigel bebend einwirkt. Die Ilebung des Flugels geschieht dann entgegen der Schwere durch innere Kriiftc und zwar im Wosentlichen durch Gelenk- drchkrafte (Voraussctzung, dass die verticalen Oscillatiouen des Ruinpfes unerheblich sind); wir wollen auch annehmen, dass es sich wesentlich um Muskelkriifte handelt. Die Hemmung der Aufwiirtsbewegung des Flugels in der zweiten Halfte der Periode geschieht durch die Schwere bei Abnahme der hcbenden Muskel- kriifte ; unter Umstjinden aber miissen zum Schluss niederziehcnde Muskelkriifte mitwirken. Bei ahnlicher Aenderung der verticalen Geschwindigkeit des Flugels in den einander entsprechenden n Phasen von t und bei ahnlicher Zu- und Abnahme der Spannung in den betheiligten Muskeln wird a) die Beanspruchung des Querschnittes unter Anderem wegen ihrer zeitlichen Dauer proportional sein der Grosse t; b) die Excursionsgcschwindigkeit aber wird dieser Grosse umge- kehrt proportional sein. Auf Grund der unsern Betrachtungen zu Grunde gelegten Hypothese von der Bedeutung der Excursionsgeschwindigkeit wurde der Schluss erlaubt sein, dass diese beiden Einflilsse sich gegenseitig Gleichgewicht halten hinsichtlich des Stoffumsatzes und der im Ganzen nothigen Muskelmenge. Ausschlaggebend fiir diese Verhaltnisse sind also hauptsachlich nur dieMittelwertheund Maxima der nothwendigen Muskelspannungen {Gatr/). Wenn die Schwere allein die Hemmung des aufsteigenden Flugels ubernimmt, so ist das Kraftefeld der verticalen Componenten von G}xty absolut gleich dcm der Schwere; die mittlere Spannung gleich der Einwirkung der Schwere auf den Fliigel (Fe). Je mehr aber zum Schluss niederziehcnde Kriifte wirken , desto grosser ist, ganz abgesehen von der Dauer, die mittlere Beanspruchung des Querschnittes der Hebemuskeln, und ausserdem kommt nun auch noch eine Inan- spruchnahme der Niederzieher in Betracht. ^). ^) Ausserdem hiingt die Beanspruchung des Muskelquerschuittes aber noch ganz besonders von der maximalen Spannung ab, und diese wiichst fiir die Hebemuskeln sowohl, als fiir die Niederzieher umge- kehrt wie t^ (bei m mal grosserera t und sonst gleichen Verhiilt- nissen sind die resultirenden verticalen Geschwindigkeiteu und Ge- schwiudigkeitsanderungen des Fliigels in ahnlich nummerirten, w mal 372 Dr. H. Strasser, Wirken nun neben den inncren Kraften und der Schwere auch noch Luftwiderstaude vertical auf den Fliigel, so geschieht dies so, dass sie zu Anfang eher die Hebung hindern ; am Schluss der Hebung aber wirken sie, wenn uberhaupt, nach oben. Immerhin kann durch dieselben die mittlere Spannung der Flugelheber unter Umstandeu bedeutend entlastet werden. Diese ihre Wirkung kann um so mehr und um so friiher in der Zeit in Frage komnien, je liinger r, und je friiher in der Periode die nothige supinatorische Umstellung des Flugels voUzogen ist; je grosser ferner die Fliigelflache und ihre Supinationsstellung zum Trajectoriuni, und je kleiner die horizoutale Geschwindigkeit des Ganzen. Wir kommen also zu dem Schluss, dass eine Verkleinerung V 0 n T, wie sie etwa mit einer Ermiissigung der Gewalt des Nieder- sohlages (bei gleich bleibendem Schlagwinkel) Hand in Hand gehen konnte, nameutlich dann nachtheilig ist, wenn in Folge davon Muskelkrafte nothwendig werden, um den rasch emporgeschnellten Fliigel rechtzeitig anzuhalten, und dass andererseits eine Ver- grosserung von t jedenfalls dann aufhort an und fiir sich vor- theilhaft zu sein, wenn die Drachenwirkung des Flugels wiihreud der Hebung aus irgend einem Grunde nicht weiter gesteigert werden kann. Hierbei ist zu beriicksichtigen, dass diese Drachen- wirkung keinen absoluten Vortheil darstellt, sondern eine Um- wandlung von horizontaler locomotorischer Leistung in verticale. (Dariiber Naheres im Cap. 6). Bei verhiiltnissmassig kleinem Fliigel miissen im allgemeinen die relativen Excursionen schneller erfolgen, damit der geniigeude locomotorische Widerstand erzeugt werde. Da nun aber eine der- artige Aenderung gerade auf die Drachenwirkung des Fliigels bei der Hebung, die wesentlich von der absoluten Vorbewegung des Ganzen abhiingt, nur wenig einwirkt, so ist an sich keine so grosse Nothwendigkeit vorhanden, dass auch die Hebung des Fliigels rascher vollzogen wird. Dies ware an sich wegeu der kleinereu Fliigel- flache und geringeren Drachenwirkung trotz der geriugeren Masse grossereu Theilstucken von t /// mal kleiucr, die resultircnden Kriifte also OT^mal kleiner). Fiir die Niederziehcr koramt eine Erhohung des Maximums bei sonst gleichen Verhilltnissen uicht so sehr in Betracht, weil hier mit Bezug auf / Uebciiluss an Muskelqucrschuitt vorhanden ist, wohl aber fiir die Hebeniuskoln , die wesentlich nur bei r funk- tioniren. Man hat aber zu beriicksichtigen, dass hier das Prinzip des Arbeitssammlers benutzt sein konnte. Ueber den Flag dcr Vogel, 373 (les Fliigels nur nachthcilig. Man mochtc deshalb vermuthen, dass hier die Schnelligkeit des Niedcrschlages womoglich nicht nur so weit gesteigcrt wird, dass entsprechend der Zeit t ebensoviel verticalcr Luftwiderstand erzeugt wird, wie bei sonst gleiclien Verhiiltnissen und grosserem Fliigel, sondcrn noch mehr. Es braucht dann t fiir denselben Schlagwinkel nicht so sehr kleiner zu werden ; — wiirde dann wachsen. Die auf S. 249 angefuhrten Messun- V gen von MAKEYiiber das Verb ill tniss von T, t und 7 scheinen zu bestiitigen, dass bei relativ kleinem Flugel die Dauer der Hebung weniger verkiirzt ist , als diejenige des Niederschlages. Bei sehr grossen Flugeln mochte etwas Aehnliches, nur ini ent- gcgengesetzten Sinne Geltung haben. Immerhin findet man, dass bei kleinen Flugeln audi die Hebung des Fliigels noch unvortheilhaft genug vor sich geht; gerade hier zeigt sich die Heberauskulatur besonders stark ent- wickelt , wiihrend bei sehr grossfliigeligen Thieren, wo die Drachenwirkung des Flugels, ausserdem aber noch die grossen Rumpfoscillationen (durch die Gelenkaxenkriifte) zur Hebung des Flugels beitragen, die Hebemuskelu auffallend klein sind. Kleine Thiere haben im Allgemeinen starker ent- wickelte Fliigelhebemuskeln , als grosse Flieger; dies hangt wohl damit zusammen , dass diese Thiere iiberhaupt mehr Muskulatur zn Extraleistungen, zur Erzeugung einer verhaltnissmassig grossen Vorwartsgeschwindigkeit , zum stationaren Flug, Steigen u. s. w. zur Disposition haben , wie im Folgenden noch bevviesen werden soil. Sie steigern vielleicht die Horizontalgeschwindigkeit , indem sie bei der Hebung die supinirten Riickflachen der Flugel gegen die Luft schlagen ; bei den angefuhrten iibrigen Flugleistungen ist unter alien Umstanden ein grosserer dorsaler Widerstand un- vermeidlich. 5. Abhaiigigkeit der Muskelarbeit Ton der Grescliwiiidiglieit der Bewegung des Oanzen gegeiiiiber dcm umgel)endeii Medium. Bis jetzt haben wir erfahren, dass bei derselben locomotorischen Kraft die Grosse der aufzuwendenden Muskelarbeit je nach dem Bau und der Bewegungsform des Apparates verschieden ist. Jetzt mussen wir in's Auge fassen , dass bei derselben locomotorischen Kraft auch die Verhaltnisse des ausseren Mediums und in Ab- 374 Dr. H. Strasser, haiigigkeit hiervon die Arbcitsanspriiche verschieden sein konnen. Ich will dabei nicht den Eiufluss der Dichte des Mediums, etwa die Verschiedenheitcn des Fliiges in diinner oder dichterer Luft in Betracht Ziehen, souderu wesentlich nur die Geschwindigkeit, niit welcher sich der ganze Apparat im Mittel gegeniiber dem Medium, oder dieses an dem Apparate vorbei bevvegt. Unserer Definition gemass ist dieselbe locomotorische Kraft erforderlich, um einen Organismus mit einer Vorderfliiche Z' und der Geschwindigkeit v oder einen solchen, dessen Vorderfliiche f - ist, mit der Geschwindigkeit v.V n gegen die Luft zu bewegcn. Im ersten Fall aber ist die dazu nothwendige Arbeitsleistung, bei gleichem Bau des Apparates, eine geringere, weil das um- gebende Medium sich mit geringerer Geschwindigkeit an dem Apparat vorbei bewegt und deshalb kleinere Excursion en der Flachen, welche denselben locomotorischen Widerstand erzeugen miissen, nothwendig sind. Keinem andereu Umstand als diesem ist zuzuschreiben , dass mehr Muskelarbeit erforderlich ist, um einen Korper vom Gewicht P mit gleichmassiger mittlerer Ge- schwindigkeit aufwJirts zu bewegen, als um ihn in demselben Niveau zu erhalten. Wir konnen daher sehr wohl die Verhiiltnisse der hoiizontalen Fortbewegung durch diejenigen der verticalen, des Steigens und das Steigen durch die Verhiiltnisse der hori- zontalen Fortbewegung erlautern. Doch will ich mich hier auf wenige Bemerkungen beschranken. Die Richtung der locomotorischen Kraft hangt jeweilen wesent- lich von der Richtung der Sagittalprofile des Flugels und den Grossenverhaltuissen der senkrecht dazu wirkenden Sagittalcom- ponenten des Widerstandes ab. Ihre durchschnittliche Richtung ist eine Mittelrichtung zwischen den verschiedenen Eiuzelrichtungen der Sagittalwiderstiinde, welche denjenigen Extremen nilher liegt, die eine starkere und langer dauernde Einwirkung des Wider- standes reprasentiren. Warum liegcn nun die Sagittalprofile nicht jeder Zeit senk- recht zu der Richtung der resultirend nothwendigen locomotori- schen Kraft, und warum werden sie nicht, soweit die relative Bewegung in Betracht kommt, in dieser Richtung bewegt? Dies ist vor Allem bedingt durch die Combination der relativen Be- wegung mit einer Bewegung des Ganzen. In Fig. 28 seien eo = m, e^o = m^, e^o = m'\ alles ver- schiedene Werthe fur die Geschwindigkeit des Ganzen im Ver- Ueber den Flus tier Vosel. 375 hiiltniss zur rclativcii Gescliwindigkeit eincs Punktes des Fliigols. Der Radius r des Halbkrcises sei das Mass dcr maximaleii rela- tiveii Geschwiiidigkeit dieses bestimmteii Punktes. 1st die relative P)ewegung == op, so ist das resultirende Trajcctorium = ep, e^p, e^p, u. s. w. Ist op^ die Riclituiig der relativen Bevvegung, so ist ep* resp. f'p', e^j)^ etc. das Trajectorium, Ist Jch^ die Riclitung der loconiotorischen Kraft, so ist die Bewegung der FUlche eiiic iiiitz- liche, wenn sie mit der von k abgewendeten Seite voran ihr Tra- jectorium durclimisst, also /. B. in den Stcllungen, welclic in Fig. 2S anf den Piichtungen c^^ji, e^p^ und ej) durch kurze schriige Linien (weniger schriig als Jck^) angedeutet sind. Fig. 28. Es giebt fiir jeden Winkel y und jedes Verhaltniss von m zu r eine giinstigste Richtung von r und von dem Sagittalprofil mit Bezug auf die Grcisse der Widcrstandscomponente, vvelchc in die Richtung olc^ entfallt. Nun ist an alien Punkten des Fliigcls die Richtung der relativen Bewegung im gleichen Moment jeweilen dieselbe , die Grosse verschieden ; eine grossere Divergenz der Richtung des Fliigelschlages mit der Richtung der Bewegung des Ganzen ermoglicht alien Punkten des Flugels, sich bei der Er- zeugung des locomotorisch niitzlichen Widerstandes zu betheiligen; es muss dann an den Punkten mit kleinerem r die Richtung des Sagittalprofils nothwendiger Weise mehr parallel zu m sein. Fiir die Stellungen der Sagittalprofile bleibt iiberhaupt umsomehr Spielraum, je grosser der Winkel cp ist (je uaher an 90°) und je kleiner m gegeniiber r; es kann dann die Widerstandsrichtung uuter Umstilnden sowohl nach der einen als nach der anderen Seite von k^ erheblich abweichen. Der Niederschlag kann sich hier nach den gunstigsten Verhiiltnissen zur Riickbewegung richten. Wo aber (bei grossem m und kleinem (p) die mogliche Richtung 37G Dr. H. Strasser, des Widerstandes beim Niederschlag nur in engen Grenzen variiren kanii , muss der Ruckschlag sich nach dem Niederschlag ricliten, damit die Wirkungcn beider sich ergiinzen koiiiien. Man erkennt auch leicht, dass dieVergrosserung vonm urn sofriiher ihreGrenzen haben muss,je kleiner y, wenigstens wenn cine gleichformige Bewegung bestehen soil ; diese Grenze ist ferner um so eher erreicht, je grosser bei sonst gleichen Verliiiltnissen die Anforderungen an die locomotorische Kraft sind; deshalb z. B. bei der aufsteigenden Bewegung des Ganzen schon bei ge- ringerem w, als bei horizontaler Bewegung. Von der allergrossten Wirksarakeit ist natiirlich bei zu- nehmender Grosse von m die moglichste Vergrosserung von r; sie erlaubt eine grossere Annaherung der relativen Bc- wegungsrichtung an kJc\ und der Kichtung der Sagittalprofile an die zu kk^ senkrechte Sagittalrichtung. Grosseres r ermoglicht eine Stcigerung der maximalen Flugleistung, erfordert aber grossere Muskelmenge, oft in viel starkerem Verhiiltniss. Es handelt sich aber wirklich oft weniger um moglichst sparsame Arbeitsleistung als vielmehr darum, den Flug bei einem moglichst grossen m iiberhaupt zu unterhalten , koste es was es wolle. Aus diesen allgemeinen Grundsatzen erklaren sich die Ver- schiedcnheiten in dor Richtung des Fliigelschlages und der Sagittal- profile bei verschiedenen Arten des Fluges. Beim fast stationiiren Flug ist m = 0 h aufwarts gerichtet, beim Beginn des horizontalcn Fluges ist m klein, fast horizontal, (p ein spitzer Winkel, die locomotorische Kraft vorwarts aufwarts gerichtet. Bei raschem horizontalem Fluge ist if vielleicht noch kleiner, m jedenfalls be- deutend grosser und horizontal; beim Steigen ist m um so kleiner, je steiler das Aufsteigen ist, aber natiirlich dabei auch um so steiler aufwarts vorwarts gerichtet {cp um so kleiner). Steigen. Beim Steigen (vgl. pg. 251) richtet sich die Langsaxe des Korpers in die Richtung der resultirenden Bewegung, damit der Widerstand am Rum])f mr)glichst klein sei. Bei steilem Aufstieg, der besonders charakteristisch ist, fiillt die Richtung der resul- tirenden locomotorischcn Kraft mehr mit der Langsaxe des Thieres zusammcn, bildet aber natiirlich imnicr noch mit der Be- wegungsrichtung m oben vorn cinen spitzen Winkel {tp); m ist vcrhiiltnissmiissig klein, trotzdem erfolgt der Fliigelschlag nicht in einer Verticalebene, auch nicht in einer Querebene zum Rumpf, son- Ueber den Flug der Vogel. 377 dern relativ zum Runipf von oben hinten nach unten vorn ; die Trajec- torien der Fliigelspitzc aber haben beim Niederschlag eiiien etwas mehr horizontalen, bei der Hebung eincii mchr verticalen Verlauf (s. pg. 251). Weil aber m kleiii ist, besteht Spielraurn fiir die Stelhing der Sagittalprofile beim Niederschlag; an sich konnten sie sehr wohl untcr Umstiinden pronirt sein ; doch ist dies niit der Auf- richtung des Runipfes wegen der beschriinkten Moglichkeit der Pronation des Fliigels im Schultergelenk nicht gut vertraglich; es konnte aber, wenn nur die Verhaltnisse von t in Betracht kiimen, auf die Schriigstellung des Rurapfes verzichtet werden. Nun aber kommt noch in Betracht, dass^ der Fliigel bei der Hebung steil und rasch emporgehen muss; hierbei den Widerstand moglichst klein zu halten, ist Hauptsache; daher moglichste Supination des Fliigels, und daher Supination des Rumpfes, daher auch ist der Fliigel beim Niederschlag im Ganzen supinirt. Es richtet sich also hier wirklich die Stelhing der Sagittalprofile beim Nieder- schlage nach den Verhaltnissen bei der Hebung. Es giebt auch bei dieser Bewegung einen Moment, in welchem die A.ufwartsbewegung des Gesammtschwerpunktes zu wachsen beginnt, und einen zweiten, in welchem sie anfangt abzunehmen, und zwei andere Momente in der Periode, wo die Geschwindigkeit = der mittleren Aufwartsgeschwindigkeit ist; letztere entsprechen dem Hoch- und Tiefstand des Gesammtschwerpunktes beim hori- zontalen normalen Flug; man kann sie als relativen Hoch- und Tiefstand, die Zeiten zwischen ihnen als Zeiten der relativen Senkung und Hebung des Ganzen bezeichnen; die relative Senkung wird fiir gewohnlich auch annahernd eine absolute Senkung sein. Der niitzliche verticale Widerstand muss bald nach Beginn der relativen Senkung und zwar verbal tnissmassig rasch in seiner ganzen Wirkung entwickelt werden. (Vergl. S. 187). Das Kraftefeld dieses Widerstandes ist natiirlich sowohl im positiven als im negativen Theil erheblich grosser als beim nor- malen horizontalen Flug. In der ^-Richtung sind zwar die Wider- stiinde am Runipf gering, am Fliigel aber nach beiden Richtungen sehr betrachtlich , die Schwere wirkt nicht anders als beim hori- zontalen Flug. Der Fliigel macht grossere Excursionen in kiirzerer Zeit, die resultirenden Kriifte an ihm sind sowohl in der v- als in der 0-Richtung vergrossert, die inneren Krafte wegen der eben- falls vergrosserten Widerstande natiirlich noch um etwas mehr, ganz besonders gross aber ist die Excursionsgeschwindigkeit, vor AUem aus beim Niederschlag. Die ganze Muskelarbeit muss dem- Bd. XIX. N. F. XII. 25 378 Dr. H. Strasser, nach eine erheblich grosserc sein, als beim normalen horizontalen Flug mit mittlerer Geschwindigkeit. Beginn des horizontalen Fluges. Audi hier waren an und fiir sich beim Niederschlag vcr- schiedene Moglichkeiten der Bewegung sovvohl hinsichtlich der Richtung des Schlages als der Stellung und Stellungsiinderung der Sagittalprofile denkbar; dieselben vermindern sich, wenn bei der Bewegung des Fliigels niemals der Hinterrand voran gegen die Luft gehen darf. Sodann sind die Verhaltnisse der Hebuug von Einfluss. Stationarer Flug. Riitteln. Hier ist ebenfalls der dorsale Widerstand am Fliigel sehr gross und stark nach vorn gerichtet; beim Niederschlage muss dementsprechend eine sehr grosse verticale Widerstandscomponente entwickelt werden. Will das Thier seine horizontale Bewegung nicht beschleunigen, so erfolgt ausserdem der Niederschlag mit supi- nirten Sagittalprofilen , doch mehr direkt nach unten als beim Steigen. (Ueber den stationaren Flug der Insecten s. Stkaus- DtJRCKHEiM und Maeey). Beim Rutteln sind sicher die Anforde- rungen an die Muskulatur auch noch in Folge der Langsrotationen vermehrt, sowohl was die Spannungen als was die Verkiirzungs- geschwindigkeiten betrifft. In der Kegel sind bei den Vogeln die Einrichtungen der Flugelgelenke, des Fliigels selbst und der Flug- muskeln dem stationaren odcr annahernd stationaren Fluge wenig angepasst. Aus diesen Griinden ist die Arbeitsleistung hierbei eine sehr grosse, wahrscheinlich eine grossere als beim horizon- talen Fluge mit mittlerer Geschwindigkeit. Dies muss um so mehr der Fall sein, wenn die von Maeey hinsichtlich des Verhaltens des Luftwiderstandes (s. pag. 213) geltend gemachte Ansicht richtig ist. Die Thiere wurden sich dann beim stationaren Fluge so verhalten , als ob sie mit kleineren Fliigeln gegen eine ebenso gut wie beim progressiven Fluge widerstehende Luft schlagen wurden. Einfluss der Geschwindigkeit beim horizontalen Normalflug. Die vorausgegangenen allgemeinen Erorterungen lassen uns gut verstehen, warum der Fliigel fiir gewohnlich wesentlich in einer zur Fortbewegungsrichtuug senkrechten Ebenc hin und her TJeber den Flug der Vogel. 379 schlagen muss. Die locomoforische Kraft ist vorwiirts aufwiirts gerichtet. Die Bedingungen zur Entwicklung eines vorwarts gc- richteten Widerstandes am Fugel sind bei horizontaler Bewegung des Ganzen um so ungunstiger, je kleiner r im Vergleich zu m, Oder je gestreckter die Trajectorien verlaufen, sowohl beim Nieder- schlag au der Unterseite, als bei der Hebung an der Oberseite des Fliigels. Dahcr kommen wesentlich nur die ausseren Theile des Flugels als Locomotiousorgan fur die ^-Richtung in Betracht. Schon allein wegen seiner basalen Lagerung kann der Wind- fang unmoglich fur die horizontale Beschleunigung von wesent- lichem Belang sein, wie Prechtl annimmt. Es ist zur Zeit kaum moglich, genau zu beurtheilen, wie die Muskelarbeit mit der Steigerung der Vorwartsgeschwindigkeit wachst. Man muss natiirlich unterscheiden den Uebergang von einer geringeren Geschwindigkeit zu einer grosseren und den gleichformigen Flug bei schon erreichter grosserer Geschwindig- keit. Fine Beschleunigung wird erzielt durch Vermehrung der relativen Excursionsgeschwindigkeit nach unten ; dies kann bei gleichem Schlagwinkel unter Verminderung von t oder bei gleich- bleibendem t unter vergrossertem Schlagwinkel geschehen. Dabei wird der absteigende Theil der Trajectorien steiler; die Pronation kann zunehmen, doch kaum in so starkem Massstab, dass nicht auch zugleich die verticale locomotorische Wirkung vermehrt wird. Daraus erklart sich, dass zur Beschleunigung der Horizon- talgeschwindigkeit bei Verbleib in demselben horizontalen Niveau nicht bloss die verticale Excursionsgeschwindigkeit, sondem zugleich diejenige in der ^f-Richtung nach hinten vermehrt wird; dadurch wird der absteigende Theil der Trajectorien noch steiler und eine noch grossere Pronation erlaubt. Damit eine solche nun wirklich zu Stande kommt, muss der Fliigel etwas eingezogen, das Ell- bogengelenk muss gebeugt, der Vorderrand der vorderen Flughaut und des Handgelenkes entspannt, und dieses selbst starker gebeugt sein. Ich bin aber der Meinung, dass die Aktion der Handge- lenkbeuger selbst einen Theil der locomotorischen Mehrarbeit iiber- nimmt^). ^) Wenn bei dieser Bewegung das Handgdlenk geniigend weit hinter das Schultergelenk gelangt ist, so kann der gebeugte Ellbogen mit Nutzen fur den Vorstoss wieder gestreckt werden. Dass bei derselben Aktion zuerst die Beuger, dann die Strecker derselben (des Ellbogengelenkes) wirksam sind, darf nicht wundern. Ich habe darauf hingewiesen (Ueber die Grundbedingungen der 25* 380 Dr. H. Strasser, Steigert sich auf diese Weise die horizontale Geschwindigkeit mehr und mehr, so werden bei derselben Geschwindigkeit der rela- tiven Bewegung die Trajectorien allmiihlich gestreckter, die schild- lichen Widerstande am Rumpf und am Fliigel vermehren sich, die niitzliche Excursion der pronirten Fliichen des Fliigels wird geringer, die Beschleunigung nimmt ab ; es stellt sich ein Gleich- gewichtszustand her. Schliesslich kann trotz aller Verschwendung von Nerven- und Muskelkraft die Geschwindigkeit der Muskel- verkiirzung nicht weiter gesteigert werden; das Maximum der horizontalen Geschwindigkeit ist erreicht^). Nutzen langer Flugel. Die langen Fliigel sind vor Allem grosse Flugel, welche ja tiberhaupt vortheilhaft sind. Es sind grosse und schmale Flugel. Die grossere Schmalheit giebt ihnen die Moglichkeit eines grosseren horizontalen Schlagwiukels, sie sind daher zu schnellem Vorwartsfluge besonders geeignet. Meist ist an ihnen die Schwinge besonders schmal und lang, so dass die Vortheile einer Beugung und Lockerstellung des Handgelenkes einem grosseren Theile des Fliigels zu gute kommen, zugleich aber die Beugung in ausgiebigerem Masse sowohl im Handgelenk als im Ellbogen vorgenommen werden kann. Es mochte zum Schluss am Platze sein, die Grundlagen zu activen Locomotion. Halle 1880 pg. 60), dass beim Sprung des Menschen am Kniegelenk des Actionsbeines ganz Aehnliches statt- findet; so lange der Fuss vor dem Hiiftgelenk steht, ware eine Aktion der Kniegelenkstrecker nur schadlich; es wirken daher nur 1) die Muskeln hinten am Hiiftgelenk auf den Oberschenkel wie auf ein Ruder, das am oberen Ende des gebeugten Untersclienkels seinen "Widerstandspunkt hat ; die Tibia wird dabei der Lange nach zusam- mengedrlickt und mit dem oberen Ende an sich nach hinten gedriingt. 2) Indem aber zugleich mit den eingelenkigen Muskeln der Hiifte die hinten am Hiift- und Kniegelenk vorbeiziehenden Muskeln sich zu- sammenziehen, was sich durch Beobachtung nachweisen liisst, wird das Kniegelenk nach vorn durchgedriickt und starker gebeugt, wobei der TJnterschenkel als Ruder wirkt, das seinen Widerstandspunkt am unteren Ende hat. Wenn aber die nach vorn getriebene Hiifte iiber den Fuss hinaus nach vorn gelangt ist, kann cine Streckung des Kniees mit Vortheil fur die Aufwarts - und Vorwartsbewegung be- ginnen. ') Kleine Vogel , um eine moglichst grosse Horizontalgeschwin- digkeit zu erlangen , lliegen in Wellenlinien , gewinnen Vorwiirtsbe- sclileunigung (ohne Fliigelschlag) durch das Abwiirtsgleiten auf pro- nirten Flachen und vermindern den ?-Widerstand durch Anlegen der Fliigel. Nur an den tiofsten Stellen der Trajektorien erfolgt Fliigel- schlag, der u. a. auch die Supination des Ganzen bewerkstelligt. Uebcr den Flug dcr Vogel. 381 prufeii , auf wclclieu Puechtl seine m a t h e m a t i s c h e n F o r - meln uber die Wirkung des Fliigelschlages zur Vor- bewegung aufgebaut hat. Pkeciitl nimnit zunachst den Flugel als eben an, bezeichnet den Pronationswinkel seiner Sagittalprofile mit a, sucht nachzu- weisen, dass der relative Niederschlag ani besten in der Normal- richtung der Flugelflache erfolgt (pg. 170). Er setzt voraus, dass die Winkelgeschwindigkeit eine gleichmassig beschleunigte sei, und bezeichnet dieEndgeschwindigkeit imWiderstaudspunkt mit C und die absolute Geschwindigkeit in der Richtung der Nor- malen mit C — v.sina, wenn v die Horizontalgeschwindigkeit des Ganzen bedeutet. Nun aber setzt Prechtl fiir die Bewegung des ganzen Flugels die Bewegung einer im Widerstandspunkt concen- trirt gedachten Flugelflache, oder mit anderen Worten, er nimmt an, der Widerstand, der thatsachlich unter den genannten Vor- aussetzungen erzeugt wird, sei im Ganzen genau so gross, als ob alle Theile der Flugelflache sich wie die im Widerstandspunkt gelegene Flache gegen die Luft bewegeu wiirden, Um diesen Punkt zu berechnen, berucksichtigt er nur die relative Bewegung des Flugels, was natiirlich total unrichtig sein muss, selbst wenn fur v = 0 eine derartige Betrachtungsweise zulassig ware, da zwar die verticalen Geschwindigkeiten, aber nicht die horizontalen, also auch nicht (wenn a ^ 0) die zur Flugelflache normal verlaufenden Ge- schwindigkeiten im Drehpunkt = 0 sein und proportional der Eutfernung vom Drehpunkt zunehmen konnen. Auch der Be- rechnung des genauen Werthes der reducirten Flugelflache, welche nach Prechtl dieselbe Wirkung zur Vorwartsbewegung haben soil, wie der wirkliche Flugel, wenn sie jederzeit parallel und gleich wie die Flache am Widerstandspunkt bewegt wird, liegen ahnliche irrige Anuahmen zuGrunde, doch will ich darauf nicht naher eintreten (S. 173, 175 u, fl".). Gesetzt nun aber, die reducirte Flugelflache Fo und die Geschwindigkeit der Bewegung des Widerstandspunktes ware wirklich massgebend fiir den in der ;3!-Richtnng entwickelten W^iderstand, so ist es doch hochst sonder- bar und ungerechtfertigt, dass der zur Vorbewegung dienende Widerstand unter anderm dem Quadrate der Endgeschwindig- keit in der Normalrichtung des Flugels, also {C—vsinay pro- portional gesetzt wird, was doch ofi'enbar nur von dem maximalen, am Ende des Niederschlages entwickelten Widerstand angenommen werdcn kann, und dass nun im nachsten Moment dieser Wider- 382 Dr. H. Strasser, stand dem an den Vordertheileu von Riimpf uud Fliigel eutvvickel- ten scbadlichen Widerstand, der v'^ proportional ist, gleichgesetzt wird, ohne alle Beriicksichtigung der verschiedenen Dauer der Einwirkung. Seiches konnte doch uur verstandlich sein , wenn der mittlere, vorwarts treibende Widerstand am Fliigel gemeint ist den man sich gleichmassig und ohne Unterbrechung wirkend denkt. Es ist daher auch derjenige Abschnitt in Prechtl's mathematischer Theorie , welcher sich auf die Verhaltnisse der Vorwartsbewe- gung bezieht, ganzlich unbrauchbar. 6. Aenclerung der Verhaltnisse des Ruinpfes. Uinwaiulluiig Ton locoinotorischer Kraft der ;«-Richtung in Auftrieb. (Draclienwirkung). Bis jetzt haben wir den Verhaltnissen des Rumpfes wenig Rechnung getrageu; es wurde zugestanden, dass bei jeder Aen- derung in der Einwirkung der inneren Krafte am Fliigel, wie sie durch Aenderung der Schlagfrequenz, des Schlagwinkels, der Form Oder Grosse des Fliigels, des Verhaltnisses t'.r hervorgerufen werden muss, in derselben Weise die inneren Krafte am Rumpf betroflfen sind, haben aber angenommen, dass das periodische Gleichgewicht aller Krafte am Rumpf hierdurch nicht gestort wird. In der That treffen die Abanderungen in alien diesen Fallen fast gleichmassig ebeusowohl diejenigen inneren Krafte, welche den Rumpf heben, als diejenigen, welche ihn nach unten treiben. Kleine Veranderungen in der Art und Hohe der Runipfoscilla- tionen, in dem direkten Bewegungsaustausch zwischen Fliigel und Rumpf durch Gelcnkaxenkrafte , in den Verhaltnissen der von Rumpf- und Fliigelbasis hervorgerufenen Luftwiderstande , viel- leicht auch kleine Abanderungen des Verhaltnisses t:T miissen aber eine gewisse Hohe erreichen, bevor das periodische Gleichge- wicht der auf- und abwarts gerichteten Krafte und Bewegungeu fiir den Rumpf so gut als wie fiir den Fliigel wieder hergestellt ist. Immerhin glaube ich nicht, dass durch diese Modificatiouen in der Bewcgung des Rumpfes, indem sie wieder auf die Ver- haltnisse der Flugelbewegung namentlich seiner basalen Theile zuriickwirken , die in den letzten Kapiteln gewonnenen Resultate in Frage gestellt werden. Es genugt, wenn zum Schluss ganz im AUgemeinen die Ver- anderungen der Arbeitsleistung der Muskulatur besprochen werden, welche von den Aenderungen der VerhiUtnisse des Rumpfes und der Fliigelbasis abhiingen. Ich verweise in dieser Beziehung zu- Ueber deu Flug dcr Vogel. 383 nJichst auf das was auf S. 266 u. ff. iiber die Oscillationen des Rumpfes gesagt wordeu ist. Bei gleich bleibender locoraotorischer Leistung macht naturlich jede Vergrossurung der aufwarts gerichteten verticalen Widei- stJinde am Rumpf und an der Fliigelbasis eine entsprechende Ver- minderung derjenigen an den ausseren Theilen des Flugels mog- lich, und umgekehrt jede Vermehrung der abwiirts gerichteten Wi- derstiinde an jenen Theilen eine Vermehrung der letzteren noth- wendig. Und jedes Anwachsen der schadlichen ^;-Widerstaude am Rumpf und der Fliigelbasis bedingt eine Vergrosserung der niitzlichen ;^-Widerstande am Flugel u. s. w. Die Ausnutzung der Rumpf- oscillationen zur Entwicklung eines niitzlichen ^-Widerstaudes, in- dera der Rumpf und die Fliigelbasis beim absteigenden Theil ihrer Trajectorien mit pronirten Unterfiiichen gegen die Luft gehen, k()nnte unter alien Umstanden beim Normalflug nur gering sein, da die Trajectorien auch im giinstigsten Fall noch ziemlich flach verlaufen. Thatsiichlich aber ist eine derartige Anpassung der Stellung des Rumpfes an sein Trajektorium nicht nachzuweisen; die Langsrichtung des Rumpfes dreht sich iiberhaupt im Ganzen nur weuig auf und ab. Da nun aber vor Allem ein dorsaler Widerstand am Rumpf vermieden werden muss, was beim Aufsteigeu des Rumpfes nur durch supinirte Stellung desselben moglich ist, so wird auch wahrend des Absteigeus im Allgemeinen eine supi- natorische Neigung der Rumpfaxe vorhalten. Im Vergleich zum Absteigen mit horizontaler Rumpfaxe ist dabei der niitzliche ver- ticale Widerstand an der Unterseite vermehrt; daueben macht sich natiirlich auch ein schadlicher rtickwarts gerichteter ^-Wider- stand geltend. Doch ist dieser Modus an sich unter den obwal- tenden Verhaltnissen der gtinstigste Modus der Ausnutzung der Rumpfoscillationen fiir die Locomotion. Es lasst sich zeigen, dass bei geringer supinatorischer Nei- gung der Rumpfunterflitche die niitzliche vertical aufwarts gerichtete Componente des Luftwiderstandes grosser sein kann, als die riick- warts gerichtete. Handelt es sich hier um eine wirkliche Kraft- ersparniss? Da die Grosse der Bewegung des Rumpfes gegen die Luft nur zum geringeren Theile von den Oscillationen des Rumpfes, zum weitaus grosseren Theil vielmehr von der horizontalen Ge- schwindigkeit des Ganzen abhangt, so konnen wir ganz allgemein untersucheu, in wie weit es vortheilhaft ist, supinirte Flachen und horizontale Geschwindigkeit zum Ge- 384 ])r. H. Strasser, wiiiu vou aufwarts gerichtctcm verticalcu Wider- stand (Auftrieb) zu benutzen. Wir wollen eine derartige Wirkung als Drachenwirkung bezeichnen. Irgend ein ebenes Stiick Br der Dracheuflache , das zur Sagittalebene senkrecht steht und von der Seite gesehen zu einer Linie verkiirzt erscheint (Fig. 29), bewege sich mit der horizontalen Fig. 29. Geschwindigkeit m = oa in der Rich tung zz'\ das entspricht einer BeweguDg in derRichtung der Normalen oa =m'=msiny, wobei y den Supinationswinkel bedeutct, und einem Widerstand in der Normalrichtung, welcher durch od oder kurz gesagt durch die Linie d dargestellt ist ; seine verticale Componeute dv = d. cos y, die horizontale Componente dz = dsiny. Setzen wir fZ=c.-F(wO^ Oder n.{my, so ist dv = n.m.^sin^ycosy, welcher Werth ein Maxi- mum hat fiir / = 54<>50 und ein Minimum ftir y = o oder 90", dz = n. m. ^ sin ^ /, (Minimum fur / = o, Maximum fiir / == 90 *' ). Wir machen nun die Voraussetzung , dass dera Druck dv durch die Schwere oder andere, den Rumpf abwarts treibende, unvermeid- liche schadliche Einfliisse das Gleichgewicht gehalten werde. Da- mit auch in horizontaler Richtung das Gleichgewicht der Kraftc erhalteu bleibe, muss an dem Korper, zu welchem JDr gehort, wegen der ^r-Componente des Widerstandes auf die Drachenfliiche eine Kraft = (?^ vorwarts wirken. Ware Dr parallel zz\ so wiirde die aufwarts gerichtete ver- ticale locomotorische Kraft um den Betrag dv zu klein sein, es wiirde dafur aber fiir die Bewegung in der ^-Richtung die loco- motorische Kraft dz iiberflussig. Durch die Drachenwirkung wird also locomotorische Kraft der z- Richtung absorbirt und dafiir verticale locomotorische Kraft gewonuen. . Fiir y<:45" ist dv^dz, der Gewinn also scheinbar griisserals der Vcrlust, im V e r h a 1 1 n i ss um so grosser, je kleiner y. Der a b - Ueber deu Flug der Vogel. 385 solute G u w i n 11 an 1 o c o in o t o r i s c h e r Kraft dv — dz mt bei gleich grossem Dr und gleicher Horizontalgeschwindigkeit m am grossten , wenu der Differentialquotient dieser Differenz = o ist, oder wenn 6m^y-j-3smy = 2cosy, was ungefahr bei y = 30'* der Fall ist; es ist dann d0 ungefahr = | dv. Wiirde nun die Muskelarbeit, oder sagen wir lieber der Mus- kelstoffumsatz in der Zeit bei der Erzeugung einer bestimmten locomotorischen Leistung in der ^-Richtung doppelt so gross sein, als bei derselben locomotorischen Leistung in verticaler Richtung, so ^Yurde die Drachenwirkung bei alien Supinationsvvinkeln, die kleiner als 30** sind, mit Vortheil stattfinden konuen. Je un- giinstiger aber in der ^-Richtung gegeniiber der v- Richtung das Verhaltniss zwischen Muskelstoffum- satz und locomotorischer Leistung ist, destokleiner ist die noch mitVortheil verbundene grosstmogliche Supinationsstellung der Drachenflachen. Nun geht aus den Erorterungen des vorigen Kapitels wohl mit Sicherheit hervor, dass die ^-Richtung sich jenseits gewisser Grenzen der horizontalen Geschwindigkeit des Ganzen hinsichtlich des Verhaltnisses zwischen Stoffumsatz und locomotorischer Leistung sehr viel ungiinstiger verhalt, als die v-Richtung; daraus folgt, dass nur kleine Supinationswinkel mit Vortheil verwendbar sind, um so kleinere, je grosser die horizontale Geschwindigkeitmist. Je kleiner aber y, desto kleiner ist bei sonst gleichen Ver- haltnissen der absolute Werth von dv. Der absolute Betrag eines mit sparsamerem Stoffumsatz durch Drachenwirkung von nur wenig supinirten Flachen gewonnenen Auftriebes kann nur d urch Vergrosserung der Drachenflache gesteigert werden (eine Vergrosserung von m wiirde eine weitere Verklei- nerung von y nothig machcn und eine weitere Verminderung des absoluten Werthes von dv zur Folge haben, wenn anders dv dabei immer noch mit Vortheil durch Drachenwirkung entwickelt werden soil). Die Vergrosserung der Drachenflachen sowohl des Rumpfes als der Flugelbasis hat aber ihre en gen Grenzen. Sie ist iiber diese hinaus nicht moglich ohne Vergrosserung des Gewichtes der Theile, des schadlichen Widerstandes gegen das Vorderende des Rumpfes, nicht ohne Beschrankung der Excursionsfahigkeit des Flugels u. s. w. Es kann sich also bei der Drachenwirkung, wenn sie an sich einen Vortheil, eine Ersparniss vonMus- 386 Dr. H. Slrasser, kelumsatz r eprasentireii soil, nur urn cinen kleiuen absoluten Werth des Auftriebes und um cine sehr kleine Ersparniss handeln. Eine iiber eine gewisse Grenze hinausgehende Grosse des Auftriebes durch Dracheneiu wirkung aber kann nur mit Verschwendung von Muskelstoff- umsatz zu Wege gebracht werden. Diese Ueberlegungen gelten uicht bloss fur die Verhaltnisse des Vogels, sondern fiir jeden Flugapparat. Das Bestreben, kiiust- liche Apparate mit Htilfe von Flugeln etc. nur vorwarts zu trei- ben, die nothige Wirkung nacli oben aber , gegen die Schwere durch Drachenwirkung, d. h. also durch Umwandlung von hori- zontaler locomotorischer Leistung in verticale zu gewinnen, raiissen aus den angefuhrten Griinden als verfehlt hetrachtet werden. Auch der Vogel macht bei dem normalen horizontalen Fluge von diesem Princip keinen ausgiebigen Gebrauch, wo er es verweudet, hat dies immer noch seine besonderen Griinde ^). Eine geringe Supination des Rumpfes ermoglicht, wie schon erortert wurde, die verticaleu Oscillationen des Rumpfes unschad- lich, ja locomotorisch uutzbar zu machen ; am Fliigel hilft sie das Spiel der Muskelu vereinfachen, die Configuration fiir den Nieder- schlag giiustig veranderu u. s. w. Uebrigens kann gerade an den iiusseren Theilen des Fliigels die absolute Grosse des durch Drachenwirkung zu gewinnenden Auftriebes verhaltuissmiissig gross sein, erstens wegen der Grosse der Flache, zweitens weil die Ho- rizontalgeschwindigkeit nach vorn hier vermehrt werden kann, ohne dass die Geschwindigkeit des Ganzen und damit die Ver- haltnisse fiir die Wirkung der Ruckzieher des Fliigels, welche natiirlich die dabei verbrauchte Vorwartsgeschwindigkeit des Ganzen wieder einbringen miissen, sich ungiinstiger gestalteten. 7. Drachenwirkuiia: anf l)elicl)igeii Trajectorien. Schweben, Flug in IVelleiilinicn, Kreisen. Mit dem Begriff „Schweben" verbindet sich die Vorstellung einer massig schnellen oder fast unmerklichen Bewegung, ja einer 1) Nach Peechtl 1. c. pg. 216 miisste eine Krahe, wenn sie die ganze Unterflache des E.um])fes des ausgebreiteten Schwanzes und des liorizoutal ausgestreckteu Fliigels als Drachenfiiiclien verwenden kdnnte, bei einem Supinationswinkol von 20 *' eiuo horizontale Geschwindig- keit von 72/J4 Fuss besitzen, damit ihr Gewicht durch den Luft- widerstand getragen wiirde. Ueber den Flug dcr Vogel. 387 vollstandigen Reguiigslosigkeit eines anschcinend dichtcren Korpers ill einem dunneren, fliissigen Medium, in der Luft, im Wasser, ent- fernt vom Gruiide, ohiie Beziehuiig zu dieseni; und zwar bleibt der Korper dabei in seiner Form melir oder weniger unveriindert, er zeigt keine nennenswerthe active locomotorische Thatigkeit. So schvvebt die Wolke iibcr uns, so der Vogel mit ausgebreiteten Schwingen. Wird die Bcwegung rascher, so suchen vvir gcwohnlich lieber iiach einem neuen Ausdruck fiir die Erscheinung. Wir erlauben uns nun im Folgenden, zur Vereinfachung der Darstellung jede Bewegung des Vogels gegeniiber dem uiugeben- den Medium, bei welclier er seine Form nicht wesentlich, nicht durch deutlichen Fliigelschlag iindert, ganz abgesehen von der Richtung und Geschwindigkeit kurzweg als Schweben im weiteren Sinne des Wortes zu bezeichnen, also auch das reissend schnelle Dahinschiessen mit angelegten Fliigeln darunter zu begreifen. Wir betrachten zunachst derartige Bewegungen da, wo sie Theilerscheinung einer beliebig lang to rtzusetz en- den Flugweise bilden und zwar zunachst fiir die Voraussetzung, dass die umgebende A tmosphare gleichraassig ruhend oder bewegt ist. a. Schweben in ruhender oder gleichmassig beviregter Luft. Wenn ein Korper unter dem Einfluss der Schwere und einer zweiten Kraft, die stets in einer und derselben Verticalebene wirkt, sich bewegt und in Folge davon eine beliebige Curve in dieser Verticalebene beschreibt, so ist der Zuwachs an lebendiger Kraft, welchen der Korper bei dem Durchlaufen einer bestimmten Hohen- zone seines Trajectoriums erfahrt, genau so gross, wie wenn er diese Hohe in verticaler Richtung durchmessen hatte, vorausgesetzt, ! dass die zweite Kraft jederzeit ge- nau senkrecht zu der Richtung des Trajectoriums wirkt. In der That hangt dann die Beschleunigung in der Richtung des Trajectoriums ein- zig von der Componente der Schwere ab, die in die jeweilige Richtung des Trajectoriums entfallt. Divergirt letzteres um den Winkel (f von der ! verticalen (Fig. 30), so ist s'm = g \ cos (p. Die andere Componente g Fig. so. 388 Dr. H. Strasser, sin ff muss (lurch die 2. Kraft annullirt scin ; ausserdem besorgt diese zweite Kraft die Abanderung der Richtung der Bewegung. Je uachdem die zweite Kraft grosser oder kleiner als g cos cp ist, geschieht die Ableukung nach der einen oder anderen Seite. Es ist nun zwar die bescbleunigende Kraft g cos rp, in deren Richtung die Bewegung stattfindet, mal kleiner , daftir aber cos (p die Strecke ae, iiber welche der Korper sich in ihrer Richtung bewegt, ebensoviel mal grosser, als wenn der Korper in der Richtung und unter dem Einfluss der beschleunigenden verticalen Kraft g die Strecke ae cos cp = ae' gefallen ware; demnach der Zuwachs an lebendiger Kraft derselbe. Mag also der Korper auf irgend einer Weise vom hochsten zum tiefsten Punkt seiner Bahn ge- langt sein, so ist der Zuwachs an lebendiger Kraft der Trajectorial- bewegung gleich dem Zuwachs an vertical abwarts gerichteter lebendiger Kraft, den er erfahren hatte, wenn er durch dieselbe Hohe frei gefallen ware. Steigt der Korper in irgend einem Tra- jectorium um die Strecke h erapor, so ist umgekehrt der Verlust an lebendiger Kraft der Trajektorialbewegung = PA, wenn P das Gewicht bedeutet, d. h. gleich dem Verlust, welchen der Korper bei verticalem Aufsteigen durch dieselbe Hohenzone unter dem alleinigen Einfluss der Schwere erleiden wtirde. Der Korper vermag also ohne Einbusse an Geschwindigkeit der Trajectorialbewegung die friihere maximale Hohe wieder- zugewinnen; sobald aber die zweite Kraft nicht jeweilen genau senkrecht zu der Richtung des Trajectoriums wirkt, sondern eine Componente parallel dieser Richtung, eine Tr ajecto rial-Com- ponent e hat, andern sich die Verhiiltnisse ; es wird dann die lebendige Kraft nicht mehr genau wie P.h von Moment zu Moment veriindert. Beim Schweben stellt der Widerstand der Luft die zweite Kraft dar, welche neben der Schwere die Bewegung des Korpers in der Sagittalebene beeinflusst. In Folge dieser beiden Ein- wirkungen vermag sich wirklich der Vogel als fast starrer Korper sowohl vom Ruhezustand aus, als auch von einer bestimmten Anfangsgeschwindigkeit an in verschieden gekriinnuten Trajectorien zu bewegen. Uns interessiren besonders die in Fig. 31 A und B darge- stellten Moglichkciten periodischer Curven. Es ist schon oft von verschiedenen Autoren auseinandergesetzt worden, wie der Vogel rait ausgebreiteteu Fliigeln, bei pronirter Stellung siimmtlicher Ueber den Flug der Yogel. 389 A. ^ Fig. 31. Unterflachen seines Korpers, auf der Luft wic auf einer schicfcn Ebenc vorwiirts abwarts gleiten kanii. Indem er nun die Stellung seiner Flugel, des Schwanzes und Kopfes iindert, vvird er all- miihlich durch den Luftwiderstand in supinatorischera Sinne gedreht, zugleich andert sich die Richtung seiner Bewegung, wird mehr und mehr horizontal, und schliesshch steigt das Thier wieder cmpor und vermag dank der durch das Sinken erworbenen Vorwiirts- geschwindigkeit „annahernd" die Hohe, von der es ausging, und die Horizontalgeschwindigkeit, welche es in derselben hatte, wieder- zugewinnen. Dabei ist eine gewissc Zeit T verstrichen, wiihrend welcher der Schwere im Durchschnitt das Gleichgewicht gehalten worden ist, und zugleich ist eine bestimmte Wegstrecke in der s- Richtung zuriickgelegt; das Alles, ohne dass ein Fliigelschlag geschehen ist, und ohne dass die Flugmuskeln eine nennenswerthe Arbeit geleistet haben. Thatsachlich werde allerdings die ursprung- liche Hohe oder Horizontalgeschwindigkeit oder Beides nicht voll- kommen wiedererlangt, aber wenige Flugel schlage sollen genugen, um das Verlorene wieder einzubringen. Man ist allgemein geneigt, dicse Flugweise als eine ausserordentlich vortheilhafte zu be- trachten. Wir wollen die Angelegenheit naher priifen. 1) Auch wenn die langsten Durchmesser des Vogelkorpers moglichst dem Trajectorium angeschmiegt sind, so dass also das Vordertheil des Rumpfes und die Kante des Fliigels genau voran- gehen , so wird doch immer noch an diesen Theilen ein Wider- stand crzeugt, welcher der Trajectorialbewegung entgegenwirkt ; wir wollen ihn als schadlichen Trajectorialwiderstand an der Vorderseite bezeichnen. , 2) Es konnen nun aber die Langsaxe des Rumpfes und die Sagittalprofile der Flugel unmoglich jeweilen mit ihren Trajektorien zusammenfallen, weil ja in diesem Falle ein Ablenkungswiderstand gar nicht erzeugt werden konnte. Soil der Vogel nach dem Sinken wieder aufsteigen, iiberhaupt eine Curve mit aufwarts ge- 390 Dr. H. Strasser, richteter Concavitiit beschreiben, so muss jedenfalls der Wider- stand dem ablenkenden Einfluss der Schwere g sin cp das Gleichgewicht halten und ausserdem noch eine weitere Wirkung nach obcn, senkrecht zur Richtung des Trajectoriums haben ; aber auch wenn der Vogel in aufwarts convexer Babn sich bewegt, ist es wabrscheinlich, dass die Widerstande immer noch der ablenken- den Componente der Schwere entgcgenwirken, dieselbe aber nicht aufzuheben vermogen. Wir wollen wirklich annehmen, dass der Ab- Icnkungswiderstand jederzeit von unten nach oben senkrecht zum Trajectorium wirkt; um diesen niitzlichen ablenkenden Wider- stand zu entwickeln, muss die Unterseite des Thieres jederzeit gegen die Luft bewegt werden, also gegeniiber dem Trajectorium supinirt sein. Es handelt sich also um eine Drachenwirkung (s. Cap. 6). Die Ablenkungscomponente des Widerstandes entspricht dem Auftrieb, der ja auch senkrecht zum Trajectorium wirkt ; ihre Richtung fallt allerdings nicht immer mit der verticalen zusammen. Auch hier hat der Widerstand gegen die Drachenflache neben der niitzlichen ablenkenden eine schiidliche Componente ; dieselbe ist allerdings nicht stets parallel der 0-Richtung, aber, was fiir die Drachenwirkung wesentlich ist, parallel der jeweiligen Trajectorialrichtung gerichtet. Wir konnen uns demnach etwa das nebenstehende Schema von der Bewegung entwerfen (Fig. 32). Durch ahcda ist dargestellt : das Trajec- Fig. 32. torium; durch die im spitzen Winkel anliegenden kurzen Linien: die jeweiligen Stellungen der Sagittalprofile ; durch die dazu senkrcchten Linien: die Widerstilndc an der Drachenflache; es ist ihre Zerlcgung in die ablenkende und Trajectorialcomponcnte^ uberall ausgefiihrt. Soil das Thicr wirklich die alte Hohe und Ueber den Flug der Vogel. 391 Horizontalgeschwindigkeit (des Punktes a in Fig. 31 A uiid B) vviedererlangen , so muss der Verlust an lebcndiger Kraft (oder Energic der Lage), welcher durch den Trajectorialwiderstand gegen die Vorderflaclien und durch die Trajectorialcomponente des Widerstandes gegen die Drachenflachen herbeigefuhrt wiirde, wieder crsetzt werden. Die letztgenannte Componente ist im Verhaltniss zur ntitz- lichen ablenkenden um so kleiner, je kleiner der Supination s- winkcl y; mit diesem vermindert sich aber audi zugleich der absolute Werth der letzteren. Wohl aber erlaubt eine l)esondere Grosse der Drachflachen unter sonst gleichen Verhaltnissen einen grosseren absoluten Werth der Ablcnkung. Je rascher die Richtungsiinderung erfolgt, desto grosser miissen bei sonst gleichen Verhaltnissen die ablenkenden Kriifte sein; desto grosser der Supinationswinkel /, desto grosser der Verlust an Energie. Dalier werden im AUgemeinen zu plotzliche Biegungen vermieden. Das Sinken und Wiederaufsteigen ohne Flugelschlag, die „Res source" der franzosischen Autoren geschieht nicht entfernt so, dass die Flugbahn in der tiefsten Stelle einen scharfen Winkel beschreibt, und ist durchaus nicht etwa mit dem Auf- prallen eines Gegenstandes an ein elastisches Polster und mit dem Wiederabgetriebenwerden von deraselben zu vergleichen, wie Manche zu thun geneigt sind. Solche scharfe Wendepunkte konnen nur an oberen Gipfelpunkten der Trajectorien ohne grossere An- strengung, mitten in rascher Bewegung aber nur von besonders kiihnen Fliegern ausgefiihrt werden, von kleineren im AUgemeinen besser als von grossern. Eine Steigerung der Grosse des Supi- nationswinkels iiber 54^ bewirkt tiberhaupt nicht mehr eine Vergrosserung , sondern eine Verkleinerung der Ablenkungscom- ponente. Steht die Flache senkrecht zum Trajectorium, so ist die Ablenkung := 0. Wir wollen spater untersuchen, in welcher Weise der Verlust wieder eingebracht werden kann. Zunachst werde vorausgesetzt, dass es geschieht ; ist der friihere Zustand wiederhergestellt, so kann eine zweite Aktion derselben Art beginnen ; es handelt sich dann um eine periodische Thatigkeit. Der Moment des hochsten Standes reprasentire den Beginn der Periode, dann nimmt zunachst die verticale Bewegung nach unten zu, erreicht ein Maximum, nimmt wieder ab, bis 0, wird negativ, und es erfolgt Aufsteigen, das bis zu einem Maximum beschleunigt wird, worauf wieder Verlangsamung bis 0 eintritt. Die horizontale Geschwindig- 392 Dr. H. Strasser, keit nach vorn dagegen wachst bis gegen die Mitte der Periode, um ein Maximum zu errcichen und dann wieder bis zu einem Minimum abzunehmen. Man wird deswegen schliessen miissen, dass die verticalen Widerstilnde von 0 oder doch einem geringen W erthe anallmahlich zunehmcn, das Maximum ihrer Wirkung nach oben ungefahr in der Mitte der Periode haben und allmahlich wieder ab- nehmen (vgl. Einleitung); ihr Kraftefeld muss dem- jenigen der Schwere gleich sein. Was nun zunachst die Trajectorialwiderstande gegen die Vorder- flachen von Rumpf und Fliigel betriflft, so sind ibre verticalen Componenten im Ganzen = o; es mussen also schon allein die Widerstande senkrecht zur Drachenflache, welche am Korper ventro- dorsalwarts wirken, der Schwere das Gleichgewicht halten, und da sie meist schrag zur Verticalrichtung wirken, so muss das Krafte- feld ihrer ventro-dorsal gerichteten Einwirkung auf den Vogel er- heblich grosser als GT sein, um so viel grosser, je grosser y und je grosser bei sonst gleichen Verhaltnissen die Richtungsanderung der Trajectoriums ist. ^) Wir wenden uns jetzt zur Beurtheilung der Anforderungen, welche bei einer derartigen periodischen Bewegung an die Muskeln gestellt werden, und zu dem Verhaltniss zwischen diesen Anforde- rungen und der locomotorischen Leistung. Periodische Anstrengung zum Wiedergewinn der verlorenen Energie. Thiere, welche beim Schweben in sagittalen Curven ihre Fliigel ausgestreckt halten , ersetzcn die verloreue Energie gegen Ende der Periode, wenn Aufwiirtsbewegung und Horizontalgeschwindig- keit wieder verlangsamt sind, indem sie durch Fliigelschliige mehr Oder weniger steil aufsteigen. Die Mauerschwalbe steigt oft fast senkrecht in die Hohe, Moven und Kibitze machen iihnliche kiihne Evolutionen , Kriihen und Dohlen hcben sich ebenfalls ziemlich steil; der Storch verbraucht schon beim Abwartsgleiten in wenig ge- senkter gerader Linie einen grossen Theil der erworbenen Hori- *) Da iibrigens wiihrend des Absteigens die sammtlichen Trajec- torialwiderstande eine aufwarts gerichtete , wahrend des Aufsteigens abcr cine abwiirts gerichtete verticalc Componente haben, so kaiin beim Absteigcu der Ablenkungswiderstand zunachst ctwas kleiner sein, odor das Trajectorium steiler, oder der Winkel y kleiner als in den entsprechenden Hohenlagen beim Aufsteigen. Ueber den Flag dcr Vogel. 393 zoiitalgeschwinfligkeit und licbt sich langsam wieder diirch Fliigel- scliliige fast voni tiefsten Punkt seines Trajcctoriums an. Der Sperber schliigt 2, 3, 4 mal mit den Flugeln, hebt sich dadurch und gleitet nun eine Strecke weit vorwiirts abwiirts, um bald von Neueni niit den Flugeln zu schlagen. In alien Fallen ist das Wideraufsteigen durch Flugelschlag und die oft damit verbundene Beschleunigung der Horizontalgeschwindigkeit mit viel niehr Muskelarbeit (Beanspruchung der Muskeln auf Spannung und Excursiousgeschwindigkeit) bewerkstelligt , als der einfache hori- zoiitale Nornialflug mit glciclimassiger mittlerer Geschwindigkeit in derselben Zeit. Dies macht also einen Theil der Ersparniss an Stoffumsatz, welche zuvor, wahrend des Schwebens alleufalls verwirklicht worden ist, wieder zu nichte. Im vorigen Kapitel wurde nachgewiesen, dass bei derDracheu- wirkung dem Gewiun an locomotorischer Kraft uach oben (Auf- trieb) ein Verlust an locomotorischer Kraft fiir die Trajectorial- bowegung entspricht , der zwar erheblich geringer sein kann ; da aber dieser Verlust durch grossere locomotorische Anstrengung des Thieres zur Beschleunigung der Trajectorialbewegung immer wieder ersetzt wird , und bei Anstrengungen dieser Art moglicherweise das Verhaltniss zwischen Muskelarbeit und locomotorischer Leistung - ein sehr viel ungiinstigeres ist als bei der direkten Erzeugung von Auftrieb durch Flugelschlag, so kann moglicherweise der Nutzen der Drachenwirkung = o sein, ja sich in einen Nachtheil verwandeln. Wir kamen zu dem Schlusse , dass wirklich beira horizontalen Normalflug eine Drachenwirkung von erheblichem Belang nicht mit Vortheil stattfinden konne. Hier nun, bei der Drachenwirkung auf gekrummtem Trajectorium, mussen ganz ahu- liche Gesichtspunkte geltend gemacht werden. Die ganze loco- motorische Leistung gegenliber der Schwere wahrend eiuer be- stimmten Zeit muss durch den Auftrieb geschehen ; dem entspricht ein Verlust an locomotorischer Leistung in der ^-Richtung, der zwar nicht so gross zu sein braucht, als der Gewinu; doch ist das Verhaltniss bei sonst gleichen Verhaltnissen nicht so gunstig als beim horizontalen Fluge, um so weniger, je star- ker gekriimmt die Bahn ist und je grosser y. Andererseits ge- schieht die Wiederersetzung des Verlustes an Geschwindigkeit und Weg, der durch die Vernichtung eines Theiles der locomo- torischen Kraft in der Trajectorialrichtung entstanden ist, unter giinstigeren Verhaltnissen, als es beim horizontalen Normalflug moglich ist. Die horizontale Geschwindigkeit des Ganzen uuter- Bd. AIX. N. F. XU. 26 394 ' Dr. H. Strasser, liegt sehr starker periodischer Zu- und Abnalime; es wird die Zeit des Geschwindigkeitminimums gewahlt, urn die iiuthige Vor- wiirtsbeschleunigung zu erzielen. Oder statt einer gesteigerten Aktioii am hochsten horizontalcn Theil des Trajectoriums, welche zur Beschleunigung der horizoiitalen Geschwindigkeit dient, worden stiirkere Anstrengungen zum Aufsteigen gemacht und zwar zur Zeit des Minimums der verticalen Geschwindigkeit; in beiden Fallen arbeiten die Muskeln vortheilhafter, als zur Beschleunigung der horizontalen Bevvegung bei einem erheblich raschen horizon- talcn Fluge. Diese Art der Betrachtung scheint mir geeignet zu zeigen, dass beira Schweben in gekriimmter sagittaler Bahn so gut wie bei jeder anderen Drachenwirkung nur eine Uebertragung der locomotorischen Kraftvvirkuug aus der einen Richtung in die andere und zwar an sich mit einigem Verlust stattfindet. Ein Vogel, der beim Flug in regelmassigeu Perioden theils schwebend, theils durch Fliigelschlag auf- und wieder absteigt, dabei in derselben Huhe bleibt und dieselbe mittlere horizontale Geschwindigkeit behillt, muss vielleicht die Halfte der locomotorischen Kraft, welche er in der Richtung senkrecht zu seinem Trajectorium erspart, in der Richtung des Trajectoriums mehr entwickeln, um das periodische Gleichgewicht derBewegung zu unterhalten; das Ver- haltniss zwischen Muskelarbeit und loconiotorischem Nutzeft'ekt kann sich hier nicht zu sehr verschieden verhalten von dem Fall, wo der Vogel sich in derselben mittleren Richtung, mit derselben mittleren Geschwindigkeit, aber durch lauter einzelne Flugelschlage bewegt. Dabei darf nicht vergessen werden , dass er sich nicht auf der kurzesten Linie, sondern auf Umwegen fortbewegt. Der schildliche Trajcctorialwiderstand an der Vorderseite ist also an sich grosser als beim horizontalen Normalflug mit gleicher Hori- zontalgeschwindigkeit. Beurtheilung der nothwendigen Muskelspannung zur Fixation des Schultergelenkes. Ausserdem muss in Betracht gezogen w'erden, dass in den mei- sten Fiillen nicht der Rumpf allein als Drachentliichc wirkt, sondern auch der Fliigel, und zwar so, dass der Widerstand am lUigel viel grosser ist als der Widerstand an den Drachenfliichen des Rumpfes. Es miissen in diescm Falle inncre Gelenkdrehkhifte wirksam sein, um den Fliigel in seiner Lage zum Rumpf zu er- Ueber den Flag der Vogel. 395 lialten. Jo weiiiger diese Fixation (lurch passive Sperrvorrichtungcn zu Staiide gebracht wird, sondern durcli Muskelspanming , desto iiiehr muss die hieraus entspriiigendeBeanspruchung der Muskulatur iioch be senders in Rechnung gebracht werden. Fur den Fall, dass der Fltigel horizontal ausgestreckt als Draclieiiflilche so gut wie die Rumpfunterflache benutzt wird, und nur Muskeln als innere Gelenkdrchkrafte in Betracht kommeu, verhiilt sicli die Anforderuug an die Muskelspannung folgender- massen : Wir zerlegen den Widerstand an der Unterfliiche des Fliigels TT/ und zwar seine verticale Componente Wvj, desgleichen das Fliigelgewicht F, endlich die verticalen inneren Gelenkdrehkrilfte nach 0 und e in der bekannten Weise ; C und D sind hier wegen der fehlenden inneren Bewegung = o, dann ist die resultirende verticale Kraft am Fliigelschwerpunkt = Fe -{- Jtv — W/iv, v^'obei die Buchstabengrossen die absoluten Werthe bedeuten. Diese Grosse ist absolut = ^jm . {W/ov -\- Wr -\- Jtv — R — Fo) wobei m = -^^ F Ferner ist W/v — F = R — Wro gleich dem Antheil des Fliigelwiderstandes , welcher fiir den Fltigel iiberfliissig ist und theils durch o, theils durch Vermittlung von Jiv dem Rumpf zuGute kommt. Fur TF = P ist Ju = Ft — Wji; fiir W^ = xP wachst jede Componente von Wv um das icfache. Es ist dann also Jtv = xWftv — Ft. Es ist nun zu beriicksichtigen, dass beim Fehlen jeder rela- tiven Bewegung der Antheil Wfo verhaltnissmilssig gross, TF/ever- haltnissmassig klein ist. Setzen wir beispielshalber F = \ Ft= \ P und Wftv = \Wtv =-\. ^Wv, wobei der Fltigel verhalt- nissmassig eher noch zu klein angenommeu ist, so ist Jtv = -i~-,F^-x.\ W.; da xWv im Mittel = P, so ware dann Jtv im Mittel = ^ F oder uugefahr | P. Erheblich grosser aber sind im Mittel die Anforderungen an die Gesammtspannung der Muskulatur in der dorso ventralen Rich- tuug ; der Unterschied ist um so grosser , je mehr diese Rich- tung von der verticalen abweicht, je steiler und tiefer also bei sonst gleichen Verhaltnissen das Thier fallt und je steiler und hoher es wieder aufsteigt; zugleich erhoht sich dabei das Maximum der Spannung mehr als ihr Mittelwerth. Ist dies in hohem Grade der Fall, so sind die Muskeln auf Spannung 26* 396 Dr. H. Strasser, sowohl hinsichtlich des Mi tt elwerth es, als mit Be- zug auf das Maximum sicher nicht weniger bean- sprucht, als beim horizontalen Normalflug. Zugleich ist auch die Festigkeit des Sttitzapparates , namentlich audi der Gelenkbiinder in hoheiu Masse in Anspruch genommeu. Beim Normalflug fallt allerdings die nothige Spannung zur Hemmung der Abwartsbewegung und zur Einleituug der Hebung als Mehr- anstrengung ins Gewicht; dafiir geht der Fliigel weniger als Drache gegen die Luft und sind nicht so viel Spannungen vorne am Gelenk nothig, oder wo sie vorhanden sind und den Fliigel supi- nirt vorfuhren, sind die Hebespannungen dafiir geringer. Bei allmahlicherer Abanderung der Richtung des Trajecto- riums dagegen , wenn steilere Steigung und Senkung vermieden wird, und bei kleinem Supinationswinkel ist allem Anscbein nach die Beansprucbung der Muskeln auf Spannung geringer und gleich- massiger als beim horizontalen Normalflug. Ganz besonders konnen die Fliigelheber entlastet sein; sie konnen langere Zeit vollstandig ruhen und sich erbolen, so dass sie wohl die Anstrengung, welche ihnen von Zeit zu Zeit auf- erlegt wird, mit verbaltnissmassig geringem Querschnitt leisten konnen. Die Excursion der Muskeln bei dieser Fixation ist = 0, des- gleichen also die aussere Arbeit, die sie verrichten. Waren die Muskeln, welche diese Spannung leisten, diesem Verhiiltniss ange- passt, so konnten sie theoretisch genommen die Liinge, die Masse, den Stotfumsatz gleich -~= 0 haben. Statt der Muskulatur konnte ein Band, eine Sperrvorrichtung des Skeletes dasselbe leisten. Es ist mir gar nicht unwahrscheiulich , dass gerade beim Schweben die Gelenkbiinder einen Theil der Fixation und zwar als Gelenkdrehkrafte iibernehmen ; doch hat bis jetzt Niemand daran gedacht, nach solcheu Einrichtungen zu suchen. Viellcicht werde ich Gelegenheit finden, diese Liicke unserer Kenntniss seiner Zeit auszufiillen. Ganz iiberfliissig wird die Spannung der Muskeln auf keinen Fall; ja in der Kegel iibernehmen sie weitaus den grossten Theil der Aufgabe. Es sind das nun dieselben Muskeln, welche zu anderen Zeiten dem normalen Flug, dem Aufsteigen etc. dienen, also hinsichtlich ilirer Excursionsgeschwindigkeit mindestens den Anforderungen des normalen Fluges geniigen mussen; alter- nirend mit nicht zu langen Perioden des Schwebens werden sie sogar in dieser Hinsicht in stiirkerer Weise in Anspruch genommen. Eine Anpassung ihrer Lange an das Schweben allein ist demnach Ueber den Flug der Vogel. 397 undenkbar. Vielleicht konncn die Muskcln bci unverjindertem Querschnitt um ein Geringes kui'zer sein, wenn das Schweben wirklich die haufigere Bevvegung darstellt; der gewohnliche nor- male Horizontalflug ist dann bereits eine Extralcistung ; die Fiihig- keit zu besonderen Extraleistungen des Steigens u. s. w. miisste dann natiiiiich entsprechend eingeschrankt sein. Man sieht, dass eine derartigc Verkiirzung nicht ohne anderweitigen Sebaden statt- finden kann. Die Muskelmenge kann daher kauni erheb- lich ei nge scbrJinkt sein, aiicb wenn das Thier haufig in ruhiger oder gleicbmiissig bewegter Luft schwebt. Sind aber viel- leicht im Muskel selbst Einrichtungen getroffen, welche gestatten, dass cr dieselbe Spannung bei geringer oder fehlender Verkiirzung in derselben Zeit mit geringerem Stoffumsatz leistet, als bei aus- giebiger Verkiirzung? Solche Einrichtungen wtirden gewiss sehr niitzlich sein. Es ist z. B. zu erwagen, ob nicht vielleicht derselbe Muskel zwei Substanzen von verschiedener Qualitat entbalt, einmal eine, welche zu rascher Langenanderung geeignet ist, in der sich wohl auch der Stotfwechsel bei derselben Spannung rascher abspielt, daneben aber eine zweite, welche, einmal gereizt, lange in dem- selben Zustande verharrt, ungereizt aber der Verkiirzung des Mus- kels k ein zu grosses Hinderniss entgegensetzt. Zugleich diirfte die Masse des Ganzen durch diese zweite Substanz nicht zu sehr ver- mehrt sein. Beides ware vielleicht am besten moglich, wenn diese zweite Substanz gleichsam das Stiitzgeriist fiir die erstere bildete, eine Art Netzwerk, ahnlich wie die elastischen Substanzen gegen- iiber den fibrosen, mit welchen sie liirt sind, sich verhalten. (S. die Untersuchungen von Danilewsky und unsere Bemerkungen auf S. 342 u. ti".). Es ist die Moglichkeit nicht von der Hand zu weisen , dass fiir die Fixation des Fliigels gegeniiber dem Rumpf besondere, mit geringem Stotfumsatz Spannung entwickelnde contractile Sub- stanzen thatig sind. Die dem Flug mit Fliigelschlagen dienende Muskelmasse konnte, weil seltener gebraucht, einen verhaltnissmassig geringeren Querschnitt haben ; die zur Fixation verwendete wiirde auf active Langenanderung wenig beansprucht sein. Doch wiirde die Feststellung des Schultergelenkes beim Schweben natiirlich immer noch Muskelstoffumsatz erfordern , die hierbei in Frage kommen- den Muskelbestandtheile wiirden eine ganz erhebliche Masse dar- stellen miissen. Kleine Flieger, auch noch Drosseln und Spechte vermeiden diese zur activen Fixation nothwendige Stoli- 398 Dr. H. Strasser, ausgabe, indem sie den grossteii Theil der wellenformigen Tra- jectorien und zwar gerade die auf warts convexen Abschuitte mit eng an den Leib geschmiegten Flugeln durchmessen ; an den ticf- stcn Stellen aber schlagen sie rasch rait den Fliigeln, offenbar um ihre Abwartsbewegung zu hemmen, sich aufzurichten und wieder emporzutreiben. Dies stellt die gewohnlichste Art ihres Fluges dar. Ich wende mich nun zu der Frage, wie iiberhaupt, je nach der Grosse und dem Gewicht des Apparates, die Verhiiltnisse der Arbeitsleistung und Stofiiausgabe im Schweben sich audern. Man kann sich vorstellen, dass zwei Vogel vollstandig geo- metrisch ahnlich gebaut sind ; die entsprechenden Abstande corre- spondirender Punkte sind dann bei dem einen im Vergleich zum andern ein bestimmtes I faches, correspondirende Flachen ein A^ faches, correspondirende Volumina und Massen, ebenso das Gewicht P ein l'^ faches. Die entspechenden Massen und Vohi- mina beider verhalten sich also wie die Gewichte P, entsprechendc Flachen wie P^ 3, entsprechendc Langen wie P^i^. Bei genau derselben Stellung des ganzen Thieres und seiner Theile zum Trajectorium miissen die Geschwindigkeiten sich wie P''« verhalten, damit die entsprechend zum Thier gerichtcten Wider- stande sich wie P verhalten ; ist die Neigung des Trajectoriums zur Verticalen dieselbe (Winkel cp), so verhalt sich auch Pcosff und Psinq> wie P. Die resultirende Ablenkung, welche von der Masse ilf, von Psincp und der ablenkenden Componente des Widerstandes ab- hangt, ist dann in dem folgenden kleinen Zeitabschnitt gleich gross, ebenso die Aendening der Trajectorialgeschwindigkeit, die Trajecto- rialgeschwindigkeit aber verhalt, sich wie P^'e. Es muss demnach ein Zeitraum, der sich wieP^'s verhalt, vergehen, damit die Richtungs- anderung des Trajectoriums dieselbe ist ; der dabei zuriickgelegtc Weg verhalt sich wie P'is. Am Ende der Phase, die sich wie P''" verhalt, ist die Geschwindigkeitsilnderung in jeder Richtung oben- falls P'!o proportional, demnach ist es auch die Geschwindigkcit selbst nach Grosse und Richtung. Auch in der folgenden Phase kann daher der Widerstand proportional P sein u. s. w. So konnen siimmtliche folgende correspondirende Phasen sich hin- sichtlich ihrer Dauer verhalten wie P^'s, die dabei zuriickgelcgton Wege wie P' 3^ die Aenderungen der Geschwindigkcit konnen nach Grosse und Richtung dieselben sein. Die beschriebenen Curven sind sich in der Form ahnlich, die periodischen Excursionen ver- halten sich in verticaler und horizontaler Richtung wie P''^', die Zciten, in dcnen sie zuriickgelegt werden, wie P'la. Das Verhaltniss TJeber den Flug der Vogel. 399 der Maxima und Minima des Widerstandes zu P ist bei bcidcn Thieren dasselbe. Die Anspriichc an die Spannung der das Ge- lenlv fixirenden Miislhrung boitmgt, so wird dieser Nachthcil mehr als compensirt durch die damit orworbene Fiihigkeit, die vorhan- denen Krafte zur Ortsbeweguiig besser zu vervverthen. b. Grenze der Anpassungsmogliehkeit bei Verkleinerung der Dimensionen. Flir die Verkleinerung der Dimensionen liegt die Haupt- scliwierigkeit in der notliwendig werdenden verhaltnissmiissigen Zunahrae der Excursionsgeschwindigkeit der Muskeln bei ahnlicher Anordnung. Die Verschmalerung und Verlangerung der Muskeln kann hier nicht weiter gehen, als bis sie den Zwischeuraum zwischen Ur- sprung und Ansatz ganzlich ausfiillen und keine freie Sehne mehr vorhanden ist ; die Schragstellung der Fasern zur Zugrichtung kann eine gewisse Grenze nicht uberschreiten, die Annaherung der Mus- keln an das Gelenk nicht weitergehen , als bis die Muskeln nahe am Gelenk zu einer fast continuir lichen Masse zusammengedrangt sind. Wirklicli zeichnen sich kleine Flieger durch das maximale Ausgenutztsein dieser Verhaltnisse aus. Alle diese Umanderungen miissen vor sich gehen auch bei glcichbleibendem Schlagwinkel , miissen also mit einer Aenderung (Verkleinerung) des Excursionscoefficienten verbunden sein. Eine weitere Verkleinerung der Dimensionen ist schliesslich aber nicht denkbar, ohne Verbesserung derGeschwindigkeit der moglichen Verkiirzung bei gleich bleibendem Excursions- coefficienten. Da nun im Stoffverbrauch, in der Muskelmenge, im Querschnitt der Muskulatur um so weniger gespart zu werden braucht, je kleiner die Dimensionen des Apparates sind, so scheint die Verbesserungsmoglichkeit der genannten Qualitat wirklich eine sehr erhebliche sein zu konnen. Alle diese im Vorigen besprochenen Verschiedenheiten der Muskelqualitat und Muskelanordnung bei kleinen und grossen Fliegern sind bis jetzt eigenthiimlicher Weise unbeachtet geblie- ben. Man hat beobachtet, dass die Contractionsgeschwindigkeit bei den Muskeln der Insekten ausserordentlich gross ist, ohne an- zugeben, warum dem so sein muss; es hat auch bis jetzt meines Wissens Niemand darauf hingewiesen, dass auch bei den Vogeln 416 Dr. H. Strasser, mit der Verkleinerung der Dimcnsiouen eine Zunahme der rclati- ven Verkuizungsfahigkeit verbunden ist, und warum es der Fall sein muss. Was die Verkleincrung des Excursionscocfficienten entsprechend der Verkleincrung des Flugthieres betrifft, so will ich zum Schluss das Resultat einer kleinen Untersuchung mittheilen, die als Vor- laufer einer grosseren Untersuchungsreihe zu betrachten ist. Bei einer Move, welche 130 cui weit klafterte, vvurde der ausgestreckte Fliigel so gegeniiber dem Rumpf bin uud her gefuhrt, dass die Sagittalprofile des Flugeldreieckes der Langs- linie des Rumpfes parallel blieben, die Fliigellangslinie aber stets nur um denselben kleinen Betrag aus der Querebene des Rumpfes (Schulter) in adductorischem Sinn abwich. War der Fliigel auf diese Weisc so weit als moglicli ventral- warts gefuhrt, so zeigte sich fur die oberflachlichsten Muskelfasern aus der Mitte des Muse, pectoralis eine Anniiherung der Anhef- tungspunkte gegeneinander bis auf die Distanz von 34 mm, bei uaturgemasser Anspannung der Sehuen; wurde aber der Flugel aus dieser Stellung um 90 *' gehoben, so betrug die Entferung jener Anheftungspunkte 62 mm. Bei einer grossen Move niachen also an Muskelfasern von 34 mm kiirzester Lange die Endpunkte bei einem FlUgelniederschlag von 90" verticalem Schlagwinkel, eine Excursion von 28 mm. Jedes Langentheilchen verkiirzt sich fast auf die Hillfte seiner Lange, vielleicht binnen ^ Secunde. Bei einem Todtenkopf (Acherontia atropos) wurde eine ahn- liche Untersuchung angestellt. Der maximalen Tiefstellung des Flugels entsprach hier eine maximale Verkiirzung des im Innern der Thoraxsegmente zunachst der Mittellinie gelegenen, machtigen, schrag vorwarts aufsteigenden Muskels; die Lange der Fasern be- trug dann 14 mm; wurde der Fliigel um 90 <> gehoben, so riickten die Ansatzpunkte der Fasern hochstens bis auf eine Entfernung von 17 mm auseinander. Bei diesem Schmetterling sind also ohne Zweifel bei jedem Flugelschlag die Excursionen der Muskelfasern im Verhaltniss zu ihrer grossten, ihrer mittleren oder ihrer kleinsten Lange geringer als bei der Move. Der Excursionscoefficient ist wirklich kleiuer. Jedes Langentheilchen verkiirzt sich um nicht viel mehr als um } statt um |. Doch ist die hiorzu verbrauchte Zeit nicht ctwa bloss 3 mal, sondern sehr viel mal ktirzer. Der Todtenkoi)fniuskel ist also befiihigt, gleich grosse relative Excursionen viel rascher auszufiihren als der Movenmuskel. Seine Ueber don Flug der Vogel. 417 Qualitat muss audi uoch, abgesehen von dem kleineren Excursions- coefficientei), von dcrjcnig(!n des Movenmuskels verschieden sein. Der grosseren Leistungsfahiglaut fiir Litngenanderung entspricht aber wahrscheinlich eine geringere Leistungsfiihigkeit fiir Spannung. Die analoge Untersuchung bei einem Cypselus apus er- gab folgendcs Resultat: Kiirzeste Entfernung der Faserenden von einander bei maxi- maler Fliigelsenkung: 25 mm, Abstand bei Hebung aus dieser Stellung um 90 ^ : 35 mm, Excursion : 10 mm. Bei Cypselus ist also der Excursionscoef- ficient grosser als bei Acherontia, kleiner als bei der Move. 9. Untcrsuchungen ul)er die thatsacliliclien Abanderungen der Fliigverhaitnisse imd Flugapparatc. Es ist ein ganz natiirlicher Gang der Entwicklung, wenn in der Lehre von den Flugbewegungen und Flugorganen abwechselnd theoretische Ueberlegungen zu empirischen Untersuchungen An- lass gegeben, und diese vvieder zu neuen theoretischen Betrach- tungen gefiihrt haben. So hoffe ich deun auch von der vorliegen- den Schrift, dass sie ermoglichen wird, neue Messungsreihen von verbesserten Gesichtspunkten aus zu unternehmen. Ein Riickblick auf die letzten Arbeiten auf diesem Gebiete wird deshalb zum Schluss wohl am Platze sein. Es ist bekannt, dass de Lucy^) Untersuchungen iiber das F Verhaltniss p bei Insekten, Vogeln und Fledermausen angestellt hat und als merkwiirdiges Resultat eine Abnahme dieses Verhalt- nisses mit zunehmendem Korpergewicht fand. Harting*) hat diese Thatsache „ihrer Sonderbarkeit entkleidet", indem er zeigte, dass „das, was de Lucy durch miihsame Messungen erfuhr, nichts an- deres ist, als eine Consequenz der aus der Anschauung Jedem be- kannten Thatsache, dass im Grossen und Ganzen eine gewisse geo- metrische Aehnlichkeit zwischen den Korpern grosser und kleiner Flieger besteht" (Reichel und Legal). Harting selbst und nach ihm Marey^) haben statt dessen ^) DE Lucr, Du vol chez les oiseaux, les cheiropteres et les insectes. Presse scientifique des deux mondes. 1865. tome I. pg. 581. ^) Hakting, Archives neerlandaises. t. IV, pg. 33. 3) Maeey, La machine animale pg. 234. 418 Dr. H. Strasser, das Verhaltniss ^^ oder ein gleichwerthiges ermittelt als Aus- druck der relativen Flugelgrosse. Es ist iiicht zu bezweifeln , dass die genannten Autoren den voni Fliigel erzeugteii Widerstand als hauptsachlich massgebend angesehcn haben. Derselben Ansicht waren auch Reichel und Legal, die neben vielen anderen Beziehungen auch die in Rede stehende untersucht haben ^). MouiLLARD^) und MtJLLENHOFF •^) glaubcn dem gegeniiber einen grossen P'ortschritt geinacht zu haben, indem sie nicht bloss die Ausdehnung der Flugelflachen , sondern der ganzen, beim Schweben als Drachenflache wirkenden Unterfliiche von Rumpf und Flugel als die fiir den Plug raassgebende Flugflache ansehen. MouiLLARD untcrsuchte das Verhaltniss dieser Drachenflache, die wir mit D bezeichuen wollen, zum Korpergewicht, also ^ und fand F natiirlich, wie de Lucy fiir p, im Allgemeinen eine Verkleine- ruiig des Quotienten bei wachsendem Korpergewicht. MiJLLENHOFF bcrcchnete das Verhaltniss vtit und bezeichnet cs als Segelverniogen = a. Sicher sind seine ausserordentlich zahlreichen Messungen als Material zur Beurtheilung eines be- stimmten Verhaltiiisses von dem grossten Werth ; auch kann man sehr wohl die Thiere nach dieser Segelgrosse klassificiren, so gut als nach ii-gend einer andern Beziehung. Auch kann man diese relative Grosse der Drachenflache insofern als ein Mass fiir die Fahigkeit zum Segeln ansehen, als Thiere von gleichem Korpergewicht je nach der relativen Grosse von D mit grosserer oder geringerer Oeconomie zu schwe- ben im Stande sind, und als es wahrscheinlich ist, dass sie es je ^) P. Reichkl und E. Legal, Uebor die Beziehungen der Grosse der Flugmuskulatur sowie der Grosse und Form der Fliigelflache zum Flugvermogeii und iiber die Aenderung dieser Beziehungen bei Aen- derung des Korpergewichtes. (Bericht der naturwiss. Sect. d. Schlesischen Ges. f. vaterland. Cultur 1879). 2) MouiLLAKD, L'empire de I'air. Essai d'ornithologie appliqu^ a I'aviation. Paris 1881. ^) MtjLLENHOFF, Die Grosse der Flugflachen. PflGgek's Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. XXXV. 1884. Ueber den Flug dcr Vogel. 410 nachdem haufiger odcr wcniger haufig zu thun pflegen. Doch hangt letzteres auch noch von der disponibeln Muskulatur ab. Bei ver- schieden schwereii Thieren aber kann das Verhaltniss p-— genau dasselbe sein , und doch wird das cine Thier mit Vortheil und haufig, das andere aber selteii schweben. In der That wenn man die Tabelle II von Mot^leniioff aufmerksam durchgeht, wird man finden , dass die Gewohnheit zu schweben durchaus nicht etwa mit steigendem o regelmassig zunimmt; viel mehr ware dies der Fall, wenn die Thiere nach aP oder vielleicht nach ry.P'ls geordnet waren. Um aber liber die ganzc Flugfahigkeit Aufschluss zu geben, dafiir ist a ebenso wenig als etwa das Verhaltniss p^ fur sich allein geeignet, da jene Fahigkeit auch noch von anderen Umstanden abhangt; auch enthalt die Drachenflache zwei ver- schiedene Theile, welche beim Fliegen vermittelst Fliigelschlagen von recht verschiedener Bedeutung sind. So ist denn MOllenhoff bei seiner Classification der Vogel nach dem Segelvermogen ge- zwungen, auch noch anderen Verhaltnissen, z. B. der relativen Grosse der Brustniuskulatur, der relativen Flugellange und der Klafter- breite Rechnung zu tragen. MCllenhoff erhebt gegen Reichel und Legal auch noch den Vorwurf, sie batten bei der Berechnung der von dem Fliigel gegeniiber dem Luftwiderstand geleisteten Arbeit die irrige Vor- aussetzung gemaclit, dass der Schlagwinkel und die Schlagfrequenz bei grossen und kleinen Fliegern derselbe sei. Dieser Vorwurf ist ungerechtfertigt. Reichel und Legal haben der Grosse -r>/ , die sie als ±*' 3 Flugelzifter bezeichnen, „versuchsweise" eine eben so grosse Be- deutung fiir das Flugvermogen zugeschrieben als dem Verhaltniss der Muskulatur ^; zum Korpergewicht (s, pg. 21 unten); sie gin- gen dabei von der Anschauung aus, dass nicht bloss ein grosser, sondern auch ein verhaltnissmassig langer Flugel von besonderem Vortheil sei, well er eine kleinere Winkelgeschwindigkeit zu- lasse und damit einen kleineren Schlagwinkel erlaube und indem er eine geringere Muskelverkiirzungsgeschwindigkeit bei sonst gleichen Verhaltnissen moglich raache. Es wird ausdriicklich ge- sagt (S. 16), dass bei sonst gleichen Verhaltnissen der grossere Flugel langsamer, mit kleinerem Schlagwinkel und kleinerer Winkel- geschwindigkeit bewegt werde. Dieser Vortheil ist durchaus nicht 420 Dr. H. Strasser, etwa, wie MCllenhoff ineint, taxirt nach dem Verhaltniss zwischen den Arbeiten, welche die Fliigel bei demselbeu Schlagwinkel und derselbeu Zeit des Fliigelschlages zu leisten vermogen, und der Ar- beit, welche geleistet werden muss — in diesem Falls hatte die Flug- ziffer = ~- gesetzt werden miissen — es ist der Vortheil vielmehr nur dem Verhaltniss eiuer bestimmten Langendimension des Kor- pers, welche zwischen der „theoretischen" Lange I des Flugels und der Seite eines Quadrates von der Grosse der Fliigelflache zwischen inne liegt, zu der Grosse P'ls proportional gesetzt worden. Setzen wir namlich a = yF und l = m.a, so ist ^^ — ^ — = -t^. — = - — t»ti Diese Darlegung zeigt nun aber, wo der wirkliche Mangel der Aufstellungen von Reichel und Legal liegt; es ist der Vor- theil der Flugellange an sich wahrscheinlich etwas zu hoch angeschlagen worden; dadurch, dass angenommen Avurde, es wachse der Vortheil der relativen Flugellange in gleichem Maasse proportional der Quadratwurzel von m, und pro- portional der Quadratwurzel des absoluten Werthes der Fliigel- flache. Die Auseinandersetzungen in Cap. 2 und 3 zeigen , dass die Flugellange kaum von einera so grossen Einflussist. Als Flu gel - ziffer wiirde also vielleicht richtiger der Ausdruck ^-p{\ — ge- wahlt werden. Nach Reichel und Legal hangt nun also die Fahigkeit besser Oder schlechter zu fliegen bei Thieren von demselben Gewicht vor Allem ab : 1) von der relativen Machtigkeit der Flugmuskulatur, 2) von der Yoxm des Flugels: der Quadratwurzel von w?, 3) von der Quadratwurzel der relativen Fliigelgrosse, SIC ist also = /" I p pi I I = Flugziffer. Wirklich stimmen hier- mit die Befunde gut uberein. Es zeigt sich nun aber bei der Berechnung desselben Verhaltnisses fiir Thiere von verse hie- denem Gewicht, dass dieses Verhaltniss hier durchaus nicht mehr vollkommen parallel liiuft dem Grade der Flugfahigkeit nach gewohnlichem Begril!. Die beiden Autoren haben dies nicht ubersehen, wie nach MOllenhoff's Kritik (pg. 416) ihrer Arbeit vermuthet wer- Ueber den Flug der Vogel. 421 den musste; sie haben im Gegentheil aus ihreii zahlreichen und sehr muhsamen Beobachtungen den Schluss gezogen, dass obiger Quotient mit zunehmendem Korpergewicht wachse, wahrend die wirkliche Fabigkeit zu fliegen nicht grosser werde; dass also entweder die relative Muskelmenge oder die Fliigelzitier (relative Grosse oder Liinge des Flu gels oder beides) etwas zunehmeu raiisse, daniit bei gosseren Thieren ein gleicb schneller und gewandter Flug moglich ist, wie bei kleineren. Wenn nun auch die genaue Taxation der Flugleistungen etwas Misslicbes ist, so ist doch dieses Resultat benierkenswerth, zumal da von den grosseren Fliegern meist nicht verlangt wurde, dass ihre absoluten Geschwindigkeiten wie P^'o wachsen, sondern nur dass diese ungefabr gleicb bleiben. Besonders lebrreicb ist die folgende Zusammenstellung (S. 26) : Thierart: Gewicht: Flugziffer Sterna 53 1,7693 « 116 2,666 » 174 3,287 Vanellus 190 2,772 f> 232 2,927 Limosa 208 1,4874 ?) 220 1,5317 It 227 1,5545 55 235 1,8524 Pandion haliaet. 1950 2,95214 Aquila. haliaetos 3055 3,2751 Perdix 320 0,4165 ij 375 0,4835 Charadrius 170 1,3655 „ pluv. 190 1,5786 Tringa 49,5 1,0952 55 120 1,1797 Anas 606 0,98307 55 1116 1,5549 Larus argent. 842 1,7426 » 55 1035 1,7077 ?J 55 1080 1,8726 n « 1225 2,1477 Die Tafeln, welcbe die verschiedenen von Reichel und Legal untersuchten Verbal tnisse in ihrer Abanderung ubersichtlicb vor- fiihren und leider ihrem Aufsatze nicht beigedruckt sind, be- finden sich in meinem Besitz; sie sind nach demselben Princip hergestellt, welches nachher von MtLLENHOFF in noch correkterer 422 Dr. H. Strasser, Weise angewandt worden ist. Zur P>mitteluug der zuletzt er- wahuten Resultate z. B. sind links am Rand der Tafel die Thiere nach ihren Gewichten geordnet, oben am Rand aber nacb dem Verbaltniss der Flugzili'er. Von den 2 Stellen in den beiden Co- lonnen, wo dasselbe Tbier vertreten ist, geben eine borizontale und eine verticale Linie aus, erstere gleicbsam als Abscisse und Mass des Quotienten Q, letztere als Ordinate, eutsprecbend dem Korpergewicbt. Die Stelle, wo die Linien zusammentreffeu, stellt den Ort des Tbieres in dem Diagraram dar. Es feblt uur, dass die Abstande in den Colonnen genau proportional den Unterscbie- den im Wertb von P und Q gemacbt sind. Solcbes ware notbig, wollte man, wie Mullenhoff es versucbt hat , feststellen , nacb welcbem matbcmatiscben Verbaltniss die eine Grosse bei der Aenderung der andern sicb andert. Die Tbatsache und der Sinn der Aenderung aber konnte aucb an den Tafeln von Reichel und Legal festgestellt werden. Aus den Messungen von Reichel und Legal iiber das Ge- wicbt der Muskeln gebt bervor, dass im Grossen und Ganzen die Menge der Muskulatur im Verbaltniss zum Korpergewicbt bei wacbsendem Korpergewicbt eber etwas ab- als zunimmt^); bei ungefabr gleicb grosse mFlugvermo gen wii r den daber die grosseren Flieger wesentlicb durcb einen relativ grosseren Fliigel au sgeze icbnet sein (R. u. L. pg. 28). Dieser Refund stimmt mit dem von uus tbeoretiscb Er- scblossenen (pg. 409) iiberein. Ferner zeigte sicb, dass die Hebe- muskeln des Flugels mit zunebmendem Korpergewicbt relativ kleiuer werden. Der von den beiden Autoreu geltend gemacbte Erklarungsgruud (seltenere Hebung des Fliigels) ist nicbt von der Hand zu weisen, insbesondere wenn man beriicksicbtigt, dass dadurcb die notbige Zeit gewonnen wird, um den Widerstand der Luft zur Hebung mit zu benutzen (s. pg. 372 dieser Abb.). Die fleissigen Untersucbungen von Reichel und Legal wur- den in dem Breslauer auatomiscbeu Institute angestellt, wo aucb meiue eigeneu Studien iiber die Flugbewegung weseutlicbe Forde- rung erfabren baben. *) Untersuchungen iiber dieseu Punkt sind auch schon vou Haktino und Maeey angestellt worden. Ueber den Flug der Vogel. 423 Schlusswort. Das folgende ausfiihrliche Inlialtsverzeicliniss wird am besteii geeignct sein, uiis den Gang der Uiitersuchung ins Gedachtniss zuriickzui-ufen. In den Vorbemerkungen und in den zwei ersten Haupttheilen der Schrift war das Hauptaugenmerk darauf ge- riclitet, das Wechsclspiel der ausseren und inneren Kriifte beim liorizontalen Nornialfluge in alien seinen Theilen zu verfolgen. Es wurde gezcigt, wie aus der Form der Bewegung auf die ausseren und inneren Kriifte geschlossen werden kann. Es gelang, die rcsultirende Einwirkung siimmtlicher inneren Krafte, welche die Stellung des Fliigels zum Rumpfe zu iindern streben , durch die Kraft Crixtg in der e-Tangentenebeue zu ersetzeu und zu be- rechnen und die resultirende Arbeitsleistung der inneren Krafte am Schultergelenk (exclusive Reibungsarbeit und incl. die an den passiven Hemmungsapparaten der Fliigelexcursion geleistete Arbeit) zu ermitteln. Die unentbehrliche Grundlage fiir derartige Unter- sucliungen bildet aber eine genaue Kenntuiss der Form der Be- wegung. Es wurde gezeigt, wie viel liier der Forschung noch zu thun iibrig bleibt. Im dritteu Haupttheil wurde zunacbst walir- scheinlich gemacht, dass die Muskelmenge der Muskelarbeit bei der gebrauchlichsten Thatigkeit proportional ist, indem Querscbnitt und liilnge des Muskels nicht bless der einmaligen Leistung von Spanuung und dem Totalbetrag der einmaligen Excursion ange- passt, sondern auch von den zeitlichen Verhilltnissen der Span- nungen und der Excursion (Excursionsgeschwindigkeit der End- punkte) beeinflusst siud, und indem audi in den Anordnungsver- haltnissen der Muskeln und in der Art ihrer Betbeiligung an der Aktion ein Princip der Oeconomie Geltung haben kann. Dass eine solche Oeconomie wirklich besteht, wurde durch einige That- sachen (Arbeitssammlung, Circumductio des Fliigels) wahrschein- lich gemacht; ob auch sie durch Anpassung an die Funktion zu Stande kommen kann, und wie weit seiches der Fall ist, wurde nicht weiter in Erwagung gezogen. Es gelang nun niit Hiilfe dieser Voraussetzungen eine gresse Reihe von Beziehungen aufzuklaren : den Einfluss der Abanderung des Schlagwinkels, der Zeit T, t und r, der Form und der Gresse des Fliigels auf die Muskelarbeit und den Bedarf an Muskelmenge; die Verhilltnisse der Arbeitsleistung bei verschiedenen Horizontalge- schwindigkeiten, beim Steigeu, beim Schweben undKreisen; endlich 424 Dr. H. Strasser, den Einfluss dcs Korpergewichtes auf die Flugweise, auf das Verhillt- niss der Muskelarbeit und Muskelmenge zur Flugleistung, auf die Ei- genschaften der Muskelsubstanz und auf die Anordnungsverhalt- nisse von Muskeln und Skelet. Die Erfahrung: Quo minora sunt animalia, eo majores faciunt saltus, welche Borelli registrirt und zu erklaren versucht hat, ftir welche aber erst das HELMHOLTz'sche Theorem ein voiles Verstandniss anbahnte, sie gilt auch fiir den Flug der Vogel und konnte mit Hiilfe der genannten Voraussetzungen von mir ein- gehender begrundet werden. Ich habe in den letzten Abschnitten meiner Schrift Manches nur angedeutet, was bereits jetzt weiter hatte ausgefuhrt wer- den konnen. Ein Mehreres aber muss durch besondere Unter- suchungen weiter verfolgt und erhiirtet werden. Dies gilt beson- ders fiir die Abanderungen in der Qualitat und den Anordnungsver- haltnissen der Muskulatur, je nach dem Bau, dera Gewicht und den Leistungen des Apparates. Es wird in Zukunft nicht mehr geniigen , bei vergleichend physiologischen Untersuchungen tiber das Muskelsystem einzelne Verhaltnisse, z. B. die absolute Mus- kelkraft fiir sich allein in Betracht zu ziehen. Neue Wege der Forschung sind uns vorgezeichnet, schwieriger zwar zu begehen, aber zu lohnenderem Ausblick fiihrend. Ueber den Flug der Vogel. 425 Inhaltsubersicht. VorTbemerk uiigeii . Suite Definitioiien (Flug, Normalflug), Begrenzuug der Aufgabe. Biolo- gisdie ZielpunUtc der Untersuclning. Vorfrageu. Rechtfertigung der Uiiternehimmg 174-178 Periodicitiit der relativcn und absoluten Bewegungen und der Aban- dcruiig der Krafte beiin Normalflug. Periodisches Gleichgewicht der verst'hiedenen Krafte an den verschledenen Theilen und am Ganzen. Gra- pliisehe Methode; Kraftecurven, Kraftefelder und Wegkorper; horizontaler, auf- und absteigender Normalflug (Fig. 1 — 4). Plan der Untersuchung 178—189 I. Die Form der Bewegiing. A. Disposition der Maschine 190—205 Wiclitigkeit der anatomischen Untersuchung. Hauptgliederung des Vogelkorpers. Bau und Skelet des Rumpfes und Flugels (Fig. 5). Ver- hiiltnisse des Gefieders (Fig. 6) 190 Beeinflussung der Form des Flugels durch aussere und innere Kriifte. (Fig. 7. In derselben sind irrthiimlicher W'eise die grossen Federn der Schwinge so dargestellt, als ob je eine aussere die nachst innere deckt, walirend das Umgekehrte der Fall ist) 200 B. Gesichtspuukte und Definitionen bei der Untersuchung der Form der Bewegung uud der Luftwiderstande .... 205^214 Relative und absolute Bewegung. Hauptrichtungen und Hauptebenen. Beobachtung aus verschledenen Richtungen (Projektion der Bewegung auf verschiedene Ebenen). Sehlagwinkel. Richtung der Fliigelflache als Gau- zes ; Langslinie und Sagittalprofile Pronation und Supination. Aufwarts- und Abwartsrollung. Verwerthung der MAREv'schen Registrirversuclie . 205 Normen bei der Beurtheilung und Zerlegung der Luftwiderstande . 211 Gesetze des Luftwiderstandes 212 Bd. XIX. N. F. XII. 28 426 Dr. H. Strasser, Seite C. Angaben der Autoren iiber die Form der Bewegung und die dabei erzeugten Luftwiderstande 214—237 BOUKLLI, BARTHKZ, ZACHAKIAE, StRAUS-DUKCKHKIM, JoU. MiJLLER, PUECHTL , GiKAUD-TEULON , (I'ESTERNO , KrARUP-UANSEN , PetTIGREW (Fig. 8 u. 9), Marey (Fig. 10), Tatin 214 Zusammenfassuug 235 D. Eigene Beobachtungen iiber die Form der Bewegung . 237—249 Cypselus apus, Hausschwalben , Krahen (Fig. 11), Storch, Taubcn, Mo veil 237 Zusammenfassung (Richtung des Schlages , Grcisse des horizontalen und verticalen Schlagwinkels, Richtungsanderung der Sagittalprofile des FlUgcls, Zabl der Fliigelschlage , zeitliches Verhaltniss zwischen Nieder- schlag und Hebung) 246 E. Neue Registrirmethoden. Momentanphotogiaphie (Muybridge, Marey (Fig. 12), O. Anschutz). Modelliren 249—253 F. Die Trajectorien der Oberilachenpunkte des Vogelkorpers beim horizontaleu Normalflug. Folgerungen beziigl. der Widerstiinde 253—271 Vorbemerkungen. 1. Oscillationen des Rumpfes unerbebiich. a. Anhaltspunkte zur Beurtheilung des Trajectoriunis der Fiiigel- spitze (Fig. 13) 253 b. Trajectorien der iibrigen Punkte. Verhalten des Luftwiderstandes an denselben bei -der Hebung und dem Niederschlag . . 257 c. Resultirende Einwirkung der Luftwiderstande 263 2 . H e r U c k s i c b t i g u n g d e r O s c i 1 1 a t i o n e n d e s R u m p I' e s. Vorbemerkungen. a. Relative Bewegung gegeniiber dem Gesammtscbwerpuukt . 264 b. Die Oscillationen des gemeinsamen Schwerpunktes .... 265 c. Ausniitzung grosserer Rumpfoscillationen. Verhalten bei relativ grossem und relativ kleinem Rumpfgewicht. Diagramm der gleicli- zeitigen verticalen Bewegungen der Scbwcrpunkte s, S und 2 (Fig. 14). Bewegung des Fiiigels (Fig. 15) 265 II. Das Wechselspiel der KrUfte. Einleitung. UebfiHiclii iiber die Wirkung der iiussereu und der go- Bummteu iuiicreu Kriit'te aul'Fliigil uiul Rumpfschwerpuukt 274—279 Ueber den Flug der Vogel. 427 Seite A . Die V e r t i c a 1 e E i n w i r k u n g der a u s s e r e n u n d d e r r e s u 1 t i )• e n d e II i n ii e r e n K r ii f t e a m F 1 ii g e I a u (' d e n F 1 ii g e 1 s c h w e r p u n k t. B e z e i c It n u n g e n u ii d S y m - 1) o 1 e 274 a. Der Fliigel beiin Miederschlag. Widerstaiid , innere Kriifte, Scliwere 275 h. Der Fliigel bei der Hebung 277 J$ Die verticale Einwirkung samintlicher Kriifte a in R u in J) f a u f d e n Ii u m p f s c h w e r p II n k t . . 278 /5. Curvcn dieser Krafte 279 286 Vorhenierkungen 279 A. Die Muf den F Hi gel wirkenden verticalen Krafte in ilirer Abanderung nach der Zeit. Curventafel (Fig. 16) 280 Ii. Die auf den R u m p f einwirkenden verticalen Krafte. Curventafel (Fig, 17) . . . . , 284 C. HorizontaleKriifte 28G y. Die Einzelwirkungeu der inneren Krafte zwischen Rumpf und Fliigel 286—319 A. A 1 1 g e mei n es. Verbindung im Schultergelenk. 1. Aeussere Krafte am Fliigel. Zerlegung nach dem Gelenk- drehpunkt o und der ,,£-Tangentenebene" (Fig. 18). Lage von e (Fig. 19). Zusammenfassung 287 2. Wirkung der inneren Krafte, welche entfernt von o liegen. 292 3. liniere Krafte, welche durch den Drehpunkt o wirken (Ge- lenkaxeiikrafte) 294 4. Zusammenfassung 296 B. Specielles. 1. Die Wirkung des Fliigelgewichtes 297 2. Die auf den Fliigel wirkenden Widerstande 298 3. Der Widerstand gegeniiber den Ceutrifugalkraften am Flugel (Cf) 302 4. Die Kraft Df, welche vom Rumpf aus durch o auf den Fliigel wirken muss, damit das an sich mit gleichformiger horizontaler Geschwindigkeit bewegte Gelenkende o den resultirenden Oscillationen des Rumpfes folgt (Fig. 20) 303 5. Die nothwendigen inneren Gelenkdrehkrjifte. Quere Coin- ponenten 306 a. Berechnung vou Gev und — Giv (Fig. 21) . . . 308 b. Berechnung von Gtm und — Gzz (Fig. 22 u. 23) 311 c. Berechnung von Giq und — Gtq 317 6. Natur der inneren Gelenkdrehkrafte 317 5. Die pronirenden und supinireudeu Krafte am Fliigel und die Einfliisse, welche den Rumpf und das gauze System zu dreheu strebeu 319—324 a. Rotireude Einfliisse am Fliigel 319 28* 428 Dr. H. Strasser, Seite b. Drehende Einfliisse am Rumpf und am ganzen System .... 321 f. Riickblick und Hinweis auf weitere Ziele der Unter- suchung , 325 327 m. Die nothwendlge Menge und Vertheiluiig der Muskiilatur. A. Allgemeiner Theil. 1. Versuch Prechtl's, die Muskelkraft beim Fluge zu bestimmen (Fig 24). Eigene Berechnung der von den inneren Kraften re- sultirend geleisteten verticalen Arbeit 329 2. Plan der eigenen Untersuchang 335 3. Verhaltniss des Stoflfumsatzes zu der ausseren Arbeit der Muskeln 33C 4. Wovon hangt die Lange eines Muskels und die Grosse seines Querschnittes ab ? 338—346 Bedeutung der zeitlichen Verhaltnisse : der Excursions- geschwindigkeit und der Dauer der Spanuung. Verschiedene Muskelqualitaten je nach den Arbeitsformen. Vermuthung, dass einer grosseren Excursionsgeschwindigkeit eine geringere Leistungsfiihigkeit des Querschnittes entspricht und umgekehrt, wenigstens da , wo die ganze Leistungsfahigkeit hoch ent- wickelt ist 338 Zusaramenfassung 344 5. Ueber den Grad und die natiirliehen Grenzen der Oeeouomie in den Anordnungsverhaltnissen der Schultermuskulatur .... 346 —354 a. Die Aenderung der Ricbtung der resultirenden inneren Ge- lenkdrehkraft in der Zeit (Fig. 25) 346 b. Umanderung der Lageverhaltnisse irgend eines Muskels am Schultergelenk bei der Flugaktion. Bedeutung der Be- theiligung verschieden gerichteter Muskelfasern an einer resultirenden Spannung, und der circumductio des FHigels fur die Oeconomie (Fig. 26). Princip des Arbeitssammlers (Fig. 27) 348 6. Vorbemerkungen iiber das Verhaltniss der Muskelarbeit zu der locomotorischen Leistung 354 B. Specieller Theil. 1. Der Einfluss der Anzahl der Flugelschlage und der Grosse des Schlagwinkels 356 2 Der Einfluss der Flugelform 360 3. Der Einfluss der Grosse der Fliigelfliiche 363 4. Das Verhaltniss von t: t und T. Hebemuskulatur des Fliigels 370 5. Abhangigkeit der Muskelarbeit von der Geschwindigkeit der Be- wegung des Ganzen gegeniiber dem umgebenden Medium (Fig. 28). Steigen. Beginn des liorizontalen Fluges. Stationarer Flug, RUtteln. Einfluss der Geschwindigkeit beim liorizontalen Normal- flug. Bogenflug kleiner Vcigel. Nutzen langer Fliigel .... 373 Prechtl's Angaben iiber die Wirkung des FliigelschlageU zur Vorbcweguug 380 Ueber den Flug dcr Vogel. 429 Seite Aenderung der Verlialtnisse des Rutiipfes. Umwandlung von loco- motorischer Kraft der »-Richtuiig in Auftrieb ^Drachenwirkung) (Fig. 29) 382 Drachenwirkung aiif beliebigen Trajeetorien, Schweben. Flug in Wellenlinien. Kreisen 386 a. Schweben in ruhender oder gleichmassig bewegter Luft (Fig 30, 31 u. 32). Periodische Anstrengung zum Wieder- gewinn der verlorenen Energie. Beurtheilung der noth- wendigen Muskelspannungzur Fixation des Schultergelenkes. Zusammenfassung 387 b. Drachenflug in ungleichmassig bewegter Luft 401 .Aenderung der Verhaltnisse des Fluges bei Aenderung aller Dimensionen des Flugthieres 404—417 Geometrische Aehnlichkeit der Bewegung. Gleiches rela- tives Flugvermdgen. Arbeit der Gelenkdrehkrafte. Muskel- menge. Grenze fiir die Grosse eines Flugthieres. Das Helm- Hoi.Tz'sche Theorem. Oeconomisclies in dem Fluge grosser Thiere. Die ersten Flieger 404 Aenderung in der Form der Arbeitsleistung der resultiren- den Gelenkdrehkraft 411 a. Grenzen der Anpassungsmoglichkeit der Muskulatur beim Wachsthum der Dimensionen 413 b. Bei Verkleinerung der Dimensionen. Pneumaticitat 415 Erraittclungen iiber die Grosse des Excursionscoefficienten . 41G Untersuchungen iiber die thatsachlichen Abanderungen der Flug- verhaltnisse und Flugapparate. De Lt'CY. Harting. Marey. Mouillard und Mullenhoff. Reichel und Legal 417—422 Schlusswort. Ueber einige neue Zoantheen. Ein Beitrag zur anatomischen und systematischeu Kenntnis der Actinien. Von Dr. August Erdmanu. Hierzu Tafel IV und V. Auf die Bedeutung der anatomischen Verhaltnisse, besonders der Septenstellung, fiir die Systematik der Actinien haben zu- erst R. und O. Hertwig ^) in ihren „Actinien" hingevviesen. In diesem Werk, das die Actinien besonders in anatomischer und histologischer Hinsicht behandelt, sind ausserdem eiuzelne Arten beschrieben, zusammengestellt und unter gemeinsame Gesichts- punkte gebracht; eine umfassende Classification war jedoch wegen Mangels an Material nicht moglich. Erst ganz neuerdings hat R. Hertwig 2), gestiitzt auf das ihm zur Bearbeitung iibergebene Actinienmaterial der Challengerexp edition, ein System der Actinien aufgestellt. Er griindet dasselbe in erster Linie auf den Bau und die Anordnung der Septen und gelangt hierbei zu sechs wohlbegrenzten Tribus, zu deren weiterer Einteilung in Familien dann die iibrigen anatomischen Eigentumlichkeiten herangezogen werden. Von den aufgestellten grossen Gruppen wird die fiinfte von der der Zoantheen gebildet, Wie die bisherigen Einteilungeu der Actinien, da sie auf nur unbedeutende, ausserliche Merkmale fussten, alle eine klare Definition ihrer Unterglieder vermissen liessen, so entbehrte auch die Abteilung der Zoantheen ganzlich einer festen Abgrenzung. Bei Milne Edwards ^) bildet sie die letzte der funf Uuterfamilien der Familie der Actinien und be- greift in sich coloniale, festsitzende Formen, die sich durch basale Knospung vermehren und eine mit Sandkornern incrustierte Hiille haben. Ganz mit Recht vervvarf Gosse^) in seinem System das Erfordernis der Sandincrustation , da typische Zoantheen giinz- lich frei von Einlagerungeu sind. Indessen ist auch die coloniale Lebensweise nicht einmal niassgebend. Steenstrup-^) beschricb ^) R. u. 0. Heetwig: Die Actinien. Jena 1879. ^) R. Hketwig: Die Actinien d. Challengerexpedition. Jena 1882, ^) Milne Edwards: Hist. nat. des Corall. Paris 1857. *) Gosse: Actinologia britannica. •'') Steenstbup: Konigl. Danske Vidensk. Selscabs Forliandl. 1856. Dr. August Erdmann, Ueber einige neue Zoantheen. 431 im Jahre 1856 unter dem Namen Sphenopus marsupialis eine einzellebende Actinie, welche in ihrem anatomischen Verhalten den Zoantheen schr nahe steht. Dem EowARDs'schen System zu Liebe ist dieses interessante Tier vielfach andern Familien unter- geordnet worden, bis endlich R. Hertwig ^ die unverkennbare Zoantheennatur des Sphenopus nachwies. Wie bei den Actinien iiberhaupt, drangt sich audi bei den Zoantheen immer wieder die Ueberzeugung auf, dass eine be- stimmte, keine Ausnahrae zulassende Definition nur auf Grund der Septenstellung zu geben ist. Das Verdienst, die bei den Zoantheen herrschende Septenanordnung zuerst richtig erkannt zu haben, gebiihrt G. v. Koch 2), der an der Palythoa Axinellae die so characteristische Stellung der Scheidewande nachwies. Seine Beobachtungeu sind darauf von R. Hertwig 3) an anderen Formen bestatigt worden, und ganz kiirzlich hat G. MOller'^) der Morpho- logie der Scheidewiinde bei den Zoantheen eingehende, die ge- wonnenen Befunde bestatigende und erweiternde Untersuchungen gewidmet. Wahrend bei den Actinien im Allgemeinen die Septen eines Paares gleiche Grosse und gleichen Bau in Bezug auf Mesenterial- filamente und Geschlechtsorgane zeigen, unterscheidet man bei den Zoantheen zwei Arten von Septen: 1. grossere, Mesenterialfilden und Geschlechtsorgane fiihrende, fertile Macrosepten, welche, da sie dem Schlundrohr in seiner ganzen Lange ansitzen, als „vollstandig" zu bezeichneu sind; 2. kleinere, der Mesenterialfaden und Geschlechtsorgane ent- behrende, sterile Microsepten, welche das Schlundrohr nie er- reichen und daher „unvollstandig" genannt werden mtissen. Je ein Macroseptum und ein Microseptum bilden ein Paar, d. h. sie kehren sich ihre homologen Seiten, die Seiten ihrer longitudinalen Muskeln zu. Solcher Paare sind zahlreiche vorhanden. Xur zwei Paare lassen eine andere Anordnung ihrer Muskeln erkennen, es sind dies die beiden einander opponierten, sog. Rich tun gs sept en paare, welche ihre Longitudinalmuskeln auf abgewandten Seiten tragen. Von der biradial - symmetrischeu Grundform der Actinien ^) R. Hektavig: loc. cit. 2) G. V. Koch: Palythoa Axinella. Morph. Jahrb. 1880. ■^) R. Hertwig: loc. cit. *) G. MtJLLEK: Morphol. der Scheidewande bei einigen Palythoa und Zoanthus. Inaug.-Dissert. Marburg 1883. 432 Dr. August Erdmann, weichen die Zoantheen (mit ihnen die Moiiauleeii) dadurch ab, dass sieden bilateral-symraet rise hen Typus geltciid machen. Das Schluiidrohi- bositzt zuniichst nur eine Schlundriniie ; alsdann besteht das, an dem durch letztere bezeichneten Endc der Sagittal- axe — dem ventralen Pol — gelegene Richtungsseptenpaar nur aus Macrosepten, wahrend am entgegengesetzten Ende der Sagittal- axe — dem dorsalen Pol — das Richtungsseptenpaar nur Micro- septen fiihrt; letztere bezeichnen soniit die der Schlundrinne ent- behrende Seite des Schlundrohrs. Von den beiden einander op- ponierten Richtungsseptenpaaren ausgehend, gruppieren sich die iibrigen, aus Macro- und Micruseptum bestehenden Paare nach dem Princip, dass sie das Macroseptum den benachbarten Rich- tungssepten zu-, das Microseptum ihnen abwenden. Wenn nun noch hinzugefugt wird, dass die Zahl der Paare, die ihr Macro- septum den dorsalen Richtungssepteu zuwenden, jederseits con- stant zvvei betragt, wahrend die Auzahl der Paare, die sich jeder- seits mit zugewandtem Macroseptum um die ventralen Richtungs- septeu gruppieren, eine nach dem Alter des Polypen verschiedene ist, so ist es leicht, sich ein Bild, wie es ein Querschnitt durch die Schlundrohrgegend z. B. eines Zoanthus reprasentiert, darzu- pj„ J stellen. Den Complex der Septenpaare, welche ihr Macroseptum dorsalwiirts kehreu — ihre Zahl ist mit dem dorsalen Richtungsseptenpaar constant fiinf — kanu man als die dor sale Zone, die Masse aller iibrigen Paare — ihre Zahl ist eine schwankeiide — als die ven- trale Zone bezeichnen. Beide Zonen stossen dem angegebeuen Anordnungsprincip gemiiss jederseits mit Microsepten zusammen, die Grenze beider wiirden dcmnach zwei Radien, welche zwischen diesen aufeinanderstossen- den Microsepten hindurchgehen, bezeichnen. Die beschriebene Septenanordnung lasst eine geringe, jedoch fur die Systematik der Zoantheen sehr wichtige Modification zu. y.^, n Bei einem Teil unserer Polypen bestehen nam- lich die an die ventrale Zone stossenden Paare der dorsalen Zone nur aus Macrosepten, so dass die Septenstellung z. B. eines Epizoanthus sich nach folgendem Schema regeln wiirde. Zur Un- terscheidung woUen wir den zuerst beschriebe- nen Typus als „M i c r o t y p u s" der zweiten An- ordnung als „M aero typus" gegenilberstellen, TJeber einige neue Zoanthcen. 433 welche Bezeichnung^ sich durch die Verschiedenheit der erwahnten dorsalen Paare recbtfertigt. Sehr bezeichnend fiir die Zoantbeen ist der Entstehungs- process der Septen. Wabrend bei den iibrigen Actinieu (excl. Ceriantbidae) jedes Zwiscbenfacb bcfabigt ist, in sich neue Septen- paare zu bilden, treten bei den Zoantbeen nur zwei Interseptal- facber als Bildungsbeerde neiier Scheidewande auf. Es sind dies die beiden, den ventralen Richtungssepten benacbbarten Zwiscben- tacber. In diesen werden, wie nachber ausftibrlicber gezeigt vver- den soil, stets neue Paare, die aus einem Macro- und einem Micro- septum bestehen, angelegt und zwar nacb dem Princip, das Macro- septum den Richtungssepten zuzukebren. Ich begniige micb vor- laufig mit der Feststellung dieser aus Beobachtungen gewonnenen Tbatsacbe; die sich leicbt ergebende Folgerung fiir die Entwicke- lungsgescbichte moge am Schluss folgen. Die angefiibrten Verhaltnisse des Baues und der Anordnung der Septen sind so eigentumlich und bezeichnend, dass sie zur Abgrenzung der Zoantbeen gegen die iibrigen Actinien vollig ge- niigen. AUe anderen Eigentiimlicbkeiten sind von geringerer Be- deutung; dennoch gebeu manche von ibnen sehr verwertbare Merk- male fiir die weitere Einteilung unserer Polypen ab. Sie mogen zur Vervollstiindigung der allgemeinen Scbilderung kurz erwiibnt werden. Die Zoantbeen sind entweder freilebend oder zu Colo- n i e e n vereinigt. Diese Verbindung gescbieht auf verschiedene Weise. Entweder hangen die Tiere durch schmale, von ihrer Basis aus- strahlende, sich verzweigende Stolonen zusamraen; oder sie sitzen einem mehr oder wenig flachig ausgebreiteten Coenenchym in gros- seren oder kleineren Zwischenraumen frei auf; oder endlich es sind die Polypen einem gemeinsamen Coenenchym bis oben bin eingesenkt, so dass sie der Lange nacb verwachsen scheinen. — Bei alien colonialen Zoantbeen ist das Coenenchym, wie beschaifen es auch sein mag, von grossen, mit Entoderm ausgekleideten Ver- bindungsrohren (Taf. V Fig. 4 und 5 er) durchzogen. Die- selben stehen direct mit dem Polypeninnern in Verbindung, indem sie von der Basis des Gastralraumes ausgehen und so ein sich iiber die ganze Colonic erstreckejides System communicierender Caniile darstellen. — Im natiirlichen Zustande bildet die M u n d s c h e i b e den oberen Verschluss; in ihrer Mitte liegt die spaltenahnliche Mundoffnung, welche den Eingang in das nacb unten hangende Schlundrohr und weiter in den Gastralraum bildet. Die an der Mundscheibe da, wo diese am Mauerblatt inseriert, angebrachten 434 Dr. August Erdmann, Tentakel sincl stets in zwei Kreisen altcrnierend angeordnet, der- gestalt, dass die Tentakel des einen Kreises mit den Interseptal- fachern (Zwischenfachern) die Tentakel des anderen Kreises mit den Intraseptalfachern (Binnenfachern) communicieren. Die Zahl der Tentakel ist stets gleich der Summe der Binnen- und Zwischen- facher oder, was dasselbe heisst, gleich der Anzahl der Septen. — An den contrahierten Tieren (Taf. V Fig. 2 u. 9) ist das obere Mauerblatt nicht nur nach der Axe zu umgebogen, sondern auch eine Strecke weit in das Innere eingeschlagen, so dass in dieseni Zustande die Mundscheibe (mm) mit den Tentakeln, sowie das Schlundrohr (ms) vollig im Innern geborgen sind. In dem nach innen eingeschlagenen Teil liegt ein fiir die Classification der Zoan- theen sehr wertvolles Organ, namlich der Ringmuskel oder Sphincter. Derselbe kommt alien Zoantheen, soweit sie bis jetzt daraufhin untersucht sind, zu und ist entweder entodermal (difius) oder mesodermal. Ein Ringmuskel ist entodermal, wenn er allein durch starke Einfaltung der entodermalen Muskellamelle ge- bildet wird ; auf Langsschuitten giebt sich ein solcher Sphincter als zackige oder auch geweihartige Vorsprtinge, die vom Mesoderm ausgehen, zu erkennen (Taf. V Fig. 9r). Ein mesodorraaler Ringmuskel wird gebildet von rings geschlossenen Muskelbiindeln, welche, ins Mesoderm geriickt, sich hier, indem sie sich unregel- massig ausbuchten und verzweigen , zu einem meist miichtigen Muskelcomplex zusammenlegen, der im Mauerblatt eine deutliche Verdickung hervorruft und stets so gelagert ist, dass er vom ento- dermalen und ectodermalen Epithel gleichweit entfernt liegt (Taf. V Fig. 2 ro, ru] Fig. 1 r). — Das Mesoderm der Zoantheen ist, wie sich das unter den Actinien nicht wieder findet, von eigen- turalichen, mit Zellen vollgepfropften H 6 h 1 u n g e n erfiillt. Wiih- rend dieselben bei den einen Formcn in ihrer scharfbegrenzten Abgeschlossenheit verharren (Taf. V Fig. 8 ca), konnen sie sich andrerseits verzweigen und anastomosieren, bis sie schliesslich ein das ganze Mesoderm durchsetzendes System enger Caniile repra- sentieren (Taf. V Fig. 1 ca). Wie die Beobachtungen ergeben, sind diese Hohlungen und Caniile des Mesoderms stets ectodermalen Ursprungs. Als ebenso allgcmein verbrcitete Einlagerungen des Mesoderms verdienen erwiihut zu werden feine, meist radiiir, d. h. vom Entoderm zum Ectoderm verlaufende Fasern, die mit Kernen ausgestattet sind und ganz das Aussehen von Muskelfasern haben (Taf. V Fig. 1 u. 8). Ausserdem birgt das Mesoderm zahlrciche, entweder rundliche oder sternformige, mit feinen Auslaufern ver- Uebcr einige ueue Zoantheen. 435 sehene , keruhaltige B i u d o g c w e b s k o r p e r. — In den meistcn Fallen ist das Integument mit F r e m d k 6 r p e r n incrustiert. Die- selben finden sich als unregelniassige Sand- oder Kalkkorner, Spon- gionnadeln , Foraminiferen - oder lladiolarienschalen etc. entweder nur der ilusseren Zone des Mesoderms eingelagert, oder sie durch- setzcn dasselbe in seiner ganzen Dicke. Andrerseits giebt es auch Formen, die von Einlagerungen ganzlich frei sind und ein weiclies, fleischiges Integument besitzen. Die Mesenterialfaden zeigen uberall einen ziemlich ilberein- stimmenden Bau. In ihrem untersten Teile enden die Macro- septen gerade wie die Microsepten frei; erst in einiger Hohe von der Polypenbasis verbreitert sich die Stiitzlamelle der ersteren an ihrem inneren Rande keulen- oder Tformig, und auf diesem ver- breiterten Ende bildet sich das Epithel zu einem Driisenbeleg um. Dieser unpaare Drtisenstreif stellt in der unteren Halfte des Po- lypen allein das Mesenterialfilament dar. In mittlerer Hohe tritt dann ein paariger Flimmerstreif hinzu. Dieser liegt am Sep- tum mehr nach aussen, d. h. dem Mauerblatt genahert; er entsteht dadurch, dass sich das Epithel auf zwei seitlichen, fliigelartigen Abzweigungen der Mesodermlamelle zu einem hohen Flimmerbesatz urawandelt. Dieser dehnt sich in der Nahe des Schlundrohrs nach der Polypenaxe zu immer mehr aus, bis er schliesslich auch den Drtisenstreif verdrangt hat. So bleibt in der Hohe des Schlund- rohrs ein beide Seiten der Mesodermlamelle einnehmender Flimmer- streif tibrig, der nach der Axe zu eine Strecke weit vom Schlund- rohr aufhort, um das Septum frei an diesem inserieren zu lassen. Bemerkenswert ist, dass dieser Flimmerbesatz auf Langsschnitten in regelmassigen Intervallen zierlich eingekerbt erscheint. Was endlich die Geschlechts verhaltnisse der Zoantheen betriift, so finden sich bei ihnen sowohl ausgesprochene Hermaphro- diten, als auch gonochoristisch ausgebildete Formen. Die unge- schlechtliche Fortpflanzung , die bei den Zoantheen allgemein verbreitet ist, beruht auf Knospung, welche nur in seltenen Fallen seitlich am Individuum, allermeist jedoch am Coenenchym auftritt. Indem letzteres beiderseits vom Ectoderm begrenzt ist, sein Mesoderm aber von den entodermalen Verbindungsrohren durchzogen ist, braucht sich nur eine kreisformig umschriebene Stelle der oberhalb der Gefasse liegenden Coenenchymschicht nach aussen vorzuwolben , um eine junge Ivnospe , welche die drei den Polypen constituierenden Schichten in der erforderlichen Aufein- anderfolge enthalt, darzustellen. 436 Dr. August Erdmann, Um schliesslich vou der E i n t e i 1 u n g der Zoantheen zu spreclien, so empfiehlt sich zunachst die von Gray') vorgenommene Tren- nung in einzellebende und coloiiiale Formen; Hertwig^) bezeichnet diese als Zoanthiden, jene nach ihrem bekanntesten Vertreter als Sphenopiden. Von letzteren sind noch zu wenig Fornieu untersucht, um eine weitere Einteilung zuzulassen. Bei der Frage nach der Classification und Benennung der Zoanthiden stellen sich, wenn man sich auf die vorhaudenen Autoritaten stutzeu will, nicht geringe Schwierigkeiten in den Weg. Fast jeder, der die Zoan- thiden systematisch bearbeitet hat, giebt eine andere Einteilung; so hat man zwar die Wahl unter einer Meuge von Systemen, von denen aber keines, da sie alle auf mehr oder weuiger unbedeutende, ausserliche Merkmale gegrundet sind, befriedigen kann. Verrill^), dessen Einteilung unter den vorhaudenen noch die beste, scheidet die colonialen Zoantheen in vier Gattungen: „ ,, ) Coenenchym bildet schmale Zoanthus / ox i f Stolonen .,., i Iiitegument weich Coenenchym stolonenartig mit Mammilifera \ rn j r n i i^ ^ ] Tendenz zur Laraellenbildung ^ . ,, i Coenenchym lamellos, Poly- Epizoanthus J -• • f T X X • X- X pen irei > Integument incrustiert i. , ^ r^ u i • ^ , , I '^ Polypen dem Coenenchym bis JraivtnoS/ I 1 1 • • 1 i •^ j oben hin emgesenkt. Zunachst muss ich die Unklarheit der VERRiLL'schen Defini- tionen hervorheben, nach welchen z. B. zwischen Zoanthus und Mammilifera absolut keine scharfe Grenze zu Ziehen moglich ist. Nachdem er das lamellose Coenenchym als Characteristicum fiir Mammilifera angegeben hat, gesteht er selbst zu: „that this cha- racter is not invariable even in the same species". Beide Gat- tungen sind allerdings ausserhch sehr ahnlich und kaum auf iius- sere Merkmale hin zu trennen; jedoch liefert in diesem Falle der Ringmuskel ein ungemein scharfes Unterscheidungsmoment. Zoan- thus niimlich besitzt einen mesodermalen, doppelten, d. h. aus zwei hintereinanderliegenden Portionen bestehenden Sphincter (Taf. V Fig. 2), wahrend derselbc bei Mammilifera als ein ungetciltes Ganze im Mauerblatt verliluft (cf. Taf. V Fig. 7). — Alsdann nimmt Verrill unter Epizoanthus zwei Formen auf, die selbst ausserlich eine uuverkenubarc Verschiedenheit aufvveisen. Die eine 1) Proceed. Zool. Soo. 1867 pag. "236. 2) 11. H-ERTWifi: loc. cit. ^) Transact. Conn, Acad. Vol. I. Ucber einiKC neue Zoauthccn. 437 besitzt eiii lamelloses, zusammenhangendes , das Substrat meist gaiiz odor docli auf weite Strecken liberzieliendes Coenenchyni, wahrend der anderen Form ein nur geriiig ausgebildetes, baiid- oder zungenioniiiges Coenenchym eigentiinilich ist. Noch vielmehr aber ergiebt sich die Unmoglichkeit einer Veieiiiiguug beider Grup- pen aus anatomischen Griinden. Die eine Form fuhrt niimlich einen deutlich mesodermalen Ringniiiskel (Taf. V, Fig. 7), wahrend die andere — wie sich das unter den Zoantheen nicht wieder findet — einen ausgesprochenen entodermaleu Sphincter aufweist (Taf. V Fig. 9). Dieserhalb mochte ich unter der Gattung Epi- zoanthus eine Trennung einfiihren und fiir die Arten mit himellos ausgebreitetem Coenenchym und mesodermalem Ringmuskel den Namen Epizoanthus beibehalten, dagegen fiir die Arten mit band- oder zungenformigem Coenenchym und entodermalem Ringmuskel die ihr gebiihrende Bezeichnung Palythoa wahlen. Fiir die Ver- KiLL'sche Gattung Palythoa wiirde ich dann die alte , zuerst von Lesueur') angewandte Benennuug Corticifera wieder einfiihren. Inwieweit diese Neuerung berechtigt und das von mir vorge- schlagene System ein vollstandiges und klares und durch die ana- tomischen Verhiiltnisse begriindetes ist, wird am besten aus einer iibersichtlichen Zusammenstellung der fiinf Gattungen mit ihren unterscheidenden Merkmalen hervorgehen. Familie Zoanthidae. Genus Septen- stellung Ringmuskel Coenenchym Integument Geschlecbts- organe Zoantbus Microtypus mesodermal doppelt Stolonen weich hermaphro- ditisch Mammilifera Microtypus mesodermal eiufach stolonenartig mit Tendenz zur Lamel- lenbildung weich ? Epizoanthus Maerotypus mesodermal einfach zusammen- hangend, lamellos incrustiert gono- choristisch Palythoa Macrotypus entodermal baud- oder zungenartig incrustiert gono- choristisch Corticifera Microtypus mesodermal einfach Polypen des Coenenchym bis oben bin eingesenkt incrustiert ? ^) Lestjeub: Observ. on sev. idelphia Yol. I. spec, of Actinia. Acad, of Phila- 438 Dr. August Erdmann, Die mir zur Verfugung stehcnden Arten bilden einen Teil des Herrn Prof. Hertwig von der englischen Regierung zur Be- arbeitung iibergebcnen Actinieumaterials. Zur bedeutenderen Mehr- zahl stammen sie von der grossen, wahrend der Jahre 1873 bis 1876 ausgefiihrten Challenger expedition; nur wenige, besonders bezeiclinete Arten riihren von einer der kleineren, spiiteren wisseu- schaftlichen Unternehmungen, und zwar von der Expedition, welche im Jahre 1882 von H. M. S. „Triton" ausgefiihrt wurde. Es war mir eine willkommene Aufgabe, zu der mich Herr Prof. Hertwig aufforderte, die vorhandenen Zoantheenarten zu bearbeiten. Fiir die Ueberlassung des Materials, sowie ftir die freundliche Unter- stiitzung, die er dieser Arbeit zugewendet, sage ich Herrn Prof. Hertwig meinen aufrichtigsten Dank! Erste Familie: Zoanthidae. Zoantlieen^ welche (lurch eiu Coenenchyni zu Colonieeu Tereinigt werden. I. Genus. Zoantlius Cuvier. Zoauthiden uhne SanilhuTustation j das Coeueiiihym bildvt cin stoloneii- artiges (leflecht^ deiu die Polypen dicht gedriiiigt^ jcdoch frei uud unver^iachseu aufsitzeuj Scptoustelluug uach dem ^icrotypusj Ring- niuskel mesodermal doppeltj (jeschlechtsorgaue hermapbroditisch. 1. Species. Zoanthus sp. ? Fig.: Taf. IV 1, 2; V 1, 2, 3, 4, 5. mesoderm wohl eiitwickelt^ daher das Maiierblatt dick fleischig^ coutra- biert stark quorgeruiizelt ^ gcwolbter Oberteil mit zartcu radiiireii Furcbeuj an deu grossereu Tiereii untcrscbeidet man den Unteren verscbmiilerteu „Sliel" vom oberen „R6rper"5 Colonieen iiberzlehen in llacben Kasen deu Meeresboden. Fuudort: Bermudas, Shallow water. Diese Art scheint mit der von Hertwig in den Challen- geractinien beschriebenen iibereinzustimnien. Mir stehen zwci etwa halbhandgrosse Colonieen mit je etwa 400 Einzeltieren zur Ver- fligung. Trotz dieser grossen Anzahl linden sich nur ausgcwachsene Polypeu vor, deren Lilnge zwischeu 5 — 25 mm, deren Breite TJeber einige.neue Zoantheen. 439 zwischen 3—5 mm schwankt. Alle Tiere sind stark coiitrahiert und zeigen in diesem Zustande die Form cylindrischcr Schlauche, (Taf. IV Fig. 1), die oben mehr oder wenigcr gewolbt sind. In der Mitte des den oberen Verschluss bildenden, umgebogenen Mauer- blattes ist als eiue kaum hervortretende, punktformige Vertiefung der Eingang in das Innere zu bemerken, von welchcm aus zahl- reiche zarte Furchen radiiir verlaufen. Die Farbe der Polypen ist eine schmutzig braune. Die Colonie bildet einen flachen Rasen, der den Boden , ein tuftahuliches Gestein, uberzieht. Auf demsclben finden sich die verschiedensten Grossenstadien nebeneinander, wobei autiallt, dass die grosseren Tiere die tieferen Stellen des hockerigen Substrates eiunehmen, was sich aus dem Bestreben der Polypen, der gleich- massigen Nahrungserlangung wegen ihre Mundscheibe mit der ihrer Nachbarn in gleiche Hohe zu stellen, erkliirt. Bei den Individuen, welche in den tiefsten Gruben der Unterlage stehen, unterscheidet man deutlich zwei, sowohl ausserlich wie anatomisch scharf unter- schiedene Telle. Der eigentliche Korper des Tieres {po), dessen Hohe, wie die der ubrigen nur 6 — 10 mm betragt, ist von dem unteren bis zu 15 mm langen „Stiel" (st) sowohl durch aussere Filrbung, welche infolge der bedeutenderen Dicke des Mauer- blattes eine dunklere ist, als auch durch grossere Breite scharf abgesetzt. Der untere Schlauch lasst wegen der Diinne des Mauer- blattes die Septen durchscheinen und ist daher liingsgestreift. Wahrend das Mauerblatt des oberen Teiles stark quergerunzelt ist, ist dasjenige des Stieles vollig glatt; an der Contraction nimmt der letztere also nicht Tell. Zwar gehen die Septen in ihn iiber, ohne jedoch Mesenterialfaden oder Geschlechtsorgane zu tragen. Dies alles deutet darauf bin, dass dem unteren Teil nur die unter- geordnete Bedeutung als Trager zukoramt, der dazu dient, die Mundscheibe der tief stehenden Polypen in gleiche Hohe mit der der benachbarten Tiere zu stellen. Verbunden werden die Einzeltiere durch Stolonen, welche von ihrer Basis nach mehreren Richtungcn verlaufen und ein dichtes Geflecht schmaler, diinner Bander bilden. Dem Substrat fest auf- sitzend, konnen sie nur mit Miihe unverletzt abgetrcnnt werden. An ihrem Rande wachsen sie unbegrenzt welter, wobei sie sich mannigfach verzweigen; auf der Oberseite erzeugen sie dann durch Knospung die jungen Polypen als kleiue warzige Ausstiilpungen und vermehren so mit ihrem eignen Wachstum fortschreitend die Zahl der Polypen. Da das Stolonengeflecht ein sehr inniges ist, 440 Dr. August Rrdraann, SO stehen auch die Polypen sehr gedrangt, an manchen Stellen so eng zusammen, dass sie sich gegenseitig hexagonal abplatten. (Taf. IV Fig. 2). Das Integument ist weich, lederartig und von Einlagerungen vollig frei; die Korperobcrflache ist daher, abgesehen von der durch die Contraction bedingten Querfaltung, ganz glatt. Das Maucrblatt (Taf. V Fig. 1) ist von ansehnlicher Dickc und besteht aus den drei Schichten Entoderm, Mesoderm und Ectoderm. Das Mesoderm (w) ist besonders stark entwickelt und mannigfach diffe- renziert. Es wird gebildet von einer homogenen Grundsubstanz, in welcher als Einlagerungen zu unterscheiden sind: 1. Bindesub- stanzzellen , die sich als feinkornige , sternformige Plasmakorper mit feinen Ausliiufern und deutlichem Kern zu erkennen geben; von ihnen sind manche durch Aufnahme schwarzer Kornchen zu Pigmentzellen umgebildet, welche sich vorzugsweise in der ausseren Zone des Mesoderms vorfinden und die dunkle Farbe des Polypen bedingen; 2. zarte, vom Entoderm beginnende, zum Ectoderm ver- laufende und hier veriistelt endende Fasern, die in ihrem Verlauf Kerne fiihren ; 3. enge, mit Zellen erfiillte Hohlraume (ca), welche sich vielfach verasteln und anastomosieren und so ein das ganze Mesoderm durchsetzendes System abwechselnd breiterer und schma- lerer, vorzugsweise circular verlaufender Canale darstellen. Die Angabe Hertwig's, dass auf Querschnitten eine Communication dieser Canale mit dem Ectoderm zu beobachten sei, konnte ich mehrmals bestiitigen. Das Ectoderm scheint an solchen Stellen das Mesoderm durchbrochen, sich in demselben verzweigt und die so entstandenen Canale mit seinen Zellen ausgefiillt zu haben. Das Mesoderm entsendet in das hohe Ectoderm zahlreiche feine Aus- laufer {mf), welche sich an der, das letztere nach aussen abschlies- senden Cuticula mit verbreiterten Enden ansetzen, so dass das Ectoderm von sehr zahlreichen Querbalken aus Bindegewebe durch- setzt wird. Dieselben dienen jedenfalls zur Stiitze des zarten Epithels, welches ohne sie durch die mannigfachen ausseren mecha- nischen Einflusse unzweifelhaft zerstort werden wurde. Die Cuticula {cu) ist stark entwickelt und deutlich faserig. Der im contrahierten Zustande nach inuen eingeschlagene Teil des Mauerblattes birgt einen fur Zoanthus characteristischen Sphincter (Taf. V Fig. 2). Derselbe ist mesodermal, d. h. ganz im Mesoderm eingesenkt und besteht aus zwei vollig getrennten Teilen, einer oberen grosseren {ro) und einer unteren kleinereu Portion {ru). Erstere beginnt bereits in dem, im contrahierten Ueber einige neue Zoantheen. 441 Zustaiide wagerechten Telle des Mauerblattes ; er verbreitert sich dann gegen den Uinschlagsranrt bin immcr mehr, bis er in der Mitte des nacli innen eingeschlagenen Teiles des Mauerblattes eine bedeutende Machtigkeit erreicbt, Dann verschmalert er sich plotz- lich und hort ganz auf. Das Maucrblatt nimnit seine urspriing- liche Diiniie wieder an, uni sofort zur Bildung der zweiten kleineren Portion des Spiiincters wieder zur vorigen Breite anzuschwellen. Die beiden so geschaifenen RingEiuskelteile sind vollig getrennt und ohne jeglichen Zusammenhang; ihre Grenze wird durch den nicht verdickten Teil des Mauerblattes, der wie ein tiefer Ein- schnitt aussieht, gebildet. An den Septen von Zoanthus ist auffallend, dass ihre Sttitz- lanielle , (Taf. V Fig. 3), kurz nachdem dieselbe aus dem Mauer- blatt getreten, sich teilt, dann ^Yieder zusanimeubiegt und so einen geschlossenen , mit Zellen ausgekleideten Canal (sc) von rundem Oder langlicheni Querschnitt bildet, der die ganze Lange des Septunis durcbzieht. Durch einen Querbalken kann dieser Canal, dann jedoch nur bei den Macrosepten, in zwei Facher geteilt wer- dcn. Hertwig hiilt diese Septalcaniile fiir entodermalen Ursprungs, da er in ihnen dieselben eigentumlichen gelben Korper, die er fiir parasitische Algen erklart, und welche zahlreich im Entoderm, niemals' jedoch in den ectodermalen Canalen des Mauerblattes vorkommen, wahrgenomraen hat. Die Muskelfahnen (mf) sind sehr deutlich entwickelt und bilden geweihartige Vorsprunge am Mesoderm. Dieselben sind, was V. KocH^) als zweifelhaft hinstellt, als Analoga der bei den Acti- nien die paarige Anordnung der Septen bedingenden Muskelwiilste anzusehen. Auf gut gefiihrten Querschnitten konnte ich feststellen, dass sich alle Paare ihre Muskelseiten zuwenden, mit Ausnahme der beiden einander opponierten Richtungsseptenpaare , welche ihre Fahnen auf abgewandten Seiten tragen. Die Geschlechtsorgane (ov) liegen als schmale, kurze Bander in der mittleren Hohe der Macrosepten, auf Querschnitten cen- tralwarts von der Muskelfahne. Fast alle von mir untersuchten Individuen besassen Geschlechtsorgane, jedoch nur in beschrankter Anzahl und schwacher Ausbildung. Ich verzichte deshalb hier auf eine Beschreibung derselben und werde auf ihren Bau erst bei der folgenden verwandten Art, welche die Geschlechtsorgane miichtig entwickelt zeigt, naher eingeheu. Nur das will ich hier *) G. V. Koch: loc. cit. hix. x\x. N. F. XII. 29 442 Dr. August Erdmann, erwahiien, class ich einen dcutlichen Hermaphroditismus constatieren koiinte; Eier und HodenfoUikel lagcn ini Mesoderm nehen einander. Wie auf Querschnitten ersichtlich, bildet centralwarts von dem Geschlechtsbande das Entoderm zu beiden Seiten der stark ver- langcrten Stiitzlamelle einen breiten, aus dunkel-griinbraunen Zellen bestehenden Beleg {en). Derselbe fiihrt zablreiche rundliche Ein- lagerungen und erscheint daher stark gekornelt. Ueber seine histologiscbe und physiologische Bedeutung habe ich keinen An- halt; er ist um so merkwiirdiger, als ich ihn nur bei dieser Art constatieren konnte. In der Nahe des Schlundrohrs wird er durch den Flimmerstreif des Mesenterialfilamentes, welches den oben t'tir alle Zoantheen beschriebenen Bau zeigt, allmahlich verdrangt. Da mir das zahlreich vorhandene Material eine ergiehige Untersuchung gestattete, so habe ich diese Art benutzt, um zu einer moglichst genauen Kenntnis der Septenstellung, ihrer Eigen- thiimlichkeiten und Abweichungen zu gelangen. Untersucht habe ich 24 Polypen, Von diesen zeigten dreizehn eine ganz regel- miissige Anordnung der Septen, mehr oder weniger vom Typus abweichend verhielten sich elf Individ uen. Unter den dreizehn regelmassig ausgebildeten Exemplaren konnte ich bei funf Tieren von unten nach oben eine Zunahme der Septen um zNvei resp. drei Paare constatieren. — Die Zahl der Septen bewegte sich um 48 herum; als Minimum konnte ich die Zahl 42, als Maximum 52 feststellen. Meist lagen die Paare jederseits von der Sagittal- axe symmetrisch verteilt; doch kamen Difl'erenzen zwischen rechts und links bis zu vier Paaren vor. In der folgenden Zusammen- stellung bedeuten die Zahlen der ersten Reihe die Anzahl der Paare einerseits, die der zweiten Reihe die Anzahl der Paare andrerseits, wobei die Richtungsseptenpaare nicht beriicksichtigt sind ; die letzte Columne enthiilt die Gesammtzahl der Septen mit Einschluss der Richtungssepten. ISeptenpaare einerseits | andrerseits Scpteuziilil 1 11 10 46 2 11 11 48 3 11 11 48 4 11 11 48 5 11 11 48 6 10 12 IS 7 9 13 48 8 11 12 50 Ueber cinige ncue Zoantheen. 443 Septe eiuerseits uzahl andrerseits Septenzahl 9 unten 9 11 42 obeu 10 10 46 10 unten 10 10 44 obeu 11 11 48 11 unten 10 11 46 oben 11 12 50 12 unten 10 10 44 oben 12 11 50 13 uuten 9i n 42 oben 10 11 46 Die Zoantheen haben eine local beschrankte Wachstumszone der Septen; dieselbe liegt in der Nahe der ventralen Richtungs- septen. Zu dieser Ueberzeugung gelangt man schon bei oberflach- liclier Betrachtung eines Querschnittes durch die Mitte des Polypen. All eiiiem solchen Schnitt fiillt auf, dass, wahrend die der dor- salen Zone naheliegenden Scheidewande der ventralen Zone be- reits vollig ausgebildet sind, was sich besonders an den Macro- septen zeigt, indem diese alle bereits Mesenterialfaden und Ge- schlechtsorgane tragen , dass die Septen je naher sie dera ven- tralen Pol liegen , desto rudimentarer in Bezug auf Grosse und Ausbilduiig der Mesenterialfilamente und Sexualproducte werden, also offoiibar die jiingeren Bildungen sind. Was das Langenwachs- tum der Septen betrifft, so muss man annehmen, dass sich die- selben von oben nach unten bin ausdehnen. Denn wie an den jungeren, noch nicht vollig ausgebildeten Septen zu sehen ist, wird die Ausbilduiig derselben je naher dem Schlundrohr eine desto vollkommnere, wahrend umgekehrt nach der Basis zu die Scheide- wande immer rudimentarer werden, was sich nicht nur in Bezug auf ihre Grosse und die Ausbildung ihrer Anhange zu erkennen giebt — in manchen Fallen ist sogar zu beobachten , dass die jiingsten Septen die Basis gar nicht erreichen, sondern je nach ihrem Altersstadium in grosserer oder geringerer Entfernung vom Polypengrunde aufhoreu. Dieses letztere Verhalten giebt uns Ge- legenheit, den Entstehungsprocess der Scheidewande genauer zu verfolgen. Stellt man nun sammtliche Querschnitte , in welche 29* 444 Dr. August Erdmann, man den Polypen von unten nach oben zerlegt hat, zu einer ge- nau ilire Folgo einhaltenden Reihe zusammen , so kann man bei manchen Individuen ein fortschreitendes Einschieben neuer Septen bis zu drei Paaren beobachten. Dies gelang mir, wie erwahnt, bei fiuif Exemplaren. Hicrbei liess sich bestimmt feststelleii, der Alt der EinBchiebung, d. h. die Bildungsstatte neuer Septen , ist das Interseptalfach jederseits neben den ventralen Richtungssepten. Bezeichne ich mit \\ die Macrorichtungssepten, init 10 das jeder- seits auliegende Paar, mit | jedes neu entstandene Macro-, mit o jedes neu entstandene Microseptum und lasse dann auf den uutersten Schnitt OlIJIO jeden Schnitt, der ein neu auftretendes Septum zeigt, folgen, so wiirde folgendes Schema den Eutstehungsprocess der Septen versinnbildlichen : 01 II 10 01 1 II 10 01 ol II 10 01 o| II 1 10 01 ol j[ lo^ 10 01 ol |J[ |o lO 01 ol o] Jl lo^ 10 u. s. f. Aus dieser genau dem wirkhcheu Verhalten entsprechendcn Darstellung ersieht man, dass die Septen stets als Paare ent- stehen, d. h. je ein Macroseptum entsteht gleichzeitig mit deni zu- gehorigen Microseptum. Dass das erstere auf einem tieferen Schnitte sichtbar ist, wahrend sein entsprechendes Microseptum sich erst auf einem hoheren Schnitte einstellt, hat wohl nur seinen Grund darin, dass die Septen sich in der Basis des Polypen allmahlich verjiingen und, da das Macroseptum bedeutend weiter nach innen vorragt, so muss dieses naturgemass etwas tiefer nach unten hinab- reichen. Wiederholt fand ich an ausgewachsenen Polypen Unregel- miissigkeiten in der Septenstellung. Dieselben bestanden fast aus- schliesslich darin, dass Scheidewande, welche ihrer Stellung gemiiss Macrosepten sein sollten, microseptal waren und so zur Entstehung ganzer Gruppen von drei, fiinf, ja sieben Microsepten Anlass gaben. Verfolgt man solche Abwcichungen durcli die ganze Hohe des Polypen, so ist zu beobachten, dass dieselben in der Schluiidrohr- gegend weniger hiiufig auftreten und sich in manchen Fallen erst nach unten zu einfinden. Zum besseren Verstiuidnis will ich die entdeckten Abwcichungen graphisch darstellcn und zwar jede derselben in zwei Stadien, niimlich in einem Schnitt durch die Schlundrohrgegend und einem solchen durch die untere Hiilfte des Polypen. Zur besseren Uebersicht sind die beiderseitigcn lialften der dorsalen Zone sowie die Macrorichtungssepten fett gedruckt worden. TJeber einige ucue Zoanthccn. 445 1. •|«|«o|o|o|o|o|o|o| ooooo 1 o 1 1 1 1 o I ooooooo Io|o|o|o»|»|« • |»|«o|o|o|o|o| ooo I ooooo I o 1 1 1 1 o I ooooooo 1 0 I ooo I o» I • !• 2. •|»o|o|o|o|o|o|o|o|o||| |o|o|o|o|o!o|o/-^|o|o|o|o|o|00o»|»|« • I #00000 oooooooooooo ooo ooo ooo ooo» I • • 3. •• I • 1 90 I /--vO |0|0|0|0||||0|0|0|0|0| OOO | OOO I o I o» I • I • •• •••0 000 ooooooooo ooo ooo O 0* • • 4. • I BO I O I O I 0 I O I /^,0 |o|o|o|o||||o|o|o|o| OOO I OOO I o* I • I • • |«o|o|o|o|o| oooo |o|o|o|o||||o|o|o|o| OOO I ooo 1 0*1 • I* 5. 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Ferner trifft es sicb wohl (2, 4, 5 u. 6), dass an einer Seite der dorsalen Zone ein aus Macro- und Micro- septum bestebendes Paar gjinzlich ausfallt; bei zwei Individuen (5 u. 6) feblen merkwiirdiger Weise die kleinen Richtungssepten; endlicb fand icb ein Tier (3), bei welchem sich zu den beiden Microrichtungssepten noch ein drittes rudimentares Septum biu- zugesellt hatte. In den meisten Fallen beginnen die Unregelmassigkeiten, wie sie sich besonders in den microseptalen Gruppen der ventralen Zone zu erkennen geben, schon in hochster Hohe. Gewisse Septen, "welche ihrer Stellung gemass Macrosepten sein sollten, sind rudi- mentar, d. h. sie erreichen das Schlundrohr nicht, noch bilden sie 446 Dr. August Erdmann, Geschlechtsorgane oder Mesunterialfilamente aus ; dieser uiicro- septale Character bleibt dann bis unteii hiu erhalteu. In anderu Fallen hingegen treten die Abweichuugen erst in bestimmter Tiefe vom Schlundrohr auf. Wahrend in der Hohc des letzteren die Regelniassigkeit mchr oder minder gewahrt ist, die Macrosepten ihre voile Ausbildung auf Grosse und ihre Anhange zeigen, werden einzelne derselben unterhalb des Schlundrobrs ziemlich plotzlich rudimentar und nehmen ganz das Aussehen von Microsepten an, Beide Fiille von Unregelmassigkeiten , sowohl der sich durcli die ganze Polypenhohe hindurchziehenden, als auch der auf eine ge- wisse Tiefe beschrankten Abweichung lasseu sich an eincm und demselben Polypen beobachten. Man kann sich dieses vom Tvpus abweichende Verhalten einzelner Scheidewiinde nur durch die Au- nahme erklaren, dass in dem eineu Falle die verkiimmerten Macro- septen von ihrem ersten Auftreten aus dem Mauerblatt an ihrer Weiterentwickelung durch irgend einen unbestimmten Einfluss ge- stort wurden, wahrend im anderen Falle die Hemmung ini Wachs- tum erst zu einer gewissen Zeit eintrat und so eine teilweise, sich auf eine gevvisse Hohe beschrankende Unregelmassigkeit bedingte. — Ein sehr eigenturaliches Verhalten der Scheidewaude liess sich an mauchen Exemplaren beobachten. Bei diesen traten in der Hohe des Schlundrohrs zwei benachbarte, ihrer Stellung nach als ein rudimentares Macroseptum und ein Microseptum zu deutende Scheidewande mit ihren freien Randern zusammen, so dass sie eine auf dem Mauerblatt stehende, geschlossene Halbrinne darstellten. In grosserer oder geringerer Tiefe vom Schlundrohr losten sich die beiden verwachsenen Septen wieder und verliefen jetzt getrennt, doch stets ihren microseptalen Character bewahrend, bis zur Basis des Polypen fort. In den angefiihrten Schematen sind die zu einer Rinne verwachsenen Septen durch einen Bogen bezeichnet, welcher dann im zweiten Stadium durch zwei getrennte Microsepten er- setzt wird. Das Schlundrohr dieser Art ist auf dem Querschnitt oval und zeigt an seinem spitzen Ende eine nur wenig ausgepriigte Schlund- rinne. Die Stoloncn (Taf. V Fig. 4 u. 5) sind, wie sich das aus ihrer Natur als Fortsetzungen des Mauerblattes von selbst ergiebt, diesom iihnlich gebaut. Auf Querschnitten zeigt sich ein solcher Aus- laufer umgeben von dem hohen, lockeren Ectoderm {ec), in wekheni FortsiUze des Mesoderms ganz wie beim Mauerblatt gegen die faserige Cuticula vorragen. Das Entoderm (en) ist vertreteu als Uebcr cinige ncuc Zoanthccn. 