DEF EO Y se rae! Hibrary of the Museum OF COMPARATIVE ZOOLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. Nan aA The gift of dams } eg LL - Ohafr pe oma, No.Coo91 Nev. 28,/993- hag Dh yee Ls > ae oon rl } 5 e) Pas ns Grrr a age peur acne Pa Oe 4 Jenaische Zeitschrift NATURWISSENSCHAFT herausgegeben von der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena, Achtundzwanzigster Band. Neue Folge, Einundzwanzigster Band. Mit 29 lithographischen Tafeln und 37 Abbildungen im Texte. Jena, Verlag von Gustav Fischer 1 894, . Ss ad Arve aoe a a \ ; vt a ; | is = &. : b 7 “— inte 3 distepfauiwsbnu oh” ay j a . if CUieb ‘aR as i +8 ae alee 4, i ; | 2 oy Mad | Seen ubiidd ) Vecbir alee Heit 7 , ew ok ; 1 Nie | i Ah y aE, fy, . ' | bias ot heal Rex, Dr. Lupwtc, Die Gliedmafsen der Robben. Mit Tafel I . Sassaxi, Prof. Dr. Cutuszo, Untersuchungen iiber Gymnosphaera albida, eine neue marine Heliozoe. Mit Tafel IT Wenpt, Gustav, Uber den Chemismus im lebenden Proteplasma Kixentuat, Witty, Entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen am Pinnipediergebisse. Mit Tafel III und IV : Oswatp, Apv., Der Riisselapparat der Prosobranchier. Mit Tafel V und VI und 11 Abbildungen im Text . Grar, Arno.p, Beitriige zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris, Mit Tafel VII—X SraurracHer, Hetnricu, Eibildung und mere bei vane cornea L. Mit Tafel XI—XV und einer Abbildung im Text SE Mee c/s ae tis ty wg dheahe ess tel tec a ti ake Scuarpr!, I'n., Das Ghieseteen von Gpiele radiata. Mit Tafel XVI—XIX : ‘fens : : : Driner, L., Beitriige zur Kenntnis ee Kane rel monendenene: aah und ihrer Ursache. Mit Tafel XX—XXI vy. Liystow, Helminthologische Studien. Mit Tafel XX—XXIII GottscHatpT, Roxs., Die Synascidien der Bremer Expedition nach Spitzbergen im Jahre 1889. Mit Tafel XXIV und XXV Ketter, Jacos, Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Siifs- wasserturbellarien. Mit Tafel XXVI—XXIX Gitcurist, Jonn D. F., Beitrége zur Kenntnis der Anordnung, Correlation und Funktion der Mantelorgane der Tecti- branchiata. Mit 21 Figuren im Text Ac sacacseiah Sampson, Litian V., Die Muskulatur von Chiton. Mit 4 Figuren im Text . ‘ Driver, L., Zur Moemholusic oo pesteemacl WALTHER, Toe Jahresbericht der Medizinisch-naturwissen- schaftlichen Gesellschaft zu Jena fiir das Jahr 1893 370 408 460 469 475 ‘ 4 Cay i. 4 Py ‘ f a iy Y % . “9 “ sh Lj . VY urea ee ee moe sek iia inane Pt Pee eae ts Leth Wid yah ae ene ae ke Pane iy : ee | aps + she AARRIR PATON Megs et) as y bess g i ty ‘ (ee 4 rok acsed Abas 7 wi » UE i RE oa te +1ae re ys bude Ne Whe Ieee aly ‘ Reo AU as a aoe toly are nell Ue a RE ee) ges) ee GR, ai WN CR Wied Sate! ti pe . Beye 1 a Be CE Ph a oe ee Pree Nee rae wh tn oe ul KoA i aoe eos OMe St : nty. e300 SLR 4 ayy 4 ? ‘ tut i ae met "A ‘ en a Weary fy amen?” byastt ae ‘eo eu heat edt ak ea ; abd rh? a a ; - ep Bs: 4 theo A sh et hie ne 1a Oy A ; pe: 7 ‘ 5 Ate asd ee ee GS gre Mee hy i MN on RR CK VEN tis eet os ee higeaientehs Pa a oie a dais ig h hit ite Sahel ety ae 4 , he at ha eet % rs 4 (ies a F Tabi eal meer tt egeh TS ae Nt wert actsh : ) el i ; ‘ iP, 5 ‘ 7 var | ate td LP A * F ; iy : FA ‘ ; a "hd te ir ti i ih e ath, ; ‘ig sR 7 hen * 4) iS iy ty | Py ae i < 2G ee ey, » hme *. y Nov 28 1898 Die Gliedmafsen der Robben. Von Dr. Ludwig Reh. Hierzu Tafel I. Seitdem uns Darwin das Verstaindnis fiir die mannigfaltigen Formen, die uns in der organischen Welt entgegentreten, er- méglicht hat, bildet die Untersuchung der Anpassungserscheinungen wohl den interessantesten Teil der bionomischen+) Morphologie. Bei den Pflanzen, wo die betreffenden Verhaltnisse mehr ins Auge fallen und leichter zu beobachten sind, waren und sind sie noch Gegenstand eifriger Forschung. Infolgedessen hat auch dieser Teil der Botanik grofe Fortschritte zu verzeichnen. Anders bei den Tieren. Hier entziehen sich gerade die bionomischen Be- ziehungen mehr der direkten Beobachtung und sind um so schwieriger festzustellen, je héher wir in der Tierreihe empor- steigen, d. h. je verschiedenartiger und verwickelter sich die Lebensbedingungen gestalten. So sind von der grofen Masse der speziell angepaSten Saéugetierformen, von den laufenden, springen- den, schleichenden, kletternden, grabenden, fliegenden, schwimmen- den eigentlich nur die letzteren auf ihre Anpassungserscheinungen hin genauer untersucht worden und von ihnen eingehender nur die Wale, die daher auch durch die Arbeiten von Lesoucg, RYDER, WeBER und KUKENTHAL unserem Verstandnisse niher geriickt 1) Um Mibverstindnissen vorzubeugen, wihle ich statt des ver- schieden verstandenen Wortes ,,Biologie bezw. ,,biologisch“ das von Hicxet vorgeschlagene ,,Bionomie“ bezw. ,,bionomisch“, das dann also etwa bedeuten wiirde die Lehre von den Lebensverhiltnissen der Tiere in Bezug auf die sie umgebende organische und anorganische AufBenwelt. Bd, XXVIU. N, F. XXI. 1 2 Ludwig Reh, sind. Wenn auch die genannten Autoren in betreff der Phylo- genie der Wale noch nicht in allen Punkten tibereinstimmen, so scheint es doch kaum noch einem Zweifel zu unterliegen, daf wir sie zu betrachten haben als die Nachkommen von Landsauge- tieren und nicht, wie Lesoucg will, als direkt abzuleiten von den altesten, im Wasser lebenden Vorfahren der Saugetiere. Das Verstindnis fiir so einseitig angepafte Formen wird natiirlich in hohem Grade geférdert durch die Kenntnis der Uber- gangsformen, der amphibisch lebenden Sauger. Unter diesen bieten wieder gerade die Robben eine Menge eigentiimlicher Ver- haltnisse dar; und so sind bei den Untersuchungen iiber die Her- kunft der Wale vorwiegend sie in den Kreis der Betrachtungen gezogen worden. Durch die vielen Arbeiten, die in den letzten Jahrzehnten iiber sie veréffentlicht wurden, ist ihre Organisation uns ziemlich bekannt. Dennoch bieten sich der naiheren Forschung noch manche zweifelhafte Punkte. Einer der in den letzten Jahren am meisten besprochenen ist die Auffassung ihrer Gliedmafen, bezw. der lappenartigen Fortsaitze, die sich an sie ansetzen. Einen Beitrag zu liefern zur Kenntnis und zum Verstandnisse dieser Organe, soll der Zweck vorliegender Arbeit sein. II. Umwandlung der Gliedmafsen der amphibisch lebenden Sitiuger. Die Umwandlungen, welche die Gliedmafen von Tieren, die vom Leben auf dem Lande zu dem im Wasser tibergehen, er- fahren, sind in ihren Grundziigen schon 6fters untersucht und festgestellt worden. Dennoch diirfte es sich empfehlen, kurz auf sie einzugehen und sie zu vergleichen mit den Verhialtnissen, die uns bei den eigentlichen Landtieren entgegentreten '). Bei letzteren wirken die Gliedmafen pendelartig, durch ihre Schwingungen den Koérper vorwarts schiebend. Je langer daher ihre Radien, d. h. ihre frei beweglichen Teile, um so leichter und fordernder wird die Bewegung sein. Wir finden infolgedessen das Streben, einerseits die freien Gliedmafen, soweit es die tibrigen 1) Nach Fertigstellung des Manuskripts kam mir ein Aufsatz von Werner: ,,Zoologische Miscellen“ (Biol. Centralbl. Nr. 9 u. 10, 1892) in die Hinde, in dem ich zu meiner Freude mit den meinigen sehr iibereinstimmende Ausfihrungen tiber denselben Gegenstand fand. Die GliedmaBen der Robben. 3 Koérperverhaltnisse erlauben, zu verlangern, andererseits den in den Kérper eingeschlossenen Teil soweit zu verkiirzen, als es die hier ansetzenden oder entspringenden Muskeln gestatten. Von Vorteil ist natiirlich auch eine mdglichst gleichmafige Verteilung des Kérpergewichtes auf beide Gliedmafen oder, was dasselbe ist, ihre méglichst gleichmaBige Ausbildung. Dann er- fordert es diese Art der Bewegung, dafi die Gelenke méglichst vereinfacht und zugleich méglichst fest werden, Spielraum fiir die hier zusammenstofenden Knochen nur in einer, meist der longi- tudinalen Richtung gestattend. Die Folge ist Verminderung der Carpal- und Tarsalgelenke, die ihren héchsten Grad bei den Huf- tieren erreicht, und Ausbildung der iibrigen zu Winkel- oder Charniergelenken mit transversaler Achse. Hand in Hand mit der VergréSerung der Laufgeschwindigkeit geht weiterhin die Ver- kleinerung der den Erdboden beriihrenden Fliche. Erreicht wird sie durch Verminderung der Zahl und Erheben auf die auSerste Spitze der Zehen. Die schlechtesten Laufer sind die Sohlenginger mit der normalen Zahl von Zehen, schon bessere die Zehenganger mit meist verminderter Anzahl, die besten schlieSlich die Huf- tiere, besonders die Ein- und Zweihufer. Bei den schwimmenden Saéugern muf die Umbildung der Gliedmafen im allgemeinen gerade den umgekehrten Weg ein- schlagen. Hier miissen sie wirken als einarmige Hebel: den festen Punkt bildet das distale Ende, die bewegende Kraft: der Muskelzug und den zu bewegenden Gegenstand, die Last: der Korper, der in dem, starken Widerstand leistenden Wasser vor- warts geschoben werden soll. Es ist klar, da infolgedessen die GliedmaBen verkiirzt werden miissen. Je linger sie sind, um so weiter vom K6érper entfernt muf entweder die Ansatzstelle der Muskeln sein oder um so stirker und massiger miissen letztere werden. Ersteres wiirde die Schwimmfahigkeit auSerordentlich beeintrachtigen, letzteres das spezifische Gewicht des Kérpers be- deutend vermehren. Natiirlich muff und darf die Verkiirzung der Gliedmafen nur deren Achse treffen. In der That zeigt sie sich am auffallendsten an Femur und Humerus, die meist vollstandig im Leibe stecken, wodurch noch ihre Muskelmassen an eine fiir die Fortbewegung minder hinderliche Stelle tibergefiihrt werden. Die Verkiirzung von Vorderarm und -bein darf nicht so sehr be- deutend sein, da hier ja alle die Muskeln entspringen, die Hand und Fuf bewegen, also gerade bei schwimmenden Tieren so sehr in Betracht kommen. Immerhin ist auch sie noch sehr betricht- 1 * 4 Ludwig Reh, lich und bei manchen Wasserséiugern sind diese Skeletteile eben- falls ganz oder doch teilweise im Koérper eingeschlossen. Die distalen Ausbreitungen der Gliedmafen, Hand und FuB, miissen dagegen eine beschrankte Vergréferung erfahren und zugleich eine riicklaufige Umwandlung nach der Flosse der Fische hin. Die Vergréferung mu sich natiirlich ebensowohl auf die Lange als auf die Breite erstrecken. Erstere, die Verlangerung, wird erreicht durch Verlangerung der einzelnen Glieder, speziell der Phalangen, durch ihre Vermehrung und, nach der Ansicht der meisten Autoren, durch knorpelige Anhainge an Fingern und Zehen bei manchen Robben. Die Verbreiterung wird herbeige- fiihrt durch Abplattung der Phalangen, durch gréfSere Spreizbar- keit der Finger und Zehen oder, bei den Walen, durch Vermeh- rung dieser und durch Ausbildung von Schwimmhauten. Je ausschlieflicher sich Tiere im Wasser aufhalten, um so mehr verlieren ihre Gliedmafen die Bedeutung von Stiitzorganen, denn nun tragt sie ja das Wasser selbst. Die Folge davon ist, dafi die Gelenke des Gliedmafenstammes minder fest und straff werden. Ebenso erfordert die neue Thatigkeit der Gliedmafen als Ruder- und Steuerorgane eine auferordentliche Beweglichkeit dieser Gelenke. In der That finden wir ihre Form sich sehr der- jenigen der Kugelgelenke nahern: Sattelgelenke sind schon aufer- ordentlich haufig. Zugleich sehen wir, zur Erméglichung mannig- faltiger Bewegungen, auch die Carpal- und Tarsalgelenke wieder sehr zusammengesetzt und verwickelt werden, wahrend sich die Gelenke der Phalangen sehr vereinfacht, spaltformig, gestalten, da Hand und Fu8 als Schaufel wirken, mithin wohl elastisch, aber nicht biegsam sein diirfen. Nach dem Prinzipe des Schwimmens der Fische miissen wir erwarten, daf sich gerade die Hinterbeine ihrer neuen Thatigkeit am meisten anpassen und daf sie aus ihrer seitlichen Stellung mehr in eine endstandige tibergehen. Die Vorderbeine setzen durch ihren Gebrauch als Greiforgane den Umwandlungen zur Flosse natiirlich gréferen Widerstand entgegen. Sehen wir nun, wie sich zu diesen theoretischen Erwaigungen die thatsichlichen Befunde bei den Wassersiugern verhalten, wo- bei wir jedoch die hierher geh6érigen Hufthiere unberiicksichtigt lassen wollen, da sie ganz besondere Anpassungserscheinungen darbieten. Am leichtesten festzustellen und vielleicht auch am interessan- testen ist die Ausbildung der Schwimmhaut, deren Haupttypen Die Gliedmafen der Robben. 5 schon kurz von KiiKkenTHAL (28) zusammengestellt worden sind. Dennoch glaube ich auf sie niher eingehen zu diirfen. Ein ginzliches Fehlen der Schwimmhaut konnte ich bei im Wasser lebenden Saugetieren nur bei Scalops, Arvicola amphibius und Crossopus feststellen. Bei letzterer treten an ihre Stelle Schwimmborsten, die den Raum zwischen den Zehen ausfiillen. Das Fehlen auch dieser bei den beiden ersteren diirfte wohl zu erklaren sein durch ihre gleichzeitig grabende Lebensweise. — An beiden GliedmaSenpaaren ziemlich gleichmafig ausgebildet finden sich Schwimmhaute bei den Saugern, die sich sehr wenig im Wasser aufhalten, wie bei Cynogale, Ursus maritimus und, ein sehr interessantes Vorkommen, dem Neufundlinder Hunde. Bei der groBen Mehrzahl der amphibisch lebenden Sauger, bei denen also, deren Aufenthaltsort fast ebensoviel das Wasser als das Land ist, tragen nur die hinteren GliedmaSen Schwimmhaute, wie bei Castor, Hydromys, Fiber, bei dem noch Schwimmborsten dazu kommen, Myopotamus und Chironectes. Bei den Saugetieren endlich, deren Leben sich groStenteils im Wasser abspielt, und vor allem bei denen, die als Raubtiere ihre Nahrung auch vorwiegend im Wasser aufsuchen miissen, sind Schwimmhaute an beiden GliedmaSenpaaren wohl entwickelt, aber die der hinteren weit stirker. So bei Myogale, das ebenfalls noch Schwimmborsten besitzt, bei Hydrochoerus, Putorius lutreola und seinem amerikanischen Verwandten P. vison, Lutra, Enhydra und endlich den Robben. Wie der Natur aber iiberall verschiedene Mittel und Wege zu Gebote stehen, den gleichen Zweck zu erreichen, so miissen wir auch hier erwarten, Abweichungen von der eben aufgestellten Reihenfolge vorzufinden. So sehen wir bei Ornithorhynchus gerade an den vorderen Gliedmafen die entwickelteren Schwimm- haute und die gréfere Umbildung. Und bei den Walen und Sirenen sind tiberhaupt nur diese noch vorhanden, wahrend die hinteren bis auf zwei lose im Fleische steckende Beckenknochen véllig verschwunden sind. Eine Erklarung fiir so abweichende Befunde mag darin zu suchen sein, da’ hier der Schwanz, wenn auch in verschiedenem Grade, beim Schwimmen die Stelle der hinteren Gliedmaf8en vertritt. Wie wir sahen, ist schon bei einem grofen Teile der eben angefiihrten Tiere ein Unterschied in der Ausbildung der beiden Gliedmafenpaare vorhanden und zwar zu Gunsten der hinteren, der Hand in Hand geht mit der Ausbildung der Schwimmhaut. 6 Ludwig Reh, Gleichen Schritt damit halt auch die VergréSerung von Hand und Fu8 durch Verlaingerung und Verbreiterung. Auch die Verkiirzung der Gliedmafen insgesamt ist iiberall deutlich zu beobachten, mit Ausnahme der des Neufundlander Hundes und des Eisbaren. Bei beiden ist dies nicht auffallend. Weniger oft diirfen wir erwarten, einen aufergewohnlich grofen Teil der Gliedmafen im Ké6rper eingeschlossen zu finden. Fiir alle Tiere, die noch mehr oder weniger auf das Land angewiesen sind, mii8te dies auBerordentlich ungiinstig sein. Wir diirfen danach also nur bei den Tieren suchen, bei denen das Wasser das haupt- sichlichste Lebenselement bildet, bezw. ihnen die Nahrung liefert. AuSer bei den Robben ist dies in héherem Mafe nur bei der Seeotter der Fall und bei ihr zeigen denn auch besonders die HintergliedmaBen eine auferordentliche Annaherung an die jener. Dasselbe gilt fiir die vorwiegend den Robben zukommende Schlatfheit und Beweglichkeit der Gelenke der Gliedmafenachse, die fiir alle sich noch wesentlich auf dem Lande bewegenden Tiere eine Unméglichkeit ware. Dagegen sind die Gelenke der Gliedmafenspreite bei den Robben schon fast rein spaltformig und bei den Sirenen und Walen sind iiberhaupt keine Gelenke mehr in Funktion. Was nun schlieBlich die Wanderung der HintergliedmaSen nach dem hinteren Kérperende zu anlangt, so ist sie aus leicht einzusehenden Griinden so schwierig festzustellen, daf wir nicht hoffen diirfen, sie iiberall leicht wahrnehmen zu kénnen. Dennoch glaube ich sie bei Lutra, Hydromys, Fiber schon mehr oder weniger deutlich vorzufinden. Vd6llig ausgesprochen ist sie schon bei Enhydra und Ornithorhynchus; ihren héchsten Grad erreicht sie bei den Robben, speziell den eigentlichen Seehunden. IlI. Die Endlappen an den Gliedmafsen der Robben. Oben sind schon kurz die eigentiimlichen Anhange erwahnt, die wir bei Robben an den Enden der Finger und Zehen vor- finden, und die durch Verlangerung dieser, nach der Ansicht der meisten Autoren, dazu dienen sollen, auch die Schwimmhaut zu verlangern. Sie waren also zu betrachten als Anpassungen an das Wasserleben. Auf Grund dieser Annahme hat sich iiber ihre morphologische und phylogenetische Bedeutung eine lebhafte Diskussion von all- gemeinerem Interesse entsponnen, die auch mich veranlaBte, naher Die Gliedmafen der Robben. 7 auf diese Organe, die ich der Kiirze wegen mit dem indifferenten Namen ,,Endlappen“ bezeichnen méchte, einzugehen und sie zum Gegenstande einer eigenen Untersuchung zu machen. Hervorgerufen ward die Streitfrage durch eine fast gleich- zeitig von J. A. RyperR und M. Weser aufgestellte Hypothese. Beide suchen die Hyperphalangie der Wale zu erklaren durch segmentale Verknécherung der, wie angenommen wird, knorpeligen Achsen der Endlappen der Otariiden. Zuerst wurde diese Theorie veréffentlicht von J. A. RypgErR in einem Aufsatze: ,,On the genesis of the extra terminal pha- langes in the Cetacea“ (15). Ryprr sucht sie durch folgende Griinde zu stiitzen: ,,That the digits of the Uetacea develop as part of the continuous blastema of the embryonic appendicular skeleton as in other vertebrated animals, there can be no doubt. That the joints and segments of their limbs also become gradu- ally defined in serial order from the shoulder and hip girdles outward, also admits no doubt. In like manner there can be no doubt of the fact that the cartilaginous extensions of the ungual phalanges of pinnipeds are a part of the original blastema from which the ossified portions of the skeleton of the limbs of these animals have developed.“ ° Daf die beiden ersten Behauptungen richtig sind, unterliegt keinem Zweifel. Daf aber die letzte Behauptung nicht richtig ist, wenigstens nicht in dem Sinne Rypgrs, glaube ich spater nachweisen zu k6énnen. Groen Wert legt RypEr dann auf die Thatsache, die er fest- stellen zu kénnen glaubt, da namlich die distalen Phalangen spater verknéchern als die drei proximalen, die zusammen mit dem Carpus verknéchern sollen. An sich schon sehr unwahr- scheinlich, wurde diese Behauptung durch KiKentTHat (27) auf das bestimmteste zuriickgewiesen, nach dessen Beobachtungen die Phalangen einfach nacheinander, in der Reihenfolge vom Metacarpale zur Endphalanx verknéchern, ohne irgend welche Unterbrechung. Dasselbe ergaben die Untersuchungen LeBoucegs (21). Damit fallt auch die weitere Behauptung Rypers, ,,that the extra terminal phalangeal segments of the Cetacea have been added to the digits of the manus since the three proximal ones have been formed, which are normally characteristic of the digits of other mammals“. Ryper fahrt dann fort: ,In some of the existing seals these cartilaginous prolongations of the ungual phalanges are long 8 Ludwig Reh, enough in the pes to afford the basis for three new and additional segments to each digit, as long as the three normally developed in each toe.“ . Ich glaube nicht, dafi diese Thatsache irgendwie von Belang ist, ebensowenig wie die folgende: ,,The proof that the extra ter- minal segments of the digits of the cetacean manus have been added distally, is the fact that the structure of the carpus is not, in any essential feature, different in structure from that of other mammals as far as the presence of elements normally formed is concerned.“ Auch folgende Uberlegung scheint mir keinen geniigenden Beweis zu liefern: ,,The second fact of importance is the circum- stance that when a limb is in its primitive cartilaginous condition it always developed its segments from its axial end towards its peripheral end in serial order. The basis for the extra terminal segments was first developed through the influence of functional adaptation, as cartilaginous bars or extensions of the primitive cartilage of the ungual elements of the digits in response to the demands made upon the limb in swimming. The segmentation of these terminal cartilaginous bars then followed through the influence of mechanical strains acting upon the cartilaginous ter- minal bars as these were alternately bent in opposite directions.“ SchlieBlich kommt RypEr dann zu dem Schlusse: ,,J am there- fore constrained to believe that it has been through a seal -like ancestry with prolonged integuments to the manus, in which the nails were not terminal but dorsal, beyond which the ungual phalanges were extended as bars of cartilage, which gave rise, by transverse segmentation and subsequent ossification to extra terminal digital segments as found in existing Cetacea.“ Kurz nach Ryper veréffentlichte Wreprer die namliche Hypo- these in seinen ,,Studien iiber Saugetiere‘t (17). Er stellte sie in Form einer Frage auf: ,,Ist die distalste Phalange, bei Globio- cephalus z. B. die 13., homolog der Nagelphalanx der tbrigen Saugetiere oder wenigstens teilweise homolog, indem sich einfach durch Querteilung, durch Entwickelung von zahlreicheren Knochen- kernen in der knorpeligen Anlage der Finger die minder zahl- reichen typischen Phalangen vermehrt haben? Oder aber ist an eine Fortentwickelung eines Zustandes zu denken, der bei den Otariiden angedeutet ist? Bei diesen finden wir namlich, daf die Nagelphalangen iiber die Nagel hinaus cartilaginés verlangert sind, um Hautlappen zu tragen. Haben sich derartige Knorpel- Die Gliedmafen der Robben. 9 strahlen nun phalangenartig entwickelt und verlingert zu den langen Fingern der Cetaceen tiber die 3. Phalanx hinaus ?* WeseER glaubt, daf man am einfachsten diese Frage beant- worten kénne dadurch, ,,daf man dem feineren Verhalten der Sehnen der Fingerstrecker und -beuger nachgeht und sieht, wo dieselben wirklich endigen‘. Wrser geht dabei von der Annahme aus, daf die Endlappen der Robben und die tiberzahligen Pha- langen der Wale homologe oder mindestens analoge Bildungen seien. Wie ich spater nachzuweisen hoffe, haben sie jedoch nicht das Geringste miteinander zu thun. Auferdem sind die Inser- tionsstellen der Muskeln so wechselnd, da ich nicht glaube, daf auf diese Weise ein nur einigermafen entscheidendes Resultat erlangt wiirde. Werser kam dann spater in einem Aufsatze (18) nochmals auf diese Hypothese suriick, ohne jedoch weitere Belege fiir sie zu bringen. Sind alle Autoren tiber die Bedeutung der Endlappen, als Stiitzorgane zur Verlangerung der Schwimmhaut, einig, so sind dagegen die Ansichten tiber ihr Vorkommen, ihr feineres Ver- halten etc. sehr verschieden. Von den vielen Ansichten will ich hier nur eine beschrankte Zahl anfiihren. Die erste Erwaihnung der Endlappen finde ich bei Cuvier (1), der von den Otariiden schreibt: ,,La membrane des pieds de derriére se prolongeant en une laniére au-dela de chaque doigt.‘ von Barr (6) erwahnt nur kurz die beim Walrosse ,,iiber die Zehen hinlaufende Haut‘‘; J. Murte (7 u. 8) spricht von ,,spatulate cartilages“, ,,distal cartilages‘, ,,soft cartilaginous tip‘ beim Wal- rosse und den Ohrenrobben. Ryper (15) geht genauer auf sie ein: ,,In Histriophoca the terminal cartilaginous extensions of the last joints of the digits are quite rudimentary. In the walrus, the fur-seal and sea-lion the terminal cartilages of the digits are more developed, and articulate directly with the abruptly trun- cated ends of the ungual phalanges. The terminal cartilages of the digit apparently reach their greatest or strongest development in the walrus.‘ Wieweit dies richtig ist, werden wir spater sehen. Weser (17) stiitzt seine Hypothese auf die ,,Knorpelstrahlen, die sich bei Pinnipediern tiber die Nagelphalanx hinaus fortsetzen‘ oder darauf, ,,daf bei den Otariiden die Nagelphalangen iiber die Nagel hinaus cartilaginés verlingert sind“. CAmERANO (12) nennt sie bei der Hand seines Otaria-Embryo nur ,,margine cartilagineo“, am Fufe dagegen, abnlich wie Murig, ,,cartilagini terminali*. J. ALLEN (13) sagt ausdriicklich von den Phociden, sie seien 10 Ludwig Reh, , Without terminal cartilaginous flaps‘, von den Walrossen und Otariiden jedoch, sie haben an der Hand ,,a broad cartilaginous border“ und am Fufe ,long narrow cartilaginous flaps, united basally“. Bream (2) bemerkt nur bei den Ohrenrobben: ,,Die Flosse verlangert sich lappenartig tiber die Zehen.“‘ LeBoucg war der erste, der die eigentiimlichen Organe histologisch genauer untersuchte. Das Ergebnis seiner Untersuchungen, die sich auf Embryonen von Phociden, Trichechus und Otaria, sowie auf ein Stiick aus dem Endlappen einer erwachsenen Otaria erstreckten, faft er in folgenden Saétzen zusammen (20): ,,Das sich bei Otaria und Trichechus tiber das letzte Fingerglied distalwarts ausstreckende Stiick ist von dem typischen Fingerskelete vollstandig verschieden. Es besteht einfach aus kondensiertem Bindegewebe, das sich von der Volarflache der Basis der letzten Phalange abzweigt. Von Segmentation dieses Stabes war weder beim Fétus, noch beim Erwachsenen eine Spur vorhanden.“ Meine Untersuchungen!) ergaben nun, daf die eben ange- fiihrten Beobachtungen, mit Ausnahme derjenigen LeBoucas, fast in allen Punkten den Thatsachen nicht entsprechen. So fand ich vor allem Endlappen bei allen Pinnipediern, bei den eigentlichen Seehunden, den Walrossen und den Ohren- robben. Bei den eigentlichen Seehunden sind sie am kleinsten. An den VorderfiiBen fehlen sie ganz; hier sind nur die gewéhnlichen Fingerballen vorhanden. An den HinterfiiSen simtlicher See- hunde, die ich daraufhin untersucht habe, konnte ich sie dagegen auf das Bestimmteste nachweisen. Sie erscheinen im allgemeinen 1) An Material standen mir zur Verfiigung: die Sammlungen der Universitat Jena, die Museen zu Darmstadt und Frankfurt a/M. (SenckEenBeRG’sche Anstalt), wofiir ich den Herren Professor Dr. von Kocn und Direktor Dr. Haacxe zu Danke verpflichtet bin. AuBerdem stellte mir Herr Professor Dr. KtxentHat einen Walrob- embryo aus seiner Privatsammlung zur Verfiigung, sowie mehrere Phozidenembryonen, die ihm von dem Museum zu Hamburg zur Bearbeitung iiberlassen waren. Es sei mir gestattet, an dieser Stelle diesem meinem hochverehrten Herrn Lehrer meinen innigsten Dank abzustatten fiir die Erlaubnis, diese seltenen Embryonen zu meinen Untersuchungen benutzen zu diirfen. — Inzwischen ist es mir méglich gewesen, im Naturhistorischen Museum und im zoologischen Garten zu Hamburg weitere Untersuchungen anzustellen, die im wesent- lichen meine friiheren bestitigten. Die Gliedmafen der Robben. 11 als kurze, platte Fortsitze der Zehen, am starksten entwickelt an den beiden seitlichen, wo sie 6fters 3—4 cm lang werden, schwicher, aber immer noch deutlich an den 3 mittleren. (Bei den Embryonen erscheinen sie verhiltnismaBig gréfer, wegen der Kleinheit der Krallen). Sie machen den Eindruck, als sei einfach die Fingerbeere plattgedriickt worden. Die Schwimmhaut ragt bis an ihre auBerste Spitze heran. Beim Walrosse ist ihre Entwickelung eine ungleich bedeuten- dere. An Hand und Fuf sind sie wohl ausgebildet. Bei dem Embryo (Fig. 1), der meinen Untersuchungen zu Grunde lag, ist ihre Lange an beiden ungefahr gleich, nur an den seitlichen Zehen sind sie sehr viel gréfer. Im allgemeinen scheinen sie an den Vorderfiiken gréfer, wegen des Schwundes der Nagel. Sie nehmen hier ab vom 1. bis zum 5. Finger. Am Daumen ragt der End- lappen beim erwachsenen Tiere etwa 6—7 cm, am kleinen Finger etwa 3—4 cm iiber das distale Ende des Nagelrudimentes vor. Seine Breite am Daumen ist durchschnittlich 3,3 cm, an den iibrigen Fingern etwa 2,1 cm. Die Dicke ist sehr gering, héch- stens 0,3—0,4 cm. Die Schwimmhaut erstreckt sich ziemlich weit zwischen sie hinein, so dafi der vordere Rand eine stark, etwa 1,5 cm tief, wellig gebuchtete Linie darstellt. An den Hinterfii&en betragt ihre Lange auf den Abbildungen Murtie’s (7) an der 1. und 5. Zehe 7,2 cm, an den 3 mittleren 3,3—3,9 cm, ihre Breite an jenen 3—3,6 cm, an diesen 1,5 cm. Uber die Schwimmhaut ragen sie 1—3,5 cm weit hervor. An einem ausgewachsenen Exemplare, das ich im SENCKENBERG’schen Museum zu Frankfurt ma8, betrugen dieselben Mae in derselben Reihenfolge: 9,5—10 cm, 2,6—3,5 cm, 5,6 cm, 1,8 cm, 3 cm, wobei zu bedenken ist, daS die Endlappen durch das Trocknen eingeschrumpft waren. — Die Dicke ist sehr gering, héchstens 0,3 cm. Die Einbuchtungen sind ziemlich tief, zugleich auch breit, da die Schwimmhaut nicht bis an die Spitze der Endlappen reicht. Eigentiimlich ist ihre Gestalt. Ihre Rainder sind namlich derart ausgeschnitten, daf beim seitlichen Zusammenschliefen der Zehen die Endlappen sich eng aneinander legen, ohne sich gegenseitig zu decken. Bei den Ohrenrobben endlich erreichen die Endlappen ihre hochste Ausbildung und zwar speziell bei Otaria jubata. Ich lasse deshalb nur die Mafe fiir diese folgen, wie sie sich aus Murtez’s Monographie (8) ergeben. An der Hand betragt die Lange des Endlappens des Daumens 19,5 cm, am_ kleinen 12 Ludwig Reh, Finger nur 4,5 cm, die wtbrigen bilden die Ubergange. Die Schwimmhaut ragt fast bis an die auferste Spitze heran, so da8 der Vorderrand eine nur schwach gewellte Linie darstellt. Die Dicke ist dauSerst gering, nach Murte ,,only a few lines“ und am vorderen Rande ,,she does not surpass 1—2 lines“. Am Fufe ist die Linge der Endlappen von der 1. bis 5. Zehe 16,2, 13,5, 13, 12, 12,3 em; die Breite der 1. 42, der 2. bis 4. 2,4, der 5. 2,7 cm. Die Schwimmhaut erreicht kaum die Halfte der Linge; so wird sie von der 1. Zehe 9,6, von den tibrigen 8,7—7,5 cm iiberragt. Dabei ist die Dicke der Endlappen wieder duferst gering, eher noch schwacher als an der Hand. Zur Feststellung der histologischen Verhaltnisse habe ich untersucht: 1) an einem Embryo von Trichechus rosmarus von 12 cm Lange den 1., 2. und 5. Finger der rechten Hand, sowie die 1. Zehe des rechten Fufes auf Sagittalschnitten, den 3. und 4. Finger zusammen auf Horizontalschnitten ; 2) an einem Embryo von Phoca groenlandica von 13 cm Lange (mit eingeschlagenen Hinterfiifen) 1. Finger und 1. Zehe der rechten Seite auf Sagittalschnitten ; 3) an einem Embryo von 18 cm Lange, dessen AuBeres ganz dem einer Otaria entspricht, den ich jedoch aus Mangel an Ver- gleichsmaterial nicht genauer zu bestimmen vermochte, den rechten Daumen auf Sagittalschnitten. I Trichechus rosmarus (Fig. 2). An den Schnitten der Finger zeigen sich die Gewebe deutlich differenziert. Die Phalangen sind in der Knorpelanlage voll- kommen scharf abgegrenzt und iiberall von starkem Perichondrium umgeben, das jedoch nur da, wo die Verkalkung bereits begonnen hat oder zu beginnen im Begriffe ist, scharf vom Knorpel sich abgrenzt. An den iibrigen Stellen laft es lebhaft Knorpelzellen nach innen zu wuchern. Nach aufen zu setzt es sich vom tibrigen Bindegewebe durch einen Spalt oder eine Lage sehr lockeren Gewebes scharf ab. Nur an der Endphalanx geht das hier sehr verdickte Perichondrium unmerkbar in das iibrige Gewebe iiber. An den Stellen, wo die Verknécherung bereits begonnen hat, lat es die von Baur (30) unterschiedenen drei Schichten deutlich er- kennen: eine auBere Periostschicht (Faserschicht des Periostes), eine innere Periostschicht (Perichondrium) und eine von letzterer auf den Knorpel aufgelagerte Periostschicht. Wenn hier die Die Gliedmafien der Robben. 13 Phalangen zugleich etwas gebogen sind, legt sich das Perichondrium in starke Falten. Die Verknécherung oder die Verkalkung haben bereits begonnen. An den Metacarpalien ist der Diaphysencylinder schon ziemlich entwickelt; an Metac. II, III, IV treten bereits GefaSwucherungen im Centrum auf. Die 1. Phalangen zeigen deutlich den Knochencylinder, im Innern jedoch nur Verkalkung. Am Daumen ist der ProzeS am weitesten vorgeschritten; am 5. Finger beginnt eben erst die Bil- dung des Cylinders. An den 2. Phalangen ist vom Cylinder noch keine Spur vor- handen; an der des 2. Fingers dagegen Knorpel und Perichon- drium in der Mitte bereits scharf getrennt. Die Endphalangen sind noch fast rein knorpelig. Nur die Spitze ist mit einer Knochenhaube bedeckt und nur in diesem Teile bieten die Knorpelzellen das charakteristische Bild der be- ginnenden Verkalkung. Die Achse der Phalangen bildet einen flachen, nach unten konkaven Bogen. Aus ihr weicht die distale Halfte der End- phalanx stark heraus. Der Nagel sitzt auf einer dorsalen Papille; demgemaS mul sich auch der Ungualteil der Endphalanx nach oben umbiegen. Hierdurch wird letztere mehr oder weniger scharf in 2 Teile ge- schieden. Der proximale, basale Teil stellt einen grofen wiirfel- formigen Kérper dar, der den iibrigen Phalangen an Massigkeit nichts nachgiebt, sie eher noch tibertrifft. Aus der Mitte der distalen oberen Kante heraus erhebt sich schief nach vorn-oben der distale Teil, an Masse etwa 4mal kleiner, von rundlichem Querschnitte, mit etwas verdiinntem Halse und etwas verdicktem Kapitulum. Der Winkel zwischen beiden Teilen, nach vorn zu, betragt beim Daumen etwa 55° uvd nimmt nach dem 5D. Finger zu bis auf 17° ab. Bei letzterem ist daher auch die Abgrenzung beider Teile nicht so scharf. Das Bindegewebe ist im allgemeinen fibrillar, ohne beson- dere Abweichungen, mit Ausnahme des Endlappens. Hier ist es auSerordentlich verdichtet und zwar in Form eines Keiles, dessen Basis auf dem proximalen Teile der Endphalanx, auf deren distaler Flache, ruht, unmittelbar aus dem hier sehr verdickten Perichon- drium hervorgehend. Seine Spitze ist zugleich die des Endlappens, seine Achse die der Phalangen. In ihm verlaufen die Fibrillen so dicht, dafZ an manchen Stellen fast der EKindruck einer Sehne entsteht, in rein ventro-dorsaler Richtung, in der auch meist die 14 Ludwig Reh, Kerne langgestreckt sind. Dorsal geht er unmerklich in das lockere Unterhautbindegewebe iiber, das sich nur direkt unter der Haut wieder etwas verdichtet mit horizontal gestellten Kernen, wahrend dazwischen die Kerne runde Gestalt annehmen. Ventral wird der Keil begrenzt von dem letzten Ausliufer des ventralen Muskels. Es ist dies ein ziemlich starker Flexor, der gré8ten- teils in dem Perichondrium der Basis der Endphalange inseriert. Einige sehnige Abzweigungen gehen von hier aus direkt schief nach vorn-oben in den Keil hinein und lésen sich darin auf. Eine noch recht starke sehnige Fortsetzung erstreckt sich bis in die Spitze des Endlappens, eben die ventrale Grenze des Keiles bildend. Von dieser Fortsetzung zweigen sich fortwahrend sehnige Fasern in den Keil ab, bis sich dann der letzte Rest in der Spitze des Endlappens, in dem hier besonders dichten Bindegewebe, verliert. Dorsal von den Phalangen verlauft ein Extensor, der fast ganz in dem dorsalen Perichondrium der Endphalange inseriert und nur 2 ziemlich schwache Auslaufer um ihren Hals herum nach vorn in den Keil des Endlappens hineinschickt. Gefaife verlaufen tiberall, am haufigsten im Unterhautbinde- gewebe, aber auch im dichtesten Keile, wenn auch hier meist von sehr geringem Durchmesser. Auf den Sagittalschnitten tber- wiegen im allgemeinem die Querschnitte, besonders im distalen Teile der Finger; Langsschnitte finden sich nur im proximalen Teile haufiger; schiefe Schnitte dagegen kommen iberall vor, wenn auch in geringerer Menge. Die Epidermis zeigt so ziemlich das normale Verhalten. Nur vermag ich das typische Bild der volaren Epidermis (29), die Unterschiede von Stratum granulosum, lucidum und corneum mit groBen runden Zellen und Kernen im distalen Teile nicht zu finden. Erst von der Héhe des distalen Endes der Grundphalanx an proximalwarts sind sie zu erkennen. Anlagen von Driisen oder Haaren fehlen vollstandig, ebenso wie Papillen. Auf die Bildung der Nagel werde ich spiater eingehen. Vergleichen wir hiermit den Befund Lesoucg’s, wie er sich aus der Beschreibung und den Abbildungen in seinen beiden Ar- beiten (21 u. 22) tiber diesen Gegenstand ergiebt. In Bezug auf die histologischen Verhaltnisse zeigt er im wesentlichen dasselbe. Unterschiede ergeben sich nur in der Gestalt der Endphalanx und der Richtung des Endlappens. Erstere ist bei Lepoucg gerade, wird nach vorn dinner, ohne Umbiegung und ohne Unterschied Die Gliedmafen der Robben. 15 eines proximalen und distalen, bezw. basalen und ungualen Teiles. Da die ganze Phalanx in der Achse der tibrigen liegt, ist es klar, da8 dann die des Endlappens abweichen muff. Sie erstreckt sich denn auch schief nach unten. Ich glaube, da% dieser Befund nicht den natiirlichen Verhalt- nissen entspricht. Ich méchte ihn zuriickfihren auf eine Ver- biegung des Fingerendes, wie sie ja gerade bei konservierten Embryonen so leicht vorkommt. Soweit ersichtlich ist, hat LeBoucg nur diesen einen Finger vom Walrosse geschnitten, wihrend ich alle 5 geschnitten und an allen dasselbe Bild gefunden habe. Und auch an samtlichen iibrigen Robbenembryonen, mit Ausnahme der von Seehunden (s. u. S. 16), waren die Palmar- und Plantarflachen eben, soweit nicht gewaltsame Verbiegungen stattgefunden hatten. Fir die er- wachsenen Walrosse und Ohrenrobben ist dies ja gerade charakteris- tisch, was auch LeBoucg zugiebt. Wahrend er aber gema8 seinem Befunde einen Unterschied zwischen Embryo und erwachsenem Tiere feststellen will, derart, daf bei ersterem die Fingerbeere schief nach unten rage, sich aber allmahlich in die Achse der Phalangen einstelle, bis beim letzteren der Endlappen nur die Verlangerung dieser sei, glaube ich, da bei beiden die Richtung der betreffen- den Organe dieselbe sei. Auferdem ist der grofe Unterschied zwischen einem basalen horizontalen und distalen, bezw. ungualen, schief vertikalen Teil an den Endphalangen der Finger charakte- ristisch fiir die Raubtiere, von denen die Pinnipedier doch herzu- leiten sind. Ich glaube daher an meinem Befunde als dem rich- tigeren festhalten zu miissen. Die Schnitte (Fig. 3) durch die grofe Zehe desselben Embryos zeigen im wesentlichen gleiche histologische Verhaltnisse. Dagegen sind die Gestalt der Endphalange und mit ihr das Verhalten des Endlappens, bezw. seiner Achse von dichtem Bindegewebe vollig anders. Die Phalanx ist nicht gebogen, sondern bleibt volistandig in der Richtung der tibrigen. Damit fallt auch der scharfe Unter- schied zwischen basalem und ungualem Teile weg, indem letzterer allmahlich aus ersterem hervorgeht. Dennoch springt auch hier der Endlappen nicht aus der Richtung der iibrigen Zehe heraus, sondern bildet einfach deren Verlangerung. Seine Achse von dichtem Bindegewebe geht namlich nicht aus dem Perichondrium der Endphalange hervor, sondern direkt aus dem Bindegewebe der ventralen Seite, indem sich dieses allmahlich verdichtet. Ferner fallt die Achse der Phalangen nicht zusammen mit der 16 Ludwig Reh, der ganzen Zehe, sondern kreuzt sie in allerdings sehr flachem Winkel schief von hinten unten nach vorn oben. An den Schnitten selbst ist leider der Verlauf der Plantarfliche nicht direkt fest- zustellen, da sie durch ein Versehen verletzt war. Doch war an ihr ebenso wie an allen tibrigen Zehen schon makroskopisch das Fehlen jeder ballenahnlichen Hervorragung vollkommen deutlich zu erkennen. Il. Phoca groenlandica. Der Finger weicht in seinem Baue wesentlich ab von dem von Trichechus. Die wohlentwickelten starken Krallen bilden die Spitze des Fingers. An Stelle des Endlappens ist noch die ge- wohnliche Fingerbeere vorhanden. Die histologischen Verhaltnisse bieten nichts Abweichendes dar. Die Verknécherung ist, dem héheren Alter des Embryo entsprechend, schon bedeutend weiter vorgeschritten. Die Epidermis ist dicht besetzt mit schlauch- foérmigen Einsenkungen, deren Natur, ob Driisen- oder Haaranlagen, noch nicht festzustellen ist. An der groBen Zehe (Fig. 6) ist der Endlappen sehr gut ausge- bildet. An Lange giebt er dem von Trichechus nichts nach; da- gegen ist er in dorso-ventraler Richtung stark abgeplattet. Aus der Richtung der ganzen Zehe weicht er nur wenig nach unten ab. Im Gegensatze zu Trichechus wird er nicht gestiitzt durch einen Keil dichten fibrillaren Bindegewebes. Er besteht vielmehr aus ganz demselben Bindegewebe, wie es sich in der tibrigen Zehe findet. Nur unter der Oberhaut ist die normale Verdickung vor- handen. Die festere Achse wird allein gebildet durch einen Aus- laufer des Flexors, dessen Fibrillen nur in longitudinaler Richtung verlaufen. - Die lange Endphalanx ist schwach nach oben gebogen, jedoch ohne deutlichen Unterschied des proximalen und distalen Teiles. Die Verknécherung ist noch weiter vorgeschritten als beim Daumen. Die Einstiilpungen der Oberhaut sind die namlichen. An dem Endlappen stehen sie jedoch diinner und werden eben erst angedeutet als schwache Einbuchtungen. Nur an den beiden seitlichen Zehen zeigen die Endlappen die beschriebene starke Ausbildung. An den 3 mittleren sind sie bedeutend schwacher, kaum die Krallenspitze iiberragend. Il. Der Befund der Schnitte durch den rechten Daumen des unbestimmten Embryo entspricht, mit Ausnahme des Nagels, genau Die Glicdmafen der Robben. 17 der Beschreibung und dem Bilde, die LEBoucg von den Schnitten durch den Finger seines Otariaembryo giebt (21, 22). Fassen wir nun die Ergebnisse dieser histologischen Unter- suchungen zusammen, so sind es vor allem 2 wichtige, aus Lresouca’s und meinen Untersuchungen hervorgehende Thatsachen, die der RypErR-WeseEr’schen Hypothese nicht entsprechen. Es ist nimlich embryonal: 1) das Gewebe des Endlappens, obwohl schon deutlich differenziert, doch nur reines, fibril- lares Bindegewebe, ohne eine Spur von Verknorpe- lung oder Verknoécherung; 2) die feste Achse des Endlappens ,absolument indépendante du squelette typique” (22). Diese Thatsachen haben aber erst dann vollen Wert, wenn sie auch fiir die erwachsenen Tiere gelten. Ich habe deshalb, so- weit es mir méglich war, meine Untersuchungen auch auf solche ausgedehnt und folgendes gefunden. Zu 1. Um die histologische Zusammensetzung des Endlappens zu ermitteln, hat Lenoucg den Fortsatz eines Fingers von Otaria jubata untersucht (22), indem er ihn aufweichte und schnitt. Er fand ihn, trotz seines Auferlich sehr knorpelahnlichen Aussehens doch nur bestehend aus demselben Bindegewebe wie beim Embryo. Ich versuchte an einem gréferen Stiicke von Callorhinus falclan- dicus, das ich der Giite des Konservators am Darmstadter Museum, Herrn KistHarpt, verdanke, dieselbe Methode. Doch waren die so erlangten Ergebnisse so unsicher, daf ich keinerlei Schliisse aus ihnen ziehen méchte. Ich schlug daher einen anderen Weg ein, den der chemischen Analyse. Zuerst reinigte ich das Stiick méglichst vollstandig von dem anhangenden weifen Bindegewebe, bis nur noch die braune, wie trockener Knorpel aussehende, feste Achse iibrig blieb. Diese wurde zuerst weich gekocht, dann még- lichst fein zerzupft und wieder, fast 3 Tage lang, stark gekocht. Bei der Filtration blieb ein kaum bemerkbarer Riickstand. Die Lésung war etwas dicklich, von Farbe braunlich. Beim Erkalten gelatinierte sie nicht, offenbar wegen des starken Kochens. Folgende Reaktionen wurden mit ihr angestellt (36): 1) Essigsiure, Eisenchlorid, Bleizucker und Blutlaugensalz blieben ohne jede Einwirkung. 2) Alaun gab erst nach 3—4 Tagen schwachen Niederschlag. 3) Alkohol gab auch erst allmahlich geringen Niederschlag, der sich beim Kochen nur kleineren Teiles wieder léste. Bd, XXVIII. N, F, XX, 9 a 18 Ludwig Reh, 4) Gerbsiiure gab sehr starken, flockigen, braunlichen Niederschlag. 5) Quecksilberchlorid gab ebenfalls starken Niederschlag. 6) Zinnchloriir gab deutlichen Niederschlag. 7) Die Leimlésung wurde mit Kalilauge versetzt bis zu deut- lich basischer Reaktion. Die Lésung blieb auf Kupferoxydhydrat ohne Wirkung. Samtliche Reaktionen sprechen also gegen Chondrin und fiir Glutin, Nur die letzte Reaktion gelang nicht, wie von vorn- herein zu erwarten war, da mir von der organischen Lésung nur noch eine geringe Menge zur Verfiigung stand, statt des erforder- lichen grofen Uberschusses. Ich glaube also durch die chemische Analyse auf das bestimmteste nachge- wiesen zu haben, dak die feste Achse des End- lappens auch bei den erwachsenen Otariiden und damit auch wohl den tibrigen Pinnipediern aus reinem Bindegewebe bestehe, ohne eine Bei- mischung von Knorpel. Zu 2. An allen Fingern und Zehen yon erwachsenen Robben zeigt das Endglied die Sonderung in proximalen horizontalen und distalen schief nach vorn und oben gerichteten Teil. Wo ein End- lappen vorhanden ist, bildet er nicht die Verlangerung der Pha- lanx, sondern entspringt am proximalen Teile. Beim lebenden Tiere sitzt seine feste Achse allerdings auferst fest an der Pha- lanx, da deren Oberfliche hier sehr rauh ist. Durch Maceration oder Kochen gelingt ihre Lésung jedoch sehr leicht, wie mir Herr Konservator KisrHarpt versicherte. Es besteht also kein innerer, organischer Zusammenhang zwischen dem Gewebe des Endlappens und der Endphalanx. ‘Immerhin ist nicht zu verkennen, dass’ manche Befunde der histologischen Untersuchung fiir die RypER-Werxer’sche Hypothese zu sprechen scheinen. Einer spiteren Verknécherung des Gewebes des Endlappens steht histogenetisch nichts entgegen. Diese Ver- knécherung wiirde, wie RyprrR (15) ausfihrt, héchstwahrscheinlich segmental erfolgen durch die Wirkung der flottierenden Bewegung des Endlappens, die unterstiitzt wird von der ventrodorsalen Richtung der Fasern, den ventral an der festen Achse verlaufen- den Muskel und vor allem dadurch, daf dieser standig Fibrillen nach oben abgiebt, was einer segmentalen Insertion etwa gleich kommen wiirde. Ich halte jedoch auch diese Griinde nur fiir Scheingriinde. Eine Verknécherung des Gewebes des Endlappens scheint mir gerade aus dem Grunde unwahrscheinlich, aus dem Die Gliedmafien der Robben. 19 Ryper sie segmental erfolgen lassen will, namlich dem Flottieren des Endlappens. Denn Verknécherung tritt doch nur da auf, wo gréfere Festigkeit und Starrheit erreicht werden soll, bezw. wo an ein Organ oder einen Teil eines solchen Anforderungen dieser Art gestellt werden. Hier ist aber das gerade Gegenteil der Fall. Beim Schwimmen flottiert der Endlappen hin und her, dem ge- ringsten Druckunterschiede nachgebend, so daf er an allen Punkten stindig hin und her gebogen wird. Und auch auf dem Lande sind die Anforderungen, die an die Endlappen gestellt werden, wie wir spiter sehen werden, gerade die gréfter Bieg- und Schmieg- samkeit, wenigstens bei den Otariiden. Ich halte infolge- dessen eine Verknécherung der Endlappen nicht nur fiirunwahrscheinlich, sondern sogar fiir unmoéglich. Fernerhin bildet die feste Achse des Endlappens nicht die direkte Fortsetzung der Endphalangen, wahrend bei den Walen doch saimtliche Phalangen in einer Richtung liegen. Man miBte also annehmen, daf die letzte Phalanx oder wenigstens ihr Ungual- teil sich riickbilde und schwinde, was dadurch eine grofe Wahr- scheinlichkeit gewinnt, daf wir bei vielen Robben die Nagel selbst schwinden sehen. Indes halte ich auch diese Annahme wenigstens nur zum Teil fiir richtig. Was das erstere, das véllige Schwinden der Endphalanx anlangt, so hat Lesoucg Berechnungen angestellt iiber die Gréfenverhaltnisse der einzelnen Phalangen bei embryo- nalen nnd erwachsenen, bezw. wenigstens alteren Seehunden. Er hat gefunden (22): ,,que ce sont, au contraire, les phalanges dista- les dans lesquelles le développement est le plus actif, tandis que les métacarpiens et surtout les phalanges 1 et 2 s’acroissent rela- tivement beaucoup moins vite.“ Ich habe dieselben Berechnungen fiir etwa 8—10 GliedmaBen von Robben angestellt, aber ungleiche Resultate erhalten, wenigstens was das GrdfSenverhiltnis der Metacarpalien, bezw. -tarsalien zu den Endphalangen betraf. Ich glaube jedoch, dafi thatsachlich eine Neigung zum Schwinden oder wenigstens zur Riickbildung der letzten Phalangen bei der Umge- staltung zur Flosse vorhanden ist. Wenigstens fand ich sie bei beiden Handen eines Manatus schon ziemlich atrophiert und die Untersuchungen Lepouca’s und KUKENTHAL’s stellten ihre vdllige Rickbildung an den Gliedma8en von Walen fest (s. S. 20). Ahn- lich verhalt es sich mit der Frage, ob sich mit dem Schwinden der Nigel auch der Ungualteil der Endphalanx riickbilde. Daf dieses der Fall ist, ist eine unzweifelhafte Thatsache, die wir be- sonders deutlich bei den Otariiden beobachten kénnen. Indessen 9% 20 Ludwig Reh, sind dies eben nur Thatsachen, die zu Gunsten der Ryprr- Weser’schen Hypothese benutzt werden kénnen, aber noch weit davon entfernt sind, einen Beweis zu liefern, wie er gefordert werden muff. Ferner steht das Schwinden der Nagel und damit des Ungualteiles der Endphalanx durchaus nicht in direktem Ver- haltnisse zu der Ausbildung der Endlappen, wie iiberhaupt der Anpassung an das Wasserleben, wie man es auf Grund der RypErR- Weser’schen Hypothese doch erwarten miifte. Auf diese Ver- haltnisse werde ich spater noch naher eingehen. Erwahnen méchte ich auch noch folgendes: Wir finden namlich bei einigen Walen im erwachsenen Zu- stande am Ende der Phalangen noch einen diinnen Knorpelstab. Wenn dieser auch nicht direkt fiir die RypER-WrEBErR’sche Hypothese in Anspruch genommen worden ist, so glaube ich doch, daf er mit Veranlassung zu ihrer Aufstellung gewesen ist, da er scheinbar analog und homolog ist dem ,,Knorpelfortsatze“ der Autoren bei den Robben. Lersoucg hat ihm deswegen seine Aufmerksamkeit zugewendet und giebt seine Ansicht in dem Satze kund (19): , Le filament cartilagineux terminant la derniére phalange chez l’adulte est le dernier reste de ces phalanges ultimées fusionnées et atro- phiées.“ Zu demselben Resultate ist auch KikENTHAL (27) gelanegt. Aus des Letzteren Untersuchungen ergiebt sich noch ein weiteres, wie ich glaube, sehr wichtiges Beweismittel gegen RypDER- Weser. Samtliche Phalangen der Wale verknéchern namlich genau auf die Art normaler, sogenannter ,,knorpelig praformierter“ Roéhrenknochen. Nach RypER-WEBER waren jedoch die itiber- zihligen Phalangen der Wale etwa entstanden wie Sesambeine. Dafi nun im Laufe der phylogenetischen, verhaltnismabig erst sehr jungen Anpassung der Wale sich die histogenetische Entwicke- lungsweise derart umgewandelt haben sollte, ist doch im héchsten Grade unwahrscheinlich und wiirde mit allen histogenetischen Grundsitzen in scharfstem Widerspruche stehen. IV. Bionomischer Teil. AuBer auf Grund der seitherigen anatomisch-histologischen Betrachtungsweise glaube ich auch auf Grund der bionomisch- morphologischen der RypER- WEBER’schen Hypothese entgegen- treten zu k6énnen. Letztere geht nimlich von der Ansicht aus, die Endlappen der Pinnipedier seien Anpassungen an das Leben im Wasser und Die Gliedmafen der Robben. 21 dienten zur Vergro8erung der Ansatzstelle der Schwimmhaut, wie iiberhaupt zur Unterstiitzung des Schwimmens. Wenn nun auch diese Annahme viel Richtiges enthalt, so glaube ich doch, ihre allgemeine und ausschlieSliche Giltigkeit stark in Zweifel ziehen zu kénnen. Ich glaube nimlich berechtigt zu sein, die Endlappen viel eher als Anpassungen an das Landleben, als Haftlappen, denn als Anpassungen an das Wasserleben, als Schwimmlappen, be- trachten zu kénnen. Schon ein oberflachlicher Blick auf die allgemeinsten Lebens- verhiltnisse der Robben la8t meine Behauptung in giinstigerem Lichte erscheinen. Der grofte Teil von ihnen bewohnt die polaren Meere, nur ein kleiner Teil geht in warmere Zonen hinab. Dort suchen sie die mit Schnee und Eis bedeckten Kiisten, hier die felsigen Gestade der Brandung auf. Infolge ihres eigentiimlichen K6rperbaues bediirfen sie doppelt eines Hilfsmittels, das sie dort vor dem Einsinken in den Schnee oder dem Ausgleiten auf glattem Kise bewahrt, hier ihren Bewegungen auf schliipfrigen Brandungsfelsen gréfere Sicherheit gewahrt. Dieses Hilfsmittel erblicke ich in den Endlappen, deren Bedeutung ein niheres Ein- gehen auf die einzelnen Familien der Robben uns verstandlich machen wird. Die eigentlichen Se ehunde, Phocidae, halten sich unter allen Robben am meisten im Wasser auf und haben sich infolgedessen am vollkommensten dem Leben im Wasser angepaSt (2). Ihr Kérper ist im allgemeinen schlank, fast drehrund, konisch und sehr biegsam. Die Gliedmafen sind ganz verschieden umgebildet. Wahrend die vorderen noch ziemlich Form und Gestalt der der iibrigen Saugetiere bewahren, sind die hinteren flossenartig, von denen der tibrigen Sauger sehr abweichend. Im Schwimmen sind die Seehunde auferordentlich gewandt, die anderen Robben mehr oder weniger iibertreffend. Uber die Bedeutung der GliedmaB8en als Schwimmorgane widersprechen sich die Autoren. J. Murre meint: ,,In the water the Seal progresses alone by its hind feet, used almost like a piscine tail“ (7). BreHm dagegen sagt (2): ,,Mit den Vorderflossen arbeiten sie wie die Fische. Die beiden Hinterbeine bewegen sie bald gegeneinander, so das zwischen ihnen gesammelte Wasser ausstoBend, bald aber seitlich hin und her schwingend, hierdurch ungefahr die gleiche Wirkung erzielend, namlich sich vorwirts treibend. Ebenda erwahnt auch HAACKE die Thitigkeit beider Gliedmafen. Ich habe ebenfalls darauf hin Beobachtungen an dem im zool. Garten zu Frank- 22 Ludwig Reh, furt a/M. befindlichen Tiere angestellt und gefunden, da alle kleineren, schwacheren Bewegungen fast ausschlieBlich mit den Vorderflossen ausgefiihrt wurden, daf dagegen bei allen gré8eren, rascheren, ausgiebigeren Bewegungen die Hinterflossen die Haupt- rolle tibernahmen, ohne da8 jedoch die ersteren in ihrer Thatig- keit aussetzten. Ich schlieSe daraus, daf die eigentliche Vorwarts- bewegung durch die Hintergliedmafen erfolgt und daf die Vorder- gliedmafen mehr zum Steuern dienen, wie es ja auch das Natiir- liche ist. Auf dem Lande bewegen sich die Seehunde héchst ungeschickt. Es ist das sehr natiirlich, da sie es nur aufsuchen, ,,wenn sie ruhen, schlafen und sich sonnen wollen; sie verbringen sonst aber fast ihr ganzes Leben im Wasser“ (2). Dabei bleiben sie immer in nachster Nahe der Kiisten bezw. ihrer Eislécher. Auch die Landzeit der Jungen dauert nur einige Wochen. Die Bewegungs- weise auf dem Lande vergleicht Brenm mit der der Spanner- raupen: ,,Der Seehund, welcher sich auf dem Lande von einer Stelle zur anderen begeben will, wirft sich auf die Brust, krimmt den Leib in einem Katzenbuckel nach oben, stemmt sich dann auf den Hinterteil, also etwa auf die Weichen, und streckt hierauf rasch den Leib, wodurch er den Vorderteil desselben wieder vor- warts wirft. So kommt er durch wechselseitiges Aufstemmen des Vorder- und Hinterleibes, durch Kriimmen und Strecken des ganzen Korpers verhaltnismafig noch immer rasch von der Stelle.“ Daf dabei die Hintergliedmafen ganz aufer Gebrauch sind, er- wahnen alle Autoren. Ihre rein endstandige Lage, ihre geringe Bewegungsfahigkeit, da sie durch eine bis an die Metatarsalien reichende Hautfalte unter sich und mit dem Schwanze verbunden sind, beweisen dies auch zu deutlich. Anders verhalt es sich mit den Vordergliedmafen. Die meisten Forscher und Reisenden be- richten, da sie beim Gehen benutzt wiirden. Indes widersprechen dem gerade die besten Beobachter, wie K. E. von Baur (4), J. Morte (7) und Breum (2). Letzterer faihrt in seiner eben ange- fiihrten Schilderung fort: ,,Die Vorderbeine leisten dabei eigent- lich gar keine Dienste: sie werden nur in Anspruch genommen, wenn das Tier bergauf klimmt. Auf ebenem Boden stemmt es sie zwar manchmal auf, aber immer so leicht, daf die Hilfe, welche sie leisten, eigentlich mehr eine scheinbare als wirkliche ist. Ich habe die Spuren der Seehunde sehr genau untersucht und ge- funden, da’ man auf grofe Strecken hin in dem reinen und weichen Sande keine Eindriicke der Vorderfii®e findet, was ja doch der Die Gliedmawen der Robben. 23 Fall sein miSte, wenn das Tier wirklich auf seinen Flossen ginge. Manchmal legt der Seehund beide Ruder an den Leib und humpelt ebenso rasch vorwarts, als wenn er sie gebrauchen wollte: kurz, zum Gehen sind seine Flossenbeine nicht eingerichtet.“ Ich glaube auch einen morphologischen Befund hier heran- ziehen zu diirfen. Wir finden nimlich beide Flossen, die hinteren wie die vorderen, vollstaindig und dicht behaart auf der Ventral- wie auf der Dorsalseite. Da ich nun glaube, die Behaarung der Sohle als primares Verhalten ansprechen zu diirfen, ihre Haar- losigkeit aber als entstanden durch Abnutzung infolge des Ge- brauches, so diirfen wir auch aus ihrer Behaarung wieder riick- warts auf ihren Nichtgebrauch, wenigstens beim Gehen, schliefen. Die Behaarung der Sohlen als irgend welche Anpassung betrachten zu kénnen, halte ich fiir ausgeschlossen. Erwaihnt muf noch werden, daf sowohl Murir als auch Breum iibereinstimmend Phoca groenlandica eine Ausnahme machen lassen, insofern als sie ihre Vorderflossen als Gehbeine benutze. Hierauf mag wohl auch der oben angefiihrte Bericht der meisten Forscher und Reisenden zuriickzufiihren sein, da diese Art die gemeinste, am meisten gejagte und infolgedessen auch beobachtete ist. Sehr interessant ist nun die Thatsache, daf nur bei dieser Art, also der einzigen, die ihre Vordergliedmafen beim Gehen zu Hilfe nimmt, die Schwimmhaut ventral sehr sparlich behaart bis nackt ist. Ziehen wir nun das Ergebnis aus dem bisher Gesagten. Die Seehunde halten sich von allen Robben am meisten im Wasser, am wenigsten auf dem Lande auf, sich hier kaum progressiv be- wegend. Sie sind demgemaf am meisten dem Wasser, am wenigsten dem Lande angepa&t. Ihre GliedmaSen dienen nur zum Schwimmen, nicht zum Gehen. Waren nun die Endlappen Anpassungen an das Wasser, so muften sie hier besonders stark, waren sie Anpassungen an das Land, miiften sie am schwachsten entwickelt sein. Wie wir oben (S. 10) gesehen haben, ist das letztere der Fall. Daf sie an den Hintergliedmafen starker entwickelt sind, riihrt offenbar davon her, da8 die vorderen noch ausgiebig als Hinde benutzt werden, wobei solche Anhange doch in hohem Grade hinderlich waren. Daf sie zur VergréSerung der Schwimmhaut dienen sollen, diirfte wohl kaum der Fall sein. Ist doch diese zwischen ihnen ziemlich tief eingebuchtet ! 24 Ludwig Reh, Die Ohrenrobben, Otariiden, sind nach Bream von allen Robben ,,am wenigsten umgebildet“, d. h. am wenigsten dem Leben im Wasser angepaft. Daf sie dennoch so vortrefflich schwimmen, den Seehunden darin kaum etwas nachstehend, wird in erster Linie erreicht durch die auffallende Biegsamkeit und Gelenkigkeit des bei aller GréBe doch sehr schlanken, fast drehrunden, vorn und hinten spitz zulaufenden Kérpers. Diese Gelenkigkeit hangt ab ,,from the unusually lithe and mobile nature of the entire spinal column and ribs, furnished as these are with an abundance of cartilaginous material and fibroelastic ligaments“ (18). Die Gliedmafen sind in sehr hohem Grade umgebildet und zwar im Gegensatze zu den Seehunden gerade die vorderen am meisten. Sie sind kaum noch als Hande zu erkennen, sondern vollig flossenartige , schmale, lange Ruderlappen. Die einzelnen Finger sind kaum noch zu unterscheiden. Der distale Rand liegt lateral. Nicht ganz so sehr sind die Hintergliedmafen umge- staltet, wenn sie immerhin auch mehr Flossen als Fien abniich sind. Alles an ihnen ist sehr verschmalert und verlangert, die Zehen weit spreizbar und noch ziemlich deutlich. Es ist klar, daf solche Gliedmafen die Schwimmfahigkeit in hohem Mafe fordern miissen. Dabei ist eigentiimlich, dak Murir nur die vorderen eine Rolle beim Schwimmen spielen la8t. Er sagt: ,,The Sea-lions (and Sea-bears?) progress with extra-ordinary speed by dint of alternate sweeps with their enormous pectoral limbs, the pelvic limbs being kept in abeyance or simply employed as Steering-apparatus“ (8). Es scheint mir dies sehr unwahrscheinlich zu sein. Einmal stiinde diese Art zu schwimmen vollstandig allein in der Reihe der Wassertiere; dann glaube ich nicht, da8 eine so auferordent- liche Geschicklichkeit und Gewandtheit, wie sie die Ohrenrobben besitzen, auf diese Art méglich ware. Zuletzt kann ich nicht einsehen, wie die Hintergliedmafen sich so sehr zu Flossen hatten umbilden kénnen, wenn sie nicht als solche ausgiebig gebraucht wiirden. Wenn sich die Hinterflossen etwa ahnlich bewegen wiirden, wie die Schwanzflosse der Fische, dann ware ja ein Uber- sehen dieser Bewegung sehr leicht méglich, um so eher, als die vielmehr ins Auge fallenden Bewegungen der Vorderflossen den Blick von jenen ab auf sich lenken *). 1) Inzwischen kam mir ein Aufsatz von Dr. L. Wonvertice: Die Seeléwen im zoologischen Garten zu Kéln (Zool. Garten, Nr. 2, 1890) zu Handen, in dem gerade dic Thatigkeit der Hinterglied- masen beim Schwimmen heryorgehoben wird, Die Gliedmafen der Robben. 25 Auf dem Lande sind die Ohrenrobben gerade das Gegenteil der Seehunde. Sie bewegen sich hier erstaunlich geschickt, haupt- sichlich infolge der verhaltnismafig guten Entwickelung und be- sonders der grofen Freiheit der Gliedmafen. Bream erzahlt von der bekannten, von Lecomte gezihmten Mahnenrobbe des Lon- doner zoologischen Gartens: ,,Sie watschelt, Vorder- und Hinter- beine kreuzweise bewegend, schneller als man erwarten kénnte, vorwiarts, halt sich auf schmalen Kanten mit vollster Sicherheit fest, schmiegt ihre Flossen jeder Unebenheit des Bodens an und klettert so, ohne ersichtliche Anstrengung, an sehr steilen Flachen empor.“ Wie von Bren wird diese Kletterfahigkeit auch von allen anderen Beobachtern bewundert. So schreibt Frnscu von den am Eingange des Hafens von San Franzisko lebenden Ohren- robben (Otaria Stelleri): ,,Selbst der gleichgiiltigste Besucher lernt zu seiner Verwunderung erkennen, wie die anscheinend so plumpen und ungelenken Riesen die héchsten Spitzen der Klippe er- klimmen“ (2). Auch Atten (13) und Murte (8) _ berichten Ahnliches. Dem entspricht auch die ganze Lebensweise der Ohrenrobben. Sie sind vorwiegend Kiistentiere, die Brandungszone bevorzugend. »1m allgemeinen suchen sie sich Eilande oder auf gréSeren Inseln solche Kiistenstrecken auf, an denen die See mit besonderer Heftigkeit brandet, und erwahlen sich dann die unmittelbar tiber der héchsten Flutmarke gelegenen, méglichst wenig zuganglichen Felsen zu ihren zeitweiligen Wohnsitzen (2).‘" Auf das Land gehen sie sehr viel und machen hier sogar gréfere Wanderungen. Zur Zeit der Geburt und der Begattung leben sie etwa 4 Monate lang fast ununterbrochen auf ihm. Auch die Jungen miissen sehr lange, bis 3 Monate (bei Ot. jubata) daselbst bleiben. Wenn wir nun bei den Ohrenrobben die Endlappen so aufer- ordentlich entwickelt sehen, draingt sich uns fast von selbst der Gedanke auf, da8 sie eher Anpassungen an das Land als an das Wasser seien. Ein drittes wire ja noch denkbar, ob sie nicht beides zugleich und in gleich hohem Grade seien. Indes halte ich auch dies fiir nicht méglich. Den anatomischen Bau der Gliedmafen sahen wir friiher speziell auf das Leben im Wasser angepaft. Nach Anpassungen an das Land miissen wir daher in dem auferen morphologischen Baue suchen. Zuerst faillt uns da auf die Bildung der Palmar- und Plantarflichen. Ich kann hier nur die ausgezeichnete Be- schreibung anfiihren, die Murr in seiner Monographie von Ot. 26 Ludwig Reh, jubata giebt und die mehr oder weniger fiir alle Ohrenrobben gilt (18): » the palmar surface is nearly flat, almost entirely hairless and minutely striated by cuticular elevations. These run in sinuous but parallel lines, longitudinally or with a moderate curvature, following the contours of the palm. Here and there the ridges interdigitate at acute angles.“ »the sole is devoid of hair from the heel forwards, and like the manus, also covered with hard, callous, black epiderm. This likewise is thrown into fine wrinkles or ridges, which, however, traverse the sole in wavy parallel lines directed from behind for- wards. At the calcaneum where they are most pronounced, they assume a radiate direction, and between the phalanges inter- digitate frequently.“ Kine solche Bildung ist doch nur zu verstehen, wenn man sie betrachtet als Anpassung an glatten Boden; im Wasser ist nicht der geringste Nutzen aus ihr einzusehen. Ich méchte auch noch darauf hinweisen, da, wie Munir er- waihnt, die Palmar- und Plantarflaichen véllig haarlos sind und zwar gerade so weit, als sie beim Gehen aufgesetzt werden. Jen- seits dieser Grenze beginnt, scharf abgesetzt, dichte Behaarung. So tiberzeugend kann doch kaum eine andere Thatsache fiir den ausgiebigen Gebrauch der GliedmaSen zum Gehen sprechen, sowie daftir, daf wir die Nichtbehaarung der Sohlen von dem Gebrauche herzuleiten haben. Die Endlappen selbst sind an ihrer ventralen Seite ebenso gestaltet wie die ganze iibrige Sohle. Geht hieraus schon hervor, da sie denselben Zwecken dienen, wie diese, so wird ihre eigentliche Bedeutung uns noch klarer, wenn wir ihr Wirken und Verhalten im Wasser und auf dem Lande vergleichen. Daf die durch Schwimmhaut fast ganz verbundenen Endlappen der Vorderflossen deren Leistung vergréfern, steht aufer Zweifel. Indes kann diese Vergréferung nicht sehr bedeutend sein. Ein- mal ist der Gréfenunterschied des durch sie hervorgebrachten Saumes und der Flache der iibrigen Flosse sehr betrachtlich. Dann ist aber dieser Saum, wie wir oben (S. 12) gesehen haben, sehr diinn und elastisch. Dazu liegt er distal, also da, wo er bei jeder Bewegung den gréften Weg, natiirlich mit der gréften Ge- schwindigkeit zuriickzulegen hat, also dem gréSten Drucke ausge- setzt ist; infolgedessen muf er sich, trotz aller Spannung, beim Schwimmen so zuriickbiegen, da’ seine ohnehin schon miéafige Die Gliedmaken der Robben. 27 Unterstiitzung noch betrachtlich verringert wird. Ich glaube also nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, da’ die Endlappen der Hand im Wasser ohne wesentlichen Nutzen sind. Fiir den Fu8 gilt alles fiir die Hand Gesagte. Hinzu kommt aber noch, daS die Endlappen schmal und nur zum kleineren Teile durch Schwimmhaut verbunden sind. Da der Fuf beim Rudern ausgebreitet wird, bilden die Endlappen distal an ihm eine Reuse, zwischen deren diinnen, schmalen Staben hindurch das Wasser, das sie nicht zuriickbiegt, bequem ausweichen kann. Hier mu also die geringe Hiilfe, die die Endlappen und die an ihnen hinaufreichende Schwimmhaut im Wasser etwa_ leisten kénnten, der machtigen Wirkung der ganzen Flosse gegeniiber eanzlich verschwinden. Betrachten wir nun ihre Wirkungsweise auf dem Lande, speziell beim Klettern. Da8 der breite, flache, elastische Saum der Hand infolge seiner ventralen Furchung etc. das Festhaften auf glatter Flache bedeutend erleichtern muS und zwar gerade auf Grund seiner Elastizitat, liegt auf der Hand. Am Fufe legen sich, wie ich an den im Zool. Garten zu Hamburg befindlichen Ohrenrobben beobachtet habe, beim Gehen samtliche Zehen dicht aneinander, und damit natiirlich auch die Endlappen. Diese bilden also dadurch distal einen grofen, zusammenhangenden, elastischen Saum, der die dem Boden aufliegende Flache ganz betrachtlich vergréfert. Der Nutzen ist offenbar. Indessen ist dies nicht der einzige. Da die Zehen durch die Schwimmhaut verbunden sind, ihre Selbstandigkeit also verloren haben, auch ihre Gelenke sehr riickgebildet sind, ware auch der Fu, wie die Hand, ein unbe- hilfliches Organ, wenn nicht eben die Endlappen waren. Sie miissen die Stelle der Zehen vertreten, wozu sie infolge ihrer grofen Freiheit, der festen Achse von dichtem Bindegewebe und der an dieser inserierenden Muskeln sehr geeignet sind, indem sie sich jeder Unebenheit des Bodens anschmiegen, sich um jede Steinkante etc. herumbiegen und sich so, unterstiitzt von der ventralen Furchung, tiberall anzuschmiegen und festzuklammern vermogen. Wie sehr auch sonst der FufS diesen Verhaltnissen angepaft ist, hat Murre in seiner Monographie (8) ausfiihrlich beschrieben Zuletzt faBt er alles in folgenden Satzen zusammen: ,,I[t is in fact an adjustment of instrument for terraqueons locomotion. The awkward pedal defect colloquially known as ,,flat-footed“’ in man is a kind of first stage towards the Otary’s condition, though 28 Ludwig Reh, through ligamentous rather than osseous conformation in his case.‘ Wir haben also gesehen, daf bei den Otariiden, d. h. den Robben, die noch die meisten Anpassungen an das Landleben zeigen, auch die Endlappen am stirksten entwickelt sind, und wie diese ferner im Wasser fast ohne Bedeutung, auf dem Lande dagegen von sehr grofer sind. Da8 sie also auch vielmehr Anpassungen an letzteres als an ersteres darstellen, scheint mir kaum einem Zweifel zu unterliegen. Das Walrof, Trichechus, steht, in betreff seiner Anpassung an das Wasser, nach Bream ,,in der Mitte“ zwischen den See- hunden und den Ohrenrobben. Infolge seines massigen K6rpers und seiner Tragheit steht es im Wasser beiden nach; infolge der gréferen Freiheit seiner GliedmafSen iibertrifft es auf dem Lande die ersterem bei weitem, wenn es auch die letzteren an Gewandt- heit nicht erreicht. Bei seiner ungeheuren, plumpen Gestalt miiSten wir erwarten, die Gliedmafen in hohem Grade zur Bewegung auf dem Lande angepaft zu finden, vielleicht in noch héherem als bei den Otariiden. Da dies indes nicht der Fall ist, mag wohl auf seine auferordentliche Faulheit und Tragheit zuriickzufihren sein. Das Walrof geht zwar sehr viel ans Land, mehr noch als See- hunde oder Ohrenrobben. Jedoch geht es eben nicht weiter, als es von seinen nachdrangenden Genossen getrieben wird. Je eher, je lieber bleibt es unbeweglich liegen, indem es sich dann ,,zeit- weilig wirklich tage- oder wochenlang nicht von der Stelle riihrt. . . . So pflegen sie, von dem monatelangen Anblick der Sonne oder dem rauschenden Einerlei der Brandung gelangweilt, den gréften Teil ihres Daseins zu verschlafen“ (2). Daf wir daher die Glied- mafen nicht allzusehr zu freier Beweglichkeit umgebildet finden, wird nicht Wunder nehmen. Immerhin sind die Anpassungser- scheinungen betrachtlich genug, wie denn auch die Walrosse, wenn sie sich einmal bewegen miissen, durch ihre fiir die schwerfalligen Tiere doch erstaunliche Behendigkeit und Sicherheit Verwunderung erregen, da sie z. B. ebenfalls zu klettern vermégen. Wie schon erwahnt, besitzen ihre Gliedmafen ziemlich grofe Freiheit. Trotzdem ist gerade ihre Kletterfaihigheit allen Beobachtern aufgefallen. Die verschiedensten Ansichten zu ihrer Erklarung wurden laut. Home (5) suchte eine solche zu finden darin, daf an den Hinterfiifen die beiden duSersten Zehen mit ihren Endlappen bedeutend linger sind als die 3 mittleren. Wenn daher das Walrof klettert, so soll es den Fuf zusammenschliefen, die beiden auBeren Zehen medial- Die Gliedmafien der Robben. 29 warts umbiegen und fest mit den Spitzen aneinander legen, so daf sie distal die Hand durch einen Bogen abschliefen. Dann soll es die Handmitte in die Hohe heben, so daf ein luftleerer Raum ent- stiinde, durch den es sich festsauge. Da diese Ansicht von K. von Barr (6) und Murte (7) zuriickgewiesen wurde, so glaube ich, sie ohne weiteres verlassen zu k6nnen. vON Barr legt ebenso wie die meisten Nordpolfahrer das Hauptgewicht beim Klettern auf die StoBzihne; das Walro8 solle sie mit gestrecktem Kérper und Hals einbaken und dann an ihnen den K6érper nachziehen. Ich halte diese Erklarung aus bionomi- schen Griinden, auf die hier einzugehen zu weit fiihren wiirde, fiir unwahrscheinlich. BreHm weist sie entschieden zuriick. Und selbst wenn etwas Wahres an dieser Erzahlung wire, so ware doch dieses Hilfsmittel eben nur ein solches; die Hauptsache ist und bleibt doch der Gebrauch der Beine. Das Verhindern des Ausgleitens sucht K. E. von Barr in der »grofen Friktion, die durch die runzliche Haut und die breiten lappigen Fie hervorgebracht wird“. Darauf glaube auch ich das Hauptgewicht legen zu miissen und kann auch hier wiederum nur die ausgezeichnete Schilderung Murie’s anfiihren (7): »lhe palmar surface is not unlike a parlour shovel in figure. There is a great callous, roughened and warty pad at the proxi- mal end or ball of the hand. From the radial margin, where it is stoutest and roughest, it trends towards the base of the fifth digit. Circumscribed digital pads as in Carnivora there are none; but furrows and ridges traverse obliquely forwards from the polli- cial to the opposite side.‘ » lhe sole, indeed, like that of manus, is rough and gnarled. From the os calcis forwards to the proximal ends of the digits there are Several deep transverse furrows, and, besides, innumerable smaller sinuous gyrations, forming altogether a scabrous pad“. Auch daS Murte eben in dieser Bildung der Hinde und Fiibe die Hauptursache fiir die sichere Bewegung des Walrosses auf dem Eise und Schnee erblickt, betont er ausdriicklich: ,,The hind foot of the Walrus acts as a sucker to attach itself to the slippery ice“. Ferner: ,,We can at least see three opposite subordinate functions, whereby this foot (der Vorderfu8) is well suited to the ice-bound regions which the morse inhabits: First, its great breath, whereby it may act as a snow shoe, or on uneven ground gain power of purchase by increase of its area. Secondly, its remar- kable rough and warty palmar surface affords above every thing 30 Ludwig Reh, a stay and firm leverage on slippery ground; no stucking or wrisp of straw used by man to bind round the foot when on smooth ice can equal nature’s provision of coarse tegumentary papillae. Thirdly, the angle at which the carpo-metacarpal joint is set, and the very odd manner of foot implanation on the ground, namely, semiretroverted, evidently make it an easier task to go forwards or upwards on a smooth surface than to retrograde.‘ Ich glaube hier ganz ungezwungen die Endlappen anschlieSen zu dirfen. Fir Bewegungen auf Kis, also auf glatter Unterlage, gilt fiir sie alles oben fir die Ohrenrobben Gesagte, wenn auch nicht in so hohem Grade. Ihre Hauptbedeutung jedoch sehe ich in ihnen als Hilfsmittel bei der Bewegung auf Schnee, also gegen das Kinsinken. Beobachten wir daher einmal ein Walrofi beim Gehen auf Schnee. Durch das ungeheure Korpergewicht wird jede GliedmaSe tief in den Schnee hineingedriickt. Hierbei ist schon klar, dafi die Endlappen vorteilhaft wirken, denn je groSer die auigesetzte Flache ist, um so weniger wird sie einsinken. Das Einsinken erfolgt in der Richtung von hinten-oben nach vorn-unten. Nun verlegt das Tier sein Kérpergewicht nach vorn, um die Glieder aus ihrer Grube herauszuziehen und vorzusetzen. Durch diese Bewegung werden die Zehen, die ich allein hier heranziehen mochte, noch tiefer in den Schnee hineingedriickt. Ware nun kein End- lappen vorhanden, endigte also der Fu mit der festen, starren Phalangenachse, so wiirden die Zehen tief einsinken, einen hohen, spitz nach hinten emporragenden Schneewal]l vor sich lassend. Beim Herausziehen, das doch in der Richtung von hinten-unten nach vorn-oben erfolgt, hatte der Fu diesen ganzen Wall zu durchschneiden, was fiir ein wie das Walrof gebautes Tier doppelt hindernd und ermiidend sein wiirde. Durch die Endlappen wird die ganze Sache anders. Vermége ihrer Elastizitat sinken sie nicht mit ein, sondern biegen sich nach oben um, den im Wege stehenden Schnee, soweit nétig, vordrangend. Will nun der Fuf in die Hohe, so kann er bequem auf der so geebneten Bahn empor- gleiten. Es wirken also die Endlappen wie die Haken an den Spitzen der Schlitt- und Schneeschuhe oder Schlittenlaufen. Diese ganze Betrachtung gilt direkt natiirlich nur fir den Fu8; denn die Hand wird ja in entgegengesetzter Richtung auf- gesetzt. Indes wirken die Endlappen hier in abnlicher Weise. Dies mag auch die stirkere Ausbildung der Endlappen am Fufe mit erklaren. Die Schwimmfahigkeit des Walrosses ist, wenngleich immer Die Gliedmaffen der Robben. al noch bewundernswert, doch bedeutend geringer als die der iibrigen Robben. In erster Linie mag daran schuld sein die ungeheure Massigkeit des Kérpers. Mitspielen mag auch die miafige GréBe der Gliedmafen. Fir die Bedeutung der Endlappen als Schwimmorgane gilt das oben fiir die Ohrenrobben Gesagte, nur natiirlich in soviel ge- ringerem Grade, als hier die Endlappen kleiner sind. Ausdriicklich betonen moéchte ich dann auch hier die schon erwalnte vollige Nacktheit der Palmar- und Plantarflachen, als Beweis fiir ihre Benutzung auf dem Lande und als Beleg fiir die Annahme, da ihre Haarlosigkeit aus Gebrauch herzuleiten sei. Wir sahen also, daf das Walrof, was seine Anpassungen an das Land, oder seine Geschicklichkeit auf diesem anlangt, zwischen den beiden anderen Robbenfamilien in der Mitte steht, was das- selbe fir das Wasser anlangt, am tiefsten. Die Ausbildung der Endlappen halt die Mitte. Fassen wir nun simtliche Ergebnisse zu einem Endergebnisse zusammen, so ergiebt sich folgendes: Die Seehunde zeigen in dem Baue ihrer GliedmaBen keinerlei Anpassungen ans Land, mannigfache ans Wasser. Auf dem ersteren sind sie am wenigsten geschickt, in letzterem am meisten. Die Endlappen fehlen oder sind angedeutet. Das W alro$ zeigt Anpassungen ans Land, ebensowohl als ans Wasser, in beiden die Mitte haltend. Am Lande ist es geschickter als die Seehunde, nicht so geschickt als die Ohrenrobben. Im Wasser erreicht es beide nicht. Die Endlappen sind mabig. Die Ohrenrobben zeigen die meisten Anpassungen ans Land recht betrachtliche ans Wasser. Auf ersterem sind sie weitaus die gewandtesten; in letzterem tibertreffen sie die Walrosse be- deutend, erreichen aber die Seehunde nicht. Die Endlappen sind am vollkommensten ausgebildet. Ich glaube, daS diese Stufenreihe kaum noch einen Zweife] daran erlaubt, da& die Endlappen in erster und hauptsachlichster Beziehung Anpas- Sungen an das Land sind, wozu noch kommt, dab wir sie im Wasser fast ganz zwecklos, auf dem Lande von hohem Nutzen fanden. Ist dies richtig, so wird hierdurch der RyperR-WeEBER’schen Hypo- these der Boden entzogen. Nehmen wir hierzu die Ergebnisse der histologischen Unter- suchung, so glaube ich wohl berechtigt zu sein, in Ubereinstimmung 32 Ludwig Reh, mit Leboucq und Kiikenthal, die Ryder- Weber’sche Theorie zurtickweisen zu diirfen, als mit den histologischen und bionomischen Thatsachen in Widerspruch stehend. Zum Schlusse sei mir noch gestattet, auf Anpassungser- scheinungen zweier anderer Tiere hinzuweisen, die manche Ahn- lichkeit zeigen mit den obenerwahnten, bezw. manche dieser leichter faBlich erscheinen lassen. Die beiden hauptsachlichsten Schneetiere der ndérdlichsten Gebiete, Eisbar und Eisfuchs, zeichnen sich von ihren Verwandten aus durch aufergewohnliche Verlangerung und Verbreiterung der Hande und Fike. Zugleich sind diese dorsal und ventral dicht behaart, Die an der Peripherie des Fufes stehenden Haare sind bedeutend verlingert und verdickt, alle nach unten gerichtet und stehen be- sonders dicht, so da8 also rings um den Fu ein dichter, elastischer Kranz steifer, nach unten gerichteter Borsten gebildet wird. Alles dies stellt eine ausgezeichnete Schutzwehr gegen das Einsinken in den Schnee dar. Diesem Zwecke mag auch hauptsachlich die Bindehaut zwischen den Zehen der Eisbaren dienen, wie sie denn auch Bream nicht ,,Schwimmhaut“, sondern ,,Spannhaut* nennt. Besonders auffallend ist die Behaarung der Palmar- und Plantarflachen, die ich mir lieber als Schutz gegen das Einsinken und durch die geringe Abnutzung auf dem Schnee erklaren méchte, als etwa als Warmeschutz oder ahnliche Anpassung. V. Nagelbildungen. Von hohem Interesse waren fiir mich die Verhaltnisse der Nagelbildungen bei den Flossenfii£ern. Wir kénnen hier jede Stufe in ihrer Umbildung beobachten, von der typischen Saugetierkralle herab bis zu einfacher, kaum bemerkbarer horniger Epidermis- verdickung. Noch fast véllig normal treten uns diese Gebilde entgegen bei den eigentlichen Seehunden, speziell der Gattung Phoca. Die Kralle ist noch fast vollstandig die der iibrigen Saugetiere, speziell der Raubsauger. Doch sind die ersten Spuren der beginnenden Riickbildung schon bemerkbar. Die Kralle ist zwar noch sehr lang, bis 5 cm, und in seitlicher Richtung stark gekriimmt, schwacher in der Langsrichtung, dabei aber verhaltnismafig diinn (im Quer- schnitte von héchstens 0,5—0,6 cm Durchmesser), und ragt so weit Die Gliedmafen der Robben, 33 frei hervor, daf eine kraftvolle Benutzung, als Waffe z. B., nicht mehr méglich ist. Die der vorderen Gliedmafen sind etwas grifer und starker als die der hinteren. Bei einigen Phociden sind schon deutliche Riickbildungen vor- handen. So sind bei Stenorhynchus die vorderen Krallen klein, die hinteren in verschiedenem Mage verkiimmert. Bei Cystophora cristata sind die Krallen der Hand noch gut ausgebildet, die des Fufes dagegen klein, gerade und stumpf. Bei Macrorhinus leoninus sind sie ebenfalls an der Hand noch gut entwickelt, am FuSe aber vollstindig verschwunden. Die Krallen des Walrosses sind kurz, stumpf, schon sehr riickgebildet, am Fue noch etwas gréBer als an der Hand. Die eigentiimlichsten Verhiltnisse zeigen die Ohrenrobben. Die Krallen der Hand sind fast verschwunden, nur noch ,,small circular horny disks or rudimentary nails“, oder ,,small hollows or pits‘ (8). Dasselbe gilt fiir die der auferen Zehen der FiiBe. Die der drei inneren Zehen dagegen sind noch sehr wohl ausgebildet. Sie erreichen z. B. bei Otaria jubata eine Lange von 3,7—3,8 cm bei einer Breite von 0,75 cm. Dabei sind sie gerade und stark abgeplattet, so mehr nagel- als krallenahnlich. Wir sehen also, wie die Riickbildung der Krallen nicht in direktem Verhaltnisse steht zur sonstigen Anpassung an das Wasser, da doch gerade die Seehunde die starksten Krallen und die Ota- riiden die unscheinbarsten Rudimente haben. Dies zeigt auch die Unzulanglichkeit der Behauptung LeBouca’s, wenn er sagt, ,,que ces transformations (der Nagel) se trouvent sous linfluence de Yadaptation au milieu“ (22). Denn dies ware nur die indirekte Ursache, wenigstens ist nicht einzusehen, in welchem direkten Zusammenhange die An- passung an das Wasser und das Schwinden der Nagel stehen sollten. Offenbar steht auch die in Frage kommende Erscheinung nicht in direktem Zusammenhange mit der Umbildung der Glied- mafen zu Flossen. Denn diese ist z. B. bei den Seehunden zwischen Hinter- und Vordergliedmafen sehr verschieden, wahrend die Verschiedenheit der entsprechenden Krallen ziemlich unbe- deutend ist. Und bei den Ohrenrobben sind gar an derselben Flosse die Nagel héchst verschieden aus-, bezw. riickgebildet. Wir miissen also die direkte Ursache fiir die mannigfache Ausbildung der Krallen wo anders suchen. An einer Stelle deutet LeBouce sie an: ,,Les ongles des doigts s’atrophient en tant qu’organes devenus inutiles“‘ (22). In der That, glaube ich, kann man die Bd, XXVIII. N. F. XX1. 3 34 Ludwig Reh, Riickbildung der Nagel ganz ungezwungen erklaren durch Nicht- gebrauch. Die Funktionen der Nagel sind im wesentlichen drei: 1) Zum Schutze der Finger- und Zehenenden beim Aufsetzen auf festepo Grund. In dieser Richtung erreichen die Nagel ihre héchste Ausbildung im Hufe einerseits und der Grabkralle anderer- seits. Die erstere Funktion fallt natiirlich bei Wassertieren voll- stiindig weg. Inwieweit die letztere von Bedeutung fiir die Robben ist, werden wir spater sehen. 2) Als Waffe, und zwar einerseits zum Angriff auf Beutetiere und andererseits zur Verteidigung gegen Feinde. Die Nahrung der Robben besteht aus niederen Meerestieren, wie Krebsen, Weich- tieren, Stachelhautern etc. und Fischen. Hier kénnen Krallen nicht viel ausrichten: die Beute wird direkt mit den Ziabnen erfaft. Feinde, gegen die sie sich mit Krallen erfolgreich wehren kénnten, haben die Robben nicht. Also fallt die Bedeutung als Watte auch weg. 3) Zum Kratzen, Glatten, Putzen etc. Ist diese Funktion der Nagel im Verhaltnisse zu den beiden anderen auch gering, so wird sie doch, glaube ich, vielfach unterschatzt. Und gerade hier bei den Robben, wo die beiden anderen Funktionen so sehr zu- riicktreten, wird dann diese um so mehr in den Vordergrund treten. Doch ist ihre Wichtigkeit fiir die einzelnen Familien verschieden. Die Seehunde nahren sich fast ausschlieSlich von Krebsen und Schaltieren; von Fischen nehmen sie fast nur Schollen und Butten. Es sind dies lauter Tiere, die in, bezw. auf dem Grunde leben. Es ist daher wohl anzunehmen, daf die Krallen zum Aufwiihlen des Bodens benutzt werden, wofiir auch ihre auf ergewohnliche Lange spricht, die sie rechenahnlich iiber die Flossen hervor- ragen lift. Da die Haut der Seehunde noch ziemlich normal und mit dichtem Haarkleide bedeckt ist# wird auch die 3. Funktion der Krallen, die des Ordnens und Reinigens des Kérpers, hier von Bedeutung sein. In der That ist allen Beobachtern diese Be- nutzung aufgefallen. Durch die eigentiimliche Stellung der Glied- mafien werden dabei nur die vorderen eine Rolle spielen, wodurch uns die starkere Ausbildung ihrer Krallen leicht verstand- lich wird. Das Walro8 mit seiner plumpen Gestalt ist nicht imstande, Fische, die ja auch in den von ihm bewohnten uérdlichsten Ge- bieten fast véllig fehlen, zu seiner Hauptnahrung zu machen; es Die Gliedmafen der Robben. 35 ist auf minder schnelle Beute angewiesen. Es bevorzugt also ebenfalls im Grunde wiihlende oder auf ihm festsitzende Tiere, oder endlich Aas. Indes hat es zur Gewinnung dieser Nahrung bessere Hilfsmittel als Krallen, namlich seine Hauer, deren Be- deutung, wie Breum ausdriicklich betont, abgesehen von der als Wafie, in dieser Wirkungsweise und nicht in der als Lokomotions- organ zu suchen ist. Diese Funktion der Krallen fallt also ganz weg. Ebenso geht es mit der dritten. Haare besitzt das Walrof nur sparlich oder gar keine; unter der Haut liegt eine dicke Fett- schicht und die Haut selbst ist sehr verdickt und lederartig. Daf Krallen da nicht mehr viel ausrichten kénnen, ist klar. Gréfere Schwierigkeit macht die Erklirung des Befundes bei den Otariiden. Ihre Nahrung bilden hauptsachlich Fische und gelegentlich Végel, die sie an den Beinen erfassen und in die Tiefe ziehen sollen (2). Zum Aufwiihlen des Grundes brauchen sie also keine Krallen. Dagegen besitzen sie ein dichtes Haar- kleid und ihre Haut ist fiir auBere Reize noch wohl empfanglich. Bei allen normal gebauten Saugetieren, wie es die Otariiden im ganzen ja auch noch sind, werden zum Putzen und Reinigen des Koérpers aus leicht einzusehenden Griinden vorwiegend die Hintergliedmafen herangezogen. Von den Zehen werden die drei mittleren bevorzugt. Zu erklaren mag dies sein aus ihrer stiirkeren Ausbildung und gréferen Linge. Auch die Otariiden benutzen, wie alle Forscher und Reisenden berichten, ihre HintergliedmaSen sehr ausgiebig in diesem Sinne und mégen dabei seit jeher eben- falls die drei mittleren Zehen bevorzugt haben. Ich glaube, daf auf diese Weise sich ganz ungezwungen die eigentiimliche Erscheinung erkliren aft, daf nur diese Zehen wohl ausgebildete Nagel tragen, alle iibrigen und die Finger nur spirliche Uberreste. Auch beiden Em bryonen bieten die Krallen interessante Ver- haltnisse dar, wobei trotz aller Verschiedenheiten in den einzelnen Familien sich doch einige wichtige gemeinsame Punkte auf- finden lassen. Bei den Ph ociden (Fig. 6) sind die embryonalen Krallen ebenso wie die ausgebildeten sehr 4hnlich denen der iibrigen Krallentiere. Fin wesentlicher Unterschied besteht jedoch zwischen dem embryo- nalen und dem erwachsenen Zustande. In letzterem kann man deutlich die von Boas (33) unterschiedenen Teile, Krallenplatte und Sohlenhorn, abgrenzen; es sitzt also der eigentliche Nagel dorsal. Beim Embryo dagegen sind diese beiden Teile nicht oder kaum zu trennen. Der ventrale, dem Sohlenhorn entsprechende 3 * 36 Ludwig Reh, Teil besitzt gréBere Mengen Pigment; auch ist seine Oberflache etwas zerrissen, nicht so glatt wie die des dorsalen, der Krallen- platteé entsprechenden Teiles. Sonst aber zeigen beide dasselbe Verhalten, chemisch, physikalisch und histologisch. Ferner er- streckt sich noch der ventrale Teil in eine tiefe Kinsenkung hinein, die an der Hand gebildet wird durch die hervorragende Fingerbeere, am Fue durch den angedeuteten Endlappen. Ks stellt die Kralle eine hohle Pyramide dar, und in dieser liegt der distale Teil der Endphalanx. Es bildet also die ganze embryo- nale Kralle ein einheitliches, endstandiges Organ. Lesoucg (21, 22) stellt bei seiner Zeichnung der ganzen Hand seines Walro 8-Embryos die Kralle dar wie die der iibrigen Krallentiere, als einen gekriimmten spitzen Kegel, der an der Dorsalseite der Phalanx frei nach vorn hervorragt. Anders auf seinem Bilde des Liingsschnittes durch den Finger. Hier zeichnet er sie als diinne Lamelle, die dorsal dem Fingerende aufliegt und frei iiber es hinausragt. Ich mu gestehen, daf es mir nicht még- lich ist, beide Figuren miteinander zu verbinden. Ein Schnitt durch die auf der ersten abgebildete Kralle kann nie das zweite Bild darbieten, und ebensowenig kann man sich aus dem zweiten Bilde die Kralle des ersten zuriick konstruieren. Bei der Schnitt- figur ruht der Nagel am Ende des Fingers auf der dorsalen, oberen Flache einer Papille, die infolge der gestreckten Lage der End- phalanx nach vorn gerichtet ist. Die ventrale oder eigentlich vordere Flaiche der Papille bleibt vom Nagel unbedeckt. Zwei Einsenkungen grenzen letztere scharf ab. Aus der hinteren ent- springt der Nagel; sie entspricht also dem Nagelfalze. Mit der vorderen steht der Nagel in keinem direkten Zusammenhange. Diese halt Lepoucg fiir das Sohlenhorn: ,,L’encoche profonde entre celle-ci (der Fingerbeere) et le lit unguéal, remplie de gran- des cellules épidermiques, est une formation constante chez tous les mammiferes d’aprés les recherches de Boas; cet auteur l’a désignée sous le. nom de Sohlenhorn (corne plantaire).‘‘ Ich glaube nicht, dafi diese Auffassung Lepouca’s sich mit dem Begriffe deckt, den Boas mit dem Namen Sohlenhorn yerbindet. Nach letzterem ist dies doch nur ein ventraler, weicherer Teil des Nagels und nicht die Epidermiseinsenkung, in die er sich erstreckt. Ich halte vielmehr diese distale Einsenkung fiir das, was Unna (32) ,,obere Bucht“, K6OLLIkER (29) ,,distale Grenzfurche“, Die Gliedmafen der Robben. 