447 Auskleidung dor grossen, direct niit dem Polypeniniiein in Vcr- bindung stelienden Rohrcn (er) , \Yelche die Stolonen der Lilngc iiach durchzieheu. Das stark eiitvvickelte Mcsodeim (me) ist dem des Mauerblattes ahnlich differeiiziert. Auch hicr finden sich jeue voni Ectoderm stammeiiden, mit Zellen crfiillteii Caniile, welclie iu verschiedener Weite das Mesoderm nacli alien Richtuugen durch- ziehen. Fast ganz in den Hintergrund treteu dagegen die feinen, mit Kernen ausgestatteten Fasern uiid zvvar zu Gunsten der Biude- gewebskorper, welche in grosser Zahl und Miichtigkeit dem Meso- derm eingelagert sind. 3. Species. Zoaiitlius sp. ? Fig. : Taf. IV, 3. nicsodcnii iiiir sohwach eiitnickelt j dahcr das 9Iaiier1>laf oliiieii .Holluskeiischaleu oder Skelettgcbilde iiiederer Tiere. Das umfaiigreiche Genus Epizoantlms begreift viele ausserlicli selir verschiedene Fornien in sich, die jedoch anatomisch einandcr sehr nahe stehen. Sehr different ist ihre Lebensweise, wie sie durch die Natur ihres Substrates bedingt wird. Hiernach konnte man unter dem vorhandenen Material eine Scheidung vornehmen und dasselbe trennen in Formen, welche a. verlassenc Molluskenschalen, b. das Kieselfadenbiindel von Hyalonema, c. von Einsiedlerkrebsen getrageu Schneckengehause bewohnen. a. Coloiiie iiberzieht mit ihrem lamelloseii €ueueiichym vcrlassciie IQolluskensehalen. 3. Species. Epizoantlius sp.J Fig.: Taf. IV, 4 ; V, 6, 7. Poljpeii von ansehnlicker (irosse mit kiippelfurmic; gewolbtem laiierblatt, von desseu Spitze zahlreiche, als erhabene Wiilste hcrvorfretende Reiheii von eingelagerten Foraminiferen radiar verlaufeuj Einlage- ruugen besteheu aussekliesslieh aus Foraminiferen^ Mauerblatt diinn, Scpteii dnrchseheinend; Colonie bewohut eine Fususschalc. Fundort: Stat. 299; 2160 Fuss. Die Colonie von siebzehn Einzeltieren (Taf. IV Fig. 4) bewohnt die etwa 8 cm hohe, verlassene Schale einer F'usus, einer Schnecke aus der Familie der Muriciden oder Canaliferen. Die Polypen sind vorzugsweise auf der Ruckenseite der Schale aufgewachseu, nur an der Spitze des Gehauses sind die daselbst bcfindlicheu fiiuf jungcu Individueu riugsum augeordnet; die Gegend urn die 452 Dr. August Erdmann, Miindung herum bleibt von den Polypen vollig frei. Aus dem gemeinsamen Coenenchym erheben sich die Tiere mit elliptischer Basis, um sich nach oben kuppelartig aufzuwolben. Die grossten Exemplare haben eine Grundfliiche von 15 resp. 10 mm Durch- messer und sind 13 mm hoch; dann finden sich alle Uebergiinge bis zu den kleinsten Tieren, die als flache, langgestreckte Er- hebungen mit einer Grundfliiche von 9 resp. 5 mm und einer Hohe von 1,5 — 3 mm aus dem Coenenchym hervortreten. Letzteres ist eine 0,3 — 0,5 mm dunne, continuierliche Lage, welche die Schale soweit die Colonie reicht, iiberzieht. ISI^ach dem Ende der Colonic zu wird es immer diinner und durchsichtiger , bis es selbst als sehr feines, leicht abzureibendes Hautchen aufhort. Alle Polj-pen befinden sich im Zustande der hochsten Contraction; auf der kuppel- formigen Spitze liegt innerhalb einer durch eine kreisformige Furche abgegrenzten Erhebung der kaum als Oeflhung erkennt- liche Eingang in das Innere, der durch den weit nach innen ein- geschlagenen Teil des Mauerblattes gebildet wird. Das Mauer- blatt selbst ist von geringer Dicke und lasst die Septen als belle Streifen durchscheinen. In der ausseren Zone seines Mesoderms liegen die Einlagerungen , welche durchweg aus Foraminiferen- schalen bestehen. Dieselben sind iiber das Coenenchym gleich- massig verteilt, am Mauerblatt dagegen in hochst regelmassiger und zierlicher Weise angeordnet. Folgendes ist zunachst iiusser- lich mit Anwendung der Loupe zu erkennen. Von der Spitze aus verlaufen radiar bei erwachsenen Tieren etwa fiinfzehn bis zwanzig als belle, erhabene Linien hervortretende , geschlangelte Reihen von Foraminiferen. Wo sich das Mauerblatt mehr senk- recht nach abwarts biegt, beginnt sich jede dieser Reihen zu teilcn; jeder Zweig verlauft nun so als gerade Linie am Mauerblatt ab- warts, dass iiber jeder Septe, deren Insertion wegen der Diinnc des Mauerblattes von aussen deutlich zu erkennen ist, nunmehr eine Reihe von Foraminiferen angebracht ist. Wiihrend also von der Spitze des Polypen aus eine mit den Septenpaaren uberein- stimmendc Anzahl von Wiilsten verlief, erstrecken sich am mitt- leren Teil des Mauerblattes so viel Schalenreiheu , als Einzel- septcn vorhanden sind. Nach der Basis zu werden dieselben un- deutlicher, so dass am untersten Teil des Polypen ebenso wie am Coenenchym die Bedeckung mit Foraminiferen wieder eine gleich- milssige ist. — Durch microscopische Betrachtung von Schnitteu aus der oberen Region der Polypen erkenut man nun, dass sich Ueber einige ncue Zoanthcen. 453 die Einlageriingen auf den nach innen eingcklappten , durch den eingelagerten Riugmuskel stark verdickten Teil des Mauerl)lattcs fortsetzen und zwar ebenfalls in sehr zierlicher Anordnung. Auf Radialschnitten (Taf. V Fig. 7) sieht man zuniichst, dass die ausserlich siclitbaren Foraminiferenwulste an dcm Umschlagsrand aufhoren, etwas nach unten jedoch wieder beginnen und dann als ununterbrocliene Reihe (e — e) die iiussere Wand des tief einge- schlagenen Mauerblattes entlang laufen, urn kurz vor dessen Ende wieder aufzuhoren. Auf der inneren Wand des eingeklapptcn Teiles erstreckt sich ebenfalls eine kurz iiber dem Endrande be- ginnende Reihe von Foraniiniferen {i — i), die jedoch mit der auf der gegeniiberliegenden Seite befindlichen in keiner Verbindung steht, sondern von dieser durch den unteren freien Rand des Mauerblattes getrennt ist. — Querschnitte durch die obere Regicii des Polypen (Taf. V Fig. 6) vervollstandigen das gewonnene Bild. Auf solchen giebt sich der eingeschlagene Teil des Mauerblattes innerhalb des ausseren dunnen Teiles (nia) als einen durch den eingelagerten Sphincter stark verdickten Ring (rme) zu erkennen, der nach aussen und innen vom Ectoderm (ec) ausgekleidet ist. In das Innere dieses Ringes ragen kurze vora Mesoderm aus- gehende Fortsatze, welche in bestimmten Abstanden angeordnet sind, und deren Zahl mit der der Septenpaare iibereinstimmt. Jeder dieser Fortsatze verzweigt sich zu einem zierlichen Geast, um innerhalb desselben eine Anzahl von Forarainiferen aufzu- nehmen und gewahrt so das Aussehen eines zierlichen, vom Ecto- derm umgebenen und von einer Stiitze getragenen Kronchens von Foraminiferen. Diese inneren Kronchen (f^) stellen die auf Ra- dialschnitten an der ausseren Wand des eingeschlagenen Mauer- blattes wahrnehmbaren Reihen (e — e) von Foraminiferen dar. Ebenso wie nach innen entsendet der Mauerblattring eine gleiche Anzahl Kronchen nach aussen, welche sich von den inneren nicht nur durch ihre betrachtlichere Grosse, als besonders dadurch aus- zeichnen, dass sie von zwei Stiitzen, d. h. Fortsatzen des Meso- derms, welche ihr Geast zusammentreten lassen, getragen werden. Diese ausseren Foraminiferenhaufchen (p) sind mit den auf Langs- schnitten am inneren Rande des Mauerblattes entlang laufenden Reihen (i — i) identisch. — Die Mundscheibe ist am Mauerblatt nicht in gleicher Hohe inseriert, sondern ihre Ansatzstelle bildet am inneren Rande des eingeschlagenen Teiles des Mauerblattes eine Schlangenlinie mit sehr steilen Bogen. Nun sind die Tentakel 454 Dr. August Erdmann, an dcr Mundsclieibe so aiigelegt, dass je ein Tentakel der einen Reihe in einem oberen, je ein Tentakel der andereu Reihe in einein unteren Bogen zu liegen kommt. So bilden die Tentakel zvvei Kreise, in denen sie alterniercnd angeordnet sind. Da nun, wie auf Querschnitten zu sehen ist, zwischen je zwei ausseren F'oraminiferenkoruchen {f") ein Tentakel {t) inseriert ist (Taf. V Fig. 6), so folgt daraus, dass die Foraminiferenreihen am inneren Rande des eingeschlagenen Mauerblattes von unten herauf in die von der Mundscheibe beschriebenen Ausbuchtungen hineinragen. Auf diese Weise erklart sich denn das aufiallende Abhangigkeits- verhiiltnis der Zahl der Foraminiferenreihen zn der der Septen und Tentakel. Das Mesoderm der Septen ist , entsprechend der Diinne des Mauerblattes, nur schwach entwickelt; es bleibt einfacli, obne wie bei Zoanthus einen mit Zellen erfullten Canal zu umschliessen. Die Muskelfahne ist zwar deutlich wahrnehmbar , jedoch nur von geringer Ausdehnung. Die Geschlecbtsorgane an den Macrosepten sind macbtig entwickelt; dieselben erfullen fast das ganze Innere deS Polypenleibes als dicke Wiilste, welche in ihrera Verlauf zick- zackartig gewunden sind ; namentlich bilden sie am inneren Mauer- blatt einen dicken Beleg. Da sie wegen ibres gescblungenen Ver- laufes auf Querschnitten stets mehr oder weniger fliichenhaft ge- trotfen werden, so ist ihre eigeutliche Lagerung innerhalb der Stiitzlamelle nur schwer zu erkennen. Bei den drei von mir unter- suchten Polypen faud ich nur Hodenfollikel vor. Dieselben waren durchweg vollstandig ausgebildet, von bedeutender Grossc und zeigten eine characteristische Anorduung ihrer Spermatozoen , die bedingt ist durch den Grad ihrer Reife. Die Spermatozoenmutter- zellen sind in jedem Follikel peripherisch gelagert und grenzen an die Stutzlamelle mit Ausnahme an der Stellc, wo das Follikel spiiter zum Zvvecke der Entlassung der Spermatozoen platzen soil. Hier driingen sich die Haufen reifer Samenfaden zusammen und ordnen sich von hier aus in Reihen , die danii nach innen gegen den entgegengesetzten Pol des Follikels als ein divergentes Strahlen- buschel vorragen. Hierbei vereinigen sie ihre Schwanze mit eiu- ander und bilden so feinstreifige Ziige, in denen die Kopfe als Punkte sichtbar sind. In dem tief nach Innen eingeschlagenen Teil des Mauerblattes liegt ein macbtig entwickelter Sphincter (Taf. V Fig. 7). Derselbe ist mesodermal undeinfach; er beginnt als schmaler Streif bereits in dem horizontaleu Teil des Mauerblattes, verdickt sich gegen Ueber einigo neue Zoantheen. 455 den Uiiisclilagsrand uud vcrlauft danii als brciter, in seiner ganzen Lange gleiche Ausdehniing zeigender , unten btunipf endender Muskelcomplex. Derselbe gewiihrt mit der aiisserst niannigfachen Veriistelung und Anastomosicrung seiner Fibrillenbiindel ein iius- serst zierliches Bild. Das Schlundrohr ist oval mit wenig ausgepriigter Scblundrinne. Das ausserst diinne Coenencbym zeigt im Innern flache, mit Entoderm ausgekleidete Verbindungsrohreu; seine Oberflache fiihrt als Einlagerungen wenige Foraminiferen, wahrend seine Unterseite, mit der es dem Geliiiuse aufliegt, von ihncn ganzlich frei ist. Von den drei untersuchten Exemplaren konnte ich nur bei zweien, einem mittelgrossen und einem ausgewachsenen Individuum die Septenanordnung feststellen ; das dritte, noch sehr junge Tier war iiusserst Hach, dazu noch schlecht abgelost, so dass schon der tiefste Schnitt durch die Mundscheibe ging. Ich konnte hier nur die Zahl der Septen bestimnien ; dieselbe betrug 28. Nehme ich an , dass die Anordnung wie bei den folgenden eine regelmassige und symmetrische gewesen, so wiirde sich die- selbe nach fulgendem Schema gestalten: •|*||o|o|o{o||||o|o|o|o||«j* Das zweite mittelgrosse Exemplar besass 32 Septen regel- niassig und symmetrisch angeordnet; vermehren wir an obigem Schema die ventrale Zone jederseits um ein aus Macro- und. Microseptum bestehendes Paar, so ergiebt sich die Anordnung dieses Polypen. Noch jederseits an der ventralen Partie ein Paar hinzugefugt, so resultiert die Septenstellung des dritteu Indivi- duums; dieses, ein ausgewachsener Polyp, besass 36 Einzelsepten, also 18 Paare, von denen jederseits 8 Paare regelmassig nach dem Macrotypus zwischen den Richtungssepten verteilt waren. b. Coloiiieen auf Hyalonema^ deren Fadcnbiindcl sic mit ilircm Coeuenchym schcideuartig uuigebeii. Es giebt mehrere Epizoanthusarten , welche den Kieselfaden- strang von Hyalonema iiberziehen. Eine derselben ist von Max ScHULTZE in einer Monographic, welche iiber die Hyalonemen handelt, unter dem Namen Palythoa fatua beschriebeu. Nach den Abbildungen, welche Schultze giebt, ist keine der beiden Arten, welche das Challengermaterial enthalt , mit jener Palythoa fatua identisch. Beide Arten sind ausserlich ziemlich different, stimmeu jedoch in ihrem anatomischen Verhalten vollig iiberein. 456 Dr. August Erdmann, 4. Species. Ei)izoaiithus sp.? Fig.: Taf. IV, 5; V, 8. I'olypeii vou geriiiger Huhe, fast scheibeiiartig^ niit geradeni seitlichem, obeii slark abgeflachtem IHaiierblatt^ auf (lessen liorizuiituler Oberselte zahlreiche^ bei erwachseiieu Ticreii ctwa 15 bis 20 radiitrc^ diirch Furchen getreunte Rifle verlaufeii,- Farbe der Colouie dunkelgrau- braunj Eiulagerungeu sehr niaiiiiigfach. Fundort: Stat. 202. Von dieser Art besitze ich einc Colonie (Taf. IV Fig. 5), welche den Hyalonemafadenstrang auf eine Strecke von 14 cm tiberzieht und aus etwa liundert Einzeltieren besteht. Das Coenencbym (c) bildet eine an beiden Enden offene Rohre und umgiebt scheiden- artig das etwa 5 mm dicke Fadenbiindel {h). Auf ihm erheben sich in grosseren oder geringeren Zwiscbenraumen die Einzeltiere mit elliptiscber Basis, welche bei den grossten, etwa 3 — 4 mm hohen Tieren 5 resp. 7 mm im Durchmesser hat. Von diesen bis zu den kleinsten, kaum aus dem Coenenchym hervortretenden, 1,5 — 3 mm breiten und 0,5—1 mm hohen Anlagen finden sich alle Uebergange vertreten. Sammtliche Tiere sind stark contrahiert; auf der stark abgeflachten, kreisrunden, horizontalen Oberflache des Mauerblattes befindet sich der kaum erkennbare Eingang in das Innere inmitten einer kreisformigen Vertiefung. Von hier aus fiihren iiber die Oberseite bei erwachsenen Tieren etwa 15 — 20 durch Furchen getrennte, radiale Riffe. Die Farbe der Colonie ist eine schmutzig grauschwarze. Das Mauerblatt ist von erheblicher Dicke, die durch das stark ent- wickelte Mesoderm bedingt ist. Letzteres ist in seiner iiusseren Zone erfiillt von mannigfachen Einlagerungen. Dieselben bestehen aus linregelmassigen Sand- und Kalkbruchstiicken, den verschiedeu- sten Spongiennadeln, endlich vielen kleinen schwarzgefarbten cry- stallinischen Korperchen, welche die dunkle Farbe der Colonie be- dingen. Die Einlagerungen sind auf den obenerwahnten radialeu Riften in erhohtcr Menge angehauft. Sie setzen sich als erhabene Reihen iiber den Unischlagsrand nach innen ohne Unterbrechung fort und verlaufen weiter auf den inneren Rand des eingeschlage- nen Teiles des Mauerblattes. Schnitte durch die obere Region der Polypen geben so ahnliche, jedoch wegen der vielen und mannigfachen Einlagerungen niclit so regelmassige und zierliche Bilder, wie sie bei der vorigen Art beschriebeu sind. Uebcr cinige neue Zoanthecn. 457 111 (lem von Einlagcriingcn freigclassencn , inncreii Telle dcs Mesoderms (Taf. V Fig. 8) llegeu der homogeiieii Grundsubstauz elngebettet : 1. feiiie, die ganze Dicke des weichen Mesoderms durclizielieiide , radiilre P'ascrn, die in ihrera Verlauf iiiit Kernen ausgerustet siiul ; 2. rundllche, iiiit grosseni Kern versebene Binde- gewebskorper ; 3. runde oder langliche Hoblungen (ca), die mit Zellen vollgepfropft sind. Hertwig , der dicselben bel deni von ibiu bescbrieljenen Eplzoantbus parasiticus beobacbtete, vermutbet, dass diese ovalen Zellinseln nur durcb den ungeniigenden Grad der Conservierung bedingt und aus elnem System anastomosleren- der Strange, wle sle das Mesoderm von Zoantbus zelgt, durcb Zerfall bervorgcgangen seien. Icb bin geneigt, diese rimdlicben Zellbofe fiir urspriingllche Gebilde, wle die Caniile von Zoantbus, zu balten, da icb sle bel fast alien Epizoantbusarten, welcbe slch obne Ausnabme in elnem sebr guten Erbaltungszustand befanden, beobacbten konnte. Ueber Ibre Herkunft babe icb keine An- baltspunkte; es llegt jedoch kein Grund vor, sle nicbt wie die Zellcaniile von Zoantbus, deren Abstammung vom Ectoderm un- zweifelbaft feststebt, ebenfalls fiir ectodermalen Ursprungs zu balten ; zumal da sicb an maucben dleser Zellinselu eine deutllcbe Ljingsstreckung, bier und da sogar eine geringe Neigung zur Ver- zweigung zelgt, wodurcb denn aucb ausserlicb eine Aunaberung an Zoantbus erreicbt wlrd. Das Mesoderm der Septen 1st gut entwlckelt und am Inneren • Rande keulig verdlckt. Die Mlcrosepten rageu nur wenlg ins Innere vor, zeigen jedocb wie die Macrosepten eine deutllcb aus- geblldete Muskelfabne. An den letzteren entsprlngt aus der inneren Verdlckung von der der Muskelfabne gegeniiberliegenden Selte eine Mesodermlamelle, die sicb bedeutend verliingert, um die Ge- scbecbtsorgane aufzunebmen und uacb Innen von diesen die Mesen- terialfiiden auszubllden. Erstere slnd in bedeutender Anzabl vor- banden, auf Querscbnltten geben sle sicb, da sle wegen des ge- wundenen Verlaufes der Septen stets mebr oder wenlger fliicben- baft getroffen werden, als rundllcbe, von einer diiunen Mesoderm- lamelle umgebcnen Ballen zu erkennen, die dem Maiierblatt ange- driickt slnd und gewobnlicb das beuachbarte Zwlscbenfacb er- fiillen. Alle von mlr untersuchteu Tlere waren weiblicb ; die Ge- scblecbtsballeu bestauden aus einer grosseu Anzabl nabe zusammen- gelagerter, durcb felue Mesodermlamellen getrennter Eler. Das Mauerblatt 1st tlef nacb Innen elngescblagen und birgt in diesem Telle einen miichtig ausgeblldeten Ringmuskel, der ge- Bd. XIX. N. V. XII. 3Q 45s T)r. A u ?: u s t E r d tn a 71 n , nail die bei der vorigen Art beschriebene Gestalt hat, sich jedoch diirch cine grosscre Complication in der Veriistelung feincr Fib- rillenbiindel aiiszeicbnot. Das Schlundrohr ist oval niit deutlich ausgepragter Sdiliind- rinne. Das sdicidenaitige Cocneiichyni besit/.t cine Dicke von 1 — 1,3 mm. In seinem Innern verlaufeii der Lange nach zahlreiche cnto- dermale Verbindungsroliren. Sein Mesoderm fiihrt an seiner Ober- flache dieselben imd eben so zahlreiche Einlagerungen, wie das Maueiblatt, wJihrend seine dem Substrat aufliegende innere Seite von Incrustationen fast frei ist. Das weiche M(>soderm des Coeneii- chyms steht in Bezng auf seine histologische Differenzierung ziim MaiierbJatt in deraselben Verhiiltnis, wie bei Zoanthiis, indeni auch hier bei der sonst herrschenden Uebereinstimmung die kcrnhaltigen Fasern zu Gunsten der Binclcgewebskorper zuriiektreten. Auf die Septenanordniing habe ich zwei Exemplare, ein mittel- grosses und ein viillig erwachsenes, untersucht. Beide zeigten den regelmjissigen Macrotypus. Das jiingere Individtium hatte einc symmetrische Anordnung seiner Paare; es besass dercn secliszehn, wovon jederseits sieben Paare rcgelmiissig zwischen den Richtiings- septen verteilt waren. Der andere Polyp besass neunzebn Paare, wovon neun Paare auf die eine, acbt Paare auf die andere Seite kamen. 5. Species. Epizoaiitliiis sp. i Fig.: Taf. IV, 6. EiiiK4>l|)oly|i<>ii laii2;scstr(M'lile , cyliiulrisdu' SclilitiM'he , dcrcii fliuiorldall oImmi llacii iiiit ileiitluluT Vortiefiiiifi; , jeilocli oliiio Kailialt'iiiTlK'u; Farhc der Cwloiiic cine gollilich graiio. Fundort: Stat. 322. Diese Art ist nur ausserlich von der vorhergehenden unter- schieden. Sie bevvohnt als eine 10 cm holie Colonic mit etwa huiidert Einzeltieren ein nur 3 mm dickes Kieselfadcnbiindel (h) von Ilyalonema. Die gnissten Polypen sind lange, cylindrische Schliiuche, deren Hojie 8 10, deren Breite 3 — 4 mm betriigt; daneben linden sich Abstut'ungcn bis zu den als klcine Wiirzchen von 0,5 — 2 mm Hiilie und 1,5-2,5 mm Breite aus dem Coenen- ciiyni aufragenden jungtMi Anlagen. Alle 'i'icre sind im Zustande der hochsten Contraction; der horizontale Oberteil des Mauer- Ueber ciiiigc neue Zoanthcen. 450 blattes ist nielir orler \vcnij];er abgeflacht uiid zcigt einc krci.sfr)r- migo Vertiefuiig. Von radialcn Fuiclien mid Itiffen ist diescr Ti'il des Mauerblattcs giinzlicli frci. Die Farlx! dcr Colonic ist cine graugclbe. Das iMaiierblatt ist diinncr, wie das der vorigcn Art; cs bo- sitzt in seinor aiisseicn Zone zwar dicselben Einlagerungen, jedoch in geiingcrer Anzahl. Die iibrigen anatomischen und liistologi- schen Verhaltnisse stininien genati niit dencn der vorigcn Art iibereiii. Hochstens ist zu erwabiien, dass der Sphincter weniger kriiftig ansgebildet ist. Das Mauerblatt ist weniger tief nacli innen eingcschlagen ; sein Ilingsinuskcl ist auf dem Querschnitte dcnientsprecliend kurz, zudem gekriiinint und an beiden Enden zu- gespitzt. — Die Gesdilcclitsorgane bestanden bei den fiinf unter- siichten Tieren niir aus Eicrn. Auf die Septenanorduung habe ich vier Polypen untersuclit. Zwei von diesen , ein mittelgrosses und ein vollig erwaclisenes, waren regelniassig ausgebildct. Das jungere zeigte bei regel- miissiger Anordnung der dorsalen Zone in dcr ventralen Partie jederseits n«r 5, aus Macro- und Microseptum bestehende Paare; im Ganzen besass es also 16 Paare oder 32 Einzelsepten ; der andere Polyp besass ventralwilrts an einer Seite G, andrerseits 7 Paare, im Ganzen also hatte es 19 Paare oder 38 Einzelsepten. Die beiden andern unregelmassig septierten Individuen , ein noch schr junges und ein erwachsenes Tier, zeigten folgende Anordnung: •') •l*l|0|o|o|o||||o|o|o|o»l» 91 |«o|o|o|o|o|o|olo||||o|o| ooo |o|o|o|oj(«|« Beide stinimen zunachst darin iiberein , dass sie cine unvoll- stiindige dorsale Zone haben, indem an einer Seite das aus zwei Macrosepten bestehende Paar fehlt. Das zweite Individuum er- leidet ausserdem in dcr Nahe der Macroscptenrichtung cine Ver- kiimnicrung eines Macroseptums, so dass an dicser Stelle drei Microsepten aufeijianderstosseu. Das vcrkumnicj-tc Septum ist in der ganzen Hohc der Polypen microseptal; es erreicht weder das Schlundrolir, uoch bildet es Mesenterialfaden oder Geschlechts- orsane aus. c Coloiiiof'ii aiif Sdiiicckoiisclialeii ; weldic voii KiiisuMllcrlircbsoii gi'trsigi'ii Moi'deii^ die Halksubstaiiz dor Sciialc Mird vou dem Coeneaebyni resorhlert und ersctzt. Von der Gattung Epizoanthus sind bereits mehrere Arten 30* 460 Dr. August Erdraann, beschrieben worden, welche sich auf verschiedeneii, von Eiiisiedler- krebsen bewohntcn Schneckenschaleii aiisiedeln. Sie zeichiien sich dadurch aus, dass ihr Coeiicnchym den kalkigen Teil der Schale mehr oder weniger vollstaudig resoibiort und schliesslich dercu Stelle einnimmt. In dem so geschaffenen coenenchymatosen Er- satzgohiiuse lebt der Krebs, unbekiimmeit um die Verandcrungen, die seine Wohnung erlitten, ruhig fort. Die beiden mir zur Verfiigung stehenden Colonieen sind , wie ich aus Vergleichung rait ihren schon beschriebenen Verwandten ersehen habe, ganz neue Arten. 6. Species. Epizoanthus sp.? Fig.: Taf. IV, 7. Das kalkigc Schneckeiigchitusc ist vollig rcsorbicrt und durch das Cocucn- chyni crsetzt^ welches die aussere Form der friikeren Schale beibe- halteii hat 3 Eiuzelpolypeii bildeii lauge^ cylindrische, seitlich compri- niierte Schliiuche^ dereu iJIauerblatt sich oben scheibeiiartig erweitert ; von der Mitte der tellerartig vertiefteu Oberseite rerlaufen radiiir iiber den vorspringeuden Rand etwa 15 — 20 Furchen ', IHesoderni des Mauerblattes und des ganzen Coenenchyms in seiner vollen Dicke von uuregeliniissig-eckigen Sandkurnern durchsetztj Farbe der Colonie grau. Fundort: von H. M. S. „Triton"; 640 Fuss. Die vorliegende Art bildet eine Colonic von elf Einzeltieren auf einer 3,5 cm hohen Schale. Die Kalksubstauz der letzteren ist vollig resorbiert und in all' ihren Teilen durch das Coenen- chym ersetzt, so dass dieses die Stelle der Kalkschale einge- nommen und , wie deutlich zu seheii , audi dcren aussere Form beibehalten hat. Nur die Vorderseite, d. h. die bei der Bewegung des Krebses nach vorn gerichtete Partie des coenenchymatosen Gehiiuses ist mit Polypen besetzt; die freie Hinterseite liisst die Windungen der verdrilngten Schneckenschale noch vollig erkennen. Von den elf Individuen nehmen acht grosse erwachsene Polypen die Randpartie der Seite ein, welche bei der Bewegung des Krebses nach vorn gerichtet ist. Sie bilden lange, cylindrische Schlauche mit einer Hohe von 6 — 10 mm und einer Breite von 3-5 mm. In dem von ihnen begrenzten mittleron Raum stehen nodi drei schr junge Tiere, welche als gerade, cylindrische W'arzen mit einer Ilohc von 1,5-2 mm und einer gleichen Breite aus dem Coeneu- Ueber eiuige neue Zoantheen. 461 chym hervorragen. Es fallt auf, class die grossen Polypeu sich nach vurn iiberneigcn, d. li. ihre Muiidscheibo statt iiach oben, in eine gencigto, der Bewi'gung dcs Krcbscs entsprecheiide Richtung stcllen, so dass diesclbe die fiir die Aufnahine der entgegenstromcn- den Nahrung gijnstigste Stdlurig hat. Durch die erwahnte Kriim- mung siiid ausserdem die grossen Tiere nach oben zu seitlich stark comprimiert. Die gauze Colonie hat cin rauhes chagrinartiges Aeussere ; ihre Farbe ist eine graue. Das ini Uebrigen glatte Mauerblatt bildet oben eine >Yagerechte Scheibe, die niclit nur liber den senk- rechten Teil kapitiilartig hervortritt, sondern auch durch eine characteristische Skulptur ausgczeichnet ist. Sie liat ganz und gar das Aussehen eines Tellers niit erhohteni Rande und vertiefter Fliiche; in der Mitte der letzteren licgt der der seitlichen Coni- primierung entsprecliend spaltenahnliche Eingang in das Innere, der stets als deutliche Oeifnung zu erkennen ist. Von diesem Mittelpunkte aus verlaufen iiber die tellerartige Oberfljlche 15—20 radiale Furchen, die sich ein weniges iiber den Randwulst hinaus erstrecken und an diesem als tiefe Einkerbungen hervortreten. An einem mit der Scheere geoffneten und ausgebreiteten Po- lypen bemerkt man, dass die Septen die ganze Liinge des Mauer- blattes hinabziehen, ohne dass sic auf den horizontalen Grund des Gastrah'aumes iibergchen. Im untersten Teile des Polypen sind die Septen als kauni hervortretende, jedoch durch ihre helle Fiirbung autlallende Leistcn siclitbar; etwa in Viertelshohe bilden die Macrosepten die Mesenterialfilamente aus, welche als gelblich- weisse, geschlangelte Wiilste die freien Microsepten vollig ver- decken. Man kann die Scheidcwiinde in ihrer ganzen Liinge unver- letzt voni Mauerblatt ablosen und fiir sich untersuchen. Die Stutz- lamelle der Septen ist sehr diinn und verlauft einfach ohne Hoh- lung am Grunde; die Mescnterialfaden zeigen den gevvohnlichen Bau. Geschlechtsorgane habe ich bci keinen der untersuchten Tiere entdeckcn konnen. Durch die zahlreichen Incrustationen erlangt das Mauerblatt eine fast stcinartige Harte und liisst deshalb keinc Untersuchung mittelst der Schnittniethode zu. Hier, wie auch bei einigen andern der folgenden gleichfalls stark incrustierten Formen, wandte ich die von G. v. Koch bei seinen Untersuchungen iiber die Orgel- koralle erprobte und empfohlene Schliffmethode an. Das Mauerblatt ist von ansehnlicher Dicke. Sein Mesoderm zeigt insofern eincn von den iibrigen Epizoanthus abweichenden 402 Dr. August E r rl m a n n , Bau, ills cs in seiner ganzen Breite von Einlagerungen durchsetzt ist. DicsL'lben bestelien aus uniTgelniassig-cckigen SaiKlkornern, welclie, zu eiiier fcbtcii Itingniauer ziisamiiiciigelagert, das Mcso- derni bis auf diinnc Laniellen verdiiingen; feruor bleibt uine iiiir sehr schnial*', iiincro Laiiicllo als Abgronzung gegen das Entoderm riiigsuni eilialten. In den honiogcnen Mesodenublattcrn siiid runil- liche, uiit fcinen Ausliiufern versehenc Bindegewcbskorper, ferner fcinc, niit Kenieii aiisgcstattetc Fnsern cingelagert; das VorluuKlcn- sein dor bi'i don iibrigcu Eijizoantliusaiten anzutieftciidoii ZcllhiUc konnte icli hior nicht constaticron. Ein Querschnitt durcli die SclialLMnvand zoigt eine iUmlichc Beschatibnlieit dcs Coenenchynis. Auch dieses ist von ansebnlicher Dicke uud in seineni Iiinern duicbsctzt von den grossen, die Gastralraunic untereinander ver- bindenden, entodermalen Robren. Das Mauerbhxtt ist, wie beieits erwiibnt, oben in scliarl'eui Winkel unigebogen und bildet so eine tcllerartige Oberfiacbe. Nacli innen ist es ganz im Gegensatz zu den tibrigen Gattungsgliedern, bei denen es in rechtem Winkel tief nach unten absetzt, nur wenig eingekriinimt, Diese Abweicbung ist bedingt durch eine geringe Ausbildung des Sphincters. Derselbe beginnt scbmal ini wage- rechten Teil des Mauerblattes und verdickt sicb dann allnuiblieb zu eiiieni unten stunipf al)scbHessenden, auf deni Querschnitt etwa spindelforniig erscheineuden Muslcelcomplex , der nur ein wenig nach innen eingekriinunt ist. Er liegt cingeschlosscn in der durch ihn stark verdickten, von Einlagerungen freien, innersten Meso- dermlamelle und ist beiderseits begrenzt von einer, innen bis zur Ansatzstelle der Alundscheibe reichenden , die gewiihnlichen Ein- lagerungen luhrentlen Mcsodermschicht, die eine directe Fort- setzung der iiusseren Sandschicht bildet. 1. Species. Epizoantlius sp. I Fig.: Taf. IV, 8, 9, 10; V, 10. ^llI■ ilii> 4'ristni Miiiiliiii^cn der Si'hiK'vkonscliulc siiiil rcsorbiort iiiiil >oiii €ociicii('lijiii ciM'lzt, >vclch^ k't/lcrcs ciiiv wcichliiiiiliu;!' Iliichc llla.se liihk't; Kiii/4>lpol}|M'ii raiiilsliiiidi;;, dcf in das kiiorprli^c ('ociu'iuii.vin eiii::;i'M>iik(^ llaiH'rldall liiiilcii holu'i* als >oriic^ oliiic liosoiidcre S4iil|i- tui'cii; mcsodcnii dcs UlaiicrldaUcs mid drs an^rcii/oiidcii l'ooiH>ii(-h,viiis in si'incr iiiissori'ii Xune iiicriistii'rl^ die iiiiicre /(mic von knoriirligcr BcscliatlV'nIieit. Fundort: ? ; 38 Fuss. Ueber cinige neue Zoanthecn. 463 Diese Art, wclclic iiiit dcr vorigcn gleiche Lebensweise hat, uutcrscliuidet sich von ilir in vieleii Tcilcii. Das Coenciichyiu bildct cine giossc fladic ])l;ise (Taf. lY Fig. 8), welche den bauchigeii Uiiteitcil der verdraiigten Sdiiieckeiisciialc vertritt; der obere, die letzten vier Wiiidiuigen cnthalteiide Tlieil des Kalkgehiiuses [sch) ist viillig intact, sowolil was die Substaiiz als auch die Gestalt bctiill't uiid licgt lose scitlich in der Coenenchyiiiscbale. Die IViihere ISchalcnotfnung bildet auch jctzt den Eiugang in das Iiiiiere. Das blasige Cueneiichynigcliause ist fiachgedriickt und niunnt beini Uniheikriechcn des Kiebses cine geneigte IStelkuig cin, so dass in dieseni Zustande an ihm eiiie Ober- luid Uiiterseite zu unterscbei- den ist. An deni halbkrcisf'urniigen Hand, in welcbcni bcide Seitcn zusaninienstossen, sitzen sieben Polypen nebeneinander angeordnet. Von diesen sind sechs Individueu crwacbseu, wahrend das siebente ein noch jungcs Stadium reprilsentiert. Die Hohe der grosseren Ticre schwankt zwischen 5 — 7, ihie Dreite zwischen 4—5 mm; das junge Tier ist 2,0 mm hocli und 2,5 mm breit. Endlich ^Yeist die Colonic noch ein achtes Individuum auf, das ganz entfernt von den ubrigen, niinilich am hinteren Miindungsrande PLitz hat (Fig. 9). Dieselbe autlallende Stelhuig des einen Polypen der Colonic hat auch Hertwig an dcm von ihm beschriebenen Epizoantlms para- siticus beobachtcn konncn. Das Tier ist mit seiner im vorliegen- dcn Falle nicht cingezogencn Tentakelkrone nach vorn gciichtet und hat, da cs bcim Umherkriechen des Krebses iiber dem Boden cmporgchobcn \Yird und so gestellt ist, dass cs seine Mundscheibe dem dnrch die Bewcgung verursachtcn Wasserstronic zukehrcn kann , immcrhin cine gunstige Stellung, wenn dieselbe auch, wie sich das in der geringen Grossenausbildung des Polypen kund- gicbt, mit der der ubrigen Individucn nicht zu concurrieren ver- mag. Das Bestreben, die Mundsch(;ibc der Bewegungsrichtuug moglichst scidu'ccht entgegenzustellen , ruft bei den randstiindigen Ticrcn cine anormale Verzerrung der iiussereu Form hervor. Wiih- rend bei der vorigen Art jenem Bestreben durch eine Kriimmung des ganzen Polypen nach vorn geniigt wurde, blcibt liier der Polyp selbst in seiner scnkrechten Stellung, jcdoch erlangt das hintere Maucrblatt eine grosserc Hohe als der Vorderteil (Taf. IV Fig. 10); am contraliierten Tier liegt also das den oberen Verschluss bildende umgcschlagene Maucrblatt nicht etwa, wie sonst , wage- recht, sondern neigt sich in stcilem Winkel gegeu den Horizont- Da sich diese ungleiche Ausbildung der vorderen und hinteren Maucrblatthalftc auch noch auf den nach inncn cinseschlagenen 464 Dr. August Erdraann, Tcil ausdehnt, so gelangt beim nicht contniliierten Tier die Mund- scheibo in eine anniiherDd senkrechtc Stellung. — In Bezug auf die iiussere Gestalt der Polypen ist noch zu erwjihncn , dass ihr Querschnitt, da die hintere Maueiblattwand deutlich abgeplattet ist und mit dcm gewolbten Vorderteil in stumpfen Kanten zii- sanimenstosst, bedeulend von der Kreisform abweicht. Die Polypen sind niit Incrustationen durchsetzt. VVahrend sich letztere bei der vorigen Art auf das ganze Coenenchym ausdehnen, ist dieses liier zum grossten Teil weichhautig, und nur das an die Polypenbasen uumittelbar angrenzende Coenenchym ist incrustiert, so dass die Ober- und Unterseite des Gehauses weich bleiben und nur ein breiter Randstreifen und die dem achten Polypen angren- zende Gcgend mit Einlagerungen versehen sind. Letztere bilden am Mauetblatt eine iiussere feste Rinde, die durch Abschaben mit dem Messer leicht zu entfernen ist. Dieses ist insofern von Vor- teil, als man so die immerliin unbequeme Schlifimethode umgehen und zur Untersuchung die einfache Schnittmethodc anwenden kann. Die auf die Sandschicht nach innen folgende weiche Zone des Mesoderms ist von knorpelartigem Aeusseren. Sie zeigt auf Schnitten eine circulare Streifung, weiche die Annahme nahelegt, dass sie in Schichten abgelagert sei. In dieser Grundsubstanz bemerkt man als Einbettungen feine, kernfuhrende, radiiir, d. h. vom Ento- derm zum Ectoderm verlaufende Fasern ; ferncr jene schon be- schriebenen rundlichen Zellliofe, die hier in grosser Anzahl und alien Grossenabstufungen vorkommen; endlich fiihrt das Mesoderm hier, wie uberall, rundliche und sternformige Bindegewebskbrper. Das Entoderm hat eine starkentwickelte, circular verlaufende Mus- kelfaserschicht ausgeschieden. Das Mesoderm der Septen ist iiusserst diinn und lasst an seinem Grunde eine nur schwach ausgebildete Muskelfahne er- kennen. Die Mesenterialfaden zeigen den gewohnlichen Bau. Von Geschechtsorganen habe ich auch hier nichls entdecken konnen. Das Mauerblatt ist in scharfem Winkel nach innen einge- schlagen, wobei hervorzuhcben ist, dass die — bei der Bewegung — hintere Partie bedeutend welter nach unten reicht, als der vordere Teil. Den Einfluss dieser ungleichen Ausbildung auf die Stellung der Mundscheibe beim gibtiiieten Tier babe ich schon erwiilint. Ferner wird durch sie eine Yerschiedenhcit im Volum der vor- deren und hinteren Ringmuskelpartie bewirkt, indem der hintere iSphincterteil in demselben Maasse krilftiger ausgebildet ist, als das hintere Mauerblatt tiefer hinabreicht. Der Ringmuskel ist Ueber eiiiige neue ZoanthecD. 465 niesodcrinal uiid eiufticli. Er beginnt sclimal an doni ilusscrcn Umbieguiigsraudu des Maucblattcs, verdickt sich alliiiablicli gogcn dLMi Eiiiscblagsraiid uiid verbiuft von bier aus als uicbt sebr bieiU-r, gerader Muskelstn'if, desseii Fibrillenbuiidel jcdocb ein weniger dicbtes CJefiecbt als bei den iibrigen Arten der Gattung bilden. Das Coenencbym zeigt einen in mancher Hinsicbt interessanten Bau. Ziiniicbst ist iiusserlich eine Verscbicdenheit in der Consi- stenz zu erkennen. Die Ober- und Unterseite der Schale sind weieh und dabei zienilich diinnbiiutig; die letztere ist, jedenfalls infolge des Einflusses des Alkobois stark in Faltcn gelegt. Gegcn die Oetfnung und die Kandpartie zu wird das Coenenciiym merk- lich resistenter; an der Miindung verdickt es sich schliesslich zu wulstigen knorpeligen Lippen, wiibrend es sicb am Rande zu einem balbkreisforniigen Knoi'pelstreifen uniwandelt. In diescni letzteren sind die Polypen bis zu einer gewissen Tiefe eingesenkt, so dass die iiussere Hohe keineswegs deni innercn Gastrah-auni entspricbt. Ausserdeni ist, wie schon erwahnt, die Randpartie, sowie das den acbten Polypen unigebende Coenencbym durch zablreicbe iiussere Einlagerungen stark erbartet, wiibrend die Ober- und Unterseite des Gehauses weicli bleiben. Das Coenencbym ist beiderseits, so- wohl nach aussen als auch nach dem Hoblraum des Gebiiuses zu begrenzt vom Ectoderm , welches das wohlausgebildete Mesoderm umscbliesst. In letzterem fallen zuniichst grosse, mit Entoderm ausgekleidete Verbindungsrobren in die Augen. Dieselben stossen zu regelmiissigen , mit blossem Auge deutlicb wahrnehmbaren Polyedern zusammen, so dass das ganze Coenencbym zierlich ge- feldert erscheint. Auf Querschnitten liegen sie stets dem das Innere der Schale auskleidenden Ectoderm geniihert und behalten von demselben eine ganz bestimmte Entfernung, so dass durch diese Gefassschicht das Coenencbym in eine obere breitere und eine untere schmale Zone geschieden wird. Bis an diese Gefass- schicht sind die Polypen dem Coenencbym eingesenkt, so dass ihr Gastralraum direct mit dem die ganze Colonic durchziehendea Canalsystem coramuniciert. Das Mesoderm der oberen Zone hat eine faserige Beschaflfen- heit angenommen, indem grossere, Biindel von Einzelfasern dar- stellende Faserziige das Coenencbym durchziehen. Das Mesoderm der unteren Zone ist frei von ihnen , nur uuterhalb der Gefass- schicht zieht sich ein ununterbrochener Strang hin und zwar in solcher Nixbe der entodermalen Rohren , dass diese ihm direct aufliegen. Ein eben soldier furtlaufender Faserzug erstreckt sich 466 Dr. August Erdmann, in der obcrcn Zone diclit unter dcm ilusseren Ectoderm. Die kleincr(!n Faserzuge oberhalb der Gefiissschicht verlaufeu niclit parallel, sondern sind vielfacli gewellt. Dies komnit daher, dass sie die zwisclien iluien in der lioniogenen Grundsubstanz liegen- den , zalilreich vorkonmiendcn ectodernialen Zellhofe iinigchen miissen, welche so zwiscben den einzelnen Faserstriingen eingekeilt liegen. Die Zellinseln linden sicli auch in der unteren honiogenen Zone, jedocb bier nur in geringer Anzabl. — Im ganzen Mesoderm verstreut liegen zalilreicbe verasteltc; Bindcgewebskorper, wiilireiid die kernhaltigeu Fasern nur selir sparsam vorkommcn und niclit etwa von Ectoderm zu Fctodeini, sondern stets nur circubir ver- laufen. An dem diinnbautigen Coenenchym der Ober- und Unterseite ist das Mesoderm nur niassig entwickelt; an den knorpeligen Stellen bat es jedocb eine bedeutende Macbtigkeit, welcbe der stark ausgebildeteu oberen Zone zuzuschreiben ist ; diese knorpel- artigen Telle baben ein belles oitalisierendes Aeussere. Das in- crustierte Coenencbym besitzt endlicb an seiner oberen Zone uocb eine iiusserste, von Einlageruugen durclisetzte Schicbt, wiibrend das iibrige Mesoderm seine knorpelige Consistenz bebiilt. Das zarte nacli aussen grenzende Ectoderm des Cocnencbyms ist durch die vielfacben Beriibruugen vollig abgerieben ; der iuuere, den Hoblraum auskleidende Epitbelbeleg ist dagegen sehr gut er- balten und zeigt in seinem Verbalten zur Cuticula sebr interessante Erscbeinungen (Taf. V Fig. 10). Aucb Hektwig hat dieselben an Epizoantbus parasiticus beobachtet, jedoch zum Teil irrig gedeutet. Hertwk; sagt: „Der vom Coenenchym umschlossene Hoblraum des Schneckenbauses ist austapeziert von eiuer chitin()sen Memltran, welche der diinneu Lage des Coenenchyms uberall fest auschliesst und eine besondere Structur l)esitzt. Zwei Blatter sind durch einen Zwiscbenraum von einauder getrennt und durch senkrechte, einander parallele Scheidewilnde, Avelche den Zw ischenraum in zalil- reicbe rt<)br(!n und ijrismatiscbe kleiiieie Kilume einteilen, ver- bunden. Ob diese chitinose JMembran der letzte Ueberrest iler Schneckenschale ist, oder cine cuticulare Bildung, ausgeschieden vom ()berfl;lclienei)ith('l der Zoanthee, lasse ich unentschieden." Zunilchst ist bervorzuheben, dass die „chitinose Membran" nichts weiter als die stark entwickelte, faserig erscheinendc Cuticula {cv) darstellt. Dieselbe entsendet, wie aut" Querschnitten zu seben, in gewissen , zienilich regelmilssigen Zwischenraumen senkrechte Ausliiufer (a) in das Ectoderm, welche sich am Mesoderm Tliirmig Ueber einige ueue Zoantheen. 467 (b) ansctzcu. Die llurizuiitalbalkcii zNvcicr beiiachliailer scukrochtcr rfeiler stossen entweder aiieinander, wobei in dcii iiioisteii Fallen cine deutlicli tivnnende Xalit siclitl)ar blcibt, scltcn jedoch eine Vcl•^vacll.sllng ilcr Kndon cintritt, oder sie lasscn eineii g(;ringen Zwisclicniauin zwischcn iliren Endcn. Die Gesaniintheit dieser Horizontalbalkcn liat IlKiri'Wio fiir cine ungctrcnntc Lamellc an- gcschen uud denizufulge audi das intoressante Verlialtcn des Epi- tbels ausscrAcht gelassen. Auf dieses wirkt namlich die Aus- l)reituug der Cuticula am Mesoderm so ein, dass die Querbalken je zweier benachbarter Triiger die Ectodermzellen vor sich her- schiebeu iind schliesslich auf eiuen Puukt zusammendiangcu , von welchem dann die hohen, fadenformigen Zelleu biischel- oder bou- quctartig in das Innere der prismatisclieu Cuticularkammern vor- ragen (ec). Das so gescliilderte Bild erliiilt man auf (^Uierschnitteu, die senkreclit (lurch das Coenencbym von dem llande zur Miin- dung gefiilirt \verdeu ; ein auf diese Riditung senkiechter, d. h. dem Jlande parallelcr Sdinitt, zeigt die Cuticnhi als zwei vollig getrenute, nidit durch senkreclite Balken verbundene Lamellen, weldie dui'ch die aussere foitlaufende Membran uiid ihreu Tfonni- gen Verbreiteiungen am Mesoderm gebildet weiden; die verbiu- deiiden Pfeiler Averden auf solchen Schnitteu nur von der Fladie getrofl'en. Ilieraus erliellt, dass die von der ausseren Cuticula zum Mesoderm entsandteu Ausliiufer als in einer Riditung, niim- lich von der Randpartie zur Miindung verlaufende, ungeteilte- La- mellen aufzufassen sind. Die ganze complicierte Einrichtung ist jedenfalls als Priiser- vativ fiir das zarte Ectoderm zu Ijetrachten, denn olinc diese cuti- culare Scliutzvorrichtung wiirde der von dem Bewoliner der Schale ausgeiibte Druck, nocli vielmelir aber die bestiindige Bewegung des Krebses innerlialb seines Gehiiuses den zarten Zellbelag un- zweifelhaft zerstoren. An dem ausseren Ectoderm ist daher die Cuticula nur eine einfaclie diinne Lamelle; dieselbe nimmt nacli inuen zu, wie das am bcsten an Querschuitten durcli den Miin- dungsrand zu Ijeobachten ist, allmaldich an Dicke zu; seudet dann in aufangs noch selir weiten Zwisclieiu-aumen zarte Ausliiufer gegen das Mesoderm, welche das Ectoderm noch vollig intact lassen. Dann beginnen sich die mit der Cuticula immer dicker werdenden Pfeiler am Mesoderm zu verljreitern und fiihren endlich zu dem Bilde, wie es obeu geschildert ist. Das Verhiiltnis der Cuticula zum Ecto- und Mesoderm bei Epizoanthus eriunert an das cntgegengesetzte Yerhalten bei Zoan- 468 Dr. August Erdmann, thus und Mammilifera , wo Auslaufer des Mesoderms durch das Ectoderm gegen die Ciiticula vorragten. Doch wiihrend es sich bei Epizoanthus um fortlaufende , von der Cuticula ausgehende Lamelleii handelt, bilden bei Zoanthus die Mesodermfortsatze nur einzelne diinne Pfeiler, welche sich an der Cuticula mit verbreiter- ten Enden ausetzen. lY. Genus. Palythoa Lamouroux. Zoanthidcn^ deren ]nesoderni in seiner ausseren Zone von Frenulkorpern (lurchseM hi; Coenenchyni wenig uusgekildetj band- oder zungen- formig; Septenstellnng nacb dcm Ulacrotypusj Kingmusliel entodermal^ JTIesoderni mit zellerfiiilten Hulilungen und Caniilen^ Colonien hc- wohnen lolluskenschalen und Hartgebilde niedcrer Thierc. Spec. Palythoa Axinellae Schmidt. Pig.: Tafel V, 9. Diese am meisten bekannte Palythoaart ist in dem mir zur Verfiigung steh enden Material nicht vertreten; es war mir jedoch selir interessant, dieselbc auf zwei, im Bonner naturhistorischen Museum aufbewahrten Axinellaarten , der A. verrucosa und der A. damiformis zu entdecken, da mir so wertvolle Vergleichsmomente mit Epizoanthus eiuerseits und den mir zu Gebote stehenden Paly- thoaarten andrerseits und damit zugleich neue Beweisgriinde fiir die Berechtigung der vorgenommenen Trennung zwischen Epi- zoanthus und Palythoa gegeben wurden. Ohne mich auf eine Detailschilderung dieser schon hinlanglich bescliriebenen Art ein- zulassen, will icli nur solchc Momente hervorheben, die zur Cha- racteristik der Gattung dicnen konncn. Wiihrend bei alien Epizoanthusarten das Coenenchym das Sub- strat meist ganz oder doch auf weite Strecken als flachige, zu- sammenhangendc Lamelle iiberzieht, besitzt Palythoa Axinellae ein im Yerhiiltnis zu seiner Unterlage nur geringe Grosse zeigendes, band- oder zimgenftirmiges Coenenchym , dem die Polypen in ge- riiiger Anzalil und meist in einer Keihc angeordnet aufsitzen. Die einzelnen Colonien stellen so kleine Gruppen dar, welche auf der Spongie in grosser Zahl, doch getrennt von einander, ange- bracht sind. Von den anatomischen Verhilltnissen will ich nur die wichtig- Ueber cinige neue Zoanthecn. 469 sten Momentc herausgreifen. Das Mauerblatt zeigt eiiie aussere, mit mamiigfachcn Eiiilagerungon, moist jedoch mit Spoiigieniiadeln incrustierte harte, uiid eine innere, der Eiulageruiigen entbehrende, weiche Schicht. Letztere liisst micli keine wcitcreii Diffcroiizioriingen erkeniieii ; icli muss aiiuchmeii , dass die ul)erlaijgo Coiiservierung in schlechtem Alkohol zersetzend auf das weiche Mesoderm ge- wirkt hat, da die njichsten Vervvaiidten eine hochgehende Diffe- renzierung der Zwischensubstanz aufzuweisen. Die Septen ragen als dicke, birn- oder citronformige Gebikle mit diinner Basis aus dem Maiierl)latt ; ihr Mesoderm verlauft ungeteilt. Die Anordnuug der Scheidewandc schliesst sich dem Macro- typus an. Die Geschlechtsorgane bestanden bei den beiden unter- sucliten Tieren nur aus Hodenfollikel. Der Riugmuskel ist ento- dcrmal, d. h. er besteht aus einer einfachen, vom Entoderm aus- geschiedenen Muskelhimelle (Taf. V Fig. 9). Die beiden Palythoaarten des Challangermaterials befiuden sich zusammen in einem Glase , dem ein Zettel , der ausser den gewohnlichen Angaben noch die Worte enthalt: ,, attached to Co- rals" aufgeklebt ist; in dem Gefass selbst liegt ein Papier mit der Bemerkung: „attached to Cariophyllia profunda and Lopho- helia prolifera;" welcher Koralle jedoch die eine und welcher die andere Zoanthee entnommeu ist, dariiber lassen mich die Angaben in Zweifel. Aeusserlich schhessen sich zunachst beide Arten an Palythoa Axinellae, noch mehr aber an Palythoa arenacea an, wech' letztere mit ihrem schmalen bandformigen Coenenchym ver- schiedene Schneckenschalen iiberzieht. G. Muller, welcher sowohl Palythoa Axinellae als audi Palythoa arenacea untersucht hat, kommt zu dem Resultate, dass zwischen beiden ausser der Grosse und Farbung kaum ein anderes, weder ausseres noch anatomisches Unterscheidungsmerkmal existiere. Wie wir sehen werden, stimmen die beiden neuen Arten in anatomischer Hinsicht giinzlich mit Palythoa Axinellae tiberein — kurzum die bis jetzt hinreichend untersuchten Palythoen bilden eine gegen die iibrigen Zoanthiden, speciell gegen Epizoanthus, scharf abgegrenzte Gattung. 8. Species Palythoa sj).? Fig.: Taf. IV, 11. Einzclpolypen bilden hohc, cjliiulrisclie Schliiuchc; naucihlatf ob<'ii niilstii; vors|iringeiid mit 15 — 20 radiiir verlaiifciidcn^ sich iibcr dcii Uaiid- 470 Dr. A 11 p; u s t E r d m a n ii , Miilst crstro<'koiHh'ii Fiirclion; iiicrustiortt' Scliicht «lcs Jlcsoilenns diiiiii, (lie M<>irli<; Xoiic diigogeii stark ciilwicknlf ; Fsirlic gclk; Colonic uiif koraileii. Fundort: Inaccessible Island, CO — 90 Fuss. Fur die definieite Art gelit aus dem vorliandenen Material, welches mit wenig Sorgfalt losgelost sclieint, die Lebensweise der Tiere nicht mit Siclierbeit bervor. Der grosste Teil bestebt aus Einzeltiereii , deneu man die gewaltsame Lostrennung aus dem Verbande der Colonic ansiebt. Eiue Gruppe, die allem Anscbein nacb eiue vollstiindig intacte Colonic rcprascnticrt, setzt sicb aus vicr Einzelpolypcu zusammcn. Dieselbcn sitzen ciucm diinnen, sicb bandartig erstreckeuden Cocnencbym in einer Reibe und in ge- riugen Zwiscbcnriiumcn angeordnct auf. Die Grosse der Tierc bc- triigt 4 — 8, ibre Breite 2,5 — 4 mm. Allc Polypen sind stark con- trabiert; das Mauerblatt bildct in dicsem Zustande oben cinen stumpfcckig nacb ausscn vorspringenden Wulst, desscn obere Flacbc eine durcb eine kreisrunde Furcbe gekennzeicbnete Erbebung zeigt, in deren Mitte sicb der Eingang in das Innere erkennen lasst. Von dem Mittelpunkte dieses Oberteils strablen 15 — 20 radiiire Furcbeu aus, die tiber den vorspringenden Wulst binaus sicb auf das senkrecbte Mauerblatt erstrecken, wo sie sicb dann verflacben. Die Farbe der Polypen ist eine scbmutzig gelbe. Das Integument ist mit Einlagerungen verseben und zeigt ein raubes cbagrinartiges Aeussere. Hat man die uur diiune Sand- scbicbt durcb Abscbaben entfernt, so bleibt der dickere weiche Teil des Mauerlilattes zuriick, der die Ausfiibrung von Llings- und Querscbnitten mittelst des Rasiermessers vortreti'iich gestattet. Das weicbe Mesoderm ist von betriicbtlicber Dicke und be- stebt aus einer bomogen(ni Grundsubstanz. In dieser filllt zu- niicbst die sebr grosse Anzabl mit Zellen erfiillter Iloblungen in die Augen. Dieselben koinien einfacb bleiben, d. b. ibre rundlicbe Oder elliptiscbe Gestalt bebalten , oder sicb , wie in den meisten Fallen, verzweigen und dann ein ganz an /oantluis erinnerndes System anastomosierendcr C^anale darstcllen. Unterbalb des Ento- derms zicbt sicb ein solcber Canal fast ununterbrocben durcb das ganze M;uu'r1)bitt; derselbe licgt so dicbt unter ibnn l'',i)itliel, dass er von diesem nur durcb eine sclimale Lamelle bomogeiier (irund- substanz getrennt ist. Er verliiuff iiiclit etwa ini ganzen Undcreis in gleicber lireite, sondern ist vielfacb cingescbniirt ; selten jedocb fiibrt eine solclie Einscbniirung zu einer wirklicben Unterbrecbung. Ueber einigc ncue Zoanthccn, 471 Bomerkcnsweit ist fcnicr, (lass der Caiinl jerlosmal iintor eiiicr Scpteiiinscrtion eine bcdoiitciKlen!, lioliligc Aiischwcllung zcigt. An manchcn Stellen lasst sich einc Communication dor Kieineren vcr- zweigtcn Z('llcanal(3 niit dem grossen Ringcanal wahrnehmen, welcli' Ictzterer an solclicn Stcllmi tricliterartig ausgcltnclitct erschcint. Ferncr finden sich ira Mesoderm nocli zaldreicho, feinc Ausliiufer entsendendc BindcgcwcljskJh-per, endlicli nocli zarte, keiiifiihi-endc Fasern, welclie jedocli liier nicht radiiir, sondcrn vorzugsweise circular verlaufen. Der Bau des Coenenchyms schlicsst sicli dem d(3S Mauer- blattes, abgesehen von der Anweseuheit der entodermalen Ver- l)indungsr()hren, in alien Teilen an. Das I\I('Soderm der Septen ist wolil ausgebildet und lasst eine gut entwickelte jMuskclfahne erkennen. Die Gesclileclitsorgane, welchc das von mir untersuchte Individuum in seiner Stiitzlamelle fuhrte, liestanden aus Eiinn. Die Mesenterialfaden zcigen den ge- w<")hnlicheu Bau. Die Septenanordnung fiihrte sich auf den INIacrotypus zuruck. Das untersuchte Tier besass 36 Septen, von denen 5 Paare auf die dorsale, 13 Paare auf die ventrale Zone kamen; in letzterer ordneten sich jederseits von den Richtungssepten 6 aus Macro- und Microseptum bestehende Paare regelmassig an. Das Mauerblatt ist in rechtem Winkel nach inneu einge- schlagen. An der Innenseite dieses Teiles lasst sicli ein ausge- sprochen entodermaler llingmuskel erkennen. Die Einfaltungen der entodermalen Muskellamelle treten hier nocli deutlicher als bei Palythoa Axinellae hervor; sie bewirkeu am Mesoderm geweih- artige weit vortretende Zacken. Die Einlagerungen setzen sich auf den eingeschlagencn Mauerblattteil fort, horen jedoch am unteren Rande, wo die Muudscheibe inseriert, auf. *.). Species. Palythoa sp. ? Der vnrii^cii Art sdw iilinlich: jnlocli Kiiilageriiiigni schr zahlreich; Siuitlsciiicht (liiluT lH'triUIilliu CociK'ncliyin oiiigesciikt siiid ; Scpteiistollung nach dcin Microtypus; Kiiigniuskcl mcsodernial viiifach; mesoderm YOU ectodernialeii Zellinseln durciiselzt. Eine Corticiferencolonie kann man sich abgeleitet denken aus einer Epizoanthuscolonie, bei der das diinne, lamellosc Cocncnchym sich nach oben betrachtlich verdickt und schliesslich bis zur Hohe der Eiuzelpolypen vordringt, so dass diese ilin^r ganzen Lilnge nach (lurch das Coeucnchyni verkittet werden. Die Eiuzelpolypen stellcn sich als oben oifene, unten geschlossene Cylinder aus Meso- dei'm dar, die nach innen von Entoderm ausgekleidet sind; sie liegen nahe aneinander, ohne sich jedoch seitlich zu beriihren. Der ganze Raum , den sie zwischcn sich lassen , ist von einer mesoderuKilen Coenenchymmasse ausgefiillt, welche die Polypen fast ihrer ganzen Lilnge nach verkittet; nur der oberste Teil des Mauerblattes mit der Mundscheibe ragt frei aus dem Cocncnchym hervor. Im contrahierten Zustande, wo derselbe horizontal um- gebogen und zum Teil nach innen eingeschlagen ist, bildet die Colonic eine fast ebene Obertiilche. Das Coenenchym bildet ferncr urn das ganze Aggregat von Einzcltieren, d. h. an dessen Unter- flache und Scitenwanden , einen ansehnlichen Helcg. Das so ge- schatlene (ianze endlich ist nach aussen von dem Ectoderm be- Ueber einige neue Zoantheen. 473 grenzt, welches also die Unterseite, die Seitenwande und die Ober- flache der Colonie iiberzieht, an letzterer sich nach innen iiber die eine Seite der Mundscheibe und des Schlundrohrs fortsetzt, wo es dann am Rande des letzeren in das Entoderm Ubergeht. Unter alien Zoanthiden zeigen die Corticifcren die innigste Ver- einigmig ihrer Einzeltiere, welche dem gemeinsamen Coenenchym bis oben bin eingcsenkt und durch dasselbe in ihrer ganzen Liinge untereiuander verkittet werden. Da auf diese Weise die Polypen individuell fast gar nicht hervortreten , anatomisch die Arten der Gattuiig vollig ubereiustimmen , so ist eine Characteristik der einzelnen Formen, besonders auf Grund des contrahierten Mate- rials, nur schwer zu geben; ebenso ist eine Vergleichung mit be- kanuten und beschriebenen Arten, die meist nach lebendem Ma- terial bestimmt sind, fast unmoglich. 10. Species Corticifera sp. ? Fig.: Tafel IV, 12. Eiiizelpolypcu auf der genieinsameu Obcrfliiche als riugforniige Wiilste erkeuubar. Fundort; Bermudas, Shallow water. Die mir zur Verfugung stehende Colonie bildet ein flaches, viereckiges, rindenahnliches Gebilde, das etwa 16 cm lang und 7 cm breit ist. Es stellt kein abgeschlossenes Ganze dar, sondern ist nur ein aus einem grosseren Complex herausgerissenes Stiick mit etwa 400 Einzeltieren, die eine aussere Hohe von 10 — 15 und eine Breite von 4—5 mm zeigen. Es muss jedoch hervorgehoben werden, dass die aussere Hohe der Polypen keineswegs der inneren entspricht, da das Coenenchym auf der Unterseite einen dicken Beleg bildet, so dass von der Gesamrathohe der Tiere nur etwa die Halfte auf den Gastralraum, die andere Halfte jedoch auf die untere Coenenchymlage kommt. AUe Individuen sind^ stark con- trahiert; ihr Mauerblatt ist tief nach innen eingeschlagen. Der Umschlagsrand ragt tiber die gemeinsame Oberflache als ring- formiger, flach aufliegender Wulst hervor, in dessen Mitte der mehr oder weniger geolfnete Eingang in das Innere liegt. An dem unverletzten Rande treten die Einzeltiere als seichte Wol- bungen hervor. In dem an das Ectoderm angrenzenden Teil des Coenenchyms sind zahlreiche Einlagerungen vorhauden , welche eine aussere Bd. XIX. N. F. XII. 3 J 474 Dr. August Erdmann, feste Hulle zu Stande briiigeii. Den Hauptteil der Incrustationen bilden uuregelmassig geforuitc Kalkkorper; ausserdem findeii sich in sparsamer Zahl Foramiuiferenschalen und Radiolariengehiiuse, cndlich zahlreiche und mannigfache Spongiennadeln. In dem zwisclien den Polypen liegenden Coenenchym sind die Einlagerungen uur wenig vertreten; sie ftillen hier eiuzelue zerstreut liegende, nach dem Entkalken als weite Lacunen sichtbare Hohlungen aus. Der iibrige Teil des Coenenchyms ist weich. In seiner homogenen Grundsubstanz treffen wir zunachst grosse, mit piginentierten Epi- thel ausgekleidete Canalo, welche das Coenenchym nach alien Richtungen durchsetzen. Besouders zahlreich sind diese Canale in dem uuteren Coenenchymbeleg , der durch sie eine netzartige, spongiose Beschatfenheit erhalt, vertreten. Wie sich auf Langs- schnitten ergiebt, sind diese Rohren directe, von der Polypen- basis ausgehende Auslaufer des Gastralraumes , die sich von hier aus nach oben durch das ganze Coenenchym erstrecken und somit den bei alien Zoanthiden zu findenden entodermalen Communications- rohren gleichzuachten sind. Das mesodermale Coenenchym fiihrt ferner als Einbettungeu zahlreiche mit Epithel ausgekleidete, rund- liche Zellinseln, in welchen wir die Anlage der bei Epizoanthus beschriebenen ectodermalen Zellhofe zu betrachten haben. Das ganze entodermale Epithel ist mit dunklen Kornchen pigmentiert, desgleichen die grossen ectodermalen Verbindungsrohren. Ganz- lich frei von den Pigmentkorncheu sind jedoch die erwahnteu rund- lichen Zellaggregate; dieses verschiedene Verbal ten giebt den indirecten Bevveis, dass letztere auf keinen Fall entodermalen Ursprungs, sondern nur ectodermale Gebilde sein konnen. Endlich fiihrt das weiche Coenenchym feiue, vom Entoderm beginnende, kernfiihrende Fasern und wie gewohnlich zahlreiche, mit feinen Auslaufern versehene Bindegewebskorper. Die Hauptmasse der ganzen Colonic ist als Coenenchym an- zusehen; auf die Einzeltiere kommt nur ein nach innen vom Entoderm . austapezierter Mcsodermcylinder von geringer Dicke und homogener Beschaftenheit. Die Stutzlamelle der Septen ist ebenfalls nur schwach cntwickelt. Am Grunde umschliesst die- selbe einen mit Zellen erfullten Canal , der sich bei den Makro- septen durch Queranastomosen mehrfach teilen kann. Die Muskel- fahnen sind wohlausgebildet und treten besonders an den grossen Septen als veriistelte Vorspriinge, die eine weite Strecke des Sep- tums einnehmen, hervor. Ueber die Meseuterialfiiden ist nichts besonderes zu berichten. Geschlechtsorgane fand ich bei keineni Ueber einiere neue Zoantheen. 475 der untersuchten Tiere ausgebildet. Das Schlundrohr ist birn- formig mit deutlich ausgepragter Sclilundrinne. Der Ringniuskcl ist mesodermal, einfach und iiur schwach cntwickelt. Er beginnt schon sehr friih im horizontaleu Teil des Mauerblattcs und verlauft dann , ohne sicli sonderlich zu ver- dicken, als schmalor Strcif bis in den untersten Teil des eingc- schlagencn Maucrblattes. In Bezug auf die Scptenanorduung habe ich fiinf Individuen untersucht. Die Scheidewiinde, dereii Zahl niclit sehr bedeutend, zeigen in ihrer Stelluug den cliaracteristischeu Microtypus. Septenpaare Septen- einerseits I andererseits zahl 1. 2. 3. 4. 5. 8 7 34 9 6 34 8 8 36 9 9 40 9 9 40 11. Species Corticifera sp.J Fig.: Taf. IV, 13. Oliertcil drs Mnucrblaftes der Eiuzelpolypeii flachpolycdrisch ^ mit zarteii radiiireii Furchcii. Fundort: Simons Bay; 10 — 20 Fuss. Von dieser Art besitze ich eine Colonie mit etwa 40 Einzel- tieren ; dieselbe bildet ein geschlossenes Ganze , da das Ectoderm ringsum unverletzt erhalten ist. Die Polypen verschmalern sich nach unten, wodurch, da sie fest aneinander gelagert sind, eine keilformige Gestalt des Ganzen bedingt wird. Bei grosser Ober- fliiche ruht doch die Colonie auf verhaltnismassig geringer Unter- lage, so dass die randstandigen Tiere fast wagerecht zu liegen kommen. Die grosseren Individuen haben eine aussere Hohe von 6—8, und eine obere Breite von 5 mm; zwischen ihnen befinden sich kleinere Tiere mit einer oberen Breite von 2 — 4 mm eingeklemmt. Der Hauptunterschied dieser von der vorigen Art liegt ausser in der geringeren Grosse der Einzeltiere noch in der Beschafien- heit des oberen, umgeschlagenen Mauerblattes. Wahrend dasselbe bei der eben beschriebenen Corticifera einen ringformigen , tiber die Oberflache vorragenden Wulst bildet, ist hier das den oberen 31* 476 Dr. August Erdmann, Verschluss bildende Mauerblatt ganz flach und zeigt, da die Polypeii dicht gedriingt stelien, eine unregelmassig-eckige Gestalt. Ill der Mitte dieser Polygone liegt der als punktforniige Ver- tiefuiig kenntliche Eingaug in das Innere, von dem aus uber das oberflachige Mauerblatt zahlreiche sehr zarte Furchen sich radiiir erstrecken. Im Uebrigen imterscheidet sich diese Art weder ausser- lidi noch anatomisch vou der vorhergehendeu. Von den beiden auf die Septenstelluug untersuchten , den regelniassigen Microtypus zeigenden Individuen besass das eine ventral beiderseits 6 Paare, im Ganzen also 18 Paare oder 36 Einzelsepten ; das zweite Exemplar fiihrte ventral cinerseits 6, audererseits 5 Paare, hatte also im Ganzen 17 Paare oder 34 Einzelsepten. Zweite Familie Sphenopidae. Eiii/ellebeudc Xoaiitheeii^ welclic iiiit ihi-eui abgeriiiidften Kurpereiide im Sande stcckeii oder iiiit eiuer Art Uaftscheibe am Bodcii festsitzou. In seinem System der Zoantheen fiihrt Gray vier Gattungen, welche solitar bleiben. Indessen iiur von einer derselben ist die Zugehorigkeit zu den Zoantheen erwiesen und zwar von der Gattung Sphenopus durch R. Hertwig, der an einer neuen Art, dem Spheno- pus arenaceus, den Zoantheencharacter der Gattung, wie er be- sonders durch die Septenstellung bedingt ist, dargethan hat. YI. Genus. Sphenopus Steenstrup. Spheiiopideii mit dickem mauerblatt^ desseu lesoderm iii seiner iiiisseren Zone mit Eiiilageriiiigeii versehen ist; Septenstellung nach dem iTliero- typusj Uingmusliel mesodermal einfaeh; Mesoderm mit linsenformigen ectodermaleu Zellhofen. 13. Species Sphenopus sp? Fig.: Taf. IV, 14, 15, IG. Hiirper gegliedert in oberen blasigen Kumpf^ langgestreekten sehmalen Fuss und breite sohlige Haftseheibe; von der Spitze verlaufen iibcr den oberen Teil des Rumples etwa 10 — 12 undeutliehe grobe Furehen; Farbe grau. Diese Art ist in manchen Teilen von den schon bekanuten Ueber einige neue Zoantheen. 477 Sphenopus marsupialis Steeiistrup uiid Sphenopus arenaceus Hert- wiG verschieden. Eiii ausgewachsenes Tier lasst eine aussere Diflfereiizicrung in drei Teile erkeiincn. Den ansehnlichsten Teil eines solchen Polyperi bildet der obere blasenaitige „Korper" (Taf. IV Fig. 14, 15, 16), der die Organs der Ernahrung und Fort- pflanzung in sicli birgt. An ihm liebt sich durch mehr oder we- niger deutliclie Querfaltung ein durch grobe, radiare Furchen aus- gezeichneter oberster, liaubenartigcr Teil (k) ab. Der Korper ruht auf eineni laiigen schmalen „Fiiss" (/*), von welchem er durch eine deutliche Furche scharf abgesetzt ist. Der Fuss endlich verbreitert sich an seiner Basis zu einer Art „Hattscheibe" (h). Die drei Tiere dieser Art, welche mir zur Verfiigung stehcn, re- prasentieren verschiedene Altersstadien. An dem altesten Indi- viduum (Fig. 14) ist der blasige Korper (r) durch die Aufbewahrung in Alkohol unregelmiissig contrahiert und hat ein faltiges Aussere, ausserdem zeigt er eine seithche Comprimieruug. Der durch un- deutliche Einschniirung abgesetzte Kopfteil (Jc) ist stark hockerig und besitzt etwa zwolf grobe, durch verwischte und unterbrochene Furchen getrennte, radiar verlaufende Erhebungen. Die Hohe des Korpers betriigt 2,5 cm., seine grosste Breite etwa 2,4 cm. Durch eine kreisrunde Furche scharf von ihm abgesetzt ist der dreh- runde Fuss (/"), dessen Durchmesser oben 1,2 cm betragt. Leider ist derselbe abgebrochen, so dass ich weder iiber die Gesammt- lange noch iiber die Haftscheibe dieses Tieres Genaueres angeben kann. Das zweite Individuum (Fig. 15) stellt ein mittleres Alters- stadium dar. Seine Totalgrosse betragt 3,2 cm., wovon 2,0 auf den Korper und 1,2 cm. auf den Fuss kommen. Ersterer ist in seiner Mitte, wo er auch die grosste Breite, namlich 2 cm., hat, einerseits eingedriickt, wiihrend die andere Seite stark vorgewolbt ist. Nach oben verschmalert er sich allmiihlich in den undeutlich radiar gefurchten Kopfteil und ebenso allmahlich nach unten in den Fuss. Dieser ist drehrund und hat cinen Durchmesser von 0,5 cm. Die sohlige Haftscheibe besitzt an ihrer Basis eine Breite von 0,9 cm. Der dritte, noch junge Polyp (Fig. 16) besteht zum Hauptteil aus dem Korper, der oben, ohne besonders abgesetzten Kopfteil, flach und kreisformig, an seinem Umfange jedoch faltig eingedriickt ist; seine Hohe betragt 2,4, seine Breite 2,0 cm. Nach unten geht er allmahlich in den rudimentaren, rund und ohne Haftscheibe endenden, nur wenige Millimeter hohen Fuss uber. Zur Untersuchung beuutztc ich das mittlere, vollig erhaltene 478 Dr. August Erdmann, Exemplar. Ein den Polypen in zwei Halften teilender Langs- schnitt zeigt zunachst folgendes : Die Septen ziehen sicli im Fusse als hellgefiirbte, schmale, kaum ins Innere vortreteiide Leisten auf dem dunklen Mauerblatt bin; sie erstrecken sicb auch auf die horizontale Fussscheibe und erscheinen bier als radiale Lamellen, die im Centrum der flachen Basis zusammentreffen. Erst beim Uebergange in den breiten Korper finden sich die Mesenterial- filamcnte an den Septen ein. Dieselben bilden einen dicken, fast das ganze Innere erfullenden Beleg und verdecken die Septen vollstandig. Das ziemlicb dicke Mauerblatt lasst auch mit blossera Auge die Zusammensetzung aus zwei Scbichten, einer ausseren, wegen der Einlagerungen kornig erscheinenden und einer inneren glanzenden, von Einlagerungen freien, weichen Zone erkennen; ferner ist zu beobachten , dass das Mengenverhaltnis der in- crustierten zur weichen Schicht, je nach der Hoheiiregion ver- schieden ist, dergestalt, dass am oberen Korper beide Telle etwa gleich stark ausgebildet sind, wahrend mit zunehmender Tiefe die festen Bestandteile zahlreicher werden und im Fusse schliesslich zu einem ganzlichen Verschwinden der weichen Zone fiihren. Oben ist das Mauerblatt in scharfem Winkel nach innen ziemlicb tief eingeschlagen. Die Einlagerungen setzen sich an diesem ein- geklappten Teil rundum bis zur Ansatzstelle der Mundscheibe, die hoch am inneren Rande inseriert, ununterbrochen fort. Das Schlundrohr reicht tief nach unten hinab und zeichnet sich durch eine Schlundrinne von bedeutender Tiefe aus. Ein querer Schnitt durch die Schlundrohrgegend lasst die Septenanordnung auch mit blossem Auge erkennen. Da der aus- geflihrte Liingsschnitt beiderseits die Mitte zwischen je zwei Septen getroffen hatte, so waren die Scheidewiinde vollstandig erhalten und die Zusammensetzung der beiden Querschnitthalftcn gab ein unversehrtes Bild von der Stellung der Septen. Dieselbe ordnete sich dem Microtypus unter, Im Ganzen waren 60 Septen vor- lianden; von diesen kamen nach Abzug der regelnuissig ausge- bildeten dorsalen Paare auf die ventrale Zone jederseits von den Macrorichtungssepten 12 aus Macro- und Microseptum bestehende Paare. Zur Erkennung der genaucren anatomischen Verhaltnisse wandte ich die Kocii'sche Schlitfmcthode an. Das Integument setzt sich, wie sciion liervorgehoben, aus einer inneren weichen und einer ausseren mit Einlagerungen durch- setzten Zone zusammcn. Letztere bestehen zum grossten Teil TJeber einige ueue Zoautheen. 479 aus helleii, eckigeii Sandfragmenten ; daini finden sicli niaiinig- faclie unbestimnibarc, verschicden getarbtc Mineralsplitter, eiidlich audi in sparsamer Zabl Spongienuadehi uiid ForaminifeiTiischaleii. Alle diese Korper liegen bunt durclieinandcr, jedocli schr dicbt zusammen, so dass sie eine feste iiussere Rinde bilden ; zwischen sich lassen sic nur diinne Mesodernilamellen bestehen, welchen ausser wenigen sternformigen Bindcgewebskorpern noch feine, kernfiihrendeFasern eingebettet sind. Die von Einlagerungen freie, weiche Mesodermzone bestelit aus homogener Grundsubstanz. In dieser fallen zunachst scharf unischriebene, linsenformige Zell- inseln auf, weiche in sehr grosser Anzahl und verschiedcner Grosse dem Mesoderm eingelagert sind. Besondcrs umfangreich sind sie in der Niibe des Entoderms, wahrcnd sie sich aussen in alien Grossenabstufungen bis zu feinen spindelartigen Gebilden vorfinden. Die Richtung der Liingsaxe dieser Zellinseln ist stets eine circulitre. Ausserst zahlreich im Mesoderm sind die kern- fuhrenden Fas(!rn vertreten; sie erstrecken sich vom Entoderm nach aussen und zeigen teils einen geraden, meist jedoch einen welligen Verlauf mit engcn , fast korkzieherartigen Wiudungen. Ausser den genannten Einlagerungen beobachtet man das aller- dings nur sparsame Auftrcten sternformiger Bindegewebskorper, die feine Auslaufer in die homogene Grundsubstanz entsenden. Die Stiitzlamelle der Septen ist gut entwickelt und lasst eine geweihartig vorspringende Muskelfalme erkennen. An ihrem Grunde fiihrt sie einen, die Septen in ihrer ganzen Lange durchziehenden zellerfullten Canal, welcher auf Querschnitten an den Microsepten als einfache rundliche, an den Macrosepten als langere, durch Queranastomosen geteilte Hohlung erscheint. Dieses gewiss unter- geordnete Merkmal begleitet den Microt'ypus durch alle ausserlich wie anatomisch so ditferente Gattungen; keine Form mit dem Macrotypus zeigt auch nur eine Andeutung jener Septalcanale. Der Ringmuskel von Sphenopus ist mesodermal und einfach und insofern characteristisch, als er ungleichtiefer als bei irgend einer andern der bekannten Zoantheen beginnt; er reicht so tief im ausscren Teil des Mauerblattes hinab, dass selbst am contrahierten Tier seine tiefste Stelle mit dem unteren Rande des Schlundrohrs in einer Ebene zu liegen kommt. Auf Langsschnitten beobachtet man, wie an seiner tiefsten Stelle die ins Mesoderm abgeschniirten Fibrillenbiindel als kleine Kreise nahe aneinander gelagert sind, so dass sie fast als eine zusammenhangende Linie erscheinen. Nach oben zu vverden die Bundel gestreckter und stellen sich mit ihrer 480 Dr. August Erdmann, Liingsaxe senkrecht auf das Entoderm, von dem sie nur durch eine sclimale Lamelle lioinogencn Mesoderms getrennt sind. In diesem Zustande bildet der Ringmuskel ein ausserst regelmassiges, pallisadenartig angeordnetes System stabformiger Fibrillenbiindcl. Am Einschlagsrand des Mauerblattes begiuuen sich die Biindel imregelmasaig aiiszubuchten und ordnen sich endlich im einge- schlagenen Teil des Mauerblattes zur Bildung des eigentlichen Sphincter zu einem aus zierlich verzweigten und anastomosierenden Biindehi bestehenden Geflecht an. Der nach unten zu immer machtiger anschwellende Ringmuskel hat eine langgestreckte Ge- stalt und hort unten iiiit rundem Ende auf. Er verdrangt das weiche Mesoderm nicht vollstandig, sondern liisst beiderseits eine homogene Schicht frei , weiche ihrerseits von einem, innen bis zur Ansatzstelle der Mundscheibe reichenden, die gewohnlichen festen Einlagerungen fuhrenden Mesodermstreifen begrenzt ist. Es erlibrigt noch die Beschreibung einer Form, bei der ich zweifelhaft bin, welcher der beiden Zoantheenfamilien ich sie unter- ordnen soil (cf. Fig.: Taf. IV, 17). Wenn von den Zoanthiden ein die Einzeltiere verbindendes Coenenchym gefordert wird, so kann ihnen diese Gattung nicht zugesellt werden, da ein Coenenchym nicht einmal andeutungsweise vorhanden ist. Wenn andererseits als Characteristicum der Sphenopiden die Einzellebigkeit anerkannt wird, so entspricht sie dieser Bedingung ebensoweuig; denn unter der grossen Menge des Materials fand ich kein Tier, welches vollig isoliert war; stets waren mehrere anniihernd gleichgrosse ver- wachsen, oder grossere Polypen trugen eine oder mehrere Knospcn. Anatomisch stehen wiederum die Tiere den Zoantheen, besonders Epizoanthus, naher als Sphenopus. Auch die Lebensweisc giebt keine Anhaltspunkte, weiche fiir die Zugehorigkeit zu der einen oder der anderen Familie sprechen konnten. Dass sie wie Sphe- nopus mit ihrem unteren Ende im Sande oder im Schlammc stecken, ist unmoglich, da ja bei fast alien Individuen gerade an ihrem verschmalerten unteren Teil die jungen Knospen entstehen. Man konnte auf die Vermuthung geraten, dass die Polypen lang auf dem Boden liegeii. Doch auch diese Annahme ist unhaltbar, da eine bestandige Lage auf dem Boden doch nicht ohne Einfliiss auf die Korpcrgestalt bleiben kann und mindestens grossere oder geringere Eindriicke bewirkcn miisste. Alle Tiere sind jedoch im ganzen Umfange gleich intact und ohne jegliche Spuren , wie sie Ueber einige neue Zoantheeu. 481 die Unterlage unzweifelhaft hinterlassen hatte. Es bleibt schliess- lich nur die eine Annahme iibrig, dass das specifischc Gewicht der lebenden Tiere ein sehr geringes ist, so dass dieselben im Stande sind, frei im Meere zu flottieren. Wie man sieht, bilden diese Polypen eine ziemlich eigenartige und den bestehenden Familien schwer unterzuordnende Gruppe. Ihre Stellung ist die eiuer Uebergangsform. Wenn man sie nicht als ,,kuospenbildeude Einzeltiere" zu einer besonderen Familie er- heben und sie als gleichwertig mit den Zoanthideu und den Spheno- piden diesen Familien nebenordnen will, so lassen sie sich am ehesten noch den Sphenopiden anreihen, da man die Knospen, welche bestimmt sind, sich loszulosen, als vorubergehende Bildungen ansehen und so die Polypen als Einzeltiere hinstellen kanu. Die iiussere Gestalt der Tiere, von den en die Abbildung nur eine ge- ringe Auswabl giebt, ist eine ziemlich verschiedene, so dass man aus dem vorhandenen Material wohl mehrere auf aussere Merk- male gegriindete Species aufstellen konnte. Ich begniige mich, da das anatomische Verhalten bei alien Formen vollig ubereinstimmt, mit einer Beschreibung der Gattung. YII. Genus. Genus noTum. Fig.: Taf. IV, 17 a— k. Incrustierte Einzelpolypen^ deren laucrblatt an seineni hinteren ver- schnialerten Ende stets mehrere Knospen tragtj Septenstellung nach deni Kacrotypns^ Ringniuskel mesodermal und einfaoh^ (licschlechts- organe gonochoristisch j mesoderm mit ectodermalen Zellhofen. Fundort: von H. M. S. „Triton"; 640 Fuss. Die aussere Gestalt der Polypen ist im Allgemeinen keulen- formig; auf einem mehr oder weniger verschmalerten und laug- gestreckten Basalteil erhebt sich ein allmahlich breiter werdender, umfangreicherer Oberteil. Die Grosse eines ausgewachsenen Tieres kaun bis zu 3,5 cm mit einem grossten Breitendurchmesser von 1,2 cm betragen. Alle Tiere befinden sich im Zustande der hochsten Contraction; das Mauerblatt ist umgebogen und bildet so eine gewolbte oder flache Oberflache, in deren Mitte auf einer deutlichen Erhebung oder auch im Grunde einer Einsenkung der Eingang in das Innere liegt. Stets strahlen von diesem etwa 12—20 radiare Furchen aus, die sich nur wenig auf den verticalen 482 Dr. August Erdmanu, Teil des Mauerblattes erstrecken. Lctzteres fiihlt sich rauh an, ist jedoch sonst bis auf eiuige nur schwach hervortretcnde Quer- faltungen vollig glatt. Die Farbe der Tiere ist eine schrautzig braune. Dem untereu Ende des verschmalerten Basalteiles sitzen stets mehrere jungere Tiere an ; die jiingsten Anlagen sind ge- rade cylindrische Schliiuche von 2—4 mm Hohe und 2 mm Breite. Die nachst illteren Stadien gleichen den Muttertieren insofern, als sie an ihrer Basis eingeschniirt siiul und so eine mehr oder weuiger keulenformige Gestalt erhalten. Die Abschnurung scheint bestandig fortzuschreiten und schliesslich zur ganzlichen Isolation des Tochtertieres zu fiihren. Die jiingsten einzellebenden Polypen haben namlich genau das Aussehen von alteren Knospen; einige derselben zeigen zudem an ihrer Basis eine kleinc Oetfuung, welche auf eine soeben erfolgte Ablosung vom Muttertiere hindeutet. Die Knospen stellen eiufache Ausstiilpungen des Mauerblattes dar. In ihnen wcrden die Septen und die iibrigen Organe neu ange- legt , ohne dass dieselben mit den entsprechenden Teilen des Muttertieres in genetischen Zusammeuhang stehen. Da, wo seit- lich an eiiiem Individuum, also im Bereich von dessen Septen, eine Knospe angelegt werden soil, biegen zwei benachbarte Septen auseinauder und schafl'en so einen zur Ausstiilpung geeigneten freien Raum. Am Grunde des Basalteiles enden die Septen all- miihlich; auf die, der Fussscheibe entsprechende, mehr oder minder abgerundete Basis gehen sie nicht uber, Durch Ausstiilpung kann letztere zu einer in der Axe des Muttertieres liegenden Knospe werden. In dieser beginnen die Septen ebenfalls allmiihlich ohne scharfe Grenze. Beide Tiere sind so durch eine indifterente Zone des Mauerblattes getrennt. Wegen der fast stcinartigen Hiirte des Mauerblattes lassen die Polypen keine Untersuchung mittelst der Schnittmethode zu, und wandte ich deshalb auch hier die Schlifimethode von v. Koch an. Das Mauerblatt ist von betrachtlicher Dicke. Sein Mesoderm ist in seiner ganzen Breite von Einlageruiigen durchsetzt und bildet so einen iiusserst resistenten , schiitzenden Panzer. Die Incrustationen bestehen durchweg aus unregelmassig-eckigen Sand- kornern, die, wie zu einem Mauerwerk fest aneinandergefiigt, nur diinne Lamellen homogenen Mesoderms zwischen sich lassen. Eine solche freie schmale Schicht grenzt auch als geschlossener Cylin- der an das Entoderm. In den weichen homogenen Mesoderni- blattern finden sich eingelagert kernfiihreude , verilstelte Bindege- Uebei' einige neue Zoantheen. 483 webskorper, die sich durch ihre bedeutende Grosse aiiszeichnen; dicselben koiiiien eiiie langspiiulelftM-mige Gestalt aniielimen , so dass sie schliesslich ganz das Aussehen der auch hier zu finden- den Stiitzfaseru gewiiinen. Ob dieses Verhalten fiir die Natur der letzteren als umgewandolter Bindegewebskorper zu sprechen gewichtig genug ist, lasse ich unentschieden. Endlich fiihrt das Mesoderm in geringer Anzahl kleiiic ruiidliche , anscheinend mit Zellen erfiillter Hohlungeu, welche jcdenfalls den bei Epizoanthus zu treffenden ectodermalen Zellhofen gleichzuachten sind. Das Mauerblatt ist beini contrahierteii Tier weit nach innen eingeschlageii und fiihrt einen gut entwickelten Sphincter, der in seinem Bau und seiner Gestalt dcm von Epizoanthus (auf Fusus) am nachsten kommt. Derselbe ist einfach und mesodermal; er beginnt — wie auf Radialschnitten ersichtlich — bereits schmal im wagerechten Teil des Mauerblattes, verbreitert sich gegen den Umschlagsrand zu und verlauft dann im eingeschlagenen Teil des Mauerblattes als breiter Muskelstreif, um am unteren Rande stumpf zu cnden, Seine vielfach verzweigten Muskelbiindel liegen in der von Einlagerungen freien , an das Entoderm grenzenden Lamelle des Mesoderms, welche durch ihn stark verdickt wird. Beider- seits ist der Riiigmuskel begrenzt von einei' breiten, stark incrus- tirten Mesodermschicht, welche als directe Fortsetzung vom ausseren Mauerblatt iiber den ganzen eingeschlagenen Teil bis zur Ansatz- stelle der Mundscheibe, welche sehr hoch am inneren Rande in- seriert, verlauft. Das Schlundrohr ist oval mit ausserordentlich deutlicher Schlundrinne, welche sich durch ihre bedeutende Tiefe auszeichnet. Oeffnet man ein Tier mit der Scheere und breitet es flach aus, so hat man Gelegenheit, den inneren Bau leicht zu ubersehen. In dem unteren Fussteil fallen die Septen als schmale, kaum in's Innere vorragende, hellgefarbte Leisten in die Augeu; die Macro- septen sind hier vor den Microsepten kaum merklich ausgezeichnet, nur die Anwendung der Loupe lasst eine etwas grossere Breite der ersteren erkennen. Erst da, wo der Polyp sich zum umfang- reicheren Oberteil zu verdicken beginnt, tritt eine deutliche Ver- schiedenheit zwischen grossen und kleinen Septen zu Tage. Hier bilden niimlich die Macrosepten ihre Mesenterialfilamente und Ge- schlechtsorgane aus und werden dadurch zu gelbgefarbten, wulstigen Biiiulern, die einen regelmiissig geschlangelten Verlauf zeigen. Sie sind von bedeutender Breite und verdecken die zwischen ihnen liegenden Microsepten vollstandig, so dass diese erst durch Eut' 484 Dr. August Erdmann, fernen der Macroscpten sichtbar werden. Das Loslosen dcr letz- teren mit ihi'eii Anhangen kann sehr leicht geschehen, so dass sie auf Schnittcii fiir sich untersucht werden koiinen. Das Mesoderm der Septen ist iiusserst diinn und bildet cine einfache, keinen Canal umschliessende Lamelle. Die Mesentorialfaden zeigen den gewohn- licheii Bail. Gcschlechtsorgane fand ich bei zwei der untersuchten Tiere; dieselben bestanden in beiden Fallen aus Hodenfollikel, deren Spcrniatozoen den durch die verschiedenen Reifestadien be- dingten und bereits naher bescbrielciun Anordnungsmodus zeigten. Von den drei Schliiien, die ich zum Zweck der Beobachtung der Septeustellung durch die Schlundrohrgegend von drei Tieren niachte, gelang nur der eine vollstandig, walirend die beiden andern mehr oder weniger misgluckten, indem durch ungeschicktes Schleifen eiuzelne Partieen des Mauerblattes niit den Septen aus- brachen. Dennoch liessen auch diese Schlifie den herrschenden Typus erkenneu. Das erste Individuum, eine uoch junge Knospe, zeigte trotz seiner geringeu Grossenverhaltnisse bereits 22 Scheide- wande. Dieselben gruppierten sich nach deni Macrotypus, so dass I'uiif Paare auf die regelmassig ausgebildete dorsale Zone kamen, ventral einerseits zwei, andrerseits drei Paare von den grossen Richtungssepten gelegen waren. Die beiden anderen Exemplare, von denen das eine ein mittleres , das andere ein vollig ausge- bildetes Stadium reprasentierte, waren nach folgenden Schematen, in denen die ausgebrochenen Stellen durch Puncte bezeichnet sind, septiert: 1) o|o| I I I |o|o|o|o|o|o| |o|o ^) o|o| |o|o| I I I |o|o|o|o|o|o|o|o|o| |o Unter den von uns aufgestellten 5 Gattungen der Zoanthiden existiert ein bestimmtes Abhangigkeitsverhaltnis zwischen der Lebensweise einerseits und den anatomischen Verhaltnissen, besou- ders der Septeustellung andrerseits. Die Gattungen Zoanthus, Mammilifera und Corticifera septieren sich, wie bekannt, nach dera Microtypus ; die Gattungen Palythoa und Epizoanthus zeigen dagegen den Macrotypus. Erstere nun zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein unbeschriiuktes Wachstum ihrer Colonicen haben; sie alle iibcrziehen den Meeresboden, der ihrer Ausbreitung keiue Grenze setzt, auf weite Strecken. Bei Palythoa und Epizoanthus dagegen, welche die Hartgebilde niedcrer Tiere bewohnen, bedingt die raumliche Beschranktheit ihres Substrates eine bestimmte Ueber einige ncue Zoantheen. 485 Grosse ihrer Colonieen ; sie zeigen zum Unterschied von den iibrigen Gattungen den Macrotypus. Noch ein zweites wichtiges anato- niisches Merkmal lasst seine beideu Modificationen als durch die vcrschiedene Lebensweise bedingt erscheinen. Wie wir saben, ist boi Zoantbus ein deutlicher Hermaphroditismus seiner Geschlechts- tiere festzustelleu ; die andern Formen, soweit sie bis jetzt auf ihre Sexualverhaltnisse erkannt, haben cine gonochoristische Aus- bildung ihrer Geschlechtsproducte. Allcui Anschein nach dtirfte der Gonochorismus von Epizoanthus uud Palythoa auf Diocie zuriickzufuhren sein; denn wie aus den Uutersuchungen hervor- geht, traf icb bei jeder der beschrieberien Art auf derselben Colonie entweder nur maunliche oder nur weibliche Sexualorgane, wie je- doch beiderlei Gescblechtstiere an. Leider fehlen niir bei den Gattungen Mammilifera und Corticifera die Angaben iiber die sexuelle Ausbildung. Wenn jedoch der Schluss von gleicher Lebens- weise auf gleichen geschlechtlichen Character gerechtfertigt ist, so konnen wir unsere mangelhafte Kenntniss iiber die Sexualver- haltnisse vervollstandigen und Zoanthus, Mammilifera und Corti- cifera eine hermaphroditische Ausbildung ihre Sexualorgane zu- schreiben, wahrend Epizoanthus und Palythoa zur Diocie neigen. Im Allgemeinen lassen sich die gedachten Verhaltnisse in dem Satz aussprechen : Zoanthiden mit unbeschranktem Wachstum ihrer Colonieen zeigen den Microtypus und sind Zwitter, Zoanthiden mit beschranktem Wachstum ihrer Colonieen ordnen ihre Septen nach dem Macrotypus und sind diocisch. Eine die Entwickelungsgeschichte unserer Polypen beriihrende Bemerkung mag den Beschluss dieser Arbeit bilden. Den Entstehungsprocess der Septen bei den Actinien kann man zerlegen in zwei Perioden ; die erste derselben reicht bis zur Fertigstellung der ersten sechs Paare, die darura auch Haupt- septenpaare heissen; in der zweiten Periode entstehen nun im Allgemeinen bei den Actinien die ferneren Septenpaare in den jedesmaligen Zwischenfachern, welcher Process durch haufige Wie- derholung zur Bildung von Septenpaaren zweiter, dritter etc. Ord- nung fiihrt. Bei den Zoantheen ist das in der zweiten Periode herrschende Bildungsgesetz ein anderes; hier sind, wie wir sahen, nur zwei Zwischenfacher, namlich die beiden den ventralen Richtungssepten benachbarten Interseptalfacher, befahigt, neue Septenpaare zu bil- den, Stadien, welche jung genug waren, urn iiber das Verhalten der Hauptseptenpaare Aufschluss zu gebeu, sind noch nicht unter- 486 Dr. August Erdmann, sucht. Jedoch kann eine einfache Reflexion zu dem der Beobach- tung verschlosscnen Zieic fiibreu. Wie aus den bisher ausge- fiihrten Untersudmngen hervorgebt, ist bei alien Individuen die dorsale Zone stets vollig ausgebildet; dieselbe zeigt constant fiinf Paare. Anders ist es jedocb mit der veutralen Partie; von dieser gilt der Satz, dass die Anzahl der Septen mit der Grosse des Tieres, welche im Allgemeinen seinem Alter entspricht, in ge- radeni Verbiiltnis steht. Wenn also die dorsale Zone alien, selbst den jungstcn bisher untersuchten Individuen vollstandig zukommt, wabrend die Anzahl der ventralen Paare mit fortschreitendem Alter zunimmt, mit jtingeren Alterszustanden also geringer wird, so kann man eiii sehr junges Stadium annehmen, in welchem die ventrale Zone auf ihr Minimum, d. h. auf die Macrorichtungs- septen , welche stets zu den Hauptseptenpaaren gehoren , be- schriinkt ist. Dieses Stadium umfasst somit sechs Paar Septen, namlich die fiinf Paare der dorsalen Zone und das eine Paar der ventralen Richtungssepten. Auf diese Weise gelangen wir bei den Zoantheen zu zwei primaren Grundformen, der Macrogrundform und der Microgrundf orm. Lassen wir bei diesen in den beiden Fiff. 3. Fis. 4. den Macrorichtungssepten benachbarten Zwischenfachern beliebig viele aus Macro- und Microseptum bestehende Paare nach dem Princip , das Macroseptum den Richtungssepten zuzuwcnden , ent- stehen, so'resultieren die beiden Anorduungsmoden , welche die Gruppe der Zoantheen characterisieren. Ueber eiuiso neuo Zoantheen. 487 Erklarung der Tafeln. Tafel IV. Fig. 1. Zoaulhus sp. ? (1. Species). Vergr. -f. Stiick einer Colonie : sf Stiel, po Polyp, c Coeueuchym. Fig. 2. Zoanthus sp. ? (1. Species). Vergr. y. Colouie von obeu. Fig. 3. Zoanthus sp. ? (2. Species). Vergr. -]-. Fig. 4. Epizoanthus sp.? (3. Species). Vergr. j-. Hinterseite der Fususscbale mit den Polypen : s Spitze, e Ende des Canals, v) Win- dungen der Schale. Fig. 5 u. 6. Epizoanthus sp. ? (4. u. 5. Species). Vergr. \. Ein Teil der Colonie: // Kieselfadenstraug von Hyalonema, c Coen- enchymscheide. Fig. 7. Epizoanthus sp. ? (6. Species). Vergr. |-. Vorderan- sicbt der Colonie: rn Miinduug, w Wiudungen der Schale. Fig. 8. Epizoanthus sp. ? (7. Species). Vergr. |^. Oberseite des Conenchymgehauses. Fig. 9. Epizoanthus sp, ? (7. Species). Vergr. ^. Unterseite des Conenchymgehauses. Fig. 10. Epizoanthus sp. ? (7. Species). Vergr. -|. Einzelpolyp von der Seite. Fig. 11. Palythoa sp. ? (8. Species). Vergr. J-. Uuversehrte Colonie mit vier Polypen: c bandform. Coenenchym. Fig. 12. Corticifera sp. ? (10. Species). Vergr. {-. ^tiick einer Colonie. Fig. 13. Corticifera sp. ? (10. Species). Vergr. -^. Die gauze Colonie von oben. Fig. 14, 15. u. 16. Sphenopus sp. ? (12. Species). Vergr. J. Ein alter, ein mittlerer und ein junger Polyp: /■ Rumpf, /i Kopfteil, / Fuss, // Haftscheibe. Fig. 17 tf — k Genus novum: Verschiedene Formen. Vergr. ^. 488 Dr. August Erdmann, TJeber einige neue Zoantheen. Tafel V. Allgemeine Abkiirzungeu: ma Mauerblatt; ee Ectoderm, en Entoderm; me Mesoderm; /• liiugmuskel; mm Mundscheibe; nis Schlundrohr. Fig. 1. Zoantlius sp. ? (1. Species). Querschnitt durch das Mauerblatt : ca ectoderm. Canale , cit Cuticula, //{/' Mesodermfortsatze. Fig. 2. Zoanthus sp. ? (1. Species). Kadialscbnitt durch d. ob. Region eines Polypen: ro obere, ru untere Portion des doppelten Riugmuskels. Fig. 3. Zoanthus sp.? (1. Species). Querschnitt durch ein Sep- tum : mus Macroseptum, mis Microseptum, sc Septalcanale, mf Muskel- fahne, ov Eier, rme Stutzlamelle, dr unpaarer Driisenstreif. Fig. 4 u. 5. Zoanthus sp. ? (1. Species). Querschnitte durch einen Eand- und einen mittleren Stolonen: er entodermale Yerbin- dungsrdhren. Fig. 6. Epizoanthus sp. ? (3. Species), Querschnitt durch die Spitze eines Polypen: rme Ringmuskelmesoderm, i innere, e aussere Foraminiferenkronchen , / /' Tentakel , s Septen. Fig. 7. Epizoanthus sp.? (3. Species). Radialschnitt durch die ob. Region : ii innere, ee aussere Foraminiferenkronchen, /■ Ringmuskel. Fig. 8. Epizoanthus sp. ? (4. Species). Querschnitt durch das weiche Mesoderm: ca ectodermale Canale. Fig. 9. Palythoa Axinellae Radialschnitt durch den ob. Teil eines Polypen : r entodermaler Ringmuskel. Fig. 10. Epizoanthus sp. ? (7. Species). Querschnitt durch das Coenenchyni: cu Cuticula, a Fortsatze in das Entoderm, b Querbalken am Mesoderm, ca ectoderm. Canal, fs Faserzug, ee Ectodermzellbuschel. Bursaria truncatella unter Beriicksichtigung anderer Heterotrichen und der Vorticeliinen. Von x4iigii$t Braiicr. Hierzu Tafel VI. Nachdem Ehrenberg, Claparede und Lachmann und bc- sonders Stein die grosse Reihe von Formen der Infusorienklasse systematisch geordnet batten, wandte sich die Forschung eingehen- der zum inneren Bau der Infusorien, und im Besonderen ricbtete sich die Aufmerksamkeit auf die contractile Substanz, von der man, wie Engelmann in seiner Abbandlung „Contractilitat und Doppelbrechung" sagt, in dem morpbologisch einer einzigen Zelle entsprecbenden Korper beinabe alle Typen neben einander findet. Die Untersucbungen Lieberkuhns, Greeffs, Engelmanns, Wres- NiowsKis u. A., welcbe sicb auf den Typus der Myopbane be- zogen, haben dariiber Klarbeit gescbafft, was' fiir Muskelfasern zu halten sei, und baben auch wertvolle Beitrage geliefert uber die Verbreitung und ibr Verhalten bei verscbiedenen Formen, beson- ders den Stentoren und Vorticeliinen. Indessen, wie bei der grossen Menge von Infusorien einerseits und bei den wenigen Untersucbungen andererseits natiirlicb ist, sind mebrere Fragen, welcbe sicb vor alien auf den feineren Verlauf und das geuaue Verbalten der Fasern z. B. im Korper der Vorticeliinen und ihre Verbreitung in der Infusorienclasse iiberhaupt beziehen, erst teil- weise oder gar nicht gelost. Einen weiteren Beitrag zu liefern, der die angedeuteten Fragen ihrer Losung naber bracbte, hatte ich mir zur Aufgabe gemacht. Leider stand mir nicbt hinreichend geniigendes Mate- rial — marine Formen fehlten mir vollstandig — zur Verfugung, uni die Untersuchung weiter als geschehen ist, ausdehneu zu konnen ; immerbin boife icb doch mancbes Neue und Interessante bieten zu konnen. Bei dieser Untersuchung hatte ich das Gliick, einige Exemplare Bd. Xl.\. >-. F. Xn. 32 490 August Brauer, der grossen Bursaria truncatella in dem Weiher, der das Poppels- dorfer Schlofs umzieht, zu finden. Da gerade die Heterotrichen am meisten von alien Infusorien Muskelfaserri besitzen, so war zu erwarten, auch bei B. truncatella solche zu finden, was sich bald bestatigte. Fiir die specielle Untersuchung der Fasern und ihres Verlaufes wurde eine genauere, auf das ganze Tier beziig- liche notwendig. Da sich hierbei manche wesentliche Unrichtig- keiten in der Beschreibung Steins, welcher B. truncatella zuletzt und am eingehendsten untersucht hat, herausstellten , da es mir ferner gluckte, die bisher fast unbekannte Encystierung dieser Form genau verfolgen zu konnen, so beschloss ich die Beobach- tungen in Gestalt einer kleinen Monographic der B. truncatella wiederzugeben und an passender Stelle die Untersuchungen iiber die Myophane der Stentoren, Spirostomeen und Vorticellinen ein- zuschalten. Die Arbeit zerfallt in die zwei Hauptteile: I. Der Bau. II. Die Encystierung. Die Literatur, welche vor Stein iiber B. truncatella erschienen ist, hat dieser Forscher in der II. Abt. seines grossen Infusorien- werkes zusammengestellt , so dafs eine Wiedergabe iiberfliissig ist; diejenige, welche sich auf die Myophane der Infusorien be- zieht, findet sich am Schluss der Arbeit. Es eriibrigt noch einige Worte iiber die Mittel zur Conser- vierung zu sagen. Am besten bewahrte sich Uberosmiumsiiure in 1 — 2^ Losung. Zum Auswaschen wurden Picrocarmin, Beale- sches Carmin und 2^ Chroms.-Kali angewandt. Um die Tiere durchsichtig zu machen, was besonders bei der Untersuchung der Myophane unumgauglich notwendig ist, wurden sie verschieden lange Zeit in filtriertem Wasser gelassen. I. Der Bau. Der Korper der B, truncatella ist bilateral symmetrisch ge- baut (Fig. 1 und Fig. 2). Er hat die Form eines Ovals, das mehr oder minder abgeflacht ist. Die veutrale oder Bauchseite ( ??) ist deutlich gekennzeichnet durch einen fast median gelegciicn Ausschnitt von spaltartiger Form, welcher mit einer weiten, gleich- uull'sig breiteu Otinung dor obcren , gerade abgestutztcn Fliiche in enger Verbinduug steht und mit ihr zusammen die weite Peri- stommiindung bildet. Der untore Teil dcs Korpers ist dagegen geschlosseu und leicht konisch abgeruudet. Wiihrend die Yen- Bursaria truucatella etc. 491 tralseite iu ihrer gaiizeii Breite gleich tlacli ist (v), zeigt die dorsale (d) ilircm liintereu Eude zu eine niehr odur minder starke convexe Hervorvvolbung , wodurch die Abflachuug des Ovals uu- regelniiifsig wird. Wir ivoiiueu eiue Median- imd eine Lateralebene unterscheiden. Die Medianebene teilt die weite Peristommiiudung in zwei fast gleiche Teilc, das Peristuni selbst aber in zwei ungleiche; unige- kehrt verbalt sich die Lateralebene, indem sie dieses in 2 gleiche Stiicke zerlegt, jene aber nicht. Bei dieser Gestaltung sind Liingen- und Breitendurchmesser sehr verschieden unter einander und selbst an verschiedenen Stellen wieder. Die Lange des Tieres schwankt zwischen 1 mm und -1^ mm, seine Breite, welche ihre grosste Ausdehuung etwas unterhalb der Korpermitte erlangt, kommt der letztereu Zahl gleich Oder ist niedriger, selten grosser, der raediane Durchmesser dagegeu bedeutend kleiner. Auf seiner Oberflache ist der Korper, soweit er nicht offen liegt, mit feinen Wirapern besetzt. Auf alien Partieen der Ober- flache, auch an den Randern der Peristommiinduug sind sie von gleicher Grosse und Starke. Sie sind aufgereiht auf regelmassig neben einander verlaufenden Langsstreifen , so dass wir, da mit ihneu auch Kornerstreifen , allerdings bedeutend schmalere regel- massig alternieren, ein Bild erhalten, wie es die Stentoren, Spiros- tomeen und andere zeigen. Die Oberflache erhalt dadurch, wie Stein sagt, ein fein chagriniertes Aussehen. Das Streifensystem ist so geordnet, dass es seinen Anfang auf der ventralen Seite an den Randern des Spaltausschnittes nimmt und in mehr oder weniger gebogenen Linien auf die dorsale Wand ubertritt und am Rande der oberen Peristomoifnung endet. Anastomosen konnte ich nicht bemerken. Diese Wimperreihen vermitteln die Bewegung des Tieres, welche ausserst manuigfaltig ist. Bald steigt es langsam gerade aufwiirts oder pendelt langsam bin und her, bald durchsetzt es rasch in schriiger Richtung das Wasser, wobei die Peristommiin- duug vorn oder hinten liegen kann , bald beharrt es auf geringer Flache, ruhig hin und her schwimmend oder sich iiberkugelnd. Sehr oft liegt es ruhig, sei es an einem Blatte oder am Rande des Glases oder sonst an einem festen Gegenstande befestigt. Es scheint hierbei eine Aussonderung eines klebrigen Stoffes statt- zufinden, da es sich schwer loslosen lasst. So verschieden aber 32* 492 August Brauer, auch die Bewegung des Tieres ist, stets scheint die ventrale Seite mit ihrem spaltartigeu Ausschiiitt nach unten gerichtet zii sein. Irgend welche Contractionen am Korper konuten niclit wahr- geuominen werden, ausser dass der Spalt eine Vereugerung Oder eiue Erweiterung erfuhr, welche hauptsachlich lierbeigefiibrt zu werdeu scheiut durch deu linken bewegliclieu Kaud des Spaltes. Stein hat diesem mit dem ihm zunachst liegenden Teile der Veu- tralwaud die besondere Bezeichnung „Stirufeld" gegeben, eiue Bezeichnung, welche wir, weil sie tiberfliissig ist, fallen lassen. Die Cuticula des Korpers ist farblos und erscheint homogen, ohne besondere Structureu zu zeigeu. Stein hat sie in einigen Figuren und auch in der Beschreibung viel zu machtig angegeben. Ich vermute, dass er die Trichocystenschicht , von welcher gleich die Rede sein soil, nicht als solche erkannt, sondern sie der Cu- ticula zugerechnet hat. In Wirklichkeit ist sie ausserst zart und sehr wenig nachgiebig. Eine nur wenig zu starke Quetschung oder starkere Beriihrung, welche auf Stentoren und verwandte Arten keine Wirkung ausuben wiirde, bringt sie zum Platzen. Vielleicht zu ihrer Sttitze dient eine sogen. Trichocystenschicht r/ ^, {tf), weUche merkwiirdigerweise von alien Forschern bisher iiber- ^ sehen worden ist. Da sie wenig stark lichtbrechend ist und nur eine geringe Dimension (= 0,003 mm) zeigt , so fallt sie weuiger in die Augen als die, welche wir von Paramaecium u. a. kenneu. Die Structur der Schicht scheint die gleiche zu sein. In einer homogenen Grundsubstanz liegt ein stabformiger, scheinbar solider Korper neben dem andern in gleichen bestimmten Abstanden. Vielleicht entsprechen die Querschnitte der Stabchen den Korn- chen, welche die oben erwahnten Streifen zeigen. Nach inuen ist die Schicht scharf und iiberall gleichraassig abgesetzt. Zwischen Trichocystenschicht und dem luneuparenchym (i) findet sich keine Rindenschicht. Irgend welche Verdichtung nach dem Rande zu ist nicht wahrnehmbar. Das Protoplasma ist faserig, schwammig gebaut und durchzieht in einzelnen, wenig kornerreichen Striingen den Binnenraum zwischen dem Periston! und der Trichocystenschicht. Die Strange werden begrenzt vou unregelmiissigen Fliissigkeitsvacuolen, welche auch Nahrungsballeu bergen konneu. Irgend welche Spur einer Diastole oder Systole war an keiner derselben bemerkbar. So sehr ich meine Aufmerk- samkeit auf diesen Punkt auch richtete, war es mir doch nieuials mciglicli, eine contractile Vacuole zu finden, so dass wir sie — da der Lilngskaual , welchen Stein als ein Wassergefasssystem Bursaria truncatella etc. 403 betraclitet hat, sich als eiiio Rinnc, wie wir untcn sehen werden, crwiesen hat, welchc clcr Peristoinwaud, nicht dem Iiincnparenchym aiigehort — als nicht vorhaiiden amichmcu niiisscn. Als weiteror wichtiger Bestandteil des Innenparenchynis ist der Korn {it) hervorzuhebeii. Er ist ein laiigcs schlauchforniiges Band, das meist in seiner ganzcn Ausdehnung gleich breit ist. In der Regcl lasst er ein Mitt(!lstuck und zwei verschieden lange Schenkel, die wieder umgebogen sein kunnen, unterscheiden ; er liegt meist in der Mitte des Korpers , das Mittelstiick in hori- zontaler Lage, die Schenkel in verticaler. Doch konnen auch lijlufig genug andere Lagen und andere Formen eintreten, so dafs die Angabe einer bestimmten uumoglich ist. Eine Membran wird erst nach Anwendung von Reagentien und dann nur undeutlich sichtbar. Ein Nebenkern wurde nie bemerkt. Ehe wir auf das Peristom eingehen, sei die Lage des Afters bestimnit. Stein verlegt ihn genau in die Mitte des Hinterrandes. Ohne Steins Angabe verwerfen zu wollen , mufs ich sagen, dafs ich ihn hier nie gesehen habe; er scheint niir an beliebiger Stelle des Korpers auftreten zu konnen. So oft ich ihn sah , be- fand er sich stets auf der ventralen Seite. Die Cuticula offnete sich dort, wo ein mit Wasser reichlich umgebener Nahrungsballen lag; die Wimpern neigten sich der Otfnung zu und waren offen- bar bemiiht, die unverdaulichen Reste mit herausfordern zu helfen. Xach dem Auswurf schloss sich alsbald die Otfnung wieder, ohne eine sichtbare Spur zu hinterlassen. Der grosste Teil des Korpers wird von dem raachtigen Peri- stom eingenommen. Wohl in keiner Infusorienfamilie fiuden wir ein derartiges nicht nur durch seine Grosse, sondern auch durch die Compliciertheit seines Baues ausgezeichnetes Peristom wie bei B. truncatella. Die Untersuchung wie eine iibersichtliche Be- schreibung desselben verursacht grofse Schwierigkeiten. Das Peristom hat etwa die Form eines weiten Trinkhornes. Die Otfnung bildet einerseits, wie bereits oben kurz bemerkt ist, die gerade abgestutzte, in ihrer ganzen Breite otfene Vorderwand des Tieres, andererseits ein tiefer ventraler Ausschnitt, welcher direkt in jeueu iibergeht und etwa bis zur Mitte des Korpers herab- reicht. Er nimnit nicht die ganze Breite der Bauchseite ein, son- dern verschmalert sich bald, dabei auf der rechten Seite unter einem leichten Bogen hinabsteigend, wahrend der linke Rand sich noch liingere Zeit horizontal halt, dann, wenu er die Mitte des Korpers fast erreicht hat, unter einem rechten Winkel nach unten 494 August B r a u e r , abfallt und mit dem rechten Rande auf der niittleren Hohe des Tieres in dem Peristorawinkel, wie Stein ihren Vereinigungspunkt genannt hat, zusanimeutrifft. Eine besondere Bezeichuung dem unteren Telle des ventralen Ausschnlttes zu geben, wie es Stein gethan hat, ist uberfliissig. Nur an den Randern der weiten Mundung hangt das Peri- stora mit der Cuticula des Korpers zusamraen. In alien seinen tibrigen Teilen ist es mit eigenen Wandungen versehen, es hangt gleichsam in den Korperraum hinab. Im oberen Telle bewahrt es fast die Breite der oberen Mundung, aber schon in der Nahe des Peristomwinkels (Fig. 1 w) wird es durch Vorspringen des rechten Randes des ventralen Ausschnlttes verengert. Unterhalb des Winkels macht es mit seiner linken Wand eine Kriimmung, die mehr und mehr zunimmt und bald zu der friiheren Richtung senkrecht steht. Das Peristom wendet sich so der rechten Kor- perseite zu und miindet hier etwas vor der Trichocystenschicht in den Korperraum. Etwas vor der Mundung wird in die Kriim- mung auch die rechte Wand hineingezogen. Der Durchmesser der Mundung ist ausserst klein ira Verhaltnis zur weiten Ottnung nach aussen. Im Gegensatze zu Stein muss ich betonen, dass niemals das Peristom gerade zum Hinterrande des Korpers hinab- steigt und hier miindet, sondern dass stets die knieformige Um- biegung zur rechten Korperseite vorhanden, wobei ihre Hohe schwanken kann. In Folge der Abplattung des Tieres ist auch das Peristom abgeplattet (Fig. 2). Wir konnen an ihm ebenfalls eine ventrale und eine dorsale Wand unterscheiden. Die ventrale verliiuft zum grossten Telle ziemlich gerade abwarts, die dorsale dagcgen springt convex nach der Peristomhohle vor, um so starker, je mehr sie sich der Mitte nahert. Die Convexitat dehnt sich zwar iiber die ganze Wand aus, betrifft aber besonders einen Streifen , welcher fast in der Mitte gelegen ist und die ganze Wand herabzieht, wobei er an dem unteren Ende mit der Verengerung des Peristoms an Breite abnimmt. Er sei Peristomwulst genannt (Fig. ;> piv). In der Mitte des Korpers ist derselbe so stark entwickelt, dass er die ventrale Peristomwand fast beriihrt. Da hier von dieser ein correspondicrender, schmaler Vorsprung odor Septum (s), welches etwas oberhalb des Peristomwinkels unter dem linken Rande des ventralen Ausschuitts beginnt und fast bis zur Mundung in den Korper hinabsteigt und durch seine Verjiingung an beiden Enden eine silbelformige Gestalt erhillt, gebildet wird, so ist der Zwi- Bursaria truncatella etc. 495 schenrautn zwischcn dorsalcr und vciitralcr Pcristomwand fast verwisclit, und das Perisiom in eino linke und rechte Partie ge- teilt; die erstere ist die grossere und wichtigere, da in ihr die Herabfiilining der Nahrung in den Korpcr stattfindet. Rechte und linke Partie sind nun wieder durch besondere Bildungen aus- gezeichnet. Beiden geineinsam, weil auf dem Peristomwulst lie- gend, ist nur die adorale Wimpnerzone. Die linke dorsale Peristomwand hat in ihrer ganzen Langc eine rinnenartige Vertiefung, die Peristomrinne (pr). Sie be- ginnt an der Miindung des Peristoms in den Korper und nimnit hier fast die Halfte der ganzen Wand ein. Die Biegung des Homes macht sie mit. Etwas unterhalb der Spitze des Peristoms liiuft sie unter einem rechten Winkel nach der rechten Seite hin- uber und erhalt so einen horizontal liegenden Schenkel. Derselbe ist in der Mitte etwas eingeschuiirt, so dass er die Figur eiuer 8 grhalt. Wiihrend der nach unten steigende Teil der Peristom- rinne scharf begrenzte Riinder zeigt, sind sie in jeuem fast ver- wischt, da er bedeutend flacher ist. Es kann vorkommen, dass der linke Rand in der unteren Halfte zusamraenfallt rait dem linken Rande des Peristoms selbst, ohne dass aber die Gestalt der Rinne vvesentlich beeintrachtigt wird. Stein hat diese Peri- stomrinne fur das Wassergefasssystem der B. truncatella gehalten, wobei er die ampullenartige Erweiterung des oberen Schenkels einer contractilen Vacuole, den iibrigen Teil einem das Wasser zufiihrenden Liingscanal gleichsetzte. In letzterem will er sogar Erweiterungen und Verengungen wahrgenommen haben. Diese Deutung ist aber vollig unraoglich. Deun wir haben hier es nicht mit einem geschlosseneu Kanale zu thun. Die Rander der Rinne treten zwar zuweilen , dann aber nicht an einzelnen Stellen , son- dern in der ganzen Lange, eng aneinander, so dass bei fliichtiger Betrachtung der Anschein eines Kanals hervorgerufen wird , nie aber schliessen sie sich vollig. Die ampullenartige Erweiterung kommt besonders niemals einer Vacuole an Gestalt geich, da sie so abgeflacht ist, dass sie selbst das Aussehen einer Rinne verliert. Gegen Reagentien verhalt sich die Peristomrinne vollig in- different. Ein weiterer Grund, die Auifassung Steins unmoglich zu machen , besteht darin , dass sie wie die ganze dorsale und auch ventralc Halfte der linken Peristomhalfte nicht glatt ist, wie jener Forscher behauptet, sondern von fasrigen Streifen durchzogen wird. 496 August Brauer, Wenii auch sehr hjiufige Anastomosen eintrcten, so ist im Allge- meineu doch die horizontalc Richtung dieser Streifen eingehalten. Ilnterbrochcn von hellen Streifen ziehen feine, aber unregelniassig kornige vom Peristomwulst zur Rinne, treten durcli diesc hindurch iind wenden sich zur ventralen Wand hintiber, wo sie am Septum zu enden scheinen. Sie geboren der Peristomwand an, sind aber keine selbststandige Fasern (Fig. 3 und 4). Die ventrale Wand der rechten Peristomhalfte , welche durch das Septum von der linken geschieden wird, ist fast in ihrer ganzen Breite vertieft (Fig. 4). Indem diese Vertiefung nach abwarts schmaler und schwaclier wird, in ihrem oberen Teile dagegen am Peristorawin- kel breit und stark ist, gewinut sie das Aussehen einer Hand- schaufel oder eines Loffels oder eines halbierten , ausgehohlten Kegels. Am besten bezeichnen wir sie als lolfelartige Vertiefung. Ihre rechte Begrenzung fiillt mit der rechten Wand des Peristoms zusammen, die linke, welche etwas entfernt von dem Septum liegt, steht in engem Zusammenhange rait dem linken Rande des ven- tralen Ausschnittes , ist seine Fortsetzung ; indem namlich dieser etwas vor seiner Umgebung in den Peristomwinkel eiue Faltung erfahrt, der Art, dass er anstatt in jenen tiberzugehen, gerade abwarts zieht, so wird er zugleich zum linken Rande der loti'el- artigen Vertiefung. Die Wimpern, welche er im Gegensatze zum wimperlosen Rande des Peristomspaltes tragt, ziehen in Folge dessen nicht auf den Peristomwinkel hinuber, sondern eben falls hinab auf den linken Rand der Vertiefung (Fig. 4). Stein, wahr- scheinlich getauscht durch das Septum, glaubt, dass diese Ver- tiefung einen vollig mit Ausnahme am Peristomwinkel gcschlosse- nen Trichter oder Blindsack bildete, eine Ansicht, welche falsch ist, da, wie oben gesagt ist, das Septum und der Peristomwulst keine enge Verbindung eingehen und die rechte Halfte von der linken nur scheinbar trennen. Es eriibrigt noch, die adorale Wimperzone zu schildern. Stein sagt liber dieselbe: „Sie ist ein ungemein breites, nach beiden Enden sich verschmalerndes , anscheinend sehr eigentiiDilich zu- sammengesetztes Band." „Das Band besteht aus gekriimmten Querstreifen , deren wahre Natur ich nicht ergriinden kann. Es sind keine Furchen zum Einklappen der adoralcn Wimpern. Sic machen den Eindruck von erhabenen, sehr niedrigen, zarthiiutigen Leisten. Das Wimperband ist auf beiden Seiten mit Wimpi^rn besetzt." Dor frei liegende Teil soil lediglich auf der rechten Seite Wimpern tragen. Sowohl liber die Bedoutung des soge- Bursaria truncatella etc. 497 iianntcn Wimpcrbandcs als aiich iiber die Anordming der adoralen Winipern woicht nieinc Aiisicht von der Steins betrachtlich ab. Das Wimperband (Fig. 3) bcginnt in dor rechten Ecke fast an der Spitze der dorsalen Peristomwand. Es setzt sich von hier bald auf den Pcristomwulst fort, der, wie oben schon gesagt ist, an Grosse zunimnit, je niehr er sich der Korpcrmitte nahert. Mit ihm zieht es die ganze dorsale Wand bis zur Miindung des Peristoms in den Korper hinab. Anfangs ist das Band schmal, in der Mitte nimmt es an Brcite bodeutend zn, uni mit der Ver- engerung des Peristoms wieder stark reduziert zu werden. Es ist ziisammengesetzt, wie Stein richtig erkannt hat, aus gekriimm- ten Querstreifen (m). In gleichen Abstanden, nur an den Enden ein wenig mehr geniihert, beginnen sie auf dem abfallenden , der Periston! rinne zugekehrten Teil des Wulstes, diesen wie ein Haken uniklanimernd. Sie wenden sich, indem sie die Scnkung des letz- teren mitmachen, der rechten Wand zu. Bei der ersten Betrach- tung scheinen sie an den beiden aussersten Enden des Bandes jene ganz zu erreichen, in der Mitte dagegen, je weiter der Wulst nach der linken Seite hinuberriickt, umsomehr sich von der rech- ten Wand zu entfernen. Auch Stein hat diesc Ansicht gehabt und so die Vorstellung von einem Bande bekommen. In Wirklichkeit aber setzen sich die Streifen, auf welchcr Hohe sie im Periston! sich auch befinden mogen, bis zur rechten Wand fort. Da sie an Breite bedeutend verlieren , so sind diese feinen Fortsetzungen leicht zu tibersehen. In ihrem ganzen Ver- laufe — nur an den aussersten Enden des Bandes scheinen sie zu fehlen — zeigen sie die gleiche Lange. Da nun im oberen Abschnitte der starkere Toil dieser Querstreifen dem rechten Rande sehr nahe geruckt ist, so ziehen ihre feinen F^ortsatze, die verhaltnismassig lang sind , auf der rechten Wand des ventralen Spaltes , die zum grossten Teile auch die rechte Peristomwand ist, abwarts. So zerfallen die feinen Fortsatze in einen horizon- talen Schenkel (Fig. 3 h) und einen vertikalen {v). Je mehr sie sich dem Pcristomwinkel nahern , wird ersterer grosser, letztercr kleiner bis zum Verschwinden. Im Pcristomwinkel selbst treffen die Enden der verticalen Schenkel, resp. der Querstreifen zusam- men ; ob sie sich hier vereinigen , muss ich dahingestellt sein lassen. Sobald die Streifen die Hohe des Winkels iiberschritten habcn erfahren sie in ihrem Eudteile, dem friiheren verticalen Schenkel eine andere Richtung. Sie treten namlich auf die ventrale Wand, 498 August Brauer, also die tier lr)ffelformigeii Vertiefung iiber uud unifassen diese eiuc kleine Streckc weit (Fig. 1 und Fig. 4 m). So erhalten sie auf dieser Holie in ihrem Verlaufe von deni \>'ulste bis zur Ver- tiefung die Form eines langgezogenen S (Fig. 5). Diese Form wird beibehalten , soweit die Vertiefung reicht. Von hier bis zur Peristoniraundung sclieiueu sie zu fehlen. Der verschiedene Verlauf ist wesentlich aus der verschiedeneu Gestaltung des Peristoms an seiner rechten Wand zu erklaren. Mit den Streifen alternieren regelmassig kornige Streifen von glei- cher Breite und Form. Die adoralen Wimpern — sie sind in Fig. 1 nicht einge- zeichnet worden, um die Zeichnung nicht uudeutlicli zu machen — setzen sicli dem Bande dort an , wo die feinen Fortsatze mit den starkeren Teilen zusammentreii'en (Fig. 5). Sie sind nicht auf beiden Seiten der Streifen vorhanden, sondern nur auf der rechten. Es sind sehr lange, kraftige Wimpern, welche an ihrer Spitze in mehrere feine gespalten sind, so dass wahrscheinlich eine Wimper einem Winiperbiiscliel gleichkommt. Ihr heftiges Auf- und Xieder- schlagen lasst nicht nur ihre eigene Gestalt und Lage schlecht crkennen, sondern erschwert auch besonders eine genaue Anschau- ung von den unter ihnen liegenden Streifen zu gewinnen. Was haben wir von letzteren zu halten? Mit Stein kann man die Ansicht, sie dienten nur zur Aufnahme der Wimpern, ohne weiteres zuriickweisen , da schon die Wimpern durch ihre Grosse und Form nicht in die Streifen hineinpassen wiirden. Doch auch Steins Meinung, dass sie niedrige, zarthautige Leisten sind, d. h. soviel als Verdickungen der Peristomwand, kann nicht richtig sein. Ich mochte in ihnen Muskelfasern sehen. Fur diese Auf- fassung bin ich durch Griinde bestimmt worden , welche beruhen auf der volligen Selbststandigkeit der Streifen einerseits und auf ihrer Uebereinstimmuug im Bau, Aussehen uud in der Anordnung mit den Muskelelementen andererseits , welche wir bei Stentoren, Spirostomeen und den Vorticelliuen kennen. Ihre vollige Selbststandigkeit ist wohl zur Gentige damit be- wiesen, dass sie sicli ihrer ganzen Liinge nach isolieren lassen. Bei Yorsichtigem , in regelmiissigen Abstiinden erfolgendem Quet- schen des Deckglases losten sie sich bald von der Peristomwand, in welche sie eiugefiigt sind, ab, nur an den Enden ihre Befesli- gung noch wahrend. In der Mitte dagegen waren sie voliig frei von Kornern oder sonstigem Fremdartigen. Ihr Aussehen gleiclit dann voliig dem der isolierten Fasern der Stentoren oder Spiros- Bursaria truncatella etc. 499 tonieen, nur dass ihrc Starke vcrschieden ist in den zwei Hiilften; in der stiirkeren messen sie 0,0018 mm, in der schwacheren etwa die Hitlfte. Sie ersclieinen vollig homogen und zeigen starke Lichtbrcchung, durch welche sie sich von den sie begrenzenden kornigen Streifen scharf abheben. Diese Ansiclit, die betreffenden Streifen Muskelfasern gleichzusetzen , zu unterstiitzen, mogen die Beobachtungen, welche ich uber die Myophane anderer Infusorien machte, dienen. Doch ehe ich hierauf eingehe, mochte ich die Schilderung des Peristoras beendigen. Ahnliche Fasern, welche sich ebenfalls leicht isolieren lassen, verlaufen ini Grunde der Peristomrinne. Sie nehmen ihren Ur- sprung etwas aiisserhall) der Einmiindung des Peristoras in den Korper (Fig. $3 m). Meist beginnt nur eine Faser, die sich aber bald in 2 Aste teilt; den einen sendet sie aufwarts auf die rechte laterale Peristomwand, der andere, sich bald in zwei wieder teilend, nimmt seine Richtung die Rinne hinauf. Manchmal kommt OS vor, dass der obere Ast selbststandig entspringt; stets sind aber 2 Fasern in der Peristomrinne und eine auf der rechten Peristomwand vorhanden. P's bleibt noch die Frage ubrig : ist der ganze weite Raura, dessen einzelne Abschnitte wir im Vorhergehenden betrachtet haben, als Peristom aufzufassen, oder umfasst er mehrere Telle? Stein treunt ihn in die Peristomhohle und in den Schlund. Die Grenze befindet sich nach ihm auf der Hohe des Peristom- winkels, well hier das Peristom, durch die Abgrenzung des Blind- sacks oder Trichters oder, nach unserer Bezeichnung, der loffel- artigen Vertiefung verengt, in ein geschlossenes trichterformiges Rohr tibergehe. Diese Teilung ist jedeufalls nicht mehr aufrecht zu erhalten, nachdem sich herausgestellt hat, dass die Vertiefung der ventralen Wand nicht ein abgeschlossener Teil ist, sondern mit dem tibrigen Peristomraum in enger Kommunication steht, mit- hin die weite Hohle ohne scharfe Grenze, vielmehr ganz allmahlich an Breite abnimmt, eine wesentliche Verengung derselben erst im untersten Abschnitt eintritt. Will man also eine Teilung vor- nehmen, so muss man in einem andem Punkte die Grenze be- stimmen. Wenn man iiberhaupt die merkwurdige Bildung des ganzen Peristoras verstehen und in Zusammenhang mit der Verwandt- schaft der B. truncatella zu den Stentoreu bringen will, so kann man sich nur so dieselbe voretellen, dass das Peristom mit alien seinen Teilen in die Tiefe hinabgesenkt ist, wobei es einige Modi- 500 August Brauer, ficationen erfahren hat. Dadurcli hat die ganze adorale Winiper- zone ihrc nierkwiiidige Lage ini Iiineni des Ticres erhaltcn. Bei den Stentorcu nun lassen wir den Schlund beginncn dort, wo die adorale Winiperzone unter spiraligen Windungen in die Tiefe des Korpers hinabsteigt. Als tjberrest gleichsam dieser spiraligen Windungen mochte ich eine Umknickung ansehen , welche , von Stein iibersehen, sich nahe vor dcr Miindung findet und die ado- rale Wimperzone sowohl als audi die unter ihr liegenden Streifen betrifft. Durch diese Umknickung (Fig. 3 sh) wird der zuvor obere Teil der untere und umgekehrt. Den Abschnitt von hier bis zur Miindung mochte ich, wenn es iiberhaupt notig ist zu trennen, als Schlund bezeichnen. Fassen wir noch kurz das iiber das Peristom der B. trunca- tella mit seinem kurzen Schlundteile zusammen ! Nur an seiner weiten Offnung steht es mit der Korperwand in Verbindung, sonst hat es seine eigenen Wandungen , eine ventrale und eine dorsalc sowie zwei schwache laterale. Sein Raum wird durch zwei Er- hebungen, eine dorsale, den Peristomwulst, und eine ventrale, das Septum, in zwei Halften nicht wirklich, sondern nur scheinbar ge- trennt. In der liuken Halfte liegt nur die Peristomrinne, in der rcchten dagegen der grosste Teil der Wimperzone mit den unter ihr liegen- den Streifen oder Muskelfasern und die loffelformige Veitiefung. Die Bedeutung der letzteren ist vollig unkla)-, iiber die der Peri- stomrinne kann nur eine Vermutung ausgesprochen warden, welche auch Stein anfangs gekommen ist, spater abei-, als er in ihr einen Langskanal sah , als irrig von ihm zuriickgewiesen ward, dass sie namlich dazu dient, die Nahrung, welche oft in grossen Infusorien wie z. B. Stentoren besteht, aufzunehmen und den ado- ralen Winii)ern, welche ihr entgegenschlagen, die Herabbeforderung in den Korper zu erleichtern. Wie schon oben gesagt ist, bin ich in der Auffassung in Be- zug auf die gekriimmten Qucrstreifen wesentlich durch die Ilnter- suchungen bestiirkt, welche ich in dieser Hinsicht an den Sten- toren, Spirostomeen und Vorticellinen angestellt habe. Durch die Untersuchungen Greeffs, Eckards und Engel- MANNS ist es jetzt wohl als definitiv festgestellt zu betrachten, dass die LiEBERictJiiN'schen hellen Fasern , nicht die STEiN'schen Kornerstreifen bei den Stentoren als die wahren Muskelemente anzusehen sind. Greeff und Enoelisiann gelang es auch, sie zu isoliercn. Das gleiche Resultat in noch giinstigercm Masse er- Bursaria truncatella etc. 501 erreichte ich bei Steutor viridis besser als bei St. coeruleus durch langsanies vorsichtiges Driickeu oder durcb plotzlichcs ziemlich starkes Quetschen des Deckglases. Die Fasern traten auf weite Strcckeii bin vollig frei aus der Umgebuiig beraus, obiie durcb Korucben getriibt zu werdeu. Sie batten die von Encjelmann angegebene Grosse von 0,001 mm, sie waren stark und gleicli- miissig Hcbtbrecbend. Zuvveilen zeigten sie Verdickungen, die, da sie unregebniissig auftraten, wobl einer verscbieden starken Kon- traction zuzuschreiben sein werdeu. Ibr Querscbnitt war fast rbombiscb, wie icb durcb Scbnitte, welcbe mittelst des Mikrotomes durcb Stentoren ausgefiibrt warden, feststellen kouute. Auf diesen boben sicb die Querscbnitte der Fasern durcb ibre starke Licbt- brecbung und durcb die mit Carmin bewirkte starke Farbung von der Cuticula, von der sie wenig, aber docb deutlicb sicbtbar entfernt waren, und von dem lunenpareucbym scbarf ab. Der Verlauf der Fasern zeigt maucbe Eigeutiimlicbkeiten. Die meisten Forscber nebmen an , betonen es maucbmal sogar, dass „die Enden dieser netzformig verbundenen oder aucb einzeln verlaufenden Faden stets das hintere Korperende, „Saugnapf, er- reicben und sicb bier befestigen, dass die breiten Streifen aber weder ein Netzwerk bilden nocb das bintere Korperende erreicben, sondern baufig vor demselben obne Verbindung mit den benacb- barteu endigeu, ja oft blosse keilformige Stiicke zwiscben deu hellen Streifen biklend". Dieses Verbalten der beiden Streifeu- arten tritit im binteren Korperende allerdiugs zu, im vorderen dagegeu nicbt inimer. Die bellen Linien, auf vvelcbeu die Wimperu steben, und unter welcben, wie es die Ansicbt aller Forscber und aucb die meinige ist, allein die Fasern verlaufen, scbiebeu sicb oft obne Zusammenbang mit audern und obne das bintere Korper- ende zu erreicben, von obeu ber zwiscben die koruigen Streifen ein, audere von unten beraufziebeude gelaugeu wiederum nicbt bis zum Periston!. Wir miissen daber annebmen, dass entweder unter diesen bellen Partieen die Fasern feblen, oder dass vom Peristom aus ebenso wie vom Sauguapf Fasern eutspringen, welcbe verscbieden weit unter der Cuticula binauf-, resp. berunterlaufen. Meine Ansicbt ist, dass beides der Fall sein kann. Die Fasern sind niiniHcb am uutersten Ende des contrabierteu Korpers am starksten, und diese Starke reicbt bis zu eioer gewissen Hobe, etwa bis zu einem Drittel des Korpers binauf, so dass scbeinbar eiue Riugzone entstebt, die nocb deutlicber bervortritt, well bis zu dieser Grenze aucb die ominose Querstreifung der Koruer- 502 August Brauer, streifen am keuntlichsten ist, und der Korper das Aussehen er- hiilt, als stecke er in eiuem Korbe von Fasern. Nacli oben zu werden sie betnichtlicli diinner und sind bald nicht mehr zu er- keunen , wohl deshalb , weil sie fehlen. Andere sieht man da- gegen wieder unterhalb des Peristomes auftreten. Auch die Quer- schnitte sprechen fur diese Ansicht. Man sieht namlich auf den Sclmitten , welche den oberen Teil des Stentors durchteilt haben, an dem Rande nur ganz vereinzelt Faserquerschnitte , die sehr fein sind, auf den tiefer getrotienen Stellen nehmeu sie an Zahl zu und stelien noch tiefer in regelmassigen Abstanden von einan- der und haben eine ziemliche Starke. Am Saugnapf finden sich manchmal Fasern, die nur eine sehr kurze Strecke hinaufreichen, einen kornigen Streifen spaltend. Vielleicht hat man in ihnen neue Anfange von Fasern zu seheu. Ist dieses richtig, so miissten wir den Saugnapf als die Ursprungs- stJitte der meisten Muskelfasen betrachten. Oft kehrte bei St. coeruleus eine besouders auffallende Ver- zweigung der Fasern wieder. Wahrend namlich der grosste Teil derselben, ohne sich zu verasteln, aufwarts verlief, war eine Faser auf der einen Seite gelegen , welche viele , bis 10 tibereinander stehende Seitenzweige abgab. Da die Anzahl der Fasern stets am Peristom eine grossere ist als am Saugnapf, was eben durch haufige Teilung bewirkt wird, so ersetzte gleichsam die eine Faser die fehlenden, welche von den iibrigen ausgehen sollten. Ausser diesen bisher allein bekannten Korpermuskeln finden sich bei den Stentoren auch gesonderte Peristommuskeln. Das Wimperband, welches von den Korperstreifen durch eine sehr schmale ringformige, streifenlose Zone getreuut ist, zeigt eiu iihn- lich zusammengesetztes Streifen system wie der iibrige Korper. Pa- rallel den Korperstreifen verlaufend, sind sie nur so lang, wie das Wimperband breit ist, und die beiden Streifenarten wechseln be- deutend hiiufiger; Anastomosen kommen nicht vor. Uuter den helleu Linien nun sieht man gleichfalls ebenso lichtbrechende, homogene Fasern verlaufen wie unter den andern am Korper. Senk- recht zu ihnen, also parallel dem Verlaufe des Wimperbandes, Ziehen andere stiirkere Fasern, die erst eine kurze Strecke vor der Umdrehung der Wimperzone in die Tiefe des Korpers zu be- ginnen scheinen. Ihre Anzahl betrug 3 oder 4. Eine gluckliche Isolation bei St. coeruleus gab iiber den Zusamraenhang und iiber ihre Natur den besten Aufschluss. Es zeigte sich, dass jeue kurzen und feinen Fasern inseriert waren an einer der ringformig Bursaria truncatella etc. 503 verlaufenden uiid starkeren. Die Abstiindc, in welchen sie von diesen entsprangen, stimmten genau mit dcnen der hellen Streifen des Wimperbandes ubcrein. Da sich auch auf den Querschuitten stets an der Stelle, wo sich die Wimperspirale befand, kurze Stiicke — welche bei ihrer Lage naturlicherweise schief getrotien waren — von demselben Aussehen wie die Querschuitte der Kor- permuskeln fanden , so kann wohl kein Zweifel dariiber bestehen, dass wir in diesen Fasern Muskeln zu sehen haben. Ob die Peri- stomfasern alle nur von einer der ringformig verlaufenden als Astc abgegeben werden — 6 waren vollig isoliert — oder auch von den andern, konute ich nicht erkennen. Der Kontraction dieser Fasern werden wir die Eiuziehung des Peristoras zuzuschreiben haben. Was flir St. coeruleus und viridis ini Vorhergehenden gesagt ist, gilt auch fiir St. polyraorphus und Roeselii. Spirostomum ambiguum, so gross es auch ist, eignet sich fiir die Uutersuchung seiner Myophane sehr wenig, weil sie be- deutend zarter sind und durch ihren schragen Verlauf iiber den Korper sich schlecht erkennen lassen. Es gelang mir zwar oft genug, viele frei zu isolieren, urn ihre tJbereinstimmung im Bau, in ihrem Lichtbrechungsvermogen und in ihrem Aussehen mit denen der Stentoreu zu erkennen , aber ob es eiuzelne in sich zuriicklaufende Fasern sind oder ob es nur eine einzige, vielleicht unter Verastelungen den Korper umziehende ist, konnte nicht con- statiert werden ; ersteres halte ich aber fiir wahrscheinlich. Ebenso sehr blieb ich ini Dunkeln iiber das Vorhandensein von Peristom- fasern. Giinstigere Resultate erhielt ich bei der Untersuchung der Vorticellinen , von denen Carchesium polypinuni , Vorticella nebu- lifera und V. microstoma , Epistylis galea , flavicans , nutans, Steinii (?) und mehrere andere nicht naher bestimmte Formen aus den verschiedeneu Familien beobachtet wurden. Leider ver- raochte ich nicht eiu Zoothamnium zu erhalten und kann fiir sie sowie fiir die marinen Vorticellinen nur die Untersuchungen an- derer Forscher zur Hiilfe heranziehen, welche allerdiiigs in Bezug auf die Verbreitung der Muskelfaseru im Korper selbst sehr wenig Aufkliirung geben. Uber die Ausbreitung des Stielmuskels im Korper von Vorti- cella und Carchesium einerseits und den Verlauf der Fasern im Korper der nicht contractilstieligen Epistylis liegen folgende, kurz zu erwiihueude Beobachtuugen vor. Die ersten Forscher, darunter 504 August Brauer, Stein, glaubteu, dur Stielmuskol telle sich in zwei Faden, ein IiTtum, der tou Lachmann dahin berichtigt wurde, dass diese iiur deu Ausdruck eiuer contractilen Schicht darstellteu, welclie sich trichterforniig im hintereu Korpcrteile ausbreitete. Spater erkannte man, dass es eiuzelne Faden waren, ohne ihren Verlauf geiiau feststellen zu konucu. Everts erkannte zuerst , dass die Schicht Lilngsstreifung zeigte und sich bis zum Peristom herauf erstreckte; er fugt aber hinzu: „ich muss hervorheben , dass ir- gend eine Bildung, vvelche man wahren Muskelfasern vergleichen konute, von mir nicht beobachtet ist, wobei ich nicht in Abrede stellen will, dass dieser Schicht ein Kontractionsvermogen zu- kommt." Das Verdienst, die einzelnen Fasern im Kiirper vom Anfaug bis zum Peristom hinauf verfolgt zu haben, gebiihrt un- streitig erst Engelmnn, welcher seine Beobachtung an der grossen, fur diese Untersuchung sehr geeigneten Epistylis galea machte. WiiZESNiowsKi bestiitigt diese Beobachtuug und fligt eine neue hinzu fur eine zweite Epistylisart , E. flavican^s. Bei dieser hat er erkannt, dass die Langsstreifen im Korper sT-harf begrenzte glanzeude Fasern darstellen, ganz ahnlich denen, die yon Lieber- KtJHN bei Stentor beschrieben seien. Bei E. flavicans iiat er fer- ner richtig gesehen, dass sie von kornigen Streifen getres^ut sind und sagt : „Das Riudenparenchym ist bei E. flavicans ebtfi^so wie bei Stentor beschati'en , mit dem einzigen Unterschiede , dtuSS bei der erst genannteu die Verastelung der Fasern vollstandi\.g ^^ fehlen scheint." Diese zwei Beobachtungen Engelmanns und WriZiiS- NiowSKis sind die einzigen, welche genauen Aufschluss uber den Verlauf der Fasern geben, beziehen sich aber beide auf Episty.^is- arten. Es lohute sich deshalb wohl der Miihe, zu untersuchetPi wie sich in diesem Puukte die kleineren Epistylisarten, besondei i^ aber die Vorticellen und Carchesien verhielten. 