37 ZANDER (34) ,,ventrale Kinsenkung“ nennt, also fiir das, was beim Menschen der schwachen Rinne am Nagelsaume entspricht. Ganz anders stellen sich diese Verhaltnisse bei meinem Embryo dar. Beim makroskopischen Betrachten der Hand sieht man kurz vor dem Ende der Finger rein dorsal und rein nach oben eine halbkugelige, rings von einer flachen Furche umgebene Papille hervorragen (Fig. 1). Sie wird vollstindig, haubenartig, vom Nagel bedeckt. So bildet dieser selbst eine Halbkugel. Spitze oder Schneide ist an ihm nicht zu bemerken. Genau entspricht diesem Bilde auch der Befund an den Schnitten (Fig. 4). Infolge der oben beschriebenen Kriimmung des Ungualteiles der End- phalanx ragt die Ungualpapille rein dorsal und rein nach oben hervor. Rings um sie bildet das Rete Malpighi eine tiefe Kin- senkung, die zum griéfkten Teile von Epidermiszellen erfiillt ist. Bei den Lingsschnitten sieht man sie natiirlich nur als proximale und distale Einsenkungen. Aus der proximalen geht der Nagel hervor, legt sich platt tiber die ganze Papille hinweg, dringt aber nicht in die distale ein, sondern splittert sich tiber ihr nach vorn- oben ab. Auch hier ist keine Spitze an ihm zu bemerken. Doch ist er an der Umbiegungsstelle verdickt, so die Stelle anzeigend, wo spiter die Spitze sich bildet. Ein Unterschied zwischen proxi- malem und distalem Teile, also zwischen Krallenplatte und Sohlenhorn, ist nicht oder kaum zu machen. Der, ersterer entsprechende Teil des Nagels ist nach au8en scharf und glatt abgegrenzt, der, letz- terem entsprechende beginnt schon an der Umbiegungsstelle in kleinen Hornpliattchen und -Faserchen abzusplittern. Jener ist auch diinner, vielleicht aber etwas fester, dieser dicker, vielleicht aber weniger fest. Doch ist eine scharfe Grenze zwischen beiden nicht vorhanden. Sie gehen unmittelbar ineinander tiber. Chemisch, physikalisch und histologisch verhalten sie sich ebenfalls ganz gleich, wie Hornsubstanz. Es ist also auch hier der ganze Nagel ein einheitliches, rein terminales Gebilde. Am FuBe (Fig. 3) ist ein Unterschied nur insofern vorhanden, als, infolge der gestreckten Endphalanx, die Nagelpapille nicht nach oben, sondern, wie bei LeBouca’s Figur, nach vorn hervor- ragt. Sonst gilt alles fiir die Hand Gesagte. Die Schnitte durch den Finger meines unbestimmbaren Embryo (Fig. 5) ergaben, wie schon gesagt, im ganzen dasselbe Bild, das Lesoucg von den Schnitten durch seinen Otariafinger zeichnet. Nur in dem Gebiete des Nagels machen sich auch hier wesentliche Unterschiede bemerkbar. Die Nagelpapille ragt allerdings, wie 38 Ludwig Reh, bei Phoca, wieder nach vorn hervor, da die Nagelphalanx gestreckt ist. Ganz anders verhalten sich jedoch die sie begrenzenden Kin- senkungen. Die proximale ist ahnlich. Die distale zeichnet Lepoucg ahnlich der bei Trichechus, nur etwas tiefer, aber viel enger, so daf er sagen kann ,,que la partie cornée intermédiaire entre Vongle et la pulpe du doigt s’est considérablement réduite de maniére 4 ne plus former qu’une simple encoche épidermique™. Bei meinen Schnitten sieht diese Einsenkung ganz anders aus. Sie wird gebildet durch die weit nach vorn ragende Nagelpapille und den auferordentlich langen Endlappen. Dadurch wird sie allerdings eng, dorsoventral zusammengepreft, aber auch sehr tief. Ich méchte sie daher eher sehr gut ausgebildet nennen, als ,,con- sidérablement réduite“, zudem sie noch mehr vertieft wird durch die Einbuchtung des Rete Malpighi. Den Nagel zeichnet Lesoucg wieder als diinne Hornlamelle, ,,une lamelle cornée mince dépas- sant le sommet de la phalange‘‘, die frei nach vorn endigt. Bei mir verhalt sich der Nagel wie bei Phoca, d. h. er bedeckt die ganze Nagelpapille, endigt aber nicht wie bei Trichechus tiber der distalen Einsenkung, sondern dringt tief in sie ein, in ihren Epidermiszellen verschwindend. Hier habe ich auch einen Beweis dafiir, daf’ mein Befund ein natiirlicher ist. Der Nagel liegt nam- lich noch nicht frei da, sondern ist noch in die Epidermis einge- schlossen, bedeckt vom Eponychium. Dadurch, daf} auch dieses sich in die distale Kinsenkung hinein erstreckt und in ihren Epidermis- zellen auflést, verhalt sich diese EKinsenkung viel eher sehr kom- pliziert als wie ,,une simple encoche“. Ein Unterschied zwischen Krallenplatte und Sohlenhorn ist nur insofern aufzufinden, als der letzterem entsprechende Teil etwas pigmentreicher ist. Sonst ist wiederum der ganze Nagel ein einheitliches, rein terminales Gebilde. Fassen wir wieder zusammen. Wir haben gefunden, da8 bei den Robben der ganze Nagel, bezw. die ganze Kralle embryonal noch einheitlich ist und rein terminal steht. Ein Unterschied zwischen Krallenplatte und Sohlenhorn beginnt sich eben erst bemerkbar zu machen. In seinem ,,Lehrbuche der Anatomie des Menschen“ sagt GEGENBAUR, sich auf ZANDER Sstiitzend: ,,Die erste Andeutung des Nagels zeigt sich bei Embryonen als eine terminale“, und in seiner Abhandlung ,,Zur Morphologie des Nagels‘ (55) betrachtet er sie phylogenetisch ebenfalls als endstiindig. An einer anderen Die Gliedmafen der Robben. 39 Stelle derselben Abhandlung bemerkt er dagegen: ,,Man hat kein Recht zu sagen, daf bei den Saugetieren noch endstindige Nigel vorkommen.“ Natiirlich kann dies also nur fiir erwachsene Tiere gelten. Wie sollen wir uns nun die phylogenetische Diffe- renzierung, deren Widerspiel wir in der ontogenetischen vor uns sehen, der urspriinglich einheitlichen Anlage in dorsale feste Krallenplatte und ventrales weiches Sohlenhorn erkliren? GErGEN- BAUR zeigt uns die bewirkende Ursache: »Hs ist diese Riickbildung (des ventralen Teiles zur Horn- platte) wahrscheinlich einer Verschiedenheit der Funktion ent- sprungen, deren Schwerpunkt auf den dorsalen Teil des primi- tiven Nagels zu liegen kommt. Es kann leicht verstanden wer- den, wie bei einer Kriimmung der dorsalen Nagelplatte, die sich auch lateral der Endphalange angeschlossen hat, diesem Teile die Hauptfunktion des Nagels beim Scharren oder Graben oder auch beim Anklammern zufallt. Die Kriimmung der dorsalen Nagel- platte, deren Kurve von der Kriimmung der Dorsalflaiche der End- phalanx bestimmt zu werden scheint, wird begiinstigt durch die Nichtbeteiligung des ventralen Horngewebes, welches bei dem Wachstum der dorsalen Platte eine mehr passive Rolle spielt. Ich lege absichtlich auf die Funktion der dorsalen Nagelplatte das Hauptgewicht, denn es ware irrig, dabei das Sohlenhorn in seiner Reduktion eine bedeutende Rolle spielen zu lassen, da wir vielerlei andere in Kurven wachsende Hornteile kennen, bei denen das Horngewebe nicht jene Sonderung in zwei sich gegeniiber- stehende, strukturell verschiedene Teile besitzt. Genug, die dor- sale Nagelplatte stellt jetzt den wichtigsten Teil der gesamten Bildung vor“ (35). Es wiirde sich demnach die phylogenetische Entstehungsweise folgendermafen vollzogen haben: Die erste Anlage der Nagelbildungen waren einfache Epithel- verdickungen und -Verhornungen der Enden der Finger und Zehen zu ihrem Schutze. Je mehr sich die Tiere an reines Landleben gewohnten, um so mehr wurden diese Schutzeinrichtungen notig und damit auch ausgebildet. Aber zugleich wurden auch die An- forderungen an sie erhéht: sie wurden Stiitzorgane. Es ist klar, daf bei jeder Bewegungsweise auf dem Lande ein auferordent- licher Druck von unten nach oben auf die letzten Enden der Gliedma8en ausgeiibt wird, unter dem sie sehr zu leiden gehabt hatten, wenn nicht jener Druck durch passende Einrichtungen auf- 4O Ludwig Reh, gehoben worden ware. Er bestimmte die Gestalt der Nagel- bildungen. Einmal mufte die dorsale Verhornung noch mehr ge- festigt werden. Aber dies allein hatte nicht genigt. Die dorsale Platte mufSte sich kriimmen, soweit sie nicht schon durch die natiirliche Gestalt des Phalangenendes gekriimmt war. Nur da- durch, da sie cine spharische Gestalt annahm, kann sie den Druck unschadlich machen. Es wirkt also hier ein ahnliches Prinzip, wie wir es bei unseren Wellblech-Finrichtungen haben, die jedoch aus anderen Griinden nur in einer Richtung gekriimmt zu sein brauchen. Zugleich gewannen die Nagelbildungen durch die spharische Gestalt und terminale Zuspitzung einen hohen Grad von Elastizitat. Wir sehr diese ihnen bei ihrer Thatigkeit zu statten kommt, brauche ich nicht weiter auszufiihren. Es geniigt, auf die Analogie mit der Schreibfeder hinzuweisen. —- Soweit die passive Wirkung der Krallen. Aus der aktiven kénnen wir uns die andere Erscheinung erklaren, die Differenzierung in zweierlei Bestandteile. Ich habe oben (S. 34) die drei Hauptverrich- tungen der Nagelbildungen erwihnt. Es ist klar, daf zu diesen eine Spitze oder scharfe Kante erforderlich ist. Hatte sich nun mit dem dorsalen Teile des Nagels zugleich der ventrale eben so sehr erhartet, so ware ein Organ entstanden, das an allen Seiten der Abnutzung gleichen Widerstand entgegensetzte, bezw. gleich leicht verfiele. Alle diese Bildungen waren also, etwa wie die Spitze eines Bleistiftes, durch den Gebrauch bald stumpf ge- worden. Ihr Zweck ware dann verfehlt gewesen. So aber ist die Differenzierung eingetreten, bezw. der ventrale Teil weich ge- blieben. Dorsaler und ventraler Teil stofen an der Benutzungs- kurve zusammen. Der dorsale feste Teil wird langsam abgenutzt, der ventrale weiche Teil rascher. So erhalt sich immer eine scharfe Schneide und, je nach der Kriimmung, Spitze. Zugleich bietet dann auch das weiche Sohlenhorn ein elastisches Polster dar, das den Nagel und die Endphalanx vor vielen mechanischen Verletzungen schiitzt. Die Abnutzung des Nagels wird wieder ausgeglichen durch das stetige Nachwachsen, das gemafs der Ab- nutzung am dorsalen Teile infolge seiner konzentrierten Festig- keit langsamer von statten geht, am ventralen Teile infolge seiner weichen, lockeren Beschaffenheit rascher. — Wir haben also in den Nagelbildungen Organe, analog den Nagezadhnen. Die Riickbildung des Sohlenhornes bei den Affen und dem Menschen sucht man zu erklaren durch die starke Entwickelung der Fingerbeere. Ich glaube, da diese nur die indirekte Ursache Die Gliedmafen der Robben. 41 ist. Wir sahen bei manchen Robben die Fingerbeere, als die wir doch naeh den trefflichen Ausfiihrungen Lesouce’s (22) den Endlappen zu betrachten haben, noch ungleich gréfer, und den- noch war das Sohlenhorn noch wohl entwickelt. Auferdem Jaft man dabei die verminderte Kriimmung der Krallenplatte, die den Nagel hervorruft, gianzlich unbeachtet, und beide Eigenschaften sind doch eng miteinander verkniipft. Ich glaube, man kann beide Erscheinungen, das Schwinden des Sohlenhornes und die Abflachung der Kralle zum Nagel einfach aus Nichtgebrauch er- klaren. Die aktive Bedeutung der Kralle ging mehr und mehr verloren, und auch die passive verminderte sich so sehr, daf wenigstens die starke Kriimmung unnétig war. Sekundar wurde dann die Abflachung noch geférdert durch die Breitenausdehnung der Fingerbeere. Durch Verlust des aktiven Wertes und durch Umbildung der Fingerbeere zum Tastorgan verschwand dann auch das Sohlenhorn. Auch fiir die RypreK-Werper’sche Hypothese kénnen die Nagel von grofem Werte werden. Ware sie richtig, so miif%ten bei den Walen Nagelrudimente, wenn vorhanden, natiirlich am Ende der 3. Phalanx sich finden, da die weiteren Phalangen ja aus dem Endlappen hervorgegangen waren. Von diesem Gedankengange geleitet, hat Lesoucg Flossen von Walembryonen untersucht und bei einigen Nagelrudimente beschrieben am distalen Ende der letzten Phalangen. Er schlieft daraus mit Recht: ,,Folglich ist die distale Phalanx der Cetaceen (von ihrer Ordnungszahl abge- sehen) mit der Nagelphalanx der iibrigen Siugetiere homolog; und es hat keine adaptive Verlingerung der Finger nach dem phylogenetischen Erscheinen der Nigel stattgehabt‘ (23). Ich habe dann selbst Hinde von Walembryonen, und zwar von Globio- cephalus melas, Beluga leucas und Balaenoptera rostrata, wo- fiir ich ebenfalls der Liebenswiirdigkeit von Herrn Prof. KiiKen- THAL zu Danke verpflichtet bin, geschnitten und untersucht, aber nur am Ende des ersten Fingers von Beluga leucas etwas ge- funden, was ich als Nagelrudiment ansprechen méchte. Da dieser Finger jedoch ganz rudimentar ist, lege ich hierauf kein Gewicht. A2 Ludwig Reh, Litteraturverzeichnis. 1. G. Cuvier, Le régne animal, Tome I. 2. Brenm’s Tierleben, 3. Aufl., Band 2. Leipzig und Wien 1890. 3. M. Duvernoy, Recherches anatomiques sur les organes du mouvement du Phoque commun, Phoca vitulina L. Mémoires du Muséum d’Histoire naturelle. T. IX, Paris 1822. 4. J. Mure, On Phoca groenlandica Miill., its modes of pro- gression and its anatomy. Proceedings of the Zoological Society of London, 1870. 5. Ev. Home, Some curious facts respecting the Walrus and Seal, discovered by the examination of specimens brought to England by the different ships lately returned from the Polar Circle. Philo- sophical Transactions, 1824. 6. K. E. von Barr, Anatomische und zoologische Untersuchungen iiber das Walrof (Trichechus rosmarus) und Vergleichung dieses Tieres mit anderen See-Siugetieren. Mémoires de |’Académie impériale des Sciences de St. Petersbourg, 1838. 7. J. Mure, Researches upon the anatomy of the Pinnipeds. Part. I. On the Walrus (Trichechus rosmarus L.). Transactions of the Zool. Soc. of London, Vol. VII, 1869. 8. id., Part. II, IIf. Descriptive anatomy of the Sea-lion (Otaria jubata), ibid. Vol. VII (1869), VIII (1874). 9. J. Crarx, On the Eared Seals of the Islands of St. Paul and Amsterdam, with a description of the Fur-Seal of New-Zeeland, and an attempt to distinguish and rearrange the New-Zeeland Otariida. Proceedings of the Zool. Soc, of London, 1875. 10. W. A. 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Anz. 1890. 27. — — Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschicht- liche Untersuchungen an Waltieren, I. Teil. Denkschriften der medizinisch - naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena, III. Band, I. Abt., Jena 1889. 28. — — Uber die Anpassung von Siiugetieren an das Leben im Wasser. Zool. Jahrbiicher, Band V, 1891. 29. A. Koniiker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen. I. Bd., Leipzig, 1889. 30. G. Baur, Einige Bemerkungen iiber die Ossifikation der ylangen“ Knochen. Zool. Anzeiger, Nr. 206, 1885, 31. O. Srepamerorzxy, Uber die Struktur und das Wachstum der Krallen der Fleischfresser. Berichte tiber das Veterinirwesen im K6nigreiche Sachsen fiir das Jahr 1870, XV. Jahrgang, Dresden. 32. P. Unna, Beitrige zur Histologie und Entwickelungsgeschichte der menschlichen Oberhaut und ihrer Anhangsgebilde. Archiv fiir mikrosk. Anatomie. XII. Band, 1876. 33. J. Boas, Ein Beitrag zur Morphologie der Nigel, Krallen, Hufe und Klauen der Saugetiere. Morphologisches Jahrbuch, Bd. IX, 3. 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In den kleinen Seewasseraquarien des Miinchener zoologischen Instituts, deren Inhalt aus Rovigno in Istrien stammte, entwickelte sich eine kleine Heliozoe in solchen Mengen, daf ich auf den Rat von Herrn Prof. Herrtwia das Tier zum Gegenstand einer ausfihrlicheren Untersuchung machte; ich kultivierte die Tiere in einem besonderen Cylinderglas, in dem sie sich wihrend des ganzen Winters 1890/91 und besonders lebhaft im Frihjahr 1891 ver- mehrten. Sie fanden sich hier mit ihren Pseudopodien auf dem Boden oder an den Wandungen des Glases, seltener an Algenfiden angeheftet; zeitweilig lésten sie sich auch ab, um im Wasser ganz frei zu schweben. Die Untersuchung wurde teils an lebendem, teils an konserviertem Material angestellt. Da die lebenden Tiere unter gewohnlichen Verhaltnissen ganz undurchsichtig sind, machte ich sie durch vorsichtiges allmahliches Pressen der Beobachtung zugangig, indem ich die zur Verwendung kommenden Deckglischen mit Wachsfifchen versah, welche ich durch Erwarmen so lange 1) Vorliegende Arbeit hat mir Herr Dr. Sassaxr im Juli 1891 vor seiner Riickreise nach Japan zuriickgelassen, mit der Bitte, die Veroffentlichung zu besorgen. Da Herr Dr. Sassaxr die deutsche Sprache nicht geniigend beherrschte, bedurfte das Manuskript einer vollkommenen Umarbeitung. Infolgedessen hat sich die Verdffent- lichung der Arbeit iiber ein Jahr lang verzdgert, weil ich anderweitig sehr in Anspruch genommen war. R, HeEniwie, 46 Chiujeo Sassaki, erniedrigte, bis der geeignete Grad der Abplattung erreicht war und man deutlich die Achsenfaden der Pseudopodien bis ins Centrum des Tieres verfolgen konnte. Beim Konservieren benutzte ich fast ausschlieflich Pikrinessigsiure, da sich Chromosmiumsaure, Osmium- siure, Platinchlorid und andere Reagentien als wenig geeignet erwiesen. Zum Farben der Kerne diente hauptsichlich Borax- karmin. Die véllige Undurchsichtigkeit der konservierten ‘Tiere, welche auch bei Aufhellung in Nelken6él fortbestand, machte die Anfertigung von Querschnitten notwendig, welche sich nach Ein- bettung in Paraffin in gentigender Feinheit herstellen lieSen. Die Schnitte durch die zuvor mit Boraxkarmin gefirbten Objekte wurden nach dem Rat von Herrn Prof. Herrwic auf dem Objekt- triger noch einmal mit einer Auflésung von Methylgriin in Nelkendl nachgefairbt. Dieses Verfahren erméglicht, die in Karmin farblos bleibenden Strukturen (die Achsenfiden der Pseudopodien und das mit denselben in Verbindung stehende Ausstrahlungscentrum) in besonders schéner Weise deutlich zu machen. Wenn man namlich den Uberschuf des Methylgriins durch ein Gemisch von Nelkendl und Xylol in vorsichtiger Weise auswischt, erhalt man Praparate, auf denen die durch das Karminrot gefarbten Teile vermége der Nachfarbung in der Methyllésung einen violetten Ton angenommen haben, wihrend alles, was im Karmin farblos geblieben war, nun- mehr spangriin erscheint. Derartig hergestellte Praparate lassen sich einige Wochen erhalten, verlieren aber schlieBlich auch die letzten Spuren der Methylgriinfarbung. Das Tier vermochte ich mit keiner bekannten Heliozoe zu identifizieren. Im Mangel eines Skelets und in der Vielkernigkeit stimmt es mit den Actinosphirien iiberein, unterscheidet sich aber von ihnen durch den Mangel der charakteristischen schaumigen Beschaffenheit des Protoplasmas und durch die Anwesenheit eines dort fehlenden Ausstrahlungscentrums fiir die Achsenfaden der Pseu- dopodien. Ich sehe mich daher veranlaft, fiir das Tier ein neues Genus aufzustellen und es auf Grund seiner weiflichen Farbe Gymnosphaeria albida zu nennen. Mit unbewaffnetem Auge kann man die Gymnosphiren in den Zuchtglisern deutlich als kleine weife Punkte erkennen, doch erreicht der Durchmesser des kugeligen Kérpers nur ausnahms- weise die GréBe von 0,14 mm, meist ist er wesentlich geringer. Umgeben ist der Kérper von einem dichten Wald feiner, spitzer Pseudopodien, die unter normalen Verhiiltnissen sich weder ver- isteln noch Anastomosen bilden; sie kénnen 5—6mal so lang Untersuchungen tiber Gymnosphaera albida. 47 werden, wie der Durchmesser des Korpers betragt, sind reich an ziemlich lebhaft strémenden Koérnchen und von Achsenfaden gestiitzt, auf deren Verhalten ich sogleich bei Besprechung des feineren K6rperbaues noch zuriickkommen werde. Am Ké6rper des Tieres kann man schon unter normalen Ver- hiltnissen (Fig. 1) drei Teile unterscheiden, die wir als Mark- schicht, Rindenschicht und Hiillschicht unterscheiden wollen. Die Markschicht leuchtet als eine lichte Kugel aus der triiberen Rindenschicht hervor, welche die Hauptmasse des K6rpers bildet. Die Rindenschicht wiederum wird von der schmalen, durch kérnchenreichtum aber besonders ausgezeichneten und daher beson- ders triiben Hiillschicht umgeben. Durch vorsichtiges Pressen des Tieres (Fig. 2) wird die Scheidung in drei Schichten sehr viel deutlicher; namentlich erweisen sich jetzt Rinden- und Hiillschicht durch eine haarscharfe Linie getrennt, wahrend Rinden- und Mark- schicht mehr allmihlich in einander tibergehen. Als Ursache der scharfen Trennungslinie ist nur die verschiedene Beschaffenheit des Protoplasmas anzusehen, dagegen lieS sich keine trennende Membran (gleichsam als eine Art Kapselmembran) nachweisen, deren Existenz auch durch die Beobachtung der Nahrungsaufnahme widerlegt wird. Wenn die Pseudopodien irgend eine Beute, z. B. kleine Infusorien, erfaBt haben, wird dieselbe zunachst der Hiill- schicht zugefiihrt, aus der sie dann weiter in die Rindenschicht transportiert wird, was bei Anwesenheit einer trennenden Mem- bran schwerlich méglich wire. Ein Uberwandern in die Mark- schicht wird dagegen nicht beobachtet. Solange Infusorien nur von der Hiillschicht umschlossen werden, kann es vorkommen, da8 sie sich durch kraftige Bewegungen wieder befreien. Die Hiillschicht besitzt eine unbedeutende Dicke, die zudem noch an den einzelnen Stellen des K6rpers variiert. Von ihr ist als wichtig nur das Eine hervorzuheben, daf ihre kérnchenreiche Masse sich in die Pseudopodien fortsetzt. Komplizierter ist der Bau von Mark- und Rindenschicht. Die Markschicht ist eine auBerst feinkérnige, in Karmin sich gar nicht farbende Masse und umschlieft eine sehr interessante, in ihrem Bau nicht leicht zu verstehende und auch von mir nicht vollig aufgeklirte Struktur: das Ausstrahlungscentrum fiir die Achsenfaden der Pseudopodien. Am gepreften, lebenden Tier sieht man genau im Centrum des Kérpers ein Korn und von demselben ausstrahlend auferst feine Faden, welche in radialer Richtung ver- laufen und durch Mark- und Rindenschicht bis in die Pseudo- 48 Chiujeo Sassaki, podien hineindringen. Zahl und Feinheit der Faden ist so grof, daf es trotz ihres gestreckten Verlaufs unméglich ist, sie einzeln genau in ganzer Linge zu verfolgen. Ich habe nun weiter die Ausstrahlungsfigur an Tieren, be in Pikrinessigsiure konserviert und in Boraxkarmin tingiert waren, auf feinen Querschnitten untersucht. Auf einem Quer- schnitt, der genau durch den Mittelpunkt gegangen war, sah man dann Folgendes: in der Rindenschicht hie und da Reste der Achsen- fiiden, in der Markschicht eine dieselbe zum kleinsten Teil aus- fiillende Figur, welche auferordentlich an das ,,Centrosoma“ -- ,Archoplasmakugel Boverr’s, das ,,corpuscule polaire’’ +- ,,sphaire attractive’ vy. BENEDEN’S erinnert. Inmitten der Figur liegt eine helle Stelle, welche ab und zu auch wie eine kleine Kugel auferst feiner, staubformiger Teilchen aussieht. Um den oben gezogenen Vergleich durchzufiihren, miiSte man sie mit dem Centrosoma in Parallele bringen; sie ist jedenfalls das auch am lebenden Tiere beobachtete centrale Korn. Das Centralkérperchen ist in einiger Entfernung umhiillt von einer Art Kugelschale, einem breiten Grenz- kontur, von dem man am lebenden Tier gar nichts wahrnimmt. Vom Centralkérperchen entspringen Achsenfaden ; zunachst sehr fein, verdicken sie sich nach aufen ein wenig und treten so durch die Kugelschale hindurch, ohne aber durch die duferen Teile der Markschicht bis in die Rindenschicht verfolgbar zu sein. Viel- mehr hoéren sie gleich auBerhalb der Kugelschicht fein zugespitzt auf; nie kann man einen Zusammenhang mit den in der Rinden- schicht vorhandenen Resten der Achsenfaiden erkennen. Es macht den Eindruck, als ob die Achsenfaden infolge der Reagentienbehand- lung stark verkiirzt seien, als ob dabei ein Teil am Centralkérper- chen geblieben sei, ein anderer Teil sich abgelést hatte und in der Rindenschicht verblieben wire. Ganz unerklarlich bleibt der diufere Kontur, der ja beim lebenden Tier gar nicht zu er- kennen ist. Zum Teil wird iibrigens das wechselnde Aussehen der Aus- strahlungsfigur durch Verschiedenheit der Entwickelungszustande veranlaft, worauf ich bei der Fortpflanzungsgeschichte noch zuriick- komme, bei welcher die Figur eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Die Rindenschicht ist gleichmafig kérnig, am feinsten ge- kérnelt in ihrem an die Markschicht grenzenden Teil. Da letzterer zugleich sich besonders intensiv in Karmin fairbt, stairker als die nach aufen gelegenen Teile, so wird an gefirbten Schnittpraparaten Untersuchungen iiber Gymnosphaera albida. 49 die sonst verwaschene Grenze von Rinden- und Markschicht auf- fallend deutlich, da letztere, wie oben erwihnt, ganz farblos bleibt. Die lichtere, periphere Zone der Rindenschicht enthalt Vakuolen und Kerne. Die Vakuolen umschliefen ab und zu noch Reste von Nahrungskérpern, wodurch es wahrscheinlich wird, daf sie zum Teil wenigstens aus Nahrungsvakuolen hervorgegangen sind. Kontraktile Vakuolen wurden nicht beobachtet. Die Zahl der Kerne ist namentlich bei gréferen Tieren eine sehr bedeutende und mag viele Hundert betragen; ihre Gréfe nimmt mit zuneh- mender Zahl ab. Sie sind kugelig oder oval und bestehen zum groften Teil aus einer granulierten, in Karmin sich schwach far- benden Masse (Fig. 4). Dicht unter der Oberfliche liegt eine Chromatinanhaufung in Gestalt eines linsenférmigen Kérpers, der durch einen lichten Zwischenraum vom schwach gefairbten Geriist des Kerns getrennt wird. Manchmal findet man auch zwei solche nucleolusartige Kérperchen in einem Kern. Von Fortpflanzungserscheinungen habe ich nur Teilungen beobachten kénnen. Ich begegnete denselben am haufigsten in den Monaten Februar und Marz und zwar da wieder am_hiufigsten in den friihen Morgenstunden, wihrend spiter, namentlich im Lauf des Nachmittags, ich nur ausnahmsweise eine Teilung auifand. Der Prozef verlauft ziemlich rasch, meist innerhalb 30 Minuten, selten nimmt er eine Stunde in Anspruch; er beginnt mit einer ovalen Streckung des Korpers; darauf folgt eine ringférmige Ein- schniirung, die, rasch vorwartsschreitend, den Kérper in zwei unge- fahr gleichgroBe Stiicke zerlegt. Einige Zeit ist noch eine schmale protoplasmatische Verbindungsbriicke vorhanden, bis auch diese sich verdiinnt und einreiSt, worauf die Teilprodukte nach entgegengesetzten Richtungen auseinanderstreben. Um nun auch die Vorginge, welche sich wihrend der Teilung im Innern abspielen, zu verfolgen, habe ich mich bei der Undurch- sichtigkeit des Kérpers zur Querschnittsmethode entschlieBen miissen ; ich habe etwa hundert Individuen, bei denen ich wegen ihrer Gestalt auf beginnende Teilung rechnen konnte, in Querschnitte zerlegt und habe dabei Verainderungen an der Ausstrahlungsfigur der Marksubstanz nachweisen kiénnen, die man wohl sicher mit der Teilung in Zusammenhang bringen muf. Bei mehreren Exemplaren war die Ausstrahlungsfigur nur insofern verindert, als die radialen Faden keinen geraden Verlauf einhielten, sondern simtlich und zwar alle in gleicher Richtung gebogen waren (Fig. 7). Bd. XXVIII. N. F, XXI. 4 50 Chiujeo Sassaki, Bei einem Tier von mafSiger Gréfke (0,12 :0,13 mm Durchmesser) war die gesamte Figur oval ausgezogen, desgleichen das Central- kérperchen (Fig. 8). Letzteres war unverhiltnismaSig grof, die Umegrenzung der Figur dagegen vergleichsweise klein, wihrend die ausstrahlenden Faden sich weit tiber den Grenzkontur verfolgen lieBen. Die Streckung zu einem Oval kann man als ersten Schritt zu einer Teilung auffassen. Im weiteren Verfolg hatte man eine bisquitformige Einschnitirung erwarten miissen. Ein solches Stadium, an dessen Existenz ich selbstverstandlich nicht zweifele, habe ich nun nicht beobachten kénnen, wohl aber habe ich ein Tier mit zwei Ausstrahlungscentren geschnitten (Fig. 9). Der Kérper des Tieres war oval und zeigte eine ziemlich tief einschneidende Ring- furche. Von den beiden Ausstrahlungsfiguren enthielt eine jede ein grofes feingranuliertes Centralkérperchen, von dem kurze, schwach gebogene Achsenfiden ausgingen. Diese fehlten an den einander zugewandten Enden der beiden Centralkérperchen, wo- durch ein Raum markiert wurde, in dessen Bereich wahrschein- lich auf einem friiheren Stadium ein Zusammenhang der Central- kérperchen bestand. Merkwiirdigerweise fehlte an beiden Figuren die Begrenzung nach aufen, die wir oben bei der Beschreibung mit einer Kugelschale verglichen haben. Bei sehr jungen Gymnosphaerien war umgekehrt die Kugel- schalenbegrenzung vorhanden, dagegen fehlte das Central- kérperchen, so dafi die radialen Faden hier im Centrum zusammen- stoBen konnten. Aus den mitgeteilten Beobachtungen schliefe ich, daf der Teilung des Tieres eine Teilung der Ausstrahlungsfigur voraus- geht, daf dieser sogar eine wichtige leitende Rolle zukommt. Einen EinfluS der Kerne auf den Teilungsprozef habe ich dagegen nicht feststellen kénnen; ebensowenig habe ich verfolgen kénnen, in welcher Weise die Vermehrung der Kerne beim Wachstum des Tieres erfolgt ‘). 1) Durch die oben referierten Beobachtungen auf die grofe Ahbnlichkeit aufmerksam gemacht, welche zwischen den Ausstrahlungs- centren der Heliozoen und den Centrosomen der Zellen besteht, hitte ich Herrn Dr. Sassaxrt gern veranlaft, die Frage an einkernigen Heliozoen, wie z. B. der Acanthocystis viridis, weiter zu verfolgen. Hier wiirde es sich haben feststellen lassen, ob die der Zweiteilung vorangehende Kernteilung in Beziehung zum Ausstrahlungscentrum Untersuchungen tiber Gymnosphaera albida. 51 Auger Zweiteilung habe ich bei der Gymnosphaera die bei Heliozoen soviel verbreitete Konjugation beobachtet ; es vereinigten sich zwei, drei oder mehr Tiere. Beziehungen zur Fortpflanzung habe ich nicht feststellen kénnen. steht oder nicht. Leider fehlte uns das nétige Material. — Hier sei auch bemerkt, da8 Birscatt inzwischen ebenfalls auf die Ahnlichkeit der Centrosomen mit dem Centralkérperchen der Heliozoen aufmerk- sam gemacht hat. (Verh. d. Naturhist.-med, Vereins in Heidelberg, INGSH Bd. TV, p. 536:) HERTWwIe. 4* 52 Chiujeo Sassaki, Unters. iiber Gymnosphaera albida. Figurenerklirung. Tafel II. Fig. 1. Lebendes Tier mit ausgestreckten Pseudopodien; » Nah- rungskérper. Zeif’ DD, Ok. I. Fig. 2. Lebendes Tier stark gepreft, um die Ausstrahlungsweise der Achsenfaiden der Pseudopodien zu zeigen. Zei® F, Ok. I. Fig. 3. Querschnitt gefiihrt durch das Centrum eines in Pikrin- essigsdure abgetéteten Tieres; az Achsenfiden der Pseudopodien, ec Ausstrahlungscentrum der Achsenfiden, gh Hiillschicht, & Kerne, m Markschicht, r Rindenschicht, va Vakuolen. Zeif K, Ok. I. Fig. 4. Isolierte Kerne nach Fiarbung mit Boraxkarmin. ZeiB K, Ok. IT. Fig. 5—7. Ausstrahlungscentren verschiedener Gymnosphaeren. ZeiB 1/18, Ok. III. Fig. 8—9. Teilungsstadien von Ausstrahlungscentren. Zeif 1/18, Ok. III. Uber den Chemismus im lebenden Proto- plasma. Von Gustav Wendt in Berlin. In einer ersten Mitteilung'!) wurde damit begonnen, die Hauptunterscheidungsmerkmale zwischen der véllig andersartigen Chemie des Organismus und des Anorganismus_ klarzulegen und es wurde unter ,,Chemie des Anorganismus‘ unsere chemische Wissenschaft im Allgemeinen, dagegen unter ,,Chemie des Organis- mus‘ die spezifischen, individuellen Kapillar-Reaktionen im Proto- plasma, dem Grundstocke alles tellurischen Lebens verstanden. Die ,,Chemie des Organismus“ konnte als etwas ganz Besonderes, in seinem Wesen bisher nicht Erkanntes dargethan werden. RoscoE z. B. sagte neuerdings hieriiber bei Gelegenheit der Er- éffnung der British Association in Manchester: ,,.Man kénnte die Frage aufwerfen: ist irgend eine Grenze dem synthetischen Ver- mégen des Chemikers gesetzt? Obwohl die Gefahr des Dogma- tisierens iiber den Fortschritt der Wissenschaft sich bereits in zu vielen Beispielen gezeigt hat, kann man doch nicht umhin, zu fiihlen, da8 fiir den Chemiker gegenwartig keine Aussicht besteht, die Schranke, welche zwischen der organisierten und der nicht organisierten Welt aufgerichtet ist, niederzureiSen.“ Zunachst sei der Inhalt der erwahnten ersten Mitteilung kurz 1) Eine erste Mitteilung von Preyer und Wenpr erschien in Chem. News, p. 275 ff., 1891, sowie ferner in ,,Himmel und Erde“, Jahrg. IV, p. 15 ff. 54 Gustav Wendt, resitimiert: Nachdem die, zu jeder gewoéhnlichen chemischen Reak- tion unbedingten Erfordernisse festgestellt waren, und zwar als 1) Beriihrung zweier verschiedenartiger Stofte ; 2) Lésungs- bezw. Leitungsmittel ; 3) Elektrisches Strémen ; 4) Volumanderung ; 5) Anderung der Warmeenergic ; 6) Chemische Massenwirkung wurde klargelegt, daf eines dieser unbedingten Erfordernisse, namlich die chemische Massenwirkung, bei den _ spezifischen Reaktionen im Protoplasma nicht vorhanden ist; daf demgemaf bei diesen Organismusreaktionen kein chemisches Gleichgewicht zustande kommt, kein Ausgleich der Atomenergie, kein Maximum der Entropie méglich ist; daB die spezifische Protoplasmareaktion in der Kapillare gegeniiber der Massenreaktion in der Retorte des Chemikers einem Ejnzeltourniere der Atome bezw. der Radikale in einem Engpasse gleichkommt gegenitiber einer Heerschlacht auf weiter Wahlstatt; dafS der Sieger im Einzelkampf die besiegten Atome in seinen Heerbann aufnimmt und daf somit die unend- liche Mannigfaltigkeit der Verbindungen erzielt wird. Weiterhin ergab sich, daS in der heutigen chemischen Wissenschaft bereits eine Reihe von ,nicht recht erklarlichen Reaktionen“ auf diese Weise ihre Erklarung finden, und daf be- sonders sogenannte Kondensationen zum Vergleich mit den indi- viduellen Organismusreaktionen herangezogen werden konnen. Endlich wurde auf das Netzwerk, resp. Wabenwerk, die eigen- tiimliche Architektur in der Anordnung der unendlich feinen Haar- réhrchen im Protoplasma hingewiesen, als auf den Hauptsitz und die Summe der eigentiimlichen, individuellen Organismusreaktionen. Im Nachfolgenden sei zunachst beziiglich der sogenannten Kondensationen und verwandter Reaktionen einiges ausgefihrt. Zu diesem Ende muf zuvor der einzige bisher festgelegte Unter- schied zwischen Pflanzenreich und Tierreich bezw. fiir den Grund- stock im Pflanzenreich, dem Phytoplasma, gegentiber dem Grund- stocke im Tierreich, dem Zooplasma, besprochen werden, um an der Hand des Gewonnenen Parallelen zu ziechen. Natiirlich kann man hierbei nicht wohl auf die ersten Uran- fange des Pflanzen- und Tierlebens mit ihren unendlich ver- schlungenen Wechselbeziehungen und Ubergangen zuriickgehen, da Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma. 55 bei den Urstufen die minutiésen Unterschiede unseren Augen viel- fach kaum kenntlich oder noch voéllig verborgen sind. Hier kénnen nur einigen, besonders hervorstechenden Eigentiimlichkeiten der chemischen Reaktionen von bereits hoch differenziertem Phyto- plasma entsprechende Eigentiimlichkeiten von hoch differenziertem Zooplasma gegeniibergestellt werden. Es ist, kurz gesagt, das allgemein anerkannte Ergebnis, daB die eigentiimliche, chemische Arbeit von ausgeprigtem Phytoplasma im grofen und ganzen aus Kondensations- und Reduktionsprozessen sich zusammensetzt, wahrend andererseits die spezifische Reaktion des Zooplasma in der Hauptsache auf chemische Spaltungen und Oxydationen hinauslauft. Wie verhalt sich nun auf der einen Seite der Kondensations- und ReduktionsprozeB, auf der anderen Seite die chemische Spal- tung und Oxydation im Organismus gegeniiber parallelen Vorgangen in der Retorte des Chemikers ? Da fallt zunichst die offenbare Verwirrung bei der Verwen- dung der Begriffe Kondensation, Oxydation, Reduktion ins Auge. Nicht nur von den Technikern der Farbenfabriken, die mit der Verwirrung angefangen haben, sondern auch von berufenen Ver- tretern der wissenschaftlichen Chemie werden Kondensations- prozesse der héchsten Kompliziertheit wie z. B. die Bildung des Methylenblaus, der Indamine und Safranine, der Induline und Nigrosine etc., ganz allgemein als Oxydationsprozesse ange- sprochen. Obwohl z. B. bei der, fiir die Art der Kondensation zu Indulin einige Aufklarung bietenden Bildungsweise aus Pheny- lamidoazobenzolsulfosiure durch Erhitzen des Anilinsalzes der- selben mit tiberschiissigem Anilin unzweifelhaft Reduktion statt- findet, behauptet man, da8 die Bildungsweise der Induline ahnlich der von Indaminen und Safraninen durch gleichzeitige Oxydation eines Paradiamins und Monamins erfolgt! Selbst wenn bei der- artigen Prozessen tiberhaupt keine K6rper, wie etwa Chlorzink, Arsensaure, Nitrcbenzol etc., die ,,unter Umstanden“ eine Oxydation herbeifiihren kénnen, vorhanden sind, wenn iiberhaupt keine Zu- nahme von Sauerstoff erfolgt, ja sogar wenn im Endprodukt iiber- haupt gar kein Sauerstoff enthalten ist, spricht man von einem Oxydationsprozesse. Man subsumiert ein jedes Minus von Wasser- stoff als Oxydation! Etwas Willkirlicheres lift sich nicht denken. Man verwischt damit véllig eine Reihe von Unterschieden, die besonders geeignet sein diirften, mehr Licht tiber die Dunkelheit der so verschieden- artigen Kondensationsvorginge zu verbreiten. 56 Gustav Wendt, Und gerade auf der entgegengesetzten Seite, bei der Reduk- tion der aromatischen Ké6rper besteht ein so offenbarer Zu- sammenhang mit den Kondensationsprozessen, daf} man eine Reduk- tion ohne Kondensation kaum irgendwo annehmen kann. Gerade hier und nicht bei der ,,wirklichen Oxydation‘‘ ist man berechtigt, unter Reduktion zugleich Kondensation mit einzuschliefen. Wenn irgend etwas feststeht im grofen Gebaude der Chemie der aro- matischen Reihe, ist es die Thatsache, daf bei der vollstandigen Reduktion von Nitro- zu Amidoverbindungen Kondensationszwischen- stufen vorhanden sind. Das Ganze des Vorganges stellt unzweifel- haft eine stufenweise Reduktion dar im Verein mit Kondensation und schlieBlich bei der letzten Stufe eine Auflésung der Kondensation. Zur Vermeidung von Mifverstindnissen sei zum Vorhergehen- den hinzugefiigt, daf die vorliegende, sehr einfache Kondensation ja allenfalls noch durch die Substitutionstheorie erklart werden kann, aber keineswegs gemaif% der Theorie vorauszusehen oder bedingt war. Sobald jedoch die Verhiltnisse komplizierter werden, hort jede Méglichkeit einer auch noch so gesuchten Erklarung allein durch Substitutions- und sonstigen Theorien auf. Daf die An- nahme von allen méglichen und unmodglichen, trotz allen Suchens nicht auffindbaren, sogenannten Zwischenprodukten hierbei keine Erklarung giebt, diirfte fiir jeden organischen Chemiker und ins- besondere fiir den, der in dergleichen Prozessen praktisch ge- arbeitet hat, aufSer Frage stehen. Die Theorie der Atherbildung hat hier hauptsachlich zur Verwirrung beigetragen. Daf aber selbst bei einem verhaltnismafig so einfachen Pro- zesse wie dem soeben vorgefiihrten mit der Substitutionstheorie, sobald man die Vorgainge genau ansieht, in keiner Weise auszu- kommen ist, sondern dafi viel kompliziertere Prozesse — und zwar in tiberaus vielen Fallen der Hauptmenge nach — vor sich gehen, dafiir dirften die bei jedem derartigen Prozesse auftretenden Farb- stoffe unwiderlegliche Beweise liefern. Bei jeder Reduktion von aromatischen Nitro- zu Amidoverbindungen treten (und zwar in nicht geringer Quantitaét) schmierige Farbstoffe auf, die im besten Falle hellgrau, gewéhnlich aber schwarz sind, und zwar in solchen Mengen, da8 sie eine groBe Belastigung fiir die Fabriken bilden. Was die Zusammensetzung und den Typus dieser Korper betrifft, so ist bisher auch nicht einmal der Versuch einer Erklarung vor- handen. Daf in tausend und abertausend Fallen die beriihmten, grofen Reaktionsgleichungen an den Tafeln der Laboratorien und akademischen Auditorien nur wenige Prozente des Endproduktes Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma. 57 wiedergeben, wahrend die Hauptmassen ganz und gar nicht be- riicksichtigt werden, sondern dafi héchstens hier und dort einmal die Bemerkung von dem Nebenherauftreten schmieriger resp. har- ziger Gebilde von unbekanntem Charakter mit einflieSt, welchem organischen Chemiker ware dies unbekannt? Es beruht hierin ein Hauptmangel der heutigen organischen Chemie. Im Nachfolgenden soll versucht werden, mit der Beseitigung dieser Ubelstande den Anfang zu machen. Es wird eine, bereits in der erwahnten ersten Mitteilung angedeutete Theorie aller Arten von chemischen Kondensationen weiter ausgebaut werden, um da- mit auch die Erklarung fir das Zustandekommen der katalytischen, Kontakt- und Fermentprozesse zu verbinden. Bei allen derartigen chemischen Umsetzungen handelt es sich um Vorgange, welche durch Kapillaritatskrafte bezw. durch be- stimmte kolligative Eigenschaften (nach Ostwatp’s Bezeichnung) der betreffenden Stoffe in ihre besonderen Wege geleitet werden. Beziiglich der kondensierenden Wirkung von Korpern wie Alumi- niumchlorid, Chlorzink, Phosphorsdéureanhydrid etc. wurde bereits bei Gelegenheit der erwahnten ersten Mitteilung auf die beson- deren, starken Krafte in den kapillaren Raumen, wo aufSerdem ein teilweiser Ausschluf der chemischen Massenwirkung unzweifelhaft stattfindet, hingewiesen. Daf nun ein fliissiger Kérper wie kon- zentrierte Schwefelsaure genau dieselben Kondensationen wie z. B. wasserfreies, festes Chlorzink hervorzurufen imstande ist, kann nicht anders gedeutet werden, als dafS in der konzentrierten Schwefel- sdure besondere Kapillaritatswirkungen zur Geltung gelangen. Da konzentrierte Schwefelsaiure die zweite von den beiden Eigentiim- lichkeiten der Kondensationsmittel!) besitzt, naimlich die starke Wasseranziehung, bleibt nichts anderes iibrig, als in der Fliissig- keit die kolligative Eigenschaft vorauszusetzen, da8 ahnliche kapil- lare Raume wie im festen Chlorzink zwischen den Molekiilen sich befinden?). Die ganze Uberlegung entspricht den Gleichungen at+tb=—=c,a+a=—c, also xb; wenn a die eine EKigentiim- lichkeit der Kondensationsmittel, die starke Wasseranziehung, 0b die 1) cf. die erste Mitteilung. 2) Hier sei bemerkt, da derartige kolligative Eigenschaften von Korpern wie konzentrierte Schwefelsiure doch unzweifelhaft bei der elektrolytischen Dissoziation, der Bestimmung von Affinitatskonstanten, insbesondere in Bezug auf relative Affinitat etc. bestimmte Einwir- kungen ausiiben werden und zu beriicksichtigen sind, was bisher nicht geschehen ist! 58 Gustav Wendt, andere eigentiimliche Eigenschaft, die hohe Porositat bezw. das Vorhandensein von wirklichen kapillaren Réumen bedeutet und endlich ¢ die Fahigkeit der Kondensation ausdriicken soll. Die Molekiile der Schwefelsiure miissen ungewoéhnlich weit von einander entfernt angenommen werden, so dafs kapillare Raume entstehen, in welche andere Molekiile, besonders beim Erwarmen, eintreten kénnen, worauf nun spezielle Kapillaritatskrafte in ihre Rechte treten. Es diirfte wohl kaum nétig sein, besonders hervorzuheben resp. weiter auszufihren, daS ein Durcheinander- und Zwischen- einanderdrangen der Molekiile, wie es bei homogenen Gasgemengen von der kinetischen Gastheorie und im Einklange hiermit von der modernen Theorie der Loésungen vorausgesetzt wird, ein véllig ander Ding ist, als ein Platzfinden und Platzhaben in den gewéhnlichen Zwischenraumen der Molekiile. Alle speziellen Molekularkrafte, die man wohl mit dem Gesamtnamen ,,innere Gravitation“ be- zeichnen kénnte, zu denen in gewissem Sinne auch die ungliick- lichen Werte ,,Kohasion und Adhasion“ zu zahlen waren, treten eben nur innerhalb ganz bestimmter Naiherungsgrenzen in Aktion. Sobald eine ganz bestimmte, 4uBere Grenze tiberschritten wird, tritt die ,,auBere Gravitation“, die allgemeine Massenanziehung ete. in ihre Rechte. Daf tibrigens gewisse, schwache Anzeichen von den zur Kategorie der aufgenannten, kolligativen Eigenschaften gehérenden Kraften bei jedem Lésungsmittel vorhanden sind, dafiir kénnen z. B. auch die einschlagigen Arbeiten MeNScHUTKIN’s zum Beweise dienen, die in der Hauptsache das Resultat ergaben, daf’i man durchaus nicht von ,ganz indifferenten“ Loésungsmitteln sprechen kann, da die Reaktionen mit der Natur solcher Lésungsmittel stets unzweifel- haft im Zusammenhange stehen. Ks giebt noch eine zweite, eigenartige, mit keiner chemischen Theorie bisher im Einklange stehende Wirkung von ,,nicht organi- sierten“ Fliissigkeiten auf chemische Verbindungen, die das Gegen- teil von Kondensationen, wie sie z. B. die konzentrierte Schwefel- siure hervorruft, namlich chemische Spaltung bewerkstelligen. Das beste Beispiel hierfiir ist die genau studierte Verseifung von orga- nischen Estern. Eine ganz geringe Menge von verdiinnter Mineral- sdure, z. B. Salzsiure, verseift z. B. den Essigather in kurzer Zeit vollstandig , wobei es unzweifelhaft feststeht, daf die Saure in keiner Weise in chemische Aktion, in keiner Weise mit dem Ester auch nur momentan in einen chemischen Zusammenhang tritt. Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma. 59 Was liegt hier vor? Selbst OstwAxp ') sagt hieriiber: ,,wir haben es also mit einer wohl charakterisierten ,,Kontaktwirkung’ zu thun, bei welcher ein Stoff nur durch seine Gegenwart, ohne daf er sich materiell an der Reaktion bethatigt, zu wirken scheint.“ Es ist sicher, da’ die verdiinnte Saiure zum gréfSten Teile elektrolytisch dissoziiert sein muff. (Auf eine Darlegung resp. Verteidigung der neuen Theorie von den ,,freien Ionen“ und der »elektrolytischen Dissoziation’ soll hier nicht eingegangen werden, besonders da auch von Tag zu Tag die Gegnerschaft sich mindert. Es sei nur darauf hingewiesen, da8 die neue Theorie im grofSen und ganzen eigentlich eine recht alte ist, da sie bereits 1851 von Wi~uiAMson und 1857 von Crausius aufgestellt wurde und da Sie nur erst neuerdings ihre rechte Wirdigung und ihre Erweite- rung gefunden hat.) Die neue Theorie vorausgesetzt, ist die Annahme héchst ein- fach und auf den ersten Blick plausibel, daf die freien Ionen, so oft sie bei ihrem unruhigen Wandern durch die Fliissigkeit in die Zwischenraume zweier Estermolekiile treten, im Momente des Zwischentretens Kapillaritatswirkungen erzeugen. Hier ist kein individueller, langsamer Kampf vorhanden; die freien, fremdartigen Ionen nehmen keinen Teil an der Reaktion, sie lenken nur die Atome der Estermolekiile momentan aus ihren Bahnen ab, und da die Stabilitat der Estermolekiile gering ist, entstehen die unter diesen Umstanden denkbar stabilsten, urspriinglichen Verbindungen, der Alkohol und die Saure. Bei dieser Gelegenheit soll nicht unerwahnt bleiben, daf die gewohnliche chemische Reaktion einer solchen Kontaktwirkung im Sinne der soeben vorgetragenen Erklarung nahe verwandt ist. Sind die freien Ionen nicht allein nur die Ablenker der Atome aus ihrem Molekularverbande, sondern nehmen dieselben selbst teil an der Reaktion, so entsteht der allgemeine chemische Umsatz nach MaSgabe der allgemeinen Affinitét. Auf diese Weise ware eine mechanische Erklarung des Zustandekommens der chemischen Reaktion in die Wege geleitet! Zugleich wiirde damit der Begriff der chemischen Affinitat endlich eine speziellere Bedeutung erlangen. In die gleiche Klasse der chemischen Spaltungen, zu welcher die besprochene Verseifung von organischen Estern gezihlt werden muf, gehort die viel diskutierte Wirkung der sogenannten ,,nicht organisierten‘‘ Fermente oder Enzyme. Dieselbe erklart sich vdllig 1) Ostwatp, Grundrif d. allgem. Chemie, IJ. Aufl. 1890, S. 355. 60 Gustav Wendt, ungezwungen ebenfalls durch kolligative Eigenschaften der be- sprochenen Art‘). Die freien Ionen des in geringer Menge in ver- diinnter Lésung vorhandenen Enzyms, wie z. B. Pepsin, Ptyalin Diastase etc., werden besonders in hoch konstituierten und leicht, zersetzlichen Molekiilen beim Verweilen in den Molekilzwischen- raumen Kapillaritatswirkungen hervorrufen. Es werden Ablenkungen der Atome aus ihrem Molekularverbande eintreten, und infolge und nach Mafgabe der Verschiedenheit der vorhandenen Materie resp. der betreffenden Radikale werden neue ,,festere“ Molekiile oder doch solche entstehen, bei denen das Verweilen der freien Ionen innerhalb der Molekiilzwischenraume nicht mehr ohne ein Auseinanderdrangen und damit Aufheben der Kapillaritatswirkungen stattfindet. Und wie erklart sich schlieBlich die Wirkung der ,,organisieren“ Fermente, z. B. der sogenannten Hefepilze? Da bei Bierhefe die Breite von gemessenen Pilzen 0,002— 0,006 mm betragt, waihrend die Linge sehr verschieden und ver- haltnismafig grof sein kann, ist die Méglichkeit ausgeschlossen, da8 die Pilze selbst in den Zwischenraumen der Molekiile Platz finden kénnen, ohne ein Auseinanderriicken der Molekile zu bewirken. Da ferner nicht anzunehmen sein diirfte, daf z. B. bei der Alkohol- gaihrung von der so geringen Menge der vorhandenen lebenden Pilze gegeniiber der schier unendlichen Zahl der Molekiile des gesamten, vergarbaren Materials die Spaltung dadurch hervorgerufen wird, da8 das gesamte vergirbare Material die Kapillaren der Pilze passieren miisse — wobei dann Kapillaritatswirkungen und damit Spaltungen auftreten wiirden. Die Annahme hat keine Wahr- scheinlichkeit. Es bleibt nur der Schlu8 iibrig, daB die Ausscheidungen der Pilze die Fermente darstellen, welche die chemische Spaltung er- zeugen. Aber diese Fermente sind anders geartet, wie die bisher betrachteten ,,Enzyme“. Sie sind, wie alle derartigen Auswurf- produkte, selbst der Umsetzung fahig und gehen bei der Spaltung des vergarbaren Materials selbst allmahlich zu Grunde. Die klassi- schen Untersuchungen Pastrrur’s zeigen, daf bei reiner Hefe 6°, der vergarbaren Masse in andere Produkte als in Alkohol und Kohlenséure umgewandelt wird und daf ein Verbrauch von Sauer- stoff stattfindet. AuSerdem ist unzweifelhaft, da8B die Spaltung nur vor sich geht, solange die Hefe lebt. Es bleibt absolut nichts 1) Ostwatp, Grundrif d, allgem. Chemie, II. Aufl. 1890, S, 273. Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma. 61 anderes tibrig, als die selbst des Umsatzes faihigen Auswurfprodukte der Hefepilze bezw. ihre selbst schon gespaltenen Teilprodukte als Fermente anzusprechen. Kin Uberblick tiber die durch spezielle Kapillaritatskrifte resp. durch gewisse kolligative Eigenschaften hervorgerufenen, einerseits chemischen Kondensationen, andererseits chemischen Spaltungen ergiebt, daf zwei ganz verschiedene Arten von chemischem Um- satz durch solche Kapillaritétskrafte in ihre besonderen Wege ge- leitet werden. Hier ist nun der rechte Ort, um die Kette, die ihren Anfang bei der Auseinandersetzung itiber den bisher einzigen, durchgrei- fenden Unterschied zwischen Pflanzenreich und Tierreich nahm, zu schlieSen. Was als Hauptunterschied zwischen der chemischen Arbeit von ausgepragtem Phytoplasma im Vergleich mit der che- mischen Arbeit von Zooplasma erkannt war, entspricht den beiden verschiedenen Arten von chemischem Umsatz infolge von speziellen Kapillaritatskraften. Das Phytoplasma kondensiert, das Zooplasma spaltet. Aber dies geschieht natiirlich nur in der Hauptsache, nicht aus- schlieBlich. Selbstverstandlich sind und zwar besonders oft im Tier- reich beide Arten dieser Reaktionen und dazu noch die Massenreak- tionen nebeneinander vorhanden. Z. B. besteht unzweifelhaft im Magen des Saugetiers bei der Durcharbeitung der Nahrung neben der Massenreaktion eine vielseitige Spaltung durch die Einwirkung von »Enzymen“ und Fermenten auf Molekiile mit schwacher Stabilitit. Es wurde bereits hervorgehoben, daf Kondensation und Re- duktion sich nicht ausschliefen, sondern im Gegenteil, daf die beiden gewohnlich vereint auftreten. Die starken Krafte in kapil- laren Raumen sind eben bisher auf der ganzen Linie zu wenig in den Kreis der Betrachtung gezogen worden. Es ergiebt sich so- mit die chemische Hauptarbeit des Phytoplasmas als einheitliches Ganze. Daf im Tierkérper bei chemischer Spaltung von sehr hoch konstituierten, aus 6 und noch mehr Elementen zusammengesetzten Verbindungen, die alle in héherem oder geringerem Grade leicht zersetzlich sind, ,,wirkliche Oxydationen“ vielfach stattfinden, ist ohne weiteres zuzugeben. Demgemaf erklart sich Spaltung und Oxydation beim Zooplasma in ungezwungener Weise. Der Unter- schied der chemischen Hauptarbeit von Phytoplasma und Zooplasma ist tiberaus scharf und deutlich. Zum Schlusse soll die Frage erértert werden, woher eigent- 62 Gustav Wendt, lich diese beiden, so ganz verschiedenen Tendenzen, woher die Verschiedenheit der beiden Wege, die der chemische Umsatz unter der Fiihrung von Kapillaritatskraiften im Phytoplasma und im Zooplasma einschliigt, eigentlich stammt. Wo liegt der Kreuz- weg; und worin beruht im Grunde die Verschiedenheit der beiden grofBen Heerstrafen, die der Chemismus alles organischen Lebens heute in gleicher Weise benutzt wie vor Jahrmillionen ? Abweichende Formen sowie mannigfache Unterschiede der kapillaren Raume, ferner ein ganz verschiedenartiges Baumaterial liegen fiir Pflanze und Tier unzweifelhaft vor. Aber Differenzie- rung der Kapillaren des Protoplasmas ist offenbar auch in jedem noch so ahnlichen und verwandten Individuum vorhanden! Und selbst wenn fiir je einen hochdifferenzierten Vertreter des Pflanzen- und Tierreiches das gleiche Material fiir den chemischen Umsatz, ferner die totale Ubereinstimmung der Kapillaren, sowie tiberhaupt aller Funktionen und Organe vorausgesetzt werden kénnte (die Realitat ist natiirlich ausgeschlossen), wiirde dennoch die ,,Pflanze‘ in anderer Weise chemisch arbeiten wie das ,,Tier“. Denn die Pflanze ,,saugt ihr Baumaterial an, wahrend das Tier den fertigen Ernahrungsstoff in die Kapillaren ,,hineinpreBt!* Die Pflanze macht einen viel viel ausgedehnteren Gebrauch von Kapillaritats- kraften als das Tier. Eine individuelle, kapillare Saugreaktion ist etwas voOllig anderes als eine individuelle, kapillare Druck- reaktion, Das Tier hinwiederum benutzt in héherem Maasse neben- einander die drei verschiedenen Arten des chemischen Umsatzes. Verfolgt man z. B. die bereits besprochenen Prozesse im Magen des Saéugetiers, wo also beim Durcharbeiten des Nahrungsmaterials chemische Massenreaktionen und chemische Spaltungen Hand in Hand gehen, so ergiebt sich, da8 der fertig zubereitete Nahrungsbrei durch die Saugadern der Darmwand angesogen wird. Hierin liegt die Saugreaktion bezw. hierbei eine eigenartige Umsetzung. Nach- dem dann schlieBlich das Endprodukt in die allgemeine Blut- zirkulation tibergefiihrt worden ist, sorgt die Kraft des Herzens fiir die individuelle, kapillare Druckreaktion *). 1) Es darf wohl kaum besonders betont werden, dafi der grund- sitzliche Unterschied zwischen kapillarer Saug- und Druckreaktion keineswegs etwa dadurch eliminiert wird, dafi wie z. B. beim Men- schen die Pulsationen in den Kapillaren nicht mehr zum Ausdruck gelangen, vielmehr einem kontinuierlichen, langsamen Fliefen Platz gemacht haben. Dagegen ist wohl z. B. die Emigration der zu aktiven Bewegungen befahigten Lymphzellen eine Saugwirkung. Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma. 63 Ob nun wohl dieser scharfe Gegensatz von kapillarer Saug- bezw. Steigreaktion und kapillarer Druckreaktion einen prinzipiellen, durchgreifenden Unterschied in der Form und Anordnung der Kapillaren des lebenden Protoplasmas und des hiermit in unmittel- barem Zusammenhange Stehenden bedingt, ist bis heute nicht mit Sicherheit auszusprechen. Soweit die einschlagigen Untersuchungen fiir diese Frage Geltung haben kénnen, scheint allerdings ein prin- zipieller Unterschied vorhanden zu sein. Die Gewifheit hieriiber kann erst durch weitere, spezielle Vergleichung erzielt werden. Die theoretische Betrachtung lieSe wohl erwarten, daf bei der Steig- bezw. Saugreaktion die Gestaltung der Wandungen im Innern des Protoplasmas konkav, nach der Mitte zu eingezogen sein miuSten, wahrend bei der Druckreaktion das Gegenteil hiervon, nimlich eine konvexe, nach aufen zu gerundete Gestaltung auf- treten sollte. Wohlverstanden nur dann, wenn wirklich eine reine Saug- bezw. Druckreaktion zur kontinuierlichen Geltung gelangt und nicht etwa an solchen Stellen, wo gemischte Reaktionen vor- wiegend auftreten. Hierzu sei noch bemerkt, da8 bei der kapillaren Saugreaktion im Phytoplasma im allgemeinen die gewéhnliche doppelseitige Diffusion statthaben wird, da8 also in der Pflanze ein Durchgang der Lésungen nicht nur von unten nach oben, sondern gleichzeitig von oben nach unten eintreten muff, soweit natiirlich einseitig durchlassige Membranen dies gestatten! Dagegen wird bei der kapillaren Druckreaktion im Zooplasma die doppelseitige Diffusion schon durch den Druck allein im allgemeinen aufgehoben bezw. beschrankt sein. Auch hier ist die Festlegung dieser Vorginge erst von der Zukunft zu erwarten, wenn auch bereits so manche Untersuchungen in dieses Gebiet fallen und auf die Komplikationen in diesen Verhiltnissen interessante Schlaglichter werfen. Z. B. ist ja durch Arbeiten von Fick konstatiert, da8 bei tierischer Membran zwei verschiedene Arten von Diffusion existieren, 1) Porendiffusion und 2) wirkliche Endosmose, d. h. Diffusion durch die Zwischen- riume der Molekiile der Membran! Und natiirlich findet gleich- zeitig doppelseitige Diffusion im allgemeinen statt. Der Uberblick iiber den letzten Theil dieser Arbeit ergiebt in der Hauptsache die Feststellung des Gegensatzes von kapillarer Steig- bezw. Saugreaktion zu kapillarer Druckreaktion, und so- mit einen zweiten, inneren Unterschied zwischen Pflanzenreich und Tierreich. 64 Gustav Wendt, Nachdem im Bisherigen die Hauptunterscheidungsmerkmale zwischen der véllig andersartigen Chemie des Organismus und des Anorganismus im grofen und ganzen dargelegt worden sind, diirfte es wohl an der Zeit sein, eine Auseinandersetzung mit dem Althergebrachten vorzunehmen, da es in der Natur der Sache liegt, daf einige der heutigen Anschauungen mit der neuen Theorie nicht zusammenstimmen bezw. unnétig geworden sind. Zunichst sei bemerkt, daf Limsreicu’s Versuche iiber den toten Raum mit dieser Arbeit allein in dem Zusammenhange stehen, daf das thatsachliche Allgemeinresultat jener Versuche im grofen und ganzen im Einklange mit der neuen Theorie sich be- findet. Aber um nicht mifverstanden zu werden, nur das that- sichliche Allgemeinresultat, nicht etwa die Versuche im speziellen oder gar die theoretischen Darlegungen. LImBREICH’s itberaus sparliche theoretische Ausfiihrungen gipfeln wohl in zwei Satzen '): 1) ,,.Da& das Zustandekommen jeder chemischen Reaktion nur von einer bestimmten Gréfe des Raumes an, in welchem sie vor sich gehen soll, aufwarts moglich ist.‘ 2) ,,Ubertriigt man die gewonnenen Resultate auf biologische Vorginge, so wird man zu dem Schlusse gefiihrt, daf Zellenraiume, in denen eine Reaktion vor sich gehen soll, an eine bestimmte Gréfe gebunden sind, damit nicht ein andersartiger — den nor- malen gegeniiber gewissermafen degenerativer — chemischer Vor- gang stattfinde.“ Zunachst ist hier hervorzuheben, da der erste Lehrsatz dem zweiten offenbar widerspricht. Denn der erste besagt, da von einer bestimmten GréBe, bezw. Kleinheit des Raumes an keine chemische Reaktion mehr statthaben soll. Es ist nun aber ganz unzweifelhaft, da gerade bei den ,,biologischen Vorgangen“ die moglichst feinsten Kapillaren vorkommen. Also hebt LieBREICcH seinen ersten Satz auf, wenn er bei ,,biologischen Vorgangen“ Seinen ,,gewissermafen degenerativen chemischen Vorgang“ statt- finden ]a8t! Und in betreff eines etwaigen Neben- bezw. Unter- einander dieser beiden Sitze spricht LizsrercnH sich nicht aus. Auch was ein ,,gewissermafen degenerativer chemischer Vorgang“ bedeuten soll, wird nicht erklart und diirfte LimsreicH ebenso dunkel sein wie sonst jedermann. Eines aber ist klar, daf der betreffende Ausdruck sich schwerlich dazu eignet, als Schlagwort 1) Berl. Akad. Ber. 1889, S. 196. Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma. 65 und springender Punkt in der Erklarung des grofen Ratsels vom organischen Leben gelten zu kénnen. LIgBREICH’S sonstige theoretische Feststellungen sind wohl kaum irgendwie gliicklich, ganz abgesehen davon, da8 iiberhaupt nur in bezug auf den ersten citierten Satz irgend welche nadhere Ausfiihrungen und Begriindungen gegeben werden. LikpReicH sagt z. B. 1. c.: ,,Wenn also die Schluffolgerung gezogen werden mu, da8 fiir die bestimmte Thatigkeit einer Zelle ein bestimmter Reak- tionsraum notwendig ist, so laft sich daran weiter die Vermutung kniipfen, da in einer Zelle, selbst ohne differenzierte Umgebung, gewissermafen einer protoplasmatischen Fliissigkeit, vorausgesetzt, daf wir es mit einer Kugel zu thun haben, jener Form, die von R. VircHow gewissermafen als ideale Zelle bezeichnet wird, die Reaktionsbewegung im Centrum der Zelle am stirksten sein muB, bei veranderter Gestalt dagegen irgend ein anderer Punkt fiir die stirkste Reaktionsentwickelung sich finden miisse.“ — Dieser eine Satz stellt das Ganze dar, was von LieBREICH iiber diese, min- destens eigentiimliche Hypothese iiberhaupt gesagt wird! Ks ist kaum anzunehmen, da8 in den gesamten Berichten der Berliner Akademie eine zweite — offen gestanden — derartig leichte, jeder Begriindung und jedes Versuches, sie auch nur plausibel zu machen, vollig entbehrende Behauptung zu finden sein diirfte. Dagegen sind Buppr’s!) und 4hnliche Angriffe auf die experimentellen Versuche Lirpreicn’s in der Hauptsache als nicht sehr zutreffend zu bezeichnen. Es ist ja auch schon von BuppE selbst der Riickzug angetreten *). Aus neuester Zeit schlagen in dieses Gebiet von der Einwir- _ kung der Kapillaritaétsattraktion auf die chemische Affinitat Unter- suchungen von Emit Fiscuer und ScHMIpDTNER®), ferner von MauraTti*). Es wird darin die Dissoziation bezw. Zersetzung einer Reihe von Salzlésungen infolge von Kapillarattraktion nach- gewiesen, und auSerdem werden Beziehungen zur Diffusionsfahigkeit der betreffenden Verbindungen aufgedeckt. Die neue Theorie von den individuellen Kapillarreaktionen im Protoplasma hat mit den theoretischen Darlegungen LizBReIcH’s ebensowenig Gemeinschaft wie mit PrLicer’s ,,Selbstzersetzung“ 1) Zeitschrift f. physik. Chemie, 1891, p. 586. 2) Wiep. Annal., Bd. 46, p. 176. 3) Lies. Annal., 272, p. 156. 4) Wien. Akad. Anzeig. 1892, p. 212. Bd. XXVIII. N, F. XXI. or 66 Gustav Wendt, der Molekiile. Der Ausdruck Priiicer’s steht mit der Grundlage aller modernen Naturwissenschaft, dem Kausalnexus, in diametralem Gegensatze. Und wenn man selbst ein inneres Bestreben nach kontinuierlicher, intramolekularer Umlagerung und dergleichen hypo- stasieren wollte, wire das Wort ,,Selbstzersetzung“* nicht am Platze. Zum wenigsten liegt eine Identifizierung von Ursache und Wirkung vor. Keine chemische Anschauung kann iiber ,,Selbstzersetzung“ klar werden. Da ware es vielleicht schon annehmbarer gewesen, den Begriff Kontaktkraft ausgiebig zu verwerten, weil hierbei doch eine Reihe genau studierter Umsetzungen zur Begriffbildung helfen kann. Ks ist eigentlich erstaunlich, da’ eine solche Bezeichnung, nachdem sie einmal von einem bedeutenden Forscher angewendet worden, sich einbiirgern konnte. Auch die alte Theorie von den Micellen oder den Tagmen und Kontagmen !) diirfte wohl demniachst ernstlich ins Wanken ge- raten. Schon im eigenen Lager der Physiologen, die sich um das Banner ,,Molekularphysik“ scharen, greift die Skepsis an der Be- rechtigung der Mizellartheorie immer mehr um sich. ScHWEN- DENER selbst mu8 z. B. zugeben 2), wie folgt: CARL MULLER erinnert *) zunachst an die Verdffentlichungen von N. J. C. MULLER, WIESNER, STRASBURGER, VON HOHNEL, VicToR VON Epner und besonders an die neueste Mitteilung iiber den Gegenstand von A. ZIMMERMANN, in der Meinung, diese Ver- 6ffentlichungen machen es hochst wahrscheinlich, daf bei der optischen Reaktion der Zellmembran auch Spannungsverhiltnisse eine bedeutende Rolle spielen kénnen. 1) Der Ausdruck Tagmen riihrt von Prerrer her, in Osmot. Untersuchungen, 1875, p. 82. (Von to teyywo, der durch Gesetz ge- ordnete Haufe.) NAcrti brauchte zuerst bei seinen Darlegungen iiber die Struktur der organisierten Substanzen (Theorie der Gihrung, 1859, p- 121, und Ber. der Akad. Miinchen, 1862, Bd. 1, p. 311) die Be- zeichnungen Atome, ferner Molekiile (oder Pleone, von 10 mAéov, die Mehrzahl) und endlich Molekiileverbinde; wo Atome die Molekiile der Chemie bedeuteten und Niceti’s Molekiile demnach Komplexe von Molekiilen darstellen sollten. Spiter verwendeten Ndcet1 und Scuwen- DENER (Mikroskop, 2. Aufl, 1877, p. 424) fiir die Molekiilkomplexe das Wort Micellen. (Diminutiv von mica, das Kriimchen. Ubrigens ist auch mica eine landlaufige Bezeichnung fiir Glimmer.) Tagmen und Micellen sind also identisch, 2) Ber. Akad. Berlin, 1889, S. 241. 3) Prinesueim’s Jahrb. 1888, S. 497. Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma, 67 Wiesner endlich hebt hervor, dafi auch véllig amorphe Sub- stanzen, wie arabisches Gummi, Kautschuk etc., doppelbrechend sein kénnen, und fiigt sodann hinzu: ,,Hier liegen gewif keine krystallinischen Kérper vor, die Doppelbrechung beruht auf Span- nungsunterschieden. Solche Spannungsunterschiede sind aber zweifel- los in der Zellmembran vorhanden.“ Es wird aber nicht gesagt, wie man sich dieselben vorzustellen habe.’ Weiterhin sagt ScHWEN- DENER !): ,,Was den inneren Bau der Membranen betrifft, so hatten die NAGELrschen Micelle nach von H6HNEL keine Berechtigung mehr, da ja die eingebildeten, molekularen Spannungen die zu beobachtenden Veranderungen vollstaéndig erklaren.“ Im Hinblick auf die ,,eingebildeten Spannungen“ nach SCHWENDENER sei bemerkt, daf zweifellos an den Wandungen der tiberaus zahlreichen Kapillaren der Zellmembran starke Konden- sationen der gasformigen resp. dampfformigen oder fliissigen Be- standteile des umgebenden Mediums stets statthaben (cf. hierzu auch die erste Mitteilung tiber den Protoplasmachemismus). Also, Spannungen im allgemeinen sind stets vorhanden! lm tibrigen“, fiihrt SCHWENDENER spater aus”), ,,setzt die Doppelbrechung fiir sich allein weder Micelle noch Molekularnetze, (nach STRASBURGER’S Anschauung) iiberhaupt keinen bestimmten inneren Bau, sondern nur eine Verschiedenheit der Anordnung nach Richtungen voraus.“ SCHWENDENER’s ,,nur Verschiedenheit der Anordnung nach Richtungen“ diirfte aber wohl bei weitem gréfere Anforderungen, viel mehr Hypothetisches enthalten als die Mizellar- theorie ! Die Hauptschwache der Theorie von den Micellen oder Tagmen scheint aber auf chemischem Gebiete zu liegen. Wenn auch die eigentiimliche Gruppe der Kohlehydrate noch heute dem Chemiker so manches Problem zu lésen giebt, wenn auch noch heute NAGELIS klassische Arbeiten iiber die Starke in mancher Beziehung Geltung haben, ist doch unzweifelhaft, daf chemische Anschauung und chemisches Denken nicht nur in gar keinem Zusammenhange mit der Mizellartheorie heute stehen, sondern sogar in krassem Gegen- satze zu derselben sich befinden. Da man in der Physiologie die chemischen Feststellungen im allgemeinen nicht mit den physio- logischen Ergebnissen in Einklang zu bringen vermochte, scheint 1) 1. « S. 659. Dyaly co: Se. 702. 5* 68 Gustav Wendt, man sie nach Méglichkeit beiseite gelassen bezw. vergessen zu haben. Dies diirfte auch fir folgenden Satz ScHwENDENER’S zutreffen 1): ,,Ebenso halt auch StraspurGceER die Annahme krystal- linischer Micelle fiir unhaltbar. Er nimmt daher seine Zuflucht zur netzformigen Verkettung der Molekeln, wie sie die Chemiker fiir gewisse organische Verbindungen voraussetzen..... = Die Chemie hat nun aber weder jemals etwas iiber die netzformige Verkettung der Molekeln angenommen, noch liegt dies bisher in ihrer Aufgabe. Die Chemie kann heute wohl definiert werden als die Wissenschaft von den Beziehungen der Bestandteile der Molekeln. Und diese Bestandteile des Molekularverbandes nennt die Chemie einstimmig seit linger als 50 Jahren Atome. Und eine Verkettung solcher Bestandteile wird von der Chemie nicht nur angenommen, sondern dieselbe ist durch Hunderttausende von Ubereinstimmungen so sicher nachgewiesen, wie tiberhaupt irgend etwas, das nicht von den fiinf Sinnen direkt wahrgenommen wird, nachgewiesen werden kann. Die netzformige Verkettung der Atome endlich betrifft ja nur einen speziellen Fall, dessen Nachweise aber fiir die moderne Chemie ganz aufer Zweifel stehen. Wenn auch immerhin die Mizellartheorie von einem Manne wie Sacus auf das Plasma iibertragen worden ist, muf doch heute vom Standpunkt der praktisch-organischen Chemie aus die Annahme als vollig unwahrscheinlich bezeichnet werden, da die innere Struktur der Starke mit der inneren Struktur des Protoplasmas eine auch nur ganz entfernte innere Verwandtschaft besitzen kann. Man hat sich auch in der Physiologie der Erkenntnis nicht ver- schliefen kénnen, daf sehr grofe Verschiedenheiten bei den Kon- tagmen vorliegen, und z. B. schon dazu bequemen miissen, Unterabteilungen wie die der lebensfahigen und lebensthatigen plasmatischen Gebilde einzurichten. Die heutige Chemie giebt unumwunden zu, da8 der endgiltige Beweis fiir eine Identitét bezw. enge, innere Verwandtschaft von Verbindungen nicht durch Analyse und Molekulargewicht allein zu erbringen ist; der endgiiltige Beweis liegt heute in letzter In- stanz in der Identitaét resp. engen Verwandtschaft der Higen- schaften im allgemeinen und insbesondere der gesamten chemischen Reaktionen. Wenn zwei Substanzen wie Starke und Plasma, zu- nachst abgesehen von der vdlligen Verschiedenheit wichtiger, sonstiger Kigenschaften, eine totale Ungleichheit des ganzen Wesens 1) Le. 8. 659. Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma. 69 aller ihrer chemischen Reaktionen aufweisen, liegt darin allein schon ein voller Beweis, daf ihre innere Struktur in irgend welcher engeren Verwandtschaft nicht stehen kann. Gewisse Ahnlichkeiten in der Quellungsfihigkeit beider Kérper sind nur in Bezug auf eine Ahnlichkeit gewisser physikalischer Eigenschaften zu deuten. Da8 hier ein besonderes Problem vorhanden ist — wer wollte es bezweifeln? Die Sache hangt offenbar mit dem Granam’schen Befunde!) bezw. seiner Klassifikation von Kolloiden und Krystal- loiden?) zusammen. Man kénnte ja z. B. sehr wohl Kieselsdure, die aus dem gallertartigen Zustande zur Trockne gebracht ist, als »gestorben“ bezeichnen. Auf das gemeinsam zu Grunde liegende Problem, welches sich vollstandig auf Oberflachenenergie und lose Hydratisierung zu- rickfiihren lat, soll alsbald naher eingegangen werden. Hier sei nur betont, daf die Versuche, hauptsiichlich infolge dieses Problems aus der Physiologie im grofen und ganzen eine Molekularphysik zu konstruieren, von der Chemie durchaus zuriickgewiesen werden miissen. Kinzig und allein in der Eigentiimlichkeit seines chemischen Um- satzes beruht in letzter Instanz das Geheimnis des organischen Lebens. Assimilation und Dissimilation sind im Grunde genommen nichts anderes als chemische Prozesse; ohne sie kénnen alle anderen LebensiufSerungen nicht von statten gehen. Und deshalb ist es vom chemischen Standpunkte aus nicht verstandlich, daf man Kérper wie Starke und Plasma trotz des grundsatzlichen Unter- schiedes im gesamten Wesen ihrer chemischen Eigenschaften als analoge resp. eng verwandte Substanzen ansehen kann. Daf die Erklarung der Quellung in Oberflachenenergie nebst loser Hydratisierung und nicht in einer spezifischen Anziehung zwischen der spezifischen Substanz und dem spezifischen Quellungs- mittel zu suchen ist, dafiir diirfte z. B. die Jodstairke sprechen. Ihre Bildung beruht anerkanntermafen auf einer Oberflachenan- ziehung, gleich wie die Holzkohle allerlei Farbstoffe, verschiedene Salze, Strychnin etc. aus Loésungen aufnimmt. Die Entfarbung der Jodstirke beim Erwarmen und das Zuriickkehren der Farbe beim Erkalten wird einerseits durch die gréfSere Léslichkeit des Jods in lose gebundenem Hydratwasser, andererseits durch die bei der Zufuhr yon Wirme verminderte Anziehung des Jods verursacht. 1) Lies. Annal. 121, p. 1. 2) NAexrtr hat leider die Bezeichnung Krystalloide fiir quellungs- fahige krystallinische Substanzen angewendet! 70 Gustav Wendt, Der Erklarung dieser Vorgiinge von seiten der Mizellartheorie stellen sich wohl uniiberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Ge- setzt, es sei die Harmonie der Bewegungsenergien der Starke und ihrer Wasserhiille vorhanden, so muS weiter angenommen werden, daf diese Harmonie auch bei andauerndem Erwarmen nicht verloren geht, da8 vielmehr die Micelle erhalten bleiben, trotzdem die Verdunstung des Wassers wie gewohnlich erfolgt. Ks miifte also die Wasserhiille beim Erwarmen innerhalb weiter Grenzen erstens einen Teil ihrer Masse verlieren diirfen und zweitens ihre Bewegungsenergie stark verindern kénnen (wie z. B. ihre sehr verdnderte Lésungsenergie beweist), ohne Stérung der Harmonie im Micell. Dies ware aber doch nur denkbar, wenn die Be- wegungsenergie der Starke und aller Kontagmen sich beim Er- warmen in gleicher oder ganz ahnlicher Weise Andern wirde wie die der Wasserhiille! Selbstverstindlich aber ist die Anderung der Bewegungsenergie bei allen Kontagmen verschieden! Und trotz alledem sollte die Harmonie innerhalb weiter Grenzen erhalten bleiben? Diese Annahme diirfte auferhalb des Rahmens der heutigen, allgemeinen Naturwissenschaft liegen. — Wenn ferner von der Micellartheorie behauptet wird, da Quellung und Lésung zwei vollkommen analoge Prozesse seien, so kann dies als ein weiteres Anzeichen dafiir betrachtet wer- den, dafi die Physiologie an nicht unwesentlichen Punkten den Zusammenhang mit Chemie und Physik verloren hat. Durch den bekannten Versuch von REInKE!') steht doch fest, daf lufttrockene Laminarienstiicke bei einem Druck von 41,2 Atmospharen 16 Proz. Wasser aufnehmen; daf also die Quellung durch Druck sehr stark vermindert wird, dagegen bei gewéhnlicher Lésung durch Druck das Umgekehrte, mithin eine Vermehrung der Lésung stattfindet. Wahrend ferner bei regelrechter Lésung eines festen Kérpers im Wasser, — falls nicht etwa sekundére von dem Vorgange Lésung vollig unabhangige Prozesse wie Zersetzung und Hydratbildung nebenher laufen, — negative Wirmetiénung auftritt, ist bei der Quellung stets das Umgekehrte, nimlich positive Warmeténung zu beobachten. Auferdem muf hervorgehoben werden, daf gerade die ersten Prozente des Quellungswassers, wie beispielsweise Versuche NAGELI's?) ergeben, die héchste positive Warmeténung zeigen, daf also wiederum die Vorginge den gewdéhnlichen Lésungsver- 1) Bot. Abhandl. von Hansrzrn, Bd. 4, p. 1. 2) Theorie der Girung, 1859, p. 138. Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma, 71 haltnissen durchaus widerstreben. Demgemaf ist es auch natiir- lich, da8 z. B. der van T’Horr’sche Satz vom osmotischen Druck, die Gesetze des Dampfdruckes, der Gefrierpunkte der Lésungen etc. insgesamt fiir den ,,analogen Vorgang“ Quellung nicht gelten. Andererseits sprechen alle Anzeichen dafiir, daS das End- resultat der Quellung als lose bezw. weitgehende Hydratisierung angesehen werden kann. Aus der Betrachtung der gewodhn- lichen Hydratationswarme ist zu schliefen, daf die Wassermole- kiile nicht alle gleichwertig von den Salzmolekiilen gebunden wer- den. Wie z. B. bei Magnesiumsulfat und bei Chlorstrontium das erste Molekiil Wasser die gréfte positive Warmeténung aufweist, so verhilt sich ganz ahnlich die Warmeténung beim Anfang der Quellung. Ferner ist es zweifellos, daf die Hydratisierung und besonders die lose Hydratisierung durch starken Druck nicht wie die Liésung vermehrt, sondern wie die Quellung vermindert wird. Endlich diirfte im allgemeinen wohl zu wenig bekannt sein, daf sich verhiltnismafig viele anorganische Substanzen den ge- quollenen bezw. lose hydratisierten Kontagmen direkt an die Seite stellen lassen; d. h. also insbesondere, dafi diese K6rper z. B. durch Erhitzen, durch Salzlésungen oder durch Substanzen, die kondensierend resp. wasserentziehend wirken, zum Koagu- lieren gebracht werden kénnen und somit offenbar den gequol- lenen Aggregatzustand aufzeigen! Und in diesem Aggregatzu- stande bilden sie die echten anorganischen Reprasentanten der GrauAm’schen Kolloide! Als solche Substanzen sind hauptsachlich zu nennen die losen Hydrate von Kiesel-, Titan-, Zinn-, Molybdan- Wolframsiure; die losen Hydrate von Aluminium, Kisen, Mangan, Chrom, Antimon etc.; ferner die hydratischen Hydrosulfiire von Arsen, Antimon, Wismut, Kadmium, Quecksilber, Zink, Indium, Wolfram, Molybdian, Platin, Gold, Palladium, Silber, Thallium, Blei, Eisen, Nickel, Kobalt. Den Schlu8 dieser Besprechung der Mizellartheorie mége eine Zuriickweisung der Behauptung bilden, daf die ,,vollkommen analogen Vorginge Quellung und Lisung sogar durch Uberginge miteinander verkniipft sind“, und daf z. B. die Wasseraufnahme von Gummi arabicum einen solchen ,,Ubergang“ darstellt. Was ist nun aber eine diinne Liésung von arabischem Gummi? Sie ist zweifellos nicht das Ergebnis eines einfachen Prozesses, son- dern das Endresultat einer Reihe hinter und neben einander laufender Vorgiinge, unter denen hauptsichlich Quellung und Lésung figurieren. Und durch solch eine Gemenge von Prozessen 72 Gustav Wendt, will man einen Ubergang von Quellung und Lésung charakte- risiert sehen? Im Nachfolgenden sollen einige zu Gunsten der neuen Theorie von den individuellen Kapillarreaktionen im Protoplasma sprechende Thatsachen ihre Stelle finden, da bei Gelegenheit der ersten Mit- teilung wohl befiirchtet werden konnte, daf durch Haufung von Details die Theorie nicht geniigend iibersichtlich sich darstellen wiirde. Deshalb schien es ratsam, fiir den Anfang nur kurz auf wenige Thatsachen und zwar ausschlieSlich im Gebiete der Zoo- logie hinzuweisen, so daf also alles weitere und besonders die Feststellungen der Botanik erst jetzt mehr beriicksichtigt werden konnen. Zunachst sei es gestattet, ein Wort von Sacus anzufihren, aus dem hervorgehen diirfte, wie erwiinscht eigentlich tiberhaupt nur irgend eine Theorie vom chemischen Umsatz im Protoplasma allen einsichtsvollen und weitschauenden Physiologen sein muf. Sacus sagt!): ,,das allbekannte und doch in seinem Wesen noch gainzlich unbekannte Protoplasma, diejenige Substanz, welche nach den Forschungen der letzten 40 Jahre den eigentlichen lebenden Koérper jeder Zelle darstellt, von der sich nach und nach heraus- gestellt hat, da sie der eigentliche Lebenstrager sowohl der Tiere wie der Pflanzen ist.“ Die bewundernswiirdige Hohe der morphologischen Botanik zeigt sich auch in ihrer Kenntnis vom Phytoplasma. Infolge- dessen ist es bereits heute im grofen und ganzen méglich, die neue Theorie von der individuellen Kapillarreaktion im Protoplasma wahrscheinlich zu machen, bezw. zunichst den Beweis fiir das stete Vorhandensein der zur Reaktion nétigen feinsten Kapillaren zu erbringen. Wenn aber bei jedem Phytoplasma feinste Kapillaren in Masse sich vorfinden (die Membransiebe stehen als etwas Be- sonderes fiir sich), diirfte es einleuchten, daf diesen Kapillaren in ihrer spezifischen Anordnung auch eine bestimmte und wichtige Funktion zufallt. Und hierin liegt die Plausibilitat der neuen Theorie, die dadurch unterstiitzt wird, da die Empfindlichkeit des Plasmas gegeniiber minutidsen Unterschieden der Temperatur, der Lichtintensitaét, des elektrischen Stromes, der Konzentration 1) Pflanzenphysiologie, 1887, p. 86. Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma. 73 und Zusammensetzung des Materials fiir den Stoffwechsel etc. ein Analogon nur in der auSerordentlichen Empfindsamkeit von Kapillar- reaktionen besitzt; auch in bezug auf das eminent feine Unterschei- dungsvermoégen fiir ganz geringe Druckdifferenzen hat sich jiingst das Gleiche ergeben '). Hinsichtlich der feineren Struktur des Cytoplasmas?) der Pflanzenzelle allerdings ist heute ein endgiltiges Urteil noch nicht moglich. Wenn auch verschiedene Beobachtungen fiir das Vorhanden- sein einer feineren Struktur sprechen, muf doch zugegeben wer- den, daf erst umfassendere Untersuchungen zu einem abschlieSen- den Resultat fiihren kénnen. Dagegen steht sowohl fiir den ruhenden Zellkern als auch fiir die Chloro- und Chromoplasten*) die Existenz einer bestimmten feineren Struktur fest, infolge von vielfachen Untersuchungen, unter denen besonders die Arbeiten von FLEMMING, STRASBURGER, SCHMITZ, GUIGNARD erwahnt werden mogen. Das Kerngeriist oder Chromatingeritist des ruhenden Zellkernes besteht z. B. nach FLemmina’s *) Beschreibung im allgemeinen aus sehr zarten Faden, ,,die sich vielfach verasteln und miteinander verwachsen und so ein feines Netzwerk bilden.“* Und auch weiter- hin ist bestatigt, da’ sich durch direkte Beobachtung ein wahres Netzwerk mit Hilfe der besten derzeitigen Instrumente erkennen lagt. Uber die feinere Struktur der Chloro- und Chromoplasten giebt es nicht so viele umfangreiche Untersuchungen, aber auch hier ist eine spezifische Struktur zweifellos und wird bei Chloro- plasten als schwammartiges Geriist beschrieben. Man kennt nun aber heute wohl tiberhaupt keine Organismen mit Sicherheit mehr, denen man eine Differenzierung zu Kernsub- stanz, bezw. Chloro- und Chromoplasten absprechen kann. In betreff der Pilze auSert ein Forscher wie Zopr z. B.*): ,,Es ist noch nicht lange her, dafi man allgemein annahm, die Pilzzellen seien, wenige 1) P. Jensen, Uber den Geotropismus. Pruiie. Archiv, 1893, D477. 2) Auf Vorschlag von SrraspurcER wird neuerdings die gesamte Masse des Plasmakérpers, die nach Abzug simtlicher Einschliisse iibrig bleibt, als Cytoplasma bezeichnet. Von xvtoc, Héhlung. 3) Bestehen aus den Chlorophyllkérpern und den gelben, roten und braunen Farbstoffkorperchen der Friichte etc. 4) Zellsubstanz, 1882, p. 100 und 113. 5) In Scuenx’s Botanik, Bd. 4, 1890, p, 377. 74 Gustav Wendt, Ausnahmen abgerechnet, kernlos. Heutzutage ist man vom Gegen- teil tiberzeugt, da seit dem Vorgange von Scumirz und STRAs- BURGER die Existenz von Zellkernen in allen Fallen konstatiert wurde, wo man ihnen mit passenden Methoden nachging.““ Und eine besondere Struktur ist bei gréSeren Pilzkernen unzweifelhaft nachgewiesen. Wo dies bisher nicht der Fall war, darf der Nach- weis mit Sicherheit von der Zukunft erwartet werden. Inbetreff der durchgingigen Differenzierung des Protoplasmas fiihrt VeRWoRN neuerdings aus): ,,Besonders sind, nachdem BurscHii nachgewiesen hat, da’ auch die Bakterien, welche bis- her als vollig undifferenzierte Protoplasmakérper galten, eine dem Kern entsprechende Differenzierung ihres Koérpers besitzen, mit Sicherheit keine Organismen mehr bekannt, denen eine morpho- logische Differenzierung ihrer Kernsubstanz fehlte.“* Und von der Notwendigkeit des Kerns sagt VERWORN?): ,,Man kann die physiologische Rolle des Kerns am besten vergleichen mit der eines anderen Zellorganoids, mit der Rolle der Chlorophyllkérper .. . Ebenso wie der Zellkern sind sie tiberall, wo sie vorkommen, unbe- dingt notwendig fiir die ,,dauernde“ Existenz der Zelle.“ Hinsichtlich der feineren Struktur des Entoplasmas_ spricht Burscuii aus, daf sich Spezielleres tiber die relative Feinheit und weitere Besonderheiten des Wabenwerkes (des Entoplasmas) heute noch kaum mitteilen la8t. Er sagt ferner*): ,,Die friiher geliufige Auffassung des Entoplasmas als einer homogenen, struktur- losen schleimigen Eiweifsubstanz resp. einer Mischung solcher Substanzen muf nach den neueren Erfahrungen modifiziert werden. Auch das Entoplasma besitzt den alveoliren Bau der iibrigen Korperschichten. Was wir bei Schilderung der Ektoplasmastruk- turen tiber die allgemeine Auffassung des Alveolarwerks bemerkten, gilt auch fiir das Entoplasma. Die wabige Struktur des letzteren ist sehr fein; sie erreicht hiufig die Grenze unserer optischen Hilfsmittel. Die Maschen- oder Wabendurchschnitte sind unregel- mifig bis regelmaSiger polygonal und ihre Knotenpunkte meist deutlich verdickt....“ Die wabige Struktur Birscuui’s wird von anderen Forschern (Leyp1G, Fare etc.) als spongiése, schwamm- 1) Prite. Archiv, 1892, p. 115. 2) 4. 6. ip. Lia. 3) In Bronn’s Tierreich, 1889, Bd. I, 3, p. 1391. Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma. 75 artige angesprochen. Wie dem auch sei, fiir die neue Theorie von der individuellen Kapillarreaktion bleibt die Hauptsache, daf eine eigenartige Struktur vorhanden ist, und dafi damit der Beweis fiir die Existenz von spezifischen, kapillaren Riumen in bestimmter, spezifischer Anordnung geliefert sein diirfte! Und wenn also kein Organismus heute mehr mit Sicherheit bekannt ist, in dessen Protoplasma irgend welche spezifischen, kapillaren Raiume, in bestimmter, spezifischer Anordnung fehlen, scheint damit die Berechtigung der neuen Theorie von der indi- viduellen Kapillarreaktion klargestellt zu sein. Entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen am Pinnipediergebisse. Von Willy Kiikenthal, Jena. Mit Tafel III und IV. Die entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen des Gebisses der Saugetiere, welche ich in den letzten Jahren ausgefiihrt habe, hatten mich zur Aufstellung der Ansicht gefiihrt, daf das viel- zahnige Gebif mancher Ordnungen, so der Zahn- und Bartenwale, eine sekundaére Erscheinung sei, und ich hatte die Vielzahnigkeit aus der Teilung urspriinglich mehrhéckeriger Backzahne erklart. In dem vor kurzem erschienenen zweiten Teile meiner ,,Vergl.-ana- tomischen und _ entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen an Waltieren“!) hatte ich dieselbe Entstehungsart auch fiir das viel- zahnige GebifZ mancher Edentaten wahrscheinlich gemacht, und die Anlage sogenannter ,,iiberzaéhliger Zahne“ im Robbengebif als den ersten Beginn desselben Prozesses hingestellt. In letzterem Falle bildete der Mangel entwickelungsgeschichtlicher Unter- suchungen eine wesentliche Liicke, und dieser Gesichtspunkt war es, welcher mich bei Abfassung vorliegender Arbeit in erster Linie leitete. Im Laufe der Untersuchung ergaben sich noch andere Fragen, besonders in Bezug auf Homologisierung der Zahne, welche der Beantwortung harrten, und deren Lésung ich ebenfalls versucht habe. 1) Denkschriften der Med.-nat. Gesellschaft in Jena, Bd. III, 1893. Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 77 Das embryologische Material, welches mir zur Verfiigung stand, war freilich ziemlich diirftig, da indes keinerlei Aussicht war, in absehbarer Zeit einen Zuwachs zu erhalten, und da fiir die Lésung vieler Fragen das vorhandene Material ausreichte, habe ich mich entschlossen, die erlangten Resultate in vorliegender Arbeit zu geben. 1. Zur Entwickelungsgeschichte der Bezahnung des Wal- rosses (Trichechus rosmarus). Unter den Pinnipediern nimmt das Walrof eine ganz isolierte Stellung ein, die es nicht zum wenigsten seinem merkwiirdig um- geformten Gebisse verdankt. Vor allem auffallig sind die beiden miichtigen Hauer des Oberkiefers, denen gegentiber die anderen Zahne fast verschwinden. Diese beiden Hauer werden von Alters her und mit Recht als umgeformte Eckzihne angesehen. Auf dem zwischen beiden Eckzaihnen liegenden Kieferrand werden keine weiteren Zahne sichtbar, und erst nach innen und hinten von ihnen treten einige stark abgenutzte Zahngebilde auf. Die allgemeine Form dieser Oberkieferzihne ist eine rundliche, ihre abgeschlossene Krone ragt wenig itiber das Niveau der umgebenden Gaumen- knochen. Sie liegen zum gréften Teil auf der Innenseite der Hauer, und ihre Zahl ist gewohnlich 4. Betrachten wir zunachst diese 4 gewéhnlich vorkommenden Zihne, so sehen wir, daf der erste vollkommen im Zwischenkiefer liegt, so daf wir ihn also seiner Lage nach als Schneidezahn auffassen miissen; die darauf folgen- den Zihne sind Backzahne. Die Bezahnung des Unterkiefers entbehrt der vorderen Zaihne vollkommen, da nur 4 den oberen Zihnen entsprechende Gebilde vorhanden sind, deren Kronen ebenfalls, wenn auch nicht in dem Mafe abgeschliffen sind, wie die der Oberkieferzihne. Der Grund des Abschleifens liegt darin, daf die entsprechenden Zahne auf- einander stofen, wihrend sie sonst bei den Pinnipediern alternierend eingreifen. Es fragt sich nun, ob es Anhaltspunkte giebt, welche ge- statten, das stark reduzierte Walro8gebif’ mit dem anderer Pinni- pedier zu homologisieren. Bei der Annahme einer Reduktion der Zahnzahl aus einem urspriinglich reicher bezahnten Gebisse aft sich erwarten, daf noch gelegentlich Variabilitaten in der Walrof- bezahnung eintreten werden, derart, da8 vor oder hinter den 4 beschriebenen Zaihnen andere Zahne erscheinen. Das ist in der 78 Willy Kikenthal, That der Fall, und zwar kann sowohl im Oberkiefer wie im Unter- kiefer ein gewoéhnlich viel kleinerer verkalkter Zahn sowohl vor als hinter den vier beschriebenen Zihnen vorkommen. Ferner ist es von Interesse, entwickelungsgeschichtlich zu untersuchen, in welcher Weise die Anlage der Zahne erfolgt, und in welchem Ver- haltnis sie zu erster und zweiter Dentition stehen. Zunachst wollen wir die Litteratur beriicksichtigen, welche tiber diesen Gegenstand existiert. Halten wir uns, unter Vernachlassigung der rein systema- tischen Arbeiten, nur an die Angaben, welche uns von einer gréferen Anzahl yon Zahnen, sowie vom Zahnwechsel berichten, so mitssen wir mit SCHREBER!) beginnen, der zuerst die Schneidezihne des Walrosses entdeckt hat, und zwar als zwei kleine Gebilde, welche im Zwischenkiefer eines ganz jungen Individuums eingepflanzt waren. Diese Beobachtung wurde durch P. CAmpEr bestiatigt ?). O—O 1—1 5—5 Ohi G5 hat aber bereits Zweifel, ob nicht der erste bleibende Unterkiefer- zahn, den er als Backzahn rechnet, vielleicht der Eckzahn sei. G. Cuvier‘) dagegen nimmt bereits die auch von ihm aufgefun- denen Reste der Schneidezihne mit in die Zahnformel auf: 2—2 1—1 4-4 0° 0?4-4# In Bezug auf die Zahl der Backzihne wurde von Krersten®) die Beobachtung gemacht, da bei jungen Walrossen im Oberkiefer jederseits 5 Backzaihne vorhanden sind. Die erste Untersuchung, welche an einem Embryo ausgefthrt wurde, stammt von Rapp”). Er fand an einem fast reifen Walrof- fotus im Zwischenkiefer 6 Vorderzaéhne, im Unterkiefer auf einer Seite 3, auf der anderen 2, doch glaubt Rapp, daf hier ein Zahn bereits verloren gegangen ist, so daB die Zahl auch hier insgesamt Rupo.pu! *) stellte folgende Zahnformel auf: was auch von F. Cuvier®) angenommen wird. 1) ,,Sdugetiere’, 1775, Bd. II, p. 260. 2) Kleinere Schriften, 1786, Bd. III, p. 21. 3) Anat.-physiol. Abhandlungen, Berlin 1802, p. 145—147. 4) G. Cuvier, Régne Animal, 1817, Vol. I, p. 167—186. 5) F. Cuvier, Des dents des mammiferes, 1825, p. 234. 6) Kersten, Capitis Trichechi Rosmari descriptio osteologica, Berolini 1821. 