1 Am besten unter den contractilstieligen Vorticellen sind dieb* Fasern sichtbar bei Carchesium polypinum, auf welches sich auch ^\ die Figur 12 bezieht, der Stiel tritt scheinbar als zwei starke \ Faden in den Korper ein, welche sich zur Cuticula unter einem stumpfen Winkel wenden und hier sich scheinbar befestigen. An- fangs war ich geneigt diese zwei Faden als den Liingsschnitt einer contractilen trichterformigen Membran zu halten; bestarkt wurde ich in dieser Ausicht, indem ich an der Insertionsstelle eine kleine Verdickung wahrnahm, welche sich bei verschiedener Einstellung fortsetztc und sich als eiuen Ring um den Korper crwies. P'.iiie gcnauere Untersuchung mit sehr starken Vergrosse- Bursaria truncatella etc. 605 rungen klarte bald den Irrtum auf. Der Ring gehort der Cuti- cula an. Merkwiirdiger Weise ist derselbe bisher von alien For- schern iiberseben worden. Derselbe findet sich, soweit meine Unter- suchuugeu an vielen Arten zu eiuer Verallgemeinerung berecb- tigcn, bei alien Vorticellinen. Er liegt etwa auf einem Viertel der Korperhobe und bezeicbuet die Stelle, auf welcher beim Ab- losen des Tieres von dem Stiel der bintere Wimperkranz entstebt, wesbalb er Wimpcrring (Fig. 12 — 15 wr) genannt sein mag. Nie entsteben die Wimpern an irgend einer anderen Stelle des Kor- pers; man siebt sie als kleine lichte Piinktchen bervorsprossen, welche bald und rascb zu Wimpern eraporwacbsen. Icb sebe in diesem Ringe nichts anderes als einen verstarkten Cuticularring, wie sie den Korper wabrscbeinlich aller Vorticellinen in grosser Mebrzabl umgeben. Er bewirkt aucb schon beim ausgestreckten Tier eine leicbte Einscbniirung des Korpers, bei der Kontraction hindert er diese sieb liber den Korper ganz gleicbmassig auszu- dehuen. Der letztere erhalt bier, indem der obere Teil der Cuti- cula iiber den Ring etwas gezogen wird, eine ringformige Ver- tiefung (Fig. 15), welche fiir die contractilstieligen Vorticellen un- gemein cbarakteristiscb ist, bei den Epistylisarten, wie wir seben werden, weniger aufhallt. Der Wimperring bezeicbnet ferner die Stelle, wo die Muskel- fasern die Cuticula erreicben. Scbon etwas vor dem Eintritt in den Korper teilt sich der Stielmuskel (Fig. 12) in feine Faden; diese treten unter stumpfem Winkel an die Cuticula, erreicben sie dort, wo der Ring liegt, und wenden sich dann gerade auf- warts zum Peristom, an dessen Rande sie ihr Ende nehmen. Es sind scharf begrenzte , glanzende Fasern (Fig. 12 — 15 m) , genau so wie wir sie, wie Wrzseniowski richtig sagt, bei Stentor ken- nen. Auch bier ist ein gleicbes Streifen system vorbanden ; kor- nige und belle homogene, welche die Muskeln tragen, alternieren regelmassig. Erstere sind nicht so kornerreicb wie bei Stentor und sind bedeutend breiter als die homogenen. Dadurch ist auch die Zahl der Fasern eine geringe. Sie schwankt zwischen 20 und 30, da haufig Anastomosen sowohl am oberen Telle als aucb am unteren Ende eingegangen werden. Die zwei scheinbar starken Seitenfaden sind der Ausdruck fiir mebrere Fasern ; sie werden natiirlich um so starker, je mehr sie sich der Ursprungsstelle am Stiel nahern, oder je mehr die Fasern zusam- mentreten. Wahrend der Kontraction sind sie straff" gespannt und bilden eine gerade Linie vom Stiel bis zur Cuticula ; sonst sind sie Bd. XIX. N. F. XII. 33 506 August Brauer, langer und etwas gebogen (Fig. 12 und Fig. 15). Eine Vereinigung niit dem Wimperring gehen sie nicht ein weder direct noch durch ein Seitenfadchen, wie ich genau feststellen konnte; sie gehen aber haarscharf an ihm vorbei nach aufwarts. Manchmal erweckt es den Anschein, als ob die Fasera ein Seitenfadchen abgeben; es tauscht hier aber stets das abgewandte Ende des Hinges, welches bei tieferer Einstellimg zum Vorschein kommt und scheinbar eine Verbindung mit den Fasern eingeht. Ebenso treten sie mit dem Oesophagus oder dem Wimpertrichter in keinen Zusammenhang. Die Verhaltnisse, wie sie soeben fiir Carchesium polypinum beschrieben sind, kehren wieder genau in derselben Weise bei den anderen Carchesien und Vorticellen, welche ich untersucht habe, so dass ich nur die Schilderung wiederholen konnte. Wahrscheinlich verhalt sich auch Zoothamnium so. Die ein- zige Beobachtung hieriiber riihrt von Engelmann her und ist an Z. arbuscula gemacht. Hier soil bei den kleineren Individuen der Stielmuskel sich als feine Faden in den Korper fortsetzen, bei den grosseren aber nicht. Wie weit die Faden sich hinauf erstrecken, wird nicht gesagt. Dass die grosseren sich von den kleineren Individuen so wesentlich in Bezug auf diesen Punkt unterscheiden, crscheiut mir sehr merkwtirdig und unwahrscheinlich. Die kleineren Epistylisarten bieten grossere Schwierigkeiten als die contractilstieligen wegen ihrer starken unregehnassigen Kontraction, welche sie oft zur Seite richtet, einerseits und wegen ihrer geringen Grosse andererseits. So konnte ich bei E. nutans und andern kleinen Arten nicht alle Fasern einzeln bis zum Peri- stom verfolgen, viele nur bis zur Halfte des Korpers. Doch auf die Beobachtungen, welche ich an grosseren Formen machte, und auf die Untersuchungen Engelmanns und Wezesniowskis hin stehe ich nicht an, denselben Verlauf der Fasern bis zum Peristoni auch fur die kleineren Arten anzunehmen. Fiir E. galea habe ich nichts zu Engelmanns trefflichen Beobachtungen hinzuzufiigen ; nur in Bezug auf die Peristonmmskeln , deren Vorhandeusein Wrzes'niowski nicht bestatigt, muss ich sagen, dass allerdings solche vorhanden sind, aber gesondert von den Kiirpernuiskelu. Von oben sieht man namlich auf dem Peristomfeld scharf bcgrenzte Linien von dem fiir Muskelfasern charakteristischen Aussehen ver- laufen; die Korpermuskeln enden aber, wie genau festgestcllt wer- den konnte, am Peristomrande und gehen auch nicht die arcaden- artigen Verzwcigungen , welche Enuelmann angiebt, ein. Ihre Bursaria truncatella etc. 507 Zahl liisst sich leicht bestimnieu, sie war der fiir C. polypinum augegebeneu gleich; im unteren Telle 18 — 20, im obereii 24—30. In dera unter dem Wimperring gelegenen Abschnitt bild(;ii sie durch sehr haufige Anastomosen ein weitmascbiges Netz (Fig. 14). Zu der Bescbreibung Wrzesniowskis iiber E. flavicaiis babe ich noch einiges hinzuzufiigen. Zunachst feblen die Anastomosen der Fasern aiich bier nicbt, besonders im unteren Korperabschnitt kommen sie oft genug vor. Aucb wenden sie sich nicbt gerade aufwarts an der Cuticula entlang von der Basis des Tieres, wie Wkzesniowski anzunebmen scbeint, sondern treten, wenn anch nicbt unter so scbarfem stumpfen Winkel wie bei den contractil- stieligen Vorticellinen , stets aber erst am Wimperring an die Cuticula. Der Stiel von E. flavicans ist bekanntlicb bobl, nur an seinem oberen Ende auf eine sebr kurze Strecke bin verdickt. Wkzesniowski glaubt, dass die Hoblung im Stiele erst spater ein- trete, von Anfang an nicbt vorbanden sei. Das verdickte End- stuck scbeint aber in seinem mittleren Telle nicbt dem Stiele, sonderm dem Korper des Tieres anzugeboren. Lost sicb namlicb ein Epistylis von seinem Stiele ab, nacbdem der hintere Wimper- kraiiz gebildet ist, so bleibt dieses mlttlere verdickte Stiick nicbt im Stiele zuriick, sondern wird vom Tiere mitgenommen, wie ein Pfropf berausgezogen. Es erscbeint dann fein faserig, wie es der Stiel sonst nicbt ist. Ob es mit den Korpermuskeln in Zusammen- hang stebt, etwa als Ausgangsstatte oder einem verkiimmerten Stielmuskel gleich zu setzen ist, vermag ich nicht zu sagen; so- weit ich erkennen konnte, unterhielt es keine Verbindung mit den Fasern. Dadurch, dass dieser Pfropf mitgezogen wird, wobei der zu- riickgebliebene, hohle Stiel an der Spitze sich schliesst und spitz wird, ist vielleicht eher zu erklaren, dass der Stiel bobl wird, in dem uni diesen Pfropf herum derselbe ausgeschieden wird und von Anfang an seine Hohlung erhillt, und dass das verdickte Ende sich nur da findet, wo auch ein Tier sitzt auf einem der Zweige. Eine interessante Epistylisart lebt auf den Kiemenblattchen von Gammarus pulex. Es ist nach der Bescbreibung und der Abbildung Wrzesniowskis die von ihm benannte E, Steinii oder dieser nahe verwandt. Sie ist deshalb so interessant, well sie eine Zwischenstellung zwischen Epistylis und Carchesium einnimmt, und mit jeder Familie einige Charaktere besonders in Bezug auf den Stiel teilt. Mit Carchesium hat sie gemeinsam, dass ein Stiel- 33* 508 August Brauer, muskel vorhanden ist, der sich nicht continuierlich verzweigt. Wrzesniowski schreibt nichts von seiner Kontractilitat. An alte- ren Tieren ist allerdings wenig davon wahrzunehmen , weil der kurze Stiel (Fig. 13) mit fremden Gegenstanden diclit besetzt ist und dadurch verfilzt erscheint. Die Tiere scheinen in festen Rohren zu stecken, durch welche der Muskel kaum hindurchscheint. Bei jiingeren Tieren dagegen, bei welchen die Verfilzung des Stieles noch wenig ausgebildet ist, sieht man deutlich, dass der Stiel contractu ist. Seine Bewegung ist keine zuriickschnellende, sondern ein langsames Zusammenschrumpfen nach abwarts, wobei seine Querfalten noch schiirfer als vorher deutlich werden. Mit Epistylis hat sie gemeinsain, dass der Stiel Liingsstreifung zeigt, welche wohl mit dazu beitragt, die Kontraction desselben zu vermindern. Dieselbe tritt besonders in dem oberen Telle, der am freiesten von den fremden Gegenstanden ist, deutlich hervor. Eigentiimlich ist dieser Art, dass der Stielmuskel sich nicht im Korper in Fasern teilt, dass iiberhaupt solche nicht vorhanden sind. Der Stielmuskel setzt sich oben etwas sich verbreiternd Oder auch sich teilend glatt an den Korper an, ohne in ihn ein- zutreten. Statt der Fasern sieht man aber im unteren Telle, von der Basis des Korpers aber noch durch einen Zwischeuraum ge- trennt, eineziemlich starke, sofort auffallende Kornchenlage, welche grosse Lichtbrechung zeigt. Der Querschnitt dieser Lage ist mehr oder weniger dreieckig (Fig. 13). Von ihr geht eine ein- fache Schicht zur Kuticula, die sie am Wimperringe erreicht, und wendet sich dann aufwarts bis zum Peristom. Die Kornchen sind nicht zu regelmassigen Streifen angeordnet, sondera liegen unregelmassig , aber in einfacher Schicht nebeu einander. Unter- halb der Kornchen liegt eine, durch die dreieckige Masse mulden- formig eingebuchtete , scheinbar homogene Schicht. Die gcnaue Ubereinstimmung in der Lage und Anordnung und ihre starke Lichtbrechung bringt den Gedanken sehr nahe, dass wir es hier mit einer coutractilen Schicht zu thun haben, in welcher die Aus- bildung zu Fasern unterbliebeu ist. Eine der E. Steinii (?) ganz ahnliche Carchesiumart lebt ebenfalls auf dem Gammarus pulex an demselben Orte. Auch ihr Stiel ist arg verfilzt, und die Kontraction sehr reduciert, wenn auch nicht so stark wie bei E. Steinii (?) Manchmal, besonders jungere Individuen lassen sich schwer von denen der E. Steinii (?) unterscheiden ; nur die Verbreitung des Stielmuskels im Korper, Bursaria truncatella etc. 509 welche bei diescr vollig iibereinstimmt niit der anderer Carchesieu, ist dann ausschlaggebeud. Fasscn wir nun die Resultate, welche wir gewonnen haben, zusammen , so diirfen wir wohl behaupten, dass , von einigen Ausnahnien wie E. Steinii (?) , bei der die Lebensweise vielleicht einflussreich gewesen ist, abgesehen, die Kontractilitat des Kor- pers der Siisswasservorticellinen ihren Sitz hat in stark licht- brechenden, scharf begrenzten Fasern, welche entweder von der Basis des Korpers wie bei deu nichtcontractilstieligen ihren Ur- sprung nehmen oder directe Fortsetzungen des Stielmuskels sind, dass diese Fasern unter einem mehr oder weniger stumpfen Win- kel zur Cuticula laufen, sich an der Stelle, wo der Wimperring liegt, inserieren und dann bis zum Peristom herauf unter Anasto- mosen verlaufen; dass fenier die Fasern durch kornige Streifen von einander getrennt sind, und dass endlich in dem Punkte, welcher die Korpermuskeln betrifft, die Vorticellinen im Wesent- lichen mit den Stentoren und Spirostomeeu iibereinstimmen. Die beiden Hauptgruppen, die contractilstieligen und die nicht- contractilstieligen Vorticellinen , unterscheiden sich von einander in der Wirkung der Kontraction auf den Korper. Ftir diese scheint die Grosse des schon ofter erwahnten stumpfen Winkels, welche durch die Korperform einerseits und durch die Lage der Ur- sprungsstelle der Fasern andererseits bestimmt wird, von Ein- fluss zu sein. Ist namlich der Korper breit, und entspringen die Fasern vom Mittelpunkt der Korperbasis, welcher meist dem Ein- tritt des Stielmuskels gleichkommt, so werden bei der Kontraction die Fasern straff angezogen und bilden von der Insertionsstelle an der Cuticula bis zum Stielmuskel eine etwas schrage Linie (Fi- gur 15). Der unterhalb des Wimperringes gelegene Teil des Kor- pers wird nach unten vorgewolbt und erhalt eine nabelformige Vertiefung. Faltungen sind wenige vorhanden, der Ring tritt scharf hervor. Ist dagegen der Korper schmal, und entspringen die Fasern an der Peripherie der Korperbasis, so wird der untere Abschnitt nicht nach unten vorgewolbt, sondern in viele unregelmassige Falten gelegt. Die Fasern sind ebenfalls straff gespannt, bilden aber eine der Cuticula parallel verlaufende Linie (Fig. 14). Der Wim- perring ist der Falten wegen nicht deutlich erkennbar, er zeichnet sich vor ihnen nur durch die von ihm bewirkte regelmassige, auf gleicher Hohe den Korper umfassende Einschniirung aus. 510 August Brauer, Dass zwischeu diesen beideu Koutractionsweisen tJbergange stattfindcu konnen, verstebt sicb von selbst. Wie sicb in Bezug auf diese im Vorigen bebandelten Fragen die Meeresvorticellinen verbalten, dartiber niussen erst Unter- suchungen abgewartet werden; in den bis jetzt vorliegenden ist ibnen so gut wie keine Beriicksichtigung zu Teil gevvorden. Da ihr Bau sonst im Wesentlicben mit dera der SUsswasservorticelli- nen iibereiustimmt, so werden sie sebr wabrscheinlicb auch im Bau und in der Anordnung ibrer contractileu Elemeute nicbt ab- weicben. Wenn wir uns nun am Schlusse dieser Betracbtungen die Structur und die Anordnung den Fasern bei diesen Familien ver- gegenwartigen , so wird es uns wohl nicbt unwabrscbeinlicb er- erscbeinen, aucb die selbststandigen Fasern, welcbe wir bei B. truncatella kennen gelernt baben , da wir bis jetzt keine andere Deutung fiir derartige Fasern wissen, fiir Muskelelemente zu balteu. Zwei Punkte konnten dieser Deutung vielleicbt nocb Scbwierig- keiten in den Weg legen : einmal, dass keine Kontraction an ibnen geseben ist, und dann, dass jede Faser eine verscbiedene Starke bat. Mir scbeinen diese Scbwierigkeiten nicbt so gross zu sein. Die versteckte Lage der Fasern und die beftige Bewegung der Wimpern , welcbe sie verdecken , macben es fast unmoglicb , am lebenden Tiere Kontraction zu erkennen. Wozu aber sollen sie dienen? Wenn man bedenkt, dass den Bursarien Stentoren und andere ibr an Grosse fast gleicbkommeude Infusorien zur Nabrung dienen, so konnte man sicb wobl vorstellen, die Fasern verengten das weite Peristom und binderten dadurcb das gefangene Tier im Verein mit den kraftigen adoralen Wimpern wieder aus dem- selben zu gelangen. Einen iibnlicben Zweck baben vielleicbt aucb die Korpermuskeln der Stentoren nebeu der Kontraction des Kor- pers zu erfiillen , indem sie die binabgescbluckte Nabrung z. B. Rotiferen, welcbe die grossten Anstrengungen zur Befreiung macben, mancbmal aucb den Stentorleib durcbbrecben , bewaltigen belfen. In Betreft' des zweiten Punktes kaun man aufiibreu, dass in der Kontraction aucb die Muskelfasern der Stentoren eine grossere Starke im unteren Absclmitt des Korpers als im oberen zeigen. Die Grenze zwiscben beiden ist aucb bier ziemlicb scbarf. Ehe ich diesen Gegenstand verlasse und zum zweiten Teilc der Untersucbung ubergebe, verlangt nocb eine wicbtigo Frage cine Besprecbung, namlicb die nacb der Entstebung der Muskel- fasern bei den Infusorien. Die meisten Forscher nabmen eine be- Bursaria truncatella etc. 511 stimintc, nieist an dem untcrcn Ende ties Tieres gelcgciio Ur- sprungsstiltte an ; liicr entstiiuden die Fasern iu eineni vorhandeiien BildungsiiKiterial und verbreitctcn sicli weiter wachscnd von hier aus uljer den iibrigen Korper. Ganz anders aussert sich Leydig iiber diesen Punkt. Nach ihm sollen die contractilen Ziige aus einer bestimniten Anordnung von Tcilchen, welclie den Knoten- puukten des protoplasmatischen Sdiwamniwerks gleich seien, her- vorgehen, indem diese Knoten der Balkchen stelleuweise nach aussen, also unmittelbar unter der Cuticula in Langsreihen sich ordneten. Wie aus der vorliegenden Untersuchung hervorgelit, Ijin icli der ersten Ansicht beigetreten, indessen nur vorliiufig, weil ich in niichster Zeit eigene Untersuchungen anzustellen hofie; ich will daher jetzt auf dieses wenige Gesagtc mich beschranken und nicht crortern, welche Griinde fiir oder wider die eine oder die andere Meinung sprechen. II. Die Encystierung. Die erste und auch die eiuzige Notiz, welche die Literatur iiber die Encystieruug der B. truncatella aufweist, stammt aus dem Jahre 1854 von Cienkowski. Dieser berichtet: „Bei B. truncatella sieht man klar, dass sich unter der zuerst an der Kugel (Cyste) ausgeschiedenen ]\lenibran eine zweite sternformige bildet. Nach Yollendeter Entwicklung der Membran hort der Inhalt auf sich zu bewegen, wird kornig, dunkel und lasst ein inneres contractiles Blaschen wahrnehmen. Xachdem sie mehrere Tage lang gelegen hatten, sah ich oft 2, 4 — 5 kleine Zellen, die ganz leise in der Cyste herumrotierten. Wahrscheinlich Sporen." Durch Einwirken von Somnierwiirme sollen die Bursarien binnen 3—4 Stunden in den Cystenzustand iibergeftihrt worden sein. Dieses Letztere muss ich zuerst als unrichtig zuriickweisen. In der Hofifeung, die En- cystieruug besser und leichter beobachten zu konneu, machte ich das gleichc Experiment, aber alle Tiere, welche ich der Sonnen- oder der Stubenwarme aussetzte, zeigten zwar manchmal Neigung sich zu encystieren, gmgen aber bald zu Grunde. Soweit ich die Zeit, welche die Encystieruug in Anspruch nahm, angeben kann, dauerte sie wohl einen vollen Tag. Andere Unrichtigkeiten in der Beschreibung Cienkowski's werde ich spater berichtigeu. Autiallender Weise schreibt dieser Forscher nichts iiber die merk- wurdige Ruckbildung, welche der Encystierung stets vorausgeht. Ein ausseres Anzeichen, welches auf die Absicht des Tieres, sich 512 August Brauer, zu encystieren, hinweist, tritt im Aussehen hervor. Bei durch- fallendem Lichte erscheint es milchweiss, wahrend es vorher fast farblos war. Stein berichtet Ahnliches fur Individuen, in welchen die sogen. Embyronenbildung vor sich gehen sollte. Otfenbar sind die Tiere ebenfalls im Ubergange zur Encystierung gewesen, wie die weitere Bemerkung zeigt, dass sie das Periston! verloren oder eingeklappt haben, wie Stein sich ausdriickt, weil er sich nicht denken kann, dass sie es verloren haben konnen. Die milchweisse Farbung nun hat ihren Grund darin, dass das Innenparenchym ungemein stark vacuolisiert wird. Eine — nicht pulsierende — Vacuole begrenzt die andere, und es ist kaum Platz fur das Protoplasma gelassen, welches in dtinnen Strangen durch das Netz zieht. Vereinzelt sieht man auch Nahrungsballen, In Folge der starken Vacuolisierung ist eine Triibung eingetreten, welche im Verlaufe der Encystierung noch mehr zunimmt, bei auifallendem Licht das Tier dunkelgrau erscheinen lasst und die einzelnen Telle des Peristoms fast unsichtbar macht. Ein weiteres ausseres Anzeichen ist die geriage Bewegung des Tieres; das freie Umherschwimmen hort fast auf, meist liegt es an einem Gegenstande befestigt. Die wichtigsten Veranderungen gehen aber im Innern vor sich. Die Vacuolisierung des Parenchyms, welche schon bespro- chen ist, ist die eine Folge, die vollige Riickbildung des Peristoms mit alien seinen Teilen die nachste und wichtigste. Der erste Schritt bezieht sich auf die Aufhebung der Scheide- wande, welche es in zwei Hiilften teilten. Das ventrale Septum scheint zuerst verloren zu gehen. Es folgt ihm der Schlund und die loifelformige Vertiefung mit ihrer Bewimperung. Fig. 6 und 7 zeigen zwei Umwandlungsstadien. Die Reducierung der einzelnen Telle wird befordert besonders durch die Verengung des Peri- stoms. Indem die ventrale und besonders die dorsale, aber auch die lateralen Wande mehr und mehr der Mitte zu zusammen- riicken, wird einerseits die Function des Peristoms, die Nahrungs- aufnahme, aufgehoben, andererseits werden die Uiiregelmassig- keiten und die einzelnen Abteilungen des Peristoms verwischt. Durch die Riickbildung des untersten Abschnittes wird die Ge- stalt des Peristoms cine gerade, gestreckte. Ob am untcren Ende eine Otfnung erhalten bleibt, kann ich nicht sagen, halte es aber fiir wahrscheinlich. Nahruug geht aber durch dieselbe nicht mehr in den Kiirper hinab; die noch vorhandenen Nahrungsballen sind ausgestossen worden. Bursaria truncatella etc. 513 Die Peristomrinue wird zunachst wie alio Telle in der untcren Partie flacher und tritt nicht mehr deutlich abgegrenzt hervor. Wiihrend die adoralen Wimpern sehr friih abgeworfen oder ein- gezogen werdcn , erhalten sich die Muskelfasern , soweit nicht ihr Boden wie im untcren Teile verschwunden ist, sehr lange, wenn sie auch in ihrem Aussehen und in ihrem Verlaufe sehr modificiert sind. In die Streckung dcs Peristoms sind auch sie mit hinein- gezogen worden. Wahrend sie vorher als scharf abgegrenztc, glan- zende Fasern von ihrer kornigen Unigebung sich deutlich ab- hoben, teilen sie jetzt fast deren Aussehen. Bedeutend ver- schmalert und ktirzer geworden , dabei kornig an Aussehen sind sie nur an ihrer gleichmiissigen Richtung und an ihrem gleich- massigen Abstand von einander erkennbar. Dass sie irgendwie noch thatig sein konnen, daran ist naturlich nicht zu denken. Wahrend in seiner unteren Halfte das Peristom von unten nach oben sich riickbildet, scheint der letzte Rest in der Weise verloren zu gehen, dass die dorsale Wand sich den Randern des sehr reducierten ventralen Spaltes nahert, schliesslich mit ihnen zusamnienfallt und verschmilzt, nachdem die Rudimente der noch vorhandenen Teile als Fasern und Rinne vollig aufgelost sind. Mit dem Verlust des Peristoms, das der B. truncatella das charakteristische Aussehen gibt, hat sie eine Form erhalten, welche jeden, welcher die Umwandlung nicht kennt, zu der Ansicht ver- leiten muss, ein ganz neues Infusor vor sich zu haben. Ausser dem Mangel des Peristoms und der milchweissen Farbung treten noch zwei Momente hinzu, welche die Verschiedenheit dieses Sta- diums von dem ausgebildeten Tiere vergrossern : seine Form und die Grosse seiner Trichocystenschicht. Wahrend die anderen Teile an Grosse eingebiisst haben, ist letztere mit dem Fortschreiten der Encystierung mehr und mehr, liber das Doppelte seiner frliheren Breite gewachsen. Dabei scheinen sich die Stabchen nicht vermehrt zu haben, sie sind aber langer geworden und haben ihren Abstand von einander erweitert, sodass jetzt die Schicht an Aussehen und an Grosse gleichkommt etwa der eines Paramaeciums. Da auch die Form aus der ovalen in eine eiformige iibergegangen ist (Fig. 8) , und die Grosse des Tieres abgenommen hat, so konnte man es am ehesten mit einem Paramaecium vergleichen. Die Grossenabnahme ist einerseits wohl dem Zusammenfallen des grossen Peristoms zuzuschrelben, auderer- seits aber einer Teilung des Tieres wahrend der Riickbildung. Notwendig zur Encystierung scheint sie nicht zu sein, tritt aber 514 August Brauer, sehr oft auf. Es schicn hierbei, als ob die schon reducierten Telle nur iu soweit wieder augelegt werdeu, als sie in dem alten Tiere noch vorhauden sind; irgend welchen hemmenden Einfluss auf die Riickbildung iibte die Teilung nicht aus. Einige Tiere namlich, welclie nur uocli mit ihrem lang ausgezogenen Kerne, der seine Membran eingebiisst hatte und auch soust ein verandertes Aus- sehen zeigte, zusanmienhingen , batten uur noch schwache Reste der Muskelfasern und eine kleinc Spur des oberen Teiles vom Peristom. Letzteres scheiut, wie andere, die in friiheren Teilungs- stadien sich befanden, zeigten, analog den Stentoren erst im neuen Tiere selbststandig angelegt zu werden. Der Kern hatte bei diesen Anfaugsstadien die Gestalt eines kurzen, dicken und geraden Schlauches. Die Muskelfasern waren bereits zweifach vorhanden, das Peristom dagegen nur einfach. Auf diesera Stadium, wo das Peristom voUig riickgebildet ist, die Trichocystenschicht dagegen ihre grosste Ausdehnung erreicht hat, verharrt das Tier langere Zeit. Es giebt auch seine ruhige Lage wieder auf, indera es verschieden von seiner friiheren Be- wegung rasch und ohne viele Drehungen zu machen das Wasser durchschwimmt. Nach einigen Stunden wird es wieder ruhiger und vollendet seine Encystierung , die in einer allmahlichen Ver- schmalerung seiner Trichocystenschicht, in der Umwandlung des vacuolisierteu Parenchyms zu einer koruigen Masse, in dem Ver- lust seiner Wimpern und endlich in der Abrundung seiner Gestalt besteht. Cienkowski berichtet irrtiimlich, dass das Tier noch nach der Hullenausscheidung bewimpert gewesen sei und sich bewegt habe. Einige Exemplare , welche gerade im Begriffe waren , die Membranen auszuscheiden , zeigten bereits keine Wimpern mehr, mit deren Verlust sie auch ihre Beweglichkeit eingebusst batten. Die Ausschcidung der Membranen selbst konnte ich leider nicht ganz beobachten, da die Tiere wahrscheinlich in Folge der Storung mit der Ausscheidung aufhorten und bald zu Grunde gingen, und kann daher nur eine Verniutung aufstelleu. Doch vorerst wollen wir uns mit dem fertigeu Bau der Cyste bekannt machen (Fig. 11). Richtig unterscheidet Cienkowski zwei Membranen, eine ein- fache, von regelmassig runder P'orm und eine sternformige, nur verlegt er letztere irrtiimlicher Weise iuuerhalb der erstereu, wahrend sie iu Wirklichkeit die iiussere Begrenzung der Cyste bildet. Die Bildung der iiusseren Hiille, der sogen. sternformigeu, ist schwer zu verstehen. Man denke sich etwa viele Parallelogramme Bursaria truncatella etc. 515 von uuglcicher Grosse unrcgelmassig liber die Peripherie eiiier Kugel nebeneinauder ausgebreitet ; an dem Schneidepunkte ihrer Diagonalen waren sie nach inneu eiugebuchtet, so dass — von oben gesehen — Vertiefungen und Erhebungen abwecbseln, so kame die Form der iiusseren Cystennierabran heraus. Die grossten Vertiefungen liegen nun nicht stets genau in der Mitte, d. h. ent- sprechen nicht genau dem Schneidepunkte der Diagonalen, vielmehr siud sie sehr oft seitvviirts geruckt; dadurch wird die Unregel- massigkeit noch vergrossert. An diesen Punkten nun setzen sich Stabchen, welche von der innern Membran ausgehen, fest und vermitteln die Verbindung beider Membranen. Diese Stabchen sind solid, an ihren beiden Enden verbreitert ; sieht man auf sie herab, so gewahren sie den Eindruck behofter Tiipfel, indem man zwei coucentrische Kreise erblickt, von denen der innere ihrer engsten Stelle, also ihrer Mitte, der aussere der weitesten Aus- dehnung, also ihrer Befestigungsstelle an der ausseren resp. inneren Membran entspricht (Fig. 9). Sie dienen zum Festhalten der ausseren an der innern Membran; morphologisch entsprechen sie Erhebungen der letzteren , der ersteren gehoren sie mit keinem Teile an. Mit der inneren teilen sie ihre Wande, welche unmittel- bar ineinander ubergehen (Fig. 10). Dieses Verhaltnis wird be- sonders dann klar, wenn durch etwas heftige Beruhrung der Cysten der Verband beider Membranen gelost ist. Es liegen dann die Stabchen an der inneren allein, wahrend die aussere, welche in Folge ihrer grossen Elastizitat zuriickgeschnellt ist und ihrc Einbuchtung aufgegeben hat, keine Spur mehr von jenen zeigt. An einer, scheinbar bestimmten Stelle liegt ein sehr grosses Stabchen, die andern besonders an Breite bedeutend iibertreffend. Mit der Grosse des Stabchens ist auch das entsprechende Pa- rallelogramm grosser und flacher geworden (Fig. 11 g). Dieses Stabchen scheint keinen anderen Zweck zu haben, als die Befestigung der Membranen unter einander zu verstarken und die vollige Treunung derselben unmoglich zu machen, Wahrend namlich bei starker Beriihrung die kleinen Stabchen ihre Verbin- dung mit der ausseren bald aufgaben, blieb das grosse in seinera eugen Zusammenhange bestehen und wurde selbst bei volligem Zerplatzen der Cyste nicht aus seiner Lage gedrangt, so dass es, wie man vermuten konnte, nicht etwa als Deckelapparat zur leich- teren Befreiung des Tieres aus der Cyste dienen kann. Die innere Membran zeichnet sich vor der ausseren, abge- sehen von den vor ihr ausgeheuden Stabchen, durch ihre gleich- 516 August Brauer, niassige, horaogene Beschaffeiiheit , ihre fast doppelt so grosse Machtigkeit uiid ihre Festigkeit unci endlich durch ihr grosseres Lichtbrechungsvermogen aus. Sie umgrenzt den Inhalt, welcher in Folge der zwiefachen Einschliessung, wovon die aussere oft noch mit fremden Gegenstanden besetzt ist, schlecht sichtbar ist. Er tritt als dunkelbraune Masse hervor, die aus groben, gleich grossen Kornern zusammengesetzt ist, Der Kern ist zuweilen als helle rundliche Flecken an einzelnen Stellen, wo er in seinen mehrfachen Windungen die Oberflacae der Cyste bcriihrt, sicht- bar; um ihn ganz zu erkennen, bedarf es einer starken Pressung der Cyste. Wahrend sonst der kornige Inhalt uberall die innere Membran eng begrenzt, tritt er unter dem grossen Stabchen, sehr selten auch an der entgegengesetzten Seite von der Wand zuriick und ist hier vollig gleichmassig abgeflacht. Die genaue regelniassige Anordnung der Korner, wie wenn sie aneinander gereiht waren, lasst vermuten, dass der Zwischenraum zwischen der inneren Membran und dem Protoplasma mit einer Masse, welcher Art sie auch sein mag , erfiillt ist, oder dass das Proto- plasma mit einera sehr dunnen Hautchen iiberzogen ist. Weitere Einschliisse habe ich nicht bemerkt, nur das Auf- fallende sei erwahnt, dass eine Cyste 2 contractile Vacuolen barg; um so auffallender, als, wie wir oben gesehen haben, sie beim nicht encystierten Tiere vollig fehlten. Vor meinen Augen ver- schwanden sie bald nach einander, ohne wieder aufzutauchen. Auch CiENKOwsKi erwahnt ihrer und scheint sie haufiger gesehen zu haben; soweit ich gesehen habe, kommen sie ausserst ver- einzelt vor. Wie geht nun die Ausscheidung der Hiillen vor sich ? Sicher wird zuerst die aussere abgeschieden , wahrscheinlich in vollig gleichmassiger runder Form, wie sie die innere hat. Ist die letztere fertig gebildet mit ihren Stabchen, so wird sich das Tier wahr- scheinlich zusammenziehen mit der inneren Membran und dadurch die aussere vermittelst der Stabchen einwarts biegen , aber nur an den Stellen, wo diese befestigt sind, und derselben die beson- dere Form verleihen. Die aussere Membran ist nur ein Schutzmittel und ist dazu befiihigt einerseits durch ihren Abstand von der innern, anderer- seits durch ihre grosse Elastizitat und Nachgiebigkeit , welche Quetschen und das Zuriickschnellen bei Losung der Stabchen zur Geniige beweisen. Die Encystierung ging fast bei alien Tieren — es waren Bursaria truncatella etc. 517 gegen 100 — zu glciclier Zeit im December vor sich. Cienkowski lasst sie schon nach eiuigen Tagen wieder die Cyste verlassen; ich kanii hierin ihm iiicht beistiiiimeii, da die erste Bursaria erst gegen Ende des Februars frei wurde, der Cystenzustand also voile zwei Monatc gedauert hatte. Die andercn folgten in noch grosseren Abstiiuden. tjber ihre Veriinderuugen im Innern der Cyste ist wenig zu sagen; es fanden so gut wie koine statt. Cienkowskis rotierende Sporen werden wohl auf Flagellaten, die auch in meinen Glasern in einige Cysten gedrungen waren und den Inhalt in I^rm runder Kugeln ausraacliten , zuriickzufiibren sein. Soviele Cysten ich zu verschiedenen Zeiten untersucht habe, nie zeigte irgend eine ein anderes Ausselien, als dass der Inhalt sich in zwei Schichten gesondert hatte, in eine mittlere dunklere und eine hellere peri- pherische; welche Bedeutung diese Sonderung hatte, vermag ich nicht zu sagen; der Kern war stets unverandert, und das Tier sonst auch. Nie konnte ich irgend etwas entdecken, was auf eine, doch zu erwartende Teilung innerhalb der Cyste hinwies. Das Tier verlasst in demselben Zustande die Cyste wie es sie gebildet hat, nur scheint es schon in der Cyste eine kleine Einbuchtung in der Mitte als Anlage des Peristoms zu erfahren, wodurch es Ahnlichkeit in der Form erhalt mit einer Nautilusschale. Die weitere Ausbildung zur fertigen B. truncatella geht in gleicher Weise vor sich, nur natiirlich in umgekehrter Reihenfolge wie die Riickbildung, so dass ich hieriiber kein Wort zu verlieren brauche. Soweit mir bekannt ist, hat man bisher noch bei keinem anderen lufusor eine derartige regressive Metamorphose, wenn ich mich so ausdrucken darf, verfolgt. Wahrscheinlich findet sie in iihnlicher Weise auch bei andern statt, z. B. den verwandten Stentoren. Steins Angaben iiber deren Encystierung — dass sie, um nur Eines hervorzuheben , in der Cyste die Muskelfasern be- halten haben — erscheinen mir nach dem, was Bursaria uns dariiber gezeigt, ausserst zweifelhaft. Bonn. Zoolog. Institut 1884/85. 518 August Brauer, Literatur. 1. Clapakede et Lachmann, Etudes sur les lufusoires etc. Vol. I u. II. 1858—61. 2. CzERMAK, Ueber den Stiel der Vorticellinen. Z. f. w. Z. Bd. IV. 1853. 3. EcKHAKD, Die Organisatiousverhaltnisse der polj-gastrichen Infusorien. Arch. f. Naturg. 1846. 4. Ehrenbeeg, Die Infusioustiercheu als vollkommeue Organis- men. 1838. 5. Engelmann, Contractilitiit uud Doppelbrechuug. Pfliigers Arch. f. d. g. Phys. Bd. XT. 1875. 6. Entz, Die lufusorien des Golfes vou Neapel. Mitth. a. d. zool. St. z. Neapel. Bd. V. 1884. 7. Everts, Vorticella uebulifera. Z. f. w. Z. Bd. XXIII. 1873. 8. Geuber, Die Protozoeu des Hafens vou Genua. Nova Acta Leop. XLVI. No. 4. 1884. 9. Geeeff, Untersuchungen liber den Bau uud die Naturge- Bchichte der Vorticellinen. Arch. f. Naturg. 1870, 1871. 10. Hackel, Zur Morphologic der Infusorien. Jeu. Z. 1873. Bd. VII. 11. KoLLiKEE, Der feinere Bau der Protozoeu. Icon, histiol. 12. KiJHNt, Myologische Untersuchungen. 1860. 13. Lachmann, Miillers Arch. 1856. 14. Leydig, 1) Lehrbuch der Histologic. 1857. 2) Vom Bau des tierischeu Korpers. Bd. I, 1. 1864. 3) Untersuchungen zur Anatomic uud Histologic der Tiere. 1883. 15. Liebkekuhn, Miillers Arch. 1857. Anna. 16. Stein, 1) Die Infusionstiere etc. 1854. 2) Organismus der Infusionstiere. 1859 — 1883. 17. Schmidt, Vergl. Anatomic. 1852. 18. Wrzesniowski, Beitriige zur Naturgeschichte der lufusorien. Z. f. w. Z. Bd. XXIX. 1877. Bursaria truncatella etc. 519 Erklarung der Figuren. >yrr^ i^ v^->>->^ ^^^*^ ^«-«Xl^ . Fig. 1. Bursaria truncatella. m = Muskelfaser; n = Kern; pr = Feristomrinne ; s = Septum; tr == Trichocystenschicht; //' == reristomwiukel. Fig. 2. Optischer Querschnitt durch die Mitte von B. trunca- tella. d = dorsale Seite; i = Innenparenchym; /;/• = Feristom- rinne; pio = Peristomwulst; s == Septum; //•== Trichocystenschicht; V = ventrale Seite; w = Wimpern. Fig. 3. Dorsale Wand des Peristoms von B. truncatella. m = Muskelfasern des Peristomwulstes; // = horizoutaler Scheukel; v = verticaler Scheukel der Fasern ; ///' = Fasern der Peristomrinne; p/' = Peristomrinne, pw = Peristomwulst; s/i = Beginn des Schlundes. Fig. 4. Ventrale Wand des Peristoms von B. truncatella. m = Enden der Fasern des Peristomwulstes; s = Septum. Fig. 5. Muskelfaser des Peristomwulstes mit einer adoralen Wimper von B. truncatella. Fig. 6, 7 und 8. Umwandlungsstadien von B. truncatella zur Encystierung. m = Faseru des Peristomwulstes; n = Kern; pr = Peristomrinne; tr = Trichocystenschicht. Fig. 9. Das grossere Stabchen der Cyste von B. truncatella, von obeu gesehen. Fig. 10. Aeussere und iimere Membrau der Cyste von B. trun- catella. a = iiussere; / = iunere. Fig. 11. Cyste von B. truncatella. // = Kern; g- = das dem grosseren Stabchen angelagerte Parallelogramm. Fig. 12. Carchesium polypinum. tn = Muskelfasern ; //'/• = Wimp erring. Fig. 13. Epistylis Steinii (?). wr = Wimperring. Fig. 14. Epistylis galea, contrahiert. j/i = Muskelfasern; wr wr Wimperring. = Fig. 15. Vorticella nebulifera, contrahiert. w = Muskelfasern; = Wimperring. Die embryonale Entwicklung der Bothriocephalen. Von Dr. H. Schauiuslaud. (Hierzu Tafel VII— IX.) Meine Untersuchungen iiber die embryouale Entwicklung der Trematoden (43) bewogen micb, dieselbeu auch auf einen Theil der ubrigen Plathelminthen auszudehuen, zumal ich hoifen durfte, mit Hiilfe derjenigen Methoden, welcher ich mich mit Erfolg bei jener Arbeit bedient hatte, die Schwierigkeiten, die sich dem ein- gehenden Studium der Bildungsvorgange im Ei gerade bei diesen Thieren entgegenstellen , zu beseitigen. Ich veroffentliche hiermit zunachst meine Beobachtungen liber die Embryonalentwicklung der Bothriocephalen. Abgesehen von der Kleinheit und Undurchsichtigkeit der Eier der meisten Bothriocephalen bereitet auch die Schwierigkeit, pas- sendes Material zu erhalten, der Untersuchung manches Hinder- niss. Es ist nicht leicht, will man sie methodisch auf mehrere Gattungen oder Arten dieser Thiere ausdehnen, sich dieselben innerhalb einer geraumen Zeit zu beschafieu; der Zufall spielt hierbei eine grosse Eolle. Ich habe daher auch hiiufig zu kiinst- lichen Fiitterungsversuchen meine Zuflucht nehmen miissen, um mir geschlechtsreife Thiere zu besorgen. Dieser Umstand erklart es auch wol , dass der Arbeiten , die wir iiber diesen Gegenstand besitzen , verhiiltnissmassig wenige sind, und dass es durch dieselben noch nicht gelungen ist, mit Sicherheit festzustellen , auf welche Weise sich der Bothrioccpha- lenembryo entwickelt, wenngleich wir auch bereits seit einigen Decennien uber den Bau der ausgeschlupften Larve hinreichende Kenntnisse haben. — Die Litteratur auf diesem Gebiet ist ziemlich zerstreut; es T)v. 11. Schaui nsland, Die cmbryoDale Enhvickluug etc. 521 wiinlo daher vielleicht nicht unpassend sciii, von ilir einen kurzen Gcsanimtiiberblick in chronologiscber Reihenfolge zu geben. Meint'S Wisscns war v. Siebold (4) der erste, dor uns mit den Eml)ryonon von Botbriocephalen und Tiinion bekannt gemacbt hat. In Burdachs Physiologic beschreibt er, wie sich bei den Eiorn dcr Ccstodcn (er iinterscheidet dabei nicht zwischen den Tiinien und Botliriocephalen) entwcder nureine Eibiille nachweiscn hisst (Trianophoriis , Cariophyllaus, Ligula, Bothriocephalus latus etc. und viele Tanien\ die ])ei Ligula und Bothriocephalus latus mit einem Deckelchen aufspringt , oder zwei (Bothr. infundibuli- forniis und proboscideus), ja sogar auch drei bis vier. Sobald sich die Eier nebst ihren Eihiillen vollig ausgebildet haben, be- ginnt darauf die Entwicklung des Embryo, der bald rund, bald langs- oder queroval ist und weder Kopf, Hals noch Gliederung oder irgendwelche Organe in seinem Innern aufweist, mit Aus- nahme von G kleinen Haken , die bei sammtlichen vorkommen. Wunderbar erscheint es ihm dabei, dass sich dieselben auch bei den Bothriocephalenembryoneu vorfinden, wiihrend die erwachsenen Thiere doch keine derartige Bewaflfnung besitzen, weswegen er auch vermuthet, dass mit dieseu eine Art von Metamorphose vorgeht. V. SiEBOLD war tiber die Bedeutung der einzelnen Hiillen noch nicht klar, da er unter anderem die Eischale der Bo- tbriocephalen mit den Hiillen der Tanien zusammenstellt. KoLLiKER (6) uutersucht die Entwicklung eines in Salmo umbla vorkommenden Botbriocephalen (B. proboscideus) naher. — Er findet die jiingsten Eier aus Dotterhaut, Keimblaschen und Keimfleck bestehend. Erstere ist diinn und umschliesst einen an Kornern armen Dotter. Viel haufiger als so beschaffene Eier sind jedoch andere vorhanden, die auch eine aussere Eihaut besitzen. Bei diesen konnte er nur selten das Keimblaschen bemerken ; der Dotter war dagegen im Verhaltniss zu den erstgenannten sehr viel kornerreicher. KoLLiKER ist hiernach die richtige Zusammensetzung des Eies noch entgangen. Er verwechselt, wie es nach ihm noch viele Andere, die die Eier der Plathelmintheu beobachteten , gethan haben, die Eizelle mit dem Keimblaschen. Die erst e Form der von ihm untersuchten Eier repriisentirt in der That erst die Eizelle, die noch keine Schale erhalten hat, welche sie zusam- men mit den Nahrungsdotterzellen umhiillt. Koli^ker dagegen meinte, dass der Nahrungsdotter homolog dem Dotter Bd. XIX. N. F. XII. g^ 522 Tr. ir. Sell auin sland, der unbeschalten Eier (Eizellen) sei. Hieraus resultiren dann auch die Irrthiinier der spiitereu Beobachter, welche die Bilduug der ersten Embryonalzellen nur von dem Keimblaschcu und niclit von der ecliten Eizelle ausgehend beschrieben. Iiii Centrum des Eies innerhalb des Dotters, so schildert Kol- LiKER die weitere Entvvicklung, tritt darauf eine helle Zellenniasse, die ersten Embryonalzellen, auf, deren Entstehen unklar blieb. Dieselben nehmen an Zahl fortwahrend zu, sodass sie den Dotter schliesslich vollig durchbrechen. Sie sondern sich spater in eine peripherische und eine cent rale Schiclit, und nur die letz- tere eutwickelt sich zum Embryo, der mit 6 Haken bewehrt ist und der wahrscheinlich nach Resorption der Rindenschicht die Eihaute durchbricht. GuiDO Wagner (8) bildet einen Embryo von Tetrarliynchus corollatus ab, der ganz abweichend von alien iibrigen Cestoden- embryonen 4 statt 6 Hiikchen aufweist, an deren festsitzendem Ende sich kontraktile Fiideu zu inseriren scheinen. Er erwahnt ausserdem, dass nach einer brieflichen Mitthei- lung Creplin's die Embryonen von Ligula und Triiinophorus von kugeliger Gestalt sind und 6 Hakchen besitzen. In seinem Lehrbuch sagt v. Siebold (8) iiber die Entwick- lung der Cestoden : „Die Entwicklung der Cestoden erfolgt in den Eiern in der Weise, dass sich nach dem Verschwiuden des Keim- bliischens im Innern der kornigen Dottermasse ohne stattfindende Durchfurchung derselben einzelne grossere und wasserhelle Em- bryonalzellen ausbilden , welche sich durch Theilung vermehreu und verkleinern. Der ganze Haufen dieser Embryonalzellen wachst nach Aussen auf Kosten der Dottermasse und tritt zuletzt ganz an deren Stelle. Ist der Dotter vollig gesclnvunden, so iiberzieht sich die ganze Masse rait einem Epithelium und stellt einen run- den Oder ovalen Embryo dar." Er beriicksichtigt also hierbei nicht Kollikers Beobachtung liber die Sonderung der Embryonalzellen in eine centrale und eine periphere Schicht. Wedl (9) beschreibt uns die Entwicklung von Echinobothyrum typus. Auf der Oberflache des Eiinhaltes bildet sich ein Maschen- werk dus, das dem „Chorion" seine Entstehung giebt. Innerhalb desselben erscheint dann ciu heller Punkt, die erste Embryonal- zelle. Das Maschenwerk verschwindet, und schliesslich bemerkt man "innerhalb des Eis den Embryo in einer transparenten , ab- gesackten Schicht liegend. Das „Maschenwerk", welches nach ilim Die cmbryonalc Entwicklung der Bothrioceplialon. 523 flas Chorion, d. li. die pcripliere Zelllage K()LLIKers bilden soil, ist wahrscheinlich imr der Ausdruck des zerfallenden und sich ablosenden Xahruiigsdotters gewesen. Niclit gci'ingcs Aufseheii niachto es, als 1857 auf der Natur- forscberversainmlung zu Bonu die Beobachtung des hollandischen Helininthologeii Sciiuhart (10) bekannt geniaclit wurde, dass das Ei von Botlirioceplialus latus nacb durchlaufener Furchung (er bielt allcrdiiigs falscblich die grossen Dotterballen fur Furchuugs- kugeln) sich im Wasser entwickele, und dass der sechshakigc Embryo liingere Zeit in deniselben mit Hiilfe eines dichten, ihni abcr locker anliegenden Flimniermantels herumschwarme. So befremdend erschien die Entdeckung von diesem so ab- weichend gebauteu , infusoricnartigen Enibr}'©, dass man ihr an- fangs auch einiges Misstraucn entgcgenbrachte. — Bald jedoch folgte eine Bestiitigung jenes Fun des in der umfangreichen Arbeit von Knocii (14) liber Bothriocephalus latus. Der Verfasser dieser voluniinosen Schrift sucht in ihr vor allem den Nachweis zu fiih- ren , dass die Uebertragung jenes Bandwurms in den Meuschen durch die P^mbryonen direkt ohne Zwischenwirth erfolgt, was er durch mannigfaltige und komplicirte Experimente zu beweisen sucht. Ein besonderes Kapitel widmet er dem Embryo und seiner Entwicklung. Die reifeu, mit einem Deckelapparat versehenen Eier besitzen einen Eidotter, der aus hellen, fein granulirten, mit einer diinnen Haul umgebenen Furchungskugeln (!) besteht. Knoch gelang es bald, diesen Dotter ganz in Embryonalzellen von nicht geriuger Grosse zerfallen zu sehen (!), er glaubt daher an eine Dotter- furchung, die ihn lebhaft an den Furchungsprozess in dem Bil- dungsdotter der Salmonideneier erinnert. Nach Verlauf einiger Monate bemerkt man den ausgebildeten , runden Embryo im Ei liegen, der noch von einer aussern mit Kornern erfullten Hiille umgeben ist. Der Deckel des Eis otfnet sich darauf, der Embryo schllipft heraus und schwimmt im Wasser mit Hiilfe von kleinen, zarten, oben knopfformig verdickten Cilien umber, die auf der aussern Hiille, dem „Embryonalschlauch" festsitzen. Einige Tage hindurch tummelt er sich so umher, wobei sowohl der Embryoual- schlauch als auch der Embryo selbst bedeutend an Grosse zu- nimmt. Die Bewegungen werden darauf langsam, das Cilieuspiel hort auf, der Embryonalschlauch reisst, und der Embryo tritt aus ihm heraus, entweder ganz nackt oder noch mit einer hellen Masse umgeben, ein Vorgang, den Knoch fiir pathologisch halt. 34* 524 Dr. H. Schauinsland, Kurze Zeit darauf untersucht auch Leuckart (15) die Ent- wicklung dieses Embryos, und wenn er auch die Beobachtuiigen Knocks in maucher Hinsicht bestatigen kann, so weist er nach, dass die Dotterzellen , die Schuuart und Knoch fiir Furchungs- kugeln hielten , zerfallen und an dem Aufbau des Embryos direkt nicht betheiligt sind. Er giebt richtige Abbildungen des Embryos und korrigirt auch namentlich Knocks falsche Angaben, dass die Flimmercilien nur kurz und unscheinbar seien, wahrend sie in Wirklichkeit doch den Durchmesser des Embryonalkorpers um das Doppelte vergrossern. Auch er findet beim Heraustreten des Em- bryos aus der Flimmerhiille denselben uoch von einer hellen Ei- weissmasse umgeben, die spater verschwindet. Unabhangig von diesen Untersuchungen ziichtet Bertolus (16) ebenfalls die Embryonen vom Bothriocephalus latus. Dieselben schliipften im 8. Monat nach der Uebertragung der Eier in Wasser aus und bestehen nach ihm aus einer ausseren ausgehohlten, dicht mit Flimmerhaaren bedeckten Halbkugel, die aus grossen pris- matischen Zellen gebildet ist, und aus einer darin frei beweglich liegenden Masse, dem wirklichen Embryo. Inzwischen war durch die Untersuchung Wedl's (13) an Te- tracampos ciliotheka ein zweiter Bothriocephale aufgefunden wor- den, aus dessen Eiern, und z war noch innerhalb des miitter- lichen Korpers, sich ein bewimperter Embryo eutwickelt, wiih- rend G. Wagner (12) dagegen eine gute Abbildung von einem neuen flimmerlosen Embryo (von Dibothrium rugosum) brachte, der in der Eischale befindlich noch von einer „zweiten faltigen, diinnen Eihaut" umschlossen ist. Eine weitere Arbeit Knock's (17) beschaftigt sich mit der Entwicklung von Bothriocephalus proboscideus, die schon von Kollkver friiher studirt worden war. Unsere Kenntnisse werden durch sie aber nicht nur nicht gefordert, sondern im Gegentheil sie bezeichnet einen Riickschritt in denselben. Knock bestreitet namlich Kolukers Beobachtung, dass sich der Eiinhalt in einen centralen Kern und eine periphere Schicht sondere, und dass sich der Embryo nur aus dem ersteren allein entwickle. Er findet allerdings Embryonen, deren aussere Haut sich in Falten gelegt hat, stellt dieselbe aber nicht als Homologon des Flimmermantels bei B. latus dar. Was von Kolliker als Umhiillungsmasse des Embryos beschrieben war, erweist sich nach ihni als der Ueber- rest des kornigen Dotters, der wahrend der Bildung des Embryo- nalkorpers allmiihlich verloren geht. Die embryonale Eutwicklung der Eothiiocephaleu. 525 Diesen Irrthum stellt Metschnikoff (18) in einer kleiiieii aber vortrefllichen Mitthoilung iiber denselben Gegenstand richtig. — In dem Ei von Bothrioccphalus proboscideus treten zwei Zellen aiif, wie er sic auch bei Tilnia cucumerina gesehn hat, die sich ail den beiden Eipolen festsetzen und erst in spateren Entwick- luugsstadien verschwinden, ohne dass es moglich wird, die Bedeu- tung diescr Zellen klarzulegen. Nach vollendeter Furclmng, an der n u r die Keimzelle , nicht der sie umgebende Dotter theil- nimmt, spaltet sich die Masse der Embryonalzellen in einen innern Kern, aus dem der Embryo entsteht, und in eine aussere Schicht, die nach Verlust ihrer zelligen Struktur sich in eine diinne Membran umwandelt, welche Metschnikoff trotz ihres Mangels an Flimmer- cilien doch dem Wirapermantel von B. latus (und auch von Monos- tomum) fiir homolog erklart, wie er sie auch mit der serosen Hiille der Insekten und der Larvenhaut der Nemertinen ver- gleicht. Seit dieser vorzuglichen Untersuchung haben sich unsere Kenntnisse auf diesem Gebiet nicht mehr bedeutend erweitert, wenn auch noch eine Anzahl Forscher sich mit den Vorgangeu bei der Entwicklung der Bothriocephalen beschaftigt haben. Ed. v. Beneden (21) deutet auf die Aehnlichkeit der Tanien- und Bothriocephalen entwicklung hin und weist endgiiltig an der Hand von Untersuchungen an Tania saginata, Kolliker's, Wagner's etc. Irrthum zuriick , dass sich uur das ,,Keimblaschen" bei dem Entstehen der ersten Embryonalzellen der Cestoden theilt und zeigt, dass dieses vermeintliche Keimblaschen eine richtige Zelle, die Keimzelle, ist. Er giebt in derselben Arbeit ausserdem noch richtige Abbildungen der Eier von Bothrioccphalus punc- tatus. Interessant sind auch seine Bilder von der Embryonalent- wicklung des Solenophorus, denn sie zeigen, dass bei diesem Band- wurm neb en der Eischale ausserdem noch eine den Embryo umhiillende Membran vorkommt, wenn es auch nicht moglich war, die Art und Weise ihrer Entstehung nachzuweisen. R. v. WiLLEMOEs-SuHM (19. 22. 23.) veroffentlichte mehrere Beobachtungen tiber die Entwicklung von Schistocephalus, Ligula, Trianophorus und Bothrioccphalus ditremus, die sich aber fast nur allein auf den ausgeschlupften Embryo beziehn. Derselbe ist bei alien 4 Arten von einem dichten Flimmerpelz umgeben. Bei Schistocephalus und Trianophorus fand er, dass die Larve nach dem Platzen des Flimmermantels aus diesem herausschliipfe, ohne dabei eine derartige Eiweissmasse mitzunehmen, wie sie Leuckart 526 Dr. H. Schauin sland, bei Bothriocephalus latus beschriebeu hatte, uiid daun anioben- artig uniherkii(!chc. Weitere Details bringt er garnicht, wie d(!iin iiberhaupt Abbildungen und Beschreibung nur auf eiiio obeiilach- liche Untersuchung schliessen lassen. Vor V. WiLLEMOES-SuHM liattc iibrigens sclion Stepanoff (20) diu Entwicklung von Trianophorus verfolgt mid auch bei iliiieu die Differeiizirung des Enibryonalkorpers in eine periphere Schicht und einen centralen Theil gefundcn. Schliesslich waren nuch die Arbeiten einiger franzosiscber Forscber, niimlich die von Duciiamp (24 28), Donnadieu (29) und MoNiEZ (31) zu erwiibnen, welche aber alle etwas wesentlidi Neues unsern Kenntnissen nicht binzufiigen konnten, ja ini Gegeu- tbeil in mancber Hinsicbt einen entscbiedenen Ruckscbritt in den- selben bezeichnen; letzteres ist namentlicb von Donnadieu's Untersucbung iiber die Ligulaentwickkmg zu sagen, die eine Fiille der bedenklicbsten Beobacbtungsfebler aufweist und ini Wider- sprucb stebt mit dem, was vorber von der embryonalen Entwick- lung der Botbriocepbalen sicber bekannt war. — Icb werde nocb Gelegenbeit finden, auf die obigen Arbeiten in den folgenden Seiten zuriiekzukommen. Das, was wir iiber unsern Gegenstand wissen, vi.'rdanken wir zum grossten Theil nur den Untersucbungen von Kolliker, Metsch- NiKOFF und Leuckart; aber es ist nicht viel, und man konnte wol sagen , dass im Vergleich zu den Fortschritten auf fast alien iibrigen Gebieten der allgenieinen Entwicklungsgescbicbte die Em- bryologie der Botbriocepbalen einen nocb fast voUig unbekanuten Theil derselben darstellt. Meine eigenen Untersucbungen erstrecken sicb auf: Bothriocephalus rugosus. Rud. „ latus Lin. „ spec? Triaenopborus nodulosus Rud. Ligula simplicissinia. Rud. Schistocephalus dimorpbus. Crei)l. In Bezug auf die Eier und die liarven lassen sich dieselben uiid liocbst wahrscheiulicb audi alle iibrigen Butbridcepbalcn in zwei Gruppen theilen. Bei den einen beginnt die Kiitwickbuig erst nacb deni Ab- Icgen der Eier in Wasser, bei den aiidern gelangen die Enibryonen Die embryoiKilu Entwickliuig dor Bothriocephaleu. 527 bcreits im Bandwurnikorpcr x.ur Ri'ife; jeue bcsitzen dickschali^'c, durch einen Deckel sich offnende Eicr mit sehr vielen, die Eizclle fast vollig verdeckcndcn Dottcrzellcn , dicse dagegun dihiuschaligc, ungodeckelte, rclativ weiiig Nahrungsniaterial einschliesseiide Eier, die im Laufe der Entwickliing bedeutend an Grosse zuiiehirien. Die Larven der ersteii Gruppe sind mit dichten VVimpern be- kleidet, die der zweiteii nackt. Zu den letzteren geliort unter den von mir untersuchten Thieren nur Bothr. rugosus. Sicher sind hierher aber auch alle iibrigcn Bothriocephalen zu rcchnen, deren Larven keineu Flimmer- pelz besitzen, so namentlich auch B. proboscideus. Es ist bereits seit langerer Zeit bekannt, dass das Ei der Bothriocephalen, namentlich der Formen mit bewimperten Larven die grossle Uebereinstimmung mit dem Trematodenei zeigt. Auch hier repriisentirt bekanntlich das Ei nicht nur eine Zelle, son- dern es wird von einer grossen Anzahl zusammengesetzt, von denen sich jedoch nur eine, die wirkliche „Eizelle" oder „Keim- zelle" aktiv an dem Aufbau des Embryo betheiligt; die iibrigen iibernehmen als „Dotterzellen", welche bald dem Zerfall unter- liegen, nur eine ernahrende Funktion. Am geeignetsten fur die Untersuchung sind diejenigen Both- riocephalen, deren Larven nackt sind, well einerseits bei ihnen, wie gesagt, die Entwicklung im miitterlichen Korper stattfindet, andererseits in ihren Eiern relativ vvenig Dottcr enthalten ist. Die Entwicklungsvorgange habe ich am Eingehendsten ver- folgen konnen bei Bothriocephalus rugosus. Rud. Litteratur. Wagner (12) giebt eine gute Abbildung eines fast reifen, noch in der Eiscbale befindlichen Embryos, der er aber nur sehr wenig erklarende Worte beifiigt. Ich fand diesen Bandwurm in ausserordentlich reichlicher Menge in alien daraufhin untersuchten Exemplaren von Lota vul- garis , wo er die appendices pyloricae und den Anfangsabschnitt des Darms so vollkommen ausfiillte, dass es wunderbar erschien, wie die Xahrung hier noch ihren Durchgaug finden konnte. Jeden- falls konnten die Pylorusanhange nicht zur Verdauung dienen, da sie von den Wlirmern so prall angetullt waren, dass es kaum mog- lich war, dieselben herauszuziehn. Das ist jedoch nur in den Wintermonaten und im Friihjahr der Fall. Eude December oder im Laufe des Januar beginnt Bothr. rugosus Eier zu producireu, 528 Dr. H. Schauinsland, welche Anfangs Februar die ersteu Entwicldungserscheiiiiiiigen erkennen lassen. Im Juiii oder Juli sind reife Embryoiien in den Eiern entlialten; es losen sich dann grosse Stiicke des Bandwurni- korpers ab und gelangen mit den faces ins Wasser. Im August iind in den Herbstniouaten waren die von mir untersuchten Quappen ganzlicli frei von den Parasiten. Leider habe ich es unteiiassen 7Ai untersuchen , ob in der Darmschleimhaut vielleicht noch die Kopfe der Bothrioceplialen vorhanden waren. Ich kann cs dalier auch nicht behaupten, ob die kleinen noch nicht geschlechtsreiicn Wiirmer, die man bereits in den letzten Herbst- und den ersten Wintermonaten wiederfindet, von einer neuen Infiziruug heniihrcn, oder ob sie nur an den Kopfen von Neuem gesprosst siud. EscHRiCHT (5) fand, dass Bothr. punctatus zu gewissen Zeiten alle Glieder abstosst, und dass nur die Kopfe in den appendices pyloricae des ihn beherbergenden Fisches zurtickbleiben ; dieselben erzeugen gegen den Winter hin neue Glieder, in denen sich jedocli erst im Friihjahr neue Geschlechtstheile ausbiiden. Es ware das also ein ganz ahnlicher Vorgang wie der von mir beobachtete, mit dem alleinigen Unterschied, dass bei Bothr. rugosus die Bildung geschlechtsreifer Glieder bereits im \Yinter stattfindet. Man wird kaum fehlgehn, diese Periodicitiit in der Eiablage auf Anpassung an aussere Einfliisse zuriickzufiihren. Viele Bothriocephalen erzeugen zu j e d e r Jahreszeit Eier , wie z. B. B. latus und auch der in Fischen vorkommende Trianophorus; die Bedingungen zu ihrer Entwicklung werden wol jederzeit die- selben sein. Bei andern dagegen und namentlich bei solchcn, die in Fischen schmarotzen (B. rugosus, B. punctatus), findet die Ablage der Eier nur in bestimmten Monaten statt. Das Aus- schlupfen der Embryonen wird abhangig sein entweder von Eigen- thiimlichkeiten des ersten Wirthes selbst (Laichzeit etc.) oder wird zusammenhiingen mit gewissen Eigenschaften oder Lebcns- verhaltnissen des nachsten, so dass dadurch gerade nur zu einer gewissen Zeit die giinstigsten Chancen fiir die Entwicklung und das Einwandern der Larven vorhanden sind. Die eben gebildcten Eier besitzen anfangs eine fast glashelle Schale. Im Laufe der Entwicklung, die o bis 6 Monate in An- spruch ninimt, vergrossert sich ihr Volunien ausserordcntlich. Ein derartiges Wachsthum hat bereits K()Llikei{ (6) bei den Eiern von Bothr. proboscideus bcmerkt, ebenso wie audi ich (43) bei Distomum cygnoides, wo die Embryonen ihre Entwicklung Die crabryonalo Entwicklung der Bothriocephalcu. 529 aiich ini miitterliclieii 'i'hier selbst beenden, cine bedeutende Grossun- zunahnie gefuuden habe. Die Eier stellen eine langliche Ellipse dar, und nahe dem eineii Pol zeigt die Schale eine knopfartige Veidickung, die WACt- NER (12) falschlich fiir eincn Dcckelapparat halt. Im Laufe der Ent\Yicklung vvird die Schale betriichtlich diinner, sodass sie schliess- lich nur noch als eine ganz fciiie Meml)ran erscheiut, und gleich- zeitig wird sie etwas dunkler getarbt. Benierken^werth ist cs, dass die Entwicklung bei alien Eiern eines Thieres gleichen Schritt halt. Die Tanieneier bleibeu ja auch bis zu ihrer Reife ini Bandwurmkorper ; wahrend man aber bei diesen von den jiingsteu bis zu den iiltesten Proglottiden fortschreitend innerhalb derselben sammtliche Entwicklungs- stadien beobachten kann , findet man bei Bothr. rugosus zu einer bestimraten Jahres/eit auch immer nur ein b e s t i m m t e s Stadium. Dasselbe bericbtet Eschkicht von Bothr. punctatus; auch hier stehn die Eier in der Ausdehnung des ganzen Thiers auf ein und demselben Reifestaudpunkt. Innerhalb der Schale befindet sich die verhaltnissmassig grosse Eizelle, die bald rund (Taf. VII Fig. 3) bald elliptisch sein kann (Taf. VII Fig. 1, 2). Ebenso ist ihre Lage wechselnd. Bis- vveilen liegt sie dicht an einem Eipol (Taf. VII Fig. 3, 5), haufig aber auch in der Mitte. Im lebeuden Zustand ist sie glashell, und man erkennt in ihr nur den glanzendeu Nukleolus, der bis- weilen auch in doppelter Zahl vorhanden ist, wahrend man den sehr grossen Kern fast nur mit Reagentien zur Anschauung briugeu kann. Der iibrige , weitaus grossere Theil des Eis wird von dem Nahrungsdotter augefiillt, der aus mehr oder minder grossen Korn- chen und kleinen stark lichtbrechenden, durch Osmium sich inten- siv schwiirzenden Kugelu besteht und selten mehr im frischen Zu- stand seine Entstehung aus Dotterzellen erratheu lasst. Alleiu durch P'arbung lassen sich nach dem Herauspressen noch Kerne in der Dottermasse nachweisen. Nur sehr selten kann man neben der Eizelle auch noch vollig intakt erhaltene Dotterzellen beobachten (Tuf. VII Fig. 3). Als erstes Zeichen der bcginuenden Entwicklung erscheint in der Eizelle ein grosser Amphiaster (Taf. VII Fig. 4) ; es ist iiber- haupt mit Hiilfe von Essigsaure leicht, sich von dem Auftreten von Kernspindeln zu uberzeugen , so lange die Furchungszellen noch uicht zu klein sind (Taf. VII Fig. 1). Ausserdem habe ich bisweilen 530 "Dr. H. Schauinslaud, Eier gefuiiden, bei denen in der Keiiiizellc neben eiuer grosserii steiiiforniigen Figur eine kleinere sichtbar war (Taf. VII Fig. 5). Es ist vielleiclit moglich, dass letztere noch von dem eingedrunge- nen Spermatozoid herrtthrt, und dass wir es hier also mit dem iiiiiimliclien und weiblicheu Kern zii thun haben, obgleicb ich das nidit niit Bestimmtheit behaupten mochte. Jedenfalls zeigte die noch ganz wciche Beschali'enheit der Schale bei diesen Eiern es an, dass sie eben erst gebildet worden waren. Nur in einem Fall habe ich an dem einen Pol innerhalb eines Eis zwei kleine Kiigelchen bemerkt (Taf. VII Fig. 6), die man als Richtungskorperchen an- sprechen konnte. Bei der grossen Menge des Nahrungsdotters •\verden dieselben wohl meistens von ihm vollig verdeckt werdeu, wie es denn auch wegen dieses Umstands nicht moglich ist, sich ein ganz genaues Bild von dem Furchungsvorgang zu machen; ein Theil der Furchungskugelu wird stets von dem undiirchsich- tigen Dotter eiugehiillt. Man ist jedoch im Stande, sich davon zu iiberzeugen, dass die Furchung im Ganzen eine regelmassige ist, wenngleich es auch nicht gelingt, ein bestimmtes Gesetz, nach dem sie verlauft, zu erkennen. Jedenfalls kann man 2, 3, 4, 5 etc. und iiberhaupt jede beliebige Anzahl von Furchungselementen beobachten , die untereinander an Grosse vollig gleich sind, bis ihre Menge so be- deutend, ihre Grosse so gering wird, dass es nicht mehr moghch ist, ihre Zahl genau zu bestimmen. Nur eine Zelle macht sich bereits in ganz friihen Stadien der Furchung vor alien andern bemerklich. Sie ist dicht an dem einen Eipol gelagert und erscheint meistens in der Form einer Halbkugel (Taf. VII Fig. 7). Auch ihre Grosse iibertrili't hiiufig die der iibrigen Embryonalzellen , aus deren Verbande sie sich schon friihzeitig losgelost hat. Sie nimmt an der weitern Furchung keinen Theil mehr, sondern umwachst, indem sich ihre Kander ganz diinn ausziehn, die Embryonalzellen sowohl als auch den Nahruugsdottcr , wobei sie die Form einer Kalotte annimmt. In den moisten Filllcn tritt dann an dem andern Pol eine ebenso gestaltete Zelle auf, die wahrscheiulich aus der Theilung der ersten hervorgegangen ist, und nun umhiillen diese beiden Zellen den gesammten Eiinhalt (Taf. VII Fig. 7, 8). Anfangs liegen sie den iibrigen Embryonalzellen (Taf. \TI Figur 8, 9, 11) dicht auf, und erst etwas spater kann man einen trennendcn Si)alt zAvischen ihnen licmei'ken , welcher nanientlich durcli den Einliuss von Keagentien klar hervortritt (Taf. VII Fig. 10, Die erabryonale Enlwicklung der Bothriocephalen. 531 12, 18, 14) iind der beweist, dass eine vcJllige Soiidorung stattgo- funden hat in cine iimere Zellenmassc , welche alleiii zuiii Aiifbau des Embryos dient und in die wenigen peripheren, umhiillenden Zellen. Letztere werden niir ziir Bildung einer embryonaleu Hiille verwendet, die ich gleicbfalls, wie icb es bereits bei der Entwick- lung der Treniatoden gethan habe, „Hullmenibran" nennen Avill. Es ist wobl zvveckraassig, den Aiifl)au und das Schicksal der- selbeii l)(!i-eits jetzt vorgreifend zu schildern, ohnc dabei auf die iibrigen Entwickluugsvorgiinge Riicksicht zu nebmen. Obgleicb in der Kegel meistens nur 2 Hiillzellen vorhanden sind (Taf. VII Fig. 7, 8, 11, 12, 25 etc.) — an jedem Pol eina — , so kr)nnen docb nicbt sclten Abweicbungen davon vorkomnien. Erstens konnen allc beide an dem einen Eipol liegen und an dein andem gar keine (Taf. VII Fig. 18, 24); dann aber sind auch haufig drei vorhanden, die entweder so gelagert sind, dass an dera einen Ende des Eis zwei, an deni audern eine sich befindet (Taf. VII Fig. 14, 19), Oder, was seltener der Fall ist, die dritte riickt weiter voni Eipol hinweg (Taf. VII Fig. 13). Das Protoplasma jener Zellen ist ausserordentlich klar und fast ganzlich kornerfrei. Der grosse Kern ist ira Leben nur sehr schwierig bei diesen jungen Stadien aufzufinden, dagegen tritt das recht ansehnliche Kernkorperchen als ein heller, stark lichtljrechender Fleck sehr deutlich hervor. Ein klares Bild des Zellkorpers bekomnit man iiberhaupt nur durch Hartung des Eis, namentlich durch Osmiumsaure, wodurch die Zellgrcnzen deutlicher werden, und das ganz durchsichtige Proto- plasma et^Yas kornig gerinnt; Zusatz von Essigsaure bringt auch den Zellkern zur Anschauung. Letzteres gelingt noch besser durch Sublimat, wodurch der Xukleus ganz dunkel und granulirt wird (Taf. VII Fig. 15). Im Laufe der Entwicklung wird der Protoplasmainhalt der Zellen iramer geringer, dagegen tritt der Kern desto deutlicher hervor; er nimmt bedeutend an Grosse zu, und seine Contouren werden sehr scharf. VYegen seiner auffalleudeu Grosse und da- durch, dass man jetzt den zu ihm gehorigen Zellkorper n u r noch mit Hiilfe von Reagentien nachweisen kann , macht er in diesem Stadium mit seinem Xukleolus ganz den Eiudruck einer Zelle (Taf. VII Fig. 15, 18, 10). Ich habe mich in der That lauge Zeit hindurch tiiuschen lasseii , habe das, was nur Kern war, fur eine richtige Zelle und den Nukleolus fiir den Xukleus gehalten. Erst dadurch, dass ich die vorhergehenden Stadien untersuchte und 532 Dr. H. Schauinsland, die allmahliclie Vei'aiiderung der Zellen und der Kerne beobachtete, wurdc icli von der Irrthiimlidikeit dieser Anschauung iiberzeugt. Metsciinikoff (18) hat dicse Riesenkerne in der That fiir Z ell en gehalten. Bei der Entwicklung des Bothr. proboscideus giebt er an, dass sich von den iibrigen Embryonalzellen bald zwei grosse Z e 1 1 e n absondern , die sich an den Eipolen fixiren. Etwas ganz Aehnliches j&ndet iibrigens bei der Entwicklung vieler Tanieu statt. Man vergleiche nur die Abbildungen Leuckaet's (32) von den „Belegzellen" bei den Embryonen der Tania serrata und marginata und die „cellules alburainogenes" die Ed. v. Be- NEDEN (40) bei Tania saginata beschreibt ; auch sie zeigen relativ ganz ausserordentlich grosse, zellenahnliche Kerne. Alhnahlich verwandeln sich nun die ehemaligen Zellen vollig in eine diinne, ganz durchsichtige Membran, die den Embryo mit etwaigen Dotterresten einhiillt (Taf. VII Fig. 17, 20 — 28). Anfangs ist es mit Hiilfe von Reagentien, wenn auch schon langst die Zellgi'enzen verschwunden sind, noch moglich, in derselben Proto- plasmareste nachzuweisen, was spater auch vergeblich ist. Lange Zeit hindurch behalten die Kerne ihre eigenthiimliche Beschaflfenheit , erst zum Schluss der Entwicklung werden sie riickgebildet , indem sie kleiner werden und dann oft vollig ver- schwinden , oder nur durch Tinktionen aufzufinden sind. Auch die Membran selbst nimmt an der Ruckbildung theil ; sie wird allmahlich diinner , und es bereitet oft Schwierigkeiten , sie beim vollig reifen Embryo noch nachzuweisen. Erwahnenswerth ist es noch, dass es bei solchen Embryonen haufig den Anschein hat, als liigen die Kerne der Hiillmembran theilweise ausserhalb derselben (Taf. VII Fig. 24, 25) und als waren sie nur zum Theil gleichsam in sie hineingedruckt. Ich muss gestehn, dass ich ubcr diese Erscheinung keine genugende Rechenschaft geben kaun. Es ist nur moglich, dass doch ein Theil der Membran vollig iiber sie hinwegzieht, und dass derselbe an frischeu Eiern deswegen nicht zu sehn ist, weii er ganz dicht und fest den Kern umgiebt, sodass er scheinbar mit der Kontour desselben zusammenfiillt. Jedenfalls ist es sehr leicht, sich an geharteten Eiern davon zu iiberzeugen, dass der Kern stets ganz innerhalb der Hiill- membran liegt. Namentlich an jungen Stadien, in denen sich noch ein Ueberrcst des Protoplasmas der die Membran zusannnen- setzenden Zellen besonders im Umkreis der Kerne erhalten hat, bckommt man in dieser Ilinsicht die instruktivsten Priiparate. Das Protoplasnia schrumpft hier uilmlich leicht und zieht sich Die embryonale Entwicklung der Bothriocephalcn. 533 etwas von der Membran zuriick, wobei es auch den Kern mit- nimmt (Taf. VII Fig. 22). Metsciinikoff (18) hat iibrigens die Hiillnienibran bei Bothr. proboscideus , der offenbar genau dieselbe Entwicklujig hat wie Bothr. rugosus, vollig iibersehn, obgleich er, wie oben erwahnt* die dazu gehorigen Kerne benierkt hat, iim so wunderbarer, well sie namenthch bei ganz jungcn Enibryonen auf den ersten Blick zu sehen ist. — Wagners Abbildung unseres Embryos zeigt ebenfalls kcine Andeutung von ihr. Innerhalb der Hiinniembran entwickelt sich der Embryo. Xachdem sich die Hiillzellen aus dem Verbande der iibrigen Era- bryonalzellen gel()st haben, urn nicht weiter an der Furchung theilzunehmen, zcrfallen letztere immer mehr und mehr. Schliess- lich entsteht ein Haufen von kleinen blassen Zellen, der eine ganz regelmassige Kugelgestalt annimmt, wahrend er fruher mehr el- liptisch war, indem er sich der Form der Eischale anpasste. Der noch vorhandene Nahrungsdotter schwindet bei diesem Vor- gange bis auf einen kleinen Rest. Mittlerweile hat auch das ganze Ei bedeutend an Umfang zugenoramen, und wenngleich auch das Volumen der Embryonal- zellenmasse sich ebenfalls betrachtlich vergrossert hat, so ist das doch nicht proportional der Grossenzunahme der Eischale ge- schehen. Daher kommt es, dass jetzt zwischen der Eischale und der Hiillraembran einerseits und dem kugeligen Embryonalzellen- haufen andrerseits ein weiter Zwischenraum da ist, der friiher nicht vorhanden war (Taf. VII Fig. 16 ft.). Die Grossenzunahme des Embryo kann iibrigens nicht nur durch die Absorption der geringen Menge von Xahrungsdotter erfolgen, sondern dieselbe muss dadurch hervorgerufen werden , dass durch die Eischale hin durch ernahrende Substanzen aus dem miitterlichen Korper diffiindiren. Der nachste wichtige Vorgang bei der Weiterentwicklung ist die Difterenzirung zwischen Ektoblast und Entoblast. Auf der Oberflache der kugelformigen embryonalen Zellmasse erscheint eine Zelle, die derselben kapuzenformig aufsitzt und meistens so gelagert ist, dass sie in der Langsaxe des Eies sich befindet. Ihre Bander sind ganz diinn und flach, wahrend sie an der Stelle, wo der Kern liegt, erheblich nach Aussen hin gewolbt ist. Sie beginnt die iibrigen Embryonalzellen zu umwachsen, in- dem sich ihre Bander ebenso, wie wir es bei der Bildung der Hiillmembran bereits gesehen haben, wieder in eine dunue IMem- 534 Dr. H. S c h a u i n s 1 a n d , bran ausziehn, in der bald das Auftreten von ahnlichen, nur nicht so stark gewiUbten Zellen, wie die erste zii Ixinicrken ist. Oefters findet man diese Zellen nicht einzeln, sondern paarweise ganz dicht nel)cn einander gclagert vor (Taf. VII Fiu. 20). Ist die Ei)ibolie vollendet, so haben wir eiue geschlosscne, nur aus \Yenigoi] Zellen gebildete Merabran vor uns, deren Oberflacbe wellenformig aussieht, eine Erscbeinung, die dadurch bervorge- riifen Avird, dass, Avie obeu bereits benierkt, die Zellen an den Stellen , wo der Kern liegt , reicber an Protoplasma und daber gcwolbter sind. Der Embryo bestebt nun aus einem einscbicbtigen Ektoblast und aus einem voluminosen , soliden Entoljlast. Die Weiterentwicklung des ersteren gebt derartig von Statteu, dass die Wollnmgen der einzelnen Zellen verstreicben (Taf. VII Fig. 21), und dass ibre Grenzen , die aucb bereits vorber ausserst undeut- licb waren, vollig verscbwinden. Scbliesslicb entwickelt sicb aus den ebemaligen einzelnen Zellen eine niantelartige Hiille, die aus zwei cutikulaartigen Lamcllen bestebt (Taf. VII Fig. 22 — 28), einer iiusseren, der Hiillmembran zugewandten, und einer dem Entoblast aufliegenden. Der Vorgang selbst wird am besten aus der Be- tracbtung der Figuren 20—28 klar, die einzelne Stadien bei der Umbildung der Ektoblastzellen in diese doppelscbicbtige Hiille darstellen, ohne die sehr mannigfaltigen, ganz allmablicben Ueber- gange zu bcriicksicbtigen. Anfangs sind die beiden Lamellen nur durch einen ganz feinen Spalt getrennt, welcber allein an denjenigen Stellen, an welcbcn die Kerne der ebemaligen Zellen liegen, weiter auseinan- derweicbt (Taf. VII Fig. 22). Allmablicb wird der Zwiscbenraum zwiscben ibnen aber inimer bedeutender und fiillt sicb mit einer grossen Menge von Korncben und stark licbtbrecbenden Kiigel- cben an. In dieser Masse liegt ganz regelmassig vertbeilt eine ziemlicb betriicbtlicbe Anzabl von Kernen, die aus der Tbeilung der ebemaligen Zellkerne hervorgegangen sind (Taf. VII Fig. 2.')). Der Embryo gewiibrt jetzt das Bild zweier Kugeln, von denen die eine solide in einer andern steckt, welcbe bis auf eine diinne Rinde ausgebiiblt ist. Die erste stellt das Entoderm , die zweite das Ektoderm dar. Die kugelformige Gestalt des Embryo gebt im Verlauf der weitern Entwicklung allmablicb in eine mebr elliptiscbe (Taf, VII Fig. 25) und scbliesslicb in eine birnformige uber (Taf. VII Fig. 2C) — 28), wobei er nocb immer eine Grosscnzunabme crfabrt, und zwar ist diese im Gegensatz zu friiber jetzt betriicbtlicber >vie die Vcrgrosserung der Eiscbale. Dcnn wiibrend jene iViUier Die orabryonale Entwicklung dor Bothviocephalon. 535 weit von dem Embryo abstand, wird sie ziim Schliiss vollig von ihm ausgefiillt. Hauptsiichlich tragt zu dieser Volunizunahnie die enonnc Entwicklung der ektodernialen , mantc^lartigon Hiille bei. Dieselbe fiillt sich niinilich ininier melir iind nichr mit einer kor- nigen Siibstanz an, wobci die beiden Lamellcn immer weiter aus- einanderriicken (Taf. VII Fig. 25 — 28.) Nanientlich nimnit die iiussore ausserordentlidi an Umfang zu, und schliesslidi beginnt sie sich in Ealten zu legen ('J'af. VII Fig. 27, 28), weil einer weitern Ausdelmung die Eischale sonst ein Zicl setzen wiirde. Diese Faltenbildung ist librigeus hilufig noch viel bedeutender, wie es auf den Abbildungen ersichtlich ist. Gleichzeitig mit diesen Vorgjingen findet eine immer weiter fortschreitende LiJsung des Zusammenlianges der mantclartigen Hiille von dem eigentlichen Embryo statt, obgleich derselbe bereits von Anfang an eine lockere gewesen ist. Schon in dem Stadium, das Fig. 23 darstellt , kann man bemerken , dass sich die ektodermale Hiille mit ihren zwei Lamellen bereits vollig vom Entoblast ab- gelost hat. Spater wird dieser Spalt immer bedeutender, so dass cr sich auch bereits an frischen Eiern nachweisen liisst (Fig. 25), obgleich er erst an gehiirteten mit ausserordentlicher Deutlichkeit hervortritt. Nachdem wir so das Schicksal des Ektoblast verfolgt haben, bleibt uns nur noch iibrig, die Weitereutwicklung des Entoljlast mit einigen Worten zu l)esprechen. Wie schon erwahnt, baut sich der eigentliche Embryo a lie in aus ihm auf, und zwar so, dass das- selbe anscheinend gar keinen bedeutenden Veranderungen unterliegt. Das Entoblast verliert seine kugelformige Gestalt, wobei sich seine Zellen durch fortgesetzte Theilung vermehren und klehier werden, und es wird gleichsam kompakter, indem die Zellen in eine innigere Verbindung mit einander treten. Bald darauf erscheinen die ersten Andeutungen der Hakchen, und zwar bemerkt man zunachst nur das gekriimmte Ende, wahrend der Stiel erst allmahlich zu seiner volligen Grosse auswiichst. Trotzdem ich mich recht bemilht habe, etwas Naheres liber die Art und Weise der Entwicklung der Hakchen zu beobachten, so ist es mir trotzdem wegen ihrer geringen Grosse nicht gelungen. Auch sie liegen, wie es bei alien ul)rigen Cestodenembryonen der Fall ist, =zu je zwei in drei Gruppen angeordnet und zwar an dem stumpferen Ende des Embryo. ^'icht lange nach dem Erscheinen der Hakchen beginnen l)e- 536 Dr. H. Schauinsland, reits leise Kontraktionen am Embryo sich bemerkbar zii machen, die zum Schluss der Entwicklung immer leljhafter werden. Der ganz reife Embryo fullt das Ei vollig aus, womit audi eine Riickbilduiig der Hiillmembran iiii Zusammenhaug stelit. Nur in selteiicu Fallen kann man sie jetzt nocli bemerkeu und die Reste der eliemalig so grosseu Kerne durch Farbung auffinden (Taf. VII Fig. 28). Ebenso ist es schv/er, die Kerne in dem Ekto- blastmautel nachzuweisen , weil sie unter der Masse des groben, gekornten Protoplasmas , die ihn erfiillt, verschwinden. Gelingt es trotzdem durch Tiuktion, so sieht man, dass sie im Gegensatz zu frtiher an Zahl bedeuteud abgenommeu haben und otfenbar in einer Riickbildung begriffen sind. Innerhalb seines Mantels bewegt sich vollig frei und unab- hangig von ihm der Embryo recht lebhaft. Die weitern Schicksale der Larve sind mir unklar geblieben. Wenngleich ich ofter den Versuch gemacht habe, ganz reife Em- bryonen im Wasser zum Ausschllipfen zu bringen, so ist es mir trotzdem nie gelungen. Ich lasse es daher unentschieden, ob die- selbeu wirklich im Wasser die diinne, ungedeckelte Eischaale durchbrecheu , oder ob sie vielleicht mit derselben in den Ver- dauungskanal irgend eines Thieres gelangen, um in diesem erst frei zu werden. Trotzdem glaube ich, dass die erste Annahme mehr Wahrscheinlichkeit besitzt. Einerseits namlich ware es mogiich, dass die Embryouen, welche ich fiir meine Versuche benutzte, doch noch erst einige Zeit im miitterlichen Korper batten ver- weilen miissen, um ausschllipfen zu konnen, obgleich sie durch ihre stiirmischen Bewegungen im Ei, durch das Verschwinden der Hiillmembran etc., ganz den Eindruck der Reife machten, andrer- seits ware ich auch sonst nicht im Stande, mir die Bedeutung des Mantels zu erklaren, der den Embryo einhiillt. Er ist allerdings nicht mit Flimmern besetzt und kann daher nicht dazu dienen, dass der Embryo mit seiner Hiilfe aktiv in ein \\'ohnthier einwandert — die Uebertragung wird stets eiiie passive sein — , er hat jedoch die Fixhigkeit, im Wasser sich zu eineni bedeutenden Umfang aufzubliihen. Sobald ich Eier mit reifen , noch lebenden Embryoneu durch leisen Druck mit dem Deckglaschen zum Platzen brachte, so blahte sich die iiussere, l)is dahin gefaltete Lamelle des Mantels zu einer Kugel niuf , die den Embryo an Durchmesser mehrere Male iibertraf, iudem sich die zwischen den beiden Lamellen gelegenc kornerreiche Proto- Die embryonale Entwicklung der Bothriocephalen. 537 plasraamasso (lurch reicliliche Wasseraufnahme in hohem Grade verfliissigte. Ich iiolimc ah, class dieses aucli uuter reguliiren Verhaltnisseii beini Aiisschlupfen der Fall sein wird; der Embryo erliiilt dadiirdi ein Floss, das ilin, zumal sein spezifisches Ge- wiclit wohl nahezu dem des Wassers gleichen wird, langere Zeit hindurch in demselben, und wenn auch nur ganz nahe dem Boden, flottirend orliiilt, so dass dadurcli die Walirsclieinlichkeit, von einem Thier gcfresson zu werden, eiuc sehr viel grdssere wird, als wenn er obne die Hulle sofort zu Boden sinken und dort vom Schlamm bedeckt werden wiirde. Dieser flimmerlose Mantel ist vielleiclit eine Anpassung an die Erniihrungsweise seines Wirtbes, da es ja in der That viele Fische giebt — und in solche wird er doch wahrscheinlich einwandern — , die dicht am Boden hinschwimmend dort ihre Nahrung suchen. Etwas Aehiilichcs finden wir ja auch bei vielen Tanien, welche an Stelle der cliarakteristischen , sekundaren Chitinschale eine eben solche Hiille erhalten wie unser Bothriocephalus. Ich selbst habe eine Tanie aus der Ente untersucht, deren Embryonen einen derartigen diinnen Mantel besassen, welcher sich ebenfalls im Wasser enorm aufbliihte , und erinnere niich , dasselbe bei der Tania torulosa der Cyprinoiden gefunden zu haben. Bei beideu gelangen die Larven ins Wasser; die sonst harte, feste Chitin- schale hat sich in Folge dessen zweckentsprechend gemiiss dem andern Medium auch anders ausgebildet. Die Entwicklung von Bothr. pro])oscideus zeigt nach der METSCHNiKOFF'schen Beschreibung so viel Aehnlichkeit mit der von Bothr. rugosus, dass man bestimmt annehmen kann, sie ver- laufe bei diesen beiden Arten genau in derselben Weise; es ist sogar moglich, dass sich die Entwicklung sammtlicher flimmer- loser Bothriocephalen nach diesem Typus vollzieht. MoNiEZ (31), welcher auch einen Bothriocephalus aus dem Lachs, wahrscheinlich ebenfalls Bothr. proboscideus , untersucht hat, behauptet, dass die Meml)ran, welche aus der peripheren Zellage entsteht (nicht die Hullmembrau, denn deren Existenz blieb auch ihm unbekannt), bald einer Degeneration anheimfalle, wobei er jedoch wahrscheinlich im Irrthum ist, da Metschnikoff etwas Derartiges nicht mittheilt, und es auch aus der Analogie mit Bothr. rugosus nicht anzunehmen ist. Bd. XJX. N. F. XU. as 538 Dr. H. Schauinsland, Bothriocephalus latus. Litteratur: Schitbart (10), Bektolus (16), Enoch (14), Leuk- KAET (15), MoNiEz (31), Braun (34, 35, 37). Cf. oben den Littera- turnachweis. Das meiste Material fiir meine Untersuchungen erhielt ich aus der Gegend des kurischen Haffes. Obgleich ja Bothr. latus iiberhaiipt in dcm Kiistengebiet der Ostsee weit verbreitet ist, so koramt er gerade hier in ausserordentlicher Haufigkeit vor. Nacli glaubwurdigen Mittheilungen soil auf der kurischen Nehrung kaum einer der dort wohnenden Fischer frei von diesera Bandwurm sein. Es ist das leicht erklarlich, wenn man weiss, dass diese Leute haufig Fische in vollig rohem Zustande verzehren, uud darunter namentlich auch Quappen und Hechte, die ja nach den Untersuchungen Braun's (34, 35, 37) als die Trilger der Larven- form dieses Bothriocephalus anzusprechen sind. Ich selbst habe in jener Gegend gesehen , dass die Eingeweide der Quappen, namentlich die appendices pyloricae uur schwach getrocknet als Medikament gegen Magenbeschwerden angewendet werden. Die Haufigkeit des Parasiten kann daher nicht wunderbar erscheinen. Sobald man den frischen Bandwurm in Wasser legt, so giebt er schon eine grosse Menge Eier von sich. Um sich von diesen noch grossere Quantitaten zu verschalTen, muss man ihn der Lange nach durchschneiden und ihn im Wasser darauf tiichtig schiitteln, wobei dann fast alle Eier aus den augeschnittenen Uterusschlingen herausfallen. Reinigt man dieselben durch haufiges Schlemmen recht sauber und erneuert recht haufig das Wasser, so ist cs leicht, die uberwiegende Anzahl derselben zur vollen Entwicklung zu bringen. DoNNADiEU (29) hat bei Ligula bereits auf den Einfluss der Temperatur bei der Entwicklung aufmerksam gemacht. Und in der That ist dieselbe von grosser Bedeutung. Bertolus (16) giebt die Dauer der Entwicklung noch auf acht Monate an; ich habe dagegen bereits schon nach Verlauf von 10, hochstens 14 Ta- gen die Embryonen ausschliipfen sehen bei kiinstlicher Erhohung der Temperatur, die ich bisweilen die ganze Zeit hindurch auf 30-35« erhielt. Die Eier besitzen eine dicke, braune Schalc und haben einen kleincn Deckel, der namentlich zum Schluss der Entwicklung deut- lich wird. Im Gegensatz zu Bothr. rugosus enthalten sie eine grosse Menge Nahrungsdotter und nehmen nicht an Grosse zu. Die embryonale Entwicklung der Bothriocephalen. 539 wie alle Bothriocephaleu , die ihre Entwicklung nicht im miitter- lichen Korper sondern im Wasser durchmachen. Die Eizelle ist dahcr auch nur itusserst selten uuter der Menge von Dotterzellen aufzufindeii, da sie meistens vollig von ihnen verdeckt ist. Letz- tere bleiben noch langere Zeit hindurch intakt und im Besitz ihres Kerns. Erst allmahlich werden sie , eine nach der andern , riick- gebildct und von den Embryonalzellen absorbirt. Eine ganz eigenthiimliche Anschauung von dem Ei besitzt MoNiKz (31). Er hiilt die Eischale bier wie iiberhaupt bei alien Bothriocephalen fiir eine „Dottermembran". Wiihrend er neben der Eizelle bei den iibrigen Bothriaden nur feine Dotter k o r n e r , dagegen keine Dotterzellen gesehen hat, findet er bei Bothr. la- tus in der That zellenartige Gebilde. Er hiilt dieselben nun aber nicht etwa fiir wirkliche, sondern fiir „f also he Zellen". Ihre Bildung ist eine sekundiire, indem sich die einzelnen Kornchen, wie sie die „dotterbildenden Follikel" liefern, nach dem Entstehen der Schale inner ha lb derselben nachtraglich „koalesci- ren" und so den falschen Zellen ihren Ursprung geben. Das Vorhandensein eines Kerns hat fiir ihn dabei nichts Ueberraschen- des (!) ; dieses Element findet sich koustant in den falschen Zellen. Ohne Priiparation ist es kaum moglich, sich ein klares Bild von den Entwicklungsvorgiingen zu machen ; man sieht an frischen Eiern nur das Auftreten einer hellen Stelle inmitten der Dotter- zellen, eine Erscheinung, die mit dem Auftreten der Embryonal- zellen zusammenhiingt, die immer welter an Umfang zunimmt, bis aus ihr der kugelige Embryo entsteht (Taf. VII Fig. 29, 30, 35). Ein genaueres Studium gelingt nur an geharteten Eiern , deren Deckel durch leisen Druck geoflfnet wurde, sodass sie gefiirbt wer- den konnten. Aber selbst bei dieser Methode ist es schwer, iiber die ersten Vorgange klar zu werden, well dann der Nahrungs- dotter noch zu miichtig ist. Nur in ganz vereinzelten Fallen ge- lang es mir, solch' ein klares Bild wie Fig. 31 auf Tafel VII zu er- halten. Mitten in den Dotterzellen finden wir hier drei Embryonal- zellen, auf denen eine vierte kapuzenformig daraufsitzt, und an der Peripherie des ganzen Eiinhalts bemerkeu wir einige wenige Zellen, die sich sowohl durch ihre Form als auch durch ihre durchsichtige Klarheit deutlich von den Dotterzellen , denen sie aufliegen , unterscheiden. Sie sind es , die die Hiillmembran zu- sammensetzen, welche auch hier zur Ausbildung gelangt. Sic ist zwar lange nicht so deutlich wie bei Bothr. rugosus und sehr viel 35* 540 Dr. K. Schauinsland, zarter und diinner wie doit, trotzdeni aber stets, selbst iioch an den Eiern, in denen bereits reife Embryonen liegen, nachzu- weisen (Taf. VII Fig. 32, 33, 34, 35), was naraentlich dann Iciclit ist, wenn sich dei- Eiinhalt durch Scbrumpfung etwas von ihr zu- luckgezogen hat. (Fig. 32 — 34). Den Ursprung der Hiillmembran konnte ich nicht nachwei- sen; ich glaube aber trotzdem nicht fehlzugehen, wenn ich nach Analogie mit Bothr. rugosus annehme, dass sich auch hier selir friihzeitig eine Zelle aus dem Verbande der iibrigen Erabryonal- zellen loslost, durch die Dotterzellen hindurch an die Oberflache riickt und dann unter alhnahlicher Theilung den gesammten Ei- inhalt umwiichst. Von den iibrigen vier Embryonalzellen reprasentirt die kapu- zenforniige das Ektobhist, die drei iibrigen das Entoblast; es findet hier also viel friiher eine Sonderuug in die beiden Keinil)latter statt wie bei Bothr. rugosus, bei dem der Erabryonalzellenhaufen bereits eine betriichtliche Grosse erlangt hatte, bevor sich an ilini das eigentliche Ektoblast ausbildete. Die kapuzenforinige Zelle umwachst die Entoblastzellen, dercn Zahl bald eine bedeutendere wird, vollig, wobei sie selbst in meh- rere zerfallt. P^s kommt so schliesslich ein Stadium, wie das auf Fig. 32 abgebildete, lieraus, das sehr dem entsprechenden von Bothr. rugosus (Fig. 21) ahnelt, wenn man die Verschiedenheiten in der Ausbildung der Hiillmembran und des Xahrungsdotters unberucksichtigt lasst, nur dass hier die Ektoblastzellen eine etwas stiirkere Wolbung zeigen. In diesem Zustand der Entwicldung gelingt es nicht selten, den Embryo vollig unversehrt aus den ihn umgebenden Dotter- zellen und der Eischale herauszupressen. An derartigen Priipa- raten kann man namentlich die weitere Umbildung des Ektoblast verfolgen, zumal wenn sich dasselbc stellenweise voni Entoblast etwas abg(!hoben hat. Fig. 36, 37, 38 auf Taf. VII werdeii diese Vorgiinge erlilutern. Aus den anfangs nur durch die ganz diinn ausgezogeiieii Kiinder zusammenlulngenden Zellen (Fig. 36) eiitsteht ganz alhniililich ebenso wie bei Bothr. rugosus auch hier ein Man- tel, der aus zwei Lamcllen zusammengesetzt ist, zwischen denen eine Menge grobkornigen Protoplasmas mit einer grossen Anzahl von Kcrnen sich befindet. Zuerst sind nur die wenigen urspriing- lichen Kerne des Ektoblast vorhanden (Taf. VII Fig. 37); aber bald vernK^hreii sich (liesell)en bedeutend , und da sie ziemlich gross sind, so buchtet sich die ausserc Lamelle um jeden derselben etwas Die embryonale Entwicklung dur Bothriocephtilcn. 541 lieraiis, sodass dor Mantel aiifaii^s iiiit klcincii Buckcln besctzt or- scheiiit (Ti\i. VII Fig. 38), die erst spiiter verstreicbeii. Sclioii reclit fruh erscheiuen auf dem Mantel kurze, zarte Flimmerhtirchen (Fig. 38), die erst allniahlich an Liinge ziinehmen. Der Flimmermantel wird daher n i c h t , vvie es bis jetzt stets geschildert wurde , aus einer einfachen Membran , sondern aus zvvei niiteinander zusamnienhangenden gebildet. Die anfangs nur in geringer Zahl vorhandencn Entoblastzellen habeu wiihrend dieser Vorgiinge sich bedeutend verniehrt und bil- den eine solide Masse, die schon friihzeitig eiiie regelmiissige Ku- gelgestalt zeigt; und so gewahrt der Embryo schliesslicli denn auch liier wieder das Bild zweier ineinander geschachtelter Kugeln (Taf. VII Fig. 34). Je grosser der Embryo ist, desto geringer wird die Zahl der Dotterzcllen , well sie einem allmahliclien Zerfall uuterliegen. Schliesslicli sind nur noch wenige vorhanden, in deueu sich ein Kern nachweisen liisst (Fig. 33), und auch in diesen wcnigeu wird er ininier undeutlicher als Zeichen der Auflosung der Zellen Fig. 34), welche also fast voUstiindig als Nahrmaterial t'tir den heianwaciiseuden Embryo verbraucht worden sind. Nur wenige melir oder minder grosse Tropfchen und Kiigelchen sind als alleiniger Rest des ehemalig so machtigen Dotters iibrig geblieben, sobald der Embryo seine Reife erlangt hat. (Fig. 35). Die weiteren Entwicklungsvorgange , wenigstens soweit sie sich im Ei beobachten lassen, beschriinken sich hauptsachlicli auf das Wachstlium des Embryos, der dabei seine Kugelgestalt voUig beibehait, und darauf, dass zwischen den beiden Lamellen des Mantels die Ansammlung von protoplasmatischer Masse mit vielen kleinen Kornchen und Tropfchen eine immer grossere wird, sodass sich dadurch ,die bis dahin so deutlich sichtbaren Kerne fast vol- lig der Beobachtung entziehen. Trotzdem bleiben die beiden La- mellen in verhiiltnissmassig geringem Abstand von einander, wah- rend doch bei Bothr. rugosus die iiussere Mantellamelle dabei gewaltig an Umfang zunahm und sich schliesslich iu Falten legte. Nachdem nun noch die drei Hakchenpaare - deren Anlage schon fruhzeitig in Gestalt voii kleinen Hockerchen beobachtet werden kann — , sich vollig ausgebildet, und die Flimmerhaare auf dem Mantel ihre bleibende Grosse erlangt habeu, ist der Embryo reif zum Ausschlupfen. Die Kontraktiouen seines Korpers, welche schon lange vorher zu bemerken waren, werden lebhafter, die Bewegungen der Hak- 542 Dr. H. Scliauinslan d, cheu energischer, und nachdem bereits geraume Zeit hindurch das Spiel der Flimraern vorher sichtbar war, offnet sich dcr Deckel, und der Embryo gelangt ins Freie. In der Eischale bleiben Reste des Dotters zuriick und in einigen Fallen audi nocli die Hull- membran, welche sich bisweilen uoch bis zu dieser Zeit intakt er- halten bat (Fig. 35), wahrend sie meistens schon friiher zu Grunde gegangen ist. — Die ausgeschlupfte Larve schwimmt im Gegen- satz zu audern Bothriocephalenlarven verhaltnissmiissig langsam und gleichmiissig im Wasser dahin, indem sie dabei fortwiihrend um ihre Axe rotirt, eine Bewegungsart , wie sie ja auch bei anderu bewimperten Wurmlarven (Hatschek) vorkommt. Zu be- merken ist dabei iibrigens, dass derjenige Theil des Larvenkorpers, in welchem die Haken liegen — die fast eben so lang siud wie der halbe Durchmesser der eigentlichen Larve exklusive Mantel — wahrend des Schwimmens stets bin ten sich befindet. Trotz der in den meisten Fallen fast ganz regularen Kugel- gestalt der Larve zeigt sie gerade durch die Art und Weise ihres Schwimmens eine Annaherung an den bilateralen Bau. Die Axe, um welche das Thier rotirt, ist nicht etwa beliebig, sondern sie verlauft parallel dem mittleren Hakenpaar, wahrend die audern Paare ganz symmetrisch zu beiden Seiten von ihr liegen. Die wahrend der Rotation gleichzeitig erfolgende Vorwiirtsbewegung findet in der Richtung statt , welche durch die Verlilngerung die- ser Axe gegeben wird (Taf. VIII Fig. 3). Nicht seiten nimmt hierbei der Korper eine mehr langliche Gestalt an, uamentlich an- fangs, wenn das Thier noch recht rasch schwimmt. Die sehr dicht stehenden Flimmercilien zeigen bei Bothr. la- tus eine ganz bedeutende Liiuge, obgleich sie ausserordentlich zart und diinu sind, so dass sie der Beobachtuug Schwierigkeiten ent- gegenstellen. Knock's Abbildungen von ihnen sind voUig falsch, was bereits von Leuckart geriigt wurde. Kurze Zeit nach deni Ausschliipfen weichen die beiden La- mellen des Mantels durch Wasseraufnahme betrachtlich auscinan- der, wobei die Kornchen und Tropfchen der ihn erfiillenden , dunk- len, protoplasmatischen Masse sich anfangs mehr nach der Mitte hin gruppiren, so dass an den beiden Lamellen ein heller Saum entsteht (Taf. VIII, Fig. 1). Die Ausdehnung des Mantels wird, je liinger die Larve im Wasser herumtummelt, desto bedeutender, ohne jedoch dabei eine gewisse Grenze zu iiberschreitcn , wobei scin Inhalt sich inimer mehr und mehr verdiinnt, klarer und durch- sichtiger wird. Gleichzeitig erscheinen dann zarte Protoplasma- Die embryouale Entwicklung tier Bothriocephalen. 543 fiidchen, welchc sich zwischen deii beiden Lamellen ausspannen, an und zwischen dcnen sich die Konichen anordncn. So regehiiassig verlaufen diese Protoplasniafadchcn, dass sic ini Stande sind, Zellgrenzen vorzutiluschen , eiii Irrthum, welcher noch dadurch bestarkt werden kann , dass bei einer Betrachtung der Oberfliiche des Mantels diesclbe durch jene Faden in ganz regehnjissige, nidir oder minder polygonale oder kreisformige Fel- der abgetheilt erscheint (Taf. VIII, Fig. 2 a). Bertolus (16) lasst daher die Flininierliulle aus grosscn, prisniatischen Zellen gebildet sein, und auch Leuckart sagt, dass der Zwischenraum (zwischen der Flimmerracmbran und dem Embryo) von einer Lage heller und verhaltnissmiissig grosser Zellen ausgefullt ist. In der That liegt aber hier nur eine Tiiuschung vor; wirk- liche Zellgrenzen sind jetzt in dem Mantel nicht mehr vorhan- den. Selbst die vorher so zahlreichen Kerne sind bereits zum grossten Theil geschwunden. Nur biswcilen, bei jungen Larven allerdings sogar noch recht haufig, lassen sie sich durch Tiuktion nachweisen, nanientlich dann, wenn durch eine stark lichtbre- chende Flussigkeit die ungefarbten Tropfchen und Kiigelchen fast voUig unsichtbar gemacht sind (Taf. VIII, Fig. 3). In diesem Fall treten dann sowohl die Protoplasniastriinge sehr deutlich hervor als auch eine Anzahl von Kernen. Dieselben sind meistens an den Fiidchen suspendirt, indem sie von ihnen theilweise unispon- nen werden. Die Verbindung zwischen dem eigentlichen Embryo und dem Mantel ist eine sehr lockere. Bereits im Ei konnte man zwischen der innern Lamelle und dem Embryo einen deutlichen Zwischen- raum wahrnehmen (Taf. VII, Fig. 34) ; derselbe wird an den ausge- schlupften Thieren noch bedeutender, und an solchen, die schon lange im Wasser gelebt haben, und bei denen dieser Spalt noch grosser geworden ist, sieht man, dass die eigentliche Larve mit der Flimmerhiille nur durch wenige feine Fadchen zusammen- hangt. Nur eins von diesen ist meistens von betriichtlicher Starke und liegt entweder genau in der Rotationsaxe oder nicht weit von derselben entfernt. Damit correspondirt eine trichterformige Einsenkung der iiusseren Mantellamelle (Taf. VIII, Fig. 3). Dieses erkliirt sich leicht dadurch, dass gerade in diesem Punkt am Larvenkorper wahrend des Vorwartsschwimmens der bedeutendste Zug ausgeiibt wird. An der Larve selbst kann man in frischem Zustande mit 544 Dr. H. Schauinsland, Ausnaliine der Haken kauiii weitere Diffcrcnzirungen entdecken; an Osmiumsilurepraparateu dagegen sielit man dcutlicli, dass sie von zvveierloi verschicdenen Zellenarten aufgebaut wird. In der Mitte licgen recht ansehuliche, grosse Zelleu (Taf. VIII, Fig. 3) niit grossen, runden Kernen, wiilirend nalie an der Peripherie kleine vorhanden sind, die haufig spindelformige Nuklei besitzen. Diese Sonderung in cine centrale Masse und eine Rindenscliiclit ist aber uicht so strenge, dass die letztere vielleicht eine Art Epi- thel bildet. Das ist nicht im geringsten der Fall, im Gegentheil, man findet haufig, dass sich sogar die kleinen Zellen zwischen die grossen einschieben. An Macerationspriiparaten beobachtet man uicht selten Zel- len, welche feine verastelte Auslaufer besitzen, von denen ent- weder nur einer oder zwei oder noch mehrere vorhanden sind. Man wird nicht fehl gehen, dieselbeu fiir Muskelzellen zu halten, wiilirend einige von ihnen allerdiugs auch mehr den Eiudruck von Bindegewebszellen machen (Taf. VIII, Fig. 3 a). Etvvas Weiteres gelang mir nicht an den Larven aufzutinden, wie ich auch nicht im Stande war, die vier rundlichen Zellen- gruppen, welche Leuckaet (32) erwixhnt, aufzufinden. So flimraern nun die Larven viele Tage hindurch im Wasser umher; ich habe sie unter gunstigen Bedingungen eine Woche lang und selbst dariiber am Lebeu erhalten konnen. Man kann hieraus die grosse Selbstiindigkeit der Flimmerhiille erkenncn; denn obgleich sie mit der Larve fast gar nicht in Verbindung steht, ist sie doch im Stande, eine so lange Zeit hindurch selb- standig ein so bedeutendes Quantum von Arbeit zu leisten. Sicher ist zu diesem Zvveck in ihr wilhrend der Entwicklung auch diese grosse Menge von erniihrendem Material aufgespeichert worden, was ja in Gestalt des Nahrungsdotters in so reichlichem Maasse zur Verfiigung stand. Je iilter die Larve aber wird, und je mehr sich der Mantel aufblaht, desto mehr verschwinden .die Kr>rnchen ; sie werden allnulhlich aufgebraucht und der Inhalt des Mantels wird darum immer klarer und durchsichtiger. Proportional damit wird auch die Flimmcrbewegung schwiicher und schliesslich sin- ken die Larven zu Boden, um noch eine Zeit hindurch ganz langsam mit den Cilien zu schlagen, bis dieselben endlich ganz stillstehen. Die Hiikchen bewegen sich dann noch eine Weile und leise Contraktionen des Korpers zeigcn an, dass die Larve noch nicht v(')llig abgestorbcn ist. Aber auch diese Bewegungen h'owu Die cmbryonalo KiilAvickluug dor Bothrioccphalcn. 545 auf, unci (las Tliier zertullt. Es ist ihm iiiclit gcluiigeii, eiii piis- sendes Wolinthier fiir seine weiterc Existenz aufzufindcn. Sclir liitufig sielit man gcradc be! I>uthr. latiis Larven, die aus ilircr Flinimerliiille bereits lierausgesciiliipft sind, bevor die- sclbc abgestoi'bcn ist. Niclit sclten reisst dabei nur die aus sere Mantellauielle; die innere dagegen lost sich vollig aus deiu Ver- bande niit ihr und unigiebt uoch einige Zeit liindurcli den Em- bryo in Gestalt eines zarten, durchsiclitigen Iliiutchens (Taf. VIII, Fig. 4), bis audi sie allmahlicli zerfallt. Siclierlicli ist sie iden- tisch mit jcner „Ei\veisshulle", die Leuckaut nach dem Ikrsten des Flinimermantels rings urn den Embryo beobaclitet hat. Die Larve kann sich jedoch auch sofort beider Lamellen entledigcn (Taf. VIII, Fig. 5). Sie kriecht dann ganz langsam unter lebhafter Bewegung der Hakchen umher, die nicht nur hier, sondern auch bei den ubrigen Bothriocephalenembryonen recht charakteristiscli ist. Namentlicli bei den reifen Embryonen von B. rugosus kann man beobachten, wie zuerst das mittlere Hiikchenpaar und dar- auf die boiden seitlichen gleichzeitig nach riickwarts hin bewegt werden, ilhnlich den Armbevvegungen eines Schwimmeuden. Man kann sich vorstellen , wie leicht es den Thieren mit Hiilfe dieser Hakchen wird, sich rasch in ein Gevvebe einzubohren. Wie lange die Larve im Stande ist ohne ihren Mantel herum- zukriechen, habe ich nicht feststellcn konnen, und mochte es auch unentschieden lassen, ob das Abstrcifen der P'limmerhiillen beim Aufenthalt im Wasser nur ein pathologischer oder ein regularer Vorgang ist. Knocii (14) behauptet das erstere, was Leuckart (15) dagegen bezweifelt. Bisweilen findet man, dass die iiussere flimmernde Lamelle des Mantels bereits im Ei gerissen und zu eiuer unformlichen Masse zusammengeschrumpft ist (Taf. VIIJl Fig. 6) , so dass der Embryo auch hier bereits nur von der inneren bekleidet wird. Er zeigt trotzdcm Lebenserscheinungen ; ob er dagegen auch im Stande ist die Schale zu durchbohren, weiss ich nicht anzugeben. Weitere Versuche in Betreff der Einwanderung der Larven habe ich zu keinem Resultat fiihren konnen. Ich habe mehrere Male jungen Quappen mit Hiilfe einer Pipette grosse Mengen von herumschvvinimenden Larven in den Magen eingefiihrt, dabei aber nicht tiiiden konnen, dass dieselben sich in die Darmwiinde einge- bohrt Oder sie sogar durchbrochen hiltten. Im Gegentheil fand ich sie (namentlicli in den Pylorusanhiingen) selbst noch nach 24 Stun- 546 Dr. H. Schauinsland, den in grosser Zahl am Leben, zum grossten Thcil noch mit tier Wimperhulle bedcckt, ohne irgend eine Veninderung an ihnen bemcrken zu kiinnen. Viellciclit miissen die Versuclie noch liiiu- figer wiederholt werden und zwar an ganz jungen, nicht langc vorher ausgeschliipften Quappen; viclleicht aber entwickeln sich die Larven iiberliaupt in dieseu Thieren nicht, sondern erst in andern Fischen, die den Quappen und Hechten zur Nahrung die- nen, so dass Bothr. hitus also, bevor er im Menschen geschlechts- reif vvird, niehrere Male seinen Wirth wechseln muss. Trianophorus nodulosus. Rud. Litteratur: Ceeplin (8), Stepanoff (20), v. Willemoes-Sdhm (22), cf. oben das Litteraturyerzeiohniss, Stets und zu jeder Jahreszeit habe ich in Hechten, die ich daraufhin untersuchte, diesen Bandwurm in reichlicher Menge ge- funden, und zwar erfiillte er oft so dicht gedriingt den Anfangs- darra, dass es vvunderbar erschien, wie die Nahrung hier noch ihren Durchgang nehmen konnte. Sobald die Wiirmer in Wasser gcbracht werden, quellen sie stark auf und entledigen sich dabei der Mehrzahl ihrer Eier. Dieselben sind ganz iihulich gebaut, nur etwas kleiner, wie bei Bothr. latus und fast noch mehr wie diese mit undurchsich- tigera Nahrungsdotter, der anfangs noch grosse Kerne besitzt, erfiillt. Sie bildeten meine ersten Untersuchungsobjekte bei dieser Arbeit; aber lange Zeit hindurch gelang es mir nicht, iiber ihre Entwicklung ins Klare zu kommen; erst spater, als ich mich be- reits an anderen Formen orientirt hatte, fand ich, dass dieselbe vollig der von Bothr. latus und uberhaupt der aller anderen von mir untersuchten Bothriocephalen mit bewimperteu Embryonen gleicht. Audi hier ist eine sehr deutliche Flimmermembran vorhan- den (Taf. VIII, Fig. 8, 9, 10) und auch hier besitzt der Flimmer- mantel denselben Bau wie bei Bothr. latus (Taf. VIII, Fig. 8 u. 9). Es liisst sich annehmen, dass sich diese Gebilde auch ebenso entwickeln, wie es fruher geschildert wurde, was an Wahrschein- lichkeit dadurch gewinnt, dass ich in vereinzelten Fallen Bilder, wie das auf Taf. VIII, Fig. 7 dargestellte, gefunden habe. Der reife Embryo, der im Gegensatz zu dem stets kugelfor- migen des Bothr. latus mehr oval erscheint und auch einen gros- seren liauni in der Schale einninmit wie jener, ist so ini Ei ge- lagert, dass er das vordere, durch den Deckel gekennzeichnete Die embryoualc Eutwickluug der Bothrioocphalcn. 547 Schalenciido diclit beriilirt, wiihrend der hintcrc Theil des Eis nicht von ihm ausgotullt wird (Taf. VIII, Fig. 10). Stets ist die Portion des Embryo, in der die Hiikchcnpaare sich befinden — welche niehr divergiren vvie bei Bothr. latus und hjiufig rechtc Winicel niit einander bilden — dem vorderen, gedeckcltcn Eipol abgewendet, so dass man dadurch ein Vorder- und ein llinter- ende untersdieiden kaun. Auch nach dem Aussdilupfcn bleibt das als Rogcl bestelien; dcnn wiUirend des Scbwimmens nehmen die Hiikchen stets den hintersten Theil des Kiirpers ein (Taf. VIII, P'ig. 11—15), was iiberliaupt bei siimmtlichen Bothriocephalen der Fall zu sein scheint. Hiiufig babe ich das Ausschliipfen des Embryos aus dem Ei beobachten konnen, das nach 10—14 Tagen je nach der Tempe- ratur erfolgt. Schon geraume Zeit vor dem Auskriechen beginnen die Cilien zu schlagen, wodurch nicht nur die Dotterkornchen durcheinander- gewirbelt werden, sondern auch die llullcumembran, welche bis dahin oft noch deutlich sichtbar war, zerrissen und vernichtet wird. Die Wimperbewegung wird immer starker und durch sie wird ^der Embryo zunachst in langsame und dann in immer raschere Rotation versetzt, bis endlich der Deckel aufspringt und das junge Thier durch die Oeffnung ins Freie gelangt. Da die- selbe viel kleiner ist wie der Querdurchmesser des Embryos, so braucht er einige Zeit, bis er sich hindurchgezwangt hat, wobei er die Form einer 8 annimmt (Taf. VIII, Fig. 9). Ist es ihm end- lich gelungen, sich von der Schale zu befreien, so stiirmt er reissend schnell davon uuter fortwilhrender Rotation um die Axe, und behiilt hierbei in der ersten Zeit eine langliche, wurmformige Gestalt (Taf. VIII, Fig. 11, 12, 13). v. Willemoes-Suiim behauptet falschlich, dass er sofort nach dem Ausschliipfen die Kugel- gestalt annimmt. Merkwiirdig ist es, dass am Vorderende des Thieres, wie ich den Theil bezeichne, der beim Schwimmen vorangeht, eine An- zahl Wimpern nicht an der Flimmerbewegung theilnimmt, sondern einen spitzen, starren Schopf bildet. Es scheint, als diene er dazu, das Vorderende der Larve spitzer zu machen, damit so der Widerstand des Wassers leichter uberwunden werden konne (Taf. VIII, Fig. 11, 12, 13, 14). Die Cihen sind iibrigens bedeutend derber und starrer wie bei Bothr. latus. AUmiihlich geht die wurmformige Gestalt in eine mehr bim- formige (Taf. VIII, Fig. 14) und dann in eine ovale iiber (Taf. VIII, 548 Dr. H. Schauinsland, Fig. 15), wobei gleichzcitig der Flimmermantel , welcher anfangs dem Thier ganz fest anlag und dessen Lamelleu wenig ausein- andergeriickt wareu, sich zu blahen beginnt. Man findet dann auch hier, dass dieselbeu an der den Hakchen gerade gegenuber- liegenden Stelle theilvveise mit einander verwachsen siud und zwar in bedeutend starkerem Maasse, wie es bei Botlir. latus der Fall war, was vielleicht mit der grossen Schnelligkeit des Schwimmens zusaumienbangt. Dieselbe massigt sich aber mit der Zeit, und sobald die Larve eine mehr runde Form augenommen hat, verschwindet auch der Schopf von starren Flimnierhaaren , welche von nun an ebenso wie alle tibrigen funktioniren. Sehr charakteristisch fiir Trianophorus ist es, dass die altern Larven eine ganz sonderbare Art der Bewegung zeigen. Sie halten niimlich in ihrer Rotation und dem damit verbundenen Vorwiirts- gleiten plotzlich inne, um an ein und derselben Stelle im raschesten Tempo hin und her zu oscilliren, sodass man bisweilen garnicht im Stande ist, die einzelnen Schwingungen mit dem Auge zu ver- folgen. Nachdem sie diese zitternde Bewegung eine Zeit hindurch, oft ^ bis I Stunde ohne Unterbrechung fortgesetzt haben, schwim- mcn sie dann wieder in ihrer gewohnten Weise weiter, um das Spiel an einer andern Stelle zu erneuern. Je mehr die Aufblahung des Mantels fortschreitet, desto klarer wird der vorher recht duukle und kornerreiche Inhalt desselben, und es erscheinen dann wieder feine Protoplasmafiidchen, die sich zwischen den Lamellen ausspanneu. Sie sind nicht so regelmiis- sig angeordnet, wie bei Bothr. latus und anastomosiren hiiufig mit einander. Sie entspringen aus einer Protoplasmaschicht, die sich in der Nahe der beiden Lamellen noch erhalten hat, mit kleinen, plattenartigen Verbreiterungen (Taf. VIII, Fig. 16). Die kleinen Fetttrciplchen und Koruchen, welche I'riiher in so reichem Maasse den Mantel erfullten, gruppiren sich zumeist langst den Fadcheu, sammeln sich aber auch zwischen ihnen zu kleinen Hilufchen an, aber stets nur in der Nahe der iiusseren liimmernden Mantellamelle. An dieser liegen zum grossten Theil auch die Kerne des Mantels, welche noch immer in grosser Zahl vorhanden sind. Bisweilen kann man sie allerdings auch an den Fiidchen hangend finden und in sehr seltenen Fallen auch an der innern Lamelle. Trianophorus eigenthiimlich ist es, dass der Ausdehnung des Mantels eigentlich kein Ziel gesetzt ist, und dass er sich bei altern Larven zu einer ganz kolossalen Grosse aul'blilht, woran sich zum Die embryonalc Entwicklung dor Eothriocephalen. 549 Unterscliied vou aiidcrn Bothriocephalenlarven audi diu innere Lamelle betheiligt (Taf. VIII, Fig. 17, 18), Je mchr der Mantel an Umfang zuniiumt, desto melir verschwiudet das protoplasmatische Netzwerk in ilim, und die letzteu Reste davon, sowie die noch iibriggebliebeueu Koruer und Oeltropfeu liegen uur an einzelnen Stellen zusammcngeballt da, und hier sind audi selbst jetzt noch Kerne nachzuweiseu (Taf. VIII, Fig. 17). Es ist selbstverstilndlich, dass die Larve bei diesem imniensen Umfang sdiliesslich ihre Beweglidikeit vollig cinbiisst. Sic liegt hiilflos am Boden des Ge- fiisses und die sdiwadi scblagenden Cilien, die wegen der starken Ausdehnung des Mantels jetzt durdi ziemlich grosse Zwischen- riiume von einander getrennt sind, vermogen nicht mehr das Thier vorwiirtszutreiben ; allmahlidi stirbt der Mantel vollig ab , wenn- gleich die von ihm eingcschlossene Larve noch immer Lebens- zeichen von sich giebt, bis auch sie der Zersetzung anheimfallt. Ein freiwilliges Verlassen der Flimmerhiille von der Larve habe ich dagegen nicht bemerkt, wenn es auch leicht war, sie durch leisen Druck von derselben zu befreien. V, WiLLEMOES-SiiHxM (22) giebt allerdings an, dass er das Herausschliipfen beobachtet hat ; ob das aber unter reguliiren Ver- haltnissen erfolgt ist, erscheint mir doch fraglich, zumal die Ab- bildungen, welche er von der Larve giebt, sehr mangelhaft sind, und nur nach Thieren angefertigt sein konnen, die bereits in Zer- setzung begriften vvaren. Die eigentliche Larve, die auch uur mit wenigen Fadchen an dem Mantel befestigt ist, (Taf. VIII, Fig. IG, 18) nimmt beson- ders nach langerem Aufenthalt im Wasser allmahlich eine raehr zuckerhutformige (Taf. VIII, Fig. 16, 18) oder fast rhombische Ge- stalt an (Taf. VIII, Fig. 17, 19). Was ihre histologische Beschaffenheit anlangt, so ist dariiber nicht viel zu sagen, Auch bei ihr nehmen grossere Zellen das Centrum ein, wahrend kleinere mehr an der Peripherie liegen (Taf. VIII, Fig. 15 — 19). Ihre Oberflache wird von einem cuticula- artigen, etwas derberen Hiiutchen wie bei Bothr. latus gebildet, das sich biswcilen in ganz kleine Faltchen legen kann, (Taf. VIII^ Fig. 18) ohne aber auch hier in irgcnd einer Weise einem dar- unter liegenden Epithcl seine Entstehung zu verdanken. Sie entspricht denn wohl auch schon der Cuticula der spatcren erwach- senen Bandwiirmer. Wie sie bei diesen, sobald der Wurm liin- gere Zeit im Wasser liegt, an einzelnen Stellen blasenartig auf- getrieben wird, so kann man dieselbe Erscheinung auch bereits 550 Br. H. Schaui nsland, hier an altera Larven beobachten (Taf. VIII, Fig, 19), an deneu auch Theile der Cuticula stelleuweise zu grossen Blaseu aufge- blalit werden kounen. Ligula simplioissima. Rud. Litteratur. Creplin bei Wagnee (8), v. Wiliemoes-Suum (22), DucHAMP (24 bis 28), Donnadieu (29), Moniez (31), Kiessling (38), RiKHM (36). Da es mir nicht gelaug, in den Besitz von geschlechtsreifen Ligulen aus Wasservogeln zu gelangen, wurde ich gezwungen, mir dieselben kiinstlich in der Ente zu ziichten , ein Versucb , der ja bereits friiher von Duchamp (24, 25), Donnadieu (29) und in letzter Zeit von Riehm (36) und Kiessling (33) mit Erfolg an- gestellt war. Duchamp behauptet sogar durcb Verfiitterung an Tauben und Hunden giinstige Resultate erhalten zu haben (26, 27, 28). Im Kurischen Haflf werden wiihrend des ganzen Jahres nicht selten Exemplare von Abramis brama gefangen, welche mit diesen Wurmern inficirt sind, die sogenannteu „Fiekbressen." Nament- lich nach Stiirmen ist dies der Fall, da die Fische keinen Wider- stand mebr leisten konnen , sondern hiilflos an der Oberflache treiben, da sie durch die massenbaften Wiirmer, welche ihre Lei- beshohle vollig aufblahen, bereits stark geschwacht sind. Obgleich ich nun bereits im Frubjahr mit den Fiitterungs- versuchen begann und sie ununterbrochen fortsetzte, so gelang es mir trotzdem erst im Herbst, Ligulen mit Eiern zu erhalten; es ist moglich, dass dann erst die Wiirmer in ihren ersten Wirthen, den Fischen, die geniigeude Reife erlangt batten, um sie in der Ente vollig beeudigen zu konnen, und dass dieser Zeitpunkt der Reife, wenigstcns in dieser bestimmten Gegend, nur in den Herbst fallt, obgleich die im Friihjahr entnommenen Ligulen keiueswegs denen im Herbst verfutterten an Grosse nachstanden. (Auf die Ausbildung der Geschlechtsorgane bin babe ich sie allerdings nicht untersucht.) War nun die richtige Zeit gekommen, so konnte man bei jeder Fiitterung bereits nach zwei, hochstens drei Tagen in den Excrementen der Ente geschlechtsrcife Wiirmer mit Eiern gefiillt, entweder vollig unversehrt oder Stiicke von ihnen finden. Dar- unter kamen merkwiirdiger Weise auch Exemplare vor, welche, obgleich sie nach dem mehrtilgigen Aufenthalt im Eutendarm noch vollig lebten, doch nicht geschlcchtsreif geworden waren. Die embryonale Entwicklung der Bothriocephalen. 551 Die Thiere enthalten relativ viel weniger Eier, wie es soiist bei den Bothriocephalen der Fall ist. In Wasser gelegt, entleerten sie dieselben nicht freiwillig. Sie vvurden daher so klein als mog- lich zerstuckt in eineu hohen Glascylinder gebracht und darauf tUchtig geschiittelt. Die schwereren Eier saramelten sich dann, sobald das Gefass ruhig stehen bliob, am Boden, wahrend die leichteren Gewebsfetzen noch im Wasser suspendirt blieben und niit demselben abgegossen werden konnten. Mit Htilfe dieser Method e gelang es innerhalb kurzer Zeit durch oft wiedcrholtes Schuttelu und Erneuern des Wassers, die Eier vollig isolirt zu erhaltcD. Die Zeit, die dieselben zur Entwicklung brauchen , ist vollig abhiingig von der Teniperatur. Es gelingt bereits nach ungefahr einer Woche ausgeschliipfte Larven zu erhalten, sobald das Wasser Tag und Nacht hindurch auf 20 bis 30^ C. erwarmt wird. Die Eier zeigen sogar noch bei circa 35" eine ganz regelmassige Ent- wicklung; sie kameu dann bereits nach vier bis fiinf Tagen aus, wilhrend sie sonst unter Umstanden viele Monate dazu gebrauchen. Die Entwicklung ist von mehreren Beobachtern untersucht worden, ohne dass unsere Kenntuisse hierdurch wesentlicb bereichert worden sind. Die einzige sichere Thatsache war, dass auch hier eine bewimperte Larve aus dem Ei schlupfe, was bereits aus einer Mittheilung Creplins an Wagner (8) bekaunt war, und von V. WiLLEMOES-SuHM aufs Ncue beobachtet wurde. — In den sieben- ziger Jahren gingen in einigen Gegenden Frankreichs viele Tau- sende Cyprinoiden , namentlich Schleien zu Grunde , well sie in ganz ausserordcntlichem Maasse mit Ligulen behaftet waren. Die- ses massenhafte Auftreten des Parasiten gab frauzosischen For- schern die Gelegenheit, auch seine Entwicklung niiher zu ver- folgen. DucHAMP (24, 25) gelang es, die flimniernden Larven zu er- halten. Njihere Details giebt er jedoch nicht mit Ausnahme der zweifelhaften Bemerkung, dass nach dem Ablegen der Eier sich die Dot ter masse in Zellelemente scheidet, und dass erst dann sehr viel spilter der Keimfleck entsteht. Die Flimmerhiille besteht nach ihm aus grossen, hexagonalen Zelleu. Kurze Zeit darauf ver- offentlichte Donnadieu (29) in einer sehr umfangreichen Arbeit die Resultate seiner Untersuchungen, die er durch eine Reihe der umstiindlichsten Experimente zu bekriiftigen versucht. Was er jedoch uber die embryonale Entwicklung mittheilt, ist so eigcn- 552 Dr. H. Rchauinsland, thiimlich und abweichend von dcni , was bis dahin bekannt war, dass es doch den griisstcn Zweifel an der Richtigkeit seiner Be- obachtungen erwecken muss. Nach dem Ablegen des Eis, sagt er, bemerkt man in der Mitte desselben ein klares Blaschcn ; er lasst es aber unentschie- den, ob es das K elm blase hen sei ; untcr gUnstigen Bedinguii- gen entvvickelt sicli darauf eine helle Blase, um die sich bald an- dere, ahnliche gruppiren. In dem Maasse, wie sic an Zahl zu- nehmen , wird auch ibre Grosse bedeutender. Sie sind der Ur- sprung von grossen Kugeln, die er nach Coste „spheres organi- ques" nennt. An der Oberflaghe des Eiinhaltes sieht man daun bald polyedrische Zelleu mit deutlichen Kernen, wie er sie auch bei gewissen Milben iifters beobachtet hat. Als nachster Vorgang entsteht im Centrum wiederum eine spharische Blase, und erst diese ist die Anlage des eigentlichen Embryos. Dieser vergrosscrt sich allmahlich unter Beibehaltung seiner Kugelgestalt , wahrend- dessen sich in dem klaren Raum, der ihn umgiebt und der mit Flussigkeit erfiillt ist, „Kalkkorperchen" bildeu. Jene Kalkkorper- chen setzen in Verbindung mit andern kleinen Kugelcheu schliess- licli eine Hiille um den Embryo zusannuen , den „Enibryoplior", welcher mit Wimpern bedeckt ist. Dieselben sind sehr kurz, und DoNNADiEU bedauert es sehr, dass sich, well Leuckaut sehr lange Wimpern um den Embryophor abbildete, eine Art von Ueberlieferung gebildet hat, nach welcher man nun der Hulle stets Wimpern von mehr als zweifelhafter Liinge zutheilt. Ist die Reife eiiigetreten, so schliipft das Thier aus der Schale her- aus, wobei meistens der Embryophor reisst und die darin ent- haltenen Kalkkorperchen herausfallen. Diese Art und Weise des Ausschlupfens , welche (wie Donnadieu meint) auch bercits v. WiLLEMOES-SuiiM bcobachtet hat, ist die gewohnlichsto. Bisweilen kaiin es jedoch aber auch vorkommen, dass die lliille mitgenom- men wild, und dass dann das Thier mit dieser tagelang ganz nach Art (nnes Infusors herumschwimmt. Die Regel ist, wie gesagt, jedenhtlls v\n Platzen des Embiyoplior. Nicbtsdestoweniger schwimnit dann der Embryo auch olme denselben umber, da audi er ini Besitz von Cilien ist!!! Audi die Larve selbst cnthalt Kalkkor- perchen, nur sind sie etwas klciner wie jene in d(u* Hiille. Nach Donnadieu beschaftigte sich noch Moniez(31) mit der Enibryologie von Ligula und hat das Verdienst, auf die so eigen- thiimlichen Fehler der D(jNNAi)iEii'sclien Darstellung hingewiesen zu haben. Ilim selbst gelang es aber sonst allerdings auch nicht. Die embryouale Entwicklung der Bothriocephalen. 553 niit dieser Untersuchuug unsere Kenntnisse von der Bothrioce- phaleiieiitwickluDg wesentlicb zu fordern. — Was meiue eigenen Untersuchungeu anbetritft, so wiirde ich mich wiederholen, wiirde ich alle Details bei der Entwicklung wie- derum naher schildern. Dieselbe weicht uamlich nur sehr weuig von jener ab , welche auch all' die andern Bothriocephalenarten durchzunmchen haben, die so dotterreiche Eier ablegen, aus wel- chen bewimperte Larven aussclilupfen. Besonders zeigt sie eine sehr grosse Uebereinstimniung mit jener vom Bothr. latus. Das frisch abgelegte Ei ist anfangs farblos, spater wird die Chitinschale gelb. Es enthalt eine sehr grosse Menge von Dotter- material, sodass dadurch die ersten Entwicklungsvorgange eben- falls haufig verdeckt werden, wenngleich es auch nicht selten ge- lingt, zwischen ihm die Eizelle aufzufiudon. Lange Zeit hindurch bleiben viele Dotterzellen intakt und zerfallen erst allmahlich. Die groben Dotterkiigelchen sind in ihnen nicht gleichmassig ver- theilt, sondern liegen meistens nur in einem bestimmteu Theil der Zellen, wahrend der iibrige Raum derselben frei von ihnen ist, (Taf. IX Fig. 1). Es ist wohl leicht ersichtlich , dass diese Dotterzellen die- selben sind, welche Donnadieu an der Oberflache des Eis in polyedrischer Form auftreten ^ieht, und die er in Zusammenhang mit ahnlichen Gebilden bei den Milben bringt. Was er jedoch mit seinen „spheres organiques" meint, ist unverstandlich, und ebenso seine Behauptung, dass erst nach dem Auftreten der- selben und der polyedrischen Zellen , im Centrum des Eies eine Blase entsteht, von der der Embryo seinen Ursprung nimmt. — Wahrscheinlich ist das alles nur ein und dieselbe Erscheinung, nilmlich das Auftreten der ersten Embryonalzellen, die er das eine Mai friiher, das andere Mai erst spater bemerkt hat, well ihn der Dotter daran hinderte. In der That ist es auch nicht leicht, sich tiber die Furchung ein klares Bild zu machen. Erst spater, wenn sich bereits auf der Embryonalanlage die Epibolie der Ektoblast- zellen vollzogen hat, wird das Bild etwas deutlicher. Dieser Vorgang, sowie auch die weitere Entwicklung des Flimmermantels , welcher ebenfalls aus einer aussern und eincr innern Lamelle besteht, ist fast genau ebenso wie bei B. latus. Die Hiillmembran ist stets, wenn auch mit einiger Miihe, mit Sicherheit nachzuweisen (Taf. IX Fig. 2. 3, 4). Zum Schluss der Entwicklung liegt der kugelrunde Embryo meistens in dem Theil des Eis, welcher dem Deckel abgewendet ist. Bd. XLX. JS. F.^ill. 3g 554 Dr. H. Schauinshmd, Der Zwischenraum zwischen den beiden Mantellamellen ist sehr dicht mit ziemlich grobkornigem Protoplasma erfiillt, welches sich niehr in der Nahe der innern Lanielle angesammelt hat, sodass an der aussern ein heller Saum erscheint (Taf. IX Fig. 2), welcher auch nach dem Ausschliipfen deutlich sichtbar ist (Taf. VII Fig. 5). Die groben Protoplasniakiigelchen sind Donnadieu's „Kalk- korperchen", die den Embryophor erfiillen, welcher sich nach ihm ja iiberhaupt nur aus diesen Kalkkorperchen und dem Dotter, der rings den Embryo umgiebt, bilden soil. Bereits einige Zeit vor dem Ausschliipfen begiunt das Spiel der Wimpern am Embryo; er fangt an sich zu drehen, der Deckel springt plotzlich auf, und das Thier schwimmt, anfangs eine mehr langliche Gestalt, spater eine vollige Kugelform annehmend, im Wasser umher. Seine Bewegungen sind zwar auch noch behende, jedoch lang- samer als an alien mir bekannten Bothriocephalenlarven. Das Riittelu, das fiir Triiinophorus so charakteristisch war, bemerkt man hier nicht, soudern die Larve schwimmt ruhig sich ganz langsam um die Axe bewegend gerade aus fort, wobei auch sie stets die Haken der Schwimmrichtung abgewendet tragt, wahrend sich an dem Pol, welcher ihr entgegengesetzt ist, auch wieder eine starkere Verbindung zwischen den beiden Mantellamellen be- merkbar macht, in Folge desseu die aussere trichterformig cin- gezogen wird (Taf. IX Fig. 6). DoNNADiEu behauptet, dass die Larven der Kegel nach beim Ausschliipfen den Embryophor zerreissen und daun ohne denselben mit Hiilfe von Cilien umherschwammen. Es ist das ein Zeichen von einer ausserordentlich oberflachlichen Beobachtung ; denn einzig und allein der Mantel ist bewimpert, die von ihm eiugehullte Larve jedoch keineswegs. Hatte Donnadieu nicht gesagt, dass der Embryophor bewimpert sei, so wiirde ich annehmen konnen, dass er ihn vielleicht mit der Hiillniembran verwechselt hiitte; so aber ist seine Behauptung vollig unerkliirlich. — Die beiden Mantellamellen werden durch aufgenommeues Wasser bei liingerem Aufenthalt in demselben auch etwas auseinanderge- drangt, aber ebenso wie bei Bothr. latus nicht sehr stark. Die Cilien sind sehr fein und dicht stehend, zwar kiirzer wie bei Bothr. latus, jedoch ausserordentlich viel langer, wie Donna- dieu sie abbildet. Je iilter die Larve wird, desto mehr tritt all- milhlich eine Vakuolisirung der im Mantel betindlichen Protoplasma- Die embryouale Entwicklung der Bothriocephalen. 555 masse ein, sodass die bddcn Laniellen schliesslich wieder nur durch ein feiues Netzwerk in Verbindung stehn. Nach Tinktionen findet man auch die wenigen, verhiiltnissmassig rccht grossen, langlichon Kerne, die letzte Audeutung der Ektoblastzellen, an den feinen Protoplasmafiidchen suspendirt auf (Taf. IX Fig. 6 und 7). Die Larve besteht ebeufalls aus zwei verschieden grossen Zellenarten. Derjenige Theil des Thiercs, in dem sich die Haken bcfinden, zeichnet sich dadurch aus, dass in ihm nur sehr wenig Kerne vorkommen , sodass man deswegen fast einen besonderen Kopfab- schuitt untersclieideu konnte (Taf. IX Fig. 3 und 4). In vielen Fallen sieht man auch deutliche Faserziige, die sich einerseits an die Haken, andrerseits sich scheinbar mit Verastelungen an der Cuticula dos Kopftheils inseriren. Es ist bei der Kleinheit der Objekte sehr schwierig, sich hieriiber ein klares Bild zu ver- schatfen. (Taf. IX Fig. 4). Ueber die vveitern Schicksale der Larve weiss ich fast nichts zu sagen. Nicht selteu fand ich Thiere, bei denen die aussere Lamelle des Mantels geplatzt war, und die Larve, wie bei Bothr. latus nur noch von der iunern umhiillt blieb (Taf. VIII Fig. 20). Dagegen habe ich nur selten solche angetroti'en , die vollig aus dem Mantel geschliipft waren , im Gegensatz zu v. VYillemoes- SuHM, welcher ein derartiges Verhalten ofter beobachtet haben will. Die Exemplare, bei welchen es wirklich der Fall war, trugen deutlich Spuren des Verfalls an sich, sodass ich den Verlust des Flimmermantels eher fiir eine pathologische Erscheinung erklaren mochte. Im Uebrigen war es nicht schwierig, die Larven langer als eine Woche hiudurch am Leben zu erhalten. Schistoeephalus dimorphus. Crepl. Litteratur: Abildgaaed (1) Ceeplin (3) Kudolphi (2) v. "Wille- MOEs-SmiM (19) KiEssLiNG (33) Steeksteup (U). Creplin bestatigte 1824 die bereits im vorigen Jahrhundert von Abildgaard ausgesprochene Behauptung, dass Wasservogel, sobald sie einen mit Bandwiirmern behafteten Stichling verschluckteu, ebenfalls mit diesem Wurm inficirt wurden , welcher sich in ihnen weiterentwickle. Creplin stutzte sich auf diese alte Behauptung und kommt nach seinen eignen Uutersuchungen dann zu dem Schluss, dass Bothriocephalus nodosus der Schwimmvogel identisch sei mit dem Bothriocephalus solidus der Stichlinge, nur dass letz- 36* 556 Dr. H. Schauiusland, terer noch nicht geschlechtlich entwickelt ware und erst im neuen Wirth seine Reifc erhalte. Er fand namlich, dass diese beiden, sonst als zwei verschiedcDe Arten beschriebeneu Cestodeu im Darm von Podiceps rubricollis neben einander vorkommen, und eine Anzahl Wurmer in ihrcr verschieden weit vorgeschrittenen Ent- wicklung gestatteten es ihm, einen allmalilichen Uebergang von Bothr. solidus in Bothr. nodosus (Schistocephalus dimorphus) fest- zustellen. Steenstrup (11) sprach dann auch mit volliger Bestimmtheit aus, dass es viele Bandwiirmer in Fischen gabe, die ihre Reife erst innerhalb von Vogeln erhielten, was allerdings sogar schou RuDOLPHi (2) behauptet hatte. V. WiLLEMOES-SuHM konnte die Eier eines Bandwurms, welchen er in einer Move gefunden hatte, zur Entwicklung briugen und behauptet, dass er die ausgeschliipften Larven eines Schistocephalus vor sich gehabt hatte. Donnadieu nieint, dass es eine Ligula ge- wesen ware. Hochst wahrscheinlich war es aber keiner von diesen beiden Wurmern, deren Larven v. Willemoes-Suhm gezogen hat, denn weder die Eier von Ligula noch die von Schistocephalus besitzen die auffallend langliche, fast spindelformige Form, wie sie seine Abbildung zeigt. Kiessling (33) versuchte vergeblich, durch Verfuttern von Stichlingen an Enten sich geschlechtsreife Schistocephalen zu be- sorgen, vermuthet jedoch wegen der bereits sehr weit vorgeschrit- tenen Entwicklung der Geschlechtsorgane , dass die Reife inner- halb des Vogeldarms mindestens in ebenso kurzer Zeit wie bei Ligula von Statten gehn miisse. Da es mir nicht gelang, reife Schistocephalen in Wasservogeln aufzufinden, obgleich ich wohl gegen hundert derselben unter- suchte, so war ich wieder gezwungen, meine Zufiucht zur kiinst- lichen Zucht zu nehmen. Merkwurdiger Weise misslangen mir ebenso wie bei liigula siimmtliche im Laufe des Sommers angcstellten Fiitterungsver- suche bei einer Ente, und erst im Spiitherbst war jedc Fiitterung von Erfolg begleitet. Es war zu derselben Zeit, in welcher die Stichlinge dicht gedrangt, in kolossalen Schwiirmen herumzuziehn pflegen. Sie werden dann mit Leichtigkeit (im frischen und kurischen Half z. B.) in enormcir (Juantitiit zur Thranbereitung gefangen, fallen dann aber auch gleichzeitig einer grossen Menge von Moven oder andercn Wasservogeln zur Bcute. Vielleicht also, dass in die ser Gegen d der Bandwurm sich gerade urn Die embryonale Eatwicklung dcr Bothriocephalen. 557 diese Zeit innerhalb der Fische so weit entwickelt hat, um in einem warmbliitigen Wirth in kurzor Zeit vollig reif ^Yerden zu konncn. Steenstrup meint dagegen, dass eine Infizirung der Vogel regular nur dann stattfindet, wenn sie einen Schistocephalus ver- schiucken, welcher bereits die Leibeshohle des Sticblings verlassen hat, was nicht selten vorkommt. Kiessling's Vermuthung, dass der Aufenthalt im Vogeldarm nicht lange wahren konnte, bestiitigte sich. Bereits nach 36 Stuiiden nach der Fiitterung konnte neben unreifen aber trotzdem lebend abgegangenen Wiirmern auch eine Anzahl reife aufgefunden werden, und langer wie zwei, hochstens drei Tage scheinen sie nie ill der Eute zu bleiben , denn nach Ablauf dieser Zeit wurde kein einziger Wurm mehr in den Exkrementen bemerkt. Was die embryonalen Entwicklungsvorgiinge anbelangt, so ist iiber dieselben wenig zu berichten , well sie fast ganz iibercin- stimmend mit jenen der oben beschriebenen Bothriocephalen sind. Der reichlich vorhandene Dotter lasst anfangs nur schwer seine einzelneu Zellen erkennen , deren Grenzen und Kerne aber spater sehr deutlich werden. Ausgezeichnet ist die Entwicklung der Hiillmembran. Nirgends sieht man sie so deutlich wie hier, und nanientlich sind an den Eipolen die Zellen in ihr von ausser- ordentlicher Deutlichkeit (Taf. IX Fig. 8), ahnlich den „kalotten- artigen Zellen" der Treniatodenhullmembran. Schwieriger dagegen ist es, die Ektoblastzellen zu erkennen, weil sie bei Schistocephalus im Gegensatz zu alien iibrigen Both- riocephalen in sehr innigem Zusammenhang mit den von ihnen ein- geschlossenen Entoblastzellen stehen. An geeigneten Praparaten findet man, dass die erstgenannten Zellen nach der Seite des Ento- blast zu gewolbt sind (Taf. IX Fig. 8), und dass durch dieses Eingreifen der Ekto- in die Entoblastzellen eine so feste und die Unterscheidung der Ektoblastschicht eine so schwierige wird. Bei den andern Bothriocephalen war es gerade umgekehrt. Hier waren die Ektoblastzellen nach Aussen gewolbt, so dass durch sie die ganze Embryonalanlage eine hockerige Oberflache erhalt. Auch spater, wenn sich bereits der Flimmermantel gebildet liat, liegt dieser dem Embryo sehr fest an, und seine Wand ist verhaltnissmassig diinn (Taf. IX, Fig. 9), so dass es grosse Schwie- rigkeiten macht, an ihm auch die innere Lamelle zu erkennen. Die Art des Ausschliipfens ist dieselbe wie bei Ligula; ein Unterschied von letzterer besteht darin, dass der reife Embryo 558 Dr. H. Schauinsland, nicht als Kugel in der Schale liegt, sondern darin eine vollig ovale Gestalt annimmt (Taf. IX, Fig. 9). Innerhalb von unge- fahr 8 Tagen offnet sich der Deckel, und die Larve schwimmt pfeilschnell und reissend, sich rasch um die Axe drehend, da- von. Sie besitzt sehr lange und kraftige Wimpern, in Folge dessen sie auch am raschesten von den mir bekannten Larven schwimmt. Der Mantel bleibt dabei anfangs auch jetzt noch ganz diinn und liegt der Larve uberall fest an. Erst spater beginnt er sich aufzublahen, dann aber auch in sehr erheblichem Maasse, ahnlich, wenn auch nicht ganz so stark, wie bei Triiinophorus. Hierbei betheiligt sich nicht nur die aussere, sondern auch die innere Lamelle (Taf. IX, Fig. 10). Bothriocephalus spec? Im Darm eines Podiceps cristatus traf ich einen Bothrioce- phalus an , der zusammen mit dem Darminhalt bereits so stark in Fiiulniss ubergegangen war, dass ich bei einem Versuch, ihn mit der Pincette zu fassen, ihn nur in einzelnen Fetzen heraus- ziehen konnte. Trotzdem entwickelten sich die aus jenen Rudi- menten isolirten Eier vortreflflich , so dass bereits nach 8 Tagen die Larve herausschliipfte. Es ist das ein Zeichen, wie ausser- ordenthch widerstandsfahig nicht nur die Tanien-, sondern auch die Bothriocephaleneier ausseren Einfliissen gegentiber sind , und wie schwer es ist, ihre Eutwicklungsfiihigkeit zu vernichten. Die flimmernde Larve ist dadurch ausgezeichnet, dass sich zwischen den beiden Lamellen ihres Flimmermantels ein sehr regelmassiges und zartes Maschennetz von Protoplasmafaden aus- spannt. Korniges, undurchsichtiges Protoplasma ist in relativ geringer Menge im Mantel enthalten und so vertheilt, dass es sich meistens nur dicht an den beiden Mantellamellen angesam- melt hat, wahrend es den iibrigen Raum zwischen ihnen freiliisst. Von jener Protoplasmaanhaufung entspringen die Fadchen mit einer etwas verbreiterten Basis (Taf. IX, Fig. 11). Innerhalb des Mantels ist ausserdem noch eine Menge stark lichtbrechcnder Kornchen enthalten , und ein Theil derselben ist scheinbar an den einzelnen Fadchen angcklebt, so dass das Ganzc dadurch ein sehr zierliches Bild gewahrt, namentlich wenn man nicht den optischeii Durchschnitt, sondern die Obcrfliiche des Man- tels betrachtet (Taf. IX, Fig. 12). Die Flimmerhaare sind zart und in relativ geringer Anzahl vorhanden. Die Bewegung des Thieres ist dalier auch recht langsam, fast schleichend. Die Larve Die embryonale Entwncklung- der Bothrioccphalen. 559 scliwinimt taumelncl, sich iiur uni die Axe drehcnd, umlicr, and bisweilcn kann man an ihr audi ein Oscilliren benierken, wenn es audi lange nicht so energisch ist wie bei Triiinophorus. Idi babe stets die Schwimmbewegung bei den einzehien Ar- ten angefiihrt, vveil dieselbe in der That charakteristisch fiir jede Species ist, so dass man sdion allein durch sie im Stande ware zu entscheiden , zu welcheni Bothriocepbalus die Larve gebort. Interessant war diese Larve aber deswegen nodi im hohen Grade, weil bei ihr die histologische Differenzirung weiter vorgeschritten war, wie es sonst der Fall zu sein pflegte. Man konnte bei ihr namlidi dcutlidi an einzelnen Stellen die flackernde Bewegung eines Flimnierliippchens sehen. Wemigleidi es bei der Kleinheit des Objekts nicht moglich war, etwas Naheres iiber den feineren Bau zu beobachten, so kann man trotzdem wol mit Sicherheit an- nehmen, hierin die Flimmertrichter des spiiter bei den erwachse- nen Wiirmern so reich entwickelten excretorischen Gefasssystems vor sich zu sehen. — Man merkt aus den vorstehenden Beobachtungen , wie iiber- einstimmend im Allgemeinen die Entwicklung bei sammtlichen Bothriocephalen verlauft. Nur die Keimzelle betheiligt sich direkt am Aufbau des Em- bryos, wahrend die Dotterzellen nur ernahrende Funktionen be- sitzen. Sie furcht sich ziemlich regelmilssig; aus dem Verbande der daraus hervorgegangenen Zellen losen sich bereits friih eine Oder mehrere ab, um den gesammten Eiinhalt inklusive Dotter zu umwachsen und schliesslich eine embryonale Hiille zu bilden, die namentlich bei den flimmerlosen Embryonen (B. rugosus) zu be- sonders starker Entwicklung gelangt, wahrend sie in den sehr dotterreichen Eiern mit bewimperten Larven zwar sehr zart bleibt, aber doch stets nachzuweisen ist. Nie wird dieselbe beim Aus- schliipfen von dem Embryo mitgenommen, ja sie wird sogar schon hiiufig vorher vollig riickgebildet, so dass sie zum Ende des Em- bryonallebens kaum mehr nachzuweisen ist. Die Embryonalzellen nehmen meistens innerhalb des Dotters eine Kugelgestalt an, und zum zweiten Mai findet an ihnen eine Epibolie statt, die sich jetzt jedoch nicht iiber den Dotter er- streckt. Der Embryo besteht nun aus einer diinnen ausseren Zell- lage und einer kompakten inneren Masse. Aus ersterer nimmt eine Hiille ihren Ursprung, die eine Menge von Protoplasma ent- hiilt, welches spater nach dem Ausschlupfen mehr Oder weniger 560 Dr. H. Schauinsland, vakuolisirt wird, so dass bei einigen Formen schliesslich nur noch leine Protoplasmafadchen die beiden Lamellen mit einander ver- binden, an welchen noch die Kerne der ursprtinglichen Bildungs- zellen nachzuweisen sind. Diese zweite Hiille ist entweder wim- perlos (B. rugosus) oder sie tragt Cilien. Stets wird sie beim Ausschlupfen mitgenommen ; sie dient als Schutz - und bei den bewimperten Formen zugleich als Bewegungsorgan bis zu dem Zeitpunkt, wo die Larve einen passenden Wirth gefunden hat. Stets ist der Zusammenhang zwischen Mantel und Larve ein sehr loser, so dass sie der Larve auch bereits vor dem Einwandern leicht verloren gehen kann. Am Larvenkorper selbst ist nachzuweisen, dass er aus zwei Zellarten zusammengesetzt ist, die sich durch verschiedene Grosse von einander unterscheiden. Die grossern liegen mehr ira Centrum, die kleinern an der Peripherie, ohne daselbst jedoch ein Epithel zu bilden. — Von weitern Differenzirungen besitzt die Larve drei Hakenpaare, welche durch Muskelfasern bewegt vverden konnen. In sehr seltenen Fallen ist es auch moglich , flimmernde Stellen aufzufinden, welche offenbar die erste Andeutung der spatern Wimpertrichter sind. — Obgleich die Einwanderung der Bothriocephalenlarven in ihren "Wirth thatsachlich noch nie beobachtet wurde , so lasst es sich trotzdem doch mit volliger Sicherheit annehmen, dass hierbei der Flimmermantel derselben oder die ihm entsprechende flimmerlose Hiille abgeworfen wird. Da nun auch die Hullmembran im Ei bereits zuriickgelassen wurde, so sind sammtliche Gewebe der ein- gewanderten Larve und also auch spater die des erwachsenen Bandwurms rein entodermaler Natur. Ich habe in der obigen Darstellung bereits stets vom Ekto- und Entoblast gesprochen. Als Ektoblastgebilde bezeichnete ich die Hullmembran und den Mantel, als Entoblast den von ihr eingeschlossenen eigentlichen Embryo. Ich glaube zu dieser An- nahme um so mehr berechtigt zu sein, weil in dem Vorgang der Epibolie offenbar eine Gastrulation zu erblicken ist, wie sie bei alien ubrigen Metazoen stattfindct ; wir werden daher die Keimblat- ter der Gastrula auch uach denselben Gesichtspunkten beurthei- len und mit denselben Bezeichnungcn belegen diirfen, wie wir es sonst gewohnt sind. Dass die Blastula der Bothriocephalen eine kompakte Zellen- masse darstellt ohne Furchungshohle , ist nicht auffallend; eigen- Die embryonale Entwicklung der Bothriocephalen. 561 thiimlicher dagegen und abweichend ist es, dass eine zweimalige Epibolie stattfindet. Einmal vollzieht sich eine Umwachsung der soliden Blastula mitsammt deni Dotter, und ausserdem noch eine zweite, die nicht die Dotterzellen , sondern einzig und allein die Embryonalzellen umfasst. Der ersteren verdankt die Hiillmembran, der zweiten der Mantel seinen Ursprung. — Diese successive Ent- wicklung des Ektoblast — man konnte fast sagen, diese doppelte Gastrulation — ist lediglich bcdingt durch eine besondere Embryo- nalhiille, jener eigenthiimlichen Hiillmembran. Schon Leuckart (32 p. 417) kam bei der Beurtheilung des Flimmermantels der Bothriocephalen, indem er auch gleichzeitig auf den histologischen Ergebnissen fusste, zu der Ueberzeugung, dass derselbe das Ektoderm des Embryo reprasentire , und dass die erwachsenen Bandwurmer demnach kein Ektoderm mehr be- sassen. Meine Beobachtungen fuhren mich genau zu demselben Schluss. Wenn wir behaupten, dass durch den Vorgang der Epibolie beim Bothriocephalenembryo eine Gastrula gebildet wird, so miis- sen wir auch zugeben , dass die Larve nach Verlust der Hiill- membran und des Mantels lediglich aus Entoderm besteht, und dass alle weiteren histologischen Differenzirungen sich nur von diesem und von dem aus ihm abstamraenden mesodermalen Mesenchym herleiten. Es lasst sich nicht leugnen, dass diese Annahme eine Stiitze erhalt durch die Befunde an erwachsenen Bandwiirmern. Wie bei den Cestoden iiberhaupt, so haben auch bei den Bo- thriocephalen alle Untersuchungen dahin gefiihrt, ihnen ein Ekto- derm, wie man es sonst versteht, abzusprechen. Ein ektodermales Epithel, eine „Epidermis", ist eben nicht moglich gewesen aufzu- finden. Wir unterscheiden bei ihnen nur eine Rinden- und eine Marksubstanz, und man geht gewiss nicht fehl, wenn man bereits bei den Larven in den kleinen an der Peripherie gelegenen Zellen den Ursprung fiir erstere, in den mehr im Centrum gelegenen fiir letztere erblickt. — Man konnte wohl voraussehen, dass die Entwicklung der Bo- thriocephalen mit der der Tanien eine grosse Uebereinstimmung zeigen wiirde, da ja die erwachsenen Thiere in anatomischer und histologischer Beziehung so nahe stehn. In der That ist diese Uebereinstimmung wirklich vorhanden, 562 Dr. H. Schauinsland, und die geringen Abweichungen sind leicht zu erklaren, wemi man die verschiedene Lebensweise in Betracht zieht. Die Mehrzahl der Tanien bewohnt Landthiere; ihrc Eier er- langen innerhalb der Proglottis Ijcreits ihre Reife, und die Larven werden mit Hiillen ausgestattet , welche ihnen den grosstmoglich- sten Schutz gegen das Eintrocknen etc. auf dem Lande gewahren. Diejenigen Tanien jedoch, deren Eier nicht auf das Land son- dern ins Wasser gelangen, also die in Wasservogeln oder Fischen lebenden , haben demgemass auch wieder Larven , die sicli dem Wasseraufenthalt angepasst haben; ihre Schutzorgane sind anders gestaltet und zeigen mehr Uebereinstimmung auch in den aussern Formen mit denen der Bothriocephalen. Ich erwahnte bereits oben , dass ich bei einer in der Ente und ebenso bei einer andern in VVeissfischen lebenden Tanie keine Chitinschale gefundeu babe, sondern an deren Stelle eine diinne, sehr ausdehnungsfahige Membran , ahnlich dem Mantel von Bothr. rugosus. Bei dem Vergleich der Bothriocephalen und der Tanienent- wicklung wolleu wir in Bezug auf letztere uns an die Arbeit von V. Beneden halten (40) und auch dessen Ausdriicke adoptiren. Nach ihra sondern sich von dem Haufen der Embryonalzdlen einige wenige Zellen ab, die sich bereits durch ihre betrachtliche Grosse von den tibrigen unterscheiden; sie umwachsen den Em- bryo. Schliesslich entsteht aus ihnen eine diinne, zarte Membran, die „couche albumineuse". Aber noch eine zweite Epibolie findet statt; nochmals losen sich einige Zellen aus dem Verbande mit den iibrigen los und umwachsen von Neuem den Embryo; aus ihnen entsteht die „couche chitinogene", welche spilter von bedeutender Dicke und P'estigkeit wird , und schliesslich bei der Reife des Eis und nach dem Verschwiuden der couche albumineuse die einzige Hiille des Embryo bildet. An diesem selbst sind die peri- pheren Zellen klein, die im Centrum gelagerten gross. V. Beneden erkliirt die couche albumineuse fiir homolog der Flimmerhiille der Bothriocephalen und vergleicht die beiden Zell- lagen des eigentlichcn Embryos mit den Keinibliittern einer Gastrula, dem Ekto- und Entoblast; letzteres stellt er jedoch nur als Ver- muthuug auf. Zur Zeit seiner Untersuchungen kannte man weder die Hiill- membran der Bothriocephalen, noch wusste man, dass deren Larve ebenfalls aus zwei durch Grosse und Lage verschiedencn Zellartcn zusaininengesetzt ist, und daher ist es nicht auffallend, dass van Die embryonale Entwicklung der Bothriocephalen. 