7) Rare, Uber das Zahnsystem des Walrosses. Naturgeschicht- liche Abhandlungen, herausgegeben von einer Gesellschaft in Wiirttem- berg, Bd. II, 1828, p. 107. }Entwickelungsgeschicht]. Untersuch. am Pinnipediergebisse, 79 6 betrigt. Die beiden inneren Schneidezihne des Zwischenkiefers verschwinden nach ihm friihzeitig, ohne dafi Ersatzzaihne erscheinen, dagegen treten solche auf fiir die beiden anderen Paare der Milch- schneidezihne. Den Milchschneidezihnen des Unterkiefers sollen die Ersatzzihne vollkommen fehlen. Den ersten bleibenden Zahn des Unterkiefers, den man bis dahin fiir den ersten Backenzahn gehalten hatte, fait Rapp mit Recht als Eckzahn auf und _ be- griindet diese Auffassung damit, daf’ er von den itibrigen Back- zihnen durch einen gréferen Zwischenraum getrennt ist, gréfere Dicke und Linge besitzt, dicht an dem friihzeitig verschwindenden dritten unteren Schneidezahn steht und auf den duferen oberen Schneidezahn st6ft. Auch soll ihm die flache Vertiefung, welche man an der inneren Seite der Krone der Backenzihne findet, fehlen. Fiir das erwachsene Tier stellt Rapp zuerst die richtige 1i—1 1—1 3—3 Zahnformel auf: =r Valk me ee In Bezug auf die Zahl der Backzihne mehrten sich die An- gaben, dafi 5 im Oberkiefer vorhanden seien, so von DE FREMERIJ +), dann WIEGMANN?) und spater Srannius?). Letzterer fand an seinem jungen Exemplare vorn im Unterkiefer jederseits 3 zum Teil ausgefiillte Alveolen und pflichtet Rapp auch in der Deutung des ersten bleibenden Unterkieferzahnes als Eckzahn bei. Die nachstfolgenden Untersuchungen tiber das Walro8gebif stammen von OwENn‘*)*), von dem besonders die _letztcitierte unser Interesse erregt, weil sie an einem sehr jungen Tiere ange- stellt worden ist. Fiir das Milchgebif stellte Owen die Formel auf: Bese) dre Dit tae ag permanente: B58 gira danbil tone 2—2’ 0—O’ 2—2’ " 2—2’ 0-0’ 3—3’ 1—1° 1) N. C, pt Fremery, Bijdragen tot de natuurlijke geschiedenis van den Walrus en de kennis der verscheidenheden welke onder deze dieren vorkomen, in Bijdragen tot de naturk. Wetensch., VI, 1831, p. 360. 2) Wiremany, Uber das Gebif des Walrosses. Wrrcmann’s Arch. f. Naturgeschichte, IV. Jahrg., 1838, p. 113. 3) Sranntus, Uber Gebi® und Schiédel des Walrosses, unter Be- riicksichtigung der Frage, ob die Verschiedenheiten im Baue des Schidels zur Unterscheidung mehrerer Arten der Gattung Trichechus berechtigen. Mizer’s Arch. f. Anat. und Physiol., Bd. IX, 1842, p. 390. 4) Owen, Odontography, 1840—45, I,’ p. 510. 5) Owen, On the anatomy of the Walrus. Proc. Zool. Soc., London 1858, p. 105. 80 Willy Kikenthal, Owen betrachtet demnach den von Rapp und anderen Autoren als Eckzahn aufgefaften ersten bleibenden Zahn des Unterkiefers als einen Schneidezahn, ohne dafiir Griinde anzugeben. Auch in anderer Hinsicht, so der Zahl der Schneidezihne und Backzahne, bleiben OwEn’s Angaben hinter denen friiherer Autoren, welche er nicht anfiihrt, zuriick. Eine neuere, wichtige Arbeit iiber diesen Gegenstand lieferte MaAtMGREN '), der an einem reifen Walrofembryo die Anlage der Milch- wie Ersatzzahne studierte. Die Zahne der zweiten Dentition, 1-11 ee 18 0° 11323. Bras sind bei dem ungeborenen Jungen schon bedeutend gréfer als die Milchzihne. Samtliche Backzaihne und die auferen Schneidezahne des Oberkiefers haben eine einspitzige konische, mit Schmelz ver- sehene Krone. Im Gegensatze zu OwEN und in Ubereinstimmung mit Rapp und anderen faft auch MALMGREN den ersten bleibenden Unterkieferzahn als Eckzahn und nicht als Backzahn auf. Die Milchbezahnung weist ein sehr viel reicheres Gebif auf, so fanden sich im Ober- wie Unterkiefer 6 Schneidezihne, von denen die unteren sowie die inneren oberen bereits resorbiert waren und ihr ehemaliges Vorhandensein nur durch die Alveolen anzeigten. Bei dem Rapp zur Verfiigung stehenden etwas jiingeren Embryo waren dagegen alle Schneidezahne bis auf einen vorhanden, ihr Verschwin- den fallt also gré8tenteils in die Zeit kurz vor der Geburt. Die mittleren Schneidezihne des Unterkiefers zeigten an MALMGREN’S Exemplare bereits Spuren der Zerstérung, wahrend die entsprechen- den Zahnanlagen des Oberkiefers viel langer, bis zum dritten Jahre, erhalten bleiben, ebenso wie die dritten Schneidezihne des Unter- kiefers, wahrend die des Oberkiefers kurz nach der Geburt ver- schwinden. Zur Zeit der Geburt verschwindet auch der Eckzahn der ersten Dentition, und zwar im Oberkiefer zeitiger als im Unterkiefer. Gleichzeitig geht der erste Milchpramolar des Unterkiefers ver- loren, und auch die beiden darauf folgenden Zahne dieser Dentition waren bereits stark von der Resorption angegriffen. Der erste Milchprimolar des Oberkiefers war an MALMGREN’s Exemplare be- reits geschwunden, wahrend dessen Ersatzzahn am starksten von welche in folgender Formel auftreten, 1) Matmoren, Om tandbygnaden hos Hoalrossen (Odobaenus ros- marus L.) og tandombytet hos hans ufédda unge. Ofversigt K. Akad. Forhandl., 1863, p. 505. Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 81 allen entwickelt ist. Der zweite Milchprimolar dagegen ist fast vollkommen erhalten und scheint am lingsten konserviert zu wer- den, waihrend der dritte zum gréften Teile resorbiert ist. Auf diese drei Zahne folgt nun ein Backzahn, den MAuLMGREN fir zu- gehérig zur ersten Dentition halt, nicht nur auf Grund seiner Form, sondern auch weil er keinen Nachfolger hat. Bei ausge- wachsenen Tieren soll man diesen Backzahn nicht mehr vorfinden. Nach MaAtmGren ist also die Formel fiir die Milchbezahnung: 3—3 1—1 44 po I) 44 aufmerksam gemacht worden, daf fiinf Molaren im Oberkiefer des Walrosses angenommen werden miissen, und diese Angabe ging in eine gré8ere Zahl von Lehrbiichern!) etc. tber. MAatmGren be- kimpft diese Ansicht auf das entschiedenste. W1reGMANN mache die Ausnahme zur Regel, indem er eine ganz zufallige Vermehrung der Backzihne durch Einschieben eines accessorischen Zahnes zwischen dritten und vierten Backzahn als etwas Normales ansehe. Vie Ungereimtheit eines solchen Vorganges sieht gliicklicherweise jeder Zoologe ein, und deswegen muf auch WirEGMANN’s Formel fiir die Bezahnung fallen“ ”). Auf Grund der anscheinend verschiedenartigen Milchbezahnung konstruiert MALMGREN eine tiefe Kluft zwischen den Phociden und dem Walrosse. Bei ersteren sind im Unterkiefer nur zwei Schneidezihne der ersten Dentition vorhanden, bei letzterem drei, das Walrof} soll sich dadurch von den Phociden entfernen und den Mustelinen, und zwar besonders Lutra und Enhydris, nihern, wie schon vorher von SreeNsTRUP und TUNDEVALL *) auf Grund des Skeletts behauptet worden ist. MALMGREN *) faihrt dann fort: ,,Kine noch gréfere Abweichung im Milchgebi8 des Walrosses, deren volle Bedeutung ich bis jetzt noch nicht beurteilen kann, ist die, daf die Milchbackzahne zahlreicher sind als die permanenten, wiihrend sie dagegen bei Phoca, Halichoe- rus und Otaria an Zahl geringer sind. Bei Phoca und Halichoerus = 32. Nun war aber von WIEGMANN darauf 1) Siehe Greset, Odontographie, 1855, p. 82. v. p. HoEvEn, Lehrbuch der Zoologie, Siugetiere, p. 788. Burastus, Die Siuge- tiere Deutschlands, 1857, p. 261, 762. 2) Citate aus schwedischen oder dinischen Arbeiten werde ich stets in méglichst wortgetreuer Ubersetzung bringen. 3) Ofvers. K. Vet. Akad, Férh., 1859, p. 441. SZ) 1.76, p: O21. Bd, XXVIII. N, F, XXI, 6 82 Willy Kikenthal, finden sich im Milchgebif au Backziihne, im permanenten a wihrend beim Walrof ia Milchbackzihne vorhanden sind, per- manente dagegen nur = Dieses Verhalten entfernt das Walrof noch mehr von der Gruppe der Phocaceen.“ Es sei mir schon hier gestattet, darauf hinzuweisen, da diese Differenz nicht existiert. Auch bei den Phociden finden sich, wie beim Walrosse, 4 Milch- primolaren vor. Gegen MatmGren’s Behauptung, da’ den Walrossen nur 4 Backzihne im Oberkiefer zukommen, wendet sich eine Arbeit von Perers+), der an dem Gebifi eines jungen Tieres konstatieren konnte, daf ein fiinfter Backzahn im Oberkiefer auftritt, der eine sanz regelmaBige Stellung einnimmt und nicht etwa, wie MALMGREN meint, zwischen dritten und vierten Backzahn eingeschoben ist. Perers halt also die Wreamann’sche Forme) fir richtig. Fiir das Gebif8 seines 1'/,-jihrigen Tieres giebt Prerers fol- 3 11—11 3 A Og ubhgs? kiefer die beiden Auferen Milchschneidezihne, im Oberkiefer 4. und 5. Backzahn kommen. ,,Die Kenntnis des Milchgebisses dieser Sdugetiergattung ist deshalb so wichtig, weil sich allein daraus die im GebifS des ausgewachsenen Tieres vorkommenden iiber- zihligen Zahne erklairen lassen, die als regelwidrig sehr spat sich entwickelnde Milchzihne zu deuten sind.“ Von spiteren Untersuchungen ist die FLOwEr’s ?) zu erwahnen, welcher von einem etwa 8 Monate alten Walrof angiebt, daf kein einziger Milchzahn vorhanden war, wenn man darunter Zihne ver- steht, die als Vorgiinger zu betrachten sind. Dagegen fanden sich rudimentaire Zihne vorn und hinten vor, welche vordem als Milch- zihne aufgefaft worden sind, nach FLOWER aber zum zweiten Satze gehoren. Eine gleiche Ansicht betreffs des 4. und 5. Backzahns hatte gendes an: zu welcher Bezahnung noch im Unter- 1) W. Prrers, Uber das Milchgebi® des Walrosses, Odobaenus Rosmarus L. Monatsberichte der K. Akad. der Wissensch. Berlin, 1864, p- 685. 2) Frowrr, Remarks on the homologies and notation of the teeth of the mammalia. Journal of Anat. and Physiol., III, 1869, p- 262. Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 83 vordem schon REINHARDT!) gedufert. Er faSt sie als der zweiten Dentition zugehérige Backzihne auf, deren Entwickelung schnell abschlieft, so daf sie nicht zu eigentlicher Funktion kommen. Dieser Auffassung schlieSt sich auch Tauper?) vollkommen an. Weitere Arbeiten tiber das Walrof} enthalten nichts Neues fiir unseren speziellen Zweck und kénnen daher iibergangen werden. Ueberblickt man die von mir gegebene Litteraturiibersicht, so wird man mit mir zu der Auffassung gelangen, daf erstens einmal die Homologien der Walrofzaihne durchaus noch nicht mit wiinschens- werter Klarheit durchgefiihrt sind, und daS zweitens das Ver- haltnis der ersten Dentition zur zweiten besonders fiir die hinteren Backzahne erst noch festzustellen ist. Erscheint schon von diesen Gesichtspunkten aus eine Neubearbeitung lohnend, so wird sie es noch mehr bei Beriicksichtigung allgemeinerer Fragen, und be- sonders vom Standpunkte der Entwickelungsgeschichte aus. Keine der bis dahin angestellten Untersuchungen hat sich mit der Frage der Zahnanlage beschaftigt, indem sie alle an alteren Stadien aus- gefiihrt sind. Bevor ich an die Darlegung der entwickelungsgeschichtlichen Resultate gehe, welche ich erhalten habe, méchte ich kurz noch ein paar Gebifvarietiten beschreiben, welche ich an Schideln in Spitzbergen erbeuteter Tiere gefunden habe. Bei jiingeren Tieren ist die Form der Ziahne viel besser erhalten als bei dlteren, wo durch das Abschleifen die Krone meist fast véllig verschwunden ist. An dem Unterkiefer eines solchen jiingeren Exemplares sehe ich nun das erste konische Zahnpaar von etwa der doppelten Hohe wie die darauf folgenden, von ihnen durch einen gréferen Zwischen- raum getrennt und mit dem dritten oberen Schneidezahnpaar korrespondierend. Mit Rapp betrachte ich daher auch diesen Zahn als den Eckzahn des Unterkiefers. Das Vorkommen von 5 Back- zihnen habe ich nur einmal beobachten kénnen, und zwar war hier der kleine 4. Backzahn mit dem noch kleineren 5. durch eine diinne Briicke verschmolzen. Dieser Befund zeigt deutlich an, auf welche Weise der 5. Backzahn allmahlich verschwindet. Auf der anderen Oberkieferseite waren zwar 4. und 5. Backzahn 1) J. Rerynarpr, Om Klapmydsens ufédte Unge og dens Melke- tandsaet. Videnskab. Meddelelser fra den Naturk. Forening Kjiben- hayn 1864—65, p. 261. 2) P. Tavser, Om tanddannelse og tandskifte hos Hvirveldyrene. Naturhist. Tidsskrift, Kjobenhayn 1875, p. 506. 6* 84 Willy Kikenthal, bereits ausgefallen, ihre Alveolen aber zeigten an, daf hier ganz dieselbe Verschmelzung stattgefunden hatte. Zu meinen entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen iiber- gehend, méchte ich zunaichst bemerken, daS mein Material in einem auf meiner letzten arktischen Reise erworbenen Walrofembryo be- steht, der eine direkte Linge von 12 cm hat. Da bei der grofen Seltenheit solcher Embryonen die Erwerbung weiteren Materiales hochst fraglich ist, und meine Resultate, verglichen mit den in der Litteratur bereits vorliegenden Angaben, die Lésung mancher Fragen herbeifiihren, so habe ich geglaubt diese Ver6ffentlichung nicht langer hinausschieben zu sollen. Auf Grund friiherer Erfahrungen habe ich es fiir das Zweck- mafigste gehalten, den gesamten Kopf des Tieres in eine Serie von Frontalschnitten zu zerlegen, und ich beginne mit einer Schil- derung der Zahnanlagen des Oberkiefers. Da bereits bei diesem verhaltnismaSig jungen Embryo die Oberlippe stark ausgebildet ist, so liegt der Beginn der Zahnleiste ziemlich weit hinten in der Mundhéhle. Wir sehen zuerst eine breite Einsenkung des auferen Mundhohlenepithels, welche sich in zwei divergierende Zipfel auszieht. Diese beiden Epithellamellen stellen die ersten Anlagen der Lippenfurchen dar. An der Basis jeder als solide Epitheleinsenkung erscheinenden Lippenfurche zweigt sich nach innen eine zweite, viel diinnere Epithellamelle ungefahr senkrecht zu ihr ab: die Zahnleiste (Fig. 1). Gleich am Anfange der Zahnleiste liegt die erste Zahnanlage, freilich in einem sehr wenig entwickelten Zustande; sie zeigt sich als eine starke Verbreiterung des Zahnleistenendes, welches etwas eingebogen ist und mit seiner welligen Einbuchtung eine flache Zahnpapille um- fat, in der eine gewisse Zellvermehrung wahrzunehmen ist. Auf nicht viel héherer Stufe steht die darauf folgende zweite Zahnanlage, auch sie besteht im wesentlichen aus einer stark kolbigen Anschwellung, die an ihrem freien Ende eine leichte Kinbuchtung besitzt, in welcher das darunter liegende dichtere Bindegewebe der Zahnpapille liegt. Deutlich la8t sich aber hier bemerken, daf die Zahnanlage nicht am Ende der Zahnleiste entsproft, sondern seitlich nach aufen von ihr, und daf das freie Zahnleistenende sich kolbig abrundet. Wir erkennen daraus, daf die oben be- schriebene Zahnanlage zur ersten Dentition gehort. Wahrend die beiden bis jetzt beschriebenen Zahnanlagen durchaus klein und unansehnlich sind, ist die nun folgende dritte — von mehrfacher Gréfe. Die wohlausgebildete, kegelférmige, ziemlich Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 8D breite Zahnpapille wird umfaSt von einem Schmelzorgan, welches in seinem Innern, besonders in den seitlichen Teilen, bereits Schmelzpulpa entwickelt hat, und endigt abgerundet. Auch diese Zahnanlage ist also der ersten Dentition zugehdérig. Die drei Zahnanlagen liegen siimtlich im Zwischenkiefer und sind daher als Anlagen von Schneidezihnen aufzufassen. Das Walrof hat also im Fotalzustande drei der ersten Den- tition angehérige Schneidezahnanlagen aufzuweisen, von denen zuerst die erste und dann die zweite verschwindet, ohne einen Nachfolger zu bekommen, wahrend die dritte Zahnanlage einen solchen erhalt, der beim erwachsenen Tier den ersten, noch im Zwischenkiefer liegenden, sonst den Backzihnen gleichenden Zahn liefert. Wir kommen nunmehr zur Anlage des Eckzahnes, der sich spiter zum Hauer ausbildet. Wie ein Blick auf Fig. 2 zeigt, sind in diesem Stadium zwei wohlausgebildete Zahnanlagen vorhanden, die im Verhiltnis von erster und zweiter Dentition zu einander stehen. Die Zahnanlage der ersten Dentition ist von ganz be- deutender Gréfe. Die Papille hat eine cylindrische Form mit ab- gestumpftem Scheitel, auf welchen allein sich Dentin abgelagert hat. Genauere Untersuchung des Dentinscherbchens zeigt, da8 es an seiner der Papille aufgelagerten Seite eine sehr unregelmafig gezackte Grenzlinie aufzuweisen hat. In den Ausbuchtungen liegen Gruppen von Odontoblasten, deren in die Dentinkanile gehende Ausliufer sich deutlich verfolgen lassen. Auferdem sieht man hier und da Hohlriume im Dentin auftreten, die sich in die Zahnpapille éffmen, und in diesen Héhlungen groéfere Zellen von anderer Gestalt als die Odontoblasten. Besonders auffallig erscheint ihr Kern, der das als Farbemittel benutzte Karmin viel intensiver aufgenommen hat als die Odontoblastenkerne, und ein paarmal lieS sich das Vorkommen yon zwei und drei Kernen in einer Zelle beobachten. Diese Zellen sind als Ostoklasten, die Aushéhlungen als Howsuip’sche Griibchen anzusehen, und wir haben also schon in unserem jungen Stadium den Beginn eines Zerstérungsprozesses des Zahnes vor uns. Beweisend fiir diese Annahme scheint mir die Thatsache zu sein, da’ Owrn bei seinem ganz jungen Tiere bemerkt: ,,the milk-canine was buried in the gum outside the protruded point of the permanent canine; so that this tooth is extricated and cuts the gum before the tooth of which it is the successor makes its appearance, that tooth being probably removed by absorption’. Der der ersten Dentition zugehérige Eckzahn 86 Willy Kikenthal, kommt demnach iiberhaupt nicht zum Durchbruch. Was den sonstigen Aufbau der Zahnanlage anbetrifft, so ist die hohe Ent- wickelung des Schmelzorganes zu bemerken, welches besonders an den Seitenwainden der cylindrischen Papille stark ausgebildet ist und eine wohlentwickelte Schmelzpulpa aufzuweisen hat, waihrend sie dem Scheitel des Schmelzorganes fehlt. Seitlich nach innen von der Zahnanlage verlauft die Zahnleiste, welche mit ihr durch eine breite Briicke im Zusammenhange steht. Nur vereinzelt treten an der Zahnleiste kleine Seitensprossen auf; an ihrem Ende ist eine zweite Zahnanlage entstanden, die zwar betrachtlich kleiner ist, als die der ersten Dentition zugehdrige, aber doch schon ungefahr dieselbe GréSe erlangt hat, wie die vor ihr liegende Schneidezahnanlage. Das Schmelzorgan steht auf dem kappenformigen Stadium, unter reichlicher Entwickelung von Schmelzpulpa im Inneren. Auf dem breiten Gipfel der Zahnpapille beginnen sich die Odontoblasten anzuordnen, doch ist von Dentin- abscheidung noch nichts zu sehen. Daf diese Zahnanlage den Nachfolger des Eckzahnes der ersten Dentition bildet, erscheint, wenn man das Verhiltnis beider zur Zahnleiste beriicksichtigt, aufer Frage. Wahrend der der ersten Dentition zugehérige Zahn friihzeitig resorbiert wird, wird seip Nachfolger zu dem spiteren Hauer. Seine Pulpa bleibt zeit- lebens offen, und sein Wachstum dauert ebenfalls das ganze Leben des Tieres hindurch fort. Wir haben also hier ein Beispiel vor uns, daf ein immer- wachsender Zahn einen der ersten Dentition angehérigen Vorganger besitzt und also der zweiten Dentition zugehért. Die Vorstellung der Umwandlung eines Zahnes in einen immerwachsenden Zahn be- gegnet keinen Schwierigkeiten, wenn man bedenkt, dafi dazu pur notig ist, daf der unterste Teil des Schmelzorganes, die Epithel- scheide, persistiert, um wiahrend des Lebens des Individuums die Entstehung neuer Zahnsubstanz anzuregen. Des weiteren folgt daraus, daf’ der immerwachsende Zahn nicht, wie manche Forscher (z. B. BaAumeE) wollen, einen urspriinglichen Zustand darstellt, wir miissen diese Eigenschaft vielmehr als eine sekundare Erwerbung auffassen. Auf die Eckzahnanlagen folgt ein Zahngebilde, welches einen durchaus zuriickgebliebenen Eindruck macht, es liegt dicht unter der Mundschleimhaut als ein kleines, kompaktes Schmelzorgan nebst davon umfafter Papille und zeigt keinerlei weitere Dif- ferenzierungen. Es liegt nicht mehr iiber dem Zwischenkiefer, Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 87 sondern oberhalb des Oberkiefers, und wir miissen es daher als die Anlage des ersten Priimolaren auffassen, der sehr spat zur Entwickelung kommt. Wohl ausgebildet und von mehrfacher Gréfe ist dagegen die Anlage des Primolaren 2. Die Zahnleiste ist noch wenig von dem nach aufen von ihr liegenden Schmelzorgan abgesondert, zeigt aber doch bereits, ein kurzes, abgerundetes, freies Ende. Deutlicher ist dieses der Fall bei Pramolar 3, dessen Anlage eine Zahnpapille zeigt, die nicht einfach konisch ist, sondern in zwei seitlichen Zipfeln auslauft. Die Entwickelung der Schmelz- pulpa ist sehr betréachtlich, das freie abgerundete Zahnleistenende bedeutend gréfer. Verfolgen wir die Zahnleiste vom dritten Primolaren an weiter nach hinten, so sehen wir, da sie viel kompakter wird und zum groften Teil parallel der dariiber liegenden Oberflache der Mund- schleimhaut verlaéuft, ihr nach innen liegendes Ende ist haken- formig nach unten gebogen. Nur von der unteren Seite der Zahn- leiste gehen einzelne Sprossen ab, die aber simtlich sehr kurz sind. Die Anlage des vierten Backzahnes ist genau dieselbe wie die der vorhergehenden. Seitlich nach auSen von der Zahnleiste, deren freies Ende betrachtliche Ausdehnung besitzt, sproft das Schmelzorgan der Zahnanlage ab. Die Entwickelung von Schmelz- pulpa ist ziemlich weit vorangeschritten, es hat auch bereits die Anlage einer Zahnpapille stattgefunden. In nichts unterscheidet sich also die Anlage des vierten Backzahnes von der der vorher- eehenden Primolaren. Die Gestalt und Lage der Zahnleiste veraindert sich in den darauf folgenden Schnitten nicht, nur kann man eine geringe Ab- nahme in der Langsausdehnung bemerken (Fig. 4). Es folgt nun- mehr die Anlage des fiinften und letzten Backzahnes, zwar klein, aber deutlich (Fig. 5), und in voller Breite setzt sich das Schmelz- organ mit der Zahnieiste in Verbindung, die dadurch zur Innen- waud des Schmelzorganes wird. Im Inneren des letzteren hat sich Schmelzpulpa ausgebildet. Die Zahnpapille ist ebenfalls distinkt angelegt. Das untere freie Ende der Zahnleiste setzt sich seitlich nach innen an das Schmelzorgan an und hangt dadurch mit diesem zusammen. Auch bei dieser Zahnanlage laft sich also erkennen, daf sie seitlich nach aufen von der Zahnleiste entsproft, und dah letztere ihre Innenwand bildet. Nur noch eine kurze Strecke setzt sich die Zahnleiste weiter nach hinten zu fort, um dann vollig zu verschwinden. 88 Willy Kikenthal, Wir haben also im Oberkiefer des vorliegenden Embryos die Anlagen von fiinf Backzihnen gefunden. Es bleibt uns nun zu- nichst tibrig, zu sehen, was aus diesen Anlagen wird, und es sind in dieser Hinsicht die Angaben, welche wir in der Litteratur tiber die Bezahnung ganz junger Exemplare finden, von hohem Werte. Zuniichst erhellt, daf die Annahme MALMGREN’s, es schiebe sich nur ganz gelegentlich ein accessorischer finfter Backzahn zwischen den dritten und vierten ein, nicht richtig ist, wir sehen die Anlagen der fiinf hintereinander liegenden Backzaihne in ganz gleichmigigen Abstinden und vom zweiten Backzahn an gleich- migig an Gréfke und Ausbildung ihrer Anlagen abnehmend. Ferner liegt aber gar kein Grund vor, die beiden letzten Backzahne als regelwidrig sehr spit sich entwickelnde Milchzihne zu deuten, wie Prrers will. Sie unterscheiden sich vielmehr durchaus nicht von der Anlage der hinteren Backzihne anderer Saugetiere, und von einer Regelwidrigkeit ist nichts zu bemerken. Auf das Ver- hiltnis dieser beiden Zahnanlagen zu erster und zweiter Dentition will ich spaiter eingehen und nur betonen, daf sie weder Vor- ginger noch Nachfolger haben, also nur einmal auftreten. Die Zahnformel fiir den Oberkiefer des Embryos wiirde also lauten: I. 3—3, C. 1—1, P. und M. 5—5. Jetzt vermégen wir auch jenen bereits erwihnten Befund an meinem Walrofschidel zu erklaren, wo wir als die letzten Zihne der Oberkieferreihe zwei miteinander zusammenhiangende, verkalkte Zahne fanden. Nach der Untersuchung des Embryos steht fest, da8 4. und 5. Backzahn zur Anlage kommen. Wéahrend aber der erstere noch etwas weiter sich entwickelt, verkalkt der zweite zwar auch, bleibt aber klein. Ferner scheint der Oberkiefer an der Stelle zwischen beiden Zahnanlagen durchaus nicht weiter zu wachsen, so daf also beide urspriinglich getrennt angelegten Zahn- anlagen bald miteinander verschmelzen. Weshalb das Oberkiefer- wachstum des Walrosses geringer ist als z. B. das anderer Pinni- pedier, dafiir lift sich eine biologische Erklarung geben, wenn wir die Nahrung beriicksichtigen. Wahrend die meisten Pinni- pedier Fischfresser sind, und ihr Gebi8 mehr und mehr die Funktion des Kauens aufgiebt und nur die des Festhaltens, eventuell Zer- beiBens der Beute behalt, ist beim Walro8, welches sich fast aus- schlieBlich von gewissen Muscheln nahrt, fiir die Backzéhne nur die Funktion des Zermalmens der Nahrung erforderlich. Zu letz- terer Arbeitsleistung wire aber ein in einer langeren Schnauze sitzendes Gebif durchaus ungeeignet, die gréfte Kraftentfaltung Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 89 kann vielmehr nur bei kurzen Hebelarmen geschehen, wahrend bei den anderen Pinnipediern wiederum eine langere Schnauze zur Erbeutung der glatten Nahrung niitzlicher sein wird. Das scheint mir der Hauptgrund zu sein, weshalb die Kiefer des Wal- rosses so kurz bleiben und besonders in ihrem hinteren Teile, wo die Backzihne liegen, so wenig wachsen, wahrend bei den fisch- fressenden Pinnipediern das Umgekehrte geschieht. So sehen wir hier beim Walrosse den Fall ein- treten, da8 infolge des geringen Wachstums des hinteren Teiles des Oberkiefers zwei Zahnanlagen, welche urspriinglich, wie sich entwickelungsge- schichtlich und vergleichend-anatomisch nach- weisen 1a8t, vollkommen getrennt waren, mitein- ander verschmelzen. Zahnanlagen des Unterkiefers. Die Zahnserie beginnt auf den Querschnitten durch den Embryo mit der wohlentwickelten Anlage des vordersten Schneidezahnes. Die Zahnleiste liegt sehr nahe an der parallel laufenden der anderen Seite und verlauft als eine ansehnliche Epithellamelle in die Tiefe, um mit einfacher ab- gerundeter Kante zu endigen. Ihre Breite ist nicht unbetrachtlich ; die auferen Wandungen werden von einem Epithel von cylindrischen Zellen gebildet, wihrend sich im Inneren regelloser gelagerte Epithelzellen befinden. Seitlich nach aufen von der Zahnleiste entspringt die erste Schneidezahnanlage (Fig. 6). Die Verbindung mit ihrem Schmelz- organ ist eine ziemlich breite. Das die Wandung der Zahnleiste bildende Epithel setzt sich in das Schmelzepithel der Zahnanlage fort, und die innere Epithelmasse der Zahnleiste geht iiber in das Stratum intermedium des Schmelzorganes, welches in seinem mittleren Teile etwas gelockerten Bau erhalt und so die Anlage der Schmelzpulpa vorbereitet. In seinem unteren Teile ist das Schmelzorgan bereits nicht unbetrachtlich eingebuchtet und um- fait die Zahnpapille, an der aufer lebhafter Zellwucherung und beginnender Vaskularisierung noch keine weiteren Ditferenzierungen wahrzunehmen sind. Der Unterschied zwischen déuferem und innerem Schmelzepithel ist sehr geringfiigig, die Zellen des letz- teren sind nur ein wenig hoher. Die Sprossen, welche von der Zahnleiste ausgehen, liegen aus- nahmslos nach der Lippenseite zu und sind sehr unansehnlich, mit Ausnahme eines einzigen, welcher sich dicht vor der Zahnanlage 90 Willy Kiikenthal, hinzieht. Die Bildung eines Zahnsiickchens ist in ihrer ersten Entstehung zu bemerken, indem das Bindegewebe, auf welchem die Zahnpapille auflagert, sich concentrisch um die gesamte Zahn- anlage herumzieht. Weder Dentin noch Schmelz ist in diesem Stadium zur Ab- lagerung gekommen. In derselben Weise entwickeln sich nun an der als breite Lamelle nach hinten verlaufenden Zahnleiste zwei weitere Schneide- zihne. Bei allen drei Anlagen ist das freie Ende der Zahuleiste deutlich vorhanden, und wenn auch noch keine Spur einer eigent- lichen Ersatzzahnanlage vorhanden ist, so dokumentieren sich doch damit die Zahnanlagen als zur ersten Dentition gehdrig. Die nun folgende Zahnanlage ist bedeutend gréSer (Fig. 7), und es findet sich innen von ihr nicht nur ein freies unteres Zahn- leistenende vor, sondern es hat sich auch vor ihr ein kurzer, kraftiger Epithelstrang von der Zahnleiste abgezweigt, dessen Existenz auch bei anderen Zahnanlagen angezeigt wurde, und welcher, wie wir spater sehen werden, als der letzte Rest einer der ersten Dentition vorausgegangenen Zahnserie aufzufassen ist. Als was ist nun die eben beschriebene grofe Zahnanlage zu deuten? Da ihr die Anlagen der drei Schneidezihne vorausgehen, so kann es nur der erste bleibende Zahn des Unterkiefers sein. Es liegt nun kein Grund vor, diesen Zahn nicht als den Eckzahn, sondern den ersten Pramolaren aufzufassen, wie dies von OweENn veschehen ist. Ware der Eckzahn im Unterkiefer geschwunden, so miiZten sich doch noch embryonale Spuren seiner Anlage nach- weisen lassen, davon ist aber nichts zu sehen. Andererseits sprechen die von Rapp und MALMGrREN angefiihrten Griinde, denen ich mich auf Grund eigener Anschaung nur anschliefen kann, dafiir, da8 wir in diesem Zahne den wirklichen Eckzahn des Unterkiefers vor uns haben, der sich urspriinglich viel starker entwickelt als die anderen Zahne, spater aber demselben Abschleifungsprozesse unterworfen ist und bei alteren Tieren keinen Unterschied gegen- iiber den Backzihnen mehr aufweist. Von der Anlage des nun folgenden ersten Primolaren ist noch nicht viel zu sehen. Die kurze Zahnleiste schwillt an ihrem Ende kolbenformig an und besitzt an ihrem unteren Rande eine leichte Einbuchtung, in welcher das darunterliegende Bindegewebe etwas zu wuchern anfingt und so die erste Anlage einer Zahnpapille darstellt, Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 91 Viel gréfer ist dagegen die Anlage des darauf folgenden zweiten Primolaren. Auer dem freien nach innen verlaufenden Zahnleistenende findet sich auch hier ein zweiter, nach aufen von ihr sich abzweigender kurzer EpithelsprofB. An der cylindrischen, oben etwas abgestumpften Zahnpapille lassen sich keinerlei An- deutungen der Anlagen einzelner Hicker erkennen. Auf der nun folgenden Strecke ist der Zusammenhang der Zahnleiste mit dem duferen Mundhohlenepithel zum Teil noch gewahrt. Der nun auftretende dritte Backzahn ist in mancher Hinsicht weiter entwickelt, als der vorhergehende, indem es vor allem zur Ablagerung von Dentin gekommen ist. Die Zahnpapille zeigt eine sehr merkwiirdige Form. Anstatt einer konischen Spitze besitzt sie an ihrem oberen Ende eine Einsenkung, und demgemaf ist auch das Dentinscherbchen schiisselartig eingebuchtet, wodurch die Papille auf Querschnitten als in zwei seitliche Zipfel ausge- zogen erscheint. Auf die AuSenseite der Papille erstreckt sich die Dentinbildung nicht, sie wird an den Réandern der Einbuchtung sehr diinn und hért hier endlich ginzlich auf, wahrend sie in der Mitte am dicksten ist (Fig. 8). Das Schmelzorgan ist auf diesem Stadium ebenfalls eigentiimlich ausgezogen, indem es in der Mitte eine tiefe EKinkerbung zeigt, wihrend iiber jedem der beiden Zipfel der Zahnpapille die Schmelzpulpa stark entwickelt ist. Diese eigentiimliche Form des Zahnes ist nicht ohne Interesse. Man kénnte zunachst daran denken, daf die betreffende embryo- nale Zahnanlage einen Backzahn darstelle, dessen Hocker nicht mehr deutlich voneinander geschieden seien. Dagegen spricht aber die Art, wie das Dentin zur Ablagerung gekommen ist. Es ist eine Thatsache, daf bei mehrhéckerigen Backenzihnen die Dentinbildung in der Weise erfolgt, da die Dentinscherbchen sich zuerst auf der Spitze eines jeden Héckers ablagern und dann mit- einander verschmelzen. Davon ist aber in unserem Falle nichts zu sehen, die Dentinabscheidung erfolgt vielmehr von einer Stelle aus, und zwar von der tiefsten Stelle der Mitte her, wo sie am stiirksten ist (Fig. 8). Wir miissen vielmehr annehmen, daf unsere Zahnanlage eine Form wiederholt, wie sie der fertige Zahn (erster Dentition), infolee sekundirer Einwirkungen, erhalten hat. Ks liegt also hier der Fall vor, daf’ eine durch Verkiimmerung ent- standene Zahnform schon embryonal in derselben Weise zur An- lage kommt, wahrend die urspriingliche Form der Zahne eine ganz andere, konische war. An einen bereits in der Zahnanlage sich geltend machenden ReduktionsprozeS ist dabei nicht zu denken, 92 Willy Kikenthal, es bietet sich durchaus kein Anzeichen irgend welcher Riick- bildung. Von dieser Zahnanlage ist noch zu bemerken, daf das freie untere Ende der Zahnleiste, welches nach inven von ihr verlauft, eine leichte Anschwellung aufweist, und von konzentrisch gelagertem Bindegewebe umgeben ist. Ferner findet sich auch der nach aufen von der Zahnanlage sich abzweigende Epithelsprof hier vor. Die vierte und letzte Backzahnanlage hat einen etwas ge- ringeren Entwickelungsgrad erreicht, indem es noch nicht zur Ab- scheidung von Dentin gekommen ist und der Papillengipfel sich zwar abgeflacht, aber noch nicht eingebuchtet hat. Die Schmelz- pulpa ist an der Seitenwand der Papille in vollster Ausbildung. Auch bei diesem Zahne findet sich ein vollkommen freies unteres Zahnleistenende vor, ganz ahnlich, wie wir es auf Fig. 8 finden. Ks ist also in diesem Punkte nicht der geringste Unterschied zwischen diesem Zahne und dem davor liegenden Pramolar 5 zu bemerken. Wahrend aber letzterem ein Ersatzzahn zukommt, fehlt er diesem und bildet sich nach den Angaben der Litteratur auch spaiter nicht aus, so daf} wir ihn daher als einen echten Molaren aufzufassen haben. Nach dieser vierten Backzahnanlage setzt sich die Zahnleiste noch ein Stiick weiter nach hinten fort, als eine kompakte Epithellamelle, welche der Oberfliche des Mundhdéhlenepithels parallel lauft und endlich verschwindet. Die Zahnformel fiir den embryonalen Unterkiefer wiirde dem- nach lauten: J. 2—2, C. 1—1, P. 3—3, M. 1—1. Von Unterschieden in der Anlage der Zihne gegentiber denen des Oberkiefers ist besonders zu bemerken, dafi die Unterkiefer- schneidezahne einen viel héheren Grad der Entwickelung erreicht haben als die des Oberkiefers. Sehr auffallig ist ferner das auSer- ordentliche Zuriickbleiben der Anlage des ersten Pramolaren gegen- iiber denen der anderen Zihne. Wie wir aus den Litteraturangaben ersehen, kommt dieser Primolar doch zur vollkommenen Entfaltung, doch giebt MALMGREN an, daf er im Ober- wie im Unterkiefer sehr friihzeitig verschwindet, um seinem wohl ausgebildeten Er- satzzahne Platz zu machen. Es scheint also in diesem Falle die spite Entwickelung des Milchprimolaren mit seinem friihzeitigen Ausfallen Hand in Hand zu gehen. Fiir die echten Molaren beider Kiefer stellen wir fest, da sie sich genau so wie die Pramolaren als Abkémmlinge der ersten Dentition entwickeln, und da8 die Méglichkeit der Ausbildung der Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 93 zweiten Dentition zwar dadurch gegeben ist, daf sich ein inneres freies Zahnleistenende wenigstens in der ersten Anlage findet, da’ aber die Ausbildung yon Ersatzziihnen selbst unterbleibt. Bei der An- lage des letzten Molaren des Oberkiefers ist die Differenzierung eines freien Zahnleistenendes vom Schmelzorgan der ersten Den- tition nicht weit gediehen, der gréfte Teil der Zahnleiste ist mit in die Bildung des Schmelzorganes einbezogen und _liefert dessen innere Wand. Wenn also in spateren Stadien nicht noch eine vollkommenere Abschniirung der Zahnleiste vom Schmelzorgan erfolet, ist man berechtigt, zu sagen, daf in diesem Falle das Schmelzorgan der ersten Dentition mit dem unteren Teil der Zahn- leiste, welche in potentia die zweite Dentition enthalt, auf einer friihzeitigen Stufe der Entwickelung miteinander verschmolzen sind. Der Unterschied zwischen Primolaren und Molaren ist also hier kein schroffer. Der dritte, der ersten Dentition angehdérige Primolar wird noch durch einen Zahn zweiter Dentition ersetzt, der erste Molar gehért ebenfalls der ersten Dentition an, sein nach innen von ihm verlaufendes freies Zahnleistenende bringt es aber nicht mehr zur Ausbildung eines neuen Zahnes, und beim zweiten Molaren gelangt dieses freie Zahnleistenende kaum noch zur Aus- bildung, sondern ist in die innere Wand der Zahnanlage mit ein- bezogen, so dali dieser Molar im wesentlichen auch zur ersten Dentition gehért, in der inneren Wand seines Schmelzorganes aber das Material verbraucht hat, welches bei den vorausgehenden Zaihnen die Anlage der zweiten Dentition lieferte. Wie wir spiter bei Betrachtung des Gebisses der Phociden sehen werden, 1ai8t sich das Gebi8 des Walrosses vortrefflich damit homologisieren. Auch bei den Phociden ist die Anlage des ersten Primolaren sehr klein, dagegen findet sich an Stelle des ersten Molaren des Walrosses bei ihnen ein 4. Pramolar. Ich stehe nun nicht an, die beiden Zaihne ohne weiteres zu homo- logisieren. Wir sehen ja, wie der erste Molar des Walrosses sich entwickelungsgeschichtlich genau so anlegt wie jeder Primolar und der einzige Unterschied ist der, daf} es im WalrofSgebif nicht zu der Entwickelung eines Ersatzzahnes kommt (méglicherweise labt sich das doch noch gelegentlich nachweisen), wihrend der 4. Pra- molar der Phociden gewechselt wird. In dem einen Falle wird also die zweite Dentition unterdriickt, im zweiten kommt sie zur Entwickelung. Es kann also, wie wir hier gesehen haben, der vierte Primolar zum ersten Molaren werden, indem seine Ersatz- zahnanlage sich nicht ausbildet. 94 Willy Kikenthal, Fiir die Auffassung des Walrofgebisses ergiebt sich folgendes : Wie bei den iibrigen Pinnipediern, so tritt auch beim Walrosse der Zahnwechsel sehr friihzeitig ein, teils vor, teils kurz nach der Geburt. Was das Walrofeebif von dem der Phociden unter- scheidet, ist einmal das Vorhandensein von drei Schneidezdhnen im Unterkiefer, wihrend die letzteren nur zwei besitzen, und ferner der Schwund des fiinften und letzten Backzahnes im Unterkiefer. Die erste Dentition des Walrosses ist, wenn wir die ersten Molaren vorliufig beiseite lassen, in folgender Formel auszu- driicken: J. = C. = Dr = Da die Schneidezihne keinerlei Funktion mehr auszutiben haben, so gehen sie gréftenteils verloren, ohne da8 sich ihre Er- satzzihne ausbilden, nur der dritte Schneidezahn oben (Rapp, MALMGREN), wie unten (OwEN), nach Rapp auch der zweite obere treten auch in der zweiten Dentition in Erscheinung. Die Eck- zihne werden sowohl im Ober- wie im Unterkiefer gewechselt, in ersterem etwas friiher als in letzterem. Gleichzeitig verschwinden auch die ersten Primolaren, um stark ausgebildeten Ersatzzihnen Platz zu machen, zweiter und dritter Praimolar folgen etwas spiater. Die eigentlichen Backzihne, zwei im Oberkiefer, einer im Unterkiefer, gelangen nicht mehr zu vollkommener Entwickelung, sie bleiben klein und fallen friihzeitig aus. Ihre Anlage erfolgt sehr friihzeitig und ist im wesentlichen dieselbe wie die der Pra- molaren erster Dentition. Nur dadurch lassen sie sich als echte Molaren bezeichnen, da’ sie keine Nachfolger haben. Die regressive Metamorphose, welcher das Gebif} des Wal- rosses unterworfen ist, macht sich also sowohl von vorn wie von hinten her geltend, sowohl Schneideziihne wie Molaren werden rudimentir, und nur Eckzihne wie Pramolaren bleiben bestehen, indem sie sich einem Funktionswechsel unterzogen haben. Die Eckzihne des Oberkiefers haben sich zu machtigen, immerwachsenden Hauern umgebildet, die des Unterkiefers nehmen im Laufe des Lebens des Individuums dieselbe Funktion an, welche die Praimolaren auszutiben haben, indem sie breite Kronen er- halten, um die als Nahrung dienenden Muscheln durch Druck zu zerbrechen. Der mechanische Grund fiir die Entstehung der stumpfen, breiten Zahnkronen liegt in dem gegenseitigen Abschleifen der Zihne. Wahrend sich bei den iibrigen Pinnipediern das zur Erbeutung von Fischen dienende Gebifi so verhalt, daf sich die Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 95 Zaihne der beiden Kiefer alternierend ineinander einfiigen, stofen die Ziihne des Walrosses aufeinander und schleifen sich dadurch ab. Diese Abanderung laft sich aus einem anderen mechanischen Grunde erkliren, niimlich der Abnahme des Kieferwachstums. Bei vielen Pinnipediern ist, wie ich bereits friiher ausgefiihrt habe ein Prozef des Kieferwachstums im Entstehen, welcher zur Bildung einer langeren Schnauze fiihrt. Es ist das derselbe Proze$, welcher bei anderen, im Wasser lebenden fischfressenden Saugetieren, den Zahnwalen, bereits die Bildung einer langen Schnauze bewirkt hat. Der Nutzen einer derartigen verlaingerten Schnauze beim Erbeuten der glatten Fischnahrung leuchtet ohne weiteres ein, besonders wenn man bedenkt, dal bei derartiger Nahrungsaufnahme die Funktion des Zermalmens und Kauens vollkommen wegfallt. Beim Walrosse hat nun gerade der entgegengesetzte Prozef stattge- funden, es ist eine Verktirzung der Kiefer eingetreten, welche die Entwickelung der hinteren Molaren betrachtlich stérte. Da das Wachstum des Kiefers besonders in seinem hinteren Teile stark zuriickbleibt, dafiir haben wir einen ganz sicheren Beweis. Betrachten wir an unserem Embryo die Backzahn- anlagen 4 und 5 des Oberkiefers, so sehen wir sie durch einen Zwischenraum voneinander getrennt, welcher ebenso grof ist, wie der zwischen den anderen Zahnen. Bei gréferen Tieren wiichst aber diese Entfernung nicht in dem Mafe weiter, wihrend die Ausbildung der Zaihne ihren Fortgang nimmt, und so kann es kommen, daf endlich die beiden Zahnanlagen aneinanderstofen und miteinander verschmelzen, wie ich das bereits beschrieben habe. Der Grund fiir dieses verminderte Kieferwachstum ist in der Veriinderung der Nahrungsaufnahme zu suchen, indem das Walrof sich fast ausschlieSlich von Muscheln ernihrt und seine Zaihne nur dazu benutzt, sie zu zerbrechen. Es ist nun leicht einzusehen, daf die gréfte Kraftentfaltung in kurzen Kiefern und nahe der Drehungsachse des als Hebel wirkenden Unterkiefers stattfindet. Von diesem Gesichtspunkte aus werden uns die Ab- ainderungen, welche das Walrofgebif erlitten hat, verstiandlich. Gehen wir schlieSlich noch kurz auf den phylogenetischen Stand- punkt ein, so miissen wir zunichst Owen’s Ansicht als nicht richtig zuriickweisen, wenn er schreibt'): ,,In the walrus the phocal in- cisive formula is transitorily represented in the very young animal, which has three teeth in each intermaxillary bone and two in each 1) Odontography, 1840—45, I, p. 510. 96 Willy Kiikenthal, side of the forepart of the lower jaw.“ Da wir nun wissen, dal auch im Unterkiefer 3 Schneidezihne vorkommen, lift sich diese Ansicht nicht mehr halten. Noch weniger kann ich aber MALM- Gren’s Ansicht teilen, welcher das Walro8 wegen der 3 Schneide- zihne des Unterkiefers weiter von den Phociden entfernt und den Mustelinen, besonders Lutra und Enhydris annahert. Ganz hinfillig ist seine Begriindung des grofen Unterschiedes zwischen Walrof und Phociden, da’ bei letzteren weniger Milchbackzihne vorhanden sein sollen als permanente, beim Wal- roi dagegen mehr. Gerade dieser Punkt soll das Walrof noch mehr von der Gruppe der Phocaceen entfernen. Zu _ seiner Anschauung gelangt MALMGREN, indem er die echten Backzahne vom Walrof als Milchpraimolaren ansieht und der Meinung ist, daf sie mit den echten Backzihnen der Pinnipedier nicht zu homologisieren seien. Daf diese Auffassung ganz falsch ist, wird ohne weiteres aus meinen Ausfiihrungen ersichtlich. Aus der Bezahnung lift sich fiir die Stammesgeschichte des Walrosses meines Erachtens nach nur eines folgern, daf naimlich seine Abzweigung vom Pinnipedierstamme bereits zu einer Zeit erfolgte, als diese im Unterkiefer noch 3 Schneidezahne besafen. Wahrend sich in dieser Gruppe die Zahl der Unterkieferzahne aus irgend welchem ganz bestimmten physiologischen Grunde auf zwei verminderte, fehlte die gleiche Ursache bei dem Walrosse, dessen Schneidezihne keine oder nur ganz geringe Funktionen zu erfiillen haben, und es kommen nach wie vor alle drei Schneide- zihne zur Anlage wie zu einer gewissen Ausbildung. Es ist hier wieder einmal ein lehrreiches Beispiel fiir die Erscheinung ge- geben, daf} Organe, welche rudimentiir werden, ohne dafi irgend eine neue Inanspruchnahme zu anderer Funktion an sie herantritt, sich immer wieder embryonal anlegen. Einen ganz ahnlichen Fall kennt man in dem Auftreten der fétalen Bartenwalzihne, welche stets aufs neue wieder embryonal erscheinen, ohne daf es zur Ausiibung der geringsten Funktion kame. Ks wiirde eine grofe Liicke in vorliegender Arbeit bilden, wenn ich nicht zur Vergleichung die Entwickelungsgeschichte der Bezahnung irgend eines anderen fischfressenden Pinnipediers heran- zoge, und ich habe dazu das embryonale GebifS der Phoca groenlandica gewahlt. Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 97 2. Zur Entwickelungsgeschichte des Gebisses der Phociden. Wahrend iiber den Zahnwechsel der Otariiden schon seit langer Zeit Angaben in der Litteratur existieren, erhielt man von dem der Phociden erst genauere Kunde durch die Arbeit von STEENSTRUP!). Nur Owen ”) hatte vordem ganz allgemein ange- geben, da’ bei manchen Robben 3 Milchbackzaihne vorkimen, und LILLJEBORG *) hatte ein neugeborenes Junges von Halichoerus grypus untersucht, welches aber die erste Dentition verloren hatte. Aber erst durch Sternstrup wurde die Frage nach dem Zahn- wechsel von Phoca barbata, Phoca groenlandica und Phoca hispida entschieden. Gemeinsam ist allen diesen Tieren, daf der Zahnwechsel sehr friihzeitig vor sich geht, und daf ein paar Wochen nach der Geburt bereits die zweite Dentition voll- kommen durchgebrochen ist. Die Zahne der ersten Dentition bleiben sehr klein und werden zur Zeit der Geburt resorbiert. 3—3 1—1 3—3 2—2? 1—1’ 3—3? 3—3 1—1 5—5 2—2’ 1—1’ 5—5’ Auf den eigentiimlichen Befund Strenstrur’s an dem Schidel einer neugeborenen Barterobbe komme ich spater zuriick und will hier nur betonen, daf bei allen drei untersuchten Arten die Pra- molaren der ersten Dentition P., P, und P, sind, daf also der erste Pramolar sowie der letzte Molar nur in einem Zahnsatze vorkommen sollen. Fir Phoca barbata vermag ich das Vor- kommen der 3 Milchbackzéhne, wie ich vorausgreifend bemerken will, an einem kurz vor der Geburt stehenden Embryo ebenfalls zu bestatigen. Ungefihr gleichzeitig mit SrzEmnsTRUP veréffentlichte Die Zahnformel fiir das Milchgebif} lautet: wihrend fiir die zweite Dentition folgende gilt: 1) J. Sreensrrur, Maelketandsaettet hos Remmesaelen, Svartsiden og Fjordsaelen (Phoca barbata O. Fasr., Ph. groenlandica O. Fasr. og Ph, hispida Scures.) og i Anledning deraf nogle Bemaerkninger om Tandsystemet hos to fossile Slaegter (Hyaenodon og Pterodon) Vidensk. Meddelelser fra den Naturh, Forening, Kjébenhayn 1860, p. 251. 2) Owen, Odontography, I, p. 506. 3) Litisesore, Bidrag till kinnedomen om tandémsningen hos Otaria och Halichoerus. Arskrift Kgl. Vetenskaps Societeten, Upsala, Argangen, 1860, p. 300. Bd. XXVIII. N. F. XX!, 7 98 Willy Kikenthal, v. NorpMANN!) Untersuchungen tiber den Zahnwechsel von H ali- choerus grypus, in denen er zu den gleichen Resultaten kam. Auch bei Halichoerus finden sich also nur 3 Milchpraimolaren in jeder Kieferhalfte, und zwar fiir den zweiten, dritten und vierten Pramolar, wihrend der erste und der fiinfte Backzahn nur ein- mal auftreten. Ganz das Gleiche fand Rernnarpt*) bei Cysto- phora cristata, so da also fiir die Genera Phoca, Hali- choerus und Cystophora als sicher folgende Formel fiir das : «7 ,, O38 1—1 3—3 Milchgebif gilt: 99 Top 33 drei Milchprémolaren den drei mittleren Backzihnen entsprechen. Weitere Bestatigungen kamen fiir das Milchgebif von Phoca vitulina von DE GAveERE?), fir Macrorhinus leoninus von FLOWER‘), fiir das von Otaria pusilla und Phoca vi- tulina von P. J. vAN BENEDEN °), der im Oberkiefer 3, 1, 3 Milch- zihne, im Unterkiefer 3, 0, 3 auffand, es aber unentschieden labBt, ob nicht der letzte Incisivus des Unterkiefers vielmehr der Cani- nus ist. Von grofem Interesse ist TAUBER’s *) Untersuchung an einem groferen Embryo von Phoca barbata. Tauser fand ein Milch- wobei zu bemerken ist, daf die gebif’, welches durch folgende Formel ausgedriickt wird: 1—1 4—4 1-1 4-4 molaren der ersten Dentition vorhanden, und zwar war in diesem Falle auch der erste Primolar vertreten, dessen Milchzahnanlage zwar sehr rudimentir, doch aber deutlich vorhanden war. Hinter den vier Milchprimolaren befanden sich die Anlagen von zwei 2—2’ Es waren also hier nicht drei, sondern vier Pra- 1) A. v. Norpmann, Das Gebi8 von Halichoerus grypus und Phoca anellata, Paliontologie SiidruBlands, MHelsingfors 1860, p. 306—308. 2) J. Rernnarpt, Om Klapmydsens ufédte Unge og dens Melke- tandsaet, Vidensk. Medd. Naturh. Foren. Kjébenhavn, 1864—65, p. 248. 3) pE Gaverr, Het gebit der vinfoetige Zoogdieren“, Akademisk. Proveskrift, Groningen 1864 (citiert nach Santer |, c. p. 279). 4) Frowrr, Remarks on the homologies and notation of the teeth of the mammalia, Journ. of Anat. and Physiol. III, 1869, p. 262. 5) P. J. van Benepen, Sur les dents de lait de |’ Otaria pusilla, Bull, Ac. Royal Belgique, 2. Sér., Tom. XXXI, 1871, p. 64. 6) P. Tavser, Om Tanddannelse og Tandskifte hos Hvirveldyrene: lagttagelser og Bemaerkninger, Naturhist. Tidskrift, Kjébenhayn 1875, p. 510. Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 99 echten Molaren, von denen der erste bedeutend stirker entwickelt war als die Anlagen der Priimolaren zweiter Dentition. Die An- lage des sechsten Backzahnes, welche sich sowohl im Ober- wie im Unterkiefer jederseits vorfand, war sehr klein, von der Anlage des fiinften Zahnes nicht durch eine verkalkte Alveolarwand ge- trennt und hatte ein kleines Dentinscherbchen entwickelt. TAuBER schlieSt daraus, daf die Zahnformel nicht nur fir Phoca groen- landica, sondern tiberhaupt fiir die echten Phocaceen lauten 3—3 1—1 4-4 2-2 1—1’ 1—1’ 4—4 2-2" Gegen diese Auffassung wendet sich in einer ein paar Jahre darauf erschienenen Arbeit SAHLERTz '), welcher TAUBER die Be- rechtigung abspricht, aus dem einen Befunde so weittragende Schliisse abzuleiten. ,,Wenn TauseEr’s Art Schliisse daraus zu ziehen erlaubt ist, so glaube ich, da8 es notwendig sein wird, die normale Zahnformel fiir eine Menge verschiedener Arten aus ver- schiedenen Gruppen zu verandern; denn Anomalien mit iiber- zahligen Backzihnen kommen natiirlich auch auferhalb der Ord- nung der Seehunde vor, und auferdem finden sich iiberzahlige Backzihne an vielen anderen Stellen des Kiefers als gerade hinten, sowohl bei Seehunden, wie diese Beobachtungen zeigen, als auch bei anderen Tieren.‘“* Auf die von SAnLERTZ beschriebenen Gebi8’- anomalien, welche er bei verschiedenen Seehunden aufgefunden hat, werde ich spater noch zuriickkommen, ebenso auf die in gleicher Richtung angestellten Untersuchungen von BATESON ”) und von mir °). Aus der von mir mitgeteilten Litteraturiibersicht ergiebt sich zunichst, daf eine entwickelungsgeschichtliche Untersuchung der Seehundsbezahnung bis jetzt aussteht, und ferner, da’ sehr wichtige Fragen der Homologisierung noch der Lésung harren. Als Haupt- objekt meiner eigenen Studien wahlte ich drei verschieden grofe Embryonalstadien von Phoca groenlandica; den Kopf des kleinsten Embryos zerlegte ich in eine Serie von Frontalschnitten, von den beiden gréferen Stadien stand mir je ein Unterkiefer zur mul: 1) J. Santertz, Om nogle Anomalier i Saelernes Tandsaet, Vi- densk. Meddelels. Naturh. Forening Kjébenhayn, 1877—78, p. 291. 2) Barseson, On numerical variation in teeth, with a discussion of the conception of homology, Proc. Zool. Soc. London, 1892, P. I. 3) 1. ¢. Denkschriften der Med.-anat. Ges. Jena, III. Bd., 1898. 1% 100 Willy Kikenthal, Verfiigung, die ebenfalls in Querschnitte zerlegt wurden. Ich be- ginne mit der Beschreibung der Schnittserie durch den Kopf des jiingsten Embryos. An dessen Oberkieferspitze findet sich vorn eine mittlere sehr breite Epitheleinsenkung, welche sich jederseits am Kiefer entlang als eine Epithellamelle nach hinten fortzieht; wir haben hierin die solide Anlage der Lippenfurche vor uns. Von derselben Basis entspringend, wie die Lippenfurche, aber schrig nach innen ziehend, findet sich eine zweite Epithellamelle jederseits: die Zahnleiste. Die erste Zahnanlage entsteht seitlich nach aufen von der Zahnleiste als ein Schmelzorgan, welches bereits das kappenformige Stadium erreicht hat und anfangt Schmelz- pulpa im Innern auszubilden. Das freie, nach innen verlaufende Zahnleistenende ist deutlich vorhanden. Die kleine Zahnpapille ist noch dentinfrei, und ebenso fehlt noch die Schmelzablagerung. In gleicher Weise legen sich zweiter und dritter Schneidezahn an, letzterer weist die gréfte Anlage auf. Die Anlage des Eckzahnes unterscheidet sich von den vorher- gehenden besonders durch die erheblichere Lange der Zahnpapille. Die Zahnleiste erscheint auf den Querschnitten als ein ziemlich starker Strang, welcher, von der Lippenfurche entspringend, um die Zahnanlage herum und mit ihr in Verbindung stehend, sich nach innen von letzterer begiebt und mit abgerundeter Kante endigt. Verdstelungen sind so gut wie keine wahrzunehmen. In dem darauf folgenden Zwischenraum zwischen Eckzahn und erstem Pramolar verktirzt sich die Zahnleiste ganz betrichtlich und liegt dicht unter der Oberfliche des Mundschleimepithels als ein im Querschnitt rundlicher Strang. Merkwiirdig zuriickgeblieben ist die Anlage des ersten Pri- molaren, die noch auf dem kolbenférmigen Stadium steht und sich als eine kugelige Auftreibung der Zahnleiste darstellt, noch ohne jede Spur der Anlage einer Zahnpapille. Hinter der Anlage behalt die Zahnleiste noch eine Strecke weit ihre Lage und ge- ringe Dicke bei und liefert dann die etwas gréSere Anlage des zweiten Prémolaren, an dessen Schmelzorgan sich bereits eine EKinbuchtung und darunter liegend eine fiache Zahnpapille zeigt. Von einem freien Zahnleistenende ist weder bei dieser noch bei der ersten Primolaranlage etwas zu sehen. Wohl aber zeigt es sich bei dem darauf folgenden dritten Primolaren, dessen Schmelz- organ etwas weiter entwickelt ist, wie auch die Papille an Gréfe zugenommen hat. Von jetzt an gewinnt die Zahnleiste wieder etwas an Aus- Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 101 dehnung, und seitlich nach aufen von ihr setzt sich die Anlage des vierten Primolaren an, etwa in der gleichen Gréfe wie die Anlage von Priimolar 3. Irgend welche Differenzierung des unteren Zahnleistenendes von der Zahnanlage ist in diesem Stadium nicht zu bemerken, die Zahnleiste bildet noch die innere Wand des Schmelzorganes. Auer der Anlage des vierten Backzahnes findet sich noch keine weitere Zahnanlage vor, die Zahnleiste lauft ein kurzes Stiick weiter nach hinten, einen kompakten Strang bildend, und verschwindet darauf. Die Untersuchung der Zahnanlagen des Unterkiefers in diesem Stadium ergab die gleiche Entwickelungsstufe. Vorn an der Spitze senkt sich eine breite Epithellamelle in die Tiefe, die sich nur sehr unvollkommen in eine erste Anlage der Lippenfurche und in die Zahnleiste differenziert hat. Die beiden Schneidezahnanlagen stehen auf dem kappenfoérmigen Stadium, eine Differenzierung des freien Zahnleistenendes ist noch nicht eingetreten. Groéfer ist die Eckzahnanlage, hier findet sich die Zahnleiste etwas isolierter vor (siehe Fig. 9), sie behalt auch in der Zahnanlage ihr freies Ende. Der Primolar ist im ersten Entwickelungsstadium, er stellt nur eine kolbige Verdickung der im Querschnitt jetzt rundlichen Zahnleiste dar. Der nun folgende Pramolar 2 ist gréBer, im kappenformigen Stadium und mit flacher Zahnpapille versehen. Die Zahnleiste bildet noch durchweg die innere Wandung des Schmelzorganes. Bei Primolar 3 dagegen ist schon die schwache Andeutung einer Isolierung der Zahnleiste von dem Schmelzorgan angedeutet, und ein ganz dhnliches Bild zeigt die Anlage des Primolaren 4, der die letzte Zahnanlage darstellt (Fig. 10). Kurz darauf ver- schwindet die Zahnleiste. Wir gehen nunmehr zur Betrachtung der Zahnanlagen eines ‘alteren Stadiums von 13 cm Linge tiber. Eine durch den Unter- kiefer gelegte Querschnittsserie beginnt mit den beiden Schneide- zahnanlagen, welche bereits eine deutliche Dentinkappe besitzen. Seitlich nach innen von jeder Anlage verliuft die Zahnleiste als kompakter Strang. Zwischen den einzelnen Zahnanlagen ist die Zahnleiste bedeutende Verinderungen eingegangen, indem sie sich in ein zusammenhingendes Netzwerk diinner Epithelstrange auf- gelist hat. Mit der Eckzahnanlage ist insofern eine Veranderung eingetreten, als sich die Zahnleiste, welche in dem jiingeren Sta- dium (siehe Fig. 9) noch fast vollkommen mit dem Schmelzorgan der Zahnanlage verschmolzen war, hier véllig isoliert hat und 102 Willy Kiikenthal, nur an einer Stelle durch eine diinne Epithelbriicke mit dem Schmelzorgan verbunden ist (Fig. 11). Am Ende der Zahnleiste findet sich das Schmelzorgan des Ersatzzahnes, welches auf dem kappenformigen Stadium steht und eine bereits ganz ansehnliche Zahnpapille umfaBt. Die Anlage des Eckzahnes erster Dentition ist schon weit vorangeschritten. Am Schmelzorgan hat sich be- sonders das innere Schmelzepithel stark ausgebildet. Es be- steht aus sehr langen cylindrischen Zellen, in deren duferem Ende der ovale Kern liegt. Die Abscheidung von Schmelz hat bereits begonnen (Fig. 12). Von den itibrigen Schichten des Schmelzorganes ist nicht mehr viel zu sehen, nur an der Stelle, wo sich das Schmelzorgan mit der Zahnleiste in Verbindung setzt, findet sich etwas Schmelzpulpa vor. Das auSere Schmelzepithel ist fast durchweg rudimentir geworden, und die umgebenden Bindegewebszellen treten vielfach direkt an das von ein paar Zell- lagen des Stratum intermedium iiberdeckte innere Schmelzepithel heran. Das auf den Eckzahn folgende Stiick Zahnleiste liegt ziemlich dicht unter der Mundhéhlenoberfliche und ist von geringer Aus- dehnung. Die Anlage des ersten Pramolaren ist auch hier noch sehr weit zuriick und repriasentiert sich nur als eine rundliche kompakte Anschwellung der Zahnleiste, noch ohne Andeutung einer Einstiilpung. Die Anlage des zweiten Pramolaren ist dagegen sehr viel gréBer, besitzt ein machtig entwickeltes Schmelzorgan mit ausgedehnter Schmelzpulpa und weist nach innen zu ein Stiick kompakter Zahnleiste auf, welches weit nach unten verlauft (Fig. 13). Ganz ahnlich, nur noch gréfer zeigt sich die Anlage des dritten Primolaren. Die Zahnleiste stellt eine schrig nach innen verlaufende Lamelle dar, von der hier und da ganz kurze Sprossen abgehen. In keiner Weise unterscheidet sich von den friiheren Anlagen die des vierten Primolaren. Ebenso wie bei den vorhergehenden Praimolaren verlauft auch bei ihm, seitlich nach innen von der Zahnanlage die Zahnleiste in die Tiefe und bildet im Querschnitt einen starken, unten abgerundeten Strang, dessen oberer Teil mit dem Schmelzorgan der aufen liegenden Zahnanlage in Verbindung tritt. Bei der letzten Zahnanlage, der des ersten Molaren, welche hier zum erstenmale auftritt, ist die Zahnleiste noch in innigerer Verbindung mit dem Schmelzorgan, doch beginnt sie auch hier sich zu differenzieren und zeigt bereits ein ganz kurzes freies Ende. Die Anlage dieses letzten Backzahnes ist betrachtlich Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 103 kleiner als die der vorhergehenden, auch fehlt die Schmelz- und Dentinbildung noch vollkommen (Fig. 14). | Die Weiterentwickelung des Gebisses studierte ich an Quer- schnitten durch den Unterkiefer eines gréferen Embryos von 25 cm Lange, der zwar unbestimmt war, aber héchst wahrschein- lich derselben Art angehorte. Der erste Schneidezahn, mit dessen Anlage wir wiederum beginnen wollen, zeigt eine starke Dentinentwickelung, und ebenso ist die Bildung des Schmelzes weit vorangeschritten. Das Schmelz- organ hat die Schmelzpulpa verloren und besteht nur noch aus dem inneren Schmelzepithel und einigen Reihen Zellen des Stratum intermedium. Eine sehr auffallige Veranderung zeigt die Zahn- leiste, welche durch auferst zahlreiche Sprossen ein netzformiges Aussehen erlangt hat. An ihrem unteren freien Ende hat sich die erste Anlage des Ersatzzahnes ausgebildet, freilich noch auf einer niederen Stufe der Entwickelung stehend. Es ist nichts anderes als eine machtige, kompakte Epithelmasse, ohne Spur von innerer Differenzierung, an deren unterem Rande eine leichte EKin- buchtung bemerklich ist (Fig. 15). Ganz ahnlich verhilt sich die Anlage des zweiten Schneidezahnes, auch hier findet sich nach innen von ihm am Ende der Zahnleiste eine aus kompakter Epithel- masse gebildete Ersatzzahnanlage vor. Der Eckzahn ist machtig entwickelt, sein Schmelzorgan stark reduziert. Die Zahnleiste, welche nur noch durch einen diinnen seitlichen Strang mit dem Schmelzorgan in Verbindung steht, setzt sich in netzformiger Auflésung in die Tiefe fort, wird weiter unten kompakter und endigt in dem Schmelzorgan des weit vorge- schrittenen Ersatzzahnes. Letzterer ist, wie Fig. 16 zeigt, bereits sehr vollkommen entwickelt, an der Spitze seiner langen Zahn- papille hat sich bereits ein Dentinscherbchen abgelagert. Das Schmelzorgan enthalt die Schmelzpulpa in starker Ausbildung. Was in vorliegendem Falle von besonderem Interesse ist, ist das Verhaltnis der Zahnleiste zu dieser Ersatzzahnanlage. Letztere befindet sich nimlich nicht am Ende der Zahnleiste, sondern seit- lich nach aufen davon, und die Zahnleiste setzt sich noch ein Stiick nach unten fort. In dieser Anlage sehen wir die Méglichkeit der Entwickelung einer dritten Dentition. Auf der dem Eckzahn folgenden Strecke zieht sich die Zahn- leiste mehr unter das Mundhéhlenepithel zuriick und stellt hier ein Gewirr netzformig verbundener Epithelsprossen dar (Fig. 17). 104 Willy Kikenthal, Die Anlage des ersten Priémolaren ist zwar klein, steht aber doch schon auf einer héheren Stufe der Entwickelung. Auf der Spitze der Papille hat sich ein Dentinscherbchen ausgebildet, wahrend das Schmelzorgan noch in vollster Entfaltung steht und besonders cine voluminése Schmelzpulpa aufzuweisen hat. Die Zahnleiste bildet die innere Wand des Schmelzorganes, besitzt aber bereits ein unteres freies Ende (Fig. 18). Noch ist zu bemerken, daf sich nach aufen von der Zahnanlage ein starker Strang von der Zahnleiste abzweigt, der in einer Anschwellung endigt. Die Kleinheit und das verzégerte Wachstum des ersten Pramolaren bei den Pinnipediern ist wohl darauf zuriickzufiihren, daf bei ihren carnivorenartigen landlebenden Vorfahren der Eckzahn noch viel starker entwickelt war, und dadurch die Funktion des dahinter liegenden ersten Backzahnes bedeutend herabgemindert wurde, ein Verhalten, welches wir ja bei den jetzt lebenden Carnivoren eben- falls beobachten kénnen. Bedeutend gréfer ist die Anlage des zweiten Pramolaren, bei dem auch bereits die Abscheidung von Schmelz begonnen hat. Das Schmelzorgan ist im wesentlichen auf das sehr hohe innere Schmelzepithel reduziert, tiber dem nur einzelne Zellen des Stratum intermedium lagern. Die Verbindung mit der Zahnleiste ist sehr undeutlich geworden, letztere lauft an der Innenseite der Zahn- anlage entlang und endigt mit starker kolbenformiger Anschwellung, die an ihrer unteren Seite zwei wellenformige Kinbuchtungen zeigt. Wir haben hier den Ersatzzahn zu Praémolar 2 vor uns. An dieser Zahnanlage des Pramolaren 2 tritt nun eine eigentiimliche Erscheinung auf, die nur als eine jener ,,Anomalien“ gedeutet werden kann, wie sie in Robbengebissen so haufig sind. Nachdem die Zahnanlage der ersten Dentition dieses Pramolaren fast aus den Bildern verschwunden ist, tritt von neuem eine Zahnanlage auf, mit ersterer derart in Kontinuitat, da die Dentinkappen beider zusammenhangen. Diese accessorische Zahnanlage erreicht eine noch bedeutendere Entwickelung als die vor ihr liegende. Das gesamte, aus beiden verschmolzenen Zahngebilden bestehende Produkt erreicht die doppelte Langenausdehnung des darauf folgenden dritten Praimolaren. Sehr eigentiimlich verhalt sich hier die Zahnleiste. Nachdem sie den bereits erwahnten Ersatz- zahn zum zweiten Primolaren geliefert hat, kehrt sie zu ihrem friiheren Umfang zuriick, um dann seitwirts von der accessorischen Zahnanlage nochmals anzuschwellen und eine weitere Ersatzzahn- Entwickelungsgeschichtl, Untersuch. am Pinnipediergebisse. 105 anlage auszubilden, die ebenfalls an ihrem unteren Rande bereits eingebuchtet ist und eine kleine Zahnpapille umfaf't. Wir haben also statt eines einheitlichen zweiten Primo- laren ein Gebilde vor uns, welches in der ersten Dentition aus zwei miteinander durch eine schmale Briicke verbundenen Zahn- anlagen besteht, die aber verschmolzen sind, wahrend ihre deutlich ausgebildeten Ersatzzahnanlagen vollkommen und durch einen weiten Zwischenraum voneinander getrennt sind. Vergegenwirtigen wir uns die Befunde, welche ich in einer friiheren Arbeit 1) iiber die ziemlich haufig vorkommende Vermehrung der Zahnzahl nieder- gelegt habe, so kann es uns nicht zweifelhaft sein, daf auch hier eine solche Vermehrung im Entstehen begriffen ist. In der ersten Dentition sind beide Zahngebilde miteinander verschmolzen, in der zweiten vollkommen voneinander getrennt, und es ist jetzt embryologisch verstaindlich, daf, wenn die zweite Dentition zum Durchbruch kommt, leichtlich der Fall eintreten kann, daf die beiden Ersatzzaihne, die ich P’,a und P’,b nennen will, in ihrer Entwickelung auch spater getrennt bleiben, und da8 also an Stelle eines einheitlichen Zahngebildes deren zwei auftreten. Ich werde spéter noch einmal darauf zuriickzukommen haben. Wahrend sich an dem Doppelzahne Primolar 2 eine Differen- zierung der Zahnkrone in einzelne Hocker noch nicht deutlich nachweisen lief, ist dies der Fall beim Pramolar 3. An der An- lage dieses Backzahnes kann man deutlich einen gréferen Mittel- hécker und je einen davor und dahinter liegenden kleineren Hocker unterscheiden. Die Zahnleiste hingt mit dem _ teilweise riickge- bildeten Schmelzorgan nur an einer Seite durch eine diinne Briicke zusammen, an ihrem freien Ende bildet sie den auf dem kolben- formigen Stadium stehenden Ersatzzahn. Wir kommen nunmehr zur Anlage des vierten Pramolaren, von dem uns Fig. 19 ein Querschnittsbild liefert. Hier sehen wir die grofe Zahnanlage, welche an ihrer Spitze eine ansehnliche Dentinkappe abgelagert hat, umgeben von dem noch intakten Schmelzorgan, welches zu beiden Seiten der Zahnspitze noch Schmelzpulpa enthalt. Auch die Ablagerung von Schmelz hat bereits begonnen. In Zusammeuhang mit der Zahnleiste steht das Schmelzorgan nur 1) Vergl. anat. und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Waltieren, 2. Teil, Kap. VI, p. 444. Denkschriften der Med.- naturw. Gesellschaft in Jena, III. Bd. 106 Willy Kiikenthal, durch einen diinnen Strang, welcher beide miteinander ver- bindet. Die Zahnleiste selbst ist eine durchaus kompakte Lamelle, die an der Innenseite der Zahnanlage entlang in die Tiefe verlauft und seitlich und etwas nach hinten zu von ihr eine ganz machtige Anschwellung zeigt, die als nichts anderes als die Ersatzzahnanlage zum Pramolaren 4 aufgefaft werden kann. Recht interessant ist die Anlage des ersten Molaren. Hier nimmt das Schmelzorgan der etwas kleineren Zahnanlage zwar teilweise die Zahnleiste als innere Wandung auf, die letztere hat aber bereits einen ganz ansehnlichen freien unteren Teil, der im hinteren Teil der Zahnanlage von ihr getrennt und parallel mit ihr in die Tiefe verlauft (Fig. 20). Wenn es auch nicht zur An- lage eines Ersatzzahnes kommt, so ist doch auch hier wie bei den vorhergehenden Primolaren die Zahnanlage im wesentlichen der ersten Dentition zuzurechnen. Ob sich hier die Zahnleiste noch weiter von dem Schmelz- organ differenziert, oder ob sie auf diesem teilweise verschmolzenen Zustande verharrt und in ihrem freien Ende zu Grunde geht, ver- mag ich auf Grund meines Materiales nicht zu entscheiden, halte es aber fiir unwesentlich gegeniiber der Feststellung der Thatsache, daf der erste echte Molar ebenfalls zu derselben Serie gehért, wie die vorhergehenden Anlagen, namlich zur ersten Dentition, und sich morphologisch nur dadurch von ihnen unterscheidet, daf in der inneren Wandung scines Schmelzorganes ein Teil des Materiales mitenthalten ist, welches bei den Pramolaren den Ersatzzahn liefert. Auf Fig. 20 sieht man iibrigens einen starken, kolbigen Ast auch nach aufen von der Zahnanlage abgehen. Wir haben schon ofter im Laufe dieser Untersuchung Gelegenheit gehabt, derartige vor der Anlage der ersten Dentition verlaufende Sprossen zu be- schreiben, und ich glaube, daf{ man auch hier daran denken kann, diese Epithelsprossen als rudimentaére Anlagen einer urspriinglich vor der ersten Dentition vorhandenen Zahnserie aufzufassen. Der hinter der Anlage des ersten Molaren gelegene Rest der Zahnleiste verschwindet bald, nicht ohne vorher noch eine kleine Anschwellung geliefert zu haben, die man als die rudimentire An- lage eines vierten Molaren aufzufassen hat. Daf wir hier eine rudimentaire Anlage vor uns haben, laft sich an dem auftretenden Degenerationsprodukt, einer grofen Epithelperle, erkennen. Ver- gegenwartigen wir uns, daf, wie bereits von friiheren Forschern hervorgehoben ist, eine Variabilitat in der Zahnzahl bei Robben Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 107 dadurch eintreten kann, da8 sich ein sechster Backzahn am hinteren Ende der Zahnreihe entwickelt, so kénnen wir verstehen, daf dieser letzte Backzahn sich noch embryonal anlegt, hier gew6hnlich aber nicht zur Ausbildung kommt, sondern sehr frihzeitig rudimentar wird. Es ist natiirlich noch nicht bewiesen, daf sich die mehr oder weniger rudimentire Anlage eines solchen sechsten Back- zahnes konstant in allen Seehundsgebissen findet, sondern vielmehr bis jetzt nur in dem einen vorliegenden Falle, sowie bei einem Embryo von Phoca barbata von Tauser konstatiert. Spateren Untersuchungen muf es vorbehalten bleiben, festzu- stellen, ob sich die Anlage des sechsten Backzahnes konstant im See- hundsgebisse vorfindet. Ich halte es deshalb nicht fiir unwahr- scheinlich, weil an den beiden einzigen gréferen Embryonen, welche daraufhin jetzt untersucht worden sind, diese Anlagen nachgewiesen werden konnten. Fassen wir die Resultate unserer entwickelungsgeschichtlichen Beobachtungen an diesen 3 verschieden grofen Embryonalstadien mit den in der Litteratur enthaltenen Angaben zusammen, so er- giebt sich folgendes: Was zunachst die Form der Zahne anbetrifft, so zeigt die Entwickelungsgeschichte, daf die Ausbildung der seit- lichen Hocker, welche wir an den Backzihnen des erwachsenen Tieres treffen, erst in eine spitere Embryonalzeit fallt. Die beiden jingsten Stadien zeigen noch keine Spur davon, und erst im dritten Stadium treten sie auf. Ferner tritt bei den Pinnipediern die eigentiimliche Erscheinung ein, daf die erste Dentition schon sehr frihzeitig — fast stets intrauterin — verschwindet. LecHE!) hat bereits ausgefiihrt, daf bei den Formen, welche durch eine stirkere Vereinfachung ihrer Backenzéihne sich dem homodonten Typus am meisten nahern (Halichoerus, Cystophora und Macrorhinus) die erste Dentition viel schwacher ist als bei Phoca, daf also Homodontie und Monophyodontismus Hand in Hand gehen. Doch kann ich ihm nicht vollkommen beipflichten, wenn er schreibt: ,,Falls nim- lich die eine Zahngeneration oder das Zahnsystem iiberhaupt tiber- fliissig oder von untergeordneter Bedeutung geworden ist, kénnen wir uns keine Ursache — aufer Funktionswechsel und ganzlich verschiedener Nahrungsart beim jungen und alten Tiere — denken, welche das Auftreten der anderen Zahnreihe erfordern kénnte. Vielmehr beobachten wir, wie das eine Gebif in demselben MaBe 1) Le p. 541. 108 Willy Kikenthal, rudimentir wird und schwindet, als das persistierende Gebifi der regressiven Entwickelung anheimfallt.““ Der Grund, weshalb Hom- odontie und Monophyodontismus gleichzeitig auftreten, scheint mir vielmehr fiir die Zahnwale und Pinnipedier in erster Linie darin zu liegen, daf ein Zahnwechsel die Fahigkeit, ihre Nahrung zu erbeuten, in hohem Mafe einschranken mite. Bei beiden Ord- nungen fischfressender Sdugetiere ist durch das Auftreten der Homodontie zwar bekundet, daf den einzelnen Zahnen keine Spezialfunktionen mehr zukommen, es ist damit aber nicht gesagt, da8 das Gebif rudimentér zu werden braucht. An Stelle der Spezialfunktionen tritt fiir alle Zihne eines derartigen Gebisses eine neue gleichartige Funktion, namlich die glatte Beute zu ergreifen und festzuhalten, und in Uebereinstimmung mit dieser einheitlichen Funktion gewinnen auch die einzelnen Zihne einheitliche Gestalt. Die Bedeutung eines solchen Gebisses beruht also jetzt auf der vollkommenen Gleichartigkeit seiner Komponenten. Ein eintretender Zahnwechsel wiirde diese Gleichartigkeit im empfindlichsten Mafe stéren und damit das gesamte Gebif fiir einige Zeit fast funktions- los machen. Ich betrachte daher die Erscheinung, daf ein Zahn- wechsel unterbleibt, als direkt mit der Funktion des homodonten Gebisses zusammenhangend. Andererseits will ich nicht bestreiten, daf eine Riickbildung des Gebisses leichter von einem homodonten als von einem heter- odonten Gebisse seinen Ausgang nehmen kann, da im ersten Falle nur eine einzige Funktion der Bezahnung in Betracht kommt und diese leichter von anderen Teilen der Mundhohle, z. B. den Kiefer- randern, tiibernommen werden kann. Es entsteht nun die weitere sehr wichtige Frage, weshalb in dem einen Falle, bei den Zahnwalen, die erste Dentition, im anderen, bei den Pinnipediern, die zweite Dentition zur vollen Entfaltung kommt. Zur Entscheidung ist der phylogenetische Gesichtspunkt mafgebend. Bei den Alteren Saugetieren hat die erste Dentition das Uebergewicht tiber die zweite und kann ganz oder teilweise persistieren, bei den héheren Formen beginnt die zweite Dentition zu dominieren, und die erste hat nur eine kurze Funktionsdauer. Da nun die uns unbekannten Vorfahren der Zahnwale auf jeden Fall sehr primitive Siugetiere gewesen sind, so ist es erklairlich, wenn bei den Odontoceten die erste Dentition persistiert, die Pinnipedier dagegen haben sich in viel spaterer Zeit von hoher organisierten carnivorenadhnlichen Vorfahren abge- zweigt und haben wie diese eine starker ausgebildete zweite Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 109 Dentition. Ein Umstand, welcher den Zahnwechsel bei letzteren noch im embryonalen Leben begiinstigt, ist die lange Dauer der Tragzeit und die enorme GréSe der Jungen, welche bei Hali- choerus grypus z. B. bei der Geburt iiber die Halfte der Groéfe der Mutter erreichen. Die kurze, héchstens 3—4 Wochen dauernde Siugeperiode fallt demnach gerade in die Zeit, in welcher die erste Dentition bereits verschwunden, die zweite im Durch- brechen begritfien ist. Wie bei allen anderen Saugetieren erfolet auch bei den Pinni- pediern die Anlage der ersten Dentition seitlich nach aufen von der Zahnleiste, welche zuerst eine kompakte, senkrecht zur An- lage der Lippenfurche stehende Epithellamelle darstellt, spater durch starke Wucherungen in ein Netz verschlungener Epithel- strange sich auflést. Die Anlage des ersten Molaren verzégert sich etwas gegenitiber der der vorhergehenden Zahne, in 4Alteren Stadien legt sich (ob allgemein?) ein zweiter Molar an, der ge- legentlich zum Durchbruch kommt, meist aber resorbiert wird. Sehr stark verzégert erscheint die Anlage des ersten Pramolaren, der in den beiden ersten Stadien noch auf dem kolbenférmigen Stadium steht, wahrend die anderen Zihne bereits einen viel héheren Ausbildungsgrad erreicht haben. Der haufigen Angabe gegentiber, daf der erste Primolar nur in der zweiten Dentition vorkomme, ist daraufhin zu verweisen, da seine wohlausgebildete Anlage, welche sich in meinem gréfSten Stadium vorfindet, der ersten Dentition zugehért, was unwiderleglich daraus hervorgeht, daf seitlich nach innen von ihr sich die freie Zahnleiste ein Stiick fortsetzt. Daf es auch zum Zahnwechsel beim ersten Primolaren kommt, scheint mir aus Tauser’s Angaben an einem ilteren Embryo von Phoca groenlandica hervorzugehen, wo im Inneren einer tiber dem Pramolar 1 zweiter Dentition liegenden Alveole ein kleines, quarzaihnliches Konkrement sich fand, welches mit Zellen des Schmelzorganes bedeckt war. Das scheint demnach der Rest des Primolaren 1 erster Dentition zu sein, welcher in meinem Stadium III noch vollkommen entwickelt ist (Fig. 18). Der Zahnwechsel erfolgt demnach intrauterin. Wir haben also bei den Phociden nicht, wie fast durchweg angegeben, drei Pra- molaren erster Dentition, sondern vier. Die Zahnformel fiir das Milehgebi® ist: 3S, 1, a. Eine weitere wichtige Frage ist die: Gehéren die echten Mo- laren der ersten oder der zweiten Dentition an? Bekanntlich 110 Willy Kikenthal, gehen die Ansichten dariiber sehr auseinander, und die vielen Widerspriiche, welchen wir in der Litteratur begegnet sind, sind auf die grofe Unsicherheit der Grundanschauungen zuriickzufihren. Die vorliegenden Praiparate von Phoca groenlandiCa zeigen unwiderleglich, daf einmal die echten Molaren nimmermehr der zweiten Dentition angehéren, wie von vielen Seiten angenommen, da ferner die Annahme einer dritten Dentition (WORTMAN) ganz iiberfliissig ist, sondern dafi sie vielmehr auf dieselbe Weise ent- stehen wie die vorausgehenden Primolaren erster Dentition, mit dem einzigen Unterschiede, daf es nicht zur Bildung eines eigenen Ersatzzahnes kommt. Die echten Molaren gehéren also im wesentlichen zur ersten Dentition. Der erste Molar bildet einen Uebergang von den Prémolaren zu dem zweiten Molaren. Wahrend bei dem zweiten Molaren das freie Ende der Zahnleiste, aus welchem sich der Ersatzzahn bildet, sich kaum noch von der Schmelzorgananlage differenziert, vielmehr dessen innere Wandung bildet, ist beim ersten Molaren diese Differenzierung des freien Zahnleistenendes (Fig. 20) viel deutlicher, wenn auch nicht so weitgehend wie bei den vorausgehenden Pra- molaren. Mit der beim ersten Molaren vorhandenen Anlage eines freien Zahnleistenendes ist die Méglichkeit der Ausbildung eines Ersatzzahnes gegeben, in welchem Falle also aus dem echten Molaren ein Primolar wiirde. Einen scharfen morphologischen Unterschied zwischen Pramolaren und Molaren kénnen wir daher nicht aufstellen, indem der erste Molar zwischen beiden einen Uebergang bildet. Es laft sich nur ganz allgemein sagen, daf das Material, welches beim Praimolaren zur Bildung des Schmelz- organes des Ersatzzahnes verwandt wird, sich beim echten Mo- laren nur unvollkommen oder gar nicht von der Zahnanlage differenziert, sondern zur Innenwand des Schmelzorganes wird. Es besteht also die nach innen gelegene Wand des der ersten Dentition angehérigen Schmelzorganes eines echten Molaren aus dem Material — der unteren Zahnleistenstrecke — aus welchem bei den Pramolaren die Ersatzzahnanlage gebildet wird. Wenn wir von dem von mir in friiheren Arbeiten entwickelten, durchaus berechtigten Gedanken ausgehen, daf das Gebif der Siugetiere zu homologisieren ist mit dem in mehreren Dentitionen aufeinander folgenden Gebisse von reptilienahnlichen Vorfahren, so werden wir fiir die echten Molaren zu dem Schlusse kommen, daf} hier nur eine Dentition zur vollkommenen Anlage kommt, und die anderen unterdriickt worden sind, indem das Material, aus Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 111 dem sie sich hatten bilden kénnen, mit zur Bildung der einmaligen Zahnanlage verwandt worden ist. Es ist also eine Verschmelzung der Anlage der ersten Dentition mit dem Keime, welcher die fol- gende Dentition enthielt, eingetreten, und es la%t sich daher auch sagen, dal die echten Molaren ein Verschmelzungsprodukt der Anlagen erster Dentition mit dem Materiale, aus dem sonst die zweite Dentition entsteht, darstellen. Kines erhellt mit Sicherheit aus vorliegenden Untersuchungen, daf es namlich ganz falsch ist, die echten Molaren, wie allge- mein angenommen, der zweiten Dentition zuzurechnen, daf sie vielmehr im wesentlichen der ersten Dentition angehéren, und es liefern diese Studien am embryonalen Robbengebifi eine willkom- mene Unterstiitzung zu demselben schon friiher von mir am Beutel- tiergebisse !) gewonnenen Resultate, welches ROsr und LEcHE bei einer groéferen Anzahl von Saugetieren ebenfalls gefunden haben. Andererseits miochte ich aber betonen, daf ein Teil des Schmelzorganes des Molaren, und zwar seine Innenwand, aus dem unteren Ende der Zahnleiste, also aus dem Material gebildet wird, welches in potentia die Anlage der zweiten Dentition enthalt, und von diesem Gesichtspunkte aus habe ich in einer unlangst er- schienenen Arbeit”) die Behauptung aufgestellt, daf der Haupt- unterschied zwischen Molaren und Primolaren darin beruht, daf bei letzteren beide Dentitionen getrennt bleiben, bei ersteren ver- schmelzen, wenn auch die Verschmelzung meist auf sehr friihe Stadien der Entwickelung zuriickverlegt wird. Daf diese Ver- schmelzung gelegentlich auch spater erfolgen kann, ja dal es bis zur Bildung einer kleinen Ersatzzahnanlage seitlich nach innen von der Hauptzahnanlage kommen kann, die erst spiter mitein- ander verschmelzen, dafiir habe ich bei Phocaena communis *) den Beweis gefunden. Ein ferneres Resultat unserer Untersuchung der Entwickelung des Robbengebisses ist folgendes: Im Laufe der Entwicke- lung des Gebisses treten nicht nur die beiden, mit erster und zweiter Dentition anderer Saugetiere 1) KtxenrHat, Das Gebi® von Didelphys, ein Beitrag zur Ent- wickelungsgeschichte des Beuteltiergebisses. Anat. Anz. 1891, p. 665. 2) Kixentuat, Vergl.-anatom. und entwickelungsgeschichtl. Unter- suchungen an Waltieren. Denkschriften der Med.-nat. Ges., Jena 1893, Bd. Ill, p. 448. 3) Denkschriften der Med.-nat. Gesellsch., Jena 1898, Bd. III, p- 409. 112 Willy Kikenthal, zu homologisierenden Dentitionen auf, sondern es kénnen in der ersten Anlage vier aufeinander fol- gende Dentitionen vorhanden sein. Kine von den beiden accessorischen Dentitionen dokumentiert sich als ein starker Epithel- sprok, welcher nach auSen von der Milchbezahnung abgeht und ein kolbenférmiges Ende besitzt. Ganz abnliche Bildungen fand LecuE gelegentlich bei Erinaceus und Didelphys, und von mir wurde ihr konstantes Vorkommen innerhalb der Entwickelung der Bartenwale beobachtet!), wo sie einen héheren Grad der Ent- wickelung erreichen kénnen. Sind so die vor der ersten Dentition liegenden Epithelsprossen die letzten Reste einer ehemaligen, bei den Saéugetieren geschwun- denen Zahnreihe, so sind auch andererseits Andeutungen einer vierten Dentition vorhanden, und zwar habe ich dieses Vorkommnis beschrieben vom Eckzahn des Unterkiefers des gréften Stadiums. Die wohl ausgebildete Eckzahnanlage (Fig. 16) liegt hier nicht am Ende der Zahnleiste, sondern seitlich nach auSen von ihr, so dal es also zur Ausbildung eines freien, nach innen von der zweiten Dentition verlaufenden Endes der Zahnleiste kommt. Damit ist die Méelichkeit der Ausbildung einer neuen Dentition gewahr- leistet. Einen ganz éhnlichen Befund erwaihnt Lecur ?) von Primolar 3 und 4 des Igels. ,,Wir finden somit, daf auch bei Ersatzzihnen sich der Schmelzkeim, wenn er das glockenférmige Stadium er- reicht hat, sich von dem Schmelzleistenende emancipieren kann. Hieraus ergiebt sich die Méglichkeit einer dritten Dentition.“ Eine vliinzende Bestaétigung seiner Annahme erhielt Lecure durch Auf- findung eines ausgebildeten Zahnes, welcher bei einem Erinaceus medialwarts vom oberen Praémolar 4 (zweiter Dentition) sich aus- gebildet hatte. SchlieSlich méchte ich noch auf eine im Robbengebif sehr hiufige Erscheinung, namlich die der sekundéren Zahnvermehrung zuriickkommen, nachdem ich diese Frage in einer letzthin er- schienenen Arbeit *) bereits insoweit behandelt habe, als es mir zur Zuriickweisung der darauf gestiitzten Bareson’schen Anschauungen niitzlich erschien. ils Chips 42% 2) Lecue, Studien zur Entwickelung des Zahnsystems bei den Siugetieren. Morphol. Jahrb. 18938, p. 517, 3) Denkschriften der Med.-nat. Ges., 1898, Bd. III. Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 113 Wir miissen dabei scharf unterscheiden zwischen einer sekun- daren Zahnvermehrung, welche dadurch auftritt, da’ sich zwischen die Backzihne ein iiberzahliger einschiebt, und zwischen einer an- scheinenden Zahnvermehrung, die ihre Ursache im Erscheinen eines zweiten Molaren hat. Betrachten wir letzteres Vorkommnis zu- erst, so ergeben sich aus der Litteratur eine nicht geringe Menge von Fallen, in denen das Auftreten eines solchen Backzahnes be- schrieben wird. Zum Gegenstande eigener Untersuchungen wurden diese ,,Anomalien’“’ gemacht von SAHLERTZ‘), der sie an einer grofen Anzahl verschiedener Robbenschaidel untersucht, und vor ihm von NewrinGg?) bei Halichoerus grypus, welcher den 6. Backenzahn im Oberkiefer so haufig auffand, da$ er die Zahn- Sie RS d 6 Dy WW iF oaer a Von seiten um die Existenz exakter Zahnformeln besorgter Forscher wurde diese Zahnvermehrung am Ende der Zahnreihe sehr stiefmiitterlich behandelt, sie erschien ebenso unwillkommen wie die sekundire Zahnvermehrung durch Einschiebung eines accessorischen Zahnes, welche beide Erscheinungen friiher nicht voneinander geschieden wurden. So kampft RemnmaRDT gegen STEENSTRUP und spiter SAHLERTz gegen TAUBER, der allerdings etwas kiihn auf seinen einen Befund an einem Embryo von Phoca barbata hin die Zahnformel verinderte, und stets wird dabei von ,,iiberzihligen Zahnen‘t als ganz gelegentlich auftretenden Mifbildungen gesprochen. Bleiben wir zunachst bei dem Auftreten eines zweiten Molaren, so haben wir zu konstatieren, da’ bei den beiden einzigen Km- bryonen, welche von geeigneter Gréfe waren und daraufhin untersucht worden sind, sowohl von TauBeR wie von mir seine Anlage konstatiert worden ist. In der tiberwiegenden Mehrzahl der Falle kommt der zweite Molar nicht zum Durchbruch, es existiert aber andererseits eine nicht geringe Anzahl von Fallen, in denen sein Erscheinen beobachtet worden ist. Liegt es da nicht nahe, daran zu denken, da wie bei den Otariiden so auch bei den Phociden der zweite Molar sich wohl anlegt, aber nicht wie bei ersteren stets, sondern nur gelegentlich zum Durchbruch formel aufstellt : 1) J. Santerrz, Om nogle Anomalier i Saelernes Tandsaet. Vidensk. Medd. Naturh. Foren. Kjébenhavn, 1878, p. 275. 2) Nenrine, Ueber Gebi® und Skelett von Halichoerus grypus. Zool. Anzeiger, 1873, p. 610. 3) 1. c. Denkschriften, Bd. III, p. 446. Bd, XXVIM, N, F. XXI. 8 114 Willy Kikenthal, kommt? Hatte ich in meiner letzthin verdéffentlichten Arbeit ge- schrieben, daf§ dieser gelegentlich auftretende zweite Molar eine neue Acquisition sei, so méchte ich diesen Satz jetzt auf Grund der vorliegenden entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen dahin abgeindert wissen, daf ich den gelegentlich noch er- scheinenden 6. Backzahn der Phociden fiir homolog dem 6. Backenzahn der Otariiden halte, und dab dieser Backenzahn bei den Phociden im Verschwin- den begriffen ist. Auch den Grund fiir das allmahliche Verschwinden dieses Zahnes glaube ich angeben zu kénnen. Wie bekannt hat sich das Gebif der Robben einem teilweisen Funktionswechsel unter- zogen. Die Backzihne haben das Geschaift des Zermalmens und Kauens der Speise aufgegeben und dienen wie die vorderen Zahne nur mehr dem Ergreifen der glatten Beute. Fiir diese Funktion kommen aber besonders die vorderen Zahne in Betracht, waihrend die hintersten sich wenig oder gar nicht daran beteiligen kénnen. Das Schwergewicht der Funktion des Gebisses wird damit nach vorn gelegt, und das ist meines Erachtens der Grund, wes- halb bei der altesten Gruppe der Pinnipedier, den Phociden, der letzte Backzahn im allmahlichen Verschwinden begriffen ist. Ganz der gleiche Grund, welcher das Schwinden des letzten Backzahnes bewirkt, ruft auch das Erscheinen iiberzaihliger Zihne zwischen den Backzaihnen hervor. Wie ich schon in meinen friheren Bemerkungen iiber das Robbengebif') hervorgehoben habe, miissen wir bei diesen Tieren den Beginn eines Prozesses annehmen, der bei anderen fischfressenden Saugetieren, den Zahn- walen, zur Bildung einer langen Schnauze gefiihrt hat, namlich der Prozef einer sekundéiren Verlangerung der Kiefer. Es ist ja von vornherein leicht einzusehen, da bei Fische erhaschenden Tieren eine lange Schnauze zweckdienlicher ist, als eine kurze. Bei den Zahnwalen konnte ich den embryologischen Nachweis liefern, daf diese Kieferverlingerung erst im Laufe der Entwickelung eintritt, also eine sekundire, spat erworbene Eigenschaft ist; bei den Phociden ist dieser Prozef erst in seinem Beginne, ein solcher embryologischer Nachweis daher kaum méglich. Was mir aber fiir die Existenz dieses Prozesses auch bei den Seehunden spricht, basiert auf folgendem. Ueberblickt man die ganz be- deutende Anzahl von Fallen wahrer sekundirer Zahnvermehrung, 1) 1. e, Denkschriften, p. 446. Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 115 wie wir sie besonders durch die Untersuchungen von STEENSTRUP, TAUBER, SAHLERTZ, BATESON und mir kennen gelernt haben, so werden wir sehr viele finden, in denen der accessorische Zahn ganz nahe an einen anderen geriickt ist, ja, es kommen Fille vor, wo, wie bei Ommatophoca Rossii') der accessorische Zahn mit seinem Nachbar teilweise verschmolzen erscheint. Schon friiher habe ich mich dahin ausgesprochen, da8 wir hier den Beginn eines Prozesses vor uns haben, den ich bei den Bartenwalen in seinen einzelnen Phasen verfolgen konnte, namlich der Teilung von Back- zabnen. Die vorliegende embryologische Untersuchung gewahrt eine gewichtige Stiitze fiir diese Ansicht. Bei der Beschreibung der Zahnanlagen im Unterkiefer des gréften Stadiums von Phoca groenlandica hatte ich bereits angefiihrt, daf’ der Praimolar 2 ein Doppelzahn von doppelter Linge ist, welcher aus zwei Einzel- zahnanlagen besteht, die nur durch eine schwache Dentinbriicke miteinander verbunden sind. Wohl gemerkt, gilt dies nur fiir den Praimolar 2 der ersten Dentition! Die Entstehung dieses Doppel- zahnes, wie aller derartigen Bildungen iiberhaupt, denke ich mir nun so, daf gerade an der Stelle, wo sich die urspriinglich ein- fache Zahnanlage anzulegen im Begriffe stand, ein besonderes starkes Wachstum des Kiefers erfolgte, und daf dadurch der An- stof zu einer Verlingerung und teilweisen Teilung der Zahnpapille gegeben wurde. Nehmen wir nun an, daf das starkere Langen- wachstum des Kiefers an dieser Stelle auch noch spiater eine Zeit- lang fortdauerte, so kénnen wir verstehen, da die beiden Teile der urspriinglich einheitlichen Zahnpapille weiter auseinander- gedrangt wurden, und eine Gesamtzahnanlage zustande kam, wie sie uns der eben erwaihnte Milchpramolar 2 des Unterkiefers von Phoca groenlandica veranschaulicht. Immerhin ist die Zahn- anlage aber noch einheitlich, wahrend wir in der tiberwiegenden Mehrzahl der Faille den accessorischen Zahn vollkommen getrennt von seinen Nachbarn und haufig auch in gleich weiter Entfernung von beiden erblicken. Wie ist diese Erscheinung zu erklaren ? Auch dafiir giebt unser entwickelungsgeschichtlicher Befund die Lésung. Bekanntlich erscheint die zweite Dentition — und um diese handelt es sich im Gebif der untersuchten Schadel aus- schlieSlich — bedeutend spater als die erste, und so ist in unserem Falle beim Primolar 2 der embryonalen Phoca groenlandica die Thatsache zu verzeichnen, daS zwar die beiden Teile des 1) 1. ce. Denkschriften, Bd. III, p. 444. g* 116 Willy Kiikenthal, Doppelzahnes erster Dentition noch zusammenhangen, daf aber statt einer Ersatzzahnanlage sich zwei gebildet haben, je eine nach innen von jedem Teilstiicke. Diese beiden Anlagen sind aber von vornherein isoliert und werden sich auch isoliert weiter ent- wickeln, so daf also an Stelle eines noch einheitlichen Doppel- zahnes erster Dentition zwei vollkommen getrennte Zahne zweiter Dentition sich anlegen. Je nach der Starke des Kieferwachstums zwischen beiden Zahnanlagen werden dieselben spater naher oder weiter voneinander liegen, und so kénnen wir uns jetzt das Vor- kommen derartiger ,,accessorischer“ Ziahne leichtlich erkliren. Kurz wiederholt: die Entstehung der so haufigen tiber- zihligen Backzihne bei Pinnipediern beruht in erster Linie auf starkerem Kieferwachstum, Dop- pelbildung der ursprtinglich einheitlichen Zahn- anlage erster Dentition und getrennter Anlage zweier Ersatzzahnanlagen fiir den entstandenen Doppelzahn. Bereits in einer friiheren Arbeit!) hatte ich mich gegen die von BATESON ®) aufgestellte Ansicht gewandt, daf} im Falle nume- rischer Variation eine Homologisierung iiberhaupt nicht mehr moéglich wire. Ich schrieb damals: ,,I[ch glaube daher, daf wir, anstatt uns mit Bareson’s Annahme zu beruhigen, da die Ent- stehung neuer multipler Teile auf der noch unbekannten Gesetzen folgenden Variabilitat beruht, besser daran thun, diese Variabilitat zu studieren und die Wege ihrer Entstehung aufzudecken. Als- dann werden wir in der Lage sein, die von BATESON so entschieden negierte Homologisierung auf einwandsfreier Basis durchzufiihren.“ Hatte ich damals nur die vergleichende Anatomie, so habe ich jetzt auch die Entwickelungsgeschichte herangezogen, und ich hoffe durch meine Ausfiihrungen gezeigt zu haben, welcher Wert der entwickelungsgeschichtlichen Untersuchung zur Lésung der Frage nach der Homologie der Zahne zukommt. Jena, 5. Juli 1893. 1) 1. e. Denkschriften der Jen. Ges., Bd. III, 1893, p. 446. 2) Barsson, |. c. Entwickelungsgeschichtl. Untersuch. am Pinnipediergebisse. 117 Tafelerklirung. Tafel III und IV. Tafel III. Querschnitte durch die Zahnanlagen eines Embryos von 12 em Linge von Trichechus Rosmarus. Siamtliche Abbildungen sind angefertigt mit Cam. lucida. Zeif Obj. A, Oc. 2, und auf ?/, verkleinert. Fig. 1. Querschnitt durch den vordersten Teil der Zahnleiste im Oberkiefer. ~ == Anlage der Lippenfurche, g == Zahnleiste. Fig. 2. Eckzahvnanlage erster und zweiter Dentition des Ober- kiefers, me == Mundhohlenepithel, zl = Zahnleiste, zp.e2, == Zahnpapille der Eckzahnanlage erster Dentition, eZ, == Schmelzorgan der Eckzahnanlage zweiter Dentition, schp = Schmelzpulpa, isch = Inneres Schmelzepithel, = Dentin, == Odontoblastenschicht. Fig. 3. Anlagen des vierten Oberkieferbackzahns. fzl = freies Zahnleistenende, za == Zahnanlage. Fig. 4. Zahnleistenquerschnitt zwischen viertem und finftem Backzahne des Oberkiefers. Fig. 5. Anlage des fiinften Backzahnes des Oberkiefers. Fig. 6. Anlage des ersten Schneidezahnes des Unterkiefers. rug == Rudiment einer vorausgegangenen Zahnanlage. Fig. 7. Eckzahnanlage des Unterkiefers. Fig. 8. Anlage des dritten Backzahnes im Unterkiefer. Tafel IV. Querschnitte durch die Zahnanlagen dreier Embryonal- stadien von Phoca groenlandica. Fig. 9 u. 10. Vom Stadium I, Fig. 11—14. Vom Stadium II. Fig. 15—20. Vom Stadium III. Gezeichnet mit Cam. luc. Zei® Obj. A, Oc. 2. Auf 2/, verkleinert. Fig 12 gezeichnet mit Obj. D, Oc. 2, auf ?/, verkleinert, 118 W. Kiikentha!, Untersuchungen am Pinnipediergebisse. Fig. 9. Eckzahnanlage des Unterkiefers vom Stadium I. Fig. 10. Vierter Backzahn des Unterkiefers vom Stadium I. Fig. 11. Eckzahnanlage des Unterkiefers, Stadium II. Fig. 12. Stiick aus der Eckzahnanlage des Unterkiefers. Obj. D, Oc. 2. zp == Zahnpapille, o == Odontoblastenschicht, d — Dentin, sch = Schmelz, isch == inneres Schmelzepithel, dusch = Reste des Stratum intermedium und des duBeren Schmelzepithels, b — Bindegewebe. Fig. 18. Zweiter Backzahn des Unterkiefers, Stad. IL. Fig. 14. Fiinfter Backzahn des Unterkiefers, Stad. IT. ° Fig. 15. Ersatzzahnanlage zum ersten Schneidezahn. Unterkiefer des Stad. IIL. Fig. 16. Ersatzzahn zum Eckzahn des Unterkiefers, mit freiem Zahnleistenende (fzl,). Stad. III. Fig. 17. Netzformig aufgeloéste Zahnleiste zwischen EKckzahn und erstem Praimolar. Unterkiefer des Stad. III. Fig. 18. Erster Backzahn des Unterkiefers des Stad. III. Fig. 19. Vierter Backzahn des Unterkiefers des Stad. ILI. Fig. 20. Querschnitt aus dem hinteren Teile des fiiuften Back- zahnes vom Unterkiefer des Stad. III. Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena, — 1126 Der Riisselapparat der Prosobranchier. Von Dr. phil. Ad. Oswald. Aus dem zoologisch-vergleichend-anatomischen Laboratorium beider Hochschulen in Ziirich. Mit Tafel V und VI und 11 Abbildungen im Text. Vorliegende Arbeit wurde im Sommer 1892 im Zoologischen Laboratorium zu Roscoff (Bretagne) begonnen, dessen Zutritt mir Prof. pe LacazE-Duruiers, Direktor desselben, auf liebens- wiirdigste Weise gestattete, wofiir ich hier meinen besten Dank ausspreche, und im folgenden Winter, in Prof. Lane’s Labora- torium, in Ziirich, zu Ende gebracht. Meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. ARNOLD Lana, sowie Herrn Privatdozenten Dr. KARL FIEDLER spreche ich meinen besten Dank aus fiir ihre rege Teilnahme an meiner Arbeit und fiir die Ratschlige mit denen sie mich unterstiitzten. Wenn auch der Bau und der Mechanismus des Riissel- apparates der Prosobranchier in gréberen Ziigen schon liangst bekannt waren, so blieben doch noch viele einzelne Punkte im Dunklen und ungeniigend erforscht. Durch Herrn Prof. Lane wurde ich veranlaft, dariiber genauere Untersuchungen anzu- stellen. Im Laufe der Untersuchungen stief ich auf einige un- vollstindige Beobachtungen iiber den Pharynx, welche ich zu ergiinzen im Stande war. Derselbe wurde deshalb auch in Be- trachtung gezogen. Die Untersuchungen erstrecken sich sowohl auf lebende, als auch auf teilweise von mir in angegebener Weise konservierte und teilweise aus Neapel erhaltene Exemplare. Untersucht wurden: 1) lebend: Nassa reticulata Lam., Buccinum un- datum L., Murex erinaceusL., Purpura lapillus LaM.; Bd. XXVIII. N. F, XXI. 9 120 Ad. Oswald, 2) konserviert: I. Stenoglossa. 1. Muricidae: Murex trunculus, M. erinaceus Lam, M. bran@aric i. — 2. Buccinidae: Buccinum undatum L., Nassa reticulata Lam., N. mutabilis, N. incrassata. — 3. Purpuridae: Purpura lapillus Lam. — 4. Fasciolaridae: Fasciolaria lignaria. Il. Taenioglossa proboscidifera siphonostomata. 1. Tritoniidae: Tritonium parthenopaeum, T. cuta- ceum. — 2. Columbellinidae: Columbella rustica Lam. — Cassidiidae: Cassidaria echinophora Lam. Technik. Ein kurzer Uberblick iiber die Art und Weise, wie es mir gelungen ist, den Riissel in allen méglichen Stadien der Aus- und Kinstiilpung zu fixieren, wird nicht iiberfliissig sein, um so mehr, als es ohne spezielles Verfahren nicht immer leicht ist, im Laboratorium einen Riissel iiberhaupt zu Gesicht zu _be- kommen, und mir keine bekannte Methode befriedigende Re- sultate lieferte. Die tiblichen Betiubungsmittel waren erfolglos; die Tiere starben mit wohl ausgestreckten Tentakeln, Ful und Sipho, immer aber mit eingezogenem Riissel. Bei Nassa konnte ich ein besonderes Verfahren anwenden. Die Nassa haben namlich ein aufverordentliches ,,Riechvermégen“, mit Hilfe dessen sie auf groke Entfernung ihre Beute wahrnehmen. Ob es thatsiichlich Riech- oder vielleicht Geschmacksvermégen ist, wurde, so viel ich wei, bis jetzt noch nicht ermittelt. Den Tentakeln scheint es nicht eigen zu sein, denn Tiere mit abgeschnittenen Tentakeln »rochen“ noch ihre Beute auf Entfernung. Das Osphradium mag vielleicht der Triger dieses Sinnes sein. — Auf Grund dieses ihnen eigenen Vermégens werden, wie beiliufig noch erwihnt sei, die Nassa auch gefangen. Kurze Zeit nachdem man tote Fische oder Krabben in die kleinen Wasserbecken ausgestreut hat, die bei der Ebbe am sandigen Meeresstrande zuriickbleiben, erscheinen sie zahlreich, durch den Geruch, resp. den Geschmack angezogen, an der Oberfliiche des Sandes, in dem sie verkrochen leben. — Nachdem nun solche Nassa lange Zeit gehungert hatten, hielt ich ihnen, unter méglichst wenig Wasser, auf die Ent- fernung der Riisselliinge eine Beute zu (Fischmuskel oder ab- Der Riisselapparat der Prosobranchier. 1A gestorbene Mollusken); zugleich wurde das Gehiiuse festgehalten, so daf die Tiere, um die Beute zu erfassen, den Riissel aus- strecken muften. Dann wurde eine rasch fixierende Fliissigkeit (heifer konz. Sublimat + Essigsiiure + einige Tropfen Osmium- siure) zugesetzt. Der Riissel blieb jedoch nie vollstiindig aus- gestreckt. Kine auferordentlich einfache und iuverst befriedigende und auch allgemein anwendbare Methode ist folgende. Man entfernt das Gehiuse, indem man es mit Hilfe eines Schraubstockes zertriummert, ohne das Tier zu verletzen, und reizt dasselbe stirker oder schwiicher, je nach der Gattung der Tiere, mit beiden Branchen einer Pincette, seitlich vom Nacken, als ob man es an dieser Stelle mit der Pincette fassen wollte. Die Tiere strecken sogleich den Riissel aus, und desto weiter, je mehr man sie reizt. Sie werden dann sofort in 70°, Alkohol oder 5°, Sublimatlésung gebracht, je nachdem man das Priiparat zu sezieren oder in Schnitte zu zerlegen beabsichtigt. Auf diese Weise ist es leicht, den Riissel auf jeder Stufe der Aus- und Kinstiilpung zu fixieren. Zum Zwecke der Konservierung wurden in Anwendung ge- bracht: 5°, Sublimat, FLEmMMinG’s Chrom-Osmium-Essigsiure, 0,3—0,5 °/, Chromsiure, 1°/, Osmiumsiiure. Als Firbemittel dienten: 1) zur Durchfairbung ganzer Ob- jekte a) GRENACHER’s alkoholisches Boraxkarmin (bis tiber 14 Tage lang), nach Sublimatfixierung; besonders befriedigend fiir Muskeln ; b) Paut Mayer’s Himateinalaun (5—14 Tage lang), nach Fixie- rung in Sublimat und in FLEMMING’s Fliissigkeit; c) wisseriges Pikrokarmin und Pikrolithiumkarmin; beides vortreffliche Farb- stoffe, besonders fiir Muskelfaserstruktur, nach Chromsiure- fixierung; d) endlich einfache Einwirkung von Osmiumsiiure, in welcher die Objekte 12—24 Stunden liegen blieben. Diese Methode ist ausgezeichnet fiir die histologische Struktur der Muskelfasern. 2) Zur Firbung schon in Schnitte zerlegter Objekte dienten Doppeltinktionen von Hiimateinalaun und Eosin. Die meisten Schnitte wurden, nach Aufklirung in Xylol, in Kanadabalsam aufbewahrt, andere in Glycerin, da die Aufhellung in Balsam fiir die feinere Struktur gewisser Muskeln bekanntlich eine zu grofse ist. Um trotz der Radula, welche, wie alle Ge- bilde aus Chitin oder Conchyolin, die Schnitte leicht zerreilit und selbst in Stiicke zerfillt, vollstiindige Bilder zu erhalten, Q* 122 Ad. Oswald, wurden die Objekte ganz allmiéhlich aus Xylol, nach langsamem Zusatz von Paraffin in das Xylol, zuerst in der Kalte, dann in der Wiirme bis zur Sittigung in reines Paraffin tibertragen und 2—4mal 24 Stunden darin gelassen. Auf Schnitten von einer Dicke von 10—12 w erwies sich dann die Radula intakt. Von nicht geringem Nutzen waren auch grofe, etwa 1 mm dicke Ubersichtsschnitte, fiir Lupenuntersuchung, ganzer (14 Tage in GRENACHER’S Boraxkarmin) durchgefirbter und in Photoxylin eingebetteter Exemplare von Buccinum undatum (s. Fig. II u. III). Die Zeichnungen mikroskopischer Priparate sind simtliche mit Hilfe des Abbe’schen Zeichenapparates angefertigt. MACDONALD (1), 1860, theilt die Mundbildungen der Proso- branchier in drei Gruppen ein: 1) kontraktile, nicht retraktile Schnauze (Aspidobranchier, (ie meisten Tianioglossen, namentlich alle Pflanzenfresser) ; 2) riisseléhnliche Schnauze (Capulidae, Strombidae, Cheno- pidae, Calyptraeidae), oder von der Spitze einziehbarer Riissel (d. h. mit einer einzigen Falte, Cypraeidae, Lamellaridae, Nati- cidae) ; 3) an der Basis einziehbarer Riissel (Tritoniidae, Doliidae, Cassidiidae, Rhachiglossa und einige Taenioglossa). Die erste Gruppe bietet nichts Besonderes. Die Mundéffnung ist an der Spitze einer einfachen Schnauze, welche durch Blut- zudrang anschwellen kann. Die zweite Gruppe ist durch einen Riissel charakterisiert, welcher sich vollstaéndig umstiilpt, so daf der Riissel im ein- gezogenen Zustande ein gerades Rohr darstellt, welches sich vorn zwischen den Tentakeln 6ffnet, hinten in die Buccalmasse iibergeht ; die Mundéffnung befindet sich dabei am hinteren Ende des Riisselschlauches, die Spitze des Riissels sieht nach hinten. Diese Gruppe bildet den Ubergang von der ersten zur dritten, d. h. von der eigentlichen Schnauze zum eigentlichen Riissel. Die dritte Gruppe umfaft niimlich diejenigen Prosobranchier, welche einen Riissel besitzen, der sich nie vollstindig einstiilpt; in allen Graden der Einstiilpung vielmehr bleibt die Spitze des Riissels immer nach vorn gerichtet. Seine Basis bildet im zuriick- gezogenen Zustande die Riisselscheide, in welche der nicht um- gestiilpte Teil des Riissels mit der Mundéffnung nach yorn zu liegen kommt; letzterer ist der eigentliche Riissel. Der Riisselapparat der Prosobranchier. 123 TROSCHEL (2), 1866, teilt die Mundbildungen der Tanioglossen in dieselben drei Gruppen ein. In seinem allgemeinen Teile itiber Mollusken unterscheidet er: einfache Mundéffnung, Schnauze und Riissel. Brown (3), 1866, unterscheidet im allgemeinen unter den Mollusken: 1) Os simplex; 2) Rostrum, vorspringende, kontraktile, nicht retraktile Schnauze; 5) Proboscis, durch besondere Muskeln zuriickziehbarer Riissel. Der Autor vergleicht den Riissel der Prosobranchier mit demjenigen der Anneliden, weist aber darauf hin, daf bei den Prosobranchiern der Riissel nicht ein ausstiilp- barer Darmteil, sondern ein zurtickziehbarer Kérperteil ist, und darin liegt ein wesentlicher Unterschied vom gleichnamigen Organ der Anneliden. Nach Bronn stiilpt sich der Riissel in der Regel von der Basis ein; die Gattung Natica mache eine Ausnahme, indem bei derselben der Riissel sich von der Spitze einstiilpt. Diese letztere Auffassung ist aber unrichtig, da es eine ganze Anzahl Prosobranchier giebt mit von der Spitze einstiilpbarem Riissel. Somit ist BRonn’s Einteilung eine unvollstindige. Der Autor weist dann darauf hin, dal die riisseltragenden Proso- branchier Fleischfresser, die schnauzentragenden Pflanzenfresser seien. Ray-LANKESTER (4), 1883, teilt die Gastropoden in schnau- zentragende (rostriferous) und in riisseltragende (proboscidiferous) ein. Bei den letzteren unterscheidet er wieder zwei Gruppen: 1) solche, deren Riissel sich von der Spitze einstiilpt; in diesem Falle nennt er den Riissel akrembolisch (von der Spitze einstiilpbar), resp. plheurekbolisch (von der Basis ausstiilp- bar), da ja der von der Spitze einstiilpbare Rtissel von der Basis ausstiilpbar ist; — 2) solche, deren Riissel sich von der Basis einstiilpt, resp. sich von der Spitze ausstiilpt (pleurem- bolischer oder akrekbolischer Riissel). Die Einteilung ist dieselbe wie diejenige von MACDONALD. Bouvier (5), 1887, wiederholt ebenso die Einteilung Mac- DONALD’s in drei Gruppen und weist darauf hin, da’ die Ver- inderungen bedeutend und unregelmafig sind, und dafi der Grad der Ausbildung des Riissels besonders von der Lebensweise der Tiere abhingig ist. Er zeigt dann, dal der Riissel sich aus der einfachen Schnauze entwickelt hat. Ist eine Schnauze vorhanden, so kann dieselbe durch Kontraktion zusammengezogen werden, es kommt aber keine Retraktion zu stande. Wird die Schnauze zu einem nicht zu langen Riissel, so ist derselbe zurtickziehbar, 124 Ad. Oswald, und zwar stiilpt er sich von der Spitze und vollstandig ein. Wird endlich der Riissel sehr lang, so stiilpt er sich von der Basis, und nicht vollstindig, ein. Dies geht aus mechanischen Griinden hervor. Ein nicht zu langer Riissel kann vollstaéndig in die Leibeshéhle umgestiilpt werden, ein langer Riissel besitzt aber eine Linge, welche diejenige der vorderen Leibeshoéhle tibertrifft, so dafi er sich in dieselbe nicht vollstindig zurtickziehen kann, er stiilpt sich deshalb nur an der Basis um, und der nicht um- gestiilpte Teil kommt in den umgestiilpten zu liegen. Ein langer Riissel kann nur vollstindig umgekrimpelt werden, wenn er einen kleinen Durchmesser hat, und wenn die vordere Leibes- héhle sehr lang ist; dies ist der Fall bei den Solaridae, Scala- ridae und Pyramidellidae. Bouvier beschreibt dann noch den Riissel der Terebridae, welcher eine eigentiimliche Abiénderung des gewohnlichen Typus darstellt. Die Beschreibung ist aber unklar; nach derselben, ebenso wie nach einer dazu gehérigen Zeichnung, ware die Riissel- scheide mit dem vorderen Teile des Darmtractus, und mit dem Riissel nicht in Verbindung. Dieses Verhalten hitte aber eine offene Kommunikation der Leibeshéhle mit der AufSenwelt zur Folge, was ebenso auffillig wie unwahrscheinlich ist. A. Lane (6), 1892, unterscheidet in seinem Lehrbuch der Vergleichenden Anatomie auch: 1) einfach kontraktile Schnauze; 2) retraktile oder riisself6rmige Schnauze (d. h. von der Spitze einziehbarer Riissel); 3) Riissel (d. h. von der Basis einziehbarer Riissel). Bei Betrachtung der eben erwihnten Meinungen der ver- schiedenen Autoren ergiebt sich, dafi wir die Mundgebilde der Prosobranchier in die drei folgenden Gruppen einteilen kénnen: 1) kontraktile, aber nicht retraktile Schnauze: Rostrum (Diotocardier, Rostrifera zum gréBten Teil); 2) von der Basis zuriickziehbarer Riissel: akrembolischer Riissel (Semiproboscidifera. Proboscidifera holostomata, Capu- lidae, Strombidae, Chenopidae, Calyptraeidae, Cypraeidae) ; 3) von der Basis zuriickziehbarer Riissel: pleuremboli- scher Riissel (Proboscidifera siphonostomata und fast alle Stenoglossa). In dieser Abhandlung soll diese letzte Riisselart — der pleurembolische Riissel — beschrieben werden. Der Riisselapparat der Prosobranchier. 125 ARISTOTELES (7) war es schon bekannt, dal einige Schnecken (Buccinum und Purpura) einen Riissel besitzen, mit Hilfe dessen sie die Schalen anderer Mollusken durchbohren. PLintus (8) erwihnt diese Angaben des ARISTOTELES. LISTER (9), 1694, spricht in unvollkommener Weise vom Riissel von Buccinum undatum. Mix~uer (10) in seiner Abhandlung tiber Tritonium undatum (= Buce. undat.) sagt nichts tiber den Riissel. Ebenso sind auch die Angaben verschiedener anderer Autoren'), wie Fapius CoLtumna (11), REAuMUR (12), ADANSoN (13) und PLaAn- cus (14), wie CuviER bemerkt, sehr unvollkommen. Cuvier (15), 1817, war der erste, welcher genaue Unter- suchungen iiber den Prosobranchierriissel anstellte, und zwar an Buccinum undatum. Seine Beobachtungen sind bis heute noch die vollkommensten, welche wir tiber dieses Objekt be- sitzen. Der Riissel sei nicht blo’ im Stande, sich zu verlingern und zu verkiirzen, sondern er kénne vermittelst Einstiilpung in das Innere des Kérpers eintreten und sich vollstandig darin verbergen. Er bestehe aus ,,einem in sich selbst gestiilpten Cylinder oder, besser gesagt, aus zwei sich umgebenden Cy- lindern, deren hintere Rinder vereinigt sind, und zwar so, dab, wenn der innere Cylinder herausgezogen wird, man ihn auf Kosten des iufSeren verlingert, und wenn er wieder zuriick- gezogen wird, man ihn verktirzt und den dufveren nach innen verlingert, da dieser fufere Cylinder an den Kopfwandungen durch seinen unteren Rand festsitzt‘*. Zahlreiche Muskeln setzen sich einerseits an die Kérperwand, andererseits an die inneren Wandungen des inneren Riisselcylinders an; dieselben dienen dazu, den Riissel nach innen zu ziehen. Ist der Riissel ver- lingert, so dienen diese Riickziehmuskeln, indem sie sich nicht alle auf einmal kontrahieren, dazu, den Riissel nach der einen oder nach der anderen Seite zu beugen, indem sie hierzu gegen- seitig als Antagonisten wirken. Diese kurzen Beobachtungen CuviErR’s sind unvollstandig und lassen noch vieles, wie aus Spiaterem hervorgehen wird, sowohl in morphologischer als in anatomischer Hinsicht im Dunkeln. Nach Cuvier wurde Buce. undat. auch der Gegenstand der Untersuchungen von LEBERT (16), 1846. Derselbe bringt aber 1) Ich fiihre diese Litteratur aus Cuvrer’s Mémoires sur les Mollus- ques an. 126 Ad. Oswald, nichts Neues, was den Bau und den Mechanismus des Riissels betrifft, sondern bestiitigt nur Cuv1ER’s oben besprochene An- gaben, die er tibersetzt. Seine Hauptuntersuchungen betreffen den Pharynx. TROSCHEL (I. c. Bd. I, p. 12) tibersetzt dieselbe Stelle CuviER’s und fiigt auch nichts Neues hinzu. Bouvier (5) schildert in kurzen Ziigen den Riissel von Buc- cinum, aber gleichfalls ohne genauere Beobachtungen anzustellen. Nach den Angaben dieser Autoren hat A. Lane (6) ein Schema des pleurembolischen Riissels konstruiert. Von den von mir untersuchten Tieren haben Buccinum und die ihm sehr nahe verwandte Gattung Nassa den relativ erédhten Riissel, welcher zugleich auch am deutlichsten alle Ver- hiltnisse zeigt. Sie wurden deshalb als Typen gewihlt und die meisten Untersuchungen an ihnen angestellt. Auch kann der Riissel von Buccinum undatum oder derjenige von Nassa im all- gemeinen als Typus des pleurembolischen Riissels gelten. Im ausgestreckten Zustande zeigt der Riissel, von aufen ge- sehen, die Gestalt eines langgestreckten Cylinders, dessen Durch- messer aber sich nach vorn etwas verjiingt. An der Oberfliche ist eine deutliche Ringelung wahrzunehmen, welche von circuliren Muskelfasern herriihrt. Diese Ringelung ist um so undeutlicher, je linger der Riissel ausgestreckt ist. Die Linge des véllig aus- gestreckten Riissels ist bedeutend und betraigt etwa die Linge des ausgedehnten Fufes; sie kann aber bisweilen eine aufer- ordentliche sein, so z. B. bei Nassa bis 4 cm, bei einer Linge des ausgestreckten FuBes oder der Achse des Gehauses von 3 cm. Fig. I1) veranschaulicht dieses Verhalten. Fig. lL Nassa reticulata. XX 11/,—. Nach dem lebenden Tier ge- zeichnet. MRiissel und Sipho ausgestreckt. 1) In Folgendem sind die Figuren des Textes mit rémischen, diejenigen der Tafeln mit arabischen Ziffern bezeichnet. Der Riisselapparat der Prosobranchier. 127 Das Integument zeigt im allgemeinen eine rotliche, schleim- hautartige Farbe, besitzt aber dieselben Charaktere wie die iufere Haut des tibrigen Koérpers, ist z. B. auch pigmentfiihrend, was besonders deutlich bei der stark pigmentierten Gattung Tritonium hervortritt. Die Ausstreckung des Riissels findet nur zum Zwecke der Nahrungsaufnahme statt und dient dazu, die Mundorgane in die Tiefe der Beute zu fiihren. Die riisseltragenden Prosobran- chier sind néamlich fleischfressend und bohren als solche meist Muscheln oder Krebse an, also Beuten, bei denen sie in die Tiefe dringen miissen, wozu ein Riissel erforderlich ist. Die herbivoren Prosobranchier, welche Pflanzen benagen, tragen keinen Riissel, da derselbe itiberfliissig wiire. Diesen Unterschied zwischen zoophagen und phytophagen Prosobranchiern hat schon ADANSON angefiihrt, und Lamarck legt hierauf in seiner ,,Histoire naturelle des animaux sans vertébres“ einen gewissen Wert. Wie es scheint, soll aber die Meinung, daf die riisseltragenden Prosobranchier zoophag, die anderen phytophag seien, wie TROSCHEL hervorhebt, nicht durchgreifend sein, da, nach der Angabe dieses Autors, der Magen der mit einem besonders langen Riissel versehenen Dolium Galea Algen enthiilt. Der Riissel besitzt eine grofe Beweglichkeit und dient auch zum Herumtasten beim Aufsuchen einer Beute. Wird er eingezogen, so schliefit sich die Kérperwand dariiber in Form einer senkrechten Spalte. Der gesamte Riisselapparat besteht wesentlich aus einer dop- pelten Einstiilpung der Kopfhaut (Fig. 1, Taf. I): eine erste Ein- stiilpung, von vorn nach hinten, in die Leibeshéhle (Kopfhéhle) hinein, bildet die Riisselscheide. Am hinteren Ende dieser Scheide biegt das Integument wieder nach vorn um und verliuft inner- halb der Riisselscheide und derselben parallel, bis fast wieder auf die Héhe der vorderen Umbiegungsstelle; auf dieser Strecke ist die Haut zur Riisselwand geworden. Die Scheide geht vorn in die Kérperhaut, hinten in die Riisselwand iiber, die Riissel- wand wird hinten zur Scheide, und vorn zur Haut der Mund- héhle und des Pharynx. Die Leibeshéhle erstreckt sich zwischen der Riisselscheide und der auferen Kérperhaut bis an das vor- dere Kopfende, so daf der Riissel samt der Scheide in sie zu liegen kommt; ebenso ist der Hohlraum, in welchem die inner- ~halb des Riissels gelegenen Organe sich befinden, in offener Ver- bindung mit der Leibeshéhle, von der er nur der vorderste Ab- schnitt ist. Der Riisselapparat besteht also im wesentlichen aus 128 Ad. Oswald, zwei ineinander liegenden und an den hinteren Enden kontinuier- lich ineinander iibergehenden Schliuchen, der aufere ist die Riisselscheide (7s), der innere die Riisselwand, d. h. der Riissel (7) selbst. Zwischen dem Riissel und der Riisselscheide liegt ein Hohl- raum, der allerdings auf ein Minimum reduziert ist, und welcher nach vorn mit der Aufenwelt in Verbindung steht. Dieser Hohl- raum wird Rhynchodaeum genannt (s. Figg. X und XI D, p. 153 u. 154). Die vordere Oeffnung desselben bezeichnet TROSCHEL als ,vordere Kérperéffnung; sie wird bisweilen, ebenso unpassend und sogar falschlicherweise, ,,Mundéffnung‘ genannt. Solche Be- zeichnungen kénnen nur Verwirrungen hervorrufen. Ich schlage deshalb folgende Nomenklatur vor, durch welche jede Unklarheit vermieden wird. Die vordere Oeffnung des Rhynchodaeums sei als Rhynchostom (Fig. 1 rst) bezeichnet; die Oeffnung, welche an der Spitze des Riissels in die Mundhdéhle fiihrt, als Pha- ryngostom, schlieflich als Gastrostom die eigentliche Mund- éffnung, d. h. die Stelle, wo im Oesophagus das Ektoderm in das Entoderm tibergeht, und welche wir spiiter geuau bestimmen werden. So gestalten sich die Verhiltnisse im Ruhezustand, d. h. im eingestiilpten Zustande. Die Ausstiilpung besteht darin, daf der Riissel nach vorn verschoben wird und, indem er das Rhynchostom passiert, nach aufen hervortritt. Zugleich krimpelt sich am hinteren Ende die Riisselscheide gegen den Riissel um und wird auf diese Weise zur Riisselwand. Ein bedeutender Teil der Riisselscheide wird bei der Ausstiilpung zur Riisselwand, jedoch nicht die ganze, was dann zur Folge hatte, da8 die Kopfhaut ohne Einstiilpung in gerader Linie in die Riisselwand iiberginge. Diese vollstindige Ausstiilpung der Riisselscheide wird durch Muskelfasern ver- hindert, welche von der Kérperwand zu der Scheide ziehen. Ebenso wird der Riissel nie so eingestiilpt, daf die Mundéffnung, welche beim ausgestreckten Riissel an der Spitze desselben liegt, an den Grund der Riisselscheide zu liegen kommt. Diese voll- stiindige Umstiilpung wird auch durch Muskelbinder verhindert, welche den Oesophagus mit der nicht umstiilpbaren Riisselwand verbinden. Ks giebt also am ganzen Riisselapparat 3 verschiedene Ab- schnitte : 1) ein Teil, der bei der Aus- und Einstiilpung nach aufen Der Riisselapparat der Prosobranchier. 129 resp. innen einfach verschoben wird, der dauernde Riissel (siehe Figg. X und XI ef, p. 153 u. 154); 2) ein Teil, der an der Aus- und Einstiilpung nicht teil- nimmt, die eigentliche oder dauernde Riisselscheide (ed) ; 3) ein Teil, der sich bei der Aus- und Einstiilpung um- krimpelt, in der Weise, da8 er bei der Ausstiilpung zur Wand der Riisselbasis, bei der Einstiilpung zum hinteren Teil der Riisselscheide wird. Dieser letzte Teil liegt zwischen den beiden anderen (de). Den Riissel mitsamt seiner Scheide haben wir uns, wie schon bekannt, als eine auferordentlich verliingerte Schnauze vorzu- stellen, die an ihrer Basis in dauernder Weise in sich selbst ein- gestiilpt ist. Der Riissel liegt dorsalwiirts iiber dem Fue und dem Ur- sprung des Spindelmuskels, unmittelbar unter der Nackenhaut, wie auf Fig. II, welche einen medianen Sagittalschnitt durch Fig. I. Buccinum undatum. Medianer Sagittalschnitt. 4 2—. Riissel eingezogen. e Eingeweidesack; gg oberes und unteres Schlundganglion; Am unterer, hinterer Mantelrand; &h Kiemeuhéhle; m Mantel mit daran hiangender Kieme ; oe Oesophagus; p Penis; ph Pharynx; r Rhynchodaeum; rs Riisselscheide; rw Riisselwand; s Speicheldriise ; sp Spindelmuskel; ¢ Tentakel; x Stelle des Rhyncho- stoms. Bei oe’ tritt der Oesophagus aus der Ebene des Bildes. — Die Fig. ist nach zwei in verschiedenen Richtungen angelegten Schnitten zusammengestellt. Buccinum undatum darstellt, zu sehen ist. Im eingezogenen Zustande reicht seine Spitze nicht bis ganz an das vordere Kérperende, welches sich vor ihm schlieft. Dieser Verschluf 130 Ad Oswald, erfolet durch die Wirkung der K6rpermuscularis, die an dieser Stelle eine Art Sphincter darstellt. Nach hinten reicht der Riissel mitsamt der Scheide bis an den Grund der Kiemenhdohle kh. Zum Zwecke der Raumersparnis, oder besser gesagt, der groften Ausnutzung des Raumes, ist er bogenformig gekriimmt und zwar dorso-ventral- und lateralwirts. Die eine Konvexitaét schaut nach oben, die andere nach rechts, so dafi das hintere Ende auf die linke und untere Korperseite verschoben ist. (Fig. II ist aus zwei in verschiedenen und entsprechenden Richtungen gemachten Schnitten zusammengestellt, da es auf einer Ebene nicht méglich gewesen wiire, die Lage des gesamten Riissels zu demonstrieren.) Wie auf Fig. II ebenfalls zu sehen ist, geht die Riisselscheide unmittelbar in die Riisselwand iiber, und beide bieten am Grunde des Rhynchodaeums zahlreiche Falten. Durch diese Faltenbildung, die durch die Zusammenziehung der Lingsmuskulatur hervor- gerufen wird, wird die Linge des Riissels im eingezogenen Zu- stande vermindert. Die Lage des ausgestreckten Riissels zeigt uns ebenfalls ein medianer Sagittalschnitt (Fig. III). Ein bedeutender Teil der Fig. II. Buccinum undatum. Med. Sagittalschnitt. )< 2—. Riissel aus- gestreckt. Der Vorderteil desselben abgeschnitten. Bezeichnungen wie in Fig. II. fi Retraktoren des Riissels. Riisselscheide ist zur Riisselwand geworden, und folglich ist die Grenze zwischen Riissel und Scheide viel weiter vorn, das Rhyn- chodaeum also kiirzer. Der Riissel ist durch das Rhynchostom — Der Riisselapparat der Prosobranchier. 131 hervorgetreten. Bei der Betrachtung der Figg. II und III fallt die Vorwélbung des vorderen Kopfteiles bei ausgestrecktem Riissel auf. Hinter dem hinteren Ende des eingezogenen Riissels dringt das Nackenintegument tief abwirts gegen den Ful und_ bildet eine Kinschniirung, welche die Kopfhéhle von der eigentlichen Leibeshéhle fast vollstindig trennt. Auf dieses Verhalten werden wir bei dem Mechanismus der Aus- und Einstiilpung zuriick- kommen. Der Riissel ist in seiner ganzen Liinge yom Oesophagus durchzogen, welcher dorsalwiirts gelagert ist (s. Figg. II, III, 2) und demselben in seinen Exkursionen folgt. Am hinteren Riissel- ende biegt er nach unten um und tritt wieder nach vorn, ver- lauft eine Strecke weit dicht an der unteren Fliche der Riissel- scheide, passiert den Schlundring, welcher weit vor dem hinteren Ende des Riissels liegt, und biegt dann sofort wieder nach hinten, um durch die enge Passage zwischen dem Grund der Kiemen- héhle und dem Spindelmuskel in den Eingeweidesack zu gelangen. Dieser Bogen des Oesophagus nach vorn wird durch den Schlund- ring hervorgerufen, welcher seine urspriingliche Lage beibehalten hat, die ihm bei riissellosen Prosobranchiern zukommt. Bei aus- gezogenem Riissel macht der Oesophagus auch einen doppelten Bogen, und die Ausstiilpung geht nie so weit, dal} der Oesophagus sich in gerader Linie aus dem Eingeweidesack in den Riissel fortsetzen kénnte. Zwischen beiden Schlingen des Oesophagus und hinter dem Schlundring liegen die Speicheldriisen. Dem Oesophagus folgen seitlich in seinem ganzen Verlaufe im Riissel die beiden Aus- fiihrungsgiinge der Speicheldriisen spg (Fig. 2). Ferner verlaufen noch Nerven an der Innenseite der Riisselwand, und in der Achse des Riissels liegt die Aorta proboscidalis (cephalica). Im nicht umstiilpbaren Teile des Riissels liegt der Pharynx, dessen Muskulatur den ganzen Raum ausfiillt. Kinen Uberblick auf die Lage der verschiedenen Organe, welche sich im Riissel befinden, giebt uns die Fig. 3, welche einen Querschnitt des Riissels von Nassa reticulata ungefaihr in dessen Mitte darstellt (s. Figurenerklirung). Die verschiedenen Organe sollen in folgendem, einzeln be- schrieben werden. 132 Ad. Oswald, Riisselwand und Riisselsecheide. Die Wand des Riissels zeigt nach aufen eine Schicht von circuliren, nach innen eine Schicht von longitudinalen Muskel- fasern. Wird der Riissel der Liinge nach dorsalwirts aufge- schnitten, so erhalt man ein Bild, wie es Fig. 2 darstellt. Am vorderen Ende ist die Sonderung der verschiedenen Lingsmuskeln undeutlich, so dal’ sich die Lingsmuskulatur nur durch feine, kaum wahrnehmbare Streifung kundgiebt und die Wand eine glatte Oberfliiche darbietet. Die in dieser Gegend auf Fig. 2 gezeichneten Fasern sind zerschnittene Radiirmuskeln, von welchen spiter die Rede sein wird. Je mehr man der Basis des Riissels sich nihert, um so deutlicher ist die Sonderung in diskrete Lings- muskeln zu konstatieren, und an der Basis selbst schwillt jede Muskelfaser fast plétzlich zu einem dicken Muskelbauche an, welcher sich, schrig nach hinten und aufen verlaufend, an der seitlichen Leibeswand ansetzt. Diese dicken Muskelbaiuche sind die Retraktoren des Riissels. Man hat sich dieselben also ein- fach als verstirkte Lingsmuskelbiindel der Muscularis der Riissel- wand vorzustellen, welche infolge ihrer neuen bedeutenderen Leistung eine stirkere Ausbildung erreicht haben. Fir diese Auffassung spricht auch die Thatsache, daf an der Riisselscheide, an welcher die Lingsmuskelfasern verlaufen sollten, waren sie nicht zu Retraktoren geworden, welche sich direkt an die Leibes- wand ansetzen, die Lingsmuskulatur bedeutend an Dicke abge- nommen hat, stellenweise nur aus einzelnen Fasern besteht und sogar ganz fehlen kann (s. Fig. 6 s/f). Den Retraktoren dhnliche Muskeln erstrecken sich von der Riisselscheide zur Leibeswand, und zwar von der Basis der dauernden Riisselscheide und be- sonders von einer verdickten Stelle der circulaéren Muskulatur, welche dort einen kriftigen Ringmuskel darstellt, von welchem spiter die Rede sein wird. Die Retraktoren veristeln sich viel- fach vor ihrer Insertion an der Leibeswand und laufen in kleine Fasern aus. Auf jeder Seite vereinigen sich die zu hinterst ge- legenen Retraktoren zu zwei gréferen Biindeln (s. Fig. 1 R, R,). Simtliche Retraktoren setzen sich nur seitlich an der Kérperwand an, wihrend an der oberen und unteren Wand der Kopfhéhle keine Insertion stattfindet. Eigentiimlich ist das folgende Verhalten der Retraktoren. Sie inserieren nie in der Weise, dal sie im eingezogenen Zu- Der Riisselapparat der Prosobranchier. 133 stande das hintere Ende des Riissels in gerader Linie mit der Koérperwand verbinden, wie dies gewohnlich bei iahnlichen Ge- bilden der Fall ist; sondern bei vollstiindig eingestiilptem Riissel befindet sich hinter dem Ursprung der hintersten Retraktoren immer noch ein ziemlich langer Abschnitt, welecher mit der Leibes- wand nicht direkt durch Retraktoren in V erbindung steht, d. h. die Retraktoren sind stets auf die Weise mit der Riisselwand verbunden, dal bei eingestiilptem Riissel alle Retraktoren an dem vorderen Teile der Riisselscheide ansetzen, wiihrend der hintere frei endigt. Dieses Verhalten wiederholt sich bei allen unter- suchten pleurembolischen Riisseln. Bei dem Mechanismus der Aus- und Einstiilpung werden wir darauf zuriickkommen. Nach auSen ist die Riisselwand durch eine Lage circulirer Muskelfasern begrenzt, welche gleichmifig dick ist. An der Scheide ist die Liingsmuskulatur, wie oben schon bemerkt, sehr schwach; die Ringmuskulatur ist kurz vor dem hinteren Ende der Scheide zu einem kriftigen Ringmuskel angeschwollen. Die Scheide ist mit der Kérperwand durch die oben schon erwiihnten Muskeln verbunden, welche nach dem vorderen Kopfende zu immer schwiicher werden, bis sie sich schlieSlich in einfache Muskelfasern auflésen (parieto-vaginale Muskelfasern). Sie kénnen ebenfalls als aus der Lingsmuskulatur der Riisselwand hervor- gegangen betrachtet werden (s. Fig. 1). Aehnliche Muskelfasern sind an dem sich verschiebenden, aber nicht umkrempelnden Teile des Riissels zu konstatieren zwischen Oesophagus und Riissel- wand (parieto-ésophagale Muskelfasern). Auf Schnitten erwies sich die histologische Struktur folgender- mafien. Da der Riissel nur eine Verlingerung des Kopfes ist, sO war zu erwarten, dal} derselbe sowie die Riisselscheide aus den gleichen Elementen besteht wie die Kopfwand, was thatsiich- lich auch der Fall ist. Die Pigmentierung, wenn eine solche vor- kommt, ist gewodhnlich ausschlieflich auf den Teil beschrankt, welcher bei der Ausstiilpung nach aufen gelangt; die Riissel- scheide ist daher gew6hnlich pigmentlos. Das Epithel des Riissels und der Scheide besteht aus hohen, sehr schmalen, dichtgedringten Cylinderzellen mit basal stehenden Kernen (s. Fig. 4). Sie sind von einer Cuticula iiberzogen und ruhen auf einer diinnen, strukturlosen Basalmembran. Dasselbe Verhalten zeigt sich an der Scheide und an der iiuferen Kérperhaut. Die Epithelzellen Weisen meistens in ihren diuferen Teilen eine gelbe Pigmentierung auf. Auf die Basalmembran folet eine schmale, helle, binde- 134 Ad. Oswald, gewebige, scheinbar hyaline Schicht, eine Mucosa, welche sich mit GRENACHER’s Boraxkarmin und Himalaun kaum tingiert, mit Pikrokarmin aber eine dunkle Farbung annimmt und sich dann als aus parallelen Lamellen bestehend aufweist; dieselbe fehlt an der Riisselscheide sowie an der iibrigen K6rperhaut. Darauf folgt die Muscularis, welche im grofen und ganzen wie am ge- samten Kérper aus 2 Schichten besteht, einer auf eren circuléren und einer inneren longitudinalen. Es zeigen sich verschiedene Verhiltnisse am Riissel und an der Scheide. Am Riissel folgen auf die circuliiren Muskeln 2 Schichten sich kreuzender, schrig- verlaufender Muskelfasern (s. Fig. 5), worauf die innere longi- tudinale Schicht folgt, welche an der Spitze des Riissels kon- tinuierlich ist, gegen die Basis zu sich aber in die oben beschrie- benen Biindel auflést. Die Sonderung in 3 Schichten tritt aber nicht an allen Stellen der Riisselwand so klar auf, die schragen Fasern kénnen ganz in den longitudinalen Verlauf tibergehen. Zu diesen Muskelschichten kommen noch die radiir verlaufenden (parieto-dsophagalen) Fasern, die wir mit dem Darme besprechen werden. . An der Riisselscheide ist, wie oben schon gesagt, die Mus- cularis sehr diinn: nur spirliche circulire und ebenso spirliche longitudinale Fasern, welche beide jedoch gegen das hintere Ende der Riisselscheide zu sich etwas verstiirken. Da die Riisselscheide ein eingestiilpter Teil der fuferen Kérperhaut ist, so ist die circulére Schicht nach innen, die longitudinale nach aufen gelegen. Am Nackenintegument (Fig. 6) ist wieder eine dufere cir- kulire und eine innere michtige, longitudinale Faserschicht vor- handen: in derselben verlaufen ohne deutliche Lagerung viele Querfasern, welche am vorderen Kopfende eine Verstiirkung er- leiden und zu einem Sphinkter des Rhynchodiums werden. Zu der Muscularis der Riisselscheide gehéren noch die radidren Parietovaginalfasern, welche wegen ihrer Ahnlichkeit mit den parieto-dsophagalen Muskeln im Abschnitt des Darmes_ be- sprochen werden. Im Integument der Riisselwand sind zahlreiche Hautdrtisen vorhanden (s. Fig. 5; auf Fig. 4 sind sie farblos und erscheinen wie Bindegewebsliicken, weil sie sich mit Boraxkarmin nicht tin- gieren lassen). Diese Driisen sind einzellig und bestehen aus einem birnférmig angeschwollenen Endabschnitt, welcher tief in der Muscularis und zwar in der Liingsmuskelschicht liegt. Der lange Ausfihrungsgang zeigt knotenférmige Anschwellungen und miindet Der Riisselapparat der Prosobranchier. 155 zwischen den Epithelzellen in das Rhynchodium. Die Driisen sind nie miteinander verschmolzen. In der Riisselscheide sind solche Driisen sehr selten, dagegen um so haufiger sind Epithel- schleimbecher, wie sie an der iuSeren Kérperhaut vorkommen. An der Spitze des Riissels sind die Driisen auferordentlich zahl- reich und bilden rings um das Pharyngostom einen dichten Komplex, die Lippendriisen (Fig. 7 stellt einen Lingsschnitt durch die Lippe vor). Das an dieser Stelle massenhaft erzeugte Sekret dient dazu, beim Heraustreten des Riissels das Ausein- anderdrticken der Rhynchostomlippen zu erleichtern. Das Sekret der Driisen und Epitheldriisenzellen zeigt die typischen Schleimfarbenreaktionen. Dieser Schleim hat den Zweck, die Reibung des Riissels auf der Scheide zu vermindern. Die Schleimdriisen der Riisselwand sind in die Tiefe gedrungene und, durch Anpassung an ihre bedeutendere Funktion, gréfer gewor- dene gewohnliche Epithelschleimzellen. Im Rhynchodium fand ich ferner eine gelbe Masse, welche sich bei mikroskopischer Untersuchung als aus lauter langge- streckten und an einem Ende zugespitzten Zellen mit gelbem Inhalt bestehend erwies. Woher diese Zellen stammen, ob sie vielleicht aus dem an gewissen Stellen gelockerten Scheiden- epithel austreten, konnte ich mit Sicherheit nicht nachweisen. Proben zeigten, da’ der gelbe Inhalt kein Fett ist. Diese Masse spielt die Rolle einer Schmiere. Osophagus. Der Darm beginnt an der Spitze des Riissels mit der Mund- hohle, welche ringférmig von dem zu Lippen verlingerten Integu- ment umgeben ist. Diese wenig geraumige Mundhohle teilt sich bald in einen unteren und einen oberen Abschnitt; der untere ist die Pharyngealhéhle, der obere geht in den Osophagus iiber. Der Osophagus durchzieht den Riissel in seiner ganzen Linge dorsalwirts, auf dem Pharynx und dessen Retraktoren liegend: am hinteren Ende des Riissels biegt er um und verlauft unmittelbar an der unteren Seite der Riisselscheide nach vorn, um dann, nach- dem er den Schlundring passiert hat, wieder nach hinten zu ver- laufen. Hinter dem Schlundring erleidet er eine Verdickung: in seiner Wand differenziert sich die unpaare Vorderdarmdriise, von der hier nicht die Rede sein soll. In die Mundhéhle (bei Nassa etwa 2 mm hinter der Riissel- Bd, XXVIM, N. F. XXL. 10 136 Ad, Oswald, spitze) miinden die Ausfiihrungsginge der Speicheldriisen aus, und zwar ventralwirts an der unteren Wand der Mundhohle, nicht an deren Decke, wie dies fiir die meisten Gastropoden beschrieben worden ist. Die Angabe, da die Speichelginge dorsal in die Mundhohle ausmiinden, ist vielleicht allgemein unrichtig, denn makroskopisch verhalten sie sich scheinbar so, indem sie an der dorsalen Fliche des Pharynx in dessen Wand eindringen. Inner- halb derselben verlaufen sie aber nach der unteren Flache der Mundhohle, wo sie in dieselbe ausmiinden. Dieses Verhalten er- weist sich deutlich nur auf Schnitten. Der Osophagus weist gegen sein Lumen zu in seiner ganzen Liinge zahlreiche Falten auf, worunter zwei seitliche am _ kon- stantesten sind (s. Fig. 3). Diese Falten kommen nur innerhalb der cirkuliren Muskelschicht zu Stande, so daf sie an der Aufen- seite des Osophagus nicht sichtbar sind. Sie nehmen gegen den hinteren Abschnitt des Osophagus an Zahl zu. Schon erwihnt wurde, daf der Osophagus durch zahlreiche Fasern an die Riissel- wand befestigt ist. Die histologische Struktur ist folgende: Das Epithel besteht aus Cylinderzellen mit basalstehenden, ovalen Kernen und homo- genem Plasma. Der dem Darmlumen zugewandte Teil der Epithel- zellen zeigt haufig eine feine Granulierung gelben Pigmentes, welches HALLER (17) auch bei verschiedenen Prosobranchiern nach- gewiesen hat. Daf es nicht aufgenommene Stoffwechselprodukte sind, wie es denkbar ware, geht daraus hervor, da es auch an an- deren Epithelien als im Osophagus vorkommt (s. weiter oben p. 133). Bei Haliotis fand Wramann (18) dasselbe sogar schwarz, so daf der Osophagus dunkel gefarbt erscheint. Die Epithelzellen sitzen einer schmalen strukturlosen Basalmembran auf und sind in der Mundhéhle, dem Pharynx und dem Anfang des Osophagus von einer Cuticula iiberzogen, welche sich streckenweise deutlich ge- schichtet zeigt. Allmahlich hért die Cuticula auf, und es tritt an deren Stelle eine Bewimperung auf: das cuticularisierte Epithel ist zu einem Flimmerepithel geworden. Dieser Ubergang erfolgt so, da8 die Cuticula immer dinner wird; ist dieselbe dann ziemlich diinn, aber immerhin noch deutlich wahrnehmbar, so gesellen sich Cilien dazu, welche die Cuticula durchbohren. SchliefSlich verschwindet letztere und es folgt ein- fach ein bewimpertes Cylinderepithel mit diinnem’Cuticularsaum, wie es im ganzen iibrigen Osophagus fortbesteht. Die Figuren 8, 9, 10 und 11 veranschaulichen den Ubergang der Cuticula in Der Riisselapparat der Prosobranchier. 157 die Wimperbekleidung. Dieser Ubergang dehnt sich nur auf eine kurze Strecke aus. Da das aufere K6érperepithel cuticularisiert ist, der Darm aber bewimpert und nur eben der kurze vordere Osophagusabschnitt Cuticula triigt, so mag die Ubergangsstelle beider Epithelien in einander wohl als Grenze zwischen dem ektodermalen und dem entodermalen Darme be- trachtet werden, d. h. an dieser Stelle wiirde sich das Gastrostom befinden, welches bis jetzt nur willkiirlich an der Ausmitindungs- stelle der Speichelginge angenommen wurde. Die Ausmiindung der Speichelgainge findet in der Mundhohle, also am cuticulari- sierten Epithel statt, und zwar weit vor der Grenze beider Epi- thelien, d. h. beider embryonaler Blatter, somit wiirden die Speicheldriisen in den ektodermalen Abschnitt des Darmes ein- miinden, also urspriinglich ektodermale Driisen sein. Die Speichelgiinge besitzen zwar bis fast an ihre Ausmiindung auch Flimmerepithel, was sich aber sekundar mit dem Auswachsen der langen Ginge zum Zwecke der Fortleitung des Speichels mag ausgebildet haben und mit den primitiven Verhiltnissen nichts zu thun hat. Aus dem embryonal eingestiilpten Ektoderm, d. h. aus dem Stomodaéum, wiirden also hervorgehen: die Mundhéhle, ein kurzer Abschnitt des Darmes, die Speicheldriisen und Speichelginge und der Pharynx; und die Auffassung der Radula als Cuticularabsonderung hatte auch einen histologischen Beweis erhalten. Die Richtigkeit dieser Ansicht kann selbstver- stindlich nur die Embryologie entscheidend feststellen. Kine bandférmige, ringsherum und innerhalb der Mundhdéhle verlaufende Cuticularverdickung stellt, wie schon TRroscHet (I. ¢.) beschreibt, die Kieferrudimente dar. Je weiter hinten man den Osophagus untersucht, um so hiufiger begegnet man Becherzellen, welche zwischen indifferenten bewimperten Zellen eingelagert sind (Fig. 12). Sie haben das Aussehen typischer Schleimzellen und zeigen die Mucinfarben- reaktion. Sie ergiesen ihr Produkt unmittelbar in den Oso- phagus. Bisweilen sind einzellige Driisen in der Tiefe der Mus- cularis gelagert, sie zeigen das gleiche Verhalten wie die ein- zelligen Schleimdriissen der auferen Riisselhaut; sie bestehen aus einem angeschwollenen Ende und einem knotigen Ausfiihrungsgang. Alle Ubergangsstadien zwischen den gewodhnlichen Becherzellen und diesen in die Tiefe verlagerten Driisen sind vorhanden (s Fig. 13). Oe 138 Ad. Oswald, Auf die Basalmembran folgt eine zarte, scheinbar struktur- lose Mucosa, welche bei genauer Betrachtung eine feine, der Ober- fliche parallele Streifung aufweist (s. Fig. 4). Sie ist derjenigen ahnlich, welche unter dem Epithel der Riisselwand verliuft. — Ks folgt dann die Muskulatur, welche in den verschiedenen Re- gionen yon ungleichartiger Starke ist. Sie besteht aus einer inneren longitudinalen und einer auSeren cirkulaéren Schicht. Die Langsmuskulatur ist schwach entwickelt; die Ringmuskulatur ist gegen die Spitze des Riissels, also um die Mundhohle, verstarkt und bildet daselbst einen Sphincter oris. An der Spitze selbst verlaufen die Muskelfasern in allen Richtungen, geflechtartig, so da keine Schichten mehr erkennbar sind. Hinter dem Sphincter ist die Ringmuskulatur schwiicher und bleibt von ziemlich kon- stanter Dicke, den ganzen vorderen Darm hindurch. Am hinteren Kinde desselben nimmt sie jedoch betrichtlich an Dicke ab. An dieser Stelle sollen noch die radiéren Fasern besprochen werden, von welchen oben schon die Rede war. Dieselben ver- binden die dufere Riisselwand mit der Darmwand. Sie sind zahl- reicher an der Spitze des Riissels als gegen seine Basis zu und dehnen sich aus schon oben hervorgehobenen Griinden iiber die ganze Strecke aus, welche bei der Aus- und Einstiilpung nicht umgekrempelt wird. Sie verlaufen im allgemeinen in radialer Richtung, senkrecht zum Darmepithel; an der Riisselspitze schlagen sie einen schrigen Verlauf vorwirts und axialwarts ein (Fig. 7). Meistens vereinigen sich 4—6 Fasern zu Biindeln. Histologisch bestehen sie aus langgestreckten spindelférmigen Zellen (Fig. 4), an welchen die Fibrillensubstanz nur peripherisch gelagert, also schlauchférmig ist, wahrend der axiale Teil Sarko- plasma aufweist (s. den spez. Abschnitt iiber die Histologie der Muskeln). An dem mittleren, freiliegenden, erweiterten Teile liegt der grofe, ovale Kern. An dem dem Darme zugewandten Ende lauft jede Faser in einen diinnen homogenen Strang aus, der kein Sarkoplasma enthalt und welcher sich in der Héhe der Mucosa meistens in zwei oder mehrere Astchen teilt. Dieselben laufen in die Mucosa aus, indem sie sich in Fibrillen auflésen. Einzelne Fibrillenbiindel konnte ich bis an die Basalmembran verfolgen, woran sie ihren Ansatz finden. Das andere Ende der Fasern er- streckt sich durch die Liingsmuskelschicht der Riisselwand bis in die Ringmuskelfasern, in welche es iibergeht, indem es umbiegt. Ganz ahnlich gebaute Fasern verbinden die Riisselscheide mit der Kérperwand, mit dem Unterschiede jedoch, daS an diesem Ab- Der Riisselapparat der Prosobranchier. 139 schnitt die eine Halfte der Faser der Riisselscheide anliegt (Fig. 6). Auffallend ist, da die hyaline Mucosa des Darmes zugleich mit den radiaren Fasern aufhort. Speicheldriisen. Die beiden Speicheldriisen liegen bei Buccinum undatum auf dem Boden der Kopfhéhle und zwar so, daf sie bei eingezogenem Riissel in gleichem Abstande von der Basis und der Spitze des- selben liegen, wahrend nach der volligen Ausstiilpung die Grenze zwischen Riissel und Riisselscheide tiber sie zu liegen kommt (s. Figg. 2 und II, Ill); die Ausfiihrungsginge verlaufen dann in gerader Linie nach vorn. Die Driisen andern also wahrend der Exkursionen des Riissels ihre Lage nicht. Sie werden von dem Oesophagus umgangen, welcher die schon besprochene Schleife nach vorn bildet, so daf derselbe unterhalb und oberhalb von ihnen verlauft (Figg. II und IJ). Die linke Driise liegt weiter hinten und weiter oben als die rechte und bedeckt einen Teil der letz- teren; sie liegt auf dem Schlundring, die rechte rechts davon. Beide stellen flache Gebilde vor; die rechte ist etwas massiver als die linke. Die Ausfiihrungsginge durchziehen den ganzen Riissel, dorsal- wirts von dem Pharynx und dessen Retraktoren, an der unteren und dueren Seite des Osophagus, indem sie zahlreiche Schlinge- lungen beschreiben. Sie verlassen die Driisen auf ihrer oberen Seite. Der rechte zieht tiber den Schlundring, der linke rechts vorbei; beide passieren also den Schlundring nicht, wie dies tiber- haupt bei allen Rhachiglossen und Toxiglossen der Fall ist. In der Gegend der vorderen Hialfte des Pharynx dringen die Speichelgiinge, wie oben schon erwahnt, in die Scheide desselben, verlaufen darin nach abwirts und miinden von unten ohne Er- weiterung in die Mundhéhle. Die Gange zeigen in ihrem ganzen Verlaufe den gleichen Durchmesser; sie bestehen nicht, wie die- jenigen einiger Prosobranchier (s. B. HALLER loc. cit.), aus einem hinteren schmalen und einem vorderen erweiterten Teile. Gegen ihre Ausmiindung zu sind sie mit Cylinderepithel mit basal stehen- den, ovalen Kernen ausgekleidet, das auf einer Basalmembran ruht und eine Cuticula trigt; die Auskleidung ist also gleich wie in der Mundhohle. Allmahlich werden die Epithelzellen zu kubischen Zellen, die Cuticula verschwindet und das Epithel bedeckt sich 140 Ad. Oswald, mit auferordentlich langen Cilien, welche eine Lange haben kénnen von bis 5—6mal die Hohe der sie tragenden Zellen (s. Fig. 14). Unter dem Epithel liegt eine Muscularis, welche verschieden dick ist. Auf dem gréften Verlaufe der Speichelgange, von ihrem Beginn bis fast an die Stelle, wo sie in den Pharynx dringen, betragt die Dicke der Muscularis kaum die Hohe des Epithels; da, wo die Gange innerhalb des Pharynx verlaufen, besitzen sie eine dicke, aus cirkuléren und schrag verlaufenden Fasern be- stehende Muscularis. Nerven des Riissels. Was die Innervation des Riissels belangt, so kann ich zu den Ergebnissen von Bouvirer’s Untersuchungen (5) nichts Neues zufiigen, da letztere sehr ausfiihrlich und genau sind; ich kann sie vielmehr nur bestitigen. Ich werde deshalb alles kurz zu- sammenfassen. Die Natur des Riissels als doppelte Einstiilpung des vorderen Korperendes giebt sich auch in der Innervation kund. Die Gehirnganglien kommen nie in den Riissel zu liegen, somit ist der Riissel nicht der einstiilpbare ganze vordere Kérper- teil (etwa wie bei den Sipunculiden), sondern nur die einstiilp- bare, stark verlangerte Schnauze. Die Riisselnerven stammen aus den Cerebralganglien, welche sie an ihren hinteren Enden verlassen. Sie bilden rechts und links ein grofes Biindel, welches nach hinten verlauft. Sie teilen sich in 2 Gruppen: die einen innervieren die Riisselscheide und die Muskeln, welche dieselbe mit der Kérperwand verbinden, sie sind die Riisselscheidenerven; die anderen innervieren den Riissel, sie sind die eigentlichen Riisselnerven. Es giebt 4 Riisselscheidenerven auf jeder Seite; sie sind schwicher als die Riisselnerven und trennen sich bald von den letzteren, um sich in der Riisselscheide zu verbreiten. Sie ver- laufen bis an das hintere Ende der Riisselscheide. Die eigentlichen Riisselnerven sind stark; auf jeder Seite sind drei vorhanden. Sie verlaufen in einem Biindel an der unteren Flache der Riisselscheide mit den Speichelgingen, ohne einen Ast abzugeben, und sind haufig durch Queranastomosen ver- bunden. Am hinteren Ende der Riisselscheide biegen sie in den Riissel um. Der kleinste Riisselnerv ist durch eine Anastomose mit einem Buccalnerv verbunden, der in den Radularapparat ver- Der Riisselapparat der Prosobranchier. 141 lauft; der gréfte teilt sich in 3 Aste, von denen der eine die Basis des Riissels innerviert, die beiden anderen die untere Wand desselben bis an sein vorderes Ende, wo sie sich in zahlreiche Aste teilen. Der dritte Riisselnerv ist ebenso kriftig wie der vorhergehende, er ist in der Gegend des hinteren Endes der Riisselscheide mit einem Buccalnerven verbunden, welcher den Oesophagus innerviert. Er selbst innerviert die obere Wand des Riissels und teilt sich in viele Aste am vorderen Ende des Riissels. Zu den Riisselnerven im weiteren Sinne gehdren noch die Buccalnerven. Dieselben entstammen aus dem Buccalganglion und lassen sich in 2 Gruppen teilen: die erste begreift solche Nerven, welche die im Riissel enthaltenen Organe innervieren, die zweite solche, welche die unter dem Riissel sich befindenden Organe innervieren. Die ersteren verlaufen mit den Riissel- und Riissel- scheidenerven, welche aus dem Gehirnganglion stammen und bilden mit denselben ein einziges Biindel. Es giebt drei auf jeder Seite. Der eine innerviert den Oesophagus bis vorn an die Mundéfinung, er verliuft mit dem Speichelgang. Die beiden anderen innervieren die Radulascheide. Zu den Nerven der zweiten Gruppe gehéren folgende: der Speicheldriisenschlundnerv (nerf oesophagien salivaire von Bouvier), welcher sich in zwei Aste teilt, von denen der eine die Speichel- driisen und der andere den Oesophagus auf der Strecke zwischen dem hinteren Riisselende und dem Schlundring innerviert; — der Aortaschlundnerv (nerf oesophagien aortique Bouy.), welcher un- paar ist, aber aus zwei verschmolzenen paarigen Nerven besteht. Er verlauft nach hinten zwischen dem Oesophagus und der Aorta, welche er innerviert. Nach Bouvier soll noch ein anderer un- paarer Nerv, nerf aortique, vom linken Buccalganglion abgehen und die verschiedenen Aste der Aorta, da, wo letztere den Schlund- ring passiert, plexusartig tiberziehen. Rechterseits konnte er ihn nicht nachweisen. Ich habe einige Nerven angefiihrt, die ich mit voller Sicher- heit nicht nachweisen konnte, da ich das Nervensystem nur an in Alkohol konservierten Objekten praparierte. Ich erwihnte sie jedoch, nach den Angaben Bouvirr’s, um ein vollstiindiges Bild des Riisselnervensystems zu geben. Im iibrigen verweise ich fiir mehr Details auf Bouvier’s Beschreibungen und Figuren. 142 Ad. Oswald, Pharynx. Der Pharynx von Bucc. undat. wurde vor relativ kurzer Zeit von Patrick GEppDES (20) einer genauen Untersuchung unter- worfen. Dieser Autor begniigte sich aber gréStenteils mit Figuren, schilderte nur den Mechanismus als Ganzes und unterlieS es, die ein- zelnen Muskeln und ihre Wirkung zu beschreiben, da man nicht imstande sei, die Funktion eines jeden Muskels zu erkennen. Daf diese Meinung unrichtig ist, davon haben mich meine Prapa- rate tiberzeugt; es ist mir gelungen, den Pharynx in verschiedenen Stadien der Pro- und Retraction und auch die Radula in ver- schiedenen Lagen zu fixieren, und so vermochte ich tiber die Wirkungsweise der einzelnen Muskeln Klarheit zu erhalten und diese Muskeln in Gruppen einzuteilen. Da es mir nur auf die Muskulatur des Pharynx ankommt, so habe ich von allem anderen abgesehen. Die Radula und Radulascheide wurden schon von ver- schiedenen Autoren beschrieben (TROSCHEL (2), LeBERT (16)). Cuvier (15) hat den Pharynx von Bucc. undat. zuerst unter- sucht, aber seine Untersuchungen sind sehr unvollstandig und gaben ihm daher nur einen unklaren Begriff von der Bewegung der Radula. Seine Abbildung des Pharynx entspricht nur wenig der Wirklichkeit. Epw. Oster (19) — 1832 — bringt nichts Neues tiber den Pharynx von Bucc. undat. LeBErT (16) — 1846 — iibersetzt verschiedene Stellen aus Cuvier’s Mem. sur les Moll., was den gesamten Pharynx betrifft, und beschreibt selbstandig nur die Radula. Spater hat GeppES (20) die oben erwahnten Untersuchungen angestellt. Der Pharynx von Buccinum undatum stellt einen langge- streckten Cylinder dar, welcher im vorderen Teile des Riissels liegt; er ist von einer muskulésen Scheide umgeben, die sich ihrer ganzen Lange nach seitlich an die lang ausgezogenen Zungenknorpel ansetzt. Auf der ventralen Seite ragt die Pharyngealscheide nicht so weit nach hinten als auf der dorsalen. Am hinteren Ende des Pharynx treten die Muskeln aus der Scheide hinaus und setzen sich, indem sie sich ausbreitcn, an die Riisselwand an. — Der Pharynx stellt bekanntlich eine Ausstiilpung der Mundhohle dar, daher ist er von demselben cuticularisierten Cylinderepithel aus- gekleidet, wie die Mundhoéhle selbst. Ebenso finden sich in der Der Riisselapparat der Prosobranchier. 143 Muscularis zahlreiche einzellige acinése Schleimdriisen von gleichem Habitus wie diejenigen der auBeren Riissel- und der Mundhohlen- wand. Ihr Sekret hat wahrscheinlich den Zweck, das Hin- und Hergleiten der Radula zu beférdern. In der Pharyngealhéhle liegt die langgestreckte Radula, welche am vorderen Ende des Pharynx nach unten umbiegt und so aus zwei Schenkeln besteht. Der obere ist langer als der untere und ist nach hinten durch den Bulbus (Lesert’sche Endpapille) abge- grenzt. Beide Schenkel der Radula sind von der Radulascheide umgeben; dieselbe grenzt die Pharyngealhéhle gegen die Riissel- (Leibes-)héhle ab. Gehen wir sofort zur Muskulatur tiber. Die Muskeln kann man in Protraktoren und Retraktoren einteilen. I. Protraktoren. Dazu gehéren solche, welche den Pha- rynx und solche, welche die Radula und Radulascheide pro- trahieren. a) Protraktoren des Pharynx. Dieselben bestehen aus einem Paar seitlich gelegenen platten Muskeln (Fig. IV pp), welche am vorderen Ende der Riisselwand mittelst drei K6épfen seitlich ihren Ursprung nehmen und an die seitliche und obere Wand des Pharynx am hinteren Ende den Zungenknorpel inserieren. Wir- kung: durch ihre Kontraktion wird der gesamte Pharynx protra- hiert. Fig. IV stellt den Pharynx im zuriickgezogenen Stadium dar, Fig. V im hervorgestreckten. Auf Fig. V ragt die Radula bis an die Spitze des Riissels, wihrend sie auf Fig. IV etwas hinter derselben ist. b) Protraktoren der Radula und Radulascheide. Dieselben stellen eine Muskelschicht dar, welche rings um die Mundhohle und in deren Wand gelagert ist (Fig. IV cp). Sie sind streng genommen um die Langsmuskelfasern des auferen zur Mundhohlenwand gewordenen Integumentes. Sie inserieren an der Radula und der Radulascheide. Sie ziehen dieselben nach vorn. Il. Retraktoren. Sie liegen in zwei Schichten, einer dor- salen und einer ventralen. Die erste liegt innerhalb der Pha- ryngealscheide, die letzte auBerhalb und ventralwarts von der- | selben. a) Dorsale Retraktoren. a) Retraktoren resp. Zusammenzieher der Zungen- _knorpel. Als solche dient ein Paar Muskeln (Fig. VI kz), _ welche am Bulbus der Radula ihren Ursprung nehmen und nach 144 Ad. Oswald, vorn und aufen verlaufen, um sich an die vordere Halfte der Zungenknorpel anzusetzen. Durch ihre Kontraktion werden die Zungenknorpel einander genahert und die Radula wird dadurch auf die Knorpel gehoben. Nach hinten gehen sie in einen me- dianen Muskel (pr) tiber, dessen Ursprung an der ventralen Flache der Riisselwand ist, und die Insertion am Bulbus der Radula. Kontrahiert sich derselbe, so werden die Radula und die beiden Knorpelretraktoren zuriickgezogen und somit der ganze Pharynx retrahiert. Er ist also Retraktor des ganzen Pharynx. b) Radularetraktoren. Es folgen dann eine Anzahl Radularetraktoren. Dieselben entspringen entweder innerhalb der Pharyngealscheide an dem hinteren Teile der Zungenknorpel oder auferhalb derselben, an der Riisselwand. Das Verhalten dieser Muskeln ist auf Fig. VI zu sehen, welche den dorsal aufgeschnit- tenen Pharynx darstellt. Fig. IV. Fig, V. Fig. VI. HAWN N\A \ \\\ \ eS le Fig. IV. Riissel von Buce. undat. dorsal aufgeschnitten. Vergr. ca. X 2—. ps Pharynxscheide; oe Stelle, wo der Oesophagus in die Mundhéhle miindet; cp cirkul. Protraktor der Radula und Radulascheide; pp Protraktor des Pharynx 5 pr Pharynxretraktor. Fig. V. Der Pharynx ist durch die Kontrakt. der Pharynxprotraktoren nach vorn geschoben. Fig. VI. &z Knorpelzusammenzieher ; 7 Radula; 7s Radulascheide ; pr Pharynx- retraktor; zk Zungenknorpel; v7,—v7r, dorsale Radularetraktoren. Die Pharynx- scheide ist gedffnet. Der Riisselapparat der Prosobranchier. 145 1) Zu oberst, unmittelbar unter der Pharyngealscheide und oberhalb der zuletzt beschriebenen Zusammenzieher der Zungen- knorpel, liegt jederseits ein kleiner Muskel rr,. Sein Ursprung ist am hinteren Ende der Zungenknorpel. Er verlauft nach vorn, schrag und axialwirts und inseriert an der Radulascheide, unge- fahr in der Mitte ihrer Linge. Ein anderer dinner Muskel rr, hat denselben Verlauf und denselben Ursprung, verlauft aber unter- halb des Muskels kz und inseriert an der Radulascheide etwas vor letzterem Muskel. 2) Die folgenden Muskeln haben ihren Ursprung an der Riisselwand auSerhalb der Pharyngealscheide. Das Muskelpaar rr, entspringt auf jeder Seite an der Riisselwand, dringt dann von hinten in den Pharynx und setzt sich an die Radulascheide an deren ventraler Seite an. Das Muskelpaar rr, hat den gleichen Verlauf und die gleiche Insertion, entspringt ebenfalls an der Riisselwand, aber weiter nach hinten zu. Ein medianer unpaarer Muskel verlauft unter dem dorsalen unpaaren Retraktor (pr), Fig. VII. Fig. VIIL. Fig. IX. Fig. VII. Die in Fig. VI bezeichneten Muskeln sind entfernt. Tiefe Schicht der dorsalen Radularetraktoren. r7,— rr, dorsale Retraktoren. Fig. VIII. Simtliche dorsale Muskeln sind entfernt. vb ventrales Blatt; db dor- sales Blatt der Pharynxscheide ; z& Zangenknorpel; kzs Knorpelzwischenstiick. Fig. IX. Ventrale Ansicht. vd ventrales Blatt der Pharynxscheide; cp cirku- lairer Protraktor der Radula und Radulascheide; mvr medianer ventraler Radula- retraktor ; vr lateraler ventraler Radularetraktor; rv; dorsaler Radularetraktor. 146 Ad. Oswald, nimmt seinen Ursprung an der Riisselwand und inseriert an der — ventralen Seite der Radulascheide. Er ist auf der Abbildung nicht | zu sehen, da er von der Radulascheide und dem Muskel pr be- | deckt ist. 3) Darauf folgt eine tiefere Schicht, welche aus verschiedenen Muskeln besteht, die innig verbunden sind. Man kann einen paarigen Muskel vr, Fig. VII unterscheiden, dessen Ursprung jederseits am hinteren Ende der Zungenknorpel ist Er lauft nach vorn spitz zu und inseriert an der Radulascheide an ihrem vorderen Teile. Median und innig verbunden mit dem vorher- gehenden verlauft der Muskel vr,. Er entspringt am hinteren Ende der Pharyngealscheide und inseriert gemeinsam mit dem Muskel rr,. Vier mediane Biindel vr, entspringen der unteren Riisselwand auferhalb der Pharyngealscheide und laufen in die Muskeln vr; und rr, aus. Wie aus dieser Aufzihlung hervorgeht, sind die Retraktoren des dorsalen Schenkels der Radula zahlreich und stark entwickelt. Viel weniger betrachtlich ist die ventrale Retraktorenmasse. 8) Ventrale Retraktoren. Dieselben liegen auBerhalb der Pharyngealscheide. Sie inserieren alle an dem hinteren Ende des unteren Schenkels der Radula und nehmen ihren Ursprung teils an den Zungenknorpeln, teils an der ventralen Riisselwand. Auf jeder Seite entspringt an dem hinteren Ende der Zungen- knorpel ein flacher Muskel lwr, der laterale ventrale Retraktor. Er verlauft nach vorn, indem er sich allmahlich verjiingt und in- seriert seitlich an der genannten Stelle der Radula. Zwei me- diane Muskeln (mvr), mediane ventrale Retraktoren, nehmen ihren Ursprung an der ventralen Riisselwand und sind in ihrem hinteren Teil bis zum Beginn der Pharyngealscheide mit den dorsalen Re- traktoren rr, ziemlich verwachsen. Sie inserieren an der gemein- samen Insertionsstelle der ventralen Retraktoren, medianwarts von dem soeben besprochenen. Die ventralen Retraktoren sind, wie ersichtlich, im Vergleich zu den dorsalen sehr gering. Sie wirken als Antagonisten gegen- iiber den dorsalen, indem sich jede Gruppe an einen anderen Schenkel der Radula ansetzt. Die Zungenknorpel sind zwei lange bandférmige Knorpelmassen, welche nicht (GEppES’ Abbildung ist unrichtig) iiber die Lange der Pharyngealscheide hinausreichen und vorn etwas verdickt sind. An der ventralen Kante sind sie in ihrem vorderen Ab- schnitt miteinander verwachsen (s. Figg. VIII und 3), so dab sie Der Riisselapparat der Prosobranchier. 147 eine nach oben offene Rinne darstellen, in welcher die Radula liegt. An dem vorderen Ende der Radula biegt die Radula nach unten um. Nachdem wir nun die einzelnen Muskeln des Pharynx be- schrieben haben, wollen wir die Bewegungen der Radula und des Pharynx untersuchen. Die Bewegungen des Pharynx als Ganzes bestehen in der Pro- und Retraktion. Die Protraktion erfolgt dadurch, dal sich der Pharynxprotraktor pp kontrahiert. Zugleich wirkt auch der cirkulare Radulaprotraktor. Die Retraktion geschieht durch die eleichzeitige Kontraktion aller Radula- und Zungenknorpelretrak- toren und Erschlaffung der Protraktoren. Der gesamte Pharyngealapparat dient dazu, die Radula in Bewegung zu versetzen; diese Bewegung besteht in einem ab- wechselnden Vor- und Riickwirtsschieben. Nach Cuvier (15) wird diese Bewegung der Radula rein passiv durch diejenige der Knorpel hervorgerufen. ,,Wenn die Knorpel infolge der Kontraktion der Muskeln sich vorn einander nahern, so breitet die Radula ihre Zihne aus, richtet sie abwirts, indem sie sich nach vorn wendet, und riickt vorwirts; und wenn sie auseinanderweichen, so zieht sie sich zuriick und stellt die Zihne aufwirts. Die Wiederholung dieser Bewegung ist es, welche, vielleicht durch die atzende Kigen- schaft des Speichels unterstiitzt, die Durchbohrung der hirtesten Muskeln erméglicht.‘‘ Die Hauptfaktoren bei den Radulabewegungen waren also die Zungenknorpel. Huxiey (21) ist zu der entgegengesetzten Ansicht gelangt, nimlich daf& die Knorpel sich vollkommen passiv verhalten. Aus den anatomischen Verhiltnissen gehe schon hervor, daf die Radula durch eigene Muskeln bewegt werde; die Knorpel verhalten sich nur wie eine Rolle, tiber welche die Radula durch abwechselnde Kontraktion der dorsalen und ventralen Retraktoren wie ein Band hin- und hergezogen wird. Diese letzte Auffassung ist entschieden zu einseitig. Patrick Gepprs (20) schlieBt sich wieder der Meinung Cu- VIER’S an. Nach meiner durch Beobachtung unterstiitzten Auffassung spielen beide Momente eine Rolle. Die Bewegung der Radula wird durch die Kontraktion ihrer eigenen Muskeln und zugleich durch die Bewegung der Knorpel bewirkt. Durch die Kontraktion der Knorpelzusammenzieher werden die vorderen Teile der Knorpel einander genahert, die Radula wird iiber dieselben gehoben, indem 148 Ad. Oswald, sie darauf zu liegen kommt und daher zu gleicher Zeit etwas nach vorn geschoben; die dorsalen Retraktoren geben nach, die — ventralen kontrahieren sich und die Radula gleitet, wie es Hux- LEY angiebt, iiber die Zungenknorpel, wie ein Band tier eine Welle. Hirt die Kontraktion der Knorpelzusammenzieher auf, so entfernen sich infolge der Elastizitiét die vorderen Enden der Zungenknorpel und zugleich ziehen die dorsalen Retraktoren die Radula_ riickwarts. Das Gleiten der Radula tiber die Zungen- knorpel nach Art eines Bandes itiber eine Welle ist allerdings sehr beschrinkt, da ja die Radula vermittelst ihrer Scheide beiderseits an die Mundhohle befestigt ist; da’ aber ein solches Gleiten statt- findet, haben mir meine Praparate gezeigt, an welchen die Radula in verschiedenen Stadien ihrer Exkursion fixiert wurde. Ubrigens sprechen auch fiir diese Auffassung verschiedene anatomische Thatsachen. Die Zaihne der Radula sind so befestigt, dal sie an der vorderen Umbiegungsstelle der Radula aufwirts schauen. Kontrahieren sich also die ventralen Retraktoren, so gleiten die Zihne tiber das zu benagende Objekt hinweg, ohne es anzupacken, da die Bewegung im entgegengesetzten Sinne erfolgt wie die Richtung der Zahne. Es braucht also wenig Kraft zur Ausfiithrung dieser Bewegung. Kontrahieren sich die dorsalen Retraktoren, so packen die Zihne das Objekt an, sie kratzen, es braucht also mehr Kraft, da die Reibungsresistenz tiberwunden werden muh; die Muskeln miissen stairker sein als auf der ventralen Seite. Dies ist auch thatsichlich der Fall: die dorsalen Retraktoren sind viel zahlreicher und kraftiger als die ventralen. Struktur der Muskelfasern. Besondere Aufmerksamkeit mu8 der feineren Struktur der Muskelfasern geschenkt werden. Die Muskeln des Riickens, wie auch diejenigen der Nackengegend und des Fufes bestehen bei Nassa reticulata und bei Bucc. undat. aus spindelférmigen Fasern, welche die Eigentiimlichkeit zeigen, dai sie nicht durch und durch aus Fibrillensubstanz bestehen. Die Fibrillen sind ausschlieflich auf die Peripherie beschrankt und der axiale Teil wird von kér- nigem Sarkoplasma, auch Marksubstanz genannt, ausgefiillt. Diese Muskeln sind ganz gleich wie diejenigen der Hirudineen. Sie wur- den von Lesert und Rosin (22) schon 1846 im Fube von Pekten signalisiert, aber nicht niher beschrieben. RHopE (23) hat ahn- liche bei Chaetopoden nachgewiesen, Vor kurzer Zeit (1892) hat Der Riisselapparat der Prosobranchier. 149 BatLowitz (24) gleiche Muskeln bei Cephalopoden beschrieben und im Laufe meiner Arbeit erschien eine Abhandlung von J. Wackwitz (25) iiber Heteropoden- und Pteropodenmuskulatur, in welcher ganz gleiche Muskeln geschildert sind, wie diejenigen, die ich in meinen Priaparaten fand. Meine Untersuchungen erstrecken sich ausschliefSlich auf Nassa reticulata und Buccinum undatum; hauptsiichlich auf erstere. In dem kurzen Abschnitt, den ich dem feineren Bau der Muskel- faser in dieser Arbeit widmen kann, ist es mir nicht modglich, griindlich auf den Gegenstand einzugehen, um so mehr als die Muskelstruktur ein sehr ausgedehntes Kapitel der Histologie ist und dem genauen Studium derselben ganz besondere Unter- suchungen und Untersuchungsmethoden zu Grunde liegen miissen, die mich zu weit von meinem Thema entfernt hatten. Ich teile deshalb nur kurz mit, was ich in meinen Priparaten zu Gesicht bekam. Fiir die Litteratur verweise ich auf die Abhandlungen der drei zuletzt genannten Autoren. Das Verhalten des Sarkoplasmas zu der Fibrillensubstanz ist nicht bei simtlichen Muskelfasern ein und desselben Individuums gleich, ebenso sind auch die Fasern im Querschnitt verschieden dick. Die Pharynxmuskeln sind im allgemeinen kriaftiger, die Fibrillensubstanz ist machtiger entwickelt, und der von dem Sarko- plasma ausgefiillte Raum ist gréfer, als bei den Muskeln des Darmes und des Integumentes. Bei letzteren zeigen sich die Querschnitte klein und die Marksubstanz gering. Im Pharynx selbst sind verschiedene Muskelfasern vorhanden. Im Abschnitt tiber die Histologie des Osophagus wurde der Bau der radialen Muskelfasern geschildert; ganz ahnlich verhalten sich alle Muskelfasern des gesamten Kérpers der untersuchten Individuen. Die Fasern sind spindelf6rmig und zeigen an der Stelle, wo der ovale Kern liegt, eine Verdickung (Fig. 15), welche immer die Mitte der Faser einnimmt. An der Peripherie lagert die kontraktile Substanz und in der Achse das Sarkoplasma. Das- selbe nimmt am meisten Raum in der mittleren Region der Muskel- faser ein, gegen die Enden zu wird es immer geringer und schlieb- lich in den zugespitzten Endteilen verschwindet es ganz. Das Sarkoplasma hat ein kérniges Aussehen und zeigt sich bei gut fixierten Praparaten zu netzartigen Striingen verbunden, zwischen welchen Vakuolen vorhanden sind. Um den Kern herum ist immer ein heller Hof, der homogener aussieht als das iibrige Sarkoplasma. In letzterem liegen kleine Kiigelchen oder Trépfchen, welche 150 Ad. Oswald, BALLowirz auch in Cephalopodenmuskeln gefunden hat. Uber die Natur derselben bin ich nicht im stande mehr zu sagen als jener Autor und es bleibt spateren Untersuchungen vorbehalten, zu ent- scheiden, ob es Reservestoffe sind oder vielleicht nur einfach ver- dichtetes Plasma. Was die Anordnung der Fibrillensubstanz betrifft, so sind Verschiedenheiten zu konstatieren. Werden Muskeln in Quer- schnitte zerlegt, so erhaélt man einmal ein Bild, wie es Fig. 16 darstellt. Die einzelnen Muskelfasern zeigen meist einen hexa- gonalen Querschnitt, was aus mechanischen Ursachen hervorgeht, und sind alle ziemlich von gleicher GréSe. Das Sarkoplasma nimmt einen bedeutenden Raum ein. Die peripherisch angeordnete Sub- stanz erweist sich als aus einzelnen Fibrillen von rundlichem Quer- schnitt bestehend (Fig. 16). Die Kerne liegen immer im Sarko- plasma und die Fibrillensubstanz stellt stets einen véllig geschlos- senen Schlauch dar. Die Fibrillen sind durch eine Zwischensubstanz verbunden. Diese Befunde stimmen vollstindig tiberein mit den- jenigen von WackwitTz an der Flossenmuskulatur von Carinaria und Pterotrachea. Innerhalb der Zwischensubstanz fand ich an manchen Stellen, da, wo sich mehrere Muskelfasern beriihren, eine von ihr verschiedene Substanz, welche sich mit Osmiumsiure z. B. viel intensiver farbt (Fig. 16 zws). Praparate, welche von Individuen herriihrten, die mit Sublimat fixiert und mit GRENACHER’S alkoh. Boraxkarmin oder Pikrolithium- karmin tingiert wurden, haben ahnliche Bilder geliefert. Die mit Hamalaun gefirbten Praparate zeigten jedoch ein von vorigen ver- schiedenes Aussehen, indem die Faserzwischensubstanz nicht kon- tinuierlich gefairbt ist, sondern jeweilen in der Mitte zwischen zwei Fasern sich gespalten erweist (Fig. 17). Jede Faser scheint daher isoliert zu sein. Dies weist darauf hin, daf jeder Muskel- faser ein Teil der verschmolzenen Zwischensubstanz eigen ist. So verhalten sich die Muskelfasern des ganzen Riissels, der Riissel- scheide, des Nackenintegumentes, des Fufes und des Oesophagus, mit dem Unterschiede, daf die Pharynxmuskulatur histologisch am kraftigsten entwickelt ist. Im Pharynx zeigen sich aber noch andere Verhaltnisse. Unter den eben besprochenen Fasern in den in Fig. 3 mit pm bezeichneten Muskeln finden sich andere ganz unregelmifig zerstreute, welche einen grofen Durchmesser be- sitzen und deren Fibrillenschicht viel dicker ist und zugleich homogen aussieht, ohne Sonderung in Fibrillen (Fig. 18). Ferner hat die kontraktile Substanz einen eigenartigen Glanz. Das Der Riisselapparat der Prosobranchier. 151 Sarkoplasma farbt sich intensiver und ist starker granuliert. Die Kerne liegen auch im Sarkoplasma und sind ringsumher von dem- selben umgeben. Auf die Bedeutung dieses feineren Baues der Mollusken- muskulatur und die Beziehungen der Ausbildung der kontraktilen Substanz zur Funktion der Muskelfaser will ich nicht niher ein- gehen, es sei mir nur gestattet, einer Sache noch Erwaihnung zu thun, die fiir spiatere Untersuchungen nicht unwichtig sein mag. Durch SchluSfolgerung ist Wackwirz zu der Ansicht ge- kommen, da die Kraft einer Muskelfaser um so groéfer ist, je mehr Fibrillensubstanz sie enthalt und je weniger Marksubstanz. Zugleich ist aber der Wiederersatz der bei der Kontraktion ver- brauchten Stoffe um so rascher, je mehr Marksubstanz und um so weniger Fibrillensubstanz in einer Faser enthalten ist. Enthalt daher eine Muskelfaser relativ viel Marksubstanz, so ist sie zwar zu einer minder kraftigen, aber ausdauernderen Thatigkeit be- fihigt. Inwiefern diese Auffassung richtig ist, ist noch durch keinen experimentellen Versuch nachgewiesen, vorliufig wollen wir aber nur das darin sehen, da namlich nach der Betrachtung von Wackwitz die mit Sarkoplasma versehenen Muskelfasern sich anders verhalten als diejenigen, welche keins besitzen. Nun liegt eine von Lesert (16) gemachte Beobachtung vor, welche Wackwitz wahrscheinlich nicht bekannt war, da er sie nicht erwahnt und welche eine Bestiitigung seiner Voraussetzungen insofern ist, als sie zeigt, daf die mit reicherem Sarkoplasma ver- -sehenen Muskelfasern sich anders verhalten wie solche, die nur ein geringes Quantum enthalten. Ich habe nimlich oben erwihnt, da die Pharyngealmuskeln histologisch kraftiger ausgebildet seien wie diejenigen des tibrigen Korpers. Nun sagt Lesert: ,,Die Muskulatur des Pharynx bietet besonders das Merkwiirdige dar, dafi sie die den Muskeln hoéherer Tiere eigentiimliche rote Fleischfarbe zeigt. AuSerdem zeigen diese Muskeln eine bei weitem gréfere Kontraktilitaét, als dies bei all den iibrigen Muskeln des gleichen Tieres der Fall ist. Diese ist so bedeutend, dafi noch eine Stunde nach der Entfernung der- selben aus dem lebenden Kérper die geringste Beriihrung mit einem der Zergliederungsinstrumente eine kraftige Zusammen- ziehung bewirkt“. Aus dieser Betrachtung geht hervor, dafi die von den iibrigen histologisch verschiedenen Muskeln auch thatsiichlich physiologisch Bd, XXVIII. N. F. XXI, al 152 Ad. Oswald, verschiedener Leistungen fahig sind. Lesert’s Beobachtungen waren nur fliichtig und es ist daher die Vermutung begriindet, daf es spaiteren Untersuchungen gelingen wird, mit Hiilfe der heutigen physiologischen Methoden auf experimentellem Wege die genauere Beziehung zwischen den sarkoplasmahaltigen Fasern und ihrer Funktion festzustellen und im allgemeinen die Unterschiede der Arbeitsfahigkeit der sarkoplasmahaltigen und sarkoplasmafreien Muskelfasern zu bestimmen. Die bisherigen Untersuchungen erstrecken sich alle auf Bucci- num und Nassa, welche einen wohlausgebildeten Riissel besitzen. Bei der Vergleichung des Riissels des pleurembolischen Typus verschiedener Prosobranchier lassen sich Differenzen aufweisen, welche sich aber nur auf die Lange und den Grad der Ausbildung beschranken und nie auf das Prinzip des Baues iibergreifen. So findet man namentlich stets die charakteristische Ansatzstelle der Retraktoren in der mittleren Region der Riisselscheide. Buccinum (B.undatum L.) und Nassa (N. reticulata Lam., N. mutabilis, N. incrassata) verhalten sich in Bezug auf den Riissel, wie oben schon bemerkt, ganz ahnlich (Fig. 19). Aehnlich verhalten sich noch Columbella (C. rustica Lam.) und Tritonium (T. parthenopaeum, T. cutaceum). Bei dieser letzteren Gattung ist der Teil des Riissels, welcher bei der Ausstiilpung nach aufen hervortritt, sehr stark pigmentiert, ahnlich wie die aufere Kérperhaut. Die Riisselscheide dagegen ist pigmentlos. Der Pharynx ist sehr klein, die Riisselretraktoren stark entwickelt. Einen relativ kiirzeren Riissel besitzt Cassidaria (C. echi- nophora Lam.); derselbe ragt eingestiilpt nicht so weit in die Kiemenhohle hinein und ist nicht seitwarts gebogen (Fig. 20). Fasciolaria (F. lignaria) zeigt ein ahnliches Ver- halten wie Cassidaria. AuBerdem verjiingt sich der Riissel stark nach vorn. Kinen relativ kiirzeren Riissel besitzen Murex trunculus (Fig. 21), M. erinaceus Lam. und Purpura lapillus Lam. Hier ragt der eingestiilpte Riissel etwa nur bis in die Mitte der Kiemenhohle. Bei Murex brandaris L. endlich ist der Riissel relativ sehr klein. Die Fig. 22 zeigt dieses Verhalten zur Geniige. Der Riisselapparat der Prosobranchier. 153 Leider standen mir nur diese wenigen Gattungen zur Ver- fiigung. Die Figuren X und XI stellen das Schema des ein- und aus- gestiilpten pleurembolischen Riissels dar. Pal EB AEN CE IETS TE BO CTT ra amine WA Ian» LG A = = = 4 ‘ . a TT tiie maT OL ian Fig. X. Schematische Darstellung des pleurembolischen Riissels von oben. A Riissel zuriickgezogen; B vorgestreckt. ac Kopfintegu- ment; e Miindungsrand der Riisselscheide; c—d nicht verschiebbare Wand der Riisselscheide ; d—e verschiebbare (ausstiilpbare und einstiilpbare) Wand der Riissel- scheide; e—f nicht verschiebbare Wand des Riissels; f Rand der Mundéffnung am vorderen Ende des Riissels; 0D Rhynchodaeum; & Kopfhéhle; m Mundhohle; oo‘ Oesophagus (die punktierten Linien deuten auf die Verhiiltnisse, wie sie in Fig. XI zu sehen sind); p Pharynx; po parieto-oesophagale Muskelfasern ; pv parieto- vaginale Muskelfasern; sg Speichelgiinge; sd Speicheldriisen; 7s Rhynchostom ; ps Pharyngostom ; gs Gastrostom. 1p hs 154 Ad. Oswald, Mechanismus der Aus- und Einstiilpung des Riissels. Es seien zuerst die dariiber herrschenden Auffassungen er- wahnt. Cuvrer (15) sagt, daf die Ausstreckung des Riissels, d. h. die Verlingerung des inneren Cylinders durch das Aufrollen des iuBeren, durch die inneren ringformigen Muskeln des letzteren geschehe. Sie umgeben den Riissel in seiner ganzen Linge, und indem sie sich nacheinander zusammenziehen, treiben sie ihn nach auSen. Ein solcher besonders starker Ringmuskel befindet sich an der Stelle, an welcher der duere Cylinder sich an den Koérper anheftet. Ary 10 TTT eeeeeapesiien sit Qn Fig. XI. Schematische Darstellung des pleurembolischen Riissels. Bezeichnungen wie Fig. X. Seitliche Ansicht. pr Pharynxretraktoren ; og, ug oberes und unteres Gehirnganglion, Der Schnitt A ist genau median gedacht, so daf das Rhynchostom, welches eine senkrechte Spalte darstellt, nicht geschlossen zu sein scheint. Das Aufhéren des Speichelganges bei x soll andeuten, daf an jener Stelle der Gang sich seitlich in die Wand des Pharynx begiebt, um dann ventralwirts bei y in die Mundhéhle zu miinden. Da die Retraktoren sich nur seitlich ansetzen, konnten sie auf diesen Figuren nicht eingezeichnet werden. Nach Bronn (3) wird der Riissel durch den Andrang des Blutes in die Kérperhéhle nach aufen vorgestiilpt, ahnlich wie bei allen riisselartigen Einrichtungen der niederen Tiere. Die Der Riisselapparat der Prosobranchier. 155 Ringmuskeln des Vorderkorpers, wie die des Riissels selbst, wir- ken in dieser Hinsicht durch das dadurch vorgeschobene Blut als Ausstiilpmuskeln und in dieser Weise miisse man Cuvier’s Be- schreibung auffassen, wenn er durch die Kontraktionen dieser Muskeln das Vorstrecken des Riissels geschehen laft. Wie aus den von mir teils an lebenden, teils an praparierten Individuen beobachteten Thatsachen hervorgeht, sind beide eben erwaihnte Auffassungen unrichtig oder zum wenigsten ungeniigend. Die Ausstiilpung erfolgt nimlich sowohl durch den Andrang der Leibeshohlenfliissigkeit (bei Mollusken Hamolymphe oder Blut), als durch die Kontraktion der Ringmuskulatur des Riisselscheide ; beide wirken zusammen. Daf der Blutandrang eine Rolle bei der Ausstiilpung spielt, geht aus folgendem Versuche hervor. Wird der vollstandig angezogene Riissel pl6étzlich an seiner Basis mit einer Zange zusammengeklemmt, so daS die Retraktion verhindert ist und dafi auch keine Leibeshohlenflissigkeit weder aus der Kopfhéhle in die Riisselhéhle, noch aus letzterer in die Kopfhohle treten kann, und sticht man den Riissel an, so tritt sofort ein Tropfen Fliissigkeit (Blut, Hamolymphe) heraus, welcher nur aus der Riissel-(Leibes-)héhle kommen kann. Wird ferner ein aus- gestreckter Riissel fixiert und in Querschnitte zerlegt, so ist auf demselben, zwischen der Riisselwand einerseits und dem Pharynx und dem Oesophagus anderseits, ein schmaler Hohlraum wahr- nehmbar, der mit Hamolymphe und darin enthaltenen Plasma- zellen gefiillt ist. Auf Querschnitten eines eingezogenen Rissels ist kein Hohlraum zu konstatieren oder vielmehr ein viel geringerer. Ferner ist auch das seltene Bindegewebe, das zwischen der Darm- muskularis bisweilen vorkommt, auf Querschnitten eingezogener Riissel zusammengedriickt, wahrend es auf solchen ausgestreckter Riissel durch Himolymphe schwammartig dilatiert ist. Die Wirkung des Blutandranges wird durch die Kontraktion der Ringmuskulatur der Riisselscheide unterstiitzt, da nicht anzu- nehmen ist, dafi diese stark entwickelte cirkulare Muskelschicht keine Rolle spiele bei der Ausstiilpung. Die Ringmuskeln kontra- hieren sich successive, und in dem Mabe, als sie sich kontrahieren, verschieben sie den vor ihnen liegenden Teil des Riissels nach vorn, stiilpen sich um, bilden dann den hintersten Abschnitt des Riissels und werden durch die Kontraktion der auf sie folgenden Ringmuskeln nach vorn verschoben. Es lat sich diese succes- sive Kontraktion mit den peristaltischen Bewegungen des Darmes 156 Ad. Oswald, der Wirbeltiere vergleichen, mit dem Unterschiede jedoch, dafi am Darm nur die Kontraktionswelle weiter schreitet, die Ringmuskeln hingegen an Ort und Stelle bleiben, wahrend im Falle der Riissel- muskeln die Muskeln durch die Kontraktionswelle nach vorn ver- schoben werden. An der Grenze der Riisselscheide und des vollstandig ausgestiilpten Riissels ist ein starkerer Ringmuskel vorhanden (s. weiter oben Fig. 2 u. X, XI), der einerseits an der Ausstiilpung stark beitrigt, anderseits durch seine Kontraktion das Zuriick- flieSen der Himolymphe aus dem ausgestreckten Riissel in die Kopfhéhle verhindert und auf diese Weise den Riissel ausgestreckt erhalt. Der nicht umstiilpbare Teil des Riissels wird nicht nur um die Lange der sich umkrempelnden Teile der Scheide nach vorn verschoben, sondern seine eigene Wand dehnt sich in die Lange bei der Ausstiilpung. Am Grunde des Rhynchodaeums ist namlich sowohl die Wand des eingezogenen Riissels als die der Scheide in zahlreiche Ringfalten zusammengelegt (s. Fig. Il), was durch die Kontraktion der Lingsfasern zustande kommt. Bei der Aus- stiilpung kontrahieren sich die Ringfasern, die Falten gleichen sich aus und der Riissel gewinnt um so mehr an Linge, je zahl- reicher und tiefer die Ringfalten waren. Die Einstiilpung geschieht durch die Kontraktion der Lings- muskeln in der ganzen Ausdehnung des Riissels und besonders derjenigen, welche zu Retraktoren umgewandelt sind, bei gleich- zeitiger Erschlaffung der Ausstiilpmuskeln. Die Zuriickziehung des Riissels erleidet aber dadurch eine Komplikation, daf der ein- gezogene Riissel weiter nach hinten reicht als der Ursprung der Retraktoren an demselben. Es lat sich dies auf folgende Weise erkliren. Bei der Kontraktion der Retraktoren ziehen sich die Lingsfasern des ganzen Riissels sehr stark zusammen, so daf der Riissel in seiner Lange sehr verktirzt ist. Hat das vordere Riissel- ende das Rhynchostom passiert, so schlieft sich dasselbe durch die Kontraktion der Muskularis des Nackenintegumentes. Da sich aber die Langsmuskulatur mehr zusammengezogen hat, als es ihr Ruhezustand erlaubt, so deht sich der Riissel, indem er an dem geschlossenen Rhynchostom eine Stiitze findet, nachtriglich nach hinten in die Linge, durch schwache Kontraktion der Ringfasern, aus, bis ein Gleichgewichtszustand mit den Langsfasern hergestellt ist. So kommt es, daf die Riisselbasis weiter nach hinten ragt, als der Ursprung der Retraktoren reicht. Der Riisselapparat der Prosobranchier. 157 Kontrahieren sich beim ausgezogenen Riissel die Langsmuskeln nur auf einer Seite, so wird dadurch eine Seitwartsbewegung des Riissels auf die betreffende Seite bewirkt. Anhang. Ich will noch kurz bemerken, da’ in der Muskulatur des Riissels und zwar stets ganz an der Grenze gegen die Riissel- hohle (Riisselleibesh6hle) zu oder bisweilen in der Oesophagus- muskularis sich auf vielen Schnitten von Nassa reticulata einge- kapselte Parasiten gezeigt haben. Es hat dies nichts Auffalliges, da die Riisselhéhle ein Teil der Leibeshéhle ist. Der Durchmesser der Kapseln ist etwa 0,5 mm. Die Parasiten besitzen zwei Saug- napfe und mégen Distomeenlarven sein. In einigen Riisseln waren bis 10 Kapseln vorhanden. 158 Ad. Oswald, Litteraturverzeichnis. 1) Macponatp — 1860 — General Classification of the Gasteropoda. Trans. of the Linn. Soc. of Lond. T. XXIII. 2) F. H. Troscner — 1856—79 — Das Gebi® der Schnecken. I. Bd. 1856—63. II. Bd. 1866—79. 3) H. G. Bronn — 1862—66 — Die Klassen und Ordnungen des Tierreichs. Bd. Ill: Malacozoa, II. Malacozoa cephalophora, von W. Kererstein, 1862—1866. 4) KE. Ray-Lanxestrk — 1883 — Mollusca, in: Encyclopaedia britannica. 9. edit. vol. 16. 5) E. L. Bouvier — 1887 — Systeme nerveux, morphologie géné- rale et Classification des Gastéropodes prosobranches. Ann. des sciences nat. (7) Tome 3. 6) A. Lane — 1892 — Lehrb. der vergl. Anat. — Mollusca, III. Liefg. 7) ArisrorELEs — De animal. hist. Lib. IV, Cap. 4 §§ 7. 8. 9. 8) Pxinrus — Hist. nat. L. XI c. 37. 