563 Beneden sich fur die Homologie der couche albumineuse und des Flimmerraantcls erklarte. Ich selbst bin friiher (43) aus dem- selben Grunde dariiber im Zweifel gcwesen , in welcher Weise die Hullen der Tanien und der Bothriocephalen mit einander zu ver- gleichcn seien. Jetzt, nachdem ich selbst die Entwicklung der Bothriocepha- lenlarve kennen gelernt habe, vertrete ich mit grosster Bestimmt- hcit folgende Ansicht: Die Hiillnicnibran der Bothriocephalen ist honiolog der couche albumineuse, und der fliramernde oder nicht flinimernde Mantel der erstern ist gleichzusetzen der couche chi- tinogene. Die Art und Weise der Entwicklung dieser Hullen ist bei beiden Cestodenabtheilungen diesclbe. Ich fasse daher aus demselbcn Grunde, wie ich es oben fur die Bothriocephalen gethan habe, die Epibolie bei der Bildung der eiweissartigen und chitinosen Hulle als Gastrulation auf und die Hullen selbst fur die einzigen Ektoblastgebilde. Mithin wiire die Tiinienlarve ebenfalls rein entodermal ; sie entspricht vol- hg der Bothriocephaluslarve ; auch in ihr sind bereits Rinden- und Marksubstanz durch die Verschiedenheit der sie zusammensetzen- den Zellen angedeutet. Bei dieser Anschauungsweise der Cestodenentwicklung ware es nun in der That gleichgultig , wie viel Erabryonalhullen sich ausbilden, und es sind ja, namentlich von altern Beobachtern, bei einigen Tanien auch wirklich mehr wie zwei beschrieben worden. Sollten sich diese Falle wirklich bestatigen, so ist bei ihnen statt der zweimaligen successiven Ausbildung des Ektoblast eine drei- oder vierfache getreten. Bei den Bothriocephalen und bei Tania serrata ist das Mate- rial zur Ektoblastbildung bereits nach zweimaliger Epibolie er- schopft; denkbar sind jedoch aber sehr gut Falle, in denen es ausreichen wtirde, um die Zahl der aufeinanderfolgenden Ekto- blastabstossungen zu vermehren, wobei es auch nicht in Betracht kame, ob dieselben durch Delamination oder Epibolie sich voll- ziehen ; denn einerseits sind dieses offenbar nicht sehr verschiedene Vorgange, und andrerseits werden sich sicherlich, wenigstens bei den „Cestoden" die meisten „Delaminationen" bei genauer Be- obachtung als Epibolien herausstellen. Jedenfalls ist die eigentliche Larve bei den verschiedenen Cestoden eine stets feststehende Bildung, mag auch sonst die Zahl oder Beschaifenheit ihrer Hullen noch so verschieden sein. Bei 504 Dr. H. Schauinsland, ihrer Reife ist saramtliches Ektoblast zur Bildung von Hiillen ver- wendet worden ; sie besitzen keins mchr. Auf diese Weise lassen sich jene komplicirten Verhilltnisse jedenfalls besser erklaren, als wenn man, wie es, glaube ich, wirk- lich versucht worden ist, von der aussersten Htille anfangen wiirde iind nun die verschiedenen Keimblatter herauskonstruiren wollte; man wiirde dann mit der bis dahin als feststehend angenommenen Zahl von Keimblattern garnicht ausreichen, da vielleicht mehr Schichten abgeworfen werden, als iibcrhaupt Keimblatter vorhan- den sind. Bei einem Vergleich miissen wir vom Embryo selbst ausgehen und centrifugal nicht centripetal vorschreiten. Eine fast noch grossere namentlich aussere Uebereinstimmung in der Entwicklung zeigen die Trematodeu mit den Bothrio- cepbalen. Da ja auch die Form des Eis mit Ausnahme vielleicht der etwas verschiedenen Grosse, seine Zusammensetzung, sein Dot- terreichthum etc. in diesen beiden Wurmabtheilungen so ubereinstim- mend ist, so wiirde es in der That besouders bei jiingern Entwick- lungsstadien schwierig sein , mit Bestimmtheit zu sagen , ob man einen Trematoden oder Bothriocephalenembryo vor sich hat. Eine Hiillmembran ist bei beiden vorhanden und die A.rt ihrer Entwicklung ist vollig rait einander iibereinstimmend, wie auch die Entstehung der strukturiosen Cuticula oder der Wimperhiille der Trematoden keine Abweichung von jener des flimmernden oder nicht flimmernden Mantels der Bothriocephalen zeigt. Die ganze Entwicklung iiberhaupt ist in ihren Grundziigen vollig gleich; die einzigen Unterschiede bestehen in der weitern Differenzirung des Bothriocephalenmantels und der etwas komplicirteren spatern Aus- bildung der eigentlichen Trematodenlarve. Als homologe Bildungen sind also aufzufassen die Hiillmembra- nen, und der flimmernde oder nicht flimmernde Mantel der Bothrio- cephalen ist dem bewimperten oder nicht bewimperten Ektoderm der Trematoden gleichzusetzen. Hieraus ergiebt sich dann auch die entsprechende Homologie der Trematoden mit den Tanienhullen. Diese Ansicht habe ich bereits am Schlusse meiner Unter- suchung iiber die Tremadotenentwicklung (43) als Vermuthung ausgesprochen , nachdem ich vorher die einzeluen ektodermalcn Bildungen in anderer Weise mit einander verglichen hatte, weil eben die einzelnen Hullen der Bothriocephalen noch nicht bekaniit waren. Jetzt dagegen kann es keinem Zweifel uuterliegen, dass der eiuzige richtige Vergleich der obige ist. Die embryonale Entwicklung der Bothriocephalen. 565 Hieraus musste dami wiederum der Schluss gezogen werden, dass die Treniatoden ebenfalls kein Ektoderm in gewohnlichera Sinne besitzen. BiEiiKiNGEii (44) beschreibt uun allerdings bei einigen von ihm untersuchten jiingern Sporocysten, eine diese umschliessende feine Haut mit eiugelagerten Kernen , welclie jedocli bei der an altem Exemplaren eintretenden allgeraeinen Gewebedegeneration ruckgebildet werden, und vertritt demnach die Ansicht, dass die Trematoden eine echte Epidermis, welche der Hypodermis der ubrigen Wiirmer entspricht, haben. Jedeufalls sind die Uutersucliungen dariiber noch lange nicht abgeschlossen und wegen ihrer grossen Schwierigkeiten werden sie so rasch wohl auch nicht bis zu dera Grade gediehen sein, dass es moglicli ist, ein endgiiltiges Urtheil zu fallen, ohne Ver- muthungen Spielraura zu gewahren, welche mehr oder weniger Anspruch auf Richtigkeit machen konnen ; es ist eben nothwendig, einen Trematodenembryo bis zu seiner Verwandlung in eine Sporo- cyste Oder Redie Schritt fur Schritt zu verfolgen. Bis jetzt weiss man mit Sicherheit nur, dass die bewimperten Tre- matodenlarven ihren Cilienmantel beim Eiuwaudern in einen Wirth abwerfen, was Wagner (41) bei Distomum cygnoides und Leuckart (42) bei Distomum hepaticum nachgewiesen haben. Einstweilen ist die Annahme daher immer noch zulassig, dass die Sporocysten, welche Bieringer untersucht hat, ihre Embryohiille noch nicht abgeworfen, sondern sie in das Wohn- thier mit hiniiber genommen hatten, dass die „Epidermis" da- her einen Ueberrest von dieser Hulle darstelle, welche erst s pa- ter vollig verschwindet , und namentlich konnte das dann der Fall sein, wenn die Sporocysten nicht von bewimperten son- dern von unbewimperten Larven abstammen wiirden. Von den Vorgangen, welche sich beim Einwandem der nackten Trema- todenlarven abspielen, weiss man vorlaufig noch garnichts. Bei Distomum tereticolle fand ich (43), dass in den von mir als Ekto- blast bezeichneten Zellen allmahlich die Kerne vollig verschwin- den bis auf diejenigen, welche zu den acht Borstenplatten ge- horen, und die noch langere Zeit hindurch sichtbar bleiben. Zum Schluss sind aus der Schicht flacher Ektoblastzellen eine struktur- lose Cutikula und mehrere mit Chitinborsten besetzte Flatten entstanden. Was nun aus dieser Cutikula aber beim Einwandera wird ist vollig unklar; moglich ist es, dass sie nicht sofort ab- geworfen, sondern in das Wohnthier mit hiniibergenommen wird, 566 Dr. H. Schauinsland, wie es auch nicht unwahrscheinlich ist, dass sich in ihr bei and em Arten langere Zeit hindurch wie bei Distomum tere- ticolle Kerne nachweisen lassen, und dass d i e s e von Biehringer gesehen worden sind. Ebenso lassen sich vorlaufig auch noch keine sicheren Schliisse auf die „Epidermis" der Geschlechtsgeneration der Tremato- den Ziehen, wenngleich Biehringer an Cerkarien „eine glas- helle, doppelkontourirte Haut, welche in Erweiterungen einen Oder mehrere Kerne enthalt", gefunden hat. Ich selbst hatte bereits diese „Haut" gelegentlich meiner Trematodenuntersuchungen gesehn; ob dieselbe aber zur bleibeu- den Epidermis der Trematoden wird, ist vorlaufig, so lange wir nicht die vollstandige Entwicklungsgeschichte der Cerkarien bis zum ausgebildeten Trematoden kennen, ungewiss. Es ware ja moglich, dass es der Fall ist, es ist aber auch ebenso leicht mog- lich, dass sie ebenfalls nur eine Embryonalhiille reprasentirt. Beilaufig mochte ich bemerken , dass die Beobachtung Bieh- RiNGERS iiber das Entstehen der Cerkarienkeime in der \V a n - dung der Sporocyste selbst, jedenfalls nicht fiir alle Falle Giiltig- keit besitzt. Ich habe innerhalb eiiier Trematodenamme aus Planor- bis carinata Keime frei f lot tire nd gefunden, welche entweder erst aus einer oder doch nur sehr wenigen Zellen bestanden, und dabei konstatirt, dass bei ihrer Weiterentwicklung bereits sehr friih eine Epibolie stattfindet. Sobald der Keimkorper nur aus drei oder vier Zellen besteht, lagert sich eine von ihnen kalotteu- formig um die andern herum und umwachst sie vollstiindig, in- dem sich ihre Bander verdiinnen; es ist ein ganz ahnliches Bild, wie ich es spater bei der Entwicklung der Bothriocephalen ange- troffen habe (Taf. VII Fig. 31). Wiewohl ich es bis jetzt selbst noch nicht welter verfolgt habe, lasst sich doch wol annehmen, dass diese umwachsende Zelle das erste Entwicklungsstadium jener Hiille ist, welche spater die Cerkarien umgiebt. Auch die Polystomeen mit in diese Betrachtungen hinein- zuziehen hat deswegen seine Schwierigkeiten, weil iiber ihre Ent- wicklung so ausserst wenig bekannt ist. Bei Aspidogaster konnte ich eine Hullmembran nachweisen, welche in Bau und Entwicklung mit jener der Distomeen vollig gleich war. In dieser Hinsicht zeigen die Trematoden mit direkter Ent- wicklung bereits eine Uebereinstitnmung mit den Distomeen; ob dieselbe nun aber noch weiter geht, indem noch eine zweite Em- bryonalhiille vurhandeu ist, ist ungewiss. Weuu es nicht der Die embryonale Entwicklung der Bothriocephalen. 567 der Fall sein sollte, so ware das Material zur Bildung des Ekto- blast bereits durch diese eine Epibolic bei Entwicklung der HuU- raembran erschopft, sodass fiir eine zweite Hiille oder fiir die Bil- dung eines bleibenden Ektoblast kcines mehr zu Gebote standc, wenn es sich eben auch mit Sicherbeit herausstellen wurde, dass die erwacbsenen Thiere ebenfalls kein Ektoderm besiissen. Haben sie dagegen aber dennoch ein solches, so ist nur aus der crsten Epibulie eine embryonale Hullc entstanden, wahrend die Zellen, welche bei den Distomen die Flinimerhulle oder bei den Bothrio- cephalen den Mantel bilden, hier nicht zum Aufbau eines so ver- giinglidien Organes angewendet werden, sondern eine bleibende Epidermis zusammensetzen. Es ist wohl selbstverstandlicli, dass diese Erwagungen, so- lange keine thatsachlichen Beobachtungen vorliegen, von mir natiir- lich nur als Vermuth ungen hingestellt werden. — Bei der Entwicklung von Amphilina, jenes interessanten und in Betreff seiner systematischen Stelluug noch immer etwas zwcifelhaften Thieres, entsteht nach Salensky (39) aus den ersten Furchungselementen der Eizelle zunachst eine Embryonalhulle. Erst dann, nachdem sich diese vollig gebildet hat, erscheint in ihrem Innern ein Zellhaufen, welcher die erste Anlage des Embryos dar- stellt. Die Hiille zieht sich darauf etwas zuruck und in dem durch diese Abtrennung entstandenen Raume treten zwei Zellen auf, welche bestandig an den Polen des Eis gelagert bleiben, und die Salensky daher auch Polzellen nennt. Obgleich sie am hiiufig- sten zu zweien auftreten, kaun bisNveilen auch nur eine erscheinen, oder ihre Zahl kann sich auch bis auf sieben erhohen, und wie- wohl sie meistens am vordern Eipol liegeu, kounen sie bisweilen auch am hintern Pol beobachtet werden. Es sind blaschenformige Zellen mit durchsichtigem Inhalt und kleinen, stark lichtbrechcu- deu Kernen. Hochst wahrscheinlich sind sie, wie Salensky meint, aus der Erabryonalhiille entstanden, wofiir auch der Umstand sprechen soil, dass sie gerade zu jenerZeit auftreten, wenn sich die Embryonalhulle von der Eihiille trennt. Von weiteren Ver- anderungeu konnte nur beobachtet werden, dass die zellige Struktur der Embryonalhaut allmiihlich schwindet, und dass diese schliesslich mitsammt den Polzellen einer Degeneration anheimfallt. Beim Ausschlupfen gelangt sie durch ein en Spalt der Eischale zunachst; 568 Dr. H. Schauinsland, ins Freie und mit ihr der darin eingeschlossene Embryo selbst. Nach einigeu euergischen Bewegungen desselben wird dann auch die Hiille abgestreift. Die Larve, welche zehn feine Hakchen be- sitzt, ist auf ihrer vorderen Hiilfte mit sehr feinen Flimmercilien bedeckt uud im Uebrigen mit einem derben cutikulaartigen Ueberzug bekleidet. Ihre Korpermasse wird im vorderen Theil aus grossen Driisen-, im hinteren dagegen aus kleineren kugelformigen Zellen gebildet. Bereits Salensky weist auf die Aehnlichkeit bin, welche zwischen der Entwicklungsgeschichte von Amphilina und Bothr. proboscideus besteht, abgesehen davon, dass der Embryonalkorper erst dann erscheint, wenn die Hulle ihre hochste Ausbildung er- fahren hat. Er halt die Embryonalhiille homolog mit jener von Metschnikoff bei B. proboscideus beschriebenen uud ebenso mit den Wimperhiillen der andern Bothriocephaleu. Auch ich mochte die grosse Uebereiustimmung in der Ent- wicklung der Amphiline und des B. proboscideus oder auch des von mir untersuchten B. rugosus betonen; sie ist anfangs sogar vollig gleich, was namentlich eine Betrachtung der Salenskyschen Figuren 28 — 30 darthut. Salensky's „Polzellen" sind eben nichts anderes, wie die grossen Kerne, welche sich auch bei B. rugosus zeigen. Ihre Zahl und Lage ist eben so wechselnd wie dort, und sie sind jedenfalls auch nicht erst von der Embryonal- liiille nachtriiglich entwickelt, sondern sie sind die Kerne jener Zellen, welche ihrerseits die Hiille gebildet haben. Es ist daher wahrscheinlich , dass nicht die gesammten ersten Fur- chungszellen die Hiille zusammengesetzt haben, sondern nur ein Theil derselben, und dass die iibrigen bereits auch zur ersten Anlage des Embryos verwendet werden, sodass die Entwicklung von Hiille und Embryo nicht nacheinander, sondern ueben- einander verlauft wie bei Bothr. rugosus. Dass die Embryonalhiille der AmphyUna homolog der nackten Hiille von B. proboscideus und der bewimperten der iibrigen Bo- thriocephalen sein soil, ist nicht richtig; sie ist vielmehr der Hiillmembran derselben gleichzusetzen. Ob ein ahnliches Gebilde wie der Flimmermantel der Bothrio- cephaleu auch bei Amphiline vorhanden ist, ist bis jetzt zweifel- baft, denn cs ist fraglich, ob die theilweise tiimmernde Cutikula derselben ihm entspricht, obgleich sich aus der Flimnierung der jVmphilinalarveii schliessen lassen konnte, dass auch sie spiiter Die embryonale Entwicklung der Bothriocephalen. 569 eine ahnliche Metamorphose durchmacht, wie so viele andere Plathelminthen , welche dabei ihres Wimperkleides verlustig gehen. — Es ist zweifellos, dass zwischen den betrachteten Gruppen der Platoden, dcu Bothriocephalen, Tanien und Trematoden theils eine vollige, theils eine grosse Uebereinstimmung in der Entwick- lung herrscht. In wie weit dieselbe auch bei den tibrigen, den Turbellarien und Nemertinen besteht, lasst sich vorlaufig noch nicht iibersehen, wenngleich es sehr wahrscheiulich ist, dass die Aehn- lichkeiten, welche letztere in ihren Entwicklungsvorgangen , na- mentlich in Bezug auf das Ectoblast (44 und 45) zeigen, nicht nur zufiillige sind. — Bd. XiX. N. F. III. 37 570 Dr. H. Schauinsland, Litteratur. Bothriocephalen. 1. Abildgaaed, Om ludwolde Orm. Scrifter of naturhistorik Selskabet. Kjobenhavn 1770. 2. C. A. Rtjdolphi, Entozoorum Synopsis. Berolini 1819. 3. Ceeplin in Ersch's und Gruber's Encyclopadie. I. Serie. 1824. 4. C. Th. v. Siebold in Burdachs Physiologie III. 2. Aufl. 1837. 5. EscHRicHT, Anatomisch-physiologische Untersucliungen iiber die Bothriocephalen. Verhandlungen der Kaiserlich - Leopoldinisch- Carolinischen Akademie der Naturforscher. 19. Bd. II. Suppl. Breslau und Bonn 1841. 6. A. KoLLiKEE, Beitrage zur Entwicklungsgeschichte wirbel- loser Thiere. Miiller's Archiv 1843. 7. C. Th. v. Siebold, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Thiere. 1848. 8. G. R. "Wagner, Die Entwicklungsgeschichte der Cestodeu. Verhandlungen der Kaiserlich Leopold. -Carol. Akademie der Natur- forscher. Breslau und Bonn 1854. 9. K. Wedl, Zur Ovologie und Embryologie der Helminthen. Sitzungsberichte der k. k. Akademie der Wissenschaften zu Wien, 1855, 10. ScHUBAKT, Tagblatt der Versammluug der Naturforscher uud Aerzte in Bonn. 1857. S. 19. 11. Steensteup, Overs, konigl. danske Videnskab. Selskab. Eor- hand. 1857. 12. G. R. "Wagenee, Helminthologische Bemerkungen aua eiuem Sendschreiben an C. Th. v. Siebold. Zeitschrift fiir wissenschaftliche Zoologie. 1858. 13. K. Wedl, Zur Helminthenfauna Aegyptens. II. Theil. Sitzungsberichte der k. k. Akademie der Wissensch. zu Wieu. 1861. 14. J. Enoch, Die Naturgeschichte des breiten Bandwurms mit besonderer Beriicksichtigung der Entwicklungsgeschichte. M^moires de Tacademie imperials de St. Peterbourg. Vol. V S^rie 7. 1863. Die embryonale Entwickluug der Bothriocephalen. 571 15. R. Lkuckart, Die Parasiten des Menschen. 1. Aufl. 1863. 16. M. Bertolus, Sur le d^veloppement du Bothriocephale. Comptes rendus. 1863. 17. J. Enoch, Die Entwicklungsgeschichte des Bothriocephalus proboscideus als Beitrag zur Embryologie des Bothr. latus. Bulletins de racadernie de St. Petersbourg. 1866. 18. Metschnikoff , Observations sur le developpement de quel- ques auimaux. Bull, de racadernie Imp. de St. Petersbourg. 1869. 19. E.. V. WiLLEMOES-SuHM, Hclminthologische Notizen I. Zeit- schrift fiir wissenschaftliche Zoologie, Bd. 19. 1869. 20. Stepanoff, Arbeiten der Gesellsch. uaturforschender Freunde in Charkow, Bd. VII. 21. Ed. van Beneden, Recherches sur la composition et la signi- fication de I'oeuf. M^moires couronnds de I'academie royale de Belgi- que. Bruxelles 1870. 22. R. V. WiLLEMOES-SuHM, Helmiuthologische Notizen II. Zeit- schrift fiir wissenschaftliche Zoologie. Bd. 20. 1870. 23. Derselbe, Helmiuthologische Notizen III. Ibidem Bd. 23. 1873. 24. DucHAMP, Recherches anatomiques et physiologiques sur les Ligules. Lyon 1876. 25. Derselbe, Annales des sciences naturelles. 1876. 26. Derselbe, Comptes rendus. 1877. 27. Derselbe, „ „ 1878. 28. Derselbe, Annales des sciences naturelles. 1878. 29. DoNNADiEu, Contributions a I'histoire de la Ligule, Journal de I'anatomie et de la physiologic 1877. 30. MoNiEz, Embryogenie de la Ligule. Bulletin scientifique du Nord. 1880. 31. Derselbe, Memoires sur les Cestodes. Paris 1881. 32. Leuckakt, Die Parasiten des Menschen. 2. Aufl. 1880. 33. KiESSLiNG , Ueber den Bau von Schistocephalus dimorphus. Crepl. und Ligula simplicissima. Rud. Archiv fiir Naturgeschichte 48. Jahrgang 1881. 34. M. Beaun, Zur Frage des Zwischenwirthes von Bothrio- cephalus latus, Bd. I. Zoologischer Anzeiger. 4. Jahrgang. 1881. 35. Derselbe, ibidem Bd. II, III und IV. 5. Jahrgang. 1882. 36. RiEHM, Fiitteruugsversuche mit Ligula simplicissima. Zeit- schrift fiir gesammte Naturv^issenschaften. Halle. 55. Bd. 1882. 37. M. Beaun, Ueber die Herkunft von Botriocephalus latus. Virchow's Archiv. 88. Bd. 1883. 37* 572 Dr. H. Schauinsland, Die embryo nale Entwicklung etc. 38. R. Leuckaet, Berichte iiber die Leistungen etc. Archiv f. Naturgeschichte. 39. Salenskt, Ueber den Bau und die Entwicklungsgeschichte der Amphylina. Zeitschrift fiir wissenschaftliche Zoologie Bd. XXIV. 1874. 40. E. VAN Beneden, Recherches sur le developpement embryo- naire de quelques T^nias. Archiv de Biologie. Vol. II. 1881. 41. G. Wagenek, Beitrage zur Entwicklungsgeschichte der Ein- geweidewiirmer. Eine von der hollandischen Societat der Wissen- schaften zu Harlem 1855 gekronte Preisschrift 1857. 42. R. Leuckaet, Zur Entwicklungsgeschichte des Leberegels. Archiv flir Naturgeschichte. 1882. 43. H. Schauinsland, Beitrag zur Kenntniss der Embryonalent- wicklung der Trematoden. Jenaische Zeitschrift fiir Naturwissenschaft Bd. XVI. N. F. Bd. IX. Jena 1883. 44. C. K. Hoffmann , Zur Anatomie und Outogenie von Mala- cobdella. Niederlaudisches Archiv fiir Zoologie, Bd. IV. 1877. 45. J. JiJiMA, Untersuchungen iiber den Bau und die Entwick- lung der Siisswasserdendrocoelen (Tricladen). Zeitschrift fur wissen- schaftliche Zoologie, Bd. 40. 1884. 46. J. BiEHBiNGER, Zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Trematoden. Arbeiten aus dem zoologisch-zootomischen Institut in Wurzburg, Bd. YJI. 1884. Tafelerklarung. Fiir alle Figuren gelten folgende Bezeicbnangen : al Aeussere Mantellamelle, dt Dotter, dtz Dotterzellen, ebz Erabryonalzellen, ec Ektoblast, en Entoblast, es Eischaale, ez Eizelle, Sammtliche Figureu wurden Vergrosserung ist: Zeiss. Object. hm Hiillmembran, hmz Hiillmembranzellen, // Innere Mantellamelle, n Kerne der Hullmembranzellen, ne Kerne in dem Mantel, rk Richtungskorper, Ec Ektoderm, En Entoderm, mit dem Prisma gezeichnet. Die K Immers. und Ocul. 1 — 3 , also eine 590 bis 1060-fache. Die Praparation bestand meistens in einer Hartung durch 1 bis 2 ^ Osmiumsaure, bisweilen auch durch Sublimat und nachtragliche Farbung mit verschiedenen Carminen. Tafel vn. Fig. 1 — 2 8. Bothriocephalus rugosus. Fig. 1. Die ovale Eizelle ist mitten im Dotter gelegen. Fig. 2. Der Nahrungsdotter besteht aus noch vollig intakten Dotterzellen. Fig. 3 Fig. 4 phiaster auf. Fig. 5, In der Eizelle bemerkt man eine grossere und eine kleinere sternformige Figur, letztere vielleicht von einem einge- drungenen Spermatozoid herriihrend. Fig. 6. Die Eizelle hat sich getheilt. rk Richtungskorper. Fig. 7 — 19. Eutstehung der Hiillmembran. Die Eizelle ist an dem einen Pol des Eies gelagert. In der Eizelle tritt als Beginn der Furchung ein Am- Fig. 7. An den beiden Polen des Eis liegt je eine grosse Zelle, die Hiillmembranzellen. Die 4 Embryonalzellen zeigen Keru- spindeln. Fig. 8 — 11. Osmiumpraparate. Bei den Zellen der Hiill- membran ist, wie im frischeu Zustande, nur das Kernkdrperchen sebr deutlich, wahrend die Contouren des Nukleus kaum bemerkbar sind. Fig. 8. Die Zabl der Embryonalzellen ist bedeutender geworden. Die Kander der Hiillmembranzellen haben sich diinn ausgezogen, so- dass sie den gesammten Eiinhalt bereits einschliessen. Fig. 9. An dem einen Pol befinden sich zwei Hiillmembran- zellen, an dem andern keine. Fig. 10, Nur an dem einen Pol ist eine Hiillmembranzelle bemerkbar, die durch einen deutlichen Spalt von den iibrigen Em- bryonalzellen getrennt ist. Fig. 11. An jedem Pol ist eine Hiillmembranzelle. Fig. 12 — 14. Eier, welche mit Osmium und Essigsaure be- handelt sind, wodurch der Kern deutlicher hervortritt. Gleichzeitig ist durch die Preparation der Embryoualzellhaufen geschrumpft , so- dass sich die Hiillmembran, in welcher die Kdrper der sie zusammen- setzenden Zellen noch zu erkennen sind, deutlich abhebt. Der Dotter ist bis auf wenige Reste geschwunden. Fig. 15 — 17. Sublimatpraparate. Der sehr grosse Nukleus der Hiillmembranzellen zeigt scharfe Contouren. Der Haufeu der Embryonalzellen hat eine kugelformige Gestalt angenommen. Fig. 16. Der in den Hiillmembranzellen noch euthaltene Rest von Protoplasma ist nur noch in Gestalt von feinen Fiidchen vor- handen, und allein in der Umgebung des Kerns ist dasselbe noch etwas starker angehauft. Fig. 17. Der Eiinhalt ist etwas geschrumpft, wodurch namentlich die Hiillmembran sehr deutlich sichtbar geworden ist. Fig. 18 u. 19. Frische Eier, in demselben Entwicklungs- stadium wie Fig. 17. Die Hiillmembran ist als solche nicht deutlich zu erkennen, nur die sehr grossen Kerne in ihr treten scharf hervor. Fig. 2 0 — 2 8. Entwicklung des Ektoderms. Fig. 2 0. Die Umwachsung des Ektoblastes ist noch nicht voUig beendet. Fig. 21. Die Epibolie ist vollendet; die Ektoblastzellen schliessen das Entoblast voUig ein. Fig. 2 2. Das Ektoblast beginnt sich zu verdicken. Das in der Hiillmembran uoch vorhandene Protoplasma hat sich mit sammt den Kernen in Folge von Schrumpfung etwas von dieser zuriick- gezogeu. Fig. 2 3. Das Ektoblast bildet jetzt bertits eine mantelartige Hiille. Zwischen der inuereu und der ausseren Lamelle derselben beginnt sich korniges Protoplasma anzuhiiufeu. Die Kerne der Ektoblastzelleu haben sich slaik vermehrt. Zwischen Ektoblast und Entoblast ist bereits ein Spalt sichtbar. Fig. 2 4 u. 2 5. Zwei frisch untersuchte Embryonen. Die La- mellen des Mantels sind weiter auseinandergeriickt. Die Hakcheu treteu auf. Fig. 2 6. Der Embryo ist birufdrmig geworden. Die Ansamm- lung der kdrnigen, protoplasmatischen Masse zwischen den Mantel- lamelleu ist bereits eine sehr bedeutende. In Folge von Schrumpfung ist der Spalt zwischen Embryo und Mantel betrachtlich vergrossert worden. Fig. 2 7. Die aussere Mantellamelle beginnt sich in Falten zu legen. Die Kerne der Hiillmembran sind zum Theil riickgebildet. Fig. 2 8. Durch die geplatzte Schaale ist der Embryo theil- weise herausgetreten , und der im Freien befindliche Abschnitt des Mantels hat sich kugelformig aufgeblaht. Fig. 29 — 3 8. Bothriocephalus latus. Fig. 29 u. 3 0. Frisch untersuchte Eier. Fig, 2 9. Ein ziemlich friihes Stadium. Die Dotterzellen sind noch vdllig intakt. Fig. 3 0. Der Embryonalzellenhaufen hat an Umfang zuge- nommen. Von den Dotterzellen sind die meisten bereits zerfallen. An der Peripherie des Eiinhaltes macht sich die Hiillmembran be- merkbar. Fig. 3 1. Osmiumsiiurepraparat. Die grossen Dotterzellen sind noch vollig unversehrt. Von den 4 Embryoualzellen beginnt die eine (ec) , die erste Ektoblastzelle , die drei Ubrigen, das Entoblast, zu umwachsen. An der Oberflache des Dotters sind vier zur Hiill- membran gehorige Zellen sichtbar {/imz). Fig. 3 2. Die Epibolie der Ektoblastzelleu ist beendet. Der Nahrungsdotter, dessen Zellen noch zum grdssten Theil intakt sind, ist noch sehr machtig. Die Hiillmembran ist wegen Schrumpfung des iibrigen Eiinhaltes sehr deutlich sichtbar. Fig. 3 3. Der junge Embryo ist zum Ei herausgepresst. In der Schaale sind nur einige Dotterzellen und die Hiillmembran zuriick- geblieben. Fig. 3 4. Ebenso wie vorige Figur, nur dass der Embryo etwas alter ist. Auf dem aus den Ektoblastzellen entstandeuen Mantel zeigen sich bereits kurze Flimmerhaare. Fig. 3 5. Ein zum Ausschliipfen reifer Embryo (frisch). Das Dottermaterial ist bis auf "wenige Ueberreste aufgebraucht. Dagegen hat sich zwischeu den beiden Lamellen des Mantels eiue Menge von grobkornigem Protoplasma angehauft. Fig. 3 6, 37 u. 38, Aus dem Ei herausgepresste Embryonen bei starkerer Vergrosserung. Sie zeigen die allmiihliche Umwaadluug der Ektoblastzellen in den Wimpermantel. Letzterer ist beim Heraus- driicken eingerissen uud hat sich dadurch etwas von dem Entoblast losgelost. Tafel Vin. Fig. 1 — 6. Bothri 0 cephalus latus. Fig. 1. Eine Larve, welche vor nicht langer Zeit ausgeschliipft ist. (Frisch). Fig. 2. Eine etwas altere Larve. Die beiden Lamellen des Mantels sind weiter auseinandergewichen. Zwischen ihnen spannen sich feine Protoplasmafadchen aus. (Frisch). F i g. 2a. Ein Theil des Mantels bei oberflachlicher Einstellung betrachtet. Fig. 3. Osmiumsaurepraparat durch Nelkenol aufgehellt. Die Protoplasm astrange zwischen den beiden Mantellamellen treten sehr deutlich hervor. An ihnen sind einzelne Kerne suspendirt. Die nur an sehr wenigen Stellen mit dem Mantel zusammenhangende Larve ist in ihrem Centrum aus grossen, an der Peripherie aus kleinen Zellen zusammengesetzt. F i g. 3a. Einige durch Maceration einer Larve isolirte Zellen mit feiuen Auslaufern. (Immers. K. Ocul. 3), Fig. 4. Eine Larve, an der die iiussere Mantellamelle gerissen ist, sodass das Thier , nur von der innern umhiillt, zum grossten Theil aus ihr herausgeschliipft ist. (Frisch). Fig. 5. Beide Mantellamellen sind gerissen, sodass das Thier aus beiden herausgeschliipft ist. Fig. 6. Die aussere Mantellamelle ist bereits geplatzt , als der Embryo sich noch im Ei befand, und hat sich zu einer unformlichen Masse zusammengeballt. Fig. 7 — 19. Triiinophorus nodulosus. Fig. 7. Ein ausnahmsweise sehr klares Ei. In der Masse des Dotters, welcher noch eine Menge von Kernen aufweist, sind an dem einen Pol zwei kleine Zellen sichtbar, welche offenbar zur Htill- membran gehoren. An dem runden Haufen der Embryonalzellen machen sich einige wenige flache Ektoblastzellen bemerkbar. Fig. 8. Ein fast reifer Embryo. Fig. 9. Eine Larve im Augenblick des Ausschliipfens. Fig. 10. Eine Larve kurz vor dem Ausschliipfen. (Frisch). Fig. 11 — 13. Eben ausgeschliipfte Larven mit noch vollig •wurmformiger Gestalt. Fig. 14. Die Larve beginnt sich etwas mehr der Kugelgestalt zu nahern. Der Mantel liegt der Larve noch immer sehr fest an. (Frisch). Fig. 15. Eine Larve nach iLingerem Aufenthalt im "Wasser. Der Mantel hat sich etwas mehr aufgeblaht. Die aussere Lamelle hangt am vordern Theil der Larve enger mit der innern zusammen nnd ist dadurch trichterformig eingesenkt. Fig. 16. Der Mantel hat sich weiter aufgeblaht, und zwischen seinen beiden Lamellen spannen sich eine Menge Protoplasmafadchen aus. An dem vordern Theile ist der Zusammenhang durch einen etwas starkeren Strang hergestellt. Die eigentliche Larve hangt nur noch durch einige feine Fadchen mit dem Mantel zusammen; sie wird im Centrum aus grossen, an der Peripherie aus kleineren Zellen gebildet. Fig. 17. Der Mantel hat sich ausserordentlich stark aufge- blaht, — und zwar hat sich hieran nicht nur die aussere, sondern audi die innere Lamelle betheiligt — , sodass die Flimmerhaare, welche kaum noch funktioniren, ziemlich weit auseinanderstehen. Das wenige im Mantel noch enthaltene Protoplasma hat sich zusammen mit den Kernen an einzelnen Stellen aufgehauft. Fig. 18. An der Aufbliihung des Mantels hat sich die innere Lamelle gleichfalls sehr stark betheiligt. Die Cutikula der eigent- lichen Larve zeigt kleine Faltchen. Fig. 19. An der eigentlichen Larve hat sich die Cutikula blasenformig abgehoben. Fig. 2 0. Ligula, (Frisch). Die aussere Mantellamelle ist ge- platzt; die aus ihr herausgequollene Larve ist nur noch von der innern umhiillt. Tafel IX. Fig. 1 — 7. Ligula. Fig. 1. Ein ziemlich junges Stadium. Die Kornchen in den Dotterzellen sind nicht gleichmassig vertheilt, sondern an einzelnen Stellen derselben starker angehiiuft. Au den Erabrj-onalzellen lasscu sich zwei fiache Ekloblastzellen unterscheiden. (Frisch). Fig. 2. Eine reife Larve im Ei. (Frisch). Innerhalb des Man- tels liegeu die grobeu Protoplasmakorner mehr an der innern La- melle angehiiuft, sodass dadurch an der aussern ein heller Saum entsteht. Fig. 3 u. 4. Osmiumsaurepriiparate. Starkere Vergrosserung. Fig. 3. An der Hiillmembran sind liingliche Kerne zu sehen. Die Larve besteht aus grossen, im Centrum befindlichen Kernen und kleinern, an der Peripherie gelegenen. In dem Theil der Larve, in dem die Haken liegen, befinden sich nur wenige Kerne. Fig. 4. An die Haken setzen sich Muskelzellen an. Fig. 5. Ausgeschliipfte Larve. (Frisch). Fig. 6. Im Mantel sind einige Kerne bemerkbar. Fig. 7. In Nelkenol aufgehelltes Praparat, wodurch das Netz- werk zwischen den beiden Lamellen deutlicher geworden ist. Einige Kerne sind an den Fadchen suspendirt. Fig. 8 — 10. Schistocephalus. Fig. 8. Die Zellen der Hiillmembran sind sehr gross und deut- lich. An dem Embryonalzellenhaufen wolben sich die Ektoblastzellen nach innen vor. Fig. 9. Ein zum Ausschliipfen reifer Embryo, Der Mantel liegt dem Embryo sehr fest an. Fig. 10. Eine Larve nach langerem Aufenthalt im Wasser. Die Zusammensetzung der Larve aus grossen und kleiueren Zellen ist sehr deutlich. Fig. 11. Larve eines Bothriocephalen aus Podiceps cristatus. Zwischen den beiden Mantellamellen ist ein sehr regelmassiges und zierliches Netzwerk von Protoplasmafiidchen ausgespannt. Fig. 11a. Ein Theil des Mantels von der vorigen Larve von der Fiache aus betrachtet. unnscln- liiicliJruckerci (llemiaim Polile) in Jena. Die Knospung der Salpen. Von Oswald Seeiiger. (Hierzu Tafel X— XIX.) I. Geschichtlicher Uberblick. Schon den altesteu Beobachterii der Salpen ist der Stolo prolifer, der in seiner ausgebildeten Form als ein machtiges Gebilde selbst dem unbewaft'neten Auge erkennbar ist, bemerkt worden. Freilich bedurfte es einer langen Zeit, bis die wahre Bedeutung dieses Organes fiir die ungeschlechtliche Fortpflanzung erkannt wurde, und gleichwohl namhafte Forscher den Keimstock untersucht haben, sind wir doch immer nocli iiber die wichtigsten Vorgange, welche sich bei der Knospenbilduug abspielen, im Un- klaren. Forskal'), der das Genus der Salpen aufstellte, ohne davon Kenntniss zu nehnien, dass vor ihm scbon Brown mehrere Salpen als „Thalia" beschrieben hatte, sah bereits bei einigen Formen den Stolo prolifer. Die leider sehr ungeniigenden Abbildungen von Salpa democratica (Taf. 36 Fig. G 2) und Salpa fasciata (Fig, B 4), einer, wie es scheint, bis jetzt nicht wiedergefundenen Art, lassen Gebilde erkennen, die wohl nur als Keimstocke gedeutet werden kouuen. Bei ersterer beschreibt er den Stolo, den er nur in eini- gen Exemplaren fand, als „Circulus multi-radiatus, pallide caeru- leus" (p. 113), und fiir Salpa fasciata gibt er an „Supra ilium (nucleum) quasi In testinum parvum, filiforme, transverse-striatum; primo curvatum, dein apice incurvum magis, longitudine unguis" (p. 115). CuYiER*) war der erste, der, gestutzt auf die Mittheilungen Peron's, die Bedeutung des Stolo fiir die Fortpflanzung erkannt hat. Er hielt aber das Organ der ungeschlechtlichen Vermehrung ^) FoBSKAL, „De8criptiones animalium, quae in itinere orientali ob- Bervavit." Hauniae 1775. 2) CuviER, „Memoire sur les Thalides (Thalia Brown) et sur les Biphores (Salpa Forskal)." Ann. d. Mus. nat. d'hist. natur. T. IV. 1804. Bd. XIX. N. F. Xn. Qo 574 Oswald Seeliper, fiir eiiien Eicrstrang und erwilhntc es als cine Eigentliiimliclikeit, dass die aus ihm hervorgehenden jungen Thiere audi nach ihrer Geburt noch langerc Zeit mit einander zu Ketten vercinigt bleiben. Audi bei den Kettensalpen, die fast ausnahmslos nur Ein Ei be- sitzen, glaubte Cuvier an das VorhandcMisein eines Eierstranges und besdireibt denn audi als einen soldien bei Salpa pinnata eine Anhaufung von Mesodermzellen an den seitlichen Wanden der Athemhohle. Carl Vogt hat spiiter das namlidie Gebilde als Seitenorgan (organ lateral) bezeichnet. Einen weiteren Schritt zu einem richtigen Verstiindniss des Salpenstolo that Chamisso ' ). Er wies nach , dass aus dem ver- meintlichen Eierstocke der solitaren Form eine Kettengeneration heivorgeht, welche der Muttergeneration unahnlich ist. Freilich glaubte Chamisso, indem er sidi auf Cuvier's Autoritat stiitzte, dass die Kettenformen aus Eiern sich bilden, und so blieb er bei dem Dimorphismus der Generationen stehen, ohne das wesentliche Moment des Generationswechsels erkannt zu haben, das in einem Wechsel der Fortpflanzungsweise besteht. Seine Auffassung des Entwicklungscyklus der Salpen gibt am besten folgende Stelle wieder, die ich wortlich anftihren will: „Animalia multa ex eadem classe ova pariunt concatenata et animal prorsus simile parenti, singulum ex quoque ovo, prodit. Salparum autem proles solitaria, vice ovoruni, aniinantia concatenata parit, et Salpa solitaria primae similis parenti, ex illis tandem, ut ex ovo ex singulo singula ex- cluditur. Ita ut quodammodo dicere possis, prolem solitariam esse animal et prolem gregatam ova solummodo congregata et viva." (p. 2 — 3). So versuchte er fiir diese so eigenthumlicheu Verhiilt- nisse ein Verstandniss zu gewinnen, indem er auf die Metamor- phose der Insekten und Amphibien hinwies, in welchen er ilhu- liche Erscheinungen zu erkeunen glaubte. Es bleibt das unbestreitbare Verdienst Eschricht's^), zuerst den Salpenstolo mikroskopisch eingehender untersucht und sehr wichtige Verhilltnisse aufgedeckt zu haben. In der Anatomic des Stole war dieser Forscher, trotzdem ihni nur wenige in Alkohol konservirte Exemplare zur VerfUgung standen, weiter gekommen als manche seiner Nachfolger. Ihm war es bereits bekannt, was ^) CiiAwisso, „De animalibus quibusdam e classe vcrmium Linneana in circumnavigalione terrao obsorvatis". lierolini 1819. 2) EscHRicHT, „Anatomisk-physiologibke UndcrsogelscT over Sal- perm'." Selir. (1. konigl. diin. Ges. d. Wiss. nath. u. math. Abli. VIII. 1841, Deutschor Aut^zug in fsis von Oken. 1842 p. 467. Die Knospung der Salpen. 575 diese spiiter noch iibersahen, dass die innere Hohle des Stolo mit den Athemhohlcn der jungen Knospenthierc kommunizirt. Hiitte Salensky (licse Offiiuu^cii an seiiieii Pniparatcu auffindeii konneu, so wiire er vielleicht nicht iu den Irrthum verfallen, die Athem- hohle und den Darnitraktus der Knospen aus dem urspriingliclicn Eierstrange des Stolo abzuleiten. Es ist hochst bemerkcnswerth , dass Eschricht, der durch seine ausgezeichnete Untersucliung eigentlich erst die ungeschleclit- liche Eortpflanzung bei den Salpen bewieseu und dadurch der Theorie vom Generationswechsel die Basis geschaffen hat , dennoch zu dieser sich in schroffen Gegeusatz stellt. Ausdriicklich sagt er: „dic Bedeutung dieser Kette ist weder die einer Kette von Eier- kapseln, noch die eines Eierstockes, einer Gebarmutter, eines Keira- sackes oder eines Keimstockes. Sie ist eine eigene Form, die wohl am zweckmilssigsten Keimrohre genannt werden kann." War er nun hierin , in der rein morphologischen Untersuchung des Stolo prolifer, weiter gekommen als Chamisso, so gelang es ihm andrerseits nicht, sich davon zu uberzeugen, dass diese beiden verschiedenen Fortpflanzungsarten auf verschiedene Individuen streng vertheilt seien, well ihm kein lebendes Material zur Ver- fiigung stand, an welchem diese Beobachtungen leicht zu machen sind. So meint er, „dass uberhaupt alle jungen Salpen einfache, die alten Salpen zusammengesetzte Brut gebaren", dass also ge- schlechtliche und ungeschlechtliche Vermehrung in verschiedenen Lebenszeiten ein und desselben Individuums auftreten. Er glaubt aber, dass die Kettenthiere nicht ihr gauzes Leben hindurch ver- bunden bleiben, sondern dass sie sich spater loslosen und nach unbedeutenden Veranderungen, die er nicht einmal als Metamor- phose gelten lassen will, zu den Solitarformen sich umbilden, welche Keimstocke produziren. Eine ganze Reihe von Widematurlichkeiten, zu welchen eine derartige Auffassungsweise des Entwicklungscyklus der Salpen fiihrt, hat bald darauf Steenstrup ') zu einer scharfen Kritik von Eschricut's Ansichten Veranlassung gegeben, in welcher er nach- weist, dass die von Eschricht selbst geschalieue empirische Grundlage zu der alten, von Chamisso bereits aufgestellten Theorie eines Wechsels der Generationen bei den Salpen zuriickfuhre. Die grundlegenden Ansichten, welche Steenstrup in seinem Werke iiber den Entwicklungscyklus darlegt, sind zu bekannt, als dass ') Steensteup, „tJber den Generationswechsel." Kopenhagen 1842. 38* 576 Oswald Seeliger, icb hier weiter ihrer erwahnen raiisste. Eschricht's Beobachtun- gen an Salpen liber die von der geschlechtlichen Vermebrungsart vollstandig verscbiedene durcb die „Keimr6bre" bat Steenstrup niit Chamisso's Entdeckung zu verbindcn gewusst. Und indem er die ungescblecbtlicbe Fortpflanzung durcb den Stolo als ein „A.ufammen" bezeicbnet und zur Entwicklung durcb Eier in Gegen- satz bringt, legt er zugieicb einen Nacbdruck auf das Wie der Entstebung der Generationen. Krohn ^ ) bat Steenstrup's Hypotbese durcb die Beobacbtung bestatigt und nacbgewiesen, dass sowobl Chamisso's Mittbeilungen von der Aufeinanderfolge dimorpber Generationen als aucb Esch- richt's Angabe von einer von der Eibildung vollstandig ver- scbiedenen Vermebrungsart zutreffend sind. Es gelang ibra fest- zustellen, dass die dimorpben Generationen abwecbselnd durcb ge- scblecbtlicbe und ungescblecbtlicbe Fortpflanzung entsteben, und er bat somit zuerst einen wabren Generationswecbsel bei den Salpen nacbgewiesen. Was seine Mittbeilungen iiber den morpbo- logiscben Vorgang der Knospenbildung und die Entwicklung der Organe in den Kettensalpen anlangt, so sind dieselben nur diirftig. In Bezug auf die Bildung des Keimstockes selbst und die Ent- stebung der jungen Tbiere an demselben beruft er sicb auf Escn- richt, dessen Angaben fiir unsere beutigen Ansprucbe lange nicbt mebr genugen. Krohn fand die junge Stoloanlage bereits beim Embryo auf und erkannte in dem Auftreten der Querfurcben am Stolo den Beginn zur Bildung der Individueu. Die Anordnung derselben und die allmablige Lageveranderung im weiteren Ver- laufe der Ausbilduug bei den verscbiedenen Spezies bat er ein- gebend bescbrieben. Im Beginne der 50er Jabre wendete sicb das allgemeine In- teresse der Zoologen der Anatomic und Eutwicklungsgescbicbte der Salpen zu, und es liegt aus dieser Zeit eine verbiiltnissmassig bedeutende Literatur vor. Die ausfiibrlicbsten , sicb allerdings vielfacb widersprecbenden Mittbeilungen liber die Knospenbildung macbten Huxley 2), Leuckart^) und Vogt*). *) Keohn, , .Observations sur la generation et le developpcraent des Biphores (Salpa)". Ann. sc. nat. III. Ser. Zool. T. VI. 1846. 2) Huxley, „Observations upon the Anatomy and Pliysiologie of Salpa and Pyrosoma". Phil. Trans. 1851. „0n the Anatom. and De- velopment of Pyrosoma". Trans. Linn. Soc. 1860. XXIII. 3) Leuc'Kart, ,,Zoologi8che Untcrsuchungon 2. Heft. Salpa und Verwandte." Giessen 1854. Die Knospung der Sulpcn. 577 Huxley beschrieb den jungea Stolo als ein zweischichtiges Gebilde. Die iiussere Schicbt ist cine Fortsetzung des ektoder- malen Hautepithels des Embryo, die inuere eiue Ausstulpung des Perikardiums. Am Stolo entstehen, wie bereits Esgiiriciit cr- wahnt hatte, vier Reihen buckeiformiger Erhebungen, zwei auf jeder Seite; die beiden oberen Reihen stellen die Anlagen der Gauglien der einzelnen Individuen dar, die uuteren Erhebungen zeigen die Lage des Nucleus an. Die Gestaltsveranderuugen und das Vorwachsen dieser Her- vorragungen sind sehr schon von Leuckart beschrieben wordeu, nur hat er ihnen, wie ich glaube, eine zu selbststandige Indivi- dualitiit zugeschrieben, weun er sie als „Knospeu" bezeichnet. Das friihe Auftreten des Ganglions und der Kieme sowie des Eies hat Leuckart ebeufalls bereits bemerkt. Die umfangreichste Publikation riihrt von Vogt her; leider aber ist dieser Forscher in Bezug auf die Organogenic der Ketten- thiere nicht weiter gekommen als seine Vorganger. Die Mitte der jungen Knospe, wahrscheinlich also die Athemhohle, lasst er mit dem Hohlraum des Stolo in Verbindung stehen, leugnet aber eiue solche zwischen der Leibeshohle der jungen Thiere und den Hoh- lungen des Stolo (p. 43). Einen wesentlichen Fortschritt in der Kenntniss der Knospen- entwicklung der Salpen verdanken wir Kowalevsky ^), der zu- erst, indem er Querschnitte anfertigte, den einzig moglichen Weg einschlug, auf dem dieser hochst verwickelte Prozess ergriindet werden kann. Kowalevsky hat aber nur eine sehr kurze Mit- theilung gegeben, die nicht einraal von erlauternden Figureu be- gleitet ist. Sobald sich der Embryo in die Placenta und in den eigentlicheu Embryo getheilt hat, erscheint hinter dem Endostyl eine dem embryonalen Eierstocke dicht anliegende Ausstiilpung, welche aus Ektoderm, dem Entodermrohre und einem Fortsatze des Eierstockes besteht, der sich sehr bald aushohlt. Fruhzeitig treten zwei Ausstiilpungen der Kloake des Embryo hinzu, die er Kloakalrohren nennt und die jederseits zwischen Ektoderm und Entodermrohr des Stolo verlaufen. Dazu kommt ein Fortsatz des Mesoderms, der zum Nervenrohre des Stolo wird und dem Eierstocks- rohre gegenuber zwischen den beiden Kloakalrohren liegt. (p. 412). "*) Ch. Vogt, „Ilecherches sur les anim. infer, de la Mediterranee. II. Mem. Tuniciers nageantes de la Mer de Nice." Genf 1854. ^) A. Kowalevsky, „Beitrage zur Entwicklungsgeschichte der Tuni- caten." Nachrichteu der konigl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Gottingen 1868 Nr. 19. p. 401. 578 Oswald Seeliger, Es fallt nicht schwer, aus dieser Beschreibung zu entnehmen, dass KowALEVSKV Querschnitte durch Stoloiien vor Augen gehabt hat, die den von mir auf Tafel XIII abgebildeten ungefilhr glcichen. Seine beiden Kloakalroliren sind oftenbar mit den in meinen Ab- bildungen mit h bezeichneten Seitenstritngen identisch; sein Eier- stocksrohr wird in dem mit c bezeichneten Zellstrangc unschwer erkannt werden konnen. Kowalevsky's Angaben beschranken sich auf die Bildung des Stolo, und iiber die Entwicklung der Kettenindividuen an und aus demselben ist gar nichts erwiihnt. Kurz nacheinander erschienen urn die Mitte des vorigen Jahr- zehntes mehrere sehr wichtige Arbeiten iiber die Entwickhings- geschichte der Salpen, die ich hier nur inso^Yeit berucksichtigen kann, als sie die ungeschlechtliche Entwicklung durch Knospung betreffen. ToDARO M hat die allerersten Bildungsstadien des Stolo prolifer bei Salpa pinnata verfolgt und seine Beschreibungen durch sehr schon ausgefiihrte Zeichnungen erliiutert. Wahrend Kowa- LEVSKY den Stolo aus sechs verschiedenen Fortsatzen des Embryo- sich bilden lasst, kennt Todaeo nur drei Gebilde: einen Fortsatz des Ektoderms, eine Ausstiilpung der dicht hinter dem Endostyl gelegenen Athemhohlenwand und zwischen diesen beiden eine sehr grosse Mesodermzelle, die sich rasch zu einem Zellhaufeu (cumulo primitivo) theilt. Dieser urawachst das innere Entodermrohr des Stolo und gliedert sich in vier Zellstrange, welche ebensoviele Reihen knospen- formiger Erhebungen hervorgehen lassen. Die buckelformigen Knospen der oberen und unteren Reihe (bottoni blastodermici) verwandeln sich in je eiu Kettenthier, wahrend die seitlichcn obliteriren, das Nahrmaterial fiir diese und ausserdera die Stolo- blasten licfern solleu. Die beiden Zellhaufen, aus welchen sich Todaro's bottoni blastodermici bilden, sind mit Kowalevsky's Kloakalrohren identisch, die beiden andern mit dem Eierstock- strang und Nervenrohr, und zwar diirfte das Gebilde, aus welchem sich nach Todaro der Stoloblast und die Blutzellcn entwickeln, unser Nervenrohr darstellen. Ich werde weiter unten noch Gelegenheit haben, auf Todaro's Angaben zuriickzukommun und dieselben mit meinen Befundeu zu vergleichen. Die Entstehung dor Knospen am Stolo und die 1) F. Todaeo, „Soprii lo svilluppo e ranutoniia delle Salpc". lloma 1«75. Die Kuospung dcr Salpeu. 579 Entwicklung der einzelnen Organe aus den Gebildeii des letz- tereu ist von ihni nur unvollstilndig beobaclitet wordon, und nanientlich ist in seineu Abbildungcn , \vie schou Salensky niit Recht bemerkt hat, fiir die ersten Stadien die Liicke recht fiihl- bar, was aber darin seine geniigende Erkliirung fiiidet, dass To- DARO der erste war, der Querschnitte durch den Salpenstolo ab- bildete. So ist es denn audi erkliirlich, dass Todauo, indem er sich, wie niir scheint, bei der Deutung seiner Prilparate von seinen theoretischen Anscbauuugen allzuselir leiten liess, in eiuen Irrthum hiueingerieth, der ibn das VVesen der Knospenbiblung bei den Salpen verkennen liess. Wie bekannt, soil sich weder das Ekto- derm noch das Entoderm des Stolo an der Bildung der Ketten- thiere betheiligen , sondern es sollen diese nur aus dem meso- dermalen Zellstrang hervorgehen, der aus der eingewanderten grossen Mesodermzelle des Embryo sich gebildet hat. Wird nun diese als Eizelle angesehen, so kann man natiirlich behaupten, dass aus den einzelnen Furchungszellen dieser neue Individuen (die Kettenformen) geworden sind und wird so dazu gelangen, die Knospung bei den Salpen iiberhaupt zu eliminiren, wie denn ToDARO die Kettensalpen als jungere Geschwister der solitaren ansieht. Weun man sich dabei erinnert , dass in der letzten grossen entwicklungsgeschichtlichen Arbeit iiber Salpen Salensky das Vorhandensein einer eigeutlichen Embryonalentwicklung leugnet und diese als „follikulare Knospung" erkannt zu haben glaubt, so waren wir jetzt gliicklich dahin gelangt, die beiden Phasen im Entwicklungscyklus der Salpen genau umgekehrt aufzufassen als bisher. Sehr kurze "Zeit nach Todaro veroffentlichte Brooks ^) seine Untersuchungen iiber Salpeuentwicklung. Brooks hat sich, indem er auf die Anwenduug der Schnittmethode verzichtete, von vorn- herein die Moglichkeit benommen, in den so ausserst komplizirten Entwicklungsvorgang bei der Knospung eine richtige Eiusicht zu gewinnen. In den wichtigsten Punkten, nanientlich der Ableituug der innereu Stolorohre, schliesst er sich an Huxley an. So hat er die beiden von Kowalevsky als Kloakalrohren bezeichneten Gebilde im Stolo voUstiindig ubersehen, das Nervenrohr als Eier- strang autiassen konnen ^). Bei dieser falschen Voraussetzung ^) Brooks, ,,The development of Salpa". Bui. of the Museum of comp. Zool. at Harvard College. „Uber die Embryologie von Salpa". Arch. f. Naturg. B. 42, 1876. ^) Xur so liisbt sich Bbooks Augabe von einer paarigen Eier- 580 Oswald Seeliger, liisst er dann die Individuen an einer unrichtigeu Region am Stolo entsteheu, und seine beiden Individuenreihen steheu genau um 90 0 von der wirklichen Lage entfernt. Die wichtigste Arbeit iiber die Knospung der Salpen verdanken wir Salensky^). Leider hat er den Beginn der Bildung des Stolo prolifer nicht beobachten konnen und beschreibt als jungstes Stadium das bereits entwickelte Gebilde , in welchem fiinf innere Zellrohren zu erkennen sind , die vom Ektoderm umschlossen werden. Seine Abbildungen von Querschnitten stimmen sehr gut mit meinen Beobachtungen. Da nun Salensky jenes Stadium fiir das jiingste hielt und, vielleicht im Anschlusse an Kowalevsky, aus theoretischen Grunden an eine Entwicklung der verschiedenen Gebilde des Stolo erst in diesem selbst nicht glaubte, versuchte er die Theile des Stolo aus bestimmten Organen des Mutter- korpers direkt abzuleiten. Fiir das Nervenrohr ist ihm dieser Nachweis nicht gelungen , und in Bezug auf den Entodermstrang (Eierstocksrohr nach Kowalevsky) schliesst er sich Todaro an, der die Entstehung aus dem Elaoblast beobachtet hatte. Das Mittel- rohr des Stolo leitet er wie vor ihm Kowalevsky und Todaro im Gegensatze zu Brooks aus dem Entoderm der Athemhohle ab. Die beiden iibrigen , paarigen Zellstriinge (Kowalevsky's Kloakalrohren , Todaro's cumuli primitivi) sind nach soinen Be- obachtungen Ausstiilpungen des Perikardiums. tjber die Ableitung der Organe der Kettenthiere aus diesen sechs Zellrohren des Stolo lauten Salensky's Mittheilungen zum Theil etwas eigenthumlich. Im Gegensatze zu alien anderen Be- obachtern lasst er das Mittelrohr, die Ausstiilpung der entodermalen Athemhohlenwand, sich riickbilden und fur die Bildung der Knospen stocksanlage verstehen. Die beiden Zellstrange solleu nach ihm als isolirte Gebilde an entgegengesetzten Stellen den Stolo durchziehen. Nun wird diese Lage der Eierstocke in der That zwar in bereits hoch entwickelten Knospen erreicht, wie dies in den Figureu 11 auf Taf. XV und 5 auf Taf. XVI von rair gezeichnet worden ist. Ich kann abet nicht glauben, dass Brooks, trotzdem er ausschliesslich Total- praparate untersucht hat, solche Stadien fiir die jiingslen in der Bildung des Stolo gehalteu habo. Brooks hat iibrigens selbst in einer spiiteren Arbeit (On the origin of the eggs of Salpa) seinea Irrthum korrigirt und auf Schnitten iihnliche Bilder wie Salensky erhalten. Eine neue Darstellung der Knospenentwicklung aber hat cr bisher nicht gegeben, ^) Saleksky, „Uber die Knospung derSalpcu". Mori)holog. Jahrb. Bd. Ill, 1877. Die Kiiospuiig dor Salpen. 581 ohne jede Bedeutung seiii. Dagegen leitet er das ganze Entoderm, Atheniliohle niit Kieraenband und Darmtraktiis des Kettenthieres von dem dem Nervenrohregegenuberlicgcnden Gebilde ab, das glcich- zeitig audi die Eier hervorgelien liisst. Das Nervenrohr des Stolo bildet die Ganglien der Kettensalpen , und die beideu seitlichea Strilnge, die Perikardialrohren , bilden das Mesoderm derselben, die Muskulatur und das Herz. Wenn ich nun kurz rekapitulire, so zeigt es sich, dass alle neueren Beobaditer am Salpenstolo ein Stadium erkannt haben, in weldiem derselbe aus sechs Gebilden zusammengesetzt ist, die sich auf dem Querschnitte ungefilhr so darstellen, vvie es in den Abbildungen Fig. 1 — 8 Taf. XIII von mir gezeidmct wordcn ist. KowALEvsKY und Salensky leiten diese Tlieile des Stolo von verschiedenen Organ en des Embryo direkt ab. Das mittlere Rohr, das nach Salensky an der Bildung der Knospen sich nicht be- theihgt, ist eine Ausstulpung der Athemhohlenwand ; das untere entstammt einem Theile des embryonalen Mesoderms , welchen Kowalevsky: Eierstock, Salensky: Elaoblast nennen und der weiterhin nach diesem letzteren Forscher Entoderm und Eierstock hefert. Der Zusammenhang des Nervenrohres mit dem Embryo ist nicht erkannt worden. Die beiden seitlichen Rohren bezeichnet Kowalevsky als Kloakalrohren und leitet sie von der Kloake des Embryo ab, nach Salensky sind sie Ausstulpungen des Peri- kardiums, bestimmt zur Bildung des Mesoderms der Knospe. — Brooks fasst nicht nur den hamalen, sondern irrthtimlicher Weise auch den neuralen Strang als Eierstrang auf. Diese beiden Ge- bilde stellen nach ihm die Mitten der spateren Knospenthiere dar, withrend sie in Wirklichkeit in der Ebene liegen, welche den Stolo spater in zwei symmetrisch gleiche Halften zerlegt. Das Gang- lion und der Darratraktus der einzelnen Thiere sind nach ihm spater auftretende Ausstillpungen des mittleren Rohres , welches er, ebenfalls irrthtimlicher Weise, als Fortsetzung des Perikardiums ansieht. — Nach Todaro endlich differenziren sich die vier inneren, peripheren Strange aus dem embryonalen Mesoderm, der zentrale aus eiuer Fortsetzung der Athemhohlenwand. Die beideu seit- lichen Strange (nach ihm obcrer und unterer, b in meinen Ab- bildungen auf Tafel XIII) bilden allein die spateren Kettenthiere. Die vorliegende Untersuchung beschaftigt sich ausschliesslich mit der Knospung von Salpa democratica, denn ich hielt es fiir angezeigter, die sparlichen Beobachtungen , die ich am Stolo von 582 Oswald Seeliger, Salpa maxima unci runcinata machen konnte und die mir auf eineii sehr tihnlichen Entwickluiigsgaiig zu deuten scheiuen, voll- stiindig zu iibergehen. Lcider stand niir kdn einziger Stolo der Salpa pinnata zur Verfugung, der, nach deu Mittheilungen von ToDARO, VoGT und Krohn zu schliessen , das geeignetste Be- obaclitungsmaterial darbieten diirfte. Wie ich bereits oben erwiihnte, kann man am lebenden Ob- jekte kaum uber den grobsten Verlauf der Knospung nur einiger- niassen einen Einblick gewinnen. Fur ein genaueres Verfolgen der einzelnen Entvvicklungsphasen ist die Anfertigung von Quer- schnitten unerlasslich. Ich habe beinahc ausschliesslich an niit Osmiumsiiure behandeltem Materiale gearbeitet, ohne allerdiugs diese Konservirungsmethode fur ganz besonders geeignet halten zu konnen , weil sich der Stolo stark kontrahirt und leicht uber- miissig schwiirzt. Die epitheliale Anordiiung des Zellmateriales bleibt aber sehr gut zu erkennen, nur miissen die Querschnitte sehr fein sein. Mit den vortrefflichen JuNG'schen Mikrotomen macht aber die Herstellung von * 200 '^^^^ dicken Schuittserieu keine Schwierigkeit. Nach den ToDARo'schen Abbildungen scheint es, dass sich fiir den Salpenstolo ^ ^ Chromsaure noch besser als Konservirungs- fliissigkeit eignet als Osmiumsaure. Leider war mir Todaro's Methode noch nicht bekannt, als ich mein Material sammelte. Fur die alteren Theile des Stolo und die jungen Kettenthiere, wie sie die Querschnitte auf Tafel XVIII darstellen , bewahrt sich die Osmiumsaure sehr gut. Eine Hauptschwierigkeit der ganzen Untersuchung liegt in dem Einhalten einer genauen Schnittrichtung. Bei ganz jungen Sto- lonen, bei denen es sich nur urn Schnittc senkrecht zur Laugs- richtung handclt, gehngt unter dem Mikroskop die Orientirung ganz leicht, wenn man auf dem Objekttrilger einbettet. Wo es sich aber um Querschnitte durch ganz junge Kettenindividuen handelt, ist der Vorgang komplizirtcr und zeitraubender. Da ein Frei- prai)ariren der einzelnen Knospen in den jiingeren Stadien nicht moglich ist, bekommt man die Querschnitte derselben nur auf Liuigssclmitten durch den ganzen Stolo. Die Feststellung der Schnittrichtung wird dadurch erschwert, dass nicht nur die beiden ludividuenreihen am Stolo — wie weiter unteu beschriebeu werden soil — von Anfang an nicht zu einander parallel stehen, sondern auch die einzelnen Knospen an derselben Seite in Folge der spiralformigen Drehung des Stolo mit einander spitze Wiukel Dio Knospung dt-r Salpen. 583 bilden. Uni das zu schneidende Material in die bestimnite Lagc zu bringen , wurde dasselbe im fliissigen Paraffin in einem sehr flachen Uhrschiilclien unter das Mikroskop gebracht und diirch Heben und Senken des Schiilchens das Pi-aparat, welches am Boden des Gefasses liegt, orientirt, bis es durch die erstarrende Flussigkeit selbst festgehalten wird. Nach einiger Zeit wird das Paraffin von dem Uhrschalclien abgehoben, und man tindet an der Oberflache das eingeschmolzene Objekt in der bestimmten Ebene. Nachdem unter dem Mikroskop die Schuittrichtung fest- gestellt wurde, wird die freie Seite mit Paraffin iibergossen, und es kann dann nach der bekannten Methode geschnitten werden. Da das Paraffin nicht zu heiss sein darf, erkaltet es oft, bevor noch die Orientirung im Uhrschalchen unter dem Mikroskop gc- lungen ist; oft leidet auch das eingeschmolzene Stiick beim Ab- heben von der Glasflache, sodass dieses Verfahren einen geduldigen Arbeiter fordert. — Ich will, wie cs auch Salensky und Todaro gethan haben, die Beschrcibung der ungeschlechtlichen Entwicklungsweise der Salpen in zwei Abschnitte theilen , in deren erstem die Bildung des Stolo, in deren zweitem die Entwicklung der Individuen an und aus demselben abgehandelt werden soil. Doch muss hier schon darauf aufmerksam gemacht werden , dass der ganze Ent- wicklungsverlauf ein kontinuirlicher Prozess ist und dass der erabryonale Stolo selbst schon einen Theil der Organe der spateren Kettenformen tragt. Die Knospen diirfen nicht etwa — wie dies nach ToDARo's Mittheilungen geschehen konnte — als eine Neu- bildung am Stolo aufgefasst werden, vielmehr muss schon der junge Stolo als ein Gebilde betrachtet werden, welches die folgende Generation in nuce enthalt. Der Stolo verhiilt sich zur Salpen- kette genau so wie eine junge Embryonalanlage, in welcher bereits die drei Keimblatter zur Ausbildung gelangt sind, zum fertigen Thiere. Im ersten Abschnitte soil also die Entwicklung des Stolo be- schrieben werden und zwar bis zu dem Stadium, welches sich aus fuuf Rohren zusanmiensetzt , die vom Ektoderm umschlossen werden. Es wird sich zeigen, dass die Anlage des Stolo, wie bereits Todaro richtig beobachtet hat, einfacher ist als man bis- her allgemcin anzunehmen geneigt war. Wilhreud aber Todaro nur die Zellen des mittleren Blattes fiir die Bildung der Salpen- kette nothig halt, hofie ich in dieser Abhandlung den definitivcn Beweis zu erbringen, dass in der That Theile aller drei Keim- 584 Oswald Seeliger, blatter des Embryo am Aufbau eines jeden einzelnen Individuums der Salpenkette partizipiren und dass somit bei deu Salpeu wirklich eine von der geschleclitlichen Vermehrung total verschiedeue Fort- pflanzungsart existirt. Damit ist denn den neueren Spekulationen uber den Entwicklungscyklus dieser Thierklasse, welche darauf hiuauslaufen , den Generatiouswechsel in einen geschlechtlichen Dimorphismus aufzulosen, der Boden entzogen. Und wenn es sich bei einer erneuerten Priifung der Embryonalentwicklung , wie ich bestimmt glaube, zeigen sollte, dass audi diese mit den an alien anderen Thiergruppen gewonnenen Resultaten in Einklang sich bringen lasst, so werden wir zu der nur in gewisser Weise mo- difizirten Auffassung des Entwicklungscyklus der Salpen als Generatiouswechsel zuriickkehren mussen. Ich werde mich an dieser Stelle auf eine Erorterung der Frage, wie wohl das friih- zeitige Auftreten der Geschlechtszellen im Stolo prolifer, das von KowALEVSKY eutdcckt, von Salensky mit Sicherheit nachgewiesen und von Brooks ^) spater in einer besonderen Arbeit abgehandelt wurde, mit den Ansichten iiber den Generatiouswechsel in Uberein- stimmung zu bringen sei, nicht einlassen. Nur auf diese That- sache mochte ich hier schon hinweisen, dass das Salpenei keineswegs schon in der ersten Stoloanlage oder bereits gar im Embryo de- finitiv ausgebildet erscheint, sondern vielmehr bis unraittelbar vor der Befruchtung in kontinuirlicher Umbildung begriffen ist wie die Hodenzellen und alle somatischen Zelleu wahrend der ganzen Dauer der Knospung, Und wie man z. B. den Hoden oder auch die Athemhohle der Ketteusalpe als dieser angehorende Organe ansieht, obwohl sie Folgegenerationen embryonaler Zellen sind oder aus einem bestimmten Theile der Athemhohle des Embryo sich bildeten, muss auch der Eierstock, desseu Umbildung aus dem embryonalen Zellstrang nur quantitativ verschieden ist von den Verilnderungen, welche der mannliche Geschlechtsapparat oder die Athemhohle erfiihrt, als ein Organ der Kettenform angesehen werden, wenn nicht der Begrift" einer Generationsfolge uberhaupt hinfallig werden soil. *) Brooks, „The origin of the eggs of Salpa". Studies from the biol. Labor. John Hopkins University. Baltimore. Vol. II. 1882. Die KnospuDg der Salpen. 585 II. Die Bildung des Stolo prolifer. Krohn hat den Stolo prolifer schon bei den Embryonen als ein hakenforraig gekrunimtes Gebilde beobachtet. Die erstc An- lage desselben aber ist ihni wie alien anderu P'orschern, die sich niit der Salpenknospung beschaftigt haben, bis auf Todaro ent- gangen. Dieser hat vollkommen richtig erkannt, dass Fortsatze von nur drei embryonalen Gcbilden den Stolo bilden und dass die das Entodermrohr umgebenden, als Nervenrohr, Eierstocksrohr und paarige Kloakal- oder Perikardialrohren bezeichneten Zell- strange sich sammtlich aus eiiiem mesodermalen Zellhaufen im Stolo selbst erst difierenziren. Er war im Stande, das gesammte zwischen die beiden Blatter des Stolo aus dem Embryo ein- wuchernde Zellraaterial bei Salpa pinnata aus einer Mesoderm- zelle herzuleiten, und ich sehe darin keinen priuzipiellen Unter- schied von den Vorgangen, die ich bei der Bildung des Stolo der Salpa democratica habe beobachten konnen. Todaro hat aber dadurch, dass er den Antheil, den die Fortsatze der beiden andern Keimblatter des Embryo am Aufbau der Knospen nehmen, iiber- sah und die Mutterzelle des Mesoderms direkt als Eizelle be- trachtete, zu seiner eigenthumlichen Auffassung der Salpenknospung verleitet werden konnen , auf die ich oben bereits hingewiesen habe. Das Ektoderm und Entoderm. Die erste Anlage des Stolo am Embryo bemerkt man als eine kleine, buckelformige Erhebung, die dicht hinter dem Eudostyl- ende an der linken Seite auftritt {st Fig. 1 Taf. X). Schon in den jtingsten Stadien, die ich beobachten konnte, setzte sich das Gebilde aus drei Theilen zusammen, die als gesonderte Fortsatze des mutterlichen, embryonalen Thieres unschwer zu erkennen waren. In Fig. 2 ist der junge Stolo bei etwas starkerer Ver- grosserung gezeichnet worden. Er besteht aus zwei einander umschliessenden Zellrohren, deren Zwischenraum von einer Zell- masse erfiillt ist, und liegt in der ausseren Celluloseschicht des Embryo eingebettet. Die aussere Zellschicht des Stolo (a) lasst sich leicht als eine Ausstiilpung des ektodermalen Hautepithels des Embryo erkennen, wahrend der Zusammenhang des inneren Zellrohrs (d) mit den Geweben des Embryo schon auf diesem Stadium an Totalpraparaten nicht mehr recht deutlich zu sehen 586 Oswald Sceliger, ist. So hat Brooks, der letzte Bcarbeiter der Salpenknospung, der die Schnittniethode nicht anwandte, dieses Rohr vom Peri- kardiimi ableiteu konnen. Der Hohlraum zwischen den beiden Zellschichten des Stolo zeigt sich als eine Fortsctzung der primaren Leibeshohle des Embryo, und die ihn erfiillenden Zellen lassen sich auf die Mesenchyra- oder freien Mesodermzellen des Nucleus des Embryo zuriickfuhren und mussen als Mesoderm des Stolo bezeichnet werden. In die Genese des inneren Rohres und die Bildung des Meso- derms des Stolo lasst sich aber nur auf Schnitten eine befriedigeude Einsicht gewinnen. Am iibersichtlichsten scheinen mir die Ver- haltnisse an solchen Schnitten zu liegen, welche in einer zur Medianebene parallelen Richtung durch den Embryo gefiihrt worden sind und welche die entoderniale Entstehung des inneren Rohres des Keimstockes ausser alien Zweifel setzen. In Fig. 1 auf Taf. XII ist der hintere Theil eines Langsschnittes durch einen Embryo abgebildet worden, Der Schnitt ist zur Medianebene nicht genau parallel ausgefallen, und daher der Nucleus bereits so weit links getroffen, dass der Darmtraktus nicht mehr zu sehen ist. Auf diesem und den benachbarten Schnitten ist der tJbergang des inneren Rohres des Stolo (d) in die entodermale Wand der Athemhohle (kd) deutlich zu sehen. Die Ausstiilpung des Entoderms ist dicht hinter dem Endostyl (es) erfolgt und erstreckt sich nach links und hinten zu. Im vorderen Theile erfahrt sie ventralwarts eine sackartige Erweiterung, die sich an das Dach der embryonalen Placenta {dpi) anlegt, an der Bildung des Entodermrohres im Stolo selbst aber sich nicht be- theiligt. Nach rechts hin dehnt sich diese Erweiterung der ento- dermalen Ausstiilpung bis zum Perikardium hin aus, mit welchem sie verwachst, so dass Huxley's irrthiimliche Ableitung des Stolo- entoderms vom Perikardium des Embryo eine Erkliirung findet. Der hinterste Theil der Ausstiilpung schniirt sich von diesem vorderen ab (Fig. 2) und wird zum Entodermrohr des Stolo. In Fig. 3, die einen welter nach links gelegenen Schnitt darstellt, erscheint das Entodermrohr bereits voUstiindig geschlossen, und es ist von der Kommunikatiou desselben mit der Athemhohle des Embryo, die mehr gegen die Medianebene zu liegt, nichts mehr zu sehen. Auf Schnitten, die noch weiter nach links zu gefiihrt Bind, niihert man sich dem distalen Ende der Stoloanlage und bemerkt da eine starke Verjiingung des Lumens des Entoderm- rohres (Fig. 3 und 4), well der ganze Stolo sich etwas zuspitzt. Die Knospung der Salpen. 587 Das Entodermrohr erscheint auf dem Querschnitto riahezu drei- kantig; die Basis, die das Rohr nach hintcii zu abschliesst, spririgt nach vorn gegen das Lumen zu eiu wciiig konvcx vor und bcsteht aus einem flachen Epithel, wahrend die Zellen der aiideren Wande sicli kubischen Formeii niehr oder minder nithern. Auf den der Medianebene nahe gelegenen Scbnitten (Fig. 1 und 2) erscheint der junge Stolo noch nicht als ein vollstiindig gesondertes Gebilde, und nur die ventrale, der Placenta zugekehrte Wand des Ektoderms liisst sich als dem Stolo eigenthumlich er- kenneu. Weiter nach aussen zu (Fig. 3) sieht man sowohl vom Riicken als vom Bauche her zwei tiefe Furchen des Ektoderms die inneren Schichten des Keimstockes umschliessen , so dass der Stolo am distalen Ende (Fig. 5) auch auf dem Langsschnitte durch den Embryo seine eigene Ektodermschicht (a) besitzt, die aus nahezu kubischen , mit grossen Kerncn versehenen Ztdlen be- steht und die von dem raehr oder minder einem Plattenepitiiel gleichenden Ektoderm des Nucleus und der Placenta sich deutlich unterscheidet. Das Mesoderm. Das Mesoderm des Stolo, die zwischen den beiden Zellrohreu gelegene Zellmasse, entstammt dem Mesenchym des Embryo. Ich habe nun nienials bei Salpa democratica beobachten konnen, was ToDARO fiir Salpa pinnata beschreibt, dass nur eine Mcsoderm- zelle des Embryo aus dem Nucleus zwischen die beiden Schichten des Keimstockes eingewandert ware, und dass aus dieser allein das gesammte Mesoderm im Stolo sich bildet. tJbrigens scheint mir auch die Moglichkeit nicht ausgeschlossen , dass Todaro nur das Einwandern der ersten Mesenchymzelle gesehen habe, und dass ihm das spatere Einwuchern des Mesoderms entgangen sei , ob- wohl sich, wenn auch seine Angaben sich bestatigen sollten, diese Bildungsweise des Mesoderms des Stolo mit der von mir beobach- teten leicht und ungezwungen in tJbereinstimmung bringen lasst, Mit den Beobachtuugeu der anderen Forscher ist dies nun nicht rccht moglich, und ich habe schon im Eingange auf die Ditfe- rcnzeu hingewiesen , die sich dahin zusammenfasseu lassen, dass sich mir die Knospenanlage aus Elementen der drei Kcimblatter und zwar aus noch embryonalen Zellen des Mesoderms darstellte, wahrend nach den fruheren Mittheilungen noch bestimmte Organe des Embryo Fortsatze in den Stolo hineiuschicken , die sich aber 588 Oswald Sceliger, in diesem theilweise zu andern Organen der Knospen umbilden sollen. Ich muss die Darstellung der Mesodermbildung im Stolo durch eine kurze Beschreibung der aDatomischen und histologischen Ver- haltnisse einleiteD, die im Nucleus des Embryo angetroflfen werden, ■wenn die Bildung des Stolo beginnt. Die primare Leibeshohle im hintersten Abschnitte des Embryo, die in diesem jungen Stadium nur uubedeutend durch einen inneren Cellulosemantel eiugeengt ist, wird vom Mesoderm erfiillt, welches zweierlei Charakter zeigt. Eine Gruppe von Zellen , die in Ge- stalt und Grosse vielfache Verschiedenheiten zeigen , nimmt das hinterste Ende des Nucleus ein und erstreckt sich vorziiglich ventral mehr oder minder weit nach vorn zu bis in die Region des Her- zens. Die einzelnen Zellen sind grossblasig, enthalten einen run- den Kern und fiihren 01 - und Fettsubstanzen , die als Reserve- material beim Aufbau des embryonalen Leibes weiterhin in Ver- wendung gelangen. Diese Zellen sind es, welche mit dem Vor- schreiten der Ausbildung des Embryo immer mehr schwinden, bis endlich das ganze Gebilde beim Ausgang der Embryonalzeit oder in der ersten freischwimmenden Periode aufgebraucht ist. Ich glaube, dass der Name Elaoblast, den Krohn^) fiir diesen Zell- haufen eingefuhrt hat, in der That nur auf diese Portion von Mesodermzellen beschhinkt werden muss (eb Fig. 1 und 4, Taf. X), wie dies auch Leuckart^) gethan hat, zumal wir im Stolothiere fiir genau dieses Gebilde das Homologon in einer wohlabge- grenzten Zellgruppe finden, welche mit Vogt's Stoloblast identisch sein diirfte. Durch die Behandlung der Objekte mit Reagentien und namentlich mit Alkohol werden die Fettsubstanzen den Zellen entzogen , und auf den Schnitten erscheinen die Eliioblastzellen meist geschrumpft {eb Fig. 1 und 6, Taf. XII). So wird auch bei der tiberfiihrung der konservirten Embryonen aus Alkohol in Nelkenol oder Chloroform dem vehement eindringenden Ole kein gentigender Widerstand entgegengesetzt, und das Plattenepithel des hintersten Ektoderms stiilpt sich dann sehr oft in den Ela- oblast ein, wie es Fig. 1 zeigt. Diese Elaoblastzellen stossen nur im hintersten Theile und in einem ventralen Streif an das Ekto- derm des Nucleus, an den anderen Seiteu werden sie, wie das *) Krohn, „Observations s. 1. generation et le develop, des Bi- phores". p. 123. *) Leuckaet, „Zoologische Untcrsuchungeii" 2. Heft. p. 57. Die Knospung der Salpen. 589 aus den Abbildungen zu ersehen ist, von Mesenchymzellen um lagert, zwischen welchen die BlutflUssigkeit zirkulirt. Die Zellen erscheinen nieist in den vorderen , seitlichen Partien gelblicli ge- farbt, in der dorsalen silberglanzend, ohne dass damit eine weseut- liche Verschiedenheit gekennzcichnet wiire. Auf dem in Fig. 6, Taf. XII abgebildeten lateralen Langsschnitt durch ein Osmium- praparat sind die Mesenchymzellen des Nucleus als runde Gebilde von sehr wechselnder Grosse zu sehen, die einen deutlichen Kern besitzen. Das gesammte Mesenchym des Embryo hat, vom Elil- oblast abgesehen, auf diesem jugendlichen Stadium noch einen ziemlich gleichartigen Charakter, nur schien es mir, dass die vorderen, ventralen Zellen in der Nucleushohle , die in den Stolo hineinwandern, besonders zu amoboiden Bewegungen neigten. An der Basis und der ventralen Wand der entodermalen Aus- stiilpung des Pharyngealsackes, welche zum Entoderm der Knospen werden soil, erscheinen die Mesenchymzellen dicht angehiiuft (Fig. 1), um weiter nach links hin in die Stolohohle hineinzuwuchern. Dabei findet eine Umvvachsung des Entodermrohres durch die Mesen- chymzellen statt, sodass am distalen Ende (Fig. 5) das Entoderm vom Mesenchym vollstandig umgeben ist. So wahrscheinlich es auch ist, dass der vordere und obere, der Athemhohle zugekehrte Meseuchymstreif (b) von dem machtigen hinteren (c) aus gebildet wird, habe ich das dennoch nicht auf den Schnitten durch die jiingsten Stadien (Fig. 2 — 5) feststellen konnen und muss zurBe- grundung dieser Ansicht auf das etwas illtere Stadium in Fig. 7 verweisen. Was den anderen, im Embryo ventral gelegenen und der Placenta zugekehrten Mesenchymstreifen {b) anlangt, so ist dieser, wenigstens unmittelbar an der Wurzel des Stolo (Fig. 2), direkt aus den Mesenchymzellen des Nucleus hervorgegangen, und es hat den Anschein , als wenn die entodermale Ausstulpung der Athemhohle das sie umgebende Mesenchym im Nucleus zu dem um- fangreichen hinteren (c) uud flachen ventralen {h) Streifen anordnete. Ich will nun hier gleich erwahnen, dass die in der allerersten Stoloanlage des Embryo hinter ^ ) dem Entoderm liegende Mesen- chynimasse (c) zum Eierstockstrang wird, die obere und untere (&) sich zu den Seitenstrangeu entwickeln und endlich aus dem die vordere Vcrbindung dieser beiden vermittelnden Streifen das Nervenrohr (nr) hervorgeht. ^) Die Orientirung der Theile des Stolo ist hier auf die Haupt- axen des ganzen Embryo bezogeu. Bd. XIX. N. F. XII. QQ 590 Oswald Seeliger, Salensky lasst bekaiintlich das Entoderm dcr Knospen aus dem Zellstrang hervorgehen, welcher dem von mir als Eierstock- strang bezeichneten identisch ist, und lasst diesen dem Elaoblast- residuum des Embryo entstammen. Ich glaube im Vorhergehenden nachgewiesen zu haben, dass eine derartige Ausdehnung der Bezeichnuiig Elaoblast auf das ge- sammte Mesenchym des Nucleus nicht zweckmiissig sei und miichte darum nochmals hervorgehoben haben, dass auch der Eierstock- strang aus dem freien Mesenchym des Embryo und nicht dem Eiiioblast entsteht. Die Umbildung der ringformig das Entoderm umschliessenden Mesenchymschichten zu den vier gesonderten Zellstriingen beginnt im jungen Stolo am distalen Ende und schreitet gegen die Wurzel zu vor. In Fig. 9 ist ein Schnitt durch das distale Stoloende ab- gebildet, und man erkeunt da, wie sich das Nervenrohr von dem einen Seitenstrange bereits abgelost hat, mit dem andern aber noch durch einen feinen Strang in Verbindung steht. Auf einem niiher der Wurzel zu gefiihrten Schnitte (Fig. 8) ist dieser Zu- sammenhang noch ein innigerer, und noch weiter nach dem An- fange hin (Fig. 7) zeigt sich die Verbindung der beiden Seiten- strange mit dem Eierstockstrang und des Nervenrohres mit einem der Seitenstrange noch als eine vollstiindig kontinuirliche. Es scheint mir, dass die Bildung der einzelnen Strange nicht alleiu durch die Aktivittlt des Mesoderms erfolgt, sondcrn dass gleichzeitig dem Entodermrohre dabei eine wichtige Rolle zutallt, indem es sich faltet, an bestimmten Stellen weiter gegen den Ektodermschlauch vorschiebt und an diesen Orten den Zerfall des kontinuirlichen Mesenchyms in die einzelnen Portionen mit luirbei- fiihrt, wie dies in Fig. 14 auf Taf. XII und in Fig. 1 — 3 auf 'J'af. XIII dargestellt ist. Dabei erfolgt die Umwandlung des kleinercn, zwischen den beiden Seitenstrangen licgendcn Zellstranges {nr) zu einem Rohrc von sehr foincm Lumen, desscn Wandung aus kegelformigen Zellen sich zusammensetzt (Fig. 12 und 14). In den jungen Stolonen scheint das Nervenrohr weiter als die andern Mesodermstrange in das vorderste Ende hineinzuragen, und auf dem in Fig. 13 abge- bildeten Schnitte durch den aussersten, distalen Abschnitt eines O.IG mm langen Stolo ist es noch zu sehen, wilhrend von den andern Zellstrangen luir das Entoderm bis in diese Region reicht. Die beiden Seitenstrange bilden sich zu zwei paarig verlaufen- den, dem Darm dicht anlicgcnden Zellstrcifen aus, die zuerst meist Die Knospung dor Salpcn. 591 zweischichtig siiid, spater an bestimmten Stellen, wie ich das wciter untoii ausfiihrlichor werdc zu boschreiben habcn, mehrschichtig werden. Ich habe auf meineu Schiiitten ciu Lumeu in den Seiten- striingcn iiicht gesehen , vielmehr erschienen mir die Zcllen dicht aneinandergeprcsst. Salensky hat bercits, wie es sclieint, auf den entsprechondcn Stadien eine Hiihhing bemerken koniien, was mir aber nur auf iiidividucllc Variationen hinzudcuten schcint. Wahrend in jedem dieser drei Gebildo die cinzelncn Zelleu einen ganz gleichmassigen Charakter bewahrcn, erfolgt in deni vierten mesodennalcn Strange, dem Eierstockstrang (c Fig. 7), sehr friihzeitig bereits cine Differenzirung der denselben zusammen- sctzcnden Elementc. Die Zellen der mittleren Partie werden be- deutond grosser; der Nucleus der Zellen wiichst ebenfalls, iudem dabei seine Substanz sich weuigcr intensiv fiirbt, kurz, es leiten sich die Veranderungen ein , welche die Entwicklung zur Eizelle bedingen und welche weitcr unten ausfuhrlich werden besprochen werden. Die Zellen der Randzoue erleiden fur's Erste keine wichtigeren Veranderungen. Mit der Ausbildung der vier Zellstriinge zwischen dem iiusseren und inneren Keimrohre hat der sie umschliessende Hohlraum des Stolo, den Salensky als Knospungshohle bezeichnet, eine bcstimmte Gestalt angenommen. Anfanglich war die Stolohohle, die — wie erwahnt — eine Fortsetzung der primaren Leibeshohle des Embryo ist (Fig. 1), von den Mesenchyra zellen zumal an der Basis voll- standig erfiillt (Fig. 7). Spater tretcn daun um das Nervenrohr und den Eierstockstrang die Spaltriiume {bb) auf, in welchen das Blut zirkulirt. Es scheint, dass anfanglich stcts vier Spaltraume gesondert entstehcn, von welchen die beidcn oberen zu einem das Nervenrohr umgebenden Blutsinus vcrschmelzen (Fig. 12), indem Nervenrohr und Entodermschlauch sich von einander entfernen. Die beiden Blutbahnen zu den Seiten des Eierstockstranges ver- binden sich, wie ich glaube, nur im mittleren und distalen Stolo- abschnitte zu einem Sinus und bleiben im proximalen getrennt, wcil dort der miichtige Meseuchymstrang bis an das Entoderm dicht heranreicht. An der aussersten Spitze des Stolo, in welche die inneren Zellstrange nicht mehr hineinreichen (Fig. 2 und 3, Taf. X), bleibt ein vcrhaltnissmiissig welter Raum der primaren Hohle bestehen, durch welchen die beiden Blutsinus mit einander verbunden werden. In den Fig. 10 und 11 auf Taf. XII ist dieser Blutraum auf Liingsschnitten durch den Stolo getrojffen worden. 39* 592 Oswald Seeliger, Wie der Blutstrom an der einen Seite aufsteigt, an der andern in die Leibeshohlc des Embryo zuruckkehrt, und wie die Richtung der Stromung mit dem Wechsel des Herzschlages sich umkehrt, das brauche ich hier nicht weiter zu beschreiben. Es sind dieso Erscheinungen seit Krohn's und Leuckart's Mittheilungcn un- zahlige Male bestatigt worden. So wie zur Zeit der ersten Stoloanlage im Embryo das Bliit noch keineswegs iiberall in einem besonderen Lakuuensystem sich bewegt, sondern vielfach das ektodermale Hautepithel und den Darmtraktus direkt bespiilt, fchlen audi im Stolo anfanglich be- sondere Blutgefasse (Fig. 9 und 14). Dieselben entstehen nun nicht ctwa ausschliesslich durch Einwuchern vom Embryo aus, sondern bilden sich frei , gleichzeitig an verschiedenen Stellen in der Stolohohlung und zwar, wie ich glauben muss, aus Mesenchym- zellen (hs), die durch den Fliissigkeitsstrom in den Stolo einge- fiihrt worden sind, und aus solchen, die sich von den Seiten- strangen des Stolo losgelost haben und dann zu einem ausserst feinen Plattenepithel zusammentreten (Fig. ] 1 — 13). Man hat dieses Epithel Gefasshulle genannt. Es liegt nun den Zellstrangen des Stolo nicht unraittelbar an, sondern ist von denselben durch eine homogene, zarte Substanzlage (cs) getrennt, die ich, ohne aller- dings die geniigenden chemischen Reaktionen ausgefuhrt zu haben, nicht anstehe als Cellulose anzusehen. Ihre Ausscheidung diirfte wohl von denselben Zellen erfolgt sein, welche spiiter als Platten- zellen die Gefasse bcgrenzen und welche durch die Ausscheidung dieser Substanz auf ihrer Bahn durch die Stolohohlc gleichsam festgehalten wurden. Wachsthum und Drehung des Stolo. Die Beschreibung der folgenden Entwicklungsvorgiinge litsst es als zweckmilssig erschcincn, fur die verschiedenen Regionen des Stolo bestimmtc Bezeichnungcn einzufiihren , well man mit der Bezichung der sich entwickelnden Knospen auf die Axen des Embryo nicht mchr ausreicht. Ich adoptire Salensky's Benennung, der die Seite des Nervenrohres als „neurale", und die des Eierstock- stranges als „hamale" bezeichnet, werdc aber audi gelegentlich dafiir, indem ich mich auf meine iiberall gleich orientirtcn Ab- bildungen beziehe, oben und unten sagen; nur muss ausdriicklicli hinzugcfiigt werden, dass die Neuralscite des Stolo dnrchaus nicht mit der Neuralrcgion der spiltercn Individuon zusammenfalit, sondern ungefiihr dort liegt, wo sich dcren Ingcstionsoffnungen be- Die Knospung der Salpen. 593 fiiideii. Die Insertion des Stolo am Embryo, die Wurzcl des Stole, bestimmt den vorderen oder proximalen Abschnitt; das freic Endc gilt als das hintere oder distale. Als die rechte Seite des Stolo ist diejenige zu bezeichnen, welche man zu seiner Rechten hat, wenn man sich mit dem Kopfe gegen den Stolo- anfang rait dem Rucken gegen die Neuralseite des Stolo gekehrt denkt. Die an dicser Seite sich entwickelnde Individuenreihe ist die rechtsseitige. In der allerersten Stoloanlage (Fig. 1—5, Taf. XII), in welcher die Zellstreifen des Mesoderms eben zur Sonderung gelangen, ist — wie ich oben bcreits angedeutet habe — die Hiimalseite gegen das Hinterende des Embryo, der linke Seitenstreifen ventralwiirts, gegen die Placenta gerichtet. Die junge Anlage wiichst zu einem zapfenformigen Gebilde aus, indem sich das distale Ende nach der linken und ventralen Seite des Embryo hinkehrt. Auf be- stimmt orientirten Querschnitten durch den Embryo trifft man demnach den Stolozapfen in lateralen Liiugsschnitten, und ich habe zwei derselben in Fig. 10 und 11 abgebildet. Der erstere ist nahezu durch die Mitte des Keimstockes gefiihrt und zeigt zu beidcn Seiteu des Entoderms die Seitenstreifen, an der Spitze die Blutbahn. DerSchnitt in Fig. 11, der aus der weiter nach hinten zu gelegenen Region des Embryo stammt, zeigt nur den Eierstock- strang und die aussersten Zellen des liuksseitigcn Seitenstranges (&). Es ist aus den Abbildungcn leicht ersichtlich, dass, indem bei dem Grossenwachsthum des Stolozapfens das Distalende ventral- vviirts zu sich neigt, der rechte Seitenstrang des Stolo, der in der Niihe der Medianebene im Embryo dorsal gerichtet ist, nach aussen zu liegen kommt, wahrend der andere, der linksseitige, mehr der linken Leibeswand des Embryo zugekehrt ist. Wenn nun der Stolo an Grosse zunimmt (Fig. 3, Taf. X), wiichst er, in die Celluloseschicht des iiusseren Mantels einge- bettet, an der linken Seite des embryonalen Nucleus weiter, kriimmt sich aber hakenformig gegen den Rucken des Embryo hin (Fig. 4). Er umwachst den Hinterleib vollstaudig, und sein distales Ende erscheint, wenn die erste Spiralunidrehung vollendet ist, ventral vom Nucleus, um diesen noch mit einer halben Umdrehung zu umschlingen. In Fig. 5 habe ich den altesten Stolo prolifer der Salpa democratica gezeichnet, der mir zur Beobachtung kam, der U Spiralwindungen ausgefuhrt hatte und im Endabschuitte 61 wohleutwickelte Individuen zeigte. Wahrscheinlich war aber ein Theil der Kette bereits friiher abgestossen worden. 594 Oswald Seeliger, WiilirenJ dieses Umwachsuugsprozesses bleibt die linke Seite des Stolo imnier der Ektodcrmwand des Embryo und der solitaren Form zugekehrt, uiid es erscheint demiiach die linke liidividuen- reihe mehr iiach innen, die rechte mehr nach aussen zu gekehrt. Die Stellung der Individuen am Stolo und die damit zusammen- luuigenden Verliiiltnisse werden wciter unten besprochen werden. Der Stolo steckt wahrend seiner ganzen Bildungszeit im Cellulosemantel des solitaren Thieres, in welcliem er bei seiuem Laiigenwachsthum eine Hohlung vor sich hertreibt, die Leuckart *) gewiss mit Kecht einer Generations- oder Bruthohle vergleicht, Ob diese Hohlung meebanisch durch Auseinandervveichen der Cellulosesubstanz oder durch Auliosung der betrefifenden Partien entstanden sei, weiss ich nicht zu sagen. Oft umschliesst, wie Leuckart bereits beobachtete, der Cellulosemantel so dicht den Stolo, dass dessen Knospen in jenem abgedriickt erscheinen. Nahe der Medianebene, dorsal vom Nucleus, bricht diese Hohlung nach aussen durch , und durch diese Ofifnung erfolgt die Geburt der Kettenglieder. Gleichzeitig mit der machtigen Entwicklung des Stolo prolifer und seiner Knospen findet ein bedeutendes Grossenwachsthum des solitaren Thieres statt. Es kommt hierbci nicht nur die von aussen aufgenommenc Nahrung in Betracht, sondern auch die Riickbildung zweier embryonaler Organe, welche in den friihesten Stadien der Embryonalentwicklung mehr als die Halfte der Korper- substanz ausmachten: der Placenta und des Eliioblasts. Die Be- schaffenheit des Eliioblasts macht es mir mehr als unwahrschein- lich, dass Elemente desselben direkt zu Blutzellen wiirden, die in den Stolo iibergingen, wahrend mir eine derartige Umbildung von Placentazellen durchaus nicht ausgeschlossen zu sein scheint. Jedenfalls aber wird die Bedeutung, die das Material, welches durch die Riickbildung dieser beiden Organe disponibel wird, so- wohl fiir die Solitiirform als fur die Entwicklung der Knospen- brut besitzt, nicht hoch gcuug angeschlagen werden konnen. Die Form der ersteu Knospenanlage ist von Brooks als becherformig , von Leuckart und Salensky als buckelformig, spater haken- oder hornformig beschrieben worden. In der That sind alle diese Bezeichnungcn fiir gewisse individuelle Variationen zutretl'end, mit deren Beschreibung ich diesen Abschnitt beschliessen will. Die ektodermale Ausstiilpung, welche sich in den Knospen- ^) Lkuckaut, „Zoologi8che Uutorsuchungon". 2. Heft p. 07. Die Kuospung der Sulpen. 595 zapfcn umwandelt, ist bald enger bald weiter. Iiii letzteren Falle wuchert eine sehr bedeiitende Menge von Mesenchymzellen in die Stolohohle ein, und der junge Kcinistock erscheint als kurzes Gebilde, das einen verhaltnissrailssig grosseu Quersclinitt aufvveist (Fig. 7 — 9 auf Taf. XII). Es hat mir geschienen, dass in diesen Fallen auch weiterhin der Stolo nicht nur rascher sicb entwickelte, sondern dass audi die einzelnen Knospen durcli eine bedeutendere Grijsse sich auszeichneten. Oft aber und, wie ich glaube, besonders dann, wenn die Bildung des Knospcnstocks erst im spateren Embryonalleben beginnt, zeigt sicli die Stoloanlage von Anfaug an als ein feiuer Zapfen von geringem Umfange (Fig. 12 und 13). III. Die Umbildung des Stolo prolifer zur Salpenkette. Schon sehr friihzeitig, sobald nur der Stolo ein hornformiges Aussehen gewonnen und ungefahr die Lange von 0,15 mm er- reicht hat, treten an seinen beiden Seiten, in der Zone der Seiten- striinge und zwar zuerst am distalen Ende, wulstformige Verdick- ungcn auf (Fig. 3, Taf. X), die sich bei hamaler oder neuraler Ausicht des Stolo als hockerformige, seitliche Erhebuugeu dar- stellen und die erste Anlage der spateren Knospen reprasentiren. Diese wulstformigen Streifen sind durch Furchen getrennt, die nach dem proximalen Stoloende zu immer flacher werden, so dass auch die einzelnen Segmente immer undeutlicher erscheinen, indem sie gleichzeitig an Breite abnehmen und dichter aneiuanderliegen. An der Wurzel ist dann der Stolo ganz giatt. Ein ganz ahnliches Verhiiltniss, wie das eben an einem jungen Stolo geschilderte, findet sich in den ausgebildeten und iiltesten Keimstocken wieder, wenn man deren proximalen Theil betrachtet, in welchem die Neubildung der Kettenthiere vor sich geht, wiihrend am distalen die ausge- bildeten Formen sich ablosen. Doch bediirfeu diese Erscheinungen hier keiner weiteren Beschreibung, nachdem sie bereits von den iilteren Beobachtern, von Krohn, Leuckart und Vogt, ausfuhrlich dargestellt worden sind. Nur beim allerersten Auftreten liegen die Wtilste genau oder doch nahezu senkrecht zur Liingsrichtung des Stolo ; je mehr ihre Umbilduiig zu den Knospenthieren vorschreitet, desto mehr neigen sich die der neuralen Stoloseite zugekehrten Enden nach dem distalen Abschnitte des Keimstockes, so dass schliesshch die be- 596 Oswald Seeliger, kaiintu Schiefstellung der Individuen resultirt, welche schon Kkoiin bescbreibt. Doch ist die Nciguug der Knospen auf den beiden Seiten des Stolo nicht die gleiche, und zwar schien es mir, dass stets die Individuen der rechtcn Reibe der urspriinglich Scnkrecbten geniiberter bleiben. Bedenkt man, dass ausserdem die binteren Leibesenden der gegeniiberliegenden Individuen naber ancinandcr liegen als die Vorderenden, so dass der Querscbnitt durcb den Stolo in gewissen Stadien einem gleichschenkeligen Dreiecke ilbnelt, dessen Spitze durcb die Nucleusenden der Knospen bestimnit wird, und dass dazu nocb die spiralige Aufrollung des ganzen Keimstockes binzukommt: so wird man begreifen, dass im ganzen Stolo aucb nicht zwei Individuen genau die gleicbe Orientirung im Raume haben. Schon bei ihrem ersten Auftreten liegen die Furchen an den beiden Seiten des Stolo nicht vollstandig genau einandcr gegeniiber, aber erst spater wird die Stellung der Individuen eine genau altcrnirende. Indem nun die Wiilste, welche zuerst nur in der Mitte der beiden Seiten des Stolo auftraten, in hamaler und neu- raler Richtung sich ausdehnen, kommt es — in Folge ihrer ver- schiedenen Schiefstellung am Stolo — zu einem tjbergreifen der linksscitigen Erbebungen nach der rechten Stoloseite und umge- kehrt. Ich werde weiter unten nachweisen, wie damit der tJber- gang der ganzen Stolobreite im hiimalen Theile abwechselnd in das hintere Leibesende der rechten oder linken Individuen im /iUsammeuhange steht. An der neuralen Seite des Stolo, wo die mediane Partie bei der Bildung der Ganglienketten scheinbar einsinkt und zwei seitliche Hockerreihen sich bilden (Vgl. Fig. 9 auf Taf. XV), verlieren sich diese von der eutgegengesetztcn Seite hiniibergewachsenen Furchen, nachdem sic den Zerfall des Nerven- rohres in die einzelnen Ganglienpartien herbeigefiihrt haben. An der hiimalen aber sind diese Zwiscbenstiicke leicht nachweisbar (vgl. Fig. 1 und 8 Taf. XVII) und diirften an ibren iiussersten neuralen Enden mit Eschkicht's rudimentiir gewordenen Knospen identisch sein, durcb deren abwechselnde Riickbildung auf beiden Seiten, wie er meinte, die biserial-alternirende Stellung der Individuen hervorgegaugen sei. AUe Fragen aber in Bezug auf die Genese der verschiedenen Organe der Knospen und deren Zuriickfiihrung auf die Rohren und Strange des Stolo lassen sich nur an Schnittserieii losen, zu deren Beschreibung ich nunmehr ubergebe. Ich will nur bier gleicb darauf hinweisen, dass das Auftreten der buckelformigen, Dio Kiiospung der Salpen. 597 scitliclion Erhcbuiigcn, das, wic ich orwiilint babe, die jungen Knospcii andeutet, sich audi bci Vcrgleichuiig der aufeinander- folgenden Schnitte erkcnnen liisst, wenn man sich dieselbcii uber- ciiiauder gelagert denkt. So zeigt sich z. B. sofort bei Vergleichung von Fig. 1 and 2 aut'Taf. XIII, dass bei h buckelfiirmige Eiliebiuigen am Stolo sichtbar sein miissen und dass auch die biimale und neurale Seite bercits gefurcht erscheinen. Es ist niir aber nicbt gelungen , aus den Schnitten ein Model! zu konstruiren. Ich glaube, dass dies fiir den Stolo der Salpa pinnata leichter diircli- fiihrbar sein wird, well dieser in einer geraden Richtung nach vorn zu verliiuft und der Endostyl des Embryo einc feste Axe repriiscntirt, auf welche hin der Stolo orientirt werdeu kann. Der ganze Entvvicklungsprozess der Knospung ist so konipli- zirt und langwierig, dass es mir am angezeigtesten erscheint, seine Beschreibuiig in zwei Abschnitte zu theilen , welche zwei Entwicklungsperioden entsprcchen, die allerdings kuntiiiuirlich ineinander iibergehen, vielleicht aber doch nicht ganz willkiirlich gewiihlt erscheinen diirften. Erster Abschnitt. Die Bildung der Knospen am Stolo. In dieseni Abschnitte sollen die Umbildungen und Lage- veranderungen beschrieben werden, welche die Rohren und Zell- striinge des Stolo erfahren miissen, um zu den jungen Knospen zu werden, welche an den beiden Seiten auftreten. Im Wesent- lichen ist dieser Vorgang ein Zerfall der liir die gesammte Kette gemeinsamen Anlagen in ebensoviele segmental angeordnete Por- tionen als spater Individuen vorhanden sind. Gleichzeitig damit treten Yerschiebungen der einzelnen, sich immer mehr von den gleich- werthigen Nachbarstiicken losenden Theilprodukte auf, bis die Lagebeziehungen gewonnen sind, in welchen der Bau junger, mit den Anlagen zu alien Organen bereits ausgestatteter Kettensalpen sich unschwer erkennen liisst. Die Darstellung dieser Vorgiinge diirfte am leichtesten verstiindlich werden, wenn die verschiedenen Organe des Keimstockcs in ihrer Entwicklung gesoudert verfolgt werden. Ich bcginne mit dem Entoderuirohre und werde in diesem Kapitel gleich die Darstellung des Zerfalls des Stolo in die einzelnen Knospenthiere einfiigen. 598 Oswald Sceligcr, Das Entoderm. Wir habeu das Entoderm dcs Stolo bis jetzt nur in seiner allerersten Anlage kennen gelernt, in der es auf dem Quer- sclinitte (Fig. 1—5 auf Taf. XII) naliezu die Gestalt eines Drei- eclis aufweist uud gegen den Eierstockstrang bin aus Spindel- zellen besteht, wiiln^end die seitlichen Wandungen aus kubischen Oder Zylinderzellen sich zusammensetzen. Ich ^Yeiss nun nicht mit Bestinmitheit zu sagen , ob die beiden seitlichen Theile des Entodernu'ohres , welche durch die konvexe Einkriimmung der hilnialen Wand sich unterscheiden lassen (Fig. 7) ,*' direkt in die beiden spiiter am Stolo bilateral gelegenen Entodermhiilften (Fig. 6 auf Taf. XIII) iibergehen oder ob iiberall zuvor noch das Entoderm- rohr eine vierkantige, racist in der neuro-hamalen Richtung mehr Oder minder zusamraengedriickte Form annehmen muss. Diese fand ich niimlich auf Querschnitten durch Stolonen, welche etwas illter warcn als diejenigen denen die Schnitte 7 — 9 auf Taf. XII entnommen sind. Zwei solche Schnitte sind in Fig. 12 und 13 wiedergegeben ; der Stolo mass in seiner Liinge 0.16 mm und war-ini Verhaltniss zur Grosse der Solitarform, an welcher er sass, von auffallend geringer Lange. Der in Fig. 13 abgebildete Schnitt ist durch das distale Ende gefuhrt, in das weder die Seitenstrange noch der Eierstockstrang sich erstrecken , und es zeigt da das Entoderm kein deutliches Lumen mehr. Die vierkantige Form des Entodermrohres findet man beinahe stets auf Querschnitten durch den proximalen Abschnitt von iilteren Stolonen (Fig. 7 — 10 auf Taf. XIII), in welchem die Knospen immer wieder neu angelegt wcrden, und der somit die Verhalt- nisse zeigt, die im distalen Ende jiingerer Stolonen zu sehen sind. Doch werde ich mich bei der Beschreibung der Ent- vvicklungsvorgange nach Moglichkeit an die Schnitte halton, welche durch verschiedcne Stolonen angefertigt worden sind, die sich in eine ziemlich kontinuirliche Altersreihe bringen lassen, und werde nur fiir solche Stadien der Knospenbildung, welche ich an jungen Stolonen nicht auffinden konnte, Querschnitte durch den proxi- malen Abschnitt alter Keimstocke zu Hilfe nehmen. Es hat mir nanilich geschienen, dass die Unibildungen im proximalen Theile und besonders in der nachsten Nillio der Stolowurzel viel mehr individuelle Variationen, durch welche wichtige Vorgiinge verwischt werden, aufweisen als die jungen Stolonen, obwohl auch bei diescn solche in reichlichem Maasse niclit fehlen. Die Knospuug dor Sali)en. 599 Als cine iiidividuclle Variution diirftc walirsclicinlicli auch dio fiache Ausbreitung des Entoderms uiid die nuiclitige Aus- dehiiung der Hlutbahneii anzusehen soin, welclic icli obeii bei cincm jungeii Stolo besclirieben habo, und ich glaubc, dass ein iihnlichcs Stadium zu solclien Formen der Kuospenbilduiig fulirt, wie sie in Fig. 5 — 11 auf Taf. XIV abgebildet sind. Wie die Form des Lumens, so variirt auch die Gestalt der Zellen im Entoderm, und ich verweise als Belcg hierfiir auf Fig. 14, Taf. XII, vvelche bereits auf eincm sehr jungen Stadium die hiimale Wand aus ziemlich grossen Zellen zusammengesetzt zeigt, welchc nahezu Zylinderform besitzen. Alle diese verschiedenen Formen des jungen Entodermrohres erleiden, wenn eine Weiterentwicklung iiberhaupt stattfinden soil, im Wesentlichen eine gleiche Verilnderung, welche zum folgenden Stadium hiniiberfiihrt. Diese bestelit in einer rascli vorschreiten- den Einschniirung des Rohres, indem neural, dicht unter dem Nervenrohr und gegeniiber an der hiimalen Wand je eine Furche auftritt. Die Bildung derselben beginnt am distalen Ende und schreitet allmiihlich gegen das proximale vor. (Vgl. Fig. 1—4, Taf. XIII). Die hiimale Rinne ist viel tiefer; die dadurch bedingte Fliichenvergrosserung dieser Entodermwand aussert sich denn auch darin, dass dieselbe sich aus auffallend diinneren und kleineren Zellen zusamniensetzt , was allerdings oft schon in den jiingsten Stadien zu bemerken war. Schliesslich sind die Furchen so weit vorge- wachsen (Fig. 5 und 6), dass die hamale und neurale Wand in der Mittellinie aneinanderstossen , so dass das Endoternirohr in zwei Siicke zerfallen ist, welche durch eineu schmalen medianen Spalt, der sich durch die ganze Lange des Stolo hindurch er- streckt, niit einander kommuniziren. Das rasche Vorwachsen der hamalen Furche bringt es mit sich, dass die Entodermsacke sich anfanglich nach dieser Richtung hin ausdehnen, wiihreud der Verbindungsspalt mehr neural liegt. Bald aber dehnen sich die Falten auch nach oben hin, gegen das Nervenrohr zu aus, so dass sie die neurale Blutbahn seitlich um- fassen (Fig. 11 und 12 auf Taf. XIII und Fig. 1 auf Taf. XIV). Die beiden gegeniiberliegenden Wande des Entodermrohres beriihren eiuander aufiinglich nur an einer ganz schmalen Stelle in der Medianebene. In der Folge erweitert sich diese Stelle zu einer breiten Zone, so dass die beiden Entodermsacke mehr nach den Seiteu des Stolo hinriicken. Auf dem Querschnitt erscheinen sie dann durch einen Kanal verbunden (Fig. 2—4 auf Taf. XIV), dessen 600 Oswald Seeliger, Wandungen in dicsem Falle dicht aneinander liegen , so dass das Entoderm eine ll-foimige Gestalt angeuomnien hat. Die Zellen, die dasselbe zusammcusetzen , siud in diesem Stadium ziemlich gleichartig. Die urspriinglich grosseu Zyliuderzellen der seitlichen Entoderm\Yande sind bei der bedeutenden Flachenvergrosserung in kleiuere kubische ubergegangen. Der horizontale Ast hat fiir den Aufbau des Entoderms der Knospen keine direkte Bedeutung. Oft bleiben seine Wandungen von eineni sehr friihen Stadium an aneinandergepresst und zieheu sich zu einem feinen Plattenepithel aus, in welchem sich die beiden Lagen niit Sicherheit kaum mehr unterscheiden lassen (Fig. 5 und folg. auf Taf. XIV). Ich fand solche Bilder in einem Falle sogar schon auf Schnitten durch die Wurzel eines noch ziemlich jungen Stolo (Fig. 5). Wahrend alle andereu Theile noch auf eiuer uiederen Ausbildung stehen geblieben wareu, zeigte sich das Ento- derm bereits in zwei seitliche Partien zerfallen, deren Verbindung nur durch einen Zellstrang hergestellt war. Ahnliche Verhaltnisse hat Salensky vorwiegend auf seinen Schnitten gefunden, und es ist begreiflich, dass ihm dann der urspriingliche Zusammenhang mit den beiden vertikalen Entodermstammen und die gemein- same Herkuuft aus dem einfachen Entodermrohre des jungen Stolo hat entgehen konnen. Ubrigeus habe ich auf bedeutend illteren Entwicklungsstadien die beiden Lamellen des horizontalen entodermalen Verbindungsastes sehen konnen. Dieselben um- schlossen oft einen ziemlich ansehnlichen Hohlraum (Fig. 3 — 10 auf Taf. XV), der sich aber an der Einmunduug in die vertikalen Entodermrohren verjungte. Es ist nun leicht moglich, dass das Auseinanderweichen der beiden Zellschichteu durch die Reagentien kunstlich hervorgerufen wurde und zwar bis zu dem Maasse, dass die neurale Blutbahn stellenweise beinahe ganz verdriingt wurde; jedenfalls ist aber dadurch die Kontinuitiit der gesammteu Anlage erwiesen. Verwickeltcr sind die Vorgilnge in den vertikalen Entoderm- iisten, die sich weiterhin in das gesammte Entoderm der Ketten- salpen verwandeln. Der neurale Theil der Falten , der natiirlich ohne deutliche Greiize in den hamalen iibergeht und nur der iibersichtlicheren Darstellung wegeii von diesem untcrschieden und gesondert ab- geliandelt wird, bleibt nur anfangs und nur in der in den hamalen Abschnitt iibergehenden Region durch die ganze Lilnge des Stolo ein einheitlicher Raum. (iegen das Nervenrohr zu gliedert er Die Knospung der Salpcn. 601 sich jederseits in ebensoviele Abschnitte als Knospeii auftrctcn. Diese Gliederung ist das Resultat zweier in demselben Sinnc wirkender Prozesse. Einmal schniiren die Furchcn, welche an der Aufsenseite des Stolo auftrctcn und die einzelncn Knospen von einandcr abgrenzen, bei ihrcni in die Tiefe Wachscn die Entoderm- falten ein, dann aber wachscn audi diese in einzelnen, allcrdings durch die Furcluing bedingten sackforniigen Fortsiitzcn gegcn das Nervenrohr zu. So zeigen also die aufeinanderfolgenden Quer- schnitte das p]ntoderm von wcchselnder Ausdchnung, bald dcni Nervenrohr geniihert (Fig. 4 Taf. XIV), bald entfernter von dicsem endigend (Fig. 2 u. 3). Wenn wir uns nun daran erinnern, dais die Knospenreihen an den beiden Seiten des Stolo einandcr nicht vollkonimen genau gegeniiberstehen , sondern mit zunehmendcni Alter eine genau abwechselnde Stellung einnehmen , wcil nach und nach der hamalc Abschnitt der entgcgengesetzten Stoloseite in die Individuen der andcrcn iibergeht, so wcrden auch die Ver- hiiltnisse klar werden, welche man an den nahezu senkrccht zur Liingsrichtung des Stolo gefiihrten Schnitten zu sehen bckommt. In Fig. 12 auf Taf. XIII ist der neurale Entodcrmsack auf der rechten Seite in seiner ganzen Ausdchnung durchschnitten , auf der linken dagegen ist er nur sehr klein, und das umgekehrte Ver- hiiltnifs zeigt sich in Fig. 1 auf Taf. XIV, wo der linke Entodennsack sich bis dicht zuni Nervenrohre erstreckt. Ich will nicht unter- lassen, hier darauf aufmerksam zu machen, dafs der Stolo, dem die eben beschricbcnen Schnitte entnommcn sind , in Bezug auf diese durch das Auftreten der Querfurchung dirckt hervorgerufenen Entwicklungsvorgiinge sich weiter ausgebildet zeigt als ein anderer Keimstock, desscn Querschnittc in Fig. 2—4 gezcichnet sind. Dieser reprasentirt dagegen in Bezug auf die Thcilung des Ento- derms in eine rcchte und linke Hiilfte, welche durch einen nur schinalen Spalt verbundcn sind, ein vorgeschritteneres Stadium. Die beiden hiimalen Entodermfaltcn haben wir schon in den allerersten Stadien der Stolobildung (Fig. 1 — 6 Taf. XIII) auftreten und durch die ganze Lange des Stolo kontinuirlich sich erstrccken sehen. Ganz ebenso wie in der neuralcn Region des Stolo mit dem Auftreten der knospenbildenden Querfurchen ehi Zerfall in einzelnc Entodermsiicke verbunden ist, findet dies auch im hiimalen Abschnitte statt. Ich babe oben bereits darauf hingewicsen, dafs an der hiimalen Seite die Furchen der einen Seite auf die andere hiniibergrcifcn, so dafs in dieser Region jederseits die doppeltc Zahl wulstf<")rmiger Strcifen vorhanden ist und zwar breitere und 602 Oswald Seeliger, schnuilere in abwechselnder Stdluug. Je ein breiter iind oin sclimaler Stieifeii der gegonubcrlicgenden Seiteu gehen in die Bildung eincs Thieres tiber. Demgeraafs werden dann aiicb, vvenn die Fiirchen sicli vertiefen und zur Abschuiirung dcr ein/.ebien Knospen fuhreii, in der hamalcn Region des Stolo jederseits doppclt so viele Entodermsiicke entstehen miissen als in der neuralen, und zwar werden in tjbereinstimmung mit der wechselnden r)rcite der Streifen grofserc und kleinere Entodermsacke auf den beiden Seiten des Stolo in alternirender Stcllung einander folgcn. An ihren oberen Enden gehen alle diese Entodennfalten niit den neuralen genieinsani in den horizontalen Verbindungsstrang des Entoderms uber, an welchem sie wie seitlicbe Fransen herab- hangen (vgl. die Fig. 3—10 auf Taf. XV). Es beruht also das Auftreten einer doppelten Anzahl von Entodermfalten in der hamalcn Region darauf, dafs hier der Stolo in seiner ganzen Breite in die hinteren Leibesabschnitte der einzclnen Knospenthiere tibergeht, wiihrend in der neuralen mit Ausnahme des Nervenrohrcs immer nur die linke oder rechte Halfte zum oberen Theile der Knospe resp. zum vorderen Korper- abschnitte des Kettenthieres sich umbildet. Um diescn Prozefs der voUstiindigen Tlieilung der hamalen Stoloregion in aufeinander- 1) a X- Fig. A. Fig. C. Fig. D. Die Knospung der Salpen. 603 folgcnde Abschnitto iiiid den Gegensatz zu dcii Entwicklnngs- vorgangen im oberen Thcile ganz klar zu machen, will ich eiiiige schcmatischc Abbildungcn eiiiscbalteii , die mit doii Zeiclinungen auf Taf. XVII einc riclitige Vorstellung werden geben kinincn. In A ist ein Langsschnitt durch den biimalcn Tlieil des Stolo abgebildet; in der Mitte verliiuft der Eierstockstrang (c), zu beiden Seiten die Entodermfalten (tZ), die hier als kontinuirliche Ilohl- I'iunne gezeichnet sind, und jederseits zu aufserst die Seiten- striinge (I)). Die den Stolo quer durchsetzenden, abwechselnd paralleleu Linien zeigcn die Richtungen an, welche die Furchen weiterhin nehmen, um die einzelnen Individuen zur Sonderung zu bringen. Dabei mufs festgehalten werden, dafs die Abgrenzung^ der einzelnen Knospen weniger durcb ein Tieferwerden der seit- lichen Furchen als vielmehr in crstcr Linie dadurch zu Stande konimt, dafs die Furchen vom Jiufsersten Ende, wo der Eierstock- strang vcrhiuft, in der Richtung der angegebenen Linien genau gegen die neurale Region zu tief sich einseuken, um so eine Spaltung des Stolo zu erzeugen. Weiter neuralwiirts aber am Stolo schreitet die Ausbildung der seitlichen Querwiilste zu den Knospen vor, indem die Furchen immer tiefer werden (Schema B, das man unschwer mit Fig. 1 und 4 auf Taf. XVII in Uberein- stimmung bringen kann), und es habcn sich da bercits die Knospen vom Stolo grofstentheils abgeschnurt, bevor noch die von der hamalen Seite vordringxjnden Furchen bis dahin gelangt sind. Die wulstf()rmigen Erhebungen, die von der rechten Seite auf die linke und von dieser auf die recbte hinubergewachsen waren, ziehen sich zwischen den eigentlichen Knospen noch eine Strecke weit — es kommen zahlreichc individuelle Variationen vor — neuralwiirts hin und erzeugen die Zwischenstiicke, die auf dem Schnitte zu sehen sind, der in Fig. 8 Taf. XVII abgebildet ist. Diese Zwischen- stiicke sind also die neuralen Fortsatze der Wiilste, welche im hamalen Abschnitte spiiter in das hintere Leibesende des jungen Knospenthieres, das der entgegengesetzten Seite des Stolo an- gehort, mit hineinbezogen werden. Sobald die hintersten Korperabschnitte der Knospenthiere am hamalen Stolotheil durch die eben beschriebenen Furchen zur Sonderung gelangt sind (A), beginnen die Theile mehr auseinander- zuriicken , indem gleichzeitig die ctwas langgezogene Form auf dem Querschnitte in eine der Kreisform sich niihernde iibcrgeht (Schema C). Eine jede Knospe enthiilt also in ihrem hinteren Abschnitte zwei getrennte Entodcrmsiicke von verschiedener Grofse, 604 Oswald Seeliger, (las cine der rcclitcn, das andere der liiiken Entodermfalte des Stolo eiitstammcnd, dazwisclien eiii Tlieilstuck des Eierstockstranges uiid jederseits ein Derivat der beiden Seitenstrange des Stolo. Noch besser vielleicht wird der scliematische Querschnitt (D) durch einen Stolo diese Verhaltnisse klarmachen. Man niufs sich den Schnitt in der Ebene ausgefiihrt denken, welche durch die Linicn x-x im Schema A und J5 angedeutet werden. Neural ist das Nervenrohr {nv), welches allerdings in diesem Stadium in Wirklichkeitnichtmehr diese Lagebeziehunghat, hiimal der Eicrstock- strang (c) getroffen. Die beiden Blutbahnen (&&) sind eingezeichnet, das Entodermrohr (fZ) erscheint JJformig, zu den Seiten liegen die Seitenstrange (&). Man crkennt auf der Abbildung durch die verschieden starke Schattirung den Antheil, welcher einem rechts- seitigen odcr linksseitigen Individuum zukommt, und sieht, dafs ein jcdes zvvei hamale und einen neuralen Entodermsack besitzt und dafs ebenfalls Theilstiicke beider Seitenstrange im hinteren Leibesabschnittc der jungen Knospen sich vorfinden. Durch den unterbrochenen Kontur (/i) soil — soweit sich dies feststellen liifst — der Umfang des urspriinglichen Stolo angedeutet werden. So wird das Hervorknospen der beiden neuralen Reihen von buckelformigen P^rhebungen an demselben, durch welche die ein- zelnen Knospen eine merkliche Langsstreckung erfahren , ver- stjindlich werden. Doch konnen diese Verhaltnisse theilweise erst weiter unten zur Besprechung kommen. Es wird nun nicht schwer fallen konnen, die eben auseinander- gesetzten Entwicklungsvorgiinge an Querschnitten durch ver- schiedene Stolonen zu priifen. Die beiden hiimalen Ealten sind bei ihrem ersten Auftreten in verschiedenen Stolonen von sehr wechselnder Ausdehnung. Oft bildet die hamale Liingsfurche sofort lange Sitcke, oft er- scheinen diese selbst noch in spiiteren Eiitwicklungsstadien kurz (Fig. 11 und 12 Taf. XIII Fig. 1 Taf. XIV), urn erst durch weiteres Lilngenwachsthum die Blutbahn zu umschlingen und sich in einzelne Zipfel auszuziehen. Stets aber dehnt sicli das Entoderm bis an den hamalen Boden des Stolo aus und reicht dicht bis zum Eierstockstrang (Fig. 6—8 und 10 Taf. XIV). Bei Vergleichung dieser Abbildungen ergibt sich leicht, dafs das Entoderm bereits in einzelne Sacke zerfallen ist, welche rechts und links am Stolo in einer zu diesem nicht genau senkrechten Richtung verstreiclien. Diese Schiefstellung wird naturlich an den Quersclniitten daran zu erkennen sein, dass das Lumen der Entodermsiicke auf einer Die Knospung der Salpen. 605 Schnittfliiche hiimal und neural eiiie verschicdcnc Ausdehnuiig besitzt. Die alternirende Stellung an den beiden Seiten ties Stolo zeigt sich deutlich in Fig. 7 und 11 auf Taf. XIV. Bel ihrem ersten Auftretcn waren die Falten so gerichtet, dafs sie neuralwiirts konvcrgirten (Fig. 1 — 6 Taf. XIII). Spiiter nahern sie sich bei ihrem weiteren Wachsthum hiimal umsomehr als der Eierstockstrang sich in dem liinger werdenden Stolo inimer mehr ausdehnt und im Querschnitte diinner wird (Fig. 11 und vorherg. Taf. XIV). Wenn nun weiterhin im ncuralen Theile das Auseinanderweichen der Knospen vorschreitet, vviihrend die Ilinter- theile derselben noch ineinandergeschoben erscheinen (Fig. 5 u. folg. Taf. XV), ist der Verlauf der Entodermsacke in den gegen- uberliegenden Knospenreihen zu einem hiimalwarts konvergirenden geworden. In den Abbildungen 7, 8 und 10 auf Taf. XV ist zu sehen, wie der kleine, hamale Entodermsack der linken Seite bei dem Auseinanderweichen der hiimalen Stolostucke zu den beiden Knospenreihen in das rechts gelegene Thier iibergeht. Seine voll- standige Abschniirung von dem horizontalen Aste des Entoderms, der gleichsam die Axe reprasentirt , in deren Umkreise zuerst neural, dann hiimal die Sonderung in die Individuen vor sich geht, erfolgt nicht iiberall vollstiindig gleichzeitig. Der Zusammen- hang ist in Fig. 10 noch sehr deutlich zu sehen ; aber auch viel spater noch, wenn die hinteren Leibesenden der Knospenthiere sich isolirt haben und auseinandergeruckt sind, wie es in dem Schema C deutlich gemacht ist, kann man die Offnungen in den horizontalen Entodermkanal manchmal noch sehen (Fig. 1, Taf. XVI). Wenn man sich die Art und Weise des Auseinanderweichens der hinteren Leibesenden der Knospen, wie sie die schematische Figur C versinnlicht, vorstellt und bedenkt, dafs dieselben in ihrem Umfange gleichzeitig zunehmen, so werden die Verhiiltnisse wohl klar werden, welche an den Querschnitten durch diese Stadien des Stolo angetroffen werden. In Fig. 11 auf Taf. XV und in Fig. 1 — 4 auf Taf. XVI sind die hiimalen Enden der Knospen bereits so weit auseinandergeruckt, dass auf gewissen Schnitten alle vier Entodermsiicke , je zwei einem Individuum angehorend, sichtbar werden. Neural ist die Sonderung der ein- zelnen Knospen noch mehr vorgeschritten , und die Furchen be- ginnen bereits abwechselnd rechts (Fig. 1—3 Taf. XVI) und links die zentrale, gemeinsame Region der Blutbahnen des Stolo zu umgreifen. Bd. XIX. N. F. XII. ^Q 606 Oswald Seeliger, Hiermit schliesse ich die Beschreibung dcr Entodermentwick- lung in der Knospe. Ich will nui- nochmals wiedcrliolen , dass wir also in jeder jungen Knospe zwei Entodermsiicke finden ; einen grossen ausscren, der von allem Anfange an auf derselben Seitc des Stolo cntstaiid, auf welcher die betreffende Knospe liegt, der sich durch die ganze Liinge des jungen Kettenthieres hin- durchzieht und in seiner mittlcrcn Region in den horizontalen Entodermast mtindet, so dass ein neuraler und hilmaler Theil unterschieden vverden konnte. Der zweite Entodermsack ist der kleinere und innere und entstammt einer Ausstulpung oder Falte des Stoloentoderms, wclche auf der cntgegengesetzten Seitc der grossen auftrat. Bel dervorschreitendeu Isolirungder einzelnen Ketten- thiere verliert er lange vor dem ausseren Entodermtheile jede Kom- munikation niit dem Horizontalaste und liegt als allseitig geschlosscnes Gebilde in der jungen Kettensalpe (vgl. Fig. o und G Taf. XVI). Der Eier stock Strang. Obwolil es mir in der vorliegenden Untersuchung in erster Linie darauf ankam, die Genese der Organe der Kettensalpcn aus den Gebilden des Stolo festzustellen und dicse auf die Gewebe des Embryo zuruckzufuhren, habe ich doch audi den histologischen Vorgangen bei der Bildung der Eizelle selbst einige Aufmerksam- keit geschenkt und will in diesem Kapitel nieine Beobachtungen dariiber vorbringen. Ich bin mir zwar sehr wohl be\Yusst, dass dieselben iiber die feinsten Details der Kernumbilduug nicht aus- reicliend sind und in Bezug auf die Ausfuhrlichkeit namentlich in der Anwendung der verschiedenen Konservirungs- und Farbungs- methoden mit den neuesten Arbeiten, welche die Bildung der Ei- zelle monographisch behandeln, nicht konkurriren konnen. Nichts- destoweniger glaube ich, in den vvesentlichsten Punkten mit einiger Sicherheit meinen Priiparaten vertrauen zu durfeu , so namentlich in der Frage nach der Herkunft der Follikelzellen. Die illteste Angabe riihrt von H. MOlleu^) her, welcher be- schreibt, dass der Follikel des Eies aus einer AusstiilpuDg der Kiemenhohlenwandung hervorgehe. Es scheiut aber diese an und fiir sich unwahrscheinliche Mittheilung zu keiucr allgemeinen Geltung gelangt zu sein, und schon im folgendeu Jahre hat ^) H. MiJLLER, „Boriclit liber einige im Hcrbsto 1852 in Messina aiigestellte vergleichend-anatomische Untcrsiichungou". Zeit. f. w. Zool. Bd. IV. 1853. p. 331. i Die Knospunp; der Salpen. G07 Leuckart') Follikc], Eilciter und Ei aus eiiier gcmcinsanien An- lage, die er als Zellhaufen sah, hervorgeheii lassen, wie es ja in der That audi der Fall ist. Todaro hat spiiter (1. c. p. 781 und 782) die Entstehung aus einem mesodermalcn Zellhaufen bestiitigt und glaubt ebenfalls, dass eine der zentral gelcgenen Zellen zum Ei, die anderen ziini Follikel wtirden, Doch sah Toijaro, gleich- wohl er die Knospung an Querschnitten durch Stolonen studirt hat, das erste Auftreten der Piierstocksanlage erst in ziemlich vorgeschrittenen Knospen. Eingeheiider hat bald darauf Salensky '') die Umbildung des Eierstockstranges verfolgt. Er lasst denselben in zwci Partien zerfallen: in eine neurale solide, in welcher die Eier dureh theihveise Verschmelzung von Zellen und deren Kernen entstehen und in die einzelnen Knospen rechts und links bin uber- treten; und eine hiimale, wclche auf dem Querschnitt als ein Zell- ring erscheint und sich weiterhin zum gesaramten Entoderm der Knospen umbildet. Obwohl Salensky keine genaueren Mitthei- lungen gemacht hat, so scheint doch aus seinen Abbildungen her- vorzugehen, dass Follikel und Eileiter aus den Zellen der neuraleu Partie direkt entstehen. Es liessen sich somit diese Beobachtungen mit H. Muller's Angaben von der Entstehung des Follikels aus der Athemhohlenwandung in Uebereinstimmung bringen. — Brooks hat bcreits in seiner ersten ^) Arbeit die Entstehung der weib- lichen Geschlechtsprodukte aus Zellen der Eierstockstrange im Stolo selbst behauptet, ohne allerdings dafiir geniigende Beweise gegeben zu haben. Ueber die Umbildung der Zellstriinge zu den Ovarien der Kettensalpen , iiber die Bildung des Follikels und Eileiters fehlt jede nahere Angabe. In einer spatercn Unter- suchung^) hat er dann die inzwischen von Salensky veroffent- lichten Beobachtungen und die alten Angaben Kowalevsky's iiber die friihe Bildung der Eizellen im Stolo selbst und die Wanderung in die Knospen bestiitigen konnen. Wir haben den Eierstockstrang als ein miichtiges Gebilde kennen gelernt, welches den Stolo hiimal in der Medianebene durchzieht. Bei dem ausserordentlich bedeutenden Liingenwachs- thum des ganzen Stolo zieht er sich, nachdem er friihzeitig die ^) R. Leuckaet, „Zoologische Untersuchungen". 2. Heft p. 75. 2) Salensky, ,, Ueber die Knospung der Salpen". Morph. Jahrb. III. 3) Brooks, „The Development of Salpa". Bull, of the Museum of comp. Zool. at Harvard College Cambridge Mass. ^) Derselbe, „The origin of the eggs ot Salpa". 1882. 40* 608 Oswald Seeliger, direkte Verbindung mit dem Mesoderm des Embryo verloren hat, zu einem viel dunneren Zellstrange aus, indem dadurch gleichzeitig die hamale Blutbabn an Ausdehnung gewinnen kann. Die ver- schiedene Differenzirung dcr mittleren und peripheren Partie habe ich bereits erwahnen miissen, und ich will nur hinzufiigen, dass es mir nicht moglich war , nachzuweisen , dass — was mir iiberhaupt unwahrscheinlich diinkt — die zu Eiern werdenden Zellen nur von bestimmten, schon im Embryo gekennzeichneten Zellen ihren Ursprung nehmen. Das Mesenchym des Nucleus, welches in die Stolohohle hineinwuchert, besteht zwar nicht aus durchaus gleichartigen Zellen. Weil ich aber nicht gc- sehen habe, dass die Zellen bei ihrer Einwanderung sich nach ihrer verschiedenen Grosse und Form im Stolo erst gruppirt batten, muss ich wohl auch annehmen, dass nur durch die Lagebeziehungen im Eierstockstrange selbst die zentralen Partien allein zur Eient- wicklung befilhigt werden, Unter diesen selbst findet nun weiter- hin eine natiirliche Auslese statt, denn es lasst sich leicht fest- stellen, dass eine die spiltere Eizahl "um ein Mehrfaches uber- treffende Anzahl von Zellen die ersten Umbildungen erfahrt, welche zur Entstehung des Eies fiihren. Der grossere Theil der Zellen des Eierstockstranges wird aber entweder wieder riickgebildet und fliesst als Nahrmaterial den sich entwickelnden Eizellen zu oder er bildet den Follikel und Eileiter. Ich muss wohl glauben, dass der Prozess der Ruckbildung und Desorganisation der Zellen im Eierstockstrange bei andern Salpenspezies , so z. B. bei Salpa pinnata, noch mehr in den Vordergrund tritt als hier. Denn nur dann lassen sich die Angaben Todaro's verstehen, welchen zu Folge der ganze Strang zu Nahrmaterial aufgelost werden soil. Die zentrale Partie des Eierstockstranges, deren Elemente theil- weise zu Eiern werden, erscheint fiir's Erste von der peripheren keines- wegsscharfabgegrenzt. Die Zellen sind grosser, ebenso dieNuclei, die aber an chromatischer Substanz relativ firmer werden (Fig. 7 Taf. XII). Auf Querschnitten durch die Wurzel des Stolo findet man selbst in alteren Keimstocken noch eine ganze Anzahl von Zellen getrotfen, welche zu Eiern sich umzubilden scheinen (Fig. 9 Taf. XIII), wiihrcud im distalen Abschnitte weit jungercr Stolonen nur sehr wcnigc oder meistens nur eine Eizelle auf einem Schnitte zu sehen sind. Die Abbildungen auf der Taf. XIII zeigen eine Reihc solcher individueller Verschiedenheiten. Die die Eizellen umgebenden peripheren Zellen sind kleiner und besitzen eineo in Pikrokarmin intensiv fiirbbaren runden Kern; die Zellgrenzen sind nur unbestimmt und stellen- Die Knospung der Salpen. 609 weise gar nicht uachweisbar. Die periphere Partie ist anfanglich stets mehrschichtig, spiiter ordnet sie sicli meist sehr bald im Umkreise des Eies zu einer einfachen Zellschicht an, die zum Follikel wird. Der Rest der urspriinglich peripheren Partie bildet den Eileiter und — was ich nicht mit Bestiramtheit zu behaupten wage — wahrscheinlich den Hoden. Alle Zellen der zentralen Partie, die zwar anfangs den Weg zur Eientwicklung genonamen haben, aber zu einem Ei sich nicht ausbilden konnten, fliessen als Nahrmaterial den auderen begiinstigteren zu, indem sie riickgebildet werden und ihre Substanz desorganisirt. Eine Riickbildung solcher junger Eizellen zur Ausgangsform oder eine Unibildung zu einer anderen, weiterhinnochlebensfahigeu Zelle scheint mirausgeschlossen (vgl. Fig. 9 Taf. XIII). Dass unter normalen Verhiiltnissen auch die peripher gelagerten Zellen mit kleiuerem, leicht tingirbarem Nucleus theilweise ruckgebildet wtirden, glaube ich nicht, vielmehr scheinen mir die um ein Bedeutendes kleineren Zellen des Eileiters mit Sicherheit darauf hinzuweisen, dass diesen Zellen ein reges Theilungsvermogen zukommt. Die zentral gelegenen aber verlieren dieseFahigkeitderVermehrungdurchTheilung, sobald sie einmal die ersten Umbildungen erfahren haben, welche zur Eientwicklung fiihren. Rechts oben in Fig. 14 auf Taf. XIV sind drei Zellen aus dem Eierstockstrang gezeichnet, welche noch indiflferenten Charakter zeigen. Ob diese Zellen durch fruhere Theilung aus einer Mutter- zelle hervorgegangen sind oder sich aneinandergelagert haben, kann ich nicht angeben. In dem folgenden, dicht darunter ge- zeichneten Stadium erscheinen zwei Kerne (n) in einer gemein- samen Plasmamasse eingeschlossen. Dieselbe ist bedeutend grosser als die einer noch indiflferenten Zelle, Die Kerne liegen dicht aneinander, sind bedeutend grosser geworden, zugleich aber relativ iirmer an chromatischer Substanz. Jeder Kern besitzt einen massig grossen, sehr stark farbbaren Nucleolus (w'). Dies eben beschriebene und ahnliche Stadien, in welchen einander beruhrende Kerne mit oder ohne Nucleolus in einer ge- meinsamen Plasmamasse eingeschlossen sind, scheinen mir darauf hinzudeuten, dass auf dem ersten Stadium Verschmelzungen von Zellen vorkommen konnen, indem die gleichwerthigen Theile in- einanderfliessen. Dieser Vorgang ist von der Aufnahmc riick- gebildeter, desorganisirter Zellsubstanz als Nahrmaterial in die werdenden Eier ^Yohl zu unterscheiden. Als Theilungsvorgange von Zellen kann ich diese Bilder nicht deuten. 610 Oswald Seeliger, Ein woiteres Stadium der Umbilduug zeigt die unterste rechte Zelle derselben Figur, Der Nucleus hat bedcuteud an Volumeu gewonnen, erscheint aber noch scliwacher geftirbt. In seiuem Inueren tragt er eine grossere Anzalil von stark gcfiirbten Korpercheu, die eine sehr wechselnde Grosse besitzen, mir aber von einander qualitativ nicht verschieden zu sein schieneu. In den beiden grosseren linken Zellen dieser Figur sind die Eizellen als solche bereits deutlich zu erkennen, Der Nucleus ist ein grosses, belles, blasclienartiges Gebilde, das keine eigene Membran besitzt. Neben grosseren, meist wandstaudigen Korperchen finden sich zahlreiche feine und feinste Kornchen im ganzen Nucleus zerstreut. Das Eiplasma ist um den Nucleus herum zu einer ringforuiigeu Zone verdichtet. Jedoch sah ich eine scharfe Sonderung der Eisubstanz in eine hellere periphere und dichtere zentrale nur einige Male an Praparaten, die einer besonders inteusiven Osmiumbehaudlung unterworfen worden waren (vgl. Fig. 13 Taf. XI V^. Die geschilderten Veranderungen im Nucleus der sich ent- wickelnden Eizelle scheinen mir als die natiirlichste Deutuug nur folgende zuzulassen. In den jungen noch undiffereuzirten Zellen des Eierstockstranges besteht der Nucleus aus stark verdichteter chromatischer Substauz. Das Grosserwerden des Kernes kann vielleicht am besten mit einem Aufquelleu verglicheu werden, das durch Aufnahme fliissiger Substanzen aus deni umgebenden Plasma erfolgt, welche weiterhin zum Kernsafte werden. ^Yahrend dieses Vorganges lost sich die Chromatine des urspriinglichen Nucleus in einzelne Korner auf, deren grossere als Nucleoli bezeichnet werden. Eine Kern- und Eimembran sind nicht zur Ausbildung gelangt. Ueber die Grossenzunahme der Zellen und Kerne kann man sich ohne Weiteres an der Fig. 14 orientiren. Es stammt, wie erwahnt, diese Zeichnung aus einem Quer- schnitte durch die Stolowurzel. Im distalen Ende liegen dagegen bereits sehr friibzeitig die Eier einzeln hintercinander, sodass auf dem Querschnitte nur ein oder zwei Eizellen zu treften sind. Der in Fig. 16 Taf. XIV abgebildete Langsschnitt zeigt die perlschnur- artige Anorduung der Eizellen. Fiir's Erste ist auch dann noch die Zahl der Eizellen grosser als die der seitlichen Knospen, bis durch weitere Riickbildung der erstereu die Ubereinstimmung herbeigefuhrt wird. Aus der eben angezogeneu Fig. 16 ergibt sich auch, dass die Eizellen nach vorn und hinteu zu im Stolo aneinanderstossen und nur im Umkreise von der peripheren, rohren- fcirniigcn ZelUage unischlossen werden (Fig. 15). Weiterhin erst Die Knospuug der Salpen. 611 schuurt sich diese vor und hinter jedeni Ei oder jeder zu Einem Ei verschnielzuiiden zentralen Zellgruppe ein, sodass das Ei von einer Zcllkapsel umschlossen ist, die aus den urspriiiiglich pcri- phereii Zelleu sich zusammensetzt und den Eifollikel darstellt. Doch muss ich , um diesen Vorgang und den Beginn der Bildung des Eilciters deutlichcr zu niachen, zur Beschreibung der Querschnittc zuriickkehren. Nur ein Tlieil der peripheren Partie des Eierstockstranges bildet sich zum Follikel um. Sehr bald nilmlich lassen sicli an dem Eierstockstrange zwei Theile unterschciden : ein hamaler und ein neuraler, dereu Grenze durch zwei seitliche Liingsfurchen ge- kennzeichnet ist. In dera Zentrum der hamalen Partie liegen die jungen Eizellen, die neurale ist zum grossten Theil aus den peri- pherischen Zellen zusammengesetzt, zwischen welche aber Eizellen mit eingewandert sein konnen (Vgl. Fig. 12 und 13 auf Taf. XIV), die aber stets eine Riickbildung weiterhin erleiden mussen. Die neurale Partie bleibt mit der peripheren Schicht der hamalen stets im Zusammenhange (Fig. 6 und fg., Taf. XIV). Wenn der hiimale Strang, wie oben bereits erwahnt, in einzelne Kapseln zer- fiillt, deren Mitte von der Eizelle cingenommen wird, betrifft die namliche Gliederung auch den neuralen Theil, so dass der ge- sammte Eierstockstrang in eine Reihe gleicher Theilstiicke zerfallen erscheint, deren jedes aus dem hamalen Ei mit Follikel und einem neuralen Zellhaufen besteht. Die Ursache fiir diesen segmentalen Zerfall ist in dem Vorschreiten der hamalen und seitlichen Quer- furchen des Stole zu suchen, durch welche die einzelnen Individuen von eiuander abgegrenzt werden. Die Zellen des Follikels werden, wie dies die Abbildungen auf Taf. XIV zeigen, zu einem Plattenepithel , das die Eizelle dicht umschliesst ; die der neuralen Partie , die ja urspriinglicb den peripheren des hamalen Abschnittes vollstandig glichen, ver- mehrcn sich durch Theilung, bleiben aber nahezu kubisch und bilden weiterhin die Wandungen des Eileiters. Ich muss hier auch der Eigenthiimlichkeit gedenken, dass die Umbildung der Follikelzellen zu einem Plattenepithel oft sehr spat erfolgen kann, und ich verweise auf die Fig. 2 Taf. XV, die das Ei hamalwiirts von einem Zylinderfollikel umschlossen zeigt. Der tJbergang zu Plattenzellen diirfte mit einer Substanzabgabe an das Ei verbunden sein. Das ganze Gebilde liegt urspriinglich in der Medianebene des Stole zwischen den beiden Entodermfalten desselben, neural- 612 Oswald Seeliger, wiirts bis an die hjimale Blutbahn sich erstrcckend, und nimrat also, in dcr Hauptaxe der spilteren Ketteuindividuen gelegen , den hintersten Leibesabschuitt derselben ein (Fig. 2 und 3, Taf. XV). Wenn dann die Entodermfalten in der im vorhergeheuden Ab- schnitte beschriebenen Weise gebildet sind, liegt die Eikapsel mit der Eileiteranlage zwischen dem grossen und kleinen Entoderm- sacke, die ein und demselben Kettenindividuum angehoren (Fig. 10 und 12 auf Taf. XV). Bei dem Auseinanderweichen der gesammten Individuen am Stolo entfernen sich natiirlich auch die Ovarien nach rechts und links immer mehr von der Mittellinie (Fig. 11, Taf. XV, Fig. 1 und folg., Taf. XVI). Ausser dieser Lageveranderung gegen die Hauptaxe des Stolo, welche mit alien Organen der Kettenthiere in gleicher Weise erfolgt, erfahrt der weibliche Ge- schlechtsapparat noch eine besondere im Verhaltniss zu den anderen Organen der Salpe, deren Beschreibung weiter unten ge- schehen soil, wenn die Umbildung der Knospen zu Salpenthieren beschrieben wird. Salensky hat von der Entwicklung des Eierstockstranges eine andere Darstellung gegeben. Er zerfallt nach ihm in eine obere und untere Partie ; die obere wird zum Ovarium, die hamale theilt sich spater in eine rechte und linke, welche zur Athem- hohle und zum Darmtraktus jederseits sich ausbilden, Seine obere Partie entspricht jedenfalls dera ganzen von mir beschriebe- nen Gebilde, dem Ei also mit Follikel und der neural gelegenen, soliden Eileiteranlage. Den von Salensky als unteren Abschnitt beschriebenen Theil des Eierstockstranges, der eine den Stolo durchsetzende Rohre sein soil, habe ich in dieser Form nicht auf- finden konnen. Dagegen sah ich auf gewissen Querschnitteu durch noch ziemlich junge Stolonen hiimal in der Medianebene ein Ge- bilde getroffen, welches hochst wahrscheinlich mit dem von Sa- lensky als die Anlage der Entodermschicht der jungen Knospen gedeuteten identisch sein diirfte. In den Figuren 3 und 4 auf Taf. XIV erscheint die hamale Zone der peripheren Partie des Eier- stockstranges betrtichtlich verdickt. In Fig. 1 1 Taf. XIII liegt an der namlichen Stelle bereits ein Zellhaufen, der sich vom neural gelegenen Eierstockstrang, von dem er sich abgetrennt hat, schon wohl unterscheideu liisst. Ich habe mich nicht uberzeugen konnen, dass dieser und die folgenden segmental im Stolo angeordneten Zellhaufen Theile eines den Stolo kontinuirlich durchsetzenden Stranges seien und glaube daher, dass sie uberall selbstiindig sich abspalteten und zwar in der Zahl der am Stolo auftretenden Knospen. Die Knospung der Salpen. 613 In weiteren Eiitwickluiigsstadieii der Kiiospcn, wenii der iibrige Theil des Eierstockstranges sich in einzelne Kapseln bereits j^csondert hat, fand ich jene hiimalen Stucke des Stranges auf den Schnittcn wieder, welche zwischen die Eikapseln fielcn (Fig. 10, Taf. XIV). In der Folge aber konnte ich diese Gebildc nicht niehr in ihrer kontinuirlichen Entwicklung beobachten und stelle es daher nur als sehr wahrscheinlich bin, dass die mit h bezeichnetcn Organanlagen in den Figuren 3 und 4 auf Taf. XVI aus den hanialen Zwischenstiicken des Eierstockstranges hervorgegangen seien. Aus jencn aber entwickelt sich der Hoden der Kettensalpe, In Bezug auf die Entstehung der Eizelle selbst stimme ich vollkommen mit Salensky iiberein, der dieselbe aus einer Zelle des Eierstockstranges hervorgehen lasst, die auf Kosten der Nachbar- zellen sich entwickelt. Ich bin aber mehr geneigt, eine Ver- schmelzung der Zellen nur in beschrankterem Maasse anzunehmen und die in die Eizelle uberfliessenden Substanzen der Nachbar- zellen bereits fiir desorganisirt anzusehen. Dagegen muss ich eine Theilung oder Knospung solcher Zellen des Eierstockstranges, welche bereits als junge Eizellen erkennbar sind, in Abrede stellen und daher auch die Entstehung des Follikels aus der Eizelle fiir ganz ausgeschlossen halten. Diese ist vielmehr stets von Zellen der peripheren Partie des Eierstockstranges umgeben, welche sich durch ahnliche Stadien, wie sie in Fig. 12 und 13, Taf. XIV abge- bildet sind, in den bleibenden Follikel umwandeln. Ware dieser eine Neubildung, die aus dem Ei hervorgeht, so musste man spjiter entweder zwischen dem urspriinglichen Follikel und dem Ei eine zweite Zellschicht oder ein Stadium auffinden konncn , in welchem ein Follikel iiberhaupt fehlt, weil der alte riickgebildet, der neue aber noch nicht entstanden ist; oder man miisste zu der etwas kiinstlichen Annahme seine Zutlucht nehmen, dass der neue Follikel genau an den Stellen und immer in gleichem Maasse sich neubildet als der alte schwindet. Es steht die eben geschilderte Entwicklungsweise der Eier und ihrer Follikel in scharfem Gegensatze zu den in neuester Zeit an Ascidien und anderen Tuuikaten von Fol ' ) , Ulia- ^) H. Fol, „Sur Torigine dos cellules du follicule et de I'ovule chez les Aecidies et chez d'autres animaux". Comp. rend. 28. Mai 1883. Dersclbe, „Sur I'oeuf et ses enveloppes chez les Tuniciers". Kec. zool. suiss. Tom. I 1883. 614 Oswald Seeliger, NiN '), RouLE 2), Sabatier •') uiul aiideren Forschern angestelltcn Be- obachtuiigeu, wclchc bekaiintlich uiclit nur die Testazellen, sonderu auch den FoUikel vom Ei abloiten. Ahnliclie Beobachtungen iiber den Ursprung der Follikelzelleu liegen auch uber lusekteneier vor^), so dass es gegenwiirtig recht schwer erscheint, iiber die Natur uiid morphologische Bedeutuiig der Eier in den verschiedenen Thierklassen eine einheitlicbe Autiussung gewinnen zu konnen. Wenngleich auch dicse Beobachtungen noch sehr unvoll- standig sind, so dass sich theoretische Betrachtungen von nur unsicherem Werthe daran kniipfen lassen, scheinen mir dennoch einige derselben eine Deutuug zuzulassen , die mit den alten An- schauungen uber den Vorgang der Eibildung sich ganz gut in tJbereinstimmung bringen lassen diirfte. Ich glaube, dass man die jungen Zellen des Eierstockes, welche durch Theilung oder Kuospuug andere Zellen hervorgehen lassen , welche zum Follikel sich umbilden, eben noch uicht als Eier bezeichnen und rait dem altesten phylogenetischen , einzelligen Stadium homologisiren darf, auf welches das gesammte Thierreich zuriickzut'uhren ist. Die Bildung des Follikels ist dann nicht als der Anfang der onto- geuetischen Entwicklung, sondern vielmehr als die letzte Ver- iinderung anzusehen, welche im Korper des beinahe vollstiindig ausgebildeten Metazoon vor sich geht, bevor dieses die defiuitiven Eizellen zur Sonderung bringt, in welchen die Art zu der uralten H. FoL , jjRemarques supplementaires a mon memoire sur I'ori- gine de I'ovule chez les Tunicicrs". ibid. 1884. ^) Ulianin, „tJber die embryonalc Eutwickeluiig des Doliolum". Zool. Anz. Nr. 92 p. 473. " ^) llouLE, „La structure de I'ovaire et la formation des oeufs chez les i'hallusiade'es". Comp. rend. 9. Apr. 1883. '^) Sahatier, „De I'ovogenese chez les Ascidies." Comp. rend. 19. Marz 1883. Derselbe, „Sur les cellules du foUicule de I'oeuf et sur la nature de la sexualite". Comp. rend. 18. Juni 1883. Derselbe, „Sur les cellules du f'oUicule et les cellules granuleuses chez les Tuniciers." llec. zool. suiss. T. I 1884. ') LunwiG "Will, „Uber die Entstehung des Dotters und dor Epithelzellen bei den Amphibicii und Insekten". Zool. Anz. 1884 Nr. 167, 168. Derselbe, „Bildungsgeschichte und morphologischer Worth des Eics von Nepa cinerca und Notonecta glauca". Zeit. t. wiss. Zool. Bd. 41, 1885. I3aljuani, „Sur I'originc des cellules du foUiculo et du noj-au vitellin dc I'oeuf chez les Geophiles." Zool. Anz. 1883. Die Knospung dcr Salpeu. 615 Staniniform zuriickkehrt. Ich sehe soniit in dicscr Fullikclbilduii^ uur cine Modifizirung- uud Fortsctzung der Zcllthciluiigsvorgilnge, duich welche der vielzellige Eierstock tiberhaupt aus ciiier odor iiiehreren Furcliungskugelii oiitogeiictisch eutstaiidcii ist. Es scheint iiilr darin keine Schvvierigkeit gefuudeii wcrdcn zu koinien, dass die Zelltheilung audi danii iiocli weiterhin stattfiudet, nachdcm die betrcffeiiden Zellen von den ausscliliesslich soniatischen sich gesoudert haben uud zur Bildung des Geschlochtsorgaucs bereits zusammengetreten sind. In den obeu angefiihrten Beispielen ist es danu eben nur als ein eigenthiiniliches und besonders intei-essan- tc'S Veihilltniss anzusehen , dass die urspriinglicli gleichwerthigen Theilprodukte Finer Zelle des weiblicheu Geschlechtsorganes stets sozusagen gruppenweise bei einander bleiben und zu Ei und Follikcl sich ditiereuziren , wahiend man in den anduren Fallen der Ei- bildung Ei und Follikel nicht auf dieselbe Zelle des embryoualen Eierstockes zuriickfiihren konnte. — Erst uach jenen letzten Theilungen ist die der phylogenetischen , einzelligen Stammforni gleichvverthige Eizelle zur Souderung gekommen, und es kann nur als eiu cenogenetischer Vorgang gedeutet werden, wenn mit diesem Prozesse ein folgender verschmilzt, so dass Ei uud Follikelzellen alsbald resultiren. Es mag nun sein, dass spatere Bcobachtungen die eben er- wahnte Ausicbt als unzulassig erscheinen lassen und die Mit- theilungeu der obeu erwiihuteu Forsclier vollauf bestiitigeu werden, dass namlich wirklich Propagationszellen , die dem einzelligen phylogenetischen Stadium homolog sind, vor der Befruchtung andere Zellen aus sich hervorgehen lassen , welche hauptsachlich zum Follikel sich umbilden. Es wird sich dann sofort die Frage erheben, wie sich diese Zellen zu den Richtuagskorpercheu ver- halteu, und es scheint mir, dass sie wohl miteinander wtirden homologisirt werden miissen, wenngleich die feineren Details beim Zelltheilungsvorgang sich von einander unterscheideu. Sollten sich aber diese Unterschiede als wesenthche ei'weisen , so bleibt , wie mir scheint, als die natiirlichste Losung die, die von BOtsciili ^) gegebeue morphologische Deutung der Hichtungskorperchen nur auf jene Follikelzellen anzuwcnden und fiir die Richtungskorperchen eine selbstaudige Entstehuug anzunehmen, indem man ihneu, wie ^) BuTsciiLi, „Gedanken liber die Bedeutung der sogcuaunten llichlungskorperchen". Biol. Centr. Bd. lY, Nr. 1. 616 OswaldSeeliger, es Strasburger M , van Beneden'^) und Andere thun, eine vor- wiegend physiologische Bcdeutuug beimisst. Es ist einlcuchtend, dass uiiter diesen Voraussetzungen die aufeinanderfolgenden Stadien in der Eibildung und Reifung auf hochst wichtige phylogenetische zu beziehen sind , und es wird sich vielleicht als zweckmassig erweisen , dafur verschiedeue Be- zeichnungen einzufiihren , wie dies ja fur den Kern bereits ge- schehen ist. Es kommt aber doch nur darauf an, dass man sich der Yerschiedeuheiten bewusst bleibe und umso besser, wenn dies moglich ist, ohne die iiberaus reiche Terminologie nocli mehr zu belasten. Sobald man einmal BOtschli's Deduktionen anerkennt, mag man sie nun auf Richtungskorperchen oder Follikelzellen oder auch auf beide beziehen, so findet man in der Outogeuie der Meta- zoen jene ersten phylogenetischen Prozesse wieder , die vor dem Auftreten einer geschlechtlichen Vermehrung sich einstmals abge- spielt haben. Darnach gewinnt eine alte Ansicht, welche die Ent- wicklung der Mctazoen als einen Generationswechsel auffasst, eine iieue Grundlage. Freilich erscheint dann der Generationswechsel in einer ganz anderen Form : die geschlechtliche Entwicklung fiihrt zur Ausbildung des Metazoonkorpers und der Propagationszellen, welche aber erst der phylogenetischen Urforni gleichwerthig sind, die sich noch ungeschlechtlich durch Theilung vermehrte. Das Resultat der ungeschlechtlichen Vermehrung im ontogenetischeu Entwicklungscyklus sind die Geschlechtszellen , welche den ein- zelligen, aber bereits geschlechtlich differenzirten phylogenetischen Stammformen zu homologisiren sind, und ausserdem noch die Eollikel- Oder Polzellen. Diese Auffassung von der Entstehung der Geschlechtszellen weicht von jener alteren, welche dieselben am Metazoonki)rper hervorknospen liisst, erheblich ab. Dieses sogenannte llervor- knospen von Eiern und Spermatozoen war, wie mir scheiuen will, eine sehr willkiirliche Annahme. Dcnn es ist dann nur konsequent, wenn man alle vorhergehenden Zelltheilungen und fiiglich die Furchung selbst als ungeschlechtliche Zellvermehrungen auifasst und gerade die Entwicklung, welche man allgemein als eine ge- ^) Steasbukgee , „Neue Untersuchungcn iiber den Bofruchtungs- vorgang bci den Phanerogaraen als (Jruudlagc fiir cino Theorie dor Zcugung". Jena 1884 p. 91 u. fg. '^) Van BKNKfiEN, „Kecherche8 sur la maturation do I'ocuf, la fecondation et la division cellulaire". Arch, do Biol, 1883 — 1884. Die Knospung dcr Salpen. 61 7 schlechtliche bezoichnet, in eine unendlichc Anzahl ungcschlcclit- lich auscinander hervorgegangcner Generationen auflost, die syni- biotisch mit einander zii cincm Thierstaat vcrbunden siiid. Es ist dann auch ohne Weiteres klar, dass es einc geschlcchtliche Vermehrung iibcihaupt nicht gibt, und dass die Bezeichnung geschlcchtliche Eiitwicklung auf die eine Phase in dcr Ontogenie beschriinkt bleibt, in welcher die Kopulation der geschlechtlich difterenzirten Elemente erfolgt, was natiirlich eine Verminderung der Geschlechtszellen zur Folge hat. Ich breche hier diesen Gcdankengang ab, wcil mir eine aus- fiihiiichere Auseinandersetzung und Begriindung hier nicht am Platze zu sein scheint und es iiberdies angezeigt sein diirfte, weitere Ergebnisse iiber die Bildung der Follikclzellen erst abzu- warten. Das N e r V e n r 0 h r. Das neural den Stolo durchziehende Gebilde, das von Ko- WALEVSKY als Ncrvenrohr bezeichnet wurde, wandelt sich wahrend dieser Entwicklungsperiode zu den nervosen Partien der einzelncn Knospen um. Auf dem Querschnitte erscheint es in den jungen Stadien nahezu kreisformig. Die Wandung ist eine einfache Zell- schicht, deren Elemente mehr oder minder abgestutzten Pyramiden gleichen. Das liumen liegt nicht genau zentral, sondern ein wenig hiimalwarts verschoben, well die neurale Wand aus hoheren Zellen besteht. Sehr bald geht der kreisformige Querschnitt in einen elliptischen iiber, dessen Langsaxe auf der Medianebene des Stolo senkrecht steht (Fig. 5 und folg., Taf. XIII). Es treten nun an dem Rohre an den durch die iiusscren Quer- furchen des Stolo bestimmten Stellen Einschniirungen auf, so dass es nunmehr aus eben so vielen gangliosen Anschwellungen besteht, als Knospen sich am Stolo ausbilden. Die Verbindung ist fiir's Erste noch nirgend unterbrochen , sehr bald aber schreitet die Sonderung so weit vor, dass die Hohlungen, welche in den gang- liosen Erweiterungen liegen, nicht mehr miteinander kommuniziren, und dass die einzelnen segmental angeordneten Portionen nur durch einen Zellstrang mit einander verbunden erscheinen. Die Wandungen bleiben jetzt nicht mehr durchwegs einschichtig. In den Figurcn 11 und 12 auf Taf. XIII und 1 auf Taf. XIV und ebenso bei Vergleichung der Schnitte 2 bis 4 auf Taf. XIV lasst sich die Umbildung des Nervenrohres in eine Ganglienkette 618 Oswald Seeliger, crkeiinen. In bciden Fallen scheinen die Ganglienliohlen bereits vollstilndig isolirt zu sein. Gleichzeitig niit diesen Veranderungcn tritt eine Verschiebung der einzelnen gangliosen Pavtien in der Weisc auf, dass die aufeinanderfolgenden Stiickc abwechselnd nach links und reehts hill aus der Mediaiiebene auseinandeiweichen , urn in die alter- iiirenden Knospenreihen einbezogen zu werdeii. In Fig. 9 auf Taf. XIV babe ich zwei Schnitte, welche (lurch die Mitten zweier aufeinanderfolgenden gangliosen Anschwellungen gefiihrt worden sind, zu eineni Bilde koinbinirt, damit die Lage- verschiebung der Ganglion aus der Mcdianaxe ersichtlicher werde. Durch Vergleichung der in gleichem Sinne orientirten Figuren 6, 7, 10 und 11 auf Taf. XIV wird eine ahnliche Vorstellung gewonnen werden konnen. Leider ist es mir nicht moglich gewesen, das weitere Auseinander- weichen der gangliosen Partien kontinuirlich zu verfolgen. Sa- LENSKY hat eine Anzahl von Abbildungen gegeben, welche die Entwicklung zu den Ganglion der beiden seitlichen Individuen- reihen versinnlichen. Meiue Beobachtungen weichen aber von den seinen insofcrn ab, als er die urspriinglich einfache Nerveii- rohre durch eine Art Langsspaltung in der Medianebene in zwei Theile zerfallen lasst, wahrend ich eine segmentale Gliederung des Rohres in aufeinanderfolgende Stucke annehme. So lassen sich denn auch seine Abbildungen nur dann mit meinen Befunden in tJbereinstimniung bringen, wenn man annimnit, dass Salensky's Schnitte die Median- und Lateralebene des Stolo nicht genau senkrecht durchsetzen und vielleicht auch nicht genugend fein ausgefallen sind. Wenn iibrigens, was ich fiir sehr wahrscheinlich lialte, wovon ich niich aber nicht babe mit Bestimmtheit iiber- zeugen konnen , die einzelnen Abschnitte des Nervenrohres eine ahnliche keilformige Form besitzen wie die noch ineinander- steckenden hinteren Kiirperabschnitte der Knospenthiere, so miissen auch genau senkrechte Schnitte durch die Grenzregion zweier Ganglieni)artien ahnliche Bildcr geben , wie sie von Salensky beschrieben worden sind. Da aber meine Beobachtungen in diesem Punktc nicht ausreichend sind, so moge das Gesagtc nur als eine Muthniassung gelteii. Die Figuren 3 und folg. auf Taf. XV zeigen die Ganglien bereits auf die einzelnen Knospen vertheilt , und man kann sich leicht von der alternirenden Stellung jener iiberzeugen. In Fig. 1 ist ein Schnitt abgebildet, der nicht vollstiindig senkrecht aus- Die Kiiospunpj fler Stilpcn. Gli) gefallen ist. Er zeigt reclits und links das vordcrstc und liiiit(!rste Ende dor abwechselnden Ganglien getroften, welclic noch nicht voUkommcn isolirt siiid, wie der verhiiideiide Mittelstrang bcweist. Anfaiiglich nimmt das Ganglion dcii obcrstcn neuralcn Abschnitt ein, d. i. das spitterc Vordcrcndc der Kettensalpon , an wclchem die Ingestionsottnung durchbi'iclit. Wcnii die Knospen an Grossc zunehnien, riickt scheinbar das Ganglion hanuilwarts hcrab, indem ein Entodermfortsatz an ihm vorbeiwiichst und die Knospe neural- wtirts sich ausdchnt (vgl. Fig. 7 und -S Taf. XV). So kommt das Ganglion an die gegen das proximale Ende des Stolo geriditete Wand der jungen Knospe zu liegcn, wjihrcnd nach dem distalen Ende bin in jeder Knospe der neurale Theil der Entodermsacke liegt, welcher zur Atbembohle wird. Die beiden Langsschnitte Fig. 1 (besonders die mit B und C bczcicbncten Individuen) und Fig. 6 auf Taf. XVII werden diese weiter unten noch niiber zu erorternden Verbiiltnisse verdeutlichen helfen. Ich muss am Schlusse dieses Abscbnittes auf die ausser- ordentliche Verschiedenheit der Entwicklungsvorgange in der hiinialcn und neuralen Region des Stolo abcrmals binwcisen. Wir saben, dass in jener alle Tbeile des Stolo abwechselnd zum binteren Leibesende eines recbten oder linken Kettenindividuums werden, in der neuralen dagegen ist der Vorgang ein andorer. Das Nerven- robr wird zwar, indem es in aufeinanderfolgende Stiicke sich gliedert, in seiner ganzen Breite zur recbten und linken Ganglienreihe, aber von den neuralen Abschnitten des Entodermsackes und der Seiten- strilnge tritt kein Tbeil von der eincn Seite in die Knospen der cntgegengesetzten bintiber (vgl. Fig. 5 Taf. XV und die schema- tische Figur B auf pag. 30). Die gangliosen Abscbnitte weicben aus der Mittelebene nach den Seiten bin, wahrend gleicbzeitig in dieser eine immer tiefer werdende Rinne auftritt (Fig. 1, 5 und 9 Taf. XV). Die Figuren 1—4 auf Taf. XVI geben ebenfalls fiir den Sonderungsprozess im vorderen Leibesabschnitte der Kettenthiere eine gute Vorstellung, so dass eine weitere Bescbreibung iiber- fliissig sein diirfte. Die beiden Blutbahnen und der horizontale Entodermast bilden noch immer das alien Knospen gemeinsame Mittelstiick. Die neuralen Abscbnitte der Entodermsacke wachsen jederseits weiter vor, so dass in dieser Region am Stolo zwei Reihen buckelformiger Erbebungen zu sehen sind , welche die Vorderenden der cinzelnen Kettensalpen darstellen und mit den ursprunglicbcn seitlichen Querwulsten des Stolo nicht identisch sind. Ist dann im hilmalen Theil die Sonderung weiter vor- 620 Oswald Seeliger, geschritten, so sind wir zu dem viel diskutirten Stadium gelangt, in welchem am Stolo vier Hockcrreihen zu erkennen sind, die die Leibesenden der eiozelnen Kettenindividuen bezeichnen. Die Seitenstrange. Die beiden Seitenstrange, die ich bereits als paarigc, zwei- schichtige Zellstreifen beschiieben habe, welche den Stolo in seiner ganzcn Liinge durchzichen, erfahren in dieser Entwicklungsperiode vielfache Umbildungen. Dieselben beginnen damit, dass an den Stellen der seitlichen Querwiilste Verdickungen der Seitenstrange sich bilden , weil diese mchrschichtig werden. Gleichzeitig aber dehnen sich die anfanglich nur schmalen Streifen (vgl. Fig. 1 und folg. auf Taf. XIII) um ein Betrachtliches neural- und hanial- wiirts aus, so dass sie als breite seitliche Bander vom Nervenrohr bis zum Eierstockstrang sich erstrecken (Fig. 1 1 und 12 Taf. XIII). Auf gewissen Querschnitten erhiilt man dann von den Seiten- striingen Bilder, welche den allerersten Entwicklungsstadien des Mesoderms im Stolo iihnlich sind. Die Ausbreitung der Streifen ist aber nicht iiberall eine durchaus gleichmiissige , sondern sie ist durch die Ausdehnung der Entodermfalten und die seitlichen Querfurchen bestimrat. So zeigen die beiden letzten Figuren auf Taf. XIII und die erste auf Taf. XIV, wie neuralwiirts Entoderm und Seitenstrange innerhalb einer Knospe abwechselnd sich ausbreiten. Ganz ahuliche Ver- haltnisse findet man bei Vergleichung der Fig. 6 und der folgenden auf Taf. XIV. Wenn die seitlichen Querwiilste am Stolo immer mehr sich hervorwolben und zu den Knospen werden , theilen sich auch die Seitenstrange in einzelne, segmental angeordnete Abschnittc, von denen jeder eine gekriimmtc, mehrschichtige Zellplatte darstellt, welche zwischen Ektoderm- und Entodermsack an der iiusseren Seite der Knospen liegt und deren Mesoderm bildet. Wie aber aus der friiheren Darstellung schon hervorgeht, ist die Zahl der aufeinanderfolgenden Abschnitte der Seitenstreifen im hamalen Theile doppelt so gross als im neuralen; und so wie es mit den Entodermsacken der Fall war, tritt in den hintercn Leibes- abschnitten einer jeden Knospe ein Theil vom gegeniiberliegenden Seitenstreifen iiber (vgl. die Figuren 7 und folg. auf Taf. XV). Die voUstilndige Trennung der einzelnen Theile erfolgt sehr all- milhlich mit dem Vorschreiten der Isolirung und des Auseinander- weichens der ganzcn Knospen. Die Knospung der Salpen. 621 Die jetzt unmittelbar folgenden Veranderungen babe ich bis in die feinsten Details nicht verfolgen konnen und bin daher audi niclit in der Lage, mit Sicherheit angeben zu konnen, ob der von der entgegengesetzten Seite des Stolo hiniibcrwachsende Abschnitt des Seitenstranges sich direkt in ein Organ der Kettensalpc um- vvandelt. Es sclieint niir, dass zuerst zwischen den beiden ge- sondert angelegten Theilen des Knospenmesodernis — die ja ur- spriinglich ausdernamlichen Anlagevom Embryo aus sich differenzirt haben — Verschnielzungcn eintreten , bevor die Sonderung der Organe vor sicli geht. Das aber ist gewiss, dass aus dem vom entgegengesetzten Seitenstrangc stammenden Mesoderm wenigstens zum allergrossten Thcile der Elaoblast und das Herz sich bilden. In den Abbildungen 2 bis 5 auf Taf. XVII wird man sich leicht iiber die beiden verschiedenen Theile des Mesoderms der einzehien Knospen orientiren konnen, obwohl die Schnitte aus bereits hoher entwickelten Stadien stammen als die bisher be- sprochenen. Die bei der Beschreibung der Entwicklung des Ento- derms gegebenen schematischen Figuren konnen hier ebenfalls zum Verstandniss beitragen. Der Langsschnitt, der in Fig. 16 Taf. XIV abgebildet ist, ist bereits so weit hiimal am Stolo gefiihrt worden, dass nur die untersten Zipfel der Seitenstrange getroffen sind, welche in jeder Knospe gegen das distale Ende des Stolo gekehrt erscheinen. Im neuralen Theile ist die Ausdehnung und das Wachsthum der in die Knospen iibergetretenen Abschnitte der Seitenstreifen in erster Linie durch die Lageveranderung bestimmt , welche das Ganglion erfahrt. Indem dieses an die aussere, dem proximalen Stoloende zugekehrte Seite, welche dem Riicken der spateren Individuen eutspricht, zu liegen kommt, kann in dieser Region das Vorwachsen des Mesoderms nur in zwei seitlichen und ge- sonderten Streifen erfolgen, wie dies am besten die beiden Figuren 6 und 7 auf Taf. XVII zeigen. — Damit bin ich am Schlusse dieses Abschnittes angelangt, welcher die Bildung der Knospen am Stolo behandeln sollte. Es hat sich gezeigt, dass diese nicht etwa durch besondere Aus- stulpungen entstehen, sondern vielmehr Umbildungen des gesammteu Stolo sind. Der Ektodermschlauch eiuer jeden jungen Knospe unischliesst sechs gesouderte Gebilde. Neural das Ganglion, zwei Entodermsacke , zwei Mesodermschichten und zwischen den aus den gegenuberliegenden Seiten des Stolo stammenden Gebilden hiimal den Eierstock mit Eileiteranlage. Durch die ganze Lange Bd. XIX. K. F. XII. ^ ^ 622 Oswald Seeliger, des Keimstockes ziehen zwei alien Knospen gemeinsame Blutbahnen, die, von cinem Plattenepithel und einer Celluloseschicht umschlossen, direkt in das Lakunensystem des Embryo fiihren. Die beiden Blut- bahnen sind zudem durch zwei horizontale Zellscliichten geschieden, welche aus dem Entodermrohre des Stolo herzuleiten sind. Durch die Endothehvanduug der Blutbahnen wird ein direkter Uebertritt des embryonalen Blutes in die jungen Knospen selbst unmoglich gemacht, obwohl die Korperhohlung derselben, wie die Entwick- lungsgeschichte gelehrt hat, morphologisch mit jenen gleich- werthig ist. Zweiter Abschnitt. Die Ausbildung der Knospen zu Kettensalpen. Wahrend dieser letzten Entvvicklungsperiodc geht die ur- spriingliche Verbindung zwischen den einzelnen Individuen verloren und wird nur durch die neu auftretenden Haftfortsatze vermittelt. Die Sonderung der Individuen wird vollstandig, so dass es schliess- lich kein Gebilde mehr gibt, welches alien oder auch nur mehreren Kettenthieren gemeinsam ware. Die jungen Thiere schniiren sich von der Region der beiden Blutbahnen ininier mehr ab, so dass diese, von einem Ektodermrohre umschlossen, das abwechselnd rechts und links mit ziemlich weiter Oeffnung in das Hautepithel der einzelnen Knospenthiere iibergeht, ganz ausserhalb des Salpen- korpers zu liegen koramen. Dieses Rohr, in welchem noch immer das Blut des solitaren Thieres kreist, pflegt man als den Rest des Stolo zu bezeichnen und zu den seitlich daran haftenden Individuen in Gegensatz zu bringen. Bci dem wciteren Wachs- thuni der Individuen riickt der sogenannte rudimentare Stolo aus der mittleren Region gegen den vorderen Leibesabschnitt, indem er gleichzeitig immer mehr an Grosse abnimmt. Immer noch kann man in ihm die beiden vom Endothel bekleideten Blut- bahnen und die sie scheidende, urspriinglich doppelschichtige Entodermlamelle unterscheiden , welch' letztere mit der vorderen ventralen Wand der Athemhohle kommunizirt. Ich habe darauf verzichtet, diese Verhaltnisse hier abzubilden, weil Salensky in seiner Arbeit tiber die Knospung der Salpen eine ganze Reiiie von Schnitten gezeichnet hat, welche nach dem eben Gesagten ohne Weiteres werden verstanden werden konnen. Wenn endlich die Ilaftfortsiitzc an den Salpen hervorgewachsen Die Knospung der Salpen. 623 sind und auf dicsc Weisc ihre Verkettung ermoglicht worden ist, zerfallt das noch cinlieitlichc Gcbilde in eine den Individuen ent- sprechende Anzahl von Theilstiicken. Diese werdon in eine jede junge Salpe einbezogen , und die Oetfnung im Ektoderm und in der ventralen vorderen Athemhohlenwandung , durch welche die Knospe niit dem Stolorudimente in Vcrbindung stand, schliesst sich. Oft erfolgt dieser Verschluss sebr spat, und ich babe junge Kettenthiere gefunden, welche das in Fig. 8 auf Taf. X abgebildete Stadium uberschritten batten und die nabelartigen Oetinungen noch besassen. Der Uebergang der unfertigen Form der jungen Knospen in die definitive Salpengestalt vvird im Allgemeinen aus den Ab- bildungen erkannt werden konnen, welche auf Taf. X zusammen- gestellt worden sind. Schon Leuckakt hat darauf hingewiesen, dass sich in den Korperformen der jungen Kettenthiere mannig- fache Verschiedenheiten zeigen. Es scheint niir aber, dass die- selben spiiter nach der Geburt der einzelnen Kettenstiicke meist wieder nahezu vollkommen ausgeglichen werden. Es wiire dies eine gewiss eigenthumliche Erscheinung, die wohl kaum irgendwo in der Einbryonalentwicklung auftritt, in welcher stets die individuellen Variationen mit dem Eintreten in ein hoheres Entwicklungsstadium an Bedeutung gewinnen. Ueber die Anordnung und die Stellung der Individuen in den Ketten habe ich den alteren Angaben von Krohn, Leuckart und anderen nichts hinzuzufiigen und will nur noch auf den in Fig. 12 Taf. XVII abgebildeten Langsschnitt durch eine junge Kette hin- weisen, welcher die gegenseitige Anordnung der einzelnen Salpen deutlich machen wird. In Bezug auf die Orientirung und Bezeichnung der verschie- denen Korperregionen der einzelnen Individuen folge ich der jetzt wohl allgemein angenommenen Auffassung, welche einst schon Chamisso gegeniiber Cuvier vertheidigt hatte. Die Ingestions- offnung bezeichnet das Vorderende, der Nucleus liegt im hinteren Leibesabschnitte ; der Endostyl bestimmt die Bauchseite, das Ganglion den Rucken, und damit ist auch rechts und links definirt. Ich werde es im Folgenden vermeiden , statt Bauch und Rucken Oder ventral und dorsal die sonst in gleichem Sinne verwendeten Ausdriicke hamal und neural zu gebrauchen , well ich diese Be- zeichnung bei den Kettensalpen wenigsteus nur auf den Stole be- schrankt wissen mochte, da sonst leicht ein Missverstilndniss iiber die Orientirung der Organe entstehen konnte. 41* 624 Oswald Seeliger, Das Hautepithel. Die Umbildungen, welche das Ektoderrn zu erfahren hat, sind vorwiegend histologischer Natur. Es liegt aber durchaus iiicbt ini Bereiche dieser Untersuchung , eine zusammenhangende histo- logische Darstellung zu geben, die besser einer speziellen Abband- lung vorbebalten bleibt, und ich werde daher bier nur weidges zu sagen haben , was sich auf die Entstehuug der Haftfortsatze und des Cellulosemantels bezieht. Die Haftfortsatze {hf Fig. 8 laf. X) sind rohrenformige Aus- stiilpungen der ausseren Leibeswandung. Sie uinschliessen einen Fortsatz der priraaren Leibeshohle des Kettenindividuums, und man kann denn auch in ihnen den Blutkreislauf sehen. Anfangs sind sie nur buckelformige Erhebungen (Fig. 18 Taf. XVIII); je liinger sie aber werden , desto feiner werden auch die Wandungen , die schliesslich ein Plattenepithel darstellen. Nur an dem aussersten, blind geschlossenen Ende trifft man allerdings nur sehr kleine Zylinderzellen an. Natiirlich sind die Haftfortsatze ausserlich von einer diinnen Celluloseschicht umschlossen, die an der Beruhrungs- stelle je zweier Haftorgane von zwei verschiedenen Individuen ver- schmilzt und auf diese Weise die Verbindung zu einer Kette er- moglicht. Ein Uebergang des Blutstromes von einem ludividuum in das andere kann also nicht stattfinden. Die Art der Ver- kettung durch die an jeder Knospe in der Achtzahl auftretenden Haftfortsatze und die damit zusammenhangende Schiefstellung der Individuen ist von Leuckart ganz richtig geschildert worden, so dass es iiberfliissig ware, wenn ich hier noch darauf zuriickkommen wollte. Isolirte Kettenthiere konnte ich langere Zeit in meinen Glasern lebend erhalten und machte da die Wahruehmung, dass die Haftfortsatze wahrend dieser Zeit fast vollstandig riickgebildet wurden. Was die Bildung des ausseren Cellulosemantels der Knospen anlangt, so geschieht sie wie bei alien Tunikateu durch Auswande- rung von Ektodermzellen unter Sezernirung der Cellulosesubstanz. Den erstcn Beginn sah ich bei noch sehr jungen Knospen, wie z. B. bei den in Fig. 10 Taf. XV abgebildeten. Doch muss ich bekennen , dass ich andererseits auf viel weiter vorgeschritteneren Stadien keinen ausseren Mantel linden konnte. Stets aber ist er bei den Kettenstucken deutlich zu sehen, die bereits befahigt sind, das Mutterthier zu verlassen und eine freischwimmende Lebens- weise zu fuhren. Es scheint mir sehr gut moglich zu sein , dass Die Knospung der Salpen. 625 die sogenannte Bruthohle im ausseren Cellulosemantel dcr solitiiren Salpe, in welcher der Stolo liegt, theilweise durch Auflosiing der Substanz entstanden sei und dass diese dann bei der Bildung der Mantelschicht der Kettensalpen in Verwendung komme. Inwieweit sich das Ektoderm der Knospe an der Bildung des inneren Cellulosemantels betheiligt, weiss ich nicht anzugeben. Ich habe auch das Austreten von Ektoderm zellen in die Leibes- hohle nicht direkt beobachten konnen , obwohl ich Bilder sah, welche auf ein solches hiuzuweisen scheinen (vgl. Fig. 13 Taf. XVI). Auf Querschnitten durch junge Embryonen fand ich die Ver- hiiltnisse schon deutlicher auf eine partielle Entstehung des inneren Cellulosemantels aus dem Ektoderm hindeutend. Doch ge- hort die Besprechung dieser Befunde nicht in den Bereich dieser Untersuchung. Ich halte es nunmehr auch fiir iiberfliissig, hicr die Auffassung, dass der aussere Cellulosemantel ebenso ein Binde- gewebe darstellt wie der innere, weiter zu erortern. Schon vor Jahren hatF. E. ScHULZE ^) die einzig richtige Losung gethan, indem er den Mantel dem Bindegewebe zuzahlte und somit die Entstehung der Gevvebe aus diesem oder jenem Keimblatte erst in zweiter Linie bei der Klassifikation derselben von Bedeutung sein liess. Spater ist unter anderen (). Hertwig ^) dieser Ansicht gefolgt, und sie diirfte gegenwartig trotz aller Polemik von Semper ^) ziemlich allgemeine Anerkennung gefunden haben. Das Ektoderm der Knospen bildet keine weiteren Organe. Der Mantel erfahrt zwar weiterhin noch eine ganz enorme Ver- grosserung und Verdickung, das Epithel selbst aber nimmt kaum an Volumen zu. Bei der miichtigen Grossenzunahme der Individuen wird es beinahe uberall ausserst fein, meist ein Plattenepithel. Man bemerkt dies besonders an den Stellen, an welchen eine rasche Ausdehnung stattfinden muss, um einem dahin sich aus- breitenden inneren Organe Raum zu schafifen. Man wird auf den Querschnitten der Taf. XVIII alle moglichen Ubergange der Zell- formeu finden, ohne dass ein besonderer Hinweis nothig ware. Am ^) F. E. ScHTTizE, „tJber die Structur des Tunicatenmantels und seiii Verhalten im polarisirtcn Lichte". Zeit. f. wiss. Zool. Bd. XII, 1863. 2) 0. Heetwig, ,,Untersuchunp,en iiber den Bau und die Ent- wicklung des Cellulosemantels der Tunicaten". Jen. Zeitschr. f. Natw. VII. 1873. 3) C. Semper, „Uber die -Entstehung der geschichteten Cellulose- Epidermis der Ascidien". Arb. a. d. Zool. Inst. Wiirzb. Vol.11. 1875. 626 Oswald Seeliger, friihesten scheint sich das Hautepithel in der Region des Eies uiid ini hintersten Leibesabschnitte zu verdiinneu (Vgl. Fig. 14, Taf. XVI). An den beiden ausseren Offnungen des Korpcrs, der Inges- tions- und Egestionsoffnung, geht das Ektodenn in das Entoderm, beziehungsweise Mesoderm des Thieres liber, indem es sich nach innen zu eiuschlagt. Der Ubergaug ist ein kontinuirlicher, so dass sich die Grenze zwischen den einzelnen Bhlttern nicht fest- stellen liisst. Die Athemhohle und der Verdauungs traktus. Bel dem Auseinanderweichen der hinteren Leibestheile der jungen Thiere riickt der kleine, ventral gelegene Entodermsack weiter gegen das hintere Knospenende vor als der grosse, dorsale. (Vgl. namentlich die Fig. 12, Taf. XV, Fig. 7, Taf. XVI; ebeuso Fig. 5 und 6). Auf den Langsschnitten durch den Stolo zeigen also die Querschnitte durch das hinterste Knospenende zunachst ventral vom Eierstock ein Entodernirohr getrotfen (Fig. 5, Taf. XVII). Erst weiter nach vorn zu tritt der dorsale Entodermsack auf. Bevor nun im Entoderm der Knospe eine Diflferenzirung sich bemerklich macht, welche sich auf die spateren Abschnitte des Darmkanales mit Sicherheit beziehen liesse, tritt eine Verschmelzung der beiden gesondert angelegten Entodermsacke ein. Das hinterste Ende des dorsalen Sackes treibt eine zipfelformige Ausstulpuug, die das Ovarium auf der nach dem distalen Stoloende zugekehrten Seite umwachst und schliesslich sich mit dem Ende des ventralen vereinigt (Fig. 8, Taf. XVI). Ich weiss aber nicht anzugeben, ob dieser weiterhin immer nur einen ganz bestimmten Theil des Ver- dauuiigstraktus bildet, weil sofort nach der Verwachsung die beiden Abschnitte sich nicht mehr scharf von einander unterscheiden lassen. Der dorsale Entodermsack bildet die gesammte Auskleidung der Athemhohle und sein hinterster Zipfel zum mindesten den Osophagus, wahrscheinlich aber noch einen weiteren Theil des Verdauungstraktus. Dabei dehnt er sich allsoitig milchtig aus, bis die i)rismatische Form der Athemhohle erreicht ist, wie sie die Figuren 8 und 11 auf Taf. X darsteUen. Fiir eine iibersichtlicherc Besprechung der komplizirten und hmgwierigen Uml)ildungen wird es angezeigt sein, die Veriiiiderungen, Nveiche an den verscliiedenen Wandungeu gleichzeitig auftreten, nach einander abzuhandeln. Die Knospung der Sulpcu. 627 An der ventralen Wand, welche in die horizontale Eutodcrm- rohre des rudimentiir gevvordenun Stole sich offuet, entsteht in der Mediauebene des ludividuums der Endostyl. Dersclbe durch- zieht die Athenihohle niclit in ilirer vollen Liinge, sondern lindet sich nur im vorderen Theile, bald niehr, bald minder weit nacli hinten reichend. Der Endostyl der solitaren Form zeichnet sich durch eine ansehnlichere Lange aus. In jugendlichen Stadien fehlt auch im vordersten Abschnitt der Athenihohle die Endostylverdickung (Fig. 7, Taf. X), und man findet demgenuiss in den dieser Region entstammenden Quer- schnitten die ventrale Athemwand ungefurcht (Fig. 7, Taf. XVIII). Spater riickt der Endostyl bis in das vorderste Ende vor, sei es da- durch, dass sich wirklich noch der vordere, mediane Streif umbildet und in dieses Organ ubergeht, sei es — und dies scheint mir vvahr- scheinlicher zu sein — dadurch, dass die gauze vordere Partie des Entoderms bei der Entstehung der Ingestionsoffnung in deren unmittelbaren Umkreis hineinbezogen wird. (Fig. 11 und 12, Taf. X). Bevor die Endostylbildung anhebt und die Abschniirung der eiuzelnen Knospen noch beendet ist, zeigt der Querschnitt den vorderen Theil der Athenihohle ziemlich stark seitlich komprimirt (Fig. 6, 7 und 8, Taf. XVII). Der ventrale Streif geht spater in den Endostyl iiber, wahrend die Athemhohlung auf den Quer- schnitten in den aufeinauderfolgenden Stadien in den verschiedensten Formen erscheint. Im Allgemeiuen verlauft die Entwicklung des Endostyls in ganz ahnlicher Weise wie bei den Ascidien. Die Variationen bei ludividuen verschiedener Stolonen, deren ich bereits weiter oben gedacht habe, beziehen sich auch auf die feineren Strukturverhaltnisse, und diese wieder diirfteu in keinem anderen Organe so variabel sein, als gerade im Endostyl. Durch zwei parallel verlaufende Langsfurchen , die beiden Bauchfurchen , wird der zum Endostyl werdende Entodermstreifen bestimmt. In Fig. 12 auf Taf. XVII sind eiuige Querschnitte durch die orsten Stadien der Endostylbildung gezeichnet worden. Eine histologische Differenzirung ist an den Wanden der Athem- hohle noch nicht aufgetreten. In dem am meisten nach rechts zu gelegenen Individuum weichen die Zellen an der Basis der Endo- stylfalte von den anderen in Form und Grosse ab. Es ist das eine Stelle, die sich erst spater geschlossen hat, well an derselben die Kommunikation mit dem entodernialeu Horizontalspalt des Stolo und durch diesen mit den Athemhohlen der anderen Indi- 628 Oswald Seeliger, viduen erfolgte. Weiter nach vorn zu besteht noch die Offnung, und in weit alteren Stadien kann man sic noch unversclilossen finden. (Fig. 19, Taf. XIX). Auf dieser eben angezogenen Ab- bildung erscheiut der Ektodermschlauch bercits geschlossen , aber auf weiteren Schnitten ist eine Otfnung noch zu sehen. Es zeigt sich also, dass der Spalt im Entoderm grosser ist als der aussere des Ektoderms, durch welchen nabelstrangartig das Entoderm hindurchzieht. In manchen Fallen sail ich die beiden Bauchfurchen sich ausserordentlich vertiefen , ohne dass in der von ihnen einge- schlossenen Endostylfalte andere Veranderungen vor sich gingen als eine unbcdeutende Annaherung der einzelnen Zellen zur Zylinder- form (Fig. 10 Taf. XVIII). Auch in Fig. 17 Taf. XIX ist ein diesem gleichwerthiges Stadium gezeichnet, in welchem aber die Bauch- lurchen weniger tief vorgeriickt sind. Durch zwei neue, den ersteren parallel verlaufende Furchen beginnen die seitlichen Wande der Endostylfalte sich jederseits in zwei Portionen, eine dorsale und eine ventrale, zu sondern (Fig. 18 und 19 Taf. XIX). Die Zellen an der Basis der Bauchfurchen nehmen bedeutend an Grosse zu, gehen aber seitlich in die Wandungen der Athemhohle kon- tinuirlich iiber, deren Elemente immer kleiner und schliesslich zu Plattenzellen werden. Die dorsale Partie der seitlichen Endostylwand krummt sich sehr stark rinnenformig gegen das Endostyllumen, und ihre Zellen werden hierbei zu langen Prisraen, die sich gegen die Athemhohle zu verjungen, wahrend der grosse Kern in dem der Leibeshohle zugekehrten Ende liegt (Fig. 20 B). Ganz ahnlich verhiilt sich die ventrale Partie, wahrend die Zellen, die ursprunghch die Basis der Bauchfurchen gebildet haben , nunmehr auf dem Querschnitt trapezformig erscheinen, reich gekorntes Plasma und einen grossen runden Kern besitzen , welcher der der Leibeshohle zugekehrten Zellwand genahert liegt (Fig. 20 A). Auf der entgegengesetzten "Wand zeigen diese Zellen Pigmentkorperchen von wechselnder Grosse eingebettet, welche dem Endostyl die blaue Farbe ver- leihen, wie ich dies bereits friihcr erwiihnt habe. Die Zellen dieser beiden Streifen nehmen gegen die Athcnihcihlenwand zu sehr rasch an Grosse ab (Fig. 21), das Pigment verliert sich, lyid die Zellen gehen jederseits in das Plattenepithel der Athemhohle iiber. Fii- symmetrisch, wie schon H. MCller beobachtet hat, wandelt sich dieses auf einer Seite nochmals in einen schmalen Streifen von Zylinderzellen um, welche Flimmern tragen. Die Kuospung der Salpeu. 629 Zwischen der dorsaleii und ventralen Partie der urspriing- lichcn Wanduiig der Eiidostylfalte tritt jederseits noch ein Zwischen- stiick aut", welches vorziigsweise, wean nicht ausschliesslich, von der dorsalei) Region sich abgetrennt habeii diirfte. Die vcntrale Basis des Endostyls, vvelche zum Theil erst durch das Einbezieheu der Entodermreste vom Stolo in die Kettenindividuen sich hat bilden konnen, wird schliesslich zii eineni einreihigen Strange von ZyUnderzellen, welche machtige Geissehi tragen. Ventral vou diesem und ausserdem jederseits seitlich von den Zwischenstreifen erscheint eine homogenc Substanzlage, die sich in Pikrokarinin gleichmiissig gefarbt hat (Fig. 21 cs) und die wohl als ein Aus- scheidungsprodukt der Endostylzellen angesehen werden darf. Etvvas ganz ahnliches werden wir weiter unten noch bei der Flim- mergrube zu erwahncn liaben, deren Wandung ebenfalls an gevvissen Stellen in die Leibeshohle eine Substanz ausscheidet (Fig. 15 und 16). Ich muss hinzufiigen, dass die beiden Halften des Endostyls keineswegs iiberall so dicht aneinander liegen, wie dies in der Fig. 21 dargestellt ist. Oft erscheinen die beiden Schenkel beinahe ganz flacli ausgebreitet, und ein ahnliches Ver- halten lasst sich auch schon in ganz jungen Stadien beobachten. Ebenso variirt die Breite der einzelnen Streifen bei verschiedenen Individuen. Nach hinten zu verschwindet zuniichst die Difterenzirung des Endostyls in die verschiedenen Langsstreifen. Man trilft da nur eine hufeisenformige Verdickung des Medianstreifens der ventralen Athemhohlenwandung, die fiiglich in den ventralen Theil des Oesophagus iibergeht (Fig. 8, 9 und 11, Tat'. X). Ich begniige mich hier mit dieser rein raorphologischen Dar- stellung von der Entvvicklung und vom Bau des Endostyls der Kettenform und verweise beziiglich der physiologischen Deutung der einzelnen Theile sowohl wie des ganzen Organs auf Fol's *) Arbeit. Die seitUchen Wande der Athemhohle werden nicht iiberall zu einem Plattenepithel , sondern man bemerkt schon in jungen Thieren jederseits einen vom vordercu Endostylende dorsal nach hinten bis zum Ganglion verstreichenden Streifen , der diese Ditferenziruug nicht mitmacht. Er bildet sich weiterhin zum Flimmerbogen um und umzieht die vordere Athemhohle wie es 1) H. FoL, „tjber die Schleimdriise und den Endostyl der Tuni- caten". Morph. Jahrb. I. 1876. 630 Oswald Seeliger, die Abbildungeii auf der ersten Tafol wiedergeben, Auf einem Qiierschiiitte (Fig. 18, Taf. XVIII) erkennt man, dass die Aiilage des Flimmerbogeus einen wulstforniigen, gegen die Athemhohle vor- springonden Streifen darstellt, dessen Zellen zyliudrisch siiid, dorsal und ventral aber kontiuuirlich in die kleineu mehr kubischeii des Entoderms ubergehen. In Fig. 13 auf Taf. XIX ist ein ahnliches Stadium bei starkerer Vergrosserung gezeichnet worden. Schliess- lich vvird der Uuterschied der Zellformen immer auftallender, und der tjbergang vom flachen Epithel zu den grosseren Zellen des Flimmerbogens ist kein allmahlicher mehr. Dieser erhalt gegen die Athemhohle hin eine feine Bewimperung und springt starker leistenformig in den Athemraum vor (Fig. 14). Nach vom zu gehen die Flimmerbogen in die beiden Bauchfurchen des Endostyls tiber, dorsal schliessen sie sich unterhalb des Ganglions zu einem einheitlichen Reifen aueinander. Unmittelbar dahinter beginnt das Kiemenband. Die vordere Wand der Athemhohle kommt bei der Bildung der Ingestionsoiiuung und der inneren Schicht der sie umschliessen- den lippenartigen Deckelgebilde in Verwendung, durch dereu Be- wegung das Wasser in die Athemhohle getrieben wird. Die hintere Wand fiihrt, trichterartig sich verjiingeud, in den Oesophagus oder bildet vielmehr selbst den vorderen Theil des- selben. Die dor sale Wand endlich steigt von vom dorsal nach hinten ventral schrag herab und bildet durch einen Prozess, der im folgenden Abschnitte naher beschrieben werden soil, schliesslich die ventrale Wand des Kiemenbandes (Fig. 11 Taf. XVI). Ziem- lich weit vom, bei der Einmiindungsstelle der Flimmergrube, geht aus ihr der Riickenzapfeu durch eine median gelegene Ausstiilpung hervor. Da aber dieser Vorgang eng mit der Bildung der Flim- mergrube selbst zusammenhangt, soil er erst weiter uuteu mit dieser gemeinsam besprochen werden. An die Athemhohle schliesst sich der Theil des Entoderms, welcher aus der Verwachsung des hintereu Abschnittes des dor- salen und ventralen Sackes der Knospe hervorgegacgen ist und der sich zum Verdammgstrakfus ausbildet. Man uuterscheidet an diesem Oesophagus, Magcn, Mittel- und Euddarm. Die einzel- nen Abschnitte lassen sich an juugen Individuen sehr gut erken- nen (Fig. 10 Taf. X). Wenn aber spiiter im Nucleus die enormc Zuuahme der Mesodermzellen erfolgt und der Hoden sich zu bil- den beginnt, wird nach und nach der Darrakaual so vollstiiudig Die Knospuug der Salpcn. 631 umschlossen (Fig. 1 Taf. XIX), dass iu ganz alten Ketteuthieren beinahe nichts mehr an Totalpraparaten von ihm zu erken- nen ist. Im Wesentlichen stellt der Darmkanal eine Schlinge dar (Vergl. Fig, 9 Taf. X), in dereu dorsalen Ast ein brdter Blind- sack einmiindet. Dieser letztere wird als Magen bezeichnet, aber — wie schon H. Mcller hervorhob — niit Uurecht, weil in ihn niemals die Xahrung gelangt, vielniehr seine Wandungen ein ver- dauendes Sekret liefern. Wenn aber auch die physiologische Be- deutung des Blindsackes gegenwiirtig sicher die einer Driise ist, scheint niir damit noch keineswegs die Annahme widerlegt, dass derselbe das morphologische Homologon des Magens der andern Tuuikaten sei. Ich muss demgegenuber nun darauf aufmerksam machen , dass Korotneff ^) im Magen von Salpa africana Ver- haltnisse angetrotien bat, die darauf schliessen lassen, dass in denselben thatsacblicb Nahrung hiueingelangt und daselbst ver- dant Oder resorbirt wird. Ich babe lei der Kokotneff's Augaben iiber die „freien Magenzellen" und die „parenchymatose Ernah- rung" der Tunikaten nicbt an verscbiedenen Objekten nachstu- diren konnen, bei Salpa democratica aber fand ich sie nicht zu- tretlend. Auch von anderer Seite^) hat man Korotneff's Auf- fassung nicht zustimmen konnen, und es ware in der That eine nochmalige Nachpriifung von dessen Mittheilungen wiinschenswerth, bevor man das eigenthiimliche Verhalten der Tunikaten beim physiologischen Processe der Ernahrung zu der Schlussfolgerung — der ich aber aus anderen Griinden vollkommen beipflichte — verwendet „deswegen habeu wir in unserem Falle Ursache, noch an der hohen genetischen Stellung zu zweifeln, die den Tunikaten zugeschrieben ist." Der dorsale Ast der Darmschlinge stellt den Oesophagus dar, der ventrale, aufsteigende den Enddarm. Das Verbindungsstiick zwischen beiden, welches den Uebergang der im ausgebildeten Zustande sehr diflerenten Zellformen im aufsteigenden und ab- steigenden Verdauungsrohr vermittelt, bildet den Mitteldarm. Besser noch als die Abbildungen der Totalpriiparate auf Taf. X werden diese Verhiiltnisse auf einem dorso-ventralen Liingsschnitte ^) A. KoEOTNEFF, „Die Knospung der Anchinia". Zeit. f. wiss. Zool. Bd. 40 1884 p. 64. ^) DoLLEy, „Some observations opposed to the presence of a parenchymatous or iutra-cellular digestion in Salpa." Zool. Anz. No. 184. 1884. 632 Oswald Seeligcr, durch den Nucleus Idar. In Fig. 11 und 12 auf Taf. XVIII sind zwei derartige I.angsschnitte abgel)ildet. Der gesammte Vcrdauungstraktus ist von allem Anfange an eiuschichtig und bleibt es aucli bis zur vollstandigen Ausbildung. Natiirlicli bezielit sich diese Einschiclitigkeit nur auf den ento- dermalen Antheil, denn um diesen bildet sich, wie bekannt, aus Mesenchymzellen eine feine Epithelscbicht , welche den Darni dicht umscbliesst und die man Meuibrana propria genannt hat. Die Entoderrazellen sind anfangs noch ziemlich gleichartig und aucb von deuen der hinteren Athemhohlenwand nur wenig ver- schieden. Meist sind es Zylinderzellen ; im Euddarme, der die grosste Langsstreckung leisten niuss, bis er sich links von der Medianebene in die Kloake otfuet, etwas kleinere, mehr kubisch geformte Zellen. Der Magen reicht nach vorn bin nicht so weit wie Oesophagus und Enddarm, und da er hinten dicht unter dem Oesophagus in den dorsalen Ast des Mitteldarmes miindet, findet man auf Quer- schnitten den Verdauungsapparat in seinem vordersten und hinter- sten Abschnitt aus zwei (Fig. 1, 2 und 5), in seinem raittleren aus drei Rohren bestehend (Fig. 3 und 4 Taf. XVIII, Fig. 1 Taf. XIX). Schon in jungen Stadien trifft man auf den Schnitten dicht hiuter der Athemhohle den Enddarm aus der Medianebene nach links zu hinausgeruckt (Fig. 5 und 6 Taf. XVIII), wahrend weiter nach hinten zu die Lagerung der Eingeweide ziemlich streng bilateral symmetrisch ist. Ich will die histologischen Veranderungen und Difterenzirungen nicht bis in's Detail verfolgen und nur kurz die Verhiiltnisse beschreiben, wie sie sich bei alten Kettensalpen finden , wenn die verschiedenen Abschnitte die bestimmten Funktionen auszuuben im Stande sind. Der Oesophagus erhalt eine langliche, in dorso-ventraler Rich- tung stark koniprimirte Form (Fig. 1 Taf. XIX). Sein Lumen zeigt ventral und dorsal je eine rinnenformige Ausbuchtung. Die Wan- dungen bestehen aus langen, zylindrischen Flimmerzellen (Fig. 2), an denen man drei Theile unterscheiden kaun. Nach aussen zu einen breiten, aus verdichtetem Plasma bestehenden Streif, in dessen innerem Ende der stark tingirbare, langliche Kern liegt, dann eine belle Mittelzone und endlich einen inneren, schmalen, verdichteten Ilandsaum. Dieser ist in den Zellen, welche die beiden Riimen bilden, ilusserst fein. Die Knospung der Salpen. 633 Der Magen gewinnt bald eine den Oesophagus urn ein Mehr- faches ubertreffende Breite und erscheint ebenfalls in dorso- ventraler Richtung konipriniirt. Seine Zellen, die in jiingeren Stadien (Fig. 5 und 6) gleichartige Zylinderzellen waren, ditieren- ziren sich in mebrfacher Weise. An der dorsalen Wand, die dem Oesophagus zugekehrt ist, zeigt sich ein dreizipfliger Streif von Flinimerzellen , die den oben beschriebenen gleichen. Die Flira- merung geht nach hinten zu in die des Oesophagus iiber, nach vorn zu verliert sie sich, bcvor sie das blinde Magenende er- reicht. Die an die Flimmerzellen grenzenden und die dieseu benach- barten Zellen des Magens und Mitteldarmes sind sehr ahnlich gestaltet. Die zwei verdichteten Rand- und die helle Mittelzone der einzelnen Zellen verlieren nach und nach an Deutlichkeit, und das Zellplasraa erscheint dann ganz gleichartig. Die Flira- mern aber werden durch mehr oder minder feine, unbewegliche Plasmafortsatze vertreten, die gegen das Darmlumen zu unter- einander durch feine, netzformige Querbriicken verbunden sind (Fig. 3 Taf. XIX). Zwischen diesen Zellen zerstreut und besonders dicht an den beiden Seiten des Magenschlauches treten grosse Driisenzellen auf, welche in ihrem Inneren, neben dem Kerne im lebenden Objekte gelblich gefarbte Tropfen enthalten (vgl. Fig. 4). Ganz besonders zahlreich treten diese Zellen , die wohl bei der Verdauung die wichtigste Rolle spielen diirften, im proximalen Theile des Mitteldarmes auf. In diesem findet man stets Speise- reste, und es scheint, dass er physiologisch die Bedeutung eines Magens hat. Die Zellgrenzen sind sehr undeutlich, stellenweise gar nicht zu sehen, und man muss sich dann an die zu farbenden Kerne halten, um die einzelnen Elemente aufzufinden (Fig. 4 Taf. XIX). Der distale, aufsteigende Ast des Mitteldarmes geht ohne deutliche Grenze allmahlich in den Enddarm iiber. In ganz jungen Thieren besteht dieser hinten aus ziemlich grossen Zylinderzellen, die nach vorn zu im intensiver wachsenden Theile von bedeutend kleineren, kubischen Zellen vertreten werden. Das spaltformige, seitlich ausgezogene Enddarmlumen geht nach vorn zu in ein mehr kreisformiges iiber (Fig. 5 und 6). In ganz alten Thieren ist der Enddarm dann immer wieder in dorso-ventraler Richtung stark zusammengedriickt, und die Zellen sind zu ausserordentlich kleinen kubischen geworden. Es ist selbstverstandlich, dass beim Passiren der Speisereste das Lumen eine bedeutende Grosse ge- winnen kann (Fig. 1 e d). An der Mundungsstelle des Enddarraes 634 Oswald Seeli'ger, ist das Epithel der Kloake zu einer gegen die Hohlung buckel- formig vorspringenden Papille ausgebuchtet. Der ganze Darmtrak- tus ist von einer Endothelschicht umsclilossen , welche aus sehr feinen Zellen besteht, die aus Mesenchynizellen erst sekundar zur Bildung von Zellfliichen zusammengetreten sind. Vom inneren Blatte der Knospenanlage bildet sich ausser dem Darmkanale und der Athemhohle der Kettenthiere nur noch ein Organ, welches aber nur als ein Appendix des Darmes ange- sehen werden kann: die darmumspinnende Druse (dr Fig. 10 Taf. X). Dieselbe entsteht aus einer linksseitigen Ausstiilpung an der Stelle, an welcher die ventrale Wand des Magensackes in den Mitteldarm iibergeht (Fig. 1 Taf. XVIII), bald mehr nach vorn zu im Bereiche des Magens, bald mehr dem Mitteldarme angehorend. Die Ausstiilpung hat die Form einer Rohre von feinem Lumen und ist gegen den Enddarm gekehrt. In Fi- gur 4 zeigt sich das Rohr zwischen Magen und Enddarm er- streckend, und in Fig. 3, einem Querschuitt, der weiter nach hinten zu gefiihrt wurde, ist die Einmtindungsstelle in die ven- trale Magenwand getrotfeu. Deutlicher sieht man diese Verhiilt- nisse an lateralen Langsschnitten. In den Figuren 13, 14 und 15 sind drei solcher Schnitte aus einer vom Bauch gegen den Rucken zu vorschreitenden Schnittserie abgebildet. Bei der Ver- gleichung der beideu aufeinanderfolgendeu Schnitte 14 und 15 wird liber die Deutung dieser Driisenanlage als Ausstiilpung vom Darmrohre aus kein Zweifel obwalten konnen. Unter dendri- tischen Verzweigungen umwachst dies Zellrohr den Enddarm; da- bei werden die Zellen namentlich an den frei vorwachsenden Enden rasch sehr klein und kubisch (Fig, 6 Taf. XIX). Schliess- lich werden die Zellen feine Plattenzellen, indem aber gleichzeitig das Lumen der einzelnen verastelten Rohren bedeutend grosser wird (Fig. 7). Alle Rohren vereinigen sich zu dem unpaaren Ausfiihrungsgang, der zwischen Magen und Mitteldarm einmiindet. Die physiologische Bedeutung dieser sogen. darmumspinnenden Druse ist problematisch ; morphologisch mag ihre Deutung als das Homologon einer Leberdriisc vielleicht am richtigsten sein. Eine grosse Bedeutung als sekretorisches Organ diirfte mit der Natur der sie zusammensetzenden Zellen nicht gut vereinbar sein, denn nur im Endabschnitte , nahe der Miindungsstelle sind die Zellen von einiger Grosse und von solcher Beschatienheit, dass ihuen eine unergischere Thiitigkeit zugeschrieben werden kann (Fig. 3). I Die KnospuDg der Salpen. 635 Die Kloake und das Kiemenband. Die Wanduiig der Kloake bildet sich aiis den Seitenstningcii. Schon KowALEvsKY dlirfte das beobachtet haben, und weil er die Seitenstreifen aus Aussttilpungen der Kloake des Embryo bervorgeben lasst, erscbeint die P>ezeicbnung ,,Kloakalrobren" ganz gerechtfertigt. Da ich aber diese Gebilde in ganz anderer Weise entstehen sab und doch nur eine verhaltnissniassig kleine Partie derselben zur Bildung der Kloaken der Kettensalpen in Verwendung kommt, scbien es mir angezeigter zu sein, einen Namen zu wablen, der die Lagebeziehung im Stolo andeutet. Ich weiss nicbt anzugeben, ob der Kloakenraum wirklich nur eine Umwandlung des Spaltraumes ist, welcher oft in ganz jungen Stolonen in den Seitenstriingen anzutreffen ist (Fig. 5 Taf. XIII). In alteren Stadien babe ich ihn nicbt auffinden konnen; erst viel spater sab ich wieder einen Theil der urspriinglichen Seitenstriinge zu zwei Zellblattern differenzirt (Fig. 12 Taf. XV), welche eine Hohlung einschlossen , deren Umbildung zum Kloakenraum ich kontinuirlich verfolgen konnte. Diese Hohlung liegt unterhalb des Ganglions, also an der ausseren und gegen das proximale Stoloende zugekehrten Seite einer jeden Knospe (Fig. 1 Taf. XVI und U in den Individuen A und B Fig. 3 und 4 Taf. XVII). Am besten sieht man die Lage dieser Kloakalblaschen auf me- dianen Langsschnitten durch die jungen Kettenthiere (Fig. 9 und 10 Taf. XVI). Die Blaschen sind vollkommen geschlossen, liegen dem Ektodermschlaucbe an und beriihren vorn und an der Bauch- seite das Ganglion und die dorsale Wand der Atbemhohle. Beim Wachsthum des jungen Thieres breitet sich der Kloakalsack sehr rasch aus, seine Wandungen werden dlinner und bestehen aus flacheren Zellen, die auf der ventralen Seite von den grossen Zellen der Atbemhohle auffallend kontrastiren (Fig. 13). Dorsal verschmilzt in der Mittelebene ein Theil der Kloakalwand mit dem ektodermalen Hautepithel , um spater an dieser Stelle den Durchbruch der Egestionsoffnung zu ermoglichen (Fig. 11). Am wichtigsten sind die Veranderungen , welche die ventrale Wand betrefien. Diese legt sich an die dorsale der Atbemhohle an (Fig. 9 Taf XVII). In zwei seitlichen Streifen verschmelzen die beiden Zellschichten miteinander, wiihrend in der Medianebene zwischen ihnen ein Lumen von wechselnden Dimensionen bestehen bleibt, das nothwendigerweise ein Theil der primaren Leibeshohle ist (Fig. 11). Die seitlichen Verschraelzungsstreifen werden danu 636 Oswald Seeliger, resorbirt, unci es entstehen somit zwei breite Spalten (Jcs Fig. 10), durch welche eiue Verbinduug zwisclieii Athemhohle und Kloakeu- raum geschaffen ist. Der mediane Streif stellt das Kiemenband dar. Dieses ist aiifaiiglich bandartig, in dorso-ventraler Riclitung zusammengedriickt; spiiter (Fig. 12 Taf. XVII) gewinnt es ein mehr elliptisches Lumen, nanientlich im vorderen Tlieile, wahrend es im hinteren stets spaltformig bleibt. Die histologische Verschieden- heit der dorsalen und ventralen Wand des Kiemenbandes ist gerade auf diesen Querschnitten nicht so deutlich wie auf den oben beschriebenen Langsschnitten ; im weiteren Verlaufe der Entwicklung aber tritt sie dann immer scharfer hervor. An der ventralen Seite treten Flimmerzellen auf, welche zu zwei Reihen schrag verlaufender Streifchen augeordnet sind und dem Kiemen- bande die bekannte Zeiclmung verleihen. Durdi Ablagerung von Pigmentkornchen erhalt die Kieme eine blaue Farbe. Das Lumen des Kiemenbalkens wird durch Absonderung einer homogenen Substanz verengt (Fig. 19 Taf. XIX), von der ich allerdings nicht bestimmt weiss, ob sie Cellulose ist und ob nicht die zirkulirenden Mesenchym- und Blutzellen sich an ihrer Bil- dung betheiligen. In ganz alten Individuen wird diese Substanz so machtig, dass nur zwei bis drei Gange frei bleiben, in welchen die Blutfliissigkeit sich bewegen kann. Nach vorn und hinten zu gehen diese Blutbahnen in die Leibeshohle der Salpe iiber. Vor dem vorderen Ende des Kiemenbalkens erscheint die dorsale Wand der Athemhohle stark faltenformig nach innen gekriiramt (Fig. 16 Taf. XVIII) und umschliesst die direkte Fortsetzung der Hohlung des Kiemenbandes. Noch weiter nach vorn zu wird diese Falte immer flacher (Fig. 17) und ist dicht iiberlagert von dem machtig ausgebildeten Ganglion. Ich kann diesen Abschnitt nicht beschliessen , ohne auf die ganz eigenthiimliche Entstehung der Kloake speziell noch hinzu- weisen , die mich meine Beobachtungen kennen gelehrt haben. Durch dieselben werden die ohnehin schon so widersprechenden und wie es scheint theoretisch uuvereinbaren Angaben iiber die Ent- stehung des Kloakal- oder Peribranchialraumes bei Embryouen und Knospcn der Ascidien, Salpen und Dolioliden noch mehr verwirrt. Aus dem Mesenchym des Embryo entstehen die Seitenstriinge, aus einem 'I'heile derselben, in welchem die Zellen zu Epithel- lamellen sich angeordnet haben, bildet sich die Kloake, mit welcher der Darmtraktus auf zwei Weisen, vorn durch die Kiemeuspalten Die Knospung der Salpen. 637 und hinten durch den Anus, in Verbindung steht. Nach der berkonimlichen Auffassuiig miisste bei dieser Genese die Kloakal- hohle der Kettensalpen als ein Theil der primaren Leibesbohle, des Blastocoels, angeseben werden. Die vergleicbend-anatomiscbe Betracbtung der Tunikaten fubrt unabweisbar zur Homologisirung der Kloake der Salpen mit dem Peribrancbialraum der Ascidien, der bei Knospen entodermalen, bei Embryonen ektodermalen Ursprungs ist. Die Versuche, die verscbiedeuen Entwickliingsweisen einbeitlicb zu deuten, sind bis jetzt nicht gegliickt. Weun aucb neulich VanBeneden^) eine Um- deutung der Angaben iiber die enibryonale Entwicklung des Peri- branchialraunies in der namlichen Weise versucbt, wie ich dies bereits friiher gethan hatte ^), spiiter allerdings beim Studiura der Embryologie der Ascidien durch die Beobachtung nicht bestatigen konnte, so hat auch er bis jetzt fiir seine Ansicht noch keine that- sachlichen Beobachtungen zur allgemeinen Priifung vorgelegt. Am wichtigsten scbeint es mir fur's Erste zu sein, festzustellen, wie die Kloake und das Kiemenband bei den Embryonen der pela- giscben Tunikaten entsteheu. Salensky fasst die Kieme als eine Neubilduug auf, die bei den Ascidien kein Homologon besasse. Nach ToDARo's Angaben ist sie ebenfalls rein entodermalen Ur- sprungs, und auch die Kloakalhohle muss dann vom Entoderm aus- gekleidet sein. Bei Dolioliden und Pyrosoma entsteht die Kloake ektodermal. Diese Widerspruche in den Angaben iiber die Embryo- nalentwicklung mtissen meiner Meinung nach zunachst auf ihre wahre Bedeutung gepriift werden. Sollte aber in der That die Entwicklung in verschiedener Weise vor sich gehen, so bleibt die Homologie der betreffenden Gebilde trotzdem bestehen, und man wird den vergleichend-anatomischen Befunden gegeniiber nicht anstehen diirfen, sehr weitgehende cenogenetische Vorgange in der ontogenetischen Entwicklung anzunehmen. Die Aussicht, durch Umdeutung der vorliegenden Mittheilungen zwischen der Perithorakalbildung der Embryonen und Knospen fiir alle Tunikaten einen gemeinsamen Bildungsvorgang zu konstruiren, scbeint mir nach den Erfahrungen, die ich bei den Salpenknospen ^) Van BenedEn et Ch. Julin „Le systeme nerveux central des Ascidies adultes et ses rapports avec celui des larves TJrodeles." Bull, Acad. K. Scienc. Belg. (3) T. VIII. No. 7. 1884. 2) „Zur Entwicklungsgeschichte der Ascidien". Sitzb. d. k. Acad. d. "Wiss.Bd.85 I. Abth. Mai-Heft. Wiea, 1882. p. 46. Bd, XIX. N. F. XII. 42 638 Oswald Seeliger, gemacht habe, vorlaufig wenigstens sehr geschwunden zu scin. Ich kann niich auch durchaus nicht von der theoretischen Nothwendig- keit uberzeugen, dass bei Knospen und Embryonen die Entwickluiig des PeribraDchialraumes uberall die gleiche sein miisse, und es erscheint niir das Eiforderniss einer gleichen Genese in der Em- bryonalentwicklung der verschiedenen Tunikatenspezies viel natur- gemasser zu sein. Das Ganglion, das Auge und die Flimmergrube. Wir haben die Anlage fur diese drei Organe in einer Zellblase kennen gelernt, welche aus einem Segmente des urspriinglichen Nervenrohres des Stolo hervorgegangen und unter steter Grossen- zunahme an die dorsale Seite der spiiteren Kettenthiere geriickt ist (Fig. 5 und 6 auf Taf. XVI). In solchen jungen Thieren niacht das Ganglion einen bedeutenden Theil der gesammten Korpermasse aus (Fig. 6 Taf. X). Von da an aber bleibt es im Verhaltniss zur Grossenzunahmedesganzen ThieresimWachsthum stark zuriick (Fig.7 und folg.), so dass es in ganz alten Thieren von so verschwinden- den Diniensionen erscheint und von den altesten Beobachtern hat ubersehen werden konnen. Wiihrend dieses sehr geringen Wachsthums gehen aber an der Ganglionblase sehr wichtige Differenzirungen vor sich, durch welche von dieser aus zwei neue Organe, das Auge und die Flim- mergrube, gebildet werden. Mir ist es nicht gelungen, diesen Vor- gang bei den Knospen so deutlich zu beobachten, wie dies sehr leicht an lebenden Embryonen moglich ist, well man diese bequem von alien Seiten betrachten und liingere Zeit am Leben erhalten kann. Ich werde daher zunachst die Entwicklung des Ganglions und der Flimmergrube in den Embryonen beschreiben und dann auf die, wie ich aus iihnlichen Stadien wohl schliessen muss, gleichen Vorgange in der Knospenbildung zu sprechen kommen. In bedeutend jungeren Embryonen als der in Fig. 1, Taf. X abgebildete zeigt sich die Ganglionblase als ein allseitig geschlos- sener, dickwandiger Sack, der in der Medianebene vor deni Kiemen- balken liegt. Ich glaube, ohne allerdings noch dariiber Sicherheit erlangt zu haben, dass diese Zellblase ektodermalcn Ursprungs ist. Das vordere Ende derselben bricht in die Athemhohle durch, und durch eine ringformige Furche beginnt sich die einfache Blase in einen vorderen und hinteren Abschnitt zu sondern (Fig. 2, Taf. XI). Mit dem Vorschreiteu der Furche schwindet bald die Kommunika- tion zwischen dem hinteren und dem vorderen Lumen (Fig. 1). Im Die Knospung der Salpen. 639 hinteren Abschnitt, der eine zarte gelbliche Farbung amiimmt, werden dii; Waiidungcn sehr rasch niehischichtig und verdraiigen den Ilohlraum beiiiahe voUstilndig. Der vordere bleibt einschichtig und gegen die Atherahohle weit oflfen; seine Zellcn werden zu zylindrischen Flimnierzellen. Man wird in dieseni Theile leicht die spatere Flininiergrube erkennen konnen (Fig. 3, Taf. XI). Dort, wo die ventrale Wand der Flimniergrube in das Epithel der Athem- hohle ubergeht (r^), bildet sich ein knopfformiger Vorsprung, der in die Atliemhohle hineinragt und walirscheinlich ganz entoder- malen Ursprungs ist. Die beiden Partien weichen nun immer mehr auseinander. Das hintere Ende der vorderen Blase erscheint zipfelformig ausge- zogen und stellt eine nur noch lose Verbindung mit dem Ganglion her. Dieses selbst hat seine Gestalt sehr verandert, indem es aus der horizontal gestreckten Form in eine vertikal langgezogene tiber- gegangen ist. Durch eine horizontale Querfurche beginnt es sich in zwei Partien zu sondern : in eine dorsale, welche die Anlage des Auges darstellt und eine ventrale, welche zum bleibenden Ganglion wird. Schon auf diesem Stadium beginnen einzelne Nervenaste aus- zuwachsen. Auf der Hohe der Augeuanlage bemerkt man bereits eine hufeisenformige Erhebung, welche meist gelb gefarbt ist. Die gauze dorsale Partie dieses Gebildes springt hornformig in die Dicke des ausseren Cellulosemantels vor, von diesem durch das ektoder- male Hautepithel geschieden, das den Sinneskorper kapselformig umschliesst. Der buckelformige Vorsprung an der Mtindung der Flimmergrube hat sich ebenfalls gestreckt und lasst sich als der Ruckenzapfen erkennen {rz Fig. 4, Taf. XI). Die Flimmergrube und das Ende des Ruckenzapfens erhalten eine zarte blaue Farbung. In dem folgenden Stadium (Fig. 5) hat sich die Flimmer- grube vom Ganglion vollstandig abgetrennt und die Form eines Fingerhutes angenommen. Ein verbindender Nervenstamm fehlt. Ruckenzapfen und Flimmergrube haben reichlichere Mengen von Pigmentkorperchen abgesondert und erscheinenjetzttiefblau gefarbt. In dem hinteren Gebilde wird die Differenzirung in definitives Ganglion und Auge deuthcher. Das Augenpigment ist meist gelb, oft braun oder auch schon schwarz. Das bleibende Stadium wird nun sehr bald erreicht (Fig. 6). Vom Ganglion gehen jederseits eine ganze Anzahl Nervenaste aus; aber weder in den beiden Korperhalften eines Thieres noch auch bei verschiedenen Individuen ist die Zahl derselben konstaut, wie schon VoGT richtig hervorgehoben hat. Die Bildung der Nerven- 42* 640 Oswalc] Seeliger, iiste geht ausserordentlich rasch vor sich, und ich glaube bestiramt, dass sie nicht nur durch Wachsthum voin Ganglion aus erfolgt, sondern dass auch Mesencliymzellen zu Nervenzellen sich iim- wandeln. Auf Querschnitten darch viel jiingere Stadien zeigt sich bereits die Masse des Ganglions in zwei Partien gesondort. Die zcntrale besteht aus sogenannter Punktsubstanz, die peripherische aus gross- kernigen Zellen , welche sich in die Ganglionzellen umwandeln (Fig. 12 und 14). Wo ein Nerv austritt, erscheint die peiii)here Substanz von der zentralen durchbrochen (Fig. 15). So wenig- stens liegen die Verhaltnisse bei Embryonen ; das Endstadiura habe ich histologisch nicht gepriift. Ussow O scheint den feineren Bau der Sinnesorgane bei den Tunikaten sehr eingehend untersucht zu haben, und es ist nur zu bedauern, dass seine Arbeit nicht allge- mein zuganglich ist. Der dem Ganglion dorsal aufsitzende Abschnitt, das Auge, wachst nach vorn zu mit seinen beiden hufeisenformigen Schen- keln selbstandig vor. Das Ektoderm, welches Ganglion und Augen- anlage dicht umgibt, stiilpt sich somit falteuformig zwischen diese beiden Abschnitte hinein, so dass man auf Querschnitten durch den vordersten Theil der beiden hufeisenformigen Schenkel das in Fig. 12 gezeichnete Verhalten findet. Weiter nach hinten zu (Fig. 14) stehen Auge und Ganglion in vollkommenem Zusammen- hange. Das das Auge umschliessende Ektoderm besteht aus hellen Pflasterzellen mit massig grossem Kern. Das Pigment, welches durchwegs zu einem schwarzen geworden ist, liegt in den iiusseren Enden von Zylinder- oder Kegelzellen eingebettet. Der Inhalt derselben ist homogenes Plasma und in der Nahe des breiteren Zellendes ein grosser, sich sehr intensiv farbender Kern (Fig. 13). Die Entstehung der Flimmergrube und des Ganglions aus einer gemeinsamen Anlage habe ich bei der Knospenentwicklung nicht mit Sicherheit beobachten konnen. In den jiingeren Stadien (Fig. 5 und 6, Taf. X) war das Ganglion, wie ich bereits beschriebcn habe, eine eifiirmige Zellblase. Auf den Liingsschnitten (Fig. 9 und 10, Taf. XVI) zeigt es sich, dass die Wandungen bereits mehr- schichtig zu werden beginnen. Die Verdiekung der Wandungen schreitet rasch vor, und die Hohlung wird bald zu einem schmalen ^) Ussow, „Beitriige zur Kcnntniss der Organisation der Tuni- caten". Moskau, 1876. (Diese Arbeit ist russisch). Die Knospuiig der Salpen. 641 Spalt verengt, welcher senkrecht zur Mediaiiebene des Thieres ver- liiuft (Fig. 9, Taf. XVIII). Ganz iihiiliche Qucrschnittc erhiilt man auch durch die eiitsprecheiiden Stadien in jungen Enibryonen. Auf dem folgenden Stadium, das icli sah, waren Ganglion und Flinimergrube bereits difterenzirt (Fig. 7, Taf. XI). Die letztere war glockenformig gegen die Athcmhohle geciifnet und ging nacli hinten zu ohne deutliche Grenze in die Wandungen des Ganglions iiber. Hinter der Einmiindungsstelle der Flimmergrube war bereits die Aiilage zum Riickenzapfen zu erkenneii. Ein Schnitt durch das Hinterende der Flinimergrube und den Vordertheil des Gang- lions (Fig. 8 auf Taf. XVIIl) zeigt den Zusammenliaiig der beiden Gebilde in eiuer Weise, dass man leicht versucht seiu konnte, fiir dieselben einen gemeinsamen Ursprung in Abrede zu stellen. Andrerseits iihnelt dieses Stadium so ungemein dem in Fig. 3, Taf. XI fiir den Embryo gegebenen, bei welchem ich im lebenden Objekte die Abschniirung der Flimmergrube vom Ganglion deut- lich verfolgen konnte, dass ich iiber den Bildungsvorgang in den Knospen ganz zweifelhaft bin. Bald sind Ganglion und Flimmergrube auseinandergeriickt (Fig. 8 u. folg., Taf. X), ohne irgend eine weitere Verbindung zu haben. Die Flimmergrube wird wie bei der Solitarform glockenformig. Die Wandungen bleiben iiberall einschichtig (Fig. 15, Taf. XVIII) und umschliessen einen dorso-ventral gerichteten Spalt. Die ziemlich grossen Zylinderzellen erhalten Bewimperung ; der Kern ist milssig gross und liegt den ausseren Zellenden genahert (Fig. 15, Taf. XIX). Unmittelbar am Eingange der Flimmergrube faud ich auf Quer- schnitten an den inneren Zellenden statt der zahlreichen Fliramer- haare breitere, pseudopodienartige Fortsatze (Fig. 16). Der homo- genen Substanzschicht (cs\ welche im Umkreise der Flimmergrube ausgeschieden wird, habe ich oben bereits Erwahnung gethan. Der Ruckenzapfen ist bedeutend in die Lange gewachsen ; seine Wandung besteht aus einem Plattenepithel (Fig? 15) und umschliesst eine Fortsetzung der primaren Leibeshohle. Daher zirkulirt auch im Riickenzapfen ein Blutstrom. Das Ganglion differenzirt sich so wie in der Embryonalent- wicklung in das Auge und in das bleibende Ganglion. Urspriing- lich liegt die Partie, welche zum Siunesorgan wird, dorsal. Nach und nach erfolgt aber eine Drehung, durch welche dieselbe mehr nach vorn zu liegen kommt (vgl. Fig. 8 und 11, Taf.X), und schliess- lich liegt in alten Thiercn, wenn ich dem Querschnitt Fig. 10 auf Taf. XI vertraueu darf, das Auge ventral, das Ganglion dorsal gekchrt. 642 Oswald Seeliger, Bevor noch die Sonderung in das Auge und in das bleibende Ganglion erfolgt, ist die. Hohlung in der einheitlichen Anlage ganz geschwuiideii, Dieselbe stellt jetzt eiuen rundlichen, gegen den Rii- cken zu etwas verlilngerten soliden Korper dar, der sich aus gleicli- artigen, grosskernigen Zellen zusammensetzt (Fig. 17, Taf. XVIII). Im dorsalen Theile begin nt ein Pigment sich abzulagern (Fig. 18), wodurch die Entwicklung zum Sinnesorgan eingeleitet wird. Im Ge^ensatze zum Embryo, bei welchem die dorsale Augen- anlage hufeisenformig ist , treten bei den Knospen am Ganglion dorsal drei buckelformige Erhebungen auf, in welchen das Pig- ment sich bildet. Dieselben werden von dem ektodermalen Haut- epithel des Thieres dicht umschlossen, so dass um jeden der drei Pigmentbuckel eine Art Cornea gebildet erscheint (Fig. 8 und 9 auf Taf. XI). tJber feinere histologische Details kann ich keine wei- teren Angaben machen, weil ich das vollstandig ausgebildete Sinnesorgan nicht untersucht habe. Das bleibende Ganglion, der urspriinglich ventral gelegene Abschnitt, zeigt ebenso wie das des Embryo die Differenzirung in eine peripherische und eine zentrale Partie. Die Zellen der er- steren bilden sich direkt aus den gleichgelagerten, grosskernigen Elementen, welche wir in den jtingeren Stadien (F'ig. 17 und 18, Taf. XVIII) bereits kennen gelernt haben. In Fig. 10, Taf. XI lassen sich dieselben wiedererkennen ; die ausserste periphere Zellenlage aber (Fig. 11) ist bereits in der Umbildung zu Ganglienzellen weiter vorgeschritten. Der Verlauf und die Zahl der ausstrahlenden Nerven ist in den jungen Kettenthieren ebenso ungleichmassig, wie in den Soli- tarformen, die Anzahl aber bei diesen stets grosser als bei jenen. Das vorderste Nervenpaar sah ich dorsalwarts von der Flimmer- grube hinziehen und konnte mich bei jiingeren Thieren nicht von der Existenz von abgezweigten Nervenastchen uberzeugen, die in die Flimmergrube ubergetreten waren. Die Entstehung des Ganglions und der Flimmergrube bei Embryonen der Salpen aus einer gemeinsamen Anlage hat zuerst Salensky scharf betont. Bei den Knospen ist es mir nicht ge- luiigen, dariiber Sicherheit zu erlangen, wenngleich ich glauben muss, dass hier die Verhaltnisse ahnlich liegen diirften. Noch unsicherer und widersprechender sind die Angaben uber die Ent- wicklung der gli'ichen Organe bei den andcrcn Tunikaten. In der Embryonaleutwicklung der Ascidicn behauptete neuerdings Van Die Knospung der Salpen. 643 Beneden ') die Eutstehung der Flinimergrubc vorii Ganglion aus. Ich glaube aber, dass man bei vorurtheilsfreier Priifung der ausserordeiitlich zahlreichen Abbildungen, von welchen die Be- schreibung begleitet ist, den Beweis noch nicht als erbracht an- sehen kann. Fiir die Ascidienknospen wird meistens eine selb- stiindige Entstehung der Flininiergrube aus einer Entodermaus- stiilpung angegeben. Am wichtigston scheint es mir zu sein, auch hierfur zunachst die embryonalen Entvvicklungsvorgange in den verschiedenen Tunikateiigruppen auf einen gemeinschaftlichen Prozess zuriickzufiihren und erst in zweiter Linie die Knospen- entwicklung in Betraelit zu ziehen. Wenn sich Van Beneden's Mittheilungcn tiber die Entstehung der Flimniergrube bei den Ascidienembryonen bewahrheiten sollten, daun herrscht allerdings zwischen Salpen und Ascidien vollkom- mene Uebereinstimmung, und es muss unter der Voraussetzung, dass die Entstehung der Flimmergrube vom Ganglion aus einen palingenetischen Vorgang darstellt, fiir jenes Organ nach einem Homologon in anderen Thierstammen gesucht werden, Entsteht aber bei den Ascidien die Flimmergrube, wie ich glaube, entoder- mal, so wird jedenfalls zuvor noch die Frage einer Diskussion werth erscheinen miissen, ob die Entwicklungsweise, die wir bei den Salpenembryonen kennen gelernt haben, nicht vielleicht eine cenogenetische sei. Dann gelangen auch die Angaben tiber die entodermale Entstehung der Flimmergrube in Ascidienknospen zur Bedeutung. Die Entstehung des Ganglions bei den Knospen der Ascidien aus dem Entoderm lasst sich nach den Beobachtungen Kowa- levsky's ^ ) nicht so gut verstehen, wie die Herkunft aus dem Mesoderm, welche ich habe beobachten konnen, und die eine Kon- tinuitat der nervos differenzirten Substanz festzuhalten erlaubt. Ganz jihnlich liegen die Verhaltnisse bei den Salpen. Das Ner- venrohr des Stolo entstammt, wie wir gesehen haben, dem Meso- derm des Embryo. Dieser ist einer Ascidienlarve gleichwefthig, ^) Van Beneden et Ch. Jttlin ,,Le systeme nerveux central des Ascidies adultes et ses rapports avec celui des,layres Urodeles." Bull. Acad. 11. Sc. Belg. (3) T. VIII. 2) A. KowALEVsKT, „Sur le bourgeonnement du PerophoraListeri." (Trad, par A. Giard) Rev. Scienc. nat. sept. 1874. — „tJber die Knospung der Ascidien." Arch, fiir mikr. Anat, Bd. X. 1874. 644 Oswald Seeliger, bei welcher der Larvenschwanz zu einem mesodermaleu Zellhaufen bereits degenerirt ist. Es ist mir wahrscheinlicher, dass das Ho- mologou des Ascidienschwanzes im Salpenembryo nicht nur in dem eigentlichen Elaoblast, soiidern zugleich audi in einer besdniniten Partie von Mesenchymzellen gesucht werden miisse, welche beim Auf- baudesStolo sichbetheiligen. Nur eine sehr griindliche Untersuchung der Salpenembryologie wird dariiber Aufschluss geben konnen. Sollte es sich dann vielleicht herausstellen, dass ein Theil der nervosen Anlage in friihesten Embryonalperioden zu Mesenchym- zellen zerfallt, die in den Stolo iibertreten und dem Nervenrohre im Ascidienschwanze zu vergleichen sind, so waren die strengsten Anforderungen fiir eine Kontinuitat der nervosen Substanz durch beide Generationen hindurch befriedigt. Eine theoretische Noth- wendigkeit aber fiir einen derartigen Entwicklungsmodus kann ich nicht annehmen. Die Geschlechtsorgane. a. DerEierstock. Ich habe der bereits oben gegebenen Beschreibung der Ent- wicklung des weiblichen Geschlechtsapparates nicht mehr viel hin- zuzufiigen, denn die Veranderungen, welche im jungen Ketten- thiere weiterhin noch vor sich gehen, sind nur unbedeutender Art. Wir fanden zwischen den beiden Entodermsacken im hiuteren Ab- schnitte einer jeden Knospe das Ei gelegen, umgeben vom Follikel- epithel, und dieses gegen das vordere Ende zu in einen Zell- strang ausgezogen, welcher zum Eileiter wird (Fig. 1 — 8, Taf. XVI). Wenn dann beim Auseinanderweicheu der hinteren Leibesenden der Knospen der kleine Entodermsack von der entgegengesetzten Seite herubergezogen wird, indem die langliche Form des Querschnittes in eine kreisformige ubergeht, wird der Eierstock nach auswarts gedrangt (Fig. 5, Taf. XVII) und zwar entlang der gegen das proxi- male Stoloende zugekehrten Seite der Knospenwand. Schliesslich gelangt das Ei zienilich gcnau in die Medianebene des jungen Ketten- thieres dicht hintcr die Kloake (Fig. 11, Taf. XVI). Der Follikel ist .wahrend dieser Zeit zu einem sehr feinen Plattonepithel geworden und geht unniittelbar in den Eileiter iibcr (Fig. 4 und 5, Taf. XVIII). Dieser ist in jungeren Stadien als ein hakenformig gekriimmter Strang sichtbar, der stets an der rechten Suite des Thiercs sich nach vorn zu erstreckt (Fig. 7, Taf. X). All- Die Knospung der Salpen, 64o malig nimmt er an Liinge zu, bildet eine S-formig gekrummte Schleife (Fig. 8 und 0), uiuwaclist schliesslich die rechte Seite des Nucleus und inserirt sich am hinteren Ende- der Athemhohle, die an dieser Stelle tellerformig eingestiilpt ist. Die Zellen der Atheniwand sind im unniittelbaren Unikreise der Insertionsstelle kubisch, aber ziemlich klein und gehen nach aussen zu rasch in ein Phittenepitbel liber. Das Lumen des Eileiters ist stets ausseror- dentlich fein {el Fig. 15, Taf. XVIII), und oft sind die Zellen so dicht aneinandergelagert, dass es ganz schwindet (Fig. 12). Ein Durchtritt des Eies durch den Eileiter findet niemals statt. Die Eizelle hat sebon in sehr fruben Entwicklungsstadien der Knospen ibre voile Grosse nabezu erreicht. Eine Vergleichung der Querscbnitte, welcbe beinabe stets mit derselben Vergrosserung gezeicbnet word en sind , besoiiders aber der Abbildungen auf Taf. XV und der Figuren 4 und 5 auf Taf. XVIII lebren dies ohne Weiteres. Da aber wahrend dieser Zeit die Grosse der ganzen Knospen um ein Mebrfacbes zugenommen bat, so ergibt sich noth- wendig die Eigentbiimlichkeit, auf welcbe bereits C. Vogt binwies, dass in jungeren Knospungsstadien die Eizelle eine relativ bedeu- tende Masse der gesammten Korpersubstanz reprasentirt (vergl. Fig. 6, Taf. X), dann aber gegeniiber dem Gesammtkorper immer kleiner erscbeint und schliesslich unraittelbar vor der Befruchtung (Fig. 11) einen verschwindend kleinen Brucbtbeil ausmacht. Dann kehrt sich allerdings wieder das Wachstbumsverhaltniss um. Der Embryo nimmt bald einen ansehnlichen Theil des Kaumes im miitterlicben Korper fiir sich in Anspruch, und ich babe alte Erabryonen gefunden, welcbe reicblich f der miitterlicben Lange massen. b. Der Hoden. Der Hoden ist das letzte Organ, welches sich in der Ketten- salpe bildet. Die Spermatozoen erlangeji erst dann die Reife, wenn das Ei desselben Thieres zu einem ziemlich grossen Em- bryo geworden ist. Eine Selbstbefrucbtung ist, wie schon langst bekannt, bei den Salpen ausgescblossen. Bei den meisten Ascidien liegen die Reifungsverhaltnisse fiir die Geschlechtsprodukte ahn- lich. Krohn ^) hat zuerst bei den Botrylliden darauf bingewiesen, dass bier die Reifung des Eies im Tochterindividuum mit der ^) Keohn, „tJber die Fortpflanzungsverhaltnisse bei denBortryl- liden". Arch. f. Natg. Bd. 35. 1869. p. 195. 646 Oswald Seeliger, Spermareife des Mutterthieres zcitlich zusammenfjillt uiid dass wahrscheinlich auch in dieser Weise die Befruclitung statttindet. Bei Perophora reift nach Kowalevsky's ^) Untersuchuug- unige- kehrt zuerst der Hodon, und dasselbe gibt er fiir die Kolonien der Pyrosomen^) an. Bei der Beschreibung der Entwicklung des Eierstockrohres habe ich oben bereits erwahnt, dass dieses wahrscheinlich ein- zeliie, zwischen den Eikapseln und h;imalwarts zu gelegene Por- tionen abgibt, welche die Anlage des Hodens reprasentiren (h Fig. 3 und 4 auf Taf. XVI). Wahrend aber der Eierstock in der vorhin beschriebenen Weise dorsaiwarts wandert, bleibt die Hoden- anlage am hintersten Ende der Knospe liegen (Fig. 11 — 13, Taf. XVIII) und wird zu einer tellerformig gekriimmten Platte. Schon bei mittelstarken Vergrosserungen kann man in Total- praparaten die Zusammensetzung der Hodenanlage aus grosskcr- nigen, dicht aneinander gepressten Zellen erkennen (Fig. 8 und 9, Taf. X). Im hintersten und dorsalen Theil ist die Hodenplatte ein- schichtig, besteht aber da aus auffallend grossen Zellen, die dem Mitteldarme dicht anliegen. Ventral und nach vorn zu wird die- selbe mehrschichtig , die Zellen sind etwas kleiner und ohne deutliche Grenzen. Eine Auflosung der Kernsubstanz in feinste, das ganze Zellplasma durchsetzende Kornchen habe ich nicht finden konnen und glaube daher, dass derartige Angaben auf eine ungeniigende Konservirung der betreffenden Objekte zuriickzufiihren sein diirften. Auch auf feinen Querschnitten habe ich die Grenzen zwischen den einzelnen Hodenmutterzellen nur stellenweise sehen konnen. Ich glaube, dass von dieser hinteren Hodenplatte alle Zellen ihren Ursprung nehmen, welche beim Aufbau des mannlichen Ge- schlechtsapparates sich betheiligen , obwohl die gleich zu schil- dernde Entwicklungsweise eine Theilnahme von Mesenchymzellen, die den Seitenstrangen entstammen, keineswegs ausschliesst. Die unmittelbare Lage der Hodenplatte am Darm und Eliio- blast begunstigt von dem Zeitpunkte des Freiwerdens der Ket- tenstucke an , wenn die selbstilndige Ernahrungsfahigkeit der Individuen bei gleichzeitiger Riickbilduug des Stoloblast moglich ^) A. KowAiEvsKT ,,Sur le bourgeonncmcut du Perophora Lis- teri". p. 18. 2) Derselbe „Ueber die Entwicklungsgeschichte der Pyrosoma". Arch. f. roikr. Auat. Bd. XI. 1875. Die Kuospuug der Salpeu. 647 wird, ein gaiiz enormcs Wachsthum. Die neu entstandeiieii Zellen bleiben iiicht siimnitlich mit ciiiander in Verbiiidung, soiidern zer- streuen sich im Nucleus, um spiiter zu den Hodenschlauchen ^u- sammcnzutreten. Die Hauptmasse wachst zwischen der Darm- schlinge besonders am Enddarme weiter nach vorii, und man tritit diesen in nur wenig altereu Stadien (vgl. die Querschnitte Fig. 1 — 5, Taf. XVIII) von einer Zellmasse dicht umgeben, welche weiterbin zu Hodenschlauchen wird. Audi von diesen den Darm umspinuenden Schichten losen sich einzelne Zellen los (Fig. 5, Taf. XIX), um neue Hodenscblauche zu bilden. Alle diese Zellen haben einen grossen, gut tarbbaren Kern. Man kann sich bei der Betrachtung von Total praparaten und lebenden Thieren leicht davon iiberzeugen, dass die Hoden- schlauche an mehreren Stelleu im Nucleus gleichzeitig und selb- standig gebildet werden (Fig. 10, Taf. X), erst nachtraglich ver- einigen sie sich zum unpaarigen Samenleiter, welcher zwischen Enddarm und Magen auf einer papillenformigen Erhebung in die Kloake sich offnet. Der Hoden liegt dem Darme allseitig dicht an und scheint in der That bei fluchtiger Betrachtung als ein wesentlicher Bestandtheil diesem zuzugehoren, so dass er von den alteren Beobachtern, von Cuvier und Chamisso, als Leber ge- deutet werden konnte. In geschlechtsreifen, alten Kettenthieren macht die Samen- masse weitaus den grossten Theil des Nucleus aus und erfullt beinahe die gesaramte hintere Leibeshohle ; in das ausserste Ende derselben reicht sie allein hinein. Es mag im ganzen Thierreiche keinen zweiten Fall geben, in welchem die Zahl der mannlichen Geschlechtszellen die weiblichen auch nur annahernd in gleichem Verhaltnisse uberwiegt wie bei den Salpen. Man wird aber auch nicht leicht fiir das Vordringen des Spermatozoons bis zum Ei irgendwo grossere Schwierigkeiten finden konnen, und trotzdem kann ich mich nicht entsinneu, in alteren Thieren noch unbe- fruchtete Eier gefunden zu haben. Die Bildung der Hodenschlauche und Spermatozoen lasst sich auf eine Reihe von Zelltheilungen zuriickfiihren, deren Resultat zweierlei Zellformen sind: die mannlichen Geschlechtszellen und die Zellen der ausseren Hodenwandung. Die Entstehung eines Hoden- schlauches kann von einer oder nur sehr wenigen Zellen ausgehcn. In Fig. 8 auf Taf. XIX sind bei C einige Zellen gezeichnet, welche hochst wahrscheinlich auf die Hodenplatte zuriickzufuhren sein durften, moglicherweise aber auch von den Seiteustrangeu ab- 648 Oswald Seeliger, stammen konnteii. Solche Zellen vergrossern sich bedeutend und theilen sich dann sehr rasch zu einer Zellgruppe, deren jedes Ele- ment einen wohlkonturirten Kern von chromatischer Substanz aufweist. Es ist nicht immer mit Sicherheit zu sagen, inwieweit eine Zellgruppe durch Theilung aus einer oder durch Aneinander- lagerung mehrerer frerader Zellen entstanden ist. Kleinere Haufen, wie die in Fig. 8 A und B abgebildeten, in welchen das Zell- plasma ohne scharfe Grenzen ist, werden wohl auf eine Mutter- zelle zuriickzufiihren sein , grossere aber (Fig. 2) auf mehrere Stammzellen. Die Differenzirung zu den Wandzellen des Hodens tritt zu sehr verschiedenen Zeiten ein, Man findet oft sehr grosse Haufen von Hodenmutterzellen, die noch ganz gleicliartig und kompakt sind, meist aber gruppiien sich schon weniger zalilreiche Zellen peripher, einen zentralen Hohlraum uraschliessend (D Fig. 8), indem gleichzeitig einige grossere oder kleinere Zellen an der Jiussersten Peripherie sich spindelformig auszieheu (Fig. 7), um die aussere Wandung zu bilden. Ein Hinzutreten von neuen Mesenchymzellen ist auch hierfiir keineswegs ausgeschlossen. So kommt es zur Bil- dung eines mehr oder minder langgestreckten Schlauches, der auf dem Querschnitt aus kleinen Spindelzellen zusammengesetzt er- scheint und der grosse Zellen in sich einschliesst, welche in leb- hafter Vermehrung begriffen sind. Diese Zellen erfiillen oft den ganzen Schlauch, ohne ein zentrales Lumen freizulassen (Fig. 10, Taf. X). Wo aber in jungeren Hodenschlauchen ein solches sich findet, trifft man in diesem sehr oft neben den Stammzellen der mannlichen Geschlechtselemente gelbliche Konkremente, die aus einer homogenen Substanz bestehen (Fig. 7, Taf. XIX) und den als Harnexkrementen gedeuteten Gebilden gleichen, welche bei Asci- dien in besonderen Blaschen des Hinterleibes von MCllek^) ent- deckt wurden. Ob MUller's Deutung auf die ahnlichen Korper- chen bei den Salpen anzuvvenden sei , weiss ich nicht, weil ich keine chemischen Reaktionen versucht habe. Jedenfalls ist ein wichtiger Unterschied der, dass sie dort in besonderen Organen liegen, hier aber nur im Jugendstadium in den Hodenschlauchen zu finden waren. Die grossen Zellen, welche den Hodenschlauch ausfiillen, zer- fallcn in kleinere, die wieder heranvvachsen und neuerdings sich 1) H. MiJLLKE, „Bericht iiber einige vergleich.-anatora. Untei-- Buchuugea". Zeitschr. f. w. Zool. Bd. IV. 1853. Die Knospunj; der Salpen. 649 theileii, bis endlich die Umwandlimg zu Spermatozoen crfolgen kanii. Auf QiuTSclinittoii durch den Nucleus von alten, geschlechts- reifen Thieren (Fig. 1, 'Jaf. XIX) findel man in den alten Hoden- schliluchen die Reifung der Geschlechtszellen von dem Inneren nach der Peripherie vorscbreitend. Es lassen sich eine peripbere Scbicbt und eine zentrale zienilicb scharf abgegrenzt unterscheiden ; die erstere besteht aus Spermaniutterzellen, die letztere aus klei- neren Zellen, welche sicb — niit wenigen Ausnabmen — in Sper- matozoen direkt umbilden oder bereits zu solcben differenzirt liaben. Auf ein und demselben Querschnitt findet man in beiden Scbicbten die Eleniente auf verschiedenen Ausbildungsstufen stehend. An den Stellen, an welcben die alten Hodenschliiucbe die Darmwandungen beriibren (Fig. 1 und 4, Taf. XIX), reicbt die eigentlicb zentrale Partie bis an die aussere Hodenwand heran. Es liisst sich das wohl nur so erklaren, dass die Samenmutter- zellen in unmittelbarer Nahe des Darmes reicher ernabrt wurden und in der Umbildung zu Spermatozoen den andern voranschritten. Das Auftreten der Spermatozoen aber beginnt stets im Zentrum des Hodenschlauches, und nach der Peripherie zu wird eine Sper- matoblastenschicht nach der andern aufgelost. Was die feineren Details bei der Entstehung der Spermatozoen anlangt, so kann ich mich jetzt nur mit einiger Vorsicht aussern, weil ich noch nicht Gelegenheit hatte, die Beobachtungen zu Ende zu fuhren. Es fallt bier schwer, den Ausdruck Spermamutterzelle Oder Spermatoblast scharf anzuwenden , wenii man darunter nur die Zelle verstehen will, deren sammtliche Theilstiicke sich direkt zu Spermatozoen umbilden. Die letzten Theile verhalten sich namlich nicht durchaus gleichartig ; die einen werden in der That direkt zu Spermatozoen, einige andere aber (vgl. eine der Abbil- dungen in Fig. 9 auf Taf. XIX) erfahren zuvor noch eine abermalige Vermehrung durch Zweitheilung. Ein Residuum bei diesen Thei- lungsvorgangen, welches sich nicht zu Geschlechtszellen entwickeln kann, einen sogenannten Spermblastophor babe ich bisher nicht beobachten konnen, und ich werde daher die von mehreren Seiten anerkannte Homologie dieses Gebildes mit den Richtungskorperchen bier nicht weiter zu erortern haben. Da ich, wie gesagt, den Theilungsvorgang der Spermamutter- zellen in die jungen Spermatozoen bis jetzt nicht babe genau feststellen konnen, wende ich mich gleich dazu, die Formverande- rungen zu beschreiben, welche die aus dem letzten Vermehrungs- akt hervorgegangenen Zellen zu durchlaufeu haben. Am lebendeu 650 Oswald Seeliger, Objekte bietet die Beobachtung gar keine Schwierigkeiten. Diejunge Geschlechtszelle ist rundlich uiid besitzt eiiieii sehr grosseii, ebcnfalls runden Kern (vgl. die verschiedenen Ahbildungeii in Fig. 9, Taf. XIX). Bald zieht sich das Plasma an einer Seite zipfelformig aus, und auch der Kern dehnt sich in der namlichen Richtung in die Lange; die Zelle hat jetzt eine birnformige Gestalt angenommen. Es kann nun noch Zelltheilung auftreten, durch welche wiederum zwei kegelformige Zellen gebildet vverdeii, oder die Ausdehnung der Zellen in der augegebenen Richtung schreitet weiter vor und fuhrt zur bekannten Form des Spermatozoon, welche in Fig. 9 abgebildet ist. Der Samenkopf ist beinahe ganz vom Kern ausgefiillt und nur von einer ganz diinnen Plasmaschicht umgeben, die sich in den Schwanzanhang fortsetzt, den man in lebhafter Bewegung findet. Derselbe ubertrifft gewohnlich den Kopf um das 2^ bis 3 fache an Lange; in einigen Fallen ist die Grossendifferenz noch bedeutender. Die Gesammtlange des ausgebildeten, befruchtungs- fahigen Samenfadens unterliegt selbstverstandlich zahlreicheu indi- viduellen Schwankungen. Als mittlere Grosse mag ungefahr 0-055 Millimeter gelten, wovon auf den Kopf 0'015 entfallen. Die reifen Spermatozoen bewegen sich in der Mitte der ein- zelnen Hodenschlauche gegen deren Ausfuhrungsgaug und durch diesen in den gemeinsamen Samenleiter, aus welchem sie zu grossen, langlichen Ballen verklebt, in die Kloake ejakulirt werden. Bei diesen Wanderungen sind die Spermatozoen zum allergrossteu Theil in gleicher Weise gerichtet, mit dem Kopfe nach der Rich- tung des Weges weisend. "Wo im Hodenschlauch die peripherischen Spermatozoen dem Zentrum zuwandern, kann man auf dem Quer- schnitte eine schone radiare Anordnung der jungen Spermatozoen beobachten. Das Herz. Das Herz entsteht in den Knospen verhaltnissmassig spat, und zwar, wie schon Vogt und Leuckart betont haben, spater in den Knospen als in den solitaren Embryonen, ein Verhiiltniss, das Leuckart, wie mir scheint mit vollem Recht, aus den eigen- thumlichen Beziehungen zwischen Knospen und Knospenstock abzu- leiten versucht ^). Vogt^) glaubt die entodermale Entstehung *) Leuckart, „Zoologische Untersuchungen." II. Heft, p. 73. 2) Cn. YoGT, „Kecherches sur les auimaux infer, de la Mediter- rande". II. Mem. p. 45. Die Knospung der Salpen. 651 des Herzens bei den Salpenknospen beobachtet zu haben, und Brooks ') hat sich ihm aiigt'schlossen. Mir ist es indessen iiicht moglich gewesen, mich von der Richtigkeit dieser Angaben zu iiberzcugen ; vielmehr babe ich die Kntstehung des Herzens aus dem Mesoderm und zwar wahrscheinlich aus dem von der entge- gengesetzten Seite des Stolo hiniiberwachsenden Seitenstrange vcr- folgen konnen. Der erste Vorgang bei der Bildung der Perikardialblase ahnelt der Entstehung der Kloakalblase im dorsalen Abschnitte der Knospe. Das ventral gelegene Mesoderm im hinteren Leibesab- schnitt wird in einem bestimmten Umkreise zu zwei iibereinander gelagerten Zellschichtcn, die sich von einander ein wenig abheben und somit einen llohh-aum einscbliessen. Bald trennt sich dieser Mesodermtheil als eine Blase, die Perikardialblase, vom iibrigen Mesoderm ab (Fig. 10 und 14, Tat. XVI) und ist als ein selbstiin- diges Gebilde zwischcn Darm und ventraler Leibesvvand in der primaren Leibeshohle liegend erkennbar. In Fig. 9 auf Taf. XVII ist die Bildung der beiden epithelialen Schichten aus dem Meso- derm zu erkennen. Die eingeschlossene Hohlung hat die Form eines schmalen, zu der Darmwand parallel verlaufenden Spalt- raumes. Die weiteren Umbildungen dieser flachgedruckten Blase zum Perikardium und Herzen sind die nanilichen wie in der Ascidien- entwicklung. Es erfolgt eine konkave Kriimmung gegen deu Riicken zu (Fig. 6, Taf. XVIII). Die dorsale Wand stiilpt sich immer tiefer ein (Fig. 5), bis schliesslich die beiden freien Bander dorsal mit einander verwachscn ; nur an einer Stelle vorn und binten un- terbleibt die Verschmelzung. Somit ist ein doppelwandiges Rohr gebildet worden. Das innere Lumen stellt die Herzhohle dar und olfnet sich durch die zwei Spalten in die Leibeshohle. Das Lumen, das zwischen den beiden Wandungen liegt, ist vollkommen ge- schlossen und reprasentirt die Perikardialhohle. Die aussere Wand ist das Perikardium, die innere der Herzschlauch, Indem ein Theil der Leibeshohle zur Herzhohle abgeschnurt wurde, gelangen die Mesenchymzellen in dieselbe und werden zu Blutkorperchen, die durch die beiden Spaltoffnungen in die Lei- beshohle abwechselnd vorn und hinten ausstromen, wenn uach Ausbildung derMuskelfibrillen der Herzschlauch rhythmischePulsa- *) Brooks, „The development of Salpa". p. 334. 652 Oswald Seeliger, tionen auszuiiben vermag. Dies tritt lange vor dem Freiwerden der Kettenglieder ein, und man kann sich da leicht iiberzeugeii, dass der Blutkreislauf der Stolothierc mit dem der solitaren Form nicht zusammenhaiigt. Die Blutkorperchen der letzteren uber- ragen die Blutzellen der Knospenthiere urn ein Bedeutendes an Grosse. Die histologische Umbildung der anfangs ganz gleichartigen, ungefiihr kubischen Zellen erfolgt ziemlicb rascb. Bei der Grossen- zunahme des ganzen Organes gehen die Zellen des ausseren Sackes in Plattenzellen iiber, die, solange der dorsale Herzspalt nocb ganz offen ist, an den Ubergangsstellen in den inneren Schlauch raebr kubisch bleiben (Fig. 5, Taf. XVIII). Die Zellen des letzteren bringen, wie bekannt, schliesslich Fibrillen zur Sonderung, an welchen eine Querstreifuug deutlicb zu erkennen ist. Die Mus- kelzellen des Herzens tragen, obwobl sie mesenchymatosen Ur- sprungs sind, doch den Cbarakter von Epitbelmuskelzellen, der sonst im Allgemeinen auf den Mesoblast und die beiden primiiren Blatter beschrankt zu sein scheint. Schon Giard *) hat bei den Ascidien auf dieses eigenthiimliche Verbalten aufmerksam gemacht. Das Herz liegt in der Kettenform nicht genau in der Median- ebene des Korpers, sondern ein wenig asymmetrisch nach rechts verschoben (vgl. Fig. 8 und 9 auf Taf. X). Dorsal verschmelzeu Herz- und Perikardialwand und legen sich dicht an die Athem- hohlenwandung an. Ventral und seitlich grenzt das Perikardium an den inneren Cellulosemantel, wahrend die entsprechenden Herz- wandungen frei liegen und die Zirkulation des Blutes besorgen. Besondere vom Herz ausgehende Blutgefasse fehlen. Der Elaeoblast. Von Karl Vogt wurde zuerst in den „Bilder aus dem Thier- leben" an der Kettenform ein enibryonales Organ beschrieben, das er Stoloblast nannte und mit der Placenta der Embryonen homologisirte. Spiiter hat er dieses Gebildebei Salpa pinnata nocli- mals beschrieben und abgebildet (Rech. s. 1. animaux inf. d. 1. Mediterran6e. II. Mem. p. 46 u. fg.) und seine Ansicht uber die Bedeutung desselben nicht geiindert. Leuckart gelang es nicht, dieses Organ bei anderen Salpcnarten aufzufinden, und in der That gibt es bei Salpa mucronata kein Knospenorgan, welches der Pla- ^) A. Giard, „Sur I'embryog^nie des Ascidies du geure Litho- nephria". Compt. rend, 6. Juin 1881. Die Knospung der Salpen. 653 centa des Embryo homolog ware^). Ich folge daher ohne Be- denken einer von aiiderer Seite bcreits ausgesproclieneu Ansicht, dass Vogt's Stoloblast der Salpa pinuata dem Elaoblast der Ket- tcnthiere von anderen Spezies und weiterhin auch dem Elaoblast der Enibryoneu gleichzusetzen sei. Allerdings muss der Ausdruck Elaoblast audi fur diese letzteren in einer etwas eingeschrankteren Bedeutung gebraucht und nur auf den wirklich eml)ryonalen Zell- haufen angewcndet werden, wie ich das bereits ini Eingange der Untersuchung auseinandergesetzt habe. Der Elaoblast entsteht in der Knospe aus dem ventralen, ziemlich in der Medianebene gelegenen Mesoderm des binteren Lei])esabschiiittes. Ich glaube, dass Elaoblast und Herz aus einer urspriinglich gemeinsanieu Anlage hervorgehen. Anfanglich ist die Anlage des Elaoblastes als ein Zellhaufcn zu erkennen, dessen Zellen untereinander gauz gleichartig und denjenigen des ubrigen Mesoderms vollstandig ahulich sind. Die einzelnen Stadien ihrer Unil)ildung habe ich nicht beobachten konnen und glaube, dass diesclbe sehr rasch erfolgt. Deun bald siehtmanin nochganz jungeu Knospenthieren den Elaoblast als ein wohlabgegrenztes Gebilde, das sich aus grossen blaschenformigen Zellen zusammensetzt, die denen im Elaoblast des Eml)ryo sehr ahneln. Auf den Schnitten (Fig. 1 — 6 auf Taf. XVIII) lassen sich die Grenzen zwischen den einzelnen Zellen nicht feststellen. Man findet ein Netzwerk von Plasma, welches an den verschiedeuen Stellen von sehr verschiedener Dichte ist und eine Anzahl bei der Far- bung mit Pikrokarmin nicht besonders scharf hervortretender Kerne eingebettet enthalt. Das Netzwerk umschliesst rundliche Vakuolen, die im lel)enden Thiere wohl mit 01- oder Fetttropfen erfiillt waren und durch die Alkoholbehandlung ausgezogen wurden. Aus dem in Fig. 11 abgebildeteu Langsschnitte erhalt man am besten eine Vorstellung iiber die Form des Elaoblasthaufens, der sich nach hinten zu Ins an den Hoden erstreckt und demselben spater als ^) Ich finde daher den Vorwurf, welchen Vogt (Anmerkung auf p. 47) gegen Leuckaet erhebt, gauz ungerechtfertigt. Es ist durchaus kein Widerspruch, wenn Leuckart p. 57 ein dem Elaoblast der Em- bryonen homologes Gebilde bei Kettensalpen annimmt und p. 74 Vogt's Stoloblast, ein „der Placenta voUkommen gleichwerthiges Or- gan" , bei Salpa mucronata fehlen liisst. Vogt's Augriff beweist uur, dass er selbst bei der Vergleichung des Stoloblast der Ketten- form die Placenta und den Elaoblast des Embryo als verschiedene Gebilde nicht auseinandergehalten hat. Bd. XIX. N. F. XII. 43 654 Oswald Seeliger, desorganisirtes Nahrmaterial zu Gute kommt. Diese Riickbildung erfolgt ura die Zeit des Freiwerdens der Ketten, bald frtiher, bald spater. Zur Zeit seiner grossten Ausdehnung fiillt der Elaoblast einen betrachtlichen Theil des Nucleus im jungen Kettenthiere aus (Fig. 9, Taf. X). Er liegt links vom Herzen, und seine Hauptmasse hinter demselben; ventral stosst er dicht an das Hautepithel, dorsal an den Enddarm und die diesen umgebenden Hodenschliiuche. Wenn der Elaoblast des Kettenthieres dem gleichbenannten Organe des Embryo vollstandig homolog ist, daun rausste ihm wie diesem die morphologische Bedeutung eines rudimentar ge- wordenen Ruderschwanzes zugesprochen werden. Die physiologi- sche Bedeutung ist fur Stoloblast und Elaoblast die namliche und von Leuckart fiir die Embryonalentwicklung gewiss mit voUem Rechte dahin charakterisirt worden, „dass der Olkuchen nur ein vorlaufiges Depot von Nahrungsstoffen bildet, die wahrend der spateren Entwicklung allmahlich verbraucht werden" (1. c. p. 57). Es bleibt freilich nocb abzuwarten, ob spiitere Untersuchungen uber die Embryologie der Salpen die Homologie des Eliioblasts und Ruderschwanzes bestiitigen werden, bevor man mit Bestimmt- heit behaupten darf, dass in dem Knospungsprozess der Salpen die freischwimmende Stammform allerdings stark cenogenetisch auf- tritt. Es ist das meiner Ansicht nach ein niclit zu unterschiitzender Unterschied von der Knospung der Ascidien. Friiber bereits *) habe ich darauf hingewiesen, dass in dieser das Homologon der freischwimmenden, geschwiinzten Stammform feblt und diesen Um- stand unter anderen mit als Stutze fiir die Ansicht angefulirt, dass die Knospung bei den Ascidien phylogenetisch erst nach deren Festsetzung aufgetreten sei. Es ist einleuchtend, dass durch jene Verhiiltiiisse fiir die Ableitung des Salpenstammes aus festsitzenden, knospenden Ascidien eine neue Schwierigkeit erwitchst, die bei der Annahme des von mir entwickelten Stammbaumes der Tunikaten^) vollstandig ungezwungen sich lost. Das Mesenchym und die Muskelbander. Unter Mesenchym fasse ich in dieseniAbschnitte die Bindege- webs-Blut- und Muskelfaserzellen zusammcn, Gebilde also, welche aus einem Theile der beiden Seitenstrango entstanden sind. Obwohl ja Hoden, Elaoblast und Muskelbander ganz ahnlichen Ursprungs 1) „Eibildung und Knospung von Clavelina lepadiforrais" p. 48. ^) „Uie Entwicklungsgeschichte der socialen Ascidien". p. 116. Die Knospung der Salpen. 655 sind, ist doch ein wichtiger Uiiterschied darin gelegen, dass jene Zellen sicli nicht /Air Bildung einheitlichcr hoherer Organe zu- sammentindeu, sondern hociistens sicli zu Zellgruppen oder Zell- fjiden vereinigen, welche im Allgememen Dur untergeordneteFunk- tionen auszuiibeii im Staiide sind. Schliesslich sind ja alle Organe der Kettensalpe, welche zwischen Hautepitliel und Darmschlauch in der primilren Leibeshohle liegen und zum Theil aus wohldif- ferenzirten epitlielialen Zellschichten sich zusanimensetzen, aus einer Anzaiil Mesenchymzellen des Embryo entstanden, die aber fiir diesen selljst nur dieselbe morphologische Bedeutung haben, welche den hier als Mesenchym bezeichneten Zellen im Stolothiere zukommt. Es ist bereits erwahnt worden, dass die Seitenstrange in jeder Knospe zu einer gekriimmten Zellschicht geworden sind, aus welchcr auf die beschriebene Weise Kloake, Herz und Elaoblast sich entwickelt haben. Es ist aber damit das Material der Seiten- strange noch lange nicht aufgebraucht, sondern es bleibt eine be- tnichtliche, mehrschichtige Zellplatte zuriick, welche noch weitere Umbildungeu zu erfahren hat. Wiihrend noch die Entwickluug der eben erwilhnten Organe aus den Seitenstrangen erfolgt, lost sich von denselben nach und nach eine grosse Anzahl von Zellen los, um die Leibeshohle zu durchwandern und zum Mesenchym zu werden. Die meisten dieser Zellen bleiben einzeln oder verbinden sich, wie die Muskelfaser- zellen, zu Zellreihen. Nur ein verhaltnissmiissig kleiner Theil ver- einigt sich zur Bildung von Zellblattern, die stets endothelartig ein feines Plattenepithel darstellen. Derartige Plattenepithele ent- stehen gleichzeitig an mehreren Stellen und verbinden sich spa- terhin theilvveise zu grosseren einheitlichen Zellflachen, weil ihrer Ausdehnung ganz bestimmte Bahnen vorgeschrieben sind, die das Aufeinanderstossen und Verschmelzen herbeifiihren miissen. Eine solche Bildung erfolgt einmal um den Darmtraktus und theilweise um den Hodengang, dann an gewissen Stellen als innere Begrenzung des inneren Cellulosemautels, als Auskleidung von Blutbahnen und einzelnen Sinus der Leibeshohle. Die Bildung des darmumschlingenden Endothels ist in Fig. 5 auf Taf. XIX zu sehen. Die von den Seitenstrangen losgclosten Zellen nehmen die verschiedensten Formen an. Die unmittelbar an die Magenwandung gelagerten gehen im Querschnitt aus der rund- lichen in eine spindelformige uber und bilden schUesslich (Fig. 1 und 3) eine vollstiindige Zellplatte. 43* 656 Oswald Seeliger, Die BilJung des Endothels der Blutbahnen erfolgt in ganz ahnlicher Weise, nur scheineu iiiir die Zelleu, wo sie iiberliaupt vorlianden sind, noch feiner zu sein. Am besten liisst sich die EntstehuDg auf Querschnitten durch das Kiemenband erken- nen (Fig, 19, Taf. XIX). Solche Bilder scheinen mir dann audi darauf hinzuweiseii , dass die homogene Substanzschicht, welche zwischeii dem Endothel uiid der ilusseren Wand des Kiemeiibandes gelegen ist, von den Endothelzellen ausgescbieden wurde, wilhrcnd dieselben sich aus rundlichen und sternformigen Bindegewebs- zellen zu Elementen eines feinen Flatten epithels umwandelten. Ahnlicbe Verbaltnisse wie im Kiemenljande findet man auch an anderen Stellen der Blutbahnen in der Leibeshohle (vgl. die beiden Blutbahnen zu den Seiten des Endostyls in der niimlichen Figur), wahrend wiederum an vielen Orten eine Endothelbegrenzung durchaus nicht nachweisbar ist und die Cellulosesubstanz die Wan- dungen der Blutbahnen bildet (Fig. 13 und 15, Taf. XVm). Doch wird man dieser Verschiedenheit keine wesentlichere Bedeutung beimessen diirfen. Ein anderer Theil der von den Seitenstrangen losgelosteu Me- senchymzellen behiilt die runde Form bei {ms Fig. 7, Taf. XIX), oder geht in eine sternformige iiber (Fig. 5 und 10 5), diese in eiuigen Fallen in eine prismatische niit theilweise gabelformig gespaltenen Enden (Fig. 10 0), kurz es kommen die mannigfachsten Formen und Formiibergange vor. Ich glaube, dass alle diese Zellen wahr- scheinlich in ihrem ersten Entwicklungsstadium kurz nach der Los- trennung vom Seitenstrang sich an der Bildung der iuneren ho- mogenen Substanzmasse betheiligen. Im Gegensatze zu den oben beschriebenen Plattenepithel- oder Endothelzellen kommen sie aber weiterhin nicht an die Oberfliiche zu liegen, sondern bleiben in der Interzellularsubstanz nach Art echter Bindegewebszellen vertheilt. Wie gesagt, weiss ich es nicht durch Beobachtungen zu bestiitigen, dass die homogene Substanz Cellulose sei. Dieses Bindegewebe, welches die primilre Leibeshohle bis auf die Blutbahnen ausfullt, hat wohl vorziiglich die Bedeutung, dem ganzen Kih-per eine festere Beschaflfenheit zu verleihen und gleich- zeitig die inneren wichtigeren Organe in l)estimmter Lage festzu- halten. Diese letztere Aufgabe liisst sich fur die in Fig. 10 C ab- gebildeten Zellen oder auch Zelh'cihen direkt nacbweisen, denii man sieht, wie dieselben sich einerseits am Darm und besondei's an den Hodenschliluchen inseriren und die Leibeshohle wie Trabekel Die KnospuDg der Salpen, 657 (lurchsetzend aiif der anderen Seite an der ausseren Leibesschicht befestigen. Ich habc obeu bereits daraiif hingewieseii, dass ein Theil des inneren Celliiloseiiiaiitels wahrscheinlich vom Ektoderm aus gebildet werfle. Es stehoii dieser Annahme, fiir welche ich allerdings nicht geniigendc Beobachtiingen aiizufiihren in der Lage war, jedenfalls gewissc theoretische Bedenken im Wege. Der ganze innere Mantel bildet ein vollkommen einheitliches Gewebe , und es sollte ein solches also durch Verschmelzung zweier Bildungen entstanden sein, welche von zwei verschiedenen Keimblatteru her ihren Ur- sprung gcnommen haben. Dass ein Organ durch Zusammenwir- kung verschiedener Keimblatter entstehen kann , ist eine liingst bekannte Thatsache, und nicht minder fest steht die Entstehung ein und derselben Gewebsform aus verschiedenen Blattern. In un- serem Ealle kommt es nun schliesslich zur vollstandigen Vereinigung dieser verschieden entstandenen Gewebsform in ein und dem- selben Individuum zu einem einheitlichen Gebilde. Ein dritter Theil der Mesenchymzellen wandelt sich zu Mus- kelfaserzellen urn. In Fig. 10 J., Taf. XIX sind zwei solcher in Umformung begriftener Mesenchymzellen gezeichnet worden. Der Kern ist gross und liegt dem verbreiteten Zellende genahert. Die beiden Zellen stossen im folgenden Stadium aneinander und ver- schmelzen zu einer Muskelfaser. Aus der Form der Zellen lasst sich ohne Weiteres auf die Art der Verschmelzung schliessen. Durch Aneinanderreihung einer grosseren Zahl solcher Muskelzellen entstehen Muskelfasern von betrachtlicher Ausdehnung, und wenn sich mehrere Muskelfasern neben einander ausbilden (Fig. 12), konnen dieselben eine sehr bedeutende Wirkung ausiiben. Die KeiTie lassen sich stets in den Fasern nachweisen. Diese echten Mesenchymmuskel finden sich in betrachtlicher Anzahl an den beiden Korperoifnungen, wo sie als Schliessmuskel eine wichtige Rolle spielen. Der Verlauf derselben ist aus der in Fig. 11, Taf. X gegebenen Abbildung zu ersehen, und es scheint mir daher liberfliissig zu sein, hier noch eine ausftihrlichere Be- schreibung folgen zu lassen. Nur darauf will ich noch hinweisen, dass die Anordnung der Muskelfasern eine derartige ist, dass durch die Kontraktionen derselben immer nur eine Schliessung der Off- nungen herbeigcfiihrt werden kann, indem die lippenartigen Bander an- und iibereiuandergepresst werden. Lasst die Muskelkon- traktion nach, so ist es die Elastizitat des Cellulosegewebes, durch welche die ()iftuing der Bander erfolgt. 658 Oswald Seeliger, Wahrencl alle bisher beschriebeneu Mesenchyrazellen nur wahrend der allerersten Stadien nach ilirer Lostrennung von den Seiten- strangen in der Leibeshohle sicb bewegen oder bevvegt werden, dann aber stabil bleibeu, liebiilt ein anderer Theil zeitlebens seine freie Beweglichlieit bei : es sind das die Blutzellen. Da die FLxirung der freicn Mesenchymzellen, wie es scheint, wahrend der ganzen Entwick- lungszeit des Thieres stattfinden kann, besteht weiter kein wesentlicher Unterscbied zwischen Blutzellen und fixirten Bindegewebszellen. Nur in den letzten Stadien, weun die Blutzellen zu grossen, wurst- oder stabchenformigen Gebilden geworden sind {bs Fig. 7, Taf. XIX), ist deren direkte Uinwandlung in feste Bindegewebszellen ausgescblossen. Man sieht aber ofters eine Auflosung dieser grossen BlutkiJrper in einzelne Theilstticke, die dann zwischen jenen in der Blutfliissigkeit sich weiterbewegen. Obwohl ich nun zwar die Entwicklung der wurstformigen Blutkorper nicht beobachtet habe, scheint mir der eben erwahnte Zerfall derselben ihre Deutung als mehrzellige Ge- bilde und nicht etwa als Zellen niit in einzelne Kornchen ver- theilter Kernsubstanz zu fordern. Zudera hat Todaro 0 t)ei den Embryonen von Salpa pinnata die Entwicklung der Blutkorper und die Auflosung in einzelne Zellen genau verfolgt, und ich glaube, dass die Verhaltnisse hier ganz ahnhch sein werden. — Der grosste Theil der Zellen der Seitenstrange bleibt aber zu Zellplatten verbunden, die in der bereits beschriebenen Weise den Darmtraktus und die Athemhohle umgurten (vgl. Fig. 5 — 7, Taf. XVII), und in welche Ganglion und Kloakalblase eiugebettet erscheinen. Bald bemerkt man, dass diese mehrschichtigen meso- dermalen Zellstreifen an bestimmten Stellen zu den beiden Seiteu des jungen Kettenthieres fensterformige Durchbrechungen erhalten, indem daselbst neuerdings eine Auflosung in die einzelnen Zellen erfolgt, welche sich loslosen und vom Blutstrom ergritien werden. Diese Zellen tragen wesentlich zur Yermehrung der Blutzellen bei, welche friiher schon durch partielle Auflosung an der Peripherie der Seitenstrange gebildet worden waren. Die Liickenriiume in den Mesoderinplatten verschmelzen zuni Theil untereinauder, dehnen sich aus, bis endlich die kontinuirlichen Mesoderniplatteu an den beiden Seiten der jungen Knospe zu einer Anzahl hintereinander gelegener Streifen geworden sind, welche die einzelnen Muskel- bander darstellen (Fig. 7, Taf. X). Die Liickenraume werden ininier ^) F. Todaro, „Sopra lo sviluppo e ranatomia delle Salpe". Koma, 1875. conf. Tab. IV., Fig. 3 5. Die Knospung der Salpen. 659 grosser, und bald habcn die sechs ') Muskelreifen die blcibende Anordnung erhalten (Fig. 8), die von fruheren Autoren bereits zur Geniige beschriebeii worden ist und bei einem Blick auf die Fi- guren 11 und 12 auf Taf. X sofort klar sein wird. Ein jedes Mus- kelband bestebt aus zwei Halften, die ventral weit voneinander entfernt (Fig. 12), dorsal aber so dicht ineinander gefugt sind, dass an einigen Stellen die einzelnen Liingsfasern fingcrformig in- einander greifen. Das binterste Muskelband (Fig. 11) ist nur sehr kurz und dorsal jederseits mit dem vorletzten verbunden. Ebenso sind auch diedrei vorhergehenden Muskelreifen, der zweite bis vierte, in der Medianebene am Rucken verschmolzen. In der Embryonalentwicklung bilden sich die Rumpfmuskel auf die namliche Weise durch Auftreten von fensterformigen Durch- brechungen. Es entstehen schliesslich aber sieben Muskelbilnder (Fig. 1, Taf. X), die bis auf das erste und letzte aucb ventral an- einander stossen. Das neuaufgetretene Band schiebt sich zwischen das erste und zweite der Kettenform ein, und vielleicht ist in dieser der nach dem Riicken und nach hinten zu gerichtete Querast des ersten Muskelreifens(Fig. 11) das Homologon des wohlentwickelten zweiten der Solitarform. Bei dieser stellt ja auch der nur rudi- mentare letzte der Kettensalpe ein machtiges Gebilde dar. Im Embryo sind nicht nur der 3. bis 5. und dann auch die beiden letzten Muskelreifen dorsal verschmolzen, sondern ausserdem noch der 5. und 6. ventral. Auf Schnitten lasst sich in den histologischen Prozess der Bildung der Muskelbander eine Einsicht gewinnen. In den Sta- dien, welchen die Abbildungen 7 und 8 auf Taf. XVI entnommen sind, sind die Durchbrechungen noch nicht aufgetreten, und die Mesodermplatte ist eine zusammenhangende mehrschichtige Zell- masse. In Fig. 12 auf Taf. XVI und Fig. 13, Taf. XVIII, welche Langsschnitte durch junge Knospeuthiere darstellen, sind bereits die einzelnen Bander isolirt zu sehen. Dieselben sind beinahe durch- wegs zweischichtig geworden und besitzen eine verschiedene Breite. Auf Querschnitten durch etwas jiingere Stadien (Fig. 16 — 18, Taf. XVni und Fig. 12, Taf. XVII) lasst sich leicht erkennen, dass das Mesoderm bereits in einzelne Muskelreifen differenzirt ist, ^) Lettckaet zahlt das vorderste Band sowohl bei der Ketten- form als bei der solitaren Salpe nicht den Rumpfmuskelreifen zu, son- dern betrachtet es im Gegensatze zu diesen als Sphinkter. 660 Oswald Seeliger, die an verschiedeiien Stellen von sehr wechselnder Dicke und an einzelnen Punkten sogar funfschichtig sind. Nur ganz allmahlich Avird die Rumpfmuskulatur iiberall ein- schichtig, indem die iibereinander liegenden Zellen sich hinter- und nebeneinander einschieben. Eine Loslosung und Umwandlung von einzelnen Zellen zu Blutzellen habe ich in diesen letzten Sta- dien nicht mehr gesehen. Die Zellen der nunmehr einschiclitigen Muskel bander haben aber gleichzeitig eine ganz bestimmte Anordnung erhalten. Sie sind zu laugen Reihen verbunden, welche die Liinge der Muskel- bander selbst haben und als Muskelfasern angesehen werden miissen. Dieselben sind in ihrem ganzen Verlaufe von gleicher Starke, denn die sie zusammensetzenden Zellen sind kubisch oder in der Richtung der Fasern zu rechtwinkligen Parallelepipeden ausgezogen. Kerne und Zellgrenzen sind in jiingeren Stadien gut zu erkennen. Die Zahl der ein Muskelband zusammensetzenden Fasern ist verschieden und schwankt zwischen 2 und 5. In der Solitarform ist sie be- deutender. Doch hat alle diese Verhiiltnissebereits Leuckart njiher beschrieben und auch genaue Messungen iiber die verschiedenen Dimensionen der Muskelfasern und ganzen Bander vorgenommen. Ich mochte hier nur noch mit eiuigen Worten auf die Bildung der Fibrillen und das Auftreten der Querstreifung hinweisen, ohne allerdings diese Frage definitiv erledigen zu konnen, da ich bis jetzt nicht in der Lage war, die Endstadien der Muskelentwick- lung zu untersuchen. In Fig. 11 A auf Taf. XIX ist der Querschnitt durch ein Muskelband abgebildet, das aus drei Muskelfaser- ziigen besteht. In der Substanz der Zellen ist eine Differenzirung eingetreten ; an der iiusseren, dcm Ektoderm zugekehrten Seite ist eine kutikulaiihnliche, verdichtete Schicht aufgetreten, welche sich ununterbrochen uber die Muskelfasern ausbreitet. Die Randzellen entwickeln eine solche auch an ihrer iiusseren seitlichen Flache, und nach und nach wird das Muskelband von einem Randsaume allseitig umgeben. Bevor noch die kontraktile Substanz sich so weit ausgedehnt hat, zerfallt sie an der iiusseren Seite in ebenso- viele Portionen als Muskelfasern vorhanden sind (Fig. II !>). Ich muss nun wohl annehmen, dass die einzelnen Fibrillen, welche jede Muskelfaser ihrer Liinge nach durchziehen, aus einem Zerfall der Fibrillenschicht entstanden seien, welche vorher in coutinuo iiber die ganze Breite einer Faser sich ausgedehnt hat. Was nun das Auftreten der Querstreifung an den Fibrillen anlangt, so scheint es mir, als ob dasselbe auf abwechselnde wellenformigc Die Knospung der Salpen. 661 Verdichtiingcn und dazwischeii licgende Verdunnungen in der fibrilUiren Substanz zuruckzufiihren sein moclite. Die gleiche Lage derselben in den nebeneinander verlaufenden Fibrillen liisst mich verniuthen, dass dicsc Verdickungen an der Fibrillenschicht durch die ganze Breite der Zellen hindurch aufgetreten sein diirften, bevor noch der Zerfall in Fibrillen stattfand. Es scheint mir, dass die feineren histologischen Verhiiltnisse der Salpenmuskel einer uochmaligen Untersuchung wohl werth waren, wenn man dabei den allgemeinen Gesiclitspunkt, der erst durch die Briider Hektwig') als wesentlich erkannt wurdc, nicht aus dem Auge verliert. Die Hohlungen des Korpers. Es sollen in diesem letzten Abschnitte keine neuen Umbil- dungen niehr besclirieben, sondern nur einige Verbaltnisse im Zu- sammenhange nochmals auseinandergesetzt werden, weil ich glaube, dass dadurch zu einer deutlicheren Vorstellung des ganzen Knos- pungsprozesses noch beigetragen werden kann. In dem jungenKeimstock finden sich zwei Hohlungen, welche von einem einschichtigeu Epithel umschlossen werden. Die innere ist eine Fortsetzung der Athemhohle des Embryo, die aussere, welche jene ringformig umschliesst, eine Ausstiilpung der primaren Leibeshohlc und wird als Stolohohle bezeichnet. In ihr liegt das Meseuchyni, welches anfanglich oft die Hohlung ganz ausfUllt, spiiter sich auf die beschriebene Weise zu vier Zellstrangeu an- ordnet. Die Stolohohle wird durch die Absonderung einer homo- genen Substanz , die von den Blutzellen und von den aus den Seitenstrangen losgelosten Zellen erfolgt, so verengt, dass nur zwei Blutbahnen, eine neurale und eine hiimale, frei bleiben, welche in das Lakuneusystem des miitterlichen Embryo einmiinden (Fig. 12 Taf. XII, Fig. 5—7 Taf. XIII). In ihnen zirkulirt das Blut des Embryo, und da die beiden Bahnen durch ein Endothel und eine homogene Schicht begrenzt sind, konnen die Blutkorperchen nicht in die Knospen iibertreten. In den allerletzten Stadien, wenn die Knospen beinahe vollkommen isolirt sind, und der embryonale Kreislauf des Blutes in den beiden Blutbahnen schon liingst auf- gehort hat, wird — wie ich das besclirieben habe - der gemein- same, zentrale Stoloabschnitt in die Individuen abwechselnd rechts ^) 0. u. R. Hebtwtg, „t)ie Coelomthorie". Jen. Zeitschr. f. Naturw. Bd.XV. 1881. Vgl. besonders p. 94—105. 662 Oswald Seeliger, und links einbezogen. Die Endothelmembran wird aufgelost, und die Blutbahnen gehen in die Leibeshohlen der Kettenthiere iiber. Auch die wenigen Blutkorperchen des Embryo, die gerade an den be- treflfenden Stellen schwammen, als der Kreislauf aufliorte, gelangen, aber wie ich glaube niir als desorganisirtes Nahrmaterial, in die Leibeshohlen der verschiedenen Kettensalpen. Diese Hohlungen nun sind nichts anderes als Theile und Aus- stiilpungen der Stolohohe und sind somit der primaren Leibeshohle des Embryo vollkommen gleichwerthig. Die Ableitung und der Zu- sammenhang beider hat sich in der vorliegenden Untersuchung klar ergeben, nur darf man sich dadurch nicht beirren lassen, dass durch die Endothelwandungen die Blutbahnen abgeschlossen werden. Bei dem Wachsthum der Knospen treten zwischen dem Ektoderraschlauch und Entoderrarohr und der homogenen Cellu- losesubstanz neue Liickenraume auf, die immer wieder nur als homolog der Stolohohle angesehen werden konnen. tJbrigens glaube ich, dass ein Theil der homogenen Substanz, die in der Stolohohle schon sehr friih in bedeutendera Umfange aufgetreten ist, doch sehr bald wieder aufgelost wird, und vielleicht sogar die gesammte innere Cellulose des spateren Kettenthieres eine Neubildung sein diirfte. Somit ist also die primare Leibeshohle, das Blastocoel, der Kettenform aus der namlichen Korperhohlung des Embryo hervorgegangen. Durch die Einengung des Blastocoels der Knospen zum Schizocoel oder Pseudocoel der Kettenthiere und durch den namlichen Vorgang im Embryo sind die pseudocoelen Leibes- hohlen desselben und jener ihrer Kommunikation verlustig ge- worden. Die innere Hohlung des Stolo, welche vom Entodermschlauch umschlossen ist, bleibt fiir's Erste vollkommen abgeschlossen. Durch die komplizirten Faltungen, die wir oben kennen gelernt haben, geht dieselbe in die Athemhohlen und das gesammte Darmlumen aller Knospen iiber. Die Athemriiume derselben stehen durch den horizontalen Entodermspalt sehr lange Zeit untereinander in Verbindung. Erst in spateren Stadien der Knospenbildung, wenn jene Entodermverbindung geschwunden ist, offnet sich das Eutodermrohr einer jeden Knospe durch die Ingestionsoffnung nach aussen, durch die beiden Kiemenspalten und den Anus in die Kloakenhohlung. Das Entoderm und die von ihm umschlossenc Hohlung der Kettensalpen lasst sich somit aus den namlichen Abschnitten des Embryo ableiten, und die Entwicklungsgeschichte zeigt als eine palingenctische klar und deutlich die Homologien Die Knospung der Salpen. 663 in eiiier Kontinuitat der Schichten durch den ganzen Entwick- lungscyklus. Weun wir von der nur voriibergehend auftretenden Hohlung im Ganglion and von der Flinimergriibe abschen, so konnnt als cine Korperhohlung von bedeutendereni Unifange zuniichst der Kloakenraum in Betracht, in vvelclien Exkreniente und Geschlechts- produkte ausgeworfen werden, um schliesslich durch die Egestions- iilfnuug in das Wasser zu gelangen. Auf die ganz eigentliiimliche Genese dieser Ilolilung in der Knospeuentwicklung liabe ich be- reits hingevviesen, und ich zweifle durchaus nicht daran, dass dieser Bildungsmodus ein so stark cenogenetischer ist, dass aus ihni auf die phylogenetische Entwicklungsvveise des Organes in der Embryonalentwicklung gar nichts geschlossen werden darf. Nur durch (las Studiuni dieser kann man einen klaren Einblick in die Homologien der Organe und deren phylogenetische Entstehung im ganzen Tunikatenstamm erwarten. Die Kloake der Kettenthiere entsteht aus einer ])estimmten Partie der Seitenstrange, welche sich zu einer einschichtigen Blase umbildet und loslost. Die Seitenstrange des Stolo aber haben wir vom Mesenchym im Nucleus des Embryo herleiten konnen, und somit musste auch der Kloakenraum als ein besonderer Abschnitt der Stolohohle und weiterhin der primaren Leibeshohle angesehen werden. Solange noch nicht die Herkunft der Meseuchymzellen, aus welchen die Seitenstrange sich bilden, im Nucleus des Em- bryo und desseu Kloakenbildung sichergestellt ist, wird sich auch nicht die Frage mit Sicherheit entscheiden lassen, ob der eben erwiihnte Entwicklungsvorgang bei der Knospung nur als ein ceno- genetischer des embryonalen anzusehen sei, oder ob er nicht viel- leicht eine ganz selbstandige phylogenetische Entstehung genom- men habe. Der Kloakalblase fehlt nach ihrer Abschniirung von den Seitenstrangen jede Verbindung mit der primaren Leibeshohle, sowohl wenn diese noch ein einfaches Blastocoel darstellt, als auch spiiter, wenn sie sich zu den pseudocoelen Blutniumen verengt hat. Dieselben durchziehen den Korper in mannigfachster Weise, da und dort grossere Sinus bildend und das Kiemenband durch- setzend. Die Perikardialhohle hat in ihrer Entstehung mit der Kloakal- blase viel Aehnlichkeit. Sie ist wie diese ein friihzeitig besonders um- greuzter Abschnitt der primaren Leibeshohle, in welchem keine isolirten Zellcn zu finden sind, well sich alles Zellmaterial zu 664 Oswald Seeliger, einem einschichtigen Epithelschlauch angeordnet hat. Die eine Wand desselben wird zur Herzwandung, die andere zum Perikar- diuni. Weiin dann neuerdings eiii Abschnitt dcr LeibcshOhle zur Herzliohle abgesondert wird, gerathen die Mesenchynizellen, die jetzt schon reichlicher sich gebildet haben, in dieselbe hinein. Wenn die Herzhohle sich bis auf die beiden Ostien, durch welche das Blut ein- und ausstromt, abzuschniiren beginnt, ist die pri- mare Leibeshohle des Stolothieres aus einem Blastocoel bereits zu einem Pseudocoel geworden. Die Knospung der Salpen. 665 Tabelle iiber die Entstehung der Organe der Kettensalpen aus den Gebilden des Stole und den Keimblattern des Embryo. Keimblatter Gebilde des Stolo Organe der Ketten- des Embryo. prolifer. salpe. Ektoblast. Ektodermales Zellrohr. Hautepithel. Aeusserer Cellulose- mantel. Seitenstrang, lunerer Cellulosemantel. welcher der niira- Bi n degewebszellen. lichen Seite des Muskelbiinder. Die Stolo angehdrt, Muskelfaserzellen. beiden an welcher spiiter das betreif'ende Blutzellen. Dorsale Wand des Kie- Mesenchj^m des paarigen Seiten- striinge. Kettenindivi- duum liegt. menbandes. Wand der Kloake. Nucleus. (Vielleicht theil- Hamaler Theil des entgegenge- Perikardium. Herz. Weise aus dem setzten Strauges. Elaoblast (Stoloblast). embryonalenMe- soblast hervor- Hoden. gegangen.) Eierstockstrang. Samenleiter. Follikel. Ei. Eileiter. Nervenrobr. Ganglion. Sinnesorgan. Elimmergrube. Wandung der Athem- hohle. Ventrale Wand des Kie- Entoblast. Entodermrohr. menbandes. Verdauun gstraktus. Darmumspinnende Driise. Riickenzapfen. 666 Oswald Seeliger, Tafelerklarung. Buchstabenbezeichnung. a Aeussere Sehicht des Keimstockes, welche in das ektodermale Hautepithel der Stolothiere iibergeht und den ausseren Cellu- losemantel derselben bildet. h Die beiden Seitenstrange im Stolo prolifer, welche von Kowa- LEVSKT als Kloakalrdhren, von Salenskt als Prikardialrohren be- zeichnet worden sind und weiterhin Mesoderm und Kloake der Kettenthiere bilden. C Der Eierstockstrang, aus welchem die Ovarien mit den Eileitern hervorgehen und aus welchem Salensky das gesammte Ento- derm der Knospen herleitet. d Das Entodermrohr des Stolo, das aus dem Entoderm des Embryo stammt, zur Athemhohle und dem Darmtraktus der Knospen- thiere wird, nach Salensky und Todako aber fiir den Aufbau der Knospen keine direkte Bedeutung haben und nach Beooks aus dem Perikardium des Embryo entstanden sein soil. hb Blutbahnen im Stolo prolifer und in den jungen Knospen mit der primaren Leibeshohle (spater mit den Blutsinus) des Embryo kommunizirend. hf Bauchfurche. 1)0 Blutzellen. CS Celluloseschicht, ausserer und innerer Cellulosemantel. dpi Dach der Placenta des Embryo. dr Darmumspinnende Driise. e Egestionsoff'nung. eh Eliioblast des Embryo und der Knospe (Vogt's Stoloblast). ec Ektodcrmales Hautepithel, Matrix des Cellulosemantels. ed Enddarm. el Eileiter. en Entoderm. es Endostyl. f FoUikel des Eies. i Die Knospung der Salpeii. 667 /•& Flimmerbogen. fg Flimmergrube. fi Fibrillenschicht der Muskelbander. 9 Ganglion. h Hoden. hf ektodermale Haftfortsatze. hm Spermamutterzellen. hz Herz. i IngestionsofFnung. kb Kiemenbaud. M Kieraendarm oder Athemhohle. U Kloake = Peribranchialraum der Ascidien. Jcs Kiemenspalte. Ih Leibeshohle. m Magen. nib Muskelband. md Mitteldarm. mf Muskelfasem. mz Mesenchymzellen. n Nucleus der Eizelle. 1 n Nucleolus. nr Nervenrohr. nv Nerv. 0 Ei. oc Auge. oe Oesophagus. pk Perikardium. pi Placenta des Embryo. pz Pigmentzellen im Auge und Endostyl. rz Riickenzapfen. si Samenleiter. sp Spermatozoon. St Stolo prolifer des Embryo. Sammtliche Figuren sind, wenn nicht ausdriicklich das Gegen theil ange geben ist, nach Priiparaten gezeichnet worden und beziehen sich auf Salpa democratica-mucronata. Alle Angaben iiber V< 3rgrosserungen sind nach ZEiss'schen Systemen gemacht. Tafel X. Fig. 1. Ein junger Embryo aus dem Mutterthiere herauspra- parirt und von der linken Seite dargestellt, um die junge Stoloanlage 668 Oswald Seeliger, zu zeigen, die in der Niihe der Medianebene auf der linken Korper- seite entsteht und nach links hinwachst. Vergr. 38. (A. Oc. 1.) Fig. 2. Eiue ungefahr gleich alte Stoloanlage nach stiirkerer Vergrosserung gezeichnet. Fig. 3. Ein etwas iilterer Stolo. an dessen distalem Eude die Furchung bereits auftritt, durch welche die einzelnen Kettenindividuen angedeutet wcrden. In den Spaltriiumen sind die nach entgegenge- setzteu lliclitungeu zirkulireudenBlutkorperchen zu erkennen. Vergr. 145. (C. Oc. 2.) Fig. 4. Linksseitige Ansicht des Hintertheiles eines ganz ausge- bildeten Embryo mit siibelformig gekriimmtem Stolo, der den Nucleus dorsalwarts von links nach rechts bin zu umwachsen beginnt. Am distalen Theile sind bereits ganz junge Knospenthiere zu erkennen. A mit abgeschraubter Frontlinse Oc. 1. Fig. 5. Hinterer Leibesabschnitt einer alten solitiiren Form ventral gesehen. Der Stolo prolifer erscheint in einer l^mal gewun- denen Spirale und lasst drei scharf geschiedene Abschnitte erkennen, Ton deuen die beiden vorderen etwas mehr als eine halbe Windung ausmachen, der hintere, der sich aus 61 Individuen zusammensetzt, beiuahe eiue ganze Umdrehung repriisentirt und ventral unter dem proximalen Theile des Stolo hinwachst. Die aussersten Individuen liegen dicht an der Oberflache des Mantels; derselbe wies bereits die Oeffnung auf, durch welche moglicherweise schon ein Theil der Kette abgestossen worden ist. A mit abgeschraubter Frontlinse Oc. 1. Die Zeichnung ist ein wenig verkleinert worden. Fig. 6. Ein junges Individuum aus einera Stolo, der etwas weiter entwickelt war als der in Fig. 4 dargestellte. Nach dem le- benden Objekte gezeichnet. Vergr. 230. (D. Oc. 2). Fig. 7. Ein Individuum aus einem etwas alteren Stolo. Nach dem lebenden Thiere gezeichnet. Vergr. 175. (D. Oc. 1). Fig, 8. Ketteuform aus dem distalen Abschnitte eines ganz alten Stolo prolifer; ungefahr von der gleichen Ausbildung der in Fig. 5 gezeichiieten Kettenthiere. Varietat, die sich durch eine schlankere Form auszeichnet. Vergr. 145. (C. Oc. 2). Fig. 9. Hinterer Abschnitt eines gleichalten Thieres. Bilduug des Hodens. Vergr. 230. (D. Oc. 2). Fig. 10. Nucleus eines Thieres aus einer eben abgestossenen Kette. Bildung der Hodenschlauche. Vergr. 70. (B. Oc. 1). Fig. 11. Ein junges, freischwimmcndes Kettenthier von rechts gesehen. A rait abgeschraubter Frontlinse Oc. 1. Die Knospung der Salpen. 669 Fig. 12. Ein gleich altes Individuum ventral gesehen. Der Nucleus und Endostyl sind im lebenden Thiere bereits blau gefarbt; die Flim- merung ist am Mageneingange sehr stark ausgebildet. Nach dera le- benden Objekte gezeichnet. Dieselbe Vergrosstrung wie in der vor- hergehenden Abbildung. Tafel XI. Die Figuren 1 — 6 uud 12 — 15 bedeuten Entwicklungsstadien des Ganglions und der Flimmergrube des Embryo von Salpa democratica; alle andern stellen Theile der Kettenform dar. Die Figuren 1 — 5 sind nach dera lebenden Objekte gezeichnet worden. Fig. 1. Die Region der Flimmergrube und des Ganglions eines jungen Embryo. Ein vorgeschritteneres Stadium der Theilung der urppriinglich einfachen Blase. Das Thier ist von der linken Seite aus betrachtet. Vergr. 175 (D. Oc. 1) und nachher betrachtlich ver- kleinert. Fig. 2. Ein jiingeres Stadium. Beginn der Theilung der Blase. Gleiche Orientirung und Vergrosserung wie in der vorhergehenden Figur. Fig. 3. Ein weiter entwickeltes Stadium ; die Flimmergrube Bteht nicht mehr mit der zentralen Hohlung des Ganglions in Ver- bindung. Von rechts gesehen bei derselben Vergrosserung wie die vorhergehenden Figuren. Fig. 4. Abschniirung der Flimmergrube, Bildung des Hiicken- zapfens und Auftreten des Pigmentes im dorsalen Theil des Ganglions. Von rechts gesehen. Vergr. 145. (C. Oc. 2). Fig. 5. Ein alteres Stadium, in welchem die Flimmergrube be- reits voUstandig abgetrennt ist und mit dem Ganglion gar keine Ver- bindung mehr besitzt. Von links gesehen. Vergr. 120. (C. Oc. 1). F i g. 6. Nervensystem und Flimmergrube einer jungen Solitar- form vom Riicken aus gesehen. Vergr. 120. (C. Oc. 1). Fig. 7. Differenzirung in Flimmergrube und Ganglion. Das junge Stolothier von rechts aus gesehen. Nach dem lebenden Objekte gezeichnet. Vergr. 145. (C. Oc. 2). Fig. 8. Ganglion und Flimmergrube einer jungen Kettenform von der Bauchseite gesehen. Vergr. 230, (D. Oc. 2). Fig. 9. Ganglion und Sinnesorgan einer alten Kettenform von der rechten Seite aus betrachtet. Vergr. 175. (D. Oc. 1). Fig. 10. Querschnitt durch das Ganglion und den Sinnesapparat einer eben geborenen Kettensalpe. Vergr. 355. (E. Oc. 2). Bd. XIX. N. F. XII. A A 670 Oswald Seeliger, Fig. 11. Die Randzcllen des Ganglions aus deni naralichen Schnitt bei starkerer Vurgrosserung gezeichnet. Vergr. 745, (F. Oc. 3). Fig. 12. Querschnitt durch den vorderen Theil des Nerven- sinnesapparates eines ausgebildeten Embryo. Nahezu das in Fig. 6 abgebildete Stadium. Vergr. 270. (E. Oc. 1). Fig. 13. Die Pigmentzellen aus dem vordersten Schnitt durch das Auge. Vergr, 540. (F. Oc. 2). Fig. 14. Querschnitt aus derselben Serie; aus der hinteren Re- gion stammend, in der die beiden hufeisenformigen Pigmentaste inein- ander iibergehen. Vergr. 270. (E. Oc. 1). Fig. 15. Der Ursprung eines Nervenstranges aus dim Ganglion. Nach einem vorhergehenden Schnitte derselben Serie gezeichnet. Vergr. 540. (F. Oc. 2). Tafel XII. Sammtliche Figuren stellen Schnitte dar und sind, wofern nicht ausdriicklich ein Anderes angegeben , bei 355facher Vergrosserung Zeiss E. Oc. 2 gezeichnet. Fig. 1. Dorso-ventraler Langsschnitt durch einen jungen Embryo mit ersterAnlage des Stolo prolifer. Der Schnitt staramt aus der linken Kdrperhalfte und liegt der Medianebene nahe. Die Schnittebene schneidet die Medianebene des Korpers unter einem sehr kleinen Winkel und Terliiuft von vorn nach hinten zu ein wenig von rcchts nach links geneigt. Der hintcrste Abschnitt ist bei der Praparation (tJberfuhren in Nelkenol) eingefallen, weil die Elaoblastzellen im Alkohol ge- schrumpft waren. Vergr. 120. (C. Oc. 1). Fig. 2. Die Stoloanlage aus einem Schnitte, der etwas waiter links gefiihrt ist. Vergr. 230. (D. Oc. 2). Fig. 3. Querschnitt durch den Stolo aus derselben Schnittserie (drei Schnitte weiter nach links, gegen das distale Stoloende zu) bei derselben Vergrosserung. Fig. 4. Ein Schnitt noch weiter nach links hin (7. Schnitt der Serie) bei gleicher Vergrosserung gezeichnet. Fig. 5. Querschnitt durch das distale Ende desselben Stolo. Vergr. 230. Fig. 6. Eliioblast und freie Mesodermzellen aus einem lateralen Langsschnitt durch den hinteren Korperabschnitt eines jungen Embryo, der den Stolo zu treiben beginnt. Fig. 7. Quersclinitt durch eine junge Stoloanlage, in welcher das Mesoderm sich noch nicht in die verschiedenen Zellstriinge diffe- renzirt hat. Die Knospung der Salpen. 671 Fig. 8. Ein Schuitt dorselben Serie aus der Nahe des distalen Stoloendes. Fig. 9. Ein folgender Schnitt nach dem distalen Ende dee Stolo zu. Fig. 10. Langsschnitt durch einen jungen Stolo; die beiden Seitenstrange sind getrofFen. Fig. 11. Schnitt derselben Serie aus der Region des Eierstock- stranges. Fig. 12. Querschnitt durch einen jungen Stolo von 01 6 mm. Lauge. Der Schnitt stammt aus der Mitte. Fig. 13. Schnitt aus derselben Serie, durch das distale Ende des Stolo gefiihrt. Fig. 14. Querschnitt durch die mittlere Region eiues ganz jungen Stolo eines Embryo. Vergr. 405. (F. Oc. 1). Tafel xni. Alia Figuren stellen Querschnitte dar und sind bei 355facher Vergrosserung (Zeiss E. Oc. 2), nur die Figuren 1 — 4 bei 405facher Yergrosserung (Zeiss F. Oc. 1) gezeichnet worden. Fig. 1 — 4, Yier Querschnitte aus einem jungen Stolo eines Embryo. Fig. 1 und 2 aus der Nahe der Stolowurzel, Fig. 4 aus dcm distalen Ende des Stolo ; Fig. 3 aus der mittleren Region. Fig. 5. Schnitt durch einen weitergebildeten Stolo eines Embryo nahe der Wurzel. Beginn der Theilung des Entodermrohres. Dieser und der folgende Schnitt sind aus in Pikriusaure erhartetem Materiale angefertigt worden. Es erscheinen die Kerne als hellere, gekornte Bliischen, sind aber in der Abbildung der Gleichartigkeit der Aus- fiihruug wegen dunkler gehalten worden. Fig. 6. Schnitt aus der Nahe des distalen Stoloendes. Die Theilung des Entodermrohres ist beinahe voUendet. Fig. 7 und 8. Zwei Querschnitte aus dem proximalen Ende eines bedeutend weiter entwickelten Stolo, der ungefahr dem in Fig. 4, Taf. X abgebildeten gleicht, an dessen distalem Ende die einzelnen spateren Kettenindividuen zu erkennen sind. Fig. 7 liegt naher der Wurzel zu. Fig. 9 und 10. Zwei Querschnitte durch den proximalen und mittleren Theil eines Stolo, der in seiner Ausbildung zwischen den beiden in Fig. 3 und 4, Taf. X abgebildeten Stadien ungefahr in der Mitte steht. Fig. 11 und 12. Zwei Querschnitte durch das Ende des proximalen Abschnittes eines alteren Stolo. Das Nervenrohr zeigt ganglioee An- 44* 672 Oswald Seeliger, schwellungen ; die beiden Halften des Entodermrohres erscheinen bereits auf dem Uuerschnitte unsymmetrisch ; die beiden Seitenstrange haben sich machtig ausgebreitet. Tafel XIV. Fig. 1. Querschnitt aus der namlichen Schnittserie, welcher die in Fig. 11 und 12 auf Taf. XIII abgebildeten Stadien entnommen sind. Vergr. 355. (E. Oc. 2). Fig. 2 — 4. Drei Uuerschnitte durch einen nahezu gleicb alten Stole. Die Schnitte entstammen der mittleren Region des Stole. Verg. 355. Fig. 5 — 13. Querschnitte aus dem proximalen Theile eines etwas alteren Stolo als der in Fig. 4 auf Taf. X abgebildete. Fig. 5. Schnitt aus der Wurzel des Stolo. Vergr. 270. (E. Oc. 1). F i g. 6 — 8. Drei aufeinanderfolgende Querschnitte aus der Nahe der Stolowurzel. Abwechselnde Ausbreitung des Entodermrohres und des Mesoderms. Vergr. 270. Fig. 9. Zwei Querschnitte durch das Nervenrohr des Stolo iibereinander gezeichnet, um das Auseinanderweichen der hintereinander gelegenen Partien nach den beiden Individuenreihen am Stolo als Gang- lien zu demonstriren. Das linke, in gelbem Ton gehaltene Ganglion entstammt dem vorderen Schnitte und wird zum Ganglion des spii- teren linken Individuums; das in dunkler Schattirung gezeichnete geht in das an der rechten Seite des Stolo sich entwickelnde Thier iiber und entstammt einem weiter nach hinten gefiihrten Schnitt. Vergr. 270. Fig. 10 und II. Zwei aufeinanderfolgende Querschnitte weiter gegen das distale Ende bin gefiihrt. Vergr. 270. Fig. 12. Der Eierstockstrang aus einem Querschnitte bei star- kerer Vergrosserung gezeichnet. Verg. 355. (E. Oc. 2). Fig. 13. Querschnitt durch den Eierstockstrang bei 540facher Vergrosserung. (F. Oc. 2). Fig. 14. Aus einem Querschnitte durch den Eierstockstrang an der "Wurzel eines alteren Stolo als der in Fig. 4, Taf. X abgebildete. Bildung der Eizelle. Vergr. 745. (F. Oc. 3). Fig. 15. Querschnitt durch den Eierstockstrang aus dem proxi- malen Abschuitt eines alteren Stolo. In absolutem Alkohol konservirt. Vergr. 745. (F. Oc. 3). Fig. 16. Langsschnitt durch den in Fig. 4, Taf. X abgebildeten Stolo. Vergr. 355. (E. Oc. 2). Die Knospung der Salpen. G73 Tafel XV. Alle Figuren siud bei 355facher Vergrosserung (Zeiss E. Oc. 2) gezeichnet worden. Fig. 1. Querschnitt durch die Region des Nervenrohres im mitt- leren Theile eines Stolo, der etwas woiter ausgebildet ist als der in Fig, 4, Taf. X abgebildete, um die Bildung der beiden Ganglienreihen zu zeigen. Fig. 2. Querschnitt durch die Region des Eierstockstranges eines jungen Stolo. Fig. 3 — 10. Querschnitte durch einen Stolo, der etwas weiter ausgebildet ist als der in Fig. 4 auf Taf. X abgebildete. Auseinan- derweichen zu den beiden Individuenreihen. Fig. 3. Uuerschnitt unfern der Stolowurzel. Die beiden Indi- viduen sind nur neural theilweise geschieden. Das Ektoderm erscheint da mehrschichtig, weil es an der aussersten Grenze der Knospe, somit an der Stelle getroffen ist, wo es in die Querfurche hinabsteigt. Das Nervenrohr ist in die beiden Ganglienreihen zerfallen ; in Folge der Schiefstellung der Knospen ist links nur im hamalen Theile das Ento- dermlumen durchschnitten. Fig. 4. Ein Schnitt weiter nach hinten zu. Der linke Ento- dermsack wird weiterhin in das rechte Individuum einbezogen. Fig. 5 und 6. Zwei Querschnitte noch weiter nach hinten zu gefiihrt. Neural ist die Sonderung der Individuen weiter vorgeschritten. Die Entodermfalten in den beiden Figuren warden zum Entoderm der beiden gegeniiberliegenden Individuen. Fig. 7 bis 10. Querschnitte aus dem distalen Ende. In Fig. 7 erscheint links das ausserste Ende des Vorderleibes einer linken Knospe, die in Fig. 8 und 9 wiederzufinden ist. Das horizontale Verbindungs- stiick des Entoderms und die neural und ventral davon verlaufenden Blut- bahnen gehoren noch alien Individuen am Stolo gemeinsam an. In Fig, 10 ist der Uebergang des rechten Entodermsackes in das linke Knospenthier zu sehen. Rechts oben ist das Ende des rechten Thieres getroffen worden. Fig. 11. Querschnitt durch das proximale Ende eines alteren Stolo, an dessen distalem Ende die einzelnen Individuen bereits bei- nahe vollstandig zur Sonderung gelangt sind. Fig. 12. Querschnitt durch die hintere Region eines rechts- seitigen Individuums am distalen Ende eines alteren Stolo. 