9) Lisrer — 1694 —- Exercitat. anatom. II. Londini p. 68. 10) Mitrer — Zool. dan, IL., p. 18. 11) Fasirus Corumna — (De purpura p. 16). 12) Réavmvur — 1710 und 11 — Mem. de !’acad. 13) Apanson — Seneg. pl. IV. 14) Pxrancus — Conch, min. not. pl. III. 15) Cuvrex — 1817 — Mém. pour servir 4 V’hist. et 4 l’anatomie des Mollusques. 16) Leserr — 1846 — Beobachtungen iiber die Mundorgane einiger Gastropoden. MixiEr’s Archiv. 17) Brera HatrEk — 1888—90. — Die Morphologie der Proso- branchier, gesammelt auf einer Erdumsegelung durch die Konigl. ital. Korvette ,,Vettor Pisani“. I. Morph. Jahrb. 14 Bd. 1888. Il. ibid. 16. Bd. 1890. 18) H. Wreemann — 1884 — Contributions 4 Vhistoire naturelle des Haliotides. Arch. Z. exper. (2) Tome 2. 19) 20) 21) 22) 23) 24) 25) Der Riisselapparat der Prosobranchier. 159 Epw. Ostrr — 1832 — Philos. Transact. p. 497. Patrick Gepprs — 1879 — On the mechanism of the odonto- phore in certain Mollusca, in: Trans. Zool. Soc. London, Vol. 10, Part 11. Houxtry — 1853 — On the Morphology of the Cephalous Mollusca, as illustrated by the Anat. of cert. Heterop. and Pteropod. — Phil. Trans, of Roy. Soc. London. Vol. 143 Part I. Lesert und Ropryn — 1846 — Kurze Notiz iiber allgem. vergl. Anat. niederer Tiere. MttiEr’s Archiv s. 120. EK. Roupe — 1885 — Die Muskulatur der Chaetopoden. Zool. Beitr. Schneider I. Bd. 3. Heft. EK. Battowitz — 1892 — Ueber den feineren Bau der Muskel- substanzen. 1. Die Muskelfaser der Cephalopoden. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XX XIX. J. Wacxwitz — 1892 — Beitrége zur Histol. der Mollusken- muskulatur, speziell der Heteropoden und Pteropoden. Zool. Bei- triage, Bd. III, Heft 3, 160 Ad. Oswald, Tafelerklaérung. Tatel Wind) Viz Fig. 1. Buccinum undatum L. Verg. ca. X 2—. Dorsale Ansicht. Die Nackenhaut und die Riisselscheide sind aufgeschnitten und auf beiden Seiten zuriickgeschlagen. Riissel in vollig eingezogenem Zustande. cm = Verdickung der cirkuléren Muskelschicht der Riissel- scheide, f == Fub, kw == Kérperwand, oe = Oesophagus, pv = parieto-vaginale Muskelfasern, r = Riissel, RR, = die beiden seit- lichen groSeren Retraktoren, ret = die kleineren Retraktoren, rs = Riisselscheide, rs¢ == Rhynchostom. Fig. 2, Buec. undat. ca. X 2—. Dorsale Ansicht. Der aus- gezogene Riissel ist dorsal aufgeschnitten und die Riisselwand seitlich umgelegt. Die Nackenhaut ist teilweise umgeklappt, teilweise entfernt. cm == cirkuliirer Muskel der Riisselscheide, f —= Ful, lm Liangs- muskulatur der Riisselwand, die in die Retraktoren tibergeht, oe, oe’ == Oesophagus, ph = Pharynx, phr = Pharynxretraktoren, prph = Pharynxprotraktor, pv == parieto-vaginale Muskelfasern, 7 — Riissel- retraktoren, rad == Radula, rh = Rhynchodaeum, rm = parieto- oesophagale Muskelfasern, rs == Riisselscheide, Isp, rsp == linke und rechte Speicheldriise, spg == Speichelgang. Fig. 3. Nassa reticulata Lam. ca. X 40 —. Querschnitt durch den Riissel. Sublimat; Pikrolithiumkarmin. cf = cirkul. Fasern der Darmmuskularis, ch = inneres Blatt der Radulascheide, h = hyaline Mucosa, Jf == long. Fasern der Darmmuskularis, Jm == Lingsmuskel- schicht der Riisselwand, 0¢ == Oesophagus, 0ee == Oesophagusepithel, or == oberer Teil der Radula, pm, phm == Pharynxmuskulatur, poe == parieto-oesophagale Muskelfasern, » == unterer Schenkel der Ra- dula, re = Risselepithel, rh == Riissel-(d. h. Leibes)hohle, rn, rn‘, rn“ = Riisselnerven, rs = duferes Blatt der Radulascheide, sd = Speichel- giinge, 2k — Zungenknorpel. Fig. 4. Nassa retic. ca. X 300—. Sublimat, Gren. alk. Boraxkarm. Querschnitt durch die Riissel- und Oesophaguswand im vorderen Teil des Riissels. ¢ == Cuticula, def = cirk. Fasern der Darm- muskularis, de == bewimpertes Darmepithel, dif = long. Fasern der Darmmuskularis, 4 == hyaline Mucosa der Darmwand, hs = Mucosa des Riisselintegumentes, 4 == Kerne der Darmmuskeln, kh = Leibes- Der Riisselapparat der Prosobranchier. 161 hohle (Riisselhéhle), mb == Membrana basilaris, re = Riisselepithel, rem = zirkuliire Muskelschicht der Riisselwand, rlm = long. Muskel- schicht der Riisselwand, rmf == radiale Muskelfasern (parieto-oesopha- gale Muskelfasern), sd == Schleimdriisen, deren Kerne sich mittelst Boraxkarmin allein firben. Fig. 5. Nass. retiec. ca. KX 300—. Sublimat, Himatein-Alaun. Querschnitt durch die Riisselwand. asm == dufere schrage Muskel- schicht, bn, —= Basalmembran, cm = Ringmuskelschicht, cw —= Cuti- cula, dg = Driisengang, dk = Driisenkérper, hy — Mucosa, ism —= innere schrige Muskelschicht, Im == Liingsmuskelschicht, Re = Riisselepithel, rh == Riisselhdhle, s = Schleimsekret, welches aus dem Driisengang hervorquillt. Fig. 6. Nass. ret. ca. X 300—. Sublimat, Gren. alk. Boraxkarm. Die Schleimdriisen nach einem Himat.-Alaunpriparat gezeichnet. Quer- schnitt durch das Nackenintegument und die Riisselscheide. bm = Basalmembram, hy = Mucosa, klm = long. Muskelschicht des Nacken- integumentes. kem, kom’ = cirk. Muskelschicht des Nackenintegu- mentes, kewu — Cuticula des Kérperepithels ke, lh = Leibeshohle, pum == parieto-viscerale Muskelfasern, sem == cirk. Muskelfasern der Riisselscheide, scu == Cuticula des Riisselscheideepithels se, slf = long. Muskelfasern der Riisselscheide, sz == Schleimzellen der Riissel- scheide. Fig. 7. Nass. ret. ca. X 70—. Sublimat, Hiimat.- Alaun. Lingsschnitt durch das vordere Ende des Riisselintegumentes (Lippen). a == dufere Seite des Riissels, b = Seite gegen die Mundhohle, ag = Ausfihrungsgiinge der Schleimdriisen, cw == Cuticula des Riissel- epithels, emf == cirkul. Muskelfasern, Imf == Lingsmuskelfasern, rmf, rmf, == radiire Muskelfasern (parieto-vaginale Muskelfasern) sd = Schleimdriisen. Fig. 8. Nass. ret. ca. X 5380—. Sublimat, Gren. alk. Borax- karm., Querschnitt durch das Darmepithel, am Anfang des Oesophagus. bm = Basalmembran, Cu = dicke geschichtete Cuticula, de = Darm- epithel. Fig. 9 wie Fig. 8. — Cuticula dinner. Fig. 10 wie Fig. 8. — co = Cilien. Fig. 11 wie Fig. 10. Fig. 12. Nass. ret. ca. X 530—. Sublimat, Gren. alk. Borax- karm. Querschnitt durch die Darmwand, von der Strecke zwischen der hinteren Umbiegungsstelle und dem Schlundringe. bm == Basal- membran, bg — Becherzelle, deren Schleim sich mit Boraxkarm. nicht tingiert, cm = cirk. Darmmuskulatur, de = bewimpertes Darmepithel, lm = long. Darmmuskulatur. Fig. 13. Nass. ret. ca. X 300 —. Subl., Haem.-Al. Quer- schnitt durch die Oesophaguswand. bm = Basalmembran, cm = cirk. Muskelschicht, e == Darmepithel, g == Driisengang, lm — long. Darm- muskelschicht, rm == Radulafasern, sch == Driisenkorper. Fig. 14. Nass. ret. ca, X 800 —. Subl., Boraxkarm. Quer- schnitt durch den Speichelgang. ¢m == Muskelschicht, e == bewim- pertes Epithel. 162 Ad. Oswald, Der Riisselapparat der Prosobranchier. Fig. 15. Nass. ret. ca. X 660—. Osmiumsidure. Liangs- schnitt durch eine Muskelfaser des Pharynx. f = Fibrillensubstanz, sp == Sarkoplasma mit darin enthaltenen Kiigelchen k, m == Kern. Fig. 16. Nass. ret. XX 1000—. Osmiums. Querschnitt durch einen Pharynxmuskel. f = Fibrillen, & = Kornchen, n = Kern, s = Sarkoplasma, zs == Zwischensubstanz, zws = sich mit Osmium- siiure dunkler firbende Zwischensubstanz. Fig. 17. Nass. ret. ca. X 560 —. Sublimat, Haem.-Alaun. Querschnitt durch einen Pharynxmuskel. Die einzelnen Fasern liegen isoliert. Die Zwischensubstanz hat sich gespalten. f = Fibrillen, s == Sarkoplasma, sp = Spalten. Fig. 18. Nass. ret. 1000 —. Chromsiure, Pikrolithium- karmin. Querschnitt durch die in Fig. 3 mit pm bezeichnete Pharnx- muskulatur. f = Fibrillen, gs = gekérntes Sarkoplasma, hf = homo- gene Fibrillensubstanz. Fig. 19. Nass. ret. X 1—. Ganzes Indiv. von oben ge- sehen. Nackenintegument und Riisselscheide aufgeschnitten, Mantel entfernt. @ == Eingeweidesack, m == Mantel, r = Riissel, ret = Riisselretraktoren, 7s —= Riisselscheide, spm == Spindelmuskel st = Rhynchostom, zNh = zuriickgelegte Nackenhaut. Fig. 20. Cassidaria echinophora Lam. XK 1—. Dor- sale Ansicht. = Oesophagus an seiner Umbiegungsstelle, p == Penis, 7 = Riissel, rs = Riisselscheide, ret = Retraktoren, sd = Speicheldriisen. Fig. 21, Murex trunculus, X 1—. Dorsale Ansicht. 0 == Oesophagus, r = Riissel, rf — parieto-vaginale Muskelfasern, re = Retraktoren. Fig. 22. M. brandaris L. XK 1—. Bez. wie in Fig. 21. Beitrage zur Kenniniss der Exkretions- organe von Nephelis vulgaris. Von Dr. phil. Arnold Graf. (Aus dem zoologischen und vergleichend-anatomischen Laboratorium beider Hochschulen in Ziirich.) Mit Tafel VII—X. Vorliegende Arbeit bringt die Resultate von Untersuchungen, welche ich im Laboratorium der Universitaét Ziirich im Oktober 1892 begonnen und im April 1893 zum Abschluf gebracht habe. Das wichtigste Ergebnis der Untersuchung ist, daf} wir aufer den Nephridien noch andere Organe, die exkretorische Funktion besitzen, anzunehmen haben. Auferdem war es notig, eine genaue histologische Untersuchung der Nephridien anzustellen, da die An- gaben iiber diese Organe bei den verschiedenen Autoren oft geradezu widersprechend sind. Manche Punkte, welche noch un- klar sind, werden nur durch die vergleichend-anatomische und embryologische Forschung aufgeklart werden. Ich gestatte mir noch, an dieser Stelle meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. A. Lana, sowie Herrn Dr. K. FrepLer Meinen wiarmsten Dank fiir ihre freundliche Unterstiitzung bei meiner Untersuchung auszusprechen. Methoden. Der Gegenstand der Untersuchung war Nephelis vulgaris in kleinen und gréferen Exemplaren von 1—5 cm Lange. Da es wichtig ist, da wir uns méglichst von Tauschungen, hervorgerufen durch kiinstliche Strukturen, frei zu machen suchen, so habe ich eine ganze Reihe yon Fixierungsmitteln angewendet, 164 Arnold Graf, um die Tiere fiir die Einbettung vorzubereiten. Der Vergleich der erhaltenen Serien einerseits, und andererseits der Vergleich mit den Geweben am lebenden Tiere wird uns dann wohl vor Tausch- ungen bewahren. Meine Abtétungs- und Fixierungsmittel waren: 1/, -proz. Chromsaure, ?/1°°-proz. Chromsalpetersiiure mit darauf folgender 1/,-proz. Chromsalpeterséure, Pikrinsiure, Pikrinsalpetersaure, Pikrinschwefelsiure und Sublimat. Eine andere Reihe von Serien bekam ich durch Abtétung der Ticre mit einem filtrierten Dekokt von Tabak und darauf folgende Fixierung in den oben erwahnten Fliissigkeiten. Die besten Serien bekam ich durch die direkte Fixierung mit Chromsaiure oder Chromsalpetersdéure. Eine sehr instruktive Serie wurde durch Tétung mit Tabakdekokt und darauf foleende Fixierung mit Pikrinsiiure erhalten. Ganz unbrauchbare Serien ergab nur das Sublimat. Die Tiere wurden darauf mit Pikrokarmin oder Hamalaun durchgefarbt und auf die gew6hnliche Weise in Paraffin eingebettet. Es wurden etwa 80 Langs-, Quer- und Horizontalschnittserien durch ganze Tiere gemacht, von denen ich aber nur 15 zu meinen Untersuchungen verwenden konnte. Die Schnittdicke betrug 3—9 wu. Am lebenden Tiere habe ich, mit der Lupe (aber auch mit unbewaffnetem Auge) gegen das Sonnnenlicht gesehen, die Blut- gefife und das Strémen des Blutes sehr schén beobachten kénnen. An frischen Zupfpraparaten konnte ich mit grofer Leichtigkeit die Lymph- und Chloragogenzellen histologisch studieren, nicht aber die anderen Gewebe. Ich habe auferdem einige Dutzend lebender Tiere entweder in 1/,9-proz. Methylenblaulésung oder '/,,,-proz. Alizarinblau- mischung mit Wasser gelegt und dann lebend unter dem Mikro- skope beobachtet. Dazu eignen sich besonders gut die kleinen durchsichtigen Tiere. Das Exkretionssystem von Nephelis. Die Exkretionsvorginge spielen sich bei Nephelis in zwei Systemen ab, in den Nephridien (Schleifenorganen, Segmentalorganen) und in den Chloragogenzellen. Im ersten Abschnitte will ich die Nephridien, im zweiten die Chloragogenzellen histologisch-anatomisch behandeln. Kin dritter soll uns die Beziehungen, welche die zwei Systeme Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 165 untereinander aufweisen, darstellen, und im vierten Abschnitt will ich den Versuch machen, das Exkretionssystem von Nephelis in Vergleich zu bringen mit dem der tibrigen Hirudineen und der Oligochaten. P I. Das Nephridium. Die Nephridien waren der Gegenstand eifriger und wieder- holter Forschung. Die grundlegenden Thatsachen wurden aber erst von Leypia bekannt gegeben (1849), denen sich G. BourNE (1880, 1882, 1884) in seinen wichtigen und ausgedehnten Unter- suchungen an der ganzen Gruppe der Hirudineen anschlo&. Auf die Angaben dieser und vieler anderer Autoren werde ich im Laufe der Untersuchung zuriickkommen. Die Nephridien liegen in 14 Paaren metamerisch angeordnet in den mittleren und hinteren Segmenten des Korpers. Sie weisen 3 Abschnitte auf: eine Endblase (Vesicula), einen Driisen- abschnitt (Glandula) und einen Wimpertrichter (Infundi- bulum). Die vordersten 3 Paare Nephridien besitzen keinen Wimpertrichter. a) Die Endblase. Die Endblase stellt eine, bei den verschiedenen Hirudineen verschieden geriumige, blasenformige Einstiilpung des Ektoderms (BerGH) dar. So ist dieselbe bei der Gattung Haemadipsa (WHITMANN) sehr grof, bei Hirudo, Aulastoma, Haemopis geraumig, bei Nephelis und Trochaeta verhaltnismafig klein, und zeigt bei Clepsine und Hemiclepsis (Bousius, VrJ- DOVSKY) ein Minimum der GréBe. Die Wandung der Endblase besteht aus einem Epithel und wird nach erfolgter Entleerung derselben in Falten gelegt. Uber die Lage der Endblasen la8t sich sagen, daf sie, jederseits 14 an der Zahl, seitlich ventral liegen, und ihre Aus- fihrungsginge immer ventral hinter dem finften Ring eines Metameres an der Kérperoberflaiche miinden (Taf. VII, Fig. 1 Oe,). Der Centralkanal des driisigen Abschnittes tritt mit dem Lumen der Endblase an einer Stelle in Verbindung, welche dem Aus- fiihrungsgang nicht gegeniiberliegt, sondern um etwa 1/, des Um- fanges der Blase von demselben entfernt ist. In Taf. IX, Fig. 11 sieht man an einem Anschnitte der Endblase sowohl die Einmiindung der Nephridialdriise (Ne) als auch den Ausfiihrungsgang (Ag) seiner ganzen Lange nach. 166 Arnold Graf, Das Epithel der Endblase besteht aus kleinen Zellen, welche einen Kern in ihrer Mitte erkennen lassen. Die Form der Zellen ist kubisch. Bei stark gefillter Blase halten sie die Mitte zwischen kubischen und Pflasterepithelzellen, bei entleerter Blase sind sie durch den Seitendruck cylindrisch verlangert (Taf. IX, Fig. 10 u. 11 ep). Die gegen das Lumen der Blase gekehrte Oberfliche der Zellen trigt ein reiches Cilienkleid. Die Cilien sind lang, sehr diinn und jedenfalls anSerst beweglich, was man der wellenfoérmigen Biegung an den Praparaten ansieht (Taf. VIII, Fig 7 Ci, Taf. IX, Fig. 10 u. 11 Ci). Bourne und VEspovsxky haben die Cilien als auferordentlich kurz und starr beschrieben. Es ist dies auf das starke Gerinnen des Plasmas bei Ein- wirkung der Chromsaure zuriickzufiihren. In allen Serien, welche ich von mit Chromsiure getéteten Tieren besitze, habe ich das Ver- halten, wie BourNE es beschreibt, vorgefunden. Bousius leugnet das Vorhandensein von Cilien in der Endblase aller von ihm untersuchten Hirudineen (Litt. 4, 5, 6). Da er mit Quecksilberverbindungen (Ginson’sche Lésung) fixierte, so glaube ich, nach meinen eigenen Sublimatpraparaten zu urteilen, daf die Cilien stark gequollen sind, vielleicht ganz zerstért wurden, und als eine strukturlose Masse den Epithelzellen aufliegen. Dies wiren dann die sogenannten Vorspriinge der Epithelzellen in die Endblase. Auch ich habe nur in einer einzigen Serie von Nephelis die Cilien zu Gesicht bekommen, da aber auch in aller wiinschbaren Schénheit. Die Serie wurde durch Toten des Tieres in Tabak- dekokt und darauf folgende Fixierung in Pikrinsaéure erhalten. BERNARD (in LANG, ,,Text-Book of comparative Anatomy“, London 1891) hat bei Hirudo das Vorhandensein von Cilien in der End- blase konstatiert, welche Beobachtung ich vollauf bestatigen kann (Taf. VIII, Fig. 8 Ci). Dem Kpithel der Endblase liegt netzformig eine Muskelschicht auf (wie schon Bourne [Litt. 18] gesehen), welche die Kontraktion der Blase bedingt. Boxsrus leugnet das Vorhandensein von Mus- kulatur mit Unrecht (Taf. VIII, Fig. 7 m, Taf. IX, Fig. 10 u. 11m). Bei Hirudo hat die Blase selbst keine Muskulatur, sondern es ist am Ausfiihrungsgang ein Sphincter vorhanden. Diesen Sphincter hat Boxsrus (s. Litt. 4 u. 6) zuerst entdeckt, giebt aber eine so schematische Figur dafiir, da8 ich denselben hier auf Taf. VIII, Fig. 8 nach meinen Praparaten abbilde. b ist ein Teil Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 167 der nicht ganz gezcichneten Blase, ep das Pflasterepithel der Endblase von Hirudo, Cz die Cilien, pid die Epidermis. Wir sehen nun zwischen Epidermis und Endblase den Ausfiihrungs- gang sich zu einer kleinen Blase erweitern, der Sphincterblase (Sp. B). Letztere kommuniziert mit der Endblase durch den, dort sehr engen Ausfiihrungsgang, um welchen herum eine machtige Ringmuskelschicht entwickelt ist (vm,). Das andere Stiick des Ausfiihrungsganges, vermittelst dessen die Sphincterblase mit der Aufenwelt kommuniziert, ist gleichfalls von einer machtigen Ring- muskulatur umgeben (rm,). AuBerdem liegen der Sphincterblase selbst einzelne Ringmuskelzellen auf (rm,). Wir haben hier also einen doppelten Sphincter. Die Epithelzellen der Sphincterblase tragen keine Cilien (epS). Der Endblase selbst liegen bei den Tieren Capillaren auf (Taf. VIII, Fig. 8 cap, Taf. IX, Fig. 10 cap). In seiner ersten Arbeit (s. Litt. 14) spricht Bourne die An- sicht aus, die Endblase sei eine Erweiterung des Centralkanals des Nephridiums. Da er nun selbst den Centralkanal als intra- cellulair auffaBt, so ist es mir unerklarlich, wie er die mit Epithel ausgekleidete und inwendig cilientragende Endblase als Erweite- rung desselben ansehen konnte. Die Endblase ist als eine Kin- stiilpung des Ektoderms zu betrachten, deren Verbindung mit dem sich selbstiéndig anlegenden Driisenkérper des Nephridiums erst spiter erfolgt, wie dies Bercu (Litt. 2) nachweist +). b) Die Drise. Man kann den driisigen Abschnitt des Nephridiums als einen Zellkérper auffassen, welcher bei auferordentlicher Linge einen sehr geringen Querschnitt hat, also mit einem Faden zu ver- gleichen ist. Dieser Zellkérper wird seiner ganzen Linge nach von einem Kanal durchbohrt, durch welchen die Exkretionsstoffe in die Endblase beférdert werden. Die histologischen Verhaltnisse haben zu verschiedenen An- sichten Anlaf$ gegeben. Wir sind zuerst geneigt, bei Betrachtung des Querschnittes durch den Driisenkérper, denselben als den Querschnitt durch eine Zelle aufzufassen, wobei uns zwar die enorme Grofe solch einer Zelle auffallt. In der That haben OskaR 1) Aufserdem Birerr (Litt. 40). Bd, XXVIII. N, F, XXL 12 168 Arnold Graf, ScHuLTzE (s. Litt. 32), Vespovsky (s. Litt. 34) und Boxsrus (s. Litt. 4, 5, 6) die Driise des Nephridiums von Nephelis und Clepsine als eine Reihe von perlschnurartig aneinander gereihten Zellen beschrieben. Es ist aber schon O. ScnuLtTze (Litt. 32) und Lane (Litt. 18) aufgefallen, da8 aufer einzelnen grofen Kernen in solch einer Nephridialzelle noch mehrere kleinere Kerne vor- kommen, und O. ScuuLrze giebt in seiner Abbildung Fig. 21 (Litt. 32) ein sehr bezeichnendes Beispiel hierfiir. Ich habe diese Thatsache auf fast allen meinen Quer- und Langsschnitten durch das Nephridium von neuem konstatieren kénnen (Taf. VIII, Fig. 1, 4 u. 6 % und Taf. IX, Fig. 2, 3, 5 u. 6 k). AufSerdem sehen wir auf Schnitten durch den Nephridial- driisenkérper grofe Kerne mit Kernkérperchen und Chromatin- substanz in Form von Granulationen. Diese grofen Kerne (Taf. VIL, Fig. 1, 5, 6 K, und Taf. IX, Fig. 2, 3, 5, 6 K) zeigen ovale Form und sind gew6hnlich mehrere in einer sogenannten Nephridial- zelle enthalten. Die aufer diesen vorkommenden kleinen Kerne (von etwa fiinfmal kleinerem Durchmesser als die grofen) sind rund, haben Kernkérperchen und sind immer in gréferer An- zahl auf einem Querschnitt vorhanden. Diese Vielkernigkeit ist iuferst auffallend, und man kénnte, schon darauf allein gestiitzt, auf einen multicelluliren Aufbau der Driise schliefen. Bousius spricht sich in aller Bestimmtheit gegen diese An- sicht aus und stiitzt seine Anschauung, da die Driise eine Zell- reihe darstellt, einzig auf seinen Befund, daf immer nur ein, in sehr seltenen Ausnahmefillen zwei Kerne in einer Zelle vor- kommen. Mit dem gegenteiligen Befund fallt zugleich die Ansicht Boustus’ dahin. Ks kommt aber noch eine andere Thatsache hinzu, welche an der Vielzelligkeit der Driise keinen Zweifel mehr walten 1abt. In einzelnen Fallen konnte ich noch einige der urspriinglichen, sonst verwischten Zellgrenzen sehen (Taf. VIII, Fig. 4, 6 gr, und Taf. IX, Fig. 7 gr). — Der ganze Zellkérper ist von einer auferst feinen Membran umgeben. Das Plasma der Zellen zeigt eine feine Streifung, welche an der 4uferen Peripherie am schénsten zu sehen ist, und auf welche ich weiter unten noch zu sprechen kommen werde. Der ganze Zellkérper ist von einem Kanalsystem durchzogen, in welchem wir zwei Hauptabschnitte erkennen, den Centralkanal und die verzweigten Seitenkanilchen. Der Centralkanal durch- | zieht die Driise ihrer ganzen Linge nach und besitzt eine struktur- Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 169 lose Cuticula (Taf. VIII, Fig. 5 Me, Taf. IX, Fig. 1, 2, 4, 5, 7 Me). Die Frage, ob der Centralkanal (Taf. VII C, Taf. VII, Fig. 1, 2, 3,4, 5, 6 C, Taf. IX, Fig.1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 C) intra- oder intercellular sei, ist bei Nephelis jedenfalls auSerordentlich schwer zu entscheiden, da die Membranen der den Driisenkérper zu- sammensetzenden Zellen zum groften Teile verwischt sind, wir also nicht erkennen kénnen, ob der Centralkanal eine Centralzelle durchbohrt, oder ob er von Zellen umgeben ist. Es kénnte da vielleicht die Untersuchung der Jugendstadien der Tiere Aufschlul geben. Aufer dem Centralkanal besitzt die Driise noch ein sehr reiches System feiner, veristelter, intracellularer Kanilchen. Diese sind der Form nach etwa mit dem Ast- und Zweigwerk von Baium- chen zu vergleichen, deren Stamm aus dem Centralkanal heraus- wichst. Solch ein Kanalbiumchen besitzt also einen Sammelkanal, der gewohnlich in senkrechter Richtung in den Centralkanal eintritt (Taf. VII, Fig. 1 can, Taf. VIII, Fig. 3 can). Dieser Sammel- kanal verzweigt sich in mehrere Seitenkaniile, die sich ihrerseits wieder verzweigen und feinste Kanilchen an die Periphie der Driise abgeben. Solche Baumchen habe ich abgebildet in Taf. VII, Fig. 1 can (schematisch), Taf. VIII, Fig. 3 u. 5 can, und Taf. IX, Fig. 1, 2, 3 u. 4 can. An diesen Kanalchen habe ich keine Cuticula nachweisen kénnen. Da diese Kanilchen dicht aneinander den ganzen Zell- kérper nach jeder Richtung hin durchsetzen, ja an der Peripherie oft geradezu nebeneinander liegen (Taf. VII, Fig. 4 can), so mul ich dieselben als intracellulare Kaniale ansprechen. Jeden- falls hatte keine Zelle zwischen ihnen Platz. Die auberordentliche Gedringtheit dieser Kanalchen an der Peripherie la8t iiberdies der Vermutung Raum, daf die oft be- schriebene Streifung des Plasmas auf der verschiedenen Licht- brechung dieser Kanalchen und des sie umgebenden Plasmas be- ruhe. — Ich méchte an dieser Stelle noch davor warnen, die Querschnitte der Kanilchen mit den kleinen, oben beschriebenen Kernen, denen sie sehr ahnlich sehen, zu verwechseln. Mit Sicherheit kann man die Kerne nur an dem dunklen Kern- kérperchen erkennen. Ich fiihre auf diesen Umstand den nega- tiven Befund Borstus’ zuriick, welcher wahrscheinlich viele kleine Kerne gesehen hat, sie aber fiir Kanalchenquerschnitte hielt. Es fallt uns die Thatsache auf, daf wir bei Betrachtung von Querschnitten durch die Driise dieselbe nicht immer von einem, 170 Arnold Graf, sondern in vielen Fallen von 2 oder 3 Centralkanalen scheinbar durchbohrt finden. Hin und wieder sind sogar 4 Kanale vor- handen (Taf. VIII, Fig. 1, 3, 4, 5, 6 C, Taf. IX, Fig. 2, 3, 4, 5, 6 C). C. Scuuurze ‘hat dies dahin erklirt, dal sich einzelne Ab- schnitte des Driisenfadens aneinander legen, und wir also den Centralkanal an 2, oft 3 verschiedenen Stellen zugleich auf einem Schnitt treffen. Bonsrus dagegen hat geglaubt, bei Nephelis ein aiuSerst merkwiirdiges Verhalten annehmen zu miissen (Litt. 4, 6). Er beschreibt dies folgendermafen: In der innersten (also obersten) Zelle der Driise finden wir ein Biumchen von intra- celluliren Kanalchen, dessen Zweige sich zu einem Centralkanal vereinigen, welcher unverzweigt die ganze Zellreihe der Driise bis zur dritten Zelle vor der Endblase durchbohrt. In der vorletzten Zelle der Driisenzellreihe findet sich ein zweites solches Baiumchen, welches einem zweiten Centralkanal die Entstehung giebt, der gesondert von dem ersten, ebenfalls unverzweigt die ganze Zellreihe durchbohrt, um sich in der dritt- vordersten Zelle mit dem ersten Kanal zu vereinigen und in die zweitvorderste Zelle zu streichen, wo dann die Verbindung mit einem dritten Centralkanal, der auf gleiche Weise wie die anderen zwei aus der drittobersten Zelle seinen Ursprung nimmt, zu stande kommt. Diese drei vereinigten Kanale streichen dann als Sammel- kanal durch die erste Zelle und treten mit dem Lumen der End- blase in Kommunikation. Bei Clepsine soll auferdem jede Zelle an beiden Seiten 3 Fortsatze besitzen, die mit denen der vorangehenden und fol- genden Zellen verbunden sind und je einem Centralkanal den Durchgang gewahren. In Ausnahmefillen sollen nur 2 Fortsitze vorhanden sein, wobei dann 2 Kanile durch einen Fortsatz ziehen miissen. Ich kann mich dieser Ansicht nicht anschlie{en, denn die Falle, wo man einen oder zwei Kanale in einem Driisenquerschnitt sieht, sind sehr haufig und kommen an verschiedenen Abschnitten des Driisenkérpers vor. Nach der Boxsrus’schen Darstellung sollten aber nur 2 Zellen, namlich die erste und die letzte, von nur einem Gang, und wieder nur 2 Zellen, die zweite und die zweitletzte, von 2 Centralkanadlen durchbohrt sein. Dies ist nicht der Fall. Zweitens sollte nach Boxstus nur in 3 Zellen ein Biumchen von Endkanalchen vorhanden sein, wihrend ich an meinen Serien es fiir fast unméglich fand, die Menge dieser Baum- Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 171 chen in einem Nephridium zu zaihlen. Sie miinden von allen Seiten, in den verschiedensten Teilen des Driisenkérpers in den Central- kanal. Auf Taf. IX, Fig. 1, 2, 3 sind drei aufcinander folgende Schnitte gezeichnet. In Fig. 2 ist der ganze Querschnitt mit den 3 Centralkanilen C, C, C, bei einer Vergréferung von 900 ge- zeichnet, in Fig. 38 der darauf folgende Schnitt bei 450facher Ver- gréferung und in Fig. 1 nur der Centralkanal C, des voran- gehenden Schnittes (VergréSerung 900). Wir sehen da sehr schén, wie verschiedene Endbiumchen einmiinden, und in Fig. 3 haben wir eine Umbiegungsstelle, wo sich C, mit C, auf dem Schnitt vereinigt. In Fig. 4, Taf. IX, zahlen wir nicht weniger als 6 Baumchen (darunter ein gewaltig groBes) auf einem Schnitt in den Centralkanal einmiinden, und dies ist ein Schnitt aus unge- fihr der Mitte des Driisenkérpers. Ich bin der Ansicht, welche schon ScnuLrze ausspricht, dal wir hier einen Zellkérper vor uns haben, dessen einzelne Ab- schnitte sich aneinander legen. Nur muf ich annehmen, daf da- bei die Zellen an den Beriihrungsstellen verschmelzen. Ich habe auf Taf. X, Fig. 2, 5, 4 die Umrisse dreier aufeinander folgender Schnitte durch die Driise gezeichnet, welche eine Umbiegungsstelle zeigen, wo der eine Driisenabschnitt mit dem Centralkanal sich von dem Verband, den er mit einem anderen Abschnitt einge- gangen hat, loslést und bei ¢ mit nur einem Gang erscheint, wah- rend wir in den beiden anderen Figuren glauben, wir hatten 2 Zellen vor uns, die von je 3 Giingen durchbohrt sind. BournE sagt merkwiirdigerweise tiber diese Verhaltnisse bei Nephelis gar nichts in seiner, sonst so ausfiihrlichen Arbeit (s. Litt. 18), als daf das Nephridium von Nephelis demjenigen von Hirudo sehr ahnlich sehe. Wir koénnen ja allerdings nach diesen Befunden von einer grofen Ahnlichkeit im anatomi- schen Sinne sprechen, aber in Bezug auf die aufere Gestalt ist wohl das Nephridium von Nephelis dem der tibrigen Gnatho- bdelliden unahnlich. Fiir das Nephridium von Clepsine beansprucht BourNE eine sehr auffallende Struktur. Er sagt, die Driise von Clepsine be- stehe aus einer Reihe von Zellen, welche in einzelnen Abschnitten in sich selbst zurtiickkehrt, und nicht nur einmal, sondern zweimal, so daf wir in einem Abschnitte der Driise eine Zell- reihe hitten, deren Zellen 2 andere vollstindige Zellen mit Membran und Kern enthielten, und alle 3 ineinander geschachtelte Zellen wiiren jede von einem intracellularen Kanal durchbohrt. 172 Arnold Graf, Ich konnte trotz aller Miihe keine andere Bedeutung der Worte Bourne’s dafiir finden. Dies ware wohl ein ganz unerklarlich merkwiirdiges Verhalten, aber ich zweifle sehr, nach allem, was in der Litteratur angegeben wird und was ich selbst gesehen, an der Richtigkeit dieser Beobachtung, ohne mich von vornherein der Ansicht Bousrus’, welcher diese Annahme Bourne’s verwirft und statt dessen oben erwaihnte Organisation bei Clepsine angiebt, an- zuschliefen. Der Wimpertrichter. Der Wimpertrichter der Hirudineen war oft schon der Gegen- stand eifriger Forschung und gab zu den mannigfaltigsten Mei- nungsverschiedenheiten Anlafi. So hat Bourne (Litt. 14) 1880 denselben bei den Gnatho- bdelliden nicht finden kénnen. ARno~p Lane (Litt. 28) findet 1881 den Trichter bei Rhynchobdelliden und Nephelis. Oskar ScHULTZE (Litt. 32) findet ihn 1883 bei keiner Art, VEJDOVSKY (Litt. 34) meint in demselben Jahr, ein Trichter kame nur bei Jugendstadien vor. 1884 findet Bourne (Litt. 18) den Trichter bei allen von ihm beschriebenen Hirudineen, was von SHIPLEY (Litt. 33) 1888 bestitigt wird. Botsrus endlich leugnet 1891 das Vorhandensein eines Trichters gianzlich und halt die dafir ge- haltenen Organe fir Blutdrisen (Litt. 7). Ich habe die von Botsius mit dem Namen ,,cilientragende Organe“ bezeichneten Kérper aufgefunden und zweifle nicht daran, da8 sie trotz der negierenden Ansicht Bousius’ den Wimper- trichter représentieren. Diese Organe liegen in grofen Blutblasen, ,, Ampullen“ nach JACQuET (Litt. 22), welche Abschnitte des Céloms*') dar- stellen. Auf die Beschreibung der Ampullen werde ich in dem Abschnitt iiber Chloragogenzellen eingehen. Der Wimpertrichter von Nephelis besteht aus 2 Teilen, einer Wimperkrone und einer blasenférmigen Erweite- rung. Bourne (Litt. 18) hat dies ganz richtig beschrieben. Die Wimperkrone besteht aus einer wechselnden Anzahl von Zellen, die beim erwachsenen Tier in 2 Lappen ausgezogen sind. Bousius (Litt. 7) hat diesen Teil des Trichters, wenn auch unter anderem Namen, so genau und eingehend beschrieben, und ich bin auch so vollstandig einverstanden mit seinen Resultaten, 1) Bireer (Litt. 40), Die Seitenhéhlen sind die direkten Ab- kémmlinge der Ursegmenthéhlen. Zur Kenntnis der Exkretionsorgane yon Nephelis vulgaris. 173 daf ich in eine genaue Beschreibung nicht eingehe, sondern auf das Werk Borstus’ ,,Les organes ciliés des Hirudinées (Cellule, Tome VII, 1891) verweise. Zur Ubersicht fiihre ich nur an, daf diese Kronenzellen um ein centrales Lumen rosettenfoérmig angeordnet sind und an ihrem oberen freien Rand und an der dem Lumen zugekehrten Seite mit langen, beweglichen Cilien ausgestattet sind (Taf. VIII, Fig. 9 La, Taf. IX, Fig. 14 [e, 6, y, 6] und Fig. 15 [a, @, y]). In der Mitte der Zellen liegt ein Kern. In den meisten Fallen bekam ich die Cilien nicht zu Gesicht. Ich habe in Fig. 9, Taf. X, C einen Fall, wo ich die Cilien sah, abgebildet. Was die Anzahl dieser Kronenzellen anbetrifft, so ist sie wechselnd, jedoch nicht, wie Bousrus behauptet, immer eine un- gerade, sondern bald ist die Zahl gerade, bald ungerade. Die ersten 2 Trichterkronen, welche ich untersuchte, wiesen beide 8 Kronenzellen auf. Ich habe beide Serien auf Taf. IX, Fig. 14 (a, B, y, 0) und Fig. 15 (a, 2, v) abgezeichnet, wo man leicht nach der Zahl der Kerne die Zellenzahl bestimmt. Die blasenformige Erweiterung (Taf. X BE), welcher die Wimperkrone aufsitzt, ist gew6hnlich derart mit Kernen, Lymph- zellen, koaguliertem Blut etc. angefiillt, daf die Bilder, welche wir auf Schnitten erhalten, auferst schwer zu deuten sind. Ich konnte keine andere Anschauung davon gewinnen, als Bourne sie schon ausgesprochen (s. Litt. 18), der sie als eine Blase mit zel- ligen Wandungen beschreibt, deren Lumen mit dem Lumen der Trichterkrone kommuniziert. Die grofe Menge von Ko6rpern, welche durch den Wimperstrom aus dem Célom in die blasen- formige Erweiterung des Trichters gelangten, erschweren das Aus- einanderhalten , was Blasenwandung, was Inhalt sei, ganz unge- mein. An dem der Wimperkrone gegentiberliegenden Teil der blasen- formigen Erweiterung vermute ich die Verbindung mit dem Driisen- abschnitt des Nephridiums. Bourne (Litt. 18) hat diese Verbindung bei Trochaeta gesehen, und ich zweifle nicht an der Richtigkeit seiner Zeichnung. Von allen Zeichnungen Bourne’s kann ich wohl sagen, daf sie, wenn auch nicht bis ins Detail ausgefiihrt, doch jedenfalls ein viel besseres Bild der Verhaltnisse geben als diejenigen Bonstus’, welcher Bourne den unverdienten Vorwurf macht, seine Zeichnungen seien so schematisch, dal} man daraus nichts schliefen kénne. Ich habe diese Verbindung leider direkt nie nachweisen 174 Arnold Graf, kiénnen, schreibe dies aber dem Umstande zu, da die obersten Zellen der Driise so stark von Kanalchen durchzogen (Taf. VIII, Fig. 5 Ne,) und daher so diffus gefarbt sind, daf die Unter- scheidung von den umgebenden Lymph- und Bindegewebszellen sehr erschwert wird. Ich habe dies in Fig. 5, Taf. VIII, an den mit A und A, bezeichneten Stellen wiederzugeben versucht, es ist je- doch am Priparat die Farbung viel diffuser, und die Grenzen der Yellen sind viel verwischter, als auf der Zeichnung. Eine Ab- bildung, die uns einen Schiefschnitt durch den Trichter wieder- giebt, sehen wir in Fig. 9, Taf. VIII Ja sind die Zellen der Wimperkrone, K deren Kerne. Bei A ist wahrscheinlich die Kin- miindung der Driise des Nephridiums zu suchen. Diese Stelle ist aber derart mit Faden koagulierten Blutes erfiillt, daf wir eine Struktur darin nicht nachweisen kénnen. In der blasenformigen Erweiterung (BE) finden wir gréfere Zellen Z, welche wahrschein- lich der Wand derselben angehéren, und kileinere Zellen 2, Lymph- zellen; auferdem Kerne & und Fiiden koagulierten Blutes I. Es ist begreiflich, daf man in einem solchen Chaos keinen rechten Uberblick gewinnen kann, und wenn auch die Kinmiindung in den Driisenkérper vorhanden ist, doch nur ein sehr giinstiger Zufall uns dieselbe finden lieSe. Auffallend ist, daf auch die Zellen der Wimperkrone 6fters eine ébnliche Streifung des Plasmas wie die Nephridialdriisenzellen zeigen (Taf. VII, Fig. 9 Sér). Anhang zum I. Teil. Die rudimentaren Nephridien. Bei jungen Tieren habe ich gesehen, daf aufer den 14 Paaren Nephridien in den vorderen K6érpersegmenten hinter und neben dem Pharynx noch Nephridien liegen, die eine sehr abweichende Struktur von den beschriebenen aufweisen. Ich will kurz die wich- tigsten Punkte anfiihren. Die Endblase ist vorhanden, aber ich konnte nirgends einen Ausfiihrungsgang nach aufen, noch eine Verbindung mit dem Driisenabschnitt nachweisen. Das Innere der Blase zeigt ein.von dem der typischen Endblasen sehr abweichendes Aussehen. Cilien habe ich keine gesehen, ebensowenig ein regelmaéfiges Wandungsepithel. Das ganze Innere schien von zu Grunde gehenden Zellen erfillt zu sein. Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 175 Die Driise besitzt zwar intracellulére Liicken, aber keinen eigentlichen Centralkanal, worunter ich einen kontinuierlichen, mit einer Cuticula ausgekleideten Kanal verstehe, der durch die ganze Driise verlauft. Die gréferen Kanale, die ich hier sah, wiesen keine Cuticula auf und zeigen in verschiedenen Abschnitten ganz enorme Gréfendifferenzen. Die kleineren Kanale waren nirgends in der schénen baum- artigen Verzweigung anzutreffen, sie bildeten nur verbundene Liickensysteme. Die Kernverhaltnisse waren genau dieselben wie bei den wohl entwickelten Nephridien, die oben beschrieben wurden. Kin Wimpertrichter konnte nicht nachgewiesen werden, was wohl mit der Abwesenheit von Célomabschnitten, in welche der- selbe miindet, in Zusammenhang stehen mag. Alle diese Beobachtungen deuten auf Funk tionslosigkeit hin, und ich glaube den Schluf ziehen zu diirfen, da’ wir es hier mit Uberresten von provisorischen Nephridien der Jugend- stadien zu thun haben, welche im Alter allmahlich resorbiert werden. An alteren Tieren habe ich diese Organe nicht mehr gefunden, was sehr fiir diese Annahme spricht. Ersia (Litt. 20) hat ahnliche Rudimente von provisorischen Nephridien, die nicht mit Kepfnieren zu verwechseln sind, auch bei Capitelliden auf- gefunden. Bei den Oligochiiten wurden sie zuerst aufgefunden. Es scheint also, daf sie eine weitverbreitete Erscheinung in der Klasse der Anneliden sind. Riickblick auf die gewonnenen Ansichten iber die Organisation der Nephridien von Nephelis. 1) Die Endblase besitzt ein Wimperepithel und in ihrer Wandung eigene Muskulatur. 2) Die Driise stellt nicht einen Faden aneinander gereihter Zellen dar, sondern wird aus vielen, nach allen 3 Richtungen des Raumes verteilten Zellen aufgebaut, deren Grenzen verwischt er- scheinen. 3) Einzelne Abschnitte der Driise kénnen sich aneinander legen, wobei an den Berthrungsflichen die Grenzen zum grofen Teil undeutlich werden. 4) Der Trichter besteht aus einer Wimperkrone und einer blasenférmigen Erweiterung. 5) Die Wimperkrone besteht aus Zellen, welche rosettenartig um ein Lumen gruppiert sind und Cilien tragen. 6) Die blasenférmige Erweiterung (vielleicht Endabschnitt des 176 Arnold Graf, Centralkanals) ist dicht erfillt mit, aus dem Célom stammenden Kernen, Zellen etc. II. Die Chloragogenzellen und ihr Verhialtnis zum Gefifssystem. Derjenige, welcher versucht am lebenden Tiere mikroskopische Beobachtungen zu machen, wird gewifi die unangenehme Wahr- nehmung machen, da8 von der histologischen Struktur der Organe, wie durchsichtig das Tier auch immer sei, sehr wenig wahrzunehmen ist. Diese Thatsache wird durch das Vorhandensein einer Menge gelb-brauner Zellen bedingt, welche die Organe allseitig umgeben. Zerzupft man ein lebendes Tier, so sieht man Strange dieser Zellen heraustreten, welche uns folgende Struktur zeigen: In einem hellen Plasma sieht man eine grofe Zahl gelber, stark lichtbrechender Trépfchen und Kérnchen eingebettet, welche das Plasma ganz zu erfiillen scheinen. Diese Zellen sind trauben- formig in Reihen aneinander gelagert. Auf Schnitten von fixierten Tieren erscheinen diese Zellen auch mit gelben Granulationen er- fillt (durchgehends cg). Dies beweist, da diese Kérnchen und Trépfchen durch die Saéuren nicht angegriffen wurden. Legt man das lebende Tier auf einige Zeit in stark verdiinnte Methylenblaulésung, so findet man bei mikroskopischer Betrachtung, daf die erwahnten Trépfchen und Kérnchen nun lebhaft grasgriin gefairbt erscheinen. Dies deutet auf eine Mischfarbe von Gelb und Blau. Daf diese nun griinen Kornchen nicht etwa chemische Ver- bindungen sind, zeigt sich aus einem zweiten Versuch. Wenn man ndmlich ein lebendes Tier in verdiinnte Alizarinblaulésung giebt, so erscheinen nach einem Tage diese Trépfchen schmutzig- griin. Dies ist ganz sicher nur Resultat der feinen Verteilung von gelben und alizarinblauen Partikelchen. Daraus kénnen wir schlieBen, daf diese Zellen exkretorische Funktion besitzen. Diese Zellen sind schon lange bekannt, jedoch, aufer von BourRNE und LANKESTER, von keinem Forscher eingehender studiert worden. Ray-LANKESTER (Litt. 29, 30) machte die Beobachtung, da bei Hirudo Strange solcher Zellen Héhlungen umschliefen, in welchen sich auf Schnitten koaguliertes Blut befindet. Er glaubte dies dahin deuten zu miissen, dafi Straénge solcher Zellen durch innerlichen Zerfall Blutbahnen bilden, wobei der Inhalt der Zellen Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 177 die Blutfliissigkeit, und die Kerne die Blutkérperchen sein sollen. Er nennt diese Zellstringe ,botryoidal tissue“. Bourne (Litt. 14, 15,17, 18) schlieSt sich dieser Ansicht an und geht einen Schritt weiter, indem er diesen innerlichen Zerfall als eine sekundéire Célombildung, _ ,,Metacoelosis“, beansprucht, Es ist ja bekannt, daf’ bei den Hirudineen eine auSerordentliche Reduktion der urspriinglichen Leibeshéhle durch starke Ausbildung der bindegewebigen Elemente stattfindet. Bourne nennt dies Diacoelosis oder Schizocoelosis. Von der Leibeshdhle bleiben nur kleine Abschnitte tibrig, so die Sinusse und die Hoéhlungen, in denen die Geschlechtsprodukte liegen. Um diesen Verlust an Célom zu kompensieren, sei nun eine sekundire Célombildung, die BournE’sche Metacoelosis, durch den innerlichen Zerfall dieser Botryoidalzellen aufgetreten. Diese neuen Blutbahnen sollen nun mit den Kapillaren des kon- traktilen Gefifisystems in Verbindung treten und das kontraktile System mit dem System der Sinusse verbinden, so daf wir nun dreierlei Arten yon Blutbahnen hatten: 1) das kontraktile System, welches wir nicht als Leibeshohle auffassen kénnen, da die Lostrennung von dem Colom auf sehr frihen Stadien der phylogenetischen Entwickelung stattfand; 2) das System der Sinusse als Uberreste der wahren Leibeshéhle, und 3) das botryoidale Gefafsystem, eine Neubildung, ein Meta- célom. Diese Auffassung ist schon dadurch auffallend, daf dieses sekundére Célom von keinem Endothel ausgekleidet ist, sondern intracellulaire Liickensysteme bildet. Es ist sehr die Frage, ob wir solche intracellulére Liicken als Leibeshéhle auffassen diirfen. Diese verstreuten Célomneubildungen sollen nun nach Bourne in gewissen Abschnitten zu geriumigen Héhlungen anwachsen, indem grofe Gruppen von Botryoidalzellen innerlich zerfallen und von Blut erfiillt werden, und scheinbar eine grofe Hohlung als Epithel bekleiden. Diese Héhlungen nennt Bourne botryoidale Sinusse und zihlt deren 11 an beiden Seiten des Tieres. Ich konnte zu keinem klaren Verstiindnis kommen, wie sich BourNE das Entstehen dieser Riume vorstellt. Er spricht von intra- cellularem Zerfall in gréferem Mafstabe, aber dann sagt er wieder, da’ in den Wandzellen eine Muskulatur sich entwickelt. — Diese botryoidalen Sinusse Bournr’s waren schon von Lryoia entdeckt worden, welcher eine wechselnde Zahl derselben fand. JAQuEeT (Litt. 22) hat bei der Untersuchung des Blutgefifsystems der 178 Arnold Graf, Anneliden diese Blutraume bei Nephelis wieder gefunden und giebt iiber ihre Lage folgende Angaben, denen ich nach eigenen Beobachtungen vollstandig beipflichte. Es sind jederseits 21 solcher blasenfoérmigen Blutraume, Ampullen, vorhanden, von denen die vorderste Ampulle jederseits in einem Segment liegt. In jedem der 10 darauf folgenden Segmente liegen jederseits 2 Ampullen hintereinander, so daf} 11 Segmente an den 42 Ampullen teilhaben. JAQuET hat nur Injektionen gemacht, giebt uns also keinen Auf- schlu8 tiber die histologischen Verhaltnisse. In jedem Segment enthilt jederseits eine der Ampullen den Wimpertrichter des Nephridiums. Boxustus hat diese Blasen auch gefunden und abgebildet (Litt. 7), meiner Ansicht nach aber ganz schematisch, trotz des sorgfaltig ausgefiihrten Plasmanetzes in den Wandzellen. Ich habe in keinem einzigen Fall ein solches Bild erhalten kénnen, wie es 30LSIUS von diesen Ampullen giebt. Er hat tbrigens die Arbeit JAqurt’s nicht gekannt und weifi daher nichts von der identitét seiner Blasen mit den Ampullen. So viel zur Uebersicht iiber die Litteratur 1). Ich habe bei dem Studium dieser Zellen die Ueberzeugung gewonnen, daf die kleinen Trépfchen, denen sie ihre gelb-braune Farbung verdanken, Exkretionsstoffe sind, die Zellen demnach exkretorische Funktion haben. Dies stimmt aber nicht mit der Ansicht Bournr’s, nach welcher sie Blutbildner sein sollen. Die Lage dieser Zellen ist hauptsachlich dorsal. In 2 breiten Langs- streifen sind eine Menge dieser Zellen scheinbar zu Strangen angeordnet. Auf Schnitten finden wir diese Zellen um die Nephri- dien, um die Behalter der Gonaden, in den Ampullen, in grofer Menge dorsal, und einzelne dieser Strange gehen sogar bis an den ventralen Sinus. Einzelne Zellen finden wir sogar in der Lings- muskulatur, ja dicht unter der Epidermis. Wenn man Schnittbilder betrachtet (Taf. IX, Fig. 9), so findet man allerdings, da diese Zellen Hohlraume, die mit Blut erfiillt sind, umschliefen, aber in den meisten Fillen ist zwischen den Hohlraum und die Zellen eine Schicht eingelagert, die gewéhnlich bedeutend starker gefairbt ist. Der Hohlraum und die Zellen waren mit Pikrinsiiure gewohnlich geJb gefarbt, die Zwischen- schicht mit Karmin rot. Eine faserige Struktur lat uns auf Muskelzellen schlieBen. Sei dem wie immer, jedenfalls sind die 1) Birerr cit. X, pag. 14. Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 179 Hohlraume nicht durch intracellularen Zerfall entstanden. Diese Zellen sitzen den Blutbahnen auf. Aus der Erkenntnis der exkretorischen Funktion dieser Zellen einerseits, andererscits aus dem Befunde, daf diese Zellen den Wianden von Blutbahnen aufsitzen, la®t sich mit voller Bestimmt- heit behaupten, da8 diese Zellen den Chloragogenzellen der Oligochiten homolog sind. KUKENTHAL (Litt. 27) hat in seiner Arbeit tber die lympho- iden Zellen bei Tubifex die Chloragogenzellen folgendermafen beschrieben. Die Chloragogenzellen sind runde Zellen, welche in ihrem Innern gelbe und braunliche Kérnchen und Trépfchen ent- halten, welche gegen Sauren sehr resistenzfahig sind. Sie setzen sich an die Gefafverzweigungen des dorsalen GefaiSes an, wobei sie durch gegenscitigen Druck keilférmig werden. Von den Ge- fiBen nehmen sie eben die gelben Kérnchen auf, welche nichts anderes als Exkretionsprodukte sind. Sind sie mit diesen Kérnchen ganz beladen, so lésen sie sich los und wandern mit den Exkre- tionsprodukten behufs der Fortschaffung aus dem Kérper von den Gefifen weg. Diese Chloragogenzellen sind, wie KUKENTHAL nachgewiesen hat, Lymphzellen (Endothelzellen der Leibeshdhle), welche, nachdem sie ihre nutritive Aufgabe erftllt haben, diese exkretorische Funktion tibernehmen. Man sieht, da diese Be- schreibung ganz auf die eben angefiihrten Zellen der Nephelis pat, und es da8 gerechtfertigt erscheint, wenn ich diese braunen Zellen auch bei Nephelis Chloragogenzellen nennen mochte. Ich glaube auch, daf die Chloragogenzellen der Nephelis Lym ph- zellen sind, denn ich habe sie in verschiedenen Stadien der Be- ladung mit Exkrettrépfchen gesehen. An Zupfpraiparaten des lebenden Tieres habe ich eine ganze Reihe aufstellen kénnen, von Zellen ohne Exkretbeladung bis zu dicht erfillten. Taf. X, Fig. lla zeigt 2 Zellen mit fein granuliertem Plasma ohne, Fig. 11b eine Zelle mit 2, Fig. 11¢ eine solche mit 4, Fig 11d eine mit 5, Fig. 12a eine mit 11 und Fig. 12b solche mit vielen Exkrettrépfchen. Ich bin der Ansicht, da8 die Zellen, welche Bourne (Litt. 18) bei Trochaeta und Aulastoma als Fettzellen beschreibt und abbildet, solche Lymphzellen darstellen, und zwar, den Bildern nach, die bei Trochaeta in ihrer nutritiven Funktion, die bei Aulastoma die Exkretion beginnend. Wir sehen also, dali wir es in Nephelis mit 2 exkretorischen 180 Arnold Graf, Systemen zu thun haben, den Nephridien und den Chloragogen- zellen. Wie nun die Exkretion zustande kommt, wie die Exkretions- produkte aus dem Kérper fortgeschatft werden, soll uns der folgende Abschnitt zeigen. III. Beziehungen zwischen Nephridien und Chloragogen- zellen. Es ist sehr auffallend, daf wir Chloragogenzellen einmal den Blutbahnen aufsitzend finden, dann aber wieder im Innern ge- wisser Abschnitte des Sinussystemes, den Ampullen, antreffen. Ich habe namlich an vielen Schnitten die Beobachtung gemacht, daf8 die Ampullen inwendig mit Zellen dicht gedrangt erfillt waren. Auf Taf. IX, Fig. 12 ist ein Querschnitt durch solch eine Ampulle gezeichnet. Mit m ist die Muskulatur der Wandung, welche letztere nicht gesehen wurde, angegeben. TZrb ist ein An- schnitt der blasenférmigen Erweiterung des Trichters. cg sind die Zellen des Innern. Man sieht, daf die an der Peripherie der Ampulle gelegenen Chloragogenzellen noch ganz mit Kornchen er- fiillt sind, wihrend die inneren, um den Trichter gelagerten Zellen ihren Inhalt zumeist entleert haben. Fig. 13 derselben Tafel zeigt uns an einem Oberflichenschnitt durch dieselbe Ampulle das Muskelnetz m und die peripheren Chloragogenzellen mit ihrem Inhalt. Daf wir es hier mit einem Zerfall dieser Zellen zu thun haben, erscheint bei der Betrachtung der Fig. 6 auf Taf. X zweifel- los. Wir sehen hier die ganze Ampulle erfillt von Granulationen und Kernen. Zellwande sind keine mehr vorhanden. Kinzelne der peripherisch liegenden Zellen (ebz) sehen wir im Zerfall be- griffen. Da auf diesen Bildern viele der Chloragogenzellen auferhalb der Ampulle, resp. der Muskelschicht m zu liegen scheinen, glaube ich auf eine Faltung der Wandung zuriickfiihren zu diirfen, wobei bei der verhaltnismafigen Dicke der Schnitte (9 «) Zellen der Faltenvorspriinge auf den Schnittbildern scheinbar nach aufen zu liegen kommen. Ich glaube, daf eine Wandung der Ampulle vorhanden ist, wenn ich sie auch nie gesehen, aus dem Grunde, weil auf Schnitten durch Ampullen, die dicht mit Zellen erfiillt waren, die Muskelschicht scheinbar innerhalb der Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 181 peripheren Zellen liegt, bei Ampullen aber, wo die Chloragogen- zellen schon zerfallen sind, dieselbe immer aufen liegt (Fig. 7, Taf. X). Dies kann durch Ausgleichung der Falten in einer mit Fliissigkeit erfiillten Blase erklart werden. Jedenfalls mu diese Wandung auferst diinn sein. Wenn sie aber auch nicht vorhanden ware, so dndert dies nichts in der Annahme, daf die Ampullen Leibeshéhle sind, da ja die Chloragogenzellen Endothelzellen der Leibeshéhle sind!). Auf derselben Tafel, Fig. 5, habe ich das Ganglion des hinteren Saugnapfes gezeichnet. Hier sieht man das Endo- thel end des ventralen Sinus, VS, auch nur an einer Stelle in Form von Zellen. Die Abplattung dieser Endothelzellen scheint eben bei den Sinuswandungen auf erordentlich ausgeprigt zu sein. Bei den Endothelien der Gonadenbehalter sehen wir sie am schénsten. Auf tig. 7 u. 8, Taf. X, erkennen wir sehr schén, wohin die Kerne der zerfallenen Chloragogenzellen gelangen. Hier finden wir in der Ampulle wenige Kerne mehr, die groBe Masse derselben aber in der blasenformigen Erweiterung des Trichters (BE). Wir gewinnen dadurch die Uberzeugung, da ein Teil der Chloragogenzellen in den Ampullen zu Grunde geht, und daf durch den Wimperstrom, erzeugt von den Cilien der Wimperkrone, die Exkretionsstoffe sowie die frei gewordenen Kerne in den Trichter des Nephridiums ge- langen. Die Exkretkérnchen kénnen nun in die Driise des Nephri- diums und nach aufen geschattt werden, wihrend die Kerne walhr- scheinlich infolge ihrer GréBe in der Erweiterung des Trichters zuriickgehalten werden und dort in Maceration tibergehen. Bousius (Litt. 7) hat auch die Menge von Kernen in der blasenférmigen Erweiterung des Trichters gesehen. Er glaubt aber, da diese blasenformige Erweiterung ein kompakter Zellkérper, die Basis des cilientragenden Organes sei, und das Herumschwimmen yon Kernen in der Ampulle erklart er dadurch, daf ,globules sanguins* von diesem Zellkérper abgeschnitrt werden und durch den Wimperstrom in die Ampulle gelangen. Er fat also die ,cilientragenden Organe“ als Blutbildner auf, die Kerne als Blutkérperchen. Ich glaube wohl hinreichend bewiesen zu haben, da8 gerade das Umgekehrte stattfindet, daf diese Kerne keine Neubildungen, sondern nur Uberreste von zu Grunde ge- gangenen Elementen sind. Wir sehen hier also einen Weg, wie die Exkretionsprodukte 1) Ubrigens ist dies ja durch Bixerr (Litt. 40) embryologisch nachgewiesen. 182 Arnold Graf, nach auSen geschafit werden. KikenrHaL nimmt fiir Tubifex das Gleiche an. Er sagt: ,Nichts liegt also naiher, als an- zunehmen, daf die Flimmertrichter die Reste der abgelésten und zerfallenen Chloragogenzellen auf- nehmen uud durch die Segmentalorgane nach aufen befé6rdern.“ Es freut mich, daf ich fiir Nephelis dieser An- nahme KUKENTHAL’s vollkommen beipflichten kann. Wir fragen uns aber noch: wie kommt es, daf hier die Chloragogenzellen im Innern der Ampullen sich vorfinden ? Da die Chloragogenzellen aus Lymphzellen entstehen, so ist wohl anzunehmen, daf ein Teil dieser Lymphzellen aus dem Blute direkt die Exkretionsstoffe aufnimmt, sich in den Ampullen (die ja in Verbindung mit dem ventralen Sinus und den LateralgefaSen stehen) ansammelt und dort zerfallt. Ahnliche Vorkommnisse von intravasalen Chloragogenzellen finden sich nach Ersia (Litt. 20) auch bei den Cirratuliden und Terebelliden. Dort kommen im Riickengefafi Driisen vor, denen Eist@ den Namen intravasale Chloragogendriisen giebt. — Dak diese Ansammlung von Chloragogenzellen in den Ampullen nur eine periodische ist, wird dadurch bewiesen, daS ich an einer und derselben Serie durch Nephelis Ampullen gefunden habe, die pur mit Blut erfillt waren, dann wieder solche, die mit in Zerfall begriffenen Chloragogenzellen, und solche, die nur mehr mit den Uberresten der Zellen erfiillt waren. Was geschieht nun mit den extravasalen Chloragogenzellen ? Das Vorhandensein einzelner solcher mit Exkretionsstoffen beladener Zellen dicht unter der Epidermis glaube ich nach den Eisia’schen Befunden bei Capitelliden dahin deuten zu kénnen, dafs sie die Exkretkérnchen als Pigment in die Epi- dermiszellen ablagern. Auf Taf. I, Fig. 1 u. 2 habe ich nach dem lebenden Tier 2 solche Stadien gezeichnet. Im ersten sehen wir Chloragogenzellen in die Falten der Epidermis eindringen und dort zerfallen. Im zweiten finden wir die Exkretkérnchen in den Epithelzellen. Mit dieser Zunahme der Epithelzellen an Masse scheint eine Hervorwélbung derselben aus dem gemeinschaft- lichen Verband Hand in Hand zu gehen. Siehe beide Figuren. Auferdem finden sich aber Chloragogenzellen an dem Driisen- abschnitt des Nephridiums angeklebt vor und zeigen in vielen Fallen das Bild eines Zerfalls an der Oberfliche des Nephridiums. Zum mindesten ist ihre Verbindung mit dem Nephridium eine Zur Kenntnis der Exkretionsorgane yon Nephelis vulgaris. 183 auferst innige. Als Beispiel hierfiir Taf. VIII, Fig. 2 u. 6 cg, Taf. IX, Fig. 8 cg. Nach diesen Bildern glaube ich annehmen zu diirfen, daf die Chloragogenzellen, welche den Gefifen aufsitzen, sich von letzteren loslésen, an die Nephridien wandern und dort ihren Inhalt an dieselben abgeben. Dies scheint mir sehr wahrscheinlich zu sein. Sollte es trotz- dem nur auf Tauschung beruhen, so mii£ten wir annehmen, dal simtliche extravasalen Chloragogenzellen ihren Inhalt als Pigment in die Haut deponieren. Volle Sicherheit wird sich durch die Untersuchung an anderen Hirudineen ergeben. Wir haben also 4 Wege, auf welchen die Exkretionsprodukte aus den Organen entfernt werden. 1) Die Driise des Nephridiums nimmt auf osmo- tischem Wege die Exkretionsstoffe aus den ihr auf- liegenden BlutgefaiSen auf und schafft sie nach aufen. 2) Die Driise des Nephridiums nimmt wahr- scheinlich auf osmotischem Wege den Inhalt der Chloragogenzellen auf, welcher zum groé8ten Teil von Exkretionsstoffen gebildet wird.- 3) Der Wimpertrichter nimmt die Reste der in den Ampullen zerfallenden Chloragogenzellen auf und schafft die Exkrete in die Nephridialdrise. 4) Die Chloragogenzellen wandern mit den in ihrem Koérper aufgespeicherten Exkretionsstoffen bis an die Epidermis und deponieren dort dieselben als Pigment. Die Erkenntnis, daf aufer den Nephridien noch ein an- deres exkretorisches System vorhanden ist, begriindet auch die Existenz des Wimpertrichters; E1sia stellt dies in seiner Mono- graphie der Capitelliden mit folgenden Worten dar: ,,So- lange man blof reich mit zu- und abfiihrenden Blut- gefaSen ausgeriistete Nephridien ins Auge fast und voraussetzt, daf der ganze exkretorische Prozeh lediglich in diesen Nephridien sich abspielt, und zwar derart, da& das Blut die Vorstufen zu den Harnstoffen aus dem ganzen Kérper ausschlieh- lich an die Nephridiumzellen zur endgiltigen Ver- arbeitung osmotisch abgiebt — so lange bleiben Ba, XXVIM, N. F, XXI. 13 184 Arnold Graf, die célomatischen Nephridium-Kommunikationen oder Trichter ein Ratsel, und nicht etwa nur bei den Wirbeltieren bleiben sie ein solches, nein, sie sind nicht um ein Jota weniger ratselhaft bei jeder mit geschlossenem Gefaifsystcme ausgeriisteten Annelide, deren Nephridien zwar nicht wie die Harnkanalchen mit Matpicnr schen Kérperchen, aber doch ebenso mit zu- und abfiihrenden Gefaben reich versorgt sind. Mit dem Nachweise dagegen, das auch bei sol- chen Tieren, deren Nephridien eine exkretorische Gefa&versorgung aufweisen, nach wie vor feste (in anderen als Nierenorgane thatigen Geweben zu- stande gekommene und in das Célom geratene) Harnprodukte nach auSen geschafft werden mussen, héren die Trichter auf ratselhaft zu sein.“ Bei Hirudineen kénnen wir zwar nicht von einem geschlossenen Gefafsystem sprechen, aber die Nephridien besitzen eine Gefali- versorgung, und es zeigt der Befund, daf die Chloragogenzellen der Nephelis exkretorisch thatig sind, an einem speziellen Beispiel die fundamentale Bedeutung der oben ange- fiihrten Worte Ersia’s '). IV. Vergleich zwischen dem Nephridium von Nephelis und dem anderer Hirudineen. Die Célomfrage. Boxustus weist in seinen Werken (Litt. 4, 5, 6) auf die enorme Differenz zwischen der Organisation der Nephridien der verschie- denen Hirudineen hin. Nach dem, was uns durch die Litteratur bekannt ist, stellen sich diese Differenzen folgendermafsen dar. Bei Pontobdella sind nach Bourne die Nephridien noch nicht segmental angeordnet, sondern sie kommunizieren mitein- ander, und es stehen nicht bloS die jederseitigen Reihen in Ver- bindung, sondern auch die linken und rechten Nephridien bilden Anastomosen. Der gesamte Nephridialapparat stellt somit ein Netz dar, welches mit Ausnahme der metamer angeordneten 1) Wenn Binzer (Litt. 40) auf Larvenstadien keine Verbindung zwischen Lateralgefafsen und Leibeshéhle findet, so mufs sie eben spiter geschaffen werden. Man sieht sie an erwachsenen Tieren mit blofsem Auge. Siehe pag. 30. Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 185 Trichter jeder Segmentierung entbehrt. Die Driise selbst soll eine Zellreihe sein. Bei anderen Rhynchobdelliden (Clepsine, Hemiclepsis) sind die Nephridien metamer angeordnet, sollen aber auch Zell- reihen sein (BouRNE, SCHULTZE, VEJDOVSKYy, BOLstrus). Bei den Gnathobdelliden: Hirudo, Aulastoma, Haemopis stellt die Driise nach den Beobachtungen aller For- scher bereits einen kompakten Zellkérper dar. Die Rhynchobdelliden besitzen einen funktionierenden Trichter, die Gnathobdelliden mit Ausnahme von Nephelis nur einen rudimentiren (Bournr). Boxstus allein leugnet die Existenz eines Trichters bei allen Hirudineen. Ich werde mich hier darauf beschrinken, das Nephridium von Nephelis mit dem von Hirudo zu vergleichen, weil die Angaben iiber die Nephridien der Rhynchobdelliden zu widersprechend sind, als daf’ man ein klares Bild der Nieren- organe dieser Tiere gewinnen koénnte. Bortsius meint, das Nephridium von Nephelis habe mit dem von Hirudo keine Abnlichkeit. Wir wollen sehen, ob dem So ist. Die Endblase von Nephelis zeigt netzférmig angeordnete Muskulatur, die von Hirudo besitzt einen Sphincter. Dies ist wohl nur Lokalisation der Muskulatur, aber kein tiefgreifender Unterschied. Sowohl Hirudo als Nephelis besitzen in ihrer Endblase Cilien. Die Driise des Nephridiums von Hirudo stellt sich als ein Zellkérper dar, dessen einzelne Zellen noch deutlich erkenn- bare Grenzen besitzen, wogegen bei Nephelis die Zellgrenzen des Driisenabschnittes verwischt sind. Es zeigt sich aber auch schon bei Hirudo die Tendenz der Verschmelzung einzelner Zellen, indem man bei manchen Zellen die Grenzen nicht mehr deutlich sieht (Bousrus). Hier auch kein durchgreifender Unterschied. — In beiden Arten kommen die intracellularen Endkanalchen in der Form von Baumchen vor. Bei Nephelis ist eine Eigentiimlichkeit , daf die einzelnen Abschnitte der Driise sich unter Resorption der Membranen an- einander legen. Bei Hirudo finden wir in der Existenz des von Bourne und Scuutrze beschriebenen ,,recurrent duct” ein ahnliches Verhalten. Bei Nephelis finden wir am oberen Ende 13\* 186 Arnold Graf, der Driise einen funktionierenden Wimpertrichter, der in einen Abschnitt des Sinussystems miindet. Bei Hirudo soll zwar ein Wimpertrichter noch vorhanden sein, aber sehr stark degeneriert und funktionslos (Bourne). Dieses Verhalten kann vielleicht dadurch eine Erklarung finden, da’ wir keine intravasalen Chloragogenzellen mehr antreffen. Es wird wahrscheinlich die ganze Masse der Chlor- agogenzellen die Exkrete als Pigment in die Haut tragen. An- dererseits sind die Nephridien von Hirudo so viel stirker mit GefaBen versorgt, als die von Nephelis, dal die Funktion des Trichters wahrscheinlich entbehrlich geworden ist. Es sind jeden- falls noch Untersuchungen iiber die Chloragogenzellen von Hi- rudo anzustellen. Dieser stark reduzierte Trichter von Hirudo liegt auch in einem Abschnitte des Sinussystems, welcher aber fiiuferst klein und wenig gerdumig ist. Wir sehen also, da’ wir in den Nephridien von Hirudo und Nephelis keine prinzipiellen Organisationsunterschiede finden. Was die Rhynchobdelliden anbetrifft, so sind sie durch ihre célomatischen Verhiltnisse von den Gnathobdel- liden so getrennt, daf wir uns nicht verwundern dirfen, wenn auch die andern Organe von denen der Gnathobdelliden hinsichtlich ihrer Struktur abweichen. Immerhin ware es win- schenswert, dal vergleichende Untersuchungen, die Klarheit in diese Verhiltnisse braichten, angestellt wiirden. Wahrscheinlich wird die Embryologie uns da héchst wichtige Aufschliisse geben. Was nun die bei den Hirudineen so schwierige Frage nach den Célomverhaltnissen betrifit, so wissen wir, dal eine auBerordentliche Reduktion der Leibeshéhle stattgefunden haben mus. Die Vorfahren der Hirudineen haben jedenfalls eine wohl- entwickelte Leibeshéhle gehabt, welche dann wahrschein- lich durch sehr starke Entwickelung der mesodermalen Elemente auf einige geringe Uberreste reduziert wurde. Dies ist die Dia- coelosis Bournes. Einige Wahrscheinlichkeit gewinnt diese Auffassung dadurch, da8 Uberreste der Leibeshéhle bei sonst nahe verwandten Gat- tungen an verschiedener Stelle auftreten. Waren die nach- sten Vorfahren der Hirudineen Tiere ohne Leibeshéhle, wie die Platoden und wiirden die spirlichen, als Leibeshéhle aufzufassen- den Riume bei den Hirudineen als erster Anfang einer Leibeshéhlung aufgefaft, so miifte es uns doch itberraschen, daf in einer verhaltnismafig kleinen Gruppe so grofe Differenzen Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 187 in der Lage dieser Célomabschnitte auftreten. Als Célom haben wir bei den Hirudineen das gesamte System der Sinusse und die Gonadenbehalter aufzufassen. Nephelis besitzt einen ventralen Sinus, keinen dorsalen, statt dessen die dem Sinussystem angehérigen A m - pullen. Clepsine hat einen ventralen, einen dorsalen und 2 laterale Sinusse, dagegen keine Ampullen. Hirudo und Aulastoma haben dorsale und ventrale Sinusse, keine lateralen Sinusse und keine An- pullen. Schon aus diesen wenigen Beispielen sieht man, wie ver- schieden die Abschnitte der Leibeshéhle verteilt sind. Weitere Uberreste der Leibeshéhle sind die Raume, in denen die Gonaden liegen, und auch diese sind bei den verschiedenen Hirudineen ganz verschieden im Kérper angeordnet. Kurz, die Wahrschein- lichkeit, welche fiir die Reduktion einer ursprtinglich vorhandenen typischen Leibeshéhle spricht, ist eine sehr grofe. Ob die dorsal liegenden, reichverzweigten Blutbahnen, denen die Chloragogen- zellen aufsitzen, einem dorsalen Sinus, oder aber einem dorsalen GefaBe (welche beide in Nephelis fehlen) entsprechen, ist eine Frage, die ich nur aufwerfen, aber auch nicht in vermuten- der Weise besprechen kann. Dagegen scheint es mir sehr wahr- scheinlich, dafS die dorsal liegenden Ampullen Uberreste des dorsalen Teiles der urspriinglichen Leibeshohle darstellen und somit einen (wenn auch stark modifizierten und zusammenhangs- losen) dorsalen Sinus reprasentieren. (Bircer, Litt. 40.) Wir haben zwar gesehen, daf die Ampullen Muskulatur be- sitzen, aber. sie gehéren keinesfalls dem kontraktilen Lateral- gefafsystem an. Diese Muskulatur ist aufSerordentlich schwach und unregelmafig entwickelt, und die Wandung der Ampulle ist auferst fein, wihrenddem die Lateralgefaife und ihre Verzweigungen regelmaBige starke Ringmuskulatur aufweisen und eine starke Wandung besitzen. Was ferner die Bourner’sche Auffassung einer endocytischen Leibeshéhlenbildung durch den innerlichen Zerfall der Botry oidal- zellen (Chloragogenzellen) anbetrifit, so zeigen obige Resultate, daf sie nicht gerechtfertigt erscheint. Bourne scheint iibrigens das Wort Célom bald fiir einen Hohlraum im Metazoenkérper tiberhaupt, bald fiir eine Leibes- héhle zu gebrauchen. So spricht er von Diacoelosi® oder 188 Arnold Graf, Riickbildung der Leibeshéhle, und von einer paracytischen Coelosis bei der Gastrulabildung. Wenn einerseits die Célomverhaltnisse der Hirudineen den Schluf& nahelegen, daf die Vorfahren derselben mit einem wohlentwickelten Célom ausgeriistete Tiere waren, so spricht in zweiter Linie das Vorhandensein von Uberresten pro visorischer Nephridien im beinahe erwachsenen Tier dafiir, daf diese Vorfahren nahe Verwandte der Oligochaiten waren. Diese pro- visorischen Nephridien scheinen, nach ihren Rudimenten zu ur- teilen, nicht nach dem Typus der Kopfnieren gebaut zu sein, sondern nach dem Typus der bleibenden Nephridien, ebenso wie bei den Oligochaten und Capitelliden (Kista). Ferner spricht fiir diese Annahme das Vorhandensein von Chloragogen- zellen, die ja fiir die Unterordnung der Oligochaeten cha- rakteristisch sind und auch bei den Capitelliden von H. Ersia nachgewiesen wurden. Jedenfalls miissen noch viele Untersuchungen, besonders tber die Entstehung des kontraktilen GefaSsystemes und der Leibes- hohlenabschnitte, gemacht werden, und zwar an moglichst viel Reprasentanten der Ordnung der Hirudineen. Anhang. Einige Beobachtungen am Blutgefa8system des lebenden Tieres. Ich habe auf Taf. X, Fig. 1 eine Abbildung gegeben, die ich durch Beobachtungen am lebenden Tier in der Lage war zu zeichnen. JAQUET hat das Blutgefaifsystem so genau verfolgt und ge- zeichnet, dafi in morphologischer Beziehung wohl fast nichts mehr hinzuzufiigen ist; er hat aber natiirlich bei den injizierten Tieren die Stré6mung des Blutes nicht verfolgen kénnen. Bei grofen, durchscheinenden, rétlich gefarbten Tieren habe ich unter LupenvergréfSerung (aber auch mit bloBem Auge) bei der Betrachtung gegen das Sonnenlicht, wenn das Tier ausgestreckt an der Wand des Glasgefafes haftete, folgendes beobachten kénnen. Die SeitengefaiSe pulsieren, und zwar so, daf in dem linken die Pulsation auferst rasch von hinten nach vorn, in dem rechten von vorn nach hinten verlauft. Wenn das linke Gefaf% mit Blut volistandig gefiillt ist, ist das rechte ganz leer, und umgekehrt. Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 189 Die Ampullen pulsieren auch, und wieder ist bei Erfiillung der einen Reihe die andere blutleer. Der ventrale Sinus zeigt nur schwache Ab- oder Zunahme der in ihm enthaltenen Blutmenge; ganz geleert wird er nie. — Man muf sich aber nicht vorstellen, da’ das Blut von hinten links nach vorn links, und im Kreise weiter von vorn rechts nach hinten rechts strémt, sondern es wird von dem linken GefaBe nur successive zuerst hinten, dann weiter vorn in die Gefafver- zWweigungen abgegeben, und rechts umgekehrt. Am schénsten sieht man dies an dem vorderen K6rperabschnitte. Da werden bei suc- cessiver Leerung des linken Gefifes auch successive die regel- mafig angeordneten Gefaifverbindungen der Lateralgefafe mit dem ventralen Sinus mit Blutfliissigkeit gefiillt. Die Pulsation der Ampullen verlauft nicht rhythmisch mit derjenigen der Lateralgefifie. So sieht man manchmal das linke Lateralgefif mit Blut erfiillt, und die linke Ampullenreihe des- gleichen. Oft ist aber bei gefiilltem linken Lateralgefa® die linke Ampullenreihe blutleer und die rechte Reihe mit Blut erfiillt. Bei der geringen GréBe des Tieres und der raschen Pulsation ist es mir nicht méglich gewesen, das Gesetz der Pulsation herauszubringen. Das Auffallendste an der ganzen Erscheinung liegt aber darin, daf die beiden Lateralgefile verschiedene Blutarten fihren. Wenn sich z. B. das rechte Lateralgefaf mit dunkler orangeroter Blutfliissigkeit gefiillt hat, so ist das linke leer. Bei der Ent- leerung des rechten Seitengefaéfes fiillt sich dann das linke Seiten- gefifS mit einer hellrosa gefirbten Blutfltissigkeit. Der durch- sichtige Kérperrand macht diese Farbendifferenzen auch mit. Ist das rechte GefifS mit orange gefarbtem Blute erfillt, so ist der rechte Kérperrand gelblich gefarbt. Ist das linke Gefaf mit rosa Blut erfiillt, so ist der linke Kérperrand schwach rosa gefarbt. Diese Farbung wird durch die grofe Anzahl von Kapillaren der Seitengefaffe, welche erstere in der K6érperhaut liegen, bedingt. Wir kénnen kaum zweifeln, da8 wir es hier einerseits mit arteriellem, andererseits mit venésem Blute zu thun haben, wobei ich jedoch nicht bestimmen will, ob das dunkel orangerote Blut das venése, das hellrote Blut das arterielle sei. — Wollten wir aber nun annehmen, daf das eine Seitengefif immer arterielles, das andere immer venéses Blut fiihre, so waren wir im Irrtum, denn nach langerer Beobachtung gewann ich die Uberzeugung, dai die Natur des Blutes in den jederseitigen Blutgefaifen wechselt. So habe ich beobachtet, da’ wihrend 24 Fiillungen des rechten 190 Arnold Graf, GefaiBes dasselbe 2mal deutlich hellrosa, 2mal deutlich dunkel- orangerot aufleuchtete, wahrend im linken Gefaf} der Vorgang umgekehrt stattfand. Der Ubergang von einer Farbennuance zur anderen war kein plétzlicher, sondern sehr allmahlich, und nur durch den Kontrast der Farben an beiden SeitengefaSen wird derselbe deutlich. Es scheint also, daf die Oxydation des Blutes die Dauer von 6 Pulsationen beansprucht. In Fig. 1, Taf. X, ist der Fall gezeigt, wo das linke Gefaif leer ist, das rechte mit dunkelorangerotem Blute (hier schwarz) erfiillt ist. Die linke Ampullenreihe ist voll Blut, die rechte leer. Dies sind die Beobachtungen, welche ich ohne den Versuch einer Erklarung hier mitteile. Nachtrag. Nachdem ich meine Arbeit bereits beendet hatte, bekam ich noch die Schrift von Leuckart ,,Uber den Infundibularapparat der Hirudineen“ (Ber. d. mathem.-phys. Kl. d. K. sachs. Ges. d. Wissensch., Leipzig 1893, S. 326—830) zu Gesicht. LruckAartT hat die Verbindung des Trichters mit der Driise des Nephridiums gesehen. Ich muf aber Leuckart gegeniiber an der Behauptung festhalten, daf die Kerne im Inneren der Trichterblase keine Kernzellen, sondern frei gewordene Kerne der Chloragogenzellen sind, die hier hineingelangten. Ich stimme sonst vollstandig mit LEUCKART tiberein, besonders auch, was die Ansicht betrifft, daf bei Nephelis ein funktionierender Trichter existiert. Ziirich, 13. Juli 1893. 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 18) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris, 191 Ubersicht der konsultierten Litteratur. Benen, Die Exkretionsorgane der Wiirmer. Kosmos, Bd, 17, 1885. Derselbe, Die Schichtenbildung im Keimstreifen der Blutegel. Zool. Anz., Bd. 18, 1890. Derselbe, Die Metamorphosen der Aulastoma gulo. Arbeiten des Zool. Inst. Wirzburg, Bd. 7, 1885. H. Botstus 8. J., Recherches sur la structure des organes ség- mentaires des Hirudinées. La Cellule, Tome V, 1889. Derselbe, Nouvelles recherches sur la structure des organes ségmentaires des Hirudinées. La Cellule, Tome VII, 1890. Derselbe, Anatomie des organes ségmentaires des Hirudinées. Ann. de Ja soc. scient. de Bruxelles, Tome XVI, 1891. Derselbe, Les organes ciliés des Hirudinées. La Cellule, Tome VII, 1891. R. Buancuarp, Description de la Glossiphonia marginata. Extr. du bull. de la soc. zool. de France, 1892. Derselbe, Description de la Glossiphonia tesselata. Mém. de la soc. zool. de France, 1892, Derselbe, Présence de la Glossiphonia tesselata au Chili. Actes de la soc. scient. du Chili, Tome II, 1892. Derselbe, Description de la Xerobdella Lecomtii. Mém. de la soc. zool. de France, 1892. Derselbe, Sur la Typhlobdella Kovatsi. Bull. de la soc. zool. de France, 1892, Derselbe, Sur la présence de la Trochaeta subviridis en Ligurie, et déscription de cette Hirudinée. Génes 1892. A. G. Bournz, On the structure of the nephridium of the medi- cinal leech. Quart. Journ. for Micr. Science, Vol. XX, 1880. Derselbe, The vascular system of Hirudinae. Zool. Anz., Bd. 11, 1888. | Derselbe, The central duct of the leech’s nephridium. Quart. Journ. of. Micr. Sc., Vol. XXII, 1882. Derselbe, Contributions to the anatomy of the Hirudinae. Proc. of the Roy. Soc. London, Vo]. XXXV, 1883. Derselbe, Contributions to the anatomy of the Hirudinae Quart. Journ. of Micr. Sc., Vol. XXIV, 1884. H. Erste, Die Segmentalorgane der Capitelliden. Mitt. der Zool, Stat. zu Neapel, Bd. 1, 1879. Derselbe, Monographie der Capitelliden, 1887, 192 21) 22) 23) 24) 25) 26) 277) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) Arnold Graf, Jisima, The structure of the ovary and the origin of the eggstrings in Nephelis. Quart. Journ. of Micr. Sc., Vol. XXII, 1882. M. Jaquerr, Recherches sur le systeme vasculaire des Annélides. Mitt. der Zool. Stat. zu Neapel, Bd. 6, 1885. J. Kennet, Uber einige Landblutegel des trop. Amerika, Zool. Jahrb., Abt. fiir System., Bd. 2, 1886. Kowateysky, Ein Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. Biol. Centralbl., Bd. 9, 1889. Kuprrer, Blutbereitende Organe bei den Riisselegeln. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 14, 1864. W. Kixenruat, Beobachtungen am Regenwurm. Biol. Centralbl., Bd. 8, Nr. 3, 1888. Derselbe, Uber die lymphoiden Zellen der Anneliden. Jen. Zeitschr. fiir Naturw., Bd. 18, 1885. A. Lane, Der Bau von Gunda segmentuta und die Verwandtschaft der Plathelminthen mit Célenteraten und Hirudineen. Mitt. der Zool. Station zu Neapel, Bd. 3, 1881. Ray LanxesTEr, On intra-epithelial capillaries in the integument of the medicinal leech. Quart. Journ. of Micr. Sc., Vol. XX, 1880. Derselbe, On the connectiv and varifactive tissues of the medicinal leech. Ibidem. Sarnt-Lovr, Recherches sur l’organisation des Hirudinées. Ann. des sc. nat., Tome XVIII, 1885. O. Scuurrzz, Beitrige zur Anatomie des Exkretionsapparates der Hirudineen. Archiv fiir mikr. Anat., Bd. 22, 1888. A. E. Suretry, On the existence of communications between the body cavity and the vascular system. Proc. Cambridge Phil. Soc., Vol. VI, p. 213, 1888. Fr. Vrspovsky, Excre¢ni soustava Hirudinei. Sitzungsber. der Bohm. Ges. in Prag, 18838. C. O. Wurman, History of the egg of Clepsine. Quarterly Journ. of Micr. Se., Vol. XVIII, 1878. Derselbe, The external morphology of the leech. Proc. of the Americ. 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Gr Grenzen der sich aneinander legenden Driisenabschnitte. gran Granulation. HT Hinten. hS Hinterer Saugnapf. K Grofe Kerne. k Kleine Kerne. LA Latero-Ampullargefas. Erweiterung La Uappenzellen d. Wimperkrone. lac Lakunen in der blasenformigen Erweiterung des Trichters. LG Lateralgefas. LV Lateroventrales Gefa8. lyz Lymphzellen. m Muskelfasern der Ampullen, der Endblase und vielleicht der Blutbahnen s. Me Membran (Cuticula) des Cen- tralkanals. N Nerv des hinteren Saugnapfes. Ne Nephridialdriise. Pig Pigment der Epidermis. R Rechts. s Blutbahnen, denen die Chlor- agogenzellen aufsitzen. SG Saugnapfganglion. SpB Sphincterblase. Str Streifung des Nephridien. Tr Trichter. V Vorn. VS Ventraler Sinus. vS Vorderer Saugnapf. Wk Wimperkrone des Trichters. zg Zellen (wahrscheinlich Lymph- zellen) in der blasenformigen Erweiterung des Trichters. Z Zellen der Wandung der blasen- formig. Erweiterung d. Trichters, Plasmas der 194 Arnold Graf, TateluVik Fig. 1. Ubersichtsbild des Nephridialapparates einer Segment- halfte der mittleren Korperregion. Nach Schnittserien in transversaler, horizontaler und medianer Liangsrichtung rekonstruiert und schematisiert. Von oben gesehen. Darm, Gonaden und der gréfte Teil der Chlor- agogenzellen sind weggelassen. Aus der Ampulle A, ist ein Stiick der Wandung herausgeschnitten gedacht, da} man in das Innere sieht. A, erste Ampulle des Segments. A, zweite Ampulle des Segments. I, If, II, IV, V die fiinf uBeren Ringel eines Segments. Oe, Offnung des Nephridiums in die Endblase. Oe, Offnung der Endblase nach augen. p Stellen wo einzelne Driisenabschnitte sich aneinander legen. Von & bis g ist die Driise genau rekonstruiert. Im Ubrigen Verlauf ist dieselbe sehr schematisiert. Vergr. ca. 80. Fig. 2. Stiick der Epidermis nach einem Zupfpraparat des 1 eben den Tieres. Vergr. 450. Fig. 3. Stiick der Epidermis (Zupfpraparat). Vergr. 600. Tafel VIII. Fig. 1. Schiefschnitt durch die Driise des Nephridiums. Vergr. 600 Fig. 2. Schnitt durch die Driise. AM Korpermuskelzellen Vergr. 600. Fig. 8. Querschnitt durch die Driise. Vergr. 600. Fig. 4. Schiefschnitt durch die 2 aneinander gelegten Driisen- abschnitte J und Jf. Vergr. 900. Fig. 5. Schnitt durch die Driise mit Umgebung. J Inhalt der Blutbahnen, denen die Chloragogenzellen aufsitzen. Ne, Ne,, Ne, drei verschiedene Abschnitte der Driise im Querschnitt. Bei A, A, u. A, ist die Grenze zwischen Driise und Chloragogenzellen fast unkenntlich. Vergr. 600. Fig. 6. Schnitt durch die Driise. Vergr. 900. Fig. 7. Ausfiihrungsgang der Endblase nach aufen. Vergr. 600. Fig. 8. Ausfiihrungsgang der Endblase von Hirudo. rm, innerer Sphincter. rm, einzelne Ringmuskeln der Sphincterblase. rm, Aeufserer Sphincter. JM Korpermuskulatur. Vergr. 450. Fig. 9. Schiefschnitt durch den Trichter. Bei A ist die Ver- bindung mit der Driise zu suchen. Vergr. 900. Tafel IX. Fig. 1. Schnitt durch den Centralkanal C,. Vergr. 900. Fig. 2. Schnitt durch die Driise mit Centralkanal C,, C,, C3. Vergr. 900. Fig. 8. Schnitt durch die Driise mit Centralkanal C,, C,, C3. Vergr. 600. Die 3 Schnitte Fig. 1, 2, 8 sind aufeinanderfolgend. Fig. 4. Querschnitt durch den wmittleren Teil der Driise. Vergr. 900. Fig. 5. Querschnitt durch den unteren Teil der Driise. Vergr. 900. Fig. 6. Schnitt durch die Driise. Vergr. 450. Zur Kenntnis der Exkretionsorgane von Nephelis vulgaris. 195 Fig. 7. Querschnitt durch die Driise. Vergr. 600. Fig. 8. Driise mit aufsitzenden Chloragogenzellen. Nach dem lebenden Tier. Vergr. ca. 450. Fig. 9. Schnitt durch eine Blutbahn (i) mit aufsitzenden Chlor- agogenzellen. Vergr. 600. Fig. 10. Querschnitt durch die Endblase. Vergr. 600. Fig. 11. Anschnitt der Endblase. VM, Offnung des Ausfiihrungs- ganges nach aufen. JM, Offnung der Endblase in den Ausfihrungs- gang. JM, Offoung des Nephridiums in die Endblase. Vergr. 600. Fig. 12. Querschnitt durch eine Ampulle. Zrb Basis der blasen- formigen Erweiterung des Trichters. Vergr. 450. Fig. 18. Oberfliichenschnitt derselben Ampulle. Vergr. 450. Fig. 14 (a, B, y, 0) und Fig. 15 (a, 8, y) sind 2 Serien durch die Wimperkrone. a, 6, c, d, e, f, g, h Kronenzellen. (Von einem jungen Tier.) Vergr. 450. Tafel X. Fig, 1. Schema des Blutgefa®systems von Nephelis. Vergr. ca. 10 (nach dem lebenden Tier). Fig. 2, 3, 4. Drei aufeinander folgende Schnitte durch die Driise mit dem Centralkanal a, b, ¢ (Umrifzeichnung). Vergr. 450. Fig. 5. Schnitt durch das Saugnapfganglion. Verg. 600. Fig. 6. Schnitt durch eine Ampulle. Vergr. 900. Fig. 7 und 8. Zwei aufeinander folgende Schnitte durch eine Ampulle. Vergr. 600. Fig. 9. Wimperkronzelle mit Kern. Vergr. 600. Fig. 10. Zweigelappte Wimperkronzellen des erwachsenen Tieres. Vergr. 450. Fig. 11 (a, b, ec, d) und Fig. 12 (a, 6). Eine Reihe von Chloragogenzellen vom Stadium der Lymphzelle bis zur dem Zerfall nahen Chloragogenzelle. Nach Zupfpriiparaten des lebenden Tieres. Vergr. 600. Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. Von Dr. phil. Heinrich Stauffacher. (Aus dem zoologischen und vergleichend-avatomischen Laboratorium beider Hochschulen in Ziirich.) Mit Tafel XI—XV und einer Abbildung im Text. Methode der Untersuchung. Um die Anwendung von Sauren behufs Entkalkung der Schalen méglichst zu vermeiden, isolierte ich Zwitterdriise und Kiemen und nahm diejenigen Embryonen, bei denen ich die Anwesenheit einer Schale voraussetzen konnte, soregfiltig aus ihren Brutsiickchen heraus. Nachher wurden die erstgenannten Objekte in Sublimat fixiert, in steigendem Alkohol gehirtet und in Himalaun gefirbt. Dieses Verfahren ergab mir sehr giinstige Priparate, die an und fiir sich schon gentigt hitten, mich tiber die hauptsachlichsten Fragen ins Klare zu setzen. Auch fir histologische Untersuchungen bei Mollusken lassen sich die ge- nannten Flissigkeiten mit Vorteil anwenden. Ich vermied auf diese Weise jegliche Quellung, eine Er- scheinung, die bei diesen zarten Objekten ausnahmslos eintritt und sehr lastig wird, wenn man z. B. Boraxkarmin als Fiarbe- mittel anwendet und nachher mit salzsaurem Alkohol auswiischt. Dessenungeachtet fixierte ich auch ganze Tiere mit und ohne Schalen, wobei eine Entkalkung jeweilen natiirlich nicht zu um- gehen war. Diese Priparate, mit Boraxkarmin gefirbt, wurden aber nur zur Entscheidung allgemeiner Fragen: Lage der Geni- talien, der Ausfuhrgiinge etc. herangezogen. Auch in denjenigen Fallen, wo bei Himalaunpriparaten die Eimembran nicht ab- solut deutlich wahrgenommen werden konnte, leisteten sie gute Dienste, indem die zarte Haut, infolge eingetretener Quellung, hier immer leichter zu sehen war. Eibildung und Furchung bei Cyclas Cornea L, 197 Endlich brachte ich noch zwei Verfahren in Anwendung, die mir vielversprechend erschienen, nimlich Fixierung mit Chrom-Osmium-Essigséure (nach FLEMMING) und mit Platin- chlorid-Osmium-Essigsiure (nach HERMANN). Leider enthielten die hiermit behandelten Kiemen, wie es sich nachher herausstellte, weder Kier noch Furchungsstadien, und damit fillt auch mein Urteil tiber diese Arten der Konservierung vorliufig dahin. Cyclas cornea L. findet sich im Bodenschlamm der Weiher und Seen um Ziirich herum so hiufig, da mir die Herbei- schaffung sehr zahlreichen Materials keine Schwierigkeiten be- reitete. Ich konservierte deshalb méglichst viel und verfiigte schlieBlich tiber ca. 120 Schnittserien und iiber fast 50 isoliert eingebettete Muscheln und grésere Embryonen. Die Schnitte, mit Minot’s Mikrotom hergestellt, waren meistens !/,,,) mm, héchstens 1/,59 mm dick. Die Schnittrichtung war, wenigstens fiir die Eier und die in den Kiemen eingeschlossenen Entwickelungsstadien, eine rein zufallige. Gréere Embryonen wurden vorher orientiert. Die Furchungsstadien sind also aus Serien konstruiert wor- den. Ich habe in Fig. 14 a—g die Probe einer solchen durch das 3-zellige Stadium wiedergegeben. — Die einzelnen Schnitte wurden zuniichst auf Glasplatten gezeichnet und genau _auf- einandergelegt, wobei ich begreiflicherweise auf die Zellkerne, ihr Verschwinden und Auftauchen viel mehr Wert legte, als auf die Zellgrenzen. Die Zeichnung entwarf ich bei 900-facher Ver- gréverung stets unter Zuhilfenahme des Abbe’schen Zeichnungs- apparates und priifte sie in etwas schwierigen Fallen mit Zeiss’ homog. Immers. (1500fache Vergréferung) auf ihre Richtigkeit. Endlich suchte ich mir auch dadurch ein kérperliches Bild des Objektes zu verschaffen, dal ich die einzelnen Kerne, aus Wachskiigelchen geformt, in genau berechneter Entfernung und in der Reihenfolge ihres Auftauchens mit Hilfe von Nadeln fixierte und in dieser Weise auf allerdings etwas umstindlichem, aber zuverlissigem Wege zur Rekunstruktion der Objekte ge- langte. Bemerken méchte ich endlich noch, daf mir in den aller- meisten Fallen fiir ein Furchungsstadium mehr als eine Serie zur Verfiigung stand. So fand sich beispielsweise das drei- zellige Stadium in 7% verschiedenen Serien, das vierzellige in 6 solchen, die Stufe der Mesodermbildung in 9 Fallen vor. 198 Heinrich Stauffacher, I. Die Eibildung. Cyclas ist hermaphroditisch. Die Gonade, aus zwei lappig veristelten Driisen bestehend, liegt zwischen Leber, Darm und Niere und wurde bereits von SIEBOLD, dann von LEyp1e (40) und STEPANOFF (53) beschrieben. Letzterer berichtet dartiber folgendes (p. 2): ,,Jede Driise bildet einen Schlauch mit blasen- artigen Ausbuchtungen, der unmittelbar in den Ausfihrungs- gang tibergeht. Die Gréfe der einzelnen Aussackungen ist ver- schieden, dieselben werden im allgemeinen immer kleiner, je mehr sie sich dem Ausfiihrungsgang annihern. Nur die vorderste Ausstiilpung macht eine Ausnahme, indem sie sich durch ihre Gréfe von allen merklich auszeichnet. ... Der ganze Schlauch ist von einer homogenen Membran gebildet und enthalt im Innern ovale, 0,014 mm grofe Epithelialzellen. Der Ausfitihrungsgang - stellt am Anfang einen 0,052 mm und weiter 0,039 mm breiten Kanal vor, der von dichtstehenden siulenfoérmigen Epithelialzellen mit lebhaft flimmernden Wimpern ausgekleidet ist.“ Die Abbildung hiezu (Taf. I, Fig. 1 und 2) ist indes nicht so klar, wie man nach dieser meist zutreffenden Beschreibung erwarten kénnte. Die Epithelialzellen sind als rundlich-ovale, allseitig von einer Membran begrenzte Elemente gezeichnet, die weder unter sich, noch mit der zarten Follikelwand in irgend einer niiheren Beziehung stehen, wihrend sie faktisch dieser letzteren ausnahmslos ansitzen, also nach innen zu ein ein- schichtiges Epithel langlicher Zellen bilden, wie dies schon v. JHERING (25) fiir Scrobicularia biperata nachwies, wo die epithelialen Zellen allerdings bedeutend flacher zu sein scheinen. Die Scheidewiinde der Epithelzellen sind nicht immer, oft sogar nur ausnahmsweise bis zur Follikelwand zu verfolgen. Da dies aber doch in vielen Fallen méglich ist (Fig. 6b, 10a, 10 ¢), so bin ich, wie FLEMMING (13), der Ansicht, da’ hier kein Syn- cytium vorliegt. In der strukturlosen Wandung, die den Follikel begrenzt, konnte ich keine Zellkerne konstatieren. Die Kier trifft man, wie STEPANOFF (I. c. p. 3) richtig an- giebt, nur in einer einzigen Aussackung, wihrend die anderen Follikel je einer Geschlechtsdriise ganz mit Samenmutterzellen und Sperma erfiillt sind. Eine Faltung der Eifollikelwand tritt Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 199 nur gelegentlich ein (Fig. 3 und 10), wihrend z. B. das Ovarium der Chitonen von HALLER (17) als vielfach gefalteter Sack be- schrieben wird. Die ersten Vorgiinge bei der Bildung der Eier konnten von STEPANOFF nicht beobachtet werden, was bei der Mangelhaftig- keit der damals noch in Anwendung gebrachten Untersuchungs- methoden leicht begreiflich ist. Betrachten wir das Keimlager eines Ovarialfollikels etwas genauer, so bemerken wir neben den gewohnlichen, cylindrischen Kpithelzellen noch andere Elemente. Sie sind in den Fig. 7 und 9 angedeutet, mit we bezeichnet und unterscheiden sich von den epithelialen Zellen in folgenden Punkten: 1) Sind sie meist rund, oft auch rundlich-oval und liegen 2) der strukturlosen Membran (#4) innig und mit der Breitseite an (Fig. 7). 3) Sie besitzen einen groken kugligen Kern, der fast die ganze Zelle ausfiillt und einen groBen, stark fairbbaren Nucleolus (Fig. 9 nm) aufweist. 4) Das Protoplasma der Zelle ist ganz hell und farbt sich mit Himalaun nicht, wahrend die gewoéhnlichen Epithelzellen immer tingiert waren. 5) Das Chromatin des Kerns bildet kein fidiges Ge- riist, sondern erscheint in eine Menge gréferer und kleinerer Kérnchen aufgelést. Diese lassen sich durch Hamalaun stets firben. Nur aus diesen Zellen gehen in der Folge Kier hervor, wihrend sich die anderen Elemente des keimbereitenden Lagers ganz indifferent verhalten. Wir bezeichnen deshalb jene Zellen als Ureier: Ahnlich verhalten sich nach Brock (5) die Ureier der stylom- matophoren Pulmonaten. Er sagt nimlich p. 356: ,,Die Ureier sind rundliche Zellen mit einem grofen, runden, hellen, hiufiger centralen als excentrischen Kern und einem grofen Kernkérper- chen. Die angewandten Tinktionen firbten das Kernkérperchen intensiv, das Protoplasma auch noch ziemlich stark, der Kern aber blieb hell und es kam keine einem Kerngeriist vergleich- bare Bildung zustande.‘ Auch hier sitzen die Ureier aus- nahmslos der Wand der Alveolen an. Mit Brock stimmt HALLER (I. c.) iiberein: ,,Bei sorgfaltigem Durchmustern grékerer Flichenbilder fillt es auf, dal} bei mancher dieser sonst gleichférmigen Zellen (des Keimlagers) der Kern Bd, XXVIII. N, F, XXI, 14 200 Heinrich Stauffacher, nicht tingiert wird), vielmehr hell glinzend erscheint und neben seiner bedeutenden Michtigkeit ein grof’es Kernkérperchen in sich birgt. Es sind dies die Zellen, die sich spiéter zu Kiern entwickeln.“ Die verschiedene Tingierbarkeit der Zellelemente von Cyclas einerseits und der hier citierten Fille andererseits beruht auf der verschiedenen Wirkung der angewendeten Farbstoffe. Wir werden spiter noch einmal auf einen auffallenden Unterschied zwischen Hamalaun und den Karminfarbstoffen stofen. Verfolgen wir das Schicksal eines Ureies etwas genauer. In Fig. 1 sehen wir, daf sich die Zelle bedeutend vergréSert hat und nunmehr einen grobkérnigen, dunkeln Inhalt zeigt. Die Stofizufuhr kann kaum anderswoher als durch die zarte Follikel- wand erfolgt sein, der das Urei auch jetzt noch dicht anliegt. Der Kern zeigt dasselbe Aussehen wie vorhin. Der Nucleolus ist bedeutend gréfer geworden und ist auch in diesen Stadien immer nur in Einzahl vorhanden 2). Infolge der Aufnahme von Substanz dehnt sich die Zelle ue bedeutend aus, was man leicht aus dem Bestreben schliefen kann, nach der Seite, wo der geringste Widerstand vorhanden ist, durchzubrechen: Es dringt sich, wie Fig. 1 zeigt, die Ureizelle keilférmig zwischen den indifferenten Zellen des Epithels gegen den freien Follikelraum vor, die benachbarten Zellen (ep) beiseite schiebend. Sobald der vorher allseitigem Druck ausgesetzte Inhalt der Eizelle den Hohlraum erreicht, fingt er an, sich hier auszudehnen, wie Fig. 2 zeigt. Da von dieser Seite kein entsprechender Gegen- druck stattfindet, so wird der gré’te Teil des Eiinhaltes durch die Epithelzellen ausgepreft, so daf die Verbindung mit der Wandung des Ovariums bis auf einen ganz diinnen Strang reduziert wird. Der Kern folgt dem iibrigen Inhalt ebenfalls, aber nur bis zu einem gewissen Grade. Er hat sich unterdessen vergr6fert, die Chromatinsubstanz aber ist kérnig geblieben und hat. sich vorzugsweise peripher angeordnet. Man sollte nun erwarten, dai der Kern aus dem Bereiche 1) Als Fiarbemittel wurde Karmin angewendet. 