674 Oswald Seeliger, Tafel XVI. Alle Figuren sind, wofera nicht das Gegentheil angegcben ist, boi 355facher Vergrosserung (Zeiss E. Oc, 2) gezeichnet wordcn. Fig. 1 — 6. Querschnitte durch das distale Ende dfsselben Stolo, dem Fig. 1 auf Taf. XV entnommen ist. In Fig. 5 und 6 ist das Individuum in einer zu seiner Medianebene nahezu parallelen Rich- tung, der ganze Stolo also schrag durchschnitten wordcn. Fig. 7. Ein Schnitt aus der namlichen Serie, der Fig. 12 auf Taf. XV entnommen ist. Fig. 8. Schnitt aus dem distalen Ende desselben Stolo. Ver- einigung der beiden Entodermfalten. Fig. 9 und 10. Zwei dorso-ventrale Langsschnitte durch ein junges linksseitiges Individuum aus dem distalen Ende eines alteren Stolo. Das Stadium ist etwas jiinger als das in Fig. 6 auf Taf. X abgebildete. Fig. 11. Medianschnitt durch ein noch alteres Stolothier bei 175facher Vergrosserung (D, Oc. 1) gezeichnet. Fig. 12. Aus der namlichen Schnittt^erie bei stiirkerer Ver- grosserung ein Theil der Leibeswandungen. Vergr. 270. (E. Oc. 1). Fig. 13 und 14. Zwei Langsschnitte durch ein junges Stolo- thier, das zwischen den in Fig. 9 und 11 abgebildeten Stadien die Mitte halt. Das Stadium ist etwas jiinger als das in Fig. 7 auf Taf. X abgebildete. Der Schnitt 14 ist verkehrt gefallen. Tafel XVII. Die Vergrosserung, bei welcher dieZeichnungen ausgefiihrt worden sind, betragt 355 (Zeiss E. Oc.2). Alle Figuren sind auf Langsschnittcn durch Stolonen gewonnen worden und sind sammtlich in gleicher Weise orientirt, so dass das distale Stolocnde nach rechts bin fallen wiirde, wie es Fig. 1 anzeigt. Es wurde von der hamalen Region des Stolo aus (also in Bezug auf die Kettenindividuen von hinten nach vorn zu) geschnitten. Demnach erscheinen auf den Abbildungen dieser Tafel die linksseitigen Individuen nach oben, die rcchtsseitigen nach unten vom Stolo gelagert. Die Oricntirung der Querschnitte ist von derjenigen auf der folgenden Tafel verschieden, was namentlich bei der Vergleichung von Fig. 9—11, Taf XVII und 1—6, Taf. XVIII zu beachten int. Fig. 1. Liingsschnitt durch das distale Stoloende. Das Stadium Btiramt rait oinera solchen nahezu iiberein, dessen Querschnitte in den Figuren 1 — 6 auf Taf. XVI gezeichnet sind. In J ist ein Schnitt Die Knospung Jer Salpen. 675 eingezeichnet, der weiter nach hinten zu liegt, in B und C solchc, die dem vorderen Ende der Individueu entstammen, wo das Ganglion auf dem Querschnitte bereits mehrschichtig ist. Fig. 2 — 4. Drei aufeinanderfolgende Langsschnitte durch den mittleren Abschnitt eines alten Stole. Die beigefiigten groesen latei- nischen Buchstaben bezeichneu die gleichen Individuen. Fig. 2 liogt dem hinteren Leibesende der Ketttnsalpen am niichsten. In Fig. 4 ist bereits die Kloake getroffen ; das Kiemenband ist noch nicht zur Ausbildung gelangt. Fig. 5. Querschnitt durch den hintersten Korpertheil eines rechtsseitigen Individuums; aus einem Langsschnitte durch einen Stolo. Fig. 6 und 7. Zwei Querschnitte durch den vordersten Kdrper- abschnitt eines linksseitigen Individuums; Langsschnitten durch einen Stolo entnommen. Fig. 8. Uuerschnitt durch den mittleren Korpertheil von zwei linksseitigen Individuen. Fig. 9. Uuerschnitt durch die Region der Kloake eines links- seitigen Stoloindividuums. Bildung des Kiemenbandes. Fig. 10 und 11. Zwei aufeinanderfolgende Schnitte durch die Region der Kloake eines linksseitigen Thieres, um die Bildung des Kiemenbandes zu zeigen. Fig. 12. Langsschnitt durch das distale Ende eines alteren Stolo, an welchem die einzelnen Individuen zur vollstandigen Aus- bildung gelangt sind. Der erste Schnitt auf der linken Seite stellt ein jUngeres Stadium der Endostylbildung dar und ist in die Figur eingezeichnet worden statt eines solchen, welcher den andern voll- standig gleicht. Tafel XVIII. Alia Figuren mit Ausnahme der letzten sind bei 355facher Ver- grosserung (E. Oc. 2) gezeichnet worden. Fig. 1. Uuerschnitt durch den Nucleus eines jungen Stolothieres, das etwas alter ist als das in Fig. 7 auf Taf. X abgebildete Stadium. Fig. 2 — 4. Drei Querschnitte durch den hinteren Leibesabschnitt eines nur wenig alteren Thieres. Fig. 5. Ein Querschnitt durch ein gleiches Stadium etwas weiter nach vorn gefiihrt. Fig. 6. Querschnitt durch den hinteren Abschnitt eines jiin- geren Thieres. Fig. 7. Querschnitt durch den vordersten Theil eines Thieres, das etwas jiinger ist als das in Fig. 8 auf Taf. X abgebildete Stadium. 676 Oswald Seeliger, Fig. 8. Querschnitt durch die B.egion der Fliraraergrube und des Ganglions, Aus der namlichen Schnittserie, welcher die Figuren 2 — 4 entnommen sind. Fig. 9. Querschnitt durch das Ganglion tines jungen Thieres, das ungefahr dem Stadium 7 auf Tafel X gleicht. Fig. 10. Querschnitt durch die mittlere Korperregion eines etwas alteren Thieres. Fig, 11 — 15. Langsschnitte durch junge Thiere, deren Quer- schnitt durch den Nucleus in Fig. 1 abgebildet ist. Fig. 11 — 12. Zwei dorso-ventrale Langsschnitte. Fig. 13 — 15. Drei nahezu lateral gefiihrte Langsschnitte durch das Nachbarindividuum desselben Stolo. Fig. 14 und 15 stellen zwei unmittelbar aufeinanderfolgende Schnitte dar. Fig. 16 und 17. Zwei Querschnitte durch den vorderen Leibes- abschnitt desselben Thieres, dem dieFig. 2 — 4 und 8 entnommen sind. Fig, 18. Querschnitt durch den vorderen Korpertheil eines jungen Stolothieres, das dem in Fig. 8 auf Taf. X abgebildeten Sta- dium gleicht. Vergr. 175. (D. Oc. 1). Tafel XIX. Fig. 1. Querschnitt durch den Nucleus eines ganz ausgebildeten Kettenindividuums, bei welchem der Hoden bereits die Reife erlangt hat. Vergr. 70. (B. Oc. 1). Fig. 2. Die dorsal gelegene Wand des Oesophagus mit einem benachbarten Haufen von Spcrmamutterzellen aus demselben Schnitte bei starkerer Vergrosserung gezeichnet. Vergr. 405. (F. Oc. 1). Fig. 3. Querschnitt durch die Magenwand unmittelbar iiber der Einmiindung der darmumspinnenden Driise, (Aus einem Schnitte der- selben Serie). Vergr. 355, (E, Oc. 2). Fig. 4. Querschnitt durch den Mitteldarm mit anliegendem Hoden. (Dieselbe Schnittserie). Vergr. 540. (F. Oc. 2). Fig. 5. Enddarm und ventrale Magenwand aus einem Quer- schnitte durch den Nucleus eines ausgebildeten Stoloindividuums, das den Endforraen des in Fig. 5 auf Taf. X abgebildeten Stolo pro- lifer gleicht. Vergr. 540. (F. Oc. 2). Fig. 6. Ein Schnitt aus derselben Serie, der weiter nach vorn zu gefiibrt wurde. Vergr. 355. (E. Oc. 2). Fig. 7. Enddarm mit darmumspinnender Driise und Hodcn- schlauch aus einem Querschnitte durch den Nucleus eines jungen Kettenindividuums, das dem in Fig. 11 auf Taf. X gezeichneten Sta- Die Knospung der Salpcu. 677 dium gleicht. Das Blutkorperchen (bz) ist aus einem noch altercn Individuum eingezeichnet worden. Vergr. 540. (F. Oc. 2). Fig. 8. Spermarautterzellen und junger Hodenschlauch (/>) aus einom Querschnitte durch dasselbe Thior. Vergr. 745. (F. Oc. 3). Fig. 9. Bildung der Spermatozoon nach dera lebenden Objekto und nachtraglicher Kernfarbung gezeichnet. Vergr. 540. (F. Oc. 2). Fig. 10. ^ zwei MesodcrrazcUen eines neugeborenen Kctten- thieres zur Bildung von Muskclfasern zusammentretend. B und C Bindegewebszellen aus dem Nucleus. Vergr. 540. (F. Oc. 2). Fig. 11. Uuerschnitte durch Muskelbandcr junger Kettenthiere. Yergr. 540. (F. Oc. 2). ^ Qucrschnitt durch ein jungeres Stadium. B Querschnitt durch ein etwas alteres Thier. Fig. 12. Langsmuskelfasern der Ingestionsoffnuug einer jungen Kettensalpe. Vergr. 540. (F. Oc. 2). Fig. 13. Querschnitt durch die Anlage des Flimmerbogens eines jungen Stolothieres. Vergr. 355. (E. Oc. 2). Fig. 14. Querschnitt durch den Flimmerbogen eines jungen Kettenthieres bei gleicher Vergrosserung gezeichnet. Fig. 15. Uuerschnitt durch die Flimmergrube eines ganz alten Kettenthieres. Vergr. 270. (E. Oc. 1). Fig. 16. Aus einem Querschnitte durch den vordersten Theil der Flimmergrube desselben Thieres. Vergr. 355. (E. Oc. 2). Fig. 17. Querschnitt durch den vorderen, ventralen Theil des- selben Stolothieres, dem der in Fig. 9 auf Taf. XVIII abgebildete Schnitt entnommen ist. Vergr. 355. (E. Oc 2). Fig. 18. Querschnitt durch die rechte Hiilfte eines weiter aus- gebildeten Endostyls bei gleicher Vergrosserung gezeichnet. Fig. 19. Querschnitt durch die vordere ventrale Region eines jungen Stolothieres, dem auch der Schnitt Fig. 7 auf Taf. XVIII ent- stammt. Dieselbe Vergrosserung. Fig. 20. Aus einem Querschnitte durch ein alteres Stadium der Endostylbildung. y/ bei 35 5facher Vergrosserung (E. Oc. 2) gezeichnet. i? Zellen aus dem Mittelstreifen bei 745facher Vergrosserung (F. Oc. 3). Fig. 21. Querschnitt durch den Endostyl eines jungen Ketten- thieres. Verg. 355. (E. Oc. 2). Die Wasserbewegung im Holze. Von Dr. Max Scheit. 1. Capitel. Kritik der bestehenden Theorien. E i n 1 e i t u n g. Das Problem der Wasserbewegung im Holze bat von jeher (lie Pflanzenphysiologen bescbaftigt, und noch gegenwartig nimmt es das Interesse derselben in Anspruch, ist es ja, wie jeder, der sich eingehend mit demselben bescbaftigt, zur Geniige erfahrt, eines der verwickeltsten der Pflanzenphysiologie, an dessen Losung die grossten Physiologen unseres Jahrhunderts gearbeitet haben und nocb arbeiten. Seit Bonnet und Duhamel betrachtet man allgemein das Holz als das Organ, in welchem sich das mit Nahrsalzen beladene Transpirationswasser der Pflanze bewegt; die von Sachs aufge- stellte Ansicht, dass bei den Monocotyledonen das Transpirations- wasser sich hauptsachlich in den verholzten Sklerenchym-Scheiden und Biindeln bewege, wird durch anatomische Thatsachen wider- legt, wie Bussow^) gezeigt hat und wie auch aus Elfving's Ver- sucheu ^) hervorgeht. Auch daruber besteht wohl jetzt kaum noch ein Zweifel, dass es vorwiegend der Splint, und in diesem wiederum besonders die jiingsten Jahresringe sind, innerhalb deren die Bewegung des Transpirationsstromes stattfindet 2), jedoch in Bezug auf die be- sondere Bewegungsbahn des letzteren sowie auf die bewegende Kraft ist man bis jetzt noch nicht einig geworden. 1) „Zur Kentniss des Holzes" etc. Bot, Centralbl. Bd. XIII. No. 1—5. 2) Bot. Zeitung 1882. Nr, 42. S. 720. 3) Cf. Sachs, Vorl. XIV. S. 269. Dr. Max Scheit, Die Wasserbewegung im Holze. 679 Im Gegensatz zu den alteren Forschern haben sich die neueren zwar beniuht, die physikalischen Kenntnisse in engem Vereiu mit den phytotomischen zum Aufbau einer befriedigenden Theorie zu verwerthen, dass wir jedoch eine solche noch nicht besitzen, ist hauptsachlich wohl dem Umstande zuzuschreiben , dass man die an verletzten Pflanzen und einzelnen Theilen derselben gemachteu Beobachtungen ohne die nothige Vorsicht aiif die unverletzte Pflanze iibertrug, vvic wir spiiter ausfuhrlicher sehen werden, andererseits lasst sich auch nicht leugnen, dass uns im Pflanzen- korper Verhiiltnisse entgegeutreten , fiir deren Verstandniss der Physiologe vergebens Hulfe bei dem mit viel groberem Material arbeitenden Physiker sucht. Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn die verschiedensten Ansichten uber die Wasserbewegung im Holze sich Geltung zu verschaflFen suchten, und bekanntlich bestehen erst seit kurzer Zeit noch drei von einander abweichende Theorieen oder besser Hypothesen liber die Wasserbewegung im Holze : Die „I m b i b i t i 0 n s t h e 0 r i e" nimmt als Weg der Wasser- bewegung die verholzte Menibran an, die „Gasdrucktheori e" dagegen lasst innerhalb der Lumina der Holzelemente das Tran- spirationswasser sich bewegen, und zwar unter Zuhilfenahme von Blasen verdiinnter Luft von verschiedener Spannung, die sogen. „Kletter theorie" endlich legt dem Holz- und Markstrahl- parenchym grosse Wichtigkeit bei der Wasserbewegung bei, wie es auch die von dieser Ansicht etwas abweichende Godlewski's thut. Keine der genannten Theorieen hat sich bis jetzt allgemeine Anerkennung verschatfen konnen. Die vorliegende Arbeit wird die Griinde hierfiir beibringen, indem sie die Unhaltbarkeit der genannten Theorieen zu erweisen sucht, soweit dies noch nicht von anderen Forschern geschehen ist; ausserdem aber wollen wir uns bemiihen, nach Priifung der Veranlassung und des Inhaltes jener Theorieen unsere eigene An- sicht iiber die Wasserbewegung im Holze zu entwickeln. 1. Die „Imbibitionstheorie." Ueber die „Imbibitioustheorie" konnen wir uns kurz fassen, da ja schon vieles gegen sie beigebracht worden, und ihre Unhalt- barkeit wohl hinlanglich erwiesen ist '). ^) Cf. BoHM, „tJber d. Urs. d. Wasserbew. Bot. Z. 1881. No. 47 680 Dr. Max Scheit, Die Voraussetzung von Luftblasen innerhalb der Wasser- leitungselemente, welche der Imbibitionstheorie zu Grunde liegt, erwies sich als eine irrige, wie ich in meiner vorlauf. Mittheilung „Die Wasserbewegung im Holze"*), sowie in meiner Arbeit „Be- antwortung der Frage nach dem Luftgehalt des wasserleitenden Holzes" 2) gezeigt zu haben glaube, als deren Resultat sich er- gab, dass die wasserleitenden Elemente entweder Wasser oder Wasserdarapf und nicht Luft fuhren , und dass die Beobachtung von Luftblasen in den betrefifenden Elementen mit bestimmten Umstanden zusammenhangt , wie ich sie in den gen. Arbeiten naher erortert habe. (Cf. auch Kny und Zimmermann ^). GoDLEWSKi *) scheint zwar geneigt zu sein anzunehmen, dass durch die Schliesshaute hindurch Luft mittelst einer ausserst langsameu Diffussion oder Dialyse gehen konne. Das ist wohl nicht gut anzunehmen, wenn man beriicksichtigt, dass selbst unter mehrwochentlicher Einwirkung eines Druckes von mehreren Atmo- spharen ^) keine Luft durch die Holzelemente sich pressen lasst. Eine derartige Diffusion wiirde sogar nachtheilig fUr die Wasser- bewegung werden, indem sich grossere Luftmassen im Innern der Wasserleitungselemente ansammeln konnten. Dasselbe wiirde der Fall sein , wenn die Luft in die Tracheiden und Gefasse im ge- losten Zustande mit Wasser durch die Wurzeln gelangte, wie es GoDLEWSKi (1. c.) fiir hochst wahrscheinlich halt, entsprechend der Beobachtung oder besser der Folgerung Hartig's, dass die Tracheiden des unteren Stammtheiles mehr Luft enthalten als die Tracheiden der Baumkrone. Was Hartig mit Luftraum bezeichnet, mussen wir nach unseren Beobachtungen fiir luftleere, wasserdampferfiillte Raume u. 49. Ferner K. Habtig, „tJber d. Vertheilung d. org. Substanz, des Wassers etc. Berlin 1882. J. Springer. 1) Bot. Z. 1884. No. 12. S. 182. " 2) D. Zeitschr. Bd. XVIII. N, F. XII. 3) Kny und Zimmeemann, „Die Bedeutung der Spiralzellen von Nepenthes", Bar. d. deutschen bot. Ges. Jg. 1885, Bd. III. H. 4. S. 127 stellten fast: „E8 kann demnach wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die Spiralzellen in den Bliittern von Nepenthes, welche durch Verweilen in trockener Zimmerluft ihren flussigen Inhalt ganz oder zum grosseren Theil verloren haben, ganz oder doch fast ganz mit Wasserdampf erfiillt sind". 4) „Zur Theorie d. When, in d. PH., Pringsheims Jb. Bd. XV. H. 4. 5) Cf. d. Zeitschr. Bd. XVHL N. F. XI. Sep.-Abdr. S. 3. Die Wasserbewegung im Holze. 681 erklaren, sodass Godlewski's Vermuthung durch Hartig's Be- obachtungen keine Bestittigung erfiihrt. Stickstotf und Kohlen- saure namentlich solleii nach Godlewski's Ansicht mit Wasser leicht in die trachealen Elemente gelangen konnen , daiin miissen beide Gase aber im Wasser absorbirt bleiben und sich mit diesem wieder entfernen, urn durch Ansammlung keine Storung in der Wasserbewegung zu veranlassen. Einfacher und wahrscheinlicher aber crscheint es uns, dass diese beiden Gase durch die Inter- cellularen entfernt werden. Sachs ^) ging bei seiner Begrtindung der „Imbibitionstheorie" ueben der Annahme von Luftblasen innerhalb der trachealen Elemeute auch von der Ansicht aus, dass sich das Transpirations- wasser nicht wie in Capillaren im Holze bewegen konne, da ja ini Holze der Coniferen gesclilossene Raunie vorhanden seien. Ausserdem seien die Rohren unten an den Wurzeln und oben an den Blattern geschlossen, und uberdies der Querschnitt der Rohren zu gross, um ein Steigen des Wassers auch nur bis auf mehrere Meter hinauf zu erklaren. Sachs vergisst hierbei, dass die Holz- rohren an beiden Enden nicht vollig geschlossen sind , da sie ja dem Wasser durch Molekularporen hindurch den Eintritt in die Gefasse und Tracheiden gestatten, sodass die Capillarwirkung dieser Rohren nicht nach ihrem Durchmesser, sondern nur mit Rucksicht auf die molekularen Oeifnungen berechnet werden kann ; abge- schlossen sind die Wasserleitungselemente nur fiir Luft, nicht aber fur Wasser. In meiner letzten Arbeit „Beitrag zur Widerlegung der Irabibitionstheorie" 2) habe ich namentlich aufGrund mikros- kopischer Beobachtungen nachzuweisen versucht, dass die Holz- wandung nicht im Stande ist, Wasser aufzunchmen und weiter- zuleiten; als Ergebniss der genanuten Abhandlung stellte sich heraus: „Da die„Imbibitionstheorie" weder durch die Beobachtung noch durch dasExperiment, noch durch bekannte phy sikalisch e Gesetze gestutzt werden kann, so hort sie auf, eine Theorie zu sein." 2. Die „Gasdruck theorie." Das Verdienst, zuerst das Lumen der Wasserleitungselemente als den Weg des Transpiratiousstromes erkannt zu haben, gebiihrt BOhm, der im Gegensatz zu dem Begriinder der „Imbibitions- ') 1. c. «) Diese Zeitschr. Bd. XIX. N. F. XII. Sep.-Abdr. S. 8. 682 Dr. Max Scheit, theorie" die Beobachtung machte, dass auch wahrend der leb- haftesten Transpiration die Holilraume des saftleitenden Holzes zum grossen Tlieile mit Saft gefiillt sind. Auch die Kraft, welche das eniporgescliati'te Wasser vor dem Riicksinken bewahrt, blieb diesem Forscher nicht verborgen, indem er der Capillaritat im Mechanismus der Wasserbewegung rait folgenden Worten die ihr gebiihrende Stelle anwies: „Die Schwere (Filtrationsdruck) der in den iibereinanderliegenden Zellen enthalteneu Fliissigkeitssaule wird theils durch Querwande, insbesondere aber durch Reibungswider- stande vollstandig aufgehoben, welche selbst in capillaren , mit alternirendeu Wassertropfeii und Luftblaschen gefiillten Rohren ausserordentlich gross sind ^). Auch R. Hartig lasst die Wasserbewegung im Lumen vor sich gehen und die Wirkung der Schwere durch Capillarwirkuug aufgehoben sein: „Die Schliesshaut wird zum Filter, wenn sie expandirt wird, die nicht expandirte Membran leistet einen ge- nugenden Filtrationswiderstand. Dafur spricht die Thatsache des Nichtabfliessens des liquiden Wassers nach unten." „Wenn sich der Druck des Wassers aus einer Tracheide in die nachst tiefer- liegende Nachbartracheide fortpflanzen wiirde, so miisste z. B. bei einer 30 m. hohen Fichte die Luft in den Organen am Fusse des Baumes unter dem Drucke einer Wassersaule von 30 m Hohe stehen, d. h. unter Sfachem Atmosphiirendruck". „Die Capillaritat genugt vollstandig, um zu erklaren, dass die kleiuen VVassersaulen im Innern der Tracheiden getragen werden , ohne dass sich ihr Gewicht sunimirt, ihre Schwere nach unten hin fortpflanzt" 2). „Die Substanz der Schliesshaute ist mit Wasser gesattigt und ist fiir Wasser vollig undurchlassig , sobald der Druck von beiden Seiten gleich gross ist." (1. c. S. 77). Wenn man bisher dieseAnsicht beider Forscher nicht allgemein anerkannte, so war es wohl deshalb, weil man die Capillarwirkung der Gefitsse und Tracheiden nur nach dem Durchmesser derselben beurtheilte, ohne zu beriicksichtigen, dass doch die Schliessniembranen mit ihren fiir den Wasserdurchtritt vorhandenen Molekularporen Capillaren von ausserordentlich grosser Wirkung besitzen, die alien Anforderungen geniigen muss, welche man an ein Wasserleitungs- system fiir die grossten Raume stcUt ; es ist daher keineswegs fiir die Theorie von Bohm gleichgiiltig, wie Godlewski (1. c.) auuimmt. ») Cf. Godlewski, 1. c. S. 576. *) Zur Lehre etc. S. 76. Die Wasserbewegung im Holze. 683 ob die Gefasse und Tracheiden mit Querwanden gefachert sind Oder nicht; auf diesc kommt es gerade an, sie gestatten wohl in dem unter Druck emporgeschafften Wassor eine Verschiebung einzelner Wasseitheilchen nach oben, verhindern aber durch ihre ungehcure Capillarwirkung beim Aufhoren des von unten her wirkenden Druckes das Zuriickfallen des einmal gehobenen Wassers. Wenii auch iiach Bohm's und Hartig's Schema der Luftblasen wegen in vertikaler Richtung eine Verschiebung der Wassertheilchen unmoglich ist, so konnte doch das Wasser seitlich an ihnen vorbei sich bewegen. So ist auch Elfving'), welcher die sogen. „Ja- minsche Kette" (eine von Luftblasen unterbrochene Wassersaule) als wasserhaltend beibehalt, der Ansicht , dass die Luftblasen nur die Langenbewegung einer Wassersaule als ein Ganzes hindern, wahrend den einzelnen Wassertheilen innerhalb derselben voll- standig freies Spiel gelassen sei, indem sie fortgeschafft und durch andere ersetzt werden konnten. Das Th. HARTiG'sche Experiment spricht fur die leicbte Ver- schiebbarkeit des capillar festgehaltenen Transpirationswassers, es geniigt nur ein geringer Ueberdruck von einer Seite her, wie er beim Aufgeben von Wasser durch Bildung eines convexen Menis- cus momentan entsteht, um innerhalb der capillar festgehaltenen Wassersaule eine Bewegung der Wassertheilchen zu veranlassen. R. Hartig sttitzt die „Gasdrucktheorie" wesentlich auf diesen Versuch, Godlewski (1. c. S. 584) deutet ihn jedoch anders als wir es mit R. Hartig thun, und aussert die Ansicht, dass, wenn letzterer Recht habe, aus einem 1 m langen, wasserreichen Tannen- holzstiick, wenn man es bis zu einer Hohe von 90 cm. in Wasser tauchte, der auf der unteren Schnittflache lastende Druck einer Wassersaule von 90 cm einen stiirmischen Wasserausfluss aus der oberen Schnittflache bewirken wiirde, sodass man also bei Giiltig- keit der HARTiG'schen Folgerung „ein perpetuum mobile in Form einer ewigen Fontaine" erhielte. Godlewski vergisst bei seinem Vergleich, dass im HARTiG'schen Versuch durch einseitigen Druck wohl das Gleichgewicht innerhalb der Holzcapillaren , und zwar nicht des ganzen Wasserfadens, sondern nur der in der Axe der Capillaren liegenden Wassertheilchen gestort wird, wahrend in dem Falle, in welchem man ein Stiick Holz oder eine einfache Glas- rbhre in Wasser stellt, dem auf die untere Querschuittflache ^) „Ueber d. Transpirationsstr. in d. Pflanzeu". Abdr. aus „Acta Societatis Scientiarum Fennicae". Tom. XIV. Helsingfors 1884. 684 Dr. Max Scheit, wirkenden Drucke des Wassers ein entsprechender, im Innern der Rohrc von oben nach unten wirkender das Gleichgewicht halt, nach dem Gesetze der comnmnicirenden Rohren ; der HARTia'sche Versuch ist also mit Godlewski's angeuommenem Beispiel gar nicht vergleichbar. Ebenso ist auch der versuchte Nachweis Godlewski's (1. c. S. 576), dass Bohm's Schema ein perpetuum mobile darstelle, voll- standig verfehlt, denn wenn er sagt: „Die Bedingungen der Wasser- bewegung werden durch dieses Schema nicht ungunstiger , wenn wir uns anstatt der Zellen W und H ein Wasserreservoir , in welchem das Wasser unter dem atraospharischen Druck steht, denken", so ist das falsch. Es ist offenbar ein grosser Unter- schied, ob man am unteren Ende eines solchen Systems einfach Wasser unter dem Drucke der Atmosphare, oder unter diesem und osmotischem Druck zugleich wirken lasst. Es ist ferner ein grosser Unterschied, ob man beide P^nden der Wasserleitung durch ein einfaches Glasrohr verbindet, oder durch ein Capillarsystem von unberechenbar grosser Wirkung, denn wahrend in ersterer, da sie in ein Vacuum miindet, der Atmospharendruck nur einer Wassersaule von 10 m Hohe das Gleichgewicht halten kann, so wird in dem Capillarsystem, wie es das BoHM'sche Schema dar- stellt, das Wasser vollstandig vor dem Rucksinken bewahrt, so- dass von einera Abfliessen und Wiederemporsteigen des Wassers keine Rede sein kann, wie es Godlewski dem Schema Boim's zuschreibt. Wir vermogen nicht die Ansicht Godlewski's zu theilen, dass eine Filtration des Wassers nach unten (wie sie im Th. HARTiG'schen Versuch auftritt) etwas ganz anderes sei als eine Wasserbewegung nach oben, der Unterschied beruht nur darin, dass in dem einen Falle der minimale Druck von dem auf der oberen Schnittflache des Versuchsobjektes sich bildenden convexen Meniscus, bei Bohm durch Spannungsdifferenz zwischen Aussen- luft und Holzluft, bei R. Hartig durch Spannungsdifferenz der in den ubereinanderliegenden Tracheiden bej&ndlichen Blasen ver- diinnter Luft geliefert wird. Godlewski befindet sich im Irrthum, wenn er glaubt, dass in dem Versuche Th. Hartig's das Hervortreten eines Wasser- tropfens an der unteren Schnittflilche des Versuchsobjektes nach dem Aufsetzen eines Tropfens auf die obere eine Folge der Druck- wirkung der ganzen , im Holze enthaltenen Wassersaule sei. In einem 1 m langen Tannenholzstucke wtirden, so berechnet God- Die Wasserbewegung ira Holze. 685 LEWSKi irrthiimlicherweise niir aus dem Durchmesser der Trache- iden , die sich bildenden coiicaven Menisken einer 2 m hohen Wassersaule das Gleichgewicht halten. Durch den aufgesetzten Wassertropfen vviirden ferner die concaven Menisken aufgehoben, wodurch unter dem weitereii Drucke eines sich bildenden con- vexen Meniskus die gauze 1 m hohe Wassersaule abtliessen miisse bis zur Erneuerung des concaven Meniskus. Abgesehen davon, dass GoDLEWSKi die Capillarwirkung der Molekularporen inner- halb der Schliesshaute uiiberiicksichtigt liisst, so findet in Wirk- lichkeit nur eine Verschiebung der in der Neutral-Axe der Capil- lare befindlichen Wassertheilchen statt , innerhalb welcher die Anziehungskraft der Wandung aufgehoben ist. Der Vcrsuch von Th. Hartig ist also keineswegs im Stande, die Unzuliinglichkeit der Theorieen von Bohm und R. Hartig nachzuvveisen, wie Godlewski nachzuweisen versucht hat. Wahrend Bohm und Hartig in Bezug auf die Bewegungs- bahn und die haltende Kraft in ihren Theorieen das Richtige ge- troffen haben , sind sie in Hinsicht auf die bewegende Kraft der Wahrheit nur nahe gekommen, und zwar Bohm am meisten, indem er die aus der Spannungsdifferenz zwischen Aussenluft und Holz- luft sich ergebende Druckwirkung als treibende Kraft hinstellt, wahrend R. Hartig nur die Spannungsdifferenzen ubereinander- liegender Blasen verdiinnter Luft zu Hilfe nimmt. Wie wir aber uachgewiesen zu haben glauben, treten inner- halb der Wasserleitungselemente keiue Luftblasen, sogar nicht einmal Blasen verdiinnter Luft auf. Da nun das Wasserleitungs- system nicht fur Luft, wohl aber fiir Wasser durchdringbar ist, so muss dem ausseren Luftdruck eine bestimmte Rolle bei der Wasserbewegung zukommen. Inwieweit dies der Fall ist, und inwieweit auch der von Bohm und Hartig, wenn auch nur in beschranktem Maasse, als wasserbewegend angenommene Wurzel- druck bei der Wasserbewegung bethatigt ist, werden wir spater noch sehen. GoDLEwsKi fragt (1. c. S. 630): „Wenn das all es, was Hartig in seiiien Tabellen als Luftraum aufstellt, thatsachlich einen nur Wasserdampf enthaltenden luftleeren Raum darstellt, wie ist dann der Umstand zu erklaren, dass die luftleeren Raume in den unteren Baumtheilen grosser als in der Baumkrone sind"? Wie wir noch zeigen werden, ist diese ungleiche Vertheilung des Luftraumes in entsprechenden Jahresringen nur zu der Zeit moglich, zu welcher das Wasser auf dem Wege der Destination bei vorhandener Bd. XIX. N. F. Xll. 45 686 Dr. Max Scheit, Temperaturdififerenz von unten nach oben befordert wird , man miisste denn wasserarmes Kernholz aus dem unteren Baumtheil mit wasserreichem Splintholz des oberen Baumtheiles vergleichen, wollte man die in den HARTiG'schen Tabelleu verzeichneten Diffe- renzen im Wassergehalt erhalten. R. Hartig M geht bei der Bestimmung des Luftgehaltes des Holzes von der unbegrundeten Annahme aus, dass der wasser- reichste Zustand des Baumes dem Zustande sich nahere, in welchem die Binnenluft die Dichtigkeit der Atmosphare zeigt. Was Hartig als Luftraum bezeichnet, niiissen wir nach unseren Untersuchungen iiber den Luftgehalt der Wasserleitungselemente fiir wasserdampf- erfijllten Raum erklaren, der sich jedoch geringer berechnet als ihn Hartig unter Annahme von Imbibitionswasser der Holz- membran angiebt. Wir vermogen iiberdies nicht eiuzusehen, wie eine nach oben hin zunehmende Luftverdiinnung zu Stande kommt; von Druck- differenzen iibereinanderliegender Luftblasen kann nach unseren Untersuchungen keine Rede mehr sein, nach Entfernung des Wassers miissen sich die entstehenden luftleeren Raume einfach mit W^asser- dampf von gleicher Spannung bei gleicher Temperatur sattigen. Bevor wir zur Betrachtung der nachsten Theorie ubergehen, eriibrigt es noch, auf den Nachweis Zimmermann's ^ ) hinzuweisen, dass innerhalb einer „Jamin'schen Kette", wie sie nach Bohm's und Hartig's Schema in den Wasserleitungselementen zu Stande komraen soil, eine von oben wirkende Saugung hochstens auf eine Strecke von 10 m ruckwarts sich erstrecken kann. 3. Die „Klettertheorie". Unbefriedigt von der „Imbibitionstheorie" sowohl als von der „Gasdrucktheorie", stellte Westermaier^), namentlich auf Grund des erwahnten ZiMMERMANN'schen Nachweises, seine „Klettertheorie" auf. Mit Hiilfe eines willkiirlichen Schemas, welches sich, wie GoDLEWSKi*) zeigt, auf Coniferenholz gar nicht anwenden lasst, construirt Westermaier den Gang der Wasserbewegung : Sie geht in dem todten trachealen System einerseits, im lebendeu paren- ^) Zur Lehre v. d. Wasserbew. in transpirireuden Pfl. S. 51. ») Berichte d. deutsch. botan. Gesellsch. 1. Jg. II. 8. Berl. 1883. ') „Zur Kenntuiss der osmot. Leistuugeu des lebendeu Paren- chyms". Bar. d. bot. Ges. 1. Jg. H. 8. Berlin 18 83. *) 1. c. S. 626. Die Wasserbewegung im Holze. 687 chyniatischen Gewebe andcrerseits vor sicli, indem in ersterem vermogc dor Capillaritiit und unter Zuhilfenahme der „Jamin'schen Kette" das durch osiiiotischc Kraft des Holzparenchym- und Mark- strahlgewebes emporgeliobeno Wasser vor dem Zuriicksinken be- wahrt wird ; durch abwechselnde Saugung und Pressung aus tiefer- liegenden Theilen der Gefiisse in hoher gelegene hinein lasst Westermaier die "Wasserbewegung vor sich gehen, die trachealen Elemente sind danach nur Wasserreservoire, nicht Leitungsrohren. GoDLEWSKi theilt zvvar die Ansicht seines Vorgangers, dass die parenchymatischen Elemente des Holzes als Saugdruckpumpen aufzufassen seien, vvelche die fiir das Auftreiben des Wassers nothigen Kriifte zu liefern haben, dagegen betrachtet er die trache- alen Elemente als die Rohren der Wasserleitung , und nicht als ein blosses Wasserreservoir ^). In Bezug auf die Widerlegung der WESTERMAiER'schen Theorie theilen wir ganz die von Godlewski ihr geraachten Einwande: 1) Die Theorie passt nicht fiir die Coniferen. 2) Die ubereinanderliegendeu Zellen werden durch enge, stark verdickte und nur mit kleinen Tiipfeln versehene Zellwaude von einander getrennt. 3) Die osmotische Wasserbewegung ist unter viel giinstigeren Bedingungen als im Pflanzenkorper eine recht langsame. 4) Die Saugung in den Gefassen und Tracheiden bleibt unbe- riicksichtigt." In einer spateren Arbeit ^) bezeichnet Westermaier selbst seine friiher gemachten Angaben iiber die osmotischen Leistungen parenchymatischer Gewebe als unzuverlassig. Neue Versuche er- gaben ihm, dass die unter gegebenen Umstanden erreichte Maxi- malleistung durch Saugung eine geringe sei. Es ist diesen Ver- suchen der Einwand entgegenzuhalten, dass an der Oberflache der verwendeten epidermalen Streifen durch Capillarwirkung Wasser emporgeleitet worden, und dann erst nachtraglich die Quellung der verwendeten Objekte eingetreten sei. Selbst zugegeben, es ware die Quellung auf osmotischem Wege vor sich gegangen, so ist doch aus diesen Versuchen mit Pflanzentheilen noch kein Schluss auf die osmotische Leistung der innerhalb des geschlossenen Pflanzen- 1) Cf. 1. c. S. 624. '^) „Uuter8uchuDgen iiber d. Bedeutung todter Eohren u. lebender Zellen fiir d. Wasserbew. i. d. Pfl." Sitzungsb. d. kgl. pr. Ak. d. W. z. Berliu. 1884. XLVIU. 45* 688 Dr. Max Scheit, korpers befindlichen Gewebe zu machen. Die Bchauptung Wester- maier's : „Entweder ist das tracheale System sammt dem System lebender Holzzellen an der Eniporschaffung des Wassers in die Spitze der hochsten Gewachse unbetheiligt, oder aber beide Systeme dienen vereint dieser Funktion", miissen wir als eine unbegrundete zuriickweisen, ohne seiner Forderung zu widersprechen, dass auch in Beziehung auf die Wasserbewegung der Nachweis einer voll- stiindigen Harmonic zwischen Bau und Function verlangt werden musse; eine solche Harmonic besteht auch in Wirklichkdt, wenn auch in anderem Sinne als sie sich Westermaier denkt. Doch hiervon werden wir erst spilter ausfiihrllcher redcn. Auf die Speculationen, welche Godlewski zur Begrundung seiner von der WESTERMAiER'schen etwas abweichenden Theorie macht, lassen wir uns nicht ausfiihrlichcr cin, da sie einestheils aufVoraus- setzungcn beruhen, die wir nicht zu theilen vermogen, andern- theils, wie wir sehen werden, experimentell keine sichere Stiitze erhalten. Da sie wie die Klettertheorie die „Jamin'sche Kette" beibehalt, sowie sich wesentlich auf Hartig's verraeintlichen Nachweis stiitzt'), dass nach oben hin die Luftverdiinnung im Baumstamme abnehme, fallt diese Theorie mit dem von uns ge- lieferten Nachweis, dass weder eine „Jamin'sche Kette" sich inner- halb der Wasserleitungsorgane bilden kann, noch nach oben hin eine Abnahme der Luftspannung vorhanden ist. Aber auch wenn eine solche wirklich bestande, so wiirde die Theorie Godlewski's unhaltbar sein, wie Zimmermann vor kurzem auf exacts Weise an einem einfachen Schema nachgewiesen hat ^). Im Folgenden wollen wir nur kurz die Voraussetzungen der genannten Theorie als irrthiimliche zuriickweisen. Bei Aufstellung seiner Theorie geht Godlewski mit Hinsicht auf das Gesetz von der Erhaltung der Energie davon aus , dass jede Theorie, welche ausser dem Wurzeldrucke, der Transspira- tionssaugung und der Capillaritat der Holzelcmente keine anderen Krafte fiir die Erklarung der Wasserbewegung in den Baumen voraussetzt, verfehlt sein musse. ^) L. c. S. 614: „Damit die Saugdruckwirkung der Markstrahlen das Wasser nach oben treiben kdnnte, muss im Holzc tin continuir- liches Sinken des Luftdruckes voruusgesetzt werdtn : wird dieser Lul't- druck in dem ganzen Baum ausgeglichen, so muss die Arbeit der Markstrahlen erfolglos bleiben." 2) Ber. d. Deutschen Bot. Ges. Jg. 1885, Bd.III. H. 7. S. 290u.tf. Die Wasserhewcgung im Holze. 689 Demgcmiiss stellt er (1. c. S. 622) als Grundgedanken seiner Theorie den hin, „dass bei der Wasserbewegung in den Raumen die durch Athmung der Markstrahlzellen und der Hol/.parenchyni- zellen freiwerdenden Krafte mitwirken", eine Wirkung, die keines- wegs eine nothvvendige Folge des Gesetzes der Erhaltung der Energie ist, da doch jene Krafte auch in Warme umgesetzt und fiir den Lebensprozess weitere Verwendung finden konnen. Als Griinde fiir die Aufstellung seiner Theorie fuhrt God- LEWSKi an 1) dass der Wurzeldruck oft negativ sei, 2) die Tran- spiration hochstens eine Saugung von weniger als 1 Atmosphare hervorrufen kihine, 3) die Capillaritat hochstens 2 oder 3 m hoch Wasser heben konne. Auf 1) ist zu erwidern, dass ein negativer Wurzeldruck fiir die geschlossene Pflanze bisher noch gar nicht erwiesen worden ist, auf 2) entgegnen wir, dass wegen der Impermeabilitiit der Holzniembran fiir Luft die Saugung wohl 1 Atmosphare betragen kann, in Hinsicht auf 3) erinnern wir daran, dass Godlewski die Capillarwirkung der Wasserleitungselemente irrthiimlicher Weise nach ihrem Durchmesser berechnet. Wir sehen also , dass sammtliche soeben besprochenen Ein- wiinde Godlewski's unberechtigt sind, die er der Gasdruck- theorie raacht. Suchen wir aber jetzt nach weiteren Griinden, die neben den bereits oben angefiihrten gegen Westermaier's und Godlewski's Theorie zugleich sprechen, dass die parenchymatischen Theile des Stammholzes ebenfalls an der Wasserbewegung betheiligt seien. Wenn auch den entsprechenden Theilen in der Wurzel viel- leicht eine solche Betheiligung zugestanden werden kann, so muss man doch beriicksichtigen, dass hier ganz andere Verhaltnisse zur Geltung kommen als ini Stamm. Denn wahrend die osmotisch thatigen Wurzelelemente mit einer verdiinnten, von den Boden- i theilchen mit einer bestimmten Kraft festgehaltenen Nahrstoff- ! losung in unraittelbarer Beriihrungstehen, begrenzen sich im Holze I die parenchymatischen Elemente gegenseitig, sie alle halten orga- nisirte Safte fest; wahrend ferner die osmotisch thatigen Wurzel- zellen jiingeren Alters sind, sind die parenchymatischen Elemente des Holzes, abgesehen von denen der jiingsten Jahresringe, bedeu- tend alter, ja bis 100 und mehr Jahre alt, und ihre Membranen nicht mehr der Spannung fahig, zumal ihr protoplasmatischer In- 690 Br. Max Scheit, halt auf Kosten der Starke zuriicktritt, und von ersterem nur noch der Zellkern ubrig bleibt'). Aehnlicher Ansicht ist auch Elfving ^): „Was dasHolzparenchym anbelangt, so schcint es nicht unbe- theiligt bei der Wasserleitung zu sein, ob seine Zellen aber dabei activ mitwirken oder nur von dem aufgenommenen Wasser durchtrankt werden, will ich dahingestellt sein lassen. Seine in der Kegel geringe Ausbildung, und vor AUem ihr Inhalt weisen darauf bin, dass seine hauptsachliste Function eine andere als die Wasserleitung ist." Auch der Umstand, dass zwischen den Markstrahlen feine Intercellularen verlaufen , die mit der Aussenluft in Verbindung stehen 3), und dass an den Stellen, wo die Wand der Markstrahl- zellen an Intercellularen grenzt, die erstere von Tupfelcauiilen durchsetzt wird, welche, wie jaauch Godlewski ^)in beschranktem Maasse zugesteht, den Gasaustausch zu vermitteln bestimmt sind, spricht gegen eine Betheiligung der parenchymatischen Elemente an der Wasserbewegung; denn wtirden diese Elemente pressend wirken, so miissten sich ja jene Luftcanale mit Wasser fiillen und aufhoren, ihrem Zwecke zu geniigen. Als Beleg fiir seine Ansicht, dass das Markstrahl- und Holz- parenchym an der Wasserbewegung betheiligt sei , fiihrt God- LEWSKi eine Ansicht Hofmeister's an, nach welcher auch altere Wurzeltheile bei der Wasserbewegung betheiligt sein sollen, eine An- sicht, die durch Versuche von R. Kraus^) scheinbar bestiitigt wird. Das Austreten von Wassertropfen aus den Querschnitten der zu diesen Versuchen benutzten Wurzelstocke lasst sich jedoch wahrscheinlich auf dieselben Ursachen zuriickfiihren, wie in den Versuchen Pitra's ^). Eine Wiederholung der letzteren ergab, dass abgeschnittene, in Wasser gestellte Zvveigstucke keineswegs im Stande waren, flussiges Wasser am obereu Schnitte auszupressen, wie auch Sachs fand ; es bestatigte sich aber die Vermuthung, dass die in Pitra's Versuchen erst nach einigen Tagen austretcnde Wassermcnge durch Zersetzungsgase ausgetrieben wird ; uberdies 1) Cf. ScHORLEE, „Unter8uchuugen in den starkefiihrenden Zellen". Diese Zeitschr. XVI. N. F. IX. Bd. 1883. 2) 1. c. S. 722. 3) Cf. Russow, 1. c. S. 136. *) L. c. S. 618. 5) Cf. GODLEWSKI, 1. c. S. 595. 6) PEiNosnEiM's Jb. Bd. XI. S. 437. Die Wasserbeweguug im Holze. 691 sprechen die Versuchsresultate des genannten Forschers selbst fur diese Ansicht; es traten uamlich in einigen derselben auch Luft- blaseii aus , die sogar Scbaum an der Schnittflache bildeten ; ausserdem trat im Winter nichts aus, eben weil jetzt die Zer- setzung ruhte. Bereits Bohm ') bestritt die Sticbhaltigkeit der Versucbe Pitra's, uud Pfeffer^) weist darauf bin, dass bei liin- gerer Dauer des Versuches ZersetzuDgeu im Innern der Pflanze eintreten mogen. Was das Auftreten von Wassertropfen an den Scbnittflachen von Wurzeln, sowie an tangentialen Scbnittflacben aus jungem Holze anbehingt, wie es Kraus beobacbtete, weun er die Sprossstiicke mit der Langsaxe horizontal in nassen Sand gelegt hatte, so ist dasselbe moglicherweise auf Tbaubildung zuriickzufiihren, ein Urn- stand, der wohl auch das Auftreten von Wassertropfen an der oberen Schnittflache junger, abgeschnittener und in nassen Sand gesteckter Halme in den Versuchen von Sachs ^) bedingt haben mag. Auch ist in den genannten Versuchen an ein Auspressen von Saft durch Zusammenziehung des Rindenparenchyms zu denken. Aber selbst zugegeben, es seien die Wassertropfen wirklich aus dem Querschnitt des Versuchsobjektes gekommen, so geschah es doch nur an Theileu, die dem Pflanzenverbande entnommen und dadurch, dass sie einseitig mit flussigem Wasser in Beriihrung gebrachtworden, ahnlichen Verhaltnissen unterworfen worden waren, wie sie den wasseraufnehmenden Wurzeltheilen eigenthiimlich sind, wiihrend doch innerhalb der geschlossenen Pflanze die in jenen Theilen vorhandenen parenchymatischen Elemente nicht mit fliis- sigem Wasser einseitig in Beriihrung stehen, sondern allseitig von im gleichen Sinne wirksamen, osmotisch thatigen Elementen um- geben sind, abgesehen von denen, die unmittelbar an die trache- alen Elemente grenzen, in welche das Wasser gepresst werden soil. Einen experimentellen Beweis fiir Godlewski's Theorie suchte Janse zu liefern *•). Er verwendete zunachst eine eingetopfte Fu chsia pflanze zu seinem Versuch, indem er einen der unter- sten, beblatterten Zweige von ungefahr 8 mm. Dm. iiber eine 1) Bot. Zeitung, 1880. S. 34. 2) Physiologie, Bd. I. S. 158. 2) Vorlesungen, S. 330. *) Eeen experimenteel bewijs avoor de theorie van Godlewski omtrent de beveging van het water in de planten (Vorl. Mitt.). Maand- blad voor Naturwetenschappen. 1885, Nr. 1 en 2. 692 Dr. Max Scheit, Lange von 15 cm in uin Wasserbad von 70 — 75"C. tauchte und 1 Stunde darin liess, jedoch so, dass die Blatter des Zweiges gegen die warme Luft durch Wasserdampf geschiitzt waren. Dann wurde die Pflanze an einen gut beleuchteten Oit gestellt. Wahrend die Blatter des Versuchszweiges nach dieser Behandlung abstarben, blieben die iibrigen Theile der Pflanze wahrend des ganzen Som- mers frisch. Aehnlich verhielt sich ein Zweig von Syringa vul- garis. Aus diesen Versuchen schliesst Janse, dass wenn das Protoplasma des Holzparenchyms getodtet wird, die Wasserbewe- gung uuterbrochen werde, es sei also Godlewski's Ansicht genii- gend bewiesen. Wenn wir auch zugeben wollen, dass durch Abtodtung der protoplasmatischen Elemente des Holzes eine Storung in der Wasserbewegung eintritt, so ist damit noch lange nicht bewiesen, dass auch die lebenden protoplasmatischen Elemente des Holzes an der Wasserbewegung betheiligt sind. Die Uuterbrechung der Wasserbewegung, wie sie in den angefiihrten Versuchen durch Welkwerden der Blatter angezeigt wurde, ist hochst wahrschein- lich eine Folge der Verstopfung der Wasserleituiigsrohren, welche dadurch hervorgebracht wurde, dass durch die angewandte hohe Temperatur der Inhalt der Parenchymzellen sich ausdehnte und an den Stellen des geriugsten Widerstandes, den einseitig verdick- ten Tiipfeln an der Grenze von verholzten und parenchymatischen Elementen, in die Leituugsrohren gepresst wurde, da nach aussen die Rinde dem Ausdehnungsbestreben entgegenwirkt. Eine mikros- kopische Untersuchung der Versuchsobjekte wiirde also vvohl am Platze gewesen sein. Was das Frischbleiben in Wasser gestellter Sprosse anbelangt, so beruht dasselbe unserer Meiuung nach nur auf dem Ersatz des Transpirationswassers durch Wasser, welches derLuftdruck in die durch die Transpiration entleerten Elemente presst. Wiirde man die Einwirkung des Luftdruckes auf die in Wasser tauchende Schnittflache cines transpirirenden Zweiges vollstiindig aufheben koiinen, so liiitte man hierdurch ein Mittel, zu priifeu, ob die osmotische Thatigkeit der nicht zum wasseraufsaugenden Gewebe der Wurzel gehoreiitlen iibrigen parenchymatischen Ele- mente geniigt, um den Transpirationsverlust zu decken. Die folgenden Versuche, in denen allerdings der Einfluss des Luftdruckes mittelst Wasserstrahlluftpumpe nicht vollstiindig be- seitigt werden konnte, scheinen dafiir zu sprechen, dass die paren- chymatischen Bestandtheile des Stammes bei der Bewegung des Die Wasserbuwfcgung im Holze. 693 Transpirationswassers unbetheiligt siiid, jedenfalls zeigen die Ver- suche abcr, dass beiiii Frischbleibeu in Wasser gestellter Sprosse der Luftdruck eine grosse Rolle spielt. Wiirde man voUstandig die Eimvirkuiig der Aussenluft aufbeben konneii, so wiirde sich zeigen, dass die Aussenluft die einzige Ursache der Wasserauf- nahme ist, „wenn es sich um Stecklinge, beschnittene Wurzeln und dergl. handelt, wenn also der Holzkorper direct mit dem Aussen- wasser in Contact tritt und als saugender Korper wirkt", wie Hartig ^ ) sagt. Die belaubten Versuchszweige wurden luftdicht am unteren Ende in einen mit durchbuhrtem Deckel verseheneu Glascylinder eingekit- tet, derart, dass sie mit der Schnittflache in Wasser tauchten, welches I des Gefasses erfiillte, der iibrige lufterfiillte Raum conimunicirte mit dem des Evacuationsschlauches der Wasserstrahlluftpumpe, zur Beschleunigung der Transpiration wurden die Versuchsobjekte ira geotfneten Fenster des Laboratoriums dem Einflusse des Sonnen- lichtes und des Luftzuges ausgesetzt. Zu gleicher Zeit befanden sich zur Controle daneben frei in Luft liegende Zweige derselben Pflanze, sowie andere wie die Versuchszweige behandelte nur in Wasser stehend dem Luftdruck ausgesetzte. Impatiensparviflore. Am 30. Juli, 31** p. m. wurden drei beblatterte Sprosse in Luft abgeschnitten und gleich darauf im Laboratoriura unter Wasser am unteren Ende ein Stuck entfernt. 1. Frei dem Einfluss der Luft ausgesetzt war in | St. welk ; 2. in Wasser steheu gelasseu noch turgescent; 3. mit dem angeschnittenen Ende unter Wasser befindlich und hier der Evacuation ausgesetzt verhielt sich wie 1. Vitis vinifera zeigte nach li Stunden an 3 beblatterten Rebeu unter gleichen Verhaltnissen dieselbe Erscheinung. Wurde dem ausseren Luftdruck wieder die Einwirkung auf den der Eva- cuation ausgesetzten Querschnitt gestattet, so wurden die schlaflf gewordenen Blatter wieder turgescent. Bryonia alba ergab keiu positives Resultat, da alle 3 Ver- suchsobjecte zugleich welkten. Die Populus- Arten verhielten sich ahnlich. Salix viminalis, 26. Juli IP a.m. Hess die Blatter des Zweiges, welcher der Evacuation unterwoifen wurde, nach langerer Dauer des Versuches welk werden, wahrend der in Wasser ste- heude Coutrolzweig frisch blieb. *) Die Gasdrucktheorie etc. Berlin. 1883, S. 80. 694 Dr. Max Scheit, Bei alien Versuchen, die oft stundenlang dauerten, traten wah- rend der Evacuation aus der unter Wasser befindlichen Schnitt- flache continuirlich Luftblaseu in feinen Stromen aus; die geringe Grosse der Blasen, sowie die Gleiclimassigkeit des Austrittes weist darauf bin, dass die Luft aus den Intercellularen austrat. Wie wir gesehen haben, beruht die Tbeorie Godlewski's auf falschen Voraussetzungen und wird durch das Experiment keines- wegs bestatigt. An und fiir sich sclicint es uns unwahrscheinlich, dass die parenchymatischen Eleraente des Holzes das von ihneu aus den Leitungsrobren aufgenommene Wasser wieder in diese abge- ben, eine solche Thatigkeit kann nur solchen Zellen oder Zell- massen zukonimen, vvelcbe einseitig von fliissigem Wasser beriibrt werden und selbst stark osmotisch thatig sind, wie es bei den wasseraufsaugenden Zellen der Wurzel der Fall ist. Die Beob- achtung von Horvath, dass, wenn man eine Wurzel durcbscbneidet, wahrend in dem dem Starame aufgesetzten Kohre das Wasser steigt, letzteres sofort fallt, spricht dafiir, dass die treibende Kraft fiir die Wasserbewegung in der Wurzel liegt. GoDLEwSKi selbst verhehlt sich nicht die Schwierigkeiten (1. c. S. 598), welche das Verstandniss bietet, auf welche Art und Weise das aus den Gefassen und Tracheiden von den Parenchym- zellen durch osmotische Krafte aufgenommene W^asser aus dieseu Zellen wieder in die trachealen Elemente hineingepresst werden kann; er muss zugeben (S. 594), dass, sobald wir uns bei seiner Vorstellungsweise mehr in Einzelheiteu hineinzudenken versuchen, wir auf nicht unbedenkliche Schwierigkeiten stossen, die aber un- serer Meinui.g nach nicht denen ahnlich sind, welche uns bei der Erklarung des Wurzeldruckes entgegentreten , ebeu well wir hier ganz andere Verhaltnisse vor uns haben. Wie wir spiiter sehen werden, brauchen wir einen im Stamme und den iilteren Wurzeltheilen entwickelten Druck gar nicht, da es gentigt, wenn am unteren Ende der Wasserleitung ein Druck herrscht, welcher das durch Capillarwirkung vor dem Riicksinken bewahrte Wasser nach oben presst. Die Wasserbewegung im Holze. 605 2. Capitel. Aufstellung einer neuen Theorie der Wasser- bewegung im Holze. Die im vorigen Capitel besprochenen Ansichten iiber die Wasserbewegung im Holze beschrankeu sich samnitlich auf flie Rewegung flussigen Wassers. Zwar trug man der bekaunten That- sache Rechiiung, dass fliissiges Wasser nicht immer vollstiindig die Luraina der Wasserleitungselemente erfiillt — Sachs ubertrug die Wasserbewegung auf die Mombran, Bohm und Hartig nahiiien im Lumen die ThJitigkeit verdiinnter Luft zu Hilfe — ohne je- doeli die Miiglichkeit einer Wasserbewegung in dampfformigem Zustande eingebend zu beriicksichtigen; dies geschah nur nebenbei und ohne niihere Begrundung, so i)ereits von Malpighi. Derselbe dacbte sich, dass der Saft in Dunstform, und zwar mit Luft gc- mischt in den Gefiissen aufsteige. Treviranus*) beschrankte die zu grosse Allgemeinheit die- ser Annahme, indem er die Ansicht ausserte, dass sich die in den Gefassen befindliche Luft mit Wasser belade, welches da wieder tropfbar wlirde, wo ein Bedarf daran ist, namlich an den Endungen der Gcfasse, eine Vorstellungsart, welche genannter Autor des Nachdenkens und der weiteren Prufung besonnener Physiologen wtirdig halt. Sachs ^), welcher auf Grund des Umstandes, dass die Hohl- raume stark transpirirender Pflanzen leer sind, und der Wurzel- stock sogar negativen Druck zeigt, die Annahme zuriickweist, dass das Wasser durch den Wurzeldruck in den Stamm bis zu den Blattern hinaufgepresst wiirde, lasst fiir das im Sommer bei an- haltcnd nassem Wetter, sowie fiir das im Winter in den Hohl- raumen auftretende fliissige Wasser die Moglichkeit offen, dass es durch Thaubildung bei schwankender Temperatur geschehe. Wie nahe diese soeben mitgetheilten Ansichten der unsrigen kommen, wird die folgende Darstellung zeigen, die sich haupt- sachlich auf die Beantwovtung der beiden Fragen erstrecken wird: 1) wie wird das flussige Wasser in der Pflanze emporbe- fordert, 2) auf welche Weise das dampfformige ? Es ergiebt sich diese Fragestellung aus dem friiher gelieferten Nachweis, dass nur Wasser im flussigen oder dampfformigen Zu- M Phye. Bd. I. S, 124 und 125. 2) Lehrb. d. B. 4. Aufl. S. 653, sowie Vorl. XYI. S. 331. 696 Dr. Max S die it, stande, nicht aber Luftblascn verschierlener Spannung die Luniina der Wasserleitungselemcnte erfiillen konncn. 1. Die Beweguiig des flussigen Wassers. Bevor wir an die Erorterung der treibenden Kraft fiir die Bewegiing des flussigen Wassers gehen , wollen wir zunachst fest- stellen, zu welcher Zeit flussiges Wasscr die Lumina der Leitungs- rohren erfiillt. Sieht man sich in der Litteratur nach diesbeziiglichen An- gaben uni , so findet man wohl eine Menge, welche den Wasser- gehalt uud seinen Wechsel ini Allgemeinen betretfen, wenige aber, die sicher erkennen lassen, wann das flussige Wasser vol! stiindig seine Behalter erfullt. Nach Grew fuhren die Gefasse nur im Fruhjahr rohen Saft, eine Ansicht, die spater auch Treviranus >) theilte. Bei der Eiche stellte Duhamel 2) fest, dass December und Januar die Monate grosster Saftfulle sind. Aus Th. Hartig's Untersuchungen ^) an 30 Arten geht her- vor, dass im Durchschnitt bei sammtlichen Holzarten der grosste Feuchtigkeitsgehalt in die Monate Januar und Februai- fallt (Dez. nicht beobachtet), das Minimum bei den Nadelholzeru in den April. Nach NoRDLiNGER*) tritt das Maximum des Wassergehaltes im Fruhjahr ein, wie Lauprecht •'•) bcstatigt. Russow 1. c. giebt an, dass in den Tracheiden des Splintes Wasser immer vorhanden sei. Nach DE Bary*') finden sich die Tracheiden nur in den seit- lichen Gefiissbundelausbreitungen bestimmter Pflauzen ausschliess- lich wasseierfiillt. Endlich giebt Volkens ") an, dass die Gefasse krautartiger Pflanzen in den friihesten Morgenstunden, so lange die Transpiration fehlt Oder nur geringfiigig bleibt, nur Wasser in ihrem Innern fuhren. ^) Physiologie, 1. c. 2) Cf. NoRDLiNGEE, tcchn. EigcHsch. d. H. S. 57. 3) Ibidem. S. 64. 4) Forstbot. s) Forst- und Jagdz. 47. Jg. 1871. S. 451. *») Vergleichende Anat. etc. S. 177. 7) Diss. Berlin. 1881. Die "Wasserbewegung im H"olze. 697 Auf jedenFall steht fest, dass walirend der Zeit des Thranens die WasserleitungsorgaiiG vollig mit flussigem WassL>r erfiillt sind, da sonst diese Erscheinuiig vollig unerldarl)ar bliebe, iiachdem wir gezeigt, dass keine Luftblasen innerhali) der Leitungsrohren vorkomnien , welche durch Hire Ausdehnuiig etwa das Austreten dos Wassers bewirkeii konnten '). Da nun, wie Sachs ^) angiebt, das Thranen der Wurzelstocke nur wiihrend der eigentlichen Vegetationszeit stattfindet, wcnn die Wurzeln bercits angcfangen haben, aus dein erwiirmten Boden Wasser aufzusaugen , so ist diese Zeit als die Periode zu bezeichnen, in welcher flussiges Wasser die leitenden Hohlraume des Holzes erfiillt. Es hangt also die Fiillung der Wasserleitungsclemente innig mit der durch bestimmte Bodentemperatur bedingten Bildung von wasserauf- nehmendenWurzeltheilen zusammen. Solange fur diese die aussereu Bedingungen vorhanden sind, wird durch die osinotische Wirk- samkeit der Wurzelhaare flussiges Wasser in die Hohlraume des Holzes gepresst , und es erfolgt bei hinreichend starkem Wurzel- druck bei Verletzung des Holzes Ausfluss von flussigem Wasser. Damit stimmt uberoin, dass an Schlinggewachsen , die der heisse Himmelsstrich in reicher Anzahl der Arten hervorbringt, und welche die Eigenthiimlichkeit besitzen , ohne Aufhoren zu Nvachsen , auch in der heissesten Jahreszeit aus W'unden des Stammes, trotzdera er beblattert ist, reichlich Saft ausfliesst, wie Treviranus ^) bemerkt. Dieselben Bedingungen, welche eine quantitative Vermehrung des Saftausflusses thranender Pflanzen bewirken, mussen auch die Fullung der wasserleitenden Elemente des Holzes der geschlossenen Pflanze beschleunigen, also vor alien Dingen die Temperatur des Bodens; bei der bebliitterten Pflanze kommt naturlich auch die Transpirationsintensititt in Betracht, welche unter Umstanden es nicht zu einer volligen Fullung der Lumina kommen lasst. Wir konnen uns vollstiindig der Ansicht R. Hartig's*) an- schliessen, dass der Vegetationszustand der Wurzeln, die Tempe- ratur und der Wassergehalt des Bodens fur die Schnelligkeit der Wasseraufnahme entscheidet. „Baume, deren feinste Faserwurzeln sich im ganzen Winter und Fruhjahr vollig lebend erhalten (z. B. Birke und Ahorn), er- ^) Cf. diese Zeitschr. Bd. XVni, N. F. XI. Sep.-Abdr. S. 14. •-') Vorl. XVI. 3) Phys. § 184. *) „Die Gasdrucktheorie" etc. Berlin 1883. S. 80 u. f, 698 Dr. Max Scheit, reichen schon im ersten Friihjahr bald nach Eintritt warmerer Witterung ihr Maximum an Wassergehalt." ,,Die Fichto und Kiefer jedoch, deren feinste Wurzeln eiitweder grosstentheils im Winter absterben, oder doch von einer todten Zellschicht bis zur Spitze bekleidet sind , die oft erst im Mai ueue Saftwurzelchen entwickeln , zeigen z. B. noch im Mai ein Minimum an Wasser- gehalt, dagegen ihr Maximum im Juli zur Zeit der hochsten Transpirationsgeschwindigkeit, weii dann die Wurzelthatigkeit die lebhafteste ist". (1. c). Wenn wir auch nicht im Stande waren, im Vorhergehenden eine fest bestimmte Zeit fiir die vollstandige Wasseraufiillung der Rohren anzugeben , so geht doch aus Hartig's Untersuch- ungen hervor, dass sie innig mit der Wurzelthatigkeit zusammen- hangt, und es liegt daher nahe, als die Kraft, welche das flussige Wasser im Holze aufwarts befordert, den Wurzeldruck anzunehmen. Allgemein wird wohl jetzt angenommen, dass es der Wurzel- druck ist, welcher das Thranen aus Wurzelstocken und beschnitte- nen Stengeltheilen hervorruft. Da der Wurzeldruck nun von der allergrossten Bedeutung fiir die Bewegung des fiiissigen Wassers ist, so mussen wir ihm eine nahere Betrachtung zu Theil werden lassen. Bis jetzt steht fest, dass er nur zu der Zeit stattfinden kann, zu welcher noch Wurzelhaare oder neue , peridermfreie Wurzel- theile gebildet werden. Auf die Ursachen, welche die Schwankungen in der Starke des durch Manometer gemessenen Wurzeldruckes bedingen, konnen wir uns hier nicht weiter einlassen, wahrscheinlich ist es uns, dass sie ihren Grund in den Schwankungen der Wachsthunisintensitat der wasseraufnehmenden Wurzeltheile haben. Hartig hat jedenfalls das Richtige getroiien, wenn er (1. c.) sagt, dass die Wasserauf- nahme als eine Funktion der lebenden Wurzelzellen betrachtet werden muss, die abhangig ist von Temperatur u. s. w. ; darin stimmen wir aber dem genannten Forscher nicht bei , dass die Ursache der Wasserbewegung scharf zu sondern sei von der Ur- sache der Wasseraufnahme, und dass erstere als Folge verschiedener Lufttensionen in der Binnenluft des Baumes sei. Wir miissen entschieden der Ursache der W^asseraufnahme die Hauptrolle auch bei der Bewegung des fliissigen Wassers zuertheilen, ausserdem wirken nach unserem Ermessen Transpiration und ausserer Luftdruck bei der Wasserbewegung mit. Die "Wasserbewegung im Holze. 690 Soil der Wurzeldruck fiir flussiges Wasser die treibende Kraft sein, dann muss er auch allgemein im Pflanzenreicho verbreitet sein. Th. Hartig ') sagt, dass die Zahl derjenigen Holzarten, die im Friihjabr bluten, eine sehr boschrankte sei ; bei Kiefer, Fichte, Eiche , Esche , Linde , Rosskastanie hat er nicht einmal ein auf- fallendes Nas^werden der Hiebfiache an Stocken und Asthieben auffinden koniien, wie dies bei Pirus, PruDUS, Robin ia, Alnus, Castanea, Salix, Populus, Abies und Larix nicht selten zu sehen sei. Tropfenformigen Erguss von Holzsaft aus Wundflachen hat Hartig bis dahin nur beobachtet an Fa- gus, Carpinus, Betula, Juglans, Acer, Cornus und Vitis. NoRDLiNGER **) fuhft als auftallend an, dass nur eine kleine Anzahl Laubholzarten bluten, und nicht gerade solche, welche durch grosseren Saftgehalt sich auszeichnen. „Anscheinend fehlt sogar der sichtbare Wurzeldruck gerade den grossten und saft- reichsten Holzarten, den Nadelholzern, welche wie die Well in g- tonia mit ihrer 100 m Hohe des Wurzeldruckes sehr bedurftig erscheinen". Hofmeister3) ^yar es, welcher zuerst darauf hinwies, dass das kraftige Emportreiben des Saftes durch die Wurzel ebenso- wenig auf die geringe Zahl Holzpflanzen beschraukt sei, von denen bis dahin das Bluten bekannt war, als auf einige Wochen des Friih- lings ; dass es vielmehr eine ganz allgemeine und dauernde Erscheinung sei, die manchen krautartigen Pflanzen in weit hoherem Grade zukomme als vielen Holzpflanzen. C. Kraus"^) spricht sich ebenfalls fiir die allgemeine Ver- breitung des Wurzeldruckes aus: „Da es gelang, Blutung des Wurzelsystems bei alien untersuchten Arten , holzigen wie kraut- artigen, ausnahmslos aufzufinden, so lasst sich aussprechen, dass bei alien Gewachsen, entsprechenden Wasservorrath vorausgesetzt, das von aussen aufgenoramene Wasser im Holzkorper eine Strecke weit unter Druck aufwarts geschafft wird". Durch die angefiihrten Versuche schien mir jedoch keines- wegs die allgemeine Verbreitung des Wurzeldruckes bewiesen, da ja ') Bot. Zeit. 1858. S. 334. ^) Forstbot. S. 78. 3) Flora 1858. N. 1. *) „Ueber Verbreitung und Nachweis des Blutungsdruckes d. Wurzeln". 700 Dr. Max Scheit, eine ganze Anzahl Holzgewachse aus Wurzelstumpfen kein Wasser austreten lassen, so bekanntlich die Coniferen, niemals Aes cuius hippocastanura, ausscrdem andereGewachse nichtzu alien Zeiten. Nach Horrath's M Beobachtungen sogen die folgenden Pflanzen sogar Wasser an der Schnittflache ein , zur Zeit der Entwicklung Hirer Knospen, als die Weinrebe im vollen Thranen begriffen war: Taxus baccata, Aesculus hippo castanum, Syringa vulgaris, Glycine, Hibiscus syriacus, Aristolochia sipho, Ampelopsis quinquefolia, Gymnocladus cana- densis, Sambucus nigra, Clematis vitalba, Arundo donax, Canna, Thuja, Humulus Lupulus, Menisper- mura, Ficus carica, Hedera helix, Mahonia. Lasst sich in den genannten Fallen auch nicht direkt der Wurzeldruck nachweisen , so ist damit noch nicht festgestellt , ob in der geschlossenen Pflanze der Wurzeldruck fehlt , vielmehr ist in diesen Fallen anzunehmen, dass der Wurzeldruck geringer als 1 Atm.-Dr. war, welcher wohl in den geschlossenen, fiir Luft im- permeablen Wasserleitungselementen zur Geltung kommen konnte, nicht aber an der durchschnittenen Pflanze, deren geoffnete Ele- mente dem ausseren Atmospharendruck ausgesetzt sind, welcher die vorher nach dem Lumen des Gefasses gewolbten Schliess- membranen zuruckdrangt in eine fiir Wasserfiltration weniger ge- eignete Stellung. Die Erscheinung, dass die Saugung des abgeschnittenen Gipfels einer Pflanze immer viel betrachtlicher ist als der Ausfluss aus ihrem Wurzelntock 2), beweist keineswegs, dass der Wurzeldruck un- geniigend fiir die Deckung des Transpirationsverlustes ist; sie zwingt uns jedoch, nach Widerlegung der „Inibibitionstheorie" anzunehmen, dass innerhalb der geschlossenen Pflanze ein hoherei' Wurzeldruck herrscht als er an Wurzelstocken bemerkbar ist, der auch noch dann vorhanden sein kanu, wenn das Hg-Manometer einen Druck von 0 aufweist. Diese aus der Impermeabilitat der verholzten Membran fiir Luft sich ergebende Folgerung wird durch Versuche bestatigt, die in der Weise angestellt wurden, dass der auf den Stammquerschnitt eines W^urzelstockes wirkende Druck der ausseren Atniosphiire durch die continuirlich wirkende Wasserstrahlluftpumpe entfernt wurde. Eine gewohnliche, durch Handbetrieb in Gang gesctzte Luftpumpe 1) 1. c. 2) Sachs, Lehrb. d. B. 4. A. p. G61, sowie Hofmeistkb, Flora 1862. p. 107. Die "Wasserbewegung im Kolze. 701 ist zu derartigen Versuchen unbrauchbar, da die Evacuation in kurzester Zeit durch die aus den durch die Lenticellen mit der Aussenluft in Verbindung stehenden ^) Intercellularen des Holzes andauernd und reichlich ausstromende Luft ausgeglichen wird, wahrend man durch die Wasserstrahlluftpumpe im Stande ist, Stunden lang gleichmassig eine fast vollstandige Evacuation auf das Object einwirken zu lassen. Siimmtliche Versuche wurden bei feuchtem Boden angestellt, mit Topfpflanzen sogar bei vollig durch- nasstem, und einer Bodentemperatur, welche zwischen 19 und 20" C. schwankte. Der Evacuationsschlauch umfasste ein Glasrohr, welches so mit dem zu evacuirenden Stiimpfe verbunden wurde, dass die Schnittflache sichtbar blieb. Damit das uber das Stumpfende ge- stiilpte Glasrohr luftdicht mit diesem verbunden wurde, wurde iiber das Ende noch ein Stiick Gummischlauch gezogen und dieser durch Umschntirung mit gedehntem Gummistreifen dem Stumpfe angedriickt. Es erwies sich Gummistreifen als das bequemste und am besten wirkende Verschlussmittel. Bei den jetzt mitzutheilenden Versuchen kam es weniger darauf an, die Grosse des Wurzeldruckes zu bestimmen, als nach- zuweisen , dass unter annahernder Herstellung der Verhaltnisse, wie sie bei geschlossener Pflanze bestehen, auch bei solchen Pflanzen durch den Wurzeldruck Wasser ausgepresst wird, die aus Wurzel- stocken fur gewohnlich kein Wasser ausfliessen lassen. AlCscuIus hippocastanum. Am 10/VI wurde eine drei- jahrige Topfpflanze bis auf einen 8 cm langen Stumpf abge- schnitten, und der Boden durch warmes Wasser auf 30*' C. erwarmt. Auf die Schnittflache aufgesetztes Wasser wurde unter diesen Ver- hilltnissen eingesogen, wahrend mit der gewohnlichen Luftpumpe verbunden einige Zuge geniigten, um Wasser mit Luftblasen ge- mengt austreten zu lassen. Bei Aufhebung der Evacuation trat das ausgetretene Wasser wieder in das Holz zuriick. Einen Tag spater trat auch nach Entfernung der jiingsten Jahresringe bei 15" C. Bodentemperatur nach dem ersten Kolbenzug Wasser mit Luftblasen aus dem Holze aus. 2. Es wurde am 24/VI der 18 cm lange Stumpf eines unter Wasser durchschnittenen 3-jahrigen Baumchens, welches noch 3 Zweige mit zusammen 12 grossen Blattern trug, rait der Wasser- strahlluftpumpe in Verbindung gesetzt. Bei 20 " Evacuation blieb ») Cf. H. Klebahn, Ber. d. D. B. Ges. Jg. 1883, Bd. I. H. 3. Bd. XIX. N. F. XII. ^Q 702 Dr. Max Scheit, die Schnittflache nocli trocken , erst nach Entfernung der Blatter uiid Verkittung der Schnittflachen derselben trat Wasser aus. 3. Ein Topfbaumchen wurde am 30/ VI unter Wasser durch- schnitten und verblieb 2 Stunden darunter. Wie im vorigen Falle trat auch in diesem keine Luft aus der Schnittflache. Einige Ztige der gewohnlichen Luftpumpe genugten, um Wasser aus dem Holze und Luft aus den Mark- und Holzintercellularen austreten zii lassen ; nach dem Aufhoren der Evacuation erfolgte Riicktritt des Wassers in das Holz. 5 Tage spater trat bei Evacuation alsbald Wasser aus dem vertrockneten Schnitte, ferner am Rande des Markes continuirliche Luftblasenstrome, langsam einzelne Luftblaschen aus dem Holze. Dasselbe geschah auch noch 2 Tage spater, nach Ruckgang der Evacuation trat jedoch das Wasser nicht in das Holz zuriick. Bei moglichst weitgehender Evacuation trat pro ^ St. 1 Cctm. Wasser aus. 4, Ein unter Wasser durchschnittenes Baumchen liess auch nach Erwarmung des Bodens durch warmes Wasser bei gewohn- lichem Luftdruck kein Wasser aus dem Stumpf treten, dieser sog sogar solches ein. In den ersten 3 Fallen ist es wahrscheinlich, dass der Wasser- austritt zum Theil durch die sich bei der Evacuation ausdehnende Luft bewirkt wurde, welche im absorbirten Zustande mit dem durch die Schnitflache von aussen aufgenommenen Wasser in die Gefasse gedrungen war. Im nachsten Versuche wurde deshalb dieser Faktor beriick- sichtigt. Syringa vulgaris, welche unter gewohnlichen Verhiilt- nissen auch im Friihjahre nicht thrant^), wurde im Freien auf folgende Weise behandelt: 3/ VII, S'^pm. wurde an einem Busch, nach Entfernung der ubrigen Zweige und Verkittung der Schnitt- flachen, ein Zweigstumpf mit der gewohnlichen Luftpumpe in Ver- bindung gebracht. Nach einigen Kolbenziigen trat Wasser mit Luft aus. Am folgenden Vormittag 11 Uhr waren 7 Cctm. Saft ausge- flossen. Aufhebung der Evacuation bewirkte, sofortiges Zuruck- sinken der Fliissigkeit, welche sich jedoch bei erneuter Evacuation alsbald wieder ansammelte, ohne dass Luft mit austrat. In 1 St. waren ungefilhr 5 Cctm Wasser ausgeflosscn. Es zeigte sich, dass der Ausfluss nur bei hoher Evacuation erfolgte. 1) Cf. Clabk in Flora 1875 p. 508 und Hokvath 1. c. S. 57. Die Wasserbcwegung im Holzc. 703 Salix alba. 7/VII S*" pm. wurde cine Topfpflanze in Luft abgeschnitten; der Stumpf sog Wasser ein. Am andern Morgen 8 Uhr war 1 Ccmt. Wasser ausgetreten, am 10. hatte das Thranen beinahe aufgehort. Bei der nun folgenden Evacuation trat in einigen Minuten 1 Cctm. Wasser aus, und dies geschah bei jeder neucn erhohten Evacuation wahrend der nachsten 5 Tage. Das ausgetretene Wasser sank nicht zuruck bei Aufhebung der Eva- cuation , es trat aber auch kein ueues Quantum aus ohne Eva- cuation. Bei Salix caprea zeigte der Stumpf eines grosseren im Freien gewachsenen Busches unter Behandlung mit der gewohn- lichen Luftpumpe keinen Wasseraustritt, die Glasrohrenwandung wies nur einen geringen Wasserbeschlag auf. Auf den Stumpf ge- setztes Wasser wurde eingesogen (12/VII). Acer plantanoides verhielt sich ahnlich (25/VII), ebenso Khamnus cathartica (21/VII), welcher nocli nach 10 Tagen Wasser in den Stumpf einsog. HederaHelix, im Topfe gewachsen, eine von denPflanzen, die nach Horvath (1. c.) nie thranen, liess aus dem Stumpf bei Behandlung mit der Wasserstrahlluftpumpe in 3 Min. 0,63 Cctm. Wasser austreten. Ging die Evacuation auf 40 Ctm. zuruck, so horte der Wasseraustritt auf. Bei gewohnlichem Luftdrucke sog die Schnittflache Wasser ein (24/VII). Cannabis sativa, mannshohe Freilandpflanze, bis auf 2 cm decapitirt, sog Wasser ein, liess aber bei einigen Kolbenziigen solches austreten ; bei Aufhebung der Evacuation sank es jedoch sofort zuruck (21|VII). Abies excels a. 1) Eine im Freien gewachsene Topfpflanze liess beim Durchschneiden unter Wasser keine Luft austreten, Evacuation mit der W'asserstrahlluftpumpe bewirkte reichlichen Wasserausfluss. Das ausgetretene Wasser sank nicht wieder zu- ruck (7/VII). 2) Eine andere Topfpflanze sog aufgegebenes Wasser am Schnitte ein , liess es aber bei 3 Minuten andauern- der Evacuation wieder austreten (24/VII). Polypodium aureum, Topfpflanze mit zwei Wedeln, liess bei Evacuation mit der Wasserstrahlluftpumpe aus der Schnitt- flache des einen Wedelstieles erst Wasser austreten, nachdem auch der andere Wedel entfernt war. 46* 704 Dr. Max Scheit, Auch ohne Evacuation erfolgte jetzt Thranen, doch trat dabei erst in 7| St. ein Wasserquantum aus, das dem bei Evacuation in 10 Minuten ausfliessenden gleich kam. Die mitgetheilten Versuche werden genugen, zu zeigen, dass der Wurzeldruck allgemein verbreitet ist und auch noch dann vor- handen seia kann, wenn er durch das Manometer nicht mehr an- gezeigt wird. Betragt er innerhalb der geschlossenen Pflanze nicht mehr als 1 Atm. Druck, so kann aus dem Wurzelstumpf beim Anschneiden kein Wasser ausfliessen, wohl aber bei Evacuation mit der Wasserstrahlluftpumpe. In den Fallen, welche nach Auf- horen der Evacuation Einsaugen der ausgepressten Fliissigkeit aufwiesen, ist anzunehmen , dass nur die jiingsten Jahresringe Wasser austreten liessen, und dass die iibrigen wasserleer waren, sodass nach Aufhoren der Evacuation das ausgetretene Wasser in sie hineingepresst werden muss; aus ihnen muss auch wahrend der Evacuation die beim Anschneiden in Luft eingetretene Luft durch das sich iiber der Schnittflache ansammelnde Wasser ent- weichen, was nicht geschehen kann, wenn das Versuchsobject unter Wasser durchsclinitten wurde. Die hierbei etwa noch austretenden feinen Luftblaschen entstromen dem Intercellularsystem. Fiir die allgemeine Verbreitung des Wurzeldruckes spricht auch die nach Volkens ^) allgemein verbreitete Erscheinung der fltissigen Sekretion, welche auftritt, wenn bei vorhandenem, genii- gend grossen Wurzeldruck die Transpiration aufgehoben oder herabgesetzt ist ^). Was nun die Grosse des Wurzeldruckes anbelangt, so iiber- schreitet dieselbe, wenn man die bekannten, durch Manometermes- sungen erhaltenen Grossen auf die geschlossene Pflanze ubertragt, wohl kaum jemals 3 Atm., fiir gewohnlich ist sie aber bedeutend geringer. Ehe wir an die Erorterung der Frage gehen, ob der Wurzel- druck auch geniigt, um Wasser iiber 30 und mehr Meter im Stamme aufwarts zu pressen, wollen wir noch zusehen, inwiefern er zum ausseren Luftdruck in Beziehung steht und zwar an der unverletzten Pflanze, wahrend wir vorher seinen Einfluss als Ge- gendruck bei thranenden Pflanzen kennen gelernt haben. Bei der unverletzten Pflanze geniigt es, nur den Einfluss des Luftdruckes auf das Wurzelsystem zu beseitigen, um zu sehen, 1) Diss. Berlin, 1881. 2) Cf. Sachs, Vorl. XVI. p. 332. Die Wasserbewegung im Holze. 705 ob er beim Wurzeldruck eine Rolle spielt; am oberen Ende der Wasserleitung vermag derLuftdruck nicht auf das in den Rohren eingeschlossene Wasser zu wirken, da die Rohren ja, wie wir ge- sehen, vollstandig fur Luft abgeschlossen sind. Man kann auch die Versuche in der Weise anstellen, wie es Detmer^) gethan hat. Genannter Autor setzte thranende Wurzelstocke der Evacua- tion aus und beobachtete bei vermindertem Luftdruck vermehrtes Ausfliessen des Saftes, welches er dem Einfluss der in den Wurzel- zellen enthaltenen Luft und Kohlensaure zuschrieb. Insofern Detmer die Einwirkung des Luftdruckes auf die thranende Schnitt- flache verminderte, gehoren seine Versuche mit den auf den letzten Seiten mitgetheilten in eine Reihe, sie lassen aber nicht erkennen, ob der Luftdruck auf das Wurzelsystem selbst direct einen Ein- fluss ausubt. Sicherer erscheint mir zurEntscheidung der inRede stehenden Frage die folgende Versuchsart, welche sich von der Detmer's darin unterscheidet, dass die Verminderung des Luftdruckes nicht auf das Wurzelsystem und Stammtheile zugleich, sondern auf ersteres allein ihren Einfluss geltend machen konnte, wodurch zugleich einer allzugrossen Storung des Lebensprozesses vorgebeugt werden sollte. Der zu den friiheren Evacuationsversuchen benutzte Apparat fand auch fur die folgenden Verwendung. Der den Glas- cylinder verschliessende, von zwei Lochern durchbohrte solide Holzdeckel war halbiert; die Halbirungslinie ging durch das Loch, welches bestimmt war, den Stamm der Versuchspflanze durchzu- lassen. Zu den Versuchen wurden theils aus Samen mittelst Was- serkultur oder in feuchtem Sagemehl gezogene Keimpflanzen, theils eingetropfte altere Pflanzen verwendet. Das unverletzte Wurzel- system wurde im Versuchscylinder von Wasser bedeckt, tiber welchem sich ein Luftraum befand, der hinreichend gross war, um ver- bindern zu konnen, dass die zu Anfang der Evacuation aus der Topferde oder dem die Wurzeln umgebenden Sagemehl, sowie dem Wasser selbst mit Heftigkeit entstromenden Luftblasen nicht bis an das Evacutionsrohr herantreten konnen, da es sonst leicht ge- schieht, dass mit emporgerissene Bodentheilchen in die feine Offnung des Saugrohres im Innern der Wasserstrahlluftpumpe gelangen und dadurch eine sehr unangenehme Storung in dem Gang der Pumpe veranlassen. Die luftdicht durch geeigneten Kitt (2 Thl. gelbes Wachs, 1 Thl. Colophonium) sowohl untereinander 1) Mitthlg. aus d. hot. Inst. z. Leipzig. Bd. I, S. 453. 706 Dr. Max Scheit, als mit dem Cylinder und der Pflanze verbundenen Deckelhalften trennten das im Evacuationsraum befindliche Wurzelsystem von dem dem ausseren Atmosphiireudrucke ausgesetzten beblatterten Sprosssystem. Coleus, 31/VII 1884, Topfpflanze von 10'' a. m.— 1" p. m., einer beinahe vollstandigen Evacuation ausgesetzt, blieb turgesceut. 1/VIIl 9 — 12'' a. m. bei fortvvahrendem Sonnenschein ebenso behandelt, Hess die Pflanze nur die beiden obersten Blatter etwas welk werden. Ausserhalb des Evacutionsraumes zeigte die durch- schnittene Pflanze kein Thranen. Caladium, Topfpflanze, 1/VIII 12^— 2|*' p. m. der Evacua- tion ausgesetzt, blieb turgescent. Keimlinge von Vicia Fab a und Quercus pedunculata lieferten kein bestimmtes Resultat, wahrscheiulich well die Ver- suclie mit ihnen unter ungunstigen Transpirationsbedingungen und wahrend zu kurzer Zeit angestellt wurden. Phaseolus multiflorus, Keimpflanze, 27/Vn, zeigte in cinem Falle nach langerer Evacuation Erschlaff"ung der Blatter. Der Querschnitt durch den Stengel sog nach dem Versuche Was- ser ein. In einem anderen Falle trat keine Erschlaffung der Blat- ter ein. Es wird von Interesse sein, diese Versuche zu wiederholen und weiter auszudehnen, vollstandig lasst sich freilich der aussere Luftdruck nicht ehminiren. Leider wurde verabsiiumt, die Ver- suche auch mit thranenden Wurzelstocken anzustellen , in der Weise, dass nicht wie in den fruher mitgetheilten Versuchen der Wurzelstumpf an seinem Querschnitt allein mit dem Evacua- tionsraum in Verbindung gebracht wird, sondern das aufsaugeude Wurzelsystem fiir sich. Am besten eignen sich jedenfalls zu diesen Versuchen stark thranende Pflanzen, z. B. V i t i s , welche man in Topfen gezogen hat, so dass man sie ohne Verletzung der Wurzeln in den Eva- cuationsraum bringen kann. Da Gesagte mag dazu dienen, zu weiteren Untersuchungen iiber die Bcziehung des ausseren Luftdruckes zum Wurzeldrucke anzuregen. Die Untersuchung wird sich zu erstrecken haben auf die Wirkung des verminderten Luftdruckes: 1) auf den Querschnitt des Wurzelstumpfes allein, 2) auf das Wurzelsystem einer decapitirten Pflanze allein, 3) auf das Wurzelsystem einer geschlossenen unverletzten Pflanze allein. Die Wasserbeweguug im Holze. 707 Mit Sicherheit liisst sich bis jetzt imr so viel sageii, dass der iiussere Luftdruck bei dem Zustaiidekommen des Wurzeldruckes iiisofern eine Rolle spielt, als er den durcb osmotische Ihiltig- keit ausgedehnten Wurzelzelleu einen bedeutenden Widerstand entgegensetzt; zugleich aber ist hochst wahrscheinlich, dass der Luftdruck unmittelbar durcli die fiir Wasser durchliissigeu Wurzel- theile liindurch Wasser uach den VVasserleituugsrohren presst, sobald diese leer werden. Eine solche Mitwirkung des Luftdruckes bei der Wasser- bewegung ninimt Bohm an, und halt Godlewski ^) fur moglich. Fr. Elfving^) jedoch ist der Ansicht, dass der Luftdruck unter ahnlichen Verhaltnissen , wie sie die Pfianze aufweist, bei der Wasserbewegung keine Rolle spiele. Er sagt dariiber: „Wenn man an das eine Ende einer nicht zu langen Rohre eine thierische Blase bindet, die Rohre mit Wasser fiillt und das andere Ende in Wasser stellt, so wird in Folge der oben an der Membran stattfindenden Verdunstung neues Wasser almiihlich in die Rohre hinaufsteigen , da namlich die Luft von aussen her nicht durch die Blase eindringen kann." Elfving geht bei dieser Ansicht davon aus, dass oben an der verdunstenden Flache und unten am Wasserspiegel derselbe Luftdruck herrscht. Wenn nun auch in dem vorgeschlagenen Versuche die Luftdruckdifferenz zwischen oben und unten eine verschwindend kleine ist, so kommt sie doch bei hohen Baumen in Betracht. Aber auch aus einem anderen Grunde ist die Wirkung des Luftdruckes weder in dem erwiihnten Versuche, noch in Be- zug auf die Pflanze an beiden Enden der Wasserleitung auf die in dieser eingeschlossene Wassersaule gleich; der Luftdruck ver- mag von unten her wohl Wasser in die durch Verdunstung ent- leerte Wasserleitung zu pressen, nicht aber durch die obere Ver- schlussmembran hindurchzuvvirken , da der Widerstand in den Molekularporen derselben grosser als 1 Atmospharendruck ist; nur auf dem Wege der Verdunstung kann diese Membran Wasser- theilchen abgeben, wenn nicht noch ausser dem Luftdruck von unten her Druckkrafte wirken, wie in der Pflanze der Wurzeldruck. Von oben her kann der Luftdruck erst dann auf das in der Rohre befindliche Wasser wirken, wenn dieses iiber der Yerschlussmembran steht. ») L. c. S. 79. 2) „XJeber den Transpirationsstr. i. d. Pfl." Acta Soc. Sc. Een- nicae, T. XIV. Helsingfors 1884. Sep.-Abdr. S. 9. 708 Dr. Max Scheit, Nach dieser Einschaltung kommen wir wieder auf die Frage zuriick, ob ein Wurzeldruck, der, soviel wir bis jetzt wussten, nie 3 Atmospharen ubersteigt, geniigt, um Wasser bis zu einer Hohe von 100 und mehr Metern emporzutreiben. Sachs, welcher friiher die Tiipfel fiir durchgangig hielt, be- trachtete den Wurzeldruck nicht fiir ausreichend, um Wasser in den von der Wurzel bis zum Blatte continuirlich verlaufenden Lumen der Gefasse emporzupressen, und suchte sein Heil in einer wunderbaren Eigenschaft der verholzten Membran. Wie aber verhalt es sich jetzt mit der Capillarwirkung im Holze, wo wir wisseu, dass die Tracheideu durch Ventile gegen einander abgeschlossen werden konnen, und wo es feststeht, dass die Mehrzahl der Tracheen in die Kategorie der Tracheiden ge- hort?i). Sind uns damit nicht Verhaltnisse gegeben, wie sie De- CANDOLLE ^) aus Versuchcn Mongolfier's fiir die Hebung von Wasser voraussetzt?: „Aus diesen Versuchen namlicb geht hervor, dass man Fliissigkeiten vermittelst einer sehr geringen Kraft zu fast unbegrenzten Hohen erheben kann, sobald der Druck der Wassersaule durch haufige Unterbrechungen oder Klappen beseitigt wird." Sehen wir zunachst zu, ob die Tracheiden geeignet sind, Wasser in fliissiger Form in ihrem Lumen mit Hiilfe des Wurzel- druckes passiren zu lassen, Dass die Tracheiden iiberhaupt Wasserleitungsorgane sind, liegt ausser Zweifel ; das Holz der Coniferen besteht ja fast aus- schliesslich aus solchen. In ihrem Bau miissen die Tracheiden so eingerichtet sein, dass das in sie hineinbeforderte Wasser verhindert wird, seinen Druck mit dem in der nachst tiefer liegenden zu vereinen , so dass sich schliesslich eine Wassersaule ergabe, deren Druck der Wurzeldruck nicht das Gleichgewicht zu halten vermochte. Eine derartige Summirung der in den iibereinanderstehenden Tracheiden befindlichen Wassersaulchen ist unmoglich , da in der Einrichtung derselben eine Capillarattraktion gegeben ist, welche einen Druck nach unten vollstandig aufhebt , was bei der Kiirze der Tracheiden ohne weiteres einleuchtet fiir den Fall, dass die Schliessmembraneu sich nicht in Filtrationsstellung betinden, denn wie Th. Hartig^) aus der Weite der engriiumigen Tiipfelkanale ») De BAEy. Vergl. Anat. § 40. 2) Pflanzenphys. Bd, I p. 82, Uebersetzung von Roi'EB. ») Bot. Z. 1863. No. 4L Die Wasserbewegung im Holze, 709 in den Breitfaserschichten des Tannenholzes (weniger als 0,001 mm) berechnet, ist in diesen Tracheiden cine capillare Steighohe voa 60 m moglich; ein Impragnirungsversuch mit holzsaurem Eisen ergab diesem Bcobachter ein Aufsteigen der Flussigkeit bis zu 40', wozu er bemerkt: „Hier war es augenscheinlich keine der lebenden Zelle zustehende Kraft, die das Aufsteigen der Flussig- keit bewirkte, denn die als Gift auf die Pfianzenzelle wirkendc Losung musste diese augenblicklich todten. Es liesse sich daraus wohl eine erste, aber keine fortdauernde Aufnahme und Fort- leitung erklaren, vvie sie in der That mehrere Tage stattfand". Die grossten bis jetzt gemessenen Tracheiden besitzen erst eine Lange von 12 cm, in den spateren Jahresringen habcn wir es nur mit Langen von 4 mm zu thun^); die Saumtracheiden sind sogar oft nur 0,02 mm lang und besitzen oft Fori von 0,00013 mm Durchmesser (z. B. bei Pin us silvestris), womit eine capillare Steighohe von mehreren hundert Metern gegeben ist. Doch diese Grossen kommen gar nicht in Betracht, wenn man berucksichtigt, dass die Communication der Tracheiden nur durch Molekularporen hindurch moglich ist, welche wir mit Hof- MEiSTER 2), Nageli uud ScHWENDENER ^) als ausserordcntlich feine Capillaren betrachten. Die wasserhaltende Kraft derselben ist jedenfalls so gross , dass sie im Stande ist , Wassersiiuleu das Glcichgewicht zu halten von einer Hohe, welche nicht annahernd von der des hochsten Baumes erreicht wird. Man wird einwenden^ dass der Wurzeldruck viel zu gering sei, urn das mit solcher Kraft festgehaltene Wasser aufwartszudrangen , denn nach den Unter- suchungen von Nageli und Schwendener, sowie den uber die Impermeabilitat der feuchten Holzmembran fiir Luft mitgetheilten Versuchen gehort ein sehr hoher Druck dazu, um das capillar festgehaltene Wasser zu verdrangen. Es muss jedoch berucksichtigt werden , dass in diesen Fallen die driickende Luft weder die Cohasions- noch die Adhasions-Kraft innerhalb der Capillare zu uberwinden vermochte , wahrend druckendes Wasser die in der Axe der Capillare befiudlichen Wassermolekule zu verschieben vermag, indem an Stelle der verschobenen Wassermolekule inner- halb der Neutralaxe des capillaren Wasserfadens andere nachge- schobene treten. Folgender Versuch mag das Gesagte verdeut- 1) De Baey, Anat. p. 172. ^) Unters. 3) Sitzungsber. d. k. b. Akad. d. W. 1866, I, 4. S. 357. 710 Dr. Max Scheit, lichen : Verscliliesst man den kurzen Schenkel einer mit Wasser gefiillten U-formigen Rtihre mit eineni wassergesattigten, luftfreien Pfropfen aus Coniferenholz , so geniigt ein schwaches Blasen am langen Rohrenende, um an der freien Schnittflache des Pfropfens Wasser austreten zu lasscn ; lasst man aber zwischen Pfropfen und Wasser eine Luftblase treten, so last sich auch bei starkerem Blasen kein Wasser durch den Pfropfen pressen. Was fiir ein geringer Druck zur Verschiebung dcr Wassertheilchen nothig ist, lehrt der von Sachs hierfur angefuhrte Th. HARTia'sche Versuch : „Schneidet man die Eudflachen eines sehr wasserreichen, aber lebensfrischen Tannenstammes im Winter mit dem Messer glatt, und halt man das Holz nun vertical, so erscheinen die obere und untere Querschnittflache trocken. Setzt man nun auf den oberen Querschnitt mit Htilfe eines Pinsels eine diinne VVasserschicht, so sinkt diese sofort in das Holz ein, und am unteren Querschnitt sieht man eine ebenso grosse Wassermenge ausquellen , zuerst aus dem Friihlingsholz des aussersten, daun des folgenden inneren Ringes u. s. f. Dreht man das Stuck rasch um , so wiederholt sich der Vorgang, der deutlich zeigt, dass die kleinsten Druck- differenzen ausgeglichen werden." Der Versuch gelingt nach Sachs auch mit 100 und mehr cm langen Stammstiickeu der Tanne, Es ist in diesem Versuche nur der Druck des durch das aufge- setzte Wasser an der oberen Querschnittflache entstehenden con- vexen Meniscus, welcher die Filtration bewirkt; um wieviel mehr wird dies zu bewirken dem zuweilen 3 Atm. stark werdenden Wurzeldruck gelingen ! Die Schliessmembranen sind es, welche von der allergrossten Bedeutung fiir die Wasserbewegung siud. Wahrend sie einerseits in Filtrationsstellung eine Verschiebung des in den Molekularporen festgehaltenen Wassers durch unter Druck emporgetriebenes Wasser gestatten, verhindern sie anderntheils das Zurtickfallen der einmal gehobenen Flussigkeit, durch Capillaranziehung in den nur bei Filtrationsstellung der Schliessmembranen durch Mole- kularporen communicirenden Tracheiden. Der jAMiN'sche Appa- rat, der nach Elpving^): „eine Wasser verdunstende Ober- flache darstellt, welche ihren Bedarf aus einem porosen Korper, in welchem zusanimenhilngende, von Luftblasen getragene Wasser- faden verlaufen, nimmt", versinnlicht das Gesagte, indem es nach Jamin's Untersuchungen in einem solchen Apparat bei der Hebung 1). L. c. S. 20. Die Wasserbewegung im Holze, 711 des Wassers vorwiegeiid auf die Beschaffenheit dor Obeifliiche ankomnit; „weiin diese dicht genug ist, um keine Luft eintreten zu lasseii, danii konnen die darunter liegendeii Canale beliebig coiistruirt sein". Gerade der Umstaud, dass das Wasserleitungs- system am oberen Ende fUr Luft geschlossen ist, gewinnt fUr den Mechanismus der Wasserbewegung die allergrosste Bedeutung, denn wiirde die Luft unmittelbar von oben auf das Wasser driicken, so wiirde, wie Th. Hartig's Versuch beweist, der geringste Ueber- druck von oben her geniigen , um die in der Wasserleitung be- findliciie Fliissigkeit zum Fallen zu bringen. Da aber auch die Gefasse am Ende geschlossen sind, so wiirde auch in ihnen das Wasser nicht zuriicksinken , selbst wenn sie von der Wurzel bis in die Blatter mit continuirlichem Lumen und vollstiindig glatten Wanden verliefen. Dass es gerade auf die Beschaffenheit des Endes des Capillarsystems ankommt, um betrachtliche Wasser- niassen vor dem Zuriicksinken zu bewahren, mag folgender Ver- such veranschaulichen. Eine mehrere cm im Durchmesser haltende Glasrohre wird an dem nach oben gerichteten Ende mit einem Pfropfen porosen Holzes (Eiche, Buche etc.) von 1 cm Lange ver- schlossen, und die Beriihrungsstellen von Holz und Glas werden gut verkittet. Man fiillt jetzt die Rohre mit Wasser, verschliesst das untere Ende mit dem Daumen und taucht sie dann in schrager Stellung unter Wasser, indem man vorsichtig den Eintritt von Luft vermeidet. Hebt man nun am oberen verschlossenen Ende die Rohre allmahlich in die Hohe, so sinkt die gauze in der Rohre befindliche Wassermasse erst, wenn das Rohrenende sich so hoch iiber den Niveau des das untere Ende umspiilenden Wassers be- findet, als die capillare Steighohe fiir die grosste im Holzpropf enthaltene Gefassrohre betragt, wie man leicht durch Messung und Berechnung finden kann. Zugleich mit dem Sinken des Wassers tritt durch den Pfropfen Luft ein ^). Als Resultat der vorangegangenen Betrachtungen ergiebt sich, dass, so lange die Gefasse und Tracheiden mit fliissigem Wasser geftillt sind, Wurzeldruck und Capillarwirkung geniigen, um in ersteren Wasser bis in unbegrenzte Hohen zu befordern; der Wurzeldruck ist dabei die treibende Kraft, welche einerseits den Fil- trationswiderstand der Schliessmembranen zu iiberwinden, anderer- seits die durch Adhasion und Cohiision beeinflussten Wassermole- 1) Cf. auch Fig. 106 in Wulinek's Lehrb. d. Exp.-Physik I. Bd. 1874. S. 273. 712 Dr. Max Scheit, Tnolekiile zu verschieben und (lurch andere zu ersetzen hat ; die Capil- laritat ist die haltende Kraft, welche das durch den Wurzeldruck emporgepresste Wasser vor dem Zurucksinken bewahrt; die Tran- spiration giebt den Anstoss zur Wasserbewegung im Holze, der leiseste Lufthauch, welcher die Blatter bewegt und ihnen Wasser entfiiiirt, veranlasst ein sofortiges Nachriicken von Erzatzwasser, vorausgesetzt, dass solches vom Boden her durch die Wurzeln in genugender Menge aufgenommen werden kann. Bei einer Anzahl Pflanzen endet das Gefassbundel mit einer pinselformigen Gruppe von Tracheiden unter einem besonderen Epi- them 1) mit besonderen Wasserspalten'''). Dieser Sekretionsapparat ist unserer Ansicht nach als eine Einrichtung aufzufassen, welche zur Regelung des Wurzeldruckes dient. Wird dieser zu stark, dann tritt durch das zartwaudige Epithem flussiges Wasser aus, so dass nun der Atmospharendruck in seiner ganzen Grosse auf die gesammte in der Pflanze bis in die Wurzeln verlaufende Wassersaule wirken kann, und somit der Wurzeldruck una 1 Atmospharendruck abgeschwacht wird. Das von Sachs in Vorlesung XVI Fig. 212 gegebene Schema fiir ein Stuck Saugwurzel setzt voraus, dass die ilusseren Wande der endosmotischen Einstromung des Wassers zwar giinstig sind, daftir aber einen hohen Filtrationswiderstand darbieten, wogegen die an das Gefass anstossenden Wandstucke in hohem Grade filtrationsfahig sein konnen, so dass bei Turgescenz der das Ge- fass umgebenden Zellen und Geschlossenheit des unteren Gefass- endes das Wasser in das Gefass und in diesem hinaufgepresst werden muss. Der anatomische Bau der Saugwurzel scheint ganz den ange- deuteten Verhaltnissen Rechnung zu tragen. Das Wasser wird von den jiingstcn Wurzeltheilen aufgenommen, also von einem stark osmotisch thatigen Gewebe, dessen Zellhiiute noch sehr diinn und dabei sehr gespannt sind. Dem Ausdehnungsbestreben der turgescirenden Elemente wirkt von aussen her der Druck der Atmosphare entgegen, seitlich leisten andere turgescirende Zellen, auf der der Wurzelaxe zugekehrten Seite aber die mechanisch ge- schutzten Holzelemente Gegendruck, zum Austrag kann daher der osmotische Druck nur an den diinnsten Membranstellen gelangen, also an den die Wurzelepidermis bedeutend an Feiuheit iiber- ^) Cf. Dk Baby, vergl. Anat. S. 392 u. ff. ^) VoLKENS, Diss. Berlin 1881. Die "Wasserbewegung im Holze. 713 treffeiiden unverholzteii Scliliessmcmbranen der einscitigen Hof- tiipfel. Es wiirdc deniuacli eiiie an ein Geftiss stossende Wurzel- zelle dem von Pfeffer Bd. II seiner Physiologie p. 168 in Fig. 24 dargestellten Schema entsprechen, und die Annahme Pfeffer's, dass Zellen die Eigenschaft besitzen, Wasser einseitig hervorzu- pressen, findet ihre Bestiltigung. Der von Sachs in seinen Vorlesungen S. 330 abgebildete Apparat vermag uns vollstandig zu veranschaulichen, warum das Wasser in die Gefasse, und, wenn letztere oben geoffnet sind, aus diesen herausgepresst wird. Eine andere Frage ist es, vvie es kommt, dass der aus den Gefassen ausfliessende Saft im Vergleich niit dem Zellsafte der Zellen, welche ihn ausscheiden, eine so ge- ringe Concentration besitzt. Das kann nun freilicli jener Apparat nicht veranschaulichen, ebensowenig, wie er uns die Entstehung des Wurzeldruckes verdeutlicht; er soil es auch nicht, und ist deshalb nicht ohne Weiteres zur Nachahmung des Wurzeldruckes selbst zu verwerfen, wie es Godlewskt (1. c. S. 602) thut. Dieser nimmt fiir die Wasseraufnahme und Wiederabgabe periodische Schwankungen der osmotischen Kraft des Zellsaftes an und legt seiner Theorie liber den Wurzeldruck neben dieser Hypothese noch eine zweite zu Grunde (S. 622), dass an besondereu Stellen der wirkenden Parenchymzellen der Filtratiouswiderstand des Protoplasmas in gewissen Perioden kleiner als an den iibrigen Stellen der Zelle sei. Inwieweit die erstere Hypothese berechtigt ist, muss die Zukunft lehren, die zweite scheint uns iiberflussig zu sein, da es geniigt, die Verschiedenheit des Filtratiouswider- standes in die Membran selbst zu legeu. Der Umstaud, dass das aus dem Boden in die Wurzelparenchymzelleu aufgenommene Wasser aus diesen Zellen nicht wieder nach dem Boden, sondern nach den Gefassen der Wurzeln ausgeschieden wird, findet ein- fach seine Erklarung durch die Thatsache, dass die Gefasse luft- leer werden konnen, sowie dass die ihnen mit den angreuzenden parenchymatischen Elementen gemeinsamen Schliessmembranen unmessbar fein sind, wahrend die Epidermis der wasseraufnehmen- den Wurzeltheile in Vergleich zu ihnen immer eine merklich grossere Starke besitzt. Die parenchymatischen Elemente des Holzes stehen zu den Gefassen und Tracheiden nur insofern in Beziehung, als sie zwischen sie eingebettet sind und somit deren Verlauf mitbe- dingen, so namentlich die Markstrahlen , um im Schutze dieser Elemente der Speicherung der Reservestoflfe zu dienen und bei 714 Dr. Max Scheit, der Wanderung der letztercn moglichst schnell das zur Ver- flussigung nothige Wasser zu entuelimen, resp. es uach der Ab- sonderung der Reservestoffe wieder abzugeben. 2. Bewegung des dampfformigen Wassers. Die Bewegung des fliissigen Wassers im Holze hort auf zu der Zeit, in welclier die Hohlraume des ersteren nur zum Theil mit fliissigem Wasser erfullt sind. Will man die Gegenwart von Wasserdampf in den trachealen Elementen constatiren , so kann man z. B. die zu untersuchenden Objekte mit einer Doppelscheere unter gefarbten Flussigkeiten abschneiden, welche die wasserdampf- erfiillten Riiume meist augenblicklich injiciren und auf dieseWeise schon bei makroskopischer Untersuchung den gewunschten Auf- schluss geben. Auf diese Weise wurde die Gegenwart von Wasserdampf nachgewiesen von Ende August bis Mitte September 1884 bei Syringa p ersica, Acer platanoides , Betula alba,Am- pelopsis, sowohl zur Mittagszeit als am Morgen, bei Populus tremula und Salix caprea noch Mitte October und zwar Morgens. Dieselben Pflanzen zeigten auch noch am 2. April, 2h i^^m pjjj Wasserdampfgehalt, ebenso Vitis vinifera, also zu einer Zeit, in welcher die Knospen noch geschlossen waren. Ferner wurde zu gleicher Zeit die Gegenwart von Wasserdampf durch die Beobachtung erwiesen, dass unter Wasser abgeschnittene Zweigstucke entweder alsbald oder nach kurzer Zeit untersanken, wahrend in Luft abgeschnittene und in Wasser geworfene schwammen und nur in einigen Fallen erst nach langerer Zeit sanken. Auf dieseWeise untersucht wurde Alnus glutinosa 1/VII, Populus tremula 12/VIII—16/IX 12X Betula alba 121VIII — 17/IX 12''m, Salix caprea 12/VIII, Tilia par vifolia und Acer platanoides 14/VIII. Sammtliche Objecte enthielten Wasserdampf, wahrend am 14/VIII nach liingerem Regen Vitis vinifera, Pirus communis, Pinus Abies mit flussigem Wasser erfullt schienen, da sie auch, trotzdem sie in Luft abge- schnitten wurden, in Wasser geworfcn untersanken. Endlich wurde noch folgende Versuchsart angewendet. Die zu untersuchenden Zweigstucke wurden unter Glycerin abgeschnitten, welches durch Eosin lebhaft roth gcfiirbt war. Unter demselben Medium wurden tangentiale und radiale Langsschnitte herge- ^ stellt und in Glycerin mikroskopisch untersucht. Die Gefasse jjl zeigten sich fast durchgiingig injicirt, wilhreud die Injektion der Die Wasserbewoguni; im Holze. 715 geoflfneten Holzfasern nocli unter dem Mikroskope vor sich ging. Es liess sich auf diese Wcise Wasserdampf nachweisen bci Pinus silvestris lliVlII— 30:VIII, Betula alba UVIII- 17IX in den Mittags- und Nachmittags-Stunden , bei Populus tremula 11/VIII— 15/VIII, Tilia parvi folia 14 VIII 10" am. Ampe- lopsis 30 VIII 9" a.m, Acer platan oides. 30 VIII 11" a.m. Dass auch in spiiteren Monaten noch VVasserdampf in den Hohlraumen des Holzes vorhanden sein kann, geht aus folgenden Beobachtungen hervor. Nach NoEDLiNGER^) sogen Weidenzweigstiicke , in Wasser gelegt, davon in 1 St. 10 ^ ihres Gewichtes auf im Dezember, und nach Angabe desselben Autors ist die grosste Saftarmuth des Holzes zwischen September und Oktober oder November , wo die Blatter bereits abgelebt batten und nicht mehr stark diinsten konnten. V. HoHNEL 2) beobachtete, dass noch zu Ende Oktober, trotz des Vergilbtseins der Blatter, an den meisten Versuchszweigen noch ganz erhebliche negative Drucke vorkommen. Derselbe Forscher giebt an , dass auch im Winter geringe negative Drucke durch Wasseraufsaugung nachzuweisen sind. Wenn Bohm ^) Anfangs Oktober 1878 Mittags bei wolken- losem Himmel beobachtete, dass sich durch miissig lange, reich belaubt gewesene Zweigstiicke von Acer und Tilia, welche un- mittelbar vorher stark transpirirten, mittelst comprimirter Luft reichlich Saft pressen liess , so mussen dabei besondere Verhiilt- nisse geherrscht haben, denn Verfasser dieses constatirte am 8;X. 84. 12^ m. bei durchfeuchtetem Boden und triibem Himmel an den von Bohm untersuchten Pflanzen nur ein kaum bemerkens- werthes Feuchtvverden der Schnittflachen an ^ dm. langen Zweig- stucken bei kriiftigem Blasen mit den Backen, wahrend doch unter diesen Umstanden vollstiindig mit Wasser gesattigte Stiicke deutlich Wasser austreten lassen. Ausserdem zeigte sich, dass die Versuchsobjekte, in Wasser geworfen, schwammen. Setzen vvir in den auf Luftgehalt bezuglichen Angaben Hof- meister's^) fiir Luft Wasserdampf, dann tritt letzterer nicht nur in den Gefassen, sondern auch in den Holzzellen der Rebe, des 1) Forstbot. p. 82. ^) Beitr. etc. p. 113. 3) "Ueber d. Urs. d. Wbew. etc. Bot. Z. 1881. No. 49 u. 50. *) Flora 1858 No. 1. 71G Dr. Max Scheit, Ahorns, der Birke, der Pappel , vieler Laubholzer und in den Holzzellen der Nadelbiiume auf wahrend des Winters, bei der Rebe noch Mitte Marz. Damit in Einklang steht auch Th. Hartig's^) Angabe, dass im Spiitherbste, kurz vor der Zeit, in welcher die Blatter anfangen sich zu verfiirben, bei den weichen Laubholzern der Wassergehalt mit 0,14 — 0,18 Gr. pr. Ccin. auf ein Minimum sinkt, ferner, dass bei Hainbuche, Rothbuche, Ahorn, Wallnuss das Einsaugen von "Wasser in Bohrlocher mit derjenigen Zeit zusammenfiillt, in welcher die noch unbelaubten Zweigspitzen der Baume keine Feuchtigkeit verdunsten ^). Allgemein lasst sich sagen, dass fliissiges Wasser die Wasser- leitungselemente nur dann erfullen kann, wenn das von den Wurzelelementen aufgenommene Wasserquantum grosser ist als das durch Transpiration abgegebene, wie es zur Zeit der Wurzel- thatigkeit des Nachts oder bei feuchter Atmosphare der Fall ist; wenn aber die eigentliche Vegetationszeit voriiber ist, dann kann flussiges Wasser nur dann die Wasserleitung erfiillen, wenn die Transpiration bereits fruher ihr Ende erreichte als die Wurzel- thatigkeit; dauert erstere aber nach dem Aufhoren der Wurzel- thatigkeit noch fort, dann kann nur Wasserdampf in den Hohl- raumen des Holzes enthalten sein , der sich an geeigneten Stellen condensirt, wie es von Ende Sommers bis zu Anfang des Friih- jahrs bei den meisten Holzgewachsen der Fall ist. Auch mitten in der Vegetationszeit konnen sich die Wasserleitungselemente mit Wasserdampf erfullen, wenn namlich andauernde Trockenheit des Bodens die Wurzeln verhindert , den Transpirationsverlust zu decken, was urn so seltener der Fall sein wird, je tiefwurzelnder die Pflanze ist. Wir kommen nun zur Bewegung des Wasserdampfes im Holze selbst. Von vornherein muss darauf hingewiesen werden, dass diese Art der Wasserbewegung fiir die Pflanze nicht in Betracht kommen kann , so lange sie in lebhaftem Wachsthum begriffen ist und rohen Nahrmaterials aus dem Boden bedarf. Dieses kann nur in fliissigem Wasser gelost in die Blatter gelangen. Hat aber die Neubildung von Organeu aufgehort, also gegen Ende des Sommers, dann wurde es mit Nachtheil fiir das Leben der Pflanze verkniipft sein, wenn sich nach Verdunstung des Losungs- 1) Bot. Z. 1868. No. 2. 2) Bot. Z. 1863. S. 280. Die "Wasserbewegung ira Holze. 717 waasers die Nahrsalze in der Pflanze aufhiiuften , nachdem die Blatter die Reservestuftbildung beendet habeii, und wahrend deren WanderuMg nach den von schiitzendem Holz und Rinde umgebcneu Behjiltern haben die Blatter nur reines Wasser nothig, theils zur Verflussigung der auswandernden Reservestoffe, tbeils zur Deckung des uni diese Zeit in den ausgebildeten Bliittern nur geringeu Transpirationsverlustes. Fliissiges Wasser, durch Wurzelthatigkeit niit Nahrsalzen uni diese Zeit in die Blatter geschafft, wiirde niclit nur iiberfliissig, sondern sogar schadlich sein, und da die Wurzel- thatigkeit zu gleicher Zeit beendet ist, so ist die Bewegung des Wassers in Dampfform jetzt nicht nur die niitzlichste , sondern auch die allein mogliche ; sie ist jedoch nicht ausgeschlossen fur die Zeit der lebhaftesten Wurzelthatigkeit, namlich in dem Falle, in welchem der Transpirationsverlust grosser ist als die Wasser- aufnahme aus dem Boden. Es findet in diesem Falle die Be- wegung des Erniihrungsstromes wahrend der Nacht statt, wie V. HOhnel ^) ebenfalls aus seinen Versuchen iiber den uegativen Druck folgert Wir sprachen davon, dass nach Beendigung des Wachsthums ein fortgesetztes Emporschaffen von Nahrsalzen schadlich fiir die Pflanze werden konnte , indem die nicht mehr zur Verwendung konimenden Stoffe sich ablagerten und die Leitungsbahnen des Wassers verstopften ; auf einer solchen Verstopfung beruht unserer Meinung nach die Ursache der schlechten Leitungsfahigkeit des Kernholzes fiir Wasser. Es sind an dieser Stelle die von CrCger ^) beobachteten Salzablagerungen im Holze zu erwahnen, sowie die von MoLiscH^) beobachteten Ablagerungen kohlensauren Kalkes, die dieser Autor ebenfalls als Ursache der schlechten Leitungs- fahigkeit betrachtet. Sehen wir nun zu, wie wir uns die Bewegung des Wassers in Dampfform vorzustellen haben. Bringt man in ein Reagenzglas etwas Wasser, und verschliesst man es mit aufgeweichter Schweinsblase, die man nach ihrer Be- festigung des Straft'werdens wegen trocknen lasst, dann beschlagen die Wande eines zweiten dariiber gestiilpten Reagenzglases mit Wassertropfchen , sobald man das im unteren Glase befindliche 1) Sep.-Abdr. aus Pbingsheim's Jb. Bd, XII. S. 125. ^) Cf. Habeelandi, Physiol. Pflauzenanatomie. Leipzig 1884. S. 373. u. f. 3) Ibid. Bd. XIX. K. F. XII. 4 -J 718 Dr. Max Scheit, Wasser starker erwarmt, das Wasser tritt also durch die beide Glaser hemmende Membran hindurch als Dampf, der sich an den kalteren Stellen wieder zu fliissigem Wasser verdichtet. Dass zu einer solchen Destination nur geringe Teraperaturunterschiede ge- nugen, geht aus folgendera Versuche hervor: Stellt man den eben beschriebenen Apparat so auf, dass das untere Ende auf einem von der Sonne erwarmten Fensterbrett ruht, wahrend das obere die kaltere Fensterscheibe beriihrt, so wird ebenfalls an den Wanden desoberen Reagenzglases Wasser niedergeschlagen. Wiilirend dies aber im vorigen Versuche sehr sciinell geschah , braucht es in diesem eine bedeutend langere Zeit, zumal da eine verhaltniss- massig dicke Membran beide Gefasse trennt. In der Pflanze haben wir nun ahnliche Verhaltnisse, nur sind in ihren Wasserleitungsrohren die trennenden Membranen unend- lich vielmal diinner als in unserem Apparate, so dass Wasser- dampfe viel leichter hindurchgelangen konnen als in letzterem. Soil in der Pflanze aber Destination des Wassers von unten nach oben bin stattfinden, so muss an dem unteren Ende eine hohere Temperatur herrschen als an den verdunstenden Blattern, und zwar muss dieselbe von unten nach oben allmahlich ab- nehmen. Ob bei einer derartigen Destillationsbewegung nur Wasser aus dem Stammreservoir zur Verwendung kommt , oder ob dabei auch noch oder zu Zeiten vielleicht auch ausschliesslich durch die Wurzeltheile hindurch vermittelst des Luftdruckes gepresst wird, ist eine andere Frage, Solange die Wurzeln noch nicht von einem undurchlassigen Periderm iiberzogen werden, ist ein derartiger Wassereintritt nicht ausgeschlossen. Was nun die fiir die Destillationsbewegung in der Pflanze nothigen Temperaturunterschiede anbelangt, so sind diese in der That vorhanden. Zu der Zeit, in welcher Wasserdampf sich in den Hohlraumen des Holzes nachweisen lasst, herrscht im Boden eine hohere Tempe- ratur als in der Luft. In grosseren Tiefen kann ja in Folge des schlechten Warmeleitungsvermogens des Bodens die Temperatur die umgekehrte als in der Luft werden ; in 8 m Tiefe tritt z. B. das Temperatur-Maximum zwischen November und Januar ein ^), das Minimum ira Juni oder Juli, so dass dort die Jahreszeiten ^) Nach Beobachtungen von Doueand in Nukuss. (NB. Es sind diese Angaben einer Vorlesung des Herrn Hofr. Prof. Dr. Sohnke in Jena entnommen). Die "Wasserbewegung im Holze. 719 gerade die entgegengesetzten sind wie oben, nur mit grosser Milde- rung des Gegensatzes. Nach den Angaben Eberma.yer's erreicht die Temperatur ihr Maximum in 4' Tiefe im August oder September, ihr Minimum im Februar, „ 12' „ „ October, „ „ „ April, „ 20' „ „ December, „ „ „ Mai. Von besonderem Einfluss auf die Verspatung der Extreme ist nach Beobachtungen von Forbes in Edinburg die Botenart. Wahrend im Boden die Temperatur sich langere Zeit auf dem- selben Grade halt und in grosseren Tiefen Schwankungen immer weniger unterworfen ist, sind die Schichten des Holzes, in denen sich das Wasser bewegt, also die jiingsten und am meisten nach aussen gelegenen, solchen viel mehr unterworfen. Dieses Verhalt- niss steigert sich noch bedeutend in den Aesten nnd Zweigen und am hochsten in den Blattern. Da diese dem Einflusse der im Verhaltniss zur Bodentemperatur niedrigeren Lufttemperatur am meisten ausgesetzt sind, so ist in ihnen die Ditferenz zwischen Boden- und Lufttemperatur am grossten. Dazu kommen noch andere, bereits von Sachs") gewiirdigte Verhiiltnisse: „Blatter und diinne Sprossaxen, welche sich in freier Luft befinden, verlieren nicht nur durch Warmestrahlung, sondern auch durch Warmeabsorption bei der Dampfbildung des Wassers so betrachtliche Warmemengen , dass sie fur gewohnlich kalter sind als die umgebende Luft. In klaren Nachten kann durch Ausstrahlung die Temperatur der Blatter selbst um mehrere Grade unter die der Luft sinken , und wenn die letztere z. B. 2 — 3 "^ iiber Null betragt, so konnen jene 3 — 4<* unter Null abgekiihlt werden , wobei der Wasserdampf der umgebenden Luft sich in Form von Eiskrystallen (Reif) auf den Pflanzen niederschlagt." Sobald unter diesen Verhaltnissen die Hohlraume des Holzes nicht mehr von flussigera Wasser erfiillt sind, verdunstet ein Theil des noch vorhandenen fliissigen Wassers in den entstandenen leeren Raum, um sich in den Tiipfelraumen wiederzu condensiren, deren Schliesshaute die geringste Temperatur besitzeu. Die Richtung, nach welcher hin Wasser destillirt, ist demnach im Holze von innen nach aussen einerseits , von unten nach oben andererseits. Jedenfalls spielen bei dor Verdichtung des Wasser- dampfes die Tupfelraume eine grosse Rolle, denn es ist ja That- 1) Vorl. XXV. p. 489. 47^ 720 Dr. Max Scheit, sache, dass porose Korper, z. B. Holzkohle, trockenes Holz etc., Wasserdampf in grosser Menge zu verdichten vermogen. Ohne die Bewegung des Wassers auf dem Wege der Destil- latioii wtiide es wohl schwer erklarbar sein , wie gefallte Baume die mit dem belaubten Gipfel liegen bleiben, ihre Belaubung langere Zeit frisch uiid spannkraftig erhalten, ja sogar frisches Laub treiben, Oder wie eine gefallte Weymouthkiefer , aufrecht ira Bestande auf trockene Unterlage gestellt und von den Gipfeln der iibrigen Baume in aufrechter Stellung festgehalten , in Belaubung und Trieben von Anfang Marz bis Ende August grun und turgescent blieb, wie Th. Hartig^) beobachtete. Freilich muss hierbei wohl angenommen werden , dass zugleich die Transpirationsintensitat herabgesetzt war, moglichcrweise wurde auch Wasserdampf aus der Luft an der porosen Schnitt- oder Hiebflache verdichtet und im Innern des Stammes weiter destillirt. Das Austrocknen des Holzes geschieht niclit auf Kosten und durch Wanderung von Imbibitionswasser der Holzwandung, sondern wir haben es hierbei ebenfalls nur mit einem einfachen Destillationsvorgang zu thun. Die Beobachtung R. Hartig's^), dass der Wassergehalt der Birke, Buche, Fichte und Kiefer von unten nach oben steigt, gilt jedenfalls nur fiir die Zeit, in welcher nur Wasser von unten nach oben auf dem Wege der Destination gelangt; die Verschiedenheit in Bezug auf den Wassergehalt in verschiedenen Baumregionen liegt zweifelsohne in der Art der Destillationsbewegung begrundet. Das Welken des Fichtenwipfels, welches genannter Autor an- fiihrt, trotz des betrachtlichen Wassergehaltes des oberhalb der durchschnittenen Splinttheile liegenden Holzes, erklart sich so, dass mit der Durchschneidung des Splintes der Wurzeldruck nicht mehr zum Austrag kommen konnte, falls solcher in der geschlossenen Pflanze herrschte, andererseits aber die Bedingungen mangelten, eine Wasserbewegung auf dem W' ege der Destination zu bewirken, namlich Temperaturunterschiede zwischen oben und unten. Die bewegende Kraft bei der Destillationsbewegung liefert die Warme, welche der Boden wahrend der Zeit der Bestrahlung durch die Sonne aufgenommen hat, Temperaturunterschiede, die mit der Entfernung von unten nach oben zwischen beiden Endpunkteu der Wasserleitung allmahlich immer grosser werden im Verhaltniss zur Vergrosserung der warmeleitendcn Fliichen , wie sie der Bau 1) Bot. Z. 1861, sowie auch 1863 No. 41. 2) Zur Lehre etc. S. 61. Die Wasserbewegung im Holze. 721 der rflanze in seiner immer weitergehenden Verzweigung zeigt, bedingen die abwechselndc Verdunstung und Verdichtung des nach den Blattern hin destillirendeu Wassers. In den Blattern ange- kommen, hat das in den Saumtraclieiden endlich verdichtete Wasser durch Ausstrahlung die im Boden aufgenommene Warmemenge, die zur Wasserbewegung nothig gewesen war, zum Theil verloren, zum Theil wird sie zur Verdunstung des Wassers nach aussen noch aufgebraucht. 3. Betrachtung einiger anatomischer Einrich- tungeu des Holzes an der Hand der entwickelten T h e 0 r i e. Wie uns die Anatomie lehrt, giebt es Gewachse, deren Holz fast nur aus Tracheiden besteht , andererseits aber auch solche, bei denen diese manchmal ganz fehlen ' ). Beiderlei Eleraeute sind also fur sich ira Stande, die Beweguugsbahn fiir den Trauspirations- strom zu bilden, worauf auch der Umstand hinweist, dass beiderlei Elemente in einander iibergehen ^). Aus diesem Grunde vermogen sie auch sich gegenseitig als Wasserreservoire zu vertreten und zusammenzuwirken, insofern als der Gesammtholzkorper mit Aus- nahme der parenchymatischen Elemente zu Zeiten als Wasser- speicher dienen kann ^) , naralich zur Zeit der stiirksten Wurzel- thatigheit bei schwacher Transpiration. Es leuchtet ein, dass ein solches Wasserreservoir bei den Pflanzen am starksten entwickelt sein muss, die nur fiir kurze Zeit durch die Wurzeln Wasser auf- zunehmen im Stande sind oder dazu Gelegenheit finden; und so ist es auch in der That, wie Volkens naher nachgewiesen hat 3): „Bei alien anatomischen Darstellungen von Steppen- und Wusten- pflanzen ist deren fester Bau ein stehender Refrain". „Bei denjenigen blattlosen Zygop hylleen und Chenopodieen, welche ein umfangreiches Schwellgewebe in ihrer Rinde aufweisen , tritt der Holzcylinder vollig zuriick." Sachs*) spricht sich iiber die Bedeutung des Holzes so aus: „Der Holzkorper tritt als Vermittler auf; ist die Transpiration grosser als der Wurzeldruck, so giebt er Wasser an die Paren- •) Sanio, Bot. Centralbl. Bd. XX. No. 1 Jg. V. 2) De Baby, Yergl. Anat. S. 498. 3) Cf. raeine vorl. Mittheilung, Bot. Z. 1884. S. 186, sowio Volkens, Jb. d. k. bot. Gartens z. Berlin III. 1884. *) Handb. d. exp. Physiol, d. Pfl. 1865, S. 232. 722 Dr. Max Scheit, chynizellen des Blattes ab, ist letzterer grosser als erstere, so sammelt er Wasser an". Ausser dem Holzreservoir treten bekanntlich noch bei einer Anzahl Pflauzen besondere Wassergewebe auf, sei es im lunern der Pflanze, sei es als epidermales Wassergewebe^). Welches ist aber nun im Besonderen die RoUe der Gefasse und Tracheiden ? Schon ofter sind die Gefasse als die eigentlichen Wasser- reservoire betrachtet vvorden , aus denen der Transpirationsstrom auf weitere Strecken bin gedeckt wird , wenu die Wurzeln nicht geniigend Wasser in das Holz befordern, wahrend die Tracheiden in erster Linie localen Bediirfnissen geniigen, wie bereits Schwen- DENEE hervorgehoben hat'^). Tracheiden und Gefasse zeigen in ihrem Bau zwei ganz ver- schiedene Principien 3); konimt bei jenen besonders das der grosst- moglichen Flachenentfaltung sur Geltung, so bei diesen umgekehrt das der Raumvergrosserung. Die Bedeutung der Gefasse tritt erst dann hervor , wenn die Wurzelthiitigkeit beendet ist und die Destillationsbewegung beginnt , die aus den friiher durch den Wurzeldruck gefiillten Gefassen nach den umgebenden Tracheiden bis zu den Tracheidenendigungen des Blattes hin vor sich geht. Das Vorkommen der Gefasse bei den Laubholzern und ihr Fehlen hei den Coniferen erkliirt sich aus der verschiedenen Ver- dunstungstarke beider Baumarten, die nach v. Hohnel's^) Unter- suchungen im Verhaltniss von 6 : 1 (1879) und 8 : 1 (1878) sich berechnen liess. Bei der Liirche freilich, welche zu den am stiirksten verdunstenden Holzgewiichsen gehort (1. c), muss das Fehlen der Gefasse durch noch zu ermittelnde Umstiinde bediugt sein , viel- leicht durch laiigandauernde Wurzelthatigkeit. Zu beriicksichtigen ist noch, dass die Tracheiden der Coniferen die der Laubholzer an Weite betrachtlich iibertretien , den Farnen geniigen besonders grosslumige, gefiissartige Tracheiden den localen Auforderungen anstatt der Gefasse. Einen deutlichen Fingerzeig fiir das Verstandniss der Funktion der Tracheiden und Gefasse giebt uns das mikroskopische Bild ^) Cf. Steasbttbger, „Das bot. Practicum". Jeua 1884. S. 89. ^) Cf. Habeelanu, I'hys. Anat. S. 215, ferner Boiim, luaugurations- rede. 3) Cf. auch meine vorl. Mitth. 1. c. S. 186. *) Mitlhl. aus d. forstl. Versuchswesen Oesterreichs, Bd. II. H. III. Wien 1880. S. 20. Die Wasserbewegung im Holze. 723 eines Holzquerschnittes. Bekanntlich ist das Friihjahrs- und Sommerholz reicher an Gefiissen als das Herbstholz, dem sie oft ganz fehleii, ausserdem sind die Gcfasse des Friihlingsholzes auf- falleiid vveitlumiger als die des Herbstholzes •) , ebenso treten die Gefasse in den Stengeln untergetauchter Pflanzen autfallend zuriick; es sind eben hier vvie im Herbstholz keine Wasserreservoire nothig, denn in letztereni steigt ja zuerst das durch den Wurzeldruck emporgepresste Wasser im Friihjahr erapor. Bei Fag us silv. z. B. verschwinden bereits Ende August die Gefasse , nur Tra- cheiden und Holzfasern werden noch gebildet, die andererseits im Fruhjalirsliolz ganz fehlen. Erst wenn die Blatter ausschlagen und zu ihrer Entfaltung viel Wasser bediirfen, machen sich grossere Wasserniassen nothig, wie sie am schnellsten durch weitlumige Gefasse geliefert werden konnen. Steht der Pflanze reichlich Wasser zur Verfiigung, wie es bei den submersen Pflanzen der Fall ist, oder auf andere Weise, dann machen sich grossere Wasserspeicher iiberfliissig, wie eine Beobachtung Bohm's augenfallig lehrt: „Werden abgeschnittene Zweige von Salix frag ills ira Friihjahre nach Beginn der Holzbildung unter Wasser getaucht, so fahren sie gewohnlich auch unter den neuen Verhaltnissen fort sich zu verdicken , das neu- gebildete, oft aus mehr als 20 Zelllagen bestehende Holz ist aber gefasslos". Der anatomische Vergleich zweier ungefahr gleich starker Gefassbiindel verwandter Pflanzen, wie von Ranunculus flu i tans und repens, welche de Bary S. 345 seiner ver- gleichenden Anatomie abbildet, bilden eine weitere Bestatigung der oben geausserten Ansicht tiber die speciellere Function der Gefasse, ebenso der Vergleich der Gefassbiindelquerschnitte der Land- und Wasserform von Polygonum amphibium^), Es ware wiinschenswerth , dass von den erorterten Gesichts- punkten aus die Palmen untersucht wiirden, da nach v, Mohl's^} Untersuchungen im mittleren Theile der Gefassbiindel vieler Palmen- stamme sich Gefassrohren grosster Weite finden (0,280 — 0,562 mm), ebenso diePapilionaceen und Caesalpinieen, welche nach Wiesner's *) Angaben besonders weite Gefasse aufweisen , sowie ^) Cf. NoEDLiNGEB, techn. Eigensch. d. H. S. 13. 2) Cf. Habeeland, Phys. Anat. S. 213, sowie Volkens' Ber. d. bot. G. z. Berlin 1884. S. 44 des Sep.-Abdr. 3) Cf. De Baet, 1. c. S. 176. *) Kohstoflfe etc. 724 Dr. Max Scheit, die Schling- uiid Kletter-Pflanzen, auf deren Weitc CrUger ^) hin- weist. Westermaier^) glaubt den Nachweis geliefert zu haben, dass audi die grossluraigen Interccllularen im Xylem gewisser Pflanzen mit den sie umhullenden diinnvvandigen Zellen anatomische imd physiologische Analoga der Gefasse mit dem sie begleitenden Paren- chyni seien. An dieser Stelle sei auch auf die Verschiedenheit der Durch- raesser der Leitungsrohren auf eincm Wurzel- und einem Stamni- querschnitt hingewiesen. Der Umstand, dass in der Hauptwurzel jone Elemente bedeutend grosslumiger sind als im Stamm, und nach den Blattern zu sich immer mehr verengern , ist jedenfalls bei der Wasserbewegung und Condensation des Wasserdampfes von Bedeutung, da bekanntlich in Cappillarrohren das Wasser sich immer nach dem sich verengernden Ende hinbewegt. Um zu zeigen, wie bedeutend diese Durchmesserunterschiede sind, soHen eiuige Zahlen mitgetheilt werden. Pinus silvestris. Stammtracheide : Blatttracheide = 7,5:1. Ampelopsis. Gefass des alten Holzes aus dem Stamm: Gefass an der Basis des Blattstiels = 4:1. Periploca graeca. Gefass des Stengels: Gefass an der Blattbasis = 15: 1. Glycine sinensis. Gefass im jungsten Jahresringe eines 5-jahrigen Stengels: Gefass an der Basis der Blattfieder = 15 : 1. Die Verschiedenheit im Durchmesser von Friihjahrs- und Sommerholz einerseits und Herbstholz andererseits hangt genau mit ihrer verschiedenen Leistung zusammen. In ersteren geht die Leitung fliissigen, mit Nahrstoffen versehenen Wassers wahrend der Zeit der Neubildung vor sich , gegen deren Ende die Anzahl der specifischen Wasserleitungsrohren abnimmt; auch die Lumina der Tracheiden werden kleiner nach dem Herbste zu, zuletzt werden nur noch Tracheiden gebildet, denen besonders die Con- densation des Wasserdampfes obliegt, denn ihr ganzer Bau Uisst sie als eigentliche Condensatoren erkennen. Mit der Verkleinerung des Lumens ist eine Verstiirkung der Wandung verbunden, wodurch zugleich den mechanischen Anforderungen Rechnung getragen wird, dem Druck der parenchymatischeii Elemente einen grosseren Gegendruck in dem Grade entgegenzusetzen, als der des friiher aus 1) Westermaiee und Ambeonn, Flora 1881 No. 17. 2) Sitzungsber. d. kgl. pr. Ak. d. W. z. Berlin. 1884. XLVIII. Die "Wasserbewegung im Holze. 725 dem Inuern der Wasserleitungselemente nach aussen wirkende Wurzeldruck abnimmt. Die Verdickung der Wandung bedingt auch zugleich die der Tiipfelwandlln^^ Dass die Tracheideii in ihrer starken Menibrauflachcnentfaltung die eigentlichen Coiidensatoren des Wasserdanipfes sind, tritt bc- sonders im Bau der Saunitracheiden hervor, deren fragliche Be- deutung einerscits zu meiner Dissertation '), andererseits zu meinen ubrigen Arbeiten Veranlassung war. Bekanntlich werden die Ge- fassbiindeleiiden im Blatte von Saumen mehr oder weniger iso- diametrischer, eigenthiimlich verdickter Tracheiden begleitet und an der Spitze von einer Haube solcher bedeckt, derart, dass sie oft das ganze Biindel an Masse ubertreffen. Beriicksichtigen wir nun, dass im Blatte die grosste Wassermenge verbraucht wird, so kann es nicbt Wunder nehmen, dass hier an der Endstation der Wasserleitung, dem Verbrauchsorte, die Condensationsapparate be- sonders zahlreich und eigenthumlich gestaltet sind ; in ihnen ist einerseits die Attraktionsflache zur grossteu Entfaltung gelangt, andererseits die Zabl der Wasserbehalter zugleich als moglichst grosse gegeben, wie sie zur Befriedigung des angrenzenden, saugen- den Assymilationsgewebes nothig ist. Die Tracheidensaume und -Hauben bilden gewissermaassen das Endreservoir , aus dem das Chlorophyllgewebe des Blattes unmittelbar oder vermittelst eines farblosen Querparenchyms seinen Bedarf entnimmt, weshalb sie auch, wie schon de Bary 2) bemerkt, ausschliesslich wasserer- fullt sind. Dementsprechend besitzen auch solche Pflanzen, die am starksten der Transpiration ausgesetzt sind und dabei die geringste Wasser- zufuhr von aussen her bekommen, die starkste Entwickelung eines solchen Wasserspeicherungs- und Condensationsgewebes, wie aus den in meiner Dissertation hiertur raitgetheilten Beispeilen ersicht- lich ist, in welcher die Frage nach der Function des genannten Gewebes noch nicht ihre befriedigende Losung gefunden hatte. Die in meiner vorlaufigen Mittheilung zu dieser Arbeit ^) gegebene Deutung der fraglichen Tracheiden wird durch die Untersuchungen von VoLKENS*) bestatigt. Letzterer beschreibt Tracheiden- 1) Cf. diese Zeitschr. XVI. N. F. IX. Bd. 1883. 2) Anat. Cap. 177. 8) Bot. Z. 1884. No. 12. S. 187. ^) ,,Beziehungen zwischen Standort und anatomischem Bau der Vegetationsorgane". Sep.-Abdr. aus d. Jahrb. d. k. bot. Gartens z. Berlin III. 1884. S. 33. 726 Dr. Max Scheit, eiidigungen bei Capparis galeata, die sich ganz den Saum- tracheiden anreiheii : „Sie erfaliren hier, wo die Wasserzufuhr nur selten eintritt, der Wasseiverbrauch aber trotz aller Schutzmassregeln ein stctiger und grosser ist, eiiie ganz aussergewohnliche Ent- wicklung." Aehnliche locale Wasserreservoire sind auch die von Kny und ZiMMERMANN ^ ) naher beschriebenen Spiralzellen im Blatte von Nepenthes; sie haben nach Angabe der genannten Autoren die Aufgabe, „fur eine Speicherung und nioglichst gleichmassige Ver- theilung des Wassers an das Assimilationsgewebe Sorge zu tragen." Die „Hofporenzellen" der Markstrahlen , oder Markstrahl- tracheiden, welche nach Schulz ^) nur den Abietineen eigenthiim- lich und als Wasserbehalter fiir das Markstrahlgewebe zu be- trachten sind, dieuen wohl auch noch einer ausgiebigen Wasser- beweguDg in radialer Richtung. GoDLEwsKi (1. c.) schreibt auch den parenchymatischen Mark- strahlzellen eine grosse Bedeutung bei der Wasserbewegung bei und sucht ihre Verlangerung in der Richtung des Markstrahls so zu erklaren, dass es nothig sei, dass die Zelle niehrere Tra- cheiden beriihre, „denn nur dadurch, dass das aus mehreren die Zelle beriihrenden Tracheiden aufgenoinmene Wasser in eine einzige Tracheide hineingepresst wird, ist die Entstehung eines namhafteu zur Wasserbewegung erforderlichen Druckunterschiedes in den Tracheiden moglich." Unserer Ansicht nach stehen die Markstrahl- zellen zur Wasserleitung nur insofern in Beziehung, als sie zur Vege- tationszeit derselben Wasser entziehen , um es nach Ablagerung der Starke wieder in sie hineindestilliren zu lassen, durch Streckung in radialer Richtung wird das Aus- und Riickwandern der ver- fliissigten Starke dadurch erleichtert, dass die Zahl Widerstand leistender Querwande vermindert ist. Was die an den Seitenwiinden, welche Tracheiden und Mark- strahlzellen trennen, befindlichen grossen Tiipfel anbelangt, so haben diese den Zweck, das unter Druck emporgepresste Wasser in reichem Maasse durchfiltriren zu lassen, wenn es sich darum handelt, die Reservestotfe zu verfliissigen. Es erubrigt noch, auf die Bedeutung der Schliesshaute fiir die Wasserleitung hinzuweisen, deren Zweck am auftallendsten uns in den behoften Poreu zum Verstiindniss gebracht wird. 1) Ber. d deutsch. hot. Ges. Jg. 1885. Bd. III. 8. 127. ') „Das Markdtrahlgew." Diss. Berliu. Die Wasserbewegung im Holzo. 727 Diese entsprechen, wie Sciiwendenek ^) richtig erkaunt hat, dem Bedurfniss, die Diffusionsflache moglichst zu vergrossern, ohne die Festigkeit der Waiid mebr als nothig zu beeintrachtigen ; denii wenn die Uiiigebung so bescbaft'eii ist, „dass die letztere Rucksicht wegftillt, so koiiuen die Poren gross und doch unbehoft sein, d. h. die Verenguiig nach dem Lumen zu wird uberfliissig". Die Schliess- haute sind die einzigen ftir Wasser durchliissigen Stelleii des Wasserleitungssystems; sie ermoglicben die Ueberfiihrung des Wassers von der Wurzel zur Baumkrone sovvohl in fliissiger als danipfiormiger Gestalt, sowie nach den angrenzenden wasserbe- diiri'tigen paienchymatischen Elementen, also den starker auf- steigenden Holztheilen einerseits, dem Cambium und dem Rinden- parenchym andererseits. Wiihrend die Tangentialwande der Friih- lingsholz-Tracheiden tiipfelfrei sind , treten auf denen des Herbst- holzes zahllose Tiipfel auf, um nach dem Cambium Wasser gelangen zu lassen. Die Deutung, welche Godlewski ^) den Schliesshauten giebt, ist ganz treffend. Er vergleicht den Porus mit dem Platinconus beim Schnellfiltrirapparate, und den unverdickt gebliebeneu Rand samnit seinen Rillen niit einem gefalteten Filter; den Hoftiipfel betrachtet er als einen doppelteu Trichter, welcher mit einem einzigen Filter und einer Einrichtung zum Schutz desselben (Torus) versehen ist. Wiihrend der Torus verhindert, dass bei starkem Wurzeldruck die im Uebrigen so uuendlich feine Schliessmembran durch den Tiipfelkanal hindurchgepresst wird, gestattet er der Schliessmembran, sich dem Tupfelgewolbe anzulcgen, so dass nur an den Rillen Wasser hindurchfiltriren kaun. Solange Wasser das Wasserleitungs- system erfullt, vermag der Torus jedoch keinen voUstandigen Ver- schluss des Tiipfelganges zu bilden; der Versuch ergab namlich, dass bei starkerem Filtrationsdrucke nicht, wie Russow erwartet, weniger, sondern mehr Wasser als bei schwachem filtrirt, so dass die Deutung der Tiipfel als „Klappenventile", die ihnen Russow gab, weniger zutreffend ist als die Godlewski's. Ein vollstaudiger Verschluss wird erst dann gebildet , wenn die durch die Transpi- ration entleerten Wasserleitungselemente in Luft durchschnitten werden ; der aussere Luftdruck presst dann sofort die Tori der ge- offneten Elemente nach den angrenzenden Poren der geschlossenen Elemente. ^) Die Schutzsoheiden. S. 17 und 18. 2) 1. c. S. 616. 728 Dr. Max Scheit, Wiirden die Schliesshaute uicht durch den Torus geschtitzt sein, so wiirden bei dcr geringsten Verletzung des wasserleitenden Holzes, falls dieses wasserleer ist, ini Augenblick sammtliche Schliess- haute des ganzen Wasserleitungssystemes gerissen werden und dieses sich mit Luft fallen, womit die Wasserbevvegung fiir imnier zum Stillstehen gebracht wiire ^). Bei der Bewegung des Wassers in Dampfform spielen jeden- falls die behoften Tupfel mit den Schliesshauten eine Hauptrolle, insofern in ihnen die Condensation des Wasserdampfes eingeleitet wird. Der mechanische Bau der Tupfel, der in seinen Abweichungen nur mechanischen Anforderungen entspricht, ist ein solcher, dass auch fiir die Vergrosserung der Membranausdehnung gesorgt ist, womit eine ausgiebige Condensation von Wasserdampf bedingt ist, sobald die Temperaturverhaltuisse dies gestatten. Wahrend der Destillationsbewegung des Wassers werden die Schliesshaute nicht verschoben, dalier sind sie im Herbstholz immer straff ausgespannt ^), wahrend sie in den saftleitenden Zellen des Friihjahrsholzes be- standig seitlich gestellt sind ^). Wenn wir friiher die Ansicht Westermaier's , sowie God- LEWSKi's zuriickgewiesen haben, dass die parenchyniatischen Elemente des Holzes bei der Emporschaffuug des Transpirations- wassers betheiligt seien , so mochten wir zum Schluss noch die auch von Haberlandt in seiner physiologischen Anatomie auf- gestellte Ansicht zu entkraftigen suchen , wonach es wahrschein- lich sei, dass die Gefasse und Tracheiden auch an der Leitung der Kohlehydrate bethiitigt seien. Als Beleg fiir diese Ansicht fiihrt Haberlandt zuniichst einen Versuch von P. Schulz"*) an, welcher aus dem oben genannten Werke des ersteren mitgetheilt sei: „Er bohrte aus 2,5—3 cm dicken Zweigen von AesculusHippocastanum, deren Bliithen- knospen eben aufbrachen, das Mark ungefahr 8 cm weit heraus und steckte ein Glasrohrchen in die Hohlung. Nachdem die Schnitt- fliiche mit Siegellack luftdicht abgeschlossen war, wurde das Rohrchen mit 1-proc. Tanninlosung gefiillt und in die gleiche Fliissigkeit enthaltendes Gefiiss gestellt. Die Knospen brachen bald auf, entfalteten ihre Blatter, und 10—14 Tage nach Beginn 1) Cf. das hieruber in meiner vorl. Mitthl. Bot. Z. 1884. No. 12 Gesagte. ») Cf. Russow, 1. c. S. 36. ^) Cf. Sanio, rrinjTgheim's Jb. IX. S. 84. *) „Das ilarkstrahlgowebe" utc. Diss. Berliu 1882. Die "Wapserbeweg^ung im ITolze. 729 (les Versiiches wurde die mikrochemische Untersuchung der Aeste vorgenommeii. Much Zusatz von Kiseiichlorid farbte sich bloss der Iiihalt der Gefiisse und das anj^renzende Holzpareiichym- und Markstrahlgcvvcbe schwarz. Die Tanninlosung miisste demnach, da die Gefasse iiiit derselben nicht in Beriihrung standen, in das Holzparenchyni und die Markstrahlen osniotisch eingedrungen sein von diesen aus vvurde sie dann in die Lumina der Gefasse ge- presst. — Das Ergebniss dieses Versuches bcrechtigt uns dem- nach zu der auch mit anderen Thatsachen in Einklang stehenden Annahme, dass im Friilijahr, wenn sich die im Holzparenchym und den iMarkstrahlzellen aufgespeicherte Starke in Zucker ver- wandelt, die Zuckerlosung in das wasserleitende Rohrensystem osniotisch hineingepresst wird und in deniselben mit dem Tran- spirationsstrom in die wachsenden Blatter gelangt." Dem beschriebenen Versuche haben wir den wohlbegriindeten Einwand entgegenzustellen, dass durch das Einschieben derGlas- rohre eine ganze Anzahl Gefasse und Tracheiden geoffnet werden, wahrscheinlich bereits bei der Entfernung des Markes, so dass bei beginnender Transpiration die Tanninlosung in die geoffneten Elemente eingepresst vverden musste. Es ist ausserdem hochst unwahrscheinlich, dass die parenchymatischen Elemente nach Ein- saugung von Tanninlosung noch im Stande sind, diese in die an- grenzenden Gefasse zn pressen, zumal langere Zeit hindurch. Der Umstand, dass der Blutungssaft von Acer sacharinum und Acer platan oides mehrere Procente Zucker aufweist^), spricht keineswegs daftir, dass der Gefasssaft Zucker enthitlt, welcher in Losung erst aus dem Holzparenchym und den Markstrahlen im Friihjahr in sie hineingepresst werden soil. Vielraehr lasst sich das Auftreten von Zucker im Blutungs- safte so erklaren, dass durch das Ausstromen des Gefassinhaltes iiber die verletzten parenchymatischen Elemente hinweg in diesen selbst mechanisch ein osmotischer Strom eingeleitet wird, Oder der Zucker neben Spuren von Eiweiss, wieSACHS^) bemerkt, otfenbar aus dem Holzkorper gewissermassen ausgevvaschen wird. Ausserdem ist hier zu berucksichtigen , dass die Exosmose durch Stromung gesteigert wird, wie Wirbel ^) nachgewiesen hat. 1) Habeelandt, 1. c. S. 366. 2) Vorl. XVI. S. 328. ^) „Die Aenderung der osmot. Erscheinungen und Gesetze durch die strdmende Bewegung der Flussigkeiten" etc. Hamburg, Abhandl. d. Nat. W. V. Bd. VII. 2 Abthl. 1883. 730 Dr. Max Scheit, Auch andere Thatsachen sprechen gegen die Annahme des Austrittes von organischen Substanzen in das Gefasswasser der unverletzten Pflanzc hinein. Es sei nur daran erinnert, dass zuckerhaltige Gewebe (Runkelriibenschnitte) in Wasser gelegt keinen Zucker in dasselbe abgeben '), auch treten aus den Wurzeln keine solchen Stolfe in das dieselben umgebende Wasser aus. Das lebende Protoplasma ninimt, solange es noch von der Zellhaut umschlossen wird, wohl Wasser auf osniotischen Wege auf, giebt aber dafiir keine Stoffe in dasselbe nach aussen ab. Es zeigt auch der ScHULz'sche Versuch wie andere, friiher besprochene, wie vorsichtig raan sein muss in der Uebertragung von Schlussen aus an Pflanzentheilen gemachten Beobachtungen auf die ganze, unverletzte Pflanze. Schluss. Unsere bisherigen Betrachtungen haben gezeigt, dass sich die Pflanze verschiedener Mittel bedient, urn das zum Lebens- unterhalt nothige Wasser und NahrstotTe an die Verbrauchsorte zu befordern. Zur Zeit der Neubildung von Organen und orga- nischer Substanz bewegt sich, wie wir gesehen, ein mit an- organischen Nahrstofl'en beladener Strom fliissigen Wassers aus- schliesslich im Lumen der fur Luft unter normalen Verhaltnissen undurchdringlichen trachealen Elemente mit Htilfe des Wurzel- druckes und der Capillaritat, von welchen der erstere sich als treibende, die letztere als haltende Kraft erwies. Alsdann lernten wir die Bewegung des Wassers in Dampfform kennen, welche nach Aufhoren der Wurzelthiitigkeit und der Neubildung zur Zeit der Ruckwanderung der Reservestoffe in die im Holz eingebetteten Behiilter Ende Sommers und Anfang Herbstes ausschliesslich statt- hat, aber auch with rend der Zeit der Wurzelthiitigkeit, jedoch nur bei Trockenheit des Bodens oder zu starker Transpiration stattfinden kann. Vorliegende Arbeit macht keinen Anspruch auf Vollstandig- keit; ihr Zweck ist, ncue Gesichtspunkte fiir die Theorie der Wasserbewegung zu bringen , sowie zu weiteren Untersuchungen anzuregen , zu deren Ausfiihrung dem Verfasser leider bis jetzt nicht die nothige Zeit zu Gebote stand. ij Cf. Pfepfe, Physiol. I. S. 45 u. 46. Die Wasserbewoofuns im Tlolze. 731 Nachtrag. Die vorliegende Arbeit befand sich bereits im Drucke, als dem Verfasser noch eine Arbeit Hansen's: Ein Beitrag zur Kenntniss des Transpirationsstromes" *) zu Gesicht kam, in welcher derselbe als selbstbevvusster Retter der „Imbibitionstheorie" auf- tritt. Nocli hillt der genannte Autor an der wohl den meisten Pflanzenphysiologen wunderbar schcinendcn, von Sachs angenomme- nen Eigenschaft dor verholzten Membrau fest, VVasser mit grosser Leichtigkeit weiterleiten zu konnen. Wenn Hansen es De Vries, welcher aus der Diffusion geloster Stoffe innerhalb der Gelatine eiuen Beweis gegen die SACHs'sche „Imbibitionstheorie" herleitet^), zur Pflicht macht , zu beweisen , dass die Holzmembran thatsach- lich aus „gelee" bestehe, so kann man wohl mit besserem Rechte von ihm verlangen , dass er uns jene wunderbare Eigenschaft der Holzmembran beweist. Er glaubt dies zwar durch seine mitge- theilten Versuche gethan zu haben, mit welcher tjberzeugungs- kraft dies aber geschehen, wird flir diejenigen Forscher leicht er- sichtlich sein, welche nicht mehr wie der Veranlasser dieses Nachtrages in dem Dogma von der Imbibitionsfahigkeit der ver- holzten iMembran befangen sind. Hansen stellte seine Versuche zunachst in der Weise an, dass er das untere Ende beblatterter Pappelzweige entrindete und ^ St. in Wasser kochte, dann in einen Cylinder mit gewohnlichem Wasser stellte, dessen unmittelbare Verdunstung durch einen den Cylinder verschliessenden Kork verhindert wurde. Es ergab sich, dass die Versuchszweige bei mehrtagiger Transpiration frisch blieben, wahrend die nicht auf diese Weise behandelten Zweige weniger Wasser aufnahmen und friiher welkten. An diese Beobachtung kniipft unser Autor die Vermutung, „dass durch die angegebene Procedur die Leitungsfahigkeit des Holzes sogar zeitweilig gesteigert vverden kann." W^enn wir auch Hansen das Verdienst nicht abstreiten konnen, GoDLEWSKi's Theorie durch einen einfachen, schlagenden Versuch als ungiiltig erwiesen zu haben, so miissen wir jedoch der zuletzt mitgetheilten Vermutung energisch entgegentreten. Wie stimmt, muss man unwillkiirlich fragen, diese Zunahme der Leitungsfahig- 0 Arb. d. Bot. Inst, in Wurzburg. III. Bd. H. 11. S. 305 u, if. 2) Extrait des Arch. Ne'erland. T. 20. 