2) Dagegen treten nicht selten neben diesem Hauptnucleolus noch kleinere Nebennucleolen auf, wie wir z. B. aus Fig. 6b (we) ersehen, Kibildung und Furchung bei Cyclas cornea L, 201 des Keimlagers entfernt, an den Boden der Zelle sinke. Das ist aber nicht der Fall. Er behalt im Gegenteil die in Fig. 2 angedeutete Lage in der Nihe der Epithelzellen eine geraume Zeit lang bei, wie dies die Fig. 3, 4, 5, 6 und 7 beweisen. Wir werden dieses eigentiimliche Verhalten spiiterhin zu erkliren versuchen. Im vorgewoélbten Teil ist der Eiinhalt bedeutend heller, als in der der Follikelwand zunichst liegenden Partie und zeigt ein wolkiges Aussehen. Was uns hier aber am meisten interessiert, das ist das Auftreten der Eimembran (Fig. 2 me), die den frei vorragenden Teil umsiumt. Es wird eine der Hauptauf- gaben des vorliegenden Abschnittes sein, tiber den Ursprung derselben Aufschluf zu erlangen. v. JHERING, der sich ebenfalls mit der Lésung dieser Frage befabte, stellt zwei Méglichkeiten in Aussicht: ,,Die Membran kénnte ebenso gut ein Produkt des Eies sein, wie von der Wandung des Eierstockes herstammen. Eine Eiweifdritise fehlt den Muscheln vollstindig.‘“‘ Er halt aber selbst die erstere An- sicht fiir viel wahrscheinlicher, da nimlich die Eihtllen der Acephaleneier wohl simtlich vom Ei selbst erzeugt werden. Das Vorwo6lben des Eiinhaltes in den freien Follikelraum geht ganz allmihlich vor sich und es ware an der Hand meiner Praparate ein leichtes, die Differenz zwischen den Figuren 1 und 2 durch alle wiinschbaren Zwischenstadien auszufiillen. K on- stant zeigt sich aber hiebei folgende Erscheinung: Sobald die nackte!) Inhaltsmasse des sich vergroéfernden Ureies den Hohlraum erreicht, bildet sich an dieser frei werdenden Stelle sofort eine Membran. Diese reicht hier wie in allen folgenden Stadien nur bis zu dem das Ei begrenzenden Epithellager, ohne jemals zwischen dieses und die Eizelle hinein- zugreifen. Nach dieser Beobachtung wiirde wirklich die Eihaut als eine Bildung des Eies selbst zu betrachten sein. Wir werden aber in dieser Uberzeugung noch bedeutend bestiirkt, wenn wir Fig. 10 etwas genauer ansehen, wo drei aufeinanderfolgende 1) Dieser Ausdruck soll nur den Gegensatz zu dem mit einer Eimembran yversehenen Inhalt hervorheben. Es bleibt dabei die Moég- lichkeit nicht ausgeschlossen, dafs die Differenzierung der dufsersten Schicht des Plasmas zu einer resistenteren Hiille dennoch existiert. 14* 202 Heinrich Stauffacher, Schnitte einer Serie dargestellt sind. Es fallt uns hier zunachst auf, dafi sich zwei Eizellen e, und e, direkt beriihren (Fig. 10 ¢). Jedenfalls lagen schon die Ureier, aus denen sie hervorgingen, einander sehr nahe und dringten sich ungefaéhr zu gleicher Zeit in den Follikelraum vor. Diese beiden Zellen bilden nun, wie wir aus den Fig. 10 a—c ersehen, ebenfails nur da eine Membran, wo sie mit der Follikelfliissigkeit direkt in Beritihrung kommen. Reicht die Begrenzung durch das Epithel weit nach unten (Fig. 10 a, b e,), so ist die Membranbildung auf der ganzen Strecke unterblieben; ragen dagegen die Epithelzellen nur wenig vor, so reicht auch die Eimembran weit gegen die Follikelwand hinauf. Aber auch in dem Falle (Fig. 10 ¢), wo sich die zwei Eier selbst begrenzen, kommt es, bevor die vordringenden Spitzen derselben die Hoéhlung erreichen, nicht zur Bildung einer Membran, wir sehen vielmehr, daf die Inhalte der zwei Zellen é, und e, geradezu ineinander itiberflieBen. Daf allfaillig an dieser Stelle vorgebildete Membranen durch gegenseitige Be- riihrung nachtriglich aufgelést werden kénnten, ist von vorn- herein ausgeschlossen, indem sich die ganz reifen Kier immer mehr oder weniger beriihren, ohne auch nur im geringsten eine solche Resorption zu zeigen, und auch zwischen den Zellen e, und e, (Fig. 10 a—c), deren Membranen einander unmittelbar anliegen, ist nichts Derartiges zu sehen. Wir sagen also: Die Eimembran ist zweifellos eine Bildung des Kies selbst und zwar entsteht sie je- weilen nur da, wo der Eiinhalt mit der Follikel- fliissigkeit in Kontakt gerait; es unterbleibt die- selbe dagegen an allen denjenigen Partieen der Eioberfliche, wo begrenzende Elemente diesen Kontakt zum vornherein verhindern, und zwar ist es gleichgiltig, ob Epithelzellen, was meistens der Fall sein wird, oder benachbarte Eier die iso- lierende Schicht bilden. Welches das Schicksal einer solchen Doppelzelle, wie sie Fig. 10 ¢ zeigt, sein mag, kann ich nicht entscheiden; es hat dies an der Stelle weiter auch keinerlei Bedeutung. Wahr- scheinlich geht der Kern einer der Zellen e, oder e, ein; denn in keinem reifen Ei habe ich jemals zwei Kerne entdeckt, ob- schon es denkbar ist, da’ ein ZusammenflieBen zweier oder viel- leicht mehrerer Zellen oftmals vorkomme. Kine ebenfalls interessante Erscheinung zeigt Zelle e, Kibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 203 (Fig. 10 a, b, c). Sie liegt gerade an der Stelle, wo die Follikel- wand eine kleine Faltung ausfiihrt. Auf der einen Seite wird die Zelle e, weit gegen den Eierraum hin von Epithelzellen begrenzt, weshalb auch hier die Membranbildung unterbleibt, wahrend auf der anderen Seite die Epithelzellen infolge der scharfen Biegung der Wandung des Ovariums weit abstehen. Diese Seite der Zelle ist nun bis zur strukturlosen Membran hinauf vollstandig frei und es muf daher, falls die oben ausgesprochene Behauptung richtig ist, auf der ganzen Strecke zur Bildung einer Eihaut kommen, was auch thatsachlich der Fall ist. Was die Abscheidung einer Membran an der KEioberflache speziell hervorruft, ist wohl schwer zu sagen; ich bin der Meinung, daf dies auf einer Einwirkung der Follikelfliissigkeit auf das nackt hervorquellende Plasma beruht. Es ist aus dieser Darstellung noch eine wichtige Konsequenz zu ziehen. Wir wissen nunmehr, da der Kiinhalt nur ganz all- mahlich in den Follikelraum vordringt und daf er sich hier sofort mit einer Membran bekleidet. Da aber immer neue Partieen nachriicken, so entstehen auch immer neue Membranstiicke. Die Kihaut der Zelle e Fig. 2 wurde somit nicht auf ein- mal in ihrer ganzen Ausdehnung gebildet, sondern entstand nach und nach. Das Ei wird successive umhillt, je weiter es in den Follikelraum vordringt. Die dichte Ansammlung von Kérnchen, die wir in Fig. 2 in dem der Follikelwand zunaichst gelegenen Teil der Eizelle an- trafen, 148t die Vermutung zu, es finde von der Wandung her immer noch eine reichliche Stoffzufuhr statt, wahrend die untere Partie wohl deshalb heller geworden ist, weil sie einen gewissen Teil ihrer Substanz zur Bildung der Membran verwenden mute. Diesen relativ hellen, wolkigen Inhalt findet man namlich nur in den soeben aus dem Epithellager hervorgequollenen Ei- zellen; auf spateren Stufen gleicht sich der Unterschied allmahlich wieder aus. Wo eine Faltung der Ovarialwand eintritt wie in Fig. 3, da legt die Eizelle oft einen bedeutenden Weg zuriick, bevor sie die Follikelhéhle erreicht, und dementsprechend wird auch ihr Ver- bindungsstrang mit der Wand lang und diinn. Der Kern zeigt auch hier wie in Fig. 2 kérniges, wandstindiges Chromatin, ent- halt aber nunmehr zwei Nucleolen. Sie sind ungleich grof und hangen auf diesen Entwickelungsstadien immer zusammen. Diese merkwiirdige Erscheinung war schon Lrypia (40) und 204 Heinrich Stauffacher, STEPANOFF (1. c.) bekannt. Ferner wird sie konstatiert von FLEem- mina (15) fiir die Eier von Unio und Tichogonia polymorpha, ebenso (11) fiir Anodonta. Nach CLApaRipe (6) zeigt auch das Ei des Regenwurms, nach O. Hertwic (22) dasjenige von Helix, Tellina und Asteracanthion etc., nach HUprEcHT und HEuSCHER (56) dasjenige von Proneomenia, nach LONNBERG (57) diejenigen von Doris proxima, Mytilus und Aeolidia einen doppelten Nucleolus. Es war mir unméglich, tiber die Bildung des doppelten Nucleolus aus dem einfachen (Fig. 2) Aufschlu8 zu erlangen. Da aber bereits von Leypia die Beobachtung gemacht wurde, daf sich am Kernkérper gelegentlich eine Art von Knospen bilden, so bin ich nicht abgeneigt, die beiden Nucleolen des Cyclas-Eies auf diese Weise auseinander entstehen zu lassen. Spater (Fig. 8) lésen sich die beiden Teile auch etwa von einander ab und liegen dann, wie dies bei Unio z. B. der haufigere Fall ist, getrennt. In einigen Fallen (Fig. 7) war der Hauptnucleolus sogar dreiteilig. Wahrend sich nun die beiden Teile mit Hamalaun gleich tiefblau farbten, so da’ zwischen ihnen nur noch ein Groéfen- unterschied bestand (Fig. 4, 6b, 7, 8), zeigten sie gegen Borax- karmin ein ganz verschiedenes Verhalten: Der kleinere war hierbei bedeutend lichtbrechend und starker tingiert als der gréfere, der iiberdies in der Saéure stark gequollen war (Fig. 3, 10, 12) und nur fein granuliert erschien. In den sackférmigen Teil der in den Follikel- raum vorragenden Eizelle ergiefen nun die an- grenzenden Epithelzellen ihren feinkoérnigen Inhalt. Wir treten damit auf die Bedeutung der indifferenten Ele- mente des Keimlagers und ihr Verhaltnis zu den KEi- zellen ein. Daf keine Geschlechtsprodukte aus ihnen hervorgehen, wurde schon friiher betont, dagegen spielen sie entschieden eine be- deutende Rolle bei der Ernahrung des Eies, ahnlich wie dies fiir die Insekteneier konstatiert ist. In erster Linie sehen wir, daf die der Eizelle zunachstliegen- den Epithelzellen sich mit dem wachsenden Ei bedeutend ver- langern, welches Bestreben schon in Fig. 2, in vermehrtem Mafe aber in Fig. 3 zu konstatieren ist. Ihre Kerne verlassen dabei den friiheren Standpunkt und riicken weiter nach unten (Fig. 3, 6 b, 10), oder verlingern sich so stark, daf sie fast die ganze Lange der Zelle einnehmen (Fig. 5). Es ware der Grund dieser Bewegungen nicht einzusehen, wenn die Epithelzellen an der Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 205 weiteren Entwickelung des Eies keinen Anteil nahmen. Ubrigens erinnert diese Erscheinung auffallend an das Verhalten des Nahr- faches bei den Insekteneiern. KoORSCHELT (32) sagt hier- iiber (p. 75): ,,Bekanntlich erstreckt sich die Thatigkeit der Nahr- zellen nur auf eine bestimmte Zeitperiode der EKibildung. Anfangs sind die Nahrzellen noch wenig umfangreich und ihr Kern zeigt eine regelmiige Form, aber auch die Eizelle ist in solchem Stadium noch verhialtnismafig klein. Mit ihrer VergréSerung nehmen auch die Nahrzellen bedeutend an Umfang zu.“ Es fiel uns ferner auf, daf der Kern der Eizelle geraume Zeit hindurch seine Lage in der Nahe des Epithellagers beibehalt (Fig. 3, 4, 6, 7), um erst bei den der Reife entgegengehenden Kiern weiter nach unten zu riicken (Fig. 8, 9, 11). Diese That- sache darf angesichts der Untersuchungen KorscHELT’s ebenfalls nicht unberiicksichtigt gelassen werden; auch beim Insektenei findet er namlich ,,in gewissen Stadien der Entwickelung das Keimblaschen gewohnlich dem Nahrfach dicht anliegend. Spater- hin, wenn die Nahrzelle der Veraénderung anheimfallt .... kann es weiter nach unten riicken“ (p. 36). Eine Formveranderung des Eikerns habe ich nicht konstatieren kénnen, dagegen scheint seine Machtigkeit in diesen Stadien mit grofer Wahrscheinlichkeit fiir eine in seinen Bereich fallende Auf- nahme und Abgabe von Substanz zu sprechen. Zur absoluten GewiSheit aber wird uns die Vermutung, die Epithelzellen méchten dem Ei zu dessen weiterem Ausbau Material liefern, wenn wir Fig. 4 betrachten: Die ringsum an den sack- formigen Teil des Eies stofenden indifferenten Zellen zeigen einen formlichen Strom ihres Inhaltes nach der Ejzelle hin. Ohne Ausnahme tritt diese Erscheinung bei den unmittelbar dem Keimlager entquollenen Eiern auf, und sie ist in meinen Pra- paraten in Hunderten von wiinschbar klaren Fallen zu sehen. — Die Epithelzellen liefern also dem Ki Nahrmaterial, und zwar diirften sie auf dieser Stufe wohl den Hauptanteil an der Ernahrung des Kies tragen. Damit im Zusammenhang stehen zweifellos die schon oben angedeuteten Orts- (und Gestalts-) Ver- anderungen der Kerne und zwar ganz im Einklang zu den bei Insekteneiern beobachteten Erscheinungen: ,,Der Kikern nahert sich der Zone, in welcher die Aufnahme am starksten vor sich geht, die Follikelkerne derjenigen der intensivsten Abscheidung. Fiir beide Prozesse scheint der Zellkern von Bedeutung zu sein, obwohl beide verschiedener Natur sind.“ (KorscHett, |. c. p. 78.) 206 Heinrich Stauffacher, Es kann auch der Fall eintreten, daf da, wo eine Biegung oder Faltung der Ovarialwand eintritt, dem Ei selbst von ver- schiedenen Seiten Nahrmaterial zuflieBt, wie dies z. B. Fig. 6a zeigt. Die Zeichnung wiirde dem in der nebenstehenden Figur senkrecht zur Tafelebene gefiihrten Schnitt a—b entsprechen. Das Nahrmaterial wird vom Plasma der Eizelle jedenfalls vollstandig as- similiert; wenigstens verhalt sich der gemischte Inhalt derselben ganz wie der von Nahrungs- dotter freie. Ich schliefe dies aus folgender Erscheinung: Indem das Fi mehr und mehr Nahrstoff aufnimmt, sinkt es vermége der zunehmenden Schwere immer weiter in den Die’ Bexerelmungen eneprethen” | P Ollikeélraumo, Hineim qlee denjenigen der Tafeln. kommen wieder neue Partien der Ki- oberflache mit der Follikelfliissigkeit in Beriihrung, und zwar solche, deren Inhalt bereits gemischt ist. Auch in diesem Fall aber tritt an den betreffenden Stellen sofort Membranbildung auf. Wir ersehen dies z. B. aus den Fig. 6a und 6b, die zwei aufeinanderfolgende Schnitte einer Serie darstellen: Wahrend die mehr der Follikelwand zuliegenden und noch isolierten Partien der Epithelzellen, deren Inhalt ganz nur aus Nahrungsdotter besteht, gegen den Eierraum hin ihre eigene Begrenzung besitzen (Fig. 6 a), ist dieselbe auf dem tiefer liegenden Schnitt (Fig. 6 b), wo das Nahrmaterial vollstandig in den Bereich des Eiplasmas getreten ist, durch eine Kimembran ersetzt. Die Eimembran rtickt demnach auch jetzt, successive an der Oberflache des gemischten In- haltes sich bildend, an der ganzen Peripherie der Eizelle immer dicht an das bei der Ernahrung nicht beteiligte Epithellager hinauf. Es handelt sich nun um die Frage: In welcher Form tritt der Nahrungsdotter in die Eizelle ein? ,,BLOCHMANN nimmt an, dafi die Nahrsubstanz, welche dem Ei der Insekten von den Epithelzellen zugefiihrt wird durch Diffusion, also fliissig und nicht in Form feiner Kérnchen in das Ei gelange. Er schlieft dies daraus, daf er im Innern der Follikelzellen Kérnchen von gleichem Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 207 Verhalten wie die im Ei liegenden nicht nachweisen konnte.“ KORSCHELT (I. c. p. 36) dagegen ist der Ansicht, ,,afi die von den Nahrzellen produzierte Substanz in Form kleiner Kiigelchen an das Ei abgegeben werde“ und zwar deshalb, weil am Epithel sehr feine Kérnchen oft in dichtester Anlagerung getroffen werden. »ln solchen Fallen la8t sich (auf Schnitten) die Grenze zwischen Epithel und Eisubstanz nicht feststellen.“ (p. 77.) Meine Befunde am Cyclas-Ei stiitzen entschieden die Ansicht KorscHett’s. In Fig. 4 z. B. erkennt man eine distinkte Be- grenzung des Epithels nicht, sondern der Inhalt der Epithelzellen geht direkt in denjenigen der Eizelle tiber. Wir nehmen hierbei natiirlich an, daf eine Auflésung der Scheidewinde des Epithels stattfnde und dies tritt auch wirklich ein, wie Fig. 6a beweist. Die gegen den Eiinhalt zu liegende Begrenzung der ein- zelnen Epithelzellen ist bereits vollstiéndig verschwunden und auch die radiir stehenden Scheidewande sind zum Teil schon resorbiert. Die Auflésung erfolgt, wie wir sehen, von innen nach aufen. Auch die andere Erscheinung, von der KorscHet berichtet, naimlich dichte Ansammlung von Kérnchen an den Begrenzungs- flaichen von Epithel- und Eizellen, findet sich gelegentlich vor (Fig. 6 b, Fig. 7).. Diese Anhaufung sehe ich aber immer nur innerhalb der Eizelle auftreten, wahrend die angrenzenden Teile der Epithelzellen der Kérnchen oft fast ganz entbehren, vielleicht deshalb, weil dieselben schon in den dichteren Inhalt des Eies auf- genommen wurden. An solchen Stellen ist allerdings oft die Be- grenzung zwischen Epithel- und Eizelle so scharf, da8 man eine Scheidewand glaubt annehmen zu miissen, obschon die Anwesen- heit einer solchen aus Analogie mit den klareren Fallen Fig. 4 und 6 a auch hier sehr unwahrscheinlich ist. Wollen wir schlieflich also unentschieden lassen, ob die ge- samte Dottermasse in fester Form ihren Ursprung nimmt, zweifellos ist, da sie von den Epithelzellen geliefert wird und daf diesen also sekretorische Funktion zukommt. Nach Wri. (58) ware das Ei von Cyclas weder eine Zelle noch ein Zellkomplex, sondern das Produkt der Thatigkeit meh- rerer Zellen. Dem gegeniiber macht aber KorscueLt (34) mit Recht folgendes geltend: ,,Wie die Amébe durch Aufnahme und Assimilation von Nahrung ihre Einzelligkeit bewahrt, so verliert auch das Ei durch die Aufnahme von Abscheidungsprodukten seine Zellennatur nicht, wenn es auch infolge der reichlichen Auf- 208 Heinrich Stauffacher, nahme fremder Substanzen den gewohnlichen Umfang einer Zelle iiberschreitet.“ (p. 690.) Kinen Zug der Kérnchen gegen den Kern hin, wie ihn Kor- SCHELT (32, p. 21) fiir die Eier der Insekten nachwies, habe ich auch mehrmals beobachtet (Fig. 7). Ebenso zeigt der Inhalt der unteren Partie der Eizelle meistens eine strahlige, auf den Kern zu gerichtete Anordnung (Fig. 6 b, 7, 10). Nach und nach ziehen sich nun die Epithelzellen von der Eizelle wieder zuriick. Die Abschniirung der- selben ist in Fig. 7 deutlich zu sehen. Die der Eioberflache noch anhaftenden Partieen der Nahrzellen werden wohl iiber kurz oder lang von der Eizelle absorbiert. In Fig. 8 ist die Riickbildung der Epithelzellen noch weiter vorgeschritten und in Fig. 9 sehen wir wieder das normale Epithellager vor uns. Auch die Kerne der Nahrzellen verfiigen sich dabei in ihre urspriingliche Lage zuriick. Sie werden diese um so spiter erreichen, je weiter sie nach unten geriickt waren, d. h. je mehr sich die ihnen zugehérigen Zellen verlingert hatten (Fig. 8 und 9). Von diesem Zeitpunkt an sinkt der Kern der Eizelle weiter nach unten. Es findet eben am oberen Pol keine Zufuhr von Nahrmaterial mehr statt und dementsprechend wird an jenem Punkt auch keine An- ziehung mehr auf das Keimblaschen ausgeiibt. Die Eizelle hangt nun, wie in Fig. 2, blo& noch am ,,Kistiel', d. h. an dem von Anfang an bestehenden Verbindungsstrang mit der Follikelwandung. Ich mu8 annehmen, dafS auch von dieser Seite her ein kontinuierlicher Zuflu8 von Material zur Kizelle be- stand, und zwar halt dieser sogar langer an, als die Aufnahme von Nahrungsdotter. Die wahrscheinlich protoplasmatische Sub- stanz des ,,Kistiels“ zeigt eine feinstreifige Struktur (Fig. 8 und 9) ganz so, wie dies z. B. von O. und R. Hertwie am Kistiel der Sagartia parasitica konstatiert wurde. Die feinen Stabchen oder Faserchen nehmen hierbei ihre Richtung konstant auf den Kern der Kizelle zu. Auf giinstigen Schnitten (Fig. 8 und 9) la%t sich sogar eine scharfe Grenze zwischen diesem Material und dem iibrigen Inhalt des Eies nachweisen. Es ist wohl anzunehmen, daf der Kern in der Stellung, die er lingere Zeit im basalen Teil der Eizelle einnahm, auch die Aufnahme der Substanz durch den Eistiel beherrschte. Sinkt nun das Keimblaschen weiter nach unten, so wird sein Einflu8 auch nach dieser Seite hin allmahlich schwinden, und wir sehen denn auch in Fig. 9 thatsachlich eine Unterbrechung in der vorher Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 209 (Fig. 8) kontinuierlichen Stabchenmasse eintreten. Der Inhalt des Kistiels zieht sich von der Partie, die dem Kern direkt anlagert, zuriick. Nun lést sich die Eizelle vom ,Stiel‘S ab und sinkt als fer- tiges Ei (Fig. 12) in die Follikelhéhle hinein. Die Stelle, mit welcher letzteres am ,,Kistiel‘‘ haftete, bleibt von der Membran- bildung verschont und bildet die Mikropyle. Wie bereits STEPANOFF (I. c.) richtig angiebt, sind die dieselbe begrenzenden Rander der Eimembran wulstig, was tibrigens schon auf friiheren Stadien beobachtet werden kann (Fig. 9 und 11). Das grofe Keimblaschen (Fig. 12 ”) ist von einem hellen Hof umgeben, wie er in allen vorhergehenden Stadien mehr oder weniger zu sehen war und auch nachher noch auftritt. Dagegen schwindet der doppelte Nucleolus; wahrscheinlich lést er sich in gréBere und kleinere Schollen auf. Ich habe zum Schluf noch zwei Punkte zu beriihren. 1) Den sog. ,,Nebenkérper“, den FLEMMING (11) im Ei der Teichmuschel erwihnt, konnte ich am Cyclasei nicht auffinden, wahrscheinlich deshalb nicht, weil mir nur Fier aus den Sommer- monaten zur Verfiigung standen. FLEemmine fand ihn namlich nur Ende Winters bis in den Friihling auf. Dagegen entdeckte ich: 2) im unbefruchteten Fi von Cyclas die beiden Centro- somen (Fig. 11 c). Die Kérperchen liegen, von einem hellen Hof umgeben, in zwei Einbuchtungen des Eikerns. Meines Wissens ist dies der erste Fall, wo die Centralkérperchen im _ vorreifen Molluskenei konstatiert werden. II. Die Furechung. Es ist mit grofer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dafi auch das befruchtete Cyclas-Ei eine Differenzierung seines Inhaltes zeigt, so naimlich, daf sich gegen den vegetativen Pol hin grobkérniges, gegen den animalen Pol zu feinkérniges Plasma sammelt, wie dies z. B. HATscHeK (18) fiir Teredo und Pedicellina (19), Rasu (43) fiir die Tellerschnecke, BLocumann (1) fiir Neritina nachgewiesen haben. Trotz vieler Miihe, die ich anwendete, konnte ich indes weder in der Geschlechtsdriise noch in den Kiemen ein Ei entdecken, das sich in diesem Stadium befunden hatte, und es eutging mir demnach sowohl die Bildung der Richtungskérperchen als der 210 Heinrich Stauffacher, eigentliche Befruchtungsakt. Dagegen fanden sich in den Kiemen- sickchen die Entwickelungsstadien in so grofer Zahl vor, daf wir uns wenigstens ein klares Bild der Furchung verschaffen konnten. Aus dem Umstand nun, daf ich in den Kiemen zwar nie ein befruchtetes Ei, wohl aber das erste Furchungsstadium desselben antraf, diirfte man wohl schliefSen kénnen, dass die Kier schon befruchtet in die Kiemen gelangen, um sich hier rasch zu furchen. Wo die Befruchtung eigentlich stattfindet, kann ich ebenso- wenig angeben, als dies SrmepaNnorr (53) gethan hat, aber ich neige sehr zu der Ansicht hin, daf die reifen Geschlechtsprodukte simtlich ins umgebende Wasser entleert werden, um hier den Befruchtungsakt zu vollziehen und dann durch den Kiemensipho wieder in die einzelnen Tiere aufgenommen zu werden. Daf dieser Vorgang anderswo wirklich stattfindet, wurde z. B. von Hgss- LING (23) fiir die Flu8perlmuschel bewiesen. Es wird dieser Punkt gerade bei Cyclas recht schwierig zu entscheiden sein; denn im Freien entzieht sie sich unserer Be- obachtung vollstandig und im Aquarium scheint sie, wie SrEPANOFF schon bemerkt, sehr wenig Eikeime zu produzieren. Wenigstens fand ich in einer Partie Muscheln, die dem Aquarium tibergeben wurden, schon nach ca. 14 Tagen meist nur noch héher entwickelte Embryonen vor, wahrend die anderen Tiere, die ich zu gleicher Zeit mit jenen dem Weiher entnahm, aber sofort praparierte, so- wohl Kier als niedere Entwickelungsstadien in grofer Zahl auf- weisen konnten. Die erste Furche nun, die am befruchteten Ei von Cyclas auf- tritt, geht vom animalen zum vegetativen Pol und teilt dasselbe in zwei ziemlich ungleiche Teile: in eine grofe, dunkle, mit grob- kérnigem Inhalt versehene Furchungskugel, und eine kleinere, helle, mit feinkérnigem Plasma ausgestattete Tochtcrzelle. — Einen Schnitt durch dieses zweizellige Stadium stellt Fig. 13 vor. Von den Richtungskérperchen ist nur noch eins vorhanden, wahrend die anderen vielleicht schon abgestofen oder beim Praparieren verloren gegangen sind. Die Membran (me) ist im ganzen Umfang deutlich zu sehen, besonders aber da, wo sie durch das Richtungs- kérperchen vom Ei abgehoben wird. Fassen wir dieses Stadium noch etwas genauer ins Auge, so fallt uns sofort ein unverhaltnismakig grofer, voll- standig farbloser Raum in der kleineren der beiden Kugeln auf (Fig. 13 a) und zwar gerade an der Stelle, wo sie mit der Kibildung und Furchung bei Cyclas cornea L, 211 Mutterzelle in Berihrung steht. Diese Partie zeigt kérnchen- losen, fliissigen Inhalt. Ihr Auftreten im Ki yon Cyclas kann unméglich auf Kinwirkung von Reagentien beruhen, erstens weil die anderen Teile der Zelle keinerlei schaidigende Einfliisse von Seite der angewendeten Substanzen zeigten, und dann sind von Rasu (42) am Ki der Malermuschel und yon FLEemMineG (11) an demjenigen der Teichmuschel ahnliche, wenn auch bedeutend kleinere ,,helle Hofe‘‘ konstatiert worden. Das kérnchenhaltige Plasma fillt also die klei- nere Zelle nicht vollstandig aus, sondern bildet blo& einen peripheren Belag, der nach innen zu ganz allmahlich in jenen Raum iibergeht. Der Kern findet sich hier sowohl wie in allen folgenden Sta- dien konstant im kérnchenhaltigen Teil. Es liegt nun allerdings die Vermutung nahe, diese farblose Partie fiir den ,,ersten Anfang einer Binnenhéhle des Keims‘ zu halten; schon Rapu aber macht bei Unio darauf aufmerksam, da’ man solche kérnchenirmere Stellen zwischen zwei oder mehreren Furchungskugeln auch anderwarts antrette, wo doch die eigent- liche Furchungshéhle erwiesenermafen erst bedeutend spater an- gelegt werde. Ks fallt bei Cyclas nicht schwer, den unumstéflichen Beweis zu erbringen, da der genannte helle Raum in der That nichts mit einer Furchungshoéhle zu thun hat. Dieselbe kérnerlose Partie namlich, die wir auf dem zweizelligen Stadium antretien, ist zwar auch auf dem dreizelligen Stadium noch vorhanden, aber schon bei der Bildung der vierten Furchungskugel wird sie bedeutend reduziert und verschwindet schlieSlich ganz. Dagegen entstehen im weiteren Verlauf der Entwickelung zwischen der grofen Mutter- zelle und ihren jeweiligen letzten Abstammungsprodukten neue solche Partien. Die eigentliche Furchungshéhle tritt bei Cyclas, wie wir sehen werden, erst in bedeutend hoheren Furchungs- stadien auf. ZIEGLER (55) zeichnet zwar in seiner Studie tiber Cyclas das zweizellige Stadium ohne diesen hellen Raum ab. Es kann aber dieser Umstand gegeniiber meiner Behauptung nicht schwer ins Gewicht fallen, da Z1eGLER selbst ausdriicklich bemerkt, die ersten Stadien der Furchung nicht gesehen zu haben. Die kleinere helle Furchungskugel entspricht auch hier, wie dies Harscnuek fiir Teredo nachgewiesen, dem vorderen, die grofe dunkle dem hinteren Kérperpol, so da’ wir schon auf dieser Stufe PA Heinrich Stauffacher, nicht nur eine animale und vegetative Seite, sondern auch bereits ein Vorn und Hinten zu unterscheiden imstande sind. Die bi- laterale Symmetrie ist schon auf dem ersten der Teilungsstadien zum Ausdruck gebracht. »Hs scheint mir“, sagt HarscHeK (I. c. p. 3), ,,berhaupt wahrscheinlich, dafi bei allen Bilaterien schon in der Eizelle eine bilateral symmetrische Anordnung der Teilchen vorhanden sei. So wie bei allen Metazoen eine polare Differenzierung der Eizelle vorhanden ist, wird wohl bei den Bilaterien eine bilateral sym- metrische Differenzierung der Eizelle existieren. Der Nachweis durch Beobachtung wird wohl in den meisten Fallen schwer zu erbringen sein. Doch ist das Auftreten der bilateralen Grundform in den friihesten Furchungsstadien schon eine beachtenswerte Er- scheinung. Der Kern des Makromers (ma) ist von einer hellen Zone um- geben. Die Chromatinsubstanz findet sich ziemlich gleichmikig verteilt und weder hier noch in spateren Stadien besonders peri- pher angeordnet, wie ZimGLerR behauptet. Im ruhenden Kern findet man nicht selten mehrere Kernkérperchen. Das Mikromer (mz) enthalt einen kleinen Kern mit weniger Chromatinsubstanz. Das Makromer wurde hier und in den folgenden Darstellungen willkiirlich immer nach unten gekehrt. Die Bezeichnungen ,,oben“ und ,,unten“ fiir die Lage der Furchungskugeln werde ich indes ganz zu vermeiden suchen. Nun teilt sich zunachst die kleinere der beiden Furchungs- kugeln, der Mutterzelle voraneilend, in zwei vollstandig gleiche Teile und zwar durch eine Furche, die ebenfalls vom animalen zum vegetativen Pol zieht, aber senkrecht auf der ersten Teilungsebene steht. Es bildet sich auf diese Weise das drei- zellige Stadium, dessen kérperliches Bild in Fig. 15 dar- gestellt ist: mz, und mi, sind die beiden aus dem einzigen Mikromer des zweizelligen Stadiums entstandenen Teilprodukte. Kernteilungsfiguren kann ich fiir diesen Moment der Ent- wickelung keine erbringen, dafiir treffen wir aber in den Fig. 14 und 15 zwei verschieden alte Zustinde des Dreizellen-Stadiums an, die bei genauerer Betrachtung jedenfalls keinen Zweifel an der Herkunft der zwei Mikromeren aufkommen lassen. Betrachten wir zunachst Fig. 14. Es ist hier eine Serie durch ein dreizelliges Stadium genau nach den Praparaten ge- zeichnet dargestellt. Der erste Schnitt traf einen kleinen Teil Kibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 213 des Makromers und das eine der Mikromeren, dessen Kern wieder ganz im kérnchenhaltigen Plasma der peripheren Schicht liegt. Auf dem zweiten Schnitt b zeigt der Kern der kleineren Zelle bereits die Tendenz zu verschwinden, aber noch ist nichts von dem k6érnerlosen Raum zu sehen, Erst in c, wo der Kern nicht mehr erscheint, taucht die uhrglasférmige helle Partie auf und erreicht in Schnitt d ihr Maximum. Die periphere Kérnchenpartie ist jetzt bis auf einen ganz schwachen Saum zuriickgedrangt. Nun treten wir ungehindert in das andere Mikromer hiniiber, wo die Kérnchenschicht allmahlich wieder machtiger wird und den Kern dieser Teilkugel, der erst auf dem letzten der Schnitte ver- schwindet, einschlieSt. Je mehr wir uns der Peripherie des Mikro- mers nahern, um so mehr dominiert wieder das kérnerhaltige Plasma, bis es schlieSlich ganz zusammenhangend erscheint. Die zwischen den beiden Kernen der Zellen mi, und mi, liegende Hohle h hat demnach die Form einer Halbkugel, deren Basis auf dem Makromer rubt und allseitig von einer gréferen oder ge- ringeren Masse kérnchenhaltigen Plasmas umgeben wird. Auch hier geht dieser Wandbelag ganz allmahlich in den helien Raum tiber. Zur Bildung einer die beiden Mikromere trennenden Mem- bran ist es tiberhaupt noch nicht gekommen. Vergleichen wir dieses Stadium mit Fig. 13a, so ergiebt sich folgendes: Der Kern der zuerst abgeschniirten Zelle m hat sich bereits in zwei Tochterkerne geteilt, welche an zwei einander diametral gegeniiberliegende Pole des Mikromers gewandert sind und die Koérnchen- schicht in ihrer Nahe aufspeichern, so dass der helle Hof zwischen sie hinein zu liegen kommt. Der Kern der grofen Furchungskugel ist mit ApBr’s Zeich- nungsapparat genau nachgezeichnet und {allt sowohl durch seine Groéfe, als den ihn vom Plasma der itibrigen Zelle trennenden Hof auf. Das Richtungskérperchen, auch hier nur in Einzahl vorhanden, liegt, wie zu erwarten war, in der die beiden Teilmikromere tren- nenden Furche. Einen etwas dlteren Zustand des dreizelligen Stadiums re- prisentieren die Serienschnitte Fig. 15 a und 15 b. Fig. 15 a ist ein Schnitt parallel der Tafelebene durch Fig. 15 und weist vorteilhaft die Kerne aller drei Furchungskugeln auf. Hier aber geht die Kérnchenpartie, die sich je um einen Kern 214 Heinrich Stauffacher, der Teilzelle gesammelt, nicht mehr allmahlich in den gemein- samen hellen Raum iiber: Es haben im Gegenteil die beiden Zellen mi, und mi, gegen die Seite dieser Hohle hin je eine Membran gebildet, zeigen also nur noch feinkoérnigen Inhalt, wihrend der mit kérnerlosem Plasma erfillte Raum hnunmebhr vollstandig abgeschlossen zwischen den drei Furchungskugeln liegt. Fig. 15b stellt einen Schnitt senkrecht zur Blattfliche durch Fig. 15 vor und wiirde etwa dem Schnitte e der Fig. 14 ent- sprechen. Der Inhalt der hellen Partie iibt, wie wir sehen, auf die den- selben begrenzenden Membranen einen Druck aus; denn alle drei wolben sich gegen die Seite des Zellinhaltes vor. Der Kern der groSen Furchungskugel liegt nicht im Centrum derselben, sondern zeigt eine konstante Lage in der unmittelbaren Nahe der Zellen mz, und m,, ein Verhalten, das auch FLEMMING an dem sich furchenden Ei der Teichmuschel beobachtet hat. Auch hier ist das Richtungskérperchen (r) noch zu sehen, wihrend es in meinen Praparaten auf keinem der folgenden Stadien mehr aufgefunden werden konnte. Die folgende Stufe wird nun dargestellt, wie wir aus Fig. 17 ersehen, durch vier Zellen. Es ist eine neue Zelle mi, ab- geschniirt worden, die in die Furche der nun vollstandig ge- trennten Mikromere mz, und mi, zu liegen kommt. Sie entspricht in allen Eigenschaften vollstandig dem oben besprochenen Mikro- meren des zweizelligen Stadiums und itibertrifft demgemaf jede der Zellen mi, und mi, an Grife bedeutend. Es handelt sich in erster Linie um die wichtige Frage nach der Herkunft dieser neuen, unpaaren Furchungskugel. Entweder ist sie ein Abschniirungsprodukt des Makromers ma, oder, was allerdings von vornherein viel unwahrscheinlicher ist, sie verdankt ihre Entstehung einer der kleineren Zellen mi, oder mi,. Das letztere nahm in der That FLemmine fiir das vierzellige Stadium der Teichmuschel an. Er sagt hieriiber: ,,Aus der helleren, unteren, halbkugeligen Zelle (des zweizelligen Stadiums) waren nach héchster Wahrscheinlichkeit die drei neuen kleinen entstanden; denn diese verhielten sich in Bezug auf Menge und geringe Gréfe ihrer Kérn- chen ganz wie jene, waihrend die grofe obere Zelle nach wie friiher grobkérnig und sehr dunkel und von derselben GréBe war wie im zweizelligen Stadium. Vollends sprach dafiir, daf einzelne Kier gefunden wurden, bei denen die drei kleinen Zellen eine zusammen- Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 215 hingende Masse mit drei Kernen bildeten, die wie eine Kappe iiber der grofen Zelle lag. Die drei Zellen hatten eine bestimmte Gestalt, die eine war die gréfte, eine war flacher und eine am flachsten.“ Inwiefern diese Darstellung FLemmine’s dem thatsichlichen Verlauf der Furchung bei Anodonta entspricht, kann ich natiirlich nicht entscheiden und wage einen leisen Zweifel an ihrer Richtig- keit auch blo& deshalb auszusprechen, weil FLemmine selbst im Verlauf seiner Untersuchung wiederholt auf die Undurchsichtig- keit seiner Objekte aufmerksam macht. — Ich kann mich namlich, und gerade gestiitzt auf die Untersuchung FLemmine’s, des Ein- drucks nicht erwehren, die Furchung bei der Teichmuschel méchte, in den ersten Stadien wenigstens, ganz wie diejenige von Cyclas verlaufen, und die Argumente, die Fremmine zur Unterstiitzung seiner oben ausgesprochenen Ansicht iiber das vierzellige Stadium von Anodonta beibringt, erscheinen mir ebensowenig beweiskriftig, als sie mir fir Cyclas geniigen kénnten. Wenn doch die Thatsache feststeht, daf die grofe, dunkle Zelle mindestens einmal eine helle, kleinere abzuschniiren vermag, und das hat ja Fuemmine selbst konstatiert, so ist nicht recht einzusehen, weshalb nun alle anderen hellen Furchungskugeln aus- nahmslos diesen ersten Mikromeren entstammen sollten. Auch bei Cyclas 1a8t allerdings die eine der drei hellen Zellen der Kappe, wie wir gesehen haben, ihren Ursprung auf das Mikromer des zweizelligen Stadiums zuriickfithren; das schlieBt aber die Mog- lichkeit gar nicht aus, daS nun das Makromer abermals einen Beitrag zur Vermehrung der Furchungskugeln in Form einer hellen Zelle leisten kann. Die Ahnlichkeit der neuen Zelle mit den vor- gebildeten Mikromeren la8t allerdings auch die Eventualitaét der Entstehung aus diesen letzteren zu, doch ist zum mindesten nicht sofort entschieden, welchen yon diesen beiden Méglichkeiten ohne weiteres der Vorzug zuerkannt werden sollte. Die grofe (untere) Zelle kann nach wie vor grobkérnig und dunkel sein und braucht auch, wie wir nachher zu zeigen ver- suchen, wegen Abschniirung eines einzigen, relativ wenig Masse enthaltenden Tochterindividuums ihre GréSe nicht merklich zu reduzieren, was durch die Entwickelung von Teredo auch that- sichlich erwiesen ist. Die Angabe Fiemmina’s ferner, da8 die drei Mikromeren auf dem Vierzellen-Stadium ,,eine zusammenhingende Masse _bilden, die wie eine Kappe auf dem Makromeren ruht‘, erweist sich auch Bd, XXVIII. N. F, XXI, 15 216 Heinrich Stauffacher, fiir Cyclas als vollkommen zutreffend, obschon die genannten Zellen hier nicht denselben Ursprung haben, wie ihn FLEemmrine fir Anodonta annimmt, ebenso die andere Bemerkung, daf eine der drei hellen Zellen die anderen zwei an GréfSe tibertreffe. Es hitte nun jedenfalls bei dem in Frage stehenden Stadium zuerst ent- schieden werden miissen, welche der drei Zellen zuletzt entstanden sel, ob die kleinste, die mittlere oder die gréfSte, um hieraus weitere Konsequenzen ziehen zu konnen. Dem bei Cyclas beschriebenen vierzelligen Stadium entsprechen nun ferner beinahe vollstandig die vierzelligen Entwickelungsstufen von Teredo (nach HarscHek) und von Unio (nach Rast). In beiden Fallen wird aber iibereinstimmend die vierte Furchungs- kugel aus der grofen dunkeln Zelle abgeleitet, wahrend sich das zuerst entstandene Mikromer unterdessen blof in zwei unter- einander gleiche Teile teilt. Ein fiir die uns hier interes- sierende Frage tibrigens ganz unwesentlicher Unterschied zwischen Teredo und Unio besteht nur darin, da8 dort die unpaare (vierte) Furchungskugel erst nach der Teilung des ersten Mikromers entsteht, wihrend sie sich hier vorher bildet. Da Rast der Abschniirung des zweiten Mikromers aus der grofen Zelle unmittelbar die Teilung des ersten Mikromers folgen Ja8t und hierfiir eine Kernteilungsfigur erbringen kann, so ist diese Stufe der Entwickelung fiir Unio wohl als erledigt zu be- trachten. Nicht aber ist dies der Fall bei Teredo. Ich zweifle zwar nicht im geringsten an der Richtigkeit der Resultate, die HATSCHEK in seiner schénen Untersuchung zu Tage gefoérdert hat, aber den Verlauf der Furchung gerade im vorliegenden Stadium ohne weitere Belege anzunehmen, wie ihn HArscHEK uns meldet, kann sich niemand verpflichtet fiihlen. Ich glaube damit geniigend angedeutet zu haben, da8 das vierzellige Stadium ein wichtiges Glied in der Entwickelungskette von Cyclas reprasentiert, ja uns das Versténdnis fir die nun folgenden Erscheinungen férmlich erschlieSt. Es lag mir deshalb auSerordentlich daran, die Bildung des vierzelligen Stadiums aus dem dreizelligen durch unzweideutige Beweise sicherzustellen. Diese werden erbracht durch Fig. 16, 16a und 16b. In Fig. 16 sehen wir, wie in Fig. 15, noch deutlich die ‘drei- zellige Stufe vor uns, aber schon bereitet sich das Makromer ma zur Abschniirung ae neuen Tochterzelle vor. Wiahrend nun die Kernspindel in der von uns einmal angenommenen Stellung der Furchungskugeln bei der Bildung des zweizelligen Stadiums senk- Kibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 217 recht stand, hat sie sich hier bereits in einer dem Laufe des Uhrzeigers entgegengesetzten Richtung gedreht und liegt, deutlich excentrisch, derjenigen Stelle genihert, wo die neue Zelle ab- geschniirt werden soll. Da die Mikromeren mi, und mi, vorlaufig keinerlei Tendenz zeigen, sich einer Teilung zu unterziehen, so entsteht dadurch zweifellos eine Stufe, die sich aus vier Zellen zusammensetzt, und ebenso sicher kommt die neue Kugel in die Furche zwischen den beiden alteren Teilmikromeren mi, und mi, zu liegen: Die Zelle mi, der Fig. 17, iiber deren Ursprung wir uns zu orientieren suchten, ist somit direkt durch Ab- schntirung aus dem Makromer entstanden. Die Fig. 16a und 16b stellen zwei aufeinanderfolgende Serien- schnitte durch das in Bildung begriffene Vierzellen-Stadium vor, wobei 16a dem senkrecht zur Tafelebene gefiihrten Schnitt a,—b, der Fig. 16, 16b dem unmittelbar folgenden a—d entspricht. Die Kernspindel war auf drei Schnitte verteilt. Die beiden Centrosomen!), mit wiinschbarer Deutlichkeit zu sehen, fanden sich im ersten und dritten dieser Schnitte. Das eine der Central- kérperchen (c, der Fig. 16) ist in Fig 16b dargestellt, wahrend das andere (c,) auf dem Schnitte zu sehen wire, der 16a direkt vorangeht, den ich zu zeichnen aber nicht fiir notwendig fand. Ks fallen uns aber in diesem Ubergangsstadium noch weitere Punkte auf: 1) Wahrend die zwei kleinen Furchungskugeln mi, und mi, des dreizelligen Stadiums von ihrer Mutterzelle ma weit abstanden, ist dies hier (Fig. 16a) nicht mehr in dem Mafe der Fall. Sie haben sich bedeutend abgeflacht und liegen dem Makro- mer dichter und mit breiterer Basis an. Dement- sprechend hat sich auch der helle Zwischenraum bedeutend verkleinert, was zur Folge hatte, da8 auch die beiden Mikromeren in innigeren Kontakt untereinander geraten. Wohin der Inhalt jener kérnerlosen Partie geraten, ist nicht mit absoluter Sicherheit anzugeben. Ich halte aber dafiir, daf er wohl zum gréften Teil von dem grobkérnigen Plasma der grofen Zelle aufgenommen, moglicherweise zu einem kleineren Teil auch von den beiden Mikromeren absorbiert worden sein mag. Fiir die erste Annahme scheint mir die Thatsache zu sprechen, 1) Sie sind in meinen Priaparaten immer lebhaft tingiert. Es wire also Himalaun denjenigen Farbstoffen einzureihen, die schon O, Hertwie (22) zur Farbung der Centrosomen als geeignet betrachtet. 15* 218 Heinrich Stauffacher, die FLemminc schon bei Anodonta konstatierte, daf die grofe Furchungskugel waihrend der ersten Teilungen nicht merklich an GréSe abnimmt. Dieses Faktum ist leicht zu begreifen, wenn wir nunmehr be- denken, wie verhaltnismifig gering einestcils die Masse ist, welche die grofe Kugel ihren Tochterindividuen abgetreten, und daf andernteils das Plasma des hellen Raumes von jener wieder gréften- teils aufgenommen und der iibrigen Masse einverleibt wird. Jedenfalls ist die Fliissigkeit viel eher in den Inhalt der be- grenzenden Zellen iibergegangen, als durch die auf diesem Stadium immer noch vorhandene Eimembran nach aufen getreten. — Daf iibrigens ein Stoffaustritt aus dem hellen Zwischenraum wirklich erfolgt ist, erhellt daraus, da’, obschon das Lumen abgenommen, die Zellmembranen sich nicht mehr gegen den Inhalt der Furchungs- zellen, sondern mehr oder weniger gegen die Hohle einzuwélben beginnen (Fig. 16a). 2) Der helle Raum wird auch hier noch um so miachtiger, je mehr er sich der Stelle nihert, wo das neue Mikromer zur Ab- schniirung gelangt. Fig. 16 b reprasentiert einen Schnitt in dieser Region. Wir ersehen hieraus, da’ sich die kleinen Zellen mi, und mi, von derjenigen Seite an das Makromer zu legen und aneinander zu schmiegen beginnen, wo vorlaufig keine neue Fur- chungskugel entsteht. Nur nachdem wir diese Thatsachen vorausgeschickt, kénnen wir nun auch den Schnitt verstehen, der in Fig. 17b dargestellt ist. Es ist der Langsschnitt durch das allerdings schon fertige vierzellige Stadium, wobei die grofe dunkle Zelle ma, eines der kleineren Mikromere und die unpaare, zuletzt abgeschniirte Fur- chungskugel getroffen sind. Fig. 16a wiirde dann in diesem vor- geschritteneren Stadium dem Schnitt a, —b,, 16b dem Schnitt a—b entsprechen. Die Erscheinung, da8 die abgeschniirten Zellen zuerst weit abstehen, so ,,da%8 sich Mutter- und Tochterzellen blo’ in einem Punkt zu berihren scheinen“, um erst nachtréglich in innigere gegenseitigere Beriihrung zu treten, ist bereits in einer Anzahl von Fallen bekannt und wurde z. B. von Brocumann bei Neritina, von Rasy an der Tellerschnecke und der Malermuschel mit Nach- druck hervorgehoben. Auch die jedenfalls so genau wie méglich entworfenen Zeich- nungen FLEMMING’s von der Entwickelung der Teichmuschel lassen Kibildung und Furchung bei Cyclas cornea L., 219 dasselbe Prinzip erkennen, obschon ihm der Autor keinen ganz klaren Ausdruck verleiht. Das allmahliche Anlegen der kleineren Zellen an die gréfere mag auch die Ursache gewesen sein, weshalb einige Forscher auf die Idee kamen, die abgeschniirten Furchungskugeln gehen nachher in der Mutterzelle vollstindig wieder auf. Diesem Gedanken giebt z. B. BoBpretzKy (3) in seiner Abhandlung tiber Nassa mutabilis Raum, ebenso Loven (41) in seinen Studien tiber Modiolaria und Cardium. — Blicken wir einerseits mit Bewunderung auf die Be- harrlichkeit, mit der gerade LovéN bei ganz unzulanglichen tech- nischen Mitteln ein schwieriges Thema bewaltigt, so miissen wir andererseits um so mehr bedauern, daf durch diese merkwiirdige Verschmelzungstheorie das Versténdnis der uns geschilderten Vor- ginge bedeutend erschwert wird. Es erscheint mir nicht unwahrscheinlich, da’ vielleicht in allen den Fillen, wo ein nachtragliches Abflachen der kleineren Zellen konstatiert wurde, auf giinstigen Praparaten auch der helle Raum zwischen den Furchungskugeln hatte nachgewiesen werden kénnen, der durch sein Verschwinden das Anschmiegen der Mikro- meren moglicherweise bedingt. Jedenfalls ist die Thatsache an- gesichts der Existenz einer solchen kérnerlosen Partie bei Cyclas viel leichter verstandlich zu machen. — HatscHeEK z. B. berichtet in seiner Untersuchung iiber Teredo weder von einem hellen Raum, noch von nachtraiglichem Abflachen der Zellen, obschon in anderen Beziehungen die Furchung mit derjenigen von Cyclas ganz iiberein- stimmt. Es ist indes zu bemerken, daf er diesen Vorgang an Totopraparaten studierte, ein Umstand, durch den auch FLEMMING an der Verfolgung feinster Details verhindert werden mufte. Betrachten wir nun das fertige vierzellige Stadium. Ks besteht aus einem dunkeln, mit grobkérnigem Inhalt erfiillten Makromer und drei Mikromeren (Fig. 17), von denen die beiden Zellen mi, und mi, der Mutterkugel ziemlich enge anliegen, wih- rend die zuletzt abgeschniirte Zelle mi, noch weit absteht und bedeutend tiber die zwei zuerst entstandenen Spréf%linge emporragt. Ist es erlaubt, diese fiir Cyclas konstatierten Verhiltnisse auf die Entwickelung ‘der Teichmuschel anzuwenden, so miiSte das grote der Mikromeren, entgegen der Bezeichnung FLEMMING’s, das zuletzt abgeschniirte sein, was dann die weitere Konsequenz, daf es namlich notwendigerweise durch Teilung aus einer kleineren Zelle hervorgegangen, bedeutend weniger plausibel erscheinen liefe. 990 Heinrich Stauffacher, Die zweite vom Makromer abgeschnirte Furchungskugel mi, zeigt nun genau dieselben eigentiimlichen Erscheinungen, wie ihr Vorlaufer mi des zweizelligen Stadiums: Feinkérnigen Inhalt mit einer vollstandig hellen Partie h (Fig. 17a, b). Auch hier ist ferner das feinkérnige Plasma auf eine periphere Schicht be- schrainkt, die ganz allmahlich in die kérnerlose Partie iibergeht. Der Kern liegt in der Kérnchenschicht, ist aber bedeutend grdéB8er, als diejenigen der Zellen mi, und mi, (Fig. 17a). Fiihren wir durch die drei Mikromeren mi,, mi, und mi, der Fig. 17 einen Horizontalschnitt, so ergiebt sich das Bild 17a. Die neu entstandene Zelle mz, liegt genau in der Furche der beiden alteren, und der Kontakt der drei Zellen ist in der That ein so inniger, daf man sie in genetischen Zusammenhang untereinander zu bringen versucht ware. Fig. 17b ist der schon oben genannte, einer anderen Serie entnommene Langsschnitt durch das vierzellige Stadium und zeigt den Kern der grofen Furchungszelle, der noch immer an der typischen Stelle verharrt und ein dichtes Fadengerist mit Nucleolen aufweist. Die Fliissigkeit des hellen Raumes h iibt auch hier wie in Fig. 17a wieder einen bedeutenden Ueberdruck auf die angrenzenden Membranen aus; denn diese wélben sich meisten- teils gegen den Zellinhalt vor. Nachdem wir das drei- und vierzellige Stadium erschlossen, ist die Furchung des Cyclas-Kies leicht zu verfolgen; denn die folgenden Stufen wiederholen die hauptsichlichsten Erscheinungen jener Stadien mit beinahe mathematischer Regelmafigkeit. Zuerst teilt sich nun die unpaare, zuletzt abgeschniirte Zelle mi. in zwei gleiche Teile genau so, wie dies beim zuerst gebildeten Mikromer (mi des zweizelligen Stadiums) der Fall war. Es ent- steht auf diese Weise das fiinfzellige Stadium (Fig. 18), das aus der immer noch sehr grofen, dunkeln Mutterkugel ma und einer Kappe, aus vier untereinander fast aquivalenten Tochter- zellen besteht. Die Teilungsprodukte von mi, sind die Zellen mi, und m, (Fig. 18 und 18b). Fig. 18a reprasentiert einen etwas schiefen Schnitt durch diese Stufe, wobei die alteren Mikromeren mi, und mi, und die eine der neu entstandenen Zellen getroffen worden sind. Auch dieses Bild ist uns interessant und schlieft in einer Beziehung die Be- trachtungen, die wir beim vorhergehenden Stadium angestellt, ab. Der helle, kérnerlose Raum namlich zwischen den Mikromeren mi,, mi, und ihrer Mutterzelle ist vollstindig verschwun- — Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 221 den. Die Zellen mi, und mi,, noch immer feinkérnig, liegen den Makromeren nunmehr ganz dicht an und haben dadurch den Charakter von Ektodermzellen angenommen. — Die beiden soeben entstandenen Zellen mi, und mi, dagegen stehen noch be- deutend vor und zeigen einen hellen Hof, der dem Mikromer m, entstammt. Gleich den Erscheinungen beim dreizelligen Stadium ist er zunichst den beiden Zellen gemeinsam (Fig. 18b) und wird erst spater durch auftretende Membranen allseitig abge- grenzt. Die Eimembran (me) ist deutlich zu sehen; auch der Kern der grofen Furchungszelle hat seine Lage noch nicht ver- andert. Einen Schnitt, der die Zellen mi, und mi, getroffen und den gemeinsamen Hohlraum deutlich zeigt, stellt Fig. 18b vor. Die Zeichnung erinnert vollstiéndig an Fig. 16b des dreizelligen Stadiums. Fig. 19 stellt das sechszellige Stadium von Cyclas vor. Es hat sich aus der soeben beschriebenen Stufe dadurch entwickelt, da8 die groSe Kugel ma ein neues Mikromer (mi,) abschniirte. An dem Langsschnitt (Fig. 19a) fallt uns zweierlei auf: 1) Auch die Mikromeren der zweiten Generation haben sich bereits abgeflacht und sind, indem der helle Raum zwischen ihnen vollig zum Schwinden gebracht wurde, auf das Makromer herab- geriickt. Sie bilden dadurch das zweite Paar typischer Ektodermzellen. Es bleibt indes nicht ausgeschlossen, daf im Schwund der hellen Partie gelegentlich zeitliche Abweichungen eintreten, und es finden sich unter meinen Praparaten wirklich Serien durch das sechszellige Stadium vor, wo der Hohlraum zwischen den Zellen mi, und mi, noch deutlich zu sehen ist. 2) Der KerndergrofgenFurchungskugel hat seine Stellung verlassen und ist auf die seiner urspringlichen Lage entgegengesetzte Seite der Zelle gewandert (Fig. 19a). Er riickt dadurch natiirlich der Zone, wo neue Mikromerenbildung stattfindet, naher und behalt diesen neuen Standpunkt wieder durch mehrere Stadien hindurch bei. Einen solchen Ortswechsel des Makromerenkerns konstatiert auch FLEMMING an den Furchungs- stadien der Teichmuschel. Diese Entwickelungsstufe hat zuerst ZreGLER beobachtet und zwar als unterstes Stadium, das er bei Cyclas entdecken konnte. ZIEGLER’S Abbildung stimmt aber mit der meinigen nur in der Zahl und Anordnung der Furchungszellen iiberein, wahrend sonst 222 Heinrich Stauffacher, die beiden Darstellungen, und gerade in wesentlichen Punkten, voneinander abweichen: 1) Zircuer berichtet nichts davon, daf die zuletzt entstandene Zelle (mi;) gréSer sei als die alteren Mikromeren. Auch in seiner Zeichnung ist dies kaum merkbar angedeutet. Und doch ist diese Erscheinung aus Analogie mit dem vierzelligen Stadium zu er- warten. Erst dadurch, da die Zelle mi, sich teilt, wie das ihre Vorlaufer alle gethan, entstehen die den Zellen mi,, mi,, mi, und mi, in der GréSe entsprechenden Mikromeren, die doch einzeln nur die Halfte ihrer Mutterzelle ausmachen. Ich méchte aber gerade hier noch einmal des ausdriicklichsten bemerken, daf keine meiner Figuren ihre Entstehung einer Spekulation verdankt; die genau nach meinen Praparaten gezeichneten Serienschnitte stehen jeder- mann zur Verfiigung. 2) ZieGLER deutet ferner den typischen, bis anhin in allen Schnitten aufgetretenen hellen Raum zwischen den Zellen mi, und ma nicht an. Ich glaube nicht, da8 mein Vorginger diese auffallende Erscheinung iibersehen hatte, falls sie in seinen Pra- paraten vorhanden gewesen ware, um so weniger, als die kérner- lose Partie gerade hier wieder in dominierender Weise auftritt, wie dies bei den unpaaren Teilprodukten immer der Fall war. Es ist aber méglich, da8 ZrmGueR eine etwas undeutliche Schnitt- serie vorlag, aus der er das sechszellige Stadium konstruierte, oder er hat die Bildung des Hohlraumes einer Einwirkung von Reagentien zugeschrieben und deshalb unberiicksichtigt gelassen. 3) In Bezug auf die Membran bemerkt Zineuer: ,,Das reife Ei von Cyclas besitzt eine Kihaut mit Mikropyle, ahnlich der der Najaden. Dieselbe verschwindet aber bald, so daf sie schon beim sechszelligen Stadium nicht mehr zu sehen ist.‘ Daf die Eihaut iiber kurz oder lang ginzlich verschwindet, kann ich bestatigen; meine Schnitte durch diese Entwickelungsstufe zeigen aber aus- nahmslos und sehr deutlich eine Membran. Ich lege diesem Gegen- satz indes keine grofe Bedeutung bei, da er nur eine ganz kurze zeitliche Differenz bedeutet. 4) Auch die Lage des Makromerenkerns endlich stimmt in den beiderseitigen Darstellungen nicht iiberein. Das siebenzellige Stadium (Fig. 20 und 20a), das da- durch entsteht, daf sich die Zelle mi, (Fig. 19), wie zu erwarten war, in zwei gleiche Teile (mi, und mi,) teilte, zeigt nichts wesent- lich Neues; ebensowenig die folgende Stufe, die acht Furchungs- kugeln aufweist und in Fig. 21 dargestellt ist. Das Makromer “pee we Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 223 hat hier zum viertenmal eine grofe helle, mit einer kérnerlosen Binnenhéhle versehene Tochterzelle abgeschniirt. Fig. 22 giebt uns eine Vorstellung vom neunzelligen Stadium. Die Erscheinungen, die uns hier besonders auffallen, lassen sich in folgenden sechs Punkten formulieren: 1) Vergleichen wir das Makromer ma dieser Stufe mit der erofen Furchungskugel z. B. des zweizelligen Stadiums, so finden wir, daf diese Zelle im Laufe der Entwickelung ent- schieden an Masse abgenommen haben muB, eine That- sache, die bei Cyclas leider nicht in ihrem allmihlichen Verlauf zu verfolgen ist, da wir in den aufeinanderfolgenden Stadien je- weilen ganz andere Furchungskugeln vor uns haben. — Ks be- stitigt uns diese Wahrnehmung gewif die schon oben ausge- sprochene Behauptung, daf das Makromer bei jeder Bildung einer unpaaren Zelle (mi, mi,, mi, etc.) einen gewissen Teil seines In- haltes einbiiSt. Die Masse, die jeweilen einer Tochterkugel tber- geben wird, ist indes im Verhaltnis zum Inhalt der Mutterzelle so gering, daf eine Abnahme dieser letzteren uns erst nach wieder- holten Abschniirungen auffallt. 2) Die grofe dunkle Zelle, die friiher immer mehr oder weniger kugelig war, ist in die Tonnenform itibergegangen, wahr- scheinlich um die géiinzliche Umfassung durch die Mikromeren méglichst zu verhindern. Wo namlich nur eine geringe Zahl von Mikromeren gebildet werden soll, wie dies z. B. bei Teredo der Fall ist, da behalt das Makromer, wie sich aus den Abbildungen HATSCHEK’S ergiebt, seine Kugelgestalt bei, und es ist deshalb auch natiirlich, da8 die Derivate viel rascher auf die Hinterseite ihrer Mutterzelle iibergreifen. 3) Auf diesem Stadium (Fig. 22a, 22b) finden sich bereits drei Paar Ektodermzellen vor, die um so flacher werden, d. h. der Zelle ma um so inniger anliegen, je alter sie sind (Fig. 22). 4) Auch auf dieser vorgeschrittenen Stufe bemerken wir so- eleich den hellen Raum zwischen den Zellen mi, und mi, (Fig. 22 ¢), die unmittelbar vorher durch Teilung des unpaaren Mikromers (mi,) des achtzelligen Stadiums entstanden sind. 5) Das Makromer findet sich in Teilung begriffen. Die Kern- spindel hat ihre Drehung seit dem dreizelligen Stadium im ent- gegengesetzten Sinn des Uhrzeigers weiter ausgefiihrt und liegt auch hier excentrisch, Die beiden Centrosomen waren in den 294. Heinrich Stauffacher, zwei aufeinanderfolgenden Serienschnitten Fig. 22a und 22b mit Leichtigkeit zu beobachten. 6) Die Membran ist hier noch zweifellos vorhanden, kann aber von jetzt an an meinen Praparaten auch nicht mehr konstatiert werden. Nun beginnt ein neuer Abschnitt in der Entwickelung des Cyclas-Hies. Es fangen naimlich auch die zuerst ge- bildeten Mikromeren an, sich zu teilen. Der Zeitpunkt, in dem dies geschieht, scheint indes nicht genau bestimmt zu sein; er kann schon auf dem achtzelligen Stadium eintreten, wahrend oft, wie wir soeben gesehen, die neunzellige Stufe in urspriing- licher Weise vorgebildet wird. Findet eine Teilung der Mikromeren mt,, mi, u. S. f. bereits auf dem achtzelligen Stadium statt, so entstehen Zustinde mit 10 resp. 12 Zellen; geschieht dies aber erst auf dem neunzelligen Stadium, so bildet sich ein Stadium mit 11 resp. 13!) Furchungskugeln. Das zwolfzellige Stadium (Fig. 23) ist also dadurch entstanden, dafi die vier altesten Mikromeren des achtzelligen Stadiums (Fig. 21 mi,, mi, mi,, mi,) sich in je zwei gleiche Teile geteilt haben. Es bilden sich auf diese Weise Vierer- gruppen von kleinen, feinkérnigen Zellen, die, auf beiden Seiten der grofen Mutterkugel nach unten riickend, die Ektodermschicht immer mehr tiber dieselbe ausbreiten. Ob sich bei der Teilung der Mikromeren dieselbe Erscheinung wiederholt, wie bei derjenigen des Makromers, kann ich nicht mit absoluter Sicherheit entscheiden, glaube dies aber nicht annehmen zu dirfen, da mir ein heller Raum zwischen diesen sekundaren Teilprodukten nie auffiel. Dagegen ist die kérnerlose Partie wieder typisch ausgebildet zwischen der letzten Furchungskugel (/f) und ihrer Mutterzelle (ma),: wie Fig. 23b zeigt. Es laft sich aber unschwer aus der Zeichnung entnehmen, daS auch dieser Raum im Verhaltnis zu friiheren Stadien bedeutende HinbufSe erlitten hat, und er mu& schlieflich unsichtbar klein werden, falls die Reduktion in der angedeuteten Weise fort- schreitet. In der That war ich nicht mehr imstande, vom zwolf- zelligen Stadium an aufwarts jemals eine kérnerlose Partie zwischen zwei oder mehreren Zellen nachzuweisen, obschon sicher anzu- 1) Hat sich, wie in Fig. 22, vorher auch noch eine unpaare Furchungszelle gebildet, so entsteht sogar eine vierzehnzellige Stufe. Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 225 nehmen ist, daf sie in den nachsten Stufen wenigstens noch an- gelegt wird. Diese allmahliche Reduktion des kérnerfreien Raumes geht jedenfalls Hand in Hand mit der fortschreitenden GréSenabnahme der vom Makromer sich abschniirenden Tochterzellen. In dem MaSe namlich, wie die dunkle Furchungszelle an GréSe abnimmt, werden auch die aus ihr hervorgehenden Mikromeren kleiner. Da aber die Teilprodukte der letzteren sich von den tibrigen ektodermalen Zellen absolut nicht unterscheiden, so kann jene Erscheinung nicht darauf beruhen, da den direkten Abschniirungs- produkten des Makromers nunmehr weniger feinkérniges Material zugewiesen wird als friiher; die Ursache liegt vielmehr darin, daf der helle Raum, der den voluminésen Charakter jeweilen be- dingte, nicht mehr in der urspriinglichen Weise zur Entwickelung kommt. Dann wurde aber auch, so schlieSen wir, im Verlaufe der Furchung das fliissige Plasma der hellen Partie beim Ab- flachen einer Zellgruppe nicht allein vom Inhalt der grofen Kugel absorbiert, sondern blieb jedenfalls zu einem kleineren Teil auch in den betreffenden Mikromeren zuriick, wie wir dies tibrigens schon bei Anlaf der Bildung des vierzelligen Stadiums vermuteten. Wenn mir nun auch die wahre Bedeutung der kérnerlosen Partie fiir die Bildung der embryonalen Zellen noch vollig unklar ist, sc darf sie doch entschieden nicht tibersechen werden und sie la8t, wenn mehrere derartige Falle genauer verfolgt sein werden, vielleicht wichtige Schliisse zu. Eine Furchungshéhle ist auf dem zwélfzelligen Stadium, wie Fig. 23a zeigt, noch nicht vorhanden. Das dreizehnzellige Stadium (Fig. 24) kann auf zwei Arten entstanden sein: entweder durch Zweiteilung der ersten vier Mikromeren des neunzelligen Stadiums oder durch Teilung der letzten Furchungskugel der zwéolfzelligen Stufe. Die neue Er- scheinung, die uns hier entgegentritt, besteht in der Bildung einer wirklichen Furchungshohle (Fig. 24a fh). Da- durch, da die Zellen, die vorher als Kappe dem Makromer flach und dicht auflagen, sich allmahlich von demselben abzuheben beginnen, bildet sich ein kleiner, allseitig scharf begrenzter Raum zwischen der Mutterzelle ma und ihren Derivaten. Auch Zrraier hat dieses Stadium gesehen und ich kann mit Vergniigen konstatieren, daf sich unsere Abbildungen bis auf die Lage des Makromerenkerns vollstandig decken. Daf die groBe, auch jetzt noch mit relativ dunklem Inhalt 226 Heinrich Stauffacher, erfillte Furchungskugel (ma) unbekiimmert um die rege Thatigkeit der Mikromeren fortfihrt, neue unpaare Teilungsprodukte zu liefern, beweist der Langsschnitt durch das soeben beschriebene Stadium (Fig. 24a). Die beiden Centrosomen waren auf dem- selben Schnitt zugleich zu sehen; die Kernspindel liegt, wie friiher, excentrisch. Der bis anhin beschriebene Furchungsmodus wird in der Folge im wesentlichen beibehalten. Wie die dunkle Zelle fortwaihrend neue Mikromeren abschniirt, die sich regelmafig nachher aqual teilen, so fahren auch die kleineren Zellen ihrerseits fort, sekun- dare und tertiare Teilprodukte zu liefern, was man aus der grofen Menge der in den Serien auftretenden Kernteilungsfiguren ersehen kann. Ich habe deshalb aus den vielen mir zu Gebote stehenden folgenden Stadien nur noch eines ausgewahlt, das in verschiedenen Beziehungen interessant erscheinen mag. Es ist das sech- zehnzellige Stadium (Fig. 25). Fiirs erste sehen wir, dali sich die Zahl der Vierergruppen vermehrt und die Furchungshéhle erweitert hat. Sodann bemerken wir zwei Zellen, die in Teilung begriffen sind: das Makromer (ma) und die von ihm zuletzt gebildete Tochterzelle (if). Es fallt uns dabei auf, daf die gréfere Kugel ihrem kleinen Spréfling so rasch in der Vermehrung folgt, was bis jetzt nicht beobachtet wurde. Die Tendenz der grofen Furchungszelle, die Teilung auf héheren Stufen allmahlich rascher durchzufiihren, als dies in den ersten Stadien der Fall war, steht bei Cyclas nicht vereinzelt da und ist, wie ich glaube, auch unschwer zu erklairen. Jedenfalls ist, wie wir schon oben andeuteten, nicht mehr die grofe Masse des Zell- inhaltes zu bewiltigen. Alle bis jetzt von mir an Cyclas be- obachteten Erscheinungen drangen uns doch die Uberzeugung auf, da8 bei der Teilung jeweilen ein die Masse ordnendes und son- dierendes Prinzip auftritt und nichts hindert uns daran, diesen regulierenden Faktor im Kern selbst zu suchen. Je mehr nun die Masse der Zelle abnimmt, desto schneller kann sie auch jeweilen orientiert und den einzelnen Tochterzellen tibermittelt werden. Endlich treffen wir hier, wenigstens in meinen Objekten, zum erstenmal diejenigen Zellen an, die ZreGuER in seiner Cyclas- untersuchung Mesenchym nennt; sie sind in Fig. 25a und 25c¢ mit ms bezeichnet. ZIEGLER erwaihnt diese kleinen Zellen zwar erst auf der Stufe der Gastrula, wo sie sich zum Teil in der Nahe der Mesoderm- zellen, zum Teil auch unten an der vorderen Wand finden und Kibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 227 vermutet, sie méchten aus den zwei grofen Zellen des mittleren Blattes hervorgegangen sein. ,,Es wire aber auch méglich“, fahrt ZIEGLER fort, ,,da’ Mesenchymzellen aus dem Ektoderm stammen oder spater noch aus demselben hervorriicken. ... Es ist dies iiberhaupt schwer zu entscheiden, da man diesen Zellen das Ver- mégen, amdboid zu wandern, zuschreiben mul} und also aus der Lage nichts schliefen kann. Durch kontinuierliche Beobachtung die Abkunft zu erkennen, diirfte bei Cyclas iiberhaupt unméglich sein '),‘ Es kommt bei den Keimen der verschiedensten Tiere vor, da8 gelegentlich Zellen Wanderungen antreten, und dies wurde z. B. von BLocuMANN fiir die Mesodermzellen von Neritina, von HALuez bei denjenigen von Leptoplana tremellaris und von Knipo- witscH (29) bei Clione limacina nachgewiesen. Wir haben somit auch keine Ursache, den Mesenchymzellen diese Fahigkeit ab- zusprechen. — Wenn nun auch thatsiichlich aus der momentanen Lage solcher Zellen nichts Entscheidendes zu folgern ist, so ist meiner Ansicht nach gerade die kontinuirliche Beobachtung der einzige Weg, um dem bisher ratselhaften Ursprung dieser Elemente auf die Spur zu kommen. Daf eine liickenlose Untersuchung der Entwickelungsstadien schlieBlich auch bei Cyclas kein Ding der Unmoglichkeit ist, soll durch die vorliegende Arbeit woméglich gezeigt werden. Der Grund, weshalb uns die Entstehung des Mesenchyms bis anhin entgangen, liegt sehr wahrscheinlich darin, daS diese Zellen vermoége ihrer Kleinheit die Abschniirung von der Mutterzelle sehr rasch ausfiihren. Auch diese Annahme schlieft aber nicht aus, da8 wir bei kontinuierlicher Beobachtung zufallig einmal eine solche Zelle in ihrer Bildung tiberraschen, und ich bin geneigt an- zunehmen, es sei dies in Fig. 25a und 25c wirklich der Fall. Kernteilungsfiguren habe ich fiir Mesenchymzellen trotz eifrigen Suchens keine eruieren kénnen, aber die Art, wie die beiden Zellen ms seitlich symmetrisch mit Hilfe plasmatischer Fortsitze der grofen Furchungskugel anhaften, 1a8t ihre Entstehung aus dieser letzteren als wahrscheinlich erscheinen. — Indem ich in erster Linie die Unzulinglichkeit dieser von mir gelieferten Argumente volistiéndig anerkenne, sehe ich ferner auch den Zweck nicht ein, welcher der Bildung von Mesenchym auf so frihen Stadien zu Grunde liegen sollte. 1) l. cp. 5380, 531, 228 Heinrich Stauffacher, Wir haben weiter oben fiir die Mikromeren das Bestreben konstatiert, auf allen Seiten an dem Makromer hinabzuriicken und dasselbe schlieBlich ganz zu umwachsen. Da sich unterdessen die Furchungshéhle ebenfalls mehr und mehr vergréfert, so tritt einmal ein Stadium ein, wie wir es in Fig. 26 halbschematisch dargestellt finden: Die kleinen, hellen Zellen (ec) bilden die ein- schichtige Wand einer Blase, welche im Innern eine groBe Hoéhle (fh) aufweist. Vollstiéndig findet jene Umwachsung indes nie statt; es bleibt vielmehr die bekannte grofe Zelle (ma) als Begrenzungselement der Furchungshdébhle in der Wand bestehen. Diese Zelle als kleiner Rest der grofen Kugel ma des zweizelligen Stadiums zeigt immer noch dunkleres, grobkérnigeres Plasma als ihre Tochterzellen. Das Stadium Fig. 26 zaihlt ungefahr dreifig Zellen und schon ist unter ihnen eine weitere Differenzierung eingetreten: Von den kleineren, hellen Zellen der Wand werden die einen lang, schmal und zeigen einen ovalen Kern, andere dagegen runden sich ab und weisen einen mehr kugligen Kern auf. In der Arbeit tiber Unio zeichnet Rani das genannte Stadium von Cyclas ebenfalls ab+). Die beiden Darstellungen entsprechen einander zwar vollstandig; ich kann aber Rasu nicht beistimmen, wenn er diese Stufe von Cyclas mit Fig. 19, Taf. X der Unio- entwickelung vergleichen will. Wir werden indes erst spater auf diesen Punkt eintreten kénnen. Aus einer Masse von dreiZig oder mehr Zellen, welche iiber- dies schon mehr oder weniger differenziert sind, die zuletzt ent- standene Furchungskugel herauszufinden, fallt schon sehr schwer, um so mehr noch, als diese sich jetzt nicht mehr durch besondere Gréfe von ihren Stammesgenossen zu unterscheiden vermag. Es ist ja wohl méglich, da’ die mit Uf (Fig. 26) bezeichnete Zelle die unmittelbar vorher aus dem Makromer abgeschniirte Tochterzelle reprasentiert, ganz bestimmt wage ich dies aber nicht mehr zu behaupten. Sollte dies, wie ich vermute, doch der Fall sein, so ist die Furchungskugel /f tiberhaupt das letzte der in urspriing- licher Weise entstehenden unpaaren Mikromeren; denn yon nun an liefert die dunkle Zelle ma keine ektodermalen Pro- dukte mehr. 1) 1 ¢, Wigs, Kibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 229 Die Wandung der Blase wird jetzt aus zweierlei Klementen zusammengesetzt : 1) aus hellen, kleinen, zum Teil prismatischen, zum Teil rund- lichen Zellen, die den gréften Teil der Blasenwand bilden, und 2) aus einer relativ grofen, dunklen Zelle, die in unserer Zeichnung (ig. 26) den Boden der Blase darstellt. Jene, die Summe aller im Laufe der Furchung zur Abschniirung gelangten Mikromeren bilden das zukinftige Ektoderm des Embryo, wahrend aus der letzteren sowohl Mesoderm als Entoderm hervorgeht. Die Entwickelung von Cyclas bestiitigt daher vollstindig den Satz Rasv’s, den er im theoretischen Teil seiner Unio-Untersuchung ansspricht, Hr sagt dort (i..¢. p: 342): ..... »Vie Furchung der Muscheln bietet uns aber auch noch in einer anderen Hinsicht ein sehr hohes Interesse dar. Wir haben namlich gesehen, da’ schon auerordentlich friihzeitig — noch lange vor der Bildung der Keimblatteranilagen — eine Differenzierung in den Furchungs- kugeln auftritt, die immer weiter und weiter schreitet und schlief- lich dazu fiihrt, da die ganze Anlage des Entoderms und Meso- derms zusammengenommen nur als eine einzige grofe Zelle erscheint, wihrend alle anderen Furchungskugeln lediglich die Bau- steine des auferen Keimblattes liefern.“ Das soeben besprochene Stadium Fig. 26 geht der Meso- dermbildung unmittelbar voran. Indem wir zu diesem wich- tigen Punkte in der Entwickelung selbst tibergehen, lassen wir zuerst ZIEGLER sprechen. An das von ihm abgebildete dreizehn- zellige Stadium anschliefend, fahrt er fort: ,,Kine andere giinstige Schnittserie zeigte das in Fig. 4A und 4B dargestellte Stadium; man findet die grofe Zelle, eine Anzahl kleiner und bilateral zwei gréfere m, und m, (die beiden Urmesodermzellen). Diejenige Zelle, aus welcher soeben die Zellen m, und m, durch Perlunge entstanden sind, istiudie letzte, die in der bisherigen Weise von der grofen Zelle abgeschnirt wird; die nachste Teilung der groSen Zelle giebt zwei gleiche Teilstiicke und ihre Richtung steht senkrecht auf derjenigen der bisherigen Teilungen, so daS die neuen Zellen ebenso wie m, und m, zu den Seiten der Medianebene liegen..... Bevor diese Teilung der grofen Zelle erfolgt, sind die kleinen Zellen auf beiden Seiten abwirts vorgeriickt und trafen hinten unter den Zellen m, und m, medianwirts zusammen, wie Fig. 5A und 5B zeigt“ (I. c. p. 546), 230 Heinrich Stauffacher, Ich bin in dieser Beziehung zu einem anderen Resultat gelangt. Fig. 27a—e stellt uns fiinf aufeinanderfulgende Schnitte durch ein Stadium der Blase vor, welche die Bildung des mittleren Keimblattes in wiinschbar klarer Weise verfolgen lassen. Die ganze Serie besteht zwar aus neun Schnitten, von denen aber die beiden ersten und die beiden letzten nur die angeschnittene Wand zeigen und deshalb weggelassen wurden. Fig. 27a (dritter Schnitt der Serie) zeigt ebenfalls noch nichts Besonderes, dagegen fallt uns in Fig. 27b eine grofe, dunkle Zelle ma, mit groBem, rundlichem Kern auf, der sich eine etwas kleinere, ebenfalls rundliche Zelle wm, ganz innig anschmiegt. Die letztere ragt ziemlich weit in die Furchungshéhle (ff) hinein und zeigt ein wenig helleres Plasma als die unmittelbar unter ihr liegende Zelle ma,. Fragen wir nach dem Ursprung zunachst der Zelle um,, so wWiirde alle Wahrscheinlichkeit dafiir sprechen, daf sie aus der Kugel ma, entstanden sei, der sie ja auch jetzt noch mit breiter Basis aufsitzt. Vollstandig entschieden ist dies aber da- durch noch nicht, da die Zelle wm, ebensogut an einem anderen Punkte der Blase entstanden und durch Wanderung hierher gelangt sein kénnte. Auch der folgende Schnitt 27c, der dieselben zwei Zellen, im Begriffe zu verschwinden, enthalt, giebt uns dariiber keine sichere Auskunft. Fig. 27d zeigt uns nun genau an der Stelle der Zellen ma, und wm, eine einzige grof8e Zelle ma,, die genau der Summe jener beiden entspricht. Sie zeigt genau dasselbe grobkérnige Plasma wie die Zelle ma, und wie die grofe Furchungs- kugel ma, die uns wahrend der ganzen Entwickelung so sehr auffiel. Diese Zelle ma, ist gerade im Begriffe, gegen die Hoéhle fh hin einen Teil ihresInhaltes in Form einer Zelle abzuschnitren. Das Teilprodukt wird allem Anschein nach etwas kleiner ausfallen als der tibrige Teil, und zwar wird das Verhaltnis ungefaihr dasjenige zwischen ma, und wm, sein. Die neue Zelle, die dadurch zustande kommt, wird genau auf der Zelle wm, liegen, wihrend der gréfere Rest ebenso genau nach GréSe, Form und Inhalt der Zelle ma, entsprechen wird. Ks wird an der Hand dieses Materials nicht schwer sein, iiber den Ursprung der uns interessierenden Zellen Auskunft zu geben: 1) Die Zellen wm, und ma, gehéren unbedingt zusammen und bildeten friiher eine einzige grofe Zelle, die der Nachbarzelle ma, spiegelbildlich entsprach. Von derselben wurde ein kleinerer tle Deeg ei Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 231 Teil wm, gegen die Furchungshohle hin abgeschniirt, wihrend der gréBere Rest in der Wand der Blase zuriickbleibt. 2) Diese grofe Zelle ma, und ihre ebenbiirtige, aber bereits geteilte Nachbarzelle kénnen ihrem ganzen Wesen nach gar nichts anderes sein, als die Teilungsprodukte des Makromers ma der Fig. 26. Diese Furchungskugel hat sich demnach unterdessen in zwei gleiche Teile geteilt und zwar durch eine Teilungsebene, die zu allen vorhergehenden senkrecht steht. Jede der grob- kérnigen Teilzellen wélbt sich unmittelbar nachher gegen den Hohlraum der Blase vor und schniirt eine rundliche Zelle gegen diese Seite ab. Waihrend aber die Teilung der einen Zelle schon vollstandig beendigt ist, steht die andere erst im Begriffe, dies zu thun, doch folgt sie unmittelbar nach. Nachdem die Zelle ma, ihren Sprofling gebildet haben wird, treffen wir in der Furchungshéhle symmetrisch zu beiden Seiten der Medianebene zwei ziemlich grofe, rundliche Zellen; es sind die Urzellen des Mesoderms. Auch in der Wand der Blase finden sich nunmehr zwei gro8e, mit grobkérnigem Inhalt ver- sehene Zellen in einer zur Medianebene symmetrischen Anordnung. Wir bezeichnen sie als die Urzellen des Entoderms. Es sind aber noch weitere Betrachtungen an die vorliegenden Praparate zu kniipfen: 1) Trotz der absoluten Klarheit, in der die zu zeichnenden Objekte vorlagen, war es mir geradezu unméglich, hier das letzte der abgeschniirten Mikromeren (Fig. 26 /f) noch aufzufinden. In einem der fiinf Serienschnitte miiSte es entschieden zu sehen sein, da es doch an eine der beiden grofen Wandzellen ma, oder ma, ansté8t. Diese tauchen aber auf und verschwinden wieder inner- halb der gezeichneten Bilder. Die Abwesenheit einer Furchungs- kugel, die Jf entsprechen wiirde, lift nur eine Erklarung zu: Die Zelle if hat sich bereits geteilt und dadurch den tibrigen ektoder- malen Zellen gleichgestellt. 2) Bei der Bildung der Mesodermzellen entsteht kein heller Raum zwischen den Teilprodukten, sonst miifte er unbedingt in um, zu sehen sein. 3) Die Zellen des Ektoderms sind schon stark differenziert: Neben grofen, oft merkwiirdig gestalteten Kernen enthalten sie nicht selten stark lichtbrechende Kiigelchen, wie dies ZrecLxr fiir die ,,Kopfblase“’ der Gastrula konstatierte. Das kérperliche Bild des oben besprochenen Stadiums ist halb- Bd, XXVIII, N, Fe XXI. 16 232 Heinrich Stauffacher, schematisch in Fig. 28 dargestellt. Die vordere Halfte der Blase ist weggeschnitten gedacht und die Schnittrichtung ist senkrecht zu derjenigen in Fig. 27 gelegt '). Unmittelbar neben der Serie, die in Fig. 27 zur Darstellung kam, fand sich eine zweite, durch ein etwas vorgeriickteres Stadium der Mesodermbildung vor, der ein einzelner Schnitt Fig. 29 ent- nommen ist. Die Schnittrichtung entspricht derjenigen von Fig. 28 und bereits ist auch die zweite der Urmesodermzelle wm, zur Ab- schniirung gelangt. Vergleichen wir die angedeuteten Befunde mit denen ZizGLER’s, so ergiebt sich folgendes: ZIEGLER’S Angabe, da8 sich die grofe Furchungskugel durch eine zur friheren Richtung senkrecht stehende Furche in zwei gleiche Teile teile, erweist sich als vollkommen richtig, aber diese Teilung findet, wie wir gesehen, vor der Mesoderm- bildung statt, nicht nachher, wie ZieGLEer behauptet. Ferner verdankt die Anlage des mittleren Keimblattes ihre Entstehung nicht dem zuletzt abgeschniirten Mikromer, sondern entstammt jenen beiden Teilprodukten des Makromers und ist, wie dies ZIEGLER wohl auch annimmt, von vornherein paarig. Er bemerkt zwar nicht ausdriicklich, da8 sich die zuletzt ent- standene Furchungskugel (/f) vor der Bildung der Zellen m, und M, in zwei gleiche Teile teile. Sollte ZisatEeR dies wirklich nicht voraussetzen, so mifte er eine einzige, durch Teilung aus Jf entstandene Urmesodermzelle annehmen, aus der erst spater die paarige Anlage des mittleren Keimblattes, die Zellen m, und m,, hervorgehen wiirde. Ich bin aber mit Rasr (I. c. p. 352) der Ansicht, da die seitlich symmetrische Lagerung der ersten Mesodermzellen fiir alle Bilaterien (mit Aus- nahme der Polycladen) ty pisch ist. — Gleichviel nun, ob man eine paare oder unpaare Anlage des Mesoderms annehmen wollte, so kann weder im ‘einen noch im anderen Falle das Urmesoderm aus dem letzten Mikromer hervorgehen und zwar, abgesehen von unserer gewif unzweideutigen Beweisfiihrung, aus dem ganz ein- fachen Grunde, weil die genannte Zelle zu klein ist, um die zwei grofen Teilprodukte m, und m, aus sich hervorgehen zu lassen. Auch der Inhalt der Mesodermzellen stimmt nicht fiir eine Ab- stammung aus ektodermalen Elementen. 1) Die Kernspindel steht, nachdem sie sich um einen Winkel von 180° gedreht, wieder senkrecht, wie im zweizelligen Stadium, von dem wir ausgingen. Kibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 235 Genau denselben Schnitt, den Zrecuer in Fig. 4B darstellt, habe ich auch in meinen Praparaten einigemal beobachtet. Die Zelle, die er mit m bezeichnet, ist aber sicher weder Mesoderm noch das zuletzt abgeschniirte Mikromer, sondern die eine Halfte der grofen Furchungskugel, wahrend gf die andere Halfte darstelit. Die Zelle m erscheint nur deshalb kleiner als die Nachbarzelle gf, weil sie blof angeschnitten wurde, was durch die Abwesenheit eines Kernes wohl geniigend bewiesen ist. Der etwas schiefe Schnitt wiirde also die unmittelbar auf meine Fig. 26 folgende Stufe vor- stellen. Einen ahnlichen Verlauf der Mesodermbildung, wie wir ihn bei Cyclas angetroffen, beschreibt auch Rast fiir Unio): ,,Die groke, am vegetativen Pol gelegene Zelle teilt sich in zwei nahezu gleich grofe Teile.... Bald darauf zerfallt die Zelle I in zwei nie ganz gleich grof’e Teile, kurze Zeit nachher geschieht dies auch mit der Zelle II.“ Auffallend ist dabei zunéchst die That- sache, da8 auch bei Unio die zwei grofen Zellen ihre Teilprodukte nicht gleichzeitig, sondern nacheinander bilden. Rast belegt zwar seine Angaben nicht mit den notwendigen Beweisen und bemerkt eingangs blo8, da karyolytische Figuren an den in Chromsaure geharteten Priparaten zwar vorhanden, aber nicht mit der nétigen Genauigkeit zu verfolgen gewesen seien. Trotzdem zweifle ich an der Richtigkeit der Behauptung Rasr’s nicht und fir Cyclas wenigstens trifft sie sehr genau zu. Rasw fihrt dann fort: ,Auf diese Weise sind aus der grofen vegetativen Zelle vier Zellen entstanden. Nun teilen sich die zwei sréferen derselben abermals, so daf nunmehr am vegetativen Keim- pol sechs Zellen zu liegen kommen..... Diese sechs Zellen, die sich von allen tibrigen Zellen des Keims durch ihre viel bedeu- tendere GréSe und Undurchsichtigkeit auszeichnen, teilen sich im weiteren Verlaufe der Entwickelung abermals, so daf dann unge- fihr 10 bis 15 nahezu gleich grofe Zellen am vegetativen Pol zu sehen sind. Diese Teilung schreitet jedoch nicht immer gleich- mafig weiter, sondern es macht sich vielmehr bald ein sehr auf- fallender und fiir die ganze weitere Entwickelung héchst wichtiger Unterschied in den Teilungsprodukten bemerkbar. Wahrend nam- lich die Mehrzahl der aus der grofen vegetativen Zelle hervor- gegangenen Zellen sich noch einige Zeit gleichmaSig der Linge nach weiter teilt, bleiben zwei symmetrisch rechts und links von 1) l. c& p. 323 und 324. 16* 234 Heinrich Stauffacher, der Medianlinie gelegene Zellen zuriick, welche einen von den iibrigen, bereits gebildeten Embryonalzellen verschiedenen Ent- wickelungsgang einschlagen und fiir die Bildung der Keimblatter von der allergréfSten Bedeutung werden.‘ Aus diesen beiden Zellen geht namlich nachher das Mesoderm des Embryos hervor. Ks fallt auf, daf Rast das Schicksal der kleinen Teilprodukte der Zellen I und II nicht ganz speziell verfolgt; es ist namlich nicht unwahrscheinlich, daS sie zu den beiden symmetrisch ge- legenen Zellen, aus denen das mittlere Keimblatt hervorgeht, in naherer Beziehung stehen, ja daf es geradezu diese Zellen selbst sind. Wenn wir die Entwickelung von Cyclas vergleichsweise bei- ziehen, so erkennen wir in dem Unio-Stadium, auf dem sich die Zellen I und II teilen, unschwer unsere Stufen Fig. 27 und 28. Die Zellen I und II (1. c. Taf. X, Fig. 18) wiirden in dem Falle den Zellen ma, und ma, der Fig. 29 von Cyclas entsprechen, wihrend die aus jenen abgeschniirten Tochterindividuen Ib und ILb, den Zellen wm, und wm, analog, das Urmesoderm reprasentierten. Diese Vermutung wird noch bestiirkt durch die weitere Analogie, daf} auch bei Cyclas, wie wir sehen werden, die zwei grofSen Zellen ma, und ma, sich weiter teilen, ahnlich den dunkeln Zellen von Unio. Dasjenige Stadium der Malermuschel, auf dem sich von den Zellen I und II erst die eine geteilt hat (Fig. 19, Taf. X), setzt nun Ras in eine Reihe mit seiner Fig. 58 (Taf. XII), oder, was dasselbe ist, mit Fig. 26 unserer Cyclasentwickelung. Faktisch - aber entspricht, wie wir gesehen, seine Fig. 19 (Taf. X) meiner Fig. 28. Ks handelt sich nun, indem wir zu der Entwickelung von Cyclas speziell zuriickkehren, noch um das Schicksal der zwei grofen, ebenfalls symmetrisch zur Medianlinie gelegenen Furchungs- kugeln, welche die Mesodermanlage tragen und ihre Beziehung zum dritten der Keimblatter. ZIEGLER (1. c. p. 530) berichtet iiber die Entstehung des Ento- derms folgendes: ,.I[ch fand das Blastulastadium als eine ein- schichtige Blase, in deren Wand man viele kleine Zellen, mehrere gréfere und nahe bei diesen die Zellen m, und m, erkannte. Die wenigen gréferen Zellen sind ohne Zweifel durch wiederholte Teilung aus jener einen grofen Zelle entstanden, die waihrend der ganzen Furchungs- periode in die Augen fiel. — Eine andere Schnittserie.... zeigt an der Blastula eine kleine Einsenkung; unter dieser befinden Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 935 sich grofe, durch gegenseitigen Druck verlangerte Zellen, héchst wahrscheinlich die Teilprodukte der gro8en Zelle; es ist deutlich, da diese Stelle im Begriffe ist, zur Bildung der Gastrulahéhle sich einzusenken.“ Diese Vermutung ZIEGLER’S, es méchte das Entoderm durch wiederholte Teilung aus der grofen, dunkeln Furchungskugel her- vorgehen, erweist sich nach den von mir gefundenen Resultaten als vollstandig zutreffend. In Fig. 30a, b, c, d sind vier Schnitte aus einer Serie dar- gestellt, welche unsere Betrachtungen unmittelbar an Fig. 29 anzuschliefen erlauben. An Stelle der zwei grofen, dunkeln Zellen sind nun deren vier zu sehen, gleichfalls grobkérnig wie jene: Es sind die Teilprodukte der zwei genannten. Von diesen vier Zellen befinden sich drei schon wieder in Teilung, und zwar geht diese auch hier nicht in allen Zellen gleichzeitig vor sich, eine Erscheinung, die uns bereits bei der Bildung des Mesoderms interessierte. Im vorgeschrittensten Zustande befindet sich Zelle en,, ihr unmittelbar folgt en,. Wir dirfen vermuten, daf die Zelle en,, obschon dies weiter keine Konsequenzen zulaBt, der Zelle ma, (Fig. 28 u. 29) entstammt. — Wahrend sich ferner die Zelle en, erst zu dem nun stattfindenden Teilungsproze8 vor- bereitet und ihre Chromatinsubstanz zum Knauel sammelt, verharrt der Kern der letzten Kugel en, noch in tiefer Ruhe, was man aus der Anwesenheit der zwei Kernk6érperchen ersehen kann. Das kérperliche Bild dieser Stufe versuchte ich in Fig. 31 darzustellen. Ein Stiick der vorderen Wandung ist herausge- schnitten gedacht, um ins Innere der Blase hineinsehen zu kénnen. Am Grunde treffen wir, kurzweg mit en bezeichnet, die oben er- wahnten vier Zellen, auf denen die runden Zellen wm, und wm, des Mesoderms ruhen. Da von den vier Zellen sich schon drei in Teilung befinden und die letzte jedenfalls bald folgen wird, so diirfen wir annehmen, daf in kurzer Zeit acht dunkle Zellen entstanden sein werden, die, ein scheibenférmiges Feld darstellend, die Blase von einer Seite her begrenzen und in Zukunft noch weiteren Teilungen unter- liegen. Dieses Stadium wollen wir, wie dies Rasu bei Unio vorschlagt, als Blastosphaera bezeichnen, weil es der Einstiilpung unmittel- bar vorangeht. Die Blastosphaera von Cyclas ist somit eine mehr oder weniger kugelige Blase, die von einer einschichtigen Wand yon Zellen 236 Heinrich Stauffacher, begrenzt wird. Diese Wand setzt sich aus dreierlei Elementen zusammen : 1) Aus den schon oben beschriebenen hellen, kleinen Zellen, welche das Ektoderm bilden. 2) Aus zwei runden, ziemlich grofSen, symmetrisch rechts und links der Medianebene gelegenen Zellen, deren Inhalt in der Far- bung etwa die Mitte halten mag zwischen demjenigen der Elemente des Ektoderms und dem der dunkeln, grofen Zellen. Diese zwei Zellen bilden die Mesodermanlage, 3) Aus einem scheibenférmigen Feld dunkler, durch gegen- seitigen Druck allmahlich sich abflachender Zellen, aus denen das Entoderm entsteht. Da sich dieses letzte der Keimblaitter, wie wir unten sehen werden, zum Gastrulamund einsenkt, so bildet Cyclas in Bezug auf die Anlage des Mesoderms einen weiteren Beleg fiir die Be- hauptung Rasi’s (1. c. p. 347): ,Das mittlere Keimblatt entsteht aus zwei am Mundrande der Gastrula ge- legenen Zellen, deren Verwandtschaft zu den Zellen des inneren Blattes eine viel innigere ist, als au jenen des auferen. Die Lage dieser Zellen ist in Bezug auf die Kérperachsen des Embryos eine seit- lich symmetrische.“ Die soeben angedeutete Einsenkung des scheibenférmigen Feldes findet in Fig. 32 statt. Es entsteht dadurch eine typische Invaginationsgastrula, wie sie schon ZreGLER bekannt war, mit dessen Abbildung!) ich mich ganz einverstanden er- klire. Die sich einstiilpende Partie enthalt nur noch eine einzige Zelle, die in Form und GréSe den Urentodermzellen der Fig. 30 entspricht, waihrend sich die anderen bereits in eine ganze Anzahl hohe cylindrische Zellen aufgelést haben. Wie man aber aus der Fig. 32 ersieht, zeigt auch diese Zelle das Bestreben, sich weiter zu teilen und es ist nicht schwer einzusehen, dafi die zwei Tochter- zellen den tibrigen Elementen der Entodermschicht genau ent- sprechen werden. Die Seite, auf der die Bildung des Gastrulamundes vor sich geht, entspricht der ventralen Seite des Embryos. Das Mesoderm hat sich unterdessen aus dem Verband mit den Entodermzellen gelést; die Wandung, an die es durch die ein- 1) Le Taf. XXVII, Fig. 6. a eee Kibildung und Furchung bei Cyelas cornea L. 237 gesenkte Partie gedraingt wird, reprasentiert die hintere Seite und zwar deshalb, weil aus den Zellen s (Fig, 32) die Schalen- driise hervorgeht. — Ob die das Urmesoderm umgebenden Zellen aus diesem selbst abstammen, kann ich jetzt nicht entscheiden, ebensowenig vermag ich Sicheres tiber die Zelle ms (Fig. 32) an- zugeben. Das merkwiirdige Vordrangen der Zelle z aus dem Ektoderm endlich ist eine zu vereinzelte Erscheinung, als daf ich ihr bereits Wert beilegen kénnte. Vielleicht gelingt es mir spéter, iiber alle diese von ZreGLER als Mesenchymzellen bezeichneten Elemente Aufschluf zu erlangen. Nach oben und vorn bemerken wir eine Kuppe relativ groBer Zellen. Sie sind nach dem Vorschlag Zima@Ler’s, mit Kb bezeichnet und liefern das Material zur Bildung der ,,Kopfblase‘‘. Der Schnitt, den wir hier (Fig. 32) vor uns haben, ist somit ein Medianschnitt, auf den ich, vorgreifend, schon friiher aufmerksam machte, und zeigt deshalb auch nur die eine der Ur- mesodermzellen. Fig. 33 enthalt einen Schnitt, der, senkrecht zum vorigen, etwa in der Richtung a—b (Fig. 32) durch ein etwas Alteres Stadium der Gastrula gelegt wurde. Die Rander des Blastoporus zeigen bereits die Tendenz, sich in der Medianlinie aneinander zu legen. ZrEGLER hat dieses Stadium nicht gesehen und deshalb konnte er nicht entscheiden, ,,ob sich der Blastoporus von vorn oder von hinten schlieft“ (1. c. p. 532). Da ich diese Frage in einer anderen Arbeit iiber Cyclas genauer erértern mochte, lasse ich sie hier einstweilen ebenfalls unentschieden. Zum Schlu& méchte ich noch auf eine Bemerkung ZIEGLeEr’s, die mir etwas zu weit gefaSt erscheint, zu sprechen kommen. Er sagt. (l.c. p. 528): »ochon oben habe ich darauf hingewiesen, daf die Furchung von Cyclas, soweit sie beobachtet ist, mit derjenigen von Unio (nach Rasi) und der von Teredo (nach Hatrscuexk) tibereinstimmt. Ebenso furcht sich Anodonta (nach FLemmina), ferner Cardium (nach Loven) und die europaéische Auster (nach Horsr).“ In der That erinnert Cyclas in verschiedenen Beziehungen an die hier citierten Falle von Furchungserscheinungen. Diese Ahn- lichkeit in der Entwickelung erstreckt sich aber jeweilen nur auf einen kleineren oder gré8eren Abschnitt derselben. Es ist richtig, daf die Furchung von Cyclas analog verlauft wie die- jenige von Teredo, insofern wir dabei nur die Bildung 238 Heinrich Stauffacher, des ersten Keimblattes ins Auge fassen. In beiden Fallen wird vom Makromer eine kleine Tochterzelle abgeschniirt, die sich sofort aqual teilt, wihrend die grofe Zelle fortfahrt, neue unpaare Teilungsprodukte zu liefern. Indes zeigen sich auch wichtige Unterschiede: Auf das Fehlen eines hellen Raumes bei Teredo haben wir schon oben aufmerksam gemacht; es kommt aber hier auch nicht zur Bildung einer Furchungshéhle und das Ektoderm endlich setzt sich aus einer sehr geringen Zahl von Furchungskugeln zusammen. HatscHEeK glaubt die letztere Er- scheinung aus der geringen Groéfe des Eies erklaéren zu miissen, welche Anschauung ich aber nach den bei Cyclas gesammelten Er- fahrungen nicht teilen kann. STEPANOFF giebt den Durchmesser eines Cyclas-EHies zu 0,052 mm, denjenigen eines reifen zu 0,0608 mm an, was mit meinen Messungen ziemlich genau stimmt!). Das Ei von Teredo nun mag nach den Abbildungen HatscHEx’s im befruchtungsfahigen Zustand einen Durchmesser besitzen, der demjenigen des jiingeren Cyclas-Eies entspricht. Diese Differenz kann kaum einen so ge- waltigen Unterschied in der Zahl der Furchungskugeln hervor- rufen. Dagegen scheint mir auch, wie HarscHeK annimmt, das Fehlen der Furchungshéhle auf der geringen Zahl der Zellen zu beruhen und in der That beginnt sich die Furchungshohle von Cyclas ziemlich genau auf derjenigen Stufe erst anzulegen, wo die Anlage des ersten Keimblattes bei Teredo bereits abge- schlossen ist. In der Bildung des Mesoderms und Entoderms aber zeigt Cyclas entschieden viel mehr Ahnlichkeit mit Unio. Ein Unter- schied besteht allerdings auch hier darin, daf die Mesodermzellen von Unio zuerst in der Wand der Blase liegen, um allmahlich vom Ektoderm iiberwuchert zu werden, wahrend diejenigen von Cyclas zum vornherein in die Furchungshohle hinein abgeschniirt werden. Angesichts dieser Thatsachen steht die Keimblaitterbildung von Cyclas vermittelnd zwischen Teredo und Unio: Mit Teredo stimmt sie in der Anlage des Ektoderms, mit Unio in derjenigen der anderen Keimblatter im allgemeinen tiberein. Was die Furchung des mit Cyclas sehr nahe verwandten und yon LANKESTER (38) untersuchten Pisidiums anbetrifft, stimmt sie so wenig mit den von ZIEGLER und mir an Cyclas geschilderten 1) Die Zahl 0,06068 mm ist eher etwas zu hoch gegriffen. Eibildung und Furchung bei Cyclas cornea L, 239 Vorgiingen tiberein, daf ich einstweilen auf ein Urteil dariiber verzichte. Es wird aber notwendig sein, Pisidium noch einmal einer genauen Untersuchung zu unterziehen, um an der Hand der- selben die beiderseitigen Resultate méglichst objektiv miteinander vergleichen zu kénnen. Den Vorschlag, die Entwickelung eines Lamellibranchiaten zum Gegenstand meiner Untersuchung zu machen, verdanke ich der auferordentlichen Giite des Herrn Professor Dr. ARNOLD LANG. Meinem hochverehrten Lehrer spreche ich hierfiir, sowie fiir die zahlreichen Ratschlage, die er mir im Verlauf meiner Studie erteilte, meinen tiefgefiihlten Dank aus. Auch Herrn Privatdozent Dr. Kart FIepier bin ich fiir das rege Interesse, das er der vorliegenden Arbeit stets entgegen- brachte, sehr zu Dank verpflichtet. 240 Heinrich Stauffacher, Litteraturverzeichnis. 1) F. Brocumann, Ueber die Entwicklung der Neritina fluviatilis 2) 3) 4) 5) 6) 1) 8) Zeitschr. f. wiss. Zoolog., Bd. 36, 1882. Derselbe, Beitriige zur Kenntnis der Entwicklung der Gastro- poden. Zeitschr. f. wiss. Zoolog., Bd. 38, 1883. N. Bosretzxy, Studien iiber die embryonale Entwicklung. der Gastropoden. Arch. f. mikroskop. Anat., Bd. 13, 1877. Boveri, Ueber die Entstehung des Gegensatzes zwischen den Ge- schlechtszellen und den somatischen Zellen bei Ascaris megalo- cephala. Sitzgsber. d. Ges. f. Morph. u. Phys. in Miinchen, Bd. 8, 1892. J. Brocx, Die Entwicklung des Geschlechtsapparates der stylom- matophoren Pulmonaten nebst Bemerkungen iiber die Anatomie und Entwicklung einiger andern Organsysteme. Zeitschr. f. wiss. Zoolog., Bd. 44, 1886. E. 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Durchgehende Bezeichnungen. b == Blastoporus. mc == Mikropyle. c == Centrosomen. me == Eimembran. ec = Kctoderm. mt = Mikromer. en = Entoderm. ms == Mesenchym. ep = Epithelzellen. nm == Nucleus (Keimblischen). hk = Furchungshohle. mn = Nucleolus (Keimfleck). h = hornchenlose, helle Partie. | r == Richtungskérperchen. lf = letzte Furchungskugel. t == Wandung des Eifollikels, m == Mesoderm. ue = Ure. ma== Makromer., I. Abschnitt: Eibildung. Fig. 1. Stiick der Follikelwand im Lingsschnitt. °%°°/,. Fig. 2. Derselbe Schnitt durch ein etwas vorgeschritteneres Sta- dium des Ureies, 6°9/,. Fig. 8. Liingsschnitt durch eine Falte der Ovarialéffnung. °°°/;. Fig. 4, Liangsschnitt durch eine Eizelle, in die sich der Nah- rungsdotter der Epithelzellen ergicht. 9°°/,. Fig. 5. Derselbe Schnitt mit stark verlingerten Kernen von Epithelzellen. 6°°/,. Fig. 6a und 6b. Zwei aufeinanderfolgende Liangsschnitte durch eine Eizelle. Fig. 6a ist der der Follikelwand, Fig. 6b der der Follikelh6 hle niher stehende Schnitt. °%°°/,. Fig. 7. Schiefer Lingsschnitt durch eine Eizelle und ihr Keim- lager. In dem letzteren finden sich zwei Ureier. %°°/,. Fig. 8 und 9, Langsschnitte durch vorgeschrittenere Stadien der Eizelle. In Fig. 9 sind zwei der Follikelwand ansitzende Ureier zu feuen,, 29°)... 244 Heinrich Stauffacher, Fig. 10a—c. Drei aufeinanderfolgende Liangsschnitte einer Serie durch fiinf Eizellen, von denen zwei (e, und e,) eine Doppel- zelle bilden. °°/,. Fig. 11. Lingsschnitt durch eine Kizelle, welche die zwei Centro- somen enthilt. %°9°/,. Fig. 12. Schnitt durch ein yon der Wandung losgetrenntes Ei mit Mikropyle (mc). 9°9/,. Il, Abschnitt: Furchung. Fig. 18. Aus 6 Serienschnitten rekonstruiertes kérperliches Bild des zweizelligen Stadiums. 9°9/,. Fig. 13a, Serien-(Liings-)Schnitt durch das zweizellige Stadium. 900/ ae Fig. 14a—g. Serie durch eine Zwischenstufe zwischen dem zweizelligen und dreizelligen Stadium. Die Serie besteht aus 7 Lings- schnitten. %°9°/,. Fig. 15. Aus 7 Serienschnitten konstruiertes kérperliches Bild des fertigen Dreizellenstadiums. 9°°/,. Fig. 15a. Parallel der Tafelebene liegender Lingsschnitt durch Biel oe 120 ol. Fig. 15b. In der Richtung a—b senkrecht zur Tafelebene ge- legener Schnitt durch Fig. 15. 9°9/,. Fig. 16. Aus 9 Serienschnitten konstruiertes dreizelliges Stadium, von der Seite eines Mikromers aus gesehen. Das Ma- kromer findet sich in Teilung begriffen. 2%99,. Fig. 16a und 16b. Zwei aufeinanderfolgende Schnitte durch Fig. 16. Fig. 16a entspricht dem senkrecht zur Tafelebene liegenden Schnitt @,—b,, Fig. 16b dem unmittelbar darauf folgenden a—b der Hig. wkb: 200 /s: Fig. 17. Aus 9 Serienschnitten konstruiertes kérperliches Bild des fertigen Vierzellenstadiums. mi, ist die zuletzt vom Makromer abgeschniirte Furchungszelle. °%°°/,. Fig. 17a. Horizontalschnitt durch die drei Mikromeren der BUR IL Peau pa Fig. 17b. Parallel zur Tafelebene gelegener Lingsschnitt durch LOS SBE Fig. 18. Aus 8 Serienschnitten konstruiertes fiinfzelliges Ntadium. 920/.. Fig. 18a. Schiefer Lingsdurchschnitt durch Fig. 18. 9%°°/,. Fig. 18b. In der Richtung a—b senkrecht zur Tafelebene ge- fiihrter Schnitt durch Fig. 18. 999/,. Fig. 19. Aus 8 Serienschnitten konstruiertes sechszelliges Stadium. 9°9/,, Fig. 19a. Parallel zur Tafelebene gelegter Lingsschnitt durch Fig. 19. 909/,, Kibildung und Furchung bei Cyclas cornea L. 245 Fig. 20. Aus 8 Serienschnitten konstruiertes sie benzelliges Siaaduam. 900; Fig. 20a. Etwas schief zur Tafelebene gelegter Langsschnitt durch Hig. 20... 909/.. Fig. 21. Aus 9 Serienschnitten konstruiertes achtzelliges Stadium, %°°/.. Fig. 22. Aus 9 Serienschnitten konstruiertes neunzelliges Stadium. Das Makromer findet sich in Teilung begriffen. 9%°°/,. Fig. 22a und 22b. Zwei aufeinanderfolgende Serien -(Lings-) Schnitte durch Fig. 22. Die Kernplatte ist noch nicht geteilt. 9 °°/,. Fig. 22c. In der Richtung @—b senkrecht zur Tafelebene ge- legter Schnitt durch Fig. 22, 999/,, Fig. 23. Aus 11 Serienschnitten konstruiertes zwélfzelliges Stadium. Die ersten beiden Makromerenpaare haben sich geteilt. Aus dem Mikromer mi, (Fig. 21) sind entstanden die Zellen 1b und 1b’ (letztere nicht zu sehen), aus mi, (Fig. 21) die Zellen 1a und la’. Aus mi, haben sich gebildet 2b und 2b’ und aus mi, die Zellen 2a und 2a’. Cee Fig. 23a, Schief zur Tafelebene gelegter Liingsschnitt durch 1s Psa MAU Fig. 23b. Schnitt aus derselben Serie, der das Makromer, das Mikromer 3a (oder 3b) und die letzte Furchungskugel trifft. °°°/,. Fig. 24. Aus 10 Serienschnitten konstruiertes dreizehnzel- liges Stadium. 6°9/,, Fig. 24a. Lingsschnitt durch das 13-zellige Stadium. Das Ma- kromer zeigt sich in Teilung begriffen. Es ist eine Furchungs- hohle fh entstanden. %°°/,. Fig. 25. Aus 10 Serienschnitten konstruiertes sechzehn- zelliges Stadium. oe Fig. 25a, b, c. Drei aufeinanderfolgende Serien-(Liings-)Schnitte durch Fig. 25. Schnittrichtung schief zur Tafelebene. °°°/,. Fig. 26. Halbschematische Darstellung desjenigen Entwicklungs- stadiums, wo das Makromer zum letztenmal ein Mikromer gebildet hat. Der Schnitt ist nach Priparaten gezeichnet, die hintere Wand der Furchungshéhle rekonstruiert. 6°°/,. Fig. 27a—e. Fiinf aufeinanderfolgende Schnitte einer Serie durch die Stufe der Mesodermbildung. Die Schnittrichtung hegt parallel zur Medianlinie. Fig. 27a ist der dritte Schnitt der Serie. wm, ist eine Urmesodermzelle. 9°°/,. Fig. 28. Lingsschnitt durch die Blase, welche die Stufe der Mesodermbildung zeigt. Es ist die halbschematische kérperliche Dar- stellung der Serienschnitte Fig. 27a—e. Die Schnittrichtung steht senkrecht zur Medianlinie. oc 6°°/,. Fig. 29. Senkrecht zur Medianlinie in der Richtung a—b (Fig. 27b) gelegter Schnitt durch ein etwas vorgeschritteneres Stadium. Beide 246 H. Stauffacher, Eibildung u. Furchung bei Cyclas cornea L. Mesodermzellen sind gebildet (wm, und wm,). ma, und ma, sind die beiden Urentodermzellen. %°9/,. Fig. 30a—d. Vier aufeinanderfolgende Schnitte durch das Sta- dium der Entodermbildung. Die Schnittrichtung liegt parallel der Medianlinie. %°9/,. Fig. 31. Dieselbe Stufe in kérperlichem Bild, schematisch. ¢. °°°/,. Fig, 82. Medianschnitt durch eine Gastrula. Rb — ,,Kopf- blase“. gs == Zellen, die nachtraglich zur Bildung der Schalendriise einsinken. g == Zelle, die sich aus dem Verband mit den iibrigen Ektodermzellen zu lésen scheint, um in die Hoéhlung hinein zu ge- langen. 999/,. Fig. 33. In der Richtung a—b (Fig, 32) senkrecht zur Median- linie gelegener Schnitt durch ein etwas vorgeriickteres Stadium der Gastrula. Der Blastoporus beginnt sich lings der Medianlinie zu schlieBen. %9°/,. Frommannsche Buchdruckerei (Hermaun Pohle) in Jena, — 1181 Water Das Chloragogen von Ophelia radiata. Kine morphologisch-physiologische Studie. Von Dr. phil. Th. Sehaeppi. Aus dem zoologischen Institut in Jena. Mit Tafel XVI—XIX. Einleitung. Anlaflich einer Untersuchung an Ophelia radiata stief ich auf eigentiimliche in der Leibesfliissigkeit schwimmende Stabchen, welche in ihrer Farbe an das Chloragogen der iibrigen Anneliden mich erinnerten und deren Genese mir in der That zeigte, daf sie aus Chloragogenkérnern gebildet werden. Da nun Ophelia auch in andern Organen Chloragogen aufwies, so entschlof ich mich, einmal das morphologische Verhalten der verschiedenen Chlora- gogenkérner und Konkretionen in ihren Beziehungen zu einander zu ermitteln, sodann aber auch den Versuch zu machen, die physiologische Bedeutung des Chloragogens zu erschliefen. Das vortrefflich konservierte Material, welches ich bei meinen Untersuchungen benutzen konnte, wurde wir in liebenswiirdiger Weise von Herrn Prof. Kixkenruat iiberlassen und ich ergreife gerne die Gelegenheit, auch an dieser Stelle Herrn Prof. Kixen- THAL sowohl hierfiir, als auch fiir die mannigfache Unterstiitzung und die zahlreichen Ratschlage, die er mir wahrend meipver Unter- suchungen stets zu teil werden lie’, meinen wairmsten und auf- richtigsten Dank auszusprechen. Auch Herrn Prof. Dr. Nerv- MEISTER sage ich hiermit fiir die Benutzung seines Laboratoriums sowohl als auch fiir die freundliche Anleitung, die er mir bei einem Teile meiner chemischen Untersuchungen in zuvorkommender Weise gegeben hat, meinen herzlichsten Dank. Bd. XXVIII. N. F, XXI. 17/ 248 Th. Schaeppi, A. Morphologischer Teil. I. Lymphzellen. Untersucht man die Leibesfliissigkeit von Ophelia radiata unter dem Mikroskop, so kann man auf den ersten Blick zwei Zellarten unterscheiden, teils einfache kleinere, teils aber auch gréfere, mit eigentiimlich stibchenférmigen Konkretionen erfiillte Zellen. Die erste und eingehendere Beschreibung dieser Lymphzellen stammt von CLAPAREDE (Annélides Chétopodes du Golfe de Naples, pag. 287) her. Wir citieren hier seine diesbeziiglichen Angaben: ,,Le liquide de la cavité périviscérale offre des caractéres fort remarquables. Il tient en suspension des corpuscules de deux espéces. Les uns sont des disques circulaires mesurant en diamétre 11—28 micr. dont tout le pourtour donne naissance a des prolongements fili- formes, quelquefois bifurqués ou trifurqués. Soit le disque soit les prolongements sont trés-granuleuses. Au premier abord on croit avoir sous les yeux des milliers d’ Actinophrys, mais c’ est en vain qu’ on croirait surprendre le moindre mouvement dans les prolongements pseudopodiques. D ailleurs la constance de ces éléments exclut lidée d’un parasitisme. Beaucoup de disques renferment une on deux vésicules claires, peu distinctes, mais d’ autres ne présentent rien de semblable et aucun réactif n’a pu me révéler l’existance d’un nucleus dans ces singuliers organites. (Tel est du moins le résultat de mes observations sur I’ individu frais. Sur d’autres conservés dans l’alcool je crois distinguer trés-clairement un nucleus circulaire.) Les corpuscules de la seconde espéce ont une certaine ressemblance avec ceux de la premiére, mais ils sont incomparablement plus gros, leur processus plus larges, leur contenu est souvent rendu comme aréolaire par la présence d'un grand nombre de vésicules, mais ce, qui les caractérise avant tout, c’est la présence d’un corps dans leur intérieur. Ce corps, dont la couleur varie dun brun clair & un noire intense, représente une sorte de baguette cylindrique rectaligne ou arquée, quelquefois sinueuse, dont les deux extrémités se renflent en massue comprimée ou en palette. On en trouve de toutes les longueurs, depuis 0,25 mm jusqu’a 0,03 mm. Les plus grandes font toujours saillie par les deux extrémités hors du corpus- cule de protoplasma, dans lequel ils se sont formés. Cependent ces extrémités ne sont jamais a nu, une mince couche de proto- Das Chloragogen von Ophelia radiata. 249 plasma les revét toujours. I] est évident que ces corps accroissent par apposition a leurs extrémités. Les parties nouvellements formées sont toujours plus claires que les parties médianes de la baguette plus anciennes. La valeur physiologique de ces singuliers corps est trés-problematique. Peut-étre doit on y voir des substances excrétionelles.. Leur apparence est celle de la chitine, mais leur insolubilité dans |’ acide acétique et l’acide azotique étendus ou concentrés est compléte.“‘ So weit CLAPAREDE. Eine eingehendere Untersuchung dieser Verhaltnisse ergiebt nun folgende Resultate. Was zunachst die GréSenverhiltnisse der stabchenfreien Lymph- zellen anbetrifft, so miissen wir die von CLAPAREDE angegebene untere Grenze bedeutend tiefer legen. Es giebt namlich aufSer diesen gréferen von CLAPAREDE beschriebenen Zellen noch klei- nere, oft kaum die Gréfe von 2 « erreichende Zellen. Auf den ersten Blick glaubt man es auf Grund dieses GréSenunterschiedes mit zweierlei Zellarten zu thun zu haben, ein Gedanke, der um so naber liegt, als diese kleinsten Zellen einen viel leb- hafter sich farbenden Kern haben und eine homogenere Struktur zeigen. Bei genauerer Beobachtung sieht man indessen, daf die Zellen deutlich flach linsenformige Gestalt besitzen, da an ihrer ganzen Peripherie feine pseudopodienartige Fortsatze entspringen und daf auch in ihrem Innern ein kérniges Plasma enthalten ist, genau so wie bei der gréferen Art, wenn auch diese Kérnerstruktur noch nicht so ausgesprochen erscheint wie in den gréferen Lymph- zellen. Es ist nun auch leicht eine ununterbrochene Reihe von Ubergangsformen von diesen kleinsten Lymphzellen zu den griferen zu finden, wodurch die Identitat aller dieser morphologischen Elemente unwiderlegbar bewiesen wird. Je groéfer die Zellen sind, um so zahlreicher und linger werden ihre Pseudopodien, die sich, wie CLAPAREDE ganz richtig bemerkt, oft zwei- oder dreifach spalten, und um so grobkérniger erscheint ihre Struktur. Unterwirft man nun aber diese letztere einer stirkeren Vergréferung, so zeigt sich, daf dieselbe dadurch zustande kommt, daf das Plasma von einer Unzahl kleinster Vakuolen erfiillt ist, zwischen denen Plasmakérnchen angehiuft sind. Teils durch diese Kérnchen, teils aber auch durch das erhéhte Lichtbrechungsvermégen der Vakuolen selbst wird die oben erwaihnte grobkérnige Struktur vorgetaéuscht (verg]. Fig. 1, 2 u. 3). Schon bei oberflachlicher Betrachtung er- scheint das Plasma der Lymphzellen sowohl von der Flache als auch von der Kante gesehen in seinen centralen Partien dunkler als in der Peripherie, ein Helligkeitsunterschied, der seinen Grund ae 250 Th. Schaeppi, in der bereits erwahnten Linsenform hat; indessen ist auch eine wirkliche Differenzierung des Plasmas mit aller Bestimmtheit vor- handen. Die gesamte Randzone der Lymphzellen wird namlich yon einem schmalen Saum homogenen hyalinen Plasmas eingenom- men, welches frei von Vakuolen und Kérnchen ist und tberall in die pseudopodienartigen Fortsaitze hineingeht. Nur in der Achse der Pseudopodien beobachtet man stets Plasmakérnchen, die, zu Reihen angeordnet, sich bis zum k6érnigen Endoplasma verfolgen lassen, so daf die schon von CLAPariDE oben betonte Ahnlichkeit dieser Zellen mit Actinophrysformen in der That eine ganz frappante ist. Diese Ahnlichkeit wird dadurch noch erhéht, da8 auBer den bereits erwahnten miliaren Vakuolen haufig auch grofe wasserhelle Vakuolen vorkommen, die hier sowohl wie auch in den Chloragogen fiihrenden Lymphzellen stets an der Peripherie des Endoplasmas liegen (vergl. Fig. 2). Kin Kern ist in den Lymphzellen stets vorhanden, meist ist er im Centrum gelegen, seltener excentrisch und immer von rundlicher Form. Wenden wir uns nun zu den von CLAPAREDE oben beschriebenen Lymphzellen der ,,zweiten Art‘, so fallen in der That vor allem jene eigentiimlichen stabchenférmigen Konkretionen auf, die in ihrem Innern liegen. Wahrend ich beziiglich ihrer Farbung mit genanntem Autor iibereinstimme, mul ich dagegen riicksichtlich ihrer Form betonen, daf ich niemals gestreckte Stabchen gefunden habe; stets zeigten dieselben in der Mitte eine, wenn auch manch- mal nur leise ausgesprochene Knickung, in deren Konkavitat der Kern liegt. In den zentralen Partien erscheinen die Stabchen als homogene Masse, an den helleren und meist verbreiteten Enden aber erkennt man leicht, daf dieselben aus kleineren Konkretionen zusammengesetzt sind. Verfolgt man nun die Peripherie der Stabchen, so sieht man, daf sie nicht direkt vom Protoplasma umgeben sind, sondern in einer Vakuole liegen, die in den centralen Teilen dem Stabchen eng anliegt, wihrend sie dagegen nicht selten an einem oder an beiden Enden desselben sich deutlich abhebt (vergl. Fig. 23). Beobachten wir genauer diese Vakuolenenden und ihr Verhaltnis zu den Enden der Stabchen, so sehen wir, wie diese letzteren in Form und Farbe unmerklich in den Vakuolen auf- aufgehen, so daS wir den von CLAPAREDE oben aufgestellten Satz, dafi die Staébchen durch Apposition an ihren Enden wachsen, dahin erweitern kénnen, daf diese Apposition durch Ausscheidung der Stabchenmasse innerhalb einer Vakuole zustande kommt. Es liegt nun nahe, eine analoge Entstehungsweise wie fiir die Enden Das Chloragogen von Ophelia radiata. 251 der Stibchen auch fiir die centralen Teile, also fiir deren Genese iiberhaupt anzunehmen, und in der That wird diese Annahme durch die Entwickelungsstadien der Stabchen bestatigt, die hin und wieder beim Durchsuchen der Leibesfliissigkeit gefunden werden. Bevor wir indessen die Genese der Stabchen beschreiben, miissen wir noch einen Blick werfen auf den itibrigen Zellenleib dieser stabchenfiihrenden Lymphzellen. Wie CLAPAREDE oben richtig bemerkt, sind diese Zellen fast stets um vieles gréfer als die einfachen Lymphzellen, indessen ist immerhin ihre Grofe auferst individuell; wir finden Stabchenzellen, die jene kaum oder doch nur wenig iibertreffen (vergl. Fig. 14 u. 18), wihrend wiederum andere mit blofem Auge sichtbar sind (s. 0.). Was aber den Zellenleib vor allem charakterisiert, ist das Verhalten des Plasmas und der pseudopodienartigen Fortsatze. Auch hier finden wir ein kérniges Endoplasma und ein hyalines Exoplasma, welches in die pseudopodialen Fortsatze hineingeht; wahrend aber in den ein- fachen Lymphzellen das Exoplasma nur eine schmale Randzone bildet, ist es hier in breiter Schicht auferhalb des Endoplasmas vorhanden und zeichnet sich ferner auch dadurch aus, daf es teils grofere, meist unregelmafige, teils aber auch unzahlige kleinste oder miliare Vakuolen enthalt, wie wir sie oben bei den einfachen Lymphzellen getroffen haben. Bei genauerer Betrachtung sieht man auch Kérnchen im Hyaloplasma eingelagert; indessen sind dieselben meist sparlich zerstreut und nur in den pseudopodialen Fortsatzen reichlicher angehaduft. Die letzteren sind an Zahl bedeutend vermehrt und charakterisieren sich auferdem, wie oben erwaihnt, durch ihre Linge und Dicke; auch zeigen sie éfters die Neigung, sich an ihren Enden zu zerspalten. Das Endoplasma ist in den centralen Teilen der Zelle scharf getrennt vom Exoplasma, nur in denjenigen Partien, welche die Enden der Stabchen iiberziehen, ist oft ein scharfer Gegensatz der beiden Plasmaformen nicht deutlich oder tiberhaupt nicht ausgesprochen. In seiner Struktur zeigt es ganz die gleichen Verhaltnisse, wie wir sie bei den einfachen Lymphzellen bereits kennen gelernt haben; auch hier kommen neben den miliaren Vakuolen auch grofere, an der Peripherie auftretende Vakuolen vor, auf deren Bedeutung wir spater noch zuriickkommen werden (vergl. Fig 22). Da das Endoplasma nun stets das Stabchen rings umgiebt, so resultiert daraus eine langlich-ovale Gestalt desselben, eine Gestalt, die auch der Zellkern stets einnimmt. Umgekehrt zeigt auch das Exoplasma eine bilaterale Anordnung, indem es sich nur in der dem centralen 252 Th. Schaeppi, Teil des Stabchens gegeniiberliegenden Peripherie ausbreitet, waihrend es dagegen iiber den Enden der Stabchen nur als schmaler Saum das Endoplasma umgiebt und niemals an dieser Stelle pseudopodiale Fortsitze treibt. Es resultiert daraus fir diese Zellen eine amphitekte Grundform, welche im Gegensatze steht zu der radiéren Gestalt der einfachen Lymphzellen. Wenden wir uns nun zu der Frage von der Entstehungsweise jener charakteristischen Stabchen, so wird uns dieselbe durch hin und wieder in der Leibesfliissigkeit auftretende, eigentiimliche Kérner fihrende Zellen beantwortet, aus denen sich offenbar Stabchen- zellen entwickeln kénnen und welche uns zugleich die Thatsache offenbaren, da’ diese letzteren aus einfachen Lymphzellen sich herausgebildet haben. Es sind diese Kérner ganz dieselben Ge- bilde, welche bei anderen Anneliden Chloragogenkérner benannt worden sind. Es fallt zunachst auf, da% die Entwickelungsstadien beziiglich ihrer Haufigkeit sich sehr verschieden verhielten in den verschiedenen zur Untersuchung herangezogenen Tieren, oft waren sie enorm selten, oft aber auch beinahe so zahlreich wie die aus- gebildeten Stibchenzellen. Da diese Schwankungen sowohl in geschlechtsreifen als auch in jiingeren Individuen zu beobachten sind, ein Einflu8 des Alters also ausgeschlossen ist, miissen wir den Schlu8 ziehen, da nur zu gewissen Zeiten die Bildung der Stabchen erfolgt, was fiir das Verstindnis ihres physiologischen Wertes von grofer Wichtigkeit ist. Was nun, wie ich gleich vorwegnehmen will, die simtlichen Entwickelungsstadien in typischer Weise charakteri- siert, ist die Thatsache, daf8 das Chloragogen tberall und immer ausnahmslos zuerst um den Kern und ebenso ausnahmlos stets in Vakuolen auftritt. Dieses letztere Verhalten kann uns keineswegs iiberraschen, ja es will uns sogar selbstverstandlich erscheinen, nachdem wir oben gesehen haben, wie das Wachstum der St&bchen an ihren Enden durch Abschei- dung von Chloragogen innerhalb einer Vakuole erfolgt; die erst- erwihnte Thatsache aber verdient in héchstem Grade unser Inter- esse, da sie uns wenigstens teilweise die ursichlichen Momente verrat, welche die Bildung der Stibchen bedingen. Richten wir nun zuerst unsere Aufmerksamkeit auf das Chloragogen dieser Ent- wickelungsstadien, so zeigt uns Fig. 11 die Anfange der Chlora- gogenabscheidung. Wir sehen hier, wie in unmittelbarer Nahe des Kerns, jedoch nur auf einer Seite desselben, mehrere kleinste Chloragogenkiérnchen liegen, die alle von dicht anschliefenden Das Chloragogen von Ophelia radiata, 253 Vakuolen umgeben sind; vergleichen wir die Gréfe dieser letzteren mit den oben erwihnten, das Endoplasma erfiillenden kleinsten Vakuolen, so sehen wir, daf ein Gréfenunterschied oft nicht zu bemerken ist und daf daher die erste Abscheidung dieser Kon- kretionen in Form von Kérnchen innerhalb der miliaren Vakuolen vor sich geht. Stellen wir uns nun vor, dafi diese Vakuolen und mit ihnen die Kérnchen teilweise untereinander verschmelzen, so erkliren sich dadurch die Entwickelungsstadien, wie sie in Fig. 4—7 u. 9 u. 13 dargestellt sind. Es ist ohne weiteres klar, daf die Stadien 4—7 so entstanden zu denken sind, da’ die um den Kern ausgeschiedenen Kérnchen in annaihernd gleicher Anzahl sich miteinander verschmolzen haben, ein Verhalten, welches weitaus das haufigste ist und offenbar auch dem Stadien 13 zu Grunde liegt, welches sich von den besprochenen Stadien nur dadurch unterscheidet, daf hier die Kérnchen in sehr breiter Schicht um den Kern abgelagert worden sind. Den entgegengesetzten Fall zeigt dagegen das Stadium 9; hier sind die Kérnchen in ungleichem Verhaltnis miteinander verschmolzen, so daf sich verschieden grofe Koérner gebildet haben. Schon im Stadium 5 sehen wir, wie sekundaér eine Verschmelzung der in der Drei- oder Vierzahl vor- handen gewesenen Kérner entstanden ist; denken wir uns nun, daf alle um den Kern liegenden Chloragogenkérner verschmelzen und daf’ terminal neue Kérnchenmasse sich anlegt, so wird uns dadurch die Entstehungsweise der Stabchen in morphologischer Beziehung durchaus klar (vergl. Fig. 8, 10, 12). Eine andere Frage ist, warum sich die Kérnchen in so ge- setzmafiger Weise zu den Stibchen zusammenlegen. Wir wollen im folgenden den Versuch machen, diese Frage zu beantworten. Es darf uns nicht wundern, daf das Chloragogen stets innerhalb von Vakuolen abgeschieden wird, denn dieser Ausscheidungsmodus steht keineswegs vereinzelt da, wissen wir doch, daf dieser Prozef iiberall bei den Rhizopoden und Infusorien vorkommt. Warum aber erfolgt die Ausscheidung in unmittelbarer Nahe des Kernes ? Wir werden im chemischen Teil unserer Arbeit sehen, daf das Chloragogen der Lymphzellen aus Stoffen besteht, die wir als Endprodukte der regressiven Metamorphose ansprechen miissen ; wir wissen aber, da zahlreiche Stoffe der regressiven Meta- morphose, wie beispielsweise diejenigen der Xanthinreihe, durch Abspaltung aus den Nucleinen hervorgehen, und es liegt daher nahe, auch fiir die Chloragogenkérner der Lymphzellen eine 254 Th. Schaeppi, nucleogene Bildung anzunehmen. Es wird uns durch diese An- nahme ohne weiteres verstandlich, daf diese Chloragogenkorner, als Derivate des Nucleins, in unmittelbarer Nahe des Kerns zur Ausscheidung gelangen. Wenn aber unsere Annahme richtig ist, warum finden wir denn fast stets das Chloragogen nur auf einer Seite des Kerns abgelagert, wahrend doch, wie ich voraus- greifend bemerken will, das als Guanin erkannte Chloragogen des Peritoneums sich allseitig um den Kern herum ausscheidet? Ich mu gestehen, daf ich einen Grund hierfiir nicht auffinden konnte. Méglicherweise hangt dieses Verhalten mit der Struktur des Kernes zusammen, es ist mir indessen nicht gelungen, dieselbe genauer zu ermitteln, da an den konservierten Tieren die Kerne der Lymph- zellen sehr schwer farbbar waren. Was aber fiir unsere Auffassung vor allem wichtig ist, ist die Thatsache, daf es auch wirklich Falle giebt, wo die Chloragogenausscheidung ringférmig um den Kern herum erfolgt ist (vergl. Fig. 14—16) oder wo sie gleichfalls allseitig, aber nicht ununterbrochen vor sich gegangen ist (vergl. Fig. 17—19). Es ist nun im weiteren klar, daf die ausgeschiedenen Chloragogenmassen auf die Wande der Vakuolen einen Druck aus- iiben, diesem Druck wirkt aber derjenige der benachbarten Vakuolen entgegen und die Folge davon ist, daf die Vakuolenwande sich immer mehr verdiinnen, bis sie endlich zum Platzen kommen und die Vakuolen mitsamt ihrem Inhalte zusammenfliefen. Auf diese Weise erklart sich das Zustandekommen der Stadien 4—7, 9 und 13. Ist es nun durch den Zusammenfluf aller oder einzelner Vakuolen zur Bildung gréferer Vakuolen mit langlicher Form gekommen (vergl. Fig. 8, 10 und 12), so leuchtet wiederum aus mechanischen Prinzipien ein, daf diese Vakuolen nur an ihren gestreckten Enden einer Verdnderung unterliegen und weiter- hin zur Ablagerung von neuem Chloragogen Veranlassung geben werden. Es ist klar, da in einer gestreckten Vakuole, wie wir sie beispielsweise in Fig. 10 vor Augen haben, die Spannung der Vakuolenwande an der Stelle der gré$ten Kriimmung, also an ihren Enden am groéften ist, und daf infolge dessen das Plasma nach den Punkten verminderter Spannung abfliefen wird, d. h. nach der Mitte der Vakuolen zu. Die Vakuolenwand wird daher immer diinner werden, bis sie endlich platzt und die Folge davon ist, daf8 die dem Vakuolenende zunachst gelegenen miliaren Vakuolen , welche das Endoplasma erfiillen, mit der Chloragogen- vakuole zusammenfliefen. Dieser Prozef geht aber ad infinitum weiter. Immer flicSt das Plasma von den Enden der Vakuole Das Chloragogen von Ophelia radiata. 255 ab und immer werden neue Vakuolen den Enden einverleibt, so da dadurch das Fortschreiten der Vakuole und damit auch die an die Vakuolen gebundene terminale Chloragogenabscheidung ohne weiteres verstandlich wird. Ks bleibt uns nun noch iibrig, das Verhalten des Zellleibes in dieser Entwickelungsreihe genauer zu betrachten. Wir haben bereits oben erwahnt, daf die Stabchenzellen sich durch die Menge und Gréfe ihrer pseudopodialen Fortsaétze auszeichnen und in der That sieht man schon in den ersten Entwickelungsstadien eine Vermehrung und Verlangerung derselben eintreten (vgl. Fig. 11 u. a.). Auch sehen wir, wie successive das Exoplasma an Machtigkeit zunimmt und wie in demselben die oben beschriebenen miliaren Vakuolen und Plasmakoérnchen auftreten. Hand in Hand mit der Ausscheidung des Chloragogens vollzieht sich aber auch eine Form- veranderung des Endoplasmas, indem dasselbe eine langlich-ovale Gestalt annimmt. Vergleicht man die Form des Endoplasmas in den einzelnen Stadien miteinander, so drangt sich die Vermutung auf, daf dieselbe durch das ausgeschiedene Chloragogen beeinfluSt werde. Wo namlich die Chloragogenabscheidung in der ganzen Peripherie des Kernes stattgefunden hat, bleibt auch die urspriing- liche Gestalt des Plasmas bestehen (vgl. Fig. 25 und 26), wahrend die Formveranderung tberall da eintritt, wo das Chlora- gogen einseitig ausgeschieden wurde und auch in denjenigen Fallen doppelseitiger Ablagerung, die zu verschiedenen Zeiten (Fig. 17, 18 und 21) oder in verschiedenen Ebenen (Fig. 15 und 16) erfolgt ist. Was aber vor allem an diesen Zellen auffallen mufi, ist einer- seits das haufige Vorkommen von grofen Vakuolen an der Peri- pherie des Endoplasmas, die bald getrennt, bald teilweise zu- sammengeflossen sind, andererseits aber die Andeutung eines Abscheidungsprozesses innerhalb dieser Zellen und nach aufen hin (vgl. Fig. 4, 23 und 24). Fragen wir uns nun nach dem Zustandekommen dieser Dinge, so hingen ohne Zweifel diese beiden Prozesse der Vakuolenbildung und der Plasmaabscheidung miteinander zusammen. Denken wir uns in Fig. 22 die Vakuolen in der Weise vermehrt, daf sie zusammenfliefen und die daraus resultierende Vakuole platzt, so erhalten wir ohne weiteres die Verhaltnisse, wie sie das Stadium 23 reprasentiert. In dieser Weise diirfte die Endoplasmaabspaltung in Stadium 4 und 23 durch Vakuolenbildung entstanden sein. Der Umstand, dal diese Vakuolen- bildung gerade in den stabchenfiihrenden Zellen, sowie in den 256 Th. Schaeppi, Entwickelungsstadien hervortritt, wahrend sie in den einfachen Lymphzellen nur selten beobachtet wird, legt die Vermutung nahe, daf sie mit der Abscheidung des Chloragogens in Zusammenhang steht, und daf dicse letztere mithin mit einer Wasserabspaltung verkniipft ist. Warum freilich die Vakuolen gerade an der Peri- pherie des Endoplasmas auftreten, vermochte ich nicht zu eruieren. Was geschieht nun aber mit dem abgeschiedenen Endoplasma ? Die Stadien 4 und 14 machen es mehr als wahrscheinlich, dal dieses Plasma einerseits Veranlassung giebt zu dem oben erwahnten Auftreten von Plasmakérnchen im Exoplasma, andererseits aber weist das Stadium 24 mit Sicherheit auch auf eine Abscheidung nach aufSen hin. Diese Plasmaabscheidung ist offenbar eine De- generationserscheinung, die in ihrem Endziel den Zelltod bewirkt. Damit stimmt der Befund tiberein, dafi hier und da Stabchen- zellen vorkommen, in denen weder ein Kern noch eine Diffe- renzierung des Plasmas nachzuweisen ist. Im Anschlusse an die Lymphzellen miissen wir nun noch eigentiimlicher Zellen oder besser gesagt Zellhaufen gedenken, welche man hin und wieder in der Leibesfliissigkeit flottieren sieht. Diese Zellhaufen sind bald von kugeliger, bald mehr ovaler Form und fallen schon durch ihre Farbe von den Lymphzellen auf. Sie erscheinen namlich als schwarzliche Ballen, deren Far- bung bei genauerer Beobachtung durch feine runde Kérnchen zu- stande kommt, die oft in grofer Anzahl die Zellen erfiillen. Da der Durchmesser dieser Zellhaufen denjenigen der Lymphzellen oft um das Dreifache tibertrifft und ihre Durchsichtigkeit durch K6rnchen vollstindig aufgehoben ist, so gelingt es nicht, von auBen her die morphologischen Verhaltnisse der einzelnen Zellen zu erkennen. Wir werden indessen spater diesen Zellhaufen wieder begegnen und ihre héchst interessanten Eigenschaften naher kennen lernen. II. Blutgefiifssystem. CLAPAREDE (I. c. pag. 291) giebt folgende Beschreibung vom Cirkulationssystem von Ophelia: ,,Les deux principaux troncs. vas- culaires, le vaisseau dorsal et le ventral sont tout deux acolés a Pintestin, le premier dans la région abdominale tout au moins. Au neuvieéme segment deux grosses anses contractiles, comme le vaisseau dorsal, se détachent de celui-ci et se dirigent obliquement en arriére sous un angle trés-aigu, en embrassant le tube digestif, Das Chloragogen von Ophelia radiata. 257 pour aller se jeter dans le vaisseau ventral. La grande masse du sang poussée en avant par la systole du vaisseau dorsal s’en- gage dans ces deux anses et revient en arri¢re dans le vaisseau ventral. Une faible partie seulement du liquide sanguin s’ engage plus en avant dans la partie antérieure du vaisseau dorsal, qui devient subitement d’une grande ténuité de méme que la partie antérieure du vaisseau ventral. Le vaisseau dorsal continue sa marche en avant, traverse |’ organe injecteur, passe dans la cham- bre céphalique et atteint le cerveau; de la le sang revient en arriére par deux troncs latéraux qui convergent l'un vers |’ autre pour se réunir en arriére de la bouche et former le vaisseau ventral. Sur tout ce parcours le vaisseau dorsal et le vaisseau ventral sont mis en communication par une série d’anses. Le charactére le plus remarquable de cet appareil, c'est que tous ces vaisseaux, surtout le dorsal et les anses, sont munis de cent- aines d’appendices aveugles, contractiles, dont le jeu alternatif de systole et de diastole est fort curieux 4 observer. Ces appendices sont surtout nombreux dans I’ intérieur de la chambre céphalique périviscérale. En arriére de l’organe injecteur ils sont relativement rares. Au dernier segment thoracique est une paire de coecums sanguins se distinguant de tous les autres par leur grand diamétre. Dans chaque segment de la région abdominale les vaisseaux ventral et dorsal sont réunis par une paire d’anses qui fournis- sent en méme temps les vaisseaux branchiaux. Au moment d@entrer dans la branchie chacun de ces vaisseaux porte en riche pinceaux de coecums contractiles, nageant librement dans la cavité périviscérale, coecums dont le jeu doit contribuer a activer la cir- culation branchiale. C’est la seule partie de tout ce singulier appareil contractile que M. DeLLe CuHIAJE paraisse avoir vu. Il signal en effet l’anse respiratoire avec un fiocchetto vasculare.“ Eine eingehendere Untersuchung des Gefafsystems von Ophelia fiihrt indessen zu Resultaten, die in sehr wesentlichen Punkten von den Angaben CLAPAREDE’s abweichen. Schon bei einfacher LupenvergréBerung des vom Riicken her aufgeschnittenen Tieres erkennt man, daf in der abdominalen Korperregion ein Riicken- gefaif{ im Sinne CLAPAREDE’s durchaus fehlt. Ein in dieser Region ausgefiihrter Querschnitt zeigt uns unter dem Mikroskop folgende Verhiltnisse (vgl. Fig. 27): Rings um den Darm herum liegt ein voluminéser Blutsinus, welcher ventralwarts in weitem Um- fange die Darmwand dermafen einstiilpt, da das Darmlumen auf dem Querschnitte eine hufeisenformige Figur reprisentiert. In 258 Th. Schaeppi, dieser Lage wird der Darm dadurch erhalten, daf er bald rechter-, bald linkerseits auf kleinere oder gréfere Strecken hin mit einem Bindegewebe zusammenhingt, welches, von der ventralen Sinus- wand entspringend, in eigentiimlichen unregelmafigen Wiilsten und Faltungen in den Sinus emporsteigt. Ein Blick auf Fig. 27 wird diese Verhaltnisse leicht verstandlich machen: Der Schnitt ist so getroffen, daf rechterseits die ventrale Einstiilpung des Darmsinus, auf der entgegengesetzten Seite die Anheftung des Darmes sichtbar ist. Es liegt keinem Zweifel ob, da8 dieser Peri- visceralsinus dem Riickengefaf der tibrigen Anneliden homolog ist; wir finden also fiir Ophelia dieselben Verhaltnisse, wie sie VEJ- powsky fiir die Enchytraeiden, Horst fiir die Chloraemiden und CLAPAREDE fiir die Serpuliden, Ammochariden und andere be- schrieben haben, bei denen gleichfalls ein Darmsinus an Stelle des RiickengefaBes auftritt. Dem Darmsinus unmittelbar anliegend verlauft das Bauch- gefif. Sinus und Bauchgefaf sind nun jederseits in jedem Seg- mente durch eine Anastomose verbunden, welche, seitlich aus dem ersteren entspringend, in weitem Bogen auf die Ventralseite sich schlagt. Da, wo diese Anastomose lings des in die viscerale Leibeshéhle emporragenden Nephridialtrichters verlauft, giebt sie zu beiden Seiten dieses Trichters zwei Gefafie ab, eine Kiemen- arterie und eine Kiemenvene. (Als viscerale Leibeshéhle bezeichne ich denjenigen Teil des Céloms von Ophelia, welcher oberhalb jener Muskelbinder gelegen ist, die in jedem Segmente von der Bauchseite schrag nach oben und aufen aufsteigend die Leibes- hohle in zwei Etagen teilen, eine geriumige obere, in welcher der Darm liegt, und zwei basale seitliche, in denen die Nephridial- schlauche verlaufen. Im Gegensatze zu der visceralen Leibes- héhle nenne ich diese basalen Abschnitte nephridiale Leibes- hohlen.) Die Kiemenarterie, welche auf der Aufenseite des Nephridialtrichters aus der Anastomose entspringt, begleitet das Nephridium kurze Zeit lang, biegt dann nach aufen um und be- giebt sich auf die dorsale Seite der Kieme. In ihrem Verlaufe langs des Segmentalorgans ist sie stets durch einen Zwischenraum von demselben getrennt. In der Spitze der Kieme geht die Kiemenarterie in die Kiemenvene tiber, welche, an der Basis der Kieme verlaufend, zum Nephridium hinzieht, sich auf dessen innere Seite schligt und unmittelbar ihm anliegend zur Anastomose zuriickkehrt. Da, wo die Kiemenvene das Segmentalorgan kreuzt, erweitert sie sich in einen kleinen Sinus, aus welchem ein blind Das Chloragogen von Ophelia radiata. 259 endendes Gefaf entspringt, das sich auf die innere Seite des Nephri- dialschlauches begiebt und langs desselben in die nephridiale Leibes- hohle hinabsteigt. Wie CLAPAREDE richtig bemerkt (1. c. pag. 287), sind Kiemenvene und Kiemenarterie, solange sie in der Kieme verlaufen, durch zahlreiche Queranastomosen verbunden, dagegen sind beide Gefaife in ihrem tibrigen Verlaufe scharf von einander geschieden und ist nirgends eine Kommunikation zu beobachten. Beide GefaiSe sind nun ferner auch dadurch ausgezeichnet, daf sie stellenweise eigentiimliche, zu Biischeln gehaufte, blindsack- artige GefaBschlauche tragen; es sind dies die zum Teil schon von CLAPAREDE beschriebenen (s. 0.) und im Leben beobachteten ,,coe- cum contractiles“. Sie kommen indessen nicht nur an der von genanntem Autor angegebenen Stelle der Kiemenarterie vor, son- dern finden sich auch an der Kiemenvene, einerseits nach ihrem Austritte aus der Kieme, andererseits an jenem blind endigenden GefaSzweige, welcher mit dem Nephridialschlauche nach hinten zieht. Stellen wir uns nun an der Hand der gegebenen Darstellung den Kiemenkreislauf vor, so strémt also das Blut im Darmsinus von hinten nach vorn fliefend durch die Seitenanastomose und die Kiemenarterie in die Kieme, wobei die kontraktilen Biischel die Blutbewegung in dieser Richtung unterstiitzen. In den Kiemen, vor allem in den Queranastomosen, wird das Blut oxydisch und durch die Kiemenvene zuriickflieBend wird es durch deren kontraktile Biischel teils direkt der Seitenanastomose und dem Bauchgefife zu- getrieben, teils in den blind endigenden GefaSschlauch gepreft, aus welchem es erst secundaér durch die dort befindlichen Biischel dem Bauchgefaife zugetrieben wird. In der Seitenanastomose vermischt sich das oxydische Blut mit dem aus dem Darmsinus kommenden vendsen Blute, so daf’ demnach dem BauchgefaifS gemischtes Blut zugefiihrt wird. Fig. 27 giebt die Verhaltnisse des Kiemen- kreislaufs schematisch wieder, indem der gesamte Kreislauf in eine Ebene projiziert ist; in Wirklichkeit hat man sich den Ver- lauf der Kiemenvene so zu denken, daf das dem Nephridium ent- lang ziehende Gefaf einen von vorn nach hinten schief absteigen- den Verlauf hat, entsprechend dem Verlaufe des Nephridiums selbst, dessen Flimmertrichter in dem einen, dessen Miindung im nachstfolgenden Segmente liegt. In dem vor den Kiemen gelegenen Koérperteil nimmt der Darmsinus rasch an Machtigkeit ab, die ventrale Kinstiilpung wird immer schmaler, wihrend das in sie emporsteigende Bindegewebe 260 Th. Schaeppi, allmihlich verschwindet, zugleich aber hebt sich das BauchgefaS vom Darmsinus ab, indem es, durch zwei seitliche Ligamente an denselben angeheftet, einen schmalen, mit der Leibeshéhle kom- munizierenden Raum zwischen sich und dem Darmsinus itbrig la8t. Hand in Hand aber mit dem Schmalerwerden des Perivisceral- sinus tritt in der ganzen Peripherie, vor allem aber ventralwarts, eine immer stirker werdende Faltenbildung des Darmes auf, die ihren Héhepunkt: im Magen, jener schon auferlich sichtbaren Er- weiterung des Darmes erreicht, welche in Fig. 38 dargestellt ist. Wir werden indessen spater sehen, daf diesem den Magen begleitenden Abschnitt des Darmsinus eine andere morphologische Bedeutung zukommt und bemerken hier nur noch, da derselbe sich tiberall zwischen diese Faltungen hineinerstreckt, so daf also auch hier die gesamte Aufenflaiche des Darmes vom Perivisceral- sinus bespilt wird. Da, wo der Darm vom Magen sich abgrenzt, erweitert sich der Perivisceralsinus dorsalwarts zum Herzen, einer sackartigen Ausstiilpung, welche aus dem Darmsinus aufsteigend nach vorne umgeklappt ist und dem Magen lose aufsitzt (s. Fig. 37). Von oben gesehen bietet das Herz eine ungefahr birnformige Ge- stalt dar, die Spitze nach vorn gerichtet. Die Basis des Herzens lauft in zwei den Darm umfassende Schenkel aus, die, auf dem Querschnitte gesehen, als seitliche Erweiterungen des Darmsinus sich reprasentieren ; da wir sie in der Folge noch mehrmals erwahnen werden, wollen wir sie Herzschenkel nennen. Aus der Herzspitze entspringt ein Paar starker Gefafe, welche unter spitzem Winkel nach hinten sich wendend, den Darmtraktus umfassen und auf der Bauchseite zum Bauchgefaéf zusammenflieken; es sind dies jene beiden von CLAPAREDE oben beschriebenen ,,deux grosses anses contractiles‘‘, deren pulsatorische Kontraktionen er an lebenden Tieren beobachtet hatte. Kurz bevor sich diese beiden Gefafe zum Bauchgefaf} vereinigen, entspringt aus ihnen jederseits ein Biischel von drei blind endigenden GefaSschlauchen, wahrend ein viertes Paar solcher ,,coecum contractiles‘‘ unmittelbar nach der Bildung des Bauchgefafes seinen Ursprung nimmt. Wir sprechen hier von der Bildung des Bauchgefifes, denn die Angabe CLA- PAREDE’s, da sich das Bauchgefa8 von der Vereinigungsstelle der »grosses anses contractiles‘‘ weiter nach vorne hin fortsetze, ist entschieden nicht richtig. Wir finden namlich in der Thorakal- region von Ophelia gerade die umgekehrten Verhaltnisse vor, wie wir sie in der Kiemenregion kennen gelernt haben: Ein eigent- Das Chloragogen von Ophelia radiata. 261 liches Bauchgefaf} ist hier nicht vorhanden, statt dessen finden wir einen ihm homologen Darmsinus, wahrend das Riickengefal als solches existiert und in freier Lage iiber dem Darm verlauft. Dieser thorakale Darmsinus geht lateral- und ventralwirts in den abdominalen Darmsinus tiber, ihre Ubergangsstelle wird gebildet durch die oben beschriebenen Herzschenkel; nur dorsalwarts findet eine unyollkommene Trennung der beiden durch den spiter zu beschreibenden Herzkérper statt. Wir haben schon oben vorweg- nehmend bemerkt, dali der den Magen begleitende Abschnitt des Darmsinus in charakteristischer Weise durch die Faltenbildung der Magenwinde in seiner Form beeintrachtigt wird und fiigen hier nur noch hinzu, da dieser FaltungsprozeS im Osophagus wieder abnimmt, wodurch der Darmsinus iiber demselben ver- haltnismafig wieder voluminéser erscheint. Am vorderen Ende des Osophagus endet auch der thorakale Darmsinus, mit andern Worten an der Stelle, wo der Darmtraktus die basale Muskelwand des von CLAPAREDE benannten ,,Organ injecteur‘‘ durchbricht. Wir bezeichnen dieses Organ um seiner morphologischen Bedeutung willen mit dem Namen ,,Dissepimentsack“. Aus der Spitze des Herzens entspringend verlauft das Riickengefif , frei tiber dem Darm liegend, nach vorn, um sich etwa im hintern Drittel des eben erwahnten Dissepimentsackes in diesen einzubohren. Dort angekommen, lést es sich in ein Netz von kleinen Gefafien auf, die an der Decke dieses Organs zwischen den Muskeln verlaufen und sich bald wieder zu einem einheitlichen Gefife vereinigen, welches bis in die Sinnesspitze nach vorn ver- lauft und auf seinem ganzen Wege von zahlreichen blind endigen- den Gefaifschliuchen begleitet ist. In der Sinnesspitze geht das Riickengefaif in zwei Gefafe tiber, die unter spitzem Winkel diver- gierend nach hinten ziehen und sich nach kurzem Verlaufe in zwei Aste spalten, welche beide in das Innere des Dissepiment- sackes sich begeben. Wie CLAPAREDE richtig beschreibt, besteht dieser letztere aus zwei ineinander geschachtelten, muskulésen Blind- sicken, die durch eine Reihe von Dissepimenten aneinander ge- heftet sind. Verfolgen wir nun den Verlauf der eben genannten GefaBzweige, so beobachten wir, daf das eine Paar sich in den innern, das andere sich zwischen inneren und duBeren Sack be- giebt (vgl. Fig. 37 und 38). Am Grunde dieser Siacke ange- kommen, lésen sie sich in ein Gefifnetz auf, aus welchem wiederum ein starkes einheitliches GefaS hervorgeht, das den Boden des Dissepimentsackes durchbrechend, sich rasch in zwei 262 Th. Schaeppi, ansehnliche GefaSzweige spaltet, die eine kurze Zeit lang frei unter dem Osophagus verlaufen, um sich dann in einem hufeisenfér- migen Bogen vereinigt in den Darmsinus zu ergieflen (vgl. Fig. 38 und 39). Noch haben wir nachzuholen, dal die von der Sinnesspitze zuriicklaufenden Gefafe vor ihrer Teilung durch eine hinter dem Munde hinziehende Anastomose verbunden sind, ein Umstand, welcher wahrscheinlich CLAPAREDE zu der An- nahme verleitet hat, da die genannten Gefafe sich hinter dem Munde zum BauchgefaS vereinigen wiirden. In gleicher Weise wie das Ende des Riickengefafes sind auch die riicklaufigen Gefaife sowohl vor als auch nach ihrer Teilung von einer grofen Anzahl von kontraktilen Blindsacken begleitet. (Der Deutlichkeit halber sind diese blinden GefafSschlauche auf Fig. 37—38 weggelassen worden.) Der Umstand, daf sowohl das Riickengefif als auch die riick- laufigen ventralen GefiSzweige nicht ununterbrochen den Dis- sipimentsack durchziehen, sondern sich im Grunde desselben in ein Gefaifnetz auflésen, ist unseres Erachtens von grofer Wichtig- keit. Wenn wir namlich an die Funktion dieses eigentiimlichen Organes denken, die, wie CLAPAREDE am lebenden Tiere beobachten konnte, darin besteht, sich zeitweise zu kontrahieren, um dadurch dem vordersten Kopfabschnitte die zum Bohren nétige Steifheit zu geben, so verstehen wir ohne weiteres, daf durch diese Kon- traktionen ein ununterbrochen durch das Organ verlaufendes Gefal in hohem Grade der Gefahr ausgesetzt wire, zerrissen zu werden, wihrend dagegen durch die Auflésung in ein GefaSnetz dieser Eventualitat zweckmaBig vorgebeugt ist. Ich will tbrigens nicht unerwaihnt lassen, daf das Riickengefa8 vor seinem Eintritt in den Dissepimentsack stets einen schlangelnden Verlauf hat, so da8 ihm also bei der Kontraktion des letzteren die Méglichkeit gegeben ist, sich zu strecken. Freilich sind die angefiihrten Ver- hiltnisse nicht konstant, insofern ich einmal das Riickengefaf in ununterbrochenem Verlauf das Organ durchziehen sah; indessen zeigte sich gerade in diesem Falle deutlich eine auffallende Schlain- gelung dieses GefaBes, die sich auf dessen ganzen Verlauf hin erstreckte. Wie in der Kiemenregion Darmsinus und Bauchgefaf anasto- motisch miteinander verbunden sind, finden sich auch im vorderen Kérperabschnitte mehrfache Anastomosen zwischen Riickengefal und Darmsinus; freilich sind dieselben in ihrer Zah]l stark reduziert und treten daher nicht in jedem Segmente auf. Eine erste Anasto- Das Chloragogen von Ophelia radiata. 263 mose zweigt sich jederseits unmittelbar nach dem Ursprunge des Riickengefifes aus dem Herzen von dem ersteren ab und miindet, den Darm in einer weiten Schlinge umfassend, ventral in den Peri- visceralsinus ein. Sowohl diese wie auch die gleich zu besprechen- den beiden folgenden Anastomosen sind durch zahlreiche, zu je einem Biischel vereinigte, blind endigende Gefafschliuche aus- gezeichnet (vergl. Fig. 37 u. 38). Eine zweite Anastomose giebt das RiickengefafS in der Mitte zwischen seinem Ursprunge und der Stelle ab, wo es den Dissepimentsack durchbohrt, und eine dritte unmittelbar vor dem Eintritt in das genannte Organ; beide schlingen sich gleichfalls in weitem Bogen um den Oesophagus herum, miinden aber nicht direkt in den Perivisceralsinus, sondern in jene beiden oben erwahnten, frei unter dem Darme liegenden GefaifSschenkel, welche durch den Zusammentritt der von der Sinnes- spitze zuriickftihrenden Gefafe entstanden sind. Aus der vorderen von diesen beiden letztgenannten Anastomosen entspringt rechter- seits ein unpaares GefaS, welches, lings des Dissepimentsackes nach der Bauchseite ziehend, in den Boden dieses Organes eintritt und sich in jenem Gefafnetz auflést, das von den riicklaufigen GefaBen gebildet wird (s. 0.). Wir miissen demnach auch dieses Gefaf als eine Riicken- und Bauchgefif verbindende Anastomose auffassen, die indessen nur einseitig ausgebildet ist. Es hangt diese einseitige Ausbildung offenbar damit zusammen, daf auch der Dissepimentsack asymmetrisch gebaut ist, insofern er linker- seits durch starkere Muskelbiindel an die ventrale Kérperwandung angeheftet erscheint. Endlich miissen wir noch einer letzten Ana- stomose des Riickengefafes mit dem Darmsinus gedenken, welche aus jenem an der Stelle entspringt, wo es sich innerhalb des Dissipimentsackes in das Gefafnetz aufliést, einer Anastomose, welche von ihrem Ursprunge an im inneren Sack des genannten Organes zur Bauchseite hinabzieht und in das vordere Ende des Perivisceralsinus einmiindet. Entwerfen wir uns nun an der Hand der gegebenen Dar- stellung ein Bild von dem Blutkreislauf im vorderen Kérper- abschnitte von Opbelia, so erhalten wir folgendes Schema: Aus dem Riickensinus flieSt das Blut durch die rings den Darm um- fassenden Herzschenkel ins Herz, um von hier aus nach zwei Richtungen abzuflieBen. Der gréfere Teil des Blutes strémt durch die beiden kontraktilen Seitengefaife dem BauchgefaiS zu, der kleinere Teil dagegen flieBt durch das Riickengefaé& nach vorn bis zur Sinnesspitze, kehrt durch die riickliufigen ventralen GefaSe Bd. XXVIII. N, F. XXI. 18 264 Th. Schaeppi, nach hinten zuriick, um sodann durch die frei unter dem Oeso- phagus liegenden Gefafischenkel dem Darmsinus zuzustrémen. Im Darmsinus flieSt hier das Blut von vorn nach hinten bis zu der Stelle, wo aus ihm die Herzschenkel aufsteigen. In diesen Herz- schenkeln trifft also das von der Thorakalregion kommende Blut mit dem von hinten nach vorn strémenden Blute der Kiemen- region zusammen, um sodann gemeinschaftlich mit ihm durch die Kontraktion der Herzschenkel dem Herzen zugefiihrt zu werden. Die beiden Herzschenkel sind zweifelsohne identisch mit jenen von CLAPAREDE oben erwahnten ,,coecum sanguins‘‘, die im letzten Brustsegment liegen und sich durch ihre auffallende Dicke vor allen anderen auszeichnen sollen (1. c. p. 282). Zu dieser Annahme zWingt mich einerseits die Thatsache, daf dergleichen auffallend dicke Gefifischlauche in diesem Segmente gar nicht vorkommen, andererseits aber der Umstand, daf, von aufen gesehen, die Herz- schenkel durchaus als selbsténudige, blind endigende Gefife im- ponieren kénnen, so daf also ein Irrtum sehr leicht méglich war, zumal CLAPAREDE es unterlassen hat, Schnittserien anzu- fertigen. Auf den ersten Blick méchte es hier erscheinen, daf wir es im vorderen Kérperabschnitt von Ophelia mit einem in sich ge- schlossenen Kreislauf zu thun hatten, denn wir sind ja in unserer Darstellung vom Herzen ausgegangen und wieder zum Herzen zuriickgekehrt, ohne den Kiemenkreislauf beriihrt zu haben. In- dessen haben wir schon oben betont, daf die grofe Hauptmasse des Herzblutes durch die Seitengefifie dem BauchgefaS zuflieBt und nur ein relativ geringer Teil den Weg durch das Riickengefaf nach vorn nimmt; es wird also immer nur ein kleiner Bruchteil des Blutes, welches das RiickengefafS und den thorakalen Darm- sinus passiert hat, wiederum dieselbe Cirkulation einschlagen, da dieses Blut in den Herzschenkeln mit dem Blute des abdominalen Darmsinus gemischt worden war. Nicht so einfach wie die morphologischen Verhaltnisse sind die physiologischen Beziehungen im Kreislauf dieses vorderen K6rperabschnittes. Da in dieser ganzen Region Kiemen fehlen und dementsprechend auch das Bauchgefaé8, welches durch die Kiemenvenen arterielles Blut zugefiihrt erhalt, hier gar nicht als solches vorhanden ist, so miif%te man daraus schliefen, dal diese Region tiberhaupt nur von venésem Blut durchstrémt wiirde. Ich glaube indessen nicht, daf dem so ist. Wir haben bereits oben Das Chloragogen von Ophelia radiata. 265 erwihnt, da’ der ganze Vorderdarm, sowohl der Osophagus als auch vor allem der hinter ihm liegende Magen, durch einen ex- quisiten Faltenreichtum ausgezeichnet ist, und da der Darmsinus tiberall zwischen die Faltungen sich hineinerstreckt. Es ist nun bekannt, daf gerade bei schlammbewohnenden Wiirmern die Darm- atmung ein wesentliches Subsidium der Hautatmung und Kiemen- atmung (oder spezialisierten Hautatmung) ist (vgl. BunGE, Zeitschr. fiir phys. Chemie, Bd. XII, XIV), und ich bin iiberzeugt, da8 gerade bei Ophelia, wo durch diesen Faltungsproze8 das ganze Darm- lumen tiber eine grofe Strecke hin auf ein Labyrinth von engen Spalten zusammengedringt ist, dieser Faktor nicht aufer Acht gelassen werden darf. Wir miissen daher mit Bestimmtheit an- nehmen, daf das im thorakalen Darmsinus flieBende Blut in den Darmfalten eine Oxydation erfahrt, daf also demnach dieser Darm- Sinus nicht nur das morphologische, sondern auch physiologische Homologon des Bauchgefafes ist. An Stelle des arteriellen Bauch- gefifes ist ein arterieller Darmsinus getreten. Es ist offenbar, daf die Oxydatien des Blutes im Darmsinus nicht in dem MaBe sich vollziehen wird wie in den Kiemen, daf daher dieses Blut geringere Arteriellitit aufweisen wird als das Kiemenvenenblut; andererseits aber tibertrifft sein Sauerstoffgehalt ohne Zweifel den- jenigen des Bauchgefafes, da dieses durch die Anastomosen stets vendses Blut aus dem Abdominalalsinus erhalt, wahrend dem tho- rakalen Sinus nur gemischtes Blut durch die Anastomosen zu- gefiihrt wird, gemischtes Blut, welches den gemischten Charakter eben dadurch erhalten hat, daf} das venése Blut des Abdominal- sinus sich mit dem oxydischen Blute des Thorakalsinus in den Herzschenkeln vereinigt hat. Fassen wir diese Thatsachen kurz zusammen, so haben wir also venéses Blut im Abdominalsinus, rein oxydisches Blut in der Kiemenvene, gemischtes Blut im Herzen, sowie in Bauch- und Riickengefaif’, und gemischtes Blut mit oxydischem Charakter im thorakalen Darmsinus (vergl. Fig. 39). Ks liegt auf der Hand, dafi der Abdominalsinus, streng genommen, auch nicht vendses, sondern gemischtes Blut mit vorwiegend vendsem Charakter enthalt, denn das Bauchgefaili geht ja, wie wir noch nachholen miissen, im letzten Segmente in den Darm- sinus tiber; indessen wird diese einmalige Zufuhr von gemischtem Blute auf die Venositaét des Darmsinusblutes nur wenig Einflul haben, und diirfen wir daher diesen Faktor in einem Schema ver- nachlassigen. 18 * 266 Th. Schaeppi, Ill. Herzkérper. Im Anschlusse an das Cirkulationssystem miissen wir eines eigentiimlichen Organes gedenken, welches sowohl seiner Lage nach als auch funktionell in engster Beziehung mit demselben steht. Es liegt dieses Organ an der Stelle, wo der Perivisceral- sinus zum Herzen sich erweitert, indem es, hinten mit dem Darme zusammenhangend, von diesem schrag zum Herzen aufsteigt, um sich an dessen Ventralseite bis weit nach vorn hin zu erstrecken (vergl. Fig. 34 u. 39). Seine aufere Form ist durchaus wechselnd, ein Umstand, der, wie wir spater sehen werden, seinen Grund in dem jeweiligen Kontraktionszustande des Herzens hat; im tibrigen diirfte eine Vergleichung der Fig. 34, 35 und 36 am ehesten dazu angethan sein, eine richtige Vorstellung von der Gestalt dieses Organes sich zu bilden. Auf dem Querschnitt, den die Fig. 35 wiedergiebt, sehen wir, wie das hier etwas abgeflachte Organ zu beiden Seiten in ein schmales Ligament iibergeht, welches, nach aufen ziehend, sich an die AuSenfliche des Darmes anheftet. Zwischen Organ und Ligament einerseits und dem Darme anderer- seits liegt ein Blutsinus, der, wie uns ein Blick auf den Langs- schnitt der Fig. 34 lehrt, nichts weiter als die Fortsetzung des thorakalen Darmsinus ist. Je weiter wir uns auf Querschnitten dem Ursprunge des Organs nahern, um so seichter wird dieser Blutsinus, aber auch das Organ selbst nimmt nach unten zu in dorsoventraler Richtung immer mehr ab, wahrend dagegen seine Breite auf Kosten der Ligamente zunimmt. An der Ursprungs- stelle selbst liegt das Organ dem Darme fast unmittelbar an, indem der trennende Sinus auf eine ganz enge Spalte reduziert ist, ja 6fters ist sogar ein direkter Zusammenhang des Organs mit dem Darme wenigstens in den seitlichen Partien zu be- obachten; niemals aber ist das Organ in seiner ganzen Breite mit dem Darme verwachsen, so daf also stets eine Kommunikation des thorakalen Darmsinus mit dem hinter dem Organ und den Liga- menten aufsteigenden Abdominalsinus erméglicht ist. Verfolgen wir die Form des Organs von dem oben erwahnten Querschnitte aus weiter nach dem Herzen zu, so beobachten wir eine fort- wihrende Verschmalerung in transversaler Richtung, wahrend da- gegen in dorsoventraler Richtung eine Zunahme zu erkennen ist, die ihren Héhepunkt an der Stelle erreicht, wo sich das Organ an die ventrale Herzwand anheftet; von hier aus nimmt dasselbe Das Chloragogen von Ophelia radiata. 267 auch in sagittaler Richtung wiederum ab bis zu seinem vorderen Ende, welches meist abgerundet, seltener zugespitzt, etwa in der Hohe des vorderen Dritteils des Herzens liegt (vergl. Fig. 34 u. 39). Ein wesentlich anderes Bild erhalten wir nun aber, wenn wir bei einem anderen Tiere die Formverhaltnisse dieses sonder- baren Organs untersuchen. Fig. 36 giebt uns wiederum einen Querschnitt des Organs, der indessen héher angelegt ist, etwa in der Mitte des Organs. Wir sehen hier, wie dasselbe als runder Strang weit in das Lumen des Herzens hineinragt und nur mit schmaler Basis der Herzwand aufsitzt, und wir erhalten den Ein- druck, als ob der sagittale Durchmesser auf Kosten des trans- versalen zugenommen hatte. Diese Formveranderung zeigt sich tiberall da, wo das Organ der Herzwand angeheftet ist, am aus- gesprochensten tritt sie aber an der Stelle zu Tage, wo dasselbe auf die Herzwand iibergeht. Schon bei auferer Betrachtung dieses eigentiimlichen Organes, die durch einfache Eréffnung des Herzens ermoglicht wird, erhalt man den Eindruck, daf es sich um ein fibréses Gebilde handle. Es bietet den Anblick eines bald flachen, bald hochgewélbten Stranges dar, der bei ungefirbten Tieren durch seine weifliche oder blaulichweiBe Farbe von der Umgebung sich abhebt. Die histologische Untersuchung ergiebt folgendes: Kin Langsschnitt durch das Organ zeigt uns dasselbe als aus einer homogenen Grundsubstanz bestehend, in welcher regellos Bindegewebszellen eingestreut sind. Von Zeit zu Zeit finden sich unregelmafige Spalten in diesem Grundgewebe, die namentlich in der Achse des Organs zu gréferen Spaltraumen zusammenflieBen, welche einer- seits auf der Ventralseite mit dem thorakalen Darmsinus kom- munizieren (vergl. Fig. 34), andererseits aber auch am vorderen Ende des Organes mit dem Herzlumen in Verbindung stehen. Auf dem Querschnitte tritt die bindegewebige Natur des Organes noch deutlicher hervor. Wir sehen hier, wie die Grundsubstanz von einem feinen Netzwerk von Bindegewebsfasern durchzogen ist, in welches die oben erwihnten Bindegewebszellen eingebettet sind. Auch hier sind die Spaltriume leicht zu erkennen, und auf Fig. 35 und 36 sehen wir, wie dieselben zu einer einheitlichen centralen Lakune zusammengeflossen sind, in welcher zahlreiche Blutzellen teils frei, teils in Haufen aneinander gekittet liegen. Auf den ersten Blick sieht man, dafi diese Zellen zweierlei Natur sind. Neben Blutkérperchen mit deutlich sichtbarem Kern beobachtet man Zellen mit eigentiimlich griinlich pigmentierten Kornern, 268 Th. Schaeppi, neben welchen ein Kern nicht immer scharf zu unterscheiden ist. In der Farbe weichen diese Pigmentkérner entschieden ab von dem Chloragogen sowohl der Lymphzellen als auch des Peri- toneums (s. u.), indem sie niemals einen braunlichen oder dunkel- gelben Ton annehmen; dagegen zeigen sie in ihrem chemischen Verhalten, wie ich vorwegnehmend bemerken will, wenigstens in- sofern eine Ahnlichkeit mit den letzteren, als sie sowohl gegen Sauren als auch Alkalien widerstandsfahig sind. Harnsaure- und Guaninreaktion fielen entschieden negativ aus (s. u.). Untersucht man die Blutgefafe auf diese beiden Blutzellarten hin, so findet man, daS die Koérnerzellen an Zahl bedeutend hinter den anderen zuriicktreten, daf sie nur ganz zerstreut im abdominalen Korper- teile vorkommen, wahrend sie dagegen haufiger und oft zu Haufen vereinigt im thorakalen Darmsinus sich vorfinden. Welches ist nun die physiologische Bedeutung dieses sonder- baren Organs? Es unterliegt keinem Zweifel, da’ dasselbe iden- tisch ist mit dem von BucHHoLz und VEsDOWSKy (VEJDOWSKY, Monograph. d. Enchytraid., p. 33) bei Enchytraiden vorgefundenen »driisenartigen Kérper“, der gerade wie bei Ophelia an der Stelle, wo der Darmsinus ins Riickengefi8 tibergeht, von der Darmwand entspringt und nach vorn ins Riickengefaé8 aufsteigt. Horst und MicHAELSON haben dieses charakteristische Darmorgan der Enchy- traiden homologisiert mit dem von SALENSKY bei Terebella be- schriebenen ,,corps cardiaque“, sowie mit dem von KEssEL bei Ctenodrilus und von CLAPAREDE bei Cirratuliden und Terebelliden erwihnten ,,pigmentierten Organ“; Horst hat sodann selbst ein bei Chloramiden vorkommendes ,,driisenartiges Organ‘ beschrieben, das in seiner Lage zwischen Darmsinus und Herz demjenigen der Enchytraiden entspricht. Zu Gunsten der Homologisierung aller dieser Organe hat sich in der Folge auch H. E1sia ausgesprochen, welcher fiir dieselben den zusammenfassenden Namen ,,intravasale Chloragogendriisen“ vorschlagt, indem er mit CLAPAREDE und MICHAELSON annimmt, da’ es sich um lymphatische Exkretions- organe handle. Vergleichen wir nun die Struktur unseres Organs mit derjenigen der iibrigen Herzkérper, soweit sie einer histo- logischen Untersuchung unterzogen worden sind, so finden wir zum Teil entschieden analoge Verhaltnisse. Wir haben oben ge- sehen, da’ der Herzkérper von Ophelia von zahlreichen Gefal- lakunen durchsetzt ist, welche eine Kommunikation des thorakalen Darmsinus mit dem Herzen vermitteln; in analoger Weise geben auch Horst und Vespowsky an, da die Herzkérper der Chlor- Das Chloragogen von Ophelia radiata. 269 iimiden und Enchytraiden von einem dichten Netz maandrisch ver- schlungener Gefafe durchzogen seien, in denen das Blut aus dem Darmsinus zum Herzen fliefit. Auch im iibrigen Bau ist eine Ubereinstimmung der Herzkérper der Chlorimiden mit demjenigen von Ophelia nicht zu verkennen. Wir haben oben betont, dal der letztere durchaus bindegewebiger Natur ist und da8 von drii- sigen Elementen nicht die Spur zu finden ist. Horst beschreibt nun den Herzkérper der Chlorimiden folgendermafen: ,,Dieser eigentiimliche Kérper ist zusammengesetzt aus verschiedenen un- regelmafigen ineinander geschlungenen Stringen, die gewodhnlich einen ovalen Querschnitt haben und von mit braunen K6érnchen erfiillten Zellen gebildet werden. Die Zusammensetzung aus Zellen ist aber nicht immer gut nachweisbar; bei einem jungen Exem- plare von Brada villosa war in der Peripherie der Strange die Zell- grenze ziemlich deutlich, der centrale Teil aber wurde gebildet von einer mit braunen Koérnchen gefiillten Grundsubstanz, worin keine deutlichen Zellen nachzuweisen waren. Bei den erwachsenen Individuen zeigen die Strange auf dem Querschnitt nur ein un- regelmafiges Netz von Fasern, in dessen Knotenpunkten deutliche Kerne liegen, waihrend in der durchsichtigen Grundsubstanz der Maschen die braunen Kérnchen zerstreut sind.“ Ich glaube nun nicht, daf Horst berechtigt ist, in diesem Falle von einem drii- sigen Organ zu sprechen, da der Begriff Driise stets ein Epithel voraussetzt, von einem solchen aber in seiner Beschreibung nichts zu finden ist. Der Umstand aber, daf bei jungen Exemplaren von Brada die Zusammensetzung des Organs aus Zellen relativ leicht nachweisbar ist, wihrend bei erwachsenen Tieren diese Zellen in den Hintergrund treten und statt dessen ein Netz von Fasern die Grundsubstanz bildet, scheint mir mit wiinschens- werter Sicherheit gerade auf die bindegewebige Natur dieses Or- ganes hinzudeuten. Was indessen Horst bewog, den Herzkérper der Chlorimiden als Driise anzusprechen, war der histologische Befund, der sich fiir den Herzkérper der Enchytraiden ergeben hatte. Er beschreibt hier (1. c. p. 35) schlauchformige, von der Peripherie zum Centrum sich erstreckende, mit braunen Korn- chen erfillte Zellen, zwischen denen sich ein blasiges Bindegewebe ausbreitet, und fiihrt die Struktur des Herzkérpers der Chlor- amiden darauf zuriick, da die nach dem Centrum gerichteten Enden der Schlauchzellen sich einander genihert hatten, wodurch dann das bei Brada villosa oben beschriebene Bild entstande. Der Ansicht VEspowsky’s folgend, betrachtet er nun den Herz- 270 Th. Schaeppi, kérper als eine Ausstiilpung des Darmrohres und die Schlauch- zellen als modifizierte Driisenzellen, die die Funktion von ,,Leber- zellen“‘ tibernommen haben. Ich muf dieser Anschauung entschieden entgegentreten. Es liegt zwar in der That auf der Hand, die Schlauchzellen als modifizierte Epithelzellen anzusehen, und dieser Gedanke liegt um so naher, als schon SALENSKY bei Terebella- larven nachgewiesen hat, daf der Herzkérper als eine Rohre nit schlitzformigem Lumen und einer Wand mit grofen cylindrischen Zellen sich anlegt, aber wir sind deshalb noch keineswegs be- rechtigt, diese Epithelzellen als Driisenzellen, geschweige denn als Leberzellen anzusprechen, denn einerseits betont SALENSKY, daf das Organ schon in sehr friihen Larvenstadien auftrete — wir brauchen aber nur an die Chorda dorsalis zu erinnern, um zu zeigen, daf ein Organ mit bindegewebigem Charakter epithelialen Ursprungs sein kann — andererseits verlangt die Qualifikation epithelialer Zellen als ,,Leberzellen‘’ vor allem auch den physiologischen Nachweis. Es ist nun fiir Ophelia, deren Herzkérper nicht einmal die morphologischen Bedingungen einer Driise erfiillt, ein Leichtes, zu zeigen, daf auch im physiologischen Sinne von einer solchen nicht die Rede sein kann. Wie oben erwahnt, hat Ezsia die Ansicht ausgesprochen, dali der Herzkérper der Anneliden eine blut- reinigende Driise sei, eine intravasale Chloragogendriise, welche die Aufgabe hat, schadliche und unbrauchbare Stoffe aus dem Blute aufzunehmen, in gleicher Weise, wie dies die Chloragogen- zellen auferhalb der Gefaiffe thun. Wir haben nun friher be- schrieben, wie in den Spaltraumen des Herzkoérpers teils einfache, teils mit griinlich gefarbten Chloragogenkérnern erfiillte Zellen zerstreut liegen, und haben bereits oben vorwegnehmend bemerkt, da’ diese Kérner in ihrem chemischen Verhalten mit dem Chlor- agogen der Lymphzellen iibereinstimmen. Da dieses letztere, wie wir spater sehen werden, offenbar exkretorischer Natur ist, so liegt die Vermutung nahe, daf auch die Chloragogenkérner der Blutzellen Exkretionsprodukte sind, und wir miften demnach, der Ansicht Eisie’s folgend, fernerhin annehmen, daf sie durch den Herzkérper aus dem Blute ausgeschieden wiirden. Daf dies indessen nicht der Fall ist, erweisen fogende Erwagungen: 1) Wiirde eine Ausscheidung des Chloragogens aus dem Blute im Herzkorper stattfinden, so miifte man zweifelsohne die erwahnten Chloragogenzellen nur in denjenigen Blutgefafen finden, deren Blut das Organ noch nicht passiert hat. Dies ist aber entschieden nicht der Fall, denn ich habe dieselben im Herzen und in allen Blut- Das Chloragogen von Ophelia radiata. 271 gefaBen angetroffen. 2) Die Chloragogenzellen miiften im ge- gebenen Falle an Zahl die einfachen Blutzellen im Herzkérper durchaus iiberwiegen, oder zum mindesten miifte das Zahlenver- haltnis zwischen beiden zu Gunsten der ersteren gestiegen sein. Wir sehen indessen, dafi auch im Innern des Herzkérpers dieses Verhaltnis annahernd dasselbe bleibt. 3) Durch die fortwaihrende Ablagerung des Chloragogens miifte das Organ allmahlich damit ganz angefillt werden, falls keine Weiterbeforderung der Stoffe erfolgen wiirde. Ich habe aber ausgewachsene Tiere getroffen, in deren Herzkérper die Kérnerzellen auferst sparlich waren und das Organ selbst auSerlich gleichfalls keine Pigmentierung zeigte. Angenommen aber, da8 eine Fortfiihrung des Chloragogens statt- findet , so kénnte dies nur in der Weise geschehen, daf durch Lymphzellen die Kérner durch die GefaSwand hindurch nach der Leibeshéhle und weiterhin nach den Nephridien transportiert wiirden. Es mii%te aber in diesem Falle auch méglich sein, die Chloragogenkérner auch im Innern des Gewebes und an der Peri- pherie des Organs anzutreffen, was indessen nie zu beobachten ist.- Stets habe ich die Kérnerzellen nur in den Spaltréumen und niemals im Innern des Gewebes gefunden. Ich glaube durch die gegebenen Ausfiihrungen zur Geniige dargethan zu haben, da8 der Herzkérper seinem morphologischen wie physiologischen Verhalten nach weder eine Driise ist noch sein kann; es fragt sich aber nach alledem, worin denn die Bedeutung dieses sonderbaren Organs liegt. Schon Steen (Jen. Zeitschr., Bd. 16, p. 201), welcher ein analoges Organ bei Terebellides aufgefunden hat, vermutet, da es dazu dienen méchte, ,,ein et- waiges Zuriickstrémen des Blutes, welches durch die Kontraktion der Kiemen veranla8t werden kénne, zu verhindern“. Unterzieht man nun die Lageverhaltnisse des Herzkérpers von Ophelia einer eingehenderen Betrachtung, so findet man in der That, dafi dieses Organ die Funktion einer Klappe haben mul. Vergegenwartigen wir uns noch einmal rasch den Kreislauf in der vorderen K6rper- region, so leuchtet sofort ein, wie diese Klappenfunktion zustande kommt. Wir haben oben gesehen, wie in den Herzschenkeln das venose {Blut des Abdominalsinus mit dem oxydischen Blute des Thorakalsinus zusammentrifft, um mit demselben vereint ins Herz zu stroémen. Wiirden nun diese beiden Blutarten in der ganzen Peripherie des Darmes in entgegengesetzter Richtung aufeinander sto&Ren, so wiirden dadurch ohne Zweifel Stauungen entstehen. Durch den breit vom Darm aufsteigenden Herzkérper wird nun 272 Th. Schaeppi, bewirkt, daf das dorsal im abdominalen Darmsinus strémende Blut einem Zusammenstof mit dem von vorn herkommenden Blute des Thorakalsinus ausweicht, indem es, tiber den Herzkérper weg schrag aufsteigend zum Herzen flieft. Diese schrag auf- steigende Strémung wird nun aber vom Riicken her auch den lateralwarts flieSenden Blutmengen mitgeteilt werden, so da8 da- durch die Hauptmasse des von hinten her strémenden Darmsinus- blutes eine schief zum Herzen aufsteigende Richtung erhalt, eine Richtung, die alsdann durch die Kontraktion der Herzschenkel unterstiitzt wird. Andererseits wird durch den Herzkérper das dorsal im Thorakalsinus zuriickstrémende Blut gezwungen, seit- lich in die lateralen und ventralen Partien der Herzschenkel ab- zufliefen, um aus diesen erst dem Herzen zuzustrémen; nur ein kleiner Bruchteil wird durch die Spaltenraume des Organs einen direkten Weg zum Herzen finden. Wir haben zwar oben gesehen, da8 ein vollstandiger Abschlu8 des Thorakal- und Abdominalsinus durch den Herzkérper auch dorsalwarts vom Darm nicht zustande kommt, indessen ist diese Kommunikation fiir die Hauptmasse des Blutes vollstindig bedeutungslos. Ich bin nun aber tberzeugt, da8 der Herzkérper auferdem noch im eigentlichen Sinne des Wortes als Klappe funktioniert, indem er bei der Systole des Herzens ein ZuriickflieBen des Blutes in den Darmsinus verhin- dert. Wir haben bereits oben betont, da’ die Gestalt des Herz- kérpers wesentliche Verinderungen zeigt, indem derselbe bald als flaches Band der Gefaf&wand breit anliegt, bald aber mit schmaler Basis ihr aufsitzend als voluminéser Kérper ins Herzinnere hinein- ragt, und wir haben bereits diesen eigentiimlichen Formwechsel mit dem jeweiligen Kontraktionszustande des Herzens in Zu- sammenhang gebracht. Stellen wir uns namlich die Systole des Herzens vor, so wird durch die ringférmige Kontraktion desselben bewirkt, daf die Ansatzstelle des Herzkérpers bedeutend ver- schmalert wird; die Folge davon ist aber, daf der letztere im sagittalen Durchmesser sich ausdehnt, da ja sein Lumen durch die Kontraktion nicht verkleinert werden kann. Da nun der Herzkiérper gerade da seine gréfte Cirkumferenz besitzt, wo er sich an die Herzwand begiebt, so ist es selbstverstandlich, da er bei der Systole auch hier am weitesten ins Herzinnere hinein- ragen wird, so da8 durch ihn wenigstens ein teilweiser Abschluf nach dem Darmsinus erméglicht ist. Indessen wiirde ohne Zweifel dieser Abschluf ein héchst mangelhafter sein, wenn nicht durch die Systole neben der Lumenverengerung des Herzens eine Vo- Das Chloragogen von Ophelia radiata. 273 lumenzunahme des Herzkérpers stattfinde. Eine derartige Vo- lumenzunahme ist aber leicht verstaéndlich, wenn wir uns die histologische Struktur des Herzkérpers vor Augen halten. Wah- rend der Diastole geht durch das Spaltennetz dieses Organs ein langsamer Blutstrom vom Thorakalsinus zum Herzen, bei der Systole aber wird umgekehrt ein Teil des Herzblutes mit grof8er Gewalt in dieses Lakunensystem hineingepreft; da ein rascher Abflu8 aus demselben nicht erfolgen kann, werden die Spaltraume strotzend gefiillt, und die naturgemifie Folge ist, da8 der Herz- kérper in seinem ganzen Volumen anschwillt. An ein Zuriick- strémen des Blutes in den Thorakalsinus ist dagegen nicht zu denken, da offenbar der Blutdruck in den Maschen des Ge- webes rasch abnimmt und denjenigen im Thorakalsinus nicht lbersteigt. Es ist klar, daf nur eine Beobachtung am lebenden Tiere die Existenz einer solchen Kiappenfunktion beweisen kann, in- dessen glaube ich doch, dafi die strukturellen Verhaltnisse mich zu diesen Ausfiihrungen berechtigen. Als sicher feststehend méchte ich den Satz hinstellen, dafi der Herzkérper von Ophelia keine Driise ist und daf er auf die Blutbewegung im vorderen Ko6rper- abschnitte einen richtenden Einfluf hat. IV. Peritoneum. Das Peritoneum von Ophelia bekleidet wie bei den iibrigen Anneliden als einfache Zellschicht die ganze Leibeswand, den Pha- rynx und den thorakalen Darmabschnitt, resp. den ihn umgeben- den Blutsinus. In denjenigen Partien aber, welche den abdomi- nalen Teil des Darmtraktus sowie die Nephridien begleiten, zeigt das Peritoneum Verhiltnisse, welche unser ganz besonderes In- teresse beanspruchen. Schon bei makroskopischer Besichtigung des vom Riicken her geéffneten Tieres erkennt man, daf in der ganzen Abdominalregion der Darm von einer schwarzen Masse bedeckt ist, bei deren Entfernung erst der Darmsinus zu Tage tritt. Auf einem Querschnitt (vgl. Fig. 27 und 29) sehen wir, dal diese pigmentierte Masse nichts anderes ist als ein vielschichtiges, dicht mit Chloragogenkérnern erfiilltes Peritonealbindegewebe, wel- ches in zahlreichen und mannigfachen Wiilsten und Falten sich in die Leibeshéhle erhebt. Dieses chloragogenhaltige Bindegewebe umgiebt ringsum den Darmsinus mit Ausnahme der Stelle, wo 274 Th. Schaeppi, das Bauchgefaf dem Sinus anliegt. Hier nimmt es an Hohe rasch ab und tiberzieht als einschichtiges Peritoneum, welchem niemals Chloragogen eingelagert ist, die ventrale Flache des Bauchgefafes. Die histologische Untersuchung dieses Peritonealbindegewebes er- giebt nun auferst interessante Resultate. Fig. 29 stellt einen Querschnitt durch dasselbe dar. Es zeigt sich uns hier als ein grofmaschiges Bindegewebe, in welches zahlreiche bald rundliche, bald mehr ovale Kerne eingestreut sind. Da, wo sich das Peri- toneum in Falten erhebt, sind diese Kerne dichter gehauft, und zugleich treten hier die Zellkonturen deutlicher hervor, wahrend der netzartige bindegewebige Charakter mehr in den Hintergrund tritt. Sehr haufig kommt es vor, dafi im Innern einer solchen Falte bindegewebige Intercellularsubstanz abgelagert ist, wahrend die Peripherie aus dicht ineinander gedrangten, bald eine, bald meh- rere Schichten bildenden Zellen besteht. Aber auch zwischen den Falten beobachtet man an der Peripherie des Peritoneums an zahjreichen Orten eine dichtere Lagerung der Kerne, welche ver- bunden ist mit einem staérkeren Hervortreten der Zellgrenzen und einem Schwunde der bindegewebigen Intercellularsubstanz. Zahl- reiche Ubergiinge zeigen nun, wie peripher die Faltungen zu- stande kommen, wie sodann die Zellen an die Peripherie der Falten riicken, wahrend im Innern Intercellularsubstanz auftritt, und wie Hand in Hand mit diesem Prozesse die Falten sich immer mehr von dem iibrigen Peritonealgewebe abheben, so daf sie zu- letzt nur noch durch einen diinnen Stiel mit demselben zusammen- hangen. Es deutet dieser Umstand mit grofer Wahrscheinlichkeit darauf hin, daf diese Falten sich schlieflich loslésen; diese An- nahme wird aber zur Gewifheit, indem es in der That gelingt, die abgelésten Zellhaufen in der Leibesfliissigkeit nachzuweisen. Es sind dies nichts anderes als die schon oben beschriebenen bald rundlichen, bald mehr ovalen, mit Chloragogenkérnern dicht erfiillten Ballen, welche hier und da zwischen den Lymphzellen herum- flottieren. Man kénnte zwar einwerfen, daf eine derartige Ab- lésung durch mechanische Eingriffe bei der Tétung, Konser- vierung etc. bewirkt worden sei, eine Annahme, die sehr nahe liegt, da es an konservierten Tieren sehr leicht ist, das Peritoneum in Fetzen abzulésen, indessen kann man sich auf Schnitten davon iiberzeugen, da eine Ablésung wahrend des Lebens in der That erfolgt. Man findet namlich diese Zellhaufen nicht nur in der visceralen, sondern auch in der nephridialen Leibeshéhle, und zwar Das Chloragogen von Ophelia radiata. 275 sowohl frei als auch im Innern von eigentiimlichen, zwiebelartig geschichteten Gewebsmassen, welche, wie an ihrer Peripherie erkannt werden kann, durch Zusammenkittung von Lymphzellen entstanden sind. Es ist nun aber unzweifelhaft, da’ nicht nur ganze Falten, sondern auch einzelne Zellen sich vom Peritoneum loslésen kénnen. Wir sehen nimlich hiufig, wie die peripherischen Zellen der Peritonealfalten nur in losem Zusammenhange stehen mit den weiter central gelegenen, und finden auch 6fters im In- nern jener soeben erwaihnten angeschwemmten Lymphzellenmassen Zellen, die durch Form, Farbe und Lagerung des Chloragogens als Peritonealzellen sofort erkennbar sind. Werfen wir namlich einen Blick auf die dem Peritoneum eingestreuten Chloragogen- kérner, so fallt bei genauerer Betrachtung sofort auf, dal sie nicht regellos in den Maschen des Bindegewebes liegen, sondern daB sie vielmehr iberall unmittelbar um die Kerne gelagert sind. Diese typische Lagerung ist auch mit aller Deutlichkeit in den peripher gelegenen Zellen zu beobachten, so da’ der Einwand fallt, da eine kernstindige Lagerung nur durch die Kleinheit der Bindegewebszellen vorgetaéuscht wiirde. Nur in Fallen, wo das Peritoneum auferst reich an Chloragogen war, konnte ich be- obachten, daf die Kérner von den Kernen aus auch langs der Bindegewebsstringe sich anlagerten, aber auch dann war eine starkere Anhaéufung um die Kerne deutlich ausgesprochen. Wir finden also im Peritoneum ein ganz analoges Verhaltnis, wie wir es oben fiir die Lymphzellen beschrieben haben, namlich die durchwegs kernstindige Lagerung des Chloragogens. Abgesehen aber von diesen Beziehungen zum Kern, zeigt das Chloragogen des Peritoneums in seinem morphologischen Verhalten wesentliche Unterschiede von demjenigen der Lymphzellen. Schon in der Farbe weicht es von dem der letzteren ab, indem es niemals einen braungelben, sondern stets einen griinlichgelben Ton be- sitzt, der etwa eine Mittelstellung einnimmt zwischen dem Chlor- agogen der Lymphzellen und demjenigen der Blutzellen (s. 0.). Was aber das Peritonealchloragogen vor allem auszeichnet, ist der Umstand, dafi die Korner auferst klein sind und bei weitem nicht so starke Neigung haben, miteinander zu verschmelzen, wie dies fiir das Chloragogen der Lymphzellen so charakteristisch ist. Wir sehen zwar auch im Peritoneum hier und da die Kérnchen zu eréferen Konkretionen zusammentreten, indessen iiberschreiten sie selten die Gréfe des Zellkerns, und niemals beobachtet man auch 276 Th. Schaeppi, eine derartige Verschmelzung, dafi auf einer oder mehreren Seiten des Kerns kompakte Chloragogenmassen entstanden (vgl. oben). Schon um dieses Verhaltens willen kénnen wir annehmen, daf es sich um verschiedene chemische Stoffe handelt, eine Annahme, welche denn auch durch die mikrochemische Untersuchung und die Analyse bestatigt wird (s. u.). Wenden wir uns nun zu demjenigen Teil des Peritoneums, welcher lings der Nephridien und der sie begleitenden Gefafe in die nephridiale Leibeshohle herabsteigt. Wie bereits oben vorweg- genommen wurde, zeigt auch dieser Abschnitt ein besonderes Ver- halten dem tibrigen Peritoneum gegeniiber; um indessen seine Anordnung im allgemeinen zu veranschaulichen, wollen wir vorerst ganz kurz den Verlauf und die Gestalt der Nephridien skizzieren. Die Nephridialtrichter 6ffnen sich im hinteren Ende eines Segments in die Leibeshohle, indem sie zwischen den Muskelbindern (s. 0.) je zweier aufeinander folgender Segmente in die Hohe steigen. Die Miindung des Trichters steht annahernd im Niveau der Muskel- bander und wird in dieser Lage durch Ligamente fixiert, welche von der seitlichen Leibeswand entspringen und sich an die aufere Seite des Trichters ansetzen. Der aus dem Trichter sich fort- setzende Nephridialschlauch durchbohrt die Muskelbinder des nachstfolgenden Segmentes und zieht, in der nephridialen Leibes- héohle angekommen, in schrag absteigender Richtung nach hinten, um am hinteren Ende dieses Segmentes nach aufen zu miinden. Vor dieser Mindung erweitert sich der Schlauch zu einer ge- raumigen Ampulle. Trichter und Schliuche sind von einem hohen Cylinderepithel ausgekleidet, welches einer strukturlosen Basal- membran aufsitzt und sich durch reichlichen Gehalt an Chlor- agogen auszeichnet. Dieses nephridiale Chloragogen erinnert in seinem morphologischen und chemischen (s. u.) Verhalten durchaus an dasjenige des oben beschriebenen Peritoneums. Feinkérnig wie jenes, hat es niemals die Neigung, zu grofen Klumpen zu- sammenzufliefen, und zeigt auch eine iibereinstimmende griinlich- gelbe Farbung. Dagegen verhalt es sich dem Kerne gegeniiber nicht immer in jener fiir das lymphoide und peritoneale Chloragogen so charakteristisch gesetzmafigen Stellung. Zwar ist auch hier nicht selten zu beobachten, dafi die Kérner um den Kern eine starkere Anhiufung zeigen, indessen ist der Fall entschieden der haufigste, dafi sie das dem Nephridiallumen zugekehrte Ende der Zellen erfiillen. Es muf aber bemerkt werden, daf auch der ent- gegengesetzte Fall nicht ausgeschlossen ist, da das Chloragogen Das Chloragogen von Ophelia radiata. 277 dem peripheren Teile der Zellen eingelagert ist. Wie CLAPAREDE richtig bemerkt (I. c.), ist schon von auSen der Chloragogengehalt der Schleifenkanale an ihrer braunlichen oder schwiarzlichen Far- bung zu erkennen, indessen fallt sofort auf, daf dieses Kolorit nicht dem ganzen Organe zukommt, sondern stets dem ampullen- formig erweiterten Endabschnitte fehlt. Auf Querschnitten durch die Ampulle zeigt sich dann auch in der That das vollstindige Fehlen von Chloragogenkérnern; auferdem aber zeichnet sich dieser Abschnitt noch dadurch aus, daf hier das Cylinderepithel bedeutend niedriger ist. Die Beziehungen des Blutgefafsystems zu den Nephridien haben wir bereits oben auseinandergesetzt und erinnern an dieser Stelle .nur noch einmal daran, daf das Seg- mentalorgan in seinem ganzen Verlaufe von der Kiemenvene und dem von ihr abgehenden blind endigenden Gefifschlauch begleitet wird. Das Peritoneum nun, welches die Nephridien bekleidet, er- scheint bald als einschichtiges, bald als mehrschichtiges, grof- maschiges Bindegewebe, dessen Zellen stets deutlich abgegrenzt sind und durch ein Netz von Fasern miteinander zusammenhiingen. In seinem Bau erinnert es durchaus an denjenigen des visceralen Peritoneums und diese strukturelle Ubereinstimmung wird dadurch noch erhéht, da auch die Bindegewebszellen dieses nephridialen Peritoneums, reichlich kernstindiges Chloragogen enthalten, das in Form, Farbe und chemischem Verhalten dem Chloragogen des visceralen Peritoneums vollkommen gleich ist. Von den Nephri- dialschlauchen aus verbreitet sich das Peritoneum auch auf die Aufhaingebainder derselben, iiberall dasselbe morphologische Ver- halten zeigend. Einen ganz anderen Charakter nimmt das Peritoneum aber da an, wo es auf die Kiemenvene iibergeht. Auf Querschnitten (vergl. Fig. 30) beobachtet man hier dicht aneinander gedringte, spindel- oder linsenférmige Zellen, die der GefaSwand in einer oder mehreren Schichten aufsitzen. Wo das letztere der Fall ist, zeigen die periphersten Zellen meist einen lockeren Zusammenhang miteinander, und zahlreiche Stellen deuten mit Sicherheit auf eine Ablésung derselben hin. Chloragogen fehlt diesen Zellen stets, dagegen zeigen sie eine eigentiimlich kérnige Struktur, welche sofort an diejenige der Lymphzellen erinnert. Noch deutlicher ist ihre Struktur auf dem Langsschnitte zu sehen (vergl. Fig. 31), wo sie als unregelmafige polygonale Gebilde erscheinen, deren peripher gelegene fast stets kurze, mehr oder weniger spitze Fort- 278 Th. Schaeppi, saitze treiben, wie wir sie bei den Jugendstadien der Lymphzellen (s. 0.) kennen gelernt haben. Durch ihre kérnige Struktur sowobl, wie auch durch ihre Gréfe unterscheiden sich diese Zellen leicht von den Epithelzellen der Nephridien, die auf Sagittalschnitten gleichfalls polygonale Umrisse zeigen, und ebenso leicht sind sie durch die angegebenen Merkmale und das Fehlen des Chloragogens von den nephridialen Peritonealzellen auseinanderzuhalten. In- dessen wird nur ein geringer Teil der Peripherie des Kiemen- gefaBes von diesen eben erwihnten charakteristischen Peritoneal- zellen eingenommen; die weitaus gréfte Cirkumferenz ist von den Geschlechtszellen besetzt, die schon durch ihre Gréfe von allen anderen Peritonealzellen abstechen. Wie bereits CLAPAREDE an- giebt, sind die Ophelien getrennten Geschlechtes, die Eizellen charakterisieren sich durch ihre machtige Vesicula germinativa, die Spermamutterzellen durch eine eigentiimliche Anordnung des Chromatins in ihren grofen Kernen. VY. Darmkanal. Der Darmkanal von Ophelia zerfallt in vier schon duferlich scharf voneinander getrennte Abschnitte: Pharynx, Osophagus, Magendarm und Abdominaldarm. Der Pharynx liegt als falten- reiches Gebilde vor dem Dissepimentsack, an dessen Decke er in seinem hinteren Teile durch Muskeln angeheftet ist. Er ist von einer diinnen, aus Ringmuskelfasern bestehenden Muscularis um- geben, die nach aufen hin vom Peritoneum iiberzogen ist. Da, wo der Darm den Boden des Organ injecteur durchbricht, geht der Pharynx in den Osophagus iiber. Dieser besitzt durch seit- liche Kompression ein schlitzférmiges Lumen, seine Seitenwande sind ziemlich glatt, die Bauchwand aber und vor allem die Riicken- wand vielfach gefaltet. Nach kurzem Verlaufe erweitert er sich zu dem schon von aufen als Auftreibung des Darmes sichtbaren Magen, welcher sich, wie bereits oben erwahnt, durch kolossalen Faltenreichtum auszeichnet. Dorsal und lateral erheben sich von der Peripherie nur niedrige Falten, wihrend dagegen von der Ventralseite her die Darmwand in vier machtigen, selbst wieder vielfach gefalteten Wiilsten ins Darmlumen aufsteigt. Wir nennen diesen Abschnitt einzig und allein in morphologischem Sinn ,,Magen“, ohne uns dariiber Rechenschaft geben zu kénnen, ob derselbe auch in physiologischer Hinsicht diesen Namen verdient. Im Ab- dominaldarm weichen die Falten rasch zuriick, wihrend das Darm- Das Chloragogen von Ophelia radiata. 