732 Dr. Max Scheit, keit der Holzmembraii diircli Kochen, wie sic sich Hansen denkt, zusammen mit der von den Verfechtern der „Imbibitionstheorie" behaupteten und beispielsweise den Filtrationsversuchen Elfving's') entgegengehaltcnen Abnahme der Leitungstahigkeit der Holzmem- bran durch irreparable, fiir Druckfiltration binderliche Verande- rungen^), wie sie eintreten sollen , sobald die Schnittfliiche des Versuchsobjektes nur kurze Zeit in Luft verwcilt babe? Wird etwa durch Kochen der ja auch bei Hansen's Versuchen nicht ausge- scblossene derartige Schaden wieder gut geniacht? Das scheint uns schwer begreiflich. Suchen wir aber eine Erklarung fiir das langere Frischbleiben der an den am unleren Ende gekochten Zweigen befindlichen Blatter, sowie fiir die Thatsache, dass gerade ungekochte Pappel- zweige in Wasser gestellt bald welken. Nehmen in letzterem Falle die Zweige kein Wasser auf, so geschieht es deshalb, well beim Durchschneiden in die durch die Transpiration leer gewordenen Wasserleitungsrohren Luft einge- treten ist (Hansen giebt nicht an , dass er seine Versuchszweige unter Wasser abgeschnitten babe); im ersteren Falle wurde jedoch die beim Durchschneiden des Zweiges eingetretene Luft durch Kochen des unteren Zweigendes in Wasser ausgetrieben und somit die Verstopfung der Leitungsrohren wieder aufgehoben. Das ist die einfache und ungezwungene Erklarung der soust so wunderbar erscheinenden Beobachtung Hansen's. Man konnte dieser Erklarung vielleicht einwenden, dass sie der bei der Besprechung der Versuche Janse's gegebenen wider- spriiche, die zur Rettung der GoDLEWSKi'schen Theorie angestellt wurden; dem scheint jedoch nur so. Erinnern wir uns an diese S. 691 besprochenen Versuche, bei denen ebenfalls die Versuchszweige stellenweise gekocht wurden. Das aus diesem Verfahren sich ergebende Aufhoren der Wasser- bewegung erklarten wir dort durch Verstopfung der Leitungsrohren durch gequollene, parenchymatische Massen. Doch bier verhalt sich die Sache anders als bei Hansen's Versuchen, indem Janse die Versuchszweige im Verband mit der lebenden Pflanze beliess, wahrend ja Hansen die Wasserleitungsrohren am unteren Ende durch den Schnitt offncte, sodass nun beim Kochen etwa einge- drungene Luft zugleich wieder entfernt werden konnte; bei Janse 1) Bot. Z. 1882. No. 42, 2) Cf. auch meine Kritik der Versuche Dufoub's, B. Z. 1884 No. 12. Die Wasserbewegung im Holze. 733 trat also durch Kochen Verstopfung der Rohren, bci Hansen das Gegentheil ein , urid demcntsprechend im ersteron Falle baldiges Welken der Bliltter an den Versuchszweigcn, iiu letzteren langeres Frischbleibeii dcr ersteren. Doch sehen wir uns audi die iibrigen Versuche Hansen's an, welche sich auf gauze Pflanzen beziehen, ahnlich wie die Janse's. Das Resultat dcrselben lasst sich auf dieselben Ursachen zuriick- fiihren, wie bei den eben besprochenen Versuchen. Pittosporum floribunduni ausgenonimen , untersuchte Hansen nur kraut- artige Pflanzen, sowohl Topfpflanzen deren Wurzelsystem von der daranhangenden Erde belVeit worden war, als audi Wasser- kulturpflanzen und unausgestopfte Pflanzen. In diesen Versuchen waren es die Wurzeln, welche gekocht wurden, und zwar so, dass nach Beendigung der Versuche auch die in Erde getodteten Wurzeln vollig todt waren. ,,Von einer Turgescenz war uicht niehr die Rede, alles Parenchym war collabirt und liess sich leicht vom centralen Gefassbiindelcylinder abstreifen. So stellten dann die Wurzeln nur noch dunne, aus lauter Zellmembranen bestehende Faden dar, in denen osniotische Vorgange nicht mehr stattfinden konnten" (S. 313 1. c.) Da nun die so behandelten Pflanzen noch tagelang Wasser aufnahmen, wenn sie nach der Todtung in Wasser gestellt wurden oder in niassig feuchter Erde sich befanden , so ist nach Hansen's Ansicht keine andere Moglichkeit vorhanden, als dass das Wasser durch Imbibition aufgenommen und in den Zellwarden fortbewegt wurde. Uns geniigt jedoch diese Moglich- keit nicht, wir glauben uns nicht zu irren, wenn wir auch hier die von uns oben mitgetheilte Erklarung der HANSEN'schen Beobachtung gelten lassen. Konnte in Janse's Versuchen an oberirdischen Pflanzentheilen des grosseren Rindenwiderstandes wegen durch Kochen die Verstopfung der Leitungsrohren nicht aufgehoben werden , so geschah dies in Hansen's Versuchen durch Kochen der verhaltnissraassig zarten Wurzeln zumal bei den krautartigen Pflanzen leicht, nach Todtung des Wurzelparenchyms musste das in den Gefassen eingeschlossene Wasser beim Kochen die Gefasse ofi"nen und zwar am aufsaugenden Ende der Wasserleitung, wenn es nicht schon vorher durch Zerreissen geschehen war, wie an den Versuchsobjekten , deren Wurzelsystem von der daran haftenden Erde befreit wurde; bei Janse konnte wohl auch durch das in den Gefassen eingeschlossene erwarmte Wasser eine Sprengung der Gefasse eintreten, dann war es aber nicht am Ende, sondern an einer im Leitungssystem selbst befindlichen Stelle, ein Schaden, Bd. XIX. N. F. XII. 4g 734 Dr. Max Scheit, der iiiit deni durch Platzen eiuer gewohnlicheii Wasserleitungsrohre entstandenen vergleichbar wilre, dann musste jedoch das Wasser- leitungssystem gefiillt sein. Wir haben es also auch in den zuletzt besprochenen Veisuchen Hansen's mit unten geoffneten Leitungs- rohren zu thuu, in welche der Atmospharendruck Wasser nach- presst, soweit die Blatter solches am anderen Ende der Leitung verdunsten. Hochst voreilig schliesst nun Hansen aus seinen Versuchen (1. c. S. 307): „Die Moglichkeit, dass Pflanzen tagelang mit todten Wurzeln ihre Transpiration decken, wirft ein Licht auf den schon langst von Sachs als solchen gekennzeichneten , in neuerer Zeit wieder hervorgesuchten Irrthum , dass der Wurzeldruck , welchen man an abgeschuittenen Pflanzen beobachtet, auch in der normalen Pflanze bei der Bewegung des Transpirationsstromes mitwirke." Auf welcher Seite der Irrthum liegt, werden unbefangene Leser leicht herausfinden ; es sei nur auf das S, 695 und 7C0 iiber den Wurzeldruck Gesagte erinnert. Das Mitgetheilte wird genugen, zu zeigen, dass die absoluten Gegner der „Imbibitionstheorie" noch nicht, wie Herr Hansen triumphierend ausruft, genothigt sind, ohne jede Theorie der Transpirationsstromung sich fiir die nachste Zeit zurechtzufinden. Der Schlusssatz der HANSEN'schen Arbeit, mit dem auch wir schliessen wollen, ist recht geeignet, die Art und Weise zu kenn- zeichnen, mit welcher strengglaubige Verfechter des Satzes von der wunderbaren Leitungsfilhigkeit der verholzten Membran slch den Gegnern gegenuber in die Brust werfen : „Gegenuber den Misserfolgen aller anderen Theorien , welche daher riihren , dass dieselben vom anatomischen Bau des Hoizes nicht loskommen konnten, ist die Imbibitionstheorie in der gliick- lichen I.age, von den mikroskopisch sichtbaren anatomischen Ver- haltnissen ganz unabhiingig zu sein , und besitzt , da sie bios auf den Eigenschaften verholzter Zellwande basirt, ganz allgemeine Gultigkeit fiir alle Pflanzen, welche solche enthalten". i (,llei'uiuuu Puble) in Jeua Gastroblasta Raifaelei. Eine durch eine Art unvollstandiger Theilung entstehende Medusen-Kolouie von Dr. Arnold Laug, Privat-Uozenten der Zoologie in Jena. (Hierzu Tafel XX uud XXI.) Als icli im August und September des vergangenen Jahres in der zoologischen Station zu Neapel mit meinem friiheren Kol- legen, Herrn Dr. Raffaele, den pelagisclien Auftrieb durchsuchte, wurde meiue Aufmerksamkeit auf eine kleine, glashell durclisich- tige, farblose Meduse gelenkt, welche damals den Hauptbestand- theil der Fauna kleiner pelagischer Thiere bildete. Wir, Dr. Raf- faele und ich, hielt(;n anfangs die Thierchen fur absterbende Exemplare von Eucope. Als wir sie aber mit dem Mikroskop be- trachteten, wurden wir sofort gewahr, dass wir es mit einer an- deren, hochst sonderbaren Craspedoten-Form zu thun batten. Fast alle Individuen besassen niimlich mehr als einen Magen und eine wechselnde Anzahl von scheinbar unregelmassig angeordneten Ten- takeln und Radialkanalen. Nicht ein einziges Exemplar zeigte eine strahlige Anordnung der Organe. Ein grosses Individuum hatte 9 Magenschlauche und eine grossere Anzahl von Tentakeln und Radialkanalen, von deuen die einen zu den Magenschlauchen verliefen, die andern als blind endigende Centripetalkanale an der Subumbrella mehr oder weuiger weit gegen die Mitte des Korpers vordrangen. Bei alien Exemplaren zeigten viele Radial- kanale und die meisten Centripetalkanale auf ihrem Verlaufe Verdickungen , die wir anfangs irrthumlich fur Gonadenanlagen Bd. XIX. N. V. XII. 49 736 Dr. Arnold Lang, hielten, die sich aber spater als Anlagen neuer Magenscblauche herausstellten. Viele Individuen waren elliptisch und zeigten Einbuchtungen am Korperrande, die uns bald auf die Ver- muthung brachten, dass wir es mit in Theilung begriftenen Thieren zu thun batten. Wir stellten dann gemeinschaftlich eine Reihe von Beobachtungen an den lebenden Medusen an. Seitdem habe ich im Verlaufe des Winters die Untersuchung an eineni sehr reichen Material conservirter Thiere zu Ende gefiihrt. Die Me- dusen waren zu der erwahnten Zeit sehr gemein. Unschwer konnte ich in wenigen Tagen Tausende von Individuen sammeln und mit einer von Herrn Lo Bianco modificirten Sublimatlosung prachtig conserviren. — Herrn Dr. Raffaele, nieinera Freunde und Mit- arbeiter bei Beginn der Untersuchung, spreche ich nieinen herz- lichsten Dank aus. Die Schwimmbewegung unserer Medusen war sehr charak- teristisch. Die Thierchen contrahirten sich mehrere Male rasch hintereinander, um dann langere Zeit bewegungslos, schon ent- faltet, im Wasser zu schweben und die langen, haarfeinen Tentakel weit herabhangen zu lassen. Letztere sind im ausgestreckten Zu- stande 6 — 10 cm lang. Wurde das Wasser aufgeriihit, so rollten sich die Medusen meist ein und sanken allmahlich zu Boden, wie es Keller von seiner Gastroblasta timida schildert, einer Meduse, die in mancher Beziehung mit der meinigen viele Aehn- lichkeit hat. Das Thierchen, dem ich denNamen Gastroblasta Raffaelei verleihe, besitzt die vielen Magenscblauche nicht zur Zierde; es weiss davon sehr guten Gebrauch zu niachen. Es ist rauberisch und sehr gefrassig. Es iiberfallt allerhand kleine Larven von Krebsen und Anneliden, kleine Copepoden, Ostracoden, Fischeier und Fischlarven. Freeh wagt es sich an Thiere, die viel grosser sind als es selbst. Seine Magenscblauche sind sehr erweiterungsfilhig, und es ist erstaunhch, ein wie grosser Bissen in ihnen Platz finden kann. Die sonst dicke Magenwand wird dann eine dunne feine Membran, welche das Opfer allseitig strati" umspaunt. Wenn eine Sagitta pfeilschnell durch das Wasser schiesst, so kann sie rasch d-urch einen oder mehrere der langen Fangfiiden der Meduse er- fasst werden. Diese letztere lasst sich wohl lange von dem Pfeil- wurm in's Schlepptau nehmen, aber sie liisst ihn nicht los. All- mahlich ermiidet die Sagitta, sie erschlalit; dann coutraiiiren sich die Tentakeln der Meduse und niihern dadurch letztere ilirem Opfer. Die Mundoffnung des einen Magens ist gross und weit geotinet, Kopf Gastroblasta Raffaelei. 737 Oder Schwanz der Sagitta werden bcquem erfasst und in den Maj^eii hineingezogen, wiilirend die Mundscheiben der nachstliegen- den Magenschlauche sich an benachbarte Korperstellen des Opfers anlegen koniien. Ich sah einnial 2 Exemplare unserer Gastroblasta durch das Wasser kutschiren; wie an eiueni Balaiicirbalkeu sassen sic an den beideii Erden einer ziemlich grossen Sagitta. Das grosste Exemplar (Taf. XX, Fig. 1), welches wir auffanden, jenes mit neun entwickelten Magenschlaucheii, hatte einen grossten Scheibendurchmesser von 4 mm und einen kleinsten von 2,7 mm. Alle iibrigen Exemplare waren bedeutend kleiner. Der Durch- messer der Scheibe bctrug bei den kleinsten nicht iiber 0,6 mm, bei den grosseren mit hochstens 5 vbllig ausgebildeten Magen- schlaucheu ca. 2 mm. Der Beschreibung der ilussern Form und des anatomischen Baues unserer Meduse legen wir ein Stadium zu Grunde, welches wir sehr haufig beobachtet haben, namlich dasjenige , auf dem 4 im Centrum der Scheibe miteinander ver- bundene Radialkanale vorhanden sind (Taf. XXI, Fig. 11 B). Auf diesem Stadium vollzieht sich gewohnlich die Theilung. Die Scheibe ist wenig gewolbt, die Gallerte wenig ent- wickelt, das Velum ziemlich breit und kriiftig. Der aussere Umriss der Scheibe ist nicht ganz kreisfbrmig, sonderu etwas elliptisch verlangert, aber nur wenig. Am Rande der Scheibe fin- den sich Tent akeln und Teutakelknospen auf verschiedenen Stufen der Entwickelung. Wir unterscheiden zunachst 8 ent- wickelte, in lauge Fangfaden ausgezogene Tentakeln und 10 Teu- takelknospen. Zwischen den Tentakeln finden sich 10 Hor- bliischen von dem Typus derer der L eptomedusen, mit je einem Otolithen. Im mittleren Bezirk der Scheibe ragen in die Subumbrellarhohle hinein 3 Magenschlauche, 1 grosser, 1 mitt- lerer und 1 kleiner mit eben durchgebrochener MundoH'nung. Ausserdem findet sich an einem der vier Radialkanale eine Ver- dickung, die Anlage eines vierten Magens. Der grosse und der mittlere Magen sind miteinander durch einen Kanal verbunden, welcher in der Ricbtung des grossten Durchmessers der Scheibe verlauft. Kein Magen liegt ganz central, am meisten in der Mitte befindet sich der grbsste Magen, dann kommt der mittlere, dann der kleinste. Am meisten peripherisch liegt die Magenanlage. Der kleinste Magen mit Mundotfnung ist mit dem grossten, die Magenanlage {mj mit dem mittleren Magen durch einen Kanal verbunden. Von jedem der 4 Magen verlauft ein Radialkanal 49* 738 Dr. Arnold Lang, an den Rand und mundet hier an der Basis eines grossen Ten- takels in den wohlentwickelten Ringkanal ein. Die Orientirung der Meduse ist schwer. Die ceutralen so- wohl als die Randgebilde scheinen unregelmassig, gesetzlos, ange- ordnet zu seiu. Die genaue Verfolgung der Metamorphose zeigt iudessen — wie wir nacher sehen werden — , dass dem uicht so ist. Will man die Gesetzmassigkeit erkennen, so muss man die ver- schiedenen Stadien selbstverstiindlich immer von derselben Seite orientiren, entvveder alle von der Exumbrellarseite, oder alle von der Subumbrellarseite. Die Abbildungen sind durchgangig von der Exumbrellarseite angefertigt. Eine zweite Handhabe zur Orien- tirung bieten die Magenschlauche. Legen wir die Medusen so nebeneinander, dass der Verbindungskanal zwischen dem grossten und zweitgrossten Magen bei alien Stadien oder Individuen parallel liegt, und dass der grosste Magen immer auf einer Seite (in den Abbildungen nach oben), der zweitgrosste immer auf der entgegen- gesetzten (nach unten) liegt. In dem Falle, den wir jetzt speciell betrachten, liegen dann von den 4 Magen die zwei grossten links, die zwei kleinen rechts an der Scheibe. Kehren wir zu den Tentakeln zuriick. Schon bei ober- flachlicher Betrachtung sieht man, dass unter den 8 entwickelten, in Faden ausgezogenen Tentakeln 4 grosser und langer sind als die 4 anderen. Diegrossern 4entsprechen den 4Radial- kanalen; sie sind perradial. Aber auch diese 4 Tentakeln sind, wie spater die Entwickelungsgeschichte zeigen wurd, nicht gleich, sondern alle verschieden gross. Derjenige, welcher dem zum grossten Magen verlaufenden Radialkanal entspricht, ist der grosste {t^), der von welchem ein Radialkanal zum zweitgrossten Magen geht {t^), der zweitgrosste, und so fort. — Ich muss aber gleich bemerken, dass diese Grossenunterschiede sich mit zu- nehmendem Alter mehr und mehr verwischen, ja dass haufig ein urspriinglich kleinerer Tentakel anormaler Weise starker wachsen und grosser werden kann als ein urspriinglich grosserer. Ich be- zeichne deshalb die einzelnen Tentakeln nach dem Alter, nicht nach der Grosse, eine durch die Entwickelungsgeschichte absolut gerechtfertigte Bezeichnungsweise. Auch die Magenschlauche und Magenanlagen und die Radialkaniile sind nicht nur verschieden gross resp. verschieden lang, sondern auch verschieden alt. Das relative Alter aller dieser verschiedeuen Gebilde will ich der Einfachheit halber durch aufeinanderfolgende Zahlen ausdrucken, Gastroblasta Raffaelei. 739 mit 1 den altesten Tentakel, Magen und Radialkanal, mit 2 den zweitaltesten u. s. w. Es ist nun fiir das Verstiindniss der spiiter zu beschreibenden Vorgange absolut nothig, die Lage der verschiedeiien Randgebilde und ihr Alter zu bestimmen. Betrachten wir das uns zunachst beschiiftigende , durch Fig. 11 J5 veranschaulichte Stadium. Da fiillt uns zunachst auf, dass die 4 altesten Tentakel ^,, t^, t^ und ti nicht genau radiar, d. h. nicht genau in den Ecken eines Quadrates, liegen. Die beiden altesten Tentakel liegen links, die beiden zweitaltesten rechts am Rande der Meduse. Alle 4 stehen in verschieden grossem Abstande von einander. Dieser ist am grossten zwischen t^ und t^, am zweitgrossten zwischen ^3 und t^ (entsprechend dem grossten Durchmesser der Scheibe), viel geringer zwischen t^ und ^3 und t.^ und t^ (entsprechend dem kleinsten Durchmesser der Meduse). Der Schirmrand wird durch die 4 altesten Tentakel in 4 ungleich grosse Qua- dranten eingetheilt. Betrachten wir nun die 4 zweitaltesten Tentakeln, t^^ t^, trj ^ ^8, welche auch schon in lange Fangfaden ausgezogen und unter sich selbst ebenfalls verschieden alt sind, so sehen wir, dass je 2 derselbeu adradial an den beiden grossten Quadranten des Scheibenrandes inserirt sind, die beiden altesten t^ und t^ am grossten, die beiden jiingern ^g und t^ am zweitgrossten, und zwar liegt der alteste secundare Tentakel t^ dem altesten primaren ty, der zweitalteste secundare t^ dem zweitaltesten primaren t<^ am nachsten u. s. w. Unter den Tentakelknospen (welche noch nicht in Fang- faden ausgezogen sind) zeichnen sich 4 durch besondere Grosse aus; auch sie sind unter sich verschieden alt: ^9, t^^^ j^^, t^^. Sie liegen adradial an den beiden kleinen Quadranten des Scheiben- randes, und zwar so, dass der alteste von ihnen ^9 dem altesten Tentakel erster Ordnung t^^ der zweitalteste ^^^ dem zweitaltesten Tentakel erster Ordnung t.^ am nachsten liegt. So kommt es, dass die altere Tentakelanlage im kleinsten Quadranten (^^j) alter ist als die jungere Tentakelanlage im zweitkleinsten Quadranten (^9 ), was der Anorduung der an den beiden grosseren Quadranten liegen- den Tentakeln zweiter Ordnung nicht entspricht. Es existiren nun noch 4 weitere kleinere und jungere Ten- takelknospen, ^,3, ^i^, ^15, ty^. Dicsc liegen adradial zwischen je zwei Tentakeln zweiter Ordnung t-^ — t^^ und t-, — ^g. Auch sie sind genau ihrem Alter nach so angeordnet, dass t^^ neben ^5, ^^4 neben t^^ t^^ nebeu t^^ und t^^ uebeu t^ inserirt sind. 740 Dr. Arnold Lang, Betrachten wir die Figur, so sehen wir, dass alle ungeraden Zahlen in ihrer obern Halfte, alle geraden in der untern Halfte liegen. Theilen wir die Meduse durch einen Schuitt, welcher rechtwinkelig zur Langsaxe derselben — somit rechtwinkelig durch den Verbindungskanal zwischen Magen 1 und Magen 2 — geht, in zwei Halften, so sind alle Organe der einen (obern) Halfte um einen Intervall alter als die entsprechenden der andern (untern) Halfte. Die Randblaschen. Dieselben liegen alle interradial in der Mitte zwischen 2 Tentakeln. Wir werden spater versuchen, diese eigenthumliche Erscheinung, wie die adradiale Lage der Tentakelknospen zu erklaren. — Zunachst fiudet sich je ein Rand- blaschen in der Mitte eines jeden Quadranten des Schirmrandes ; dann existirt je ein Randblaschen zwischen je einem Tentakel erster Ordnung t^ — t^ und dem beuachbarten Tentakel zweiter Ordnung t^, — t^, und drittens je ein Randblaschen zwischen den beiden altesten Tentakeln erster Ordnung t^ und t.> und den beiden altesten Tentakeln dritter Ordnung t^ und t^^ (Tentakel- knospen). Die Randblaschen zwischen den beiden jungern Tentakeln erster Ordnung t^ und t^ und den beiden jungern dritter Ordnung ^ji und ^j 2 sind noch nicht entwickelt. Es sind also im ganzen 10 Randblaschen vorhanden. Auch diese sind alle ver- schieden alt, je nach dem Alter der Tentakel erster, zweiter und dritter Ordnung, zwischen denen sie liegen. Doch entstehen sie bedeutend spater als die Tentakeln. Wenn 16 Tentakel oder Tentakelknospen vorhanden sind, existiren nur 8 oder hochstens 10 Randblaschen. Wir haben gesehen, dass 4 Radialkanale vorhanden sind, welche von den vier altesten Tentakeln t^ — t^ zu den 4 Magen mj— m^ verlaufen. Auch diese 4 Radialkanal e sind, wie die Entwickelungsgeschichte lehrt, ungleich alt. Der, welcher vom altesten Tentakel zum altesten Magen verliiuft (rj, ist der alteste u. s. w. Es finden sich nun in unserer Meduse Anlagen weiterer Radialkanale, welche als Cen tripetalkaniile vom Ringgefiiss entspringen. Genau der Reihenfolge ini Alter der Tentakeln entsprechend entsteht der fiinfte Radialkanal (rj als Centripetalgefass von der Basis des fiinftaltesten Tentakels aus. Die Anlagen eines sechsten, siebenten und achten Radialgefiisses lassen sich nur als kleine Ausbuchtungen des Ringgefiisses an der Basis des sechsten, siebenten und achten Tentakels erkennen. Wir werden spater sehen, dass die neuen Radialgefassc im Centrum Gastroblaeta Raffaelei. 741 der Scheibe sich in einer ganz bestimmten Weise mit den alten verbinden, und dass an jedem derselben genau nach der Reihen- folge des Alters ein ncuer Magen sich bildet. Nocb einige Bemerkungen iiber den Bau der Tentakeln und Magenschlauche. Die Tentakeln sind bohl, an ihrer Basis stark verdickt. Diese Verdickung betritft sowohl das Ectoderm wie das Entoderm. Die innere Hohlung ist gewohnlich nur in dem verdickten Basal- theil deutlich zu erkennen. Die Nesselkapseln komnien in der ganzen Lange der Tentakelfadeii, zu mehr oder weniger deutlichen Ringen aiigeordnet, vor, sind aber besonders zahlreich am ver- dickten Basaltheil. Die neuen Tentakeln legen sich an als Aus- buchtungen des Ringgefasses, in denen sich das Entoderm verdickt und iiber welchen das ebeufalls verdickte Ectoderm des Scheiben- randes sich hervorwolbt. Es bildet sich gleichsam zuerst die ver- dickte Basis des Tentakels, und diese zieht sich dann nachher in den langen, diinnen Tentakelfaden aus. Im Bau der Tentakel stimmt unsere Meduse mit Eucope und Phialidium uberein. Die Magenschlauche sind ungestielt, schlauchformig, sehr erweiterungsfahig. Jeder Magen ist in eine grosse vier- eckige, bisvveilen vierzipfelige Mundscheibe ausgezogen, welche sehr contractu ist, sich fest anheften oder verengern oder kragen- artig auf den Magen zuriickstiilpen kann. Die Wand des Magens ist sehr dick, die der Mundscheibe sehr diinn. Die Ver- dickung der Magenwand betrifft das Entoderm , ist aber nicht gleichformig. Letzteres bildet vielmehr in jedem Magen vier Langswulste, so dass das Lumen des Magens auf einem Quer- schnitte ein kreuzformiger Spalt ist (Taf. XX, Fig. 3). Die vier Aeste des Kreuzes entsprechen der Lage nach den vier Ecken oder Zipfeln der Mundscheibe. Am Grunde des Magens erhebt sich auf der Subumbrella ein Eutodermhiigel, welcher in die Magenhohle hineinragt. — Die coustante Vierzahl der Magenzipfel und Magenwiilste ist das einzige anatomische Merkmal, welches auf einen ursprunglichen vierstrahligen Bau der Medusen hin- weist. — Die neuen Magenschlauche entstehen als in die Subum- brellarhohle hineinragende Ausbuchtungen der Radialkanale (Taf. XX Fig. 4. 5). Bei oberflachlicher Betrachtung konnten sie leicht mit Gonadenanlagen verwechselt werden; aber bei ihnen verdickt sich ausschliesslich das Entoderm, wiihrend bei den Gonadenanlagen sich sehr friihzeitig im verdickten Ectoderm die Geschlechtsprodukte erkennen lassen , besonders deutlich bei den Ovarien. Nachdem 742 Dr. Arnold Lang, die Magenanlage schon zu einem ansehnlichen Schlauche heran- gewachsen ist, bricht die Mundoffnung durch (Fig. 6). Erst nach- her zieht sich der Mundrand zur Bildung dcr Mundscheibe aus. (Fig. 7. 8). Das Entoderm birgt bei vielen Exemplaren schwarze oder dunkelbraune Kornchen, die besonders zahlreich in den verdickten Theilcn desselben — an der Tentakelbasis und in den Magen- wiilsten — angehauft sind. Die im Kanalsystem circulirende Flussigkeit enthalt meist Korperchen suspendirt, welche in den Ausbuchtungen des Ring- gefasses und der Radialgefasse (Teutakel- und Magenanlagen) be- sonders reichlich zusammenstroraen. T h e i 1 u n g. Auf dem soeben eingehend beschriebenen Stadium tritt in sehr vielen Fallen — wir werden spater sehen, dass dies nicht immer geschieht — die Fortpflanzung durch Theilung ein. Diese wird zunachst eingeleitet durch die Verdoppelung der beiden altesten Randblaschen (Fig. 1. u. 2). Gewohnlich verdoppelt sich das eine viel friiher als das andere. Dann wird das die beiden altesten Magen m^ und m^ verbindende Gefass resorbirt (Fig. 6), so dass eine Verbindung des Kanalsystems der einen (in der Figur obern) Halfte mit der andern (untern) nun nur noch durch das Ringgefass hergestellt wird. Sodann tritt am Scheibenrande , an der Stelle, wo das doppelte Randblaschen 2 liegt , eine Einbuch- tung auf, welche immer tiefer einschneidet (Fig. 7) und schliess- lich mit einer ahnlichen, aber viel kleinern und spater auftretenden, vom entgegengesetzten Scheibenrande (1) ausgehenden zusammen- stosst. Ist dies geschehen, so hat sich die Meduse in 2 Halften getheilt. So ist der Vorgang, wie er sich nach dem Vergleich sehr zahlreicher Theilungsstadien , die mir vorliegen, vollzieht. Am lebenden Thiere habe ich die Theilung nicht verfolgt. EigenthUmlich ist zunachst, dass die Einschuitte, welche zur Theilung fiihren, ungleich gross sind und nachcinander auf- treten, im Gegensatze zu den von Kolliker und Davidoff be- obachteten Fallen. Diese Autoren beobachteten aber die Theilung an r a d i ii r e n Medusen, nicht aber an solchen s c h e i u b a r unregel- massigen, wie sic mir vorliegen. In unserem Falle ist die Erklii- rung der Unregelmilssigkcit der Erscheiuuug nicht so schwer, wenn Gastroblasta Raffaelei. 743 wir ein weiteres Resultat unserer Untersuchung vorgreifend anfuhren, namlich das, dass dieMedusen, an den en wir die Theilung beobachtet, selbst wieder ursprunglicbc Theilstucke einerMeduse sind. Die Theilung geht von dem Rande aus, wo das zweitalteste Randblaschen (2) liegt. Dieser Rand entspricht dem friiheren Theilungsrande, wahrend der ent- gegengesetzte Rand noch ein Stiick des Scheibenrandes der ur- sprunglichen Meduse repriisentirt. Die in Fig. 7 abgebildete, in Theilung begriffene Meduse schliesst sich unmittelbar an das oben beschriebene Stadium (Fig. 11 5) an. Abgesehen von den Theilungserscheinungen unter- scheidet sie sich von ihm nur dadurch, dass die neuen Radial- kanale r5 und r6 etwas weiter entwickelt sind. Um sich von der Uebereinstimmung zu uberzeugen, muss man nur die Figur 11 jB nach rechts um einen rechten Winkel drehen. Den Bezeichnungen der einzelnen Organe in Fig. 11 B entsprechen die in Klammern gesetzten Bezeichnungen der Figur 7. Die Theilungsebene steht rechtwinkelig auf dem Verbindungsgefass zwischen dem altesten und zweital testen Magen, rechtwinkelig auf dem lang- sten Scheibendurchmesser. Sie theilt die Meduse in 2 Hiilften, von denen die eine (Fig. 11 B: oben, Fig. 7: rechts) die mit ungeraden Ziflfern bezeichneten Organe, die andere (Fig. 11 jB: unten, Fig. 7: links) die mit geraden Zahlen bezeichneten enthalt, was so viel sagen will, als dass die Organe in dem einen Theilstuck der Meduse ihrer Zahl, ihrer Anordnung und der Reihenfolge ihres Alters nach genau denen des andern Theilstiickes entsprechen, aber um ein Intervall alter res p. jiinger sind als die ihnen ent- sprechenden des andern Theilstiicks. Diese Thatsache wird sofort einleuchtend, wenn man Fig. 7 und Fig. 8 A und B, einerseits die Muttermeduse und anderseits die Theilstucke betrachtet. Aus dem Gesagten geht aber mit Noth- wendigkeit hervor, dass in jedem Theilstiick nicht nur die gleiche Anordnung der Organe, sondern auch eine ganz ahnliche Reihenfolge im Alter derselben herrscht wie beim Mutterthiere. Nur die Zahl der Organe ist eine verschiedene; die Theilstucke haben nur die Halfte der Organe der Mutter, die andere Halfte wird erst spiiter durch Knospuiig an den betreffenden Stellen ergiinzt. Eine einfache Formel erlautert das Verhaltniss der Theilstucke zu einander und zum Mutterthier. 744 Dr. Arnold Lang, TochtertJiiir A Miitterthier Tochterthier B S'l ^2 ^3 M Halfte A >Wi m.^ m. h ^3 h ^1 "• s. w. m, mg m^ u. s. w. m„ m. Wfi u. s. w. gfj '4 ^6 ^8 Halfte 53.; : "^fj ^2 ^3 ^4 m^ mg m^ Bezeichnen wir das rechte Theilstiick (Fig. 8J^) mit A, das Jinke (Fig. 8jB) mit B: aus dem altesten Tentakd t^ des Mutterthieres wird der al teste Tentakel des Theilstuckes A, aus dem zweitaltesten der iilteste Tentakel des Tiieilstuckes B, aus dem drittaltesten der zweitalteste „ des „ A, aus dem viertiiltesten der zweitalteste „ des „ B, aus dem funftaltesten der drittalteste „ des ,, A u. s. w. Das Gleiche gilt von den Magenschlauchen , Randblas- chen , Radialkanalen. — Die Theilstucke zeichnen sich durch ihre mehr oder weniger halbkreisformige Gestalt aus. Die gerade Seite entspricht der urspriinglichen Theilungslinie. In ihrer Mitte befinden sich anfangs 2 Horblaschen , die bald mit einander ver- schmelzen. Ihr Ursprung aus je 2 gegeniiberliegenden Hor- blaschen 1 und 2 liegt auf der Hand. Die beiden Theilstucke sind einander — abgesehen davon, dass ihre entsprechenden Organe nicht ganz gleich alt sind — nur spiegelbildlich gleich. Es lasst sich von jedem Stiicke mit Sicherheit sagen, welcher Halfte des Mutterthieres es entspricht. Wenn man eine Reihe solcher Theilungsstucke so neben einander legt, wie tViiher angegeben, so liegen bei den eineu (entsprechend dem Theilstiick A) die beiden altesten Tentakel und die beiden Radialkanalerechts, bei den andern (entsprechend dem Theilstiick B) links. Jedes Theilstuck hat 2 Magen, einen altern und einen jungern (letz- terer ist oft noch ohne Mund), 2 Radialkaniile, welche von den beiden altesten Tentakeln zu den beiden Miigen verlaufen und einen (in der Figur senkrecht stehenden) Verbindungskanal zwischen den bei- den Miigi'n bilden. Aus dem Verbindungsgefass zwischen m^ und m^ resp. m.^ und m^ des Mutterthieres (Fig. 7) wird das Verbindungs- gefass zwischen w, und m^ der Tochterthiere , d. h. es wird in jedem Tochterthiere auch in dieser Beziehung wieder das Ver- halten des Mutterthieres herbeigefiihrt. In jedem Theilstucke existiren 4 grosse, in Fangfiiden ausge- zogene Tentakel (die Halfte derer des Mutterthieres), feruer 4 grosse Gastroblasta Raffaelei. 745 Tentakclknospen (von denen auch schon einzelne in Faden sich auszuziehen beginnen) und 4 ganz junge Tentakclknospen. Ihre Anordiiung ist genau diesclbe wie die der entsprechendcn Organe am Mutterthiere. Die beste Erliiuterung liefern die Abbildungen. Die Metamorphose der durch Theilung entstandenen Tochtcrthiere. Nachdem die Meduse sich gethoilt hat, fangt jedes Theilstiick an sich abzurunden, zu wachsen und allniiihlich durch Knospung die Zahl seiner Organe zu derjenigen des Mutterthieres zu erganzen. Dies geschieht in ganz bestimmter, gesetzmassiger Weise. Es giebt natiirlich 2 Serien von Entwickelungsstadien, die einander nur spiegelbildlich gleich sind; die eine nimmt von dem linkeu Theil- stiick J5, die andere von dem rechten Theilstiick A ihren Ur- sprung. Es geniigt voUstandig, die eine, z. B. die linke (Fig. SB — Fig. 13 B, Taf. XXI) zu verfolgen. Ich theile die Serie in aufeinanderfolgende Stadien ein , die natiirlich willkiirlich gewahlt sind: Das AusgangsstadiumI (Fig. 8 B) ist uns schon bekannt, es ist das linke Theilstiick der sich theilenden Meduse (Fig. 7). Beim Stadium II (Fig. 95) ist der vom drittaltesten Ten- takel P ausgehende Centripetalkanal r^ weiter gegen das Innere der Scheibe vorgedrungen ; an ihm ist schon die Anlage eines neuen, dritten Magens (^3) aufgetreten. An der Basis des viertiiltesten Tentakels t^ ist aus dem Ringkanal die Anlage eines neuen Radial- kanals r4 hervorgewachsen. Zwischen t^ und f^ und zwischen t^ und ^g hat sich je ein Randblaschen ausgebildet. Zwischen t^ und ^3 und zwischen ^2 ^"^d t^, d. h. an den beiden kleinsten neuen Quadranten des Scheibenrandes, sind je zwei neue adradiale Tentakclknospen jetzt deutlich zu unterscheiden ^9, t^^, t^, t^.^. Stadium III (Fig. 10 J5). Der dritte Radialkanal r^ hat den altestcn Magen /Wj erreicht. Der vierte Radialkanal ist weiter centripetal vorgedrungen. An ihm hat sich die Anlage eines neuen Magens m.^ gebildet. An den 4 Tentakelanlagen t^, t^^ trj, t^ eutwickeln sich die Fangfaden. Stadium IV (Fig. 11 _B). Der vierte Radialkanal t\ hat den zweitaltesten Magen m ^ erreicht. Am Magen m.^ ist die Mundotfnung durchgebrochen. An der Basis von t^ zeigt sich die Anlage eines neuen Radialkanals r^. Die Tentakeln haben sich in der Reihenfolge ihres Alters weiter ausgebildet. Zwischen tj^ 746 Dr. Arnold Lang, und ^9 und zwischen t., und t-^ ^ ist je ein Randblaschen aufgetreten. Jetzt ist das Theilstuck durch Wachsthum und Knospung wieder zu ein em dem Mutterthier voll- standig ahnlichen Thiere geworden. Das Stadium IV ist dasselbe, welches wir zum Ausgangspunkt unserer Scliilderung ge- wahlt haben. Nachdem wir jetzt seine Entwickelung verfolgt haben, miissen wir die anfangs angefiihrte Altersbestimmung der verschie- denen Organe als richtig anerkennen. m^ war auf Stadium I schoD ein grosser, in eine Mundscheibe ausgezogener Magen, wah- rend m^ auffallend viel kleiner war, auf dem Stadium II trat so- dann die Anlagevon m^ und auf dem Stadium III die Anlage von m^ auf, auf dem Stadium IV endlich legte sich der fiinfte Eadial- kanal an. Dieselbe Reihenfolge lasst sich fur die ubrigen Organe constatiren. Was geschieht nun mitunserem Stadium IV? — Ent- weder es schickt sich an, sich wieder durch Zwei- theilung zu vermehren, — oder es wachst und ent- wickelt sich unter Auftreten neuer gesetzmassiger Knospungserscheinungenweiter. Wenn es sich theilt, so treten wieder ganz dieselben Er- scheinungen auf, die wir schon ausfiihrlich geschildert haben, und aus jedem Theilstucke geht sodann wieder in genau derselben gesetzmassigen Weise durch Wachsthum und Knospung ein der Mutter ahnliches Thier hervor. Hervorzuhebeu ist, dass die Theilungsebene des Mutterthieres auf der Theilungsebene des Toch- terthieres senkrecht steht. Es finden wieder holt recht- winkelig zu einander vor sich gehende Theilungen statt, Verfolgen wir nun aber die Entwickelung der Meduse in dem Falle, dass sie sich nicht theilt. Stadium V (Fig. 12 B). Der funfte Radialkanal r-^ ist weiter gegen die Mitte der Scheibe zu vorgedrungen , er ist an einer Stelle verdickt: Anlage eines fiinften Magens m^. Gegen- iiber dem sechstaltesten Tentakel t^ zeigt sich schon ein neucr Centripetalkanal, die Anlage eines sechsten Radialkauals r^. Beim viertaltc'sten Magen m^ ist die Mundoii'nung durchgebrochen, Ausser den acht iiltesten Tentakeln sind schon einige andere faden- formig ausgezogen, uamlich i^g, ^j^, t-^^ und ^13. Der jiingere Tentakel /j.jhat also anormaler Weise den iiltern t^.^ etwas tiber- fliigelt; solche Unregelnuissigkeiten kommen, hauptsitchlich in den spatern Stadicn, nicht selten vor. Vier neue Tentakelanlagen sind Gastroblasta EafFaelei. 747 aufgetreten, und zwar auch wieder adradial zwischen Tentakel 1 und 5 und Tentakel 6 und 2. Diese 4 neuen Tentakel sind auch wieder ungleich alt; zuerst tritt t^., neben t^ auf, dann ^^g neben ^2, t^ y neben t^, und t^^^ neben t^^ ; also genau in der Reihen- folge des Alters der Tentakeln zwischen dencu sie entstehen, und an dem grossten Quadranten des Schirmrandes. Auch die Zahl der Raudbliischen hat sich vermehrt. Stadium VI (Fig. 13^). Der funfte Radialkanal r^ hat den jiltesten Magen m^ erreicht; die funfte Magenanlage, die sich in seinem Verlaufe befindet, hat sich bedeutend weiter entwickelt. Am sechsten Radialkanal (Centripetalkanal) zeigt sich als Ver- dickung die Anlage des sechsten Magens. Auch an der Basis der Tentakeln ^^ und to, zeigen sich die Anlagen neuer Radialkanale r, und rg. Es haben sich mehrere neue Tentakelanlagen gebildet, zunachst 4 an dem zweitgrossten Quadranten zwischen Tentakel 3 und 7 und zwischen Tentakel 8 und 4, namlich t^^ neben ^3, t.^.^ neben t^^ ^^3 ueben ^7, und ^34 neben t^. Auch am drittgrossten Quadranten zeigen sich 4 neue Tentakelanlagen, zunachst 2 zwischen den Tentakeln ^3 und t^^ und 2 zwischen t^ und ^9. Die Zahl der Randblaschen hat sich auf 16 vermehrt; ihre Anordnung er- lautert die Abbildung. Wie nun vom Stadium VI an die Knospungserscheinungen sich weiter abspielen, habe ich nicht im Einzelnen verfolgen konnen, da die spatern Stadien ausserordentlich selten sind. Doch ist der Rhythmus der Knospung einigermassen angedeutet durch die sich zwischen Stadium I und VI abspielenden Vorgange, Die 4 ur- sprunglichen Quadranten halten ungleichen Schritt, die 2 grossern Quadranten wachsen rascher und an ihnen entstehen friiher neue Tentakeln und Radialkanale als an den 2 kleinern; in Folge dessen nimmt die Meduse immer deutlicher eine elliptisch verlangerte Gestalt an. Vom Ringkanal aus entstehen immer neue Centri- petalkanale in der Reihenfolge des Alters der Tentakeln, von deren Basis sie ausgehen. An j e d e m Centripetalkanal bildet sich ebenfalls nach der Reihenfolge des Alters eine neue Magenanlage. Jeder Centripetalkanal wird schliesslich, indem er sich mit einem der altern Magenschlauche verbindet, zu einem Radialkanal. An der Basis eines jeden Tentakels entsteht mit der Zeit vom Ring- gefass aus ein Centripetalkanal, und je zwischen 2 benachbarten Tentakeln in der Mitte bildet sich spater ein Randblaschen. Leider habe ich trotz eifrigen Suchens, in welchem ich von Herrn Dr. Raffaele unterstutzt wurde, nur die einzige in Fig. 1 Taf. X 748 Br. Arnold Lang, abgebildete, viel weiter entwickelte Meduse aufgefunden. Dieselbe besass 26 vollstandig entwickelte Tentakeln, dazwischen ca. 17 Tentakelanlagen , 20 Radial- und Centripetalkanale, 9 vollstandig entwickelte, mit Mundscheibe versehene Magenschlauche und 7 Magenaulagen. Mit Ausnahme der 4 noch sehr jungen Centripetal- kanale besitzt jeder Radialkanal seinen Magen oder eine Magen- anlage. Kur an einer Stelle (rechts unten in der Figur) zeigt sich eine Abweichung. Die 9 Magenschlauche sind nicht alle mit- einander verbunden; es existiren 4 Unterbrechungen, die wahr- scheinlich erst secundar entstanden sind. Das relative Alter der verschiedenen Magen, Tentakeln und Radialkanale dieser Meduse zu bestimmen, diirfte sehr schwer, ja unmoglich seiu, solange nicht jungere Zwischenstadien aufgefunden sind. Ich muss hervorheben, dass bei diesem grossten Exemplar noch keine Spur von Geschlechts- organen aufzufinden ist. Gonaden. In den ersten Tagen, als ich die Medusen untersuchte, ver- muthete ich, dass die Verdickungen an den Radialkanillen Gonaden seien. Jedoch fiel mir bald der Umstand auf, dass sich in diesen Verdickungen oder Blaschen nie Eier- oder Samenelemente erkeunen liessen. Bei geuauerer Untersuchung und durch Vergleichung der verschiedenen Stadien erkannte ich dann, dass ich es nicht mit Gonaden, sondern mit Magenanlagen zu thun hatte. Erst spater, als ich das reiche conservirte Material untersuchte, fand ich gegen 40 Exemplare zum Theil mit miinulichen und zum Theil mit weiblichen Gonaden. Durch Vergleichung aller dieser Exemplare stellte sich bald heraus, dass dieselben genau so zu 2 Serien von Stadien gehoren, wie die Exemplare ohne Gonaden. Wie sich an die 2 Theilstucke A und B der Muttermeduse (Fig. 7) zwei einander spiegelbildlich gleiche Serien von Stadien ohne Gonaden anschliessen, so reihen sich an dieselbe 2 Reiheu von Stadien mit Gonaden an. — Wie ich auf der linken Seite der Tafel XXI eine linke Serie von Stadien ohne Gonaden abgebildet habe, so auf der rechten Seite eine rechte Serie von Stadien mit Gonaden. Es ist selbstverstiind- lich, dass es Serien von Stadien mit mannlichen und solche mit weiblichen Gonaden giebt. Die Thatsache selbst, dass es Parallelscrien von Stadien mit und ohne Gonaden giebt, zeigt, dass unsere Medusen auf sehr ver- schiedenen Stadien der Entwickclung geschlechtsreif werden, was Gastroblasta Raffaelei. 749 ja vornehmlich durch Haeckel von sehr vielen Medusen bekannt geworden ist, Zeigte doch die alteste und grosste Meduse unserer Art, vvelche wir aufgefuiulen haben, jene niit 9 Magenschlauchen, noch keiiie Spur von Gonaden. Die FigurOJ. stellt eine Meduse dar, welche dem Stadium II Reihe B spiegelbildlich so ziemlich ahnlich ist. Die Aehnlichkeit wird nur dadurch gestort, dass bei dieser Meduse der drittalteste Tentakel ^3 abgefallen ist, und ferner, was allein wichtig ist, dadurch, dass an dem iiltesten Radialkanalr^ auf seinem Verlaufe vom altesten Tentakel t^ zu dem altesten Magen m^ eine Verdickung (g^) vorhanden ist. Nun haben wir doch vorher nachgewiesen , dass zu jedem Radialkanal ein Magen gehort und dass ein centraler Magen gar nicht vorhanden ist. Diese Thatsache scheint nun auf einmal in Frage gestellt! Bei dem Stadium II (der Serie A) scheint der alteste Magen w^ ein centraler zu sein, zu ihm begeben sich 2 Radialkanale , jeder mit einer Verdickung. Bei genauerer Be- trachtung klart sich aber eben die Sache auf. Die Verdickung des Radialkanals r^, welcher vom zweitaltesten Tentakel t^ aus- geht, ist die Anlage des zweiten Magens (m^), wahrend die Ver- dickung (^i) am altesten Radialkanal r^ die Anlage einer weiblichen Gonade ist, wie die genauere microscopische Untersuchung zeigt. Unser Stadium entspricht vollstandig dem Stadium 2 ohne Gonaden, mit dem Unterschied, dass bei ihm allerdings bis jetzt Dur eine einzige Gonade, also die alteste mit Bezug auf die spiiter entstehenden, angelegt ist, und zwar am altesten Radialkanal r^, welcher vom altesten Tentakel t^ zum altesten Magen m^ verlauft. Stadium III der Reihe ^1 (Fig. 10 J.) ist so ziemlich spiegel- bildlich gleich dem Stadium III der Reihe B, mit dem Unter- schied, dass bei ihm zwar auch nur eine, aber voliig reife weib- liche Gonade entwickelt ist, welche ebenfalls wieder am altesten Radialkanal liegt. Bei dem Stadium IV der Reihe A (Fig. 11 A) dem etwas jiingern Spiegelbild des Stadiums IV der Reihe B sind 2 mann- liche Gonaden entwickelt. Sie sind ungleich gross, die grossere reife Gonade g^ liegt am altesten Radialkanal r^ , die kleinere g.^ am zweitaltesten. Es liegt auf der Hand, dass die erstere die altere, die letztere die jiingere Gonade ist, und wir erkennen nun schon deutlich fiir die Entstehung der Gonaden dasselbe Gesetz, welches wir fiir die Entstehung der Tentakeln , Radialkanale, Magenschlauche u. s. w. nachgewiesen haben. W en n sich bei 750 Dr. Arnold Lang, uDserer Meduse friiher oder spiiter Gonaden ent- ■wickeln, so entstehen sie nacheinander nach der Reihenfolge des Alters der Radialkanale, Tentakeln und Magensclilauche; die erste und alteste Gonade g^ entsteht am alteste n Had ialk anal r^, welcher zwischen dem altesten Ma gen m^ und dem altesten Tentakel ^^ verliiuft; die zweitalteste g^ am zweit- altesten Radialkanal r^ u. s. w. Stadium V (Fig. V2A) ein wenig alter als Stadium IV der Serie B. Es habeu sich 4 mannliche Gonaden ent- wickelt; sie sind verschieden stark ausgebildet, d. h. verschieden alt, die alteste (g^) am altesten Radialkanal r^, die zweitalteste ^2 aiifl zweitaltesten Radialkanal r^ u. s. w. Bei dem Exemplare, welches wir zur bildlichen Darstellung des Stadiums 5 der Serie A benutzt haben, beobachten wir, dass sich die Randblaschen 2 und 1 verdoppelt haben, dass sich bei Randblaschen 1 der Schirmrand eiubuchtet, dass der Verbindungs- kanal zwischen Magen 1 und 2 verschwunden ist, das heisst, das Exemplar schickt sich zur Theilung an. A u c h bei d e n j e n i g e n Individuen welche Gonaden entwickel t haben , kann Fortpfianzung durch Theilung eintreten, und zwar voUzieht sich diese genau wie bei den gonadenlosen Medusen, auf dem Stadium, auf welchem 4 complete Radialkanale mit 4 Magen vorhanden sind, setzen wir noch hinzu — nicht friiher, und auch nicht mehr s pater. Wir haben in der That nur auf diesem Stadium Thei- luugserscheinungen beobachtet. Nun kann der Fall eintreten, dass bei einer sich zur Thei- lung anschickenden Meduse mit 4 Radialkanalen und 4 Miigen nur eine Gonade entwickelt ist, und zwar am altesten Radialkanal. Dann besitzt naturlich nur das eine Theilstiick eine Gonade. Stadium VI (Fig. ISA). Dieses ist ungefahr das Spiegel- bild des Stadium VI der Reihe JB, doch ist es etwas alter; denn der Radialkanal r^ hat schon den zweitaltesten Magen erreicht. Bei dem abgebildeten Exemplar sind nur 2 weibliche Gonaden vorhanden, die grossere iiltere am altesten Radialkanal r^, die jiiDgere kleinere am zweitaltesten, r^. Individuen mit mehr als 4 Gonaden habe ich nicht ange- troifen. Die ersten Anlagen der Gonaden sehen den ersten Anlagen der Miigen, wie schon gesagt, sehr ilhnlich, doch lassen sie sich, Gastroblasta Eaffaelei. 751 wenigstens die der weiblichen, schon sehr friihzeitig von den letz- teien untcrscheiden. Bei den weiblichen Gonaden lassen sicii sehr bald die jungen Eier deutlich erkennen. Auch das Endoderm verdickt sich in den Gonadenanlagen. In den reifen sackformigen, in die Subumbrellarhohle hineinragenden Gonaden existirt eine centrale Hohle, die von verdicktem Entoderm ausgekleidet und eine Fortsetzung der Hohle des Radialkanals ist. Stellt man sich einen Magen vor, bei dem es nicht zur Bildung einer Mundofifnung und einer Mundscheibe gekoramen ist, und dessen Ectoderm durch die Entwickelung der Geschlechtsprodukte angeschwollen ist, so bekommt man eine ziemlich exakte Vorstellung vom Bau einer Gonade. Fig. 9, Taf. XX stellt einen Langsschnitt durch eine reife weib- liche Gonade dar. Anomalien. Regenerationsvermogen. Nicht selten entwickeln sich relativ jiingere Organe (Radial- kaniile, Magenschliiuche, Tentakeln) rascher und kraftiger als rela- tiv iiltere. Dadurch wird mitunter die Gesetzmassigkeit in der spiitern Entwickelung gestort. Tentakeln und Magenschlauche konnen sich von der Meduse loslosen oder abgerissen werden; dann entwickeln sich die zunachst liegenden jungen Organe rascher und kraftiger. Auch hierdurch kann die Gesetzmassigkeit gestort und, wenn Theilung eintritt, die Storung auf die Theilstiicke iibertragen werden, so dass sich dann eine ganze Serie etwas anormal ent- wickelt. — Herr Dr. Raffaele beobachtete, wie sich bei dem Exemplar mit 9 Magen einer der grossten Magen scheinbar frei- willig losloste. Der abgeschnurte isolirte Magen blieb langer als 2 Tage lebenskraftig, nachher starb er, wie Uberhaupt die Medusen, die bei grosser Sommerhitze zur Beobachtung in Uhrglasern gehalten wurden. Bei Durchmusterung des Bodensatzes in den Auftriebglasern fanden wir sehr zahlreiche isolirte Fragmente von Medusen, Tentakeln, Magenschlauche mit Stiicken des Schirmes, welche die deutlichsten Regenerationserscheinungeu : Abrundung des Schirmstiickes, Anlage neuer Tentakeln und Randblaschen etc. zeigten. Offenbar kann sich aus ganz kleinen Theilstiicken wieder die ganze Meduse regeneriren. WahrscheinlicheontogenetischeEntstehungder polygastrischen Form. Bis jetzt habe ich nur Beobachtungen mitgetheilt. Die Re- sultate derselben sind aber so eigenthumlich, so von allem bis Bd. XIX. N. r. XII. gQ 752 t)r. Arnold Lang, jetzt bei Medusen Bekannten abweichend, dass sie zu einem Er- kliirungsversuche auffordern. Folgcndes sind die bei unseren Medusen beobachteten abweichenden Eigenschaften und Erschei- nungeii: 1. Existenz mehrerer Magenschliiuche. 2. Fehlen eines centralen Magens. 3. Die nach einem ganz bestimmten Gesetz erfolgende Knospung neuer Tentakeln, Randblaschen, Radialkanale, Magenschlauche und Gonaden an den Radialkanalen. 4. Successive rechtwinkelig und gesetzmassig sich vollziehende Zweitheiluugen. 5. Verschiedenes Alter und verscbiedene Grosse der verschiedenen gleichartigen Organe und vollstandiges Fehlen eines strahligen Baues. 6. Adradiale Lage der Tentakeln; interradiale Lage der Randblaschen. So auffallend und abweichend diese Eigenschaften und Erscheinungen auch sind, so lasseu sie sich doch in, wie mir scheint, sehr einfacher und natiirlicher Weise erkliiren. Wir brauchen nur schon bekannte Thatsachen und Erscheinungen fiir unsere Erklarung zu benutzen. Ja, die oben beschriebenen Thei- lungs- und Knospungsvorgange bieten uns selbst den sichersten Fingerzeig fiir eine Erklarung, von der ich nicht zweifle, dass sie durch die wirkliche Beobachtuug bestatigt vverden wird. Wie entstehen urspriinglich unsere Medusen? Woher stammen sie? Entstehen sie durch Knospung an einer Hydroidkolonie, Oder entwickeln sie sich direkt wieder aus dem befruchteten Ei einer Muttermeduse? Gehen den von mir beobachteten Stadien andere voraus ? Dies sind Frageu, auf die ich nicht mit Beobach- tungen antworten kann, sondern nur mit einem Erklilrungs- versuch. Dem Baue der verschiedenen Organe nach ist unsere Meduse eine Leptomeduse. Die Tentakeln, Randblaschen, Magen und Go- naden sind absolut so gebaut wie bei vielen Eucopiden und Aequo- riden, z. B. bei Eucope und Phialidium. Halten wir an der Hand des HAECKEL'schen grossen Medusenwerkes Umschau unter den andern Meduseufamilien und Ordnungen, so uberzcugen wir uns bald, dass unsere Meduse dem Bau ihrer Organe nach nicht anderswo untergebracht werden kann. Bei den Eucopiden finden sich stets vier Radial gefiise. Die urspriiuglichsten Formen habcn vier perradiale Tentakeln, Eucope, Eutimeta und Octorchis haben 8 Tentakeln (4 perradiale und 4 interradiale). Bei andern Foruien verinehrt sich ihre Zahl bedeutend. Ini Verlaufe der Radialkaniile liegen 4 oder 8 Go- naden. Gasti'oblasta Raffaelei. 753 Bei den Aequoriden finden sich zahlreiche — mindestens aclit, oft iiber huiidcrt — Radialkaiiiile, in deren Verlaufe die Gonaden liegen. Doch besitzen die jungen Larven der Aequoriden (Halopsis ocellata und Polycanna groenlandica nach Al. Agassiz; Octocanna octonema nach Haeckel) vier perradiale Kanale. Die Aequoriden durchlaufen also in ihrer Ontogenie ein Eucopestadium. Im einfaclisten Falle (Octocanna octonema) finden sich 8 Ten- takeln am Ende der 8 Radial-Kaniile (4 perradiale und 4 inter- radiale). Da die iiltern Stadien unserer Meduse stets mehr als vier Radialkanale besitzen, so miissten wir sie danach zu den Aequo- riden stellen. Nehmen wir nun an, dass die jiingsten (nicht beobachteten) Larven unserer Meduse strahlig sind und, wie die anderen Aequo- riden, 4 Radialgefasse und 8 Tentakeln (4 perradiale Tentakeln und 4 interradiale Tentakelknospen) besitzen, kurz, dass sie dem Eucopestadium entsprechcn ! Diese Annahme ist nicht ganz ungerechtfertigt. Die Vierzahl der Magenzipfel, die Vierzahl der Entodermwiilste in den Magen- schlauchen, die Thatsache, dass unsere Medusen sich auf dem Stadium theilen, auf dem 4 Radialkanale gebildet sind, alles das scheint darauf hinzuweisen dass unsere Meduse anfangs 4 Radial- kanale besitzt. Eine zweite Supposition, deren wir zu unserer Erklarung be- diirfen, ist die, dass sich Gastroblasta auch auf dem Eucope- stadium durch fortgesetzte rechtwinkelige Theilung fortpflanzt. Auch diese Annahme schwebt nicht ganz in der Luft; denn erstens nehmen wir nur an , dass die von uns an den spatern Stadien beobachteten Theilungen auch an den jiingern vorkommen, und zweitens sind solche Theilungen an andern Aequorideularven (durch Kolliker) und an einem vermeintlichen Eucopestadium von Phialidium variabile (durch Davidoff) wirklich beobachtet worden. Sehen wir nun zunachst, wie Kolliker seinen ira Herbste 1852 in Messina beobachteten Fall in der Zeitschrift fiir wissen- schaftliche Zoologie, Band IV p. 325 — 327 beschreibt. Dort heisst es: „Das Wichtigste, was Herr KolHker in dieser Beziehung auf- gefunden hat, ist, dass den Scheibenqualleu auch eine Vermeh- rung durch Theilung zukommt. Beobachtet wurde dieselbe bei Stomobrachium mirabile. Es fiel hier zuerst auf, dass manche Individuen wie verletzt aussahen, indem der Magen nicht 50* 754 iOr. Arnold Lang, in der Mitte stand, und ihnen ein Theil der Scheibe zu mangeln schien. Eine weitere Verfolgung ergab, dass solche Individuen immer regelmassig halbkreisformig waren, mit einem geraden und einem convexen Rand, und dass der Magen stets dem erstern nahe lag, und so wurde denn bald der Gedanke an eine Theilung rege. Als die Sache einraal so weit war, fand sich die Lcisung leicht, denn es wurden bei genauerem Nachforschen nach dieser sehr haufigen Qualle nun auch bald alle gedenkbaren Stadien der sich einleitenden, fortschreitenden und sich vollendenden Theilung aufgefunden. Der Process beginnt in der Regel damit, dass zuerst der Magen sich spaltet, und wurden viele zugleich etwas grossere, im Umkreis langlich runde, noch einfache Thiere mit zwei mehr Oder weniger eingeschniirten und mit vollstandig getheilten, aber noch dicht beisammenstehenden Magen gesehen. 1st der Vorgang einmal so weit, so beginnt zwischen den beiden Magen, jedoch ausserlich an der Scheibe, die Bildung einer Meridianfurche, die, tiefer und tiefer schreitend, die Qualle immer mehr senkrecht halbirt, so dass dieselbe, von oben augesehen, in verschiedenen Formen bisquit- und achterformig aussieht, bis endlich die zwei neuen Thiere nur noch durch eine schmale Brucke zusammen- halten, welche endlich auch noch nach beiden Seiten sich vertheilt. Lasst man sich die Muhe nicht verdriessen, so kann man den ganzen Process in Zeit von 8 — 12 Stunden zu Stande kommen sehen. Mit der einmaligen Theilung ist jedoch diese Art der Vermehrung noch keineswegs geschlossen, vielmehr hat Herr KoUiker die bestimmte Beobachtung gemacht, dass getheilte Thiere nochmals sich theilen. Man findet niimlich halbe Quallen von deutlich halbkreisformiger Gestalt mit exceutrischen Magen, welche ebenfalls bisquitformig sind, so dass die neue Theil ungsfurche mit der alten, deren Lage aus dem geraden Rande der Scheibe sich ergiebt, unter einem rechten Winkel sich schneidet, und kann auch hier den Fortgang der Spaltung verfolgen, wobei jedoch der Magen nicht immer vor der Scheibe sich einschniirt. Wie oft eine solche Theilung hintereinander sich wiederholt, hat Herr Kolliker nicht beobachtet, doch Itisst sich daraus, dass sich thei- lende Individuen von verschiedenen Grossen von 2—6'", sehr haufig vorkommen, mit ziemlicher Sicherheit schliessen, dass diese merkwurdige Vermehrung auch mit einer zweimaligen Theilung noch nicht abgeschlossen ist, vielmehr der Vorgang sich ofter wiederholt." KOllikek theilt dann mit, dass Stomobrachium mirabile nur der Jugendzustand seines Mesonema coe- . Gastroblasta Raffaelei. 755 rulcscens (M. pensile Escnn. sei. „An Mesonema hat Herr Kolliker keine Spur einer Theilung gesehen, dagegen kann noch erwiihnt werden, dass dieselbe selbst noch an solchen Stomobrachien gesehen wurde, die schon an ein- zclnen Gefassen deutliche Eier zeigten". Die Be- schreibung von „Stomobrachium mirabile" (p. 324) lautet: „Scheibe abgeplattet, ganzrandig, mit 8, 10, 12 nicht immer gleich langen Fangfiiden , die liingsten vom Durchmesser der Scheibe. Gehororgane viele, in unbestimmter Zahl (5 — 8) zwischen je 2 Fiihlern. Magen klein, rundlich, nach unten in einen ganz kurzen, mit 4 langlichen schmalen Lippen endenden Schlund sich fort- setzend, der nicht bis zum Rand der Scheibe herabragt. Gefasse 8, 10, 12, einfache radiare, vora Magen ausgehende Kanale, die nicht immer genau den Fangfaden entsprechen and in ein Ring- gefiiss zusammenmiinden. Geschlechtsorgane nicht entwickelt. Farbe ein blaulicher Schimmer. Grosse 2 — 6'". In Messina haufig". Der von Kolliker beobachtete Fall hat in mancher Be- ziehung grosse Aehnlichkeit mit dem unsrigen, und ich zweifle auch nicht, dass unsere Meduse eine nahe Verwandte von Meso- nema ist, von der sie sich jedoch durch die vielzahligen Magen und andere Eigenthiimlichkeiten unterscheidet. Noch grosser ist die Uebereinstimmung zwischen den Jugendformen. Kolliker's Be- schreibung von Stom obrachium mirabile passt in der That ziemlich gut auf die jungen Stadien unserer Meduse, nur ist die Zahl der Radialkanale beira erstern viel grosser. Herr Professor Kolliker hat mir in der liebenswiirdigsten Weise seine Skizzen zur Verfiigung gestellt. Bei einem Vergleich derselben mit meinen Medusen uberzeugt man sich sofort von der Verschiedenheit der beiden Formen. — Immerhin ist fur uns sehr wichtig, dass Kol- liker beiderLarveeinerAequoridedieFortpflanzung durch successive rechtwinkelig auf einander sich vollziehendeTheilungenbeobachtethat. — Der zweite bis jetzt bekannte Fall von Fortpflanzung durch Theilung wurde von Davidoff^) in Villa franca bei Phialidium variabile beobachtet. Dieser Fall ist fiir unsern Erklarungsversuch so wich- tig, dass wir ihn geradezu als Ausgangspunkt nehmen konnen. Die ersten Andeutungen einer Theilung treten auf, wenn die Me- duse aus 4 perradialen Tentakeln, 8 Randblaschen und (wie ich ^) TJeber Theilungsvorgange bei Phialidium variabile. Zool. Anzeig., 4. Jahrg. 1881, p. 620. 756 Br. Arnold L an g, aus der beigegebenen Figur erschliesse) 4 interradialen Ten- takelkiiospen und 4 Radialgefasseu besteht, also auf dem Eucope- stadium (siehe Fig. 2, Taf. XXI), welches ja nach unserer Voraus- setzung auch von unserer Meduse durchlaufen wird. An der Basis des Magens entsteht ein zweiter Magen als Knospe, an der secun- dar die Mundoffnung durchbricht. Die Meduse nimmt eine ovale Gestalt an, die beiden Magen weichen in der Richtung des gross- ten Durchmessers der Scheibe auseinander, bleiben aber durch einen Kanal miteinander verbunden. Wie ich aus Davidoff's Figur ersehe, theilen sich die interradial an den Enden des kiirzesten Durchmessers der Scheibe gelegenen Tentakelknospen t^ in 2 seitliche Knospen, welche also adradial werden. Zwischen ihnen tritt ein interradiales Randblaschen auf. Dann schliesst sich der Verbindungskanal zwischen den beiden Magen und der Ring- kanal in der Nahe der interradialen Randblaschen. Die Theilung erfolgt dann senkrecht auf den urspriinglichen Verbindungskanal, in der Richtung des kiirzesten Durchmessers der Meduse (Fig. 2, Fig. 3). Jedes Theilstiick (Fig. 3) wurde demiiach besitzen 5 Tentakeln, 5 Randblaschen, zwei Radialkanille und einen Magen. Von den 5 Tentakeln sind 2 (^J die urspriinglichen perradialen, 2 stammen von den urspriinglich interradialen Tentakelknospen (^2 in Fig. 1) ab, welche sich theilten. Die fiinfte Tentakelknospe (^3) ist eine der beiden, urspriinglich noch ungetheilten , inter- radialen Tentakelknospen {t.^). Soweit der Vorgang nach Davidoff's Beschreibung und Abbildung! Was geschieht nun, weun jedes der Theilungsstiicke, nach Analogie von Stomobracliium mirabile und nach Analogic der spatern Stadien unserer Meduse, sich rechtwinkelig zur ur- spriinglichen Theilungsebene wie der theilt, was freilich von Da- viDOFF nicht beobachtet wurde? Zunachst wird sich bei jedem Theilstiick die Tendenz zeigen, sich abzurunden und zu einem dem Mutterthiere iihnlichen Orga- nismus zu werden. Die beiden jungen Tentakelknospen t.2 werden an die Stelle der 2 in das andere Theilstiick aufgenommenen Tentakel t^ treten. An der Basis des Magens wird ein ueuer knospen ; beide Magen werden in der Richtung des langsten Durch- messers der Meduse, welcher auf dem langsten Durchmesser der Muttermeduse senkrecht steht, auseinanderriicken. Die noch un- getheilte interradiale Tentakelanlage ^3 wird nach Analogic der Tentakelanlage t^ sich theilen und so die beiden adradialen Ten- takelaulageu t^ (Fig. 5, Taf. XXI) bildeu ; zwischen ihueu wird ein Gastroblasta Ruffaelei. 757 interradiales Randbliischen anftreten. Entsprechend den beiden Teiitakelanlageii t.^ werdeii am gegeniiberliegeiiden Scheibenrand 2 neue Tentakelanlageu t^ auftreten. Auf diesein Stadium wird die Medusa besitzcn 2 jilteste (untcr sich gleichalte) Tentakel t^^ 2 jungere (unter sich gleichalte) Tentakel ^2» 2 noch jiingere (untcr sich gleichalte) Tentakel ^3, 2 jiingste (unter sich gleichalte) Tentakel ^4, 2 verschieden alte Magen und neben den 2 Radialkanalen vielleicht noch 2 Centripetalkanale als Anlagen der fehlenden 2 Radialkaniile. Die Randbliischen liegen nun alle in der Mitte zwischen 2 benachbarten Tentakeln. Die Theilung erfolgt senk- recht auf den Verbindungskanal zwischen den beiden Magen (Fig. 5 und 6). Betrachten wir nun die so entstandenen Theilstucke (Fig. 6) naher. Jedes derselben besitzt: einen iiltesten Tentakel ^j, einer der 4 perradialen Tentakeln des urspriinglichen, radiaren Mutterthieres (Fig. 1), einen zweitaltesten Tentakel t.^^ einer der 4 Tentakeln, die durch Theilung aus den sich zuerst theilenden beiden interradialen Tentakeln i^ hervorgegangen sind, einen dritt iiltesten Tentakel ^3, einer der 4 durch Thei- lung von t.^ entstandenen Tentakeln, einen vie rt iiltesten Tentakel ^4, eine der vier neu ent- standenen Tentakelknospen. einen iiltesten Radialkanal (rj, einer der 4 Radialkaniile des urspriinglichen radiaren Mutterthieres, einen Centripetalkanal (y-g), an der Basis des zweitaltesten Tentakels entspringend. Wiihrend die durch die erste Theilung entstandenen Medusen einander congruent sind, sind die beiden durch Theilung eines Theilsttickes entstandenen Enkelmedusen /? und a n. y und 6 einander nur spiegelbildlich gleich. Alle diese Verhaltnisse diirften durch die schematischen Fi- guren 1 — 6, Tafel XXI viel besser erliiutert werden als mit Worten. Vergleichen wir nun diese Enkelmedusen mit den jftngsten von uns beobachteten Stadien, so sehen wir, dass eine vollstan- dige Uebereinstimmung herrscht. Beide bestehen aus 2 Gruppen von Individueu, die sich nur spiegelbildlich gleich sind ; bei beiden sind die Organe verschieden alt, und zwar ist die Anordnung der Organe am Scheibenrand nach dem Alter ganz dieselbe. Drehen 758 Dr. Arnold Lang, wir z. B. /? (Fig. 6) um einen rechten Winkel nach links, oder y urn einen rechten Winkel nach rechts, so erkennen wir die Ueber- einstimmung mit dem Stadium I der Serie B (Fig. 8 B) ; drehen wir a um einem rechten Winkel nach rechts, und 6 um einen rechten Winkel nach links, so erkennen wir die Uebereinstimmung mit Stadium I der Serie A (Fig. 8 A). Die Verschiedenheit besteht nur darin, dass unsere Stadien I schon etwas weiter entwickelt sind. Es haben sich neue Ten- takelanlagen gebildet; der Centripetalkanal r^^ welcher vom zweit- altesten Tentakel t^ ausging (Fig. 6 a, /?, /, d\ hat den Magen erreicht; an der Basis des drittaltesten Tentakels ^3 hat sich ein neuer Centripetalkanal angelegt. Am zweitaltesten Radialkanal ist eine Verdickung aufgetreten: die Anlage eines neuen Magens m^. Auch diesen Vorgang hat Davidoff bei seiner Meduse beobachtet. Er sagt: „Ferner kann auch das zweite (Stomogastrium) nicht an der Basis des ersten sich bilden, sondern ebenfalls im Yerlaufe eines Radialkanals. Sogar aus einem nahezu reifen Geschlechts- organ kann noch ein Stomogastrium herauswachsen". Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass, wenn unsere Meduse Eucope ahnliche, radiare Larven besitzt und diese sich durch successive rechtwinkelige Theilungen in der von Davidoff beobachteten Weise fortpf lanzen, mit Nothwendigkeit die Serien scheinbar unregel- massiger, Stadien hervorgehen miissen, die wir be- schrieben haben. Ich halte es sogar, wenigstens nach dem, was Davidoff bis jetzt mitgetheilt hat, fiir inoglich, dass die Medusen, an denen er Theilung beobachtete, nicht zu Phiali- dium variabile gehoren, sondern die ersten radiaren Jugend- stadien der von mir beobachteten Form sind. Dass sie zum Theil schon Geschlechtsorgane besitzen, darf uus nicht wundcrn; finden sich doch auch auf den wenig alteren von mir beobachteten Stadien Individuen mit Gonaden. Wir haben nun ferner auch eine plausible Erklarung fiir die Polygastrie gefunden. Als Veranlassung zum Auftreten eines zwei- ten Magens erscheint aufiinglich, wenn ich mich so ausdriickcn darf, die Absicht der Meduse, sich zu theilen. Die Theilungs- erscheinungen halten nun nur anfangs gleichen Schritt mit der Bildung neuer Magen, spater gchen sie bedeutend langsamer vor sich. Es sind bei den von uns beobachteten Stadien schon 4 Magen angelegt, bevor die Theilung erfolgt, die eigentlich schon eintreten sollte, nachdem 2 Miigen gebildet sind. Schliesslich hurt Gastroblasta Eaffaelei. 759 die Fortpflanzung (lurch Theiluiig an der Schcibc ganz auf, wahrund die urspriinglicli durch sie bcdingten Sprossungserschei- nungen am Gastrovascularsystcm (Radialkanalc, Magenschlauche) und an den Tentakeln sich noch fortsetzen. Die erwachsene Med use ist das Resultat einer fortgesetzten Sprossung und zugleich einer fortge- setzten unvollstandigen Theilung, ganz ahnlich wie die Thierstocke gewisser Steinkorallen. Wie dort bezeichnet die Zahl der Magen und Mundoffnungen die Zahl der nicht mehr zur Theilung gelangenden Individuen. Manches in der Organisation unscrer Meduse erinnert an Porpita Oder Velella unter den Siphonophoren. Haeckel ist ge- neigt, ftir diese Siphonophoren einen andern Ursprung anzunehmen als fiir die iibrigen. Er leitet sie von Craspedoten mit entoder- malen Horkolbchen ab. Wenn ich nun auch bczweifie, dass unsere Meduse zu Porpita oder Velella in irgend welcher nahern phylo- genetischen Beziehung steht, so scheint sie mir doch aus dem Grunde fur die Phylogenie dieser Siphonophoren sehr beachtens- werth, well sie uns zeigt, dass vvirklich aus Medusen durch Knos- pung Oder unvollstandige Theilung Porpita -ah nliche Thierstocke hervorgehen konuten. Unter dem Namen Gastroblasta ti mi da hat C. Keller^) im Jahre 1883 eine von ihra im Roth en Meere entdeckte, in zahl- reichen Schwarmen auftreteude Meduse beschrieben, welche mit unserer Form in vieleu wichtigen Organisationsverhaltnissen iiber- einstimmt, in andern bedeutend von ihr abweicht. Grosse Ueber- einstimmung herrscht in der iiussern Gestalt der Medusen, in der Entwickelung der Schirmgallerte , des Velums, im Bau des oder der Magen, der Gonaden, der Tentakeln. Wie unsere Form, so besitzen alle ausgewachsenen Exemplare von Gastroblasta timida mehr als einen Magen, doch nie mehr als 4. Die Magenschlauche entstehen in ganz ahnlicher Weise als sinusartige Erweite- rungen am untern Theil eines Radialgefasses. Secundar brechen die Mundoffnungen durch, und es zieht sich der Mundrand an- fangs in 3, dann in 4 Zipfel aus. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin , dass bei Gastroblasta timida immer ein centraler Magen vorhanden ist. Die Grundzahl der Radialkanille ist 4, ^) C. Keller. Untersuchungen liber neue Medusen aus dem Rothen Meere. Mit 2 Tafeln. Zeitschrift f. wiss. Zoologie. 38 Bd. 1883, p. 622 u. ff. 760 T)r. Arnold Lang, die beobachtcte Maximalzahl dersolben 17. „Jcder neugebildete Magcn erhiilt sein cigcnes System von Radialkanalen, doch bleiben die einzelncn Magenriiume untereiiiander in direktera oder in- direktem Zusammenhang". Ausser den Radialkanalen finden sich nocli ganz regelmassig Centripctalkanale, welche interradial, spater aiich adradial sind. Sie konnen den niichstliegenden Neben- raagen erreichen und sind dann von den urspriinglichen centri- fugalen Radialkanalen nicht mehr zu unterscheiden. Bei den von uns beobachteten Medusen sind samnitliche Centripetalkaniile adradial. Bei den jiingsten Larven von Gastroblasta timida finden sich 4 perradiale und 4 interradiale Tentakeln, wie es ja wahrscheinlich auch bei unserer Form der Fall ist. Spater ent- stehen durch Sprossung sehr zahlreiche, bis zu 100 Tentakeln. Zwischen zwei perradialen finden sich ein interradialer und 2 ad- radiale Fangarme — bei unserer Form entstehen die neuen Ten- takeln immer adradial. Die Horblaschen sind nach Keller bei Gastroblasta im Gegensatz zu unserer Meduse entodermalen Ur- sprungs. Gonaden entwickeln sich in grosser Zahl an den Ka- nalen, zuerst an den Radialkanalen, dann an den interradialen Centripetalkanalen. Theilungserscheinungen an der Scheibe hat Keller nie beobachtet ; sie kommen auch wahrscheinlich nicht vor, wie daraushervorgeht, dass die Randgebilde immer in ihrer urspriing- lichen Lage: die Tentakeln erstens perradial, zweitens interradial, drittens adradial, die Sinnesblitschen adradial angeordnet sind, genau umgekehrt wie bei unserer Form. Vergleichen wir Gastroblasta timida mit dieser letzteren, so sehen wir, dass fast alle wichtigeren Unterschiedc dadurch bcdingt werden, dass bei ersterer keine Fortpflanzung durch Theilung vorkommt, wahrend letztere aus durch fortgesetzte Theilung entstandenen Theilstiicken hervorgeht. Abgesehen davon ist nur ein grosser Unterschied vorhanden, und der liegt in dem entodermalen Ur- sprung der Randblitschen bei Gastroblasta. Waren diese exoder- mal, so wiirde Gastroblasta zusammen mit unserer Form in der licptomedusenfamile der Aequoriden eine ganz natUrliche Stellung finden. So ist Keller genothigt, seine Form zu den Tracho- medusen zu weisen. Da er aber innerhalb dieser Ordnung keine Verwandten der Gastroblasta antrifft, so muss er fur die einzige Gattung und Art die neue Trachomedusonfamilie der Gastroblas- tiden griindcn. Ich muss gestehon, dass ich noch nicht ganz von der entodermalen Natur der Ilorbliischcn von Gastroblasta iiber- zcugt bin, und dass ich es fiir jetzt noch fiir besser haltc, mciue GaBtroblasta KafFaolei. 761 Art unter deni Namcn Gastroblasta Raffaelii an die Seite dcr KELLER'scheii G. tiniida zu stellen, uiid die Gattung der Familic dcr Aequoriden eiiizuverleibeii. Kellek stellt auch Betrachtungen iiber die morphologische Bcdeutung der Magenverniehruiig an. Entweder sei dieselbe aus einer unvollstiindigen Theilung der Meduse zu erklilren, Oder es liege eine seitliche Sprossung vor. Da Keller nie Theilungsvorgange an der Scheibe beobachtet hat, so neigt er sich zu der letztern Auffassungsweise bin. „Der ganze Vorgang kann wohl passend als unvollstiindige Gemmatio lateralis bezeichnet werden und zeigt eine Analogic mit dem Sprossungsvorgang bei gewissen Korallen". Ich freue mich, dass die Resultate meiner Untersuchung die Auffassung Keller's vollstandig bestatigen. Ja, die Vorgange bei Gastroblasta Raffaelei sind gewisserinassen die direkte Er- klarung derer bei G. tiniida. Bei der erstern Art geht die Magen- vermehrung nur in den jiingsten Larvenstadien noch Hand in Hand mit Theilungen, spiiter unterbleiben die Theilungen, die Magenvermebrung und die Sprossungserscheinungen dauern aber noch fort. Bei Keller's Art tritt auch in der Jugend keine un- geschlechtliche Verraehrung durch Theilung mehr ein. In einer leider russisch geschriebenen Abhandlung von Met- SCHNIKOFF finde ich unter der Bezeichnung von Eucope poly- gastrica 2 Abbildungen von Medusen, die offenbar mit unserer Gastroblasta Raffaelei identisch sind. Die Fig. 4 entspricht un- gefahr unserem Stadium IV der Serie A ; 2 der Verdickungen an den Radialkanalen miissten demnach Gonadenanlagen sein. Fig. 2 stellt ein Stadium mit 6 Radialkanalen und 3 entwickelten Miigen und 3 Magenanlagen dar. Ich weiss nicht, ob die Beschreibung im Text dieser meiner Interpretation der Abbildungen entspricht, und in welchem Umfange iiberhaupt die Resultate meiner Unter- suchung schon in der METSCHNiKOFF'schen Abhandlung ent- halten sind. 762 Dr. Arnold Lang, Erklarimg der Abbildungen. Tafel XX. Fig. 1 . Gastroblasta Raffaelei. Ein grosses Exemplar mit 9 entwickelten Magenschlauchen, von der Exumbrella aus gesehen. Stark vergrossert. Nach 2 Skizzen des lebenden Thieres und Vergleichung des Praparates. Fig. 2. Ein jiingeres Exemplar mit 2 entwickelten Magen- schlauchen, schief von der Seite gesehen. Stark vergrossert. Fig. 3. Querschnitt durch einen Magenschlauch ca. 145 mal vergrossert. Fig. 4, 5, 6, 7, 8. Schematische Langsschnitte durch 5 Miigen auf verschiedenen Stadien der Entwickelung , zur Demonstration der Bildung der Magenschlauche aus Verdickungen von Radialkanalen. Fig. 9. Langsschnitt durch eine weibliche Gonade. Ca. 145 mal vergrossert. Tafel XXI. Allgemeine Buchstabenbezeichnung. m Magen oder Magenanlage. g Gonade. / Tentakel. r Radialkanal. Das verschiedene Alter der Magenschlauche, Gonaden, Tentakeln und Radialkanale wird durch die Zahlen angegeben: t^ der alteste Ten- takel, t^ der zweitalteste u. s. w. , ;« , der alteste Magcn, w^ der zweitalteste u. s. w. Fig. 1 — 6. Schemata zur Darstellung der muthmasslichen suc- cessiven Theilungen der supponirten, ersten radiaron Larvenform. Fig. 7. Stadium der Zweitheilung von Gastroblasta Raffaelei. Gastroblasta Eaffaelei. 763 Fig. SB — 13^, Serie von Stadien ohne Gonaden, welche durch Metamorphose und unvollstandige Theilung aus dem linken Theilstiick der Muttermeduse (F i g. 7) hervorgehen. Fig. 8^^ — 13^. Entsprechende Serie von Stadien mit Gonaden, hervorgehend. aus dem rechten Theilstiick der Muttermeduse (F i g. 7). Die Figuren 7, 8^—13^ und 8^—135 sind mit Hilfe des Zeichenprismas gezeichnet. Alle Figuren sind von der Exumbrellar- seite bei ca. GO facher Vergrosserung angefertigt und nachher vom Lithographen um die Hiilfte verkleinert. Im Uebrigen liefert der Text die Erklarung der Abbildungen. Einige Mittheilungen iiber Asterias cilicia Qu. Von Dr. G. Compter, Apolda. Hierzu Tafel XXII. Die Zahl der bekannten Exemplare von Asterien aus dem obern Muschelkalke war bis vor Kurzem eine verhaltnismassij^ kleine. Zu dem friiher Bekannten hat zwar neuerlich Eck (Zeitschr. d. d. g. Ges. 1885) noch die Beschreibung einiger zum Theil selir schoner Exemplare aus Nord- und Siiddeutschland hin- zugefiigt. Trotzdeni durften weitere diesbeziigliche Mittheilungen nicht unwillkommen sein, da sie noch Abweichungen von dem bis- jetzt Festgestellteu erkennen lassen, und ausserdem die fraglichen Exemplare in mehrfacher Beziehung besonderes Interesse bieten. I. Das erste stammt aus einem Steinbruche im Schotener Grunde, siidlich von Apolda. Der Bruch wird auf die obersten Banke des obern Muschelkalks betrieben, macht aber einen 2 — 3 m milchtigen Abraum der untersten Lettenkohlenschichten nothig und gewahrt deshalb einen umfangreichen, deutlichen Aufschluss. Die Asterie ist einer weissen oder weisslichen, 5 — 6 cm starken, mergelig-kalkigen, bei der Verwitterung in rundliche Knollen zer- fallenden Bank entuommen, deren zwei, stellenweis auch 3 durch gelblichgriine Mergel getrennt werden. Sie liegen ungefahr 3 m unter der Lettenkohlengrenze. Der Fund ist also wohl der jiingste von alien bekannten. Ein kurzes Referat daruber habe ich bereits in der 46. Ge- neralversammlung des naturw. Vereins fiir Sachsen und Thiir. 1883 (Zeitschr. i. d. ges. Naturw. LVI. Bd., 4. Folge II. Bd. S. 391—92) gegeben. Damals entzog sich das Thier aber noch einer cingehenden Betrachtung und konnte nur mehr vermuthungsweise als Asterias cilicia Qu. bezeichnet werden. Einige Mittheilungen iiber Asterias cilicia Qu. 765 Im urspriinglichen Zustande bildete der Fund eineii oben ab- geflachten, unten ctwas vcrtieften, halbku^^elformigen Knollcn, aus dessen Unterseitc nahe dem Raude 5 kurze Armspitzen, nach aussen gebogon, hervorragteii ; obea nahe dem Sclieitel eine kleine, 3 mm Durchmesser lialtecde, braune, rundliche, vertieftpunktirte Ma- dreporenplatte in der Halbirungslinie eines Interbrachialraumes; eiiie ahiiliche, ctwas kleinere Platte in der Verlangeriing dieser Halbirungslinie, ziemlich an der aussersten iiquatorialen Peripherie des Knolleus, scheint als eine zweite Madrepore gedeutet werden zu niiissen ; die Oberflache des KnoUens etwas rauh von erhabenen Strichen und Punkten, die als abgebrochene oder abgerissene und umgeknickte Stacheln zu deuten sind. Zwei Armspitzen sind unverletzt, die anderu mehr oder weniger verbrochen. Ein von der Kalkauflage des Riickens abgesprengtes Kugel- segment und das steile Einfallen der Armgrenzen gegen die Ober- flache der Halbkugel liessen erkennen, dass die Korperoberflache des Thieres in dem Knollen gesucht werden musse. So unterzog ich mich der Muhe, das Thier, zur Halfte wenigstens, von der Kalkhiille zu befreien. Von der Riickenseite konnte die bedeckende Gesteinsmasse durch Schneiden entferut werden; nur gegen die Armspitzen bin bedurfte es der Nachhiilfe durch Aetzen. Die Mitte des Thierriickens liegt 8 mm unter dem Scheitel der Halbkugel. Auf der Bauchseite war es nicht moglich, durch Schneiden die Kalkmasse zu entfernen; hier war nur mit Aetzen beizukommen; es geschah in der Weise, dass die Grenzen des geatzten Theiles die Erweiterungen der Schnittflachen auf der Oberseite bildeten. Es musste in der Mitte bis zu 13 mm tief eingedrungen werden, urn den Mund und die Oralplatten zu er- reichen. Dass auf diese Art die Flatten selbst zum Theil mit an- gegriflen wurden, war nicht zu vermeiden; aber ihre Anordnung ist vollkommen deutlich blossgelegt worden. Die so gewonnenen Ansichten sind in den Figg. 1 und 2 dargestellt. Die Gestalt lasst sich nunmehr vollstaudig iiberseheu. Sie ist auf der Unter- seite stark konkav, Scheibe und Arme sind krampfhaft zur Halb- kugel zusammengezogen und nur die Spitzen der Arme wieder auswarts gebogen. Die Arme selbst sind bis auf das vorderste Drittel ihrer Lange auch seitlich zusammengezogen, also auf der Unterseite — abgesehen von der Ambulakralfurche — rinnig ver- tieft, und die Rander in den Armwinkeln zum Theil nach unten eingeschlagen, daher diese Winkel ziemlich scharf werden (Fig. 4), wiihrend die Scheibe uber ihnen in einer stumpfen korperlichen 766 Dr. G. Compter, Ecke hervorsteht. Jetzt ist im allgemeinen die Uebereinstimmung des Thieres mit Asterias cilicia Qu. = Trichaster cilicius Qu. (Petrefactenk. Deutschl. I. Abth. IV. Bd. S. 65. ff, tab. 92, fig. 19—28) = Pleuraster cilicius Qu. sp. Eck (Zeitschr. d. d. geol. Ges., XXI. 1869, S. 496-97) = Trichasteropsis cilicia Qu. sp. Eck (Zeitschr. d. d. geol. Ges., XXXI. 1879, S. 43—45 und XXXVII, 1885, S. 818—24) geniigend klar; im einzelnen bleiben aber noch Abweichungen zu verzeichnen, wie aus der geuaueren Beschreibung im Folgenden ersichtlich werden wird. Der Radius der Scheibe betragt 27, der des Armes 50 mm, beide auf der konvexen Seite gemessen; auf der konkaven Seite ergiebt jener 21, dieser 48 mm; der Scheibenrand ist ebeD im Armwinkel stark eingezogen. Die Breite der Arme ami Grunde ist 25—26 mm; dieselben verjiingen sich nicht gleichmassig, sou- dern ihre Breitendimension schwillt ungefahr in der Mitte noch einmal an, well hier die Reihe der untern Randplatten sich von oben nach unten iiber die seitliche Kante herunterzieht. Hinter dieser Verbreiterung ist die Rinne des Armes am tiefsten, sodass die Sehne von Rand zu Rand sich zum Bogen iiber den Riicken hinweg verhallt wie 2 : 3. Die nicht rinnig vertiefte Spitze des Armes an der Stelle, wo er sich rasch zu verjiingen beginnt, hat 9 mm Breite, und die Dicke der Scheibe vom Mund zum After betragt 7 mm. Die Ambulakralfurche ist im Maximum 4 mm breit, diametral gegeniiberliegende Oralplatten sind 3—5 mm von einander entfernt. Die Furche wird beiderseits von der fortlaufenden Reihe der Adambulakralplatten begrenzt, deren An- zahl 47 — 48 betragt; die Lange einer Platte, mit Ausnahme der 6—8 vordersten, ist 1 mm, die Breite 2—3 mm. Quenstedt (a. a. O. S. 67) nennt sic „knotig" und giebt ihre Zahl doppelt bis dreifach so gross an als in der Ruckenreihe; Eck (a. a. 0. 1885. S. 818) nennt sie „geperlt". Knotig oder geperlt sind sie auch hier; 8 Knoten (Qu. a. a. 0. S. 70) lassen sich meist deutlich erkennen. Durchschnittlich kommen auf 5 solcher Platten 2 obere Randplatten, wie bei Quenstedt. Die Fig. 3 stellt eine der bei- den unbeschiidigten Armspitzen etwas vergrossert dar. Die 7 er- sten obern Randplatten an der Armspitze sind beinahe rechteckig, brciter als lang im Verhiiltnis 3 : 2 und gr{3sser als die iibri- gen; die folgenden 6 sind rhombisch verzogen, mit dem obern spitzen Winkel nach vorn geneigt; die letzteu nach dem Arm- winkel hin werden kurzer und brciter und neigen sich allmiihlich ruckwarts; im Winkel selbst bilden 2 Platten jederseits und eine Einige Mittheilungen liber Asterias cilicia Qu. 7G7 unpaare Mittelplatte eine fiinffingerige Palraette: die oben er- wiihnte stunipf vortretende korperliche Ecke (in Fig. 4 etwas ver- grossert dargestellt). Die vordern Flatten sind kornig-rauh, mit einer Reihe deutliclier Erliohungen am Vorderrande; an den hin- teren Flatten ist Skulptur nicht zu erkennen, nur einzelne kleine Kreise deuten auf abgeatzte Stacheln. Die Gesammtzahl dieser Flatten zwischen 2 Armenden betragt 39. Quenstedt hatte schon vermuthet, dass diese Randasseln sich bis in den Armwinkel fort- setzteu, obwohl sein Exemplar dies nicht erkennen liess; Eck hat es an bessereu Funden von Crailsheim Wehmingen und Hem- mersheim dann nachgewiesen (Zeitschr. d. d. geol. Ges., XXXI. 1879, S. 44, 45; Taf. IV. Fig. 3c; 1885, S. 819 u. 824; Taf. 34). Diese Darstellung stimmt mit der unsern im allgemeinen tiber- ein; abweichend ist die Zahl der Flatten (Eck hat 16, 17 und 14 an einer Armseite) und die Falmette, die abweichende Flatten- zahl erklart sich aber aus den Grossenverhaltnissen. An einem Arm des hiesigen Exemplars ist auch der Augenporus noch wahr- zunehmen; am andern vollerhaltenen ist das nicht mehr moglich; er ist zu sehr abgerieben. Auch die untern Randplatten stimmen im allgemeinen mit der von Eck naher ausgefuhrten und erganzten QuENSTEDT'schen Beschreibung iiberein. Diese Flattenreihe setzt hier aber etwas spater ein als bei Quenstedt und, wie es scheint, auch bei Eck, namlich nicht hinter der vierten obern Randplatte, sondern hinter der sechsten. Die ersten Flatten sind sehr klein; sie werden aber allmahlich breiter, so breit und so lang als die Adambulakral- platten, und im Armwinkel erst wieder etwas schmaler. Die Zahl dieser untern Randplatten an einer Armseite be- tragt 24. Im Armwinkel, unter der Falmette, liegt ein unpaari- ges etwas breiteres Tafelchen, das von den beiden benachbarten oben ein wenig umspannt wird; auch das stimmt mit Eck's Be- schreibung (1879, S. 44) nicht ganz iiberein ; bei ihm ist das un- paare Tafelchen kleiner als die andern. Dass sich die Reihe iiber den Rand des Arms nach unten zu Ziehen scheint und im Armwinkel selbst ganz auf die Bauchseite tritt, ist nur Folge der Kontraktion. Liesse sich der Arm oder die ganze Gestalt flach ausbreiten, so wiirde die Reihe wie bei den andern Exem- plaren immer dem Rande des Arms nach verlaufen. Nur der Lange nach gestreckt gedacht, ohne die Rinne mit zu ebnen, wurde ein Arm das Bild von Fig. 7 bieten. Die ventralen Fiill- platten weichen am hiesigen Exemplar von denen des Crailsheimer, Bd. XIX. N. F. XII. M 768 Dr. G. Compter, die EcK sehr eingehend beschreibt, wieder etwas ab, insofern die Reihen, welche den untern Randplatten parallel laufen, nicht streiig Oder rein entwickelt, sondern von einzelnen zwischen ge- streuten Flatten gestort sind, insofern dann sich statt 4 vielmehr 5 Reihen unterscheiden lassen, und ausserdem im Mundwinkel immer noch einige Plattchen iibrig bleiben, und insofern endlich diese Fullplattchen sich den Adambulakralreihen parallel fast ebenso genau zu je eiuer Reihe ordnen als den Randplatten pa- rallel (Fig. 6). Die hiesigen Oralplatten sind weniger spitz als die Crailsheimer und an den Ecken mit etwas vorspringender Rundung. Die Oberseite. Auf dem mittleren der freigelegteu Arme ist durch weiter gefuhrte Aetzung die Doppelreihe der Ambulakral- platten zum Durchbruch gekommen; sie sind gegenstandig (Fig 1), wie die Adambulakralplatten auch. Auf den beiden andern Armen ist die Furche zwischen den Plattenreihen auch zum Theil erkenn- bar, zum Theil wenigstens durch eine Linie angedeutet. Diese Furchen endigen (Fig. 7) in dieselben grosseren klaffenden Flatten Oder Doppelknoten, wie bei Quenstedt (Tab. 92, Fig. 19 u. 22) und EcK (1885. Taf. XXXIV. Fig. 1.), die mit den Mundplatten korrespondiren ; drei davon sind allerdings nur blossgelegt. Naheres lasst sich iiber die Ambulakralplatten nicht angeben, da ihre Ge- stalt durch die Aetzung beeintrachtigt worden ist; soviel sich aber noch erkennen lasst, stimmen sie mit Quenstedt's Fig. 22 iiber- ein. Auf dem Querbruch eines der Arme kann man sich ungefahr die Seitenansicht noch erganzen, obwohl sie mit unbedingter Sicher- heit nicht zu erkennen ist. Fig. 8 giebt einen solchen Bruch, der hinter der 5. obern Randplatte stattgefunden hat, in doppelter Ver- grosserung. Die Adambulakralplatten sind doppelt so breit als die obern Randplatten. Dieses Verhaltnis kehrt sich aber uni, wenn der Querschnitt niiher der Armspitze genommen wird; Fig. 9 stellt den Bruch an einem andern Arme dar, der hinter der ersten obern Randplatte erfolgt ist. Fullplatten sind auf der Oberseite zum Theil nachzuweisen, doch wenig im Zusammenhange. Ziemlich deutlich ist auf einem der Arme eine Reihe zu erkennen, die, an Grosse und Gestalt den obern Randplatten gleichend, diesen parallel liiuft, indem sie hinter der Mitte des Arras beginnt und hinter der mehrerwahn- ten Falmette eine ahnliche kleinere zu bilden scheint. Die Schei- benmitte ist aber noch mit grosseren, vorstehcnden, ziemlich unregelmiissig an- und aufeinunder liegenden Kuuten und Korneru Eiuige ^fittheilungen iiber Asterias cilicia Q,u. 769 bedeckt, ahnlich wie bei Quenstedt Fig. 19, und bei Eck 1885 Taf. XXXIV die ganze Oberseite. Der Winkel zwischen den Medianlinien je zweier Arme wird durch eine Linie solcher Knoten halbirt; sie hat etwa die halbe Liinge des Scheibenradius, und von ihrem Endpunkt aus laufen grobkornigere Knotenreihen nach den Medianlinien bin; so entsteht ein symmetrisches Viereck mit Diagonale; der vom Scheibencentrum abgekehrte Winkel ist sehr stumpf, beinahe 180"^. Von Querreihen solcher Knoten auf den Armeu sind noch Andeutungen vorhanden; ob die Knoten der Kreuzungsstellen vierhornig sind, lasst sich nicht erkennen. Von der Stachclbedeckung ist zufolgc der Aetzung kaura mehr iibrig geblieben als kleine Kreise oder Punkte, bisweilen auch Striche, theils vertieft, theils anders gefarbt als die Unoge- bung, beziiglich anders lichtbrechend. Auf der Oberseite der Arme wie der Scheibe finden sie sich nur sehr zerstreut, dagegen auf der Unterseite dicht. Auf den Adambulakral-, untern Rand- und aussern Fullplatten sind diese Punkte regelmassig zu 3 — 4 gereiht, auf den innern Fullplatten mehr zerstreut; in der Mund- gegend sind einzelne niederliegende Stacheln zu unterscheiden ; auch in der Ambulakralfurche stehen jederseits des in der Mitte verlaufenden Kisses 2 Reihen solcher Punkte; wenigstens sind an mehreren Stellen 2 Punkte nebeneinander deutlich zu erkennen. Wir haben hier also 4 Tentakelreihen. Den After nachzuweisen, hat bekanntlich seine Schwierigkeit. Nach der fiir lebende Asteriden geltenden Kegel, dass er etwas riickwiirts liegt, wenn man die Madrepore zur Rechten hat, findet man hier einen kleinen subcentralen, etwa 2 mm hinter dem Schei- bencentrum gelegenen Porus, der entschieden in die Tiefe geht; ich zweifle nicht, dass er den After bildet, mit Bestimmtheit kann er aber nicht daftir angesprochen werden. Wesentlich abweichend von Quenstedt's und Eck's Dar- stellungen ist beira hiesigen Exemplare die Madrepore. Das kleine Scheibchen von 3 mm Durchmesser, von welchem nicht etwa der Rand unter der umgebenden Kalkmasse verdeckt ist, wie ich mich durch vorsichtiges Eindringen iiberzeugt habe, darf vielleicht nur als Rest der urspriinglichen Madrepore gedeutet werden. Sie muss sich vom Korper des Thieres abgelost haben, da sie 8 mm von ihm abgeriickt ist und der Spalt zwischen Thier und Kalk- umhiillung mittelst einer feinen Sonde bis unter die Madrepore hineinzufuhlen gestattet. Nicht minder eigenthiimlich ist das als 51* 770 Dr. G. Compter, zweite Madrepore zu deutende kleinere Scheibchen am seitlichen Umfange, das 15 mm von der Korpergrenze abgeriickt liegt. Die iibrigen Eigenthiimlichkeiten, wie die Palmette und die Knoten- vierecke des Ruckens, konnten vielleicht audi an den alteren Exemplaren durch Aetzung noch nachgewiesen werden. II. Zur Vergleichung mit dem vorbeschriebenen Exemplar war mir dasjenige heranzuziehen gestattet, was sich in der pala- ontologischen Sammlung zu Jena befindet und schon von Walch (die Naturgesch. d. Versteinerungen u. s. w. Th. III. 1771. S. 201. Taf. VII. b. Fig. 3 u. 4) abgebildet worden ist. Es findet sich bei Quenstedt erwahnt (Petref. Deutschl. I. Abthl. IV. Bd. S. 66) und in der Zeitschr. d. d. geol. Ges. XXX. 1878, S. 539, sowie XXXI. 1879, S. 266. Es Hess „keine genaue Spe- ciesbestimmung zu" und es wurde nur „seine Zugehorigkeit zu Asterias cilicia als wahrscheinlich betrachtet". Fiir die mir von Herrn Professor Steinmann in zuvorkommendster Weise ertheilte Erlaubnis zur Bearbeitung und Vergleichung spreche ich hier den warmsten Dank aus. Diese Asterias ist in eine 2 — 3 cm dicke „fast sicher aus dem obern Muschelkalk" stammende Kalkplatte von unebener Begren- zung eingeschlossen, und, wie das Apoldaer Exemplar, glockenformig zusammengezogen; auf der einen Flache der Platte ist die Ober- seite der Scheibe sichtbar, aus der Gegenflache ragcn die Arra- enden hervor. Da die Abbildungen von Walch zu einer genaueren Erkliirung der Theile des Thieres nicht ausreichend deutlich sind, so gebe ich in Fig. 10 die Oberseite und in Fig. 11 die Unter- seite, wie sie urspriinglich waren, moglichst genau wieder. Es ist jedenfalls ein stark verwittertes Exemplar. Die Oberseite wird der Hauptsache nach von den sehr deut- lich zu Tage liegenden Arabulakralplatten gebildet. Dieselben sind vollkommen glatt, ohne eine Andeutung von Stachelgelenkknotchen; sie sind so lang als die Adambulakralplatten, reichlich 1 mm, und die grossten 7 mm breit; in der Mitte und am Ende sind sie ein wenig seitlich zusammengezogen, mit gekieltem Riicken; der Kopf ist horizontal eingekerbt (Fig. 12a von oben, b von der Seite, in doppelter Vergrosserung). Stacheln finden sich in der Umgebung, doch nicht hiiufig. Von den Knoten und Kornern, die beim Apol- daer Exemplare und bei den Abbildungen Quenstedt's und Eck's die Scheibe bedecken, sind hochstens zusammengeschobene Haufen am Rande der Scheibe zu erkennen. Es liegen 3 Medianlinieu bloss (Fig. 12, m); aber nur 2 davon endcn in die bckannteu Eiiiige Mittheilungen iiber Asterias cilicia Qu. 771 Doppelknoten ; der dritte ist abgebrochen; dafiir 'ist von einem dor beidon bedeckten Arme diese Endplatte noch zu sehen. Ueber die Fiillplatten der Riickenseite erhiilt man hier aber einigen Aufscbluss. Die Folder i^wischen den Ambulakralplatten sind — wenigstens in den Winkeln — von etwas schmiileren Flatten (p) ausgefullt, die in Parallelreihen den Ambulakralplatten entlang laufen; nur in dem linken Armwinkel sind beide Reihen zu er- kcnnen, aber auch unzweifelliaft deutlich; sie lehnen sich in der Halbirungslinie des Armwinkels an eine dachfirstahuliche Doppel- rcihe von Flatten an, die nach dem Scheitel des Winkels bin kleiner werden. Fiinf Faare bilden die Firste; dem ausseren grossten Faar (Fig. 13) liegen seitlich noch einige ahnlich ge- staltete Flatten parallel auf. Diese Firste ist jedenfalls der Trager der oben erwahnten und von Eck beschriebenen nach dem Scheitel des Armwinkels fiihrenden Knotenreihe gewesen. Das Thier hat einen doppelten Druck erfahren, in senkrechter und in wagerechter Richtung; letzterer mag auch drehend gewirkt haben. Die Arme sind in der horizontalen Ebene gebogen, theils nach derselben, theils nach entgegengesetzter Richtung, und von oben nach uuten sind sie mehrfach eingedriickt. Besonders schon ist die grosse, langlichsechseckige, am Rande feingekerbte und theilweise eingebuchtete Madreporenplatte; ihr grosster Durchmesser liegt aber nicht in einem Scheibenradius, wie beim Wehminger Exemplare, sondern fast senkrecht zu demselben. Ihre grosste Liinge betragt 11 mm; auch ist sie iibrigens gebrochen, dreifach abgestuft und wahrscheinlich nicht der ganzen Lange nach er- halten. Ihre grosste Breite ist 9 mm. Den After aufzufinden, ist wegen der Verdruckung nicht moglich. Ueber die Unterseite ist zur Erklarung der Fig. 11 nur wenig zu sagen. Die Armenden sind, wo sie aus dem Gestein heraus- treten, scharf umgebogen und abgeflacht. Die Armfurche ist sehr breit, 7 — 8 mm; die Ambulakralplatten liegen nur wenig tiefer als die Adambulakralplatten und sind zum Theil gebrochen. Das sind die Wirkungen des Drucks, der in senkrechter Richtung statt- gefunden hat. An den Spitzen der Arme und an den Kniebie- gungen sind die Adambulakralplatten noch mit wohlerhaltenen Stacheln dicht besetzt; ihre Lange betragt 3—4 mm, und zwar sitzen, wie bei Eck (a. a. 0. S. 818), die kiirzern an den Arm- spitzen; dass sie von aufeinanderfolgenden Adambulakralplatten mit einander alterniren, ist sehr wahrscheinlich. Die von Stacheln entblossten tragen eine Reihe von Knotchen odcr Warzen, deren 772 Dr. G. Compter, meist 8 erkennbar sind. Die Ambulakralplatten zeigeu doppelt vergrossert die Ansicht von Fig. 12 c. Alles iibrige war vom Gestein verdeckt; ich habe aber durch Praparation nachgeholfen, um die zur Speciesbestimmung notigen Merkmale festzustellen. An dem Arme a (Fig. 11) habe ich die ventralen Randplatten freigelegt; sie setzen bei der 15. Adambu- lakralplatte ein. Ich habe dann am Arme 6, nahe der Spitzc, auch 4 obere Randplatten entblosst; sie sind etwas kiirzer als beim Apoldaer Exemplare; auf diese 4 kommen nur 7 Adambulakral- platten; nach gleichem Verhiiltnis wie dort mussten es 10 sein. Ob sie bis in den Armwinkel hiuein sich fortsetzen, lasst sich freilich nicht wohl nachweisen; wenn es auch nicht schwer ware, den ganzen Arm blosszulegen, so wiirde sich doch der Verlauf der Flatten voraussichtlich nicht verfolgen lassen, weil der Arm sehr verdriickt ist. Um die Scheibenplatten der Bauchseite aufzudecken, musste eine halbkugelige Vertiefung von 20 mm Radius ausge- schachtet werden. Dabei hat sich zunachst beiderseits vom Arme a die Fortsetzung der ventralen Randplattenreihe bis in den Arm- winkel ergeben; sodann hat sich gezeigt, dass der erwahnte senk- rechte Druck die Arme in doppeltem Knie gebogen oder eigeutlich gebrochen hat, wie Fig. 14 in schematischem Durchschnitt zeigt. Zufolge dieses Drucks ist die Scheibe aber auch mehrfach gespruu- gen; es fuhren solche Spriinge von der Mundgegend nach den Interbrachialwinkeln und nach den Armrinuen bin; es laufen deren auch quer uber die Armfurchen weg. Die Verschiebungen in der Richtung vom Mund zum After, die fiir die Oberseite schon er- wahnt wurden, haben sich auch den Flatten der Unterseite mit- getheilt; daher konnte nicht gleichmiissig bis zu derselben Tiefe ins Gestein eingedrungen werden, wenn das Stiick nicht beschadigt werden sollte. Die Drehung oder der seitliche Druck ist ebenfalls auf der Bauchseite erkennbar. Die Adambulakralreihen des Amies a sind zweimal im Knie gebogen, ebenso diejenigen des nicht ganz freigelegten Nebenarmes. Der Arm a wiirde, wenn man die Glocke zur Ebene ausstrecken konnte, die Fig. 15 zeigen ; ich muss diese Form der Darstellung wahlen, da die perspektivische zu undeutlich werden wiirde. Wenn man die Unterseite mit der Oberseite ver- gleicht und die eingedriickten oder vorspringeuden Stellen beidcr Seiten aufeinander bezieht, so kann man sich ziemlich sicher in dem scheinbaren Flattcngewirr zurecht finden. Die linke Adambu- lakralreihe ist deutlich zu verfolgen, wenn auch ihr Verlauf auf eine Strecke nur an den Stacheln zu crkeuuen ist ; die rechte Reihe Einige Mittheilungen liber Asterias cilicia Qu. 773 ist noch mehr gestort. Die Furche wird iiach dera Munde bin schmal ; r sind die ventralen Randplatten ; iiber die Anordnung der Fiillplatten, f, lasst sich nur sagen, dass sie mehr der Adambula- kralreihe parallel zu laufen scheinen. Die dreieckigen Oralplatten scheinen scbarfe Ecken zu besitzen. Die Dimensionen sind nicht unbetrachtlich grosser als beim Apoldaer Exemplare, das — die Armspitzen ausgenommen — un- gefabr mit dem Wehminger iibereinstimmt; es ist jedeufalls das grosste aller bekannten. Die Arme lassen sich zwar unmittelbar nicht vollstiindig messcn, aber aus den messbaren geraden Strecken jic'bst der auf sie entfallenden Plattenzahl und aus der gesammten Plattenzahl zieralich genau berechnen; danach ist der Armradius ca. 60 mm. Der Scheibenradius misst sich direkt, namlich als Sehne ^lr der Fig. 16, in drei Richtungen = 20, 22, 25 mm; unter Beriicksichtigung des Bogens ergeben sich daraus 24 — 28 mm. Die Armbreite am Grunde muss konstruirt werden; sie betragt 28—30 mm, an der Spitze, unmittelbar vor der Rundung, 15 mm. Die Ambulakral- und Adambulakralplatten sind durchschnittlich etwas langer als 1 mm, bei 4 mm Breite. Hiernach miisste dieses Exemplar etwas schlanker gewesen sein, d. h. verhaltnismassig tiefer eiugeschnittene und schmiilere Arme gehabt haben als die von Apolda, Crailsheim und Wehmingen; vielleicht kann aber der Scheibenradius riicksichtlich des Knies noch einige Millimeter grosser geuommen werden; dann schwindet auch dieser Unter- schied. So genau, als man nur wiinschen kann, stimmen alle vier Exemplare auch in den Verhaltnissen iiberein, in denen die An- zahl der verschiedenen Plattenarten zur Lange der Arme oder iiberhaupt zur Grosse des Thieres steht. Nur das Exemplar vom Ettersberg weicht in dieser Beziehung etwas ab; es hat neben den etwas langeren Ambulakral- und Adambulakralplatten wesent- lich kiirzere dorsale Randplatten fiir sich. Dies kann aber schwer- lich von Bedeutung sein gegeniiber den iibereinstimmenden Merk- malen: eine Reihe ventraler Randplatten, die hinter der Armspite einsetzen und bis in den Armwinkel verlaufen, eine Reihe dorsaler Randplatten, die wenigstens von doppelter Lange der Adambula- kralplatten sind, und die dichte Stachelbedeckung der Unterseitc. Es dtirfte somit die Zugehorigkeit dieses Fundstiicks zu Asterias cilicia Qu. geniigcnd nachgewiesen sein. Eigenthiimlich, d. h. an den andern nicht nachgewiesen, hat dasselbe aber die Parallel- reihe von Riickenfiillplatten, die Platten in der Halbirungslinie des 774 Dr. G. Compter, Armwinkels, und die Flatten, welche sich am Ende dieser Linie seitlich an dieselbe anlegen, vielleicht auch den Verlauf der Bauch- fiillplattenreihen parallel den Adambulakralplatten. Uebrigens ware es nicht undenkbar, dass auch diese besonderen Verhaltnisse bei den anderen Exemplaren durch fortschreitende Verwitterung zum Vorschein kamen. Anmerkung. Die vorstehende Arbeit war Bchon langere Zeit druckfertig, als mir Eck's Beschreibung des Wehminger Exemplars zu Handen kara. Die kurz gemessene Zeit erlaubte keine Uraarbei- tung mehr; ich konnte diese neue Mittheilung nur noch nachtraglich beriicksichtigen. Einige Mitthcilungen iiber Asterias cilicia Qu. 775 £rklaruiig der Figuren. Tafel XXn. 1. Exemplar von Apolda, bearbeitete Seitenansicht ; -J. 2. „ „ „ bearbeitete Bauchseite; |-. 3. „ „ „ Armspitze; f. 4. „ „ „ dorsale Randplattenreihe eines Armwin- kels; wenig vergrossert. 5. „ „ „ schematische Darstellung eines gestreckten Armes. 6. „ „ ,, Fiillplatten der Bauchseite eines Arm- winkels. 7. „ „ „ freigelegter Riicken mit den Knotenvier- ecken; m Madrepore; ■{-. 8. „ „ „ Querdurchschnitt eines Armes hinter der 5. obern Randplatte; |-. 9. „ „ „ derselbe hinter der 1. obern Randpl. ; ^. 10. „ vom Ettersberg, Riickenseite ; m Medianlinien, p die Parallelreihen der Fiillplatten ; \. 11. „ „ „ urspriingliche Ansicht der Unterseite. 12. „ „ „ Ambulakralplatten, a von oben, h von der Seite, c dieselben vom Arm a der Unterseite; -f-. 13. „ „ „ Endplatten der Halbirungslinie des Arm- winkels; ^. 14. „ „ „ schematischer senkrechter Durchschnitt ; f. 15. „ „ „ Ansicht eines Armes der blossgelegten Bauchseite; r ventrale Randplatten; f Fiillplatten. Ergebnisse eines zoologischen Ausfluges an die Westkiiste Norwegens (Alvoerstrommen bei Bergen). Von Dr. Will)' Kiikentlial und Dr. Bernhard Weissenborii, Assistenten am zoologischen Institute der Universitat Jena. In Folgendem beabsichtigen wir keineswegs,, neue Beitrage zur Kenntniss der Littoralfauna Norwegens zu geben, sondern wollen uns vielmehr darauf beschranken, eine Uebersicht der von uns in der Zeit vom 20. August bis 1. October 1885 daselbst gedredschten Arten, — soweit ihre Bestimmung bis jetzt moglich war — zu geben. Wir hielten eine derartige Uebersicht, sowie einige Bemerkungen aus dera Grunde einer Veroffentlichung nicht fiir unwerth, weil wir einestheils aus Erfahrung wissen, dass es einem am Meeresstrande arbeitenden Zoologen eine grosse Erleichte- rung gewahrt, einen Ueberblick iiber die zu erwartenden Dredsch- resultate zu haben, und weil wir andereutheils auf den grossen Thierreichthum der nordisclien Fjorde, namentlich Alvoerstrommen's aufmerksam machen wollten. — Fiir reichlich gewahrte Unter- stiitzung siud wir sowohl unserem verelirteu Lehrer, Herrn Prof. E. Haeckel, als auch den Herren vom Museum zu Bergen, Herrn Prof. Danielssen und Herrn Conservator Nansen zu grosstem Danke verpflichtet. Der Hof Alvoerstremmen , von welcliem aus die Dredschen unternommen wurden, liegt mehrere Seemeilen nordlich von Bergen auf der Insel Radoe. Der Aufenthalt daselbst ist um so ange- nehmer, als der Besitzer des Hofes, Herr J. RAkSmussen, durch den ofteren Aufenthalt von Zoologen die Anforderungen derselben kennen gclernt hat und in liebenswiirdigstcr Weisc bemuht ist, denselben gerecht zu werden. Ergebnisse eines Ausfluges an die Westkiiste Norwegens. 777 Bevor wir zu einer Aufzahlung der einzelnen Gruppen und Arten ubergehen , diirften einige Worte iiber die Methode der Conservirung nicht ganz unangebracht erscheinen. Der Gesichts- punkt, welcher uns bei der Conservirung der Mehrzahl der Thiere leitete, war weniger der, ausserlich gut erhaltene Exemplare zu bekommen, als vielmehr der, in den gesammelten Thieren ein brauchbares Material fiir histologische Untersuchungen zusaramen- zubringen. — Bei vielen Thieren machte sich die Nothwendigkeit geltend, vor der eigeutlichen Conservirung eine Narkose hervor- zurufen, um plotzlicbe Contractionen, Zerreissungen, Krlimmungen u, s. w. moglichst zu verhuten. Es wurde zu diesem Zweckc die in der zoologischen Station zu Neapel zuerst versuchte Be- taubung mittelst Chloralhydrat (1 : 500 bis 1 : 2000) mit grosstem Erfolge bei Thieren der verschiedensten Gruppen in Anwendung gebracht. Ausserdem gab bei Anneliden die bereits langer be- kannte Methode des langsamen Zufliessens von Alkohol sehr gute Kesultate. Zoophyta. Was die Conservirung der Zoophyten betrifft, so waudten wir bei den einzelnen Gruppen folgende Mittel an : Spongien wurden in absolutem Alkohol aufbewahrt. — Fiir Hydroidpolypen sowie einige Anthozoen erwies sich das Ueber- giessen der ausgestreckten Thiere mit heisser Lang'scher Mischuug, einer gesattigten Losung von Sublimat in Seewasser, vortrefflich. Nach kurzem Verweilen wurden die Thiere erst in Seewasser, dann in Siisswasser ausgelaugt, hierauf in schwacherem , spater in starkerem Alkohol gehartet und endlich in ungefahr 70 *' Alkohol aufbewahrt. — Kleinere wie grossere Medusen wurden in ein- procentiger Chromsaure, welcher einige Tropfen Ueberosraiumsaure zugefiigt waren, fixirt und in einem Gemisch von Glycerin und 70*' Alkohol aufbewahrt. — Actinien wurden nach vorhergegange- ner Betaubung mittelst Chloralhydrat ebenfalls mit Chromosmium- saure fixirt. Die von uns conservirten Arten vertheilen sich auf folgende Gruppen. Calcispongiae: Sycon compressus. Haeckel. Ascandra variabilis. Haegkel. und Andere. Fibrospongiae: Verschiedeue, nicht naher bestimmte Arten. 778 Dr. "Willy Kukenthal u. Dr. Bernhard "Weissenborn. Anthozoa, Alcyonium digitatum. L., ungemein haufig. Bolocera Tuediae. Johnston. Actinia clavata. Rathke, haufig zwischen Radoe und Tweitoe. Mydroidea, Clava muUicornis. Forskal. Sfauridium productum. Allm. Tubularia larynx. Ellis. Tubularia indivisa. Linni^., wurde nur in Bognestremmen gefunden. Campanularia flexuosa. Hinks. Sertularia pumila. Linne. Sertularia abietina. Linn6. Aurelia aurifa. Linn6., sehr haufig. Cyanea capillata. Linnj^., oft in grossen Schaaren. Ctenophorae, Beroe. L., sowie einzelne Vertreter anderer Gattungen. Echin o dermata. Asteriden wurden direkt in 70° Alkohol gebracht oder erst mit heisser Sublimatlosung fixirt, um die Fusschen in moglichst ausgestrecktem Zustande zu erhalten. In gleicher Weise wurden Echiniden und Crinoiden behandelt. Bei den Holothurien dagegen bewahrte sich eine vorherige Betiiubung vermittelst Chloralhydrat vortrefflich. Denn wahrend diese Thiere trotz aller angewandten Vorsichtsmassregeln (Zuhalten von Mund- und Afterofinung mittelst Pincetten), selbst nach Injectionen von heisser Sublimatlosung, ihren Darm auswarfen, waren sie dazu nach einer Behandlung mit Chloralhydrat nicht mehr im Stande. Asteroidea, Von Asteriden wurde ausserst haufig Asteracanthion rubens. L. gefunden, welcher auch in grosseren Tiefen ^) vorkommt und dann haufig eine erstaunliche Grosse, tiber einen Fuss im Durchmesser, zeigt. — Auch der schwarze, braune oder violette, von J. MOller als eigene Art aufgestellte, von andern Forschern nur als eine Varietat betrachtete Asteracanthion violaceus. MCller., war nicht selten ; da- gegen fand sich ^) "Wurde bis zu 337 Faden Tiefe gefunden, (Zoolog. Ergebn. d. Nordseefahrt v. 21. Juli bis 9. Sept. 1872. Berlin 1874. pag. 117). Ergebnisse eines zoolog. Ausfluges an d. Westkiiste Norwegens. 779 Astheracanthion glacidlis. L. nur in einzelnen Exemplaren und nicht mit so starken seitliclien Stacheln, wie sic die aus dem Mittelmeer stammenden Iiidividuen aufweisen. — Die voiiSarh') aufgestellte , zwischen A, rubens und A. glacialis vermittelnde und als Asteracanthion MilUeri. Sars. bezeichnete Form war eben- falls in einigeu Exemplaren vertreten. Luidia Sarsii. DC ben og Koren. wurde zwar an keinem Orte haufig, aber iiberall vereinzelt angetroflfen, gewohnlich in einer Tiefe von 10 — 20 Faden. An gewissen Stellen (Dyveholmen, Bognostrommen) fanden sich noch in geringerer Tiefe: Cribrella sanguinolenta. 0. F. MUller. Solaster endeca. L. Solaster papposus. L., in grosserer Tiefe (bis zu 60 Faden) : Asteropsis pulvillus. MCll. & Troschel. Asterogonkim phnjgianum. M. & Tr. Asterogonium granulare. 0. F. MOller. Stichaster roseus. 0. F. MOller. Sehr haufig und fast iiberall wurden Ophiolepis ciliata. Mull. & Troschel, sowie Ophiolepis scolopendrica. M. & Tr. angetroffen, wahrend sich Ophiocoma nigra. 0. F. MUller. weuiger zahlreich und Ophiolepis filiformis. M. & Tr. nur an einigen Orten (Dyve- holmen, Askeland) und in grosseren Tiefen fand. Crinoidea. Vertreter dieser Gruppen wurden nur an einem einzigen Orte (Bognostrommen) und einer Art: Alecto petasiis. DCben. angehorig gedredscht, Echinoidea, Echinus esculentus. L. war ebenso wie Echinus droebachiensis. 0. F. MOller. iiberall anzutreifen. Weniger haufig zeigte sich Echinus miliaris. Leske., selten dagegen Echinus Flemmingii Forbes, und Echinus norvegicus. Duben og Koren. Echinocyamus pusillus. 0. F. MtiXLER. Schisaster fragilis. DOben og Koren, und Amphidetus ovatus. Leske., als Vertreter der irregularen Seeigel fanden sich nur an einigen Orten, namentlich auf mit modernden Pflanzenresten bedecktem Grunde, dann aber oft sehr zahlreich (Quamme). ^) Saes: „Fauaa littoralis Norvegiae". I. Heft 1846. pag. 56. 780 Dr. "Willy Kiikeuthal u. Dr. Beruhard Weissenborn, Solothurioiclea. Geradezu iiberraschend ist das massen- hafte Auftreten von Seewalzen. Vorziiglich ist es Cucumaria frondosa. Gunner., welche an mehreren Orten so zahlreich vorkommt, dass bei einer einzigen Dredsche mitunter gegen 60 Stiick der bis fusslangen Thiere gehoben wurden. Von andern Arten fanden sich raeist in grosserer Tiefe und weniger zahlreich : Cucumaria Hyndmanni. Forbes. Holothuria intestinalis. Ascanius u. Rathke. HolotJmria punctata. O. F. MtJLLER. Ocnus lacteus. Forbes. Psolus squamatus. Duben og Koren. Psolus phantapus. Strussenfeldt. Thyone fusus. O. F. Muller. Tliyone raphanus. DOben og Koren. Synapta inhaerens. 0. F. MOller. Ausserdem wUrde noch Echinocucumis typica. Sars. anzufiihren sein, eine Holothurie, welche zwar 1885 nicht ge- dredscht, die aber von Dr. KUkenthal 1883 in dem benachbarten Mangerfjorde in bedeutender Tiefe gefundeu wurde. Fernies. Die Turbellarien wurden nach der Vorschrift Lang's mit heisser Sublimatlosung fixirt und es wurden mittelst dieser Me- thode recht gute Resultate erzielt. Auf gleiche Weise wurden auch die Nemertinen abgetodtet, nachdem dieselben zuvor mit Chloralhydrat (1 : 1000 Aqua) betaubt worden waren, urn das sonst fast unvermeidliche Zerreissen dieser Thiere zu verhiiten. Bei der Conservirung der meisten Anneliden emptiehlt sich mehr ein Einschlafern mittelst Alkohols. Auf das Meerwasser, welches die Thiere etwa handhoch bedeckte, wurde 70 ^ Alkohol vorsichtig aufgegossen. In einem Zeitraum von 4 bis 5 Stunden batten sich beide Flussigkeiten gemischt, und der Alkohol hatte die auf dem Boden des Gefilsses kriechenden Wiirmer derart betaubt, dass die- selben nicht mehr im Stande waren, cnergische Bewegungen aus- zufiihren und mit Nadeln moglichst gerade ausgestreckt in einem mit 70" Alkohol gefiillten VVachsbecken fixirt werden konnten. Bei den Chaetopteriden bewiihrte sich indessen diese Methode nicht; dieselben wurden vielmehr durch Behandlung mit einpro- Ergebnisse eines zoolog. Ausilugcs an d. Westkiiste Norwegens. 781 centiger Chromsiiure, welcher ein wenig Ueberosmiumsaure zuge- setzt wurde, am besten erhalten. Die leicht zerbrechlichcn Syl- lideen liessen sich, ahnlich vvie die Turbellarien, nur durch Ueber- giessen mit heisser Sublimatlosung unverletzt fixiren. Turbellaria. Da eine genaue Bestimmung der Strudel- wtirmer nur an lebendem Material oder mittelst Schnitten auszu- fiihren ist, beide Methodeu aber der Umstande halber uns zu zeitraubend erschieneu, unterblieb dieselbe bis jetzt. Wir miissen uns deshalb mit der Angabe begntigen, dass uns gegen 1(3 Arten aufgestossen sind. Neniertinl, Aus dieser Gruppe wurden nur zwei Arten bestimmt, die ziemlich haufig gedredschte Borlasia striata. K. und die bei weitem seltenere Meckelia annulata. Johnst. Ge2)hyrea. Ausser mehreren Arten der Gattung Phascolosoma. F. S. Lkt. wurden an einer Stelle bei Dyve- holmen haufig kleine Exemplare von BonelUa viridis. Rolando, gedredscht. Letztere liessen sich am besten in kalter Sublimatlosung fixiren. Annelida, Von den dieser Gruppe angehorigen Thieren liess sich nur ein Bruchtheil mit Sicherheit bestimmen, da uns die zu diesem Zwecke unumganglich nothweudige Abhandlung von Levinsen fiber die norwegischen Annelideu, Gephyreen u. s. w. leider nicht zu Gebote stand. Ophelia limacina. Rathke. und Travisia Fordesi. Johnston, fanden sich ziemlich zahl- reich und meist zusammen in schlammigsandigem Boden im Al- voersunde, Ammotrypane aulogasfer. Rathke. dagegen zumeist in grosserer Tiefe und in reinem Sande, ziemlich selten, aber an ver- schiedenen Stellen. Clymene horealis. Johnston. Praxilla praetermissa. Mmg. Aricia norvegica. M. Sars. Cirratulns horealis. Lam., sowie zwei andere Cirratuliden. Siphonostoma pilumosa. Rathke. Siplionostoma uncinata. And. et Mn.NE Edw., ferner noch zwei, bis jetzt nicht bestimmte Siphonostomen. Terebella concliilega. Pall. Venusia punctata. Johnston. Pectinaria helgica. Pall. 782 Dr. Willy Kuk en thai u. Dr. Bern hard Weissenborn, Pecfinaria granulata. Johnston, sowie eine dritte noch unbestimmte Pectiuarienart. Myxicola? Koch. Aphrodite aculeata. L., in kleineren Exemplaren nicht selten. Lepidonotus squamatus. L., haufig. Dasylepis asperrima. Saks. Leanira tetragona. Oerst,, selten (Alvoersuud). Lunibriconereis? Blainville. Eunice norvegica. L., haufig und iiberall. Onuphis tuhicola. MCller. Nereis pelagica. L,, sehr haufig. Nephthys ciliata. Muller., selten (Alvoersund). Glycera alba. Muller., haufig uud iiberall. Syllideen, mehrere Arten, selten. Phyllodoce lamelUgera. Johnston, und Phyllodoce maculata. Muller., beide in wenigen Exempla- ren von Dyveholmen. Capitelliden, \ Sahelliden, ? in mehreren Arten. Serpuliden, i Myzostomida. Aus dieser Gruppe wurde ziemlich haufig Myzostoma cirrifera. F. S. Leuckart., in Bognostrommen auf Alecto petasus. Doben og Koren. gefangen. Bryozoa. Moosthierchen wurden in grosser Zahl gefundeu, doch wurde eine nahere Bestimmung bis jetzt nicht ausgefiihrt. Dieselben gehoren vorziiglich folgenden Gattungen an: Idmonea. Lam. Alcyonidium. Lam. Farrella. Ehrenberg. Gemellaria. Sars. Cellularia. Pallas. Flustra. Lam. Membranipora. Klain. Cellepora. Fabr. Retepora. Lam. ( i Ergebnisse eines zoolog. Ausfluges an d. Westkiiste Norwegens. 783 Brarhiopoda. Die Fixirung der Armfiisser wurde zum Theil durch Ueber- giessen mit heisser Sublimatlosung, zum Theil durch direktes Ein- legen in absoluten Alkohol bewirkt. Terehixitulina caput-serpentis. L., haufig. Terebratulina septentrionalis. Couth., selten. Wnldhdmin cranium. MCllek., in mehreren Exemplaren. Alle drei Artcn wurden Dur in Bognostrommen gedredscht. Tiinicaia. Auch zur Fixirung der Mantelthiere bewahrte sich eine heiss zur Verwendung kommeude Losung von Sublimat in Meerwasser, doch gab auch einfaches Abtodteu mit 70 " Alkohol gute Resultate. Ascidiae slmpUces. Ciona intestinalis. Linne. , wurde nur in einigen Exem- plaren gefunden, vvahrend sie im Jahre 1883 zu derselben Jahreszeit auf Laminarien aufierst haufig angetroffen wurde, wie Dr. KUken- TiiAL und Herr Conservator Nansen constatirten. Phallusia mentula. 0. F. MOller., ziemlich haufig in Bognostrommen. Phallusia virginea. 0. F. MtJLLER., seltener, wie auch Phallusia prunum. 0. F. Muller. Phallusia conchdega. 0. F. MOller., wenige Exemplare, wurde von der deutschen zoologischen Expedition in der Nordsee nicht gefunden '). Phallusia patida. 0. F. MUller., wurde nur in einem Exemplar gedredscht. Phallusia pustulosa. Alder. Corella parallelogramma. O. F. Mijller,, fand sich unge- mein zahlreich auf Laminarien bei Dyveholmen. Cynthia poma7-ia. Savig., sehr haufig bei Dyreholmen. Cynthia echinata. Linne. Cynthia aggregata. 0. F. MOller. Molgula arenosa. Alder, und Hanocock., wurde nur in wenigen Exemplaren zwischen Tvveitoe und Quamme gedredscht. Ascidiae conipositae. Von zusammengesetzten Seescheiden wurden nur zwei Arten bestimmt. 1) loc. citat. pag. 212. Bd. XIX. N. F. XII. 52 784 Dr. Willy Kiikenthal u. Br. Bernhard "Weiasenborn, Botryllus Schlosseri. Pallas. Botrylloides albicans. M. Edw., welche beide in Bogno- strommen gedredscht wurden. Mollusc a, Bei deu Weichthieren kam niit dem groBten Erfolge die Chloralhydratnarkose zur Anwendung. Zur Fixiruug diente bei deii Nacktschnecken Prikrinschwefelsaure nach Kleinenbekg , bei den iibrigen Weichthieren heisse Sublimatlosung. Lamellihranchia. Ostreacea. Anomia ephippium. L., haufig. Anomia pateUiformis. L., seltener. Anomia aculeata. L., selten. Ostrea eduUs. L. Pecten varius. L., ziemlich haufig. Pecten aratus. Gmelin. Pecten islandicus. MUller. Pecten septemradiatus. MCller. • ,^ -r. ^ .• . ,* / seltener. Pecten tigrinus. MOller. Pecten striatus. Muller. Pecten vitreus. Chemnitz. Pecten maximus L., einzelne Schaalen. Lima Mans. Gmelin., ziemlich haufig. Lima excavata. Fabr., wurde nur in einem Exemplar gefunden. Mytilacea. Mytilus edulis. L., ungemein haufig. Mytilus modiolus. L. ) . i ;• c Mytilus phaseolinus. L. / Modiolaria discoi'S. L. Modiolaria nigra. Gray. Arcacea. Nucula nucleus. L. Nucula nitida. G. B. Sowerby. Leda pernula. Muller. Leda minuta. MDller. Portlandia lucida. Lovi^N. Portlandia frigida. Torell. Area pectunculoides. Scacchi. Car di ace a. Cardium edule. L., haufig. Cardium echinatum. L. Cardittm fasciatum. Montag. Ergebnisse eines zoolog. Ausfluges an d. "Westkiiste Norwegens. 785 Car diacea. Cardium minimum. Philippi. Aphrodite groenlandica. Ciiemn. Cy2)rinacea. Cyprina islandica. L. Nicania Banksii. Leach. Astarte sulcata, da Costa. Veneracea. Venus gallina. L. Tapes pullastra. Montag. Lucinacea. Lucina horealis. L. Axinus flexuosus. Montag. Tellinacea. Tellina pusilla. Philippi. Psammohia tellinella. Lam. Solenacea. Solen ensis. L., wurdelebend iiicht gefuudeii, dagegeu waren frische Schaalen haufig. Cultellus pellucidus. Penn., wurde nur an an einer Stello im Alvoersund gedredscht. My ace a. Lyonsia norvegica. Chemn. 3Iya truncata. L. ) ^ T,/ . T > Quamme. Mya arenana. L. t Panopea norvegica. Spengl. Saxicava pholadis. L. Solenoconchia. Scaphopoda. Antalis entalis. Sars. Antalis striolatus. Stimps. Ausserdem noch zwei Exemplare einer sehr stark gekriimmten Art, auf welche keine der Diagnosen passte. Gastropoda, Placophora. Lepidopleurus alveolus. M. Sars. Lepidopleurus cinereus. L. Lepidopleurus cancellatus. Sowerby. Lophyrius alhus. L. Boreochiton ruber. Lowe. Boreochiton marmoreus. Fabr. Onchyoglossa. Patella vulgafa. L., sehr haufig. Nacella pellucida. L, Acmaea testudinalis. MUller. Tectura viryinea. MIjller., haufiger. Tectura rubella. Fabr. Lepeta caeca. MCller. Scutellina fulva. MOller. Bhipiidoglossa. Puncturella noacJiina. L. Machaeroplax dbscura. Couth. 52* 786 Dr. Willy Xiikenthal u. Dr. Bernhard "Weissenborn, Rhipidoglossa. Gibhula cineraria. L. Trochus zizyphinus. L. Trochus occidentalis. Migh. Margarita Jielicina. Fabricius. Margarita groenlandica. Chemn. Taenioglossa. Capulus hungaricus. L. Trivia europaea. Mont. Lunatia Montagui. Forbes. Lunatia intermedia. Phil. Natica affinis. Couth. Trichotropis borealis. Brod. u. Sowerby- Litorina litorea. L. Litorina rudis. Maton. Lacuna divaricata. Fabricius. Turritella terehra. L. Aporrhais pespelecani L. Toxoglossa. Clatlmrella linearis. Mont. Beta harpularia. Couth. Odontoglossa. Pyrene rosacea. Gould. Nassa incrassata. Strom. Buccinum undatum. L. SipJio fusiformis. Brod. Hamiglossa. Trophon? L. Tectihranchia. Acera hullata. MUll., seltener Philine aperta. L., weniger hiiufig. Nudibranchiata. Aeolis lineata. Loven., namentlich haufig in Bognostrommen und bei Dyvehomen. Tritonia Honibergii. Cuv. Triionia plebeja. Johnst. Polycera quadrilineata. MUll. Doris aspera. Ald. u. Hancock Doris? L., vorziiglich zahlreich bei Dyveholmen. Ancula cristata. Ald. u. Hancock. Cephalopoda, Aus der Gruppe der Kopffusser wurden Vertreter nicht gefangen, doch fanden sich in mehrereii Dredschen Eier mit ziemlich entwickelten Embryonen, welche der Gattung Loligo. Lam. anzugchorcn schienen. (Crustacea. Die Krebsthiere wurden entweder mit heissem Alkohol oder mit Pikrinschwefelsaure fixirt, mit letzterem Mittel namentlich Ergebnisse eines zoolog. Ausfluges an d. Westkiiste Norwegens. 787 solche, dercn Hautskelett keine reichlichen Eiulagerungen von Kalksalzen enthielt. Es vvurden nur wenige Arten bestimmt, urn eine ungefiihre Uebersicht zu crmoglichen. Copepoda, CetolicJms fmmarchicus. Gunner. Notodelphys agilis. Torell., und Andere mehr. Cirripedia, Ausser den uberaus haufigen Vertreteru der Gattung Balanus. List., fanden sich Conchoderma aurita. Spengl., in wenigen Exemplaren in Bognostrommen, sowie Anelasma squalicola. Loven., in der Haut einiger Squaliden (Spinax niger. Bon.). Amphijwda. Amphitho'e podoceroides. Rathke. Leukothea arficulosa. Leach. Gammarus locusta. L. Anonyx ampulla. Kroyer. Idotea? Fabricius. lAgia oceanica. L. Leucon Nasica. Kroyer. Astacilla granulata. Fl., und viele nicht naher bestimmte Arten. Schizopoda. Mehrere nicht bestimmte Gattungen und Arten. Decaimda. Macrura. Pandalus hrevirostris. Rathke. Crangon vulgaris. L. Homarus vulgaris. M. Edw. Anomura. Munida rugosa. Fabricius. Galaihea. Fabr., mehrere Arten. Pagurus Bernhardus. L. Pagurus 2>ubescens. Kroyer. Br achy lira. Hyas araneus. L. Stenorhynchus rostratus. L. Cancer pagurus. L. Portunus? Fabr. Carcinus maenas. L. Ausserdem wurden noch Vertreter mehrerer anderer Gattungen, wie z. B. Palaemon. Fabr. Hippolyte. Leach., gedredscht. 788 Dr. "Willy Kiikenthal u. Dr. Bernhard Weissenborn. Pycnogonida. Als Fixirungsmittel fiir die Seespinnen kcaiii Pikrinschwefel- siiure nach Klainenbeeg , mit etwas einprocentiger Chronisiiure versetzt, mit gutem Erfolge zur Anwenduug. Es wurden gedredscht : Nyniphon longitarse. Kroyer., nur in Bognostrommen und nicht selten. Nymphon Stroemii. Kroyer., an einer Stelle zwischen Radoe und Tweitoe in wenigen Exemplaren. Pycnogonum littorale. 0. F. Muller., nur in einem Exem- plar in Bognestrommen. Pisces. Kleinere Fische wurden in einprocentiger Chromsaure, grossere direkt in Alkohol fixirt. Von grossem Vortheil ervviesen sich In- jectionen von 70 ^ Alkohol in Darm und Leibeshohle. Ausser den von uns gelegentlich im Schleppnetz gefangenen wenigen Fischen wurde die Melirzahl der ubrigen auf dem Fischmarkt in Bergen gekauft, auf dessen Reichhaltigkeit aufmerksam zu machen wir nicht verfehlen wollen, und dessen Besuch behufs Ankaufs von Fischen wir nur anempfehlen konnen. Der Rest wurde von Fischern an Ort und Stelle gelegentlich erstanden. Leptocardii, Amphioxus lanceolatus. Yarrel., wurde nur in einem kleinen Exemplar im Alvoersund gefunden. Cyclostomi. Myxine glutinosa. L., dieselbe wurde in grosser Menge an einer Stelle in ungefahr 120 — 150 Meter Tiefe ge- gefangen. Unter den Hunderten von Exemplaren , welche wir untersuchten, fanden sich nur Weibchen. Selachii. Holocephali. Chimaera monstrosa. L. Plagiostomi. Spinax niger. Bonap. Scylliuni canicula. Cuv. Raja oxyrhynchus. L. Teleostei. Lophobranchi i. Siphonostoma typhle. L. Physostomi. Clupea harengus. L. Argentina silus. Nilsson. Anacanthini. Morrhua acglefinus. Cuv. Morrhua callarias. Cuv. Ergebnisse eines zoolog. Auslluges an d. Westkiiste Norwegens. 789 Anacanthini. Merlangus merlangus. Cuv. Merlangus pollachius. Cuv. Molva vulgaris Flem. CorypJiaenoides norvegicus. Gunner. Platessa vulgaris Cuv. Platessa latidens. Cuv. Acantliopteri. Labrus maculatus. Bl. Scbastes norvegicus. C. u. V. Sehastes dactylopterus ? CoUus scorpius. Bl. Gohius niger. L. Cyclopterus lumpus. L. Liparis vulgaris. Flem. Annarhichas lupus. L. Blennius gattorugine. Bonap. Bioekographie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. Drei Abhandlungen verwandten Inhalts uebst einer Einleituug in die Biographie der Organismen. Von Dr. Wilhelm Haacke. Zur Orientiriing. Forderung der Bioekographie, der Wissenschaft von der Haus- haltsfuhrung der lebenden Wesen, ist ein Hauptzweck der vor- liegenden Blatter. Sie wollen diesen Zweck erreicheii durch deu Hinweis auf die hohe Bedeutung dieser Lehre fiir Wissenschaft, Volkserziehung und Padagogik, aber auch durch Vorsclilage zur ausgiebigen Beschaffung des Beobachtungsmateriales. Wie keiue andere Wissenschaft sollte sich die Bioekographie der Theilnahme aller erfreuen, der Laien nicht minder als der Gelehrten, der Lehrer nicht weniger als der Forscher. Wie keine andere Wissen- schaft aber auch bedarf die Bioekographie, soil sie bluhen und Friichte tragen, der Theilnahme aller; vom Laien nicht minder als vom Fachgelehrten , vom Staatsmanne nicht weniger als vom Naturforscher werden wir auf thatige Hulfe rechnen raussen. Zweck aller Wissenschaft ist die materielle, iutcllektuelle und moralische Forderung der Meuschheit, die Sorge fiir Leib und Geist der Meuschen, die Materialbeschaifung fiir die Befricdigung ihrer Bcdiirfnisse. Zur Pflege des Geistes soUen sich alle Wissen- schaften vereinen; denn das dem Geiste am meisten Zusagende ist die Darbriugung eiues harmouischen Ganzen. Hat der Geist BioekograpLie, Museeupflege und Kolonialthierkunde. 791 erkannt, dass es nur eine Welt unci nur eine Weltkunde giebt, so ist der Zweck der Geisteserziehung erreicht. Anders dagegen verhalt es sich mit der Befriedigung der Bediirfnisse des Leibes, "Wie zwar auch bei der Erziehung des Geistes zwischen Forscher und Volk der Lehrer tritt, so hier der Praktiker. Indessen der Lehrer wiinscht eiu Gesammtbild von den Resultaten der Einzel- wissenschaften ; dem Praktiker dagegen muss jede in Betracht kommende Wissenschaft ihre Ergebnisse in handlicher Form iiber- reichen, denn genaueste Kenntniss der Einzelheiten ist Grund- bedingung seines Erfolges. Den Eiuzelwissenschaften ist dadurch eine doppelte Aufgabe gestellt. Wollen sie die geistigen Bediirf- nisse der Menschheit befriedigen , so mussen sie erkenneu, dass sie nur Glieder der einen Gesammtwissenschaft sind ; wollen sie des Praktikers Wirken ermoglichen, so muss sich jede ihr Ar- beitsgebiet genau abgrenzen. Diese Doppelaufgabe ist keine leichte. Schon haufig ist es bei dem Versuch ihrer Losung zu Kompetenz- und Grenzstreitigkeiten gekommeu ; schon manche Wissenschaft hat sich angemaasst, iiber andere in contumaciam abzuurtheilen, sie als theoretisch unbedeutend und als praktisch unbrauchbar hinzustellen. Einem solcheu Zustande, der noch heute fortdauert, ein Ende zu machen, dazu wollen auch die nachstehenden Seiten einen Beitrag liefern. Nicht am wenigsten verachtet unter ihren Geschwistern ist die Bioekographie ; desshalb mochte ich gerade sie einer unparteiischen Wiirdigung empfehlen, zumal sie ganz besonders geeignet ist, die Sorge fiir Volksbildung und Jugend- erziehung zu iibernehmen. Unsere Aufgabe wird also zunachst in einer Begriffsbestim- mung der Bioekographie bestehen, und wir werden, wollen wir uns dieser Aufgabe zur allseitigen Zufriedenstellung erledigen, nicht umhin konnen, ihr Verhiiltniss zu den ihr iiber- und untergeord- neten Wissenschaften festzustellen. Aus der Begriffsbestimmung unserer Wissenschaft wird uns ihr Werth bald evident werden; wir werden sehen, was sie bei richtiger Behandlung zu leisten vermag. Wir werden aber auch erkennen, dass ihre Behandlung bisher eine durchaus ungeniigeude war, und dass die Pflege, welche man ihr angedeihen liess, in keinem Verhaltnisse zu der Bedeu- tung der Bioekographie stand. Die Pflege dieser Wissenschaft hat nach meiner Ansicht be- sonders durch die naturkundlichen Museen zu geschehen. Einer Besprechung der zweckmassigsten Einrichtung des Museenwesens 792 Dr. VVilhclm Haacke, mussen wir desshalb einige Aufmerksamkeit zuwenden. Von den Vertretern der neueren Wisseoschaft ist raancher schwere Tadel gegeu die Museen geaussert worden, und wir mussen leider zu- gestehen, dass derselbe nicht ganz unbegriindet gewesen ist. An- dererseits hat das Volk seine Gunst mehr und mehr von den Museen ab- und den Thier- und Pfianzengarten zugewendet. Wenn wir den letzteren nun auch in weit erhohtem Maasse die Gunst und den Besuch des Publikums wiinschen, so konnen wir den Mangel an Theilnahrae fur die Museen doch nur lebhaft bedauern. Keine Institute sind so geeignet wie diese, die Wissenschaft ins Volk zu tragen, eine Wissenschaft, die in ihm lebendig werden und fiir das Volk, nicht minder aber auch durch die Theiluahme des Volkes fiir sich selbst die reichsten Friichte tragen kann. Freilich ist dazu eine theilweise Reorganisation des Museen wesens nothig; in welchem Sinne diese Reorganisation stattzufinden hat, werden wir darzulegen haben. Wir werden sehen, dass die Museen sich zu Knotenpunkten eines iiber die civilisirte Erde ausgebreiteten Be- obachtungssystemes entwickeln mussen. Hieran wird sich die Erwagung reihen mussen, inwieweit auch in den noch uncivilisirten Landern, die keine Museen be- sitzen, Centralstellen fiir Naturbeobachtung zu schafifen sind ; denn langst ist es anerkannt worden, dass die meisten wissenschaft- lichen Expeditionen den aufgewandten Kraften und Mitteln ent- sprechende Resultate nicht geliefert haben, ein Missverhitltniss, das sich bei dem einzelnen Reisenden, er sei denn Endeckungs- reisender, kaum besser gestaltet. Hier bietet nun der Umstand, dass drei machtige Kulturstaaten Europas, England, Deutschland und Frankreich, neuerdings bedeutenden jungfraulichen Kolonial- besitz erworben haben, einen willkommenen Ankniipfungspunkt. Gerade in diesen neuen Kolonieen werden wissenschaftliche Statiouen sich leichter errichten lassen, als in anderu uncivilisirten Landern, und unter diesen Stationen sind die bioekographischen in erster Linie zu beriicksichtigen. In der Vergangenheit hat man die bioekographische Erforschung der Kolonieen ausserst vernachlassigt, und in manchen Kolonieen ist die einheimische Thier- und Ptianzen- bevolkerung schon so decimirt worden, dass die Errichtung bioeko- graphischer Stationen in manchen Beziehungen jetzt fast schon zu spilt kommen wiirde. Urn so mehr mussen wir darauf dringen, dass man es in den jungfraulichen Kolonieen von vornherein besser macht. Bioekograpliie, Museenpflege und Kuldnlaltliierkumlc. 703 Wie die erwahnteu Stationeii beschatien sein sollen, und wie durch andere Mittel die biockographische Erforschung der Kolo- nieen in Angriff zu nehnien und durchzufiihren ist, das werde ich in diesem Werkchen zu zeigen versuchen. Wiihrend aber die beiden ersten Abschuitte desselben nur theoretisclie Erwagungen bringen, wahrend der dritte seine Vorschlage nur ira Grundriss vorfiihrt, werde ich im vierten , da niir die baldige Beriicksicliti- gung meiner Vorschlage am Herzen liegt, einen mehr bis ins Einzelne durchgefiihrten Organisationsplan der zu verwendenden Krafte und Mittel in Vorschlag bringen. Meine bisherigen Bestrebungen haben sich vorwiegend auf dem Gebiete der Thierkunde bewegt. Ich bin allenfalls Zoologe, aber weder Botaniker, noch Geologe, noch auch Geograph. Dieser Umstand wird der vorliegenden Schrift einen besonderen Sterapel aufdriicken mussen. Wenn ich auch in den beiden ersten Ab- schnitten von einem Eingehen auf specielle zoologische Gegenstande Unigang nehmen kann, dagegen ini dritten schon vorwiegend die Zoologie zur Illustration meiner Vorschlage heranziehe, so muss ich mich im vierten auf diese Wissenschaft beschranken. Wohl steht es dem Vertreter einer Einzelwissenschaft zu, sich iiber das Verhaltniss seiner Wissenschaft und ihrer Zweige zu andereu Wissenschafteu klar zu werden ; dagegen wiirde er sehr fehlen, wollte er die letzteren durch speciell formulirte Vorschlage zu fordern suchen, was ihm nur bei seiner Special wissenschaft ge- stattet ist. Wenn ich also auch nicht vor dem Versuche zuriick- geschreckt bin , das Verhaltniss der Bioekographie zu andern Wissenschafteu festzustelleu, so darf ich in Fragen iiber den spe- ciellen Ausbau des wissenschaftlichen Feldzugsplanes nicht uber mein eigenes Each hinausgehen. Dieser Plan kann indessen noch uichts Vollstandiges liefern, und jenes Verhaltniss wird auch noch fernerhin naher beleuchtet werden mussen. Dort wie hier rechne ich auf thatige Beihulfe einerseits meiner Fachgenossen, anderer- seits der Vertreter aller andern Wissenschafteu. Zunachst sollten auch Botaniker und Geologen, Anthropologen und Ethuologen ihre Plane fiir die Reorganisation der Museen und die wissenschaftliche Erforschung der Kolonieen vorlegen. Die Geologen freilich brauchten sich damit weniger zu beeilen als die Vertreter der andern genannten Wissenschafteu ; denn die Erdrinde ist stabiler als Pflanzen-, Thier- und Volkerleben. Aus praktischen Griinden wird es der Geologie ohnehin nicht an baldiger Forde- 794 Dr. Wilhelui Haacke, rung in den Kolonieen fehlen, wie denn auch die geologische Laudes- uutersuchung daheim schon lange das anstrebt, was fiir Botanik uud uamentlich fiir Zoologie noch kaum als Forderung besteht. Aus praktischen Grunden wird auch die Botanik mehr Forderung von den neuen Kolonisationsbestrebungen zu erwarten haben als die Zoologie. Gerade die letztere gilt als praktisch unnutze Ge- lehrsamkeit, ein Schicksal, welches es doppelt nothwendig macht, sie der wohlwollenden Theilnahme der Behorden, daheim wie in den Kolonieen, zu empfehlen. Uebrigens ist gerade ein Zoologe vermoge der Stellung der Zoologie im Kreise der Wissenschaften besser geeignet als mancher andere, auch die iibrigen Wissen- schaften mitzufordern. In der vorliegenden kleinen Schrift habe ich mehrere ursprung- lich getrennt entstandene schriftstellerische Plane im Auszuge zur Ausfuhrung gebracht. Gleichwohl bilden ihre Theile ein organi- sches Gauzes. Fiir fast jede ihrer Seiten lasst sich sagen , dass das Vorhergehende mit Riicksicht uuf das Nachfolgende, das Nach- folgende mit Riicksicht auf das Vorhergehende geschrieben ist. Ich bitte desshalb meine Leser, mir mit Geduld der Reihe nach durch die einzelnen Abschnitte zu folgen. Bas Verhaltiiiss der Biographie der Organismeii zu iiber- iind iiebengeordiieten und ilire Eintlieilung in iintergeord- nete Wissenschaften. Die Bioekographie, der wir demniichst einen besonderen Ab- schnitt widmen wolleu, ist ein Theil der Biographie. Wollen wir das Wesen der ersteren verstehen, so darf uns das Wesen der letzteren nicht dunkel sein. Die Biographie ihrerseits ist ein Theil der Biologie ; ihr Verhaltniss zu den iibrigen Theilen dieser Wissen- schaft ist desshalb festzustellen. Die Biographie ist aber auch ein Theil der Geographic; wir miisseu untersuchen, wie sie sich zu den ubrigeu Theilen dieser Wissenschaft verhiilt. Endlich sind sowohl Biologie und Geographic Theile der Geologic. Wollen wir uns also einen Ueberblick liber alle in Frage kommenden Gebiete und einen Einblick in ihre gegcnseitigen Beziehungen verschaffen, so erreicheu wir unsern Zweck am leichtesten, weun wir von der Bioekographie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 795 umfassendsten der genannteii Wissenschaften , der Geologie, aus- gehen. Unter Geologie verstehen wir die Gasammtwisscnschaft von der Erde. Alles, was wir auf unserem Plaiieten beobachten konnen, ist ein Gegeustand der Geologie. AUe Vorstellungen, die wir uns von der Gegenwart und Vergangenheit der Mutter Erde und ihrer Kinder machen konnen, gehoren dem Gebiete der Geo- logie, der allumfassenden Erdwissenschaft an. Es giebt nur eine solche Wissenschaft, welche sich mit der Erde beschaftigt; dieser Wissenschaft, nicht einem ihrer Theile, gebiihrt der Name Geo- logie. Die Erde ist ein Stern unter Sternen. Fiir den Kreislauf der Sterne und fiir die Veranderungen der sie zusammensetzendeu Stoffe, fiir ihr Sein und Werden, fiir ihre Gestaltungen und Um- gestaltungen giebt es nur eine Gesetzsammluug. Die Gesetze dieser Sammlung sind erkannt und zusammengestellt von der Wissenschaft der Weltmechanik , die als Physik das Verhalten gleichartig gedachter Massen, als Chemie die Wahlverwandtschaft verschiedenartiger Atome, als Statik die Gesetze des Gleichge- wichts, als Dynaraik die der Bewegung zu erforschen sucht. Mit einem Worte, die Eigenschaften des Weltsubstrates sind das Ob- jekt dieser Wissenschaft der Weltmechanik, der Kosmonomie, die jene Eigenschaften zu erkennen sucht vor allem durch das Experi- ment, aber auch durch die Beobachtung der sich selbst iiber- lassenen Natur. Insofern nun, als auch die Geologie durch ihre Beobachtungen an der Erde einerseits die kosmonomischen Ex- perimente zu bestatigen, andererseits die an audern Weltkorpern erschlossenen Gesetze zu ergiinzen sucht, konnen wir eine Wissen- schaft der Geonomie unterscheiden , deren Aufgabe also eine Physik und Chemie, eine Statik und Dynamik der Erde, ihrer Stotte und ihrer mit Individualitiit begabteu Komponenten sein wiirde. Es ist natiirlich diese Wissenschaft ein Theil der Kos- monomie; denn ihr einziges Bestreben ist, die Gesetzsammlung der Kosmonomie zu vervollkommnen. Gleichwohl konnen wir sie auch als ersten Theil der Geologie bezeichnen. Nach anderer Auffassung ist die Erde eine Maschine, die taglich von der Sonne geheizt wird, deren Wassercirkulation stetig vom Monde beeinflusst wird ; aber eine Maschine, deren eine Halfte im Sommer, deren andere im Winter die Hauptmasse des Lichtes und der Warme erhalt, und ein Korper, dessen Pulse zur Zeit 796 Dr. Wilhelm Haacke, von Voll- und Neumond hoher schlagen als sonst, Mit anderen Worten : die Erde bietet eine Kette periodischer Erscheinungen dar, und die einander gleichen Glieder dieser Kette miissen ein Gegenstand der Geologic werden. Es beschaftigt sich mit ihnen der zweite Haupttheil dieser Wissenschaft , die Geographic, welche die Erdraaschine bis in ihre Einzelheiten zu beschreiben hat. Da eine Maschine aber aufhort, Maschine zu sein, sobald sie still steht, gleich dem Hebel, der zum gewohnlichen Stabe wird, sobald Kraft und Last aufhoren, an ihm aufeinander einzu- wirkeu , so hat die Geographic kein Augenblicksbild der Erd- maschine zu liefern; vielmehr ist es ihre Aufgabe, sammtliche Bildcr, welche die Erde zu vcrschicdenen Jahres-, Mondes- und Tagcszeiten darbictct, in Causalnexus zu bringen, jedes derselbcn als durch das vorhergchende bcdingt, das folgende bedingend nachzuwciscn und darzuthun, wie nothwendigerweise jedes einzelne Bild nach einer bestimmten Periode wicderkchren muss. Endlich aber konnen wir die Erde betrachtcn als ein Kind der Sonne; ein Kind, das einstmals jung und ungemodelt war, wie seine Mutter es noch heute ist, das gcgenwiirtig gesetzt und gc- reift seine Bahnen wandelt und das dereinst vielleicht als Leiche seine Mutter umkreisen wird, wie es schon heute selbst von der cigenen Kindesleiche, dcm Monde, umkreist wird. Es hat auf der Erde ein stetiges Sichentfernen vom Anfangszustande den oben besprochencn Wechsel der Perioden bcgleitet und durchdrungen, und wollen wir diese stetige Metamorphose und jencn Rhythmus crklaren , so miissen wir beide in der Wissenschaft streng aus- einanderhaltcn und neben der Geographic die Geogenie untcr- scheiden. Die Geogenie beschaftigt sich mit der Geschichte der Erde; von der Periodicitat der Erderscheinungen handelt die Geographie; die Weltgesetze in Erdgeschichte und Erdrythmus lehrt die Geo- nomic kenncu. Diese drei Wissenschafteu sind die theorctisch unterscheidbaren Hauptzweige der Erdwissenschaft, erganzen sich gegenseitig und sind alle drei unentbehrlich. Fur die Praxis der Naturforschung indessen ist es zweck- miissig, fiir die Eintheilung der Geologic in untcrgeordnete Wissen- schafteu einem andern Principe zu folgen. Als das zweckmiissigste argunicntum divisionis hat man schon litngst die Verschiedenartig- keit dcs Aggregatzustaudes der Matcrie crkannt. Ist die Reihe der Modificationen des Aggregatzustaudes auch eine unendliche, so &ioekographie, MuseenpfloRe und Rolonialthierkunde. 