219 lumen allmahlich jene hufeisenformige Gestalt annimmt, welche, wie bereits oben beschrieben wurde, durch die ventrale Einstiilpung des Darmsinus hervorgerufen wird. Oesophagus, Magen und Abdominaldarm haben nun das Ge- meinsame, daf sie ringsum vom Perivisceralsinus umgeben sind, die beiden ersteren vom Thorakalsinus, der letztere vom Abdominal- sinus. Es ist nun hier der Ort, um auf die Lage dieser Sinus etwas naher einzugehen. Wie oben erwaéhnt, ist der Darmsinus yon Ophelia demjenigen der Terebelliden, Serpuliden, Cirratuliden und anderer homolog. CLApAREDE (Annélides sédentair., p. 103), welcher die Beziehungen des Perivisceralsinus zum Darme einer eingehenderen Untersuchung unterworfen hat, giebt nun im all- gemeinen an, dafi der Sinus zwischen den beiden Muskelblattern des Darmes liege. Untersucht man den Darmsinus von Ophelia daraufhin, so findet man zwar eine der duferen Sinuswand ein- gelagerte Schicht von cirkuliren Muskelfasern, indessen ist es mir nie gelungen, eine dem Darmepithel aufsitzende Langs- oder Ring- muskulatur zu beobachten. Es zeigt vielmehr Ophelia in dieser Beziehung durchaus das Verhaltnis, wie dies CLAPAREDE fir die Aricier beschreibt: ,,Chez les Aricies enfin, peut-étre a cause de la petitesse de l animal, il est a peine possible a parler encore de couches musculaires. Le sinus parait baigner directement au dedans la surface externe de l’épithel intestinal..... “Auch die gleich darauf folgende Beschreibung hat fiir Ophelia ganz die- selbe Geltung: ,,Dans les sections transversales, le frottement du rasoir détache parfois une partie de sinus de 1’épithélium sous- jacent et le premier n’en garde pas moins exactement sa forme. On pourrait peut-étre conclure de ce fait a l’existence d’une membrane propre limitant le sinus du coté interne. Je nai pourtant jamais réuni a la distinguer avec certitude.“ Zeigt nun einerseits der Darmsinus von Ophelia in topographischer Hin- sicht ein vom allgemeinen Typus abweichendes Verhalten, so ist dagegen in anderer Beziehung eine groBe Ubereinstimmung nicht zu verkennen. CLAPAREDE beschreibt nimlich im Darmsinus von Serpuliden (1. c. p. 101) eigentiimliche Fasern, welche mit Kernen besetzt sind und sich von einer Sinuswand zur anderen ausspannen. Auch im Darmsinus von Ophelia finden wir analog geformte Ele- mente, indessen kommen sie nur in denjenigen Abschnitten vor, wo der Sinus seicht und die Darmwand gefaltet ist, also im Thorakal- und im Beginne des Abdominalsinus (vergl. Fig. 32 und 33). Vor allem sind es die Falten, in denen diese Faserzellen Ba. XXVIU. N. F. XXI, 19 280 Th. Schaeppi, besonders zahlreich sind; hier bilden sie fast stets ein zusammen- hangendes Netzwerk, in dessen Maschen das Blut flieSt. In den Darmfalten haben sie stets einen radifren Verlauf, d. h. vom Darmlumen nach der Peripherie gehende Richtung, in den peri- pheren Teilen des Darmsinus selbst aber liegen sie ebenso oft der Darmwand an, als dafs sie die gegeniiberliegenden Wande des Darmsinus verbinden. Was nun aber diese Zellen bei Ophelia besonders interessant erscheinen la8t, ist das Vorkommen von Chloragogen in einer grofen Anzahl derselben. Dieses Chloragogen ist morphologisch und chemisch nicht zu unterscheiden von demjenigen der Lymph- zellen und, wie wir weiter unten sehen werden, von demjenigen der Darmzellen. Meist tritt es in mehreren benachbarten Zellen auf, bald als groBe Kérner, welche die Zellen vollstandig anfiillen, an denen jedoch stets deutlich noch ihre Zusammensetzung aus mehreren Kérnern erkannt werden kann, bald aber auch in Form von kleinen K6rnchen, die etwa die GréSe des Kernes besitzen. Eine kernstiindige Lage ist entschieden manchmal angedeutet, wird aber dadurch sehr verwischt, da die Faserzellen sehr klein sind. Wir haben bereits oben beschrieben, da sich diese Faser- zellen in ihrem Vorkommen auf den thorakalen und den Beginn des abdominalen Darmsinus beschrinken; sie verschwinden mit anderen Worten da, wo der Sinus breiter wird und die Darmfalten zuriickgehen. Statt dessen tritt uns hier im Innern des Darm- sinus jenes eigentiimliche Bindegewebe entgegen, welches, wie wir von der Beschreibung des Gefaifsystems her wissen (s. 0.), von der ventralen Sinuswand entspringend, in mannigfachen Wiilsten in den Sinus emporsteigt. In seinem histologischen Bau zeigt dieses intravasale Bindegewebe entschieden grofe Ubereinstimmung mit dem visceralen Peritoneum; indessen ist es bedeutend grol'- maschiger und zeichnet sich auch dadurch aus, daf} die eingestreuten Kerne annahernd iiberall gleichmafig verteilt sind, indem weder an der Peripherie noch im Innern eine stirkere Anhaufung der- selben zu beobachten ist. Vor allem wird diese strukturelle Ahn- lichkeit dadurch herbeigefiihrt, da auch dieses Bindegewebe mit Chloragogenkérnern erfiillt ist, welche in Form, Farbe und Lage- rung durchaus mit denjenigen des Peritoneums tibereinstimmen ; die kernstindige Anordnung der Korner ist auch hier durchaus typisch ausgebildet und auch in den Fallen deutlich ausgesprochen, wo das Gewebe sehr reich ist an Chloragogen (vgl. Fig. 28). In Das Chloragogen von Ophelia radiata, 281 seinen basalen, der Sinuswand anliegenden Partien weist dieses Bindegewebe freilich eine wesentlich andere Struktur auf. Indem namlich seine Maschen gegen die Ursprungsstelle hin immer kleiner werden, entsteht hier ein dichtgefiigtes, auferst zellenreiches Gewebe, welches sich auferdem von den héher gelegenen Partien und dem Peritoneum auch dadurch auszeichnet, dali ihm wenig- stens im centralen Teile das Chloragogen vollstindig fehlt. Nur an der Peripherie, wo der feste Zusammenhang der Zellen einem lockeren Gefiige Platz macht, beobachtet man stets Chloragogen in ihrem Innern. Wir haben bereits oben vorgreifend bemerkt, daf Chlor- agogenkérner auch in dem Darmepithel vorkommen. Die Epithelzellen sitzen im Pharynx der Muscularis, in den iibrigen Darmabschnitten unmittelbar dem Darmsinus auf, eine Basalmembran ist, wie oben erwahnt, nirgends vorhanden. Im Oesophagus und vor allem im Magen zeichnet sich das Epithel durch besondere Héhe aus, wah- rend es im Pharynx und noch mehr im Abdominaldarm ver- haltnismafig niedrig ist. Das Chloragogen des Darmes ist nun seinem morphologischen Verhalten nach verschiedener Natur. Ein- mal finden wir Chloragogenkérner, die in Form, Farbe und che- mischem Verhalten mit denjenigen der Faserzellen und Lymph- zellen iibereinstimmen. Sie sind am haufigsten im Magen zu treffen, seltener im Oesophagus und nur ganz vereinzelt im Pha- rynx; im Abdominaldarm dagegen habe ich sie niemals beobachtet. Ein gesetzmafiges Verhalten zum Kerne konnte ich innerhalb der Darmzellen nirgends bemerken: man sieht sie bald am Grunde der Zellen liegen, bald neben dem Kerne, bald auch an der dem Darmlumen zugewandten Peripherie. Uberall fallen sie durch ihre Grofe auf, indem sie meist die ganze Breite einer Epithelzelle einnehmen; manchmal kommen auch mehrere und dann meist kleinere K6rner vor, selten aber sind sie so klein, wie wir sie in den Faserzellen stellenweise angetroffen haben (s. 0.). Andererseits trifft man nun aber auch in den Darmzellen hier und da Chloragogenkérner, welche in ihrer Farbe ganz an die den Blutzellen innelagernden Konkretionen erinnern, die wir an- laBlich der Beschreibung des Herzkérpers oben erwahnt haben. Sie finden sich mit Ausnahme des Pharynx in allen Darmab- schnitten, in reichlicherer Anzahl aber nur im Magen, und auch hier treten sie den vorher besprochenen Chloragogenkérnern gegen- iber stark in den Hintergrund. Sie sind meist in gréferen Klum- pen in den Zellen abgelagert, seltener und dann oft als kleinere 19% 282 Th. Schaeppi, Korner vereinzelt. Besondere Beziehungen zum. Kerne konnte ich auch hier niemals beobachten. Endlich miissen wir an dieser Stelle noch eigentiimlicher Kérn- chen gedenken, welche mit Ausnahme des Pharynx das gesamte Darmepithel in seiner dem Darmlumen zugekehrten Peripherie erfilllen (vgl. Fig. 32 und 33). Auf dem Querschnitte bilden sie einen ununterbrochenen Kérnersaum, welcher iiberall dieselbe Breite hat und mit dem Kerne in keiner Auferlich sichtbaren Beziehung steht. Die Kérnchen ahneln vermége ihrer griinlichen Farbe den Chloragogenkérnern des Peritoneums, indessen sind sie noch viel feiner und homogener als dieselben, indem sie niemals zu groferen Kérnchen zusammenfliefen. B. Chemischer Teil. Wir haben im Verlaufe unserer morphologischen Unter- suchungen fast in allen Organsystemen eigentiimliche, bald mehr braéunlich, bald griinlich gefirbte Konkretionen angetroffen, die wir alle unter dem Namen Chloragogenkérner zusammengefalt haben, ohne uns weiter dariiber Rechenschaft zu geben, ob auch in physiologischer Beziehung eine Verwandtschaft existiere (s. Kinl.). Ganz allgemein werden die Chloragogenkérner aller Anne- liden als Exkretionsprodukte aufgefaSt, und diese Annahme liegt um so naher, als H. Este in dem nephridialen Chloragogen der Capitelliden, wenn auch nicht mit Sicherheit, so doch mit Wahr- scheinlichkeit Guanin nachgewiesen hat. Ich habe nun versucht, auch fiir Ophelia die chemische Natur der einzelnen Chloragogen- arten zu ermitteln, bekenne aber, dafi mir dies nur zum Teile mit Sicherheit gelungen ist. Ich mu& vorausschicken, daf ich mich bei meinen Untersuchungen nur auf die organischen Kérper der Konkretionen beschrinkt habe, da es mir ja nur darum zu thun war, ihren physiologischen Wert zu eruieren. I. Die mikrochemische Untersuchung. Untersuchen wir vorerst das Chloragogen der Lymphzellen, so zeigt dasselbe folgendes Verhalten: Die Stabchen sind unléslich in verdiinnter und konzentrierter Oxalsiure. Auf Zusatz von konzen- trierter Essigsdiure treten 6fters Gasblasen auf, im tibrigen zeigen Das Chloragogen von Ophelia radiata, 283 aber die Stabchen selbst bei stundenlanger Einwirkung keine sicht- baren Veraénderungen. Verdiinnte HCl ist ohne Einflu8, auf Zusatz von konzentrierter Salzsiure zeigen die Stabchen eine griinliche Verfarbung, welche an den Enden am stirksten ausgesprochen ist und daselbst einen tief smaragdgriinen Ton annimmt. Nach einiger Zeit verschwindet die griine Farbe wieder, und die Stabchen er- scheinen zwar etwas blasser, aber in ihrer Struktur durchaus un- verandert. In der Kalte lésen sie sich tiberhaupt nicht auch bei langerer Einwirkung, beim Erwarmen erblassen sie allmihlich und zerfallen in eine kriimelige Masse, welche fast unlislich ist in Wasser. Schwefelsiure hat in verdiinntem Zustande durchaus keine Einwirkung, in konzentriertem Zustande dagegen bewirkt sie rasch eine eigentiimliche Aufquellung der Stabchen, die haufig mit einer Formveranderung, namentlich einer verminderten Flexion verbunden ist. Eine Auflésung der Stabchen ist aber auch bei langerer Einwirkung nicht zu beobachten. Mit verdiinnter oder konzentrierter Schwefelsaure erwirmt, tritt eine sofortige Auf- quellung ein und in der Folge eine Auflésung zu einem dunkel- braunen, in Wasser unldéslichen Brei. Sowohl verdiinnte, als auch konzentrierte Salpetersiure haben in der Kalte keinen Einflu8 auf die Stibchen, héchstens tritt hie und da eine schwache Abblassung ein. Beim Erwarmen dagegen tritt Aufquellung und fernerhin Auf- lésung zu einem gelben Brei ein. Beim Abdampfen der Salpetersiure tritt die Xanthoproteinreaktion ein, nachfolgender Zusatz von Kali- lauge oder Ammoniak bewirkt indessen keine purpurrote, sondern eine einfach braun- bis dunkelgelbrote Verfarbung. Die Murexid- probe fallt also negativ aus. Dieselbe Verfairbung tritt auch ein bei nachfolgendem Zusatz von Natronlauge, so daf auch das Vor- handensein von freiem Guanin ausgeschlossen ist. Eau de Javelle bewirkt schon in mafiger Verdiinnung ein starkes Erblassen der Stabchen, im Uberschu8 zugesetzt aber einen von den Enden aus- gehenden kérnigen Zerfall und ohne Zweifel eine teilweise Auflésung derselben. Die Reaktion tritt unter Bildung von Gasblasen (Chlor) auf. Gegen Alkalien (sowohl verdiinnte als konzentrierte) verhalten sich die Stabchen vollstandig indifferent, ebenso sind sie vollstandig unlislich in Ather und Alkohol. Alle diese Reaktionen der Stabchen, ihre Unléslichkeit in Alkalien, Ather und Alkohol und ihre iiberraschende Widerstands- fahigkeit gegen Mineralsiuren und organische Séuren machen es héchst wahrscheinlich, daf wir es mit einer chitinigen Substanz zu thun haben, eine Annahme, die um so gerechtfertigter ist, als auch 284 Th. Schaeppi, ihr morphologisches Verhalten eine auffallende Ahnlichkeit mit Chitin aufweist. Das A jf 2) SY, A \v \ a Y “ V1 fiihrenden Gefafes hervor. Fig. 21 stellt dies schematisch dar. A ist eine Kieme vom ersten Typus. Es ist augenscheinlich, dal jede Annaiherung des abfiihrenden Gefifes an das zufiihrende oder an die Kérperwand die Raiume (a) in geschlossene Sickchen um- wandeln wiirde, die fiir die Atmung nicht geeignet wiren. Daher das Verschwinden der inneren Lamelle, wie B,b es zeigt. Fig. C zeigt ein weiteres Stadium in dem Prozef und D stellt eine typische Kieme des zweiten, des Notaspideentypus dar. Bd XXVill, N, F XX. 30 456 John D. F. Gilchrist, Wichtigste Litteratur. 1) J. Bernnarp, Recherches sur les organes palléaux des Gastéropodes prosobranches. Ann. des Sc. Nat., LIX, 1890. 2) Buocumann, Die im Golfe von Neapel vorkommenden Aplysien. Mitteil. aus der Zool. Stat. zu Neapel, 1884, Nr. 5. — Uber die Driisen des Mantelrandes bei Aplysia und verwandten Formen. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. 38, 1883. 3) A. G. Bourne, On the supposed communication of the vascular system with the exterior in Pleurobranchus. Quart. Jour. Micr. Sc. (2), Vol. 25, 1885, p. 429. 4) Bouvier, Sur organisation des Actaeons. Société de Biologie, 7. Jan. 1893. 5) W. Crarx, Mémoire sur les Bullides. Ann. and Mag. of Nat. Hist., 2. Ser., 1850, Vol. VI, p. 98. 6) J. T. Connineuam, Notes on structure and relation of kidney of Aplysia. Mitteil. aus der Zool. Stat. zu Neapel (4), 1883. 7) Fremmine, Untersuchungen iiber Sinnesepithelien der Mollusken. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 6, 1870. — Die Haare tragenden Sinneszellen an der Oberhaut der Mol- lusken. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 5, 1869. 8) P. Fiscuer, Manuel de Conchyliologie. 9) V. Grazer, Uber die Empfindlichkeit einiger Meertiere gegen Riechstoffe. Biol. Centralbl., Bd. 8, p. 743, 1889. 19) B, Hatter, Untersuchungen iiber marine Rhipidoglossen. Morphol. Jahrb., Bd. 9, 1884. 11) Hancock, On the olfactory apparatus of the Bullidae. Ann. and Mag. of Nat. Hist., Series 2, t. IX, 1852. 12) H. v. JuErmne, Das Nervensystem und die Phylogenie der Mol- lusken. 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Zool., Bd. 35, 1881. 21) A. Vaysstkrr, Recherches anatomique sur les mollusques de la famille des Bullidés. Ann. Sc. Nat. Zool., 6. ser., t. 9, 1879—80. — Recherches zoologiques et anatomiques sur les mollusques opisthobranches du Golfe de Marseille. Ann. du Musée d’Hist. Nat. de Marseille, Zoologie, Tome 2. 22) Die folgende Arbeit enthalt wichtige Beobachtungen iiber die Mantelorgane einiger Opisthobranchiata. Beitrige zur Anatomie der Gattung Siphonaria von Dr. Aveustus K6xuter in Giefen, aus den Zoologischen Jahrbiichern von SpENGEL in GieBen. Siebenter Band, 1893. 30* 458 John D. F. Gilchrist, Figurenerklirung. Fig. 1. Aplysia depilans. A mit ausgeatreckten Para- podien kriechend. aw Auge, ex.s Ausstromungssipho, g.f Geschlechts- furche, J. par linkes Parapodium, r.par rechtes Parapodium, rhin Rhinophora. B ruhend. Die Parapodien greifen iibereinander. C in ungeniigend durchliiftetem Wasser. Die Parapodien sind weit aus- gestreckt, der Mantel erhoben, die Kieme ragt hervor. an After, ex.s Ausstrémungssipho, g.o Geschlechtséffnung, h.d Hypobranchial- driise, 7”.s Einstrémungssipho, m Mantel, m.d Manteldriise, n.0 Ne- phridialéffnung, os Osphradium. Fig. 2. Aplysia depilans. Schematischer Querschnitt. ct Ctenidium, hd Hypobranchialdriise, md Manteldriise, m.h Mantel- hohle, mer Niere, pa Parapodien, m innerer Winkel der Mantelhéhle, s Offnung zur Schalenhéhle, sh Schale, v Eingeweide. Fig. 8. Aplysia depilans, Schematische Darstellung der Kiemenfaltung. Fig. 4. Aplysia depilans. Querschnitt des Osphradiums. ce Wimperepithel, ct Konnektivgewebe, m der Nerv, welcher durch das Ganglion geht, n.e Neuralepithel. Fig. 5. Aplysia depilans. Schnitt, welcher das Branchial- ganglion (bg) und das Ganglion des Osphradiums (0s.g) zeigt. mn Mantelnery, br.n Branchialnerv, ef.v abfiihrendes GefaB. Fig. 6. A. dep. Ein Schnitt durch das Osphradium, welcher die Verbindung zwischen Epithel und Ganglienzellen zeigt. Fig. 7. A. dep. A und B wimperlose Zellen iiber dem Gan- glion des Osphradiums. C Wimperzellen, welche die Grube des Osphradiums umgeben. Fig. 8. Aplysia limacina, mit getrennten Parapodien (pa). Fig. 9. Apl. lim., der Siphonalnery mit zerstreuten Gan- glienzellen. Fig. 10. Notarchus neapolitanus. A Seitenansicht. pa verschmolzene Parapodien, 9 Parapodialéffnung, rhim Rhinophora. B die Parapodialhéhle ist gedffnet. ct Ctenidium, im.s Einstromungs- sipho, m Mantel, 0 Parapodialéffoung, os Osphradium, 7 Rectum. Fig. 11. Notarchus, Osphradium mit der Lippe J, die das Osphradium abschlieBen kann, osg Ganglion des Osphradiums, Anordnung, Correlation u. Funkt. d, Mantelorgane d. Tectibranchiata. 459 Fig. 12. Oscanius (Pleurobranchus) membranaceus. an After, ct Ctenidium, dr Driise, go Geschlechtséffnung, no Nephridialéffnung, pa Parapodium, rhin Rhinophora. Fig. 13. Oscanius. Schema, das die Art der Kiemenfaltung zeigen soll. Fig. 14. Pleurobranchea meckelii. A _ Seitenansicht. an After, ct Ctenidium, dr Driise, f Fub, go Geschlechtséffnung, m Nephridialoffnung, p Saum von Fortsitzen, rhim Rhinophoren. B Schwimmstellung. m Metapodium. C Vergrdferte Ansicht der vor der Kieme gelegenen Driise. Die Pfeile zeigen die Richtung des Wasserstromes an. Fig. 15. Lage des Afters und der Nephridialéffnung zur Kieme. A urspriingliche Anordnung. B Verhalten bei Aplysia. C bei Osca- nius. D bei Pleurobranchea. Fig. 16. Umbrella mediterranea, an After, c Spalte im Fuge, ct Ctenidium, f Ful, m.pr Mantelfransen, rhim Rhinophora, sh Schale. Fig. 17. Umbrella med. Aufere Ansicht und Schnitt durch den Mantelrand. dr! und dr? Driisen, 0 Offnung der Driisen, se das Epithel, welches die Schaie erzeugt, sh Schale. Fig. 18. Acera bullata. A Seitenansicht. rhin Rhinophoren. B Querschnitt der Kopfregion. B Querschnitt der Kopfregion durch die Rhinophoren. Fig. 19. Bulla striata. C Kopfschild, rhim Rhinophoren, pa Parapodien, Fig. 20. Acteon. an After, op Operculum. Fig. 21. Schema zur Erlauterung des hypothetischen Uberganges yon der Kieme von Aplysia (A) zu der von Oscanius (D). Die Muskulatur von Chiton. Von Lilian V. Sampson. Mit 4 Figuren im Text. Die Arbeit iiber die Muskulatur von Chiton wurde im Labo- ratorium der Universitat Ziirich angefangen und zum Teil dort unter der freundlichen Mitwirkung von Herrn Professor Lane und Herrn Dr. FrepLer ausgefiihrt. Herrn Professor Lana verdanke ich das Material, das er gréftenteils aus Neapel kommen lieB. Die Arbeit wurde im Bryn Mawr College fortgesetzt unter der Aufsicht des Herrn Professor MorGan; einige Chitonexemplare, die er aus Jamaika mitgebracht hatte, waren von grofem Wert fir mich, insofern ich an ihnen bestatigt fand, was ich bei den viel kleineren neapolitanischen Species gefunden hatte. In dem folgenden vorlaufigen Bericht tiber die Resultate meiner Unter- suchung werde ich so kurz als méglich die hauptsachlichen Muskeln der Schalen, des FuBes und des Mantels von Chiton olivaceus, einer der neapolitanischen Species beschreiben. Zunachst mu8 ich auf das Verhaltnis der acht Schalen zu einander eingehen. Die Schalen II bis VII inklusive (von vorn nach hinten gezahlt) sind gewdlbte Streifen auf der dorsalen Kérperoberflache ; ihr vorderer und hinterer Rand sind annahernd parallel; die Seitenrander bilden eine Linie zu beiden Seiten des Tieres, sie setzen sich in den Vorderrand der ersten und in den Hinterrand der achten Schale fort, welche beide die abgerundeten Enden des Korpers bilden (Fig. 1). Diese auBersten Schalen wélben sich so iiber die Enden des Tieres, daf sie eher Teilen einer Kugeloberflache als Streifen vergleichbar sind. Der Mantel bildet einen schmalen Saum um die freien Rander der Schalen. Soviel Die Muskulatur von Chiton. 461 sieht man von der Dorsalseite. Am vorderen Rande jeder Schale (mit Ausnahme der ersten) findet sich an beiden Seiten ein Vor- sprung (Apophyse) (Fig. 1 und 2), der unter die nachst vordere Fig. 1. Schalen I, V und VIII losgelést und von der Dorsalseite gesehen. @ vorn ap Apophyse, p hinten. Schale greift. Die meisten Muskeln der Schale, des Fufes und des Mantels sind an die ventrale Flache der Schale oder an die dorsale der Apophyse angeheftet. Die Muskeln der Schalen. Die Muskeln, welche bei der Kontraktion und Extension von Chiton die Lage der Schalen zu einander verdndern, liegen den 462 Lilian V. Sampson, Schalen ventral unmittelbar an. Es sind: 1) Ein medianer dor- saler Muskel (Fig. 2 u. 3 md), der aus einer Reihe von Ab- schnitten besteht, von welchen jeder einer Schale (mit Ausnahme der letzten) entspricht und die vorderen Rander zweier aufein- ander folgender Schalen verbindet, wahrend einige Fasern an- scheinend ununterbrochen ventral von diesen Anheftungsstellen hinstreichen. Der Muskel unter der ersten Schale (Fig. 2) teilt Fig. 2. Schema des Vorderendes von Chiton nach Entfernung der Eingeweide und der Muskeln des Fufses und des Mantels von der Ventralseite gesehen. a@ vorn, AG Anheftungsstelle der vorderen Gruppe der Muskeln des Fufses unter IV. al An- heftungsstelle des Medianmuskels der vorderen Lippe, ap Apophyse, 4, Anheftungs- stelle der aiufseren, 6, der inneren Gruppe der Buccalmuskeln, dv,a Anheftungsstelle des Dorsoventralmuskels unter I, welcher den Lateropedalmuskeln der anderen Schalen entspricht, dv,a Anheftungsstelle der dufseren Gruppe der vorderen Dorso- ventralfasern, dv,a Anheftungsstelle der inneren Gruppe der vorderen Dorsoventral- fasern, J seitlicher Liangsmuskel der Schalen, Ma Anheftungsstelle des innersten Mantelmuskels, md medianer Dorsalmuskel der Schalen, od schraéger Dorsalmuskel der Schalen, p hinten, PG Anheftungsstelle der hinteren Gruppe der Muskeln des Fufses unter IV. Die Muskulatur von Chiton. 463 sich in zwei Halften, die von der Anheftungsstelle an der zweiten Schale aus divergieren, so da sie beide seitlich unter der ersten Schale enden, da wo diese sich tiber das vordere Ende des Ké6r- pers wolbt. 2) Ein Paar schiefer dorsaler Muskeln, die jeden der Abschnitte des medianen Lingsmuskels begleiten (Fig. 2 od). Diese Muskeln sind an ihrem Hinterende in der Nahe der Langs- muskeln befestigt, in der Mitte des vorderen Randes der Schale, welche auf diejenige folgt, unter der der Muskel hinzieht; vorn sind die Muskeln an die Ventralfliche der Schale, welcher sie entsprechen, angeheftet, etwas entfernt von der Mittellinie, nahe den Apophysen. 3) Eine Serie von Langsmuskeln an den Seiten (Fig. 2 u. 3 1), die von der Dorsalfliche der Apophysen zur Ven- tralflache der nachst vorderen Schale gehen. Wie bei dem Me- dianmuskel, so verlaufen auch hier einige Fasern kontinuierlich unter den iibereinander greifenden Randern der aufeinander fol- genden Schalen. 4) Ein Polster von Muskeln, das die Apophysen jeder Schale auf der Dorsalseite bedeckt und also zwischen den iibereinander greifenden Teilen zweier aufeinander folgender Schalen liegt; die Fasern am vorderen seitlichen Rande des Polsters (Fig. 3 c,) liegen in der Transversalebene und verlaufen schrag zur Mittellinie, von der Apophyse der hinteren Schale zur vorderen Schale. Die iibrigen Fasern kann man in zwei Gruppen ein- teilen, die beide ebenfalls schrig verlaufen. Die eine Gruppe liegt in der Sagittalebene; vorn sind sie an die hintere, hinten an die vordere Schale angeheftet. Zwischen der hinteren Schale und der hinteren Anheftungsstelle der Fasern befindet sich ein Raum, der von der zweiten Gruppe von Fasern eingenommen wird (Fig. 3 c,), welche in der Horizontalebene liegen. Sie sind auch mit ihren vorderen Enden an die hintere Schale geheftet, verlaufen zur Seite und nach hinten und heften sich mit ihren hinteren Enden an die vordere Schale. Die Muskeln des FuBes. Der Fu wird von verschiedenen Gruppen von Muskeln ver- sorgt, die unter den Schalen IV, V, VI identisch sind. Einige der Fasern erfahren unter III eine kleine Unterbrechung ihres Ver- laufes durch Buccalmuskeln; unter VII beeinflussen die Ausfiih- rungsginge der Fortpflanzungs- und Exkretionsorgane und die Verbindung zwischen Kiemenvenen und Vorkammern des Herzens die Anordnung. Die Endlage der ersten und der letzten Schale 464 Lilian V. Sampson, bringt eine abweichende Anordnung in den entsprechenden K6érper- regionen mit sich, und endlich modifizieren die Buccalmasse unter II und der Mund, der teils unter I, teils unter II liegt, das gewohn- liche Verhalten. Da das Tier bilateral symmetrisch ist, kann ich mich auf die Beschreibung der Muskeln einer Seite ANN beschranken. aN Die Anordnung, die Bieve man unter den Schalen a IV, V, und VI findet, Via kann als ftypisch _ be- _ trachtet werden; dort kommen zwei Gruppen von Mus- Le keln vor, ota, Se Schale be- Fig. 3. Querschnitt durch die vordere Gruppe der Muskeln des Fufses unter VI. Die Eingeweide sind nicht dargestellt. V fiinfte Schale, VI ap Apo- physe der sechsten Schale, ao Musculus antero-obli- quus, ap Apophyse, dc Leibeshéhle, ¢, schrage Muskel- fasern des Polsters in der Transversalebene, c, schrige Muskelfasern des Polsters in der Sagittalebene, c, schrige Muskelfasern des Polsters in der Horizontalebene, f Fufs, J seitlicher Lingsmuskel der Schalen, Zp Musculus latero-pedalis. HM innerer Muskel des Mantels, md medianer Dorsalmuskel der Schalen, mp Musculus medio-pedalis, yn Pedalnerv, po Musculus postero-obliquus, Die Muskulatur von Chiton. 465 festigt sind, an den in Fig. 2 bezeichneten Stellen (AG, PG). In beiden Gruppen finden sich drei Muskeln, die von der Ventral- flache der Schale in den Fu gehen. Der innere, ein dorsoven- traler Muskel (Fig. 3 lp), versorgt den Teil des Fufes, der aufer- halb des Pedalnerven liegt (Fig. 3 pn); nach seiner Lage kann man ihn den ,,Musculus latero-pedalis“* nennen; der Aaufere oder ,Musculus medio-pedalis“ (Fig. 3 mp) verlauft von der Schale zum mittleren Teil des Fufes, er kreuzt die Fasern des Latero- pedalis und versorgt den innerhalb des Pedalnerven gelegenen Teil des Fufes; einige Fasern gehen noch iiber die Mittellinie hinaus, die meisten aber bleiben in der Fufsohle auf der Seite, auf welcher sie entsprangen. Zwischen dem inneren und dem auBeren verlauft noch ein schrager Muskel von der Schale nach vorn in den Fu8; ich werde ihn den ,,Musculus antero-obliquus“ der Gruppe nennen, Die entsprechenden Muskeln der zwei Gruppen (der hinteren und der vorderen) haben zwar im allgemeinen gleiche Richtung, weichen aber doch in ihrer relativen Lage etwas von einander ab. In der vorderen Gruppe findet sich aufer diesen drei Muskeln noch ein zweiter schrager Muskel, dessen Anhef- tungsselle (Fig. 3 po) nach innen zu unmittelbar neben der des Musculus medio-pedalis liegt; er geht nach hinten in den Fuf; es ist der Musculus postero-obliquus. Unter der achten Schale besteht eine Hauptabweichung von der typischen Muskelanordnung im ganzlichen Fehlen des Musculus postero-obliquus, was sich aus der Lage und Gestalt dieser Schale erklart ; der Musculus antero-obliquus dagegen ist starker entwickelt als die entsprechenden Muskeln unter den typischen Schalen. Unter der achten Schale sind ferner die Muskeln nicht deutlich in eine vordere und eine hintere Gruppe geschieden, sondern die Fasern des Latero-pedalis, des Medio-pedalis und des Antero- obliquus bilden je einen fast kontinuierlichen Muskel, dessen An- heftungsfeld von der Stelle, die der vorderen Gruppe anderer Schalen entspricht, bis zum hinteren Ende der Schale reicht. Die Muskeln der beiden Seiten nahern sich einander in dem Mabe, wie Kérper und Schale schmaler werden; unter VIII endlich findet man einen breiten horizontalen Muskel der an der inneren Flache des hinteren Teils der Schale inseriert ist, nahe der Mittellinie zu beiden Seiten des Darms; er geht nach vorn in den FuB. Wie zu erwarten, fehlen die Antero-obliqui unter der ersten und zweiten Schale; abgesehen davon ist die Anordnung der Muskeln unter II ebenso wie unter den anderen Schalen, nur 466 Lilian V. Sampson, daf die Anheftungsstelle der vorderen Muskelgruppen etwas weiter nach hinten gertickt ist als bei den anderen Schalen (cf. Fig. 2). Auf der Ventralseite des Tieres liegt in der Region der ersten und der vorderen Halfte der zweiten Schale der Kopfabschnitt, in dessen Mitte sich der Mund mit seinen kreisférmigen Lippen befindet; die Muskulatur gehért hier also diesen Organen an und nicht dem eigentlichen Fue. Doch erstrecken sich zwei Muskeln, die an diese beiden vordersten Schalen angeheftet sind, bis in den Fuf hinein: ein starker schrager Muskel (Fig. 4 0b), der von der ersten Schale ausgeht, unmittelbar vor dem darunter liegenden Rande der zweiten (und zwischen dorsoventralen Fasern, auf die ich gleich eingehen werde). Dicht hinter diesem schragen Muskel ist ein gleichgerichteter an der Apophyse von II angeheftet. Der erste liegt diesem zweiten Muskel ventral an, beide vereinigen sich und treten als ein Muskel in den FuB. \Y WY\ Fig. 4. Querschnitt durch die Gegend des Mundes. I erste Schale, dc vorderer Teil der Leibeshéhle, wo die Buccalmasse liegt, 4m Teil der Buccalmasse, aus dem Mund vordringend, cl ringférmige Muskeln der Lippe, dv, Dorsoventralmuskel unter I, den Latero-pedales der anderen Schalen entsprechend, hf Kopfab- schnitt des Fufses, M innerer Muskel des Mantels, m Nervenring, den Mund um- gebend, ob schriger Muskel, von I in den Fufs verlaufend, cl schrager Muskel, den Medio-pedales der anderen Schalen entsprechend. Andere Muskeln unter I (Fig. 4) entsprechen in ihrer Lage dem M. latero-pedalis und dem M. medio-pedalis unter den anderen Schalen. Dem vorderen und hinteren Latero-pedalis ent- sprechen Gruppen dorsoventraler Fasern, die die seitlichen Teile Die Muskulatur von Chiton. 467 des Kopfabschnittes versorgen, und in der Gegend des Mundes zum Teil auch die Lippen. Die Fasern verlaufen etwas schrig, da ihre Anheftungsstelle von der Buccalmasse zum seitlichen Rande der Schale gedringt wird. Die hintersten dieser Fasern (Fig. 4 dv,) umgehen den grofen schrigen Muskel, der von der ersten Schale in den Fuf verlaiuft, und den Nervenring, der den Mund umgiebt (Fig. 4 ob und mr). Die Fasern, welche dem M. medio-pedalis entsprechen, sind nahe dem duferen Rande der Schale befestigt (Fig. 4 ol), sie sind nicht in eine vordere und hintere Gruppe geschieden. Auch die Teilung der dorsoventralen Fasern in zwei Gruppen ist nicht scharf; die beiden Gruppen folgen dicht aufeinander und auch zwischen ihnen kommen noch einzelne Fasern vor. Hierin gleicht die Muskelanordnung unter der ersten Schale der unter der achten. Zwei ideale Linien, welche auf beiden Seiten die Anheftungs- stellen der M. latero-pedales (und der Dorsoventralmuskeln der ersten Schale) verbinden wiirden, miiften sich, in dem Mage wie die Breite des Kérpers abnimmt, einander nahern, wie unter der achten Schale. Auf diesen Linien wiirden aufer den bereits beschriebenen Muskeln die Anheftungsstellen zweier dorsoventraler Muskeln, die zur Kopffalte gehen, liegen (Fig. 2 dv,a und dv,a). Zwischen diesen beiden Muskeln und zwischen dem hinteren von ihnen und dem bereits beschriebenen Dorsoventralmuskel gehen zwei starke Muskeln, die am Vorderende der ersten Schale befestigt sind, zur Buccalmasse. Derjenige Dorsoventralmuskel, welcher der Mittellinie und also dem entsprechenden Muskel der anderen Seite am niachsten liegt, wird von diesem nur durch einen medianen Muskel, der zur Vorderlippe geht, getrennt (er ist bei al Fig. 2 angeheftet). Die Lippen werden ferner von folgenden Muskeln versorgt: von einem medianen Horizontalmuskel, der von der unteren Flaiche des Vorderendes der ersten Schale zur vor- deren Lippe geht, von Ringmuskeln in den hinteren und seitlichen Teilen der Lippe (Fig. 4 cl) und von Muskeln, die von der vor- deren und der hinteren Lippe nach vorn und nach hinten aus- strahlen. Die Muskeln des Mantels. Der Teil des Mantels, welcher unmittelbar an den Mantel- raum angrenzt, wird von dem in Fig. 3 und Fig. 4 bei M dar- gestellten Muskel eingenommen. Seine Lage ist aus Fig. 3 er- 468 Lilian V. Sampson, Die Muskulatur von Chiton, sichtlich; er ist mit einem Ende an der unteren Flache der Schale befestigt, im ganzen Umkreis des Mantels, d. h. rings um das ganze Tier (Fig. 2 Ma). Andere Muskeln gehen vom Rand der Schale in den duSersten Rand des Mantels (cf. Fig. 3 und 4); es kommen auch Langsfasern vor und auf Querschnitten sieht man einzelne andere Fasern, die einander unter rechtem Winkel kreuzen, die aber gegen die Dorsoventralebene des Kérpers schrag geneigt sind. | Zur Morphologie der Centralspindel. Von Dr. L. Driiner, Assistent am anat. Inst. zu Jena, Angeregt durch die grundlegenden Untersuchungen von vAN BENEDEN !) und Boveri”), namentlich durch die ideenreichen Ar- beiten des letzteren, habe ich mir bei der Untersuchung von Kerntei- lungen beim Salamander und Triton folgende Frage vorgelegt. Durch welche Krafte werden die Centralkérperchen von einander entfernt und im Moment der starksten Anspannung der Mantel- fasern in ihrer Lage gegen die Wirkung derselben fixiert? Welche Krafte wirken der Kontraktion der Mantelfasern *) (so will ich die von jedem der beiden Pole zu jedem der Chromosomen ziehenden kontraktilen, peripheren Fasern der Spindel bezeichnen) entgegen ? Diese Frage war fiir die Kernteilung des Eies von Ascaris megalocephala in befriedigender Weise gelést. Unter den von den Polen ausgehenden Strahlen bilden sich bestimmte Gruppen, die cones antipodes, stirker aus, sie gewinnen Ansatzpunkte an der 1) Evovarp van Brnepen, Recherches sur la maturation de l’oeuf, la fécondation et la division cellulaire. Paris 1883. E. van Brenepen et A. Neyt, Nouvelles recherches sur la fécon- dation et la division mitosique. Leipzig 1887. 2) Zellenstudien. Diese Zeitschr. a) 1888, b) 1890. 3) Sie sind von den Fasern der Centralspindel namentlich auf Querschnitten durch ihre gréfere Dicke sehr leicht zu unterscheiden., Im Hoden vom Salamander werden sie durch 12 von 2 starken Fasern eingefafte Bander gebildet. Im Ei von Triton zeigt sich ein anderes Verhalten. Hier verliuft in jedem Bandchen mitten eine dickere Kontraktile Faser. 470 L. Driiner, Membran der Zelle. Ihre Kontraktion verursacht die Entfernung der Centrosomen und dadurch die Bildung der Aquatorialplatte und das schlieSliche Auseinanderweichen der gespaltenen Chromo- somen. Der Zustand der starksten Anspannung der wirksamen Krafte markiert sich an der Eihaut durch eine kreisformige Ein- ziehung ihrer Oberflache (verg]l. die Fig. 64 a, b und 84 b Boverr’s I. ¢. a.). FLEMMING ') glaubt die Annahme, dak die ,,centrifugale Ver- kiirzung der Polstrahlen, speziell derer der Antipodenkegel, das Auseinanderweichen der Pole bedingt“, auch fiir andere Formen der Kernteilung und speziell fiir die des Salamanders machen zu diirfen. Dieser Anschauung FLEmMMine’s kann ich nicht zustimmen, denn der Nachweis dessen, was fiir diese Annahme beim Ascarisel ausschlaggebend ist, der maSeebenden Beziehung der Polstrahlen zur Membran der Zelle scheint mir nicht erbracht zu sein, we- nigstens finde ich bei FLemmine nichts darauf Beziigliches. Der Vergleich der Polstrahlung bei den verschiedenen Arten der Karyo- kinese beim Salamander und bei Triton hat mich zu der entgegen- gesetzten Uberzeugung gefiihrt, dai es hier naimlich die centrifugale Verkiirzung der Polstrahlen nicht sein kann, welche die Entfernung der Pole hervorbringt. Dies wird bewiesen: 1) Durch das spate Auftreten derselben zu einer Zeit, wo die Entfernung der Pole schon erheblich zugenommen hat (vgl. die Figuren HeRMANN’s ”) 4—10). 2) Durch die Verschiedenheit ihrer Ausbildung bei ver- schiedenen Zellarten. 3) Durch den Mangel fester Ansatzpunkte der Polstrahlen an der Zellmembran. Im Ei von Triton alpestris fehlen dieselben wenigstens in den von mir untersuchten Stadien in vielen Zellen ganz. Von irgend welchen Zugwirkungen der Polstrahlen diirfte doch wohl aber nur dann die Rede sein, wenn sich tberall zwei Ansatzpunkte fiir jeden Strahl, zwischen denen sie sich dufern kénnen, nachweisen lassen. Die Vermutung, daf in der Centralspindel die eigentliche Ursache fiir das Auseinanderweichen der Pole und fir die Fixie- rung der Polkérperchen gegen den Zug, der zwischen Chromo- somen und Pol wirkenden Mantelfasern zu suchen sei, lag nach den Untersuchungen von FLEMMING und HerRMANN (1. ¢. 1) u. ?), die an 1) Archiv fiir mikr. Anat. 1891, S. 726. 2) Arch. f. mikr, Anat., 1881. Beitrige zur Lehre von der Ent- stehung der karyokinetischen Spindel. Zur Morphologie der Centralspindel. 471 einer Reihe von anderen Objekten durch viele Forscher bestatigt wurden, sehr nahe. Durch die auf diesen Punkt gerichteten Untersuchungen glaube ich beweisen zu kénnen, daf die Centralspindel thatsachlich der Stiitzapparat ist, der die Pole nicht nur gegen einander fixiert, sondern auch durch Wachstum ihre Entfernung von einander bedingt. Diinne, einer Medianebene parallele Schnitte durch die Spindel waihrend des Stadiums des Monasters kurz vor der Metakinese im Salamanderhoden (homéotypische Form) bieten eine eigentiimliche Gestaltveranderung der Centralspindel dar: Das Verhiltnis von Linge und Breite hat sich erheblich zu Gunsten der letzteren geindert. Die Biegung der Verbindungsfiden ist in der Gegend des Aquators stets am stiirksten. Dies zeigt sich in diesem Stadium aber erheblich mehr ausgepriigt als vorher und nachher. Es ist das Bild eines von den Polen aus zusammengedriickten Biindels feiner elastischer Stabe. Ist die Spaltung der Doppelchromosomen vollendet, so verschwindet dies Bild der Spannung wieder. Die Centralspindel nimmt fiir einen Augenblick wieder ihre friihere gestrecktere Gestalt an, um dann zuerst in der Aquatorialgegend in kérnige Auflésung tiberzugehen. In dieser Erscheinung erblicke ich ein Aquivalent fiir die elastische Einziehung der Kernmembran am Ascarisei im Augen- blick der héchsten Spannung kurz vor der Entfernung der Tochter- chromosomen von einander. Pat der Vergleich mit einem Biindel elastischer Stibe, so wird man auf dem Querschnitt zur Zeit der héchsten Spannung im Monasterstadium ein Voneinanderweichen der Faserquer- schnitte der Centralspindel in der Mitte und eine Ansammlung derselben an der Peripherie erwarten miissen. Dies habe ich durch meine Untersuchungen bestitigt ge- funden. Aquatoriale Querschnitte durch Centralspindeln kurz vor der Beendigung der Monasterbildung zeigen die Centralspindel- fasern in einem den Raum zwischen den noch nicht ganz regel- maibig sternformig angeordneten Chromosomen ausfiillenden un- regelmafig runden Bezirk gleichmaBig verteilt. Dieser Bezirk ist im Stadium des vollendeten Monasters ver- breitert und zeigt eine Anhaufung der Centralfaserquerschnitte in der Peripherie, ja zum Teil sind sie zwischen die Mantelfasern Bd. XXVIII. N. F. XXL. 31 472 L. Driiner, und die Chromosomen geriickt. Die Mitte des Bezirks zeigt eine erhebliche Verminderung der Faserquerschnitte, sie riicken hier auseinander. Nach vollendeter Trennung der Tochterchromosomen zeigen Querschnitte das friihere Verhalten der gleichmaikigen Ver- teilung der Fasern. Der Vergleich mit einem Biindel elastischer Stabe pat nur in einem Punkt nicht: Die Fasern der Central- spindel besitzen die Fahigkeit zu wachsen. Dies Verhalten wurde am Salamanderhoden und am Tritonei festgestellt. Die Gestalt der Centralspindel entspricht der Belastung ihrer Fasern. Dies gilt nicht nur fiir die ausgebildete Form, sondern hieraus leitet sich zugleich das Gesetz fiir ihre Bildung ab. Es bilden sich diejenigen Fasern zuerst aus, welche fiir die Funktion der stiitzenden Fixierung die wirksamsten sein miissen. Die Spindel zeigt daher auch an der Seite, wo die meisten Chro- mosomen liegen, die stirkste Ausbildung ihrer Fasern und die starkste Biegung derselben. Dies zeigen aufer den Figuren meiner demnachst zu veroéffentlichenden Tafeln z. B. die Figuren 7 u. 9 von HERMANN, namentlich aber die Fig. 27—29 von FLEMMING. Damit gewinnt dieser Vorgang mit demjenigen bei der Aus- bildung der Knochenbalkchen in der Richtung der Druck- und Zugkurven groBe Ahnlichkeit. Das Prinzip der Kraft- und Ma- terialersparnis herrscht auch hier. Welche Folgerungen ergeben sich aus dem Vergleich mit den gleichen Vorgingen am Ei von Ascaris megalocephala ? Daf die Gestaltung des um jedes Centrosoma herum der An- lage nach vorhandenen, urspriinglich gleichmifig nach allen Rich- tungen hin ausgebildeten Strahlensystems in verschiedenen Fallen eine ganz verschiedene sein kann. Nach den Untersuchungen von Boverr und vAN BENEDEN fehlt bei Ascaris eine Centralspindel. Wenn es auch anzunehmen ist, da8 einzelne Fasern auch hier von Pol zu Pol kontinuierlich fortlaufen, so sind diese ebenso sicher funktionell nicht dem ausgebildeten Stiitzorgan der Salamanderspermatocyten gleichwertig. Die Fixie- rung der Pole, die stiitzende Funktion der Centralspindel des Sala- manders, wird hier, bei Ascaris, durch die cénes antipodes, deren Funktion in einer Zugwirkung besteht, erreicht. Je nach den gebotenen Bedingungen kénnen sich also unter den urspriinglich der Anlage nach gleichen Strahlen, die vom —— ——————— Zur Morphologie der Centralspindel. 473 Centrosom ausgehen, ganz verschiedene Gruppen stirker aus- bilden. Der Zweck, dem sie dienen, ist der gleiche, die Mittel, welche die Zelle anwendet, ihn zu erreichen, sind verschiedene, falls es erlaubt ist, eine teleologische Ausdrucksweise zu ge- brauchen. Die Festigkeit und Regelmafigkeit der Eihiille macht die Anlage einer stiitzenden Centralspindel im Ascarisei iiberfliissig. Die Verinderlichkeit und Unregelmafigkeit der Zellmembran in den Spermatocyten von Salamandra und den KEiern von Triton wiirde eine Einrichtung wie die im Ascarisei nicht allein sehr un- zweckmabig erscheinen lassen, sondern la8t sie auch gar nicht zur Ausbildung kommen. Dafiir werden gerade die stiitzenden Krafte der Centralfasern zu gréferer Vollkommenheit herangeziichtet. Die Polstrahlung hat hier eine ganz andere Funktion. In den Eiern von Triton bemerkt man, sobald sie auftritt, eine ganz spezifische Wirkung auf die Stellung der Dotterkrystalloide: sie stellen sich subradiar und zwar mit ihrer Lingsachse in die Rich- tung der Strahlen. Je starker sie sich ausbildet, um so auffallender wird diese Erscheinung. Zugleich wird der von ihnen freie Raum um das Centrosoma immer gréfer, die Dotterkrystalloide werden durch die Polstrahlen fortgeschoben. So wird der Platz frei ge- macht fiir die nun folgende Metakinese und Anaphase. Man koénnte daran denken, daf} in anderen Zellen die Funk- tion der Polstrahlung sich in ihrer Bedeutung nur insofern von dem eben erérterten unterschiede, dal hier die Zellmembran durch die Polstrahlung vor sich hergeschoben wird. Die Gestalt des Zell- raumes wird so den Verhaltnissen entsprechend verandert und zugleich die Orientierung der Centralspindel in der Mitte der Zelle erreicht. Nachtragliche Bemerkung. Soweit waren meine Untersuchungen gediehen, die Tafeln waren gezeichnet und die Fertigstellung der Arbeit fiir den Druck in nachster Aussicht, als mir vor einem Tage die grofe, an neuen interessanten Ideen so reiche Arbeit M. HempENHAIN’s zuging '). Ich sehe in meinen Untersuchungen im allgemeinen eine Be- stitigung fiir seine Theorie der urspriinglich gleichen Lange und 1) Arch. f. mikr. Anat., 1894, Hft. 3. Neue Untersuchungen iiber die Centralkérper und ihre Beziehungen zum Kern- und Zellen- protoplasma. 317 474 L. Driiner, Zur Morphologie der Centralspindel. gleichen Spannung aller organischen Radien. Aus dieser ist die Funktion der Centralspindel ja ohne weiteres abzuleiten. Anderer- seits weichen meine Anschauungen im einzelnen wesentlich von denen M. Hemenuatrn’s ab. Namentlich iiber die Spannungsver- haltnisse im Monasterstadium und den folgenden Phasen bin ich zu ganz anderen Vorstellungen gelangt (vergl. 1. c. S. 715). Ich glaube, dal das hier entwickelte Gesetz der verschiedenen Aus- bildung der Fasern je nach der Beanspruchung eine nicht un- wichtige Ergainzung der Theorie HEIDENHAIN’s bildet, um sie fiir den einzelnen Fall anwendbar zu machen. Jahresbericht der Medicinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena fiir das Jahr 1893 erstattet von Johannes Walther, d. Z. I. Vorsitzenden. Im Laufe des vergangenen Jahres 1893 fanden 15 Gesamt- sitzungen im Horsaal des Physikalischen Institutes, und 9 Sitzungen der Sektion fiir Heilkunde in den Raumen des Landkrankenhauses statt. In den Gesamtsitzungen wurden 25, in den Sitzungen der Sektion fiir Heilkunde 20 Vortrige und De- monstrationen gehalten, naémlich: 1. Gesamtsitzung am 6. Januar. Herr W. Mixirr: Uber Sphenocephalie. 1. Sitzung der Sektion fiir Heilkunde am 12. Januar. Herr B. 8. Scuunrze: Uber Carcinoma uteri. » Scuirer: Uber Encephalopathia saturnina. 2. Gesamtsitzung am 20. Januar. Herr Krssenz: Uber die Physiologie des auferen Ohres. , Reeet: Uber die Fauna von Thiiringen I. 2. Sitzung der Sektion fiir Heilkunde am 26. Januar. Herr Gartner: Uber die Choleraepidemie in Nietleben. » Rrepen: Uber Magenfisteln. 3. Gesamtsitzung am 3. Februar. Herr Recet: Uber die Fauna von Thiiringen II. Puurrich: Demonstration des Appe-Firzeau’schen Dilato- meters. ” 476 Jahresbericht. 38. Sitzung der Sektion fir Heilkunde am 9. Februar. | Herr Purrucker: Uber Darmwandbriiche. ,. WaceEnmann: Uber die Beziehungen der Akromegalie zu Augenerkrankungen. 4. Gesamtsitzung am 17. Februar. Herr Biscen : Uber Pilzkeimungen. . VeRwoRN: Uber die Physiologie des Gleichgewichtes. 4. Sitzung der Sektion fiir Heilkunde am 23. Februar. Herr Overwee: Uber Herpes zoster. » Marrues: Uber Hypnose bei multipler Neuritis. » GumprecuT: Demonstration von Blutpraparaten. 5. Sitzung der Sektion fiir Heilkunde am 9. Marz. Herr Binswanerr: Uber traumatische Neurose. » RrEpEL: Uber Nierenbeckensteine und Kotsteine. 5. Gesamtsitzung am 28. April. Herr WINKELMANN: Uber Drehstréme. » BIEDERMANN: Uber Zellstréme. 6. Sitzung der Sektion fiir Heilkunde am 4 Mai. Herr Stinrzine: Uber Pseudohypertrichosis lanuginosa. , Krenuu: Uber Fettentartung des Herzens. 6. Gesamtsitzung am 12. Mai. Herr Levsuscuer: Uber die Physiologie der Magenverdauung. » Semon: Uber die Charakterformen der australischen Region. 7. Gesamtsitzung am 2. Juni. Herr E. Haxcxen: Uber die pelagische Fauna von Messina. , PrerrreR: Uber die Bildung der Pentosen in den Pflanzen. 8. Gesamtsitzung am 16. Juni. Herr Sranu: Uber bunte Laubblitter. 9. Gesamtsitzung am 30. Juni. Herr KiixkentHa.: Uber die Entwickelung der Wale. » Vv. Barpenesen: Uber Massenuntersuchung von Hyperthelie beim Manne. 10. Gesamtsitzung am 14, Juli. Herr Werte: Uber Kropfsymptome und Kropfbehandlung. 11. Gesamtsitzung am 28. Juli. Herr ABBE: Uber die Theorie der Schatten. » Reece: Uber Glacialerscheinungen in Baden und am Bodensee. 12. Gesamtsitzung am 3. November. Herr Firsrincur: Uber Schutzfarbung bei Schmetterlingen. Jahresbericht. AT7 7. Sitzung der Sektion fiir Heilkunde am 9, November. Herr Purrucxer: Uber Hauthypertrophie in der Nackengegend. » Marrxes: Uber Lanpry’sche Paralyse. » RrepEL: Demonstration. 13. Gesamtsitzung am 17. November. Herr Eser: Uber die sanitaire und forensische Bedeutung zer- setzter animalischer Nahrungsmittel. 8.Sitzung der Sektion fiir Heilkunde am 23. November. Herr Wacenmann: Uber Bindehautpolypen. » Werte: Uber Steifbeinfisteln. 14. Gesamtsitzung am 1. Dezember. Herr B. 8S. Scnunrzz: Uber eine Echinococcus-Operation. » Knorr: Uber die physikalische Beschaffenheit der Sonne. 9. Sitzung der Sektion fir Heilkunde am7, Dezember. Herr Leuvpuscurer: Uber den Einfluf des Nervus vagus auf die Magenverdauung. » BinswAnGcER: Uber juvenile progressive Paralyse. 15. Gesamtsitzung am 15. Dezember. Herr Winxetmann: Uber physikalische Eigenschaften einiger _Glaser. , H. Haucxet: Uber die Stammesgeschichte der Ctenophoren. Auf Grund von Vorschligen des Vorsitzenden, der Tausch- kommission oder einzelner Mitglieder wurden in dem geschiaft- lichen Teil der Gesamtsitzungen u. a. folgende Beschliisse gefaft : Am 20. Januar 1893: in Schriftenaustausch zu treten mit der Société scientifique du Chili in Santiago. Am 14. Juli 1893: das Reisewerk des Herrn Professor Dr. Szmon: ,Zoologische Forschungsreisen in Australien und dem Malayischen Archipel“ als laufende Bande der Denk- schriften herauszugeben. Am 28. Juli 1893: den neuen Verlagsvertrag mit Herrn Buch- handler G. Fiscuer iiber die Herausgabe der Denk- schriften anzunehmen; in Schriftentausch zu treten mit der Natuurkundige Ver- eeniging in Nederlandsch-Indie zu s’Gravenhage ; den Tauschverkehr unter die Aufsicht eines besonderen Bibliothekars zu stellen. Am 17. November 1893: auf Vorschlag der Revisionskommission die neurevidierten Statuten anzunehmen; beim Grofherz. Staatsministerium um die Verleihung der Rechte einer Juristischen Person nachzusuchen. Am 1. Dezember 1893: in Tauschverkehr zu treten mit der Royal Society of Victoria zu Melbourne und der Linnean Society of New South Wales zu Sydney. Eine gréfere Anzahl von Tauschgesuchen wurde abgelehnt. 478 Jahresbericht. In der Sitzung des Grofherz. Staatsministeriums vom 6. De- zember wurden von Sr. K. Hoheit dem GrofSherzog der Gesellschaft die Rechte einer Juristischen Person verliehen. Im Laufe des Jahres erschienen von den Schriften der Ge- sellschaft : Jenaische Zeitschrift fiir Naturwissenschaft, Bd. 27, Heft 3, 4. Bd. 28, Heft 1, 2. Denkschriften der Med.-Naturw. Gesellschaft, Bd. 3, Heft 2. Bd. 4, Heft 1. Von der Zeitschrift kamen im Austausch, im Abonnement und auf buchhandlerischem Wege 237 Exemplare, von den Denk- schriften etwa 60 Exemplare zur Versendung. Als Geschenk oder im Tausch gegen diese beiden Publika- tionen erhielt die Gesellschaft Zusendungen von 108 wissenschaft- lichen Gesellschaften und Redaktionen, namlich von: Ort: Name der Gesellschaft, Schriften: oder der Redaktion: Deutsches Reich. 1) Berlin Physiologische Gesellschaft Verhandlungen. 2) i. 5 z Centralblatt fi Physiologie. 3) ” Medicinische Gesellschaft Verhandlungen. A hesti Gesellschaft naturf. Freunde Sitzungsberichte, 5) Bonn Naturhistor, Verein d. Rheinlande Verhandlungen. 6) Breslau Schlesische Gesellschaft f. Vater- landische Kultur Jahresberichte. 7) Danzig Naturforschende Gesellschaft Schriften. 8) Erlangen Physik.-med. Societiat Sitzungsberichte. 9) Frankfurt a, M. Senkenbergische naturf. Gesellsch. Abhandlungen. 10) - 5 ‘ tf Berichte. 11) = i ‘ a Kataloge. 12) Freiburg i. B. Naturforschende Gesellschaft Berichte. 13) Giefen Zoologische Jahrbiicher, Abt. fiir Systematik ete. 14) w 5 s Abt. fiir Ontogenie ete. 15) Halle Kaiserl. Leopold. Carol. Akademie der Naturforscher Verhandlungen. Dante Naturforschende Gesellschaft Abhandlungen. 17) “ a a Berichte. 18) Hanau Wetterauische Gesellschaft fiir die gesammte Naturkunde Berichte. 19) Heidelberg Morphologisches Jahrbuch. 20) Kassel Botanisches Centralblatt. 21) - Verein fiir Naturkunde Berichte. 22) Kéonigsbergi. Pr. Physikal.-dkonomische Gesellsch. Schriften. 23) Litbeck Geograph. Gesellschaft und Natur- histor. Museum Mitteilungen. Ort: Liineburg Miinchen ” ” Miinster Reinerz Wernigerode Wiesbaden Wirzburg Budapest Graz Krakau Prag n Triest Wien Bologna »” Florenz ” Jahresbericht. Name der Gesellschaft, oder der Redaktion: Naturwissensch. Verein f. Liineburg K. B. Akademie d. Wissenschaften Math.-Physik. Classe Arztlicher Verein Westfalischer Provinzialverein fiir Wissenschaft u. Kunst Schlesischer Badertag Naturwissensch. Verein d. Harzes Nassauischer Verein f. Naturkunde Physikalisch-Medic. Gesellschaft Osterreich-Ungarn. Ungarische Akademie der Wissen- schaften Naturw. Verein f. Steiermark Akademie der Wissenschaften K. Boéhmische Gesellschaft der Wissenschaften ” ” ” ” Societa Adriatica di Scienze Na- turali Kais. Akad. der Wissenschaften Math.-Naturw. Classe Ka ke Geologische Reichsanstalt Kk Zoolog. Botan. Gesellsch. Schweiz. Schweizer. Naturforsch. Gesellsch. n ” ” ” ” ” Naturforschende Gesellschaft Institut National Génevois ” ” ” Société de physique et dhistoire naturelle Italien. Accademia delle Scienze dell’ Isti- tuto di Bologna ” ” Societa botanica Italiana ” ” ” 479 Schriften: Jahreshefte. Abhandlungen. Sitzungsberichte. Sitzungsberichte. Jahresberichte. Verhandlungen. Schriften. Jahrbiicher. Sitzungsberichte. Math. - Naturw. Berichte. Mitteilungen. Anzeiger. Abhandlungen. Sitzungsberichte. Jahresberichte. Bollettino. Denkschriften. Anzeiger. Jahrbuch. Verhandlungen. Verhandlungen. Denkschriften. Verhandlungen. Compte Rendu. Mitteilungen. Mémoires. Bulletin. Mémoires. Memorie. Rendiconto. Nuovo giornale, Bullettino. 480 73) 74) 77) 78) 81) 83) 86) Ort: Mailand Neapel ” ” Perugia Pisa 7 Turin Caen Marseille Paris ” ” Briissel ” Lowen Liittich Amsterdam ” s’Gravenhage Haarlem ” Leiden Cambridge ” Jahresbericht. Name der Gesellschaft, oder der Redaktion: Societa Italiana di Scienze Naturali R. Accademia delle Scienze Fisiche e Matematiche Zoologische Station Accademia medico-chirurgica Societa Toscana di Scienze Naturali ” Schriften: Atti. Atti. Rendiconti. Mitteilungen. Attie Rendiconti. Atti. Processi verbali. Archives Italiennes de Biologie. Archivio per le Scienze mediche. R. Accademia delle Scienze ” ” ” ” Frankreich. Société Linnéenne de Normandie Musée d’histoire naturelle (Zoologie) Musée histoire naturelle Société zoologique de France ” ” Belgien. Académie R. des Sciences, des Lettres et des Beaux Arts Taatiselinde Archives de Biologie. Holland. K. Akademie van Wetenschapen Wis- en natuurkundige Afdeeling ” oP] ” ” K. Zoologisch Genootschap Natura artis magistra K. Natuurkundige Vereeniging in Nederlandsch-Indie Musée Teyler Nederlandsche Dierkundige Ver- eeniging GrofSbrittanien: Philosophical Society ” ” Memorie. Atti. Osservazioni me- teorologiche. Bulletin. Annales. Archives. Mémoires. Bulletin. Bulletins. — Annuaire. Verhandelingen. Verslagen. Jaarboek, Bijdragen. Tijdschrift. Tijdschrift. Archives. Catalogue. Tijdschrift. Transactions. Proceedings. 88) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95) 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104) 105) 106) 107) 108) 109) 110) 111) 112) 113) 114) 115) 116) 117) 118) 119) 120) 21) Ort: Dublin Edinburgh ” ” London Oxford Kopenhagen Christiania ” ? Stockholm Upsala Helsingfors Jahresbericht. 481 Name der Gesellschaft, Schriften: oder der Redaktion: The R. Dublin Society Transactions. ‘ 2 Proceedings. Royal Society Transactions. ” ” Proceedings. R. Physical Society Proceedings. R. College of Physicians Reports. Linnean Society Transactions. a x Journal. R. Microscopical Society Journal. Royal Society Philos. Transac- tions. a - Proceedings. Zoological Society Transactions. Proceedings. Quarterly Journal of Microscopical Science. Danemark. K. Danske Videnskaberner Selskab Skrifter. Norwegen. Norske Medicinske Selskab Forhandlinger. 7 Norsk Magazin. Archiv for Mathematik og Naturvidenskab. Schweden. Nordiskt Medicinskt Arkiv. Svenska Likare Sallskap Hygiea. x 2 p Forhandlingar. K. Svenska Vetenskap-Akademie Handlingar. a . Ofversigt. 4 is Bihang. Kongl. Vetenskapssocietet Nova Acta. Rufland. Finska Vetenskaps Societet Acta. * - Ofversigt. i 55 3 Bidrag dill Kanne- dom of Finnlands Natur och Folk. Observations mé- teorolog. Katharinenburg Société Ouralienne de Médecine Mémoires. Moskau Société Impériale des Naturalistes Mémoires. ” ” ” ” ” Bulletin. St. Petersburg Comité géologique Mémoires. c, Bulletin. ” ” 482 122) Ort: Jassy Halifax Montreal Otawa Baltimore ” Boston Cambridge Granville (Ohio) St. Louis Nebraska New Haven New Viole - Philadelphia Washington Santiago ” Cordoba Jahresbericht. Name der Gesellschaft, Schriften: oder der Redaktion: Rumanien: Société des médecins et des na- turalistes Bulletin. Nordamerika. I. Canada. The Nova Scotian Institute of Na- Transactions and tural Science Proceedings. Royal Society of Canada Proceedings. Geolog. and Nat. History Survey of Canada Reports. . s Catalogues. Il. Vereinigte Staaten. Johns Hopkins University Studies from the Biol. Laboratory. e; z " Circulars. Society of Natural History Memoirs. i z e . Proceedings. Mus. of Comparative Zodlogy Memoirs. ae a 4 Annual Report. a . - Bulletins. Denison University Bull. of the Scien- tific Laboratories. Missouri Botanical Garden Annual Report. University of Nebraska University - Stu- dies. Connecticut Academy of Arts and Sciences Transactions. The Americ. Journal of Science. Journal of Comparat. Medicine. Academy of Natural Sciences Proceedings. The American Naturalist. Smithsonian Institution Bulletins. e Proceedings. = Annual Reports. U. St. Geological Survey Bulletins. s _ “4 Annual Reports. U.S. Dep. of Agriculture, Div. of Ornithol. and Mammology Bulletins. Sidamerika. THChaLi Deutscher wissensch. Verein Verhandlungen. Société Scientifique du Chil Actes. II. Argentinien. Academia Nacional de Ciencias Actas. Jahresbericht. 483 O'rt: Name der Gesellschaft, Schriften: oder der Redaktion: Australien. 151) Sydney Royal Society of New South Wales Journal and Proceedings. Japan. 152) Tokio College of Science, Imperial Uni- versity Journal, 153) ” Medicinische Fakultit der K. Uni- versitit Journal. Herr Apotheker Wiramann schenkte der Gesellschaft seine Abhandlung: Beitrige zur Anatomie der Landschnecken des In- dischen Archipels. Den Statuten entsprechend, wurden diese Einginge der Uni- versititsbibliothek iiberwiesen. Die Gesellschaft spricht hierdurch fiir alle Schenkungen ihren Dank aus. Der Kassenbericht ist folgender : Einnahme: 1959 M. 88 Pf. Ausgabe: 255 M. 16 Pf. Der Uberschuf von 1704 M. 72 Pf. wurde auf der Sparkasse eingezahlt. Als Mitglieder des Vorstandes fungierten: JoHannEs Waurtuer, I. Vorsitzender Witsetm Mitier, II. Vorsitzender, Redakteur und Kassirer Kart Konrap Miter, Bibliothekar. Die Tauschkommission bestand aus den Herren: Ernst Asser, Gustav Fiscuer, Ernst Harcxen, Ernst Katkowsky, Ernst Sraut und dem Vorstand, Im Anfang des Jahres zihlte die Gesellschaft 4 Ehrenmit- glieder und 8 ordentliche Mitglieder. Am 26. Juli be- klagte die Gesellschaft den Tod ihres hochverehrten Mitgliedes, Dr. Epuarp Scuwan, Professor der Romanischen Sprachen; ein Mitglied trat aus, und 17 Mitgleder wurden neu aufgenommen, so dal die Zahl der Mitglieder augenblicklich 4 Ehrenmitglieder und 100 ordentliche Mitglieder umfaft. Der in der Schlufsitzung fiir das Jahr 1894 gewahlte Vor- stand besteht aus folgenden Herren: Avueusr Gartner, I. Vorsitzender Ernst Harcxet, II. Vorsitzender und Kassirer Max Firprineer, Redakteur Karut Konrap Miuusr, Bibliothekar. 484 Jahresbericht. Mitgliederverzeichnis. Friihere Ehrenmitglieder waren die Herren: Jahr der Ernennung. Karu Scumper (f 1867) 1855 Dietrich Grora Krauser (fF 1862) 1857 Louis Soret (f 1890) 1864 ALBERT voN Bezoup (f 1868) 1866 Marruias JAcop ScHLEIDEN (7 1881) 1878 Oskar Scumipt (f 1886) 1878 Cuartes Darwin (f 1882) 1878. I. Ehrenmitglieder: Tuomas Huxtny, London 1867 Kart Gxcensaur, Heidelberg 1873 Franz von Riep, Exc., Jena 1892 Orromar Domricu, Meiningen 1882. II. Ordentliche Mitglieder: Jahr der Aufnahme. 1) Prof. Dr. Ernst Azse Jena 1863 2) Prof. Dr. Frerrx AverBacu 3 1889 3) Prof. Dr. Karn von BarpELEBEN = 1873 4) Prof. Lic. Orro BaumearTEN 1890 5) Prof. Dr. WinHELM BrepERMANN 2 1888 6) Prof. Dr. Orro BinswancEr 7 1882 7) Dr. Frrrz Bocxetmann, prakt. Arzt Rudolstadt 1875 8) Prof. Dr. Jonannes Brier Jena 1891 9) Dr. Frrepr. Bucusinper, Gymnasialprof. a. D. fe 1889 10) Prof. Dr. Morrrz BiseEn Eisenach 1886 11) Witetm Bourz, Realschuldirektor a. D. Jena 1892 12) Dr. Stzcrriep CzapsKi ” 1885 - 13) Prof. Dr. Berrnonp De.sricK ns 1885 14) Prof. Dr. WinHe~tm DretMErR ” 1875 15) WitHetm Esper, Medizinalassessor - 1893 16) Dr. Hetnricn Eecerine, Geh. Staatsrat, Uniy.-Curator : 1887 17) Dr. Gusrav Ercunorn, prakt. Arzt _ 1891 18) Prof. Dr. Hermann ENGELHARDT = 1888 19) Gustav Fiscusr, Verlagsbuchhiandler ai 1885 20) Prof. Dr. Franxennavuser, prakt. Arzt B 1857 i.e EL oe 21) Prof. Dr. Winuetm Franz ” 1893 22) Prof. Dr. Gorrnos Freer ” 1874 23) Prof. Dr. Max Firerinerr, Hofrat " 1888 24) Dr. Curistran GAnex, Privatdozent ; 1875 25) Prof. Dr. Aveust GArrner, Hofrat . 1886 26) Dr. Gres, prakt, Arzt & 1893 a =F —— Jahresbericht. 27) Prof. Dr. Grora Goérz 28) Prof. Dr. THropor Freiherr von DER Gourz 29) Dr. Ferpinanp Gumprecut, Assistenzarzt 30) Dr. Ausin Hapersrourz, prakt. Arzt 31) Prof. Dr. Ernst Harcken 32) Dr. Hernrich Hancxen, Privatdozent 33) Dr. Ricuarp Horrmann, Assistenzarzt 34) Gustav Jonas, Apotheker 35) Prof. Dr. Ernst Kankowsky 36) Prof. Dr. JoHannes KessEu 37) Dr. Orro Knorr, Privatdozent 38) Prof. Dr. Lupwie Knorr 39) Rupotr Kocu, Bankier 40) WituEetm Koc, Bankier 41) Dr. Kart Kotsscu, Gymnasiallehrer 42) Prof. Dr. Lupotr Krenn 485 Jahr der Aufnahme. Jena ” ” Weimar Jena 43) Dr. W. Kruy, Kaiserl. Chin. Oberbeamter a. D. , 44) Frivz Keiser, Geheimer Justizrat, Oberlandes- gerichtsrat 45) Prof. Dr. Witty KiKEenTHAL 46) Ricuarp Lexumann, Oberstleutnant z. D. 47) Dr. Wituetm Levuse, Assistenzarzt 48) Prof. Dr. Grore Leususcuer, Bezirksarzt 49) Hermann Maser, Rechtsanwalt 50) Dr. Max Marruss, Privatdozent 51) Dr. Paut Miuurrzer, prakt. Arzt 52) Prof. Dr. Winuetm Mistier, Geheimer Hofrat __, 53) Dr. Karn Konrap Miter, Oberbibliothekar 54) Prof. Dr. Ricuarp NEuMEISTER 55) Dr. Hermann Opermisuer, Assistenzarzt 56) Dr. Max Overwee, Stabsarzt 57) Dr. Hans PAssier, Assistenzarzt 58) Prof. Dr. Enuarp Prcuurt-LoscHe 59) Dr. Emin Pretrrer, Fabrikdirektor a. D. 60) Prof. Dr. TuHeopor Preirrer 61) Dr. Apotr Pinrz, Privatdozent 62) Ernst Pivrz, Institutslehrer 63) Gorru. Prissine, Fabrikdirektor 64) Dr. Karu Putrricu 65) Dr. Cart Purrucker, Assistenzarzt 66) Prof. Dr. Frirz ReGen 67) Prof. Dr. Bernnarp Rispex, Hofrat 68) Dr. Paut Riseper, Assistent 69) Dr. Frirz Romer, Assistent 70) Dr. Leo Sacuse, Gymnasialprofessor a. D. 71) Dr. AtpHons Scuirrr, Assistenzarzt 72) Prof. Dr. Hermann ScHAFFER 1889 1885 1892 1893 1861 1884 1892 1890 1886 1886 1889 1893 1889 1893 1891 1892 1887 1889 1886 1893 1892 1882 1893 1891 1893 1865 1891 1890 1893 1891 1884 1893 1887 1892 1884 1893 1890 1891 1890 1882 1889 1893 1893 1876 1891 1855 486 Jahresbericht. Jahr der Aufnahme. 73) Prof. Dr. Lupwie ScuitiBacn Jena 1854 74) L. ScuimMELPFENNIG, Postdirektor a. D. , 1880 75) Dr. Orro Scuorr, Fabrikdirektor . 1882 76) Prof. Dr. Sie. Bernnarp Scuuttrzs, Geh. Hofr. , 1893 77) Pau Scuutrze, Oberinspektor "4 1858 78) Dr. Pau Scuumann, Assistenzarzt nw. Bee 79) Prof. Dr. Conrap von SEELHORST wl) Se 80) Prof. Dr. Moritz SrrpEet, Geh. Medizinalrat » 1864 81) Prof. Dr. RicHarp Semon E 1887 82) Dr. Lucas Srepert, praktischer Arzt 4 1881 83) Prof. Dr. Frtrx Sxutscu >» 1884 84) Prof. Dr. Ernst Srann | Jc E888 85) Werner Sterrens, Apotheker 3) B88 86) Prof. Dr. RopEricn Stintz1ne » 1890 87) Dr. Hernricu Stroy, Privatdozent, Institutsdirektor , 1877 88) Dr. R, TruscuEr, Arzt, Privatgelehrter > isvlsid 89) Prof. Dr. Jonannes THomas, Hofrat e 1879 90) Dr. Max VeErRworn, Privatdozent 5 Soe 91) Prof. Dr. Avaust WacENMANN » » 182 92) Prof. Dr. JoHannEs WALTHER » kSSe 93) Dr. AurreD WELKER, Assistenzarzt ¥ 1892 94) Dr. THropor Werte, Assistenzarzt u 1891 95) Frreprich Wiremann, Apotheker 3 1893 96) Prof. Dr. Apotr WINKELMANN ; 1893 97) Dr. Winuetm Wrnxter, Privatgelehrter 5 W83sé 98) Dr. Apotr Wirtzen, Privatdozent “s 1887 99) Prof. Dr. Lupwie Wo.urr : 1892 100) Prof. Dr. THropor ZreHEN » .BS6: Abgeschlossen am 18. Dezember 1893. Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. — 1267 Jenaische Zeitschrift, Bd. XVI. LOLA AG Verlas von Gustav Fischer in Jena LithyWessen, Jena a voy Gustav Fischer = 7 TihAnstv RV Ssser Jeng, oe < \ . - e < t . 2 3] +} q ' F Sa A ul : - ? 7 ae ‘ischrift, Bd. XXVIML. Zeil Th 7 Tak: Iv g. ena s S Zn a 3) % Zz = co Taf V. Jenaische Zeitschrift. Bd. XXVI. ST hares = nA BAAR RA RRA~S 5s A Finke] expzigh Verly Gustav Fischer, Jena _ = 2 ors . ; f 4 4 ‘ 1d { L { * 3 i if a | : e Jenaische Zeitschrift. Bl. NXVI. prm --- Som . - - Se ig Tih AnstvE A Funke Leipzig Verly GustavFischer Jena = \ s s¢ \ - Rh. A Graf ge ; = ern a geznFrap Verlag, vor Gustav Fischer y Jena : 7 Lith Anst vK WeaserJena q | Ke é ' Leitschrift, Bd _XXVIIL. - = 77.5 vpn GUStOME ischer in Jena Verlag 1 Jena, r | Ltth Ansty K Wesser.Jena. UA as 2 —_ oe af A Graf. gezn Frap ‘ Fig tia Sy | Bp a M, 4 1» ~ Gustav Fischep = 7 > = 7 ; LithAnstvik Wasser Jen LithAnstvA. Wesser Jena Jenaische Zeitschrift, Bd. XXMIL ; : : : ; Tap x : recanak ION ELIE. =e Sr AURA IRSROO AOU NPARTA EN EL lak cap ; 1 ; aC la Ss. ss ' = See eee Fig 10. ——- | a Gt Fig 4. e re , Hi hig.6. gran Fig. 12. = = = == = = = 4 = —— et ay von Gustav Fischer in “ena. Tith Anstv.K WesserJena it Jenaische Zeitschritt Bd. XXVIT Stauffacher de Tae ; nstv.G.0, Mill sauitacnen oe Verlag v. Gustav Fischer in Jena. Lith. Anstx.G.0. Miller, Jen: >. p y re Jenaische Zeitschritt Ba. WM -----ma, aa nas Dir tate ---mad, ~~ me. Tal XM. Tat: Yl. Jenuische Zeitsehritt Ba, UM. ; Jenaische Zeitschritt Bd. XXVI. tieccver del, lt. Ts; Lil hAnst.v.6.0. Miller, Jena = denaische Zeitscrift, Ba. NNVUL. Th Schaeppi del : Tak 16. Verl¥ Gustav Fische,. Jenaische Zeitschrift, Ba XXVI. oo Th. Schaeppi del Ny 18. 19. 2p, Tat 77. Gustav Fischey oe — (o af Tat 18. Lith Anst v. EA Finke, Leapag 33. Ver] vGustav Fischer, Joy Jenaische Zeitschrift, Bd XVII Th. Schaeppi del. | 7 Lith Ansty EA Funke, Laag e Zeitschrift, Ba_XXVHMI. Jenais' 7 } Th.Schaeppi de). vi - f = > oe @ = 4 r = : b Aencusche Leischet. Bd XVM Tal XM Jama. 4 7. Cae i TRY Last Tith tases = CU. l= 1 Gustav Fi a veria’ Vo Tj drift, Bd. XVII. Letts i (a De oiace Latscduifi, Bd. XXVH. Taf XXII. invella. Verlag von Gustav Fischer \ 7 ao | i" Jenaische Lettschrilt Ba. XXVM. A.Giltsch del : Ver]. v. Gustav Fischer, Jena Lith. Anst.v. A.Giltsch, Jena. ee —_ OCC Li Rot. Gottschaldt gez. SSSR Lith Anst Wer, Jena 5ta¥ Fisg i Verlag von = se se ees Us d nya Se awe AANLAAS Saath aiin eae” SRG eee Senaische Zeitschrifi, BANWVI. Keller * | Senaische Zeitschrift, BANU Taf UM <7 Q. ple OF mere (+) embw ao) Lith Anst.v 6.0. Millar, Jena SR eee 7 mt f 5 5 t IL ed Na eed eo NOV 28 1898 | Jenaische Zeitschrift a bboe zie fiir NATURWISSENSCHAFT herausgegeben von der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena, c- Achtundzwanzigster Band. | Neue Folge, Einundzwanzigster Band. Erstes Heft. Mit 4 lithographischen Tafeln. <8 Jena, Verlag von Gustav Fischer 1893. = e Redaktion erbittet man durch die Verlagsbuchhandlung. Zusendungen an di a Ausgegeben am 11. September 1893. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Abhandlungen, Paliontologische. Dames und B. Hayse Neue Folge. Sind Il. (Der ganzen Reihe Band VI.) Heft 1: Futterer, R., Die oberen Kreidebildungen der Ur zebung des Lago di Santa Croce in den Venetianer Alpe Mit 1 geologischen Karte, 1 Profil-Tafel, 10 Petrefacten-Tafeln und 25 Textfigure Preis: 25 Mark. Heft 2: Burekhardt, R., Ueber Aepyornis. Mit 4 Tafeln urd 2 Tex figuren. Preis: 6 Mark. otto, Die natiirliche Auslese beim Menschen. Auf Gru Ammon, der Ergebnisse der anthropologischen Untersuchungen der Wehrpflichtig in Baden und anderer Materialien dargestellt. Preis: 7 Mark. Inhalt: Von der Vererbung. Die natiirliche Auslese der Kopf-Formen 4 Wehrpflichtigen in Stadt und Land, Auslese-Erscheinungen bei den Pigmentfarbi der Wehrpflichtigen in Stadt und Land. Wachsthums- Verschiedenheiten der Weh pflichtigen in Stadt und Land. Entwickelungs-Verschiedenheiten der Wehrpflichtig in Stadt und Land. Die natiirliche Auslese und die seelischen Anlagen. Die Ko Formen der Gymnasiasten und die natiirliche Auslese. Die kirchlichen Knaben-Ce victe und die natiirliche Auslese der Kopf-Formen. Die natiirliche Auslese der Pi mentfarben in Gymnasien und kirchlichen Knaben-Convicten. Wachsthums- w Entwickelungs-Erscheinungen bei Gymnasiasten und Convict-Schiilern. Die Entstehu von Bevélkerungs-Gruppen durch die natiirliche Auslese. Die Bildung der Stande u ihre Bedeutung fiir die natiirliche Auslese. Dr. F., 0. 6. Professor der Zoologie an der Universitat Rostot Blochmann, Untersuchungen tiber den Bau der Brachiopodei Mit 7 lithographischen Tafeln. 1893. Preis: 25 Mark. Inhalt: Abschnitt 1. Die Schale. — Abschnitt 2, Allgemeine Beschreibung ¢ iiusseren Morphologie. — Abschnitt 3. Die Kérperwand und der Mantel. — Abschnitt Das Muskelsystem. — Abschnitt 5. Der Armapparat. — Abschnitt 6. Der Darm i seinen Anhingen. — Abschnitt 7. Die Leibeshohle, die Mantelsinus, die Mesenteri die Nephridien. — Abschnitt 8. Das Blutgefisssystem. -— Absehnitt 9. Die schlechtsorgane. — Abschnitt 10. Das Nervensystem. Dr. Dr. K., Professoren a, d. Univ. Marburg u. Berl Korschelt, sate Heider, Lehrbuch der vergleichenden Er wickelungsgeschichte der wirbellosen Thiere. Specieller Te t,—3. Heft mit 898 Abbildungen im Text. 1890/93. Preis: 35 Mark. Mit dem 3. Heft wurde vollstindig: Der specielle Theil des Lehrbuchs. Inhalt: Poriferen, Cnidarier, Ctenophoren, Crustaceen, Palaeostraken, Inseet Molluscoiden, Entoprocten, Tunicaten, Cephalochorda, bearbeitet von K. Heider. © Vermes, Enteropneusten, Echinodermen, Arachniden, Pentastomen, Pantopode Tardigraden, Onychophoren, Myriopoden, Mollusken, bearbeitet von E. Korschelt. Dr. phil. Willy, Inhaber der Ritter-Professur fiir Phylogenie an d Kiikenthal, Universitit Jena, Vergleichend-anatomische und en wickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Waltieren. Erster Teil. Mit 13 lithographischen Tafeln. 1889. Preis: 35 Mark. Inhalt: Die Haut der Cetaceen. Die Hand der Cetaceen. Das Centralnerve system der Cetaceen gemeinsam mit Professor Dr. Theodor Ziehen. Soeben erschien: Zweiter Theil. Mit 12 lithographischen Tafeln und 115 Abbildungen im Te: Preis: 40 Mark. Inhalt: Die Entwickelung der dusseren Koérperform. Bau und Entwickelut fiusserer Organe. Die Bezahnung. Diese beiden Abhandlungen bilden zugleich den 3. Band der ,,Denkschriften d medicinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft‘ zu Jena. AS Inhalt. Seite Rex, Dr. Lupwic, Die Gliedmafen der Robben. Mit Tafel I. . 1 Sassaxr, Prof. Dr. Curuszo, Untersuchungen tiber Gymnosphaera albida, eine neue marine Heliozoe. Mit Tafel IT . . . . . 465 Wenp7, Gustav, Uber den Chemismus im lebenden Protoplasma . 53 KixentoaLt, Witty, Entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen am Pinnipediergebisse. Mit Tafel III und IV. ..... = “T%6 Verlag von Gustav Fischer in Jena. Verworn Dr. med. Max, Privatdocent der Physiologie an der Universitat Jena, ? Die Bewegung der lebendigen Substanz. Eine verglei- chend-physiologische Untersuchung der Contractionserscheinungen. Mit 19 Abbildungen. 1892. Preis: 3 Mark. Johannes, Hinleitung in die Geologie als historische Walther Sn ? Wissenschaft. Erster Theil. Bionomie des Meeres. Beob- achtungen iiber die maritimen Lebensbezirke und Existenzbedingungen. 1893. Preis: 6 Mark. Inhalt: 1. Bedingungen des Lebens. 2. Die Lebensbezirke des Meeres. 3. Die Organismen des Meeres. 4. Die Facies des Meerbodens. 5. Der Hinfluss des Lichtes. 6. Der Einfluss der Temperatur. 7. Dex Einfluss des Salzgehaltes. 8. Gezeiten und Wellen. 9. Stré6mungen und Cirkulation des Meeres. 10. Die Flora des Litorals. 11. Litoralfauna. 12 Die Flora der Flachsee. 13. Die Fauna der Flachsee. 14. Aestu- arien und Relictenseen. 15. Das offene Meer. 16. Die Tiefsee. 17. Die oceanischen Archipele. 18. Die geologischen Verinderungen der Meere. 19. Die Wanderungen der Tiere. 20. Die Korrelation der Lebensbezirke. Zweiter Theil: Beobachtungen iiber das Leben der geologisch wichtigen Thiere. 1893. Preis: 8 Mark 50 Pf. Inhalt: 1. Die Liicken palaeontologischer Ueberlieferung. 2. Foraminifera. 3. Radiolaria. 4. Spongia. 5. Anthozoa. 6. Crinoidea. 7. Asteroidea. 8. Echinoidea. 9. Holothuria. 10. Bryozoa. 11. Brachiopoda. 12 Die geographische Verbreitung der Mollusken. 13. Lamellibranchiata. 14. Gastropoda. 15. Die Ammoniten als Leitfossilien. . r. Robert, o. 6. Professor und Direktor des anatomischen un Wiedersheim, aE unas Instituts ae: Universitat freibere ie = Das Gliedmassenskelet der Wirbelthiere mit besonderer Beriicksichtigung des Schulter- und Beckengiirtels bei Fischen, Amphibien und Reptilien. Mit 40 Figuren im Texte und einem Atlas von 17 Tafeln. 1892. Preis: 24 Mark. Soeben erschien: Grundriss der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere fiir Studirende bearbeitet. Dritte gdnzlich umgearbeitete und stark ver- mehrte Auflage. Mit 4 lithographischen Tafelo und 387 Textabbildungen in 735 Einzeldarstellungen. 1893. Preis: brosch. 16 Mark, gebunden 18 Mark. List. mein. Natural. geg. 30 Pf. in deutsch. Briefm., w. bei Bestellg. einrechne. F. Sikora, Naturaliste, Annanarivo, Madagascar, via Marseille. GS” Diesem Hefte liegt der Antiquarische Anzeiger Nr. 23 der Buchhandlung von Felix L. Dames in Berlin bei. Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena, — 1126 Verlag von Gustav Fischer in Jena. ; fessor Dr. in Marburg, Die Morphologie des Stirn- Marchand, ei Oe appens und der Insel der Anthropomorphen. (ar- beiten aus dem pathologischen Institut zu Marburg.) Mit 3 lithographischen Tafeln und 8 Abbildungen im Text. 1893. Preis: 7 Mark. Inhalt: Einleitung, — Beschreibung der Stirnlappen des Chimpanse, Gorilla und Orang. — Uebersicht der Furchen und Windungen. — Fissura Sylvii, Sulcus opercularis, Sulcus fronto-orbitalis und orbitalis. — Die Insel: 1. Die Insel des mensch- lichen Gehirns. 2. Die Insel der Affen und Halbaffen. 3. Die Insel der Anthropo- morphen. 4. Morphologische Bedeutung der Insel. — Schlussbemerkungen. — Nach- triglicher Zusatz. — Literatur-Verzeichniss. -—- Erklaérung der Abbildungen. Moll er Alfred, Die Pilzgiirten einiger siidamerikanischer Ameisen. Cel ) Mit 7 Tafeln und 4 Holzschnitten im Text. (Botanische Mittheilungen aus den Tropen, herausgegeben von A. F.W. Schimper. 6. Heft) 1893. Preis: 7 Mark. N ° 3t , Dr. Richard, Docent an der Universitat Jena, Lehrbueh der Cumeister, physiologischen Chemie. erster Theil. 1893. Preis: 7 Mark. Inhalt: Einleitung. Erhaltung von Stoff und Kraft. Das Thier- und Pflanzen- leben. — Erster Absecbnitt. Die chemischen Processe in den thierischen Zellen und die Zellbestandteile. — Zweiter Abschnitt. Die Nahrungsstoffe. — Dritter Abschnitt. Die Fermente. — Vierter Abschnitt. Die Verdauung. — Fiinfter Abschnitt. Die Re- sorption und die niichsten Schicksale der resorbirten Nihrstoffe. — Sechster Abschnitt. Der Bedarf an Nahrung und die Bedeutung der Niahrstoffe fiir den Organismus. — Schluss. Die Nahrungsmittel und die Nahrung der Kulturvélker. Schulze, De Ervin, Borcherding, Friedrich, Fauna Saxonica. Amphibia et Reptilia. Verzeichniss der Lurche und Kriechthiere des nordwestlichen Deutschlands. Mit 25 Abbildungen. 1893. Preis: 1 Mark 80 Pf. von Tave Dr. F., Docent der Botanik am Eidgen. Polytechnikum in Ziirich, ’ Vergleichende Morphologie der Pilze. mit 90 Holz- schnitten, 1892. Preis: 6 Mark. V <, dt Dr. med. Hermann, Professor an der Universitit Tibingen, Anato- ierordt, *. Wa “ealhechoe TEToe mische, physiologische und physikalische Daten und Tabellen zum Gebrauche fiir Mediciner. 2. wesentlich vermehrte und ginz- lich umgearbeitete Auflage. 1893. Preis: brosch. 11 Mark, eleg. gebunden 12 Mark. Inhalt. I, Anatomischer Teil: K6rperlinge; Dimensionen des K6rpers; K6rper- gewicht; Wachstum; Gewicht von Kérperorganen; Dimensionen und Volumen von Herz, Lunge, Leber; Kérpervolumen und Ko6rperoberfliche; Specifisches Gewicht des K6rpers und seiner Bestandteile; Schidel und Gehirn; Wirbelséule samt Riickenmark ; Muskeln; Skelett; Brustkorb; Becken; Kindsschadel; Verdauungsapparat; Respirations- organe; Harn- und Geschlechtsorgane; Haut, Haargebilde; Ohr; Auge; Nase; Nerven; Gefisssystem (ohne Herz); Lymphgefiasse und -Driisen; Vergleich zwischen rechter und linker Korperhalfte; Embryo und Fétus; Vergleich zwischen beiden Geschlechtern. — II. Physiologischer und physiologisch-chemischer Teil: Blut und Blutbewegung; Atmung; Verdauung; Leberfunktion (ohne Gallenbildung); Perspiration und Schweissbildung ; Lymphe und Chylus; Harnbereitung ; Warmebildung; Gesamtstoffwechsel; Stoffwechsel beim Kind; Muskelphysiologie; Allgemeine Nervenphysiologie; Tastsinn; Gehdrssinn ; Gesichtssinn ; Geschmackssinn; Geruchssinn; Physiologie der Zeugung; Festigkeit des Schlafs; Sterblichkeitstafel. — III. Physikalischer Teil: Thermometerskalen; Atmo- spharische Luft; Specifisches Gewicht; Dichte und Volum des Wassers; Schmelzpunkte ; Siedepunkte; Wirme; Schallgeschwindigkeit; Spektrum; Elektrische Masse und Ein- heiten ; Elektrischer Widerstand. — Anhang: Praktisch-medicinische Analekten. Klima- tische Kurorte; Temperatur der Speisen und Getrinke; Dauer der Bettruhe; Inkuba- tionszeit der Infektionskrankheiten; Maximaldosen; Medicinalgewicht; Medicinalmass ; Dosenbestimmung nach den Lebensaltern; Letale Dosen differenter Stoffe; Trauben- zucker im diabetischen Harn; Exsudate und Transsudate; Elektrischer Leitungswider- stand des Kérpers und seiner Teile; Erregbarkeitsskala der Nerven und Muskeln; Festigkeit der Knochen; Massstiibe fiir Sonden, Bougies, Katheter. Re ere ee ~Jenaische Zeitschrift 6692 fiir Py NATURWISSENSCHAFT herausgegeben von der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. Achtundzwanzigster Band. Neue Folge, Einundzwanzigster Band. Zweites Heft. Mit 11 lithographischen Tafeln und 12 Abbildungen im Text. Jena, Verlag von Gustav Fischer 1893. Zusendungen an die Redaktion erbittet man durch die Verlagsbuchhandlung. Ausgegeben am 28. November 1893. Inhalt. Oswatp, A». Der Riisselapparat der Prosobranchier. Mit Tafel V und.VI und 11 Abbildungen im Text. . . . oo Sa oe Grar, Arnowp, Beitrage zur Kenntniss der fickivébionsnemmee von Nephelis vulgaris. Mit Tafel VII—X .... 163 SrauFFACHER, Heryricu, Eibildung und Furchung bei Caciagd cornea éL. Mit Tafel XI— XV und einer Abbildung im Text. . . . . 196° Verlag von Gustav Fischer in Jena. Dr. Arnold Lang, Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie an der Universitat und am eidgends- sischen Polytechnikum in Ziirich, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie. Zum Gebrauche bei vergleichend-anatomischen und zoologischen Vorlesungen. —— Neunte ginzlich umgearbeitete Auflage von Eduard Oscar Schmidt’s Handbuch der ver- — gleichenden Anatomie. 1.—3. Abtheilung mit 603 Abbildungen. 1888/92. Preis: 17 Mark. Die vierte Lieferung, welche die Schlussabtheilung der wirbellosen Thiere enthalten wird, erscheint im Januar 1894. Jeber den Einfluss der festsitzenden Lebensweise auf die Thiere und iiber den Ursprung der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Theilung und Knospung. Preis 3 Mark. Mittel und Wege phylogenetischer Erkenntniss. Erste 6ffentliche Rede, gehalten am 27. Mai 1887 in der Aula der Universitat zu Jena, entsprechend den Bestimmungen der Paul von Ritter’schen Stiftung fiir phylogenetische Zoologie. 1887. Preis 1 Mark 50 Pf. Zur Charakteristik der Forschungswege von Lamarek und Darwin. Gemeinverstandlicher Vortrag. 1889. Preis 60 Pf. | | bb9e Jenaische Zeitschrift , @ fiir NATURWISSENSCHAFT herausgegeben von der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena, Achtundzwanzigster Band. Neue Folge, Einundzwanzigster Band. Drittes Heft. Mit 8 lithographischen Tafeln. Jena, Verlag von Gustav Fischer 1894. Zusendungen an die Redaktion erbittet man durch die Verlagsbuchhandlung. Ausgegeben am 27. Januar 1894. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Soeben erschien: von Ebner, Professor in Wien. Die dussere Furchung des Tritoneies und ihre Beziehung zu den Hauptrichtungen des Embryo. Mit 2 lithographischen Tafeln. Preis 3 Mark 50 Pf. Professor Dr. Julius Glax, k, k. Regierungsrath und dirigirender Arzt in Abbazia. Ueber die Wasserretention im Figher, Kin Beitrag zur Frage tiber die Bedeutung der Wasserzufu und der Auswaschung des mensechlichen Organismus in Infectionskrankheiten. Mit 53 Abbildungen im Text. Preis: 4 Mark. Dr. med. A. R. von Heider, Die Zoologie in der Medicin. Preis: 1 Mark 50 Pf. Klemensiewicz, Rudolf, 3 o. 6. Professor der allgemeinen und experimentellen Pathologie und Therapie in Graz. Ueber Entzindung und Kiterung. Histologische Untersuchungen in der Amphibienhornhaut. Mit 4 Sedan Tafeln. Preis: 6 Mark 50 Pf. Dr. Oskar Zoth, Awei Methoden zur Untersuchung der 7 Herzbewegung an Kaltblttern. Mit einer lithographischen und einer Lichtdruck-Tafel. Preis: 3 Mark 50 Pf. Dr. Erwin Schulzé wa Friedrich Borcherding, Fauna Saxoniea. Amphibia et Reptilia. Verzeichniss der Lurche und Kriechthiere des nordwestlichen Deutschlands. Mit 25 Abbildungen. 1893. Preis: 1 Mark 80 Pf. Jenaische Zeitschrift fiir NATURWISSENSCHAFT herausgegeben von der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. Achtundzwanzigster Band. Neue Folge, Einundzwanzigster Band. Viertes Heft. Mit 6 lithographischen Tafeln und 25 Abbildungen im Texte. Jena, Verlag von Gustav Fischer 1894. susendungen an die Redaktion erbittet man durch die Verlagsbuchhandlung. Ausgegeben am 25. Juni 1894. avant: GorrscHALDT, Ros., Die Synascidien der Bremer Expedition nach Spitzbergen im Jahre 1889. Mit Tafel XXIV und XXV . Keuter, Jacos, Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Siisswasser- turbellarien. Mit Tafel XX VI bis XXIK” . 2) ems Giucurist, Joun D. F., Beitrage zur Kenntniss der Anordnung, Correlation und Funktion der Mantelorgane der Tectibranchiata. Mit 21 Figuren im Text. . ol oa feo ote ee Sampson, Lirian V., Die Muskulatur von Chiton. Mit 4 Figuren amy Text: yotis leks AOS Rs Bs ee eee eee x ysl Driner, Dr. L., Zur Morphologie der Centralspindel Verlag von Gustav Fischer in Jena. In meinen Verlag ist soeben tibergegangen: DIE METAPH Y¥ Sia IN DER MODERNEN PHYSIOLOGI EINE KRITISCHE UNTERSUCHUNG VON - CARL HAUPTMANN. NEUE, DURCH EIN AUTORENVERZEICHNISS VERMEHRTE AUSGAB Preis: 8 Mark. INHALT. Erster Theil. Die Grundlegung des Dualismus in der Physiologie nach kritischer Ueberwindung des griffes: Lebenskraft p. 2-31. — (Hermann Lotze p. 2—8. — Paul Fluorenz p. 9—31.) Zweiter Theil. Sitzt die ,,Seele‘‘ allein im Grosshirn oder noch in andern Abschnitten des Centralnerv systems? p. 34—01. — (Eduard Pfliiger p. 34—44. — Friedrich Goltz p. 45—OI.) Dritter Theil. Sind die verschiedenen seelischen Fahigkeiten in von einander trennbaren Abschnitten ¢ Grosshirns lokalisirt? p. 64—262. — (Eduard Hitzig p. 0495. — Hermann Munk p. 95—240, Friedrich Goltz p. 241—262.) Vierter Theil. Woran scheitert eine consequente Durchfiihrung des Parallelismus von »Leib und Seele‘ eines methodologischen Principes? p. 205—313. [ Finfter Theil. Leitende Gesichtspunkte fiir eine dynamische Theorie der Lebewesen p. 317—388. - Inhalt. Scuarrri, Th., Das Chloragogen von Ophelia radiata. Mit Tafel XVI_ XIX De 247 Driver, L., Beitrage zur Keane Her Rew ead Zellendepeneration und ikeee Tnsiiche: Mirtretatreli xox exe X = =) 294 y. Liystow, ee Studien. Mit Tafel XxXIt— XXII 328 Zur gefl. Beachtung: Alles, was den Schriftenaustausch betrifft, gefl. zu adressiren an die medi- zinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft Jena. Man bittet yon Kinsendung yon Recensionsexemplaren abzusehen, da grund- sittalich keine Besprechungen von Schriften Aufnakme finden. F Verlag von eee Etarines in Tena, ZOOLOGISCHE FORSCHUNGSREISEN IN AUSTRALIEN UND DEM MALAYISCHEN ARCHIPEL., MIT UNTERSTUTZUNG DES HERRN _DR. PAUL VON RITTER AUSGEFUHRT IN DEN JAHREN 1891—1803 von D® RICHARD SEMON, PROFESSOR IN JENA. Erster Band: Ceratodus. Erste Lieferung. Mit 8 lithographischen Tafeln und 2 Abbildungen im Text. Preis 20 Mark. Johannes Walther, a. 0. Professor an der Universitit Jena. Einleitung in die Geologie als historische Wissenschaft. Erster Theil: Bionomie des Meeres. Beobachtungen iiber die maritimen Lebensbezirke und Existenzbedingungen. ‘ 1893. Preis: 6 Mark. Inhalt: 1. Bedingungen des Lebens, 2. Die Lebensbezirke des Meeres. 3. Die Or- ganismen des Meeres. 4. Die Facies des Meerbodens. 5. Der Einfluss des Lichtes. 6. Der Einfluss der Temperatur. 7. Der Einfluss des Salzgehaltes. 8. Gezeiten und Wellen. 9. Str6mungen und Cirkulation des Meeres. 10. Die Flora des Litorals. 11. Litoralfauna. 12. Die Flora der Flachsee. 13. Die Fauna der Flachsee. 14. Aestu- arien und Relictenseen. 15. Das offene Meer. 16. Die Tiefsee. 17. Die oceanischen Archipele. 18. Die geologischen Verainderungen der Meere. 19. Die Wanderungen der Tiere. 20. Die Korrelation der Lebensbezirke. Zweiter Theil: Beobachtungen tiber das Leben der geologisch wichtigen Thiere. 1893, Preis: 8 Mark 50 Pf. Inbalt: 1. Die Liicken paliontologischer Ueberlieferung. 2. Foraminifera. 3. Radio- laria. 4. Spongia. 5. Anthozoa. 6. Crinoidea. 7. Asteroidea. 8. Echinoidea. 9. Holo- thuria. 10. Bryozoa. 11. Brachiopoda. 12. Die geographische Verbreitung der Mollusken. 13. Lamellibranchiata. 14. Gastropoda. 15. Die Ammoniden als Leitfossilien. Soeben erschien: Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena, — 1221 Verlag von Gustav Fischer in Jena. Die Allmacht der Naturztichtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Von August Weismann, - Professor in Freiburg i. Br. Preis: 2 Mark. Vetter Dr. phil. Benjamin, weiland Professor an der kgl. sachs. techn. Hochschule ? in Dresden, Die moderne Weltanschauung und der Mensch. Kart. M. 2.50. Eleg. geb. M. 3.— Inhalt: I. Vortrag: Kinleitendes. — Die moderne Wissenschaft hat die Aufgabe, das Errungene zu einem einheitlichen Weltbilde zu gestalten. — Geschichte der modernen Naturerkenntnis. Kopernikus. — Newton. — Robert Mayer und Helmholtz. Die Erhaltung der Kraft. — Lyell und die neue Geologie. — Weitere Entdeckungen. — Hinheitliches Naturgesetz und scheinbare Durchbrechung desselben. — Darwin als Fortsetzer und Vollender bisheriger Forschung. Seine Theorie. — IJ. Vortrag: Das einheitliche Weltbild der modernen Forschung. — Die naturalistische Weltanschauung kimpft ihren Kampf um’s Dasein, — Unser Erkennen ist nicht Stiickwerk, aber es wird stets relativ bleiben. — Es giebt keine Schranke im Feststellen von Relationen; hier herrscht einheitliche Gesetzmissigkeit. — Kant’s Entwicke- lungslehre. — Geschichte der Entwickelung des Sonnensystems. — Weder Anfang noch Ende des Naturganzen lassen sich feststellen, die gesetzmissige Kontinuitit ist aber auch nirgends unterbrochen. — Kein Eingreifen eines persdénlichen Gottes, kein Jenseits. — Nach Zwecken in der Natur 2u fragen, hat keinen Sinn. — Die Entwickelungsgeschichte der Erde und die Anfinge organischen Lebens. — III. Vortrag: Der Mensch. — Grosse Verhiltnisse k6nnen nur aus angemessener Entfernung richtig beurteilt werden. — Diese Beobachtungs- weise fiihrt bei der Welt im ganzen zum Monismus; auch fiir den Menschen wird der Dualismus sich nicht halten kénnen. — Zeit der Existenz des Menschen. — Seine Ent- stehung und die Vorboten des Menschen in der Tierwelt. — Die Ausbildung seiner k6rper- lichen und geistigen Eigentiimlichkeiten. — Die Entwickelung auf sittlichem Gebiete. — IV. Vortrag: Das Sittengesetz auf natiirlicher Grundlage. — Die Ausbildung der einzelnen Organe nimmt mit dem Eintritt der aufrechten Haltung eine neue Wendung. — Entstehung der Sprache und der Gesellschaft. — Aus dem Egoismus entwickelt sich der Altruismus. — Die Anfiinge der Moral und des Pflichtbewusstseins, die Regungen des Gewissens. — Der Krieg hindert die Kultur und fordert sie doch wieder gewaltig, durch ihn entsteht der Staat mit seiner Gliederung und Arbeitsteilung. —- Der Mensch ein Zellenstaat. — Das Problem der Willensfreiheit und die Unterscheidung von gut und bése. — Auch auf sittlichem Ge- biete giebt es ein Unterliegen alter und ein Emporkommen neuer Formen. — V. Vortrag: Religion und Philosophie. — Weitere Erérterungen iiber die Freiheit des Handelns, — Der sittliche Massstab ergiebt sich daraus, ob etwas fiir die Gemeinschaft in der wir leben, niitz- lich oder schiidlich sei. — Die Widerspriiche zwischen dem Sittengesetz und den Forderun- gen des tiglichen Lebens erklaren sich nur bei geschichtlicher Betrachtung. — Die hoéchste sittliche Stufe wird erreicht durch den Glauben an die Unabinderlichkeit der Naturgesetze. — Dieser Glaube bringt uns auch in die richtige Stellung zum Thun und Treiben unserer Mitmenschen. — Erst durch die Entwickelungslehre wird das Sittliche, wie es auch das Christentum lehrt, auf sichere Grundlage gestellt. — Auch die wahre Gerechtigkeit gegen Fehlende geht aus dieser Lehre hervor. — VI. Vortrag. Entwickelungsgeschichte der Religion und ihre philosophische Begriindung. Zusammenfassung der Ergebnisse und Aus- blick auf kiinftige Zustiinde des Menschengeschlechtes. — Die natiirliche Entstehung religidser Vorstellungen aus den falschen Bildern, die sich der Urmensch von Traum, Schlaf und Tod macht. — Totenkultus, Ahnenverehrung, Fetischglauben etc. fiihren zur Gottesverehrung. — Der Kern des Gottesbegriffes ist das Ansich der Dinge, das schon Kant (1781) verktindete und das auch die moderne Wissenschaft feststellt. — Die fernste Zukunft, welcher die Menscbheit entgegentreibt, kann nur der allmihliche Untergang sein; aber die Einsicht, die der Mensch bis dann erreicht haben wird, lisst ihn ruhig dem Ende ins Angesicht schauen. Die moderne Weltanschauung stirkt im Menschen das Bewusstsein der Pflichten gegen sich und andere, sie wird auch die soziale Frage zu lésen imstande sein. "| QQ 224 546