797 hat sich die Unterscheidung voii vicr Hauptformen desselben doch als fiir die Praxis ausreichend bewahrt. "Wir unterscheiden eiiien festen, einengequollenen,cinen tropfbar- flussigen und einen luftformigen Aggregatzustand. Am festeu Erdske- let, der Stereogaea, wie wir es iieuneu konnen, tritt uus der feste, au den Thiereu und Pflanzen, welche in ihrer Gesammtheit die Biogaea bilden, der qucllbare, an der Wasserhulle der Erde, der Hydro- gaea, der tropfbar-fliissige, an ihrer Atraosphare, der Aerogaea, der luftf(3rmige Aggregatzustand entgegen. Demgemass unter- scheiden wir eine Stereologie und Biologic, eine Hydrologie und Aerologie der Erde. Wir miissen diese Wissenschafteu im einzelnen betrachten und, woUen wir unser theoietisches Eintheilungsprincip der Geo- logic als berechtigt darthun, zu zeigen versuchen, dass jede der vier dem gleichen Eintheilungsprincipe folgt. Am deutlichsten tritt uns dieses an der Biologic entgegen, wesshalb wir zweckmassigerweise mit ihr beginnen. Bau und Leben des thierischen und pflanzlichen Organismus sind unveranderlichen Gesetzen unterworfen. Das gilt sowohl von der Gcstaltung und Gruppirung der organischen Substanzen und Individuen, von ihrer W'echselwirkung unter einander wie von der Wechselwirkung des organischen Substrates und des organischen Individuums mit der umgebenden Natur, mit Luft, W'asser und Erdboden. Diese Gesetze nun konnen keine andern sein als physi- kalische und chemische. Theils konnen wir die Gesetze des Lebens auch auf andern Gebieten kennen lernen, sowohl durch Experiment, wie durch Naturbeobachtung, theils oflenbaren sic sich ausschliess- lich am Organismus, denn der Bau der Organismen ist weit komplj- cirter als der Bau der Anorgane, sowohl der architektonische Bau des organischen Individuums wie der chemische Bau der organi- schen Molekel. Gleichwohl herrschen physikalische und chemische Gesetze ausschliesslich auch im Organismenreiche, in der Biogaea. Sie uns kennen zu lehren, theils als alte, theils als neuc Freunde., ist die Aufgabe der Bionomie. Dieselbe erforscht die allge- nieine Mechanik des biogaeischen Processes; sie stellt die Gesetze zusammen, welche diesen Process, im grossen wie im kleinen, be- herrschen, beherrscht haben und beherrschen werden. Sic ist die Physik und Chemie, die Statik und Dynamik der Lebewelt. Doch nur klein kann die bionomische Gesetzsammlung sein, denn die mcisten ihrer einzelnen Satzungen gelten gleichmassig 798 Dr. Wilhelm Haacke, fiir viele Organismen. Gross und verwickelt aber ist das Ma- schinengetriebe der Biogaea. Klein ist ja auch nur die Anzahl der einfachen Maschinen ; es giebt nur deren sechs; aber komplicirt ist die Uhr, die Miihle , die Dampfmascbine , und gross ist die Anzahl der verschiedenen Uhren, Miihlen, Dampf- und anderen Maschinen. Desshalb stellen wir der allgemeinen Mechanik eine beschreibende Maschinenkunde , der Bionomie eine Biographie gegenuber. Mogen wir auf die gesammte Biogaea oder auf ein einzelnes Thier- oder Pflanzen-Individuum, auf ein ganzes Organ- system oder auf eine einzelne Zelle unsern Blick richten, iiberall tritt uns die Periodicitat des Erdenlebens neben der Mannichfal- tigkeit der Erscheinungen entgegen. Ich erinnere an die Aus- dehnung und Zusammenziehung des Herzens, an das Ein- und Ausathmen der Lungen, an den Wechsel von Hunger, Nahrungs- aufnahme und Sattigung, von Schlafen und Wachen; aber auch an den Wechsel von Wachsthum, Ruhezustand und Theilungs- process der Zellen und nicht minder an das Erwachen des Ptianzen- und Thierlebens im Friihlinge, an sein Ersterben im Herbst und seine Ruhe im Winter; endlich an die Entwickeluug des jungen Vogels im bebriiteten Ei, an sein Ausschlupfen und Fluggewerden, sein Fortziehen im Herbste, seine Riickkehr im Friihjare, sein Liebeswerben, Nestbauen, Eierlegen und Briiten. Dieser Rhythmus aller Lebenserscheinungen geht so weit, dass es uns schwer wird, irgendwo seine Nichtexistenz nachzuweisen. Seine Erforschung fallt der Biographie zu. Sie soil uns nicht nur zeigen, wie ver- schiedenartige Thiere und Pflanzen auf der Erde verbreitet, wie verschiedenartige Organe im Korper vertheilt und angeordnet sind in einem gegebenen Momente, sondern sie soil uns alle Momente im Leben der Biogaea wie des Individuums, im Wechsel der Mo- nate, Tage und Stuuden nicht minder wie im Wechsel der Gene- ration en in zusammenhangender Reihe vorfuhren und uns zeigen, warum die Konstellatiou der Erscheinungen in einem gegebenen Momente das Resultat derjenigen des vorhergehenden Momentes ist. So werden die biouomischen Gesetze von der Biographie ver- werthet, so werden die Erscheinungen der Lebewelt mit dem Kreis- lauf und der Axendrehung der Erde verkniipft. Die Biographie ist, will sie nicht in Verwirrung gerathen, gezwuugen, eine Gleichheit der Perioden in den Erscheinungen des Lebens anzunehmen. In Wirklichkeit aber existirt eine solche Gleichheit nicht. Vielmehr kommen haufige Storungen vor, welche Bioekograpbie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 799 das Getriebe der Biogaea dauernd iindern. Die Organismenwelt hat nicht minder eine Geschichte wie die Erde selbst; ein Blick iiuf die Versteineriiiigen lehrt uus dieses. Die Geschichte der Biogaea zu erforschen ist die Aufgabe der Biogeuie. Sie zeigt, dass die Lebewelt der Erde sich stetig ihrera gegenwartigen Zu- stande geiiilhert hat. Dass es sich auch in der Aerologie und Hydrologie zunachst um die Feststellung der Gesetze, welche die Bewegungen und Gleichgewichtszustande der Luft und des Wassers regeln, weiterhin aber um die Erkenntniss der periodischen Bewegungen in der Atmosphilre und Hydrosphare handelt, ist leicht ersichtlich. Dem entsprechend unterscheiden wir eine Aeronomie und Hy- dro no mie, eine Aerographie und Hydrographie. Weniger leicht ersichtlich ist dagegen die Existenz eines historischen Bewegungsprocesses sowohl in der Aerogaea wie in der Hydrogaea und demgemass die Existenz-Berechtigung einer Aerogenie und Hydrogenie. Die Molekeln in Luft und Wasser sind ja so leicht gegeneinander verschiebbar , dass sich Aerogaea und Hydrogaea ohne Umstande den Veranderungen in der Stereogaea anpassen. Wenn es demnach auch feststeht, dass Luft und Wasser sich ehemals in anderen Bahnen bewegten als heute, so konnte es gleichwohl auf den ersten Blick als raoglich erscheinen, sammtliche Bewegungen , welche heute in der Atmo- sphare und Hydrosphare stattfinden, aus den gegenwartigen astro- graphischen und stereographischen Verhaltnissen der Erde zu er- klaren ohne Riicksichtnahme auf fruhere Verhaltnisse. Die Stereo- gaea mit ihrer treuen Urkundensammlung der Erdgeschichte und die Biogaea, in welcher das konservative Princip der Erblichkeit herrscht, drangen uus Rathsel auf, die ohne eine Stereogenie und Biogenic nicht zu losen sind; mit der Aerogaea und Hydrogaea scheint es dagegen anders zu sein. Wir diirfen indessen nicht vergessen, dass hier das Beharrlichkeitsgesetz ebeuso seine Herr- schaft ausiibt, wie dort. Freilich ist die Frage, um welche es sich hier handelt, mehr von principieller als von praktischer Be- deutung; aber im Princip miissen wir zugestehen, dass sich die Bewegungen in der Aerogaea und Hydrogaea nicht simultan mit Aenderungen in der Stereogaea geaudert haben konnen. Die Un- ruhe de^Meeres dauert noch nach dem Orkan an, und noch lange ist die Wasserbahn sichtbar, auf welcher ein Dampfer dahinge- braust ist. Wie im Wasser, so ist es in der Luft; im Bereiche dieser wie im Bereiche des Wassers muss es noch heute Bewe- Bd. XIX. N. F. XU. 53 1800 Dr. Willielm Haacke. gungen geben, welche verniogc der Beharrlichkeit aus fruheren Zeiteu stammen, und welche Aerographie iind Hydrographie iiicht zu erklilren vermag. Ob diese Beweguiigeii flir uns wahrnehmbar sind, ist principiell gleichgultig; das theoretische Biirgerrecht konnen wir der Aiirogenie und Hydrogenie nicht verweigern. Uebrigeiis wiirde es, audi wenu Aerologie und Hydrologie fiir ihre eignen Zwecke historische Forschungen entbehren konnen, ein dankeswerthes Unternehmen seiu, wenn Aorologen und Hydrologen im Vereine niit Stereologen liypothetiscli die Luft und Wasser- bahnen friiherer Phasen der Erdgeschichte rekonstruiren woUten. Manches, was in der gegenwartigen Verbreitung der Organismen unverstandlich ist, wiirde sich dann vielleicht erklaren lassen; sind doch Luft und Wasserstroraungen wichtige Verbreitungsmittel fiir Thiere und Pflanzen. In der Stereologie der Erde ist die Unterscheidung einer Stereonomie sofort einleuchtend. Sie hat die chemischen und physikalischen , statischen und dynamischen Gesetze der festen Korper, insofern sie auf die Erdwissenschaft Anwendung finden, zu sammeln. Dass wir auch eine Stereo genie unterscheiden miissen, ist ohne weiteres klar; wir brauchen nur eiuen Blick auf die Schichten der Erdrinde zu werfen, die uns ohne historische Betrachtungen unverstandlich bleiben. Der Stereographie dagegen miissen wir einige Worte widnien. Wir haben die Aerogaea, die Hydrogaea und die Biogaea ge- wissermaassen als Maschinen aufgefasst, welche rhythmische Be- wegungen ausfiihren und zu ihrera Verstandnisse der Aerographie, Hydrographie und Biographie bediirfen. Der Zweck unserer Be- trachtungen ist ferner der Nachweis des Parallelismus der vier Wissenschaften, welche wir nach dem Aggregatzustande der Ma- terie in der Geologie unterscheiden. Nun ist es aber fraglich, ob die Stereogaea rhythmische Bewegungen ausfiihrt, ob demnach die Stereographie mit Aerographie, Hydrographie und Biographie in Parallele gestellt werden kann. Selbstverstiiudlich konnen wir eine Stereographie nicht entbehren, denu fiir die Zwecke der Stereo- nomie und Stereogenie, der Biographie, Hydrographie und Aero- graphie bediirfen wir ihrcr. Diese Wissenschaften miissen eine sorgfaltige Beschreibuug des gegenwiirtigeu Zustandes dir Stereo- gaea besitzen. Aber die Frage nach dem Parallelismus der vier Wissenschaften ist damit nicht erledigt. Indessen hillt es nicht schwer, ihu uachzuweiseu. VVeuu wir die periodischeu Bewegungen Bioekograpliie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 801 in Wasser-, Luft- uud Organisnicnrcich als imveninderlich auf- fassen uud sie demgemass durch eine Wellenlinie niit gleichen Kurven darstellen konnen, so lasst sicli die nach stereograpliischer Anschauuugsweise sich stets gleichbleibeude Stereogaea durch eine gerade Liuie darstelleu ; in eiue solche lasst sich aber eine Wellen- linie unserer Art iiberfuhren durch stetige Verkleinerung der Wellenweite. Diese Betrachtung macht uns den Parallelismus der Stereographie niit den drei iibrigen Wissenschaften evident. Die Geographic hat zum Gegenstande nicht nur das, was auf der Erde periodische Bewegungen ausfuhrt, sondern auch das, was in steter Ruhe verharrt. Uebrigens ist die Frage nach periodischen Be- wegungen der Stereogaea nicht erledigt ; wir brauchen nur an die behauptete Periodicitat der Erdbeben zu denken. Wir sehen also, dass sammtliche Wissenschaften, die es mit der Erde zu thun haben , mit einander korrespondirende Theile einer umfasseuden Erdwisseuschaft, der Geologic, sind. Die Geo- nomie zerfallt in Stereonomie, Bionomie, Hydronomie und Aero- noniie; entsprechend zerfallen Geographic und Geogenie in je vier untergeorduete Wissenschaften, Charakterisiren wir die Geologic als die Panodologie der Erde, die Wissenschaft, welche uns das gesannnte Thun und Treiben der Erde , ihrer Bestandtheile und ihrer Bewohner auf alien ihren Wegen vorfiihrt, so konnen wir die Geonomie, Geographic und Geogenie entsprechend als Monodologie, Periodologie und Epiodologie der Erde kennzeichnen. Die Monodologie iehrt uns das Einzelgeschehen, den einzelnen Schritt und das ihn beherrschende Gesetz kennen; die Periodo- logie handelt von den in sich zuriicklaufenden Wegen der Erd- stoffe, von deni Kreislauf der Stotfe auf der Erde; die Epiodo- logie endlich von der Ersetzung alter Wege durch neue, Aber nicht nur aus Betrachtungen wie die obigen geht die Einheitlichkeit der Panodologie der Erde hervor; vielmehr wissen wir schon ohuehin , dass Stereologie , Hydrologie und Aerologie nicht ohne einander und auch kaum ohne die Biologic bestehen konnen , wie die Biologic jene andern Wissenschaften nicht ent- behren kann. Solange die Erde bestand, war sie ein Indivi- duum, uud solange sie besteht, wird sie es bleiben; hort sie auf ein Individuum zu sein, so hort sie auf zu existiren. 53 802 Dr. Wilhelm Ilaacke, Hier konnen wir das Gebiet der Gesammtgeologie verlassen, urn uns demjenigen der Biographie, dercii Stellung zu iiber- und nebengeordneten Wisseuschaften aus dem Bisherigen hervorgeht, allein zuzuwenden. Das Material, welches die Biographie sichten und wissen- schaftlich bearbeiten will, ist gross, viel grosser als das ihrer geographischen Geschwisterwissenschaften zusammen genommen. Es vvird sich also empfehleu, dasselbe iu einige Hauptgruppen zu sondern und demgemass eine Anzahl von Disciplinen zu unter- scheiden, welche der Biographie untergeordnet sind. Da konnen wir nun zunachst zwei solcher Disciplinen einau- der gegeniiberstellen. Die eine handelt von den organischen In- dividuen und der Beziehung der Theile eines Individuums zu einander, die andere von den organischen Ortsgenossenschaften, von der Wechselwirkung unter einander und mit der umgebenden Natur aller derjenigen Pflanzen und Thiere, welche ein gemein- sames Wohngebiet innehaben. Die erstere wollen wir Bionto- graphie, die letztere Bioekographie nennen. Indessen , das organische Individuum eutwickelt sich ; vom Eie bis zur Reife durchlauft es eine Reihe von Umgestaltungen, welche mit einander verkniipft werden miissen. Ganz ebenso die Wohnortsgenossenschaften, die dem Wechsel der Jahreszeiten unter- worfen sind. Im Friihlinge treffen wir andere Pflanzen und Thiere als im Sommer, im Sommer andere als im Herbst und Winter. Wenn wir auch viele das ganze Jahr hindurch antreffen, so tragt doch jede Jahreszeit ihre eigene biographische Physiognomic. Hier gilt es, Friihling mit Sommer, Herbst und Winter und wieder mit dem nachsten Friihlinge zu verknupfen. Daueben aber tindet auf jeder Entwickelungsphase des Individuums sowohl wie der Wohn- ortsgenossenschaft eine Wechselwirkung der Komponenten statt, hier der eiuzelnen Thiere und Pflanzen , dort der Organe. Hier wie dort konnen wir jede Entwickelungsphase als dauernd be- trachten, um jene Wechselwirkung zu studiren. So gelangen wir zu einer andern, von der ersteren verschiedenen Eintheilung der Biographie, welche als zwei untergeordnete und einander eben- bUrtige Disciplinen die Parabiographie und die Anabiographie unterscheidet. Die Parabiographie handelt von der Zusammcn- setzung des als unveranderlich angenommenen Objektes aus seinen Komponenten und von der Wechselwirkung derselben unter einander; die Anabiographie von den Phasen, welche das in Wirk- Bioekographie, ^luspenpfk-ge uiid Kolonialthierkunde. 803 lichkeit einer Veranderung unterworfene Objekt durchlauft, und von der kausalen Verkniipfung dicser Phasen. So erhalteii wir im gaiizeu vier der Biographie untergeordnete Wissenschafteu, die Parabioutographie und Anabiontographie und die Parabioekographie und Anabioekographie. Die Parabiontograpliie erblickt in dem Organismus des Thieres oder der Pflanze auf irgend einem Stadium seiner Ent- wickelung ein uuveranderliches Lebewesen , einer bewegten Ma- schine vergleichbar. Sie erforscht die Zusammensetzung des Or- ganismus aus einzelnen Organen und die Wechselwirkung , in wc'lcber sicb diese Orgaue unter einander und mit der aufgenom- nienen Nahrung befinden. Xur die Parabiontographie einiger weniger Organismen ist einigermaassen grilndlicb erforscht, vor allem die des Menscben. Die Parabiontographie des Menschen ist bisher das Hauptobjekt der akademischen Wissenschafteu der Anatomie und Physiologie gewesen, wobei der Anatomie die haupt- sachlich an der Leiche zu erlangende Kenntniss der einzelnen Theile des menschlichen Organismus, der Physiologie das Studium der Wechselwirkung dieser Theile zugefallen ist. Durch diese Sonderuug der Interessen haben sich nun aber sowohl Anatomie wie Physiologie einseitig entwickelt. Die Anatomie glaubt genug gethan zu haben, wenn sie die Leiche mit Messer und Mikroskop bis ins kleinste zergliedert hat. OfFenbar ist nun aber der Or- ganismus nur so lange ein Organismus, wie er lebt; desshalb ist die Anatomie weniger eine Wisseuschaft als eine Kuust. Anderer- seits hat die Physiologie wegen Mangels an ausreichenden ana- toraischen Kenntnissen durch weg nur die einzelnen Organsysteme des Menschen im allgemeinen , nur die allgemeinen Gesetze der Muskeln und anderer Organe erforscht, sich aber nicht eingehend genug mit dem einzelnen Muskel, dem einzelnen Organe beschaftigt. Um diesem Zustande ein Eude zu machen, hat man vorgeschlagen, dass die specielle Thatigkeit des einzelnen Organs in Zukunft ein Objekt der Anatomie werden soil, ein Vorschlag, der ebenso ge- rechtfertigt ist, wie seine Ausfiihrung von Erfolg gekront sein wird. Dadurch wird die menschliche Anatomie zu einer einheit- lichen und in sich selbst abgeschlossenen, ihrem Vertreter genuss- bringenden Parabiontographie des Menschen werden, wahrend die Physiologie sich auch den niedern Organismen wird zuwenden konnen, um durch das Studium ihrer Lebeusthatigkeiten mehr und mehr zu einer umfassenden Bionomie zu werden. Dadurch 804 Dr. Wilhelm Haa eke, dass die menschliche Anatomie zu einer abgerundeten Parabionto- graphie des Menschen wird, ware freilich noch Dicht viel gewonnen ; denn die Parabiontographieen der einzelnen Entwickelungsstadieu des Menschen sowie die Parabiontographieen aller anderu Thiere auf alien ihren Lebensstadien wUrden nach wie vor Postulate der Wissenschaft bleiben. Dasselbe gilt von den Pflanzen, obgleich diese sich mehr einer gleichmassigen Bearbeitung zu erfreuen gehabt haben. Die Anabiontographie fasst das organische Individuum auf als ein veranderliches Entwickelungswesen, das sich, von einem einfachen Anfangsstadium ausgeheud, stetig einera komplicirten Endstadium nahert. Die Anabiontographie umfasst die Schul- wissenschaften der Embryologie, die auch als Outogenie oder in- dividuelle Entwickelungsgeschichte bezeichnet wird, und der Syste- inatik der Thiere und Pflanzen. Aber auch die „vergleichende Anatomie" der Thiere und die „Morphologie" und „Anatomie" der Pflanzen bilden Bruchstiicke der Anabiontographie. Wahrend die Embryologie sich bestrebt, uns die Stadien vorzufiihreu, welche der Organismus von der Eizelle bis zu dem Zeitpunkte durchlauft, wo er seinen Eltern wieder ahnlich sieht, will uns die Systematik und Pflanzenmorphologie die anssere Erscheinung, die vergleichende Anatomie der Thiere und die Pflanzenanatomie den inneren Bau der Eltern kennen lehren. Diese Disciplinen fassen nur die End- stadien ins Auge, wahrend die Embryologie voni Anfangsstadium aus den Organismus eine Strecke weit auf seiuem Entwickelungs- wege verfolgt, aber meistens, ohne einen engen Anschluss an das Endstadium zu gewinnen zu suchen. Es liegt nun aber auf der Hand, dass Anfang und Ende zusammeugehoreu ; desshalb mussen alle jene Disciplinen zu einer einzigen verschmelzeu , wollen sie anders nicht das Ziel der Wissenschaft aus dem Auge ver- lieren. Diese einzige in sich abgerundete Disciplin ist die Ana- biontographie, die die Entwickelung jedes Organismus vom Eie bis zur Reife und dariiber hinaus bis zum Tode und zwar sowohl nach iiusserer Erscheinung als inuerem Gefiige verfolgt und die einzelnen Stadien durch Zuhiilfenahme dor Biononiie ursachlich mit den vorhergehenden und nachfolgcndcn verkniipft. In der That hat die wissenschaftliche Praxis liingst gelehrt, dass Embryologie, vergleichende Anatomie und Systematik eiiiander nicht eutbehren koniien. Es sind diese Disciplinen vor alien Dingen Kiinste und Methoden, die bald der einen, bald der anderen Wissenschaft Bioekographie, Museenpflfj^e iiiid KolonialtliiiMkuiule. 805 diciistbar sind. Die Anatomie beispielsweise ist eine Hiilfsdiscipliii sowohl der Parabiontographie wie dor Aiiabiotitographie. Werfon wir einen Blick auf die gegenwartige Entwickelung dor Aiiabiontograpliie, so erkeuiien wir in ihr die bestbearbcitete aller biologischen VVissenschaften, woraus die einseitige Entwicke- lung der Biologie hervorgeht. Die Kenntniss der ausseren Merk- niale aller entwickelten Thiere und Pflanzen ist schon seit Linnc's Zeiten angestrebt worden ; seit Cuvier hat die Erforschung des inneren Raues, seit Baer und niit grosserer Intensitiit seit Darwin das Studiiim der Entwickelung einen gewaltigen Aufschwung ge- noramen. Freilicb sind unsere anabiontographischen Kenntnisse nur Bruchstiicke ; von der Erkenntniss des ^Yesens der Entwicke- lung sind wir noch sehr weit entfernt, und vor allem fehlt es vielen Embryologen, Anatomen und Systematikern an der Erkennt- niss, dass sie alle nur einer einzigen Wissenschaft, der Anabionto- graphie, dienen. Xichtsdestoweniger steht es mit der Anabionto- graphie besser als mit der Parabiontographie und ungleich viel besser als rait den beiden bioekographischen Wissenschaften , zu denen wir uns jetzt wenden. Die Parabioekographie handelt von den Wohnortsge- nossenschaften der Organismen und betrachtet dieselben als un- verauderliche Mechanismen. Sie greift bald diesen, bald jenen Moraentanzustand heraus und untersucht die Wechselwirkung, in welcher die einzelnen Thiere und Pflanzen, welche die Biogaea eines Wohnortes zusammensetzen, untcreinander und mit der Stereo- gaea, Hydrogaea und Aerogaea dieses Wohnortes stehen. Als Wohnort kann sowohl die ganze Erde als auch ein natiirlich ab- gegrenzter Theil derselbeu betrachtet werden. Fiir solche Theile schlage ich den Terminus G eom ere n vor. Das australische Fest- land, der Nordpolarkontinent, die Insel Neu-Guinea sind solche Geomeren ; nicht minder das nordliche Eismeer, der indische Ozean, der Golf von Neapel. Aber auch jedes Gebirge und Tiefland, der einzelne Wald , die Wiese, die Wiiste konnen als Geomeren be- trachtet werden. Desgleichen jeder See, Teich und Fluss, jede Austern- und Korallenbank ; kurzum, die Reihe der Geomeren ist unendlich, und sie gegen einander abzugrenzen und zu klassifiziren wird eine interessereiche Aufgabe der Biologen und Geographen sein. Bis jetzt ist sehr wenig in dieser Richtung geschehen, wie denn iiberhaupt unser parabioekographisches Wissen nur aus un- zusammeuhiingenden Bruchstiickcn besteht, deren Zahl zwar gross ist, die aber noch nicht gesammelt, geschweige denn geordnet und 806 Dr. W i 1 h e 1 m H a a c k e , in ursiichlicheu Zusammenhang gebracht sind. Man wircl mir vielleicht entgegenhalten, dass ich Gkisebach's Pflanzengeographie und Wallace's Thiergeographie nicht vergessen darf; indessen, was Grisebach und namentlich was Wallace anstrebt, ist ebcnso von meiner Parabioekographie verschieden, wie Gkisebach's und Wallace's Ziele und Wege unter einander verschieden sind. Mit der Ausbildung der Anabioekographie ist es nicht besser beschaffen als mit derjenigen ihrer Schwesterwissenschaft. Die Anabioekographie bezweckt die Kenntniss der Entwickelung der einzehien Wohnortsgenossenschaften , wie sie sich in jedem Jahre abspielt. Von einem Fruhjahre bis zum andern findet in jedem Geomer ein stetiger Wechsel der parabioekographischen Bilder statt; so zwar, dass dort und dann die einzelnen Kompo- nenten sich verandern, neue hinzukommen, alte verschwinden. Sehr wenig ist geschehen, diesen Wechsel in seiner Gesammtheit kennen zu lernen und aus seinen Ursachen zu erklaren. Nachdem wir so die Aufgabe der Bioekographie erkannt haben, wozu ein Eingehen auf die Biologic und Geographic und somit auf die Geologic iiberhaupt nothig crschien, wolleu wir im folgen- den Abschnitte uns ausschliesslich mit der Bioekographie beschiif- tigen. Die Bedeutuiig der Bioekographie und die Bediiiguiigen fiir ilir Studium und ilire Verwertliung. Wenn man erwagt, welch ein reiches Gebiet von verwickelten und bishcr noch fast ganzlich unerforschten Naturvorgitngen der Bioekographie zur Bearbeitung vorliegt; welches lutcresse und welchen Genuss es gewahren muss, der freien Natur auf ihren verschlungcnen Pfaden zu folgen und iiberall am Wege reichc Ernte zu halten; welchen vortheilhaften Tausch man macht, wenn man widerspenstigc Instniniente und unhandlichcn Biicherwust da- heim liisst und die reichun Ernte-, Jagd- und Fischereigriinde der jungfraulichcn Erde aufsucht, um sich an deni Wogen ihres Busens zu erfreuen, das Flustern ihrer Stimme zu belauschen und den Bioekograpbie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 307 balsaniischen Duft ihres Odems eiiizuziehen: dunn soUte man meinen, dass es der Bioekograpbie an Jiingern nicht fehleii koniite. Auch ist dieses nicht der Fall; nur dass die Jiiiiger der Bioekograpbie meistens nicht Naturforsclier von Fach, sondern naturforschendc Laieu sind. Xicht nur manche P'orstleutc und Landwirthe, Lehrer und Pfarrer, sondern uberhaupt viele, denen einige Musse zur Ver- fiigung stand , und denen die freie Xatur zuganglich war, haben sich gerade unsern Zweig der Naturkunde gewahlt, urn ihre Frei- zeit durch lehrreiche und fcsselnde Beschaftigung auszufiillen und dabei niauche schone Entdeckung zu niachen. Dieser erfreulichen Sachlage steht andererseits der befremdliche Umstand gegeniiber, dass gerade die Naturforscher von Fach , die niodernen Zoologen und Botaniker, das bioekographische Forschungsgebiet fast ganz- lich verschmahen, um daftir anatomische und raikroskopische For- schungen zur hochsten Vollendung zu bringen. Diese Bestrebungen verdienen gewiss Lob; aber der Erkennt- niss, dass die Botanik und Zoologie unserer Tage sich hochst ein- seitig entwickelt haben, diirfen wir uns nicht verschliessen. Auf der einen Seite finden wir Anatomen, Embryologen und Histologen, Morphologen und Physiologen, auf der audern die Systematiker, die Museumszoologen und Herbariumsbotaniker, Zwischen beideu, aber abseits und von den Fachleuten nicht anerkannt, stehen jeue bioekographischen Dilettanten, von denen ich oben gesprochen babe. SoUte der Umstand, dass sich hauptsachlich Laien die Pflege der Bioekograpbie angelegen sein lassen, die Fachgelebrten abhalten, ein gleicbes zu thun , dann mochte ich sie daran erinnern, dass gerade der Mann, den wir alle als unsern Meister anerkennen, zu dem wir alle wie Zwerge zu einem Riesen hinaufblicken, dessen Namen wir alle unablassig im Munde fiihren, dass gerade Charles Dakwin auf dem Gebiete der Bioekograpbie seine grossten Tri- umphe gefeiert hat. In der That ist es hochst befremdend, dass man unter der iiberwaltigenden Majoritat der modernen Zoologen und Botaniker, die sich Darwinisten nennen, so wcnige wirkliche Nachfolger Dar- win's fiudet. Die Schlagworte „Kampf urns Dasein" und „Natur- licbe Zucbtwabl" sind jedem gelaufig; aber nur wenigen fiillt es eii), dem Kampfe und der Zucbtwabl in der Natur nachzuspiiren. Xicht minder befremdlicb ist es, dass die Zahl der deutscben, frauzosiscbeu, euglischen Zoologen so gross, und die Zahl derjeuigen Naturforscher, welchen die Fauna Deutschlands, Fraukreichs, Eng- lands grtindlich bekannt ist, so klein ist. Befremdlicb mag es 808 Di- Wilhelm Haacke, seiD, aber zu leugnen ist es nicht, dass oinerseits Darwin zu einem Heiligen gewordcn ist, vor dera sich zwar alle beugen, dcssen Kapellc aber von nur wenigen Handen geschmiickt Mird, und andererseits , dass Zoologie und Botanik in den Kulturlandern neuerdings einen grossartigen Aufschwung genommen haben, ohne dass dadurch das Volk, welches die Gelehrten unterhalt, in die Lage versetzt worden ware, sich die Errungenschafteu der Wissen- schaft zu eigen zu machen an dem Studium der heimathlicheu Thiere und Pflanzen. Allerdings ist die Bioekographie, die Erforschung der Wechsel- beziehungen, in welchen die Komponenten der Biogaea eines Geo- mers untereinander und mit seiner Stereogaea, Hydrogaea und Aerogaea stehen, schon an und fur sich im hochsten Grade fes- selnd und belehrend fur den Forscher; wollen wir aber das An- denken Charles Daewin's ehren und fiir das Volk und die Heimath arbeiten, so konneu wir uns keine bessere Forschungssphare wahlen, als das Gebiet eben dieser Wissenschaft. Ihre hohe Be- deutung fur Gesammtwissenschaft und Volk kurz darzulegen, soil ira Folgenden mein Bemiihen sein; nicht minder werde ich aber darauf hinweisen mussen, dass sie uns aussergewohnliche Aufgaben darbietet, zu deren Losung wir aussergewohnliche Anstrengungen machen miissen. Die hohe wissenschaftliche Bedeutung, welche eine eingehende Erforschung des wohnortsgenossenschaftlichen Haushaltes der Or- ganismen hat , kommt ihr zu vor alien Dingen vermoge des Lichtes, welches sie auf die Entstehung der Thier- und Pflanzenarten zu werfen geeignet ist. Daruber, dass die jetzt lebenden Organismen- arten im Grossen und Ganzen Abkommlinge von einfacher organi- sirten Arten sind, also liber die Berechtigung der Descendenz- Theorie, herrscht fast vollkommen Einigkeit. Anders ist es jedoch mit denjenigen Theorien, welche die Umwandlung der Art erkliiren wollen. Zwar nimmt unter diesen, was die Zahl der Anhanger anbetrifft, die DAiiwiN'sche Theorie der natUrlichen Zuchtwahl den ersten Rang ein; aber ich glaube, wollten wir alle Bekenncr der Selektionstheorie frageu, ob sie jemals ernstliche, auf Original- untersuchungen gestiitzte Studien iiber die Stichhaltigkoit der Selektionstheorie angestellt haben, so wtirden wir von den nieiston verneineude Antworten erhalten. Ausserdem findeu wir, dass gerade viele unter denjenigen, die sich eingehender mit der Sache beschiiftigt haben, Gegner der Selectioustheorie sind. Ich sehe Bioekographie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 801) hier ganz ab von irgend wclclicii Laicu und wiederhole nur die Frage: VVic viele Zoologeii und Dotaniker giebt es, die die Se- Icktionstheorie bewogen nicht sowohl durch die herrscbende Zeit- stroniuiig als vielmehr auf Grund eigener sorgfilltiger Uuter- sucbungen adoptirt baben ? Wurden wir diese Frage statistisch beant- worten konnen, so wurden wir, glaube icb, iiber die geringe Zabl solcber Forscber erstaunt sein. Dieses stebt aber ganz iin Ein- klange mit der Tbatsache, dass die meisten Zoologen und Botaniker der Gegenwart jiingere Leute sind , welcbe zwar Ausgezeichnetes auf dem Gcbiete der Anatoniie und Mikroskopie leisten, aber die Pflanzen und Tbiere ibrer Heimatb oder irgend welchen anderu Laiides meistens so ungeniigend kennen, dass sie zum Studium dt's Naturbausbaltes vollstandig unvorbereitet sind. Und doch kann kein anderes Studium dazu fiibren, die Selektionstbeorie an- zunehmen oder zu verwerfen. Wer niit Erfolg die Pferde- oder Scbafzucht, die Blunien- oder Taubenzucbt betreiben will, bat zu dem Zwecke langjahrige und eingebende praktiscbe Studien zu macben ; das Lesen einiger Biicber geniigt nicbt ; und wer uns belebren will, dass die Natur diese oder jene Pflanzen- oder Thierart auf diese oder jene Weise geziicbtet babe, der muss auf den Oekonomiehofen der Natur gelebt und gelernt baben. Der blosse Haustbier- Anatom oder -Pbysiolog ist weit entfernt, ein guter Viehzlicbter zu sein ; ebensowenig kann derjeuige , der nur auf den Gebieten der heutigeu Thier- oder Pflanzenmorphologie und -Pbysiologie bewandert ist, etwas von der moglicberweise in der Natur stattfindenden Zucbtwabl wissen, es sei denn vom Horen- sagen ! Beweise fur die Abstammung der beute lebendeu Tbiere und Pflanzen von einfacber organisirten Vorfabren baben wir in Hiille und Fiille; von Beweisen fiir die Entstehung neuer Arteu durcb die natiirlicbe Zucbtwabl Dakwin's baben wir nicht einen einzigen, welcber genugend ware. Wir diirfen uns nicbt verbeblen , dass der Nacbweis von zweckmassigen Einricbtungen den Nacbweis des Bestebens einer Naturziicbtung nicbt involvirt, und dass fast alles, was zu Gunsten der Entwickelungslebre gescbrieben ist, nur fiir die Ricbtigkeit der Abstammungslebre spricbt. Fiir die Ab- staraniungslebre, nicbt fiir Darwin ist beispielsweise fast alles, was Eknst Haeckel erforscbt bat. Icb macbe dessbalb auf die wirklicbe Lage der Dinge auf- merksam, urn die Anbiinger und Gegner der Selektionstbeorie auf 810 Dr. Wilhelm Haacke, ein Forschungsgebiet hiuzuweisen , auf welcliem allein der Nach- weis ihrer Berechtigung oder Nichtberechtigung gefiihrt wcrdeu kann. Nun konnte man mir entgegenhalten , dass die Selektions- theorie es niit der geschichtlichen Entwickelung der Thier- uud Pflanzeiiarten zu thun hat, wahrend ich die Losuug der vorliegcn- den Probleme auf bioekographischem Gebiete anstreben wolle. Hierauf habe ich dreierlei zu erwidern. Zunachst sehen wir, dass alljilhrlich eine viel grossere Anzalil von Organismenkeimen erzeugt wird und eine theilweise Entwicke- lung durchmacht, als zur Reife gelangt, und wir miissen fragen, ob die zu Grunde gehenden Individuen durch ihre Organisation irgcndwie benachtheilt waren gegeniiber den iiberlebenden, oder ob ihr Tod nicht vielmehr von der Ungunst der Verhaltnisse ab- hing. In den Darstellungen der Selektionstheorie wird gewohnlich auf das Missverhiiltniss der erzeugten zu den iiberlebenden Indi- viduen mit grossem Nachdruck aufmerksam gemacht. Dies scheint die Annahnie zu involviren, dass die zu Grunde gehenden Indivi- duen in der That eine mangelhaftere Organisation besitzen , als die iiberlebenden; es lasst sich auch nicht leugnen, dass der Nachweis einer solchen eine bedeutende Stiitze fUr die Selektions- theorie sein wiirde. Jedenfalls aber lasst sich dieser Nachweis auf dem Gebiete nur der Bioekographie fiihren. Zweitens habe ich darauf aufmerksam zu machen, dass neben der Selektionstheorie auch Moritz Wagner's Migrationstheorie einige Beach tung verdient; gestehen ihr ja doch viele Darwinisten eine gewisse Berechtigung zu. Die Migrationstheorie nimmt an, dass neue Arten durch Emigranten gebildet werden, welche das Wohngebiet ihrer Vorfahren verlassen und sich anderswo ansiedeln. Zum Beweise fiir die Richtigkeit seiner Theorie fiihrt Wagner die Anordnungsweise der Wohngebiete einer Auzahl von Reihen niichst- verwandter Thierarten an. Es lasst sich nicht verkennen, dass zu Gunsten Wagner's viele Thatsachen sprechen. Andererseits glauben aber Nagelin und andere das gesellschaftliche Entstehen neuer Arten nachweisen zu konnen. Wie dem alien nun auch sei, eine bis ins einzelne gehende Kenntniss der gegenwiirtigen Anordnung der Wohngebiete der Organismenarten und -Varietaten ist Vorbe- dinguiig fur die Losung derselben, wie sie Vorbedingung ist fiir das Studium des Haushaltes der Wohnortsgenossenschaften. Zweck- massigerweise fiillt der Bioekographie die Aufgabe zu, Materialien zur Erlangung dieser Kenntniss zu sammeln. Bioekographie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 811 Ich habc dann drittens die Frage aufzuwerfen , ob wir nicht irgeiidwo auf der Erde dann und wann Gdegeiiheit finden werden, eine thatsjiclilichc Umbildung einer Organismenart zu konstatiren, sei es auch nur in ihren Antangen. Sollton jetzt wirklich iiberall die Arten und die Verhaltnisse so stabil sein, dass eine solche Hotfnung eine vergebliche ware? Wir konnen die Moglichkeit des zeitgenossischen Auftretcns neuer Thier- und Pflanzenvarietaten nicht leugnen, und nur wenn wir das gegenwartig Bestehende genau kenncn, wenn uns jede heutige Wohnungsgenossenschaft und ihr Haushalt genau l)ekannt ist, konnen wir in Zukunft die Frage entscheiden, ob und wie in der Gegenwart neue Formen entstehen, Gleichwohl bleibt die Entstehung und Umbildung der Orga- nismenarten ein historisches Problem. Nun sind aber historische Forschungen wesentlich von alien andern verschieden. Auf alien andern Gebieten konnen wir immer direkt beobachten, auf dem Gebiete der Geschichte nur selten. Xur die Menschengeschichte maclit hiervon eine theilweise Ausnahme, da ebeu der Mensch die hochstentwickelte, bestbekannte und uns am meisten interessirende Organismenart ist, die vermoge der weitgehenden Ilngleichheit ihrer Rassen und Individuen, vermoge ihrer Weltherrschaft und ihrer Migrationsfahigkeit solche Beobachtungen zulasst, Allen- falls gestatten dergleichen auch noch die Hausthiere und Kul- turpflanzen. Aber die Geschichte aller andern Organismenarteu konnen wir zumeist nur erschliessen aus methodischer Kombina- tion der Urkunden. Unter den biogenetischen Urkunden spielt aber neben der Palaeontologie und der Embryologie auch die Bioekographie eine hervorragende Ilolle. Wollen wir uns eine Vorstellung iiber die Art und Weise, auf welche neue Arten ent- stehen und sich erhalten konnen, machen, so darf uns das Leben und Treiben der heutigen Thier- und Pflanzenarten nicht uube- kannt sein. Also unbektimmert um die Moglichkeit, die Entste- hung irgend einer neuen Varietat beobachten zu konnen, mussen wir danach streben, die Bioekographie der gegenwartig lebenden Organismen zu der hochsten Vollendung zu bringen. Aber nicht nur fiir die Entstehung der Arten ist die Bioekographie von Be- deutung, auch auf den Untergang derselbeu muss sie helles Licht werfen. Den Untergang vieler Organismenarten konnen wir viel besser beobachten als die Entstehung neuer. Ich erinnere nur an Neuseeland. Dort vertilgt beispielsweise der Klee Farnkraut und Phormium, die europaische Stubentliege die Maorilliege. Ditj 812 Dr. Wilhclm Haacke, Fauna und Flora des kultivirten Neuseeland wird bald von der- jenigen Englands kaum noch zu unterscheideu sein. Wie ist nun eine so durchgreifende Umwandluiig raoglich, und wie ist das Aussterben der Organismenarten fruherer Erdepochen zu erklareu? Antwort auf diese Frage kann nur bei einer genauen Kenntniss des taglichen und jahrlichen Haushaltes der in der Jetztzeit be- stehenden Wohnortsgenossenschaften ertheilt werden. Neben der Biogenie darf auch die Stereogenie von genauerer Kenntniss der Verbreitung der Organismenarten uber die Erde noch bedeutende Forderung erwarten. Wallace bat durch seine ausgezeichneten Forschungen gezeigt, dass sich aus der Verbrei- tung der heutigen Tbier- und Pflanzenarten ziemlich sichere Schliisse auf die friihere Vertheilung von Land und Wasser ziehen lassen. Hierfur ist aber uicbt nur die blosse Kenntniss der An- ordnung der Wohngebiete erforderlich ; vielmehr niiissen wir auch ziemlich viel von dem Haushalte der Wohnortsgenossenschaften, namentlich von der aktiven und passiven Locomotion der Indivi- duen und ihren Entwickelungsstadien sowie von den jahreszeitlichen Wanderungen wissen. Trotz der grossen Anzahl der schonen Er- gebnisse, zu denen Wallace und andere schon gelangt sind, lasst sich von einer besseren Pflege der Bioekographie doch noch ein viel befriedigenderes Resultat erwarten. Sowohl Wallace wie Darwin fehlt es gegenwartig noch an einer genugenden An- zahl von Nachfolgern. Es ist indessen nicht die reine Wissenschaft allein, im Namen derer wir die Pflege der Bioekographie befiirworten. Ihre Be- deutung fur die praktischen Bestrebungen zur Befriedigung der leiblichen und geistigen Bediirfnisse der Menschheit ist nicht min- der gross als ihre wissenschaftliche Bedeutung. Die Wissenschaft ist fiir das Volk da, nicht nur fur die Gelehrten, Weun das Volk die Existenz der Gelehrten ermoglichen soli, so darf es billiger- weise verlangen, dass man ihm eine moglichst weitgehende Theil- nahme an den Wissen schaften gestattet. Geschieht das nicht, so gelangt das Volk leicht zu irrigen Anschauungen , die fiir Wissen- schaft und Gelehrte hochst verderblich werden konnen. Ich bin keineswegs ein Schwarmer fiir oberfliichliche Volksaufklaruug und die sich in unsern Tagen breitmachende Halbbildung. Ebenso- wenig kann ich die larmenden Forderungen des Volkes nach praktischer Verwerthbarkeit der Wisseuschaften billigen. Ich glaube vielmehr, dass die Lehre vom beschrilnkten Uuterthanenverstaude Bioekographie, Museenpflege uud Kolonialthierkunde. 813 vieles fiir sich hat iind nicht bios aiif politischem Gebiete An- weudung finden sollte. Aber cben desshalb behaupte ich, dass die Pflicht der Gelehrten, das Volk an der Wisseiischaft tlieil- nehmeii zu lassen, nicht in Fortfall kommt; denn die Gelehrten sind uur Beamte des Volkes. Sie haben die Pflicht, fiir die In- teressen des Volkes nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Sollen aber die Segnungen ihres besseren Wissens und Konuens dem Volke zu theil werden, so miissen die Gelehrten die leiblichen und geistigen Bediirfnisse des Volkes befriedigen. Die VVissen- schaft muss hierzu in eine lebendige Wechselwirkung mit dem Volke treten , theils durch Belehrung der Erwachsenen , theils durch das Wirkeu der Schule. Die Lehre vom beschrilnkten Unterthanenverstande hat nichts mit Volksvcrdummung zu thun. Aus der letzteren kann deu Nationen kein Gliick erwachsen. Pfaft'enherrschaft frommt niemanden mit Ausnahme der Pfaflen selbst. Die Wissenschaft muss ins Volk; aber Umstande mancherlei Art lasseu nicht jede Wissenschaft ohue weiteres dazu gelangen. Zwar haben Vertreter aller Wissenschaften manche tretilicheu Biicher fur Volksbelehrung geschrieben; aber das Lesen allein niitzt nicht. Soil die Lecture niitzen, so muss daneben die Mog- lichkeit eigenen Beobachtens gegeben sein. Xaturwissenschaftliche Lecture ohne Beobachtung schadet nur, indem sie Halbwissen er- zeugt und Dunkel. Sie lasst die Arbeit der Naturforscher viel leichter erscheinen, als sie ist, und fiihrt dazu, Unmogliches von ihm zu verlangen ; oft aber auch zu der Anklage, er behaupte, Un- mogliches beobachtet zu haben. Leider ist die Mogiichkeit eigener Beobachtung bei der Mehrzahl der Wissenschaften eine fiir Laien sehr beschrankte. Da sind zunachst Physik und Chemie. Beide bilden gewiss vortrettliche Lehrgegenstande fiir Schulen, welche die erforderlichen Lehrapparate besitzen. Auch kann der Erwachsene manches aus popularen physikalisch-chemischen Demonstrationsvortriigen lernen. Aber der einzelnen Privatperson ist es nur selteu vergonnt, sich Apparate zur Anstelluug physikalischer und chemischer Experi- mente anzuschaffeu. Ausserdem wird aber der gliickliche Besitzer solcher Apparate bald alle Experimente gemacht haben , die von Laien ausgefiihrt werden konnen. Denn zwar wird er mit Vor- theil die chemischen und physikalischen Theorien studiren ; aber auch bei diesem Studium wird er sehr bald bis zu derjenigen 814 Dr. Wilhelm Haacke, Grenze kommen , die ein Laie in der theoretischen Chemie und Physik erreichen kann. Eintritt b.aldigen Stillstaudes der Studieu ist unverraeidlich ; ist der Fortscliritt der theoretischen Physik und Chemie doch nur ein langsamer. Dem Laien ist eine stetige Beschliftigung mit irgend einem Zweige der Wissenschaft viel er- spriesslicher als ein kurzer praktischer und theoretischer Lehrgang, wie ihn die Schule schon bieten soil, mit darauf folgendem re- sultatlosem Griibeln liber die hochsten und tiefsten Probleme der Wissenschaft. Nicht viel besser als mit Physik und Chemie steht es mit der Mineralogie. Ueber eine blosse Kenntniss der ausseren Merkmale der Mineralien in seiner Sammlung koramt der Laie nicht hinaus. Eine Sammlung kann er nicht entbehren ; aber alle Sammlungen sind theuer, nehmen Raum ein und fiihren leicht zur Sammelsucht, die geistige Verkiinimerung und moralische Schiiden begiinstigt. Damit ware auch schon der Stab iiber zoologische und botanische Sammlungen gebrochen ; sie schaden mehr, als sie niitzen. Nicht im Kabinet der Laien, sondern im offentlichen Mu- seum sind sie am Platze. Laiensammlungen verleiten ihre Besitzer ausserdem nur zu oft, neue Arten aufzustellen, zum grossen Nach- theil der Wissenschaft. Physiologic der Pflanzen und Thiere soil der Laie gewiss bis zu einem bestimmten Grade keunen. Nament- lich ist die Kenntniss der menschlichen Physiologic sehr forder- lich fiir die Erhaltung der Gesundheit. Aber diese Kenntniss soil schon auf der Schule erlangt sein; der Laie kann keine physio- logischen Experimente anstellen. Auch wiirde das dem Laien zu- gitngliche Gebiet bald durchmessen sein. An der Anatomic der Thiere findet nicht jeder Geschmack; ihr Studium erfordert be- deutende technische Fertigkeiten, und zur Beschiiftigung fiir den Laien ist sie nur im geringen Grade verwerthbar. Besser steht es mit der mikroskopischen Organographie der Pflanzen ; doch kann sie dauernd nur wenige Laien befriedigen. Zu alien mikro- skopischen Beschaftigungen ist ein kostspieliges Mikroskop, zur Beobachtung der Sterne ein theures Fernrohr nothig; nicht jeder hat das Geld, sich derartige Instrumente anzuschaften. Geogenetische Studien taugen nicht fiir den Laien; er hat nicht Zeit, sich die dazu erforderlichen Specialkenntnisse anzu- eigncn, und muss sich grosstentheils auf Lecture beschriinken. Besser als alles andere ist fiir den Laien die Beschaftigung mit Geographic. Zu ihrem einheitlichen gewinnbringenden Stu- dium sind iudessen mehr Specialkenntnisse nothig, als der Laie Bioekographie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 815 sich aneignen kann. Ganz besonders fehlt die nothige eigene Anschauung ferner Liinder; zu reisen ist nur wenigen vergonnt. So werdeii sich die meisten auf das Studium der Heimath , das heisst ihrer dauerndcn Wohnsitze, beschranken miissen, und ein Schoneres giebt es wohl nicht. Aber wir diirfen nicht vergessen, dass der Laie, der sich mit Naturwissenschaften beschaftigt, nur dann wahre Befriedigung an seinem Studium finden kann, wenn es ihm vergonnt ist, eigne kleine Entdeckungen zu machen. Fiir diesen Zweck sind nun die einzelnen Theile der Geographie der Heimath von sehr verschiedenem Werthe. Stereographie und Hydro- graphie sind in den Kulturlandern schon zu bekannt. Wo sie, wie in neuerworbenen Kolonieeu , noch verhaltnissmassig unbekannt sind, konnen sie nur von den Forschungsreisenden aufgeschlossen werden. Zwar wird es tiberall in der Mineral ogie und der Ver- steinerungskunde, die ich zur Stereographie stelle, noch vieles zu thun geben ; aber interessante mineralogische und palaeontologische Lokalitaten sind zu vereinzelt. Wo sie vorkommen, mag sich allerdings der Laie am Sammehi von Mineralien und Versteine- rungen betheiligen; doch ist es viel besser, wenn er seine Funde nicht der eigenen Sammlung, sondern der Wissenschaft zu Gute kommen lasst. So aber hat der Sammler fiir sich selber keinen dauernden Gewinn. Die Aerographie ist auch schon fast tiberall im Grossen und Ganzen bekannt. Allerdings konnen Laien in den jungfraulichen Landern noch manches fiir sie thun; nicht aber konnen sie die Theorie derselben meistern. Ohne ein Eingehen auf die letztere wird aber die Beschaftigung mit Aerographie bald langweilig. So bleibt schliesslich nur die Biographie iibrig. Aber auch von dieser ist, wie wir schon oben nachgewiesen haben, der bionto- graphische Theil nur in geringem Grade geeignet, die Musse- stunden der Laien mit gewinnbringender Thatigkeit auszufiillen. Dagegen ist die Bioekographie mehr als alle andern Wissenschaften geeignet, die Aufmerksamkeit eines jeden zu fesseln. Wer sich die Erforschung des Haushaltes auch nur einer einzigen Thierart zur Aufgabe gestellt hat, kann lebenslange Beschaftigung daran finden. Einseitig kann das Studium des Naturhaushaltes nicht machen, auch wenn nur eine einzige Organismenart der Haupt- gegenstand desselben ist. Denn die tausendfachen Beziehungen jeder Thier- und Pflanzenart zur iibrigen Natur sind so mannig- faltig, dass sie dazu nothigen, auf eine lange Reihe begleitender Erscheinungen die Aufmerksamkeit zu richten. An massenhaftem Bd. XIX. N. F. XII. 54 816 Dr. VVilhelm Haacke, Material zu bioekographischen Studieii fehlt es nirgends. Fiir jeden, der Geschmack an ihnen findet, ist iiberreichlich gesorgt. In Hiille und Fulle lassen sich hier neue Entdeckungen machen. Dass aber Beobachtungen iiber den Naturhaushalt einen unvvider- stehlichen Reiz haben auch fiir viele Laien, beweist die grosse Anzahl der letzteren, die auf bioekographischem Gebiete be- obachten. Zu solcben Beobachtungen ist kein grosser Apparat von Instrumenten erforderlich ; man kann sie machen, wie man geht und steht. Fiir die Beobachtung des Entfernten geniigt ein billiges Fernrohr; wer das Leben des Kleinen belauschen will, kommt mit einer Taschenlupe oder, wem eine solche nicht geniigt, mit eiuem billigen Mikroskope aus. In den allermeisteu Fallen aber geniigen die fiinf Sinne. Ein Notizbuch zur Eintragung der Beobachtungen kann jeder erschwingen. Im Hause, im Garten, auf Spaziergangen, zu jeder Tages- und Jahreszeit konnen bioeko- graphische Beobachtungen und Entdeckungen gemacht werdeu. So gross wie das Gebiet der Bioekographie ist, so leicht ist es fiir jeden zuganglich; wer sich mit ihm beschaftigen will, wird der Wissenschaft niitzen und fiir Geist und Gemiith den reichsten Gewinn ziehen. Nicht auf diesem Gebiete lauert im Hintergrunde die graue Theorie; es ladet des Lebens goldener Baum mit leuch- tendem Griin den Wanderer ein, unter seinem Dache Platz zu nehmen. In der That ist das blosse Beobachten des Naturhaus- haltes so fesselnd, dass man zunachst an Theorie kaum denkt. Die Theorie ist nicht Sache der Laien, wenn sie auch der Wissen- schaft, in det Bioekographie wie in anderen Gebieten, unentbehrlich ist. Unentbehrlich ist sie auch fiir das Laienstudium der meisten andern Wissenschaften, soil die Beschaftigung mit denselben nicht bald alles Interesse verlieren. Aber die meisten Laien wollen zu- nachst keine Theorie, es sei denn, sie ergabe sich unmittelbar aus der Beobachtung. Das ist nun in hervorragendem Maasse bei der Bioekographie der Fall. Ich spreche natiirlich nicht von den bionomischen Gesetzen. Schwieriger als die wissenschaftliche Er- forschung der Gesetze des Lebens ist keine andere. Aber wahrend in fast alien andern Wissenschaften der Laie schon sehr bald auf das nur dem Fachmanne zugangliche Gebiet der Naturgesetze stosst, liegt dasselbe bei der Bioekographie im fernsten Hinter- grunde. Das ist eben bedingt durch die beispiellose Mannigfaltig- keit der bioekographischen Erscheinungeu , die dem Laien auch ohne Naturgesetzkunde so viel des luteressauteu zu beobachten gebeu, dass er nicht ruhen noch rasten mag. Dagegeu ist die Bioekographie, Mnseenpflegc und Eolonialthierkunde. 317 Mannigfaltigkeit der Erscheinungen auf anderen Gebieten eine ver- haltnissmassig gcringe. Der Laie sieht, dass er ohne Theorie nicht auskommt, und muss unbefriedigt Halt machen; denn was vou Theorie fiir ihu taugt, ist bald bewaltigt. So giebt es also keine Wissenscliaft, welche auch nur im Ent- ferntestcn der Bioekographie gleichgestellt werden konnte als ein Gebiet lehrreicher und fesselnder Beschaftigung fiir den Laien. Was wir aber erwarten diirfen, wenn wir das Volk zur Beschaftigung mit dieser Wissenschaft anhalten, kann uns bei einigem Nach- deuken nicht unklar bleiben. Dadurch, dass die Beschaftigung mit dem Haushalte der Thiere und Pfianzeu etwas Besseres an die Stelle der Laicnsamra- lungen setzt, die vveder zu Geist noch zu Gemiith sprechen, wird sie die bei Laien vielfach anzutreffende zwecklose Sammelsucht wesentlich herabmindern. Sie wird mehr und mehr das Anlegen von nur solchen Sammlungen begunstigen, welche ausschliesslich als Hiilfsmittel zu bioekographischen Beobachtungen dienen soUen. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass derjenige Sammel- cifer, der sich nur an dem Besitz von so und so viel trockenen Pflanzen, Conchylien, Insekten oder Eischalen erfreut, nicht nur geistige sondern auch moralische Defekte wenn nicht zu erzeugen, so doch auszubilden im hochsten Grade geeignet ist. Dass ich Recht habe, werden mir viele erfahrene Museumsdirektoren be- statigen konnen. Es giebt sehr viele Museumsdirektoren, die prin- cipiell niemanden mit den Sammlungen der Museen allein lassen, am allerwenigsten Besitzer von Naturaliensammlungen. Durch Vernachlassigung der nothigen Vorsicht ist schon manches werth- volle Sammlungsstuck spurlos verschwunden. Wollen wir aber den Sammeltrieb in segenbringende Bahnen lenken, so miissen wir den Laien anhalten, nur solche Thiere und Pflanzen zu sammeln, iiber deren Leben und Verbreitung er Beobachtungen anstellen kann. Der Laie wird bald finden, dass solches Sammeln unendlich mehr Befriedigung gewahrt als das Anhaufen von alien moglichen Raritaten aus alien moglichen Weltgegenden ; von Raritaten, iiber die er nur weiss, dass sie schon aussehen und an Geld so und so viel werth sind. Denjenigen Laien, welche sich an dem Besitz einer Menge von bun ten und theuren Sammlungsstiicken erfreuen, stehen die- jenigen gegeniiber, die durch fleissiges Sammeln die Gelegenheit herbeizufiihren suchen, dann und wann eine noch unbeschriebene Thier- oder Pflanzenart zu erbeuten, urn sie dann selber zu be- 54 * 818 Dr. Wilhelm Haacke, schreiben. Dem Fachmanne ist es genugsam bekannt, welche unnothige Verwirrung durch unbemfene Speciesmacherei herbei- gefiihrt wird. Eine Aenderung des gegenwartigen Zustandes un- befugter Aufstellung von neuen Arten seitens dilettantischer Laien wird sich aber nur dann herbeifiihren lassen, wenn dem Laien gezeigt wird, wie viel Werthvolleres er leisten kann, wenn er die Speciesfabrikation unterlasst, um dafiir Beobachtungen uber Thier- und Pflanzenleben zu machen. Wird das Volk in ausgedehnter Weise zur Beschaftigung mit Bioekographie und dadurch zu lebendiger Theilnahme an der Wissenschaft herangezogen, lernt es selbst Beobachtungen machen und die Schwierigkeiten derselben wurdigen, so wird es auch be- scheidener in seinen Forderungen den Forschern gegeniiber werden. Es wird die Wissenschaft nicht gleich fur unniitz erklaren, wenn der Forscher nicht ohne weiteres den Grund irgend welchen Uebels Oder Mittel zu seiner Bekampfung angeben kann. Auch wird es denjenigen Forscher nicht fur einen Dummkopf erklaren, der nicht alle und jede Frage gleich beantworten kann. Schon mancher Zoologe und Botaniker hat es zu seinem Nachtheile erleben miissen, dass das Publikum, well er nicht den Namen dieses oder jenes Pflanzchens oder Thierchens wusste, ihm seine Stellung wesentlich erschwert hat. Ein besonders wichtiger Grund, wesshalb das Volk zu Stu- dien iiber Naturhaushalt angehalten werden sollte, liegt darin, dass solche Studien ganz vorziiglich geeignet sind, die utopischen Ideen des Socialismus zu bekampfen. Wer dem bestandigen Kampfe in der Natur, dem Kampfe der Organismen mit den Elementen, die Konkurrenz zwischen Pflanze und Pflanze, Thier und Thier kennt, der weiss, dass nothwendigerweise eine Anzahl von Orga- nismen bluhen und gedeihen und andere darben und zu Grunde gehen miissen, und dass sich an diesem Zustande nichts andern lasst. Wer durch diese Kenntniss vorbereitet ist, dem kann es nicht entgehen, dass es auch unter den Menschen nicht anders sein kann. Solche Kenntniss muss dazu fiihren, sich in die be- stehenden Verhaltnisse so gut wie moglich zu schicken, das Er- reichbare anzustreben und dem Unerreichbaren nicht ferner nach- zujagen, sich auch von der Zwecklossigkeit pessimistischer Griibe- leien zu iiberzeugen. Der Socialismus steht in enger Verbindung mit der vaterlands- feindlichen Internationale. Durch seine Bekampfung wird indirekt Patriotismus gcfordert, und ein wirksamcs Mittel zu derselben Bioekographie, Museenpflegc uud Kolonialthierknnde. 319 giebt die Bioekographie an die Hand. Aber nicht nur indirekt fordert die Bioekographie die Vaterlandsliebe. Vielmehr ist die letztere eine der direkten Folgen der Beschiiftigung mit der heimathlichen Natur. Wer sich in die Natur seiner Heimath ein- gelebt hat, bei dem ist Liebe zu derselben und zu dem grosseren Vaterlaude unmittelbare Folge. Verlasst aber jemand sein Vater- land, um sich in den Kolonieen seines Volkes niederzulassen, so wird er sich schnell dort einbiirgern, wenn er sich bcstrebt, mit der Thier- und Pflanzenwelt seiner neuen Heimath sich auf ver- trauten Fuss zu stellen. Die durch Beschaftigung mit der Bioekographie erzeugte Liebe zur Heimath wird endlich den Wunsch herbeifiihren , die Naturschonheiten derselben erhalten zu sehen. Naturschutz zu predigen ist unniitz, wo Kenntniss der Natur fehlt. Wo sie aber vorhanden ist, ist das Naturschutzpredigen ziemlich iiberfliissig. Wer die heimathliche Natur kennt und liebt , wird sie auch schiitzen. Natiirlich werden sich verhaltnissmassig nur wenige aus dem Volke mit Naturstudien beschaftigen konnen. Aber diese wenigen werden auf die iibrigen einwirken. Sie werden zu Mitkampfern der Naturforscher von Fach fiir alles dasjenige, was durch Kennt- niss des Naturhaushaltes gefordert werden kann und soil, :gegen alles dasjenige, was zu unterdrucken ist und an dessen Bekampfung die Bioekographie theilnehmen kann. Vor alien Dingen ist nun schon die Jugend zur Beobachtung des Naturhaushaltes anzuleiten; nicht nur wegen der Griinde, die die Beschaftigung des Volkes mit Bioekographie wtinschenswerth erscheinen lassen. Auf dem Gebiete der Jugenderziehung giebt es vieles zu andern, und den sich hier geltend machenden Keform- bestrebungen kann die Bioekographie in hervorragender Weise dienen. Von alien Seiten hort man Klagen iiber die Ueberbtirdung der Schulen mit nutzlosen Arbeiten. Die Ueberbtirdung, die sich nun einmal nicht leugnen lasst, wird aber wesentlich bedingt durch die viel zu grosse Anzahl der Unterrichtsgegenstande. Die meisten der letzteren lassen sich aber nicht einfach streichen, ohne dadurch der Erziehung eine einseitige Richtung zu geben. Viel- mehr ist die Verschmelzung der vielen Unterrichtsgegenstande zu einigen wenigen, also eine grossere Centralisation derselben anzu- streben. So ist nach meiner Ansicht der physikalische mit dem chemischen Unterricht zu vereinigen und in beiden das jetzt 820 ^'■' Wilhelm Haacke, beliebte Eingehen auf alles Mogliche thunlichst zu reduciren. Ganz das Gleiche gilt vom geographischen und naturbeschreibenden Unterrichte. Beide miissen zu einer einheitlichen Naturkunde der Heimath verschraelzen, an die sich eine allgemeine Lander- und Volkerkunde der Erde zu schliessen hat. Geographischen und biographischen Betrachtungen raag kurz vor Abschluss des hoheren Schulstudiums ein Weilchen gegonnt sein; aber die jiingeren Schuler sind zu ihrem Verstandniss nicht geniigend vorbereitet. Zu verbannen ist vor alien Dingen das Ueberbiirden der jugend- lichen Gedachtnisse mit einer Unmenge von Einzelheiten. Wer nur eine Menge von Fluss-, Gebirgs- und Stadtenamen und von lateinisch - griechisehen Thier- und Pflanzennamen hersagen kann, ist vom Verstandniss der Geographie und der Biologie noch sehr weit entfernt. Wer sich aber ein allgemeines Verstandniss dieser Disciplinen angeignet hat, dem ist es ein Leichtes, sich Special- kenntnisse zu erwerben, sobald dieselben nothig werden. Aufgabe der Schule ist es nicht, unzusammenhangende Einzelheiten zu lehren. Wird die Geographie in derjenigen Begrenzung — und Er- weiterung — , welche ich ihr in dieser Schrift gegeben habe, als einheitliche Wissenschaft gelehrt, so werden die schonsten Resul- tate nicht ausbleiben. Ein abgesonderter zoologischer , minera- logischer und botanischer Unterricht kann dann ganz fortfallen. Specielle Rathschlage zu ertheilen ist nicht meines Berufs; nur mochte ich auf die Bedeutung hinweisen, die besonders die Bioeko- graphie vermoge ihrer centralen Stellung fur einen einheitlichen geographischen Unterricht besitzt. Wer Thier- und Pflanzenhaus- halt beobachten will, muss auch auf Stereographie, Hydrographie und Aerographie Riicksicht nehmen und wird darauf vorbereitet, auch das Lebcn der Volker von gleichen Gesichtspunkten aus zu betrachten. Die Bioekographie besitzt aber desshalb eine so grosse Bedeutung fiir den Jugendunterricht, weil sie den Schiller auf ein Gebiet fiihrt, auf welchem er selbst Beobachtuugen anstellen kann. Der bioekographische Unterricht verlangt nicht die leidige Ilaus- arbeit, die so manches junge Leben verkiimmern lasst und ver- bittert. Man weise die Jugend hier auf das wundervoUe Getriebe der Natur; man lehre den Schuler, seine Sinne zu gebrauchcn, und man wird nicht feruer nothig haben, ihn zur hiiuslichen Ver- arbeitung des in der Schule Gelernten zu zwingen. Ganz von selbst wird der Schuler eigene Studien treiben und dadurch das in der Schule Gelcrnte befestigeu. Ein seiches Wcchselwirken von Bioekographie, Maseenpflegc uiid Koloiiialthicrkuiide. 821 Schulunterricht und Privatarbeit des Schulers kann nur die segens- reichsten Folgen liaben. Namentlicb wird ein solclies naturkund- liches Studium dem Schiiler weniger als Arbeit denn als eiiie interessante Ausfiillung seiner Freizeit erscheinen. Und nicbt in die dumpfe Arbeitsstube baunt sie das licht- und luftbcdiirftige junge Menschenleben. Sie fiihrt die von der Schulluft Ange- krankelten hinaus ins Freie, in Waldesduft und Wiesengriin, wo Gottes Natur ewig waltet. Abgesehen von aller Bedeutung, welche die Bioekographie fiir Gesamratwissensehaft , Volkserziehung und Jugendunterricht hat, kommt derselben cine eminente Wichtigkeit fiir die Nutzbar- machung der Natur zu. Es liegt auf der Hand, wie das Ver- standniss des Naturhaushaltes zu einer zweckmassigen Bewirth- schaftung des Waldes, Feldes und Wassers fuhren muss. Auch auf die Ausbeutung der Meeresprodukte kann eine Kenntniss der bioekographischen Verhaltnisse des Meeres nicht ohne ntitzliche Wirkung sein. Wollen wir die Ertragsfahigkeit des Waldes an Brcnn- und Nutzholz und des Feldes und der Wiese an Nahrung fiir Mensch und Hausthiere auf das Hochste steigern und dauernd erhalten, so darf uns die Kenntniss der betreflfenden bioeko- graphischen Verhaltnisse nicht verborgen sein. Ganz dasselbe gilt von der Erhaltung des Wildstandes, von der Bekampfung schadlicher, von der Erhaltung niitzlicher Thiere. Aber auch der dauernde Ertrag unserer Fliisse und Bache, Seen und Teiche an Fischen und Krebsen ist in hohem Grade von einer verniinftigen Ausbeutung abhangig. Zu der letzteren kann aber einzig und allein das Studium der Bioekographie fuhren. Aehnliches gilt von der Befischung des Meeres. Wie grossen Schaden die Un- keuntniss der Bioekographie schon dem Walfischfange und der Austern - und Perlmuschelfischerei gebracht hat , ist nur zu be- kannt. Auch mochte ich auf die Hiilfe hinweisen, welche bioeko- graphischeKenntnissekolonisatorischen Bestrebungen bieten konnen. Schon zu oft hat man bei Griindung neuer Kolonien alien Gesetzen der Natur Hohn gesprochen. Vandalische Vernichtung der be- stehenden Pflanzengemeinden jungfraulicher Lander hat haufig Unfruchtbarkeit des Bodens zur Folge gehabt. Riicksichtslose Ausbeutung der Naturprodukte hat schon in manchen Kolonieen deren Ausfuhr wesentlich herabgemindert. Auch hier lehrt die Bioekographie, wie durch weises Maasshalten dauernde Ertrags- fahigkeit gesichert warden kann. 822 ^^- Wilhelm Haacke, Endlich muss ich noch kurz das Verhaltniss der Bioekographie zur Hygieine beriihren. Die Lebensbedingungen der Organismen, welche die Trager vieler Krankheiten sind, sind von der Bioeko- graphie zu erforschen. Besonders hat dieselbe auf das Verhalten jener Organismen ausserhalb des menschlichen Korpers ihr Augen- merk zu richten. Durch eine genaue Kenntniss ihrer Lebens- bedingungen werden sich viele Krankheiten erfolgreich bekampfen lassen. Auf einen Irrthum, dem Laien leicht anheimfallen, mochte ich hier noch kurz eingehen. Die meisten Laien bemessen den Werth einer Wissenschaft nach ihrer praktischen Bedeutung. Sie werden den praktischen Werth der Bioekographie nicht leugnen konnen; aber sie werden vielleicht sagen, dass nur solche ihrer Theile zu bearbeiten seien, welche praktische Bedeutung haben. Das ware nun ein sehr verkehrtes Handeln; denn einerseits lassen sich die praktisch wichtigen Theile irgend einer Wissenschaft nicht scharf von den iibrigen sondern, andererseits aber kommt die sorgfaltige Bearbeitung irgend eines Zweiges einer Wissenschaft alien andem Zweigen derselben zu Gute. So ist es bei alien Wissenschaften ; so ist es bei der Bioekographie. Soil dieselbe tiberhaupt von irgendwelchem Nutzen sein, so ist sie von vornherein in alien ihren Theilen gleichmassig zu bearbeiten. Wie dieses zu ge- schehen hat, werden wir im Folgenden sehen. Um die Bioekographie zu derjenigen Vollendung zu bringeu, auf welcher es ihr moglich sein wird, Licht auf bis jetzt noch dunkle wissenschaftliche Fragen zu werfen und den geistigeu und korperlichen Bediirfnissen der Menschheit zu dienen, ist zweierlei nothig; erstens die sorgfaltigste Saramlung des ausgedehntesten Beobachtungsmaterials und zweitens eine zweckmassige Behand- lung und Diskussion desselben. Die Ausdehnung, welche die Sammlung des Materials anzunehmen hat, sowie die Methode, auf welche es zu diskutiren ist, mag das Beispiel einer uordfriesischen Austernbank lehren, wobei wir uns der bewiihrten Fuhruug von Karl Moebius anvertrauen wollen. Die Lectiire von Moebius' Buch uber „Die Auster und die Austernwirthschaft" (Berlin, 1877) ist jedem zu empfehlen, der sich uber die Bedeutung und das Wesen der Bioekographie orientiren will. Wollen wir die Bioeko- graphie einer uordfriesischen Austernbank verstehen, so rnussen wir nicht nur die Anzahl der lebenden Austcrn, welche wir auf ihr finden, sondern audi die Anzahl der Individuen jeder andern Thierart, deren Vertreter die Austernbank bewohnen, feststellen. Bioekographie, Museenpflcgc und Kolonialthicrkunde. §23 Da finden wir Taschenkrcbse (Carcinus maenas), Ilornerkrebse (Hyas aranea) und Einsiedlerkrebse (Pagurus bernhardus). Von Stammesgenossen der Auster treffen wir an Wellhornschnccken (Buccinum undatum), Miesmuscheln (Mytilus cdulis) und Herz- muscheln (Cordium edule). Die Stachelliauter sind durcli Seeigel (Echinus miliaris) und Seesterne (Asteracanthion rubens), die Wiirmer durch Sandsollen (Sabellaria anglica), Rohrenwiirmer (Pomatoceros triqueter) und andere vertreten. Ausserdem finden wir eine Menge anderer Thiere, wie Austernpocken, Moosthierchen, Schwiimme und Polypen. Auch Fische werden haufig auf Austern- banken gefangen. Von Pflanzon finden wir Seegras und Algen verscliiedener Art. Diese ganze grosse Gesellschaft ist nun ab- hiingig von den Eigenschaften und Veriinderungen der Stereogaea, Hydrogaea und Aerogaea ihres Wohnortes. Nicht minder hangt der Bestand dieser Biogaea von demjenigen ihrer einzelnen Com- ponenten ab. Wird die Anzahl der Individuen irgend einer die Austernbank bewohnenden Thierart grosser oder kleiner, so andert sich auch das Zahlenverhaltniss der Individuen aller iibrigen die Austernbank bewohnenden Thierarten. Wollen wir also das Leben auf der Austernbank verstehen, so mussen wir einerseits die In- dividuenzahl aller die Austernbank bewohnenden Organismenarten — und zwar fiir alle Lebensperioden, denn die Anzahl der Eier und Jungen ist weit grosser als die der erwachsenen Individuen — statistisch feststellen, andererseits aber erforschen, von welchen Zustanden der Stereogaea, Hydrogaea und Aerogaea die Bewegung der Bevolkerung auf der Austernbank abhangig ist. Wie mit den Austernbanken so ist es aber auch mit irgend einer anderen Bio- gaea irgend eines andern Geomers. Ueberall hat — neben der Beobachtung der Lebensweise der einzelnen Thiere und Pflanzen! — eine statistische Behandlung des Materials mit Beriicksichtigung der stereographischen, hydrographischen und aerographischen Ver- haltnisse, eine statistische Behandlung, die sich iiber alle Jahres- zeiten und iiber alle Entwickelungszustande der einzelnen Or- ganismenarten erstreckt, statt zu finden. Nicht nur die Parabioeko- graphie, sondern auch die Anabioekographie ist statistisch zu behandeln. Nicht bios hier und dort, sondern fiir jeden zuganglichen Geomer hat dieses zu gescheheu. Eine solche statistische Bearbeitung des bioekographischen Materials kann aber nur dann stattfinden, wenn die einzelnen Thier- und Pflauzenarten und Varietaten des zu erforschenden Geomers genau bekaunt und auf unzweideutigc Weise beschrieben 824 Dr. Wilhelm Haacke, sind. Sonst ist Verwirrung unausbleiblich. Ehe wir also, beispiels- weise bei der bioekographischen Erforschung von Neu-Guinea, an die eigentliche Arbeit gehen konnen, miissen die Organismenarten der grossen Insel und die Varietaten derselben bekannt sein. Auch miissen die Artbeschreibungen gesammelt, fiir Nichtspccialisten bearbeitet und in handlicher Form zugiinglich gemacht wcrden. Ist das geschehen, dann muss ein Heer von bioekograpliischen Arbeitern geworben und organisirt werden. Planvolles Vorgehen ist auf dem Gebiete der Bioekographie ebenso unerlasslich wie auf demjenigen etwa der Aerographie. Das haben beispielsweise die Ornithologen schon lange erkannt, die dabei sind, an alien Orten der bewohnten Erde Beobachter zu gewinnen und jcdem seine Arbeit zuzuertheilen. Dieses lobliche Vorgehen der Ornitho- logie sollte auch auf alien anderen Gebieten der Biographie nach- geahmt werden. Die Ornithologen haben gefunden, dass ihre eigene Anzahl nicht ausreicht, um Beobachtungsmaterial in ge- niigender Menge zu beschaflfen; desshalb wenden sie sich an in- telligente Laien, ihnen zu Hiilfe zu kommen. Auch dieses wird die Bioekographie nachahmen mussen. Sie wird nicht nur Bioeko- graphen von Each heranbilden miissen, sondern auch eine grosse Anzahl von Hiilfsarbeitern unter den Laien aller Erdtheile zu gewinnen suchen. Zunachst wird das schon fiir die Sammlung der noch unbeschriebenen Thier- und Pflanzenarten gelten. Es ist nothig, dass alle Arbeiter an dem Platze, an welchem sie Material sammeln , ansiissig sind. Reisende haben nicht die Zeit zu bioekographischen Beobachtungen, und in erhohtem Maasse gilt dieses fiir Expeditionen, wie ich aus eigener Erfahrung weiss. Ausserdem ist es nothwendig, dass Centralstatten fiir die Sammlung des Beobachtungsmateriales eingerichtet werden. Die Vorstiinde dieser Stationen haben die iibrigen Beobachter zu con- trolliren, diese sich bei jenen Raths zu erholen. In den Stationen miissen Sammlungen zur Information der Beobachter aufgcstellt sein. Dass sich zu solchen Stationen am besten die naturkund- lichen Museen eignen, wird aus dem folgenden Abschnitte hervor- gehen. Aber die Zahl der Museen ist zu gering. In neugegrundeten Kolonieen und uncivilisirten Landern fehlen sie ganz. Dass auch hicr Stationen errichtet werden miissen, ehe die urspriinglichen bioekographischen Verhiiltnisse zu sehr durch die Kultur gestort sind, liegt auf der Hand. Was zunachst in neugegriindeten Ko- lonieen zu geschehen hat, werde ich fiir die Zoologie in dem Auf- satze iiber Kolonialthierkunde zu zcigen versuchen. Bioekographie, Museenpflege und Knlonialthierkunde. 825 Mit dcr Organisation eines Heeres von Beobachtern und der Einrichtung von bioekographischen Stationen hat dann audi die SchaflFung einer leicht zugiinglichen bioekographischen Literatur Hand in Hand zu gehen. Vor allem sind bioekographische Zeit- schriften zu griinden und statistische Verzeichnisse aufzustellen. Die jetzt tiblichen Faunen- und Floreuverzeichnisse sind durchaus ungenugend. Spcciellere Vorschlilge fiir die Griindung einer zoo- logischen Kolonialliteratur werde ich an passender Stella niir zu niachen erlauben. Schliesslich wird man auf die zweckmassigsten Mittel sinnen miissen , dem Volk, dem Lchrer, dem Praktiker die Resultate bioekographischer Forschung leicht zuganglich zu machen. Dieses hat zu gescheheu gleichfalls durch die Museen, durch die er- wahnten Stationen und durch die Literatur. Ich komme uoch ge- legentlich darauf zuriick. Die Bioekographie wird unerwartete wissenschaftliche Auf- schliisse liefern ; in unerwarteter Weise wird sie ein Mittel an die Hand geben zur lebendigen Wechselwirkung von Laien und Ge- lehrten, Lehrern und Schiilern, von Theorie und Praxis. Soil sie aber zu vvahrer Bliithe gelangen, so miissen meine Vorschlage, die vielleicht manchem unerwartet kommen, im Grossen und Ganzen ausgefiihrt werdeu. Dass dieses bei gutem Willen aller Interessirten moglich ist, daran zvveifle ich nicht. Aufgabc und Einrichtung der naturkundUchen Museen und die Organisation des Museenwesens. Die naturkundlichen Museen der Gegenwart leisten nicht das, was sie leisten konnten. Sie sollen die Wissenschaft fordern und das Volk belehren; aber in beiden Beziehungen entsprecheu sie nicht dem Aufwande an Mitteln, der zu ihrer Erhaltung gemacht wird. Die Schattenseiten des heutigen naturkundlichen Museen- wesens sind zu bekannt, als dass ich sie namhaft zu machen brauchte; auch will ich nicht tadeln, sondern Vorschlage zur Re- form machen. Der Grund des mangelhaften Zustandes des Museenwesens liegt an dem geringen Interesse, welches der moderne Staat dem- selben zuwendet. Zwar giebt es eine Reihe staatlicher Museen 826 Dr. Wilhelm Haacke, fiir Naturkunde; aber cs fehlt fast ganz an einer cinheitlichen sachkuudigen Ceutralleitung. Ueber Beeintriichtigung der Freiheit der Wissenschaft komien sich, wenigstens im continentalen Europa, die Museums-Directoren nicht beklagen; so ziemlich jeder macht mit seinem Museum, was er will. Ob das dem Museumswesen im Ganzen zu statten gekommen ist, ist eine Frage, die ich wenigstens verneinen mochte. Nach meiner Ansicht werden nur dann die Museen ihrer Aufgabe geniigen konnen, wenn der Staat sie unter seine Botmassigkeit bringt. Man darf nicht vergessen, dass die Museen nicht fiir ihre Directoren, sondern far Forscher und Volk da sind. Sie dienen der Wissenschaft und der Volks- belehrung; eine Organisation und Beaufsichtigung des Museen- wesens ist deshalb nicht weniger gerechtfertigt und nicht weniger nothig als die Organisation und Beaufsichtigung des Kulturwesens iiberhaupt. Der erste Schritt, den der Staat zur Reorganisation des Museenwesens zu unternehmen haben wurde, wird in einer Klassi- fication der Museen bestehen miissen. Vorbedingung hierzu ist die Feststellung des Begriffes eines naturkundlichen Museums. Zum Zvvecke dieser Begriffsbestimmung sind zuniichst eine Reihe von Sammlungen auszuschliessen, welche nicht mit den Museen verwechselt werden dtirfen. Es sind dieses die Unterrichtssamm- lungen, die Sammlungen der Universitaten und anderer Lehr- anstalten. Sie sollen dem Lehrer nur Material zur Illustration seiner Vortrage an die Hand geben; aus diesem Grunde muss es dem Lehrer uberlassen bleiben, sie nach eigenem Gutdunken zu- sammenzustellen. Die Lehrfreiheit darf in keiner Weise beein- trachtigt werden. Nur ist der Lehrer anzuhalten, sich uberhaupt eine Unterrichtssammlung zusammenzustellen und nicht etwa ein Museum, dessen Director er ist, als Unterrichtssammlung zu be- nutzeu. Die Museen sollten Aufgaben dienen, die, wie heute nun einmal die Sache steht, hiiufig nicht den personlichen Liebhabercien ihrer Directoren entsprechen, Ich will das Recht der Museums- Directoren, sich auf Staatskosten eine Sammlung zu Unterrichts- zwecken und zu eigenen Forschungen anzulegen, durchaus nicht geschmillert sehen ; aber ich will nicht, dass die Sammlungen des Museums der wissenschaftlichen Richtung und dem personlichen Geschmack des Direktors gemiiss sich gestalten. Das Museum muss durchaus auf eigenen Fiissen stehen und einen eigenen Etat besitzen; Unterrichtssammlungen und Sammlungen, die ausschlicss- lich den Studien des Directors dienen, miissen streug von ihm Bioekographie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 827 gesondert werden. Natiirlich ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass etwa ein Universitiitsprofessor Director eines Museums sein kann. Die Museen konnen ihren beiden Aufgaben, nanilich der For- derung wissenschaftlicher Forschung und der Belehrung des Volkes nur danii voll und ganz geniigen , wenn sie Sammlungen zur Illustration von Vortriigen vollstandig aus ihrem Bereiche aus- sondern, dafiir aber sich je nach ihrer geographischen Lage ganz bestimmte Aufgaben stellen. Sie miissen sich vor alien Dingen in Museen verschiedener Ordnung sondern. Vier Ordnungen von Museen diirften dem Bedurfnisse der Gegenvvart geniigen. Die Museen jeder Ordnung sollen sowohl den Zwecken der Forschung wie der Belehrung des Volkes dienen ; namentlich sollen sie das letztere auch anhalten, sich in dem im vorhergehenden Aufsatze entwickelten Sinne aktiv an der Pflege der Naturkunde zu betheiligen. Sammtlichen vier Ordnungen von Museen muss deshalb ein Zug gemeinsam sein, die Sonderung der Sammlung in zwei Hauptabtheilungen, in eine fiir wissenschaftliche Forschung und in eine zweite fiir Belehrung des Volkes. Diese letztere darf nicht ein Congiomerat von allem Moglichen sein ; vielmehr muss sie eine mit padagogischem Takte gemachte Auswahl und getrofifene Zusammenstellung desjenigen bieten, das besonders fiir Volks- belehrung geeignet erscheint. Ein Volksmuseum ist einem Lehr- buche zu vergleichen. Wie in dem letztern aus der Fiille des zu Gebote stehenden Stoffes eine gleichmassige und sorgfaltige Aus- wahl getroffen sein soil, so muss auch ein populares Museum aus der Fiille der ihm zu Gebote stehenden mannigfachen Sammlungs- gegenstande die sorgfaltigste Auswahl treffen. Wie in dem Lehr- buche jedes Kapitel mit gleicher Liebe zu behandeln ist, so ist auch die moglichste Gleichheit in der relativen VoUstandigkeit der einzelnen Abtheilungen des offentlichen Museums anzustreben. Vor allem ist es nothig, dass im Museum wie im Lehrbuche der Stotf, in verschiedene Rubriken gesondert, von verschiedenen Seiten beleuchtet wird. Wie ich mir die Einrichtung eines zoologischen Museums, das dem Volke geoffuet ist, denke, will ich kurz dar- legen. Bei der Auswahl der auszustellenden Exemplare aus der Ge- sammtcollection des Museums wiirde ich weniger auf ihre Selten- heit als auf ihren padagogischen Werth Gewicht legen ; vor allem wiirde ich aber ein weises Maasshalten empfehlen. Es kommt 828 I>r- Wilhelm Haacke, nicht darauf an, dem Volke die Reichhaltigkeit der aufgespeicherten SammluDg zu zeigen, sender darauf, ihm gewinnbringende Einsicht in die Wissenschaft zu ermoglichen. Deshalb ist auch in einem Museum das Princip non multa sed multum zu befolgen. Es ist durchaus nicht nothig, dem Volke eine Reihe Gestalten zu zeigen, deren jede von der andern verschieden ist; vielmehr ist es zweckmiissig, dieselben Beispiele in verschiedenen Combinationen vorzufiihren. Dadurch wird dem Volke eine Einsicht in das Wesen der Wissenschaft bedeutend erleichtert ; die Beispiele miissen ihm gelaufig werden, Ich schlage vor, in jedem Volksmuseum zwei Abtheilungen zu bilden, eine, die einen Ueberblick uber die Zweige der Wissenschaft giebt, und eine andere, die einen Ueber- blick iiber das von der Wissenschaft zu bearbeitende Material giebt. Beide Abtheilungen sind in Unterabtheilungen zu zerfallen, wodurch eben eine mehrfache Verwerthung derselben Beispiele er- moglicht wird. Von solchen Unterabtheilungen wurde ich in der ersten Hauptabtheilung eines zoologischen Museums etwa zunachst vier unterscheiden , entsprechend meiner Eintheilung der Bio- graphic. In der ersten Unterabtheilung , der parabiontographischen, wiirde ich an passenden Beispielen aus alien Thierklassen die Zu- sammensetzung der thierischen Individuen aus untergeordneten Individuen, aus Organsystemen , Organen, Geweben und Zellen zur Anschauung zu bringen suchen. Ich wiirde hierbei sowohl das unentwickelte wie das ausgebildete Individuum beriicksich- tigen. Wo mir naturlich Praparate fehlen, oder wo sie zu klein sind, wiirde ich zu Abbildungen und besonders zu Mo- dellen meine Zuflucht nehmen und iiberhaupt zu alien Hiilfs- mitteln, die sich in der Lehrpraxis bewiihrt haben und in einem Museum angewendet werden konnen. Das Material wiirde ein- mal entsprechend der Unterscheidung verschiedenartiger Indi- viduen und verschieden funktionnirender Organe und Organsysteme zu ordnen sein; eine nebenhergehende Abtheilung sollte dagegen fiir jede als Beispiel gewahlte Thierart alle auf diese Thierart beziiglichen Praparate zusammenstellen. In der anabiontographischeu Unterabtheilung wiirde die ver- gleichende Anatomie, Outogenie und Systematik zu museologischer Darstellung gelangen. Die verschiedenen Stadien, welche der sich entwickelnde Organismus vom Zeugungsmomente bis zum Tode durchliUift, wiirden durch Praparate, Modell und Abbildungen fiir alle Thierklassen zur Darstellung gebracht werden miissen. Die Bioekographie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 829 Anordnung des Materiales sollte aucb hier eine zweifache sein; einmal sollten die verschiedenen Entwickelungsstadien jeder zur Darstelluiig gelangenden Thierart in ihrer zeitlichen Folge, das andere iMal die sich eutsprccbeuden Entwickelungsstadien der ver- schiedenen Thierarten nebeneinander Platz finden. Bel zweck- massiger Einricbtung der Scbranke wurden sich indessen beide Anordnungsweiseu in eine einzige verscbmelzen lassen, wodurch die Notbigung zur Anscbaliung von Doubletten in Wegfall kame. Gestattet indessen die Einricbtung der Scbranke eine solcbe An- ordnung nicbt, und ist fur Doubletten kein genugender Raum vorbanden, so wurde es sich empfeblen , von Zeit zu Zeit eine Umordnung vorzuuebmen, urn bald der einen, bald der anderen Anordnungsweise zu folgen. Dasselbe gilt aucb fur die parabionto- grapbiscbe Unterabtbeilung des Museums. In den beiden ontograpbiscbeu Unterabtbeilungen des dem allgem einen Publikum zuganglicben Tbeils des Museums ist die Arbeit eine verbaltnissmassig leichte. Scbwieriger ist sie in den beiden bioekograpbiscben ; doch lassen sicb die Scbwierigkeiten, wenn man nicbt zu viel anstrebt, uberwinden. Wabrend wir dort durcb gleicbmassige Berucksicbtigung aller Tbierklassen eine kurze, ubersicbtlicbe Darstellung des ontograpbiscbeu Gesammtgebietes geben konnen, ist bier der Zweck durcb einzelne gut gewablte Beispiele zu erreicben. Fur die Parabioekograpbie der Tbiere wurde die Zusammen- stellung der Tbiere und Pflauzen eines Waldcbens, einer Wiese und eines Teicbes, einer kleiuen Austernbank, einer Seegraswiese und einer Korallenbank sich empfeblen. Es mussten indessen bestimmte Geomeren zu einer bestimmten Jabreszeit zur Dar- stellung gelangen. Fur die Anabioekograpbie mocbte icb die Darstellung etwa eines norddeutscben Sumpfes zu verschiedenen Jahreszeiten in Vorscblag bringen. Das Erwachen des Lebens im Frublinge, seine Entfaltung im Sommer, die berbstlicbe Fursorge fur das nachste Jabr und das winterlicbe Erloschen und Ruben des Lebens musste in einer Reihe zusammenbangender Bilder dem Bescbauer vorgefiibrt werden, wobei alle Pflanzen- und Thierarten, die dem Sumpfe als dauernde Bewohner oder regelmassige Be- sucber angeboren, gleichmassig berucksicbtigt werden sollten. Die Aufgaben, welche die Bioekographie dem Museumsvor- stande stellt, sind so mannigfache, dass es ihm nicbt schwer werden kann, die fur sein Museum passende Auswabl zu treifen, 830 I*!". Wilhelm Haacke, weshalb ich von Anfuhrung weiterer Beispiele Umgaog nehmen kann. Vielleicht ware an diese vier Unterabtheilungen als fiinfte cine palaeontologische zu reihen, und zwar lediglich eine solche, welche den verschiedenen Grad der stereogenetischen Erhaltungsfahigkeit der einzelnen Thierabtheilungen und der einzelnen thierischen Or- gane zur Anschauung bringt, welche den grossern oder geringern dokumentarischen Werth der Fossilien zeigt. In der zweiten, der speciellen Hauptabtheilung der zoologischen Schausammlung sind drei Unterabtheilungen einzurichten , eine systematische, eine geographische und eine palaeontologische. Alle drei sind den Raumverhaltnissen des Museums entsprechend voll- standig zu gestalten. Die systematische Unterabtheilung soil einen Ueberblick iiber den Formenreichthum des Thierreiches geben. Je nach der Grosse des Museums sollten entweder alle Familien, oder alle Gattungen des Systems gleichmassig reprasentirt sein. In dieser Sektion ist auf den Etiketten fiir die Hauptgruppen des Systems die Anzahl der untergeordneten Gruppen anzugeben, so dass sich der Besucher auch eines kleinen Museums eine annahernde Vorstellung von dem Artenreichthum der Thierwelt und dem relativen Artenreichthum ihrer einzelnen Gruppen machen kann. Zu warnen ist vor einer ungleichmassigen Zurschaustellung der Gruppen; die Anzahl der zu reprasentirenden Thierarten sollte moglichst durch den Arten- reichthum der Gruppen, denen sie angehoren, bedingt werden. In der geographischen Unterabtheilung sind die am meisten charakteristischen Thiersippen der verschiedenen Lander der Erde zur Darstellung zu bringen, etwa im Anschlusse an Wallace's Thiergeographie. Die Etiketten sollen den relativen Reichthum der einzelnen Lander an grosseren und kleineren Thiergruppen zeigen. Da ich Wallace genannt habe, so muss ich hier eine Warnung aussprechen. Wallace vereinigt bei seinen bildlichen Darstellungen auf jeder von seinen Tafeln verschiedene Thier- und Pflanzenarten zu einem Landschaftsbild , wie es in der Natur nie anzutreffen ist. Solche Darstellungen sind sowohl in Buchern wie in Museen zu vermeiden ; sie erzeugen nur falsche Vorstellungen. Vielmehr sollte hier wie dort nichts zur Darstellung gelangen, was nicht moglicherweise auch in der Natur anzutretfeu ware. Die Vereinigung aller moglichen Arten von Kolibris auf einem cinzigen Baume, der vielleicht noch mit den kiinstlichen Blattern und Blumen eines Putzgeschafts gcschmiickt ist, muss fiir jedermann, Bioekographie, Museenpflege und Kolonialtbierkunde. 831 der auch nur im geringen Grade wissenschaftlich , padagogisch und asthetisch denkt, ein Grauel scin. Gleichwohl habe ich solche Darstellungeii in beruhmten Museen gesehen. Die palaeontologische Unterabtheilung zeigt einc Auswahl der fossileu Thierarten der verschiedeuen Erdformationen. Es sind fur diese Sektion ahnliche Gesichtspunkte maassgebend, wie fur die beiden vorhergehenden. Uebrigens sollen auch Versteine- rungen in jenen beiden ausgestellt werden, in der system atischen, urn das Thiersystem vollstandig zur Anschauung zu briugen, in der geographischen, um die ausgestorbenen mit den jetzt lebenden Thieren eines Landes zu verkniipfen. In alien Abtheilungen ist das Ausgestellte in moglichster Voll- endung der teclinischen Behandlung zu zeigen, Auf Naturtreue der Praparate ist fiir ein populares Museum das grosste Gewicht zr legen, und es ist besser, wenige und gute als viele und schlechte Praparate auszustellen. Vor allem sollte die Kunst der Taxi- dermen wieder besser akkreditirt werden. Ein guter Taxiderm ist in einem offentlichen Museum durchaus am Platze. Ich vermag in einem Taxidermen keinen geringeren Kunstler zu erblicken als in einem Maler oder Bildhauer. Jedenfalls ist seine Kunst der eines Praparators anatomischer Specimina weit iiberlegen; natur- lich giebt es dort wie hier Pfuscher. In der nur dem Forscher zuganglichen Abtheilung des Museums gelten im Grossen und Ganzen nur zwei Principien fiir die An- ordnung des Materials: Das letztere muss in jeder Weise leicht zuganglich sein, und es muss dafiir gesorgt werden, dass es durch die Arbeit der Forscher nicht leicht in Unordnung gerathen kann. Ausserdem ist fiir eine genugende Anzahl von Doubletten zu sorgen. Die Praparate sollen zwar sorgfaltig conservirt, nicht aber wie die in der popularen Abtheilung durch Zeit- und Geld- aufwand vertheuert und nebenbei vielleicht unbrauchbar gemacht sein. Aus der Fiille des Thierlebens der Erde soil auch in der wissenschaftlichen Abtheilung des Museums eine zweckentsprechende Auswahl getroiien sein, und hiernach sind eben jene vier Ord- nungen von Museen zu unterscheiden. Ich schlage vor, dass die Museen in Zukunft nicht jede mit Leichtigkeit auszufiihrende Erwerbuug machen. Ich rathe sogar an, auch Geschenke zurtickzuweisen, sobald sie nicht in den Kah- men des Museums passen. Nur dadurch, dass jedes Museum eine bestimmte wissenschaftUche Aufgabe erfiillt, kann die Gesammtheit der Museen den hochsten Grad ihrer Leistungsfahigkeit erlangen. Bd. XIX. N. F. XII. 55 832 Dr. Wilhelm Haacke, Dazu ist aber nOthig, dass jedes Museum alles das, was mit seiner speciellen Aufgabe nichts zu thun hat, riicksichtslos ausschliesst und denjenigen Museen zukommen lasst, in welchen es sich als niitzlich erweisen muss. Man muss verlangen konnen , in jedem Museum dasjenige zu finden, was der Ordnung und geographischen Lage des Museums entspricht. Dann kann man aber nicht er- warten, dass der Museumsvorstand auf die Erwerbung alles Mog- lichen Bedacht nimmt. Kleine fragmentarische Sammlungen, viel- leicht von Freunden des Museums geschenkt, niitzen nicht nur nicht, sondern schaden durch Einnehmen von Raum und Verur- sachung unnothiger Bemiihungen. Als zur ersten Ordnung naturkundlicher Museen gehorig unterscheide ich diejenigen, welche Sammlungen aus alien Erd- theilen beherbergen. Ich will sie pangaische nennen. Sie sollen alle Mineral- und Felsarten, alle lebenden und fossilen Pflanzen- und Thierspecies, alle Menschenrassen und menschlichen Erzeug- nisse der Vergangenheit und Gegenwart durch moglichst viele Exemplare reprasentiren. Man kann zweckmassiger Weise in dieser Ordnung mineralogisch - geologisch - palaeontologische , bo- tanische, zoologische und anthropologisch - ethnologische Museen uuterscheiden. Wie gross die Anzahl solcher Museen in einem Kulturlande von gegebener Grosse sein soil, lasst sich nicht ohne weiteres entscheiden. Grossere und stark bevolkerte Lander werden deren mehrere bediirfen ; in kleineren geniigt fiir jedes Each ein einziges. In jedem Falle ist jedoch ein vollstandiges Museum zwei unvoll- standigen vorzuziehen. Gleichwohl ist zu bedenken, dass ein einziges Museum eher ein Raub der Flammen werden kann als zwei. Mit jedem wissenschaftlichen pangaischen Museum ist ein populares zu verbinden, eine fiir Volksbelehrung geeignete Aus- wahl und Zusammenstellung von naturkundlichen Schatzen der ganzen Erde. Was ich iiber die popularen Abtheilungen der Mu- seen im allgemeinen gesagt habe, findet hier seine Anwendung. Ich wiihlte das Beispiel eines zoologischen Museums, in anderen Museen sind uatiirlich ahnliche Principien anzuwenden, welche im speciellen darzulegen jedoch rair der Beruf abgeht. Die drei iibrigen Ordnungen von Museen konnen wir den pan- gaischen Museen als geomerische gegenuberstelleu. In ihren wis- senschaftlichen Abtheilungen beherbergen sie ausschliesslich die Naturprodukte eines bestimmten Laudes, eiuer bestimmteu Pro- Bioekographie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 833 vinz, eines bestiramten Bezirkcs. In der populjiren Abthcilung sollen sie einerseits die popularc Abtlieiluug der paiigiiischen Museen in verkleinertem Massstabe wiederholen, andererseits abcr sanimtliche Naturalienarten ihres Gebietes ausstellen. Anstatt einer populilren Abthcilung sollen sie also eigentlich deren zvvei be- sitzen. Die eine derselben, die pangilische, ist den fiir populilre Museen iiberhaupt maasgeblichen Principien gemiiss einzurichten. wobei indesseu die Naturalien des eigenen Gebietes in hervor- ragender Weise zu beriicksiclitigen sind. In der andern, der- jenigen fiir das eigene Gebiet, geniigt neben einer systematischen Anordnung der Naturalien die Aufstellung einer Anzahl von Kasten, welche die Vertheilung der Fundorte der Naturalienarten angeben. Ich halte es kaum fiir zweckniiissig, die geomerischen Museen in zoologische, botanische und andere Museen von gleicher Ord- nung zu sondern. Hauptsachlich durch die geomerischen Museen ist das Volk zu belehren und zurTheilnahme an der Wissenschaft heranzuziehen, weshalb ich die Vereiuigung sammtlicher Natu- ralienarten eines bestimmten Gebietes in einem einzigen Museum fiir nothig halte. Wir wollen ja das Volk auf die Wechselwirkung welche iiberall zwischen Stereogaea, Hydrogaea, Aerogaea und Biogaea stattfindet, hinweisen. Die drei Ordnungen der geomerischen Museen konnen wir beziehungsweise als Reichsmuseen, Provinzialmuseen und Bezirks- museen bezeichnen. Fiir ein Land von der Grosse des deutschen Reiches wiirde ein einziges Reichsmuseum geniigen. Jede Provinz von der durchschnittlichen Grosse der preussischen Provinzen sollte ein Provinzialmuseum, und jeder Bezirk von der Grosse eines preussischen Regierungsbezirks ein Bezirksmuseum haben. Das Reichsmuseum sollte eine gewisse Aufsicht iiber die Provin- zialmuseen fiihren, diese soUten die Bezirksmuseen beaufsichtigen. Die Bezirksmuseen eudlich sollten mit intelligenten Sammlern und Beobachtern in Verbindung stehen; diesen Museen sollte die Er- forschung der Stereogaea und Biogaea ihrer Bezirke zufallen, Aus Doubletten ihrer Sammlungen sollen die Provinzialmuseen geuahrt werden ; diese sollen zur Bildung und Erhaltung des Reichs- museums zusammenwirken. Von den wissenschaftlichen Abthei- lungen der geomerischen Museen ist durchaus alles auszuschliessen, was nicht aus ihrem Gebiet stammt; dagegen sollen sie fiir eine moglichst reichhaltige Doublettensammlung sorgen. Dem Reichs- museum sollte ein Museum fiir die Kolonieen des betrelFenden Reiches beigeordnet sein, und auch die Provinzialmuseen sollten 55* 834 ^^ Wilhelm Haacke, Abtheilungen fur die bemerkenswerthesten Naturalien derKolonieen besitzen. Gilt es ja doch, das Volk mit den Kolonieen seines Landes bekannt zu machen. Der vollstiindigen Ausfuhrung meines Planes stehen, das ver- kenne ich nicht, manche Hindernisse entgegen. Indessen wird man nicht leugnen konnen, dass dieser oder cin ahnlicher Plan mit der Zeit annahernd verwirklicht werden kann. Noch weniger wird man leugnen konnen, dass durch Befolgung dieses Planes die Gesammtausgabe fiir die naturkundlichen Museen eines Landes wesentlich geraindert, ihre Leistungsfahigkeit wesentlich erhoht werden wird. Mein Plan dient zugleich der Wissenschaft und dem Lande, in welchem er zur Ausfuhrung gelangt. Deshalb fordere ich alle, welche die Wissenschaft und ihr Land lieben, zur Theilnahme an seiner Verwirklichung auf. Bedeutung und Dringlichkeit einer Kolonialthierkunde und die Mittel zu ihrer Erreicliung. Kaum jemals sind die Bestrebungen der Kulturvolker auf dem Gebiete der Kolonialpolitik so lebhaft gewesen wie gerade jetzt. Da die Wissenschaft vicl zur Forderung kolonialer Bestrebungen beigetragen hat, so sollte sie auf einigen Dank rechnen dtirfen. Dieser Dank wiirde sich am besten dadurch bethatigen, dass man der Wissenschaft Golegcnheit giibe, aus der Kolonisation jung- frixulicher Lander Nutzen zu ziehen. Man sollte es ihr ermog- lichen, die neuen Kolonieen nach alien Richtungen hin sobald wie moglich zu durchforschen. Die naturwissenschaftliche Durchfor- schung alterer Kulturlander kann in manchen Beziehungen niclit so werthvolle Resultate geben wie dicjenige solcher Gebiete, in welchen der Kulturmensch erst ebon Fuss zu fassen beginnt. Aber da die Kultur schnell neue Verhilltnisse schafft, so werden die naturwissenschaftlichcn Aufschlusse, welche eben angelegte Kolonien noch geben konnen, von Jahr zu Jahr weniger werthvoU. Eile in Bioekograpbie, Museenpflege uud Koloniultbierkunde. 835 derErforschungderKolonieen ist darum geboten. Diesdbewirdahcr auch den kolonialen Bestrebuiigen selbst zum Vortheil gereichen. Weiin also auch die folgeiiden Bliitter, in denen ich die Bedeu- tuDg, die Dringlichkeit und die Mittel zur schiiellen Erreichuiig einer Kolouialthicrkunde kurz darlegen mochte, zunachst an die Zoologen von Fach gerichtet sind, so mochte ich sie doch auch der Beachtung aller derjenigen enipfehlen, die sich fiir Koloni- sation interessiren. Es wiirde iiberflussig sein, fiir Zoologen von Fach die Be- deutung hervorzuheben, welche die thierkundliche Erforschung von Landern, die noch nicht in den Bereich der Kultur gezogen sind, besitzt. Doch ich babe die Absicht, meine jungeren Fachgenossen auf ein Gebiet hinzuweisen, auf welchem thatiges Arbeiten zur Zeit viel dringlicher ist als auf den breitgetretenen Wegen der vergleichenden Anatomic, Histologic und Entwicklungsgeschichte. Da ich ausserdem auch fiir Nichtzoologen schreibe, so mag es mir gestattet sein, die Bedeutung einer Kolonialthierkunde mit wenigen Worten hervorzuheben. Fiir die Wissenschaft ist diese Bedeutung eine in doppelter Weise hervorragende. Es ist bekannt, wie aus der gegenwartigen Verbreitung der verschiedenen Thiergruppen imVergleiche zu der- jenigen in friiheren Erdepochen auf stattgehabte Wanderungen und weiterhin auf die friihere Vertheilung von Land und Wasser geschlossen werden kann. Wie anziehend das Studium der geo- graphischen Verbreitung der Thiere ist, haben besonders die schonen Arbeiten von Wallace gezeigt. Laien, welche sich fiir dieses Studium interessiren, darf besonders die Lektiire von Wal- lace's beriihmtem Reisewerke iiber den malayischen Archipel em- pfohlen werden. Aus ihm ersehen wir, wie sehr verschieden die Geschichte der einzelnen Inseln und Inselgruppen dieses Archipels ist. Zu so schonen Resultaten ist Wallace aber nur auf Grund des sorgfaltigstenStudiuras derThierwelt der einzelnen Inseln gelangt. Eine Kolonialthierkunde wird also zunachst von hervorragender geogenetischer Bedeutung sein; sie wird werthvolle Beitriige lie- fern zum Ausbau der Geschichte unseres Planeten. Dann aber ist das Studium der Thierwelt jungfraulicher Kolonieen in hervorragender Weise geeignet, die Bioekograpbie zu fordern. Diese Lehre von dem Haushalte der Wohnortsgenossen- schaften, von den Beziehungen, welche die Thiere und Pflanzen eines Wohngebietes zu einander und zu Erdboden, Gewasser und 836 Dr. Wilhelm Haacke, Klinia haben, ist in den Kulturlandern unglcich schwicriger zu studiren. Hicr hat der Mensch durch Ackerbau, Forstwirthschaft und Viehzucht die urspriinglichen Wohnortsgenossenschaften zer- stort und an ihre Stelle kiinstliche gesetzt. Zwar soil auch in den Kulturlandern das Studium der Bioekographie eifriger be- trieben werden; es wird aber von ungleich hciherer Bedeutung sein, wenn wir mit den Verhaltnissen der Kulturlander diejenigen der Urliinder vergleichen. Das bioekographische Studium ebenso wie dasjenige der geo- graphischen Verbreitung der Thiere erfordern Zeit und Musse. Es muss von Naturforschern betrieben werden, die im Lande ansassig sind. Gerade deswegen sind von den Urlandern die im Entstehen begritfeneu Kolonieen derKulturvolker ganz besonders zum Arbeits- felde flir solche Forschungen geeignet. Hier kann der Forscher ruhig und ungestort unter dem Schutze einer geregelten Ver- waltung arbeiten, wahrend die Natur ihrer Jungfraulichkeit noch nicht beraubt ist. In uncivilisirten Landeru, die nocli nicht unter die Botmiissigkeit eines Kulturvolkes gebracht sind, ist das mei- stens nicht moglich. Es ist selbstverstandlich, dass neben der Geogenie und Bioeko- graphie auch noch viele andere Wissenszweige aus einer plan- massigen Kolonialthierkunde Nutzen Ziehen werden; doch ist es iiberiiussig, hier darauf einzugehen. Vielmehr wollen wir darauf hinweisen, dass einer solchen eine iiber die rein wissenschaftliche hinausgehende Bedeutung zukommt. Hier ist zunachst an das Interesse zu erinnern, welches der Kolonist durchweg an der Thierwelt seiner neuen Heimath uimmt. Es ist ja erklarlich, dass das geistige Bediirfniss des Ansiedlers, der so manches, was die alte Heimath bot, entbehren muss, dort seine Befriedigung sucht, wo er sie am schnellsten findet, an der Natur des neuen Landes. Fremdartig tritt dem Kolouisten hier Pflanzeu- und Thierwelt entgegen ; er mochte mit dem Neuen, das er sieht, vertraut werden. Ohne sachkundige Auleitung ist ihm das aber nicht moglich. Er bedarf einer sachkundigcn Bclehrung, ja, er hat das Recht, eine solche zu verlangen. Durch Schatlung einer Kolonialthierkunde sorgen wir also nicht iiur fiir den Zoo- logen, sondern auch fur den Ausiedler, der das fremde Land in ein Stuck der altcn Heimath verwandelt. Bioekographie, Muscenpflcge uud KolonialthierkuDcle. 837 Es kann fcrner die Kolonialthierkunde auch nicht ohne Folgen fiir die Technik der Kolonisatiou sein. Schadliche und niitzliche Thiere werden ausfindig gemacht und in ihren Lebensbedingungen erforscht werden. Dadurch werden sich Mittel finden lassen, die schadlichen zu vertilgen und die niitzlichen zu erhalten. Es wird aber auch der in der Thierkunde einer neuen Kolonie bewanderte Naturforscher fremde Thiere namhaft niachen kunnen, welche mit Aussicht auf Erfolg zu Akklimatisationsversuchen verwendet wer- den konnen. In vielen Kolonieen wird eine Vermehrung der jagd- baren Vierfussler und Vogel und nicht minder der nutzbaren Fische willkommen sein. Auch Insekten, welche zur Befruchtung der Bliithen mancher Kulturpfianzen nothig sind, werden hier und dort eingefiihrt werden miissen. Vielleicht auch sind manche un- angenehme einheimische Insekten dadurch zu vertreiben, dass man weniger unangeuehme fremdlandische, die jene zu verdrangen ge- eignet sind, einfuhrt; so hat man in Neuseeland thatsachlich und absichtlich die europaische Stubenfliege zur Vertreibung der unan- genehmen Maorifliege benutzt. Anderseits ist darauf zu sehen, dass die Akklimatisation fremder Thiere nicht iibereilt geschieht, wie beispielsweise die der Haussperlinge in Australien. In alien solchen Fragen aber kann ein mit den zoologischen Verhaltnissen der Kolonie vertrauter Naturforscher am ehesten Aufschlusse geben und Rathschlage ertheilen. Endlich ist die Kolonialthierkunde geeignet, Antheil zn nehmen an der Verbreitung von Kenntnissen iiber die Kolonieen. Das Volk in der Heimath will wissen, wie es draussen aussieht; besonders aber interessirt es sich fiir seine eigenen Kolonieen. Belehrung auf alien in Betracht kommenden Wissensgebieten muss ihm geboten werden. Es ist in Bezug auf Thierkunde dafiir zu sorgen, dass die Museen im Mutterlande eine reiche Auswahl von Reprasen- tanten der kolonialen Faunen zur Schau stellen. Der Kolonial- politik kann es nur niitzen, wenn das Volk daheim in jeder mog- lichen Beziehung fiir seine Kolonieen interessirt wird. Mit der zoologischen Erforschung neu gegriindeter Kolonieen muss unverziiglich begonnen werden. Jedes Jahr des Verzuges wird nicht ohne nachtheilige Folgen bleiben. In friiheren Zeiten ist bei der Griindung von Kolonien der Wissenschaft nicht ihr Recht widerfahren. Durch riicksichtslose Ausrottung der ein- heimischen Thiere und Pflanzen ist die Gelegenheit zu einem grundlichen Studium derselben in manchen Kolonieen unwieder- 838 ^^ Wilhelm Haacke, bringlich dahingegangen. So in Neuseeland, in Australien, auf den Maskarenen. Die Wissenschaft will die Kolonisation uicht aufhalten; aber sie darf verlangen, dass man ihr in der neuen Kolonie ein Platzchen gewahrt, ehe es zu spat ist. Es sind be- sonders vier Umstande, welche die sofortige Inangriffnahme der Kolonialthierkunde gebieterisch fordern. Zuniichst ist es gewiss, dass in sammtlichen neu angelegten Kolonieen viele einheimisclie Thierarten bald aussterben werdeu. Auch viele Pflanzenarten werden verschwinden und das Aussterben anderer Thierarten nach sich ziehen. Dadurch werden fur die Wissenschaft, welche zu spat kommt, unausfiillbare Lucken ge- schaffen werden. Es ist um so nothiger, hierauf aufmerksani zu machen, als oft der Nachweis einer einzigen bestimmten Thierart ungemein wichtig ist und iiber die fruhere Geschichte eines Laudes die bedeutendsten Aufschliisse geben kann. Seiches ist beispiels- weise der Fall mit einem angeblich otterahnlichen Saugethiere, welches in Neuseeland existiren soil. Als das einzige jetzt noch lebende einheimische Landsiiugethier dieses luselkontinentes ist es in ganz hervorragender Weise geeignet, die Geschichte Neu- seelands zu erhellen. Dazu aber miissten wir es niiher kennen. Konnten wir in Neuguinea neben Beutelthieren, Fledermauseu Ameisenigeln, Hunden, Schweinen und kleinen Nagern noch eine einzige hohere Saugethierart nachweisen, so wiirde das eine zoo- logische Entdeckung allerersten Ranges sein. Diese beiden Bei- spiele zeigen, dass es nothig ist, sammtliche einheimische Thier- arten eines Landes kennen zu lernen. Audererseits zeigt das Beispiel der Maoriratte wie eine Thierart verschwinden kann, ohne jemals dazu zu gelangen, beschrieben und abgebildet zu werden. Ehe die Europaer nach Neuseeland kamen, lebte dortselbst eine Rattenart, die in keinem Werke beschrieben, auf keiner Tafel abgebildet, in keinem Museum aufbewahrt ist. Des weiteren ist zu bedenken, dass in vielen Kolonieen, so in Neu-Guinea, die Eingeborenen bald aussterben, jedenfalls sehr bald degeneriren werden. Nun sind aber die Eingeborenen meist vortrcfiliche Kenner der einheimischen Thierwelt. Manche werth- vollen Aufschlussen iiber das Leben der Thiere wird man von ihncn erlangen konnen ; vielleicht auch als Sainniler werden sie tretiliche Dienste leisten. Wir sollten sie uns deshalb dienstbar machen, ehe sie unbrauchbar geworden sind. Ein besonders wichtiger Umstaud fiir die Begrundung der Bioekographie, Muspenpflege und Kolonialthierkunde. 839 Dringlichkeit einer Kolonialthierkunde liegt in der Hoffnung, dass wir von den in die Kolonie eingefuhrten und dortselbst verwil- derten Thierarten Aufschliisse iibcr den Modus der Artenentstehung gewinnen konnen. Wir konnen mit einiger Zuversicht annehmen, dass sich manche dergleichen Thierarten verandern werden. Soil uns ihr Studium den grosstmoglichen Nutzen gewahren, so ist es mit der Ansiedlung der ersten thierischen Kolonisten zu be- ginnen. Hatte man die Sperlinge und Kaninchen, die jetzt in den verschiedensten Landern verwildert sind, von vornherein studirt, ich glaube, man wiirde zu interessanten Resultaten gekommen sein. Zum mindesten ist es nothwendig, dass man von Anfang an No- tizen iiber die Ausbreitung solcher Thierc sammelt und alljiihrlich cine grossere Anzahl von Exemplaren conservirt und fur spateres vergleichendcs Studium aufbewahrt. Endlich ist von grosser Wichtigkeit das Studium der Um- wandlungsprocesses, welchen in jeder Kolonie die Gesammtheit der Thier- und Pflanzenwelt, in Folge der Kolonisation durchlaufen wird. Ueber die Gesetze, welche den Naturhaushalt regeln, wird man dadurch schone Aufschliisse erhalten. Man wird beobachten, wie das Gleichgevvicht der urspriinglichen Wohnortsgenossen- schaften ins Wanken gerath, wie eine neue Ordnung der Dinge sich etablirt, wie neues Gleichgewicht eintritt. Man wird sehen, welche Arten in diesem Kampfe Sieger bleiben, wer die Besiegten sind, welche Eigenschaften jenen den Sieg, diesen den Untergang verhalfen. Solches sind die Griinde, welche die Wissenschaft zum Beweise der Dringlichkeit der Kolonialthierkunde anfuhrt; als umfassende Illustration derselben mag die nachfolgende dienen. Vor St. Vincent's Golf in Sudaustralien, in nachster Nahe des Festlandes, liegt die Kanguruhinsel. Jedenfalls hat dieselbe friiher mit dera Festlande in Zusammenhang gestanden. Sie ist indessen schon lange genug von demselben getrennt gewesen, um einige ihr eigenthumliche Pflanzeu- und vielleicht auch Thierarten zu ent- wickeln. Gewiss ist, dass die Ureinwohner Australiens die Insel nie betreten haben. Es ware nun in erster Linie interessant, den Zeitpunkt ihrer Loslosung vom Festlande festzustellen und die Ursachen zu erforschen, welche zur Erhaltung der in ihrer Zu- sammeusetzung eigenthiimlichen Biogaea der Insel und zur Erhal- tung der nur auf der Kanguruhinsel gefundcnen Arten gefuhrt haben. Dass die Erforschung dieser Ursachen hier vielleicht 840 Dr. W i 1 h e 1 m H a a c k e , moglich ist, ist urn so eher zu erwarten, als das Klima der Insel ein verhilltnissniassig mildes und feuchtes und von dem strengen und trockenen Klima des Festlandes wesentlich verschiedenes ist. Zur Losung der Aufgabe ist es aber nothig, sowohl die Biogaea des gegeniiberliegenden Festlandsgebietes wie diejenige der Insel in ihren Einzelheiten zu erforschen. Leider ist ein solches Unter- nehmen jetzt kaum noch moglich. Das Festlandsgebiet, welches der Insel gegenuberliegt und St. Vincent's Golf einschliesst, ist der dichtest bevolkerte Theil der Kolonie Siidaustralien, auf wel- chem die Kultur schon die weitgehendsten Verheerungen in der urspriinglich einheimischen Biogaea angerichtet hat. Diese Ver- heerungen greifen auch auf der Insel jetzt mehr und raehr urn sich, Doch sind es nicht nur Verheerungen, es sind auch die Einschleppungen von Pflanzen und vielleicht auch Thieren des Festlandes, welche die Losung der interessanten Aufgabe, welche die Kanguruh-Insel dem Biographen bietet, sehr wesentlich erschweren. Vor allem wird hier die Schafzucht verhangnissvoll. Dieselbe wird jetzt, wie iiberall in Australien, auch in Kangaroo Island in gros- sem Massstab betrieben. Schafe sind wichtige Verbreiter von Pflanzensamen, die in ihrer Wolle haften. Da die Schafe oft von weit entfernten Gegenden des Festlandes nach der Insel ge- bracht werden, so muss die Flora derselben rait Pflanzen aus jenen Gegenden bereichert werden. Des weiteren muss das fortwahrende Abweiden der von den Schafen bevorzugten einheimischen Pflanzen diese letzteren wesentlich vermindern, die verschmahten wesentlich vermehren und so das Gleichgewicht in der Biogaea bedeutend storen. Die Nahrung, welche die Kanguruh-Insel den Schafen bietet, ist so gering, dass es nothig ist, das Buschland durch Feuer saubern zu lassen, um die Schafe durch die nachher auf- keimeuden Krauter und die saftigen neuen Schosslinge der nieder- gebrannten Baume und Striiucher mit Futter zu versorgen. Die wiederaufgewachsenen Biische werden nach vier oder fiinf Jahreu wieder niedergebrannt, denn inzwischen ist die Vegetation wieder zur Nahrung eines Feiiers tauglich geworden. Sie ist neu erzeugt worden durch die Entwicklung neuer Triebe aus den unversehrten Wurzelstocken und durch die Keimung von Samenkorneru, die in der Erde ruhten. Nothwendigerwcise miissen durch das Feuer solche Pflanzenarten mit der Zeit zu Grunde gehen, deren Individuen nicht vor ihrcm fiinften Jahre Samen erzcugen. Auch viele einjiihrige Oder zweijiihrige Pflanzenarten, deren Saracn in ungenugender Weise Bioekographie, Museeiipflcge uud Kolonialthierkunde. 341 geschiitzt sind, mussen, da das Abbrennen des Buschcs meistens zur Zeit der Samenreife geschieht, ausster])en. Naturlich sind durch das Feuer Thierarten durcbaiis iiicht minder als die Pflanzenarten direkt und indirekt bedroht. Das interessante eierlegende Sauge- thier der Kanguruh-Insel, der Ameisenigel, der von den gegen- iiberliegenden Festlandstheilen wahrscheinlich schon ganzlich ver- schwunden ist, wird in Folge der Buscbfeuer immer seltener; er legt ja ohnehin alljahrlich nur ein einziges Ei. Bei jahrelanger Fortsetzung des Abbrennens von Buschland auf der Kanguruh-Insel wird der Busch, der den losen sandigen Boden vor Wind und Regen schiitzt, immer seltener werden. Diese Agenzien werden den felsigen Stock der Insel blosslegen und die thonigen Ebenen derselben in Sandwusten verwandeln. Tiefgreifende Aenderungen in Vegetation und Thierleben werden die Folgen sein. Es ist um so wichtiger, alles Obige im Auge zu behalten, als Kangaroo Island neben Tasmanien die einzige grosse Insel des Siidkiisten- meeres von Australien ist. Eine schnelle Inangriifnahme der Kolonialthierkunde wird na- tiirlich auch den Kolonisten und der Kolonisationstechnik zu Gute k(mimen. Namentlich ist sie aber auch deshalb geboten, well bei ihrerVernachlassigung sich Unberufene zu Kolonialzoologen machen werden, wie das in den australischen Kolonieen vielfach zu beob- achten ist. Getrost beschreibeu und benennen solche Leute Thier- arten, ohne sich um etwa schon bestehende Namen und Beschrei- bungen zu kumraern. Heillose Verwirrung wird dadurch ange- richtet, wie es den Zoologen von Fach nur zu bekannt ist. Eine Organisation berufener Zoologen zum Zwecke der Erforschung der Kolonieen ist unumgangliche Nothwendigkeit. Wir werden im Fol- genden sehen, wie sie beschaften sein soil, was sie zu leisten hat und wie sie von anderer Seite zu unterstiitzen ist. Die Zwecke, welche im Auge habe, konnen durch Expeditionen nicht wohl erreicht werden. Expeditionen sind ganz vorziiglich geeignet, einen Ueberblick iiber das zu erforschende Gebiet zu gewahren; aber zu eingehenden Studien fehlt es auf ihnen an Zeit. Fiir solche Studien ist auch die reichste Ausriistung, welche Expeditionen gewahrt werden kann, viel zu ungeniigend. Wer jemals als Zoologe an eiuer grosseren Expedition theilgenommen hat, weiss, dass ich Recht habe. Der einzelne Reisende ist zwar ungleich gliustiger gestellt; aber ein Reiseuder bleibt immer ein Reisender. Wer die Thierwelt eiues Landes in erschopfender 842 Dr. Wilhelm Haacke, Weise erforschen will, muss in dem Lande vollstandig zu Hause sein. Er muss seinen dauernden Wohnsitz dort nehmen. Zur Stiitze dieser Ansicht kann ich die Worte keines Geringeren an- fiihren als Alfred Russel Wallace's. Wenn jemals ein Zoologe als reisender Beobachter und Sammler Grosses geleistet hat, so ist es Wallace. Seine Reisen in Sudamerika und sein langjahriger Auf- enthalt auf den Inseln des malayischen Archipels verleihen seinen Worten gauz besonderes Gewicht. Ausserdem ist kein anderer Naturforscher der Gegenwart so vertraut mit den Einzelheiten iiber die geographische Verbreitung der Thiere wie Wallace. Besser als irgend jemand anders muss er daher wissen, wie die Liicken in unseren Kenntnissen dieser Verbreitung auszufiillen sind. In seinem schonen W^erke iiber den Ursprung der insularen Faunen und Floren sagt W^allace: „Ich kann hier nicht die enorme Ver- geudung von Arbeit und Geld rait verhaltnissmassig diirftigen und unbedeutenden Ergebnissen seitens der meisten grossen wissen- schaftlichen Reisen unberiihrt lassen, welche in diesem Jahrhun- dert von den verschiedenen civilisirten Staaten ausgesendet worden sind. Alle diese Expeditionen zusammengenommen haben viel weniger zur Erforschung entfernter Lander und Zonen gethan als private Sammler. Sie haben fragmentarische Sammlungen von weitzerstreuten Lokalitaten nach Hause gebracht, und dieselben sind gewohnlich beschrieben worden in dicken Foliobanden, deren Werth oft in umgekehrtem Verhaltnisse zu ihrem Umfange und ihrem Preise steht. Dieselben Arten sind wieder und wieder ein- gesammelt, haufig unter neuen Namen verschiedene Male be- schrieben und nicht selten Gegenden, welche sie nie bewohnten, zugeschrieben worden. Die Folge dieses erbarmlichen Verfahrens ist die, dass die Produkte einiger der hiiufigst besuchten und interessantesten Inseln der Erde noch jetzt sehr ungeniigend be- kanut sind, wahrend ihre einheimischen Pflanzen und Thiere jahr- aus jahrein ausgestellt werden, und solches ist der Fall selbst mit Landcrn, die unter der Oberhoheit oder Schutzherrschaft europaischer Staaten stehen. Hierher gehoren die Sandwich-Inseln, Tahiti, die Marquesas-Inseln, die Philippinen und eine ganze Reihc kleiuerer, wahrend Bourbon und Mauritius, St. Helena und ver- schiedene andere erst einigermaassen erforscht worden sind, nach- dem ein betrachtlicher Theil ihrer Naturprodukte durch Kultur und die riicksichtslose Einfuhrung von Ziegeu und Schweinen zer- stort worden war. Die Austellung eiues ansilssigen Naturforschers Bioekographie, Mnseenpflege und Rolonialthierkunde. 343 fiir eine sehr geringe jahrliche Ausgabe in jeder unserer Besitzungen und in dcnen anderer europaischer Machte wiirde mehr zur Er- langung von beziiglichen Kenntnissen beigetragen haben als alle die kostspieligen Expeditionen, die wieder und wieder die Erde uniscbifft haben." Mit den letztcn Worten hat Wallace die Richtung angcgeben, in welcher mit Sicherheit gute Rcsultate in Aussicht stehen. Wollen wir sammtliche Thierformen der Erde kennon lernen, so miissen wir die letztere in Bezirke eintheilen, deren jeder einem ansassigen Zoologen zu unterstellen ist. Vor alien Dingen hat dies unverziiglich mit Kolonieen zu geschehen, mit deren Kultur eben begonnen wird. Hier ist besonders grosse Eile nothig; an- dererseits finden ansiissige Naturforscher hier ausreichenden Schutz. Man sende also beispielsvveise nach silmmtlichen Kolonieen, die das deutsche Reich erworben hat, je einen Zoologen, dem die Auf- gabe der faunistischen Erforschung der Kolonie zufallt. Die Wahl des betreffendeu Naturforschers ist nicht ganz gleichgiiltig. Unsere jungen, eben von der Universitat komraenden Zoologen sind ohne weitere Vorbereitung wenig dazu geeignet. Sie sind meistens so sehr mit anatomischen, histologischen und entwicklungsgeschichtlichen Studien beschaftigt worden, dass sie keine Zeit gehabt haben, sich mit der Systematik der Thiere und mit der Praxis des Sammelns und der Konservation zu befassen. Auch haben sie meistens nicht gelernt, das Verhaltniss der Thier- welt zum grossen Naturganzen ins Auge zu fassen. Gleichwohl verdienen sie vor gewohnlichen Sammlern den entschiedensten Vorzug. Wer der Wissenschaft niitzen will, muss einen Einblick in das Wesen derselben gethan haben. Das ist bei Sammlern mit nur praktischer Vorbilduug nicht der P'all. Die jungen Zoo- logen sind aber dazu anzuhalten, sich durch das Studium von Werken liber Thiergeographie und Bioekographie, namentlich aber durch praktische Uebung in der Konservation von Vertretern sammt- licher Thierklassen vorzubereiten. Auch mit der Praxis des Sam- melns, mit Jagd und Fischerei sollte sich der angehende Kolo- nialzoologe nicht erst auf dem Schauplatze seiner Thatigkeit ver- traut machen. Ein wissenschaftlich und praktisch genligend vorbereiteter Zoologe wird vorlaufig fiir eine einzelne Kolonie geniigen. Seine Thatigkeit wird bald zeigen, ob die Anstellung eines zweiten und 844 ^r- Wilhelm Haacke, dritten nothig ist. Jedenfalls sollte aber dera Kolonialzoologen ein brauchbarer Assistent beigegeben werden. Siimmtliche Kolonialzoologen sollten unter der Leitung eiues Direktors stehen, der zugleich Direktor der zoologischen Abthei- lung des im Mutterlande zu griindenden Kolonialmuseums sein wiirde. An diesen wtirden die Sammlungen einzusenden sein, urn durch ilin an die Bearbeiter derselbeu vertheilt zu werden. Fur den Zweck sorgfiiltiger und schneller Bearbeituug der Samndungen musste namlich eine bedeutende Anzahl von Special- forschern geworben werden, was durch den Direktor der Kolonial- Zoologie geschehen zu haben wiirde. Solcher Specialisten , die gem die ihnen zugedachte Arbeit iibernehmen wtirden, giebt es ja in jedem altern Kulturlande eine gentigende Anzahl. Freilich wurde es nothig sein, ihnen die schnelle Bearbeitung der einge- sandten Thiere zur Pflicht zu machen. Dass in jedem Kulturstaate, der Kolonieeu besitzt, die Grtin- dung eines Kolonialmuseums nothig werden wird, ist kaum zu bezweifeln. Es fragt sich nur, wo die Sammlungen bis zu seiner Gruudung verbleiben sollen. In betretf des deutschen Reiches, das ausschliesslich mit jungfriiulichen Kolonieeu zu thun hat, komme ich weiter unten auf diese P'rage zuruck; fur andere Staaten kann ich nicht wohl Vorschlage machen. Auch in den Kolonieen sind Sammlungen aufzubewahren, sowohl zur Hulfe bei den Arbeiten der Kolonialzoologen wie zur Belehrung der Kolo- nisten. Da man in den alteren Kolonieen, die schon Museen be- sitzen, beispielsweise in den englischen Kolonieen in Australien, ausserst unzweckmassig zu Werke gegangen ist, so mochte ich hier kurz darlegen, wie man bei der Gruudung kolonialer Museen zu verfahren hat. Es ist nicht meine Absicht, etwa den Anglo- Australiern hier Rathschlage ertheilen zu wollen, wohl aber mochte ich einige Worte uber die Anlegung von Sammlungen in solchen Kolonieen sagen, wie sie beispielsweise Holland, England und Deutschland in Neu-Guinea besitzen. Allerdings sind in dergleichen Kolonieen, was manchein ver- fruht erscheinen mochte, solche Sammlungen von vornherein anzu- legen. Nicht um die Errichtung von Schaumuseen handelt es sich; dieselben werden vielleicht auf vielc Jahre hin entbehrlich sein. Dagegen ist, wie wir gesehcu haben, die zoologische Erforschung neuer Kolonieen schon mit ihrer Anlegung zu beginnen, und die Arbeit der Ivolouialzoologeu wird wesentlich erleichtert werden, Bioekographie, Museenpflege und Kolonialtliierkunde. 845 weiin er von siimmtlichen ihm begegnenden Thierarten eine Reihe von Exemplaren zur eignen Orieutirung in der Kolonie behalt. Dadurch wird zugleich der Grund zu einem spater zu errichtenden Kolonialnmseum gelegt werden. Sobald das Gebiiude dazu erbaut ist, wird man schon eine grosse Anzahl von identificirten Exem- plaren zur Aufstollung bereit finden. Es wird der Kolonie nicht so gehen wie etwa der Kolonie Siid-Australien, wo zwar schon seit einem Vierteljahrhundert ein Museum existirt, das aber die siid-australische Fauna nur sehr durftig repriisentirt ohne Hoffnung auf grossen Zuwachs und seinen Besuchern meistens ungeniigend etikettirte Thiere vorfiihrt. Ein billiges, aber zweckmassiges Ge- biiude ist geniigend, den Nukleus der zoologischen Kolonial- sammlung aufzuuehmen. Die Bewahrung der Sammlungen vor Verfall ist fast die einzige Sorge, die bei seiner Einrichtung maassgebend ist. Ausserdem muss natiirlich fur geniigenden Arbeitsraum gesorgt werden. Viel Geld braucht ein solches Ge- biiude nicht zu kosten, und auch seine Ausstattung mit Gerath- schaften und Konservationsmaterial ist mit sehr geringen Ausgaben zu bestreiten. Desgleichen wird die Anschalfung einer Bibliothek fiir den Kolonialzoologen keine erheblichen Kosten verursachen; eine Reihe von Handbiichern und die iiber die Kolonie erschienenen Publikationen geniigen fiir seine Zwecke. Hiermit komme ich zu den iiber die Thierwelt der Kolonieen herauszugebenden Publikationen. Ich schlage deren vier ver- schiedenartige vor. Zunachst eine Zeitschrift, welche fortlaufende Berichte iiber den Gang der Untersuchungen in jeder Kolonie bringt. Sie soil das Arbeitsfeld des Kolonialzoologen skizziren, Mittheilungen iiber die Einrichtung seines Centralquartiers bringen und die ihm ent- gegentretenden Schwierigkeiten und ihre erfolgreiche Ueberwindung schildern. Nicht minder soil sie Angaben iiber die Anwendung, die er von den ihm zugewiesenen Mitteln macht, liefern. Endlich soil sie vorlaufige Mittheilungen iiber besonders wichtige Ent- deckungen bringen und iiberhaupt alle einschlaglichen allgemeinen Fragen einer Besprechung unterziehen. Eine zweite und sehr wichtige Publikation wiirde in einem Atlas der Kolonialfauna bestehen. Es ist namlich zu bedeuken, dass die Beschreibung der eine Kolonie bewohnenden Thierarten nur das Mittel fiir spiitere eingehende Forschungen ist. Dazu aber ist es nothig, dass geniigende Beschreibungen und Abbil- 846 Dr. Wilhelm Haacke, dungen der einzelnen Thierarten in einem handlichen Werke ge- sammelt werdeu. Solche Werke sind schon in Landern mit reich- haltigen Bibliotheken dringendes Bediirfniss; wie viel mehr dort, wo solche Bibliotheken nicht existiren. Ich will rait meinem Vorschlage nicht kostspieligen Bilderwerken das Wort redeu ; aber ich glaube nicht, dass das Bediirfniss eines mit klaren Abbildungen ausgestatteten zoologischen Atlas fiir jede einzelne Kolonie be- stritten werden kann. Ich schlage vor, mit der Publikation solcher Atlanten sofort zu beginnen, und muss deshalb eiuige VVorte iiber ihre Einrichtung machen. Es sollte durchweg jede Thierart mit einer Tafel bedacht werden. Die kleineren Arten sollten in naturlicher Grosse oder vergrossert abgebildet werden, die gros- seren in verkleinertem Maassstabe; Grossoktav wiirde vielleicht das angemessenste Format sein, Jede Tafel sollte von einem Blatte Text begleitet werden, welches neben der Beschreibung auch eine Skizze iiber die Lebensweise des abgebildeten Thieres bringt. Ohne Riicksicht auf das System sollten die einzelnen Thierarten moglichst schnell zur Abbildung und Beschreibung ge- langen; eine nachtragliche systematische Ordnung der einzelnen Tafeln und Blatter ist ja leicht moglich. Der Atlas sollte nicht nur die neuentdeckten Thierarten enthalten, sondern iiberhaupt alle, die der betreffenden Kolonie angehoreu. Dadurch wiirde auch dem Unwesen der Synonymik ein Ende bereitet werden. Ist der Atlas so weit vollendet, dass an eine Ordnung des Materials gedacht werden kann, dann miissen zwei weitere Werke iil)er die Thierwelt der Kolonieen ins Leben gerufen werden. Einer- seits fiir jede Kolonie ein Handbuch, welches in systematischer Form einen Ueberblick iiber die Fauna der Kolonie giebt, aber auch dazu geeignet ist, den Naturfreunden unter den Kolonisten in die Hand gegeben zu werden; andererseits ein Kartenwerk, welches die Verbrcitung der einzelnen Thierarten in jeder Kolonie angiebt, soweit diese Vevbreitung eine diskontinuirliche ist. Mit Hiilfe des Handbuches und der Karten wird sich auch derjenige in der Thierwelt der Kolonie heimisch machen konnen, der den gruud- legenden Thieratlas nicht besitzt. Sollen meine Vorschlage zur Ausfiihruug gelangen, so ist eine einheitliche Organisation zur zoologischen Erforschung der Kolo- nieen in jedem kolonisirendcn Laude ins Leben zu rufen. Ohne eine solche Organisation, welche auf ein bewusstes Ziel hinsteuert, wird die Kolonialthierkuude nur Stiickwerk bleibeu, wie sie Bloekographie, Museenpflege und Kolonialtliierkunde. 347 es auch in den altesten Kolonieen europaischer Staaten heute noch ist. Es kann indessen nicht meine Aufgabe sein, allgeraein gultige Vorschliige zur Schaftuug soldier Organisationen zu machen ; auch siud die Verhaltnisse in den verschiedenen Kulturlandern zu verschieden, als dass dergleichen Vorschliige viel niitzen konnten. Vielmehr muss ich mich bei den tblgenden Vorschlagen auf die ausschliessliche Beriicksichtiguug der deutscheu Verhaltnisse be- schrankeu. Gleichwohl glaube ich auch eiuige Winke fiir andere Staaten zu bringcu. Es ist bekannt, dass die neuen deutschen Kolonieen nach dem Beschlusse des Reichskanzlers durchvveg von Kompagnien auszu- beuten und zu verwalten sind. Deshalb ist es nicht wohl zu erwarten, dass die Reichsregierung die ersten Schritte zur zoo- logischen Erforschung der Kolonieen thun soUte. Aber auch die Erwartung, dass die einzeluen Kolonialgesellschaften die bis ins einzelne geheude uaturkundliche Erforschung der Kolonieen in die Hand nehmen sollten, ist eine kaum gerechtfertigte. Wir miissen uns zufrieden gebeu, wenn dieselben durch Aussendung von Ex- peditioneu uns zuuiichst zu einer iibersichtlichen Kenntniss der Kolonieen verhelfeu. Auch wiirde dadurch, dass die einzelnen Kolonial-Gesellschaften Naturforscher in ihren Kolonieen anstellen, eine unuothig hohe Geldausgabe niit nicht entsprechendem Erfolge bedingt werden. Es wtirde zu befiirchten sein, dass das gesam- melte Material zerstreut wtirde. Moglichst geringe Geldausgabe mit moglichst grossem Erfolge steht nur zu erwarten, wenn eine Deutsche Zoologische Kolouialgesellschaft ins Leben gerufen wird. Die von einer solchen Gesellschaft fur die Bearbeitung der ein- zelnen Thiersippen geworbenen Specialisten wurdeu dann ftir sammtliche Kolonieen gemeinschaftlich arbeiten. Von den deutschen Zoologen muss die zoologische Erforschung der deutschen Kolo- nieen in Angritf genommeu und durchgefuhrt werden; sonst sind bedeutende Ergebnisse nicht zu erwarten. Ich fordere desshalb auf zur Grtindung einer Deutschen Zoo- logischen Kolouialgesellschaft. Zur Mitgliedschaft sollten freilich nicht nur Zoologen, sondern alle berechtigt sein, denen Vaterland und "VVissenschaft am Herzen liegen. Eintrittsgeld und ein jahr- licher Geldbeitrag sollten von jedem Mitgliede erhoben werden. Die Mitglieder sollten einen Verwaltungsrath wahlen; vom Ver- waltungsrathe wurde der Director den Sammlungen, dem zugleich die Redaktion der Publikationen zufallen wtirde, desgleichen auch Bd. XIX. N. F. XII. 55 848 Dr. Wilhelm Haacke, die Kolonialzoologen anzustellen sein. Dem Direktor wiirde die Aufgabe zufallen, fiir cine geniigende Anzahl von Specialisten zur Bearbeitung des eingesandten Materials zu sorgen. Ich halte es fiir zweckmassig, zum Sitz des Verwaltungsrathes Berlin und zum Direktor der Sammlungen den Direktor des Berliner zoologisclien Museums zu wahlen. Ein Theil des eingesandten Materials kounte dann diesem Museum zufallen, und es steht zu erwarten, dass die preussische Staatsregierung daftir alljahrlich der Gesellscbaft eine namhafte Geldsumme zur Verfiigung stellen wiirde. Viel- leicht werden gegen Ueberlassung ideutificirter Doubletten die- jenigen deutscben Staaten, welcbe grossere Museen besitzen, ein Gleiches tbun. Aucb die Reichsregierung wiirde vielleicbt einen Theil der Kosten bestreiten, wenn ein Tbeil der Sammlungen fiir die Grundung eines Reicbskolonialmuseums reservirt wird, vielleicbt aucb scbon obne dies. Endlicb ist aucb von jeder der deutscben Kolonialgesellscbafteu, denen ja eine griiudlicbe und allseitige Er- forscbung der Kolonieen nur zu Gute kommen kann , auf einen alljabrlichen Geldbeitrag zu recbnen. Mit dem Gelde ist die Be- soldung der Kolonialzoologen und ibrer Assistenten, die Remune- ration der Specialisten, und die Ausgabe fiir Publikationen zu bestreiten; nicbt minder sollen dadurcb aucb die Kosten gedeckt werden, welcbe aus der Erricbtung von Stationen fiir die Kolonial- zoologen und dem Betriebe ibrer Untersucbungen erwacbsen wer- den. Doch konnen diese und alle andern notbwendigen Ausgaben nicbt eine Hobe erreicben, die uns von dem Versucb der Griindung einer Deutscben Zoologiscben Kolonialgesellscbaft zuruckscbrecken konnte. Fiir das Deutsche Reicb als Ganzes genommen kann eine griindlicbe zoologiscbe Erforscbung der deutscben Kolonieen nicbt billiger bewerkstelligt werden, als auf die vorgescblagene Weise und aucb die Kolonialgesellscbafteu werden es vortbeilbaft finden, die zoologiscbe Erforscbung ibrer Kolonieen der Deutscben Zoo- logiscben Kolonialgesellscbaft zu iibertragen. Wesentlicb erleicbtert wird die zoologiscbe Erforscbung der deutscben Kolonieen dadurcb werden, dass wir in ibueu ein noch bracbliegendes Arbeitsfeld vor uns babcn. Es existiren tiber die- selben nur wenige grossere faunistiscbe Publikationen; wir baben es nicbt notbig, alten Scbutt aus dem Wege zu rtiumen. FAn Verein deutscber Zoologen kann bier Grosses leisten, kann hier Werke scbaffen, wie sie nocb kcin anderes Volk besitzt. Deutscb- land bat spilt mit der Kolonisatiou fremder Erdstricbe begonueu; Bioekographie, Museenpflege und Kolonialthierkunde. 849 dafiir kann es sich jetzt die Erfahrungeu anderer Volker zu Nutzen machen, namentlich aber auch lernen, die Fehler und Nachlassigkeiten jener zu vermeiden. Doch nicht fiir deutsche Leser allein babe ich gescbrieben. Vielmehr wiinsche ich, dass siimmtlichen Landern eine so grundliche zoologische Erforscbung zu Tbeil wird, wie icb sic fiir die deutscbeii Kolouieen durcb mcinen Vorschlag zur Griiiiduiig einer Deutscbcn Zoologiscben Kolouialgescllschaft bczwecke. Was ich gesagt babe, ist freilich kaum neu; wissenschaftliche Gesellschaftcn mit ahn- lichen Zwecken existiren ja schon in jedem Kulturlande. Gleicb- wohl glaubc ich mit der vorliegenden kleinen Schrift nichts Ueber- fliissiges gethan zu baben. In der That botie ich, meine Vorschlage dereinst wenigstens tbcilweise und zwar zunachst durcb Deutsche ausgefubrt zu sehen. Die Umgestaltung des Museeuwesens bat ibre Schwierigkeiten ; aber der griindlicben zoologiscben Erforscbung der neu angelcgten deutschen Kolonieen kann nichts im Wege steben als eine etvvaige Indolenz und Uneinigkeit der deutschen Zoologen selbst. floffen wir, dass diese Eigenschaften nicht existiren und ein nationales und wissenscliaftlicbes Unternehmen vereiteln! Litteraturbericht. A n n a 1 e n des K. K. Naturhistorischen Hoftnuseums , red. von Fr. V. Hauee. Bd. I No. 1 und 2. Wien, 1886, gr. 8. Das erste Heft dieser neuen periodischen Publication euthiilt cinen Jahresbericht flir 1885 aus der Feder des Intendanten Franz v. Hauee mit Angaben liber die Einrichtung des Hofmuseums, den Zu- wachs, welchen dasselbe im Laufe des Jahres erhalten hat, und die wissenschaftlichen Arbeiten , welche dort ausgefiihrt wurden. Eine Tafel veranschaulicht das Aeussere des Prachtbaues. Die Reihe der Abhandlungen erotfuet die Arbeit von Eenst Kittl „Ueber die miocenen Pteropoden von Oesterreich - Ungarn" , erlautert durch eine sauber ausgefiihrte lithographische Tafel; eine Anzahl neuer Formen wird beschriebeu. F. F. Kohl schi'eibt „Ueber neue uud seltene Antilopen"; der Abhandlung sind vier gleichfalls sehr schone Tafeln beigegeben. Ein besonderes Interesse vermag der Essay von Prof. Fk. Beauee „Ansichten liber die palaeozoischen Insecten und deren Deutung" (mit 2 Tafeln) in Anspruch zu nehmen ; er wendet sich namentlich gegen manche von Scuddee in Zittel's Hand- buch der Paliiontologie entwickelte Anschauungen und dringt daraut, dass zur Erkenntniss fossiler Formen Riicksichtnahme auf Anatomie und Biologie nothwendig ist. ViCTOE GoLDSCHMiDT zeigt an Beispielen , wie man bei der „Be- stimmung des specifischen Gewichtes von Miueralien" Kritik zu liben hat, und in welcher Weise bei den beiden verschiedenen Methoden der Bestimmung durch Pyknometer und durch Suspension die Tem- poratur zu berlicksichtigen ist. In der Arbeit von A. Beezina „Ueber die Krystallform des Tellurit" werden auch noch in einem Anhange die krystallographischen Elemente des Valentinites discutirt. Klirzere Notizen mannichfachen Inhaltes bilden den Schluss der Nr. 2 des ersten Bandes. Kalkowsky. iOrumuiauuBclie Uuckdiuckeiei (,licriiiauu I'ulilc) in Jciia. ■Jrnai.'^rlu /.eilsrhrifl BrI. XLY. F, r/.lll. J'f. Taf. I. Jn,a,srhc Znlsrhnfl Br/. JZT. Fnj /V.i/S-f4.2&-2.9. Tnf. IT. . Gusfav Fischer i.-na. Jaiftisclt(^dl.^hrift Bd. m. Fig 251J0;JS_ \\ Taf.M. ."lofedel Verlag v, Gus[av Fischer i. Jena. Lifh,Anshv.A.Giltsch.Jen8 Jenaisdie Zeit'idiriftjd JIK. FiffJ Taflir ^ug [rdmann oel Verlag./Gustav Fischer, jena Lithinstv.A.Gihsch Jena Maisdti' Zf/tschnft,Bd IK. Taf.r. ^ Eromann oel Verlag v Gustav Fischer, Jena. Lithinstv.A.Giltsch,Jeffa. i,:„„s.ii,-Zrii.sMii.r>d.m. T,-f n ^'i-i Fifj.. Fiij. Iff. \_ # rt \ ^ j Fill I!. 1 r 't /"■ - - » J // /&/■ ^■ 'fffr^,^ n,/.!i Fi.i. Fi)j. S / ' \ Fig. 11. %•''■ „/»■/«' Mxdtiitl JJ(f. M Tar I // T,it:m /' mnsHw Zcitsdnilh lid. .IZl' Tal (''iisl;i\- FtsrKfi- . /, 7A//.V//-" Z/.' ]-\ij. /■'. I''i.'f '' I./' „,, Fit,.!. %• ,,W®J» ? \ ,^'<:^y" ''''"■ Fi■(/ 0. Fi.i. '.'. Fi(j. o. / / Fiij. I'k •1-" J'n Fkf7. Fi././. J-h/.. 'h ''ri t\ if:;;', • •:'!. lY^. /.-! * *f » . » 't •• • • ♦•*,♦ p ilig vcr, Oiislav Fischer ; \ h,iiK(iir Zdlsihilt. Uil.XIX Fi.l I. Fif/. 10. ^i 7;//-.i .''-^:¥: .1,./-"' /■'/>/. ^ r//// />>/. yvy. /''/. i^ /■///. , >;*::.> . • '- • *»"T' 5,-^' Z^,/.'/ -7:--%f ,i„'Zcilsi/. 'A 0. __,, :) i._^.,. lif,.. Fi().0. />V.^ /■— ^^ikiXi />;/. ,s. ^;v/.v /•;;>/. 10. /•/>/. // /•>>/■ l'-^- -.r- ti tiiistuv Fischer ; , Imwidif /.CiLiiuiU.lJil.M. -^.. ,^ *• "B" /•y,/ 10. 7^- f ■''.'/■ '-' ^ Fit/. I). '■''.'/ I' riff. II. FOj.l.'> T^" %/ % m Ft (]./.<' ^-%r^ "J-)^- .-/.^ rl ^-1t-'" -J b- ■-B-- -1, -d \\ \»'.»' •V It] /;. ^?^- %<^ - 9- /5/. ..d -II h ,-/ ■*'ii "«;*.- T*^'?'' Elige*" ciez. Verlag vcn Gustay Fischer m jenj. Lith.AiahA.Giltsck.Jena Jmai-icfi^ Zatsdin/i^dUX Taf:m. Fu/ / U /-}(/ .7 ;m /:s ^^^ d- 9 - ; ! • '•-• •♦, ••♦ • » fenao .,i- Cuslav fiscter .r, _^:.j lilt.irsii.J.6Jlljch,Jena • uuMhe Zeitsch'iflBii XK - ..-.:■.... -..,.'- .-.,--. •N-.t.^ Jl rovf.M: » «.4 ' • >• • • . /« Vi' z />y.^ a!' -W Jfiiai.st'fw Za/M'h-ifl, BdlK. TatIM l.Seeli9«r gez. «erla3 »on Gustav Fischer if Jena Liih »iist,> A Giltsth.Jma Jri/(usr/i(- LYfs7n* l^*'* ^^^